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German Pages 381 [384] Year 2000
Alberto Rosales Sein und Subjektivität bei Kant
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Kantstudien Ergänzungshefte im Auftrage der Kant-Gesellschaft herausgegeben von Gerhard Funke, Manfred Baum und Thomas M. Seebohm
135
Walter de Gruyter · Berlin · New York 2000
Alberto Rosales
Sein und Subjektivität bei Kant Zum subjektiven Ursprung der Kategorien
Walter de Gruyter · Berlin · New York
2000
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Die Deutsche
Bibliothek -
CIP-Einheitsaufnahme
Rosales, Alberto: Sein und Subjektivität bei Kant : zum subjektiven Ursprung der Kategorien / Alberto Rosales. - Berlin ; New York : de Gruyter, 2000 (Kantstudien : Ergänzungshefte ; 135) ISBN 3-11-016477-9
© Copyright 2000 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Druckerei W. Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Buchbinderei Stein, Berlin
Für meine Kinder Rafael und Catherine
Vorwort Dieses Buch ist das Ergebnis langjähriger Arbeit. Es beantwortet Fragen, mit denen ich seit meiner Studienzeit gerungen habe. Ich kann daher an dieser Stelle nicht umhin, meiner Lehrer in der Heimat und in Deutschland zu gedenken, die mich damals auf den Weg des Philosophierens brachten. Unter ihnen hat Prof. Gerhard Funke, mein Lehrer an der Bonner Universität, meine Beschäftigung mit Husserl und Kant im Laufe der Jahre mit seinem Rat und seiner bekannten Großzügigkeit gefördert, wofür ich ihm herzlich danke. Prof. Klaus Düsing, der dieses Buch gelesen und mit mir während eines dreimonatigen Kölner Aufenthaltes (1996) ausfuhrlich diskutiert hat, gebührt mein besonderer Dank. Prof. Thomas Seebohm und Prof. Carlos Di Prisco (Caracas) haben mir wichtige Ratschläge gegeben. Ich danke den Herren Professoren G. Funke, Th. M. Seebohm und M. Baum, den Herausgebern der Kant-Studien, für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe der Ergänzungshefte. Mein deutsches Manuskript ist dank der Bemühungen von Herrn Dr. Manfred Kugelstadt (Mainz) lesbarer geworden. Er hat es mit Sachkenntnis und gewissenhaft durchgesehen und mir dadurch ermöglicht, manche Textpassagen präziser zu formulieren. Nicht zuletzt gilt mein Dank der Alexander von Humboldt-Stiftung, die seit meiner Studienzeit in Köln meine philosophische Arbeit immer wieder gefordert und mir durch großzügige Hilfe den Zugang zu den deutschen Bibliotheken möglich gemacht hat. Caracas, Sommer 1999 Alberto Rosales
Inhaltsverzeichnis Vorwort Einleitung Erstes Kapitel: Kants Ausgangspunkt in der metaphysischen Tradition § 1. Die metaphysische Deutung des Seienden aus dem Denken § 2. Die neuzeitliche Wende zur Subjekt-Objekt-Unterscheidung § 3 . Kants Weg zur subjektiven Erkenntnis a priori
VII 1 12 12 15 22
A. Im Horizont der Wolffschen Philosophie 23 - B. Die Wende zum subjektiven A priori 25 - C. Das subjektive A priori als Erkenntnis von Phaenomena und Noumena 35 - D. Die Beschränkung des subjektiven Apriori auf die Erfahrung 41.
§ 4. Eine frühe Skizze der Erwerbung der Kategorien und des Schematismus in der Dissertatio § 5. Zur Konstitutionsgeschichte des Kantischen Subjektsbegriffes § 6. Der zweifache Weg zur Kategorientafel
47 53 66
Zweites Kapitel: Die metaphysische Deduktion und der Ursprung der Kategorien § 7. Was ist eine metaphysische Deduktion? § 8. Die Idee des Systems § 9. Der Weg der metaphysischen Deduktion der Kategorien § 10. Die Idee des Urteils und das System der Urteilsftinktionen
74 74 76 84 89
Anhang. Neuere Literatur zur Urteilstafel 98.
§ 1 1 . Der Gipfelpunkt der metaphysischen Deduktion der Kategorien.... § 12. Hinweise auf den subjektiven Ursprung der Kategorien
102 115
Drittes Kapitel: Der Ursprungsort der Kategorien nach der Transzendentalen Deduktion der ersten Auflage A. Das Vorstadium der Deduktion § 13. Das juristische Modell der Deduktion und ihr Prinzip § 14. Die Struktur der Deduktion im ganzen und ihr Vorstadium
117 117 117 122
Anhang 1. Transzendentale Deduktion und Skeptizismus 127. Anhang 2. Ein Einwand gegen die transzendentale Deduktion 128.
B. Das Hauptstadium der Deduktion § 15. Der Weg des Hauptstadiums und sein subjektiv-objektiver Charakter Anhang. Die möglichen Interpretationen der transzendentalen Deduktion 140.
130 130
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Sein und Subjektivität bei Kant
§ 16. Die konstituierenden Momente des Erkenntnisvermögens und ihr Zusammenhang
142
A. Die Anschauung 144 - B. Die Synthesis der Apprehension 144 - C. Die Synthesis der Reproduktion 146 - D. Die Synthesis der Rekognition und das Problem der Retention 147 - E. Die Einheit der Synthesis: der Begriff 151 - F. Die Einheit des Selbstbewußtseins 157.
§ 17. Die subjektiven Grundlagen der philosophischen Reflexion
165
Anhang. Interpretationen der subjektiven Deduktion 173.
§ 18. Das Subjekt als organisierte Ganzheit und deren teleologische Deutung § 19. Die systematische Form des Subjekts als organisierten Ganzen § 20. Die Beweisart der subjektiv-objektiven Deduktion § 21. Die Vollendung der transzendentalen Deduktion § 22. Das Wesen des Verstandes und die Frage nach dem Ursprung der Kategorien
201
Viertes Kapitel: Die ursprüngliche Erwerbung der Kategorien im transzendentalen Schematismus § 23. Die Orientierung des Schematismus-Kapitels § 24. Bild, Schema und Begriff § 25. Die Darstellung der transzendentalen Schemata
211 211 218 228
177 185 191 195
A. Quantität 228 - B. Qualität 233 - C. Relation 236 - D. Modalität 246.
§ 26. Die Produktion des Schemas überhaupt
251
A. Die Produktion de empirischen Schemata 256. B. Die Produktion der mathematischen Schemata 257.
§ 27. Die Produktion der transzendentalen Schemata als erste Etappe der ursprünglichen Erwerbung der Kategorien
260
Anhang. Das Vorausgehen der Schemata vor der Begriffsbildung 262.
§ 28. Die Zweite Etappe der ursprünglichen Erwerbung der Kategorien: von den transzendentalen Schemata zu den Urteilsfunktionen
268
A. Der Übergang zu den schematisierten Kategorien 268 - B. Der Übergang zu den entschematisierten Kategorien 271 - C. Der Übergang zu den Urteilsfunktionen 274.
Fünftes Kapitel: Das Problem des subjektiven Ursprungs der Kategorien in der Transzendentalen Deduktion der zweiten Auflage § 29. Der Grundcharakter der Deduktion Β
278 278
Anhang. Einige Interpretationen der transzendentalen Deduktion Β 288.
§ 30. Die objektive Deduktion in Β
290
Anhang. Von dem Grundsatz der Apperzeption 296.
§31. Die subjektive Deduktion und die neue Auffassung des Verstandes § 32. Die neue Auffassung des Verstandes und das Problem des subjek -
300
Inhaltsverzeichnis
tiven Ursprungs der Kategorien § 33. Die Wandlungen des Schematismus in der zweiten Auflage Sechstes Kapitel: Eine alternative Deutung des Ursprungs der Kategorien.... § 34. Grenzen und Möglichkeiten der Selbstbegründung der Vernunft .... Anhang. Weitere Stellen zur immanenten Begründung der Kategorien 318. § 35. Entwurf einer alternativen Begründung des Kategoriensystems § 36. Die zwei Begriffe von "Verstand" und ihr Zusammenhang § 37. Der subjektive Ursprung der Kategorien in der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft § 38. Erklärung des Systems der Kategorien aus der Produktion der transzendentalen Schemata A. Die Grundidee des Systems 337 - B. Die Einteilung des Systems in vier Klassen. 337- C. Die Dreiteilung jeder Klasse 340 - D. Die Vollständigkeit des Systems 341 E. Die Korrelativität in den dynamischen Klassen 344 - F. Die zwölf einzelnen Kategorien 344 - G. Die Ordnung der Glieder des Systems 348. § 39. Eine problematische Erklärung der logischen Formen aus der Endlichkeit der menschlichen Vernunft § 40. Ausblick auf neue Möglichkeiten Literaturverzeichnis Sachregister
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307 311 316 316 324 326 329 336
349 357 362 366
Einleitung I Es ist eine bekannte Tatsache, daß Kant die obersten Seinsprädikate nach Aristoteles Kategorien nennt und daß er sie als Erkenntnisse a priori auffaßt. Gemäß seiner Lehre, daß eine solche Erkenntnis aus dem Subjekt selbst entspringt, haben die Kategorien ihren Ursprung im Verstände. Alles das scheint sonnenklar zu sein und gehört heutzutage zu den Selbstverständlichkeiten der Kantischen Philosophie. Es birgt aber, wie ich sofort zeigen werde, einen Problemkomplex in sich, dessen Klärung nicht bloß Sache der Philosophiegeschichte ist. Die Erforschung des subjektiven Ursprungs der Seinsprädikate betrifft indirekt die Hauptfrage der traditionellen Philosophie nach dem Seienden als solchen. Von dieser Hauptfrage stammt der Impuls, der vorliegende Arbeit bewegt. Die KrV enthält viele zum Teil auseinandergehende Bestimmungen der Kategorien und ihres subjektiven Ursprungs. Sie werden immer wieder als reine Verstandesbegriffe bezeichnet. Da die Kritik den Verstand beständig als ein Vermögen zu urteilen ansieht, leitet sie das System dieser Begriffe aus der Tafel der Urteilsfunktionen ab (A 79/80), was die These nahelegt, diese Tafel sei der Ursprung jener (vgl. Proleg. § 39). Da Kant aber, vor allem ab der Deduktion B, dieses Vermögen zu urteilen auf die Einheit der Apperzeption zurückfuhrt, tritt diese als die wahre Quelle der Kategorien auf. Alle diese verschiedenen Bestimmungen scheinen mit der These übereinzustimmen, daß der Verstand eine selbstgenügsame und geschlossene Quelle seiner Begriffe ist, die nichts von der Sinnlichkeit hernimmt (A 65). Das scheint zu bedeuten, daß das Subjekt als ein Aggregat von selbständigen Vermögen angesehen werden muß. Zum anderen manifestiert sich aber an mehreren Stelle des Werkes die Überzeugung Kants, daß die menschliche Vernunft eine organisierte Ganzheit bildet, die so ursprünglich wie ihre Glieder ist (z.B. Proleg. Vorrede). Demgemäß bestimmt die Deduktion A den Verstand qua Erkenntnisvermögen als die Beziehung der Einheit der Apperzeption auf die Einbildungskraft (und damit auf die Sinnlichkeit) (A 119)eine Einsicht, die dann in der Deduktion Β in gewandelter Form beibehalten wird (vgl.§§ 15-20). Obwohl Kant infolge dieser Lehre die Beziehung der genannten Vermögen als den Grund der Möglichkeit der Kategorien ansieht (A 111-12, vgl. §§ 16, 21), hält er andererseits implizit diese Begründung für vordergründig oder unzureichend, denn sie geht nicht tief genug bis zu den letzten Wurzeln dieser Vermögen. Zum anderen sieht er aber eine hier nötige radikalere Begründung als fur uns undurchführbar an. Das System der Kategorien bleibt in dieser Hinsicht ein relatives Faktum (Proleg. § 36, KrV ξ 21).
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Sein und Subjektivität bei Kant
Dieser kurze Abriß deutet schon die Verwicklung an, die die Theorie Kants über den subjektiven Ursprung der Kategorien in sich birgt und die zum Teil die auseinandergehenden Wege der Interpreten veranlaßt hat. Um eine Übersicht dieser möglichen Wege zu gewinnen, kann von der Struktur des Subjekts ausgegangen werden, in der man den Ursprung dieser Begriffe sucht. Da das Erkenntnisvermögen nach Kant aus drei bzw. zwei Grundkräften (Apperzeption, Einbildungskraft, Sinnlichkeit bzw. Apperzeption, d. h. Verstand, und Sinnlichkeit) besteht, möchte man glauben, daß jede von ihnen als möglicher Ursprung dieser Begriffe angesehen werde könnte. Aber die (reine oder empirische) Sinnlichkeit kann nicht als ein solcher in Frage kommen, weil in dem Falle, daß die Kategorien ihr entsprängen, sie nicht mehr reine Verstandesbegriffe wären. Deshalb haben diejenige Interpreten, die sich mit dieser Frage befaßt haben, den genannten subjektiven Ursprung nur in der reinen Apperzeption (1) oder in der transzendentalen Einbildungkraft (2) gesucht. 1. Die Denker des Deutschen Idealismus haben als erste die Aufgabe der Entfaltung des Kategoriensystems aus der Einheit der Apperzeption konzipiert und auf verschiedene Weisen verwirklicht. Wie bekannt, betrachteten sie die Deduktion Β als den Ansatz zu einer solchen Ableitung, die Kant aber nicht zu Ende gebracht habe. Diese Deutung führte zu dem Versuch, das Wesen der Apperzeption zu verwandeln, um die gesuchte Ableitung auf dem Wege einer Geschichte des Selbstbewußtseins zu vollbringen. Ein solcher Weg ist zweifellos eine echte philosophische Möglichkeit, aber er kann nicht als eine Interpretation der KrV gelten, die klären würde, wie Kant auf die gestellte Frage antwortet, sondern als eine Transformation dieses Werkes, die zu verschiedenen eigenständigen Entwürfen geführt hat. H. Cohen hat in seinem Buch Kants Theorie der Erfahrung (2. Aufl., 1885) die These vertreten, die synthetische Einheit der Apperzeption sei die Gattung der Kategorien bzw. diese seien ihre Arten (245 Anm., 271, 310, 316, 317). Wie teilt sich diese Gattung in ihre Arten ein, woraus entspringen dabei die spezifischen Differenzen? Cohen findet diese Arten durch eine Analyse der faktischen Wissenschaft, die sowohl ihre Anzahl als auch die Vollständigkeit der resultierenden Tafel verbürgen sollte (a. a. O. 272-289). Kant ist aber weder auf einem solchen Wege zu seinem Kategoriensystem gelangt, noch leitet die Kritik die Kategorientafel auf diese Weise ab (vgl. A 66 ff.). Die Analyse der faktischen Wissenschaft könnte außerdem allenfalls erklären, wie der Philosoph seine Kategorien entdeckt hat, nicht aber wie die synthetische Einheit der Apperzeption selbst in die Vielheit dieser Begriffe auseinanderfallen kann. In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg sind zahlreiche Versuche unternommen worden, die Kantischen Kategorien aus der reinen Apperzeption abzuleiten. Viele von ihnen sind aus einem Aperçu von J. Ebbinghaus hervorgegangen, das durch D. Henrich vermittelt wurde, demgemäß die Apperzeption eine "quasi-cartesianische
Einleitung
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Evidenz" ist, aus der die Kategorien als ihre notwendigen Bedingungen abgeleitet werden können. Obwohl dieser ganze Ansatz oder wenigstens ein Teil seiner Momente vielen Interpretationen gemeinsam ist, unterscheiden sich diese sehr voneinander, u. a. weil sich einige Interpreten an den Kantischen Text halten (z. Β. M. Baum 1 ), während andere ihn von empiristischen und sprachanalytischen Gesichtspunkten her frei rekonstruieren (z. B. D. Henrich, M. Hossenfelder, R. Aschenberg). Der genannte Ansatz von J. Ebbinghaus findet sich von Henrich zu dem Programm entfaltet, daß man aus der Apperzeption alle Sätze des Kantischen Systems ableiten kann. 2 Demgemäß versucht er in seiner Abhandlung Identität und Objektivität, die Kategorien als die notwendigen Bedingungen der Verwirklichung der Apperzeption aus dieser abzuleiten. Da ein solcher fichteanisch klingender Versuch einseitig auf die Apperzeption gerichtet ist, trägt er nicht zureichend der Tatsache Rechnung, daß in der ersten Auflage der Kr V die Möglichkeit der Kategorien in der Beziehung der Apperzeption auf die Sinnlichkeit gegründet wird (vgl. A 111-12) und daß selbst in der Deduktion Β (§§ 15-21) die Möglichkeit dieser Begriffe auf der Beziehung der Apperzeption auf die sinnliche Anschauung (überhaupt) beruht. Faktisch leitet die genannte Abhandlung zwar die Kategorien und die logischen Urteilsfunktionen nicht aus der reinen Apperzeption allein ab, sondern implizit aus der Beziehung dieser auf die sinnlichen subjektiven Zustände und Vorstellungsinhalte. Aber da der Vf. diese Interpretation frei ausführt, berücksichtigt er nicht die an den zitierten Stellen enthaltenen Möglichkeiten, das System der Kategorien in allen seinen Besonderheiten zu klären. Diese Bemerkung kann auch fur die anderen Vertreter dieser Tendenz gelten. 3 Ein Grenzphänomen innerhalb der besprochenen Strömung, die Kategorien aus der Apperzeption abzuleiten, bilden die Arbeit von Klaus Reich über Die Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel und die von dieser ausgehenden Werke von M. Wolff und R. Brandt. 4 Während Reich und Wolff versuchen, diese Frage unter Berücksichtigung der Apperzeption zu beantworten, ohne aber auf den subjektiven Ursprung dieser Begriffe in seiner ganzen Verwicklung einzugehen, hält Brandt es fur möglich, sich dabei auf eine logische Erörterung der Urteilstafel zu beschränken. Die vom Empirismus bestimmten Sprachanalytiker unserer Zeit gehen bei ihren rekonstruktiven Umdeutungen der Kritik davon aus, daß die Selbsterkenntnis der Vernunft, die diesem Werk zugrunde liegt, weder empirisch-psychologisch noch eine synthetische Erkenntnis a priori sein kann. Wird damit die Kant eigene
1 2 3 4
M. Baum, Deduktion und Beweis in Kants Transzendentalphilosophie (1986), 32-33. Vgl. "Die Beweisstruktur von Kants transzendentaler Deduktion" ( 1973), 101-2. Vgl. unten § 39 Anm. Vgl. unten § 10, Anhang.
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Sein und Subjektivität bei Kant
Auffassung der Selbsterkenntnis übersprungen bzw. negiert, dann bleibt fur diese Interpreten als mögliche Ableitung der Urteilsfunktionen nur die "logische" Analyse des Urteilsbegriffes (z.B. Strawson, 1989, 71 f.) oder im Falle der Kategorien die Analyse des Begriffes der reinen Apperzeption (vgl. M. Hossenfelder, 1978, 142 f.) übrig. 2. Die andere Grundmöglichkeit der Interpretation, die den subjektiven Ursprung der Kategorien in der Einbildungskraft sucht, wird nach dem Ansatz Holders von Heidegger in seinem ersten Kant-Buch eröffnet. Nachdem er erst einmal im Schematismus die Verbindung von Sein und Zeit erblickt, kann er, nach Ausführung seines Hauptwerkes, die KrV daraufhin interpretieren, daß die Kategorien der E i n b i l d u n g s k r a f t als ursprünglicher Zeitlichkeit e n t s t a m m e n . I n f o l g e d e s s e n berücksichtigt er nicht, daß die Kantische Subjektivität eine organisierte Ganzheit von drei bzw. zwei gleichursprünglichen Gliedern ist. Da er ferner die Lehre Kants über die Grenzen und Möglichkeiten der Selbstbegründung der Vernunft entweder übersieht oder deren Bedeutsamkeit für das Problem des Ursprungs der Kategorien als sekundär erachtet, kann er die Tatsache, daß Kant eine B e g r ü n d u n g der Kategorien aus dem Schematismus nicht durchführt, nur als ein nachgerade instinktives Verbergen einer gefährlichen Entdeckung bzw. des in ihr Entdeckten erklären. Dadurch kann Heidegger die Grundthesen seiner Interpretation Kant selber zuschreiben, wenn auch als etwas von ihm Verdrängtes. 5 A n d e r e , w e n i g e r r a d i k a l e Geister, w i e J o s e p h M a r é c h a l , H e r m a n n D e Vleeschauwer und H. J. Paton, haben auch die Möglichkeit anvisiert, daß die Kategorien aus der Beziehung der Apperzeption auf die Sinnlichkeit, d.h. aus der E i n b i l d u n g s k r a f t entspringen, ohne aber diese Einsicht zur G r u n d l a g e einer Interpretation der Kritik zu machen. 6
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Vgl. Kant und das Problem der Metaphysik (GA Bd. 3) sowie H. Mörchen, Die Einbildungskraft bei Kant ( 1930, S. 434 ff.). Vgl. auch A. Holder, Darstellung der Kantischen Erkenntnistheorie, Tübingen 1874. Maréchal visiert in La Critique de Kant, dem III. Band seines Werkes Le point de depart de la Métaphysique, die Möglichkeit an, die Kategorien aus der erwähnten Beziehung abzuleiten (vgl. Buch III, Kap. II, 1 4, b). Auf ähnliche Weise sagt Vleeschauwer in bezug auf KrV A 119 von den Kategorien als Einheit der Synthesis: "Donc la unité [de la synthèse] en peut consister que dans le rapport mutuel entre l'aperception et la imagination." (La deduction transcendentale, II342) Ebenso sagt er in bezug auf A 123/24:"... le concept ou l'unité de la synthèse ne peut surgir qu'en rapportant une diversité intuitive préalablement synthétisée par l'imagination a l'unité invariante de la conscience du moi" (II, 362). H. J. Paton sagt: "Even at the worst the chapter of Schematism has more than the value of throwing light on Kant's errors. If we reject his derivation of categories, this chapter acquires a new and special importance: it suggest the possibility of making a fresh start, and of justifying the categories from the nature of time without any reference to the forms of judgment. The Kantian doctrine may perhaps be reformed and restablished, if we could show that the categories are implicit in our knowledge of time, and are principles of synthesis without which no object could be known to be an object in time" (II, 20; vgl. 71 -78). In seinem Buch Kants Theorie des Denkens streift J. H. Königshausen diesen Problembereich, indem er das Gefuge von Apperzeption, Einbildungskraft und Sinnlichkeit
Einleitung
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So weit ein Abriß der bisherigen Interpretationsversuche. Einige von ihnen gehen auf die Frage nach dem subjektiven Ursprung der Kategorien bei Kant nicht ein. Andere stellen zwar diese Frage, aber geben keine konkrete Antwort auf sie. Oder sie beantworten sie dergestalt, daß ihre Interpretationen den Boden der KrV verlassen oder, wenn sie auf ihm verbleiben, den ganzen Gehalt des Problems nicht berücksichtigen bzw. ihn mißdeuten. Nichtsdestoweniger werfen die genannten Denker in kleinerem oder größerem Maße auf dem Problembereich immer ein Licht, so daß jeder neue Interpretationsversuch ihre positiven Einsichten nicht entbehren kann. Läßt sich aber aus einer solchen Lage, angesichts der Verwicklung des Problems in den Kantischen Texten selber und der auseinanderstrebenden Wege der Kant-Forscher, eine neue Interpretationsmöglichkeit konzipieren? Wenn man noch einmal an die Frage nach dem subjektiven Ursprung der Kategorien herangeht, dann muß man versuchen, allen Seiten des Problems Rechnung zu tragen, was angesichts der häufigen Unterlassungen der Interpreten keine Selbstverständlichkeit ist. Das betrifft unter anderem die verstreuten Hinweise Kants auf die Grenzen und Möglichkeiten der Selbstbegründung der Vernunft. Es gilt, auf der Basis der zugehörigen Texte die These darzulegen, in die die verschiedenen Fäden zusammenlaufen: die Kategorien entspringen zwar aus dem Verstand als der Beziehung der Apperzeption auf die Einbildungskraft und dadurch auf die Anschauung, aber diese Begründung ist unzureichend, weil sie diese Vermögen als Fakta voraussetzt und nicht zu ihren Wurzeln gelangt - eine Letztbegründung, die andererseits der menschlichen Vernunft verwehrt ist. Demnach kann man weder eine transzendente Begründung des Kategoriensystems noch eine immanente Ableitung desselben aus der genannten Beziehung unternehmen. Das letzte Wort Kants in dieser Sache ist, daß sich die Kritik mit einer relativen Faktizität der reinen Verstandesbegriffe abfinden soll. Aber hat er recht, wenn er diese immanente Ableitung schon als Möglichkeit fur undurchführbar hält, oder wäre sie trotzdem fähig, wenn nicht eine letzte, so doch eine "vor-letzte" Begründung des genannten Systems zu liefern? Diese Frage geht zwar von einer Möglichkeit aus, die in den kritischen Schriften faktisch beschlossen liegt, aber das Ergreifen dieser Möglichkeit und deren Durchführung im Rahmen des Kantischen Entwurfs liegen jenseits dessen, was diese Schriften ausdrücklich vertreten. Um eine solche Aufgabe zu übernehmen, gilt es zunächst anhand der einschlägigen Texte die soeben umrissene Ansicht Kants zur Begründung des Kategoriensystems darzulegen. Auf dieser Basis kann dann in eigener Durchführung dieses System aus der Beziehung der Grundvermögen abgeleitet werden. Damit ist das Ziel vorliegender Arbeit formuliert. hervorhebt und daraus abnimmt, daß die Uiteilsformen und die Kategorien nicht zu einer selbständigen logischen Sphäre gehören, sondern von diesem Gefüge her zu verstehen sind (vgl. 195-96). Vgl. auch die Ausführungen von R. P. Wolff in Kant 's 'Theory of Mental Activity (208-10) über die Möglichkeit, die Kategorien aus dem Zeitbewußtsein abzuleiten.
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Sein und Subjektivität bei Kant
Das Ergebnis dieses Versuchs ist nicht das, was man eine Rekonstruktion nennt, d.h. der Wiederaufbau eines Gebäudes, das man fur hinfällig hält, nach dem modischen Geschmack einer jeweiligen Gegenwart. Solche Modernisierungsversuche haben den Nachteil, daß sie weder das Gewesene selbst zeigen können noch fähig sind, wirklich Neues in der Gegenwart zu errichten. Um zu wissen, was Kant eigentlich über die genannte Frage gedacht hat, muß man eben sein Gebäude so lassen, wie es konzipiert wurde, wenigstens soweit dies in einer Interpretation möglich ist. Daher gilt es auch, die Darlegung seiner Thesen ausdrücklich zu unterscheiden von der Ableitung des Kategoriensystems aus der Beziehung der Grundvermögen, für deren Durchführung nur der Verfasser die Verantwortung trägt. Dadurch unterscheidet sich vorliegende Arbeit auch von dem Versuch, etwas, das Kant vermeintlich entdeckt und dann verdrängt habe, wieder zu entdecken und ihm selber zuzuschreiben. II Vorliegende Arbeit entfaltet sich in sechs Kapiteln, die in drei Teile gegliedert werden können. Das erste Kapitel sucht einleitend den Ausgangspunkt der subjektiven Begründung der Kategorien in der Tradition zu zeigen. Die mittleren Kapitel (II-V) erforschen eine solche Begründung im Text der KrV. Das letzte Kapitel entwickelt eine Kantische Möglichkeit in der eigenen Ausführung des Verfassers. Die Bestimmung der Hauptprädikate des Seienden aus der Seele und dem Denken, in dem das Seiende offenbar ist, steht in einer Tradition, die bis zum Beginn des Philosophierens in der Antike zurückgeht. Sie prägt die maßgebende Gestaltung der Metaphysik durch Aristoteles sowie deren Transformation durch Duns Scotus im Hochmittelalter. Diese Tradition verschärft sich in der Neuzeit mit der Wende zur Subjektivität als zu dem Seienden, von dem her alle anderen Seienden philosophisch zu begründen sind. Es gilt zunächst zu zeigen, wie Kant, ausgehend von dieser Tradition, die Wesenheiten der Dinge in das Apriori des menschlichen Subjekts verwandelt. Die Dissertatio von 1770, die die Hauptprädikate des Seienden als reine Begriffe dem Verstand zuschreibt, deutet schon in ihrem V. Abschnitt an, daß sie durch jene Leistung der Einbildungskraft ursprünglich erworben werden, die später der transzendentale Schematismus genannt werden soll. In diesem Rahmen kann die Konstitutionsgeschichte des Kantischen Subjektsbegriffes umrissen werden. Der Weg, auf dem Kant sein Kategoriensystem entdeckt hat, zeigt, daß er zunächst versuchte, es direkt aus den Leistungen des Verstandes und anderer Vermögen abzuleiten, daß er aber dann diesen Versuch aufgab, um dieses System auf dem Umweg über ein besonderes Produkt des Verstandes, das Urteil, zu entdecken. Daß er dennoch auf die subjektive Begründung dieses Systems nicht verzichtet hat, kommt in seinen kritischen Schriften zum Vorschein. Daher geht das zweite Kapitel auf die "metaphysische" Deduktion der Kategorien der Kritik ein, die an mehreren Stellen das gestellte Problem streift. Da die
Einleitung
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philosophische Erwerbung der Tafel der Urteilsfunktionen in vielen Deutungen als Ursprung der Kategorien angesehen, und deren Methode, die Einteilung eines Gattungsbegriffes, entweder mißverstanden oder für irrelevant gehalten wird, gilt es, sie auf Grund der Kantischen Idee von System in das rechte Licht zu rücken und in einer ersten Annäherung die Ableitung dieser Tafel darzulegen. Zum anderen stellt die Interpretation der ursprünglichen Erwerbung der Kategorien aus der reinen Synthesis der Einbildungskraft in ihren zwei Stufen, dem Entspringen der transz. Schemata und dem Auf-den-Begriff-Bringen derselben (§ 10), vor die Frage, ob diese Synthesis nicht nur ratio cognoscendi, sondern auch ratio essendi dieser Begriffe sein kann. Die Transzendentale Deduktion der Kategorien in der ersten Auflage liefert die Basis zur Entfaltung dieser Frage, weil sie sehr tief in die Analyse des Verstandes im Sinne eines Erkenntnisvermögens eindringt, und dadurch einen ausdrücklichen Einblick in das Wesen dieses Vermögens bietet, so daß damit der Ursprung (die Möglichkeit) der Kategorien zum Vorschein kommt. Der Weg zu diesem Ziel ist freilich sehr lang und verwickelt. Es ist zunächst unklar, wieso eine solche Analyse der Subjektivität zu einer Untersuchung über die Möglichkeit der objektiven Realität der Kategorien gehört, und die Klärung dieses Sachverhalts erfordert, die Natur der Deduktion im ganzen als einen weit verzweigten Beweis zu erörtern. Bekanntlich beweist die transzendentale Deduktion die objektive Gültigkeit der Kategorien dadurch, daß sie Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und damit ihrer Objekte sind. Da aber die Kategorien nur im Z u s a m m e n h a n g mit anderen subjektiven Vermögen und Leistungen solche Bedingungen der Erfahrung sind, kann die Kritik die Gültigkeit dieser Begriffe nicht ohne eine subjektive Deduktion der Möglichkeit des Verstandes als Erkenntnisvermögens beweisen. Gegenüber dem geläufigen Mißverständnis der subjektiven Deduktion im Sinne einer Analyse der Art, wie der faktische Verstand funktioniert, gilt es festzuhalten, daß sie die Bedingungen sucht, auf denen ein möglicher menschlicher Verstand beruht. Daher sind bei der Entfaltung dieser Deduktion zunächst die Vermögen und Leistungen zu betrachten, die eine solche Bedingungsfunktion haben. Kant denkt implizit die Einheit aller diesen Bedingungen im Sinne einer organisierten Ganzheit und deutet sie daher heuristisch als ein teleologisches Gebilde. 7 Das führt zur Betrachtung der Struktur dieser Ganzheit und dann zur Frage nach der Möglichkeit der Selbsterkenntnis, die dabei am Werke ist. In diesem weitgespannten Horizont steht
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Ich habe diese Ideen zum ersten Mal in meinem Aufsatz "Zur teleologischen Grundlage der transzendentalen Deduktion der Kategorien" (in Kant-Studien, 1989,4. Heft, 377-404) dargelegt. In der vorliegenden Arbeit sind sie vor allem in Hinblick auf die logische Struktur der Deduktion und die teleologische Deutung des Subjekts in mancher Hinsicht modifiziert. Um den Leser nicht noch mehr durch diesen langen Weg vom Ziel abzulenken, habe ich einige Seiten über die Wahrheitsart der subjektiven Deduktion und eine Metatheorie der transz. Deduktion überhaupt diesem Buch genommen, in der Absicht, sie später zu veröffentlichen. Daher verweise ich noch auf das, was ich zu jener Frage auf S. 402/3 des genannten Aufsatzes ausgeführt habe. Ich verzichte ferner darauf, in dieser Einleitung auf meine
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Sein und Subjektivität bei Kant
die Deutung der objektiven-subjektiven Deduktion, die im 3. Abschnitt des Kantischen Textes enthalten ist. Durch diesen verhältnismäßig langen Umweg gelangt unser drittes Kapitel zu seinem Ziel: der Betrachtung der Möglichkeit (des W e s e n s ) des V e r s t a n d e s als der B e z i e h u n g der A p p e r z e p t i o n auf die Einbildungskraft und damit auf die Sinnlichkeit (A 119) und dementsprechend dieser Beziehung als der Möglichkeit (ratio essendi) der Kategorien (A 111-12). Der Verstand als Denkvermögen, der zunächst ein selbständiger Ursprung der Urteilsfunktionen und der Kategorien zu sein scheint, ist in Wahrheit ein unselbständiges Moment dieses Ganzen. Da die Kategorien die Begriffe eines solchen Verstandes sind, wäre es möglich und sogar notwendig, sie in diese Beziehung der Apperzeption auf die Sinnlichkeit, d.h. in die transzendentale Einbildungskraft, die diese Beziehung selbst ist, zurückzunehmen und von ihr her das System dieser reinen Begriffe ausdrücklich zu begründen. Jedoch hat Kant eine solche Möglichkeit in der ersten Auflage der Kritik faktisch nicht ergriffen, und ein Passus der Prolegomena ( § 3 6 ) deutet an, daß ein solcher Versuch vordergründig wäre, denn er würde noch nicht die Möglichkeit der Sinnlichkeit und der Apperzeption selber erklären, welche überdies ja von uns Menschen nicht weiter begründet werden können. Dergestalt scheint die genannte Beziehung der Grundvermögen die Wurzel des Kategoriensystems zu sein und zugleich nicht zu sein. Um diese verwickelte Situation wenigstens in einem ersten Schritt zu klären, unternimmt es das vierte Kapitel, auf dem Wege einer Interpretation des Schematismus zu erforschen, ob und inwieweit diese Leistung der Einbildungskraft die Entstehung von transzendentalen Schemata ermöglichen kann. Daher gilt es, über die Klärung des Schemas als Subsumtionsmittels und als einer Regel der Synthesis von Bildern hinaus zu sehen, was die Produktion des Schemas sein soll, die Kant drei Mal erwähnt, ohne sie weiter zu erörtern. Es stellt sich heraus, daß und wie die Einbildungskraft nicht nur Bilder nach schematischen Regeln der Synthesis erzeugt, sondern wie sie, nach verstreuten Hinweisen, auch diese ihre Regeln, wenigstens die empirischen und die mathematischen Schemata, produziert und damit den Stoff für die weitere Formung der entsprechenden Begriffe hervorbringt. Da dem Interpreten nach dem soeben umrissenen Passus der Prolegomena aber verwehrt ist, so etwas wie die Produktion des Gehalts der Kategorien in der Einbildungskraft zu suchen, muß er in diesem Zusammenhang zunächst die andere These erwägen, daß die angeborenen Anlagen des Verstandes zuallererst als Regeln der Einbildungskraft zum Vorschein kommen und daraus ursprünglich erworben werden. Es stellt sich aber dabei heraus, daß, im Gegensatz zu der Produktion der empirischen und mathematischen Schemata, unerklärlich
Deutung der transz. Deduktion näher einzugehen, um den Weg der Arbeit zu ihrem Ziel desto klarer hervortreten zu lassen. Vgl. unten S. 137 die Tafel der Struktur der transz. Deduktion.
Einleitung
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bleibt, wie diese angeborenen Anlagen, in denen die Kategorien noch völlig verborgen sind, in reine sinnliche transzendentale Schemata übergehen können. Auf Grund verstreuter Stellen kann ferner die im zweiten Kapitel aufgezeigte Lehre der ursprünglichen Erwerbung der Kategorien aus dem transzendentalen Schematismus ergänzt werden, indem gezeigt wird, wie der so erworbene Gehalt durch verschiedene Modifikationen zunächst auf reine (schematisierte) Begriffe gebracht wird, welche dann in "bloße" (entschematisierte) Kategorien und endlich in logische Urteilsfunktionen übergehen können. Obwohl die Lehre des Schematismus aus den skizzierten Gründen nicht die Aufgabe in Angriff nimmt, das Kategoriensystem aus der transzendentalen Synthesis der Einbildungkraft zu erklären, bietet ihre Interpretation konkrete Einsichten in die Produktion der Schemata, die zur Vorbereitung des sechsten Kapitels dienen. Kapitel V interpretiert die Deduktion Β daraufhin, ob in ihr die soeben genannten Thesen über das Wesen des Verstandes und den Grund der Möglichkeit der Kategorien beibehalten werden und ob die in ihr auftretenden Wandlungen bei der Bewältigung dieser Probleme weiter fuhren. Das Ziel der objektiven Deduktion bleibt in Β dasselbe, aber die Struktur des Beweises ändert sich, weil Kant dabei die Gültigkeit der Kategorien, und zwar als eine begrenzte, beweisen will. Deshalb muß er einem faktischen doppelten Gebrauch der Kategorien, zum einen in bezug auf Objekte überhaupt und zum anderen auf die Erscheinungen, Rechnung tragen. Das ist der Rahmen, in dem dieser Text den subjektiven Ursprung der Kategorien ausdrücklich erörtert. Da der Verstand nämlich durch diese Begriffe in der Philosophie Objekte überhaupt denken kann und sich damit über die Grenze unserer Anschauung hinaus erstreckt, müssen sie aus dem Verstand und nicht aus der Sinnlichkeit entspringen (§21, vgl. Β 305). Aber da dieser Verstand andererseits endlich ist und daher auf eine sinnliche Anschauung angewiesen sein muß (§ 16), behält Kant die Grundthese der subjektiven Deduktion A bei, daß der Verstand durch die Beziehung auf eine solche Anschauung mitkonstituiert ist. In diesem Falle muß diese aber eine sinnliche Anschauung überhaupt sein, denn diese Konstruktion soll erklären, wie sich unser Denken (nicht unser Erkennen!) auf Objekte überhaupt beziehen kann und zwar nur auf diese und nicht auf Dinge an sich einer intellektuellen Anschauung. Da unter allen solchen Objekten uns nur die Erscheinungen in Raum und Zeit gegeben sind und daher nur sie erkannt werden können, muß die Deduktion Β in einer zweiten Etappe jene erweiterte "Gültigkeit" der leeren Kategorien auf die Objekte der menschlichen Anschauung weiter beschränken, wofür das Resultat der ersten die Grundlage liefert. Obwohl bei einer solchen subjektiven Deduktion des Verstandes in der ersten Etappe die Angewiesenheit des Denkens auf die sinnliche Anschauung beibehalten wird, liefert diese keine Erklärung für die Entstehung der Kategorien. Dem ist
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Sein und Subjektivität bei Kant
erstens so, weil eine solche B e g r ü n d u n g derselben in der B e z i e h u n g der Apperzeption auf die sinnliche Anschauung, in Übereinstimmung mit der soeben umrissenen Lehre der Prolegomena, nicht zureichend ist und die tiefere Begründung, die hier nötig wäre, der menschlichen Vernunft nicht möglich ist, weshalb die Systeme der Kategorien und der Urteilsfunktionen ein relatives Faktum bleiben müssen (§ 21). Zum anderen wäre es unmöglich, in der genannten Beziehung das Entspringen des Kategoriensystems zu gründen, weil die in ihr beschlossene Anschauung ihrer Allgemeinheit wegen so unbestimmt ist, daß sie keine Erklärung der Vielheit und Verschiedenheit der Kategorien liefern kann. Von dieser Anschauung hat der Verstand außerdem einen bloß problematischen Begriff; er bezieht sich dabei auf keine wirkliche Anschauung, die uns eine sinnliche Mannigfaltigkeit überhaupt gäbe. Insofern ist das Ergebnis dieser ersten Etappe, was den subjektiven Ursprung der Kategorien betrifft, fragwürdig und verweist damit unabsichtlich auf die einfachere Begründungsmöglichkeit der ersten Auflage zurück. Nachdem damit die Erörterung des genannten Problems in den Schriften Kants abgeschlossen ist, kann meiner leitenden Absicht nach versucht werden, in einem letzten Teil (Kap.VI) eine positive Antwort zu gewinnen. Die in den Deduktionen A und Β beschlossenen Erklärungen der subjektiven Möglichkeit der Kategorien in der Beziehung der Vermögen sind Versuche der reinen Vernunft, ihre eigenen Formen in sich selbst zu gründen. Solche Versuche wären nach Kant, wie gesagt, letzten Endes vergeblich, denn sie würden darauf hinauslaufen, diese letzten Formen, auf denen unser Verstehen beruht, durch sich selbst assertorisch zu erklären, womit sich die Vernunft im Kreise drehen würde. Um das zu vermeiden, wäre es nötig, über diese faktischen Formen hinauszugehen und sie in Letztheiten zu gründen, die eine endliche Vernunft nicht finden kann. Es ist zwar möglich, ein solches Hinausgehen durch die Vernunftideen eines anschauenden schöpferischen Verstandes oder einer endlichen Anschauung überhaupt in Angriff zu nehmen, wie in der ersten Etappe der Deduktion B; aber dieser Versuch liefert nur problematische Erklärungen, die überdies nicht imstande sind, das Entspringen der Kategorien konkret darzulegen. Obwohl Kant eine assertorische Begründung des Kategoriensystems aus den Grundvermögen des Subjekts fur unmöglich hält, stellt sich die Frage, ob dies wirklich zutrifft. Daß diese Vermögen letzten Endes und aus der Kantischen Perspektive eine für das endliche Subjekt unerklärliche Faktizität darstellen, ist nicht zu leugnen. Ist es aber sicher, daß ein solcher Versuch die Kategorien zirkulär in sich selbst gründen würde, oder sind die Einheit der Apperzeption und die Mannigfaltigkeit der Zeit und der Empfindung (überhaupt!) in der Zeit Anfönge, die über die Kategorien hinausliegen und aus deren Beziehung diese konkret abgeleitet werden können? Um diese Frage positiv zu beantworten, unternimmt das sechste Kapitel den Versuch, diese Möglichkeit im Rahmen der Kritik und unter Heranziehung anderer Schriften Kants zu entfalten, in denen eine solche
Einleitung
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Möglichkeit einer Ableitung vorübergehend zwar anvisiert, aber nicht durchgeführt wird. Die in der Interpretation des Schematismus gewonnenen neun Thesen zur Produktion der Schemata überhaupt und der transzendentalen Schemata im besonderen gestatten, konkret zu zeigen, wie aus den genannten Anfangen zunächst die Idee des Systems der Kategorien und die sie einteilenden Differenzen bis zu den niedersten Arten entspringen, was zu einer Erklärung aller übrigen Besonderheiten dieses Systems fuhrt. Das System der reinen Begriffe geht aus der Apperzeption und der Sinnlichkeit durch die Einbildungskraft hervor. Jene Vermögen können nur in ihrer Beziehung aufeinander die Quelle dieses Systems sein, so daß die Apperzeption die Einheit der Synthesis und der Synthesisregeln möglich und notwendig macht, während die Mannigfaltigkeit der Zeit und in der Zeit die Vielheit und Verschiedenheit dieser Regeln ermöglicht. Vorliegende Arbeit ist daher keinem der beiden großen Stränge der Interpretation des subjektiven Ursprungs der Kantischen Kategorien zuzurechnen und geht vielmehr einen anderen Weg. Dergestalt legt diese Arbeit einerseits die Kantische Theorie der Kategorien in den Grenzen dar, in denen Kant sie vertreten hat. Zum anderen macht sie die Möglichkeit sichtbar, das System dieser Seinsprädikate in der Beziehung der drei Urvermögen zu gründen. Dieser vom Verfasser frei ausgeführte Versuch eröffnet dabei ferner Ausblicke, die über den Horizont des Kantischen Denkens hinaus auf den Zusammenhang von Sein, Seiendem und Zeit hinausweisen.
Erstes Kapitel Kants Ausgangspunkt in der metaphysischen Tradition § 1. Die metaphysische
Deutung des Seienden aus dem Denken
Das Hauptziel der Kr V ist eine Neubegründung der Metaphysik. Dieser Versuch steht nicht nur in der Tradition der Metaphysik, sondern er beschreitet auch einen ihrer Hauptwege, insofern er das Seiende, und zwar seine letzten Gründe, von dem Denken und der Seele her denkt. In der Absicht, an diesen Versuch Kants von einer solchen Tradition her heranzugehen, möchte ich zunächst zwei entscheidende Etappen derselben, bei Aristoteles und Duns Scotus, betrachten, in denen das Wesen der Metaphysik entschieden wurde, die Kant neu begründen will. Wenn Aristoteles das Wesen der ersten Philosophie als ein Wissen bestimmt, das auf das Seiende als solches und auf seine Attribute als eines Seienden geht {Met.IV, 1), setzt er voraus, daß die Frage nach dem Seienden durch die Erkenntnis seiner ersten Ursachen und Prinzipien, genauer durch eine Interpretation des Seienden von seinem Grundprinzip, dem Eidos her, beantwortet werden muß (Met. I, 1-2 und IV, 1). Mit diesen Entscheidungen befindet sich Aristoteles in einer Tradition, die auf Parmenides zurückgeht. Dieser faßt als einziges Thema des Denkens das Seiende als das dem Denken und Sagen Unverborgene, d.h. das ón hós alethés in seiner Entgegensetzung zum Scheinhaften und zum Nichts. Als das Offenbare dieser Offenbarkeit bleibt das Seiende auf das Denken und das Sagen bezogen, so daß Parmenides deren Einheit so ausdrücken kann: "das Selbe ist sowohl das Denken als auch das Sein" (Frg. 3). D e m g e m ä ß kann er diese Offenbarkeit des Seienden in seiner Selbigkeit als den "Leitfaden" zur Bestimmung der grundlegenden Anzeichen (sémata) des Seienden gebrauchen (Frag. 8, 1-2). Die in seinem Lehrgedicht implizierte Entdeckung, daß der Mensch von seinem Denken und Sagen her bestimmen kann und muß, was das Seiende ist, liegt der Dialektik der Eleaten zugrunde und entfaltet sich dann, mit einem anderen Ziel, in der Sophistik. Eine mögliche Fortbildung dieses Weges ist das Prinzip des Protagoras, demgemäß der Mensch das Maß des Seienden und des Nicht-Seienden ist. Eine andere Fortentwicklung desselben ist die sokratische und platonische Dialektik, nach der der Logos, von der Offenbarkeit der Sinnendinge aus, durch Beweis und Widerlegung sich einen Weg zu dem bahnen kann, was das Seiende ist. Der Logos entdeckt das eigentlich Seiende, nämlich das Was in der Erscheinung
Die Deutung des Seienden aus dem Denken
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für dieses sprechende Denken, d.h. die Idea. Obwohl Aristoteles leugnet, daß das Eidos für sich vorhanden ist, und behauptet, daß man es von seinem Vorhandensein als Prinzip in den Einzelseienden her umdenken muß, faßt er das Seiende weiter als etwas auf, das dem Logos offenbar ist und von diesem aus philosophisch erkannt werden kann. Aristoteles verbleibt nicht nur auf dem Wege durch die Logoi, den Piaton seine "zweite Fahrt" (Phaidon 99 d 1) genannt hat, sondern er wendet sich auf doppelte Weise dem sprechenden Denken zu. Einerseits macht er die logische Form des beweisenden Denkens zum Thema, in dem sich die platonische Dialektik bewegte, und andererseits erforscht er gewisse Formen des Logos als Offenbarkeit des Seienden als solchen. Das ist der Ursprung seiner Theorie der Grundgattungen des Seienden. Er entnimmt sie nicht einer Reflexion auf die griechische Sprache oder auf ihren apophantischen Logos, sondern er entdeckt sie bei einer Interpretation dieses Logos als eines Sagens, das das Eidos dem Einzelding als Hypokeimenon zuspricht und damit das Seiende in seiner Artikulation als Ousia und Symbebekota offenbar macht. Wie bekannt, geht die Bestimmung des Seienden selbst als Thema der ersten Philosophie sofort über zum Problem der vielfachen Bedeutung des Wortes "Seiendes" (des Was-Seienden im Bereich der Kategorien) und ihrer möglichen Einheit. Um der Möglichkeit einer einheitlichen Wissenschaft vom Seienden willen gilt es, zunächst zu bestimmen, ob diese vielfachen Bedeutungen nicht eine Einheit in der Sache selbst haben. Die Stellung dieses Problems sowie die Lösung, die Aristoteles ihm gibt, setzen voraus, daß er das Seiende von seiner Offenbarkeit in den Worten "Seiendes" und "ist" her denkt. Seine Lehre der Vieldeutigkeit des Wortes "Seiendes" ist nicht das Ergebnis einer empirischen Erforschung der griechischen Sprache, sondern einer Interpretation der in ihr faktisch gegebenen Vieldeutigkeit dieses Wortes im Lichte der aristotelischen Theoremata, daß das Seiende keine Gattung sein kann (Met. III 3) und daß die Kategorien nicht koordinierte Spezies sind (z.B. Met.V 28, 1024 b 11). Die Lösung, die Aristoteles diesem Problem gibt, nämlich die Bedeutungseinheit dieses Wortes auf Grund der Beziehung seiner mannigfaltigen Bedeutungen auf eine von ihnen, welche das primär Seiende meint, gründet in der Gliederung der Symbebekota und der Ousia als Hypokeimenon und in der Reflexion auf die Weise, wie das Verständnis eines Symbebekos das Verständnis der Ousia und des jeweils besonderen Verhältnisses beider voraussetzt (vgl. Met. IV 2, 1003 b 6 ff. und VII 1, 1028 a 34-36). Dank dieser Verknüpfung ist die Philosophie als eine Wissenschaft des Seienden als solchen möglich, insofern sie auf die Ousia als solche in Hinblick auf ihre Prinzipien geht (1003 b 11-19). Diese Art Verknüpfung fungiert ferner als Modell, um im Bereich der Ousia, in dem wiederum eine Reihenfolge von ousiai auftritt (vgl. Met. IV 2, 1004 a 2 ff.), das Problem der Bedeutungseinheit des Wortes "ousia" zu lösen und damit die
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Sein und Subjektivität bei Kant
Einheit des Objekts der Metaphysik zu retten. In der geordneten Reihe der Ousiai gibt es eine erste, die unbewegte Ousia, aus der allein die anderen Ousiai als solche sein und verstanden werden können (vgl. Met. XII 1069 a 30 ff. und 1071 b 3-4, sowie VI, 1). Demnach kann die erste Philosophie eine universale Wissenschaft sein, "allen gemeinsam" (ib. 1026 a 27, vgl. 30-31), d.h. allen Seienden als Seienden (im Plural! 1025 b 3-4), insofern sie als theologisches Wissen bis zur ersten Ousia hinaufgeht, um damit zu bestimmen, was "Seiendes" im primären Sinne besagt. Wie bekannt, beeinflußt diese um die Theologie zentrierte Metaphysik entscheidend die nachfolgende Philosophie, insbesondere seit der Wiedergeburt der Metaphysik im XIII. Jahrhundert in Westeuropa. In dieser Tradition leitet Duns Scotus eine neue Wende in der Auffassung von Metaphysik ein, indem er sich die Frage stellt, wie der menschliche Verstand das Seiende, genauer das höchste Seiende, erkennen kann.Wie seine Vorgänger nimmt er an, daß wir ein solches Seiendes nur durch ihm gemäße Begriffe, wie "ens infinitum", zu denken vermögen. Woher nimmt der Verstand solche Begriffe? Gegenüber den damals geläufigen Lehren über die Entstehung dieser B e g r i f f e durch göttliche Einpflanzung, Erleuchtung oder Wiedererinnerung macht Scotus die aristotelische Lehre der Genesis der menschlichen Begriffe durch Abstraktion aus den Sinnendingen und den Bildern derselben geltend.' Außerdem hält er es im Unterschied zu einigen seiner Vorgänger fur unmöglich, daß unser Verstand zuerst aus diesen Dingen den Begriff des ens finitum bildet, um dann durch Negation seiner Endlichkeit zum vermeintlich einfachen Begriff des ens infinitum zu gelangen, denn jener Begriff enthält weder wesenhaft noch virtuell den Begriff des ens infinitum in sich. 2 Wenn dem so ist, dann ist es entweder dem menschlichen Verstand unmöglich, Gott durch solche Begriffe zu erkennen, oder es kann aus den endlichen Dingen doch ein anderer Begriff abstrahiert werden, der, obzwar er weder Gott noch diesen Dingen eigentümlich ist, gemeinsam von beiden Arten von Seienden ausgesagt werden kann, so daß mittels seiner unser Verstand in einem ersten Schritt von den endlichen Dingen zu Gott transzendieren kann. 3 Dieser Begriff betrifft demgemäß nicht die besonderen Seinsweisen (z.B. Endlichkeit, Unendlichkeit) dieser Seienden, nach denen sie sich voneinander unterscheiden, sondern das beiden identische Seiendsein. Erst nachdem unser Verstand Gott bloß als Seiendes schlechtweg verstanden hat, kann er sozusagen in einem zweiten Schritt Geschöpfe und Gott
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Vgl. Rep. Par. I, d. 3, q. 1, n. 8 und 10, XXII 95 b. Zum ganzen Thema vgl. Α. B. Wolter: The Transcendentals and their Function in the Metaphysic of Duns Scotus, N e w York 1946, S. 31-57 und Ludger Honnefelder: Ens inquantum ens, Münster 1979, S. 268-313, sowie Scientia transcendens, Hamburg 1989. Vgl. zweiter Beweis der Univozität, Orf. l , d . 3 , p . l,q. 1-2, n. 35, sowie Lect. I , d . 3 , p . l , q . 1-2,n. 27, ed. Vat. XVI, 233-35. Vgl. Lect. ebenda n. 27: ergo nihil cognoscemus de Deo, si non habeat conceptum communem cum creatura. Vgl. zweiter Beweis der Univozität in Ord. l , d . 3 , p . l , q . 1-2, n. 35.
Die Deutung des Seienden aus dem Denken
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voneinander abheben und diesen als unendlich weiter bestimmen, wobei der Begriff der Unendlichkeit durch Negation der Endlichkeit der Dinge gebildet werden kann. 4 Die Erkenntnis Gottes durch zusammengesetzte Begriffe wie ens infinitum gründet demnach in dem Vorverständnis des univoken Begriffes des Seienden. Die übrigen Bestimmungen Gottes gründen ferner in ähnlichen univoken Begriffen. Diese Einsicht birgt den Keim einer Umwandlung der aristotelischen Idee der Metaphysik in sich, insofern die Erkenntnis des höchsten Seienden jetzt nicht mehr Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis des Seiendseins und damit aller übrigen Seienden als solchen ist, sondern die Erkenntnis des Seiendseins umgekehrt von jener theologischen Erkenntnis unabhängig und sogar Vorbedingung derselben ist. Demgemäß muß die Metaphysik primär ein Wissen um das Seiende überhaupt und all seine transzendentalen Bestimmungen, d.h. eine scientia transcendens sein.5 Solche Bestimmungen sind für Scotus all diejenigen, die von Seiendem überhaupt ausgehend die Kategorien transzendieren und nicht unter allgemeinere Bestimmungen fallen. 6 Diese V e r w a n d l u n g der a r i s t o t e l i s c h e n M e t a p h y s i k in eine scientia transcendens ist der Beginn einer Tradition, die sich über Suarez, die deutsche Schulmetaphysik des XVII. Jahrhunderts und Wolff bis Kant und über diesen bis heute weiter entwickelt hat. Scotus befindet es zwar nicht für nötig, dieses transzendentale Wissen von der Theologie abzutrennen, in der Meinung, daß diese sich nur im Rahmen jenes verwirklichen kann. Aber in einer späteren Phase dieser Tradition weist Benedicto Pereira auf die Notwendigkeit hin, diese Trennung, die eine Folge des skotischen Ansatzes ist, durchzuführen. Sie kommt erst in der deutschen Schulmetaphysik des XVII. Jahrhunderts zum Vorschein, in der diese Transzendentalphilosophie seit Clausberg oder Goclenius den Namen Ontologie erhält. Daraus entspringt die Einteilung der Metaphysik in allgemeine und spezielle (in der Schulphilosophie) oder in Ontologie und spezielle metaphysische Disziplinen (bei Wolff und Baumgarten). Diese spätere Ausgestaltung der Metaphysik ist der Ausgangspunkt Kants, dem er entgegentritt, um ihn durch seine Antworten weiter zu entwickeln.
§ 2. Die neuzeitliche
Wende zur
Subjekt-Objekt-Unterscheidung
Die Möglichkeit, das Seiende von dem Denken und der Seele her zu bestimmen, radikalisiert sich in der Neuzeit durch das Aufkommen der Unterscheidung zwischen
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Vgl. das vierte Argument fur die Univozität : Ord. ebenda nn. 38 und 39, ed. Vat. III 25 f. Vgl. Met. prol. n. 5, VII, 5 a sowie η. 10, "haec scientia est circa transcendentia ... ". Vgl.Met. I,q. I, nn. 34-49.
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Sein und Subjektivität bei Kant
Subjekt und Objekt, die auch den geschichtlichen Horizont mitgestaltet, von dem Kant ausgehen wird. Diese Differenzierung zweier Weisen, Seiendes zu sein, ist nicht ein bloßes Werk des philosophierenden Denkens, sondern ein Phänomen der menschlichen Offenbarkeit im ganzen, das zum ersten Mal philosophisch in den Regulae ad directionem ingenii des Descartes, obzwar noch nicht als ein terminologisch geprägter Unterschied, anvisiert wird. Das geschieht, indem Descartes sich darum bemüht, einerseits die Ungewißheit zu überwinden, die in der "natürlichen" Offenbarkeit der Dinge vorherrscht, und andererseits seine Vernunft als eine unabhängige Quelle der Wahrheit und Gewißheit zu nehmen, sowie eine universale Erkenntnismethode (mathesis universalis) als Werkzeug der Gewißheit zu entfalten und philosophisch zu begründen. Der damit erstmals in den Blick genommene Ansatz der Subjekt-Objekt-Differenz entfaltet sich immer weiter, zunächst im Werk des Descartes und später im Laufe der Neuzeit. Mit Blick auf diese Arbeit von Jahrhunderten kann diese Differenz durch folgende vier Grundcharaktere dargelegt werden. 1. Subjekt im modernen Sinne ist zunächst die menschliche Vernunft, insofern sie eine unabhängige Instanz ist, die von sich aus, und zwar nach Regeln, über Wahrheit oder Falschheit der Erkenntnis, ja der Offenbarkeit im ganzen, und damit über die Wahrheit oder Falschheit der Dinge in ihr entscheidet. Korrelativ ist Objekt zunächst das erkannte Körperlichseiende und dann überhaupt jedes vernunftlose Seiende, das daher hinsichtlich seiner Wahrheit und Gewißheit vom Subjekt abhängig ist. Diese Bestimmung ist zunächst negativ: die Wahrheit des Dinges und der Erkenntnis sowie die entsprechende Gewißheit hängen nicht von anderen, von der menschlich individuellen Vernunft unterschiedenen Instanzen ab, wie der religiösen Offenbarung oder wie der Tradition, der öffentlichen Meinung usw., die zum Teil aus dieser Vernunft entspringen, aber zu einer Verkehrung derselben entarten können. Das schließt nicht aus, daß in der frühen Neuzeit die Wahrheit und Gewißheit des Subjekts letzten Endes in Gott gegründet wird. Die Vernunft oder der "bon sens" ist "la puissance de bien juger, et distinguer le vraie d'avec le faux ... " (Discours, AT VI, 2, vgl. Med. III, AT IX, 30). Die so verstandene Vernunft ist von den übrigen endlichen Seienden unabhängig, insofern die Gewißheit, die sie von ihrer eigenen Existenz hat, von keiner Gewißheit der Körper abhängig ist. "Novi me existere, quaero quis sim ego ille quem novi. Certissimum est hujus sic praecise sumpti notitiam non pendere ab iis que existere nondum novi." (Med. II, AT VII, 27-28). Daß das Subjekt eine Instanz ist, die zwischen Wahrheit und Falschheit unterscheidet, impliziert, daß es ein endliches Seiendes ist. Die Interpretation von Gott selbst als einem unendlichen Subjekt ist eine spätere Abwandlung, die von der Idee des endlichen Subjekts abgeleitet ist.
Wende zur Subjekt-Objekt-Unterscheidung
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2. Soll die Entscheidung des Subjekts über die Wahrheit eines Satzes Gewißheit konstituieren können, so kann sie nicht willkürlich sein, sondern sie muß jeweils in einem Vorbild des Wahren gegründet sein. Wenn das Subjekt als Grund der Gewißheit unabhängig sein soll, dann muß dieses Vorbild aus dem Subjekt selber stammen. Nach der Il.cartesianischen Meditation bietet das Selbstbewußtsein als Kriterium des Wahren die Klarheit und Deutlichkeit der perceptio. "Ac proinde jam videor pro regula generali posse statueri, illud omne esse verum, quod valde clare & distincte percipio" (AT VII, 35). Wenn das Wahrgenommene dieser perceptio selber wahr ist, im Sinne des ens qua verum, dann gilt ex cogitare clare et distincte ad esse valet consequentia. Subjekt ist demnach die autonome Instanz, die zwischen dem Wahren und dem Falschen gemäß einem Wahrheitskriterium unterscheidet, das es sich selber gibt und auf das es sich verpflichtet. Objekt ist korrelativ das Seiende, das nicht Subjekt ist, insofern sein Wahr- und Gewißsein der Autonomie der Vernunft unterworfen ist. 3. Schon in den ältesten Zeugnissen der griechischen Literatur und Philosophie ist die Erfahrung aufgezeichnet, daß der Mensch ein privates Innen besitzt, das sich von der öffentlichen Außenwelt unterscheidet. Das Frag. 89 des Heraklit ist ein Beispiel davon. Piaton kennzeichnet den Verstand als einen inneren lautlosen Dialog der Seele mit sich selbst (Sophistes 263 e). Aber nur Aristoteles prägt einen allgemein-ontologischen Begriff von Innen bzw. Außen, indem er das Einzelseiende als Hypokeimenon denkt, d. h. als dasjenige, innerhalb dessen die Symbebekota vorliegen können und welches, insofern es nicht wiederum in etwas anderem da ist, außerhalb der übrigen Seienden ist.7 Die Seele selber ist ein Dektikon (de An. 424 a 18, 425 b 23, 429 a 15), ein Behältnis (receptaculum) der ihr offenbaren Eide. Auf diesem Grund kann Aristoteles behaupten, daß die Wahrheit oder die Falschheit nicht in den Dingen da ist, sondern in der Seele (Met. VI 4). Diese Idee der Seele als Innen liegt der späteren Auffassungen über die Seele zugrunde. 8 Obwohl dieser Strang der Tradition die moderne Idee der Seele als eines abgeschlossenen Innen vorbereitet, ist diese keine bloße Fortbildung von jenem. Da die Gewißheit der Existenz des Ego in der zweiten Meditation aus dem Zweifel an der Existenz der übrigen sinnlichen Dinge entspringt, ergibt sich als evident, daß jene Gewißheit nicht von der Gewißheit dieser abhängig ist (vgl. die soeben zitierte Stelle AT VII, 27-28). Außerdem sind in der klar und deutlich perzipierten Idee des Ego keine der Bestimmungen des körperlich Seienden enthalten, sondern nur das Denken ist es (AT VII, 25-27). Infolgedessen ist die Seele ein unabhängig
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Vgl. Kat. 4 a 10 ff., Met. 1023 a 11-13. Vgl. den Unterschied z w i s c h e n den inneren und den äußeren Prinzipien: 1013 a 19-20. Die Stelle 1027 b 34 - 1028 a 2 setzt die Affektion der diánoia einem draußen vorhandenen Seienden entgegen. Vgl. auch 1065 a 21-24. Das Wahrnehmbare liegt ferner außerhalb der Wahrnehmung, während das Objekt des Verstandes in g e w i s s e m Sinne in der Seele liegt: 4 1 7 b 18-27.
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Sein und Subjektivität bei Kant
existierendes Seiendes und daher eine Substanz, die nicht die Form des menschlichen Körpers, sondern nur ein denkendes Bewußtsein ist. Darum macht das Selbstbewußtsein des Ego nur diese Substanz offenbar und ist auf sie beschränkt. Zugleich kann dieses Bewußtsein, dem Zweifel an der körperlichen Welt zum Trotz, weiter "Bilder" besitzen, in denen sich ihm die Körper als Seiende draußen zeigen, im Verhältnis zu denen es sich als "sein Innen" ansehen kann {Med. III, französische Fassung, AT IX, 27). Wenn sich das Ego seiner selbst gewiß ist, hat es zugleich die Gewißheit dieser "Vorstellungen" und des in ihnen "Vorgestellten", wenigstens als bloßer modi cogitandi (vgl. Med. III, AT VII, 34-35). Daraus ergibt sich: Das Subjekt ist das denkende Bewußtsein als eine abgeschlossene Sphäre, eine Immanenz, die sich selbst und ihre eigenen Inhalte unmittelbar erkennt und die sich hinsichtlich der in diesen Inhalten vorgestellten Objekte das Problem stellen muß, ob sie auch als Dinge an sich selbst außerhalb des Bewußtseins oder ob sie nur als Vorgestelltes (Idee) existieren. Korrelativ ist das körperliche Objekt durch diese doppelte Möglichkeit konstituiert, als Ding an sich oder als bloßes Objekt wahr zu sein, oder in der Unentschiedenheit zwischen beiden Extremen zu existieren. Diese Idee des Subjekts bewahrt noch ein Moment des überlieferten Subjektbegriffes, insofern das Bewußtsein als etwas Beharrliches angesehen wird, dem seine wandelbaren Vorstellungen als Akzidenzien inhärieren. 4. Diese Alternative zwischen Ding an sich und Objekt betrifft nicht nur das Objekt, sondern auch den Subjekt-Objekt-Unterschied im ganzen. In der Tat ist das endliche Subjekt meistens in die körperlichen Dinge verloren und hält sich selbst für ein Ding unter anderen Dingen, ohne sich also als Subjekt von den Objekten zu unterscheiden. Von dieser Indifferenz aus und gegen sie geschieht jede Gewißheit des endlichen Subjekts über seine Differenz vom Objekt. Demgemäß oszilliert das Subjekt wesenhaft zwischen der Möglichkeit, sich selbst und die Objekte als Dinge an sich zu denken und damit in der Indifferenzierung zu leben, und der Möglichkeit, sich eigens von den Objekten zu unterscheiden. Die so strukturierte Subjekt-Objekt-Differenz birgt die Basis in sich, von der her das moderne Denken die überlieferten Ideen des Seienden und des Menschen, sowie die Philosophie im ganzen, in mannigfaltigen Abwandlungen umgestaltet. Daher bemächtigt sie sich zunächst auf fast unscheinbare Weise der metaphysischen Tradition und verändert sowohl die Auffassung der Philosophie als auch ihre Idee des Seienden. Jedoch darf man dieses Geschehen nicht als einen totalen Bruch mit dem Überlieferten ansehen. Wie jedes geschichtliche Phänomen taucht diese Differenzierung innerhalb einer Tradition auf. Sie kann sich zunächst nur in der Begrifflichkeit derselben aussprechen und muß lange Zeit mit ihr kämpfen, um eine ihr selbst angemessene Sprache zu finden. Diese Wandlung meldet sich zunächst, schon im XVII. Jahrhundert, durch das Erwachen eines wachsenden Interesses für die Erkenntnis und ihre Gewißheit, für das Erkennende und das
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Seiende als Erkanntes, während sich zugleich eine Gleichgültigkeit hinsichtlich der Frage nach dem Seienden als solchen, nach der Analogie und dergleichen Themen, breit macht, die jedoch lange Zeit noch das Ziel der zeitgenössischen Scholastik bleiben. Die Philosophie im ganzen beginnt, als Theorie der Subjektivität und der Erkenntnis aufgefaßt zu werden, und diese Verwandlung geht so weit, daß ein Jahrhundert später einige idealistische Denker glauben können, die Ontologie und die Metaphysik, einseitig aufgefaßt als Realismus, seien endgültig ausgestorben. Trotz dieser Entfernung von der Frage nach dem Seienden als solchen, ja sogar dank ihrer, kommt in der modernen Philosophie eine neue Auffassung der Seiendheit des Seienden zum Vorschein, die mehr oder weniger bewußt von der Subjekt-Objekt-Differenz beherrscht ist. Damit verschärft sich die alte Tendenz zur Bestimmung der Seiendheit des Seienden aus dem Denken und der Seele, indem alles Seiende entweder selbst Subjekt ist oder von diesem her primär als Objekt gedacht wird. Das Seiende wird dann faktisch als Subjekt und als Objekt, und zwar als zwei an sich seiende Substanzen (Realismus, z. B. Descartes), aufgefaßt. Oder man denkt es als ein einziges Ding an sich, das das Subjekt und das Objekt als Modi hat (Spinoza). Oder die Dinge an sich werden als eine Vielheit von Subjekten aufgefaßt, während die von uns sinnlich wahrgenommenen Körper bloße Objekte sind (Leibniz, Berkeley, Spiritualismus). Oder das Seiende wird faktisch als Subjekt und Objekt gedacht, wobei aber unentschieden bleibt, ob sie bloß solche sind oder auch Dinge an sich (Hume). Oder das Seiende beginnt als Objekt der wissenschaftlichen Erkenntnis gedacht zu werden, und es meldet sich die Tendenz, auch das Subjekt auf solche Objektivität zu reduzieren (Empirismus, Frühpositivismus, überhaupt Objektivismus). Damit sind nur einige charakteristische Möglichkeiten des modernen Denkens vor Kant genannt.
Aus diesem Reichtum an Möglichkeiten und gemäß der Absicht vorliegender Arbeit sind drei unter sich verwobene Fragebereiche zu skizzieren, in denen Kant zu philosophieren beginnt. Infolge der neuzeitlichen Wende verwandeln sich die metaphysischen Grundbegriffe des Seienden zu Vorstellungen des Subjekts. Dieser Ansatz fiihrt auf drei Probleme, die fortan die moderne Philosophie beschäftigen: A. Es stellt sich die Frage nach der Art, wie diese Vorstellungen mit dem Subjekt zusammenhängen und ob sie aus ihm oder aus einer anderen Herkunft entspringen. B. Indem die überlieferten Kategorien in diesem Zusammenhang betrachtet werden, kommt das Bedürfnis danach auf, sie neu zu bestimmen und in ein System zu bringen. C. Zugleich stellt sich dabei die Frage, wie diese Vorstellungen des Subjekts in Beziehung auf Dinge an sich oder auf bloße Objekte wahr sein können. In der Absicht, die nachfolgende Interpretation des Kantischen Denkens vorzubereiten, begnüge ich mich hier damit, auf Teilfragen und mögliche Antworten innerhalb dieser drei Problembereiche hinzuweisen.
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Sein und Subjektivität bei Kant
Zu A: Die Aufgabe, den Zusammenhang der metaphysischen Grundvorstellungen mit dem Subjekt zu bestimmen, wandelt sich nach dem, wie jeweils das Wesen des Subjekts aufgefaßt wird. Ist dieses nicht nur ein Selbstbewußtsein, sondern auch ein Ding an sich (wie ζ. B. bei Descartes), oder bleibt diese Frage unentschieden (wie etwa bei Hume)? Könnte es ein pures Selbstbewußtsein sein? In dieser Zeitspanne bleibt ferner die Bestimmung der Subjektivität mit der Frage verknüpft, ob sie im Grunde primär Sinnlichkeit (Empirismus und Sensualismus) oder Vernunft ist (wie bei den Rationalisten), oder ob sie ursprünglich an beiden Seinsweisen Anteil hat. Liegt der Ursprung der metaphysischen Vorstellungen des Subjekts primär in einer dieser Quellen oder in beiden? Damit hängt die Frage zusammen, ob diese Vorstellungen ihren Ursprung im Subjekt allein haben oder ob sie über es hinaus in Gott (Descartes und Rationalisten, Berkeley) oder in den affizierenden Dingen (Locke, Sensualisten) wurzeln oder ob ihr letzter Ursprung unbestimmt bleibt (Hume). Hat ferner das menschliche Subjekt eine notwendige Wesensstruktur und sind seine Grundbegriffe auch notwendig (wie z.B. bei Descartes und Leibniz), oder sind das Subjekt und seine Vorstellungen kontingente Tatsachen (wie bei Hume)? Wie steht es mit der Beziehung des Subjekts zu seinen Grundvorstellungen? Hat es sie von Geburt an als bewußte Vorstellungen (wie fur Herbert of Cherbury), oder besitzt es bloß ein angeborenes Vermögen, sie zu erzeugen, und muß sie dann erwerben (Descartes, Leibniz), oder erzeugt es faktisch diese Vorstellungen auf Grund seiner "natürlichen" Verfassung im Prozeß der Erfahrung (Locke, Hume)? Wie ist das Verfahren des Subjekts mit diesen seinen Vorstellungen zu bestimmen? Ist sie eine naturhafte Assoziation oder eine Aktivität der Synthesis und Analysis? Zu B: In der Neuzeit wendet sich der europäische Mensch seinem Wissen zu, als ein eigenes Unternehmen, dessen Erfolg er selbst sichern soll. Daher gilt es, das Wissen zu begründen und dazu eine Methode als Werkzeug der Vergewisserung auszubilden. In diesem Bestreben rückt die Mathematik, ihre Methode und das systematische Gefuge ihres Wissens, als Vorbild in den Vordergrund. Die Philosophie des Descartes ist selbst der Versuch der Begründung des gesamten menschlichen Wissens als eines einzigen Systems, das von dem Grund der Erkenntnis ausgeht und das übrige Wissen im ganzen vereinigt. Was die vorausgehende Philosophie an systematischen Gefiigen kennt (die Klassifikation in Gattungen und Arten sowie ihre Abwandlung in den verschiedenen Analogie-Lehren), wird damit durch das mathematische Modell ersetzt, demgemäß das System in atomaren Begriffen oder Ausdrücken gründet, aus denen nach Kombinationsregeln komplexere Begriffe sowie molekulare Gebilde (Sätze) in einer bestimmten Konstitutionsordnung entspringen. Dieses Modell wird sofort von den Nachfolgern des Descartes aufgegriffen, die sich entweder mit einem System der Ideen (z.B. Locke, Hume) begnügen oder ein Gesamtsystem aller Grundbegriffe und Sätze a priori (vérités de raison) anstreben (Leibniz). Daher wird es notwendig, diese elementaren
Wende zur Subjekt-Objekt-Unterscheidung
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Grundbegriffe wenigstens zu entdecken und zu sichern. Schon bei Descartes kommt es zu einer Reform der traditionellen Lehre der aristotelischen Kategorien, durch Ausschluß einiger von ihnen (bis auf Substanz, Modi und Relation) und Einfuhrung neuer Grundideen. Eine weitere Reform dieser Lehre findet in den Bemühungen Lockes und Humes um ein genetisches System aller komplexen Ideen der Erkenntnis bzw. der Objekte statt, in dem die Aufstellung der "Kategorien" implizit nach ihrer Relevanz fur das Objekt der wissenschaftlichen Erkenntnis neu orientiert wird. Bei Locke werden die aus der aristotelischen Lehre noch erhaltenen Kategorien in eine Unterabteilung eines umfangreicheren Systems versetzt; Hume kehrt die traditionelle Ordnung derselben um und setzt die Relationen an die Spitze. Aber erst Leibniz setzt den mathematisierenden Zug des cartesianischen Entwurfs fort, indem er sich den Aufbau eines kombinatorischen Systems der gesamten Erkenntnis a priori zur Aufgabe stellt. In dieser Absicht arbeitete er sein Leben lang an der analytischen Entdeckung der "Kategorien", die dabei in Elementarausdrücke eines Kalküls verwandelt sind. In diesem Zusammenhang entspringt die Frage nach der Art und der Zahl dieser Grundbegriffe. Ist es möglich, eine erschöpfende Liste aller solchen Begriffe aufzustellen und zu sichern? Welche ist die Methode, die zu deren Entdeckung führen kann und die Einfachheit solcher Ideen garantiert? Warum gelingt es Leibniz nicht, auf dem Wege der Analyse der deutlichen Ideen dieses Ziel zu erreichen? Hängt nicht die Entdeckung der einfachen Grundbegriffe mit der Wesensbestimmung des Subjekts zusammen, aus dem sie auf eine oder andere Weise entspringen sollten? Sind diese einfachen Begriffe bloß Gegebenheiten des Bewußtseins, die etwa auf die Attribute Gottes weiterverweisen (Leibniz), oder konstituieren sie sich in einer synthetischen Tätigkeit des Subjekts (ausdrücklich bei Hume)? Ist es ferner möglich, ein System aller menschlichen Erkenntnisse aufzubauen oder nur ein solches der Erkenntnisse a priori? Wovon hängt die Entscheidung dieser Frage selbst ab? Zu C: Die moderne Bemühung um die philosophische Begründung des menschlichen Wissens impliziert dergestalt die Klärung und Sicherung der Grundbegriffe und -Sätze, die seine Fundamente sind. Wenn diese Grundvorstellungen aber im Subjekt angeboren sind oder irgendwie von ihm gebildet werden, dann stellt sich die Frage, wie derartige "subjektive" Vorstellungen mit dem sonstigen Seienden übereinstimmen können. Die vorkantischen Denker beantworten diese Frage, indem sie an diesen Vorstellungen Bestimmtheiten hervorheben, die ihre Wahrheit garantieren, oder indem sie zeigen, wie der Ursprung dieser Vorstellungen ihre Übereinstimmung mit dem Seienden ermöglicht. Die Frage nach der Gewißheit gilt schon bei Descartes an erster Stelle der Wahrheit dieser Grundlagen des Wissens selber. Aus der ersten Gewißheit des ego cogito ergibt sich für ihn nicht nur die subjektive Wirklichkeit der Ideen, sondern auch als Maßstab des Wahren, der die Unterscheidung des Wissens vom Schein ermöglicht, die Klarheit und Deutlichkeit der Ideen. Dieses Kriterium, wie die
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Wahrheit der gesamten Erkenntnis, beruht letzten Endes auf der Wahrhaftigkeit Gottes. Bei Descartes und im nachfolgenden Rationalismus bis zur Zeit Kants wirkt in der Tat die auf Thomas von Aquin zurückgehende Lehre weiter, der gemäß Gott, als Ursprung des Seins der Dinge und des menschlichen Verstandes, mittels der Ideen seines Intellektes zugleich Grund der Wahrheit als Übereinstimmung der menschlichen Ideen mit den Dingen sind. Auch Leibniz denkt Gott und seine Attribute als Gründe der Übereinstimmung unserer deutlichen Ideen und Vernunftwahrheiten mit den Seienden (den Monaden bzw. den innermonadischen Phänomenen in allen Menschen). Diese Begriffe sind nur als Momente von deutlichen Sätzen wahr, die selbst wahr sind, insofern sie identisch sind und so mit der Identitäts-Struktur des Seienden übereinstimmen, die wiederum in Gott gründet. Dagegen suchen die empiristischen Denker die Wahrheit der metaphysischen Grundvorstellungen und Ausdrücke in ihrer Abstammung aus der Erfahrung zu gründen. So sind für Locke die einfachen Ideen real, insofern sie Wirkungen der Dinge selbst sind, während die komplexen Ideen, die der Verstand erzeugt, und zu denen Substanz, Modus und Relation gehören, nur insofern real sind, als die Dinge mit ihnen mehr oder weniger übereinstimmen. Für Hume sind die Ideen, unter ihnen die philosophischen Grundbegriffe, wahr, insofern sie mit den phänomenalen Objekten bzw. mit den mathematischen Verhältnissen übereinstimmen. Mit dem Hinweis auf alle diese Probleme und Antworten ist der Horizont näher gebracht, in dem das Kantische Denken aufwächst und von dem Kant ausgeht.
§ 3. Kants Weg zur subjektiven Erkenntnis a priori Die Wende der modernen Philosophie zu einer Theorie der Möglichkeit und Sicherung des Wissens fuhrt zum Entwurf einer neuen Idee desselben, die fortan als ein Ziel fungiert, nach dem das neue Denken strebt, sowie als eine Norm, nach der es die bisherige Metaphysik kritisch beurteilt. Damit beginnt die Philosophie, sich selbst als einen gebrechlichen, bisher unvollkommenen Wissensversuch zu finden, der auf seine eigene Reformierung ausgeht. Diese Tendenz zur Selbstkritik spitzt sich sehr früh auch zum Skeptizismus und zu verschiedenen Vorformen des Positivismus zu. Die deutsche Schulmetaphysik des XVII. Jhdt. bleibt von dieser Revolution noch unangetastet, wenn auch ihr skotischer Kern sie fur eine künftige Selbstkritik prädestiniert. Die von Skotus begonnene Tradition setzt als primäres Objekt der Metaphysik das Seiende überhaupt, d. h. die Wasbestimmtheit (ratio) desselben, die in transzendentalen Begriffen des Verstandes erfaßt ist. Als Begriffsinhalt ist das transzendentale Was des Seienden Korrelat des Denkens und des Verstandes. Daher ist dieser Wasgehalt zum einen das Wesen des Seienden selbst und zum anderen, in gewußten Begriffen und Sätzen, die Bedingung der Möglichkeit jeder
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weiteren Erkenntnis des Seienden. Daher kann Wolff die Ontologie als eine solche Disziplin bezeichnen, "qua omnis cognitionis humanae principia continentur ...". 9 Dementsprechend definiert Baumgarten die Metaphysik als "scientia primorum in humana cognitione principiorum" (Met. § 1). "Entis praedicata generaliora sunt prima cognitionis humanae principia" (§ 5). Diese Fassung des primären Objekts der Metaphysik macht eine spätere Wandlung des Wesens des Seienden zu bloßen Begriffen des Verstandes möglich. Zum anderen führt Wolff die skotische Tradition bereits entschieden in den Horizont des modernen Denkens ein, indem er sich darum bemüht, sie als eine Wissenschaft systematisch darzulegen. Beide Schritte bereiten die Möglichkeit einer Kritik dieser Metaphysik vor, die Kant dann ergreifen wird.
A. Im Horizont der Wolffschen Philosophie (bis 1762) Von den Gedanken (1748) an sucht Kant nach der Gewißheit und der Methode der Metaphysik als Erkenntnis, in der Absicht ihren Gebrechen abzuhelfen. Dieser Weg spielt sich zunächst, wenigstens bis zur Mitte der sechziger Jahre, im Rahmen der Wolffschen Philosophie ab, aber so, daß Kant, unter dem Einfluß von Crusius und anderen Antiwolffianern, sie allmählich modifiziert und schließlich überwindet. Ich versuche dieses Geschehen so zu umreißen, daß in erster Linie sichtbar wird, wie sich in ihm die Antworten Kants auf die drei vorher genannten Grundfragen nach einem subjektiven Apriori, nach dessen objektiver Wahrheit und nach einem System der Verstandesbegriffe konstituieren. Die Nova Dilucidatio (1755), in der die damalige Kantische Auffassung der Erkenntnis und insbesondere der ersten Gründe der metaphysischen Erkenntnis dargelegt ist, dokumentiert in vielen Fragen Kants Übereinstimmung mit Wolff. Erkenntnis ist ein Urteil, und dessen Wahrheit besteht in der Identität von Subjekt und Prädikat (Prop. II). Objekt der weltlichen Erkenntnis des Menschen ist das Was-Sein der Dinge an sich, das zunächst aus der Erfahrung gewonnen und dann durch Analyse auf einen Begriff gebracht wird. Sowohl die Wahrheit der Urteile als auch die Möglichkeit dieser Begriffe gründet in den Prinzipien des Denkens und letzten Endes in den Möglichkeiten, die das Wesen Gottes mitkonstituieren. Bei all dem ist ein systematischer Bau der Erkenntnis angelegt, der aber ausdrücklich von einem kombinatorischen System im Sinne von Leibniz abgesetzt ist (Prop. II, Scholion). Zugleich weicht Kant in vielen Punkten von Wolff ab, indem er gewisse Entscheidungen des letzteren weiter entfaltet und andererseits der Kritik von Crusius und anderen Antiwolffianern Rechnung trägt. Da Kant die Identität von Subjekt und
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Wolff, Ontologia, auf der Titelseite des Werkes.
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Prädikat als das Wesen der Urteilswahrheit und die doppelte Form des Urteils als Bejahung und Verneinung beibehält, erhebt er einen doppelten Satz der Identität zum obersten Prinzip der gesamten menschlichen Erkenntnis und faßt den Satz vom Widerspruch als zweitrangig auf (Prop. I-III). Von der Urteilswahrheit her bestimmt er ferner den Satz vom Grund folgendermaßen: "Nichts ist wahr ohne bestimmenden Grund" (Prop.V). Die Urteilswahrheit verlangt nämlich, daß das Subjekt in Beziehung auf das Prädikat dadurch bestimmt wird, daß sein kontradiktorischer Gegensatz durch einen Grund ausgeschlossen wird (Prop. IV). Dieser Grund kann entweder die Identität von Subjekt und Prädikat sein oder, wo diese nicht vorliegt, ein anderer bestimmender Grund. Der Satz vom Grund beruht so zum Teil auf den beiden anderen Prinzipien. Eine solche Bestimmung dieses Satzes in Hinblick auf die Urteilswahrheit hängt mit der gleichzeitigen Abgrenzung von Wahrheit und Existenz zusammen, die sich in dem Unterschied von Grund der Wahrheit und Grund der Existenz (actualitatis) meldet (Prop. IX). Der letztere Grund betrifft die absoluta positio des Dinges, während der erste auf die Beziehung von Subjekt und Prädikat im Urteil geht.10 Der Grund der Existenz ist nötig bei dem zufälligen Seienden, wo es außer der Existenz desselben noch einen Grund geben muß, der seine Inexistenz ausschließt. Wo das nicht zutrifft, existiert das Seiende absolut notwendig (a.a.O.). Daher kann Gott keinen bestimmenden Grund (keine Ursache) haben, weder außer ihm noch in ihm selbst. Seine Existenz ermangelt jedoch nicht eines nachträglich bestimmenden Grundes, nämlich einer ratio cognoscendi, die in der Undenkbarkeit seiner Inexistenz besteht (Prop.VI, Corollarium). Da das Grundthema der Wölfischen Philosophie die Wesensmöglichkeiten der Dinge sind, deren Quelle Gott ist, bemüht sich Kant in der Nova Dilucidatio und noch ausführlicher in der Schrift über den einzig möglichen Beweisgrund (1763) darum, eine endgültige Demonstration des Daseins Gottes zu bewerkstelligen, die das Fundament seiner Philosophie legen soll. In Einklang mit der erwähnten Unterscheidung von Wahrheit und Existenz kritisiert er in der Nova Dilucidatio den cartesianischen Gottesbeweis, insofern dieser von einem menschlichen Begriff von Gott ausgeht und ihm das Merkmal der Existenz zuspricht, das in diesem Begriff liegt, womit der Beweis im Denken (in ideis) und seiner Urteilswahrheit eingeschlossen bleibt und keine Existenz realiter demonstriert (Prop.VI, Scholion). Gegenüber dieser Beweisart und dem Gottesbeweis aus der Existenz der Geschöpfe sucht Kant, von den Wesensmöglichkeiten der Dinge ausgehend, zu zeigen, daß
10 Kant streift in der Prop. IX der Nova Dilucidatio seine spätere Lehre der Existenz als absoluter Position im Unterschied von den relativen Positionen zwischen S und Ρ im Urteil und also unter den Merkmalen im Begriff (AA1,398-99). Dieser Unterschied ist femer durch die Differenzierung zwischen Form und Materie der Möglichkeit vorbereitet, insofern die Form die Beziehungen der Identität und des Widerspruches unter den realitates, d.h. die relativen Setzungen im Urteil betrifft, während die Frage der Existenz (positio absoluta) auf die Materie der Möglichkeit geht (vgl. AA I, 395: exsistat).
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die Inexistenz der realitates als Materie der Möglichkeiten diese aufheben würde, was so undenkbar ist wie die Widersprüchlichkeit derselben (Prop. VII). Aus der Unmöglichkeit der Inexistenz der Möglichkeiten folgt die absolut notwendige Existenz dieser, d.h. Gottes als deren Quelle. Als ein solcher Grund ist Gott auch Grund der Formbezüge der Möglichkeiten und der logisch-ontologischen Prinzipien der Identität und des Widerspruchs. Jedoch geht Gott nicht über diese Prinzipien hinaus, denn diese Möglichkeiten konstituieren sein Wesen selber. Die Undenkbarkeit der Inexistenz derselben untersteht auch den logischen Prinzipien, denn daß das Unmögliche doch möglich sei, wäre ein Widerspruch. Damit sind die von mir gestellten drei Fragen fur diese frühen Werke implizit beantwortet. Die Wahrheit der Erkenntnis, auch der philosophischen Wesensurteile, besteht in der Identität von Subjekt und Prädikat, und ein so konstituiertes Urteil stimmt mit dem Ding überein, nicht nur weil es aus der Erfahrung desselben genommen wird, sondern auch, weil dieses Ding durch die Prinzipien der Identität und des Widerspruchs beherrscht ist. Zum anderen ist Erkenntnis a priori für Kant damals eine Art Beweis, der seine Prämissen nicht aus der Erfahrung und der Existenz der Dinge hernimmt. Daher ist der skizzierte Gottesbeweis a priori, weil er sich auf dem Boden der puren Möglichkeit der Dinge abspielt." Die apriorische Erkenntnis gründet dergestalt im Wesen Gottes; von einer im Subjekt verwurzelten Erkenntnis a priori ist dabei noch keine Rede. Endlich gibt es erste Prinzipien der Erkenntnis, und diese bildet zwar ein systematisches Ganzes, aber ein solches, das sich nicht synthetisch und kombinatorisch entfalten kann, solange man noch nicht von der Erfahrung her analytisch bis zu den ersten Wesenswahrheiten gelangt ist.
B. Die Wende zum subjektiven A priori Die anderen Schriften des Jahres 1763, die Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral und der Versuch über die negativen Größen, leiten zur Überwindung des Wolffschen Rationalismus hin. Wiewohl die Untersuchung an der Auffassung der Satzwahrheit überhaupt als Identität (bzw. Nichtidentität) von Subjekt und Prädikat und an deren Gründung in den formalen Prinzipien des Denkens festhält (III, § 3), denkt sie das Wesen der philosophischen Erkenntnis in Abhebung gegen die Mathematik um, und zwar auf Grund eines neuen Entwurfs der letzteren (I.). In der Mathematik beginnt das Denken nämlich damit, das Objekt bzw. dessen (genetische) Definition durch eine
11 Ein solcher Beweis geht von der "ipsa... rerum possibilitate" aus (Prop. VII, Scholion). Die Schrift vom einzig möglichen Beweisgrund sagt dazu: "Der Beweisgrund von dem Dasein Gottes, den wir geben, ist lediglich darauf erbauet, weil etwas möglich ist. Demnach ist er ein Beweis, der vollkommen a priori gefuhrt werden kann. Es wird weder meine Existenz noch die von andern Geistern, noch die von der körperlichen Welt vorausgesetzt" ( 1. Abt. 4. Beschluß).
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Verbindung (bzw. Trennung) von Einzelmomenten willkürlich zu erzeugen. Obwohl diese Definition allgemein ist, entspringt sie aus der Dimension der Einzelheiten, in der das Denken das Allgemeine in concreto (Bilder, Zeichen) konstruierend erblickt. Da die Mathematik ferner mit der Erzeugung der Definition beginnt, kann sie von dieser her synthetisch zu ihren Folgen fortfahren. Im Unterschied zu einer solchen Erkenntnisart beginnt die Philosophie mit verworrenen Begriffen, die die E r f a h r u n g im weiteren Sinne unserem Denken gibt und die es analytisch verdeutlichen kann. Hier muß das Denken das analytisch gewonnene Allgemeine in abstracto betrachten und durch Worte der Natursprache bezeichnen, die nicht als Einzelheiten (Zeichen) fungieren, an denen die Merkmale des Begriffs und deren Verknüpfung entdeckt werden könnten. Da die Bedeutung dieser Worte durch den Sprachgebrauch fixiert ist, ist sie außerdem oft unklar und äquivok. Die einfachen Begriffe und die ersten Gewißheiten, die man in der Philosophie hat, sind unzählige. Da die philosophische Erkenntnis an solchen Gebrechen leidet, hält Kant es für nötig, ihr durch eine Reform ihres Verfahrens beizuspringen, die zwar von der Newtonschen Erfahrungsmethode inspiriert ist, aber primär in der Natur einer solchen Erkenntnisart gründet. Danach besteht die erste Regel dieser Methode darin, nicht mit Wolff von Definitionen des Wesens des Gegenstandes auszugehen, um daraus Folgerungen zu ziehen, sondern von den ersten Gewißheiten, die man von dem noch verworrenen Gegenstande hat. Kant nennt sie "unmittelbar", weil sie erste, unbeweisbare Gegebenheiten des Gegenstandes sind. Zweitens gilt es, diese Gewißheiten in unbeweisbaren Urteilen zu registrieren, die als "unerweisliche Grundsätze" für Folgesätze und als Ausgangspunkte für die analytische Bildung des Begriffs, d.h. der Definition des Gegenstandes, dienen sollen. Kant sieht dabei als ein D e s i d e r a t , "eine T a f e l von den u n e r w e i s l i c h e n S ä t z e n " , die den Wissenschaften zugrunde liegen, anzufertigen, obwohl er zugibt, daß eine solche Aufgabe unerschöpflich wäre und daß die Zahl der dadurch zu entdeckenden einfachen Begriffe sehr groß sein müßte. Die Untersuchung lehrt zwei Arten von Grundsätzen. Die eine besteht aus den formalen Prinzipien der Identität und des Widerspruchs, in denen die Satzwahrheit gründet. Die andere Art u m f a ß t die von Crusius so genannten materialen Grundsätze. Diese gründen ihre Wahrheit auch in den formalen Prinzipien, aber die Data für ihre Subjekte und Prädikate entspringen teils aus der Erfahrung im weiteren Sinne des unmittelbaren Bewußtseins des Objekts (in der Metaphysik und in den empirischen Wissenschaften), teils aus einer willkürlichen Verbindung unseres Verstandes (in der Mathematik). Die materialen Grundsätze unterscheiden sich von den sonstigen materialen Sätzen dadurch, daß die Identität bzw. der Widerstreit ihrer Begriffe unmittelbar einleuchtet (III. § 3). Wenn man hier von einer Spannung zwischen dem einzigen Beweisgrund und der Untersuchung reden wollte, insofern sich jener im Bereich der Wesenheiten
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bewegt, während diese eine Art empirischer Metaphysik postuliert, dann sollte man erwägen, was für eine Art Erfahrung in dieser letzten Schrift gemeint ist. Nach vielen Zeugnissen ist Kant seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre mit den Werken der englischen Empiristen vertraut und kennt sicherlich auch Hume 1 2 , aber er hat ihre Lehren im Rahmen der Philosophie Wolffs rezipiert, der die Erfahrung als Ausgangspunkt der Erkenntnis der Wesenheiten ansieht. Die Erfahrung, von der die Untersuchung redet, ist daher von der Sinneserfahrung der Empiristen so verschieden, daß sie sogar den Zugang zur Erkenntnis Gottes als des absolut notwendig Existierenden und zu den ersten Gründen der Moral (Untersuchung, IV) bietet. Die Wende zu einer solchen Erfahrung ermöglicht es Kant jedoch, den Dogmatismus Wolffs zu überwinden. Es ist sicherlich richtig, in diesem Zusammenhang an das Wort Kants zu erinnern, Hume habe seinen dogmatischen Schlummer unterbrochen 13 , und dieses Wort mit seiner Wende um die Mitte der sechziger Jahre in Verbindung zu bringen. Aber diese Erinnerung ist nur fruchtbar, wenn man dabei im Auge behält, was Kant unter Dogmatismus versteht. "Unter dem Dogmatism der Metaphysik versteht diese [die Kritik] nämlich das allgemeine Zutrauen zu ihren Prinzipien, ohne vorhergehende Kritik des Vernunftvermögens selbst, bloß um ihres Gelingens willen ... ".' 4 Das Subjekt glaubt zunächst, sich als ein Ding mitten unter Dingen zu befinden, und traut sich zu, diese Dinge an sich selbst zu erkennen, ohne sich fragen zu müssen, ob es solche Dinge erkennen kann und ob das, was es ihnen zuschreibt, nicht eher von den Bedingungen herrührt, unter denen das Subjekt erkennen kann. Die Unterbrechung des dogmatischen Schlummers bedeutet demnach, daß Kant zunächst im skizzierten Horizont der Wolffschen Philosophie dazu übergeht, sich diese Fragen zu stellen.15 Dazu führen vermutlich unmittelbare Grundgegebenheiten, zu denen Kant in der genannten "inneren Erfahrung" vorstößt. Der Versuch über die negativen Größen 12 Vgl. G. Götz, Letztbegründung und systematische Einheit, 120/21. 13 "Ich gestehe frei: die Erinnerung des David Hume war eben dasjenige, was mir vor vielen Jahren zuerst den dogmatischen Schlummer unterbrach und meinen Untersuchungen im Felde der spekulativen Philosophie eine ganz andere Richtung gab." Proleg. Vorrede, A A I V , 260. 14 Über eine Entdeckung, A A VIII, 226-27. Vgl. auch KrVB XXXV. 15 In R 5 1 1 6 (Phase Ypsilon, 1776-78) deutet Kant seinen W e g z u r i f r F a n , indem man folgende Schritte unterscheiden kann: a) "Ich habe anfänglich davon [d.h. von der Metaphysik] gelernet, was sich mir am meisten anpries. In einigen Stücken glaubte ich etwas eignes zu dem gemeinschaftlichen Schatze zutragen zu können, in andern fand ich etwas zu verbessern, doch iederzeit in der Absicht, dogmatische Einsichten dadurch zu erwerben. Denn der so dreist hingesagte Zweifel schien mir so sehr die Unwissenheit mit dem Tone der Vernunft zu sein, daß ich demselben kein gehör gab." Das kennzeichnet sehr gut die Anfangsperiode bis etwa 1762. b) Dann folgte eine Zeit (1763-69), in der Kant alles, was er von anderen gelernt oder selbst gedacht hatte, schonlungslos der Kritik unterwarf: "Es dauerte lange, daß ich auf solche Weise die gantze dogmatische theorie dialectisch fand. Aber ich suchte was Gewisses, wenn nicht in Ansehung des Gegenstandes, doch in ansehung der Natur und der Grentzen dieser Erkentnisart. Ich fand allmählig, daß viele von den Sätzen, die wir als obiectiv
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fuhrt zunächst vor das mathematische Faktum einer Entgegensetzung von Größen als positiven (realen) Gründen, die einander ihre Folgen vermindern und sogar aufheben, ohne deshalb ein Widerspruch zu sein. Diese Schrift zeigt dann in der Natur, in der Seele, in der praktischen Philosophie und in der Naturwissenschaft Beispiele von einer analogen Entgegensetzung von positiven Kräften (Ursachen), die sich gegenseitig ihre Folgen (Wirkungen) aufheben. So wie die reale Entgegensetzung von Größen oder Kräften nicht im Sinne eines Widerspruchs gedeutet werden kann, ist die Beziehung der Ursache zur Wirkung nicht als eine Identität beider anzusehen, denn zwischen ihnen besteht eine Andersheit (AA, II 171 ff. u. 201-04). Hierin zeigt sich ein Unterschied zwischen zwei Seinsgebieten, die der Wolffsche Rationalismus noch identifiziert: dem Bereich der logischen Beziehungen, in dem die formalen Prinzipien des Denkens herrschen, und dem Bereich des Realen, den Kant so nennt, weil er den Wasgehalt des Begriffs und des Dinges betrifft (AA, II 202). Da diese Entdeckung noch innerhalb des Wölfischen Horizonts gemacht wird, treten die Kausalverknüpfung und die Realrepugnanz in der "Allgemeinen Anmerkung" der genannten Schrift als etwas Unbegreifliches auf. Daher zieht es Kant dabei zunächst vor, anzunehmen, daß man diese Verknüpfung nicht durch besondere Kausalsätze denkt, in denen von einer besonderen Ursache als Subjekt eine besondere Wirkung als ein mit ihr identisches Prädikat ausgesagt wird, sondern durch Begriffe, indem man von einem besonderen Subjekt den Prädikatbegriff "Ursache von (X)." aussagt.16 Dieses Prädikat kann zwar analytisch auf einfachere Kausalbegriffe reduziert werden, aber nur so, daß das Ursache-Wirkung-Verhältnis nie "deutlich", d.h. nie auf eine Identität zurückgeführt werden kann. Auch in der Schrift über den "Beweisgrund" visiert Kant bereits an, daß die Existenz und das Dingsubjekt, dem sie zukommt, nicht miteinander identisch sind. Aber anstatt die Andersheit und das Verhältnis beider positiv zu beleuchten, versucht er dabei noch, durch eine Umkehrung des Satzes "Gott existiert" zwar dem nicht-prädikativen Charakter der Existenz gerecht zu werden, zugleich aber diesen Satz in einen identischen ("etwas Existierendes ist Gott") zu verwandeln, um damit die Wolffsche Urteilslehre noch zu retten (AA II, 11-12). Die genannte Andersheit ist vermutlich nicht lange zu übersehen gewesen, und sie führt zu der Einsicht, daß sie nicht mehr innerhalb der Wolffschen Ontologie und Logik begriffen werden könne und daß man das Realseiende bzw. das Urteil ansehen, in der That subiectiv seyen, d. i. die conditiones enthalten, unter denen wir allein den Gegenstand einsehen oder begreifen." c) "Allein dadurch wurde ich zwar vorsichtig, aber nicht unterrichtet." Denn da noch eine Kritik der reinen Vernunft und die Einsicht in die Möglichkeit der Erkenntnis a priori überhaupt fehlte, "glaubte [ich] noch immer die Methode zu finden, das dogmatische Erkenntnis durch reine Vernunft zu erweitern". Damit spielt Kant auf seinen Rückfall in die dogmatische Metaphysik an ( 1770). d) Dieser ganze Rückblick ist femer von dem 1772 gewonnenen Standpunkt der Kritik getragen. 16 Vgl. Dieter Henrich, "Über den Ursprung der Unterscheidung analytischer und synthetischer Urteile", in Studien zu Kants philosophischer Entwicklung, 31 ff.
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über dasselbe anders auffassen müsse. Dazu sind damals zwei Schritte schon getan. In der Untersuchung hatte Kant erstens eingesehen, daß der Verstand von sich aus mathematische Begriffe verbinden oder trennen kann, ohne diese Beziehungen zusammen mit den Begriffen analytisch aus der Erfahrung zu gewinnen. Freilich war diese Leistung des Verstandes für ihn dabei noch die Erzeugung einer Identität bzw. einer Nichtidentität gewesen. Zweitens hatte der Versuch über die negativen Größen schon die entscheidende Einsicht enthalten, Ursache und Wirkung, Kraft und Gegenkraft seien Andere, so daß ihre Beziehungen weder als Identität noch als Widerspruch verstanden werden könnten. Das liegt in den Sätzen enthalten, die in der "Allgemeinen Anmerkung" dieser Schrift als "unerweisliche Grundsätze" dieser Beziehungen gelten können: "daß, weil etwas ist, etwas anders sei" und "darum weil etwas ist etwas anders aufgehoben werde". Auf dieser Basis kann Kant etwas Neues entdecken: die Verbindung oder Trennung von Anderen. Beide sind Synthesen, und die entsprechenden Urteile können synthetisch genannt werden, im Unterschied zu den analytischen Urteilen, die er bisher mit Wolff anerkannt hatte. Diese Entdeckung des Unterschiedes von den synthetischen und analytischen Urteilen ist keine Neuerung, die auf den bloßen Bereich der Logik beschränkt bleibt, wie es vielleicht scheinen möchte. Die Theorie, daß jedes wahre Urteil auf eine Identität oder einen Widerspruch zurückgeführt werden kann, spiegelte damals eine ontologische Entscheidung wider, der gemäß das Sein des Seienden selbst in der Einheit identischer Bestimmungen besteht und das korrelative Nichtsein in der totalen Abwesenheit dieser Identität (Widerspruch). Die Entdeckung des genannten Unterschiedes kündigt daher zunächst nicht nur die Beschränkung der Wolffschen Urteilslehre auf den Bereich der analytischen Urteile, sondern auch die Erschütterung der zugehörigen Ontologie an - eine Wandlung, die sich nur allmählich durchsetzt. Kant behält zwar noch die Gültigkeit der Prinzipien der Identität und des Widerspruchs für das Denken und das Seiende bei, aber sie wird im Bereich des Realseienden wenigstens fragwürdig, insofern sich dieses als synthetische Einheit von positiv verschiedenen Bestimmungen ankündigt. Jedes solche Seiende steht wiederum in synthetischen Verbindungen und Entgegensetzungen mit anderen Realseienden innerhalb des Weltganzen. "Sein " bedeutet dann synthetische Einheit von Anderen und Nicht-Sein (synthetische) Trennung von Anderen. Aus dieser radikalen Wende ergibt sich für Kant ein neues Ziel: die Reform der Metaphysik soll nicht nur darin bestehen, die Quellen ihrer Irrtümer zu entdecken und dieser Wissenschaft durch eine angemessene Methode abzuhelfen, sondern sie soll zugleich die letzten Gründe des Realseienden erforschen, d.h. eine neue Metaphysik desselben errichten. Die Dimension, in der Kant in seinen Reflexionen dieses Ziel verfolgt, ist weiterhin die Erkenntnis der Dinge an sich, aber dabei tritt auch eine Wandlung ein. In der Untersuchung bewegt er sich schon in dieser Dimension, die noch auf ihre letzte Gründung in Gott verweist. Wahrscheinlich
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Mitte der sechziger Jahre kritisiert er dann seinen Gottesbeweis und gibt den Versuch auf, das Realseiende in den Wesensmöglichkeiten und in Gott zu gründen. Dadurch verschärft sich die Verlagerung der Metaphysik auf die Betrachtung der Erkenntnisstrukturen. Diese Wandlung, die sich in einigen wenigen Reflexionen widerspiegelt, bezeugt zugleich die fortschreitende Loslösung Kants vom Dogmatismus. Der Beweis des Daseins Gottes im "einzig möglichen Beweisgrund" geht nämlich noch von den Wesensmöglichkeiten der Dinge als einer Dimension aus, die über die Welt des Wirklichen hinaus und ihr zugrunde liegt und für sich besteht, selbst wenn wir diese Möglichkeiten nicht denken. Für diesen letzten Punkt glaubt Kant ursprünglich, daß diese Möglichkeiten uns zugänglich sind, wenn wir beim Denken nur darauf achten, jedwedes ohne Widerspruch zu konzipieren. Aber die genannte Schrift hebt gerade den Unterschied zwischen der bloßen Widerspruchslosigkeit als Form des Möglichen und dem realen Material desselben hervor, was den Angelpunkt des Beweises bildet. Vermutlich geht die Kritik dieses Gottesbeweises von beiden Seiten aus. Erstens ist es unwahrscheinlich, daß Kant ein so ausgearbeitetes Beweiswerk fallen läßt, ohne ein entscheidendes Motiv zu haben, das gerade den Angelpunkt des Beweises betrifft. Wie gesagt, Kant schließt aus der Unmöglichkeit und Undenkbarkeit der Inexistenz aller Möglichkeiten auf die absolut notwendige Existenz derselben und ihrer Quelle, d.h. Gottes. Warum ist diese Inexistenz unmöglich? Sie ist eine Unmöglichkeit für unser Denken, weil sie das Denkliche und damit das Denken ganz aufliebt. Dieser Gedanke klingt schon in der Nova Dilucidatio an: "sequitur, quod nihil tamquam possibile concipi possit, nisi ... " (Prop. VII, Hervorh. Vf.). Im Beweisgrund ist dieser Gedanke noch deutlicher ausgesprochen, wenn Kant sich fragt, warum das Sichwidersprechende unmöglich ist, und antwortet, daß ein solches die Aufhebung des Satzes vom Widerspruch, des letzten Grundes alles Denklichen, impliziert, wodurch alle Möglichkeit verschwindet "und nichts dabei mehr zu denken ist." Dasselbe tritt ein, wenn man die Existenz der Materie der Möglichkeiten selbst aufhebt. Freilich liegt an diesen Stellen nicht der Akzent darauf, daß damit das Denken selbst unmöglich wird, aber diese Implikation wird in der Folgezeit ausdrücklich. In R 3931 erklärt Kant, daß wir die synthetischen Grundsätze nur subjektiv begründen können: "Von dem Satz, daß ein Wesen notwendig existiere, weil nämlich unsere Gedanken von einer Möglichkeit ohne alle Wirklichkeit nichtig sind, indem alle Möglichkeit von etwas Wirklichem muß geborgt werden" (Hervorh. Vf.). Diese Begründung ist subjektiv, weil sie die Existenz Gottes darin begründet, daß ohne sie unsere Gedanken von Möglichkeiten und damit auch unser Denken nichtig wären. Eine solche Begründung entkräftet den einzig möglichen Beweisgrund und reduziert Gott auf ein Bedürfnis unseres Verstandes (vgl. R 4 2 4 3 ) . Wenn dem so ist, dann sind auch die vermeintlichen Möglichkeiten an sich nur logische Möglichkeiten fur unser Denken. Die Prinzipien der Identität und des Widerspruchs, die zunächst deren
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Möglichsein an sich verbürgen sollen, sind dann nur Bedingungen dafür, daß diese Realgehalte für unser Denken logisch möglich sind. Damit bricht der Unterschied zwischen der logischen Möglichkeit und der Realmöglichkeit auf. Letztere kann dann nur auf dem Umweg durch das Wirkliche der Erfahrung erkannt werden. Die Möglichkeiten an sich des Gottesbeweises können ihrerseits dann, in logische Möglichkeiten verwandelt, keine Basis bieten, um aus ihnen auf einen absolut existierenden Grund zurückzuschließen. Logische Möglichkeiten haben dann vielmehr ihren Formgrund in unserem Denken und den Grund ihrer Materie in den Erfahrungsdingen. Zweitens stellt sich Kant damals in bezug auf die Materie der Möglichkeit die Frage: "Wie erkennen wir die absolute Möglichkeit [?] Es müssen uns immer data dazu gegeben seyn" (R 3731). Erkennen wir solche realen Data sowie ihre Kombinationen durch bloßes Denken? R 3756 sagt darüber: "und unser Begriff von demselben [d.h. vom Material der Möglichkeit] erstreckt sich so weit wie das einfache unserer Empfindungen, imgleichen wie die primitive [n] Verhältniße (respectus reales), die wir durch Erfahrung kennen lernen" (vgl. auch R 3999, 4006). Diese These setzt sich vermutlich durch, weil wir unfähig sind, andere Realgehalte zu Möglichkeiten zu kombinieren, als die wir erfahren, und weil die widerspruchsfreie Kombination von Realgehalten in unserem Denken nicht garantiert, daß diese Gebilde Realmöglichkeiten sind. Wenn aber die Möglichkeiten, von denen der Gottesbeweis ausgehen soll, dergestalt aus dem Wirklichen in der Erfahrung genommen werden, dann setzt er diese Wirklichkeiten voraus und kann, wie der kosmologische und der physikotheologische Beweis, nur zu einer hypothetischen Notwendigkeit gelangen (AA II, 91). Das Entscheidende dabei ist ferner, daß die Wesenheiten der Dinge, die Wolff und die Scholastik annehmen, nur Möglichkeiten sind, die wir der Erfahrung der Dinge entnehmen und zu Begriffen bilden. Ein solches "logisches Wesen", das nur in unserem Denken existiert, ist dann unfähig, als Grund der realen Dinge zu fungieren.17 Damit ist der Boden der Wölfischen Metaphysik verlassen. Daher gibt Kant dann den Versuch auf, das Realseiende in diesen Möglichkeiten zu gründen, und bemüht sich vielmehr darum, dasjenige zu erörtern, was sich schon in der Dimension der menschlichen Erkenntnis als die Gründe dieses Seienden anzeigt: Raum, Zeit, Kraft (Ursache). Schon seit den Gedanken spielen sie die entscheidende Rolle bei der Ermöglichung der Naturdinge. Obwohl Kant 17 Einige Reflexionen derselben Epoche deuten jedoch darauf hin, daß Kant von dieser neuen Auffassung des realen Wasgehaltes zu einem neuen Beweis des Daseins Gottes gelangt. Die realitas der Dinge ist nämlich begrenzt und setzt darum als ihren Grund eine unbegrenzte Realität voraus, aus der sie durch Limitation entspringt. Demgemäß wäre Gott Grund der endlichen realitates, indem er ein Maximum an Realität als intensiver Größe ist (vgl. R 3727,3889,4113). Vgl. dazu J. Schmucker: Kants vorkritische Kritik des Gottesbeweises, Kap. 3. Diese Auffassung Gottes als eines Maximum an Realität als intensiver Größe ist schon 1759 in dem "Versuch über den Optimismus" ausgesprochen worden.
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dabei die Substanz nicht mit der Kraft identifiziert, ist diese ein Grundaspekt jener. Kant findet nun in diesem neuen Ansatz einerseits die Sätze der Identität und des Widerspruchs, die die Analyse dieses Seienden und damit die Gewinnung von Begriffen und analytischen Urteilen ermöglichen, und zum anderen die genannten drei Begriffe, die nach den frühen Reflexionen 3716-17 die einzigen synthetischen Begriffe der Metaphysik sind. Im Laufe der folgenden Jahre wird Kant nach und nach den synthetischen Charakter fast aller metaphysischen Begriffe entdecken (vgl. z. B. R 3927, 3930). Was sind solche Begriffe und in welchem Verhältnis stehen sie zu den Dingen? Warum behandelt Kant die Kraft und die Substanz nicht als Gründe, die in den Dingen selbst liegen, sondern bloß als Begriffe der Vernunft? In den Reflexionen 3716-17, die Adickes Anfang der sechziger Jahre (Phase Epsilon) datiert, erklärt Kant: "Die metaphysic ist nicht eine philosophie über die obiecten, denn diese können nur durch die Sinnen gegeben werden, sondern über das subiect, nemlich dessen Vernunftgesetze" (AA XVII, 259). Welche sind diese Gründe? "Alle ideen der metaphysik sind analytisch außer von Raum, Zeit und Kraft" (ebd. 257). Die analytischen Ideen sind diejenigen, die aus den logischen Prinzipien abgeleitet sind: Möglichkeit, Unmöglichkeit, Notwendigkeit, Zufälligkeit, Einheit usw. (vgl. ebd. 259). Die synthetischen Ideen, die jetzt aber den Kern der Metaphysik bilden, sind Raum und Zeit als Formprinzipien aller Erfahrungen sowie Grund und Kraft (Ursache-Wirkung) als Grund der rationalen Urteile a posteriori (ebd. 260). Inwiefern sind diese realen synthetischen Prinzipien der Erfahrung und der Vernunft subjektiv (vgl. auch 3747)? Diese Frage muß man sofort wieder einschränken, denn spätere Reflexionen erkennen an, daß die Idee des Raumes und die auf sie gehenden Urteile wahr sind, weil diese Idee unsere Vorstellung äußerer Objekte ermöglicht, und diese Urteile daher mit solchen Objekten übereinstimmen (R 3942). Dagegen sind die Ideen von Ursache und Wirkung und Substanz sowie die entsprechenden " A x i o m e n " subjektiv, d.h. sind "nicht Bestimmungen der Gegenstände selbst" (vgl. 3938). Kant begründet diese These folgendermaßen: 1. Obwohl er davon ausgeht, daß wir nicht durch Analysis der Begriffe, sondern nur in der Erfahrung Ursache-Wirkung-Verhältnisse und Entgegensetzung von Kräften erkennen können, betont er dann, daß die Erfahrung bloß die regelmäßige Sukzession oder Simultaneität von Phänomenen offenbar macht (R 3972, 3954), was die Bedingung des Begriffs des Grundes nicht erfüllt, denn dieser "enthält nicht allein, daß etwas, was da ist, mit etwas anderem begleitet sei, sondern überdem daß die Beziehung allgemein und notwendig sei" (R 3972, vgl. auch 3975, 4058, 3942). 18
18 Einige wenige Reflexionen (z. B. 3738,3744) bezeugen, daß Kant fur eine gewisse Zeit die synthetischen Urteile insgesamt als empirisch angesehen hat. Er hat vermutlich später entdeckt, daß einige von ihnen notwendige Verknüpfungen betreffen, die nicht der Erfahrung entnommen werden können.
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Ähnliches gilt vom Begriff der Substanz. Durch die Sinneserfahrung können wir nur die Relationen der Dinge vorstellen. So etwas wie ein "absolutes" Subjekt, das unsere Vernunft für diese Prädikate verlangt, ist durch sie aus der Intuition unseres Ich abgezogen und diesen Prädikaten zugrunde gelegt (R 3942, 3921, 4058 und 4158). Man kann zusammenfassend sagen, daß solche synthetischen Begriffe nicht objektiv sind, weil sie weder in der Erfahrung gegeben sind noch analytisch aus den Erfahrungsgegebenheiten abgeleitet werden können. 2. Von diesen synthetischen Ideen sagt Kant ferner: "Der sicherste Beweis, daß sie nicht obiectiv sind, ist, daß sie in evidentem Widerspruch stehen" (3942). Auf das Ursache-Wirkung-Verhältnis geht einerseits das materiale Prinzip "alles, was geschieht, muß einen Grund haben", aber zugleich das andere: "jede sukzessive Reihe muß einen Anfang haben" (3922). Dieses Prinzip verlangt eine erste Ursache in der sukzessiven Reihe der Ursachen und Wirkungen, aber da dieser Anfang auch geschieht, muß er auch wiederum eine weiter zurückliegende Ursache haben und kann kein erster Anfang sein (ebd., vgl. auch R 3928, 3929, 3976). Wenn wir demnach den Satz des Grundes (der Kausalität) anwenden, scheint das daraus entspringende kausale Urteil wahr und falsch zu sein, d.h., es taucht ein Widerspruch auf. "Wenn aber das Erkenntnis lediglich ein Gesetz der Menschlichen Vernunft betrifft, wodurch wir Begriffe vergleichen, so ist es gar nicht obiectiv, mithin weder wahr noch falsch. Daher ist Grund und Folge gar keine Eigenschaft der Dinge, die durch die bloße Vernunft gegeben, sondern nur durch Erfahrung gegeben ist. Es ist aber ein Gesetz der Vernunft, auf dieses Verhältnis zu sehen; alle allgemeinen Regeln der Vernunft über Ursache und Wirkung haben gar keine Gültigkeit von Objecten" (R 3977, vgl. auch 3922, 3936). Obwohl Kant zu dieser Zeit in erster Linie die später so genannte 3. Antinomie betrachtet, streifen einige Reflexionen dieser Jahre schon alle anderen Antinomien: 4100 ( 1. und 2. Antinomie), 3937 ( 1. und 4. Antinomie), 3929 (2. und 3. Antinomie), 3974 (3. und 4. Antinomie). In jeder von ihnen kommt eine Reihe von Bedingungen vor, die die Vernunft durch eine erste Bedingung, durch einen "conceptus terminator" begreift. R 4039 führt als solche Begriffe das notwendige Wesen, die Freiheit, den einfachen Teil, die Substanz, die Weltgrenze und Gott als unbegrenztes Wesen an." Das heißt, die ganze Metaphysik ist in solche Widersprüche verwickelt. Zahlreiche Reflexionen dieser Zeit deuten diese Subjektivität der synthetischen Begriffe in der Hinsicht weiter, daß sie aus der Natur des Verstandes oder der Vernunft stammten und eine Bedingung ausdrückten, ohne die wir die Erfahrun19
Zu dieser Zeit gelangt Kant zu der Auffassung, daß auch sein neuer Begriff v o n Gott als intensivem M a x i m u m der Realität einem subjektiven Bedürfnis der menschlichen Vernunft entspringt. Da für den Menschen jede Möglichkeit in einer Wirklichkeit gründen muß, schließt Kant auf ein absolut Existierendes (R 3931). D i e Gottesidee wird durch Bedürfnisse des Verstandes und des Willens v e r a n l a ß t ( R 4 2 4 3 ) . 4113: Wir setzen dieses Ideal der Allheit der Realität voraus, weil wir die Realität des Endlichen nur durch die Einschränkung dieses Ganzen erkennen (vgl. R 4 1 4 3 , S. 4 2 1 ) . Vgl. J. Schmucker, a. a. O.
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gen nicht denken könnten. Während die logisch-formalen Prinzipien der Identität und des Widerspruchs darüber hinaus objektiv seien und für jede Vernunft gälten, seien diese synthetischen Begriffe Bedingungen, die nur für uns Menschen notwendig sind. Ihre Subjektivität hat demnach von Anfang an den Charakter einer Relativität zum Menschen. Darin ist ferner implizit enthalten, daß solche Begriffe in dem Sinne subjektiv sind, daß sie unsere Erfahrung, also unsere Erkenntnis, und nur insofern die Dinge als Objekte synthetisch regeln.20 Damit geht Kant in seinen Meditationen der sechziger Jahre einen Weg, der in etwa dem Weg Humes ähnlich ist. Wie dieser sieht Kant, daß die Ursache-WirkungBeziehung nicht durch das Prinzip der Identität eingesehen werden kann, sowie daß eine solche Beziehung eigentlich keine Gegebenheit der Erfahrung ist, weil diese keine notwendige Verknüpfung von Ursache und Wirkung zeigt. Beide Denker gelangen damit zur Einsicht in die Subjektivität dieser Verknüpfung, aber während Hume deren subjektiven Ursprung in der assoziativen Einbildungskraft und der Gewohnheit findet und dadurch die genannte Verknüpfung hinsichtlich ihrer Notwendigkeit als bloßen Schein entlarvt, hält Kant an dieser Notwendigkeit als einer subjektiven fest und schreibt die Ursache-Wirkung-Relation als ein Begriffsverhältnis der Vernunft zu. Damit tut Kant ferner einen ersten Schritt zur Entdeckung der Vernunft als des Ursprungs eines subjektiven A priori. Bei Wolff und seiner Schule ist, wie gesagt, die Erfahrung die unmittelbare Quelle aller unserer B e g r i f f e , selbst der Wesensbegriffe, die freilich auf die ewigen Möglichkeiten im göttlichen Wesen weiter verweisen. In dem Versuch über die negativen Größen erinnert Kant an die Leibnizsche Lehre, daß alle Begriffe ihren Realgrund in dem Verstand haben (AA II, 199-200), aber dies ist vorerst nur eine Illustration der in dieser Schrift behandelten Theorie. Erst die Entdeckung der synthetischen Begriffe und Sätze und ihrer Subjektivität fuhrt Kant dazu, die Vernunft als eigenständigen Ursprung von Begriffen in den Blick zu nehmen, die als spezifisch menschliche nicht weiter auf Möglichkeiten in einer göttlichen Vernunft verweisen. Da diese Begriffe ferner nicht aus der Erfahrung stammen, sind sie a priori in einem neuen, nicht Wolffschen Sinn, der eher der Leibnizschen vérité de raison entspricht. Damit erhält der Terminus "a posteriori " von dem Gegensatz gegen dieses A priori her die Bedeutung dessen, was aus der Erfahrung entspringt. Wie die vorher gestreifte R 3942 zeigt, ist mit der Subjektivität der synthetischen Vernunftbegriffe zugleich die Frage nach der Wahrheit betroffen. In den frühen Kantischen Schriften bis zur Untersuchung ist die Wahrheit primär die Identität des Subjektsbegriffes mit dem Prädikat. Das schließt implizit die Übereinstimmung dieses Urteils mit dem Ding ein, denn die Identität ist da auch noch das Prinzip des 20
Während die Logik die besondere Natur der menschlichen Natur unbestimmt läßt und für jede Vernunft gilt, lehrt die Metaphysik die allgemeinen Begriffe, die aus der Natur der menschlichen Vernunft fließen (R 3946). Vgl.auch R 3922,3747,3977,3996.
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Seins. Wenn nun aber die Vernunft Prinzipien besitzt, die entweder bloß subjektiv sind oder deren Objektivität fragwürdig ist, wird die Frage nach der Übereinstimmung dieser Prinzipien mit den Dingen akut, und das Wesen der Wahrheit verlagert sich wieder auf diese Übereinstimmung. Ein Beispiel davon ist R 3978, die von Adickes um 1768-70 datiert wird. Dieser Text steckt schon den Horizont ab, in dem sich Kant bei der Erörterung dieser Frage in der Dissertatio, und dann 1772 in seinem Brief an Herz sowie in der Kr V (A 92-93), halten wird. Nach dieser Reflexion können die objektiven Begriffe nur entweder Vorbilder oder Abbilder der Dinge sein. Die synthetischen Vemunftbegriffe erfüllen keine dieser Bedingungen: a) Sie sind nicht Abbilder der Dinge, denn sie sind durch die Natur der Vernunft gegeben, b) Sie sind keine Vorbilder der Dinge, denn sie sind nicht willkürlich geschaffen (wie vermutlich die Vorbilder der Kunst und der göttlichen Schöpfung), und sie sind allgemeine Begriffe, weshalb sie nicht Formgründe der Erfahrungen von Einzelheiten sein können. Infolgedessen sind diese Begriffe (und vermutlich auch die entsprechenden Grundsätze) nur Bedingungen einer rationalen "Erkenntnis" und daher nicht objektiv. In diesem Text ist die oben gestreifte These der Reflexion 3942 impliziert, daß der Raum als Formgrund der Erfahrung eine Art Vorbild der Objekte und daher wahr ist. Diese Möglichkeit wird fur die endgültige Lösung der Frage im Jahre 1772 maßgeblich sein.21 Die Subjektivität der synthetischen Begriffe der Vernunft sowie die Widersprüche, zu denen diese Begriffe fuhren, haben eine neue Bestimmung der Metaphysik zur Folge. Da diese Begriffe subjektiv sind, kann die Metaphysik keine dogmatische Doktrin der Sache selbst sein, sondern eine Kritik der reinen Vernunft, die das Subjektive vom Objektiven unterscheidet und die Quelle der Widersprüche des metaphysischen Denkens erforscht. 22
C. Das subjektive A priori als Erkenntnis von Phaenomena und Noumena (1769-72) Der zweite Schritt zur Ausbildung des subjektiven Apriori beginnt mit der Schrift Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Räume (1768). In dieser Schrift teilt Kant eine Entdeckung mit, die ihn zu einer neuen Fassung des Unterschiedes von Intelligiblem und Sinnlichem führt, welche ihrerseits dann möglich und notwendig macht, das Ergebnis seiner bisherigen Meditationen der sechziger Jahre umzudenken. Die genannte Schrift beweist, daß der Raum absolut ist, d.h., daß er nicht von der Existenz der Körper und den Relationen derselben abhängt, sondern vielmehr 21 22
Vgl. 4191: Der Raum ist in Beziehung auf die äußeren Erscheinungen wahr, weil er ihre B e d i n g u n g ist. Vgl. 3942. Vgl. R 3957,3964,3970,4148,4163,4164,4360,4457.
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Grund dieser Relationen ist (AA II, 377-78). Da der Raum nicht direkt als ein dinglicher Behälter der Körper wahrnehmbar ist, kann der Zusammenhang der Körper mit dem Raumganzen und seinen Gegenden nur indirekt, auf Grund des Phänomens der Richtungsunterschiede am menschlichen Körper und an den sonstigen Körpern, wahrgenommen werden. Solche Unterschiede sind an Körpern offenbar, die trotz der völligen Ähnlichkeit ihrer sonstigen Bestimmungen und sogar der Lagen ihrer Teile zueinander nicht kongruent sind, weil ihre Teile nach verschiedenen Richtungen orientiert sind. Diese Unterschiede der Körper sind nach Kant nur möglich, weil ihnen Richtungsunterschiede der Raumgegenden zugrunde liegen. Daher verweisen diese Unterschiede implizit auf den absoluten Raum als ein vorgängiges Ganzes (AA II, 381-82). Die Entscheidung fur die Absolutheit des Raumes zeitigt nach 1768 schwerwiegende ontologische Folgen, sowohl fur den Raum als auch für die sinnlichen Dinge in ihm. Wie gesagt, gilt der Raum für Kant um die Mitte der sechziger Jahre als eine objektive Bestimmung der Körper, die er noch im Sinne der Wolffianer als Dinge an sich ansieht. Wenn der Raum nunmehr von den Sinnendingen unabhängig ist und sie vielmehr ermöglicht, dann können diese nicht weiter als Dinge an sich gelten, denn ein solches Verhältnis wäre diesen Dingen als Substanzen unangemessen. Folglich müssen sie subjektiv, d.h. Phaenomena sein. Wenn dem so ist, dann muß auch der Raum selbst subjektiv sein, wie die übrigen synthetischen Vorstellungen der Vernunft. Damit tritt aber eine Verschärfung des Subjektivismus ein, denn der Raum ist nicht bloß eine subjektive Vorstellung in bezug auf Dinge an sich, sondern eine subjektive Form a priori von subjektiven Phänomenen. Der bisherige Subjektivismus der Meditationen vor 1768 vertieft sich zu einem Idealismus. Für die Subjektivität des Raumes spricht außerdem, daß an ihm ab 1768 Charaktere aufgewiesen werden, die nicht den ontologischen Bestimmungen eines objektiv Seienden entsprechen. Er ist nun nämlich ein Ganzes, das alle Räume als seine unselbständigen Teile in sich enthält, deren Bestimmungen ihre gegenseitigen Relationen sind. Der Raum kann dann nicht eine objektive Substanz sein, weil er eben aus lauter Relationen besteht. Er kann ferner weder Akzidenz noch Relation der sinnlichen Substanzen sein, weil er absolut ist. Folglich kann er kein Objekt oder kein Objektives sein, sondern er ist "ideal" (vgl. Diss., §§ 15, D und 14, 5). Die Subjektivität eines so aufgefaßten Raumes fuhrt dann notwendig zur Frage nach seiner Vorstellungsart und zu einer neuen Fassung des Unterschiedes von Denken und sinnlicher Offenbarkeit. Bisher hatte Kant diesen Unterschied mit Wolff im Sinne einer graduellen Differenz zwischen der Verworrenheit des Sinnlichen und der Deutlichkeit des Intelligiblen verstanden, obwohl schon die Untersuchung daraufhingewiesen hatte, daß Sinnliches, wie ζ. B. die Raumgestalten bzw. die Begriffe von ihnen in der Geometrie es können, sehr deutlich sein kann, während es hoch verworfene philosophische Begriffe gibt (vgl. AA II, 276 ff.). In
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dieser Schrift wie in den Reflexionen der folgenden Jahre bleibt der Raum mit dem Sinnlichen und dessen Erfahrung beständig verbunden. Die Entdeckung des absoluten Raumes macht dann aber offenbar, daß dieser und die Raumteile bzw. das Räumliche in ihnen in einem Verhältnis stehen, das das Sinnliche von jedem Begriff unterscheidet. Während der Begriff ein Merkmal vorstellt, das in vielen Einzelseienden enthalten und so ihnen gemeinsam ist, ist der Raum ein Ganzes, das alle seine Teile und die Raumdinge in sich enthält. Hier geht das Ganze den Teilen voraus und nicht umgekehrt. Daraus ergibt sich, daß der Raum und das Sinnliche überhaupt nicht eine verworrene Abart des Begrifflichen sein können, sondern eine eigenständige, irreduzible Seinsweise darstellen. Damit kommt die Bemühung Kants um die Erschließung der Eigenständigkeit des Realseienden gegenüber den Ansprüchen des Rationalismus zu ihrer Vollendung. 23 Gemäß diesem Unterschied muß dem Raum und dem Sinnlichen überhaupt eine eigene Zugangsart zuerkannt werden. Der Raum ist zwar "kein Gegenstand einer äußeren Empfindung" (AA II, 383), aber seine Realität ist "dem inneren Sinne anschauend genug" offenbar. Kant beruft sich auch auf die anschauenden Urteile der Geometer (AA II, 378). Er spricht dabei noch nicht von reiner Anschauung, sondern nur von Anschauung, aber in den Reflexionen hatte er schon lange den Raum als einen reinen Verstandesbegriff angesehen. Damit ist in dieser Schrift bereits der Begriff der reinen Anschauung vorbereitet. 24 Um diese Verwendung des Wortes "Anschauung" in der Schrift von 1768 zu verstehen, muß man den Wandel seiner Bedeutung im Laufe der sechziger Jahre berücksichtigen. Ursprünglich bedeutet "Intuition" in der Leibnizschen Tradition das vollkommen deutliche Denken durch "Ideen", das nur Gott zukommt. Da Gott aber nach der neuen Auffassung Kants ein singulares Ganzes aller Realität ist, beginnt "Intuition" oder "Anschauung" zunächst die göttliche Zugangsart zu einem solchen Ganzen zu bezeichnen. Als dann 1768 der Raum als ein singulares Ganzes zum Vorschein kommt, kann Kant den Zugang zu ihm "Anschauung" nennen, wobei dieses Wort den neuen Sinn einer sinnlichen Anschauung bekommt. Daraus ergibt sich ein neuer Sinn des ganzen Unterschiedes von Denken und Anschauen. Schon in der Untersuchung hatte Kant die Mathematik und die Metaphysik insofern voneinander abgehoben, als in jener das Denken auf das Allgemeine im Einzelnen ging, während es in dieser das Allgemeine in abstracto betrachtete. Dabei war implizit enthalten, daß der Begriff das Allgemeine vorstellte, während die sinnliche Offenbarkeit, d.h. die Anschauung, auf das Einzelne ging. Da nach den vorangehenden Reflexionen Kants die synthetischen Begriffe ferner subjektive Vorstellungen waren, die unserer Vernunft entsprangen, machte jetzt
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Vgl. AA II, 382-83 und Proleg. § 15 C. Wegen der Richtungsunterschiede enthalten die Körper innere Bestimmungen, die nicht in ihren Lagebeziehungen gründen und auch nicht auf begriffliche Unterschiede zurückgeführt werden können. 24 Vgl. unten § 5 über die Entwicklung des Anschauungsbegriffes.
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der neue Unterschied von Begriff und Anschauung notwendig, die subjektiven Quellen beider zu differenzieren. Die dann sich ergebende Unterscheidung von Verstand und Sinnlichkeit war auch schon in den Reflexionen der sechziger Jahre vorgebildet. Wie steht es dann mit den anderen synthetischen Begriffen, als erstem der Ursache oder Kraft, die nach diesen Meditationen die sinnliche Erfahrung und ihre Objekte bestimmen, aber nur als subjektive Bedingungen? Sie sind wie jeder Begriff Vorstellungen von Allgemeinheiten. Es war zu erwarten, daß diese Begriffe nach der Wende von 1769 eine ähnliche Rolle bei der Erfahrung der Phaenomena weiter spielen würden. Die Dissertatio ordnet aber primär die reinen Verstandesbegriffe den Noumena zu. Prima facie kommt in dieser Schrift dem Verstand der Bereich der Noumena wie der Anschauung das Gebiet der Phaenomena zu. Die Gründe für diese Umwandlung der bisherigen Funktion der Verstandesbegriffe liegen in den Reflexionen der vorangehenden Jahre vorbereitet. Schon in ihnen unterscheidet Kant zwischen der Anwendung dieser Begriffe auf einzelne Dinge und Vorgänge der Erfahrung, z.B. auf einzelne Kausalverknüpfungen, und ihrer Anwendung auf die Ganzheit dieser Vorgänge in der Metaphysik, wenn man z.B. nach einer ersten ungegründeten Ursache verlangt (vgl. z. B. R 3922, 3928). Diese Unterscheidung hat sich dabei durch die offensichtliche Differenz aufgedrängt, die zwischen der fruchtbaren Anwendung dieser Begriffe in der Erfahrung einerseits und den Widersprüchen der Metaphysik andererseits besteht. Wenn nun 1769 die sinnliche Erfahrung als der Bereich der Phaenomena anvisiert wird, dann liegt es nahe, die metaphysische Anwendung dieser Begriffe auf Gott und dergleichen Objekte, die der sinnlichen Erfahrung nie zugänglich sind, dem bloßen Verstand zuzuordnen und die metaphysischen Objekte als etwas anzusehen, das nur diesem zugänglich ist, d. h. als Noumena. Durch diese Abgrenzung der Gebiete der Erfahrung und der Metaphysik ist es außerdem möglich, die Widersprüche dieser zu lösen, weil sie, wie Kant schon in der Reflexion 3976 geahnt hatte, daraus entstehen, daß die Metaphysik ihre Objekte in die Synthesis der Zeit, d. h. in das Sinnliche hinein denkt und damit beide Gebiete vermischt. Weil es Kant in der Dissertatio primär um diese Zuweisung der "Welten" zum Verstand und zur Anschauung geht, tritt der Eingriff der synthetischen Verstandesbegriffe in die Erfahrung in den Hintergrund. Ihr Einfluß in ihr scheint sich in dem usus logicus des Verstandes zu erschöpfen, dessen Herkunft die Analysis der Erfahrung bei den Wolffianern ist. Aber der V. Abschnitt der Abhandlung zeigt, daß der usus realis bei den Phaenomena am Werke ist (vgl. den folgenden § 4). Damit ist der Übergang Kants zur Dissertatio und insbesondere die neue Wandlung seiner Auffassung der Erkenntnis a priori skizziert. Nun soll erörtert werden, wie dieses Werk die Wahrheit der Erkenntnis a priori auffaßt. Die Dissertatio versteht sich selbst als eine Propädeutik zur Metaphysik (§ 8). In Wahrheit ist sie nicht bloß eine Vorbereitung zu dieser, denn sie lehrt "discri-
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men ... sensitivae cognitioni ab intellectuali" (ebd.) und unterscheidet damit die sinnliche und die intelligible Welt voneinander. Durch diese Unterscheidungen begründet dieses Werk die Möglichkeit der Metaphysik als intellektualer Erkenntnis der Dinge an sich. Diese Erkenntnis bildet ihre Vorstellungen, indem sie Mannigfaltigkeiten durch Einheitsbegriffe verbindet oder Ganzheiten durch die Negation dieser Begriffe teilt (§ 1). Im Unterschied zwischen der sinnlichen und der intellektualen Erkenntnis gründet die Methode der Metaphysik, deren Hauptvorschrift darin besteht, zu vermeiden, die intelligiblen Seienden als raumzeitliche, und zwar mittels einer sukzessiven Synthesis in der Zeit, zu denken (§ 24). Von hierher gesehen, sind die Antinomien der Metaphysik subjektive Konflikte, die durch die Verletzung dieser Vorschrift verursacht werden. Aus der Unterscheidung der sinnlichen und der intellektuellen Welt ergeben sich für Kant 1770 verschiedene Fragen nach der Wahrheit der Erkenntnis, die die Dissertatio nicht immer ausdrücklich stellt bzw. beantwortet. Wie ist die Wahrheit der reinen Anschauungen möglich? Worin besteht die Wahrheit der empirischen Erkenntnis? Wie ist die Wahrheit der reinen Begriffe und Grundsätze in Beziehung auf die Dinge an sich möglich? Die erste dieser Fragen wird in den §§ 14, 6 und 15, E behandelt. Wenn man Raum und Zeit als reale objektive Seiende auffassen würde, die fur sich existierten, wären sie entia imaginaria, d.h. etwas Falsches. Sie sind zwar nur subjektive Bedingungen, in Beziehung auf die sinnlichen Phaenomena, aber als Prinzipien ihrer Form sind sie wahrhaft. Der Raum "non solum est verissimus, sed et omnis veritatis in sensualitate externa fundamentum" (§ 15, E). Der Raum ist wahr, weil die Phaenomena nur ihm zufolge erscheinen können und daher mit ihm und mit seinen Axiomen übereinstimmen müssen (ebd.). Wenn die Phaenomena mit Raum und Zeit übereinstimmen, dann stimmen diese mit jenen überein (ebd., vgl. auch R 4191). Inwiefern ist der Raum Grund jeder Wahrheit in der äußeren Sinnlichkeit? "Wahre" Phaenomena sind diejenigen, die in Verhältnissen des Neben- und Nacheinanders geordnet sind. Wenn sie nicht in solchen Verhältnissen aufträten, wären sie nicht "real", sondern "falsch". "Wahrheit" und "Falschheit" bedeuten dann Realität (esse qua Veritas) bzw. Schein. Dank dieser Realität können die Bestimmungen der Phaenomena als Subjekte und Prädikate miteinander übereinstimmen. Beide sind uns durch die Erfahrung des Phänomens auf Grund von Raum und Zeit gegeben, so daß das Urteil zugleich mit dem Phänomen übereinstimmt. Ferner nimmt dieser Text eine andere Wahrheitsart an: Die Phänomene als Wirkungen von Dingen an sich in unserer Sinnlichkeit geben wahhaftes Zeugnis der Existenz ihrer Ursachen. Wahrheit ist dann eine gewisse Übereinstimmung zwischen der Erscheinung als Wirkung und ihrer verborgenen Ursache. Die Dissertatio setzt voraus, daß die reinen Verstandesbegriffe hinsichtlich der Dinge an sich wahr sind. Obwohl Kant nicht darlegt, was der Grund dieser
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Wahrheit sei, deuten die §§ 3 und 4 wenigstens eine Erklärung dazu an. Nachdem er an diesen Stellen das Wesen der Sinnlichkeit erörtert hat, bestimmt er in Abgrenzung von dieser das Wesen des Verstandes. Die Sinnlichkeit ist ein Vermögen des Subjekts, durch die Anwesenheit des "Objekts" affiziert, d.h. in seinem Zustand verändert zu werden. Dieser in dem Sinn bewirkte Zustand ist das Objekt der sinnlichen Erkenntnis. Da dieser Zustand nun zum Teil von der besonderen Sinnlichkeit des Subjekts abhängig ist, die von einem Subjekt zum anderen verschieden sein kann, ist die sinnliche Erkenntnis wenigstens teilweise subjektiv. Im Gegensatz dazu ist der Verstand ein Vermögen des Subjekts, dasjenige vorzustellen, "was in seine Sinnen eingehen (incurrere) nicht kann" 25 (§ 3), d. h. dasjenige, was nicht ein bloßer immanenter Zustand sein kann. Daher hängt das Intelligible nicht von der veränderlichen Natur des Subjekts ab. Die Erkenntnis, "die von einer solchen subjektiven Bedingung ausgenommen ist, bezieht sich nur aufs Objekt."(§ 4). Infolgedessen stellt diese Erkenntnis die Dinge so vor, wie sie sind (siculi sunt). Der Anfangssatz dieses Paragraphen enthält in der Tat folgenden Gedankengang: Wenn sich die sinnliche Erkenntnis auf einen durch die Natur des Subjekts bedingten Zustand bezieht (und deshalb nicht auf das Ding selbst) und sich die intellektuale Erkenntnis nicht auf einen solchen Zustand bezieht, sondern nur auf das Ding selbst, dann stellt diese Erkenntnis die Dinge selber vor, während jene die Dinge nur vorstellt, wie sie erscheinen.26 Dieser Unterschied hängt zweifellos mit der Wahrheitsfrage zusammen. Die intellektuale Erkenntnis ist wahr, weil sie die Dinge an sich selbst so vorstellt, wie sie sind. Ihre Wahrheit gründet, nach der besprochenen Stelle aus § 4, darin, daß sich diese Erkenntnis nicht auf einen dem Subjekt immanenten Zustand bezieht. Das besagt nicht, daß das sinnliche Anschauen scheinhaft sei, weil es auf immanente Zustände geht. Phaenomenon besagt hier: das, was sich im subjektiven Zustand zeigt, d.h. das Ding, aber durch den Zustand verändert, durch den es erscheint. Erscheinen ist ein solches vermitteltes und veränderndes Begegnen. Trotzdem gibt das Phänomen, wie gesagt, "von der Anwesenheit eines Objekts Zeugnis", d.h. von seiner Existenz. Es ist jedoch zweifelhaft, daß Kant die Wahrheit der intellektualen Erkenntnis einzig darin gegründet hätte, daß ihre Beziehung auf die Dinge an sich nicht durch
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Ich zitiere die deutsche Übersetzung der Dissertano von W. Weischedel und N. Hinske, in Kants Werke, Bd. III. Vgl. Markus Herz, Betrachtungen aus der spekulativen Weltweisheit (Hamburg, 1990), S. 17ff.Herz, der meistens den Standpunkt Kants widerspiegelt, steuert zum Thema einige wichtige Hinweise bei. Nach ihm bezieht sich die intellektuelle Erkenntnis unmittelbar auf das Ding, und nicht mittels eines immanenten Zustandes wie die sinnliche. Dank ihrer Unmittelbarkeit fällt jene Erkenntnis mit dem äußeren Ding zusammen, und es ist in diesem Fall "nichts subjektiv wahr, was nicht objektiv notwendig ist" (S. 35, vgl. S. 20). Diese Unmittelbarkeit wäre demnach der Grund der Wahrheit solcher Erkenntnis.
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einen subjektiven Zustand hindurchgeht, sondern direkt und unmittelbar ist. Die Abwesenheit eines subjektiven Vermittlers verbürgt nicht, daß sich ein intellektualer Begriff auf irgendetwas bezieht. Ein solcher Begriff, der sich direkt auf ein Ding zu beziehen scheint, kann sehr wohl nur eine leere Konstruktion des Denkens sein. Daher ist es wahrscheinlich, daß Kant 1770 die Wahrheit der intellektualen Erkenntnis nicht nur in ihrer nicht-indirekten Beziehung auf die Dinge an sich gründet, sondern auch in der ersten Ursache dieser Dinge und der Seele selbst. Mehrere Stellen der Dissertatio weisen in diese Richtung. Raum und Zeit sind die Phaenomena der dynamischen Verhältnisse unter den Substanzen, und diese Verhältnisse sind nur möglich als Wirkungen einer Weltursache (vgl. AA II, 38991, 406-410). Daher wagt es Kant, zu behaupten, daß Raum und Zeit die sinnliche Erscheinung der göttlichen Allgegenwart bzw. Ewigkeit sind, obzwar er dann vorzieht, die Stärke dieser Aussage abzuschwächen, weil sie sich der mystischen Lehre von Malebranche annähert, dergemäß wir alles in Gott schauen (409-10). Jedoch sagt er, daß Gott die Affizierung des menschlichen Geistes durch äußere Dinge und die Offenbarkeit dieser für jenen ermöglicht (a.a.O.). Der menschliche Geist existiert als Werk Gottes (ibid. 398-99). So erklärt sich, wie Raum und Zeit subjektive Formen unserer inneren Phänomene sein können und sie trotzdem zugleich Erscheinungen von Gott selbst sind, die ihn bezeugen (§ 2, AA II, 39091). Es wäre nicht irrig, zu sagen, daß sie im Hinblick auf dieses oberste intelligible Seiende wahr sind. In der Dissertatio ist ein analoges Verhältnis zwischen den reinen Verstandesbegriffen und den Dingen an sich implizit enthalten. Sie sind zwar wie Raum und Zeit Vorstellungen, die man aus der eigenen Tätigkeit des Geistes erwirbt. Aber diese Begriffe sind, wie unser Geist selbst, Geschöpfe eines Gottes, der das ens realissimum ist, d.h. die absolute Totalität der realitates, die als Archetypen seines schöpferischen Tuns fungieren (§§ 9, 10). Wenn dem so ist, müssen dann nicht unsere reinen Begriffe aus den göttlichen Ideen entspringen und mit den Dingen an sich übereinstimmen, die auch nach diesen Ideen erschaffen worden sind? Ist diese Übereinstimmung nicht der "besonderen stabilierten" Harmonie analog, die dank der göttlichen Kausalität zwischen den individuellen Zuständen verschiedener Substanzen besteht (§ 22)?
D. Die Beschränkung des subjektiven A priori auf die Erfahrungswelt (1772) Die letzteren Fragen dürften affirmativ beantwortet werden. Sie umschreiben die Position, die Kant im Verlauf von 1770 bis Februar 1772 in Frage stellt. Wenn man den Brief an Herz (mit letzterem Datum) bedenkt, findet man einen Grund fur diese Wandlung. Die Annahme, daß die Wahrheit der reinen Verstandesbegriffe in
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bezug auf die Dinge an sich in der Harmonie zwischen beiden und in Gott gründet, beruht auf einer vermeintlichen Erkenntnis a priori von Gott. Wer solches annimmt, meint im Grunde: ich erkenne Gott und weiß, daß er die Wahrheit meiner Erkenntnis überhaupt und meiner Erkenntnis von ihm insbesondere ermöglicht. Ein solches Denken bewegt sich im Kreise. Dieser Kreis des religiösen Glaubens hat, wenigstens für den modernen Rationalismus, einen unbegründeten Ausgangspunkt: Die Bürgschaft der Wahrheit, die nach diesem Glauben mein Denken von Gott empfängt, gründet für mich in dem anfänglichen Anspruch, Gott wahrhaft zu erkennen. Der Wahrheitsanspruch dieser wie jeder anderen Erkenntnis a priori muß sich dagegen legitimieren lassen. Die Entdeckung dieser Zirkularität und die Abweisung einer solchen Begründungsart dürften das Motiv sein, das Kant zur ausdrücklichen Formulierung der kritischen Grundfrage fuhrt und nicht, wie er in demselben Brief an Herz anzudeuten scheint, das spätere Erblicken eines Problems, das in der Dissertatio übersprungen war: der Grund der Möglichkeit der Wahrheit der reinen Begriffe in Beziehung auf die Dinge an sich. Kant fragt sich nämlich in diesem Brief: "auf welchem Grund beruhet die Beziehung desjenigen, was man in uns Vorstellung nennt, auf den Gegenstand?" Diese Frage, die sich auf die Vorstellungen überhaupt bezieht, meint dem Kontext gemäß eigentlich die reinen Verstandesbegriffe. Kant erinnert in der Tat ausdrücklich daran, daß er in der Dissertatio gesagt hatte: "die sinnliche Vorstellungen stellen die Dinge vor, wie sie erscheinen, die intellektuale, wie sie sind." Die darauf folgende Zeile zeigt, daß die obige Frage primär die Beziehung der Verstandesbegriffe auf die Dinge an sich betrifft. Aber später in demselben Absatz erwähnt Kant die "realen Grundsätze" (wie den Satz der Kausalität), "mit denen die Erfahrung getreu einstimmen muß und die doch von ihr unabhängig sind". Dies besagt implizit, daß jene Frage den Grund der Wahrheit der reinen Begriffe nicht nur in bezug auf die Dinge an sich betrifft, sondern auch hinsichtlich der Phänomene. Der Brief enthält keine positive Antwort, sondern eher die Entfaltung dieser Frage selbst. Kant diskutiert dabei eigentlich, wie diese Frage nicht beantwortet werden sollte, indem er die traditionellen Antworten auf sie summarisch durchgeht und ausschließt. Diese möglichen Antworten können in drei Gruppen eingeteilt werden: 1. Wenn die Vorstellung eine Modifikation des Zustandes des Subjekts aus dem Einfluß eines vorliegenden Dinges ist, muß jene Vorstellung mit dieser Ursache übereinstimmen. Diese mögliche Erklärung ist für den Fall der reinen Verstandesbegriffe ungeeignet, weil sie nicht empirisch sind. 2. Wenn die Vorstellungen Archetypen eines schöpferischen Verstandes und daher formale Ursachen der g e s c h a f f e n e n D i n g e sind, d a n n m ü s s e n diese mit j e n e n V o r s t e l l u n g e n übereinstimmen. Diese Art von Erklärung paßt nicht zu unserem endlichen Verstand und seinen Begriffen. 3. Wenn weder die Vorstellung noch ihr Objekt Gründe füreinander sind, dann kann man noch auf ein drittes Seiendes zurückgreifen, das die Möglichkeit der Übereinstimmung beider begründen könnte. Das ist der Fall
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verschiedener überlieferter Lehren, die Kant in dem Brief und an anderen Stellen seines Werkes streift. Eine von ihnen, die Kant Piaton zuschreibt, die aber eher dem Augustinismus zugehört, lehrt, daß unser Verstand seine Begriffe durch eine vorgeburtliche Intuition der Ideen in Gott empfangen hat, mit denen die Geschöpfe notwendig übereinstimmen. Nach einer Abwandlung dieser Lehre, die Kant Malebranche und anderen Moralisten zuschreibt, schaut unser Verstand beständig, und zwar auch nach der Geburt, die göttlichen Ideen an. Endlich hat Gott nach Crusius dem menschlichen Verstand Regeln fur Urteile und Begriffe eingepflanzt, die dank diesem Ursprung mit den Dingen übereinstimmen. Gegen diese dritte Art von Erklärungen argumentiert Kant erstens, daß sie einen Zirkel begehen, insofern sie eine Erkenntnis a priori Gottes annehmen, um den Ursprung und die Wahrheit der Erkenntnis a priori überhaupt zu begründen. Zum anderen sagt Kant, daß diese Lehren keine Regeln angeben, um zu unterscheiden, welche Vorstellungen Abbilder der göttlichen Ideen sind und welche nicht, so daß jede Vorstellung als Erkenntnis a priori ausgegeben werden kann. Kant widmet der Kritik dieser dritten Erklärungsart einen besonderen Absatz, den zweiten des Briefes. Dies scheint zu bedeuten, daß ihm diese Kritik besonders wichtig war, weil sie vermutlich die eigene Position der Dissertano betrifft. In diesem Überblick schließt Kant stillschweigend als vierte Möglichkeit aus, daß das Allgemeine in den einzelnen Dingen an sich vorliegt und daß unser Verstand es irgendwie aus ihnen abziehen kann. Wie gesagt, diese Lehre, die von der aristotelischen Scholastik, Wolff eingeschlossen, vertreten wird, wurde von Kant Mitte der sechziger Jahre aufgegeben. Der Brief an Herz beschränkt sich darauf, das Problem zu stellen und drei seiner möglichen Lösungen kritisch durchzugehen. Kant legt in ihm seine Lösung nicht ausdrücklich dar. Im dritten Absatz gibt er aber an, sein Ziel sowohl hinsichtlich eines Systems der Kategorien als auch des Hauptproblems erreicht zu haben: "Ohne mich nun über die ganze Reihe der bis zu dem letzten Zweck fortgesetzten Untersuchung weitläufig hier zu erklären, kann ich sagen, daß es mir, was das Wesentliche meiner Absicht betrifft, gelungen sei, und ich itzo imstande bin, eine Kritik der reinen Vernunft, welche die Natur der theoretischen sowohl als praktischen Erkenntnis, sofern sie bloß intellektual ist, vorzulegen ... ". Am Ende des ersten Absatzes, an einer soeben zitierten Stelle, fragt sich Kant hinsichtlich der Dinge an sich: "Wodurch aber werden uns dann diese Dinge gegeben, wenn sie es nicht durch die Art werden, womit sie uns affizieren ...?" Diese Frage impliziert in ihrem Kontext, daß die Gegebenheitsweise des Dinges in einer Anschauung für die Lösung des gestellten Problems wesentlich ist. Wenn wir also einer intellektuellen Anschauung der Dinge an sich ermangeln, ist zu vermuten, daß diese uns gar nicht gegeben werden und daß die reinen Verstandesbegriffe nur hinsichtlich der Erscheinungen gültig sein können. In dieser Richtung fragt derselbe Text später nach der Übereinstimmung der "realen Grundsätze" mit der Erfahrung.
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Sein und Subjektivität bei Kant
Angesichts der späteren Entwicklung des Kantischen Denkens bis zur KrV ist es nicht schwierig zu sehen, wie Kant das gestellte Problem löst. Der Weg zu dieser Lösung ist ihm außerdem durch die Dissertatio schon vorbereitet, wenn sie die Wahrheit der reinen Anschauungen durch ihre Funktion als formale Gründe der Möglichkeit des Objekts der Erscheinungen erklärt. Diese Lösung, die faktisch eine Abwandlung der zweiten Gruppe darstellt, ist, wie bereits gesagt, schon in Reflexionen der sechziger Jahre anvisiert worden. Die Wurzeln dieser Lösung liegen in der Tradition. Kant kann sie unmittelbar in der Metaphysik Baumgartens vorfinden. "Hinc Veritas metaphysica potest definiri per convenientiam entis cum principiis catholicis" (§ 92). Das Seiende enthält mannigfaltige Bestimmungen (essentialia, attributa, modi), die aus Gründen (z.B. den Prinzipien des Denkens) erkannt werden können und daher mit ihnen übereinstimmen (§ 80). Diese Mannigfaltigkeit steht gemäß diesen Prinzipien in einem und demselben Zusammenhang, d.h. in einer Ordnung (§ 78 ff.). Daher kann B a u m g a r t e n die metaphysische Wahrheit als "Ordnung der Vielen in Einem" definieren; wenn diese Ordnung unter den Essentialia und den Attributen des Seienden stattfindet, dann ist sie transzendentale oder notwendige metaphysische Wahrheit (§ 89). In dieser Hinsicht ist jedes Seiende transzendental wahr (§ 90).27 Diese Lehre ist von Wolff in seiner Ontologia (§ 495) ausdrücklich entfaltet, der zugleich diese Ordnung und Einheit der mannigfaltigen Bestimmungen des Seienden mit der überlieferten Auffassung der Wahrheit als Übereinstimmung des Seienden mit seiner Natur (seinem Wesen) identifiziert (a.a.O. § 502).28 Diese letztere Auffassung ist so alt wie die erste ausdrückliche Definition der Wahrheit als "adaequatio intellectus et rei", in De ventate (Q. 1. Art. 1) von Thomas von Aquin. Diese Definition umfaßt sowohl die Satz- als auch die Sachwahrheit, welche in der Übereinstimmung der Sache mit ihrer Idee im Geiste Gottes besteht (ebd. Art. 2 ff.). Kant wandelt diese Lehre ab, indem er die Wahrheit der Erkenntnis a priori des endlichen Subjekts als Übereinstimmung des empirischen Objekts mit dieser Erkenntnis als seinem Grunde auffaßt. Zum anderen verweist diese Lehre sowohl bei Thomas als auch bei Kant auf die platonische Theorie der Ursächlichkeit weiter zurück. Wie bekannt, hat Piaton das Was-Sein (Idea) als Ursache (vgl. Phaidon, 100 b ff.) und das Verhältnis zwischen ihm und dem Verursachten als Ähnlichkeit aufgefaßt. 29 Aristoteles hat diesen Ansatz in seiner Lehre von den Ursachen und dem Werden aufgenommen und umgedacht.
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Diese Lehre spiegelt sich in der Kantischen Lehre der Transzendentalien (KrV § 12) wider, dergemäß der logische Grund in Bezug zu seinem Folgen wahr ist, während diese in Bezug zu ihm vollkommen sind (vgl. R 4026). 28 Über die Lehre der transzendentalen Wahrheit bei Wolff vgl. Honnefelder (1990), 361 f. 29 Vgl. Phaidon 74 e, 100 d; Politeia 510 b 4 ff., d 5-511 a 6; Phaidros 250 a-b; Parmenides, 132 d 1 -3, 1 3 3 d l ; Timaios 28 b 2-3,48 c 5-49 a, 50 c 5,52 c 2 , 9 2 c 7.
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Das Eidos kann dreifach als Ursache fungieren: als das Woher, als das Wohin des Werdens und als das Was-Sein des Gewordenen (Met.V, 2). Das Woher zunächst ist ein schon Seiendes, das ein Eidos hat und durch dieses auf die Materie eines anderen Seienden so wirken kann, daß es in ihr dieses Eidos zur Anwesenheit fuhrt. Daher sind Handelndes und Erleidendes dabei dem Eidos nach fürs erste unähnlich; nachdem die Materie das Eidos des Handelnden aufgenommen hat, sind beide im Hinblick auf dieses Eidos ähnlich (vgl. De Gen. et Corr. A 7, 324 a 5-12; De An. Β 5, 417 a 14-20). Obwohl Aristoteles die Aletheia nicht als Homoiosis gefaßt hat, hat er die spätere Theorie der Wahrheit als Übereinstimmung insofern vorbereitet, als er die Offenbarkeit des Einzelnen und des Allgemeinen in der Seele mittels derselben Lehre der Ursache und des Werdens erklärte und daher der Offenbarkeit implizit die Ähnlichkeit des Eidos in der Seele und in den Dingen zugrunde legte. Thomas von Aquin hat in der aristotelischen Tradition eine solche Verkoppelung von Wahrheit, Übereinstimmung und Kausalität ausgebildet. "Cum enim omne agens, agit autem unumquodque secundum suam formam, necesse est quod in effectu sit similitudo forma agentis" (Summa Theologiae, 1, q. 4 a 3). Gemäß dieser Lehre besteht zwischen dem Intellekt und dem Seienden ein Verhältnis des Handelns und Erleidens, sei es im Falle des göttlichen Intellekts, der das Seiende erschafft, sei es beim menschlichen Verstände, der im Hinblick auf das Seiende erleidend ist, wenn er es erkennt. Daher muß sich beide Male eine je eigentümliche Ähnlichkeit (similitudo) oder Angleichung (adaequatio) des Erleidenden mit dem Handelnden oder an das Handelnde ergeben, die das Wesen der Wahrheit ausmacht. So stimmt das endliche Seiende mit seiner Idee im göttlichen Verstand überein, während der menschliche Verstand umgekehrt mit dem Seienden übereinstimmt (vgl. De veritate, q. 1, a. 1-2; Summa Th. 1, q. 16, a 1-2). Diese Theorie wurde in der Neuzeit fragwürdig, als die Zurückweisung der formae substantiales der Lehre des WasSeins als Ursache und der Ähnlichkeit von Ursache und Verursachtem den Boden entzog. Leibniz und Wolff suchten jedoch, ein jeder auf seine Weise, beide Lehren der Ursächlichkeit beizubehalten und zu versöhnen. So konnte Kant in der Metaphysica Baumgartens einerseits im Bereich des Was-Seins des Seienden das Wesen als Grund (§ 50, 311) und andererseits die Wirkursache als principium fiendi im Bereich der Existenz desselben finden (§ 307). Die Ursache und ihre Wirkung sind einander ähnlich (§ 329). Hinsichtlich des Was-Seins stimmen, wie gesagt, das Einzelseiende und sein Wesen mit den obersten Seins- und Denkprinzipien überein und sind insofern wahr (vgl. § 78 ff.). Kant bleibt noch innerhalb dieser spätscholastischen Tradition. Einerseits läßt er die Wahrheit als Übereinstimmung zwischen Vorstellung und Sache gelten, wenn sie qualitativ bestimmte Gründe füreinander sind. Diese Auffassung gilt im Bereich des Subjekts und seiner Vorstellungen oder in der Beziehung zwischen beiden und dem Objekt. Zum anderen kennt er im Bereich der Erfahrungsobjekte nur die mechanische Wirkursächlichkeit. Mit Rücksicht auf die später näher zu
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betrachtende transzendentale Deduktion der Kategorien kann jetzt ein Prinzip aufgestellt werden, das die ältere Auffassung wiedergibt: Wenn ein Was-Sein (als notwendige Bedingung) etwas ermöglicht, dann besteht notwendig Übereinstimmung zwischen Bedingung der Möglichkeit und Bedingtem. Mit seiner These betreffs der Wahrheit der Erkenntnis a priori überhaupt trifft Kant 1772 eine Vorentscheidung über den Grund dieser Wahrheit, die zum ersten Mal eine Kritik dieser Wahrheit ermöglicht. Darum kann er sagen, er sei jetzt imstande, eine Kritik der reinen Vernunft vorzulegen. Diese Entscheidung ist nichts Geringeres als die Aufstellung eines Wahrheitskriteriums der Erkenntnis a priori, auf Grund dessen allein die Vernunft in einer Reflexion auf sich selbst unterscheiden kann, welche ihrer Vorstellungen a priori Erkenntnis sein können und welche nicht. Diese Entscheidung legt der Erkenntnis a priori in Wirklichkeit nur ein einziges Wahrheitskriterium zugrunde, während die Dissertatio implizit zwei verschiedene Kriterien solcher Erkenntnis annimmt, wobei das endgültige Kriterium damals noch auf die sinnliche Erkenntnis beschränkt bleibt. Eine spätere Folge dieser Entscheidung betrifft die Seinsweise des Seienden, in Hinblick auf welches das subjektive A priori als wahr gesichert werden kann. Wenn unsere Erkenntnis a priori überhaupt nur hinsichtlich derjenigen Seienden wahr sein kann, die diese endliche Erkenntnis möglich macht, dann können diese Seienden nicht Dinge an sich sein, sondern die Objekte der Erscheinungen im Subjekt, was eine Entscheidung für den Idealismus mit sich bringt. Diese Entscheidung fuhrt jedoch nicht zur totalen Negation des Dinges an sich, denn da die Erkenntnis a priori nur hinsichtlich der Phänomene gültig sein kann, geht es Kant sehr darum, ihren Phänomencharakter zu betonen und nicht zuzulassen, daß solche immanenten Objekte letzten Endes Dinge an sich wären. In letzterem Fall würde das endliche Subjekt mit seinem A priori solche Dinge ermöglichen und sich damit in eine Art Schöpfer seiner Welt verwandeln, was der Erfahrung seiner Endlichkeit widerspricht. Es ist also für Kant, und nicht nur in Hinblick auf die Ermöglichung der MoraJität, erforderlich, die Existenz der Dinge an sich weiter anzunehmen. Deren Wesen ist dagegen unerkennbar, weil wir a posteriori nur Phänomene erkennen und a priori Dinge an sich nicht erkennen können, denn wir sind nicht imstande, sie zu ermöglichen. Mit der Entscheidung über das Wahrheitskriterium der Erkenntnis a priori und dadurch über das Sein der Erfahrungsobjekte fällt auch eine Entscheidung über das Sein des Subjekts, über seine Macht gegenüber diesen Objekten. Wiewohl die Dissertatio das Subjekt mit seinen reinen Anschauungen als Formgrund der Sinnenwelt anerkannte, waren diese Anschauungen letzten Endes in der dynamischen Gemeinschaft der Dinge an sich und in deren Schöpfer gegründet (§§ 2, II; 16, 17-22). Diese göttliche Gründung der Erfahrungswelt wird 1772 fragwürdig. Das menschliche Subjekt mit seinem Apriori muß die Begründung
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dieser Welt übernehmen, womit es im Horizont des Rationalismus eine noch weiterreichende Macht erlangt, als es sie im Empirismus schon gewonnen hatte.
§ 4. Eine frühe Skizze der Erwerbung der Kategorien und des in der Dissertatio
Schematismus
Da für die Dissertatio der menschliche Geist in der intelligiblen Welt und in Gott verwurzelt ist, ist er nicht der letzte Ursprung der reinen Verstandesbegriffe. Trotzdem gibt diese Schrift wichtige Einblicke in unseren Geist als nächsten Ursprung derselben, die für Kant fortan maßgeblich sein werden. Einige Stellen streifen die Art, wie wir diese Begriffe bei ihrer Anwendung auf die Synthesis der Erscheinungen erwerben, und lassen damit auch ihren Beitrag zur Konstitution der Erfahrung durchblicken. Widerstreitet das aber nicht der Tendenz dieser Schrift, insofern sie ausdrücklich den Beitrag des Verstandes zur Erfahrung auf den usus logicus desselben beschränkt? Unser Erkenntnisvermögen besitzt nach der Dissertatio reine Vorstellungen. Raum und Zeit sind gleichermaßen "intuitus purus", weil sie nicht in den Sinnen erzeugt oder von ihnen abstrahiert werden (§§ 14, 1 u. 15 C). Zum anderen sind die Verstandesbegriffe "reine Ideen", insofern sie nicht vom Sinnlichen abstrahiert werden, sondern vielmehr von diesem absehen (§ 6). Was ist dann ihr Ursprung? Die reinen Begriffe "dantur per ipsam naturam intellectus" (a. a. O., vgl. § 23). Der Raum ist ebensowohl "von der Natur des Geistes ursprünglich gegeben" (§ 15 E). Daß der Geist den Raum, die Zeit und die reinen Begriffe gibt, besagt aber nicht, daß er schon immer fertige, angeborene Vorstellungen derselben besitzt. Als Vorstellungen sind sie insgesamt erworben. Die reinen Begriffe sind nicht "conceptus connati, sed ... adquisiti" (§ 8). Die Zeit ist nicht eine "gewisse angeborene Anschauung" (§ 14, 5). Raum und Zeit sind erworben, aber nicht aus der Empfindung, sondern "ab ipsa mente actione, secundum perpetuas leges sensa sua coordinante" (§ 15, Corollarium). Diese Handlung des Beiordnens ist eine Synthesis der Empfindungen. 30 Diese veranlassen den Geist dazu, so zu handeln, aber sie fließen nicht auf die Anschauung ein, "und es ist hier nichts anderes angeboren als ein Gesetz des Gemüts, nach welchem es, was es von der Gegenwart des Gegenstandes her empfindet, auf bestimmte Art vereinigt" (coniungit). Der Geist handelt synthetisch auf diese Empfindungen auf Grund seines angeborenen Gesetzes, und, indem er so auf bestimmte Weise handelt, gibt er implizit diese gesetzliche Form zu verbinden, die dann in einer reinen Vorstellung erworben
30 Zur Synthesis vgl. § 1 und zur Koordination § 2 , 2 .
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Sein und Subjektivität bei Kant
werden kann, als "ein unveränderliches Bild und deshalb anschaulich zu erkennen" (a.a.O.)· 3 ' Nach § 6 der Schrift können die metaphysischen Begriffe der Möglichkeit, Existenz, Notwendigkeit, Substanz, Ursache usw. mit ihren Gegensätzen nicht in den Sinnen gesucht werden, sondern in der Natur des Verstandes, aber nicht als angeborene, sondern als erworbene Begriffe. Der Verstand abstrahiert sie "aus den der Erkenntniskraft eingepflanzten Gesetzen (dadurch, daß man auf ihre Handlungen bei Gelegenheit der Erfahrung achtet)" (§ 8). Demnach kann der Geist diese Begriffe nicht durch eine Selbstanschauung dieser angelegten Gesetze erwerben, weil sie verborgen bleiben, bis das Auftreten der sinnlichen Eindrücke den Geist dazu bringt, nach seinen Gesetzen zu handeln. Dann kann er auf diese Handlungen achten und aus ihnen Begriffe der gesetzlichen Weise erwerben, nach der sie handeln. Diese Art, das Wesen unserer Erkenntnis a priori und deren Erwerbung zu erklären, stammt, wie gesagt, von Leibniz her.32 Schon in seiner Schrift über die negativen Größen gibt Kant an, daß alle Arten von Begriffen auf der Aktivität des Geistes beruhen, während die äußeren Dinge nur die Bedingung enthalten, unter der sich diese Begriffe auf die eine oder andere Weise hervortun (AA II, 199-200). Die Dissertatio wiederholt nicht einfach Leibniz' Lehre, sondern sie denkt sie von der synthetischen Erkenntnis des sinnlichen Seienden her um und stößt damit, wie sich zeigen wird, in eine neue Dimension vor. Die umrissene Lehre von der Erwerbung der reinen Verstandesbegriffe impliziert einen Eingriff des Verstandes in die Erfahrung, der in den Stellen der § § 5 und 23 nicht ausdrücklich genannt ist, in denen Kant die verschiedenen Gebrauchsweisen dieses Vermögens betrachtet. Durch seinen realen Gebrauch sind die reinen Begriffe der Dinge und der Relationen gegeben (§ 5). Durch den logischen Gebrauch vergleicht der Verstand die (reinen oder empirischen) Vorstellungen miteinander und subsumiert die partikulären oder weniger allgemeinen unter die allgemeineren. Dieser Gebrauch scheint für die Verwandlung der sinnlichen Erscheinungen in Erfahrung entscheidend zu sein. Diese ist die Erkenntnis, die daraus entspringt, daß man viele Erscheinungen in der Reflexion vergleicht, um das ihnen Allgemeine zu erfassen. "Von der Erscheinung führt demnach kein Weg zur Erfahrung als nur durch Überlegung gemäß dem logischen Gebrauch des Verstandes" (a. a. O.). § 23 weist ebenso darauf hin, daß der Gebrauch des Verstandes in den empirischen Wissenschaften und in der Mathematik rein logisch ist (non est nisi logicus). Das stimmt mit der Grundtendenz der Dissertatio überein, die Sinnlichkeit den Phänomenen und den Verstand den Noumena zuzuordnen. Demgemäß enthalten die reinen Verstandesbegriffe keine "Form der sinnlichen Erkenntnis, als solcher"
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Nach § 4 ist die Form der Anschauung ein Gesetz, die Empfindungen zu koordinieren. Vgl. Nouveaux Essais, Gerhardt Band V, Vorrede, S. 43, sowie S. 67, Buch 1,1 und SS. 76 und 100.
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(§ 6), und der reale Gebrauch des Verstandes ist nicht allen Wissenschaften, d. h. nicht den sinnlichen, gemeinsam (§ 5). Umgekehrt hat die Sinnenwelt ihrerseits keine anderen Formprinzipien als Raum und Zeit (§ 13). Trotzdem verraten manche anderen Stellen dieser Schrift den Eingriff des Verstandes in die Anschauung. § 1 erörtert die Genesis der Begriffe des Ganzen und der einfachen Teile aus der Natur der Erkenntniskraft. Der Verstand kann nämlich durch seinen Begriff der Zusammensetzung viele gegebene Dinge als ein Ganzes denken; durch die Negation jeder Zusammensetzung kann er wiederum die einfachen Teile dieses Ganzen vorstellen. Ein anderes ist es aber, "diesen allgemeinen Begriff [der Zusammensetzung], als eine Art von Vernunftaufgabe, durch das sinnliche Erkenntnisvermögen auszuführen ..." (AA II, 387). Implizit liegt hier eine Beziehung dieses Begriffes auf das sinnliche Vermögen vor, das die Zusammensetzung der Erscheinungen durch eine sukzessive Synthesis in der Zeit vollziehen muß (a.a.O.). Nur wenn diese Synthesis in einer endlichen und anzeigbaren Zeit vollzogen werden kann, kann sie ein sinnliches Ganzes erzeugen; anderenfalls bleibt die Verbindung unvollständig, und die Synthesis geht ins Unendliche. Um dasjenige sinnlich zu konstituieren, was der Begriff des einfachen Teiles vorstellt, muß man umgekehrt ein Ganzes sukzessiv zergliedern. Wenn dieses Ganzes diskret ist, kann diese Zergliederung in einer endlichen Zeit zu den einfachen Teilen gelangen, was bei einem Kontinuum unmöglich ist, denn die Teilung geht dann ins Unendliche. Wie eine Anmerkung erläutert (AA II, 387-88), können diese Synthesis sowie die Zergliederung wiederum entweder qualitativ oder quantitativ gemeint sein. Die erwähnten Fälle betreffen nur quantitativ gemeinte Ganzheiten bzw. Teile. Qualitative Ganzheiten sind Reihen von Gründen und Folgen. Man kann dabei von einem Grund zu seiner Folge und so weiter fortgehen, um daraus synthetisch eine solche Ganzheit zu konstituieren. Umgekehrt kann man zergliedernd von einer qualitativen Ganzheit als Folge auf ihre Gründe zurückgehen. Diese Aufgabe gelingt aber im Anschaulichen nur, wenn die zu durchlaufende Reihe endlich ist. Wie im Falle der sinnlichen Vorstellung eines quantitativ unendlichen Ganzen kann "die Erkenntniskraft die abgesonderten Vorstellungen, die sie vom Verstand erhalten hat, oftmals nicht in concreto ausßihren und in Anschauungen umwandeln" (AA II, 388-89). Hier ist die Beziehung des Verstandes und seiner Begriffe auf die Anschauung explizit. Zum anderen wird diese Beziehung im V. Abschnitt der Schrift weitgehend berücksichtigt, in dem Kant den schädlichen Einfluß der sinnlichen Erkenntnis auf die intellektuelle kritisch betrachtet, in der Absicht, die rechte Methode der metaphysischen Erkenntnis zu begründen. Nach den §§ 24 und 25 können gegebene Verstandesbegriffe sinnlich erkannt werden (AA II, 412-13), d.h. unter den Bedingungen der sinnlichen Erkenntnis, in Raum und Zeit. § 28 bemerkt, daß wir den reinen Begriff der Größe nur deutlich erkennen, d. h. real definieren können,
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Sein und Subjektivität bei Kant
wenn wir ihn in der sinnlichen Anschauung vorstellen. 33 Schon in § 12 hatte Kant bemerkt, daß in der Mathematik zu den reinen Anschauungen der Begriff der Zahl hinzukommt, "der an sich zwar intellektuell ist, dessen Verwirklichung in concreto aber dennoch die Hilfsbegriffe von Zeit und Raum fordert (dadurch, daß man mehreres nacheinander hinzutut und nebeneinander zugleich setzt)". Für die metaphysische Erkenntnis, die diese Begriffe verwendet, ist es aber verhängnisvoll, wenn sie ihnen selbst die anschaulichen Bedingungen zuschreibt, ohne die sie nicht sinnlich vorgestellt werden können. Kant zeigt, inwiefern wir diese reinen Begriffe sinnlich erkennen, indem er drei Fälle betrachtet, in denen diese irrige Zuschreibung stattfindet. Damit gibt er zugleich indirekt an, inwiefern diese Begriffe an der Konstitution der Erfahrung teilhaben. Der erste dieser Fälle (§ 27) findet statt, wenn man den Dingen an sich und den reinen Begriffen derselben das zuschreibt, was nur eine Bedingung der Möglichkeit des sinnlichen Objekts ist - wie beim Satz "alles, was ist, ist irgendwo und irgendwann". In einem Räume und einer Zeit zu sein, ist tatsächlich Bedingung der Existenz der sinnlichen Objekte (§ 27), aber nicht aller Dinge überhaupt und damit auch nicht der Dinge an sich selber. Hinsichtlich der sinnlichen Objekte kann gesagt werden: "alles, was irgendwo ist, ist da", aber man kann nicht von den Dingen überhaupt sagen: "alles, was da ist, ist irgendwo" (§ 24 Anm.). In einem Räume sein ist die Bedingung, unter der wir in der sinnlichen Anschauung etwas erkennen, das dem reinen Begriffe der Existenz korrespondiert (§ 27).34 Wenn § 28 die zweite Möglichkeit betrachtet, in der Metaphysik zu irren, zeigt Kant noch viel klarer, auf welche Weise wir einen reinen Begriff des Verstandes in der empirischen sinnlichen Anschauung erkennen. Der Text erwähnt die Begriffe der Größe und Menge, der Ursache, des Einfachen und Zusammengesetzten: " ... da jede Größe und jede beliebige Reihe nur durch allmähliche Beiordnung deutlich erkannt wird, entspringt der Verstandesbegriff einer Größe und Menge nur mit Hilfe dieses Begriffs der Zeit und gelangt niemals zur Vollständigkeit, wenn die Verbindung nicht in einer endlichen Zeit vollendet werden kann." Diese Synthesis von sinnlichen Einheiten in der Zeit, die eine Menge oder Größe erzeugt, kann nach zwei Seiten hin betrachtet werden. Obwohl sie die Produktion eines sinnlichen Objekts als einer Größe ist und damit die Erfahrung ermöglicht, scheint Kant diese
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Der Geist ist den sinnlichen Bedingungen unterworfen, wenn er "ad [conceptum] intellectualem pertingere vult". (AA II, 415 -16). Vgl. § 26, 2: Wir vergleichen die Empfindungen unter dieser sinnlichen Bedingung "ad formandum conceptum obiecti intellectualem ..." Vgl. § 24: "... ut conditio, absque qua sensitivae cognitione conceptus dati locus non est..." Wenn wir ferner einen reinen Begriff sinnlich vorstellen und ihn von dem entsprechenden sinnlichen Objekt aussagen, wie im zitierten Urteil, dann erkennen wir auch wenigstens zum Teil das Ding an sich, das unter der Erscheinung dieses Objekts liegt. Vgl. § 24 Anm. Im Schlußabsatz von § 1 ist auch ein solcher Übergang von einem sinnlich gegebenen substanziellen ¡Compositum zur intellektuellen Erkenntnis der darunterliegenden einfachen Substanzen an sich angedeutet.
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Leistung der Synthesis nicht zu berücksichtigen, und er beschränkt sich, wie gesagt, darauf, auf den logischen Gebrauch des Verstandes in der Erfahrung hinzuweisen. Er richtet hier vielmehr seine Aufmerksamkeit auf die andere Seite: auf die Genesis des Begriffs der Größe durch diese Synthesis von sinnlichen Einheiten in der Zeit. In welchem Sinne entspringt (oritur) dieser reine Begriff aus der Synthesis? Um diese Frage zu beantworten, muß man die Lehre des Paragraphen 8 beachten: Diese Synthesis von Einheiten findet nicht nur in der Zeit statt, sondern sie ist auch eine Handlung unserer Erkenntniskraft gemäß einem ihr angeborenen Gesetz. Dieses Gesetz betrifft eine Verbindungsweise, und daher offenbart es sich in dieser Synthesis selber. Von dieser Synthesis her kann der Verstand dann den reinen Begriff der Größe erwerben. Diese Erwerbung ist der Ursprung dieses Begriffes, nicht aber des angeborenen Gesetzes. Was ist die subjektive Quelle der Synthesis? Eine Stelle aus § 27, die den Irrtum erörtert, Gott als innerzeitliches Seiendes zu denken, nennt hier: "omnia temporis imaginarii momenta" und spielt also auf die Zeit als Produkt der Einbildungskraft an. Nach einer Anmerkung desselben Paragraphen ist es ein Gesetz der Einbildungskraft, daß in allem, was existiert, Raum und Zeit liegt, d. h., daß jede sinnliche Substanz räumlich ausgedehnt und in kontinuierlicher Veränderung ist. Die Synthesis, die die Empfindungen in Raum und Zeit koordiniert, gemäß den angeborenen Gesetzen des Gemüts, ist also die Einbildungskraft, welche ihrerseits nach angeborenen Gesetzen des Verstandes handelt. Die Dissertatio erwähnt jedoch die Einbildungskraft kaum und betrachtet sie nicht ausdrücklich als eine dritte Urquelle der Erkenntnis neben der Anschauung und dem Verstand. § 8 spielt eher auf die Synthesis als Handlung des Geistes (eius actione) an. § 29 betrachtet die dritte Art zu irren, die man begeht, wenn man sinnliche Bedingungen mit der intellektuellen Erkenntnis der Metaphysik vermischt. Ein solcher Irrtum ist in diesem Fall dadurch veranlaßt, daß die reinen intellektuellen Begriffe, z.B. Notwendigkeit und Kontingenz, wirklich auf die sinnlichen Phaenomena angewendet werden. Um einen solchen Begriff von einem Phänomen aussagen zu können, ist es nötig, zu unterscheiden, ob das Phänomen unter ihn subsumiert werden kann oder nicht, was seinerseits erfordert, dieses Phänomen in der Zeit zu betrachten. Es kann nämlich unter den reinen Begriff der Zufälligkeit subsumiert werden, wenn es in irgendeinem Punkt der Vergangenheit nicht existiert hat und später geworden ist. So ergibt sich der Satz: "alles, was irgendwann nicht gewesen ist, ist zufällig" - ein Satz, der für die sinnliche Welt gültig ist, aber der die intellektuelle Erkenntnis nicht kontaminieren darf, indem diesem reinen Begriff dasjenige zugeschrieben würde, was die KrV als sein transzendentales Schema bezeichnet. Kant visiert hier in der Tat dieses Schema als "conditio sensitiva, sub qua subsumtio obiecti alicuius obvii sub dato concepto intellectuali solum possibilis est... " an (§ 26). Aber er faßt noch nicht ausdrücklich diese sinnliche Bedingung
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Sein und Subjektivität bei Kant
als Synthesisregel und gebraucht das Wort "Schema" nur, um ζ. B. Raum und Zeit als "quasi schemata" zu bezeichnen (vgl. § 13). Wenn man aber hier die spätere Begriffssprache der KrV verwendet, kann man sagen, daß die drei Fälle des metaphysischen Irrtums, die in den §§ 27-29 erörtert werden, darin bestehen, daß man in ihnen das "transzendentale Schema" als konstitutives Moment des reinen Verstandesbegriffes nimmt und damit übersieht, daß dieses "Schema" vielmehr nur erstens eine Bedingung des sinnlichen Objekts oder zweitens eine Bedingung der sinnlichen Vorstellung des reinen Begriffes oder drittens eine Bedingung der Subsumtion der sinnlichen Objekte unter diesen Begriff ist.35 Es handelt sich dabei nicht etwa um drei "Schemata", sondern um eines und dasselbe in dreifacher Funktion. So ist z.B. die Präsenz einer Erscheinung im Räume die sinnliche Bedingung der Existenz des entsprechenden Objekts; sie selbst ist die sinnliche Vorstellung des Begriffes der Existenz sowie die Bedingung der Subsumtion jenes Objekts unter diesen Begriff. Da in der Dissertatio ein Dualismus des Verstandes und der sinnlichen Anschauung vorliegt, so daß beide eigenständige Quellen von Vorstellungen a priori sind, und der Verstand durch seine reinen Begriffe die Dinge an sich erkennen kann, schreibt Kant der Metaphysik vor, das sinnliche "Schema" sorgfältig von dem entsprechenden reinen Begriff zu sondern. Die Wende von 1772 verändert diese Denkweise beträchtlich. Da der Verstand dann nicht mehr durch seine reinen Begriffe die Dinge an sich erkennen kann, erhalten diese Begriffe fortan eine Orientierung auf die sinnliche Welt. Sie verlieren jene intelligible Bedeutung und werden zu Vorstellungen, die fur sich entweder nichts Objektives bedeuten oder nur eine "logische" Bedeutung haben. Die "transzendentalen Schemata" werden dann zu dem eigentlichen Gehalt der reinen Begriffe, sofern sie erkennende Vorstellungen sind. Die Einbildungskraft kann dann eine höhere Funktion übernehmen. Das ist der Zusammenhang, in dem ein Passus der Vorlesungen der Metaphysik (Pölitz) interpretiert werden soll, demgemäß der Verstand die auf den Begriff gebrachte Einbildungskraft ist - eine Idee, die noch in § 10 der KrV anklingt. 36
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Die transzendentalen Schemata, die Kant in dieser Schrift explizit oder implizit berührt, sind die folgenden: das Angeschautsein in einem Räume als Schema der sinnlichen Existenz (§ 24); die Anschaubarkeit in Raum und Zeit als Schema der realen Möglichkeit (§ 25); das Sich-nicht-zu-einer-Zeit-Widersprechen als Schema der logischen Möglichkeit für einen endlichen Verstand (§ 28); das sukzessive Addieren von Einheiten als Schema der Größe (§ 28); die Unterscheidung des Früheren und Späteren und der räumlichen Verhältnisse als Schema der Ursache und Wirkung (§ 15); die Veränderung in der Zeit als Schema der Zufälligkeit (§ 29). Die Schemata des einfachen Teiles und des Ganzen bestehen möglicherweise in der vollständigen Zergliederung eines Zusammengesetzten bzw. in der vollständigen Verbindung von gegebenen Elementen (§§ 1 u. 28). Vgl. AA XXVIII, 239.
Konstitution des Kantischen Subjektsbegriffes
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Die Dissertatio enthält also im Hintergrund eine erste skizzenhafte Darstellung des transzendentalen Schematismus und zugleich der Lehre von der ursprünglichen Erwerbung der reinen Verstandesbegriffe. Es handelt sich nicht um zwei parallele Leistungen des Subjekts, sondern um eine und dieselbe: Wir erwerben diese Begriffe aus der Synthesis der Einbildungskraft, d.h. aus den "transzendentalen Schemata", die in ihr zum Vorschein kommen. 37
§ 5. Zur Konstitutionsgeschichte
des Kantischen
Subjektsbegriffes
Die Auffassung der Subjektivität in der KrV Kants ist seitens seiner Kritiker und Ausleger mannigfaltigen Verzerrungen und Mißdeutungen unterworfen. Da es fur die Aufgabe dieser Arbeit wichtig ist, diese Auffassung herauszuarbeiten und abzusichern, wird jetzt versucht, einige Stationen des Weges zu skizzieren, auf dem sich diese Lehre konstituiert hat. 1. Die rationalistische Tradition, in der Kant aufwächst, faßt die Seele als eine einzige Kraft auf. Sie wurde von Leibniz begründet, fur den die Substanz wegen ihrer Einfachheit als eine interne Kraft gefaßt werden muß, die ihre Akzidenzien erzeugen kann. Dieser Lehre schließt sich Wolff an, wenn er die Substanz, und zwar auch die Seelensubstanz, als Kraft bestimmt. 38 Gegen diese Lehre treten zunächst A. Rüdiger ( 1727) und Fr. Hoffmann ( 1729) auf, indem sie zwar annehmen, daß die Seele eine Kraft ist und daß ihre verschiedenen Kräfte dieser als einer gemeinsamen Gattung unterzuordnen sind, aber dagegen einwenden, daß man diese Kräfte nicht aus der Seelenkraft ableiten kann.39 Crusius geht in seinem Entwurf (1745) viel weiter. Er kritisiert zwar nicht die Identifizierung von Substanz und
37 Zur weiteren Untermauerung dieser Interpretation sei hier nachträglich auf den Brief Kants an Johann Schulz vom 26. August 1783 (AA X, 351 ) hingewiesen, in dem man folgendes lesen kann: "Es würden sich Regeln geben lassen, welche dem Augenschein klar darlegten, wie Objekte der Sinnlichkeit eine Categorie zum Prädikate haben können (so fern sie als Gegenstände der Erfahrung angesehen werden) aber auch umgekehrt: daß Categorien, ohne eine angehängte Bedingung, dadurch sie nun auf Gegenstände der Sinne bezogen werden, keine Bestimmungen in Raum und Zeit an sich haben können etc. Dergleichen ich etwas schon in der dissertât: de mundo sensibili in dem Abschnitt de methodo circa sensibilia et intellectualia berührt habe." Die Regeln für die Subsumtion sinnlicher Objekte unter kategoriale Prädikate, die nach dieser Stelle im 5. Abschnitt der Dissertatio berührt worden sind, sind die transz. Schemata, ohne welche die Kategorien keine sinnliche Bedeutung haben würden (vgl. A 137 ff. und 242 ff.). 38
Vgl. Leibniz, Monadologie §§ 10 ff. (Gerhard VI, 608-09), Principes de la Nature et de la Grace, 1/3 (ebd., 598-99). Siehe ferner Wolff, Philosophia Prima sive Ontologia, §§ 768-776 und Baumgarten, Metaphysica, § 196 ff. Über die Seele als vorstellende Kraft vgl. Wolff, Psychologia rationalis §§ 5368 und Baumgarten, Metaphysica §§ 50,506,507,513. Zur vorstellenden Kraft als Wurzel aller Vermögen, Wolff, Psych, rat., §§ 60,81-82. 39 Vgl.D. Henrich, "Über die Einheit der Subjektivität", in Philosophische Rundschau 3, Heft 2,35 Anm. 7.
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Kraft (§§ 20, 29), aber er faßt in § 63 die Kraft als Eigenschaft und Verhältnis der Substanz, womit jene als Akzidenz von der Substanz de facto unterschieden ist. Zum anderen soll man nach Crusius als Grundkraft nur die Kraft anerkennen, die keine bloße Gattung ist und aus der andere Kräfte wirklich abgeleitet werden können (§ 70). Zugleich visiert er eine andere Einheitsart des Seienden an: "Wenn dahero ein endliches Ding zu mehr als einerley Art von Actionen geschickt sein soll: so muß das Grund-Wesen desselben aus mehr als einer Art bestehen, welche nach gewissen Gesetzen der Actionen miteinander verbunden sind" (§ 73). So muß nach § 458 die lebende Substanz mehrere Tätigkeiten ausüben und entsprechende Kräfte dazu haben, die miteinander verknüpft werden müssen. "Diese Verknüpfung kann in nichts anderem bestehen, als daß immer die eine Kraft, oder die eine Aktion derselben ein Correlatum oder eine Bedingung, oder ein Objekt von der Aktion einer andern ist" (§ 459). So ist der Verstand ein Inbegriff von Kräften, die miteinander zur Ermöglichung der Erkenntnis der Wahrheit zusammenwirken (§ 444). Ein solcher Verstand steht wiederum im Dienste des Willens, welcher die Kraft ist, um derentwillen alle anderen Kräfte im Geiste da sind (§ 454).40 Schon in seinen Gedanken (§§ 1-10) vertrat Kant die These, daß die Substanz Kräfte hat, und setzte damit implizit voraus, daß jene nicht selber eine Kraft ist eine Auffassung, die er sein ganzes Leben beibehalten hat. Die vielleicht ältesten Zeugnisse davon befinden sich in der "Metaphysik Herder", die aus der Zeit 176264 stammt. Einerseits ist die Seele eine Substanz ("waz vor sich existieren kan", AA XXVIII, 24). "Des Autors Definition von der Kraft ist falsch: nicht waz den Grund enthält sondern der nexus des Grundes, folglich ist die Substanz (§ 199) keine Kraft, sondern hat eine Kraft" (25, vgl. 844-45). Und S. 145: "Die Wolffianer haben falsch angenommen, daß die Seele qua simplex, blos eine Kraft der repraesentatio. Dies entsteht durch die falsche Definition der Kraft: da sie blos ein respectus ist, so kann die Seele viele respectus haben. So vielerlei Art die accidentia sind, die nicht auf eine andere können gebracht werden Eine Vorstellung und Begehren sind Grundkräfte ... " Die Reflexionen 3781, 3785 und 3786, die Adickes gegen 1774-76 datiert, vertreten dieselben Thesen.41 40
41
Vgl. eine längere Darlegung dieser Lehre Crusius' in meinem Beitrag Die Einheit des Subjekts in Kants Kritik der reinen Vernunft, in den Proceedings of the Sixth International Kant Congress, Bd. I, 148 ff. Im Unterschied zu Henrich (a. a .O. 37-38) glaube ich, daß sich Crusius nicht mit der Aufweisung einer losen Mannigfaltigkeit von Kräften begnügt, sondern eine bestimmte Art von teleologischer Einheit des Subjekts gedacht hat, welche fur Kant vorbildhaft gewesen ist. Vgl. Vorlesungen über Metaphysik, AA XXVIII, 25,29,261,431-32,511-12,514-15,564,639,824-25; Ober eine Entdeckung, AA VIII, 224 Anm. ; Über den Gebrauch, ebd. 180-81 Anm. Kant führt ferner in seinen Metaphysik-Vorlesungen und in späteren Schriften gegen die These, die Seele sei eine Grundkraft, an, daß, falls sie das wäre, diese Kraft uns unerkennbar bleiben würde; denn wir erkennen direkt nur die Akzidenzien, nicht das Substantiale. Vgl. dazu AA XXVIII, 2 5 , 4 2 9 , 5 1 1 , 5 6 3 , 6 3 9 , 6 7 1 72, 824-25 und Prolegomena, § 46. Wollte man außerdem die uns über die Wirkungen indirekt zugänglichen Kräfte einer Substanz auf eine Grundkraft zurückführen, so würde man dadurch nur eine Gattung, d.h. ein ens rationis aufstellen und nicht die G r u n d k r a f t erkennen. Vgl. Über den
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Die Auffassung Kants zu dieser Frage ist also, daß die Substanz nicht Kraft sein kann, weil diese nur eine Relation und damit ein Akzidenz der Substanz ist, insofern sie Grund der Existenz der Akzidenzien ist. Die Substanz kann daher viele Kräfte haben, die als Grundkräfte angesehen werden müssen, wenn sie nicht auf andere zurückgeführt werden können. Damit behält die Substanz einen dynamischen Charakter, ohne selbst Kraft zu sein. Daher ist die Seele keine vorstellende Kraft, sondern eine einfache Substanz, die viele Grundkräfte haben kann. Von diesem Standpunkt her kritisiert Kant oft nicht nur Wolff und durch ihn Leibniz (AA XXVIII, 145, 261), sondern auch Descartes und Spinoza, insofern diese die Substanz und das Akzidenz als die unabhängige Ursache und die von ihr abhängige Wirkung im Horizont der Kausalität bestimmen (ebd. 563).42 Wenn die Seele als Substanz viele irreduzible Grundkräfte besitzt, dann stellt sich die Frage nach ihrer Einheit in der Einfachheit jener. Wie Crusius hat Kant sich diese Frage schon in seiner vorkritischen Zeit, vor allem in seiner Schrift über den einzig möglichen Beweisgrund, im Sinne einer teleologischen Einheit beantwortet. In dem ersten Abschnitt dieser Schrift bestimmt er die göttliche Vollkommenheit als die Übereinstimmung zwischen den realitates, die das Wesen Gottes konstituieren, und dem sie erkennenden Verstand einerseits und seinem Willen, der sie begehrt, andererseits. Diese Momente des göttlichen Geistes ermöglichen sich damit wechselseitig um dieser Übereinstimmung willen und bilden eine teleologische Ganzheit. Daraus entspringt die Einheit, Harmonie und Ordnung dieser realitates selbst, die wiederum die Vollkommenheit der endlichen Seienden ermöglichen (ebd. AA II, 88-92). In Analogie dazu denkt Kant im zweiten Abschnitt desselben Werkes die Vollkommenheit der Organismen. So besteht z.B. in der menschlichen Sinnlichkeit eine Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Sinnesorganen, die aus einem einzigen Naturgesetz und damit aus einer Verknüpfung von realitates im Wesen Gottes nicht erklärt werden kann, denn jedes Organ und jedes Sinnesvermögen ist von den anderen verschieden, und sie sind insgesamt nicht Folgen einer gemeinsamen Kraft. Ihre Harmonie ist daher zufällig und beruht vielmehr auf einer besonderen Entscheidung des göttlichen Willens. Diese Vollkommenheit kann nur ein Zweck sein, den Gott gewählt hat und der mittels einer Kunst verwirklicht worden ist (AA II, 107).43 Kant verzichtet hier implizit darauf, diese Organe und Vermögen durch eine Grundkraft zu vereinigen, und verbindet sie in einer teleologischen Einheit. Diese Denkweise ist die Herkunft der organischen Auffassung der reinen Vernunft in der KrV, in der aber die Teleologie eine kritische Abwandlung erfahren wird. Gebrauch, AA Vili, 180-81 Anm., sowie AA XXVIII, 145,261 -62,432,512,671 -72,736-37. 42 Vgl. AA XXVIII, 55-56. 43 Eine solche Vollkommenheit herrscht in jedem der Sinnesorgane, z.B. im Auge (a.a.O.), in den Organen einer Pflanze ( AA 11,107) oder einer Spinne (ibid. 118/9) und im Bau der Pflanzen und Tiere überhaupt (ibid. 114).
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Die Dissertatio spricht sich zwar nicht direkt über diese Fragen aus, aber sie berührt doch die Dimension, in die sie gehören. Nach § 22 erhält eine gemeinsame göttliche Ursache die endlichen Substanzen und begründet damit deren Gemeinschaft durch influxus physicus. Eine solche Verknüpfung ist die harmonía generaliter stabilita. Das impliziert, daß jede Substanz an sich eine Harmonie ihrer Teile enthält, die bei einem Lebewesen organisch sein muß. Ein solcher Organismus ist die menschliche Erkenntniskraft, in der Sinnlichkeit und Verstand zwar voneinander verschieden, aber dennoch aufeinander eingespielt sind. Davon zeugt die doppelte Beziehung des Verstandes auf die reine Anschauung und die Erscheinungen. Mit seinem usus logicus arbeitet dieser das Anschauliche zum Begriff und Urteil um und mit seinem usus realis leitet er die Synthesis der Einbildungskraft bei der Erzeugung von sinnlichen Bildern, die dem reinen Begriff entsprechen, während diese Synthesis die Erwerbung des reinen Begriffes ermöglicht und die Subsumtion des Sinnlichen unter den reinen Begriff vermittelt (vgl. V. Abschnitt). 2. Eine andere Seite der Wolffschen Auffassung der Seele ist, daß sie als Kraft der Ursprung aller ihrer Veränderungen ist. Diese These, die mit der gegenseitigen Abgeschlossenheit der Monaden bei Leibniz völlig übereinstimmt, ist bei Wolff schon dadurch abgeschwächt, daß er auf diese Abgeschlossenheit verzichtet und den influxus physicus der Substanzen wieder einfuhrt. Schon in den Gedanken hatte Kant gezeigt, wie auf diesem Grunde die körperliche Substanz den Menschen affizieren und die Zustände seiner Seele verändern kann (§§ 5,6). Das impliziert nach der Nova Dilucidatio, daß die Seele ihre eigenen Vorstellungen nicht hervorbringt und daß sie unverändert bliebe, wenn sie nicht im Commercium mit anderen Substanzen wäre. Aus diesem Grunde kritisiert er ausdrücklich die Wolffsche Philosophie, insofern nach ihr "die einfache Substanz... aus einem inneren Grund des Wirkens heraus ständigen Veränderungen unterworfen" werde (2. Abschn. 1. dilucidatio), was eine Folge ihrer willkürlichen Definition der Kraft sei. Die Herkunft der Vorstellungen aus der Affektion durch andere Substanzen schließt ferner ein, daß die inneren Veränderungen der Seele das Vorhandensein dieser Substanzen implizieren (ebd. Usus AA I, 411-12). Aber das fuhrt nicht zur Ableitung aller Vorstellungen aus der sinnlichen Affektion. Gegenüber dieser Möglichkeit findet die Schrift über die negativen Größen, es stecke "etwas Großes" und "sehr Richtiges" in dem Gedanken Leibniz', daß die Seele, und zwar die "Denkungskraft", der Ursprung aller ihrer Begriffe sei, was freilich nur bei Gelegenheit der sinnlichen Affektion zum Vorschein komme (AA II, 199-200). Dieser Gedanke wird sich später wenigstens hinsichtlich der apriorischen Begriffe durchsetzen. 3. Zur Wolffschen Auffassung der Seele trug ferner der cartesianische Monismus bei, demgemäß sie res cogitans ist. Das ganze Subjekt ist demnach Denken, cogitare. Alle Arten von Vorstellungen und seelischen Tätigkeiten oder Affektionen sind
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zunächst nur als cogitationes (modi cogitandi) gewiß. Die sinnlichen Vorstellungen sind zwar von den Gedanken verschieden, aber sie sind im Grunde intellektuell. Genauer: Der Unterschied zwischen diesen zwei Vorstellungsarten besteht nur darin, daß die sinnlichen verworrene, undeutliche Gedanken, während die eigentlichen Gedanken deutlich sind. Kant wendet sich von dieser Lehre im Laufe der sechziger Jahre allmählich ab. Dabei mag er sich auf die scholastische scharfe Scheidung zwischen Wahrnehmung und Denken sowie auf die Angewiesenheit des Denkens auf die Gegebenheiten der Erfahrung stützen, die bei Wolff zum Teil noch weiterwirken. Erstens wertet Kant ab Anfang dieses Jahrzehnts die Leistungen der sinnlichen Erfahrung auf, indem er einsieht, daß die Existenz der Dinge sowie die kausale Verknüpfung und Entgegensetzung nur empirisch zugänglich sind und nicht im Denken (vgl z.B. R 3761, 3845). Zweitens sieht er schon in der Untersuchung (I) ein, daß die Unterscheidung Verworrenheit-Deutlichkeit unangemessen ist, wenn es gilt, den Unterschied zwischen Sinn und Denken zu bestimmen; denn es gibt geometrische Bilder, die völlig deutlich sind, während es sehr verworrene Verstandesbegriffe gibt. 4. Die Auffassung des Unterschiedes von Sinn und Denken als verschiedenen Niveaus von Verworrenheit und Deutlichkeit derselben Vorstellungen impliziert ferner, daß jene Vermögen miteinander so zusammenhängen, daß der Sinn unabgehobene sinnliche Ganzheiten offenbart, aus denen dann durch Analyse deutliche Vorstellungen zum Vorschein kommen. Die Seele hat damit hauptsächlich eine analytische, zergliedernde Tätigkeit. Selbst auf dem Niveau der verdeutlichten Begriffe verbindet bzw. trennt sie diese Vorstellungen in Urteilen auf Grund ihrer analytisch eingesehenen Identität. Die Anfang der sechziger Jahre sich anbahnende Entdeckung Kants, daß die Seele auch Verschiedenes verbindet oder trennt, macht dieser noetischen Auffassung ein Ende. Die Seele ist demnach nicht nur analytisch, sondern auch synthetisch. Von da an beginnt Kant zu untersuchen, welche ihre synthetischen "Ideen " und synthetischen Tätigkeiten (Synthesen) sind. Später wird er vertreten, daß das Synthetische in der Seele maßgebend ist und daß es sogar die Möglichkeit der Analysis gründet. Einige Reflexionen dieser Jahre enthalten zunächst Unterscheidungen oder Klassifikationen dieser Handlungen, z.B. der Vergleichung, Ableitung, Zusammennehmung, Koordination und Subordination (R 3717); des Setzens und Entgegensetzens (R 3753); der (synthetischen) Einheit in Handlungen des Vergleichens, Verknüpfens und Zusammennehmens (R 3899), des Verbindens (R 3913), des Verknüpfens je nach seiner subjektiven Quelle (R 3919) usw. Diese Synthesen spielen sich nicht nur auf der Ebene des Urteils, sondern auch als Koordinieren in bezug auf Räumliches oder als Subordinieren der Erscheinungen ab. Diese letztere Synthesis wird in der Dissertatio der Einbildungskraft zugeteilt, die, wie gesagt, nach den Kategorien sinnliche Gebilde konstituiert und damit zugleich sowohl die Erwerbung der Kategorien als auch die
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Subsumtion des Sinnlichen unter die Kategorie ermöglicht. Damit kommt die kritische Lehre von der Einbildungskraft allmählich zum Vorschein. Bei dieser Entdeckung der synthetischen Erkenntniskraft geht Kant zweifellos von der bisherigen Psychologie und Logik aus, die er aber mit seinem phänomenologischen Blick und unter der Leitung einer neuen Idee des Subjekts frei benutzt. 5. Diese Entdeckungen Mitte der sechziger Jahre führen, wie oben erörtert, zu der Einsicht, daß gewisse synthetische Begriffe, die eigentlich die formalen Gründe der Vernunfturteile über die Erfahrungsdinge sind, nicht durch die Erfahrung gegeben sind und daß ihre Synthesis nicht analytisch auf eine Identität zurückgeführt werden kann. Sie sind subjektiv: Sie gehören nicht zu den Dingen selber und entspringen deshalb vielmehr aus der Vernunft. Sie sind a priori in dem neuen, Leibnizschen Sinne dessen, was aus dem Subjekt entspringt. Damit wendet sich Kant implizit von der Wölfischen Auffassung der Seele ab, nach der sie alle ihre Erkenntnisse aus der sinnlichen Erfahrung abstrahiert, und entdeckt das Subjekt als einen eigenen Ursprung von synthetischen "Begriffen". Diese Entdeckung geschieht zu derselben Zeit, in der Kant einsieht, daß es unmöglich ist, die Philosophie in der Erkenntnis von Wesensmöglichkeiten und in Gott zu gründen und daß sie sich in der Dimension der menschlichen Erkenntnis halten und die synthetische Vernunft zu ihrem Thema machen soll. Die genannte Entdeckung fuhrt sofort zu weiteren Fragen. Wie können diese Begriffe aus der Vernunft oder dem Verstand entspringen? Ist die Vernunft als Ursprung eine einzige Quelle, oder zerfällt sie in verschiedene Vermögen? Wie werden diese Begriffe aus der Vernunft selbst erworben? Wie können diese Begriffe in bezug auf die Dinge wahr sein? 6. Die Entdeckung des Begriffes der reinen Anschauung und ihrer neuen Differenz zum Denken erfolgt gewiß ab 1768, aber sie wird bereits seit Anfang der sechziger Jahre nach und nach vorbereitet. In der Untersuchung (I, §§ 1-2) zeigt sich der Unterschied zwischen Einzelnem und Allgemeinem in der verschiedenen Erkenntnisart von Mathematik und Philosophie, dergemäß jene, ζ. B. die Geometrie, ihren Begriff durch eine Synthesis erzeugt, die die entsprechende Figur in concreto, d.h. im Einzelnen produziert, während die Philosophie ihre Begriffe in abstracto behandelt. Wenn Kant dann sieht, daß Raum, Zeit und Kraft (Ursache-Wirkung) synthetische Ideen der Vernunft sind (R 3716), unterscheidet er gemäß der offensichtlichen Differenz zwischen Erfahrung und Urteil jene sofort als principia der Form aller Erfahrungen von der Kraft als principium der Form aller Vernunfturteile a posteriori (R 3717). Für die weitere Geschichte des Raumbegriffes ist ferner die Einsicht in ein neues Verhältnis von Allgemeinem und Partikulärem von Belang, die Kant damals in einem anderen Felde gewinnt. Nach seiner Selbstkritik an dem Gottesbeweis des "einzigen Beweisgrundes" gelangt er zu der Auffassung, daß Gott die intensive Ganzheit der realitates ist, von der die realitates der endlichen
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Dinge nur Einschränkungen sind (vgl. z.B. R 3811, 3727, 3776, 3889).44 Das fuhrt zunächst zu einer neuen Idee der göttlichen Erkenntnis, der gemäß diese nicht wie für Leibniz in der Intuition als einem gänzlich deutlichen Denken aller realitates besteht, sondern im deutlichen Denken dieser Ganzheit, also eines Singulären. Damit wandelt sich zunächst diese Intuition (Anschauung) zur begrifflichen Vorstellung eines Einzelnen (R 4270, 4347). Andere Reflexionen zeigen, daß Kant auch beginnt, die endlichen Räume als Einschränkungen des ganzen Raumes aufzufassen, welcher deshalb das einzelne Objekt eines "intuitiven Begriffs" ist.45 Gegenüber der bisher üblichen A u f f a s s u n g des Begriffs als distributiver Allgemeinheit kommt damit ein kollektives Allgemeines zum Vorschein (vgl. R 3936, 4169), das alle seine einzelnen Teile in sich enthält und daher von diesen nicht abhängt, sondern vielmehr als ihre Bedingung "absolut" ist. Die oben besprochene Schrift über die Gegenden im Räume demonstriert vor allem diese Absolutheit des ganzen Raumes, von dem jeder Einzelraum nur ein Teil ist. Damit ist die Bezeichnung des Raumes als Intuition gerechtfertigt, und das fuhrt zugleich zu einer neuen Wandlung des Wortes "Intuition" oder "Anschauung", das noetisch zunächst einen "intuitiven Begriff' eines Singulären bedeutet hatte.46 Da nämlich der Raum kein distributiver Begriff ist und außerdem Richtungsunterschiede enthält, die nicht begrifflich erklärt werden können, wird fortan der Raum als Anschauung und mit ihm die sinnliche Anschauung überhaupt als Vorstellung von Einzelnem zum Gegensatz des Begrifflichen. Von hierher muß korrelativ der Begriff primär als Vorstellung des Allgemeinen bestimmt werden. Das läuft auf eine neue Bestimmung der Differenz von Denken und Sinnlichkeit hinaus, die sie als "andere", eigenständige Erkenntnisquellen des Subjekts anerkennt. Diese Andersheit von Denken und Anschauung ersetzt fortan den genannten intellektualistischen Monismus. Das Subjekt ist dann weder eine einzige Kraft, noch besteht es in verschiedenen Kräften, die aber im Grunde nur graduelle Abwandlungen des Denkens wären, sondern es ist primär die Zweiheit von Denken und sinnlicher
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Vgl. J. Schmucker, Kants vorkritische Kritik des Gottesbeweises, 65 ff. sowie oben Anm. 17. Raum und Zeit sind tota analytica (R 3789) und können durch eine divisio idealis geteilt werden (R 3791). Nach R 3886 ist der Raum eine absolute Größe, das Größte, das die data zu allen möglichen Raumgestalten enthält (vgl. auch 4119 u. 4247). Jeder Raum liegt in einem Raumganzen (4071 ). Die philosophische Erkenntnis der Größen erfolgt durch Einschränkung dieses totum (4123). 46 Für die skizzierte Deutung der Herkunft dieses Anschauungsbegriffes aus der göttlichen Intuition spricht die Art, wie Kant sie noch in der Dissertano bezeichnet. Nach R 3955 gibt es unter den reinen Erkenntnissen "conceptus singulares und [die] heißen intuitus puri". R 3957 unterscheidet auch zwischen anschauenden Begriffen (Raum und Zeit) und Vernunftbegriffen. R 4073: "Conceptus vel sunt intuitivi vel reflexi... Spatium et tempus sunt conceptus intellectus puri". R 4 1 8 8 : "Der Raum ist kein allgemeiner, sondern einzelner Begriff'. Eine Folge davon ist, daß alle unmittelbaren Erkennmisse von Einzelheiten, d. h. auch die Empfindungen, Anschauungen sind. R 4 0 7 3 : Die intuitiven Begriffe sind "vel intuitus sensitivi vel intuitus puri". R 3954: "vor den intuitiven Begriff», d. h. für die empirische Anschauung der Sukzession. Vgl. ferner die Dissertatio § 10: "per (conceptum) singularem in concreto" und § 15 C: Der Raum ist ein "conceptus singularis".
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Anschauung. In der Dissertatio, die auf diesem neuen Grandunterschied aufbaut, ist dieser freilich primär auf die Differenz von Dingen an sich und Phaenomena bezogen, aber seine Beziehung auf Allgemeines und Einzelnes ist das Entscheidende und dasjenige, was davon noch für die KrV gültig bleibt. Erst auf Grund dieser Entscheidungen kann Kant zur Idee der Erkenntnis als Verbindung von Denken und sinnlicher Anschauung gelangen, die zwar zunächst in der Dissertatio auf die Erfahrung des Sinnlichen beschränkt bleibt, aber nach 1772 ins Zentrum rückt. 7. Mit der Auffassung der Differenz von Denken und sinnlicher Anschauung kommt auch eine neue Bestimmung der Differenz von menschlicher und göttlicher Erkenntnis und damit die Endlichkeit des menschlichen Subjekts überhaupt zum Vorschein. Für Baumgarten besteht der Unterschied beider noch darin, daß die menschliche Erkenntnis sowohl verworren ( Metaphysica, §§ 521-22) als auch deutlich, d.h. intellektuell (§ 624) sein kann, während Gott nur intellektuell, und zwar in der höchsten Weise, d.h. intuitiv, erkennt: "Cum deus signata omnia distinctissime cognoscat, habet omnium intuitus" (§ 871). Das ist auch die anfangliche Auffassung Kants (vgl. Dilucidatio, AA I, 391, 400-01, 406-7). Im Laufe der sechziger Jahre wird dann für ihn die göttliche Erkenntnis infolge der Wandlung des Gottesbegriffes zu einem Denken, das das singulare Ganze aller realitates deutlich erfaßt. Daher ist diese Erkenntnis "anschauend und eine Idee" (R 4270, vgl. 4347!). Diese Lehre, die, wie soeben gesagt, eine Station des Weges zur Wandlung des Intuitionsbegriffes und zur Entdeckung der Differenz von Denken und sinnlichem Anschauen bildet, muß sich ihrerseits wandeln, wenn diese Differenz 1770 zum Vorschein kommt. Die Dissertatio denkt nämlich die göttliche Erkenntnis weiterhin als intellektuelle Anschauung, aber aus ihr ist die Deutlichkeit als Charakter des Intellektualen verschwunden. Sie ist eine solche Erkenntnis als unmittelbare Erfassung des singulären Ganzen der universalen realitates der Dinge an sich und muß demgemäß zugleich Anschauen und Denken sein. Diese realitates sind aber keine endlichen Begriffe, die von unabhängigen Dingen abstrahiert und von ihnen abgetrennt wären. Da Gott ein Urwesen ist und in keiner Hinsicht von einem anderen Seienden abhängig sein darf, muß sein Denken dieser realitates in bezug auf die einzelnen Dinge schöpferisch (originarius) sein. Deshalb bezieht es sich direkt, d.h. anschauend, auf das Ganze der Dinge, indem es sie erschafft. Daher müssen wiederum Anschauen und Denken in Gott identisch sein. Die Dissertatio bestimmt das Wesen der menschlichen Erkenntnis in Abhebung von der göttlichen, weil nach dieser Schrift Gott ein Maximum der Realität ist, an dem das Was-Sein jedes endlichen Seienden, auch der menschlichen Erkenntnis, gemessen werden muß (§ 9). Im Vergleich zur Unendlichkeit der göttlichen Erkenntnis, die die Identität von Anschauen und Denken erforderlich macht, besteht die Endlichkeit der menschlichen Erkenntnis in der Zweiheit beider. Als endliches Seiendes muß der Mensch eine "abgeleitete", nicht schöpferische Erkenntnis haben,
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und dies ist nur möglich, wenn sein Denken von Allgemeinheiten nicht die einzelnen existierenden Dinge anschaut bzw. wenn sein Anschauen nicht schon die realitates der Dinge denkt. Unsere Endlichkeit erschöpft sich nicht und besteht nicht primär in der Rezeptivität der sinnlichen Anschauung, wie Heidegger meint 47 , denn unser Denken ist so endlich wie diese Anschauung. Früher als die besondere Begrenztheit eines jeden von ihnen ist ihre Zweiheit.48 Die Identität von Denken und Anschauen in Gott ist keine bloße Kombination unserer gleichnamigen menschlichen Kräfte, denn ihre Identität macht sie zu etwas, das mit unseren Erkenntnisweisen kaum mehr zu vergleichen ist. 8. Die neue Auffassung von Gott, zu der Kant gegen Mitte der sechziger Jahre gelangt, bringt, wie gesagt, die Entdeckung einer kollektiven Allgemeinheit, eines "intuitiven Begriffes", mit sich, der sich von dem distributiven Begriff klar unterscheidet. Eine solche Allgemeinheit wird zunächst der Erkenntnis Gottes und dem von ihr Erkannten zugesprochen. Sie erfaßt unmittelbar ein absolutes Ganzes aller realitates und der nach ihnen entspringenden Dinge. Dieses angeschaute Ganze der realitates wird von Kant Idee genannt, gemäß dem traditionellen Gebrauch dieses Wortes für die göttlichen Vorstellungen. Dasselbe Verhältnis zwischen ursprünglichem Ganzen und seinen Teilen erblickt er aber fast gleichzeitig bei dem Raum und den Räumen. Von hierher geht dann, wie gesagt, die Konstitution des Begriffes der reinen Anschaung und der sinnlichen Anschauung überhaupt aus. Auf der anderen Seite stößt Kant damals auf ähnliche Ganzheiten bei den Antinomien, die aus der Anwendung der synthetischen Begriffe auf die Erfahrung entstehen. Die eine Seite dieser Widersprüche betrifft nämlich die absolute Ganzheit 49
einer synthetischen Reihe, die durch ein erstes Glied abgeschlossen ist. Hier sind Ende der sechziger Jahre zwei Bereiche sichtbar: die endlichen Erfahrungsreihen und die Ganzheit des Erfahrbaren. In der Dissertatio streift Kant diesen Unterschied, wenn er sagt, daß die reinen Grundsätze des Verstandes (unter ihnen vermutlich der Grundsatz der Kausalität) auf ein Urbild hinauslaufen (exeunt), "das nur mit dem reinen Verstände begriffen werden kann und das in Ansehung der Realitäten das gemeinsame Maß alles anderen ist" (§ 9).50 Ein solches "Hinauslaufen" spielt nicht nur auf die Verwurzelung der reinen Begriffe in den realitates Gottes an, sondern vermutlich auch auf den Rückgang zur ersten Ursache, zu der der Grundsatz der Kausalität antreibt. Obwohl diese Stelle das Erkennen dieser Idee noch dem 47
Kant und das Problem
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Vgl. unten § 3 9 eine ausfuhrliche Darlegung der logischen Formen der menschlichen Erkenntnis aus dem Wesen ihrer Endlichkeit. Vgl. R 3936,3954,4169. J. Schmucker interpretiert die Idee oder das Ideal Gottes als eine b l o ß subjektive Vorstellung d e s Subjekts und nicht als Erkenntnis eines Seienden an sich (vgl. Kants vorkritische Kritik.., Kap. 4). Aber Kant nennt im § 9 der Dissertatio dieses Urbild die Vollkommenheit als Noumenon. Gott ist femer nicht nur als Ideal der Vollkommenheit principium cognitionis aller endlichen Seienden, sondern auch als real existierend principium fiendi schlechthin aller Vollkommenheit (a.a.O.). Gott ist damit
49 50
der Metaphysik,
§§4-5.
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Sein und Subjektivität bei Kant
Verstände zuschreibt, legt sie schon die Unterscheidung zwischen Begriffen und Ideen nahe, die zusammen mit der logischen Differenz von Urteilen und Schließen zu der endgültigen Unterscheidung von Verstand und Vernunft führen wird. 9. Kants Schema und der Schematismus entfalten sich von der Lehre der genetischen Definition her, die zunächst in der neuzeitlichen Mathematik zum Vorschein kommt und dann von Hobbes, Spinoza, Tschirnhaus, Leibniz und Wolff philosophisch konzipiert wird. 51 Sie definiert einen Begriff durch die Angabe einer Regel, um einen Einzelfall des Begriffes (z.B. eine geometrische Figur, eine Zahl oder einen nicht mathematischen Sachverhalt) zu erzeugen. Leibniz faßt sie als ein Verfahren, sowohl die Möglichkeit eines Begriffes (Wesens), d.h. die Verträglichkeit seiner Merkmale, als auch die Möglichkeit der Existenz des entsprechenden Seienden zu beweisen. 52 Bei Wolff hat die genetische Definition eine ähnliche Funktion. Kant rezipiert die Idee der genetischen Definition zwar bei W o l f f , aber er gibt ihr von Anfang an eine neue Wendung, indem er sie in seiner Untersuchung (1764) als die Erkenntnisart der Mathematik auffaßt und sie damit zur Basis der Unterscheidung dieser von der Philosophie macht - eine Unterscheidung, die sich fortan bei ihm durchhält (vgl. KrV, Methodenlehre, A 712 ff.) Im Gegensatz zum philosophischen Satz faßt die Untersuchung die mathematische Definition dabei zugleich als eine willkürliche Synthesis von Begriffen auf ( § § 1 , 3), aus der der definierte Begriff allererst entspringt. Durch die Entfaltung der Problematik der Synthesis und die Entdeckung der reinen Anschauung in den sechziger Jahren wandelt sich dann diese Definition in der Dissertatio weiter zur Synthesis eines Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung. Obwohl diese Schrift nicht von "genetischer Definition" oder "Schema", sondern nur von "sinnlicher Bedingung" (z.B. §§ 25, 26) redet, bezeugt sie die Ausdehnung desselben Sachverhalts über den Bereich des Mathematischen hinaus auf die reinen Verstandesbegriffe. Wie unser voriger P a r a g r a p h gezeigt hat, ist die S y n t h e s i s ( B e i o r d n u n g ) der mannigfaltigen Einheiten in der Anschauung das Verfahren, den reinen Begriff der Größe deutlich zu erkennen (§ 28), d.h. ihn zu definieren und zugleich zu erwerben. Die "Schemata" sind die Bedingungen, unter denen diese Begriffe sinnlich erkannt werden (§§ 24, 25). Aus ihnen entspringt der Begriff selbst, bzw. er wird dabei gebildet (§§ 23, 26). Neben der bisher erkannten definitorischen Leistung des "Schemas" faßt es die Dissertatio als die "conditio sensitiva" auf, "unter der allein die Anschauung eines Gegenstandes möglich ist", und als die sinnliche B e d i n g u n g der Möglichkeit der " S u b s u m t i o n irgendeines v o r k o m m e n d e n
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nicht eine bloß subjektive Vorstellung, sondern ein an sich Existierende und wird durch diese Idee erkannt, was eben eine Leistung des usus realis des Verstandes ist. Über diese Entwicklung bei Hobbes, Spinoza und Tschirnhaus vgl. E. Cassirer, Das Erkenntnis problem, 11,48 ff., 85 ff., 191 ff. Vgl. Nouveaux Essays, III, 3, §§ 15 f. Dazu A. Gurvitsch, Leibniz, 57 ff. Vgl. Wolff, Logica §§ 195-96, Ontologia § 92. Dazu: Honnefelder, Scientia transcendens, 307-8,336 f.
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Gegenstandes unter einen gegebenen Verstandesbegriff" (§ 26). Dabei denkt Kant schon diese sinnliche Bedingung als eine synthetische Handlung (actio), die jeweils auf einem angeborenen Gesetz beruht (§ 8). Wie im vorigen Paragraphen gezeigt wurde, weist die Dissertatio das "Schema" schon der Einbildungskraft zu. In den folgenden Jahren scheint Kant diese Kraft aber aus den Augen zu verlieren, denn die losen Blätter des Duisburg'sehen Nachlasses aus dem Jahre 1775 nennen sie nicht ein einziges Mal, obwohl sie sich beständig mit der Synthesis der Apprehension und implizit mit dem Schema befassen. Dies ist an derjenigen Stelle offenbar, an der Kant bedenkt, was die beiden Extreme, Sinnlichkeit und Vernunft, verbindet, und an der er, ohne die Einbildungskraft zu nennen, den Verstand als Vermittler ansieht (AA XVII, 649). Der Schematismus wird dagegen gestreift, wenn Kant z.B. sagt, daß das sinnliche Objekt, das einem Begriff korrespondiert, gewisse sinnliche Bedingungen der Ausführung dieses Begriffs in concreto enthält, z.B. die Stellungen der Erscheinungen zueinander in Raum und Zeit. Daher muß der Begriff "Triangel" auch in concreto, in seiner Konstruktion, betrachtet werden (ebd. 671, vgl. auch 664 zu den Bedingungen der Subsumtion). Nach diesen Vorbereitungen ist es also nicht verwunderlich, wenn gegen Ende dieses Jahrzehnts die Lektüre der Versuche Tetens' (1778) Kant dazu inspiriert, die Einbildungskraft wieder zum Thema zu machen und sie sogar ins Zentrum seiner subjektiven Deduktion A zu rücken. 53 Ein Passus der A>F bezeugt noch die Herkunft des Schemas aus der genetischen Definition. Wie Leibniz und Wolff unterscheidet Kant A 241-42 zwischen der Nominal- und der Realdefinition. Jene erklärt einen Namen durch andere, verständlichere Wörter und macht so einen Begriff deutlich. Die Realdefinition leistet nicht nur dies, sondern zeigt auch die objektive Realität des Begriffes, indem sie ein klares Merkmal gibt, an dem die Sache klar erkannt werden kann, und ermöglicht so die A n w e n d u n g des B e g r i f f s . Die m a t h e m a t i s c h e n Erklärungen sind Realdefinitionen, insofern sie den Gegenstand des Begriffes in der Anschauung darstellen. Wir definieren z.B. den Kreis durch die Regel der Konstruktion desselben, d.h. durch das Schema. Der Kontext zeigt auch, daß die Realdefinition der Kategorien nur durch die transzendentalen Schemata möglich ist, insofern sie die reale Möglichkeit dessen dartun, was die Kategorien meinen, und nicht bloß die logische Möglichkeit desselben (vgl. A 244 und Β 303 Anm., sowie die JäscheLogik § 106). In der Dissertatio ist das Schema schon gesehen, aber sein Name fehlt noch. Daval (1951, S. 6-8) macht darauf aufmerksam, daß in der philosophischen und religiösen Literatur der Zeit das Wort "Schema" u.a. die sinnliche Erscheinung eines Nichtsinnlichen bedeutet. Damit stimmt R 5612 (1778-79?) überein: Unsere 53
Über den Zusammenhang von Einbildungskraft und Kategorien in Texten dieser Zeit ( 1779-81 ) vgl. unten § 22. Vgl. W. Carl, Der schweigende Kant, 74 ff. zum Duisburg sehen Nachlaß und zu Texten der späten siebziger Jahre.
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Handlungen als sinnliche Erscheinungen unseres intelligiblen Charakters sind Schemata, denn das Wort "Erscheinung" "bedeutet schon Schema". Im Schematismus-Kapitel sagt Kant einmal: "Daher ist das Schema eigentlich nur das Phänomenon, oder der sinnliche Begriff eines Gegenstandes, in Übereinstimmung mit der Kategorie (Numerus est quantitas phaenomenon ...)". Schon in der Dissertalo ist vom Räume als Phänomen der Allgegenwart Gottes und von der Zeit als Phänomen seiner Ewigkeit die Rede (§ 22 Scholion). 10. Zunächst unterscheidet Kant nicht zwischen innerem Sinn und Apperzeption. In der Mitschrift Herders der Kantischen Vorlesung über Metaphysik (von 176264) findet sich: "Das bewustseyn - der innere Sinn - " (AA XXVIII, 901). Diese frühe Auffassung ist auch in R 4234 (gegen 1769-70) gut belegt: "Eigentlich läuft aller Beweis von der einfachen Natur der Seele darauf hinaus, daß sie eine unmittelbare Anschauung seiner selbst durch die absolute Einheit Ich sei, welcher der singularis der Handlungen des Denkens ist!" Daher sind die Vorstellungskraft und das Begehrungsvermögen dem inneren Sinne gegeben (R 3957). Das "Ich ist die Anschauung einer Substanz" (R 4494), ja, der Ursprung des Substanzgedankens, den wir von uns her den Sinnendingen beilegen (vgl. R 3921, 4058). Die losen Blätter des Duisburg'schen Nachlasses (AA XVII, 643 ff.) zeigen, daß Kant gegen 1775 einen weiteren Schritt auf diesem Wege einer Unterscheidung tut. Er bestimmt einerseits die Apperzeption weiterhin als Selbstwahrnehmung und Selbstempfindung und daher als inneren Sinn. Das geschieht wohl, weil er an dem anschaulichen Charakter dieses unmittelbaren Selbstbewußtseins festhält. Zum anderen ist er zugleich unterwegs zu einer Umdeutung desselben, insofern er die Apperzeption als ein Bewußtsein auffaßt, das auf alle Erkenntnisse geht, sogar auf Verstand und Vernunft (651). Er bezeichnet sie als eine Selbstempfindung des denkenden Subjekts. Wie schillernd diese Auffassung manchmal sein kann, bezeugt eine Stelle auf S. 668: "Das intellektuelle der Wahrnehmung geht auf die Kraft des inneren Sinnes" (Hervorh. Vf.). Eine andere Stelle gründet die Apperzeption auf die Einheit des denkenden Subjekts (651). Auf dieser Basis sieht Kant vermutlich später ein, daß dieses Selbstbewußtsein nicht sinnlich sein kann und vom inneren Sinne unterschieden werden muß (vgl. unten § 16 F). Zum anderen bezeugen dieselben losen Blätter, daß Kant zu dieser Zeit die intellektuelle Leistung dieser sinnlichen Apperzeption entdeckt. Da das Subjekt eine Einheit ist, ist die Apperzeption auch ein Bewußtsein des identischen Selbst. Da sie andererseits Bewußtsein der mannigfaltigen Vorstellungen ist, enthält sie den Grund einer Vereinigung dieser Vorstellungen im Bewußtsein, und zwar auf bestimmte Weisen (durch bestimmte Funktionen oder Regeln), die die reinen Verstandesbegriffe sind. Daß diese Einheit substantiell ist, sagt Kant nicht ausdrücklich. Aber man darf annehmen, daß es damals für ihn so ist, denn die Metaphysik-Vorlesung L-l, die wahrscheinlich zwischen dem WS 1777-78 und
Konstitution des Kantischen Subjektsbegriffes
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dem WS 1779-80 gehalten wurde, faßt das Ich noch als das Objekt des inneren Sinnes und die Seele als denkende Substanz auf (AA XXVIII, 224 ff.). 54 Zur Lehre der Paralogismen stößt Kant also kurz vor der Niederschrift der KrV vor. Diese Lehre setzt die vorangehende Entdeckung voraus, daß die Apperzeption ein Selbstbewußtsein des Denkens und nicht der innere Sinn ist. Denn solange Kant noch an der rationalistischen These festhält, daß die Seele als Substanz der inneren Anschauung gegeben ist, bleibt die Lehre, daß die Apperzeption sinnlich ist, unanfechtbar. Wenn die Apperzeption dagegen intellektuell ist, dann entspringt der Verdacht, daß diese These dialektisch sein kann. Wie kommt aber Kant zur ersten Einsicht, daß die Apperzeption intellektuell ist? Vermutlich auf dem angedeuteten Weg: Die Apperzeption kann nicht das Bewußtsein der intellektuellen Handlungen und Begriffe sein, wenn sie sinnlich ist. Wenn die Einheit der Apperzeption ferner der Grund der notwendigen synthetischen Einheit der Erfahrung und des Gegenstandes sein soll, dann kann sie keine Gegebenheit des inneren Sinnes sein. *
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Die vorangehenden Bemerkungen skizzieren den Weg, auf dem sich die Kantische Idee der Subjektivität konstituiert und sie ermöglichen wenigstens den Ansatz einer Auseinandersetzung mit den Deutungen dieser Idee. Gewöhnlich glaubt man, daß diese Idee die damalige empirische oder rationale Vermögenspsychologie einfach fortspinnt. In Auseinandersetzung mit der empiristisch-anthropologischen Deutung der Kritik durch Fries und Herbart vertreten Cohen und nach ihm der Neukantianismus dagegen die These, daß Kant seine "transzendentale Psychologie" regressiv aus dem Faktum der Wissenschaft und als Bedingung der Möglichkeit dieser konstruiert habe. Husserl, der dieser These zustimmt, gesteht zugleich dieser "Psychologie" echte phänomenologische Einsichten zu.55 Die vorangehende Skizze zeigt vielerlei. Erstens geht Kant natürlich von den Auffassungen über die Seele aus, die sowohl von der Scholastik als auch hauptsächlich von der modernen empirischen und rationalen Psychologie, insbesondere von Wolff, vertreten werden. Zweitens wendet er sich fast von Anfang an von Wolff ab, indem er einerseits g e w i s s e E n t s c h e i d u n g e n d e s s e l b e n e i g e n s t ä n d i g fortentwickelt und radikalisiert - vor allem, weil er andererseits die Einwände von Wolffs Kritikern, besonders von Crusius, annimmt und weiter entfaltet. Drittens konstituiert sich die kantische Auffassung von der Subjektivität nicht, wie man glauben könnte, in einer primär auf diese bezogenen Meditation, sondern oft als Folge von Entdeckungen und Entscheidungen Kants in anderen Bereichen der
54 55
Die Datierung dieser Vorlesung ist von W.Carl a.a.O. 117-18 plausibel gemacht. Vgl. unten den Anhang zu § 17.
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Metaphysik, wie der Ontologie (vgl.die vorangehenden Nummern 1, 2, 5, 6), die Kosmologie (vgl. Nr. 6, 7) und die Theologie (vgl. Nr. 3, 6, 7). Einige Entscheidungen über das Wesen des Subjekts kommen zwar aus dem Gebiet des Erkenntnisphänomens oder aus der Logik (vgl. Nr. 3, 4, 5, 8, 9), aber dabei geht Kant nicht einfach von faktisch gegebenen Wissenschaften zu ihren Bedingungen zurück, sondern er kommt in der Bewegung seines gesamten Philosophierens zu Deutungen der Erkenntnis oder seines Objekts, die auf die Bestimmung der Seele zurückwirken. Dabei nutzt er schöpferisch die Lehren der vorherigen Psychologie aus und vertieft sie mit phänomenologischem Blick.
§ 6. Der zweifache Weg zur Kategorientafel Schon in der Untersuchung (I. § 3) von 1763 gibt Kant als Desiderat an, ein System der materialen Grundsätze der Erkenntnis zu haben, was zugleich ein System der ersten einfachen Begriffe impliziert, die solche Urteile konstituieren. Die gleichzeitige Entdeckung der synthetischen Erkenntnis führt ihn in seinen Reflexionen dazu, die synthetischen Vernunftbegriffe zu entdecken. Die ersten, die er anführt, sind die Begriffe von Raum, Zeit und Kraft (Ursache, R 3716-17). Später kommen nach und nach die wichtigsten Begriffe der Metaphysik hinzu. Zwei Reflexionen (3927, 3930), die Adickes gegen 1768-70 datiert, enthalten die ersten Listen von solchen Begriffen, aber ohne irgendeinen Versuch, sie zu klassifizieren. So führt R 3930 folgende Bestimmungen an, die zum ersten Mal als "reine Verstandesbegriffe" bezeichnet werden: Dasein, Möglichkeit, Notwendigkeit, Grund, Einheit, Vielheit, Ganzes und Teile (Alles, Keines), Zusammengesetzes und Einfaches, Raum, Zeit, Veränderung (Bewegung), Substanz und Akzidenz, Kraft und Handlung, "und alles, was zur Eigentlichen ontologie gehöret". Obwohl hier schon viele der späteren Kategorien und Prädikabilien angegeben sind, fehlt noch jede Spur der künftigen systematischen Einteilung. Dagegen enthält die Reflexion 3927 einen ersten Versuch der Einteilung der Grundbegriffe in empirische und rationale und dieser wiederum in Begriffe der äußeren und inneren Gegenstände, aber diese Begriffe sind fast alle von den vorher genannten verschieden 56 und umfassen sowohl synthetische als auch analytische Vorstellungen. Was ist in einem solchen Unterfangen Kants impliziert? Was ist sein Ziel und sein Weg zu ihm? R 3927 erwähnt die "rationalen Grundbegriffe" und "die Grundbegriffe der synthesis". Gemeint sind damit also nicht alle Begriffe a priori der Vernunft, sondern nur die einfachen, ersten synthetischen Vernunftbegriffe,
56 Ein späterer Zusatz am Ende dieser Reflexion führt fast dieselben Begriffe wie R 3930 an.
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die allen anderen zugrunde liegen. Auf deren Basis könnte durch Kombination nach bestimmten Regeln ein System aller synthetischen Vernunftbegriffe errichtet werden. Dieses erste Ziel, das in der Untersuchung anvisiert wird, stimmt wenigstens teilweise mit dem systematischen Programm von Leibniz und Lambert überein. Wie die sukzessiven Versuche Kants bis zu seiner Kategorientafel zeigen, erstrebt er als weiteres Ziel, diese Grundbegriffe selbst als ein klassifikatorisches System zu entdecken. Es ist jedoch möglich, daß er Mitte der sechziger Jahre noch keine vollkommene Klarheit über dieses doppelte Ziel und alle seine Implikationen hat. Daß er diese Grundbegriffe entdecken will, heißt nicht, daß sie ganz unbekannt sind. Solche Begriffe gehören damals zum vertrauten Vorrat der Ontologie (R 3930), und es handelt sich vielmehr darum, zu entscheiden, d.h. auszuwählen, welche von ihnen die gesuchten Grundbegriffe sind. Dazu genügt nicht, bestimmte Begriffe auszuschließen, wie es am Ende der sechziger Jahre mit Raum und Zeit als reinen Anschauungen geschehen ist, denn dadurch weiß man nicht, welche der übrigbleibenden Verstandesbegriffe eben Grundbegriffe sind.57 Zu dieser Auswahl benötigt man ferner einen "Leifaden", um gerade diese Grundbegriffe auszuwählen, und dieser ist Kant seit Mitte dieses Jahrzehnts wenigstens im Umriß offenbar, denn aus den oben (§ 3) besprochenen Gründen sind die synthetischen Begriffe a priori subjektiv und müssen daher aus der Natur der menschlichen Vernunft entspringen. Es gilt deshalb, sie von diesem Vermögen her zu entdecken. Wie der Gang Kants zu seiner Kategorientafel zeigt, implizierte dieser Ansatz aber zwei Möglichkeiten. Die erste, die Kant ungefähr ab 1769 bis zur Mitte der siebziger Jahre ergreift, besteht in dem Versuch, die Grundbegriffe des Verstandes aus den Handlungen dieses Vermögens zu gewinnen. Wie die folgende Darlegung zeigen wird, kann Kant auf diesem Wege nicht zu seinem Ziel gelangen, und er muß in der ersten Hälfte der siebziger Jahre zum zweiten möglichen Weg übergehen. Diese Möglichkeit ist schon in den sechziger Jahren berührt worden, wie R 3927 zeigt, die die überraschende Einsicht registriert: "Durch die Natur des Verstandes, nicht abstrahendo, sondern iudicando entstehen Grundbegriffe der Synthesis". Daß es neben dem anderen noch diesen Ansatz gibt, beruht auf der zweifachen Leistung des Verstandes, die auch in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre in den Blick gekommen, aber dann in der Dissertatio nicht klar erörtert worden ist: Dieses Vermögen mit seinen synthetischen Begriffen kann nämlich entweder urteilen oder in die Synthesis der sinnlichen Erscheinungen eingreifen. Das Urteilen gehört
57 Zu dieser Ausgangssituation und der Auswahl der Kategorien vgl. H. Heimsoeth, "Zur Herkunft und Entwicklung von Kants Kategorientafel", in: Studien zur Philosophie Inmanuel Kants II, 109 ff. H e i m s o e t h verweist auch auf F. Delekat, I. Kant, Historisch-kritische Interpretation der Hauptschriften (Heidelberg, 1963).
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damals zur logischen Leistung des Verstandes und ist sogar in der Schrift über die "falsche Spitzfindigkeit" (1762) als die logische Hauptoperation desselben angesehen worden. Im folgenden soll anhand einiger charakteristischer Beispiele aus den Reflexionen zur Metaphysik dieser zweifache Weg Kants zu seiner Kategorientafel umrissen werden. Wie gesagt, R 3716 erwähnt Raum, Zeit und Kraft als die einzigen synthetischen Ideen der Metaphysik. Sie werden in R 3717 als Arten der Verbindung bestimmt, die neben anderen subjektiven Handlungen angeführt wird, nämlich neben Vergleichung, Zusammennehmung und Ableitung. Anscheinend teilt dieser Text Verbinden wiederum in Koordinieren (z.B. von Teilen des Raumes) durch den Verstand und Subordinieren (z.B. der Wirkung unter die Ursache) durch die Vernunft ein. Die Koordination ist der Ursprung der mathematischen Begriffe, welche nach R 3743 insgesamt synthetisch sind. Gegen 1768-70 kommen häufiger Reflexionen über dieselbe Frage vor. Die schon angesprochene Reflexion 3930 nennt die "reinen Verstandesbegriffe", die aus den Gesetzen dieses Vermögens, nach denen wir empirische Begriffe vergleichen, verbinden oder trennen, bzw. aus den so erzeugten empirischen Verhältnissen, abstrahiert werden. Aber wie die in diesem Text angeführten Begriffe in die drei Arten eingeteilt werden, wird dabei nicht berührt. Da diese Begriffe aus der Anwendung der genannten Gesetze auf die Empfindungen gewonnen werden, gehören die entsprechenden synthetischen Handlungen vermutlich dem Bereich der Einbildungskraft und nicht dem des Urteils an, wenn auch Kant damals einen solchen Unterschied nicht scharf gezogen hat. Obwohl die Reflexion 3941 künftige Kategorien, Prädikabilien, logische Formen sowie Raum und Zeit ohne Unterschied registriert, enthält sie einen Versuch einer Klassifikation der metaphysischen Begriffe, deren oberste Gattung "Verhältnis" zu sein scheint. Sie wird in fünf Arten eingeteilt: 1. Koordination (z.B. Ganzes, Teil, Kontinuum, Diskretum), 2.1ogische und 3. reale Subordination (AllgemeinesBesonderes bzw. Ursache-Wirkung), 4. Dasein (Notwendiges, Mögliches) und 5. Substanz (z.B. Subjekt-Prädikat). Ab 1769 bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts kommen in den Reflexionen häufiger strengere Klassifikationsversuche dieser Begriffe aus einer Grundhandlung des Verstandes vor. Den ersten solcher Versuche enthält die Reflexion 4155 (gegen 1769), die die metaphysischen Begriffe in 1) absolute und 2) respektive einteilt, womit auf den Unterschied zwischen absoluten und relativen Positionen angespielt wird. Die implizierte oberste Gattung ist demnach "Position". Daher gehören zur absoluten Position Möglichkeit und Existenz. Die relative Position gliedert sich dreifach: a) Einheit und Vielheit, Omnitudo und Partikularität; b) Grenzen. Diese ersten beiden Arten scheinen auf die (diskrete oder kontinuierliche) Quantität sowie auf ihre Grenzen oder die Abwesenheit von ihnen zu gehen. Die dritte Art c) ist die Verbindung, die weiter unterteilt wird: c. 1) Koordination (Ganzes-Teil,
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Einfaches-Zusammengesetztes) und c. 2) Subordination (Subjekt- Prädikat, GrundFolge). Wie und warum die relativen Positionen so untergliedert werden, bleibt dabei unklar. In der P e r i o d e 1770-71 sind die R e f l e x i o n e n 4 2 7 6 , 4 2 7 9 und 4 2 7 8 zu berücksichtigen. Die erste von ihnen ist besonders wichtig, denn sie definiert nicht nur den Terminus "Kategorie", sondern entfaltet auch eine Klassifikation, die sich in den nachfolgenden Versuchen durchhält. "Categorien sind die allgemeinen handlungen der V e r n u n f t , wodurch wir einen Gegenstand überhaupt (zu den Vorstellungen, Erscheinungen) denken. Aristoteles". Mit "Handlungen" meint dieser Text die Begriffe, die Produkte einer Tätigkeit des Verstandes sind, nämlich eher als diese Tätigkeit selbst. Die allgemeine Handlung des Verstandes ist implizit Thesis, d.h. das Setzen überhaupt, denn sie zerfallt in "3. Categorien. Thesis, Synthesis, Hypothesis", die weiter eingeteilt werden. Die Thesis im engeren Sinne fallt mit der absoluten Setzung zusammen: "Thesis: Possibile, actúale, necessarium cum oppositis" (AA XVII, 493). Daher muß man die nächsten zwei Klassen, Synthesis und Hypothesis, als relative Setzungen interpretieren, was in diesem Text implizit bleibt. Das Wort "subordinatio", das unter "hypothesis" hinzugesetzt ist, deutet in der Tat die Unterordnung der Wirkung unter die Ursache an. Die Synthesis entspricht ferner d e r " c o o r d i n a d o " , die in a n d e r e n R e f l e x i o n e n s c h o n a l s U r s p r u n g d e r mathematischen Begriffe gedacht wird. Daher findet sich S. 493: "synthesis: Quantitas". Diese Klassifikation kündigt schon drei Klassen des endgültigen Systems (Modalität, Quantität, Relation) an, und die erste von ihnen ist durch ihre drei Glieder bereits vollständig vertreten. Der g-Zusatz dieser Reflexion (S. 493, Z. 917) fugt hinzu, daß die drei genannten Kategorienklassen sowohl auf den Bereich der Begriffe (d.h. der Urteile) als auch auf den der Sachen bezogen werden - eine Bemerkung, die wohl zur Gedankenwelt der Dissertatio gehören mag. Die Reflexion 4288 versucht wieder, die drei absoluten Positionen auf drei setzende Vermögen zurückzuführen: Die Möglichkeit ist durch die Dichtungskraft, die Wirklichkeit durch den Sinn, die Notwendigkeit durch die Vernunft gesetzt. Inwiefern diese Begriffe doch zum Verstände gehören, bleibt im Text ohne Antwort. Unter den Reflexionen, die Adickes als Gruppe Ny gegen 1771 datiert, setzt R 4371 den logischen dem realen Gebrauch des Verstandes entgegen. Die Gattung der Klassifikation scheint jetzt "Verhältnis" zu sein, welches in logisches Verhältnis (der Unterordnung des Prädikats unter das Subjekt im Urteil) und reales Verhältnis ( z w i s c h e n D i n g e n ) e i n g e t e i l t w i r d , das K a n t h i e r " Z u s a m m e n o r d n u n g " (Koordination) nennt. Die realen Verhältnisse sind dann gemäß ihrem Ursprung in der Vernunft oder der Sinnlichkeit unterteilt. Aus der Vernunft entspringen synthetische Begriffe wie Substanz und Akzidenz, Grund (und Folge), Ganzes, d.h. Zusammengesetztes (und einfacher Teil). Neben ihnen erwähnt Kant hier
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Sein und Subjektivität bei Kant
Möglichkeit und Dasein als absolute Positionen. Vermutlich sind die vorher genannten Koordinationen relative Setzungen. R 4476 (um 1772) enthält eine umfassende Klassifikation der Kategorien, die eine Modifikation der vorangehenden ist. Die Gattung "Kategorie" wird in drei Arten eingeteilt, die vermutlich auf Handlungen des Verstandes zurückgehen: thesis, synthesis und analysis. 1. "Die Idee der Thesis: Realitas". Kant unterscheidet hier offenbar nicht die realitas, die er später (S. 566, Z. 10) der negatio entgegensetzt, also eine Qualität, von der eigentlichen (absoluten) Thesis, d.h. der Existenz. 2. Die Synthesis zerfällt in Substanz (und Akzidenz), Causatum (et Independens, d.h. Wirkung und Ursache) und Compositum (et simplex, beide etwa im dynamischen Sinne). 3. Die Analysis betrifft eine Handlung des Verstandes, die aus einem Ganzen durch Teilung die Einheiten eines Quantums erzeugt oder durch Herausheben die Qualitäten eines Dinges entdeckt. Daher umfaßt diese Klasse die Quantität (z. B. S. 566, Z. 3: Unum et plura usw.) und die Qualität (z.B. realitas, negatio). Damit wären in diesen drei Klassen von Verstandeshandlungen schon die künftigen vier Klassen von Kategorien anvisiert, aber noch ohne Klarheit betreffs der Glieder der Quantität und Qualität. Diese Reflexion bezieht ferner die Vergleichung, die Verbindung und das Verhältnis auf Quantitäten und Qualitäten, um daraus den Ursprung von Begriffen wie Idem et Diversum usw. zu erklären. Die vorangehenden Reflexionen spiegeln den Versuch Kants wider, den Ursprung der reinen Verstandesbegriffe aus den synthetischen Handlungen dieses Vermögens und sogar anderer Seelenkräfte zu erklären und zu klassifizieren. Diese Tendenz verschwindet faktisch nach und nach ab 1772, indem er dazu übergeht, das System dieser Begriffe vielmehr mit den Urteilsformen in Verbindung zu bringen. Wir registrieren zunächst diesen Übergang, um später am Schluß des Paragraphen den Sinn dieses zweifachen Weges zu erörtern. Kant sieht schon seit langem den Zusammenhang von Urteil und Kategorie, aber er erkennt ihm da noch nicht die führende Funktion zu. Wie gesagt, R 3927 (um 1768-70) enthält in einem wohl späteren Zusatz58 die Worte: "Durch die Natur der Vernunft, nicht abstrahendo, sondern iudicando entstehen Grundbegriffe der Synthesis". Später spricht R 4279 (um 1770-71) aus: "Alle Sätze praedicieren per thesin (wirklich, möglich, notwendig) oder per synthesin oder analysin". Diese Stelle scheint dieselbe Klassifikation der Kategorien wie R 4476 (um 1772) vorauszusetzen und betrifft vermutlich die Anwendung des Verstandes und seiner Kategorien auf den logischen Bereich der Begriffe und Urteile (vgl. R 4276, XVII 493, Z. 9-13). R 4371 faßt unter den Titel "Verhältnis" sowohl das reale als auch das logische Verhältnis zwischen Subjekt und Prädikat im Urteil, was einen noch unbestimmten Zusammenhang von Urteil und Kategorie andeutet. Dagegen behauptet die Reflexion 4389, daß die Kategorie der Möglichkeit von dem
58
Vgl. A A XVII, 3 4 9 , A n m . zur Zeile 22.
Entdeckung der Kategorientafel
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unbestimmten Urteil kommt, die des Daseins von den Bejahungen und die Notwendigkeit "von Bejahung durch Begriffe", aber diese Verknüpfung zwischen den modalen Kategorien und den Urteilen der Qualität läßt noch nicht die endgültige Lehre sehen. Die in diesen Reflexionen beschlossene Tendenz setzt sich aber seit 1772 nach und nach durch, während der Versuch einer Klassifikation der Kategorien aus den Handlungen der Seele allmählich verschwindet. In dieser Richtung weist die Reflexion 4493 (um 1772), nach welcher die schon anvisierten "realen" Relationen nur die "realisierten" logischen Verhältnisse von Subjekt und Prädikat, antecedens und consequens und der Allgemeinheit des Subjektsbegriffes (die hier der dynamischen Gemeinschaft der Substanzen entspricht) sind. Vier Reflexionen (4629, 4637, 4646 und 4696), die Adickes zur Phase Omicron (nach 1771 und vor 1776) rechnet, deuten eine Einteilung der Kategorien in drei Klassen (Quantität, Qualität, Position) an, zu denen in R 4645 implizit die Relation (Ursache, Inhärenz, Composition) hinzukommt. Unter diesen Texten faßt die Reflexion 4629 den realen Verstandesbegriff als "die Vorstellung, wodurch wir einem obiect seine eigenthumliche logische Stelle anweisen ... ", z.B. als Subjekt oder als consequens im Urteil. Nach R 4631 sind diese logischen Funktionen der Grund der Möglichkeit der Urteile. Diese Funktionen sind ihrerseits auf Grund von realen Funktionen möglich, die Kant folgendermaßen kennzeichnet: "Die reale function besteht in der Art, wie wir eine Vorstellung an und vor sich selbst setzen; also ist es eine Handlung (a priori), welche ieglichem dato (a posteriori) correspondirt und wodurch dieses zum Begriffe wird." Diese realen Funktionen sind dem Text gemäß Regeln, durch die wir den inneren Veränderungen (Empfind u n g e n ) ein O b j e k t b e s t i m m e n . D i e s e r Text sieht schon e i n e n i n n e r e n Zusammenhang von Urteilsform und Kategorie, wonach diese Grund von jener ist. R 4640 stellt ein letztes Beispiel für den Versuch dar, die Kategorien auf die s y n t h e t i s c h e n L e i s t u n g e n v e r s c h i e d e n e r S e e l e n k r ä f t e , vor allem auf die Einbildungskraft und den Sinn, zurückzufuhren. Aber R 4638 gelangt schon zu einer entscheidenden Klarheit über den Zusammenhang von Urteil und Kategorie: "Die bestimmte logische Funktion einer Vorstellung überhaupt ist der reine Verstandesbegriff." Die Kategorie ist also nicht bloß das, was den Vorstellungen ihren Ort oder ihre Funktion im Urteil anweist, wie in den Reflexionen 4629 und 4631, sondern sie ist diese Funktion selber. Der genannte Text deutet ferner den Weg an, auf dem Kant zu dieser Einsicht gekommen ist. Denken ist Urteilen. Da ein Objekt erkennen eine gewisse Art von Denken und also von Urteilen ist, müssen die Begriffe, die "die Arten, Gegenstände überhaupt zu denken, ausdrücken", "dasjenige in sich enthalten, was in den Urteilen relativ von zwei Begriffen auf einander gedacht wird." Jedoch scheint Kant dem noch nicht zu entnehmen, daß eine Tafel der Urteilsformen als Leitfaden zu einem System der Kategorien dienen könnte, vermutlich weil er damals noch nicht über eine solche Tafel verfügt, die von den
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Sein und Subjektivität bei Kant
Logikern allgemein akzeptiert wäre. Umgekehrt mag die Entdeckung eines solchen Zusammenhangs von Urteil und Kategorie und der Möglichkeit, über eine Tafel der Urteilsfunktionen zum System der Kategorien zu kommen, Kant vor die Aufgabe gebracht haben, als einen ersten Schritt zunächst einmal jene Tafel aufzustellen. Die Reflexionen, die nach der Datierung von Adickes später erfolgen, spiegeln diesen Weg nicht wider, es sei denn indirekt durch die Abwesenheit von Klassifikationen auf Grund der subjektiven Vermögen und durch Stellen über den Zusammenhang von Kategorien und Urteilsformen (vgl. R 4672, 4676, 4700, 4715). Wenn R 4759 (gegen 1775-1777) die Lösung der vier Antinomien erörtert und dabei das System der vier Klassen von Kategorien in seiner endgültigen Ordnung zugrunde legt, muß dieses System und mit ihm die Tafel der Urteilsfunktionen zu diesem Zeitpunkt schon fertig sein (vgl. auch R 4760, 4887, 5055). 59 Nachdem wir den faktischen Weg Kants zu seinem endgültigen System der Kategorien skizziert haben, gilt es nun, ihn weiter zu erklären, vor allem in Hinblick auf den Übergang von seiner ersten zu der zweiten Etappe. Da er diese Kategorien zunächst als subjektive Begriffe ansieht, versucht er, wie gesagt, von Anfang an, sie als die synthetischen Grundbegriffe aus der Vernunft oder dem Verstand und ihren subjektiven Handlungen zu entdecken. Diese Aufgabe steht so aber noch unter zwei Bedingungen. Um das gesuchte Ziel auf diesem Weg zu erreichen, ist es erstens nötig, über eine klare Idee des Verstandes zu verfugen, aus der man alle seine Handlungen ableiten könnte. Wenn diese Bedingung nicht erfüllt werden kann, muß man umgekehrt alle Handlungen des Verstandes bestimmen, um aus ihnen die gesuchte oberste Idee zu entdecken, aus der sie sich ableiten ließen. Aber sowohl diese als auch die andere Bedingung sind nicht leicht zu erfüllen. Die Diskussion um die mögliche Bestimmung einer Grundkraft aus den niederen Kräften, die schon die Vorgänger bewegt, wirft damals sicherlich auf diese Fragen ihre Schatten. 60 Außerdem ist Kant in den sechziger Jahren zu zwei Leistungen des Verstandes vorgestoßen, ohne sie zunächst klar voneinander zu unterscheiden. Die eine von ihnen betrifft den Eingriff des Verstandes in die Erfahrung mittels der Einbildungskraft. Die andere besteht im Urteilen. Kant versucht zu dieser Zeit zunächst, die Kategorien hauptsächlich aus den synthetischen Handlungen des Verstandes im Sinne jener ersten Leistung abzuleiten und zu klassifizieren. Diese Versuche zeigen gegen 1772, daß faktisch schon fast alle Klassen und Begriffe des künftigen Systems im Blick sind, daß aber jede dieser Klassifizierungen irgendwie beliebig ist und sich nicht durch ihre Klarheit und Notwendigkeit als die endgültige Einteilung durchsetzt. Sie erfüllen noch nicht die Erfordernisse eines Begriffssystems, die Kant aus der logischen Tradition und durch Lambert gut kennt.
59 60
Vgl. De Vleeschauwer, 1,217-250. Vgl. oben § 5 .
Entdeckung der Kategorientafel
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Die Entdeckung dieser Mängel, die Berücksichtigung der Erfordernisse eines Begriffssystems überhaupt sowie die gleichzeitige Einsicht, daß die Leistung des urteilenden Verstandes als Zugang zum gesuchten System der Kategorien dienen kann, führen ihn vermutlich dazu, den neuen Weg über die Urteilsfunktionen einzuschlagen. Da der Verstand nämlich ein einheitliches Vermögen mit zwei Leistungen ist, ist es möglich, daß die Funktionen, die eine der Leistungen regeln (vgl. R 4631), auch Gründe der anderen Leistung sind oder daß beide Leistungen in gemeinsamen synthetischen Funktionen gründen. Dieser neue Weg bedarf seinerseits eines Systems aller Urteilsfunktionen, aus denen man das Kategoriensystem ableiten könnte. Damals existiert aber nicht einmal eine von den Logikern einstimmig anerkannte Klassifikation der Urteilsformen, die auch für Kant als ein Begriffssystem gelten dürfte, sondern es gibt verschiedene Klassifikationsversuche. Da diese Klassifikationen aber von den Urteilen, d. h. von den leicht verfugbaren Produkten der Verstandesleistungen ausgehen, besteht hier die Hoffnung, von diesen Produkten und von den bisherigen Klassifikationsversuchen auf die Urteilsfunktionen zurückzugehen, um aus diesen zur obersten Idee dieses Systems aufzusteigen, d. h. um die Funktionen zu systematisieren. Nachdem die Tafel der Urteilsfunktionen fertig ist, ist es auch nicht schwierig, a u f g r u n d ihrer die K a t e g o r i e n von den übrigen o n t o l o g i s c h e n Termini zu unterscheiden und sie mit Gewißheit als ein System aufzustellen. Auf welche Weise Kant diese Tafel der Urteilsfunktionen errichtet, wird unten in § 8 im Zusammenhang mit der Kantischen Idee von System überhaupt erörtert. Mit dem Übergang von der einen zur anderen Etappe des skizzierten Weges entscheidet sich Kant zwar für die Tafel der Urteilsfunktionen als Zugang zum Kategoriensystem, aber er läßt deshalb den Ursprung dieser Begriffe aus der Natur des Verstandes nicht etwa fallen. Diese Entscheidung besagt vielmehr, daß er fortan den Verstand selbst als Ursprung anders bestimmt, eben als Vermögen zu urteilen. Zum anderen rückt damals die Frage nach dem subjektiven Ursprung der Kategorien in den Hintergrund, weil sich die Kritik primär mit dem Problem der Möglichkeit der objektiven Realität dieser Begriffe befassen soll. Aber da die transzendentale Deduktion eine vertiefte Analyse der subjektiven Vermögen verlangt, öffnet sich für Kant eine Dimension, in der er jene Frage wieder aufgreifen kann.
Zweites Kapitel Die metaphysische Deduktion und der Ursprung der Kategorien Gemäß ihrer Herkunft aus der scotischen Tradition in ihrer wölfischen Gestalt und infolge der Kantischen Aneignung dieser Überlieferung zielt die KrV auf eine Ontologie, deren transzendentale Bestimmungen aber Formen a priori der endlichen menschlichen Subjektivität sowie weitere Erkenntnisse a priori dieser Formen sind. Daher kann sich die Kritik nicht darauf beschränken, die höchsten Bestimmungen des Seienden aufzustellen und deren Begründung etwa in Gott zu suchen, sondern sie muß die Aufgabe übernehmen, das System dieser Bestimmungen aus dem Wesen der Subjektivität abzuleiten und die Möglichkeit ihrer objektiven Realität zu begründen. Die Transzendentalphilosophie wandelt sich damit zu einer Selbsterkenntnis der Subjektivität, die diese beiden Aufgaben erfüllen soll (vgl. A 11, Β 25, A 56-57). Zu der ersten von ihnen gehört die sogenannte metaphysische Deduktion der Kategorien.
§ 7. Was ist eine metaphysische
Deduktion?
Will man wissen, was für Kant "metaphysische Deduktion der Kategorien" besagt, so muß man von dem einzigen Passus der zweiten Auflage der Kritik ausgehen, der von ihr spricht: "In der metaphysischen Deduktion wurde der Ursprung der Kategorien a priori überhaupt durch ihre völlige Zusammentreffimg mit den allgemeinen logischen Funktionen des Denkens dargetan, in der transzendentalen aber ... " (B § 26). Was heißt hier "Deduktion"? Bedeutet dieses Wort in beiden Fällen dasselbe? Was heißt "metaphysisch" in diesem Kontext? Gilt diese Unterscheidung zwischen zwei Arten von "Deduktion" auch fur den Text der ersten Auflage? A 84, wo Kant den transzendentalen Sinn des Wortes "Deduktion" bestimmt, weist er darauf hin, daß es sich um eine besondere Art Beweis handelt, die die Juristen mit diesem Namen ausgezeichnet haben. In der KrV und in anderen kritischen Werken wird dieses Wort fast immer verwendet, um die transzendentale Deduktion zu bezeichnen. Auf der anderen Seite deutet die zitierte Stelle von § 26 an, daß die metaphysische Deduktion auch so etwas wie ein Beweis ist. Sie legt in der Tat dar, daß die Kategorien dadurch einen Ursprung a priori haben, daß sie mit den logischen Funktionen des Denkens identisch sind. Das heißt, wenn die Urteilsfunktionen a priori sind (wie an dieser Stelle vorausgesetzt wird) und die Kategorien mit ihnen identisch sind,
Metaphysische Deduktion
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dann sind diese Begriffe auch a priori. Demnach deutet dieselbe Stelle an, daß das in ihr zweimal verwendete Wort "Deduktion" beide Male dasselbe bedeutet: Beweis. Andere Stellen bestätigen diese Annahme. Eine Passage der Prolegomena über die Ableitung der Kategorien aus einem Prinzip lautet, daß von der "Ableitung oder Deduktion derselben" die Einsicht abhängt, daß die Kategorien für sich selbst nichts als logische Funktionen sind (§ 39, IV, 324-25). Demgemäß ist diese Deduktion eine Ableitung. Das stimmt vollends mit der Auffassung Kants über den Beweis überein: Jeder Schluß ist eine Ableitung {Logik Jäsche § 41), und "Ableitung" ist "deductio" (ebd. § 42). Der Terminus "Deduktion" bedeutet demnach in § 26 zweimal dasselbe: Beweis. Im einen Falle handelt es sich um den Beweis der Möglichkeit der objektiven Realität der Erkenntnisse a priori, der als transzendentale Deduktion bezeichnet wird; im anderen handelt es sich 1. um den Beweis des Ursprungs a priori der Kategorien, welcher seinerseits 2. die Ableitung (Deduktion) des Systems der Kategorien gestattet. 1 Die metaphysische Deduktion ist demnach Ableitung im doppelten Sinn. Sie kann die Tafel der Kategorien aus den Urteilsfunktionen ableiten, indem sie sich auf die Identität beider Funktionen stützt. In diesem Fall handelt es sich nicht um die Ableitung eines Urteils aus einem anderen, sondern von Begriffen aus anderen Begriffen von Urteilsfunktionen. Dieser Sinn von Deduktion der Kategorien klingt im eben angeführten Paragraphen 39 der Prolegomena und an einer Stelle A 336 an, die der objektiven (oder transzendentalen) Deduktion der Ideen die "subjektive Ableitung" derselben aus der Natur der Vernunft entgegenstellt. Dieser letzte Sinn von "Deduktion" ermöglicht es, einzusehen, inwiefern dieser Beweis metaphysisch ist. Kant unterscheidet in der Methodenlehre die diskursive Erkenntnis der Philosophie von den mathematischen Wissenschaften dadurch, daß diese durch die Konstruktion der Begriffe in der Anschauung vorgehen, während jene aus Begriffen stattfindet, die a priori gegeben werden. Solche Begriffe können nicht definiert werden, weil man nicht ihren ganzen Inhalt überschauen, sondern ihn nur zergliedern und in einer Exposition nach und nach verdeutlichen kann (vgl. A 727 ff.). Daher sagt Kant in der Transzendentalen Ästhetik, daß die Erörterung der Begriffe von Raum und Zeit keine Definition, sondern eine Exposition ist, d. h. eine deutliche, wenn auch nicht ausfuhrliche Vorstellung des Begriffsinhalts. Diese Exposition ist nach dieser Stelle metaphysisch, wenn sie den Begriff als a priori gegeben darstellt (A 23). Im selben Sinne ist auch die Deduktion der Kategorien metaphysisch: Sie leitet die Kategorien aus den a priori gegebenen Begriffen der Urteilsfunktionen ab und beweist dadurch, daß sie selbst a priori gegebene Begriffe sind. 1
Beide Aufgaben der transzendentalen Logik werden an der bekannten Stelle A 56 über die transzendentale Erkenntnis unterschieden. Transzendental ist eine Erkenntnis a priori, 1 ) daß andere Erkenntnisse (z.B. Raum und Zeit) a priori sind und 2) eine Erkenntnis der Art, wie sie sich auf Objekte a priori beziehen können.
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Die wichtigste Aufgabe der transzendentalen Logik ist zwar, zu zeigen, wie es möglich ist, daß die Erkenntnisse a priori objektive Realität besitzen. Aber als Mittel zu dieser Aufgabe ist eine vorgängige metaphysische Deduktion derselben nötig. Man muß im voraus wissen, welche und wie viele dieser Grundbegriffe a priori sind, denn in Unwissenheit oder im Besitz eines mangelhaften Wissens darüber könnte man nicht sicher sein, j e n e Aufgabe auf zureichende und erschöpfende Weise zu erfüllen. Unter die Vorstellungen, die mit dem Anspruch auftreten, a priori zu sein, könnten sich in diesem Falle einige eingemischt haben, die nicht a priori wären, oder es könnten einige dabei fehlen, die wirklich a priori sind. In diesem Fall würde man ferner nicht wissen, welche Arten von Vorstellungen a priori es gibt, und man könnte nicht im nachhinein feststellen, welche von ihnen in bezug auf die Gegenstände wahr sind und welche nicht. Der einleitende Text "Die transzendentale Analytik" (A 64-65) stellt eigentlich das Programm der metaphysischen Deduktion der Kategorien dar. Er spiegelt die Aufgaben wider, die diese Deduktion erfüllen soll: Es handelt sich darum, unsere Erkenntnisse a priori bis zur Entdeckung ihrer einfachen Elemente zu zergliedern, in der Absicht, die reinen Begriffe, und zwar diejenigen des Verstandes, die ursprünglich sind, als ein vollständiges System zu entdecken.
§ 8. Die Idee des Systems Die metaphysische Deduktion der Kategorien ist nicht bloß darauf gerichtet, mit Rücksicht auf die nachfolgende transzendentale Deduktion zu bestimmen, welche die reinen Verstandesbegriffe sind, sondern sie sucht besonders ein System derselben. Das geschichtliche Verdienst Kants in dieser Hinsicht besteht nicht darin, daß er diese Begriffe entdeckt hätte (denn sie gehören schon zu den in der Tradition bekannten ontologischen Begriffen), sondern darin, daß er unter ihnen diejenigen entdeckt, d. h. auswählt, die dieses höchste System bilden sollen, und daß er damit allen übrigen metaphysischen Begriffen eine systematische Einheit verschafft. Um dieses Vorhaben zu erklären, pflegt man vorzubringen, daß Kant durch das Systemdenken der Neuzeit beeinflußt sei. In Wahrheit übernimmt er diese Systemforderung nicht nur auf eine ganz eigene Weise, sondern er tut dadurch auch den Schritt, durch den sich das Systemdenken durchsetzt und zu seiner Vollendung im Deutschen Idealismus fortschreitet. Jede Philosophie, insbesondere die "Ontologie", die deren verkappte oder offene Basis bildet, hat als gemeinsamen Charakter, sich implizit oder explizit auf das Ganze dessen, was ist, zu beziehen sowie auf Teilbereiche desselben, die jeweils eine Mannigfaltigkeit von Seienden umfassen. In der Neuzeit wird diese Tendenz zur Ganzheit jedoch zu einer ausdrücklichen Aufgabe, und sie nimmt einen der Subjektmetaphysik eigentümlichen Charakter an. Wie gesagt, Descartes tut die
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ersten Schritte auf diesem Wege, als er die Einheit jedes menschlichen Wissens und seiner Methode entwirft. Sie schließt die Einheit des gewußten Seienden in einem geordneten Ganzen ein, das in ersten, einfachen Elementen gründet. Dieser Ansatz wird von Spinoza in einer besonderen Richtung entfaltet, wenn er dem philosophischen Wissen die Form eines Satzsystems more geometrico gibt. Diesem Gebilde ist die Rekonstruktion der deutschen Schulmetaphysik des XVII. Jahrhunderts im System der Metaphysik Wolffs analog. Aber in solchen Versuchen betrifft das Systematische mehr die Darlegungsform der Philosophie als das Seiende selbst, das sie zum Thema hat. Mit größerer Radikalität und Treue zur Systemidee fuhren den cartesianischen Ansatz in einer anderen Richtung alle diejenigen weiter fort, die auf die eine oder andere Weise versuchen, das Wissen als ein Begriffssystem aus letzten elementaren Ideen aufzubauen, denn in diesem Fall ergreift das Systematische das Wesen des Seienden selbst. Jedoch können Locke und Hume kein erschöpfendes System des Wissens errichten, weil sie ein System der ursprünglichen einfachen Ideen auf empirischem Wege konstruieren. Das ist auch das Schicksal Lamberts um die Mitte des XVIII. Jahrhunderts. Leibniz versucht seinerseits immer wieder und ausdrücklich, alle einfachen Ideen zu entdecken, um mit ihnen ein kombinatorisches System aller reinen Erkenntnisse zu errichten, aber sein Streben mißlingt, da er die einfachen Ideen auf dem Wege der Analysis der zusammengesetzen Ideen erreichen will und weil seine Annahme, diese Ideen seien letzten Endes die Bestandteile des Wesens Gottes, sie prinzipiell unzugänglich machen. Allen diesen Versuchen gegenüber ist Kant der erste, dem es gelingt, den cartesianischen Ansatz auf Grund eines erschöpfenden Systems von Kategorien zu verwirklichen. In der Tat überflügelt er alle vorangehenden Versuche eines Systems des Wissens, weil er 1) den Ursprung dieser Begriffe als Erkenntnisse a priori im menschlichen Verstände sucht, was sie in ihrer Vollständigkeit fur diesen Verstand prinzipiell erkennbar macht, und weil er 2) dieses System als die vollständige Einteilung einer Gattung, d. h. der Idee des menschlichen Verstandes selbst auffaßt. Eine vollständige Einteilung eines Begriffssystems ist schon von Lambert angestrebt.2 Diese Entscheidung Kants gehört in eine Tradition, die im Kontrast zu den überlieferten Auffassungen der analogischen Einheit des Begriffes "Seiendes" den Gegenstand überhaupt im gewissen Sinne als eine univoke Idee auffaßt. Auf dieser Basis kann Kant auf seine Weise den Ansatz Descartes' und Leibniz' eines Systems des ganzen menschlichen Wissens übernehmen und verwirklichen. Er nimmt (a) wenigstens in Hinblick auf alle metaphysischen reinen Begriffe den kombinatorischen Entwurf von Leibniz auf, indem er wenigstens programmatisch alle Prädikabilien aus der Kombination der Kategorien untereinander sowie mit den reinen Anschauungen und der Empfindung überhaupt ableitet. 3 In diesem 2 3
Vgl. Novum Organum, Aletheiologie, II. Kapitel, Von den Einteilungen. Vgl. A 82 und Proleg. §39.
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systematischen Kern soll seine Philosophie im ganzen als ein System der reinen Vernunft gründen, (b) Die empirische Erkenntnis kann ihrerseits zwar nicht aus diesem System a priori abgeleitet werden. Da sie aber in der apriorischen Erkenntnis gründet, geht sie innerhalb von Subsumtionssystemen in das Gesamtsystem des menschlichen Wissens ein. Darum wird das System für Kant zu einer universalen Struktur. Es geschieht nicht von ungefähr, daß er die Begriffe von den Ideen als begrifflichen Vorstellungen der systematischen Ganzheiten unterscheidet und daß er also die Vernunft von dem Verstand absondert. Vom ontologischen Standpunkt gesehen heißt das, daß zum Sein der Gegenstände die Einheit des Mannigfaltigen in Ganzheiten gehört. Aus diesen Gründen hat die Errichtung des kantischen Kategoriensystems den endgültigen Durchbruch der Systematik in der nachfolgenden deutschen Philosophie zur Folge. - Nach diesen einleitenden Bemerkungen gilt es, die Kantische Idee von System näher zu betrachten, um die Erörterung der metaphysischen Deduktion der Kategorien vorzubereiten. Kant definiert seine Idee von System in der Methodenlehre der KrV, im Kapitel über "Die Architektonik der reinen Vernunft". "Architektonik" bedeutet "die Kunst der Systeme" (A 832), und zwar "die Lehre des Scientifischen in unserer Erkenntnis überhaupt" (a.a.O.), d.h. eine Theorie der Wissenschaft hinsichtlich ihrer Systemform. Demgemäß verfolgt die Architektonik die methodologische Absicht, die reine Vernunfterkenntnis als System zu entwerfen, genauer, einen vorgängigen Umriß dieses Systems vorzuzeichnen, der dessen Verwirklichung leiten soll. Das ist der Kontext, in dem Kant seine Idee von System definiert. Die Definition lautet: "Ich verstehe aber unter einem Systeme die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee. Diese ist der Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen, sofern durch denselben der Umfang des Mannigfaltigen sowohl, als die Stelle der Teile untereinander, a priori bestimmt wird" (a.a.O. vgl. A 645). Anstatt auf diese Stelle sofort einzugehen, versuche ich zunächst, auf Grund des vorgängigen Umrißes des Systems der Philosophie (A 835-36 ff.) zu erkunden, wie ein solches System aussieht und wie es aufgebaut wird. Die menschliche Vernunft besitzt a priori eine Idee der rationalen Erkenntnis überhaupt. Wenn diese als Regel die fortschreitende Errichtung eines Systems der Vernunfterkenntnisse soll leiten können, ist es nötig, zunächst den vorgängigen Umriß dieses Systems von dieser Idee her zu entfalten. Kant nennt diesen Umriß ein "Schema": "Die Idee bedarf zur Ausführung ein Schema, d.i. eine a priori aus dem Prinzip des Zwecks bestimmte wesentliche Mannigfaltigkeit und Ordnung der Teile" (A 833). Nach Kant muß dieses Schema "den Umriß (monogramma) und die Einteilung des Ganzen in Glieder, der Idee gemäß, d.i. a priori enthalten" (A 833-34). Wenn man beide Stellen mit der Definition von "System" vergleicht, die soeben angeführt wurde, springt in die Augen, daß dieses "Schema" wiederum in sich ein System sein muß.
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Kant umreißt dasselbe Schema ausgehend von der allgemeinen "Wurzel unserer Erkenntniskraft" (A 835), die sich in Vernunft (im weiteren Sinne) und Sinnlichkeit einteilt. Mit Rücksicht auf die nächsten Glieder dieser Einteilung könnten diese ersten Schritte folgendermaßen formuliert werden: 1. Die Idee der wissenschaftlichen Erkenntnis wird in Hinblick auf den Ursprung derselben in rationale und empirische Erkenntnis eingeteilt (a. a. O.)· 2. Die Vernunfterkenntnis ist wieder in Hinblick auf die Weise eingeteilt, durch die sie zustande kommt, nämlich in philosophische Erkenntnis durch Begriffe und mathematische Erkenntnis durch die Konstruktion der Begriffe (A 837). 3. Die philosophische Erkenntnis gliedert sich ihrerseits ihrem Objekt gemäß in spekulative und praktische (A 840) usw. Auf diese Weise skizziert Kant in neun Schritten das Schema des Systems der philosophischen Wissenschaften, und zwar insbesondere der spekulativen Philosophie (A 835-47). Ich verzichte darauf, dieses Schema weiter zu entfalten, denn es geht mir hier nur darum, dessen Bauweise herauszustellen. 4 Der Aufbau dieses Systems besteht demnach in demjenigen, was die überlieferte Logik Einteilung oder Klassifikation von Begriffen nennt. Kant selbst verwendet den Terminus "Einteilung", z. B. wenn er A 845 sagt, daß der spekulative Teil der Metaphysik "auf folgende Art eingeteilt" wird. Mit demselben Sinn wird der Ausdruck "teilt sich" auf A 835 und 841 gebraucht. A 847, nachdem die Entfaltung des "Schemas" abgeschlossen ist, sagt Kant: "Die ursprüngliche Idee einer Philosophie der reinen Vernunft schreibt diese Abteilung selbst vor ... " Das Schema des Systems muß in der Tat "die Einteilung des Ganzen in Glieder" enthalten (A 833-34). In der Ersten Einleitung zur KU wird ferner gesagt: "Die logische Form eines Systems besteht bloß in der Eintheilung gegebener allgemeiner Begriffe ..." (AA XX, 214-15). In den Reflexionen zur Logik (R 3009-3031) kennzeichnet Kant die Einteilung als eine Unterscheidung der Glieder des Umfangs (der Sphäre) eines Begriffes und hebt sie von der Teilung ab, welche die Teile seines Inhalts sondert (vgl. R 3021 sowie Jäsches Logik § 110 ff.). Die logische Einteilung ist dichotomisch. Durch die Zweiteilung entdeckt man die Gattungen und Arten, die den Umfang des obersten Gattungsbegriffes bilden. Nach dieser klärenden Erörterung gilt es nun, zur Definition von System überhaupt zurückzukehren. Obwohl sich die Ideen als Vernunftbegriffe von den Verstandesbegriffen darin unterscheiden, daß diese immer Teilvorstellungen (Merkmale) der Dinge sind, während die Ideen Ganzheiten vorstellen, die sich nie in der Erfahrung zeigen können, haben beide als Begriffe etwas Gemeinsames. Demnach sagt die genannte Definition, daß der Vernunftbegriff den Umfang des Mannigfaltigen bestimmt. Insofern jeder Begriff Erkenntnisgrund einer bestimmten Mannigfaltigkeit von Vorstellungen ist, sagt man, daß diese unter ihm stehen und seinen Umfang oder
4
Vgl. mein Buch Siete Ensayos sobre Kant, 182 ff. und 251 ff.
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seine Sphäre bilden (R 2902). Der Verstandesbegriff und die Idee unterscheiden sich gerade dadurch, daß, während jener seine Sphäre nur sekundär und indirekt denkt, die Idee eigens ihren Umfang als ein Ganzes vorstellt. Sie ist daher "der Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen" (A 832). Diese Form des Ganzen wird im Schema der jeweiligen Idee entfaltet. Dieses umfaßt eine Mannigfaltigkeit, z.B. von Arten der Vernunfterkenntnis, die nicht aufs Geratewohl vorgefunden und nach und nach außerhalb des Ganzen gesammelt werden. "Das Ganze ist also gegliedert (articulatio) und nicht gehäuft (coacervatio).." (A 833). Wie gesagt, das Schema der Idee enthält "die Einteilung des Ganzen in Glieder" (A 834). Die Idee stellt zunächst das Ganze, d. h. ihren eigenen Umfang vor, und die Vernunft erzeugt durch dessen Einteilung mittels Differenzen eine Mannigfaltigkeit von Arten, die seine Glieder sind. Von hierher ist man imstande, die verschiedenen B e s t i m m u n g e n zu verstehen, durch die Kant das System definiert. Diese Bestimmungen sind zuerst durch ein System erfüllt, das das Schema oder Umriß eines anderen Systems (z.B. der philosophischen Wissenschaften) ist. 1. Zu jedem System gehört immer eine Mannigfaltigkeit, und zwar, im besten Falle, eine bestimmte Zahl von Gliedern, deren Inhalt dem jeweiligen System eigentümlich ist (vgl. A 833), weil sie aus der Einteilung eines je bestimmten Ganzen entspringen. Da sie also vor diesem Ganzen nicht bestehen, sondern sich erst aus dessen Einteilung ergeben, können sie weder zuwenige noch zuviele sein, wenn die Einteilung wirklich zu ihrem Ende gekommen ist. Nur diese Vollständigkeit der Einteilung kann den Grund der Gewißheit abgeben, daß man exakt und vollständig erkennt, welche und wieviele Glieder ein System bilden. 5 A 728 erklärt Kant, daß die Definition eines a priori gegebenen Begriffes, z.B. der Substanz, unmöglich sei, denn man könne bei der Analyse desselben dunkle Bestimmungen übergehen, so daß die Vollständigkeit der Zergliederung niemals apodiktisch gewiß sein werde. Trifft diese Schwierigkeit auch die Einteilung eines Gattungsbegriffes? Diese Einteilung ist nicht die Analyse des Inhalts des Begriffs, sondern seiner Sphäre, und zwar als die Erzeugung seiner Unterarten durch Hinzufügung von Differenzen. Das Problem liegt dabei darin, zu bestimmen, wo die Einteilung haltmachen soll, d.h., wann man zu den niedersten Arten gelangt ist. In der Metaphysik der Sitten (Einl. III, Anm., AA VI, 218) steht der Satz: "Die Deduktion der Einteilung eines Systems, d.i. der Beweis ihrer Vollständigkeit sowohl, als auch der Stetigkeit, daß nämlich der Übergang vom eingeteilten Begriffe zum Gliede der Einteilung in der ganzen Reihe der Untereinteilungen durch keinen Sprung 5
In § 43 der Proleg. verdeutlicht Kant die Vollständigkeit seines Systems der Kategorien folgendermaßen: In der Kritik habe er zum Ziel gehabt, die Erkenntnisarten voneinander zu unterscheiden und alle zu jeder derselben gehörigen Begriffe "aus ihrem gemeinschaftlichen Quell" abzuleiten, wodurch man u. a. den Vorteil habe, "die Vollständigkeit in der Abzählung, Klassifizierung und Spezifizierung der Begriffe a priori, mithin nach Prinzipien zu erkennen". Diese Vollständigkeit betrifft also die Zahl der Glieder des Systems, sowohl nach oben hin, bis zur höchsten Gattung, als auch nach unten bis zu den niedersten Arten (d.h. den Kategorien).
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(divisio per saltum) geschehe, ist eine der am schwersten zu erfüllenden Bedingungen fur den Baumeister eines Systems." Auch das Suchen des obersten eingeteilten Begriffs zu vorgegebenen Gliedern der Einteilung sei bedenklich. Da ein Begriffssystem eben eine Einteilung ist, betrifft der genannte Beweis die Vollständigkeit und Stetigkeit des Systems. In den Proleg. § 43 wird die genannte Vollständigkeit des Kategoriensystems als eine solche "in der Abzählung, Klassifizierung und Spezifizierung der Begriffe a priori" näher bestimmt. Sie betrifft also nicht nur die Zahl der Glieder, sondern auch ihre Subordination von den niedersten Arten bis zur höchsten Gattung. Wie beweist man, daß die Einteilung als Konstruktion eines Systems und damit dieses selbst vollständig und kontinuierlich ist? Indem man zeigt, daß diese Einteilung bestimmte Regeln eingehalten hat, die die Erreichung dieser Resultate verbürgen. Diese Regeln sind die folgenden: a) Man muß von dem richtigen Oberbegriff ausgehen, b) Jedes jeweils erzeugte Glied muß seinerseits richtig eingeteilt werden, wozu man dessen Gehalt den Grund der nächsten Einteilung entnehmen muß. c) Man darf keine Sprünge in der Einteilung machen, d) Man hat zu demonstrieren, daß man erst bei den niedersten Differenzen haltmacht. Nachdem eine Klassifikation wie das Begriffssystem der Kategorien erzeugt worden ist, kann man beanspruchen, daß die Zahl der in ihr angegebenen niedersten Spezies vollständig ist. Wenn dabei noch ein (syllogistischer) Beweis dieser Vollständigkeit verlangt wird, so könnte er folgendermaßen aussehen: Maior. Wenn die Konstruktion eines Begriffssystems von der richtigen Gattungsidee ausgeht, sie auf bestimmte zulässige Weisen einteilt, beim Einteilen keine Sprünge macht und erst bei den niedersten Arten anhält, dann ist dieses System vollständig. Minor: Das Begriffssystem A ist nach allen diesen Bedingungen konstruiert (was man dabei im einzelnen zeigen muß). Conclusio: Folglich ist das Begriffssystem A vollständig. 2. Das System ist eigentlich die synthetische Einheit seiner mannigfaltigen Glieder in einem Ganzen. In der vorher betrachteten Einteilung der Gattungen und Arten besteht diese Einheit in einem Begründungszusammenhang. Die Arten gründen in ihren Gattungen bis zu der höchsten Gattungsidee, insofern die höhere Spezies jeweils Element der niederen ist. Als identische ratio cognoscendi umfaßt die Idee all ihre Folgen in einem Ganzen. Sie ist demnach der Grund oder das Prinzip der Einheit der Glieder und so Grund des Systems. Infolge dieses Zusammenhangs der Systemglieder kann ein fehlendes Glied bei der Kenntnis der übrigen vermißt und eine fremde Zutat bemerkt werden (vgl. A 832-33). 3. Das System hat einen bestimmten Umfang (832) und bestimmte Grenzen (833-34), weil sich die Mannigfaltigkeit seiner Glieder aus der Einteilung des Ganzen ergibt, das durch die Idee begrenzt ist. 4. Zum System gehört eine Ordnung seiner Glieder (833), in welcher ein jedes seinen Platz (832) hat, weil die Einteilung die Glieder nacheinander erzeugt, also
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in einer Ordnung, bei der eine bestimmte Spezies nur durch die Einteilung einer bestimmten Gattung entspringen kann und daher ihren Platz notwendig nach dieser hat. Diese Ordnung der Erzeugung spiegelt die Ordnung der Dinge wider: Das Frühere ist ratio essendi et cognoscendi des Späteren. Demnach besitzt das System ein formales Gerüst, in welchem das Mannigfaltige geordnet werden kann. Dieses Gerüst ist das Schema zum Aufbau des Systems. 5. Beim System muß man demnach die Idee des Ganzen, die ihm zugrunde liegt, das Schema, das das formale Gerüst des Ganzen ist, sowie das System selbst unterscheiden, das sich daraus ergibt, daß ein bestimmtes Mannigfaltiges in dieses Schema eingeordnet wird. Die Idee ist der Zweck, der beim Aufbau des Systems verfolgt wird und mit dem sowohl das Schema als auch die Systemglieder als Mittel übereinstimmen. Darum sagt Kant: "Der scientifische Vernunftbegriff enthält also den Zweck und die Form des Ganzen, das mit demselben kongruiert" (A 832). Das System ist demnach ein zweckmäßiges Ganzes. Da dessen Teile aus seiner Einteilung entspringen und nicht von außen hinzukommen, vergleicht Kant das System mit einem tierischen Körper (833). Jedes System ist etwas Organisiertes-, der lebendige Organismus ist nur eine bestimmte Art von System, und zwar ein systematisches Objekt, in welchem die Teile und das Ganze einander bedingen. 6 Alle hier erwähnten formalen Charaktere gelten fur das System der Kategorien. Sowohl die Einteilungsmethode eines Gattungsbegriffes (A 64-65, 80-81) als auch die Vollständigkeit (A 64-67), die Verknüpfung und Artikulation (A 64-65), der systematische Ort (A 67), die Ordnung der Glieder und der bestimmte Inhalt jedes derselben sind fur das Verständnis dieses Systems sowie für seine metaphysische Deduktion unentbehrlich. Wie wir sehen werden, sind diese Charaktere jedoch wiederum unzureichend, um all die Besonderheiten dieses Systems zu begreifen, denn es besitzt einzigartige Bestimmungen. Das besagt, daß die vorangehende Darlegung der Idee des Systems knapp und unvollständig ist und daß sie sich nur über die ergänzenden Analysen des Kategoriensystems der Vollständigkeit nähern wird (vgl. unten Kap. VI). Ferner ist dieses System nur eine, obzwar fundamentale, Art eines Begriffssystems, welches wiederum nur einen der von Kant erwähnten Systemtypen bildet. 7 Die Auffassung der Kategorien und der Urteilsfunktionen als Systeme hat bedeutsame Folgen für die Bestimmung des Wesens des Verstandes. Wenn Kant in der Einleitung zur Transzendentalen Analytik (A 64-65 und 67) den Verstand als eine "fur sich selbst beständige, sich selbst genügsame, und durch keine äußerlich hinzukommenden Zusätze zu vermehrende Einheit" denkt, als eine Einheit also, die sich von aller Sinnlichkeit völlig "aussondert", dann entspringt diese Auffassung nicht nur seiner vorangehenden Entdeckung der Zweiheit von Denken und 6 7
Vgl. AT/§ 65. Der Vf. hat einen systematischen Umriß aller kantischen Systemarten in dem oben genannten Buch Siete Ensayos sobre Kant, S. 251 ff. entworfen.
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Anschauung. Zu ihr kommt noch die Einsicht hinzu, daß, wenn die reinen Begriffe und die Urteilsfunktionen Systeme sind, ihre subjektive Quelle eine absolute Einheit sein muß, die zugleich die Idee bzw. die Ideen dieser Systeme in sich birgt (A 65). Alles dies trägt zu der Auffassung des Verstandes und der Sinnlichkeit als Teilen des Subjekts qua Aggregat bei, obwohl Kant das Subjekt zugleich als ein organisiertes Ganzes, d.h. als ein System denkt. Die Spannung zwischen beiden entgegengesetzten Auffassungen ist, wie sich zeigen wird, eine Quelle der Schwierigkeiten beim Verständnis der Kritik und insbesondere bei der Klärung des subjektiven Ursprungs der Kategorien. *
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Nachdem die Idee des Systems, und zwar in Hinblick auf ihre strengste Form, das Begriffssystem, dargelegt worden ist, ist es möglich, den Weg zu beleuchten, auf welchem Kant in den siebziger Jahren zum Kategoriensystem gelangt und damit dasjenige zu ergänzen, was über den Aufbau eines Systems überhaupt gesagt wurde. Wie gesagt, die Kunst des Systembaus besteht in der Einteilung einer Gattungsidee durch ihre Differenzen. Das ist jedoch nur eine der architektonischen Methoden. Kant erkennt A 301-2 an, daß man oft von einem Aggregat mannigfaltiger Formen ausgeht und daß die Aufgabe dann darin besteht, die Idee aufzufinden, unter der jene insgesamt stehen.8 Beide architektonischen Methoden sind schon von Piaton entdeckt, der sie als Diairesis (Einteilung) und Synagoge ( Z u s a m m e n f ü h r u n g ) bezeichnet. 9 Letzteres V e r f a h r e n ist eigentlich die Systematisierung oder Klassifikation (KU Erste Einl., XX, 214). Als Kant beginnt, nach einem System der reinen Verstandesbegriffe zu forschen, setzte er voraus, daß sie schon in den Handbüchern der Metaphysik enthalten seien. Seine Aufgabe besteht darin, aus diesen Vorstellungen die Grundbegriffe herauszuheben, von denen als Elementen die übrigen abgeleitet werden können, um aus allen ein System zu machen. Die Voraussetzung, daß sie Begriffe des Verstandes sind, gibt Kant eine Leitung an die Hand, sie auszufinden, denn sie sollen demgemäß aus diesem Vermögen selbst entspringen. Aber am Anfang ist auch unklar, welche die Handlung des Verstandes ist, auf welche alle anderen zurückgeführt bzw. aus der sie abgeleitet werden können (Proleg. § 39). Viele dieser Handlungen sind damals bekannt, aber Kant weiß noch nicht, unter welcher Gattungsidee sie selbst ein System bilden. Die Einsicht, daß diese Gattung die Idee
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"Es ist ein alter Wunsch, der, wer weiß wie spät, vielleicht einmal in Erfüllung gehen wird: daß man doch einmal, statt der endlosen Mannigfaltigkeit bürgerlicher Gesetze, ihre Prinzipien aufsuchen möge; denn darin kann allein das Geheimnis bestehen, die Gesetzgebung, wie man sagt, zu simplifizieren" (A 301). Diese Klassifikation oder Systematisierung wird durch den hypothetischen Gebrauch der Vernunft bewerkstelligt. Vgl. den Anhang zur transzendentalen Dialektik, A 646 ff. Vgl. Phaidros, 265 d ff.
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des Urteils überhaupt ist, bringt nicht sofort die Lösung, denn zu jener Zeit sind zwar mehrere Aggregate von Urteilsarten von den Logikern entworfen, aber es gibt kein System der Urteile oder ihrer synthetischen Urteilsfunktionen. Die Aufgabe des Aufbaus eines Systems der Kategorien wird dadurch zu der vorgängigen Aufgabe zurückgeführt, die bekannten Urteilstypen zu systematisieren. Die Fabel ist wohlbekannt, der gemäß Kant sein Urteilssystem "empirisch"aus den Urteilslisten der Logiker aufgerafft habe.10 Wenn dem so wäre, dann wäre ein solches "System" fur Kant eine zufallige und partikuläre Sammlung gewesen, in welcher er die Entdeckung des endgültigen Systems der Kategorien nicht hätte gründen können. Anders als diese Fabel wahrhaben will, geht Kant an die Versuche der bisherigen Logik mit der Voraussetzung heran, daß sie mannigfaltige und zum Teil widerstreitende Manifestationen einer noch dunklen, aber notwendigen systematischen Einheit des Verstandes selbst sind, die so beschaffen sein soll, daß aus ihr ein System aller Urteilsfunktionen abgeleitet werden kann. Nur durch eine Interpretation, die 1. von einer solchen Voraussetzung der systematischen Einheit des Verstandes in allen seinen Handlungen geleitet ist und die 2. die bisherigen Fakta als Folgen dieser Einheit deutet, kann Kant die Idee des Urteils entdecken, die ihm gestattet, die vorangehenden Klassifikationen zu systematisieren. Nur dank dieser Methode hat er ein Kriterium, um nur einige bekannte Urteilsklassen zu akzeptieren, andere abzutun und sogar wieder andere zu erfinden, um sein System zu ergänzen. Erfindung ist dabei keine Willkür, sondern eine in der Methode der Systematisierung gegründete Handlung. Nichts davon wäre möglich, wenn Kant nach einer Induktion aus empirischen Gegebenheiten verführe. Man muß aber zugeben, daß sein Aufbau einer "Urteilstafel" auch den noch unsystematischen Listen von reinen Verstandesbegriffen Rechnung trägt, die er seit Ende der sechziger Jahre nach und nach gebildet hat (vgl. oben § 6).
§ 9. Der Weg der metaphysischen Deduktion der Kategorien Wenn Kant die Ziele der Transzendentalen Analytik absteckt, hebt er hervor, daß es ihm darum geht, die reinen Verstandesbegriffe als ein System zu entdecken. Wir können der Vollständigkeit ihrer Tafel nicht gewiß sein, es sei denn "vermittelst einer Idee des Ganzen der Verstandeserkenntnis a priori und durch die daraus bestimmte Abteilung der Begriffe, welche sie ausmachen, mithin nur durch ihren Zusammenhang in einem System" (A 64). Die einleitende Partie zum ersten Kapitel der Analytik der Begriffe (A 66-67) betont ebenso den Unterschied zwischen einem Aggregat und einem System von Begriffen. 10 Vgl. Hegel, Logik II (Ausg. Lasson) 253-54; Heidelberger Enzyklopädie Berliner Enzyklopädie (3. Aufl.) § 42.
( 1. Aufl.) § 32 sowie die
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Demnach und nach der vorher erörterten Idee eines Begriffssystems sollte man erwarten, daß die KrV das Kategoriensystem durch die Einteilung der Idee von Kategorie überhaupt darlegen würde. Das Werk schlägt diesen Weg dennoch nicht ein, sondern es nimmt die Kategorientafel aus der Urteilstafel (A 67-81, Proleg. § 39). Genauer: Kant baut vermutlich das System der Kategorien nach seiner architektonischen Methode auf, aber er legt diesen Aufbau nirgends ausdrücklich dar, was zur Dunkelheit dieses Systems selbst beiträgt. Aus welchen Gründen unterläßt Kant die Darlegung dieses Aufbaus, um statt dessen das System der Kategorien aus der Urteilstafel abzuleiten? Es handelt sich hier dieses Mal nicht wie im vorangehenden Paragraphen 6 darum, zu zeigen, wie Kant über die Urteilstafel zu seinem endgültigen System der Kategorien gelangt ist, sondern darum, zu erklären, warum er bei der Darlegung dieses Systems in der KrV auch den Umweg über die Urteilstafel vorzieht. Welche alternativen Möglichkeiten hat Kant, die Entdeckung dieses Systems darzulegen? Eine Stelle der Einleitung zur Analytik der Begriffe (A 65-66) wirft ein Licht auf diese Frage. Wie ist zu bestimmen, welche und wieviele die synthetischen Begriffe a priori sind? Diese Frage ist fur Kant aus der neuzeitlichen Tradition schon beantwortet: Die Vorstellungen a priori sind uns nicht über die sinnliche Erfahrung gegeben, sondern sie entspringen der reinen Vernunft selbst als dem Vermögen der Erkenntnisse a priori. Demgemäß zeigt der genannte Passus, daß die Analytik der Begriffe nicht in der Analyse derselben besteht, sondern in der "Zergliederung des Verstandesvermögens selbst1', um die Möglichkeit der Begriffe a priori zu erforschen, indem "wir sie im Verstände allein, als ihrem Geburtsorte, aufsuchen und dessen reinen Gebrauch überhaupt analysieren". Die erste dieser A u f g a b e n kommt der metaphysischen Deduktion, die andere der transzendentalen zu. In diesem Kontext macht Kant eine Bemerkung über den Weg der Analytik sowie über das Gebiet, durch das dieser Weg fuhrt - eine Bemerkung, die dazu fuhren kann, die alternativen Möglichkeiten in den Blick zu nehmen, die die metaphysische Deduktion hat, sowie deren Gipfelpunkt zu verstehen: "Wir werden also die reinen Begriffe bis zu ihren ersten Keimen und Anlagen im menschlichen Verstände verfolgen, in denen sie vorbereitet liegen, bis sie endlich bei Gelegenheit der Erfahrung entwickelt und durch ebendenselben Verstand, von den ihnen anhängenden empirischen Bedingungen befreit, in ihrer Lauterkeit dargestellt werden." Das ist dieselbe von Leibniz herkommende Lehre, die oben (§ 4) in der Dissertano aufgewiesen wurde und die sowohl in der KrV als auch in späteren Schriften, vor allem in der Schrift gegen Eberhard, gestreift wird. Diese Lehre kann folgendermaßen zusammengefaßt werden: 1. Das Subjekt besitzt angeborene Vermögen oder Fähigkeiten, in denen bestimmte Vorstellungen a priori zunächst
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bloß vorbereitet, d.h. in potentia " sind. 2. Der Eintritt der sinnlichen Eindrücke läßt diese Potentiae zu ihrer entsprechenden Aktivität übergehen, und erst dann kommen Vorstellungen a priori zur Existenz, z.B. die kategorialen Begriffe (vgl. A 66, A 86-87, Β 1). Keine Vorstellung a priori ist angeboren,12 3. Da die Aktivierung dieser Vermögen durch die sinnlichen Eindrücke veranlaßt wird, entstehen die Vorstellungen a priori zunächst in ihrer Anwendung in concreto auf diese Eindrücke in eins mit der Erfahrung von empirischen Einzelgegenständen (A 66, Β 1). 4. Erst danach kann der Verstand diese Vorstellungen a priori von ihren empirischen Anhängseln befreien und sie als Vorstellungen a priori überhaupt, d.h. als Begriffe fassen (a.a.O.). Diese Vorstellungen sind also aus der Aktivität des Subjekts in der Erfahrung ursprünglich erworben,13 Aus dieser Lehre folgt, daß die Vorstellungen a priori nicht alle auf einmal entspringen können, sondern daß sie in dem Maße zum Vorschein kommen, in dem die sinnlichen Eindrücke oder deren Umbildungen zu den entsprechenden Vermögen gelangen. Da die Eindrücke nur durch die Sinnlichkeit empfangen werden, sind deren Formen a priori als erste erworben. Die begrifflichen Vorstellungen der Kategorien und der Urteilsfunktionen werden deshalb nicht erworben, bevor die imaginative Synthesis der verzeitlichten 11 Neben der zitierten Stelle (A 66) vgl. Über eine Entdeckung, AA VIII, 221 -22: Das Erkenntnisvermögen erzeugt von sich her Raum, Zeit und reine Begriffe. "Es muß aber doch ein Grund dazu im Subjekte sein, der es möglich macht, daß die gedachten Vorstellungen so und nicht anders entstehen und noch dazu auf Objekte, die noch nicht gegeben sind, bezogen werden können, und dieser Grund wenigstens ist angeboren." 12 Über eine Entdeckung·. "Die Kritik erlaubt schlechterdings keine anerschaffene oder angebome Vorstellungen·, alle insgesamt, sie mögen zur Anschauung oder zu Verstandesbegriffen gehören, nimmt sie als erworben an" (AA VIII, 221 ). Kant unterscheidet in diesem Text zwischen erworbener Vorstellung und angeborenem Grund. 13 Vgl. Über eine Entdeckung, a.a.O. Der Terminus "acquisitio originaria" stammt aus der Rechtswissenschaft (vgl. Gottfried Achenwall, lus naturae, Göttingen 1763, II § 388). Kant behandelt diese Art praktischer Erwerbung in seiner Metaphysik der Sitten (Erster Teil, 1. und 2. Hauptstück). Er verwendet diesen Terminus in seiner theoretischen Philosophie auf Grund einer begrenzten Analogie zwischen beiden Gegenstandsbereichen. Die analogen Aspekte sind dabei die folgenden. 1. In beiden Bereichen gibt es etwas Faktisches, das nicht ursprünglich mein ist und erworben werden kann: den Erdboden bzw. Vorstellungen a priori. Obwohl das Innere Eigentum des jeweiligen Menschen ist, sind solche Vorstellungen relativ nicht "seine". 2. Beide Male findet der Akt der Erwerbung statt, durch den das, was nicht mein ist, zu meinem gemacht wird: die Besetzung des Bodens bzw. die Ausübung der angeborenen Vermögen. 3. Diese Erwerbung ist ursprünglich, d.h. nicht von etwas anderem abgeleitet: Ein Mensch kann Boden durch eigene Besetzung desselben erwerben, d.h. nicht durch Vertrag (z.B. Kauf) von einem anderen; bzw. das Subjekt erwirbt Vorstellungen a priori durch sich selber und nicht durch die Einwirkung fremder Ursachen. Solche Analogien gehen da zu Ende, wo sich ein prinzipieller Unterschied meldet: Die Rechtsverhältnisse beziehen sich auf das äußere Mein und Dein, also auf Sachen außerhalb des Menschen in Raum und Zeit, während die acquisitio originaria der Vorstellungen a priori im Bereich dessen geschieht, was das angeborene innere Mein ist. Daher entfallen in letzterem Fall alle die rechtsphilosophischen Bestimmungen, die die Beziehung auf Sachen und Mitmenschen betreffen. Zu Kants Eigentumslehre vgl. Reinhard Brandt, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant, Stuttgart 1974, sowie Manfred Brocker, Kants Besitzlehre, Würzburg 1989.
Weg der metaphysischen Deduktion der Kategorien
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Eindrücke nach transzendentalen Schemata in Gang gekommen ist, sondern nach Beginn dieser Synthesis und aus ihr, wie Kant in der Anfangspartie des § 10 erklärt. Die ursprüngliche Erwerbung {acquisitici originaria) der Kategorien in begrifflichen Vorstellungen ist nun eine der beiden Bedeutungen, in denen man von dem subjektiven Ursprung derselben reden kann. Sie wird hier und dann implizit in § 10 gestreift. Bei der Interpretation dieser letzteren Passage wird sich die Gelegenheit bieten, nach dem subjektiven Ursprung der Kategorien in der anderen Bedeutung, d.h. nach ihrer Bedingung der Möglichkeit (ratio essendi) zu fragen. Dem Kontext gemäß, in dem sich die besprochene Stelle (A 65-66) befindet, muß als angeborene Quelle der Kategorien der Verstand qua Vermögen zu urteilen und zwar in dem Sinne eines selbstgenugsamen Vermögens, das nichts von der Sinnlichkeit hernimmt, angesehen werden, Die transzendentalphilosophische Lehre von der Genesis der Vorstellungen a priori überhaupt, die soeben umrissen wurde, darf man nicht mit der empirischpsychologischen Untersuchung dessen verwechseln, wie bestimmte Vorstellungen a priori in diesen oder jenen Erfahrungen bewußt werden. Dieses letztere Unterfangen, das Kant "empirische Deduktion" (A 85) oder "physiologische Ableitung" (A 87) nennt, wird von ihm zu Recht als ein mögliches Mittel zu der anderen Aufgabe zurückgewiesen, die objektive Realität dieser Vorstellungen a priori zu begründen (a.a.O.). Von der besprochenen Textstelle (A 65-66) her kann wieder nach den Alternativen gefragt werden, die Kant bei der Darlegung der metaphysischen Deduktion hat. Dieser Text scheint zwei Hauptwege zur Entdeckung des Kategoriensystems zu implizieren: Man könnte dabei entweder von den angeborenen Vermögen oder von den Akten derselben ausgehen. Kant läßt faktisch den ersten Weg außer acht, obwohl diese Stelle ihn anzukündigen scheint. Es ist nicht schwierig einzusehen, warum er diese Entscheidung trifft. Gemäß den vorangehenden Überlegungen soll die metaphysische Deduktion der Kategorien vor der transzendentalen dargelegt werden. In dem Fall, daß es möglich wäre, bis zu diesen angeborenen Vermögen vorzudringen und aus ihnen das System der Kategorien abzuleiten, müßte eine derartige Untersuchung eine Darlegung der theoretischen Subjektivität im ganzen vorausschicken, die, wie ich zeigen werde, zur transzendentalen Deduktion notwendig gehört. Eine solche Antizipation würde die Darlegungsordnung des Werkes umwerfen und dessen Hauptziel verdunkeln, das in der transzendentalen Deduktion erreicht wird. Dennoch sieht sich Kant gezwungen, in § 10 Einsichten in das Erkenntnisvermögen im ganzen und in den subjektiven Ursprung der Kategorien mitzuteilen, was zur Schwierigkeit und Dunkelheit dieser Stelle beiträgt. Außerdem muß man berücksichtigen, daß, falls Kant den direkten Aufbau des Kategoriensystems in Angriff nähme, er von der Idee der Kategorie überhaupt ausgehen müßte, um sie dann nach ihren Differenzen einzuteilen. Das scheint durch
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Sein und Subjektivität bei Kant
den Hinweis angedeutet zu werden, daß die Vollständigkeit eines Wissens von den intellektualen Erkenntnissen a priori nur "vermittelst einer Idee des Ganzen der Verstandeserkenntnis a priori und durch die daraus bestimmte Abteilung der Begriffe" möglich sei (A 64). Das würde jedoch ein Wissen von dem Wesen von Kategorie überhaupt und vom Inhalt jeder Kategorie im besonderen verlangen, das erst nach der transzendentalen Deduktion und dem Schematismus-Kapitel verfügbar ist. Das bedeutet, daß das System dieser Begriffe, das am Anfang der Analytik zur Darstellung kommen soll, nur eine erste formale Annäherung zu demselben sein kann. Der andere, alternative Weg der metaphysischen Deduktion muß von den Akten ausgehen, die den angeborenen Vermögen entsprechen. Seit Aristoteles ist es ein Gemeinplatz der Metaphysik der Seele, von den Akten und ihren Objekten auszugehen, um die korrespondierenden Vermögen zu erkennen. Der Text, der das erste Kapitel der Analytik der Begriffe einleitet (A 66-67), tut implizit die Möglichkeiten dieses Weges kund. Dieser Passus nimmt an, daß es möglich ist, die Vorstellungen a priori nach und nach zu erkennen und zu sammeln, die aus der Aktivierung der Vermögen entspringen. Jedoch verschafft eine solche empirische Sammlung keine Gewißheit, daß man alle die Vorstellungen erkennt, die einem bestimmten Vermögen entspringen können, und sie gestattet nicht, deren Zusammenhang und Ordnung zu erkennen. Mittels dieser Induktion, die von den Akten der Vermögen ausgeht, ist es unmöglich, das gesuchte System zu entdecken. Bleibt der metaphysischen Deduktion noch ein anderer Weg übrig, der von den genannten Akten ausgeht? Dieser Weg besteht faktisch darin, von anderen, schon bekannten Akten desselben Vermögens auszugehen, die mit den gesuchten in irgendeiner Hinsicht identisch sind und die ferner als ein System erkannt werden können. Der für die abendländische Tradition sichtbare und bekannte Aspekt des Verstandes ist seine Handlung als Vermögen zu urteilen. Über diese Aktivität und deren Produkte liefert schon die formale Logik eine fast endgültige Erkenntnis (B VII-IX). Ferner gelingt es Kant gegen Mitte der siebziger Jahre, die bisherigen Urteilslisten der Logiker zu systematisieren, um dadurch gerade das System der Kategorien zu entdecken.14 Zum anderen empfiehlt die überlieferte Verknüpfung von Urteilen und Kategorien diesen Umweg über das Urteilssystem zu machen. Der Terminus "Verstand" bezeichnet das seit Piaton und Aristoteles als diánoia und lògos bekannte Phänomen des Vermögens zu denken, das Gedanken verbindet und trennt und dadurch Sätze, insbesondere Urteile (Aussagen), bildet. Demnach müssen die Kategorien, wenn sie Begriffe des Verstandes sind, in irgendeiner Verknüpfung mit dem Urteilen stehen. Aristoteles, der als erster eine Lehre der obersten Gattungen des Seienden entwirft, bezeichnet sie als kategoriai, d. h., er versteht sie zugleich
14 Vgl. Vleeschauwer, 1,244 ff.
Weg der metaphysischen Deduktion der Kategorien
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als jene "Beschuldigungen", die wir immer und implizit gegen jedes Seiende vorbringen, wenn wir von ihm sagen, daß es dies oder jenes ist, d. h., wenn wir urteilen. Dergestalt werden die allgemeinsten Bestimmungen des Seienden seit Aristoteles und der nachfolgenden Überlieferung als die universalsten Prädikate aufgefaßt, die der Verstand beim Urteilen verwendet. Aus all diesen Gründen muß für Kant die philosophische Darlegung der Entdeckung des Kategoriensystems vom Verstände als Vermögen zu urteilen her entfaltet werden. Diese Untersuchung, die zunächst als Einteilung einer Idee des Ganzen der Verstandeserkenntnis (A 64-65) und dann als eine Zergliederung des Verstandesvermögens selbst (A 65-66) angekündigt wird, stellt sich am Ende nur als die systematische Einteilung eines gemeinschaftlichen Prinzips, "des Vermögens zu urteilen", heraus (A 80-81). Daraus ergibt sich der Gang der metaphysischen Deduktion. Da das System der Kategorien nur aus der Urteilstafel abgeleitet werden kann (3. Abschnitt), wenn diese Tafel ihrerseits vorher als ein System aufgewiesen ist (2. Abschnitt), muß der Text mit der Fixierung der Idee des Verstandes als Urteilsvermögens beginnen (1. Abschnitt). Der 3. Abschnitt wendet sich vom logischen Gebrauch des Verstandes im Urteilen zu dem reinen-objektiven Gebrauch desselben von seinen Kategorien, und um das Kategoriensystem aus der Urteilstafel ableiten zu können, muß er beweisen, daß beide, Kategorien und Urteilsfunktionen, ein und dieselben Funktionen des Verstandes sind. Obwohl § 10 der Gipfelpunkt der metaphysischen Deduktion ist, ist es demnach nötig, die ersten Abschnitte des Kapitels als vorbereitende Etappen derselben zu betrachten. All dies kann als Antwort auf die oft gestellte Frage nach der textlichen Lokalisierung dieser Deduktion gelten.
§10. Die Idee des Urteils und das System der
Urteilsfunktionen
Dem erörterten Plan der metaphysischen Deduktion gemäß, muß diese zunächst in den ersten Abschnitten des Leitfadenkapitels dasjenige liefern, was man die Urteilstafel zu nennen pflegt. Da diese Tafel ein System sein soll, und zwar ein solches, das seinen Ursprung a priori im Verstände hat, gliedert sich diese Aufgabe eben in zwei Schritte: die Aufstellung der Idee dieses Systems, und zwar deren Ableitung aus der Idee des Verstandes selbst (1. Abschnitt), und die Präsentation dieses Systems (2. Abschnitt), wobei die Produktion desselben durch Einteilen dieser Idee implizit bleibt. Eine solche Interpretation dessen, was in diesen Partien des Leitfadenkapitels geschieht, gründet in folgenden Punkten. 1. Das System der Kategorien erfüllt, wie bereits gesagt, all die Bestimmungen eines Systems von Begriffen, die Kant im Architektonik-Kapitel darlegt. Der einleitende Text der Analytik (A 64-65)
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Sein und Subjektivität bei Kant
betont die Vollständigkeit dieses Systems und begründet ihre Möglichkeit darin, daß es eine "Idee des Ganzen der Verstandeserkenntnis a priori" gibt und daß sie in Begriffen eingeteilt wird. Wie gesagt, das Wort "Abteilung" bedeutet in diesem Kontext die Operation der Einteilung jener Idee durch Differenzen zur Erzeugung der niederen Systemglieder. Daß die Verstandeserkenntnis ein solches System bildet und unter einem Begriffe oder einer Idee steht, gründet seinerseits darin, daß der Verstand selbst eine abgeschlossene Einheit ist (A 65 und 67). Der Leitfaden zur Entdeckung aller Verstandesbegriffe besteht eben in dieser Idee. Von dieser her als einem Prinzip oder einer Regel (A 67) kann das Ganze, das sie umgreift, eingeteilt werden, wodurch die Systemglieder zum Vorschein komen (vgl. AA XX, 214). 2. Da das System der Kategorien und das der Urteilsfunktionen isomorph sind, muß letzteres auch ein System im Sinne einer Einteilung sein. Das wird A 70 unmittelbar nach der Präsentation der Urteilstafel gesagt: "Da diese Einteilung..." usw. Diese Tafel ist ihrerseits Resultat des Einteilens der Sphäre einer Idee in ihre Arten und Unterarten. Obwohl diese Tafel ein System von "Urteilen" bzw. Urteilsfunktionen ist, sind ihre Glieder keine Urteile, sondern z.B. Urteilsarte«, d.h. Begriffe der Arten und Unterarten von Urteilen. Die "Urteilstafel" ist in dieser Hinsicht ein System von Begriffen und die Weise, wie dieses System erzeugt wird, muß deshalb das Einteilen einer Begriffssphäre sein. Dieses Einteilen bleibt in § 9 der Kritik implizit, aus Gründen, die im folgenden gestreift werden. An einer Stelle, die direkt von der Einteilung der Kategorien spricht, aber zugleich durch die Erwähnung des "Vermögens zu urteilen" als Idee implizit auf die Einteilung der Urteilsfunktionen hinausweist, sagt Kant: "Diese Einteilung ist systematisch aus einem gemeinschaftlichen Prinzip, nämlich dem Vermögen zu urteilen, (welches ebensoviel ist, als das Vermögen zu denken), erzeugt... " (A 80-81). Gemäß dieser Interpretation hat der 1. Abschnitt des Leitfadenkapitels die Aufgabe, diesen Leitfaden selbst, d.h. die Idee des Urteilssystems, aus der Idee vom Verstand abzuleiten. Da der Verstand überhaupt ein nichtsinnliches Erkenntnisvermögen ist und wir nur sinnlich anschauen können, ist er kein Vermögen der Anschauung, sondern der Begriffe. Da er ferner die Begriffe nur gebrauchen kann, indem er durch sie urteilt, ist der Verstand ein Vermögen zu urteilen. Diese Überlegung, die in dem Text faktisch vorliegt, ist vordergründig; sie trifft noch nicht die gesuchte Idee. Kant bestimmt den Verstand nicht bloß als ein Vermögen der Erkenntnis durch Begriffe, sondern er begreift beide, Begriff und Verstand, auf eine neue Weise, indem er den Begriff auf Spontaneität und Funktion zurückführt. Der Begriff ist nicht ein Gegebenes der Sinnlichkeit, sondern ein vom Verstand spontan Erzeugtes, und zwar nach einer Funktion. "Funktion" bedeutet geläufig einen bestimmten Modus des Handelns, und zwar als eine Möglichkeit, deren Verwirklichung der Handelnde innerhalb einer organisierten Ganzheit zur Aufgabe hat. Demgemäß haben sowohl die Organe eines
Das Urteil und das System der Urteilsfunktionen
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lebendigen Körpers als auch die Menschen innerhalb der Gesellschaft ihre entsprechenden Funktionen. In der Kritik bedeutet das Wort "Funktion" in der Tat zunächst ein spontanes Tun, im Gegensatz zum Empfangen und Leiden. Dieses Tun ist ferner immer eine bestimmte Weise (forma, species), mannigfaltige Vorstellungen synthetisch zu vereinigen. Aber "Funktion" besagt nicht eigentlich das synthetische Tun selbst, sondern eher die (begriffliche oder vorbegriffliche) Vorstellung dieser Weise, welche als einheitliche Regel diesem Tun die Einheit seines Stiles gewährleistet. Handlungen, die auf mehrere Weisen vorgehen, ermangeln der Einheit. Darum ist die Funktion die Einheit oder der Einheitsgrund dieser Synthesis. "Ich verstehe aber unter Funktion die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen" ( A 68).15 Der empirische Begriff z.B. ist eine synthetische Einheit. Sie wird durch ein synthetisches Tun nach einer Regel produziert, das vielfältige Bilder miteinander vergleicht, das ihnen Identische erschaut und von dem absieht, worin sie sich voneinander unterscheiden. Damit wird der Verstand als ein Handeln nach synthetischen Funktionen interpretiert. Analoges gilt fur das Urteil. Da es dabei nicht darum geht, das Urteil in allen seinen Bestimmungen darzulegen, sondern darum, es als synthetische Einheit in den Blick zu nehmen, beschränkt sich Kant auf die prädikative Synthesis in demselben. In allgemeinen bejahenden Urteilen wie "alle Körper sind teilbar" wird der Subjektbegriff "Körper", zusammen mit anderen möglichen Begriffen, und zwar in diesem Falle seine ganze Sphäre von Einzelheiten unter die Sphäre des Prädikatbegriffs "teilbar" subsumiert. Das heißt, der Prädikatbegriff "teilbar" stellt mannigfaltige Begriffe und durch einen von ihnen ("Körper") auch mittelbar alle einzelnen Körper bzw. noch unbestimmten Erscheinungen vor, so daß er diese Mannifaltigkeit umgreift. Das Urteil ist dergestalt synthetische Einheit. "Alle Urteile sind demnach Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen ..." (A 69). Wie der Begriff gründet das Urteil als synthetische Einheit in dem Verstand als in einer Funktion der synthetischen Einigung. Es ist in diesem Sinne, daß er ein Vermögen zu urteilen ist. Die gesuchte Idee ist der Begriff dieses Vermögens nach der Funktion der synthetischen Einheit, dessen Sphäre alle diejenigen synthetischen Funktionen umgreift, die an der Erzeugung eines Urteils teilhaben.
15 An manchen Stellen hat das Wort "Funktion" die Bedeutung einer eigenen Aufgabe von etwas. So können Verstand und Sinnlichkeit ihre Funktionen nicht vertauschen (A 51). Die Synthesis der Einbildungskraft auf Begriffe zu bringen, "das ist eine Funktion, die dem Verstände zukommt" (A 78). Nach A 68 ist Funktion ein spontanes Tun im Unterschied zur Affektion, vgl. auch A 78. An zahlreichen Stellen bedeutet "Funktion" ferner eine Art oder Form zu verbinden. Zum Beispiel ist "die Funktion des kategorischen Urteils die des Verhältnisses des Subjekts zum Prädikat" (B 128). Vgl. dazu auch A 69, 70,73,74,335 und Β 111 -12,143 usw. Zur zentralen Bedeutung von "Funktion" als Vorstellung dieser Verbindungsweise vgl. A 68 und 78-79. Vgl. unten § 16 E die Deutung des Ausdrucks "Einheit der Synthesis" von A 103.
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Sein und Subjektivität bei Kant
Da der Verstand ein solches Vermögen ist, müssen seine Funktionen eben solche der synthetischen Einheit in den Urteilen sein. Daher sagt Kant: "Die Funktionen des Verstandes können also insgesamt gefunden werden, wenn man die Funktionen der Einheit in den Urteilen vollständig darstellen kann" (A 69). Vollständiges Darstellen derselben ist möglich, wenn man die genannte Idee angemessen bis zu ihren niedersten Arten einteilen kann. Das ist die Operation, die Kant am Anfang des zweiten Abschnitts kennzeichnet. Es gilt, von dem Inhalt eines Urteils zu abstrahieren und die bloße Form, d. h. die synthetische Einheit desselben, zu erblicken. Dann werden von dieser Form her die Differenzen sichtbar, durch die die Idee der synthetischen Funktion des Urteilens in ihren Arten und Unterarten nach und nach eingeteilt werden kann. Ein solches Einteilen ist gemeint, wenn Kant sagt, daß "die Funktion des Denkens in demselben [Urteil] unter vier Titel gebracht werden könne, deren jeder drei Momente unter sich enthält" (A 70). Zu zeigen, daß sich das "ganz wohl bewerkstelligen lasse", soll Aufgabe des zweiten Abschnittes sein. Da die Kritik die philosophische Erwerbung des Systems der Kategorien vollzieht, indem sie dieses System aus dem System der Urteilsfunktionen ableitet, würde die ausdrückliche Errichtung dieses letzteren Systems mittels der genannten Einteilung auf das Kategoriensystem viel Licht werfen. Dieses Licht wäre sogar entscheidend, wenn, wie einige glauben, die Urteilstafel den letzten Ursprung der Kategorien bildet. Kant legt dennoch den Aufbau dieses logischen Systems weder in § 9 der & Κ noch anderswo dar, sondern er begnügt sich damit, die Tafel der Urteilsfunktionen als das leicht korrigierte Ergebnis der Arbeit der Logiker in der Tradition {Proleg. § 39) vorzustellen. Der 2. Abschnitt der Kr V fugt ansonsten nur Klärungen zu möglichen Mißverständnissen dieser Tafel bei. Kant baut jedoch wirklich dieses logische System durch die genannte Einteilung auf, oder genauer: er systematisiert die bisher versuchten Klassifikationen der Urteile auf dem oben (§ 8) umrissenen Wege in dieser Tafel, aber der ganze Prozeß der Einteilung selbst bleibt in seinen Texten verborgen. In der Absicht, auf das System der Kategorien ein vorläufiges Licht zu werfen, versuche ich im folgenden, auf der Grundlage der im Text verstreuten Hinweise diese Einteilung zu vollziehen. Zur näheren Verdeutlichung der Idee, mit der diese Einteilung beginnen soll, gilt es, erneut zu fragen, wovon diese Tafel ein System sein soll. Diese Frage scheint in diesem Kontext unangebracht und überflüssig zu sein, denn die Kantische Tradition redet einhellig von der "Urteilstafel". Kant selbst verwendet diesen Ausdruck in den Prolegomena (§ 21): "Logische Tafel der Urteile". Häufiger gebraucht die KrV aber andere Ausdrücke: "Tafel der Momente des Denkens" (A 71); "Tafel aller Momente des Denkens in den Urteilen" (A 73); "Von der logischen Funktion des Verstandes in Urteilen" (als Titel § 9); "... in der vorigen Tafel [gegebene] logische Funktionen in allen möglichen Urteilen" (A 79); "Tafel der logischen Funktionen" (B 111). Wiewohl Kant A 69 die Urteile als "Funktionen
Das Urteil und das System der Urteilsfunktionen
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der Einheit unter unseren Vorstellungen" kennzeichnet, unterscheidet er häufiger zwischen Funktion und Urteil, indem er von logischen Funktionen in Urteilen (A 70, Β 131), der Urteile (A 406) oder zu Urteilen (B 128) redet.16 Solche Bemerkungen könnten jedem eitel erscheinen, der sich nicht auf die Natur der Kantischen "Urteilstafel" besonnen hat. Wenn sie eine Einteilung der Idee von Urteil überhaupt wäre, dann enthielte sie disjunkte Arten von Urteilen. Dem ist wenigstens zum Teil nicht so. Wenn die vier Klassen dieser Tafel disjunkte Arten wären, dann würde die Subsumtion eines Urteils unter die Klasse der Quantität es automatisch von den anderen drei ausschließen, was gerade nicht zutrifft. Diese vier Klassen sind vielmehr wesentliche Bestimmungen, die zusammen bei allen Urteilen auftreten und sie ihrer Form nach konstituieren. 17 Diese Bestimmungen sind Modi oder Formen der Synthesis, d.h. Funktionen des Verstandes, während die Urteile das durch sie Ermöglichte sind. Aus diesen Gründen kann man sagen, daß genannte Tafel in erster Linie keine Klassifikation der Urteile ist, wie man üblicherweise glaubt, sondern der synthetischen Funktionen des Verstandes in den Urteilen. Die eben zitierten Stellen zeigen, daß Kant es so versteht. Jedoch ist diese Tafel, in einer anderen Hinsicht, wirklich eine gewisse Klassifikation der Urteile. Jede der genannten vier Klassen teilt sich in drei disjunkte Arten von Synthesis, denen disjunkte Arten von Urteilen entsprechen. Demgemäß kann ein universales Urteil nicht zugleich partikulär und singulär sein. Obwohl diese Disjunktion die Klassifikation der Urteile möglich macht, ist diese nur innerhalb einer jeden Klasse möglich und dies nur indirekt, denn "allgemein" oder "kategorisch" sind keine Arten, die ein Urteil als ganzes betreffen, sondern nur verschiedene Aspekte desselben. Daher sind "allgemein", "bejahend", "kategorisch" und "apodiktisch" keine disjunkten Arten einer angebbaren Gattung "Urteil überhaupt", sondern Unterarten von Synthesis, die sehr wohl alle zusammen die Form eines und desselben Urteils konstituieren können, z.B. "jeder Körper ist teilbar". Daraus ergibt sich 1.) daß jenes System in erster Linie eine Klassifikation der synthetischen Funktionen ist, die jedes Urteil möglich machen. Das ist der Aspekt des Systems, der fur die Ableitung der Kategorien als synthetische Funktionen relevant ist. 2.) In anderer, sekundärer Hinsicht enthält dieses System vier Klassifikationen von disjunkten Arten von Urteilen, als Produkte jener synthetischen
16 Vgl. P. Schulthess: "Es ist erstaunlich, wie fast in den meisten Arbeiten zu Kant die 'Tafel logischer Funktionen in allen möglichen Urteilen' (B 105) ganz einfach als Urteilstafel angesprochen wird" CRelation und Funktion, S. 277, Berlin 1991). 17 M. Wolff bemerkt in seinem Buch Die Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel (S.14), daß es Urteile gibt, die nicht durch alle diese formalen Momente konstituiert sind. Kant scheint mindestens zu glauben, daß diese Funktionen an der Konstitution jedes Urteils beteiligt sind, denn sonst würde er nicht dieselbe Tafel bald als eine solche der Urteilsfunktionen, bald als eine der Urteile bezeichnen.
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Sein und Subjektivität bei Kant
Funktionen. Diese zwei Seiten erklären das Schwanken Kants selbst bei der Bezeichnung des Systems. Diese Doppeltheit gründet darin, daß die synthetischen Funktionen des Verstandes entweder fiir sich oder in Beziehung auf das Urteil als ihr Produkt betrachtet werden können. Zur weiteren Klärung der Idee der "Funktion des Denkens" im Urteil (A 70) ist es nötig, zu betonen, daß, obzwar diese Funktion und ihre Klassen die Form der Urteile unter Abstraktion ihres Inhalts betreffen, es sich dabei um die Form der Urteile als Erkenntnisse handelt. Die Tafel ist nicht logisch-formal, sondern eine "transzendentale Tafel aller Momente des Denkens in den Urteilen" (A 73). Infolgedessen muß die transzendentale Logik drei Arten von synthetischen Funktionen in den Klassen der Quantität und Qualität annehmen, während die formale Logik nur zwei Urteilstypen in jeder dieser Klassen registriert (A 71-72). Bei der folgenden Einteilung ist also von der Idee der synthetischen Funktion des Verstandes in den Urteilen als Erkenntnissen von Objekten auszugehen. Wie geht die Einteilung dieser Idee vor sich? Nach der Stelle zu Beginn des Paragraphen 9 genügt es, bloß auf die Urteilsform achtzugeben, um gleich auf vier Klassen und auf deren weitere Dreiteilung zu stoßen. Das verrät, daß Kant sich an dieser Stelle nicht mit der Durchführung der genannten Einteilung aufhalten will, und daß er sofort zur Darstellung der "Urteilstafel" übergehen möchte. Wenn man dagegen mit dieser Einteilung Ernst macht, muß man zunächst mehrere Fragen beantworten: Wie kann eine Idee in vier Klassen eingeteilt werden? Mit welchen Differenzen kann man sie so einteilen? Wie ist eine Trichotomie jeder dieser Klassen möglich? Kant spricht nicht direkt über die ersten Schritte der Einteilung, aber seine Bemerkungen zur parallelen Tafel der Kategorien geben hier und da einen Hinweis auf sie. So erklärt eine Stelle Β 110 (§ 11), daß die vier Klassen der Kategorientafel aus zwei sukzessiven Einteilungen entspringen. Der erste Schritt teilt die Idee der Kategorie in zwei Arten ein, deren jede wiederum zweigeteilt wird, so daß sich am Ende vier Unterarten (Klassen) ergeben. Eine jener Arten betrifft die Gegenstände der (reinen oder empirischen) Anschauung; die andere geht auf die Existenz dieser Gegenstände. Aus Gründen, die später besprochen werden sollen, entspricht die erste Art der Möglichkeit im Sinne des Was-Seins der Gegenstände der Anschauung (vgl. A 178-79). Bei dieser Einteilung ist der Unterschied zwischen Was und Daß des Gegenstandes im Spiele.18 Wenn dem so ist, müßte bei den Urteilsfunktionen etwas Analoges geschehen. Man könnte freilich einwenden, daß Urteilsformen bzw. -funktionen und Kategorien voneinander verschieden sind usw. Aber es gibt Gründe dafür, die Analogie beider 18 Vgl. R 5859: "Relation und Modalität gehören zur Naturbetrachtung der Wesen, Quantität und Qualität zur Wesenslehre". Hierzu ist zu erinnern, daß "Natur" im formalen Sinne bedeutet: "das Dasein der Dinge, sofem es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist" (Proleg. § 14, vgl. auch A 418-19). Vgl. unten § 38 die Darlegung der Einteilung des Kategoriensystems.
Das Urteil und das System der Urteilsftinktionen
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Formentafeln anzunehmen, denn die Kategorien sind eben aus der Tafel der Urteilsfunktionen abgeleitet. Außerdem bemerkt Kant in demselben Paragraphen (B 111-12), daß bei der Kategorie der Gemeinschaft in dem dritten Titel (der Relation) "die Übereinstimmung mit der in der Tafel der logischen Funktionen ihm korrespondierenden Form eines disjunktiven Urteils nicht so in die Augen fallend [ist], als bei den übrigen" (Hervorh.Vf.). Kant setzt also eine totale Übereinstimmung zwischen beiden Formensystemen voraus. Demgemäß muß sich auch die Idee der synthetischen Funktion des Verstandes im Urteil zuerst in zwei Arten einteilen, deren eine das logische Wesen, d.h. die Form der Begriffe im Urteil betrifft, während die andere auf die logische Wirklichkeit oder Existenz der Urteile für das Denken geht. Jene gliedert sich in die Klassen der Quantität und Qualität, diese in die Klassen der Relation und Modalität. Versuchen wir, diese Deutung zu belegen. Erstens betrachten wir die Urteilsfunktionen der Quantität und Qualität, um zu sehen, ob sie unter einer gemeinsamen Art stehen, die die Form des Begriffs betrifft. Die Quantität des Urteils geht fur Kant auf die Größe der Sphäre des Subjektbegriffs, die in der Sphäre des Prädikatbegriffs entweder eingeschlossen oder nicht eingeschlossen wird (R 3068, vgl. Jäsche § 21). Die Qualität des Urteils betrifft ihrerseits diese Subsumtion oder Nichtsubsumtion der Sphäre eines Begriffs unter die Sphäre des anderen (vgl. Jäsche § 22). Das beiden Klassen Gemeinsame ist die Verbindung der Begriffe hinsichtlich ihrer Ausdehnungen oder Sphären, also als allgemeine Vorstellungen. Da die Allgemeinheit nun die Form des Begriffs, sein Wesen, ausmacht (vgl. R 2834), betrifft die der Quantität und Qualität gemeinsame Gattung das Was-Sein der Begriffe und dadurch auch des Urteils. Zum Nachweis, daß die anderen Klassen der Relation und Modalität unter einer gemeinsamen Gattung stehen, die die logische Wirklichkeit oder Wahrheit des Urteils betrifft, bedarf es längerer Überlegungen. Kant spricht ausdrücklich von logischer Wirklichkeit im Bereich der Modalität (vgl. A 75-76). Das Urteil hat Modi, insofern es vom Verstand aus irgendwelchen Gründen für wahr gehalten wird. So ist das assertorische Urteil logisch wirklich (oder wirklich wahr), nicht weil es faktisch mit dem Objekt übereinstimmt, sondern insofern es vom Verstandfür wahr gehalten wird, weil es widerspruchsfrei und durch andere Urteile gegründet ist. Die anderen Modi sind Weisen dieser logischen Wirklichkeit. Demgemäß hält der Verstand das problematische Urteil fur möglicherweise wahr, bloß weil es keinen Widerspruch enthält, und das apodiktische für notwendigerweise wahr, weil sein Gegensatz widersprüchlich ist. Solche Bestimmungen erwachsen aus einer Reflexion auf das Urteil und dessen Beziehung zum Verstand.19
19 Zur logischen Modalität vgl. R. Stuhlmann-Laeisz(1976), 61 ff. In dem BriefKants an Reinhold vom 19. 5.1789 werden die drei Modi in den drei Prinzipien des Denkens gegründet, unter ihnen die apodiktischen Urteile im Satz des ausgeschlossenen Dritten (AA XI, 45).
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Sein und Subjektivität bei Kant
Die Klasse der Urteile der Relation scheint zunächst mit einer solchen logischen Wirklichkeit gar nichts zu tun zu haben. Die in ihr gemeinte Relation betrifft ein Verhältnis der Unterordnung unter Begriffen oder unter Urteilen, indem in dem kategorischen Urteil das Prädikat dem Subjekt untergeordnet ist, während in dem hypothetischen der Nachsatz (die Folge) dem Vordersatz (Grund) und in dem disjunktiven die Urteilsglieder einander und dem Ganzen untergeordnet ist bzw. sind (Jäsche, § 23). Wie das kategorische Urteil o f f e n b a r t , ist dieses Unterordnungsverhältnis des Prädikats unter dem Subjekt von der Subsumtion des Subjekts unter das Prädikat verschieden, die für die Klassen der Quantität und Qualität charakteristisch ist. In welchem Horizont muß das Urteil hier betrachtet werden, um die Natur dieser Unterordnung zu begreifen? Das ist im Falle der hypothetischen und disjunktiven Urteile leichter zu sehen. Wie Kant an mehreren Stellen bemerkt, sind Vorder- und Nachsatz im hypothetischen Urteil problematisch, und nur die Konsequenz (wenn p, dann q) ist assertorisch gemeint (Jäsche § 25, Anm.). Solche modalen Bestimmungen betreffen nicht ein jedes faktische Urteil, insofern es außer einer Relation auch irgendeine Modalität haben muß, sondern sie wurzeln in dem Wesen der Relation selbst. Das hypothetische Urteil drückt nur aus, daß ich den Nachsatz bloß dann fur wahr halte, wenn ich den Vordersatz für wahr halte. Die dabei gemeinte Unterordnung betrifft gerade das Fürwahrhalten bzw. die korrelative logische "Wahrheit " des Urteils für den Verstand. Im Falle des disjunktiven Urteils drückt der Verstand aus, daß er ein Teilurteil nur für wahr hält, wenn er die anderen Urteile nicht für wahr hält. Wenn dem so ist, dann muß die Modalität des kategorischen Urteils auch in dieser Richtung interpretiert werden. Kant sagt aber hin und wieder, daß ein solches Urteil problematisch ist, während er es an anderen Stellen fur assertorisch hält. Dem ist so, weil man das kategorische Urteil aus zwei Perspektiven betrachten kann. 1) Wenn man es im Vergleich mit den hypothetischen und disjunktiven Urteilen betrachtet, springt in die Augen, daß es nicht durch ein anderes Urteil bedingt und begründet wird. Deshalb ist es dann bloß problematisch. Hier ist die Modalität des Urteils dessen Form entnommen. 2) Kant betrachtet aber das bloß kategorische Urteil (judicium purum) auch im Vergleich mit anderen kategorischen Urteilen, die einen modalen Ausdruck ("kann", "mag", "notwendigerweise" usw.) enthalten und deshalb modale heißen. In solchen Fällen faßt er jenes Urteil als assertorisch, eben weil es keine solchen modalen Bestimmungen enthält. Bei dieser Modalität spielt nicht nur die Materie des Urteils, sondern auch dessen Form eine Rolle, die in der puren Relation des Prädikats zum Subjekt besteht. Der Verstand hält dieses Urteil für wirklich wahr, eben weil das Prädikat im Subjekt gründet. Das ist die Relation, die für die Kategorie Substanz-Akzidenz relevant ist.20 20
Nach dem zitierten Brief an Reinhold vom 19.5.1789 ist das kategorische Urteil problematisch, weil es bloß mit dem Satz vom Widerspruch übereinstimmt und nicht mit den zwei anderen Prinzipien des Denkens; nach der Wiener Logik will Kant die Modalität rein aus der Form des Urteils nehmen und
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Demgemäß ist die Relation nicht bloß auf eine unbestimmte Weise mit der Modalität "verfilzt" (Reich), sondern sie betrifft ein Verhältnis der Unter- und Überordnung zwischen Begriffen bzw. Urteilen hinsichtlich ihrer Wahrheit für den Verstand. Diese Relationen liegen dabei nicht neben der Modalität, sondern setzen sie voraus. Trotz dieser ihrer Beziehung zur Modalität trägt die Relation zum Inhalt des Urteils bei (A 74), weil sie eben die Unterordnungsverhältnisse der fürwahrgehaltenen Sachen betrifft und nicht bloß das Fürwahrhalten selbst.21 Nachdem damit die erste Dichotomie der Einteilung gesichert ist, ist es nicht schwierig, die folgende zu erblicken. Die Klasse 'Was oder Wesen des Urteils" kann nämlich weiter eingeteilt werden, je nachdem man auf die bloße Subsumtion oder Nicht-Subsumtion der Sphäre des Subjektbegriffs unter die des Prädikats sieht, oder auf die Größe dieser Subsumtion oder Nicht-Subsumtion. Daraus entspringen die Klassen der Qualität bzw. der Quantität. Hier wie in der dritten und vierten Klasse schließt die erste Klasse schon die zweite ein. Auf der anderen Seite kann die Klasse "logische Wirklichkeit des Urteils" weiter eingeteilt werden, wenn man entweder auf die bloße logische Wirklichkeit des Urteils, d. h. auf dessen Wahrheit für den Verstand (Modalität), oder auf die Unterordnungsverhältnisse der im Urteil für wahr gehaltenen Inhalte (Relation) blickt. Da die Trichotomie jeder der daraus resultierenden vier Klassen unten ausfuhrlicher und angemessener besprochen werden soll ( § 3 8 C), begnüge ich mich hier damit, diesen letzten Schritt der Einteilung zu skizzieren. Die Einteilung geht hier so vor sich, daß man bei jeder Klasse zunächst eine Form erblickt, dann aus ihr als einer Bedingung ihre Folge und drittens aus beiden ihre Verbindung in einer letzten Form ableitet (vgl. Β 110, Proleg. § 39 sowie die Reflexionen, die unten in § 38 C besprochen werden).
nicht aus seiner Materie (AA XXIV, 935). Der Unterschied zwischen judicia pura und modale wird in der Logik Blomberg gestreift (a.a.O. 277). Die Logik Pölitz fuhrt drei Beispiele von kategorischen Urteilen an, mit problematischer bzw. assertorischer oder apodiktischer Modalität: "die Seele mag unsterblich sein"; "sie ist unsterblich"; "sie ist notwendig unsterblich" (a.a.O. 579, vgl. ebenso die Logik Busolt, S. 662). In der Logik Pölitz wird auch gesagt: "bei categorischen ist nichts problematisch, sondern alles assertorisch" (a.a.O. 580). Dasselbe findet man bei Jäsche § 25. 21 Für die Parallelität von Kategorien und Urteilsformen sprechen weiter folgende Aspekte: Bei beiden Formensystemen betreffen die drei ersten Klassen den Inhalt des Gegenstandes bzw. des Urteils, während die vierte Klasse nur auf das Verhältnis des Gegenstandes bzw. des Urteils zum Denken geht (vgl. A 74 bzw. 219). Ferner ist den Klassen der Kategorien der Relation und Modalität eigentümlich, daß sie Paare von Korrelata haben. Analoges ist bei den korrespondierenden Klassen der Urteilsfunktionen festzustellen: Relation: 1. Subjekt-Prädikat; 2. Grund-Folge; 3. Teile-Ganzes; Modalität: problematische ( es ist möglich, bzw. nicht möglich, daß), assertorische (es ist ..., es ist nicht ...), apodiktische (es ist notwendig bzw. nicht notwendig, daß ...). Vgl. Proleg. § 39 Anm.
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Anhang: Neuere Literatur zur Urteilstafel Die Kantische "Urteilstafel" ist Thema mehrerer Arbeiten, die hier nicht übersehen werden können. Unter ihnen sollen im folgenden die Bücher von K. Reich, R. Brandt und M. Wolff kritisch besprochen werden. 1. K.Reich stellt sich in seinem Buch die Aufgabe, die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel durch die Darstellung der Urteilsformen als ein System zu beweisen (10-11). Trotzdem geht er dabei auf den Begriff des Systems nicht hinreichend ein und sieht nicht, daß die Urteilstafel ein System von Begriffen ist. Daher übersieht er die Rolle der Begriffseinteilung beim Aufbau eines solchen Systems. Jedoch weiß Vf., daß das System der Urteilsformen durch deren Ableitung aus einer Idee oder Prinzip geschehen muß (12 f.) und bestimmt dieses Prinzip als die synthetische Einheit der Apperzeption (57-58) und noch genauer (45) als die Definition des Urteils in Β 141, wobei er die Entfaltung dieses Systems implizit im Sinne der Ableitung von Sätzen auseinander versteht. Aber anstatt diese Art Ableitung folgerichtig von diesen Prinzipien her synthetisch durchzufuhren, geht er umgekehrt von einem der untersten Glieder der Urteilstafel aus und leitet aus ihm die höheren Glieder analytisch ab (45-54). Reich glaubt (55-57), damit die "analytische Methode" angewandt zu haben, die von dem Prinzipiellen zum Prinzip zurückgeht (vgl. Proleg. § 5). Vf. rechtfertigt sein Vorgehen mit dem Hinweis (ebd.), daß nach Kant die Methode der Logik in der Zergliederung der Denkhandlungen in ihre Momente besteht (vgl. A 131-33). Erstens merkt Vf. nicht, daß er damit zwei verschiedene Weisen von Analyse verwechselt, die Kant nicht identifiziert. Zweitens wendet Reich auch faktisch nicht die "analytische Methode" an, denn er erläutert zuerst die Prinzipien (25-44) und interpretiert dann die jeweils abgeleiteten Urteilsformen im Lichte jener (45-54). Drittens nimmt Vf.in Einklang mit dem Begriff der genannten Methode an, daß das Prinzip (die Apperzeption) als eine Art Axiom das Prinzipierte in sich impliziert und daß beide daher identisch sind, was die Anwendung dieser Methode rechtfertigt (57). Daß die Einheit der Apperzeption ein solches Axiom sei, ist wenigstens zweifelhaft. Für sich allein und ohne Beziehung auf die sinnliche Anschauung überhaupt, ist sie nicht einmal synthetisch und reicht für die Ermöglichung der synthetischen Funktionen nicht zu (B §§ 15-21). Reich glaubt dennoch, den Beweis fur die Vollständigkeit der Urteilsformen zu liefern, den Kant einem anderen Werk vorbehalten habe. Für Kant ist fast selbstverständlich, daß die Einteilung eines Gattungsbegriffes eine Methode ist, die diese Vollständigkeit demonstrieren kann, und macht sich nicht die Mühe, deren Beweis darzustellen. Vgl. A 64-65,70-71, sowie die oben (§ 8) besprochene Anmerkung der Einleitung zur MdS (AA VI, 218). Trotz allem nimmt Reich die Schritte dieser Einteilung richtig in den Blick (87 ff.) und liefert sonst sehr wertvolle Einsichten in den betrachteten Problembereich.
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2. In seinem Buch Die Urteilstafel übernimmt Reinhard Brandt die Aufgabe Reichs, mit der Absicht, die quaestiones disputatae zu einer endgültigen Lösung zu b r i n g e n . G e g e n ü b e r R e i c h vertritt B r a n d t zu R e c h t die M e i n u n g , daß die "Urteilstafel", so wie sie im Leitfadenkapitel dargelegt ist, nicht aus der reinen Einheit der Apperzeption abgeleitet wird. Brandt will aber nicht bloß eine solche Deutung korrigieren und statt dessen zeigen, daß die "Urteilstafel" eine andere Begründung hat, sondern er tendiert eher dahin, diese Tafel als ein vorgegebenes Faktum zu betrachten, das jede weitere Frage nach einem Grund verbietet und das man als ein solches in den zwei ersten Abschnitten dieses Kapitels bloß zu registrieren hat. Dabei beruft sich der Vf. auf die oft zitierte Stelle von Β § 21, dergemäß wir nicht nach einer weiteren Begründung der Zahl und Art der Kategorien und der Urteilsformen fragen können (86). Das interpretiert Brandt in dem Sinne, daß nach Kant der subjektive Grund dieser Formensysteme dem Menschen absolut unzugänglich ist. Wiewohl er der Erklärung Kants in derselben Deduktion Β Rechnung trägt, nach der das Urteil in der Einheit der Apperzeption gründet, fragt sich Brandt nicht, in welchem Zusammenhang diese Begründung mit der scheinbaren Faktizität der Urteilstafel und derjenigen der Kategorien stehen kann, und begnügt sich damit, die Gründung dieser Formensysteme in der Apperzeption als eine Lehre anzusehen, die Kant bloß an einer anderen Stelle des Werkes, und zwar nach der Entdeckung der Urteilstafel und auf Grund derselben, formuliert hat. Er trägt außerdem nicht dem Umstand Rechnung, daß nach der Deduktion Β die reine Apperzeption allein und ohne Beziehung auf die Mannig-faltigkeit einer endlichen A n s c h a u u n g ü b e r h a u p t keine B e d i n g u n g der M ö g l i c h k e i t dieser Synthesisregeln sein kann. 22 Infolge dieser ganzen Interpretationsrichtung hat das Werk Brandts die positivistische Tendenz, die Urteilstafel und ihre Entdeckung in der Kritik von jedem philosophischen Fragen nach ihren Gründen abzuschneiden und sie zu einer Tatsache fur die Philologie und die Ideengeschichte zu machen. Und da Brandt überdies die ganze Systematik der Kritik einseitig auf die Struktur der Urteilstafel zurückfuhrt, scheint dieses Werk insgesamt auf dieser einzigen Tatsache zu beruhen. Gemäß dieser Optik handelt es sich also fur Brandt darum, im Text der KrVals einer geschichtlichen Tatsache eine Stelle zu finden, an der die Urteilstafel als ein Vorgegebenes vor einer Art Intuition zum Vorschein kommt. Diese Stelle liegt dem Vf. nach in A 70 vor. Das gestattet ihm, seine Interpretation auf die zwei ersten Abschnitte des Leitfadenkapitels zu beschränken und sie faktisch aus ihrem Kontext herauszureißen. Er interpretiert die Stelle so, daß man bei einem gegebenen Urteil und durch Abstraktion von seinem Inhalt die Form desselben (S-ist-P) und mit ihr die vier Titel und die drei Momente der Urteilstafel als "eine kontingente
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Obwohl der erste Abschnitt des Leitfadenkapitels das Urteil gar nicht explizit in der Einheit der Apperzeption gründet, denkt er das Urteil als Produkt von Funktionen, d.h. einer Synthesis nach Regeln, und das verweist implizit auf die genannte Beziehung zwischen Apperzeption und Sinnlichkeit.
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Gegebenheit" (58) vorfinden kann. Brandt berücksichtigt nicht die Stellen des nahen Kontextes, an denen Kant durch das Wort "Abteilung" bzw. "Einteilung" darauf h i n w e i s t , daß es sich bei der T a f e l der K a t e g o r i e n (A 6 4 - 6 5 ) b z w . der Urteilsfunktionen (A 70) um die Spezifikation eines Gattungsbegriffes in seine Arten und Unterarten handelt. Dagegen erklärt der Vf.: "Die Urteilstafel ist kein Stammbaum ... "(60). Hierbei muß man gemäß dem eigenen hermeneutischen Prinzip Brandts sagen, daß sich Kant mit dem Ausdruck "Einteilung" begnügt, weil er mit dem logischen Verständnis seiner damaligen Leser rechnet, die mit diesem Wort die Spezifizierung einer Gattung in ihre Arten bezeichnen. "Einteilung" in A 70 besagt nicht bloß, daß die "Urteilstafel" eine Klassifikation ist, die sich Brandt zufolge aus der soeben genannten Abstraktion und auf einmal (60) ergeben würde. Einteilung der Urteilsfunktionen als Klassifikation, oder genauer Spezifizierung derselben, ist auch das Produkt eines Einteilens, das sich unter anderem an der abstrahierten Urteilsform orientieren, aber jeweils jede Struktur dieser Form in Beziehung auf die anderen Strukturen sowie auf die Objekte und das Denken selbst betrachten muß. Daß sich das genannte Einteilen nicht allein an die Stellen der abstrahierten Urteilsform (Subjekt, Copula, Prädikat) halten kann, um das System der Urteilsfunktionen zu entfalten, zeigt der entsprechende Versuch Brandts (vgl. 5, 61-62). Die Subjektstelle und die Copula geben zwar die Möglichkeit, die Funktion der Quantität bzw. der Qualität zu sehen. Aber das Prädikat ist nicht für sich die Stelle der Relation. Brandt geht dieser Schwierigkeit aus dem Weg, indem er dabei vom Verhältnis des Prädikats zum Subjekt spricht (a.a.O.), aber das zeigt, daß die Relation nicht einseitig im Prädikat verankert ist und daß man das ganze Urteil betrachten muß, um die Relation oder jede der übrigen Klassen von Funktionen zu erblicken. Diese Schwierigkeit steigert sich bei der Modalität, weil ihr gar keine besondere Struktur in der Form des kategorischen Urteils zugeteilt werden kann, das Brandt zum Ausgangspunkt seiner Intuition der Urteilstafel macht. Die Modalität "ist im Urteil selbst gänzlich unsichtbar" (62). Überdies gelingt es dem Vf. nicht, die Eigenart der Relation als Verhältnis der Unterordnung unter Begriffen in einem für wahr gehaltenen Urteil oder unter modal bestimmten Urteilen zu sehen (vgl. 30, 77). Alles das zeigt, daß keine der vier Klassen von Funktionen einfach auf eine der drei "Stellen" der Urteilsform verteilt ist (vgl. 56, 58-59, 61), so daß man jene aus diesen entnehmen könnte. Obwohl ich in diesen zentralen Fragen anderer Meinung als der Vf. bin, erkenne ich die Verdienste seines Buches für die Klärung grundlegender Fragen der Kritik doch an. 3. In jüngster Zeit versucht Michael Wolff mit seinem Buch "Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafer(Beúin, 1995), dasselbe Problem endgültig zu lösen. Im Unterschied zu Reich glaubt er mit Brandt, daß der Text der Kr V selbst auf die Einteilung der Urteilstafel Licht wirft. Aber während sich Brandt damit begnügt, einen Hinweis auf die Einteilung der Urteilstafel am Anfang des 2. Abschnitts des
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Leifadenkapitels zu registrieren, glaubt Wolff, im 1. Abschnitt den Beweis selbst für die fragliche Vollständigkeit zu finden. Der Vf. trägt dem systematischen Charakter der Urteilstafel mehr Rechnung als seine Vorgänger. Er erörtert an mehreren Stellen ihren Charakter einer Einteilung, aber er übersieht im Grunde gleichfalls, daß diese Einteilung eine solche eines Gattungsbegriffs in seine Arten und Unterarten ist und daß das Einteilen eine Methode ist, die ein solches System zu erzeugen und sogar dessen Vollständigkeit zu begründen vermag. Im Gegenteil deutet Wolff das Einteilen als ein Schließen von Sätzen auseinander. Er stützt sich dabei auf den Hinweis Kants in den Proleg. (§ 39), demgemäß die Urteilstafel aus der Ableitung eines Prinzips entspringt. Aber Kant versteht "Ableitung" nicht nur als Schließen aus Urteilen auf andere Urteile, sondern auch als Herleitung im Sinne des Einteilens eines Begriffes, und "Prinzip" bedeutet in diesem Zusammenhang weder einen Grundsatz noch eine Prämisse, sondern eine Idee im Sinne eines Gattungsbegriffs (vgl. gerade A 67, sowie KU, Erste Einl., AA XX, 214). Wolff unternimmt größte Anstrengungen bei der Analyse des 1. Abschnitts, um zu zeigen, daß dieser Text einerseits aus Sätzen über den Verstand überhaupt den Begriff des Verstandes als Urteilsvermögens folgert, und zum anderen, daß er bei seiner Darlegung dessen, was ein Urteil überhaupt ist, auch schon den Beweis für die vier Klassen von Verstandesfunktionen und damit von Urteilsformen liefert. Die Entdeckung der jeder dieser Klassen korrespondierenden drei Unterarten findet nach Wolff so statt, daß diese vier Klassen auf die gegebene oder gebbare Mannigfaltigkeit von sprachlichen Urteilen angewandt wird, um aus ihnen diejenigen Formen auszuwählen, die als solche Unterarten fungieren können. Die Einteilung der Gattungsidee "Urteilsvermögen" wird dergestalt durch diese zweistufige Ableitung ersetzt. Was die erste dieser Stufen betrifft, zeigt der Vf. nicht auf überzeugende Weise, daß die Argumentation für die vier Klassen, die er mit großer Gelehrsamkeit entfaltet, wirklich in dem Text des 1. Abschnitts enthalten oder mindestens in ihm angedeutet ist. Explizit wird in diesem Text nur die Beleuchtung des Verstandes als eines Vermögens zu urteilen und des Urteils als einer Einigung der Vorstellungen nach Funktionen. Wenn man aber diese Charakteristik des Urteils in ihren letzten Implikationen analysiert, wie der Vf. es tut, und zwar implizit von der schon bekannten Urteilstafel her, dann ergibt sich daraus in der Tat die Einteilung in die vier Klassen. Faktisch liegt aber in diesem Verfahren ein Zirkel vor: Der Vf. geht implizit von der bekannten Urteilstafel aus und legt sie bei seiner Analyse in diesen Text so hinein, daß er dann aus ihm diese vier Urteilsklassen herauslesen kann. Nachdem der Vf. die vier Urteilsklassen auf diesem Wege gewonnen hat, geht er dazu über, in einer zweiten Stufe die zwölf Funktionen wenigstens programmatisch abzuleiten. Dies sollte nach ihm gelingen, wenn man jene Klassen auf eine Mannigfaltigkeit von möglichen oder wirklichen Beispielen von Urteilen anwendet,
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so daß man aus diesen die jeweils korrespondierenden drei Funktionen auswählen kann. Wie diese Anwendung jeweils zur Entdeckung dieser Funktionen fuhrt, wird vom Vf. nicht konkret gezeigt. Dabei übersieht er vollends die Methode der Einteilung eines Begriffes und ersetzt sie durch ein disjunktives Schließen. Die kantische Auffassung der Trichotomie, die bei diesem Schritt der Einteilung angewandt werden müßte, erörtert Vf. in einem anderen Zusammenhang. Aus diesen Gründen gelingt es den drei genannten Autoren meiner Meinung nach, trotz ihrer großen Gelehrsamkeit und ihren wertvollen Einsichten in Teilfragen, nicht die Ableitung der "Urteilstafel" im Leitfadenkapitel zu klären. Außerdem übersehen sie mehr oder weniger die Problematik des subjektiven Ursprungs der Kategorien und Urteilsfiinktionen.
§ 11. Der Gipfelpunkt der metaphysischen Deduktion der Kategorien Um das System der reinen Verstandesbegriffe zu entdecken, macht Kant einen Umweg über die Idee des Verstandes als Urteilsvermögens nach synthetischen Funktionen und dann über die systematische Tafel dieser Urteilsfunktionen. Nachdem diese zwei Etappen in den Abschnitten 1 und 2 zurückgelegt worden sind, hat der dritte Abschnitt zur Aufgabe, das System der reinen Begriffe aus der genannten Tafel abzuleiten und vor allem nachzuweisen, daß diese Ableitung möglich ist. Diese vorgängige Aufgabe wird von Kant im ersten Teil des Abschnittes erfüllt, welcher sechs Absätze umfaßt (A 76-80). Dieser Text dringt fast unvermittelt zu einem neuen Phänomenbereich vor, der erst nachher, in der Transzendentalen Deduktion und im Schematismus-Kapitel, erforscht werden soll. Da Kant hier einiges voraussetzt, das er nicht im Detail vorausschicken kann, zieht dieser Text zwangläufig mangelhafte und auseinanderstrebende Interpretationen nach sich. Darum gilt es zunächst, im voraus den Sinn dieser einleitenden Partie in den Blick zu nehmen. Dieser Text gipfelt in den Absätzen 6 und 7 in einem mehr oder weniger skizzenhaften Gedanken, der die metaphysische Deduktion im engeren Sinne bildet, dergemäß es so viele reine Verstandesbegriffe wie Urteilsfiinktionen gibt, weil diese Begriffe und diese Funktionen dieselben Regeln der Synthesis eines und desselben Vermögens sind (6. Abs.). Um einen solchen Schritt tun zu können, muß Kant vorher zeigen, daß die reinen Begriffe Synthesisregeln unserer sinnlichen Anschauung sind (Abs. 4-5). Eben dadurch ermöglichen es diese Begriffe, ein Objekt dieser Anschauung zu denken. Das bedeutet zugleich, daß sich diese Begriffe dank dieser ihrer Funktion a priori auf ein solches Objekt beziehen. Deswegen sind sie keine leeren Begriffe, sondern haben einen objektiven Inhalt. Es ist auf Grund dieses Zusammenhangs, daß Kant,
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in umgekehrter Ordnung, § 10 mit der Frage beginnen kann, inwiefern diese Begriffe einen objektiven Inhalt haben, um dann dazu überzugehen, daß sie solche Synthesisregeln sind (Abs. 1-4). Die sechs ersten Absätze des Paragraphen liefern zugleich eine Charakteristik der Kategorien als synthetischer Begriffe von Objekten unserer sinnlichen Anschauung überhaupt. Die Komplexität dieses Textes liegt auch darin, daß Kant sich nicht damit begnügt, zu zeigen, inwiefern diese Begriffe einen objektiven Inhalt haben, sondern auch erörtert, wie sie zum ersten Mal als Vorstellungen entspringen, d.h.,wie die Bildung dieser Begriffe selber vorgeht (Abs. 3-5). Damit streift Kant implizit die oben umrissene Lehre der acquisitio originaria der Begriffe a priori und gibt zugleich einen Hinweis auf den subjektiven Ursprung derselben. Demgemäß entfaltet sich die einleitende Partie folgendermaßen: 1. Abs. - Die Frage nach dem Inhalt der reinen Begriffe und ihre Beziehung auf die reine Anschauung. 2. Abs. - Die Synthesis der Anschauung und die Bildung der Begriffsinhalte. 3. und 4. Abs. - Die Synthesis der Einbildungskraft und die Bildung der reinen Begriffe. 5. Abs. - Die zwei Arten der Begriffsbildung und die drei Bedingungen a priori der Erkenntnis von Objekten. 6. Abs. - Identität der reinen Begriffe und der Urteilsfunktionen. 7. Abs. - Metaphysische Deduktion der Kategorien. In Anbetracht der Bedeutsamkeit und Komplexität dieses Textes und weil folgende Interpretation desselben in einigen Punkten von der gewöhnlichen Deutung abweicht, soll er hier ausführlich besprochen werden. 1. Absatz - Gemäß den vorangehenden Ausführungen geht § 10 von der Frage nach dem Inhalt der reinen Begriffe aus. Die Begriffe haben nach Kant eine Form, die in ihrer Allgemeinheit besteht. Zum anderen haben sie als Vorstellungen ihre realitas, ihren begrifflichen Inhalt, welchem die realitas in den Objekten der Anschauung entsprechen kann oder nicht. Im ersten Falle haben sie einen Inhalt oder objektive Realität. Ansonsten sind sie leer. Im Hinblick auf die Leerheit oder den Inhalt des Denkens unterscheiden sich die formale und die transzendentale Logik voneinander. Dieser Unterschied ist das Anfangsthema des ersten Absatzes. Die formale Logik geht auf das Denken überhaupt und sieht von jedem Inhalt ab, der dem einen oder anderen Gedanken zugehört, um nur seine Form zu betrachten. Infolge dieser Abstraktion sieht diese Logik auch davon ab, 1. ob der Inhalt des Denkens empirisch oder a priori ist und 2. ob und wie sich die Gedanken auf Objekte beziehen oder umgekehrt leer sind. Demgemäß beschränkt sich diese Logik auf den Bereich des Begreifens und Urteilens und abstrahiert von der Beziehung der Begriffe und Urteile auf die Anschauung und ihre Objekte. Wenn sie die Begriffsbildung betrachtet, kümmert sie sich daher nicht um die Herkunft der Vorstellungen und blickt allein darauf, wie diese durch die Analyse die begriffliche Form bekommen. Damit kündigt der erste Absatz ein zentrales Thema des folgenden Textes an: die Bildung der reinen Begriffe, die hier noch implizit
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bleibt. Die Entgegensetzung beider Logiken und der zwei Weisen der Begriffsbildung wird erst zu Beginn des 5. Absatzes ausdrücklich. Im Gegensatz zur formalen Logik abstrahiert die transzendentale nicht von jedem Inhalt des Denkens. Sie macht gerade bestimmte Begriffe und Urteile zum Thema, befaßt sich damit, ihren Ursprung a priori zu beweisen, und stellt sich die Frage ihrer Leerheit bzw. Fülle sowie das Problem, zu erklären, wie dem Gehalt dieser Vorstellungen Realität in den Objekten entsprechen kann. Zu dieser Absicht muß die transzendentale Logik das Denken in seiner Beziehung zur Anschauung und damit das Ganze der theoretischen Subjektivität betrachten. Um aufzuzeigen, daß ein Begriff Inhalt hat, und um diesen Inhalt zu bestimmen, muß man also auf die Anschauung seines entsprechenden Objekts zurückgehen. Welche ist im Falle der reinen Begriffe die dazu berufene Anschauung? Wenn jene empirisch wären, würde es genügen, Beispiele in der empirischen Anschauung heranzuziehen. Da sie reine Begriffe sind, kann die durch sie vorgestellte realitas nicht von dieser Anschauung geliefert werden. Daher sagt Kant in Abhebung gegen die formale Logik: "Dagegen hat die transzendentale Logik ein Mannigfaltiges der Sinnlichkeit a priori vor sich liegen, welches die transzendentale Ästhetik ihr darbietet, um zu den reinen Verstandesbegriffen einen Stoff zu geben, ohne den sie ohne allen Inhalt, mithin völlig leer sein würden" (A 76-77). Das heißt, der Verstand und seine reinen Begriffe beziehen sich a priori auf ein Mannigfaltiges der reinen Anschauung in Raum und Zeit als auf einen Stoff, in dem sie ihren Inhalt finden können. Diese Stelle scheint von den reinen Begriffen der Urteilsfunktionen auszugehen, die vorher anvisiert wurden, und sich die Frage zu stellen, wie solche Begriffe einen Inhalt haben können. Das ist in der Tat die Darlegungsordnung, in welcher sich die Analytik der Begriffe entfaltet. Da § 10, wie gesagt, später Behandeltes vorausschickt, nimmt er schon den Grund in den Blick, weshalb diese Begriffe einen objektiven Inhalt haben. Da diese Begriffe rein sind, kann das objektive Korrelat, das sie meinen, nicht empirisch sein, sondern nur etwas, das auch rein ist und sich in der reinen Anschauung zeigt. Es handelt sich jedoch nicht darum, daß diese von sich aus etwas Bestimmtes bietet, das dem im reinen Begriff gedachten Gehalt korrespondieren würde. Die reine Anschauung bietet nur ein unbestimmtes Mannigfaltiges, also nicht ein Objekt, sondern höchstens einen Stoff für ein mögliches Objekt. Wenn dieses Mannigfaltige Stoff für den reinen Begriff sein soll, dann liegt darin implizit, daß dieser die Form sein soll, die dieses Mannigfaltige in ein bestimmtes Objekt verwandelt. In diesem Passus bleibt implizit, in welchem Sinn die reinen Begriffe durch B e s t i m m u n g des reinen M a n n i g f a l t i g e n ihnen k o r r e s p o n d i e r e n d e O b j e k t e bekommen können. Der zweite Satz der Stelle deutet jedoch an, in welcher Richtung Kant die Lösung sucht. Obwohl Raum und Zeit einerseits der Stoff für die reinen
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Begriffe sind, sind sie zum anderen formale Bedingungen der Rezeptivität unseres Gemüts, "unter denen es allein Vorstellungen von Gegenständen empfangen kann, [Bedingungen,] die mithin auch den Begriff derselben [der Gegenständen] jederzeit affizieren müssen." Da der Stoff des empirischen Objekts dem Räume und der Zeit unterworfen ist, müssen diese wenigstens zum Teil den Inhalt der Begriffe dieses Objekts, also auch die reinen Begriffe desselben, mitbestimmen. Dementsprechend muß die Bestimmung dieser Anschauungsformen gemäß den reinen Begriffen auch indirekt die Form der empirischen Objekte selbst bestimmen, welche deshalb diesen Begriffen korrespondieren müssen. Wenn dem aber so ist, dann haben diese Begriffe einen objektiven Inhalt. Wie ist nun die Bestimmung des reinen Mannigfaltigen der Anschauung durch die reinen B e g r i f f e m ö g l i c h ? D a m i t aus diesem u n b e s t i m m t e n S t o f f etwas Bestimmtes für das Bewußtsein entspringen kann, d. h. eine Erkenntnis im weiteren Sinne, ist es zuerst nötig, daß eine spontane Handlung dieses Mannigfaltige auf bestimmte Weise durchläuft, apprehendiert und zusammenfaßt, d. h., nötig ist eine Synthesis. Da das Denken spontan ist, kann es nicht das so Verbundene empfangen, sondern es muß es synthetisch erzeugen. 2. Absatz - Der Text verläßt vorläufig das Thema des vorangehenden Absatzes und wendet sich der Synthesis als Bedingung der Möglichkeit der Begriffsbildung zu. "Ich verstehe aber unter Synthesis in der allgemeinsten Bedeutung die Handlung, verschiedene Vorstellungen zueinander hinzuzutun, und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntnis zu begreifen" (A 77). Die Synthesis "überhaupt" wird im 3. Absatz zur Einbildungskraft gerechnet. Durch sie k o m m t eine Mannigfaltigkeit von Empfindungen (oder phantasierten Vorstellungen) zur Einheit eines Bildes, welches eine Erkenntnis nur im weiteren Sinne ist. Darum ist es völlig irrig, das Wort " b e g r e i f e n " in diesem Kontext im Sinne der B e g r i f f s b i l d u n g zu deuten und infolgedessen diese Synthesis als Verstandeshandlung und gar als ein Urteilen mißzuverstehen, das das Bild unter einen Begriff subsumiert. 23 Dagegen verschafft die hier gemeinte Synthesis der Einbildungskraft, laut dem 5. Absatz, noch keine Erkenntnis. Erst der Verstand mit seinen Begriffen ermöglicht, nach Abs. 3, die Erkenntnis im strengen Sinne. Die Einbildungskraft hier mit dem Verstand zu verwechseln macht das Verständnis des Zusammenhangs der Synthesis mit der Begriffsbildung unmöglich, was die Grundthese des 2. Absatzes ist. Die genannte Synthesis kann rein oder empirisch sein, j e nach dem Ursprung der verbundenen Mannigfaltigkeit. In § 10 bleibt die weitere Differenz zwischen
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Vgl. Vleeschauwer II, 70 ff. Obwohl dieser annimmt, daß der Text die synthetische Begriffsbildung meint (72), deutet er nachher diese Synthesis als eine intellektuelle Handlung und die Einbildungskraft als eine Tätigkeit des Verstandes im engeren Sinne (74 ff.). Paton (1,262 ff.) erkennt seinerseits zwar an, daß der Text auf die synthetische Konstitution des empirischen Begriffsinhalts geht, aber er sieht nicht seinen Zusammenhang mit der Entstehung der reinen Begriffe.
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der reinen mathematischen und der reinen transzendentalen Synthesis noch unausgedrückt, obwohl sie, wie wir sehen werden, im 4. Absatz angedeutet ist. Welche Bedeutung hat die Einbildungskraft für die Genesis der Erkenntnis? Die formale Logik der damaligen Zeit erklärt die Bildung der empirischen Begriffe, und mit ihnen der Urteile, durch die Analyse, insofern diese die empirischen Bilder vergleicht, auf dasjenige reflektiert, was sie an Identischem haben, und vom Verschiedenen absieht. Das setzt voraus, wie Kant bemerkt, daß diese Bilder durch die Synthesis vor der Analyse und für diese gegeben werden : "..es können keine Begriffe dem Inhalte nach analytisch entspringen." Die Analyse ist nur die Genesis des Begriffes hinsichtlich seiner Form. Der Inhalt des empirischen Begriffes wird uns dagegen in den Bildern potentiell gegeben, als ein Stoff, der noch einer zusätzlichen Bildung bedarf, d.h. als ein Inhalt (realitas) für einen noch möglichen Begriff. Die S y n t h e s i s gibt uns diese B i l d e r , i n d e m sie z u a l l e r e r s t die Sinneseindrücke verbindet und "zu einem gewissen Inhalte vereinigt". Jedes Bild ist oder mehrere Bilder sind, als Basis der Analyse, schon eine "Erkenntnis" oder "Erkenntnisse" (im weiteren Sinne), aber noch roh und verworren; der Inhalt ist noch nicht in seinen Bestimmungen artikuliert und bedarf der Analyse. Es handelt sich also nicht um die Analyse von schon bestehenden Begriffen, sondern um die Zergliederung der Bilder für die Begriffsbildung. Bisher habe ich den 2. Absatz in Hinblick auf die Bilder und die empirischen Begriffe betrachtet, denn sein Gehalt ist in dieser Hinsicht weniger problematisch. Der Text birgt aber zugleich ein Problem in sich, denn er bezieht sich sowohl auf die empirische als auch auf die reine Synthesis: "Die Synthesis eines Mannigfaltigen aber (es sei empirisch oder a priori gegeben).." Man kann sogar sagen, daß Kant mit Rücksicht auf den Inhalt der reinen Begriffe vor allem die reine Synthesis im Blick behält. Er sagt ausdrücklich: "Eine solche Synthesis ist rein, wenn das Mannigfaltige nicht empirisch, sondern a priori gegeben ist (wie das im Raum und der Zeit)." Wenn dem so ist, muß man in Analogie mit dem eben Gesagten fragen, ob eine reine Synthesis von Räumen und Zeiten in reinen Bildern den Inhalt der reinen Begriffe erzeugt oder ob dies anders geschieht. Es gilt ferner zu fragen, ob die Bildung der reinen Begriffe als solcher auch durch Analysis geschieht, wie bei den empirischen Begriffen, oder auf eine andere Weise. Diese Fragen scheinen der im 1. Absatz angedeuteten Ansicht zu widersprechen, wo Kant von den Begriffen der Urteilsfunktionen auszugehen scheint, die eine bloß logische Bedeutung hätten und die schon existierten, bevor sich herausstellt, ob sie einen objektiven Inhalt haben oder nicht. Vielleicht könnte ein Widerspruch zwischen beiden möglichen Thesen vermieden werden, wenn, unserer Deutung jenes Textes gemäß, die Begriffe der Urteilsfunktionen die reine Synthesis von Räumen und Zeiten leiten könnten, um dergestalt einen außerlogischen Inhalt dieser Begriffe hervorzubringen. Der zweite Absatz scheint aber das Vorbestehen dieser Begriffe
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auszuschließen, denn er lautet: "Vor aller Analysis unserer Vorstellungen müssen diese zuvor gegeben sein, und es können keine Begriffe dem Inhalte nach analytisch entspringen." Ist es sicher, daß sich dieser universale Ausdruck "keine Begriffe" nur auf die empirischen Begriffe bezieht? Und wenn man liest: "Die Synthesis eines Mannigfaltigen (es sei empirisch oder a priori gegeben)" ist das, "was eigentlich die Elemente zu Erkenntnissen sammelt, und zu einem gewissen Inhalte vereinigt" - kann man sicher sein, daß Kant damit allein die empirischen und die mathematischen Begriffe meint? Die Antworten auf diese Fragen können nur dem nachfolgenden Text entnommen werden. 3. Absatz - Die Absätze 3 und 4 gehen wieder auf die Synthesis der Einbildungskraft, aber im Hinblick auf die Bildung der reinen Begriffe. Die Synthesis "überhaupt" ist die bloße Wirkung der Einbildungskraft, während der Übergang des Bildes zum Begriff Aufgabe des Verstandes ist.24 Da der Verstand, gemäß den vorangehenden Abschnitten des Kapitels, auch ein Vermögen der Synthesis ist und der vorliegende Absatz Einbildungskraft und Verstand einander entgegensetzt, kann der angeführte Ausdruck "Synthesis überhaupt" nicht jede Synthesis meinen, sondern nur die sinnliche Synthesis überhaupt. Synthesis ist hier das Bewußtsein, das das Bild sukzessive erzeugt und sich dann dieses fertigen Produkts bewußt ist. Wenn dieses Bewußtsein blind ist, wie die Stelle behauptet, dann nicht in Hinblick auf das Bild und die Synthesis, sondern insofern es noch nicht das Bild als dieses oder jenes nach Begriffen denkt oder auch insofern die Einbildungskraft meistens unwillentlich wirkt, ohne sich im voraus den Begriff ihrer Handlung vorzustellen und diese ausdrücklich zu wählen. Daher bemerken wir selten unsere Synthesis, wenn sie am Werk ist, und gehen meistens im Bilde auf, obwohl wir uns unseres Handelns mit bewußt sein können. Die Dunkelheit der Einbildungskraft, die Kant meint, scheint also eine relative Blindheit gegen sich selbst zu sein. Während der erste Satz die Einbildungskraft kennzeichnet, kehrt der zweite, und zwar mit einem entscheidenden Schritt, zur Frage nach der Bildung der reinen Begriffe zurück. Obzwar die Synthesis meistens unbewußt bleibt, ist es nötig, sie bewußtzumachen, ja, sie " a u f Begriffe zu bringen" 25 , um das Bild durch diese Begriffe zu bestimmen und damit zur Erkenntnis im strengen Sinne zu gelangen. Das ist, im Unterschied zur Einbildungskraft, die Aufgabe des Verstandes. 24 In seinem Handexemplar korrigiert Kant die Worte "die Einbildungskraft, einer... Funktion der Seele" durch "einer Funktion des Verstandes". Diese Korrektur scheint seiner späteren Auffassung des Verhältnisses von Verstand und Einbildungskraft in der zweiten Auflage zu entsprechen. Da das Ende des vorliegenden Absatzes und der Anfang des fünften ausdrücklich zwischen Verstand und Einbildungskraft unterscheiden, hätte die durch die Korrektur angedeutete Identifizierung beider den Kontext in Verwirrung gebracht. 25 Der Ausdruck "auf Begriffe bringen" bedeutet nach den Absätzen 3-6 etwas als Begriff bilden, das vorher nicht begrifflich war. Das ist auch der Sinn dieses Ausdrucks in der KU § 57 Anm. 1 : Manche Einbildungen rufen Vorstellungen herbei, welche in ihrer Unendlichkeit nicht begrifflich erfaßt werden können (vgl. AA V 343-44).
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Jede Synthesis entfaltet sich auf gewisse Art, gemäß einer bestimmten Weise zu verbinden, die der Produktion des jeweiligen Bildes angemessen ist. Das ist dasjenige, was das Schematismus-Kapitel das Schema nennt. Statt in dem fertigen empirischen Bilde oder in dessen Erzeugung verloren zu bleiben, kann sich nun der Verstand der Synthesis explizit bewußt werden und deren Schema auf einen Begriff bringen, um dieses Bild später durch diesen Begriff in einem Urteile zu bestimmen. In dieser Absicht geht unser Verstand ständig von den Schemata zu den entsprechenden Begriffen über. 26 Das ist aber nicht der Übergang, den Kant hier im Blick hat. Es handelt sich nicht darum, von den Schemata zu vorbestehenden Begriffen überzugehen, sondern darum, die Synthesis selbst, d.h. deren jeweiliges Schema, auf die Form des Begriffes zu bringen und damit diesen Begriff allererst zu bilden. Daß dem so ist, bestätigt der Anfang des 5. Absatzes, der zwei Modi der Begriffsbildung unterscheidet: die Analyse und das Auf-Begriff-Bringen. Letzterer Modus besteht nicht darin, Vorstellungen auf vorbestehende Begriffe zu bringen was darauf hinauslaufen würde, sie unter dieselben zu subsumieren - sondern darin, "die reine Synthesis ... auf Begriffe zu bringen". Das weist daraufhin, daß Kant hier, wie zu erwarten war, vor allem auf die Bildung der reinen Begriffe, als erste die der Kategorien, zusteuert. Damit werden die Fragen nach der Genesis des Inhalts der kategorialen Begriffe und nach der Bildung seiner Begriffs/or/w, die bei der Interpretation des 2. Absatzes gestellt wurden, zum Teil beantwortet. Wenn man diese Antworten mit dem vergleicht, was über die empirischen Begriffe gesagt wurde, stellt man eine klare Differenz fest. Erstens wird der Inhalt der reinen Begriffe nicht im Bilde synthetisch erzeugt, sondern er ist die reine Synthesis selbst, ihr Schema. Diese Antwort kann nicht als das letzte Wort Kants darüber betrachtet werden; es bleibt noch unklar, auf welche Weise dieses Schema selbst durch die Einbildungskraft erzeugt wird. Zweitens ist der Modus der Bildung der reinen Begriffe nicht die Analyse der Bilder, sondern das Begreifen des Schemas der Synthesis. Das sind die zwei Etappen der Genesis der Kategorien als Begriffe, d.h. ihrer ursprünglichen Erwerbung als Vorstellungen. Die zunächst skizzenhafte Lehre der acquisitio originaria gewinnt damit an "phänomenaler" Konkretion. 4. Absatz - Dieser Text bezieht sich nun ausdrücklich auf die reine Synthesis und die Bildung der reinen Begriffe, aber er fuhrt zugleich die begründende Funktion dieser Begriffe fur die Synthesis ein. "Die reine Synthesis, allgemein vorgestellt, gibt nun den reinen Verstandesbegriff." Das Auf-Begriff-Bringen, das im vorigen Absatz noch vage dargestellt wurde, wird damit in einem Grundaspekt präzisiert: Diese Synthesis ist die reine Synthesis, und die entspringende Vorstellung ist der reine Begriff, und zwar die 26
Paton interpretiert diese Stelle nur in diesem Sinn (vgl. 1,271 ff.).
Vollendung der metaphysischen Deduktion
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Kategorie. Das ist wenigstens die These, um die es Kant in erster Linie geht, denn die Bezugnahme auf den mathematischen Begriff der Dekadik im nächsten Satz weist darauf hin, daß es sich hier auch um die reinen Begriffe der Mathematik handelt. Der größte Teil der Ausleger dieses Textes widersetzt sich in der Regel, den direkten Sinn desselben anzunehmen. Da sie voraussetzen, daß der Verstand schon Begriffe der logischen Funktionen besitzt und daß die transzendentalen Schemata nur das Produkt der Anwendung dieser Begriffe auf die Synthesis der Zeit sind, halten sie es für unannehmbar, daß die Kategorien zuallererst als Begriffe zum Vorschein kommen, wenn die reine Synthesis, d. h. diese Schemata, im Allgemeinen vorgestellt wird bzw. werden. Aber diese geläufige Deutung widerspricht nicht nur dem vorliegenden Text, sondern sie läßt auch Kants Lehre der ursprünglichen Erwerbung der reinen Begriffe unberücksichtigt,27 Wie oben gesagt, Kant lehrt seit seiner vorkritischen Zeit, daß der Mensch keine a n g e b o r e n e n V o r s t e l l u n g e n besitzt. Alle u n s e r e V o r s t e l l u n g e n a priori, Anschauungen oder Begriffe, also auch die Begriffe von den Urteilsfunktionen, sind erworben. Wir haben zwar angeborene Vermögen dieser Vorstellungen, aber letztere entspringen nur, wenn die Anwesenheit der sinnlichen Eindrücke diese Vermögen zu ihren entsprechenden Akten veranlaßt. Das zuerst Offenbare der Zeit nach ist der Eindruck. Da dessen Anwesenheit das ist, was die angeborenen Vermögen aktiviert, und da er nur von der Sinnlichkeit empfangen wird, können die übrigen Vermögen nicht zugleich in Aktion treten, sondern erst dann, wenn der Eindruck oder dessen Umbildung zu diesen Vermögen gelangt. 28 Daher ist die reine Anschauung in Raum und Zeit die erste Fähigkeit, die Vorstellungen a priori erzeugt. Erst nachdem die Eindrücke in der Zeit anwesend sind, kann die Synthesis der Einbildungskraft in Gang kommen. Es ist nicht zu erwarten, daß bei einem solchen allmählichen Erwachen der angeborenen Vermögen die reinen Verstandesbegriffe und sogar die Vorbegriffe der Urteilsfunktionen die ersten Vorstellungen a priori sind, die offenbar werden. Wenn die genannte Synthesis in Gang kommt, so geschieht dies auf eine gewisse Weise, nach bestimmten Schemata. Erst dann ist es möglich, in einem neuen Schritt
27
Heidegger (GA 25) erkennt ausdrücklich an, daß der Text die synthetische Bildung der reinen Begriffe der analytischen Bildung der empirischen entgegenstellt (285 ff.). Nach seiner Interpretation würde die Synthesis der Einbildungskraft den Begriffen der Urteilsfunktionen, die der Verstand liefert, einen zeitlichen Inhalt verschaffen ( 2 8 2 / 8 3 , 2 8 9 / 9 0 ) . Der Inhalt des reinen Begriffs wäre demnach durch die Urteilsfünktion und deren zeitliche Übersetzung konstituiert, w a s sich von der überlieferten Deutung nicht sehr entfernt. Eine solche Interpretation zieht nicht in Betracht, daß nach der Lehre der ursprünglichen Erwerbung die Urteilsfunktionen als Vorstellungen a priori der Entstehung der transz. Schemata nicht vorausgehen können.
28
Das hier genannte Erwachen der Vermögen ist keine empirische Hypothese über die Entwicklung des menschlichen Geistes, sondern eine Folge der Lehre der ursprünglichen Erwerbung.
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diese Schemata, unter ihnen die transzendentalen, mit welchem Grad der Ausdrücklichkeit auch immer, vorzustellen. Erst dann können wir die begrifflichen Vorstellungen der Kategorien ursprünglich, d.h. aus unserer eigenen Einbildungskraft, erwerben. Gemäß der skizzierten Lehre drückt der Text aus: Durch die begriffliche Vorstellung der Modi der reinen (transzendentalen) Synthesis erwerben wir allererst die Kategorien. Wer sich weigert, diesen direkten Sinn des Anfangssatzes anzunehmen, übersieht auch, daß nach der KrV die philosophischen Begriffe a priori gegeben sind, im Unterschied zu den empirisch gegebenen und den willkürlich gemachten (vgl. A 727-30). Dieses Geben besteht, der jetzt besprochenen Stelle gemäß, aus drei Momenten: 1. Das angeborene Vermögen des Verstandes geht zum Akt über, indem 2. die reine (transzendentale) Synthesis Eindrücke nach Schemata verbindet; 3. bringt der Verstand als aktiviertes Vermögen diese reine Synthesis auf Begriffe. Das Gesagte heißt nicht, daß die angeborenen Vermögen nicht schon vorher bestehen. Aber welches sind die Anlagen oder Keime derselben? Liegen diese Keime in dem bloßen Vermögen der Apperzeption oder vielmehr in der Beziehung von verschiedenen Vermögen zueinander? Wie erzeugt die Einbildungskraft die transzendentalen Schemata, die der Ausgangspunkt der ursprünglichen Erwerbung sind? Diese Fragen finden ihre Antwort nicht in § 10 und sind, soweit es möglich ist, im Lauf der kommenden Untersuchung zu beantworten. Gehen wir nun zum zweiten Satz der Stelle über. Während der vorangehende Satz implizit die reine Synthesis als Bedingung der Möglichkeit der reinen Begriffsbildung darstellt, kennzeichnet der andere diese Begriffe umgekehrt als Bedingungen der Möglichkeit der Synthesis. Diese überraschende Wende, die die Frage nach dem Sinn und der Möglichkeit solcher gegenseitigen Bedingtheit erwecken sollte, trägt vielmehr dazu bei, das Verständnis der Stelle zu verdunkeln, denn in der Absicht, diese gegenseitige Ermöglichung von Synthesis und reinem Begriff zu vermeiden, pflegt man einseitig hervorzuheben, daß der reine Begriff Bedingung der Synthesis ist. Damit wird das Problem der reziproken Bedingtheit verschüttet. Kant kennzeichnet die reine Synthesis als "diejenige, welche auf einem Grunde der synthetischen Einheit a priori beruht." Eine solche Synthesis verbindet immer auf eine und dieselbe Weise und erzeugt daher immer eine bestimmte Art von Bild, in welchem die (reine sinnliche oder empirische) Mannigfaltigkeit in einem notwendigen Zusammenhang steht. Damit die Handlung der Synthesis in diesem Sinne einheitlich sei, ist es nötig, daß sie von einem Vorbild synthetischer Einheit geleitet wird, d.h. von einer Funktion oder Regel. Die Synthesis des Zählens, die nach dem rein sinnlichen (mathematischen) Begriff der Dekadik verfahrt, erzeugt dergestalt Zahlen, die untereinander eine bestimmte notwendige Gliederung haben. Wer im 4. Absatz die Frage nach der gegenseitigen Bedingtheit nicht aufwerfen will, kann nicht vermeiden, im folgenden Absatz wieder auf sie zu stoßen: a) die
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111
(reinen) Begriffe geben der Synthesis Einheit; b) sie bestehen lediglich "in der Vorstellung dieser notwendigen synthetischen Einheit" (a.a.O.). Die Synthesis gründet nämlich ihre Einheit im transzendentalen Schema und mittelbar in den angeborenen Anlagen desselben. Aber aus später zu erörternden Gründen, die die reziproke Bedingtheit überhaupt, und zwar den Zusammenhang zwischen Synthesis und Kategorie im besonderen, betreffen, ist der reine Begriff dieser synthetischen Einheit im noch höherem Grad als das entsprechende Schema die ratio essendi der Synthesis. Umgekehrt ist die Synthesis, in welcher sich diese synthetische Einheit immer wieder verwirklicht, die ratio cognoscendi des kategorialen Begriffes. Später wird zu fragen sein, ob diese Synthesis nicht auch ratio essendi des reinen Begriffes ist, wenn auch in einem anderen Sinne. An diesem Punkte angelangt, ist es nötig, zur Anfangsfrage zurückzukehren, wie die reinen Begriffe a priori einen objektiven Inhalt haben können. Es handelt sich nicht darum, daß der Verstand im voraus Begriffe a priori von Urteilsfunktionen besäße und daß die Frage wäre, wie sie objektiven Inhalt haben mögen. Wenn Kant zu Beginn von § 10 die Sache so darzustellen scheint, dann weil er von dem Ergebnis der vorangehenden Abschnitte ausgeht. Die darauffolgenden Schritte lassen diese Fragestellung vorläufig hinter sich, wenn sie sich der Genesis der Begriffe zuwenden, bei der die Begriffe der Urteilsfunktionen nicht die zuerst erworbenen reinen Vorstellungen sind. Um die Frage nach dem objektiven Inhalt der reinen Begriffe zu entfalten, müssen wir nun zur Synthesis der Einbildungskraft zurückkehren. Ihre transzendentalen Schemata sind Verfahren, die Zeit und die reine Anschauung überhaupt zu verbinden, weshalb die Sinnesobjekte diesen Schemata und den kategorialen Begriffen entsprechen müssen, die der Verstand aus den Schemata bildet. Das ist der Grund dafür, daß diese Begriffe objektiven Inhalt haben. 5. Absatz - Während die zwei Anfangssätze die Betrachtung der Weise abschließen, wie die reinen Begriffe gebildet werden, durchläuft der Rest des Absatzes die bisher anvisierten subjektiven Bedingungen und betont am Ende die Rolle des reinen Begriffes als Synthesisregel. Zu Anfang hebt der Text hervor, daß im Vorangehenden die Bildung der reinen und empirischen Begriffe thematisch war. Wie oben gesagt, die zwei Logiken werden gerade im Hinblick auf die jeweilige Art der Begriffsbildung entgegengesetzt, die sie lehren: die Analyse und das synthetische Auf-Begriff-Bringen. Der dritte Satz beginnt eine Aufzählung der Bedingungen, die a priori gegeben sein müssen, damit die Erkenntnis möglich sei.29 Diese Bedingungen sind: 1. Das
29
Einige Ausleger wie Heidegger (GA 25, S. 286) haben die Worte "was uns zum Behuf der Erkenntnis aller Gegenstände a priori gegeben sein muß" im Sinne dessen verstanden, was uns in Hinblick auf die Erkenntnis a priori aller Gegenstände gegeben sein muß. Aber "a priori" bestimmt das Verbum "gegeben" und nicht "Erkenntnis". Wenn diese Bedingungen a priori die Erkenntnis aller Gegenstände ermöglichen, dann müssen sie auch die Erkenntnis a priori derselben möglich machen. Vgl. Vleeschauwer, II, 90.
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Sein und Subjektivität bei Kant
Mannigfaltige der reinen Anschauung, 2. die reine Synthesis dieses Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft und 3. die reinen Begriffe, die dieser Synthesis Einheit geben und die vom Verstand gebildet werden, wenn er diese Synthesis (d.h. ihre Schemata) im Allgemeinen vorstellt. Wiewohl der Inhalt dieser Begriffe von der reinen Synthesis herkommt, beruht ihre begriffliche Form auf dem Verstände. Gemäß der allgemeinen Orientierung des Paragraphen 10 ist dieser Passus auf die dritte der Bedingungen und auf ihre Leistung gerichtet. Die beiden ersten ermöglichen noch keine Erkenntnis, d.h. keine Vorstellung des Objekts in seiner Bestimmtheit. Das wird allererst mit der dritten Bedingung erreicht. Damit wird implizit das Wesen der Kategorie als Begriff bestimmt, der die Synthesis der empirischen Anschauung der Objekte regelt. 6. Absatz - Der Text betrachtet vornehmlich die Identität zwischen den Urteilsfunktionen und den reinen Verstandesbegriffen. Die beiden Anfangssätze legen die These der Identität beider Regelsysteme dar. Worin gründet diese These? Wenn es darum geht, eine solche Identität zu beweisen, dann muß man folgende drei Punkte berücksichtigen: a) Wenn der Verstand aus zwei Vermögen bestehen würde, so daß die Urteilsfunktionen zu einem von ihnen und die Kategorien zu dem anderen gehörten, wäre es nicht notwendig, daß beide Funktionsgruppen miteinander identisch wären. b) Wenn der Verstand zwar eines wäre, aber die Urteilstafel nicht alle synthetischen Funktionen desselben erschöpfen würde, dann könnte diese Tafel von der der Kategorien zum Teil oder ganz verschieden sein. c) Wenn die reinen Begriffe als solche 1) nicht zum Verstand gehörten, sondern zu einem anderen Vermögen, und wenn sie 2) außerdem nicht Funktionen der Synthesis wären, dann wären sie und die Urteilsfiinktionen voneinander verschieden. Zieht man diese drei Aspekte in Betracht, dann kann man die in Frage stehende Identität auf folgende Weise beweisen: Wenn also 1) der Verstand eines ist (A 79: "Derselbe Verstand"); und 2) die Urteilstafel alle synthetischen Funktionen dieses Vermögens umfaßt (A 69, 79: "denn der Verstand ist durch gedachte Funktionen völlig erschöpft" usw.); und 3) die reinen Begriffe als solche zum Verstand gehören (vgl. A 69: Vermögen der Begriffe; A 78-79) und sich als Funktionen der Synthesis der Anschauung auf die Objekte unserer sinnlichen Anschauung beziehen (A 79): dann sind die Urteilsfunktionen und die reinen Begriffe dieselben Funktionen. Dieser Gedankengang ist in den Absätzen 6 und 7 bloß skizziert. Jener hebt die Identität beider Arten von Funktionen trotz der Differenz ihres Gebrauchs hervor. Die Urteilsfunktion gibt der Synthesis der Begriffe "in einem Urteil" Einheit, während die Kategorien die Einheit der Synthesis des Mannigfaltigen "in einer Anschauung" (Bild) begründen. Die synthetische Funktion, die Kant hier "den rei-
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nen Begriff des Verstandes" nennt, ist in beiden Fällen dieselbe. Dagegen sind die Synthesis, das Mannigfaltige und das Produkt des Verbindens im jeweiligen Fall verschieden. Der Text des zweiten Satzes scheint anzudeuten, daß im Urteilen keine Synthesis am Werke ist: "Derselbe Verstand also, und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in Begriffen, vermittelst der analytischen Einheit, die logische Form eines Urteils zustande brachte ...". Nach den Abschnitten 1 und 2 sind diese Handlungen des Urteilens synthetisch, z.B. die Subsumtion eines Bildes, genauer des entsprechenden Subjektbegriffs, unter einen Prädikatbegriff. Diese synthetische Einheit gemäß den Urteilsfunktionen ist dennoch durch die Analyse des Inhaltes des Bildes oder seines Begriffs hergestellt, indem diese Analyse entdeckt, daß letztere in der Sphäre eines (anderen) Begriffes liegen. Nur in diesem Sinne ist die Einheit der Begriffe analytisch. Die Absicht dieses Passus ist nur, die analytische Einheit eines Urteils und die synthetische eines Bildes zu kontrastieren, obzwar die Produktion beider im Grunde synthetisch ist. Insofern die reinen Verstandesbegriffe der Synthesis der Einbildungskraft und ihrem Produkt, d.h. der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt 30 , Einheit geben und dieses Produkt dann als sinnliches Objekt überhaupt bestimmen, beziehen sich diese Begriffe a priori auf Objekte überhaupt, als deren Bedingungen der Möglichkeit, d. h., sie haben einen transzendentalen Inhalt. 7. Absatz - Nachdem der vorige Absatz die Identität der Urteilsfunktionen und der Kategorien bewiesen hat, kann der 7. Absatz folgern: "Auf solche Weise entspringen gerade so viel reine Verstandesbegriffe, welche a priori auf Gegenstände der Anschauung überhaupt gehen, als es in der vorigen Tafel logische Funktionen in allen möglichen Urteilen gab ...". Dieser Schlußsatz gründet im vorangehenden Beweis. Fassen wir nun den Gedankengang, der die metaphysische Deduktion vollendet, zusammen: A - Wenn 1 ) der Verstand eines ist und 2) die Urteilsfunktionen alle synthetischen Funktionen desselben erschöpfen und 3) die reinen Begriffe als solche dem Verstand angehören und außerdem Funktionen der Synthesis sind, dann sind die Urteilsfunktionen und die reinen Begriffe ein und dieselben Funktionen. Β - Wenn (nach A) beide Gruppen von Funktionen identisch sind, dann darf man das System der reinen Begriffe aus dem System der Urteilsfunktionen ableiten. Nach dem Text der vorangehenden Absätze und insbesondere des 6. Absatzes schließt die Identität beider Funktionsgruppen eine Verschiedenheit ihres Gebrauchs in Hinblick auf jeweils verschiedene Synthesen und Mannigfaltigkeiten nicht aus. Demgemäß genügt es nicht, die Urteilstafel einfach abzubilden, um das System der Kategorien zu erhalten. Dazu ist es ferner nötig, diese logischen Funktionen in 30
Zum Ausdruck "Anschauung überhaupt" in den Absätzen 6 und 7 vgl. unten § 28 B.
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Sein und Subjektivität bei Kant
Beziehung auf die Synthesis eines Mannigfaltigen unserer sinnlichen Anschauung überhaupt zu denken. 31 Es ist nicht überflüssig, daran zu erinnern, daß der vorangehende Beweis der Identität von Urteilsfunktionen und Kategorien (A) nicht mit der auf ihn folgenden Ableitung dieser aus jenen (B) verwechselt werden darf. Dieses indirekte Ablesen der Kategorientafel an der Urteilstafel ist wiederum auch nicht die ursprüngliche Ableitung der Kategorien durch Einteilung der Idee ihres Systems. Aus der Nichtbeachtung dieser Unterschiede entspringen häufige Mißverständnisse. Um die metaphysische Deduktion richtig einzuschätzen, muß man folgende Unterschiede beachten: 1. Die historische Erwerbung der Kategorientafel. Wie oben dargelegt, gewinnt Kant sie über die Tafel der Urteile-Urteilsfunktionen und mit Rücksicht auf die bekannten ontologischen Termini. Diese Urteilstafel ist ihrerseits durch Systematisierung der bisherigen Klassifikationsversuche der Logiker entdeckt. Kant pflegt von dieser Entdeckung als einer Art "Entspringen" der Kategorien aus der Urteilstafel oder von dieser als dem Ursprung jener zu reden, so z.B. in A 321, Proleg. §§ 39 u. 43. An allen diesen Stellen verweisen Ausdrücke wie "entsprangen"( Proleg. § 39) und "hervorbrachte" (A 321) im Tempus der Vergangenheit auf die historische Erwerbung dieser Formensysteme durch Kant. 2. Die Darlegung der philosophischen Erwerbung der Kategorientafel im Leitfadenkapitel der KrV. Dieser Text setzt die historische Erwerbung voraus und sucht in den Abschnitten 1 und 2 zunächst die Idee der synthetischen Funktion des Verstandes zu bestimmen und dann aus ihr die Tafel der Urteile/Urteilsfunktionen zu präsentieren, ohne die entsprechende Einteilung zu entfalten. Insofern nur diese Einteilung, die nicht mit Ableitung im Sinne von Schließen verwechselt werden darf, die Vollständigkeit dieser Begriffssysteme "demonstrieren" kann, darf man sagen, daß Kant sie in der Ar Knicht bewiesen hat. Aus der so präsentierten logischen Tafel kann dann der dritte Abschnitt die Tafel der Kategorien erwerben. 3. Von beiden Formen der philosophischen Erwerbung der "Urteilstafel" bzw. deijenigen der Kategorien ist die ursprüngliche Erwerbung dieser letzteren zu unterscheiden, die in § 10 angedeutet wird. 4. Falls man diese verschiedenen Erwerbungen als "Ursprung" der kategorialen Vorstellungen bezeichnen wollte, dann müßte man sie noch von dem subjektiven Ursprung der Kategorien im Sinne der Bedingung ihrer Möglichkeit unterscheiden.
§ 12. Hinweise
auf
den subjektiven
Ursprung
der
Kategorien
Inwieweit hat die vorangehende Interpretation unsere Frage nach dem genannten Ursprung derselben einer Beantwortung nähergebracht? 31 Vgl. A 321 : "Die Form der Urteile (in einen Begriff von der Synthesis der Anschauungen verwandelt) brachte Kategorien hervor..." Vgl. ferner Proleg. § 39.
Winke auf den subjektiven Ursprang der Kategorien
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Erstens sucht die metaphysische Deduktion gerade zu beweisen, daß diese Begriffe einen apriorischen Ursprung haben. Wenn der Verstand nun ein Urteilsvermögen a priori ist und die Tafel der Urteilsfunktionen alle synthetischen Leistungen dieses Vermögens erschöpft sowie die Kategorien mit diesen Funktionen identisch sind, dann haben sie einen Ursprung a priori und bilden ein dieser Tafel analoges System. In dieser Ableitung bildet die Tafel der Urteilsfunktionen den Ausgangspunkt der philosophischen Erwerbung des Kategoriensystems. Zweitens ist es der vorangehenden Interpretation gelungen, auf die Lehre des Ursprungs der Kategorien im Sinne ihrer vorphilosophischen, ursprünglichen Erwerbung als begrifflicher Vorstellungen zusätzliches Licht zu werfen, indem sie zeigte, daß sich die Anfangspartie des Paragraphen 10 im Horizont dieser Lehre bewegt. Aus dieser Interpretation ergibt sich folgende Auffassung der Genesis der Vorstellungen a priori. Dieser Genesis liegt der Verstand als angeborenes Vermögen zugrunde, in dem die Kategorien angelegt sind. Dieses Vermögen geht von der Potenz zum Akt über, wenn die sinnlichen Eindrücke in Raum und Zeit erscheinen und damit die Synthesis der Einbildungskraft aktiv wird. Jene angelegten Regeln treten dabei zuallererst als transzendentale Schemata zum Vorschein. Erst dann kann der Verstand in einer neuen Leistung diese Schemata in kategoriale Begriffe verwandeln. Das ist die Genesis der Kategorien als Begriffe, ihre acquisitio originaria. Nachdem die Einbildungskraft so in Gang gekommen ist, können außerdem anschauliche Bilder entspringen, aus welchen der Verstand analytisch empirische Begriffe bilden kann. Erst dann kann er anfangen zu urteilen. Bei dieser Tätigkeit kommen die Urteilsfunktionen zum ersten Mal zum Vorschein, die bisher in der angeborenen Basis des Verstandes potentiell blieben. Ab dann ist es möglich, diese Funktionen in logische Begriffe zu fassen, sei es aus den bisher naiv gebrauchten Kategorien, sei es aus den Urteilen, die der Verstand bildet. Nachdem diese Funktionen von der Logik registriert worden sind, kann der kritische Philosoph in umgekehrter Richtung von ihnen her das System der Kategorien thematisch erfassen, wie es in dem besprochenen Kapitel der Kritik geschieht. Welche Fragen und zugleich welche Hinweise ergeben sich aus dieser Interpretation f ü r den n a c h f o l g e n d e n Gang dieser Arbeit? Die Lehre der ursprünglichen Erwerbung ist jetzt konkreter geworden. Sie umfaßt zwei Etappen, nämlich erstens die Genesis der transzendentalen Schemata, in der sich der Inhalt der kategorialen Begriffe konstituiert, und zweitens das Auf-den-Begriff-Bringen dieses Inhalts, das eigentlich die Erwerbung dieser Begriffe ist. Wenn dem so ist, gilt es, zu erforschen, worin die Genesis der transzendentalen Schemata besteht. Welche Implikationen hat ferner die Bildung der kategorialen Begriffe selber? Diese Fragen werden die weiter unten folgende Interpretation des Schematismus-Kapitels leiten.
116
Sein und Subjektivität bei Kant
Drittens hat sich die Interpretation dem subjektiven Ursprung der Kategorien im Sinne ihrer ratio essendi und den mit ihr zusammenhängenden Fragen genähert. In dieser Hinsicht sind folgende Fragen zu stellen: a) Was sind die Anlagen oder Keime der Kategorien im Verstände (A 65-66)? b) Welche Bedeutung hat die Identität der Urteilsfunktionen mit den Kategorien hinsichtlich des subjektiven Ursprungs dieser? c) Was ist der Verstand selber, der ein solcher Ursprung sein soll? Von diesen Fragen her können die Möglichkeiten in den Blick genommen werden, in denen sich die Interpretation bewegen wird. Ad a) Diese Anlagen oder Keime können entweder die Gründe der Urteilsfunktionen und nur indirekt die der Kategorien sein, oder, umgekehrt, diese Anlagen können zunächst der Ursprung dieser und nur indirekt jener sein, oder, drittens, diese Keime können gegenüber beiden Arten von Funktionen neutral sein. Ad b) Die Identität der Kategorien und der Urteilsfunktionen kann so verstanden werden, daß keine von ihnen den Vorrang haben, oder so, daß die einen primär und die anderen nur ein Derivat der ersten sind. Ad c) Ist der Verstand als ein solcher Ursprung eine in sich abgeschlossene Einheit (A 65)? In diesem Fall könnte die Einheit der Apperzeption vielleicht der alleinige Ursprung der Kategorien sein. Sind die Urteilsfunktionen dann der Ursprung der Kategorien und, durch sie, auch der transzendentalen Schemata? Oder sind jene Funktionen in Beziehung auf die Synthesis der Einbildungskraft der Ursprung der transzendentalen Schemata, und sind erst diese die Quelle der Kategorien? Oder ist der Verstand nur ein unselbständiges Glied innerhalb des Subjekts als eines organisierten Ganzen? In diesem Fall müßte der Verstand eine Beziehung zur Einbildungskraft und zur Sinnlichkeit implizieren. Wie § 10 zeigt, spielt diese Beziehung eine entscheidende Rolle bei der Erwerbung der Kategorien als Begriffe. Ist sie auch hinsichtlich der Frage relevant, welches bzw. welche Vermögen die Bedingung der Möglichkeit dieser Begriffe ist bzw. sind? Wenn dem so wäre, welche Bedeutung hätte dann die Genesis der transzendentalen Schemata für diese Frage? Können aus der Beziehung der Apperzeption auf die Einbildungskraft und die Sinnlichkeit etwa die oberste Idee des Systems der Kategorien sowie die sie einteilenden Differenzen bis zu den niedersten Arten erklärt werden? Wenn der Inhalt der kategorialen Begriffe aus der Synthesis der Einbildungskraft entspringt, wie kann diese Synthesis ihrerseits in den Kategorien gründen? Ist diese gegenseitige Ermöglichung von Synthesis und Kategorien ein einzigartiges Phänomen, oder ist sie ein Beispiel einer Verknüpfungsart, die sich überall in der endlichen Subjektivität manifestiert?
Drittes Kapitel Der Ursprungsort der Kategorien nach der Transzendentalen Deduktion der ersten Auflage
Bei der Interpretation der metaphysischen Deduktion wurde sichtbar, daß die Kategorien aus der Synthesis der Einbildungskraft erworben werden. Die Transzendentale Deduktion zeigt ferner, daß die Möglichkeit und Notwendigkeit der Kategorien in der Beziehung zwischen der anschaulichen Mannigfaltigkeit und der Einheit der Apperzeption gründet (A 111-12), welche Beziehung durch die Einbildungskraft konstituiert ist. Diese Einsicht gehört zur subjektiven Deduktion der Möglichkeit des Verstandes. Worin besteht diese Erklärung? Warum hat die transzendentale Deduktion eine objektive und eine subjektive Seite? Die Klärung des Ursprungs der Kategorien aus der Beziehung der drei Urvermögen kann nur im Durchgang durch die Gesamtproblematik der transzendentalen Deduktion nach und nach durchgeführt werden.
A: Das Vorstadium der Deduktion
§ 13. Das juristische
Modell der Deduktion und ihr Prinzip
Ihrer Idee gemäß sucht die Kr V sich der Rechtmäßigkeit des Wahrheitsanspruchs der Erkenntnisse a priori, inbesondere der metaphysischen, zu vergewissern. Das Verfahren, diese Aufgabe zu erfüllen, wird von Kant "Deduktion" genannt (A 84). Dieser Titel, der nicht nur bedeutet, daß dieses Verfahren ein Schließen ist, wird durch die Analogie veranlaßt, die zwischen der genannten Vergewisserung und der juristischen Beurteilung besteht. In beiden Fällen handelt es sich darum, über die Rechtmäßigkeit von Ansprüchen vernünftig zu entscheiden. In einem Rechtsstreit wird das, was faktisch geschieht (quaestio facti), von dem unterschieden, was dabei rechtmäßig geschehen soll (quaestio iuris). Um über die Rechtmäßigkeit eines Anspruchs zu entscheiden, ist vor allem nötig, daß in dem entsprechenden Bereich ein Gesetz gültig ist, welches bestimmt, was rechtens ist und welche Bedingungen ein Anspruch erfüllen soll, um rechtmäßig zu sein. Auf dieser Basis kann und soll man Gründe vorbringen, die beweisen, daß ein bestimmter Anspruch
118
Sein und Subjektivität bei Kant
diese Bedingungen erfüllt und daher rechtmäßig ist. Dieser B e w e i s der Rechtmäßigkeit, der im XVIII. Jhdt. von den deutschen Juristen die "Deduktion" genannt wird, hat demnach folgende Struktur: (maior:) Wenn ein Anspruch die Requisiten "a" oder "b" oder "c" erfüllt, dann ist er legitim; (minor:) der Anspruch "n" erfüllt das Requisit "b"; (conclusio:) folglich ist der Anspruch "n" legitim.1 Gemäß der Analogie der transz. Deduktion mit einem solchen juristischen Beweis erfordert jene ein Gesetz oder Prinzip, das im Allgemeinen festsetzt, welche Bedingungen die Vorstellungen a priori erfüllen müssen, um rechtmäßig als wahr gelten zu können. Dieses Prinzip wird A 92 noch als Teil eines allgemeineren Grundsatzes aufgestellt, den ich aus später anzuführenden Gründen folgendermaßen formuliere: Wenn eine synthetische Vorstellung durch ihren Gegenstand ermöglicht wird oder sie diesen ermöglicht, dann kann sie mit diesem Gegenstand notwendig übereinstimmen und wahr sein. Dieses Prinzip ist kein Gesetz für das Wesen der Wahrheit, das von Personen oder Gemeinschaften willkürlich festgelegt worden ist, sondern es hat seine Gründe, die wenigstens zum Teil aus der Natur der Vernunft, so wie Kant sie auffaßt, fließen. Diese Gründe liegen dem genannten Text implizit zugrunde. 1. Das Wesen der Wahrheit (im weiteren Sinne als Wahrheit der Urteile und der Begriffe bzw. Anschauungen) besteht in der Übereinstimmung der Vorstellung mit ihrem Gegenstand. Infolgedessen besteht die Falschheit (im weiteren Sinne) in der Nicht-Übereinstimmung dieser Vorstellung mit demselben. Gemäß der mittelalterlichen und modernen Tradition sagt Kant: "Die Namenserklärung der Wahrheit, daß sie nämlich die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande sei, wird hier geschenkt, und vorausgesetzt ..." (A 58). Zu
1
Vgl. D. Henrich, "Kant's Notion of a Deduction and the methodological Background of the first Critique" in: Kant's Transcendental Deductions, (1989) S. 29 ff. Vf. vertritt die These, daß die transz. Deduktion keine syllogistische Struktur habe, weil sie bloß eine Argumentation im Stil der juristischen "Deduktionen" der Neuzeit sei. Dabei nimmt er an, daß letztere keine explizite oder implizite Beweisstruktur hätten. Henrich verschärft diese These noch auf der Kant-Tagung Marburg 1981 (vgl. Probleme der Kritik der reinen Vernunft, 1984, S.85-86; vgl. dazu Baum (1986), 9 f.). Was wäre aber eine Argumentation, die eine solche Struktur nicht hätte? Wenn sich die genannte Argumentation auf irgendwelche Rechtsprinzipien beruft, von denen her über die Legitimität eines Anspruchs entschieden werden kann, wie Vf. annimmt (1989, S. 36), dann ist sie vermutlich eine Art Beweis, wie der hier angeführte. Selbst wenn die juristischen Deduktionen keine Beweise wären, ist nicht zu leugnen, daß Kant sie als solche versteht (A 84). Er sieht auch seine transz. Deduktionen der Grundsätze als Beweise an, mag er sie auch nicht syllogistisch darstellen (vgl. Β 202 ff. sowie 734 ff. und 782 ff.). Die juristischen "Deduktionen" und die transz. Deduktionen haben nach ihm das Gemeinsame, daß beide die Legitimität eines Anspruchs von einem Prinzip her beweisen. Ansonsten sind sie voneinander verschieden, so daß der Beweisgrund bei den Deduktionen der KrVnicht der Ursprung a priori der Vorstellungen ist, sondern die Funktion, die nur einige von ihnen besitzen, Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zu sein. Wenn ich hier ferner die transz. Deduktion der Kategorien als einen Beweis ansehe, dann in einem weiteren Sinne des Wortes. Sie besteht aus einem Hauptbeweis, der syllogistisch formuliert werden kann, und aus zusätzlichen Begründungen, die nicht immer eine solche Form haben.
Juristisches Modell der Deduktion
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derselben Tradition gehört die Beschränkung der Wahrheit und Unwahrheit auf den Verstand, und zwar auf das Urteil: "Denn Wahrheit oder Schein sind nicht im Gegenstande, sofern er angeschaut wird, sondern im Urteile über denselben, sofern er gedacht wird" (A 293). Gegenüber dieser Tradition faßt Kant dennoch die Erkenntnis im weiteren Sinne, d.h. nicht nur als Urteil, sondern auch als einfache Vorstellung, so daß er auch von der objektiven Gültigkeit des reinen Begriffes oder der reinen Anschauung sprechen kann. 2 Das erklärt sich daraus, daß Kant seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre der Frage nachgeht, ob die synthetischen Einzelvorstellungen a priori des Subjekts bloß subjektiv sind oder ob sie objektive Realität haben. Diese Überlegungen fuhren ihn dazu, die objektive Realität solcher Vorstellungen auch als eine Art von Wahrheit qua Übereinstimmung anzusehen (vgl. oben § 3, Β und D). Aber wie kann in einer idealistischen Philosophie wie der Kantischen von einer Ü b e r e i n s t i m m u n g der Erkenntnis mit dem Objekt die Rede sein, w e n n der Idealismus scheinbar die Identität beider postuliert und die Übereinstimmung eine Relation ist, die gerade eine echte Differenz zwischen ihren Korrelaten erfordert? Der Kantische Idealismus lehrt zwar, daß das Subjekt das Objekt möglich macht und daß in dieser Hinsicht dieses mit jenem identisch ist, aber er lehrt zugleich, daß das Subjekt das Objekt als von ihm Unterschiedenes ermöglicht (vgl. A 10405, 190-91). A u f G r u n d der K a t e g o r i e n wird in der t r a n s z . S y n t h e s i s der Einbildungskraft und dann auf dem Niveau des Urteils das Einzelobjekt als selbständig dem empirischen Urteil entgegengesetzt, so daß dieses Urteil mit dem Objekt übereinstimmen kann. 3 Dementsprechend werden A 191 und 197 einerseits die Erfahrung, d.h. das Erfahren im Sinne der Synthesis der Einbildungskraft, als ein Nacheinander von Vorstellungen, und zum anderen das Objekt als eine in die2
3
Kant schreibt Wahrheit den reinen Verstandesbegriffen explizit zu. So wird A 221-22 von den Relationskategorien gesagt: "Nur daran also, daß diese Begriffe die Verhältnisse der Wahrnehmungen in jeder Erfahrung a priori ausdrücken, erkennt man ihre objektive Realität, d.i. ihre transzendentale Wahr heit...". Wenn er andererseits sagt, daß die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zugleich Bedingungen der Erfahrungsgegenstände sind und "darum objektive Gültigkeit in einem synthetischen Urteile a priori" haben (A 158), dann meint er damit nicht, die Kategorien seien nur wahr, wenn sie als Prädikate der Grundsätze fungieren. Sie stimmen schon vorher, als Gründe der Möglichkeit der Grundsätze selber, mit diesen Gegenständen überein. Diese Wahrheit der synthetischen Vorstellungen (reinen Anschauungen und Begriffe) kommt gerade in dem soeben formulierten Prinzip der transz. Deduktion zum Ausdruck (A 92-93). Die Lehre von der Wahrheit der reinen Begriffe geht auf Aristoteles zurück, nach dem die Erfassung der einfachen Eide notwendig wahr ist, während die Aussage entweder wahr oder falsch sein kann (De An. III, 6,430 a 26 ff. Vgl. auch De Int. 1,16 a 9 ff., Afe. Theta 10, 1051 b 23 ff.). Dagegen wird die Lehre, daß die Wahrheit auf die Aussage beschränkt ist, erst von Thomas von Aquin in De ventate, q. 1, art. 3 eingeführt. Zur Ermöglichung der empirischen Wahrheit vgl. M. Baum "Wahrheit bei Kant und Hegel" ( 1983) 24049. - Ein weiteres Indiz des Unterschiedes zwischen der Erfahrung und ihrem Objekt ist, daß die apriorischen Prädikate des Objekts, wie extensive und intensive Größe usw. nicht der Erfahrung selber zugesprochen werden können, welche das Objekt zwar nach den entsprechenden Kategorien konstituiert, aber selbst keine so beschaffene Gegenständlichkeit ist.
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sen Vorstellungen vorgestellte notwendige synthetische Einheit unterschieden. Ein solches Objekt ist weder ein bloßes Geschöpf des Subjekts, noch wird es von diesem als eine apriorische Form gleichsam sich selbst entgegengeworfen. In ihm ist der potentielle Gehalt der Empfindung, der auf das A priori nicht reduzierbar ist, eingebaut, was ein wesentliches Moment der Selbständigkeit des Objekts gegenüber dem Subjekt ausmacht. Auf dieser Basis ist eine apriorische Differenz bzw. Übereinstimmung zwischen der Form a priori und diesem aus Form und Materie konstituierten Objekt möglich. 2. Daß die Vorstellungen notwendigerweise die doppelte Möglichkeit haben, wahr oder falsch zu sein, und daß es daher nötig sei, sich ihrer Wahrheit zu vergewissern, gründet in der Endlichkeit des Erkenntnissubjekts, d.h. in der Unterschiedenheit von Denken und Anschauung und folglich darin, daß diese nicht schöpferisch sind (vgl. oben § 5). Dagegen wären schöpferische Vorstellungen immer wahr. Da die Materie des Gegenstandes, auf den sich Begriff und Urteil beziehen können, in der endlichen Anschauung gegeben ist, ist die Wahrheit dieser Vorstellungen nur auf Grund einer Übereinstimmungsbeziehung zwischen Denken und Anschauung möglich. Einen Widerschein dieser Lehre geben die Vorlesungen über Rationaltheologie. Bei Gott kann man nur von Erkenntnis sprechen. Sie ist von Irrtum und Schein völlig frei, weil sein intuitiver Verstand von keinem fremden Gegenstand beeinflußt werden kann (z.B. Religionslehre Pölitz, AA XXVIII, 1055-56). Da der menschliche Verstand dagegen von der sinnlichen Anschauung verschieden ist, kann er entweder mit dem potentiellen Gegenstand der Anschauung übereinstimmen oder von ihm irregeführt werden (vgl. A 293-94). 3. Folglich ist der Gegenstand, mit dem der Begriff oder das wahre Urteil letzten Endes übereinstimmen können und sollen, der Gegenstand in der empirischen Anschauung, ein Gegenstand also, der dem Subjekt immanent ist und nicht ein Ding an sich selbst. 4. Unter welchen Bedingungen kann diese Übereinstimmung auftreten? Nach der oben (§ 3) skizzierten Tradition, in welcher Kant steht, gründet die Wahrheit in einem "kausalen" Verhältnis zwischen Erkennendem und Seienden. Diese werden dabei nicht modern als Körper in mechanischen Beziehungen von Ursache und Wirkung angesehen, sondern als Seiende, die dem Was-Sein nach bestimmt sind und als solche in einem Grund-Gegründetes-Verhältnis stehen. Wenn die Bedingung bloß notwendig (und nicht zugleich notwendig und zureichend) ist, dann kann zwischen ihnen Übereinstimmung dem Was nach, und zwar eine notwendige, bestehen. Diese Lehre, die A 92 implizit bleibt, kann in folgender These zusammengefaßt werden: Wenn ein Was-Seiendes ein anderes Was-seiendes ermöglicht, dann kann notwendige Übereinstimmung zwischen beiden bestehen.
Juristisches Modell der Deduktion
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Demgemäß ist diese Übereinstimmung möglich, entweder wenn die Vorstellung den Gegenstand der empirischen Anschauung möglich macht oder wenn dieser jene ermöglicht (A 92). Diese ermöglichenden Bedingungen werden von Kant als die Form bzw. die Materie des Gegenstandes (bzw. der empirischen Erkenntnis) gedacht. Wie oben gesagt, im Falle der Vorstellungen a priori und der empirischen Gegenstände können sogar zwei von Thomas von Aquin (De ver., q. 1, a 1-2) unterschiedene Übereinstimmungen zugleich auftreten: Indem jene Vorstellungen a priori die Gegenstände möglich machen, stimmen sie mit diesen überein und sind als Erkenntnisse a priori transzendental wahr; umgekehrt stimmen dann die Gegenstände mit diesen Vorstellungen überein und sind wahr als Gegenstände (veritas rei). Daß diese Übereinstimmung das Was-Sein des Gegenstandes und des in der Vorstellung Vorgestellten betrifft, zeigt die Art, wie Kant sie bezeichnet. Er spricht sehr häufig von der "objektiven Realität" dieser Vorstellungen. "Realität" bedeutet fur Kant nicht, wie heute üblich, die Existenz oder Wirklichkeit, sondern das WasSein von etwas. Daher schreibt er die Realität (des Gegenstandes) der Klasse der Qualitätskategorien zu (A 143). Dementsprechend ist die "qualitative Vielheit der Merkmale", indem sich wahre Folgen eines Begriffes ergeben, Kennzeichen seiner objektiven Realität (B 114). Der Wasgehalt (realitas) kann nun in einem Objekt vorhanden sein und/oder durch einen Begriff vorgestellt werden. Im letzteren Falle kann dem Begriffsgehalt eine realitas im Objekt, in der Anschauung, korrespondieren, und dann hat dieser Begriff objektive Realität, oder nicht. Die objektive Realität eines Begriffes ist demnach eine Seinsweise, die derselbe hat, wenn seinem Begriffsgehalt ein Was-Sein im Objekt korrespondiert. Wenn der Begriff prätendiert, sein Korrelat unter den Dingen an sich zu haben, dann spricht Kant von seiner vermeintlichen absoluten Realität (A 36). Die Ideen haben dagegen nur eine subjektive Realität (A 339). Wenn der Wasgehalt einer Vorstellung, wie im Falle des Raumes, nicht zum Ding selbst, sondern zum Sinnesobjekt gehört, hat sie transzendentale Idealität und zugleich empirische Realität (A 28). Kant gebraucht "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" als synonym (vgl. A 28, 35), denn jene findet dann statt, wenn sich der Begriffsgehalt auf das Objekt bezieht und fur es gilt. Daher ist objektive Realität auch "Anwendung auf Gegenstände" (B 15051). Dieses Verhältnis wird von Kant ferner als Korrespondenz (Übereinstimmung) des Objekts mit dem Begriffsgehalt bzw. als Wahrheit des Begriffes gedacht (A 222, vgl. 146). Wenn ein Begriff empirische Realität hat, dann hat er Sinn und Bedeutung (A 155-56), denn nur dann bedeutet er ein Objekt (vgl. A 239-40). Obwohl Kant annimmt, daß wir Begriffe denken, die einen logisch möglichen Wasgehalt haben, aber nicht objektiv möglich sind - wie der Begriff einer von zwei Linien geschlossenen Figur (A 220-21) - spricht er von Sinn und Bedeutung nur,
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wenn sich der Begriff in der Anschauung "erfüllt". Sonst ist er leer und ohne Inhalt.4 In diesem Zusammenhang ist es aber sehr wichtig, festzuhalten, daß ein Begriff nicht objektive Realität hat, weil seinem logisch möglichen Gehalt ein existierendes Objekt in der Anschauung korrespondiert. Die objektive Realität desselben ist eher die "Möglichkeit eines solchen Gegenstandes, als durch den Begriff gedacht wird" (A 220), d.h. die reale Möglichkeit desselben. Realdefinition ist daher diejenige, die die objektive Realität eines Begriffes aufzeigt, indem sie die reale Möglichkeit seines Objektes dartut (A 241-42 Anm. und Β 302-03 Anm.).5 Auf solchen Voraussetzungen beruht dasjenige, was ich das Allgemeine Prinzip (I) der transz. Deduktion nenne und welches das Kriterium der Wahrheit der synthetischen Vorstellungen ausdrückt: Wenn eine synthetische Vorstellung durch ihren Gegenstand ermöglicht wird oder sie diesen ermöglicht, dann kann sie notwendigerweise mit diesem Gegenstand übereinstimmen und ist wahr (A 92). Dieses Prinzip ist aber nicht das spezielle Prinzip der transzendentalen Deduktion der Kategorien, denn es gilt für die notwendige Wahrheit der synthetischen Vorstellungen überhaupt, seien sie empirisch oder rein. Daher ist der nächste Schritt Kants A 92, aus diesem allgemeinen Prinzip das spezielle abzuleiten. Die Stelle A 92-93 enthält in der Tat einen impliziten Beweis, der eigens erörtert werden muß.
§ 14. Die Struktur der Deduktion im ganzen und ihr Vorstadium Obwohl die Stelle A 92-93 allen Kant-Lesern bekannt und unzählige Male von ihnen besprochen ist, ist der in ihr implizit enthaltene Beweis nicht nur sehr komplex, sondern auch in mancher Hinsicht fragwürdig, so daß jeder neue Auslegungsversuch eine genaue Analyse derselben vorzunehmen hat. Ich gehe zunächst den Text im ganzen durch und hebe in ihm die wichtigsten Thesen hervor, die die verschiedenen Schritte des Beweises liefern. Die jeweils erörterten Textteile werden durch die Zeilennummern der Seiten 104-05 in der AkademieAusgabe (Band III) angegeben. Da einige dieser Thesen schon im vorigen Paragraphen besprochen worden sind, sollen sie hier nur gestreift werden.
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Es ist leicht zu belegen, daß Kant diese verschiedenen Bestimmungen als identisch ansieht. Nach A 222 ist objektive Realität der Kategorien = transzendentale Wahrheit. Wahrheit ist aber = objektive Gültigkeit ( A 125,788). Folglich besagen "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" dasselbe. A 155 werden zunächst objektive Realität, Beziehung auf einen Gegenstand und Bedeutung-und-SinnHaben (eines Begriffes) als äquivalent genommen. Dann wird dabei das Fehlen der objektiven Gültigkeit dem Ermangeln von Sinn und Bedeutung gleichgesetzt (A 156). Zum Unterschied von logischer und realer Möglichkeit vgl. A 596 Anm. Vgl. M. Baum ( 1986) 23-24 sowie Detel, "Zur Funktion des Schematismus ..."(1978), S. 25 f.
Struktur der Deduktion
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1. (Z. 6-11) Kant sucht die Bedingungen der Übereinstimmung zwischen synthetischer Vorstellung und Objekt, und zwar nicht die Bedingungen einer zufälligen, sondern einer notwendigen Übereinstimmung unter ihnen. Daher rührt der Ausdruck "notwendiger Weise" Z. 7-8.6 Diese Notwendigkeit ist ferner nicht absolut, sondern beruht auf Bedingungen, die ihrerseits nicht zureichende, sondern notwendige sind. Sie machen daher die Übereinstimmung nur möglich ("können" Z. 8). Diese Bedingungen sind ferner zwei alternative Verhältnisse von synthetischer Vorstellung und Gegenstand, denen gemäß entweder eine solche Vorstellung notwendige Bedingung des Gegenstandes ist und ihn in einer Hinsicht oder mehreren Hinsichten "möglich macht" (Z. 9-10) oder umgekehrt. Offensichtlich können diese alternativen Verhältnisse nicht zugleich erfüllt sein, sondern sie schließen einander aus. Die Stelle drückt eine These aus, die als maior eines Syllogismus fungieren könnte: Nur wenn synthetische Vorstellung und Gegenstand in einem dieser alternativen Ermöglichungsverhältnisse stehen, können sie in dem andersartigen Verhältnis einer notwendigen Übereinstimmung stehen. Da das Stehen in j e n e n V e r h ä l t n i s s e n notwendige Bedingung des Stehens in solcher Übereinstimmung ist, sollte diese These als Replikation formuliert werden, und daher habe ich sie durch ein "nur wenn" eingeleitet. Auf welche Schwierigkeiten eine solche Deutung jedoch stößt, soll später erörtert werden. Endlich darf man nicht vergessen, daß die erwähnte Notwendigkeit der Übereinstimmung auf der soeben berührten These der Tradition beruht, dergemäß, wenn eine causa formalis etwas ermöglicht, diese Folge mit jener Ursache notwendig übereinstimmt. Das gilt nicht für alle notwendigen Bedingungen, sondern nur für jene, die wie die an der vorliegenden Stelle gemeinten das Was-Sein betreffen. 2. (Z. 10-17) Da es Kant nur um die notwendige Übereinstimmung von Kategorien und Gegenstand geht, zielt er auf das zweite (b) der alternativen Verhältnisse ab, denn nur bei ihm kann die synthetische Vorstellung a priori sein. Daher schließt er implizit die andere Alternative (a) aus (Z. 10-12). Die zweite Alternative teilt sich aber weiter ein, denn die synthetische Vorstellung kann entweder die Existenz des Gegenstandes (b. 1) oder bloß die Erkenntnis desselben (b. 2) ermöglichen. Da unser Erkenntnisvermögen weder ein schöpferischer Wille noch ein endlicher Kunstverstand ist, fallt hier auch b.l aus, wodurch die Möglichkeit b. 2 übrigbleibt. Die Stelle liefert demnach erstens die minor für die soeben formulierte maior: Unsere synthetischen Vorstellungen a priori können weder durch den Gegenstand ermöglicht werden (a), noch können sie seine Existenz möglich machen (b. 1). Die Zeilen 15-17 deuten zweitens die korrespondierende conclusio an: Nur wenn die synthetischen Vorstellungen a priori die Erkenntnis des Gegenstandes ermöglichen (b. 2), können diese Vorstellungen und der Gegenstand notwendig übereinstimmen. 6
Vgl. auch S. 104, Z. 25,30-31 sowie Β XVII-VIII, Β 164,166. Femer: Proleg.§ 36: "Eine solche und zwar notwendige Übereinstimmung..." (AAIV, 319).
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Sein und Subjektivität bei Kant
3. (Z 17-21) Diese Stelle gibt nicht nur zwei Arten von synthetischen Vorstellungen a priori (Anschauung, Begriff) an, die notwendige Bedingungen der Erkenntnis des Gegenstandes sind ( vgl. "unter denen allein" Z. 18), sondern sie geht sofort dazu über, zu zeigen, daß beide Vorstellungsarten den Vordersatz der vorangehenden conclusio erfüllen, was den Inhalt einer neuen minor bilden würde. Das besagt, daß jene conclusio auch als maior eines neuen Syllogismus fungiert und daß daher beide Syllogismen miteinander verkettet sind. Weil dieser neue Syllogismus speziell die objektive Realität der Kategorien demonstriert, ist er der Hauptbeweis, während der ihm vorangehende bloß den Beweis seiner maior liefert. 4. (Z. 21-27) Der Text geht noch nicht auf den Inhalt dieser neuen minor ein, und als Vorbereitung dazu zeigt er nur, daß die reine Anschauung den Gegenstand als Erscheinung ermöglicht und daß deshalb die Erscheinung mit dieser Bedingung notwendig übereinstimmt. 5. (Z. 27 - S. 105, Z. 6) Nach diesem vorbereitenden Übergang zeigt der Text, daß der Erfahrung außer der reinen Anschauung noch Begriffe a priori zugrunde liegen, durch die es möglich ist, den Gegenstand der Erscheinungen zu denken. Infolgedessen ist die Erfahrung der Gegenstände "solchen Begriffen notwendigerweise gemäß" bzw. haben diese Begriffe objektive Gültigkeit. Damit liefert diese Stelle die minor des zweiten Syllogismus: Nun sind die Kategorien synthetische Vorstellungen a priori und sie ermöglichen die empirische Erkenntnis des Gegenstandes, sowie die conclusio: Folglich stimmen die Kategorien und die Gegenstände notwendig miteinander überein. Eigentlich gibt die Stelle nicht nur diese minor her, sondern sie umreißt deren Begründung, aber diese ist, wie unten gezeigt werden soll, vorläufig und erfordert einen eigens angelegten Beweis. Der A 92-93 enthaltene Beweis lautet nach unserer Deutung wie folgt: 1. (maior) Wenn (a) der Gegenstand die synthetische Vorstellung möglich macht, oder (b) diese den Gegenstand ermöglicht [sei es (b.l) die Existenz, oder (b. 2) die Erkenntnis desselben], können die Vorstellung und der Gegenstand notwendig miteinander übereinstimmen; 2. (minor) unsere synthetischen Vorstellungen a priori können weder durch den Gegenstand ermöglicht werden (a), noch können sie die Existenz desselben möglich machen (b. 1), 3. (conclusio und neue maior) folglich: Wenn unsere synthetischen Vorstellungen a priori die Erkenntnis des Gegenstandes ermöglichen, können beide notwendig miteinander übereinstimmen; 4. (minor) nun sind die Kategorien synthetische Vorstellungen a priori, und sie ermöglichen die empirische Erkenntnis des Gegenstandes, 5.(conclusio) folglich: Die Kategorien können mit dem Gegenstand notwendig übereinstimmen. Der Beweis besteht aus zwei verketteten hypothetischen Syllogismen. Der erste von ihnen (1-3) hat als maior ein hypothetisches Urteil, dessen Vordersatz eine
Struktur der Deduktion
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Disjunktion (oder genauer eine Exklusion) enthält, aus der die minor einige der Alternativen ausschließt, wie es bei den disjunktiven Beweisen üblich ist (modus tollendo ponens). Der zweite Syllogismus (3-5) schließt durch den modus ponendo ponens. Wie leicht festzustellen ist, weicht diese Fassung von meiner vorherigen Formulierung der einzelnen Sätze ab, insofern die maior und die conclusio des ersten Syllogismus (1 und 3) oben als Replikationen und hier als bloße Implikationen gefaßt sind. Da diese Beweise auf notwendige Bedingungen und ihre Bedingten gehen, wäre die Formulierung durch Replikationen an sich angemessener, aber in diesem Falle wäre der zweite Beweis nicht schlüssig, denn dessen minor (4) würde den Vordersatz der unmittelbar vorangehenden maior (3) bejahen, was bei Replikationen nicht zulässig ist. Der replikative modus ponens fordert in diesem Falle nur die Setzung des Nachsatzes, was hier aber den Sinn des Textes verwirren würde. Daher ziehe ich die schwächere Formulierung des Beweises mit Implikationen vor, die im Einklang mit dem Text die Anwendung des modus ponens durch Setzung des Vordersatzes im zweiten Syllogismus zuläßt. Diese schwächere Fassung deutet jedoch durch das Wort "können" im Nachsatz dieser Implikationen ( 1 , 3 ) an, daß der Vordersatz eine notwendige Bedingung fur ein im Nachsatz gemeintes Mögliches ausdrückt, so daß der Sinn des Textes nicht verlorengeht. 7 Während die maior (1) des ersten Syllogismus von mir oben als das Prinzip (I) der Wahrheit der synthetischen Vorstellungen überhaupt bezeichnet wurde, ist der 3. Satz, der die maior des zweiten Syllogismus bildet, das spezielle Prinzip (II) der Wahrheit der synthetischen Vorstellungen a priori, unter anderen der Kategorien. Nur weil dieses Prinzip den Vordersatz hat: "Wenn unsere synthetischen Vorstellungen a priori die Erkenntnis des Objekts ermöglichen ...", kann Kant als "Prinzipium", d. h. als Aufgabe der Deduktion aufstellen, "daß sie als Bedingungen a priori der Möglichkeit der Erfahrung erkannt werden müssen ..." (A 94). Der zweite Syllogismus des dargelegten Beweises ist nichts Geringeres als die transzendentale Deduktion der Kategorien, oder genauer: Er bildet den Hauptbeweis derselben, denn der Text von A 92-93 zeigt, daß er außerdem die Beweise
7
Wenn man sagt: "Nur wenn es Wasser gibt, kann man Kaffee kochen", und dann den Vordersatz setzt: "Es gibt Wasser", dann kann man nicht ohne weiteres darauf schließen, daß es möglich ist, Kaffee zu kochen, denn andere Bedingungen dazu könnten fehlen. Damit das möglich wird, müssen also alle anderen nötigen Bedingungen, z.B. Kaffeepulver, eine funktionierende Herdstelle usw. verfügbar sein. Freilich könnte man jedoch durch das Setzen des Vordersatzes und mit folgender Beschränkung darauf schließen, daß es möglich ist, Kaffee zu kochen, nämlich mit derjenigen "soweit es das Wasser betrifft". Analogerweise und falls man die Replikationen in den Prämissen 1 und 3 des Kantischen Beweises behalten wollte, könnte man seine Prämisse 4 folgendermaßen formulieren: "nun sind die Kategorien synthetische Vorstellungen a priori, und sie ermöglichen (wenigstens was das Denken betrifft) die empirische Erkenntnis des Gegenstandes". Man könnte ferner den Inhalt der hier formulierten hypothetischen Syllogismen assertorisch darstellen, aber in diesem Falle würde die Form des Schlusses nicht den Nexus der notwendigen Beziehung und ihrer Folge widerspiegeln.
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seiner Prämissen umfaßt. Die maior (3) dieses Hauptbeweises wird, wie gesagt, durch den vorangehenden Syllogismus (A 92, S. 104, Z. 17-21) bewiesen. Zum anderen ist die minor (4) auch nicht unmittelbar evident und muß ihrerseits auf irgendeine Weise bewiesen werden. Deren Zusatzbeweis wird A 92-93 (104, Ζ. 27 -105, Ζ. 6) knapp umrissen. In Wirklichkeit liegt darin kein ausformulierter Beweis, sondern eine Begründung der Minor vor, die darin besteht, daß die Erfahrung als Erkenntnis von anschaulichen Gegenständen in Begriffen, und daher letzten Endes in den Kategorien, gründet, durch die wir diese Gegenstände als Gegenstände überhaupt schlechtweg denken. Wie ich später zeigen werde, ist diese Begründung unzureichend, weil hier ein eigens gearteter und ausführlicherer Beweis des Untersatzes nötig ist. Dieser ist zwar nur ein weiterer Zusatz zum Hauptbeweis der Deduktion. Da in ihm jedoch der Beweisgrund der Deduktion im ganzen bis zu seiner letzten Tiefe ergründet wird, ist dieser neue Zusatzbeweis nicht nur der umfangreichere Teil derselben (Abschnitte 2 und 3), sondern auch sogar ihre eigentliche Vollendung! Demgemäß bezeichne ich diesen neuen Zusatzbeweis als das Hauptstadium der Deduktion. Daher setzt Kant es ans Ende des Kapitels der transzendentalen Deduktion der Kategorien, während §§ 13 und 14 nur ein Vorstadium derselben bilden, obzwar dieses schon den Hauptbeweis enthält. Bereits in der ersten Ausgabe wird § 14 bloß als ein "Übergang" zur Deduktion betrachtet. Dementsprechend findet sich der zweite Abschnitt der Deduktion B, der das Hauptstadium derselben enthält, schlechtweg "Transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" betitelt. Der Titel "Hauptstadium der Deduktion" rechtfertigt sich ferner aus folgendem Grunde. Wenn Kant in dieser Textpassage die Wahrheit des Untersatzes beweist, gelangt er dadurch mehrere Male wieder zu dem Schlußsatz der Deduktion im ganzen, der schon A 93 dargelegt ist. Das geschieht A 111, 119, 125-26 und 128 sowie Β 143-44 und 165-66. Das verschafft dem Hauptstadium seinen Charakter der Vollendung der Deduktion. Nach dem Gesagten, hat der Ausdruck "Deduktion" hier zunächst eine juristische Bedeutung, der Kant innerhalb seiner Theorie der Gewißheit einen weiteren Sinn zuordnet. In beiden Fällen bedeutet dieses Wort jedoch außerdem einen mittelbaren Schluß, welcher die Rechtmäßigkeit eines Anspruchs aus einem allgemeinen Gesetz ableitet. Die transzendentale Deduktion der Kategorien macht sogar einen Zusammenhang von verschiedenen Beweisen aus, dessen Komplexität hier noch nicht ganz beleuchtet worden ist. Wie gesagt, "Beweis" bedeutet dabei nicht bloß Vernunftschluß (Syllogismus), sondern umfaßt auch nicht-syllogistische Begründungen. 8 8
Kant unterscheidet terminologisch nicht zwischen Beweis und Deduktion. Einerseits kennzeichnet er die Deduktion als Beweis (vgl. A 84). Andererseits sind die Beweise der Grundsätze, die in der zweiten Auflage mit diesem Namen bezeichnet werden (B 202-03,207-8,218-19,224-25,232-33,256-58),auch Deduktionen (vgl. A 149, 184-85, 737, 787, 794). Jedoch kann Deduktion eine Rechtfertigung der objektiven Gültigkeit eines Urteils sein, die den Rang eines Beweises nicht erreicht (A 233-35).
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Warum ist ein ausführlicherer und tiefergehender Zusatzbeweis der minor des Hauptbeweises erforderlich? Worin muß dieser neue Beweis bestehen?
Anhang 1. Transzendentale Deduktion und Skeptizismus In den vorangehenden Jahrzehnten hat man vor allem im Umkreis der Diskussion über die sogenannten "transzendentalen Argumente" geglaubt, daß die transz. Deduktion u. a. die Aufgabe hat, den Skeptizismus zu widerlegen. So sagt z.B. J. Bennett: "I take a 'transcendental' argument to be one which aims to rebut some form of scepticism by proving something about the necessary conditions for selfknowledge, self-consciousness, or the like".9 Die transz. Deduktion der Kategorien verfolgt aber kein solches Ziel, und wenn sie indirekt den Skeptizismus widerlegen will, dann nur eine sehr eingeschränkte Art desselben, die Kant Hume zuschreibt. 10 Nach ihm führt Hume den Skeptizismus ein, indem er entdeckt, daß der Grundsatz der Kausalität oder die empirischen Kausalverknüpfungen nicht analytisch rational, also nicht a priori sind, wie die damalige Metaphysik glaubt, sondern einen empirischen Ursprung aus der Assoziation haben und nur fur a priori notwendig gehalten werden. Insofern bezweifelt Hume die Möglichkeit der Metaphysik als synthetischer Erkenntnis a priori (vgl. Proleg. AA IV, 257-58, 277, § 27 ff., 351-2 sowie KrV Β 5, 19, 127-28, A 787-88). Jedoch gesteht Kant, durch diesen Zweifel Humes aus seinem dogmatischen Schlummer geweckt und zur Fragestellung nach der Möglichkeit der Metaphysik und der synthetischen Erkenntnis a priori überhaupt gebracht worden zu sein (Proleg. AA IV, 260-61). Dementsprechend enthält die KrV implizit eine Widerlegung dieser bestimmten Formen des Skeptizismus. Die metaphysische Deduktion sichert nämlich gegen den Zweifel am apriorischen Ursprung der Kategorien und sonstiger reiner Begriffe, während die transzendentale Deduktion auf den skeptischen Zweifel Humes hinsichtlich der Wahrheit der synthetischen Erkenntnisse a priori (vgl. Proleg. AA IV, 260 sowie §§ 27 ff.) antwortet. Die Deduktion A führt ferner die Assoziation (subjektive synthetische Einheit) auf die durch Kategorien ermöglichte Erfahrung zurück und entkräftet damit die Grundlagen, auf denen Hume seinen Zweifel aufbaut (vgl. A 100-102,112113, 121-122), wodurch zugleich geklärt wird, wie Erfahrung als Erkenntnis möglich ist. Andere, radikalere Formen des Skeptizismus berücksichtigt Kant faktisch nicht oder er hält sie für irrelevant." Er bezweifelt nicht, daß es Erfahrung gibt. Schon der Anfang der Einleitung der KrV impliziert eine solche Annahme: "Daß alle
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"Analytical Transcendental Arguments" in: Bieri, Horstmann, Kriiger (hrgs.) Transcendental Arguments and Science, Dordrecht, 1979, S. 50. 10 Zum Verhältnis Kants zu Hume vgl. W.Carl, a.a.O. 10-12und 146-58. 11 Vgl. mögliche Formen eines solchen Skeptizismus in W. Kuhlmann ( 1988) 202-5.
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unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange, daran ist gar kein Zweifel ..." (B 1, vgl. A l).' 2 Dieselbe Einleitung nimmt ferner an, daß es Erkenntnis a priori, und zwar synthetische, faktisch gibt (B 3-5, 14-18), und die Prolegomena gehen von ihr als einem Faktum aus (§ 4). Die strengere, synthetische Darstellung der KrV und insbesondere ihrer transz. Deduktion der Kategorien legt zwar die Erfahrung und die Erkenntnis a priori nicht als faktische Erkenntnisse zugrunde, aber sie trägt ihnen als problematischen Möglichkeiten Rechnung, deren Wahrheitsanspruch es gerade zu prüfen gilt. Es sind die N a c h f o l g e r und I n t e r p r e t e n K a n t s , die ihm u n d seiner Transzendentalphilosophie die Absicht unterstellen, jede Form von Skeptizismus zu bekämpfen. Diese Mißdeutung ist bei vielen angelsächsischen Autoren eine natürliche Folge ihrer eigenen Tradition. Bei den neueren deutschen Auslegern scheint sie eine andere Herkunft zu haben, wozu unten den Anhang zu § 31 vergleiche.
Anhang 2. Ein Einwand gegen die transzendentale Deduktion Der Inhalt dessen, was ich das I. Prinzip der transz. Deduktion genannt habe, wird A 737 gestreift, wenn Kant vom Grundsatz der Kausalität sagt: "Er heißt aber Grundsatz und nicht Lehrsatz, ob er gleich bewiesen werden muß, darum, weil er die besondere Eigenschaft hat, daß er seinen Beweisgrund, nämlich Erfahrung, selbst zuerst möglich macht, und bei dieser immer vorausgesetzt werden muß." Diese Stelle erregt bei vielen Interpreten der Vergangenheit und auch in jüngster Zeit den Verdacht, daß die transz. Deduktion der reinen Begriffe und der synthetischen Urteile a priori entweder einen Zirkel im Beweise enthält oder eine einzigartige Beweisform darstellt. 13 Wenn man nämlich diesen Text in dem Sinne versteht, daß es damit auf einen Beweis abgesehen ist, in dem aus der minor und dem in ihr enthaltenen Beweisgrund die conclusio und umgekehrt aus dieser die minor gefolgert wird, dann wäre ein Zirkel dabei unvermeidlich. Demgegenüber ist erstens hervorzuheben, daß diese Stelle nicht meint, der Grundsatz sei logischer Grund (Prämisse) fur die Folgerung dieser minor. Die Stelle will vielmehr sagen, daß die im Grundsatz gemeinte Synthesis der Erscheinungen
12 Vgl. Proleg. § 57: Der Skeptizismus, der zunächst "aus der Metaphysik und ihrer polizeilosen Dialektik" entspringt, beginnt damit, an den Grundsätzen a priori in ihrem transzendenten Gebrauch zu zweifeln, und geht dann so weit, "selbst in Erfahrungsgrundsätze einen Zweifel zu setzen. Hiemit hat es nun wohl keine Noth; denn der gesunde Verstand wird hierin wohl jederzeit seine Rechte behaupten ..." (AAIV,351). 13 Zu dieser letzteren Möglichkeit vgl. Moltke S. Gram: "Do Transcendental Arguments have a future" in Neue Hefte für Phil. 14,1978,23 ff.
Struktur der Deduktion
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nach der Kategorie der Ursache (Real-) Grund der objektiven Sukzession, d.h. der Erfahrung ist. Diese im Subjekt geschehende Synthesis von Erscheinungen und Kategorie ermöglicht zweitens die Erfahrung als eine notwendige synthetische Einheit von Erscheinungen, d.h. als Wahrheit (im Unterschied zum Schein oder Traum): die veritas rei der Erfahrung und ihres Objekts. Umgekehrt wird der im Grundsatz gemeinte Sachverhalt in einer anderen Hinsicht durch die Erfahrung ermöglicht: Indem er die Erfahrung und ihr Objekt möglich macht, stimmen diese mit ihm überein, so daß sie den Grundsatz als wahr im Sinne der veritas cognitionis begründen. Demgemäß liegt hier zwar ein "Kreis" im Sinne einer wechselweisen Begründung, aber in verschiedenen Hinsichten vor. Dieser Unterschied der Hinsichten löst hier den Schein eines circulus in probando auf. Das genannte Prinzip II der transz. Deduktion der Kategorien betrifft diese wechselseitige Begründung und sagt dasselbe wie jene Stelle A 737 aus. Dessen Vordersatz bezieht sich auf das Verhältnis zwischen apriorischer Bedingung (in diesem Falle den Kategorien) und ihrem Ermöglichten (der Erfahrung). Der Nachsatz geht implizit auf das umgekehrte Verhältnis dieses Ermöglichten zu jener Bedingung, infolgedessen diese objektiv gültig ist. Wie man dem soeben formulierten Hauptbeweis der transz. Deduktion und ihren Zusatzbeweisen (vgl. unsere §§ 15 und 20-21) entnehmen kann, zeichnen sie sich nicht durch ein einzigartiges Schlußverfahren aus. Das Besondere in ihnen betrifft nicht die logische Form, sondern den Inhalt. Übersieht man aber, daß Erfahrung und Kategorien bzw. Grundsätze einander zwar begründen, aber nur in verschiedenen Hinsichten, dann ist der Schein eines Zirkels unvermeidlich. So geht J. Ebbinghaus in seinem einflußreichen Aufsatz "Kantinterpretation und Kantkritik'" 4 von einer in den zwanziger Jahren geläufigen Deutung der transz. Deduktion aus, die notwendig auf den Verdacht eines Zirkels fuhrt (a.a.O. S. 4-6). Er deutet die Deduktion des Grundsatzes der Kausalität so, als ob der Grundsatz und die Erfahrung einander wechselweise objektiv gültig macht. Er unterscheidet nicht die Arten von Wahrheit, die dabei jeweils im Spiele sind, und nivelliert beide zu einer bloßen "objektiven Gültigkeit". Dies wird offensichtlich, wenn er das Verhältnis zwischen Grundsatz und Erfahrung mit dem Verhältnis zwischen einem allgemeinen Urteil ("alle Menschen sind sterblich") und den entsprechenden Einzelurteilen vergleicht, insofern sie einander hinsichtlich ihrer W a h r h e i t bedingen (a.a.O.). Anstatt den genannten Schein eines Zirkelschlusses aufzulösen, versucht Ebbinghaus ihm dadurch zu entgehen, daß er die objektive Gültigkeit der Kategorien (oder der synthetischen Grundsätze a priori) in dem Ich-denke-Satz von § 16 als einer Art Evidenz gründet (vgl. unten den Anhang zum § 30).
14 Gesammelte Aufsätze, Darmstadt 1968, 1-23.
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Ebbinghaus selbst verweist auf den Einwand der Zirkularität R. Kroners ( Von Kant bis Hegel, I 73 ff.), nach dem die allgemeinen Gesetze (Grundsätze) nach Kant Geltung haben, weil die empirischen Urteile Geltung haben; während diese Urteile umgekehrt Geltung haben, weil jene Grundsätze gelten. Kroner sieht dabei beide Male nur dieselbe Wahrheit als Geltung und muß daraus natürlich auf einen Zirkelschluß folgern.15 Demgegenüber ist geltend zu machen, daß "Wahrheit" dabei jedes Mal etwas anderes bedeutet. Außerdem ist in der KrV eine bestimmte Erkenntnisordnung im Blick zu behalten, die nicht zirkelhaft ist: Kant nimmt zwar an, daß es faktisch Erfahrung von Objekten gibt. Aber sie ist zunächst nicht gegründet·, ihr Wahrheitsanspruch ist für die transz. Deduktion der Kategorien noch problematisch und kann nicht als Basis der Deduktion dienen. Diese geht nicht von der Erfahrung als gewisser aus, um an ihr die objektive Realität der Kategorien aufzuweisen denn ein solcher Aufweis wäre empirisch - sondern eher vom Verstand und seinen reinen Begriffen. Darauf folgt der Beweis, daß die Kategorien notwendige synthetische Einheit (Wahrheit) der Erfahrung und ihres Objekts ermöglichen. Erst dann und nicht vorher können sich Erfahrung und Objekt als gegründete auf die Kategorien zurückbeziehen und mit ihnen übereinstimmen, d.h. sie wahr machen. Hier findet kein zirkelhaftes Einanderbegründen von Erfahrung/Objekt und Kategorien statt, sondern die Kategorien ermöglichen Erfahrung und Objekt und sozusagen durch diese sich selbst als objektiv wahr.16
B. Das Hauptstadium der Deduktion §15. Der Weg des Hauptstadiums und sein subjektiv-objektiver
Charakter
Mit Rücksicht auf das Ziel der transzendentalen Deduktion ist, wie gesagt, zusätzlich zu beweisen, daß die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sind. Welches ist nun der neue, strengere Weg zu diesem Ziel? Wie kann man beweisen, daß etwas (a) Grund der Möglichkeit eines anderen (b) ist? Dazu ist es nötig, das zu Begründende (b) auf seine Gründe hin zu erforschen, um zu sehen, ob (a) unter ihnen ist. So sagt Kant in der einleitenden Partie zum 2. Abschnitt der Deduktion: "Will man daher wissen, wie reine Verstandesbegriffe möglich seien, so muß man untersuchen, welches die Bedingungen a priori seien, worauf die Möglichkeit der Erfahrung ankommt, und die ihr zum Grunde liegen, wenn man gleich von allem Empirischen der Erscheinungen abstrahiert" (A 95-96 Hervorh. Vf.).
15 Vgl. Hossenfelder (1978), 18-20,129 f. 16 Vgl. eine andere Lösung des genannten Zirkel-Einwandes durch M. Baum ( 1986), 188-190.
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Eine Stelle A 96-97 enthält einen anderen Hinweis auf denselben Weg. Erfahrung ist die Erkenntnis von empirischen Gegenständen. Wir erkennen diese in ihrer empirischen Bestimmtheit, wenn wir die Erscheinungen durch empirische Begriffe denken. Analogerweise können wir beweisen, daß die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sind, wenn wir zeigen, daß nur vermittelst dieser reinen Begriffe die Erscheinungen als Gegenstände schlechtweg gedacht werden können. Das schließt die Möglichkeit und Notwendigkeit eines Verhältnisses zwischen reinen Begriffen und Erscheinungen ein, d.h. zwischen dem Verstand im engeren Sinne eines Vermögens zu denken (a. a. O.) und der Sinnlichkeit. Das, was in dieser Beziehung zwischen verschiedenen subjektiven Vermögen in Frage steht, ist nach dieser Stelle der Verstand selbst im weiteren Sinne "als ein Erkenntnisvermögen, das sich auf Objekte beziehen soll". In der Absicht, die "Möglichkeit dieser Beziehung", d.h. die Möglichkeit des Verstandes im letzteren Sinne und damit der Beziehung der Kategorien auf die Erscheinungen sowie die Funktion dieser Begriffe als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zu verstehen, "müssen wir die subjektiven Quellen, welche die Grundlage a priori zur Möglichkeit der Erfahrung ausmachen, nicht nach ihrer empirischen, sondern transzendentalen Beschaffenheit zuvor erwägen" (a. a. O.). Dieser Passus deutet damit an, daß der gesuchte Beweis der Kategorien als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zugleich den Charakter einer Untersuchung der Möglichkeit des Verstandes als Vermögens zu erkennen haben muß. Diese zwei Seiten des neuen Beweises sind auch durch den letzten Satz des einleitenden Textes angedeutet, welcher von diesen subjektiven Quellen sagt, daß sie "selbst den Verstand und, durch diesen, alle Erfahrung, als ein empirisches Produkt des Verstandes möglich machen" (A 97-98). Dieser, als Vermögen zu erkennen, ist nach beiden Texten kein ursprüngliches Vermögen. Im Gegenteil sind er und durch ihn die Erfahrung als sein Produkt in diesen subjektiven Quellen gegründet.17 Diese Quellen sind die reine Apperzeption, die Einbildungskraft und die Sinnlichkeit (vgl. A 94-95 Anm. und 115). Jede von ihnen hat einen empirischen Gebrauch in ihrer Anwendung auf bestimmte Erscheinungen (z.B. die empirische Anschauung einer Farbe, das Bewußtsein eines empirischen Bildes, das Bewußtsein dieses Bildes durch einen empirischen Begriff). Diesem empirischen Gebrauch liegt aber jeweils ein Vorstellen a priori zugrunde, dessen reine Produkte (die reinen A n s c h a u u n g e n , die transzendentalen Schemata, die Kategorien) als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung aufzuweisen sind. Das ist die transzendentale Perspektive, aus der diese subjektiven Quellen betrachtet werden sollen, wenn es gilt, die Möglichkeit des Verstandes und seiner Kategorien als Gründe der Möglichkeit der Erfahrung zu erklären. 17 Dasselbe drückt die Kennzeichnung der subjektiven Deduktion A XVI-1I aus: Sie geht auf "den reinen Verstand selbst, nach seiner Möglichkeit und den Erkenntniskräften, auf denen er selbst beruht...".
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Wenn der Verstand und die Erfahrung in diesem Verhältnis von Grund und Folge zueinander stehen, geschieht es nicht von ungefähr, daß eine und dieselbe Untersuchung erörtern soll, wie die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sind und zugleich wie sie, neben anderen Strukturen, Bedingungen der Möglichkeit des Verstandes selber sind. Ein solches Verhältnis macht ja notwendig, daß nur über die Erörterung der Bedingungen der Möglichkeit des Verstandes erklärt werden kann, wie die Kategorien Bedingungen der Erfahrung sind. Damit ist der Weg des genannten Zusatzbeweises klar festgelegt: Es gilt, die drei subjektiven Bedingungen a priori zu untersuchen, die den Verstand und mit ihm die Erfahrung möglich machen. Das Hauptstadium der Deduktion hat zugleich den Charakter einer Theorie des Vermögens zu erkennen. Wenn Kant zum ersten Mal in der Vorrede A von der transzendentalen Deduktion der Kategorien redet, macht er folgende Bemerkung: "Diese Betrachtung ... hat aber zwei Seiten" (A XVI), die er nachher "objektive" und "subjektive Deduktion" (A XVII) nennt. Jene wird folgendermaßen gekennzeichnet: "Die eine bezieht sich auf die Gegenstände des reinen Verstandes, und soll die objektive Gültigkeit seiner Begriffe a priori dartun und begreiflich machen; eben darum ist sie wesentlich zu meinen Zwecken gehörig" (A XVI). Das entspricht dem Ziel der transzendentalen Deduktion im ganzen, so wie es in den §§ 13 (A 85) und 14 dargelegt wird. Die subjektive Deduktion ist ihrerseits wie folgt angekündigt: "Die andere geht darauf aus, den reinen Verstand selbst, nach seiner Möglichkeit und den Erkenntniskräften, auf denen er selbst beruht, mithin ihn in subjektiver Beziehung zu betrachten und, obgleich diese Erörterung in Ansehung meines Hauptzweckes von großer Wichtigkeit ist, so gehört sie doch nicht wesentlich zu demselben; weil die Hauptfrage immer bleibt, was und wieviel kann Verstand und Vernunft, frei von aller Erfahrung, erkennen und nicht, wie ist das Vermögen zu denken selbst möglich? Da das letztere gleichsam eine Aufsuchung der Ursache zu einer gegebenen Wirkung ist, und insofern etwas einer Hypothese Ähnliches an sich hat, (ob es gleich, wie ich bei anderer Gelegenheit zeigen werde, sich in der Tat nicht so verhält), so scheint es, als sei hier der Fall, da ich mir die Erlaubnis nehme, zu meinen, und dem Leser auch freistehen müsse, anders zu meinen" (A XVI-VII). Um diesem möglichen Mißverständnis entgegenzutreten, verweist Kant den Leser abschließend auf seine objektive Deduktion. Falls die subjektive den Leser nicht überzeugt, dann soll die wichtigere Deduktion, die objektive, "ihre ganze Stärke" bekommen (a.a.O.). Dazu findet Kant dasjenige allenfalls hinreichend, was er im "Übergang" zur transzendentalen Deduktion (§ 14) ausfuhrt. Wenn die zitierte Stelle der Vorrede einerseits das Ziel der subjektiven Deduktion auch klar bestimmt, so verdunkelt sie doch zum anderen diese Deduktion, und zwar in dreifacher Hinsicht: 1. In welchem Zusammenhang stehen die zwei Deduktionen in ein und derselben transzendentalen Deduktion? 2. Inwiefern ist die subjektive Deduktion sehr wichtig für das Ziel der objektiven, gehört aber nicht
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zu ihm? 3. Warum ist die subjektive Deduktion keine bloße Hypothese über die möglichen Gründe des Vermögens zu denken als eine gegebene Folge? Auf Grund der vorangehenden Betrachtungen ist es möglich, diese Fragen zu beantworten. Ad 1) Die angeführte Stelle der Vorrede A drückt aus, daß die beiden Deduktionen zwei Seiten ein und derselben Deduktion sind. Was heißt aber der Ausdruck "Seiten" in Hinblick auf diese? In welchem Zusammenhang stehen sie miteinander? Wie gesagt, die transzendentale Deduktion der Kategorien ist nicht nur eine Deduktion im juristischen Sinne, sondern auch in der logischen Bedeutung eines Beweises. Dieser besteht aus einem hypothetischen Syllogismus als Hauptbeweis und aus Zusatzbeweisen des Obersatzes (A 92) und des Untersatzes, und zwar im letzteren Falle aus einem vorläufigen (A 93) und einem endgültigen Beweis (A 95130). Das enthält schon die Art der formalen Verknüpfung zwischen jenem Hauptbeweis und dem endgültigen Zusatzbeweis der minor. Nach der Stelle der Vorrede ist der Hauptbeweis und das ganze Vorstadium objektiv. Dagegen ist der endgültige Zusatzbeweis zugleich subjektiv und objektiv. Das ergibt sich aus der vorangehenden Interpretation von A 95-97, der gemäß der Aufweis der Kategorien als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung (objektive Seite) zuvor die Erklärung der Bedingungen der Möglichkeit des Verstandes selbst erfordert. Die Verknüpfung beider Seiten in diesem Beweis betrifft also den Inhalt desselben. 18 Ad 2) Von hier aus kann auch die zweite Frage anläßlich jener zitierten Stelle der Vorrede beantwortet werden. Die subjektive Seite der Deduktion ist von großer Wichtigkeit für ihren Zweck - nämlich als unentbehrliches Mittel, die minor des Hauptbeweises zu demonstrieren - aber sie ist kein Teil des Zweckes, der im Schlußsatz dieses Beweises zur Sprache kommt. Jedoch wird die Stelle der Vorrede der Besonderheit der subjektiven Deduktion nicht ganz gerecht. Wiewohl dieser Text den Zusammenhang dieser subjektiven Seite mit dem Hauptzweck der Deduktion andeutet, hat er nicht wenige Leser auf die irrige Meinung gefuhrt, "neben" der objektiven Deduktion gäbe es, aus wer
18 Entgegen der Möglichkeit, die Abschnitte 2 und 3 in A als einen bloß subjektiven Fortsatz der objektiven Deduktion oder als eine Art zweiter Deduktion "neben" der objektiven zu betrachten, gilt es zu betonen, daß diese Abschnitte erst recht zum Ganzen der objektiven Deduktion gehören, weil sie durch ihre scheinbar bloß subjektiven Betrachtungen die minor des Hauptbeweises demonstrieren und daraus an den erwähnten Stellen immer wieder den Schlußsatz der Deduktion folgern. Das geschieht sogar im 2. Abschnitt, der deshalb durchaus auch eine objektive Seite hat. Vgl. A 111. Nach W. Carl (a. a. Ο., 158 ff.) ist die subjektive Deduktion deshalb nötig, weil die objektive das Faktum der Erfahrung voraussetze und daher nicht beweisen könne, daß die Erscheinungen den Kategorien gemäß sein müssen. Meiner Meinung nach setzt die objektive Deduktion erstens nicht voraus, daß die Erfahrung faktisch existiert, sondern nur, daß sie möglich ist, und sie erklärt (als Nebenaufgabe), wie sie möglich ist. Zweitens: Da Erfahrung die Erkenntnis der Erscheinungen als Gegenstände ist, enthält der Beweis, daß die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sind, zugleich auch den Beweis, daß sie Bedingungen der Erscheinungen sind, sofem diese Gegenstände der Erfahrung sein sollen. Vgl. zu der Deutung Carls die kritischen Ausführungen von W. Hinsch und G. Mohr in der Allgemeinen Zeitschriftf. Phil. ,1/1994,74 ff.
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weiß welchen Gründen, eine Theorie des Verstandes als Vermögens zu denken. Gemäß dem jetzt anvisierten Zusammenhang ist diese Theorie des Verstandes ein Moment im Dienste der objektiven Deduktion. Daher sollte die Frage nach dem Ziel der subjektiven Deduktion eigentlich so gestellt werden: Wie ist der Verstand auf Grund der genannten drei subjektiven Quellen möglich, wenn die objektive Gültigkeit der Kategorien in bezug auf sinnliche Gegenstände möglich sein soll? Diese Theorie des Verstandes ist also in das objektiv gerichteten Hauptstadium der Deduktion eingebettet und von ihm eingerahmt. Daher ist es unsinnig, innerhalb dieses Ganzen Stücke abstecken zu wollen, die der einen oder der anderen Deduktion angehören würden. Dieser Versuch, der ein Mißverständnis des Wesens der transzendentalen Deduktion im ganzen offenbart, gipfelt in den Versuchen Vaihingers und Adickes', im Geiste der analytischen Philologie diesen Text zu zerstückeln und in bloßes Flickwerk zu verwandeln. Ad 3) Die Unterordnung der subjektiven Deduktion unter die objektive führt zur dritten der gestellten Fragen. Kant sucht nicht einfach eine Ursache des Vermögens zu denken als einer gegebenen Wirkung, in welchem Fall auch andere Meinungen möglich wären, denn ein und dieselbe Wirkung kann durch vielerlei Ursachen hervorgebracht werden. Der Schluß von einer solchen Wirkung auf ihre Ursache (zureichende Bedingung) ergibt deshalb nur eine Hypothese, ein problematisches Urteil über die Ursache. Die Theorie der Bedingungen der Möglichkeit des Verstandes ist aber nach Kant keine solche Hypothese, sondern eine Erkenntnis a priori, die ihre apodiktische Wahrheit derselben Deduktion der objektiven Gültigkeit der Kategorien entnimmt. Demgemäß kann man sagen, daß, wenn es wahr ist, daß die Kategorien objektiv gültig sind, weil sie Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sind, dann auch wahr ist, daß die Urteile über das Wesen des Verstandes wahr sind, weil sonst die Erfahrung nicht möglich wäre.19 Es ist ferner leicht einzusehen, warum die transzendentale Deduktion für Kant als untergeordnetes Moment eine Theorie des Verstandes enthalten muß. Wenn er sich das Problem stellt, wie die Erkenntnis a priori überhaupt objektiv gültig sein kann, schließt er aus verschiedenen Gründen die Möglichkeit aus, daß sie sich auf Dinge an sich beziehen könne. Folglich kann diese Erkenntnis nur in bezug auf Objekte in der Erscheinung objektive Realität haben. Wenn dem so ist und diese Objekte nur im Subjekt existieren können, als potentielle Gegenstände in seiner Sinnlichkeit, dann muß sich die Beziehung auf Objekte innerhalb des Subjekts abspielen, nämlich zwischen dem Verstände und der Sinnlichkeit. Darum kann die objektive Deduktion nur durch die Klärung dieser Beziehung durchgeführt werden, in der der Verstand selbst gründet.20 Die Klärung dieser Beziehung ist nichts anderes als die subjektive Deduktion selbst. 19 Vgl. meinen Aufsatz "Zur teleologischen Grundlage der transz. Deduktion der Kategorien" in KantStudien, 80. Jahrg. 4,1989, S. 402-3 sowie Anm. 5 der obigen Einleitung. 20 Während die transz. Deduktion der Kategorien auf die reinen Begriffe und ihren Zusammenhang mit der
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Das ist der Grand, weshalb die transzendentale Deduktion, die vornehmlich objektiv gerichtet ist, als untergeordnetes Moment eine subjektive Deduktion hat. Die Funktion der letzteren nicht verstehen, mit ihr nichts anzufangen wissen und sie sogar für etwas Entbehrliches halten, offenbart Unverständnis fur das Wesen jener Deduktion im ganzen. Die Texte von A und B, die das Hauptstadium darstellen, haben insgesamt diesen doppelten, objektiv-subjektiven Charakter, ohne daß man einen Teil (z.B. den 2. Abschnitt in A) der subjektiven Deduktion allein und einen anderen Teil (den 3. Abschnitt in A oder den ganzen 2. Abschnitt in B) der objektiven Deduktion zuordnen könnte. Der 2. Abschnitt in A ist als Vorbereitung des 3. Abschnittes schon in die Bewegung der objektiven Deduktion eingebettet, obwohl er "die subjektiven Quellen" "zuvor erwägt"(A 97). Auf der Basis des gemeinsamen Zieles unterscheidet sich zwar das Hauptstadium in A und Β u. a. dadurch, daß, während A ausdrücklich sowohl die subjektive als auch die objektive Seite erörtert, die Deduktion Β die subjektive Deduktion in den Hintergrund rückt, ohne daß freilich diese aus ihr ganz verschwinden kann. Zum Abschluß sei noch auf die Grundzüge der hier vertretenen Interpretation der Deduktion hingewiesen. Diese ist meiner Meinung nach ein einziger Beweiszusammenhang, gegliedert einerseits in einen (objektiven) Hauptbeweis, mit einem Zusatzbeweis der maior und einer vorläufigen Begründung der minor (A 92-93), und andererseits in einen (objektiv-subjektiven) endgültigen Zusatzbeweis der minor (A: Abschnitte 2 und 3; B: Abschnitt 2), der wieder zur conclusio des
Erfahrung und dem Objekt geht, bezieht sich die transz. Deduktion der Grundsätze und ähnlicher synthetischer Urteile a priori auf das Objekt und seine apriorischen Bestimmungen. Da das Objekt kein Ding an sich ist, kann der Philosoph nicht auf es eingehen und sagen, daß die Bestimmungen, die das Ding selbst ermöglichen, von diesem in einem synthetischen Urteil a priori prädiziert werden können und müssen. Das Objekt kann solche Bestimmungen a priori nur haben, insofern es Erfahrungsobjekt ist, und daher nur indirekt über das, was die Ermöglichung (Möglichkeit) der Erfahrung selbst ist. Deshalb geht die transz. Deduktion solcher Urteile vermittels des Aufweises vonsttaten, daß eine gewisse Bestimmung (synthetische Einheit) a priori zum Objekt gehören muß, weil sie Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung oder Produkt der Anwendung dieser Bedingung auf die Erscheinungen ist. Diese Deduktion hat demnach folgende Form, die freilich in verschiedenen Varianten auftreten kann: Alle reinen Bestimmungen, die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung bzw. Folgen dieser Bedingungen sind, gehören deshalb notwendig zum Objekt und müssen von ihm in einem synthetischen Urteil a priori ausgesagt werden; nun ist die Bestimmung X Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung bzw. Folge einer solchen Bedingung; folglich usw. Dementsprechend lautet das Prinzip aller synthetischen Urteile (a priori!): "ein jeder Gegenstand steht unter den notwendigen Bedingungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung in einer möglichen Erfahrung" (A 158). Oder: "die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung und haben darum objektive Gültigkeit in einem synthetischen Urteile a priori" (a.a.O.). Ein solches Prinzip liegt implizit in dem, was ich das II. Prinzip der transz. Deduktion der Kategorien genannt habe: Wenn unsere synthetischen Vorstellungen a priori die Erkenntnis des Gegenstandes ermöglichen, können beide notwendig miteinander übereinstimmen, d. h., dann sind jene Vorstellungen objektiv gültig oder Bestimmungen dieses Gegenstandes selbst.
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Hauptbeweises fuhrt. Es wird sich später zeigen, daß das Ganze kein syllogistischer Beweis ist, obwohl er auch Syllogismen umrahmen kann. Der Zusatzbeweis der minor wird in A außerdem in mehrere Etappen einer fortschreitenden Darlegung gegliedert. Der 2. Abschnitt ist eine vorbereitende Darstellung der drei Urvermögen am Leitfaden der drei Momente der Synthesis der Einbildungskraft, aber diese Darstellung ist auch schon objektiv gerichtet. Das vierte Stück des Abschnitts stellt eine Übersicht des Vorangehenden dar, aber als Vorbereitung (vorläufige Erklärung) des Folgenden. Der 3. Abschnitt enthält eine systematische Darstellung der drei bisher gesonderten Vermögen in Hinblick auf die objektive Deduktion der Kategorien, und zwar in zwei Durchgängen, "von oben" und "von unten". Die "Summarische Vorstellung" schließt die Deduktion A mit einem Überblick ihrer Resultate ab. Wenn sich die objektive Deduktion demnach im Bereich der Subjektivität abspielen muß, dann müssen wir auch im folgenden Paragraphen deren Strukturmomente durchlaufen. Das vorher Gesagte stellt bereits eine Vorarbeit dazu dar. $
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Seit dem Erscheinen der KrV gibt die subjektive Deduktion ihren Lesern zu vielen Fragen Anlaß. Ist sie eine Psychologie oder nicht? Wenn nicht, worin unterscheidet sie sich von der empirischen und der rationalen Psychologie? Inwiefern ist das "Gemüt", das ihr Thema bildet, von der Seele als Objekt dieser Psychologien unterschieden? Wie ist das transz. Subjekt zugänglich, und welche ist die Methode der subjektiven Deduktion? Als Einführung zu den nächsten Paragraphen, in denen ich diesen Fragen näher nachgehen will, möchte ich jetzt deren Beantwortung kurz umreißen (vgl. oben § 5). Nach A 115 können die drei Urvermögen Apperzeption, Einbildungskraft und Sinnlichkeit in zwei Richtungen betrachtet werden. Einerseits kann man sie in ihrer Anwendung auf gegebene Erscheinungen, ζ. B. die Töne einer Melodie, in den Blick nehmen. Sowohl diese Melodie wie auch deren Wahrnehmung sind in dieser Hinsicht empirische Tatsachen in der Zeit. Das Wahrnehmen findet jeweils in einem Einzelmenschen statt. Eine solche Leistung der genannten Vermögen ist empirisch und bildet ein Thema der empirischen Psychologie. Diejenigen, die die subjektive Deduktion als ein Stück empirischer Psychologie ansehen und für ihre Ausklammerung aus der Transzendentalphilosophie plädieren, pflegen die Stelle der Prolegomena anzuführen, nach der in der Kritik "nicht von dem Entstehen der Erfahrung die Rede sei, sondern von dem, was in ihr liegt". Während das erstere zur empirischen Psychologie gehört, ist das zweite eine Aufgabe der Kritik der Erkenntnis (§ 21 a). In der Tat verfolgt die Kritik nicht die Entwicklung der Vorstellungen aus der Empfindung bis zur Begriffsbildung, aber ihre Analyse
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Struktur der transzendentalen Deduktion der Kategorien Hauptbeweis
Zusatzbeweise
Beweis der maior des Hauptbeweises (A92) [maior] Wenn (a) der Gegenstand die synthetische Vorstellung möglich macht oder (b) diese den Gegenstand ermöglicht [sei es (b. 1) die Existenz oder (b. 2) die E r k e n n t n i s d e s s e l b e n ] , k ö n n e n die Erkenntnis und der Gegenstand notwendig miteinander übereinstimmen.
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(A 93) [maior] W e n n unsere synthetischen Vorstellungen a priori die Erkenntnis des Gegenstandes ermöglichen, dann können beide notwendig miteinander übereinstimmen. [ m i n o r ] N u n sind die K a t e g o r i e n synthetische Vorstellungen a priori, und sie ermöglichen die empirische Erkenntnis des Gegenstandes.
Subjektiv-objektives Hauptstadium
[conclusio] Folglich: Die Kategorien können mit dem Erfahrungsgegenstand notwendig übereinstimmen.
Wiederholte Folgerung der conclusio des Hauptbeweises
I n A : 111, 119, 123, 128
I n B : 143-44, 165-66
[minor] Unsere synthetischen Vorstellungen a priori können weder durch den Gegenstand ermöglicht werden (a), noch können sie die Existenz (b. 1 ) desselben möglich machen. [conclusio] Folglich: Wenn unsere synthetischen Vorstellungen a priori die Erkenntnis des Gegenstandes ermöglichen, dann können beide notwendig miteinander übereinstimmen.
Vorläufige Begründung der minor des Hauptbeweises (A 93) Die E r f a h r u n g als E r k e n n t n i s von Gegenständen gründet in Begriffen vom Gegenstand überhaupt, also in Kategorien.
Endgültiger Beweis der minor des Hauptbeweises In A: Zweiter und Dritter Abschnitt der Transz. Deduktion (95-130) Vgl. unten § 21 In B: Zweiter Abschnitt der Transz. Deduktion ( 129-169) Vgl. unten §§30-31
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des Erkenntnisinhaltes besteht auch nicht darin, an einem vom Subjekt isolierten, freischwebenden Erfahrungsurteil etwa im Stile der heutigen Sprachanalyse die Begriffe hervorzuheben, die es als ein solches ermöglichen. Dies ist u.a. deshalb so, weil die Kritik dabei auf Vorstellungen a priori geht und damit voraussetzt, daß das Subjekt ihr Ursprung ist. Da die apriorischen Vorstellungen ferner verschiedener Art sind, muß Kant im Subjekt verschiedene Quellen oder Vermögen derselben unterscheiden. Da diese Vorstellungen bzw. sie und die empirischen in apriorischen Verbindungen auftreten, muß er außerdem in diesen Vermögen die Quelle der Synthesis suchen. Alle diese Vermögen, und zwar nicht nur die Einbildungskraft, sondern auch die reine Apperzeption, müßten als psychologische Relikte aus der Kritik verschwinden, wenn ihre Inhaltsanalyse so vonstatten ginge, wie es von den gemeinten Interpreten angenommen wird, was faktisch mit dem Gehalt der Kritik nicht übereinstimmt. In den Prolegomena und wegen ihrer didaktischen Absicht reduziert Kant allerdings die Analyse der subjektiven Quellen auf ein Minimum. Aber am Anfang der Analytik erklärt Kant ausdrücklich, daß diese nicht eine Zergliederung von Begriffen, sondern eine solche des Verstandesvermögen selbst ist (A 65). Dieselben Vermögen also, die auf die Erscheinungen angewendet werden können, sind andererseits "Elemente oder Grundlagen a priori, welche selbst diesen empirischen Gebrauch möglich machen" (A 115, vgl. auch A 97). Das Subjekt, das die sinnlichen Daten empfängt, ist selbst kein solches Datum. Seine Vermögen sind a priori im weitesten Sinne dessen, was nicht empirischen Ursprungs ist. Dieses Subjekt hat Vermögen und Fähigkeiten, die entweder ein bloßes Können bleiben oder ihre mögliche spezifische Leistung verwirklichen, weil das Erkennen ein Werden ist, in dem beständig Mögliches in die Wirklichkeit übergeht. Die Leistungen dieser Vermögen sind einerseits ihnen eigentümliche Vorstellungen a priori (z.B. Anschauungen, Begriffe, Schemata) und andererseits ihre ebenfalls apriorischen Handlungen auf den empirischen Stoff (ζ. B. Verbinden, Zergliedern usw.). Deshalb stehen diese Vermögen und Fähigkeiten in einer zweifachen Beziehung zu den daraus entspringenden empirischen Gebilden: Die reinen Vorstellungen dieser Vermögen sind Bedingungen der Möglichkeit (des Was-Seins) dieser Gebilde; die Handlungen der Vermögen auf den empirischen Stoff sind Bedingungen der Möglichkeit und der Wirklichkeit (rationes essendi et fiendi) der genannten Produkte (z.B. eines empirischen Bildes). Dieses Grundsein des apriorischen Subjekts zur Erfahrung und zu den empirischen Gebilden betrifft nicht nur die Differenz beider, sondern auch ihren Zusammenhang. Die Vermögen und ihre reinen Vorstellungen sind zwar keine empirischen Momente des empirischen Einzelmenschen, aber sie schweben auch nicht frei oberhalb desselben, als etwas Allgemeines, das man konventionell die transz. Subjektivität nennen könnte. Als solche Gründe der Erfahrung und eines sich dabei erfahrenden Einzelmenschen stehen die apriorischen Bedingungen
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notwendig in Beziehung zu diesen tatsächlichen Einzelheiten und gehören auf diese besondere Weise zu diesem Menschen. Trotz dieser eigentümlichen Vereinzelung (vgl. unten § 16, F) können das apriorische Subjekt sowie seine Vermögen und Leistungen von der Philosophie im Allgemeinen betrachtet werden. Die Bedingungen, die die Kritik in der subjektiven Deduktion sucht, die Bedingungen der Möglichkeit (rationes essendi) des Verstandes und damit der Erfahrung, sind eine Kantische Verwandlung dessen, was die Tradition und speziell Wolff als Essenz denkt. Sie sind nämlich nicht mehr an sich seiende Washeiten, die im göttlichen Intellekt verwurzelt wären, sondern apriorische Strukturen des menschlichen Subjekts und für dasselbe, die eine organisierte Ganzheit bilden. Wie wendet sich das Subjekt diesen Strukturen zu? Es versteht sich vermutlich auf Grund der reinen Apperzeption immer schon in seinen Strukturen. Aber eigens thematisch werden sie für die Philosophie auf dem Wege der Geschichte des menschlichen Wissens, wenn das neuzeitliche Denken das Subjekt als Bewußtsein mit seinen Vorstellungsinhalten entdeckt. Da diese Entdeckung der Immanenz fur Kant im Laufe der sechziger Jahre zu einer Voraussetzung wird, braucht er keine besondere Theorie der transzendentalen Reduktion als Übergang von der weltlichen Einstellung zur transzendentalen aufzubauen. Auf diesem Boden der Immanenz sucht er die subjektiven Bedingungen der Möglichkeit zu gewinnen, was in zwei Schritten geschieht. 1.) Bei der Entdeckung der Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung ist er von einer Idee der Erfahrung geleitet, welche er auf Grund der reinen Apperzeption durch Reflexion auf das Subjekt und durch die Auseinandersetzung mit anderen philosophischen Theorien gewonnen hat. Im Gegensatz zur Meinung Strawsons ist diese Idee keine empirische Vorstellung (vgl. R 5661, AA XVIII, 318 f.). 2.) Von den Momenten dieser Idee geleitet, erforscht Kant, welche die Bedingungen sind, die jedes der Momente der Erfahrung ermöglichen. Diese Untersuchung ist nicht, wie Strawson glaubt (1966, 32 f.), die logische Analyse eines Begriffes von Erfahrung, sondern eine Reflexion a priori auf das Subjekt. Das Zutreffen des zweiten Schrittes hängt dabei von der Triftigkeit des ersten ab. Von jeder empirischen Psychologie als Tatsachenwissenschaft unterscheidet sich die subjektive Deduktion deshalb, weil sie auf die genannten subjektiven Bedingungen der Möglichkeit abzielt. Insofern ist diese Deduktion eine "Wesens "Wissenschaft eigener Prägung. Gegenüber der empirischen Psychologie, die zwischen Empirischem und Apriorischem nicht unterscheidet, sucht diese Deduktion die Möglichkeit des Verstandes und der Erfahrung aus den formalen und materialen Bedingungen aufzubauen, denn auch das Empirische spielt dabei die Rolle der materialen Bedingung der Möglichkeit. Da diese Untersuchung auf die Möglichkeit der Erfahrung gerichtet ist und sich die Erfahrung in einem Werden konstituiert, hat sie eine äußere Ähnlichkeit mit einer Psychologie, die bloß sehen will, wie der Verstand funktioniert oder wie die Erkenntnis entsteht. Richtet man den Blick primär
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und ausschließlich auf diese Ähnlichkeit, dann fällt man leicht einer Täuschung zum Opfer, wie sie in den Interpretationen der subjektiven Deduktion sehr häufig vorkommt. Die s u b j e k t i v e D e d u k t i o n ist aber w i e d e r u m a u c h k e i n e b l o ß e Wesenswissenschaft der menschlichen Seele, sondern sie ist Teil einer Ontologie (Transzendentalphilosophie, A 845), die durch diese Theorie der Subjektivität die Möglichkeit der Ontologie selber begründet und damit zugleich den Grund für eine Metaphysik der Erfahrung und der Natur legt.
Anhang. Die möglichen Interpretationen der transzendentalen Deduktion Die skizzierte Deutung der Deduktion gibt einen Leitfaden an die Hand, um eine Übersicht der anderen Interpretationen dieses Textes zu gewinnen, in der die Stellung vorliegender Deutung im Ganzen der Forschung wenigstens umrißhaft sichtbar wird. Aus der Struktur der Deduktion, so wie sie oben gekennzeichnet wurde, können nämlich durch privative Modifikationen Deutungsmöglichkeiten abgeleitet werden, die in der Kant-Forschung in der Tat verwirklicht sind. Dabei beschränke ich mich darauf, einige bekannte Autoren als Beispiele anzuführen. 1. Die transz. Deduktion ist ein Beweis oder ein Beweiszusammenhang. Man kann dies leicht übersehen, weil Kant diese Beweise nicht ausdrücklich macht und ihren Zusammenhang nicht eigens hervorhebt. Dieses Übersehen hat zur Folge, daß man nicht weiß, wie die drei Abschnitte von A oder die zwei Abschnitte von Β miteinander zusammenhängen. Wenn man überdies die innere Gliederung dieser Partien, z.B. des dritten Abschnitts in A, übersieht, dann findet man am Ende in der transz. Deduktion nur ein Flickwerk von sich wiederholenden Deduktionen, ein Aggregat, das man nur philologisch durch die Geschichte seiner Entstehung erklären kann (z.B. E. Adickes, Kants Kritik der reinen Vernunft, Berlin 1889; H. Vaihinger, Die transzendentale Deduktion der Kategorien, Halle 1902; N. Kemp Smith, A Commentary to Kant's Critique ofpure Reason, London 1950, S. 202 ff.; vgl. eine Abwandlung dieser Auffassung bei R. P. Wolff, Kant's Theory of Mental Activity, Gloucester 1973, S. 80 ff.). Eine andere Möglichkeit besteht darin, daß man aus verschiedenen Gründen entweder den Beweischarakter der transz. Deduktion überhaupt negiert oder ihm allenfalls einen sekundären Charakter beimißt. Nach J.F. Fries kann die transz. Deduktion kein Beweis sein, denn andernfalls wäre sie zirkulär (Neue Kritik der Vernunft, 1807, I. S. XXVII, 2. Aufl. S. 27). D. Henrich vertritt die These, die tranz. Deduktion sei vor allem ein Argument juristischer Art, um die Legitimität des Anspruchs der Kategorien auf objektive Gültigkeit zu verteidigen. Daher mißt er den Syllogismen, die innerhalb der Deduktion Β faktisch auftreten, eine
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sekundäre Bedeutung zu.21 W. Becker glaubt seinerseits, daß die Deduktion kein formallogisches Schlußverfahren ist, sondern eine pragmatische Argumentation, um die Legitimität eines Geltungsanspruchs darzulegen (vgl. Selbstbewußtsein und Erfahrung, 1984, 19). 2. Obwohl die transz. Deduktion einen Beweiszusammenhang bildet, können die Form dieses Ganzen und die besonderen Formen seiner Teilbeweise übersehen werden. Man kann die maior des Hauptbeweises bzw. die Oberprämissen der Zusatzbeweise überspringen. Wenn man nicht sieht, daß die Oberprämisse des Hauptbeweises ihrerseits durch einen ihm vorangehenden Beweis begründet wird, dann nimmt man jenen fur etwas Letztes und ignoriert seine Grundlagen. Wenn man überdies die Verschränkung des Hauptbeweises mit dem Zusatzbeweis seiner minor nicht beachtet, dann versteht man die Funktion beider nicht und auch nicht, inwiefern dieser Zusatzbeweis dennoch das Entscheidende enthalten kann. Vgl. hierzu ζ. B. die Deutung von R. P. Wolff (1973). Für ihn bildet der 1. Abschnitt des D e d u k t i o n - K a p i t e l s nur eine Einleitung, die bloß eine k u r z e Skizze des Beweisgrundes der objektiven Deduktion bietet (a.a.O. 85, vgl. auch 99-100). Die subjektive Deduktion im 2. Abschnitt hängt dann mit der objektiven nur insofern zusammen, als sie erklärt, was synthetische Einheit ist, indem sie zeigt, wie die Synthesis erzeugt wird (101). Der 3. Abschn. enthält endlich die objektive Deduktion, die der Vf. auf A 122-23 reduziert (vgl. 179-80), während die Deduktionen "von oben" (A 116-119) und "von unten" (A 120 ff.) fur ihn bloß eine (subjektiv gerichtete) Theorie der transzendentalen und empirischen Vermögen bzw. eine Übersicht der empirischen Vermögen der subjektiven Deduktion enthalten (a.a.O. 174). 3. Man kann ferner übersehen, warum die objektive Deduktion eine ihr untergeordnete subjektive Seite haben muß. Infolgedessen wird nicht nur der Zusammenhang beider, sondern auch die Berechtigung der subjektiven Deduktion selbst problematisch. Hinzu kommt, daß die Natur dieser Theorie des Subjekts, ihre Wahrheitsart und ihre Methode, von Kant nicht thematisch und klar behandelt wird resp. zur Bildung divergierender Deutungen beiträgt. Zu einer Übersicht dieser Deutungsmöglichkeiten vgl. unten den Anhang zu § 17. 4. Da man den logischen Zusammenhang von Hauptbeweis der Deduktion und Zusatzbeweis der minor sowie den inhaltlichen Zusammenhang von subjektiver und objektiver Deduktion vielfach verkennt, pflegt man diese Seiten verschiedenen Teilen der Deduktion zuzuweisen, die textlich voneinander getrennt sein sollten 22 , wodurch die Lokalisierung dieser Teile zum Problem wird. Zur Lösung dieses Problems schlägt man fast alle denkbaren Wege ein. Man hält die Deduktion A ftir 21
22
Vgl. "Kants Notion of a Deduction ...", in Kants Transcendental Deductions, 39 s o w i e "Die Beweisstruktur der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe - eine Diskussion mit Dieter Henrich" in Probleme der Kritik der reinen Vernunft, z.B. 84, 8 9 , 9 1 . Dazu trägt die Äußerung Kants in der Vorrede A bei, nach der die objektive Deduktion in A 92-93 lokalisiert ist.
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teilweise subjektiv (2. Abschnitt) und die Deduktion Β entweder für rein objektiv (z.B. Riehl, phil. Kritizismus I, 392-93,400-01; Vleeschauwer, III, 18 ff.), oder für objektiv und subjektiv (nach Paton 1,501, sind die §§ 15-20 objektiv und die übrigen subjektiv, vgl. auch 527 ff.). In der Deduktion A deutet man sehr oft den 2. Abschnitt als subjektiv und den 3. als objektiv (z.B. Vleeschauwer, II 221 und 320; ferner Riehl, B. Erdmann, z.T. auch Thiele, bei Vleeschauwer a.a.O. 208 ff.; R. P. Wolff a.a.O. 84-85). Oder der 1. Abschnitt gilt als objektiv, und die beiden anderen Abschnitte dieses Textes werden als subjektiv gesehen (W. Carl, Die transz. Deduktion der Kategorien, Frankfurt / M. 1992, S. 53 ff.; M. Baum, Deduktion, S. 64 ff.). Nach Paton trennt Kant, vor allem in A, die subjektive und die objektive Deduktion nicht voneinander ab (1,241). Für Heidegger wird die objektive Deduktion gleichsam von der subjektiven geschluckt und durch sie erledigt, wobei die Fassung Β ebenso wie A eine subjektive Deduktion enthält (Phänomenologische Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft, GA 25, S. 330/31). J. H. Königshausen nimmt ebenfalls eine subjektive Deduktion in beiden Fassungen an (1977, S. 93 ff.).
§16. Die konstituierenden Momente des Subjekts und ihr Zusammenhang Um das Ziel der objektiven Deduktion zu erreichen, ist es nötig, zunächst den Weg der subjektiven Deduktion durchzugehen. In welche Stufen gliedert Kant diesen Weg? Für das Ziel der objektiven Deduktion ist es wesentlich, die Beziehung der reinen Apperzeption auf die reine Synthesis der Einbildungskraft und durch sie auf die reine Sinnlichkeit, also den Zusammenhang dieser drei subjektiven Quellen, zu kennen. Das erfordert jedoch, daß der Leser zunächst mit jeder einzelnen von ihnen vertraut ist. Demgemäß gliedert sich der Text des Hauptstadiums der Deduktion A in zwei Abschnitte (2. und 3.). Der erste von ihnen ist vorbereitend (A 98) und behandelt jede der drei Quellen "abgesondert und einzeln" (A 115). Er ist dementsprechend "Von den Gründen a priori zur Möglichkeit der Erfahrung" betitelt (A 96). Der 3. Abschnitt behandelt dagegen diese Quellen "vereinigt und im Zusammenhange" (A 115). Daher ist er "Von dem Verhältnisse des Verstandes zu Gegenständen überhaupt und der Möglichkeit diese a priori zu erkennen" (a.a.O.) überschrieben. Die Gliederung des 2. Abschnitts in drei Teile ist ebenso klar motiviert. Die bereits erörterte einleitende Partie (A 95-98) zeigt den Weg der Deduktion und ihre Etappen an. Die zentrale Partie (A 98-110) zerfällt ihrerseits in drei Stücke, deren jedes auf je eine der genannten Quellen eingeht. Die Schlußpartie (A 110-114) dient zum Übergang zum 3. Abschnitt, indem sie die Möglichkeit der Objektivität der Kategorien im Zusammenhang der drei Quellen in den Blick faßt.
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Die zentrale Passage des 2. Abschnitts geht an diese drei Quellen aus einer Perspektive sui generis heran. Jede Erkenntnis, und daher auch die empirische, ist eine synthetische Einheit von Anschauungen. Sie ist daher zum einen durch die sinnliche Anschauung möglich. Zum anderen ist jede derartige synthetische Einheit durch die Synthesis der Einbildungskraft erzeugt, die ihrerseits dreifach strukturiert ist. Infolge ihrer Wichtigkeit und Komplexität sowie ihrer funktionalen Position zwischen beiden anderen Erkenntnisquellen rückt Kant die Einbildungskraft in den Vordergrund des Abschnitts, um durch die Synthesis der Apprehension bzw. der Rekognition auf die Anschauung bzw. die Apperzeption ein Licht zu werfen. Das ist der Sinn, in dem die drei Synthesen der Einbildungskraft "eine Leitung auf drei subjektive Erkenntnisquellen" geben (A 97). Unser Ziel ist es nicht, diese subjektive Deduktion für sich darzulegen, sondern die Klärung der apriorischen Genesis der Kategorien vorzubereiten. Daher soll dieser Text nicht im Stil eines Kommentars besprochen werden, obwohl unsere Interpretation desselben seinem Inhalt und seiner Bewegung gerecht werden muß. Mit Rücksicht auf unser Hauptziel gilt es, die Struktur des Subjekts, dessen Glieder und ihren Zusammenhang, hervorzuheben. Obwohl der Text der Deduktion eine solche Struktur im Blick behält, betrachtet sie häufig, ihrem Plan gemäß, ein und dieselbe Struktur bei verschiedenen Gelegenheiten, so daß wichtige Aspekte derselben zerstreut bleiben. Um das zu kompensieren und in Entsprechung zur Absicht des 2. Abschnitts, soll hier zunächst die Struktur des erkennenden Subjekts im ganzen auf Grund der zentralen Partie dieses Textes (A 98-110) und anderer Stellen des Werkes dargelegt werden. Wie leicht zu sehen ist, besteht die Erkenntniskraft nicht einfach aus den drei genannten Vermögen. Obwohl sie ursprünglich sind, werden einige von ihnen ihrerseits durch mehrere "Teile" konstituiert, die freilich nur durch die Analyse u n t e r s c h e i d b a r sind. Im folgenden sollen zunächst d i e j e n i g e n Strukturen voneinander abgehoben werden, die der Text um der objektiv-subjektiven Deduktion willen faktisch unterscheidet; es handelt sich dabei um A. die empirische und reine Anschauung, B. die Apprehension, C. die Reproduktion, D. die Rekognition sowie E. der Begriff und F. die reine Apperzeption. In dieser Absicht richten wir hier unsere Aufmerksamkeit auf die Art, wie diese Strukturen einander bedingen und so miteinander zusammenhängen. Weiter unten soll sowohl die Art von Ganzheit des Erkenntnisvermögens als auch die Natur ihrer "Teile" geklärt werden. Gemäß der zentralen Partie des 2. Abschnitts geschieht die Darstellung "von unten nach oben".
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A. Die Anschauung Gemäß dem Programm des genannten Abschnitts richtet Kant zunächst seine Aufmerksamkeit auf die Synthesis der Apprehension, in welcher der Bereich der Anschauung in den Blick kommt. Welche Bedingungszusammenhänge dieses Bereichs sind dabei vorausgesetzt? Bevor die Erscheinungen zu Vorstellungen von einem Objekt werden, sind sie selbst Zustände oder Modifikationen des Subjekts und können darum angeschaut werden, wenn dieses sich selbst und seinen inneren Zustand anschaut (vgl. A 22). Nach der Transzendentalen Ästhetik (§ 4) können diese Zustände dem inneren Sinn als sukzessive oder simultane nur erscheinen, weil ihnen die Zeit als rein Angeschautes zugrunde liegt. Die Zeit ist universale Bedingung der Möglichkeit aller Erscheinungen, während der Raum nur Bedingung der Möglichkeit jener Erscheinungen ist, die außerdem als nebeneinander ausgedehnt erscheinen. Aber weder der Raum noch die Zeit können umgekehrt für sich allein als leere Dimensionen angeschaut werden. Die Zeit kann nicht für sich selbst wahrgenommen werden (A 183, 188, 200, Β 219, 225, 233), und der Raum ist kein reales Objekt, das "äußerlich" angeschaut werden kann (A 431 Anm.). Beide sind Formen der empirischen Anschauung und daher nur mit dieser wirklich anschaubar. Wiewohl Raum und Zeit also als Formen Bedingungen der Möglichkeit der Erscheinungen sind, sind diese als wirklich gegebene umgekehrt Bedingung der Möglichkeit dafiir, daß jene reinen Anschauungen wirklich werdenΡ
Β. Die Synthesis der Apprehension Das Anschaubare erscheint in der Zeit, welche sich nicht auf einmal, sondern als eine - wenigstens potentielle - Vielheit von kontinuierlich fließenden Augenblicken zeigt. Demnach erscheinen die Empfindungen in einem kontinuierlichen Fluß. Auf diese Weise schaut man auch die Teile eines Raumes, z.B. die Strecken einer Linie oder die Seiten eines Körpers, an (vgl. A 99). Infolge eines derart beschaffenen Erscheinens kann sich das Subjekt dieser Mannigfaltigkeit als solcher nur bewußt werden, wenn es jedes Anschaubare nacheinander erfaßt, 23 A 98-99 legt Kant dar - als "allgemeine Anmerkung, die man bei dem Folgenden durchaus zum Grunde legen muß" - daß alle unsere Vorstellungen, als "Modifikationen des Gemüts", zum inneren Sinn gehören und seiner formalen Bedingung, der Zeit, unterworfen sind, in der sie vereinigt werden müssen. Obwohl sich Kant auf alle Vorstellungen bezieht, kann diese Anmerkung nur unsere anschaulichen Vorstellungen meinen, denn nach dem sich anschließenden Text sind nur die empirischen Vorstellungen und die reinen Räume und Zeiten durch die Synthesis der Apprehension verbunden, die selbst sukzessive verläuft. Das besagt nicht etwa, daß die Zeit als Anschauung sich selbst unterworfen sei, sondern daß die Zeit als bewußte synthetische Einheit (z.B. als Größe) der Synthesis unterworfen ist, die gemäß jener Zeitanschauung verläuft.
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indem es ζ. B. in einer Folge von Tönen jeden Ton von den anderen abhebt, um sie damit allmählich durchzugehen und sie am Ende in einem Ganzen, ζ. B. in einer musikalischen Phrase oder in einer bestimmten oder unbestimmten Anzahl von Tönen, zusammenzunehmen (A 99). Diese Handlung des Bewußtseins, die voneinander abhebt, durchgeht und zusammennimmt, d.h. das Mannigfaltige gliedert, ist die Synthesis der Apprehension. Diese Synthesis wird nicht nur am empirischen, sondern auch am reinen Mannigfaltigen von Räumen und Zeiten ausgeübt. Um jeden Ton als etwas Einzelnes fassen und von den anderen abheben zu können, muß diese Handlung dabei zugleich die Zeit selbst "unterscheiden", d.h. einzelne Phasen in ihr voneinander abheben. Die Zeit erscheint ständig in einem passiven, kontinuierlichen Fließen, in dem die Apprehension Augenblicke (Zeitspannen) abgrenzt. Nur in dieser reinen Apprehension ist die Zeit als eine Jetztmannigfaltigkeit bewußt. Erst dann, wenn die Apprehension ein Jetzt als ein Anderes von den anderen unterscheidet, kann die Form des zeitlichen Erscheinens offenbar werden: die Sukzession mit ihrem Früher und Später. Das, was dieses Apprehendieren in seiner Endphase umgreift, ist eine Sukzession, eine Zeit. Die Kontinuität der Zeit wird nur in dieser Synthesis ausdrücklich bewußt, insofern sie nirgends auf einfache Zeiten stößt, bei denen sie immer wieder unterbrochen würde (A 170), sondern durch ein unabgehobenes Medium fortschreitet, das sie daher abgrenzen muß. Da diese Synthesis die Kontinuität der Zeit und jede diskrete Zeitspanne als eine Einschränkung innerhalb dieses Kontinuums entdeckt, das sich über die jeweiligen Grenzen hinaus erstreckt, entdeckt sie zugleich die Unendlichkeit der Zeit (A 32). Obwohl diese Synthesis weder die Sukzession noch die Kontinuität oder die Unendlichkeit der Zeit erschafft, sind diese nur der Apprehension als synthetischem Bewußtsein offenbar. Die Synthesis der "Teile" einer empirischen Linie (A 99) sowie des reinen Raumes geschieht auf analoge Weise. Es gilt ausdrücklich zu betonen, daß die Synthesis der Apprehension nur auf Grund dessen wirklich werden kann, daß die Sinnlichkeit eine sinnliche Mannigfaltigkeit faktisch empfängt, die in ihr auf der Basis des reinen Mannigfaltigen von Raum und Zeit erscheint. Letzteres entspringt aus der Sinnlichkeit selbst, welche es in ihrer ursprünglichen Rezeptivität darbietet (vgl. A 100). Umgekehrt ermöglicht diese Synthesis das Bewußtsein eines solchen Angeschauten wenigstens als einer Mannigfaltigkeit. Nur dank dieser Synthesis kann das Anschauen eine Synopsis sein, d.h. ein Sehen, das auf eine scheinbar unmittelbare Weise eine Mannigfaltigkeit in einer Einheit umgreift, z.B. eine räumliche Ausdehnung (vgl. A 94-95 Anm. und 97). Kant bezeichnet diese Handlung als "Synthesis der Apprehension in der Anschauung" (vgl. A 97-98), weil sie "unmittelbar an den Wahrnehmungen" ausgeübt wird (A 120), aber als Spontaneität gehört sie nicht zur Anschauung, sondern zur Einbildungskraft (ebd. Anm.). Die Apprehension ist in der Tat auf die
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Erzeugung von Bildern gerichtet, d.h. von einheitlich Anschaubaren, die einen (wenigstens möglichen) Begriff darstellen.24
C. Die Synthesis der Reproduktion Obzwar die Apprehension möglich macht, daß das Anschaubare als Mannigfaltigkeit und in der Einheit eines Bildes offenbar wird, kann sie eine solche Leistung nicht für sich allein vollbringen. Damit ich mir einer Mannigfaltigkeit als solcher bewußt werde, ist es nötig, daß ich beim Durchgehen z.B. eines Flusses von Tonerscheinungen die vorher erfaßten Töne nicht aus den Gedanken verliere (A 102), denn widrigenfalls wäre ich mir nur des jeweiligen Tones bewußt und würde nie zu einem Bewußtsein aller zusammen gelangen. Zu diesem Zweck ist es nötig, daß ich die soeben erfaßten Empfindungen "gegenwärtig" halte und sie in der Endphase mit der dann wirklich anwesenden Empfindung zusammennehme. Nach der Tradition kann das Vergangene und daher an sich Abwesende aber nur durch eine gegenwärtige Reproduktion in der jeweiligen Gegenwart aufbewahrt werden.25 Das gilt nicht nur für die empirische Synthesis, sondern auch, und sogar primär, für die reine, die Zeitspannen oder Raumstrecken verbindet (A 102). Ohne diese reine behaltende Reproduktion26 hätte man nur ein Bewußtsein des jeweiligen Jetzt, aber nicht von Dauer oder Sukzession. Diese empirische und reine Reproduktion des Vergangenen ist Leistung der Einbildungskraft, insofern diese "ein Vermögen der Anschauungen auch ohne Gegenwart des Gegenstandes" ist {Anthropologie § 28, AA VII, 167/8). Dieses Reproduzieren ist eine Synthesis, nicht nur weil es die vergangenen Daten insgesamt reproduziert, sondern auch weil es die Verbindung aller mit der jeweils gegenwärtigen Phase ermöglicht. "Die Synthesis der Apprehension ist also mit der Synthesis der Reproduktion unzertrennlich verbunden" (A 102). Diese letztere, reine oder empirische, Synthesis ermöglicht die Apprehension als Synthesis sowie die Verbindung des
24 Kant verwendet das Wort "Bild" nicht nur im Sinne der sinnlichen Reproduktion von etwas einst Vorgestelltem, sondern auch im weiteren Sinne des einheitlichen Produkts einer Synthesis der Einbildungskraft. In dieser Hinsicht ist das Wahrgenommene auch ein Bild. Vgl. A 120 sowie Über eine Entdeckung, AA VIII, 205-06; siehe ebd. 222 das Bild als Darstellung eines Begriffes. 25 Zu dieser überlieferten Lehre des Bewußtseins vom Vergangenen vgl. Husserl, Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins § 3 ff., der sie erfolgreich kritisiert. 26 Kant unterscheidet terminologisch nicht zwischen der Reproduktion, die jede Synthesis der Einbildungskraft konstituiert, und der Assoziation und er bezeichnet beide als "Reproduktion", ζ. Β. A 100102. Die Assoziation ist aber eine Reproduktion, die in der Synthesis der Einbildungskraft nach Kategorien gründet. Manchmal unterscheidet Kant die Assoziation als reproduktive Synthesis auch von der produktiven Synthesis (A 118), aber dabei bleibt implizit, daß in dieser Produktion ein Behalten beschlossen ist. Um beide Arten von Synthesis zu unterscheiden, nenne ich die eine behaltende und die andere assoziative Reproduktion.
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Apprehendierten. Umgekehrt können der Akt des Reproduzierens und das Reproduzierte nur wirklich werden, wenn dieser Tätigkeit ein Apprehendiertes durch eine jeweils vorausgehende Apprehension vorgegeben wird.
D. Die Synthesis der Rekognition und das Problem der Retention Nun sind die Reproduktion und mit ihr die Apprehension nicht für sich allein möglich. "Ohne Bewußtsein, daß das, was wir denken, eben dasselbe sei, was wir einen Augenblick zuvor dachten, würde alle Reproduktion in der Reihe der Vorstellungen vergeblich sein" (A 103). Das, was wir soeben dachten, war z.B. ein Ton, der jetzt schon vergangen ist. Jetzt haben wir vor dem Denken dessen Reproduktion. Wenn diese bloß eine gegenwärtige Phantasie eines Tones wäre, hätten wir kein Bewußtsein des vergangenen Tones und das Phantasma wäre keine Reproduktion von etwas. Um Reproduktion von etwas zu sein, muß das Phantasma mit dem vergangenen Original identifiziert sein und als dieses begegnen. Wir erkennen im Phantasma denselben Ton, und zwar als denselben an, der zu einer bestimmten Zeit klang. Dieses identifizierende Rekognoszieren ermöglicht die Erhaltung der vergangenen Daten in den Reproduktionen und ihre Verbindung mit der jeweils aktuell aprehendierten Gegebenheit. In eins mit einer empirischen Rekognition findet eine reine statt, die die Erhaltung der vergangenen Jetzt selber und damit die Erzeugung einer Zeitspanne ermöglicht. Demgemäß macht die empirische oder reine Rekognition die reproduzierende Vorstellung als solche, das Reproduzieren und Apprehendieren als Synthesen sowie das Bild, das deren Produkt ist, möglich. Daher ist die Rekognition selbst eine Synthesis. Umgekehrt ist es zum Wirklichwerden der Rekognition nötig, daß die Apprehension und die Reproduktion mit ihren Produkten schon vorher faktisch stattgefunden haben. Insofern die Rekognition auf Angeschautes geht, gehört sie wie die Apprehension und die behaltende Reproduktion zur Einbildungskraft. A 125 findet sich, daß sich auf den Kategorien "also alle formale Einheit in der Synthesis der Einbildungskraft [gründet], und vermittels dieser auch [diejenige] alles empirischen Gebrauchs derselben (in der Rekognition, Reproduktion, Assoziation, Apprehension)". Der empirische Gebrauch der Kategorien findet vermittels der genannten Synthesis statt, so daß die genannten Leistungen ihr zuzurechnen sind. Sie gehören ferner zur Einbildungskraft, weil diese selber nur als das Gefüge jener drei eine Synthesis sein kann. Sie müssen aber voneinander unterschieden werden, damit man ihre gegenseitige Bedingtheit und damit ihre Einheit aufzeigen kann. Daher kann Kant A 97 sagen, daß die Spontaneität "Grund einer dreifachen Synthesis" ist.27
27 Hervorh. Vf.
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Obwohl die vorangehenden Erörterungen genannte Synthesis bereits eingehend beleuchtet haben, ist diese fürs erste nur nach einer Seite betrachtet worden. Die Synthesis als synthetisches Bewußtsein kann nämlich einmal in Beziehung auf das Mannigfaltige in den Blick genommen werden, und man kann dabei erklären, inwiefern sie dieses Mannigfaltige fur das Bewußtsein verbinden kann. Zum anderen muß man aber noch betrachten, wie sie auch eine Synthesis fur sich selbst werden kann. Mit dieser Aufgabe hängt die Frage nach der Bedingung der Rekognition selbst zusammen. Diese Frage ist kein von außen an den Text herangetragenes Problem, sondern sie geht von einer Stelle A 103 aus, deren erster Satz schon besprochen wurde: "Ohne Bewußtsein, daß das, was wir denken, eben dasselbe sei, was wir einen Augenblick zuvor dachten, würde alle Reproduktion in der Reihe der Vorstellungen vergeblich sein. Denn es wäre eine neue Vorstellung im jetzigen Zustande, die zu dem Aktus, wodurch sie nach und nach hat erzeugt werden sollen, gar nicht gehörte, und das Mannigfaltige derselben würde immer kein Ganzes ausmachen, weil es der Einheit ermangelte, die ihm nur das Bewußtsein verschaffen kann. Vergesse ich im Zählen: daß die Einheiten, die mir jetzt vor Sinnen schweben, nach und nach zueinander von mir hinzugetan worden sind, so würde ich die Erzeugung der Menge, durch diese sukzessive Hinzutuung von Einem zu Einem, mithin auch nicht die Zahl erkennen; denn dieser Begriff besteht lediglich in dem Bewußtsein dieser Einheit der Synthesis" (A 103). Die drei Sätze dieses Absatzes erörtern die Notwendigkeit der Rekognition von den nicht anzunehmenden Konsequenzen her, die deren Nichtsein nach sich ziehen würde. Demgemäß sagt der dritte Satz, daß die Inexistenz der Rekognition dem Vergessensein der vergangenen Originaleinheiten gleichkommen würde. Die Identifizierung der gegenwärtigen Reproduktionen mit diesen Originaleinheiten ist also ein Nicht-Vergessen, ein Behalten derselben. Nun ist zur Möglichkeit dieser Identifizierung nötig, diese vergangenen Originale selber nicht vergessen zu haben, denn sonst hätten wir nichts, womit wir die jetzigen Reproduktionen identifizieren könnten. Demgemäß gründet die rekognoszierende Erinnerung durch Abbilder in einer ursprünglicheren Erinnerung. Wie findet die letztere aber statt? Man sollte meinen, daß das Bewußtsein die gezählten Originaleinheiten durch ursprünglichere Reproduktionen behält. Wenn dem so wäre, würden diese tieferen Reproduktionen, wie die zunächst angeführten, aber ihrerseits eine Identifizierung mit den Originaleinheiten selber erfordern, welche wiederum nicht vergessen werden dürften, sondern reproduziert werden müßten und so weiter. Kant macht nicht ausdrücklich auf diese Schwierigkeit aufmerksam, aber seine mögliche Lösung kann aus dem Text gewonnen werden. Der letzte Satz der zitierten Stelle A 103 bemerkt, daß die Rekognition eine Erinnerung der gezählten Originaleinheiten enthält, aber er unterscheidet nicht
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zwischen der Rekognition und dieser Erinnerung. Im positiven Sinne umformuliert, implizieren ihre beiden ersten Sätze, daß, wenn wir in den Reproduktionen die Originaleinheiten rekognoszieren, wir sie als Produkte von stattgefunden habenden Apprehensionen anerkennen und diese Einheiten dann in einem Ganzen vereinigen können. In diesem Fall würde dieses Mannigfaltige nicht der Einheit ermangeln, "die ihm nur das Bewußtsein verschaffen kann" (a.a.O.). Das heißt, das Bewußtsein selbst ist einig. Das ist vermutlich dasselbe Bewußtsein der Einheit der Synthesis, das der dritte Satz als "Begriff' bezeichnet. Der unmittelbar folgende Passus fugt denn in der Tat auch hinzu: "Das Wort Begriff könnte uns schon von selbst zu dieser Bemerkung Anleitung geben. Denn dieses eine Bewußtsein ist es, was das Mannigfaltige, nach und nach Angeschaute, und dann auch Reproduzierte, in eine Vorstellung vereinigt" (A 103). Dieses eine Bewußtsein macht den Begriff möglich (A 104). Die Rekognition geschieht also in einem einigen Bewußtsein, in dem allein sie möglich ist. Nach A 115 hat die Apperzeption, wie der Sinn und die Einbildungskraft, sowohl einen empirischen als auch einen apriorischen Gebrauch. So stellt die Apperzeption empirisch die vergegenwärtigten Erscheinungen "in dem empirischen Bewußtsein der Identität dieser reproduktiven Vorstellungen mit den Erscheinungen, dadurch sie gegeben waren, mithin in der Rekognition", vor. Diese beruht auf der reinen Apperzeption: "dem empirischen Bewußtsein [liegt] die reine Apperzeption, d.i. die durchgängige Identität seiner selbst bei allen möglichen Vorstellungen, a priori zum Grunde" (A 116). Inwiefern ist nun die Identität des Bewußtseins der Grund der Möglichkeit der Rekognition? Ist die ursprüngliche Erinnerung, von der als dem Grund der Rekognition soeben die Rede war, dasselbe wie diese Identität? Wenn das Bewußtsein nicht eines wäre, wäre die Rekognition unmöglich. Wenn das Subjekt A einen Ton apprehendierte und im Subjekt Β nachher ein Phantasma dieses Tones auftauchte, könnte Β in diesem Phantasma jedoch nicht den Ton anerkennen, der soeben von A erfaßt wurde, weil A und Β nicht dasselbe Bewußtsein haben. Die Identität des Bewußtseins ist also zwar zur Möglichkeit der Rekognition notwendig, aber sie würde dazu nicht zureichen, wenn sie die Originalerscheinung jenes Tones nicht behalten würde. Nur wenn die Identität des Bewußtseins notwendigerweise das Behalten dieser Originalerscheinung einschließt, kann die angeführte These von A 115-16 zu Recht bestehen, dergemäß die apriorische Identität des Bewußtseins die Bedingung der Möglichkeit der Rekognition ist. Ein aufschlußreicher Passus der "Kritik des dritten Paralogism der transzendentalen Psychologie" der ersten Auflage (A 362 ff.) bestätigt diese Vermutung. Kant kritisiert da die Lehre dieser Psychologie, nach der die Seele eine identische Substanz, d.h. eine Person ist. Gegen diese Lehre bringt er vor, daß die Identität des Bewußtseins nicht substantiell, sondern nur "eine formale Bedingung meiner Gedanken und ihres Zusammenhanges" ist (A 363). Worin unterscheidet sich eine
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solche Bedingung von der Einheit einer Substanz? Wenn mein Subjekt auch als Substanz wechselte und es also sogar nur eine Reihe verschiedener sich sukzedierender Substanzen wäre, könnte man dabei noch von der Identität eines Ich reden, unter der Bedingung nämlich, daß das jeweilige Bewußtsein "doch immer den Gedanken des vorhergehenden Subjekts aufbehalten und so auch dem folgenden überliefern könnte" (a.a.O.). Die Identität des Subjekts als bloße Bedingung der Möglichkeit der Synthesis meiner Vorstellungen besteht demnach im Vermögen, die vorhergehenden Vorstellungen aufzubehalten und sie zusammen mit den jeweils gegenwärtigen für die Zukunft zu erhalten. Eine solche Identität ist nicht die Selbigkeit eines Dinges, sondern eines Bewußtseins von... als solchen. Dank diesem Aufbehalten der jeweils vorhergehenden Vorstellungen kann man dieselben in den entsprechenden Reproduktionen rekognoszieren. Die zitierten Stellen des Paralogismen-Kapitels erklären gewiß nicht, ob man dieses Aufbehalten wiederum als eine Kombination von Reproduktion und Rekognition oder nicht vielmehr als ein ursprünglicheres Bewußtsein des Vergangenen als solchen verstehen soll. Wenn dieses Aufbehalten in einer solchen Kombination bestünde, so wäre hier ein unendlicher Regreß unvermeidlich. Es ist möglich, daß Kant diese Schwierigkeit gar nicht gesehen hat. Wie es sich auch mit diesem Punkt verhalten mag, so steht doch fest, daß die aufbehaltende Identität des Bewußtseins ein von der Reproduktion und Rekognition verschiedenes Moment darstellt, nicht nur, weil diese zur Einbildungskraft gehören, sondern auch, weil sie in jenem Aufbehalten erst gründen. Dieser Zusammenhang rechtfertigt a posteriori unsere Frage nach einer Erinnerung, die ursprünglicher ist als die Reproduktion und Rekognition. Diese Erörterung wirft auf den dritten Satz des angeführten Textes von A 103 Licht. Wenn Kant sagt: "Vergesse ich im Zählen: daß die Einheiten, die mir jetzt vor Sinnen schweben, nach und nach zueinander von mir hinzugetan worden sind...", weist er über die angenommene Inexistenz der Rekognition dieser Einheiten hinaus auf etwas Anderes hin, das mit dieser Rekognition unzertrennlich verbunden ist: das Nicht- Vergessen, daß ich diese Einheiten allmählich addiert habe, d.h. die aufbehaltende Identität des Bewußtseins. Dieser Zusammenhang gestattet es Kant, gemäß seiner anfänglichen Absicht (A 96-97), über diese Synthesis der Einbildungskraft auf den Verstand hinauszuweisen. Die zitierte Stelle A 103 enthält also implizit, daß wir nicht nur die Originaleinheiten aufbehalten, sondern auch die Handlung des Zählens selbst. Das Aufbehalten beider ist Bedingung der Möglichkeit der Synthesis, denn wenn ich in den Reproduktionen nicht die Einheiten anerkennen würde, und zwar als diejenigen, die ich nacheinander addiert habe, dann hätte ich nicht die schon gezählten Einheiten vor meinem Bewußtsein, sondern "neue" Vorstellungen, die nicht als solche Produkte zu den verschiedenen Phasen des Zählens "gehören"
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würden (a.a.O.)· Ihre Verbindung als eine solche quantitativer Einheiten in einer Zahl wäre dann unmöglich. Zur Möglichkeit der Synthesis ist es also notwendig, die originalen Phasen der Synthesis aufzubehalten, und zwar als dieselben, die soeben gewesen sind. Wie im Falle der Rekognition eines reinen Mannigfaltigen könnte man hier von einer reinen Rekognition dieser Phasen des synthetisierenden Bewußtseins reden, aber dieses Selbstbewußtsein ist noch nicht, wie wir sofort sehen werden, die Apperzeption der eigenen Identität. Um dies einzusehen, braucht man nur zu betrachten, was dieses Zählen selbst ist. Jede Phase dieser Synthesis ist durch eine Apprehension konstituiert. Wenn sie nicht gerade die Anfangsphase ist, reproduziert und rekognosziert sie außerdem die soeben gezählten Einheiten. Den mannigfaltigen Einheiten korrespondiert dergestalt eine Mannigfaltigkeit von empirischen Bewußtseinsphasen (A 117 Anm.) oder Wahrnehmungen (A 120). Indem das Apprehendieren eine Vielheit z.B. von Tönen als Einheiten unterscheidet, fällt es selbst in eine Vielheit von Wahrnehmungen auseinander. Nach den vorangehenden Betrachtungen ist die Wirklichkeit der mannigfaltigen Originalerscheinungen und der ihr korrespondierenden empirischen Bewußtseinsphasen die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß das Aufbehalten beider zur Existenz kommt. Umgekehrt sind die aufbehaltende Identität des Bewußtseins und die in ihr gegründete Reproduktion und Rekognition Bedingungen der Möglichkeit des Bewußtseins jener doppelten Mannigfaltigkeit von Erscheinungen und Wahrnehmungen. Das Aufbehalten selbst ist eine Synthesis, die diese vielen empirischen Bewußtseinsphasen sammelt, indem es sie einheitlich als Vielheit offenbar macht.
E. Die Einheit der Synthesis: der Begriff Der letzte Satz des zitierten Textes von A 103 sagt zwar nicht, daß sich das Subjekt einer Mannigfaltigkeit empirischer Bewußtseinsphasen bewußt ist, sondern er redet nur von Synthesis. Jedoch ist das Aufbehalten einer solchen Mannigfaltigkeit ein durch die Analyse unterscheidbares Moment. Später soll gezeigt werden, daß Kant es auch als eine notwendige Stufe im Strukturzusammenhang des Subjekts ansieht (vgl. A 117-18 Anm.). Die Hervorhebung dieser Stufe setzt uns zunächst in den Stand, den Begriff als "Einheit der Synthesis" zu begreifen, von der am Schluß der zitierten Stelle A 103 die Rede ist. Viele empirischen Bewußtseinsphasen sind noch nicht für sich allein eine Synthesis. Es könnte sein, daß jede dieser Apprehensionen isoliert wäre und sich in der punktuellen Erfassung eines Anschaubaren erschöpfen würde. Aber selbst wenn das nicht so wäre, könnte es auch geschehen, daß ein Teilstück dieser Reihe
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ein Zählen von diskreten Einheiten wäre, während ein anderes eine kontinuierliche Größe erzeugte. In diesem Fall würden dabei zwei Synthesen oder, genauer, zwei Fragmente derselben vorliegen. Es wäre auch möglich, daß diese Reihe von Apprehensionen nichts als ein immer wieder unterbrochener Versuch wäre, diskrete Einheiten zu zählen. In diesem Fall wie im vorangehenden gäbe es dabei nicht eine einigende Handlung. Sie ist eine, wenn sie auf dieselbe Weise und ununterbrochen bis zum Ende agiert, was nicht ausschließt, daß sie durch eine Verschiedenheit zusammenhängender Schritte konstituiert ist. Nur dank einer selben Handlungsweise kann sie ein Mannigfaltiges vereinigen, in dem weiteren Sinne, der auch das Trennen und Abheben einschließt. Im Falle der synthetischen Handlung des Zählens gründet ihre Einheit in ihrem einigen Modus, das Mannigfaltige zu verbinden: der sukzessiven Addition von homogenen Einheiten. Der Ausdruck "diese Einheit der Synthesis" bezieht sich A 103 in der Tat auf die vorangehenden Worte: "diese sukzessive Hinzutuung von Einem zu Einem". Dieser Modus zu vereinigen ist sozusagen die Aufgabe, die eine solche Handlung erfüllen muß, ihre Regel oder Funktion (vgl. oben § 10). Da sich das sinnliche Bewußtsein in eine Vielheit von Apprehensionen zerstreut, gründet ihre Einheit als einer synthetischen Handlung in der Regel derselben. Daher ist diese Funktion die Einheit der Synthesis selbst. Diese einheitliche Handlung kommt zum Vorschein, wenn wir uns anläßlich des Bewußtseins der jeweiligen Vielheit von Wahrnehmungen dieser Regel bewußt sind und durch sie jene Vielheit als eine einzige Handlung umgreifen. An dieser Stelle gilt es noch einmal auf eine gegenseitige Bedingtheit aufmerksam zu machen: Einerseits ist das wirkliche Aufbehalten dieser Vielheit von Wahrnehmungen die Bedingung der Möglichkeit für das wirkliche Bewußtwerden dieser Regeln. Wir hätten ja ohne Aufbehalten derselben, gemäß der vorangehenden Interpretation von A 103, kein Bewußtsein der Synthesis und ihrer Einheit. Umgekehrt machen die Regel (Funktion) und das Bewußtsein derselben möglich, daß diese Vielheit von Wahrnehmungen zu einer einigen Synthesis gehöre. Die Einheit der Synthesis der Einbildungskraft gründet also in ihren Regeln. Aber was für Regeln meint Kant im Text der Deduktion? Und wenn sich diese dreifache Synthesis in mehrere Arten von Synthesen verzweigt, welche Regeln korrespondieren den jeweiligen Arten? Der letzte Satz des oben erörterten Textes von A 103 birgt in dieser Hinsicht ein Problem in sich. Ohne Rekognition und Aufbehalten hätte ich kein Bewußtsein der Synthesis und würde "also auch nicht die Zahl erkennen; denn dieser Begriff besteht lediglich in dem Bewußtsein dieser Einheit der Synthesis" (a.a.O.). Kant bezeichnet hier die Zahl als einen Begriff. Nach dem Schematismus-Kapitel (A 142-43) ist die Zahl dagegen das transzendentale Schema der Kategorien der Quantität: "eine Vorstellung ..., die die sukzessive Addition von Einem zu Einem
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(gleichartigen) zusammenbefaßt. Also ist die Zahl nichts anderes, als die Einheit der Synthesis des Mannigfaltigen einer gleichartigen Anschauung überhaupt, dadurch, daß ich die Zeit selbst in der Apprehension der Anschauung erzeuge." Beide Stellen stimmen in einer doppelten Hinsicht überein. Diese Vorstellung des Schemas befaßt die Phasen des zählenden Apprehendierens in einer Synthesis zusammen. Beide Stellen bestimmen ferner, daß diese Synthesis sukzessiv ist, und beziehen sich also auf die Zeit. Da diese Beziehung auf die Zeit nun nicht in den bloßen Kategorien der Quantität enthalten ist, scheint es notwendig zu sein, die Zahl, von der A 103 die Rede ist, als transzendentales Schema zu interpretieren. Wenn dem so wäre, dann müßte man von der "Rekognition im Schema" reden. Obwohl das Phänomen des Schematismus hier und an anderen Stellen der Deduktion beider Auflagen durchscheint, ist das Interesse Kants in diesem Text auf die reinen Begriffe als Einheiten der Synthesis und nicht auf diese Schemata gerichtet. Daher überspringt Kant hier das Schema absichtlich, erwähnt es in diesem Kontext nicht einmal namentlich und behält es dem ersten Kapitel der "Transzendentalen Doktrin des Urteilskraft" vor (A 137 ff.). Obwohl das Schema ein unentbehrliches Zwischenglied zwischen der Synthesis der Einbildungskraft und den Begriffen ist, verschieben wir daher seine Behandlung auf später. Wie kann der reine Begriff die Einheit der Synthesis sein? Die Synthesis des Zählens gründet ihre Einheit in der Vorstellung ihrer Regel (A 103). Obzwar diese Regel, auf der Ebene der Einbildungskraft vorgestellt, das Schema der Zahl ist, kann dieses wiederum auf den Begriff gebracht werden (vgl. oben zu A 78-79). Die begriffliche Fassung dieses transz. Schemas kommt dem Begriff der extensiven Größe, d.h. der schematisierten Kategorie der Allheit, gleich. Da diese Kategorie der Begriff einer Synthesis von Einheiten in der Zeit ist, kann sie ebenso wie ihr transz. Schema als Regel der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft fungieren. Gemäß den vorangehenden Betrachtungen zur dreifachen Synthesis verbindet diese sowohl die mannigfaltigen Erscheinungen als auch die reine Mannigfaltigkeit des Raumes und der Zeit. Die dreifache Synthesis ist demnach zugleich empirisch und rein. Beide Typen von Synthesis geschehen nicht bloß nebeneinander, sondern die reine Synthesis leitet die empirische und ist die Bedingung ihrer Möglichkeit (vgl. A 99 und gerade eben zur Apprehension). Da die Erscheinungen in Raum und Zeit erscheinen, muß die empirische Synthesis sie in diesen reinen Formen vereinigen - und zwar nur insoweit diese selbst es zulassen, eingeteilt und verbunden zu werden. Da unter diesen reinen Anschauungen ferner die Zeit nicht nur die universale Bedingung aller Erscheinungen ist (A 34), sondern sogar die Form der Apprehension der reinen Mannigfaltigkeit des Raumes selbst (A 99-100), muß die erste reine Synthesis der Zeit die universale Bedingung der Möglichkeit jeder anderen, reinen oder empirischen, Synthesis der Einbildungskraft sein. Mit Rücksicht auf diese ihre höchste Universalität verdient diese Synthesis
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transzendental genannt zu werden: "Nun nennen wir die Synthesis des Mannigfaltigen in der Einbildungskraft transzendental, wenn ohne Unterschied der Anschauungen sie auf nichts, als bloß auf die Verbindung des Mannigfaltigen a priori geht..." (A 118). Diese Synthesis heißt kurz und bündig transzendental aus folgenden Gründen: 1. Sie ist eine apriorische, also ursprüngliche und notwendige Struktur des Subjekts und geht auf das reine Mannigfaltige der Zeit sowie auf die Empfindung überhaupt. 2. Weil sie die höchste Universalität hat, macht sie nicht ein bestimmtes Bild eines Einzelobjekts in einer besonderen Anschauung möglich, sondern die synthetische Einheit des Anschaubaren überhaupt. Eine solche Synthesis ist also die erste Synthesis der Anschauung, die jeder anderen, notwendigen oder zufalligen, Synthesis zugrunde liegt. Weil sie ein solches Wesen hat, muß ihre Einheit auf reinen Begriffen beruhen, und zwar auf solchen, die die synthetischen Einheit der Anschauung überhaupt vorstellen, d.h. den Kategorien. Diese enthalten "die notwendige Einheit der reinen Synthesis der Einbildungskraft, in Ansehung aller möglichen Erscheinungen" (A 119). Können aber die anderen Begriffstypen die Einheit der anderen Klassen von Synthesen begründen? Wie gezeigt wurde, können die Kategorien eine solche Funktion ausüben, weil sie Begriffe der Synthesis sind. Im Gegensatz dazu sind die meisten der übrigen Begriffe aber keine Vorstellungen von Synthesen, sondern vielmehr von den Produkten derselben, unter Abstraktion vom Verfahren ihrer Produktion. So stellt z.B. der Begriff des Triangels (A 105) eine flache geschlossene Figur aus drei sich schneidenden Linien vor. Wenn ein solcher Begriff noch als Einheit der Synthesis fungieren kann, die eine solche Figur produziert, dann weil dieses Produzieren auf sein mögliches Produkt verweist und durch dessen begriffliche Vorstellung einheitlich geleitet werden kann. Von daher kann man den Sinn des Titels "Die Rekognition im Begriffe" besser verstehen. Diese gründet, wie gesagt, in dem behaltenden Bewußtsein der Originalerscheinungen und der korrelativen Apprehensionen. Dieses behaltende Selbstbewußtsein ermöglicht das Bewußtsein des Schemas oder des Begriffes und, durch eines von beiden, das Bewußtsein der Synthesis. Dergestalt beruht die Rekognition letzten Endes auf dem "Begriff', d. h. auf dem Bewußtsein des Begriffes, vor allem der reinen Begriffe, die sich als erste auf die Anschauungen beziehen. Daher nennt Kant sie "Gründe der Rekognition des Mannigfaltigen" (A 125). Die Rekognition gehört zwar zur Synthesis der Einbildungskraft, die auf Gebilde in Raum und Zeit bezogen ist, aber ihr Grund ist ein Selbstbewußtsein, das das Allgemeine (den Begriff) denkt. Der Titel "die Rekognition im Begriffe" besagt implizit, daß die entsprechende Textpartie von der Einbildungskraft zum begrifflichen Denken übergeht. Gelegentlich unterscheidet Kant mehr oder weniger ausdrücklich beide Ebenen (vgl. A 106). Hier sollen sie ausdrücklich unterschieden werden, indem wir der Rolle des Begriffes im Strukturzusammenhang des Subjekts
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nachgehen. Oben wurde der Begriff schon in seinem Verhältnis zur Synthesis betrachtet; es bleibt nunmehr übrig, ihn in Beziehung zu den empirischen und reinen Bildern zu sehen, die die Produkte dieser Synthesis sind. Diese Funktion geht zweifach vonstatten: in Beziehung auf sie als bloße Bilder oder auf deren Vergegenständl ich ung. Insofern der Begriff die Einheit der Synthesis ermöglicht, macht er auch die Einheit der Bilder selbst, z.B. von fünf Tönen oder von einem Dreieck, möglich. Nur weil diese Töne gemäß dem Zahlbegriff vereinigt worden sind (A 103), kann das Bild der fünf Töne in einer Zeit mit individueller Einheit und gewisser sinnlicher Bestimmtheit auftreten, noch bevor wir in einem Urteil denken: "Das sind fünf Töne". Jedoch kommt diese Aufgabe eher dem Schema zu, wie später gezeigt werden soll. Zum anderen richtet Kant sein Augenmerk fast ausschließlich auf die Beziehung der Begriffe auf die Gegenstände (vgl. 103-110). Der Begriff der Zahl kann nicht nur die synthetische Erzeugung des genannten Bildes durch das Schema leiten, sondern er gestattet auch, das im Bilde erscheinende Einzelne als Zahl, und zwar als fünf, d.h. als ein Objekt, zu denken. Das Bild als solches geht in dieses einzelne Objekt auf, indem das Bewußtsein "das Mannigfaltige, nach und nach Angeschaute, und dann auch Reproduzierte, in eine Vorstellung vereinigt" (A 103), d. h. indem das Bewußtsein dieses Mannigfaltige durch einen Begriff bestimmt, der die synthetische Einheit desselben überhaupt vorstellt. Dann wird, wie man sagt, ein Gegenstand erkannt. Sowohl die landläufige als auch die philosophische Bedeutung von "Erkenntnis" meinen mit "Gegenstand" etwas Einiges, von der Erkenntnis Verschiedenes, etwas Selbständiges, das der Erkenntnis entgegengesetzt ist und mit dem sie übereinstimmen muß. Daher müssen die mannigfaltigen Vorstellungen in einer gewissen Einheit untereinander stehen, um Erkenntnis von einem Gegenstand zu sein. Da das endliche Subjekt in seinem eigenen Innen eingeschlossen bleibt, können seine Vorstellungen nicht über es hinausgehen, um mit einem von ihnen verschiedenen Gegenstand "draußen" übereinzustimmen. Wenn diese Vorstellungen Erkenntnis sein sollen, dann nicht durch eine solche ( u n m ö g l i c h e ) Übereinstimmung, sondern allein dadurch, daß sie im Bewußtsein in einer notwendigen synthetischen Einheit stehen (A 104-105). Dabei ist es gewiß notwendig, daß das Bewußtsein selbst eines sei (A 105) und daß es gleichsam das Mannigfaltige dazu zwingt, vor ihm synthetisch aufzutreten. Wenn es aber dabei nur diese Einheit gäbe, so müßten sich die Vorstellungen zwar vereinigen, aber nur in dem Maße und in der Art, in der sie in der Sinnlichkeit zusammen auftreten, d. h. in zufälligen und partikulären Assoziationen. Die bloße Notwendigkeit der Verbindung schließt noch nicht die Notwendigkeit der Verbindungsweise ein. Wenn die Synthesis der Einbildungskraft nicht außerdem durch transz. Schemata und reine Begriffe geregelt wäre, dann wäre es zufallig, daß sie immer, oder wenigstens
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in der Regel, oder sogar nur ein einziges Mal auf eine bestimmte Weise geschehen würde und daß infolgedessen aus einer solchen Synthesis eine bestimmte synthetische Einheit (ein Bild bzw. Gegenstand) entspringen würde. Obwohl in einem solchen Subjekt eine synthetische Einheit notwendig wäre, blieben die sich daraus ergebenden Einheiten sowohl hinsichtlich ihres Mannigfaltigen als auch ihrer Verbindungsweisen zufällig. Ein solches Subjekt würde durch seine Vorstellungen keinen Gegenstand erkennen, insofern dieser eine notwendige Einheit, und zwar jeweils eine solche von besonderen Bestimmungen, auf eine bestimmte Verbindungsweise, und zwar beständig (immer oder meistens), impliziert. Diese beständige Einheit sowie die korrelative Erkenntnis sind dank den Begriffen, und in erster Linie den Kategorien, möglich. Durch diese Begriffe denken wir gewiß nicht diesen oder jenen empirischen, sondern jeglichen Gegenstand, d.h. den empirischen Gegenstand überhaupt. Bei dieser Ermöglichung der Erkenntnis der Gegenstände spielen die Kategorien der Relation eine entscheidende Rolle. Dadurch, daß die Synthesis der Einbildungskraft durch die Schemata dieser Kategorien geregelt ist und daß die daraus entspringenden Bilder durch diese Begriffe bestimmt sind, konstituieren sich für das Bewußtsein beständige Objekte (Substanzen), die regelmäßig aufeinander wirken, so daß die beständigen Eigenschaften (Akzidenzien) eines jeden von ihnen nur Wirkungen der regelgemäßen Kausalität der anderen sind. Das ist der Grund dafür, daß ζ. B. der Zinnober etwas Identisches ist, das einen beständigen Inbegriff von Eigenschaften hat. Ohne den Eingriff der erwähnten Kategorien würde das Bewußtsein nur einen heraklitischen Fluß wahrnehmen, in dem es kein Objekt erkennen könnte (vgl. A 100-101). Darum sagt Kant: "wir erkennen den Gegenstand, wenn wir in dem Mannigfaltigen der Anschauung synthetische Einheit bewirkt haben. Diese ist aber unmöglich, wenn die Anschauung nicht durch eine solche Funktion der Synthesis nach einer Regel hat hervorgebracht werden können, welche die Reproduktion des Mannigfaltigen a priori notwendig und einen Begriff, in welchem dieses sich vereinigt, möglich macht" (A 105). Diese Regel macht die Reproduktion, d.h. die wiederholte Produktion z.B. von gegenständlichen Substanzen, die aufeinander wirken, notwendig und konstituiert so die Regelgemäßheit und Beständigkeit der Gegenstände mit ihren Eigenschaften. Erst nachdem das Bewußtsein solche empirischen Gegenstände konstituiert hat, kann es in einer neuen Leistung diese beständigen Eigenschaften auf den Begriff bringen, d.h. empirische Begriffe bilden. Auf der Basis dieser so konstituierten Regelgemäßheit der empirischen Objekte und ihrer Eigenschaften kann ζ. B. der empirische Begriff des Körpers (A 106) zur Regel dienen, insofern er etwas Bestimmtes fordert, d.h. die wiederholte Produktion der synthetischen Einheit je eines bestimmten Mannigfaltigen vorausschickt und notwendig macht, um ein bestimmtes Objekt zu ermöglichen. Diese Vergegenständlichung der Bilder durch die reinen oder die empirischen Begriffe wirkt auf die Tätigkeit der empirischen Einbildungskraft zurück. Die
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Konstitution von Gegenständen als Substanzen in Kausalbeziehungen und mit beständigen Kausaleigenschaften ermöglicht die Sukzession, Simultaneität und regelhafte Ähnlichkeit der empirischen Gegenständlichkeiten und ermöglicht damit die entsprechenden Assoziationen sowie die assoziative Reproduktion der empirischen Einbildungskraft. Kant zeigt in drei Partien der Deduktion A (100102, 112-114, 121-123), daß die Assoziation, in welcher Hume den Schlüssel zu unseren kausalen Interpretationen zu finden glaubt, ihre Möglichkeit (Assoziabilität, empirische Affinität) gerade in der Regelgemäßheit und Gesetzmäßigkeit (transzendentale Affinität) der Gegenstände dank der Kategorien gründet. Nach der vorangehenden Darlegung kann festgehalten werden, daß der reine Begriff Bedingung der Möglichkeit der Einheit der Synthesis der Einbildungskraft, der Einheit der Bilder, sowie der bestimmten und regelgemäßen synthetischen Einheit der empirischen Objekte ist. Wenn auch in abgeleiteter Weise, kann das auch vom empirischen Begriff gesagt werden. Umgekehrt: Die Wirklichkeit des anschaulichen Mannigfaltigen, der Synthesis der Einbildungskraft und ihrer Bilder ist Bedingung der Möglichkeit der Verwirklichung dieser Leistung der Begriffe.
F. Die Einheit des Selbstbewußtseins 28 Zunächst einmal muß man hier vor allem berücksichtigen, daß Kant zwei Weisen des Selbstbewußtseins unterscheidet, die, wie er selbst hervorhebt, von der vorausgehenden Psychologie noch nicht voneinander geschieden sind (B 153). Es gibt ein passives und ein aktives Selbstbewußtsein. Das Sichfuhlen in dem einen oder anderen passiven Zustand ist eine Leistung des inneren Sinnes. Das Denken zum anderen ist als Begreifen, Urteilen und Schließen aktiv. Ebenso spontan ist das Denken als Sichselbstdenken. 29 In einem solchen Selbstbewußtsein sagt das Denken zu sich selbst "ich denke" oder lediglich "ich". Kant kann diese zwei Modi der Apperzeption unterscheiden, weil er die Zweiheit von Sinnlichkeit und Verstand wieder entdeckt, aber das erklärt noch nicht, warum diese Unterscheidung in der KrV außerdem notwendig ist. Das Ich des inneren Sinnes ist die Mannigfaltigkeit der beständig fließenden sinnlichen Erscheinungen und der rein subjektiven inneren Zustände, die sie begleiten. Ein solches Ich ist empirisch; es hängt von dem ab, was dabei in faktischen Assoziationen erscheint. Im Gegensatz dazu ist das "Ich" des Denkens eines und 28
Die folgende Deutung des Selbstbewußtseins steht im Gespräch mit den an Fragen und Einsichten so reichen Ausführungen K. Düsings in seinen Aufsätzen "Constitution and Structure of Self-Identity: Kant's Theory of Apperception and Hegel's Criticism" ( 1983) und "Soggetto e autoconscienza in Kant e in Hegel" (1988). Vgl. auch Κ. Gloy, Studien zur theoretischen Philosophie Kants (1990), und E. Tugendhat, Selbstbewußt sein und Selbstbestimmung, 50 ff. 29 Vgl. Β 132 zur reinen und empirischen Apperzeption. Vgl. auch Anthropologie § 7 "Von der Sinnlichkeit im Gegensatz mit dem Verstände".
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dasselbe. Es ist ein a priori, vom Denken selbst erzeugter Gedanke (B 132). Darum ist dieser die reine Apperzeption zu nennen (a.a.O.).30 Dieses reine Ich ist ferner kein Objekt, auf das sich das Denken bezöge und das durch diese Beziehung erkannt wäre. An verschiedenen Stellen betont Kant, daß dieses "Ich" oder "Ich denke" nichts weiter als das Bewußtsein-von ... ist, welches das Korrelat unserer Gedanken bildet.31 Diese sind nämlich Vorstellungen, insofern sie für das Denken vorhanden und ihm offenbar sind, das sich wesensmäßig seiner selbst bewußt sein kann. Dieses mögliche Ich ist also das notwendige Korrelat der Gedanken. Darum sagt Kant, daß dieses "Ich denke" alle meine Gedanken begleitet oder daß es ihr Träger oder Vehikel32 ist oder daß es dazu dient, diese Gedanken dem Bewußtsein als ihm zugehörige zuzuschreiben. Die rationale Psychologie übersieht, daß das "Ich denke" das bloße Bewußtsein-von ist, und sie ist in einem Irrtum befangen, wenn sie es für die Erkenntnis eines Objekts, und zwar eines Dinges an sich, nimmt. Da das Ich kein Objekt ist, ist es irrig, das Selbstbewußtsein als eine Entzweiung des Denkens in Subjekt und Objekt anzusehen, ein Verhältnis, in dem es sich in ein Objekt seiner selbst verwandeln würde.33 Da das Selbstbewußtsein endlich auch kein Objekt für ein noch tieferes Bewußtsein sein kann, nennt Kant es die ursprüngliche Apperzeption (B 132), widrigenfalls sich ein unendlicher Regreß ergäbe. Zum anderen ist das reine Selbstbewußtsein keine Reflexion, die von einem schon existierenden Ich ausginge und zu ihm zurückkäme, um es zu objektivieren. Das mag vielleicht im Falle einer philosophischen Reflexion auf ein schon existierendes "natürliches" Selbstbewußtein zutreffen, aber nicht bei der Genesis des letzteren, denn das Ich wäre dann am Ausgangspunkt schon da, die Rückkehr 30 Die Kantische Lehre der doppelten Apperzeption hat keine Stelle in dem Schema, das E. Tugendhat in seinem Buch Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung (S. 50 ff.) entwirft. Das reine Selbstbewußtsein ist für Kant kein Subjekt-Objekt-Verhältnis. Nur die Beziehung zwischen dem reinen Ich und den Zuständen des inneren Sinnes ist von ihm als ein solches Verhältnis gedacht. In diesem Fall ist das Ich des inneren Sinnes nicht ein bloßer Fluß von Zuständen, sondern ein passives Selbstbewußtsein. Das reine Ich tritt nicht bloß objektivierbaren Gegebenheiten entgegen, sondern bezieht sich zugleich auf ein "ich fühle mich", in welchem diese Zustände gegeben sind. 31 Man kann nicht einmal sagen, daß "Ich" ein Begriff sei, sondern ein bloßes Bewußtsein, das alle Begriffe begleitet (A 346). Das Ich als einfaches "Subjekt" ist kein Objekt, sondern nur eine Bedingung unserer Erkenntnis (A 356). "Nun ist zwar sehr einleuchtend: daß ich dasjenige, was ich voraussetzen muß, um überhaupt ein Objekt zu erkennen, nicht selbst als Objekt erkennen könne, und daß das bestimmende Selbst, (das Denken) von dem bestimmbaren Selbst (dem denkenden Subjekt) wie Erkenntnis vom Gegenstande unterschieden sei" (A 402). Wenn wir also das Ich als Bedingung der Erkenntnis der Gegenstände voraussetzen müssen und zugleich dieses Ich als ein Objekt dächten, müßten wir ein tieferliegendes Ich annehmen, das Bedingung der Erkenntnis des ersten wäre, womit ein unendlicher Regreß beginnen würde. Vgl. auch Β 406-7,422. 32 Vgl. A 341,348. 33 Vgl. die Fortschritte (AA XX, 26970): "Ich bin meiner selbst bewußt, ist ein Gedanke, der schon ein zweifaches Ich enthält, das Ich als Subjekt, und das Ich als Objekt." Aber der Kontext zeigt, daß diese zwei Ichs einerseits das denkende und anschauende Ich (die Person) und andererseits das angeschaute Ich (das Objekt) sind. Das heißt, Kant schreibt diese Entzweiung nicht der reinen Apperzeption zu.
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zu ihm wäre überflüssig und sie könnte die Genesis dieses Ich nicht erklären. Der Einwand, daß diese Erklärungsart zirkulär sei, tangiert Kant nicht, denn der A u s g a n g s p u n k t des Selbstbewußtseins ist ein D e n k e n , das schon in die mannigfaltigen Vorstellungen und in deren Synthesis zerstreut ist, ein ichloses Denken, das prinzipiell die Möglichkeit hat, sich seiner selbst bewußt zu werden. Die Reflexion gründet in einer ihr vorausgehenden vor-reflexiven Apperzeption. Damit wird auch der Grund fur die Unterscheidung zwischen empirischer und reiner Apperzeption sichtbar. Wie gesagt, die Differenz von Denken und Anschauung macht die Unterscheidung zweier Ichs möglich. Sie ist ferner notwendig, denn wenn das Ich nichts weiter als der Strom einer Mannigfaltigkeit von Erscheinungen und inneren Zuständen wäre, dann wäre jede synthetische Einheit der Erscheinungen empirisch, zufällig und partikulär. 34 In diesem Fall gäbe es weder Objektivität im strengen Sinne einer notwendigen synthetischen Einheit noch Kategorien als Vorstellungen einer solchen Einheit noch in diesen Begriffen gegründete synthetischen Urteile a priori. Hume, der nur empirische synthetische Einheiten anerkennt, verfahrt durchaus konsequent, wenn er kein anderes Ich als diesen Erscheinungsfluß in der Zeit zuläßt. Wenn dagegen die notwendige Einheit des Objekts und seiner synthetischen Erkenntnis möglich sein sollen, dann muß es im Subjekt ein Ich geben, dessen apriorische Einheit Grund der Möglichkeit jeder notwendigen synthetischen Einheit sein kann. Diese Einheit kann nur die einer reinen Apperzeption sein. Und wenn dem so ist, dann muß Kant mit Rücksicht auf die Möglichkeit der synthetischen Erkenntnis a priori das reine vom empirischen Ich unterscheiden. Das identische Ich, das aus dem Sichselbstdenken entspringt, vermag die synthetische Erkenntnis a priori zu ermöglichen, weil die Mannigfaltigkeit der Vorstellungen nicht vor diesem Ich auftreten oder sich auf es beziehen kann, wenn sie sich nicht synthetisch verbinden läßt. Daher ist diese Einheit des Ich notwendig synthetisch, d.h. vereinigend. Sie macht die Synthesis des Mannigfaltigen möglich und notwendig, so daß, wenn das Denken sich selbst als einheitliches Ich denkt, es sich zugleich die Einheit des Gegenstandes überhaupt, d.h. den transzendentalen Gegenstand, vorstellt. Damit macht die Einheit des reinen Ich auch die ersten Modi dieser notwendigen synthetischen Einheit, die Kategorien, möglich. 35 Infolge dieser seinen Funktion besitzt das reine Ich gewisse Bestimmungen a priori. Ihr gemäß ist das Ich der Apperzeption eine Einheit, und zwar in verschiedenen Hinsichten. Diese können begrifflich bestimmt werden, weil dieses Ich als Grund der Kategorien reine Begriffe hat, mittels deren es sich selbst denken kann. Im Paralogismen-Kapitel klärt Kant gegen die rationale Psychologie den wahren, kritischen Sinn dieser Bestimmungen. Demgemäß ist das reine Ich 1. Subjekt und nicht Prädikat eines anderen Seienden, insofern es Bewußtsein von.. 34 35
Vgl. Β 139-40 zum Unterschied von reiner und empirischer Einheit des Bewußtseins. Kant deutet eine problematische Begründung des "Ich denke" als synthetischen, spontanen und intellektuellen aus der Endlichkeit als Zweiheit von Denken und Anschauung an. Vgl. unten § 39.
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ist, das alle Gedanken trägt oder begleitet. Subjekt ist einigende Einheit aller seiner Gedanken als "Akzidenzen". 2. Dieses Ich ist einfach, d.h. hat innere Einheit, insofern es nicht durch Mehreres konstituiert ist. Einheit ist dann Unteilbarkeit. Infolge seiner Einfachheit ist dieses Ich unbestimmt und leer. 36 Diese Einfachheit des Bewußtseins-von, die die Komplexität und Vielheit seiner Gedanken nicht ausschließt, ist notwendig, weil ohne sie das Bewußtsein nicht einig wäre und die Gedanken nicht in einer synthetischen Einheit vereinigen könnte. 3. Das denkende Ich ist identisch in einem doppelten Sinne, a) insofern es Eines bleibt gegenüber der Sukzession der Vorstellungen im inneren Sinne (vgl. Deduktion A, 2. Abschnitt) und b) insofern es ein Subjekt ist gegenüber der Vielheit der zugleich seienden Subjekte (vgl. A 352). Ohne eine solche Identität gäbe es keine Rekognition, und die Synthesis der Einbildungskraft wäre unmöglich. 37 4. Das in actu denkende Ich existiert, weil es gegebene Empfindungen in der Zeit faktisch impliziert, ohne welche die Tätigkeit des Denkens und mit ihr die reine Apperzeption in actu unmöglich wären (B 422-24 Anm.; vgl. unten). 38 Ferner ist das Ich eins in dem Sinne, daß es im Subjekt einzig ist. Dieser Einzigkeit scheint aber die Unterscheidung eines sinnlich-passiven und eines intellektuell-aktiven Ich zu widerstreiten. Obwohl Kant diese Einheit-Zweiheit für unerklärlich ansieht, ist sie eine Konsequenz der Endlichkeit des menschlichen Subjekts, das als endlich zweierlei - Anschauung und Denken - und zugleich beide in Einheit sein muß. Insofern dieses Subjekt zum einen handelnd und zum anderen leidend ist, kann es sich selbst affizieren. Die Selbstaffektion ist kein bloßes Konstrukt der Philosophie, sondern ein häufiges Phänomen, dessen vornehmstes Beispiel vielleicht das Gefühl der Achtung ist.39 W i e Kant im P a r a l o g i s m e n - K a p i t e l h e r v o r h e b t , sind die g e n a n n t e n Bestimmungen des Ich durch die Kategorien weder synthetische Erkenntnisse a priori eines empirischen Objekts - denn das Ich ist kein empirisches Ding - noch 36
Die Vorstellung "Ich" ist einfach und an sich völlig leer an Inhalt. Daher kann nicht gesagt werden, daß sie ein Begriff sei. Das Ich ist daher nur ein Etwas überhaupt (= x), d.h. ein transzendentales Subjekt der Gedanken (A 345/46, 355). Die Einfachheit ist eine Bestimmung des "subjektiven Ich", also einer "subjektiven Bedingung" der Erkenntnis überhaupt (A 354). Seine Einfachheit ist außerdem notwendig, denn jede innere Mannigfaltigkeit würde seine Funktion als einheitliches Bewußtsein-von... unmöglich machen . Es m u ß f î i r sich leer sein, damit es für das zu konstituierende Objekt völlig offen sei. 37 Vgl. A 363: Die Identität des Selbstbewußtseins ist "nur eine formale Bedingung meiner Gedanken und ihres Zusammenhanges." Das reine Ich ist eigentlich nicht in der Zeit und kann insofern nicht durch die Zeit hindurch identisch sein. Aber es umgreift die Zeit, insofern es Bewußtsein eines Zeitganzen ist. Von dieser bewußten Zeit her bekommt das Ich, das ihr Korrelat ist, den zeitlichen Charakter von etwas, das in bezug auf dieses Ganze identisch ist. 38 Im "ich denke" liegt unmittelbar ein "ich bin". Diese Existenz ist keine Tatsächlichkeit in der Zeit. Sie kann vielleicht analog der Identität des Ich begriffen werden (vgl. die vorangehende Anm.). Das Ich ermöglicht die Existenz einer Tatsache in der Zeit, so daß sich von dieser Tatsache her das Ich als vorexistente Bedingung zurückbestimmt. 39 Vgl. GMS (AAIV, 401 -02 Anm.) die Achtung als "selbstgewirktes Gefühl". Zur Auftnerksamkeit vgl. Β 156-57 Anm.
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Erkenntnisse a priori eines Dinges an sich - denn die Apperzeption ist auch nicht die intellektuelle Anschauung eines Ich an sich (vgl.A 398-99). Diese Bestimmungen sind Prädikate analytischer Urteile.40 Sie entspringen aus der philosophischen Analyse des Begriffes Ich (oder des Urteils "Ich denke"), die auch naiv vor jeder philosophischen Reflexion stattfinden kann. Kategoriale Begriffe wie "Subjekt", "einfach", "identisch" und "existent" haben in diesen Urteilen keine raum-zeitliche Bedeutung, sondern sie sind "logische" Bestimmungen, d.h. des bloßen Denkens als Urteilens (Logos). "Subjekt-sein" besagt dann nur Bewußt-sein von Begriffen und Urteilen, auf welches diese bezogen werden. Das Bemühen Kants, das Ich der reinen Apperzeption von einem Ich an sich zu unterscheiden, das noch das Thema der rationalen Psychologie ist, ermöglicht die Behauptung, daß jenes Ich ein Für-sich-Sein ist. Das manifestiert sich an den Stellen, an denen er erklärt, daß es zur Identität des Ich zureicht, wenn das jeweilige Bewußtsein die Ereignisse und Leistungen der vorhergehenden Phasen behält und identifiziert, und daß es gleichgültig ist, ob das Subjekt an sich eine Substanz oder nur eine Sukzession von mehreren Substanzen sei, die einander diese Vorstellungen übertragen (A 363-64). Anders als bei Fichte ist dieses Ich aber kein pures Fürsich, denn es muß sich zugleich im Bezug auf ein mögliches Ich an sich denken, das zwar der theoretischen Erkenntnis unzugänglich und unerkennbar bleibt, aber sich durch das praktische Ich und im Bewußtsein des Sittengesetzes als verborgener Grund manifestiert. Dieses reine Ich ist ein Gedanke, der durch das sich denkende Denken "erzeugt" wird (B 132). Daher kann nicht gesagt werden, daß dieses Ich sich selbst produziert. Vor ihm existiert schon ein tätiges Denken, das wesenhaft das angeborene Vermögen hat, seiner selbst bewußt zu werden. Das besagt zugleich, daß der Akt des Selbstbewußtseins (= Ich) nicht immer existiert, sondern daß er eine Möglichkeit (eine Zufälligkeit) ist, aber eine solche, die notwendig zu diesem Vermögen gehört.41 In den vorangehenden Betrachtungen ist schon beleuchtet worden, daß die reine Apperzeption Bedingung der Möglichkeit verschiedener Subjektstrukturen ist. Wenn die Erkenntnis und ihr Objekt als synthetische Einheit der Vorstellungen möglich sein sollen, dann muß das Bewußtsein von denselben eines und dasselbe sein, was sich allein in der reinen Apperzeption erfüllt (vgl. z.B. A 109 und 113). Umgekehrt: Wenn dieses Bewußtsein notwendigerweise identisch ist, dann macht es die Synthesis der Vorstellungen möglich und notwendig (vgl. A 116-17). Wenn nun die synthetischen Einheiten, die durch diese Synthesis erzeugt werden, notwendig sein müssen und nicht bloße Assoziationen sein dürfen, dann muß es bestimmte Modi der synthetischen Einheit geben, d.h. Regeln überhaupt und vor allem Regeln a priori: transz. Schemata, Kategorien und Urteilsformen. Aber nur, 40
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Vgl. zum Thema: A 354-55, 362. Β 4 0 8 heißt es etwa: "Der Satz der Identität meiner selbst bei allem Mannigfaltigen, dessen ich mir bewußt bin, ist ein ebensowohl in den Begriffen selbst liegender, mithin analytischer Satz." Vgl. zum Vermögen der reinen Apperzeption A 118 Anm., Β 134 Anm., 4 1 4 - 1 5 , 4 2 3 Anm.
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Sein und Subjektivität bei Kant
wenn das Bewußtsein eines ist und damit Grund der Möglichkeit und Notwendigkeit einer Synthesis, sind auch synthetische Regeln, und insbesondere Regeln a priori, möglich und notwendig.42 Ferner drücken mehrere Textstellen eine gegenseitige Bedingtheit aus: Diese Subjektstrukturen, deren Möglichkeit in der reinen Apperzeption gründet, sind in anderer Hinsicht Bedingungen der Möglichkeit derselben Apperzeption. Wie bereits angedeutet, das Selbstbewußtsein "Ich denke" ist der mögliche Akt eines angeborenen Vermögens zu denken. Dieses Mögliche verwirklicht sich nur unter der Bedingung, daß das Denken in Gang kommt, und dies geschieht erst dann, wenn diesem Denken Empfindungen in der Zeit gegeben werden. Darum setzt das wirkliche "Ich denke" noch unbestimmte Empfindungen voraus, und obwohl es rein ist, kann es in dieser Hinsicht ein "empirischer Satz" genannt werden (B 422-23 Anm.). Des weiteren ist die Verwirklichung des Gedankens "Ich denke" dank der Synthesis und ihrer Regeln, sei es auf der Stufe der Einbildungskraft oder der des Urteilens, möglich. Obwohl das denkende Bewußtsein nämlich in Potenz identisch ist, zerstreut es sich beständig als endliches in die Mannigfaltigkeit der empirischen Bewußtseinsphasen oder Wahrnehmungen, indem es mannigfaltige Erscheinungen durchläuft und erfaßt. Daher ist die Einheit des Bewußtseins nicht etwas, das immer schon existierte und über dem Mannigfaltigen schwebte, sondern nur eine Möglichkeit, die das Denken in die Existenz bringen soll, und zwar ausgehend von dieser Mannigfaltigkeit von empirischen Bewußtseinsphasen, indem sie sich, wenn der Ausdruck erlaubt ist, in einem "Ich denke" identifizieren.43 Diese Synthesis des Sichidentifizierens verwirklicht sich deshalb mittels derselben Synthesis der Erscheinungen oder Gedanken, aber fuhrt über diese hinaus. Wie schon gesehen, existiert die Synthesis als solche nur, wenn sie sich ihrer selbst bewußt wird als einheitlicher und identischer Handlung. Dieses Bewußtsein einer solchen Identität ist wiederum möglich, indem das Gemüt sich in dieser Handlung der Regel bewußt ist, nach der es vereinigt. Daher sagt Kant: "Denn diese Einheit des Bewußtseins wäre unmöglich, wenn nicht das Gemüt in der Erkenntnis des Mannigfaltigen sich 42
Die Handlungen des reinen Ich sind a priori in dem Sinne, daß sie eben aus ihm selbst entspringen und nicht sinnlich empfangen werden. Sie sind aber nicht, wie die reinen Begriffe und Grundsätze, auch a priori in dem zusätzlichen Sinne, daß sie in bezug aufdie Objekte allgemein und notwendig seien. - Die Einheit des Bewußtseins wirkt sich auf verschiedenen Stufen wachsender Einigung aus: 1. in der Synthesis der E m p f i n d u n g e n zu Bildern und korrelativ in der Synthesis der empirischen Bewußtseinsphasen zu einem bewußten Synthetisieren nach Schemata; 2. in der Begriffsbildung als Synthesis, die aus den Bildern bzw. den Schemata Begriffe erzeugt; 3. in der Synthesis der Begriffe zu Urteilen nach Urteilsfunktionen; 4. in der Synthesis der Urteile zu Schlüssen nach Regeln. Die Einheit des Bewußtseins ermöglicht jede Stufe und geht zugleich über sie hinaus, indem sie die jeweils geleisteten Einheiten auf einer höheren Stufe wieder vereinigt und damit eine allgemeinere, umfangreichere Einheit durchsetzt.
43
"Denn das empirische Bewußtsein, welches verschiedene Vorstellungen begleitet, ist an sich zerstreut und ohne Beziehung auf die Identität des Subjekts. Diese Beziehung geschieht also dadurch noch nicht, daß ich jede Vorstellung mit Bewußtsein begleite, sondern daß ich eine zu der anderen hinzusetze
Struktur des Erkenntnissubjekts
163
der Identität der Funktion bewußt werden könnte, wodurch sie dasselbe synthetisch in einer Erkenntnis verbindet. Also ist das ursprüngliche und notwendige Bewußtsein der Identität seiner selbst zugleich ein Bewußtsein einer ebenso notwendigen Einheit der Synthesis aller Erscheinungen nach Begriffen ... "(A 108). Wenn ich also das Mannigfaltige verbinde und mir bewußt bin, daß ich verbinde, dann bin ich fur mich eines und dasselbe.44 Das gerade Angeführte ist in Wahrheit nur einer der Wege der Synthesis der Selbstidentifizierung. Da das Subjekt bei seinem Verbinden meistens dem werdenden Bild und dann dem Begriff des Objekts zugewendet ist, ist die Synthesis selbst etwas, dessen "wir uns ... selten nur einmal bewußt sind" (A 78). Daher ist das Selbstbewußtsein häufig schwach oder nicht klar (A 103). Zumeist sind wir uns der Identität des Bewußtseins nur aus seinen Wirkungen, d. h. aus dem Bilde oder dem Begriff, bewußt, insofern diese die Einheit ihrer "Ursache" widerspiegeln und insofern letztere ihrerseits durch die Analyse ihrer Wirkungen ausdrücklich gemacht werden kann. Diese Einheit des Bewußtseins, die im Objekt widergespiegelt ist, ist die analytische Einheit desselben (vgl. Β 133-34). Kurz gesagt, die noch unbestimmte Empfindung, die Synthesis, ihre Regeln und das Produkt der Synthesis, sowie das Bewußtsein von Synthesis, Regeln und synthetischem Produkt, als aktuell existierend, sind Bedingung der Möglichkeit des Aktes (der Wirklichkeit) des Selbstbewußtseins. Dieser Akt ist spontan, aber seine Verwirklichung ist durch diese Wirklichkeiten bedingt. Umgekehrt: Die Einheit dieser Apperzeption, aber nicht als wirklicher Akt, sondern als Vermögen der Apperzeption oder als die ihm korrespondierende Möglichkeit derselben, ist Bedingung der Möglichkeit der Synthesis und ihrer Regeln.45 Gemäß der vorangehenden Darlegung ist das "Ich denke" allgemein in dem Sinne, daß es allen Phasen der Synthesis (Apprehensionen) gemeinsam ist. Daß dieses Ich allgemein ist, besagt auch nicht daß in das Bewußtsein jedes Einzelmenschen ein überindividuelles oder universales Bewußtsein, eine Art "intellectus agens", eingriffe. Die Allgemeinheit des Ich kann nicht nur auf die genannte Weise ge-
und mir der Synthesis derselben bewußt bin"(B 133). Andere Stellen der ersten Auflage spielen auch auf eine Synthesis der empirischen Bewußtseinsphasen zu einem Bewußtsein an: "Es ist also schlechthin notwendig, daß in meinem Erkenntnisse alles Bewußtsein zu einem Bewußtsein meiner selbst gehöre. Hier ist nun eine synthetische Einheit des Mannigfaltigen, (Bewußtseins) die a priori erkannt wird" (A 117Anm.). Vgl.auchA 120und 123. 44 Vgl. Β 133 : "Nämlich diese durchgängige Einheit der Apperzeption eines in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen, enthält eine Synthesis der Vorstellungen, und ist nur durch das Bewußtsein dieser Synthesis möglich". Zum Bewußtsein der Einheit der Synthesis als Bewußtsein der Regel vgl. A 105, 108,112,B 138. 45 Vgl. A 118 Anm.: "..die Möglichkeit der logischen Form alles Erkenntnisses beruht notwendig auf dem Verhältnis zu dieser Apperzeption als einem Vermögen." Insofern dieses Vermögen der Grund der Möglichkeit der logischen Formen ist, ist es der Verstand selbst (Β 134 Anm.).
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Sein und Subjektivität bei Kant
deutet werden, d. h. in Beziehung auf die mannigfaltigen Phasen der Synthesis, sondern es gibt auch mehrere Stellen, an denen das reine Ich als "einzelnes" gemeint ist.46 Gewiß kann dieses Ich kein Einzelnes in dem Sinne eines Menschen sein, denn dieser ist einzeln in Beziehung auf andere Menschen und innerhalb der empirischen Welt von Einzelobjekten. Die Vereinzelung eines jeden Subjektmenschen geht nach Kant von der inneren Erfahrung seiner Zustände in der Zeit aus. Obzwar das reine Ich nicht in diesem Sinne einzeln ist, ist es Bedingung der Möglichkeit der genannten Vereinzelung und deshalb jeweils auf einen Einzelmenschen bezogen. Es ist jeweils das reine Ich "eines" solchen Einzelnen und "gehört" zu ihm. Dergestalt vereinzelt sich das reine Ich indirekt, aus der Einzelheit des durch es ermöglichten empirischen Subjekts. Man könnte vielleicht sagen, daß das reine Ich in diesem Sinne weder einzeln noch universal, sondern eine vor-individuelle Bedingung ist.47 Entgegen häufigen Mißdeutungen gilt es festzuhalten, daß das Ich auch kein Allgemeines im Sinne eines Begriffs (eines Vorgestellten) ist, sondern ein Gemeinsames im Sinne eines Vorstellenden, das alle Vorstellungen umgreift. Dieses Bewußtsein-von... denkt sich selbst und bildet sich den Begriff "Ich" oder das Urteil "Ich denke", die als solche allgemein sind und auf viele verschiedene Ichs bezogen werden können bzw. die von jedem Denkenden ausgesprochen werden. Diese allgemeinen Vorstellungen sind natürlich nicht das vor-individuelle Vorstellende selbst. Die weiter oben genannten analytischen Urteile sind Zergliederungen dieser Vorstellungen.48 An verschiedenen Stellen weist Kant darauf hin, daß das Selbstbewußtsein, genauer, daß die philosophischen Aussagen über dasselbe eine Art Zirkel implizieren. Diese Hinweise haben im Kontext des Paralogismen-Kapitels die
46 Nach Β 132 ist das Selbstbewußtsein "Ich denke" "in allem Bewußtsein ein und dasselbe", aber der Kontext zeigt, daß damit nicht auf etwas angespielt ist, das den Intellekten aller Menschen gemein wäre, sondern daß das Ich allen meinen Vorstellungen gemeinsam ist. Nach A 350 ist das Ich das "gemeinschaftliche Subjekt", auf das sich alle Gedanken beziehen. Das Ich ermöglicht die "kollektive Einheit" aller anderen Vorstellungen (A 118 Anm.). An verschiedenen Stellen ist femer von der synthetischen Verbindung mannigfaltigen empirischen Bewußtseins in ein Selbst die Rede (vgl. A 117 Anm., 122-24). Andere Stellen setzen voraus, daß das Ich der Apperzeption jeweils einem Einzelmenschen im Unterschied zu anderen angehört: "Die Identität der Person ist also in meinem eigenen Bewußtsein unausbleiblich anzutreffen. Wenn ich mich aber aus dem Gesichtspunkte eines anderen (als Gegenstand seiner äußeren Anschauung) betrachte ..." (A 362). Wenn das reine Ich, das spontan, d.h. frei in die Entscheidungen des Willens eingreift, überindividuell wäre, dann würden das moralische Verdienst oder die Schuld des Einzelmenschen fragwürdig. 47 Vgl. oben Anm. 13 die Rückbestimmung der Identität des Ich von der Konstitution eines Zeitganzen her. 48 An manchen Stellen redet Kant zwar von "Bewußtsein überhaupt" (vgl. Proleg. § § 2 0 , 2 2 , 2 9 ) aber das meint wiederum kein überindividuelles Subjekt. An diesen Stellen handelt es sich darum, daß Erfahrungsurteile nicht bloß fur einen bestimmten Menschen gelten, sondern allgemeingültig sind, d. h. gültig fürjedes Bewußtsein.
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Subjektive Grundlagen der Reflexion
Funktion, die Meinung der rationalen Psychologie zu entkräften, daß die reine Apperzeption eine Erkenntnis sei. Dieser Zirkel würde darin bestehen, daß, wenn man philosophisch etwas vom Ich aussagte, dieses sich selbst voraussetzen müßte, indem es ζ. B. sagt: "Ich denke, daß das Ich einfach ist" usw. Aber in diesem Urteil gibt es weder einen circulus in probando, weil es eben kein Schluß ist, noch einen circulus in definiendo. Dieses Denken geht nicht von irgendwelchen Prämissen über das Ich aus, um aus ihnen auf dieselbe wieder zu schließen. Es handelt sich dabei auch um kein tautologisches Urteil. Das "Ich denke" am Anfang dieser Aussage drückt das Bewußtsein des nachfolgenden Teils derselben aus. Das, was dieser Aussage zugrunde liegt, ist etwas schon Wirkliches und Gewisses: das Selbstbewußtsein, aus dem die philosophische Analyse dessen Merkmale gewinnt. Bevor der Philosoph das "Ich denke" mit allen seinen Implikationen voraussetzen kann, hat unsere "Natur" es schon faktisch "vorausgesetzt".49
§ 17. Die subjektiven Grundlagen der philosophischen
Reflexion
Obwohl der vorangehende Durchgang durch die Strukturen des Erkenntnisvermögens des Subjekts sehr wichtig war, um das Hauptstadium der Deduktion zu verstehen, bleibt der Charakter der in ihr enthaltenen Theorie der Subjektivität noch im dunkeln. Diese Dunkelheit betrifft mehrere Aspekte, unter denen dieser Paragraph die folgenden behandeln soll: Es ist nämlich zunächst einmal unklar, ob diese Theorie eine empirische Psychologie darstellt, oder ob sie sich von dieser unterscheidet. Wenn sie eher eine Erkenntnis a priori ist, stellt sich die Frage, ob sie eine Art rationaler Psychologie ist oder eine andere, noch zu bestimmende Möglichkeit der Erkenntnis. Bei all dem gilt es ferner, zu klären, ob und wie diese Theorie nach Kant im Wesen des Erkenntnisvermögens selbst gründet. Diese Fragen müssen beantwortet werden, wenn man verstehen will, wie Kant die transzendentale Deduktion der Kategorien durchführt und inwiefern sie trotz der gegen sie gemachten Einwände möglich ist. Man argumentiert nämlich, daß Kant seiner objektiven Deduktion eine empirisch-psychologische Theorie zugrunde lege, weshalb gerade die Erörterung der Möglichkeit der Erkenntnis a priori auf einer empirischen Basis beruhe und darum verfehlt sei. Wenn Kant, um dieser Schwierigkeit zu entgehen, seiner objektiven Deduktion eine metaphysische Lehre über das Wesen des Subjekts an sich zugrunde legte, dann würde eine so gebaute Deduktion seiner eigenen Kritik der rationalen Psychologie und der dogmatischen Metaphysik überhaupt widersprechen. Es gilt, die obigen Fragen zu beantworten und diese bekannten Einwände zu klären. Als ersten Schritt dazu möchte ich zunächst erörtern, welche die Wege 49
Zu diesem "Kreisen" des Bewußtseins, das über sich selber redet, vgl. unten Kap. VI, § 34.
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Sein und Subjektivität bei Kant
sind, auf denen das Subjekt sich selber zugänglich ist, und damit, was der subjektive Grund der subjektiven Deduktion sein kann. Zunächst kann man daraufhinweisen, daß Kant eine Selbstdurchsichtigkeit der Vernunft annimmt, die die philosophische Selbsterkenntnis derselben möglich macht. Da die Vernunft im Menschen selbst liegt, darf dieser "nach deren ausfuhrlicher Kenntnis" nicht weit um sich suchen (A XIV). Insofern die Vernunft ferner nicht nur in subjektiver Hinsicht (als Vermögen), sondern auch hinsichtlich ihrer Erkenntnis a priori eine "zweckmäßige", organisierte Ganzheit ist, kann sie vollständig erkannt werden. Wir können nämlich eine Inventarisierung aller unserer Vernunfterkenntnisse vornehmen, weil das, "was Vernunft gänzlich aus sich selbst hervorbringt, sich nicht verstecken kann", sondern selbst durch Vernunft ans Licht gebracht werden kann, "sobald man nur das gemeinschaftliche Prinzip desselben entdeckt hat" (A XX). Demgemäß kann die Vernunft "ausmessen", welche verschiedenen Arten sie hat, sich Objekte zum Denken zu wählen, und die verschiedenen Arten "vollständig vorzählen", sich Aufgaben zu stellen (Β XXIII). Die Vernunft kann also sich selbst und ihre Vorstellungen a priori erkennen, weil sie sich selber nicht verborgen bleiben kann und weil sie systematische Einheit hat. Hinzu kommt, daß die Vernunft als organisierte Ganzheit mit sich selber völlig einstimmig, d.h. nicht selber widersprüchlich ist und keine Vorstellungen erzeugt, die "ursprüngliche Täuschungen und Blendwerke" enthielten (A 669). Der transzendentale Schein, der aus der Vernunft (im engeren Sinne) entspringt, verdankt sich einem Sichmißverstehen, das verhütet werden kann, wenn man nur deren richtigen Gebrauch entdeckt. Sie könnte nicht der "oberste Gerichtshof aller Rechte und Ansprüche unserer Spekulation" sein, wenn sie selbst ursprünglich von Schein, Widersprüchlichkeit und Unwahrheit beherrscht wäre (a. a. O.). Das dadurch mögliche Selbstverständnis ist eine Reflexion der Vernunft auf sich selbst, die man transzendental im weiteren Sinne nennen kann. Kant behandelt zwar die transzendentale Reflexion in der KrV (A 260 ff.) thematisch, aber er nimmt dabei nur eine besondere Leistung derselben in den Blick und erklärt nicht, inwiefern diese oder eine andere, umfangreichere philosophische Reflexion auf Grund des Erkenntnisvermögens möglich ist. Jene Leistung besteht darin, gegebene Vorstellungen (ζ. B. unsere Erscheinungen einer Dingwelt) mit unseren Erkenntnisquellen zu konfrontieren, um zu entscheiden, ob sie Objekte des bloßen Verstandes (Leibniz) oder der bloßen Sinnlichkeit (Locke) oder beider Vermögen zusammen sind, und dadurch richtig zu bestimmen, welche ontologischen Prädikate diesen Objekten jeweils zukommen. Noch entscheidender ist aber dasjenige, was man transzendentale Reflexion im weiteren Sinne nennen könnte, weil sie diese besondere Reflexion als einen Teil in sich faßt. Diese weitere Reflexion macht das aus, was Kant transzendentale Erkenntnis nennt (A 56-57), denn diese ist eine Beziehung der Vernunft auf sich selbst und ihre Vorstellungen, um sowohl deren Ursprung a priori als auch den Grund ihrer objektiven Gültigkeit zu klären.
Subjektive Grundlagen der Reflexion
167
Worin besteht dieses Selbstverständnis der Vernunft, das sich in der subjektiven Deduktion dokumentiert? Auf welchen subjektiven Gründen beruht diese apriorische Reflexion auf das Subjekt und seine apriorischen Vorstellungen? Dies zu beantworten wäre die Aufgabe einer Kritik der Kritik, die man häufig bei Kant vermißt. Bevor man allerdings das Fehlen einer solchen Kritik des kritischen Denkens als eine Unterlassung anmahnt und sie einer Vergessenheit Kants oder einer seinem Grundentwurf immanenten Unmöglichkeit zuschreibt, sollte man bedenken, ob Kant die Reflexion des Subjekts auf sich selbst nicht zum Thema macht, weil er sie für selbstverständlich hält? Glaubt er, daß seine Kritik schon Licht auf die Art wirft, wie das Subjekt sich selbst offenbar ist? Wenn dem so ist, dann kann man aus der Betrachtung der Art, wie nach seiner Lehre das Erfahren geschieht, die in ihr implizit liegenden Einsichten in das Selbstverständnis des Subjekts herausheben. Bei dieser Betrachtung wähle ich als Beispiel das schon beiläufig angeführte Erfahren von fünf Tönen. Dieses Erfahren vollendet sich etwa im Urteil "Das sind fünf Töne". Dieses Urteil ist implizit oder auch ausdrücklich ein "Ich denke, daß ..."Gewöhnlich richtet sich das Denken nicht thematisch auf sich selbst, sondern auf seine Gedanken, ζ. B. auf dieses Urteil und seine Begriffe. Aber eigentlich ist es auch nicht auf seine Gedanken gerichtet, sondern durch sie bezieht es sich auf das Objekt, eine Sukzession von fünf Tönen. Diese Beziehung kann das Denken durch seine Gedanken allein nicht bewerkstelligen, sondern es muß zur Anschauung hinausgehen. Das gelingt ihm nach Kant dadurch, daß das Denken des angeführten Urteils in die Synthesis der Einbildungskraft, und zwar in ein bestimmtes Schema derselben, übergeht. Wir denken "Das sind fünf Töne", und damit geht unser Denken durch dieses Schema in die sukzessive Apprehension von Tonempfindungen in der Zeitanschauung über, welche nur eine objektive Größe bilden, sofern sie von einem solchen Urteil her gedacht werden. Ein solches Erfahren ist zwar auf das Objekt gerichtet, aber es enthält schon die Möglichkeit mannigfaltiger Reflexionen. 1. Das "natürliche" Selbstbewußtsein des Denkens ist, wie gesagt, keine philosophische Reflexion, aber es kann zu einer solchen werden, die das Gedachte dieses Sichdenkens analysiert und zu Urteilen wie "Ich bin einfach, identisch" usw. kommen kann. 2. Das Denken geht durch seine Gedanken meistens zwar in Richtung auf das Objekt, aber es kann sich vom Objekt auch abwenden, um sich bei seinen Gedanken als solchen aufzuhalten und etwa die Begriffe und Urteile als solche zu betrachten. Diese Reflexion (die sich dabei auf das ausgesprochene Urteil mit stützt) ist nach Kant die Grundlage der logischen Erkenntnis. 3. Das Denken kann sich ferner auf dem Wege seiner Beziehung auf die Anschauung bei der Synthesis der Einbildungskraft aufhalten, um zu betrachten, welche Schemata die eine oder andere Handlung derselben regeln. 4. Endlich kann das Denken, das diese Synthesis betrachtet, auch das Mannigfaltige als solches zum Thema machen, das von ihr verbunden wird: die Empfindung als solche sowie die reinen Zeiten und Räume. Dieses letztere kann freilich das Denken
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Sein und Subjektivität bei Kant
nicht direkt "sehen", denn ein solches Mannigfaltiges ist nur der Anschauung offenbar. Da das Denken und das Anschauen aber zu einem selben Subjekt gehören, kann sich das Denken über die Synthesis der Einbildungskraft auf das Angeschaute beziehen und es als solches begreifen. Es kann besondere Empfindungen oder Empfindung überhaupt zum Thema machen. Es kann auch auf den Fluß der inneren Erscheinungen in der Zeit, auf die Gegebenheiten des inneren Sinnes, eingehen, was thematisch in der empirischen Psychologie geschieht. In der Mathematik übt das Denken ferner eine Art Reflexion aus, insofern es sich durch die Synthesis der Einbildungskraft auf die reinen Anschauungen (unter Abstraktion von ihrem empirischen Inhalt) richtet. Diese vier Leistungen des Denkens können als Arten der Reflexion bezeichnet werden, insofern sich das Denken in ihnen vom empirischen Objekt abwendet und sich auf bloß im Subjekt Befindliches bezieht. Da dieses Subjekt für Kant ein Ganzes mehrerer Vermögen, wenigstens von Verstand und Sinnlichkeit ist, kann die Reflexion nicht eine Rückbeziehung des Denkens in der Dimension des puren Denkens sein, sondern sie muß eine Beziehung des Denkens auf die verschiedenen Bereiche dieses Ganzen sein. Die angeführten vier Leistungen können anhand von folgenden Stellen der Kritik belegt werden. Zu 4. Nach einem Passus in der Einleitung zum Paralogismen-Kapitel (A 34243) wäre die rationale Psychologie empirisch, wenn "irgendeine besondere Wahrnehmung meines inneren Zustandes" diese Disziplin mit gründen würde (Hervorh.Vf.). Zum Erstaunen des Lesers erklärt Kant dann das "Ich-denke", das die Basis dieser Psychologie bildet, für teils rein und teils empirisch, ohne daß jedoch diese Disziplin oder die kritisch "gesäuberte" Lehre der Apperzeption dadurch empirisch würden. Die Erklärung dieses Paradoxons liegt in der Unterscheidung von besonderer Empfindung und Empfindung überhaupt. Jede Empfindung hat einen besonderen Inhalt (z.B. "hart", "rot", "bitter" usw.). Würde die rationale Psychologie solche Inhalte in der reinen Apperzeption mit berücksichtigen, dann wäre sie eine empirische Erkenntnis. Dem "Ich denke" liegt aber bloß Empfindung überhaupt, unbestimmt welche, zugrunde, insofern das Denken nicht zum Zuge kommen könnte, wenn ihm nicht irgendeine noch unbestimmte Empfindung als Stoff vorgegeben wäre (vgl. Β 157-58 Anm. und 422-23 Anm.). In diesem Zusammenhang findet sich die relevante Stelle: " D e n n innere Erfahrung überhaupt und deren Möglichkeit, oder Wahrnehmung überhaupt und deren Verhältnis zu anderer Wahrnehmung, ohne daß irgendein besonderer Unterschied derselben und Bestimmung empirisch gegeben ist, kann nicht als empirische Erkenntnis, sondern muß als Erkenntnis des Empirischen überhaupt angesehen werden, und gehört zur Untersuchung der Möglichkeit einer jeden Erfahrung, welche allerdings transzendental ist" (A 343, Hervorh. Vf.). Diese Stelle argumentiert dergestalt fur die Auffassung, der gemäß die reine Apperzeption zum Teil doch rein bleibt, obwohl sie "zum Teil auf ein empirisches Prinzipium
Subjektive Grandlagen der Reflexion
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gegründet" ist (a.a.O.). Außerdem enthält diese Stelle eine wichtige Einsicht in das Wesen der transzendentalen Erkenntnis. Diese und die reine Apperzeption sind zwar voneinander verschieden, aber sie haben hier etwas Gemeinsames, indem beide auf Empfindung überhaupt gehen. Der vorphilosophischen Apperzeption liegt diese Empfindung aber als Stoff des Denkens zugrunde, während die transzendentale Erkenntnis auf sie als eines ihrer "Objekte" geht. Die transzendentale Erkenntnis wird an dieser Stelle zum Teil als Erkenntnis des Empirischen überhaupt bestimmt. Sie bleibt a priori, obwohl sie innere Erfahrung überhaupt (bloße Empfindung) und deren Möglichkeit (die Zeit) sowie das Verhältnis von Empfindungen überhaupt (z.B. in der Zeit und der Synthesis der Einbildungskraft) betrachtet, weil eine solche Erkenntnis eben auf keinen besonderen Inhalt der Empfindung eingeht. Sie geht 1) auf diese Momente des Subjekts (Empfindung, reine Anschauung, Synthesis der Einbildungskraft) überhaupt ein, um 2) die Möglichkeit der Erkenntnis, ζ. B. der empirischen, zu erforschen. Genannte Stelle belegt damit einen Bezug des Denkens auf das Anschauliche und auch auf die Einbildungskraft, der nur eine reflexive Modifikation der sonst direkten Gerichtetheit auf das Objekt ist. Zwei Wissenschaften bewegen sich ohnehin schon in diesen voneinander verschiedenen Arten einer solchen Reflexion auf die Sinnlichkeit, die Mathematik und die empirische Psychologie. Beide wenden sich nämlich vom Raumobjekt ab und gehen auf im Subjekt Befindliches. Diese Psychologie bezieht sich auf die Erscheinungen des inneren Sinnes in der Zeit, und dieses zwar besonders, um Regelmäßigkeiten in dem gleichzeitigen oder sukzessiven Auftreten dieser Zustände zu entdecken. Sie tendiert dabei zu einer Vergegenständlichung dieser subjektiven Phänomene. Dagegen geht die Mathematik zwar auf Raum und Zeit, aber weder auf sie überhaupt noch auf sie als Momente des Subjekts, sondern auf die in ihnen konstruierbaren besonderen Gebilde, als Quasi-Objekte. Während jene Psychologie ausdrücklich auf etwas Subjektives geht, bleibt die Subjektivität der reinen Anschauungen in der Tendenz der Mathematik auf die Erkenntnis von reinen Gegenständlichkeiten verdeckt. Zu 3. An einigen Stellen spricht Kant auch über unser Bewußtsein von der Synthesis der Einbildungskraft. Nach A 108 wäre die Einheit der Apperzeption unmöglich, wenn sich das Gemüt bei der Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen nicht der Regel dieser Synthesis bewußt wäre. Daß es sich dabei nicht um die Synthesis der Begriffe in einem Urteil handelt, wird von Kant angedeutet, indem er sagt, daß das Bewußtsein der eigenen Identität im Bewußtsein der Identität der Handlung gründet, "welche alle Synthesis der Apprehension (die empirisch ist) einer transzendentalen Einheit unterwirft" (a.a.O.). Im vorigen Paragraphen wurde auch die Stelle von Β 133 erörtert, der gemäß die "Identität der Apperzeption eines in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen" nur auf Grund des Bewußtseins der Synthesis dieses Mannigfaltigen möglich ist. Wenn dem so
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Sein und Subjektivität bei Kant
ist, dann ist sich die reine Apperzeption der Synthesis der Einbildungskraft sowie ihrer Regeln (Schemata oder Begriffe) bewußt. Das "Ich denke" ist ursprünglich ein "Ich denke die Synthesis der Einbildungskraft". Letzteres ist sogar, nach einer Grundthese der Deduktion A, der Verstand selbst (A 118-19, vgl. unten § 23). Daraus ergibt sich, daß die reine Apperzeption nicht nur die logischen Handlungen des Verstandes, sondern auch die Synthesis der Einbildungskraft mit ihren Einheitsregeln, also das Feld der Handlungen des Verstandes auf das Angeschaute, einer möglichen Reflexion zugänglich macht. Einige Stellen von § 24 sind Beispiele einer solchen Reflexion, die selbstverständlich kein bloßes Zusehen, sondern eine Interpretation dessen ist, was sich da zeigt. Wie ein Passus A 103-04 bemerkt, ist das Bewußtsein der Synthesis der Einbildungskraft meistens schwach und dunkel. Aber der Verstand ist sich dieser Synthesis, als einer Handlung des Denkens auf das Mannigfaltige der Anschauung, "auch ohne Sinnlichkeit bewußt" (B 153). Da aber dasselbe Subjekt ein doppeltes Selbstbewußtsein hat, nämlich seiner Handlungen zum einen und seiner Affektionen zum anderen, und da die aktive Synthesis in die Gegebenheiten des inneren Sinnes eingreift und ihn damit affiziert, ist diese Handlung zweifach bewußt. So sind wir uns beim Ziehen einer Linie im Räume einerseits der Handlung des Verbindens bewußt, die die innere Anschauung affiziert, und andererseits fühlen wir mit dieser Anschauung die Sukzession einer solchen Affektion in der Zeit (B 154-55). Bewußtsein der Synthesis der Einbildungskraft ist ohnehin nur durch die Zusammenarbeit von Denken und Anschauung möglich, denn ihr Verbinden wird nur an dem sukzessiven Verbundenwerden von Zeiten, Räumen und Empfindungen offenbar. Zu 2. Wie bekannt, unterscheidet Kant die Logik von der empirischen Psychologie und sogar von der angewandten Logik, die das Denken unter dem Einfluß der inneren Erscheinungen psychologisch betrachtet. Dieser Unterschied beruht erstens darauf, daß die allgemeine formale Logik auf die Regeln jedes Gebrauchs des Verstandes geht, ohne die Unterschiede zu berücksichtigen, die aus dem Inhalt des Denkens entspringen, während die empirische Psychologie auf einen besonderen Bereich dieses Inhalts, auf die inneren Erscheinungen, bezogen ist. Zweitens gründet der Unterschied beider Disziplinen darin, daß ihre Objekte auf ganz verschiedene Weisen zugänglich sind. Darüber belehrt uns ein Text der Anthropologie (§ 7), der ein Vermögen der sinnlichen Erkenntnis von einem der intellektuellen unterscheidet: "Jenes hat den Charakter der Passivität des inneren Sinnes der Empfindungen, dieses der Spontaneität der Apperzeption, d.i. des reinen Bewußtseins der Handlung, welche das Denken ausmacht und zur Logik (einem System der Regeln des Verstandes), so wie jener zur Psychologie (einem Inbegriff aller innern Wahrnehmungen unter Naturgesetzen) gehört und innere Erfahrung begründet" (AA VII, 140-41). Die reine Apperzeption gehört zur Logik als ein Zugang zu deren "Objekt". Freilich bedarf es dazu einer reflexiven Modifikation
Subjektive Grundlagen der Reflexion
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des gewöhnlichen Gebrauchs dieser Apperzeption. Der gesunde Verstand, d. h. derjenige, welcher in den Objekten aufgeht, handelt nach seinen Regeln a priori, ohne sie ausdrücklich zu erkennen (vgl. AA XVI, R 1581). Er gelangt zu einer Erkenntnis a priori dieser Regeln, wenn er auf Grund der reinen Apperzeption seine eigenen Denkhandlungen thematisiert und auf die reine Form der Gedanken reflektiert. Zu 1. Das Denken ist immer schon, wenigstens der Möglichkeit nach, ein Sichdenken. Dieses Selbstbewußtsein kann in eine philosophische Reflexion wie die rationale P s y c h o l o g i e oder wie deren kritisch g e r e i n i g t e Gestalt als transzendentale Lehre der Apperzeption verwandelt werden. Deren Urteile sind, wie Kant im Paralogismen-Kapitel darlegt, analytisch. Auf der Basis dieser Lehre, die im vorangehenden § 16 umrissen wurde, vertreten in jüngster Zeit einige Ausleger die These, daß das ganze Selbstverständnis des Subjekts, das in der subjektiven Deduktion zur Sprache kommt, ein Werk dieser reinen Apperzeption sei und daß alle Urteile einer solchen Deduktion deshalb analytisch seien (vgl. z. Β. M. Hossenfelder (1978) 7, vgl. 96 ff.; ferner: R. Aschenberger (1988) 53-56). Wenn man von einer Analyse des Begriffs oder Urteils "Ich denke" redet, dann muß man zunächst eine Unterscheidung machen, die von Kant nicht explizit vorgenommen ist. Das Denken denkt sich selbst, und sein Gedachtes ist dabei: "Ich denke". Da das darin Gedachte eben das Denken selbst ist, glaubt man, beides sei in jeder Hinsicht dasselbe. Aber das Denken ist jeweils vorindividuell, d. h. gehört zu einem durch es ermöglichten Einzelmenschen, während das darin Gedachte, z.B. "ich denke", "ich bin einfach" usw., eben Begriffe oder Urteile sind, d. h. Allgemeinheiten. Jedes vorindividuelle Denken kann sagen: "ich", "Ich bin identisch" usw. 5 0 Es sind nur solche Allgemeinheiten, die durch sprachliche Kommunikation mehreren Denkenden gemeinsam sein können und die Stoff zu analytischen Urteilen liefern. Mein Denken denkt ferner nicht nur sich selbst im Gedanken "Ich denke", sondern auch Gedanken wie "Das Haus ist groß" und durch dieses Urteil auch ein anschaulich gegebenes Objekt. Gehört dieses Urteil zum eigenen Gehalt des Gedankens "Ich denke"? Wenn man diesen Gedanken analysiert, kann man etwa finden, daß Denken sowohl Begreifen als auch Urteilen ist und daß er auch analytische Urteile einschließt wie: "Ich denke Gedanken", "Ich urteile", "Ich verbinde Begriffe". In all dem kann man auch sagen: "Ich bin verbindend", "Ich bin urteilend". Aber man kann nicht sagen: "Ich bin: Das Haus ist groß", "Ich bin das Objekt Haus" u. dgl. Schon der bestimmte Inhalt des einen oder anderen Urteils über Objekte ist nicht im Gehalt des Begriffes "Ich" oder des Urteils "Ich denke" eingeschlossen und kann nicht durch Analyse aus ihnen herausgezogen werden. Sowohl der bestimmte begriffliche Inhalt meiner Gedanken als auch die Synthesis
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Vgl. Hegel, Phänomenologie
des Geistes, Die sinnliche Gewißheit.
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Sein und Subjektivität bei Kant
der Einbildungskraft mit ihren Regeln sowie das reine oder empirische Anschauliche können zwar Korrelate des Bewußtseins sein, als das ihm Bewußte, aber sie sind nicht in dem Gedanken "Ich" implizierte Begriffe und Sätze.51 Hier ist also zwischen dem Denken mit seinem Gedanken "Ich" und allem anderen, das dem Ich als Subjektives oder Objektives zwar bewußt sein mag, aber nicht zum begrifflichen Gehalt des Ich-Begriffes gehört, eine Grenze zu ziehen. In bezug auf unser gegenwärtiges Thema bedeutet das, daß die reine Apperzeption nur einen begrenzten Bereich unter anderen Bereichen für eine mögliche philosophische Reflexion bildet. Diese Reflexion, die die transzendentale Reflexion im weiteren Sinne genannt werden darf, kann durch folgende Punkte gekennzeichnet werden: a) Sie geht auf die vier genannten subjektiven Bereiche auf Grund einer Modifikation der schon im vorphilosophischen Subjekt liegenden Selbstoffenbarkeit. b) Sie thematisiert diese Bereiche als subjektive und bemüht sich darum, zu zeigen, daß bestimmte Vermögen bzw. Vorstellungen a priori sind und welche diese Vorstellungen sein mögen, c) Sie erklärt, wie diese Vorstellungen a priori objektiv gültig sind bzw. wie
51 Wenn Kant aus den oben (§16) besprochenen Gründen das Selbstbewußtsein des Denkens von dem der inneren Anschauung unterscheidet, ergibt sich die Gefahr, daß das Denken sich direkt auf sich selbst und auf die anderen Vermögen des Subjekts bezöge und damit eine intellektuelle Anschauung eines Ich an sich wäre. Eine solche Konsequenz würde die Beschränkung der Erkenntnis a priori auf das Erfahrungsobjekt und damit die ganze Lehre der Erkenntnis a priori fragwürdig machen. Daher bemüht sich Kant darum, gerade in seiner Lehre von der Apperzeption den diskursiven Charakter des Denkens festzuhalten, was bereits den Aufbau dieser Lehre bestimmt. Davon finden sich in ihr viele Spuren. 1. Das Denken ist diskursiv, weil es nicht direkt auf die Sache geht, sondern indirekt, durch den Begriff. Demgemäß darf das Denken nicht auf sich selbst, d.h. auf das seiende Denken, gehen, sondern nur auf den Begriff "Ich" oder das Urteil "Ich denke", d.h. auf diese von ihm gedachten Vorstellungen seiner selbst. Die Bestimmungen des Denkens dürfen dann nur solche dieses Begriffes sein, der also in analytischen Urteilen ausgelegt werden kann. Daß z.B. "Ich bin Subjekt" ein analytisches Urteil ist, bedeutet einen Ausweg aus der Verlegenheit, an einem bloß diskursiven Selbstbewußtsein festzuhalten. 2. Einige dieser Bestimmungen sind in der Tat aus diesen Vorstellungen zu gewinnen. Daß jedes Urteil ein "Ich denke, daß S Ρ ist", ist, bekundet diese Vorstellung "Ich denke" als logisches Subjekt. Die Leerheit der Vorstellung "Ich" liefert ferner das Prädikat ihrer Einfachheit. 3. Eine andere Strategie Kants, um diese Bestimmungen nicht am seienden Denken selbst anzuschauen, besteht darin, sie indirekt über die Sinnlichkeit oder die Einbildungskraft zu gewinnen. Sagt man "Ich bin denkend", so ist diese Existenz eigentlich nur die einer unbestimmten Empfindung in der Zeit, die bloß als Stoff zum Denken mit diesem zusammenhängt. Die Identität des Denkens in der Zeit wird auch nicht am seienden Denken vorgefunden, sondern aus der Beziehung des Denkens auf die synthetisierte Zeit gewonnen. 4. Aus demselben Grund kann das seiende Denken nicht in sich selbst seine Einheit erblicken, sondern nur durch das Bewußtsein seines Verbindens der Mannigfaltigkeit oder aus dem dadurch Verbundenen. 5. Auf allen diesen Wegen wird das seiende Denken weggezaubert, um die Annahme einer intellektuellen Anschauung eines Ich an sich zu vermeiden, das Kant aber von seiner Freiheitslehre her wenigstens als notwendige Idee annimmt. Fichte reagiert mit Recht auf die Mängel des bloß diskursiven Selbstbewußtseins, aber da er in dem Kantischen Entwurf des diskursiven Denkens und der passiven Anschauung befangen bleibt, kann er seine anschauliche Apperzeption nur als "intellektuelle Anschauung" bestimmen. Zu diesem Begriff vgl. seine Zweite Einleitung in die W.L. (1797), Abschnitt 4 ff.
Subjektive Grundlagen der Reflexion
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entsprechende Arten von Erkenntnissen (Erfahrung, mathematische Erkenntnis) möglich sind. Nur auf Grund der durch a) und b) gekennzeichneten Reflexion kann zum Zuge kommen, was oben die transzendentale Reflexion in engeren Sinne genannt wurde. Damit ist geklärt, auf welchen Wegen das Subjekt sich selber zugänglich ist und wie so etwas wie eine transzendentale Reflexion möglich sein kann. Damit sind auch die oben erwähnten üblichen Deutungen dieser Reflexion erledigt, denn sie ist weder empirisch- noch rational-psychologisch. Sie ist erstens keine sich selbst thematisch werdende Ausübung der inneren Erfahrung, sondern ein Denken a priori. Wenn man trotzdem argumentiert, daß es keine reine Apperzeption, sondern höchstens innere Erfahrung gebe, und daß die empirische Psychologie das einzig mögliche Wissen vom Subjekt sei, dann ist eine solche These durch diese Psychologie nicht zu begründen und sie gehört vielmehr, etwa als positivistisches Dogma, zum Streitfeld der Philosophie. Die transzendentale Reflexion ist zweitens auch nicht das Organon einer rationalen Psychologie, denn sie ist nicht die Ausübung der bloßen Apperzeption als eine vermeintliche Erkenntnis einer Seele an sich, sondern ein Denken, das auf das bloße Erkenntnisvermögen geht, um die drei soeben umrissenen Aufgaben zu lösen. Weitere Unterschiede ergeben sich aus der Weise, wie diese Reflexion und jene Psychologien jeweils beanspruchen, Erkenntnis zu sein, und wie sie ihre Wahrheit begründen.
Anhang. Interpretationen der subjektiven Deduktion Wenn man entweder die Basis der transzendentalen Reflexion auf die Apperzeption bzw. auf den inneren Sinn einschränkt oder über diese Einseitigkeiten auf Grund einer anderen, nicht-Kantischen Auffassung der Subjektivität hinausgeht, und wenn man zugleich den oben erörterten Zusammenhang der subjektiv-objektiven Deduktion überspringt, dann ergeben sich daraus divergierende Deutungen der subjektiven Deduktion. Ich beschränke mich hier darauf, diese Interpretationsmöglichkeiten umrißhaft zu präsentieren. 1. Für die großen nachkantischen Idealisten wurzelt die Subjekttheorie Kants zwar schon in der reinen Apperzeption, aber nur in einer solchen, die sich noch nicht als das durchschaut, was diese Denker für ihr wahres Wesen halten, d. h. noch nicht als sich selbst setzende intellektuelle Anschauung, aus der sich das System der Kategorien und die Weltkonstitution entfaltet (Fichte, der frühe Schelling), oder als endliches Moment des absoluten Wissens (Hegel). Daher bleibt nach ihnen diese Kantische Theorie in Fakten wie dem Verhältnis eines intellektuell/ sinnlichen Subjekts zu Dingen an sich befangen, ohne diese Fakta im Rückgang auf die ursprüngliche Subjektivität als deren Produkte zu entlarven.
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Demgemäß sagt Fichte, daß Kant die Kategorien nicht aus dem "Ich denke" als Handlungen desselben ableitet, sondern sie deren Anwendung auf die Objekte, als Bedingungen der Erfahrung, entnimmt. Auch die Herleitung der Kategorien aus der Logik geschieht fálchlicherweise, denn die Urteilsformen sind aus dem Denken der Objekte abstrahiert worden (Erste Einleitung in die W.L., SW 1,442). Nach der Zweiten Einleitung (Abschn. 6, SW 1, 478) denkt Kant die Kategorien als Bestimmungen der Objekte und nicht als Bedingungen des Selbstbewußtseins. Da Fichte die Kategorien als bestimmte notwendige Handlungen des Selbstbewußtseins und dieses wieder als die unmittelbare Einheit von Denken und Objekt auffaßt, ist die dialektische Entfaltung des Selbstbewußtseins in die Reihe dieser seiner Handlungen, kantisch gesprochen, die metaphysische Deduktion der Kategorien und zugleich die transz. Deduktion derselben als Bestimmungen des Objekts. Da das Selbstbewußtsein ferner in Subjekt und Objekt aufgespalten ist, fallen in einer solchen transz. Deduktion wiederum die subjektive und die objektive Seite zusammen. Dagegen ist die Trennung dieser drei Deduktionen bei Kant ein Indiz dafür, daß er das Subjekt nicht aus der reinen Apperzeption heraus entfaltet und von einer faktisch gegebenen Vielheit von Subjekt und Objekt, Denken und Sinnlichkeit, ausgeht. Vgl. W. Janke, Sein und Reflexion (Berlin 1970) 122-24. Nach Schelling leitet Kant die Quellen des Subjekts nicht aus einem höheren Prinzip ab, sondern setzt sie als Fakta voraus, die er aus der damaligen empirischen Psychologie nimmt. Das heißt, die transz. Selbsterkenntnis bewegt sich in einer Sphäre von vorgegebenen Tatsachen und geht nicht auf ihre apriorische Genesis zurück (vgl. Zur Geschichte der neueren Philosophie, Werke Bd. 5, 149). In dem "Vorbegriff " zu seiner Heidelberger Enzyklopädie hebt Hegel hervor, daß die kantischen Deduktionen auf undeduzierten Fakten beruhen. Obwohl Kant die Identität des Ich als Grund der Kategorien bzw. diese als bestimmte Weisen des Beziehens der Mannigfaltigkeit auf diese Einheit auffaßt (§ 28), deduziert er diese Begriffe nicht aus ihr, sondern nimmt sie "empirisch aus der gemeinen Logik" auf (§ 32). Die KrV setzt von Anfang an als Tatsachen voraus, daß es ein Erkenntnisvermögen gibt, daß man Bestimmungen wie "Vermögen" oder "Kraft" so verwenden darf, wie sie es tut, und daß es eine kritische Erkenntnis des Subjekts gibt (§ 36). 2. Die Umdeutung der subjektiven Deduktion im Sinne der empirischen Psychologie und Anthropologie wird nach dem kritischen Ansatz Herders (in Verstand und Erfahrung, Leipzig 1799) von J. F. Fries (Neue oder anthropologische Kritik der Vernunft Bd. 1. Berlin 1828) und J.F. Herbart (Allgemeine Metaphysik, Königsberg 1828) eingeführt. Nach Fries übt Kant sowohl bei der metaphysischen als auch der transz. Deduktion der Kategorien eine psychologische/anthropologische Erkenntnis der Vernunft aus, die er irrtümlich für eine Erkenntnis a priori hält (a.a.O. 24 ff., vgl. Bona Meyer, Kants Psychologie, Berlin 1890, S. 40). Für Herbart ist diese empirische Psychologie Kants sogar mangelhaft, denn sie ist noch keine
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Wissenschaft im Sinne einer empirischen Dynamik und Statik des Geistes, die er als eine Art Mechanismus von aufeinander wirkenden Vorstellungen und Tätigkeiten auffaßt (vgl. Allgemeine Metaphysik, 74-75 und "Psychologie als Wissenschaft" in Schriften zur Psychologie, Leipzig 1850, S. 378-79, 388-89). Die Deutung der Kantischen Subjekttheorie im Sinne einer empirischen Psychologie dehnt sich über das XIX. Jhdt. bis zur Gegenwart aus. Vgl. ζ. Β. A. Schopenhauer (Fragmente z. Geschichte d. Phil., § 13, in Parerga und Paralipomena, Sämtliche Werke Bd. 5, Wiesbaden 1972); H. Helmholtz, Die Tatsachen in der Wahrnehmung, Berlin 1889. Sogar Kantianer wie B. Erdmann {Kritizismus 24, 232-35) und A. Riehl (Phil. Kritizismus 501-5) nehmen ebenfalls an, daß die KrV zum Teil psychologisch ist. 52 Innerhalb der empiristischen Tradition der angelsächsischen Länder interpretiert man meistens die subjektive Deduktion als ein Stück empirischer Psychologie. In der sprachanalytischen Richtung beurteilt Strawson z.B. die Theorie der Synthesis als ein Moment desfiktiven Subjekts der transzendentalen Psychologie, welche weder empirische Psychologie noch eine logische Analyse "a priori" des Begriffes "Geist" ist (1968, S. 97). N. Kemp Smith (234 ff.) hält zwar die subjektive Deduktion für psychologisch, aber er kennzeichnet sie als transzendentalpsychologisch, ohne ihren Unterschied von der empirischen Psychologie zureichend zu bestimmen. 3. H. Cohen deutet die subjektive Deduktion im Sinne einer Vermögenspsychologie, die analytisch vom Faktum der wissenschaftlichen Erfahrung aus zurückgehend konstruiert wird (Kants Theorie der Erfahrung, Werke Bd. 1, Hildesheim 1987; vgl. die Einleitung von H. Holzhey, S. 97 ff, und Geert Edel, Von der Vernunftkritik zur Erkenntnislogik, Freiburg/München 1986). Cohen, der sich in der 1. Auflage des genannten Werkes noch an die Herbartsche Psychologie hält, erkennt in ihrem Sinne an, daß sowohl diese Wissenschaft als auch die KrV an das Bewußtsein und seine Tatsachen herangehen (vgl. 291-315) und daß die subjektive Deduktion psychologisch ist (300 ff.). Aber die Psychologie beschreibt nur Vorgänge, die sie in ihrer Zeitfolge aus anderen Vorgängen abzuleiten sucht, d. h. auseinander entstehen läßt, während die KrVüber das Psychologische hinaus letzte, nichtreduzierbare einfache Elemente des Bewußtseins als Apriorisches aufweist und nach ihrem Beitrag zu Inhalt und Wahrheit der Erkenntnis fragt. Daher übt die KrV eine transzendentale Methode aus, die mit der Erfassung der apriorischen Elemente des Bewußtseins vermittels einer psychologischen Reflexion beginnt. Auf dieser Basis kann sie dann prüfen, ob und wie diese Elemente die Erfahrung möglich machen. Erst dann können sie in Strenge als A priori gelten. Im Gegensatz zu Kant, der auf Grund der metaphysischen Deduktion der apriorischen Vorstellungen nach der Möglichkeit ihrer objektiven Gültigkeit fragt, um sie dann in der transz. Deduktion dadurch zu begründen, daß jene Vorstellungen die Erfahrung 52 Zur psychologischen Deutung der KrV y gl. femer W. Satura, Kants Erkenntnispsychologie, 1971, S. 157 ff.
Bonn
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ermöglichen, bildet für Cohen und die Neukantianer der Aufweis, daß jene apriorischen Vorstellungen Gründe der Erfahrung sind, das eigentliche Ziel der Deduktion. Die KrV ist nicht eine Theorie der Erkenntnis a priori, sondern der Erfahrung als Wissenschaft. Während die Psychologie unmittelbar die Bewußtseinsvorgänge beschreibt, geht die KrV analytisch vom Faktum der Wissenschaft auf ihre Gründe im Bewußtsein zurück oder schreitet von der Erfassung dieser Gründe auf die Ermöglichung dieses Faktums fort. 53 4. Nach Husserl ist die Subjekttheorie Kants (empirische) Psychologie, d.h. ein Wissen über den Menschen und seine Seele, und das heißt, über einen Teilbereich der Welt, weil Kant keine Theorie der transzendentalen Subjektivität und des Zugangs zu ihr entfaltet. 54 Damit macht Kant ein selbst erst zu fundierendes Objekt dogmatisch zum transzendentalen Fundament, was eine petitio principii einschließt (Hua VI, 116-17; Formale u. Transz. Logik, 223 ff.). Infolgedessen relativiert er alle Erkenntnis auf die zufallige faktische Einrichtung dieses Weltobjekts und psychologisiert die synthetische (Husserl: materiale) Erkenntnis a priori (Psychologismus). "So bewegt sich z.B. die transzendentale Deduktion der ersten Auflage der K. d. r. V. eigentlich schon auf phänomenologischem Boden; aber Kant mißdeutet denselben als psychologischen und gibt ihn daher selbst wieder preis" (Ideen I, 119). In einer späteren Phase seines Denkens mildert Husserl seine Kritik in der Hinsicht, daß Kant sich de facto auf der Ebene der transz. Subjektivität bewege, aber daß er sie nicht als solche thematisiere. Weil Kant eben diese Theorie der transz. Subjektivität und der Reduktion nicht entfaltet, bildet er nach Husserl seine Subjekttheorie regressiv und konstruktiv. Ausgangspunkt ist dabei die dogmatische Voraussetzung der faktischen Wissenschaft als gültiger Erkenntnis (Hua VII, 19798,280-81). Daher fehlt ihm auch eine intuitiv-aufweisende Methode, um das transz. Subjekt zu erforschen. Weil Kant die Eidetik aber fehlt, bleibt er auf der Ebene des Faktischen und sieht sich gezwungen, die Erkenntnis a priori auf dieses Faktum Mensch und seine Seele zu relativieren (Anthropologismus) (vgl. z.B. Hua VII, 198-199, 228, 235, 351 ff., 359, 390, 401-2). 5. Nach Heidegger unterscheidet Kant zwar die transz. Logik von den Fragerichtungen der Entwicklungspsychologie und der formalen Logik, aber er schwankt noch zwischen ihnen, weil er nicht klar einsieht, daß jene, insbesondere als transz. Deduktion der Kategorien, eine phänomenologische Interpretation der drei Grundquellen des Subjekts sein muß. Eine solche Untersuchung gehört zu einer Fundamentalontologie des Daseins. 55 Sie hat zur Aufgabe zu zeigen, wie die Kategorien in dem Zusammenhang dieser Quellen die Beziehung (Transzendenz)
53 Zur Frage, ob Kant seine Theorie des Subjekts regressiv durch eine Analyse der wissenschaftlichen Erfahrung konstruiert, vgl. oben unseren Paragraphen 5. 54 Zum Thema vgl. Erste Philosophie, Hua VII, sowie Th. Seebohm, Die Bedingungen der Möglichkeit der Transzendentalphilosophie, Bonn 1962, und Iso Kern, Husserl und Kant, (1984). 55 Vgl. Heidegger (1929), §§ 8, 15.
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des Subjekts auf den sinnlichen Gegenstand ermöglichen. Damit erledigt diese subjektive Seite der Deduktion zugleich die Aufgabe der objektiven (vgl. GA Bd. 25, 316-34). Heidegger geht davon aus, daß die Kategorien zum Seinsverständnis gehören und als solche die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sind. Das heißt, er nimmt als wahr an, was gerade die Deduktion erst beweisen soll (die objektive Realität der Kategorien), und fragt sich vielmehr, wie die Struktur des Subjekts das Seinsverständnis ermöglicht. 6. Ansätze zur Interpretation der Kritik, die durch Ebbinghaus, Reich und nach dem zweiten Weltkrieg Henrich entfaltet werden, beinflussen entscheidend, in Verbindung mit empiristischen und sprachanalytischen Motiven, die Kant-Deutung der letzten Jahrzehnte. Diese Strömung faßt die KrV vorwiegend als eine Theorie der Prüfung und Begründung von Geltungsansprüchen auf. Für sie ist die subjektive Deduktion entweder ein Stück empirischer Psychologie oder eine Lehre, die synthetische Urteile a priori enthält, um die Möglichkeit dieser Urteilsart zu begründen. Da sie in jenem Fall nicht zur Rechtfertigung der Erkenntnis a priori gehören kann und in letzterem zirkulär wäre, sucht man in dieser Strömung die Gültigkeit der Kategorien aus der Beziehung der Erscheinungen auf die synthetische Einheit der Apperzeption als eine quasi-cartesianische Evidenz analytisch abzuleiten und dadurch ihre Letztbegründung zu leisten. Vgl. z.B. M. Hossenfelder, (1978) 16-18, 119 ff.; R. Aschenberg (1988) 51 ff. 7. Schließlich bleibt als extreme Möglichkeit übrig zu erklären, daß es so etwas wie eine subjektive Deduktion in der ATrKgar nicht gibt und daß, wenn es so aussieht, als ob Kant dabei eine eigens geartete philosophische Analyse der Subjektivität vollzöge, es sich dann bloß um den Gebrauch einer unangemessenen psychologischen Terminologie handelt (vgl. z. B. W. Rod, "Zur psychologischen Deutung der Kantischen Erfahrungstheorie" in Kant - Analysen, Probleme, Kritik, 9-26 ).
§18. Das Subjekt als organisierte Ganzheit und deren teleologische
Deutung
Das Ich, das sich selbst in der reinen Apperzeption zugänglich ist, denkt sich nicht nur als ein einfaches und identisches Subjekt der Gedanken. Da es sich seiner selbst nur bewußt ist, indem es seine synthetische Aktivität denkt, ist sein "Ich denke" ein "Ich verbinde". Damit denkt es sich als "Grund des Denkens" (B 429), d.h. als "Ursache" (a.a.O.) der Gedanken, insofern diese aus seiner Aktivität hervorgehen. Das Ich hat also Kräfte, d.h. rationes fienài der Existenz der Gedanken. Insofern dieses "Ich denke" das Selbstbewußtsein eines ursprünglichen, nicht weiter zurückführbaren Ich bildet, ist sein "Ich verbinde" zugleich das Bewußtsein seiner Selbsttätigkeit (B 278), der Spontaneität beim Verbinden (B 429). Sogar das "Ich denke" ist durch die Apperzeption spontan erzeugt (B 132).
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Da aber das Subjekt diesen Akt nicht ständig vollzieht, ist es sich seines Vermögens dazu (B 414-15) im Unterschied zu diesem Akt selbst bewußt. Insofern dieses aktive Ich ein und dasselbe ist mit dem passiven Ich des inneren Sinnes, muß es sich als ein Seiendes denken, das sowohl Kräfte zu handeln als auch zu leiden, d. h. das Vermögen und Fähigkeiten besitzt. Wenn man angesichts des häufigen Gebrauchs solcher Termini im kritischen Schrifttum Kants feststellt, daß sich dieser an die Sprache der Scholastik und der Vermögenspsychologie klammere, dann trifft das die Wahrheit nur zum Teil. In diesem Fall übersieht man gleich mehreres: 1. Substanz, Ursache, Kraft, Spontaneität, Vermögen, Fähigkeit, Handlung und Leiden sind in den Kritiken nicht mehr Begriffe einer Metaphysica generalis, in ihrer scholastischen oder leibniz-wolffianischen Deutung, sondern Kategorien und Prädikabilien des reinen Verstandes, mittels deren sich das Ich selbst interpretiert. 2. Diese Termini haben dann, nach Kant, keine dingliche Bedeutung. 3. Das so bestimmte Ich ist dann kein Seele-Ding, sondern das sich selbst im Denken und in der Anschauung offenbare Ich. Das Subjekt, das sich selbst so denkt, ist eine Mannigfaltigkeit von Vermögen und Fähigkeiten. Da sie einem identischen Subjekt angehören, müssen sie in irgendeiner Art von Einheit stehen, welche anscheinend nicht dem "Ich denke" unmittelbar entnommen werden kann. Nun ist die Art des Strukturzusammenhangs des Subjekts, wie sich zeigen wird, für die Aufgabe der transzendentalen Deduktion entscheidend. Kant klärt sich die Frage nach der Einheit der vielfältigen Kräfte des Subjekts in Auseinandersetzung mit Leibniz, Wolff und Crusius und, durch sie, mit der scholastischen Tradition. In der vorkritischen Zeit führt ihn diese Auseinandersetzung, wie oben (§ 5) erörtert, auf die These, daß die Einheit der subjektiven Kräfte teleologisch sein muß, im Dienste der Zwecke der verschiedenen Vermögen und des Endzweckes der Seele im ganzen. Diese Harmonie der Kräfte mit den entsprechenden Zwecken macht ferner notwendig, daß ihre Akte einander bedingen und so ein einheitliches Ganzes konstituieren. In der KrV spiegeln sich die Folgen dieser Auseinandersetzung noch wider. Auf der einen Seite hält Kant weiterhin an der Auffassung fest, daß die menschliche Seele in einer Grundkraft wurzelt, aber er denkt diese als eine bloße Idee der Vernunft, welche uns eben die Aufgabe stellt, die jeweils erkannten Kräfte auf die möglich kleinste Zahl zu reduzieren, selbst wenn es uns nicht möglich sein wird, die letzte Kraft jemals zu durchschauen. Die Entdeckung der gemeinschaftlichen Wurzel, aus der "vielleicht" (A 15) die zwei Stämme der menschlichen Erkenntnis entspringen, ist demnach auch nur eine Aufgabe der Vernunft, ein unlösbares Problem bei der Erforschung unserer Seele (vgl. A 648-49, 672, 682 sowie Anthrop. AA VII, 177-78). Zum anderen setzt sich in der KrV eine These über die Einheit des Subjekts durch, die der vorkritischen Lehre der teleologischen Einheit nah ist,
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aber sie zugleich modifiziert: die der Subjektivität als einer organisierten Ganzheit. Zunächst seien einige charakteristische Belege dieser These angeführt. In der Vorrede zur zweiten Auflage (XXIII) sagt Kant von der Vernunft, daß "sie in Ansehung der Erkenntnisprinzipien eine ganz abgesonderte, für sich bestehende Einheit ist, in welcher ein jedes Glied, wie in einem organisierten Körper, um aller anderen und alle um eines willen da sind ..." Nach Β XXXVII-VIII enthält die Natur der reinen spekulativen Vernunft "einen wahren Gliederbau ..., worin alles Organ ist, nämlich alles um eines willen und ein jedes Einzelne um aller willen ..." In der Vorrede zu den Prolegomena (IV, 262-63) sagt Kant: "Allein reine Vernunft ist eine so abgesonderte, in ihr selbst so durchgängig verknüpfte Sphäre, daß man keinen Theil derselben antasten kann, ohne alle übrige zu berühren, und nichts ausrichten kann, ohne vorher jedem seine Stelle und seinen Einfluß auf den andern bestimmt zu haben: weil, da nichts außer derselben ist, was unser Urtheil innerhalb berichtigen könnte, jedes Theiles Gültigkeit und Gebrauch von dem Verhältnisse abhängt, darin es gegen die übrige in der Vernunft selbst steht, und, wie bei dem Gliederbau eines organisierten Körpers, der Zweck jedes Gliedes nur aus dem vollständigen Begriff des Ganzen abgeleitet werden kann." Ähnliches drückt eine Stelle A 642 aus: "Alles, was in der Natur unserer Kräfte gegründet ist, muß zweckmäßig und mit dem richtigen Gebrauche derselben einstimmig sein ..." (vgl. auch Β 128 und A 669). Ein anderer Passus von A 738 erklärt: "Denn unsere Vernunft (subjektiv) ist selbst ein System." Dieses System zielt auf einen Endzweck, auf den hin die Vernunft ist, was sie ist. Daher sagt Kant A 801, daß "die letzte Absicht der weislich uns versorgenden Natur, bei der Einrichtung unserer Vernunft, eigentlich nur aufs Moralische gestellt" ist. Dieser Endzweck ist das höchste (abgeleitete) Gut: die Sittlichkeit als Bedingung der Glückseligkeit (vgl. A 804 ff.). Die menschliche Vernunft existiert, um "einen nicht etwa in anderer Absicht als Mittel, sondern an sich selbst guten Willen hervorzubringen" (GMS IV, 396). Obwohl sich einige dieser Stellen primär auf das System der Vernunfterkenntnisse beziehen, betreffen sie zugleich das Vernunftvermögen selber.56 Diese Stellen sagen aber keine dogmatische Erkenntnis der Vernunft als eines zweckmäßigen Seienden aus. Entgegen der dogmatischen Teleologie der vorkritischen Zeit denkt die KrV die Teleologie zu einer Leistung der Vernunft um, die die sinnliche Welt so deutet, als ob sie das Werk einer nach Zwecken schaffenden Vernunft und eine zweckmäßige Einheit wäre, die daher der Arbeit des Verstandes, der nur empirisch nach mechanischen Verknüpfungen forscht, überall Erfüllung verspricht und sie dadurch fördert.57 Im folgenden möchte ich anhand der KU 56 Zur Vernunft als organisierter Ganzheit, vgl. H. Heimsoeth; Transzendentale Dialektik, 51,64,275,524, 550-51,623,647-48. 57 Vgl. «Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik», A 669-704. Die KU nimmt an, daß die teleologische Deutung einerseits von einer nicht-teleologischen Erkenntnis des Organismus als eines Systems von
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erörtern, wie der kritische Kant die Möglichkeit begründet, das Erkenntnisvermögen selbst teleologisch zu deuten. Kant findet das Zweckmäßige der Natur primär in den Organismen. Damit sind zunächst materielle Objekte gemeint, die nach den Grundsätzen des reinen Verstandes konstituiert sind. Demgemäß sucht unsere reflektierende Urteilskraft sie als Ergebnis der Wechselwirkung von materiellen Substanzen nach besonderen Kausalgesetzen zu erklären. Zum anderen sind die Teile der Organismen derart einander angepaßt und aufeinander eingespielt, daß Zahl, Art und Verbindungsform derselben im voraus vom Organismus als Ganzem bestimmt sind. Infolge dieser zwei Seiten findet sich unsere Vernunft bei der Erklärung solcher Objekte in Verlegenheit. Sie ist eine endliche, durch die Zweiheit von Denken und Anschauung konstituierte (KU § 76). Als solche besitzt sie einerseits Begriffe von Teilmerkmalen (analytische Allgemeinheiten), und andererseits schaut sie sinnliche Einzelheiten an. Von diesen her und gemäß den Grundsätzen des reinen Verstandes erkennt sie, unter anderen Objekten, die Organismen und sollte ihre Entstehung durch die mechanische Wechselwirkung von materiellen Massen erklären (KU § 77). Das ist jedoch unserer Vernunft unmöglich, denn sie erkennt nicht alle Kausalgesetze, die an der Entstehung eines organisierten Objektes beteiligt sind. Von diesem Mechanismus her betrachtet, ist der Organismus etwas Zufälliges (KU §§ 61, 64). Da unsere Vernunft endlich ist, kann sie ferner den Organismus auch nicht von architektonischen Ideen her, die als Ganzheiten alles Besondere in sich enthalten und bestimmen würden, erklären (KU § 77). Für eine solche Vernunft ist unverständlich, wie ein Objektganzes seinen Teilen vorausgehen und sie bestimmen kann. In dieser Verlegenheit sieht sich unsere Vernunft genötigt, den Organismus von dem ihr vertrauten technischen Verhältnis einer Idee der ganzen Wirkung (eines Zwecks) zu deren Teilen (Mitteln) her zu erklären (KU § 77). Infolge ihrer Endlichkeit ist also unsere Vernunft gezwungen, den Organismus so anzusehen, als ob er zweckmäßiges Produkt einer hinter der Natur und durch sie absichtlich handelnden Kausalität nach Zwecken wäre. Kant nennt ihn daher einen Naturzweck. Weil unsere Vernunft die Organismen in Analogie zu den Produkten der Technik interpretiert, bestimmt Kant den Naturzweck aber auch in Abgrenzung vom technischen Produkt (KU § 65). Im soeben Gesagten ist schon berührt, was beiden Arten von Objekten gemeinsam ist: 1. Ihre Teile sind (ihrem Was- und Daß-Sein nach58 ) vom Ganzen bestimmt (KU § 65, Absatz 3), und zwar so, daß jeder Teil um Teilen in Kausalzusammenhängen ausgeht (§§ 65, 77), und daß diese Deutung andererseits zu einer nicht-teleologischen Weiterentdeckung dieser Kausalbezüge fuhren kann (§§ 66,68,75,78). 58 Im zweiten Teil der KU verwendet Kant häufig den Ausdruck "Form" (z.B. AA V, 369-70,378-79,38182,410-11,421 -22), "innere Form" (378), "spezifische Form" (378-79) usw. Er versteht "Form" als Was-sein des zweckmäßigen Objekts im Gegensatz zu dessen Daß-sein, wie folgende Stellen bezeugen: "Zu einem Dinge als Naturzweck wird nun erstlich erfordert, daß die Teile (ihrem Dasein und der Form nach) ..."(§ 65). "Ein Ding seinem inneren Form halber als Naturzweck beurteilen, ist etwas ganz anderes,
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der anderen und um des Ganzen willen da ist (ibid. Absatz 6). 2. Beiden Objektarten ist die Zufälligkeit derartiger Gebilde in Beziehung auf die besonderen Kausalgesetze gemeinsam (KU § 64, Absätze 1-2). Andererseits unterscheiden sich diese zwei Arten von Objekten auch voneinander: 3. Die Ursache der Kunstprodukte liegt außerhalb ihrer, so daß ihre Teile höchstens einander bewegen (z.B. in einer Maschine) (KU § 65, Absätze 3, 4, 7, 8). 4. Dagegen zeichnet sich der Naturzweck dadurch aus, daß er eine sich selbst in verschiedener Hinsicht hervorbringende Ursache und Wirkung ist (KU § 65, Absätze 3 f f ) . Seine Teile sind voneinander wechselweise Ursache (Mittel) und Wirkung (Zweck) und verbinden sich dadurch so zu einem Ganzen, daß die Idee dieses Ganzen einer beurteilenden Vernunft als Erkenntnisgrund der systematischen Einheit eines solchen Objekts fungieren kann (a.a.O.). D e m n a c h setzt die teleologische Deutung voraus, daß man zuerst den Organismus als ein Objekt erkennt, dessen Teile und es selbst als Ganzes einander bedingen. Diese Voraussetzung scheint im Falle der menschlichen Vernunft erfüllt zu sein. Jedoch ist die in ihr gegründete Deutung der letzteren als ein zweckmäßiges Seiendes nicht unproblematisch. Angesichts des Sich-selbst-Produzierens des Naturzweckes sagt man "von der Natur und ihrem Vermögen in organisierten Produkten bei weitem zu wenig, wenn man dieses ein Analogon der Kunst nennt" (a.a.O.). "Näher tritt man vielleicht dieser unerforschlichen Eigenschaft, wenn man sie ein Analogon des Lebens nennt" (a.a.O.). Aber was versteht Kant unter "Leben"? In den MAN, in der Anmerkung zum 3. Theorem der Mechanik, definiert Kant das Leben auf folgende Weise: "Leben heißt das Vermögen einer Substanz, sich aus einem inneren Princip zum Handeln, einer endlichen Substanz, sich zur Veränderung, und einer materiellen Substanz, sich zur Bewegung oder Ruhe als Veränderung ihres Zustandes zu bestimmen. Nun kennen wir kein anderes inneres Princip einer Substanz, ihren Zustand zu verändern, als das Begehren und überhaupt keine andere innere Thätigkeit als Denken mit dem was davon abhängt, Gefühl der Lust oder Unlust und Begierde oder Willen" (AA IV, 543-4). Das Denken und das Begehren sind der reinen Apperzeption bzw. dem inneren Sinn zugänglich. Als Vermögen, sich aus einem inneren Prinzip zu verändern, indem es Zwecke vorstellt und begehrt, ist das Leben im Grunde die Seele als Begehrungsvermögen. So sagt Kant in der KpV (Vorrede, AA V, 9): "Leben ist das Vermögen eines Wesens, nach Gesetzen des Begehrungsvermögens zu handeln." Der erste Satz des Zitats aus den
als die Existenz dieses Dinges für Zweck der Natur halten"(§ 67). A u f der anderen Seite sind materielle zweckmäßige Objekte überhaupt nur im Bereich von existierenden Seienden in Ursache-WirkungBeziehungen anzutreffen (vgl.§ 63 Anm.). Danach sind die Teile eines Organismus Ursache ihrer Existenz füreinander, nach einer dabei präformierten Form (vgl. 422-23 zur Epigenesis). Damit ermöglichen sich die Formen der Teile gegenseitig und werden durch die Form des Ganzen (den Zweck) ihrerseits ermöglicht.
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MAN unterscheidet drei Arten von Leben: 1. Das Leben einer [unendlichen] Substanz, 2. das Leben einer endlichen, aber nicht materiellen Substanz, wahrscheinlich das der (menschlichen oder nicht-menschlichen) praktischen Vernunft und 3. das Leben einer endlichen materiellen Substanz, ζ. B. eines Tieres.59 Da das so aufgefaßte Leben, wie die Organisation, "im" Objekt selbst liegt, in dem seine Wirkungen auftreten, ist die Organisation dem Leben näher als der Kunst. Wenn dem so ist, dann ist die Vernunft als eine hochstehende Form des Lebens dem Organismus wenigstens analog. Auf der anderen Seite ist diese Analogie wiederum fragwürdig. Drei Stellen der KU, die die Frage erörtern, ob das organisierende Vermögen in der Materie dem so aufgefaßten Leben analog ist, kommen zu einem negativen Resultat (vgl. §§ 67, 72, 73). Erstens ist der Organismus organisierte Materie, ein Objekt des äußeren Sinnes, während Leben Seele ist. Wenn man im Sinne des Hylozoismus die organisierte Materie als lebendig auffaßt, dann begeht man einen Widerspruch, denn die Materie ist ihrem Begriff nach selbst leblos (vgl. das obige Zitat aus den MAN). Dächte man andererseits die Materie zwar als leblos, aber gesellte ihr eine Seele zu, dann würde diese entweder einer schon organisierten Materie als ihres Werkzeuges bedürfen, welche damit unerklärlich bleiben würde, oder die Seele würde die Materie allererst organisieren, womit der Organismus als eine Art Kunstprodukt aufhören würde, ein Naturwesen zu sein (KU §§ 65, 72, 73). Nach der oben zitierten Stelle (KU § 65) steht die Organisation dem Leben zwar näher als der Kunst (Technik), aber sie bleibt doch von ihm verschieden. In der Tat muß die menschliche Vernunft den Organismus als ein zweckmäßiges Objekt auffassen, und das Leben ist gerade als eine Zweckursache definiert. Trotzdem pflegt man Organisation und Leben zu unterscheiden: Der Blutkreislauf ist eine Wirkung der Organisation, während die Gebärde einer menschlichen Hand der Seele entspringt. Wiewohl Leben und Organisation in Mensch und Tier miteinander zusammengehen, so daß der Organismus als Werkzeug des Lebens fungiert, zeigt sich diese Organisation selbst nicht als eine Wirkung irgendeiner Art Seele. Wenn die Urteilskraft die Organisation auf einen göttlichen Verstand als Zweckursache zurückführt, bewahrt sie die Natürlichkeit des Organismus dadurch vor jeder Verwechslung mit der Künstlichkeit eines Produkts, daß diese Zweckursache dem menschlichen Verstand verborgen bleibt (KU § 74, Schlußabsatz).
59 Zu den verschiedenen Bedeutungen von "Leben" bei Kant vgl. R. Low, Philosophie des Lebendigen, 153 ff. Ich kann dem Verfasser nicht zustimmen, wenn er annimmt, Leben sei für Kant die spezifische Seinsweise des Organismus. Das Faktum, daß Kant die organischen Körper in vegetierende und lebende einteilt (Low, 245, Anm. 115), zeigt, daß Lebendigsein nicht zum Organismus als solchem gehört, sondern eine Differenz ist, die zu einigen Organismen (Tieren) hinzukommt und zu anderen (Pflanzen) nicht. Daher kann das Leben auch bei der göttlichen Substanz auftreten, die kein Organismus ist, wie das Zitat der MAN offenbart. Das ist auch der Fall bei der menschlichen Vernunft, die zwar lebendig ist, aber kein Organismus.
Das Subjekt als organisierte Ganzheit
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"Genau zu reden, hat also die Organisation der Natur nichts Analogisches mit irgendeiner Kausalität, die wir kennen" {KU § 65). Das besagt umgekehrt: Das Leben ist auch nicht Organisation. Dennoch hat die Urteilskraft Gründe, das Leben qua Vernunft so zu interpretieren, als ob es ein innerlich zweckmäßiges Seiendes wäre. Diese Gründe sind die folgenden: 1. Obwohl die menschliche Vernunft weder dasselbe wie die Organisation noch ein Organismus selbst ist, kann sie als zweckmäßig gedeutet werden, weil in ihr die gegenseitige Bedingtheit des Ganzen und der Teile auftritt, die es der Vernunft ansonsten erlaubt, ein Seiendes als zweckmäßig zu interpretieren. Das wird durch die oben zitierten Stellen aus den kritischen Schriften Kants bestätigt. Der vorangehende § 16 hat den Zusammenhang der Bedingungen gezeigt, die die verschiedenen Strukturen des Erkenntnisvermögens verknüpfen, und der sich anschließende § 19 wird das zugehörige System umreißen. 2. Die Dinge der Natur können äußerlich zweckmäßig sein, wenn sie anderen Dingen zu etwas dienlich sind {KU § § 6 1 , 63). Diese äußere Zweckmäßigkeit ist nur dann notwendig und fur die reflektierende Urteilskraft den Objekten zugehörig, wenn es in der Natur ein Seiendes gibt, das in gewisser Weise Zweck derselben ist {KU §§ 63, 67). Dieses Seiende ist der Mensch, "weil er das einzige Wesen auf derselben [d. h. der Schöpfung] ist, welches sich einen Begriff von Zwecken machen" kann {KU § 82, AA V, 426-27). Da der Endzweck kein Mittel zu einem Naturzweck sein kann, sondern unbedingt sein muß, liegt er jenseits des Naturhaften im Menschen, d.h. in seinem übersinnlichen Teil als reine Vernunft, und zwar nur dann wenn der Mensch die Sittlichkeit, die die Vernunft ihm aufgibt, annimmt und dadurch zum Endzweck wird. Der Endzweck ist die praktische Vernunft im Menschen als Grund der Möglichkeit der Sittlichkeit. Wenn die reflektierende Urteilskraft nun diese praktische Vernunft als dasjenige betrachten muß, was sich der göttliche Wille zum Endzweck gesetzt hat, dann muß sie unsere Vernunft im ganzen als ein Seiendes ansehen, das in sich selbst diesem Zweck gemäß ist. 3. Nach einem Passus der KU § 80 nehmen sowohl Hume als auch Kant an, daß jede praktische und technische Vernunft als solche zweckmäßig sein muß. Hume bringt gegen die Annahme eines architektonischen Verstandes vor, "daß man mit eben dem Rechte fragen könnte, wie denn ein solcher Verstand möglich sei, d.i. wie die mancherlei Vermögen und Eigenschaften, welche die Möglichkeit eines Verstandes, der zugleich ausfuhrende Macht hat, ausmachen, sich so zweckmäßig in einem Wesen haben zusammenfinden können" (AA V, 420-21 ). Kant tritt diesem Einwand entgegen, indem er auf die Einheit dieses Wesens als einfacher Substanz hinweist, welche die wechselseitige Bezogenheit seiner Teile als Zwecke und Mittel ermögliche. Am Schluß dieses Paragraphen fügt Kant ferner hinzu, daß zur Erzeugung zweckmäßiger Produkte die göttliche Ursache, vom Standpunkt der menschlichen Vernunft gesehen, drei Bedingungen erfüllen muß: a) Sie muß eine einfache Substanz sein, um Mittel auf Zwecke beziehen zu können; b) sie muß ein
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Sein und Subjektivität bei Kant
Verstand sein, um sich im voraus Zwecke vorstellen zu können; c) sie muß Kausalität zur Verwirklichung ihrer Zwecke besitzen. Wenn nach dieser Stelle die Vermögen und Eigenschaften dieses Wesens noch dazu zweckmäßig zusammenhängen müssen - was selbst in der Einfachheit der göttlichen Substanz gründet - dann muß auch die menschliche Vernunft als endliche Ursache zweckmäßiger Produkte in sich selbst zweckmäßig sein. Zweckmäßigkeit ist nicht ein ausschließlicher Charakter des Organismus, sondern sie ist für die Urteilskraft sowohl dem technischen Produkt als auch dem Organismus und dem Leben, ja sogar dem Leben qua Vernunft, gemeinsam, obzwar diese drei Arten von Seienden ansonsten voneinander unterschieden sind. Sie sind in dieser Hinsicht analog. Mit Rücksicht auf die folgenden Betrachtungen gilt es hier, die wichtigsten Ergebnisse der vorangehenden Ausführungen hervorzuheben und zugleich auf die nächsten Schritte vorzubereiten: 1. Nach dem vorigen Paragraphen ist das Subjekt dank seinem Denken in Beziehung auf die Einbildungskraft und die Anschauung sich selbst im ganzen a priori offenbar. Dadurch ist es sich nicht nur der Vielfalt seiner Kräfte, sondern auch der gegenseitigen Bedingtheit derselben in einer organisierten Ganzheit bewußt. 2. Die offenbare Organizität, die die menschliche Vernunft mit dem Kunstprodukt und dem Organismus teilt, ermöglicht eine zusätzliche Deutung des Subjekts als ein Naturzweck. Das Bewußtsein jener organisierten Ganzheit ist jedoch von dieser teleologischen Deutung verschieden. Keine von beiden ist eine dogmatische Erkenntnis des Subjekts als eines Dinges an sich. Die genannte teleologische Deutung hat nur einen heuristischen Wert, um das Bezugsganze dieser subjektiven Bedingungen näher zu bestimmen. 3. Die Skizzierung dieses Systems von Bedingungen in einer organisierten Ganzheit wird Aufgabe des nächsten Paragraphen sein. Kant liefert zwar keine gesonderte Theorie des Erkenntnisvermögens als eines solchen Ganzen, aber seine subjektiv-objektive Deduktion (Hauptstadium) in beiden Auflagen bewegt sich innerhalb dieses Bezugsganzen und gibt von ihm Nachricht. 4. Jene natürliche Selbstoffenbarkeit des Erkenntnisvermögens als einer organisierten Ganzheit und diese philosophische Thematisierung ihrer Bezüge sind zunächst und für sich allein noch keine Erkenntnis eines Objekts, sondern höchstens ein Denken a priori betreffs des Subjekts. Wie kann ein solches Denken eine Basis für den Beweis bieten, daß die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sind? Ist dieses Denken in irgendeiner Hinsicht eine synthetische Erkenntnis a priori? Und wenn ja, steht sie mit den oben genannten Prinzipien der Wahrheit der synthetischen Erkenntnis a priori in Einklang? Worin könnte die Art ihrer Wahrheit bestehen? 60 60 Vgl. meinen Aufsatz "Zur teleologischen Grandlage der transz. Deduktion der Kategorien" in Kant-
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Systematische Form des Subjekts
§ 19. Die systematische
Form des Subjekts als organisierten
Ganzen
Seiner Endlichkeit gemäß ist das menschliche Subjekt durch die Zweiheit von Denken und Anschauung bestimmt. Zur Ermöglichung der Erkenntnis müssen beide Grundstrukturen in Zusammenhang stehen, und um diese Einheit zu ermöglichen, sind wiederum mannigfaltige andere Strukturen notwendig. Unser § 16 hat, vor allem auf der Grundlage des 2. Abschnitts der Deduktion A, einige dieser subjektiven Vermögen und die Verknüpfung ihrer entsprechenden Akte hervorgehoben. Es handelt sich nun darum, die besondere Systemform dieses organisierten Ganzen auseinanderzulegen. Schon der Vergleich des Erkenntnisvermögens und sogar der Subjektivität im ganzen mit einem "organisierten Körper" (Β XXIII) weist auf ein besonderes systematisches Gebilde. Bei der Kennzeichnung eines solchen Körpers in der KU setzt Kant voraus, daß er durch eine Vielheit von Teilen konstituiert ist (AA V, 371 ff.), die Werkzeuge, d. h. Organe desselben, sind (ibidem 374). Jedes von diesen ist ein selbständiger Teil, der von den anderen Teilen unterschieden ist, insofern es eine eigene Funktion ausübt, die ihre Definition hat. Seine funktionale Selbständigkeit manifestiert sich indirekt darin, daß ein Organ (das Auge) auf defiziente Weise weiter bestehen kann, wenn ein anderes Organ (das Ohr) des zugehörigen Organismus irgendwie verloren geht oder darin, daß jenes Organ in andersartigen Organismen, die das Ohr nicht besitzen, modifiziert auftritt. Die Funktion eines Organs grenzt es nicht nur von den anderen ab, sondern verweist es auch auf diese, indem sie nicht nur die anderen Organe und ihr Funktionieren dem Was nach ermöglicht, sondern sogar seine eigene Existenz und die der anderen bewirkt. Da alle Organe dergestalt aufeinander verweisen, schließen sie sich in einer Ganzheit zusammen (a.a.O. 373-4). Obwohl jedes Organ insofern selbständig ist, als nur es selbst seine Funktion ausübt, ist es in anderer Hinsicht unselbständig, weil es selbst und seine Leistung durch den Gesamtorganismus ermöglicht ist. Diese Art von Ganzheit ist daher sowohl von einem Kontinuum, das unselbständige Momente enthält, als auch von einem Aggregat aus selbständigen Teilen unterschieden. 61
61
Studien, 80. Jahrg. 4, 1989, S. 402-3 sowie oben Anm. 5 der Einleitung und § 15 ad 3 (S. 134). Die Maschine ist dem Organismus hinsichtlich der Art ihrer Ganzheit ähnlich, insofern jeder ihrer Teile Werkzeug der Bewegung der anderen ist (ebd. 374-75). Diese Stelle unterscheidet beide Arten von Objekten, insofern die Teile der Maschine einander nur bewegen, während die Organe einander hervorbringen. Jene ist ein Kunstprodukt, der Organismus ist dagegen ein Naturobjekt. Aber selbst diese Kennzeichnung der Maschine ist ungenau, denn einige ihrer Teile bewegen zwar andere, aber werden nicht von diesen wieder zurückbewegt, es sei denn teilweise wie bei den heutigen Automaten. Bei den mechanisch arbeitenden Maschinen verläuft die Bewegung nur geradeaus in einer bestimmten Richtung.
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Sein und Subjektivität bei Kant
Das Subjekt hat anscheinend eine den Organismen analoge Struktur, insofern es eine ähnliche Ganzheit von funktionalen Teilen ist. Aber es unterscheidet sich zugleich von ihnen, insofern es erstens kein Körper ist und insofern sich zweitens seine Teile nicht gegenseitig hervorbringen. Es gilt deshalb, auf die Besonderheit der subjektiven Organisation konkret einzugehen. Der Leser der Kritik kann sehr leicht feststellen, daß die verschiedenen Strukturmomente des Erkenntnisvermögens in Bedingungszusammenhängen stehen. So ist ζ. B. die Synthesis der Apprehension durch die Synthesis der (behaltenden) Reproduktion ermöglicht (A 103), während diese in der Rekognition gründet (a.a.O.). Letztere und die ganze Synthesis der Einbildungskraft überhaupt gründen ihrer Einheit nach im Schema oder im Begriff (A 78, 103, 119). Die Kategorien, wie alle Begriffe, beruhen ihrerseits auf der Einheit der Apperzeption (A 107). Kant erwähnt diese Bedingungsverhältnisse nicht nur in der ersten, sondern auch in der zweiten Auflage der Kritik. Das bedeutet zum einen, daß er mit Rücksicht auf die Möglichkeit der Erkenntnis überhaupt eine bestimmte Art von Einheit der mannigfaltigen Strukturen des Subjekts annimmt. Zum anderen sind diese Strukturen in der Tat eine Mannigfaltigkeit verschiedener Momente, weil jede von ihnen eine eigene Funktion hat. D a h e r b e n e n n t Kant sie n o c h als V e r m ö g e n oder F ä h i g k e i t e n . V o n den Grundvermögen, Verstand und Sinnlichkeit, sagt er, daß sie ihre Funktionen nicht vertauschen können (A 51). Schon die soeben erwähnten B e d i n g u n g s z u s a m m e n h ä n g e zeigen etwas Wichtiges an. Sie sind nicht derart beschaffen, daß jede Struktur unmittelbar Grund jeder anderen wäre, sondern jede derselben begründet direkt nur eine bestimmte andere. So wird ζ. B. die Synthesis der Apprehension unmittelbar durch die Synthesis der Reproduktion ermöglicht (A 102) und nur mittelbar durch die Rekognition (A 103). Demgemäß bilden diese Strukturen eine geordnete Reihe, in der jedes Glied einen festen Platz besitzt. Diese Reihe liegt der Ordnung zugrunde, der zufolge das Subjekt "von unten" (A 119, vgl. 119-128) oder von oben (A 116-119) dargestellt wird. In der transz. Deduktion Β wird das Erkenntnisvermögen auch von oben her behandelt. Obwohl die Darstellung dieser Strukturmomente beliebig entweder von unten oder von oben ausgehen kann, hat die Strukturreihe selbst eine feste Ausrichtung, was sich schon in den Bezeichnungen "oben" und "unten" andeutet. Die Sinnlichkeit und der Verstand sind nämlich als das untere bzw. obere Erkenntnisvermögen voneinander unterschieden. Diese Bezeichnungen deuten außerdem auf einen Rangunterschied hin. Der Verstand steht auf einer höheren Ebene, "weil das Vermögen der Anschauungen (reiner oder empirischer) nur das Einzelne in Gegenständen, dagegen das der Begriffe das Allgemeine der Vorstellungen derselben, die Regel, enthält, der das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauungen
Systematische Form des Subjekts
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untergeordnet werden muß, um Einheit zur Erkenntnis des Objekts hervorzubringen". 62 Die Gleichursprünglichkeit von Sinnlichkeit und Verstand, oder von ihnen und der Einbildungskraft, hindert nicht, daß eines von ihnen, die Apperzeption, in dieser Hinsicht das "Radikalvermögen" - nicht der anderen Vermögen sondern "aller Erkenntnis" - genannt werden darf (A 114). Der höchste Punkt liegt im Subjekt dort, worin der Erkenntnisprozeß gipfeln kann, d.h. in der Einheit des Selbstbewußtseins. Die niederste Stufe ist die potentielle M a n n i g f a l t i g k e i t der A n s c h a u u n g als A u s g a n g s p u n k t dieses Prozesses. Mannigfaltigkeit und Einheit bilden die zwei "äußersten Enden" (A 124) der Strukturreihe. Da die verschiedenen Momente des Subjekts, als Vermögen oder Fähigkeiten, auf ihre entsprechenden Akte und letztlich auf den Erkenntnisakt als ihr Ziel hin geordnet sind, ist die Strukturreihe im ganzen als eine aufsteigende Ordnung von der Mannigfaltigkeit zur Einheit hin orientiert. Demgemäß kann man von oberen und unteren Gliedern dieser Reihe sprechen. Wie oben gesagt (§ 5), es ist zwar unmöglich, eine gemeinschaftliche Wurzel aller Gemütskräfte zu erkennen, aus der sie abgeleitet werden könnten; aber man kann ihre Einheit wenigstens in dem Zusammenhang der entsprechenden Akte untereinander suchen. Welcher Art sind nun diese Zusammenhänge? Erstens steht jedes Paar unmittelbar aneinandergrenzender Akte der Strukturreihe in gegenseitigem Bedingungszusammenhang hinsichtlich ihres Was-seins. Dieses Verhältnis ist hinsichtlich der entfernteren Glieder transitiv. Kant deutet zwar eine solche Verknüpfung nur für den Zusammenhang von Verstand und Sinnlichkeit (A 51) und von Synthesis und Apperzeption (z.B. A 107-108) an, aber man kann sie auch bei den übrigen Phänomenen der Strukturreihe finden. So ist ζ. B. die reine oder empirische Anschauung die unmittelbare Vorstellung eines Einzelnen, das ein Mannigfaltiges in sich enthält. Das vermag die Anschauung aber nur zu sein, weil die Synthesis der Apprehension sie zur expliziten Vorstellung eines abgegrenzten Mannigfaltigen befähigt. Umgekehrt ist diese Synthesis, als Verbinden eines Mannigfaltigen in einem Bewußtsein, nur in Beziehung auf das Angeschaute möglich (A 99). Dasjenige, hinsichtlich dessen Anschauung und Apprehension, jeweils für sich genommen, unzulänglich sind und der Begründung durch die je andere bedürfen, ist jeweils verschieden. In beiden Auflagen der Kritik nimmt Kant die gegenseitige Ermöglichung von Mannigfaltigkeit, Synthesis und Einheit (Regel) auf verschiedenen Ebenen des Subjekts in den Blick, ohne daß solcherart Begründung auf diese Phänomene beschränkt bliebe. In der Tat stehen die Synthesen der Reproduktion und der Rekognition in einem analogen Zusammenhang. Das Wiedererkennen des vergangenen Originals in der
62 Vgl. Anthropologie (VII, 196-97 und 140-41) sowie die Textstellen, die W. Satura in seinem Buch Kants Erkenntnispsychologie, 80, Anm. 70 anführt.
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Sein und Subjektivität bei Kant
reproduzierenden Vorstellung macht die Reproduktion als Bewußtsein eines bestimmten Vergangenen möglich (A 103, 115). Umgekehrt ist die Rekognition als ein solches Wiedererkennen nur möglich, weil ihr die originalen und die reproduzierenden Vorstellungen vorgegeben und die Synthesen der Apprehension und Reproduktion bereits vorausgegangen sind. Offensichtlich bedingen beide Akte einander hinsichtlich ihres Was-Seins. Auf Grund dieser Synthesen und ihrer Produkte fuhrt das obere Glied, das Wiedererkennen, etwas ein, das noch nicht in der bloßen Erzeugung von reproduzierenden Bildern enthalten ist, also etwas Neues, das das untere Glied hinsichtlich seines Beitrags zur Möglichkeit der Erkenntnis ergänzt und ermöglicht. Nun ist wenigstens ein Teil des niederen Gliedes ohne das höhere möglich, während dieses letztere Glied im ganzen nur auf Grund des genannten Teils des niederen möglich ist. So kann z.B. die Apprehension als ganze Synthesis zwar nicht ohne die Reproduktion da sein, jede Apprehensionsphase ist aber ohne sie möglich. Dagegen ist die Reproduktion ganz und gar nicht möglich, es sei denn als Reproduktion der apprehendierten Vorstellungen. Infolge eines solchen eigentümlichen Verhältnisses dieser Akte hinsichtlich ihres Was-seins stehen sie außerdem im Bedingungszusammenhang hinsichtlich ihrer bloßen Existenz. Demgemäß kann wenigstens ein Kern des niederen Gliedes der Aktenreihe ohne das nächsthöhere zur Wirklichkeit kommen - wenn auch auf unzureichende und unvollständige Weise - während das höhere Glied nicht zur Wirklichkeit kommen kann, wenn das niedere nicht schon existiert. Wie gesagt, hier erzeugt nicht das eine Glied das andere, sondern es ermöglicht nur die Verwirklichung seiner Leistung. Einen exemplarischen Fall dieses einseitigen Bedingungszusammenhangs sowie der schon berührten gegenseitigen Begründung bietet das Verhältnis von Synthesis und reiner Apperzeption, das oben § 14 F erörtert wurde. Erstens hat das Bewußtsein notwendigerweise die Möglichkeit, sich seiner Identität bewußt zu sein, und diese seine Einheit ermöglicht die Synthesis als Verbindung mannigfaltiger Vorstellungen in einem Bewußtsein (A 116-17,108; Β 130-31, § 16). Umgekehrt ist diese Synthesis Bedingung der Möglichkeit der Einheit des Bewußtseins, insofern das Bewußtsein als endliche einigende Einheit eine Synthesis (in der Einbildungskraft oder im Denken) einschließt oder voraussetzt (A 118) und insofern das Bewußtsein nur über die Synthesis aus seiner Zerstreuung zur Identität zurückfinden kann (10708, Β § 16). Zweitens ist die Wirklichkeit des Synthetisierens und seiner Einheit (seiner Regel) die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß das Bewußtsein sich aus seiner Zerstreuung zurückgewinnt und es zum wirklichen Selbstbewußtsein kommt (A 108, Β § 16). Wenn ferner das höhere Glied der Aktenreihe, z.B. die Synthesis der Reproduktion, wirklich wird, und es etwa die Apprehension als Synthesis ermöglicht, modifiziert es das Produkt der letzteren, indem es die nacheinander apprehendierten
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Vorstellungen allererst in einer mit gegenwärtigen Mannigfaltigkeit zusammenbringt. Dergestalt sind die Produkte der niederen Glieder Stoff für die höheren, welche ihn bis zur Erkenntnis des Gegenstandes hinauf bearbeiten. Um des besseren Verständnisses der bisher dargelegten Einheit des Subjekts willen fassen wir nun die Ergebnisse der vorangehenden Betrachtungen thesenhaft zusammen: a) Das Subjekt ist nach Kant durch eine Mannigfaltigkeit von Kräften und ihren entsprechenden Akten konstituiert. Die Vielfalt dieser Kräfte bekundet sich als solche darin, daß jede derselben eine selbständige, eigene Leistung (Funktion) hat. b) Nicht jedweder Akt begründet jeden beliebigen anderen, sondern jeder Akttypus ermöglicht unmittelbar nur einen bestimmten anderen, weshalb die Akte eine geordnete Reihe bilden, in der jedes Glied einen festen Platz hat. c) Diese Reihe der Akte hat als äußerste Enden einerseits die Anschauung einer potentiellen Mannigfaltigkeit und andererseits die höchste Einheit des Bewußtseins. Diese Einheit, genauer, ihre eigene Leistung - die Einheit der Erkenntnis sowie die des Gegenstandes - ist das Ziel, auf das hin alle übrigen Glieder der Reihe orientiert sind. Demgemäß kann man von oberen und unteren Gliedern derselben reden. d) Die unmittelbar aneinandergrenzenden Akte ermöglichen einander in verschiedenen Hinsichten, ihrem Was-Sein nach. Jedes derartige Bedingungsverhältnis gilt transitiv für die entfernteren Glieder der Reihe, so daß jeder Akttypus mittelbar jeden anderen bedingt und umgekehrt durch ihn bedingt wird. e) Da wenigstens ein Teilaspekt des niederen Gliedes, obgleich auf mangelhafte Art, ohne das nächsthöhere Glied sein kann, während dieses nicht ohne jenes niedere möglich ist, ist die Wirklichkeit des niederen Gliedes einseitige Bedingung der Möglichkeit für die Wirklichkeit des höheren. f) Wenn der jeweils höhere Akt wirklich wird, ergänzt er den unmittelbar niederen und modifiziert sein Produkt, indem er es in einen neuen Zusammenhang einführt. Auf diese Weise ist dabei ein aufsteigendes Werden im Gange, in welchem die Produkte der niederen Glieder mehr und mehr in die Erkenntnis des Gegenstandes übergehen. Es ist nicht schwer zu sehen, daß ein solches System in gewissem Maße die Idee des Systems erfüllt, die oben (§ 8) dargelegt wurde. Das Erkenntnisvermögen besteht in der Tat aus mannigfaltigen Gliedern (Vermögen). Ihre Zahl könnte mit Genauigkeit bestimmt werden, wenn sie als Mittel aus der Idee der endlichen menschlichen Erkenntnis abgeleitet werden könnten. Das System dieser Glieder besteht eigentlich in der synthetischen Einheit der vielfältigen Vermögen durch die gegenseitige Bedingtheit ihrer entsprechenden Akte. Gemäß den Bedingungsverhältnissen der Systemglieder untereinander hat jedes Glied seinen Platz in einer linearen Ordnung. Wie jedes System ist das Erkenntnisvermögen eine organisierte Ganzheit.
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Sein und Subjektivität bei Kant
In welchem Zusammenhang steht das Objekt mit dieser organisierten Ganzheit? Das werdende Objekt, ζ. B. das Bild, ist zwar nicht ein "Organ" derselben, aber wohl etwas Analoges, insofern es von "niederen" Leistungen ermöglicht wird und andererseits "höhere" Leistungen mit ermöglicht. Obwohl das fertige Objekt durch die Erkenntnis selbst als ein Anderes, Entgegenstehendes konstituiert wird, gehören Objekt und Erkenntnisvermögen unzertrennlich zusammen, weil jenes von diesem ermöglicht wird und umgekehrt, indem z.B. die Einheit des Objekts die des Bewußtseins ermöglicht. Insofern kann der Zusammenhang von Subjekt und Objekt als eine umgreifendere organisierte Ganzheit betrachtet werden. Es ist nicht überflüssig, zu betonen, daß dieses System nicht teleologisch ist, obwohl es auf dem Wege einer teleologischen Deutung des Erkenntnisvermögens hat entdeckt werden können. Die Bezogenheit der Glieder dieser Ganzheit aufeinander und ihre Gerichtetheit auf eine gemeinsame Funktion besagen noch gar nicht, daß ein solches Gebilde von einem Willen in Hinblick auf einen bestimmten Zweck hervorgebracht worden ist. Die vorangehenden Ausführungen dienen ferner dazu, den Unterschied der Kantischen Theorie des Erkenntnisvermögens gegenüber der empirischen Psychologie in einer für die vorliegende Arbeit wichtigen Hinsicht weiter hervorzuheben. Man pflegt zu sagen, daß diese letztere Theorie erklären will, wie der Verstand als eine Art Maschine funktioniert, die im Laufe von sukzessiven Schritten einen Stoff verarbeitet. Damit werden der Eintritt der Empfindung, die Synthesis der Apprehension, die behaltende Reproduktion usw. als ein Nacheinander von existierenden Akten angesehen, die eine Reihe von Ursachen und Wirkungen bildet. Kant redet aber nicht davon, sondern von der Möglichkeit des Verstandes aus verschiedenen möglichen Bedingungen, die einander ermöglichen. Diese Theorie bewegt sich hauptsächlich im Bereich der rationes essendi, nicht in demjenigen der rationes fiendi. All das gilt fur die Reihe möglicher Akte, die die ursprüngliche Erwerbung der Kategorien konstituieren. Da Kant in keinem gesonderten Teil seines Werkes ein solches System des Erkenntnisvermögens ausdrücklich darlegt, könnte vorangehende Interpretation in Zweifel gezogen werden. Daher darf ich hiermit wieder an die textliche Basis derselben erinnern. 1. In § 18 sind die wichtigsten Stellen aus den kritischen Schriften Kants zitiert worden, die für die Deutung des Erkenntnisvermögens, ja, des ganzen Subjekts als organisierter Totalität sprechen. 2. Im obigen Paragraphen 5 ist die Herkunft der teleologischen Auffassung Kants von Leibniz und Crusius her sowie seine vorkritische Auffassung der Seele als zweckmäßigen Gebildes dargelegt. 3. Nach den in § 18 erörterten Partien der KU faßt Kant nicht nur das technische Produkt und den lebendigen Organismus, sondern auch die Seele als organisierte
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Beweisart der subjektiv-objektiven Deduktion
Ganzheit auf, unabhängig von deren möglicher teleologischer Deutung. Zwischen diesen Gebilden besteht freilich nur eine Analogie. 4. Die soeben entfaltete Interpretation der Systemform des Erkenntnisvermögens stützt sich nach den häufigen Hinweisen der transz. Deduktionen A und Β auf die Bedingungsverhältnisse unter den verschiedenen Strukturen des Subjekts. Diese Interpretation hebt diese im Text liegenden Hinweise im Lichte der Kantischen Systemidee hervor.
§ 20. Die Beweisart der subjektiv-objektiven
Deduktion
Nach den vorangehenden Betrachtungen (§ 14) hat das Hauptstadium der Deduktion zur Aufgabe, durch eine Erforschung der "subjektiven Quellen" (A 97), die die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung bilden, nachzuweisen, daß die Kategorien zum System dieser Bedingungen gehören. Dieser Nachweis ist, wie jetzt noch zu zeigen ist, ein ganz besonderer "Beweis" der Minor des Hauptbeweises der Deduktion. Er kann ein Beweis im weiteren Sinne genannt werden, wenn man darunter nicht einen Syllogismus versteht, sondern andere miteinander verknüpften Argumentationsweisen. Da die Form dieses "Beweises" nicht klar ist, ist es ratsam, mit einer Art Bestandsaufnahme dessen anzufangen, was man im 3. Abschnitt, und zwar auf den Seiten A 116-19, als Deduktion der Kategorien vorfindet. Diese Textpassage besteht aus einer Reihe von fünf nicht explizit voneinander abgehobenen Schritten, die darauf abzielen, die Kategorien als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung aufzuweisen. Weder diese Schritte noch das Ganze sind Vernunftschlüsse, sondern QuasiSchlüsse besonderer Form, die aber vom Leser zu Schlüssen ergänzt werden können. Sie hängen inhaltlich miteinander zusammen. Außerdem liefern die ersten vier Schritte die Prämissen des fünften Schrittes, in dem ein Syllogismus ergänzt werden kann. Diese Schritte sind durch Sätze gebildet, die B e z i e h u n g e n z w i s c h e n (notwendigen) Bedingungen der Möglichkeit und deren (durch sie möglichen) Bedingten betreffen. Daher sind diese Sätze meistens explizite oder implizite Replikationen, die gemäß dem modalen Charakter dieser Beziehungen häufig modale Ausdrücke enthalten. 63 Die Arten von Gedankengängen, die Kant im Hauptstadium der Deduktion (A und B) am häufigsten gebraucht, sind die folgenden: 1. Modale Replikation: Nur wenn p, dann Mq. Oder: Mq nur, wenn p. Oder: wenn Mq, dann p. In diesen Ausdrücken bedeutet ρ einen Satz, der eine notwendige 63 Wie es in der logischen Literatur üblich ist, gebrauche ich im folgenden die Buchstaben M als Symbol von "es ist möglich, daß" und L als Symbol von "es ist notwendig, daß".
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Sein und Subjektivität bei Kant
Bedingung enthält und q bedeutet einen anderen Satz mit dem entsprechenden Bedingten. Man vergleiche dazu folgende Beispiele. A 123: Nur wenn die Synthesis der Einbildungskraft da ist ("nur vermittelst"), dann sind Affinität der Erscheinungen, Assoziation, assoziative Reproduktion und Apprehension möglich. A 122: "Denn nur dadurch, daß ich alle Wahrnehmungen zu einem Bewußtsein (der ursprünglichen Apperzeption) zähle, kann ich bei allen Wahrnehmungen sagen: daß ich mir ihrer bewußt sei." A 120: Wenn die Erkenntnis des Gegenstandes möglich sein soll, dann ist eine synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Erscheinungen notwendig (wenn LMq, dann Lp). (Oder: Wenn die Erkenntnis des Gegenstandes in der Erscheinung möglich sein soll und 1. die Erscheinung ein Mannigfaltiges enthält sowie 2. der Gegenstand eine Einheit des Mannigfaltigen ist, dann sind eine synthetische Einheit des Mannigfaltigen und eine Synthesis der Einbildungskraft notwendig.) Β 137: Nachdem Kant die Erkenntnis als Vereinigung der Vorstellungen gekennzeichnet hat, sagt er: "Nun erfordert aber alle Vereinigung der Vorstellungen Einheit des Bewußtseins in der Synthesis derselben." Das heißt, wenn die Vorstellungen vereinigt sein sollen, dann muß Einheit des Bewußtseins in der Synthesis derselben (möglich) sein. 2. Replikative Kontraposition:
Wenn Mq, dann Lp (oder: Nur wenn p, dann
Mq) Ξ wenn nicht Mp, dann nicht Mq. Man vergleiche folgende Beispiele von Kontrapositionen einer Replikation. A 119 -20: Wenn die Erscheinung nicht in einem möglichen Verhältnis zum Bewußtsein steht, dann ist sie als Gegenstand der Erkenntnis unmöglich. A 121: Wenn die assoziative Reproduktion der Erscheinungen nicht möglich wäre, dann wäre eine Apprehension derselben in einem Bilde unmöglich. 3. Kant pflegt, entweder diese Replikationen oder ihre Kontrapositionen allein auszusprechen, wobei er voraussetzt, daß der jeweils gemeinte Sachverhalt ohne weitere Begründung wahr ist. Oder er fugt manchmal dessen Begründung explizit hinzu, welche ihrerseits verschiedener Art sein kann, wie folgende Beispiele zeigen. a) Er begründet eine (modale) Replikation durch deren replikative Kontraposition, d.h. Wenn q, dann p, weil: wenn nicht p, dann nicht q (oder umgekehrt). 64 Zum Beispiel: A 123: Nur wenn die Synthesis der Einbildungskraft da ist ("nur vermittelst"), dann sind Affinität der Erscheinungen, Assoziation, assoziative Reproduktion und Apprehension möglich. Denn: wenn keine Synthesis der Einbildungskraft da wäre, dann wäre keine Einheit von B e g r i f f e n von Gegenständen (d.h. keine Erfahrung) möglich. A 100: Nur wenn sich die Erscheinungen der Bestimmungen des Objekts regelmäßig sukzedieren oder regelmäßig zugleich sind, ist die assoziative Synthesis der Reproduktion möglich 64
Der Ausdruck q ρ = -ρ - q ist eine Äquivalenz oder Bikonditionale. "Da hier das Bedingunsverhältnis reziprok ist, kann ... von der Annahme jeder Seite auf die andere geschlossen werden". Th. S. Seebohm. Elementare formalisierte Logik, 209.
Beweisart der subjektiv-objektiven Deduktion
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denn: wenn jene Regelmäßigkeit der Erscheinungen nicht da wäre, dann wäre die assoziative Synthesis unmöglich. b) Kant kann auch eine Replikation oder deren replikative Kontraposition als maior eines hypothetischen Syllogismus verwenden und auf die Wahrheit des Nachsatzes schließen, wobei die minor und/oder die conclusio des Schlusses ganz oder partiell implizit bleiben (Enthymem). Hierzu siehe man folgende Beispiele. A 120: Wenn die Erscheinung ein Mannigfaltiges enthält (und aus diesem ein Bild des Gegenstandes entspringen soll), dann muß eine Synthesis (Apprehension) desselben möglich sein. Explizit schließt diese Stelle auf die These: "Es ist also in uns ein tätiges Vermögen der Synthesis". Das deutet auf eine implizite minor hin: Nun ist die Erscheinung so beschaffen und wir können Bilder von Gegenständen besitzen usw. A 102: Wenn ich die soeben apprehendierten Vorstellungen nicht reproduktiv behalten würde, dann würde ich niemals ein ganzes Bild anschauen können. Der nächste Absatz enthält die conclusio: "Die Synthesis der Apprehension ist also mit der Synthesis der Reproduktion unzertrennlich verbunden." Demnach muß der Leser die minor hinzudenken: Ich kann ja ganze Bilder anschauen, folglich usw. Sehr oft bleiben minor und conclusio implizit: A 121- 22: Wenn sich die Vorstellungen nicht nach Regeln assoziieren würden, dann wäre keine Erkenntnis möglich. Implizite minor: Aber die Erkenntnis ist möglich; und implizite conclusio: also assozieren sich die Vorstellungen nach Regeln. A 125: Wenn die synthetische Einheit der Erscheinungen a priori notwendig sein soll, dann müssen in uns die Gründe dieser Einheit a priori liegen. Implizite minor: Nun ist diese synthetische Einheit der Erscheinungen a priori notwendig; implizite conclusio: also liegen die Gründe dieser Einheit a priori in uns. Die Schlußregel ist hier ein replikativer modus ponens. A 101: Wenn es keine synthetische Einheit des Mannigfaltigen in Raum und Zeit gäbe, dann könnte es keine Erkenntnis a priori von ihnen geben. Implizite minor: Aber Erkenntnis a priori von Raum und Zeit ist möglich; implizite conclusio: folglich gibt es eine synthetische Einheit des Mannigfaltigen von Raum und Zeit. Die Schlußregel ist dabei ein replikativer modus tollendo ponens. Nachdem so die Form dieser Quasi-Schlüsse umrissen ist, kann nun die Struktur der Deduktion von A 116 bis A 119 als ein Ganzes betrachtet werden. Diese Deduktion kann nicht auf die Kategorien allein gehen und etwa zeigen, daß sie die Erfahrung ermöglichen, denn sie sind solche Bedingungen nur innerhalb des Erkenntnisvermögens als einer organisierten Ganzheit. Daher besteht diese Argumentation aus mehreren Schritten, die j e w e i l s die gekennzeichneten Beziehungen zwischen Bedingungen und Bedingten betreffen. Da diese Bedingungen zu derselben Ganzheit gehören, tragen sie nicht nur zu deren "Zweck", sondern auch zueinander als "Teilzwecken" bei. Dieser Zusammenhang spiegelt sich in der Ordnung wider, in der die Deduktion die verschiedenen Bedingungen bzw. Beziehungen von Bedingungen und Bedingten bespricht. Der Gang der
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Sein und Subjektivität bei Kant
Deduktion ist von einem Begriff der möglichen Erfahrung als notwendiger synthetischer Einheit der bewußten Vorstellungen geleitet. Von ihm her fuhrt Kant jeweils ausdrücklich oder implizit die für jeden Aspekt einer solchen Erfahrung nötige Bedingung ein. Zugleich gründet jede Bedingung in der vorangehenden und begründet ihrerseits die nächste, welche auch manchmal die vorangehenden Bedingungen rückwärts ermöglichen kann. Demgemäß führt diese Deduktion eine Reihe von Bedingungen (empirisches Bewußtsein, Einheit der Apperzeption, Synthesis) ein, die die Erfahrung in fast allen ihren Aspekten ermöglichen, und zeigt dann, daß die Kategorien als Bedingungen dieser vorangehenden Bedingungen nötig sind und dadurch zugleich die Erfahrung in einer besonderen Hinsicht ermöglichen. Das besagt, daß Kant die Transitivität der Relation Bedingung-Bedingtes voraussetzt und sowohl aus ihr als auch aus der Reihe der vorher eingeführten Bedingungen auf die gesuchte Beziehung der Kategorien auf die Erfahrung schließt.65 Ein solcher Schluß bleibt implizit und kann vom Leser ausdrücklich gemacht werden, wie hier am Ende des nächsten Paragraphen geschehen soll. Durch diesen Schluß werden die vorangehenden Schritte in eine einheitliche Deduktion einbezogen. Ist eine solche Deduktion analytisch-regressiv oder synthetisch-progressiv? Man pflegt dieser Frage große Bedeutung beizumessen, weil man annimmt, daß die analytische Methode von der Erfahrung als einem Faktum ausgeht und damit eine Voraussetzung macht, die eine Widerlegung des Skeptizismus verhindert. Die gestellte Frage ist aber von sekundärer Bedeutung, denn Kant geht hier von der Erfahrung nicht als einem Faktum, sondern als einer Möglichkeit aus, die durch einen Begriff bloß gedacht wird. Außerdem ist diese Frage dabei gegenstandslos, weil die betrachtete Deduktion auf beide Weisen verfährt bzw. verfahren kann. Da sie beständig den Begriff der möglichen Erfahrung vor Augen hat, geht sie von dieser immer wieder aus und zu deren Bedingungen zurück. Da diese Deduktion 65
Th. M. Seebohm weist in seinem Beitrag "Die Kantische Beweistheorie und die Beweise der Kritik der reinen Vernunft" in den Akten des 5. Internationalen Kant-Kongresses (Teil II, S. 143) auf eine ähnliche Sachlage im ersten Syllogismus von § 20 hingewiesen. Eine letzte logische Rekonstruktion der transz. Deduktion der Kategorien im Rahmen der Prädikatenlogik höherer Ordnung und der Modallogik, wie sie von Seebohm in derselben Schrift (S. 146 sowie 142 ff.) gefordert wird, ist in vorliegender Arbeit nicht beabsichtigt. Die hier versuchte Interpretation stimmt mit seinem Beitrag in manchen Punkten überein. Ich stimme dem Vf. zu, wenn er zeigt, daß Kant nirgends so etwas wie das aufbaut, was man seit Strawson "transzendentale Argumente" nennt, und daß sich seine Argumentationen hinsichtlich der logischen Schlußform durch nichts von anderen Beweisen unterscheiden (129, 137). Vf. beschränkt sich auf dasjenige, was hier das Hauptstadium der Deduktion Β genannt wird. Obwohl er zunächst bezweifelt, daß diese Deduktion ein Beweis sein kann, kommt er später zu der Einsicht, daß sie wenigstens Beweise enthält (§§ 20, 26) und daß der erste Syllogismus des Paragraphen 20 ein Quasi-Schluß ist, dessen Prämissen aus einer phänomenologischen Analyse der Erfahrung ( § § 1 7 , 1 9 ) stammen (vgl. 142 ff.). In der hier vorliegenden Arbeit wird auch gezeigt, daß die genannte Argumentation der Textpartie auf einer Interpretation des Erkenntnisvermögens und der Erfahrung beruht, die auf die Herausstellung der Fundierungszusammenhänge der Subjektstruktur gerichtet ist (vgl. Seebohm, 143,145) und die sich z. B. in Replikationen ausdrückt.
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Vollendung der transzendentalen Deduktion
zugleich ab dem zweiten Schritt von einer Bedingung ausgeht, um eine andere einzuführen, verfährt sie synthetisch. Dieser letzte Aspekt wird vom Text besonders hervorgehoben, indem er nach seinem Programm in beiden Abschnitten die drei subjektiven Quellen behandeln soll, aber mit dem Unterschied, daß der zweite Abschnitt diese Bedingungen "abgesondert und einzeln" vorträgt, während der dritte sie "systematisch" (A 98), d. h. "vereinigt und im Zusammenhange" (A 115), darlegt. Die Interpretation des Subjekts in der Deduktion ist keine Beschreibung einer gegebenen Struktur desselben. Die Tatsache, daß Kant seine Auffassung des Verstandes in der zweiten Auflage ändert, deutet darauf hin, daß, obwohl das Bezugsganze des Subjekts die Basis für die Deduktion bildet, dieses Ganze mit einer gewissen Freiheit in Hinblick auf das Hauptziel, den Beweis der objektiven Gültigkeit der Kategorien, interpretiert werden kann.
§ 21. Die Vollendung der transzendentalen
Deduktion
Das Hauptstadium der Deduktion gipfelt im 3. Abschnitt, der das Bezugssystem des Erkenntnisvermögens zuerst von oben (A 116-119) und dann von unten (A 119 ff.) durchläuft, um zu beweisen, daß die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sind. Zur Absicht vorliegender Interpretation genügt es hier, die absteigende Darstellung zu erörtern. Gemäß dem vorangehenden Paragraphen 20 gehe ich zunächst die Schritte dieser Darstellung der Reihe nach durch, um danach den in ihr impliziten Beweis ausdrücklich zu machen. Am Ende soll erörtert werden, ob in dieser Deduktion auch die Möglichkeit des Verstandes selbst erklärt wird. Die absteigende Darstellung besteht aus fünf Schritten, in denen Kant jeweils die Beziehung eines Bedingten zu seiner Bedingung der Möglichkeit erfaßt: 1) die der anschaulichen Vorstellungen (Sinnlichkeit) und der Wahrnehmungen; 2) der bewußten Vorstellungen und der reinen Apperzeption; 3) und 4) der beiden letzteren Momente und der Synthesis der Einbildungskraft; 5) all der genannten Momente und der Kategorien. Dank diesen fünf Schritten sind, wie gesagt, die verschiedenen Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung inhaltlich miteinander verknüpft. Außerdem bilden diese Schritte formal ein Argumentationsganzes, insofern die ersten vier derselben die Prämissen für den Schluß des fünften Schrittes liefern, in dem die Kategorien als Bedingungen der Erfahrung bewiesen werden. Erster Schritt·. "Alle Anschauungen sind für uns nichts, und gehen uns nicht im mindesten etwas an, wenn sie nicht ins Bewußtsein aufgenommen werden können, sie mögen nun direkt oder indirekt darauf einfließen, und nur durch dieses allein ist Erkenntnis möglich" (A 116). Will sagen, wenn die Anschauungen nicht direkt
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Sein und Subjektivität bei Kant
oder indirekt ins Bewußtsein aufgenommen werden können, dann sind sie ebenso wie die Erkenntnis für uns unmöglich. Der Ausgangspunkt ist hier die Erkenntnis, deren Möglichkeit es zu erklären gilt. An ihr hebt Kant ein Moment heraus, die anschaulichen Vorstellungen, um deren Bedingung der Möglichkeit zu erfassen. Wie A 117 Anm. und 120 darlegen, handelt es sich bei diesem Satz um die Beziehung der Erscheinungen auf die empirischen Bewußtseinsphasen (= Wahrnehmungen). Hier wie in den folgenden Schritten kann der Leser einen solchen Satz als die maior eines Schlusses deuten, dessen weitere Sätze implizit bleiben, z.B. im vorliegenden Fall: Nun sind die Anschauungen aber möglich, folglich müssen sie ins Bewußtsein aufgenommen werden können. Zweiter Schritt: Das Ziel, das Kant im Blick behält, ist die Möglichkeit der Erkenntnis. Er geht von dem vorigen Schritt aus, den bewußten Vorstellungen und ihrem Korrelat, den empirischen Bewußtseinsphasen, und untersucht mit Rücksicht auf die Möglichkeit der Erkenntnis, wie die Einheit dieser Vorstellungen möglich ist. Die Stelle lautet im Zusammenhang: "Wir sind uns a priori der durchgängigen Identität unserer selbst in Ansehung aller Vorstellungen, die zu unserem Erkenntnis jemals gehören können, bewußt, als einer notwendigen Bedingung der Möglichkeit aller Vorstellungen, (weil diese in mir doch nur dadurch etwas vorstellen, daß sie mit allem [allen] anderen zu einem Bewußtsein gehören, mithin darin wenigstens müssen verknüpft werden können)" (a. a. O.). Diese Stelle bildet einen Konditionalsatz, mit vorangestelltem Nachsatz und eingeklammertem Vordersatz, der durch das "weil" eingeleitet wird. Dieser Vordersatz ist seinerseits sehr komplex. Die Wörter "nur dadurch ... daß" deuten auf eine notwendige Bedingung hin; in Wirklichkeit liegt hier eine Replikation vor: Wenn die Vorstellungen in mir etwas vorstellen, d. h. Erkenntnis sein sollen (und Erkenntnis eine bewußte Einheit von Vorstellungen ist), dann müssen sie zu einem Bewußtsein gehören. Um der Klarheit der Schlußfolgerung willen empfiehlt es sich, diesen Nachsatz in seine zwei Momente zu zergliedern: dann muß das Bewußtsein identisch sein und dann müssen die Vorstellungen zu diesem einen Bewußtsein gehören. Ferner zeigt die Partikel "mithin", daß der letzte Teil des eingeklammerten Textes eine Folgerung aus dem ihm vorangehenden Nachsatz ist: Wenn die mannigfaltigen Vorstellungen zusammen zu einem Bewußtsein gehören, dann müssen sie darin wenigstens verknüpft werden können. Nach diesen Vorbemerkungen kann man die ganze Stelle folgendermaßen formulieren. Wenn der Vordersatz gilt: wenn die mannigfaltigen Vorstellungen etwas vorstellen, d.h. Erkenntnis sein sollen (und diese eine Einheit von bewußten Vorstellungen ist), dann muß das Bewußtsein identisch sein, und dann müssen die Vorstellungen zu diesem Bewußtsein gehören, und wenn letzteres wahr ist, dann müssen wiederum diese Vorstellungen in ihm verknüpft werden können -
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dann gilt der Nachsatz: wenn das Bewußtsein identisch sein muß, dann sind die Vorstellungen als Erkenntnisse möglich. Den Nachsatz kann man auch so wiedergeben: dann ist die Identität des Bewußtseins Bedingung der Möglichkeit der Vorstellungen als Erkenntnisse. Der zweite Schritt setzt den vorangehenden voraus, geht aber über ihn hinaus, indem er die Möglichkeit der Einheit der mannigfaltigen Vorstellungen deduziert. Auf ähnliche Weise leitet Kant die Identität des Bewußtseins Β 137 ab. Dritter Schritt. Aus dem zweiten Schritt, d.h. der Beziehung der Mannigfaltigkeit der Vorstellungen auf die Einheit der Apperzeption, ergibt sich eine Folge, die jetzt ausdrücklich gemacht wird: die synthetische Einheit der Vorstellungen. Die Stelle lautet: "Dies Prinzip steht a priori fest, und kann das transzendentale Prinzip der Einheit alles Mannigfaltigen unserer Vorstellungen (mithin auch in der Anschauung) heißen. Nun ist die Einheit des Mannigfaltigen in einem Subjekt synthetisch; also gibt die reine Apperzeption ein Prinzipium der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in aller möglichen Anschauung an die Hand" (A 116-117). Dieser Stelle nach bezieht sich das Prinzip, das Kant hier nicht ausdrücklich formuliert, auf die synthetische und in der Apperzeption gegründete Einheit des Mannigfaltigen. Dieser Grundsatz könnte folgendermaßen lauten: Wenn das Bewußtsein der mannigfaltigen Vorstellungen notwendigerweise identisch ist, dann müssen diese in synthetischer Einheit stehen können. Ein Teil dieses Grundsatzes stimmt mit den zwei letzten Zeilen innerhalb der Klammer überein, auf welche sich also die Wörter "Dies Prinzip" zurück beziehen: Wenn die mannigfaltigen Vorstellungen zusammen zu einem Bewußtsein gehören, dann müssen sie darin wenigstens verknüpft werden können. Zu diesen zwei Zeilen müßte ferner die weitere Prämisse hinzukommen: und wenn die Einheit des Mannigfaltigen in einem (endlichen) Subjekt synthetisch sein muß. Aus beiden Prämissen würde sich dann der Nachsatz des Grundsatzes ergeben: dann müssen diese Vorstellungen in synthetischer Einheit stehen können.66 Vierter Schritt. Die Möglichkeit der Erkenntnis bleibt im Blick. Das Bedingte, das im vorangehenden Schritt ausdrücklich gemacht wurde, die synthetische Einheit, verlangt nach einer zusätzlichen Bedingung, die hier zum Vorschein kommt. "Diese synthetische Einheit setzt aber eine Synthesis voraus, oder schließt sie ein, und soll jene a priori notwendig sein, so muß letztere auch eine Synthesis a priori sein. Also bezieht sich die transzendentale Einheit der Apperzeption auf die reine Synthesis der Einbildungskraft, als eine Bedingung a priori der Möglichkeit aller Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer Erkenntnis. Es kann aber nur die produktive Synthesis der Einbildungskraft a priori stattfinden, denn die reproduktive beruht auf Bedingungen der Erfahrung" (A 118).
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Der Inhalt der Anmerkung zu A 117 und all dasjenige, was den Grundsatz der Apperzeption betrifft, wird unten im Anhang zu § 31 erörtert.
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Sein und Subjektivität bei Kant
Wie gesagt, dieser Schritt stützt sich auf die zwei vorangehenden Schritte: Wenn die mannigfaltigen Vorstellungen (zur Möglichkeit der Erkenntnis) in synthetischer Einheit stehen sollen, und zwar a priori, dann muß es im Subjekt eine Synthesis (a priori) geben, die diese Einheit erzeugt. Fünfter Schritt. Mit Rücksicht auf die Möglichkeit der Erkenntnis geht Kant hier von den vorher gewonnenen Bedingungen, Apperzeption und Synthesis, aus und gelangt zu einer notwendigen Bedingung beider, die daher zugleich Bedingung der Erfahrung ist. "Also ist das Prinzipium der notwendigen Einheit der reinen (produktiven) Synthesis der Einbildungskraft vor der Apperzeption der Grund der Möglichkeit aller Erkenntnis, besonders der Erfahrung" (A 118). Kant argumentiert hier indirekt um der Möglichkeit der Erkenntnis willen, indem er in zwei Teilschritten direkt a) auf die Möglichkeit der notwendigen Einheit der reinen Synthesis und b) auf die Möglichkeit der Einheit der Apperzeption eingeht, welche nach den vorangehenden Schritten Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis sind. Dabei setzt Kant seine Ausführungen über die reinen Begriffe im 2. Abschnitt (A 105 ff., 108, 111-12) voraus. Der Satz "Also ist das Prinzipium der notwendigen Einheit ..." bis "aller Erkenntnis, besonders der Erfahrung" bildet den Schritt 5a), wobei Kant mit diesem "Also" zugleich auf den vierten Schritt zurückgreift: Wenn die reine Synthesis notwendige Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung ist und die reinen Begriffe Gründe der Einheit dieser Synthesis sind, dann sind diese Begriffe Gründe der Möglichkeit aller Erkenntnis. Die drei Teile dieses Satzes lassen sich als Replikationen formulieren. 67 Außerdem sind beide Vordersätze aus Replikationen abgeleitet. Der erste Vordersatz ist (in angemessener Umformulierung) die Umkehrung des vorangehenden vierten Schrittes. Zum anderen Vordersatz ist folgender Hinweis nötig: Die Kategorien, wie die sonstigen B e g r i f f e , sind Gründe der Einheit der Synthesis der Einbildungskraft in einer doppelten Hinsicht. 1. Wie jede Synthesis kann diese nur verbinden, insofern sie ein und dieselbe Handlung ist; diese ihre Identität gründet wiederum darin, daß sie durchgängig durch je einen Begriff der Verbindungsweise oder des Verbundenen geregelt ist (vgl. A 103, 108; zu Funktion vgl. 68). 2. Damit ermöglicht der Begriff zugleich die Einheit des Produktes (der Erkenntnis, des Objekts) der Synthesis, indem er als einheitliche Regel je eine bestimmte 67 Diese Satzform ist ein Ausdruck der Relationenlogik: (x) (y) (z) ([xRy · yRz] [xRz]). Da jeder der Satzteile den Ausdruck "Bedingung der Möglichkeit" enthält und also auf eine notwendige Bedingung geht, kann der ganze Satz so formuliert werden: Wenn·, nur wenn die reine Synthesis möglich ist, dann ist die Erkenntnis möglich, und nur wenn die reinen Begriffe möglich sind, dann ist die reine Synthesis möglich - dann: nur wenn die reinen Begriffe möglich sind, dann ist die Erkenntnis möglich. Durch eine solche Umformulierung erhält der betreffende Satz die Form des Transitivitätsgesetzes von Replikationen. Vgl. Bochenski/Menne, Grundriß der Logistik, Ausdruck 6. 71. Dasselbe gilt für den anderen Satz (5, b) sowie für den Gesamtsatz des fünften Schrittes.
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Verbindungsweise einer bestimmten Mannigfaltigkeit fordert, so daß dasselbe Verbundene immer wieder erzeugt werden kann bzw. muß (vgl. A 78, 105). Dieser letzte Aspekt wird A 105 in einer negativen Replikation in den Blick genommen ("Alsdann sagen wir: wir erkennen den Gegenstand" usw.): Wenn das Mannigfaltige der Anschauung nicht durch eine Synthesis nach einem Begriff (als notwendiger Regel) vereinigt wird, dann ist die Erkenntnis als notwendige synthetische Einheit unmöglich. Gemäß dem vorangehenden Hinweis impliziert dieser Satz, daß, wenn die Synthesis der Einbildungskraft nicht nach Begriffen verfahren würde, ihre Einheit unmöglich wäre. Daraus folgt, daß, nur wenn Begriffe als Regeln da sind, die Einheit der Synthesis möglich ist. Aus diesem Satz kann der genannte zweite Vordersatz von A 118 gefolgert werden. Der andere Schritt (5b) umfaßt den ganzen letzten Absatz A 118. Aus ihm ist der Satz zu gewinnen: Wenn die jeweiligen Einheiten der Synthesis, d. h. die Kategorien, Bedingungen der Möglichkeit der Apperzeption sind und die letztere Grund der Möglichkeit aller Erkenntnis ist, dann sind die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis. Der erste Vordersatz ist durch den Satz angedeutet: "und die Einheit dieser Synthesis heißt transzendental" usw. Der andere Vordersatz fällt mit dem Nachsatz des zweiten Schrittes (vgl. oben) zusammen. 68 Beiden Teilschritten läßt sich der ganze fünfte Schritt entnehmen: Wenn die reine Synthesis der Einbildungskraft und die reine Apperzeption Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis sind (Schritte 4 und 2) und die Kategorien Gründe der Einheit dieser Synthesis und dadurch auch der Apperzeption sind, dann sind die Kategorien Gründe der Möglichkeit aller Erkenntnis, besonders der Erfahrung. Damit wäre die Darstellung des entscheidenden Zusatzbeweises der Deduktion, und zwar in der Gestalt des Weges "von oben", abgeschlossen. Dieser Weg sieht zunächst wie eine Reihe von inhaltlich zusammenhängenden Sätzen über Beziehungen zwischen bedingten Momenten des Erfahrungsbegriffes und den sie ermöglichenden Bedingungen aus. Außerdem liegt in ihm, nach den Ausführungen des vorigen Paragraphen, die Basis für einen Schluß, der die Kategorien als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung beweist. Dieser Schluß kann folgendermaßen lauten: Gemäß der Transitivität der Relation Bedingung-Bedingtes: Wenn die Apperzeption und die Synthesis der Einbildungskraft die Erfahrung als synthetische Einheit bewußter Vorstellungen ermöglichen (Schritte 1-4) und die Kategorien die Apperzeption und diese Synthesis ermöglichen, dann sind die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung;
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Inwiefern sind die Kategorien, als Gründe der Einheit der Synthesis, "vor der Apperzeption" Grund der Möglichkeit der Erkenntnis? Als Bedingungen der Apperzeption sind sie Gründe der Erkenntnis, die der Apperzeption vorausgehen.
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Sein und Subjektivität bei Kant
nun ermöglichen die Kategorien die Apperzeption und die Synthesis der Einbildungskraft (Schritt 5), folglich sind die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung. Der erörterte Text enthält implizit nicht nur den Beweis, daß diese bestimmten Bedingungen, die Kategorien, Gründe der Möglichkeit der Erfahrung sind, sondern er geht alle relevanten Bedingungen der Erfahrung durch. Man kann diese vollständige Bestimmung der Möglichkeit der Erfahrung durch folgende Replikation fassen. Wenn die Erkenntnis, und insbesondere die Erfahrung, möglich sein soll, dann ist notwendig, 1. daß die mannigfaltigen Vorstellungen ins Bewußtsein aufgenommen werden können, 2. daß das Bewußtsein identisch sein kann, 3. daß diese Vorstellungen dabei zu synthetischer Einheit kommen können, 4. daß es eine apriorische Synthesis der Einbildungskraft geben kann und 5. daß diese Synthesis auf Begriffen a priori beruhen kann. Bei all dem zeigt sich, daß die Deduktion inhaltlich auf der organisierten Ganzheit des Erkenntnisvermögens beruht, ohne daß sie alle inneren Bezüge dieser Ganzheit in Anspruch nimmt. Diese Replikation faßt den Zusatzbeweis für die minor der transz. Deduktion zusammen und ist demnach objektiv gerichtet. Außerdem birgt dieser Beweis eine subjektive Deduktion in sich, d.h. der Möglichkeit des Verstandes im weiteren Sinne eines Erkenntnisvermögens. Das ergibt sich daraus, daß die Ableitung der Bedingungen der Möglichkeit des Produkts eines Vermögens die Bestimmung der Bedingungen der Möglichkeit dieses Vermögens impliziert. Wenn die Leistung des Verstandes (im weiteren Sinne) als Vermögens darin besteht, die Erfahrung zu ermöglichen, dann sind alle diejenigen Kräfte, die diese Leistung ermöglichen, eben konstituierende Bedingungen dieses Vermögens selbst. Diese subjektive Deduktion kann durch folgende Replikation zusammengefaßt werden: Wenn der Verstand als Vermögen zu erkennen möglich sein soll, dann ist es notwendig, 1. daß die Sinnlichkeit, d.h. ihre mannigfaltigen Vorstellungen, auf empirische Bewußtseinsweisen in Beziehung steht bzw. stehen, 2. daß das Bewußtsein identisch sein kann, 3. und 4. daß eine reine Synthesis der Einbildungskraft möglich ist, durch die diese sinnlichen Vorstellungen in Beziehung auf die Einheit des Bewußtseins verbunden werden können, und 5. daß diese Synthesis durch reine Begriffe geregelt werden kann. Wenn das Vermögen zu erkennen möglich sein soll, muß also die Sinnlichkeit mit der Einheit der Apperzeption vermittelst der Synthesis der Einbildungskraft nach Kategorien in Einheit stehen. Dieses Ergebnis fuhrt unmittelbar wieder zum Grundproblem vorliegender Arbeit zurück.
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Das Wesen des Verstandes und der Ursprung der Kategorien
§ 22. Das Wesen des Verstandes und die Frage nach dem Ursprung Kategorien
der
Wie bekannt ist es die Aufgabe des 3. Abschnittes der transz. Deduktion, zu beweisen, daß die Kategorien Gründe der Möglichkeit der Erfahrung sind, indem dadurch die objektive Gültigkeit dieser Begriffe zu begründen ist. Diese Aufgabe impliziert nach A 97-98, zu klären, wie sich die Kategorien auf Erscheinungen der Sinnlichkeit beziehen können. Dazu ist es nötig, die drei Urquellen des Erkenntnisvermögens in Betracht zu ziehen, welche die Bedingungen der Möglichkeit des Verstandes, und dadurch auch der Erfahrung, enthalten. Es handelt sich also in Wirklichkeit um eine dreifache Aufgabe, die im Hauptstadium der Deduktion auf einmal erfüllt wird: 1.die Grundaufgabe, die Möglichkeit der objektiven Realität der Kategorien zu begründen. Bei der Lösung dieser Aufgabe erklärt der Zusatzbeweis der minor, 2. wie die Erfahrung selbst möglich ist und 3.was die Möglichkeit, d.h. das Wesen des Verstandes k o n s t i t u i e r t . Im vorangehenden ist die Erfüllung der zwei ersten Aufgaben besprochen worden. Nun gilt es, die dritte derselben in Betracht zu ziehen, in welcher die Frage nach dem Ursprung der Kategorien zur Sprache kommen soll. Die ausdrückliche Wesensbestimmung des Verstandes wird in einem Passus A 119 dargelegt, mit dem sich die absteigende Deduktion vollendet. Nachdem Kant den Zusammenhang von Apperzeption, Sinnlichkeit und Einbildungskraft betrachtet hat, sagt er: "Die Einheit der Apperzeption in Beziehung auf die Synthesis der Einbildungskraft ist der Verstand, und eben dieselbe Einheit, beziehungsweise auf die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, der reine Verstand." Diese Beziehung war schon A 118 gestreift worden: Die Einheit der Apperzeption in Beziehung auf die Mannigfaltigkeit der Vorstellungen der Sinnlichkeit macht die synthetische Einheit derselben, und daher eine sie erzeugende Synthesis, möglich und notwendig. Daher konnte Kant schließen: "Also bezieht sich die transzendentale Einheit der Apperzeption auf die reine Synthesis der Einbildungskraft als eine Bedingung a priori der Möglichkeit aller Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer Erkenntnis" (A 118). Diese neue Beziehung a priori ist der reine Verstand. W a s f ü r ein " P h ä n o m e n " ist diese B e z i e h u n g ? Sie ist k o n k r e t das Selbstbewußtsein der Synthesis = Ich denke die Synthesis. Das heißt nicht, daß das Ich irgendeinen Begriff von Synthesis dächte, sondern daß es sich auf die Synthesis der Einbildungskraft selbst bezieht. Je nach der Beschaffenheit der dabei bewußten Synthesis kann nach A 119 diese Beziehung auf doppelte Art betrachtet werden. Wenn man das "Ich denke" betrachtet, insofern es sich auf die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft und damit auch auf ihre Schemata bezieht, ist diese Beziehung der reine Verstand. Wenn man aber das "Ich denke" insofern betrachtet, als es sich auf die Synthesis eines bestimmten empirischen Stoffes bezieht, dann handelt es sich um den empirischen Verstand. Nach derselben Stelle kann man
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Sein und Subjektivität bei Kant
diese Beziehung auch neutral fassen, ohne den Unterschied zwischen reiner und empirischer Synthesis in Betracht zu ziehen. Dann hat man es mit dem Verstand schlechtweg zu tun. Demgemäß ist der Verstand eine Verknüpfung der zwei, genauer, der drei genannten Erkenntnisquellen, denn die Beziehung des "Ich denke" auf die Synthesis der Einbildungskraft ist schon ein Bezug auf das Mannigfaltige der Sinnlichkeit, das dieser Synthesis korrespondiert. Alles das erfüllt vollkommen das A 97-98 aufgestellte Ziel, die Ermöglichung des Verstandes durch diese drei Quellen zu zeigen. Ihre Verknüpfung ist das Wesen desselben. Wenn dem so ist, was müssen dann die Kategorien selbst sein, wenn sie reine Begriffe eines solchen Verstandes sind? Sie müßten zweifellos dieser Natur des Verstandes entsprechen. Sie müßten demgemäß ihren subjektiven Ursprung in dieser Beziehung der Apperzeption auf die Synthesis der Einbildungskraft haben. Bevor ich auf die genannte Stelle eingehe, um diese These zu belegen, soll als eine Einleitung dazu gezeigt werden, daß diese ganze Auffassung des Verstandes das Resultat einer Entwicklung des Kantischen Denkens ist, auf die ich oben in den § § 4 und 5 hingewiesen habe. Die Dissertatio umreißt implizit schon eine Auffassung des Schematismus und schreibt sie der Einbildungskraft zu (§ 27). In den losen Blättern des Duisburg'sehen Nachlasses (1775), in denen Kant sich darum bemüht, das Problem der Deduktion der Kategorien zu bewältigen, bleibt die Synthesis des Anschaulichen ein zentrales Thema, aber die Einbildungskraft wird nicht ein einziges Mal genannt. Das ändert sich unter der Inspiration durch die 1777 erschienenen Philosophischen Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwicklung Tetens', die eine Analyse der Erkenntnisvermögen, unter ihnen der Einbildungskraft, enthält.69 Eine erste Auswirkung dieser Wandlung findet sich in der Metaphysik-Vorlesung L-l. 70 Ein charakteristischer Passus dieses Textes, der von den oberen Erkenntnisvermögen handelt, lautet: "Von Gegenständen der Anschauung haben wir Kenntnisse, vermöge der bildenden Kraft, welche zwischen dem Verstände und der Sinnlichkeit ist. Ist diese bildende Kraft in abstracto, so ist es der Verstand. Die Bedingungen und Handlungen der bildenden Kraft in abstracto genommen, sind reine Verstandesbegriffe und Kategorien des Verstandes. Z.E. der reine Verstandesbegriff von Substanz und Accidens kommt auf folgende Art aus der bildenden Kraft: der bildenden Kraft muß etwas Beständiges zum Grunde gelegt werden, statt daß sich das Mannigfaltige verändert; denn wäre nichts zum Fundament der bildenden Kraft, so könnte sie auch nicht wechseln. Das Beständige ist nun der reine Begriff der
69 70
Vgl. Vleeschauwer 1,289 ff. sowie W. Carl, Der schweigende Kant, 110 ff. Diese Vorlesung wurde sehr wahrscheinlich Ende der siebziger Jahre gehalten. Vgl. dazu die Ausführungen G. Lehmanns in AA XXVIII1343-46 und W. Carls a.a.O., 116-18. Carl datiert diese Vorlesung zwischen dem WS 1777-78 und dem WS 1779-80.
Das Wesen des Verstandes und der Ursprung der Kategorien
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ist nun der reine Begriff der Substanz, und das Mannigfaltige des Accidens" (AA XXVIII, 239). Gemeint ist, daß wir den Wechsel von Vorstellungen nur wahrnehmen können, wenn die Einbildungskraft dabei Beständiges konstituiert, dessen Zustände wechseln. 71 Außer dieser angedeuteten Entstehung der Kategorien aus dem, was die KrV als Schematismus bezeichnen wird, streift diese Stelle die Lehre der Dissertatio und der KrV (§ 10), nach der wir die Kategorien erwerben, wenn wir die Synthesis der Einbildungskraft in abstracto, d.h. im Allgemeinen vorstellen. Ein weiteres Zeugnis dieser Entwicklung ist in den losen Blättern enthalten, die Reicke als Β 12 bezeichnet und die wahrscheinlich Ende Januar 1780 geschrieben worden sind (vgl. AA XXIII, 18-20). Aus diesen hebe ich die für den hier behandelten Fragenkomplex relevanten Thesen hervor, welche mit der Position der Deduktion A übereinstimmen. 1. Es gibt drei erste, nicht weiter erklärbare Vermögen des Subjekts: Sinnlichkeit, Einbildungskraft und Apperzeption (S. 18 u. 20). 2. "Die Einheit der Apperzeption im Verhältnis auf das Vermögen der Einbildungskraft ist der Verstand" (18, Z. 34). Wenn diese Synthesis transzendental ist, dann handelt es sich dabei um den reinen Verstand (a.a.O. Z. 6-8) 3. Die transzendentale Synthesis zielt nicht auf die Produktion von besonderen synthetischen Einheiten (empirischen oder reinen Gegenständen), sondern geht auf die Einheit der Apperzeption in dieser Synthesis (a.a.O. Z. 31-34), d.h. auf die Produktion von synthetischer Einheit überhaupt (= sinnliches Etwas, Gegenstand überhaupt) gemäß der Einheit der Apperzeption. Diese Synthesis hat nun verschiedene Arten, d.h. Modi des Einigens und der entsprechenden synthetischen Einheiten. "Dadurch [d.h. durch die transz. Synthesis der Einbildungskraft] wird ein Begriff vom Gegenstande überhaupt gedacht nach den verschiedenen Arten der transcendentalen Synthesis. Die Synthesis geschieht in der Zeit" ( 18, Z. 34-36). "Nun sind die Kategorien nichts anders als Vorstellungen von Etwas (Erscheinung) überhaupt so fern es durch transe. Synthesis der Einbildungskraft vorgestellt wird ..." (19, Z. 8-10). Daher kann Kant sagen: "Die transcendentale Synthesis der Einbildungskraft liegt allen unsern Verstandesbegriffen zu Grunde" (18, Z. 13-14, Hervorh.Vf.). Diese Texte bzw. Notizen aus den Jahren 1778-80 stimmen nicht nur mit der Deduktion A hinsichtlich der Dreiheit der Urvermögen und der Definition des Verstandes überein, sondern sie enthalten auch eine Antwort auf die Frage nach dem Zusammenhang des so konzipierten Verstandes mit seinen reinen Begriffen. Sie dient uns hier zur Einleitung der f o l g e n d e n Interpretation dieses Zusammenhangs im Rahmen der Deduktion A. Der Passus A 119 gibt eine erste Antwort auf diese Frage. Nachdem der reine Verstand als die genannte Beziehung bestimmt ist, sagt Kant: "Also sind im 71
Vgl. unten § 25, C.
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Sein und Subjektivität bei Kant
Verstände reine Erkenntnisse a priori, welche die notwendige Einheit der reinen Synthesis der Einbildungskraft, in Ansehung aller möglichen Erscheinungen, enthalten. Dieses sind aber die Kategorien ..." ,72 Das heißt, wenn sich die Einheit der Apperzeption auf diese Synthesis bezieht, dann müssen in einer solchen Beziehung reine Begriffe fur die Einheit dieser Synthesis liegen. Als Begriffe des Verstandes müssen sie zu dieser reinen Beziehung gehören. Das besagt phänomenologisch, daß man sich diese Begriffe eigentlich in einem Selbstbewußtsein der transzendentalen Synthesis vorstellt. Das ist der Sinn, in dem das "Ich denke" "das Vehikel aller Begriffe überhaupt, und mithin auch der transzendentalen", ist (A 341). In jedem von ihnen liegt implizit ein "Ich denke die Substanz, die Ursache" (343). Das heißt, ich denke die Substanz in Richtung auf die transz. Synthesis der Einbildungskraft und auf das entsprechende Schema hin, bzw. von ihm her. Außerdem darf man im 4. Teil des 2. Abschnitts, der "Vorläufige Erklärung der Möglichkeit der Kategorien, als Erkenntnisse a priori" betitelt ist, folgenden Passus nicht übersehen: "Die Möglichkeit aber, ja sogar die Notwendigkeit dieser Kategorien beruht auf der Beziehung, welche die gesamte Sinnlichkeit, und mit ihr auch alle möglichen Erscheinungen, auf die ursprüngliche Apperzeption haben, in welcher alles notwendig den Bedingungen der durchgängigen Einheit des Selbstbewußtseins gemäß sein, d.i. unter allgemeinen Funktionen der Synthesis stehen muß, nämlich der Synthesis nach Begriffen, als worin die Apperzeption allein ihre durchgängige und notwendige Identität a priori beweisen kann" (A 111-12, Hervorh.Vf.). In dem Absatz, der diesem Passus vorhergeht, legt Kant dar, daß die Kategorien Bedingungen a priori der Erfahrung und damit ihrer Objekte sind, weshalb sie objektive Gültigkeit a priori haben. An der zitierten Stelle geht es dagegen in erster Linie um die Möglichkeit der Einheit der Apperzeption. Die Kategorien sind fur diese Einheit nötig, weil diese in ihrer Beziehung auf die Sinnlichkeit Gefahr läuft, sich in deren Mannigfaltigem zu zerstreuen und zu verlieren und weil das Bewußtsein sich nur durch eine Synthesis dieses Mannigfaltigen nach Kategorien seiner Identität bewußt werden kann. Wenn 1. die Erfahrung und 2. die aktuelle Einheit der Apperzeption möglich sein sollen, dann muß sich das sinnliche Mannigfaltige auf die (mögliche) Einheit der Apperzeption beziehen, und wenn diese Beziehung als Synthesis möglich sein soll, dann sind Kategorien als Einheitsgrund derselben notwendig. Die Kategorien sind ferner als eine solche Einheit möglich, weil die Beziehung des sinnlichen Mannigfaltigen auf die (mögliche) Einheit der Apperzeption eine Synthesis ist und diese sowohl Begriffe a priori als auch empirische Verbindungen möglich macht. Diese Beziehung zwischen den zwei Urvermögen, und zwar innerhalb dieses Bezugsganzen, ist der Grund der Möglichkeit und Notwendigkeit der Kategorien. Damit ist die Deduktion A zum subjektiven Ursprung der Kategorien im Sinne ihrer ratio essendi gelangt. Das Hauptstadium derselben gewährt außerdem noch 72
Das Wort "Also" ist von mir kursiv gesetzt.
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einen Einblick in dasjenige, was oben als der Ursprung der Kategorien im Sinne ihrer Erwerbung als Begriffe genannt wurde (A 124). Die fragliche Stelle gehört zum vorletzten Schritt der aufsteigenden Darstellung der D e d u k t i o n : " D i e s e A p p e r z e p t i o n ist es n u n , w e l c h e zu d e r r e i n e n Einbildungskraft hinzukommen muß, um ihre Funktion intellektuell zu machen. Denn an sich selbst ist die Synthesis der Einbildungskraft, obgleich a priori ausgeübt, dennoch jederzeit sinnlich, weil sie das Mannigfaltige nur so verbindet, wie es in der Anschauung erscheint, z.B. die Gestalt eines Triangels." Dieses Hinzukommen der Apperzeption zur reinen Synthesis ist nichts anderes als die Beziehung jener auf diese, nur daß sie hier "von unten", von der Synthesis her in den Blick genommen wird. Für sich allein betrachtet ist diese Synthesis sinnlich u n d nicht intellektuell, d. h. n i c h t b e g r i f f l i c h . D i e F o l g e der Bewußtseinsphasen, die diese Synthesis bilden, stellt Einzelheiten vor, z.B. das Bild eines Triangels, das in einer Zeit und einem Raum individuiert ist. In eins mit diesem Bild ist zwar für die Einbildungskraft die Regel dieser Synthesis, das Schema des Triangels, mit bewußt, das Kant hier durch das Wort "Funktion" andeutet. Aber sogar dieses Schema bleibt dabei auf die Einzelheit des Bildes verhaftet. Wenn dieses Schema um der Möglichkeit der Erkenntnis willen intellektuell gemacht w e r d e n soll, d a n n m u ß zu d i e s e r S y n t h e s i s die A p p e r z e p t i o n d e r s e l b e n h i n z u k o m m e n , w e l c h e klar b e w u ß t m a c h t , was im S c h e m a b i s h e r in einem Halbdunkel blieb. Hier klingt wieder die Andeutung von § 10 an: das Auf-denBegriff-Bringen der reinen Synthesis der Einbildungskraft als Begriffsbildung der Kategorien. Diese geschieht in einem "Ich denke die reine Synthesis und ihre Schemata". Im Zusammenhang mit dieser Problematik ist es wichtig, den folgenden Satz dieser Stelle nicht zu übersehen: "Durch das Verhältnis des Mannigfaltigen aber zur Einheit der Apperzeption werden Begriffe, welche dem Verstände angehören, aber nur vermittelst der Einbildungskraft in Beziehung auf die sinnliche Anschauung zustande kommen können." Vor allem muß man hier sehen, daß dieser Satz etwas Neues sagt. Während der vorangehende Passus von der Beziehung der Apperzeption auf die Synthesis handelt, geht es nunmehr um eine umfangreichere Beziehung zwischen der Einheit jener und dem Mannigfaltigen, und zwar durch die Synthesis. Beide Beziehungen betreffen dennoch dasselbe Werden von Begriffen, die dem Kontext gemäß in erster Linie die Kategorien selbst sind. Um beide Sätze in ihrem Zusammenhang zu klären, kann man von dem oben dargelegten Weg der Deduktion ausgehen. Ihrem dritten Schritt nach macht die Beziehung der Einheit der Apperzeption auf das Mannigfaltige der Sinnlichkeit eine synthetische Einheit desselben möglich und notwendig. Wenn diese Beziehung möglich sein soll, dann muß das Subjekt außerdem ein Vermögen einer reinen Synthesis besitzen, die diese Einheit erzeugen kann (4. Schritt, A 117-118). Wenn
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diese Synthesis möglich sein soll, dann müssen ferner reine Begriffe als Gründe ihrer Einheit da sein (5. Schritt). Betrachtet man all diese Schritte zusammen, dann kann man daraus folgern: Wenn die Einheit der Apperzeption auf die sinnliche Mannigfaltigkeit bezogen sein soll, dann können und müssen Kategorien da sein. Das läuft auf die grundlegende Einsicht von A 111-12 in die ratio essendi dieser Begriffe hinaus. Daher sagt der an zweiter Stelle zitierte Satz von A 124, daß aus dieser Beziehung Begriffe "werden", die dem Verstände angehören. Das Ende dieses Satzes meint dagegen eher die Erwerbung dieser Begriffe aus der reinen Synthesis: Obwohl diese Vorstellungen als Begriffe dem Verstände (im engeren Sinne) angehören, können sie nur mittels der Einbildungskraft in Beziehung zum sinnlichen Mannigfaltigen "zustande kommen ", d. h. als transzendentale Schemata zum Zuge kommen, um dann durch eine weitere Beziehung der Apperzeption auf diese Synthesis auf den Begriff gebracht zu werden (erster Satz der zitierten Stelle A 124). Dieser Interpretation der genannten Stellen kann man folgende Resultate entnehmen: 1. In der transz. Deduktion A kommt der Verstand als eine organisierte Ganzheit zum Vorschein. 2. Demgemäß ist der Ursprung der Kategorien im Sinne ihrer ratio essendi die Grundbeziehung dieser Ganzheit, nämlich die reine Einbildungskraft als Beziehung zwischen Einheit und Mannigfaltigkeit. 3. Die ursprüngliche Erwerbung der Kategorien als Begriffe geschieht in demselben Zusammenhang als eine weitere Beziehung der Apperzeption auf die Synthesis. Die wichtigste Einsicht in den subjektiven Ursprung der Kategorien wäre dann, daß die Einbildungskraft nicht nur der Ort der Erwerbung derselben ist, sondern auch der Ort ihrer Geburt als transzendentaler Schemata. Sie würden freilich nicht aus der Einbildungskraft entspringen, sondern durch diese aus der Beziehung von Apperzeption und Sinnlichkeit. Zu dieser Konsequenz fuhrt auch die oben (§ 19) umrissene Form des Subjekts als organisierter Ganzheit, denn nach ihr müssen die Kategorien als Begriffe der synthetischen Einheit zwar hinsichtlich dieser Einheit durch die Apperzeption ermöglicht werden, aber sie beruhen zugleich in Hinblick auf die in ihnen vorgestellte Synthesis eines Mannigfaltigen auf der Einbildungskraft und der Sinnlichkeit. Eine weitere Folge dieser Deutung des Deduktion-Kapitels ist, daß der Absolutheitsanspruch der entgegengesetzten These entkräftet wird, nach der die Kategorien aus dem Verstand als einem isolierten und selbstgenugsamen Vermögen zu urteilen entspringen würden (A 65), so daß ihr ursprünglicher Gehalt die jeweilige Urteilsfunktion wäre. 73 Während diese Stelle anzudeuten scheint, daß das Erkenntnisvermögen ein Aggregat von selbständigen Momenten, Verstand und 73
Der erörterte Text Β 12 enthält auch einen Hinweis auf den Ursprung der Urteilsfunktionen: "Der Verstand also als der Grund aller analytischen Einheit in Urtheilen ist auch der Grund der Regeln u. der Quell derselben" (a.a.O., S. 19). Nach demselben Text (S. 18) ist die Einheit der Apperzeption in
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Sinnlichkeit, bildet, legt das Deduktion-Kapitel den Verstand im Sinne des Erkenntnisvermögens als einer organisierten Ganzheit aus, innerhalb deren jene Vermögen unselbständige Glieder wären. Bestätigt sich aber damit nicht die Vermutung, daß die Kritik zwischen diesen extremen Positionen hin und her schwankt, ohne zu einer endgültigen Auffassung über das Wesen des Subjekts und den Ursprung der Kategorien zu kommen? 74 Kant scheint durch dieses für den Interpreten offensichtliche Schwanken nicht beunruhigt zu sein. Diese Gelassenheit ist ein Faktum, das der Interpret klären muß. Daß Kant sich nicht dazu äußert, hat nicht viel zu bedeuten, denn die Kritik impliziert vieles, dessen ausdrückliche Erläuterung man sich wünschen würde. Sein Schweigen hinsichtlich dieses Schwankens bedeutet vielmehr, daß er sich diese Extrempositionen so vorstellt, daß er ihre Harmonie für selbstverständlich betrachtet und daß so etwas wie ein Schwanken zwischen ihnen für ihn gar nicht in Frage kommt. Warum dem so ist, soll jetzt erörtert werden. Die Herkunft dieses möglichen Schwankens zwischen alternativen Auffassungen des Verstandes liegt in der Kantischen Neuentdeckung der Zweiheit von Verstand und Anschauung. Wer, wie Leibniz oder Wolff, an der Seele als einer einzigen Grundkraft festhält, hat nicht einmal die Möglichkeit, die Seele als Aggregat von Denken und Anschauung oder als organisierte Ganzheit beider zu deuten, und noch viel weniger, zwischen diesen Auffassungen hin und her zu schwanken. Die Neuentdeckung der Zweiheit dieser Vermögen bringt Kant nicht nur vor diese doppelte Auslegungsmöglichkeit, sondern sie legt ihm zugleich nahe, daß das Subjekt ein Aggregat von Denken und Anschauung ist. Denn diese Neuentdeckung besagt, daß das eine nicht auf das andere zu reduzieren ist; beide sind gleichursprünglich. "Unsere Erkenntnis entspringt aus zwei Grundquellen des Gemüts" (A 50). "Keine dieser Eigenschaften ist der anderen vorzuziehen. Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht werden" (51). "Beide Vermögen oder Fähigkeiten können auch ihre Funktionen nicht vertauschen" (a. a. O.).
Beziehung auf die reproduktive Synthesis der Einbildungskraft analytisch, d.h. ein Bewußtsein von konstituierten Einheiten, z.B. Bildern. Dieses Bewußtsein ermöglicht durch Analysis solcher Einheiten, z.B. des Begriffes A, das Urteil "A ist B". Da diese analytische Einheit der Apperzeption also die analytische Einheit der Begriffe im Urteil ermöglicht, scheint Kant dem zu entnehmen, daß sie auch Grund der Urteilsfiinktionen ist. Vgl. unten § 39 zum Entspringen der Urteilsfunktionen. 74 Dieses Schwanken kann sogar an einer und derselben Stelle auftreten. In dem Absatz, in dem Kant den Verstand als Beziehung der Apperzeption auf die Einbildungskraft bestimmt und dieser Beziehung die Kategorien zuschreibt, fügt er sofort hinzu: "Dieses sind aber die Kategorien, d.i. reine Verstandesbegriffe, folglich enthält dieempirische Erkenntniskraft des Menschen notwendig einen Verstand, der sich auf alle Gegenstände der Sinne, obgleich nur vermittelst der Anschauung, und der Synthesis derselben durch Einbildungskraft bezieht.." Verstand bedeutet hier nicht mehr jene Beziehung, sondern nur einen ihrer Extrempole, d.h. die Apperzeption mit den Kategorien. "Verstand" besagt dabei also einmal das Bezugsganze und das andere Mal einen Teil von ihm.
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Zum anderen wird Kant gleichzeitig von seiner vorkritischen Deutung der Seele als teleologischer Ganzheit und von seiner späteren Auffassung der Endlichkeit der m e n s c h l i c h e n E r k e n n t n i s dazu g e b r a c h t , b e i d e G r u n d v e r m ö g e n als komplementär zu sehen. Jedes von ihnen ist zwar ursprünglich, aber das eine ist um der Erkenntnis willen auf das andere angewiesen. "Nur daraus, daß sie sich vereinigen, kann Erkenntnis entspringen" (A 51). Dabei sind beide Motive verbunden: sowohl die Gleichursprünglichkeit der Vermögen, die eine Aggregation beider nahelegt, als auch ihre gegenseitige Angewiesenheit, die zu einer Organisation tendiert. Es verhält sich damit so, weil in der Kritik keine von beiden Möglichkeiten der Auslegung absolut vorherrscht, sondern sie beschränken sich gegenseitig und bilden damit eine harmonische Einheit, bei der fur Kant kein Schwanken zwischen beiden stattfinden kann. Das schließt aber nicht eine innere Spannung zwischen beiden Extremen aus, die offenbar wird, wenn das eine oder das andere an einer Stelle des Werkes mehr zum Zuge kommt, wie das in der Deduktion Β der Fall ist. Für den Leser mag diese Spannung und Zweiheit deutlicher zu sehen sein, weil er zunächst nicht von einer vermutlichen Harmonie her an das Werk herangeht. Der Interpret sollte dagegen vermeiden, dasjenige, was nur die eine Seite des Entwurfs betrifft, ohne weitere Überlegung für den Sinn des Ganzen zu nehmen. Wenn dem allem so ist, wie steht es dann mit den hier erörterten Fragen nach dem W e s e n des V e r s t a n d e s und d e m U r s p r u n g der K a t e g o r i e n ? 1. Das Erkenntnisvermögen besteht aus Gliedern, die innerlich zwar eine selbständige F u n k t i o n b e s i t z e n , aber ä u ß e r l i c h a u f e i n a n d e r a n g e w i e s e n sind. Die Ursprünglichkeit von Denken und Anschauung geht Hand in Hand mit ihrer Eingespieltheit aufeinander, die im Dienste einer G e s a m t f u n k t i o n des Erkenntnisvermögens steht. 2. Die Kategorien sind zwar im Verstand (im engeren Sinne) als bloßem Vermögen der Einheit angelegt, aber sie sind, wie die Synthesis selber es ist, eigentlich nur im Zusammenhang der zwei Urvermögen möglich und notwendig. 3. Die Rolle der Einbildungskraft besteht in dieser Hinsicht nur darin, daß in ihr die Anlagen zur Einheit und zur Mannigfaltigkeit zu aktuellen Synthesisregeln werden, die dadurch fur ihre begriffliche Erwerbung vorbereitet sind. Daraus ergibt sich aber eine schwerwiegende Konsequenz. Wenn der Grund der Möglichkeit der Kategorien ein solcher ist, dann entspringen sie zuallererst als transzendentale Schemata. Wenn dem aber wieder so ist, dann müßte man durch eine Darlegung der Entstehung der transzendentalen Schemata das ganze System der Kategorien in allen seinen Besonderheiten erklären können. Wie die Stelle aus der Metaphysik-Vorlesung L - l und das Fragment Β 12 bezeugen, handelt es sich dabei um eine in der Deduktion A enthaltene Möglichkeit, die als das Resultat der Entwicklung des Kantischen Denkens seit der Dissertatio angesehen werden kann.
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Es ist aber ein unbestreitbares Faktum, daß Kant eine solche Möglichkeit nicht ergreift und in einer Theorie gestaltet. Das ist aber kein Faktum, das etwa nur der Interpret feststellen würde - so daß der Verdacht aufkommen könnte, sowohl dieses Faktum als auch die umrissene Möglichkeit seien nur Produkte seiner Phantasie. Kant selbst weist an mehreren Stellen ausdrücklich auf es. An einer dieser Stellen, in den Prolegomena (§ 36, Absätze 3 und 4), fragt sich Kant, wie die Natur "in formeller Bedeutung" als System der kategorialen Regeln möglich ist. "Die Antwort kann nicht anders ausfallen, als: sie ist nur möglich vermittelst der Beschaffenheit unseres Verstandes, nach welcher alle jene Vorstellungen der Sinnlichkeit auf ein Bewußtsein notwendig bezogen werden, und wodurch allererst die eigentümliche Art unseres Denkens, nämlich durch Regeln, und vermittelst dieser die Erfahrung, welche von der Einsicht der Objekte an sich selbst ganz zu unterscheiden ist, möglich ist. Diese Beantwortung ist, in dem Buche selbst, in der transzendentalen Logik, hier aber, in den Prolegomenen, in dem Verlauf der Auflösung der zweiten Hauptfrage gegeben worden. Wie aber diese eigentümliche Eigenschaft unserer Sinnlichkeit selbst, oder die unseres Verstandes und der ihm und allem Denken zum Grunde liegenden notwendigen Apperzeption, möglich sei, läßt sich nicht weiter auflösen und beantworten, weil wir ihrer zu aller Beantwortung und zu allem Denken der Gegenstände immer wieder nötig haben." Da diese Stelle in Kapitel VI eigens erörtert werden soll, begnüge ich mich vorläufig mit dem Hinweis, daß sie zum einen zugesteht, daß die Beziehung von Sinnlichkeit und Apperzeption das Kategoriensystem möglich macht. Zum anderen betont diese Stelle, daß eine weitere Begründung dieses Systems uns Menschen nicht möglich ist, womit sie implizit annimmt, daß die in der Kritik angegebene Begründung nicht zureichend ist und daß eine tiefergehende erforderlich wäre, die wir aber nicht leisten können.
Was ist durch den Gang des vorliegenden Kapitels für die Lösung des Problems des subjektiven Ursprungs der Kategorien gewonnen? Kapitel II hat gezeigt, daß, obwohl nach einigen Stellen der Ursprung der Kategorien in den angeborenen Anlagen des Verstandes (A 64-66) oder in den Urteilsfunktionen (A 321) liegt, die Kategorien in dem transzendentalen Schematismus zuallererst zum Vorschein kommen und aus ihm ursprünglich erworben werden. Das III. Kapitel geht darüber hinaus, indem es zeigt, daß Kant auf der tieferen Ebene der Transz. Deduktion die Synthesis der Einbildungskraft als Ursprungsort dieser reinen Begriffe interpretiert. Der Weg zu dieser Einsicht umfaßt viele Schritte. In der Transz. Deduktion kommt zum Vorschein, daß die
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Kategorien nur im Zusammenhang mit anderen subjektiven Strukturen das erkennende Subjekt (den Verstand) als eine organisierte Ganzheit ermöglichen und dadurch Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sein können. Diese Begriffe sind notwendig als G r ü n d e der M ö g l i c h k e i t der t r a n s z . S y n t h e s i s der Einbildungskraft und der Apperzeption. Sie sind ferner nur möglich, weil diese Synthesis möglich ist und weil sie ihrerseits durch die Beziehung der Apperzeption und des sinnlichen Mannigfaltigen möglich wird. Dergestalt sind die Gründe ihrer Möglichkeit Apperzeption und Anschauung, und der Ort, in dem diese die Kategorien zum Vorschein bringen, ist die transz. Einbildungskraft. Wenn dem so ist, dann löst sich der Schein auf, daß die Kategorien nach Kant aus dem Verstände (im engeren Sinne) allein entsprängen oder daß er zwischen dieser Auffassung und einer anderen hin und her schwanken würde, nach der diese Begriffe aus dem Zusammenhang der drei Urvermögen entstehen. Aus diesem Resultat ergibt sich aber dann, daß, wenn die Möglichkeit der Kategorien in der transz. Einbildungskraft liegt, sie zuallererst als transz. Schemata zum Vorschein kommen. Wenn dem aber wirklich so wäre, dann müßte man aus dem transz. Schematismus das ganze System der Kategorien in allen seinen Besonderheiten erklären können. Demgegenüber muß man das Faktum zur Kenntnis nehmen, daß Kant diese Möglichkeit zwar erblickt, aber nicht ergreift und verwirklicht. Er läßt dieses Faktum nicht etwa im Dunkeln, sondern er weist an mehreren Stellen auf es hih. Dieses Faktum und die Unmöglichkeit einer weiteren B e g r ü n d u n g der Kategorien über die Beziehung von Apperzeption und Sinnlichkeit hinaus soll in weiter unten folgenden Kapitel VI als erstes erörtert werden.
Viertes Kapitel Die ursprüngliche Erwerbung der Kategorien im transzendentalen Schematismus
Die Beziehung der Apperzeption auf die Sinnlichkeit vermittelst der Einbildungskraft ist nach der Deduktion A das Wesen des Verstandes und der Grund der Möglichkeit der Kategorien. Diese sollten demgemäß aus Apperzeption und Sinnlichkeit durch die transz. Einbildungskraft und ihren Schematismus entspringen. Da diese mögliche Erklärung der Kategorien aber nach Kant unzureichend und vordergründig ist, führt er sie nicht durch. Selbst wenn es mit dieser Erklärung seine Richtigkeit hat, worin würde ein solches Entspringen der Kategorien aus dem Schematismus bestehen? Welches Potential birgt der transz. Schematismus in sich, das Kategoriensystem zu erklären? Um diesen Fragen nachzugehen, ist es vorher nötig, auf Grund der Schematismus-Lehre die Produktion des Schemas überhaupt zu klären, die Kant dreimal erwähnt, ohne sie zu erörtern.
§ 23. Die Orientierung
des
Schematismus-Kapitels
Nach den vorangehenden Ausführungen sollte der transzendentale Schematismus die zwei Etappen der Genesis der Kategorien als Begriffe umfassen. Da das Schematismus-Kapitel diese Erwartung aber nicht zu erfüllen scheint und in der Absicht, die Möglichkeit der hier versuchten Interpretation abzusichern, gilt es, diese hermeneutische Situation zu analysieren, die Orientierung des Textes zu erklären und zu entscheiden, ob es möglich ist, im Schematismus den subjektiven Ursprung der Kategorien im Sinne ihrer ursprünglichen Erwerbung zu suchen. Vor allem gilt es, zu umreißen, aus welcher Perspektive Kant den Schematismus zum Thema macht. Zuerst darf man nicht übersehen, daß schon die transz. Deduktion der Kategorien implizit auf das Phänomen des Schematismus hinweist. In der Durchführung dieser Deduktion geht Kant von den Kategorien als bloßen Begriffen der Urteilsfunktionen aus und entdeckt sie nachher als Regeln der Synthesis der Einbildungskraft. Bei einem solchen Ausgangspunkt bleibt zunächst das Problem latent und noch ungelöst, inwiefern jene Regeln einer Begriffssynthesis zugleich Regeln einer Synthesis der Erscheinungen in der Zeit sein können. Wenn die transz. Deduktion die Kategorien in letzterer Hinsicht betrachtet, denkt sie diese
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Begriffe implizit mit den transzendentalen Schemata in Verbindung. So bezeichnet Kant ζ. Β. A 103 die Zahl, die das transz. Schema der Quantität ist, als einen Begriff und gibt als deren Inhalt an, was eigentlich in diesem Schema enthalten ist. Um v e r s t ä n d l i c h zu m a c h e n , wie die K a t e g o r i e n R e g e l n einer S y n t h e s i s der Einbildungskraft und damit Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sein können, wird es also nötig, das transzendentale Schema in seinem Unterschied von der Kategorie zum Thema zu machen. 1 Daher geht Kant an den Schematismus zunächst in Hinblick auf die objektive Gültigkeit der Kategorien heran, wobei er jeden expliziten Hinweis auf die Genesis der schematisierten Kategorien vermeidet. Diese Absicht wird an zwei Stellen, zu Beginn (A 139) und am Ende (A 145-47) klar genug betont: Die transzendentalen Schemata "realisieren" die Kategorien, d.h. geben ihnen objektive Realität (Bedeutung), indem sie ihre Beziehung auf empirische Gegenstände ermöglichen und damit zugleich ihre Gültigkeit auf diese beschränken. Dieselbe Orientierung hat ein anderer Passus, der sich am Anfang des Kapitels über Phaenomena und Noumena (A 238 ff.) explizit auf den transz. Schematismus bezieht. Zweitens fuhrt die Unterscheidung der Kategorien und ihrer Schemata dazu, die Kategorie als bloßen Begriff zu behandeln. Sie wird in den synthetischen Urteilen a priori als Prädikat verwendet, unter das die Erscheinungen subsumiert werden, wie unter den Begriff der Ursache im Grundsatz der Kausalität. Die Subsumtion ist auf diesem Niveau des Urteils das Verhältnis der Erscheinungen zur Kategorie. Aus dieser Perspektive kann das transz. Schema als das Instrument eingeführt werden, das diese Subsumtion, und mit ihr das synthetische Urteil a priori, ermöglicht. Daher geht Kant an den Schematismus in Hinblick auf die Subsumtion der Erscheinungen unter die Begriffe heran - ein Blickwinkel, der fur das Schema zwar sekundär ist, aber zum anderen gestattet, auf die zentrale Frage nach der objektiven Gültigkeit der Kategorien aufs neue einzugehen. Mit der Ansetzung der Subsumtionsthematik bewegt sich das SchematismusKapitel im Horizont der traditionellen Logik. Ihr gemäß muß die transz. Logik zuerst die reinen Begriffe und dann die ersten synthetischen Urteile a priori behandeln. Zum Übergang von jenen Begriffen zu diesen Urteilen ist es daher nötig, die eigentümliche Subsumtion der Erscheinungen unter diese Begriffe zu betrachten. Das bestimmt den systematischen Ort des Schematismus am Beginn der Analytik der Grundsätze. Diese Lokalisierung ist ein ferner Widerschein der verborgenen Entscheidung Kants, die Frage nach der ursprünglichen Erwerbung der Kategorien in diesem Kapitel zu umgehen und sich darauf zu beschränken, den Schematismus nur in Hinblick auf die objektive Gültigkeit der Kategorien zu erörtern. Drittens geht Kant bei der Erörterung der Subsumtion der Erscheinung unter die Kategorien aus von der logisch-formalen Auffassung der Urteilskraft als des 1
In diesem Sinn unterscheidet eine Stelle Β 167 zwischen dem Faktum, daß die Kategorien die Erfahrung möglich machen, und der Art, wie sie das leisten können.
Orientierung des Schematismus-Kapitels
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"Vermögens unter Regeln zu subsumieren, d.i. zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) stehe, oder nicht" (A 132). Eine solche Auffassung sieht demnach vom Inhalt der Begriffe ab, die dabei als Regeln fungieren - um von den übrigen Konsequenzen nicht zu reden, die aus dieser Abstraktion folgen. Damit ist vorausgesetzt, daß diese Begriffe schon gegeben sind und daß es sich einzig darum handelt, zu unterscheiden, ob etwas unter einen von ihnen fallt oder nicht, als vorbereitender Schritt zur Bildung der Urteile. Dieser Ausgangspunkt des Kapitels hat zwei wichtige Folgen, die geeignet sind, die Problematik der Genesis der Kategorien endgültig zu verdecken: Mit diesem Ansatz werden die Kategorien wieder auf die Gestalt zurückgebracht, die sie vor der transz. Deduktion haben, d.h. auf bloße Begriffe von Urteilsfunktionen, die der Ergänzung durch die Schemata bedürfen, damit die Erscheinungen unter sie subsumiert werden können. 2. Die Kategorien treten dann als Begriffe auf, die als solche Vorstellungen im Verstände schon fertig gegeben sind. Wäre dies der einzige Text Kants über die Kategorien, den wir besäßen, dann wäre es vergeblich und sogar absurd, zu denken, daß sie aus den transz. Schemata auf Begriffe gebracht werden. Diese anfängliche Orientierung des Schematismus-Kapitels begünstigt eine Deutung des subjektiven Ursprungs der Kategorien, der gemäß sie zuerst Begriffe, vielleicht der Urteilsfunktionen, sind, die der Verstand vorstellt. Erst dann beziehen sie sich auf die reine Anschauung der Zeit, und daraus entspringen transz. Schemata. Diese gestatten ihrerseits die Subsumtion der Erscheinungen unter die Kategorien. - Die Kantische Lehre der ursprünglichen Erwerbung demonstriert im Gegenteil die Falschheit dieser geläufigen Deutung. Nachdem die Perspektive abgesteckt ist, aus der Kant den Schematismus zum Thema macht, gilt es nun, die Darstellung des Problems der Subsumtion in der ersten Partie des Kapitels (A 137-40) zu erörtern. In jedem kategorischen Urteil wie "Der Teller ist rund" ist das Objekt, das durch den Subjektbegriff vorgestellt wird, unter den Prädikatbegriff subsumiert, so daß es durch diesen seinem Was-Sein nach bestimmt wird. Demgemäß besteht eine Identität des Inhalts (Was), d. h. Homogenität zwischen diesem Objekt (dem angeschauten Teller) und dem Prädikatbegriff (rund, die Rundung). Diese Homogenität ist Bedingung der Möglichkeit der Subsumtion von jenem unter diesen. Wiewohl die Erklärung einer solchen Subsumtion unter empirische Begriffe gewöhnlich keine Schwierigkeiten bereitet, ist die Subsumtion der Erscheinungen unter die kategorialen Prädikate nicht ohne weiteres verständlich, denn beide sind ungleichartig. In der Tat kann der Inhalt solcher Begriffe nicht von Anfang an in den Erscheinungen beschlossen sein, denn dann wären die Kategorien a posteriori. Sie können ferner auch nicht ursprünglich in den reinen Anschauungen beschlossen sein, weil diese zunächst bloß eine potentielle Mannigfaltigkeit ohne irgendeine synthetische Einheit enthalten. Zwischen den Kategorien und den Erscheinungen, ja sogar zwischen jenen und den reinen Anschauungen, herrscht scheinbar eine totale Ungleichartigkeit. Wie
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ist es dann möglich, die Erscheinungen unter die Kategorien zu subsumieren und damit diese auf jene anzuwenden? Diese Fragestellung birgt alle Implikationen in sich, die oben angegeben wurden. Man sieht von dem Charakter der Kategorien als R e g e l n der Synthesis der Einbildungskraft und von der Beziehung dieser Begriffe auf die sinnliche Anschauung überhaupt (A 79) ab. Wenn man solche Abstraktionen vornimmt, dann ist es natürlich, daß die Subsumtion der Erscheinungen unter diese Begriffe fragwürdig wird. Die Lösung dieses Problems besteht im Gegenteil aber darin, zu deren Rolle als Regeln der genannten Synthesis zurückzugehen. Wenn nun einerseits eine solche Ungleichartigkeit zwischen Erscheinungen und Kategorien besteht, aber auf der anderen Seite die Subsumtion jener unter diese ein unleugbares Faktum ist, muß es eine dritte Vorstellung geben, die diese Subsumtion möglich macht, indem sie eine gewisse Gleichartigkeit zwischen beiden Extremen herstellt. Dieses Dritte kann nichts Beliebiges, sondern es muß etwas Bestimmtes sein, das gerade zwischen diesen Extremen vermittelt. Demgemäß muß sein Inhalt in einer Hinsicht mit dem der Kategorien und in einer anderen mit dem der Erscheinungen identisch sein. Daraus folgt ferner die Form dieses Dritten: "Diese vermittelnde Vorstellung muß rein (ohne alles Empirische) und doch einerseits intellektuell, andererseits sinnlich sein. Eine solche ist das transzendentale Schema" (A 138). Diese Vorstellung muß in der Tat rein a priori sein, denn wäre sie im Gegenteil empirisch, so könnte sie nicht mit der Kategorie gleichartig sein, und man müßte einen neuen Vermittler zwischen beiden suchen. Welche Art von Vorstellung kann aber ihrer Form nach zugleich intellektuell und sinnlich sein, d.h. allgemein und doch irgendwie individuell? Wie kann sie zugleich den Inhalt des reinen Begriffs und den der Erscheinungen überhaupt haben? Während der dritte Absatz des Kapitels die Lösung dieses Problems umreißt, geht der vierte dazu über, sie näher auszufuhren. Die einleitenden Sätze kennzeichnen beide Extreme ihrem Inhalt nach. Es handelt sich also einerseits um den Inhalt, der in j e d e r Kategorie als B e g r i f f einer U r t e i l s f u n k t i o n vorgestellt wird: "reine synthetische Einheit des Mannigfaltigen überhaupt". Dieses Mannigfaltige ist alles dasjenige, was Stoff zu einem Urteil werden kann, seien es Begriffe mit objektivem Inhalt oder nicht. Das andere Extrem ist nicht durch die bloßen Erscheinungen, sondern durch die reine Zeitanschauung vertreten, weil, wenn die Erscheinungen das sinnliche Extrem wären, das transzendentale Schema empirisch sein müßte, was u n m ö g l i c h ist. F e r n e r k a n n nur die Zeit als der Inhalt a u f t r e t e n , der allen Erscheinungen gemeinsam ist, insofern sie die Form des inneren Sinnes und die Bedingung ist, der sich jede anschauliche Synthesis unterwerfen muß. Im Vergleich zum Inhalt der bloßen reinen Begriffe hat der Inhalt der Zeit, und mit ihm alles Angeschauten, den Charakter der potentiellen Mannigfaltigkeit. Die Extreme, zwischen denen das transzendentale Schema vermitteln muß, stehen demnach inhaltlich wie Mannigfaltigkeit und synthetische Einheit einander entgegen.
Orientierung des Schematismus-Kapitels
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Insofern das Schema beiden Extremen gleichartig sein muß, muß es irgend eine Vorstellung der synthetischen Einheit der Zeitmannigfaltigkeit sein. Diese Bestimmung des Inhalts des transz. Schemas ist noch unvollständig, denn sie berücksichtigt nicht die besondere Form dieser neuen Vorstellung. In dieser Hinsicht sagt Kant: "Nun ist eine transzendentale Zeitbestimmung mit der Kategorie (die die Einheit derselben ausmacht) sofern gleichartig, als sie allgemein ist und auf einer Regel a priori beruht" (A 138). Wie bekannt, bedeutet das Wort "Bestimmung" sowohl das Bestimmen als auch sein Resultat, die Bestimmtheit. Die spätere Kennzeichnung des Schemas überhaupt als Verfahren der Synthesis und der Gebrauch des genannten Wortes an mehreren Stellen des Kapitels legen nahe, dieses Wort im Sinne des Bestimmens zu verstehen, d.h. als Beibringen einer Seinsweise zu einem Etwas, das sie nicht hat.2 Unter den beiden genannten Extremen ist die Zeit unbestimmt, als Mannigfaltigkeit ohne synthetische Einheit, während jede Kategorie eine Regel zur Bestimmung von synthetischer Einheit ist. Die Zeit bestimmen muß eine Handlung der transz. Synthesis der Einbildungskraft sein. Die Form der vermittelnden Vorstellung kann also weder Begriff noch sinnliche Anschauung, noch ein Zwitter beider, sondern sie muß das Verbinden und das entsprechende sinnliche Bewußtsein desselben sein. Wir schauen in der Tat z.B. nicht nur ein Dreieck an, sondern beim Verbinden seiner Seiten schauen wir auch zusammen mit diesem Mannigfaltigen, und sozusagen in ihm, die Handlung des Verbindens an. Wenn man eine Figur zeichnet, sieht man in ihr, wie eine Linie zu einer schon fertigen hinzukommt. Dieses Verbinden ist mit der Kategorie gleichartig und insofern intellektuell, indem es jeweils ein bestimmter allgemeiner Modus zu verbinden ist, gemäß der Kategorie, die seine Einheit begründet. Zum anderen ist dieses Schema allen Erscheinungen gleichartig, insofern es ein Modus ist, die Zeit zu verbinden, welche jenen gemeinsam ist. Das transz. Schema ist demnach jeweils eine sinnliche reine Vorstellung eines Modus, das Mannigfaltige der Zeit und, wie sich zeigen wird, in der Zeit zu verbinden. Das ist die Form, in welcher das Schema den oben festgesetzten Inhalt haben kann: synthetische Einheit des Zeitmannigfaltigen. Wie leicht zu sehen ist, denkt Kant hier diese neue Vorstellungsart nicht durch die Konstruktion eines Zwitters von Begriff und Anschauung, sondern vom Phänomen der Synthesis der Einbildungskraft als Beziehung der Einheit auf die Mannigfaltigkeit her. Nach den obigen Ausführungen macht ein solches Schema die Subsumtion der Erscheinungen unter die Kategorien bzw. die Anwendung dieser auf jene möglich. Die nunmehr geklärte Natur des Schemas fuhrt aber jetzt dazu, die Subsumtion selbst umzudenken. Sie ist nicht etwas, das einfach eintritt, wenn die Urteilskraft eine 2
Vgl. die Verwendung des Wortes "Bestimmung" an folgenden Stellendes Kapitels: A 141: "Regel der Bestimmung unserer Anschauung"; A 142: das transz. Schema als reine Synthesis betrifft die "Bestimmung des inneren Sinnes überhaupt". A 145: Die transz. Schemata sind "Zeitbestimmungen a priori nach Regeln", weil sie z.B. die Erzeugung der Zeit enthalten und vorstellig machen.
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gewisse inhaltliche Identität zwischen Erscheinungen oder Bildern und Begriffen anvisiert, sondern sie ist jetzt eine vom Schema als von der Synthesisregel erzeugte Identifizierung,3 Das transz. Schema regelt die Synthesis des Mannigfaltigen der und in der Zeit gemäß den Kategorien und erzeugt Bilder, die deshalb mit diesen Begriffen gleichartig sind. Wie eine Diskussion der Stelle A 140-42 zeigen wird, sind es diese so erzeugten Bilder, und nicht die bloßen Erscheinungen, welche, in umgekehrter Richtung, durch dieselben Schemata unter die Kategorien subsumiert werden können. Der Anwendung der Kategorien im Sinne der Subsumtion unter sie im Urteil geht die Anwendung dieser Begriffe durch ihre Schemata bei der Erzeugung der Bilder vorher.4 Das transzendentale Schema ist also kein bloßes Instrument der Subsumtion. Ursprünglicher als diese ist seine Funktion als Regel der Erzeugung von Bildern nach Kategorien, denn sie macht die Subsumtion selbst möglich. Diese neue Funktion, A 138 durch das Wort "Zeitbestimmung" bloß angedeutet, rückt erst von A 140 an in den Vordergrund. Nachdem die Anfangspartie des Kapitels das transz. Schema als Instrument der Subsumtion eingeführt hat, konstatiert der 5. Absatz ausdrücklich den Zusammenhang des Schematismus mit dem zentralen Problem der objektiven Bedeutung der Kategorien. Die transz. Deduktion hat bewiesen, daß diese als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung, also in ihrem empirischen und nicht in einem angeblichen transzendentalen Gebrauch, eine objektive Bedeutung a priori haben. Die Funktion der transz. Schemata liegt in derselben Richtung; sie sind reine formale Bedingungen der Anwendung der Kategorien auf das Mannigfaltige, wodurch diese Begriffe eine objektive Bedeutung haben, die aber auf die sinnlichen Gegenstände beschränkt ist. "Wir wollen diese formale und reine Bedingung der Sinnlichkeit, auf welche der Verstandesbegriff in seinem Gebrauch restringiert ist, das Schema dieses Verstandesbegriffs, und das Verfahren des Verstandes mit diesen Schematen den 3
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Vgl. der Entwurf Kants zu einem Brief an J. H.Tieftrunk vom 11. 12.1797 (AA XII, 471): " ...unter dem Begriffe [eines Dinges kann] nicht allein dasjenige, was mit ihm identisch ist, sondern auch was durch ihn hervorgebracht und bewirkt wird, subsumiert werden." Kant unterscheidet in dem Brief die logische von der transzendentalen Subsumtion (224). Jedem Leser des Schematismus-Kapitels ist die Schwierigkeit bekannt, die im Beispiel der Subsumtion des Tellers unter den Begriff des Zirkels enthalten ist. Obwohl es sich um die Subsumtion eines einzelnen Tellers unter einen Begriff handeln sollte, spricht diese Stelle vom empirischen Begriff eines Tellers, weil die Subsumtion ja im Urteil, und zwar als eine solche unter Begriffe, stattfindet, so daß das Einzelobjekt dabei durch den Subjektbegriff vorgestellt werden muß. Eine weitere Schwierigkeit kommt hinzu, wenn Kant von der Rundung spricht, die sich im Prädikatbegriff des Zirkels anschauen läßt. Einige Interpreten (Paton 0,26, Anm. 1 ; H. E. Allison (1983) Kap. 8,1) schlagen daher vor, diesen Passus so zu verstehen, daß der Teller durch das Schema des Zirkels unter den entsprechenden Begriff subsumiert wird. Das stimmt zwar mit dem überein, was Kant später über das Schema qua Regel der Synthesis als Instrument der Subsumtion darlegt. Es ist aber unwahrscheinlich, daß er diese ganze Lehre schon zu Beginn des Kapitels voraussetzt, wo es sich zunächst nur darum handelt, die Homogenität als Grund der Möglichkeit der Subsumtion überhaupt aufzuzeigen.
Orientierung des Schematismus-Kapitels
217
Schematismus des reinen Verstandes nennen" (A 140). Dieser Stelle nach ist das transz. Schema eine formale und reine Bedingung der Sinnlichkeit (genitivus subiectivus). Zum anderen schreibt die Stelle das Verfahren mit diesen Schematen dem Verstand zu. Diese gehören in Wirklichkeit weder der Zeit noch der Sinnlichkeit an. Die Zeit bietet nur den Stoff für das Schema als einen Synthesismodus, der eigentlich zur Einbildungskraft gehört. Es ist also diese, die mittels der transz. Schemata handelt, indem sie Bilder nach den Kategorien erzeugt und dadurch die Subsumtion derselben unter die Kategorien ermöglicht. Der Verstand, von dem Kant an dieser Stelle redet, ist folglich das Erkenntnisvermögen, das Apperzeption und Einbildungskraft umfaßt. Letztere ist ferner nicht dasselbe wie die Urteilskraft, welche eigentlich zum Verstände im engeren Sinne als Vermögen zu denken gehört. Da die Einbildungskraft aber mit ihren Schemata, auf der Ebene des Bildes, die Subsumtion eines Begriffes unter den anderen auf der Ebene des Urteils möglich macht, hängt sie mit der Urteilskraft eng zusammen (vgl. KU § 35). Bisher ist die Anfangspartie des Kapitels betrachtet worden, an der sich jede Betrachtung des Schematismus zunächst orientieren muß. Sie geht an das Schema als Instrument der Subsumtion der Erscheinungen unter die Begriffe im Urteil heran. Aber die darauffolgenden Partien des Textes weiten diesen Horizont aus, wenn Kant das Schema als Regel der produktiven Synthesis der Einbildungskraft vorführt. Demgemäß gilt es in einem folgenden zweiten Schritt, das Schema auf der Ebene dieser Synthesis zu verfolgen. Auf ihr spielt sich die Darstellung der transzendentalen Schemata ab, die einen Gipfelpunkt des Kapitels bildet. Scheinbar geht der Text nicht über dieses Niveau hinaus, aber er erwähnt außerdem an drei Stellen das Schema als ein "Produkt" der Einbildungskraft. Worin seine Produktion bestehen mag, bleibt hier unbekannt. Diese Erwähnung zieht jedoch die Möglichkeit und zugleich die Forderung nach sich, daß der Leser aus den Texten und den entsprechenden Phänomenen bestimmt, was die Produktion des Schemas sein kann. Das würde ein drittes, tieferliegendes Niveau des Schematismus bilden, das den zwei früher erwähnten zugrunde liegt. Die Erörterung der Produktion der Schemata gestattet, an die ursprüngliche Erwerbung der Kategorien heranzugehen, welche erstens die Produktion der transzendentalen Schemata selbst und zweitens das Auf-den-BegriffBringen dieser Schemata umfaßt. Wenn dieser Versuch zwar auch über den ausdrücklichen Inhalt des Textes hinausgeht, geht er doch in Wirklichkeit auf das Innere des Schematismus zurück. Bei dieser Erörterung des subjektiven Ursprungs der Kategorien im Sinne ihrer Erwerbung gibt es, wie gesagt, eine doppelte Möglichkeit. Diese Erörterung soll sich zunächst an die traditionellere Deutung halten, der gemäß die Kategorien dem Verstände im engeren Sinne entspringen, so daß ihre Erwerbung aus den transz. Schemata nur die Verwirklichung von fürs erste bloß potentiellen Anlagen des Verstandes sein kann. Die andere Möglichkeit, daß das Entspringen der transz. Schemata nicht nur die ursprüngliche Erwerbung, sondern auch die Geburt der Kategorien selber ist, soll in Kapitel VI betrachtet werden.
218
Sein und Subjektivität bei Kant
§ 24. Bild, Schema und Begriff Auf die fünf Absätze, die den Anfang des Schematismus-Kapitels bilden, folgt der Passus A 140-42, der das Schema überhaupt und die drei Klassen von Schemata in Zusammenhang mit der Synthesis, den Bildern und den Begriffen behandelt. Um der phänomenischen Konkretheit willen gilt es, diesen Text im Horizont der oben (§ 16, E) begonnenen Analyse des Subjekts als organisierter Ganzheit zu interpretieren. Dort wurde auf die Stelle hingewiesen, an dem das Deduktion-Kapitel (A) implizit den Schematismus berührt, aber die Behandlung des Phänomens mußte dieser vorliegenden Gelegenheit vorbehalten bleiben. Um sich einer Reihe von Tönen bewußt zu sein, die in einer Zeitspanne nacheinander erklingen, ist es zuerst notwendig, daß die Einbildungskraft diese Empfindungsinhalte sukzessiv apprehendiert, sie unterscheidet und durchläuft, um sie am Ende zu einem artikulierten Ganzen zu vereinigen. Diese Apprehension der Töne und der Zeitdehnungen, die sie besetzen, ist jedoch als Synthesis nicht möglich, wenn die Einbildungskraft nicht jeweils die schon apprehendierten Töne und Zeiten reproduziert und wenn sie nicht in diesen empirischen und reinen Reproduktionen dieselben Töne und Zeiten wiedererkennt, die soeben vorübergegangen sind. Wie gesagt (§ 16, D), die Rekognition und mit ihr diese dreifache empirische und reine Synthesis der Einbildungskraft gründen wiederum darin, daß jede Phase des apprehendierenden Bewußtseins sowohl die vorhergehenden Phasen als auch deren Inhalte als identische behält. Dieses Apprehendieren ist endlich für sich selbst eine Synthesis nur dadurch, daß es sich seines einheitlichen Verbindungsmodus bewußt ist. Diese Regel ist die Einheit der Synthesis. Kant faßt diese Regel bzw. das Bewußtsein derselben als den Begriff auf (A 103). Das ist die Stelle, an der die Deduktion implizit den Schematismus streift (vgl. oben § 16, E). Der Begriff der Zahl, die nach A 103 die Einheit der Synthesis des Zählens ist, ist in Wirklichkeit die begriffliche Fassung des Schemas der Zahl, welches Kant im Schematismus-Kapitel als "die Einheit der Synthesis" eines gleichartigen Mannigfaltigen bestimmt: "eine Vorstellung ... , die die sukzessive Addition von Einem zu Einem (gleichartigen) zusammenbefaßt" (A 142-43). Wenn man fünf Töne zählt, kann sich das Zählen seines einheitlichen Modus, dieses Mannigfaltige zu verbinden, und dadurch seiner selbst als einheitlicher Handlung bewußt sein. Das Schema ist auf doppelte Weise Grund der Synthesis, insofern es ihr nicht nur Einheit, sondern auch Bestimmtheit verschafft, d.h. die Weise, wie sie verbindet. Dergestalt faßt die transz. Deduktion das Schema als einigende Einheit der Synthesis der Einbildungskraft in den Blick. Dagegen betrachtet die Stelle A 141-42 das Schema thematisch in Beziehung einerseits auf das anschauliche Mannigfaltige und das Bild und andererseits auf den Begriff. Der Schematismus erschöpft sich nicht im bloßen Gebrauch von transz. Schemata. Aus diesem Grunde und weil sich die einleitenden Absätze des Kapitels nur auf
Bild, Schema und Begriff
219
letztere beziehen, ist es nun nötig, das Schema im allgemeinen und seine verschiedenen Klassen zu betrachten. Der mittlere Absatz von A 140 geht auf das erstere Thema: "Das Schema ist an sich selbst jederzeit nur ein Produkt der Einbildungskraft, aber indem die Synthesis der letzteren keine einzelne Anschauung, sondern die Einheit in der Bestimmung der Sinnlichkeit zur Absicht hat, so ist das Schema doch vom Bilde zu unterscheiden." Es handelt sich hier um das Schema "an sich selbst" und im allgemeinen, und nicht um das auf den Begriff gebrachte Schema der Kategorie, d.h. um die "schematisierte" Kategorie, welche laut dem vorangehenden Absatz ihr Schema "enthält". Das Schema überhaupt ist vor allem ein Produkt der Synthesis der Einbildungskraft, wie Kant noch zweimal betont (A 141-42). Da das Bild aber auch ein Produkt derselben ist, ist es nötig, das Schema vom Bilde zu unterscheiden. Das Bild ist eine "einzelne Anschauung", z.B. fünf Punkte auf dem Papier, die kein Zeichen der Zahl Fünf, sondern eine sinnliche Größe sind. "Eine Anschauung" heißt in diesem Kontext keine bloße Erscheinung, sondern eher das Bild als synthetische Einheit eines bestimmten anschaulichen Mannigfaltigen, mit einer gewissen vorbegrifflichen Bestimmtheit und vereinzelt in einem Raum und einer (wirklichen oder imaginären) Zeit. Ein jedes sich zeigende Objekt im Räume ist in dieser Hinsicht ein Bild (vgl. A 120). Im engeren Sinne nennt Kant Bild auch das Ab- oder Vor-Bild eines abwesenden Objekts. Im Gegensatz dazu ist das Schema der Zahl Fünf die Vorstellung von einem "allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft" oder von "einer Methode", dieses Bild synthetisch zu erzeugen. Als eine solche stellt das genannte Schema das allgemeine Wie dieser bestimmten Synthesis vor, nämlich eine Sukzession von Additionen, welche allen individuellen Synthesen gemeinsam ist, die Bilder einer derartigen Zahl erzeugen. Außer dieser Beziehung auf das Verbinden verweist das Schema auf das bestimmte Mannigfaltige, das es zu verbinden gilt, z.B. auf die Einheiten, um ein Bild der Zahl Fünf zu produzieren. Endlich verweist das Schema als eine solche Methode nicht nur auf die Bilder als seine individuellen Produkte, sondern auch auf den Begriff als allgemeine Vorstellung des möglichen Produkts dieser Synthesis. In Hinblick auf diesen Begriff kann das Schema als ein Mittel angesehen werden, das dem zu leistenden Zweck untergeordnet wird, welcher durch diesen Begriff vorgestellt wird. Diese Bestimmung des Schemas überhaupt als Verbindungsmethode oder verfahren stimmt mit der Kennzeichnung des Schematismus als direkte Darstellung (exhibitio) eines Begriffs in der Anschauung a priori überein. 5 Im Falle der 5
Vgl. z.B. KU § 59: "Alle Hypotypose (Darstellung, subiectio sub adspectum) als Versinnlichung ist zwiefach: entweder schematisch, da einem Begriffe, den der Verstand faßt, die korrespondierende Anschauung a priori gegeben wird; oder symbolisch" usw. Über die symbolische Darstellung vgl. unten § 28. In den Fortschritten, AA XX, 279, wird ferner gesagt: "Einen reinen Begriff des Verstandes, als an einem Gegenstande möglicher Erfahrung denkbar vorstellen, heißt, ihm objective Realität
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Sein und Subjektivität bei Kant
mathematischen Begriffe wird diese Darstellung von Kant als Konstruktion bezeichnet. Ein Passus von A 713-14 zeigt klar, daß die Darstellung eines solchen Begriffs in der Anschauung eine jeweils bestimmte Weise des Zusammensetzens ist, d.h. die Regel desselben, welche im Unterschied zum je produzierten Bild (zur Figur) allgemein ist, insofern ihr die individuellen Besonderheiten des Bildes gleichgültig sind. Wenn A 141 das Schema als "Regel der Synthesis" und "Regel der Bestimmung unserer Anschauung" bestimmt wird, dann bedeutet "Regel" nicht Begriff oder Urteil, wie an anderen Stellen, sondern eben Methode und Verfahren. Das Gesagte gestattet, das Bewußtsein des Schemas vorläufig zu kennzeichnen. Dieses Bewußtsein ist die dreifache Synthesis, die sich selbst, und zwar anschaulich, jeweils als eine bestimmte Weise zu verbinden, und damit als eine Synthesis, offenbar ist. Nun kann man sich des Verbindens nicht ohne das reine oder empirische Mannigfaltige bewußt werden, das verbunden wird. Dessen Mannigfaltigsein konstituiert sich gerade in der Synthesis (vgl. oben § 16, A) und zwar als eine Vielheit, die dabei gemäß der waltenden Regel jeweils die eine oder andere anschauliche Bestimmtheit bekommt, z.B. als homogene Einheiten. Das Bewußtsein des Schemas ist darum zugleich Bewußtsein des (reinen oder empirischen) Bildes, das noch im Aufbau ist oder das auch schon fertig vorliegt, wenn man an ihm den Prozeß seines Aufbaus nachvollzieht. Endlich hängt dieses Bewußtsein mit dem eines (vorher bestehenden oder möglichen) Begriffes zusammen, von dem her oder auf den hin das Schema offenbar ist. Das konkrete Bewußtsein des Schemas als Regel des Verbindens umfaßt alle diese Phänomene, ohne daß das Schema selbst die Synthesis, das Mannigfaltige, das Bild oder der Begriff wäre. Es ist nicht überflüssig, zu betonen, daß das Schema weder als ein (vollständiges oder unvollständiges 6 ) Bild noch als ein Begriff desselben oder Urteil über dasselbe bewußt ist. Will man die Anschaulichkeit des schematischen Bewußtseins begreifen, muß man berücksichtigen, daß wir nicht nur Bilder anschauen, sondern auch das Verbinden, und zwar in eins mit dem werdenden Bild. So schauen wir an, wie ζ. B. das Bild eines Hexagons durch die sukzessive Hinzufugung seiner Seiten entsteht. Das dabei angeschaute Wie des Verbindens ist zugleich anschaulich und allgemein.
6
verschaffen, und überhaupt, ihn darstellen. Wo man dieses nicht zu leisten vermag, ist der Begriff leer, d.i. er reicht zu keinem Erkenntniß zu. Diese Handlung, wenn die objective Realität dem Begriff geradezu (directe) durch die demselben correspondierende Anschauung zugetheilt, d.i dieser unmittelbar dargestellt wird, heißt der Schematism" usw. Das Wort "Schema" bedeutet u.a. auch Umriß. Das Kantische Schema ist aber kein "abgekürztes" Bild im Sinne eines Umrisses, denn dieser ist immer, trotz seiner V e r s c h w o m m e n h e i t und Unvollständigkeit, das Bild eines Einzelnen, das auf eine bestimmte Art oder Klasse beschränkt ist. Der Umriß eines Hundes wird immer mehr einer Rasse (ζ. B. dem Pinscher) als einer anderen (ζ. B. der Dogge) ähneln. Wenn Kant A 142 vom mathematischen Schema sagt, es sei ein "Monogramm" der reinen Einbildungskraft, dann kann dieses Wort kein skizzenhaftes Bild bedeuten, sondern eher eine allgemeine Regel der Synthesis, welche als eine solche Regel eine ihr eigentümliche Formalität besitzt.
Bild, Schema und Begriff
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Da wir bei der Produktion eines Bildes die Weise anschauen, in der wir es erzeugen, kann diese Weise das Produzieren selbst leiten. Der lange Absatz, der sich von A 140 bis 142 erstreckt, betrachtet mehrere Klassen von Schemata. Wie gesagt, die Synthesis kann, je nach der Art ihrer Leistungen, rein-sinnlich, empirisch oder transzendental sein. Darum muß es drei entsprechende Klassen von Schemata geben, die die Synthesis jeweils leiten: a) transzendentale Schemata, um "Bilder" des empirischen Gegenstandes überhaupt zu erzeugen, oder b) Schemata, um Bilder von besonderen Gegenständen oder Gegenständlichkeiten zu erzeugen, d.h. b . l ) empirische Schemata hinsichtlich der empirischen Gegenstände und ihres Soseins und b.2) mathematische Schemata hinsichtlich der Bilder von Größen und Zahlen. 7 Dennoch hat der Text A 140-42 nicht diese Klassen von Schemata zum Thema, sondern eher die Rolle dieser verschiedenen Schemata als Instrumente der Subsumtion von Bildern unter Begriffe, die jeweils mehr oder weniger ungleichartig sein können. Ihre Ungleichartigkeit kann in der Tat total sein, wenn der Begriff und das sinnliche Bild inhaltlich völlig verschieden sind, wie bei den Kategorien und den Erscheinungen (A 137-38), oder partiell, wie bei den anderen (empirischen oder mathematischen) Begriffen und ihren Bildern. Obwohl im letzteren Fall eine gewisse Gleichartigkeit besteht - denn die Bilder werden nach bestimmten Begriffen erzeugt -, liegt auch eine partielle Ungleichartigkeit vor, denn das Bild hat immer mehr Inhalt (Merkmale) als der entsprechende Begriff. Eine solche partielle Ungleichartigkeit hat Grade, die eine aufsteigende Reihe bilden. Diese Skala bestimmt die Ordnung, in der die drei Klassen von Schemata in der genannten Passage behandelt werden. a) Der niederste Grad dieser Skala betrifft die Ungleichartigkeit zwischen den reinen sinnlichen Begriffen und ihren Bildern. Zum Beispiel sind die Bilder von Dreiecken dem Begriff des Dreiecks überhaupt in Teilen kongruent, aber in anderen sind sie ihm inkongruent, insofern sie als einzelne Dreiecke immer Bilder von niedersten Arten sind, z.B. rechtwinklig, schiefwinklig usw., und nie bloße Bilder der Gattung "Dreieck" schlechthin. Da diese Bilder immer mehr Bestimmungen (Differenzen) als ihr Gattungsbegriff besitzen, sind sie darauf eingeschränkt, nur Bilder seiner Arten zu sein, und erreichen nie seine Allgemeinheit. Dem Begriff des Dreiecks ist eigentlich nur sein Schema angemessen, insofern dieses "eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft" (A 141) ist, um ein jedwedes Dreieck zu erzeugen. In dieser Hinsicht sagt Kant, daß diesen Begriffen "nicht Bilder der Gegenstände, sondern Schemate zum Grunde" liegen (A 140). Der kommende Paragraph wird zeigen, daß dies zugleich die Bildung dieser Begriffe selber betrifft.
7
Die Ordnung, in der Kant diese Klassen von Schemata behandelt, entspricht nicht ganz ihrem Fundier u n g s z u s a m m e n h a n g : D i e e m p i r i s c h e n S c h e m a t a setzen dip' m a t h e m a t i s c h e n und d i e s e die transzendentalen voraus.
222
Sein und Subjektivität bei Kant
Da das Schema des Dreiecks der Allgemeinheit des entsprechenden Begriffs angemessen ist, kann es "niemals anderswo als in Gedanken existieren" (A 141). Das heißt nicht, daß das Schema ein Begriff ist, in welchem Falle die Bemühung Kants vergeblich wäre, Begriffe und Schemata zu unterscheiden. Wenn das Schema ein Begriff wäre, würde ferner von neuem das Bedürfnis entspringen, zu diesem ein Schema zu suchen und so ins Unendliche. Daß das Schema nur in Gedanken existiert, besagt, daß es kein individuelles Bild, sondern eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft ist. Das Bewußtsein des Schemas ist ein Denken, insofern es zum Verstand im Sinne der Beziehung der Apperzeption auf diese Synthesis gehört.8 Der betrachtete Text verschweigt, daß die Inkongruenz zwischen diesen Begriffen und ihren Bildern gerade notwendig macht, daß die mathematischen Schemata die Subsumtion dieser unter jene vermitteln. Im vorangehenden Absatz (A 140) scheint Kant anzudeuten, daß die Zusammenschau eines Zahlbildes (ζ. B. von tausend Punkten) und dessen Vergleichung mit dem entsprechenden Begriff nur durch das Schema möglich ist. b) Das geometrische Bild erreicht zwar nie die Allgemeinheit seines Begriffes. "Noch viel weniger erreicht ein Gegenstand der Erfahrung oder Bild desselben jemals den empirischen Begriff..." (A 141). Die Ungleichartigkeit, die zwischen ihnen besteht, ist noch größer, denn obwohl der Begriff vom "Hund" einem unselbständigen Moment des Bildes eines einzelnen Hundes gleichartig sein mag, hat dieses noch viele andere Merkmale, und zwar in größerer Zahl als das mathematische Bild im bezug auf seinen Begriff. Im Bereich des Empirischen kann diese Inkongruenz größer sein, weil hier eine größere Menge von Arten zwischen einem gegebenen Gattungsbegriff und den niedersten Arten besteht und weil das Individuum eine größere Zahl vereinzelnder Merkmale haben kann als im mathematischen Fall. Infolgedessen ist das empirische Bild in viel kleinerem Maß als das mathematische ein (adäquates) "Bild" seines Gattungsbegriffes. Darum "bedeutet" dieser Begriff nicht eigentlich ein solches Bild, sondern "bezieht sich jederzeit unmittelbar auf das Schema der Einbildungskraft, als eine Regel der Bestimmung unserer Anschauung, gemäß einem gewissen allgemeinen Begriffe" (A 141). Jeder Begriff, der nicht leer ist, bedeutet etwas, d.h. bezieht sich auf sein Objekt, aber auf ein solches, das weder mehr noch weniger Merkmale hat als sein Begriff. Darum bedeutet der empirische Begriff vom "Hund" nicht ein Bild irgendeines Hundes, sondern sein Schema, das das ihm im strengen Sinne adäquate Objekt ist. Dasselbe gilt für den Begriff des Dreiecks (A 141). Die mathematischen und die empirischen Schemata sind ihren entsprechenden Begriffen adäquat, weil sie je auf ihre Weise allgemein sind. Das Schema des "Hun-
8
Vgl. z.B.: "Ich kann mir keine Linie, so klein sie auch sei, vorstellen, ohne sie in Gedanken zu ziehen" (A 162). Vgl. auch Β 137-38 und 154.
Bild, Schema und Begriff
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des" ist eine Regel zur allgemeinen "Verzeichnung"9 der Gestalt eines solchen vierftißigen Tieres und ist nicht auf die Produktion eines Bildes eines so und so bestimmten wirklichen oder möglichen Hundes eingeschränkt. Infolge der partiellen Ungleichartigkeit der mathematischen und empirischen Begriffe in Beziehung zu ihren Bildern bedarf die Subsumtion dieser unter jene der Vermittlung des Schemas. Diese Perspektive bleibt im erörterten Text bis A 142 implizit, wo Kant dann von den (reinen) Bildern sagt, daß sie "mit dem Begriffe nur immer vermittelst des Schema, welches sie bezeichnen, verknüpft werden müssen, und an sich demselben nicht völlig kongruieren." Demgemäß verweist nicht nur der Begriff auf sein Schema als seinen adäquaten Gegenstand, sondern dieses verweist, in umgekehrter Richtung, auf seinen Begriff, insofern sich die Produktionsregel auf ihr entsprechendes Produkt (ihren Zweck) überhaupt bezieht. Die werdenden oder schon fertigen Bilder "bezeichnen" ihrerseits das Schema, das ihre Produktion regelt. Da das Schema sie "einem gewissen Begriffe gemäß" ( A 140) erzeugt, sind die Bilder dem Begriff mehr oder weniger gleichartig. Dank dieser Gleichartigkeit beziehen sich die Bilder auf ihr Schema, welches sie seinerseits auf den entsprechenden Begriff verweist. 10 Das ist die Art, in der das Schema innerhalb dieses Bezugsganzen zum Instrument der Subsumtion dienen kann. Damit bestätigt sich die oben vorausgeschickte These, daß die Schemata eine derartige Vermittlungsfunktion ausüben, weil sie vorher die Bilder gemäß den Begriffen erzeugen. Zu diesem Kontext der Ungleichartigkeit von Begriffen und Bildern gehört die stillschweigende Auseinandersetzung Kants mit dem Nominalismus. Seine Wiederentdeckung der Differenz zwischen Denken des Allgemeinen und Anschauen der Einzelheiten bewegt ihn zweifellos dazu, die Möglichkeit der allgemeinen Vorstellungen gegenüber der Kritik Berkeleys und des nachfolgenden Nominalismus zu rechtfertigen. Einer verbreiteten Meinung gemäß vertritt Locke die These, es sei möglich, sich eine Gattung wie das Dreieck überhaupt in einem Bilde vorzustellen, 9
"Der Begriff vom Hunde bedeutet eine Regel, nach welcher meine Einbildungskraft die Gestalt... allgemein verzeichnen kann" (A 141). 10 Vgl. A 714: Das Bild drückt den Begriffaus, wenn man nur auf die Konstruktion desselben achtet. Man kann freilich dann fragen, ob das Schema, um als ein solcher Vermittler zu fungieren, nicht eines weiteren Vermittlers zwischen ihm und dem sinnlichen Stoff bedarf usw. (vgl. Düsing, 1995,64 ff.). Meines Erachtens bedarf das Schema keiner weiteren Vermittlung, weil es die beiden zu verbindenden Ufer schon in sich verbindet. Das Problem ist vielmehr dasjenige, wie bei der Produktion des transz. Schemas diese beiden Extreme erstmals verbunden werden können. Diese Frage wird in R 6359 gestreift, wenn Kant die These kommentiert, daß durch das transz. Schema die Anwendung der Kategorien auf die Erscheinungen vermittelt wird: "Die Schwierigkeit scheint zu sein, weil die transzendentale Zeitbestimmung selbst schon ein Product der Apperception im Verhältnis auf die Form der Anschauung ist und also auch selbst die Nachfrage erregt, wie die Anwendung der Categorie auf die Form der Anschauung möglich sei, da Categorien und Form der Anschauung heterogen sind. Überhaupt ist der Schematism einer der Schwierigsten Puñete" (Hervorgh. Vf.). Vgl. dazu meine Interpretation der Erzeugung des transz. Schemas in § 27 und in Kap VI.
224
Sein und Subjektivität bei Kant
das weder rechtwinklig noch schiefwinklig wäre, d.h. ohne die spezifischen und vereinzelnden Differenzen (vgl. Essay, IV, Kap. VII, 9). Wie es auch mit der Richtigkeit dieser Meinung stehen mag, Berkeley versteht Locke faktisch so und weist auf die Unmöglichkeit hin, sich ein solches allgemeines Bild vorzustellen (vgl. Principles, Einl. § 13). Da Berkeley annimmt, jedes Vorstellen sei ein Einbilden, folgert er daraus die Unmöglichkeit, Allgemeines vorzustellen, und damit auch die Inexistenz aller Allgemeinheit. Infolgedessen muß die nominalistische Philosophie aufweisen, wie aus unserem Vorstellen von Einzelheiten der Schein der allgemeinen Vorstellungen entspringt. Obwohl Kant nicht direkt auf den modernen Nominalismus anspielt, bezieht sich der ganze Passus A 140-42 auf diesen Fragenkomplex. Gegenüber dem Nominalismus vertritt Kant die Auffassung einer Existenz der Allgemeinheiten, zwar nicht als selbständiger Substanzen, sondern als Begriffe, die von den sinnlichen Vorstellungen verschieden sind. Gemäß der Kritik Berkeleys betont aber diese Stelle, daß der Gattungsbegriff kein adäquates Bild hat, denn dieses ist immer reicher an spezifischen und vereinzelnden Differenzen als jener. Kant nimmt zugleich wie der Empirismus an, daß dieser Begriff leer und ohne Bedeutung wäre, wenn ihm kein adäquates Objekt in der sinnlichen Anschauung entsprechen würde. Aber während der Empirismus nur Eindrücke und Bilder anerkennt und aus der Unmöglichkeit der allgemeinen Bilder auf die Inexistenz des Allgemeinen schließt, vertritt Kant die These, daß das anschauliche adäquate Korrelat des Gattungsbegriffes kein Bild ist, sondern das Schema. Einige Stellen scheinen sogar auf den erwähnten Text Berkeleys anzuspielen, wenn sie behaupten, die Demonstration eines geometrischen Theorems gründe nicht in einem einzelnen Bild, z.B. eines Dreiecks, sondern in der Handlung der Konstruktion des Begriffes, der die spezifischen Differenzen gleichgültig sind, so daß das Bewußtsein des Schemas von ihnen abstrahiert (vgl. z.B. A 713-14). c) Die angeführte partielle Heterogenität erreicht ihren höchsten Grad im Verhältnis zwischen den Kategorien und den anschaulichen Einheiten, die als Produkte der Synthesis der Einbildungskraft ihre "Bilder" zu nennen sind. Die mathematischen oder die empirischen Bilder kongruieren ihren entsprechenden Begriffen nicht völlig (A 142). "Dagegen ist das Schema eines reinen Verstandesbegriffs etwas, was in gar kein Bild gebracht werden kann..." (a.a.O.). Während in jenen Fällen das Bild wegen seines zusätzlichen Inhalts nur zum Teil "Bild" eines Gattungsbegriffs war, scheint nun das Bild z.B. eines Körpers gar nicht das Bild der Kategorie der Substanz zu sein. Wenn dem aber so wäre, entbehrten der reine Begriff und sein Schema ihrer Bilder, was der allgemeinen Bestimmung des Schemas als Methode zur Produktion der Bilder eines Begriffs widersprechen würde. Vor allem ist klar, daß die erwähnte Ungleichartigkeit nicht dieselbe totale Heterogenität zwischen Kategorien und Erscheinungen meint, von der im vorigen Paragraphen die Rede war, sondern die partielle Ungleichartigkeit zwischen diesen Begriffen und ihren "Bildern". Diese reinen Begriffe entbehren um so weniger der
Bild, Schema und Begriff
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Bilder, als alle Objekte im Grande "Bilder" derselben sind. Aber so, wie es unmöglich ist, jemals ein Bild zu finden, das ausschließlich Bild der Gattung "Tier" ist - und es gibt nur Bilder von Einzelheiten der entsprechenden niedersten Spezies (d. h. von Hunden, Pferden, Menschen, usw.) -, so gibt es auch keine Bilder, die einzig und allein Bilder von Substanzen oder extensiven Größen wären. Aber eine solche Inkongruenz erreicht hier ihren höchsten Grad, weil die Kategorien Begriffe des Gegenstandes überhaupt sind. Infolge ihrer höchsten Allgemeinheit als transzendentale Begriffe besteht zwischen ihnen und den Bildern eine größere Zahl von empirischen oder reinen Gattungen und Arten als zwischen jedem anderen Begriff und seinen Bildern. Das Bild eines Körpers hat deshalb einen so großen Reichtum an Bestimmungen, die unter die Kategorien fallen, daß es nicht das adäquate Bild des Substanzbegriffes sein kann. Das ist der Sinn, in dem gesagt werden kann, daß die Kategorien eigentlich keine Bilder haben, obwohl alle empirischen Gegenstände und alle mathematischen Gegenständlichkeiten "Bilder" dieser Begriffe sind. Das, was in diesen Bildern diesen Begriffen korrespondiert, sind freilich unselbständige Momente an ihnen. Diese Deutung wird durch den Text selbst bestätigt. Zwei Absätze weiter erklärt Kant, daß der Raum das reine Bild aller Größen des äußeren Sinnes ist, ebenso wie die Zeit das reine Bild aller Gegenstände als Größen. Raum und Zeit sind nicht etwa fur sich selbst Bilder, sondern nur als synthetische Produkte gemäß dem Begriff der Größe, der alle Kategorien der Quantität zusammen enthält. In dieser Hinsicht haben diese Kategorien ihre reinen Bilder. Die Zeit als extensive Größe ist aber nicht das Bild eines Einzelobjektes, das man selbständig vorstellen könnte, sondern ein "Bild", das als unselbständiges Moment in allen Objekten beschlossen ist. Demgemäß ist anzunehmen, daß jedem transz. Schema sein reines Bild zukommt. Daher legt Kant zunächst die Schemata der Quantität und der Qualität dar und begnügt sich dann damit, die reinen Bilder flüchtig vorzustellen, die den übrigen Kategorien entsprechen. Als Schema der Substanz wird die Beharrlichkeit des realen Objekts angegeben, während das Schema als Synthesisregel, die die Beharrlichkeit konstituiert, implizit bleibt. Die hier erörterte Schwierigkeit betrifft eine Doppeltheit und ein Schwanken in der Bestimmung des Schemas, mit der die Kantischen Darlegungen zum Schematismus sowie deren Interpretationen behaftet sind. Kant bestimmt einerseits explizit das Schema als Methode, d.h. als Regel oder Modus der Synthesis, Bilder eines Begriffes zu erzeugen (A 140). Faktisch fuhrt er aber auch so etwas wie Bilder als Schemata der Kategorien an (A 144 ff.). So ist die Beharrlichkeit (z.B. eines Berges in der Zeit) das Schema der Substanz. Warum liegt hier diese Doppeltheit vor? Versuchen wir, dies anhand eines einfacheren Beispiels zu erklären. Wir können drei gerade Linien auf verschiedene Weisen verbinden; nur wenn wir sie an ihren Endpunkten so verbinden, daß sie einen Raum einschließen, der drei Seiten und drei Winkel hat, erzeugen wir ein Dreieck. Dieses bestimmte Wie des Verbindens
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Sein und Subjektivität bei Kant
dieses Mannigfaltigen ist das Schema des Dreiecks, an das wir uns beim Zeichnen dieser Figur halten. Wenn diese Synthesis vollendet ist, dann zeigt sich uns ein einzelnes Dreieck, und mit ihm das Wie des Verbundenseins der drei Geraden. Dieses Wie ist von dem Wie des Verbindens verschieden - denn es betrifft nicht mehr unser Tun -, aber beide sind korrelativ und verweisen auf einander. Schon während des Verbindens sind wir auf die Art bezogen, in der der zu erzeugende Zweck verbunden sein soll. Daher versteht Kant mit Recht unter Schema bald das Wie des Verbindens, bald das Wie des Verbundenseins des Bildes, aber ohne dieses Wie vom Bilde selbst klar zu unterscheiden. Dazu trägt noch zusätzlich bei, daß dieses Verbundensein wie das Bild jeweils eine Einzelheit ist und noch kein Begriff." Dagegen ist das Schema als Regel des Verbindens allgemein (A 140), aber noch anschaulich, d. h. ohne begriffliche Fassung seiner Allgemeinheit. Da das Verbundensein dem Verbinden entspringt, sollte man unter Schema primär das Wie des Verbindens verstehen. In beiden Bedeutungen dient das Schema als Vermittler zur Subsumtion des einzelnen unter den Begriff.12 Ein Beispiel der doppelten Bedeutung von "Schema" liefern der Brief Kants an J. H. Tieftrank vom 11. Dez. 1797 (AA XII, 222-25) und der Entwurf zu diesem 11 Obwohl Heidegger in KPM (§§ 19 ff.) der Bestimmung des Schemas als Regel der Synthesis gewahr wird, unterscheidet er nicht die Vorstellung des Schemas beim Verbinden des Mannigfaltigen und die Vorstellung desselben beim fertigen Bild, und er reduziert die Anschaulichkeit des Schemas auf ein solches Sichzeigen des Bildes, das er Schema-Bild nennt. Entsprechend unterscheidet er auch nicht die Art, in der das Schema dabei jeweils offenbar wird: Beim Verbinden zeigt sich die Regel eines Tuns mit; am Bild zeigt sich eher die synthetische Einheit mit, die jener Regel korrelativ ist. Ferner tendiert Heidegger dahin, den Begriff auf das Schema zu reduzieren, und sieht nicht die positive Leistung des Begriffes gegenüber dem Schema ein. Würden wir uns nämlich auf der Ebene des Anschauens von Schemata halten, dann würden wir, wie der Jagdhund, zwar den Hasen "kennen" und jagen, aber wir könnten nicht über ihn sprechen, d. h. ihn denken. Heidegger sieht den Schematismus dabei auch einzig als Versinnlichung von (schon fertigen) Begriffen und überspringt damit seine wichtigste Funktion der Erzeugung von Schemata und damit von (noch nicht bestehenden) Begriffen. - Nach H. Mörchen (1930, S. 426) schaut m a n d a s Schema von einem bestimmten Bild her als das All der möglichen Varianten dieses Bildes an: "Das Schema des Dreiecks ist gleichsam das Bild eines Dreiecks, dessen Schenkel in ständiger Drehbewegung, Verkürzung und Verlängung, dessen Eckpunkte in ständiger spielender Verschiebung gegeneinander sind, doch so, daß jedes im Schematisieren ermöglichte Bild noch die allgemeinen Charakteristika des Dreiecks aufweist." Ob ein solches gleichzeitiges Sehen von all diesen möglichen Bildern ein echtes Phänomen oder nicht eher eine philosophische Erfindung ist, bleibt offen; sicher ist, daß so etwas nicht das Schema als Verfahren ist, ein jedes Dreieck zu zeichnen. Heidegger und Mörchen können in die Irre gehen, weil sie u.a. nicht beachten, daß Kant das Schema von der genetischen Definition her gewinnt. A 714 hebt Kant ausdrücklich die einzelne Figur von der "Handlung der Konstruktion des Begriffs" ab, d. h. vom Schema als einer bestimmten Handlungsweise. Vgl. Fr. Kaulbach ( 1965), der den Charakter des Schemas als Verfahrens und Vollzugsform betont. Weil Daval (1951, 94 ff.) dagegen den Methodencharakter des Schemas übersieht, faßt er dieses als den dem Stoff aufgeprägten "Abdruck" des Begriffes. Das Schema wird dann entweder mit dem Bild verwechselt oder im besten Falle als die synthetische Einheit im fertigen Bild gedacht, die nur ein unselbständiges Moment in diesem ist. 12 Das gilt nicht nur fur die Subsumtion des einzelnen unter die entsprechende niederste Art, sondern auch unter die höheren Arten und Gattungen, denn ein einzelnes rechtwinkliges Dreieck enthält als
Bild, Schema und Begriff
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Brief (ibidem, 467-73), welche auch wichtige Hinweise auf die Art enthalten, wie sich die Lehre des Schematismus bis zu diesem späten Zeitpunkt fortentwickelt. Obwohl diese Texte, vor allem der Entwurf, Alterserscheinungen offenbaren, kann man ihnen mit mehr oder weniger Sicherheit folgende Unterscheidungen entnehmen: 1. Kategorie ist der Begriff der Zusammensetzung (der synthetischen Einheit) des Mannigfaltigen überhaupt (222,468). 2. Das transzendentale Schema wird einerseits als Begriff "des Zusammengesetzten aus Vorstellungen des inneren Sinnes" (224) aufgefaßt, was die Deutung des Schemas als eines reinen Bildes nahelegt. Vgl. auch: "Das a priori ... Zusammengesetzte dieser Anschauung ist das Schema des Verstandesbegriffs" (470). Andererseits bestimmt Kant das Schema als Regel und als Begriff des Zusammensetzens oder der Zusammensetzung: "Regel der Zusammensetzung" (472, Z.7-8); die Zusammensetzung ist "nicht unmittelbar in der Anschauung enthalten, sondern nur bloß im Actus des Zusammensetzens und vermittelst desselben" (469). Vgl. 222 (Z. 28-29): "Begriff oder Bewußtsein des Zusammensetzens". 3. Schematisieren ist der Akt (die Handlung) des Zusammensetzens (der Synthesis) gemäß der Kategorie (470). 5. Schematism (Schematismus) der Urteilskraft ist das Vermögen (oder die Funktion) der Synthesis des Mannigfaltigen in der Zeit gemäß der Kategorie, und daher auf Zeit und Kategorie bezogen (468), wodurch das Bild als Zusammengesetztes erkannt und unter die Kategorie subsumiert wird (222). Im Text der Kritik (A 142), der auf das Verhältnis von Kategorien und Bildern eingeht, bleibt unausgedrückt, was Kant eigentlich sagen will: Wenn die Ungleichartigkeit der Kategorien und ihrer "Bilder" so groß ist, können nur die transz. Schemata diese unter jene subsumieren. Der transzendentale Charakter der Schemata der Kategorien spiegelt sich gegen Ende der Stelle wider. Ihr Ziel ist nicht, Bilder bestimmter Gegenstände zu erzeugen; sie sind eher kategorial gegründete Verbindungsweisen, die auf die bloße synthetische Einheit der sinnlichen Mannigfaltigkeit in der Zeit überhaupt gerichtet sind, infolge der Beziehung dieser Mannigfaltigkeit auf die Einheit der Apperzeption. Der erörterte Passus (A 140-42) behandelt das Schema überhaupt und seine verschiedenen Klassen innerhalb des Bezugsganzen der Synthesis, des Bildes und des Begriffs. In diesen Beziehungen kommen implizit die drei Dimensionen des Schematismus in ihrem Bedingungszusammenhang zum Vorschein. Schematismus ist nach A 140 ein Verfahren des Verstandes (im weiteren Sinne), und zwar primär der Einbildungskraft (vgl. 145), mit den Schemata. Was kann diese mit den Schemata machen?
unselbständiges Moment auch die synthetische Einheit des Dreiecks, des Polygons, der geschlossenen Figur usw. Wäre das nicht so, dann wäre es ganz willkürlich, so eine Figur als Dreieck, Polygon, Figur usw. zu bezeichnen.
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Sein und Subjektivität bei Kant
1. Sie trägt dazu bei, die Bilder unter ihre entsprechenden B e g r i f f e zu subsumieren. Das ist die oberflächliche Funktion des Schematismus, die im vorigen Paragraphen behandelt wurde. 2. Diese Leistung der Einbildungskraft gründet im Schematismus als Gebrauch des Schemas qua Regel der synthetischen Produktion der Bilder. 3. Dieser Gebrauch des Schemas in der Bildproduktion gründet seinerseits in der vorgängigen Produktion des Schemas selbst, die die tiefste Dimension des Schematismus ist, welche in § 27 noch behandelt werden soll. Im obigen Umriß des Bewußtseins des Schemas wurde vor allem die zweite Dimension desselben berücksichtigt Dieses Bewußtsein wandelt sich vermutlich, je nachdem es auf die eine oder die andere Dimension des Schematismus gerichtet ist.
§ 25. Die Darstellung
der transzendentalen
Schemata
Unmittelbar nach der Behandlung des Schemas überhaupt und der drei Klassen von Schemata stellt Kant die transzendentalen Schemata in zehn kleinen Absätzen dar, die sich von A 142 bis 145 erstrecken. Der Umfang dieses Passus und seine Stellung innerhalb des Kapitels, sowie das Ziel des letzteren, weisen daraufhin, daß er den Gipfelpunkt des Textes bildet. Im folgenden beschränke ich mich nicht darauf, diesen Text zu betrachten. Es gilt, die transz. Schemata aus der Gesamtperspektive zu erörtern, die durch die vorangehende Interpretation geöffnet wird. Demgemäß wird jeweils versucht, die Weise der Synthesis, die das Schema selber ist, ausdrücklich zu machen, welche im Text meistens implizit bleibt. Jedes Schema wird innerhalb seiner Klasse erörtert. Eine Interpretation des Systems der transzendentalen Schemata in allen seinen Besonderheiten bleibt aber Kapitel VI vorbehalten.
A. Die Klasse der Quantität Kant legt die Synthesisweise, die den Kategorien der Quantität entspricht, also das Schema der Zahl, folgendermaßen dar: "Das reine Bild aller Größen (quantorum) vor dem äußeren Sinne, ist der Raum; aller Gegenstände der Sinne aber überhaupt, die Zeit. Das reine Schema der Größe aber (quantitatis) als eines Begriffs des Verstandes, ist die Zahl, welche eine Vorstellung ist, die die sukzessive Addition von Einem zu Einem (gleichartigen) zusammenbefaßt. Also ist die Zahl nichts anderes, als die Einheit der Synthesis des Mannigfaltigen einer gleichartigen Anschauung überhaupt, dadurch, daß ich die Zeit selbst in der Apprehension der Anschauung erzeuge" (A 142-43).
Transzendentale Schemata
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Dieser Passus stellt ganz klar die reinen Bilder von Größen einerseits und gegenüber das transzendentale Schema andererseits.' 3 Im folgenden sollen zunächst dieses Schema und dann von ihm her seine Bilder betrachtet werden. Wie gesagt, die Schemata sind, obzwar Regeln der synthetischen Produktion, nur in Beziehung auf ein bestimmtes Mannigfaltiges und auf ein bestimmtes Bild zu fassen. Darum sollen die folgenden Ausführungen der übrigen Klassen die jeweils entsprechenden Mannigfaltigkeiten und Bilder herausteilen, selbst wenn der Text das nicht ausdrücklich macht. 14 Nach der angeführten Passage stellt das Schema der Quantität eine sukzessive Synthesis homogener Einheiten vor, d. h. diskreter Zeiten und Räume oder der in ihnen gegebenen Erscheinungen. Diese Synthesis schreitet von solchen Teilen zu einem Aggregat fort. "Eine extensive Größe nenne ich diejenige, in welcher die Vorstellung der Teile die Vorstellung des Ganzen möglich macht, (und also notwendig vor dieser vorhergeht)" (A 162-63). Da Zeit und Raum nun kontinuierlich sind, kann jeder diskrete Teil derselben nur durch ihre Einschränkung mittels der Augenblicke und Punkte gegeben werden, welche die Kontinua voraussetzen, die sie beschränken oder bestimmen (A 169-70). Folglich gründet die Synthesis der extensiven Größe in einer kontinuierlichen Synthesis, die Raum und Zeit als kontinuierliche Größen erzeugt. "Dergleichen Größen kann man auch fließende nennen, weil die Synthesis [der produktiven Einbildungskraft] in ihrer Erzeugung ein Fortgang in der Zeit ist, deren Kontinuität man besonders durch den Ausdruck des Fließens (Verfließens) zu bezeichnen pflegt" (A 170). Die bloße Fortsetzung der Synthesis der Zeit, einer Linie oder einer Fläche, ohne Bruch und Ende, ist die ursprüngliche Weise, in der man sich der Zeit und des Raumes als quanta continua b e w u ß t ist. 15 Diese "Grenzenlosigkeit im Fortgange der Anschauung" (A 25) ist ferner die Art, wie sie ursprünglich als quanta infinita gegeben sind (vgl. Β 39-40). Auf der Basis dieser ersten kontinuierlichen Synthesis kann die Einbildungskraft dazu übergehen, auch noch nach dem Schema der Zahl zu fungieren, indem das Apprehendieren Augenblicke, genauer Zeitstrecken, im zeitlichen Kontinuum unterscheidet (A 99). Jeder dieser Augenblicke ist, wie der Text andeutet, eine "absolute Einheit" (a. a. O.) d. h. ein Unteilbares. Obwohl "Augenblick" hier im Sinne einer unausgedehnten Grenze und infolgedessen als eine absolute Einheit verstanden werden soll, da eine solche Grenze einem Kontinuum eingeschrieben wird, unterscheidet das Subjekt nicht nur Augenblicke, sondern auch die so
13 14 15
Diese Unterscheidung ist durch das "aber" des zweiten Satzes angedeutet: "Das reine Schema Größe aber..." Vgl. oben § 2 4 zu der Art, wie die transz. Schemata Bilderbesitzen.
der
Vgl. A 170: "Alle Erscheinungen überhaupt sind demnach kontinuierliche Größen, sowohl ihrer Anschauung nach, als extensive, oder der bloßen Wahrnehmung (Empfindung und mithin Realität) nach, als intensive Größen." Der darauf folgende Text zeigt, daß jede Einheit eines diskreten Quantums ihrerseits schon ein kontinuierliches Quantum ist. Vgl. A 170-71 und 526.
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Sein und Subjektivität bei Kant
begrenzten Zeitstrecken. Diese Strecken können auch als Einheiten erzeugt werden, indem sich ihre Synthesis enthält, sie weiter einzuteilen. Dergestalt schreibt das Schema der Zahl eine Synthesis vor, die zunächst aus dem Zeitkontinuum und durch Begrenzung und nicht weitere Teilung diskrete Einheiten erzeugt. Dank diesem Schema wird die Zeit selbst als eine Reihe von Zeiten konstituiert (vgl. A 145). Da die Zeit aber nicht für sich allein angeschaut werden kann, ist diese Begrenzung nur durch die Unterscheidung von Empfindungseindrücken in der Zeit möglich. Darum sagt Kant A 99, daß wir die Zeit "in der Folge der Eindrücke aufeinander" unterscheiden. Diese Folge von Eindrücken ist ratio cognoscendi der Sukzession und des Reihencharakters der Zeit und daher notwendige Bedingung fur die Ausübung des Schemas der Zahl. Der Passus A 142-43, in dem vom Mannigfaltigen einer gleichartigen Anschauung überhaupt die Rede ist, deutet auf dasselbe hin. Welche ist diese Anschauung? Die Synthesis der Einbildungskraft erzeugt "die Zeit selbst in der Apprehension der Anschauung", d. h. so, daß die Synthesis dieser Anschauung überhaupt und die der Zeit selbst in eins geschehen. A 145 kennzeichnet Kant die Zahl als "die Erzeugung, (Synthesis) der Zeit selbst in der sukzessiven Apprehension eines Gegenstandes". Dieser ist jedwedes empirische Objekt, das als extensive Größe sukzessiv konstituiert wird. Demgemäß darf der Passus von A 142-43 nicht ohne weiteres so interpretiert werden, als ob die Synthesis durch Begrenzung eine Mannigfaltigkeit von Einzelaugenblicken erzeugen würde. Sie begrenzt zwar jeweilige Jetzt und Zeitstrecken, aber nur durch die Unterscheidung von Empfindungsinhalten. Inwiefern sind diese Empfindungen und die entsprechenden Jetzt das Mannigfaltige einer "gleichartigen Anschauung überhaupt"? Um jedwede Zahl zu konstituieren, ist es nötig, dieses reine oder empirische Mannigfaltige als Vielheit von bloßen gleichartigen Einheiten anzusehen. Da kein Eindruck z.B. eines Tones einem anderen genau gleich ist, ist es nötig, daß die Besonderheiten ihres Inhalts gleichgültig werden. Die Einbildungskraft erzeugt eine solche Gleichartigkeit, indem sie von diesen Besonderheiten absieht und das Mannigfaltige auf bloße Einheiten abblendet, welche dadurch zu Mannigfaltigem, nicht dieser oder jener Anschauung, sondern einer Anschauung überhaupt, werden. Nachdem die in Frage stehende Synthesis eine Einheit erzeugt hat, kann sie viele andere Einheiten durch Wiederholung desselben Verfahrens von Abgrenzung und Nicht-Teilung, sowie durch die Reduktion auf den bloßen Einheitscharakter, produzieren. Da diese Synthesis behaltend und rekognoszierend ist, kann sie viele dieser Einheiten bloß als voneinander unterschiedene, nämlich als Pluralität verbinden, oder sie kann diese Einheiten abzählen, d. h. zur Totalität einer jeweils bestimmten Zahl addieren. Das Schema der Zahl, das Kant an der zitierten Stelle (A 142-43) angibt, ignoriert also nicht die verschiedenen Schemata, die den Kategorien der Einheit, Pluralität und Totalität korrespondieren, sondern dieses Schema
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versammelt sie als drei verschiedene Synthesisweisen, die nacheinander an der Erzeugung jedweder Zahl (größer als 1) teilnehmen. Wie die vorangehenden Überlegungen zeigen, findet eine solche Synthesis ihr Mannigfaltiges nicht in der Anschauung vor, sondern sie muß es selbst erzeugen. Welche Bilder ergeben sich aus dieser Synthesis? Das Mannigfaltige, das sie verbindet, ist doppelter Art: 1. in Gestalt bloßer homogener Einheiten und 2. als Einheiten mit einem bestimmten Anschauungsgehalt, z.B. Zeiten, Räumen, Lichtpunkten usw. Im ersten Fall erzeugt die Synthesis Aggregate bloßer Einheiten, d.h. Zahlen. Die Synthesis ist dann nicht das Abzählen von etwas Anderem, sondern ein Sichabzählen der Zahlen selber,16 Die Zahlen sind eine addierte Mannigfaltigkeit, durch die man anderes Mannigfaltiges und vor allem die Zahlen selbst zählen kann. Jede zählende Zahl ist durch das Zählen gemäß dem jeweils entsprechenden Schema, und letzten Endes nach dem Schema der Zahl überhaupt, erzeugt. Im zweiten Falle erzeugt diese Synthesis nach dem Schema der Zahl Zeiten, Räume und Erscheinungen als quanta extensiva, d.h. als Aggregate von anschaulichen, gleichartigen Einheiten. Diese quanta müssen zunächst nicht quantitativ bestimmt sein, aber sie sind immer quantitativ bestimmbar. Im Unterschied zu diesen quanta nennt Kant die bloße Zahl quantitas. Der Anfang der zitierten Stelle (A 141-43) bezeichnet diese Art quanta, und zwar den Raum und die Zeit, als reine Bilder. Obwohl dieser Passus die Zeit nur als Bild "aller Gegenstände der Sinne ... überhaupt" bestimmt, zeigt der Kontext, daß die Zeit wie der Raum eher das reine Bild der anschaulichen Größen (quantorum) sind. Aber während der Raum ein solches Bild nur hinsichtlich der äußeren Gegenstände ist, ist die Zeit reines Bild aller Gegenstände als Größen.17 Die Schemata, die im Schema der Zahl zusammengefaßt sind, leiten also eine diskrete Synthesis, die die quantitas bestimmt, d.h. wie groß die Mannigfaltigkeit in etwas sei (vgl. A 163). Letzteres, das mehr oder weniger Große, ist das quantum, dessen quantitas bestimmt sein kann oder nicht. Die geometrischen Schemata leiten die Erzeugung nicht der quantitas, die zur Arithmetik gehört, sondern der räumlichen quanta (a.a.O.). Diese Synthesis ist entweder eine Modifikation der diskreten Synthesis oder dieselbe kontinuierliche Synthesis, die eben erwähnt wurde. Gestalten wie das Dreieck, das Viereck usw. sind in der Tat durch eine diskontinuierliche Synthesis von mannigfaltigen Linien erzeugt, die nicht notwendigerweise gleichartige Einheiten sind. Zum anderen sind die Linie, die Fläche und Gestalten wie der Kreis Produkte einer kontinuierlichen Synthesis. 16 Vgl. Heidegger G A 2 1 , 3 8 2 ff. 17 Wie Kant in seiner Schrift gegen Eberhard (AA VIII, 22-23) darlegt, sind die Anschauungen von Raum und Zeit für sich allein nicht Bilder, welche nämlich immer einen Begriff voraussetzen, den sie darstellen. Raum und Zeit sind aber reine Bilder der Kategorien, insofern sie Ganzheiten sind, die nach den Kategorien synthetisch erzeugt werden. Heidegger berücksichtigt diese Unterscheidung nicht und deutet die Kantische Zeit qua bloße Anschauung als reines Bild . Vgl. GA 3, § 21 und GA 21, 376 ff.
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Sein und Subjektivität bei Kant
Die Urerzeugung von Zeit und Raum als quanta continua in der fließenden Synthesis der Einbildungskraft, sowie deren Erzeugung als quanta extensiva, dürfen nicht in dem Sinne einer Erzeugung der Anschauung selber, sondern von Raum und Zeit als verbundenen Ganzheiten genommen werden. Wie die angeführten Stellen der ersten Auflage (z.B. A 168-70) und in erster Linie A 142-43 bezeugen, liefert die Anmerkung zu § 26 der zweiten Auflage nichts Neues in dieser Hinsicht. Ein Passus A 99-100 zeigt ganz klar, daß wir ohne die Synthesis der Apprehension eines reinen Mannigfaltigen, "welches die Sinnlichkeit in ihrer ursprünglichen Rezeptivität darbietet", die Vorstellungen des Raumes und der Zeit (als quanta discreta und continua) nicht erzeugen könnten. Raum und Zeit können als Formen nicht fur sich allein angeschaut werden. Zunächst und direkt zeigt sich in der Wahrnehmung das Zeitliche, z.B. im Nacheinander, und nur in und mit dem Zeitlichen schauen wir die Zeit konkret an. Darum ist die Erzeugung der reinen Bilder von extensiven Größen zugleich die Erzeugung der entsprechenden empirischen Bilder. Beide Arten von Bildern, die Zahlen und die reinen und empirischen extensiven Größen, sind durch dieselbe Synthesis zugleich erzeugt und stehen daher notwendig in Verhältnis. Da das Mannigfaltige, das die anschauliche Basis für das Zählen liefert, nicht nur aus homogenen Einheiten besteht, wenn die Einbildungskraft zählende Zahlen erzeugt, konstituiert sie zugleich quanta extensiva, z.B. einen Raum, dessen Mannigfaltigkeit damit zugleich abgezählt wird. Dies wird am Ende der Stelle A 142-43 berührt: In eins mit der Erzeugung von zählenden Zahlen erzeugt die Einbildungskraft quanta extensiva, und zwar zunächst die Zeit selbst, d.h. ihr Bild als Reihe. Damit stimmt ein Passus von A 145 überein, indem das Schema der Quantität oder Größe "die Erzeugung (Synthesis) der Zeit selbst, in der sukzessiven Apprehension eines Gegenstandes ... enthalte und vorstellig mache." Auf diese Weise kann die Synthesis gemäß der Zahl die quanta continua der Zeit, des Raumes und der Erscheinungen erzeugen und sie zugleich als quanta discreta extensiva artikulieren. Da die Addition, z. B. von Zeit- oder Raumeinheiten, endlos ist, kann diese diskrete Synthesis solche quanta als unendliche entdecken, d. h. so, daß sie durch eine sukzessive Synthesis diskreter Einheiten jeglicher Art nicht ganz durchlaufen werden können (vgl. A 431-32). Dem Gesagten nach ist das transzendentale Schema der Quantität auf das homogene Mannigfaltige einer Anschauung überhaupt bezogen. Aber die Synthesis nach diesem Schema findet konkret als die Addition eines empirischen Mannigfaltigen und, mit ihm, einer Mannigfaltigkeit von Zeiten und Räumen statt. Dieses Schema enthält eine implizite Beziehung auf den sinnlichen Stoff in seinem Verhältnis zu Zeit und Raum als Formen, obwohl die von diesem Schema vorgeschriebene Synthesis nicht direkt auf dieses Verhältnis geht. Zum anderen birgt das Schema der Quantität, als eine Vorstufe für die Leistungen der Schemata der Relation, eine Beziehung auf den Raum in sich. Dieses Schema
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ist, in einem solchen beschränkten Sinn, die Regel einer diskontinuierlichen Synthesis von verräumlichten Erscheinungen zur Erzeugung von räumlichen quanta discreta,18
Β. Die Klasse der Qualität Wie in der vorangehenden Klasse beginnt die Darstellung mit der Kennzeichnung des ersten Schemas. "Realität ist im reinen Verstandesbegriffe das, was einer Empfindung überhaupt korrespondiert; dasjenige also, dessen Begriff an sich selbst ein Sein (in der Zeit) anzeigt; Negation, dessen Begriff ein Nichtsein (in der Zeit) vorstellt. Die Entgegensetzung beider geschieht also in dem Unterschiede derselben Zeit, als einer erfüllten, oder leeren Zeit" (A 143). Der Empfindungsgehalt, und zwar nicht der Gehalt einer bestimmten Empfindung, sondern der Empfindung überhaupt'9, ist in der Zeit anwesend. Dieser Erfüllung der Zeit steht die Abwesenheit von Empfindung in derselben, d. h. die Leere der Zeit, entgegen. Anwesenheit und Abwesenheit sind einander als Existenz und Inexistenz der Empfindung entgegengesetzt. Obwohl diese Beziehung auf Existenz und Inexistenz der Klasse der Qualität zugrunde liegt, geht die Qualität nicht auf diese Gegensätze. Sowohl die Schemata der Quantität als auch die der Qualität betreffen die "bloße Möglichkeit", d.h. dasjenige, was der empirische Gegenstand a priori ist,
18 Einige Stellen deuten an, daß das Bild der Zeit als Sukzession, und damit auch wenigstens die Schemata der Einheit und Vielheit, eine notwendige Beziehung auf den Raum haben. Da die innere Anschauung uns nämlich keine Gestalt liefert (A 33), also auch keine Zeitgestalt, "suchen wir auch diesen Mangel durch Analogien zu ersetzen, und stellen die Zeitfolge durch eine ins Unendliche fortgehende Linie vor, in welcher das Mannigfaltige eine Reihe ausmacht, die nur von einer Dimension ist, und schließen aus den Eigenschaften dieser Linie auf alle Eigenschaften der Zeit, außer dem einigen, daß die Teile der ersteren zugleich, die der letzteren aber jederzeit nacheinander sind." Diese Auffassung wird in einem Passus der Deduktion Β fortentwickelt ( 154-56), nach dem diese Linie die figürliche Vorstellung der Zeit ist (vgl. Β 292). Das stimmt aber nur, wenn man beim Ziehen dieser Linie auf die Synthesis und ihre Phasen achtgibt, so daß diese Synthesis und die werdende Linie als sukzessiv zum Vorschein kommen. Ohne diese indirekte Darstellung der Zeit durch ein räumliches Bild könnten wir nicht erkennen, daß ihre Dimension eine ist. Ein Quantum als Objekt ist etwas, das uns zuerst im Räume begegnet, z.B. als Linie, Fläche usw. Nur durch ein solches Objektives können wir uns die Zeit und den Fluß der Erscheinungen als ein objektives Quantum vorstellen (B 292-93). Das bedeutet, daß die nach dem Schema der Zahl erzeugte Zeit schon eine Größe ist, aber nur eine subjektive. Eine erste Vergegenständlichung der Zeit geschieht durch das Bild der werdenden Linie. Deren endgültige Vergegenständlichung findet im Bereich der Schemata der Relation statt. 19 Der dritte Satz des nämlichen Passus (A 143) enthält eine störende Verweisung auf das Ding an sich, die durch die Worte in eckigen Klammern berichtigt werden könnte: "Da die Zeit nur die Form der Anschauung, mithin der Gegenstände, als Erscheinungen, ist, so ist das, was an diesen der Empfindung entspricht, die transzendentale Materie aller Gegenstände, [und zwar nicht ] als Dinge an sich (die Sachheit, Realität)." Nur ein solcher Nachsatz entspricht dem Vordersatz, der mit dem "Da..." beginnt.
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Sein und Subjektivität bei Kant
und nicht seine Existenz. Während die Existenz in der Tat nur in der Anwesenheit eines Anwesenden im Unterschied zur Abwesenheit desselben besteht, ist die Realität des anwesenden Gegenstandes eine jede Anwesenheit desselben in Abgrenzung gegen andere Anwesenheiten, insofern sie sich durch ihre größere oder kleinere Erfüllung der Gegenwart voneinander unterscheiden. Negation ist die Abwesenheit des Gegenstandes, d.h. die Zeitleere, in Abgrenzung gegen diese verschiedenen Niveaus der Anwesenheit, aber auch jedes solche Niveau, insofern es gegenüber einer anderen Anwesenheit eine kleinere Zeiterfüllung darstellt. Die empirische Qualität des Gegenstandes besteht ζ. B. in seinem Gewicht, seiner Farbe, Geschwindigkeit, Härte, Wärme usw. Das apriorische Was dieser Qualitäten ist dagegen die Größe ihrer stärkeren oder schwächeren Anwesenheit in der Zeit. Diese Größe konstituiert sich nur dank dem Schema der Begrenzung der Realität durch die Negation. Die Schemata der Realität und der Negation sind, wie bei der Quantität, nur Teilregeln einer Synthesis nach dem Schema der Limitation. Faktisch stellt die zitierte Stelle eigentlich nicht die Schemata der Realität und Negation dar, denn sie bezieht sich nicht auf diese als Synthesismodi, sondern fuhrt nur die "Bilder" an, die den entsprechenden Kategorien zukommen. Aber diese "Bilder" sind in gewissem Sinne Abstrakta. Das konkrete "Bild", das die Schemata der Qualität erzeugen, ist der Grad, in welchem eine empirische Qualität in der Zeit anwesend sein kann. Welcher Art ist aber die Synthesis, die diese Intensität eines Quale konstituiert? Um zu erfahren, wie warm ein Gegenstand ist, braucht man nicht verschiedene Empfindungen sukzessiv zu apprehendieren. Man berührt den Gegenstand und hat augenblicklich eine Empfindung, die man durch Ausdrücke wie "lau", "warm", "heiß" usw. aussprechen kann. Obwohl diese Erfahrung bloße Empfindung zu sein scheint, birgt sie eine Art Vergleich zwischen der leeren Zeit und der jeweils empfundenen Fülle in sich. Kant faßt sie als eine apprehendierende Synthesis, die nicht sukzessiv, sondern augenblicklich geschieht.20 Im Unterschied zu den extensiven Größen verfahrt hier die Synthesis nicht durch Addition eines Mannigfaltigen zu einem Ganzen, sondern sie geht von einem gegebenen Ganzen aus und entdeckt in ihm seine Mannigfaltigkeit. Das gilt sowohl für die vorwissenschaftliche Erfahrung als auch für die Messung einer Intensität mit Hilfe von Meßgeräten. Jede Empfindung erfüllt mehr oder weniger einen Zeitpunkt, aber wie viel sie ihn erfüllt, bleibt dabei noch unbestimmt, solange man nicht die in diesem quantum beschlossene Mannigfaltigkeit unterscheidet. Das wird dank einer Synthesis möglich, die von dieser gegebenen Anwesenheit des Empfindungsgehalts ausgeht, 20
Die intensive Größe des Realen wird durch die Apprehension entdeckt, "indem diese vermittelst der bloßen Empfindung in einem Augenblicke und nicht durch sukzessive Synthesis vieler Empfindungen geschieht..." (A 168). Man kann sich "an der bloßen Empfindung in einem Moment eine Synthesis der gleichförmigen Steigerung von 0 bis zu dem gegebenen empirischen Bewußtsein vorstellen" (A 176).
Transzendentale Schemata
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ihre allmähliche und kontinuierliche Verringerung, d. h. ihre Begrenzung durch eine zunehmende Leere, einbildet und die ursprüngliche Fülle sowie die niederen Zwischenstufen behält, wodurch ein bestimmtes Kontinuum von absteigenden Graden der Fülle bis zur ungefähren Leere konstituiert wird (A 143). "Nun nenne ich diejenige Größe, die nur als Einheit apprehendiert wird, und in welcher die Vielheit nur durch Annäherung zur Negation = 0 vorgestellt werden kann, die intensive Größe" (A 168).
Diese Synthesis entdeckt die mannigfaltigen Grade, die eine gegebene Realität konstituieren, durch die partielle Negation der letzteren, d. h. durch eine Art allmählichen Abzugs ihrer Anwesenheit. Jede Phase dieses Abzugs erzeugt eine gewisse Einheit, einen Anwesenheitsgrad. Der Fortschritt dieses kontinuierlichen Abziehens erzeugt eine wachsende Mannigfaltigkeit, genauer, eine Unendlichkeit von Zwischengraden, die es behält, bis es eine gewisse Leere erreicht, um dadurch die vorgegebene Anwesenheit eines Gegenstandes als ein Ganzes zu konstituieren, das diese mannigfaltigen Grade enthält. Das anschauliche Mannigfaltige dieser Synthesis besteht also sowohl in dieser anfänglichen Anwesenheit als auch in den durch diese Abziehung erzeugten Graden. Dieselbe Synthesis kann von dieser relativen Zeitleere ausgehen und in umgekehrter Richtung zu der anfangs vorgegebenen Anwesenheit fortschreiten (vgl. Β 208 und A 176), wodurch diese durch alle vorher durchlaufenen Anwesenheitsniveaus rekonstruiert wird. Die Quantität der Anwesenheit kann dabei zunächst unbestimmt bleiben, als bloße Menge, z.B. als eine unbestimmte Wärmeintensität, aber sie kann durch die in Rede stehende Synthesis ihrer späteren Messung zugänglich gemacht werden. Eine objektive, intersubjektive Messung ist durch intersubjektiv zugängliche Meßgeräte wie das Thermometer ermöglicht. Dieses gründet in der Koordination der Anwesenheit von Wärme und deren Variationen mit der Lokalisation und dem Ortswechsel eines Körpers, wie dem Niveau des Quecksilbers innerhalb einer eingeteilten Röhre. Die genannte Synthesisweise ist das Schema der Limitation der Realität durch die Negation. Ihm entspricht als Bild nicht das bloß Reale, sondern das Reale als quantum (A 143, 175-76). Nur innerhalb dieses Schemas bestehen die Realität und die Negation als Schemata, z.B. die Negation als Grenze dieser absteigenden Synthesis und die Realität als jedes Niveau der Anwesenheit, das Ausgangs- oder Endpunkt der Synthesis ist. Wenn man dagegen von dieser Synthesis absieht, dann bleibt nichts mehr als die bloße Anwesenheit des Empfindungsgehaltes oder deren bloße Abwesenheit als Bild übrig. Vielleicht läßt sich richtiger sagen, daß die Realität und die Negation als Synthesismodi im Erfüllen bzw. im Entleeren der Zeit bestehen, welche in der Synthesis der Limitation enthalten sind. In dieser limitativen Synthesis konstituiert sich ursprünglich die Differenz zwischen Anwesenheit und Abwesenheit, die fortan ihre Mächtigkeit als Grund der dynamischen Schemata überhaupt entfalten wird. Da diese Synthesis apprehendierend
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Sein und Subjektivität bei Kant
und zugleich behaltend-rekognoszierend ist, kann sie, indem sie eine Zeit ihres Empfindungsgehalts entleert, die anfangliche Fülle gegen die relative Endleere abheben. Hieraus entspringt die Urtrennung von Anwesenheit und Abwesenheit. Diese ist nicht jene. Daher bezeichnet Kant sie als Negation der Realität (A 143). "Die Entgegensetzung beider geschieht also in dem Unterschiede derselben Zeit, als einer erfüllten, oder leeren Zeit" (a.a.O.). Zum anderen ist in dieser qualitativen Synthesis die Differenz zwischen Anwesenheit und Anwesendem implizit enthalten. Die Anwesenheit ist von Kant als die Erfüllung der Zeit qua Form durch den anschaulichen Gehalt bestimmt (a.a.O.). Letzteres ist das Anwesende als das, was diese Form mehr oder weniger erfüllt. Obwohl Kant dieses Erfüllende als "das Reale" (vgl. A 166) bezeichnet, unterscheidet er es terminologisch nicht von seiner Realität.21 Die durch diese Schemata geregelte Synthesis konstituiert nicht nur die Erscheinungen als quanta intensiva, sondern setzt auch die Erzeugung der Zeit als Bild fort, die von den Schema der Quantität begonnen wurde. In der qualitativen Synthesis wird die Zeit als Form mit vorgestellt, die mehr oder weniger von Empfindung erfüllt sein kann (vgl. A 143). Mit Rücksicht auf spätere Überlegungen ist es nicht überflüssig, zu betonen, daß die transzendentalen Schemata der Qualität nicht bloß die Zeit, sondern vielmehr das Verhältnis zwischen Empfindung und Zeit betreffen. C. Die Klasse der Relation Während die transz. Schemata der Quantität und der Qualität dasjenige betreffen, was der Gegenstand ist, beziehen sich die Schemata der Relation und der Modalität auf die Existenz (das Dasein) desselben. Diese unterscheiden sich wiederum voneinander, insofern die Relation auf die Verhältnisse der Existierenden untereinander in der Zeit geht, während die Modalität die Beziehung des Existierenden zur Zeit im ganzen betrifft. Da alle dynamischen Kategorien bzw. ihre Schemata auf die Zeit im ganzen gehen22, gilt es zunächst zu betrachten, inwiefern die Einbildungskraft die Zeit im ganzen vorstellen kann. Der erste Schritt in dieser Richtung wurde soeben bei der Diskussion der Synthesis getan, die die Zeit und den Raum als quanta continua erzeugt.
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So erklärt Kant im Grundsatz der Antizipationen der Wahrnehmung (A) das Reale durch das eingeklammerte Wort "(realitas phaenomenon)". A 168-69 verwendet er zweimal den Ausdruck "jede Realität" im Sinne des realen Objekts und nicht seines Seins. Nur bei den dynamischen Schemata scheint die Differenz zwischen Anwesenheit und Anwesendem, z. B. zwischen der Beharrlichkeit und dem Beharrlichen, relevant zu sein. Nach A 176-77 gehen die Analogien auf die Bestimmung der Existenz der Erscheinungen "in Ansehung der Einheit aller Zeit".
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Zunächst ist offensichtlich, daß die Einbildungskraft nicht den ganzen Raum oder die ganze Zeit erfaßt, sondern jeweils nur Teile von diesen. Jede Vorstellung von Zeitstrecken ist durch eine Synthesis erzeugt, die diese Teile im Zeitkontinuum abgrenzt. Wie gesagt, die Zeit ist zunächst als ein Kontinuum durch eine ununterbrochene Synthesis erzeugt, auf Grund deren sich eine weitere abgrenzende Synthesis abspielen kann. Diese doppelte Synthesis zeichnet sich ihrerseits durch eine zweifache Leistung aus. Sie entdeckt nicht nur jeweils eine Zeitstrecke, die von zwei Jetzt begrenzt ist. Da diese Grenzen im Kontinuum gesetzt sind, entdeckt die Begrenzung ausdrücklich eine Zeit, die sich außerhalb des Begrenzten ausdehnt und also von ihm unterschieden ist. Damit wird sich die Einbildungskraft bewußt, daß ihre Synthesis unbegrenzt ist und daß die Zeit als quantum continuum außerhalb des Begrenzten auch unbegrenzt und in diesem Sinne unendlich ist, weil sie nicht durch eine begrenzende Synthesis bis zum Ende durchlaufen werden kann. Obwohl die Einbildungskraft nicht auf einen Schlag die ganze Zeit erfassen kann, entdeckt ihr endlos fortschreitendes Begrenzen die Zeit in ihrer Unendlichkeit. Das ist die Zeit im ganzen. Gerade weil sie ein unendliches Ganzes ist, kann sie nur durch dieses unbegrenzte Fortschreiten angemessen erfaßt werden und nicht durch einen Blick, der die ganze Zeit in letzten Grenzen einschließen würde. Die genannte Erfassung der Zeit als Ganzen ist kein bloßes Denken der Zeit. In dieser Leistung der Einbildungskraft werden die Zeit und der Raum als unendliche Ganzheiten angeschaut, d.h. gegeben (vgl. A 25 und 32). Gewiß muß diese Synthesis ihre vergangenen Phasen behalten und außerdem antizipieren, daß sie auch in der Zukunft keine letzten Grenzen vorfinden wird. Kant stellt alle dynamischen Schemata einzeln dar, was anscheinend bedeutet, daß jedes von ihnen selbständig ist, während in den vorangehenden Klassen die zwei ersten Schemata nur innerhalb des dritten Schemas als Regel fungieren können. Das Schema der Substanz wird als "die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit" bestimmt (A 144). Das korrelative Schema des Akzidens bleibt implizit. Wie Paton bemerkt, liefert diese Bestimmung nicht das Schema als Synthesismodus, sondern nur das nach ihm erzeugte Bild.23 Folgende Darlegung versucht, auch auf diesen Punkt Licht zu werfen. Obwohl das doppelte Schema von Substanz und Akzidens im Text unausgedrückt bleibt, weist ein Passus von A 145 die Richtung, in der es gesucht werden kann. Diese Stelle sagt, daß das Schema "der Relation das Verhältnis der Wahrnehmungen untereinander zu aller Zeit (d.i. nach einer Regel der Zeitbestimmung) ... enthalte und vorstellig mache". Es ist nicht schwer zu sehen, was dies hinsichtlich der übrigen Schemata der Relation besagt. Diese betreffen eine Synthesis der Erscheinungen, z. B. als Ursache und Wirkung, zu aller Zeit. Das Schema der Substanz und des Akzidens wäre demnach eine Synthesis, die Erscheinungen so verbände, daß sie das
23 Vgl. Paton II, 52.
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Beharrliche und das Wechselnde in ihnen vereinigte und unterschiede. Wie kann aber diese Synthesis sie zunächst voneinander unterscheiden? Wird jedes von ihnen wiederum durch eine bestimmte Synthesis der Erscheinungen konstituiert? Kant beantwortet diese Fragen nicht ausdrücklich, und es scheint, als ob er diesen Fragenkomplex als eine Selbstverständlichkeit angesähe. Jedoch gibt es Hinweise, die uns zu seiner möglichen Antwort leiten können. Kant bestimmt die Substantialität als Beharrlichkeit. Diese betrifft die Existenz des Realen, welches seinerseits schon durch die Schemata der Quantität und Qualität als ein Quantum bestimmt sein muß. Die Beharrlichkeit ist die kontinuierliche Existenz des Realen durch die Zeit. Dadurch erhält diese Existenz den Charakter einer kontinuierlichen extensiven Größe. Daher findet sich A 183: "Durch das Beharrliche allein bekommt das Dasein in verschiedenen Teilen der Zeitreihe nacheinander eine Größe, die man Dauer nennt. Denn in der bloßen Folge allein ist das Dasein immer verschwindend und anhebend, und hat niemals die mindeste Größe." Die Analyse der Kontinuität der Veränderung läßt ferner durchblicken, welche Art von Synthesis die Beharrlichkeit als Dauer erzeugen kann. Der Beharrlichkeit des Realen ist der Wechsel seiner Zustände entgegengesetzt. Obwohl dieses Reale beharrlich ist, muß man annehmen, daß es selbst sich verändert, wenn seine Zustände wechseln. Nach A 207-10 geschieht dieser Übergang eines Zustandes in den anderen nicht augenblicklich, in einem unausgedehnten Jetzt, sondern er selbst dehnt sich über eine kontinuierliche Zeitstrecke aus. Dieser Übergang ist von Kant in Analogie zur Synthesis der Limitation oder ihres Gegenteils, der Entgrenzung, als ein kontinuierlicher Zuwachs eines Zustandes Β von A ausgehend, das die Abwesenheit (= 0) von Β ist, und zwar durch unendliche Zwischengrade bis zu einem gewissen Grade der Anwesenheit, bestimmt. Ein solcher Übergang ist gleichzeitig das kontinuierliche und fortschreitende Verschwinden von A. Infolgedessen ist die Veränderung kontinuierlich, da alle Erscheinungen, als extensive oder intensive Größen, ebenso wie die Zeit, in der ihr Wechsel stattfindet, kontinuierlich sind (vgl. A 171). Daraus folgt, daß sich die Veränderung einer Substanz in einer kontinuierlichen sukzessiven Synthesis konstituiert, die der limitierenden Synthesis insofern ähnelt, als diese voneinander verschiedene Realitätsgrade hinzufügt oder abzieht. Das deutet die Art von Synthesis an, die allein die Beharrlichkeit eines Zustandes, ζ. B. eines Grades von Wärme, erzeugen kann. In diesem Fall fügt die Synthesis in jeder neuen Zeitphase kontinuierlich denselben Grad dieser Qualität, ohne Zu- oder Abnahme, hinzu. Durch eine solche Synthesis dehnt sich die Existenz dieses Grades von Wärme in der Zeit aus, d.h. beharrt in ihr. Das liefert zugleich das Schema, das die Konstitution der Beharrlichkeit der Substanz regelt. Demgemäß setzt das Schema der Substanz die vorgängigen Leistungen der Schemata der Quantität und der Qualität voraus, ebenso wie die nach diesen Schemata
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erzeugten Bilder von Raum und Zeit, als quanta continua, die von realem Gehalt der Erscheinungen mehr oder weniger erfüllt sind. In einer ersten Annäherung könnte man sagen, daß das Schema der Substanz eine kontinuierliche Synthesis ist, die verräumlichte, sukzessiv gegebene Erscheinungsgehalte apprehendiert und sie miteinander als eines und dasselbe, das also durch die Zeit beharrt, identifiziert. D i e s e identifizierende Leistung gehört auch z u der soeben angesprochenen Konstitution der Beharrlichkeit eines Zustandes. Bei der Konstitution der Beharrlichkeit handelt es sich nicht darum, durch die Rekognition die Identität jedes der Glieder der anschaulichen Gegebenheiten zu konstituieren - nämlich jedes Glied jeweils als dasselbe zu nehmen, das soeben apprehendiert w u r d e -, sondern um die I d e n t i f i z i e r u n g v o n verschiedenen Gegebenheiten als eines und dasselbe. Diese Identifizierung gründet darin, daß a) diese G e g e b e n h e i t e n in demselben räumlichen Ort lokalisiert sind, w a s die Konstitution der Identität dieses Ortes durch die quantitative Synthesis voraussetzt, und daß b) diese sinnlichen Gegebenheiten als einander qualitativ ähnlich auftreten. Letzteres betrifft qualitative Ähnlichkeiten überhaupt, und zwar vor jeder Bestimmung derselben durch empirische Begriffe. D a s G e s a g t e ist j e d o c h u n v o l l s t ä n d i g , denn d i e s e l b e S y n t h e s i s e r z e u g t gleichzeitig das Wechselnde in seinem Wechseln. Sie identifiziert nämlich die ähnlichen realen Gehalte so lange, wie sie von den Erscheinungen geliefert werden. Wenn die Reihe der Erscheinungen einer bestimmten Klasse ähnlicher Gehalte (z. B. von Nuancen des Roten) bricht und an ihrer Stelle eine andere anfängt, endet die Beharrlichkeit des Zustandes, und das vorher Beharrliche (die rote Farbe) entpuppt sich dann als vorübergehend, als Nicht-Beharrliches. Dazu ist ferner notwendig, daß eine solche an einem bestimmten Ort und in einer Sache lokalisierte Qualität nicht wieder zum Vorschein kommt und daß, falls das dennoch eintritt, die neue Qualität nicht mit derjenigen identifiziert wird, die sich vorher gezeigt hatte. Wenn aber solche Qualitäten identifiziert werden, die nur eine Zeitlang verschwunden sind und dann wieder auftreten, dann konstituiert sich die Erfahrung einer Beharrlichkeit, die eine privative Modifizierung der soeben dargelegten Synthesis der Beharrlichkeit ist. Damit ist noch nicht eigentlich das Wechseln des Wechselnden in den Blick genommen worden. Dazu ist es nötig, zu sehen, wie diese Synthesisart das Beharrliche und das Vorübergehende voneinander unterscheidet und sie verbindet. Das Gesagte betrifft zunächst nur das Bewußtsein eines Vorübergehenden in Abhebung von etwas anderem, das länger dauert. Die beschriebene Synthesis erzeugt beide gleichzeitig im Verhältnis zueinander. Während sie z.B. eine Farbe als vorübergehend konstituiert, kann sie, auf Grund anderer Erscheinungsreihen, die Beharrlichkeit anderer Qualia erzeugen. Da viele dieser Reihen nun Gehalte mitbringen, die schon auf der Ebene der Quantität zusammen als ein selbiges kontinuierliches Quantum im Räume konstituiert sind, kann diese Synthesis das Beharrliche und das Vorübergehende in
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diesem selben Quantum vereinigen und sie zugleich als solche gegeneinander abgrenzen. Zum Bewußtsein des Wechsels der Qualia ist es ferner nötig, zuerst ein Vorübergehendes von einem anderen, z.B. das Rote vom Blauen, eben als ein anderes zu unterscheiden. Der Wechsel dieser Vorübergehenden und der Übergang derselben ineinander besteht aber nicht darin, daß sie sich in demselben räumlichen Quantum voneinander unterscheiden. Wenn die erörterte Synthesis außerdem nicht in diesem Quantum etwas relativ Beharrlicheres als die dabei anwesenden Qualia konstituieren würde, wäre es nicht möglich, so etwas wie Werden und Wechsel, d.h. das Vergehen eines Quale als einheitlichen Übergang dieses Quale in ein bestimmtes anderes zu erfahren. Das sukzessive Verschwinden des einen und das Erscheinen des anderen wäre nicht als der Wechsel des einen in das andere erfahren, sondern sie würden bloß nacheinander und ohne Zusammenhang auftreten. Aber indem das Schema der Substanz im genannten Raumquantum ein relativ Beharrlicheres konstituiert, vereinigt es durch dieses das Verschwinden des einen mit dem Erscheinen des anderen und ermöglicht damit die Erfahrung des Wechsels der Qualia. Dieses Schema ermöglicht damit ferner die Abgrenzung und die Einheit des Beharrlichen und des Vorübergehenden, indem es das Beharrliche als Grund der Erfahrung des Wechsels des Wechselnden erzeugt, d.h. als Substrat des Wechsels (B 224-25, A 182-83). Will sagen, dieses Schema erzeugt einerseits die Substanz und andererseits die wechselnden Bestimmungen als ihre Akzidenzien oder Zustände. Das ist der Ursprung des substare, des Zugrundeliegens der Substanz. Damit gibt Kant eine neue Deutung des traditionellen Substanzbegriffes. Das Zugrundeliegen der Substanz unter ihren Akzidenzien besagt nun, daß das Beharrliche in einem empirischen Raumquantum die Möglichkeit der Erfahrung des Wechsels der Bestimmungen begründet. Darum ist dieses Vorübergehende korrelativ nur ein Modus, wie das Beharrliche existiert, d. h. seine Bestimmung (vgl. A 183, 186). Das Schema der Substanz ist eine so komplexe Synthesisweise, daß dessen Darstellung das ganze Schematismus-Kapitel sprengen würde, weshalb es verständlich ist, daß Kant sich damit begnügt, das Schema durch sein Bild anzudeuten. Dieses Schema setzt die Leistungen der Schemata der Quantität und Qualität voraus. Darüber hinaus umfaßt es folgende Momente: 1. eine Art kontinuierlicher Synthesis, die die verräumlichten Erscheinungsgehalte in der Zeit apprehendiert, sie auf Grund qualitativer Ähnlichkeit miteinander identifiziert und dadurch als ein Beharrliches konstituiert. 2. Dieselbe Synthesis erzeugt durch ihre Fortsetzung oder Unterbrechung den Unterschied zwischen dem Beharrlichen und dem weniger Beharrlichen im selben realen Raumquantum, also die Korrelation zwischen dem Beharrlichen und dem Vorübergehenden in ihm. 3. Diese Synthesis ermöglicht durch das relativ Beharrliche die Erfahrung des einheitlichen Übergangs eines Verschwindenden in etwas neu
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Erscheinendes und damit die Wahrnehmung des Wechsels des Wandelbaren: die Artikulation der Substanz und ihrer Akzidenzien. Im Vorangehenden ist die Rolle des Raumes bei der Konstitution der Substanz hervorgehoben worden, die im Schematismus-Kapitel und bei der ersten Analogie implizit bleibt, aber bei der dritten Analogie und an späteren Stellen angedeutet ist. Die Synthesis der Einbildungskraft kann Beharrlichkeit und Wechsel nur dank der Natur des Raumes und der Zeit erzeugen. Obwohl die Zeit eine bleibende Form des inneren Sinnes ist (B 224), fließen alle in ihr abgrenzbaren Teile unaufhörlich (A 183, Β 291), was sowohl die Erfahrung des subjektiven Flusses der Vorstellungen als auch die Vorstellung des Wechsels der Zustände einer selben Substanz ermöglicht. Dieses Fließen der Zeiten verhindert zwar nicht die Konstitution des Beharrlichen in der Zeit, aber es trägt nicht positiv zur Produktion seiner Beharrlichkeit bei. Dagegen stehen die abgrenzbaren Teile des Raumes in einem beständigen Verhältnis zueinander, so daß die Ganzheiten von Orten und Lagen auch beständig sind. Diese Beständigkeit kann freilich nur gesehen werden, wenn man diese Verhältnisse und Ortssysteme im Horizont der Zeit betrachtet. Dank dieser Verkoppelung von Raum und Zeit kann das, was im Räume begegnet, auch beharren. In einem seiner Nachträge zum Text der Kritik weist Kant auf die Notwendigkeit hin, den Beweis der ersten Analogie auf Grund der Funktion des Raumes umzugestalten. 24 Zum anderen setzen die Schemata der Relation die Konstitution der Zeit als Bildes fort, die auf der Stufe der Quantität mit der Erzeugung derselben als eines sukzessiven, kontinuierlichen und/oder extensiven Quantums begann und auf derjenigen der Qualität mit der Produktion der Zeit als eines durch die Empfindung mehr oder weniger erfüllbaren Behältnisses fortgesetzt wurde. Die Schemata der Relation erzeugen ihrerseits die Zeit als Dimension der möglichen objektiven Existenzverhältnisse. Diese Verhältnisse sind für Kant vor allem die Sukzession und die Simultaneität. Der erste Schritt dieser Produktion ist durch das Schema der Substanz getan. Wenn die von ihm geleitete Synthesis das Beharrliche und durch dieses den kontinuierlichen Übergang der Zustände konstituiert, ermöglicht sie die empirische Vorstellung der Einheit der Zeit als einen kontinuierlichen und daher bleibenden Fluß von sukzessiven Phasen. Diese erste Stufe einer "objektiven" empirischen Sukzession liegt in der Erfahrung des Wechsels der Zustände einer selben Substanz, z.B. einer Menge Wasser, das zuerst als Gas da ist, dann flüssig und später fest wird. Ein Schiff, das flußabwärts fahrt, indem es zunächst eine Stelle oberhalb und dann eine Stelle unterhalb dem Laufe des Flusses einnimmt, ist ein ähnlicher Fall (A
24 Paton (II, 200, Anm. 1 ) verweist auf Erdmann, Nachträge, LXXVII-LXXXIV, besonders LXXX: "Hier muß der Beweis so gefuhrt werden, daß er nur auf Substanzen als Phaenomena äußerer Sinne paßt, folglich aus dem Räume, der und dessen Bestimmung zu aller Zeit ist" (AA XXIII, 30).
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192). Ein solcher Wechsel betrifft die "äußeren Verhältnisse" eines Körpers zu den anderen im Räume beharrenden Körpern (B 277-78). Diese Sukzession von Zuständen ermöglicht allererst die Messung der Zeit, d.h. ihre Erzeugung als einer gezählten extensiven Größe. Dazu ist es nötig, daß eine als kontinuierliches extensives Quantum konstituierte Zeit durch die gleichmäßige und periodische Bewegung einer körperlichen Substanz in homogene Einheiten gegliedert und abgezählt wird, d.h. durch eine Uhr. Jedoch wird sich zeigen, daß diese Sukzession von Zuständen für Kant nicht die objektive Sukzession im strengen Sinne ist.25 Wenn einige Substanzen vergingen und andere an ihrer Stelle entstünden, würde die Einheit des Wechsels und einer einzigen empirischen Zeit verschwinden. In diesem Falle könnte man verschiedene Sukzessionsreihen von Zuständen und v e r s c h i e d e n e empirische Zeiten, s o w i e v e r s c h i e d e n e Erfahrungswelten, konstituieren, was der Form der reinen Zeit widersprechen würde, die eine, und zwar kontinuierliche ist (vgl. A 188 sowie 186). Daher muß die Beharrlichkeit der Substanz ihr "Dasein zu aller Zeit" (A 185) sein. Diese unbegrenzte Existenz der Substanzen kann weder durch die Vergleichung der beharrlichen Erscheinungen entdeckt (A 205), noch kann sie durch die Ausübung einer Synthesis erzeugt werden, die faktisch immer endlich ist. 26 Die unbegrenzte Beharrlichkeit, die zur 25
Mit Recht hebt K. Düsing ( 1995,68) hervor, daß die transz. Schemata mit Ausnahme der Schemata der Quantität das Reale in der Zeit betreffen und daher von den Bestimmungen der Zeit selbst verschieden sind. Die Äußerungen Kants über die Modi der Zeit sind nicht eindeutig. Er sagt zwar, daß die Beharrlichkeit, die Folge und das Zugleichsein Modi der Zeit sind (A 117). Aber A 183 negiert er, daß die Simultaneität ein Modus der Zeit selbst sei, denn deren Teile sind nacheinander und niemals zugleich. Simultan können nur die Erscheinungen in der Zeit sein. Wenn Kant an dieser Stelle ferner behauptet, daß der Wechsel und das Nacheinander die Zeit selbst nicht treffen, dann muß man das so deuten, daß zwar die Zeitteile nacheinander folgen, aber daß die Zeit selbst als Ganzes nicht vorübergeht, sondern beharrt. Diese Beharrlichkeit der Zeit ist notwendig, weil sie als Bedingung der Möglichkeit der Sukzession der Erscheinungen nicht selbst verfließen kann (B 225). Da die Beharrlichkeit andererseits eine Seinsweise der Substanz in der Zeit ist, dürfte man eigentlich nicht sagen, die Zeit beharre, denn dazu müßte sie in einer tieferliegenden Zeit als eine Substanz bleiben, deren Zustände vorübergehen. Statt dessen muß man sagen, daß die Zeit im ganzen als die genannte Bedingung der Möglichkeit beständig ist. Diese Beständigkeit könnte man dann im Gegenzug zum Verfließen ihrer Phasen verstehen.
Damit sind Beständigkeit und Fließen Bestimmungen der Zeit selber, während Beharrlichkeit, Sukzession und Simultaneität zeitliche Modi des innerzeitlich Realen darstellen. Beide Reihen von Bestimmungen müßten durch die Einbildungskraft gleichzeitig konstituiert werden, denn die Zeit ist fur sich nicht anzuschauen, sondern nur in eins mit dem empirischen Zeitinhalt. Wie ich hier dargelegt habe, wird mit jeder Klasse der transzendentalen Schemata der potentielle Gehalt der Zeit je nach einer anderen Richtung zum Vorschein gebracht. So kommt mit den Schemata der Relation die Zeit selbst als beständige und fließende zur Wirklichkeit. 26 Vgl. Β 278. Die Beharrlichkeit der Materie "wird nicht aus äußerer Erfahrung geschöpft, sondern a priori als notwendige Bedingung aller Zeitbestimmung, mithin auch als Bestimmung des inneren Sinnes in Ansehung unseres eigenen Daseins durch die Existenz äußerer Dinge vorausgesetzt." Der Klarheit dieser Stelle halber sollte es statt "als Bestimmung des inneren Sinnes" lauten: "der Bestimmung " usw. A 204-5 umreißt Kant ein Kriterium, das es gestatten würde, die Beharrlichkeit sicherer zu entdecken als durch die Vergleichung von beharrlichen Phänomenen, nämlich durch das kausale Handeln. Sowohl seine Wirkungen als Veränderungen als auch die Handlungen selbst sind nur in einem Beharrlichen
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Ermöglichung der Einheit der empirischen Zeit und sogar der Erfahrung sowie ihrer Welt selber nötig ist, kann nur durch ein synthetisches Urteil a priori vorausgesetzt werden, d.h. durch die erste Analogie, aber selbst eine solche Voraussetzung ist nicht möglich, wenn diese Beharrlichkeit nicht zugleich durch die Synthesis der Einbildungskraft allmählich und in einem endlosen Fortschritt erzeugt wird.27 Wie gesagt, die Erfahrung des Zustandswechsels einer selben Substanz ist fur Kant noch nicht die objektive Sukzession im eigentlichen Sinne, deren Erfahrung eine besondere Problematik in sich birgt. Die Ordnung, in der die Zeitphasen aufeinander folgen, ist unwandelbar. Wenn diese Ordnung als ein Stellensystem wahrnehmbar wäre, könnte man in ihr die Stelle bestimmen, die jeder Zustand in diesem System einnimmt, und dadurch entscheiden, welche Zustände objektiv nacheinander und welche simultan sind. Jedoch ist das unmöglich, denn wir erfahren nicht die Zeit an sich selbst, sondern nur den Fluß der Erscheinungen in ihr und zunächst den Fluß unseres eigenen Wahrnehmens (vgl. Β 233). Muß man dann die Sukzession und die Simultaneität des Objekts aus der Ordnung unseres Wahrnehmens bestimmen? Dieses entfaltet sich sukzessiv und erfaßt jeweils vieles zugleich. Aber solche Sukzession und Simultaneität sind subjektiv. Die Einheiten einer Zahl sukzedieren sich zwar in der quantitativen Synthesis, aber sie sind nicht an sich nacheinander. Wenn man Raumstrecken, ζ. B. Teile eines Hauses, sukzessive zu einem Gesamtbild verbindet, dann sind diese im Objekt simultan. Wenn man also weder in Beziehung auf die Zeit selbst noch aus der zeitlichen Ordnung des Wahrnehmens bestimmen kann, in welcher zeitlichen Ordnung sich die Zustände der Objekte befinden, dann bleibt nur die Möglichkeit übrig, sie aus den dynamischen Verhältnissen dieser Zustände zu bestimmen. Das ist die Leistung der Schemata der Ursache/Wirkung und der Wechselwirkung. Dank den Schemata der Relation kommt die Zeit als Ordnung selbst zum Vorschein (vgl. A 145). Kant gibt das transz. Schema der Ursache/Wirkung mit folgenden Worten an: "Das Schema der Ursache und der Kausalität eines Dinges überhaupt ist das Reale, worauf, wenn es nach Belieben gesetzt wird, jederzeit etwas anderes folgt. Es besteht also in der Sukzession des Mannigfaltigen, insofern sie einer Regel unterworfen ist" (A 144). Diese Stelle betrachtet das in Frage stehende Schema nicht als Modus der Synthesis, sondern eher ihr Produkt, das Bild: die Ursache und die Wirkung und deren Relation. Die Ursache ist dieser Stelle nach etwas Reales, also ein Quale in der Zeit, aber dieses Reale wird hier im Horizont des Gegensatzes Präsenz-Absenz, also als etwas in der Zeit Existierendes in den Blick genommen. Die Wirkung, die dabei implizit bleibt, ist auch etwas Reales, und zwar ein von der Ursache
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möglich, denn diese sind auch Zustände, die in ihm entstehen und vergehen (vgl. A 542-43). Das genannte Kriterium könnte demnach so lauten: W o auch immer wir Zustandswechsel (Handlungen oder Leiden) wahrnehmen mögen, da liegt etwas Beharrliches zugrunde. Da die Beharrlichkeit eine extensive Größe des Daseins von etwas in der Zeit ist (vgl. A 183 u. 215), gilt für sie das, was die Kritik von der Synthesis der Zeiten und Räume als regressus in indefinitum sagt. Vgl. A 517fiF.
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Verschiedenes. Seine Verschiedenheit betrifft nicht nur seinen Sachgehalt, sondern auch seinen Zeitort, und zwar so, daß wenn man das eine setzt, d.h. als existierend an einer Zeitstelle erfährt, man dann das andere an einer nachfolgenden Zeitstelle, und zwar nach einer Regel, d. h. notwendigerweise setzt. Diese Darstellung des Bildes des genannten Schemas ist unvollständig, denn Kant erwähnt nicht, daß Ursache und Wirkung Zustände von verschiedenen Substanzen sein müssen. Auch in der langen Darlegung der zweiten Analogie vermeidet es Kant meistens, die Substanz und ihre Zustände zu erwähnen, obwohl Ursache und Wirkung manchmal als "Zustände" bezeichnet werden.28 Diese Unterlassung scheint erstens durch die Lehre der Trichotomie jeder Kategorienklasse motiviert zu sein. Ihr gemäß ist die dritte Kategorie jeweils eine Synthesis der ersten und der zweiten.29 Da die zweite Kategorie die Leistung der ersten zwar voraussetzt, aber von ihr verschieden sein soll, scheint es möglich zu sein, von ihr zu reden, ohne auf die erste Bezug zu nehmen. Vielleicht aus diesem Grunde macht Kant erst bei der dritten Analogie ausdrücklich, daß Ursache und Wirkung Zustände von verschiedenen Substanzen sind.30 Zweitens hebt Kant erst in der Auflage Β die Rolle des Raumes bei der Ermöglichung der Substanz hervor. Eine Stelle Β 291 bemerkt, daß, "um dem Begriffe der Substanz korrespondierend etwas Beharrliches in der Anschauung zu geben, ... wir eine Anschauung im Räume (der Materie) bedürfen, weil der Raum allein beharrlich bestimmt, die Zeit aber, mithin alles, was im inneren Sinne ist, beständig fließt" (vgl. auch Β 292 sowie 277-78). Mit der erwähnten Unterlassung hängt es vermutlich zusammen, wenn die erste Auflage des Werkes nicht vermerkt, daß die Ursache immer zu einem Körper gehört, der von demjenigen verschieden ist, in dem die Wirkung entsteht. In den MAN (vgl. Mechanik, 3. Theorem, Beweis) hält es Kant noch fur möglich, in der "allgemeinen Metaphysik" (= Analytik der Begriffe und der Grundsätze der KrV) den Grundsatz aufzustellen, daß "alle Veränderung eine Ursache" hat, und den Anfangsgründen die beschränkende Präzisierung zu lassen, daß die Veränderung der Materie "jederzeit eine äußere Ursache haben" muß (a.a.O.). Aber diese größere Allgemeinheit des Grundsatzes der Kausalität in der KrV ist nur scheinbar, denn es gibt keine andere Substanz als die Materie als Objekt des äußeren Sinnes. Die Formulierung der Anfangsgründe gilt faktisch fur die Substanz überhaupt. Da die Materie keine anderen Bestimmungen als die der äußeren Verhältnisse im Räume hat und nur durch Bewegungen verändert werden kann, kann die Ursache ihrer Veränderungen nicht innerlich, sondern nur äußerlich sein (a.a.O.). Ursache und Wirkung sind also Zustände voneinander verschiedener Körper.
28 Vgl. ζ. Β. Β 233-34, A 191-92. Vgl. Sachindex zu Kants KrV, 351. 29 Vgl. unten §38. 30 Der Beweis der dritten Analogie (B 257) bezieht sich auf die wechselseitige Folge der Bestimmungen von außereinander zugleich existierenden Dingen.
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Daraus folgt, daß die Zustände einer und derselben Substanz einander nicht notwendig, d.h. objektiv sukzedieren, weil sie nicht Ursachen und Wirkungen voneinander sein können. Das zeigt sich darin, daß solche Zustände ohne eine bestimmte Ordnung einander folgen können. Der Ruhe eines Körpers kann eine Bewegung und dieser dann wieder Ruhe folgen. Die Wärme dieses Körpers kann bis zu einem bestimmten Grad ansteigen und sich dann in umgekehrter Richtung verringern, ohne daß ein Zustand dem anderen folgen müßte. Wenn aber ein Zustand einem bestimmten anderen in derselben Substanz folgen muß, dann weil diese Zustände Wirkungen von Ursachen in anderen Substanzen sind. Eine notwendige Sukzessionsordnung besteht nur zwischen Zuständen verschiedener Substanzen, wenn nämlich der eine von ihnen eine Bedingung enthält, der die Existenz des anderen in der Zeit notwendig folgen muß. Demnach kann der Synthesismodus, der eigentlich das Schema der Ursache/ Wirkung bildet, folgendermaßen formuliert werden: Er ist eine Synthesis der Einbildungskraft, die auf Grund der Produkte des Substanz/Akzidens-Schemas jeden Zustandswechsel einer Substanz auf einen Zustand oder Zustandswechsel in einer anderen Substanz bezieht, so daß, wenn dieser existiert, der andere in der Zeit notwendigerweise folgen muß. Diesen verursachenden Zustand jeweils zu bestimmen, ist Sache der Erfahrung. Kant stellt schließlich das Schema der Wechselwirkung mit folgenden Worten dar: "Das Schema der Gemeinschaft (Wechselwirkung), oder der wechselseitigen Kausalität der Substanz in Ansehung ihrer Akzidenzien, ist das Zugleichsein der Bestimmungen der Einen, mit denen der Anderen, nach einer allgemeinen Regel" (A 144). Diese Simultaneität ist nicht eigentlich das in Frage stehende Schema, sondern dessen Produkt, das Bild. Nichtsdestoweniger darf natürlich die Urteilskraft alles dasjenige, was auch immer als simultan begegnen mag, unter die Kategorie der Gemeinschaft subsumieren. Insofern die Substanzen als zu aller Zeit beharrend vorausgesetzt werden, sind sie auch simultan zu jedem Zeitpunkt, in dem sie betrachtet werden können. Hier handelt es sich aber nicht um dieses Verhältnis zwischen den Substanzen, sondern um ein anderes unter ihren Zuständen, dem gemäß sie aufeinander wirken. Wenn ein Zustand der Substanz A einen Zustand der Substanz Β bewirkt, dann muß der letztere dem anderen zeitlich folgen und kann nicht wechselseitig auf ihn wirken. Wenn zwei Zustände dagegen aufeinander wirken, dann müssen sie zugleich existieren. Daher können wir sie als objektiv gleichzeitig erkennen, wenn wir sie als aufeinander wirkend bestimmen können. Die Zustände, die aufeinander wirken, können wiederum nur zwei Ursachen, genauer, ihre Handlungen sein, so daß, wenn die eine derselben handelt, die andere gleichmäßig auf sie reagiert (actio et reactio). Daher umschreibt Kant das Wort "Wechselwirkung" durch den lateinischen Ausdruck "actio mutua".31
31
V g l . Μ Α Ν , Α Α I V , 544-45.
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"Wirkung" bedeutet in jenem Wort nicht Folge, sondern ist das nomen actionis fur "Wirken". Wo es ein solches Wirken und Gegenwirken gibt, da gibt es dynamische Verknüpfung (Gemeinschaft) der Substanzen. Daß jede dieser Handlungen auch reziproke Wirkungen zeitigt, gehört nicht zur Synthesis des Schemas der Gemeinschaft. 32
D. Die Klasse der Modalität Die Synthesis, die durch die Schemata der Modalität geleitet wird, verbindet nicht die Existierenden in der Zeit miteinander, sondern das Existierende oder Nichtexistierende mit der Zeit als einem Inbegriff (A 145). Das Objekt kann "zu irgendeiner Zeit" (A 144) oder "in einer bestimmten Zeit" (A 145) oder "zu aller Zeit" (a. a. O.) existieren oder nicht existieren. Zu dieser Art Synthesis ist es nötig, daß die Zeit dabei im ganzen gegeben sei, d. h. in ihrer Unendlichkeit, so wie diese durch die kontinuierlich-abgrenzende Synthesis entdeckt wird. Das gilt fur alle drei Schemata der Modalität. Wenn Kant diese drei Schemata A 144-45 kurz vorstellt, legt er nicht die drei Synthesismodi dar, die diese Schemata eigentlich sind. Daß etwas zu irgendeiner unbestimmten Zeit, an einer bestimmten Zeitstelle oder zu aller Zeit existiert, ist jeweils nur ein durch diese Synthesis erzeugtes Bild, aber nicht das Schema selbst. Jedoch weist der Text indirekt auf diese Synthesis und ihre Schemata hin, wenn er sagt, daß "das Schema der Modalität und ihrer Kategorien, die Zeit selbst, als das Korrelatum der Bestimmung eines Gegenstandes, ob und wie er zur Zeit gehöre, enthalte und vorstellig mache." Wie kann diese Synthesis den Gegenstand mit der Zeit synthetisch verbinden?33 32
Die MAN stellen als Drittes Gesetz der Mechanik auf: "In aller Mitteilung der Bewegung sind Wirkung und Gegenwirkung einander jederzeit gleich". Der Beweis dieses 4. Theorems enthält ein Beispiel, das auf die Natur der dynamischen Gemeinschaft Licht wirft. Vor allem muß man daran einnern, daß nach dem Beweis des vorangehenden Theorems die Zustände der Materie äußere Verhältnisse der Körper im Räume sind (z.B. Ruhe, Bewegung, Richtungswechsel dieser letzteren usw.) und daß sie sich nur durch Bewegung verändern. Die kausale Handlung ist also die Bewegung eines Körpers in Beziehung auf die anderen Körper. Setzen wir nun voraus, daß sich ein Körper A in gerader Linie mit der Geschwindigkeit Ac gegen einen anderen Körper Β bewegt, der im empirischen Raum ruht. Dieses Ruhen von Β ist ferner nur in seiner Lage zu anderen Körpern wahrnehmbar. Wenn sich nun A gegen Β bewegt, muß sich Β wechselseitig gegen A bewegen, und zwar jeder mit einer seiner Masse umgekehrt proportionierten Geschwindigkeit. Solche Bewegungen sind ihre wechselseitigen Handlungen. Wenn man dabei nur die Verhältnisse zwischen diesen Körpern berücksichtigt und von dem im Β verankerten relativen R a u m absieht, b e s t e h e n die W i r k u n g e n ( e f f e c t u s ) dieser H a n d l u n g e n u n d des Zusammenstoßes der Körper darin, daß sie in Beziehung aufeinander von der Bewegung zur Ruhe übergehen. Wenn man aber diese Handlungen zusammen mit dem empirischen Raum betrachtet, in dem Β ruht, dann wechselt Β seinen Ort in der Richtung der Bewegung von A.
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Während nach dem Schematismus-Kapitel die modalen Bestimmungen das Verhältnis des Objekts zu der Zeit im ganzen betreffen, drücken sie nach dem Postulate-Abschnitt nur das Verhältnis des Objekts
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Folgende Stelle nähert sich noch mehr der gesuchten Antwort an: "Das Schema der Möglichkeit ist die Zusammenstimmung der Synthesis verschiedener Vorstellungen mit den Bedingungen der Zeit überhaupt..." (A 144). Um die Möglichkeit eines Objekts zu erzeugen, muß die Einbildungskraft die Synthesis eines anschaulichen Mannigfaltigen einerseits mit diesen Bedingungen der Zeit überhaupt andererseits konfrontieren. Diese Bedingungen sind zunächst diejenigen, die sich aus dem Wesen der Zeit selbst ableiten. Zum Beispiel ist die Existenz und Inexistenz eines und desselben Objekts nicht zugleich möglich, sondern nur nacheinander (a.a.O.). Das sind jedoch nicht alle in Frage stehenden Bedingungen der Zeit, wie die "Postulate des empirischen Denkens überhaupt" zeigen. Damit etwas als Objekt zu irgendeiner Zeit existieren kann, ist es notwendig, daß es "mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) übereinkommt" (A 218). Da diese Übereinstimmung durch die Synthesis der Einbildungskraft herausgestellt werden soll, müssen sowohl das Objekt als auch die genannten Bedingungen diesem Vermögen zugänglich sein. Raum und Zeit sind der Einbildungskraft ohne weiteres zugänglich, denn sie sind durch diese als reine Bilder konstituiert. Zum anderen sind die Kategorien der Einbildungskraft "zugänglich", insofern sie gerade die transz. Schemata produziert. In diesen Schemata sind sogar die Bedingungen der reinen Anschauung und der Kategorien zusammengefaßt. Freilich kommen bei der Konstitution der Möglichkeit eines Objekts nicht alle Schemata, sondern nur die der vorangehenden Klassen in Frage. Das Schema der Möglichkeit ist also ein Synthesismodus, der das Bild eines Objekts gemäß den transz. Schemata der Quantität, Qualität und Relation erzeugt (bzw. zu erzeugen versucht) und dadurch der Einbildungskraft offenbar macht, ob dieses Bild nach ihnen produzierbar ist oder nicht. Diese Reflexion in der Einbildungskraft ist dasjenige, was das Bild mit den Bedingungen der Zeit überhaupt synthetisch verbindet. Wenn ein solches Objektbild mit den genannten formalen Bedingungen übereinstimmt, dann ist es möglich. Möglich in diesem Sinne ist das Nicht-Unmögliche. Das ist die Art von Möglichkeit, die sowohl das Wirkliche und das Unwirkliche als auch das Notwendige und das Zufällige haben können bzw. müssen, um solche zu
zu dem Erkenntnisvermögen aus (A 219). D e m gemäß ist real möglich das, w a s der Versland begreift,insofern es mit den formalen Bedingungen der Erfahrung übereinstimmt. Wirklich ist das, was von der Urteilskraft als solches ausgesagt wird. Notwendig ist dasjenige, auf dessen Existenz durch die Vernunft nach der zweiten Analogie geschlossen wird. Nach A 2 3 3 - 3 4 fügen die modalen Bestimmungen zum Begriff der Sache nur das Erkenntnisvermögen hinzu, aus dem er entspringt und in dem er seinen Sitz hat: Verstand, Sinnlichkeit und vermutlich auch die Vernunft. Diese scheinbare Diskrepanz gründet darin, daß das Schematismus-Kapitel auf das Bild und seine schematischen Bestimmungen geht, während sich die Postulate auf die Ebene des Denkens beziehen. Ansonsten besteht völlige Übereinstimmung zwischen beiden Darstellungen.
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sein. Diese Möglichkeit muß von einer anderen, in ihr fundierten Art des Möglichseins unterschieden werden, die neben der Nicht-Unmöglichkeit noch die Nicht-Notwendigkeit umfaßt. Diese letztere Art bleibt bei Kant implizit, obwohl sie sachlich in der Zufälligkeit steckt. Wir werden sie unten in diesem Zusammenhang berühren. Die Einbildungskraft bezieht das Nicht-Unmögliche auf jeden Punkt der Zeit im ganzen, aber dieses Mögliche ist faktisch entweder wirklich gegenwärtig, oder es war ein solches in der Vergangenheit oder es wird in der Zukunft sein. Demgemäß gilt es, zwei Gebrauchsweisen des Schemas der Möglichkeit zu unterscheiden. Erstens kann man das Bild von etwas heute Unwirklichem entwerfen, das aber einmal in der Vergangenheit existiert hat (z.B. ein prähistorisches Tier) oder das vielleicht einmal in der Zukunft existieren wird (z.B. eine Art Luftschiff). Der Stoff einer solchen Synthesis kann nicht die Empfindung sein. Das genannte Bild ist die Phantasievorstellung eines Objekts. In diesem Fall muß man versuchen, dieses Phantasma nach den drei genannten Klassen von transz. Schemata zu erzeugen. Nur in diesem Versuch stellt sich der Reflexion dar, ob das Phantasierte mit diesen Schemata übereinstimmt oder nicht. Wiewohl diese Synthesis und das Phantasma als ihr Produkt an einer bestimmten Stelle der subjektiven Zeit stattfinden, ist das Phantasierte weder an dieser Zeitstelle lokalisiert noch von ihr ausgeschlossen. Die genannte Synthesis ergibt nur, daß ein solches Objekt zu irgendeinem unbestimmten Punkt der objektiven Zeit im ganzen auftreten kann oder nicht. Zweitens kann die Einbildungskraft mit ihrem Schema auf das Bild eines wirklichen Objekts ausgehen. In diesem Fall kann sie von dieser Wirklichkeit, die wiederum die eines Notwendigen oder die eines Zufälligen sein kann, absehen, um nur für die Reflexion hervorzuheben, daß dieses Bild mit den genannten Schemata der drei vorangehenden Klassen übereinstimmt, was auch besagt, daß dieses Objekt zu jeder Zeit existieren kann. Die so als mögliche oder unmögliche konstituierten Objekte können empirische Gegenstände, mathematische Verhältnisse oder bloß fingierte Gegenständlichkeiten sein. Ihre Möglichkeit oder Unmöglichkeit betrifft sie als Objekte schlechtweg. In dieser Hinsicht ist ein Diangel, d. h. eine ebene Figur, die von zwei Geraden eingeschlossen sein soll, als Objekt schlechtweg unmöglich, weil sie eben mit den Bedingungen des euklidischen Raumes nicht übereinstimmt (A 220-21). Dagegen ist das Objekt eines Begriffes wie "das Einhorn", der durch Kombination von empirischen Merkmalen "gemacht" ist, als Objekt zwar möglich, aber dessen reale Möglichkeit kann sich nur a posteriori erweisen, aus der Wirklichkeit des entsprechenden Objekts in der Erfahrung. Wenn diese stattfindet, dann ist das Mögliche in diesem engeren Sinne das, was außer seiner Übereinstimmung mit den formalen Bedingungen der Erfahrung auch mit dem Gehalt und dem faktischen Zusammenhang der Erfahrung übereinkommt. Kant macht j e d o c h nicht ausdrücklich einen solchen Unterschied zwischen der Möglichkeit von etwas als
Transzendentale Schemata
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e m p i r i s c h e m O b j e k t ü b e r h a u p t und seiner M ö g l i c h k e i t als eines g e w i s s e n empirischen Objekts im besonderen. "Das Schema der Wirklichkeit ist das Dasein in einer bestimmten Zeit" (A 145). Das ihm korrespondierende zweite Postulat erklärt, was man unter einem solchen Existierenden zu verstehen hat: "Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich" (A 218). Wie bekannt, ist die Wirklichkeit eines Objekts für Kant eine absolute Position, d. h. die Erkenntnis, daß dieses Objekt mit Bezug auf unser Denken und Wollen unabhängig ist, also von unserer Willkür abgelöst und frei in einer bestimmten Zeit da ist. Die Existenz des Objekts eines Begriffes ist kein Merkmal, das zu diesem Begriff hinzukommen würde; sie ist also keine relative Setzung zwischen Begriffen. Das, was unabhängig von unserer Willkür entscheidet, ob etwas existiert oder nicht, und damit das, was die Unabhängigkeit und Selbständigkeit des Objekts konstituiert, ist die An- oder Abwesenheit der Empfindungen, die die Materie des entsprechenden Objekts bilden. Worin besteht der Synthesismodus, den das Schema der Wirklichkeit vorschreibt? Er besteht nicht in einer bloßen Apprehension von Empfindungen, die von dem Bewußtsein ihrer Präsenz eher als ihrer Absenz begleitet wäre, denn es handelt sich um die Erzeugung des Bildes eines möglichen Objekts als wirklichen,34 Das impliziert, daß die Einbildungskraft auf Grund eines Empfindungsmaterials das Bild eines solchen Objekts gemäß den drei ersten Klassen von transz. Schemata und damit auch nach dem Schema der Möglichkeit erzeugt oder schon erzeugt hat. Auf Grund dieses Empfindungsmaterials kann sich die Einbildungskraft außerdem der anschaulichen Präsenz des Objekts in einer bestimmten Zeit bewußt sein. Diese Wirklichkeit betrifft ein Objekt, das schon nach den Schemata der Relation in existenzialen Verhältnissen zu den Zuständen anderer Substanzen konstituiert ist. Da diese Leistung der Einbildungskraft die Produkte der vorangehenden Schemata voraussetzt, erschöpft sich das Schema der Wirklichkeit nicht in der Produktion einer sinnlichen Präsenz in der Zeit. Wenn dem so wäre, würde diese Synthesis nur Bilder vom unmittelbar wahrgenommenen Wirklichen erzeugen. Da aber diese Synthesis in den vorangehenden Schemata, unter ihnen in dem Schema der Ursache/ Wirkung, gründet, kann sie auch etwas, das sich nicht zeigt, als wirklich setzen, wenn sie es als Wirkung einer gegebenen Ursache konstituiert. 35
34
Vgl. Paton II, 359-60.
35
A 225 weist Kant auf den umgekehrten Fall hin: Wenn wir einen Zustand (die Anziehung des Eisenfeiligs durch einen Magneten) als Wirkung konstituieren, dann erkennen wir die Existenz ihrer noch verborgenen Ursache (der magnetischen Materie). Das ist nicht etwa ein Rückschluß auf eine bestimmte zureichende Bedingung, der den Satz der Kausalität als erste Prämisse haben würde und der logisch ungültig wäre, sondern eine durch die Einbildungskraft konstituierte Beziehung eines wirklichen Zustandes auf einen anderen Zustand als wirkliche Ursache. Wohlgemerkt das Schema der Wirklichkeit führt nicht zur Setzung einer bestimmten wirklichen Ursache, sondern nur irgendeiner noch unbestimmten Ursache zu einer existierenden Wirkung. U m welche Ursache es sich dabei handelt, kann nur die weitere Erfahrung bestimmen.
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Sein und Subjektivität bei Kant
Demgemäß kann das Schema der Wirklichkeit folgendermaßen formuliert werden: Es ist die Synthesis, die ein Bild zuerst nach allen vorangehenden transz. Schemata produziert und es dann in eine bestimmte Zeitstelle setzt, sei es direkt durch die Erfahrung der Präsenz des entsprechenden Empfindungsstoffes, sei es indirekt durch diese Präsenz und das Schema der Ursache/Wirkung. Das Schema der Unwirklichkeit ist ein Synthesismodus gemäß den vorangehenden Schemata, der die Phantasievorstellung eines Objekts in einer bestimmten Zeit produziert und dadurch die Abwesenheit des entsprechenden Empfindungsmaterials sowie die Unwirklichkeit dieses Objekts konstituiert. "Das Schema der Notwendigkeit ist das Dasein eines Gegenstandes zu aller Zeit" (A 145). Das impliziert, daß dieses Schema in dem der Wirklichkeit gründet, denn es setzt das Bewußtsein der Wirklichkeit eines Objekts und seiner Zustände und damit die Leistung aller vorangehenden Schemata voraus. Zur Notwendigkeit bedarf es aber noch, daß diese Wirklichkeit nicht bloß an einer bestimmten Zeitstelle, sondern in der ganzen Zeit stattfindet. Nach dem Schema der Ursache/Wirkung muß ein bestimmter Zustand einem bestimmten anderen in der Zeit notwendig folgen. Diese Notwendigkeit besagt, daß diese Sukzession immer wieder eintreten muß. Demnach muß der Zustand, der bewirkt wird, zu aller Zeit existieren, d.h. in jedem Fall, in dem ihre Ursache in die Wirklichkeit tritt. Notwendig existiert nicht die Substanz im Objekt, sondern nur ein Zustand derselben als Wirkung, wenn ihre Ursache existiert (A 227 ff.). Das Schema der Notwendigkeit ist also ein Synthesismodus, der auf Grund der Produktion der Zustände von verschiedenen Substanzen in dynamischen Verhältnissen jede Wirkung als etwas konstituiert, das jeweils existieren muß, wenn seine Ursache wirklich wird. Darin liegt auch, daß die Notwendigkeit immer hypothetisch ist und daß es keine empirische Gegenständlichkeit gibt, die unbedingt notwendig sein könnte. Das, was z.B. Baumgarten (Metaphysica, §§ 101-102) für absolut notwendig hält, nämlich dasjenige, dessen Gegensatz unmöglich, d.h. widersprüchlich ist, betrifft nur eine logische Notwendigkeit. Was ist nun das Schema der Zufälligkeit? Sowohl die Notwendigkeit als auch ihr Gegensatz, die Zufälligkeit des empirischen Gegenstandes, sind nach Kant hypothetisch und relativ}6 Die Wirkung existiert notwendig, wenn ihre Ursache existiert, also im Verhältnis zu dieser und nicht absolut. Da ein Zustand aber Wirkung von vielen Ursachen (zureichenden Bedingungen) sein kann, kann aus der Unwirklichkeit einer bestimmten Ursache desselben nicht auf die Unwirklichkeit dieses Zustandes geschlossen werden, wohl aber auf die Möglichkeit, daß er nicht existiert, d.h. auf seine Zufälligkeit.
36
Vgl. A 226 ff. und die Vorlesungen über Metaphysik und Rationaltheologie ff.
AAXXVIII, 556 ff., 633
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Die Produktion des Schemas
Dergestalt ist das Schema der Zufälligkeit ein Synthesismodus, der viele Erscheinungen als Zustände von mehreren Substanzen in dynamischen Verhältnissen verbindet, so daß er jeden Zustand qua Wirkung als einen solchen konstituiert, der, für sich allein betrachtet, im Zeitganzen nicht-sein kann, d.h. jedesmal, wenn ihre Ursache darin nicht existiert.37 In der Kantischen Zufälligkeit liegt implizit eine Weise des Möglichen, die von Aristoteles als Endechomenon bezeichnet ist: das, was weder unmöglich noch notwendig ist. Die Wirkung ist nämlich möglich im Sinne des Nicht-Unmöglichen, und außerdem vermag sie, nicht zu sein, wenn ihre Ursache nicht eintritt, d. h., sie ist in dieser Hinsicht nicht notwendig. Nur die Zustände der Substanz und nicht diese selbst können bzw. kann notwendig oder zufallig existieren. Da der Grundcharakter der Substanz für Kant die Beharrlichkeit zu aller Zeit ist, kann sie nicht entstehen und daher auch keine Wirkung sein. Die empirische Notwendigkeit bzw. Zufälligkeit einer Wirkung sind deshalb der Substanz nicht zuzuschreiben. Wohl aber ist sie als beharrlich zu aller Zeit notwendig, aber auf eine ganz andere Art: sie ist transzendental notwendig als Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung. Aber diese Notwendigkeit ist auch hypothetisch: Die Substanz existiert notwendig nur, wenn die Erfahrung möglich sein soll.
§ 26. Die Produktion des Schemas
überhaupt
In den drei vorangehenden Paragraphen ist der Text des Schematismus-Kapitels interpretiert worden. Nun gehe ich in einer bestimmten Hinsicht über diesen Text hinaus, aber nur, um auf dasselbe Phänomen weiter einzugehen. Dieser Schritt ist keine willkürliche Entscheidung des Interpreten, sondern er ist durch den Text selbst möglich und notwendig gemacht. Kant redet an drei Stellen vom Schema als einem Produkt der Einbildungskraft (A 140 und 142), ohne explizit zu erklären, wie dieses Vermögen das Schema selbst erzeugt. Nachdem die Funktionen des Schemas als Instruments der Subsumtion und als Regel der Synthesis der Einbildungskraft betrachtet wurden, gilt es jetzt, auf diese Produktion des Schemas selbst einzugehen, die beiden anderen Funktionen zugrunde liegt. Bei der folgenden Betrachtung der 37
Vgl. Β 291 : "Veränderung aber ist Begebenheit, die, als solche, nur durch eine Ursache möglich, deren Nichtsein also fur sich möglich ist, und so erkennt man die Zufälligkeit daraus, daß etwas nur als Wirkung einer Ursache existieren kann.." A 460: "Die Veränderung beweist nur die empirische Zufälligkeit, d.i. daß der neue Zustand fur sich selbst, ohne eine Ursache, die zur vorigen Zeit gehört, gar nicht hätte stattfinden können, zufolge dem Gesetze der Kausalität." Vgl. femer: R 6408: "Zufällig ist das, was nur bedingter Weise (hypothetisch) möglich ist (dessen Nichtseyn also an sich selbst möglich ist)" und R 4032: "Alles, was geschieht, ist zufällig an sich selbst; weil es doch aber nothwendig seyn muß vermöge des obigen, so ist es nothwendig durch einen fremden Grund."
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Sein und Subjektivität bei Kant
Produktion des Schemas, insbesondere der des transzendentalen Schemas, wird auch die Frage gestreift werden, welche die subjektiven Bedingungen sind, die diese Produktion möglich machen. An den Stellen, die das Schema als Produkt bezeichnen, wird seine Produktion nicht explizit als Thema betrachtet. Der kleine Absatz von A 142, der zur Darstellung der transz. Schemata überleitet, verrät, daß Kant sich enthält, vieles von dem zu erörtern, was er über den transzendentalen Schematismus sagen könnte. Seine Darstellung verzichtet auf "eine trockene und langweilige Zergliederung dessen, was zu transzendentalen Schematen reiner Verstandesbegriffe überhaupt erfordert wird" (a.a.O.). In der menschlichen Praxis werden beständig die Mittel und notwendigen Bedingungen zur Erlangung eines Zweckes erfordert. Ganz analog bezieht sich dieser Passus auf die notwendigen Bedingungen der Möglichkeit der transzendentalen Schemata überhaupt. Diese müssen auch die Gründe ihrer Produktion sein. Da Kant darauf verzichtet, zu diesen Fundamenten hinabzusteigen und aus ihnen die Natur dieser Schemata zu bestimmen, was vermutlich ein zusätzliches Eingehen auf die "subjektive Deduktion" bedeutete, zieht er es vor, die transz. Schemata aus den reinen Begriffen "nach der Ordnung der Kategorien und in Verknüpfung mit diesen darzustellen" (a. a. .O.). Kant erklärt überdies bündig, warum eine tiefere Erforschung des Schematismus undurchführbar ist: "Dieser Schematismus unseres Verstandes, in Ansehung der Erscheinungen und ihrer bloßen Form, ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen werden" (A 141). Nach dem Text, der diesem Satz vorausgeht, beziehen sich seine Anfangsworte ("Dieser Schematismus") auf das Verfahren mit dem Schema als Regel der Produktion von Bildern. Wenn die Handgriffe dieser Produktion verborgen bleiben, dann wird auch der Prozeß der Subsumtion und in noch höherem Maße die Produktion des Schemas selbst, kurzum, der Schematismus in seinen drei Dimensionen, im Dunkel liegen. Die angeführte Stelle interpretiert den Schematismus im Rahmen des überlieferten Unterschiedes zwischen Kunst und Natur, der bekanntlich auf die Unterscheidung von Physis und Techne zurückgeht. Im Gefolge einer Tradition, die von Piaton und Aristoteles ausgeht, unterscheidet Kant Kunst und Natur aus der Perspektive der Kausalität. In § 43 der KU, der "Von der Kunst überhaupt" handelt, heißt es: "Kunst wird von der Natur, wie Thun {faceré) von Handeln oder Wirken überhaupt (agere), und das Product oder die Folge der erstem als Werk (opus) von der letztern als Wirkung ( e f f e c t u s ) unterschieden." Kant fügt in derselben Hinsicht hinzu: "Von Rechts wegen sollte man nur die Hervorbringung durch Freiheit, d.i. durch eine Willkür, die ihren Handlungen Vernunft zum Grunde legt, Kunst nennen" (AA V, 302-03). Dergestalt fuhrt die Unterscheidung von Kunst und Natur auf den Unterschied zwischen freier, rationaler und natürlicher, "blinder" Kausalität zurück. Der Schematismus ist eine Kunst der Einbildungskraft, insofern diese bewußt nach
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Schemata und Begriffen Bilder erzeugt. So denken wir z.B. den Begriff des Dreiecks, entscheiden uns zugleich, ein Bild desselben vorzustellen, und erzeugen es dann durch eine Synthesis gemäß dem Schema dieses Begriffs. Dennoch scheint der zitierte Passus von A 141 die Hand- und Kunstgriffe dieser Kunst der Natur zuzuschreiben. Das heißt nicht, daß der Schematismus eine völlig unbewußte Kausalität wäre, aber er ähnelt dieser doch irgendwie. Bei der Produktion von Bildern ist die Sicht der Einbildungskraft dunkel, bleibt in das sinnliche Mannigfaltige und in das werdende Bild verloren. Je größer die Klarheit des Bildes ist, desto größer ist die Dunkelheit, in welcher das Erzeugen und sein Schema verborgen bleiben. Die Einbildungskraft ist für sich selbst meistens "blind". Zugleich wirkt sie zumeist unwillkürlich, ohne expliziten Entschluß, so daß ihre Tätigkeit zum Teil "passiv" ist. Infolge dieser relativen Unbewußtheit und Passivität scheint der Schematismus eine Naturkausalität zu sein. Da der Schematismus zwar eine freie und bewußte Kausalität ist, aber in dieser relativen Dunkelheit verborgen bleibt, dürfte seine weitere Erforschung undurchführbar sein. Das, was man von ihm wissen kann, ist begrenzt: "Soviel können wir nur sagen: das Bild ist ein Produkt des empirischen Vermögens der produktiven Einbildungskraft, das Schema sinnlicher Begriffe (als der Figuren im Räume) ein Produkt und gleichsam ein Monogramm der reinen Einbidungskraft a priori, wodurch und wonach die Bilder allererst möglich werden, die aber mit dem Begriff nur immer vermittelst des Schema, welches sie bezeichnen, verknüpft werden müssen, und an sich demselben nicht völlig kongruieren" (141-42). Implizieren nicht diese Ausführungen, die die drei Dimensionen des Schematismus betreffen, daß Kant viel mehr vom Schematismus weiß, als er selbst explizit zugibt? Gestattet ihm die Einordung des Schematismus in seine Theorie der S u b j e k t i v i t ä t nicht e i n e i n d i r e k t e B e s t i m m u n g d e s s e l b e n , die d e m j e n i g e n unzugänglich ist, der versucht, sich ihm direkt auf dem Wege der Reflexion zu nähern? In folgenden gilt es, dieses implizite Wissen Kants um die Produktion des Schemas aus dem Text selber und den entsprechenden Phänomenen ausdrücklich zu machen. Kant stellt das Bild dem Schema gegenüber: "Das Schema ist an sich selbst jederzeit nur ein Produkt der Einbildungskraft; aber indem die Synthesis der letzteren keine einzelne Anschauung, sondern die Einheit in der Bestimmung der Sinnlichkeit allein zur Absicht hat, so ist das Schema doch vom Bilde zu unterscheiden" (A 140). Dieses "doch" drückt aus, daß, obwohl beide Produkte der Einbildungskraft sind, sie dennoch unterschieden werden müssen. Diese Stelle impliziert, daß die Produktion des Schemas wie die des Bildes eine Synthesis ist, und das war zu erwarten, denn die Einbildungskraft produziert eben synthetisch. Gerade in Hinblick auf diese gemeinsame Synthesis gehen ihre Produkte aber auseinander. Wenn die Synthesis ein Bild erzeugt, hat sie eine einzelne Anschauung zum Zweck. Dagegen sucht die Synthesis bei der Produktion eines S c h e m a s nur, ein sinnliches
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Sein und Subjektivität bei Kant
Mannigfaltiges überhaupt einheitlich zu bestimmen, d. h., eine einheitliche Verbindungsweise zu erzeugen. Wenn das Schema ein Produkt einer solchen Synthesis ist, dann muß es auch eine gewisse synthetische Einheit sein, die freilich vom Bilde unterschieden ist. Das Bild ist eine Einheit eines anschaulichen Mannigfaltigen, ζ. B. in Gestalt von Punkten, Linien, Flächen usw. Dagegen ist eine Verbindungsregel an sich eine synthetische Einheit von vielfältigen Handlungen oder Phasen der Synthesis der Einbildungskraft selber. So ist die Zahl als Schema "eine Vorstellung ... die die sukzessive Addition von Einem zu Einem (gleichartigen) zusammenbefaßt" (A 142). Das, was diese Vorstellung verbindet, sind nicht bloß diese Einheiten, sondern ebensowohl die sukzessiven Akte des Addierens. Andere Akttypen sind ζ. B. das Vergleichen, Abtrennen, Verschmelzen, Begrenzen, das kontinuierliche Durchlaufen usw. Es ist weder unbegreiflich noch unmöglich, daß die Synthesisregeln Produkte der Synthesis selbst sind. Andernfalls müßten diese Regeln in der Einbildungskraft von jeher fertig existieren, was wenigstens im Falle der empirischen Schemata unmöglich ist. Handlungsweisen sich festsetzen, Spielregeln sich selbst geben, ist nichts anderes als ein Modus der Autonomie des Subjekts. Indem die Synthesis das Schema erzeugt, synthetisiert sie sich selbst, d.h. Modi ihres Tuns. Darum ist ihr Produkt selbst eine Weise zu verbinden, eine "Methode" (140), aus einem bestimmten sinnlichen Stoff ein bestimmtes Bild zu erzeugen. Ist das Schema einmal erzeugt, dann bestimmt es fortan wiederum die Synthesis selbst, als deren Einheit. Zum anderen verweist jedes Schema strukturell auf das ihm eigentümliche Mannigfaltige. Man könnte das Schema der Zahl gar nicht bestimmen, wenn man es allein als sukzessive Addition denken würde, denn man muß mit berücksichtigen, daß es sich gerade darum handelt, gleichartige Einheiten zu addieren. Darum muß die Einbildungskraft bei der Produktion des Schemas das bestimmte Mannigfaltige mit berücksichtigen, das ihm zukommt. Da es ferner nicht möglich ist, Additionsakte zum Schema der Zahl zu vereinigen, wenn diese Akte ihrerseits nicht mannigfaltige Einheiten addieren, muß die Produktion dieses Schemas selbst ein "Vor-Addieren" sein. Die Produktion des Schemas muß zugleich die Erzeugung des ihm entsprechenden Bildes sein, obzwar dieses Bild nicht das Ziel einer solchen Synthesis ist. Und umgekehrt: Jedesmal, wenn wir ein Bild nach seinem Schema produzieren, erzeugt unsere Einbildungskraft dieses Schema mit. Darum nennt Kant diese Synthesis an anderer Stelle ein "Schematisieren" (vgl. den nächsten Paragraphen). Die Produktion des Schemas ist ferner auf einen schon vorbestehenden oder möglichen Begriff bezogen. An der zitierten Stelle (A 140) wird das Schema als eine Methode oder ein allgemeines Verfahren der Einbildungskraft bestimmt, einem Begriffe sein Bild zu verschaffen oder dieses Bild gemäß seinem Begriff vorzustellen. Ein solches Bild ist z.B. eine Menge von fünf Punkten, die dem anschaulichen
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Bewußtsein in der letzten Phase der dreifachen Synthesis offenbar ist. Die Art, wie diese Synthesis verbindet, ist dabei während des Verbindens mehr oder weniger als eine Methode bewußt, immer ähnliche Bilder zu erzeugen. Dergestalt verweist dieses Verfahren auf sein Produkt als auf eine Art Zweck. Diese Beziehung taucht nicht zum ersten Mal auf, wenn ein solches Verfahren ein einzelnes Produkt hervorbringt, sondern sie ist strukturell, und daher geht sie jedem faktischen Produzieren voraus. Ein solcher Zweck ist demnach kein faktisches einzelnes Produkt, sondern eher dieses Produkt überhaupt, z.B. die Zahl oder die Zahl fünf überhaupt. Da diese Beziehung zwischen Mittel und Zweck im Bewußtsein stattfindet, muß ein solcher Zweck vorgestellt werden können. Insofern das Vorgestellte in diesem Fall dieses Produkt im allgemeinen ist und dessen Vorstellung dem Produzieren selbst vorausgehen kann, kann sie kein anderes Schema sein, sondern nur etwas, das von dem Produktionsverfahren und den anschaulichen Bedingungen seiner Ausübung absieht, d.h. ein Begriff. Obwohl der gemeinte Passus vorauszusetzen scheint, daß der Begriff immer vor der Produktion des Schemas vorausgeht, wird sich später zeigen, daß dem nicht so ist. Als Basis für die kommenden Ausführungen versuche ich, die Ergebnisse der vorangehenden Betrachtung über die Produktion des Schemas überhaupt thesenhaft zusammenzufassen : 1. Wie das Bild ist das Schema eine gewisse synthetische Einheit, die durch die Synthesis der Einbildungskraft erzeugt wird. Eine solche Produktion muß demnach auch eine Synthesis sein, die von der bloßen Produktion von Bildern verschieden ist. 2. Das Mannigfaltige, das diese Synthesis vereinigt, sind primär Akte oder Phasen der Synthesis selbst. Die Produktion des Schemas ist darum eine Beziehung der Synthesis auf sich selbst, und ihr Produkt ist ihr immanent. 3. Diese dabei vereinigten Akte sind ihrerseits als Apprehensionen auf sinnliches Mannigfaltiges bezogen, aus welchem sie Bilder erzeugen. Die Produktion des Schemas muß demnach die Beschaffenheit des sinnlichen Mannigfaltigen berücksichtigen, auf welches das Schema als Verbindungsweise angewiesen sein soll. Noch mehr: Da die Synthesis ohne einen solchen Stoff gar nicht möglich ist, kann die synthetische Produktion des Schemas nicht eine leere, stofflose Synthesis sein, sondern sie muß in eins mit der Erzeugung eines dem werdenden Schema entsprechenden Bildes stattfinden. 4. Da das Schema als Erzeugungsweise im Dienste seines möglichen Produkts überhaupt steht, muß die Produktion des Schemas irgend den jeweiligen Begriff dieses Produkts im Blick halten. Wie das geschieht, hängt von einer entscheidenden Differenz ab: a) Wenn das zu erzeugende Bild im voraus in einem Begriffe festgelegt ist, d. h., wenn dieser vor der Produktion des Bildes existiert, dann muß die Einbildungskraft nur die Weise suchen, dieses Bild zu erzeugen. Dieses Suchen ist dann die Erzeugung des in Frage stehenden Schemas, b) Wenn das zu erzeugende
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Bild, wie in der schönen Kunst, nicht vorgängig in einem Begriff festgelegt ist und dieser also noch nicht existiert, muß die Einbildungskraft nicht nur das Schema, sondern auch indirekt den möglichen Begriff hervorbringen. Wie und woraus das geschieht, soll Thema der folgenden Betrachtungen sein. Würde aber eine solche schöpferische Synthesis nicht einer sie leitenden Einheit entbehren und damit unmöglich sein? Ganz und gar nicht, denn dabei kann die Produktion des Schemas von einer höheren Einheit geleitet und durch sie ermöglicht sein, die letzten Endes von der Einheit des Bewußtseins abhängt. Der soeben erwähnte Passus von A 140 streift diese Frage: Das Schema ist jederzeit nur ein Produkt der Einbildungskraft, aber die es produzierende Synthesis ist nicht auf eine individuelle synthetische Einheit gerichtet, sondern auf "die Einheit in der Bestimmung der Sinnlichkeit". Die noch kommenden Überlegungen werden auch diese Möglichkeit klären. 5. Die verschiedenen Klassen von Schemata sind vermutlich durch verschiedene Synthesisweisen erzeugt. Diese fünf Thesen umreißen zwar die Produktion des Schemas überhaupt, aber sie sind noch in einem entscheidenden Hinblick unvollständig, denn es bleibt noch zu bestimmen, welche die Gründe der Möglichkeit einer solchen Produktion sind. In der Absicht, zu diesen noch offenen Fragen überzugehen und die Erörterung der Produktion der transz. Schemata vorzubereiten, gehe ich zunächst an die Produktion der empirischen und der mathematischen Schemata heran.
A. Die Produktion der empirischen Schemata Der Stoff für die empirischen Begriffe ist in den Erscheinungen gegeben. Auf diese Weise bilden wir, wie oben dargelegt, z.B. den Begriff des Baumes aus den Bildern der Fichte, der Weide, der Linde usw. mittels der Analyse ihres Inhaltes (vgl. Logik Jäsche, §§ 5-6). Die analytische Erzeugung der Form eines solchen Begriffes geht nicht von bloßen Empfindungen aus, sondern von Bildern mit gewisser Einheit, die schon das Produkt der empirischen Synthesis der Einbildungskraft sind. Außerdem sind diese Bilder kategorial bestimmt; sie sind schon Bilder vom Objekt, aber bleiben noch empirisch unbestimmt. Um einen empirischen Begriff analytisch zu bilden, gründet der Verstand also in den entsprechenden Bildern und in der Synthesis, die durch die Erzeugung dieser Bilder den Inhalt des Begriffes hervorbringt. Das ist die Lehre der Kritik (§ 10), die oben erörtert wurde. Wie findet nun diese vorausgehende Synthesis statt? Zweifellos auf eine jeweils spezifische Weise, wenn sie Bilder von Bäumen oder von Häusern erzeugt. Woraus nimmt die Einbildungskraft die entsprechenden Schematal Sie kann sie nicht a priori haben, denn in diesem Falle wären die entsprechenden Begriffe auch nicht empirisch. Die Einbildungskraft muß sie also auf irgendeine Weise a posteriori erwerben. Bei ihrer Synthesis der Erscheinungen verfährt sie in der Tat nicht willkürlich,
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sondern sie läßt sich vom jeweiligen Stoff zur einen oder anderen Verbindung fuhren. Wenn sie dergestalt gewisse Bilder erstmals erzeugt, erwirbt sie zugleich die entsprechenden empirischen Schemata als Produktionsgewohnheiten, die fortan die Synthesis regeln, bevor der Verstand den entsprechenden empirischen Begriff besitzt. Diese Synthesisweise ist die genetische Definition dieses Begriffes. In diesem Falle besteht keine Schwierigkeit, wenn man annimmt, daß die Produktion des Schemas der Existenz des korrespondierenden Begriffes vorausgeht. Das, was die Einbildungskraft bei dieser Produktion leitet, ist nicht ein bestimmter empirischer Begriff, sondern der faktische potentielle Inhalt der Erscheinungen sowie die mögliche und geforderte Einheit des Mannigfaltigen überhaupt. Das, was diese allgemeine, und daher empirisch unbestimmte, Einheit fordert, ist letzten Endes die Einheit der Apperzeption in Beziehung auf das Mannigfaltige.
B. Die Produktion der mathematischen Schemata Nach den vorangehenden Ausführungen kann ich an die Frage herantreten, wie die Einbildungskraft den Inhalt der mathematischen Begriffe hervorbringen kann. Die häufigsten geometrischen Gestalten, wie der Kreis, das Dreieck, das Viereck usw., sind schon in den Erscheinungen angelegt, so daß der Mensch sie mit wahrgenommen hat, wenn seine Einbildungskraft empirische Bilder hervorbringt, lange bevor er Geometrie ausbildet. In diesem Falle würden die empirischen Begriffe dieser Gestalten sowie ihre Schemata auf die soeben erörterte Weise zum Vorschein kommen. Aber wie entspringt der Inhalt der geometrischen Begriffe im strengen Sinne? Kant erörtert des öfteren die Konstruktion des mathematischen Begriffes in der Anschauung als die eigene Erkenntnisweise der Mathematik. Dabei geht er immer von einem vorbestehenden Begriff, z.B. des Dreiecks, aus und sucht nur zu klären, wie durch die Darstellung dieses Begriffes in einem reinen Bild neue Bestimmungen zu ihm hinzukommen können und damit das entsprechende synthetische Urteil a priori möglich wird (vgl. A 713 ff.). Aber wie ist dieser dabei vorbestehende Begriff vom Dreieck selbst entsprungen? A 731, bei der Erörterung der Rolle der Definition in Philosophie und Mathematik, sagt Kant: "Dagegen haben wir in der Mathematik gar keinen Begriff vor der Definition, als durch welche der Begriff allererst gegeben wird, sie muß also und kann auch jederzeit davon [damit] anfangen." Jeder mathematische Begriff entspringt also aus seiner Definition. Was ist aber Definition? Eine der Vollkommenheiten des Begriffes ist seine Deutlichkeit, die darin besteht, daß seine konstitutiven Merkmale klar, d.h. als voneinander verschieden bewußt sind. Dergestalt definieren wir einen Begriff, wenn wir all seine koordinierten Merkmale unterscheiden (Ausführlichkeit), und zwar weder mehr noch weniger als die nötigen
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(Genauigkeit). Dieses Unterscheiden ist für Kant ein Darstellen: "Definieren soll, wie es der Ausdruck selbst gibt, eigentlich nur soviel bedeuten, als, den ausführlichen Begriff eines Dinges innerhalb seiner Grenzen ursprünglich darstellen" (A 727). Gewöhnlich versteht man unter Definition eine Aussage, deren Prädikat die Gattung und die spezifische Differenz seines Subjektbegriffs angibt. Eine solche Definition ist für Kant nur eine Art des erwähnten Darstellens. Die Darstellung kann in der Tat von einem gegebenen Begriff a priori oder a posteriori ausgehen und zur Analyse seiner Merkmale übergehen, aber diese Analyse liefert keine vollständige Definition, denn sie verbürgt nicht die Darstellung aller implizit enthaltenen Merkmale des Begriffs (vgl. A 727-29, R 2951, 2959). Ihr Ergebnis ist allein die nominale Definition (R 3008, 2945), die zur bloßen Klassifikation tauglich ist (R 3004). Eine solche Angabe durch Worte und Begriffe ist nicht die Darstellung im strengen Sinne. Obwohl die Namenerklärung für Kant eigentlich keine Definition ist, kann man sagen, daß die Definitionen im weiteren Sinne ihrem Ursprung nach analytische oder synthetische sind (R 2942, 2947). Während jene aus der Analyse von (a priori oder a posteriori) gegebenen Begriffen entspringen (logisches Wesen), sind diese die Definitionen eines Objekts (Realwesen, R 2945), die durch eine Synthesis a priori oder a posteriori erzeugt werden. Im letzteren Fall des zweiten handelt es sich darum, das Objekt eines empirischen Begriffes zu definieren, indem wir "aus Erfahrungen uns einen Begriff machen" (R 2942). Diese sukzessive Synthesis der Erscheinungen der Merkmale ist die Definition des Objekts, genauer, seine Exposition (R 2943), aus der der Begriff desselben entspringt. Das ist, wie gesagt, nur möglich, wenn diese Synthesis mehrere Bilder desselben empirischen Objekts konstituiert und in eins damit ihr Schema erwirbt. Diese Synthesis ist Darstellung im strengen Sinne: Aufzeigen des Objekts in der Anschauung, das einem Begriff korrespondiert. Aus einer Darstellung a priori entspringen dagegen die synthetischen Definitionen der Mathematik (R 2929, 2947). Der mathematische Begriff wird durch diese synthetische Konstruktion erzeugt (a.a.O.), welche seine vollständige Definition ist. Eine solche Definition ist genetisch (R 3001, 3002). Darum sagt Kant A 730, daß die mathematischen Definitionen "synthetisch zustande gebracht werden, und also den Begriff selbst machen", während die philosophischen Definitionen einen gegebenen Begriff nur erklären. Wie ist diese Synthesis selbst möglich? Der Geometer beschränkt sich auf die Anschauung des Raumes, z.B. auf die Fläche, indem er von dem empirischen Inhalt abstrahiert oder als gleichgültig ansieht, ob die Fläche ein Papier oder ein schwarzes Brett ist. Dadurch eröffnet sich der Geometer eine gleichartige und unbestimmte Mannigfaltigkeit. Das so Angeschaute zwingt die Einbildungskraft nicht dazu, auf eine bestimmte Weise verbunden zu werden, z.B. als Kreis oder Dreieck. Dieses Mannigfaltige gehört nicht notwendig zueinander (B 201). Daher kann die Einbildungskraft es willkürlich zur einen oder
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anderen Figur verbinden, was der Synthesis der empirischen Anschauung nicht gestattet ist. Aber die geometrische Einbildungskraft kann dabei nicht total beliebig walten, sondern ihre Freiheit ist durch die Bedingungen der reinen Anschauung eingeschränkt (A 718). Dieses freie Verbinden, das zugleich durch diese Anschauung eingeschränkt ist, entdeckt in ihr sowohl die Möglichkeiten als auch die Unmöglichkeiten z.B. im Bereich der geschlossenen Figuren in einer Ebene. So ist ζ. B. der "Diangel", eine von zwei geraden Linien eingeschlossene Figur, als Begriff möglich, denn er enthält keinen Widerspruch, aber er ist als Figur im euklidischen Räume unmöglich. Seine "Unmöglichkeit beruht nicht auf dem Begriffe an sich selbst, sondern der Konstruktion desselben im Räume, d.i. den Bedingungen des Raumes und der Bestimmung desselben" (A 221). Welche diese geometrischen Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten des euklidischen Raumes sind, ist etwas, das nicht der bloße Verstand, sondern nur die Einbildungskraft durch ihre freie Synthesis dieser Anschauung entdecken kann. Indem sie die in diesem Räume möglichen Bilder frei beschreibt, erwirbt sie implizit, d.h. erzeugt sie zugleich a priori die Schemata, die fortan die Produktion ähnlicher Bilder regeln wird. Dieser Schematismus ist zugleich Erzeugen und Empfangen, Freiheit und Unfreiheit. Aus diesen Bildern von geometrischen Figuren oder aus seinen so erzeugten Schemata kann der Verstand dann allererst den geometrischen Begriff z.B. des Dreiecks bilden. Dieser letzte Schritt wird uns auch durch § 10 der Kritik angedeutet: Wir können die reine Synthesis, d. h. das durch sie vorgängig erzeugte Schema, auf einen Begriff bringen, um dadurch den arithmetischen Begriff der Dekadik zu bilden (A 78). Diese zwei Schritte, die Erzeugung des arithmetischen Schemas und dann die Bildung des entsprechenden Begriffs, sind die zwei Etappen der ursprünglichen Erwerbung der mathematischen Begriffe. Nachdem der Begriff des Dreiecks dergestalt im Verstände "fertig" ist, kann der Geometer ihn umgekehrt in der reinen Anschauung wieder darstellen oder rekonstruieren, d.h. zu dieser zurückkehren, um seine zusätzlichen synthetischen Bestimmungen zu entdecken, z.B hinsichtlich der Summe der inneren Winkel. Das wird A 719 angedeutet: "Nun enthält ein Begriff a priori (ein nicht empirischer Begriff) entweder schon eine reine Anschauung in sich, und alsdann kann er konstruiert werden ...". Dergleichen Begriffe enthalten "eine willkürliche Synthesis ..., welche a priori konstruiert werden kann" (729), d. h., die immer wieder nachvollzogen werden kann. Damit kommt eine doppelte Möglichkeit der Darstellung geometrischer Begriffe zum Vorschein, die Kant anscheinend nicht explizit unterscheidet: 1. die ursprüngliche Produktion des Schemas und seines Bildes; 2. die wiederholte spätere Produktion beider. Im letzteren Falle ist das Schema, aus dem der Begriff entsprang, zu einem Instrument von diesem geworden, als Regel, die entsprechenden Bilder zu erzeugen, und als Mittel der Subsumtion dieser Bilder unter den in Rede stehenden Begriff. Analoges gilt für die empirischen Schemata in Beziehung auf
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ihre Bilder und auf die entsprechenden Begriffe. Das beweist konkret, wie die Funktion des Schemas als Subsumtionsmittels nicht die Möglichkeit ausschließt, daß das Schema Ursprung des Begriffes selbst sei. Die Produktion der empirischen und der mathematischen Schemata läßt eine letzte These über die Produktion des Schemas überhaupt sehen: 6. Da die Produktion des Schemas ein Werk der Synthesis der Einbildungskraft ist, sind ihre Bedingungen der Möglichkeit die Einheit der Apperzeption und die sinnliche Anschauung in Beziehung aufeinander. Die vorausgehende Erörterung zeigt ferner, daß, die Einheit der Apperzeption die Einheit des empirischen und des mathematischen Schemas ermöglicht, während seine Verschiedenheit und sein Gehalt vom anschaulichen Stoff bestimmt sind. Diese letzte Einsicht scheint sich bei den transzendentalen Schemata nicht zu erfüllen.
§27. Die Produktion der transzendentalen Schemata als erste Etappe der ursprünglichen Erwerbung der Kategorien Kant spricht ganz allgemein aus, daß das Schema ein Produkt der Einbildungskraft ist. Er sagt A 142 ausdrücklich, daß auch die transz. Schemata von ihr erzeugt sind. Daher kann man danach fragen, worin ihre Produktion bestehen mag. Die vorangehenden Ausführungen über die Produktion des Schemas überhaupt und der empirischen und mathematischen Schemata im besonderen verschaffen uns die dazu nötige Basis. Für die Produktion der transz. Schemata gelten die sechs Thesen, die für die Produktion des Schemas überhaupt gelten. Auch in ihr handelt es sich darum, Synthesisphasen und -akte zu verbinden, aus welchem Verbinden ein bestimmter Synthesismodus entspringt. Dabei wird aufs neue die Beschaffenheit des anschaulichen Mannigfaltigen berücksichtigt, und die Produktion des Schemas findet in eins mit der Erzeugung eines ihm entsprechenden Bildes statt. Die Produktion dieser Art Schemata unterscheidet sich aber von den bisherigen Arten darin, daß es sich in diesem Falle um Schemata für Begriffe des Gegenstandes überhaupt handelt und daß der dazu verwendete sinnliche Stoff nicht eine besondere Art von Empfindungen oder bestimmten Daten der reinen Anschauung ist, sondern das Mannigfaltige der und in der Zeit überhaupt. Aber das, was diese Produktion von der bisher betrachteten in noch höherem Grade unterscheidet, betrifft die am Ende des vorangehenden Paragraphen genannte Einsicht. Die Produktion eines Schemas ist immer auf einen schon gebildeten oder auf einen möglichen Begriff bezogen. Im Falle eines empirischen oder mathematischen Begriffes ist die ursprüngliche Produktion des Schemas der Zeitordnung nach das erste, was der Bildung des Begriffes vorausgeht. Nachdem dieser Begriff einmal
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gebildet ist, ist es möglich, in umgekehrter Richtung von ihm auszugehen und jenes Schema immer wieder zu erzeugen. In diesem Fall ist die Produktion des Schemas nicht originär, sondern reproduktiv. Wie steht es mit dem transz. Schema im Verhältnis zu seinem Begriff? Wenn man der Tendenz der Auflage A folgt, die sich dann in Β ausdrücklich durchsetzt, muß man von der These Kants ausgehen, der gemäß die Kategorien zuerst im Verstände als Vermögen zu denken "angelegt" oder "vorbereitet" sind. Im Unterschied zu den empirischen oder mathematischen Schemata scheinen diese Begriffe (oder deren noch unbegriffene Inhalte) daher der Produktion ihrer Schemata vorauszugehen. Gewöhnlich versteht man dies auf folgende Weise. Die Kategorien sind dieser Ansicht nach als Begriffe schon fertig im Verstände. Dann würden sie sich auf die reine Zeitanschauung so beziehen, daß daraus endlich die transz. Schemata entsprängen. Diese Ansicht stützt sich auf die Darstellungsordnung der Analytik, welche von den reinen Begriffen der Urteilsfunktionen ausgeht, dann ihre objektive Realität klärt und sich am Ende fragt, wie diese intellektuellen Begriffe auf Erscheinungen angewendet werden können. Darauf antwortet das SchematismusKapitel, daß diese Anwendung durch eine erste Beziehung der Kategorien auf die reine Zeitanschauung möglich ist. Diese geläufige Deutung verwechselt aber die Darstellungsordnung des Werkes mit der genetischen Ordnung der Begriffe und Schemata. Wie gesagt (§ 9), es gibt für Kant keine angeborenen Begriffe oder Anschauungen. Sie haben zwar einen angeborenen Grund in Vermögen und Fähigkeiten, aber sie entspringen aus ihm als bewußte Vorstellungen nur, wenn diese Quellen bei Gelegenheit der Erfahrung zur Aktivität übergehen. Im Falle der Kategorien geschieht dies bei Gelegenheit der empirischen Synthesis der Einbildungskraft. Dann aktivieren sich die angeborenen Keime oder Anlagen des Verstandes, und zwar zunächst als transz. Schemata. Die Erzeugung dieser ist die erste Stufe der ursprünglichen Erwerbung der reinen Begriffe. Demnach liegen die angeborenen Anlagen der ersten Produktion der transz. Schemata voraus, so daß sich diese von der Produktion der anderen Schemata unterscheidet. Zum anderen ähnelt diese Produktion der der anderen Schemata, insofern das Vorausgehende nicht schon gebildete Begriffe, sondern schlummernde Potenzen sind. Man braucht hier nicht mehr zu betonen, daß, nachdem die transz. Schemata auf Begriffe gebracht worden sind, der Verstand von diesen her jene Schemata immer wieder re-produzieren und für die Subsumtion verwenden kann. Diese Erörterung, die die Einzigartigkeit einer solchen Produktion unterstreicht, führt sofort vor ihre Fragwürdigkeit. Da die geläufige Deutung des transz. Schematismus voraussetzt, daß die Kategorien immer schon als Begriffe bewußt sind, findet sie keine Schwierigkeit darin, daß das Bewußtsein diese intellektuellen Begriffe in anschauliche Regeln der Zeitverbindung übersetzt. In der Tat ist es
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möglich, sich im Denken einen leeren Begriff (z.B. einer Substanz, die im Räume beharrt, ohne ihn zu erfüllen, vgl. A 222) zu machen und von dieser voll bewußten Vorstellung aus wenigstens zu suchen, ob ihr irgendeine Zeitverbindung entspricht. Aber dieser Fall ist von der ursprünglichen Produktion der transz. Schemata völlig unterschieden. Denn diese geht, der Annahme Kants nach, von schlummernden angeborenen Anlagen aus, in denen der Inhalt der künftigen Kategorien zunächst verborgen bleibt. Wenn dem so ist, kann die genannte Produktion nicht von Begriffen geleitet sein, die dem Bewußtsein offenbar wären. Ohne diese bewußte Leitung und wie durch lauter Magie müßte die Einbildungskraft auf Modi der Zeitverbindung stoßen, die bisher unbekannten Inhalten entsprechen würden, um dadurch diese Inhalte allererst zum Bewußtsein zu bringen. Sie könnte offensichtlich diese Schemata micht suchen, denn man kann nicht etwas suchen, wenn man nicht weiß, was man finden soll. Wie sie dennoch sozusagen im Dunkel auf die richtigen Modi der Zeitverbindung für die noch verborgenen Begriffe stößt, ist gewiß etwas Unerklärliches, es sei denn, daß man zu einem Deus ex machina seine Zuflucht nimmt und sagt, das geschähe notwendigerweise, denn sonst wäre die Erfahrung unmöglich. Wie sich zeigen wird, enthält die Deduktion Β Implikationen, die die erste Produktion der transz. Schemata noch fragwürdiger erscheinen lassen (vgl. den nächsten Paragraphen 33).38
Anhang. Das Vorausgehen der Schemata vor der Begriffsbildung Wie gesagt, das Schematismus-Kapitel scheint eine gewisse Zeitordnung hinsichtlich der Bildung der Begriffe und der Schemata anzudeuten, der gemäß die Schemata als Regeln der Produktion von Bildern zu Begriffen ihrerseits nur produziert werden können, wenn vorher die entsprechenden Begriffe gebildet sind.39 Im Vorangehenden habe ich Gründe fur die entgegengesetzte These dargelegt, daß die ursprüngliche Produktion der Schemata zeitlich der Bildung der entsprechenden Begriffe vorausgehen kann. In der Absicht, die vielleicht noch bestehenden Zweifel daran zu zerstreuen, möchte ich nun diese Gründe 38 Die Deduktion Β findet es unerklärlich, wie das System der Kategorien aus dem bloßen Verstand entspringt, und zieht es vor, es als ein Faktum festzustellen (vgl. unten § 32). Sowohl dieses Faktum als auch die faktische Harmonie zwischen der empirischen Anschauung und diesem reinen Denken können nach der Schlußpartie der Schrift gegen Eberhard nur teleologisch gedeutet werden. 39 Der Anschein, daß die Begriffe schon vor den Schemata bestehen müssen, wird durch folgende Stellen erweckt: a) Das Schema als Instrument der Subsumtion der Erscheinung unter die Kategorie (A 138/39), b) die Definition des Schemas als Methode, einem Begriff sein Bild zu verschaffen (A 140), und c) alle diejenigen Stellen, nach denen das Schema gemäß dem entsprechenden Begriff verbindet (z.B. A 141), scheinen die Präexistenz der Begriffe vor den zugehörigen Schemata vorauszusetzen. Selbst die Einführung des Schemas als Vermittler zwischen Erscheinung und reinem Begriff scheint das Vorbestehen dieser Extrempole zu verlangen (A 137 ff).
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zusammenfassen, andere hinzufügen und außerdem zeigen, daß eine solche Interpretation der recht verstandenen Lehre des Schematismus-Kapitels nicht widerspricht. A) Bekanntlich nimmt Kant an, daß die empirischen Begriffe durch die Analyse der Bilder erzeugt werden. Nach § 10 der Kritik sind diese Bilder ihrerseits Produkte der Synthesis der Einbildungskraft, in welcher sich der Inhalt des Begriffes konstituiert. Das führt seinerseits auf die Bedingungen dieser Synthesis selbst zurück, welche jeweils auf eine bestimmte Weise fungieren muß, um bestimmte Bilder zu erzeugen. Demnach muß sie nach einem Schema wirken. Wenn es kein Schema ohne vorausgehenden Begriff geben kann, wie die überlieferte Meinung ist, dann müßte das empirische Schema, das die Erzeugung der Bilder der Linde, Weide usw. regelt, in einem vorbestehenden Begriff des Baumes gründen. Um den Begriff des Baumes derart analytisch zu bilden, müßte man also schon den Begriff des Baumes haben! Was wäre der Ursprung dieses letzteren Begriffs? 1) Wenn er seinerseits ein empirischer Begriff wäre, würde dessen analytische Bildung eine Synthesis von Bildern nach einem Schema voraussetzen, und dieses müßte in einem dritten Begriff von Baum gründen und so weiter. Damit wäre ein unendlicher Regreß unvermeidlich. 2) Wenn der Begriff "Baum", der dem ersten Schema zugrunde liegen sollte, a priori wäre, dann wäre die Bildung eines empirischen Begriffes vom Baum völlig überflüssig. In diesem Falle würden gar nicht empirische Begriffe existieren, sondern lauter Begriffe a priori, was offenbar dem Denken Kants widerspricht. Infolgedessen und wenn es analytische Bildung von empirischen Begriffen geben soll, bleibt hier kein anderer Ausweg, als anzunehmen, daß die Schemata, die die Synthesis der genannten empirischen Bilder regeln, nicht in vorbestehenden Begriffen gründen können, sondern als erstes erworben werden müssen. Der Verfechter der geläufigen Meinung wird sich dennoch fragen, worin denn die Einheit der Synthesis der Einbildungskraft gründet, wenn diese die empirischen Schemata gerade dann erwirbt, wenn sie Bilder nach dem sinnlichen Stoff erzeugt. Diese Einheit beruht dann auf der Einheit des Bewußtseins, das die Einbildungskraft dazu zwingt, Einheit zu suchen, selbst wenn diese nur potentiell in der gegebenen Empfindungskomplexion beschlossen ist. Alle empirischen Synthesen der Einbildungskraft und ihre Schemata gründen ferner in der transzendentalen Synthesis mit ihren Schemata, d. h. letzten Endes in den Kategorien. Auf der Ebene der analytischen Bildung der empirischen Begriffe sieht man hin und wieder ein Pseudo-Problem, das dem besprochenen ähnlich ist. Wenn die Analyse Bestimmungen vereinigt, die sie in verschiedenen Bildern findet, um z.B. den Begriff "Baum" zu bilden, warum berücksichtigt sie nicht auch Bilder von Tieren, Häusern usw.? Das führt in manchen Fällen zu der Annahme, daß es Begriffe a priori solcher Seienden gibt, daß die empirischen Begriffe überflüssig oder bloße Wiedererinnerungen von vorgängig erkannten Ideen sind usw. Eine solche Argumentation trifft Kant nicht, denn die genannte Analyse bedarf nicht der Leitung eines Begriffes
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"Baum", sondern eines Reflexionsbegriffs. Die analytische Bildung eines empirischen Begriffs ist eine Leistung der Reflexion, welche dabei von den Begriffen a priori des Identischen und des Verschiedenen geleitet wird. Dank solcher Begriffe vergleicht sie verschiedene Bilder und, da sie das Identische sucht, wählt sie diejenigen aus, die in irgendeiner Hinsicht zusammenfallen. B) Das Vorbestehen des empirischen Schemas vor seinem entsprechenden Begriff wird indirekt durch die Lehre der ästhetischen Reflexion in der KU bestätigt, wie aus folgender Betrachtung hervorgeht. B. 1) Kant unterscheidet zwischen der bestimmenden und der reflektierenden Urteilskraft. Jene geht von einem vorbestehenden Begriff aus und subsumiert unter ihn eine vorgegebene Erscheinung. Die Reflexion geht dagegen von der Einzelheit aus und sucht den allgemeinen Begriff, unter den sie subsumiert werden kann (AA V, 179-80 und XX, 210-11). Nun kann die Reflexion auf zwei Weisen auftreten. Sie kann erkenntnismäßig sein, wenn sie einen Begriff zur Erkenntnis des Einzelnen bildet, oder ästhetisch, wenn sie nicht sucht, einen solchen Begriff zu bilden. B. 2) Dennoch entbehrt die ästhetische Reflexion nicht einer Beziehung auf den Verstand. Als Reflexion bezieht sie das sinnliche Bild auf die Einheit zurück, die der Verstand fordert, um einen jeden Begriff zu bilden, und bestimmt, ob das jeweilige Bild diesem subjektiven Zweck des Verstandes angemessen ist oder nicht. "Also, gleichwie die ästhetische Urteilskraft in Beurteilung des Schönen die Einbildungskraft in ihrem freien Spiele auf den Verstand bezieht, um mit dessen Begriffen überhaupt (ohne Bestimmung desselben) übereinzustimmen" (AA V 25556, vgl. auch 192, 207-08, 217-18, 219, 222-23). B. 3) Des weiteren geht die Reflexion auf das Einzelobjekt, das sich in der Anschauung zeigt, und zwar auf die Form seiner Gestalt in der Apprehension, d.h. auf sie, wenn sie von dieser Synthesis erzeugt wird (vgl. z.B. AA V, 189-90, 192, 251-52). Darum reflektiert die Urteilskraft auch auf das Schema, das diese Synthesis regelt. Nach § 59 der KU gibt es zwei Arten der anschaulichen Darstellung der reinen Begriffe: die schematische Darstellung von reinen Verstandesbegriffen und die symbolische Darstellung der Vernunftideen. Letztere können nicht durch Schemata dargestellt werden, weil ihnen keine Einzelanschauung angemessen ist (AA V, 351 -52). Wenn man die Idee eines monarchischen Staates nach Volksgesetzen durch das anschauliche Bild eines lebendigen Körpers symbolisiert, dann geschieht das, weil es eine Ähnlichkeit zwischen den Regeln besteht, über beide Seiende zu reflektieren (a.a.O.). Diese Ähnlichkeit betrifft die Form der Kausalität zwischen den Teilen beider Seienden als organisierter Ganzheiten (AA V, 352-53). Um diese Regel der synthetischen Einheit zu entdecken, ist es einerseits notwendig, auf die Art der Kausalität zu reflektieren, die zwischen den Teilen des genannten Staates herrscht. Zum anderen bedarf es dazu der Reflexion auf die Synthesis der Teile des lebendigen Organismus, um zu entdecken, daß das Verfahren der Einbildungskraft bei dem Objekt der Idee dieses Staates dem Verfahren analog ist, das sie beim
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Schematisieren beobachtet, d.h. bei der Synthesis, die einen Organismus apprehendiert. Dann kann man eine Übereinstimmung zwischen beiden Seienden hinsichtlich der "Regel dieses Verfahrens", d. h. hinsichtlich "der Form der Reflexion" und nicht betreffs der Anschauung und ihres einzelnen Inhalts, feststellen (AA V, 351-52). Der Ausdruck "Schematisieren" wird an dieser Stelle verwendet, weil Darstellung und Apprehension nach einem vorangehenden Passus dasselbe sind (AA V, 279-80), so daß die Synthesis des Apprehendierens mit einer schematischen Darstellung identisch ist. "Schematisieren" bedeutet demnach: ein Mannigfaltiges auf gewisse Weise verbinden und dadurch ein Schema erzeugen, ζ. B. das Schema des lebendigen Körpers. Nach einer Stelle der Ersten Einleitung in die KU schematisiert die Urteilskraft die Verstandesbegriffe, d. h., sie erzeugt oder gibt ihre entsprechenden Schemata (AA XX. 212-13). Die Erzeugung des Schemas gründet in diesem Fall in vorbestehenden Begriffen. In der ästhetischen Reflexion verhält sich das nicht so. B. 4) In diesem Fall apprehendiert die Einbildungskraft synthetisch ein sinnliches Mannigfaltiges in einem Bild, während die Reflexion dieses Verfahren und seine Form oder schematische Regel "beobachtet", aber ohne in einem letzten Schritt dieses Bild unter einen vorbestehenden Begriff zu subsumieren oder den noch nicht existierenden Begriff zu diesem Bilde zu formen. In einem solchen Fall ist die ästhetische Einbildungskraft von der Herrschaft des Begriffes frei. Darum sagt Kant, daß "eben darin, daß die Einbildungskraft ohne Begriff schematisiert, die Freiheit derselben besteht" (AA V, 287. Hervorh. Vf.). Diese Stelle beweist auf unleugbare Weise, daß Kant sehr wohl die Möglichkeit einsah, daß die Einbildungskraft synthetisiert und damit Schemata erzeugt, ohne daß der entsprechende Begriff schon existiert oder ohne daß diese Schematisierung zur Bildung dieses Begriffes fuhrt, denn die Angemessenheit der synthetischen Einheit der Anschauung zum subjektiven Zweck der Begriffsbildung wird dabei bloß im ästhetischen Gefühl erlebt. Diese Deutung wird durch andere Stellen bestätigt. Ein Passus der Ersten Einleitung in die KU (vgl. XX, 220-21 ) lautet: "Wenn denn die Form eines gegebenen Objekts in der empirischen Anschauung so beschaffen ist, daß die Auffassung des Mannigfaltigen desselben in der Einbildungskraft mit der Darstellung eines Begriffs des Verstandes (unbestimmt welches Begriffs) übereinkommt" usw. Die Darstellung eines Begriffs ist nach § 59 sein Schema. Der zitierte Text besagt, daß in der ästhetischen Reflexion die Form des Bildes mit dem Schema eines möglichen Begriffes überhaupt übereinstimmt. Zu Beginn von Kap. 5 derselben Einleitung sagt Kant von der Urteilskraft überhaupt, also auch von der erkenntnismäßigen: "Die Urtheilskraft kann entweder als bloßes Vermögen, über eine gegebene Vorstellung, zum Behuf eines dadurch möglichen Begrifs, nach einem gewissen Princip zu reflectieren, oder als ein Vermögen, einen zum Grunde liegenden Begrif durch eine gegebene empirische Vorstellung zu bestimmen, angesehen werden" (XX, 210-11). Was das Reflektieren sei, wird dann mit folgenden Worten erklärt: "gegebene
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Vorstellungen entweder mit andern, oder mit seinem Erkenntnisvermögen, in Beziehung auf einen dadurch möglichen Begriff, zu vergleichen und zusammenzuhalten." Offensichtlich existiert dieser Begriff dabei noch nicht, sondern er ist bloß möglich, während die Vorstellungen oder Bilder nach irgendeinem Schema verbunden werden, dessen Begriff noch zu bestimmen ist. C) Die Bildung der mathematischen Begriffe kann nicht der Zeit nach den entsprechenden Schemata vorausgehen, denn das würde bedeuten, daß sie a priori im Verstände existieren. Diese Begriffe wären dann rein intellektuell und hätten nicht ihren Ursprung in der Anschauung, was der Lehre Kants ausdrücklich widersprechen würde (vgl. z.B. Β 40-41, A 38-39, Proleg. §§ 7,10-12). Die Bildung jedes mathematischen Begriffs sowie die des entsprechenden synthetischen Urteils a priori sind im bloßen Verstand und aus bloßen Begriffen nicht möglich, sondern gründen in der Handlung der Konstruktion (Produktion) des Begriffs in der reinen Anschauung, d.h. im Schema (vgl. A 713 ff.). D) Was alle Begriffe a priori, sowohl die Kategorien als auch die mathematischen Begriffe, betrifft, gilt die hier so oft erwähnte Lehre der acquisitio originaria. Ihr gemäß kann kein Begriff a priori als Vorstellung existieren, bevor die Erfahrung, d.h. die Synthesis der Erscheinungen nach Schemata, in Gang kommt. Infolgedessen geht die Produktion der mathematischen und der transzendentalen Schemata der Bildung der entsprechenden Begriffe voraus. Der Glaube, daß der Begriff immer vor seinem Schema existiert, widerspricht der Lehre von der ursprünglichen Erwerbung. E) Nach § 10 der Kritik gibt es zwei Modi der Begriffsbildung, einen analytischen und einen synthetischen. Wie soeben gesagt, die Bildung der empirischen Begriffe durch die Analyse der Bilder gründet in der Synthesis dieser gemäß Schemata, die darum diesen Begriffen vorausgehen. Dieser Paragraph weist auf eine synthetische Bildung der Begriffe a priori hin, die von der reinen Synthesis ausgeht und sie auf Begriffe bringt. Aber einige Reflexionen zeigen, daß dieser synthetische Weg für alle Begriffsarten gültig ist. In R 2876 fragt sich Kant an zwei Stellen, ob man einen Begriff bekommen könnte, der vielen Vorstellungen gemein wäre, ohne die Vergleichung dieser zu vollziehen. So heißt es da ζ. B.: "Es ist nicht immer Vergleichung mit anderm Nothig, um einen allgemeinen Begrif zu bekommen, sondern Bewustseyn der Möglichkeit der Vorstellung auf Mancherley Art." Dieses Bewußtsein ist vielleicht durch die Abwandlung eines einzigen Bildes in der Phantasie möglich. In R 2878 kehrt Kant zum selben Problem zurück: "frage: ob wir wohl aus einer einzigen Anschauung ohne Vergleichung etwas absondern können, um darunter mehr Dinge, wenn sich deren vorfinden solten, zu subordiniren." Die dieser Stelle hinzugefugte Anmerkung enthält die Antwort: "Wir könen uns der handlung der imagination, d.i. der Verbindung entweder der Vorstellungen unter einander oder mit unserem Sinne, ganz allein bewust werden, ohne auf das Verbundene und dessen Eigenthümlichkeit zu sehen, e.g. Haus.
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Aber klar wird der Begrif nur durch die Anwendung in der Vergleichung." Diese bestimmte Synthesjs der Einbildungskraft, die bewußt werden kann, wenn sie bei einem einzigen Bild ausgeübt wird, und die zur Bildung eines Begriffes fuhren kann, ist das Schema. In der Reflexion 2880 sagt Kant: "Wir vergleichen nur das allgemeine der Regel unserer Auffassung. z.B. Man sieht einen Strauch, dabey kan man sich einen Baum vorstellen; ein länglich Vierek giebt anlas zum Quadrat. Das Einhorn ist ein Pferd, dazu das Horn von andern thieren genommen ist." Das heißt, wenn wir uns eines Schemas bewußt sind, können wir auf Grund desselben eine Vielfalt verschiedener Bilder willkürlich erzeugen, ohne auf vorgegebene Erscheinungen angewiesen zu sein, so daß wir nur den Gebrauch desselben Schemas in der einen oder anderen Phantasievorstellung vergleichen. R 2883 lautet: "1. abstractio (in) data nota an aliis. - 2. Communio plurium in hac nota sive communicatio obiectiva. Diese Gemeingültigkeit setzt freylich eine Vergleichung voraus, aber nicht der Warnehmungen, sondern unserer Auffassung, so fern sie schon die Darstellung eines noch unbestimten Begrifs enthält und an sich allgemein ist." Das Schema als Regel der Auffassung ist der allgemeine Modus, einen noch zu bestimmenden Begriff darzustellen und ihn von dieser Regel her zu bilden. Ein Passus von R 2884 sagt ebenso über den geometrischen Begriff: "Der Theilbegrif (kan) als Erkentnisgrund a priori vorgestellt werden vor aller Vergleichung wegen des Vermögens der productiven Einbildungskraft". Diese Stellen deuten an, daß Kant die Möglichkeit anvisiert, Begriffe aller Klassen aus ihren entsprechenden Schemata zu bilden, welche also vor jenen bestehen müssen. F) Im obigen § 23 ist die Orientierung des Schematismus-Kapitels erörtert worden. Außer den drei Hinweisen auf die Produktion der Schemata sagt dieser Text gar nichts darüber, ob vom zeitlichen Standpunkt die Schemata den Begriffen vorausgehen oder umgekehrt. Dieses Kapitel fragt, unter Absehen von der genetischen Frage, wie der schon gebildete Begriff auf den empirischen Stoff angewandt werden kann, um diesen unter jenen zu subsumieren. Diese Frage und die Antwort Kants auf sie widersprechen nicht der hier versuchten Interpretation. Nachdem ein empirischer oder reiner Begriff gebildet ist, verwandelt sich das Schema, von dem seine synthetische Bildung ausgegangen ist, in ein Instrument dieses Begriffs, um ihm angemessene Bilder zu erzeugen oder um diese unter ihn zu subsumieren. Dabei gehen wir vom fertigen Begriff aus und reproduzieren sein Schema sowie das entsprechende Bild. Die Möglichkeit, von einem Begriff zu seinem Schema und seinem Bild überzugehen, schließt nicht die Möglichkeit aus, daß dieser Begriff aus seinem Schema entsprungen ist.40 40
Der Klarheit halber fassen wir die verschiedenen Funktionen des Schemas zusammen, die im Laufe der Darlegung zum Vorschein gekommen sind: Das Schema ist a) Instrument der Subsumtion (bzw. Anwendung) und b) Regel der Synthesis der Anschauung zum Bild; b. 1 ) als eine solche Regel ist das Schema Instrument der Bestimmung der Anschauung gemäß dem schon bestehenden Begriff und umgekehrt die Darstellung (Versinnlichung) dieses Begriffs in der Anschauung (Bild); b. 2) als eine solche Regel kann das Schema femer so entstehen, daß sich damit der Begriffsinhalt konstituiert und der erste Schritt zur Bildung des Begriffs getan wird.
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§ 28. Die zweite Etappe der ursprünglichen Erwerbung der Kategorien: von den transzendentalen Schemata zu den Urteilsfunktionen Wie oben erörtert (§ 24), pflegt man die Darstellungsordnung der Analytik für die Ordnung der in ihr behandelten "Sachen selbst" zu nehmen. Nach diesem üblichen Verständnis würden aus den Urteilsfunktionen die reinen Begriffe der Gegenstände überhaupt entspringen und aus diesen, in ihrer Beziehung auf die Zeit, die transz. Schemata zum Vorschein kommen. Diese Darstellungsordnung ist jedoch für Kant, den hier untersuchten Hinweisen nach, nicht die Ordnung, in der die kategorialen Begriffe gebildet werden. Wenn sich der Inhalt dieser Begriffe ferner in der transz. Synthesis der Einbildungskraft konstituiert, dann müssen die Etappen ihrer Konstitution in der umgekehrten Richtung laufen wie die erwähnte Darstellungsordnung. Das impliziert des weiteren einen Übergang von den transz. Schemata zu den "schematisierten" Kategorien (a), dann von diesen Begriffen zu den "bloßen" Kategorien von Dingen überhaupt (b) und endlich von dieser zu den Urteilsfunktionen (c). Obzwar diese Übergänge nicht im Schematismus-Kapitel behandelt werden, gehören sie zum "Phänomen" selbst, insofern sie den Übergang des transz. Schemas zu dem kategorialen Begriff in seinen verschiedenen Abwandlungen bilden. Aus diesem Grunde und weil diese Übergänge zur ursprünglichen Erwerbung der Kategorien gehören, sollen sie im folgenden betrachtet werden. Diese Übergänge bilden die Ordnung einer transzendentalen Genese, die sich implizit im Inneren des Menschen immer schon erfüllt haben muß, damit er ein Vernunftsubjekt sein kann. Dennoch können sie vom philosophischen Denken explizit nachvollzogen werden. Demnach gliedert sich vorliegender Paragraph in die folgenden drei Abschnitte.
A. Der Übergang zu den schematisierten Kategorien Die Genesis des kategorialen Begriffes aus dem transz. Schema ist im Vorangehenden mehrere Male in den Blick genommen worden. Daher beschränke ich mich jetzt darauf, die Ergebnisse dieser Ausführungen zu sammeln und das noch Fehlende hinzuzufügen. Das Thema wird von der KrV wenigstens an zwei Stellen gestreift: in § 10 (A 77-78) und 123-24. Nach dem letzten Passus ist die reine Synthesis der Einbildungskraft die Beziehung der Apperzeption auf die Sinnlichkeit. Trotzdem ist diese Synthesis anschaulich, bleibt jeweils auf einzelne Bilder, und zwar in einem einzelnen Prozeß, beschränkt. Aber dank der genannten Beziehung "werden" bei dieser Synthesis die reinen Verstandesbegriffe ihrem Inhalt nach, genauer: dabei entstehen zunächst nur die transz. Schemata. Aber da diese erste Stufe ihrer Genese
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nicht intellektuell ist, sagt Kant: "Diese Apperzeption ist es nun, welche zu der reinen Einbildungskraft hinzukommen muß, um ihre Funktion intellektuell zu machen" (a.a.O.). Da die Einbildungskraft schon die Beziehung der Apperzeption auf die Sinnlichkeit enthält, muß es sich bei diesem " H i n z u k o m m e n " um eine neue Beziehung handeln, d.h. um ein Selbstbewußtsein, das auf Grund der ersten Leistung der Synthesis deren Schemata explizit macht, indem es ihren Inhalt begrifflich vorstellt. Derselbe Übergang des transz. Schemas zu dem kategorialen Begriff ist A 7778 gemeint, wenn Kant sagt, daß die reine Synthesis der Einbildungskraft, allgemein vorgestellt, den reinen Verstandesbegriff gibt. Die Synthesis gibt diesen Begriff, indem sie nach derselben Stelle den Inhalt aller Begriffe, und zwar in diesem Fall das transz. Schema selbst, erzeugt. Das transz. Schema im allgemeinen vorzustellen bildet dagegen den Übergang, der jetzt behandelt werden soll. In Übereinstimmung mit A 123-24 betont A 78, daß dieser Übergang Aufgabe des Verstandes ist. Der Text von A 77-78 unterscheidet ausdrücklich diese Weise der Begriffsbildung, die hier synthetisch genannt worden ist, von der Begriffsbildung durch Analyse der Bilder. Die oben zuletzt betrachteten Reflexionen haben zur weiteren Verdeutlichung dieses Unterschiedes beigetragen. Welche Denkleistungen sind in der synthetischen Begriffsbildung enthalten? Die Erläuterung des Wortes "Funktion" von A 68 betrifft die Begriffsbildung. Ihr g e m ä ß b e r u h e n die B e g r i f f e auf F u n k t i o n e n , nach d e n e n v e r s c h i e d e n e Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen geordnet werden. Diese Handlung ist synthetisch. Analog dem Bereich der Einbildungskraft spielt sich hier eine Synthesis ab, die in Regeln gründet und auf ein Mannigfaltiges von Objekt-Bildern oder schon fertigen Begriffen geht. Betrachten wir zunächst den synthetischen Charakter der analytischen Begriffsbildung. Da es paradox zu sein scheint, daß die Analyse selbst synthetisch sein kann, ist es nötig, zu zeigen, daß ihre drei Leistungen synthetisch sind. Die Vergleichung sammelt mannigfaltige Vorstellungen, um zu sehen, "wie sie sich zu einander in einem Bewustsein verhalten" (R 2876, vgl. auch R 2875, 2878). Das Vergleichen sucht immer, ob das Verglichene ähnlich oder unähnlich, genauer, identisch oder verschieden ist, und geht deshalb schon in die Reflexion über, die überlegt, "wie verschiedene [Vorstellungen] in einem Bewustsein begriffen seyn können" (a.a.O.). Da beide Handlungen nach dem Identischen streben, bedürfen sie zu ihrer Ergänzung der Abstraktion, "da man das weglaßt, worin sie [d.h. die Vorstellungen] sich unterscheiden" (a.a.O., Jäsche § 6). Das Weglassen und Unterscheiden ist, wie das Vergleichen, nur möglich, wenn man das dadurch Getrennte vor dem Bewußtsein synthetisch zusammenhält. Dem kann man auch entnehmen, daß diese synthetischen Handlungen von den Vorstellungen des Identischen und Verschiedenen geleitet sind, welche zu den Begriffen a priori der Reflexion oder Vergleichung gehören (vgl. A
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262). Diese leiten nicht nur die Begriffsbildung, sondern auch die Subsumtion des Mannigfaltigen unter den gebildeten Begriff. Das Ziel der drei genannten Handlungen ist direkt oder indirekt das identische Was. Seine Identität ist keine leere Einerleiheit, sondern die Identität dessen, was sich in der einen oder anderen Hinsicht unterscheidet, aber andererseits identisch ist, weil es in einem Bewußtsein umfaßt werden kann. Die Vorstellung a priori dieser Identität hat in der Beziehung der Einheit des Bewußtseins auf die Mannigfaltigkeit der Anschauung ihren Ursprung. Weil dieses Bewußtsein eines ist, fordert und ermöglicht es zugleich die synthetische Identität im Begriffe. Auf diese Weise gibt es hier, wie auf der Ebene der Einbildungskraft, eine synthetische Tätigkeit nach Regeln, die nur auf Grund eines vorgegebenen Mannigfaltigen ausgeübt werden kann, während die Synthesis dieses als bestimmte oder bestimmbare Mannigfaltigkeit (von Einzelobjekten oder Arten gegenüber ihren Gattungen) ermöglicht. Diese Synthesis gründet ferner in ihren Regeln, welche wiederum nur in Beziehung auf die Synthesis solche Regeln sein können. Betrachten wir nun die synthetische Begriffsbildung auf Grund der Reflexionen, die im vorigen Paragraphen besprochen wurden. Kant faßte die Möglichkeit in den Blick, daß man aus dem Bewußtsein des Schemas Begriffe bilden kann, ohne gegebene Bilder zu vergleichen. Von einem Schema ausgehend können wir uns vergewissern, daß die Einbildungskraft eine endlose Vielheit von entsprechenden Bildern produzieren kann und daß dieses Schema daher allgemein ist. Anders gewendet: Dieses Bewußtsein erblickt im Laufe dieser endlosen und relativ freien Produktion etwas Identisches, in dem alle Bilder übereinstimmen. Dieses Identische ist nicht nur das Schema, sondern auch sein Zweck, auf den das Schema verweist, sei er ein vorbestehender oder ein noch zu bildender Begriff. Diese Reflexion auf das Identische muß von einer Abstraktion begleitet sein; diese betrifft nicht nur die dabei erzeugten Bilder, sondern auch das Schema selbst und die anschaulichen Bedingungen der Produktion, denn all dies bleibt dem Individuellen verhaftet. Auch in diesem Fall ist die Begriffsbildung eine Synthesis, die von dem Begriff der Identität, d.h. von der Möglichkeit geleitet ist, daß das Mannigfaltige in einem Bewußtsein umgriffen sein kann. In R 2890 scheint Kant beide Wege der Begriffsbildung zu unterscheiden: "Die [Allgemeinheit] subordination der Begriffe entspringt entweder analytisch durch die abstraction oder synthetisch durch die fiction." Die hier genannte Abstraktion meint die Handlung, die, nachdem man das Identische durch die Analyse der Bilder gefunden hat, das von ihm Verschiedene beiseite läßt. Die Fiktion meint die Einbildungskraft, die synthetisch viele Bilder nach einem Schema eines noch zu bestimmenden Begriffes erzeugt. Wiewohl der Ausgangspunkt jeweils verschieden ist, herrschen auch in dem zweiten Weg analoge Bedingungsverhältnisse zwischen dem Schema, der reflektierend-abstrahierenden Tätigkeit und der Regel der Identität.
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Diese Art von Begriffsbildung ist für die zweite Etappe der ursprünglichen Erwerbung der Kategorien charakteristisch. Ihr Ergebnis sind Begriffe vom Inhalt der transz. Schemata. Sie sind das, was die Leser Kants schematisierte Kategorien zu nennen pflegen. Diese Begriffe sind mit der begrifflichen Formulierung der transz. Schemata von A 142 ff. identisch. Darum sind die "Realdefinitionen" der Kategorien nichts anderes als diese Aussagen über die Schemata (A 242 ff.). So lautet z.B. die Aussage über das Schema der Quantität: "die Zahl, welche eine Vorstellung ist, die die sukzessive Addition von Einem zu Einem (gleichartigen) zusammenbefaßt" (A 142). In der Tat: "Den Begriff der Größe überhaupt kann niemand erklären, als etwa so: daß sie die Bestimmung eines Dinges sei, dadurch, wie vielmal Eines in ihm gesetzt ist, gedacht werden kann. Allein dieses Wievielmal gründet sich auf die sukzessive Wiederholung, mithin auf die Zeit und die Synthesis (des Gleichartigen) in derselben" (A 242). Jeder dieser Begriffe stellt im Allgemeinen einen Modus der Synthesis des Mannigfaltigen der und in der Zeit vor, wobei er von jeder Anschauung einer einzelnen Zeit, eines Raumes und eines gegebenen empirischen Mannigfaltigen, sowie von jedem Einzelbild und jedem individuellen Synthesisprozeß, abstrahiert. Diese Leistung ist doppelt: 1) Sie erzeugt die begriffliche universale Form der schematisierten Kategorie, und 2) sie formt diese Vorstellung als Begriff eines Objekts, d.h. des empirischen Gegenstandes überhaupt. Die schematisierten Kategorien sind nicht bloß Begriffe einer gewissen sinnlichen Synthesis, sondern Begriffe von Modi der synthetischen Einheit als Bestimmungen dieses Gegenstandes.
B. Der Übergang zu den entschematisierten Kategorien Dieser neue Schritt geht von den schematisierten Kategorien aus und gelangt zu den "bloß reinen Kategorien" (A 248), d.h. zu Begriffen, die ihres schematischen Inhalts entblößt sind (vgl. A 241 ff.). Warum geht aber der Verstand nicht von den schematisierten Kategorien aus direkt zu den Urteilsfunktionen? Warum sind diese bloß reinen Kategorien nötig? Welche ist die Natur und Funktion dieser Begriffe? Es ist ein Faktum, daß die überlieferte Philosophie und insbesondere die im XVII. Jahrhundert auftretende "Ontologie" in gewisser Weise schon die Kategorien kennt und sie als Begriffe von Dingen überhaupt gebraucht. Dieser Zusatz "überhaupt" besagt, daß diese Begriffe auf die Dinge schlechthin bezogen werden, auf alle Dinge ohne Beschränkung auf einen Bereich oder eine besondere Hinsicht, z.B. auf die Dinge in ihrer Beziehung auf das Subjekt, als Erscheinungen. Daher verwandeln sich die so gefaßten Kategorien in Begriffe der Dinge an sich selbst. Kant kennzeichnet diesen Gebrauch derselben auf folgende Weise: "Der transzendentale Gebrauch eines Begriffs in irgendeinem Grundsatze ist dieser: daß
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er auf Dinge überhaupt und an sich selbst, der empirische aber, wenn er bloß auf Erscheinungen, d.i. Gegenstände einer möglichen Erfahrung, bezogen wird" (A 238-39). Dieser transzendentale Gebrauch ist, wie Kant an derselben Stelle zeigt, ein nur scheinbarer. Einen Begriff gebrauchen heißt, durch ihn ein direkt oder indirekt in unserer sinnlichen Anschauung gegebenes oder gebbares Objekt vorzustellen. Wenn man beim Denken der Kategorien von der Beziehung auf unsere sinnliche Anschauung und auf die transz. Schemata abstrahiert, mit dem Anspruch, durch derartige Begriffe die Dinge überhaupt und an sich selbst zu erkennen, dann gelingt es einem damit nicht, ein Objekt zu erkennen, und dieser angebliche Gebrauch des Verstandes reduziert sich darauf, bloß Begriffe der Urteilsfunktionen als Bestimmungen der Dinge überhaupt zu denken (A 239-48). Die Kritik muß also annehmen, daß der Verstand entschematisierte Kategorien denkt, um dadurch das Faktum der dogmatischen Metaphysik zu erklären und um ihren vermeintlichen transzendentalen Gebrauch dieser Begriffe kritisieren zu können. Zweitens hat die Annahme solcher Kategorien eine positive Funktion. Obwohl sie keinen Sinn oder keine objektive Bedeutung haben, sind sie in verschiedenen Hinsichten nötig: a) Sie sind im Hinblick auf den Endzweck der kritischen Philosophie erforderlich, d. h. um von Faktum des Sittengesetzes aus die letzten Fragen der menschlichen Vernunft (Freiheit, Unsterblichkeit, Gott) zu denken. Die entschematisierten Kategorien sind unentbehrliche Instrumente der praktisch-dogmatischen Metaphysik. b) Die Ä>F kommt, wie gesagt, nicht ohne eine transz. Theorie der Subjektivität aus, deren ontologisches Fundament zum Teil diese Kategorien sind. c) Die entschematisierten Kategorien sind ferner ein unentbehrliches Mittel zur philosophischen Betrachtung des Kunstwerkes und des zweckmäßigen Objekts. Kurz die Zweiheit von schematisierten und entschematisierten Kategorien entspricht den beiden Momenten der Kantischen Philosophie. Jene Begriffe sind die Bestimmungen des Objekts der wissenschaftlichen (und vorwissenschaftlichen) Erfahrung, auf welches die kritische Ontologie in ihrem Ausgangspunkt geht. Die anderen Kategorien sind Bestimmungen der empirischen oder nicht-empirischen Seienden, die nicht als Objekte dieser Erfahrung gedacht werden können und die die Themen der speziellen Metaphysik bilden, unter ihnen der praktisch-dogmatischen Metaphysik. Worin besteht der Übergang zu diesen "bloß reinen Kategorien"? Eine Stelle am Ende des Schematismus-Kapitels gibt einen Hinweis auf die Antwort zu dieser Frage. "Wenn wir nun eine restringierende Bedingung weglassen, so amplifizieren wir, wie es scheint, den vorher eingeschränkten Begriff..." (A 146-47). Dem Kontext nach deutet diese Stelle zwei Übergänge an: 1) Die Kategorien als Begriffe der Dinge überhaupt und an sich selbst sind zunächst durch die Hinzukunft der transz. Schemata auf die Objekte der Erscheinungen beschränkt. Das entspricht der Darstellungsordnung der Kritik, der gemäß die Kategorien als Begriffe der Dinge
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überhaupt, die das erste Kapitel der Analytik entdeckt hat, im Schematismus-Kapitel auf die Erscheinungen restringiert werden. 2) Dann werden diese restriktiven Bedingungen weggelassen, und man kehrt zu den unbeschränkten Begriffen zurück, deren breitere Umfang die Objekte der Erscheinungen als eine kleinere Sphäre enthält. Wenn man die genannte Darstellungsordnung beiseite läßt und von dem transz. Schematismus aus die Erwerbung der Kategorien betrachtet, dann ist es nötig, den Übergang der schematisierten Kategorien zu den entschematisierten zum Thema zu machen. An der letzten Stelle, wie an anderen Stellen, verwendet Kant Wörter, die eine Abstraktion bedeuten: "weglassen" (A 147, 242-43, 245), "wegnehmen" (241), "wegschaffen" (242), "abstrahieren" (245,247), "Absonderung" (147/ Der Verstand abstrahiert nämlich bei den schematisierten Kategorienbegriffen von jeder Bestimmung, die das Mannigfaltige der und in der Zeit sowie den anschaulichzeitlichen Modus der Synthesis betrifft. Da sich ein Begriff aber nicht auf seine Objekte beziehen kann, wenn diese nicht in irgendeiner Art von Anschauung gegeben werden können, zwingt uns dieser abstraktive Aufstieg zum Begriff vom Ding überhaupt dazu, korrelativ universalere Begriffe von Anschauung zu bilden. Während sich die schematisierten Kategorien auf mögliche Objekte unserer Anschauung in Raum und Zeit beziehen, wären die entschematisierten Kategorien Begriffe von Objekten einer sinnlichen Anschauung überhaupt, mag sie die menschliche oder eine andere sinnliche sein. Diese Verallgemeinerung geht Kant allerdings nicht weit genug, denn das Objekt einer nicht-menschlichen, aber sinnlichen Anschauung wäre Erscheinung und nicht Ding schlechthin und an sich, wie es das Objekt der entschematisierten Kategorien sein sollte. Um diese höhere Stufe zu erreichen, ist es nötig, von jeder Beziehung auf eine sinnliche Anschauung zu abstrahieren und die Kategorien als Begriffe der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen einer Anschauung überhaupt zu denken. Dieser Begriff von Anschauung bezeichnet eine Gattung, die sowohl die sinnliche (menschliche oder nicht-menschliche) Anschauung als auch die nicht-sinnliche (intellektuelle) Anschauung umgreift. Daher bezieht sich Kant auf die entschematisierten Kategorien als auf Begriffe der "Anschauung überhaupt" (A 79), welche die "synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt" enthalten (a.a.O.). Wenn man, nach A 247, nicht die Art der Anschauung angibt, auf die sich das Denken bezieht, dann ist sein Objekt "transzendental", d.h. etwas überhaupt, und die Kategorie enthält dann nur die "Einheit des Denkens eines Mannigfaltigen überhaupt" oder (nach dem Nachtrag CXXV) "eines Mannigfaltigen einer möglichen Anschauung überhaupt". Diese Bedeutung von "transzendental" knüpft an den ursprünglichen, scholastischen Sinn dieses Wortes an, wenn es auf eine Weise höchster Universalität geht. Diese Begriffe anderer sinnlicher, aber nicht-menschlicher Anschauungen, einer nicht-sinnlichen Anschauung, einer intellektuellen Anschauung und eines intuitiven
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Verstandes, sowie einer Anschauung überhaupt und ihres Mannigfaltigen überhaupt usw., sind problematische Begriffe: Sie widersprechen weder sich selbst noch anderen kritisch gesicherten Begriffen, aber ihre objektive Realität ist nicht erkennbar. Jedoch sind sie der Kritik notwendig, insofern sie den Gebrauch des Verstandes auf die Erfahrung und ihre Erscheinungen begrenzen (A 252, 254 f f ) . Sie sind daher für die praktische Metaphysik oder fur die kritische Selbsterkenntnis des endlichen Subjekts unentbehrlich. Trotzdem ist die Beziehung der Kategorien auf eine Anschauung überhaupt etwas Fragwürdiges, denn wir wissen nicht, ob die Dinge an sich mit diesen Begriffen übereinstimmen können oder müssen. Wie sich bald zeigen wird, macht die zweite Auflage eine wichtige Korrektur in dieser Hinsicht: Die Kategorien als Regeln der synthetischen Einheit können höchstens auf die sinnliche Anschauung überhaupt und nicht auf eine intellektuelle Anschauung gehen, denn das Objekt dieser letzteren müßte immer Eines sein und bedürfte gar nicht der Synthesis oder der Kategorien. Eine der späteren Schriften, die Fortschritte, bezieht bzw. beziehen dennoch die Kategorien auf die Anschauung überhaupt, und dabei sogar auf die übersinnliche (AA XX, 272).
C. Der Übergang zu den Urteilsfunktionen Auf diesen neuen Übergang wird an denjenigen Stellen angespielt, an denen Kant darauf hinweist, daß die Kategorien auf Begriffe einer logischen Einheit der Vorstellungen reduziert werden, wenn man von den transz. Schemata abstrahiert (A 147). Wenn man z.B. vom Schema der Substantialität abstrahiert, bleibt uns ein Begriff von etwas überhaupt übrig, das nur als Urteilssubjekt und niemals als Prädikat gedacht werden kann (a.a.O., vgl. auch A 242-46). "Die reinen Kategorien sind aber nichts anderes, als Vorstellungen der Dinge überhaupt, sofern das Mannigfaltige ihrer Anschauung durch eine oder andere dieser logischen Funktionen gedacht werden muß ... " (A 245). Solche Begriffe enthalten also noch 1) eine Beziehung auf Dinge überhaupt und bedeuten 2) eine synthetische Einheit von Vorstellungen in Urteilen. Der Inhalt dieser Begriffe deutet schon an, worin der Übergang der Kategorien ohne Schemata zu den Urteilsfunktionen bestehen kann. Dazu ist es nötig, daß der Verstand bei ihnen von dem Bezug auf Gegenstände überhaupt absieht. Wenn man einmal eine solche Abstraktion vornimmt, dann bleiben als Residuum Begriffe von Regeln der synthetischen Einheit {Funktionen) der Begriffe in Urteilen übrig. Genauer: Beim Übergang von den transz. Schemata zu den Urteilsfunktionen, der implizit und vor aller philosophischen Bildung von Kategorien geschieht, entspringen aus diesen Schemata und durch die genannte Abstraktion Funktionen, die faktisch das Urteilen regeln, lange bevor Logik und Grammatik sie zum Thema machen. Dieser Übergang ist möglich, weil die transz. Schemata von Anfang an Synthesisregeln
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sind. Freilich müssen sich diese Regeln verändern, um eine Synthesis von Begriffen zu regeln, die Zeitverhältnisse nicht direkt betrifft. So geht die Funktion des kategorischen Urteils nur auf ein unbedingtes Subordinationsverhältnis des Prädikats zu dem Subjekt, wobei von der Synthesis abstrahiert wird, die das Beharrliche und das Wechselnde in der Zeit konstituiert. Der genannte Übergang ist nicht, wie der ihm vorangehende, eine Verallgemeinerung, bei der man von einer Objektspezies zu einer allgemeineren aufsteigt, sondern so etwas wie das, was Husserl Formalisierung nennt.41 In diesem Fall geht man in der Tat durch die betrachtete Abstraktion von Begriffen aus, die Objekte meinen, zu Begriffsformen über, die nur Verbindungsmodi von Begriffen in Urteilen betreffen. Welche Belege gibt es dafür, daß Kant wirklich so die Art gedacht hat, in der der Mensch zum Bewußtsein der Urteilsfunktionen gelangt? 1. Wenn der Mensch keine angeborene Erkenntnis a priori des Verstandes hat und sie vielmehr aus dessen synthetischer Anwendung auf die Sinnlichkeit erwerben muß, dann kann er vor dieser Anwendung kein Bewußtsein der Urteilsfunktionen haben. 2. Wir könnten zwar die Vorstellung der Urteilsfunktionen von dem Urteilen selbst her erwerben. Aber dieses findet nur statt, wenn man über Begriffe verfugt. Die Begriffsbildung geht aber, wie gesagt, von den Bildern und der Synthesis der Einbildungskraft aus. Folglich könnte eine solche Erwerbungsart auch nur nach dem faktischen Geschehen dieser letzteren Synthesis auftreten. 3. Zu Beginn der Schrift Was heißt: sich im Denken orientieren? (1786) sagt Kant: "Wir mögen unsre Begriffe noch so hoch anlegen und dabei noch so sehr von der Sinnlichkeit abstrahiren, so hängen ihnen doch noch immer bildliche Vorstellungen an, deren eigentliche Bestimmung es ist, sie, die sonst nicht von der Erfahrung abgeleitet sind, zum Erfahrungsgebrauche tauglich zu machen. Denn wie wollten wir auch unseren Begriffen Sinn und Bedeutung verschaffen, wenn ihnen nicht irgend eine Anschauung (welche zuletzt immer ein Beispiel aus irgend einer möglichen Erfahrung sein muß) untergelegt würde? Wenn wir hernach von dieser conkreten Verstandeshandlung die Beimischung des Bildes, zuerst der zufälligen Wahrnehmung durch Sinne, dann so gar die reine sinnliche Anschauung überhaupt weglassen: so bleibt jener reine Verstandesbegriff übrig, dessen Umfang nun erweitert ist und eine Regel des Denkens überhaupt enthält. Auf solche Weise ist selbst die allgemeine Logik zu Stande gekommen ..." (AA VIII,133). Wiewohl dieser Passus sich anfangs auf jedweden Begriff zu beziehen scheint, geht er offensichtlich auf reine Begriffe, und zwar gerade auf die Kategorien. Die bildlichen Vorstellungen, die diesen angehängt werden, um ihren Erfahrungsgebrauch möglich zu machen, können eigentlich keine Bilder, sondern müssen transz. Schemata
41
Vgl. Ideen I, § 1 3
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sein. Mit Rücksicht auf das Publikum, an das sich Kant in dieser Schrift wendet, zieht er es aber vor, statt des Schemas das Einzelbild eines möglichen empirischen Falles der Kategorie zu erwähnen, durch welches entscheidbar ist, ob ein anderes Bild unter sie subsumiert werden kann oder nicht. Die Stelle geht dann ausdrücklich auf ein Weglassen ein, das von dieser "konkreten Verstandeshandlung ", d.h. von dem Denken der Kategorie mittels ihres Schemas, sukzessiv verschiedene Momente abstrahiert: 1. das Bild selbst hinsichtlich seines empirischen Inhalts; 2. die reine sinnliche Anschauung. Durch beide Abstraktionen tritt eine Reduktion auf den reinen Verstandesbegriff ein. Die erste derselben könnte als der Übergang von dem transz. Schema (oder von einem Bild, das als Beispiel fungiert) zur schematisierten Kategorie gedeutet werden. Die andere Abstraktion läßt auch die reine sinnliche Anschauung und mit ihr den anschaulichen Inhalt hinter sich, der noch in der schematisierten Kategorie enthalten ist. Dadurch scheint die Kategorie ihre Sphäre zu erweitern, indem sie sich auf Dinge überhaupt bezieht. 3. Endlich erklärt dieser Text, daß man auf diesem Weg zur Erkenntnis der logischen Formen gekommen ist. Dazu wäre eine dritte Abstraktion nötig, die den Übergang von den entschematisierten Kategorien zu den Urteilsfunktionen ermöglichen würde. Demnach bestätigt dieser Text indirekt die hier versuchte Interpretation der drei Übergänge, die die zweite Etappe der ursprünglichen Erwerbung der Kategorien bilden. Voranstehende Interpretation des Schematismus-Kapitels hat in verschiedener Hinsicht vorliegende Arbeit zu ihrem Ziel vorangetrieben. Da es hier darum ging, die Möglichkeit eines Entspringens des Gehalts der Kategorien aus dem transzendentalen Schematismus zu erforschen, wurde die tiefste Ebene desselben, die Produktion der Schemata selbst, zum Thema gemacht. Aus der Charakteristik des Schemas als Regel der Synthesis der Bilder konnte indirekt erschlossen werden, worin das Entspringen eines Schemas überhaupt bestehen kann. Es zeigte sich, daß Kant wenigstens hinsichtlich der empirischen und der mathematischen Schemata annimmt, daß diese Regeln vor der Existenz der entsprechenden Begriffe aus der Beziehung von Apperzeption und (empirischer bzw. reiner) Anschauung entspringen, was nicht verhindert, daß sich nach der Bildung der zugehörigen Begriffe diese Schemata in den Dienst derselben stellen, um den Begriffen Bilder zu verschaffen und diese unter jene zu subsumieren. Da es hier nicht darum ging, das umrissene Entspringen dieser Schemata in einer gewaltsamen Interpretation auf die transz. Schemata zu übertragen, wurde erörtert, wie das Entspringen der letzteren Schemata aufgefaßt werden muß, wenn es, wie Kant annimmt, bloß die sinnliche Übersetzung von bisher verborgenen angeborenen Keimen der Kategorien sein soll, deren Inhalt also vorbesteht. Es ergab sich, daß ein solcher Übergang nicht begreiflich ist und vermutlich zu den Urereignissen gehört, die der Vernunft selbst als Fakta zugrunde liegen. Trotzdem bereitet die Erforschung der Produktion des Schemas überhaupt
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den Weg vor, den das VI. Kapitel einschlagen wird. Endlich hat die Erörterung der sukzessiven Stufen, durch die sich die transz. Schemata in schematisierte Begriffe, Kategorien ohne Schemata und logische Urteilsfunktionen verwandeln, unsere Interpretation der ursprünglichen Erwerbung der Kategorien im zweiten Kapitel ergänzt.
Fünftes Kapitel Das Problem des subjektiven Ursprungs der Kategorien in der Transzendentalen Deduktion der zweiten Auflage Die Abwandlungen der transzendentalen Deduktion in der zweiten Auflage der KrV betreffen fast auschließlich den Zusatzbeweis der minor, den ich das Hauptstadium der Deduktion genannt habe. Der Text, der diesem Abschnitt unmittelbar vorausgeht bzw. nachfolgt, bleibt derselbe wie in der ersten Auflage, mit Ausnahme der drei letzten Absätze von § 14. Nicht nur das Ziel der Deduktion im ganzen, sondern auch dasjenige dieses Zusatzbeweises bleibt bestehen. Der neue Text sucht ebenso zu beweisen, daß die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sind, und zwar in eins mit dem Aufweis der Bedingungen der Möglichkeit des Verstandes selbst. Das Hauptstadium ist wie in der früheren Auflage zugleich objektiv und subjektiv, was im folgenden gezeigt werden soll. Dennoch ist der Weg zu diesem doppelten Ziel von dem der ersten Auflage verschieden. Der zweite einleitende Abschnitt, der die subjektiven Bedingungen getrennt betrachtet, ist weggelassen. Der neue Text entspricht eher der "systematischen" Darstellung, die in A der dritte Abschnitt entfaltet und zwar vor allem seine "absteigende" Deduktion. Dank dieser Modifikationen ist der neue Zusatzbeweis einfacher und übersichtlicher. Aber diese Abwandlungen sind nicht so entscheidend wie diejenigen, die die Gliederung dieses absteigenden Weges in zwei Etappen (§§ 15-20 bzw. 21-27) betreffen. Diese neue Gliederung ist nicht einfach eine andere Weise, dasselbe darzulegen, sondern sie impliziert eine neue Auffassung des Erkenntnissubjekts, die zu einer neuen Art gehört, das Verhältnis von Urteil und Kategorie zu denken. Gemäß der Absicht dieser Arbeit richtet sich das vorliegende Kapitel auf drei Fragen: a) Wie wandelt sich in der neuen Fassung der Deduktion das Wesen des Verstandes? b) Wie faßt die Deduktion Β den subjektiven Ursprung der Kategorien? c) Was trägt die neue Fassung der Deduktion zur Lehre des Schematismus bei?
§ 29. Der Grundcharakter der Deduktion Β Wenn man zum eigentümlichen Gehalt der Deduktion Β vordringen will, muß man sich fragen, warum Kant deren Weg in zwei Etappen gliedert. Die Antwort ist in dem Mittelpunkt enthalten, der diese zwei Etappen trennt, im Paragraphen 21, der "Anmerkung" betitelt ist. Der Stelle gemäß, an der sich diese befindet, ist sie
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eine Anmerkung zu den Paragraphen 15-20, aber sie bezieht sich in Wirklichkeit auf den neuen Text im ganzen. Die Zäsur, die § 21 für den Gang der Deduktion darstellt, wird im ersten Absatz ausgedrückt. Die ersten Sätze, vom übrigen Text durch einen Gedankenstrich abgesetzt, fassen das Grundergebnis der vorangehenden Paragraphen zusammen: Das Mannigfaltige der Anschauung, und zwar auch das der empirischen (menschlichen) Anschauung, steht unter der synthetischen Einheit der Apperzeption durch Kategorien und folglich auch unter diesen. Der Rest des Absatzes nach dem Gedankenstrich handelt von diesem Ergebnis und blickt also auf die Paragraphen 15-20 zurück und dann nach vorne, auf den nachfolgenden Gang der Deduktion. "Im obigen Satze ist also der Anfang einer Deduktion der reinen Verstandesbegriffe gemacht..." Demnach ist nicht nur der erste Satz von § 21, sondern es sind auch die vorangehenden Paragraphen nur ein Anfang derselben. "In der Folge wird ... die Absicht der Deduktion allererst völlig erreicht werden" (144-45, vgl. § 26, Β 169). Was kennzeichnet diesen Anfang der Deduktion B? In ihm, sagt Kant, müsse man "noch von der Art, wie das Mannigfaltige zu einer empirischen Anschauung gegeben werde, abstrahieren ... , um nur auf die Einheit, die in die Anschauung vermittelst der Kategorie durch den Verstand hinzukommt, zu sehen"(B 144). Wie das Mannigfaltige in einer empirischen Anschauung gegeben wird, ist durch die reine Anschauung in Raum und Zeit bestimmt. Die erste Etappe der Deduktion Β ist dadurch gekennzeichnet, daß sie von dieser Gegebenheitsweise und damit von unserer Anschauung in Raum und Zeit abstrahiert. Das besagt nicht, daß sie von jeder Anschauung absieht. Wie der folgende Satz bemerkt, schreibt die Kategorie "dem Mannigfaltigen einer gegebenen Anschauung überhaupt" Einheit vor. Demgemäß abstrahiert die erste Etappe vom spezifischen Charakter der einen oder anderen sinnlichen Anschauung, um nur das Gattungsmäßige einer sinnlichen Anschauung überhaupt zu behalten. Im Gegensatz dazu hat die spätere Etappe, die in § 26 gipfelt, zur Aufgabe, "aus der Art, wie in der Sinnlichkeit die empirische Anschauung gegeben wird", zu zeigen, daß auch ihre Einheit in der Kategorie gründet und daß diese also "in Ansehung aller Gegenstände unserer Sinne" gilt (B 145). Diese andere Etappe ist dadurch gekennzeichnet, daß Kant die vorangehende Abstraktion aufgibt und die spezifische Gegebenheitsweise des Mannigfaltigen in unserer menschlichen Anschauung berücksichtigt, um auch bei ihr zu zeigen, daß die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit ihrer Einheit sind. Die Gliederung des Weges der Deduktion Β in zwei Etappen gründet zwar in dieser Unterscheidung zwischen der (sinnlichen) Anschauung überhaupt und der Anschauung in ihrer menschlichen Bestimmtheit. Aber der tiefere Grund dieser Gliederung ist ein anderer. Bei der obigen Anfuhrung der Stelle, die diesen Grund darlegt, wurden absichtlich die entscheidenden Worte zurückgehalten: "Im obigen Satze ist also der Anfang einer Deduktion der reinen Verstandesbegriffe gemacht,
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in welcher ich, da die Kategorien unabhängig von Sinnlichkeit bloß im Verstände entspringen, noch von der Art, wie das Mannigfaltige zu einer empirischen Anschauung gegeben werde, abstrahieren muß ...". Weil die Kategorien also bloß im Verstände entspringen und nicht in der Sinnlichkeit, ist es möglich, jenes Vermögen aus einer doppelten Perspektive zu betrachten: entweder als bloßen Verstand (vgl. § 24, Β 150), unter Abstraktion von unserer menschlichen Sinnlichkeit, wenn auch in Beziehung auf die Objekte einer sinnlichen Anschauung überhaupt, oder als Verstand in seiner Anwendung auf unsere Sinnlichkeit, in Beziehung auf Gegenstände im Räume und in der Zeit. Diesen zwei Perspektiven entsprechen die zwei erwähnten Klassen von sinnlicher Anschauung. Die Gliederung des Hauptstadiums der Deduktion Β gründet in dieser doppelten Art, den Verstand zu betrachten, die der Deduktion A fremd ist, insofern sie den Verstand als eine Beziehung der Apperzeption auf die menschliche Sinnlichkeit ansieht. 1 Warum gibt Kant die Position der Deduktion A auf und geht zu dieser neuen Art über, den Verstand zu betrachten? Worin besteht die neue implizite Bestimmung desselben? Um diese Fragen zu klären, ist es nötig, die Genese der zweiten Auflage der Kritik zu erkunden. Der Briefwechsel Kants zwischen 1781 und 1787 sowie einige Stellen seiner Werke, verweisen übereinstimmend auf die Motive, die ihn zur neuen Fassung des Hauptbeweises der Deduktion fuhren: das Unverständnis der ersten Leser der Kritik, die Klagen über die Dunkelheit des entsprechenden Kapitels, die Mißverständnisse der Kritiker. Auf den Weg Kants zur neuen Fassung werfen die Prolegomena einiges Licht. Wenn man über die Deduktion der Kategorien in den Prolegomena redet, muß man zuerst berücksichtigen, daß sich Kant in den einschlägigen Stellen dieses Werkes (§§ 14 ff.) nicht fragt, wie die Objektivität der Kategorien möglich sei, sondern vielmehr, wie die reine Naturwissenschaft möglich sei, d. h., wie wir die Gesetze (die Grundsätze des reinen Verstandes, d.h. Urteile) betreffs der Form der Natur erkennen können (vgl. §§ 14-17). Da die Form des Naturobjekts den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung gleichkommt, schlägt Kant den analytischen Weg ein, der von der Erfahrung ausgeht und zu diesen Bedingungen gelangt (§ 17), um dann von ihnen her zu bestimmen, wie sie a priori erkannt werden können (vgl. §§ 24 und 26). Die Paragraphen 18-20 (vgl. auch §§ 21-a und 22) legen dar, wie die Erfahrung als Erfahrungsurteil in der allgemeingültigen, d.h. allgemeinen und notwendigen Verbindung der Wahrnehmungen besteht und wie eine solche Verbindung in Verstandesbegriffen a priori gründet, die jeweils bestimmen, welche Wahrnehmungen notwendig durch welche Urteilsfunktionen gedacht werden 1
Für den Standpunkt der ersten Auflage zu dieser Frage sind die Worte charakteristisch: "Wir können demnach nur aus dem Standpunkte eines Menschen, vom Raum, von ausgedehnten Wesen usw. reden" (A 26 ff.).
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müssen. Diese Auffassung der Beziehung zwischen Urteil und Kategorie ist eine Neuheit in Vergleich zur ersten Auflage der Kritik. Demgemäß kann man sagen, daß die Prolegomena eigentlich keine transzendentale Deduktion der Kategorien entfalten, sondern allein eine Frage behandeln, die nur einem Teil derselben entspricht. Die Paragraphen 18-20 des Werkes beweisen in der Tat implizit, daß die Kategorien Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung sind und wie sie das sind. Das entspricht nicht der transzendentalen Deduktion der Kategorien im ganzen, sondern nur dem Zusatzbeweis der minor und zwar ohne ausdrückliche Beziehung auf den Hauptbeweis, zu dem diese minor gehört. Nur § 26 dieser Schrift streift das Problem der Möglichkeit der Erkenntnis a priori, und zwar in Hinblick auf die Grundsätze des reinen Verstandes. Es wird dabei bemerkt, daß der Grund ihrer Möglichkeit darin besteht, daß "sie nur die Bedingungen möglicher Erfahrung überhaupt enthalten" (IV, 308). Der Umstand, daß die Prolegomena in ihren Paragraphen 18-20 den Beweisgrund der transz. Deduktion der Kategorien berühren, aber diese nicht explizit und vollständig entfalten, erklärt, wie es möglich ist, daß Kant in diesem Werk schon eine neue Auffassung des Urteils als notwendiger Verbindung und seines Zusammenhangs mit der Kategorie anvisiert - wenn nicht unmittelbar und explizit - und daß er erst später einsieht, inwiefern diese Auffassung eine neue Darstellung des Hauptstadiums der Deduktion möglich macht. Ein erstes Zeugnis dieser späteren Einsicht scheint R 5923 zu sein, die nach Adickes schon 1783-84, d. h. kurz nach der Abfassung der Prolegomena, niedergeschrieben worden sein soll. Diese Reflexion, die ausdrücklich "Deduction der reinen Erkentnisse a priori" betitelt ist, enthält implizit den Hauptbeweis. Im folgenden wird dieser Beweis explizit dargelegt, unter Angabe der Absätze des Textes. [1-2] Wenn die reinen Verstandesbegriffe Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sind, dann haben sie objektive Realität. [5-8] In der Tat sind die reinen Verstandesbegriffe Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung. Das Neue dieser Fassung der Deduktion liegt im Zusatzbeweis dieser Prämisse: Die Erfahrung ist ein Urteil, und zwar als notwendige Verbindung der Wahrnehmungen. Eine solche Verbindung gründet in den reinen Verstandesbegriffen. [Impliziter Schlußsatz:] Folglich haben die reinen Verstandesbegriffe objektive Realität. Auf der anderen Seite enthalten die Reflexionen 5923, 5926, 5927 und 5932 schon die neue Auffassung des Urteils als allgemeingültiger, d.h. notwendiger Einheit von Begriffen in einem objektiven Bewußtsein sowie die neue Weise, die Rolle der Kategorie in Beziehung auf die Anschauung und das Urteil zu verstehen.
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Aber die erste gedruckte Äußerung Kants über die Möglichkeit einer neuen Fassung der transzendentalen Deduktion ist in einer Anmerkung zur Vorrede der Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1785-86) enthalten. In ihr tritt er einer Kritik an der transz. Deduktion der Kategorien entgegen, die in den Institutiones logicae et metaphysicae von Α. H. Ulrich sowie in einer Besprechung dieses Werkes dargelegt ist. Indem diese Texte die Dunkelheit und die Mängel der Deduktion aufzeigen, bringen sie das System der Kritik in Gefahr. Nach der Anmerkung der Anfangsgründe besteht die Grundthese dieses Systems in der Beschränkung des Gebrauchs der Erkenntnis a priori auf die empirischen Gegenstände. Kant bemerkt gegen seine Kritiker, daß es, um diese These zu begründen, genügte, zu beweisen, "daß die Kategorien, deren sich die Vernunft in allem ihrem Erkenntnis bedienen muß, gar keinen anderen Gebrauch, als bloß in Beziehung auf Gegenstände der Erfahrung haben können (dadurch daß sie in dieser bloß die Form des Denkens möglich machen).." Zu dieser Begründung sei es dagegen nicht notwendig, die Frage zu beantworten, wie die Kategorien die Erfahrung möglich machen (AA IV, 474-75). Diese Unterscheidung zwischen dem "daß" und dem "wie" betrifft zwei Teile der Deduktion. Der Hauptbeweis der Deduktion (A 93) weist schon nach, daß die Kategorien die Erfahrung möglich machen und daher objektive Realität haben, während die Abschnitte 2 und 3 der Deduktion (A 95 ff.) zeigen, wie die Kategorien solche Bedingungen sind. Hierzu fugt Kant nunmehr hinzu: "Die letztere Aufgabe, obgleich auch ohne sie das Gebäude fest steht, hat indessen große Wichtigkeit, und, wie ich es jetzt einsehe, eben so große Leichtigkeit, da sie beinahe durch einen einzigen Schluß aus der genau bestimmten Definition eines Urtheils überhaupt (einer Handlung, durch die gegebene Vorstellungen zuerst Erkenntnisse eines Objects werden) verrichtet werden kann. Die Dunkelheit, die in diesem Theile der Deduction meinen vorigen Verhandlungen anhängt, und die ich nicht in Abrede ziehe, ist dem gewöhnlichen Schicksale des Verstandes im Nachforschen beizumessen, dem der kürzeste Weg gemeiniglich nicht der erste ist, den er gewahr wird. Daher ich die nächste Gelegenheit ergreifen werde, diesen Mangel (welcher auch nur die Art der Darstellung, nicht den dort schon richtig angegebenen Erklärungsgrund betrifft) zu ergänzen ..." (AA IV, 475-76). Die Frage, die die Begründung der minor der Deduktion betrifft, könnte demnach durch einen Schluß wie den folgenden beantwortet werden: [Obersatz] Die Urteile sind, als Handlungen, durch welche die empirischen Vorstellungen zu Erfahrung werden, Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung. [Untersatz] Nun sind die Kategorien zu Begriff gebrachte Urteilsformen, die die Urteile ermöglichen, insofern sie die empirischen Vorstellungen in Hinblick auf die Urteilsformen bestimmen, in welchen sie gedacht werden müssen. [Schlußsatz] Folglich sind die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung.
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Dieser Schluß fallt mit der Lehre des Paragraphen 20 der Deduktion Β zusammen. Seine neue Leistung besteht darin, daß er die subjektive Begründung der minor auf diesen Zusammenhang von empirischen Vorstellungen, Kategorie und Urteil reduziert und damit vereinfacht. Die Anmerkung zur Vorrede der Anfangsgründe verrät zugleich ein anderes Motiv zu der neuen Fassung der Deduktion: Es wird nötig, die Beschränkung der Gültigkeit der Kategorien auf den Bereich der Erfahrung als Grundthese der KrV hervorzuheben. Da die Beschränkung der Gültigkeit dieser Begriffe eigentlich eine Folge des Zusatzbeweises der minor ist, ist es natürlich, daß Kant, durch die Kritik Ulrichs angeregt, diese Beschränkung bei seinem neuen Entwurf des Beweises in den Vordergrund rückt. Um diese Beschränkung nun zu vollziehen und darzulegen, ist es nötig, dasjenige zu berücksichtigen, was die erste Auflage der Kritik in ihrem Kapitel über Phaenomena und Noumena darüber ausfuhrt (A 252 ff.). Wie schon bemerkt, bedarf man zu diesem Zweck problematischer Begriffe. Obwohl diese logisch möglich sind, ist es dem Menschen nicht möglich, ihre objektive Realität nachzuweisen. Wenn der philosophierende Verstand seine Erkenntnis a priori auf die Erfahrung beschränken will, dann denkt er z.B. Noumena oder Dinge an sich, als Seiende, auf die sich diese Erkenntnis nicht erstreckt. Da der Verstand selbst aber keine andere Art Anschauung besitzt, die diesem Begriff des Noumenon seinen Gegenstand geben würde, bleibt er ein problematischer Begriff, durch den der Verstand sich selbst auf das Feld der menschlichen Sinnlichkeit einschränkt (A 256). In diesem Zusammenhang sagt Kant, daß der Begriff eines Dinges an sich in dem Sinne von etwas, das nicht Objekt unserer sinnlichen Anschauung ist, nicht widersprüchlich ist, "denn man kann von der Sinnlichkeit doch nicht behaupten, daß sie die einzige mögliche Art der Anschauung sei" (254). Das impliziert, daß andere Arten von Anschauung wenigstens denkbar sind, seien sie intellektuelle oder sinnliche, aber nicht menschliche Anschauungen. Die Begriffe solcher Anschauungen sind ebenso problematisch. Man könnte demnach die Gültigkeit unserer Kategorien dadurch auf die Erscheinungen in Raum und Zeit einschränken, daß man nach dem Grundgedanken der transz. Deduktion A sagte: Sie haben keine Gültigkeit in bezug auf andere, problematische Objekte nicht-empirischer Art; sie sind also nur als Bedingungen der Erfahrungsobjekte gültig. Kant könnte an sich diese Beschränkung in einer einzigen Etappe durchführen. Das ist aber unmöglich, weil wir faktisch unsere Kategorien doppelt gebrauchen, insofern wir sie empirisch und außerdem als Begriffe von Dingen überhaupt und an sich verwenden. Dieser transzendentale "Gebrauch" existiert faktisch in der rationalistischen Ontologie, und Kant selbst hat vor, ihn in gewandelter Form in seiner praktischen Metaphysik auszuüben. Wie ist dieser erweiterte "Gebrauch" der Kategorien möglich? Das Kapitel über Phänomena und Noumena enthält zum Glück in beiden Auflagen Stellen, die die
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Weise dokumentieren, in der sich das Denken Kants in diesem Punkt gewandelt hat. Nach einer Stelle der Fassung A (253-54) können wir von einer empirischen Erkenntnis alles abstrahieren, was zur Anschauung gehört, und gelangen so zu einer bloßen Form des Denkens, d.h. der "Art, dem Mannigfaltigen einer möglichen Anschauung einen Gegenstand zu bestimmen. Daher erstrecken sich die Kategorien sofern weiter, als die sinnliche Anschauung, weil sie Objekte überhaupt denken, ohne noch auf die besondere Art (der Sinnlichkeit) zu sehen, in der sie gegeben werden mögen" (Hervorh. Vf.). Der Grund dieses erweiterten Gebrauchs ist also, daß die erwähnte Abstraktion uns leere, anschauungsfreie Begriffe liefert, die trotzdem noch als Objektbestimmungen fungieren. 2 Über den Ursprung der Kategorien wird hier nichts gesagt. Eine Stelle desselben Kapitels in der Fassung Β (305) begründet diesen erweiterten Gebrauch anders: "Die Kategorien gründen sich ihrem Ursprünge nach nicht auf Sinnlichkeit, wie die Anschauungsformen, Raum und Zeit; scheinen also eine über alle Gegenstände der Sinne erweiterte Anwendung zu verstatten".3 Diese Begriffe können dem Anschein nach über die Grenzen der Erfahrung hinaus gebraucht werden, weil sie nicht der Sinnlichkeit, sondern dem Verstände entspringen. Eine andere in Β hinzugefügte Stelle (127) nähert sich diesem Gedanken an, wenn sie Locke der Inkonsequenz bezichtigt, weil er die Verstandesbegriffe in der Erfahrung antrifft und aus ihr ableitet, und andererseits mit ihnen die Grenzen derselben übersteigt. "David Hume erkannte, um das letztere tun zu können, sei es notwendig, daß diese Begriffe ihren Ursprung a priori haben müßten." Das heißt, sie müßten in diesem Fall dem Verstände selbst entspringen. Auf Grund dieser Stellen können wir den oben zitierten Passus von § 21, daß "die Kategorien unabhängig von Sinnlichkeit bloß im Verstände entspringen", in dem Sinne interpretieren, daß Kant bei der Ausarbeitung der Deduktion Β zu dieser Grundvoraussetzung kommt, weil er den transzendentalen "Gebrauch " der Kategorien über die Grenzen der Erfahrung erklären und diese Begriffe zugleich auf die Erfahrung beschränken will. Damit stimmt die erste Etappe dieser Deduktion überein, insofern sie auf die Beziehung des Verstandes auf Objekte der sinnlichen Anschauung überhaupt geht. Ein weiteres Indiz dafür, daß diese Etappe auf den Verstand mit seinen "bloßen leeren" Kategorien bezogen ist, liefert § 24, wo die synthesis intellectualis als eine solche gekennzeichnet wird, die "in Ansehung des Mannigfaltigen einer Anschauung überhaupt in der bloßen Kategorie gedacht würde". § 21 sagt ebenfalls, daß die erste Etappe von der besonderen Art unserer Anschauung abstrahiert, "um nur auf die Einheit, die in die Anschauung vermittelst der Kategorie durch den 2
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Die angeführte Stelle spricht fiir die Interpretation, die ich soeben (§ 29) dargelegt habe, daß die "leeren reinen" Kategorien, die transzendental gebraucht werden, wenigstens fur die Auflage A mittels einer Abstraktion von dem anschaulichen Gehalt der "schematisierten" Kategorie zum Vorschein kommen. Das Wort "also" ist von mir kursiv gesetzt.
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Verstand hinzukommt, zu sehen." Gemeint ist nicht ein Verstand, der in Gestalt einer wirklichen Synthesis ein Mannigfaltiges überhaupt verbinden würde, sondern nur unser Verstand, insofern er in seinen reinen Begriffen eine Synthesis von solchem Mannigfaltigen bloß denkt. Da Kant also diesen zwei Gebrauchsweisen der Kategorien Rechnung tragen will, kann er in der zweiten Fassung der transz. Deduktion die Gültigkeit dieser Begriffe nicht in einem einzigen Durchgang begründen und zugleich begrenzen, sondern er bedarf dazu zweier Etappen. Sollen beide außerdem einen Beweis bilden, dann muß der Gehalt der einen mit dem der anderen sachhaltig zusammenhängen, und ihre Ordnung muß so bestimmt sein, daß die erste Etappe die Prämisse för die andere liefert. Alles das ist möglich, wenn die transzendentale Beziehung der Kategorien auf Dinge überhaupt und an sich in die Beziehung dieser Begriffe auf Objekte einer sinnlichen Anschauung überhaupt verwandelt wird. Eine solche Verwandlung gestattet es einerseits, diese Beziehung auf eine solche Anschauung einzuschränken und damit gegenüber den rationalistischen Denkern geltend zu machen, daß die Kategorien die Dinge an sich, die einer intellektuellen Anschauung Gottes zugänglich sein mögen, nicht nur nicht erkennen, sondern eigentlich auch nicht denken können. Die Seienden überhaupt, die die rationalistische Ontologie zum Thema ihres bloßen Denkens macht, sind vielmehr jene Objekte einer sinnlichen Anschauung überhaupt. Dank der erwähnten Verwandlung kann Kant andererseits den transzendentalen Gebrauch der Kategorien zu einer Art Gattung ihres empirischen Gebrauchs umdenken, denn deren Anwendung auf die menschliche Anschauung in Raum und Zeit ist nur ein Fall der Beziehung auf eine sinnliche Anschauung überhaupt. 4 Dadurch kann das Resultat der ersten Etappe, das diese Beziehung der Kategorien betrifft, als Prämisse für den endgültigen Beweis dienen, der zugleich die Kategorien auf unsere menschliche Anschauung weiter einschränken soll. Es ist nicht schwer zu sehen, daß diese zwei Etappen im Dienste jenes restriktiven Programms stehen. In der Tat schränkt Β 135 (§ 16) den Spielraum der synthetischen Einheit der Apperzeption auf die sinnliche Anschauung überhaupt ein, im Gegensatz zu einem anschauenden Verstand. § 17 betont (B 138-39), daß die Synthesis des Mannigfaltigen einem schöpferischen Verstand nicht notwendig ist, sondern nur einem diskursiven. Zugleich deutet Kant an, daß die Begriffe eines anschauenden Verstandes sowie anderer diskursiver Intellekte, die auf nichtmenschliche Arten von Sinnlichkeit bezogen wären, bloß problematisch sind. Wir können uns nämlich nicht "den mindesten Begriff' (a.a.O.) von ihnen machen, d. h., wir können uns nicht erklären, wie sie wären, und vermögen auch nicht unsere
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Der Unterschied der zwei Etappen kann nicht so gefaßt werden, als ob beide auf dieselben Objekte unserer Erfahrung gingen, indem allerdings die erste derselben die Gültigkeit der Kategorien abstrakt, dagegen die andere sie konkret betrachten würde. Die erste Etappe denkt vielmehr einen weiteren Objektbereich, der die menschlichen Erfahrungsobjekte als einen Teil umfaßt.
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"Begriffe" von ihnen als objektiv real darzutun. § 21 bleibt auf derselben Linie, wenn Kant sagt, daß die vorangehenden Paragraphen zwar von dem besonderen Charakter unserer Sinnlichkeit, aber nicht von der Endlichkeit der sinnlichen Anschauung überhaupt abstrahieren, weil für einen göttlichen Verstand die Kategorien als Synthesisregeln keinen Sinn hätten. Die zweite Etappe der Beschränkung der Kategorien, und zwar auf die menschliche sinnliche Anschauung, wird in den Paragraphen 22-23 klar hervorgehoben. "Die Kategorie hat keinen andern Gebrauch zum Erkenntnisse der Dinge, als ihre Anwendung auf Gegenstände der Erfahrung" (§ 22). Dieser Satz bestimmt "die Grenzen des Gebrauchs der reinen Verstandesbegriffe in Ansehung der Gegenstände" (§ 23). Die reinen Anschauungen sind auf die empirischen Gegenstände eingeschränkt. "Die reinen Verstandesbegriffe sind von dieser Einschränkung frei und erstrecken sich auf Gegenstände der Anschauung überhaupt, sie mag der unsrigen ähnlich sein oder nicht, wenn sie nur sinnlich und nicht intellektuell ist. Diese weitere Ausdehung der Begriffe über unsere Anschauung hinaus, hilft uns aber zu nichts." Diese Stellen bezeugen eine doppelte Beschränkung. Zuerst werden die Kategorien auf die sinnliche Anschauung überhaupt eingeschränkt und gegen den möglichen Bereich einer nicht-sinnlichen Anschauung abgegrenzt. Wie der Beginn des Paragraphen 24 betont, sind diese Begriffe dann "eben darum bloße Gedankenformen, wodurch noch kein bestimmter Gegenstand erkannt wird." In der zweiten Etappe werden sie auf den noch engeren Bereich unserer menschlichen Anschauung weiter eingeschränkt, und erst in dieser Beziehung können sie Erkenntnis sein.5 Die zweite Hälfte des Paragraphen 24 (B 152-56) und § 25, die den Gang der objektiven Deduktion zu unterbrechen scheinen, haben dasselbe Ziel: Der Verstand ist darauf beschränkt, Erscheinungen zu erkennen, nicht nur in der Erfahrung von Raumdingen, sondern auch in der inneren Erfahrung. Das Ich, das wir als einen Strom in der immanenten Zeit erfahren, ist ein Fluß von Erscheinungen, die zum Teil durch die Synthesis der Einbildungskraft erzeugt werden, wenn der Verstand den inneren Sinn affiziert, um das sonstige Mannigfaltige dieses Sinnes zu verbinden. Die Absicht, die objektive Gültigkeit der Kategorien zweifach zu beschränken, veranlaßt demnach nicht nur die Gliederung der Deduktion Β in zwei Etappen, sondern sie kündigt sich auch in den erwähnten Stellen an. Sowohl diese restriktive Absicht als auch die Möglichkeit, die minor der Deduktion auf eine neue, kürzere Art zu beweisen, können also die Gliederung und die Anlage der Deduktion Β zum großen Teil erklären. Zu diesen zwei Motiven kommt aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit noch ein drittes hinzu.
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Der Unterschied zwischen bloßem Denken und Erkennen wird in dieser Hinsicht am Anfang von § 22 betont.
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Zu der Zeit, als Kant an die zweite Auflage der KrV herangeht, zwischen 1786 und 1787, arbeitet er auch an der KpV, die im Sommer dieses letzteren Jahres vollendet wird. In der Kp V entfaltet er einen Grundgedanken, der schon 1785 in der GMS zur Sprache kommt: Die Allgemeinheit und die Nowendigkeit des Sittengesetzes implizieren, daß seine Gültigkeit nicht auf die Menschen beschränkt ist, sondern sich auf alle Vernunftwesen erstreckt. Der Grund seiner Verbindlichkeit liegt in der reinen Vernunft, die allen diesen Wesen gemeinsam ist (AA IV, 389, 408, 410 Anm., 411-12, 442). Die Vernunftwesen müssen ferner in zwei Klassen unterteilt werden: 1. das göttliche Vernunftwesen, das einen heiligen Willen hat, der dank seiner subjektiven Natur immer mit dem Sittengesetz übereinstimmt; 2. die endlichen Vernunftwesen, wie der Mensch, deren unvollkommener Wille nicht immer mit diesem Gesetz übereinstimmt (vgl. AA IV, 412-14). Hier liegt eine offenbare Analogie vor einerseits zwischen den endlichen Vernunftwesen, die die praktische Vernunft gemeinsam haben, aber sich hinsichtlich ihrer Sinnlichkeit voneinander unterscheiden, und andererseits unter denselben Vernunftwesen, insofern sie möglicherweise dieselben Urteilsformen und Kategorien haben, aber sich in Hinblick auf die Art ihrer sinnlichen Anschauung voneinander unterscheiden. 6 In Wahrheit ist diese Analogie nicht vollständig, denn auf der praktischen Seite ist das Sittengesetz nicht nur allen endlichen Vernunftwesen, sondern sogar Gott gemeinsam, während in theoretischer Hinsicht die Kategorien des endlichen Verstandes dem göttlichen Intellekt nicht zukommen können. 7 Aus den genannten drei Motiven läßt sich die Subtilität des Hauptstadiums der Deduktion Β ersehen. Sein primärer Zweck ist zwar, die Kategorien als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zu beweisen, und zwar auf Grund der neuen Einsicht in den Zusammenhang von Urteil und Kategorie. Aber diese Absicht wird von zwei anderen, fast gegensätzlichen Motiven begleitet. Einerseits sucht sie, den rechtmäßigen Gebrauch der Kategorien auf die menschliche Anschauung bzw. Erfahrung einzuschränken, was in zwei Etappen vorgenommen wird. Zum anderen entschränkt die erste E t a p p e die K a t e g o r i e n , i n s o f e r n deren G ü l t i g k e i t problematisch auf eine sinnliche Anschauung überhaupt und damit auf alle endlichen Vernunftwesen ausgedehnt wird. Damit hängt die Abstraktion von der menschlichen Anschauung in der ersten Etappe und deren Heranziehung in der zweiten zusammen.
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Die Spezies menschlicher Verstand könnte als diskursives Denkvermögen definiert werden, das auf Anschauung in Raum und Zeit angewiesen ist. Die erste Etappe der Deduktion Β geht auf unseren Verstand, aber hinsichtlich seiner Beziehung auf sinnliche Anschauung überhaupt - eine Beziehung, die, als allem endlichen Verstand gemeinsam, für ein gattungsmäßiges Moment dieser Spezies gehalten werden könnte. In den Fortschritten drückt Kant im Gegenteil aus, daß die Kategorien keine bestimmte Art der Anschauung voraussetzen, "sondern nur Denkformen sind für den Begriff von einem Gegenstande der Anschauung überhaupt, welcher Art diese auch sei, wenn es auch eine übersinnliche Anschauung wäre, von der wir uns spezifisch keinen Begriff machen können" ( AA XX, 272).
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Inwiefern mit diesem Entwurf eine neue Auffassung des Wesens des Verstandes zum Vorschein kommt, soll Thema späterer Erörterungen sein. Im Vorangehenden ist schon sichtbar geworden, warum er eine neue Entscheidung den subjektiven Ursprung der Kategorien betreffend einschließt.
Anhang. Einige Interpretationen der Transzendentalen Deduktion Β 1. Vorangehende Darlegung enthält die Gründe, warum ich mit der Deutung Henrichs in seinem einflußreichen Aufsatz "Die Beweisstruktur von Kants transzendentaler Deduktion" (1969,1973) nicht einverstanden bin. Seiner These, daß die Deduktion Β einen einzigen Beweis in zwei Schritten enthält, stimme ich zwar zu, aber ich bin hinsichtlich der Gründe dieser zwiefaltigen Gliederung anderer Meinung. H. berücksichtigt nicht die ausdrücklichen Anzeichen im Kantischen Text, die, wie die Unterscheidung der Anschauungsarten es tut, auf die Gründe dieser Gliederung weiter verweisen. Statt dessen rückt er als Motiv derselben die Restriktion der Gültigkeit der Kategorien auf die Vorstellungen, die bereits Einheit enthalten (1. Schritt), und dann die Entschränkung derselben in Hinblick auf die Vorstellungen, die diese Einheit noch nicht haben (2. Schritt), in den Vordergrund. Eine solche Gliederung sei durch die Aufgabe motiviert, zu beweisen, daß es keine anschaulichen Vorstellungen gibt, die der synthetischen Einheit der Apperzeption und ihren Kategorien nicht gemäß wären. Diese Aufgabe formuliert schon Vleeschauwer (III, 234) zu Beginn seiner Deutung von § 26 fast mit denselben Worten, freilich ohne sie als Grund der genannten Gliederung der Deduktion anzusehen. Kant löst diese Aufgabe anders als Henrich: Wenn sich die Erscheinungen nicht den kategorialen Regeln unterwerfen würden, dann wären sie gar nichts für uns, d.h. keine G e g e n s t ä n d e unserer E r k e n n t n i s . A n d e r e r s e i t s k a n n die offensichtliche Harmonie des sinnlichen Stoffes und unserer intellektuellen Formen entweder als etwas gedeutet werden, das eintreten muß, wenn die Erfahrung möglich sein soll, oder teleologisch, als ob diese Harmonie ein Mittel zur Ermöglichung der Erfahrung wäre. Vgl. A 90; Über eine Entdeckung, AA VIII, 249-50; den Brief an M. Herz vom 26. Mai. 1789, AA XI, 50 ff. sowie meinen nächsten Paragraphen 34. Mit H. Wagner, W. Schindler und P. Baumanns bin ich ferner der Meinung, daß das Wort "sofern" in Zeile 10 von § 20, auf das Henrich als auf einen Beleg seiner Deutung so großes Gewicht legt, an dieser Stelle keinen restriktiven Sinn hat, sondern "in Hinblick a u f ' besagt. Vgl. dazu die instruktive Übersicht der internationalen Diskussion der Deutung Henrichs im Aufsatz P. Baumanns: "Kants transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe (B)", in Kant-Studien, Hefte 3, 4, 1991 und 1, 2, 1992.
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Endlich wirft die Deutung Henrichs folgenden Zweifel auf. Wenn alle Vorstellungen als solche auf das "Ich denke" bezogen sein müssen und dies zur Folge hat, daß sie, und zwar alle unsere Vorstellungen in Raum und Zeit, unter kategorialen Formen stehen, ergibt sich dann nicht daraus, daß alle unsere Vorstellungen vergegenständlicht sein müssen und daß wir uns keiner subjektiven Konstellation von Vorstellungen bewußt sein können? Erkennt Kant im Gegenteil aber nicht als ein Faktum an, daß wir uns nicht nur subjektiver Assoziationen bewußt sind, die als direkte oder indirekte Folge der kategorial konstituierten Welt angesehen werden können, sondern daß wir auch bloß subjektive Verbindungen wie subjektive Sukzession und subjektives Zugleichsein wahrnehmen? Wie ist es möglich, sich solcher Verbindungen bewußt zu sein und sie sogar in Urteilen zu fassen, welche daher einen Bezug auf das "Ich denke" einschließen, ohne jene Verbindungen zu vergegenständlichen? 2. Man versucht auch auf andere Weisen, die zwiefáltige Gliederung der Deduktion Β zu erklären. Einige Ausleger, wie Levy (vgl. Vleeschauwer III, 23) und W. Schindler (vgl. P. Baumanns a. a. O., 440), bringen den Unterschied zwischen einer metaphysischen und einer transzendentalen Deduktion (§ 26) mit der Gliederung der Deduktion Β so in Verbindung, daß mit der metaphysischen Deduktion die erste Etappe gemeint sei, während die tranz. Deduktion in § 26 lokalisiert wird. Die Stelle am Anfang des Paragraphen 26 bezeichnet aber ausdrücklich als transz. Deduktion die §§ 20-21, was besagt, daß diese Paragraphen und die vorangehenden (15-19) nicht die metaphysische Deduktion enthalten. Diese liegt früher in § 10 vor. Wenn ferner nach § 26 der Paragraph 21 transzendental ist und dieser seinerseits erklärt, daß mit seinem Anfangssatz, der das Ergebnis der Paragraphen 15-20 zusammenfaßt, der Beginn der Deduktion gemacht ist, die erst in § 26 völlig zu ihrem Ziel kommt, dann muß die ganze Deduktion Β als transzendental bezeichnet werden. Damit ist auch gesagt, daß diese Deduktion primär objektiv gerichtet ist (vgl. Β 159, Zeilen 14-16), was nicht ausschließt, daß sie implizit zugleich subjektiv ist. Dieser Position nähert sich Vleeschauwer (II, 445) an, der mit Riehl (Kritizismus I, 392-93, 400-01) glaubt, daß aus der Fassung Β die subjektive Deduktion verschwunden ist. Aber Vleeschauwer nimmt zugleich an, daß Kant in ihr gelegentlich auf subjektive Zusammenhänge zurückgreift (II, 207; III, 40). Man versucht auch, die Gliederung der Deduktion so zu erklären, daß man, wie Adickes (Kants Kritik ..., 139 f.) und Paton (I, 501), die erste Etappe als objektiv und § 26 als subjektiv ansieht. Aber das widerspricht den genannten Stellen der Paragraphen 21 und 26, nach denen die ganze Deduktion transzendental und daher objektiv ist. Außerdem bringt man, wie Paton, diese Teile der Deduktion mit dem Unterschied zwischen der Daß- und der Wie-Frage in Verbindung. Wie oben gesagt, Kant meint damit in der Vorrede der MAN zwei verschiedene Dinge: 1. den
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Aufweis, daß die Kategorien nur in Beziehung auf Erfahrungsobjekte gebraucht werden können, dadurch daß sie die Erfahrung möglich machen; 2. die Frage, wie sie die Erfahrung ermöglichen. Der Beweis des Daß ist dasjenige, was ich den Hauptbeweis genannt habe (= A 93). Zu beweisen, daß die Kategorien die Erfahrung ermöglichen, und damit zu erklären, wie sie das tun, ist die Aufgabe des Zusatzbeweises der minor (2. und 3. Abschnitt in Α; Β 2. Abschnitt). Man kann also nicht wie Paton die Antworten auf diese Fragen auf die zwei Etappen des Zusatzbeweises in Β verteilen und sie sogar als Grund seiner Gliederung verwenden. Andere, schwächere Erklärungsversuche der Gliederung der Deduktion Β werden von Adickes (a. a. O.) und Erdmann {Kants Kritizismus ..., 230-31) unternommen, für welche die eigentliche Deduktion der Gültigkeit der Kategorien in den Paragraphen 15-20 enthalten ist, während die übrigen Paragraphen nur Anhänge sind. Nach Vleeschauwer (III, 24 ff.) wiederum gliedert sich die Deduktion nach der Richtung der Darstellung, d.h. von oben (§§ 15-20) oder von unten (§ 26). Diesen Deutungen gelingt es damit nicht, dem ganzen Gehalt des Textes Rechnung zu tragen. Paton gibt aber eine andere, inhaltliche Erklärung der Gliederung der Deduktion B, die der hier vertretenen nahekommt: "The argument falls into two separate parts, the first of which deals with the pure categories, and the second with the categories as schematised. In other words, the first part shows that the categories are principles of synthesis imposed by the nature of discursive thought itself and are necessary for any intelligent being who can know only objects given in intuition to some kind of sensibility, the second part shows how the categories, as principles governing the transcendental synthesis of imagination, are necessary for intelligent beings possessed of human sensibility, that ist, possessed of a sensibility which involves the form of time" (I, 501).
§ 30. Die objektive Deduktion in Β Als Durchgang zur subjektiven Deduktion, um die es mir hier eigentlich geht, wird zunächst die objektive Deduktion Β skizziert. Sie bildet einen einzigen Beweis, der in zwei Etappen gegliedert ist. Die erste von ihnen besteht aus fünf Schritten, die andere umfaßt zwei Schritte.8 Einige dieser Schritte enthalten mehr oder wenige implizite "Schlüsse", während andere Schritte (z.B. 1,4,6) Prämissen fur kommende Schlüsse liefern oder vorangehende Konklusionen ergänzen (ζ. B. Schritt 3).
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Man kann hier ebensowohl von zwei Schritten und mehreren Teilschritten sprechen (vgl. Baumanns, a.a.O.)
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Erste
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Etappe
Obwohl die Deduktion Β "absteigend" ist, hat der erste Schritt einen gegenläufigen Sinn, denn er geht von der Verbindung zur Einheit des Verstandes zurück. Das Wort "Verbindung" bezeichnet in diesem Text zunächst die Synthesis, d.h. die spontane Handlung des Einigens, durch die das Bewußtsein Vorstellungen sammelt. Wie es bei allen deutschen Wörtern mit der Endung "-ung" der Fall ist, bedeutet "Verbindung" hier auch die Einheit, die das Resultat des Einigens ist. So definiert Kant die "Verbindung" mit folgenden Worten: "Verbindung ist Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen" (B 130-31). An dieser Stelle bleibt noch implizit, daß diese Einheit die Erkenntnis im weiteren Sinne ist. Dennoch geht Kant sofort zu einer anderen Einheit über: "Die Vorstellung dieser Einheit kann also nicht aus der Verbindung entstehen, sie macht vielmehr dadurch, daß sie zur Vorstellung des Mannigfaltigen hinzukommt, den Begriff der Verbindung allererst möglich" (B 131). Das kommt der Replikation gleich: Nur wenn es möglich ist, sich diese Einheit in Beziehung auf das Mannigfaltige vorzustellen, ist es möglich, sich Verbindung vorzustellen und nicht umgekehrt. Aber welche ist diese Einheit, die Bedingung der Möglichkeit der Verbindung ist? Sie kann nicht eine Einheit sein, die durch die Verbindung erzeugt wird, also weder.in der Kategorie der Einheit noch in den Urteilsfunktionen, sondern in einer noch höheren Einheit bestehen. Wie die Synthesis muß diese ermöglichende Einheit zum Verstände gehören; sie ist folglich die Einheit oder Identität des Bewußtseins. Dergestalt kann man den ersten Schritt durch eine Replikation ausdrücken, die die Umkehrung der soeben formulierten ist: Wenn die Erkenntnis als synthetische Einheit eines Mannigfaltigen (Verbindung) möglich sein soll, dann müssen als ihre Bedingungen eine Einheit des Verstandes und die Beziehung des Mannigfaltigen auf sie möglich sein. Dieser Schritt entspricht dem zweiten des absteigenden Weges in A (A 116), insofern er die Einheit des Bewußtseins zur Ermöglichung der Einheit der Vorstellungen (= Erkenntnis) deduziert. Daher kann der kommende Schritt sofort auf das "Ich denke" und die Beziehung des Mannigfaltigen auf es eingehen, was gewöhnlich übersehen wird, so daß man die Deduktion Β mit dem folgenden Schritt anfangen läßt. Zweiter Schritt (§ 16, AA III, 108, Zeilen 19-26): Wenn das "Ich denke" nicht alle meine Vorstellungen begleiten könnte, dann wären diese fur mich unmöglich [impliziter Untersatz: aber die Vorstellungen sind möglich, indem sie gedacht werden können], folglich muß das "Ich denke" alle meine Vorstellungen begleiten können. Die Stelle enthält implizit einen hypothetischen Syllogismus, dessen maior die Kontraposition einer Replikation ist. Zu diesem Gedankengang vergleiche man oben § 20.
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Mit Rücksicht darauf, daß die conclusio dieses hypothetischen Schlusses zugleich die maior des nächsten Schlusses ist, ist es angemessener, ihn durch folgende äquivalente Formulierung zu ersetzen: Wenn nicht alle meine Vorstellungen auf das "Ich denke" bezogen sein könnten, dann wären sie für mich unmöglich. [Aber meine Vorstellungen sind für mich möglich.] Folglich: Alle meine Vorstellungen müssen auf das "Ich denke" bezogen sein können. Das Wort "Also" in Zeile 24 deutet auf einen neuen impliziten Schluß hin, der mit dem vorangehenden verkettet ist, insofern die conclusio des ersten Schlusses zugleich die maior des neuen ist. Die Zeilen 24-26 liefern die minor und die conclusio eines Sclusses der Form Barbara: Alle Vorstellungen müssen auf das "Ich denke" bezogen sein können. Alle Anschauungen sind Vorstellungen. Folglich muß alles Mannigfaltige der Anschauung auf das "Ich denke" bezogen sein können,9 Dritter Schritt (AA 111,108, Zeile 26 - 109, Zeile 15): Der vorangehenden conclusio fugen die Zeilen 1-2 der Seite 109 die These hinzu, die schon im ersten Schritt angedeutet war: Das Ich denke" ist ein und dasselbe Selbstbewußtsein. Dergestalt kann man die genannte conclusio folgendermaßen modifizieren: Alles Mannigfaltige der Anschauung muß auf das identisch eine "Ich denke" bezogen sein können. Durch Analyse dieses Satzes entdeckt man, daß in dieser Beziehung des Mannigfaltigen auf die Einheit dessen synthetische Verbindung impliziert ist, und daraus entspringt der Grundsatz der Apperzeption: Alles Mannigfaltige der Anschauung in Beziehung auf ein einheitliches "Ich denke" steht notwendig in synthetischer Verbindung. Dieser analytische Grundsatz wird implizit in den Zeilen 13-15 derselben Seite formuliert: "diese durchgängige Einheit der Apperzeption eines in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen enthält eine Synthesis der Vorstellungen...". Zum Inhalt dieses Grundsatzes und zu seiner Stellung im Ganzen der Deduktion vgl. den Anhang dieses Paragraphen . Bei all dem und bis zu § 20 wird nur vom Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung überhaupt gesprochen. Wenn Kant dennoch gelegentlich von Raum und Zeit redet (§§ 17-18), dann nur als von Beispielen der endlichen Anschauung überhaupt. Analogerweise sind die in § 19 angeführten Urteile nur Beispiele einer endlichen Erkenntnis überhaupt.
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Vgl. die Deutung K. Cramers in seinem Aufsatz "Über Kants Satz: "Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können", in: Theorie der Subjektivität (1987).
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Vierter Schritt (§§ 17-19). In diesem Schritt fugt Kant den vorangehenden Bedingungen eine neue, die logische Form des Urteils, zum Zweck der Möglichkeit der Erkenntnis hinzu. Die Erkenntnis ist nach § 17 die synthetische Einheit der mannigfaltigen Vorstellungen. Diese Bestimmung ist richtig, aber unvollständig, denn die Erkenntnis ist die notwendige synthetische Einheit jener. Diese Notwendigkeit verschafft der in Rede stehenden Einheit ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Willen des Subjekts und unterscheidet sie zugleich von den zufälligen Kombinationen der Vorstellungen im inneren Sinn. Sie stellt also dem Subjekt diese Einheit als selbständige und intersubjektiv-gültige gegenüber. Wie gesagt, die Notwendigkeit, das Nicht-anders-sein-Können, setzt eine Mannigfaltigkeit von Seinsweisen, d.h. von Bestimmungen, voraus. Unter ihnen gibt es einige, die eben notwendig sind, im Unterschied zu anderen, die zufällig sind. Wenn die Erkenntnis möglich sein soll, genügt es nicht, daß sich die Vorstellungen zwar in einem einheitlichen Bewußtsein verbinden müssen, aber daß ihre Verbindungsweise beliebig sei. Wenn ihre synthetische Einheit notwendig sein muß, dann muß es bestimmte Weisen der synthetischen Einheit geben, denen gemäß diese Vorstellungen verbunden werden müssen. Diese Weisen sind nach der Deduktion Β die Urteilsfunktionen. Während die Deduktion A vor allem die synthetische Einheit des Objekts im Begriffe (A 104 ff.) hervorhebt, betrachtet Β diese objektive Einheit im Urteil, denn dieses stellt ausdrücklich durch seine Kopula die sinnlichen Vorstellungen als selbständiges Objekt dem Bewußtsein gegenüber. Die Einführung dieser logischen Funktionen als Bedingungen der Erkenntnis ist gegen Ende von § 19 angedeutet (B 142 :"... sofern daraus Erkenntnis werden kann ...", "Dadurch allein wird ..."). Das heißt, nur wenn die mannigfaltigen Vorstellungen nach "Prinzipien der objektiven Bestimmung" (den Urteilsfunktionen) vereinigt sind, ist die Erkenntnis als objektiv gültiges Urteil möglich. Mit Rücksicht darauf, daß der vierte Schritt eine Prämisse für den nächsten liefern soll, ist es angebracht, ihn auf folgende Weise zu formulieren: Die Weise, das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung überhaupt auf das "Ich denke" zu beziehen, ist die logische Funktion der Urteile. Fünfter Schritt. § 20 enthält implizit zwei miteinander verkettete "Schlüsse", die zum vorläufigen Ziel fuhren: den Kategorien als Bedingungen der Möglichkeit der synthetischen Einheit (Erkenntnis) der sinnlichen Anschauung überhaupt. Bei dem ersten dieser Gedankengänge habe ich die maior hinzugefügt, die die Transitivität der Relation Bedingung/Bedingtes ausdrückt und die dabei nötig ist, damit der Schluß vollständig ist.10 [Wenn gemäß der Transitivität der Relation Bedingung/Bedingtes das Stehen des Mannigfaltigen unter der Einheit der Apperzeption Bedingung der synthe10 Nach der Deutung von Seebohm in seinem Beitrag "Die Kantische Beweistheorie und die Beweise der Kritik der reinen Vernunft" in: Akten des 5. Internationalen Kant-Kongresses, II, 140-43.
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tischen Einheit des Mannigfaltigen ist und die Funktionen der Einheit in den Urteilen Bedingung dafür sind, daß das Mannigfaltige unter der Einheit der Apperzeption steht, dann sind diese Funktionen zu urteilen Bedingungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung überhaupt.] Nun ist das Stehen des Mannigfaltigen unter der Einheit der Apperzeption Bedingung der Einheit des Mannigfaltigen (§ 17), und die Funktionen der Einheit in den Urteilen sind Bedingung dafür, daß das Mannigfaltige unter der Einheit der Apperzeption steht (§ 19). Folglich sind die Funktionen zu urteilen Bedingung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung überhaupt. Diese conclusio fungiert zugleich als maior des zweiten Schlusses, der folgendermaßen weiterschreitet: Nun sind die Kategorien diese Funktionen zu urteilen. Folglich sind die Kategorien Bedingung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung überhaupt. Hinzuzufügen ist, daß die Kategorien nicht die bloßen Funktionen zu urteilen sind, sondern eher die Begriffe dieses Mannigfaltigen, insofern es gemäß diesen Funktionen bestimmt ist. Die in § 19 eingeführte Bedingung ist noch nicht zureichend, das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung überhaupt zur notwendigen synthetischen Einheit im Urteil zu bringen, denn dazu bedarf es noch, vorher zu bestimmen, welcher Erscheinung bzw. welchem Bild welche Funktion, ζ. B. von Subjekt oder Prädikat innerhalb eines kategorischen Urteils, zukommt. Die zu einer solchen Bestimmung nötigen Bedingungen sind die Kategorien (vgl. § 14, Β 128-29).
Zweite Etappe Das Ziel dieser Etappe ist der Beweis, daß die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung, d.h. der empirischen Erkenntnis der Objekte unserer menschlichen Anschauung sind. Die neue Etappe beruht auf dem Ergebnis der vohergehenden und wendet es auf die menschliche Anschauung an. Zieht man dies in Betracht, dann möchte es scheinen, als ob Kant in einem einzigen Schritt dieses Ziel hätte erreichen können: Wenn unsere Anschauung ein Fall der sinnlichen Anschauung überhaupt ist, dann müßte für jene gelten, was für diese gilt, nämlich daß unsere Anschauung, in Hinblick auf die Möglichkeit der Erfahrung, auch in Urteilen nach den Kategorien synthetisch vereinigt werden muß. Dem ist aber nicht so, und die zweite Etappe bedarf aus folgendem Grunde zweier neuen Schritte, um zu ihrem Ziel zu gelangen. Unsere empirische Anschauung hat als formale Bedingungen die reinen Anschauungen von Raum und Zeit. Wenn jene auf die synthetische Einheit der Apperzeption soll bezogen werden können, dann gilt dasselbe notwen-
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digerweise für diese reinen Anschauungen, und sogar früher als fur die empirische Anschauung. Umgekehrt heißt das: Wenn das Mannigfaltige dieser reinen Anschauungen in Beziehung auf die Einheit der Apperzeption synthetisch verbunden ist, dann ist die Beziehung der empirischen Anschauung auf die Apperzeption nicht nur möglich, sondern sogar notwendig. Demgemäß geht der sechste Schritt auf diese Beziehung des reinen Mannigfaltigen auf die Einheit der Apperzeption ein, d. h. auf die Synthesis, die Kant transzendentale Synthesis der Einbildungskraft nennt. Wie oben gesagt, diese Synthesis hat nicht zum Ziel, eine besondere synthetische Einheit zu erzeugen, wie sie zur Erkenntnis einer besonderen mathematischen Gegenständlichkeit nötig wäre, sondern ihre Aufgabe ist es, die synthetische Einheit des Mannigfaltigen der und in der reinen Anschauung zu erzeugen - eine Einheit, die jeder besonderen synthetischen Einheit unserer sinnlichen Anschauung zugrunde liegt. Während die ersten beiden Sätze des Paragraphen 24 auf den Inhalt der ersten Etappe gehen, deutet der dritte Satz den Sechsten Schritt an: "Weil in uns aber" eine gewisse sinnliche Anschauung a priori (die Zeit) als Form des inneren Sinnes da ist, kann der Verstand diesen Sinn "bestimmen", wenn er die synthetische Einheit dieser Anschauung a priori hervorbringt. Dies geschieht, nach der Lehre der ersten Etappe, indem das Mannigfaltige unserer reinen Anschauungen durch die transz. Synthesis der Einbildungskraft nach Kategorien auf die Einheit der Apperzeption bezogen wird (vgl. Β 152). Mit Rücksicht auf die conclusio des zweiten Schlusses von § 20 (vgl. den fünften Schritt) und darauf, daß § 24 eine Prämisse für den kommenden Schritt liefert, kann der Sechste Schritt wie folgt formuliert werden: Die Kategorien sind Bedingungen der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft des Mannigfaltigen der menschlichen reinen Anschauungen in Raum und Zeit. Siebter Schritt (§ 26): Da die Erfahrung "Erkenntnis durch verknüpfte Wahrnehmungen" ist (B 161), sucht Kant nun zu zeigen, daß die Synthesis der Apprehension, die die Einheit jeder Wahrnehmung und der Wahrnehmungen untereinander erzeugt, durch die Kategorien ermöglicht wird. Er geht von der Wahrnehmung aus und zeigt, daß sie in dieser Synthesis gründet (B 160). Aber da die Erscheinungen andererseits in der reinen Anschauung gründen, die nach dem vorangehenden sechsten Schritt den Kategorien unterworfen ist, muß jene Synthesis der Apprehension dieser reinen Anschauung und den Kategorien gemäß sein (vgl. Β 160), d. h. in diesen apriorischen Strukturen gründen. Kant schließt hier also wieder auf Grund der Transitivität der Relation von Bedingung und Bedingtem, aber ohne diese Relation ausdrücklich in einer maior anzugeben. Damit der Schluß gültig ist, muß man auch hier diese implizite maior hinzufügen. [Wenn gemäß der Transitivität der Relation Bedingung/Bedingtes die Kategorien Bedingungen der synthetischen Einheit der menschlichen reinen Anschauungen und diese Anschauungen Bedingungen der Form der Erschei-
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nungen sind, dann sind die Kategorien Bedingungen der synthetischen Einheit der Erscheinungen.] Nun sind die Kategorien Bedingungen der synthetischen Einheit der menschlichen reinen Anschauungen (siebter Schritt, § 24), und diese Anschauungen sind Bedingungen der Erscheinungen (Ästhetik). Folglich (B 161, 164): Die Kategorien sind Bedingungen der synthetischen Einheit der Erscheinungen (Erfahrung). Damit wird noch einmal die Wahrheit der minor des Hauptbeweises der Deduktion bewiesen, und das fuhrt zum Schlußsatz, daß die Kategorien objektive Gültigkeit haben. Fassen wir die objektive Deduktion in Β zusammen: (Erste Etappe:) Wenn die Erkenntnis der Objekte einer sinnlichen Anschauung überhaupt möglich sein soll, dann ist es notwendig, 1. daß das Bewußtsein einheitlich ist, 2. daß das Mannigfaltige dieser Anschauung auf ein identisches Selbstbewußtsein bezogen sein kann, 3. daß es daher eine Synthesis dieses Mannigfaltigen in dem Selbstbewußtsein gibt, 4. daß diese Synthesis nach den Urteilsfunktionen stattfindet, 5. daß das Mannigfaltige durch die Kategorien dazu vorbestimmt wird; (zweite Etappe:) und wenn die Erfahrung der Objekte unserer empirischen Anschauung möglich sein soll, dann ist es notwendig, 6. daß das Mannigfaltige der reinen Anschauungen, die die Formen unserer empirischen Anschauung sind, auf das identische Selbstbewußtsein durch eine transzendentale Synthesis der Einbildungskraft gemäß den Kategorien bezogen wird und 7. daß das Mannigfaltige der empirischen Anschauung auf dieses Selbstbewußtsein durch eine apprehendierende Synthesis nach Kategorien bezogen wird.
Anhang. Von dem Grundsatz der Apperzeption An einigen Stellen der tranz. Deduktion A und Β wird ein Grundsatz oder ein Prinzip der Apperzeption erwähnt, aber ohne daß sein Inhalt deutlich und explizit genug dargelegt wäre. Nach A 117 handelt es sich dabei um einen obersten synthetischen Satz, während Β 135 von einem analytischen Grundsatz die Rede ist. Handelt es sich hier um denselben Satz oder um verschiedene Sätze? Im letzteren Falle möchte man wissen, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Ist ferner der berühmte "Ich-denke"-Satz am Anfang von § 16 etwa dasselbe wie der Grundsatz der Apperzeption, wie die meisten Interpreten ohne weitere Klärung annehmen? Handelt es sich bei all dem um erste unableitbare Axiome eines Aussagensystems oder um Sätze, die aus bestimmten anderen Sätzen abgeleitet werden? Gehen wir von der Stelle Β 135 aus, an der von einem analytischen Grundsatz der Einheit der Apperzeption ausdrücklich geredet wird. Obwohl dieser Grundsatz dabei nicht formuliert ist, gibt diese Stelle einen Wink auf seinen Inhalt. Obzwar er
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ein analytischer Satz ist, "erklärt [er] aber doch eine Synthesis des in einer Anschauung gegebenen Mannigfaltigen als notwendig ...". Das bildet also das Prädikat oder den Nachsatz eines Urteils, nämlich etwa so: dann ist eine Synthesis des Mannigfaltigen notwendig. Da das ganze Urteil analytisch ist, sollte der fehlende Teil denselben Inhalt, aber implizit, haben. Da dieses Urteil ferner auf die Einheit der Apperzeption geht, muß sich sein Vordersatz ausdrücklich auf die Apperzeption beziehen, aber so, daß in ihm die genannte Synthesis impliziert ist. Folglich wird der Vordersatz lauten: Wenn die Einheit der Apperzeption des Mannigfaltigen notwendig (oder wirklich) ist, - und ihm ist dann der Nachsatz hinzuzufügen: - dann ist eine Synthesis des Mannigfaltigen notwendig. Als kategorisches Urteil formuliert, lautet dieser Grundsatz: Die Einheit der Apperzeption eines Mannigfaltigen ist notwendig synthetisch. Dieses Urteil ist in der Tat analytisch, denn in der Beziehung der Mannigfaltigkeit auf die Einheit liegt die Synthesis analytisch beschlossen. Derselbe Gedanke ist zu Beginn des zweiten Absatzes von § 16 implizit formuliert: Die Identität der Apperzeption eines Mannigfaltigen enthält eine Synthesis der Vorstellungen. Zu Beginn des vierten Absatzes des Paragraphen 17 wird ausdrücklich von demselben analytischen Grundsatz geredet. Damit verweist Kant einerseits auf den letzten Satz des vorangehenden Absatzes, der eine Kontraposition des soeben herausgehobenen Grundsatzes ist: Wenn sich das Mannigfaltige nicht synthetisch verbinden läßt, dann vereinigt es sich nicht in einem Bewußtsein. Ein andermal formuliert der vierte Absatz den Grundsatz so: Wenn alle Vorstellungen meine sein (als Bewußtes zu meinem Selbst gehören) sollen, dann müssen sie synthetisch verbunden werden. Das ist eine weitere Umformulierung desselben Grundsatzes. A 122 ist auch vom Grundsatz der Einheit der Apperzeption in Hinblick auf alle Erkenntnisse (Vorstellungen), die mir angehören sollen, die Rede: Alle Erscheinungen müssen mit der Einheit der Apperzeption zusammenstimmen, indem sie sich synthetisch vereinigen lassen. An keiner dieser Stellen kann der Grundsatz etwa lauten, daß das "Ich denke" alle meine Vorstellungen muß begleiten können. Dieser berühmte Satz, mit dem § 16 beginnt, ist seinerseits auch analytisch, was seine Verwechslung mit dem Grundsatz der Apperzeption begünstigt." Um zu klären, ob der genannte Grundsatz ein erstes Axiom oder selbst schon eine Folge ist, gehe ich zunächst von A 116 ff. aus, wo dieser Zusammenhang besonders klar zutage tritt. 1. Wenn die Anschauungen (Vorstellungen) nicht direkt oder indirekt ins Bewußtsein aufgenommen werden können, dann sind sie für uns unmöglich. 2. Wenn die mannigfaltigen Vorstellungen Erkenntnis sein sollen, dann muß das Bewußtsein identisch sein. 3. Wenn das Bewußtsein der mannigfaltigen
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Das ist der Fall bei Julius Ebbinghaus in seinem Aufsatz "Kantinterpretation und Kantkritik", in Gesammelte Aufsätze, Vorträge und Reden, S. 7. Vor Ebbinghaus scheint H. Cohen auch diese Deutung vertreten zu haben; vgl. Kants Theorie der Erfahrung (2. Aufl.), 318.
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Vorstellungen notwendig identisch ist, dann müssen diese in Einheit stehen können. 4. Wenn dem so ist, dann muß es eine Synthesis a priori geben, die diese Einheit erzeugt (vgl. oben unseren Paragraphen 21). Zu dieser Reihe von Sätzen muß mehreres bemerkt werden: a) Der erste Schritt deduziert noch nicht die Möglichkeit der Erkenntnis (der Einheit der Vorstellungen), sondern der bloßen Vorstellung, und zwar in ihrer Beziehung zu einem Bewußtsein, das nach der Anm. A 117 und nach 120 als bloßes empirisches Bewußtsein oder als bloße Wahrnehmung weiter bestimmt wird, b) Erst im zweiten Schritt wird die Identität des Bewußtseins als Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis deduziert, c) Erst im dritten und vierten Schritt wird die Beziehung zwischen diesem identischen Bewußtsein und der Mannigfaltigkeit in den Blick gefaßt, und nicht eher entspringt aus dieser Beziehung der Grundsatz der Apperzeption. An diesem Punkt sagt Kant: "also gibt die reine Apperzeption ein Prinzipium der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in aller möglichen Anschauung an die Hand". Sowohl der Satz von der Identität des Bewußtseins als auch der sogenannte Grundsatz der Apperzeption sind keine letzten Axiomata, aus denen sich im Stil der Fichteschen Wissenschaftslehre alle übrigen Erkenntnisse ableiten ließen, sondern sie sind selber Folgesätze innerhalb dieser Deduktion. Andere Stellen der Deduktion A bestätigen, daß die Einheit des Bewußtseins nicht im Hinblick auf die Möglichkeit der Vorstellung, sondern der Einheit der Vorstellungen (= Erkenntnis) deduziert wird (vgl. A 106 und 107). Eine Stelle von A 109 erklärt, daß, wenn die Erkenntnis möglich sein soll, dann die Einheit des Bewußtseins sein muß: "Da nun diese Einheit als a priori notwendig angesehen werden muß (weil die Erkenntnis sonst ohne Gegenstand sein würde).." Eine andere Stelle A 122 erklärt, daß nur dadurch, daß ich alle Wahrnehmungen (zusammen, also als Erkenntnis!) zum identischen Bewußtsein zähle, "ich bei allen Wahrnehmungen sagen [kann], daß ich mir ihrer bewußt sei." Ein analoges Resultat ergibt die Interpretation der einschlägigen Stellen der Deduktion B. a) Der analytische Grundsatz der Apperzeption wird erst im dritten Schritt deduziert, nachdem im ersten die Einheit des Bewußtseins und im zweiten die Beziehung des Mannigfaltigen auf diese Einheit zum Vorschein gekommen ist. b) Daraus ergibt sich ferner, daß dieser analytische Grundsatz der Apperzeption nicht dasselbe ist wie der berühmte Satz am Anfang von § 16, welcher nur den zweiten Schritt bildet und damit eine Voraussetzung dieses Grundsatzes ist. Der Satz, daß das "Ich denke" alle meine Vorstellungen muß begleiten können, ist auch nicht ein erstes Axiom, sondern kommt an zweiter Stelle und setzt das Resultat des Paragraphen 15 voraus. Damit endet die Unklarheit um den Grundsatz der Apperzeption nicht, denn in der Anmerkung A 117-18, die eine weitere Klärung dieses Grundsatzes bringen sollte, kommt ein anderer, synthetischer Grundsatz zum Vorschein. Der Ausgangspunkt ist hier die Beziehung der Vorstellungen auf ein mögliches empirisches
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Bewußtsein, ohne welche sie unbewußt und damit als solche unmöglich wären. Dieses Bewußtsein ist aber noch nicht das identisch eine Selbstbewußtsein, sondern eine Mannigfaltigkeit von empirischen Bewußtseinsphasen (a. a. O., oder Wahrnehmungen, A 120). Hier schiebt dieser Text einen neuen Schritt, diesmal zur Ermöglichung der Erkenntnis, dazwischen: Es ist schlechthin notwendig, "daß in meinem Erkenntnisse alles Bewußtsein zu einem Bewußtsein (meiner selbst) gehöre", d. h. "eine synthetische Einheit des Mannigfaltigen (Bewußtseins)" zu einem identischen Selbst (vgl. auch A 122). "Der synthetische Satz: daß alles verschiedene empirische Bewußtsein in einem einigen Selbstbewußtsein verbunden sein müsse, ist der schlechthin erste und synthetische Grundsatz unseres Denkens überhaupt." Dieses Entspringen des identischen Bewußtseins aus der Synthesis der mannigfaltigen Bewußtseinsphasen wird in der Deduktion Β nur Β 133 gestreift (vgl. oben unseren Paragraphen 16). Dieses Urteil ist nicht der analytische Grundsatz der Apperzeption, weil es a) selbst synthetisch a priori ist und b) eine Synthesis des mannigfaltigen Bewußtseins als notwendig aussagt, während der analytische Grundsatz eine Synthesis des mannigfaltigen Vorgestellten fordert. Dieser synthetische Satz ist nach A 118 der schlechthin erste unseres Denkens. Er ist nicht nur nicht der analytische Grundsatz der Apperzeption, sondern er ist sogar früher als dieser. Aus dem identischen Selbstbewußtsein, von dessen Ursprung dieser synthetische Satz redet, und seiner Beziehung auf das sinnliche Mannigfaltige entspringt erst der Sachverhalt, der das Subjekt des analytischen Grundsatzes bildet. Die Deduktion Β berührt nicht explizit den synthetischen Grundsatz, dessen Inhalt in den Bereich ihres ersten Schrittes gehören würde. Mit all dem dürften die Unterschiede und Zusammenhänge zwischen dem synthetischen Grundsatz der Apperzeption, dem analytischen Grundsatz und dem Satz über das "Ich denke" klar geworden sein. J. Ebbinghaus skizziert als erster die These, daß der berühmte "Ich-denke"Satz die Basis für eine Widerlegung der humischen Skepsis an der Erkenntnis liefert, der gemäß die Verbindung der Vorstellungen assoziativ, d.h. bloß subjektiv und zufallig ist (a.a.O.). Dieser Satz scheint nämlich die Möglichkeit der Vorstellung zu betreffen, insofern nach ihm unsere Vorstellungen unmöglich wären, wenn sie nicht als Korrelat des "Ich denke" bewußt wären. Da sich infolge dieser Beziehung und nach dem analytischen Grundsatz der Apperzeption sich die Vorstellungen synthetisch verbinden lassen müssen, und zwar in notwendigen Verbindungen, müßten die Vorstellungen als solche, d. h., insofern sie bewußt sind, schon in notwendige objektive Zusammenhänge eingebettet sein. Damit wäre der radikale Zweifel an der Möglichkeit der Erfahrung und der Erkenntnis widerlegt. Der genannte "Ich-denke"-Satz redet aber nicht von der Möglichkeit der Vorstellungen schlechtweg, insofern sie bewußt werden sollen, sondern von ihrer Möglichkeit als Mannigfaltigem einer Erkenntnis: Wenn die mannigfaltigen Vorstellungen eine Erkenntnis konstituieren sollen, dann müssen sie Korrelat des
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"Ich denke" sein. Da dieser Satz also gerade das voraussetzt, was der Skeptiker bezweifelt, kann er nicht die Basis seiner Widerlegung bilden. Der analytische Grundsatz der Apperzeption, der nach den vorangehenden Bemerkungen aus dem analytischen Satz über das "Ich denke" abgeleitet wird, bietet ebenfalls keine Basis einer solcher Widerlegung, denn er ist mit Rücksicht auf die Möglichkeit der Erkenntnis deduziert, wie Absatz 1 von § 17 zeigt: "Alles Mannigfaltige der Anschauung" steht "unter Bedingungen der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption." Unter diesem Grundsatz stehen die Vorstellungen, "sofern sie in einem Bewußtsein müssen verbunden werden können". Warum? "denn ohne das kann nichts dadurch gedacht oder erkannt werden" (Hervorh. Vf.). Die Antwort Kants auf die humische Skepsis ist eine andere. Die subjektive synthetische Einheit (= Assoziation), als welche Hume die Erkenntnis und die Objektivität glaubt entlarven zu können, gründet vielmehr in der Erkenntnis als notwendiger synthetischer Einheit und ist damit ein indirektes Zeugnis fur sie (vgl. A 100-02, 112-14, 121-22). Wie oben (§ 14) gesagt, Kant hält es nicht für nötig, die KrVund gar ihre transz. Deduktionen der Widerlegung jeder Art von Skeptizismus zu widmen. Das tun seine spätere Interpreten. So ist der Versuch von Ebbinghaus durch skeptische Zweifel an der Kantischen Kritik, u. a. durch den Zirkeleinwand Kroners, motiviert, demgemäß die transz. Deduktion der Kategorien das Faktum der Wissenschaft und damit der synthetischen Erkenntnis a priori voraussetzt (vgl. oben § 14, Anhang 2). Gegen diesen Einwand hebt Ebbinghaus den analytischen Charakter des "Ich-denke"Satzes hervor und zeigt, daß er fähig ist, die Notwendigkeit der empirischen Erkenntnis gegenüber jeder Skepsis zu begründen. Das tut Ebbinghaus aber, indem er diesen "Ich-denke"-Satz aus seinem Kontext herausreißt und nicht einsieht, daß dieser Satz selbst aus der Möglichkeit der empirischen Erkenntnis deduziert wird. Trotzdem erblickt Ebbinghaus die echte philosophische Möglichkeit, die in diesem so gelesenen Satz liegt und die zur Basis einer eigenständigen Theorie gemacht werden kann, die man aber Kant selber nicht zuschreiben darf.
§ 31. Die subjektive Deduktion und die neue Auffassung des Verstandes Wenn man das Hauptstadium der Deduktion Β mit dem entsprechenden Text der ersten Auflage vergleicht, springt in die Augen, daß ihm ein Äquivalent des Zweiten Abschnitts in A fehlt. Da dieser Abschnitt häufig im Sinne der bloßen "subjektiven Deduktion" mißverstanden wird, glaubt man, daß seine Abwesenheit in Β die Absicht Kants offenbart, in der zweiten Auflage nur die objektive Deduktion darzulegen. Diese Vermutung scheint ferner dadurch bestätigt zu sein, daß das Hauptstadium in Β einem Teil dessen entspricht, was man in A als objektive Deduktion bezeichnet (A 116-19).
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Dieser Interpretation gelingt es nicht, die Kant bewegenden Motive der Deduktion Β zu zeigen. Sie ermangelt einer klaren Idee dessen, was objektive Deduktion sei und worin ihr Zusammenhang mit der subjektiven bestehen möge, über den nur die erste Auflage berichtet (vgl. oben § 15). Wie gesagt, es ist irrig, die eine und die andere Deduktion auf verschiedene Teile dieses Textes zu verteilen. Das Hauptstadium der Deduktion der Kategorien ist zugleich subjektiv und objektiv, insofern der Beweis, daß die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sind, nur durch den Beweis möglich ist, daß sie zusammen mit anderen subjektiven Bedingungen den Verstand möglich machen. In dem Ganzen der Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung müssen demnach auch die Bedingungen enthalten sein, die den Verstand als Erkenntnisvermögen möglich machen, so daß die subjektive Deduktion analytisch aus der objektiven abgeleitet werden kann. So gestattet es die soeben skizzierte objektive Deduktion der zweiten Auflage, ihr einen Umriß der zugehörigen subjektiven Deduktion zu entnehmen: I - Wenn der Verstand als Vermögen, Objekte der sinnlichen Anschauung überhaupt zu denken, möglich sein soll, dann ist es notwendig: 1. daß das Bewußtsein einheitlich ist, 2. daß das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung überhaupt auf ein identisches Selbstbewußtsein bezogen sein kann, 3. daß eine Synthesis des Mannigfaltigen in diesem Selbstbewußtsein möglich ist, und zwar 4. als eine Synthesis in Urteilen qua Formen der notwendigen synthetischen Einheit, und 5. daß das sinnliche Mannigfaltige durch die Kategorien dazu bestimmt werden kann. II - Wenn dem so ist und der Verstand als Vermögen, Objekte unserer empirischen Anschauung zu erkennen, möglich sein soll, dann ist es notwendig: 6. daß das Mannigfaltige unserer reinen Anschauungen (als Formen der empirischen) auf das Selbstbewußtsein durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft nach Kategorien bezogen sein kann und 6. daß das Mannigfaltige der empirischen Anschauung auf dieses Selbstbewußtsein durch die apprehendierende Synthesis nach Kategorien bezogen sein kann. Das besagt, daß der Verstand in der einen oder anderen Bedeutung (I oder II) nur auf Grund des Zusammenhangs vieler subjektiver Bedingungen möglich ist. Es handelt sich hier aber nicht um eine Behauptung des Interpreten, die aus dem Text, und überdies aus einer ganz bestimmten Deutung desselben, bloß erschlossen wäre. Der Text bezieht sich nicht nur ausdrücklich und durchgängig auf den Verstand, sondern er hält die Möglichkeit desselben beständig im Blick. So drückt § 17 aus, daß die synthetische Einheit der Apperzeption dasjenige ist, "worauf... selbst die Möglichkeit des Verstandes beruht" (B 137). Der Anfang desselben Absatzes lautet: " Verstand ist, allgemein zu reden, das Vermögen der Erkenntnisse." Es gilt nun, den Text der Deduktion Β aufs neue durchzugehen, um zu sehen, wie sie die Möglichkeit des Verstandes entwickelt und aufbaut. Bei diesem Aufbau kommt eine neue Idee des Verstandes zum Vorschein, die später explizit betrachtet werden soll.
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Da die Erkenntnis eine bestimmte Art von synthetischer Einheit der Vorstellungen ist, beginnt die Deduktion Β mit einer vorläufigen Betrachtung der synthetischen Einheit (Verbindung) und deren Bedingungen der Möglichkeit (§ 15). Wiewohl in der Sinnlichkeit Vorstellungsverbindungen faktisch vorkommen, können sie nicht die synthetische Einheit der Erkenntnis sein, weil diese notwendig sein muß. Daher kann die Einheit der Erkenntnis keine sinnliche Gegebenheit sein, sondern sie muß vom Verstand spontan erzeugt werden. Wenn dieser also ein Erkenntnisvermögen sein soll, dann muß er ein spontanes Vermögen der Synthesis von Anschauungen oder von Begriffen in Urteilen (B 129-30) sein. Demgemäß sagt Kant Β 125, daß der Verstand "nichts weiter ist, als das Vermögen, a priori zu verbinden". Die Analyse des Begriffes der Verbindung bringt ihre Bedingungen der Möglichkeit zum Vorschein: ein Mannigfaltiges, aus dem diese Einheit erzeugt wird, eine Synthesis sowie eine Einheit, auf die in Bezug das Mannigfaltige verbunden werden kann und muß. Das heißt, eine solche Beziehung zwischen dem Mannigfaltigen und der letzteren Einheit ist Bedingung der Möglichkeit der Synthesis und der durch sie erzeugten Verbindung. Diese Einheit geht also jedem Begriff oder Synthesismodus vorher. § 15 ist zu entnehmen: Wenn der Verstand als Vermögen, Objekte einer sinnlichen Anschauung überhaupt zu erkennen, möglich sein soll, muß er ein Vermögen der Synthesis und dazu, noch früher, eine einigende Einheit sein. Als ermöglichender Grund der Synthesis muß diese Einheit zum Wesen des Verstandes selbst gehören. Wenn die Synthesis andererseits in der Beziehung des Mannigfaltigen auf diese einigende Einheit gründet, dann muß diese Beziehung auf die Sinnlichkeit ebenso zum Wesen desselben Verstandes gehören. Diese einigende Einheit ist nach § 16 die Einheit des Bewußtseins, die im Selbstbewußtsein "ich denke" wirklich wird. Der erste Absatz zeigt, daß die Beziehung auf diese Einheit Bedingung der Möglichkeit der Vorstellungen (hinsichtlich ihrer Einheit) ist. Umgekehrt betont der dritte Absatz, daß dieses Mannigfaltige der Sinnlichkeit Bedingung der Möglichkeit des selbstbewußten Denkens ist, denn dieses als endliches muß in der sinnlichen Anschauung das Denkbare suchen (B 135). Aus dieser notwendigen Beziehung des Mannigfaltigen auf die Einheit und dieser auf jenes entspringt die Möglichkeit und Notwendigkeit der Synthesis überhaupt (B 132-33, 138). Auf Grund dieser Beziehung, die dem Denken durch seine Endlichkeit aufgenötigt ist, ist die Einheit des Denkens notwendig synthetisch. Umgekehrt macht die Synthesis in anderer Hinsicht das Mannigfaltige einer sinnlichen Anschauung überhaupt als solches sowie seine Einheit möglich. Dieses Mannigfaltige, als ein solches vorgestellt, ist nur dank dieser von der Apperzeption ausgehenden Synthesis möglich (vgl. § 17, den obersten Grundsatz der Anschauung
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in Beziehung auf den Verstand). Zum anderen hebt der zweite Absatz von § 16 hervor, wie die Synthesis die Einheit des Bewußtseins ermöglicht. Da dieser letztere Sachverhalt oben (§ 16, E) erörtert wurde, soll hier nur umrißhaft an ihn erinnert werden. Da das Selbstbewußtsein endlich ist und das Denkbare in der sinnlichen Anschauung suchen muß, zerstreut es sich bei der Apprehension des Mannigfaltigen in viele empirische Bewußtseinsphasen. Wenn nur diese möglich wären, "würde ich ein so vielfarbiges verschiedenes Selbst haben, als ich Vorstellungen habe" (B 134, vgl. 133). Wenn das Selbst nun um der Möglichkeit der Erkenntnis willen identisch sein soll, muß es sich aus seiner Zerstreuung zurückgewinnen können, so daß aus der Identifizierung der mannigfaltigen Bewußtseinsphasen die Apperzeption der eigenen Identität entspringt. Dies geschieht nur dadurch, daß es die sinnlichen Vorstellungen verbindet und sich dieser Synthesis bewußt wird (B 133 und Β 131 Anm.). Dieses Bewußtsein der Synthesis kann dabei sowohl auf die Handlung des Verbindens, d. h. des verbindenden Bewußtseins, blicken als auch auf die Verbundenheit der Vorstellungen, die jeweils daraus entspringt. Da das Bewußtsein meistens in das Bild und das Objekt verloren und sich seines Verbindens kaum einmal bewußt ist, taucht die Apperzeption der eigenen Identität des öfteren erst aus dem Bewußtsein der synthetischen Einheit seiner Produkte auf. Da sich die synthetisierende Einheit des Bewußtseins in der Einheit der Vorstellungen (z.B. im Begriff " r o t " als synthetische Einheit mannigfaltiger anderer Vorstellungen) widerspiegelt, kann dieser der widergespiegelte Ursprung durch Analyse entnommen werden. Das ist die analytische Einheit des Bewußtseins (vgl. Β 133-34 Anm.). Das Bewußtsein der Synthesis oder ihres synthetischen Produkts, des Bildes oder des Objektbegriffs, ist also Bedingung der Möglichkeit der Einheit des Bewußtseins, aber in einem sehr bestimmten Sinn. Die Synthesis ist möglich, weil das Bewußtsein eines ist hinsichtlich seiner Wesensmöglichkeit, aber diese Möglichkeit ist nicht immer existierend in einer wirklichen Apperzeption, obwohl das Bewußtsein notwendigerweise die Möglichkeit hat, zu einem "Ich denke" zu werden. Es ist in Hinblick auf ein wirkliches "Ich denke", daß das eine Bewußtsein durch die Synthesis und ihr Produkt ermöglicht wird. Die vorangehende Erörterung der ersten Schritte der subjektiven Deduktion klärt einige Stellen der Paragraphen 16 und 17 zur Möglichkeit des Verstandes. Wenn dieser ein Erkenntnisvermögen im strengen Sinne und Erkenntnis eine bestimmte synthetische Einheit der Vorstellungen ist (§ 17), muß der Verstand ein Vermögen der Synthesis sein (§§ 15 und 17). Aber diese Bestimmung erreicht noch nicht den Grund dieses Vermögens, denn dieses Verbinden ist nur möglich und notwendig, weil der Verstand identisches Bewußtsein in Beziehung auf das Mannigfaltige einer sinnlichen Anschauung überhaupt ist. Darum ist die verbindende Einheit des Bewußtseins der Grund der Möglichkeit des Verstandes (B 137 und 153). Diese Einheit ist nach Β 169 "die Form des Verstandes", d.h. sein Wesen. Es
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geschieht in diesem Sinne, wenn die Anmerkung zu Β 133-34 sagt, das Vermögen der synthetischen Einheit der Apperzeption sei "der Verstand selbst". Die Darlegung der vorangehenden Schritte hat gezeigt, daß Kant die Möglichkeit des Verstandes entfaltet, indem er die genannten subjektiven Strukturen synthetisch aufeinander bezieht und ihre reziproke Bedingtheit ausdrücklich aufweist oder wenigstens andeutet. Die Paragraphen 18-20 fuhren dann in diese organisierte Ganzheit die Urteilsfunktionen und die Kategorien ein. Es ist nicht schwierig, zu zeigen, wie sich diese in ein solches Bezugsganze einfügen. Wenn der Verstand als ein Erkenntnisvermögen möglich sein soll und Erkenntnis notwendige synthetische Einheit ist (§§ 18-19), dann muß der Verstand eine bestimmte Zahl von Synthesismodi besitzen, und zwar sowohl Urteilsformen als auch Kategorien, mit ihren spezifisch je verschiedenen Aufgaben (§§ 19-20). Die Kategorien sind nach Β 143 inhaltlich dasselbe wie die Urteilsformen, und diese ihre Identität muß bestehen, wenn jene die Aufgabe erfüllen sollen, die Anschauung in Hinblick auf ihre Zuordnung zu den Urteilsformen zu bestimmen. Wenn man Β 142 liest, daß die Anschauungen dank der Einheit des Bewußtseins nach "Prinzipien der objektiven Bestimmung aller Vorstellungen" in Urteilen verbunden werden, dann bedeuten diese "Prinzipien", dem Kontext nach, die Urteilsfunktionen, aber meinen zugleich die Kategorien, infolge der inhaltlichen Identität beider. Diese notwendigen Urteilsformen sind derselben Stelle nach "aus dem Grundsatze der transzendentalen Einheit der Apperzeption abgeleitet". In der Tat sind notwendige Modi der Synthesis und der synthetischen Einheit nur möglich, wenn die synthetische Einheit der Apperzeption möglich ist. Diese Einheit ist nach Β 132 transzendental, weil sie Erkenntnisse a priori, d. h. diese notwendigen Modi der Synthesis, möglich macht. Im Text der Deduktion Β bleibt die umgekehrte Bedingtheit implizit: Die Kategorien und die Urteilsfunktionen ermöglichen die Synthesis und sogar die Einheit der Apperzeption hinsichtlich ihrer objektivierenden Leistung zurück, denn ohne jene Funktionen wäre die notwendige Bestimmtheit der verbundenen Vorstellungen unmöglich. Zum anderen läßt die Deduktion Β auch unausgedrückt, daß die Kategorien und die Urteilsfunktionen das Wirklichwerden des Selbstbewußtseins möglich machen. Die Lehre der Deduktion A, nach der die Einheit der Synthesis im Begriffe diesen Akt des Selbstbewußtseins ermöglicht, scheint Β 137 angedeutet zu sein, wenn Kant sagt, daß die Einheit der Synthesis "die Einheit des Bewußtseins (im Begriffe einer Linie)" ist. Ferner ermöglichen die Kategorien und die Urteilsfunktionen indirekt die analytische Einheit des Bewußtseins, indem sie objektive Einheit ermöglichen. Bei dieser ersten Etappe darf man nicht vergessen, daß Kant da nicht ein Bewußtsein meint, das wie unsere Einbildungskraft in einer wirklichen Synthesis ein
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Mannigfaltiges gemäß den Kategorien verbinden würde. Diese Konstruktion zielt darauf ab zu erklären, wie ein endlicher Verstand möglich ist, der in seinen bloßen reinen Begriffen eine synthetische Einheit (synthesis intellectualis) denkt, die er philosophierend auf Gegenstände überhaupt bezieht. Dieser "transzendentale Gebrauch" ist das Faktum, von der diese Konstruktion ausgeht. Da wir aber nur eine einzige Anwendung der Kategorien auf eine Anschauung kennen, nämlich auf Raum und Zeit, verwendet Kant in der ersten Etappe Beispiele dieser: die synthetische Einheit der reinen Anschauungen (B 136 Anm.), die Synthesis eines besonderen Raumes (der Linie, Β 137-38) und sogar die transzendentale Synthesis der Zeit (B 140). Dagegen ist die intellektuelle Synthesis eine "reine Synthesis des Verstandes" (B 140), "Synthesis des Verstandes" (B 144) oder "Synthesis der Apperzeption" (B 135, 162). Die zweite Etappe, die auf die Anwendung desselben Verstandes auf unsere Sinnlichkeit geht, hat analoge Strukturen. So erwähnen die ersten Absätze des Paragraphen 24 als subjektive Strukturen die Einheit der Apperzeption, die Kategorien, die Synthesis der Einbildungskraft des Mannigfaltigen der reinen Anschauung (der Zeit) sowie die daraus entspringende synthetische Einheit (B 15051). Darum sind deren Bedingungszusammenhänge denen analog, die die erste Etappe in den Blick faßt. Die Einheit der Apperzeption und die der Kategorien sind Bedingungen der Möglichkeit der synthetischen Einheit von Raum und Zeit (a.a.O. und 144 Anm., sowie 152 und 161 Anm.). Die Stellen, die die Einschränkung der Gültigkeit der Kategorien auf die Erfahrung berühren (vgl. §§ 22, 23, 24 zweite Hälfte, 25), implizieren, daß die sinnliche Anschauung, und letzten Endes die empirische, das Denken als Erkenntnis ermöglicht. Endlich gründet die Synthesis der Apprehension in der reinen Anschauung, in der synthetischen Einheit, die sie enthält, sowie in deren Ursprung: der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft nach Kategorien (§ 26, Β 161, 164). Es ist also sichtbar geworden, daß das Hauptstadium der Deduktion der zweiten Auflage faktisch eine subjektive Deduktion besitzt. Diese erklärt nicht, wie manche glauben, auf welche Weise der Verstand funktioniert oder wie die Erkenntnis entsteht, sondern wie der Verstand möglich ist, d. h., wie sein Was-sein aus verschiedenen subjektiven Bedingungen entspringt. Die Methode dieser Deduktion ist eine Synthesis dieser Bedingungen in Hinblick auf den Zweck dieses Vermögens: die Möglichkeit der Erkenntnis (a priori und a posteriori). Vorangehende Darlegung registriert die neue Auffassung des Erkenntnisvermögens, die in der Deduktion Β zum Vorschein kommt. Im obigen Paragraphen 29 wurde sichtbar, daß Kant von Anfang an diese Deduktion auf die Beschränkung der Gültigkeit der Kategorien richten will. Daher muß sie mit der Einschränkung des "transzendentalen Gebrauchs" der bloßen Kategorien beginnen. Soll dieser "Gebrauch " jenseits des uns zugänglichen Sinnlichen subjektiv erklärt werden,
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dann können die Kategorien nicht aus der Sinnlichkeit entspringen, sondern aus dem bloßen Verstand. Lassen sich aus dieser neuen Einsicht die übrigen Wandlungen des Erkenntnisvermögens erklären, die soeben erörtert wurden? 1. Wenn die Kategorien aus dem bloßen Verstand und nicht aus der Sinnlichkeit entspringen, dann kann ihre Möglichkeit nicht mehr in der Beziehung der drei Urvermögen gründen. Der Verstand als Erkenntnisvermögen ist dann auch keine solche Folge dieser Urvermögen, sondern er muß ein ursprüngliches Gebilde sein. Damit wandelt sich auch das Wesen aller dieser Vermögen. 2. Was kann ein solcher Verstand sein? Insofern er dabei aus dem Gegensatze zur Sinnlichkeit bestimmt ist, darf er nicht passiv, sondern er muß spontan sein. Unter den drei Urvermögen in A kann er nur zum Teil mit der Apperzeption identifiziert werden und auch nicht recht mit der Einbildungskraft, denn diese ist teils sinnlich-passiv, teils spontanintellektuell. 3. Wenn der Verstand Ursprung von Begriffen der synthetischen Einheit sein soll, dann muß er selbst bereits synthetisch sein. Die Synthesis ist dann keine Handlung, die erst dann entspringt, wenn sich die Einheit des Bewußtseins auf die Mannigfaltigkeit der Anschauung bezieht, d. h. keine Handlung, die sich neben ihnen als Wirkung eines dritten Urvermögens etablieren würde. Damit ist die Rolle der Einbildungskraft als Urvermögens dahin. Sie kann dann dem Verstand, und zwar als eine Folge oder Wirkung seiner auf die Sinnlichkeit, zugeschlagen werden. 4. Daß der Verstand selbst synthetisch ist, besagt, daß die Einheit def Apperzeption selbst als synthetisch gedacht werden muß. 5. Da es Kant dabei um die\Beschränkung dieses Denkvermögens mitsamt seiner reinen Begriffe geht, muß èr es auf eine sinnliche Anschauung beziehen, die nicht unsere Sinnlichkeit sein kann. Damit soll beiden Seiten Genüge getan werden: Die synthesis intellectualis der bloßen Kategorie entspringt aus dem Denken selbst, aber zugleich, seiner Endlichkeit wegen, aus der Beziehung dieses Denkens auf eine sinnliche Anschauung. Wenn aus dieser Beziehung aber Begriffe von Objekten überhaupt entspringen sollen, dann muß diese Anschauung eine sinnliche Anschauung überhaupt sein. 6. Da die Einbildungskraft ihre Rolle als Urvermögen einbüßt, kann die Funktion des transz. Schematismus nur noch darin bestehen, die passende zeitliche Synthesis oder das passende reine Bild zu den schon fertigen reinen Begriffen zu finden, um dadurch die Anwendung dieser Begriffe zu ermöglichen. Die vorangehenden Erörterungen zeigen, daß auch die Deduktion Β das Erkenntnisvermögen als eine organisierte Ganzheit aus vielfältigen subjektiven Bedingungen aufbaut, daß sie aber zugleich die Zahl der Urvermögen auf zwei reduziert: Verstand und Sinnlichkeit. Obwohl damit zu befürchten sein könnte, daß die organisierte Ganzheit in ein Aggregat zweier Elemente zerfallen würde, besteht hier das Erkenntnisvermögen als eine solche Ganzheit weiter, die zwar aus zwei Urvermögen konstituiert ist, aber so, daß diese in Beziehungen gegenseitiger Bedingtheit stehen. Jedes dieser Vermögen ist seinerseits durch vielfältige Bedingungen in analogen Beziehungen gebildet. Das gilt für den Verstand sowohl
Neue Auffassung des Verstandes
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als endlichen Verstand überhaupt, mit der synthesis intellectualis in seinen Kategorien, als auch qua menschlichen Verstand in seiner Anwendung auf unsere Anschauung. Ist nun aber die Einheit des Erkenntnisvermögens nicht durch diese Doppelseitigkeit des Verstandes gefährdet? Es ist derselbe Verstand, der von Kant in einer doppelten Hinsicht betrachtet wird. Unser gesamtes Erkenntnisvermögen kann als eine Spezies angesehen werden, deren gattungsmäßiges Moment jener endliche Verstand überhaupt ist. Ihre spezifische Differenz ist unsere menschliche Anschauungsart. Die Einheit dieser Spezies besteht in der Beziehung jenes Verstandes auf unsere Sinnlichkeit, durch die sich ein solcher Verstand in einen eigentlich menschlichen verwandelt.
§ 32. Die neue Auffassung des Verstandes und das Problem des Ursprungs der Kategorien
subjektiven
Was ergibt sich aus dieser neuen Auffassung des Erkenntnisvermögens für die Aufgabe einer subjektiven Erklärung des Kategoriensystems? Um dieser Frage n a c h z u g e h e n , sollen aus den v o r a n g e h e n d e n E r ö r t e r u n g e n z u n ä c h s t j e n e Entscheidungen über das Wesen des Verstandes hervorgehoben werden, die für diese Aufgabe relevant sind. 1. Wie die Deduktion A gebraucht die neue Fassung den Terminus "Verstand" sowohl im engeren Sinne eines Vermögens zu denken, im Unterschied zur Einbildungskraft (vgl. Β 162 Anm.), als auch im weiteren Sinne eines Vermögens der Erkenntnis (vgl. Β 137). Aber letzteres ist nicht mehr ein abgeleitetes, sondern ein ursprüngliches Vermögen, d.h. die Spontaneität, die primär im Denkvermögen im strengen Sinne liegt, in der Einheit der Apperzeption, und nur sekundär in der Einbildungskraft, welche nun zu einer bloßen Wirkung dieser Einheit auf die Anschauung wird (B 152). Damit hört die Einbildungskraft auf, ein ursprüngliches Vermögen zu sein. Während § 10 der ersten Auflage der Einbildungskraft noch allein die Funktion der Synthesis zuschreibt (A 78), weist § 15 jedes Verbinden, sowohl von Anschauungen als auch von Begriffen, nunmehr dem Verstand zu (B 130, vgl. auch 162 Anm.). Das verhält sich vermutlich so, weil der Verstand im e n g e r e n Sinne nun zur Q u e l l e j e d e r S p o n t a n e i t ä t und d a r u m auch der Einbildungskraft wird. Mit all dem reduzieren sich die Urvermögen auf zwei, Verstand und Sinnlichkeit. 2. Während in A das Wesen des Verstandes in der Beziehung der Apperzeption auf die Einbildungskraft und durch sie auf die (menschliche) Sinnlichkeit besteht, liegt es nun für Β in der synthetischen Einheit der Apperzeption als Bedingung der Möglichkeit jeder erzeugten Einheit. Das Merkwürdigste bei dieser ganzen Umwandlung ist, daß jene Beziehung auf die Anschauung nicht verschwindet, sondern
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Sein und Subjektivität bei Kant
sie wird durchaus beibehalten, wenn auch zugleich so modifiziert, daß sie dadurch entkräftet wird. Sie wird nämlich in den endlichen Verstand überhaupt eingebaut und zur Beziehung der Apperzeption auf die sinnliche Anschauung überhaupt umgedacht. Auch hier impliziert diese Beziehung eine Synthesis, die Kant Synthesis der Apperzeption (synthesis intellectualis) nennt. Zum anderen wird die alte Beziehung der Apperzeption auf die menschliche Einbildungskraft und auf unsere Anschauung in Raum und Zeit beibehalten, aber mit einem abgeleiteten Charakter, insofern die Einbildungskraft zu einer Wirkung der Apperzeption auf unsere Sinnlichkeit wird. In Entsprechung zu dieser Wandlung des Wesens des Verstandes hin zum Denkvermögen und zur reinen Apperzeption rückt das Urteil in den Vordergrund, während die Synthesis des Bildes, wie gesagt, einen sekundären Charakter bekommt. 3. Gemäß der neuen Bestimmung des Wesens des Verstandes wird der Ursprung der Kategorien in die synthetische Einheit der Apperzeption verlegt. Da der endliche Verstand überhaupt die Beziehung der Apperzeption auf eine sinnliche Anschauung überhaupt in sich birgt, könnte man dennoch glauben, daß diese Beziehung hier weiterhin der Ursprung der Kategorien bleibt. Die Paragraphen 16 (B 135) und 21 (B 145) betonen sogar, daß solche Begriffe nur im Fall des endlichen Denkens Sinn haben, das auf die sinnliche Anschauung angewiesen ist. Aber der Grund des Verstandes ist hier eigentlich die Einheit der Apperzeption (B 134 Anm., 136-37). Diese These ist zum Teil gerechtfertigt, denn nur wenn eine einigende Einheit möglich ist, sind kategoriale Formen möglich (vgl. Β 142). Auf Grund eines solchen Ursprungs argumentiert § 21, daß, da die Kategorien aus dem bloßen Verstand entspringen, "unabhängig von Sinnlichkeit", es notwendig und daher auch möglich ist, sie für sich abstrakt zu betrachten, "um nur auf die Einheit, die in die Anschauung vermittelst der Kategorie durch den Verstand hinzukommt, zu sehen" (144). Demgemäß enthält der Verstand, so wie er in den Paragraphen 15-21 gesehen wird, den Ursprung der Kategorien. Da er ferner primär ein Urteilsvermögen ist, liegen die Urteilsfunktionen den Kategorien zugrunde (131), welche dann auch nur als Mittel zur Zuordnung der Anschauung zu diesen Funktionen fungieren. Dem entspricht der Vorrang der formalen Logik gegenüber der transzendentalen (13334 Anm.) Die Deduktion Β läßt damit die Möglichkeit fallen, die in A beschlossen liegt. Wenn die Kategorien nämlich aus der Beziehung der Einheit der Apperzeption auf das Mannigfaltige einer Anschauung überhaupt, und d. h. aus dem bloßen Verstand, entspringen, dann kann man nicht mehr sagen, daß sie in der Einbildungskraft als Beziehung der Apperzeption auf unsere menschliche Anschauung gründen. Freilich haben beide Texte etwas Gemeinsames: den Verstand als Beziehung der Apperzeption auf irgendeine sinnliche Anschauung.
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Über diese Liquidierung der in A anvisierten Möglichkeit hinaus zeitigt der Umbau des Verstandes in Β neue Schwierigkeiten, und dies sehr zum Nachteil der neuen These über den Ursprung der intellektualen Formensysteme, wie die folgenden Überlegungen zeigen. In Hinblick auf das Ziel der vorliegenden Interpretation ist es nicht überflüssig, hervorzuheben, daß der soeben zitierte Passus von § 21 über den Ursprung der Kategorien aus dem Verstände nicht bloß eine neue Auffassung desselben ist. Diese Stelle macht nämlich diesen Ursprung zum ersten Mal ausdrücklich zum Thema, was bisher in der ersten Auflage nirgends der Fall ist. Dennoch ist diese Lehre weit entfernt, zufriedenstellend zu sein, und wenn sie bis zu ihren letzten Folgen gedacht wird, fuhrt sie vor neue Probleme. Es kommt nun darauf an, diese Lehre weiter zu entfalten, bis ihre Fragwürdigkeit offenbar wird. A. Der Endlichkeit des Denkens gemäß ist der Verstand hinsichtlich des Mannigfaltigen, das gedacht werden kann, auf die Sinnlichkeit angewiesen. Die Deduktion Β ignoriert diese Endlichkeit nicht, sondern hebt sie vielmehr hervor, indem sie den Spielraum des Verstandes gegenüber einer problematischen intellektuellen Anschauung einschränkt. Kant betont, daß nur ein endlicher Verstand sowohl eines Actus der Synthesis als auch der Kategorien bedarf (B 135, 138-39). "Sie sind nur Regeln für einen Verstand, dessen ganzes Vermögen im Denken besteht, d.i. in der Handlung, die Synthesis des Mannigfaltigen, welches ihm anderweitig in der Anschauung gegeben worden, zur Einheit der Apperzeption zu bringen" (B 144). Wenn die Apperzeption nun, als endliche und einfache Vorstellung, kein Mannigfaltiges hervorbringt (B 135), dann ist unerklärlich, wie sie allein der Ursprung von vielfältigen und außerdem inhaltlich verschiedenen Kategorien soll sein können. Ohne Beziehung auf das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung sind weder der synthetische Charakter der Apperzeption noch die Vielfalt und Verschiedenheit ihrer Synthesisformen möglich. B. Vielleicht könnte man versuchen, diese Schwierigkeit innerhalb des Rahmens der Deduktion Β auf folgende Weise zu lösen. Der schon oft zitierte Passus von § 21 betont die Unabhängigkeit des Verstandes von der menschlichen Sinnlichkeit und gründet in jener die Möglichkeit, den Verstand außer der Beziehung auf unsere Anschauung zu betrachten, wie es in den Paragraphen 15-20 geschieht. Aber diese Paragraphen vergessen nicht die Endlichkeit des Verstandes und betonen daher seine Beziehung auf eine sinnliche Anschauung überhaupt. Auf dieser Basis könnte man versuchen, die umrissene Schwierigkeit zu lösen, indem man sagte, daß die Apperzeption zwar weder fur sich allein noch in Beziehung auf die menschliche Anschauung der Ursprung der Kategorien und Urteilsformen sei, wohl aber in Beziehung auf das Mannigfaltige einer sinnlichen Anschauung überhaupt.
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Sein und Subjektivität bei Kant
Ein solcher Versuch, werde er nun Kant selbst oder nur einem Leser zugeschrieben, löst diese Schwierigkeit nichtsdestoweniger gar nicht. Die sinnliche Anschauung überhaupt und ihre Mannigfaltigkeit sind nur problematische Begriffe (vgl. Β 139) und nicht wirkliche Anschauungen, die der Apperzeption des Menschen irgend gegeben wären. Im Bezug auf solche Begriffe kann die Apperzeption kein Ursprung von Vielfalt und Verschiedenheit der Kategorien sein, nicht nur weil sie Begriffe sind und keine Anschauungen, sondern auch weil sie sehr abstrakt und unbestimmt sind. Da der Begriff einer sinnlichen Anschauung überhaupt gerade von den Bestimmungen der niederen Anschauungsarten abstrahiert, ermangelt das in ihm gedachte Mannigfaltige einer potentiellen Bestimmtheit, aus der vielleicht die Zahl und die inhaltliche Verschiedenheit der Kategorien erklärt werden könnten. C. Ferner sind die Begriffe einer sinnlichen Anschauung überhaupt und ihres Mannigfaltigen abgeleitete Vorstellungen. Um sich den problematischen Begriff einer nicht-menschlichen Anschauung zu bilden, muß der kritische Philosoph von unserer sinnlichen Anschauung in Raum und Zeit ausgehen, der einzigen, die uns gegeben ist. Diese Anschauung, ihr Mannigfaltiges, die Beziehung der Apperzeption auf sie und die Ermöglichung der Kategorien: all das wäre der Bildung der genannten problematischen Begriffe notwendigerweise früher. Weder könnten die Kategorien aus der Beziehung der Apperzeption auf eine sinnliche Anschauung überhaupt entspringen, noch wäre es überhaupt nötig, daß sie aus ihr entstünden, weil eine solche Beziehung schon das Entspringen dieser Begriffe aus unserem menschlichen Verstand voraussetzen würde. Die bloß gedachte Beziehung der Einheit der Apperzeption auf die sinnliche Anschauung überhaupt macht die Genesis von vielfältigen und inhaltlich verschiedenen Kategorien nicht verständlich und rechtfertigt nicht den Anspruch, daß der so konstituierte Verstand der Ursprung derselben ist. D. Wie die Deduktion A enthält die neue Fassung eine Erklärung des Ursprungs der Kategorien aus der Beziehung von Apperzeption und sinnlicher Anschauung, aber sie wird in die erste Etappe verlegt und damit umgedacht. Dadurch wird die Erklärungsmöglichkeit, die in der Deduktion A in den Blick genommen wird, endgültig beiseite gesetzt. Die neue Erklärung wird, wie in A, nicht zu einer wirklichen Ableitung des Systems der Kategorien und Urteilsfunktionen entfaltet, weil sie vordergründig bleibt und nach Kant zu einer solchen Ableitung nicht zureicht. Zum anderen können diese Formensysteme nach § 21 nicht weiter ergründet werden und bleiben insofern ein relatives Faktum. Hinzu kommt, daß diese neue Erklärung wegen der zusätzlichen Schwierigkeiten, die soeben berührt wurden, fragwürdig ist. E. Die Deduktion Β konstruiert in ihrer ersten Etappe die problematische Idee eines endlichen reinen Verstandes, aber diese Konstruktion gründet in der vorgängigen Bestimmung des Wesens des menschlichen reinen Verstandes. Von
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dieser Bestimmung her kann zwar gesagt werden, daß jeder nicht-menschliche endliche Verstand, wenn er überhaupt existiert, durch Synthesis verfährt und Regeln der Synthesis besitzen muß. Aber diese Konstruktion garantiert nicht, wie Kant anscheinend glaubt, daß solche Verstandeswesen dieselben kategorialen Regeln und dieselbe Logik wie der Mensch besitzen würden. Wenn die Mannigfaltigkeit einer sinnlichen Anschauung überhaupt völlig unbestimmt ist, dann kann sie weder das System der Kategorien und Urteilsformen erklären, noch die Allgemeingültigkeit eben dieser Formen für alle endlichen Vernunftwesen begründen. Wie diese Ausführungen zeigen, birgt die subjektive Deduktion der zweiten Auflage eine vielfache Dissonanz in sich, die das Wesen des Verstandes und den Ursprung der Kategorien betrifft. Aber gerade deshalb, weil sie ungelöste Probleme enthält, weist diese Auffassung das philosophische Denken über sie hinaus. Im Unterschied zum Text der ersten Auflage macht sie den subjektiven Ursprung der Kategorien zum Thema und legt damit die Frage nahe, wie jener Text dieses Problem entfaltet. Da sich die Deduktion Β überdies in die genannten Schwierigkeiten verwickelt, verweist sie selbst auf die subjektive Deduktion der Kategorien der ersten Auflage, die sich in dieser Hinsicht als die kohärentere herausstellt, insofern sie die Möglichkeit des menschlichen reinen Verstandes konstruiert und die Möglichkeit nahelegt, den Ursprung der Kategorien aus diesem Verstand zu denken. Zum anderen erweckt die Deduktion Β die Erwartung, daß man das System der Kategorien und der Urteilsformen aus der bloßen reinen Apperzeption ableiten könne. Da dieser Text dennoch diese Erwartung nicht zureichend erfüllt, weist er über sich hinaus in die Richtung, in der der Deutsche Idealismus von Fichte bis Hegel diesem Ziel zustrebt.
§ 33. Die Wandlungen des Schematismus
in der zweiten
Auflage
Die Deduktion Β ist ein neuer Text, der in den Bau der ersten Auflage eingefügt und von ihm eingerahmt ist. Sie fugt sich einerseits in diesen Rahmen ein, insofern auch sie auf ihre Weise die minor des Hauptbeweises begründet, daß die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sind. Auf dieser Basis kann sie zweimal zum Schlußsatz dieses Beweises gelangen (B 143-44, 165-66). Andererseits gehen die beiden Fassungen der Deduktion, wie gesagt, hinsichtlich der Auffassung des Subjekts auseinander. Das gilt auch fur die Beziehung der Deduktion Β zu anderen Stellen der alten Fassung. Daher muß Kant den letzten Absatz von § 14 (A 94-95) mit seinem Hinweis auf die drei Urvermögen aus der zweiten Auflage entfernen. Diese Dissonanz besteht aber zwischen der Deduktion Β und dem alten Paragraphen 10 weiter, insofern dieser nicht nur die drei Vermögen ausdrücklich erwähnt und
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Sein und Subjektivität bei Kant
sie zur Grundlage hat (A 78-79), sondern auch die Quelle der Synthesis der Einbildungskraft zuweist. Hinsichtlich des Schematismus liefert die Deduktion Β implizit neue Einsichten, die seine Funktion in der Anwendung der Kategorien betonen (§§ 24 ff.). Die Synthesis der Einbildungskraft ist nach dem ersten und dem dritten Absatz von § 24 eine spontane Handlung, durch die der Verstand die Sinnlichkeit, und zwar die Form des inneren Sinnes, bestimmt. Die Zeit enthält, fur sich betrachtet, nur potentiell eine Mannigfaltigkeit ohne bestimmte Verbindung. Wenn jene Synthesis die Zeit bestimmt, erzeugt sie in ihr eine synthetische Einheit nach Kategorien. Da dieses Produkt sowohl der allgemeinen Form der Erscheinungen als auch den Kategorien gemäß ist, gestattet es die Anwendung der Kategorien auf die Erscheinungen (B 150, 152). Es ist nicht schwer zu sehen, daß dieses synthetische Produkt das transzendentale Schema ist. Nach diesem Text gehen die Kategorien als bloße Formen einer synthesis intellectualis der Synthesis der Einbildungskraft vor, so daß diese nach ihnen handeln kann, um in der Zeit diese Schemata zu erzeugen (B 152). Obwohl der zweite Teil des Paragraphen 24 in erster Linie auf die Affektion des inneren Sinnes durch die Synthesis der Einbildungskraft gerichtet ist, bietet er indirekt neue Einsichten in die Erzeugung der Zeit und damit der transz. Schemata. Die Absätze fünf und sechs dieses Textes erklären, daß unser innerer Sinn affiziert wird, indem der Verstand, unter dem N a m e n der E i n b i l d u n g s k r a f t , das zusammenhangslose Mannigfaltige verbindet und bestimmt, das in jenem Sinn vorgegeben ist. Während diese Synthesis eine "bestimmte Anschauung", ein Bild, für die Einbildungskraft zum Vorschein bringt, fühlen wir damit zugleich innerlich, daß wir durch uns selbst bestimmt werden. Diese Selbstaffektion erzeugt synthetische Einheit der Erscheinungen, sowie auch des reinen Mannigfaltigen der Zeit und des Raumes, d.h. empirische oder reine Bilder. Im Unterschied zur ersten Auflage heben diese Passagen hervor, daß die Konstitution der Zeit und damit implizit der transz. Schemata die Konstitution des Raumes einbezieht. Die transz. Schemata sind dabei die ersten reinen Zeitbilder. Die genannten Stellen offenbaren implizit auch etwas von den transz. Schemata als Verfahrensweisen. Wir können uns "selbst die Zeit nicht" vorstellen, "ohne, indem wir im Ziehen einer geraden Linie (die die äußerlich figürliche Vorstellung der Zeit sein soll) bloß auf die Handlung der Synthesis des Mannigfaltigen, dadurch wir den inneren Sinn sukzessiv bestimmen, und dadurch auf die Sukzession dieser Bestimmung in demselben, achthaben" (B 154). Vorstellen der Zeit ist demgemäß ein Bewußtsein der Sukzession von Zeitphasen, welche beim Verbinden eines Raumes entspringt. Jedoch ist diese Linie nicht ohne weiteres und als solche das äußere Bild der Zeit, denn alle ihre Teile sind zugleich und nicht sukzessiv. Die Linie ist ein solches Bild der Zeit nur, während wir sie ziehen, und zwar auch nur dann, wenn wir dabei unsere Aufmerksamkeit von der Linie selbst ablenken (vgl. Β 155-56) und sie auf die kontinuierliche Handlung des Ziehens richten. Aber in diesem Verbinden finden
Der Schematismus in der zweiten Auflage
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wir auch nicht direkt die Sukzession, denn es als die Handlung, die die Sukzession erzeugt, ist "noch" nicht selbst sukzessiv. Da das räumliche Mannigfaltige im inneren Sinne sukzessive erscheint, muß jenes Verbinden den Sinn sukzessive affizieren, wenn es sich auf dieses Mannigfaltige bezieht. Diese Sukzession des verräumlichten Mannigfaltigen und letzten Endes die der reinen Mannigfaltigkeit der Zeit ist faktisch als sukzessives Erscheinen gegeben, aber sie ist im bloßen Sinn noch nicht für das Bewußtsein offenbar. Daher sagt Kant, daß im bloßen Sinn noch keine Verbindung des Mannigfaltigen existiert (B 154-55). Die Sukzession entspringt für das Bewußtsein nur dann, wenn beim Verbinden des räumlichen Mannigfaltigen zu einer Linie die Synthesis die Zeitphasen unterscheidet und verbindet, in denen jenes Mannigfaltige erscheint, und dadurch die Sukzession offenbar macht. Nur dann, und zwar in eins mit dem Entspringen dieser Sukzession, ist es möglich, sich dieser Sukzession des Erzeugens selber im inneren Sinn, d.h. in der Zeit, bewußt zu werden. Das verbindende Erzeugen, das an sich nicht zeitlich ist, erscheint nämlich dadurch, daß es die Sukzession konstituiert, nämlich durch die Rückwirkung dieses seines eigenen Handelns, selbst als sukzessiv. Nach dem zitierten Text ist das Bewußtsein der Zeitsukzession identisch mit dem Bewußtsein der Erzeugung der Sukzession. Dieses Bewußtsein ist ein solches eines Erzeugens und zugleich eines Sich-affiziert-Fiihlens durch diese Erzeugung. Nach dieser Stelle sind die Konstitution der Zeit und die des Raumes miteinander verschränkt. Eine andere Stelle von Β 156, die fur die These argumentiert, daß der innere Sinn das Selbst als Erscheinung anschaut, sagt auch, "daß wir die Zeit, die doch gar kein Gegenstand äußerer Anschauung ist, uns nicht anders vorstellig machen können, als unter dem Bilde einer Linie, sofern wir sie ziehen, ohne welche Darstellungsart wir die Einheit ihrer Abmessung gar nicht erkennen könnten ...". Die Konstitution der Zeit geschieht nur als die Erzeugung eines Raumes, ζ. B. einer Linie, was zweierlei impliziert: Ein Raumbild, z.B. eine Linie, ist nur dank dieser Erzeugung möglich; umgekehrt wird die Zeit nur konstituiert als Erzeugung eines Raumes und ist insofern in diesem fundiert. Obwohl sich dabei Zeit und Raum wechselseitig bedingen, behält die Zeit als Form des Erzeugens eine gewisse Führerschaft. 12 Des weiteren werden die entsprechenden Schemata damit implizit gestreift. Das Bewußtsein des Erzeugens der Zeit bzw. des Raumes weiß implizit um das jeweilige Wie des Erzeugens. Das reine Bild einer Zeit- bzw. einer Raumgröße enthält seinerseits sozusagen das geronnene Wie der Erzeugung. Was dieses Zeitbild betrifft, handelt es sich dabei um das transz. Schema der Größe, oder
12 In einem Textstück, das vermutlich zum Entwurf eines Briefes an A. W. Rehberg vom 25. Sept. 1790 gehört, drückt Kant aus, daß, wenn sich das Subjekt zum Objekt seiner Beobachtung macht, es die Zeit als eine Linie vorstellen muß, um sie als Quantum zu erkennen. Um diese Linie aber wiederum als Quantum zu erkennen, muß man sie in der Zeit konstruieren (AA XI, 210).
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wenigstens um einen Bestandteil desselben, der an der Konstitution einer kontinuierlichen Größe beteiligt ist. Für die Verschränkung der Konstitution von Raum und Zeit spricht ein weiterer Passus der zitierten Stelle Β 156, nach dem "... wir die Bestimmung der Zeitlänge oder auch der Zeitstellen für alle inneren Wahrnehmungen, immer von dem hernehmen müssen, was uns äußere Dinge Veränderliches darstellen, folglich die Bestimmungen des inneren Sinnes gerade auf dieselbe Art, als Erscheinungen in der Zeit ordnen müssen, wie wir die der äußeren Sinne im Räume ordnen." Die Zeitlänge betrifft die Quantität der Zeit, in der sich ein Ereignis abspielt. Die Zeitstellen sind die Orte, die wir den Erscheinungen zuweisen, indem wir bestimmen, welche als früher oder später anzusehen sind. Beide Aspekte, Zeitgröße und -stelle, entspringen einer Konstitution, die jeweils nach den transz. Schemata der Größe und der Relation verfährt. Zur Konstitution der Zeit und dynamischer Sachverhalte im Bereich der Schemata der Relation und zu ihrem Zusammenhang mit der Raumkonstitution vgl. oben § 25, C. Für die Leitfrage vorliegender Arbeit nach dem subjektiven Ursprung der Kategorien ist es wichtig, zu betrachten, wie sich beide Auflagen hinsichtlich des Zusammenhangs von Kategorien, Schematismus und der ursprünglichen Erwerbung jener Begriffe zueinander verhalten. Nach der ersten Auflage kommen die angeborenen Anlagen der Kategorien allererst in der Einbildungskraft als transz. Schemata zum Vorschein. Das Auftreten dieser Schemata und das Auf-den-Begriff-Bringen derselben bilden die ursprüngliche Erwerbung der Kategorien. Die Anwendung dieser Kategorien auf das Sinnliche wäre in diesem Falle unproblematisch. Fragwürdig bleibt aber in dieser ersten Phase, in der die kategorialen Begriffe noch nicht erworben sind, d.h. verborgen bleiben, wie die Einbildungskraft, ohne die Leitung dieser Begriffe, die möglichen, ihnen entsprechenden Synthesisweisen (Schemata) im Sinnlichen entdecktem jenen Bilder zu verschaffen. Andererseits würden die entschematisierten, "bloßen" Kategorien und die Urteilsfunktionen durch sukzessive privative Abwandlungen der ursprünglich erworbenen Kategorien entstehen. In der Deduktion Β ist die Lage anders. Der Verstand scheint von vornherein über fertige Begriffe der Urteilsfunktionen und der Kategorien als synthesis intellectualis zu verfugen. In diesem Falle stellt sich das Problem, wie Begriffe einer bloß intellektuellen Synthesis auf die Zeit anwendbar sind.13 Diese Frage könnte vielleicht so beantwortet werden, daß beide Bereiche, Sinnliches und Intellektuelles, nicht ganz heterogen, sondern im Grunde analog sind, insofern beide Mannigfaltiges und dessen synthetische Einheit zulassen. Aber die These, daß der Verstand von Anfang an über reine Begriffe verfugt, scheint mit der Lehre der ursprünglichen Erwerbung derselben aus der Synthesis der Einbildungskraft 13 Vgl. R 6359 (AA XVIII, 686).
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unvereinbar zu sein, die Kant in der Schrift gegen Eberhard (1790), also nach dem Erscheinen der zweiten Auflage der Kritik, noch vertritt. Man könnte zwar versuchen, diese Unvereinbarkeit aufzulösen, indem man sagte, die genannte Grundannahme der Deduktion Β sei eine problematische Konstruktion, die auf problematischen Ideen wie anschauendem Verstand und sinnlicher Anschauung überhaupt basierte, und die ursprüngliche Erwerbung der Kategorien aus der Einbildungskraft sei dagegen eine assertorisch gehaltene Lehre Kants. Aber ein solcher Lösungsversuch würde diese Grundannahme der Deduktion Β mit der Lehre der ursprünglichen Erwerbung nicht versöhnen, sondern nur zur Negation jener führen, so daß die Schwierigkeit bestehen bleiben würde. Ein anderer Versöhnungsversuch könnte vielleicht in der These bestehen, daß an sich der Gehalt der intellektualen Begriffe immer schon zum Verstände gehöre, aber zunächst als eine in ihm verborgene Anlage, so daß der Erkenntnisordnung nach die transz. Schemata als erste zum Vorschein kämen. Die dann auftretende Schwierigkeit haben wir schon oben erörtert (§ 27). Nach § 24 bringt die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft gemäß den "bloßen leeren" Kategorien eine synthetische Einheit der Zeit hervor, die die Bedingung jeder weiteren Anwendung der Kategorien auf die Erscheinungen ist (vgl. 150-51). Diese synthetische Einheit der Zeit ist das transz. Schema, aber als ein reines Bild.14 Die strengere Bestimmung des Schemas als des Verfahrens, ein solches Bild zu erzeugen, bleibt dabei implizit. Freilich könnte man sagen, daß, wenn diese Synthesis die Zeit und ihren empirischen Inhalt überhaupt verbindet, sie nicht nur ein Zeitbild produziert, sondern auch das Verfahren entdeckt, ein solches Bild immer wieder zu erzeugen.
14 Vgl. Β 154: "bestimmte Anschauung".
Sechstes Kapitel Eine alternative Deutung des Ursprungs der Kategorien
§ 34. Grenzen und Möglichkeiten der Selbstbegründung der Vernunft Wie die vorangehenden Kapitel gezeigt haben, vertritt Kant in beiden Fassungen der Transz. Deduktion die Lehre, daß die Einheit der Apperzeption und das Mannigfaltige der Sinnlichkeit in ihrer Beziehung aufeinander der Grund der Möglichkeit der Kategorien und damit auch der Urteilsfunktionen sind. Diese These weist freilich in jeder der beiden Fassungen Besonderheiten auf, die von der jeweiligen Theorie des Verstandes abhängig sind. Es wäre folgerichtig, wenn Kant dieser These gemäß das System der Kategorien in der genannten Beziehung der Grundvermögen gründete und von ihr her erklärte. Statt dessen lehrt §21, daß diese Begriffe zwar nur einem Verstände eignen, der auf die sinnliche Anschauung angewiesen ist, daß aber weder ihre Zahl noch ihr Gehalt "ferner", d.h. weiter begründet werden kann. Darin ist impliziert, daß, obwohl das System der Kategorien in dieser Beziehung der Vermögen und in ihrer Endlichkeit gründet, eine solche Begründung nicht zureichend ist und noch eine weitere nötig wäre, um alle die Besonderheiten dieses Systems zu erklären, daß aber diese tiefere Begründung wenigstens für uns unmöglich ist. Das genannte System ist also relativ faktisch. Zum anderen drückt die oben (§ 22) zitierte Stelle der Prolegomena (§ 36) nicht nur aus, daß eine weitere Begründung der reinen Verstandesbegriffe unmöglich ist, sondern sie deutet gleichwohl auch an, wie eine solche beschaffen sein müßte. Wie der vorangehende § 32 gezeigt hat, zeitigt die Art, wie die subjektive Deduktion Β den Verstand auffaßt, zusätzliche Hindernisse für eine mögliche Erklärung des Systems der Kategorien aus der Beziehung von Apperzeption und Sinnlichkeit. Auf die Schwierigkeiten dieser neuen Auffassung des Verstandes soll jetzt nicht weiter eingegangen werden. Es handelt sich nun vielmehr darum, den Hintergrund zu klären, von dem her Kant einerseits die Begründung der Kategorien durch die genannte Beziehung zwar für erforderlich, wenn auch zugleich für unzureichend hält, aber andererseits eine weitere, zureichende Begründung derselben als unmöglich ansieht. Die subjektive Deduktion des Verstandes in beiden Auflagen betrifft, wie oben mehrmals gesagt, die Möglichkeit (das Was-Sein) desselben. Daher geht es dabei
Selbstbegründung der Vernunft
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um die Erforschung der Gründe dieser Möglichkeit. So gründet z.B. die Synthesis der Apprehension in der der Reproduktion und diese in der der Rekognition (vgl. oben §§ 16, 18). Die subjektive Deduktion ist eine mögliche Tätigkeit der Vernunft (im weitesten Sinne), durch die diese ihre eigenen Strukturen begründet. Welche Grenzen und Möglichkeiten hat nun eine solche Selbstbegründung der Vernunft? Noch die Dissertatio von 1770 gründet die menschliche Vernunft in Gott, der zusammen mit dem Reich der Dinge an sich die Grundlage jener bildet. Diese Schrift ist noch ein Überbleibsel einer Tradition, welche den Ursprung der Ideen der menschlichen Vernunft in den Attributen Gottes sucht, die ihm in seinem Intellekt offenbar sind. Seit 1772, als Kant auf eine theologische Begründung der Möglichkeit der Erkenntnis a priori verzichtet (vgl. oben § 3), muß die menschliche Vernunft die Aufgabe übernehmen, sich selbst zu erklären und zu begründen. Mit dieser Entscheidung sieht sie sich als eine selbständige Offenbarkeit an, die gemäß ihren eigenen Formen der Anschauung und des Denkens alles und jedes erkennt und begründet, was ihr sinnlich zugänglich ist. Indem sich diese Vernunft kritisiert, gründet sie die Erfahrung und ihr Objekt in diesen ihren Formen a priori. Wie § 21 und andere Stellen andeuten, fragt sich die Vernunft aber auch, warum sie zwei Anschauungsformen, Raum und Zeit, hat, warum sie gerade diese und keine anderen Kategorien oder Urteilsfunktionen besitzt. Die zitierte Stelle der Prolegomena (§ 36) deutet außerdem noch folgende Fragen an: Wie ist die Eigenschaft der Sinnlichkeit möglich, daß ihr Mannigfaltiges notwendig auf die Apperzeption bezogen wird, bzw. wie ist es möglich, daß diese Apperzeption und mit ihr der Verstand notwendiges Korrelat jenes Mannigfaltigen ist? Will sagen, auf welchem Grund können beide Seiten dergestalt aufeinander bezogen sein? Außerdem fragt sich Kant an anderen Stellen, wie die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen der Sinnlichkeit mit den apriorischen Formen des Verstandes möglich sei (vgl. z.B. A 90). Alle diese Fragen gehen über die apriorischen Formen der Vernunft h i n a u s und zielen auf w e i t e r e G r ü n d e f ü r diese F o r m e n oder f ü r ihren Zusammenhang. Die erwähnte Stelle der Prolegomena deutet ferner an, welche Art von Gründen zur Beantwortung solcher Fragen nötig wären: "Wie aber diese eigenthümliche Eigenschaft unsrer Sinnlichkeit selbst, oder die unseres Verstandes und der ihm und allem Denken zum Grunde liegenden notwendigen Apperzeption, möglich sei, läßt sich nicht weiter auflösen und beantworten, weil wir ihrer zu aller Beantwortung und zu allem Denken der Gegenstände immer wieder nöthig haben." Das Sosein der Sinnlichkeit, des Verstandes usw. läßt sich nicht in einfachere Strukturen auflösen und auf sie zurückfuhren, so daß man durch sie jenes Sosein erklären könnte. Zum selben Thema äußert Kant an einer Stelle seines Briefes an M. Herz vom 26. Mai 1789: "Wie aber eine solche sinnliche Anschauung (als Raum und Zeit) Form unserer Sinnlichkeit oder solche Functionen des Verstandes, als deren die
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Logik aus ihm entwickelt, selbst möglich sey, oder wie es zugehe, daß eine Form mit der Andern zu einem möglichen Erkentnis zusammenstimme, das ist uns schlechterdings unmöglich weiter zu erklären, weil wir sonst noch eine andere Anschauungsart, als die uns eigen ist und einen anderen Verstand, mit dem wir unseren Verstand vergleichen könnten und deren jeder die Dinge an sich bestimmt darstellete, haben müßten: Wir können aber allen Verstand nur durch unseren Verstand und so auch alle Anschauung nur durch die unsrige beurtheilen" (AA XI, 51). Nach dieser Stelle würde eine weitergehende Erklärung unserer Vernunft erfordern, daß wir außer unseren menschlichen Erkenntnisvermögen eine andere Anschauungsart und einen anderen Verstand haben müßten, die die Dinge an sich offenbaren würden. Indem wir dann unsere menschlichen Vermögen, und zwar so, wie sie an sich selbst sind, mit diesen anderen, nicht-endlichen vergleichen würden, könnten wir die Gründe einsehen, warum unsere Formen a priori solche und so viele sind. Da dies uns wesenhaft verwehrt ist, können wir "allen Verstand nur durch unseren Verstand und so auch alle Anschauung nur durch die unsrige beurtheilen." Diese Angewiesenheit unseres Erkenntnisvermögens auf sich selbst und auf seine eigenen Formen wird auch in der zitierten Stelle der Prolegomena (§ 36) ausgedrückt. Wir können keine weiteren Gründe für die Möglichkeit des Verstandes, der Sinnlichkeit oder für deren Beziehung und damit fur die Kategorien angeben, weil wir "ihrer zu aller Beantwortung und zu allem Denken der Gegenstände immer wieder nöthig haben" (a. a. O.). Unsere Vernunft ist in einem solchen Verständnishorizont eingeschlossen und kann nicht über ihn hinausgehen. Sie versteht nicht nur alle Objekte auf Grund ihrer Formen a priori. Wenn sie sich selbst begreift, dann versteht sie auch sich in Hinblick auf die Vorbegriffe von Denken, Anschauung, Subjektivität usw., die sie mit sich bringt. Diese Bewegung des S ich verstehens ist von Kant an verstreuten Stellen als eine Art Kreisen gedeutet.1 Unsere Vernunft muß sich von sich selbst her verstehen. Sie hat keine anderen, vielleicht allgemeineren Begriffe von Denken, Anschauung usw., von denen her sie sich begreifen könnte. In einem in Β getilgten Text von A 244-45 wird bemerkt, daß wir die Urteilsfunktionen nicht definieren können, denn ihre Definitionen wären Urteile, die damit das zu Definierende schon in sich enthalten müßten. Hier klingt die Lehre des Aristoteles an, der gemäß das Definierte nicht in der Definition liegen darf. "Die logischen Funktionen der Urteile überhaupt: Einheit und Vielheit, Bejahung 1
In seinem Aufsatz "Über die unmögliche Möglichkeit, andere Kategorien zu denken als die unseren" (1988) berührt Th. M. Seebohm die hier beleuchtete Situation des endlichen Subjekts, das sozusagen in seinem eigenen Kategoriensystem gefangen bleibt. Auf Grund dessen kann das Kantische Subjekt durch privative Modifikationen dieser Strukturen seiner Offenbarkeit andere materiale Kategorien und Anschauungen ahnen, die ihm freilich bloß logische Möglichkeiten bleiben. Aber ein total verschiedenes System formaler Kategorien würden ihm ganz unverständlich bleiben.
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und Verneinung, Subjekt und Prädikat können, ohne einen Zirkel zu begehen, nicht definiert werden" usw. Aber es handelt sich dabei offensichtlich nicht um eine Tautologie, um ein Urteil, in dem dasselbe zweimal ausgesagt wäre, sondern darum, daß der Verstand seine Urteilsfunktionen schon hat und sich auf sie stützt, um sie zu verwenden und so über das Urteil überhaupt zu urteilen: z.B. "das Urteil besteht aus Subjekt, Prädikat und Kopula". Wir erkennen das Urteil durch ein Urteil. Ein Kreisen des Denkens findet dabei nur statt, insofern es sich in seinem Verständnishorizont hält, um über ihn zu reden. Nach einer Stelle A 346 kann das Ich nur durch die Gedanken, die seine Prädikate sind, erkannt werden, d.h. als Bewußtsein von ihnen. Wenn wir es von diesen Gedanken absondern, dann können wir keinen Begriff von ihm haben - "um welches wir uns daher in einem beständigen Zirkel herumdrehen, indem wir uns seiner Vorstellung jederzeit schon bedienen müssen, um irgend etwas von ihm zu urteilen; eine Unbequemlichkeit, die davon nicht zu trennen ist, weil das Bewußtsein an sich nicht sowohl eine Vorstellung ist, die ein besonderes Objekt unterscheidet, sondern eine Form derselben überhaupt ,.."2 Das Entscheidende ist hier nicht, daß wir dabei einen circulas vitiosus begehen, sondern daß das Denken der Letztheiten, das sich an der Grenze unserer Offenbarkeit bewegt, Gefahr läuft, in so etwas wie das gekennzeichnete Kreisen zu verfallen. Denn das Letzte und Erste ist nur durch sich selbst offenbar und kann nicht durch Rekurs auf etwas Ursprünglicheres verständlich gemacht werden. Das, was Kant hier als "Zirkel" interpretiert, ist eigentlich kein circulus vitiosus, weil es sich dabei nicht um einen Beweis handelt, bei dem man aus einer Prämisse über das "Ich denke" wiederum auf eben dieselbe schließt. Es handelt sich vielmehr um ein Denken, das auf Grund des "Ich denke" als Basis des Verstandes über diese Basis selber redet. So weit die erste Haltung Kants zu den genannten Fragen nach Letztheiten der Vernunft selbst. Sie besteht darin, daß diese Fragen nicht assertorisch zu beantworten sind, denn dies würde ein Hinausgehen über den Verständnishorizont des endlichen Subjekts verlangen, was diesem unmöglich ist. Das ist jedoch nicht die einzige Haltung, die Kant angesichts der Aufgabe der Selbstbegründung der Vernunft einnimmt. Er geht bei dieser Aufgabe faktisch andere Wege, die als Möglichkeiten in der Struktur der Vernunft gegründet sind. Der eine von ihnen ist, wie die bisher erörterte erste Haltung, transzendent, geht gewissermaßen über die Grenzen dieses Verständnishorizontes, aber auf eine eigene, neue Weise. Durch
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Es handelt sich dabei weder um einen Zirkel in der Definition des Ich noch um einen circulus in probando in den Syllogismen der rationalen Psychologie (denn Paralogismus ist nicht dasselbe wie Zirkel), sondern darum, daß wir uns des "Ich denke" bedienen müssen, wenn wir etwas von ihm aussagen wollen: z.B. "Ich denke, daß das Ich einfach ist." Vgl. dazu K. Düsing, "Endliche und absolute Subjektivität" in Hegels Theorie des subjektiven Geistes, Stuttgart 1990, S. 45-46.
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diesen zweiten Weg kann, wie gezeigt werden soll, Verschiedenes erzielt werden. Der dritte Weg bleibt dagegen innerhalb des genannten Horizontes und ist immanent. Die zweite, transzendente Haltung Kants anläßlich der Selbstbegründung der Vernunft besteht darin, daß die Vernunft problematisch über die Grenzen der Erfahrung hinausgeht, um Ideen zu denken, von denen her der Verstand verschiedene Aspekte der Erkenntnis und des Subjekts selbst erklärt. Kant berührt diese Operation, wenn er im Kapitel über Phaenomena und Noumena die Grenzbegriffe erörtert (A 253 ff.). Um die Begrenzung des Verstandesgebrauchs auf die sinnliche Anschauung und die Erscheinungen zu begründen, geht die Vernunft über die Grenzen der Erfahrung zur Idee des Noumenon als desjenigen etwas hinaus, das nicht Objekt der sinnlichen Anschauung ist. Ein solcher Begriff widerspricht erstens nicht dem schon kritisch gesicherten Begriff dieser Anschauung, denn dieser impliziert nicht, daß sie die einzig mögliche Art von Anschauung ist und daß die Erscheinungen die einzig möglichen Objekte sind. Zweitens hängt dieser Begriff mit unserer Erfahrung zusammen, sofern er etwas vorstellt, das nicht Objekt der sinnlichen Anschauung sein kann, und damit sowohl diese als auch den Verstandesgebrauch auf die Erscheinungen einschränkt und so begrenzt. Als eine solche Grenze ist dieser Begriff nicht willkürlich (A 255) und sogar unvermeidlich (A 256), denn er ist zur Ermöglichung der Moral und der synthetischen Erkenntnis a priori überhaupt nötig. Drittens ist dieses Hinausgehen der Vernunft über die Grenzen der Erfahrung zur Idee des Noumenon keine assertorische, sondern eine bloß problematische Erweiterung derselben, denn man erlangt dadurch weder eine positive Erkenntnis des Noumenon noch eine Einsicht in deren Möglichkeit. Damit ist dieser Weg von dem der ersten Haltung unterschieden. Eine solche Begrenzung der sinnlichen Erkenntnis und des Verstandesgebrauchs ist eine der möglichen Leistungen, die das Subjekt auf dem Wege dieses problematischen Transzendierens vollziehen kann. Eine andere ist die teleologische Begründung des Soseins des Subjekts selbst, die Kant in der Schlußpartie der Schrift gegen Eberhard berührt. Man kann nämlich fragen, warum Sinnlichkeit und Verstand um der Möglichkeit der Erfahrung willen miteinander zusammenstimmen. Von der problematischen Idee einer schöpferischen Intelligenz her kann man dann diese Harmonie so erklären, als ob sie ein zweckmäßiges Produkt eines solchen Wesens wäre (vgl. Über eine Entdeckung, AA VIII, 249 ff.). Wieder eine andere Leistung der problematischen Transzendenz der Vernunft besteht darin, von der Idee dieses anschauenden Verstandes her die Endlichkeit der menschlichen Erkenntnis zu bestimmen und damit das Wesen ihrer Formen zu begründen. Diese Idee ist nicht widersprüchlich, denn unser Verstand ist nicht der einzig mögliche; sie ist ferner nötig, um in Vergleichung mit ihr das Was unseres Verstandes abzugrenzen, aber sie besitzt für uns keine objektive Realität. Auf diese Weise begründet die Deduktion B, daß unser Verstand Kategorien haben muß, dadurch, daß er nicht anschauend und daher auf die sinnliche Anschauung
Selbstbegründung der Vernunft
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angewiesen ist, so daß er Regeln der Synthesis haben muß. Daß diese problematische Begründung nicht zureichend ist und daß die hier nötige weitere (assertorische) Begründung uns nicht möglich ist, deutet § 21 an. Neben den besagten zwei Haltungen Kants zur Frage einer Selbstbegründung der Vernunft nimmt er noch eine dritte ein, die man immanent nennen darf. Sie versucht, die Vernunft und ihre Struktur weder durch ein assertorisches noch durch ein problematisches Hinausgehen über die Grenzen der Erfahrung und des Selbstbewußtseins zu begründen, sondern hält sich bei dem, was innerhalb dieser Grenzen zugänglich ist. Das ist der Fall bei der Frage nach dem Grunde der Zusammenstimmung der Materie der Sinnlichkeit mit den Gesetzen des Verstandes. Ich gehe auf diese Frage auf Grund des soeben besprochenen Briefes an Herz und der Schlußpartie der Schrift gegen Eberhard kurz ein, in der Absicht, diese dritte Haltung mitsamt den zwei anderen zu belegen. Die Frage nach der Zusammenstimmung der Vermögen wird auch in dem genannten Brief an Herz behandelt. Gleich nach der oben zitierten Stelle dieses Briefes zur Frage nach der Möglichkeit der Sinnlichkeit, des Verstandes, ihrer Zusammenstimmung usw. sagt Kant: "Aber diese Frage zu beantworten ist auch gar nicht nöthig. Denn wenn wir darthun können, daß unser Erkentnis von Dingen [,] selbst das der Erfahrung [,] nur unter jenen Bedingungen allein möglich sey, so sind nicht allein alle andere Begriffe von Dingen (die nicht auf solche Weise bedingt sind) für uns leer und können zu gar keinem Erkentnisse dienen, sondern auch alle data der Sinne zu einer möglichen Erkentnis würden ohne sie niemals Obiecte vorstellen, ja nicht einmal zu derjenigen Einheit des Bewustseyns gelangen, die zum Erkentnis meiner selbst (als obiect des inneren Sinnes) erforderlich ist. Ich würde gar nicht einmal wissen können, daß ich sie habe, folglich würden sie fur mich, als erkennendes Wesen, schlechterdings nichts seyn" (a.a.O. 51-52). Es ist demnach nicht nötig, die Frage nach dem (transzendenten) Grunde der Zusammenstimmung der Erscheinungen mit den Kategorien zu beantworten, denn man kann dartun, daß die Kategorien Grund der Möglichkeit der Erfahrung sind, und damit, daß sich die Erscheinungen den Kategorien unterwerfen müssen, wenn sie för uns Objekte der Erfahrung sein sollen. Das ist die immanente Erklärung dieser Zusammenstimmung der Vermögen aus der Möglichkeit der Erfahrung, was fur die dritte Haltung charakteristisch ist. Mit diesen Stellen des genannten Briefes an Herz und der Anspielung auf Leibniz und seine prästabilierte Harmonie (a.a.O. 52) stimmt die Schlußpartie der Streitschrift gegen Eberhard überein. 3 "Von dieser Harmonie zwischen dem Verstände und der Sinnlichkeit, so fern sie Erkenntnis von allgemeinen Naturgesetzen a priori möglich macht, hat die Kritik zum Grunde angegeben, daß ohne diese keine
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Die Schrift gegen Eberhard, die in diesen Fragen mit dem Inhalt des Briefes an M. Herz zusammenhängt, erscheint ein Jahr später ( 1790).
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Erfahrung möglich ist ..." (AA VIII, 249). Kant geht dann in diesem Text zur ersten Haltung über: "Wir konnten aber doch keinen Grund angeben, warum wir gerade eine solche Art der Sinnlichkeit und eine solche Natur des Verstandes haben, durch deren Verbindung Erfahrung möglich wird, noch mehr, warum sie, als sonst völlig heterogene Erkenntnisquellen, zu der Möglichkeit eines Erfahrungserkenntnisses überhaupt... doch so gut immer zusammenstimmen, als wenn die Natur für unsere Fassungskraft absichtlich eingerichtet wäre ..."(ebd. 249-50). Das heißt, wir können zwar die Zusammenstimmung von Sinnlichkeit und Verstand mit Rücksicht auf die Möglichkeit der Erfahrung erklären, aber wir können nicht wiederum erklären, warum wir gerade solche Vermögen haben und warum sie zum Zweck der Erfahrung zusammenstimmen müssen. Die letzte Zeile dieses Zitats geht dann zur zweiten möglichen Haltung zu dieser Frage über: Wir können zwar diese Fakta nicht assertorisch durch einen transzendenten Grund erklären, aber wir können sie mindestens problematisch teleologisch deuten, d.h. so, "als wenn" die Erscheinungen fur unseren Verstand absichtlich eingerichtet wären (a.a.O.). Dieser Text belegt damit die hier unterschiedenen drei Haltungen Kants zur Frage nach der Selbstbegründung der Vernunft. Vorangehende Betrachtung hat den Rahmen ausdrücklich gemacht, innerhalb dessen die Frage gestellt werden kann, ob für die vorliegende Arbeit eine Möglichkeit besteht, die Begründung des Systems der Kategorien aus der Beziehung von Apperzeption und Sinnlichkeit dennoch durchzuführen.
Anhang. Weitere Stellen zur immanenten Begründung der Kategorien Da Kant zum einen die Beziehung von Apperzeption auf Einbildungskraft und Sinnlichkeit als Ursprung (ratio essendi) der Kategorien ansieht, aber zum anderen diese Begründung als unzureichend entkräftet, kann er an verschiedenen Stellen ohne Bedenken den Inhalt der Kategorien von dieser Beziehung her bestimmen, d. h. ohne befürchten zu müssen, damit in eine endgültige Erklärung derselben verwickelt zu werden. 4 Im folgenden sollen einige dieser Stellen als Ergänzung angeführt werden. Nach einer Stelle A 126 kann man den Verstand als "Vermögen der Regeln" bestimmen. Regel ist die allgemeine Vorstellung einer möglichen synthetischen Einheit des Mannigfaltigen (A 113). Was ist der Grund der Möglichkeit aller Regeln,
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Man kann vielleicht auf diese Weise die uneinheitliche Haltung der zweiten Auflage zur Begründung des Systems der Kategorien erklären. Während § 21, wie gesagt, seine Begründung in der Beschaffenheit unseres Verstandes für unzureichend hält, sagt eine Stelle des in dieser Auflage hinzugefügten Paragraphen 11, daß der Unterschied zwischen den mathematischen und den dynamischen Kategorien hinsichtlich des Vorkommens von korrelativen Begriffen "doch einen Grund in der Natur des Verstandes haben" muß (Β 110).
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unter ihnen der Kategorien? "Eben dieselbe Einheit der Apperzeption in Ansehung eines Mannigfaltigen von Vorstellungen (es nämlich aus einer einzigen zu bestimmen) ist die Regel und das Vermögen dieser Regeln der Verstand" (A 127, Hervorgh.Vf.). Der gesuchte Grund der Regeln ist die Einheit der Apperzeption in Beziehung auf das Mannigfaltige, und diese Einheit ist deshalb die Regel, d. h. die Urregel. In der "Summarischen Vorstellung", die die Deduktion A abschließt, sucht Kant zu zeigen, daß diese Deduktion richtig ist, weil sie die einzige Möglichkeit entfaltet, die objektive Realität der Kategorien zu beweisen. Eine solche Deduktion ist in der Tat in Beziehung auf Dinge an sich nicht durchfuhrbar. "Dagegen, wenn wir es überall nur mit Erscheinungen zu tun haben, so ist es nicht allein möglich, sondern auch notwendig, daß gewisse Begriffe a priori vor der empirischen Erkenntnis der Gegenstände vorhergehen" (A 129). Wenn die Erscheinungen nur als mannigfaltige Vorstellungen der Sinnlichkeit existieren, die insgesamt zu einem identischen Bewußtsein gehören, dann müssen sie in synthetischer Einheit stehen (a. a. O.). "Also geht die Art, wie das Mannigfaltige der sinnlichen Vorstellung (Anschauung) zu einem Bewußtsein gehört, vor aller Erkenntnis des Gegenstandes, als die intellektuelle Form derselben, vorher, und macht eine formale Erkenntnis aller Gegenstände a priori überhaupt aus, sofern sie gedacht werden (Kategorien)" (A 129-30). Die Möglichkeit der Kategorien gründet demnach in dieser Beziehung des sinnlichen Mannigfaltigen zur Apperzeption. Nach der KrVA (216) stellen die Analogien die synthetische Einheit der Erscheinungen hinsichtlich ihres Daseins unter gewissen Exponenten dar, die das Verhältnis der Zeit zur Einheit der Apperzeption ausdrücken.5 In der Preischrift vom Anfang der neunziger Jahre, die unter dem Titel Fortschritte der Metaphysik usw. bekannt ist, sagt Kant: "Es werden also so viel Begriffe a priori im Verstände liegen, worunter die Gegenstände, die den Sinnen gegeben werden, stehen müssen, als es Arten der Zusammensetzung (Synthesis) mit Bewußtsein, d.i. als es Arten der synthetischen Einheit der Apperception des in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen giebt" (AA XX, 271). Die Gattung ist hier die Zusammensetzung (Synthesis) mit Bewußtsein, und sie wird aus der Beziehung von Einheit und Mannigfaltigkeit, Apperzeption und Anschauung
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Zu den hier angeführten Stellen aus der KrV ist die Anmerkung Β 201 -2 hinzuzufügen, die die Einteilung der Grundsätze und damit indirekt die der Kategorien von der Einteilung der transz. Synthesis der Einbildungskraft her erklärt. Vgl. unten § 37. Vgl. ferner die oben (S. 203) zitierte Stelle aus dem losen Blatt Β 12: "Dadurch [d.h. durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft] wird ein Begriff vom Gegenstande überhaupt gedacht nach den verschiedenen Arten der transzendentalen Synthesis. Die Synthesis geschieht in der Zeit." "Nun sind die Kategorien nichts anders als Vorstellungen von Etwas (Erscheinung) überhaupt so fern es durch transc. Synthesis der Einbildungskraft vorgestellt wird." "Die transcendentale Synthesis der Einbildungskraft liegt allen unseren Verstandesbegriffen zugrunde."
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Sein und Subjektivität bei Kant
gedacht. S. 274 wird das Schema a priori als reine Anschauung, und zwar "der synthetischen Einheit der Apperzeption des Mannigfaltigen der Anschauung gemäß", bestimmt. 6 In dem Brief an J. H. Tieftrunk vom 11.12. 1797 (AA XII, 222 f.) kennzeichnet Kant das allen Kategorien Gemeinsame als den Begriff des Zusammengesetzten überhaupt und als die synthetische Einheit der Apperzeption. Das in diesem Begriff gemeinte Mannigfaltige ist andererseits das der Anschauung Gegebene. Das entsprechende Zusammensetzen dieses Mannigfaltigen in einem Bewußtsein geschieht im Schematismus (222, vgl. 470). Eine Stelle auf der folgenden Seite kann sogar in dem Sinne gedeutet werden, daß die Einteilung der Kategorien von der Beschaffenheit des Mannigfaltigen herrührt: "Alle Categorien gehen auf etwas a priori Zusammengesetztes und enthalten, wenn dieses gleichartig ist, mathematische Funktionen, ist es aber ungleichartig dynamische Functionen". Gemeint ist die erste Dichotomie dieser Einteilung.
§ 35. Entwurf einer alternativen Begründung des
Kategoriensystems
Die vorangehende Klärung der Selbstbegründung der Vernunft gestattet es nun, auf die Frage einzugehen, ob es nicht doch einen Weg gibt, die Begründung des Systems der Kategorien aus der Beziehung von Apperzeption und Sinnlichkeit zu vollziehen. Diese Frage entspringt nicht etwa einem hartnäckigen Versuch, eine Möglichkeit, die man bei einer flüchtigen Lektüre der Kritik in den Blick genommen hat, auf Biegen oder Brechen endlich doch noch zu verwirklichen. Sie entspringt vielmehr der "hermeneutisehen Situation", die sich aus dem vorangegangenen Weg schlichtweg ergeben hat. Die genannte Frage kann nämlich, nach den Ausführungen des vorigen Paragraphen, nicht transzendent-assertorisch beantwortet werden, weil ein solcher Weg der menschlichen Vernunft ungangbar ist. Sie kann zwar transzendentproblematisch beantwortet werden, im Sinne der Pragraphen 15-20 der Deduktion B, aber diese Antwort ist nach den Überlegungen unseres Paragraphen 32 fragwürdig und verweist daher den Leser auf die in der Deduktion A liegende Möglichkeit zurück. Eine "immanente" Begründung des Systems der Kategorien in der Beziehung von Apperzeption und menschlicher Sinnlichkeit ist jedoch fur Kant vordergründig und unzureichend. Sie ist unzureichend, weil sie diese Vermögen und deren Bezogenheit als Fakta voraussetzt, die sie nicht weiter begründet. 7 6
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In der Metaphysik von Schön (AA XXVIII, Erste Hälfte) ist folgender Satz enthalten: "Man sieht hieraus, daß alle reine Verstandesbegriffe nichts anders sind, als Begriffe von der Vereinigung des Mannigfaltigen in einem Bewußtseyn.." (482). Die entsprechende Vorlesung wird von Lehmann gegen Ende der achtziger Jahre datiert (vgl. a. a. 0.1370). Kant bemerkt in den Prolegomena, daß das synthetisch aufgebaute System der KrV"noch nichts als gegeben zum Grunde legt, außer die Vernunft selbst, und also, ohne sich auf irgendein Faktum zu
Alternative Begründung des Kategoriensystems
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Keiner dieser drei Wege scheint also zu einer zufriedenstellenden Beantwortung der Frage zu fuhren. Aber der dritte derselben hat unleugbare Vorzüge vor den anderen. Auf diesem Weg kann man auf Grund von "Gegebenheiten", die der Vernunft zugänglich sind, zu assertorischen (bzw. apodiktischen) Antworten auf die gestellte Frage gelangen. Diese Antworten bilden zwar keine Letztbegründung, aber sie stellen eine Art vor-letzter Begründung dar, die nach der Kritik die einzige ist, die unserer endlichen Vernunft zugänglich ist.8 Es handelt sich also darum, eine Möglichkeit zu entfalten, die in der ersten Auflage der Kr V enthalten ist, die aber Kant aus den erörterten Gründen nicht verwirklicht. 9 Aber worin kann der Versuch bestehen, eine im Text eines Denkers beschlossene Möglichkeit zu entfalten? Welchen eigentümlichen Aufgaben muß ein solches Unterfangen gerecht werden? Vor allem ist es nötig, zu zeigen, daß diese Möglichkeit in dem Text wirklich vorliegt und aus welchen Gründen der Denker zu einer solchen Möglichkeit gelangt. Diese Aufgaben sind durch die vorangehenden Partien dieser Arbeit gelöst. Es fehlt noch, den Inhalt dieser Möglichkeit in seinen Implikationen zu entfalten. Nun ist jede Möglichkeit eine solche im Rückbezug auf eine ihr entsprechende "Wirklichkeit". Den Inhalt einer Möglichkeit einsehen erfordert daher, den Gehalt ihrer korrelativen "Wirklichkeit" zu bestimmen, was gewöhnlich auf den Versuch hinausläuft, sich diese Wirklichkeit zu vergegenwärtigen. Demgemäß gilt es, in eigener Ausführung die Verwirklichung der genannten Möglichkeit im Kontext der Kritik zu bewerkstelligen. Obwohl im Vorangehenden schon klar geworden ist, w a r u m Kant diese Möglichkeit nicht ergreift, könnte dennoch diese "Verwirklichung" weitere Einsichten in dieses Problem gewähren. Endlich stellt sich die Frage, ob die so ausgelegte Möglichkeit, von ihrem traditionellen Kontext befreit, als Aufgabe fur ein künftiges Denken vorbereitet werden kann. Bei der selbständigen Entfaltung dieser Möglichkeit muß man ferner vermeiden, das Resultat dieser Deutung Kant selber zuzuschreiben. Es bleibt als einzig
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stützen" (AA IV, 274-75) stattfindet. Die Vernunft ist zwar kein empirisches Faktum, aber sie ist ein vorgegebener Grund der Kritik. In dem soeben angeführten Brief an Herz vom 26. Mai 1789 legt Kant die Fragen Maimons mit diesen Worten dar: "wie kan ich selbst von diesen Functionen des Verstandes, deren Dasein in demselben auch bloß ein Factum ist, die Nothwendigkeit beweisen" (AA XI, 50). Gerhard Funke weist an verschiedenen Stellen seiner Schriften vom Standpunkt der Phänomenologie Husserls darauf, daß Kant die Bedingungen der Möglichkeit der Transzendentalphilosophie nicht zum Thema gemacht hat sondern vielmehr die Verfassung des menschlichen Subjekts sowie die Möglichkeit, diese zu erkennen, naiv voraussetzt. Vgl. "Subjekt, Subjektivismus, Subjektität und transzendentaler Idealismus" ( 1961 ). Daß die Transzendentalphilosophie immer wieder auf ihre jeweils erzielten Resultate sowie auf die im Lauf der Geschichte neu auftretenden Leistungen des Bewußtseins reflektieren muß, ist ein Hauptmotiv des Funkeschen Grundwerkes Phänomenologie - Metaphysik oder Methode? Auf eine nähere Erörterung der anderen, in der Einleitung umrissenen möglichen Antworten auf die Frage nach dem subjektiven Ursprungs der Kategorien gehe ich hier nicht weiter ein.
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Sein und Subjektivität bei Kant
gangbarer Weg, daß der Verfasser auf eigene Verantwortung die genannte "immanente " Begründung des Kategoriensystems entfaltet, als eine Möglichkeit, die das kritische Denken faktisch gehabt und die es offensichtlich beiseite gelassen hat. Demgemäß versuche ich, den Text der Deduktion A im Lichte folgender Thesen zu interpretieren: 1. Der Verstand im engeren Sinne ist ein unselbständiges Moment des Erkenntnisvermögens (des Verstandes im weiteren Sinne) als eines organisierten Ganzen. 2. Die reinen Verstandesbegriffe gründen ihre Möglichkeit in der Beziehung der drei Urvermögen innerhalb dieses Ganzen, und aus dieser Beziehung entspringen alle ihre Besonderheiten. 3. Es ist möglich, aus dieser Beziehung die Produktion der transz. Schemata darzulegen und damit das System der Kategorien zu erklären.
§ 36. Die zwei Begriffe von " Verstand' und ihr Zusammenhang Wie oben (§ 22) dargelegt wurde, bestimmt Kant A 119 das Wesen des Verstandes und antwortet damit konkret auf die Frage nach der Möglichkeit des Vermögens zu erkennen, deren Erklärung das Ziel der subjektiven Deduktion ist. Der Verstand ist dieser Stelle nach die Beziehung der Einheit der Apperzeption auf die Synthesis der Einbildungskraft. 10 Kant kann dabei jedoch eine Bedeutungsschwankung des Wortes "Verstand" nicht vermeiden. In demselben Absatz, der diese Bestimmung des Verstandes enthält, fugt er betreffs der Vorstellungen a priori, die zu dieser Beziehung gehören, folgendes hinzu: "Dieses sind aber die Kategorien, d.i. reine Verstandesbegriffe, folglich enthält die empirische Erkenntniskraft des Menschen notwendig einen Verstand, der sich auf alle Gegenstände der Sinne, obgleich nur vermittelst der Anschauung und der Synthesis derselben durch Einbildungskraft bezieht...". Das Wort "Verstand" bedeutet hier offensichtlich nicht jene Beziehung, sondern nur einen ihrer Extrempole, und zwar die Einheit der Apperzeption mit den Kategorien. Das ist der Sinn, in dem der Dritte Abschnitt betitelt ist: "Von dem Verhältnisse des Verstandes zu Gegenständen überhaupt" Ebenso sagt Kant am Ende der "aufsteigenden" Deduktion über die Einbildungskraft: "Vermittelst deren bringen wir das Mannigfaltige der Anschauung einerseits ... mit der Bedingung der notwendigen Einheit der reinen Apperzeption andererseits in Verbindung. Beide äußerste Enden, nämlich Sinnlichkeit und Verstand, müssen vermittelst dieser transzendentalen 10 Hier und in dem nächsten Paragraphen werden Stellen aus A 119,111 -12 und A 124 gestreift, die schon oben in § 22 diskutiert wurden. Obwohl beide Interpretationen miteinander zusammenstimmen, dient die Erörterung dieser Stellen hier dem Ziel, eine von Kant nicht entfaltete Möglichkeit auszuarbeiten.
Zwei Begriffe von Verstand
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Funktion der Einbildungskraft notwendig zusammenhängen..." (A 124). "Verstand" bedeutet hier auch nicht die oben genannte Beziehung, sondern nur eines ihrer Korrelate: die reine Apperzeption. Kant ist sich dieser doppelten Bedeutung des Wortes "Verstand" bewußt und unterscheidet A 97 von vornherein zwischen dem Verstand als Vermögen zu denken und demselben als Vermögen zu erkennen. Demgemäß müßte man die zitierte Stelle von A 124 in dem Sinne deuten, daß der Verstand als Vermögen zu erkennen den Verstand als Vermögen zu denken "enthält". Was ist aber die genauere Bedeutung von "Vermögen zu denken"? Bedeutet dieser Ausdruck nur die reine Apperzeption als eines der drei Urvermögen des Erkennens? Oder meint er ein Vermögen, das neben der Apperzeption schon immer einen Vorrat an Urteilsformen und reinen Begriffen besitzt und sich erst nachträglich auf die Einbildungskraft bezieht? Diese Fragen fuhren auf andere, noch grundlegendere zurück. Was heißt die These, daß der Verstand als Vermögen zu erkennen in drei Urvermögen gründet? Ist er ein Aggregat von Elementen, die unabhängig voneinander existieren könnten? Oder ist er ein Ganzes, das seinen drei Teilen vorausgeht, so daß der Verstand als Vermögen zu denken ein unselbständiges Moment wäre? Diese Fragen können zunächst einmal durch eine allgemeine Überlegung beantwortet werden. Der Kantischen Auffassung der menschlichen Vernunft als eines organisierten Ganzen gemäß muß man annehmen, daß das Erkenntnisvermögen ein solches Ganzes ist und kein bloßes Aggregat. Die Ursprünglichkeit der Funktionen der drei genannten Vermögen schließt ihre reziproke Abhängigkeit innerhalb dieses Ganzen nicht aus. Sowohl die Mannigfaltigkeit als auch die wechselseitige Abhängigkeit dieser Funktionen sind gleichursprünglich. Die Bestimmung des Verstandes als Beziehung zwischen Apperzeption und Einbildungskraft setzt die Endlichkeit im Sinne der Andersheit von Denken und Anschauung sowie die Artikulation dieser in einem organisierten Ganzen voraus. Wenn dem so ist, dann kann man daraus entnehmen, daß das Vermögen zu denken mit seinen reinen Begriffen kein selbständiges Element ist, das für sich allein dasein könnte, sondern es hängt von seiner Beziehung auf die Sinnlichkeit durch die Einbildungskraft ab. Diese These kann zweitens aus dem Text der Deduktion A bewiesen werden. Der vierte Teil des Zweiten Abschnitts, der " Vorläufige Erklärung der Möglichkeit der Kategorien als Erkentnisse a priori" betitelt ist, enthält die entscheidende Stelle von A 111-12, die oben (§ 22) angeführt und besprochen wurde, nach der die Möglichkeit und Notwendigkeit der Kategorien auf der Beziehung der Sinnlichkeit mit ihren Erscheinungen auf die Apperzeption beruht. Inwiefern gründen jene Möglichkeit und jene Notwendigkeit der reinen Begriffe in dieser Beziehung? Ohne Beziehung der Erscheinungen und reinen Anschauungen auf die Einheit der Apperzeption wäre synthetische Einheit des Mannigfaltigen und damit Erkenntnis unmöglich. Diese Beziehung ist also Grund der Möglichkeit der Kategorien als
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Regeln der synthetischen Einheit. Bei dieser Beziehung tendiert ferner das Bewußtsein danach, sich in das Mannigfaltige zu zerstreuen und zu verlieren, so daß es zum Selbstbewußtsein seiner eigenen Identität nicht zurückfinden kann, wenn es nicht das Mannigfaltige zu einer notwendigen Verbindung zwingt, was eine Synthesis nach Kategorien erfordert. Demnach sind die Kategorien bei dieser Beziehung von Mannigfaltigkeit und Einheit zur Ermöglichung des Selbstbewußtseins notwendig. Die genannte Beziehung ist damit ratio essendi der Kategorien. Wenn dem so ist, wie steht es dann mit unserer Frage, ob der Verstand als Vermögen zu denken ein selbständiges Vermögen ist oder ein unselbständiges Moment des Verstandes als Erkenntnisvermögens? Wenn die Kategorien nur in der genannten Beziehung der Apperzeption auf die Mannigfaltigkeit möglich und notwendig sind, dann kann jene Einheit nicht für sich allein, sondern nur innerhalb dieses organisierten Ganzen Quelle der reinen Begriffe sein. Die Apperzeption ist zwar eine ursprüngliche Quelle der Einheit, aber ihre Begriffe sind nur innerhalb dieses Ganzen möglich. Der Verstand ist eine solche Beziehung der Apperzeption auf die Synthesis und durch sie auf die Sinnlichkeit, weil jene den Stoff zum Denken nicht erzeugt und daher auf die "niederen" Vermögen angewiesen ist. Aus diesem Grunde ist dieser Verstand kein Urvermögen, sondern eine Beziehung zwischen ursprünglicheren Vermögen. Das schließt die Möglichkeit aus, daß die Apperzeption von sich aus Urteilsformen und reine Begriffe besitzen würde. Infolgedessen kann "Verstand" im Sinne des Vermögens zu denken bedeuten: a) die bloße reine Apperzeption. In diesem Fall ist diese als Urvermögen ein Konstituens des Verstandes als organisierten Ganzen, b) Wenn man dagegen "Vermögen zu denken" im Sinne eines Vermögens der Begriffe und Urteile versteht, dann handelt es sich um ein Derivat dieses gesamten Erkenntnisvermögens, das dann entsteht, wenn man durch eine reduktive Abstraktion innerhalb dieses Ganzen das Vermögen isoliert, sich etwas im Allgemeinen vorzustellen. Diese Abstraktion ist Bedingung der Möglichkeit der allgemeinen formalen Logik. Das ist der Sinn, in dem es gilt, den oben zitierten Passus von A 65 zu deuten, demgemäß die Kategorien ein System bilden, weil sie dem Verstand als einem abgelösten, selbstgenügsamen Vermögen entspringen, das nicht durch äußerliche Zutaten vermehrt werden kann, also als einer "absoluten Einheit" (A 67). Diese Einheit ist das Vermögen zu denken, d.h. zu urteilen (A 68 ff.), welches jedoch das Ergebnis der genannten Abstraktion ist, die das bloße Denken aus dem Ganzen des Erkenntnisvermögens herausreißt.
Ursprung der Kategorien in der Einbildungskraft
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§37. Der subjektive Ursprung der Kategorien in der tranzendentalen Synthesis der Einbildungskraft In der obigen Interpretation von Texten der ersten Auflage der Kritik wurde gezeigt, wie die transz. Synthesis der Einbildungskraft der Ausgangspunkt der begrifflichen Vorstellung der Kategorien ist. Sie ist der subjektive Ursprung der Kategorien im Sinne ihrer acquisitio originaria (vgl. Kap. II). Nun gilt es, auf Grund einiger Stellen zu zeigen, daß diese Auflage auch die Möglichkeit nahelegt, daß diese Synthesis der subjektive Ursprung derselben im Sinne ihrer ratio essendi ist. Demnach ist der transz. Schematismus nicht mehr die erste Aktualisierung eines Inhalts, der schon in einem isolierten Denkvermögen angelegt wäre, sondern der Ursprung dieses Inhalts selbst. Die Behauptung Kants, daß dieser Inhalt schon darin angelegt war, muß dann in dem Sinne gedeutet werden, daß er in der
Beziehung der drei Urvermögen vorbereitet lag. Das schließt zugleich die Möglichkeit aus, daß die Einbildungskraft für sich allein der Ursprung der Kategorien sein könnte. Ihr Inhalt entspringt eigentlich aus der Appperzeption und Sinnlichkeit vermittels der Synthesis der Einbildungskraft. Um diese Fragen weiter zu klären, müssen wir einige Stellen der Abschnitte 2 und 3 der Deduktion A aufs neue betrachten, die wir oben (§ 2 2 ) erörtert haben. Folgender Passus von A 124 bezieht sich ausdrücklich auf eine Art Genese der Kategorien: "Diese Apperzeption ist es nun, welche zu der reinen Einbildungskraft hinzukommen muß, um ihre Funktion intellektuell zu machen. Denn an sich selbst ist die Synthesis der Einbildungskraft, obgleich a priori ausgeübt, dennoch jederzeit sinnlich, weil sie das Mannigfaltige nur so verbindet, wie es in der Anschauung erscheint, z. B . die Gestalt eines Triangels." Die geometrische Synthesis erzeugt j e w e i l s ein in Raum und Zeit vereinzeltes Bild. Obwohl dieser Synthesis das entsprechende Schema mit offenbar ist, das hier als "Funktion" bezeichnet wird, bleiben dabei die Synthesis und ihr Schema anschaulich, d.h. auf die Einzelheit bezogen. Um dieses Schema nun intellektuell zu machen, d. h. auf einen B e g r i f f zu bringen und damit die geometrische Erkenntnis des Bildes z. B . als eines Triangels zu ermöglichen, muß zur Synthesis ein Selbstbewußtsein derselben hinzukommen. D i e s e s H i n z u k o m m e n der Apperzeption zur S y n t h e s i s ist eine W e i s e j e n e r Beziehung, die das Wesen des Verstandes ausmacht. Hier klingt die Lehre des Paragraphen 10 wieder an: das Auf-den-Begriff-Bringen der reinen Synthesis der Einbildungskraft als Bildung der reinen Verstandesbegriffe. In diesem Zusammenhang muß dann der darauffolgende Satz von A 124 interpretiert w e r d e n : " D u r c h das V e r h ä l t n i s des M a n n i g f a l t i g e n aber zur Apperzeption werden B e g r i f f e , w e l c h e dem Verstände angehören, aber nur vermittelst der Einbildungskraft in Beziehung a u f die sinnliche Anschauung zustande kommen können." Die hier gemeinte Beziehung ist nicht mehr die der Apperzeption auf die Einbildungskraft, sondern die weiterreichende Beziehung
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jener auf die Sinnlichkeit. Beiden Beziehungen ist jedoch gemeinsam, daß sie die Genesis von Begriffen betreffen, die dem Kontext nach die Kategorien sein müssen. Worin unterscheiden sich diese Beziehungen voneinander? Welche von ihnen ist die ursprünglichere? Welche Bedeutung hat die im letzten Satz gestreifte Beziehung der drei Urvermögen für die Frage nach der transz. Genesis der Kategorien? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir zu jenem Passus von A 119 zurückkehren, in dem die absteigende Deduktion gipfelt. Nach dieser Stelle ist die zuerst genannte Beziehung der Verstand selbst. Wie oben (§21) gesagt, Kant gelangt zu dieser Beziehung im Laufe einer Interpretation, bei der er die subjektiven Bedingungen in einer bestimmten Ordnung einfuhrt, nicht nur um der Möglichkeit der Erfahrung willen, sondern auch mit Rücksicht auf die schon eingeführten Bedingungen. Die Beziehung der Einheit auf die Synthesis und auf die Begriffe gehört dabei zu den späteren Gliedern dieser Ordnung. Vor ihr tritt eine noch ursprünglichere Beziehung der Einheit des Selbstbewußtseins auf das Mannigfaltige der Sinnlichkeit auf. Sie macht erst die synthetische Einheit des Mannigfaltigen sowie die Synthesis möglich und notwendig, die sie erzeugen kann (A 117-18). Diese ist die andere, engere Beziehung, von der A 124 die Rede ist. Dergestalt ist die Synthesis der Einbildungskraft zwar ein ursprüngliches "Phänomen", insofern sie noch nicht in der bloßen Einheit oder im Mannigfaltigen enthalten ist, aber sie ist zugleich etwas, das in der teleologischen Konstruktion aus der Beziehung beider entspringt. In diesem Sinne kann man von einer transzendentalen Genesis der Synthesis reden, ohne daß dies ein zeitliches Ereignis bedeutete. Analoges gilt für die Kategorien. Erst nachdem die transz. Synthesis so zum Vorschein kommt, entspringt die Möglichkeit und die Notwendigkeit der reinen Begriffe, sowohl zur Ermöglichung der Erfahrung als auch der Synthesis und der Apperzeption selber. Das ist die transzendentale Genesis der Kategorien. Eben dies spiegelt sich an der Stelle von A 119 wider. Nachdem Kant den Verstand als Beziehung der Einheit der Apperzeption auf die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft bestimmt hat, fügt er hinzu: "Also sind im Verstände reine Erkenntnisse a priori, welche die notwendige Einheit der reinen Synthesis der Einbildungskraft, in Ansehung aller möglichen Erscheinungen, enthalten. Dieses sind aber die Kategorien"." Das heißt, wenn sich die Einheit der Apperzeption auf die Synthesis bezieht, dann muß es in dieser Beziehung reine Begriffe zur Einheit dieser Synthesis selber geben. Wenn der Verstand eine solche Beziehung a priori ist, dann müssen seine Begriffe gerade Vorstellungen sein, die zu dieser Beziehung gehören. Das besagt phänomenologisch, daß wir uns diese Begriffe in einem Selbstbewußtsein der transz. Synthesis vorstellen. Das ist der Sinn, in dem das "Ich d e n k e " "das V e h i k e l aller B e g r i f f e ü b e r h a u p t u n d m i t h i n auch der transzendentalen" ist (A 341). In jedem von ihnen liegt implizit ein "Ich denke die
11 Das Wort "Also" ist von mir kursiv gesetzt.
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Substanz, die Ursache usw." (343), d.h., ich denke sie in Richtung auf die Synthesis der Einbildungskraft und auf das entsprechende Schema. Von hierher können die Fragen beantwortet werden, die bei der Deutung des Passus von A 124 offenblieben: 1. Die in ihm erwähnten Beziehungen sind in der Tat verschiedene. Die eine, ursprünglichere, ist die Beziehung der Einheit des Bewußtseins auf die sinnliche Mannigfaltigkeit, aus welcher Beziehung die Synthesis entspringt. Die andere ist die spätere Beziehung dieser Einheit auf die Synthesis, welche Beziehung A 119 als Verstand bezeichnet wird. 2. In dieser letzteren Beziehung werden die Kategorien als intellektuelle Vorstellungen erworben (ursprüngliche Erwerbung). 3. Wenn dem so ist und wenn, nach demselben Passus, aus der ursprünglicheren Beziehung "Begriffe, welche dem Verstände angehören, aber nur vermittelst der Einbildungskraft, in Beziehung auf die sinnliche Anschauung zustande kommen können", dann kann man in einer Hinsicht sagen, daß diese Begriffe noch nicht die Kategorien sind. Aus der genannten Beziehung entspringt zunächst die Synthesis und aus dieser, in ihrem Verhältnis zum Mannigfaltigen, entspringen die transz. Schemata. Diese müssen in der Tat schon dasein, wenn sie dann noch auf Begriffe gebracht werden sollen. In einer anderen Hinsicht kann jedoch mit A 124 gesagt werden, daß aus der Beziehung der Einheit des Bewußtseins auf das sinnliche Mannigfaltige die Kategorien entspringen, denn obwohl diese als Begriffe aus den Schemata gebildet werden, darf man sagen, daß sie dem Inhalt nach mit diesen Schemata bereits zum Vorschein kommen. Daraus ergibt sich, daß die Genesis der Kategorien in Gestalt zweier Etappen zustande kommt, zuerst als die Entstehung der transz. Schemata und dann als das Auf-den-Begriff-Bringen derselben. Von da an gehören sie als Begriffe dem Verstände an, aber ihr Inhalt entspringt schon in der ersten Etappe. Obwohl die soeben betrachteten Stellen sich auf die Genesis der Kategorien im Sinne der ursprünglichen Erwerbung beziehen, führt uns das Ergebnis des vorangehenden Paragraphen dazu, in dieser Genesis zugleich die Entstehung derselben aus dem transz. Schematismus zu sehen. Diese Einsicht stellt uns vor die Aufgabe, ausgehend vom Schematismus-Kapitel und auf Grund der Interpretation desselben im obigen Paragraphen 27 zu zeigen, wie der Inhalt der Kategorien bei der Produktion der transz. Schemata entspringt. In § 26 sind sechs Einsichten in die Produktion des Schemas überhaupt gewonnen worden, die jetzt im Blick behalten werden müssen: 1. Wie das Bild ist das Schema eine bestimmte synthetische Einheit, die durch die Synthesis der Einbildungskraft produziert wird. 2. Das Mannigfaltige, das in solcher Einheit verbunden ist, sind Handlungen als Phasen der Synthesis der Einbildungskraft. Diese selbst erzeugt ihre eigenen Synthesisweisen. 3. Da diese Handlungen auf einen sinnlichen Stoff bezogen sind, muß die Produktion des Schemas die Besonderheiten des Stoffes
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berücksichtigen, auf den dieses Schema angewendet werden soll, und sie muß in eins mit der Produktion der entsprechenden Bilder stattfinden. 4. Die Produktion eines Schemas muß immer von einem Zweck geleitet sein, sei es von einem schon bestehenden oder sei es von einem möglichen Begriff, ζ. B. von der "Einheit in der Bestimmung der Sinnlichkeit" (A 140), die die Apperzeption fordert. 5. Die verschiedenen Typen von Schemata werden durch verschiedene Typen von Synthesen produziert. 6. Die Produktion des Schemas ist von der Einheit der Apperzeption und der sinnlichen Anschauung in Beziehung aufeinander ermöglicht. Die Produktion der transzendentalen Schemata muß außerdem ganz eigentümliche Charaktere haben: 7. Sie produziert nicht Schemata zu Bildern oder Begriffen von besonderen Objekten, sondern von jeglichem Objekt überhaupt. 8. Deren Produktion muß keinen besonderen sinnlichen Stoff berücksichtigen, sondern die Mannigfaltigkeit der und in der Zeit schlechtweg. 9. Die Produktion der transz. Schemata ist ein Modus der Autonomie, d.h. eine Weise, in der der Verstand als Erkenntnisvermögen sich selbst durch die Synthesis der Einbildungskraft Gesetze gibt. 10. Diese Produktion ist nicht durch bestimmte vorbestehende Begriffe geleitet, sondern durch die Form jedes möglichen Begriffes, d.h. durch die synthetische Einheit überhaupt, die von der Apperzeption gefordert wird. Wie muß der Ausgangspunkt der so gekennzeichneten Produktion der transz. Schemata beschaffen sein? Im Falle der empirischen Schemata ist die faktische Anwesenheit einer Konstellation von Empfindungen dasjenige, was der Einbildungskraft vorschreibt, aus dieser den angemessenen Synthesismodus zu "erlernen". Zum anderen bietet die reine Anschauung der Einbildungskraft den Stoff, an dem sich diese frei, aber zugleich im Rahmen der Bedingungen der Anschauung, betätigen kann, um auf diesem Weg die dabei möglichen Synthesisweisen zu entdecken. Im Falle der transz. Schemata handelt es sich um die allgemeinsten Synthesisweisen der menschlichen Anschauung. Sie liegen immer zugrunde, wenn die Einbildungskraft ein empirisches oder ein mathematisches Schema produziert, d. h., sie sind die "frühesten" aller Schemata. Demgemäß muß ihre Produktion eine erste "natürliche", d. h. faktische und unwillentliche Beziehung der reinen Apperzeption auf die sinnliche Mannigfaltigkeit der Zeit und in der Zeit sein. Diese Schemata betreffen eine erste Einigung dieses Stoffes, und insofern stellen sie dieses Mannigfaltige mit vor. Zum anderen sind sie an sich eine Mannigfaltigkeit von Synthesisregeln, die voneinander verschieden sind. Können aus der genannten Beziehung und ihren Korrelaten beide Aspekte des transz. Schemas entspringen? Die reine Apperzeption in Beziehung auf die Mannigfaltigkeit ist synthetisch. Sie ist eine Forderung von Einigung des Mannigfaltigen, eine Forderung, die gleichsam die Urregel der Synthesis ist. Aber diese Forderung ist, fur sich betrachtet, noch unbestimmt; sie ist noch nicht in vielfältige und verschiedene Einigungsweisen entfaltet. Noch mehr: Die Apperzeption kann aus sich selbst weder die Mannig-
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faltigkeit und Verschiedenheit ihrer Regeln noch die des sinnlichen Mannigfaltigen erzeugen, das diese Regeln indirekt mit vorstellen. Damit verhält es sich erstens so, weil das Denken, das sich im "Ich" denkt, gänzlich einfach ist und keine Mannigfaltigkeit enthält. Da dieses Selbstbewußsein zweitens endlich ist, kann es aus sich selbst keine Mannigfaltigkeit erzeugen, auch nicht die seiner Kategorien und transz. Schemata. Diese Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit muß demnach einen anderen Ursprung haben. Andererseits ist die Einbildungskraft auch nicht schöpferisch im absoluten Sinne. Sie kann gewiß neue Vorstellungen erzeugen, aber nur als Re-produktionen von vergangenen Vorstellungen oder als neue Kombinationen der sinnlich gegebenen Mannigfaltigkeit. Es ist ferner nicht schwer einzusehen, daß die Einbildungskraft als endliches Vermögen das Mannigfaltige nicht beliebig verbinden kann. Wenn sie nämlich ihr Mannigfaltiges erschaffen würde, könnte sie es vielleicht beliebig verbinden, und falls sie dazu Regeln benötigen würde, könnte sie sie frei aufstellen, oder sie würde sie immer schon mit sich bringen. Da die Einbildungskraft aber endlich ist, hängt sie von der Mannigfaltigkeit ab, die ihr die Sinnlichkeit verschafft, und kann nur auf bestimmte Weisen verbinden, die die Beschaffenheit des Mannigfaltigen berücksichtigen. Wenn also a) die Apperzeption einfach ist und das Mannigfaltige nicht erschaffen kann; wenn b) die Einbildungskraft ebenso endlich ist und daher gemäß den Bedingungen des sinnlichen Mannigfaltigen verbinden muß; wenn endlich c) die Anschauung dieses Mannigfaltige verschafft: dann muß man in dieser, in ihrer Beziehung auf die Einheit der Apperzeption, den Ursprung der Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit der transz. Schemata suchen. Es findet sich ein Passus der Fortschritte, der in die Richtung der gegenwärtigen Überlegungen weist. Um sich einen reinen Begriff der Räume und Zeiten machen zu können, ist es nötig, daß es synthetische Einheit der Apperzeption bei der Verbindung eines reinen Mannigfaltigen gibt, "welche Einheit des Bewußtseins nach Verschiedenheit der anschaulichen Vorstellungen der Gegenstände in Raum und Zeit, verschiedene Funktionen, sie zu verbinden, erfordert, welche Kategorien heißen ..." (AA XX, 275-76, Hervorgh. Vf.). In der zweiten Auflage fügt Kant am Beginn der "Systematischen Vorstellung aller synthetischen Grundsätze" (B 201-2) eine Anmerkung hinzu, die die Einteilung des Systems dieser Urteile durch die Einteilung der Weisen der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft erläutert und sogar implizit erklärt. Die oberste Gattung ist dabei Verbindung (des sinnlichen Mannigfaltigen der Zeit oder in der Zeit). Deren Unterarten sind Zusammensetzung (mathematische Verbindung) und Verknüpfung (dynamische Verbindung), die sich dann in die bekannten vier Klassen weiter einteilen. Für die jetzt verhandelte Frage ist dabei relevant, daß Kant als Einteilungsgrund dieser Gattung bzw. Arten jeweils Bestimmungen des zu verbindenden Mannigfaltigen anführt. So unterscheiden sich die ersten Unterarten
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darin, daß die Zusammensetzung ein Mannigfaltiges betrifft, das nicht notwendig zueinander gehört, während die Verknüpfung auf das Mannigfaltige geht, das notwendig zueinander gehört. Dasselbe gilt für die weitere Einteilung dieser Unterarten in Klassen. Die Verschiedenheit der Kategorien hängt demnach wenigstens zum Teil von der Verschiedenheit der anschaulichen Vorstellungen ab. Jedoch macht eine solche These weitere Klärungen nötig. A) Die Anschauung ist nicht für sich allein der Ursprung der Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit der transz. Schemata, sondern nur in Beziehung auf die Einheit der Apperzeption. Das Angeschaute ist in der Tat ein Mannigfaltiges, das noch nicht wirklich eine bestimmte Einigungsweise hat. Genaugenommen ist das Angeschaute nicht einmal ein Mannigfaltiges; es enthält noch keinen Unterschied, oder es enthält ihn nur potentiell. Die bloße Mannigfaltigkeit ist nämlich schon Produkt einer bestimmten Synthesisweise, die Einheiten voneinander unterscheidet und sie als eine lose Menge vor dem Bewußtsein zusammenstellt. Aber die Synthesis kann diesen Typ von synthetischer Einheit nur wirklich machen, weil das Anschauliche dazu potentiell vorbereitet ist. Das Angeschaute ist demnach zwar für sich unbestimmt, aber es ist bestimmbar, d. h. synthetisch artikulierbar, und zwar nicht beliebig, sondern in Einklang mit seiner potentiellen Beschaffenheit. In der Absicht, die Anschauung vom Begriff überhaupt zu unterscheiden, hebt Kant an mehreren Stellen hervor, daß sie eine eigene Natur besitzt. Als Anschauung sind Raum und Zeit ursprüngliche, kontinuierliche und unendliche Ganzheiten. Diese Seinsweise muß von der Synthesis in ihrer Anwendung auf die Anschauung berücksichtigt werden. Sie kann nämlich nicht beanspruchen, z.B. den Raum aus einfachen Raumelementen zusammenzusetzen. Zur Natur dieser Anschauungen gehört ferner z.B., daß die Zeit nur eine Dimension hat: "verschiedene Zeiten sind nicht zugleich, sondern nacheinander (so wie verschiedene Räume nicht nacheinander, sondern zugleich sind." (A 31). Obwohl die Sukzession nur für ein Bewußtsein existiert, das sie synthetisch "produziert", erschafft es nicht die sukzessive Ordnung der Zeit, sondern macht nur etwas ausdrücklich, das dieser selbst ursprünglich angehört. All das muß gegenüber der Tendenz des Neukantianismus betont werden.12 Des weiteren werden die geometrischen Erkenntnisse mittels der Synthesis aus der Raumanschauung gewonnen und sind nicht bloß Schöpfungen der Einbildungskraft (vgl. A 25). Die Axiome der Geometrie (z.B. zwischen zwei Punkten ist nur eine gerade Linie möglich, und zwei gerade Linien schließen keinen Raum ein) drücken die "Bedingungen der sinnlichen Anschauung a priori" 12 Nach K.Düsing (1995, S. 67) hat die Zeit als Form der Sinnlichkeit schon Bestimmungen wie Beharrlichkeit bzw. Verfließen der Zeitphasen sowie die Sukzession und Simultaneity der Erscheinungen in ihr, also Anordnungsverhältnisse, die die Zeit "nicht erst durch die transzendentale Zeitbestimmung gewinnt". Diese Bestimmungen bleiben allerdings in der Zeit potentiell verborgen, bis die Einbildungskraft sie aktualisiert.
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aus, "unter denen allein das Schema eines reinen Begriffs der äußeren Erscheinung zustande kommen kann" (A 163). Der Begriff einer zwischen zwei geraden Linien eingeschlossenen Figur ist daher eine unmögliche Vorstellung, denn er widerstreitet "den Bedingungen des Raumes und der Bestimmung desselben" (A 220-21). Ganz analog birgt auch die reine Anschauung der Zeit faktische Verbindungsmöglichkeiten potentiell in sich. Wenn dem so ist und wenn die Einheit der Apperzeption eine noch unbestimmte Forderung nach Einigung enthält, müssen aus der Beziehung von Apperzeption und Sinnlichkeit nicht nur die Synthesis, sondern auch die ersten und allgemeinsten Regeln der Synthesis unserer Anschauung entspringen. Diese Genesis besteht darin, daß sich das einheitliche Selbstbewußtsein auf die Zeit bezieht und, indem es deren Einigung fordert, allererst zum Vorschein bringt, wie sich das Zeitmannigfaltige verbinden läßt, so daß es diese Verbindungsmöglichkeiten zugleich zu notwendigen Regeln der Synthesis überhaupt erhebt. B) Obzwar die erste Kennzeichnung der transz. Schemata von A 136-39 diese auf Modi der Synthesis der Zeit reduziert, zeigen sowohl die Darlegung dieser Schemata A 142-45, als auch die der Grundsätze des reinen Verstandes, daß der transz. Schematismus auch den Raum und das empirische Angeschaute überhaupt einschließt. Da dies in den Paragraphen 25 und 33 sowie im sich anschließenden Paragraphen 38 demonstriert wird, begnüge ich mich hier mit folgenden Hinweisen. Die Zeit ebenso wie der Raum als Formen des empirischen Stoffes können nur in eins mit diesem angeschaut werden. Es ist, wie gesagt, unmöglich, die Zeit für sich allein zu bestimmen. So konstituiert man zwar eine Zeitstrecke als extensive Größe, indem man z.B. eine Tonfolge unterscheidet und abzählt. In diesem Falle ist der sinnliche Stoff nur eine Stütze für die Anwendung des Schemas der Zahl. Es gibt aber andere transz. Schemata, wie die der Qualität, die gerade das Verhältnis der Empfindung und der Zeit betreffen. Deshalb muß die vorhergehende These über die Genesis dieser Schemata folgendermaßen ergänzt werden: Die möglichen faktischen Weisen, in denen das Mannigfaltige verbunden werden kann, betreffen nicht nur die Zeit, sondern auch den empirischen Stoff in der Zeit, und zwar in Beziehung zu dieser. Gehören aber diese letzteren Möglichkeiten nicht in den Bereich der empirischen Synthesis? Läuft man damit nicht Gefahr, den transz. Schemata und damit den Kategorien einen empirischen Ursprung zuzuweisen? In den soeben angeführten Fällen handelt es sich zwar um Verhältnisse zwischen der empirischen und der reinen Anschauung (Schemata der Qualität und der Modalität) oder um Verhältnisse der empirischen Anschauungen zueinander im Bereich der reinen Anschauung (Schemata der Relation). Aber diese Verbindungsmöglichkeiten sind nicht empirisch, weil sie nicht zufällige Verhältnisse von bestimmten Empfindungen
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betreffen, sondern notwendige Möglichkeiten der Empfindungen überhaupt, die in der Natur der reinen Anschauung gegründet sind. Daß Empfindungen überhaupt in der Zeit stehen können, sei es zugleich oder sei es sukzessiv, ist eine Erkenntnis a priori. Dazu ist der oben zitierte Passus von A 343 zu erinnern, demgemäß die Betrachtung der inneren Erfahrung und ihrer Möglichkeit oder der Empfindung überhaupt und ihrer Beziehung zu einer anderen Empfindung, ohne daß dabei auf die empirische Besonderheit derselben eingegangen würde, keine empirische Erkenntnis ist, sondern a priori und transzendental. Kant vermerkt ferner, daß die Prädikabilien, d. h. die abgeleiteten reinen Verstandesbegriffe, u. a. durch die Kombination der Kategorien mit der Materie der Erscheinungen, "sofern sie noch nicht empirisch bestimmt ist (Gegenstand der Empfindung überhaupt)" (AA IV, 323-24), gebildet werden können. Endlich muß berücksichtigt werden, daß der transz. Schematismus auch den Raum einschließt. Wir können uns zwar einer subjektiven Sukzession von Empfindungen und mit ihr einer subjektiven Zeit als unbestimmter Größe bewußt sein, ohne den Raum dabei explizit mit zu berücksichtigen. Das ist ebenso möglich, wenn man verschiedene Grade der Erfüllung der Zeit durch eine Empfindung erfahrt. Mit den Schemata der Relation beginnt dagegen die Notwendigkeit, daß die transzendentale Synthesis das in dem Räume empirisch Existierende betrifft. Nur ein Körper in ihm kann als Substanz beharren. Die Beziehungen von Ursachen und Wirkungen und der Wechselwirkung sind nur zwischen Zuständen von körperlichen Substanzen möglich, die räumlich getrennt sind. Damit ist unsere Interpretation des Fundaments der Genesis der transz. Schemata vollständig: Dieses Fundament ist die Beziehung der Einheit der Apperzeption auf die Mannigfaltigkeit der Anschauung. Da dieses Selbstbewußtsein die Einigung des Mannigfaltigen notwendig macht und dadurch die bisher verborgenen Verbindungsmöglichkeiten des Mannigfaltigen der Zeit sowie des Raumes und der Empfindung überhaupt in der Zeit zum Vorschein bringt, muß dieser Einigungszwang diese Möglichkeiten zugleich zu den allgemeinsten Regeln der Synthesis erheben.
§ 38. Erklärung des Systems der Kategorien aus der Produktion der transzendentalen Schemata Nach der im Vorangehenden skizzierten Interpretation gilt es, die Produktion der transzendentalen Schemata aus der Beziehung der Einheit der Apperzeption auf die sinnliche Mannigfaltigkeit darzulegen, um von daher das System der Kategorien in all seinen Besonderheiten zu erklären. Nachfolgende Darlegung setzt die Einsichten voraus, die bei der ersten Deutung der transz. Schemata (§ 26) gewonnen wurden.
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A. Die Grundidee des Systems Die transz. Schemata bilden ein System, das sogar die ursprüngliche Form des Systems der Kategorien ist. Jedes System gründet in einer Idee, die das Ganze vorstellt, zu dem die Glieder des Systems gehören. Die Idee des Systems der transz. Schemata ist die notwendige synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Zeit und in der Zeit überhaupt für ein Selbstbewußtsein. Es ist nicht schwer zu sehen, daß eine solche Vorstellung der synthetischen Einheit nur möglich ist, wenn das Mannigfaltige der Anschauung auf die Einheit des Bewußtseins in Beziehung steht. Die transz. Schemata sind nur verschiedene Modi dieser Idee. Mit dieser Deutung stimmt ein oben (§ 34, Anhang) angeführter Passus der Fortschritte (AA XX, 271) überein, demgemäß der Begriff der Zusammensetzung der Grundbegriff a priori ist, der den Kategorien zugrunde liegt. Diese sind "Arten" der "synthetischen Einheit der Apperzeption des in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen" (a.a.O.) und gründen damit in der Beziehung zwischen beiden Vermögen.13
B. Die Einteilung des Systems in vier Klassen Nach dem, was im vorangehenden Paragraphen gesagt wurde, müssen die Differenzen, die die Idee des transz. Schemas überhaupt einteilen, aus der Beschaffenheit des Mannigfaltigen der menschlichen Anschauung in Beziehung auf die Einheit der Apperzeption stammen. Diese Differenzen müssen a priori sein und primär in der reinen Anschauung der Zeit als Form jeder empirischen Anschauung wurzeln. Aber da die Zeit als Form nicht ohne den sinnlich-empirischen Stoff offenbar sein kann, müssen die in Frage stehenden Differenzen in der reinen Anschauung, und zwar primär in der Zeit wurzeln, aber nicht nur in dieser selbst, sondern auch in ihrer Beziehung zur Empfindung überhaupt. Es ist seltsam, daß die Grundidee in vier Klassen zerfällt, denn wie Kant selbst behauptet, ist die logische Einteilung die Dichotomie. 14 Diese Tetrachotomie ist jedoch nur das Ergebnis von zwei sukzessiven Dichotomien. Die erste derselben hat darin ihren Ursprung, daß der anschauliche Stoff aus einer doppelten Perspektive vereinigt werden kann.
13 Nach dem Brief Kants an J. H. Tieftrunk vom 11. 12.1797 ist der Begriff des Zusammengesetzten allen Kategorien gemeinsam und liegt ihnen zugrunde. Dieser Begriff wird durch das Bewußtsein des Zusammensetzens des empirischen Mannigfaltigen in derZeit gedacht, "welches durch den Schematism der Urtheilskraft geschieht". Vgl. AA XII, 222. 14 Vgl. K. Reich , Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel, 77, wo er auf R 5697 und 5859 verweist.
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Ein empirischer Stoff kann in der reinen Form der Zeit angeschaut werden oder nicht angeschaut werden. Angeschautsein kommt dem Sichzeigen, der Präsenz dieses Stoffes in der Zeit gleich, im Unterschied zu dessen Absenz, dem NichtAngeschautsein in ihr. Letzteres ist wohlgemerkt aber nicht eigentlich die bloße Abwesenheit von Anschauung, sondern die Anschauung einer Abwesenheit von etwas in der Zeit. Die Existenz (bzw. Inexistenz) der Erscheinungen und diese als Existierende bieten sich dergestalt als eine eigene Perspektive für mögliche Synthesen dar. Wenn man auf der anderen Seite von diesem Gegensatz zwischen Präsenz und Absenz absieht, dann visiert man die bloße Anschauung, das empirische oder reine Sichzeigen, als eine andere Perspektive an, aus der ein gleichartiges Mannigfaltiges in voneinander verschiedenen Bildern vereinigt werden kann. In dem Unterschied zwischen diesen Bildern zeigt sich das, was jedes von ihnen ist, seine Bestimmtheit. Das ist die Perspektive der Möglichkeit, d.h. des Was (quid) der Erscheinungen und der reinen Bilder. Diese zwei Bestimmungen, die Existenz und die Möglichkeit, die in dem anschaulichen Stoff in seiner Beziehung auf die Einheit des Bewußtseins potentiell beschlossen liegen, gestatten es, die Grundidee der synthetischen Einheit in zwei Klassen einzuteilen, je nachdem die Synthesis das Was der Erscheinungen oder ihre Existenz betrifft. In dieser Beziehung zwischen Apperzeption und Anschauung liegt also der Ursprung der Differenz zwischen Existenz und Wesen.15 In der Kritik gibt es mehrere Stellen, die auf diese Dichotomie der Kategorientafel verweisen. Β 110 sagt Kant, "daß sich diese Tafel, die vier Klassen von Verstandesbegriffen enthält, zuerst in zwei Abteilungen Zerfällen lasse, deren erstere auf Gegenstände der Anschauung (der reinen sowohl als empirischen), die zweite aber
15 Das ist im Grunde dieselbe Theorie über den Unterschied zwischen Wesen und Existenz in § 76 der KU. Nach diesem Text ist ein solcher Unterschied bei einem unendlichen Seienden wie dem göttlichen Verstand nicht möglich, denn alles, was er denkt, existiert sofort durch seine Schöpferkraft. Jede von ihm gedachte Wesenheit oder Idee schließt die Existenz der entsprechenden Einzelheiten ein. Da die menschliche Erkenntnis im Gegenteil durch die Andersheit von Denken und sinnlicher Anschauung konstituiert ist, ist das, was wir denken, zunächst ein bloß mögliches Was und unterscheidet sich von dessen absoluter Position in der Anschauung. Dieser Unterschied ist relativ zu einem endlichen Erkennen. Das soll aber nicht so verstanden werden, als ob dem Verstand fur sich die Vorstellung des Was und der Sinnlichkeit für sich die Vorstellung des Daß zukommen würde. Der endliche Verstand ist dabei auf doppelte Weise auf die Anschauung bezogen, denn er muß in der Regel den Stoff der Washeiten von ihr bekommen, und diese sind nur solche in Beziehung auf mögliche Einzelheiten in der Anschauung. Umgekehrt schaut die Sinnlichkeit Existenz nur an, wenn das Sinnliche schon vom Begriff her bestimmt worden ist, d.h. aus der Beziehung auf den Verstand. Beide, Verstand und Sinnlichkeit, können ihre eigene Leistung nur aus der vorgängigen Beziehung der Apperzeption auf Zeit und Raum vollziehen. Diese Beziehung ist das das Einheitliche, das dem Unterschied von Wesen und Existenz zugrunde liegt, denn sie ermöglicht sowohl die Was-Unterschiede der Vielen zueinander, als auch die Differenz von Anwesenheit und Abwesenheit der Vielen.
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auf die Existenz dieser Gegenstände (entweder in Beziehung aufeinander oder auf den Verstand) gerichtet sind" (Hervorgh.Vf.). "Die erste Klasse würde ich die der mathematischen, die zweite der dynamischen Kategorien nennen" (a. a. O.)· A 160 liest man: "In der Anwendung der reinen Verstandesbegriffe auf mögliche Erfahrung ist der Gebrauch ihrer Synthesis entweder mathematisch, oder dynamisch: denn sie geht teils bloß auf die Anschauung, teils auf das Dasein einer Erscheinung überhaupt." Endlich gehen nach A 178 die mathematischen Grundsätze "auf Erscheinungen ihrer bloßen Möglichkeit nach", während die anderen Grundsätze "das Dasein der Erscheinungen a priori unter Regeln bringen sollen" (A 179). Auf der Basis dieser ersten Einteilung baut sich die zweite Dichotomie auf. Jede der zwei Klassen der ersten Einteilung teilt sich wiederum auf Grund anderer Differenzen, die als Möglichkeiten in dem anschaulichen Mannigfaltigen in seiner Beziehung auf die Einheit der Apperzeption beschlossen sind. Aus der Perspektive des bloßen Sichzeigens von etwas in der Zeit begegnen einerseits (1) verschiedene reine Zeit-, Raum- oder empirische Bilder und andererseits (2) verschiedene "Stärken" der Anwesenheit der Empfindungen in der Zeit. In beiden Fällen handelt es sich um eine homogene Mannigfaltigkeit, in der Teile abgegrenzt werden können, die nicht notwendig zueinander gehören (B 201) und daher willkürlich in dem einen oder anderen Bild vereinigt werden können. Aus jeder dieser neuen Perspektiven von Synthesis läßt das Angeschaute es zu, auf eine besondere Weise verbunden zu werden, um im einen Falle extensive und im anderen intensive Größen entstehen zu lassen. Daraus entspringt die Einteilung der mathematischen Synthesisweise in zwei Klassen von transz. Schemata: 1. Quantität und 2. Qualität. Zum anderen begegnen aus der Perspektive der Existenz (oder Inexistenz) der Erscheinungen in der Zeit zwei neue, sekundäre Möglichkeiten von Synthesis. Eine Erscheinung, insofern sie in der Zeit existiert, läßt es zu, (3) entweder mit anderen in der Zeit anwesenden Erscheinungen oder (4) mit der Zeit selbst überhaupt (B 110, 201) synthetisch vereinigt zu werden. Das sind zwei mögliche Differenzen, die die Abteilung der dynamischen Synthesis in zwei neue Klassen von transz. Schemata einteilen: 3. Relation und 4. Modalität. Zwischen dieser Unterteilung der dynamischen Abteilung und der der mathematischen besteht eine gewisse Analogie. In beiden Fällen betrifft die erste Unterklasse (d.h. Quantität bzw. Relation) Beziehungen zwischen mannigfaltigen Bildern in der Zeit (und im Räume), während die zweite Unterklasse (Qualität bzw. Modalität) auf Beziehungen zwischen dem Mannigfaltigen und der Zeit selbst geht. Der angeführte Text von Β 110 drückt aus, daß die Abteilung der dynamischen Kategorien auf die Existenz der Objekte der Anschauung "entweder in Beziehung aufeinander oder auf den Verstand" geht (vgl. A 178).16 16 In dem oben erwähnten Brief an Tieftrunk vom 11. 12. 1797 teilt Kant den obersten Begriff des Zusammengesetzten an erster Stelle ein, insofern das Mannigfaltige entweder gleichartig (mathematisch) oder ungleichartig (dynamisch) ist. Der zweite Schritt verläuft folgendermaßen: Das gleichartig Zusammen-
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C. Die Dreiteilung jeder Klasse Die logische Einteilung ist, wie Kant bemerkt, dichotomisch und gründet im Satze vom ausgeschlossenen Dritten (R 3030) oder im Satze vom Widerspruch (R 3031). Daher ist es überraschend, daß jede Klasse von transz. Schemata bzw. Kategorien durch eine Trichotomie eingeteilt wird. Kant deutet die Auflösung dieser Merkwürdigkeit Β 110 an: "die dritte Kategorie [entspringt] allenthalben aus der Verbindung der zweiten mit der ersten ihrer Klasse". Eine Anmerkung der Prolegomena § 39 (AA IV, 325-26) erklärt, "daß die dritte [Kategorie] aus der ersten und zweiten in einen Begriff verbunden entspringe". Bevor ich meine Interpretation zu dieser Frage umreiße, sollen einige logische Reflexionen (AA XVI) berücksichtigt werden. Nach R 3021 kann die Einteilung eine solche von entgegengesetzten oder disparaten Gliedern sein: "Die letztere, wenn sie a priori durch Begriffe geschieht, ist jederzeit trichotomie". In der R 3030 betrachtet Kant außer der Dichotomie, die im Satz vom ausgeschlossenen Dritten gründet, die Polytomie, die auf dem Satz vom Grund beruht. Hier erkennt er, im Unterschied zu R 3026, nach der alle Polytomie empirisch ist, eine transzendentale Division an, die auf Begriffe geht, "die a priori eine Synthesis enthalten oder vorschreiben". In diesem Fall kann 1) diese Synthesis in einer Tetrachotomie oder 2) ein synthetischer Begriff a priori in einer Trichotomie eingeteilt werden. Jenes kann die vier Klassen von Kategorien, dieses dagegen jede einzelne dieser Klassen betreffen. Die Grundidee, die in vier Klassen eingeteilt wird, wäre demnach, wie soeben gesagt, die Idee der Synthesis (eines Mannigfaltigen unserer Anschauung) überhaupt. Die Trichotomie ist von Kant in den R 3030, 3031 und 3067 auf analoge Weise erklärt, insofern das dritte Glied immer als eine Verbindung der zwei vorangehenden angesehen wird. Aber diese Reflexionen fugen noch etwas über diese Art von Synthesis und ihren Grund hinzu. R 3030 hebt hervor, daß diese Synthesis in der Beziehung dieser zwei ersten Glieder auf ein synthetisches Bewußtsein gründet, während R 3031 die Erzeugung dieser drei Glieder als die Setzung einer Bedingung, die Negation derselben (oder die neue Setzung eines Bedingten) und endlich die Ableitung dieses Bedingten aus seiner Bedingung als drittes Glied ansieht. 17 Das erklärt, inwiefern die Trichotomie auf dem Satz vom Grund basiert. Dieselbe
gesetzte zerfallt in Eines in Vielen (Quantität) oder Vieles in Einem (Qualität). Die dynamischen Kategorien betreffen die "Zusammensetzung des Mannigfaltigen, sofern es entweder einander im Daseyn untergeordnet ist (die Categorie der Causalität) oder eine der andern zur Einheit der Erfahrung beigeordnet ist (der Modalität als Bestimmung des Daseins der Erscheinungen in der Zeit.)" ( AA XII223). 17 Vgl. KU, Einl. IX, Anm.: "Soll eine Eintheilung a priori geschehen, so wird sie entweder analytisch sein ... Oder sie ist synthetisch', und wenn sie in diesem Falle aus Begriffen a priori (nicht wie in der Mathematik aus der a priori dem Begriffe correspondirenden Anschauung) soll geführt werden, so muß nach demjenigen, was zu der synthetischen Einheit überhaupt erforderlich ist, nämlich 1) Bedingung, 2) ein Bedingtes, 3) der Begriff, der aus der Vereinigung des Bedingten mit seiner Bedingung entspringt, die Eintheilung nothwendig Trichotomie sein."
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Reflexion enthält außerdem einen wichtigen Hinweis f ü r die vorliegende Interpretation: "Polytomie kann in der Logik nicht gelehrt werden; denn dazu gehört Erkenntnis (des Gegenstandes) des Verstandes dem Inhalte nach; dichotomie bedarf aber nur des Satzes des Widerspruchs, ohne den Begriff, den man eintheilen will, dem Inhalte nach zu kennen. Die Polytomie bedarf Anschauung, entweder a priori, w i e in der M a t h e m a t i k : K e g e l s c h n i t t e , oder e m p i r i s c h e , wie in der Naturbeschreibung." Dieser Text sagt nicht, ob man in dem Falle, daß ein Begriff der Synthesis a priori dreifach eingeteilt wird, auch einer Anschauung a priori bedarf, aber das scheint nach unseren vorigen Überlegungen notwendig zu sein. Die Trichotomie gründet in der Anschauung der Zeit in Beziehung auf ihren empirischen Inhalt überhaupt, was insgesamt a priori ist. Aus diesen verschiedenen Andeutungen läßt sich die Trichotomie folgendermaßen erklären. Betrachten wir als Beispiel die mathematische Synthesis, die zunächst die kontinuierliche Verbindung bei der Erzeugung z.B. einer gewissen Raumausdehnung ist. Diese Synthesis handelt nach den Schemata der Quantität, wenn sie dieses Kontinuum in gleiche Teile (Einheiten) begrenzt. Erst nachdem sie jeweils eine Einheit erzeugt hat, kann sie viele Einheiten, eine Pluralität von ihnen produzieren. Die Erzeugung der Einheit ist also Bedingung für die Erzeugung der Pluralität und fìir diese selbst, die also ihr Bedingtes ist. Da beide synthetischen Produkte nun für das einigende Bewußtsein offenbar sind, kann dieses sie in einem dritten Schritt miteinander verbinden, indem es diese Pluralität in einer Einheit vereinigt, d.h. in der Totalität. Die Möglichkeit dieser drei synthetischen Leistungen und also der Trichotomie in der Klasse der Quantität gründet sowohl darin, daß das a n s c h a u l i c h e Mannigfaltige zuläßt, auf diese dritte Weise verbunden zu werden, als auch darin, daß die zwei ersten Leistungen fur ein identisches Bewußtsein offenbar sind. Die Fundamente der Trichotomie liegen also in der Beziehung zwischen dem Mannigfaltigen und der Einheit des Bewußtseins.
D. Die Vollständigkeit des Systems Wenn man ein System aufbaut, ist nach Kant von entscheidender Bedeutung, dessen gewiß zu sein, daß alle seine Glieder bestimmt sind. In diesem Fall ist das System vollständig. Zur Klärung der Frage nach der Vollständigkeit ist es dienlich, im voraus zwei Bedeutungen des Wortes "vollständig" Rechnung zu tragen. Wenn man erstens weiß, welche und wieviele Glieder zu einer Menge gehören, z.B. zu einer Geldsumme, kann man entscheiden, ob diese Menge vollständig ist oder nicht. Widrigenfalls ist diese Entscheidung unmöglich. Andererseits weiß man zweitens manchmal, daß eine gewisse Menge existiert, z.B. eine Gattung Insekten, ohne zu wissen, welche und wieviele Arten zu ihr gehören. In diesem
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Falle kann man sagen, daß die Abzählung dieser Arten vollständig ist, wenn man dabei keine von ihnen beiseite läßt. Das geschieht, indem man induktiv nach allen möglichen Fällen dieser Gattung Ausschau hält und sich darum bemüht, alle zu berücksichtigen. Da dieser Weg empirisch ist, kann die Vollständigkeit dabei niemals endgültig gesichert werden. Analog setzt Kant voraus, daß es ein System der Kategorien oder der Urteilsfunktionen gibt, aber er weiß zunächst noch nicht, welche und wieviele diese sein müssen. Aber da sie apriorische Begriffe sind, kann er sie nicht empirisch zusammenraffen. Welche Methode kann dann die Vollständigkeit des Systems derselben garantieren? Wenn die fragliche Menge ein System von Begriffen ist, wird die Bestimmung seiner Glieder vollständig sein und man wird außerdem dessen gewiß sein, weil man nicht vorbestehende Glieder induktiv sammeln muß, sondern sie a priori durch Einteilung des systematischen Ganzen erzeugt (vgl. oben § 8). Diese Erzeugung der reinen Mannigfaltigkeit durch Einteilung der Gattungsidee ist nach Kant zugleich der Beweis der Vollständigkeit des Systems 18 , der zugleich die Stetigkeit des Einteilens sichern soll. Diese Methode wirft jedoch eine Schwierigkeit auf. Wenn man ein kontinuierliches Ganzes, z.B. ein Stück Papier, zweiteilt und die sich ergebenden Teile wiederum auf dieselbe Weise teilt usw., dann wird man bei Durchführung jeder Teilung zwar dessen gewiß sein, daß man alle bis dann erzeugten Papierteile erkennt, aber da die Teilung ins Unendliche fortgesetzt werden kann, kann die Zählung der Teile nie vollständig sein, denn man kann nicht alle möglichen Teile dieses Ganzen berücksichtigen. Im Falle der Einteilung einer Gattung in ihre Arten stellt sich das analoge Problem, wie man wissen kann, wann die Einteilung haltmachen soll und welche die niedersten Arten sein sollen. Insofern Kant seine Abzählung der Kategorien als vollständig ansieht, bedeutet das, daß die zwölf Kategorien niederste Arten des Systems sind, die keine weitere Einteilung zulassen. Aber aus welchem Grund muß die erzeugende Einteilung bei ihnen h a l t m a c h e n ? Kann j e d e Kategorienklasse in mehr als drei Glieder nicht eingeteilt werden? Wie gesagt, die Diffferenzen, die die Grundidee dieses Systems in ihre Glieder einteilen, entstammen dem anschaulichen Mannigfaltigen in seiner Beziehung auf die Apperzeption. Von hierher kann die Antwort auf diese Fragen gesucht werden. 1. Der Grund dafür, daß sich die zwölf transz. Schemata nicht weiter in niedere Arten des Systems einteilen, kann darin bestehen, daß das anschauliche Mannigfaltige in Beziehung auf die Apperzeption faktisch keine neuen einteilenden 18 In der Einleitung zur Metaphysik der Sitten sagt Kant in einer Anmerkung: "Die Deduktion der Einteilung eines Systems, d.i. der Beweis der Vollständigkeit sowohl als auch der Stetigkeit, daß nämlich der Übergang vom eingeteilten Begriffe zum Gliede der Einteilung in der ganzen Reihe der Untereinteilungen durch keinen Sprung (divisio per saltum) geschehe, ist eine der am schwersten zu erfüllenden Bedingungen fiir den Baumeister eines Systems." Außerdem soll dieser von der obersten Gattung ausgehen (AA VI, 218-9). Vgl. oben § 8 .
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Differenzen a priori liefert. Man könnte zwar versuchen, anhand empirischer Differenzen diese Einteilung fortzufuhren, aber daraus würden keine apriorischen Glieder entspringen, die zu diesem System a priori gehören könnten. 2. Um der Vollständigkeit des Systems der transz. Schemata bzw. der Kategorien gewiß zu sein, genügte es ferner nicht, zu wissen, daß die Einteilung an einem gewissen Punkt faktischen Mangels an Differenzen wegen haltmachen muß. Man muß vielmehr noch wissen, warum sich ζ. B. die Klasse der Quantität nicht in mehr als drei Glieder unterteilen läßt. Der Grund dafür liegt in der soeben dargelegten Konstitution der drei Glieder: Einheit, Vielheit von Einheiten, Einheit (Totalität) dieser vielen Einheiten. Auf Grund dieser drei Leistungen könnte das Bewußtsein zwar höherstufige Gebilde erzeugen (z.B. eine Einheit von vielen Totalitäten der ersten Stufe usw.), aber die Synthesismodi wären nicht ursprünglich, sondern würden im Grunde die drei angegebenen Schemata wiederholen. Dasselbe gilt für die anderen Klassen von transz. Schemata und von Kategorien. Das Entscheidende ist hier die Einheit der Apperzeption in Beziehung auf die zwei ersten Produkte der Synthesis des Anschaulichen. Zum selben Zusammenhang gehört die Reflexion 5854: "Es sind darum drey logische Functionen unter einem gewissen Titel, mithin auch drey Categorien: Weil zwey derselben die Einheit des Bewustseyns an zween oppositis zeigen, die dritte aber beyderseits Bewustseyn wiederum verbindet. Mehr arten der Einheit des Bewustseyns lassen sich nicht denken. Denn es sey a ein Bewustseyn, welches ein Mannigfaltiges Verknüpft, b ein anderes, welches auf entgegengesetzte Art verknüpft: so ist c die Verknüpfung von a und b." Das Gesagte zusammenfassend, kann man sagen, daß, um die Vollständigkeit eines Begriffssystems zu beweisen, nach Kant folgende Bedingungen erfüllt werden müssen: a) Man muß von dem richtigen Oberbegriff ausgehen und die bei der Einteilung zugelassenen Einteilungsarten festlegen, b) Es gilt, das jeweils erzeugte Glied seinerseits richtig einzuteilen, indem man ihm den Grund der nächsten Einteilung entnimmt, c) Jeder Sprung in der Einteilung muß vermieden werden, d) Man muß demonstrieren, daß man erst bei den niedersten Differenzen haltmacht, e) Daß die Tafel eines Begriffssystems vollständig ist, kann demnach als bewiesen gelten, wenn man die Idee desselben auf bestimmte Weise nachgerade dividiert und dadurch zu denselben Gliedern, und zwar zu derselben Zahl wie in der Tafel, gelangt. Das findet im Falle des Kantischen Kategoriensystems folgendermaßen statt: wenn man 1 durch 2 dividiert = 1/2 + 1/2. Wenn man beide durch 2 dividiert, dann resultieren 4/4. Dividiert man dies wiederum durch 3, dann ergeben sich 12/ 12. Wenn man nach den Voraussetzungen dabei haltmachen muß, dann ergeben sich exakt 12 niederste Arten. Wenn überdies noch ein ausdrücklicher Beweis nötig wäre, dann könnte er wie folgt lauten: Wenn eine Klassifikation die und die Bedingungen erfüllt, dann ist
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sie vollständig; die vorliegende Klassifikation erfüllt diese Bedingungen. Folglich ist diese Klassifikation vollständig. Ich habe mich hier damit begnügt, anzugeben, aus welchem Grund Kant der Vollständigkeit seines Kategoriensystems gewiß ist und lasse alle möglichen Einwände gegen diese seine Gewißheit beiseite. Ob auf dem heutigen Standpunkt des Wissens ein anderes System von Grundbegriffen erforderlich wäre, bleibt hier eine offene Frage.
E. Die Korrelativität in den dynamischen Klassen In § 11 der Kritik sagt Kant von den mathematischen und den dynamischen Klassen der Kategorien: "Die erste Klasse hat, wie man sieht, keine Korrelate, die allein in der zweiten Klasse angetroffen werden. Dieser Unterschied muß doch einen Grund in der Natur des Verstandes haben" (Β 110). In den Prolegomena (§ 39 Anm.) bemerkt er ebenso, daß die Klassen der Relation und der Modalität Korrelata oder Gegensätze enthalten. Diese Eigentümlichkeit, deren Ursprung man in den entsprechenden transz. Schemata suchen muß, gründet in der Beschaffenheit des anschaulichen Mannigfaltigen in Beziehung auf die Apperzeption mit ihrer dynamischen Synthesis. Diese betrifft die Existenz der Erscheinungen in der Zeit, und zwar sowohl die Existenz Verhältnisse dieser Erscheinungen zueinander (Relation) als auch die Verhältnisse derselben zu der Zeit überhaupt (Modalität). Im ersten Falle treten Korrelate auf, die die Erscheinungen selbst sind, insofern sie in solchen Verhältnissen wie ζ. B. von Substanz und Akzidenz stehen. Das transz. Schema ist in diesem Fall zwiefach, denn es muß das eine und das andere Korrelat erzeugen. Im Falle der Modalität betreffen die Paare von korrelativen Schemata das doppelte Verhältnis, in dem eine Erscheinung in der Zeit überhaupt stehen kann: Sie kann in der Zeit stehen oder nicht.19
F. Die zwölf einzelnen Kategorien Oben (§ 26) wie auch im unmittelbar Vorangehenden sind schon einzelne Kategorien besprochen worden. Um Wiederholungen zu vermeiden, behandeln wir jetzt jede Klasse nur so weit, daß die Herkunft der einzelnen Kategorien aus der Beziehung der Anschauung auf die Einheit der Apperzeption sichtbar wird. Da Kant das Schema zwar als eine Synthesisregel versteht, aber unter den transzen-
19 R 5697 findet seltsam, daß die mathematischen Kategorien keine opposita und correlata haben, wie die der Relation und Modalität. "Der Grund davon scheint der zu seyn, daß die ersten bios die apprehension
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dentalen Schemata oft nur die entsprechenden reinen Bilder derselben anfuhrt, berücksichtigt folgende Darlegung beide Bedeutungen dieses Wortes. Für die bereits vertretene These, daß das Mannigfaltige der und in der Zeit (in Beziehung auf die Apperzeption) eine eigenständige Quelle von Verbindungsmöglichkeiten ist, spricht, daß es nicht nur die Möglichkeiten darbietet, die zu kategorialen Regeln erhoben werden. Im Bereich der extensiven und der intensiven Größe ist es nämlich möglich, Quanta einzuschätzen, indem man sie "nach dem Augenmaß" synthetisch umfaßt, ohne sie zu zählen. So kann man auch eine Ausdehnung "messen", ohne eine Einheit zu bestimmen und sie auf jene wiederholt anzuwenden. Die Intensität der Wärme oder der Schwere eines Körpers kann ebenso ohne Anwendung eines Thermometers bzw. einer Waage direkt eingeschätzt werden. Die so "gemessenen" Quanta kann man weiter synthetisieren, indem man an ihnen Additionen oder Substraktionen vollzieht. Es ist offensichtlich, daß solche möglichen Synthesen wesenhaft ungenau sind, sowie daß z.B. die Addition von zwei solchen Quanta nicht notwendig und für alle Subjekte eine bestimmte Anzahl ergibt. Zum anderen bietet das genannte Mannigfaltige in Beziehung auf die Einheit der Apperzeption die Möglichkeit, daß man eine Ausdehnung mißt, indem man zuerst eine Maßeinheit bestimmt, dann durch wiederholte Erzeugung derselben viele Einheiten produziert und sie endlich in einem Ganzen vereinigt, wodurch der Ursprung der drei Schemata der Quantität erklärt wird. Daß die Einbildungskraft solche Synthesen an diesem Mannigfaltigen vollziehen kann, ist nicht selbstverständlich, wie man glauben möchte, sondern hängt zum Teil von der Eigenart unserer Anschauung ab. Wenn man in dieser eine Maßeinheit bestimmt, die sofort verschwindet und nicht auf das zu Messende angewendet werden kann, dann kann man eine Vielheit von homogenen Einheiten nicht erzeugen und in einer Zahl vereinigen. Das geschieht in der Tat mit der reinen Zeit, bei der jede Zeitspanne, die man als Einheit verwenden möchte, sofort vorübergeht, so daß man nur mit Hilfe einer innerzeitlichen Maßeinheit, die beharrt, die Zeit messen kann. Wenn ferner die Maßeinheit, z.B. in Gestalt eines Metermaßes, zwar dieselbe bliebe, aber an verschiedenen Orten größer oder kleiner würde, dann würden die durch sie bestimmten Einheiten nicht homogen sein und die Messung wäre in dieser Hinsicht unmöglich. Eine Anschauung, in der sich die Vielheit von selbst verringern oder vergrößern würde, könnte man auch nicht direkt messen oder zählen. Unsere Anschauung, sowohl die reine als auch die empirische, und zwar jede einzelne von ihnen oder beide zusammen, lassen wenigstens in manchen Hinsichten das Zählen und Messen zu. Im Fall der Qualität machen die möglichen Verhältnisse der Empfindung zur Zeit (Fülle, Leere und durch Leere limitierte Fülle), und zwar in Beziehung auf die Einheit des Bewußtseins, die entsprechenden drei Schemata möglich. Diese wären der Anschauung enthalten und sie synthetisch hervorbringen, die zweiten aber Verhältnis-Begriffe entweder der obiecte unter einander oder zum Erkentnisvermögen sind."
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dagegen unmöglich, wenn die Erfüllung der Zeit durch den Empfindungsgehalt immer dieselbe bleiben würde oder wenn sie zwar variierte, aber nur so, daß diese Variation keine geordnete Reihe von graduell unterschiedenen Intensitäten erzeugen würde. Die drei Schemata der Relation gründen in den möglichen Verhältnissen, die die empirischen Mannigfaltigen als Existierende in der Zeit zueinander für ein synthetisches Bewußtsein haben können, a) Sukzessive Existierende können nämlich entweder miteinander identisch sein, so daß ihre Existenzen in die Beharrlichkeit desselben durch die Zeit verschmelzen, oder von einander verschieden (andere) sein, so daß sie bloß in der Zeit vorübergehen und nacheinander folgen, b) Ganz disparate Ereignisse können zwar in der Zeit nacheinander auftreten, aber im streng objektiven Sinne folgt ein Vorübergehendes einem bestimmten anderen nur, wenn das eine in das andere übergeht, indem beide an einem selben Beharrenden geschehen. Man kann demnach den Wechsel der Vorübergehenden am Beharrenden erfahren, c) Außerdem können diese Vorübergehenden an verschiedenen Beharrenden einander sukzedieren oder zugleich sein, was wiederum regelmäßig oder unregelmäßig sein kann. Notwendiges Sich-Sukzedieren oder Zugleichsein kann in Verhältnissen von Bedingung und Bedingtem gründen. Diese zeitlichen Möglichkeiten des Beharrens und Vorübergehens am selben Beharrenden (a,b) sowie des Sich-Sukzedierens und Zugleichseins an verschiedenen Beharrenden (c) liegen also den transz. Schemata und damit den Kategorien der Relation zugrunde.20 Das sind nicht die einzigen Verbindungsmöglichkeiten der Existierenden in der Zeit, die unsere Anschauung darbietet, denn in ihr treten andere faktisch auf. Man kann Sukzession oder Simultaneität von Zuständen eines selben Dinges (z.B. 20 In SuZ strebt Heidegger programmatisch an, die Seinsbestimmungen aus der puren Zeit abzuleiten. Gemäß diesem Entwurf gibt er in K P M (§22) als Beispiel, wie das Schema der Substanz aus der Zeit entwickelt werden kann. "Nun ist die Zeit als reine Jetztfolge jederzeit jetzt. Jetzt ist es jetzt. Die Zeit zeigt so die Ständigkeit ihrer selbst" ( 101 ). Diese Ständigkeit ist nun der reine Anblick der Substanz, indem die Zeit dabei das Ständige als ein solches fiir ein "Anhängendes" gibt. "Nun ist aber die Zeit als Jetztfolge gerade dadurch, daß sie, in jedem Jetzt fließend, ein Jetzt ist, je auch ein anderes Jetzt." Damit biete die Zeit das Bild "des reinen Wechsels im Bleiben" (a.a.O.). Diese Deutung, die auf die aristotelische Lehre des Jetzt als Identischen und immer wieder Anderen zurückgreift (vgl. Physik IV, 11 ), wird weder dem Kantischen Schema der Substanz noch der traditionellen Idee der Substanz selbst gerecht. Durch die bloße Zeit und ohne den empirischen Zeitinhalt (d.h. Empfindung überhaupt) ist so etwas wie Substanz für Kant undenkbar. Femer ist der Zusammenhang von bleibender Zeit und vorübergehendem Jetzt von der Relation Substanz/ Akzidenz so verschieden, daß man nicht diese aus jenem entwickeln kann: Die Zeit beharrt nicht, wozu sie in einer tieferliegenden Zeit verlaufen müßte; die vorübergehenden Jetzt sind nicht Akzidenzien eines von ihnen verschiedenen Substrats, genannt Zeit, sondern unselbständige Teile derselben. Die Akzidenzien befinden sich nicht in einem ständigen Fluß, wie die Jetzt, sondern sie können auch kürzer oder länger beharren. Vgl. oben § 25, Anm. 25. In Auseinandersetzung mit dieser Interpretation Heideggers habe ich seit zwei Jahrzehnten hervorgehoben, daß der Ursprung der transz. Schemata nicht in der puren Zeit, sondern nur in der Beziehung der Apperzeption auf das reine Zeitmannigfaltige und das empirische Mannigfaltige überhaupt in der Zeit liegen kann. Vgl. meinen Aufsatz "Una pregunta por el tiempo" (Buenos Aires, 1980), jetzt in Siele Ensayos sobre Kant (Mérida, 1991).
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die Sukzession der Zustände eines hinabfahrenden Schiffes bzw. die Simultaneität von weißer Farbe und Wärme auf seinem Deck) oder von mehreren Dingen direkt wahrnehmen (z.B. die Glocke läutet und dann bellt der Hund und dann kommt der Briefträger), ohne dabei notwendige Daseinsbeziehungen hinzuzudenken. Solche Ereignisse sind wohlgemerkt nicht subjektiv in dem Sinne, daß sie nur in meinem Wahrnehmen nacheinander oder zugleich auftreten, denn sie geschehen in der von Uhren gemessenen intersubjektiven Zeit. Wenn das Mannigfaltige unserer Anschauung aber so viele Verbindungsmöglichkeiten darbietet, müßte dann nicht der Verstand eine Auswahl unter ihnen treffen, um diejenigen herauszufinden, die zu transzendentalen Schemata erhoben werden können? Wenn dies so wäre, müßte ferner diese Auswahl nicht nach einer Regel verfahren? Erstens sind schon viele denkbare Verbindungsmöglichkeiten dadurch ausgeschlossen, daß unsere Anschauung faktisch nur einige von ihnen zuläßt. Wenn sich die Einheit der Apperzeption zweitens auf das Mannigfaltige unserer Anschauung bezieht, macht sie synthetische Einheit notwendig, und daher auch Einheit auf bestimmte notwendige Weisen, die bestimmte notwendige Verbindungen (immer und bei allen) verbürgen können. Die aus dieser Beziehung entsprungene Idee der notwendigen synthetischen Einheit des Mannigfaltigen schließt schon alle sich darbietenden Möglichkeiten zufälliger Verbindung aus und macht eine zusätzliche Auswahl unter ihnen überflüssig. Die Klasse der Modalität umfaßt ebenfalls Schemata, die aus der Beziehung der Zeit und ihres Inhalts auf die Einheit der Apperzeption entspringen. Hier sind drei doppelte Möglichkeiten der Verbindung angelegt: 1. die An- oder Abwesenheit des empirischen Inhalts. 2. In jeder (unbestimmt welcher) Zeit kann oder kann nicht ein bestimmtes Was auftreten. 3.Ein bestimmtes Seiendes muß oder muß nicht immer (bzw. immer wieder) in jeder Zeit gegenwärtig sein. Unter welchen Bedingungen ein bestimmtes Seiendes dergestalt sein kann (bzw. nicht sein kann) oder sein muß (bzw. nicht sein muß), wird durch die vorangehenden Klassen von Schemata bestimmt. Bisher haben wir gezeigt, daß unsere Sinnlichkeit außer den Verbindungsmöglichkeiten, die zu transzendentalen Schemata erhoben worden sind, noch andere darbietet. Damit wurde zugleich gezeigt, daß unsere Anschauung Quelle von Möglichkeiten ist, die nicht vom Verstand in sie hineingelegt worden sind. Nunmehr kann außerdem plausibel gemacht werden, daß ohne eine solche Anschauung auch die drei Schemata der Modalität unmöglich wären. Kant selber lehrt nämlich, daß die intellektuelle Anschauung Gottes nicht zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit unterscheiden könne, weil alles das, was sie vorstelle, sofort wirklich werde (vgl. KU § 76). Ob ein solches Wirkliches zugleich gänzlich notwendig wäre (wenn es allein aus der Natur Gottes ausfließen würde) oder ob es eher zufallig bzw. teils zufallig, teils notwendig wäre (wenn es nur von seinem freien Willen bzw. von diesem Willen auf Grund des Wesens Gottes
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Sein und Subjektivität bei Kant
erschaffen würde), bleibt offen. Endliche Wesen, bei denen Anschauung und Verstand verschieden sind, können und müssen dagegen Mögliches und Wirkliches (sowie notwendigerweise Wirkliches) voneinander unterscheiden (a.a.O.).
G. Die Ordnung der Glieder des Systems Nach dem schon erörterten Passus der Architektonik A 832 bestimmt die Grundidee eines Systems a priori den Platz oder die Stelle der Teile untereinander. Daher zählt Kant die Klassen der Urteilsfunktionen oder der Kategorien in folgender Ordnung auf: 1. Quantität, 2. Qualität, 3. Relation, 4. Modalität (vgl. A 70, 80, Prolegomena § 21). Da die drei Kategorien jeder Klasse außerdem immer in derselben Ordnung dargestellt werden, muß man annehmen, daß auch die zwölf Kategorien untereinander geordnet sind. Kant berücksichtigt diese Ordnung überall da, wo er ein System a priori errichtet, und wenn er von ihm abweicht, vermerkt er ausdrücklich, warum er das tut.21 Worin gründet diese Ordnung der Kategorien? In dem obigen Abschnitt C, der die Trichotomie in jeder Klasse der transz. Schemata betrifft, ist die Erklärung implizit enthalten. Das dritte Schema, ζ. B. der Totalität, ist die Verbindung der zwei anderen Schemata, der Einheit und der Vielheit und daher setzt es sie voraus. Seinerseits setzt das zweite Schema (der Vielheit) die Einheit voraus. Infolgedessen gründet diese Ordnung darin, daß die Leistung eines Schemas notwendige B e d i n g u n g des anderen Schemas zur Erzeugung der e n t s p r e c h e n d e n Gegenständlichkeit ist. Außerdem wurde bei der Darlegung der vier Klassen von transz. Schemata gezeigt, daß die Konstitution der Modalität eines Gegenstandes die Leistung der drei anderen Klassen voraussetzt. In demselben Verhältnis steht jede Klasse von transz. Schemata (mit Ausnahme der ersten) zu der bzw. den vorangehenden Klasse bzw. Klassen. Diese Ordnung spiegelt die Ordnung der Produktion eines empirischen Objekts wider, welche nicht auf einen Schlag stattfinden kann, sondern in einer Folge von verschiedenen Stufen, so daß jede vorangehende Stufe bzw. deren Produkt die bzw. das folgende ermöglicht. 22
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Siehe etwa das System der Grandsätze des reinen Verstandes, der Begriffe des Nichts usw. Bei der Behandlung der Paralogismen der rationalen Psychologie bemerkt Kant folgendes: " Wir werden aber hier bloß dem Leitfaden der Kategorien zu folgen haben, nur, da hier zuerst ein Ding, Ich, als denkend Wesen, gegeben worden, so werden wir zwar die obige Ordnung der Kategorien untereinander, wie sie in ihrer Tafel vorgestellt ist, nicht verändern, aber doch hier von der Kategorie der Substanz anfangen, dadurch ein Ding an sich selbst vorgestellt wird, und so ihrer Reihe rückwärts nachgehen" (A 344). 22 In der Anmerkung zu § 39 der Prol. bemerkt Kant, daß in den Kategorien der Größe und der Qualität "bloß ein Fortschritt von der Einheit zur Allheit, oder von dem Etwas zum Nichts (zu diesem Behuf müssen die Kategorien der Qualität so stehen: Realität, Einschränkung, völlige Negation) fortgehen..." Diese Reihe der Kategorien der Qualität ist von der Ordnung derselben in der KrV A 80 und in den Proleg. § 21 verschieden und stimmt mit der Ordnung Bedingung-Bedingtes-Synthesis beider nicht überein, in
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Diese Reihe, die teleologisch orientiert ist, gründet in der Endlichkeit des menschlichen Subjekts, dessen Apperzeption das sinnliche Mannigfaltige nicht auf einmal erfassen kann und es sukzessiv und in Teilen, in einer bestimmten Ordnung, verbinden muß, wobei jeder nächste Schritt in den vorangehenden Schritten gründet. Sowohl diese Einteilung der Idee des empirischen Objekts überhaupt als auch die Ordnung ihrer Glieder ist nur möglich, weil unsere sinnliche Anschauung in Raum und Zeit es zuläßt, so verbunden zu werden, bzw. weil unsere Einbildungskraft sie nur so verbinden kann.
§ 39. Eine problematische Erklärung der logischen Formen aus der Endlichkeit des Verstandes In § 28 haben wir die zweite Etappe der ursprünglichen Erwerbung der Kategorien und deren nachfolgende Modifikationen erörtert. Die transz. Schemata sind dieser Interpretation nach zunächst auf kategoriale Begriffe ("schematisierte" Kategorien) gebracht, die sich ihrerseits zuerst in "bloße" Kategorien und dann in Urteilsfunktionen verwandeln. Damit ist die Herkunft dieser Funktionen aus dem Schematismus dargelegt. Aber da man auf der Basis der Deduktion Β die Kategorien umgekehrt aus der Urteilstafel zu erklären pflegt, gilt es jetzt darzulegen, wie Kant die Möglichkeit in den Blick nimmt, die Urteilsfunktionen aus der Beziehung zwischen Denken und Anschauung zu begreifen. Damit tragen wir zur Konsolidierung der Möglichkeit bei, die in diesem Kapitel entfaltet wird. Selbst wenn die Kategorien nämlich ihren subjektiven Ursprung in den Urteilsfunktionen hätten, wären diese nicht ihre letzte Quelle, denn sie verweisen über sich hinaus auf die Beziehung von Denken und Anschauung, deren konkrete Verwirklichung die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft ist. Damit gehen wir auf die in § 34 anvisierte Möglichkeit ein, durch ein problematisches Hinausgehen der Vernunft zu der Idee eines anschauenden Verstandes die Endlichkeit unseres Verstandes und damit auch dessen logische Formen zu erklären. Oben (§ 28) ist gezeigt worden, wie mehrere Stellen der Auflage A andeuten, daß der Ursprung der logischen Formen in der Beziehung der reinen Apperzeption auf die Synthesis der Einbildungskraft und die Sinnlichkeit liegt.23 Die Auflage Β
der die transz. Schemata produziert werden sollen. Das Motiv für diese neue Anordnung der Qualitätskategorien liegt vermutlich darin, daß man völlige Negation (a.a.O. ) auf dem Wege einer fortschreitenden Negation, d.h. Einschränkung, der Realität konstituierte. Wäre das der Fall, dann würde dieser Stelle der Prol. eine Täuschung zugrunde liegen, denn Einschränkung setzt schon Negation (in Verbindung mit Realität) voraus. Die rechte Ordnung der Konstitution ist also: Realität-NegationLimitation. Die Konstitution der völligen Negation durch Einschränkung ist von der Produktion der transz. Schemata verschieden. 23 In der Anmerkung zu A 117-18 sagt Kant: "die logische Form alles Erkenntnisses beruht notwendig auf dem Verhältnis zu dieser Apperzeption als einem Vermögen". Diese logische Form ist in erster Linie die
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verficht zwar die These, daß die Kategorien in den Urteilsfunktionen ihren Ursprung haben und daß diese in der Einheit der Apperzeption gründen; aber das ist, wie gesagt, nur eine Seite dessen, was dieser Text ausdrücklich lehrt. In Wirklichkeit vertritt er die These, daß dieser Grund vielmehr die Apperzeption in Beziehung auf die sinnliche Anschauung überhaupt ist. Sowohl in Β als auch in anderen Schriften, an verstreuten Stellen und meistens als Randbemerkung, denkt Kant außerdem die logischen Formen überhaupt, ja, noch mehr, das Wesen des Denkens und der Anschauung, aus der Endlichkeit der menschlichen Erkenntnis (vgl. oben § 5), die er, wie gesagt, aus der problematischen Idee des anschauenden unendlichen Verstandes bestimmt. Diese Endlichkeit besteht in der Verschiedenheit und der in ihr gegründeten, reziproken Abhängigkeit von Denken und Anschauung. Eine solche Endlichkeit bestimmt das Wesen der Formen dieser Vermögen selber. Da Kant jedoch diese These nicht ausdrücklich genug entfaltet, sollen zunächst einige Stellen herangezogen werden, die diese Behauptung belegen. Nachher wollen wir diese und andere Stellen zu einer expliziten Rekonstruktion dieser Lehre verwenden. A 67-68 bestimmt Kant den Verstand und damit implizit auch den Begriff auf folgende Weise: "Der Verstand wurde oben bloß negativ erklärt: durch ein nichtsinnliches Erkenntnisvermögen. Nun können wir, unabhängig von der Sinnlichkeit, keiner Anschauung teilhaftig werden. Also ist der Verstand kein Vermögen der Anschauung. Es gibt aber, außer der Anschauung, keine andere Art, zu erkennen, als durch Begriffe. Also ist die Erkenntnis eines jeden, wenigstens des menschlichen, Verstandes, eine Erkenntnis durch Begriffe, nicht intuitiv, sondern diskursiv." Etwas Analoges gilt hinsichtlich der Urteilsfunktionen. § 21 (B 145) drückt aus, daß die Kategorien "nur Regeln für einen Verstand [sind], dessen ganzes Vermögen im Denken besteht, d.i. in der Handlung, die Synthesis des Mannigfaltigen, welches ihm anderweitig in der Anschauung gegeben worden, zur Einheit der Apperzeption zu bringen, der also für sich gar nichts erkennt, sondern nur den Stoff zum Erkenntnis, die Anschauung, die ihm durchs Objekt gegeben werden muß, verbindet und ordnet." In der Tat würde ein schöpferischer Verstand "einen besonderen Aktus der Synthesis der Mannigfaltigen zu der Einheit des Bewußtseins nicht bedürfen, deren der menschliche Verstand, der bloß denkt,
logische Urteilsfunktion. Nach dem Kontext beruht die Möglichkeit dieser logischen Funktionen auf der Beziehung der mannigfaltigen empirischen Bewußtseinsphasen bzw. der entsprechenden empirischen Vorstellungen auf das Vermögen der einheitlichen Apperzeption. Die Bedingung der Möglichkeit der logischen Form der Erkenntnis ist also nicht die bloße Apperzeption, sondern die genannte Beziehung auf sie, die ursprünglich als Synthesis der Einbildungskraft geschieht. Vgl. auch die oben besprochene Stelle von A 126-27 über die Apperzeption in Beziehung auf das sinnliche Mannigfaltige als Ursprung aller Regeln.
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nicht beilegen; denn Vernunft ist eigentlich Vermögen, den Mangel unseres Verstandes zu ergänzen, indem die Vernunft das, was der Verstand nicht unmittelbar erkennen kann, mittelbar durch Schlüsse herauszubringen sucht" (AA XXVIII, 1269). Diese These, die in der Danziger Vorlesung zur Rationaltheologie von 1784 (nach Baumbach) enthalten ist, vertritt Kant schon in seiner Nova Dilucidatio (Prop. III, Scholion). In den Zusätzen zu Satz IX derselben Schrift erklärt er ferner, daß weder das Begreifen noch das Urteilen und das Schließen dem göttlichen Verstand zugeschrieben werden können: "Ich räume ein, daß in der Tat die Umwege der Vernunftschlüsse der Unermeßlichkeit des göttlichen Verstandes sehr wenig anstehen. Denn für das unendliche Verstehen ist auch das Abziehen der Allgemeinbegriffe, ihre Vereinigung und die der Ermittlung der Folgen dienende Vergleichung nicht nötig." 24 Diese Lehre des vorkritischen und des kritischen Kant besagt positiv, daß die logischen Formen nur dem endlichen Verstand als solchem zukommen. Obwohl Kant diese Lehre nicht in extenso behandelt, hat der Leser das Recht und sogar die Pflicht, sie in eigener Ausführung explizit zu erörtern. In der folgenden Darlegung sollen auch die Mitschriften seiner Vorlesungen berücksichtigt werden. Wiewohl sie nur ein sekundäres Zeugnis liefern, können sie unbedenklich benutzt werden, wenn die verschiedenen Mitschriften untereinander und/oder mit anderen Stellen der von Kant veröffentlichten Werke übereinstimmen. Da eine solche Auffassung der Endlichkeit der menschlichen Erkenntnis nur von der problematischen Idee der unendlichen göttlichen Erkenntnis her möglich ist, enthalten die kantischen Vorlesungen zur Metaphysik (und zwar in dem Abschnitt über die Theologie als spezielle Metaphysik) und Rationaltheologie häufige Verweise auf die Bestimmungen der endlichen Erkenntnis. Die Disziplin, die Gott ein Erkenntnisvermögen zuschreibt, ist die natürliche oder physische Theologie. Bei dieser Zuschreibung geht der Theologe von gegebenen positiven Bestimmungen der Naturseienden aus, denkt sie nach einer Analogie der Proportionalität und modifiziert sie per viam negationis et eminentiae,2S Diese Konstruktion gründet in derjenigen ontotheologischen Bestimmung Gottes, der gemäß er ein Seiendes ist, 24 Nach der deutschen Übersetzung von Monika Bock in Band I der von W. Weischedel herausgegebenen Werke Kants. 25 Vgl. z.B. AA XXVIII, 330 ff. Kant hebt hervor, daß es nicht möglich ist, Gott das Erkenntnisvermögen oder irgendeine andere menschliche Bestimmung direkt zuzuschreiben. Aber es ist möglich, ihn als ein Seiendes aufzufassen, das sich zur Welt auf ähnliche Weise wie unser Verstand verhält, so daß beide Intellekte einander im Sinne der analogia proportionalitatis ähnlich sind. Das, was wir dabei von Gott erkennen, ist nur die Ähnlichkeit dieses Verhältnisses und beider Intellekte als Korrelata. Dann ist es ferner möglich, von unserem Begriff des menschlichen Verstandes auszugehen, bei ihm alle Negation oder Beschränkung aufzuheben und das in ihm positiv Gedachte ins Unendliche zu steigern. Durch dieses Denkverfahren umschreiben wir zwar das Wesen des göttlichen Verstandes, aber können es nicht positiv bestimmen. Wir erkennen Gott dabei nur im Verhältnis zu seinen Wirkungen, aber nicht ihn an sich selbst (absolute, a.a.O.). So kann man begreifen, wie Kant einerseits sagen kann, daß Gott einen anschauenden Verstand hat, und zum anderen behauptet, daß wir uns nicht "den mindesten Begriff" von ihm machen können (B 139).
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nicht anschaut, bedarf' (B 139, vgl. 135). Die kategorialen Regeln dieser Synthesis des endlichen Verstandes sind nichts anderes als die Urteilsfunktionen (§ 20). Folgender Passus deutet an, inwiefern auch der Schluß eine Form des endlichen Denkens ist: "Man legt Gott die höchste Vernunft bei, aber diese können wir ihm das von nichts abhängt, sondern vielmehr Ursache von allem ist, d.h. ein ens originarium. Wenn Gott nun Ursprung von allem ist und also auch vom Menschen, der ein Erkenntnisvermögen besitzt, dann ist es notwendig, daß er selbst ein solches Vermögen besitzt (AA XXVIII, 1049-50). Wie ist das unendliche Denken beschaffen? Da der Mensch die Dinge nicht erschafft, kann er sie nur erkennen, wenn und sobald sie sich ihm zeigen, indem sie seine Sinne affizieren. Diese Abhängigkeit von den vorbestehenden Dingen und von ihrem Einfluß ist mit einem ens originarium unvereinbar, welches infolgedessen keine rezeptive Anschauung haben kann, sondern eher ein spontanes, d.h. intellektuelles Erkenntnisvermögen besitzt (AA XXVIII, 1051).26 Als Schöpfer aller Seienden kennt Gott sie an sich selbst. Als ein solcher kann er ferner nicht darauf eingeschränkt sein, jeweils nur Teile dieses Ganzen zu erkennen. Folglich muß Gott alles, und zwar aufeinmal, d. h. die Ganzheit der Seienden als Eines erfassen. Sein Verstand muß daher intuitiv sein.27 Von hierher und aus dem Gegensatz ist es möglich, die Endlichkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens zu bestimmen. Da der Mensch das Seiende nicht erschaffen kann, sind in ihm nichtschöpferisches Denken und sinnliche Anschauung unterschieden (vgl. oben § 5). Daher erkennt der Mensch nicht die Dinge an sich selbst, sondern nur in ihrem sinnlichen Erscheinen. Da unser Verstand ferner von der Präexistenz der Seienden und ihrem faktischen Sichzeigen in einer sinnlichen Anschauung abhängt, die jeweils das Seiende nur partiell offenbart, geht er immer von Teilen dieses Ganzen aus. Er kann nicht auf einen Schlag alle Bestimmungen eines angeschauten Dinges erfassen, sondern er muß sich jeweils darauf beschränken, eine Bestimmung zu erfassen und von den anderen Bestimmungen abzusehen. Diese teilweise und in diesem Sinn abstrakte Bestimmung (Teilvorstellung, Merkmal) ist der Begriff Die Abstraktheit unserer Begriffe ist ein Zeichen ihrer Endlichkeit.28 Außerdem ist der schöpferische Verstand anschaulich, weil er alle Dinge als Eines direkt vor sich hat. Sein Denken ist diese unmittelbare Anwesenheit der Dinge. Da der menschliche Verstand im Gegenteil seine Begriffe nicht direkt dem Dinge selbst entnimmt, sondern sie aus sich selber oder aus subjektiven Vorstel26 27
Zum Thema des intuitiven Verstandes vgl. A 2 5 2 , 2 5 6 , 7 7 0 ; Β 7 2 , 1 3 5 , 1 3 8 - 3 9 , 1 4 5 , 1 4 9 , 1 5 3 , 1 5 7 - 1 5 9 , 307-08. Vgl. A A XXVIII, 328: "Die Ursprünglichkeit des intellectus originarii ist: daß er alle Theile erkennt aus dem Ganzen, und nicht das Ganze aus den Theilen; denn er erkennt alles und determiniert limitando alle Dinge". Das menschliche Denken geht umgekehrt von den Teilen aus. Vgl. auch ebd. 608, 1273.
28
Über den Begriff als Teilvorstellung vgl. A 32 sowie die Jäsche Logik, Einl. VIII und § 7.
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lungen, ζ. B. der sinnlichen Anschauung, bilden muß, denkt er das Ding nicht direkt, sondern durch begriffliche Re-praesentationen, die nur im Verstand selber existieren. Unser Denken ist daher mittelbar. Der Begriff ist also nicht nur partiell, sondern auch vom Ding verschieden. Während die Ideen des göttlichen Denkens alle Dinge bei sich haben, hat unser Denken seine Objekte außerhalb seiner Begriffe, nämlich unter diesen.29 Die Diskursivität des menschlichen Denkens besteht demnach darin, daß es seine Objekte mittelbar, durch Begriffe vorstellt, die außerdem untereinander in noch vermitteiteren Vorstellungsbeziehungen stehen können. So stellen wir im Urteil mittels des Prädikats den Subjektbegriff vor. 30 Aber selbst dieser kann sich nicht direkt auf sein Objekt beziehen, sondern geht auf dieses nur durch sinnliche Anschauungen. Der Schluß stellt eine noch komplexere Mittelbarkeit dar, insofern wir das Subjekt des Schlußsatzes nicht direkt durch das Prädikat vorstellen, sondern erst durch die Vermittlung eines Mittelbegriffes. 31 Da sich der Begriff als endliche Vorstellung jeweils auf eine Bestimmung beschränkt, die in der Vorstellung der Dinge enthalten ist, hat er einen eigenen Inhalt. Das impliziert, daß es nicht einen einzigen Begriff geben kann und daß vielfältige Begriffe existieren müssen, die wenigstens zum Teil voneinander verschieden sind. Der Unterschied von Denken und Anschauen bekundet sich in der Andersheit von Begriff und Angeschautem (Bild). Da im Falle des empirischen Begriffes die gedachte Bestimmung jedoch aus den Bildern von Einzelheiten abgezogen worden ist bzw. in ihnen enthalten ist, sind diese durch den Begriff vorstellbar. Er ist ihr Erkenntnisgrund. Dank diesem Unterschied und Zusammenhang zwischen Denken und Anschauung hat der Begriff eine Ausdehnung oder Sphäre. Da die anschauliche Mannigfaltigkeit femer viele Begriffe faktisch ermöglicht und viele dieser Begriffe ihrerseits durch andere vorgestellt werden können, können einige Begriffe auch eine Sphäre haben, die andere Begriffe umfaßt. Auf der Basis dieses Unterschiedes und der Einheit des Begriffes und seiner Sphäre ist also die Form des Begriffes, seine Allgemeinheit, möglich, als Teilvorstellung, die vielen anderen Vorstellungen gemeinsam ist.32 Infolge des genannten Zusammenhangs der göttlichen Idee mit ihren Objekten schaut Gott immer schon die Dinge mit allen ihren Bestimmungen an. Im Gegensatz dazu empfangt die menschliche Anschauung zuerst unbestimmte Gegebenheiten, welche potentiell eine Mannigfaltigkeit von Bestimmungen in sich bergen, die teils
29 Vgl. Dissertano § 12 und Β 40. 30 Daher kennzeichnet Kant das Urteil als Vorstellung einer Vorstellung vom Objekt, vgl. A 68 sowie die Logik Busolt, AA XXIV, 662. 31 Vgl. Logik Blomberg: "Vernunft-Schlüße sind Urtheile, welche mittelbahr geschehen vermittelst eines medii TerminC'. Das Verhältnis zwischen Subjekt und Prädikat der conclusio findet dabei "per notam intermediam" statt (AA XXIV, 282). 32 Über Inhalt und Umfang des Begriffs vgl. Jäsche Logik, § 7.
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identisch, teils untereinander verschieden sind. Diese potentiellen Bestimmungen werden erst durch die Begriffsbildung zu aktuellen Merkmalen. Die Beschränktheit der menschlichen Begriffe auf Teile des Seienden macht es notwendig, daß unser Verstand viele Merkmale suzessive durchlaufen muß, um ein Ding als ein Ganzes erkennen zu können. Dieses durchlaufende Sammeln des Mannigfaltigen ist die Synthesis. Dies bekundet sich schon in der Begriffsbildung. Um einen Begriff zu bilden, der vielen angeschauten Einzelheiten gemein ist, muß man diese nach synthetischen Funktionen wie dem Vergleichen des Mannigfaltigen, der Reflexion auf das Identische in diesem und dem Absehen vom Verschiedenen durchgehen. 33 . Da Gott schöpferisch ist, muß seine Erkenntnis völlig a priori sein. Insofern er, der Grund alles Möglichen ist, sich selbst erkennt, erkennt er schon alles Wirkliche. Wenn er etwas Mögliches will, tritt dieses eben dadurch in die Existenz, weshalb es fur ihn keinen Unterschied zwischen Möglichem und Wirklichem geben kann. Ein solcher Unterschied ist nur fur einen endlichen Verstand wie den menschlichen möglich und notwendig. Wegen seiner Endlichkeit muß dieser durch seine Begriffe das nur Mögliche denken und durch seine sinnliche Anschauung die Existenz eines Dinges feststellen {KU § 77; AA XXVIII, 1052-53, 1270).34 Das Vorangehende zusammenfassend, kann gesagt werden, daß die Zweiheit von Denken und Anschauen der Grund ist, daß unser Verstand durch Begriffe erkennt und daß diese Teilvorstellungen (Merkmale) der Dinge sind, und dieses jeweils mit einem beschränkten Inhalt, als mittelbare Vorstellungen ihrer Objekte, welche außerhalb des jeweiligen Begriffes als dessen Sphäre liegen, in Beziehung auf welche der Begriff ein Allgemeines ist, etwas Mögliches, das von den Existierenden verschieden ist. Die am Anfang dieses Paragraphen angeführten Texte der Deduktion Β weisen ausdrücklich darauf hin, daß die Verschiedenheit von endlichem Denken und Anschauung der Grund der Möglichkeit der Kategorien und der Urteilsformen ist. Da unser einheitliches Selbstbewußtsein nicht schöpferisch ist, erzeugt es nicht den Stoff zum Denken, sondern ist auf das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung angewiesen, weshalb es auch notwendig ist, daß eine Synthesis dieses Mannigfaltige durchläuft und auf die Einheit der Apperzeption zurückfuhrt. Wenn die Einheit dieses Mannigfaltigen notwendig, d. h. objektiv sein soll, muß diese Synthesis durch Regeln geleitet werden, die die Urteilsfunktionen sind, sowie (nach der Deduktion B) durch kategoriale Begriffe dieser Funktionen, die das Angeschaute 33 Vgl. AA XXVIII, 1052/53: "Die Attention, die Abstraktion, die Reflexion, die Comparation sind alles nur Hülfsmittel eines diskursiven Verstandes; sie können also von Gott nicht gedacht werden". Vgl. ferner S. 1270. 34 In diesem Punkt tritt eine Schwierigkeit zutage. Wenn Gott nicht zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit unterscheidet, dann kann er offenbar nicht zwischen Möglichkeiten wählen. In diesem Falle ist die Freiheit des Schöpfungsaktes fragwürdig. Die Schöpfung ist dann entweder ein notwendiger Prozeß, wie die Emanation, oder ein willkürliches Erschaffen, das nicht durch vernünftige Wahl geleitet ist.
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hinsichtlich seiner Stellung im objektiven Urteil bestimmen. Beide Arten von Funktionen sind demnach auf Grund der Endlichkeit der menschlichen Erkenntnis möglich und notwendig. Unserem gegenwärtigen Ziel gemäß, versuchen wir im folgenden zu zeigen, daß es tatsächlich möglich ist, das System der Urteilsfunktionen aus der bloßen Andersheit von Denken und Anschauen zu erklären. Bei diesem Versuch gehen wir von der obigen Erklärung des Begriffes aus dieser Zweiheit aus. 35 Vor allem gilt es zu zeigen, daß diese Zweiheit das Urteilen überhaupt möglich und notwendig macht. Die endliche Anschauung erkennt nicht das Angeschaute in seiner Bestimmtheit, sondern nimmt bloß eine Materie für eine mögliche Bestimmung auf. Erst nachdem eine solche Materie gegeben ist, kann das Denken diese Bestimmung begrifflich erfassen, aber selbst dann ist das Angeschaute noch nicht als seine Bestimmung explizit offenbar. Damit diese Vereinigung beider, d. h. Erkenntnis zustande kommt, ist es nötig, daß der Verstand etwas (das Angeschaute, das durch den Subjektbegriff vorgestellt wird) als etwas (das bestimmende Prädikat) synthetisch verbindet, d.h. urteilt. Auf dem Unterschied und der synthetischen Einheit von Denken und Anschauung gründet also die Idee, die dem System der Urteilsfunktionen zugrunde liegt: die synthetische Einheit der begrifflichen Vorstellungen in einem und für ein Selbstbewußtsein.36 Die erste Einteilung dieser Idee des Urteils überhaupt gründet in der Zweiheit von Denken und Anschauung. Aus ihr erwachsen dem Urteil zwei Seiten: einmal das Urteil für sich als Denkgebilde, das andere Mal seine Beziehung auf das Objekt in der Anschauung. Diese Beziehung gehört durchaus zum inneren Bestand des Urteils, insofern seine Kopula den Anspruch anzeigt, daß das Urteil das Objekt so vorstellt, wie das Objekt der Anschauung selbst ist. In der Andersheit des menschlichen Denkens und Erkennens gegenüber seinen Objekten in der Anschauung gründet nämlich die Möglichkeit, daß das Urteil mit seinem Objekt übereinstimmt oder nicht. Darauf beruht auch die Möglichkeit der Alternative Wahrheit/Falschheit und des Wahrheitsanspruchs des Urteils. Demgemäß teilt sich die Idee des Urteils überhaupt A) in das Urteil als Synthesis von Denkvorstellungen (als logisch mögliches Gebilde) und B) in das Urteil als ein Vorstellungsgebilde, das sich selbst irgend für wahr hält (als logische Wirklichkeit). A) Betrachten wir zunächst das Urteil als bloße Synthesis von Begriffen. Wie gesagt, die Begriffe haben als endliche einen Inhalt und eine Sphäre. Darin gründet 3 5 Obwohl sich die Bereiche vorliegender Darlegung und des obigen Paragraphen 10 zum Teil decken, sind ihr Gehalt und ihr Ziel verschieden. Oben wurde die Ableitung des Systems der Urteilsfimktionen skizziert, um zu zeigen, daß sie vermittelst der Einteilung einer Idee stattfindet. Hier wird dagegen versucht, diese Einteilung und das resultierende System aus der Endlichkeit des Verstandes zu erklären. 3 6 Vgl. die Definition des Urteils in den Logik-Vorlesungen, ζ. B. Jäsche § 17: "Ein Urtheil ist die Vorstellung der Einheit des Bewußtseins verschiedener Vorstellungen". Da nicht alle Urteile objektiv im Sinne einer notwendigen synthetischen Einheit sind, wird hier bei der Formulierung dieser Gattungsidee die Notwendigkeit ausgelassen.
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die Möglichkeit, durch das Subjekt ein Einzelnes, einige oder alle Einzelnen vorzustellen, die zu dieser Sphäre gehören. Das ist der Ursprung der Klasse der Quantität als einer synthetischen Urteilsfunktion. Zum anderen gründet in diesem Unterschied von Inhalt und Sphäre der Begriffe die Möglichkeit, das Urteil entweder als Subsumtion der Sphäre des Subjektbegriffs unter die des Prädikats oder als Eingeschlossensein des Prädikatbegriffs im Inhalt des Subjekts zu interpretieren. Daher kann die Sphäre des Subjektbegriffs unter die Sphäre des Prädikats subsumiert werden oder nicht, welches Prädikat außerdem ein negativer Begriff sein kann. Die Qualität als synthetische Urteilsfunktion gründet dergestalt darin, daß die Begriffe vielfältig sind und daß jeder derselben eine Sphäre hat, was wiederum auf die Andersheit von Denken und Anschauung zurückgeht. B) Betrachten wir nun das Urteil, insofern das Denken es für wahr hält, d.h. die logische Wahrheit desselben. Da dieses Denken von der Anschauung verschieden ist, nicht alles erkennt und nur selten zureichende Gründe besitzt, seine Urteile apodiktisch für wahr zu halten, ist es gezwungen, in einigen Fällen nur assertorisch zu glauben und meistens sogar nur problematisch zu meinen, daß das Urteil wahr ist. Die Differenz von Denken und Anschauung, und zwar das verschiedene Verhältnis, in dem das gedachte Objekt zu dem steht, was in der Anschauung gegeben ist, ist der Grund der Modalität als synthetischer Urteilsfunktion. 37 Die Relation betrifft ebenfalls die Wahrheit des Urteils, aber auf Grund der Verhältnisse der es konstituierenden Vorstellungen (Begriffe oder Urteile) zueinander. Nur ein endliches Denken, zu dessen Bestand die Alternative Wahrheit/ Falschheit gehört, kann auf bedingte oder unbedingte Weise ein Urteil für wahr halten. Die Urteile stellen etwas als etwas, und zwar qua wahr vor, sei es unbedingt (kategorisch) oder sei es bedingt (durch eine Hypothese oder eine Disjunktion), wobei das bedingende Urteil als möglicherweise wahr vorgestellt wird. Nach dem, was oben (§ 10) über die Modalität des kategorischen Urteils gesagt wurde, kann dieses, weil nicht durch eine Bedingung begründet, für problematisch gehalten werden, oder es kann als assertorisch gelten, wenn es von allen modalen Zusätzen frei ist. Alles das macht die Klasse der Relation aus.38
37 Vgl. Logik Busolt, AA XXIV, 662. "Ein Urtheil mit Bewußtseyn der Wahrheit ist aßertorisch". Logik Pölitz, 579: "Problematisch ist ein Urteil über deßen Wahrheit oder Unwahrheit ich nichts bestimme, oder ein Urteil, das nur der Möglichkeit nach gedacht wird, darunter verstehe ich nicht, daß die Sache möglich sey, sondern daß das Urteil möglich sey, daß es jemandem in die gedanken kommen" [kann]. Vgl. auch KrVA 75. 38 Zur Relation vgl. A 73-74. In den Logik-Vorlesungen wird die Beziehung der Relation zur Wahrheit gelegentlich berührt. Von dem Vorder- und dem Nachsatz des hypothetischen Urteils wird in der Logik Dohna-Wundlacken gesagt: "Ist also das eine wahr, so ist es auch das andere" (AA XXIV, 765). Oder: "Wenn der erste Satz angenommen wird, so muß der 2te auch angenommen werden" (Logik Pölitz, ebd. 578). 3 9 Wir sehen hier davon ab, die Frage zu erörtern, wie der Schluß aus der Beziehung zwischen Anschauung und Denken möglich wäre. Die oben zitierten Stellen aus der Nova Dilucidatio (Prop.III, Scholion sowie Prop. IX; ferner AA XXVIII, 1269) weisen den Weg, auf dem die Antwort gesucht werden könnte. Das
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Für den Zweck der gegenwärtigen Erörterung genügt es, gezeigt zu haben, daß die Idee des Urteils überhaupt und die vier Klassen von Urteilsfunktionen aus der Differenz von Denken und Anschauung abgeleitet werden können. 39 Die vorliegende Deutung ist ein Beispiel des Denkens, das sich an der Grenze unseres Erkenntnisvermögens bewegt, um den Grund dieses Vermögens zu beleuchten. Sie bildet eine problematische Transzendenz der Vernunft, die selbst der Deduktion der Auflage Β zugrunde liegt, denn diese lehrt nicht bloß, daß die Kategorien aus den Urteilsfunktionen entspringen, sondern auch, daß diese ihrerseits auf die Endlichkeit der menschlichen Erkenntnisvermögen im Gegensatz zum göttlichen Verstand verweisen. Diese problematische Begründung der Urteilsfunktionen und der Kategorien schließt außerdem eine bescheidenere, immanente Begründung derselben ein, die wir in dieser Arbeit in den Vordergrund gerückt haben: Sie entspringen nämlich aus der Differenz und der Beziehung von Denken (Apperzeption) und Anschauung. Diese immanente Erklärung, die nicht auf die Idee des schöpferischen Verstandes zurückgreift, ist schon in A angedeutet, wenn Kant sagt, daß die Möglichkeit der logischen Form aller Erkenntnis in der Beziehung der mannigfaltigen Vorstellungen auf das Vermögen der Apperzeption gründet (A 118 Anm.). Eine solche Erklärung ist für Kant freilich nicht radikal genug, denn sie setzt Fakta voraus, die sie nicht begründet.40
§ 40. Ausblick auf neue
Möglichkeiten
In den vorangehenden Betrachtungen ist die Möglichkeit plausibel geworden, daß die Kategorien aus der Beziehung der Apperzeption auf die Sinnlichkeit durch die Einbildungskraft als transz. Schemata entspringen. Diese von mir ausgeführte Seiende im ganzen bleibt dem Menschen verborgen. Unsere Erkenntnis schreitet von den Teilen zu einer Ganzheit, die sie nie erreicht. Die menschliche Vernunft ergänzt diesen Mangel auf endliche Weise, insofern sie aus begrenzten Ganzheiten, die sie schon erkennt, Implizites durch Schließen entdeckt. Unsere Vernunft kann auch Teilerkenntnisse, die sie schon besitzt, solchen Ganzheiten als Prämissen zugrunde legen, um daraus Folgen zu ziehen, die diese Ganzheiten betreffen. Solche Operationen wären bei Gott überflüssig, weil er die absolute Ganzheit unmittelbar erkennt und jeder ihrer Teile fiir ihn explizit ist. Beim Schließen spielt der Begriff der Bedingung eine entscheidende Rolle, dessen Ursprung im Schematismus sich nicht im Schema der Kausalität erschöpft, sondern alle Synthesis betrifft, denn jede Phase derselben ist Bedingung der nächsten. 40 Da Kant zwar die Beziehung der Apperzeption auf die Einbildungskraft und die Sinnlichkeit als ratio essendi der Kategorien aufstellt, aber diese Begründung zugleich als unzureichend entwertet, sucht man nach einem anderen Fundament derselben und findet es aus folgenden Gründen in der Apperzeption allein. Obwohl die Deduktion Β in ihrer ersten Etappe die Beziehung der Apperzeption auf die sinnliche Anschauung überhaupt als Grund des synthetischen Charakters des Ich denke und damit der Synthesisregeln beibehält, ist die Leistung dieser Anschauung dabei sowenig hervorgehoben, daß die reine Apperzeption der einzige Grund zu sein scheint. Da dieser Text femer die Urteilsfunktionen vor den Kategorien privilegiert und das Urteil von der Apperzeption her definiert, meint man darin den Ursprung beider Arten von Regeln sehen und die Rolle der sinnlichen Mannigfaltigkeit überspringen zu können. Die Erhebung der reinen Apperzeption zum subjektiven Hauptgrund wird den neueren Interpreten ferner
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Entfaltung einer Möglichkeit der Kritik birgt noch weitere Möglichkeiten in sich, die über den Bereich des Kantischen Denkens hinausführen und die jetzt in einem letzten Schritt aufgezeigt werden sollen. Das Ergebnis der Interpretation hebt eine seltsame Differenz der Kritik gegenüber der ihr vorausgehenden rationalistischen Tradition hervor. Die Kategorien gehen nicht aus dem bloßen Verstand und damit mittelbar aus dem Intellekt Gottes hervor, sondern aus dem menschlichen Verstand im Sinne der Apperzeption in Beziehung auf die Sinnlichkeit. Letztere wird damit zu einem Mit-Grund der transzendentalen Bestimmungen des Objekts. Es handelt sich hier aber nicht etwa nur um die Rolle der bloßen Zeit und sogar des Schematismus bei dieser Begründung, was sonst von vielen Kant-Interpreten schon seit langem beachtet und gewürdigt wird. Die vorangehende Darlegung des Systems der transz. Schemata zeigt vielmehr darüber hinaus, daß auch die Beziehung des empirischen Zeitinhalts zur Zeit, oder die der empirischen Zeitinhalten untereinander im Rahmen der Zeit, beim Entspringen dieser Schemata relevant sind. Welche ontologische Bedeutung hat dies nun aber? Wie bekannt, betrachtet die Kritik sich selbst als Ontologie oder Transzendentalphilosophie (A 845), und zwar als eine Analytik des Verstandes (A 247), die die ontologischen Bestimmungen des Seienden als empirischen Objekts begründet. Daß die Kategorien Seinsprädikate dieses Objekts sind, kann leicht gezeigt werden. Die erste Einteilung der Kategorientafel in mathematische und dynamische Kategorien ist, wie gesagt, eine Umdeutung der traditionellen Unterscheidung von Was- und Daß-sein, esse essentiae und esse existentiae (ζ. Β. Β 110, A 160, 178-79). Die Kategorie der Realität betrifft ein (Was-) "Sein in der Zeit" (A 143). Das Sein als Existenz (absolute Position) und deren Abwandlungen (mögliche, notwendige Existenz) bilden die Klasse der Modalität. Die Substantialität ist die Beharrlichkeit, d.h. die bleibende Existenz (Sein) des Existierenden. Wenn dem so ist, dann ist die oberste Gattungsidee des Systems der transz. Schemata das Sein überhaupt des seienden Objekts: notwendige synthetische Einheit des reinen Mannigfaltigen der Zeit und des empirischen Mannigfaltigen (überhaupt) in der Zeit für ein Selbstbewußtsein.
dadurch nahegelegt, daß man damit den Entwurf Kants in die Nähe des Deutschen Idealismus rücken und trotz der Rezeption von empirischen und sprachanalytischen Elementen noch eine Art fichteanischen Bau errichten kann, in dem man aus der Apperzeption die übrigen subjektiven Strukturen als seine notwendigen Bedingungen ableitet. Dieser Strang der Kant-Interpretation trägt aber der Gleichursprünglichkeit der zwei bzw. drei Grundvermögen nicht Rechnung, berücksichtigt nicht die genannte Begründung der Synthesis und der Synthesisregeln in der Beziehung von Apperzeption und Sinnlichkeit und kann nur eine partielle Erklärung des Systems der Urteilsfiinktionen oder der Kategorien liefern. Diese Beurteilung umreißt die Grundtendenz von Autoren wie D. Henrich (1976, 71 ff.), M. Baum (1986) 32-3, und P. Baumanns (1993,151 ff., insbesondere 170-71), welche ansonsten verschiedene Wege gehen.
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Um dasjenige hervorzuheben, worauf es mir hier ankommt, ist es dienlich, diese Ergebnisse mit der Deutung des Schematismus zu vergleichen, auf die Heidegger in seinem ersten Kant-Buch abzielt. Nach ihm sind die transz. Schemata reine Zeitbilder der Kategorien, die aus der puren Zeit als Jetztreihe heraus gewonnen werden müssen. So sei ζ. B. das Schema der Substanz durch das Jetzt, insofern es immer dasselbe und jeweils ein anderes ist, geliefert. Daß diese von Aristoteles vertretene Doppelseitigkeit des Jetzt nicht das transz. Schema der Beharrlichkeit des Realen (des empirischen Zeitinhalts überhaupt) und auch nicht die Quelle dieses Schemas sein kann, habe ich schon (Anm. 21 ) erörtert. Von seinem Entwurf auf Sein aus der Zeit geleitet, läßt Heidegger beiseite, daß für Kant Zeit ohne Zeitinhalt unanschaulich ist und daß in den transz. Schemata der Qualität, Relation und Modalität der empirische Zeitinhalt jeweils in einer anderen Hinsicht zum Gehalt des Schemas gehört. Übrigens erfüllt Heideggers Deutung der transz. Schemata das Ziel seines Entwurfs nicht zufriedenstellend, denn er läßt die Kategorien nicht vollends aus dem transz. Schematismus entspringen (wie ich hier zu zeigen versucht habe), sondern nimmt reine Begriffe als etwas irgend Vorgegebenes an und beschränkt die Leistung des Schematismus darauf, diese Begriffe zu versinnlichen, d.h. ihnen anschauliche reine Bilder zu verschaffen.41 Alles das deutet auf den Unterschied vorliegender Interpretation gegenüber der genannten Deutung Heideggers hin. Ich bin mit seiner Grundthese insofern einverstanden, als die Kategorien als Seinsprädikate aus der Zeit verstanden werden, aber dies nur zum Teil, denn sie entspringen nicht aus der bloßen Zeit, sondern aus ihr und ihrem Zeitinhalt in Beziehung auf die Apperzeption. Zum anderen halte ich es nicht für möglich, die Urvermögen des Subjekts, die die Archai der Kategorien sind, auf eine einzige Wurzel zurückzuführen und etwa Zeit und Apperzeption zu identifizieren. Wenn man die Möglichkeit des Entspringens der Kategorien aus diesen Vermögen noch innerhalb des Kantischen Rahmens denken will, muß man die Andersheit dieser Vermögen innerhalb einer organisierten Ganzheit respektieren. Welche Relevanz hat es nun, daß der Gehalt der Seinsprädikate des Objekts zum Teil aus dem empirischen Zeitinhalt überhaupt in seiner Beziehung auf die Zeit entspringen muß? Der Zeitinhalt ist zunächst die Materie der Einzelobjekte, von der her sich bestimmt, was ein jedes derselben in seiner Einzelheit ist. Als Bestandteil dieser Objekte ist dieser Inhalt ihnen "näher", als die sie bestimmenden allgemeinen Begriffe es sind. Insofern kann man sagen, daß die Empfindung überhaupt als ein solcher Bestandteil des Seienden Mit-Grund der transz. Schemata ist. Dies bestätigt sich noch deutlicher in den Schemata der Relation, denn die Zeitinhalte, die in faktischen Verbindungsmöglichkeiten in der Zeit auftreten und diese Schemata mit ermöglichen, sind dabei schon Einzelexistierende (überhaupt):
41 Vgl. Kant und das Problem der Metaphysik, § 19 ff. Zu Heidegger vgl. meine Schriften und Differenz (1970) und Übergang zum anderen Anfang (1995).
Transzendenz
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Substanzen und ihre Zustände, d.h. Seiende (obzwar dabei noch ohne weitere empirischen Bestimmungen). Alles das besagt, daß die Seinsprädikate zum Teil aus den möglichen Beziehungen des Seienden oder seines ontischen Gehalts in der Zeit und zur Zeit entspringen. Weit entfernt, aus einer inneren Artikulation der puren Zeit hervorzugehen, sind die Seinsprädikate ursprünglich nicht ohne dieses Zueinander von Zeit und Ontischem möglich. Es handelt sich nicht darum, daß Zeit, Seiendes und Seinsbestimmungen zunächst selbständige "Sachen" wären und danach in Relationen treten würden. Die hier gemeinten B e z i e h u n g e n sind eher so ursprünglich, wie diese drei selber. Daher könnte man vielleicht sagen, daß sie die Artikulation eines Ganzen bilden. Diese Einsicht kann bei den einzelnen transz. Schemata aufgewiesen werden. Die Zahl als Schema der Quantitätskategorien könnte zwar eine Synthesis von Jetztpunkten als homogenen Einheiten sein, aber Zeit ohne E m p f i n d u n g ist unanschaulich, so daß diese Einheiten zugleich immer Empfindungsgehalte sind. Da es in diesem Bereich primär um die Unterschiede unter den Quanta geht, bleibt freilich die Beziehung zwischen diesen Gehalten und der Zeit implizit. In den Schemata der Qualität ist augenscheinlich, daß sie ohne das Zueinander von Zeit und empirischem Zeitinhalt überhaupt unmöglich wären. So etwas wie Präsenz ist nur möglich, wo Seiendes in der Zeit anwesend ist, und da, wo der Zeitinhalt fehlt, konstituiert sich gerade Absenz als Leere der Zeit. Daß die bloße Zeit Schemata der Präsenz liefern würde, ist demnach unmöglich. Realität, Negation und Limitation (als durch Negation eingeschränkte Realität) sind nur als Fülle und Leere der Zeit auf Grund des Zueinanders von Zeit und ontischem Zeitinhalt möglich. Umgekehrt ist der Empfindungsinhalt ein Realseiendes nur, weil es Realität auf Grund des genannten Zueinanders gibt. Die Schemata der Relation setzen die Konstitution der realen Seienden in der Zeit voraus und gehen auf die Beziehungen derselben, insofern sie in der Zeit eher anwesend als abwesend sind, d.h. als Existierenden. In der leeren Zeit ohne vielfaltige Existierende sind beharrliche bzw. vorübergehende Existenz sowie notwendige sukzessive und simultane Existenz unmöglich. Umgekehrt empfangt das Reale seine Bestimmung als Seiendes im Sinne des Existierenden, wenn es auf Grund dieser Beziehungen zwischen Realem und Zeit Sein als Existenz gibt. Keines der genannten drei ist ohne das andere möglich. Endlich tritt in den Schemata der Modalität die B e z i e h u n g des in den vorangehenden Schemata konstituierten Seienden zur Zeit als ganzer ausdrücklich zum Vorschein. Ohne ein Existierendes, das entweder faktisch empfunden oder auf Grund der vorangehenden Schemata begrifflich gedacht oder im Bilde entworfen wird und so in verschiedenen Beziehungen zu einer bestimmten Zeit oder zu jeder Zeit stehen kann, wären Schemata wie Wirklichkeit, Möglichkeit und Notwendigkeit, sowie ihre negativen Korrelata, unmöglich.
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Seiendes gehört also untrennbar mit Zeit und Sein zusammen, und dieser Zusammenhang ist für das Verständnis der Seinsbestimmungen entscheidend. Welche weiteren Möglichkeiten liegen darin für das Denken beschlossen? Eröffnen sie ihm einen Weg, der über die Tradition hinausfuhrt?
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Sachregister Anschauung: rationalistische Auffassung des Unterschiedes von Denken und A. 31 ff.; Kants neue Theorie dieses Unterschiedes 32-35,5254 und dessen Zusammenhang mit der Endlichkeit des Menschen 54-55; Entdeckung des Begriffes der reinen A. 52-53 ; sinnliche A. nach der Dissertatio 37; intellektuelle A. Gottes 54-55; problematische Begriffe von A. überhaupt, sinnlicher A. überhaupt und intellektueller A. 273-74,283 ff.; das Mannigfaltige einer gleichartigen A. überhaupt 230 ; synthetische Konstitution der A. 143 ff.; potentielle Bestimmtheit der A. 334 ff A priori: neuzeitliche Ansätze zur Subjektivität des Α. 15-16 ff. ; Problem der Wahrheit des A. 21 22; Entdeckung der Subjektivität der metaphysischen Begriffe 31 ff., 57-58; Wahrheit des subjektiven A. 34,38 ff.; Subjektivität von Raum und Zeit 36; traditionelle Deutungen des A. und seiner Wahrheit 43-47; zwei Bedeutungen von Α. 161 Anm. 42; die Reflexion auf die Empfindung überhaupt ist a priori 168-69. Begriff: genetische Definition eines B. 61-62; analytische und synthetische Begriffsbildung 103 ff. ; Bildung der reinen Begriffe 106; Seinsweise des Allgemeinen 223-24; Bildung des Begriffs vom Schema her 266-67, 270-71; Begriff und Funktion 90; synthetischer Charakter der analytischen Begriffsbildung 269-70; Realdefinition eines Begriffes 271; problematischer B. 273-74; Ungleichartigkeit von Bild und B. 219 ff.; B. als Regel und Einheit der Synthesis 151 ff.; Β. als Bedingung der reinen Apperzeption 161 -62. Bild: B. und Schema 218 ff.; B. und Synthesis der Einbildungskraft 145 ff.; Ungleichartigkeit von B. und Begriff 221 ff.; B. als Darstellung eines Begriffes 231. Bewußtsein und Apperzeption: Entwicklung der Kantischen Auffassung der A. 63-65 vgl. 159 ; B. auf der Ebene der Rekognition 147 ff. ; Behalten der Originalerscheinungen und
Handlungen als Leistung der A. 150-51; Einheit derA. 157 ff; Unterschied von reiner und empirischer A. 157 ff.; die A. ist kein Objekt 157; die A. ist weder ein SubjektObjekt-Verhältnis noch Reflexion 158; inwiefern ist die A. synthetisch 159; kritische Bedeutung der Bestimmungen des Selbst 159; analytische Urteile über das Ich 160-61,171; ob die A. ein pures Für-sich-Sein ist 161; inwiefern ist das Ich eine spontane Vorstellung der Α. 161 ; inwiefern sind ihre Handlungen a priori 161 Anm. 42; Zerstreuung und Sammlung des B. 162-63; analytische Einheit der Α. 163; inwiefern ist die A. allgemein und vereinzelt 164; der Einwand der Zirkularität gegen die Theorie der A. 164-65; Schwierigkeiten der Theorie der diskursiven A. 17172 Anm. 51 ; synthetischer Grundsatz der A, analytischer Grundsatz der A. und analytischer Satz über das Ich denke 296 ff. Einbildungskraft: E. u. Schema in der Dissertatio 50-51,69-63; E. als Vermögen der Synthesis 106 ff; relative Blindheit der Ε. 106-07; E. als Ort der urspr. Erwerbung 50-51, 62, 106 ff. und der Geburt der Kategorien 205,329 ff ; E. als ursprüngliches Vermögen 131 und als abgeleitete Wirkung des Verstandes 305 f.; E. als Beziehung der Einheit der Apperzeption auf die Sinnlichkeit 197, 200 ff, 329 ff.; E. als Synthesis und deren Selbstbewußtsein 144 ff; E. und Schematismus 215 ff; empirische, reine und transzendentale E. 153; freie und natürliche Kausalität der E. 251-52. Ermöglichung: gegenseitige E. 109 f., 116,zwischen Synthesis, synthetischer Einheit und Apperzeption 161-62; gegenseitige E. der Strukturen des Subjekts als organisierter Ganzheit 187-88; historische Herkunft dieser Lehre 55-56,177 ff. Endlichkeit: E. der menschlichen Erkenntnis als Andersheit von Anschauung und Denken 5960; problematische Erklärung der logischen Formen aus der E. 349 ff.
Sachregister Erkenntnis: mathematische und philosophische E. 25-26; Unterschied von E. und Objekt 155-56; Übereinstimmung der E. mit dem Objekt 11920; Wahrheit der synthetischen E. a priori über das Subjekt 134,184. Erwerbung (ursprüngliche) der apriorischen Vorstellungen: in der Dissertatio 46 ff.; Lehre der u. E. 85 ff.; Unterschied von u. E. und psychologischer Ableitung 87; juristische Herkunft des Ausdrucks 86 Anm. 13; zwei Stufen der u. E. der Kategorien 106 ff., 11415 ; erste Stufe 260 ff., zweite Stufe 268 ff. ; u. E. im Unterschied zur historischen E. der Kategorientafel und zur Darlegung ihrer phil. E. in der KrV 113-14; die Lehre der u. E. ist mit der Deduktion Β unvereinbar 311. Deduktion der Kategorien: D. und Beweis 74 f., 117 ff., 126 Anm. 8; Metaphysische D. 74 ff.; deren Unterschied zur transzendentalen D. 75; Darstellung der met. D. 84 ff., insbesondere 111 -13 ; Andeutung der transz. Deduktion in § 10: 102 ff.; transz. Deduktion im juristischen Sinne 117, allgemeines Prinzip (I) der transz. Deduktion aller Vorstellungen a priori und seine Grundlagen 118 ff. ; Struktur der transz, Deduktion im ganzen 122ff.;Hauptbeweis und Zusatzbeweise 125-26; spezielles Prinzip (II) der transz. Deduktion 125; Unterschied zwischen objektiver und subjektiver D. 130 ff; subjektive D. ist keine rationale oder empirische Psychologie 136 ff., 189-90; subjektive Grundlagen der phil. Reflexion 165 ff.; transz. Reflexion im weiteren und im engeren Sinne 166; vier Leistungen der transz. Reflexion im weiteren Sinne 167 ff.; die subjektive. D. besteht nicht aus analytischen Urteilenl70-171; verschiedene Interpretationen der Kantischen Subjekttheorie 173 ff; kritische Bedeutung der transz. Bestimmungen des Subjekts 177; die Wahrheitsart der synthetischen Erkenntnis a priori über das Subjekt 134,184; subjektive D. in der zweiten Aufl. 300 ff; Kants Motive zur Umwandlung der Theorie des Subjekts in dieser Aufl. 30506; Schwierigkeiten dieser neuen Theorie 307 ff; besondere Form der transz.-objektiven D. der Grundsätze 134 Anm. 20; Übersichtstafel der transz. D. 137; Darstellung der transz. D. [A 115-119] 194 ff; Zusammenfassung der
367 subj. und obj. D. (A) 199-200; die drei Aufgaben der transz. D. 200; Struktur der transz. D. der zweiten Aufl. 278 ff; Gründe der zweistufigen Gliederung dieser D. 280 ff.; Unterscheidung zwischen "daß" und "wie" in der D. 282; Darstellung der obj. D. der zweiten Aufl. 290 ff; transz. D. und Widerlegung des Skeptizismus 127 ff.; 298 ff, verschiedene Deutungsmöglichkeiten der Struktur der transz. D. 140-42; Einwand gegen die transz. D. 128 f., 130.
Gott: Gottesbeweis 24; vorkritische Kritik desselben 29-31; G. als Maximum der Realität 31 Anm. 17; seine Versubjektivierung 33 Anm. 19; die unendliche Erkenntnis Gottes 59 f., 347 ff; G. als Ideal der Vollkommenheit 61 Anm. 50; G. als Grund der Wahrheit der Erkenntnis a priori und die spätere Kritik dieser Auffassung 40 ff. Grund: Satz vom G. 23-24, Wahrheitsgrund 23; zwei Arten von Grundsätzen 25-26; Entgegensetzung von realen Gründen 27-28; Subjektivität der Begriffe von G. und Ursache 31 ff; G. der Wahrheit der Erkenntnis a priori 34, 43 ff.; Subjektivität als organisierter Zusammenhang von Bedingungen 53 ff; Idee als G. eines organischen Systems 180; Ursächlichkeit und Übereinstimmung 43 ff, 120-21; G. im System 81; Grundsätze der transz. Deduktion 122 ff.; subjektive Bedingungen der Möglichkeit 136 ff; Schema von Ursache und Wirkung 243 ff; synthetische und analytische Grundsätze der Apperception 294 ff; Begriff der Bedingung und Schematismus 357, Anm. 39; ratio essendi und cognoscendi der Kategorien 91; Selbstbegründung der Vernunft 316 ff. Idealismus: Wende zum I. und Festhalten am Unterschied von Ding an sich und Phaenomenon 36,46. Idee: Entdeckung der I. im Unterschied zum Begriff 60-61; Wesen der I. als Begriff 78 ff; I. von anschauendem Verstand und sinnlicher Anschauung überhaupt 211 ; I. als Zweck 180. Identität (und Andersheit): I. von Subjekt und Prädikat als Wesen der Wahrheit 23,25; A. von Ursache und Wirkung 28; Synthesis als Ver-
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Sein und Subjektivität bei Kant
bindung oder Trennung von Anderen 24; Identifizierung der sinnlichen Daten in der Rekognition 120 ff.; Behalten der originalen Daten und subjektiver Handlungen als Bedingung dieser Rekognition 148 f.; das Behalten liegt in der Einheit des Bewußtseins 149-50; I. des Bewußtseins 157 ff.; Zerstreuung und Sammlung des Bewußtseins 161-62; Begriff als Grund der I. einer Synthesis 90,151 ; das Entspringen der aktuellen I. des Bewußtseins aus einer Synthesis von Bewußtseinsphasen 162-63, 303; doppelte I. des Ich 160 und Anm. 37; Konstitution der I. des Objekts und der A. seiner Zustände 238 ff.; Voraussetzung der unbegrenzten Beharrlichkeit der Substanzen 242-43; Identität in der Subsumtion 212 ff. ; synthetische Konstitution der I. und der A. von Größen 22930; Identität und Verschiedenheit als Reflexionsbegriffe bei der Begriffsbildung 26263, 268-69. Kategorien: Entdeckung der K.-Tafel 66 ff.; Grund der Möglichkeit der K. 203-04; Bildung der transz. Schemata zu kategorialen Begriffen 106 ff.; K. als Einheit der Synthesis 151 ff., 198; K. als Gründe der Möglichkeit der Gegenständlichkeit 155-56; K.als Gründe der Verwirklichung der Apperzeption 162 f.; die Apperzeption als Grund der Möglichkeit der Einheit der Κ. 182,205,327 f.; die Beziehung der Apperzeption auf die Synthesis der Einbildungskraft (u. auf die Sinnlichkeit) als Grund der Möglichkeit der K. 203-04; schematisierte K. 268 ff.; entschematisierte kategorialen Begriffe 271 ff.; Erklärung der K.-Tafel aus der Produktion der transz. Schemata 336 ff. Logik: formale und transz. L. 103 ; logisches Wesen der Begriffe 95 f.; Beweisart der subjektivobjektiven Deduktion 190 ff.; transz. Argumente 127, 193-94 Anm. 65; logische Form der juristischen Deduktion 117-18; logische Struktur der transz. Deduktion im ganzen 122 ff.; ihre Übersichtstafel 137; logische Struktur der subjektiv-objektiven Deduktion A [116119] 190 ff. und B: 278 ff., 290 ff.; das Problem der Subsumtion und der Horizont der traditionellen Logik 211 f.; ursprüngliche Erwerbung der Urteilsfunktionen 274 ff.; problematische Erklärung der logischen Formen aus der Endlichkeit des Verstandes 349 ff.
Metaphysik: Antike Bestimmung des Seienden von der Seele und dem Logos her 12 f.; die mittelalterliche Verwandlung dieses Ansatzes zur scientia transcendens und deren Fortsetzung in der Transz.-Phil. 14 f.; bei Wolff 22-23; Transformation der Transz.-Phil. oder Ontologie in der KrV 35, 45; Aufgaben der Transz.-Phil. 74, vgl. 165; transz. Reflexion auf die Subjektivität 166, als Teil der Ontologie, die den Grund derselben legt 136; die Frage nach einer Kritik der Kritik 165 ff. Möglichkeit: Widerspruchslosigkeit als reale M. 23 ff.; Kritik dieser Auffassung und Unterscheidung von logischer und realer M. 29 ff.; reale M. im Sinne der Nicht-Unmöglichkeit des Objekts als dessen Übereinstimmung mit der Form der Erfahrung 247-48; zusätzliche Übereinstimmung mit der Materie der Erfahrung 248; M. im Sinne der Nicht-Unmöglichkeit und Nicht-Notwendigkeit des Zufälligen 247-48, 250-51. Raum: als synthetische Vorstellung 32; Absolutheit u. Idealität des R. 35; Entdeckung des R. als reine Anschauung 58-59; Rolle des R. bei der Konstitution derzeit als Größe 233 Anm. 18, 240-41, 311 f.; der R. und die Schemata der Relation 238 ff. Realität: objektive R. oder Gültigkeit 121. Schema: in der Dissertano 42-44; Entwicklung der Theorie des Schematismus 61 ff.; Sch. als Grundlage der synthetischen Begriffsbildung 106 f.; mögliches Entspringen des Gehalts der Kategorie aus der Produktion des transz. Sch. 171; warum Kant diese Möglichkeit nicht ergreift 172, 317 ff. ; Sch. als Instrument der Subsumtion, das die Gleichartigkeit von Bild und Begriff herstellt 51 ff., 211 ff; Bestimmung des transz. Sch. aus seiner Vermittlungsfunktion zwischen Kategorie und Erscheinung 21213 ; Sch. als Regel der synthetischen Produktion der Bilder 218 ff.; Sch. als Methode in Beziehung zum Bild und zum Begriff 219; spezifisches Bewußtsein des Sch. 225 f.; das mathematische Sch. 221-22; das empirische Sch. 222 ff; Schematismus und Nominalismus 223-24; das Problem der "Bilder" der Kategorien 224-25; transz.Sch.als Regel der
Sachregister Synthesis und als reines Bild 225-26; die drei Leistungen des Sch. 227-28; transz. Sch. der Quantität 228 ff. und der Qualität 233 ff.; Sch. der Existenz und Inexistenz im Unterschied zu den Sch. der Realität und Negation 233-34; Anwesenheit, Anwesendes und Abwesenheit 235-36; die Sch. der Relation 236 ff.; schematische Konstitution der Beharrlichkeit und des Wechsels 237 ff.; die Sch. der Modalität 246 ff.; Kunst und Natur im Schematismus 252-53 ; sechs Thesen über die Produktion des Sch. 253 ff., 260; Produktion der empirischen und der mathematischen Schemata 256-60; die Produktion der transz. Sch. 260 ff.; ob der Begriff immer vor dem entsprechenden Sch. existiert 262 ff. Einbildungskraft und Schematismus in der Deduktion B: 307 f.; alternativer Entwurf der Produktion der transz. Sch. 329 ff. Zehn Charaktere der Produktion der transz. Sch. 331-32. Subjekt-Objekt: deren Unterschied 16 ff.
Synthesis: reine und empirische S. 104 ff.; S. als Grund der Analysis 104; synthetische Begriffsbildung 105 ff.; Einheit der Synthesis 90, 109, 151 ff.; S. der Apprehension 144-45, der assoziativen und der behaltenden Reproduktion 146-47; S. in der Rekognition und im Behalten 147 ff. ; empirische, reine und transzendentale S. 153; der synthetische Charakter der analytischen Begriffsbildung 269-70; die Einheit der Apperzeption als Grund verschiedener Stufen von S. 161 Anm. 42. System: S. der Kategorien in der Neuzeit 21-22; Erkenntnis als S. 25; der Weg zur Entdeckung des S. der Kategorien 66 ff.; Grundbestimmungen des Systems 78 ff.; Vollständigkeit des S. der Kategorien und Beweis derselben 80-81, 341 ff. vgl. 337 ff.; zwei Methoden der S.-Bildung 83-84; die systematische Form des Subjekts als organisierter Ganzheit 184 ff,; Selbständigkeit und Unselbständigkeit ihrer Glieder 184; sechs Bestimmungen des Subjekts als Systems 18889; Einbeziehung des Objekts in dieses S. 189. Teleologie: in der vorkritischen Zeit 53 f., 155 ff. ; die teleol. Einheit des Subjekts als Idee 176;
369 das Subjekt als organisierte Ganzheit 178-79; kritische Theorie des Organismus als Naturzwecks 179 ff.; Leben überhaupt und Vernunft qua Leben 181-82; inwiefern die Vernunft als zweckmäßig gedeutet werden kann 182-83; Unterschied zwischen der Deutung der Vernunft als organisierte Ganzheit und ihrer teleologischen Interpretation 178 und 179 Anm. 57, ferner 180, 183-84, 190; Verstand als organisierte Ganzheit 205; dasselbe in der zweiten Aufl. 306 ff.
Urteilstafel: der Weg zur Entdeckung der Urteilstafel 70 ff.; wie das System der Urteilsfunktionen aufgebaut wurde 84 ff.; die Urteilsfunktion 90; Tafel der Urteile und/oder Tafel der Urteilsfunktionen 92-93 ; Entfaltung der Urteilstafel aus der Einteilung ihrer Idee 93 ff. u. 355 ff.; urspr. Erwerbung der Urteilsfunktionen 274 f. Verstand: V. als selbständiger Teil eines Aggregats oder als Moment einer Ganzheit 115-16; Schwanken zwischen beiden Möglichkeiten und seine Lösung 206-07, 306 vgl. 326 ff.; V. als Vermögen zu denken oder als Erkenntnisvermögen 131 ; die Beziehung der Apperzeption auf die Einbildungskraft als Wesen des V. 200 ff. ; Unselbständigkeit des Verstandes 131 ff., und des Vermögens zu denken 200 f.; Vereinzelung des V. 138-39, vgl. 164; neue Auffassung des V. in der zweiten Aufl. 306 und ihre Schwierigkeiten 309 ff; Gattung und Differenz eines solchen V. 287 Anm. 6, 307; unendlicher, endlicher und menschlicher V. 283 ff.
Wahrheit: das neuzeitliche Problem der W. des A priori 21-22; Subjektivität, Gewißheit und W. 15 ff.; metaphysische und transzendentale W. bei Wolff und Baumgarten 43 ff.; W. als Identität von Subjekt und Prädikat und ihre Begründung 23-24; Frage nach der W. des subjektiven A priori 34, in der Dissertano 38 ff.; Gott als Grund der W. und die spätere Kritik dieser Auffassung 40 ff.; Möglichkeiten der Begründung der W. des A priori 42 ff.; traditionelle Herkunft der Kantischen Lösung 43 ff. ; Übereinstimmung und Ursächlichkeit 44-45,120-21 ; W.-Kriterium der Erkenntnis a priori 45,122; W. des Urteils und des Begriffs 118.
370
Sein und Subjektivität bei Kant Empirische und transzendentale W. 120-21; Endlichkeit als Grund der Differenz zwischen wahr und falsch 120; notwendige synthetische Einheit der Erscheinungen als Sachwahrheit 155-56; Wahrheitsart der synthetischen Erkenntnis a priori über das Subjekt 134,184
Wesen: W.-Möglichkeit bei Wolff und dem frühen frühen Kant 23 ff. ; Form und Materie des W. 29-30; logische und reale Möglichkeit 30; Transformation des W. in logisches W. und in subjektive Bedingung der Möglichkeit 30 ff.; Realität und objektive Realität 121-22; die subjektive Deduktion geht auf die Möglichkeit (das Was) des Verstandes 131,138 ff., 313; logisches W. und logische Wirklichkeit in der Urteilstafel 95 ff., 355-56; Konstitution der Differenz von Was und Daß des Objekts im Schematismus 338 f. Anm. 16; diese Differenz in Beziehung auf Gott und den Menschen 354.
Zeit: Z. als synthetische Vorstellung 32; Konstitution der Z. in der Synthesis der Einbildungskraft 143 ff.; stufenweise Konstitution der Z. im transz. Schematismus 229 ff.; die Z. im ganzen 236 ff.; Beständigkeit der Z. und Verfließen ihrer Phasen 242 Anm.25; Verschränkung von Raum- und Z.-Konstitution 233 Anm. 18,247,313; subjektive Z. als extensive Größe 233 Anm. 18; Stufen der Objektivierung der Z. : beim Ziehen einer Linie 232, 312 ff., sowie auf Grund ihrer Messung durch eine Uhr und der Konstitution von Ursachen und Wirkungen 241 ff.; Unmöglichkeit der Produktion der transz. Schemata aus der bloßen Zeit 335, 346 Anm. 20; Ermöglichung der transz. Schemata durch die Beziehung der Einheit der Apperzeption auf die Mannigfaltigkeit der und in der Zeit 331 ff. Ausblick auf eine mögliche Interpretation des Zusammenhangs von Zeit, Seiendem und den Seinsbestimmungen 357 ff.
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