Zum Magie-Begriff in der Renaissance-Medizin und -Pharmazie 3527170111

In: Rudolf Schmitz, Gundolf Keil (Hrsg.): Humanismus und Medizin (= Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Ko

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German Pages [18] Year 1984

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Zum Magie-Begriff in der Renaissance-Medizin und -Pharmazie
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Zum Magie-Begriff in der Renaissance-Medizin und -Pharmazie Von Wolf-Dieter Müller-Jahncke (Marburg a.d.L.)

Bekanntlich war dem lateinischen Mittelalter die Magie in allen ihren Handlungen suspekt1. Die dem römischen Recht entlehnte Auffassung, daß alle „magi” gleichzeitig auch „malefici” seien2, konnten die Interpreta­ toren der christlichen Lehrmeinung auch nicht dadurch mildern, daß sie sich bisweilen auf die „pdyoi” als die JVeisen aus dem Morgenland” berie­ fen, denen sie weniger zauberische als „seherische” Fähigkeiten zuspra­ chen3. So dürfte der „Magus” des christlichen Mittelalters eher der Scha­ denzauberer gewesen sein als ein nach Erkenntnis des Weltlaufs Suchen­ der. Hinzu kam, daß die bekannten divinatorischen Künste wie Hydro-,

1 Zum „magia”-Begriff des lateinischen Mittelalters vgl. neben den älteren, oftmals ethno­ logisch ausgerichteten Werken beispielsweise von John Campbell Colquhoun, Histo­ rische Enthüllungen über die geheimen Wissenschaften aller Z.eiten und aller Völker, Weimar 1853 (Neudruck Niederwalluf 1971) oder Carl Meyer, Der Aberglaube des Mittelalters und der nächstfolgenden Jahrhunderte, Basel 1884, stets die einschlägigen Artikel im Handwör­ terbuch des Deutschen Aberglaubens [HDA], hrsg. v. Hanns Bächtold-Stäubli u.a., 1-X, Ber­ lin, Leipzig 1927-1941, sowie die eingehenden Darstellungen bei Lynn Thorndike, A History ofMagie and Experimental Science, I—VIII, New York, London 1923-1958. Unter den neueren Arbeiten widmen sich Norbert Henrichs, Scientia magica, in: Der Wissen­ schaftsbegriff. Historische und systematische Untersuchungen, hrsg. v. Alwin Diemer, Meisen­ heim a. Glan 1970, 30-46, und Paola Zambelli, Ilproblema della magia naturale nel rinascimento, in: Rivista critica di Storia della Filosofia 3 (1973), 271-296, u. dies. [Hrsg.,],/is/rologia, magia e alchimia nel rinascimentoßorentino ed europeo, in: Firenze e la Toscana dei Medici nell'Europa del Cinquecento, I—IV, Florenz 1980, hier IV, 313-438, derThematik, die Dieter Harmening, Superstitio. Uberlieferungs- und theoriegeschichtliche Untersuchungen zur kirchlich-theologischen Aberglaubensliteratur des Mittelalters, [phil. Habil.schr. Würzburg] Berlin 1979, systematisch zu erfassen sucht. Eine ausführliche Übersicht zur Literatur bei Wolf-Dieter Müller-Jahncke, Astrologisch-magische Theorie und Praxis in der Heilkunde derfrühen Neuzeit, [nat. Habil.schr. Marburg a.d.L. 1982] Wiesbaden 1984 (— Sudhoffs Archiv, Beiheft 25). 2 Harmening [wie Anm. 1], 217; s. auch Zambelli (1973) [wie Anm. 1], 273. 3 Harmening [wie Anm. 1], 219.

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Pyro- oder Geomantie4 gleichfalls von den Kirchenlehrern als heidnische Relikte abgelehnt wurden5. Dieser offiziellen Haltung gegenüber jegli­ cher Art von Magie wird jedoch eine gewisse Beliebtheit ihrer Praktiken entgegengestanden haben, wie man wohl aus den stetigen Verboten durch Konzile oder kirchliche Autoritäten schließen kann6. Auch zeigen die aus der Spätantike überkommenen Bruchstücke praxisbezogener Literatur wie Teile des ‘Corpus Hermeticum’7 oder aus dem arabischen Kulturkreis übernommene Werkauszüge wie der'Picatrix latinus’8 ein nicht unerheb­ liches Wissen um „magia”, die indes vorwiegend als „ars” und keineswegs als gesicherte „scientia” angesehen wurde9. Diese Auffassung von Magie sollte indes im Laufe des 15. Jahrhunderts eine grundlegende Änderung erfahren. Durch die Übersetzung der grie­ chischen Texte Platons und Plotins, aber auch des Proklos, des Jamblichos und des sagenhaften „Hermes Trismegistos” gab der Florentiner Marsilio Ficino erste Impulse zu einer neuen Betrachtungsweise von Gott, Kosmos und Mensch sowie deren gegenseitigen Abhängigkeiten und Wechselwir­ kungen10. Diese Betrachtung fußte auf den Lehren einer - wie er glaubte -

4 Vgl. zu diesen „Künsten” die Artikel in HDA IV (1931/1932), Sp. 548-574; VII (1935/ 1936), Sp. 400-415, u. III (1930/1931), Sp. 635-647. 5 Harmening [wie Anm. 1], 214-216. 6 a.a.O., 67-72. 7 Vgl. zu diesem Schriftencorpus insbes. Wilhelm Gundel, Dekane und Dekansternbilder. Ein Beitrag zur Geschichte der Sternbilder der Kulturvölker, Hamburg 1936 (— Studien der Bibliothek Warburg, 19), Armand Delatte, Herbarius. Recherches sur le cérémonial usité chez les anciens pour la cueillette des simples.et des plantes magiques, 2. Auf]., Lüttich u. Paris 1938 (— Bibliothèque de la Faculté de Philosophie et Lettres de l’Université de Liège, 81), André-Jean Festugière, La révélation d'Hermes Trismegiste, I—IV, Paris 1944-1954, 2. Auf). I (1950), 187-216, sowie Thorndike [wie Anm. 1] II, 214-235. 8 Siehe den einführenden Text von Hellmut Ritter u. Martin Plessner, in: „Picatrix”. Das Ziel des Wesens von Pseudo-Magriti, transi, into German by Hellmut Ritter and Martin Plessner, London 1962 (— Studies of the Warburg Institute, 27), S. XX-LVIII, u. dazu Willy Härtner, Notes on Picatrix, in: Oriens - Occident. Ausgewählte Schriften zur Wissen­ schafts- und Kulturgeschichte, Festschrift zum 60. Geburtstag, Hildesheim 1968 (— Collec­ tanea, 3), 287-311. Zum lateinischen‘Picatrix’ s. Vittoria Perrone Compagni, Picatrixlati­ nus. Concezioni filosoftco-religiose e prassa magica, in: Medioevo 1 (1975), 237-337. ’ Henrichs [wie Anm. 1], 35 f, u. Wolfram Schmitt, Zur Literatur der Geheimwissenschaften im späten Mittelalter, in: Fachprosaforschung. Acht Vorträge zur mittelalterlichen Artesliteralur, hrsg. v. Gundolf Keil u. Peter Assion, Berlin 1974, 167-183. 10 Paul Oskar Kristel 1er, Die Philosophie des Marsilio Ficino, Frankfurt a. M. 1972 (— Das Abendland, N.F., 1), ders., L’Etat présent des études sur Marsile Ficin, in: Platon et Aristote à la Renaissance, Paris 1976 (— De Pétrarque à Descartes, 32), 59-77; Daniel P. Walker, Spiri­ tual and Demonic Magic from Ficino to Campanella, London 1958 (— Studies of the Warburg Institute, 22), Nachdruck ebd. 1975, 36-53, u. Frances A. Yates, Giordano Bruno and the Hermetic Tradition, London 1964, 62-83, u. Paola Zambelli, Platone, Ficino e la magia, in: Studia Humanitatis. Ernesto Grassi zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Egin-

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„prisca theologia”11, die eine Allbeseelung ebenso lehrte wie Einfluß­ nahme des Menschen in das von Gott gelenkte Geschehen innerhalb der „machina mundi”12. Indes barg diese „prisca theologia” doch auch die Gefahr des freizügigen Umgangs mit „spiritus” und „daemones”, denen hier keineswegs nur der Charakter gefallener Engel zukam, sondern die sich dem Menschen gleichermaßen in magischen Operationen bei Beschwörungen, Anrufungen, Amuletten oder Schadenzauber anboten13. Diesem engen Zusammenhang zwischen Dämonen und Magie, den Ficino wohl eher den Werken des Jamblichos als dem ‘Corpus Hermeticum’ entnommen hatte14, setzte er sowohl im ‘Symposion’-Kommentar als auch in der ‘Theologia platonica’ die ebenso enge Verbindung des aus der „anima mundi” hervorgehenden „spiritus mundi” mit der Magie entgegen15. Diese Magie, die Ficino als „magia naturalis” bezeichnete, operierte ohne Dämonen nicht zum Schaden des Menschen, sondern war das eigentliche Vehikel, die gesamte „machina mundi” erkennen zu können16. Diese Art der Magie konnte somit auch bei der Erkennung und Behandlung von Krankheiten durchaus nützlich sein, wie es Ficino in sei­ nem Spätwerk ‘De vita libri tres’ ausführlich darlegt17. Vor allem das dritte hard Hora u. Eckhard Keßler, München 1973 (— Humanistische Bibliothek, Reihe I, Abhandlungen, 16), 121-142. 11 Vgl. zu diesem Begriff den Überblick bei Charles B. Schmitt, Prisca theologia e philosophia perennis: due terni delrinascimento italiano e la lorofortuna, in: Aili del V Convegno Internatio­ nale del Centro di Sludi Umanislici. II Pensiero italiano del Rinascimento e il Tempo nostro, Florenz 1968, 211-236. 12 Kristeller [wie Anm. 10] (1972), 297. 13 Vgl. Robert Müller-Sternberg, Die Dämonen. Wesen und Wirkung eines Urphänomens, Bre­ men 1964, 160-197; zu Ficinos Dämonenbegriff s. Walker |wie Anm. 10], 46-48. 13 Dies zeigte deutlich Brian P. Copenhaver, Hermes Trismegistus and the Theory ofMagie in theRenaissance, [Vortrag gehalten am 8. Sept. 1981 auf dem] Congrès International Guil­ laume Postel, Avranches, 5.-9. Sept. 1981 [Drucklegung in Vorbereitung], 15 Zambelli [wie Anm. 1] (1973), 282-285; vgl. auch Wolf-Dieter Müller-Jahncke, Von Ficino zu Agrippa. Der Magie-Begriffdes Renaissance-Humanismus im Überblick, in: Epochen der Naturmystik, hrsg. v. Antoine Faivre u. Rolf Christian Zimmermann, Berlin 1979, 24-51, hier 35-39 [dazu: GundolfKeil, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 102(1983), 154-156]. 16 Vgl. Walker [wie Anm. 10], 51-53; Zambelli [wie Anm. 1] (1973), 279 f, sowie Werner Beierwaltes, Neuplatonisches Denken als Substanz der Renaissance, in: Studia Leibnitiana. Sonderheft 7 (1969), 1-16. 17 Vgl. zu ‘De vita’ Wilhelm Rudolph Weitenweber, Über des Marsilius Ficinus Werk De Vita Studiosorum nebst einigen Bemerkungen über den Hellenismus, Prag 1855 (— Abhandlungen der kgl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, 5. Folge, 9); Wilhelm Kahl, Die älteste Hygiene der geistigen Arbeit. Die Schrift des Marsilius Ficinus de vita sana (1482), in: Neue Jahrbücher für das klassische Altertum 18 (1906), 482-491, 525-546 u. 559-619, sowie Peter Thomas, Die Astromedizin des Philosophen und Arztes Marsilio Ficino. Ein Bei­

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Buch ‘De vita coelitus comparanda’ enthält jene „officina Marsilij”18, in der sich Ficino der „magia naturalis” bei der Anwendung der Heilmittel bedient. Die diesen innewohnenden „virtutes occultae” als Wirkungs­ prinzipien vermögen nach Ficino durch die stete Anwesenheit des „Spiri­ tus mundi” der auch Träger von Sympathie und Antipathie ist, erklärt zu werden19. „Sympathetische Reihen” setzten alle Dinge des Mikrokosmos, seien es Pflanzen, Tiere, Mineralien oder Steine, Gerüche oder Charakter­ eigenschaften, in entsprechende Verbindungen zum Makrokosmos der Gestirne, Engel und Intelligenzen20. Durch deren Einfluß, meint Ficino, würden auch die „virtutes occultae” der Worte und Zahlen, der Amulette und Gesänge geprägt21. Der Arzt dürfe durch Erkenntnis vermittels „magia” auch diese, einst allein dem Dämonenglauben vorbehaltenen Heilmittel beim Kranken einsetzen, da sie ihm zugänglich geworden seien22. Wie sehr allerdings Ficino den Mißbrauch des dritten Buches von ‘De vita’ befürchtete, lassen seine beständigen Beteuerungen erkennen, daß das Werk nicht für die unredlichen Zwecke einiger Magier, sondern allein für die Ärzte verfaßt worden sei23. Auch weist Ficino auf jene in den Schriften der „prisca theologia” immer wieder anzutreffende Verbindung von Dämonen mit Gestirnen hin, betont hingegegen, daß dies gewisser­ maßen „heidnische” Anschauungen seien, die er mit Zitaten aus den Kir­ chenvätern widerlege24. Nicht die Dämonen der „platonici” oder „arabi” wirkten in der Welt, sondern allein die von Gott ausströmende „anima

trag zum medizinischen Denken im Zeitalter der Renaissance, med. Diss. Münster 1970, u. Giancarlo Zanier, La Medicina astrologica e la sua teoria: Marsilio Ficino e i suoi critici contemporanei, Rom 1977 (— Universitä degli Studi di Trieste. Facoltä di Lettere e Filosofia, 5). 18 Marsilio Ficino [Marsilii Ficini Florentini], Opera, 1—II, Basel 1576 (Neudruck Turin 1962) (— Monumenta Politica et Philosophica Rariora, Ser. I, 7-8), hier I, 530. 19 Vgl. Zambelli [wie Anm. 1] (1973), 285, u. Müller-Jahncke [wie Anm. 15], 38. 20 Dazu ausführlich Thomas [wie Anm. 17], 94-106, sowie Wolf-Dieter Müller-Jahncke, Magie als Wissenschaft im frühen 16. Jahrhundert. Die Beziehungen zwischen Magie, Medizin und Pharmazie im Werk des Agrippa von Nettesheim (1486-1535), nat. Diss. Marburg a.d.L. 1973, 287-306. 21 Thomas [wie Anm. 17], 91-94; vgl. auch Karl Eduard Rothschuh, Konzepte der Medizin in Vergangenheit und Gegenwart, Stuttgart 1978, 86-88. 22 Vgl. Walker [wie Anm. 10], 41 f, u. Wayne Shumaker, The Occult Sciences in the Renaissance. A Study in Intellectual Patterns, Berkeley, Los Angeles, London 1977, 127 f. 23 Ficino [wie Anm. 18] I, 530. 24 a.a.O., 541, zum Verständnis der Schriften der Kirchenvaters. August Buck, Der Rückgriff des Renaissance-Humanismus auf die Patristik, in: Festschrift. Walther von Wartburg zum 80. Geburtstag I—II, Tübingen 1968, hier I, 153-175.

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mundi” Durch Erkenntnis der Hierarchie alles Seins werde der Magier zu einem „Philosophus naturalium rerum”25, der das Obere mit dem Unteren in Einklang zu bringen vermöge26. Diese Auffassung von der Magie als einer „naturalis philosophiae absoluta consummatio”27 vertrat auch Giovanni Pico della Mirandola, Freund Ficinos und Befürworter einer „pax philosophica”, mit deren Hilfe er alle Philosophien seit Platon und Aristoteles miteinander versöhnen wollte28. Pico war wie Ficino der Meinung, daß es dem Magier gegeben sei, das Obere mit dem Unteren - Himmel und Erde also - zu verbinden und miteinander auszusöhnen. Dies gelinge ihm zufolge nur durch Kenntnis der Schriften der „prisca theologia”, zu denen er auch diejenigen der Kab­ bala als gleichermaßen uralte Weisheitsträger zählt29. Erst die Kabbala ermögliche die Erkenntnis des Universums, das in Worten und Zahlen verschlüsselt sei. Im Unterschied zu Ficino lehnt Pico jedoch einen mög­ lichen Einfluß der Gestirne auf die sublunare Welt und vor allem auf den Menschen entschieden ab30. Nicht durch unbestimmbare astrale Kräfte wirke „magia”, sondern durch die Erkenntnis des Menschen als Zentrum des Kosmos, als „vinculum et nodus mundi” schlechthin31. 25 Ficino [wie Anm. 18] I, 600; vgl. Zambelli [wie Anm. 1] (1973), 285, u. Müller-Jahncke [wie Anm. 15], 38 f. 26 Ficino [wie Anm. 18] I, 573; vgl. Walker [wie Anm. 10], 52. 27 Giovanni Pico della Mirandola, De dignitate hominis [Lateinisch u. Deutsch], eingel. v. Eugenio Garin, Bad Homburg, Berlin, Zürich 1968 (— Respublica Literaria, 1), 70. Diese Auffassung vertritt Pico noch deutlicher in den ‘Conclusiones’, s. Giovanni Pico della Mirandola, Conclusiones sive theses DCCCC, Romae anno 1486publice disputandae, sed non admissae, [hrsg. u. komm, v.] Bodhan Kieszkowski,Genf 1973 (—Travaux d’Humanisme et Renaissance, 131), 78 f. 28 Zu Pico s. André-Jean Festugière, Studia Mirandulana /, in: Archives d’Histoire doctri­ nale et littéraire du Moyen Age 7 (1932), 143-184; Ernst Cassirer, Giovanni Pico della Mirandola. A Study in the History ofRenaissance Ideas, in Journal of the History of Ideas 3 (1942), 123-144, 319-354; Eugenio Garin, Giovanni Pico della Mirándola. Vita e dottrina, Florenz 1938-1945 (— Publicazioni della R. Université degli Studi di Firenze. Facoltà di Lettere e Filosofía. 3. Serie, 5) u. Henri de Lubac, Pic de la Mirándole, Paris 1974. 29 Picos die Kabbala betreffenden Quellen beschreiben neben Joseph Leon Blau, The Chri­ stian Interpretation ofthe Cabala in the Renaissance, New York 1944, vor allem François Sec­ ret, Les Kabbalistes chrétiens delà Renaissance, Paris 1964 (— Collection Sigma, 5), 24-41, u. Hermann G reive, Die christliche Kabbala des Giovanni Pico della Mirandola, in: Archiv für Kulturgeschichte 57 (1975), 141-161. 30 So in den späteren 'Disputationes adversus astrologiam divinatricem’, s. Lubac [wie Anm. 28], 308, u. Garin [wie Anm. 28] 1,15-17; vgl. dazu auch Benedetto Soldati, La Poesia astrológica nelQuatrocento. Ricerche e Studi, Florenz 1906, 199-213. 31 Vgl. Garin [wie Anm. 28] 1,157, 200, sowie Kristeller [wie Anm. 10] (1972), 106-108, u. Engelbert Monnerjahn, Giovanni Pico della Mirandola. Ein Beitrag zur philosophischen Theologie des italienischen Humanismus, Wiesbaden 1960 (— Veröffentlichungen des Insti­ tuts für abendländische Religionsgeschichte, 20), 15-26.

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Die Fülle des um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert einsetzenden Schrifttums zu „prisca theologia” und „magia naturalis” zeigt die Begei­ sterung der Gelehrten für diese aus der Antike „wiedergeborenen” Ideen. Neben der Interpretation rein hermetischer Schriften - wie im ‘Crater Hermetis’ des Ludovico Lazarelli32 beispielsweise - befaßten sich andere Autoren mit der gesamten Breite der „prisca-theologia”-Literatur. So verfaßte Lefèvre d’Etaples, ebenso bekannt als Aristoteles-Kommen­ tator wie als Herausgeber des ‘Pimandef’, ein eigenständiges Werk unter dem Titel ‘De magia naturali’33. Die Begeisterung Reuchlins, der in jun­ gen Jahren Ficino und Pico zu Florenz kennengelernt hatte, für die hebräische Sprache und die Kabbala ist bekannt34. Die von seinen Schrif­ ten ausgehenden Impulse führten zu einem tieferen Eindringen in kabba­ listische Lehren, deren Inhalte man dem Christentum anzugleichen suchte. Von Pietro Galatino über Egidio da Viterbo und Francesco Zorzi35 führt diese Spur bis zu Guillaume Postel, dessen visionäre Vor­ stellungen von einer Reform der Welt deutliche Züge des jüdischen Mystizismus aufweisen36. Indes werden bei diesen Autoren „magia”-Vorstellungen weniger in Bezug auf die Erkenntnis des Kosmos als auf die­ jenige des göttlichen Wortes berührt. Dies gilt auch fürJoHANNES Trithe-

32 Vgl. Mirella Brini,Ludovico Lazzarelli. Testi scelti, in: Archivio de Filosofia 1 (1955), 23-77, sowie Paul Oskar Kristeller, Marsilio Ficino eLudovico Lazzarelli. Contributo alla diffusione delle idee ermetiche nel Rinascimenlo, in: Studies in Renaissance Thought and Letters, 2. Aufl., Rom 1969 (— Storia e Letteratura, 54), 221-247. 33 Vgl. zu dem bislang unedierten Text Thorndike [wie Anm. 1] IV, 512-517; Jean-André Festugière, La philosophie de l'amour deMarsile Ficin et son influence sur la littératurefrançaise au XVT siècle, 2. Auf!., Paris 1980 (— Etudes de Philosophie Médiévale, 31), 63, u. Eugene F. Rice jr., The 'De magia naturali’ ofJacques Lefevre d’Etaples, in: Philosophy and Humanism. Renaissance Essays in Honor of Paul Oskar Kristeller, hrsg. v. Edward P. Mahoney, Leiden 1976, 19-29. 34 Zu Reuchlins Quellen s. neben Secret [wie Anm. 29], 44-52, auch Dietrich Mahncke, Unendliche Sphäre und Allmittelpunkt, Halle 1937 (Neudruck Stuttgart-Bad Cannstatt 1966), 117 f; Lewis W. Spitz, The Religious Renaissance ofthe German Humanists, Cambridge/Mass. 1963,61-80, u. Frances A. Yates, The Occult Philosophy in the Elisahethan Age, Lon­ don, Boston, Henley 1979,23-27. Den „magia”-Begriff Reuchlins erläutert Charles Zika, Reuchlins „De verbo miriflco "and the Magic Debate ofthe Late Fiftheenth Century, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 39 (1976), 104-138. 35 Zu Galatino s. Secret [wie Anm. 29], 99-105, u. Anna Morisi, Galatino et la Kabbale chré­ tienne, in: Kabbalistes chrétiens, Paris 1979 (— Cahiers de l’Hermetisme), 213-231; Egidio di Viterbo behandelt ebenfalls Secret [wie Anm. 29], 106-123 sowie Jacques Fabry, La Kab­ bale chrétienne en Italie au XVP Siècle, in: Kabbalistes chrétiens, Paris 1979 (— Cahiers de l’Hermetisme), 57-59. Zu Zorzi s. Cesare Vasoli, Francesco Giorgio Veneto. Testi scelti, in: Archivio di Filosofia 1 (1955), 81-104, sowie Jean-François Maillard, Le 'De Harmonia Mundi’ de Georges de Venise, in: Revue de l’Histoire des Réligions 180 (1971), 181-203, sowie Yates [wie Anm. 34], 29-34.

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Mius (Hans Trittenheimer), der in seiner für Maximilian I. verfaßten ‘Chronologia mystica’ weniger Probleme der „magia” als eine an die Ter­ minologie der Kabbala angelehnte Periodisierung der Geschichte abhan­ delt36 37. Auch seine ‘Steganographia’ deren Abschriften von Zeitgenossen gesucht waren38, enthält ebensowenig Hinweise auf magische Ansichten wie die spätere ‘Polygraphia’ eine Anleitung zur Erstellung und Entziffe­ rung von Geheimschriften39. Dennoch galt der Abt als ein „Erzmagier” zumal sein Name mit anderen als Magier angesehenen Personen immer wieder in Verbindung gebracht wurde: Faust, Agrippa und Paracelsus. Letzterer zählte ihn zu seinen Lehrmeistern40, Agrippa widmete ihm 1510 die erste Fassung seiner ‘De occulta philosophia’41, und über Georg Faust äußerte sich Trithemius abfällig in einem Brief an Virdung von Hassfurth42. In der Tat können diese drei Männer als typische „Magier” des 16. Jahrhunderts angesehen werden. Während Faust als Praktiker bekannt wurde, verkörpert Agrippa den Enzyklopädisten der Magie dieser Zeit, wohingegen Paracelsus in seinen echten Schriften die Magie-Vorstellun­ gen des späten 16. Jahrhunderts zu jener charakteristischen Wendung führte, die sie weitgehend von der Dämonologie befreien sollte.

36 Postel wird ausführlich abgehandelt bei Secret [wie Anm. 29], 171-217, sowie von dems., Postelliana, Nieuwkoop 1981 (— Bibliotheca humanistica et reformatorica, 33), einen Überblick bietet Marion Leathers Kuntz, Guillaume Postel Prophet ofthe Restitution ofAll Things. His Life and Thought, Den Haag, Boston, London 1981 (— Archives Internationa­ les d’Histoire des Idées, 98). 37 Vgl. Klaus Arnold,/oAaw»es Trithemius (1462-1516), Würzburg 1971 (— Quellen und For­ schungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg, 23), 162 f; s. neuer­ dings auch Noel L. Brann, The AbbotTrithemius (1462-1516), Leiden 1981 (—Studies in the History of Christian Thought, 24). 38 So von Agrippa von Nettesheim und seinem Freundeskreis, s. Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim, Opera, I—II, Lyon [um 1550] (Neudruck mit einem Vorw. v. Richard H. Popkin, Hildesheim, New York 1970), I—II, 699, 709, 713, 723. 39 Vgl. Arnold [wie Anm. 37], 187 (zur ‘Steganographia’), 27 (zur ‘Polygraphia’). 40 a.a.O., 185; s. auch Kurt Goldammer, Die geistlichen Lehrer des Theophrastus Paracelsus. Zu Hohenheims Bildungserlebnis und zur geistigen Welt seinerJugend, in: Carinthia. I. Abt. Mit­ teilungen des Geschichtsvereins für Kärnten 147 (1957), 525-529. 41 Vgl. Charles G. Nauert jr., Agrippa and the Crisis of Renaissance Thought, Urbana 1965 (— Illinois Studies in the Social Sciences, 55), 30-32; s. auch Müller-Jahncke [wie Anm. 20], 10, 47. 42 Vgl. Frank Baron. Doctor Faustus. From History to Legend, München 1978 (— Humani­ stische Bibliothek, Reihe I, Abhandlungen, 27), 23-39, u. weiterführend ders., Faustus. Geschichte, Sage, Dichtung, München 1982,21-29, sowie Günther Mahal, Faust. Die Spuren eines geheimnisvollen Lebens, Bern, München 1980, 62-90.

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Der „historische Faust” der erst in letzter Zeit zum Gegenstand kontro­ verser Forschungen geworden ist43, kann als ein Vertreter des umherzie­ henden, auf Popularität und wohl auch Beutelschneiderei bedachten Magiers angesehen werden44. Sicherlich besaß er eine profunde Kenntnis der „prisca theologia” wie auch der mit dieser eng zusammenhängenden Astrologie, die er umherziehend an hohe Herren, aber auch in Städten an den Mann zu bringen suchte45. Als praktizierender Magier, gleichzeitig Quacksalber oder Storger, dürfte Faust auf den Jahrmärkten auch jene magischen Kunststücke vollführt haben, wie sie Girolamo Cardano bei­ spielsweise in seinem 1550 erschienenen Werk ‘De subtilitate’ beschreibt: „Puerum sine capite, caput sine puero ostendunt, vivunt tarnen omnia, et nihil detrimenti puer patitur interim..., alii tractant serpentes: sed vel innoxios, vel exenteratis prius dentibus, vel fame prius maceratos, vel frigore torpentes, vel educatos familiariter.”46 Auch Agrippa berichtet mehrmals von Magiern, die, in weiße Gewän­ der gehüllt, bei den Höfen vorstellig wurden und versprachen, die Zukunft vorhersagen zu können47. Gegen diese populäre Magie, die sowohl Elemente der „magia naturalis” als auch der „magia divinatrix” enthält, wendet sich der Nettesheimer ausdrücklich in seinem Werk ‘De occulta philosophia’, der ersten umfassenden und systematischen Schrift zu allen Arten der Magie48. Diese unterteilt er in die natürliche („magia naturalis”), die himmlische („magia coelestis”) und die zeremonielle Magie („magia caeremonialis”). In der Nachfolge von Ficino und Pico sieht Agrippa die Magie als „naturalium scientiarum summam potestatem”49 an, die in einer von neuplatonisch-hermetischen Vorstellungen

43 Vgl. dazu Günther Mahal, Nachwort, in: Der historische Faust. Ein wissenschaftliches Sympo­ sium, hrsg. v. Günther Mahal, Knittlingen 1982 (— Publikationen des Faust-Archivs, 1), 107-124. 44 Vgl. zu diesem Typus des „Magiers” Grete de Francesco, Die Macht des Charlatans, Basel 1937, 71-92. 45 Vgl. Mahal [wie Anm. 42], 106-121, u. Baron [wie Anm. 42] (1982), 34-36. 46 Girolamo Cardano, De subtilitate libri XXI, Nürnberg 1550, 342 f. 47 Agrippa [wie Anm. 38], II, 885 f; vgl. hierzu Karl Kiesewetter, Faust in der Geschichte und Tradition, I—II, Berlin 1921 (— Geheimwissenschaften), 23/24, hier I, 24 f, sowie WolfDieter Müller-Jahncke, Astrologie und Magie zur Zeit des historischen Faust, in: Der histo­ rische Faust [wie Anm. 43], 27-35, hier 32. 48 Vgl. zu Agrippas Werk Nauert [wie Anm. 41], 116-156, Müller-Jahncke [wie Anm. 20], 35-49; ders., Agrippa von Nettesheim: „De occultaphilosophia“- Ein „Magisches System", in: Studia Leibnitiana. Sonderheft 7 (1978), 19-29, u. vor allem Paola 7.am\ye\\i, Agrippa von Nettesheim in den neueren kritischen Studien und Handschriften, in: Archiv für Kultur­ geschichte 51 (1969), 264-295. 49 Agrippa [wie Anm. 38], II, 90; vgl. Müller-Jahncke [wie Anm. 48], 21.

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geprägten „machina mundi” für den Menschen ausübbar werde50. Welt­ seele und „spiritus mundi” prägten den Kosmos und vermittelten dem Menschen die Erkenntnis der „virtutes occultae”, deren sich dieser dann bedienen könne, sei es in der Medizin als Heilmittel, sei es bei Beschwö­ rungen oder dem Gebrauch von Amuletten51. Entgegen Ficino bezieht Agrippa jedoch die Dämonen und Intelligenzen als im Auftrag des „Spiri­ tus mundi” handelnde Zwischenwesen in seine Erklärungen der „virtutes occultae” ein und scheut sich keineswegs - vor allem im dritten Buch über die zeremonielle Magie -, eine ausführliche Beschreibung ihrer dem her­ metisch-astrologischen wie kabbalistischen Schrifttum entnommenen Namen und Eigenschaften zu geben52. Dies machte ‘De occulta philosophia’ angreifbar, und Agrippa verdankte es wohl nur der schützenden Hand des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied, daß er nicht strenger von der Kirche verfolgt wurde53. Mißfielen der Inquisition vor allem die ausführlichen Beschreibungen von dämonischen Amuletten, Gesängen und Anrufungen54, so waren es aber vor allem diese Praktiken, die ‘De occulta philosophia’ für die an Magie interessierten Zeitgenossen wie auch spätere Generationen so wertvoll erscheinen ließen. So erweist sich das erst nach Agrippas Tod erschienene sogenannte ‘Vierte Buch’ als handliches Exzerpt für die magische Praxis der Dämonenbeschwörung55. Noch im frühen 17. Jahrhundert zirkulierten Auszüge und Abschriften der „De occulta philosophia”, deren Text teilweise wohl auch in das deuteroparacelsische Schrifttum einging56.

50 Vgl. dazu a.a.O., 22 f. 51 Vgl. die Übersicht bei dems. [wie Anm. 20], 156-240. 52 Vgl. ders. [wie Anm. 48], 24 f. 53 Vgl. Nauert [wie Anm. 41], 112 f. 5,1 a.a.O., 112. 55 a.a.O., 325; vgl. auch Will-Erich Peuckert, Pansophie, Stuttgart 1936, S. 136-145, u. WolfDieter Müller-Jahncke, Johann Dryander und Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim in ihrem Briefwechsel, in: Hessische Heimat 25 (1975), 91-98. 56 Dieses Problem ist bisher nicht befriedigend gelöst, vgl. Karl Anton Nowotny [Hrsg ], Agrippa von Nettesheim: De occultaphilosophia. Köln 1533, Neudruck, hrsg. v. Karl Anton Nowotny, Graz 1967, 673-680. Zu der wohl deuteroparacelsischen Schrift ‘Archidoxis magica’, in der sich viele Hinweise zur magischen Praxis und Theorie finden, s. Karl Sudhoff, Vorwort, in: Theophrastus von Hohenheim gen. Paracelsus, Sämtliche Werke, 1. Abt.: Medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische Schriften, hrsg. v. Karl Sudhoff, I-XIV, München, Berlin 1929-1933, hier XIV, S. XXV-XXVIII; vgl. aberauch Will-Erich Peuckert, Cabalia. Ein Versuch zur Geschichte der magia naturalis im ¡6. bis 18. Jahrhundert, Berlin 1967 (— Panosophie, 2), 205-211, u. neuerdings Wolfgang Schneider, Paracelsus Autor der Archidoxis magica? Braunschweig 1982 (— Veröffentlichungen aus dem Phar­ maziehistorischen Seminar der Technischen Universität Braunschweig, 23), 19-22, der in dieser Frage nicht zur Aufklärung beitragen kann.

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Die Frage der Echtheit insbesondere der magische Theorien behan­ delnden Schriften des Paracelsus ist nach wie vor ein Streitpunkt. Man darf indes wohl der Auffassung Karl Sudhoffs folgen, daß die 1537 odèr 1538 abgefaßte ‘Philosophia Sagax’ in der sich nicht wenige Äußerungen zur Magie finden, als gesichert gelten kann57. Aus dem zwar von den Leh­ ren der „prisca theologia” ausgehenden, jedoch völlig veränderten Bild von Kosmos und Mensch58 ergibt sich bei Paracelsus eine weitgehende Ablehnung des zeitgenössischen Astrologie-Begriffs, der vielmehr zu einem auch die Magie umfassenden „astronomia”-Begriff umgeformt wird59. Dabei lehre die „naturalis astronomía” den Einfluß des Firma­ ments auf den „siderischen” Leib, der dem „irdischen” übergeordnet sei und ihn bestimme60. Die „supera astronomía” verhülfe dem durch Chri­ stus zu neuem Leben Erweckten zur Erkenntnis61. Die „astronomía olympi novi” lasse den wahren Glauben erkennen, wohingegen die „astronomía inferiorum” dem Menschen die „infernalischen geist” offen­ bare62. Jede dieser vier „astronomien” unterteilt Paracelsus in neun „membra” als Instrumente der Erkenntnis. Unter ihnen findet auch

57 Vgl. Sudhoff [wie Anm. 56] XII, S. VI f. 58 Vgl. dazu vor allem Walter Pagel, Paracelsus. An Introduction to Philosophical Medicine in the Era of the Renaissance, Basel, New York 1958 (in dem als 2. Aufl. deklarierten Neu­ druck, Basel, New York 1982, müssen vor allem die „Addenda und Errata” S. 351-374 beachtet werden!), sowie ders., Paracelsus als Naturmystiker, in: Epochen der Naturmystik, hrsg. v. Antoine Faivre u. Rolf Christian Zimmermann, Berlin 1979, 52-104. Vgl. aber auch Kurt Goldammer, Das Menschenbild des Paracelsus zwischen theologischer Tradition, Mythologie und Naturwissenschaft, in: Gestalt und Wirklichkeit. Festgabefür Ferdinand Weinhandl, hrsg. v. Robert Müller u. Johann Fischl, Berlin 1967, 375-395. 59 Vgl. Kurt Goldammer, Die Astrologie im ärztlichen Denken des Paracelsus. Mit besonderer Berücksichtigung des Begriffs einer „natürlichen Magie“ in: Studia Leibnitiana. Sonderheft 7 (1978), 30-51. Leider hat Charles Webster, Paracelsus and Demons: Science as a Synthesis of Popular Belief, in: Scienze, credenze occulte, livelli di cultura, Convegno internazionale di studi (Firenze, 26-30 giugno 1980), Florenz 1982, 4-20, die Arbeit Goldammers über­ sehen, was ihn zu teilweise irrigen Auffassungen führte. Seine Korrekturen in: From Paracelsus to Newton Magic and the making of modern Science, Cambridge 1982, konnten hier nicht mehr berücksichtigt werden. Arlene Miller-Guinsburg, Paracelsian Magie and Theology. A Case Study of the Matthew Commentaries, in: Kreatur und Kosmos, Inter­ nationale Beiträge zur Paracelsusforschung, Kurt Goldammer zum 65. Geburtstag, hrsg. von Rosemarie Dilg-Frank, Stuttgart, New York 1981,125-139, wird bezüglich der theo­ logischen Auffassungen Hohenheims der Thematik gerecht. 60 Vgl. Goldammer [wie Anm. 59], 35. 61 ebd. 62 ebd.; vgl. auch Webster [wie Anm. 59], 14-18. Zu den Folgen s.Kurt Goldammer, Paracel­ sus in der deutschen Romantik. Eine Untersuchung zur Geschichte der Paracelsus-Rezeption und zu den geistesgeschichtlichen Hintergründen der Romantik, Wien 1980 (-Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung, 20), 91-101.

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„magia” ihren Platz, die dem Menschen hülfe, dasjenige zu erkennen, was außerhalb der von ihm geschaffenen Lehren liege63. In Anlehnung an Picos Zitat von der Magie als der Vollendung der natürlichen Philosophie meint Hohenheim, daß sie „ist ein muter aller verborgen ding der natur, zu wissen, was die natur antrifft”64. Der Magier selbst bediene sich der ver­ borgenen Kräfte der Worte, der Amulette oder „gamaheu”, die Waffen festmachen oder Schlösser öffnen könnten65. Sie vermögen auch als Heil­ mittel wirksam zu werden, wie es, so Paracelsus, die Alten gelehrt hätten. Mit Hilfe der „membra” der „astronomia” könne der Mensch dasjenige, was in der Natur „heimlich liegt”66, erforschen. So ist auch für Hohen­ heim „magia naturalis” Vehikel zur Erkenntnis, wohingegen er die „magia divinatrix” in der ‘Philosophia Sagax’ ausklammert67. In der Tat war es in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts nicht ungefährlich, sich mit der Frage nach der Existenz von Dämonen zu befassen. Schon zu Zeiten Ficinos hatte Papst Innozenz VIII, jene Bulle ‘Summis desiderantes affectibus’ gegeben68, die sich ausdrücklich gegen den Mißbrauch der dämonischen Magie gewandt hatte und auf deren Grundlage der ‘Malleus maleficarum’ der Kölner Dominikaner Sprenger und Institoris fußte69. Der ‘Malleus’ dem allerdings erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine höhere Bedeutung beigemessen wurde70, kennt neben den „malefici” auch deren dämonische Magie, die von den

63 a.a.O., 35-37, 40-44. 64 Paracelsus [wie Anm. 56] XII, 125; vgl. Pagel [wie Anm. 58] (1958), 62 f, u. Goldammer [wie Anm. 59], 40. 65 a.a.O., 128, 133; vgl. Walter Pagel. Das Medizinische Weltbild des Paracelsus. Seine Zusam­ menhänge mit Neuplatonismus und Gnosis, Wiesbaden 1962 (— Kosmosophie, 1), 111-113, u. Goldammer [wie Anm. 59] (1978), 39. 66 a.a.O., 185. 67 Die entsprechenden deuteroparacelsischen Schriften und ihr Umfeld werden ausführ­ lich bei Peuckert [wie Anm. 56], 197-224, abgehandelt. 68 Vgl. Joseph Hansen, Quellen und Untersuchungen zur Geschichte des Hexenwahns und der Hexenverfolgung im Mittelalter, Bonn 1901 (Neudruck Hildesheim 1963), 24-27, mit dem Text der Bulle. Eine Übersicht zur Literatur zum Hexenwesen bietet Franz-Josef Kuh­ len, Hexenwesen - Hexendrogen, in: Pharmaziegeschichtliche Rundschau 9 (1980), 29-31, 46-48; s. auch ders., Zur Geschichte der Schmerz-, Schlaf- und Betäubungsmittel in Mittelalter und früher Neuzeit [nat. Diss. Marburg a.d.L. 1981]. Mit einem Geleitwort v. Rudolf Schmitz, Stuttgart 1983 (— Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie, 19), 266-372. 69 Hansen [wie Anm. 68], 243, 360-407. 70 Vgl. Brian Easlea, Witch Hunting Magic and the new Philosophy: An Introduction to the Deba­ tes of the Scientific Revolution 1450-1750, Sussex, New Jersey 1980, 10.

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Verfassern ebenso verurteilt wird wie die „magia naturalis”71. Treten im ‘Malleus’ eher die von den Kirchenvätern und vor allem von Thomas geprägten Auffassungen von Magie als „Schadenzauber” wieder deut­ licher hervor, so sehen auch die Kommentatoren des neuentdeckten Ari­ stoteles als des eigentlichen „philosophus” der Antike72 die Dämonen­ frage in anderem Licht als die Anhänger der „prisca theologia” Wenn­ gleich alle Autoren eingestehen, daß in den Schriften des Aristoteles die Frage nach der Existenz von Dämonen durchweg verneint wird, beziehen sich beispielsweise Agostino Nifo73, aber auch der junge Symphorien Champier74, ausdrücklich auf das Wirken der Dämonen bei magischen Operationen, das hingegen der Paduaner Philosoph und Arzt Pietro Pomponazzi ablehnt. Seine bereits 1520 verfaßte, wenngleich erst zur Mitte des 16. Jahrhunderts durch Grataroli herausgegebene75 Schrift ‘De naturalium effectuum admirandorum causis, sive de incantationibus’ unter­ sucht auf der Grundlage der Hypothese der Sterblichkeit der Seele76 die Gründe der wunderbaren Effekte in der Natur. Pomponazzi lehnt die Welt der Zwischenwesen von „spiritus”, Intelligenzen und Dämonen ab, da deren Existenz den von Gott einmalig ausgegangenen reinen Schöp­ fungsakt widerlegen müßte77. Dieser Akt sei, so Pomponazzi, einmalig und unwiederholbar gewesen, da Gott als Unbewegter Beweger allein der

71 Vgl.Jakob Sprenger u. Heinrich Institoris, Malleus maleficarum. in: Malleorumquorundam maleficarum..I—II, Frankfurt a.M. 1532, hier 1,86-88; vgl. Zambelli [wie Anm. 1] (1973), 274 f. 72 Vgl. Paul Oskar Kristeller, Humanismus und Scholastik in der italienischen Renaissance, in: Humanismus und Renaissance (— Humanistische Bibliothek, Reihe I: Abhandlungen, 21), I-II, München 1974-1976, hier II, 87-111, bes. 106-108. 73 Zu Nifos Lehren s. neben Thorndike [wie Anm. 1] V, 69-93, insbesondere Paola Zam­ belli, IProblemimetodologicidelnecromante Agostino Nifo, in: Medioevo 1 (1975), 129-171. 74 Zu Champier s. Brian P. Copenhaver, Symphorien Champier and the Reception ofthe occultist Tradition in Renaissance France, Den Haag, Paris, New York 1978,243-330, mit der Über­ setzung des ‘Dyalogus in magicarum artium destructionem’; vgl. jedoch auch Walter Moench, Die italienische Platonrenaissance und ihre Bedeutung für Frankreichs Literatur­ und Geistesgeschichte (1450-1550), Berlin 1936 (— Romanische Studien, 40; Neudruck Nendeln/Liechtenstein 1967), 218-250. 75 Vgl. dazu Manuela Doni, II 'De incantationibus' di Pietro Pomponazzi e l’edizione di Gug­ lielmo Grataroli, in: Rinascimento 15 (1975), 183-230. 76 Vgl. Henri Busson, Le rationalisme dans la littératurefrançaise de la Renaissance 1533-1601, 2. Aufl., Paris 1971, 46-52; John Herman Randall jr., [Einleitung] Pietro Pomponazzi: On the Immortality ofthe Soul, übers, v. William Henry Hay II, in: The Renaissance Philosophy of Man, hrsg. v. Ernst Cassirer, Paul Oskar Kristeller u. John Herman Randall jr., Chicago, London 1948,257-259; Bruno Nardi, Studisu Pietro Pomponazzi, Florenz 1965,149-203, sowie Giovanni Di Napoli, L’immortalità dell’anima nel rinascimento, Turin 1963, 7-20. 77 Pietro Pomponazzi. De naturalium effectuum (admirandorum) causissivedeincantationibus, in: ders., Opera, Basel 1567, 6-327, hier 133.

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sich gemäß seinem Auftrag bewegenden Gestirne zur Weltenlenkung bedürfe78. Die Gestirne prägten den Mikrokosmos; ihre Bewegungen und Konstellationen bewirkten letztlich den Effekt der „virtutes occultae”, nicht aber die Dämonen oder sonstige Zwischenwesen79. Am Beispiel der Krankheiten erläutert Pomponazzi, daß die Dämonen keine Macht aus­ üben könnten, da sie als immaterielle Wesen nicht auf die Materie wirk­ ten. Sie führten keine Salbenbüchsen, keine Ranzen oder Säcke mit Pfla­ stern und Säften mit sich - wie die Apotheker und Chirurgen -, durch die sie zu heilen vermöchten80. Dies geschehe vielmehr durch die „virtutes occultae” der Dinge, die dem Menschen durch „magia naturalis”, die sich der Gestirne bediene, offenbart würden. Diese Art der Magie ist für Pom­ ponazzi eine wahrhaftige Wissenschaft, die der „philosophia naturalis” und der Astrologie untersteht81. Trotz dieser „Entdämonisierung” der Magie durch Pomponazzi äußert sich die Mehrzahl der Autoren zu diesem Thema eher vorsichtig. Für diese Vorsicht können zwei eng miteinander verbundene Faktoren gel­ tend gemacht werden: die pandiabolischen Vorstellungen sowohl des deut­ schen Protestantismus wie späterhin der Gegenreformation und der sich stetig verstärkende Hexenglaube. Luthers Ablehnung aller mantischen Künste und okkulten Wissenschaften, unter ihnen auch Astrologie und Magie, ist ebenso bekannt82 wie seine Meinung, für diese Wissenszweige sei allein der Teufel verantwortlich83. Wenn auch Melanchthon und sein Umkreis bezüglich der Astrologie andere Ansichten vertraten84, dürfte Luthers Lehre vom Teufel als Wurzel alles Bösen den Protestantismus

78 a.a.O., 115. 79 a.a.O., 242 f. 80 a.a.O., 19. 81 a.a.O., 105 f; vgl. Zambelli [wie Anm. 1] (1973), 293. 82 Vgl. dazu neben den bis heute grundlegenden Ausführungen bei Aby Warburg, Heid­ nisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten, Heidelberg 1920 (— Sitzungs­ berichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 1920, 26), 34-50, auch Ingetraut Ludoiphy, Luther über Astrologie, in: Undfragten nachjesus. Beiträge aus Theologie, Kirche und Geschichte. Festschrift Ernst Barnikol zum 70. Geburtstag, Berlin 1964, 168-176, u. Paola Zambelli, Fine del mondo o inizio della Propaganda? Astrologia, filosofta della storia e Propaganda politico-religiosa nel dibattito sulla congiunzione del 1524, in: Scienze, credenze occulte, livelli di cultura. Convegno internazionale di studi (Firenze, 26-30 giugno 1980), Florenz 1982, 290-368, hier 292 f. 83 Vgl. Mahal [wie Anm. 42], 344, u. Hans Robert Gerstenkorn, Weltlich Regiment zwischen Gottesreich und Teufelsmacht. Die staatstheoretischen Auffassungen Martin Luthers und ihre politische Bedeutung, Bonn 1956 (— Schriften zur Rechtslehre und Politik, 7), 19-26. 84 Vgl. dazu Wilhelm Maurer, Melanchthon-Studien, Gütersloh 1964,41-44; ders., Derjunge Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation, I—II, Göttingen 1968, hier I, 129-135, sowie Stefano Caroti, Comete, portenti, causalitä naturale e escatologia in Filippo

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doch nachhaltiger geprägt haben. Als eine der ersten Schriften zu Hexenglaube und Magie aus diesem Umfeld kann die Schrift ‘De praestigiis daemonum’ des aus Brabant stammenden, klevischen Arztes Johan­ nes Weier (Johannes Wier van Grave), eines Schülers Agrippas85, gelten, die in denjahren nach dem Erscheinen der lateinischen Erstausgabe 1563 oftmals nachgedruckt und auch ins Deutsche übersetzt wurde86. Entgegen der lateinischen Titelei der Schrift wendet sich Weier allerdings weniger den Dämonen, deren Namen und Erscheinungsformen er zwar beschreibt, als dem Teufel als dem eigentlich wirkenden bösen Prinzip zu: Er sei es, der die „magi infami” zu ihren schändlichen Operationen ver­ leite, denen letztlich - so Weier - auch die „platonici” mit ihrer Magie gefolgt seien87. Diese Magier verdürben gleichermaßen die Medizin, da sie vorgaukelten, Heilungen durch Dämonenaustreibungen zu bewirken, was allerdings unmöglich sei, da der Teufel nicht heilen könne88. Wäh­ rend Weier für alle Magier die Todesstrafe fordert89, gesteht er in der Hexenfrage ein, daß es sich bei diesen Frauen meist um alte Weiber han­ dele, die von den „imaginationes” des Teufels verführt worden seien. Nicht sie gelte es zu verfolgen, sondern die Zauberer als Werkzeuge des Teufels90. Vor allem gegen die die Hexen betreffenden Passagen aus ‘De praestigiis daemonum’ die 1577 als Auszug unter dem Titel ‘De lamiis’ erschie­ nen waren91, wandte sich der französische Jurist und feinsinnige Kenner der Kabbala, Jean Bodin92. Sein Werk ‘De la Demonomanie des Sorciers’ Melantone, in: Scienze [wie Anm. 82], 393-426, u. Wolf-Dieter Müller-Jahncke, Astro­ logische und magische Medizin unter dem Einfluß Wittenbergs, in: Wiss. Z. Univ. Halle, Math.-naturw. R. XXXIV (1985), H. 2 [im Druck]. 85 Zu Weier s. Carl Binz, Doctor Johann Weyer, ein rheinischer Arzt, der erste Bekämpfet des Hexenwahns, 2. Aufl. Berlin 1896; J.J. CcJcToen,Johannes Wier. Zijn opvattingen overbezetenheid, hekserij en magie, Assen 1960 (— Van Gorcum’s Historische Bibliotheek, 62), u. Christopher Baxter, John Weyer’s De Praestigiis Daemonum: Unsystematic Psychopathology, in: The Damned Art. Essays in the Literature of Witchcraft, hrsg. v. Sydney Anglo, London 1977, 53-75; sein Verhältnis zu Agrippa beschreibt Nauert [wie Anm. 41], 323. 86 Binz [wie Anm. 85], 66-68. 87 Johannes Weier, De praestigiis daemonum, et incantationibus et veneficiis libri VfBasel 1566, 130. 88 a.a.O., 192. 89 a.a.O., 546-550. 90 Vgl. Annemarie Leibbrand-Wettley, Zur Psychopathologie und Dämonologie bei Paracelsus und Johannes Weyer, in: MeXf|pata, Festschrift für Werner Leibbrand, hrsg. v. Joseph Schumacher, Mannheim 1967, 65-73. 91 Vgl. Binz [wie Anm. 85], 68. 92 Zu Bodins ‘Démonomanie’ s. Pierre Mesnard, État présent des Études Bodiniennes, in: Discorsi e Prolusioni 13 (1961), 3-12, u. Ursula Lange, Untersuchungen zu Bodins Démonoma­ nie, Frankfurt a.M. 1970 (— Das Abendland, 8), 32-38; die kabbalistischen Vorstellungen

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aus dem Jahre 1580 lehnt wie Weiers Schrift jegliche Art von Magie ab. Zwar meint Bodin, daß es in früheren Zeiten durchaus eine verehrungs­ würdige Magie gegeben haben könne; diese sei nunmehr jedoch korrum­ piert und völlig verdorben93. Somit bedeutet Magie für Bodin immer Teu­ felswerk, bei dem sich der Magier von Gott abwendet94. Entgegen Weier hält Bodin allerdings auch die Hexen für verdammungswürdig; sie sind für ihn nicht mehr mißbrauchte Werkzeuge, sondern williges Gefolge des Teufels95. Differenzierter wendet sich der gegenreformatorische Autor Martín del Rio, Jesuit und seit 1578 Vizekanzler der spanischen Niederlande, in seinen ‘Disquisitionum magicarum libri sex’ dem Problem der Magie zu96. Del Rio unterscheidet die „magia naturalis” von der „magia daemoniaca” und stellt diesen Genera der Magie die „magia artificiosa” zur Seite97. Indes sind für ihn sowohl die „natürliche” als auch die „kunstfertige” Magie letztlich nichts anderes als gefährliche Spielarten der „magia dia­ bólica” die von Dämonen beherrscht werde, welche als Gefährten des Teufels den Pakt mit dem Magier schlössen98. Neben dem „verteufelten” Begriff der „magia naturalis” entstand seit der Mitte des 16. Jahrhunderts derjenige der „magia artificiosa" oder „magia art i ficia lis” Die Schriften zu diesem Genus der Magie beruhen vor­ wiegend auf der schon im lateinischen Mittelalter verbreiteten ‘Secreta’und ‘Mirabilien’-Literatur, die durch technische und medizinische Rezeptsammlungen vermehrt worden war99. Zu dieser Literaturgattung Bodins führt in Kürze an Marion Leathers Kuntz, [Einleitung zu] Jean Bodin. Colloquium of the Seven about Secrets of the Sublime, Princeton, London 1975, S. LXVIILXXXI. 93 Jean Bodin, De magorum daemonomania libriIV, Basel 1581,79-98; vgl. Walker [wie Anm. 10], 173, u. Lange [wie Anm. 92], 45-48. 94 a.a.O., 114-118; vgl. dazu Pierre Mesnard./ean Bodin a la recherche des secrets de la nature, in: Atti del V Convegno Internationale di Studi Umanistici (Oberhofen, September 1960), Padua 1960,224-234. 95 Vgl. Pierre Mesnard, La Démonomanie de Jean Bodin, in: L'Opera e il pensiero di Giovanni Pico della Mirándola nella storia dell’umanesimo, I-II, Florenz 1965, hier II, 333-356. 96 Vgl. Walker [wie Anm. 10], 178; aber vor allem auch Walter Pagel: Joan Baptista van Helmont, Cambridge 1983 (— Cambridge Monographs), 3 f. 97 Martin Del Rio, Disquisitionum magicarum libri sex, Köln 1617, 3-9. 98 a.a.O., 95-99. 99 Dieser Literaturtyp wird behandelt bei John Ferguson, Bibliographical Notes on Histories of Inventions and Books of Secrets, hrsg. v. E. A. Osborne. I-V, London 1959, sowie Wil­ liam C. Eamon, Books ofSecrets and the Empirical Foundations ofEnglish Natural Philosophy 1550-1660, phil. Diss. Lawrence/Kansas 1975 [masch.schr.], u. Joachim Telle, Arznei-, Kunst- und Wunderbücher, in: Pharmazie und der gemeine Mann. Hausarznei und Apotheke in deutschen Schriften derfrühen Neuzeit. [Katalog z.] Ausstellung der Herzog-August-Biblio­ thek Wolfenbüttel vom 23. August 1982 bis März 1983, Wolfenbüttel 1982, 73-75.

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gehören ebenso die ‘Secreta’ des pseudonymen Alessio de Piemont(1555) wie die ‘Secreti’ (1556) der Isabella Cortese oder die Gabriele Falloppia unterschobenen ‘Secreti diversi e miracalosi’ (1563)100. Aber alle diese Werke wurden durch die ‘Magia naturalis’ des Giovanni Battista della Porta überragt, die seit 1558 in stetig verbesserten Auflagen erschienen101. Auch Porta beruft sich auf den Satz Picos, daß die „magia naturalis” eine „activa naturalis Philosophiae portio” darstelle102, die mit der „magia infamis” nichts gemein habe. Nach einer kurzen Darstellung seiner Kosmolo­ gie, die sowohl aristotelische als auch neuplatonisch-hermetische Ele­ mente aufweist103, wendet er sich den verborgenen Kräften der Dinge der Natur zu, die er mit Hilfe der „magia naturalis” entschleiern will. Er macht jedoch darauf aufmerksam, daß dasjenige, was man gemeinhin „magisch” nenne, nichts anderes sei als das eigentliche Wirken der Natur104. Dieser Ansicht folgen Portas Ausführungen zur magischen Praxis, die sich nicht mehr auf die Kraft der Amulette oder Gesänge beziehen, sondern auf praktische Anleitungen zum Gartenbau, zur Viehzucht, zur Destillation oder zur Optik105. Die Bedeutung dieser Werke zur „magia artificiosa” wurde wohl nicht zuletzt ihres spröden Inhalts wegen lange Zeit unterschätzt, obgleich die zahlreichen und oftmals jährlich herausgegebenen Neuauflagen wie die Übersetzungen in fast alle europäischen Sprachen den Rückschluß auf weiteste Verbreitung zulassen. Zwar stützt sich die Mehrzahl dieser Schrif­ ten noch auf sympathetische Vorstellungen und den Einfluß der Gestirne, erwähnt überwiegend jedoch nicht mehr das Wirken von Dämonen. So entstand ein weitgehend dämonenfreier „Magie”-Begriff, der unbe­ denklich in eine breite Öffentlichkeit getragen werden konnte. Hatte Trithemius dem jungen Agrippa noch geraten, seine ‘De occulta philosophia’ geheimzuhalten und dem Ochsen Heu, dem Papageien aber Zucker zu geben106, so konnte ein Jahrhundert später Wolfgang Hildebrand seine

100 Vgl. Eamon [wie Anm. 99], 79-101. 101 Portas Werk wird bei Zambelli [wie Anm. 1] (1973), 274 u. Eamon [wie Anm. 99], 133 ein­ geordnet; eine knappe Bioergographie bei M. Howard Rienstra, Giambattista della Porta, in: Dictionnary of Scientific Biography, hrsg. v. Charles Coulston Gillispie, I-XIV, New York 1970-1976, hier XI, 95-98; vgl. auch Luisa Muraro, Giambattista della Porta. Mago e scienzato, Mailand 1978. 102 Giovanni Battista della Porta, Magiae naturalis libri viginti, Amsterdam 1664, 3. 103 a.a.O., 9-17. ,(M a.a.O., 3 f. 105 a.a.O., 95-97, 97-169, 571-625. 106 Agrippa [wie Anm. 38], I, Bl. 6r.

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‘Magia naturalis’ dem Leser anpreisen, sie zu kaufen und dann möglichst weit zu verbreiten107. Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war die Idee von einer „magia naturalis” mit deren Hilfe der Mensch Gott, den Kosmos, die Natur und die in ihr wirksamen Kräfte erkennen könne, weitgehend abgenutzt. Das magische Denken, das trotz aller Differenzierung bei Agrippa von Nettesheim noch eine Einheit gebildet hatte, war in der fol­ genden Zeit tief aufgespalten worden. Die Dämonologie und mit ihr das Hexenwesen stiegen trotz zwischenzeitlicher Einbrüche unaufhaltsam auf. Neue Nahrung erhielten diese Vorstellungen durch den Teufelsbe­ griff des Protestantismus und die damit verbundene Verteufelung einzel­ ner, sich mit Magie befassender Gelehrter. Die verborgenen Kräfte, die man stets erkenntnistheoretisch zu erfassen gesucht hatte, erwiesen sich dann letztlich doch als unfaßbar, so daß ihre Wirkung entweder den Dämonen, dem Satan oder dem Einfluß der Gestirne zugeschrieben wer­ den mußte. Die Aufnahme der theorielosen ‘Secreta’-Literatur in den Bereich der „magia naturalis” führte dazu, daß diese zu einer „magia artificialis” absank, die sich den aufsteigenden Wissenschaften von der Natur, deren beobachtende Methode die Phänomene des Kosmos sicherer und reproduzierbarer erklärte, nicht anzupassen vermochte. Neben der Auf­ splitterung der Magie in divergierende Disziplinen brachte auch der ver­ änderte Materiebegriff neue Probleme für die Gültigkeit ihrer Aussagen. Bereits die paracelsische Abkehr von den überkommenen Elementen und die Einführung der „Tria-principia”-Lehre hatten der Magie einen Stoß versetzt, zumal sich viele Anhänger Hohenheims nur mehr für aus­ gewählte „magische” Gebiete wie Signaturenlehre oder Magnetismus zu erwärmen vermochten und den traditionellen „vis-occulta”-Begriff ver­ nachlässigten108. Die fortschreitende Differenzierung in der Anatomie, der Physiologie und der Pathologie erschwerte zudem den Umgang mit einfachen Zuordnungen beispielsweise in den „sympathetischen Reihen” Doch nicht allein die Neuordnung der Materie durch Paracelsus oder die medizinische Feingliederung des menschlichen Körpers und seiner

107 Wolfgang Hildebrand, Magia Naturalis, Das ist Kunst und Wunderbuch, Erfurt 1664, Bl. A4r; vgl. zu ihm Peuckert [wie Anm. 56], 312-320, u.Joachim Telle, Die„Magia naturalis" Wolfgang Hildebrands, in: Sudhoffs Archiv 60 (1976), 105-122. 108 Vgl. dazu Dietlinde Goltz, Zu Begrijfsgeschichte und Bedeutungswandel vonvis und virtus im Paracelsistenstreit, in: Medizinhistorisches Journal 5 (1970), 169-200, u. Keith Hutchin­ son, What Happened to Occult Qualities in the Scientific Revolution, in: Isis 73 (1982), 233-253.

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Krankheiten gefährdeten die Einheit des magischen Denkens, auch die Untergliederung der Reiche der Natur nach immer neuen Systemen in einer sich zunehmend festigenden Nomenklatur sowie das Auffinden unbekannter Spezies in der Neuen Welt erschwerten seinen Fortbestand. Die sich seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts durchsetzende Rezeption der antiken Atomistik109 brachte die Theoreme der Magie zudem in Schwierigkeiten. Die nun einsetzende „Mechanisierung des Weltbildes” die sich auch im Bereich der Medizin vollzog, schuf neue Gesetzmäßigkeiten, die kaum mehr in Einklang mit denjenigen des magi­ schen Denkens zu bringen waren. Dem Methodenwechsel von der Induk­ tion zur Deduktion mit seiner nicht nur mehr literarischen Erfahrung, sondern der Erfahrung am Objekt selbst, konnte das magische, auf Über­ einstimmungen beruhende Denken auf die Dauer nicht standhalten; variierten die magischen Phänomene bei genauer Beobachtung doch zu sehr, um auf selbst den kleinsten Erfahrungsnenner gebracht werden zu können110. Dennoch wirkten „magia-naturalis”-Vorstellungen in gewissen Formen weiter, sei es in der Signaturenlehre, in der magischen Korpus­ kulartheorie oder als Grundlage esoterischer Gemeinschaften. So reprä­ sentieren sie seit dem Ende des 17. Jahrhunderts einen Mythos, dessen Götter, wenn auch nicht verstorben, so doch in tiefen Schlaf gesunken sind.

109 Vgl.RicerchesuU’atomismodelSeicento, Florenz 1977(—Centro di studi del pensiero filosó­ fico del Cinquecento e del Seicento in relazione ai problemi della scienza, Serie I, 9). 110 So bemerkt René Descartes, Discours de la Méthode, Leiden 1637,10 f: „Et enfin pour les mauvaises doctrines, ie pensois desia conoistre assés ce qu’elles valoient, pour n’estre plus suiet a estre trompé, ny par les promesses d’un Alchemiste, ny par les prédictions d’un Astrologue, ny par les impostures d’un Magicien, ny par les artifices ou la venterie d’aucun de ceux qui font profession de sçavoir plus qu’ils ne sçavent.”

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