Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg [26]

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Zeitschrift des

Historischen Vereins für

Schwaben und Neuburg.

Sechsundzwanzigßter Jahrgang.

Mit Abbildungen des Augsburger Domes nebst

Jahresbericht des Vereins für die Jahre 1897, 1898 und 1899.

Preis im Buchhandel sieben Mark.

Augsburg, 1899. In Commission der J. A. Schloss er ’scben Buchhandlung. (F. Schott.)

Inhalt.

Seite

I. Baugeschichte

des Augsburger

Domes mit besonderer Berück­

sichtigung der romanischen Periode von F. Schildhau er .

.

1—78

Einleitung............................................................................................

1— 3

Der erste Dombau..................... .....................................................

3—13

Entwicklung der christlichen, bezw. der romanischen Basilika

14- 26

Der zweite Dombau .

27 — 43

................................................................

Annexe und romanische Überreste.................................................43—61 Der dritte Dombau...........................................................................

62—74

Die Domrestauration......................................................................75—78 Beschreibung der Bildertafeln..................................................... II. Aus fünf Jahrhunderten.

79—80

Beiträge zur Geschichte dor jüdischen

Gemeinden im Riess von Prof. Dr. L. Müller.

Fortsetzung aus

dem vorigen Jahrgang........................................................................... 81—182 5) Die Juden im Riess

in ihrem Verhältniss zum Hause

Öttingen zu Kaiser und Reich1400—1486

81—154

6) Topographisches undStatistisches..................................................154—182 III.

Notizen

........................................................................................................ 183-188

I.

Baugeschichte des Augsburger Domes mit besonderer Berücksichtigung der romanischen Periode von

F. Schildhauer, kgl. Bauamtmann in Kempten.

Einleitung. Unsere archivalischen Kenntnisse über die Entwicklung des christlichen Lebens und die ersten Kirchenanlagen in Augsburg beschränken sich auf vereinzelte urkundliche Nachrichten und spär­ liche Aufzeichnungen der Annalisten und Chronisten, welche uns zwar erlauben, Schlüsse zu ziehen auf die Örtlichkeit und den Umfang der Bauanlage, von letzterer selbst aber kein klares Bild zu gehen vermögen. Das vorhandene Quellenmaterial ist eingehend, doch nicht mit der wünschenswerten kritischen Sichtung verarbeitet von Abt Stengel in seinem Commentarius rerum Augustanarum 1647, ebenso von P. Khamm in dessen Hierarchia Augustana 1709 und von P. Plazidus Braun: „Die Domkirche in Augsburg“ 1829. Eingehendere kritische Untersuchungen verdanken wir Dompropst Allioli in dessen Werk: „Die Bronzethüre des Domes in Augsburg“ 1853, vor Allen aber Archivar Herberger, dessen Schrift: „Die ältesten Glasgemälde im Dome zu Augsburg“ 1860 wichtige Notizen über die ganze Baugeschichte des Domes bringt. Auf Herberger fussen die meisten der neueren kunstgeschicht­ lichen Werke, wie: „Dr. Sighart, Geschichte der bildenden Künste im Königreich Bayern 1862“, welches dem Augsburger Dome die umfassendste Aufmerksamkeit und, wie mir scheint, gerechteste 1

2 Würdigung angedeihen lässt, ebenso auch „Dr. Riehl, Denkmale frühmittelalterlicher Baukunst in Bayern 1888“. Alle übrigen kunstgeschichtlichen Werke, wie Lübke, Kugler, von den neuern auch „Dr. Dohme und Bode, Geschichte der deutschen Kunst 1887“ sowie Dehio und v. Bezold, die romanische Kunst des Abendlandes 1888“ können wegen der Fülle des vorhandenen Stoffes den einzelnen Ge­ bäuden geringere Aufmerksamkeit zuwenden und suchen den Augs­ burger Dom mit wenigen Zeilen in einer geeignet erscheinenden Schulklasse unterzubringen. Die wichtigsten Aufschlüsse gibt uns jedoch der vor unsern Augen stehende Dombau selbst. Die folgende Abhandlung fusst daher hauptsächlich auf einer sorgfältigen Untersuchung der alten Baubestandteile und zieht die in Urkunden und anderweitigen glaub­ würdigen Berichten erhaltenen baugeschichtlichen Nachrichten er­ gänzend und kritisch beleuchtend heran. Herrn Lyzealprofessor Dr. Schröder in Dillingen bin ich für die wesentliche Unterstützung und Förderung meiner Untersuchungen zu grossem Dank verpflichtet, ebenso Herrn Hofphotographen Höfle in Augsburg, welcher bereitwilligst seine neuesten Domaufnahmen den Zwecken vorliegender Veröffentlichung zur Verfügung stellte.

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Der erste Dombau. Augsburgs erste Blüte reicht iu die Römerzeit zurück. Splendidissimam Rhaetiae coloniam, die glänzendste Golonialstadt Rhätiens, nennt Tazitus die Augusta Yindelicorum. Der Umfang der eigent­ lichen, von Mauern umgebenen Römerstadt dürfte mit den Grenzen der späteren engeren Bischofsstadt so ziemlich zusammenfallen. Von Süd nach Nord führte mittendurch die gerade Hauptstrasse, die via alta, heute noch in der Richtung der oberen Karolinenstrasse, auch „hoher Weg“ genannt, und der Frauenthorstrasse erkennbar. Das Südthor dürfte in der Nähe des Schwalbeneckes zu suchen sein, das Nordthor war nach einer Notiz Khamms, wenn dessen Aufzeichnungen richtig sind, identisch mit dem Frauenthor; doch dürfte die Römerstadt nach Norden sehr bald eine Erweiterung, ähnlich wie in Trier, erfahren haben, so dass der neue Mauerring das sog. Luginsland umfasste und sich gegen die Georgskirche hinzog. Westlich bildete wahrscheinlich das spätere Kreuzthor, östlich aber jener Steilhang, die Grenze, welcher jetzt am untern Graben sich hinzieht, damals jedoch von den breit sich hinwälzenden Fluten des westlichen Lecharmes bespült wurde. Inraitte dieser Grenzmauern, an die via alta sich anschliessend, lag das Forum, zugleich Markt- und Gerichtshalle und damit der Mittelpunkt des öffentlichen Lebens. Zahlreiche Überreste gewaltiger Säulen, Kapitale, Gesimse u. s. f., welche im Maximiliansmuseum zu Augsburg verwahrt sind, dessgleichen im Lech und der Wertach gefundene Reste von Monumenten aus Bronzeguss lassen auf eine unglaubliche Grossartigkeit und einen Reichtum der Anlagen schliessen, von welchem wir uns umsoweniger einen Begriff machen können, als die gewaltigen Zerstörungen der nachrömischen Periode jede Erinnerung an die zahlreichen Hallen, Paläste, Tempel, offenen Säulengänge etc. etc. vollständig verwischt haben und auch schrift­ liche Aufzeichnungen nicht vorhanden sind. Nur eine Tradition hat sich forterhalten und wird von allen Lokalgeschichtsschreibern erwähnt: Dass der erste Augsburger Dom an der Stelle des alten Forums errichtet worden sei. Der gelehrte Wels.er, Paul v. Stetten, die Chroniken, Khamm, v. Raiser u. a. sprechen sich in demselben Sinne aus, wie Abt Stengel in seinem 1647 in Druck erschienenen Coramentarius Rerum Augustanarum, welcher Pars I. cap. XXII. schreibt:

4 „Hier soll früher die Basilika der römischen Colonie, welche nachher in den ersten christlichen Tempel um ge­ wandelt wurde, gestanden sein. Eine alte Sage spricht von einem gedeckten Gang und einer weiten Säulenhalle, wo die Behörde Recht sprach und die Kaufleute, zumeist im Winter, zusammen­ kamen. Dort, wo jetzt der steinerne Bischofsstuhl steht, war in dem westlichen Halbrund der Platz des Richtertribunals .... so dass Ausonius Recht hat, wenn er sagt: Die Basilika war einst von Ge­ schäften erfüllt, jetzt von Gebeten.“ Jedenfalls gab es in der römischen Augusta schon frühzeitig vereinzelte Christen; Bischof Narzissus von Geroma, der zur Zeit der Diokletianischen Christenverfolgungen nach Augsburg kam, sammelte um sich eine kleine christliche Gemeinde im Hause der Hilara, deren Tochter bald darauf 304 den Scheiterhaufen bestieg. Durch dieses Martyrium der hl. Afra, welche in den folgenden Jahr­ hunderten in Augsburg so hoch verehrt wurde, gewann die Gerichts­ basilika, in welcher der Präfekt Gaius die wegen ihres christlichen Bekenntnisses Angeschuldigfce verhörte und mit ihren Genossinnen zum Tode verurteilte, eine ganz besondere Bedeutung. Es ist daher um so natürlicher, dass die erstarkende und unter dem milden Regimente des Kaisers Constantinus bei dessen An­ wesenheit in Augsburg im Jahre 312 jedenfalls auch wesentlich unterstützte Christengemeinde das Forum für sich zu gewinnen trachtete. Wenn ihr das nicht schon früher gelang, so hat sie jedenfalls die Wirren des Abzuges der Römer im Jahre 506 und der nach­ folgenden Zerstörungen durch die Goten und 30 Jahre später durch die denselben folgenden Franken dazu benützt, die Trümmer der römischen Basilika in den ersten christlichen Dom in Augsburg umzuwandeln. Nur so lässt sich die direkte Besitznachfolge an diesem wichtigen Platze erklären. Würden wir, wie Herberger annimmt, das Erstarken der christlichen Gemeinde in eine wesentlich spätere Zeit und die ersten Bischöfe gar erst in das Ende des achten Jahrhunderts ver­ legen, so hätte im Laufe einer so langen Periode sicherlich das neue Stadtregiment von den alten Forumsruinen Besitz ergriffen und sich ihr Rathaus nicht südlich des Thores am Schwalbeneck erbaut, wo die neue Reichsstadt sich ansiedelte. Die vollste Überzeugung von der Richtigkeit der viel angezweifelten Tradition gewann ich jedoch durch Nachgrabungen,

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welche ich Ende des Jahres 1897 und im März 1898 veranstaltete. Hiebei stiess ich, etwa 1.0 m unter dem gegenwärtigen Terrain, auf 1.02 m starke Mauern,l) welche die äusserst starken Fundamente der Krypta des Westchores in einem Abstande von 1.05 m im Halb­ kreis umschliessen. Da, wo jetzt die Strebepfeiler vortreten, ist das Mauerwerk durchgeschlitzt. Dasselbe besteht aus regelmässig be­ hauenen Tuffsteinquadern, deren äussere Fläche glatt bearbeitet ist. Die nach dem Centrum verlaufenden Stossfugen sind sorgfältig und dicht schliessend hergestellt. Die Hintermauerungsschichte ist weniger Sorgfältig gearbeitet, jedoch auch im Quaderverbande ausgeführt. ~ Zw$i Schichten kamen von diesem Mauerwerk zum Vorschein, darunter eine Fundamentsohle aus Mörtelguss. Die oberen Schichten scheinen abgetragen und zu Bauzwecken benutzt worden zu sein.2) Ich habe keinen Zweifel, dass wir es hier mit den Substruktionen der Rundapsis der römischen Forumsbasilika zu thun haben, in welche später die kleinere christliche Chorapsis derart eingebaut wurde, dass thatsächlich der gegenwärtige Platz des steinernen Bischofsstuhles mit dem früheren Platze des Prätorenstuhles im römischen Richtertribunal zusammenfallen kann. Es ist urkundlich nachgewiesen, dass Bischof Ulrich I., die Krypta unter dem offenbar nicht sehr geräumigen Westchor zu vergrössern bestrebt war und sie, nachdem der erste Versuch misslang, fundamentis firmissimis, auf sehr starken Untergrundmauern neu aufbaute, ebenso, dass der zweite Dombau den ersten an Grösse wesentlich übertraf. Wenn nun die Chorapsis des zweiten Dombaues einen inneren Durchmesser von 11.0 m hat, so kann das aufgefundene Mauer­ werk, dessen Rundung einen inneren Durchmesser von 16.5 m hat, nicht einer früheren, kleineren Kirchenanlage angehören, sondern es ist jedenfalls der Überrest der viel grossartigeren ursprünglichen Römeranlage. Ich bin daher der Ansicht, dass man schon sehr bald nach dem Wegzuge der Römer daran ging, aus der wahrscheinlich zer­ störten Gerichtsbasilika die erste christliche Kirche zu erbauen, während die weit ausserhalb der Stadt liegende Kapelle über dem J) Blatt 2, Fig. b und c. 3) Spätere Nachgrabungen forderten in der Nähe auch ein römisches, rot gefärbtes Terrazzopflaster und eine Münze des Kaisers Constantin zu Tage. Die Funde sind im Maximiliansmuseum zu Augsburg aufbewahrt. Das Terrazzopflaster lag 2.85 m unter dem jetzigen Strassenniveau.

6 Begräbnissplatze der hl. Afra immer nur als Grabkirche, als solche aber zur Beisetzung der Augsburger Bischöfe bis zum Jahre 996 benützt wurde. Ich glaube auch, dass mau diese erste Kirche aus den Trümmern des zerfallenen Forums, also aus Stein erbaut hat unter Verwendung vorhandener Steinsäulen etc., wiewohl die meisten Geschichtsschreiber aus den zahlreich vorkommenden Kirchenbränden und dem Mangel an urkundlichen Beweisen schliessen zu müssen glauben, dass im südlichen Deutschland massive Steinbauten vor dem Ende des zehnten Jahrhunderts nicht Vorkommen. „Alle früheren Bauten, wenigstens in Bayern, Franken und Schwaben waren schwache Holzbauten“ schreibt Herberger, mit spezieller Beziehung auf den Augs­ burger Dom. Und doch finden wir den Steinbau, den Bischof Ulrich Um die Mitte des zehnten Jahrhunderts neben dem Dome errichtete, die erst in unserem Jahrhundert abgebrochene Kirche des hl. Johannes des Täufers, nirgends als etwas Hervorragendes, von seiner vorher ausgeführten Domrestauration in der Construktion Abweichendes erwähnt. Überdies erzählt uns die Vita S. Udalrici') wie Ulrich, die überall zerfallenen Mauern des Domes und die zerstörten Gebäude sehend, eifrig darüber nachdachte, wie er sie am zweckmässigsten wieder aufbauen könnte. Es ist also dort ausdrücklich von Mauern die Bede. Mit der praktischen Wirklichkeit scheint viel mehr übereinzu­ stimmen, was Sighart in seiner „Geschichte der bildenden Künste“ schreibt: „Nicht zu verkennen ist, dass in Bayern zwei verschiedene Bächlein zusammenflossen, aus denen sich der Strom der Kunstthätigkeit entfaltet hat. Das eine kam von Norden durch die Glaubens­ boten aus Irland und England, das andere ans den römischen Ländern; das war die römische Kunstübung. Die Iren begünstigten den Holzbau, ihr Einfluss herrscht vor in Würzburg, Begensburg. Die römische Bichtung wird wach erhalten in den Klöstern zu St. Gallen, Tegernsee, Freising, Altaich, Beichenau, Krems­ münster u. s. f. *) Vita S. Udalrici. . . . conspiciensque muros ecclesiae undique depositos omniaque aedificia nimis dilapsa, sicut sub priore antistite sunt consummata . . cogitabat, qualitar convenientissime, tarn penitus destructa reaedificare potuisset . . • Suberant ei cturae maximae dereparandieecclesiae maris . . . quae sub antecessorum suoium semporibus aut nimia vestustate dilapsa, aut igore fuerant consumpta.

7 „Wenn längere Bauzeit gestattet war, wenn Arbeiter vor­ handen waren, welche mit dem römischen Mauerbau Vertrautheit besassen und wenn das nötige Material besonders von zerstörten Römerwerken in der Nähe war, so führte man auch Bauten aus Bruchsteinen und Mörtel auf.“ In der zerstörten Römerstadt Augsburg konnte es weder an Steinmaterial, noch an geschulten Arbeitern fehlen. Wir wissen übrigens, dass frühzeitige Steinbauten auch für die Kirchen in Frei­ sing 769—80, Tegernsee 752, Salzburg 767—784, Benediktbeuren 733—740 verbürgt sind. Die Chronik von Clemens Sender schreibt: „Die thumbkirchen zu unserer lieben Frawen wird dafür gehalten, dass sie zu dem ersten gehauen worden sey von den bischoffen Zeyso und Markomanno ao domini 600 zu saut Gallen Zeiten mit hülf des Kaisers und gemain volcks.“ Die „Augspurgisohe Chronika“ (1595) sagt: „Dieser (Bischof Zeiso oder Rozilo, 690—710) ist der erste gewesen, so mit gesamleter Stewer vom gemein Volck und Erlaubnis des Königlichen Statthalter die Thumbkirchen innerhalb der Stadt etwas ansehnlicher zu zurichten sich unterfangen, welches Orths die Römer vor Zeit ein Spielhauss oder doch gewisslich ein grossen weiten bedeckten Gang oder Halle gehabt.“ Diese Chronik spricht also von einem „ansehnlicher zurichten“, vergrössern eines als schon vorhanden vorauszusetzenden Baues. In gleicher Weise lässt Khamm die Kirche durch Bischof Simpert (788 — 818) „wiedererbauen und am Michaelstage 807 zu Ehren der hl. Jungfrau einweihen“: Khamm, Hierarchia Augustana, II, 1. De Simberto: „Ipsam aedem (Chathedralem) anno 807 r e aedificavit, in peroigilio S. Michaelis sacris initiavit et honori B. V. Mariae dedicavit. Tradunt tarnen aliqui, accidentalem eiusque Ecclesiae Chorum veterem vulgo appellatum, ab Angelis esse consecratum.“ Von der „Engelweihe“ des Westohores, welcher „allgemein der Alte genannt wird“, berichtet auch Plazidus Braun, verkehrt aber die Sage, der alte Westchor sei durch die Engel selbst ein­ geweiht worden, in die Erklärung: der Chor sei zu Ehren der hl. Jungfrau und der hl. Engel geweiht worden. Noch weiter zurück verlegt Herberger die Erbauung der ersten Domkirche. Er hält dafür, dass die erste Domkirche nicht

8 dem Bischof Simpert, noch weniger dem Bischof Zeiso zugeschrieben werden könne, denn; „die öffentlichen Zustände waren jedenfalls so gestörte, die öffentliche Bedeutsamkeit der christlichen Gemeinde eine so geringe, dass die Ausführungso mächtiger Bauanlagen, wie sie die erhaltenen Bauteile heute noch nach weisen, nicht im Vermögen der Bischöfe und ihrer zerstreuten bischöflichen Gemeinden gelegen sein konnte. Dieses Verhältniss besserte sich auch bis auf Bischof Simperts Zeiten nicht in dem Grade, dass es während dieser späteren Zeit möglich geworden wäre, einen so gross­ artigen Bau zu vollenden.“ Diese Beweisführung zerfällt in sich selbst, da niemand im Ernste behaupten wird, jene „mächtigen Bauanlagen, wie sie die erhaltenen Bauteile heute noch nachweisen“, gehören der ersten Dombauperiode an. Es ist daher das Vorhandensein einer weniger grossartigen Anlage nicht ausgeschlossen. Herberger schreibt ferner: „Was auch vorzüglich für eine jüngere Bauzeit spricht, ist der Umstand, dass alle Bischöfe Augs­ burgs vor Liutolf, welcher 996 starb, bei St. Ulrich begraben wurden.“ Auch dieser Grund erscheint nicht stichhaltig, denn in der altchristlichen Kirche pflegten die Bischöfe, wo immer möglich, ihre Begräbnissplätze neben den Grabstätten der hl. Märtyrer zu suchen und das Grab der Märtyrin Afra, welche 303 den Scheiterhaufen bestieg, war eben selbstverständlich nicht in der damals noch römischen Forumsbasilika, sondern wurde ausserhalb der Stadt, an der römischen Begräbnisstätte errichtet. Desshalb verlegten dorthin auch die ersten Bischöfe ihre Begräbnissplätze und zwar solange, bis ein völliger Neubau des inzwischen durch die Bauanlagen des hl. Ulrich im Ansehen gestiegenen Domes stattgefunden hatte. Während nun die ersten Nachrichten über das Auftreten Augs­ burger Bischöfe schon in das Jahr 591 zurückreichen, stammt die erste verlässige urkundliche Nachricht über die Domkirche aus dem Jahre 823In einem Streitfälle zwischen Bischof Hitto in Freising und Nidker von Augsburg über die Zugehörigkeit der Kirehe in Chenperc (Unterkienberg bei Allershausen) beruft sich der bischöfliche Rechts­ vertreter auf eine Rechtsentscheidung des Reichstages zu Paderborn, von Bischof Hanto 812 bezeugt, welche die Kirche ad episcopatum Augustae civitatis ad S. Mariam zusprach.1) ') Meichelbeck, Hist. Erising.

I., 2, 247.

9 896 gibt Bischof Adalbero Kermsheim im Rheingau au das Kloster Lorsch unter gewissen Vorbedingungen, bei deren Nicht­ erfüllung dem Bischof das Recht zusteht, den Ort ad domum Sanctae Mariae Virginis zu ziehen.1) Bischof Ulrich (923—973) fand die Kirche durch Feuersbrünste zerstört in sehr schlechtem Zustande und betrieb mit Eifer deren Wiederherstellung. Dr. Endres schreibt hierüber im Jahrgang 1895 der Zeit­ schrift des hist. V. f. Schw. u. N.: „Die erste Sorge des Bischofs Ulrich nach der Rückkehr von der Bischofsweihe bezog sich auf den Aufbau seiner Kirche (des Domes). Er selbst nahm den regsten Anteil an demselben. Namentlich lag ihm die Vergrösserung der Krypta an derselben sehr am Herzen. Aber sei es, dass diese An­ lage von Anfang an die Kräfte der Bauleiter überstieg, oder ein nachträgliches Abgehen vom ursprünglichen Plane die Schuld trug, die Krypta stürzte zusammen und mit ihr der ganze Bau, so dass es notwendig wurde, denselben von Neuem und zwar auf festeren Fundamenten zu beginnen.“ Ulrich bestattete den Grafen Adalbert, der im Kriege gegen Herzog Luitolf bei Schwabmünchen fiel, sowie seinen eigenen Bruder Dietpold und Neffen Reginbald, welche in der Ungarnschlacht am Lechfelde umkamen, in der Domkirche.2) Er selbst wählte sein Begräbniss bei St. Afra. Sein Nachfolger Heinrich I. liess die Kirche 979 oder 980 neu eindecken.3) Aus diesen spärlichen urkundlichen Nachrichten lassen sich folgende Schlüsse ziehen: 1. Die bischöfliche Kathedrale in Augsburg reicht mit Sicherheit vor das Jahr 812 zurück und war der hl. Jungfrau Maria geweiht, es ist aber mehr als wahrscheinlich, dass ihre Entstehung in die ersten christlichen Zeiten, sei es zur Zeit der Römerherrsohaft, oder unmittelbar nach dem Abzüge der Römer, zurückfällt. 2. Die erste Dombauperiode bezieht sich wahrscheinlich nicht auf ein einziges Bauwerk, sondern sie umschliesst mehrere Unter­ perioden, in denen Umbauten vorgenommen wurden. Den letzten Umbau nahm Bischof Ulrich vor. ]) Mon. Germ. hist. SS. 21, 382. 2) Vita S. Udalr. auct. Gerhardo c. 10, 13. Mon. Germ. hist. SS. 4,400, 402. ») Ibid. c. 28 (1. c. 417).

10 3- Der diesem Umbau vorangehende Domban war bereits aus Stein ausgeführt und besass eine Krypta, welche durch Ulrich vergrössert bezw. neu angelegt wurde. Die biosgelegten Fundamente der römischen Kundapsis belehren uns ferner: 4. Die ersten Dombauten nahmen mit ihrer Chorapsis genau den Platz des römischen Judiziums ein. 5. Da die Rundapsis des römischen Forums gegen Westen lag und östlich die via alta vorbeizog, dürfen wir uns die römische Forumsanlage wohl als eine (dreischiffige) Basilika vorstellen, deren Richternische gegen Westen gerichtet war, während das Langhaus sich gegen Osten erstreckte und vor der via alta, gegen welche sich, dem Richterplatze gegenüber, die Eingänge öffneten, mit der üblichen Säulenvorhalle abschloss. 6. In ganz gleicher Weise dürfen wir uns auch die Bauten der ersten Dombauperiode vorstellen als dreischiffige altchristliche Basiliken, mit westlicher, in die römische Judiziumsnische zentral eingebauter Rundapsis, in welcher sich der steinerne Bischofsstuhl und der Hochaltar befand, östlichen Eingängen, einer durch Stufen erhöhten Vorhalle (Atrium)l) vor denselben und wahrscheinlich mit westlichem Querschiff. Auch ein Turm scheint vorhanden gewesen zu sein, in welchem die Glocken, deren in der Vita S. Udalrici er­ wähnt wird, aufgehängt waren.2) Der Umfang der Kirche kann mit Bestimmtheit nicht nach­ gewiesen werden. Die Ansicht Allioli’s in dessen Schrift: „Die Bronzethüre des Domes zu Augsburg“, worin er dem Schiffe eine Länge von 7 Jochen der gegenwärtigen Pfeilerstellung zusprichti enthält nichts Unwahrscheinliches. Darin hat aber Allioli sicherlich Unrecht, wenn er schreibt: „Was nun endlich das Schiff der ersten Kirche anbetrifft, so fehlen auch hier nicht die Indizien, aus denen man auf seine Abgrenzung mutmasslich schliessen kann. Einen ziemlich deutlichen Anhalt geben nämlich hiezu die letzten Pfeiler der jetzigen Seitenschiffe gegen Nord und Süden, denn diese Pfeiler tragen in ihrem von den übrigen Säulen abweichenden massiven Bau nach oben die Merkmale einer Schlusswand in sich, so dass x) Gerhardi miracula S. Udalr. c. 30 (Mon. Gorm. hist. SS. 4, 424). Ad gradus vers atrii ecclesiae cum perveniret . . . 2) Yita Udalr. c. 27: Antequam vespertinalis laus inciperet et cum acustodibus simul campanae ad sonandum moverentur.

11 durch sie die nördliche und südliche Grenzlinie bezeichnet zu sein scheint.“ Diese Pfeiler aber, welche Allioli für Mauerreste des ersten Dombaues hält, sind Stützpfeiler der gotischen Gewölbe der Querschiffflügel und sicherlich nicht vor 1334 eingesetzt worden. Die Vita S. Udalrici c. 4 (1. c. 393) erwähnt auch ein atriuin, welches sich zwischen der in der Nähe des Westchores zu suchenden Kapelle des S. Ambrosius und der am Südostende des Fronhofes durch Bischof Ulrich erbauten Kirche des hl. Johannes d. T. befand. Ganz sichere Anhaltspunkte haben wir über den Bestand eines Domkreuzganges auf der Nordseite der Domkirche mit den an­ schliessenden Wohnungen des Klerus.1) In dem Kloster der Domgeistlichkeit wohnten ursprünglich auch die Bischöfe. Domprobst Gerhard, der Verfasser der Vita Udalrici erzählt, wie sich der hl. Ulrich wenige Tage vor seinem Hingange, am Feste des hl. Johannes des Täufers den 24. Juni 973, von seinem Lager erhob, sich ankleiden liess, und dieDomkirche durchschreitend zur Kirche des hl. Johannes gelangte. Da letztere südlich des Domes lag, muss somit die Wohnung des Bischofs und das Kanonikerkloster auf der entgegengesetzten Seite des Domes, also nördlich angenommen werden. Den Mittelpunkt solcher Klosteranlagen bildete der Kreuzgang, um ihn reihten sich die Wohnräume der Kanoniker, der Kapitelsaal, das dormitorium und refectorium, von welchen uns Gerhoh von Reichersberg (Mon. Germ. hist. 1. 3, 498) berichtet. Noch einer Anlage ist zu gedenken, die, wenn auch nicht un­ mittelbar mit dem Dome zusammenhängend, doch für die richtige Beurteilung der damaligen Zeitverhältnisse von wesentlichem Belang ist. Das ist die Domschule, welche wahrscheinlich mit dem Kanonikerkloster in Verbindung stand. Es ist bekannt, dass in damaliger Zeit nicht nur die Wissen­ schaften, sondern auch die Künste fast ausschliesslich in den Händen der Geistlichkeit lagen. Insbesondere that sich der Orden der Benediktiner nicht nur durch eifrige Pflege der Gelehrsamkeit, sondern auch durch seine rege Bauthätigkeit hervor, welche dem Aufblühen des deutsch-romanischen Baustiles ungemein förderlich war. Die Klöster zu St. Gallen und Tegernsee waren die Urquellen der Kunstthätigkeit für Süddeutschland. ') Dr. Alfred Schröder, Geschichte des Domkreuzganges in Augsburg, Zeit­ schrift des hist. Ver. f. Selm. u. N. 1897.

12 Khamm erzählt uns, dass schon Bischof Simpert (788—818) neben der Kathedralkirche eine Domschule erriohtete zur Erziehung der Jugend.1) Sicher ist aber jedenfalls, dass der hl. Ulrich, sehr auf die Ausbildung seiner Kleriker bedacht war. Prof. Jul. Hans schreibt im Jahrgang 1875 der Zeitschrift des hist. V. f. Schw. u. N. in seinen „Beiträgen zur Geschichte des Augsburger Schulwesens“: „Bestimmtere Nachrichten über die Domschule von Augsburg haben wir erst aus der Zeit des Bischofs Ulrich (929—973). Er war in St. Gallen erzogen, wie hätte er nicht den Wunsch haben sollen, der wissenschaftlichen Thätigkeit, die dort herrschte, auch an seinem Bischofssitze eine Stätte zu bereiten. So berichtet uns denn sein Biograph, der sein Zeitgenosse war und im täglichen Umgang mit ihm gelebt zu haben scheint, dass er sdine jungen Geistlichen auf das Sorgfältigste hat erziehen und unterrichten lassen und dass in freien Stunden, wenn er über die schweren Aufgaben seines Amtes nachdachte, auch die Sorge um die Schule seinen Geist beschäftigt habe. So finden wir denn auch bald hervorragende Männer, die im Schosse der Augsburger Kirche ihre erste Bildung empfangen haben, wie Abt Gozbert von Tegernsee, f 1001 und Bischof Gebhard von Augsburg (996—1000). Zwar mögen die Zeitverhältnisse den Bischof Ulrich gehindert haben, dem Werke der Schule seine volle Kraft zu widmen, und in seinem Stifte jene Blüte wissenschaftlicher Studien hervorzurufen, wie er sie in St. Gallen kennen gelernt hatte. Aber einen guten Grund muss er doch gelegt haben. Denn schon unter Bischof Luitolf 988—996 finden wir die Domschule in so blühendem Zustande, dass ihr von auswärts Mönche zum Unterricht zugeschickt werden und der Abt Wigo von Feuchtwangen in einem Briefe an den Scholastiker der Augsburger Schule sich auf die allgemein be­ kannte Thatsache berufen kann: omnium namque doctorum fama se testatur comperisse, maxime abundare civitatem vestrae sedis cunctarum liberalium artium docibilitate, „dass daselbst alle freien Künste im reichsten Masse gelehrt werden“. Diese Thatsache ist für die Beurteilung der Frage über die Entwicklung des zweiten Dombaues von der grössten Bedeutung. 0 Khamm. CI. II. S. I. Porro S. Symbertus Augustae propo aedem Catkedralem ad juventutem excolendam gcholas apernit.

13 Der erste Dombau nahm im Jahre 994 ein jähes Ende; in den Augsburger Annalen heisst es kurz und bündig: Augustae templum corruit a se ipso, „Der Dom zu Augsburg ist von sich selbst eingestürzt.“ Mielich’s Chronik erzählt von einem Brande, ebenso die Chronik Erhard Wahraus. Ausführlicheres berichtet der Biograph der Kaiserin Adelhaid, Abt Odilo von Cluny, ein Zeitgenosse derselben *): „Als die Kaiserin einst mit vielen ansehnlichen Geistlichen und Laien an der Tafel sass, veränderte sich auf einmal ihre Gesichtsfarbe; ihr Seelenzustand ward verwirrt, sie liess das Messer aus der Hand auf den Tisch fallen und verriet mit einem Seufzer die empfangene Vision. Alle Gegenwärtigen verstummten und getrauten sich nicht um das Ge­ schehene zu fragen. Sie verbarg aber das Geheimniss Allen bis auf Luitolf, dem Bischof von Augsburg, zu dem sie sagte; er hätte grosser Tröstung vonnöten, indem nach einer geheimen Fügung Gottes in seiner Kirche an der Seite gegen Westen die Mauer ein­ gestürzt wäre.“ Wahrscheinlich gab ein Brand die Veranlassung, dass der alters­ schwache, schon vielfach restaurierte und vielleicht umgebaute Dom in sich zusammenstürzte. Hiemit endet die erste Dombauperiode. l) Miracula Adelhaidis regin ae c. 1. (Mon. Germ. hist. SS. 4, 645). Placidus Braun.

Vergl.

14

Bevor wir den zweiten Domban vor unseren Augen erstehen lassen, sei es gestattet eine allgemeine Betrachtung einzuflechten ttber die römische und altchristliche Basilika und deren Beziehungen zu einander. Über den Ursprung der christlichen Basilika sind die Gelehrten noch nicht einig. Wahrend die einen anknüpfend an die gleiche Namensbenennung die christliche Basilika direkt aus der heidnischen hervorgehen lassen, verneinen die Gegner jeden Zusammenhang und lassen die christliche Basilika aus dem römisch-griechischen Wohnhause heraus sich entwickeln. Es ist ja unzweifelhaft richtig, dass der Name an sich nicht massgebend sein kann. Wenn aber auch verschiedene Schriftsteller mit dem Namen „Basilika“ Hallen der verschiedensten Art bezeichnen, sei es, dass thatsächlich die Begriffsbestimmung nicht klar feststand, oder dass einzelne Schriftsteller in der Wahl technischer Ausdrücke weniger gewissenhaft waren, so scheint mir doch wenigstens zu Zeiten Vitruvs mit dem Namen „Basilika“ eine engere Gattung von Gebäuden bezeichnet worden zu sein. Dass die christliche Basilika in manchen Beziehungen grosse Ähnlichkeit hat mit jener Art von Gebäuden, welche uns Vitruv als „Basiliken“ beschreibt, können auch die neuesten Forscher nicht leugnen. Trotzdem lassen sie die christliche Basilika aus dem römischen Wohnhause desshalb entstehen, weil die ersten Christen zunächst dort ihren Gottesdienst feierten, dort ihre ersten Eindrücke empfingen und auch alle Vorbedingungen fanden, welche für die Entwicklung der späteren christlichen Basilika massgebend waren. „Insbesondere“, sagt Dehio und Bezold in dem grossen Sammel­ werke „die romanische Kunst des Abendlandes“, „finden wir dort die alae des Wohnhauses als Vorbilder für das Querschiff der christ­ lichen Basilika, für welches wir vergeblich nach Mustern unter den heidnischen Basiliken suchen würden.“ Um die beiden sich bekämpfenden Ansichten näher untersuchen zu können, müssen wir daher die Grundformen des römisch-griechischen Wohnhauses einerseits und der heidnischen sowie christlichen Basilika

15 anderseits genauer prüfen und uns genau vor Augen halten, was für jede dieser Gebäudegattungen charakteristisch ist.1) Das römische Wohnhaus gruppierte seine Wohngemächer um einen Mittelraum, atrium, welchen im ursprünglichen Bauernhause das gemeinsame Giebeldach überdeckte (atrium testudinatum). Die Beleuchtung des Mittelraumes geschah ausschliesslich durch die weite Eingangsöffnung an der Strassenseite. Ihr gegenüber lag ein recht« eckiger Baum, tablinum genannt, ursprünglich der Standort des in Kult und Sitte geheiligten ehelichen Lagers, später des Hauses Schatzkammer, Archiv und Schauplatz feierlicher Familienakte. Vor dem Tablinum stand der geweihte häusliche Herd, dessen Stelle in späterer Zeit ein reich geschmückter steinerner Tisch einnahm. Um diesem wichtigen Platze mehr Licht zuzuführen, scheinen nun zunächst die beiden an die Tablinumsseite anstossenden Bäume be­ nützt worden zu sein, indem man sie an den Aussenwänden mit Fensteröffnungen versah, während die Innenwände gegen die Atriums­ halle durchbrochen wurden. So entstanden Flügelräume, alae, welche ihrer Grundrissdisposition nach mit dem Atrium einen zusammen­ hängenden Baum bildeten, während sie jedoch in der Querschnitt­ konstruktion sich nicht von den Seitenräumen, welche das Atrium umgaben, unterschieden. Dieser Grundzug verblieb dem römischen Wohnhaus erhalten, als schon längst die Zweckbestimmung der Alä infolge der dicht aneinander gereihten Häuserkomplexe verloren gegangen war und man dazu überging, das nötige Licht durch einen Dachausschnitt über dem Atrium zu gewinnen. Man änderte die Dachkonstruktion und liess die Dachneigung allseitig gegen das nun offene innere Hof-Atrium abfallen (compluvium, atrium tuscanicum oder cavum aedium). Die hiebei sich ergebenden Missstände beseitigte man, indem man die Dachneigung vom Atriumsausschnitte wieder nach Aussen leitete und ein weiterer Schritt führte zur Überdeckung des mittleren Dachausschnittes durch ein auf Pfosten ruhendes Dach, so dass eine Art Laterne mit seitlichem Oberlicht entstand. Aber immer haben wir es noch mit einem ungeteilten Atriumsraume zu thun, dessen Dachkonstruktion lediglich von freiliegenden Querbalken getragen wurde. Eine Bereicherung im griechischen Geiste, dem Peristyl des griechischen Wohnhauses entsprechend, brachte die Einführung der *) Vergl. Dehio, die Genesis der christl. Basilika, Sitzungsberichte der k. b. Ak. d. Wissenschaften. 1882. S. 301—341.

16 sog. tetrastylen nnd korinthischen Anlage. Erstere ordnete vier Stützen an, den vier Ecken des Implnviums entsprechend, die korinthische Anlage acceptiert den Säulenportikus des griechischen Wohnhauses und gestattet dadurch grössere Raumentwicklung und bessere konstruktive Ausbildung des Latemenaufsatzes. Diese reichere, gesäulte Atriumsanlage war in der Kaiserzeit, also in der für unsere Betrachtung massgebenden Epoche, in den ansehnlicheren Häusern sicherlich allgemein.1) Diese Anlage ist es auch, welche im Wohnhausbau am nächsten an das hinreicht, was wir als basilikal zu bezeichnen pflegen. Was sonst unter dem Namen der „Hausbasilika“ in den Villen und Palästen der vornehmen Römer gesucht wurde, erwies sich wegen der sehr mannigfaltigen Gestaltung dieser Räume als höcht. unzu­ verlässig, wenn auch die Konstruktion vieler jener „Bibliotheken, Pinakotheken und Basiliken“, welche Vitruv als Bestandteile des Hauses eines Vornehmen aufzählt, thatsächlich basilikal genannt werden kann, wie z. B. dreischifflge Triklinien mit Aysidenabschluss im Palaste zu Spalatro, zu Trier und an anderen Orten. Dagegen begegnen wir im Altertum einem Bautypus, der all­ gemein als „Basilika“ bezeichnet wird und von dem auch Dehio zu­ gibt, dass er in seinen ältesten Grundformen eine ziemliche Gleich­ artigkeit aufweist. Es sind das die forensischen Basiliken, von denen uns nur wenige in den Grundmauern erhalten sind; einzelne Bei­ spiele kennen wir aus dem alten Stadtplanfragmente Roms. Aus der Beschreibung Vitruvs lassen sich jedoch die Forumsbasiliken rekonstruieren.2) Das Gebäude bildete ein oblonges Rechteck, das durch Säulenreihen in drei oder mehr Schiffe geteilt war. Das Mittelschiff übertraf die Seitenschiffe stets an Breite und so wesentlich an Höhe, dass über den Dachanschlüssen der Seitenschiffe noch Raum für die seitlichen Oberlichtfenster übrig blieb. Die ge. bräuchlichste Form ist die dreischifflge. Über den Seitenschiffen Emporen anzubringen, ist hauptsächlich in den griechischen Provinzen gebräuchlich. Der Eingang war zumeist an der Strassen- und Schmal­ seite, ihm gegenüber die Rundapsis, ein in der römischen Saal^ architektur vielfach verwendeter Saalabschluss. In ihr befand sich der auf Stufen überhöhte Richterstuhl, ringsum an den Wänden liefen die Bänke für die Geschworenen und Richterbeisitzenden. Vor dieser Judiziumsnische, durch Schranken abgetrennt, stand die grosse 1) Blatt 1, Fig. a. 2) Blatt 1, Fig. b.

17 Zahl der Zuhörer, während oft gleichzeitig die übrigen Bäume der ausgedehnten Basiliken dem kaufmännischem Verkehre offen standen. Die grössten Anlagen waren nicht nur mehrschiffig, sondern sie hatten auch gegen das Judizium mehrreihige Säulenhallen, um dem Volke die Teilnahme an den öffentlichen Gerichtsverhandlungen zu erleichtern. Von einer solchen entwirft uns ein anschauliches Bild der jüngere Plinius, indem er schreibt: „Einhundertundachtzig Geschworene sassen zu Gericht, denn das ist (im Centumviralgerichte) die Zahl von vier vereinten Gerichtsabteilungen. Zu beiden Seiten des Prätorsitzes war eine ungeheure Anwaltschaft mit zahlreichen Bänken, ausserdem umgab ein dichter Kranz von Umstehenden die so überaus geräumige Tribunalnische in vielfachen Kreisen. Über­ dies drängten sich auch von dem oberen Teile der Basilika hier Frauen, dort Männer, in grosser Begierde sowohl zu hören, welches schwer, als auch zu sehen, welches leichter war.“ Es ist kaum möglich, die in der Begel als Bundapsis gestaltete Judiziumsnische der forensischen Gerichtsbasilika nicht als eine dem Gebäude wesentliche Zubehör zu betrachten.1) Wenige Ausnahmen, in denen die Bundapsis fehlt, deren äusserer, rechtwinkliger Ausbau für unsere Frage überhaupt nicht von Belang ist, können das Gegen­ teil nicht beweisen. Vitruv’s Erwähnung einer von ihm ausgeführten aussergewöhnlichen Anlage zu Fano mit segmentbogenförmiger Apsis ist ebenfalls ein Beweis, dass die Bundapsis den regelmässigen Abschluss bildete. Die forensische Basilika war bei den Bömern mit Balkendecken versehen, welche zu reichen Kassettierungen in Holz oder Metall Anlass gaben und schlossen sich an die Arkadenhöfe der oft sehr reich ausgestatteten Hauptforen an, welche den Verkehr des Geldund Waarenmarktes vermittelten. Als hauptsächlichste Bauten sind zu erwähnen: Die Basilika des älteren Cato 185 v. Ohr., die Basilica Porcia, dann die Basilica Aemilia 180, Sempronia 122, Opimia 122. Die reichste Ausbildung erfuhren die Foren in der für unsere Betrachtung wichtigsten Kaiser­ zeit. Die grossartigen Anlagen des Vespasian, Nerva, Augustus übertraf an verschwenderischem Luxus und verblüffender Baum­ entwicklung das Forum des Trajan, von quadratischer Anlage, mit halbkreisförmigen Apsiden an Ost und Westseite, an welches die Basilica Ulpia sich anschloss. Den Abschluss bildete die gewölbte i) Yergl. Kugler, Kunstblatt 1843, Str. 84—86. 2

18 Basilika des Maxentius, welche unter Kaiser Konstantin vollendet wurde. Die Gewölbespannung des Mittelschiffes misst 25 m, die Höhe 38 m. Die Kreuzgewölbe waren durch Gurtbögen getrennt, welche auf 18 m hohen, den Mauerpfeilern frei Vorgesetzten Säulen ruhten. Über den Säulen entwickelte sich das vollständige antike Architravgesimse. Die gewölbten Seitenschiffe nahmen den Schub der ge­ waltigen Mittelschiflfgewölbe auf, gegen die Stirnseiten des Mittel­ schiffes lehnte sich einerseits die halbrunde Exedra, anderseits die Säulenvorhalle. Mothes vermutet in der noch erhaltenen Kirche in der Nähe des Septimius Severus-Bogens die Überreste der Basilika Ämilia. Die Kirche ist dreischiffig mit ßundapsis. Derselbe nimmt auch als feststehend an, dass die Basilika Ulpia niedere Seitenschiffe, er­ höhtes Mittelschiff, und mindestens an der einen Schmalseite eine runde Exedra hatte. Reste einer dreischiffigen Basilika, vor dem Mittelschiff der Eingang, gegenüber die Rundapsis, finden sich auch zu Otrikuli* Die dreischiffige Basilika zu Pompeji, welche inschriftlich als solche bezeichet ist, hat an den Aussenwänden Halbsäulen, welche durch Balkenlagen mit den mittleren Säulenreihen verbunden waren Sie war daher nach griechischem Muster in den Seitenschiffen zwei­ geschossig angelegt, mit überhöhtem Mittelschiff. Soviel steht unzweifelhaft fest, dass wir in den römischen Gerichtsbasiliken einen ganz speziellen Bautypus erkennen können welcher sich von andern Saalanlagen unterscheidet durch seine mehr­ schiffige Grundrissanlage und die Überhöhung des Mittelschiffes zum Zwecke seitlicher Oberlichtzuführung. Der in der römischen Architektur auch sonst vielfach an Curien, Thermen, Portiken, Triklinien u. s. f. angewendete Apsidenabschluss ist zwar kein unterscheidendes Merkmal der römischen Basiliken, ganz sicher aber ein zweckdienliches und regelmässig wiederkehrendes Accessorium. Fest steht ferner, dass diese Gerichtshallen vor allen andern als Basiliken bezeichnet wurden. Mag nun der Name früher oder später verallgemeinert worden sein, so dass er nach Dehio’s Ansicht nicht Formbezeichnung, sondern lediglich Zweckbezeichnung wurde, nicht mehr und nicht minder, wie die Worte Tempel, Theater u. s. w., so thut diese von den Schriftstellern des Altertums wie der ersten christlichen Zeit verallgemeinerte Bezeichnung, welche vielleicht unserem Begriff: „Halle“ verwandt ist, der Thatsache nicht den geringsten Eintrag, dass ein Bautypus bei den Römern vorhanden

19 war, welcher dem, was wir heutzutage unter einer Basilika verstehen, am nächsten kommt. Es erübrigt nun noch, die typische Grundform der altchrist­ lichen Langkirchen zu betrachten.1) Die altchristlichen Basiliken sind oblonge Räume, welche durch Säulen- oder Pfeilerarkaden in mehrere Schiffe abgeteilt werden, deren mittleres in den Breitenverhältnissen dominiert und die Seiten­ schiffe derart an Höhe überragt, dass es die Anbringung seitlicher Oberlichtfenster gestattet. Die Zahl der Letzteren harmoniert nicht immer mit den Axen der Interkolumnien. Die Säulenreihen oder Pfeilerarkaden umschliessen nicht, wie in der forensischen Basilika, das Mittelschiff auf den vier Seiten, sondern begleiten nur die Längsaxe der Halle. Dadurch wurde ein energisches Yorwärtsstreben nach einer bestimmten Richtung zum Ausdrucke gebracht und den Ziel­ punkt bildete die Rundapsis, in welcher der Sitz des Bischofs, die Bänke der Presbyter und Kirchenvorsteher, vor allem aber der Hauptaltar sich befanden. Letzterer stand zunächst dem Bogen, welcher die Apsisnische ab schloss, hinter ihm der erhöhte Bischofs­ stuhl, von welchem aus in den ältesten Zeiten die Verkündigung des Evangeliums an das gläubige Volk erfolgte, an den Wänden der Nische waren die Stühle für die Presbyter (Presbyterium). Der hohen Bedeutung und der zielbewussten Hervorhebung dieser Choranlage schon durch die Arkadenreihen des Schiffes ent­ spricht es, wenn wir die Chorapsis nicht als etwas Nebensächliches, sondern als einen wesentlichen Zubehör zur Kirchenanlage betrachten. Von etwa 65 bekannten altchristlichen Langkirchen haben 57 eine nach Aussen ausgebaute Rundapsis. Es kann also wohl füglich be­ hauptet werden: Die altchristliche Basilika war in der Regel mit einer ausgebauten Rundapsis, welche in der Axe des Mittelschiffes lag, geschlossen. Es kommen auch Kirchen mit eingebauter Rundapsis vor, seltener sind jedoch die Beispiele, in welchen die Apsis von Innen rechteckigen Grundriss hat, oder an welchen sie gänzlich fehlt, dessgleichen auch Anlagen, hei welchen die Säulenarkaden auch vor der Apsisseite durchlaufen. Diese wenigen Ausnahmen verschwinden in der übereinstimmenden Regelmässigkeit der übrigen Bauten. Der Chorapsis gegenüber lag regelmässig der Eingang und zwar war meistens jedes Schiff mit einem gesonderten Portal ver') Blatt 1, Fig. o.

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20 sehen. Vor demselben breitete sich meist ein von Arkaden um­ schlossener Hofraum (Atrium) aus, in der Mitte mit einem Brunnen ausgestattet, dem Sinnbild der Reinigung vor dem Eintritte in dem Tempel Gottes. Im Orient erhielt sich, wie in der Hausanlage und in der forensischen Basilika, so auch in der altchristlichen Kirchenanlage die Vorliebe für zweigeschossige Anlage der Seitenschiffe. Es würde hier zu weit führen, die grossartigen Bauten der alt­ christlichen Bauperiode näher zu betrachten, von denen die achtzig­ säulige Basilika des hl. Paulus zu Rom1) noch heute alle vor­ handenen Kirchenräume an inneren Raumabmessungen übertrifft. Von solchen gewaltigen Schöpfungen wenden sich unwillkürlich unsere Augen zurück auf die Prachtbauten der römischen Kaiserzeit, deren Foren wohl die meisten Säulen zu den altchristlichen Kirchen ge­ liefert haben werden. Und doch wäre es leichtsinnig, trotz aller Verwandtschaft in der Grundriss- und Apsidenanlage sofort die direkte Abstammung der einen aus der andern behaupten zu wollen, umsomehr, als die gegenteilige Ansicht seit Dehio’s Beweisführung bedeutend an An­ sehen gewonnen hat. Versuchen wir nun zunächst die Ableitung aus dem römischen Wohnhause. Wir müssen uns aber dabei vor Augen stellen, was wir nach unsern heutigen Begriffen Basilika nennen: oblonge, durch Säulen- oder Pfeilerreihen in Schiffe geteilte Räume, deren Mittelschiff in den Breitendimensionen dominiert und ebenso die Seitenschiffe an Höhe soweit überragt, dass in den Oberwänden durch Fenster Licht zugeführt zu werden vermag. Zielbewusstes Hervor­ heben der Mittelaxe im Grundriss und Querschnitt charakterisiert daher die Basiliken und bei den kirchlichen wenigstens ist der Ziel­ punkt der erhöhte Chorraum, auf welchem die heilige Handlung sich vollzieht, von welchem aus das Wort Gottes verkündet wird. Ich möchte daher den Apsidenabschluss des Mittelschiffes als wichtigstes Accessorium der christlichen Basilika aufzuführen nicht versäumen. Ein konstruktiv und dekorativ zweckdienliches Accessorium ist das Querschiff, dass jedoch erst in viel späterer Zeit an Bedeutung gewinnt, ein weiteres Accessorium der altchristlichen Basilika ist der Vorhof (atrium). Die Art der Deckenbildung, ob flach gedeckt oder gewölbt, bildet kein Charakteristikum für die Basilika. 1) S. Paolo fuori le mura, erbaut 324 von Constantin, umgebaut 386.

21 Gehen wir nun von dem römischen Wohnhausatrien ans, in denen sich wahrscheinlich die ersten beiden Jahrhunderte hindurch die Bekenner des christlichen Glaubens zusammenfanden, um dort im Geheimen ihren Gottesdienst zu feiern. Dort mussten sich also auch die ersten rituellen Gebräuche entwickelt haben und es ist sicher, dass der Ritus zu allen Zeiten massgebend war für die An­ lage zweckdienlicher Räume. Folglich muss die altchristliche Normal­ basilika dem römischen Wohnhausatrium gleichen: „Man darf er­ warten, schreibt Dehio, dass das gottesdienstliche Gebäude das morphologische Gesetz seines Ursprunges auch noch in seinem späteren freien Wachstum in irgend einer Weise in Wirkung zeigen wird. Mag zwischen den ältesten uns erhaltenen Denkmälern des christ­ lichen Kirchenbaues und der durch Vitruv und Pompeji repräsentierten Epoche des antiken Hausbaues ein Zeitraum von drei Jahrhunderten liegen: jeder methodische Ableitungsversuch muss zuerst bei den Verhältnissen der christlichen Urzeit und somit bei der Einrichtung des antiken Wohnhauses ansetzen.“ Betrachten wir uns nun die römische Wohnhausanlage, so müssen wir von vornherein jene Gebäude ausscheiden, deren Atrien das Impluvium besitzen, denn sie konnten nicht als Versammlungs­ ort dienen, auch jene, welche nur einen ungeteilten Saal, wenn auch mit überhöhtem Oberlicht, darstellen, denn sie entsprechen nicht unserer Begriffsbestimmung; es bleiben also nur die Säulenatrien mit überhöhtem Mittelschiff der Kaiserzeit, nachdem auch die quadratische tetrastyle Anlage, welche ebenso für einen Centralbau vorbildlich sein könnte, auszuscheiden hat. Hier erscheint es nun durchaus glaubwürdig, wie aus dem Ehrenplätze im Tablinum der christliche Priesterchor, aus dem steinernen Tische vor dem Tablinum der Altar wurde, wie die hervorragenden Mitglieder der christlichen Gemeinde in den zunächst anschliessenden Alae des Wohnhauses ihren Platz fanden, während die übrigen Gläubigen die oblonge Säulenhalle des Atriums füllten. Dehio sagt: „Die Analogie zwischen dem dreiteiligen Säulencavädium und dem Langhaus der christlichen Basilika würde für sich allein noch nichts beweisen; aber im Zusammenhänge mit dem Tablinum und den Alä einerseits, dem Chor und Querschiff anderseits, ist es vollkommen durchschlagend, denn eine ähnliche Combination ist im ganzen Bereiche der antiken Architektur nicht mehr zu finden.“ Aber befindet sich denn der christliche Chor mit dem Tablinum

22 und das altchristliche Querschiff mit den Alä thatsächlicn in Über­ einstimmung ? Das Tablinum ist ein rechteckiger Baum, nach vorn offen, nach rückwärts ursprünglich allerdings geschlossen, in den reicheren Anlagen der Kaiserzeit aber ebenfalls offen. Was ist aber die altchristliche Chorapsis ? Der Abschluss und Zielpunkt der ganzen Anlage, von halbrundem Grundrisse mit kugel­ förmigem Gewölbe. Die ßundapsis ist aber der überwiegende Mehr­ zahl der altchristlichen Basiliken in so kennzeichnender Weise zu eigen, dass man wohl sagen darf: Sie bildet einen wesentlichen und charakteristischen Bestandteil der altchristlichen Basilika. Sie hat aber weder die Grundform, noch die Deckenkonstruktion vom römischen Tablinum entlehnt, sondern vorbildlich waren offenbar die ganz ähnlich gestalteten halbrunden Tribunalsnischen der Forumsbasiliken, ja sogar die Zweckbestimmung war in beiden Gebäudearten eine ver­ wandte : hier der erhöhte Sitz des Richters, umgeben von den Sitzen der Geschworenen und Rechtsanwälte, dort an Stelle des Richters der Vorsteher der Kirchengemeinde, der Bischof, um ihn die Ältesten, die Presbyter. Sollte denn den ersten Christen, deren Kult sich allerdings in der Stille des Tablinums entwickelte, die Tribunals­ nische des Forums, die sich in der Öffentlichkeit eingebürgert und bewährt hatte, nicht zweckmässiger erschienen sein, sollten sie, die täglich den Gerichtsverhandlungen im Forum beizuwohnen Gelegenheit hatten, sich nicht hinaussehnen aus der Bedrängniss ihres notdürftig gestatteten Kults in den engen Wohnhausatrien? Sofort bei freier Bethätigung ihrer Bauten lieferten die christlichen Gemeinden den Beweis, dass sie ihr Ideal nicht im Tablinum, sondern in den Tribunalsnischen der Forumsbasiliken gesucht hatten. Was nun die Alä des römischen Wohnhauses betrifft, so sind dieselben schon den Säulenatrien der Kaiserzeit nicht mehr in so regelmässiger Weise zu eigen, dass man sie zu den charakteristischen Bestandteilen der Wohnhausatrien zählen konnte *; noch weniger können sie vorbildlich für die ersten christlichen Kirchen gewesen sein, denn die überwiegende Mehrzahl derselben hat überhaupt kein Querschiff. Auf die Alä baut sich aber hauptsächlich die neue Doktrin auf! Und doch kann nur die Grundrissvergleichung diese Idee gereift haben, im Querschnitt, in der Konstruktion waren die Alä niemals dem Querschiff ähnlich, das, bis zur Höhe des Mittelschiffes aufgeführt, selbst ein Hauptschiff darstellt und sich *) Dehio, die Genesis der christl. Basilika.

23 quer vor das Mittelschiff und die Seitenschiffe vorlegt und damit der zun Zielpunkte der Anlage, zur Chornische vorwärtsstrebenden Ten­ denz der Arkadenreihen sich entgegenstemmt. Freilich konstatiert Dehio, ,,dass das Querschiff ausschliesslich in Rom und in den von Rom beeinflussten Landschaften des Occidents, und auch hier nicht regelmässig, sich vorfindet, hingegen der morgenländischen Welt, mit Einschluss Ravenna’s, fremd bleibt, weil die Alä den Peristylien des griechischen Wohnhauses unbekannt sind.“ Allein wir können uns nur an das halten, was in der alt­ christlichen Basilika durch die Mehrzahl als charakteristisch begründet erscheint und sind hiezu umsomehr berechtigt, als Dehio selbst zugibt, „dass der Synkretismus der Nationalkulturen, der die Kaiser­ zeit charakterisiert und für die Ausbreitung des Christentums so fördersam war, auch auf die Wohnsitte sich erstreckte, so dass ein erheblicher Unterschied zwischen griechischer und italienischer Haus­ anlage nicht mehr existiert.“ Der schwächste Teil der Beweisführung Dehio's liegt aber in der Entwicklung des Querschnittes der Basilika. Hier gesteht er selbst zu, dass die Forumsbasilika vorbildlich war. Warum also nicht auch für die Grundrissgestalfcung V Wenn wir die ältesten uns erhaltenen christlichen Basiliken Roms in einem solchen Umfange, einer solchen Formvollendung und einem Reichtum ausgeführt sehen, dass sie weit hinausschiessen über das, was die angeblich vorbild­ lichen Säulenatrien des bürgerlichen Wohnhauses zu bieten vermochten, wenn wir die grösste Ähnlichkeit der Anlage mit jenen Kolossalbauten beobachten, die unter dem Namen der forensischen Basiliken bekannt sind, so können wir unmöglich daran glauben, die christlichen Bau­ meister hätten alle diese Herrlichkeit mühsam oder durch wunder­ bare Eingebung auf einmal aus dem primitiven Hausatrium heraus­ erfunden! Ja, wir müssten die christlichen Baumeister geradezu für blind halten, wenn sie sich bemüht hätten, in einem verhältnissmässig kurzen Zeitraum mit einem kolossalen Aufwand von Scharf­ sinn alles das erst zu erfinden und ohne Übergang und praktische Vorbildung plötzlich zu den kühnsten Oonstruktionen auszubilden, was sie täglich in den Gerichtsbasiliken vor Augen sahen. Sicherlich aber waren sie vernünftig genug, das ihren Zwecken entsprechende dort zu entnehmen, wo sie es fanden. Eines ist aber in der Erörterung Dehio’s ganz ausser Betracht geblieben: Dass wir es überhaupt nicht mit eigentlichen christlichen Architekten zu thun haben, dass die Kunstübung nicht, wie später in der romanischen

24 Periode, in den Händen der Geistlichkeit lag. Es waren vielmehr römische Meister, welche die ersten christlichen Kirchen bauten and derselbe römische Architekt baute vielleicht heute an einem Forum, morgen an einer Christuskirche. Die Formgebung ist eine rein römische, in der Architektur sowohl, als in der Plastik und Malerei. Warum sollten aber römische Meister aus bürgerlichen Atrien lernen, was sie in kaiserlichen Forumsbasiliken schon längst praktisch erprobt und selbst ausgeführt hatten? Wir dürfen aber auch den Entwicklungsgang der Basilika, wenn wir ihn richtig verstehen wollen, nicht einseitig betrachten, nicht losgelöst von jenen gleichzeitigen Colossal werken der Architektur, deren kühne, noch heute vielfach unerreicht dastehenden Gewölbe­ konstruktionen uns in Erstaunen setzen, deren Entwicklung aus dem Hausatrium aber schlechterdings unmöglich ist. Warum sollen aber die einen aus den Hausatrien ihre grossartigen Basiliken mühsam herausgesogen haben, während es den anderen gestattet werden muss, all die nötigen reichen technischen Erfahrungen aus den Gewölbekonstruktionen der Paläste, Thermen, dem Pantheon und anderer hervorragender römischer Bauwerke zu holen? Die einen wie die anderen Bauwerke schufen aber in römischen Bauschulen gebildete Baumeister aus dem reichen Schatze ihrer Erfahrungen angespornt durch die neu sich eröffnenden Kultusbedürfnisse, nicht aber aus den beengenden Fesseln des Wohnhausatriums heraus. Doch will vielleicht Dehio selbst nicht behaupten, dass die Constantinischen Prachtbauten unmittelbar aus dem römischen Wohn­ hausatrium heraus entstanden seien, sondern seine Entwicklungstheorie bezieht sich wahrscheinlich auf die vorkonstantinischen Bauanlagen, von denen auch Durm in seinem Handbuch der Architektur annimmt, dass sie als feste, fertige Typen von den Baumeistern Konstantins benutzt worden seien. Da sich nun Dehio’s Beweisführung hauptsächlich auf die Alä und das Querschiff stützt, ist es meines Erachtens notwendig, vor allen Dingen den Beweis zu erbringen, dass das Querschiff bei den altchristlichen, vorkonstantinischen Basiliken zur regelmässigen, nor­ malen Kirchenanlage gehörte. Nun sieht es aber mit den Überresten vorkonstantinischer Kirchenbauten sehr schlecht aus. Die vierzig Basiliken, welche Born am Ende des dritten Jahrhunderts besessen haben soll, wurden unter Diokletian zerstört. Ebenso ging es in den Provinzen. Von den wenigen erhaltenen Baudenkmäler n der ersten drei

25 Jahrhunderte besitzt keines ein Querschiff, auch die grösseren, fünfschiffigen Anlagen zu Orleansville und Typäsa nicht. Es kann daher nicht gestattet werden, aus den Eonstantinischen Prachtbauten Rückschlüsse auf die früheren Sauanlagen zu ziehen, umsoweniger, als auch in der konstantinischen Periode Basiliken ohne Querschiff errichtet wurden und letzteres in der Folgezeit so wenig zur Anwendung gelangte, dass von allen 65 bekannten in den Jahren 250—800 erbauten altchristlichen Basiliken nur 10 ein Querschiff besitzen. Sechs dieser Querschiff­ anlagen gehören konstantinischen Bauten an. Die Querschiffanlage ist daher kein Charakteristikum der alt­ christlichen Basilika, am wenigsten aber der Basiliken der vorkonstantinischen Zeit. Mithin hann dieselbe auch nicht zur Beweis­ führung im Sinne Dehio’s benützt werden. Die konstantinischen Bauten aber, welche fast regelmässig Querschiffe besitzen, dürften aus einem ganz speziellen Gesichtspunkte zu betrachten sein. In ihnen flackert die heidnische Kunst, welche soeben einen der grossartigsten Gewölbebauten in der Maxentiusbasilika vollendet hatte, zu einer letzten Kraftanstrengung auf. Mit Jubel begrüssten die Christengemeinden nach jahrhundertelanger Unterdrückung die endliche Anerkennung des christlichen Glaubens als Staatsreligion; mit dem Feuereifer des Neubekehrten war Kon­ stantin bemüht, überall christliche Tempel erstehen zu lassen, welche den heidnischen Prachtbauten weder in Bezug auf Raumentwicklung, noch auf Reichtum der Anlage und Ausführung nachstehen sollten; mit Begeisterung endlich warfen sich die römischen Architekten auf das sich ihnen eröffnende, neue Arbeitsfeld und formten das antike Basilikenschema den Bedürfnissen des christlichen Kults entsprechend um. Die Verbindung des Langhauses mit einer quer vor dasselbe gelegten Halle von der Höhe des Mittelschiffes, in welchem gleich­ sam die gegen den Zielpunkt der Anlage hinstrebenden Schiffe vereinigt wurden und der einen grossen Raum erfordernde Prunk der Zeremonien einen ebenso prunkvollen Ausdruck fand, war die Frucht rein künstlerischer Bestrebungen. Nicht in ängstlicher oder unbewusster Nachahmung der kleinlichen Verhältnisse des Wohn­ hausatriums, sondern in zielbewusster Anwendung der vorhandenen Erfahrungen über Raumwirkung und Entfaltung perspektivischer Effekte schufen die römischen Architekten das Querschiff. Seine Erscheinung gilt nur dem als ein unerklärlicher, sprunghafter Fort­ schritt, welcher übersieht, dass die Erbauer aus der römisch-heid-

26 nischen Bauschule hervorgegangen sind, denen in Foren, Palästen und Thermen Gelegenheit genug gegeben war, die Raumwirkung einer Querhalle zu ermessen und sie an rechter Stelle da wieder zu verwerten, wo sie den Raumbedürfnissen entsprach. Weiter dürfen wir aber nicht gehen. Wir dürfen nicht sagen, dass das Querschiff ein aus der Benützung des Wohnhausatriums entsprungenes Kultbedürfniss gewesen ist, weil uns sonst die älteren, vorkonstantinischen Basiliken, denen das Querschiff fehlt, unverständlich werdenWie sehr aber zu Konstantins Zeiten christliche und altrömische Kunst Zusammenhängen, erhellt vielleicht am besten aus dem Ver­ gleiche der konstantinisohen Kirchenbasiliken mit der von Konstantin vollendeten Maxentiusbasilika. Es ist auffällig, dass gerade die konstantinisohen Kirchenbasiliken in der Regel jene frei vor die Pfeiler gestellten Säulen mit durchgebildetem Architravgesims zur Aufnahme der Triumpfbögen zeigen, welche uns auch in der Maxen­ tiusbasilika entgegentreten, wo sie bestimmt sind, die Gurtbögen der Kreuzgewölbe des Mittelschiffes aufzunehmen. Ähnliche Dekorationsmotive finden wir auch in den Thermen und Palastbauten, deren verschwenderischen Luxus eine solche Fülle von Raumkombinationen barg, dass es nicht nötig wird, über den Ursprung des Querschiffes mühsame Untersuchungen anzustellen; es steht thatsächlich in den konstantinisohen Bauten plötzlich fertig vor uns, entstanden aus dem reichen Schatze architektonischer Oombinationsideen römischer Künstler und aus den Raumbedürfnissen des eben zur freien Staatsreligion erhobenen Christentums. Nach dieser langen Abschweifung sei es gestattet, wieder zu unserem eigentlichen Thema zurückzukehren.

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Der zweite Dombau. Sofort uach dem Einsturze des ersten Dombaues im Jahre 994 schritt Bischof Luitold zum Neubau einer Kirche, welche nach bisheriger Übung der zweite Dombau genannt wird. Anschliessend an die Mitteilung ihrer Vision hatte die Kaiserin Adelhaid dem Bischöfe Trost und Mut zugesprochen und ihm ver­ sichert, dass der Herr nach seiner unermesslichen Güte zur Her­ stellung der Kirche Hilfe schicken werde. Sie war es auch, die dem Neubau die grösste Unterstützung angedeihen liess. Darum melden die Augsburger Annalen: 995. Luitoldus episcopus templum fundamento construxit, Adelheida imperatrice cooperante (Mon. Germ, hist. §§ 3,124). Die Chronik des Erhard Wahraus meldet in Über­ einstimmung: „Ao 991 jar was Luittoldus bischoff zu Augspurg, der pracht zu Rom zu wegen von dem Papst, dass man Sant Ulrich hailigt da man zalt 993 jar, auch das man unser frawen kirch zu dem thumb wieder pawet mit dem alemusen, auch mit hilf samt Adelhait, ain kungin von Unger, wann das münster was verprunnen.“ Luitold betrieb den Bau mit solchem Eifer, dass er, als Erster der Bischöfe in Augsburg, seine Grabstätte im Dome suchen konnte. Er und seine beiden Nachfolger Gebhart (996 — 1000) und Sigfried (1000—1006) sind in einem gemeinschaftlichen Grabe in der Nähe des alten Chors begraben, wie uns Bruschius in seiner 1551 in Druck erschienen „Chronik aller Erzbischöfen zu Mayntz f. LXXII mitteilt. Die bezügliche Epitaphinschrift ist leider nicht mehr erhalten. Die Domkirche wird also wohl im Jahre 1006 vollendet gewesen sein. Es sind daher alle späteren Notizen über erfolgte Dombauten lediglich dahin zu verstehen, dass an den Portalen, Vorhallen, Türmen und sonstigen Zugehörungen des Domes irgendwelche Be­ reicherungen, Verbesserungen oder Ausbauten vorgenommen wurden. Für diese kurze Bauzeit tritt auch Herberger und neuerdings Dr. Riehl») ein, indem sie auf die grosse Einfachheit und einheit­ liche Durchführung der Bauglieder hinweisen, welche undenkbar *) Herberger, die ältesten Glasgemälde des Doms in Augsburg. Dr. Biehl, Denkmale frühmittelalterlicher Baukunst.

28 wäre, wenn der Dom, wie unter anderen auch Dr. Sighart *) annimmt, erst durch Bischof Embriko 1065 vollendet worden wäre. Letzterer nahm im Jahre 1065 unter Assistenz des Bischofs Gunzo von Eichstädt und Budhardt von Treviso die Weihe der Domkirche vor.*2) Die Chronik des Erhard Wahraus erzählt: „Auch in derZeit, da man zalt 1065 jahr, da ging kaiser Hainrich den Pfingstag zu Augspurg in unser frawen kirch zu dem thumb, die ward auch also geweiht von dem Bischof Embriko.“ Dieser zweite, 994 begonnene und 1G06 vollendete Dombau bestand als romanische Kathedrale bis zum Anfang des 14. Jahr­ hunderts, wo die Gotisierung begann. Glücklicherweise beschränkte sich letztere auf die Einsetzung gotischer Kreuzgewölbe, so dass wir heute noch in der Lage sind, den ganzen romanischen Kernbau in seiner ursprünglichen Gestalt herauszuschälen.3) Von dem zweiten Dombau sind uns erhalten: die Krypta, die darüber befindliche Westapsis, das anschliessende Querschiff, die Mittelschiffmauern mit ihren 9 Pfeilerarkaden und die beiden Osttürme. Bevor wir nun diese einzelnen Bestandteile näher besprechen, ist es notwendig, uns jene konstruktiven Fortschritte vor Augen zu führen, welche der christliche Basilikenbau seit dem Beginne des 9. Jahrhunderts gemacht hat. Wie wir gesehen haben, bestand in Augsburg eine Domschule, die sich eifrigster Kunstpflege hingab und so dürfen wir bei dem regen Verkehre dieser klösterlichen Anlage mit den Kunstzentren in St. Gallen und Tegernsee doch wohl voraussetzen, dass die leiten­ den Kreise in Augsburg zur Zeit des Domneubaues von allen Fort­ schritten auf dem Gebiete des Basilikenbaues wohl unterrichtet warenZu diesen Fortschritten drängte zunächst das Baumbedürfnis. Die kurze, halbrunde Apsis der altchristlichen Basilika, welche der anwachsenden Zahl der Geistlichkeit nicht mehr den genügenden Platz bot, führte dazu, die Chortribüne durch Vorschieben in das Kirchenschiff zu erweitern. Hiedurch wurde aber nicht nur der J) Dr. Sigbart Geschichte der bild. Künste im Königreich Bayert. 2) Ann. Aug. (Mon. Germ. hist. S. S. 3, 128.) 8) Blatt 2, Fig. a und b.

29 Laienraum im Schiffe verkürzt, sondern es wurde hauptsächlich der Altar aus seiner ursprünglichen Stellung vor der Konche in den Mittelraum vorgerückt und es war unmöglich, diesem neuen Platz nach Aussen diejenige architektonische Auszeichnung zu geben, welche seiner Würde entsprach. Es ist daher die hervorragendste That der romanischen Bau­ periode, dass sie durch Verlängerung der Chorapsis nach Aussen den Chor von den Fesseln des Kirchenschiffes loslöste und durch einen Kryptaunterbau eine über das Niveau des Gemeindehauses erhabene, imposante und in sich abgeschlossene Tribüne schuf. Aber auch das Langhaus erhielt durch diesen Chorausbau eine konstruktive Bereicherung, da es nunmehr möglich war, das bisher unvermittelt eingeschobene, sich der Arkadenrichtung des Mittel­ schiffes breit entgegenstemmende Querschiff organisch in die dem Hochaltar als Zielpunkt zustrebende Axenrichtung mit einzubeziehen, indem man die Querschiffpfeiler mit der gegenüberliegenden Aussenwand des Querschiffes durch Bögen verband. Auf dem so geschaffenen, von vier mächtigen Gurtbögen umsäumten Kreuzmittel konnten sich erst jene grossartigen Compositionen entwickeln, welche in den Vierungstürmen zum Ausdruck kamen. Durch diese ächt germa­ nischem Geiste entsprungene Anordnung gelang es der Baukunst des Abendlandes, den bisherigen Vorsprung des morgenländisch byzantinischen Stiles, den derselbe im Central- und Kuppelbau sich errungen hatte, nicht nur einzuholen, sondern in Bezug auf Mannig­ faltigkeit und malerische Wirkung zu schlagen. Während also in der altchristlichen Kunst die mit Querschiff versehene Basilika im Grundrisse einem Kreuze ohne Kopfbalkeu (crux commissa oder signum Tau) gleicht und die Querschiffpfeiler wegen der fehlenden jenseitigen Mauerbögen dieselbe Grundform besitzen, hat der Grundriss der romanischen Basilika und ebenso deren Querschiffpfeiler die volle Kreuzform (crux immissa oder capitata.) Als typisches Vorbild für die romanische Basilika jener Zeit gilt ein aus dem Jahre 820 oder 880 stammender Grundriss, welcher im Kloster zu St. Gallen sich vorfand und den Abt Gozbert von auswärts, wahrscheinlich von den karolingischen Baumeistern der Rheinlande sich verschrieben hatte.1) !) Blatt 1 Fig. d.

30 Herberger1) schreibt nun: „Nach dem bis auf unsere Zeit erhaltenen Originalplane des Klosters St. Gallen zu urteilen, ist nun die ursprüngliche Anlage unseres Augsburger Domes in den Haupt­ teilen nach jenem Plane gebildet. Nach dem bereits geschilderten, regen Verkehr der Augsburger Domschule mit dem Kloster zu St. Gallen wäre dies auch zu erwarten. Es ist daher im höchsten Grade auffallend, dass der zweite Dombau wieder die kurze, halbrunde Chorapsis, das unvermittelt eingeschobene Querschiff und trotz der längst zur Regel erhobenen Ostung des Hauptchores wieder die westliche Axenrichtung zeigt.2) Ich kann für diese Anlage keinen andern Grund finden, als eben jenen, der schon bei dem ersten Kirchenbau zur westlichen Situierung des Hauptchores Anlass gab: Man wollte lieber auf alle Baufortschritte verzichten, als jenen Platz verlassen, den die damals jedenfalls noch lebendige Überlieferung durch die wichtigsten Vor­ gänge in der lokalen Kirchengeschichte heiligte. Ich kann mich daher dem Urteile jener Kunstgeschichtschreiber nicht anschliessen, welche den Augsburger Dom jenen bayerischen Baudenkmälern beireihen wollen, die das Querschiff im Westen, den Hauptchor aber im Osten haben;3) auch zu jenen Beispielen passt der Augsburger Dom nicht, bei welchen zwei Osttürme neben dem Chor angebracht sind, denn unsere Türme sind weder Osttürme im eigentlichen Sinne, welche die Ostung der Hauptapsis voraussetzt, noch stehen sie zu beiden Seiten neben dem Chor, sondern waren Aussen an die Seitenschiffe an der Giebelseite angefügt. Ich möchte nicht einmal behaupten, dass die Peterskirche in Rom bezüglich der westlichen Choranlage ein vorbildliches Beispiel gewesen sein muss, sondern halte dafür, dass der Dom in Augsburg, eben seines hohen Alters, seines Herauswachsens aus der römischen Forumsbasilika x) Herberger, die ältesten Glasgemälde des Domes in Augsburg. Mit dieser Ansicht bereits widerlegt durch Professor Dr. Riehl, Denkmale der frühmittel­ alterlichen Baukunst in Bayern, 1888. 2) Blatt 3, Fig a. 8) ln dem Werke von Dehio und Bezold: „Die kirchliche Baukunst des Abendlandes 1892 wird der Augsburger Dom jener merkwürdigen Abart der njit 2 Transsepten versehenen Basiliken eingereiht, welche nur ein Westtranssept be­ sitzen. „Diese Anomalie ist nicht Orientierungsschwankungen der altchristlichen Zeit, sondern aus Schwankungen entstanden, veranlasst durch die Doppelchöre und Doppeltran ssepte.“ — Ob wohl in allen Fällen die lokalhistorischen Verhältnisse genügend gewürdigt werden konnten?

31 wegen, eine ganz individuelle Erklärung aus seiner eigenen geschicht­ lichen Entwicklung heraus verlange. Wenden wir uns nun den einzelnen erhaltenen Bauteilen zu. Das gemeinschaftliche Baumaterial ist der Tuffstein. Ob die vor­ handenen Triumphbögen, welche das Querschiff gegen das Mittel­ schiff und die Chorapsis gegen das Querschiff abgeschlossen und heute noch über den gotischen Gewölben als Rundbögen sichtbar sind, dem zweiten romanischen Dombau angehören, ist fraglich. Sie bestehen aus Backstein. Auffallend ist an denselben das Fehlen des Verputzes, wenn sie alt sein sollten, unerfindlich aber ein Grund, warum man sie nachträglich über den Gewölben eingezogen haben sollte. Dass sie aus Backsteinen errichtet sind, würde an sich noch nicht gegen ihr Alter sprechen, denn es ist nachgewiesen, dass bei Bioslegung der Mauerreste der von Bischof Ulrich erbauten Johannis­ kirche auch Backsteinmauerwerk gefunden wurde. Im Übrigen sind die Laibungen der Mauerbögen an den Pfeilerarkaden des Langhauses aus Kalkstein hergestellt, ebenso alle Pfeiler und deren Fuss- und Kämpfergesimse und die Säulen der Krypta sowie der älteren Schallöffnungen der Türme. Sandstein finden wir nur an einzelnen Säulenbasen der Krypta anterior und an spätromanischen Umbauten. Die Krypta, wie wir sie jetzt vor uns sehen, zerfällt in zwei Teile: in die ältere innere (crypta interior), und in die jüngere, grössere, vordere Krypta (crypta anterior). Die erstere1) wird von den 2.50 m starken Fundamentmauern der halbrunden Westapsis umschlossen und ist durch Säulenreihen in drei Schiffe geteilt, von denen jedoch nur noch das Mittelschiff offen ist, während die Seitenschiffe als Begräbnissplätze benützt und vermauert wurden. Das Mittelschiff zeigt beiderseits je zwei halb eingemauerte Säulen und endigt gegen die Apsisrundung in einer halbrunden Nische, in welcher ein gemauerter Altartisch steht. Die Steinplatte desselben ist nach unten einfach abgeschrägt.2) Zu beiden Seiten waren Maueröffnungen für den Lichteinfall. Nach Osten scheint das Mittelschiff der inneren Krypta ebenfalls nischenartig geschlossen zu haben; der vorhandene Thürdurchbruch hindert jedoch eine genaue Feststellung. Die Ostwand der Krypta ist übrigens nicht unbedeutend über die westliche Aussenmauer des Querschiffes 0 Blatt 2 Fig. b und Blatt 7 Fig. a, a) Blatt 6 Fig. d.

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bezw. deren Triumphbogenöffnung vorgerückt, so dass schon die älteste Choranlage in das Querschiff eingeschoben gewesen zu sein scheint. Die Säulen sind höchst einfach gestaltet.1) Über dem Pflaster ist nur ein Bingansatz sichtbar. Auf dem kurzen Schafte sitzt ein Kapital, das die einfachsten Versuche der Überführung der viereckigen Platte in die runde Form des Säulenschaftes zeigt. Der Schaftansatz ist nicht durch ein eckiges Plättchen gekennzeichnet, sondern das Kapitälstück sitzt unmittelbar auf und hat unten einen glatten Bandschlag, von dem aus es in leicht geschwungener Linie in die quadratische Plattenform übergeführt wird, während die vier Kanten der Platte den Gräten einer nmgestürzten Pyramide ähnlich nach unten verlaufen. Das Gewölbe, welches auf diesen Säulen sitzt, ist entstanden aus der Durchdringung ungleich hoher Tonnen. Manche glauben nun, diese Krypta noch identisch mit jener halten zu dürfen, welche der hl. Ulrich erbaute. Die Bauart und die Säulenform würde dieser Annahme nicht gerade widersprechen, sichere Anhaltspunkte lassen sich jedoch kaum mehr finden. Ich möchte nur erwähnen, dass ähnliche Kapitälformen auch die von den Bömern erbaute Porta nigra in Trier zeigt, wenn dieselben auch vielleicht für eine spätere Nacharbeitung der Details bestimmt waren. Der enge Baum der Chortribüne in der Bundapsis rief nun voraussichtlich sehr bald das Bedürfniss nach einer Erweiterung her­ vor, welche durch Einschieben in das Querschiff erfolgen konnte. Man that dies in so reichlichem Maase, dass man für die neue Tribüne nicht nur das Kreuzschiff, sondern darüber hinaus auch noch das erste Joch des Mittelschiffes in Anspruch nahm und unter­ wölbte diesen ganzen Chorraum durch eine neue Krypta, die crypta anterior.2) Dieselbe ist durch drei Säulenreihen in vier Schiffe geteilt, jede Beihe zählt fünf Säulen. An den Wänden sind Wandsäulen vorgestellt. Das Gewölbe ist noch nicht zur Construktion des Kreuz­ gewölbes durchgedruugen sondern besteht noch aus sich durch­ schneidenden Tonnen, deren Scheitellinien wegen der ungleichen Säulenabstände nicht immer in gleicher Höhe verläuft. i) Blatt 6 Fig. b. a) Blatt 2 Fig. b und Blatt 7 Fig. b.



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Die Säulen *) sind zwar mannigfaltig gestaltet, doch haben sie noch zumeist sehr primitive Formen, welche den Übergang vom runden Schaft zur viereckigen Platte suchen, teils in Trapezform, teils durch Auskehlung der Ecken in einer an Kelchkapitäle erinnern­ den Weise. Die meisten zeigen jedoch mehr oder minder gut ge­ lungene Versuche zur Bildung des Würfelkapitäles und haben unter dem Eapitälansatz einen einfachen, runden Wulst. An allen aber fehlt noch der Abakus, d. h. die Gesimsplatte über dem Kapital, welche in der entwickelteren Periode den Übergang in das Gewölbe vermittelt. Ebenso ist die Basis mannigfach, aber doch meist roh gestaltet. Sie wechselt vom einfachen, abgeschrägten runden Pfuhl, und dem an den Ecken abgeschweiften Übergang vom Schaft zur Platte bis zu der mit Eckknollen verzierten attischen Basis. Letztere ist aber noch sehr steil und roh behandelt und unverhältnissmässig hoch im Vergleich zu den Säulenschäften. Die Eckknollen aber legen sich nicht, wie in der späteren Zeit, als dekoratives Blatt von oben herab, sondern sie wachsen struktiv aus den Ecken der Platte heraus und umklammern als derbe Klauen den unteren, hohen Wulst. Mit Rücksicht auf diese Eckknollen glauben manche das Alter der crypta anterior nicht vor 1100 ansetzen zu dürfen. Thatsächlich treten um diese Zeit die Eckknollen an der attischen Basis der romanischen Säule allgemein auf. Allein daraus folgt noch nicht, dass sie vereinzelt oder in ersten Versuchen nicht schon früher sich vorfinden. Die Detailbehandlung der Kapitale und der Basisformen ist aber um 1J00_bereits eine ganz andere, als in unserer Krypta. Es wird also wohl die Nachricht richtig sein, dass BisßhofJEmbriko die Krypta anterior erbaut habe, welcher sie mit festlichem Pompe, unter Anwesenheit des Kaisers Heinrich im Jahre 1065 feierlich einweihte.*2) Bemerkenswert sind in der Krypta anterior noch Säulenbasen aus Sandstein, welche die Formen der attischen Basis in gedrängter Kürze zeigen und einen so viel grösseren Durchmesser als die Säulen haben, dass sie für grössere Säulenabmessungen bestimmt gewesen

1) 2) Jahr die ist, dass

Blatt 6, Fig. e. Hierauf dürfte sich wohl die Nachricht der Chronisten, welche in dieses Einweihung der Kirche verlegen, zu beziehen haben, da es kaum denkbar der schon 1006 vollendete Dombau erst im Jahre 1065 eingeweiht worden

sein soll.

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34 zu sein scheinen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir es hier mit der Wiederverwendung römischer Säulenreste zu thun haben. Endlich ist auch noch zu erwähnen einer jetzt vermauerten Fensteröffnung auf der Südseite gegen das Seitenschiff, dessen ge­ kuppeltes Säulchen in Basis und Kapital einfache Eckabschrägungen zeigt, welche im Kapital jedoch blattähnlich behandelt sind.1) Über der Krypta interior erhebt sich die westliche Chorapsis. Die frühere Rundapsis ist noch sichtbar als runder Mauerabsatz im Innern über dem Chorpflaster, ferner aussen im Hofe sowie haupt­ sächlich in den an den Westchor angebauten Nebenräumen südlich und nördlich. In diesen, namentlich im nördlichen Nebenraum und dessen Untergeschoss, ersehen wir, dass die alte Rundapsis reichen Fa9adenschmuck ähnlich dem Dome zu Bamberg gehabt haben muss, denn es zeigen sich noch Reste starker, Vorgesetzter Halbsäulen, von rechteckigen Lisenen begleitet. Im Jahre 1229 wurde der Westchor durch Bischof Sibotho, dem romanischen Übergangsstile entsprechend, in Achtecksform um­ gebaut,2) wobei die Strebepfleiler an den Ecken zum Teil direkt auf die alten aussen Vorgesetzten Halbsäulen aufgesetzt wurden. Im Querschiff sind die romanischen Aussenmauern vollständig erhalten, nur die südliche Giebelmauer musste in diesem Jahrhundert uragebaut werden. Je ein Fenster der beiden Querschiffflügel gegen Westen muss schon frühzeitig vermauert worden sein, denn die verputzten Flächen zeigen im Innern z. T. noch Malereien aus romanischer Zeit. Ausserdem hatte jeder Querschiffflügel noch zwei Fenster gegen Osten, welche jetzt z. T. ebenfalls vermanert sind. Die südliche Giebelwand scheint ein Rosettenfenster geschmückt zu haben, von welchem das gegenwärtige vielleicht eine schwache Nach­ bildung ist. Ausserdem besitzen wir noch mit wenigen Veränderungen die Pfeiler des Mittelschiffes mit ihren neun Arkadenbögen und der darauf ruhenden Hochwand.3) Die quadratischen Pfeiler sind hoch und schlank, so dass die Bogenöffnungen einen eleganten, wohlproportionierten und doch *) Blatt 6, Fig. e.

2) Khamro, III, VII. De Sibothone. 1229 Cborum occidentalom supra veterem cryptam muris formissimis extructum suae Catbedrali Ecclesiae adjezit. Das gegenwärtige Gewölbe scheint jedoch diesem Umbau nicht mehr anzugehören, sondern bei der späteren Randegg’schen Restauration abgeändert worden zu sein.

•) Blatt 9.

35 kraftvollen Eindruck gemacht haben mussten. Als einzigen Schmuck tragen die Pfeiler,1) wie überhaupt alle Bogenwiderlager eine ein­ fache, nach unten abgeschrägte Platte, die sich in umgekehrter An­ ordnung am Fusse der Pfeiler wiederholt. Dieses ungemein ein­ fache, aber wirkungsvolle Dekorationsmotiv sehen wir schon in den letzten Römerbauten verwendet. In Deutschland ist es namentlich wieder die Porta nigra zu Trier, welche alle Gesimse in gleicher Weise behandelt. Man schliesst zwar dort aus Gesimsteilen, die ein detailiertes Gesims ausgearbeitet zeigen, dass die Bruchstücke nur in roher Umrissbehandlung versetzt worden seien. Solche be­ arbeitete Gesimsstücke, auf welche meines Wissens noch nirgends aufmerksam gemacht wurde, finden sich auch im Augsburger Dom, an den Widerlagern des Durchgangsbogens vom nördlichen Seitenschiff in das Querschiff. Die abgeschrägte Platte als Gesimse und Bogen Widerlager ist nun im Augsburger Dom so konsequent und ausschliesslich durch­ geführt, dass schon Herberger hieraus auf die einheitliche Bau­ ausführung und kurze Bauzeit schliessen zu können glaubt und dass sie uns als Leitmotiv für die Beurteilung der ursprünglichen romanischen Bauanlage zu dienen vermag: wo es fehlt, haben wir es mit späteren Veränderungen zu thun. In den verschiedenen Beschreibungen des Augsburger Domes gehen die Ansichten über die Gestalt des romanischen Langhauses weit auseinander. Die Einen nehmen den Dom als dreischiffig an nach dem Normalplan von St. Gallen. Andere glauben, dass er von jeher fünfschiffig gewesen sei, wieder Andere glauben, dass er zwar drei­ schiffig gewesen sei, die Seitenschiffe jedoch die Breite der beiden gegenwärtigen doppelten Seitenschiffe gehabt hätten. Plazidus Braun, welcher die Bauzeit des Domes bis zum Jahre der Einweihung (1065) ausdehnt, nimmt an, dass der Dom schon ursprünglich fünfschiffig war und schreibt die Herstellung der Säulengänge dem Bischof Heinrich II. zu, der „um das Jahr 1057 die Kirche mit Säulengängen von Innen und Aussen verschönert“, eine Notiz, welche offenbar auf unrichtige Übersetzung der Urquelle zurückzuführen ist, in welcher nur von der Anfügung einer Vorhalle (porticus) gesprochen wird. Auch Allioli schliesst sich in seinem Werke: „Die Bronzethüren des Domes zu Augsburg“, dieser Ansicht an. Er führt den *) Blatt 6, Fig. a. 8*

36 nicht ganz unrichtigen Einwand ins Treffen, dass bis zu dem dritten Bau im 14. Jahrhundert kein Bau irgendwo erwähnt wird und von dem dritten Bau sei sicher bekannt, dass der Unternehmer desselben keine andere Veränderung an der Kirche vornahm, als die Gotisierung. Allioli glaubt ferner die ungleiche Breite der äussern Seitenschiffe eher der romanischen, als der gotischen Stilperiode zur Last legen zu können. Was nun den ersten Einwand betrifft, so ist es allerdings umsomehr auffallend, dass wir über die doch gewiss als ein wichtiges Ereigniss zu bezeichnende Verbreiterung des Langhauses keinerlei historische Notizen besitzen, als der kunstsinnige Kustos Bandegg es sonst nirgends unterliess, seine Werke der späteren Zeit als solche zu bezeichnen. Aus den Wappen allein, die er in den Gewölbe­ schlusssteinen der Seitenschiffe anbringen liess, können wir jedoch noch keinen Schluss ziehen auf die gleichzeitige Herstellung der Umfassungsmauern. Die zweite Behauptung Allioli’s aber dürfte unschwer zu wider­ legen sein. Die unregelmässige Breite der Seitenschiffe in altchrist­ lichen, romanischen und gotischen Basiliken erklärt sich immer durch lokale Verhältnisse. An keiner der wenigen unregelmässigen Grundrissanlagen kommt es aber vor, dass ein Seitenschiff über das Querschiff vorspringt, wie dies auf der Südseite des Augsburger Domes der Fall ist. Eine solche abnorme Bauweise ist erst denkbar, wenn entweder durch Anbauten an den Querschiffflügel, oder durch Strebepfleiler, wie sie der gotische Gewölbebau erforderte, der Vor­ sprung maskiert wird. Beide Fälle waren aber in der ursprünglichen romanischen Bauanlage nicht vorgesehen. Herberger, Otto, Dehio und Bezold, Dr. Biehl und A. nehmen den romanischen Bau als ursprünglich dreischiffig an. Sighart be­ schreibt ihn folgendermassen: „Der Dom war eine römische Pfeilerbasilika mit drei Lang­ schiffen, einem vorspringenden Kreuzschiff im Westen, zwei Bund­ apsiden mit Chören im Westen und Osten, mit Bundbogenfenstern, einer Krypta im Westen und zwei Türmen, die sich an der Seite des Ostchores anlegten. Eine Flachdecke lag noch über den Schiffen. Was die Verzierung der Bauteile betrifft, so sind hier kaum die Anfänge von Ornamentation gegeben. Nur an den Pfeilern des Mittelschiffes mit ihren Arkadenbögen und an den Säulen der Krypta finden wir solche Glieder. Die Kämpfer der Pfeiler sind aus Schmiege und Platte gebildet, die Sockel in umgekehrter Ordnung. Bemerkens-

37 wert ist die bedeutende Breite des Mittelschiffes der Kirche, schlanke Pfeiler mit weiten Abständen, kräftig gewölbte Bögen. Die Ent­ fernung der Fenster von den Bögen ist nicht zu gross. Es machte gewiss das Ganze einen freien, würdigen, ruhigen Eindruck“. Nachdem uns alle historischen Nachrichten im Stiche lassen, greifen wir am besten zu dem einfachsten, aber bis jetzt noch unerörtert gebliebenen Mittel, den Dom selbst zu untersuchen. Betrachten wir zunächst die beiderseitigen doppelten Bogen­ öffnungen der Seitenschiffe gegen das Querschiff. Da fällt uns sofort auf, dass die beiden inneren Bögen das charakteristische Kämpfer­ gesimse, unser Leitmotiv besitzen, während die beiden äusseren Bögen glatt verlaufen. Letztere sind also offenbar nicht ursprünglich, sondern spätere Durchbrüche. Ferner berichtet uns Domkapitular Kaffler,1) dass bei der Restauration im Jahre 1863 nach dem Abbruche der Josephskapelle das Grab des Stifters, Weihbischofs Eustach Egolf von Westernach, verlegt werden sollte. Bei der Grabherstellung zwischen den zwei ersten Säulen nächst dem Pfarraltar (südl. Seitenschiff) stiess man auf eine starke, breite Mauer, welche offenbar in der Säulenreihe fortlaufend, die Grundmauer der früheren Aussenwand der dreischiffigen romanischen Basilika war. Diesem Beweise Rafflers ein neues und zwar, weil ja jene Mauer vielleicht auch dem ersten Dorabau angehört haben könnte, untrüglicheres Glied anzufügen, ist mir durch gründliche Untersuch­ ung der Dachkonstruktionen über den nördlichen Seitenschiffen gelungen. Die bestehenden Quermuldendächer sind gotischen Ursprungs und bezwecken mit der Ableitung des Wassers nach Aussen zugleich die Überdeckung der frei nach der Hochwand des Mittelschiffes ge­ spannten Strebebögen. Nun lässt sich un der äusseren Hochwand des Mittelschiffes unter der jetzigen Dacheindeckung genau eine horizontale Linie verfolgen,2) bis zu welcher von oben der Verputz reicht, während die Unterseite unverputzt ist. Diese Linie bezeichnet offenbar, auch 1) Manuskript eines von ihm im hist. Yer. zu Augsburg gehaltenen Vortrages im bischöfl. Archiv. 2) Blatt 4.

38 ihrer Verpatzstruktur nach, den Anschluss des alten romani­ schen, gleichdurchlaufenden Pultdaches. Verfolgen wir diese Linie weiter bis zum Querschiff, so sehen wir sie dort abwärts steigen, die Dachneigung bezeichnend.1) Diese meist auf die Säulenreihe der jetzigen nördlichen Quer­ schiffe hin. Hier schliesst die Dachanschlusslinie ab, jenseits über den gotischen Gewölben des äusseren nördlichen Seiten­ schiffes ist nur glatter Verputz sichtbar. Die Aussenmauer des zweiten romanischen Dombaues stand folglich da, wo jetzt die Säulen der Seitenschiffe stehen. Schwieriger ist die Frage zu entscheiden, welche Gestalt der Ostabschluss der Kathedrale hatte. Plazidus Braun meint: „Die zwey Thürme und das Portal schlossen die Kirche. Ausser diesen waren gegen Aufgang, wo jetzt der Chor steht, Vorhallen oder Säulengänge,, welche in den alten Urkunden gradus (Gräd) genannt wurden, unter welchen die Bischöfe in Gegenwart des Kapitels und anderer Zeugen Urkunden ausfertigten2) und auch ihr Begräbniss wählten“. Auf dem ersten Teile dieser Schilderung fussen nicht nur die Ansichten Allioli’s und Raffier’s sondern merkwürdiger Weise auch einer im Monat September 1857 in Augsburg tagenden Versammlung der historischen Vereine Deutschlands, welche sich fast einstimmig — d. h. mit Ausnahme der Stimmen jener, welche mit dem Dom näher bekannt waren — dafür aussprach, dass der Dom nur einen, und zwar einen Westchor hatte und dem gegenüber das Hauptportal lag. Die versammelten historischen Vereine haben dadurch Zeugniss abgelegt, dass es nicht ihre Sache sein kann, solche Fragen ohne die geringsten lokalhistorischen Kenntnisse durch einen Beschluss der Generalversammlung in zwei oder drei Tagen erledigen zu wollen. Denn es kann heute nicht mehr bestritten werden, dass der Dom auch einen Ostchor hatte und dass seine Erbauer hier, wo sie nicht mehr wie beim Westchor durch lokalhistorische Gründe gebunden waren, auch frei dem vorbildlichen Grundplane von St. Gallen

1) Blatt 4 2) Wem fiele da nicht der Vergleich ein: Der Vorhof, atrium, von Arkaden umgeben, abgeschlossen gegen die Kirche von einer Durchgangshalle, welche zur Erledigung kirchlich rechtlicher Fragen benützt wird, und das korinthische Säulenatrium des römischen Wohnhauses, mit dem Dnrchgangstablinem, in welchem die Geschäfte der Hausgerichtsbarkeit sich abwickeln?

39 folgten, dessen doppelchörige Anlage bis 1024 in den Kirchen des Benediktinerordens allgemeine Begel ist. Schon Herberger weist darauf hin, dass an den letzten Mauer­ pfeilern des Mittelschiffes die charakteristischen Bogenwiderlagsge­ simse sichtbar seien, welche darauf schliessen lassen, dass hier der Triumphbogen der östlichen Chorapsis war. Das Vorhandensein zweier Chöre, von denen der Westchor den Hochaltar umschloss, wird uns durch zahlreiche Dokumente bezeugt.1) Das Älteste, aus dem Jahre 1099, weist dem Kustos der Domkirche gewisse Opfergaben zu, welche zwischen dem mittleren Chorbogen am Westaltar und dem Ostchor dargebracht werden: totum linum et panem quae offerebantur ad Sanctam Mariam per altaria occidentalia a fornice medio usque ad tribunal orientale in dedicatione S. Mariae et in festivitate S. Michahelis.2)3 1145 bestätigt Bischof Walther die Übergabe der Kirche zu Weihenberg durch Wilhelm und Arnold von Biberbach an die hl. Maria: Acta super altare ocidentale.8) 1159 macht Bischof Konrad eine Stiftung zu Gunsten eines Lobgesanges auf die Jungfrau Maria, den die Kanoniker, wenn sie in feierlicher Prozession in den Westchor zurückkehren, singen sollten: ut quotiescunque extant iidem fratres nostri et eorum successores (canonici cathedralis ecclesiae) cum ordinaria processione regredientes in chorum occidentalem solemniter decantent antiphonum de sancta Maria quae sic incipit: Alma redemptoris raater . . . .4) 1217 eignet Bischof Sifried dem Kloster Holzen einen Zehenten in der Pfarrei Ehingen. Acta in majori ecclesia Augustensi in choro occidentaii. 1246 wird der Kauf eines Hofes in Aitingen abgeschlossen vor dem Hochaltar im Westchor (Ita uxor Conradi junioris de Mazzensiez majori ecclesie Aug. curiam in Aitingen vendit. Acta . . in choro Qoeidentali matricis ecclesie coram altare beate virg. Marie.5) 1259 schenkt Bischof Hartmann einen der Augsburger Dom­ kirche gehörigen Hof mit Vogtrechten zu Bobingen an die Domkustodie und zur Entschädigung an die Domkirche einen Hof aus seinem *) Die urkundlichen Mitteilungen verdanke ich der freundlichen Mitwirkung des Herrn Prof. Dr. Schröder in Dillingen. 2) Mon. Boica 33 a, 12 f. 3) Mon. Boica 33 a, 26. 4) Mon. Boic. 33 a, 40. ö) Mon. Boica 33 a, 72.

40 Eigentum in Schwenningen und ein Vogtrecht in Fristingen. Acta primum in capitulo et deinde in choro occidentali ecclesie Aug.1) Dagegen bezeugen andere Urkunden ausdrücklich einen Ostchor, so von 1168, wo Bischof Hartwig einen Streit entscheidet zwischen dem Kloster St. Mang in Füssen und einem gewissen Rupert über das Besetzungsrecht der Kirche zu Ruderatshofen. Er ruft die Parteien zur kanonischen Behandlung der Rechtsfrage in praesentiam nostram in orientali choro matricis ecclesiae auf.2) 1238 entscheidet Bischof Siboto einen Streit zwischen seinen Kapitel und dem Grafen von Öttingen. Acta in choro orientali majoris Aug. ecclesiae in presentia nostra.3) Dass aber der Westchor Hauptchor war geht nicht nur aus der Lage des Marienaltares in demselben hervor, sondern dürfte auch daraus zu schliessen sein, dass die Urkunden, wenn sie über dem Marienaltar abgeschlossen wurden, meist nur von „unserm Chor“ schlechthin, oder dem „grösseren“ d. i. dem Hauptchor sprechen. So verleiht 1287 das Domkapitel eine von Ritter Ulrich von Schönegg super aram b. Mariae virginis chori nostri übergebene Gilt als Zinslehen.4) Hieraus dürfte unzweifelhaft hervorgehen, dass im Westen der Hauptchor, im Osten ein Nebenchor lag. Es kann also in der Mitte der Ostseite des Domes nicht ein Portal gewesen sein, sondern wir werden uns, dem Normalgrundriss von St. Gallen und der Mehrzahl anderer Beispiele folgend, die Eingänge zu beiden Seiten der Ostapsis zu denken haben. Herberger, auf welchen sich auch Dr. Riehl beruft, begnügt sich nicht mit dem Ostchor am Mittelschiff, sondern lässt auch die Seitenschiffe in östliche Apsiden enden. Wo sollen aber alsdann die Eingänge gewesen sein? Herberger verlegt sie an die Stellen, wo die beiden äusseren Mauerbögen der Querschiffflügel sich gegen die äusseren Seitenschiffe öffnen. Aber abgesehen von dem bereits erwähnten Umstande, dass diese Mauerbögen, vor welchen Herberger sich Vorhallen denkt, nicht romanischen Ursprungs sind, erscheint eine solche Lage der Haupteingänge nicht nur abnorm, sondern auch unzweckmässig. Denn wir müssen bedenken, dass auf der Nordseite das Domherrnkloster mit dem Kreuzgang lag und die i) Mon. B. 33 a, 96. 3) Kopialbuch von Abt Bernhard in Kempten, 1616 vidimiert in Füssen. a) Wallerstein’sche Archive. *) Mon. Boica 33 b, 93.

41 Südseite vom Querschiff bis zum Turm von dem Friedhof eingenommen wurde, welchen bis an die Johanniskirche des hl. Ulrich vor flauem im Viereck umschlossen. Es bleibt daher als freie und natürliche Zugangsseite nur der^Ostgiebel gegen die Reichsstrasse. Die Mauern zeigen hier auch gotische, spitzbogige Durchbrüche, welche nicht nötig gewesen wären, wenn schon ein Triumphbogen vorhanden gewesen wäre, wie er bei der Anwesenheit von Neben­ apsiden vorausgesetzt werden muss. Endlich spricht auch das Vorhandensein eines Portikus, einer Vorhalle mit Atrium, oder, wie sie in Urkunden öfters genannt wird, einer Grad (gradus) gegen die Annahme von Nebenapsiden. Denn was soll eine auf Stufen erhabene Vorhalle, ein gradus ad ecclesiam, für einen Zweck haben, wenn sie nicht den Eingang zur Kirche vermitteln konnte? Die Chronisten schreiben ausdrücklich von den „vordem“ Pforten.1) So die Chronik von Zink: „Bischof Heinrich erneuerte unser lieben frauen kirchen und liess die vorderen pforten, geschiess und thürgericht oder der kirchen eingang machen.“ Auch Meist erlin sagt: er ernuret auch unser frawen kirchen vast und machet die vordren schönen porten oder geschiess oder der kirchen eingang.“ Die Chronik des Erhard Wahraus nennt sie: „die schön port auff dem platz“ und ebenso die Chronik anonyme: „die schön thüren auf dem platz hervoren.“ Thatsächlich kann nur östlich an der Reichsstrasse der freie Platz gesucht werden, von dem man sagen kann, die Thüren liegen mir „vorn“ gegenüber. „Vorn“ bezeichnet überdies schon nach biblischen Sprachgebrauche die Ostseite. Über der östlichen Chorapsis erhob sich der Giebel des Mittel­ schiffes, wahrscheinlich in horizontale Flügelmauern übergehend, welche mit den Türmen abschlossen und die Seitenschiffdächer ver­ deckten. Unter der Dacheindeckung sind an der Ostwand noch Jetzt deutliche Spuren eines flacheren Giebels sichtbar,2) der durch spätere Aufmauerung erhöht wurde. Da in gleicher Weise auch am Nord­ giebel des Querschiffes die spätere Aufmauerung sich erkennen lässt3) und beide Giebel gleiche Höhe ausweisen, stehe ich nicht an, dieselben als die romanischen Flachgiebel und zum zweiten Dombau gehörig zu betrachten. *) Den Chroniken der Stadtbibliothek in Augsburg entnommen. 2) Blatt 3, Fig. c. 8) Blatt 3, Fig. d.

42 Sollte diese Annahme richtig sein, so wäre sie nach zwei Richtungen von Interesse. Erstens befindet sich direkt unter dem romanischen Ostgiebel ein halbkreisförmiger Entlastungsbogen, der nicht nachträglich eingesetzt worden sein kann, weil dabei das darüber befindliche Giebelmauerwerk nicht hätte erhalten werden können. Der Entlastungsbogen ist aber aus Backsteinen hergestellt, es muss also in Augsburg eine sehr frühzeitige Backsteinfabrikation, welche sich vielleicht, wie auch Sighart meint, direkt an die römische anschloss, betrieben worden sein. Zweitens sind an diesem flacheren Ostgiebel noch vorspringende Steine zu sehen, welche ich für die bei der Überhöhung eingemauerten Abdeckplatten des alten Giebels halte. Es sind gebrannte, nach Aussen abgeschrägte Thonplatten. Eine genauere Untersuchung derselben war mir bei der hohen Lage und der schlechten Beleuchtung leider nicht möglich. Die Ostfront wurde zu beiden Seiten flankiert von den Glocken­ türmen. Dieselben bilden zugleich die Aussenmauem für das letzte Joch der Seitenschiffe, sind also organisch dem Bau angegliedert, wofür im Normalgrundriss von St. Gallen noch kein Vorbild gegeben ist. Daraus folgt aber auch, dass Notizen über spätere Turmbauten durch Bischof Embriko, dem auch Flazidus Braun die Errichtung der Türme zuschreibt, nur auf Ausbauten oder Aufbauten bezogen werden können. Die Türme sind in ihrem untern Teile, d. h. in ihrer ursprüng­ lichen Anlage von TuffsteinDie Aussenflächen sind zwischen Lisenen durch Bundbogenfriese in Stockwerke abgeteilt. Über der Höhe des Mittelschiffes ist zunächst ein Geschoss mit zwei rundbogigen Fensteröffnungen, darüber folgt ein Geschoss mit dreiteiligen Fenstern auf jeder Turmseite, dessen mittlere Öffnung jedoch jetzt vermauert ist. Mit diesem Geschoss schloss offenbar die erste Turmanlage. Das nächste Geschoss ist aus Backsteinen gemauert, ln dem­ selben sind auf jeder Seite dreiteilige Fenster angebracht von den­ selben Dimensionen, wie im unteren Geschoss und hier befinden sioh jene hochinteressanten Säulen, welche ganz denen der älteren Krypta (interior) gleichen.1) Die Kapitälbildung ist dieselbe. Von 14 vorhandenen Säulen haben 11 keine Basis, 3 haben ein hohes Fussband, das in einen Wulst übergeht, der auf einem runden Pfuhl !) Blatt 6, Hg. e.

43 ruht. Es ist nicht zu bezweifeln, dass die Säulen vorher in dem untern Geschosse waren und nach Vermauerung der dreiteiligen Öffnungen in das Obergeschoss versetzt wurden. Die Erhöhung der Türme mag unter Bischof Emhriko im Jahre 1075 erfolgt sein, wie Paul v. Stetten schreibt: „von dem von der Bürgerschaft ersammelten Gelde.“ Auch Khamm und Stengel schreiben dem Bischof Embriko die Erbauung d. i. die Erhöhung der beiden Glockentürme zu. Diese Türme hatten entweder ein vierseitiges Pyramidendach, oder Giebel an den vier Seiten mit achtseitigem Helmaufsatz. Die hohen Steilgiebel mit dem hochgestreckten Pyramidendach gehören der Übergangszeit an. Am nördl. Turm sehen wir eine solche abermalige Überhöhung durch Aufsetzen von Steilgiebeln, welche wahrscheinlich um 1247 entstand, als Bischof Sibotho auch den Frauenthorturm erhöhte. Die vier Giebel sind geschmückt mit je drei gekuppelten Doppelfenstern, deren zierliche Säulchen aus Sand­ stein eine reiche Abwechslung zeigen.1) Leider sind dieselben nach Aussen verdeckt und daher fast unbekannt. In dem Giebel raume hängen noch die zwei ältesten Glocken des Domes, nach ihrer Form zu schliessei^. spätestens im 12. Jahrhundert gegossen. Abnorm ist an ihnen die Durchlöcherung zunächst der Glockenkrone. Die Erhöhung des Südturmes geschah in der gotischen Zeit­ periode.

Nördlich der Kathedrale lag das Kloster der Domherrn, das sich, wie alle ähnlichen Klosteranlagen, um einen von den Kreuz­ gängen umschlossenen Hof gruppierte. Die Anlage dürfte ziemlich genau dem Vorbilde zu St. Gallen entsprochen haben. Von dem romanischen Kreuzgang ist nichts mehr erhalten als ein Portal, welches jetzt vom Westarm des Kreuzganges in die Kirche führt und zwei eingemauerte Abakusgesimse, welche zwei Säulen im Kapitelsaal angehören. Letzterer öffnete sich wahrschein­ lich mit drei Bogenöffnungen gegen den Kreuzgang und ist in seinem Innern durch zwei Säulen in sechs mit Kreuzgewölben auf Gurten eingewölbte Felder geteilt. Zwei weitere Säulen tragen die Bogenwand gegen den Kreuzgang und sind jetzt zum Theil einge­ mauert. Diese vier Säulen4) haben einfache Würfelkapitäle mit *) Blatt 6, Fig. g. a) Blatt 6, Fig. f. •

44 rundem Wulst, der Abakus hat seitliche Verkröpfungen zur Aufnahme der Gewölbegurten. Diese sitzen an der Süd- und Nordwand auf zierlichen gekuppelten Säulchen auf, welche Palmettenkapitäle haben. Auch das Abakusgesimse der Würfelkapitäle ist mit einem Palmetten­ ornament geschmückt. Neben dem Kapitelsaal führt eine gerade Steintreppe zum Obergeschoss, wo ein rechtwinklig bearbeitetes, mit reichem romanischem Blattwerk verziertes Thürgewände den Eingang zu einem Saale vermittelt, welcher jetzt als Archivsaal dient. In dem Kapitelsaal, bezw. im Kloster der Domherrn wurden auch mehrfach Verträge abgeschlossen. 1143 vereinigt Bischof Walther den Stadtarchidiakonat und die St. Nikolauskaplanei mit dem Domdekanat. Acta sunt hec in capitolio matricis ecclesie in Augusta civitate audientibus et videntibus canonicis omnibus.1) 1219 überträgt Bischof Sigfrid die Ausübung der Seelsorge in Ebersbach dem Kloster Wettenhausen. Acta in festo b. Briaci hora prima in claustro majoris ecclesie Augustensis.2) 1259 vollzieht Bischof Hartmann die Schenkung eines Hofes zu Bobingen, primura in capitulo et deinde in choro occidentali eccl. Aug.3) Das Portal,4) welches vom ^Westarm des Kreuzganges direkt in den Dom führt, zeigt zwischen zweien, das spitzbogige Gewände umschliessenden, blattgeschmückten Gesimsen beiderseits eine schlanke Säule, deren Knospenkapitäle und weiche, überquellende attische Basis den spätromanischen Charakter des Übergangsstiles tragen. Diese Thüre, wie auch der gleiche Ornamentmotive ausweisende Kapitelsaal in seiner jetzigen Erscheinung kann unmöglich der Zeit des Bischofs Heinrich (bis 1064) angehören, wie manche behaupten, sondern stimmt mehr überein mit der Detailbehandlung der Säulchen in den Giebelaufbauten des nördlichen Turmes, welche dem Bischof Sibotho (1227—1252) zugeschrieben werden. Die Grundlage des Kapitelsaales kann trotzdem eine ältere sein. Die Würfelkapitäle der Mittelsäulen sind nicht aus einem Stück, sondern zusammengesetzt, so dass die vierseitigen Consolen *) Mon. Boica 33 a, 20. 2) Reichsarchiv, Kloster Wettenhausen. *) Mon. Boica 33 a, 96. 4) Blatt 8, Fig.'c. Die Originalaufnahme wurde von Herrn Direktor Kempf in AugBburg gütigst überlassen und dessen Werk: „AltAugsburg“ mitErlaubniss des Verlegers entnommen.

45 zur Aufnahme der Gurtbögen des Gewölbes spätere Zuthat sein können. Vielleicht trugen ursprünglich die Säulen nur eine auf Bogen gespannte Quermauer, welche das Deckengebälke unterstützte, wie das heute noch in der sog. Schneiderkapelle sichtbar ist. Bischof Heinrich kann daher sehr wohl diesen Raum erbaut haben, sein Nachfolger Embriko fügte dann in ähnlicher Weise den Schlussraum gegen das Domquerschiff an. Die Basis der Mittelsäulen lässt eher auf die Zeit des Bischofs Heinrich, als auf jene des Sibotho schliessen. Die Chroniken allerdings, welche die Erbauung des Kreuzganges dem Bischof Heinrich zuschreiben, können zur Beweisführung nicht herangezogenL-werden, denn sie fussen insgesammt auf einer irrigen Übersetzung Gasser’s, welche eine Stelle im Abtskatalog von St. Ulrich: „fecit ecclesiam cum porticibus“ auf den Kreuzgang, statt auf die östlichen Vorhallen bezog.1) Sicher ist, dass der Domkreuzgang an allen vier Seiten regel­ recht ausgebaut war. Die benannte Thüre kann daher auch nicht immer an ihrer jetzigen Stelle gestanden haben, sondern ist wahr­ scheinlich aus ihrer früheren korrespondierenden Stelle dorthin ver­ setzt worden, als der südliche Kreuzgangarm zu dem jetzigen nörd­ lichen Seitenschiff umgebaut wurde. Herberger macht auf einen Wandvorsprung aufmerksam, der an der äusseren nördlichen Dom­ wand neben der romanischen Durchgangsthüre in der Kirche sichtbar ist. Dieser Vorsprung kennzeichnet genau die südwestliche innere Ecke der früher hier zusammenstossenden Aussenmauern des Kreuz­ ganges. x) Dr. A. Schröder, Geschichte des Domkreuzganges in Augsburg. des hist. Ver. f. Schw. u. N. 1897. S. 97 f.

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An die nördliche Giebelmauer des Querschiffes grenzt eine Kapelle an, welche in der Mitte eine romanische Säule mit Würfelkapitäl aufweist. Diese Säule trägt auf zwei halbrunden kräftigen Gurtbögen eine Quermauer. Im übrigen ist die Kapelle gotisiert. Sie heisst jetzt Schneiderkapelle. Herberger und mit ihm S i g h a r t hält sie für jene Gertraudskapelle, welche dem Bischof Embriko zu­ geschrieben wird, während andere die Gertraudskapelle an die Reichsstrasse verlegen, weil sie beim Bau des grossen gotischen Ostchores abgebrochen worden sein soll. Die Dedikationsurkunde, welche speziell darauf hinweist, dass ein Schmutz- und Schuttwinkel zu einem geheiligten Raume erhoben werden sollte,1) lässt uns allerdings vermuten, dass dieser abgelegene Ort nicht unmittelbar an der Reichsstrasse gelegen sein kann. An dem Platze zwischen dem Querschiff und dem im Norden anschliessen­ den Klaustrum der Kanoniker wäre aber ein solcher Schuttplatz nach dem Einsturze der ersten Kirche nicht undenkbar, bei welchem viel­ leicht auch der anstossende Teil des Klosters zerstört wurde. Ungelöst bliebe hiebei der Widerspruch, in welchem die Nach­ richt von der Beseitigung der Gertraudskapelle beim Neubau des Ostchores zu der Thatsache der Erhaltung dieses Raumes bis auf unsere Tage stehen würde. Vielleicht ist aber doch eine Lösung denkbar. Es ist in der Stiftungsurkunde nicht sowohl von einer Kapelle, als vielmehr von einem Oratorium (oratorium quodam) die Rede, welches Embriko zu Ehren der hl. Jungfrau Maria und der hl. Gertrud stiftete. Wenn nun dieses Oratorium den Kanonikern diente, musste es da nicht den zweckmässigsten Platz an der Stelle erhalten, wo jetzt die sog. Schneiderkapelle steht ? Denken wir uns im Obergeschoss die Mauer gegen das Querschiff durchbrochen, so haben wir das schönste Ora­ torium, welches altersschwachen Kanonikern ermöglichte, dem Gange der hl. Handlung im Dom zu folgen, ohne das Kloster verlassen zu müssen. 1) ut quemadmodum ex objectissimo quodam et sordidissimo loco, idem sterquilinio, cura purgationis adhibita sanctificatum Deo templum confecimus (Urk. t. 23. Nov. 1071.)

47 Als dann später der Hauptaltar in den neuerbauten Ostchor verlegt wurde, musste dieses Oratorium als seinem Zwecke nicht mehr entsprechend aufgegeben werden und es wurde den Kanonikern als Ersatz eine der Kapellen des Chorumganges zugewiesen. Der Raum aber, welcher jetzt Schneiderkapelle benannt wird, hiess nicht immer so, denn nach dem Seld’schen Stadtplane lag die Langenmantel’sche oder Schneiderkapelle im Süden des Domes. Sie wurde erst i. J. 1808 abgebrochen. Endlich ist noch eines Baues zu erwähnen, der sich westlich an das Querschiff anlehnt. Derselbe scheint sehr alt zu sein. Die Aussenmauern bestehen aus Tuffstein. Die Wände und das Tonnen­ gewölbe sind durch Lisenen und Gurten in Felder geteilt. Der Anbau enthält mehrere Räume. Der eine ist zugänglich vom West­ chor aus und zeigt in seinem Innern noch die äussere Westchor­ rundung und im Eckanschluss an das Querschiff eine runde Halb­ säule. Hieraus geht hervor, dass der Anbau vor 1229 zurückreicht. Er mag ursprünglich als Sakristei gedient haben. Das ansteigende Podium geht über das Gewölbe eines tiefer liegenden zweiten Raumes hinweg, der vom Querschiff aus (hinter dem Beichtstuhl an der Westwand) zugänglich ist. Er bietet kein besonderes Interesse. Noch tiefer liegt ein dritter Raum, der vom Hofe des Ordinariats­ gebäudes aus zugänglich ist und dort seinem Verfalle entgegengeht. Hier treten uns die Fundamente der Rundapsis entgegen. Eine runde Halbsäule, von einer Lisene begleitet, steigt ohne Basis aus der mächtigen, vorspringenden Tuffsteinstufe auf, welche als Sockel die Westchorrundung umgürtete. Ein späterer Backsteineinbau, durch keine Thtire, sondern nur durch ein Einsteigloch unter dem Deckengewölbe zugänglich, hatte an den Innenwänden eine Bretter­ verschalung, einer Tobzelle ähnlich. Der Bretterboden lag auf Eichenbalken über einer etwa 1.0 m tiefen Grube. Bodenbelag und Bretterverschalung waren so morsch, dass sie bei der Untersuchung sofort zusammenbrachen. Ausser diesen romanischen Bauresten sind noch fünf hochwichtige Gegenstände zu erwähnen: Der Bischofsstuhl im Westchor, das in der Nähe an der südl. Chorwand befindliche kleine Säulendach, die Bronzethüre, die Fenster in der Oberwand des Mittelschiffes und die Reste romanischer Malereien.

48 Der Bisohofsstuhl') ist aus einem Kalksteinbloek gearbeitet. Die hohe, stark beschädigte Lehne, deren Seitenarme fehlen, ist halbrund, die nur 4 cm starke Wandung weist auf grosse technische Fertigkeit hin. Der Sitz ist glatt, vorne eckig, hinten von der halbrunden Lehne umschlossen und wird von zwei liegenden Löwen getragen, deren Yordertatzen eine Bolle oder ein Bündel zu halten scheinen. Das ganze ruht auf einer profilierten Sockelplatte und auf drei von drei Seiten aufsteigenden Kalksteinstufen. Otte beschreibt den Bischofsstuhl als thronartig, auf Stufen erhöht, der antikrömischen Weise entsprechend, mit Säulendach. Letztere Angabe bringt auch Sighart gleichzeitig mit der Abbild­ ung eines Ornamentes am Bischofssitze (welches aber dem Säulen­ dach angehört) und weist ihn, wie Otte, dem 12. Jahrhundert zu. Die Verquickung des Bischofsitzes, welcher westlibh an der Chorwand in der Axe des Mittelschiffes steht, mit dem seitlich an der südlichen Chorwand befindlichen Säulendach ist irrtümlich. Der Bisohofsstuhl hat wohl niemals seinen Platz verlassen und die Auf­ stellung des Säulendaches hinter ihm wäre ein Ding der Unmög­ lichkeit gewesen, wenn es je seinen Platz an der bisherigen Stelle verlassen hätte. Es muss hier jedoch schon vor 1229 eingesetzt worden sein, weil es sich noch um Mauerteile der früheren Chor­ rundung handelt. Das Säulendach*8) besteht aus zwei schlanken Säulen mit Mittelringen, auf rohen Sockelblöcken unter der mit Eckknollen verzierten Basis. Die Kapitale zeigen einen Übergang aus der antikisierenden Volutenform in die romanische Detailierung. Die Säulen tragen in die Mauer eingelassene Consolen, deren Flächen mit Flechtwerkornamenten ausgefüllt sind. Die Consolen sind durch einen Mauerbogen verbunden, welcher, in der Untersicht kreuzgewölbartig behandelt und mit Sternbemalung auf blauen Grund versehen, auf der Stirnseite Beste wahrscheinlich viel späterer Malereien trägt. In den Consolen sind an der Stirnseite Löcher, gleichsam um Stangen, bestimmt ein Velum zu tragen, einzulassen. Das Ganze gewährt keinen einheitlichen Charakter, einzelne Bestandteile erinnern an altchristliche Vorbilder, andere an spätere Kunstübung. Möglich, dass das Ganze zur Aufstellung der wertvollen Gefässe jenes Sakral) Blatt 8, Fig. b. 8) Blatt 8, Fig. a. Als Sakraium bezeichnet, ohne indess diese Zweckbe­ stimmung als feststehend anerkennen zu wollen.

49 riums gedient hat, welches Bischof Walther 1134 stiftete und mit Gold, Perlen und Edelsteinen reich ausstattete.3) Wir können aber auch die Überreste eines viersäuligen, frühromanischen Altarbaues vor uns haben, welche hier eingemauert wurden. Den Bischofsstuhl, der jedenfalls ganz getrennt von diesem seitlichen Säulendach zu betrachten ist, halte ich für viel älter. Die einfachen, klassischen Formen desselben sind in der romanischen Kunstperiode des 12. Jahrhunderts nicht mehr denkbar. Diese sowohl, wie auch die byzantinische, hätte es nicht versäumt, den Bischofs­ stuhl mit christlichen Symbolen und mit Ornamentmotiven aus ihrem Formenschatze zu schmücken. Ich glaube daher, dass dieser Stuhl, wenn er auch nicht römischen Ursprungs ist, so doch aus einer Zeit stammt, in welcher die einheimischen Künstler, aus der römischen Schule hervorgegangen, noch ganz im Banne der antiken Vorbilder lagen, ein Vorgang, den auch Sighart für die altchristlichen ein­ heimischen Kunstwerke als zutreffend bezeichnet. An der Südseite des Domes sehen wir ein Portal,l2) das aus zwei ungleich breiten Flügeln bestehend, mit Bronzetafeln geschmückt ist. Letztere zeigen verschiedene figürliche, teils dem alten Testamente, teils dem antiken Sagenkreis entlehnte, symbolische Darstellungen in Flachrelief. Sie sind mit Kupferbändern zusammengehalten und an den Kreuzungsstellen der letzteren mit gebarteten Köpfen ge­ schmückt. Die beiden Köpfe, welche die Thürringe tragen, sind wohl weniger als Löwenköpfe, denn als Teufelsfratzen anzusprechen. Einzelne der Bilddarstellungen sind in Doppelexemplaren vorhanden. Jedenfalls haben wir es mit den Überresten jener ursprünglich vergoldeten Erztafel zu thun, welche die beiden Hauptportale gegen Osten schmückten. Die Chronisten nennen diese Thüren „schön Porten“, „schön thür“, „Thüren mit Bilden.“ Der Inhalt der Tafeln wurde schon mehrfach zu deuten ver­ sucht, so von Allioli 1853, Karch 1869. Das Endresultat der neuesten Untersuchungen von Merz fasst Dr. Endres in seinem Jahresberichte der Görres-Gesellschaft 1890 zusammen in den Worten: „Während man früher die Bilder der Bronzethüre in willkührlicher und unmethodischer Weise bald als ,Kreislauf des menschlichen l) Khamm, III, I, De Walthero. 1134 Cathedralis Ecclesiae Augustanae sacrarium pretiosis, cimeliis, auro, unionibus, gemmisque dicavit. *) Blatt 8, Fig. d.

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50 Heiles1, als ,Kampf des Menschen mit der Sünde, sein Sieg, die Erlösung4, bald als vollständige alt- und neutest amentliche Geschichte oder gar als Darstellung des Reiches Gottes in Staat und Kirche deutete, suchte neuestens Merz in einer Tübinger Dissertation an der Hand gleichzeitiger homiletischer Schriftsteller uns aus dem Gesichts­ kreise der Zeit die Erklärung zu geben, welche in wesentlichen Punkten von überzeugender Beweiskraft begleitet ist. Jene dreiunddreissig Erzgusstafeln, welche vormals als zwei Thüren die östlichen Eingänge in die beiden Seitenschiffe des Domes schlossen, sind weder rein historisch, noch eigentlich allegorisierend, sondern viel­ mehr typologisch zu erklären. Alle jene alttestamentlichen Gestalten und Szenen sind als Typen auf Christus und seine Kirche zu be­ ziehen. Entstehung, zeitlicher Zustand, endliche Vollendung der Mission der Kirche, das bildet den Gegenstand der Darstellungen.“ Herberger, und mit ihm Sighart, ist der Ansicht, dass die Bronzethüren noch unter den Bischöfen Gebhard und Sigfried» also zwischen 996 und 1006 von den Mönchen in Tegernsee, sei es in diesem Kloster selbst, oder in Augsburg verfertigt worden seien und hält es nicht für ausgeschlossen, dass der Mönch Beringer von Tegernsee, der 1014 die ehernen Thüren am Dome zu Mainz her­ stellte als der Urheber zu betrachten sei. Dr. Bode glaubt in seiner „Geschichte der deutschen Kunst“, II. J. 1885 die Zeit der Ent­ stehung später ansetzen zu müssen, indem er die Erzthüren am Dome zu Hildesheim voranstellt und die Augsburger Arbeit einer im Rückgang befindlichen Kunstübung zuschreibt. Auch nach Hildesheim hat ein Tegernseer Mönch, der Abt Godehard die Kunst des Erzgusses verpflanzt. Sein Nachfolger auf dem Bischofsstuhl, Bernward, liess die berühmten Erzthüren zum Hildesheimer Dom im Jahre 1015 giessen und fünf Jahre später die dem römischen Vorhilde nachgeahmte Bernwardsäule herstellen. Letztere zeigt in der That einen Rückschritt gegenüber den Hildesheimer Domthüren, indem das Relief flacher gehalten, die Gestalten weniger frei und lebendig behandelt sind. Dies hängt aber offenbar mit der struktiven Gebundenheit der Composition an den Säulenkern zusammen. Aus den flachen Reliefs und der manchmal byzantinisch strengen Behand­ lung der Augsburger Erztafeln aber auf einen Rückgang der Kunst schliessen zu wollen, dürfte doch gewagt sein. Es möchte sich eher an den Erzthüren zu Hildesheim ein Fortschritt in der Kunst und Technik gegenüber der Bronzethüre zu Augsburg konstatieren lassen.

51 Hier in Augsburg strenge, fast autike Auffassung, einfache Gewandung, dort in Hildesheim lebhaft bewegte, naturalistische Be­ handlung, flatterndes Gewand; hier flaches Relief, dort Hochrelief, das sich in den Oberkörpern frei abhebt, in der Herstellung der Gussmodelle also gewiss grössere technische Schwierigkeiten bereitet; hier noch einzelne gegossene Tafeln, dort schon der ganze Thürflügel aus einem Stück gegossen. Die Bronzeportale zu Augsburg waren also gewiss älter, sie waren sicherlich auch schon 1006 vollendet. Durch Bischof Heinrich oder nach Gasser durch Embriko sollen zu den Thüren die reichen Portale gestiftet worden sein, deren die Chronisten erwähnen. Das östliche Portal soll durch die Hausväter der zwölf einheimischen Goldschmiede mit reichen Bild­ werken in Stein verziert worden sein. Manche wollen in den Wappen­ konsolen des Südportals noch die Überreste erkennen. Ebenso glaubt Sighart, dass am Nordportal noch Bestandteile des romanischen Bogenthores, wie die am Spitzbogen aufsteigenden Tiergestalten und einzelne Figuren, sich nachweisen Hessen. Eine Notiz Khamm’s, welche von dem Wiederaufbau des Portals gegen das Frauenthor in reicherer Ausstattung spricht, würde dadurch an Halt gewinnen. Derselbe erzählt auch, dass die alten Portale, welche Kustos Konrad von Randeck 1346 abbrechen Hess, von Schmutz unkenntlich waren. Dank der zahlreichen Taubennester sind wir heutzutage auf einen ähnlichen Standpunkt angelangt.

Die fünf Glasgemälde,1) welche in die Fenster der südlichen Oberwand des Mittelschiffes eingesetzt sind, gelten als die ältesten erhaltenen Glasgemälde Deutschlands, ja vielleicht der Welt. In wenigen Jahren werden sie ihr neunhundertjähriges Jubiläum feiern. Ihre Bedeutung für die Kunstgeschichte kann nicht besser erläutert werden, als dies Archivar Theod. Herberger in seiner Schrift: ,,Die ältesten Glasgemälde im Dome zu Augsburg“ gethan hat. Es dürfte daher erlaubt sein, dessen geistreiche Ausführungen in den leitenden Grundgedanken hier wieder zu geben: Die ältesten Nachrichten über Glasmalereien lassen sich auf zwei Quellen zurückfuhren, von welchen die eine von den Deutschen, *) Blatt 9. 4*

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die andere von den Franzosen benützt wird, um die Behauptung der Priorität zu begründen.1) Im Werinher von Tegernsee erfahren wir, wie die Kunst der Glasmalerei in Tegernsee eingeführt wurde unter dem Abte G o z b e r t. Dieser sendet im Jahre 999 oder 1000 an einen Grafen Arnold, wie man annimtnt von Vornbach, ein Danksagungs­ schreiben, an dessen Schlüsse er den Grafen bittet, jene Zöglinge, welche er in der Glasmalerei hätte unterrichten lassen, noch einmal prüfen, und, wenn sie sich noch nicht vollkommen fest in der neuen Kunst erweisen sollten, sie ihren Unterricht festsetzen zu lassen. Bald darauf sehen wir das Kloster mit Bestellungen so sehr überhäuft, dass es nicht im Stande ist, allen Ansprüchen gerecht zu werden. Die farbigen Glasflüsse waren schon den Römern bekannt, farbige Gläser füllten auch schon die Fenstergitter der altchristlichen Kirchen Italiens. Im neunten Jahrhundert werden bereits farbige Glastafeln mosaikartig zusammengesetzt. Der Fortschritt der „neuen Kunst“, wie sie Gozbert von Tegernsee nennt, bestand in der Ver­ wendung der schwarzen Schmelzfarbe, durch welche es ermöglicht wurde, auf den durch Bleiruten vereinigten Bildtafeln ornamentale Motive und menschliche Figuren zur Darstellung zu bringen. Die Frage nach den ältesten Glasmalereien lässt sich daher beantworten durch die Untersuchung: Wo wurden zuerst menschliche Figuren und ornamentale Darstellungen mittelst schwarzer Schmelz­ farbe auf farbigen, durch Bleiruten verbundenen Gläsern hergestellt? Nach U n g e r s Forschung ist die Nachricht von Tegernsee für die Geschichte der Glasmalerei insoferne bedeutungslos, als sie nicht beweist, dass von einer Malerei mit figürlichen Bildern die Rede ist. Die erste Nachricht von solchen Malereien gehöre Frankreich an. Die Chronik der Kirche St. Benigne zu Dijon, auf welche die Franzoseu ihre Prioritätsansprüche begründen, erzählt uns von einem uralten Fenster, vitrea antiquitus facta, mit Darstellungen aus dem Leben der hl. Paschasia, welches also jedenfalls schon der 1002 umgebauten, wenn nicht schon der früheren Kirche angehört hat. Wir finden also hier thatsächlich figürliche Darstellungen in Glas verbürgt, welche wahrscheinlich mit Schwarzlot ausgeführt und *) Vergl. F. W. Unger in seinem Aufsatz zu Ersch und Grubers Encyklopädie, B. 69.

53 in Bleiruten gefasst waren. Von denselben ist uns aber leider nichts mehr erhalten, denn die vorhandenen ältesten Glasgemälde in Frank­ reich gehören dem 12. Jahrhundert an. In der südlichen Oberwand des Domes zu Augsburg dagegen finden sich fünf Glasgemälde, welche in Bleiruten gefasst, mit Schwarzlot gemalt sind und menschliche Figuren darstellen. Es handelt sich also darum, die Zeit zu bestimmen, in welcher diese Malereien entstanden sein können. Kugler glaubt, dass die Darstellungsweise der Augsburger Glasgemälde dem Hortus deliciarum des Herrad von Landsberg entspreche und versetzt sie daher in das 13. Jahrhundert. Dem gegenüber weist Herberger schlagend nach, dass die Augsburger Glasgemälde nicht entfernt den Darstellungen des Hortus deliciarum ähneln. Die Unbeholfenheit in der Composition lässt auf eine im Ent­ stehen begriffene Kunst, die starre Strenge der Gestalten auf byzan­ tinischen Einfluss schliessen. In der äusseren Formgebung gleichen unsere Glasgemälde am ehesten den Gestalten der Kaiser auf byzantinischen Münzen des zehnten Jahrhunderts, in den Gewändern und der Detailausführung schliessen sie sich ganz an die Miniaturen an, welche uns in den Evangelarien des Bischofs Egbert zu Trier und in dem Evangelarium der Staatsbibliothek zu München überliefert wurden. Von diesen Handschriften gehört aber die eine dem Anfang, die andere dem Endpunkt jener Zeitperiode an, in welcher in Deutschland ein neues Kunstleben erwachte. Sie fällt zwischen 980 und 1025. Charakteristisch ist in diesen Handschriften die Behandlung der Gewänder an den Knien, Ellenbogen und dergl. ln ganz gleicher Weise erscheinen auf unsern Glasgemälden die Gewandungen da, wo sie die darunter liegenden Gelenke andeuten sollen, wie gerollt, die schneckenförmigen Linien gehen zum Teil in Faltenandeutungen über, welche einem Laubornament gleichen. Ganz ähnliche Falten­ behandlung der Gewänder zeigen auch die Miniaturen der Hand­ schrift in Hannover, welche das Leben des hl. Bernwart von Hildes­ heim beschreibt und dem Anfang des elften Jahrhunderts angehört. Übereinstimmend mit den ältesten Miniaturen ist auch die Andeutung der Gewandfalten durch starke Strichführung, welche beiderseits durch feinere Linien als abrundende Schatten begleitet wird, vor Allem aber die sonderbare Bildung der Ohrmuschel, die wir nirgends, als gerade in jenen ältesten Miniaturen in gleicher Weise wiederfinden.

54 Auch iu den Details der Gewandungen, der Bildung der Krone Davids u. dergl. greift die Zeichnung eher auf die Zeit vor Kaiser Heinrich II. zurück, als dass sie Anklänge an später auftretende Formen enthielte, wie sie im Hortus deliciarum bereits ausgeprägt sind. Endlich weist auch die harmonische Verteilung der Farben rot, grün, violett, gelb, blau auf allen Gemälden auf eine frühe Kunst hin, da in den späteren Werken bereits das Blau, in den folgenden das Rot vorherrscht. Ist nun hiedurch der Zeitraum zwischen 980 und 1025 für die Entstehung unserer Glasgemälde im Allgemeinen bestimmt, so bleibt nur noch die Frage offen: In welchem Jahre innerhalb dieses Zeitraumes ist wohl am wahrscheinlichsten die Einsetzung derselben denkbar und wo wurden sie gefertigt? Es kann als erwiesen vorausgesetzt werden, dass der Augsburger Dom im Jahre 1006 vollendet war- Man wird daher auch für den Verschluss der Fenster gesorgt haben. Wenn wir aber sehen, dass um das Jahr 1000 in Tegernsee die Glasmalerei lebhaft betrieben und das Kloster, durch Bestellungen für auswärtige Kirchen überhäuft wurde, so erscheint es doch ganz natürlich und begründet, dass man auch den Augsburger Dom mit diesem neuesten Kunsterzeugnisse zu schmücken bestrebt war, nach­ dem der äusserst rege Verkehr der Augsburger Bischöfe und ihres Domklerus unmittelbar auf diese Quelle hinweist und Abt Gozbert in Tegernsee, der 1001 starb, selbst aus der Augsburger Domschnle hervorgegangen war. Dass dieses aber nicht in späterer Zeit, sondern unmittelbar im Zusammenhänge mit der Errichtung des Domneubaues geschah, geht aus dem Inhalte der bildlichen Darstellungen hervor. Die den Figuren beigegebenen Spruchbänder weisen uns nämlich inhaltlich auf den Wiederaufbau des Domes hin und der Sinn derselben wäre für eine spätere Zeit nicht mehr zu erklären: er kann nur Eindruck auf das Volk gemacht haben, das den Jammer des Domeinsturzes und die Freude des Wiederaufbaues miterlebt hat. Die vorhandenen fünf Glasgemälde sind offenbar die Überreste einer grösseren Serie von Gemälden, welche sämmtliche Fenster der Oberwände des Mittelschiffes und wahrscheinlich auch des Quer­ schiffes schlossen. Sie stellen in ihrer jetzigen Reihenfolge von Ost nach West die alttestamentlichen Gestalten des Moses, David, Jonas, Oseas und Daniel dar.

55 Oseas (Bildüberschrift Osee P. P.) tritt mit dem Inhalte seines Spruchbandes: ,Ego eruditor omnium‘ Deus als der Verkündiger des göttlichen Strafgerichtes auf. Der Spruch weist auf das Unglück hin, das über die kirchliche Gemeinde kam, als der Tempel ein­ stürzte. Wie aber an die Weissagung in Osee 5, 2: ,Et victimas declinastis in profundum: et ego eruditor omnium eorum1 sich die Hoffnung knüpft auf die Wiederkehr in die Wohnungen und den Tempel Israels, so gibt auch das zweite Glasgemälde, welches den Propheten Daniel (Bildüberschrift Daniel P. P.) darstellt, durch das Spruchband eine Ergänzung des ersten: Ostende Domine faciem tuam super sanctuarium tuum. „Wir sind abgewichen, spricht Daniel 9, 17, von den durch Moses gegebenen Geboten und Du hast uns verstossen; bei Dir ist aber Barmherzigkeit und Versöhnung, Du wendest ab Deinen Zorn vom heiligen Berge, Du hörst das Gebet Deines Knechtes und wendest Dein Angesicht Deiner selbst willen gegen Dein Heiligtum, das verwüstet liegt und Dein Wort ver­ kündet mir, dass die Gassen und Mauern der Stadt wieder erbaut werden.“ So gibt dieses Bild der Hoffnung Ausdruck auf den Wieder­ aufbau des eingestürzten Tempels und diese Hoffnung steigert sich auf dem Spruchbande des nächsten Bildes, welches Jonas (Über­ schrift mit verstellten Buchstaben: Asoi) darstellt;, zur vollkommenen Zuversicht: ,Rursum videbo teinpluvn sanetum domini mei. (Jonas, II, 5: Et ego dixi: objectus sum a conspectu oculorum tuorum: verumtamen rursus videbo templnm sanetum tuum.‘ „Verworfen bin ich vor Deinem Angesicht, aber ich werde wiederschauen Deinen heiligen Tempel). Und nun, nachdem der neue Dom wieder erstanden, stimmt König David auf dem vierten Bild (Überschrift: David Rex.) seinen Lobgesang an: ,Beati, qui habitant in domo tua, Domine:‘ Psalm 83,5) „Glücklich diejenigen, welche in Deinem Hause wohnen, o Herr!“ Das Letzte der erhaltenen Glasgemälde stellt Moses dar (Überschrift: (M fehlt) oyses) mit dem Spruchbande: ,Audi Israel praecepta Domini.1 (Vulgata Deuteron, IV, 1: Et nunc Israel audi praecepta et judicia quae ego doceo te: ut faciens ea vivas, et ingrediens possideas terram, quam Dominus Deus patrura vestrorum daturus est vobis.) So ermahnt dieser Prophet die Gläubigen, ein­ zutreten in den neuen Tempel, das Wort Gottes zu hören, welches dort verkündigt wird und festzuhalten an den Geboten. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass die uns nicht mehr erhaltenen übrigen Glasgemälde die Beziehungen zu dem Domneubau

56 in noch klarerer Weise versinnbildlichten. Allein schon aus den wenigen Überresten lassen die von Herberger gezogenen Schluss­ folgerungen unschwer und ohne Zwang ableiten: die heute noch erhaltenen fünf Glasgemälde sind gleichzeitig mit der Vollendung des Domneubaues um 1006 entstanden, sie sind daher die ältesten Glasgemälde der Welt und aus der Werkstätte der Tegernseer Mönche hervorgegangen, welche um das Jahr 1000 gegründet wurde und sich somit auch mit der Ausführung figürlicher Darstellungen befasste. Es müsste daher für die Fenster der Kirche St. Benigne zu Dijon nicht nur der Herkunftsnachweis, sondern auch der Beweis erbracht werden, dass sie vor dem Jahre 1000 entstanden sind, wenn dem Kloster in Tegernsee die Priorität in der Herstellung gemalter Glasfenster mit figürlichen Darstellungen bestritten werden will. Als Abt Gotthard von Tegernsee 1022 als Bischof nach Hildeslieiin berufen wurde, scheint er auch die neue Kunst dorthin ver­ pflanzt zu haben, wenn anders eine Stelle aus der Lebensbeschreibung des Bischofs Godehard (1022—1039), in welcher Glaser und Maler in enger Verbindung genannt werden, richtig verstanden wird. Es erübrigt nun noch, eine irrige Ansicht Herbergers und aller Schriftsteller, welche auf ihm fussen, richtig zu stellen, die Ansicht nämlich, dass jene berühmten Glasgemälde sich genau an der ursprünglichen Stelle befinden, oder mit andern Worten: dass die gegenwärtig sichtbaren Fensteröffnungen identisch sind mit der ursprünglichen Fensteraulage des zweiten Dombaues. Herberger nimmt, den Axen der Pfeilerjoche entsprechend, neun Fenster an jeder Seite der Mittelschiffoberwand an. Diesem Urteile und der hienach entworfenen Restaurationsskizze Herbergers entsprechend wurde es bisher als feststehend angenommen, dass die vorhandenen neun Fensteröffnungen thatsächlich die alten Rund­ bogenfenster des zweiten Dombaues seien. Schon ein oberflächlicher Vergleich belehrt uns jedoch, dass die Fenster der Südseite mit jenen der Nordseite in den Lichtweiten nicht übereinstimmen und dass das westlichste Fenster auf der Süd­ seite um ca. 20 cm höher liegt, als die übrigen. Letzteres durfte das einzige Fenster sein, welches an seinem ursprünglichen Platze geblieben ist, alle übrigen wurden bei der Gotisierung der Kirche vermauert und an andern, den Gewölbeaxen entsprechenden Stellen neu durchgebrochen. So­ wohl Innen im Dachraum über den Gewölbezwickeln, als auch Aussen

57unter den Dachanschlüssen der Seitenschiffe lassen sich aber genau die früheren vermauerten Fensteröffnungen nach weisen,1) deren es auf jeder Seite elf waren. Diese Nichtübereinstimmung der Zahl der Fenster in der Ober* wand mit der Axenzahl der Arkadenbögen ist bei flachgedeckten Kirchen sehr häufig. Erst der Gewölbebau zwingt zur strengen Axenbetonung. Sicherlich haben wir es aber mit einem ganz her­ vorragenden Akte der Pietät zu thun, wenn wir bemerken, dass trotz der durch die gotische Gewölbekonstruktion bedingten Versetzung der alten Oberfenster diese nicht in der gotischen Spitzbogenform, sondern wieder in dem romanischen Rundbogen hergestellt wurden. Wir können uns das nicht anders erklären als durch die Ehrfurcht, welche man den als älteste, erste Glasmalereien grösseren Umfanges geschätzten Gemälden zollte. Das hohe Kunstverständniss und der eminent historische Sinn des Kustos Randeck haben sich hiedurch das schönste Denkmal gesetzt. Der letzte Überrest romanischer Herkunft, von dem ich zu berichten weiss, entzieht sich dem Bereiche des täglichen Beschauers. Um ihn zu verfolgen, müssen wir den Dachraum besteigen und von dort uns hinunterbegeben in die Zwischenräume, welche zwischen dem Gebälke und den gotischen Gewölben liegen. Dort sehen wir an den Wänden noch zahlreiche Reste von Wandbemalungen, welche bis nahe unter die Dachgebälke reichen. Am besten erhalten ist noch ein Teil der Bemalung im nördlichen Querschiffarm, an der Ost wand. Der obere Teil ist schachbrettartig gemustert in rot und weiss, der übrige Teil erscheint in Schichten, gelb, rot, grün abge­ teilt mit braunen Grenzlinien. Auch ein vermauertes Fenster daselbst hat einfache, braune Bandeinfassung.2) An einer andern Stelle, an der Westwand des südlichen Armes des Querschiffes, ist tief in dem Gewölbezwickel unten eine Malerei erhalten,3) von der Sighart schreibt: „Von dem reichen Schmucke *) Blatt 4. (Anmerkung.) Diese für die Kunstgeschichte hochbedeutsamen Fenster besitzen selbstverständlich auch einen hohen materiellen Wert. Da ist es denn doch mehri als wunderlich, dass dieselben von Aussen nicht einmal durch Draht­ gitter gegen ein von Süden aufsteigendes Hagelwetter oder mutwillige Beschädigung geschützt sind. 2) Blatt 4. 3) Blatt 4.

58 der Wände am Dome zu Augsburg hat sich nur ein kolossaler, ge­ lockter Christuskopf im südlichen Kreuzarme der Kathedrale erhalten, grandios auf blauem Grunde ausgeführt, etwa acht Fuss hoch, wohl Rest eines ungeheuren Christusbildes, das die ganze Wand von Oben bis Unten ausfüllte, gewiss ein Werk von ergreifender Wirkung.“ Der erwähnte „blaue Grund“ scheint mir übrigens nicht ursprünglich, sondern spätere Übermalung zu sein. Er blättert leicht ab, wie Kalkfarbe. Unfern dieses Bildes soll nach Sighart sich eine Inschrift be­ finden, welche lautet: Anno milesimo . . . quarto .... präsulis Ulrici............... Da auch schon Stengel 1647 einer Inschrift erwähnt, welche sich unter dem Deckengebälk befindet und da ferner auch Khamm 1709 derselben Inschrift, als „von roher Form, wie die Zeit es mit sich brachte“ gedenkt, ist es auffällig, dass die Kunstkritiker diese Inschriften noch nicht näher untersucht haben, ein Beweis, wie vieles geschrieben und aus alten Urkunden zu deuten, wie wenig aber an der Urquelle der alten Baubestandteile richtig zu stellen versucht wird. Ich habe die Inschriften, welche nach Beginn der Gotisierung durch Kustos Randeck und nach Vollendung der Einwölbung des Westchores entstanden sind und an den Abschlusswänden über den Gewölbegurten gegen die noch flachgedeckten Flügel des Querschiffes und des Mittelschiffes angebracht sind untersucht und teile dieselben hier mit.1) Es sind drei sich ergänzende Verse, in romanischer Majuskel­ schrift weiss auf grauem Grunde aufgetragen. Im ersten Vers gibt Randeck die Zeit an, wann die Einwölbung, und unter welchem Bischof sie erfolgte. Im zweiten, dem auffälligsten, gegen das Mittelschiff gerichteten Vers will Randeck die Leser nicht länger im Zweifel lassen, dass nicht der Bischof, sondern er es war, der die Einwölbung des Chores ausführte. Im dritten Verse, gegen das nördliche Querschiff gewendet, bestätigt er noch überdies, dass er das Werk aus eigenen Mitteln ausgeführt habe. i) Blatt 5.

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Der erste Vers enthält die noch deutlich siohtbaren Worte: Anno mille(no) ter centum ter q(uo)que deno Et quarto (loc)us hic renovatur (for)nicibus sic. Presulis Ulrici sub te(mporib)usque secundi. Die fehlenden Buchstaben lassen sich unschwer ergänzen, zweifelhaft erscheint mir nur ob wir locus oder chorus zu lesen haben. Die Restauration bezieht sich unzweifelhaft nur auf den Chor, daher dürfte die Übersetzung lauten: Anno tausend dreimalhundert und vierunddreissig Wurde, wie du hier siehst, neugewölbet der Chor. Zu den Zeiten des zweiten Ulrich, Bischofs von Augsburg. Der dritte Yers an der gegenüberliegenden Seite enthält folgende Worte: Khunrad sacris(ta d(e Randegg construit(ista) Sumptibus ex pr(oprii)s, XPe pius (si)bi sis. Oder zu deutsch: Eonrad von Randegg liess als Sakristan es erbauen Aus dem eigenen Schatz. Sei ihm gnädig o Herr! Der mittlere, für uns wichtigste Yers enthält die Worte: Cunradus custos qui sectatur bene justos De Randegg natus dicatur jure beatus. Istum naraque chorum (decor)avit ad yle polorum, Qui prius in tabulis.................. etris modo sectis. In diesem Yerse ist in der dritten Zeile das fehlende Zeitwort wohl durch decoravit zu ergänzen, ad yle in dieser Zeile ist ein ungewöhnlicher Ausdruck, yle heisst Bauch, Leib. In der Techniker­ sprache wird die innere Fläche eines Gewölbes oder Bogens der Laib oder die Laibung genannt. Randegg will also sagen mit ad yle polorum: Nach dem Vorbilde der Himmelslaibung, oder des Sterngewölbes. Schwieriger ist die vierte Zeile zu ergänzen, in ihr fehlen zwei Worte, das Zeitwort, und ein Wort, welches auf etris auszugehen scheint. In der Schrift ist bei etris anscheinend ein T und R in einen Buchstaben zusammengezogen, am Ende des Buch­ stabens ist ein Häkchen angehängt, wie wir es machen, wenn wir den Ausfall eines Buchstabens kennzeichnen wollen. Die vereinigten Buchstaben stellen nach meinem Dafürhalten nicht ein lateinisches T und R, sondern ein romanisches A und R vor, so dass zu lesen ist: (laqu)earis modo: nach Art einer Felder­ deoke. Zur Correktur des Yersmasses wollte vielleicht der

60 Dichter das ihm nicht passende lange a in laquear unterdrücken und hat das durch das angehängte Häkchen andeuten wollen. Als Zeit­ wort ist wahrscheinlich fuit zu ergänzen.1) Der Sinn des Verses steht jedoch unzweifelhaft fest; Kunradus, Kustos, der Gerechten eifriger Erbe, Sprosse derer von Randeck, mit Recht als glücklich gepriesen, Wölbte nämlich der Himmelslaibung ähnlich den Chor, den Vorher nur Tafeln nach Art der Felderdecken bedeckten. Wir erhalten durch diese Verse zwei wichtige Aufschlüsse. Die Chronisten und mit ihnen alle bisherigen Geschichtsschreiber des Domes lassen die Wölbung des Westchores im Jahre 1321 vollenden. So schreibt die Chronik von Erhard Wahraus: 1321 jar ward der alt kor gewelbt von dem kuster Randegg zu Augsburg. Ebenso die Anonyme Chronik: 1321 ward der alt kor zu unser lieben frawen gemach und gewelbt von dem kuster Randegg. Khamm berichtet uns noch ausdrücklicher, dass 1321 die letzte Hand an die schon 10 Jahre vorher begonnene Einwölbung gelegt worden sei. Der erste Vers belehrt uns nun, dass die Einwölbung des Westchores erst 1334 vollendet wurde und dass dieselbe zu den Zeiten des Bischof Ulrich II. (1331—1334) hergestellt wurde, also nicht vor 1331 begonnen worden sein kann. Der dritte Vers aber gibt uns einen urkundlichen Nachweis darüber, dass die romanische Kirche mit einem Laquear, einer flachen Felderdecke bedeckt war. Diese war noch bis zum Jahre 1334 zum grössten Teile erhalten und somit bis dahin der romanische Charakter der Kirche gewahrt. Erst mit der Gotisierung des Schiffes, welche gegen 1343 vollendet worden zu sein scheint, hört der zweite, romanische Dombau auf als solcher zu existieren. Wollen wir nun den zweiten Dombau charakterisieren in seiner ganzen Anlage, so sehen wir beim Eintritt von der Reichsstrasse zunächst um uns den mit Arkaden geschmückten Vorhof, dessen westlichen Abschluss der Dom bildet. Breit und mächtig steht die Giebelfa9ade vor uns mit den kräftigen, flankierenden Türmen. An die in den Vorhof hereinspringende Ostapsis schliesen sich beider­ seits Vorhallen an, geschmückt im Hintergrund mit reiehskulpierten 1) Qui prius in tabulis fuit laque’ris modo sectiß.

61 Steinportaleu, deren vergoldete ßronzetafeln an den Thürflflgeln aus dem Halbdunkel uns entgegenleuchten. Aus den geöffneten Flügeln aber strömt es uns hell und klar, farbenfreudig aus der reichen Bemalung der Wände und den bunten Glasgemälden der zahlreichen und grossen Fensteröffnungen entgegen. Und dabei welche Harmonie der räumlichen Verhältnisse, welche Klarheit des Grundrisses, welche Höhenwirkung des geräumigen Mittelschiffes! Es kann darüber kein Zweifel bestehen, dass die romanische Anlage des zweiten Dombaues den gegenwärtigen gotisierten Dom an Harmonie, Grossartigkeit und feierlicher Wirkung bei Weitem übertraf, ja dass sie in Bezug auf die Schönheit der Proportionen mustergiltig gewesen sein muss und in Bezug auf Raumwirkung den Vergleich mit manchen der himmelanstrebenden rheinischen Bauten aufnehmen konnte.

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Der dritte Dombau. Ehe die Gotisierung des Westchores begann, waren schon kleinere Bauten gotischen Stils am Dom entstanden. Die Erstlingsblume liess 1300 Dompropst Konrad von ßechberg in der kleinen, heute noch vorhandenen Kapelle entstehen, welche er an dem Westflügel des Domkreuzganges ausbaute und der hl. Katharina weihte. Ihm folgte 1325—1332 Domprobst Kraft von Neidlingen mit der Agneskapelle, welche sich an Stelle der jetzigen Marienkapelle an den südlichen Arm des Kreuzganges anschloss. Gleichzeitig scheint eine zweigeschossige Kapelle entstanden zu sein, welche sich an den südlichen Flügel des Querschiffes im Westen anschliesst und mit gotischen Gewölben, Strebepfeilern und Spitzbogenfenstem versehen ist. Die untere Kapelle, die Andreaskapelle, ist vom Querschiff aus zugänglich. Sie war 1326 jedenfalls vollendet, da am 20. Sep­ tember 1326 ihr Bauherr, Kustos Konrad von ßandegg die Stiftung einer „vicaria sacerdotalis super altare in capella per ipsum de novo constructa et aedificata, conjuncta muro ecclesie cathedralis ex parte posteriori, consecrandum in honore beati Andree apostoli“1) bethätigte. Die obere Hilarienkapelle ist gleichfalls vom Kustos Bandegg er­ richtet vom Westchor aus zugänglich. Das steinere Thürgewände trägt hier irt gotischen Majuskeln folgende Inschrift: f Gustos. Auguste. C. De. Bandegg. (Lav)s. Tibi. Christe. + Hoc. Opus. Instruxit. Cui. Sanctorum. Prece. Lux. Sit. „Konrad von Bandegg, Kustos zu Augsburg — Lob sei Dir Christe! — Hat diesen Bau errichtet. Möge ihm durch die Fürbitte der Heiligen ewiges Licht zu teil werden.“2)* * In einer Stiftungsurkunde vom 16. Dezember 1329 wird in der neuen Kapelle — nova capella prope chorum occidentalem ecclesie cathedralis, que in honore S. Hylarie consecrata dinoscitur“ —8) eine Vikarie errichtet. *) Chroniken der sohwäb. Städte, Augsburg 1, 307; 3, 458. 2) Vergl. Dr. Schröder, Quellen zur Baugeschichte des Domes in der gotischen Stilperiode, Zeitschrift des hist. V. f. Schw. u. Neuburg, 1897, S. 113 f. *) Mon. Boica 33 a, 634.

63 Ein Chronistenbericht lässt die Wölbung des Westchores 1321 beginnen: „Da man zalt 1321 jar ward der alt chor gewelbt von dm kuster Randegg zu Augspurg.“1) Diese Meldung steht in offenbarem Widerspruch zu der im Dom aufgefundenen Inschrift. Dr. Schröder2) glaubt daher, die Jahrzahl 1321 für den Beginn für.den Randegg’schen Kapellenbau ansetzen zu dürfen. Der gewaltige Gewölbebau, der vor aller Augen stand, habe die Erinnerung an den Kapellenbau in den Hintergrund gedrängt und so sei der Beginn des Kapellenbaues mit dem Beginn der Gewölbbauten am Westchor verwechselt worden. Wenn aber denn ja dem Chronisten eine Verwechslung zur Last gelegt werden will, möchte ich es vorziehen, ihm ein Schreib­ versehen in die Schuhe zu schieben, dass er nämlich statt 1331 ge­ schrieben hat 1321. Dies würde die Sache auf die einfachste Weise lösen. Es ist mir ebenso undenkbar, dass man von 1321 bis 1334 an den paar Kreuzgewölben im Westchor gebaut haben soll, als eine achtjährige Bauzeit für die unbedeutende Doppelkapelle wahr­ scheinlich erscheint, zumal, wenn die Unterkapelle schon 1326 fertig war. Sicher ist, dass im Jahre 1334 ein Stillstand in der Gotisierung des romanischen Domes eingetreten ist, denn nur durch einem beabsichtigten Stillstand ist die Herstellung jener Inschriften denkbar zu deren Aufnahme die Gewölbe über dem Westchor mit seitlichen Stirnmauern gegen die um 1V2 Meter am Scheitel höheren Flach­ decken der Seitenschiffflügel und des Mittelschiffes abgeschlossen werden mussten. Stengel3) lässt die Wölbungen des Langhauses unter Bischof Friedrich II. (1337—1348) entstehen. Schon 1343 war das neue Nordportal fertig, so dass der Plan zur Erbauung des grossen gotischen Ostchores schon fertig Vorgelegen haben muss. Dieses lebhaftere Tempo gibt daher umsomehr Anlass, sich nach den Gründen des Stillstandes der Bauarbeiten im Jahre 1334 zu fragen. Es ist kaum anzunehmen, dass der kunstverständige Kustos Randegg schon bei Beginn der Wölbungsarbeiten im Westchor die Absicht hatte, den grossen Ostchor zur Ausführung zu bringen. Er hätte dann- sicher im Osten, und nicht im Westen zu bauen an*) 2) Zeitschr. 8)

Chroniken der schwäb. Städte, Augsburg 1, 307; 3, 458. Quellen zur Baugeschichte des Domes in der gothischen Stilperiode. d. hist. V. f. Sch. u. N. 1897. S. 114. Stengel, Commentarius rer. Aug., 213,

64 gefangen. Er wollte offenbar zunächst nur gotisieren, dem Zuge der Zeit entsprechend. Aber gerade mit Rücksicht auf sein Kunstver­ ständnis kann ich mir nicht denken, dass Randegg von dem Ge­ wölbeeinbau sollte befriedigt gewesen sein, wenn er dessen niedrigere, drückende Massen mit den höheren, luftigen Räumen der nebenbe­ findlichen flachgedeckten Hallen verglich, umsoweniger, als die Spannung der weiten Kreuzgewölbe Hilfskonstruktionen zur Aufnahme des Gewölbeschubes im Innern der Kirche nötig machte, welche nichts weniger als schön genannt werden können. So schwer sich daher auch der historische Sinn Randegg’s von dem uralten West­ chore zu trennen vermochte, so gab es doch keinen anderen Ausgang, als völlige Ablenkung von den im Angesichte des Volkes störenden schwerfälligen inneren Strebepfeilern durch Schaffung eines neuen, hochaufstrebenden gotischen Ostchores. Die „Berufung der berühmtesten und erfahrensten Meister“ durch Kustos Randegg, welche Plazidus Braun schon unter Bischof Friedrich I. vor sich gehen lässt, scheint mir daher erst später erfolgt zu sein, als man die Schwierigkeiten einsah, welche durch den Gewölbebau entstanden. Denn selbst die Fortsetzung der Wölbungen in den Querschiffflügeln, welche zunächst erfolgt sein dürfte, weist noch nicht auf berühmteste und erfahrenste Meister hin. Sonst wäre es unmöglich gewesen, die Strebepfeilerkonstruktion an den Aussenecken ganz zu übersehen und jene an der mittleren Gurtung in so plumper Weise zu lösen, wie wir dies an den Pfeilern der Bogenöffnungen gegen die Seitenschiffe bemerken, wo ein Mauer­ klotz die gotischen Gewölbe der Seitenschiffe ohne Rücksicht auf die Axe der mittleren Säulenreihe durchbricht. Mir scheint es übrigens, dass dieser Mauerklotz^den Allioli für einen Überrest der Mauern des ersten Dornbauös hielt, noch neben den Aussenmauern der dreischiffigen Basilika ursprünglich als Wandpfeiler herabführte. Unschön muss er ja schon in dieser Form gewirkt haben, weil er die bisherige freie Bogenöffnung gegen das Querschiff teilweise durchschnitt — ein neuer Grund zur Ablenkung der Blicke gegen Osten. Bei Fortsetzung der Wölbung im Mittelschiff musste man auf zwei Schwierigkeiten stossen: die unregelmässige Fenstereinteilung in der Oberwand und die ungenügende Widerstandsfähigkeit der vorhandenen Mauern gegen den Gewölbeschub. Es mussten die Fenster io die Gewölbeaxen verlegt werden und die quadratischen romanischen Bogenpfeiler nach Innen Verstärkungen erhalten, aus

65 welchen die Gewölbedienste aufsteigen konnten. Aber diese Pfeiler­ vorbauten genügte noch nicht, man brauchte auch äussere Stütz­ punkte, welche man nur durch Strebebögen in der Aussenmauer der Seitenschiffe finden_konnte. f Aber auch diese, für eine Holzdecke berechnet, hätten durch • starke Aussenpfeiler abgestützt werden müssen. Um nun den Strebebögen eine grössere Mauermasse ent­ gegensetzen zu können, entschied man sich um so eher für die Verdoppelung der Seitenschiffe, als man für die bedeutende Ver­ engerung des Mittelschiffes durch die Pfeilereinbauten Ertatz schaffen musste. Es kann also kaum mehr ein Zweifel darüber bestehen, dass in dieser Zeit aus konstruktiven Gründen die Vermehrung der Seitenschiffe erfolgte. Gegen Süden konnte man das neue Seiten­ schiff in der normalen Breite einfach vorbauen; dass man hiebei über das Querschiff hinauskam, wurde nicht mehr als unzulässig empfunden, denn das Querschiff hatte bereits seine Bedeutung ver­ loren, der Blick wendete sich dem neuen Ostchor zu, welcher nun­ mehr dominieren sollte. Im Norden adaptierte man einfach den anschliessenden Kreuzgangarm. Sicherlich entbehrt diese neue Anlage nicht mannigfacher Vorzüge; die Säulen, welche an der Stelle der alten Aussenmauern die Gewölbe der Seitenschiffe tragen, sind reizend in ihren Propor­ tionen und mannigfaltigen Details. Aber es wird kaum einen Beschauer geben, auf den nicht die geringen Höhenverhältnisse der breiten Seitenschiffe und des schlecht beleuchteten Mittelschiffes erdrückend wirken. Ehe man mit der Errichtung des neuen Ostchores beginnen konnte, musste der alte Ostchor mit den beiden seitlichen Eingängen sowie das Atrium abgebrochen werden; allein auch dieser Platz reichte noch nicht aus, wesshalb mit dem Rate der Stadt längere Verhandlungen gepflogen werden mussten über die Verlegung der Reichsstrasse. Endlich wurde eine Vereinbarung herbeigeführt. Aber die Stadt wahrte sich ein Durchgangsrecht durch den Ostchor und Hess zum Zeichen dieses Rechtes das Stadtwappen an der östlichen Rundung des Chores anbringen. Dieses Durchgangsrecht bestand noch bis 1821, wo es auf Grund der vielfachen unwürdigen Vorkomm­ nisse endlich aufgehoben wurde. Das Nächste, was Kustos Randegg hersteilen' lassen musste, waren zwei neue Zugänge, da die alten an der Ostseite abgebrochen werden mussten. Wir sehen daher zunächst im Ostohore die 5

66 beiden neuen Portal erstehen, von denen das eine, nördliche 1343 vollendet war. An der Console der den Mittelpfosten schmückenden Figur der Gottesmutter und sich fortsetzend an der rechten Seite des Mittel­ pfostens sehen wir folgende Inschrift in gotischer Majuskel:1) Anno. [Dni. M.CJCC. XLIII. Chunradus. De. Randegg. Custos. Aug. Construx. Hane. Januam. Et. Omnes. Testudines. Huius. Ecclesie. Orate. Pro- Eo. Demnach hat Randegg das Nordportal nach vollzogener Ein­ wölbung aller Schiffe der Kirche hergestellt und 1343 vollendet. Übereinstimmend melden auch die Chronisten: „Anno 1343 jar ward die tür an unser frawen kirch zu dem tumb bey der schul gern torwatz gemacht von kuster Randegg.“2) Diese vPortale sind Meisterwerke der gotischen Kunst; nament­ lich das Nordportal ist durch seine klare, monuraental-grossartige Anlage eine Perle, von der nur im höchsten Grade zu bedauern ist, dass sie juchtvollendet wurde. Dr. Sighart schreibt über die Portale: „Sie sind Werke von hoher Schönheit. Besonders zeichnet sich das Nordportal durch Originalität und einfache Schönheit aus. Es ist erhaben, mit tiefen Einkehlungen umgeben, von schöner Anordnung. Die Thüre scheidet ein Pfosten, auf welchem die Gottesmutter prangt, zur Seite stehen die Heiligen Augsburgs: Ulrich, Afra, Heinrich und Kunigunde auf Consolen.“ Man nimmt an, dass der rechts vom eintretenden Beschauer auf einer Console knieende Mann den Kustos Randegg darstellen soll. Dr. Endres lässt sich folgendermassen über die beiden Portale aus: „Das Nordportal enthält fünf Szenen aus dem Marienleben, nämlich die Verkündigung, Geburt Christi, Anbetung der drei Weisen, Tod und Krönung Mariä. Die Tympanonfiguren des Nord­ portales enthalten Spuren aus der besten Zeit der romanischen Bildnerei. Der Meister des Südportales hat es sich zur Aufgabe gemacht, fast auf gleichem Raume wie am Nordportale die mehr als vierfache Anzahl von Figuren anzubringen, so dass das unbewaffnete Auge trotz der geringen Standhöhe der Bildwerke Gestalt und Handlung nicht zu entwirren vermag.“ Mit diesen Portalbauten schliesst die erste Periode der Gotisierung ab und es entsteht eine dreizehnjährige Pause, hervorgerufen *) Dr. Schröder, Quellen zur Baugesch. d. A. D. in der got. Stilperiode. Zeitschr. d. hist. Y. f. Schw. u. N. 1897. 2) Chronik der schwäb. St. Augsburg 1, 308; 3. 358. Chronik y. W ah raus.

67 durch den Abgang jenes thatkräftigen Mannes, der mit dem ehr­ lichsten Willen bestrebt war, das Beste zu leisten. Anfängliche ^Mis^rfolge können sein Verdienst nicht schmälern; der herrliche Schlusseffekt im Nordportal lassen uns sein redliches und kunstver­ ständiges Streben erkennen, ebenso wie die Versetzung der rundbogigen Glasgemälde in der Mittelschiffoberwand seine grosse Ge­ wissenhaftigkeit, seinen historischen Sinn bekunden, der sich auch in einer Unzahl hinterlassener Inschriften und Wappen bundgibt. Was beim Neubau des zweiten romanischen Dombaues die bahn­ brechende Tendenz einer jugendfrischen Stilperiode nicht zu erzwingen vermochte, das gelang dem Ehrgeiz eines Einzelnen, der seinem Dome die Errungenschaften der französischen Choranlagen sichern wollte und jedenfalls nicht ohne Neid die gleichzeitigen Dombauten betrachtete, von welchen der Dom in Prag der Ostchoranlage des Augsburger Domes am nächsten kommt. Die grundlegenden Pläne zumOstchor sind jedenfalls noch auf Kustos Randegg zurückzuführen, der wie ein Meteor vom Schauplatz verschwindet. Der Ort seiner Grabstätte ist unbekannt, ist aber ohne Zweifel in der Randegg’schen Familienkapelle, der Agneskapelle, zu suchen. Erst i. J. 1356 unter einem andern Randegg, dem Bischof Marquard von Randegg, wird der Bau /weitergeführt. Die Chroniken melden: „1356 hub man an die grundfest zu machen zu dem newen kor zu unser lieben frawenu und „1356 hub man zu pauen den newen korr zu unser lieben frawen zu Augspurg und pauete den aufs reichsstrass, doch mit der statt gunst und willen. Darum stat daran der statt birr.“1) Unter Kusto3 Walther Schübel, welcher als Nachfolger des Kustos Eberhart von Randeck im März 1396 die Kustodie übernahm und sie bis zu seiner Ernennung zum Dompropst im August 1397 inne hatte, wurden die Pfeiler und Säulen des Chores errichtet und eine Krypta angelegt.2) Diese Krypta ist jetzt ganz verschollen. Es würde sich doch der Mühe lohnen, darnach zu forschen. Im Jahre 1410 konnte mit der Wölbung begonnen werden. Eine Inschrifttafel über dem ersten Bogen des Ostchores, an der 1) Cbron. d. schw. St. 1, 308; 3, 2, 459. 2) Liber ordinationum maioris eccl. Aug; Mon. Boica, 35 a, custos Waltherus . . . chorum istum in pavimento fundatum statuis constituit, sicut nunc est. Et cryptam desubtus fundari et altare juxta principale altare duos sarcofagos constituit et ... . reliquias Schröder, Quellen z. Baugesch. etc.)

5*

141: Idem fulciri etiam consecrari et includi (Dr.

68 alten Aussenmauer des romanischen Ostgiebels enthält in gotischen Minuskeln die Nachricht: A. d.MCCCCX Anshelmus de Nenningen custos ecclesie incepit fornices chori. Übereinstimmend melden die Chroniken: „1410 ward der new chor zu dem tumb gewelbt angevachen“ und: „auch ward der new chor zu dem turab volpracht mit dem gewelb.1) Nach den vor­ handenen Schlusssteinwappen des Kustos Anselm v. Nenningen zu schliessen muss die Wölbung längstens 1413 vollendet worden sein. Nun konnte an die innere Ausstattung gedacht werden und es wurde (über der Krypta?) der Hochchor errichtet mit seinen Steingallerien. Die Chroniken melden: „1425 Item desselben jars ward der newe kor zu dem tum angefangen zu raauren in der balrawuchen.2) „1427 ward der new chor zu dem thumb gemacht da die Priester inn singent.“3) Obwohl im Äussern der Ostchor noch unvollendet war, konnte er doch nun der Benützung übergeben werden und so schritt man nach 88 jähriger Bauzeit vom Abbruch des romanischen Ostchores ab gerechnet im Jahre 1431 zur feierlichen Einweihung. Der innere Fries über der Steingallerie enthält folgende in gotischen Minuskeln geschriebenen und mit Tiergestalten und Wappen verzierten leoninischen Verse: Templi. structuras. intrantes. cernite. puras. Quas. post, millenum. C. bis. duos. terque. denum. Custos. in. primo. Gwerlich. construxerat. anno. Nondum. perfectas. quamvis. ab. altero. ceptas. Et. cupiens. clare. do. dante. continuare. Tune, lapides. alma. perunxit. crismate. palma. De. Schawmberg. Petrus, hic. Auguste, kathedratus. Cum. veniisque. chorum. beat. et altare. decorum. Scribens. enceniis pro. laude, diem. Michahelis. Profestum. cuius. celebre. templi. manet. huius. Quod. Cristi. dextra. benedixit. intus, et extra. Ad. matris. nomen. que. nos. custodiat. amen. *) Chronik von der Gründung der Stadt Augsburg bis zum Jahre 1469. 2) Chr. d. schw. St. 3, 480 ; 4, 33. 8) ibid, 1, 321.

69 Zu Deutsch: „Ihr Eintretenden! Sehet den glänzenden Bau dieses Gottes­ hauses, welchen, von einem andern begonnen, der Kustos Gwerlich unvollendet antraf und i. J. 1431 fertig baute, voll Verlangen, mit Gottes Hilfe das Begonnene rühmlich fortzusetzen. Darnach weihte den Bau Petrus von Schaumberg, Bischof zu Augsburg, mit ehr­ würdiger Hand und begabte den Chor und den zierlichen Altar mit Ablässen und bestimmte zum feierlichen Gedächtniss der Weihe den Tag vor dem Feste Michaelis, an welchem die Erinnerung begangen wird an jene Weihe, welche die Rechte Christi der Kirche innen und aussen erteilte, auf den Namen der Gottesmutter, die uns beschützen möge. Amen.“ Die Einweihung war gewiss nicht ohne Grund auf das Jahr 1431 festgesetzt: es war die Säkularfeier der Domgotisierung. Von da ab ruhten die Arbeiten an dem äusserlich unvollendeten Bauwerke. Vergeblich forschen wir nach dem Baumeister, der den Plan zum Ostchor entwarf. Wir wissen nur, dass der Plan unter Kustos Randegg entstanden sein muss. Um den Ausbau machte sich nach dem Ausscheiden Konrad v. Randegg’s insbesondere der Kustos Anselm von Nenningen verdient. Bischof Peter von Schaumberg stellte einen Bauausschuss auf unter Leitung des Domkapitulars Albert von Rechberg. Der Rat der Stadt sandte in den Bauaus­ schuss den Zunftmeister der Weber, Joseph Kramer. Ob derselbe als Baukundiger fungierte, ist unbekannt. Nach Rechbergs Tode übernahm Kustos Gwerlich die Leitung. Der gotische Ostchor1) schliesst sich an die französchen Vor­ bilder an und zeigt im Grundriss die grösste Verwandtschaft mit dem um dieselbe Zeit entstandenen Dom zu Prag. Aber während dort die innere Pfeileranlage des Mittelschiffes sich konzentrisch verjüngt mit dem Chorumgang, an den sich der Kapellenkranz anschliesst, liess eine unglückliche Idee den Baumeister des Augsburger Ost­ chores die letzten Pfeiler des Mittelschiffes im Gegenteil weiter auseinanderrücken, als in den vorhergehenden Jochen. Die Pfeiler des Mittelschiffes und auf ihnen die Oberwände schliessen den Chor mit drei Seiten aus dem Sechseck ab. Hiedurch wurde allerdings Platz gewonnen für breite Oberwände und Anbringung eines mächtigen Masswerkfensters an der Ostseite, aber der konstruktive Aufbau wurde ungemein erschwert. Denn der Chorumgang mit dem Kapellenl) Blatt 2, Fig c.

70 kranz schliesst mit fünf Seiten aus dem Zehneck ab. Die innere Wölbung konnte man ja noch leicht in einander überführen. Aber am Äussern treten die konstruktiven Schwierigkeiten in recht häss­ licher Weise zu Tage in den Strebebögen nach dem Mittelschiff, welche zum Teil in gebrochenen Linien geführt sind. Im Übrigen sind alle diese Strebebögen nur Notbauten, um die innere Wölbung rasch vollenden zu können, da an einen eigentlichen Ausbau nicht mehr gedacht werden konnte. Es muss jedoch kein hervorragender Baumeister gewesen sein, der sie angeordnet hat. Im äussern sehen wir rings um den Dom die Zone, bis zu welcher der gotische Dombau bis 1431 gefördert werden konnte. Wir sehen an den Ecken Steinquader in unregelmässigem Verbände und mit rauher Bruchseite, welche den direkten Anschluss an den Verputz hersteilen mit diesem zusammen als einheitliche Fläche wirken soll. Reiche Sandsteingliederungen, Passfüllungen, Fialen­ ansätze, mannigfaltige Consolen mit Heiligenfiguren und zierlichen Baldachinen darüber zieren die Fa9aden. Unwillkührlich setzt der Geist dieses aufstrebende Leistenwerk über den Portalen, an den Strebepfeilern und Treppenthürmchen fort in kühne Fialenendungen, frei sich zum Mittelschiff hinüberschwingenden Strebebögen und lässt die Mauerflächen der Oberwände durchbrechen von zierlichen Masswerkfenstern, (welche jetzt zum Teil durch hässliche Notdächer ver­ deckt sind), lässt die grandiosen, durch hässliche Notbauten entstellten Portale im ursprünglichen Geiste vollenden. Dass die äussere Gesammterscheinung *) des Domes durch den Ostchor nicht gewonnen hat, wird jedermann zugeben; der hohe Ostchor erdrückt das ganze Langhaus sammt den Türmen. Im Innern kann die Grossartigkeit der Anlage nicht geläugnet werden; aber sie kommt nicht recht zur Geltung, weil der Chor vom Schiff durch die zwei eingebauten Türme abgeschnürt ist und die Bogendurchbrüche der inneren Seitenschiffe verhältnissmässig niedrig sind. So fehlen im Augsburger Dome jene freien Durch­ blicke und perspektivischen Reize, welche anderwärts dem nicht grösseren künstlerischen Aufwande Geltung verschaffen. Nach 52 jährigem Stillstand beginut die dritte Periode des Gotisierungswerkes. Da am Dome sich verschiedene Baugebrechen bemerkbar machten, wahrscheinlich auch die provisorischen Pfeiler>) Blatt 10.

71 und Portalabdeckungen eine definitive Regelung erheischten, auch der Westchor noch des Schmuckes der Gallerien im gotischen Stile entbehrte, beschloss am 3. Januar 1483 das Domkapitel, dem Bischof Johannes von Werdenberg, dem unmittelbaren Nachfolger des Cardinais Peter von Schaumberg, den Antrag auf Reparatur und Erneuerung der alten Kirche zu unterbreiten. Es wurde ein Bau­ ausschuss gebildet aus dem Domdekan Ulrich von Rechberg, dem Domkapitular und Generalvikar Johann Gossolt, dem Domherrn Reuter und dem Baumeister Johann Pfister. Neben diesem stand der Steinmetzmeister Hans von Hildesheim, qui pro tune fuit conductus a canonicis majoris ecclesiae huius civitatis, welcher schon im Jahre 1467 nach dem Zeugnisse des Chronisten Fr. W. Wittwer1) von dem Domkapitel als Werkmeister an der Domkirche auf­ gestellt worden war, und später Burkart Engelberger von Hornberg, der Erbauer der Ulrichskirche in Augsburg. Eingeleitet wurde die dritte Gotisierungsperiode durch den Umbau des Domkreuzganges. Derselbe erfolgte vom Dom ausgehend zuerst im Westflügel und rückte im Nordflügel gegen Osten vor. Der Ostflügel wurde, wieder vom Dom ausgehend in letzter Reihe restauriert.2) Der Umbau des Kreuzganges zeigt in seinen Gewölbe­ konstruktionen und Details nicht diejenigen Stilabweichungen, die durch eine so lange Bauzeit — bis 1510 — durch das Überwuchern spätgotischer oder Renaissance-Motive sich als selbstverständlich ergeben würden. Es setzt also die ziemlich einheitliche Durchführ­ ung einen gemeinsamen Grundplan voraus, als dessen ausführende Meister wir anfangs Johannes von Hildesheim — namentlich für den Westflügel — und später Burkart Engelberger betrachten dürfen. Letzterer hat im Nordflügel sein Steinmetzzeichen als sichere Handschrift hinterlassen.3) Im Übrigen entstand der gotische Dom­ kreuzgang ganz allmählig aus einzelnen Stiftungen. In den Schluss­ steinen der Gewölbe sind die Wappen der Stifter angebracht. Die ersten drei Joche des westlichen Flügels vom Dome aus wurden 1720 der gotischen Gewölbe beraubt. Letztere können viel­ leicht schon zu der Zeit entstanden sein, als die Dompröpste Konrad von Rechberg und Kraft von Neidligen ihre gotischen Kapellen anbauten. *) Abtskatalog bei Steichole, Archiv für die Gesch. d. Bist. Augsb. 3, 257. 2) Dr. Schröder, Gesch. des Domkreuzganges in Augsburg. Zeitschrift des hist. V. f. Schw. u. N. 1897. 8) Dr. Schröder, Gesch. d. Domkreuzganges in Augsburg.

72 Das vierte Gewölbe zeigt im Schlussstein das Wappen des Kustos Johann Gwerlich mit einer Umschrift, welche den Todestag desselben, 15. Mai 1445, bezeichnet. Was für die schliessliche Einstellung der Arbeiten am Ostchor massgebend war: Erschöpfung der Geldmittel, Entfremdung der Bürgerschaft durch den Streit des Domkapitels mit den Bischöfen einerseits und der Augsburger Zunftherrschaft anderseits, Verwick­ lung der Stadt in kriegerische Unternehmungen und Dezimierung der Bevölkerung durch eine verheerende Seuche im Jahre 1462 — wird auch seinen Einfluss auf den Umbau des Domkreuzganges ausgeübt haben, so dass erst vom Jahre 1479 ab wieder ein lebhafterer Bau­ betrieb eintritt. 1488 waren die Gewölbe im West- und Nordflügel vollendet. Der Umbau des Ostflügels dauerte noch bis 1510, wie wir aus dem Schlussstein des vorletzten Gewölbejoches ersehen. Das letzte Gewölbe wird wohl nicht viel später entstanden sein. Gleichzeitig mit den Gewölben scheinen auch die Masswerkfenster entstanden zu sein. Der ganze Umbau erfolgte ausschliess­ lich durch die Opferwilligkeit des Domklerus. Er enthält nicht nur in seinen Gewölbediensten, Schlusssteinen und Masswerken inter­ essante Details, sondern auch in den überaus zahlreichen Grabsteinen und Epitaphien eine Fülle kunsthistorischen Materiales, welches sich auf einen Zeitraum von 520 Jahren erstreckt (1285—1805).l) Das hauptsächlichste Werk der dritten Bauperiode der Domgotisierung war die .Herstellung der Steingallerie des Westchores über der Krypta in den üppigen Formen der Spätgotik durch Burkhard Engelberger, welcher auch die Fenster mit Mass­ werken versah. Um diese^Zeit, zwischen 1483 und 1510 entstanden auch die zahlreichen Glasgemälde, von welchen jetzt nur noch spär­ liche Beste erhalten sind. Den Pfeilern wurden Zinnenbekrönungen aus Backstein aufge­ setzt, welche selbstverständlich der ursprünglichen Idee des Ausbaues nicht entsprachen. Sie erscheinen sofort als spätere Zuthaten und als Notausbauten. Insoferne sie nun schon seit fast 400 Jahren die Pfeiler abschliessen, haben sie sich historische Existenzberechtig­ ung erworben; es wäre Unrecht, sie zu beseitigen, ohne einen Aus­ bau im ursprünglichen^ Geiste der Anlage anstreben zu wollen. Leider hat man aber^in den letzten Jahren, einige derselben entfernt 0 Beschreibuug von Dr. Schröder im Jahrbuch X und XI.

des hist. Ver. Dillingen

73 und durch ganz gleich gestaltete Sandsteinaufsätze ersetzt, ohne zu bedenken, dass die Gleichartigkeit des Materiales sofort die vorher leicht erkennbare Zone des Stillstandes der Bauarbeiten verwischt und die für Sandstein viel zu rohen Formen völlig unverständlich erscheinen lässt. Der südliche Turm wurde in seinem obersten Geschosse 1488 umgebaut und erhielt einen neuen Helmaufsatz. „1489 band Hans Stenglin den Bund.“ Den Schluss der Bauthätigkeit machte nach dem Berichte der Chronisten der Ausbau der Domsakristei im Norden des Ost­ chores 1510. Um den Letzteren zog sich ein Kranz von Sakristeien, welche die Zwischenräume zwischen den Kapellen und Strebepfeilern ausfüllten. Der letzten gotischen Epoche sind auch jedenfalls die Zinnen­ giebel zur Last zu legen, welche an der Südseite des Langhauses die Grabendächer über den Seitenschiffen verdecken. Auf der Nord­ seite gegen den Kreuzgang sehen wir noch das durchlaufende Gesimse und darüber die Abwalmungen der Grabendächer, am Hauptgesimse des Mittelschiffes sogar noch Beste einer Bemalung. Was in der nun folgenden Zeit am Dome verändert wurde, bezieht sich hauptsächlich auf die innere Ausschmückung, den Bau von Altären, Nebenkapellen u. s. f. 1599 wurde der nördliche und 1609 der südliche Turm mit Kupfer gedeckt. Der südliche Turm hatte zu gleicher Zeit durch Senkungen Schaden gelitten und wurde durch den Stadtbaumeister Elias Holl vor dem Einsturze durch einen Strebepfeiler gesichert, zu dessen Fussverdeckung der Sakri­ steianbau auf der Südseite hergestellt worden zu sein scheint. Eine Abbildung vom Jahre 1640 zeigt wenigstens bereits den unschönen Anbau. 1656 wurden durch Bischof Sigismund Musikemporen im Renaissance-Stil zu beiden Seiten des Ostchores an Stelle des bis­ herigen gotischen Lettners eingebaut. Die Agneskapelle wurde 1720/21 durch Domkapitular Freiherrn von Pollheim im Renaissance-Stil umgebaut und der hl. Jungfrau Maria geweiht. Eine kleinere Kapelle, die Kreuzkapelle, wurde nordöstlich in den Hof des Domkreuzganges eingebaut, zwei gleiche, halbrundgeschlossene Kapellen wurden an der Südseite gegen den Domplatz herausgebaut (St. Joseph und St. Nepomuk.)

74 Wenn auch die Renaissance dem Dom höchst wertvolle Be­ reicherungen an prachtvollen Marmoraltären, Sarkophagen, Bild­ werken, eisernen Gitterabsohlüssen u. dergl. brachte, so ist doch in erster Linie zu beklagen, dass der Dom seiner zahlreichen gotischen Glasmalereien beraubt wurde. Das 18. Jahrhundert führt uns ohne nennenswerte Leistungen hinüber in die letzte Phase des Entwicklungsganges, welche für den Dom wieder von grösserer Bedeutung ist.

75

Die Domrestanration. Ein fremder, neuer Geist zog mit Beginn unseres Jahrhunderts durch die Lande; er hiess sich der Geist des Lichtes, der Aufklär­ ung. Wenn man ihn aber einseitig beurteilen wollte aus einer seiner Begleiterscheinungen: aus der Einziehung der geistlichen Güter, der Säkularisation, man müsste ihn den Geist der Kurzsichtigkeit, der Blindheit heissen. Ganz abgesehen von allen andern Misserfolgen: wieviele kuDsthistorische Schätze wurden zerstört, wieviele Millionen wurden verschleudert durch den Verkauf liegender Güter, herrlicher Klosterkomplexe zu Spottpreisen! Auch in Augsburg beginnt das neue Jahrhundert, welches dem Dome die nötige Restauration bringen soll, zunächst mit der Zer­ störung alles dessen, was für „überflüssig“ befunden wurde. „Auf die erbärmlichste Veranlassung hin“, schreibt Herberger in gerechter Entrüstung, wurde die vom hl. Ulrich erbaute, 1689 leider im Renaissance-Stil restaurierte Johanniskirche niedergerissen, ebenso die 1357 erbaute, 1576 umgebaute nebenanbefindliche Kapelle der hl. drei Könige, die Friedhofumfassungen mit der sog. finstern GräcF im Westen, anschliessend an den Dom, die Begräbnisshalle der vor­ nehmeren Bürger. Mit der Gräd fielen die Schneider- oder Langenmantel’sche Kapelle und die Veitskapelle, an der Südseite des Domes die angebaute Nepomukkapelle. So wurde allerdings, wie Plazidus Braun meint, „ein schöner freier Platz zum Exerzieren für das Militär gewonnen“, aber auch vieles Wertvolle zerstört. Bald rächte sich der voreilige Abbruch so vieler, mit der Kirche direkt verbundener Bauteile dadurch, dass nach dem Zeugnisse Plazidus Braun’s „bald mehrere Kluften an der Kirche eine grössere Gefahr verkündeten. Um dieser vorzubeugen, untermauerte man zwanzig Fuss tief den Grund und mauerte das Portalx) bis auf eine kleine Thüre zu und versetzte es in die Mitte, wo die Kapelle des hl. Johann von Nepomuk stand.“ Diesem Umbau, welcher 1837—1838 erfolgte, verdahkt der Südgiebel des Querschiffes seine jetzige Gestalt. Hiebei wurden ’) Gemeint ist das Bronzeportal, welches nach Vereinigung aller noch vor­ handenen Bronzeplatten zu einer zweiflügeligen Thüre in den Südgiebel des Quersohiffes versetzt worden war.

76 auch erst die Strebepfeiler an den Ecken ausgeführt, die sehr zum Schaden der Gewölbe an dem Nordgiebel des Querschiffes heute noch fehlen. 1852 wurde das grosse Fenster des Ostchormittelschiffes über dem Hochaltar baufällig. Bischof Peter von ßicharz liess dasselbe neu herstellen und nach einem Karton des Prof. Schraudolph durch den kgl. Glasmalereiinspektor Max Ainmiller mit einem neuen Glas­ gemälde schmücken. 1854 wurden die Renaissance-Balkone der Musikchöre im Ost­ chor abgebrochen und durch die jetzigen Musikemporen ersetzt. 1858 erschienen in der „Augsburger Postzeitung“, Nr. 143 bis 146 und 151 bis 152 der Beilage mehrere Artikel über die Bauge­ schichte des Domes, welche es sich zur Aufgabe machten, ein allge­ meineres Interesse am Dom zu erwecken. Leider behandeln diese Beschreibungen nur die Krypta und bleiben dann stecken — offen­ bar, weil der Zweck inzwischen durch Agitation erreicht wurde. Es gründete sich nämlich am 21. Februar 1859 ein St. Ulrichs­ verein, welcher sich zum Ziele setzte, „aus freiwilligen Beiträgen die Mittel zu gewinnen, um die Restauration der hiesigen Domkirche in einer diesem ehrwürdigen Baudenkmale entsprechenden und die Pflege der heiligen Kunst fördernden Weise ermöglichen zu können.“ Ein Ausschuss von 17 sachverständigen Männern geistlichen und weltlichen Standes trat unter dem Vorsitze des Bischofs zu­ sammen, um zunächst die bestehenden Mängel zu konstatieren und zu deren Abhilfe Vorschläge zu machen.1) Das Programm lautete: 1. Auf der Südseite des Domes zunächst dem südlichen Turm steht ein Bau aus neuerer Zeit in der Form eines gewöhnlichen modernen Wohnhauses, der in seinem untern Raum die Sakristei der Dompfarrei bildet, in seinem obern aber einen Domkaplan und einem Messnergehilfen zur Wohnung dient. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei der Domrestauration dieser Anbau entfernt wird. 2. Der Raum auf der Nordseite des Ostchores wird gegenwärtig zu einer kleinen Chorsakristei verwendet. Dieser Raum bildete aber ursprünglich eine kleine Kapelle und es wäre sehr erwünscht, wenn derselbe in Harmonie mit der gegenüberliegenden Kapelle seinem ursprünglichen Zwecke zurückgegeben und ein Altar in der herzu­ stellenden Kapelle errichtet würde. 3. An der nördlichen Mauer des Langschiffes befinden sich mehrere kleine Anbauten, welche teils zum Aufenthalt für Stuhll)

Süddeutsche Bauzeitung, Jahrgang 1896.

77 brüder, teils zur Aufbewahrung verschiedener Kirchenrequisiten dienen. Der Abbruch aller dieser Anbauten erscheint sehr erwünscht, damit dort die infolge des Anbaues herbeigeführte grössere Feuchtig­ keit der Mauer beseitigt sowie auch in jene Partie des Gotteshauses etwas mehr Licht gebracht würde. 4. Die beiden Kapellen1) an der Nord- und an der Südmauer des Langschiffes wurden erst im vorigen Jahrhundert erbaut, sind für den Gesammtbau in höchstem Grade verunstaltend und müssen darum entfernt werden. Die gleichfalls moderne sog. Muttergottes­ kapelle aber an der Nordmauer des Langhauses, da sie für bestimmte Zwecke des Kultus nicht entbehrt werden kann, soll stehen bleiben. Doch soll der Eingang von der Kirche her geschlossen und nur jener vom Kreuzgange aus belassen werden.4* Von diesen Forderungen gelangte lediglich Punkt 3 zur Aus­ führung und von Punkt 4 der Abbruch der beiden Kapellen. Im Übrigen beschränkte der Ulrichsverein seine Thätigkeit hauptsächlich auf die Restaurierung des Innern. Eine sehr dankenswerte Arbeit übernahm er jedoch durch Beseitigung aller jener entstellenden Sakristei-Ein bauten zwischen den Strebepfeilern, welche den Ostchor umgaben.2) 1863 wurde, vom Ulrichsverein angeregt, eine abermalige Ver­ setzung der Bronzethüre vorgenommen. Dieselbe wurde nötig, weil man bei dem Abbruch der Nepomukkapelle, in deren Maueröffnung die Thüre eingesetzt war, übersehen hatte, der Aussenmauer die nötige, bisher von dem Kapellenanbau besorgte Widerstandskraft gegen den Gewölbeschub durch Errichtung eines Strebepfeilers zu verleihen. Die Nachteile eines so unüberlegten Vorgehens zeigten sich bald durch Risse, welche von Jahr zur Jahr grösser wurden. Man stellte daher einen Strebepfeiler her und versetzte das Bronzeportal zwischen zwei Strebepfeiler an den Ort, wo es heute noch steht. 1871 wurden an der Südseite des Langhauses die jetzt noch vorhandenen Wasserspeier hergestellt. Dieselben, viel zu gross aus­ geführt im Verhältniss zu ihrer geringen Höhe über dem Stand­ punkte des Beschauers, bringen das unkonstruktive der ganzen Giebel­ anlagen noch deutlicher zu Anschauung, bei welcher die Strebepfeiler in der Giebelaxe, die Fenster aber unter den Wasserspeiern sitzen. *) Kreuzkapelle im Norden und Josefskapelle im Süden. 2) Blatt 2, Fig. a.

78 Da auch der Magistrat sich die schädliche Wirkung der Wasserspeier bald verbat, müsste Über denselben eine Dachrinne angebracht werden. Dafür schlug man 1886 an den östlichen Chorpfeilern alte Wasserspeier, welche dort den beabsichtigten Übergang zur Fiale andeuteten, ab ohne sie wieder durch gleiche Nachbildungen zu er­ setzen, weil sie defekt waren und „ohnehin keinen Zweck hatten.“ In demselben Jahre wurden an den Strebepfeilern des Ostchores die Vorgesetzten Halbfialen erneuert. Die Erneuerungen an den Chorpfeilern und Treppentürmen im Südosten des Chores und an den Pfeilern und der Bekrönung des Südportales geschahen in den Jahren 1891 bis 1897. Auch wurden die daselbst angebrachten Figuren teils nach den vorhandenen Über­ resten nachgebildet, teils durch neue ersetzt. Es kann umsoweniger der Zweck dieser Zeilen sein, an den Erneuerungen Kritik zu üben, als dieselbe dem kundigen Architekten und dem Archäologen sich von selbst aufdrängt durch den Vergleich der nebeneinander befindlichen alten und neuen Bauteile und nament­ lich der Figuren.1) In den Jahren 1892 bis 1894 wurden auch die drei neuen Glasmalereien in den Fenstern des Westchores eingesetzt. Leider entbehren zwei derselben der Masswerke. Auch diese Restaurationsarbeiten sind z. Z. zum Stillstand ge­ bracht worden. Soll damit das herrliche Nordportal dem Verfalle Preis gegeben werden? Hoffentlich nicht. Oder wäre es ein Ding der Unmöglichkeit, an einen vollständigen Ausbau zu denken, den an vorgeschobener Stelle frei liegenden Ostchor zu einer Perle der Stadt Augsburg, zu einem gleichberechtigten Gliede in dem Ring der glücklicheren, vollendeten Zeitgenossen umzugestalten? Hier wäre das Wiederaufleben des zu frühzeitig zur Ruhe ge­ gangenen St. Ulrichsvereines am Platze. Möchte es doch gelingen, bis zur 900jährigen Feier der Vollendung des zweiten Dombaues im Jahre 1906 diese Frage in wohlwollender Weise zu fördern und unter Mitwirkung wirklicher Sachverständiger wenigstens ein Pro­ gramm zu Stande zu bringen, welches es ermöglicht, auch den Augsburger Dom seiner endlichen Vollendung entgegenzuführen. 0 Die alten Figuren werden in der Krypta aufbewahrt.

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Beschreibung der Bildertafeln. Blatt 1:

Vergleichende Grandrisse a. des römischen Wohnhauses, b. der forensischen Basilika, c. der altchristlichen Basilika, d. der romanischen Basilika nach dem Normalplan von St. Gallen. Blatt 2: Grundrisse des Augsburger Domes und zwar a. Bestand am Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Mauerteile mit vollem Schwarzdruck stellen die romanischen Überreste, die schraffierten Mauerteile die späteren Umbauten dar. b. Grundriss der Krypte mit den rechtsanschliessenden, Seite 47 be­ schriebenen Räumen. c. Gegenwärtiger Bauzustand des Domes. Blatt 3: a. Rekonstruktionsversuch des Grundrisses des zweiten romanischen Dom­ baues nach den vorhandenen Bauresten. b. Rekonstruktion dieses Grundrisses nach Herberger, auf welcher die meisten neueren Werke basieren. c. Ostgiebel des Mittelschiffes und d. Nordgiebel des Querschiffes. Hinter der Dachkonstruktion sind flachere Giebellinien sichtbar, welche die alten romanischen Giebel markieren. Blatt 4: Obere Figur. Längsschnitt durch die Grabendächer der nördlichen Seiten­ schiffe, darunter in der Mitte der Querschnitt. Die Linie c-c-d be­ zeichnet die Anschlusslinie des alten Pultdaches des nördlichen roma­ nischen Seitenschiffes. Die Figur rechts unten stellt eine Wandbemalung vor, wie sie an der Ost wand des Querschiffes über den gotischen Gewölbezwickeln noch sichtbar ist. Die Einfassung des (vermauerten) Fensters ist rotbraun, ein gleich breiter rotbrauner Streifen setzt in der Kämpferhöhe des Fensterbogens sich beiderseits horizontal fort. Darunter wechseln blass­ gelbe und blassgrüne breite Streifen, durch rotbraune feine Linien von einander getrennt. Über dem Kämpferband kommt zunächst ein grüner breiter Streifen, über demselben 4 schmale rote, dann ein breites, siennafarbiges Band, das von einem roten Streifen von dem schachbrettartigen Feld abgeschlossen wird, welches bis zur Decke reicht. Der Grund des Feldes ist ein gelbliches gebrochenes Weise, die dunkleren Felder werden durch zwei gegeneinander gekehrte rote Halbkreise gebildet. Das eigent­ lich quadratische Muster macht dadurch den Eindruck von aneinander­ gefügten Sechsecken. Die Figur links unten stellt den Christuskopf dar, welcher an der westlichen Wand des südlichen Querschiffarmes über dem gotischen Gewölbezwickel sichtbar ist. Alle Konturen sind mit braunroter Farbe scharf gezogen, auch die Einfassungen der Augen, die Nasenlinien etc.

80 Auch die Augenbrauen und die Augensterne sind braun. Die untere und obere Grenze der Augenlider ist rot markiert. Die Lippen sind gleichfalls rot. Die Bildung der Ohrläppchen erinnert an die Glas­ gemälde. Das Haar und der Bart sind blond. Der Hintergrund ist in einem braunen Ton scharf abgehoben und kreisförmig von der hellgelben Gloriole begrenzt, welche später blau übermalt worden zu sein scheint. Blatt 5; Inschriften an den Schildmauern der Gewölbe gegen das Mittelschiff und die Querschiffflügel. Diese Schildmauern wurden nach erfolgter Ein Wölbung des Westchores bei der Gotisierung errichtet, um einen Abschluss bis zu der um 1*/2 Meter höher liegenden alten Flachdecke der Schiffe herzustellen. Die Inschriften sind weiss auf grauem Grund gehalten. Auch die anschliessenden Wandteile des Mittelschiffes zeigen eine in Quader geteilte weiss und graue Bemalung. Blatt 6: Säulendetails. Blatt 7: Innere Ansichten der Krypta. Blatt 8: a. Sakrarium bezw. Überrest des alten romanischen Ciboriumaltars. b. Bischofsstuhl. Die vorderen Lappen der Lehne sind abgebrochen und dürften nach antiken Mustern zu ergänzen sein. c. Thüre gegen den Kreuzgang. Für dieselbe konnte leider eine Original­ aufnahme nicht mehr gemacht werden, die Abbildung ist dem Werke „Kempf, Altaugsburg“ mit Erlaubnis des Verlegers entnommen. d. Bronzethüre in ihrer jetzigen Zusammenstellung. Blatt 9: Das obere Bild stellt die Innenansicht des Domes gegen den Westchor dar. Die untere Bildreihe zeigt die fünf noch vorhandenen romanischen Glasgemälde. Dieselben sind dem Werke Herbergers, „die ältesten Glas­ gemälde im Dom zu Augsburg“ 1860, entnommen, welches in Farben­ druck die Farbengebung getreu zeigt. Blatt 10: Äussere Ansichten des Domes.

Inhalt des Textes. Seite Einleitung.................................................................................. Der erste Dombau.................................................................................................. 3—13 Der zweite Dombau . . ............................................................................ 27—43 Annexe und romanische Überreste.................... ....................................43—61 Der dritte Dombau................................................................................................62—74 Die Domrestauration ...................................................................................... 75—78 Entwicklung der christlichen bezw. der romanischen Basilika .... 14—26 bezw. ......................... ..... .............................................. 28—29

TAFEL I.

a. b. c. d.

fi-omi-sches Wohnhaus. ‘Forensische ‘Basilika. .'RUchrisiliehe Basilika. Romanisehe Basilika nach dem plan von St. (Jollen.

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TAFEL II.

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TAFEL VIII.

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TAFEL IX.

Jonas.

Daniel.

Ossee.

David.

Moses.

II.

Aus fünf Jahrhunderten. Beiträge zur Geschichte der jüdischen Gemeinden im Biese von

Prot Dr. L. Müller.*)

V. Die Juden im Riess in ihrem Verhältnis» zum Hause Öttingen und zu Kaiser und Reich 1400—1806. 1. Geschichtlicher Überblick. Die Vertreibung der Juden aus Nördlingen im Jahre 1507 hatte zur Folge, dass ihnen auf lange Zeit auch das Gebiet der öttingischen Linie des gräflichen Hauses öttingen verschlossen blieb. Gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts bestanden nur im Wallersteiner Antheil der Grafschaft jüdische Niederlassungen. Als solche nennt die Nördlinger Notariatsurkunde von 1538x) Wallerstein, Maihingen, Mögesheim, Pflaumloch, Uzmemmingen, Neresheim, Unterbissingen; Flochberg, Zebingen, Zipplingen, Polsingen, Uzwingen, Hausen hinter Hoholting.*2)31*Nach * * * Ausweis der Nördlinger Mess-Judengeleitsbücher8) *) Die vier ersten Theile befinden sich im vorigen Jahrgang S. 1—124. 1) S. Abschn. III. S. 90 f. 2) Auch zu Dorfmerkingen sassen 1555 Juden. S. Abschn. V. 5. 3) Diese Eegister verzeichnen sämtliche Juden, die sich zum Besuch der Nördlinger Pfingstmesse einfanden, und reichen von 1587—1738 mit zwei grösseren Unterbrechungen von 1628—1648 und 1723—1732. Man darf annehmen, dass an diesen Beichsmessen, zu denen Juden wie Christen der Zutritt offenstand, Juden aus dem ganzen Umkreise des Biesses im Lauf ihrer elftägigen Dauer erschienen, und dass das ständige Fehlen gewisser Ortsnamen aus der nächsten Umgebung Nördlingens in diesem Begister gleichbedeutend ist mit dem Erlöschen der be­ treffenden Judenschaften. Den fiberwiegenden Theil der jüdischen Messbesucher

6

82 fanden sich jüdische Ansiedelungen an den 7 erstgenannten Orten noch am Ende des Jahrhunderts, während die 6 letzteren nebst Dorfmerkingen sich aufgelöst haben. Dagegen treten nun Öttingen, Hainsfart, Mönchsroth, Schopfloch, Dürrwang, Schnaitheim, Jaxheim, Oberdorf, Aufhausen, Dirgenheira,*1) Itzlingen, Hesingen, Dehlingen, Bollstatt und Böttingen als weitere Judenorte hinzu.2) Es fällt auf, dass unter den von Notar Binder 1538 und 1539 im Umkreis von zwei Meilen um Nördlingen besuchten Orten mit jüdischen Insassen Öttingen und Hainsfart fehlen, wo Judensehaften schon im 13., 14. und 15. Jahrhundert erwähnt werden. Die Stadt Öttingen gehörte seit 1524 zur einen Hälfte dem Grafen Ludwig XV., der nach dem Vorgang seines Vaters Wolfgang keine Juden duldete, zur andern seinem Vetter Ludwig XIV., dem Bruder des Grafen Martin, der ihn 1535 ihres Besitzes enthob. Ludwig XIV. ist dem­ nach wohl dem Beispiel seines Vetters gefolgt, während Martin wieder eine Ansiedelung von Juden zu öttingen begründete. Diese wurde im Frühjahr 1552 wieder aufgelöst, als Graf Ludwig XVI., der mit seinem Vater Graf Ludwig XV. 1547 in die Reichsacht erklärt worden war, unter dem Schutz des Kurfürsten Moritz von Sachsen, des Markgrafen Albrecht von Brandenburg und ihrer Ver­ bündeten vorübergehend in den Besitz der Grafschaft gelangte. Ein Theil der vertriebenen Judenschaft wandte sich gen Esslingen und Worms, andere aber befanden sich noch in der Nähe, als ihnen An­ fangs Juni von dem Wallersteiner Statthalter Conr. Zwickh „Artikel“ nachgesandt wurden, die offenbar ihre Wiederzulassung betrafen. Ihr Exil war demnach von kurzer Dauer. Wenn die beiden Grafen bildeten natürlich immer die zahlreichen Schutzjuden der öttingischen Lande Uiid der angrenzenden brandenburgischen Fürstenthümer; aber es stellten sich gelegentlich auch jüdische Handelsleute aus Leipzig, Prag, Posen, Krakau, Pressburg, Wien, Venedig, Solothurn, Zürich, Zurzach, Hagenau, Metz, Worms, Mannheim, Würzburg, Hanau, Frankfurt a. M. und Amsterdam ein. 1) In den Nördl. Messgeleitbüchern finden sich Juden zu Dirgenheim nur 1595, zu Itzlingen bis 1609, zu Kesingen bis 1607, zu Dehlingen bis 1611, zu Bollstatt bis 1597 und zu Röttingen bis 1600 eingetragen. 2) In die Zeit zwischen die Urkunde von 1538 und den Beginn der Nördl. Messregister fällt ein undatirtes summarisches Verzeichniss der schirmverwandten Juden des Grafen Friedrich (gest. 1579), des Erben des 1549 gestorbenen Grafen Martin. Er besass zu Pflaumloch, Mögesheim und Hainsfart je 6 Schutzjuden, zu öttingen 5, zu Dürrwang und Uzmemmingen je 4, zu Wallerstein 3, zu Neresheim 2, zu Röttingen, Fremdingen und Gnotzheim je einen. laut der Nördl. Mess-GeL-B. noch 1606.

Juden

An letzterem Ort sassen

83 Ludwig auch 1553 durch Vermittlung des Markgrafen Albrecht amnestirt wurden, so währte es doch bis 1563, ehe die halbe Stadt Öttingen an Ludwig XVI. zurttckkam. Vermuthlich blieb den Juden dann zunächst nur in der einen Stadthälfte der Aufenthalt zuge­ standen, da das Nördl. Messgeleitsbuch von 1587 nur 7 Juden und eine Jüdin aus Öttingen verzeichnet. Im schmalkaldischen Kriege liess Karl V. seinem Kriegsvolk „deutsch und welsch“ verkünden, dass die Juden, da sie zu allen Zeiten unter dem Schutz des Landfriedens stünden, unbehelligt bleiben sollten. An die evangelischen Kriegsftirsten aber liess Rabbi Josel1) von Rosheim durch den Strassburger Rath die Bitte richten, seine Glaubensgenossen im Riess des Landfriedens geniessen zu lassen. Er habe namentlich aus Wallerstein erfahren, die dortigen Juden hätten, um sicher zu sein, mit den schmalkaldischen Haupt­ leuten und Kriegsknechten sich um eine Summe Gelds vertragen müssen, wofür sie einen Sicherungsbrief und einen gemalten Schild mit einem gelben Löwen als Zeichen der Losung erhielten. In der Grafschaft Wallerstein sassen die Juden unangefochten bis zum Jahr 1605, in welchem die Vormünder des Grafen Ernst II., Graf Karl von Hohenzollern und Sigmaringen und Anton Fugger der Jünger, Freiherr zu Kirchberg und Weissenhorn, den schutz­ verwandten Juden ihrer „Vormundgrafschaft“ auferlegten, bis Michaelis 1606 das Gebiet zu räumen.2) Aber schon im Febr. 1608 sah sich die Äbtissin Apollonia von Kirchheira veranlasst, sich im Interesse ihrer Unterthanen an den Prälaten zu Kaisersheim und ihren Rechtsbeistand Dr. Röttinger in Nördlingen zu wenden. Die ausgeschafften Juden, klagte sie, würden wieder in die Grafschaft eingenommen3) und berühmten sich, von Graf Gottfried, dem Inhaber der Grafschaf Öttingen, eine eigenhändig geschriebene Ermächtigung zu besitzen, wonach sie auch von der Äbtissin Unterthanen 10% Zinsen nehmen dürften, da sie doch nur 5% gestatte. Im Januar 1612 drang Graf Johann von Hohenzollern als Vormünder wiederholt auf den Abzug der Juden aus dem Wallersteinischen, weil ihre

1) S. Abschn. III. S. 85. 2) Nur zwei Neresheimer Juden, Reiber und Liebmann, wurde der Aufenthalt bis Weihnachten zugestanden. In den Nördl. Registern erscheinen Juden aus Neresheim bis 1611, dann wieder von 1623 an. 3) In dem nächst Kirchheim gelegenen Dorf Jaxheim waren Juden zwischen 1001t—1610 und 1616—1626 angesiedelt.

6*

84 Privilegien (Pactbriefe) sämtlich abgelaufen seien. Auch dieser Befehl hatte keine oder nur vorübergehende Wirkung, und die 1614 zwischen öttingen und Wallerstein geführten Correspondenzen über gemeinsames Yorgehn bezüglich der Juden führten zu dem Ergebniss, dass man ihnen den Aufenthalt in den beiden Grafschaften zugestand, aber auch ihre Beziehungen zu der christlichen Bevölkerung einer durchgreifenden Regelung unterzog. Der Ausbruch des dreissigjährigen Krieges machte der grossen Mehrzahl der jüdischen Ansiedelungen ein Ende oder unterbrach wenigstens ihren Bestand auf längere Jahre. Während die bäuerliche Bevölkerung gezwungen war, Ein­ lagerung und Brandschatzung von Freund und Feind über sich ergehn zu lassen, suchte der durch Raubgier ungleich mehr bedrohte Jude Schutz in den ummauerten Orten unseres Gebiets. Eine Reihe wohlhabender Familien fand Aufnahme in der starkbewehrten Reichs­ stadt Nördlingen, anderen gewährten die Grafen Aufenthalt in Wallerstein, Öttingen und Neresheim. Auch in dem festen Baldern bestand damals eine jüdische Colonie, die sich 1657 eine Synagoge erbaute, aber 1658 zur Auflösung gezwungen sah. Der westfälische Friede gewährte der versprengten Judenschaft die Möglichkeit, in ihre alten Wohnsitze zurückzukehren. Aber nicht alle boten ihnen die früheren Existenzbedingungen und wurden darum wie andere, schon vor Ausbruch des grossen Krieges verlassene, aufgegeben.1)2 * * In den ersten Friedensjahren machten sich mehrfach ungünstige Stimmungen gegen die Juden seitens der Landesherren geltend. Graf Martin Franz von Wallerstein, welcher der Judenschaft der Ämter Wallerstein, Neresheim und Baldern wiederholt ihre Schutz­ briefe erneuert hatte, war 1653 gestorben. Der Kaiser setzte eine Sequestrations-Administration ein, die 1655 auf die Bitte der Juden­ schaft um abermalige Erneuerung ihres Pacts ihr ^so lästige Be­ dingungen8) auflegen wollte, dass sie an Auswanderung gedacht zu

1) In den Nördl. Geleitsregistern ist die Maihinger Jadenschaft noch 1655—63 vertreten, die von Mögesheim 1659, die von Bissingen 1658, die von Dorfmerkingen 1657—60, die von Dtirrwang 1650. Juden von Uzmemmingen werden in ihnen zum letztenmal 1616 verzeichnet; nur die Jüdin Bela, die sich vermuthlich von ihrer Heimat nicht zu trennen vermochte, wird hier noch von 1617—1625 genannt. Schnaitheim, wo Juden von 1607—1623 sassen, wird nur noch 1689 aufgeführt. 2) Die Commission sah sich hiezu durch scharfe Beschwerdeschriften desr Abtes Meinradus von Neresheim, des Landdechanten Gabriel Schweiker und de Bürgerschaft zu Wallerstein, sowie de3 lletzgergew erbs der Grafschaft veranlasst

86 haben scheint. Sie richtete deshalb an den Pfalzgrafen Philipp Wilhelm zu Neuburg als „Principalcommissär und beständigen Schutzherrn dieser Sequestration“ eine Vorstellung, in der sie hervorhob, dass sie „in den letzten Kriegsläuften den Christen ohne Unterschied beigesprungen, die ohne sie das bittere Elend hätten bauen müssen; auch habe sie den Markt Wallerstein vor völligem Untergang bewahrt und also ihre Privilegia theuer erkauft.“ Der Pfalzgraf ordnete darauf an, die Juden bei ihrem alten Schutzbrief zu manuteniren. In dem Öttingisch-Baldernschen Landestheil aber kam es 1658—59 auf Befehl der Gräfin-Wittwe Isabelle Eleonore als Vormünderin ihres Sohnes Grafen Ferdinand Maximilian zu einer wirklichen, wenn auch nur zeitweisen Ausschaffung der Juden. Auf das Ansuchen der Judenschaften von Neresheim, Baldern und Aufhausen um Erneuerung ihres Schutzverhältnisses wurde ihnen die Wahl gelassen, entweder sich aus der Grafschaft hinwegzugeben oder binnen Jahresfrist zu Elchingen auf dem Hertfeld und zu Auf­ hausen an öden Plätzen neue Häuser zu errichten und zu bewohnen, ihre bisherigen Wohnungen aber käuflich an Christen abzutreten. Vergebens schilderten die Juden die grosse Gefahr, die ihnen namentlich bei einer Ansiedelung zu Elchingen drohte, das gänzlich niedergebrannt und menschenleer war. Vergeblich blieb auch eine Intercession des Markgrafen Wilhelm von Baden, in dessen Auf­ trag der Kreuznacher Oberamtmann Johann Werner von Plitters­ dorf sich persönlich bei der Gräfin verwendete. Die jüdische Be­ völkerung der Grafschaft musste ihren Abzug nehmen, — die von Neresheim bis zum 1. Oct. 1658, die von Oberdorf und Aufhausen bis Pfingsten 1659 — wohl auch deshalb, weil ihn die Bürgerschaft zu Neresheim dringend forderte.*1) Ein Teil der vertriebenen Neres-

Sie verordnete u. n., alle Käufe und Täusche auf Zins, auch alle Darlehen sollten bei den Ämtern protokollirt werden, ausserdem seien sie rechtsungültig und die Darlehen würden confiscirt und fielen der Herrschaft anheim. 1) Die Neresheimer Bürger wiesen am 1. Juni 1658 darauf hin, dass die lortige Judenschaft „10 Haushäbige und 6 Hausgenossen, im Ganzen gegen BO Seelen — etwa ein Viertel der christlichen Bevölkerung — zähle, so dass Juden and Christen unter einander laufen, und wir unsere lieben Kinderlein von der Juden Kindern nicht mehr absondern könnten/* Nach dem Abzug der Juden, die 10 % Nachsteuer vom Erlös aus ihren verkauften Häusern zu erlegen hatten, wurde seitens der Bürgerschaft ein Tedeum abgehalten. Als sich Leo und JÖsslin Anfangs Nov. zur Abholung ihrer Mobilien nach N. begeben mussten, vergönnte ihnen die Gräfin hiezu 4 Stunden Zeit. Auf ihren Befehl wurden sie am Thor von 4 Bürgern

86 heimer Juden fand zu Erlingen Aufnahme, wo der Johanniterorden seit 1514 Juden nicht mehr geduldet hatte.*1) Der Comthur Heinrich von Lützow erbat hiezu die Genehmigung des Grafen Johann Franz von Ött.-Wallerstein, dem die Landeshoheit zustand. Der Graf erklärte, „er sehe herzlich gern, dass der löbl. Johanniterorden seine Güter wiederum in Aufnahme und zu richtigen lntraden bringen möge,“ und ertheilte am 27. Sept. 1658 einen an eine jährliche Zahlung von 20 Reichsthalern zur gräflichen Kanzlei ge­ knüpften Schutzbrief. Ebenso erfolgte am 10. März 16712) an­ lässlich einer Judenaustreibung aus dem Pfalz-Neuburgischen die Gründung einer neuen jüdischen Gemeinde zu Harburg durch Graf Albrecht Ernst zu ött.-öttingen, an die sich 1684 die von Deggingen schloss. Auch zu Ederheim, das seit der 1537 durch Nicolaus von Jaxheim bewirkten Ausschaffung keine Juden mehr besass und 1570 in öttingischen Besitz tibergegangen war, durften sich 1674 wieder Juden ansiedeln. Dies rasche Anwachsen der jüdischen Bevölkerung und die grosse Zahl von Processen gegen die christlichen Unterthanen, die es zur Folge hatte, führte 1687 zu einem Meinungsaustausch der regierenden Herren,3) nachdem sich Graf Wolfgang IV. von Waller-

erwartot, „von denen je 2 einen Juden in die Mitte nehmen, nicht von ihnen weichen, auf ihre Hände gute Obsicht haben und sie wieder bis zur Porten be­ gleiten sollten “ Hiefür erhielt jeder dieser Bürger von den Juden 12 Kr. Dio Ungnade der Gräfin ging so weit, dass sie 1659 ein Decret erliess, das allen Juden, die in einem Wirthshaus einkehrten, einen Accis von 6 Kreuzern nebst 1 Kr. für den controlirenden Amtknecht auferlegte. In den Nördl. Messregistern finden sich Juden aus Oberdorf erst wieder 1673, aus Aufhausen 1686. Doch waren nach einem Aufhauser Amtsbericht an Graf Notger von' Ött.-Baldern 1689 die Juden in der Grafschaft Baldern wieder so zahlreich geworden, dass sich viele ihrer Familien nicht mehr ernähren konnten und den christlichen Unterthanen zur Last fielen, worüber sich diese beschwerten. Der Bericht stellt fest, dass diese Juden insgesamt vom Handel lebten. 1) Auch der Deutschordenscomthur zu Kapfenburg gestattete, dass sich sechs der aus dem Baldern’sehen verwiesenen Familien in Lauchheim trotz des Protestes der dortigen Geistlichkeit niederliessen. 2) Eine am gleichen Tag genehmigte jüdische Ansiedelung zu Alerheim hatte nur bis 1674 Bestand. 3) Graf Franz Albrecht zu ött.-Spielberg schrieb am 23. April 1687 an den Grafen Wolfgang: „Der Prince [Fürst Albrecht Emst II.] ist schon seit 14 Tagen alhier [zu öttingen] ... Ich hahe mich bei ihm mit Gelegenheit beklagt, dass die Juden alhier mich stäts und immerdar mit abgeschmackten Händlen und Stritten importunieren und die Unterthanen ruinieren; darauf ehr mir geantwort,

87 stein schon seit 1680 nicht mehr dazu hatte verstehen wollen, seiner Judenschaft ihren Schutzbrief zu erneuern. Man stand jedoch von der anfänglich ins Auge gefassten Ausschaffung wieder ab. Auch der bereits 1650 angeregte Plan, die Juden aus der den Linien ött.-öttingen und Ött.-Spielberg gemeinsam zustehenden Besidenz Öttingen zu entfernen, wurde wieder fallen gelassen, dagegen gedachte man 1714, die beiden Öttinger Gemeinden in eine im abgelegensten Theil der unteren Vorstadt, der Aurich oder Aurach, neu anzulegende Judengasse zusammenzusiedeln. Aber auch dies Project kam nicht zur Ausführung. Seitdem war von Aufenthaltsbeschränkungen nicht weiter die Bede. Am Schluss des vorigen Jahrhunderts bestanden in dem Fürstl. Ött.-Wallersteinischen Gebiete Judengemeinden zu Waller­ stein, Harburg, Deggingen und Pflaumloch; in der Grafschaft Ött.-Baldern, die 1798 mit dem Fürstenthum Ött.-Wallerstein ver­ einigt wurde, zu Oberdorf und Aufhausen an der Eger; in dem Fürstl. Ött.-Spielbergi sehen Territorium*1) zu Öttingen, Hainsfart, Mönchsroth, Schopfloch und Erdlingen (Klein-Erdlingen). Dazu kam noch die Gemeinde zu Ederheim, das 1709 aus dem Besitz des Fürsten Albrecht Ernst II. in den des Kaiserl. Generalmajors Albrecht Freiherrn von Elster gekommen war, 1750 vom Deutschen Orden erkauft wurde und unter Ött.-Wallersteinischer Landeshoheit stand. Keine dieser Gemeinden ist im Besitz von geschichtlichen Documenteu aus früherer Zeit geblieben. Auch das fürstl. Archiv zu Öttingen bewahrt nur noch wenig Material für die Geschichte der Judenschaft des ött.-spielbergischen Gebiets. Die nachstehenden Ausführungen gelten deshalb hauptsächlich den Beziehungen der Öttingen-Wallersteiner Schutzjudenschaft zu ihrem schutzherrlichen Hause und zu dessen christlichen Unterthanen, sowie der bei ihr

es seie nur gar zu wahr, wäre zufrieden, man jagte sie alle fort. Ich habe gelacht und mit den Formalien gesagt: Wann es Ew. Gnaden ernst, wäre es gar bald geschehen. Er sagte, er wünsche von Herzen, das man sie aus der ganzen Graf­ schaft verjage. Weilen ich nun weiss, dass es Ew. Excellenz, als Sie in der Graf­ schaft waren, verlangt und absonderlich dazu auch incliniren, habe ich Ihnen solches wollen berichten. Mein Ambt und Canzlei hat mehrer mit den Juden zu thuen, als mit andern Strittigbeiten, und es wird mein Frau Mutter und ich fast täglich mit jüdischen Streiten gebriglet“ . . . 1) ln dem Schriftchen: „Beiträge zur Kenntniss ... des öttingiseben Vater­ lands“ (Öttingen 1786) wird die Seelenzahl der ött.-spielb. Juden auf etwas über 1000, ihr Baarvermögen auf 450000 fl. geschätzt.

88 bestehenden Gemeindeordnung. Doch waren diese Verhältnisse in den übrigen Landestheilen durchgängig in gleicher oder ähnlicher Weise geregelt 2. Verhältniss der öttinger Judensohaft zu ihren Landesherren. In dieselbe Zeit, als der Rath von Nördlingen das Bedürfnis fühlte, die Verhältnisse seiner Judenschaft durch Pactverträge und Ordnungen in eine später wenig mehr veränderte Form zu bringen, fallen auch die ältesten öttingischen Urkunden, die über die Be­ ziehungen der Grafen zu ihren jüdischen Unterthanen Aufschluss geben, die Judenschutzbriefe. Es haben sich ihrer nur wenige er­ halten, und sie sind immer nur für einzelne Schützlinge ausgestellt* In dem ältesten derselben (1434) erklärt Graf Johannes zu Ött.-Wallerstein die Brüder Hirss und Süssman mit Weib, Kind und „gepröten Ehalten“ gegen eine Reichniss von 20 Gulden jährlich zu seinen Hintersassen. Der Graf verpflichtet sich, ihnen ihre Schulden einbringen zu helfen, und gestattet ihnen, auf alle Pfänder zu leihen mit Ausnahme von [nassen Häuten, zermüsten (zerdrückten) Kelchen, blutigem Hess (Gewand) und ungeworfeltem Korn. Der Zins wird bei der Herrschaft Leuten auf 1 Pfennig wöchentlich vom Gulden (342/s°/oi oder vom © Heller1) festgesetzt; gegenüber Auswärtigen soll keine Beschränkung bestehn. Für begangene Frevel bessern und büssen sie dem Grafen. Leugnen sie das ihnen zur Last gelegte Vergehn, so soll man sie mit dem Eid zweier un­ verwerflicher Christen, die nicht ihre offenkundige Feinde seien, und eines Juden überführen; ist kein Jude beizubringen, dann soll der Eid von zwei unverwerflichen Christen allein genügen. Der Pact kann von dem Grafen wie von den Juden jederzeit gekündigt werden und erlischt zwei Monate nach der Aufsage. Dem abziehenden Juden wird das Geleit im gräflichen Gebiet zugesichert. Einen ganz ähnlichen Schirmbrief ertheilte Graf Wilhelm 1444 dem „bescheiden“ Jacob Juden zu Wemdingen. Der Wochen­ zins für den Gulden wird auf 3 Heller, für das U auf 1 Heller bei der Herrschaft Leuten festgestellt.2) Das Schutzgeld beträgt für 1) Der von andrer Hand zugefttgte Beisatz bezüglich des Pfund Heller ist offenbar unrichtig. 2) Der rhnnisöhe Gulden betrug 5 Pfund Pfennige, jedes Pfund 30 Pfennige oder 60 Heller. Der Zinsfuss stellte sich also bei dem Gulden auf 52°/0, für das Pfand auf 86'/,Y,.

89 den Schützling, sein Weib and Brodgesind jährlich 10 Gl., bedingt aber die Freiheit von Steuer, Wache und Dienst. Nur bei Käufen unterliegt er der sonst üblichen bürgerlichen Steuer. Bei Rechts­ sachen ist er an den Grafen oder dessen Gericht gebunden. Der Schirmbrief, den der Graf Wilhelm dem Juden Joseph Rumold von Günzburg 1463 gewährte, bestimmt ein jährliches Schirmgeld von 2 Gl. auf 3 Jahre. Nimmt Joseph seinen Tochter­ mann Abraham zu sich in Kost und Behausung nach Harburg, so zahlen beide zusammen im ersten Jahr 5 Gl., für die 2 nächsten 6 Gl. Als beiderseitige Aufkündigungsfrist des Schirmverhältnisses wird ein halbes Jahr bedungen. In ein Nebenschutzverhältniss trat 1459 der „beschaiden“ Jude Lieberman zu den Grafen Ulrich und Wilhelm zu öttingon. Er war Pactbürger der Reichsstadt Bopfingen und erhielt völlige Zollfreiheit von den Grafen zugestanden, vermuthlich auf Grund früher geleisteter Dienste. Der nächste der erhaltenen Einzel-Schutzbriefe wurde 1595 einigen Juden von Neresheim durch den Grafen Wilhelm auf die Dauer von 15 Jahren gegeu ein jährliches Schutzgeld von lO^Guldenthalern ertheilt. Er enthält eigenartige, sonst nicht weiter vor­ kommende Bestimmungen, die mit der dem Schutzherrn als Kriegs­ mann — er war Oberst über ein Regiment hochteutschen Kriegs­ volks in Ungarn — ganz besonders anliegenden Sorge für die Wehrhaftigkeit seiner Unterthanen Zusammenhängen. Der Graf verpflichtete seine Schützlinge, als Waffe einen guten Federspiess im Hause zu haben und daneben 'einen Christen zu besolden, der im Fall eines Aufgebots für sie ausziehen könne, sowie zu den gemeinen Reichssteuern oder zu besonderen vom Grafen ausge" schriebenen Collecten ’ zu contribuiren. Dabei gestattete er ihnen« „aufrichtige Hantierungen und im Reich zugelassene Commercien zu treiben“ und von 20 Gl. als Zins 2 Gl. (10 °/o) oder dafür ein Malter Getraide zu nehmen. Als nach Beendigung' des dreissigjährigen Krieges die während seines Verlaufs in wenige'befestigte Orte geflüchtete Judenschaft sich wieder über den Umfang der Grafschaft auszubreiten begann, wurde es nothwendig, ihre Verhältnisse neu zu regeln und die Be­ dingungen festzusetzen, unter welchen sie fortan den Schutz der verschiedenen Zweige des Hauses öttingen in Jessen einzelnen Gebietstheilen genossen.*;. Sie waren fast überall die gleichen und sind in einer Reihe von Generalschutzbriefen niedergelegt, die sich über

90 die Zeit von 1649—1806 erstrecken.1) Für die meisten der späteren Schutzbriefe hat eine besonders eingehende Redaction von 16952) zur Vorlage gedient, so auch noch für den letzten umfangreichen Schutzbrief, den die regierende Obervormünderin der Ött.-Wallerstein-Baldemschen Landestheile, Fürstin Wilhelmine Friederike, geb. Herzogin zu Württemberg, am 28. Juli 1806 der schutzverwandten Judenschaft zu Harburg, Deggingen, Wallerstein, Pflaumloch und Aufhausen auf 9 Jahr ertheilte.3) Er erläutert und verändert einzelne Artikel jenes alten Schutzbriefes und fügt dazu eine Reihe neuer Verordnungen. Auf ihm beruht im Wesentlichen die folgende Dar­ stellung. Die Gewährung des Schutzbriefes selbst wird in verschiedenen Ausfertigungen als ein Akt der Gnade hingestellt. In ihren Ein­ gängen betont der Aussteller sein Recht, die Juden gänzlich abzu­ schaffen, oder er erklärt: ,,obwohl er des Vorhabens gewesen, aus zerschiedenen bewegenden Gründen alle Juden, die bisher in seinem Schutz und Schirm geduldet wurden, gänzlich aus — und abzu­ schaffen, habe er doch auf ihr flehentliches Bitten ihnen mit Weib, Kind und Brodgesind vergönnt, noch länger in der Grafschaft zu wohnen und in derselben allenthalben sicher zu handeln und zu wandeln.“ Der Schutzbrief wurde immer auf eine bestimmte Reihe von Jahren, auf 3, 5, 7, 8, 9, 10, 12, 16 Jahre ertheilt. Ein Viertel­ jahr, bei längeren Perioden ein halbes oder ganzes Jahr vor seinem Ablauf mussten die Juden um Verlängerung des Schutzes bitten. Der Schirmherr behielt sich bei der Erneuerung vor, nach Abfluss der Schirmperiode entweder die ganze Judenschaft auszuschaffen oder nur Einzelne, die sich ungebührlich gehalten hätten und ihren Verbindlichkeiten gegen die Herrschaft nicht naohgekommen wären, letztere aber auch während der Schutzjahre.

1) Der älteste ist ein von Graf Martin Franz auf Wallerstein f(lr die Judenschaft der Ämter Wallerstein, Neresheim und Baldern 1649 auf die Dauer von 3 Jahren ausgestelltes Schutzerneuerungsdecret. 2) Der Schutzbrief vom 7. März 1695 ist erlassen von den Grafen Wolfgang und Ignatius Gebrüdern für sich und in Vormundschaftsnamen für ihren Brudersohn Anton Earl, Sohn des Grafen Philipp. 3) Bei seinem Erlass war das durch die Rheinbundsakte vom 12. Juli 1806 mediatisirte fürstl. Haus faktisch noch im Besitz seiner Landeshoheit, da die Besitzergreifung des ött. Gebiets von Seite der bairischen Regierung erst am 3. Sept. 1806 erfolgte.

91 Die in den Schirmverband eintretenden Juden machten sich verbindlich, den gräflichen oder fürstlichen Schutzherrn treu und gehorsam zu sein, der Herrschaft Schaden zu warnen und ihren Nutz und Frommen zu fördern.1) Diese Zusage wurde früher durch einen Eid bekräftigt, an dessen Stelle 1806 ein Handschlag an Eides statt trat. So lange das Schutzverhältniss dauerte, sollte sich kein Jude ohne herrschaftlichen Specialconsens gegen eine andere Herrschaft bezüglich des Schutzes verpflichten, noch auch Habe und Gut anders­ wohin verbringen, er habe denn den Schutz gebührend aufgekündigt, seine Abgaben entrichtet, seine anhängigen Rechtssachen ausgemacht und eine Entlassungsurkunde ausgewirkt. Für den Fall, dass die Herrschaft einen oder alle Juden aus­ schaffen wollte, sollten sie Nachsteuer nur von liegenden Gütern,2) nicht von fahrender Habe entrichten. Wollte aber ein Jude um besseren Nutzens und Frommens wegen sich freiwillig aus den öttingischen Landen begeben oder Vermögenstheile (z. B. bei Ver­ mächtnissen oder bei Aussteuer sich auswärts verheiratender Kinder) ausser Landes bringen, so unterlag auch die fahrende Habe der auf 10% festgesetzten Nachsteuer.3) Ebenso bei Ausschaffung von Juden in Folge von Verbrechen. Waren die für die einzelnen jüdischen Gemeinden ausgestellten Schutzbriefe abgelaufen, so wurden sie für eine weitere Periode ertheilt. Bei jedesmaliger Erneuerung dieser Generalschutzbriefe hatten — nachweislich seit 1728 — die Gemeinden als solche das Judenschutzlosungs-Consensgeld oder das Schutzlosungsquantum entweder sofort oder in Jahresraten zu erlegen. Es wurde bald nach mehrfachem Betrage des von^ den einzelnen Familien zu leistenden Schutzgeldes, bald nach einem meist 3—4% betragenden Procent­ satz des von den Gemeindevertretern (Parnossen) nachge­ wiesenen Vermögens jeder Familie mittels kollegialischer Berathung der Regierung normirt, Öfters auch von der Herrschaft durch 1) Untor diesen Gesichtspunkt fällt eine Verordnung von 1806, gemäss welcher die Juden die ihnen zum Kauf angebotenen Hölzer bei Verlust des Schutzes für die Herrschaft zu erwerben hatten. 2) 1697 erhielt die Judenschaft des Fürstenthums Öttingen gegen Baarerlag von 1000 Gl. Nachsteuerbefreiung auf 8l/2 Jahre. 3) Im Ött.-Spielbergischen Gebiet waren die ausser Landes ziehenden Heirats­ güter der Kinder und Wittwen, wie auch die an Auswärtige fallenden Erbschaften in auf- und absteigender Linie von aller Nachsteuer frei.

92 eigene Verfügung festgestellt.1) Die dabei bezogenen Ausfertigungs­ taxen betrugen zu Wallerstein, Pflaumloch und Oberdorf für jede Familie 3 Gl., zu Aufhausen 2 Gl. 40 Er., zu Deggingen und Harburg 2 Gl., die Registraturgebühren 10—15 Kreuzer. Dazu trafen noch die Gemeinden zu Wallerstein, Pflaumloch, Harburg und Deggingen 10 Gl., zu Aufhausen 5 Gl. Copialgebühren. Die Judenschaft der Grafschaft Öttingen-Wallerstein, Neresheim und Baldern erhielt 1649 durch Graf Martin Franz auf Wallerstein eine Sehutzfreiung auf 3 Jahre und erlegte dafür und für Kleppergeld2) jährlich 307 Gl. Dazu hatte jeder Jude die Ordiuaristeuer*) und als Michaelissteuer den 10. Pfennig seines jährlichen Schutz- und Freiungsgeldes zu entrichten. 1657 accordirte Graf Franz von der Linie Öttingen-Spielberg mit der Judenschaft „zu Wallerstein und an andern Orten seiner Grafschaft,“ wobei er mit den einzelnen Familienhäuptern — es waren deren 25 — je nach ihrem Vermügensstand ein Abkommen traf. Sie entrichteten jährlich zusammen 308 Gl. in Einzelbeträgen von 6—24 Gl. und 10 Gl. als Kleppergeld. Die Spielb. Judenschaft zu Öttingen, die aus 18 Familien bestand, gab 1665 in Einzelbeträgen von 4—27 Gl. ein Schutzgeld von 304 Gl. 40 Kr., wozu noch Ordinari- und Michaelissteuer und Kleppergeld traten. Der Schutzbrief von 1674 legte dem auf 14 Familien zurückgegangenen Gemeindebestand ein jährliches Schutzgeld von 235 Gl. auf. 1728 wurde das Schutzgeld für jede Familie zu öttingen und Hainsfart auf 16 Gl. fixirt. 1684 bestanden in Wallerstein 43, in Pflaumloch 15, in Oberdorf 4 Haushaltungen mit einem auf 56050 Gl. geschätzten Gesamt­ vermögen, die zusammen 551 Gl. Schutzgeld reichten. 1688 wurde dies Schutzgeld auf 740 Gl. erhöht, obwohl die Schatzung des Gesamt­ vermögenstands nur 46425 Gl. betrug. Die Zahl der Haushaltungen verminderte sich zu Wallerstein 1687 auf 39, 1688 auf 37; in Pflaumloch erhöhte sie sich 1688 auf 18, in Oberdorf auf 6. Höhere Anforderungen wurden seit 1728 gestellt, in welchem Jahre Graf Franz Ignatius der Oberdörfer Juden gemeinde einen achtjährigen Schutzbrief gegen baaren Erlag von 1000 Gl. aus­ stellte, woneben jedes Familienbaupt jährlich Schutzgeld, Ordinariund Extraordinaristeuer und den 10. Pfennig seines Schutzgeldes 1) So rescribirte 1752 Graf Philipp Karl von Ött.-Wallerstein, er wolle diesmal keine Neuerung machen und beträchtlich mehr verlangen als sonst, welches jedoch lediglich in seinem Belieben stunde. 2) S. u.

93 zu reichen sich verpflichtete. Im gleichen Jahre versprachen die Judenschaften zu öttingen und Hainsfart, für den gnädig zu ertheilenden Consensum eine gewisse Summe Geldes haar abzuführen. Seitdem findet sich ein solches für die Schutzerneuerung ausbedungenes Consensgeld in den Schutzbriefen sämtlicher öttingischer Landesherrn. Als Yorläufer desselben kann man das Abkommen mit der Judenschaft von Wallerstein, Pflaumloch und Oberdorf von 1692 betrachten, der als Bedingung für die Schutzerneuerung auferlegt wurde, eine gräf­ liche Schuld von 1200 Gl-, die s. g. Bissingische Sohuld, zu über­ nehmen und in Jahreszielern abzutragen. Als Graf Johann Friedrich dem ihm zugefallenen ött.-öttingischen Grafschaftsantheil einen Schutzbrief für die Jahre 1740—1750 verlieh, erlegte die Judenschaft dafür 3500 Gl. „pro consensu“ und fügte dazu 500 Gl. als freiwilliges Geschenk. Von 1779 ab gaben die 5 Gemeinden des Fürstenthums öttSpielberg (Öttingen, Hainsfart, Erdlingen, Mönchsroth und Schopflooh) bei einer Vermögensschatzung von 333140 Gl. — wobei öttingen mit 81535 Gl., Hainsfart mit 71230 Gl., Erdlingen mit 92100 Gl., Mönchsroth mit 73400 Gl. und Schopfloch mit 14875 Gl. Steuer­ kapital veranlagt war — ein jährliches Schutzconsensgeld von 350 Gl. 46 Kr. Für den auf die Lebensdauer des Fürsten Johann Aloysius II. (t 1797) am 9. Dec. 1785 gewährten Schutzbrief hatten die drei Gemeinden zu öttingen, Hainsfart und Mönchsroth ein GesamtConsensgeld von 2400 Gl. zu erlegen, von Neujahr 1787 ab ein jährliches Becognitionsgeld von 720 Gl., wofür die drei Gemeindeu solidarisch hafteten. Der letzte Schutzbrief der Gemeinde zu Schopf­ loch lief von 1785—1800. Ihr Schutzlosungsquantum für diese Zeit belief sich auf 376 Gl. nebst dem „Tax“ von 84 Gl. 52 Kr. bei einer Schatzung von 11400 Gl. Die beiden Judengemeinden zu Harburg und Deggingen ent­ richteten zusammen für die Schutzperiode von 1750—1760 die Summe von 2500 Gl. bei einer Gesamtvermögensschatzung von 81000 Gl.; für die Zeit von 1760—70 den Betrag von 2780 Gl. bei einem Vermögensanschlag von 77100 Gl.; von 1770—79 und wieder von 1779—88 jedesmal 2500 Gl., wobei die Harburger Gemeinde auf 92000 Gl., die von Deggingen auf 24150 Gl. geschätzt wurde. Harburg mit 58—60 Familien zahlte bis 1794 ®/4 des ge­ meinsamen Schutzlosungsconsensgeldes, Deggingen mit 25 bis 30 Familien 1/i.

94 Von den drei Gemeinden zu Wallerstein, Pflauinloch und Oberdorf erhob man für die Schutzperiode von 1752—1761 bei einem Gesamtvermögensanschlag von 79150 Gl. zusammen 2500 Gl., ebenso für die Periode von 1761—1770. Davon trug Wallerstein mit 38 Familien 1166 Gl., Pflaumloch mit 15 Familien 535 Gl., Ober­ dorf mit 31 Familien 799 Gl. Für die 18 jährige Schutzperiode von 1788—1806 waren 6°/0 des Schatzungsvermögens als Consensquantum angenommen. Das Vermögen der 38 Wallersteiner Familien wurde auf 57850 Gl., das der 15 Pflaumlocher auf 33500 Gl., zusammen auf 91350 Gl. geschätzt. Es belief sich demnach das Schutzlosungsquantum dieser beiden Gemeinden für die 18 jährige Periode zusammen auf 5481 Gl. HaTburg hatte mit 56 Familien und einem Vermögensstand von 127250 Gl. den Betrag von 7635 Gl., Deggingen mit 34 Familien, deren Vermögen auf 17800 Gl. angeschlagen wurde, 1068 Gl. für diese Schutzzeit aufzubringen. Da die nächste Schutzperiode (1806—1815) nur halb so lang wie die vorige — 9 statt 18 Jahre — währen sollte, so wurden nur 3°/o des Schatzungsvermögens für die Schutzlosung in Ansatz gebracht. Dieses betrug in Wallerstein bei 48 (51) Familien 81650 Gl., in Pflaumloch bei 31 (34) Familien 43950 Gl., weshalb auf Wallerstein 2440x/2 Gl., auf Pflaumloch 1318'/2 Gl. entfielen. Harburg hatte bei 51 Familien und einem Vermögensstand von 140600 Gl. den Betrag von 4218 Gl., Deggingen von 1077 Gl. bei 4OV2 Familien und einem Vermögen von 35900 Gl., und Auf­ hausen 924 Gl. bei 38 Familien und einer Schatzung von 30800 Gl. zu leisten. Der Gesamtbetrag der Schutzverleihungs-Consensgelder aus der Periode von 1806—1815 betrug also für diese 5 Orte zusammen 9978 Gl., von welcher Summe jährlich Vs mit 1108 Gl. 40 Kr. abzuführen war. Die Oberdörfer Gemeinde hatte für eine von 1798 ab laufende 16jährige Schutzperiode pro consensu 1000 Gl. und 50 Speciesduoaten vorausbezahlt. FGn die einzelnen Familien berechnet sich das Sehutzlosungsoonsensgeld im Durchschnitt jährlich zu Wallerstein auf 3 Gl. 587/8 Kr., zu Pflaumloch auf 4 Gl. 77* Kr., zu Harburg auf 5 Gl. 43/4Kr., zu Deggingen auf 2 Gl. 138/4Kr., zu Oberdorf auf 2 Gl. 93/4Kr., zu Auf­ hausen auf 1 Gl. 40 Kr. Zu gemeinschaftlicher Aufbringung waren die Judenschaften der einzelnen Orte auch bezüglich zweier, ursprünglich auf Natural­ leistung beruhender Abgaben verhalten: des Klepper- und des Gänsegelds.

95 In früherer Zeit hatten die Judenschaften einen oder zwei gute Klepper (Reitpferde) zum gräflichen Dienst ins Schloss, zu liefern und sie alle 2—3 Jahre, bei Unglücksfällen auch früher, durch andere zu ersetzen oder dafür nach Wunsch der Herrschaft jährlich eine bestimmte Summe zu erlegen. Schon in dem ältesten Generalschutzbrief von 1649 erscheint das Kleppergeld als herge­ brachte Leistung, die 1657 im Betrag von 10 Gl. auf die einzelnen Familienhäupter umgelegt wurde. Zur Unterhaltung zweier Klepper zahlte die Judenschaft von Erlingen und Pflaumloch (1671) jährlich 40 Thaler. Wallerstein, Pflaumloch und Oberdorf gaben (1695) zusammen 40 Thaler, später (1735) 100 Gulden. 1798 reichte Oberdorf für ein Pferd 33 Gl. 20 Kr. 1806 betrug das Kleppergeld für Wallerstein 41 Gl. 40 Kr., für Pflaumloch 25 Gl., für Aufhausen 25 Gl., für Harburg und Deggingen 100 Gl. Die Lieferung von Martinsgänsen kennt der Schutzbrief von 1695 noch nicht. Graf Anton Karl legte 1719 den Judenschafte« zu Wallerstein und Pflaumloch die jährliche Lieferung von 12 „ge­ mästeten, ungerupften, lebendigen“ Gänsen zur gräfl. Haus- und Hofhaltung auf, behielt sich jedoch vor, sich 1 Gl. für jedes Stück reichen zu lassen. Diese Auflage wurde, wie es scheint, nicht auf alle Judenschaften ausgedehnt. 1806 zahlte man zu Wallerstein als Gänsegeld 5 Gl., zu Pflaumloch 3 Gl., zu Aufhausen 3 GL, zu Oberdorf 4 Gl. und zu Harburg und Deggingen 12 Gl. Eine weitere gemeinschaftliche Abgabe bestand im Herbstzins oder Synagogengeld. Es betrug 1761 und 1806 für die Gemeinden zuöttingen 16 Gl. 30 Kr., zu Wallerstein 7 Gl. 30 Kr., zu Pflaumloch 3 Gl., zu Oberdorf 5 Gl. Die Zahlung einer jährlichen Abgabe für die Benützung der Synagoge hatte zur Voraussetzung, dass dieselbe auf Kosten der Herrschaft errichtet war. Zu den grösseren Baufällen wurde jedoch auch die Judenschaft herangezogen. Als 1727 das mit der Schule verbundene Judenthor zu Wallerstein in so schlechten Zustand sich befand, dass man gänzlichen Verfall befürchtete, wurde die Judenschaft angewiesen, vor Ablauf des Schutzbriefes 120 Gl. zu erlegen. 1806 aber übernahm sie die Verpflichtung, die zur Erbauung einer Synagoge und einer Rabbinerwohnung erforderlichen Baukosten von 12000 Gl. zu tragen, und wurde dabei durch Beiträge auswärtiger Judenschaften und eine fürstl. Baugnade an Baumaterial unterstützt. Auflagen besonderer Art, waren bei den Gemeinden des Ött,Spielbergischen Landestheil» herkömmlich: ein Neujahrsgeld von

96 150 Gl. und 75 Gl. Nördlinger Messgeld. Daran hatten die Juden zu Hainsfart 37 und 181/* Gl., zu Erdlingen 15 und 71/* Gl., zu Schopfloch 10 und 4 Gl. beizusteuern und an die Parnossen zu öttingen zur Einlieferung aD die fürstl. Rentkammer zu abermachen. Abgesehen von diesen beiden Auflagen hatte die Gemeinde der Stadt öttingen für sich allein wegen der ihrethalb den Pfarreien der beiden christlichen Confessionen abgehenden Stolgebühreu jähr­ lich zu zahlen: an die kathol. Stadtpfarrei 24 Gl., den Kirchenmusikern 4 Gl., dem Messner 2 Gl., an die prot. Generalsuperintendur 20 Gl., dem Cantor 4 Gl., den herrschaftl. Alumnen und Stipendiaten 4 Gl., dem Messner 2 Gl. Daneben reichte sie jährlich dem Stadt­ hauptmann 15 Gl., dem Premierlieutnant 10 Gl. Die Judenschaft zu Hainsfart entrichtete als StolgebührenJ) dem dortigen Pfarrer 16 Gl., dem Messner 4 Gl. In Deggingen betrug die Abgabe an den Pfarrer 5 Gl. Die Pfarrei Hürnheim bezog von jedem Juden­ haus in Ederheim eine jährliche Stolgebühr von 22x/2 Kr. Die Judenschaft zu Mönchsroth aber zahlte als besondere Reichniss jährlich 15 Thaler „zum fürstl. Regierungskanzleitax.“ Neben diesen jährlichen Geldsteuern war die Judenschaft auch zu Frohndiensten (Jagd- und Handdiensten) verpflichtet. Mit Ausnahme der Parnossen während ihrer Amtsführung hatten sich die Gemeindeglieder an den Frohndiensten entweder persönlich zu betheiligen oder eine Abfindungssumme dafür zu geben. Diese betrug 1798 zu Oberdorf 2 Gl. für den Hausbesitzer, 1 Gl. für den Hausgenossen. Eine unabweisliche, wenn auch nicht normirte Leistung knüpfte sich endlich an die Vermählungen in den schutzherrlichen Häusern. Die Ött.-Spielb. 'Judengemeinden überreichten ihrem Fürsten Franz Albrecht 1735 eine Hochzeitsgabe im Werth von 153 Gl. Die beiden Gemeinden Schopfloch und Erdlingen, die sich nicht zu einem Beitrag hiezu verstehen wollten, wurden durch herrschaft-

1) Auch die Nördlinger Geistlichkeit unterliess nicht, gelegentlich ein Anrecht auf Stolgebühren jtidischerseits geltend zu machen. 1710 wurde Jakob Salme von Schöllkrippen in der Nähermemminger Flur tod gefunden. Ffarrmessner Ammer­ bacher bat Namens der Geistlichkeit und des Cantor um die Jura Stolae, wurde aber abgewiesen, „zumal der Jud nichts bei sich gehabt.“ Dagegen wurde die Bitte der Judenschaften von Erdlingen und Wallerstein, die Leiche möge ihnen ausgefolgt und durch einen Karrenknecht hinausgeführt werden, unpräjudidrlich gegen Erlag von 12 Gl. für die Unkosten gewährt.

97 liches Decret angewiesen, ihren Theil an den Kosten zu übernehmen. 1783 bestand das Geschenk, das die gleiche Judenschaft zur Ver-. mählung des Pürsten Jos. Aloys II. darbrachte, in 200 Dukaten (1020 Gl. 20 Kr.). Öttingen betheiligte sich daran mit 295 Gl. 44 Kr., Hainsfart mit 253 Gl. 29 Kr., Erdlingen mit 222 Gl., Mönchsroth mit 191 Gl. 41 Kr., Schopfloch mit 66 Gl. Zu diesen die Judengemeinden als solche treffenden Auflagen traten weitere Abgaben für die einzelnen Familien. Letztere zer­ fielen behufs der Besteuerung in ganze und halbe Familien. Zu einer ganzen Familie wurden Verheiratete und Wittwer gerechnet und zwar mit und ohne Kinder, mit und ohne Dienstboten, die Wittwer jedoch nur so lang, als sie sich noch nicht vom Geschäfts­ betrieb zurückgezogen hatten. Als halbe Familie wurden jene ledigen Personen gezählt, die keine Dienstboten waren und sonst zu keiner Familie gehörten; ferner die Wittwen, auch wenn sie oder ihre Kinder die Handelschaft noch forttrieben, dann die Wittwer, sobald sie sich zur Ruhe setzten. Diese beiden Klassen bildeten die schutzbriefmässige Zahl der Judenfarailien, wobei eine ganze Familie eine ganze Nummer erhielt, eine halbe nur eine halbe, so dass z. B. 16 halbe Familien nur als 8 zu der Gesamtsumme der schutzbriefmässigen addirt wurden. Dies Verfahren wurde erst seit 1788 feststehend. Früher wurden die halben Familien bisweilen in die Gesamtzahl der schutzbriefmässigen eingerechnet, bisweilen nicht. Zu der für jeden Ort durch den Schutzbrief festgesetzten Familienzahl traten noch die Überzähligen, denen der Schutz nur „supernumerärisch“ gewährt war. Die ortseingebornen Supernumeräre rückten in die Zahl der schutzbriefmässigen Familien ein, wenn sich ein Abgang derselben ergab, oder wenn die Herrschaft ihre Erhöhung für zulässig erachtete. Fremde blieben immer Supernumeräre. In Wallerstein, Harburg und Pflaumloch hatten die Parnossen das Recht, 3 solcher Supernumerarien aufzunehmen, in Deggingen und Aufhausen 2. Das Einrücken in die schutzbriefmassige Familienzahl und die Begründung eines eigenen Hausstands war mit der Zahlung von 20 Gl. „Consensgeld“1) verbunden. Auch die Verminderung der schutzbriefmässigen Zahl behielt sich die Herrschaft in den Orten vor, wo eine Reihe von Familien zu verarmen begann. Verarmte Familien wurden von der Normal1) Die Zahlung dieser Gebühr, auch ,Judenreceptionsgeld‘ genannt, wurde im 0. A. Baldern schon 1807 sistirt, im bairischen öttingen von 1816 ab.

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98 zahl abgeselzt. In die schutzbriefinäsaige Familienzahl wurden Rabbiner, Vorsänger, Schulmeister1) und Schulklopfer als die s. g. Brödlinge der Judenschaft nicht eingerechnet. Die schutzbriefmässige oder Matrikel-Zahl der jüdischen Familien betrug zu Wallerstein im Jahr 1735: 38, 1779: 34, 1806: 48 (51),2) zu Pflaumlochi. J. 1735: 15, 1779:18, 1788: 15, 1806: 31 (34), zu Oberdorf i. J. 1735: 31, 1752:36, 1798:52, zu Harburg i. J. 1750: 58, 1788: 56, 1806: 48 (51), zu Deggingen i. J. 1750: 25, 1760: 30, 1788: 34, 1806: 38V, (407a), zu Aufhausen i. J. 1806: 36 (38) Familien. Schopfloch zählte i. J. 1800 : 50 Haushaltungen. Die von den einzelnen Familien zu entrichtenden jährlichen Steuern bestanden im Schutz- oder Herbergsgeld und in der Ordinariund Extraordinari-Steuer. Das Schutz- oder Herbergsgeld wurde im Wallersteinischen auf jede Familie eines Ortes ohne Rücksicht auf ihr Vermögen in gleicher Höhe gelegt. J 806 betrug es zu Harburg für die Familie 12 61. (1740: 15 Gl.), zu Deggingen 6 GL, zu Wallerstein 9 Gl., zu Ober­ dorf, Pfiaumloch und Aufhausen 8 Gl. Im Ött.-Spielbergischen be­ trug 1728 das Schutzgeld für jede Familie jährlich 16 GL, 1785

1) Die Zahl der Schul- oder Lehrmeister war beschränkt. 1695 und 1719 wurde der Gesamtjudenschaft von Wallerstein, Pfiaumloch und Oberdorf gestattet, sich 2—3 Lehrmeister auf ihre Kosten zu halten. 1806 wurde bestimmt, dass die Judenschaften zu Harburg und Deggingen 2—3, die zu Wallerstein und Pfiaumloch 2—3, die zu Aufbausen 2 und die zu Oberdorf einen Lehrmeister halten dürften. Sie galten als Gemeinde-Dienstlinge, waren als solche steuerfrei und mussten früher „ledig und frei von allem Anhang“ (Weib, Kindern und Geschwisterten) sein. Seit 1806 wurden auch verheiratete Schulmeister in den fürstl. Schutz aufgenommen, waren aber zur Zahlung eines Schutzgeldes verpflichtet. Dass ein Christ sich mit Unterweisung jüdischer Kinder befassen könnte, galt als ausgeschlossen und verpönt. Als das Oberamt Wallerstein 1594 erfuhr, dass Thoman Schaaf, Sohn eines Unterkochs zu Wallerstein und ehemaliger Dilinger Student, die Neresheimer Judenkinder „teutsch zu schreiben“ lehre, wies es sofort den Einspännigen Jacob Kessler zu Ebnat an, ihn „fänklich einzuziehn und in das Narrenhaus zu legen“ Graf Wilhelm befahl, „obwohl man Ursache hätte, den Sch. mit Ruthen zu einer Strafe zu züchtigen, ihn des Gefängnisses zu erlassen, ihm sein Unrecht ernstlich zu verweisen und aufzuerlegen, dass er sich der Juden mit der Kinder Leraung und Unterweisung zur Euhe stehe und sonst aller Ehrbarkeit befleisse.“ 2) Die eingeklammerten Zahlen sind mit Rücksicht darauf beigefügt, dass die Pamossen zu Wallerstein, Pfiaumloch und Harburg seit 1806 zur Aufnahme von je 3 Familien berechtigt waren, die zu Deggingen und Aufhausen von je 2.

99 aber bestanden in Öttingen 4 Klassen von 12—4 Gl., in Hainsfart von 9—2 Gl. und in Mönclisroth von 10—3 Gl. Wer hier mit 5 Quartalen im Rückstand blieb, hatte den Schutz verwirkt. Zu Erdlingen erhob der Johanniter-Orden ein jährliches „Recognitionsgeld“ von 8—4 Gl. Verarmte Familien zahlten nur einen Schutz­ gulden, wohl auch gar nichts. Vom Schutzgeld waren die „Brödlinge“ der Judenschaft befreit.1) Die Ordinari- wie die Extraordinaristeuer waren schon 1649 in Übung. Die Ordinaristeuer wurde auf Häuser und Grundstücke umgelegt, war ihrer Natur nach stabil und wurde bei der Rentkammer verrechnet. Die Extraordinaristeuer wurde jedes Jahr zu Michaelis festgesetzt und ausgeschrieben. Sie floss in die Land­ schaftskasse, die daraus Römermonate, Kammerzieler, Kreisgelder, Gesandtschaftskosten, Soldatenlöhnungen u. a. allgemeine Landesan­ lagen bestritt. Die Pflichtigen hatten hiezu von jedem Gulden des ihnen auferlegten Schutzgeldes 6 Kreuzer zu entrichten. Die späteren Schutzbriefe schreiben den Nachweis eines be­ stimmten Vermögens für solche Juden vor, die während ihreri Dauer um Aufnahme in den Schutz nachsuchten. 1740 war dies für Söhne einheimischer, hausgesessener Juden zu Öttingen auf 500 bis 1000 Gl., für Fremde zu Öttingen und Harburg auf 1000 GL, zu Deggingen und Hainsfart auf 750 Gl. festgesetzt. 1785 mussten zu Öttingen die Einheimischen mindestens 500 Gl. nachweisen, Fremde 2000 GL; zu Hainsfart und Deggingen die ersteren 300 GL, die letzteren 1000 GL, zu Oberdorf 1798 jene 400 Gl., diese 600 Gl. Der Schutzbrief von 1806 verlangte von Einheimischen zu Wallerstein und Harburg ein Vermögen von 1000 GL, von Fremden 1500 GL, zu Pflaumloch, Deggingen und Aufhausen 600 und 1000 GL Die Oberämter sollten den Nachweis des angeblichen Vermögens auf das eingehendste untersuchen und die dabei in Anschlag kommenden Häuser durch christliche, im Protokoll mit Namen aufzuführende Taxatoren schätzen lassen. Wenn sich bei Todesfällen die Herrschaft über den Stand des Vermögens unterrichten wollte, so mussten die Parnossen den Nach­ weis unter des Rabbiners und ihrer eignen Unterschrift dem Amt vorlegen. Jüdische Vormünder hatten über die Vermögensverwaltung ihrer Pflegebefohlnen den Oberämtern jährlich Rechnung zu stellen. 1) Die Krone Württemberg sistirte von 1811 ab den Bezug dieser Schutz­ gelder von Seite des fürstl. Hauses öttingen.

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100 Starb eine schutzverwandte Judenfamilie aus, wobei der herrschaft­ liche Fisous succedirte, so war dies von den Parnossen bei Strafe der Landesverweisung und Vermögensconfiscation sofort anzuzeigen. Verheiratete ein Jude Sohn oder Tochter, so war esihmunverwehrt, dieselben nach Anzeige beim Oberamt bis zu einem Jahr gegen Entrichtung von 2 Thalern bei sich zu behalten. Die Neu­ verheirateten durften kein selbstständiges Geschäft austtben. Im Schutzbrief von 1806 aber wurde dies s. g. Kostjahr1) ganz abge­ schafft und die Verheiratung von Judenkindern nur gestattet bei Abgang einer Familie oder im Gnadenweg bei der Aufnahme zum Supernumerarius. Jüdische Ehepacten, worin häufig Reuegelder be­ dungen wurden, sollten nur verbindliche Kraft haben, wenn die Ver­ lobten den landesherrlichen Schutz ausgebracht hatten. Der Erwerb von Häusern hing anfänglich vom herrschaftlichen Consens ab. Später wurde dieser nur beim Erwerb von Christen­ häusern verlangt. Häuser, die aus jüdischem Besitz durch Kauf oder Erbschaft an andre Juden übergingen, konnten sogleich von Amtswegen zugeschrieben werden. Die Juden wurden auch der zu ihren Häusern gehörenden Gemeinderechte, z. B. in Trieb, Trab und Weidbesuchung, theilhaft, sollten sie aber „bescheidentlich“ gebrauchen. Ross und Vieh, mit dem der Jude handelte, durfte nur nach vor­ gängiger Besichtigung auf die Weide getrieben werden. Der Hauseigenthümer hatte die auf den Häusern haftenden Lasten und Servi­ tuten zu tragen, war aber vom Todesfall und Hauptrecht befreit. Nur die Juden des Ött. - Spielbergischen Landestheils und die zu Deggingen waren verpflichtet, bei Todesfällen das Hauptrecht zu geben. Dies betrug 5 Gl. von je 500 Gl. des in der Schatzung an­ gegebenen Vermögens. Es wurde jedoch nur von wirklichen Haus­ besitzern, nicht aber von Hausgenossen eingezogen. 3. Geschäftsbetrieb. Für den jüdischen Geschäftsbetrieb in den öttingischen Gebieten waren die (Abschn. III. S. 86 und 87 erwähnten) Reichspolizeigesetze von 1530 und 1532, sowie die vom 1548 und 1551 massgebend. Ihre all­ gemeine Fassung machte mit der Zeit eine Reihe von Ausführungsbe­ stimmungen nothwendig, die zumeist dem 18. Jahrhundert angehören. Als Zins wurden jüdischen Darleihern früher wohl die bei der 4. Nördlinger Gemeinde üblichen Procente, 1444: 52 bis 862/s°/o, 1 Abschn. II. S. 46.

101 1596: 10#/o. 1620: 7—7»/,%. 1649: 5-6®/0, 1671: 6®/0, im 18. Jahrhundert meist 7% (zu Oberdorf 1735 und Wallerstein 1752 „höchstens“ 8%), 1806: 7% zugestanden.1) Anlehen bis zu 50 ÖL, die nur auf einige Monate aufgenommen wurden, unterlagen dieser Beschränkung im vorigen Jahrhundert nicht; bei diesen wurde weder das „Douceur“ bestimmt, noch auch Protokollirung erfordert. Da­ gegen war es den Juden bei Strafe des Kapitalverlusts und des doppelten Kapitalbetrags untersagt, sich über die erlaubten Procente noch Geld oder Waaren oder sonst immer etwas einzubedingen oder anzunehmen. War übermässiger Wucher nur erst stipulirt und „die Übermass“ noch nicht bezogen, so traf den Darleiher nur die Strafe des Kapitalverlusts. Wer uachweisen konnte, dass der Jude sich unerlaubten Zins an baarem Geld, Flachs, Erbsen, Linsen, Korn u. s. w. einbedungen hatte, erhielt die Hälfte der verfallenen Kapitalsumme. In besondern Fällen sollte aber wegen eines 7% übersteigenden Zinsenbetrags das richterliche Arbitrium nach Recht und Billigkeit nicht ausgeschlossen bleiben. Alle Bestimmungen wegen unerlaubten Zinses galten auch dann, wann der Jude mit fremdem Geld negotiirte. Wurde dem Juden für ein Darlehen ein Hand- oder Faust­ pfand eingesetzt, so sollte er solches in Gegenwart des Schuldners ausführlich in deutscher Sprache beschreiben und das darauf ge­ liehene Geld und den Tag der Verpfändung ordentlich vormerken (1695). Aber es bestand keine Verbindlichkeit zu gerichtlicher Protokollirung solcher Darlehen (1806), ebensowenig bei solchen, die ohne Faustpfand auf gute Treue oder einfache Handschrift her­ geschossen wurden. Letztere sollte aber nicht vom Juden ge­ schrieben werden, sondern vom Entleiher oder einem andern Christen, der den Contraot überdies vorzulesen hatte. Hielt der Christ den bedungenen Zahlungstermin nicht ein, so hatte'der jüdische Gläubiger das Faustpfand vor Oberamt zu bringen und zu gewarten, dass das­ selbe versteigert, ihm aus dem Erlös Kapital und Zinsen, dem Schuldner aber der etwaige Rest zugestellt werde. Eigenmächtige Verfügung über ein Faustpfand wurde strenge bestraft. Handwerks­ zeug als Unterpfand anzunehmen war bei 10 Thalern Strafe unter­ sagt. Minderjährigen Personen ohne eigenes Vermögen durfte nicht über 10 Gl. vorgestreckt, auch nicht über 10 Gl. an Waaren ge­ borgt werden. 1) Die Reichspolizeiordnuog von 1677 gestattete 6*/,.

102 Gerichtliche Protokollirung bei Kontrakten über Kleider und sonstige Waaren und Versicherungen auf liegende Güter war gleich­ falls nachgesehen.1) Güterhändel aller Art aber mussten dem Amt binnen 4 Wochen vom Tag des eingegangenen Kontrakts ab behufs Zuschreibung unter Vorlage des Original-Kaufaufsatzes angezeigt werden, ebenso alle innerhalb dieser Frist mit den erkauften oder verkauften Stücken vorgenommenen Zwischenkäufe. Kauf und Rück- oder Wiederkauf eines Guts, es mochte Hof- Lehen- oder Söldengut sein, war dem Juden gestattet. Er durfte, wie der Christ, den Kaufaufsatz über erkaufte oder verkaufte Häuser, Grundstücke, Vieh u. s. w. selbst zu Papier bringen, aber in Gegenwart zweier christlicher, vom handelnden Christen gewählter Zeugen. Der Aufsatz musste dann vorgelesen und von dem Juden, dem Christen und den Zeugen unterschrieben werden. Verzichtete der Christ auf Beiziehung von Zeugen, so war dies ausdrücklich im Kaufaufsatz zu vermerken oder persönlich bei Amt zu Protokoll zu erklären. Alle Formeln, die geeignet waren, den christlichen Contrahenten zu schädigen, waren unzulässig. Die bei Fristen Zahlungen früher öfter angewendete Ausdrucksweise: 6 mal 6 GL, 5 mal 9 Gl. wurde 1806 verpönt. Der Kaufschilling sollte nach Baarschaft und Fristen deutlich ausgedrückt werden; z. B.: 50^ Gl. baar und 40. Gl. in 8 jährlichen Fristen, jedes Jahr mit 5 Gl. zahlbar. Ebenso wurde es untersagt, dass der Jude dem Christen gegenüber bei Ankäufen sich des vagen Ausdrucks: „Deine Sachen“ bediente: die zum Kauf kommenden Gegenstände sollten einzeln bestimmt angegeben werden. Von Christen, die in erster Ehe, also in Gütergemeinschaft lebten, durfte ein Jude ein HausHof- Mühl- oder Söldengut nur mit Vorwissen der Ehefrau erhandeln, was im Kaufaufsatz ausdrücklich zu bemerken war. Dagegen konnte der Ehemann für sich allein einzelne Grundstücke, Vieh und Fahr­ niss verkaufen. Erkaufte der Jude Güter, worauf Heiligengeld oder Vormund­ schaftskapital haftete, so blieb das Gut der kreditierenden Pflege verfangen, so lang es der Jude besass. Dieser sollte binnen Jahr das Heiligen- oder Kuratelgeld an einen christlichen Besitzer über­ weisen, er konnte aber auch eine gleichwerthige andere Hypothek substituiren. 1) In früherer Zeit galten bezüglich der liegenden Güter strengere Be­ stimmungen. 1493 verboten die Grafen Wolfgang und Joachim ihren Amtleuten zu gestatten, dass liegende Habe an Juden versetzt werde.

103 Es war den Juden gestattet, Häuser, fliegende Lehen, eigene Äcker und Wiesen und Hofgüter zu erkaufen,1) an Zahlungsstatt anzunehmen und zu erhandeln, vorbehaltlich des den Christen ge­ setzlich oder herkömmlich zustehenden Einstandsrechts. Die Juden waren nicht befugt, die an sich gebrachten Christenhäuser zu be­ wohnen, waren aber verbunden, Handlohn und andere darauf haftende Prästanda zu entrichten. Früher durften die Juden dergleichen Güter nicht über Jahr und Tag behalten, sondern sie mussten die­ selben binnen dieser Zeit an Christen verkäuflich abgeben. Diese Frist wurde 1806 auf 1% Jahre erstreckt. Konnte der Jude das Gut auch dann noch nicht verkaufen, so musste er 6 Wochen vor Ablauf der Frist bei der fürstl. Regierung um Verlängerung derselben einkommen. Diese konnte ihm gegen Erlag der zwiefachen Steuer auf ein Jahr gewährt werden. Würde der Jude hierunter „eine Gefährde spielen44 oder das Gut über die bewilligte Zeit hinaus be-

1) Der fürstl. öttingische Rath St. Georgen sah sich 1769 anlässlich der Revision des Harburger Contracten-Protokolls zu folgenden Bemerkungen veranlasst: Es wäre zu wünschen, dass den Juden Häuser- und Güterankäufe untersagt blieben und dass ihnen nur gestattet werde, als Unterhändler oder Makler 2—3% dabei zu verdienen. Aber der Bauersmann könne für sich und ohne den Juden keinen Handel schliessen, weil der Jude immer das dazu nöthige haare Geld in Bereitschaft halte. Und wollte man den Juden Häuser- und Güterverkauf, ihre hauptsächlichste Nahrungsquelle, untersagen, so würden sie kaum ihren nothdürftigen Unterhalt finden und der Herrschaft Prästanda nicht prästiren. — Im Jahro 1768 wurden im Amt Harburg 25 Häuser- und Güterverkäufe und Übergaben abgeschlossen, wobei die Juden wo nicht zur Hälfte, doch mindestens zum Drittheil betheiligt waren und meist einen ganz enormen Profit zogen. Ein Jude kaufte z. B. ein Gut für 2400 Gl. baar und verkaufte es sofort wieder, theils auf Fristen, theils gegen baar in einzelnen Stücken um 3313 Gl., so dass ihm, auch bei Abrechnung fünfprozentiger Zinsen von den Fristen mit 251 Gl., immer noch 662 Gl., also über l/4 seiner Auslage verblieben. — Wenn der Bauer in Nöthen, verkauft er dem Juden einen Acker um 50 Gl. Dieser gibt dem Verkäufer diesen Acker um 75 Gl. zu kaufen, lässt davon 25 Gl. als anticipirende Interessen k 5°/0 stehen, die übrigen 50 Gl. aber auf 4 Fristen mit 5°/0 Interesse. So hat der Jude an einem so geringen Kapital 19 Gl. Profit, und der Bauer muss sein Kapital mit beinahe 40% verzinsen. — Es hängt lediglich von der Willkür der Juden ab, den Preis der Güter immer höher und soweit hinaufzutreiben, dass aus dem Ertrag nicht einmal die Interessen erschwungen werden können und zuletzt der Bauers­ mann zu Grund gehen muss. — Man könnte eine Verordnung erlassen, dass die Juden die von ihnen erkauften Häuser und Güter nur mit 9 - 10°/0 Profit bei Vermeidung von 10 Gl. Strafe für jeden darüber hinausgehenden^ Gulden wieder verkaufen dürften. Es sei ihnen dann aber zu gestatten, von den zu machenden Zahlungsfristen 5% Zinsen zu stipuliren und einzuziehen. (Vgl. Abschn. IV. S. 109 f.)-

104 halten, so sollte es der Confiscation unterliegen. Nachsichtige Amt­ leute konnten mit einer Strafe belegt werden, die dem Werth des von ihnen unangezeigt belassenen Gutes gleichkam.1) Bei dem Handel mit Pferden oder mit Hornvieh war der Jude zur Gewährleistung für die landesüblichen Hauptmängel verpflichtet. Er war auch verbunden, dem christlichen Käufer auf Verlangen an­ zugeben, woher das Vieh komme, und ihm dessen Gesundheitsschein beizubringen. Viehhändel über 10 Gl. mussten früher protokollirt werden (1728), später sah man hievon ab. Wurde ein Jude als Unterhändler (Schmusser) zu Handelsge­ schäften zwischen Christen allein oder zwischen Juden und Christen zugezogen, so musste im Fall des Widerspruchs von Seite des Christen der Jude den förmlichen Beweis führen, dass ihn der Christ als Schmusser beigezogen habe. Im Kaufvertrag sollte die Ver­ wendung des Juden als Schmussers vermerkt und der Betrag des versprochenen Schmusses mit Worten ausgedrückt werden. Wurde nur ein Jude von beiden Parteien zum Handel zugezogen, so wurde das Schmussgeld oder Douceur gemeinschaftlich zur Hälfte getragen. Doch konnte der Christ ihm ein besonderes Douceur aus gutem Willen oder als Geschenk zukommen lassen. Als Schmussgeld war bei Handelsgeschäften bis zu 1000 Gl. 2°/0, bei solchen über 1000 Gl. nur 1% festgesetzt, wenn sich nicht der Schmussjude 2°/0 stipulirt und der Christ sie erweislich zugesichert hatte. Bei Geschäf­ ten, deren Object keine bestimmte Ästimation hatte (z. B. Ausfindig­ machung eines Pachtguts gegen ein Schmussgeld von 50—100 Gl.), sollten Mühe, Kosten, Zeit und allenfallsige Gefahr des Unterhändlers vom Richter bei Streitigkeiten wohl erwogen werden. Bei Bezug über­ mässigen Schmussgelds wurde der Jude um den doppelten Betrag des­ selben gestraft, der Anzeiger erhielt die Hälfte des einfachen Betrags. Mit gleicher Strafe wie übermässiger Wucher waren Handels­ geschäfte bedroht, die von Gefährde für den christlichen Verkäufer begleitet sein konnten, so der schon zu Anfang des 17. Jahrhunderts auftretende Handel auf den 3., 4. oder 5. Pfennig Profit. Auch wurde es streng geahndet, wenn der christliche Verkäufer dem jüdi-

1) Die Spielbergischen Juden

hatten,

um

in

den

Ött.-Wallersteini sehen

Lan desth eilen den Güterhandel treiben zu dürfen, seit 1784 ein jährliches Consensgeld von 400 Gl. zu entrichten. Es kam 1808 in Wegfall. Früher musste ein Consensgeld von 2% des beim Wiederverkauf des Guts erzielten Betrags erlegt werden.

105 sehen Käufer eine gewisse Garantie in der Art leisten musste, dass, wenn der Käufer beim Wiederverkauf nicht eine gewisse Summe an Profit herausschlagen würde, alsdann der Mindererlös dem Verkäufer am Kaufscbilling abgerechnet werden dürfe. Vor dem Ankauf gestohlener oder verdächtiger Sachen sollte sich der jüdische Händler hüten, namentlich von Kirchenschmuok aller Art, von Gewehr und Gegenständen, die das herrschaftliche Wappen trügen. Wurden ihm solche Sachen angeboten, so durfte er sie zwar annehmen, hatte aber bei Vermeidung von Ausschaffung und empfindlicher Leibesstrafe sofort Anzeige beim Oberamt zu erstatten. Der Generalschutzbrief von 1695 verstattete den Juden, allerlei Handtierung und Gewerbschaften, die den zünftigen Handwerkern nicht zu Nachtheil oder Präjudiz gereichten, anzurichten, zu treiben und zu verlegen. Die Verlegung (Feilhalten von Waaren) sollte aber dem Oberamt angezeigt werden. Später wurden namentlich die Hücker als solche genannt, denen kein Eintrag geschehen solle, und 1806 behielt sich die Herrschaft im Wallersteinischen bezüglich des Specereihandels vor, Privilegien an einzelne Juden zu ertheilen oder auch nach Gefallen aufzuheben, während in Stadt und Oberamt Öttingen nur Christen Specereiwaaren führen durften. Der Ött.-Spielbergische Schutzbrief von 1785 erlaubte zwar in einzelnen Fällen jüdischen Ackerbaubetrieb, sprach aber zugleich aus, dass dies keinen Nahrungszweig für sich allein bilden könne, und dass nach der Zunftverfassung den Juden alle Handwerke versagt seien. Er gab ihnen daher „die Handelschaft oder das Kommerz mit allerlei Handthierung und Waaren zu ihrem besseren Fort­ kommen“ frei, indem es ihnen nahe gelegt wurde, in der Residenz­ stadt öttingen Fabriken zu errichten, namentlich Zitz-, Cotton- und Seidenfabriken, an denen es bisher fehle. Im Einzelnen gestattete er ihnen den Gross- und Kleinhandel mit Leinenwaaren und freien Einkauf von Schnellem, Garn und Federn an den Wochenmärkten»), den Verschleiss von rheinischem Hanf, den Handel mit ächtem, aus dem Ausland bezogenem Luckerleder, ebenso mit Weissgerberarbeit, d. h. mit ganz gegerbten oder gearbeiteten Wild-, Bock-, Schaf- und

1) Sie sollten sich dabei alles Schleichhandels, es sei durch „Vorpass ung “ auf der Wörnitzbriicke oder ausserhalb der Stadtthore, durch heimliche Abführung oder Bestellung der Marktleute in ihre Häuser, ferner durch Überzahlung der Preise hei schwerer Strafe enthalten.

106 Kalbhäuten, welche sie von den öttinger Weissgerbern, aber za einem Vorzugspreis (dem s. g. Kaufmannspreis) beziehen sollten. Um den Zünften keinen Eintrag zu thun, sollten sie inländische Fabrikate nur von inländischen Professionisten entnehmen; alle anderen, auch feinere Qualitäten gewisser Waaren durften sie von auswärts beziehen. Dabei war es ihnen zur Pflicht gemacht, auf den Absatz inländischer Producte, vorzüglich der Leinwandwaaren, ins Ausland Bedacht zu nehmen. Amtliche Verzeichnisse der Judenschaften zu Wallerstein, Pflaumlooh und Oberdorf von 1687 gewähren einen Einblick in ihre Erwerbsthätigkeit. In Wallerstein nährten sich von Kramerei, Handel mit Koscherwein, Ringen u. a. 7 Gemeindeglieder, von Pferde* und Viehbandel 17, vom Handel mit Zielfristen und von Ausleihen 2, vom Pferdeverleihen und von Schmnss 1, von nicht näher bezeichnetem „schlechten oder geringen“ Gewerb 7, endlich ein „Betteljud“ vom Sammeln seiner Weiber. Ganze Häuser, darunter 5 „feine,“ besassen 11 von ihnen, Häuslein 4, halbe Häuser 12, ein Viertelshaus 1, während 11 als Hausgenossen in Miethe wohnten, von denen aber 2 „guten Vermögens“ waren. In Pflaumloch fand ein Jude seinen Unterhalt durch Geldausleihen, je einer betrieb Viehhandel und Unterhandel, 3 hatten „schlechtes Gewerb und Vermögen, 6 geringes Vermögen, 2 etwas besseres.“ Von ihnen besassen 2 ein Haus, 7 nur ein Häuslein, 2 theilten sich in ein Haus und 3 andere waren Hausgenossen. Zu Oberdorf sass ein Jude guten Vermögens, 3 mittleren, 1 schlechten Gewerbs und Vermögens, 1 geringen Gewerbs. Sie bewohnten 3 Häuser und ein Häuslein. Über den Vermögensstand der einzelnen Gemeinden geben die den Consensgeldnormirungen zu Grund liegenden Schatzungen im Allgemeinen Aufschluss. Von den Schatzungen der einzelnen Ge­ meindeglieder haben sich leider nur wenige erhalten. 1684 war zu Wallerstein Moyses der Ältere weitaus am verraöglichsten: er ver­ fügte über 12000 Gl.; zwei andre Gemeindeglieder waren auf 3500 und 3000 Gl. geschätzt. Die übrigen 40 Schutzverwandten besassen zusammen nur 27000 Gl. — durchschnittlich 675 Gl. —, aber bei 9 von diesen blieb der Vermögensanschlag unter 100 Gl. In Pflaum­ looh hatte es damals David zu einem Besitz von 5000 Gl. gebracht; die 14 übrigen Gemeindeglieder waren nur von 400 Gl. abwärts bis 50 Gl. geschätzt. In Oberdorf war Löw auf 2300 Gl., Josef auf 1050, Elias Model auf 500, Salomon auf 200 Gl. angeschlagen.

107 Die Schatzung der Judengemeinde der Stadt Öttingen von 1785,1) belief sich bei den 3 wohlhabendsten Gemeindegliedern auf 9500, 7700 und 7500 Gl. Es folgen 5 von 6800—4800, 9 von 3200—2000, 8 von 1950—1000, 8 von 900—500. 11 von 400— 250 Gl. Der Rest von 41 Gemeindegliedern lebte in ärmlichen Verhältnissen: 28 .von ihnen gaben nur Schutzgeld, 13 waren ab­ gabefrei. In Hainsfart betrugen damals die höchsten Schatzungen 10300 Gl., 7800, 7000, 4200 und 3500 Gl. Daran reihen sich 7 von 3000—2000 Gl., 6 von 1850-1100, 14 von 800—400, 6 von 300—150 Gl. 29 unvermögliche Gemeindeglieder (mit 77 Kindern) gaben den Armenschutz mit 2 Gl., 3 andere und 7 Wittwen die halbe Armenschatzung, und ein armer Jude war wegen seines Alters frei. 1779 sassen zu Öttingen 421/2 vermögenslose Gemeindeglieder, s. g. Haushäupter, zu Hainsfart 41, zu Erdlingen 34, zu Mönohsroth 231/,, zu Schopfloch 27, die von Steuerzahlung befreit waren. Das Bild, das diese Zahlen bieten, ist kein erfreuliches. Neben wenigen in behäbigen Verhältnissen lebenden Gemeindegliedern eine mässige Zahl ausreichend bemittelter und eine beträchtliche von solchen, denen es schwer fallen musste, die Existenzbedingungen fflr sich und ihren zahlreichen Familienstand zu sichern. Die Anforder­ ungen, die an den Gemeinsinn der Reicheren herantraten, waren in Folge dessen sehr erheblich, da der Jnde von den christlichen Wohlthätigkeitsanstalten ausgeschlossen war. Dazu kam nooh die drückende Last für den Unterhalt der vielen Wanderbettler unter ihren Glaubensgenossen, die der Heimat den Rücken kehren und das Elend bauen mussten. Zu namhaftem Vermögen gelangten im vorigen Jahrhundert nur die Hofjuden, deren Negotiationen im Auf­ trag der Landesherrn und des Hofes an und für sich reichlich lohnten, aber auch ihren sonstigen Geschäftsbetrieb ungemein förderten. 4. Polizeiliche Anordnungen. Unter den landesherrlichen Verordnungen finden sich mehrere Vorschriften, die in der Absicht erlassen sind, in der jüdischen 1) Im gleichen Jahr erlies« Fürst Johann Aloysius II. den Gemeinden zu Erdlingen und Schopfloch wegen „ihrer dermaligen von verschiedenen Unglücks­ fällen herrührenden Armut bis auf künftig bessere Zeiten“ das jährlich für den Schutz abzuführende Becognitionsgeld. Die drei übrigen Gemeinden seines Landes: öttingen, Hainsfart und Mönchsrotk hatten als Schutzconsensgeld 2400 Gl. zu er­ legen, was sie zur Aufnahme einer Anleihe nöthigte.

108 Einwohnerschaft den Sinn für geordnete Führung des Hauswesens und für Öffentliche Wohlanständigkeit zu heben und Storungen im Verkehr mit der christlichen Bevölkerung fernzuhalten. Vor allem werden die Juden ermahnt, gute Hauswirthe zu sein und nicht zu gestatten, dass ihre Weiber und Kinder ver­ schwenderische Schulden und Verderben mit sich bringende Haus­ haltung führen. Solche Familien konnten, zumal wenn Parnossen Anzeige gemacht und Beweise vorgelegt hatten, nach vorgängig fruchtloser Correction ohne weiteres aus dem herrschaftlichen Gebiet fortgeschafft werden. Ihre Häuser sollten die Juden binnen einer von der Herrschaft zu bestimmenden Zeit in wesentlich guten Bau setzen, sie auch möglichst rein und sauber und die Brunnen und Gossen frei von Unrath erhalten, nichts dergleichen in der Christen Etter und Häuser schütten oder werfen, noch sich der auf den Häusern lastenden Servituten entbürden. Früher wurden die Judenhäuser alle zwei Jahre einer amtlichen Visitation unterzogen. Seit 1806 fand sie jedes Frühjahr statt, und die in Folge davon den Eigenthümern auferlegten Reparaturen waren innerhalb eines bestimmten Termins bei 10 Thalern Strafe auszuführen. In der Residenz Wallerstein war sogar auch eine Herbstvisitation vorgeschrieben. Säumigen war dabei angedroht, man werde ihre Häuser Öffentlich an den Meist­ bietenden verkaufen und ihnen den Ankauf einer anderweiten Wohnung nicht mehr gestatten. Jeden Freitag sollten die'Juden die Gasse vor ihren Inwänden kehren und das Kehricht sofort bei einer Strafe von 2 Thalern auf einen Dunghaufen schaffen. Da man wahrgenommen hatte, dass die jüdischen Garten­ besitzer aus Indolenz ihre Gärten meist verkommen Hessen, so wurde es ihnen eingebunden, die Gärten künftig fleissig zu bauen, Obst­ bäume zu pflanzen, im Früh- und Spätjahr abzuraupen und die Zäune zu unterhalten. Auch Gartenvisitationen wurden von Zeit zu Zeit anberaumt, und saumselige Besitzer hatten empfindliche Strafen zu gewärtigen. Die entwürdigendste aller Beschränkungen, die den Juden auf­ erlegt war, ein besonderes Zeichen am Kleid, das seinem Träger nioht nur Hohn, sondern auch Misshandlung von Seite des PObels zuziehen konnte, ist, wie es scheint, ihm in den Ottingischen Landen erspart geblieben. Wohl hatte noch die Reichspolizeiordnung von 1&30 vorgesohrieben, dass die Juden „allenthalben gelbe Ringe an Rook oder Kappe unverborgen zu tragen" hätten. Da aber die Noth-

109 wendigkeit, seinen Unterhalt zu suchen, den Juden beständig auf die Landstrasse führte, so musste ein offen getragenes Abzeichen, das den Angehörigen einer längst als fast rechtslos betrachteten Race sofort verrieth, bei dem in jenen Zeiten der äussersten Unsicherheit an allen Wegen lauernden Gesindel als besonderer Anreiz zur Ver­ gewaltigung wirken. Ein Mandat Karls V. von 1541 verbot denn auch, den Juden das Tragen von Zeichen ausserhalb ihrer Wohnsitze aufzuerlegen, weil sie dadurch beim Hin- und Wiederziehen in Fährlichkeit Leibs und Lebens kommen konnten. Wenn aber auch in keinem der Ottingischen Schutzbriefe von einem derartigen Abzeichen überhaupt die Rede ist, so deutet doch ein Mandat der Grafen von 1621 darauf hin, dass sie die charakteristische Tracht, wie sie sich für einzelne Schichten und Berufsarten der Bevölkerung herausgebildet hatte, nicht ganz verwischt sehen wollten. In den damals sich immer bedenklicher anlassenden Kriegsläuften erschien den wandernden Juden der Schutz der Ottingischen Geleitsreiter wohl nicht mehr als ausreichend. Sie zogen daher vielfach zu Pferd, mit „Pantelierrohren“, Pistolen und Seitenwehr gerüstet ihre Strasse und unterfingen sich auch, dergestalt als „christliche Kriegsleute“ durch die Residenz öttingen zu reiten. Hierin erblickten die drei regierenden Grafen Gottfried, Ernst und Johann Albrecht eine „gegen des hl. Reichs Ordnung und das uralte Herkommen der Grafschaft“ gerichtete Ungebühr. Künftighin sollten die Juden nur eine Seitenwehr ohne Wehrgehenk führen und sich am Geleit genügen lassen. Zuwiderhandelnde wurden mit Leibesstrafe und Confiscation ihrer Pferde bedroht. Das Ausreiten war den Juden an Ostern, Pfingsten und dem Christtag nicht gestattet, an Sonn- und Feiertagen nur nach vor­ gängiger Anmeldung. 1664 wurde letztere Bestimmung durch Graf Joachim Ernst aufgehoben, dagegen eine hohe Strafe denjenigen jüdischen Gläubigern in Aussicht gestellt, die „an hl. Sonn- und anderen Feiertagen ihre Finanz und Wucherei exercirten, ihre Debitores mit Einforderung ihrer Gelder aufs äusserste beschwerten und denselben nicht wenig zur Entheiligung solcher Feiertage Ursach gäben.“ Selbstverständlich blieb auch an diesen Tagen das Handeln in Christenhäusern überhaupt, sowie das Leikaufhalten in Wirthsund anderen Häusern streng verboten. Im Allgemeinen sahen sich die jüdischen Insassen darauf hingewiesen, an Sonntagen sich still und eingezogen zu verhalten und alles zu unterlassen, was Anstoss erregen konnte, z. B. das öffentliche Waschen. Während der Fasten-

110 zeit und der hoben Feste nebst ihren Vorabenden galten anöh für sie strengere Vorschriften, die namentlich das Hochzeitsbalten mit öffentlicher Musik, Tanzen u. ä. verpönten. Eine gewisse Zurückhaltung hatten sich die Juden auch beim Einkauf von Victualien aufzuerlegen: sie sollten den Christen nicht in den Kauf fallen, sondern ihnen den Vorkauf zugestehen. Die früher geltende Bestimmung, dass der Jude Brod, Kraut, Obst etc., das er betastet hatte, auch behalten und bezahlen musste, kam später ausser Übung. Bei den Wochenmärkten der Residenz öttingen durften Juden erst nach Aufziehung der s. g. Judenfahne einkaufen.1) Um der Judenschaft zu ermöglichen, nach ihren Ritualgesetzen zu leben, war ihr das Schächten von Schlachtthieren und die Ein­ legung von Kauscherwein gestattet. Jedes zu schachtende Stück Vieh war durch einen geschwornen Fleisohschauer zu besichtigen, der auch mittelst der Zollzettel zu constatiren hatte, dass es aus einem unverdächtigen Ort kam. Die Hinterviertel des geschachteten Rindviehs sollten zuerst den christ­ lichen Metzgern angetragen, um 1—2 Pfennige unter der Taxe und mit Einwage von 3 U für jeden Centner überlassen werden. Lehnten diese den Kauf ab, so blieb der Verschleiss den Juden überlassen. Von dieser Beschränkung waren die Juden zu Pflaumloch und Ober­ dorf befreit. Früher durfte eine Haushaltung nur 3 Stück Rind­ vieh jährlich Schächten, später in beliebiger Zahl. Als Schächtgeld wurde für jedes Stück Rindvieh 36 Kr. bezahlt, für Kälber, Schafe, Böcke oder Qeissen 6 Kr. In Wallerstein war seit 1719 jedesmal die Rindszunge zum gräfl. Haus- oder Hofhalt zu liefern. Der Gfraf behielt sich aber vor, statt des Einzelschächtgeldes und der Zungenlieferung von der Wallersteiner Judenschaft sich jährlich 120 Gl. (1735: 50 Reichsthaler), von der Pflaumlocher 30 Reichsthaler zahlen zu lassen. Zu Oberdorf entrichtete 1728 die jüdische Ge­ meinde ein Gesamtschächtgeld von 24 Gl. Wer Kauscherwein einlegte, hatte sofort bei dem Ungelder das gewöhnliche Ungeld zu entrichten. Wollte ein Jude eine förm­ liche Niederlage von Kauscherweinen errichten, so hatte er dies bei

1) Auf eine Beschwerde der Stadt öttingen Ober den Überlauf der Juden von Steinhard und Trendel, die den Bewohnern die Lebensmittel wegkauften und vertheuerten, entschied die Regierung, sie sollten kQnftig nur mehr bei Jahrmärkten >n die Stadt gelassen werden, ausserdem aber sich vor den Thoren behelfen (8. Jan. 1628).

111 Oberamt anzuzeigen und von dem an einheimische Juden versohleissten Wein das Ungeld, von dem an auswärtige Juden abgegebenen aber die Niederlagsgebtihren, wie fremde Weinjuden zu bezahlen. Kein Schutzjude durfte einem fremden Juden eigenmächtig eine Wein­ niederlage gestatten. Zur Abgabe von Wein an Christen war besondere Erlaubniss nöthig. Zu Oberdorf war das Ungeld vom Ceremonienwein gänzlich erlassen. Um die Beobachtung der für den Sabbat geltenden, auf Jerem. 17,22 gegründeten rituellen Vorschrift bezüglich des Tragens von Gegenständen aus den Behausungen leichter zu ermöglichen, umzog die Ortschaften, in denen jüdische Gemeinden bestanden, der die Vereinigung sämtlicher Wohnungen zu einem Gebäude dar­ stellende oder ergänzende Erub oder Eruf (gewöhnlich Aerf genannt) an allen nicht durch Mauer, Thor und Zaun umschlossenen Theilen. Während er in der Begel aus Drahtschranken gebildet wurde, dienten zu diesem Zweck in Wallerstein Holzschranken, für deren Unter­ haltung die Gemeinde bis 1805 jährlich 5 Gl. (in späterer Zeit 9 Gl.) entrichtete. Unter strenge Controle war der Verkehr mit fremden Juden gestellt. Nur nach schriftlicher Erlaubniss der Regierung durfte der Schutzjude einen fremden Juden als „Beisitz“ aufnehmen. Diese musste er gleichfalls einholen, wollte er einen Fremden über 3 Tage als Gast bei sich behalten. Später wurde amtliche Genehmigung schon für einen Aufenthalt über 24 Stunden erfordert. Jeder fremde1) Jude, der die Ottingische Landesgrenze über­ schritt, hatte einen Leibzoll zu erlegen. Dieser gab aber nur die Berechtigung, für einen Tag das Land zu betreten und zu durch­ reisen. Er musste bei längerem Aufenthalt alltäglich erneuert werden und wurde auch beim Austritt aus dem Land abverlangt. Mitgeführte Waaren unterlagen dem Waarenzoll. Der Leibzoll war vor 1651 auf 18 Kr. festgesetzt, wurde aber dann auf 12 Kr. er1) Als fremde Juden galten im öttingischen auch diejenigen Ott. Juden, die ihr schutzherrliches Gebiet verliessen, um das einer anderen Linie des Ott. Hauses zu betreten. Als Ederheim 1709 aus dem Besitz von ött.-ött. an den General v. Elster fiberging, wurde der dortigen Judenschaft die Zollfreiheit fttr das ött.-ött. Gebiet belassen. Hirsch Neumark in Wallerstein erhielt von der Stadt öttingen, der ein eigener Judenzoll zustand, die Vergünstigung, da er ihr einen „sonderbaren Dienst“ erwiesen, ohne Bezahlung des Leibzolls zu beliebigsm Thor, nicht zu dem den Juden zwangsweise angewiesenen Judenthor, nebst seinen gebrödeten Be­ diensteten ein- und ausgehn zu dürfen.

112 mindert; Heiter zahlten 18 Kr. für ihre Person, 3 Kr. für das Pferd.1) Es war aber in der Regel gestattet, dass die Fremden sich und ihr Brodgesinde durch ein jährlich an die Kanzlei abzuführendes Aversum, den „Leibzoll-Bestand“, loskauften. Die Jndenschaften der beiden ansbachischen Orte Steinhard und Trendel zahlten z. B. 1625 einen gemeinsamen Bestand von 48 Reichsthalern, die Syrgensteinsehen Juden zn Zöschingen (bei Dischingen) 10 61. Alle Bewilligungen dieser Art wurden 1670 aufgehoben und die Lösung der Leibzollbillets wieder eingeführt. Man kam jedoch mit der Zeit auf die Ertheilung von Leibzoll - Bestand zurück. Diese wurde zwischen Brandenburg—Ansbach und dem Gesamthaus öttingen in der Weise geregelt, dass jede Bestandlösung für den ganzen Umfang der beiderseiti­ gen Gebiete zu gelten habe. Aber schliesslich genehmigte man den Be­ stand meist nur für eine bestimmte Zollstätte gegen jährlichen Erlag von 5 Gl. 1784 trat die weitere Beschränkung hiezu, künftig den beiderseitigen jüdischen Kabinets- und Hoffactoren, Kammer-Agenten und Residenten die ihnen bis dahin gewährten Zollbefreiungspatente nicht mehr auszustellen, sondern sie zur Abgabe des Leib- und Waarenzolk zu verhalten. Für die Gesamtjudenschaft des deutschordischen Städtchens Lauchheim betrug der Leibzollbestand früher 50 Gl., seit 1784 nur 30 Gl. Der wirtembergische Eisenwerkspächter Blezinger zu Königsbronn löste sich jährlich mit einer SpeziesCarolin (11 Gl.). Die Mönchsrother Judenschaft bezahlte jährlich 40 Gl. an die Reichsstadt Dinkelsbühl für das Recht, in der Stadt und ihrem Gebiet Handel zu treiben. Unter den fremden Juden bildeten ein besonders lästiges und bedenkliches Element die Bettel- oder Schnurrjuden, meist heimat­ loses Volk, das Almosen heischend von Ort zu Ort zog, häufig Krankheiten einschleppte und die öffentliche Sicherheit nicht wenig gefährdete. Zahlreiche Verordnungen, die sich zugleich gegen sie und die Zigeuner richten, deuten darauf hin, dass dies fahrende Gesindel vielfach mit Diebs- und Räuberbanden in Verbindung stand, wenn nicht gar zu denselben zählte. Die Wallersteinische Zollordnung von 1651 bestimmt, dass die Betteljuden, die früher 6 Kr. Leibzoll gegeben hatten, künftig nur 5 Kr. zahlen sollten, möchten sie aus

1) 1706 wurde den Pfalz-Neuburgiachen Handelsjaden ein „Toleranzgeld“ von 45 Kr. für 24 ständigen Aufenthalt im öttingisehen auferlegt, weil es in Pfalz-N. ebenso gehalten wurde.

113 Polen oder anderswoher sein.1) Sie hatten nur bei ihrem Jadeneid anzageloben, dass sie arme Juden seien und einzig and allein dem Bettel nachzögen. Kamen sie durch einen Ort, so durften sie bei der Jadenschaft die s. g. Politen „ablangen“, auf Grand deren sie Verpflegung erhielten. Im Jahr 1719 wurde das öttingische Gebiet mehr als je von Vagabunden und „Gartbrüdern“ heimgesucht, welche die unver­ schämtesten Anforderungen an die Bevölkerung machten und nament­ lich mit Gewaltthaten verknüpfte Überfälle gegen Pfarrhäuser richteten. Man verschärfte die Aufsicht auf alle fahrenden Leute und stellte u. a. auch fest, dass während 4 Monaten allein zu Harburg 7—800 polnische oder böhmische Betteljuden Herberge gefunden hatten. Der Oberamtmann befürchtete Feuersgefahr, weil „dies Gesind dem Tabakrauchen sehr ergeben und öfters 10, 15 oder 20 beisammen in einem Judenhaus auf dem Heu liegen“, über­ dies eine Einschleppung von Seuchen durch „diese unsaubern und kränkelnden Leute“ unter die eingesessene Judenschaft, und erwirkte ein Edict, dass künftighin kein Betteljude mehr im Lande beherbergt werden dürfe, sondern sofort auszuschaffen sei. Die Durchführung dieser Massregel hätte den Judengemeinden an der Heerstrasse eine schwere Last abgenommen, aber sie behindert, einem ihrer vornehm­ sten religiösen Gebote, der Übung der Barmherzigkeit gegen be­ dürftige Glaubensgenossen, nachzukommen. Die Judenschaft zu Öttingen, wo fremde Juden bisher in einer Herberge der mittleren Vorstadt Unterkunft gefunden, bat, diese Gäste wenigstens über Nacht aufnehmen zu dürfen. Die Harburger Gemeinde dagegen erbot sich, ein eigenes Haus ausserhalb des Marktes als Judenherberge bereit zu halten, „damit doch diese armen Leute, die von Battenwiesen oder über Öttingen, also 5—6 Stunden hierher kommen und denen nicht der geringste Aufenthalt dahier gestattet werden solle, einige nöthige Retirade hätten und nicht gar crepiren müssten, wodurch allererst einige Seuche oder tödtliehe Krankheit leichtlich causiret werden könnte.“ In Wallerstein war zur Aufnahme dieser Bettler auf gräflichen Befehl zwischen 1719 und 1727 eine eigene Judenherberge ausser­ halb des Marktes erbaut worden, was sie nicht abhielt, ihre Glaubens­ genossen heimzusuchen. 1806 wurde es jihnen aber untersagt, den 1) Seit _17’21 betrag ihr Leibzoll auf dem Lande nur 2 Er., in der Stadt öttingen aber 6 Er.

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114 Besidenzort zu betreten. Der dortigen Judenschaft wurde aufgegeben, sich mit dem Gastmeister auf der Herberge wegen einer Entschädig­ ung zu vergleichen. Dieser sollte bei Ankunft armer Juden dem Parnos Anzeige machen, der dann dafür sorgte, dass man ihnen Essen in die Herberge brachte. Zu öttingen galt die Vorschrift, dass auswärtige Juden nur zweimal im Jahr sich einfinden durften, um Unterstützung zu erbitten; öfter, aber nicht über fünfmal, konnten Angehörige der Gemeinden Hainsfart, Mönchsroth, Schopfloch, Erdlingen und Steinhard zu diesem Zweck erscheinen. Der Gemeindevorstand ertheilte hiezu jedesmal eine schriftliche Erlaubnis.1) 1) Ein sehr anschauliches Bild von der ungemeinen Belästigung, die durch fahrende Juden den Gemeinden erwuchs, zeichnet der im fränkischen Reichsdorf Gochsheim ansässige Bücherhändler Joseph Isaac im „Journal von und für Franken“ 1790. Damals befanden sich zu G. 26 jüdische Haushaltungen mit einer Gesamt­ schatzung von 7200 Gl. fränk. oder 9000 Gl. rhein. Zur Unterhaltung der Bettler gab jedes Familienbaupt als solches 3 Zeichen (Billette für die Verköstigung) und ein weiteres von jedem Hundert seiner Anlage, zusammen 150. Dieser Vor­ rath an Zeichen war aber regelmässig bereits nach 6 Wochen an die „Bettelgäste“ vertheilt, wurde dann immer wieder erneuert, so dass er im Jahr die Zahl von 1200 erreichte. Jeder Bettler, der ein Zeichen erhielt, bekam von seinem Wirth ein Vesperbrod, wenn er zeitig genug ankam, dazu Abendessen und Frühstück. Fürs Nachtlager musste sein Wirth 1 Kreuzer bezahlen, da die Gemeinde der Reinlichkeit wegen und um Ansteckung zu vermeiden, ein besonderes Zimmer gemiethet hatte, wo die jeweiligen Gäste ihr Nachtquartier fanden. Zur Wegzehrung bekam ein jeder von seinem Wirth 1 Kr., woneben er auch noch einen Umgang bei seinen Glaubensgenossen zu halten pflegte. Wer am Tag vor dem Sabbat ein­ traf, durfte 2 Nächte bleiben und erhielt bessere Verpflegung. Der Bedarf an solchen Sabbatszeichen belief sich auf etwa 450. Das Almosen, das die kleine Gemeinde demnach jährlich spendete, berechnet sich — die einfachen Zeichen zu 10 Kr., die Sabbatszeichen zu 20 Kr. veranschlagt — auf 350 Gl. rhein. Zu diesen Bettelgästen aber kamen jährlich noch etwa 300 Durchzügler, die kein Zeichen erhielten, weil deren täglich nur 8 ausgegeben werden durften, die aber doch Almosen heischten. Auf der jüdischen Gemeinde lastete endlich auch eine Ausgabe von etwa 18 Gl. rh. im Jahr für Fuhrwerke oder Boten, da sonst manche dieser Bettelgäste wegen Schwäche und Alter oder Gebrechen nicht in der Lage gewesen wären, ihren Weg fortzusetzen, z. B. Säugende, Kinder, Blinde, Wahn­ sinnige u. s. w. „Drückender aber,“ versichert der Verf., „als alle diese Auflagen ist die Nothwendigkeit, solche oft Unsaubere, Sieche, Ansteckendkranke in seinem Haus und Zimmer die Essenszeit über zu haben, ihren zudringlichen, oft äusserst unverschämten Forderungen und ihren Klatschereien blosgestellt zu sein, wodurch sie Freunde und Verwandte bei ihrem Herumirren oft hinter einander zu hetzen wissen, um von der Leichtgläubigkeit oder Eitelkeit des einen oder andern Theils Vortheil zu ziehen. Diese bettelnden Horden machen die Landstrassen bisweilen

115 5. Rechtspfl ege. Die Civilrechtspflege stand, soweit sie Streitigkeiten zwischen jüdischen Parteien betraf, dem Rabbiner za, der auch die freiwillige Gerichtsbarkeit über seine Gemeindeglieder ausübte. Alle Streit­ sachen zwischen Juden und Christen aber gehörten vor die christ­ lichen Gerichte, ebenso das ganze strafrechtliche Gebiet. Sonder­ bestimmungen bezüglich der Juden kennt das öttingische Recht mit Ausnahme des jüdischen Eides nicht. Die bei gerichtlichem Verfahren gelegentlich erforderliche jüdische Eidesleistung war mit besonderem Ceremoniel verbunden, das die Feierlichkeit der Handlung erhöhen sollte. Die 1783 zu Wallerstein im Druck erschienene „Ordnung des jüdischen Eids vor christlichen Gerichten“. . (38 S.) enthält neben einer sehr eingehenden Verwarnung vor dem Meineid und genauer Erklärung der jüdischen Eidesformel folgende Bestimmungen. Der Jude hat vor dem Schwur in der Gerichtsstube sein Haupt zu bedecken und mit dem üblichen Segen seine Hände zu waschen. Hierauf muss er seinen gewöhnlichen Talli3 mit den daranhangenden Zizis (die Hauptdecke von weissem Wollstoff mit den von jeder ihrer 4 Ecken herabhangenden Schnüren) unter Aussprechung des jüdischen Segens auf sein bedecktes Haupt legen und die Tephillin (Denkzettel oder Gebetriemen) um den linken, bis zum Gelenk entblössten Arm, wie auch um den Kopf unter dem vorgeschriebenen Gebet befestigen. Dann .wendet sich der schwörende Jude gegen Morgen, nimmt die pergamentene Gesetzrolle in den rechten Arm und legt die linke Hand darauf. Wird aber in minder wichtigen Fällen eine gedruckte hebräische Bibel (Chomesch) ge­ braucht, so legt er seine linke Hand flach auf die Stelle 2. Mos. 20, 7. (Du sollst den Namen Deines Gottes nicht missbrauchen) und leistet so, nach vorhergehender Belehrung und Verwarnung den Eid* Als Zeugen braucht man mindestens 2 Juden, die über 13 Jahre

ekelhaft, wenn man auf ein Lager derselben stösst, wo sie sich in Wäldern und hinter Zäunen sonnen, und es befinden sich oft auch Gauner und Schelme bei ihnen, die Wege und Strassen unsicher machen, wenn sie merken, dass sie den Vorübergehenden gewachsen sind “ Diese Mittheilungen erregten die Aufmerksam­ keit des Würzburger Fürstbischofs Franz Ludwig von Erthal. Er entbot den Ver­ fasser zu sich und liess sich von ihm einen Vortrag über die Verbesserung der Lage seiner nothleidenden Glaubensbrüder halten. Dieser erschien 1791 hebräisch und deutsch unter dem Titel: „Gedanken über Betteljuden und ihre bessere Ver­ sorgung“ und ist dem edeln Kirchenfürsten gewidmet. 8*

116 alt sind, nebst dem Vorsinger oder auch dem Schammasch (Unter­ diener der Synagoge), der die Gesetzrollen vor Gericht zu bringen hat. Wenn in sehr wichtigen Angelegenheiten ein Meineid be­ fürchtet wurde, so konnte der Eid in der Synagoge unter geeigneten Förmlichkeiten abgenommen werden. Dort sollte zunächst ein Rab­ biner oder sonst ein jüdischer Gelehrter dem Juden ins Gewissen reden, der dann angethan mit dem Todtenkleid, das er am langen Tag oder Versöhnungstag trägt, oder vor dem geöffneten Schrank, in dem die Gesetzesrollen aufbewahrt werden, den Eid zu leisten hatte. Es war selbst zulässig, neben den Schwörenden einen Sarg zu stellen, ihn darauf sitzen oder ein Schächtmesser in der Hand halten zu lassen. Alle solche ausnahmsweisen Ceremonien waren aber durch ein Urteil festzusetzen.

Das Hofgericht zu Rotweil. Die Sorge um eine geregelte Rechtspflege, die sich der Haupt­ sache nach durch landeseingesessene Richter vollzog, hatte die Grafen von öttingen wie den Rath von Nördlingen schon früh dahin geführt, sich ein kaiserliches Evocationsprivilegium zu erwirken: Nördlingen 1354 für seine Bürger, die Grafen 1383 für ihre Juden.1) In Kraft dieser Privilegien durfte kein Bürger der Stadt in erster Instanz vor Hof- und Landgericht geladen werden, sondern man hatte in der Stadt vor des Reichs Amman Recht von ihm zu nehmen. Die Juden der Grafschaft aber sollten wegen keinerlei Schuld vor fremden Gerichten erscheinen müssen, es wäre dann, dass dem Kläger vor dem gräflichen Gericht das Recht versagt bliebe. Die christ­ lichen Insassen der Grafschaft unterstanden ohnehin dem Gerichts.bann ihrer Landesherren. Für alle Territorien aber im Bereiche des Schwäbischen Rechts galt das kaiserliche Hofgericht zu Rotweil als übergeordnetes Gericht, während es zugleich auch mit den in seinem Sprengel bestehenden Gerichten auf dem ganzen Gebiete der ge­ richtlichen Streitsachen und der freiwilligen Gerichtsbarkeit concurrirte, sofern diese Gerichte nicht überhaupt eximirt waren oder doch im Besitz eines Evocationsprivilegiums sich befanden. Sollte dasselbe berücksichtigt werden, so musste es zu Rotweil in einer öffentlichen Sitzung verhört, ins Gerichtsbuch eingeschrieben und

1) Abschn. I. S. 30.

117 überdies in beglaubigter Abschrift hinterlegt werden.1) Sa langA nun die Judenschaft im ungestörten Unterthanenverhältniss zu den Grafen und der Stadt stand, trug sie ihre Schuldforderungen vor deren Gerichten aus. An ihre Vertreibung aus einem Theil der Grafschaft und aus Nördlingen aber knüpften sich diesem Wandel der Verhältnisse entsprechende Verordnungen und Gebote. Um ihnen die Spitze abzubrechen, liess sich der jüdische Gläubiger von seinem christlichen Schuldner in dem schriftlichen Schuldcontracte die Zusage geben, dass er auf den ordentlichen städtischen oder gräflichen Gerichtsbann verzichte. Konnte dann der Schuldner nicht zahlen, so ergieng sofort die Ladung vor das Hofgericht zu Rotweil, womit schwere Kosten verbunden waren, da sie selbst für den Fall der Abforderung des Beklagten durch seine zuständigen einheimischen Gerichte ihm zur Last fielen. In der Regel aber erfuhren die Obrig­ keiten erst dann von der Sache, wenn der zahlungsunfähige Schuldner in die Acht erklärt war, deren Vollstreckung sie nicht verweigern konnten. Der Geächtete verlor alle bürgerlichen Rechte, Güter, Ehre und Sicherheit.2) Wie sehr sich das Landvolk hiedurch beschwert fühlte, zeigt der 2. Artikel des Bundschuhs zu Lehen (1513), des Vorläufers des grossen Bauernkriegs, der die Abschaffung des Rotweiler Gerichts forderte. In dem auf dem Augsburger Reichstag 1530 von den Reichsstädten eingereichten Memorial steht die Klage über die Miss­ achtung der ordentlichen Gerichte durch die Rotweiler Gerichts-

1) Das Nördlinger Privilegium war mit den sonstigen Privilegien der Stadt bei dem Hofschreiber zu Rotweil in vidimirten Copien hinterlegt, aber die städtische Behörde musste das immer wieder in Erinnerung bringen. 2) Die Acht- oder Verbietebriefe hatten eine feststehende Form, z. B.: „Wir Wilhelm Grave zu Sultz, des hailigen Reichs Hoverichter zu Rotwil, entpieten den ersamen, wisen Burgermaister und Rate der Stadt Nördlingen unsern Grus, und das Valck Jud zu Wallerstain mit Urtel und rechtem Gericht Joachim Linck und Hannsen Vischern, Loder zu Nördlingen, in die Aberaucht des Hoves zu Rotwil erlangt und schreiben lassen hat, ime auch Verpietshrieve ertaiit sind. Darumhen von Ro. Kay. Mt. unsers allergnedigsten Herrn Gewalte, so gepieten wir euch mit Ernst, das ir die vorgenannten verschriben Achtere by euch noch in eueren Zwingen, Pennen (Bännon) und Gepieten nit enthaltend; husent, herbergent, Essen noch Trinken gebent, auch sonst keine Gemainsami mit inen habent. Wann theten ir das nit, so wurde darumben zu euch nach Recht gericht. Gehen mit Urtel und des Hofgerichts ufgetrugtem Insigel versigelt Montags nach Conversionis Pauli Anno [15]51“ (Auf der Rückseite des .offenen Schreibens das Hofgerichts­ siegel in gelbem Wachs unter einem Stück Löschpapiers).

118 praxis an vorderster Stelle.1) Sie war auch, wie bereits erzählt, der nächste Anlass zu dem vom Nördlinger Rath gegen den Grafen Martin 1536 angestrengten Processe. Aber auch mit des Grafen Vettern, den Brüdern Karl Wolfgang und Ludwig XV., kam es durch seine Begünstigung der Judenschaft in den ihm unterstehen­ den Landestheilen zu Zerwürfnissen. Auf ihr Ersuchen, er möge seinen Juden gebieten, ihren Unterthanen nichts zu leihen oder sie wenigstens vor den ordentlichen Gerichten der Grafschaft zu belangen und nicht nach Rotweil vorzufordern, erwiderte er (23. Dec. 1542), es gebühre ihm nicht, dem kaiserl. und des Reichs Hofgericht zu Rotweil irgendwelche Verhinderung zu thun. Gleichwohl habe er seinen Juden vorgehalten, er habe kein Gefallen daran, wenn sie Hintersessen der beiden Grafen, ohne vorher diese und ihre Amtleute ersucht zu haben, gen Rotweil citirten. Sie sollten auch ohne Vor­ wissen der gräflichen Amtleute auf liegende Unterpfänder nicht leihen. Da ein ernstliches Einschreiten von Seite Graf Martins gegen wucherische Juden nicht zu erwarten war, so sah sich Graf Wolfgang veranlasst, die Hilfe des geistlichen Gerichts des Bisthums Augsburg in Anspruch zu nehmen. Einer seiner Hintersessen, Hans Bissinger zu Balgheim, hatte 1539 und 1541 zusammen 62 Gl. von den Juden Mannle und Abraham zu Wallerstein entliehen. Diese schlugen solchen Wucher darauf, dass sich die Summe bis Anfang des Jahres 1546 auf 270 Gl. erhöht hatte. Der Schuldner erbot sich nun zu Wallerstein vor Martins Käthen, für die 62 Gl. noch weitere 62 Gl. bezahlen oder von 1539 und 1541 ab für Interesse (Gesuch oder Wucher) je von 20 Gl. jährlich 2 Gl. reichen zu wollen. Würden die Juden nachweisen, ihm mehr als 62 Gl. gegeben zu haben, so wolle er das nebst Interessen entrichten. Aber weder die Juden noch Graf Martin wollten das Anerbieten annehmen. Graf Karl Wolfgang wandte sich nun an Dr. Rochus Dilherr in Dilingen und ersuchte ihn, bei dem geistlichen Gerichte des Stifts Augsburg eine Citation wider die Juden auszubringen, damit der arme Mann nicht wider Gott und christliche Ordnung beschwert und verderbt oder mit dem Rotweilischen jüdischen Gericht2) versagt werde. 1) Vgl. Abschn. III. S. 83-88. 2) Der Deutsche Orden, der zahlreiche Unterthanen in unserer Gegend besass, ging um diese Zeit gleichfalls gegen das Kotweiler Gericht vor. König Ferdinand liess sich durch die Vorstellungen des Deutschordens-Hochmeisters Walther von Cronberg von den verderblichen Wirkungen der Eingriffe des Hofgerichts in die Competenz der ordentlichen Gerichte überzeugen und gewährte dem Orden

119 Die scharfe Kennzeichnung des Rotweilischen Hofgerichts als eines jüdischen von Seite des Grafen Karl Wolfgang ist nicht ohne Berechtigung. Denn man hielt hier an der Praxis fest, die einge­ reichten jüdischen Klagen einfach anzunehmen, ohne zu untersuchen, ob nicht die heimatlichen Gerichte des Beklagten zuständig seien. Es hätte ja sonst wohl einen grossen Theil der Klagen von vorn­ herein abweisen müssen, während es schon in der erst auf Antrag erfolgenden Procedur der Remission (Zurückweisung der unberechtigten Klage) eine ergiebige Einnahmequelle besass. Die schwäbischen Kreisstände pflogen über diesen Punct mehrfache Berathungen und sprachen am 23. April 1556 ihre Geneigtheit aus, die Juden wegen Missachtung der ordentlichen Obrigkeit gänzlich aus dem Kreise zu vertreiben. Im Jahr 1563 richteten sie in Betreff der Judencontracte eine Beschwerde an den Grafen von Sulz als Erbhofrichter des kaiserlichen Hofes zu Rotweil, die aber ohne Antwort blieb. Sie beschlossen nun am 20. März 1564, einen besoldeten Syndicus zu ernennen, der gegen jeden Juden, der ihre Unterthanen mit nichtigen Processen vexire, einen Rechtsstreit beginnen und dabei von den Kreisadvocaten unterstützt werden sollte, um das Hofgericht zu ver­ mögen, die Beklagten nicht mehr mit unrechtmässigen Erkenntnissen zu beschweren und in Unkosten zu bringen. Andernfalls sollten sie solche Urtheile wegen offenbarer Nichtigkeit ersitzen lassen und ihre Unterthanen bei den Reichsabschieden handhaben. Da es häufig vorkam, dass Ladungen der Unterthanen an die kaiserlichen Hof- und Landgerichte den Obrigkeiten wegen der ihrerseits besorgten Strafen verhalten blieben, und die Beklagten, die auf die Ladungen nicht erschienen, dadurch in Acht und Oberacht gebracht wurden, ehe die zuständige Gerichtsobrigkeit nur Kenntniss von der Citation erhalten, so einigten sich die Stände dahin, in jedem solchen Fall an das Kammergericht in Speier zu appelliren und bis zu dessen

am 17. März 1542 die Freiheit, kein Jude dürfe ohne der Ordensbeamten Ge­ nehmigung einem Ordensunterthanen leihen, und eine Vorladung an das Hofgerieht oder andere fremdo Gerichte in Schuldsachen sei unzulässig. Zuwiderhandelnde Juden sollten des Kapitals und der Zinsen zu Gunsten des Ordens verlustig gehn. Die auf der Juden Anrufen nach hotweil oder sonstwohin vorgeladenen Ordens, unterthanen brauchten nicht zu erscheinen und alle dort gegen sie erlassenen Ur­ theile seien kraftlos und unbindig. Den Rotweiler Hofrichtem aber wurde bei Nichtbeachtung dieser Freiheit eine Pön von 20 Mark lötigen Goldes, halb an den Orden und halb an die königliche Kammer zu zahlen, angedroht.

120 Entscheidung dem Rotweiler Urtheil keine Execution zu gewähren. Am 5. Mai 1564 sah sich das Hofgericht zu der Erklärung genöthigt, in jüdischen Forderungen fürderhin nichts anderes handeln zu wollen, denn was den Reichsabschieden gemäss zu thun gebühre. Die Stände behielten sich aber vor, wenn einiger Mangel hierin erscheinen würde, ihrer Unterthanen Notturft zu bedenken und diese bei den Reichsordnungen zu handhaben. Am 30. Mai 1590 nahmen sie wieder Anlass zu einer Verabschiedung, wonach den Unterthanen durch Mandate zu gebieten sei, dass keiner einen andern Unter­ thanen der Stände mit Hofgerichtsprocessen fürnehmen und Unge­ horsam mit Gefängniss oder Geld gestraft werden solle. Würden aber wider Unterthanen Verkündungen und Citationes ausgehn, so sollten die Kläger und Impetranten nicht weniger gestraft werden und hätten die dem beklagten Unterthanen verursachten Processkosten demselben wieder zu erstatten. Gegen dieses Vorgehn pro te­ steten Hofrichter und Urtelsprecher des Hofgerichts, auch Bürger­ meister und Rath zu Rotweill) an den kaiserlichen Hof. Kaiser Rudolf 'gab diesem^Protest Statt und erliess am 4. Juni 1590 ein Inhibitionsschreiben, worin er befahl, die beschwerliche Verabschied­ ung wieder einzustellen und das Hofgericht bei so lang hergebrachter Übung unangefochten bleiben zu lassen. Bei den westfälischen Friedensverhandlungen wurde von Seite der schwäbischen Kreis­ stände, wie auch der evangelischen Reichsstände die Aufhebung des Hofgeriohts beantragt. Es wusste sich aber trotz seiner immer tiefer^ sinkenden Autorität bis gegen den Schluss des vorigen Jahr­ hunderts zu behaupten. Gleich seinem Bruder führte Graf Ludwig XV. Klage (1547), weil Graf Martin es geduldet habe, dass die Juden, „mit denen er an allen Märkten, Dörfern und Flecken behängt und geziert sei als wie ein Jacobsbruder mit Muscheln“, seine Unterthanen vor das Rotweilische Hofgericht forderten, wodurch die Privilegien der Graf­ schaft öttingen verletzt worden seien. Zu Wallerstein würde näm­ lich den Schuldverschreibungen ein Verzicht auf die öttingischen Gerichte einverleibt, und wenn dann die armen Leute zu Rotweil

Vi Die Stadt Rotweil hatte ein ganz besonderes Interesse an einem möglichst gesteigerten Geschäftsbetrieb des Hofgerichts, da dessen 13 Assessoren oder Urtheilssprecher zugleich Mitglieder des Stadtraths waren und von diesem alljährlich er­ nannt wurden.

121 in die Acht erklärt würden, so helfe Martin den Juden zu ihrem bezüglichen Wesen. So habe er einen dieser Ächter, Ludwigs Schirmverwandten, durch drei seiner Diener tiberreiten lassen, und diese hätten alle drei mit feuerschlagenden Büchsen auf ihn ge­ schossen, doch sei er unbeschädigt davongekommen. Einen andern habe er der Juden wegen zu Wallerstein gefangen gesetzt. Für unsere Gegend nehmen mit dem Ablauf des Jahrhunderts die ßotweilischen -Vorladungen nach und nach ein Ende. Eine durchgreifende Änderung dieser Verhältnisse ist dem Grafen Gottfried zu verdanken, der es sich sehr angelegen sein liess, das Juden­ schuldenwesen seiner Unterthanen durch eine Reihe von zweckmäs­ sigen Verfügungen (1615—1623) zu regeln und hiezu sogar eine eigene Untersuchungs-Commission anordnete. 1620 setzte er als erlaubten Zins bei kleineren Schuldbeträgen 7—71/2% fest und bestimmte 1623, alle Judencontracte seien vor ihrer Protokollirung dem Landesherrn zur Genehmigung vorzulegen. Criminalprocesse. Von. einem unter Graf Ulrich gegen Nördlinger Juden wegen angeblicher Hostienentweihung eingeleiteten Process ist bereits1) die Rede gewesen. Bei derartigen Anlässen wusste sich der religiöse Fanatismus, aufgestachelt durch alberne Märchen von Wundern, die sich dabei ereignet haben sollten, in der Regel kaum genug zu thun. Aber man konnte den Juden doch nicht nachsagen, dass irgend welche ihrer Satzungen sie zu solchem Frevel führe: er galt immer nur als todeswürdiges Verbrechen Einzelner. Weit bedenk­ licher war der schon im 12. Jahrhundert aufgetretene und auf den Bekennern des mosaischen Glaubens als solchen haftende Wahn­ glaube,2) sie tödteten Christenkinder, um beim Passahfest ihr Herz zu geniessen und ihr Blut zu verwenden.3) Vergeblich hatte Papst Innocenz IV. in einer Bulle (1247) auf das Unsinnige einer solchen rituellen Vorschrift hingewiesen, der alttestamentliche Verbote (z. B. 3. Mos. 17, 10—14) geradezu entgegenstanden, und alle Ver1) Abschn. II. S. 68. 2) In ganz gleicher Weise wurden die Christen der drei ersten Jahrhunderte des Kindermordes bezichtigt^so dass sich einzelne Kirchenväter zur Abfassung von Verteidigungsschriften gegen diese Blutbeschuldigung veranlasst sahen. 8) Auf Grund des mosaischen Gesetzes untersagt auch der Talmud absolut den Blutgenuss, selbst des geringsten Quantums. Nicht einmal der Bissen Brods darf gegessen werden, der sich mit blutendem Zahnfleisch berührt hat.

122 folgungen auf Grund solcher Anschuldigungen mit dem Kirchenbanne bedroht. Der greuliche Wahn ist, durch Zuthaten gleich unsinniger Art verstärkt, wie der Hexenglaube unausrottbar geblieben und hat je und je seine Opfer gefordert. Ein solcher Process wegen angeb­ licher Tödtung eines Christenkindes spielte auch 1555 und 1556 im öttingischen und zwar zu gleicher Zeit in den Gerichtssprengeln der Grafen Ludwig XV. und Friedrich. Den Eheleuten Schwab von Nähermemmingen war am 15. Sept. 1555 ein Kind verloren gegangen. Um über seinen Verbleib Aufschluss zu erhalten, ritt des Kindes Mutter mit ihrem Bruder Tags darauf gen Asbach bei Donauwörth zu einem Wahrsager, der ihr drei Batzen abnahm und den Bescheid gab, wenn sie nach Haus käme, werde sie das Kind finden. Auf dem Heimweg schon ganz in der Nähe ihres Dorfs kamen sie an zwei Weibern vorüber. Die eine von ihnen war eine ihnen bekannte Person, Namens ßüss, aus dem Nachbarort Holheim, die andere eine Landfahrerin, Anna Grävin aus Egelstetten. Letztere hatte auf ihrem Weg ins öttingische gerade die zunächst ihres Heimatortes gelegene Ortschaft Asbach passiren müssen und zweifels­ ohne dort die beiden Fremden gesehn und den Anlass erfahren, der sie zu dem Wahrsager geführt. Als diese nun bei ihnen vorüber­ ritten, bemerkte die ’Grävin: „Da reitet die Frau, die ihr Kind verloren hat, mit ihrem Bruder“. Auf die verwunderte Frage der Rüssin, woher sie das wissen könne, äusserte das thörichte Weib, statt sie über den einfachen Sachverhalt aufzuklären: sie wisse besser, als ein Wahrsager, wo das Kind sei. Sie habe in ihren Brillen gesehen, es sei unter die Juden nach Dorfmerkingen ge­ kommen. Die Schwabin hörte davon und berichtete es dem Comthur zu Erlingen, der die Grävin nach einem vorläufigen Verhör an das dem Grafen Ludwig zuständige Amt Alerheim abliefern liess. Dort führten der Amtmann Wolfgang Frey und der Caplan Joh. Meindlin die Untersuchung gegen die „Verdächterin“, mit deren Leumund es nicht zum Besten stand. Man ermittelte, sie sei eine starke Spielerin gewesen und gelte als halbe Unholdin (Hexe). Am 23. Sept. bekannte sie auf der Folter, sie habe am Steg von Nähermemmingen drei Juden gesehn, die ein Messingbecken in der Hand gehabt. Das Kind sei neben dem Weg an einer Hecke im Becken gestanden, die Juden hätten es gestupft, sein Blut aufgefangen und seien dann mit dem Kind nach Dorfmerkingen gegangen. Als Belastungszeugen traten auf des Kindes Ahnfrau und der Hirt von Dorfmerkingen. Jene erzählte, sie habe eine Person jenseit des Stegs gesehen, die

123 ein Kind unter den Kleidern trug, aber wegen ihrer bösen Augen nicht unterscheiden können, ob es ein Mann oder ein Weibsbild gewesen. Der Hirt sagte aus, er habe beim Eintreiben am Sonntag zwei Juden gesehen, die Tücher auf dem Rücken getragen, der eine von ihnen ein Kind mit hübschen weissen Haaren. Auf seine Frage, was er trage, habe er zur Antwort erhalten: einen jungen Hund. Graf Friedrich hatte es inzwischen nicht unterlassen, nach den Dorfmerkinger Juden fahnden zu lassen. Zweien derselben, Rubin und Schmerlin, gelang es sich zu flüchten; der dritte, Hirsch, wurde in das Gefängniss nach Wallerstein verbracht. Als man ihn mit der Grävin confrontirte, bezeichnete sie ihn als den Juden, der das Kind genommen. Sie wusste aber weder seinen Namen, noch auch die der beiden Geflüchteten anzugeben. Um nun die sich in allen Punkten widersprechenden Aussagen der Gefangenen und der Be­ lastungszeugen einigermassen in Einklang zu ^bringen und nament­ lich auch, um das zur Durchführung des Prozesses gegen den inhaftirten Hirsch nöthige Material zu erhalten, wurde die Grävin am 3. Februar wiederum gefoltert und bekannte darauf, den Inten­ tionen der Inquirenten entsprechend: „Am 15. Sept. sei sie mit den drei Juden auf den Steg bei Nähermemmingen zugegangen. Dort sei ein vierjähriges Knäblein gestanden, für das ihr die Juden 50 Gl. verhiessen. Sie hätte das Kind geholt und den Juden zu­ geführt. Hirsch habe das Kind in ein weisses Tuch gethan,^es über die Achsel geschlagen und so davongetragen. Sie sei mitgegangen, weil ihr die Juden versprochen, sie zu bezahlen. Unterwegs habe ein Hirt den Hirsch gefragt, was er trage, und dieser geantwortet: einen jungen Hund. Sie seien nach Dorfmerkingen und in des Juden Haus gegangen. Dort hätten die Juden das Kind an den Füssen gebunden und mit dem Kopf nach unten aufgehäugt, ihm mit den Händen einen Druck bei dem Hals gegeben und darnach in eine Kammer neben der Stube getragen, wohin eine Jüdin ein Becken und etliche lange Nadeln gebracht. Was weiter mit dem Kind geschehn, wisse sie nicht. Hirsch habe ihr zwar kein Geld gegeben, aber ihr zugesagt, sie werde es in einem Monat bekommen. Wenn man sie um die Sache befrage, solle sie die Unwahrheit sagen, dann >werde sie noch weitere 4 Gl. erhalten. Er beabsichtige auch, die Wahrheit nicht zu bekennen, sondern sich lieber tödten zu lassen. Die Juden hätten ihr auch gestanden, sie müssten Christen­ blut haben, denn ohne dies könnten ihre Weiber keine Kinder ge­ bären, es sei aber auch bei andern weiblichen Umständen erforder-

124 lieh“. Um die rechtliehen Formen zu wahren, wurden zu diesem letzten peinlichen Verhör vier bäuerliche Schöffen des Gerichts Holzkirchen beigezogen, worauf der Spruch ergieng, die Grävin sei wegen begangener Missethat lebendig zu vergraben und zu pfählen. Graf Ludwig begnadigte das arme Weib zum Tod durch Ertränken. Diesem Justizmord wäre wohl ein zweiter nachgefolgt, wenn des Juden Sippe es versäumt hätte, sich zu rechter Zeit an den Kaiser als ihren obersten Schirmherrn zu wenden. Graf Friedrich erhielt ein kaiserliches Mandat, Hirsch gegen Bürgschaft seiner Haft zu entlassen. Aus der von Dr. Leopold Dickh verfassten und am 8. Jan. 1556 bei dem kaiserl. Kammergerichte eingereichten Exceptionsschrift der Juden Sehmuel und Mosse erhellt aber, dass Hirsch trotz des Mandats seiner Haft noch nicht erledigt war, nach­ dem sich seine Freundschaft — Michol und Nathan zu Trendel, Mosse zu Michelbach, Mendlin zu Sontheim und Mendlin zu Pol­ singen — zu einer Bürgschaft von 1000 Gl-, später sogar zu einer höheren Summe bereit erklärt hatte, „um ihn, den jüdischen Privi­ legien entsprechend, vor die kaiserl. Majestät selbst oder vor das Hofgericht zu Rotweil, vor das Landgericht der Vogtei Schwaben oder der Markgrafschaft Burgau oder vor des Herrn Cardinais von Augsburg weltliche Räthe zu stellen und vor denselben seine Un­ schuld und namentlich sein Alibi mit lebendigen Kundschaften darzuthun.1) Der Kammerrichter wurde daher gebeten, den Grafen nochmals dahin zu weisen, den Juden gegen die angebotene genüg­ same Caution freizugeben und vor unparteiische Richter zu stellen.“ Graf Friedrich gewann es endlich über sich, zur Weiter­ führung des Processes den Dr. jur. Hans Niermberger, bischöfl. Rath zu Dilingen, beizuziehn. Hirsch erbrachte den geforderten AlibiBeweis und ward am 30. Juni 1556 gegen Urfehde in Freiheit gesetzt.

1) Rubin und Sehmerlin, die beiden andern Angeschuldigten, erboten sich gleichfalls in einer an Graf Friedrich gerichteten Eingabe zu beweisen, „wo ihrer jeder zu der Zeit, als das Kind verloren worden, gewesen.*' Ihr Entweichen sei nioht etwa einem Schuldbewusstsein beizumessen, sondern „der Befürchtung fänklicher Gefahr und Gewalts.“ Sie müssten bis zur Klärung der Sache an fremdem Ort weilen. Der Graf wolle auch bedenken, „dass die Röm. Kais. Majestät und auch die hepstlich Hochwirdigkeit als die Oberhäupter gemeiner Jttdischeit diese lauter privilegirt, dass sie solcher Bezichtigung halber weder angezogen, noch gefenglich angenommen werden sollten.“

125 In nicht geringer Gefahr schwebte die Jadengemeinde zu Öttingen in den letzten Tagen des Maimondes 1690. Das drei­ jährige Söhnchen des Schneiders Frohmann, der im gleichen Hanse wie sein Zunftgenosse Hans Hopfenstetter wohnte, war eines Abends vermisst worden und wurde am andern Morgen in dem zum Haus gehörigen Schafstall mit durchschnittener Kehle und mit Stroh zu­ gedeckt gefunden. Wieder erwachte der Argwöhn, das Kind sei von den Juden zu rituellen Zwecken getödtet worden, so dass, wie es in der von der öttingischen Regierungskanzlei über den Vorgang aufgenommenen Beurkundung heisst, „es bereits das gefährliche An­ sehn bekommen, dass die unschuldige Judenschaft deshalb von den gemeinen Leuten überfallen werden würde, bis sich durch sonder­ bare göttliche Providenz der Verdacht auf Hans Hopfenstetter lenkte, der bei seiner gerichtlichen Examinirung. das abscheuliche Factum eingestand. Es wurde deshalb darüber ein rechtliches Urtheil ge­ schöpft und an ihm, obschon er vor dem Richttage gestorben, auf gewisse Weise exequirt.“ Die öttingische Regierung verwarnte bei diesem Anlass alle Bürger und Unterthanen, bei Vermeidung höchster Strafe sich bei derlei leidigen Begebenheiten gelüsten zu lassen, wider die Judenschaft das Geringste mit Worten und Werken zu tradieren. Wenn sich auf Jemand einiger Verdacht begangener Übelthat herfürthäte, sei die rechtliche Untersuchung lediglich den gnädigsten Herrschaften zu überlassen.“ Zum Dank für die Er­ rettung aus schwerer Drangsal ordnete die Öttinger Judengemeinde einen jährlichen Fasttag für den 28. Jjar an, der noch besteht.1) Von einem wirklichen durch einen Juden und unter erschweren­ den Umständen begangenen Verbrechen berichtet ein anderer der wenigen auf uns gekommenen, gegen öttingische Juden angestrengten Criminalprocesse. Am 12. Jan. 1611 hörte man Morgens 5 Uhr einen starken Knall im Deutschordenshaus zu Öttingen. Es brach Feuer aus, wurde aber bald gelöscht. Bei dem ersten Sturmschlag hatte man die Stadtthore geschlossen und dann von Haus zu Haus nach dem Thäter gefahndet. Man fand ihn erst Nachmittags, in dem Keller der s. g. Judenwirthin bis an die Knie im Wasser stehend. Es

1) Der Rabbiner Pinchas Katzenellenbogen bestimmte 1832, dass abwesende •oder schwächliche Personen anstatt zu fasten eine Gabe an die Armen spenden sollten.

126 war ein Jude, der lange Jakob, der sofort seine Schuld bekannte und nur um Gnade für sein Weib und seine acht Kinder bat. Sie wüssten nichts von seiner That, zu der ihn nur die äusserste Noth getrieben. Nachdem er fast alle seine Mobilien verkauft, sei ihm der Gedanke gekommen, sich mit des abwesenden Comthurs Silber­ geschirr zu helfen. Er habe bei seinen Angehörigen vorgegeben, nach Kapfenburg gehen zu wollen, um vielleicht dort ein Geschäft zu machen, sei aber um die Zeit der Thorsperre wieder nach öttingen zurückgekehrt. Gegen Morgen sei er in die ihm wohlbekannte Comthurei eingestiegen, durch einen Ofen in des Comthurs Zimmer gelangt, habe dort einen Schreibkasten erbrochen und sich der darin bewahrten Kleinodien und Gelder bemächtigt. Um die Spuren seiner That zu vertilgen, habe er dann aus einem dort stehenden Pulverfässehen eine grössere Menge Pulvers ausgeschüttet, Stroh dazu gelegt und mittelst eines Zündstricks angezündet. Ob­ wohl sich alles den Aussagen des Maleficanten gemäss befand, wurde er doch „etliche mal hart und unterschidlicher Weis, besonders mit Zusammenschraufung des Braunschweigischen Stiefels peinlich be­ fragt, dann auf sein Betheuern, nur die Wahrheit sagen zu wollen, abgelassen und ihm angeboten, Geistliche zuzuordnen, wenn er sich zum christlichen Glauben bekehren wolle, worauf er begehrt, ihn damit nicht zu bekümmern. Was möchte man von ihm halten, wenn er jetzt umfiele? Worauf man antwortete, man halte alle Juden, da sie also absterben, für verflucht. Und ist er Jud den 17. hernach bei den Füssen zwischen zwei Hunden ufgehenket und nach anderthalben Stund durch ein nur mit Wellen oder kleinem Holz von weitem ufgemachtes Feuer — welches der Wind, ohne Zweifel aus Schickung Gottes zu mehrerer vindicta und Bach des nefandi sceleris meistentheils von der Galgenschwenkel getrieben — geprennet und bei einer ganzen halben Stund gequält worden, dass ihm die Kleider von dem Leib geflogen, und er endlich als gepraten seine verfluchte Seel nach ausgeschttttem grossem Geschrei und beschehenem Begehren, ihne zu erschiessen oder das Feuer näher und mit grösseren Flammen ufzuschüren, zeitlich hat ver­ lassen, alles beiwesend mehr denn 4000 Personen“ . . . Bei der Berathung über die dem Thäter zukommende Art der Bestrafung hatten sich verschiedene Ansichten geltend gemacht. Ein Theil der Räthe sprach sich dahin aus, es seien ihm als Brand­ stifter auch noch etliche Griffe mit glühenden Zangen zu geben» Aber darüber war man einig, ihn vor dem Verbrennen die „Juden-

127 strafe“ erleiden zu lassen, d. h. ihn am Galgen bei den Füssen zwischen zwei Hunden aufzuhängen. Nur giengen die Meinungen darüber auseinander, ob man nach der Execution den Galgen stehen lassen dürfe oder ihn verbrennen müsse. Einen ähnlichen Strafakt verzeichnet die handschriftliche Kloster Deggingische Chronik des P. Bernardus Zimmermann (S. 465): „Im Jahr 1583 hat Graf Wilhelm zu Öttingen-Wallerstein einen Juden mit nahmen Abraham Haas bei den Füssen lassenaufhenken und neben demselben einen hungrigen Hund. Er lebte vom 7. December bis den 8. December 12 Uhr. Der Galgen wurde auf dises von den Juden umgehauen und auf Befehl des Grafen auf ihre Küsten ein steinerner mit 3 Säulen aufgerichtet.“1) Diese Strafart des Aufhängens zwischen Hunden war übrigens nicht etwa von ausnahmsweiser Härte der öttingischen Richter dictirt, sondern entsprach den Anschauungen jener Zeit, gemäss welchen man für Leibesstrafen an Juden eine besonders schimpfliche Form wählte. 6. Innergemeindliche Verhältnisse. Rabbiner. Die Generalschutzbriefe beschränken sich darauf, die Beziehungen der Juden zu ihrer Schutzherrschaft und zu der christlichen Be­ völkerung in eingehender Weise zu regeln, überlassen aber die Ordnung ihrer innergemeindlichen, insbesondere religiösen und rituellen Verhältnisse, sowie die privatrechtlichen Abmachungen und die Erledigung von Streitigkeiten zwischen Gliedern der Juden­ gemeinde dieser selbst. Geistliches und weltliches Oberhaupt der Gemeinde war der Rabbiner. Die Wahl des Ortsrabbiners vollzogen die Ortsparnossen unter Betheiligung der 7 vornehmsten Gemeindeglieder, die des Landrabbiners die Parnossenversammlung der einzelnen Landestheile unter Zuziehung der Beisitzer durch Stimmenmehrheit. Sie unter-

1) Ein anderer Eintrag in dieser Chronik zeigt, dass man die Juden auch im Besitz unheimlicher kabbalistischer Künste glaubte. Ihr Schreiber berichtet S. 494: Im Jahr 1612 den 22. October ist das El wangische Kastenhaus abgebrunnen. Ein Jud von Wallerstein, mit Namen Itzing, warf etwas in das Feuer, und versicherte Leib und Leben zu verlieren, wenn es weiter kommen sollte. Es bliebe auch dabei.“

128 lag aber der Bestätigung des Landesherrn oder seiner Regierung. Der Rabbiner hatte als Gelehrter seinen Gerichtsstand unmittelbar bei der Regierung und war von Steuern, Schutzgeldern und Frohndienst befreit, mit ihm auch die übrigen für das rituelle Leben er­ forderlichen, von den Parnossen ernannten „Brödlinge“ der Ge­ meinde — Vorsinger, Schulmeister, Schächter und Schulklopfer — wenn sie nicht nebenbei Handelschaft betrieben. Dem Rabbiner kam die Aufsicht über die religiösen Handlungen in der Synagoge zu. Er hatte die Befugniss, Ehen zu schliessen und zu scheiden, Familien­ verträge und Testamente zu errichten, unter Beiziehung von Parnossen Inventuren und Nachlassregulirungen vorzunehmen, Vor­ münder zu bestellen und deren Rechnungsablagen zu prüfen. Bei Streitigkeiten und Processen zwischen jüdischen Parteien war der Rabbiner die erste Instanz. Die Beklagten waren verpflichtet, vor ihm zu erscheinen und seinem Urtheil Folge zu leisten, wenn sie es nicht vorzogen, binnen 10 Tagen nach vorgängiger Erlegung von 3 Gl. Appellationsgebübr an die Regierung zu appelliren. Über un­ gehorsame Gemeindeglieder übte der Rabbiner oder dessen Substitut eine weitgehende Strafgewalt.1) Sie konnten Geldstrafen bis zu 5 Gl., gegen Ende des vorigen Jahrhunderts auch bis zu 10 Gl. oder eine entsprechende Busse an Wachs auferlegen, die zu gleichen Theilen der herrschaftlichen Rentkammer und den jüdischen Armen zuflossen. Das wirksamste Mittel aber, den Gehorsam zu erzwingen, war der kleine Bann. Er führte den Namen Niddui, d. h. Absonderung. Diese erstreckte sich auf den Umgang mit den übrigen Gemeinde­ gliedern, die dem Gebannten auf 4 Ellen fern bleiben mussten, während der Umgang mit der eigenen. Familie und der Besuch der Synagoge an abgesondertem Platz unversagt blieb. Während der Dauer des Banns, die höchstens 90 Tage währen durfte, sollte sich der Gebannte weder waschen noch putzen und wurde auch nicht mitgerechnet, wenn es sich in der Schule um die zum Gebet erforderliche Zehnzahl anwesender Gemeindeglieder handelte. Blieb der kleine Bann wirkungslos, so wurde der grössere Bann, Cherem (Ausstossung), von der Gemeinde ausgesprochen, der jegliche Gemein­ schaft mit andern Israeliten untersagte, den Unbussfertigen auch

1) Der Schutzbrief von 1695 gestattet dem Rabbi oder seinem Substituten, „die ihnen in ihren Ceremoniis obngehorsamben Juden ihren Ceremonien nach zu züchtigen und ohne herrschaftliches oder anderweitiges Adjudiz abzustrafen.“

129 aus seiner Familie ausstiess und selbst diese aus der Synagoge aus­ schloss. Yon dieser schwereren Bannesform ist erst in den letzten Schutzbriefen die Bede. Sie wird als zulässig erklärt, aber nur unter Genehmigung der Regierung. Fälle von ihrer Anwendung sind nicht bekannt. Mit der Verhängung des kleinen Banns aber pflegte man nicht lang zu zögern. Im Jahr 1656 fand Hayum von Wallerstein den ihm zur Unterhaltung durchreisender Glaubensge­ nossen abgeforderten Beitrag zu hoch. Es wurde ihm, da er schon früher einmal Anstände erhoben hatte, bedeutet, wenn er seinen Beitrag nicht im Lauf des Tages erlege, werde man ihn am Abend in der Synagoge „in die Acht schreien“, was auch geschah. Hayum drang mit seiner Beschwerde bei der Regierung nicht durch, sondern wurde angewiesen, die Sache vor unparteiische Rabbiner oder vor die hohen Schulen zu Frankfurt oder Prag zu bringen. Ein gleich summarisches Vorfahren wurde 1778 eingehalten, als Salomon Säokle von Pflaumloch und Genossen gegen Hayum Löw von Wallerstein wegen verweigerter Betheiligung an einem angeblich unter ihnen verabredeten gemeinsamen Güterhandel klagten. Der Landrabbiner zu Wallerstein citirte den Beklagten unter Strafandrohung von 1 Thaler, noch am gleichen Vormittag bei ihm Vorstand zu leisten. Hayum forderte einen Tag Aufschub, um bei dem Pfleger von Kirchheim ein Attest zu erholen, dessen er bedürfe, um nicht zu einem nachtheiligen Vergleich mit den Klägern gezwungen zu werden. Sein Begehren blieb unbeachtet. Dafür erschien der Schulklopfer mit dem Anbringen der Parnossen, er habe bei 8 Thalern Strafe Nachmittags der Ladung Folge zu leisten. Bleibe er aus und erlege dann die Busse nicht sofort, so werde er am Abend in der Schule mit dem Bann belegt. Hayum wandte sich im Lauf des Tags an das Wallersteiner Oberamt, das „wegen des Ungestüms der Kläger und des despotischen Verfahrens von Rabbiner und Parnossen“ den Handel vor sein Forum zog. Auf Beschwerde des Landrabbiners erkannte die Regierung, die anfänglich ausgesprochene Strafe von 1 Thaler wegen Ungehorsams sei aufreoht zu erhalten, dagegen die von den Parnossen dictirte, Busse von 3 Thalern als unzulässig auf­ zuheben. Die Sache aber gehöre nicht vor das Oberamt, sondern sei als Streitsache zwischen jüdischen Parteien vor dem Rabbiner zur Entscheidung zu bringen. Bei besondern Vorkommnissen standen dem Rabbiner auch andere Strafmittel zu Gebote. Etwa im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts ereignete sich in der Wallersteiner Synagoge ein Tumult. Der Rabbiner hatte sich veranlasst gesehen, 9

130 das Gemeindeglied Hirsch bei Ertheilung des Segens zu übergehn, vorauf dieses sich beikommen liess, dem Rabbiner vorzusingen. Diese Ungehörigkeit trug ihm nicht nur eine Tracht Schläge ein, sondern auch eine Bestrafung, deren Bemessung man den beiden Rabbinen Henoch und Simon Hirsch von öttingen übertrug. Diese erkannten, Hirsch solle an den beiden nächsten Montagen und dem dazwischen liegenden Donnerstag fasten, in der Synagoge vor die Thora treten und Gott um Verzeihung wegen seiner Sünde, den Rabbiner wegen der Schmähung und die Gemeinde wegen des Ärgernisses bitten. Während der nächsten beiden Monate dürfe er nicht zu der Thora aufgerufen werden. Dazu habe er eine drei­ pfündige Wachskerze zu stellen, die alle Abend angezündet werden solle, bis sie verbrenne, der Herrschaft aber 2 Thaler Strafe zu geben. Auf eine Vernehmung derer, die den Frevler geschlagen, Hessen sich die Richter nicht ein, „weil sie selbige selbst bei einem von ihnen abgelegten Geständniss ihrem Ceremonial nach nicht strafen konnten“. Die festen Bezüge eines Landrabbiners zu Wallerstein be­ standen in der Regel in einem Jahresgehalt von 50—70 Gl. bei freier Wohnung.1) Er war dagegen verpflichtet, in der Synagoge zu erscheinen und dort seines Amtes zu walten, jährlich zweimal zu predigen und der Gemeinde Aufschlüsse über Fragen des Religiousgesetzes zu ertheilen. Für alle sonstigen Amtshandlungen hatte er nach alter Observanz bestimmte Gebühren zu beanspruchen.2)* * *

1) Der feste Gehalt eines Landrabbiners zu Öttingen betrug 1731: 25 Gl., 1747,: 45 Gl., 1764: 90 Gl. Nach Aufhebung der jttd. Gerichtspflege (1811) wurde der Gehalt für den ött. Rabbiner auf 400 Gl. festgestellt, wovon die öttinger Gemeinde 188 Gl., den Best die Landgemeinden zu tragen hatten. 2) Im vorigen Jahrhundert erhielt der Wallersteiner Landrabbiner für Ehecontracte bei einem Heirathsgut bis zu 300 Gl. von jedem Tbeil 1 Gl.; war es hoher, l1/, Gl.; bei Copulationen l°/0 von einem Heiratsgut bis zu 400 Gl., von dem Mehrbetrag bis zu 1000 Gl. Vs0/,, und von dem Mehrbetrag über 1000 Gl. 1U>U< dazu von der Chuppoh (dem Trauhimmel) 1—2 Gl.; bei der Eidesleistung einer Wittwe bezüglich der Morgengabe im Betrag bis zu 600 Gl. 4 Gl. 30 Kr., vom Mehrbetrag bis 1500 Gl. Vs0/»» von höheren Beträgen 1/8°/0; von einer Scheidung IQ Gl.; bei verweigerter Leviratsehe „vom Gesatz des Schuhauszugs“ 71/a Gl.; für Inventuren bei einem Vermögen bis zu 600 Gl. V/Zo; von 600—1500 Gl. 8/8°/„i für Rechtssprechung in Schuldsachen bis zu 5 Gl. von jeder Partei 7•/, Kr., von 5—50 Gl. vom Gulden Vs Kr., von Mehrbeträgen 30 Kr.; für eine schriftliche Oitation 6 Kr.; für jeden von ihm geschriebenen Gontract von jedem Thcil 221/, Kr.;

131 Id öttingen, der gemeinschaftlichen Residenz der Linien öttingen - öttingen und Ött.-Spielberg war auch längere Zeit der Sitz von zwei Rabbinaten für die beiden Landestheile. Dem ött.öttingischen Landrabbiner unterstanden die Gemeinden zu Hainsfart, Mönchsroth, Harburg, Deggingen, Ederheim und die eine Gemeinde zu öttingen, zu dem Sprengel des ött.-spielbergischen Landrabbinats gehörte die zweite Gemeinde zn Ötttingen nebst den zu Schopfloch und Erdlingen. 1743 schieden in Folge der Erbschaftsregelung des 1731 er­ loschenen ött.-öttingischen Hauses die Gemeinden von Harburg und Deggingen aus dem Verband des Landrabbinats öttingen aus und wurden dem Landrabbinat Wallerstein zugetheilt, so dass von nun an zum Bezirk des ött.-spielbergischen Landrabbinats die nun wieder zu einer Gemeinde vereinigte Judenschaft zu öttingen und die Gemeinden Hainsfart, Mönchsroth, Schopfloch und Erdlingen zählten.*1) Das Landrabbinat zu Wallerstein bestand seit jenem Abkommen aus den Gemeinden zu Wallerstein, Pflaumloch, Harburg und Deggingen und führte gegen Ende des Jahrhunderts auch die religiöse Aufsicht über die beiden Gemeinden der Grafschaft Ött.-Baldern, Oberdorf2)3 *und *** Aufhausen. Die Nachriohten über die Besetzung der Rabbinate in den einzelnen Landestheilen sind sehr lückenhaft und reichen nicht über die Zeit des dreissigjährigen Krieges zurück. Im Wallersteinischen amtirte während desselben etwa von 1630 ab ein „Rabini“8), dessen

für Promotion eines Rabbiners 3 Gl.; für Examinirung und Promotion eines Rabbiners 3 Dukaten; für Approbirung eines Schächters 21/a Gl. Ward ihm die Vermögensschatzung der Gemeinde übertragen, so bezog er dafür 6 Gl. 1) Ederheim gieng mit dem Judenschutze daselbst 1750 an den Deutschen Orden über. Die Zwistigkeiten der Gemeinde legte noch 1719 und 1724 der Rabbiner Abr. Mahler zu öttingen bei. Später wurden ihre Verhältnisse von der Statthalterei zu Mergentheim geordnet. Bei der 1785 vorgenommenen Wahl des ött. Landrabbiners blieb sie deshalb unbetheiligt. 2) Die Oberdörfer Gemeinde wurde 1763 zur Wahl des Wallersteiner Land­ rabbiners beigezogen. 3) Sein Name findet sich nicht in den Acten. Es ist vermuthlich Pinchas Katzenellenbogen, der spätere Schwarzenbergische Landrabbiner zu Marktbreit, ein Nachkomme des Rabbi Schaul Wahl, der nach der Tradition während der auf den Tod Stefan Bathori’s in Polen erfolgten Parteikämpfe provisorisch eine Nacht lang die Präsidentschaft des Wahltags besass (A. Bernstein: Mendel Gibbor. 1865. S. 94. Ein Stammbaum der Katzenellenbogen findet sich in Löwenstein: Beitr. z. Gesch. d. Juden in Deutschland. 1895. I. Beil. 15.).

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Bezirk die Grafschaft Öttingen-Wallerstein, Neresheim und Baldern umfasste. Die Gemeinde Wallerstein reichte ihm 50 Gl. als Jahres­ sold; einen weiteren Jahresbezug von gleicher Höhe hatte ihm die Familie Hänlin zugesagt, aber nicht geleistet, weshalb er den Bann über sie verhängte. In den ersten Jahren nach dem Krieg besass die Grafschaft kein geistliches Oberhaupt, und die richterliche Gewalt lag einstweilen in den Händen der Parnossen. Im Oct. 1655 erscheint Hirsch Jacob als „Rabini“ mit der ausnahmsweisen Befugniss, auch über Zank- und Schlaghändel zu richten, die von Kauf und Tausch, Anleihen und Handelsverkehr herrührten. Seine Besoldung sollte er von den Familien erhalten, die von Alters her am Friedhof zu Wallerstein Theil gehabt. Über die Zeit seiner Amtsdauer und die seiner nächsten Nachfolger liegen keine Berichte vor.1) Es ist nur gelegentlich vom Aufzug eines neuen Rabbiners im Jahr 1715 die Rede. 1730 wurde zum Landrabbiner Isaak Israel von Prossnitz erkoren, in dessen Amtsführung die mit dem Erlöschen der fürstl. ött.-öttingischen Linie zusammenhängende, 1743 erfolgte Einverleib­ ung der Gemeinden Harburg und Deggingen in das Wallersteinische Landrabbinat fiel, das bisher nur aus den Gemeinden Wallerstein, Pflaumloch und Oberdorf bestand. Bei dem Tode Israels (1750) wünschten Harburg und Deggingen das alte Verhältniss zu dem öttinger Landrabbinat wiederherzustellen und unterliessen es, als ihrer Bitte nicht stattgegeben wurde, Deputirte zur Neuwahl nach Wallerstein zu senden, wofür sie von Graf Philipp Karl einen scharfen Verweis erhielten. Die Wahl traf am 4. Jan. 1751 den Rabbi Hirsch Kohn aus Fürth. Nach seinem am 4. Sept. 1763 erfolgten Tod gaben ihm die Gemeindevertreter seinen Sohn Isaak Hirsch Kohn zum Nachfolger unter Betonung des Grundsatzes, dem qualificirten Sohn eines gewesenen Ortsrabbiners den Vorrang vor allen Mitbewerbern einzuräumen. Als Isaak Hirsch 1772 das Amt eines Landrabbiners zu Bonn annahm, trat an seine Stelle wiederum mit Rücksicht auf diesen Brauch Benjamin Hirsch Kohn, bis dahin Fürstl. Schwarzenbergischer Landrabbiner zu Marktbreit. Er wurde wie sein Vater nach Bonn berufen und erhielt bei seinem Abgang das ehrende Zeugniss, dass ihn wegen seiner tadellosen Amtsführung

1) In einem amtlichen Verzeichnis der Wallersteiner Judenschaft von 1687 ist bei Seligmann dem Grossen oder Dicken bemerkt: Verdient viel, weil er im Beschneiden und sonst als ein Rabbi sich gebrauchen lassen, handelt mit Ringen u. b. w.

1S3 seine Gemeinden ungern scheiden sähen. Trotzdem legte ihm die Regierung eine Nachsteuer von 300 Gl. auf, was früherer Übung widersprach. Doch ertheilte man ihm, wie seinen Vorgängern, einen Zollbefreiungspass für die zahlreichen ausherrischen Zollstätten. Im Aug. 1789 wurde durch einstimmige Wahl der Parnossen Ascher Löw, früher Landrabbiner zu Niederwerrn in Franken, zum Landrabbiner ausersehen. Er entstammte gleichfalls einer Rabbiner­ familie — sein Vater1) war Stadt- und Landrabbiner zu Metz — und erhielt als Tochtermann eines Wallersteiner Landeskindes, des Hoffactors und Rabbiners Samuel Wolff, den gebührenden Vorzug vor seinen Mitbewerbern. Seine Amtsführung wurde ihm jedoch nicht leicht gemacht. Vor seinem Amtsantritt galt in der Waller­ steiner Synagoge der Brauch, dass der Rabbiner dreimal des Jahres, an Ostern, Pfingsten und am Laubhüttenfest, die Thora in der Hand vor jedes einzelne Gemeindeglied hintrat und ihm wünschte, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs möge ihn segnen, wie er deren Söhne gesegnet. Löw zog es vor, vom Almemor (der Kanzel) aus diesen Segen über die ganze Gemeinde zugleich auszusprechen, womit diese sich einverstanden erklärte. Aber mit der Zeit hatte sich eine Partei in der Gemeinde gebildet, die ihm nicht wohl wollte und, die Parnossen an der Spitze, sich 1797 an die fürstl. Regierung mit einer Beschwerdeschrift wandte, die sich hauptsächlich gegen diese Neuerung richtete. Nebenbei wurde gerügt, dass der Rabbiner in seiner Wohnung mit Verheirateten Schule halte und sich persönliche Anspielungen in seinen Predigten erlaube. Löw wies darauf hin, dass das Schulhalten in der Wohnung des Rabbiners auch in Fürth, Prag und Metz gestattet sei, dass es auch der letzte Rabbiner zu öttingen Jahre hindurch ebenso gehalten habe, and dass zumal die angesehensten Talmudlehrer es für religiöser hielten, das Gebet in ihrer Wohnung, wo sie studierten, als in der Synagoge zu ver­ richten. Die Regierung entschied zwar, der Rabbiner habe wie seine Vorgänger jährlich dreimal den Segen Stand für Stand zu geben, Schule mit Verheirateten an den bisher gewöhnlichen Tagen nur in der Synagoge zu halten, auch in den zwei ihm obliegenden

1) Löw ben Ascber stammte ans Minsk und fungirte zu Metz 1765—1785. Er machte sich durch eine unter dem Titel Schaagat Aijeh (Brüllen des Löwen) herausgegebene Sammlung von Rechtsgutachten über den Ritualcodex bekannt, die so Tolksthümlich wurde, dass man ihren Verfasser selbst Rabbi Schaagat-Aijeh nannte.

134 Predigten Niemanden Anlass zur Klage zu geben, verwies jedoch in ernstlicher Weise die bei diesem Anlass unter der Gemeinde hervor­ getretene Gehässigkeit. Mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts aber bemächtigte sich eine fortschrittliche Bewegung der Gemeinde. Man hielt die Zeit zur „Abschaffung unnützer Ceremonien und zur Ver­ einfachung des Gottesdienstes“ für gekommen. Da durfte auch das zeitraubende Segensprechen Stand für Stand nicht länger mehr stattlinden. Es hatten sich ohnedies erhebliche Misstände daran geknüpft. Bei seinem Beginn pflegte sich ein Theil der Gemeindeglieder zu entfernen, andere beschäftigten sich während dessen mit „unnützen und entweihten Gesprächen,“ und nicht wenige fanden sich zurück­ gesetzt, wenn die Reihe des Segensspruches erst spät an sie kam. Der Landrabbiner fügte sich gern einer von den Parnossen und andern angesehenen Gemeindegliedern an ihn ergangenen Aufforderung) von nun an wieder nur der ganzen Gemeinde den Collectivsegen zu ertheilen. Aber die Fürstinwittwe Wilhelmine Friederike erkannte in diesem Vorgehn eine sträfliche Eigenmächtigkeit, da es gegen die Bestimmung ihres in Gott ruhenden Gemahls vom 21. Mai 1797 verstosse, und verurtheilte am 17. Aug. 1803 jeden Unterzeichner der Petition an den Landrabbiner zu einer noch am gleichen Tage zu erlegenden Busse von 4 Dukaten, die sie der KrankenhausBaukasse überwies. Der Landrabbiner kam mit einer Rüge durch. Die Fürstin war hier offenbar zu weit gegangen, denn nach Massgabe der Schutzbriefe lag es ausschliesslich in der Befugniss der Gemeinde, ihre religiösen Ceremonien im Einverständniss mit dem Rabbiner zu ordnen, und die fürstl. Regierung war 1797 zu ihrem Einschreiten nur wegen der in der Gemeinde entstandenen Zwistig­ keiten competent gewesen, deren Beilegung man ihrer Instanz überliess.' Man gieng aber wohl auch andrerseits zu weit, als man gegen­ über den Anschauungen der Regierung zäh daran festhielt, das ge­ samte Beerdigungswesen als zum Bereich des jüdischen Ritus ge­ hörig zu erklären. Man liess dabei ausser Acht, dass nur die für dasselbe vorgeschriebenen religiösen Gebräuche dazu gehören, während die Festsetzung der Zeit der Beerdigung unter die im Interesse der Gesamtbevölkerung anzuordnenden gesundheitspolizeilichen Massregeln fällt. Noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts pflegten die Juden ihre Todten bereits nach 4 Stunden, jedenfalls noch am Todestage zu begraben auf Grund eines missverstandenen mosaischen Gebots (5. Mos. 21, 22. 23), das die Abnahme gehängter Verbrecher

135 am gleichen Tage anordnete, und das von den Talmndisten auf die Todten überhaupt erstreckt wurde. Bei dieser Eile war es in vielen Fällen nicht möglich, den wirklichen Eintritt des Todes festzustellen, und manche Scheintodte haben sicher auf diese Weise ihr Leben verloren. Auch ist wohl manches Verbrechen, z. B. Vergiftung, ver­ hehlt geblieben. Zuerst schritt Herzog Friedrich von MecklenburgSchwerin gegen die Unsitte ein und befahl (am 30. April 1772) seinen Schutzjuden, von nun an die Todten wenigstens drei Tage unbeerdigt zu lassen. Die Schweriner Judenschaft wandte sich an Moses Mendelssohn mit der Bitte, sich bei ihrem Landesherm für die Zurücknahme dieses Befehls zu verwenden. Statt dessen gab ihr Mendelssohn den Rath, sich der Anordnung zu fügen und nach dem Beispiel der Vorfahren auf dem Begräbnissplatz ein Gewölbe oder Leichenhaus zu errichten, wo die Abgeschiedenen nach her­ gebrachter Sitte drei Tage lang bewacht und alsdann beerdigt würden. Die Schweriner Gemeinde war nicht zu überzeugen und veranlasste den Rabbi Jacob Hirschei in Hamburg zu einer Gegen­ schrift. 1786 folgte eine Verordnung des k. k. Guberniums an den Stadtrath zu Prag und 1787 ein Hofdecret Kaiser Joseph H., das die Beerdigung jüdischer Verstorbener vor Ablauf von 48 Stunden untersagte, es wäre denn eine ansteckende Krankheit die Todes­ ursache. Diese Edicte gaben zwei angesehenen jüdischen Ärzten Ver­ anlassung sich darüber auszusprechen: Hofrath Dr. Marcus Herz in Berlin verwarf ohne Rücksicht auf die rabbinischen Lehren die zu frühe Bestattung, während der kurkölnische Hofmedicus Dr. Marx zu Hannover die alte Gewohnheit mit der eingeführten Todtenschau zu stützen suchte. Als (1791) der Leibmedicus und Landphysicus Hofrath v. Jan die Wallersteiner Regierung auf die Nachtheile des schleunigen Begrabens der Juden hin wies, verlangte diese von dem Landrabbiner ein Gutachten, wie den jüdischen Vorurtheilen am besten begegnet werden könne. Löw führte nun in einem Schreiben an Fürst Kraft Ernst nach überschwänglichen Danksagungen für die Fürsorge der Regierung des Breiteren aus, „es bleibe eine unumstössliche Wahrheit, dass keine Veränderung beim Beerdigen der Juden zur Wirklichkeit kommen könne, so lange sie das Recht besässen, nach Glaubens- und Ceremonienwesen ihrer Väter verfahren zu dürfen. Nie könne ein solches Recht der tolerirten Nation streitig gemacht werden, ohne die heiligen Gesetze der Toleranz zu entehren. Wenn die Juden ihre Todten am Sterbtag beerdigten, so sei dies nicht blosse Gewohnheit, nicht Vorurtheil, sondern wahres

136 Religionsgesetz, das kein minderes Ansehen habe, als alle andern Glaubenslehren, die sich auf jüdische Traditionen gründeten. Dazu konnten schädliche Folgen des frühen Beerdigens bei den jetzigen Juden fast gar nicht statthaben angesichts der vielfältigen Vorsichtig­ keiten, die sie brauchten, wie das Öftere Waschen, Reiben u. s. w.“ Im Juli 1793 bekam der Landrabbiner den Vorschlag, den oben er­ wähnten Vorschlag Mendelssohns genau zu prüfen und der Regierung mitzutheilen, was er allenfalls dagegen einzuwenden haben möchte. Da dem Fürsten sehr daran lag, dass die „unselige Gewohnheit des frühen Begrabens“ bei Juden wie bei Christen abgestellt werde, so wurde Löw seitens der Regierung im Sept. 1798 erinnert, dass er dem Auftrag von 1793 noch nicht nachgekommen sei: man erwarte den Vollzug binnen 8 Tagen. Er konnte sich jedoch nicht dazu entschliessen, die Frage nochmals zu erörtern. Seine Überzeugung hätte ihm nicht gestattet, in irgend einem Punkt von seinen An­ schauungen abzugehn, und zudem hatte er schon in seinem Bericht von 1791 es ausgesprochen, „das Schreiben Mendelssohns sei von keinem Rabbiner mit Beifall aufgenommen worden und obendrein hinlänglich widerlegt.1' Löw waltete seines Amtes bis 1809. Am 7. März d. Js. erkor ihn die Metzer Gemeinde zu ihrem Grossrabbiner. Der MoselPräfect Vaublanc empfahl ihn dem französischen Cultusminister Grafen Bigot de Präameneu aufs angelegentlichste: es sei unmög­ lich, eine bessere Wahl zu treffen, da er mehrere Sprachen verstände und eines ausgezeichneten Rufes genösse, 22 Jahre in Metz gewohnt habe und als Sohn eines vom König bestätigten Rabbiners der Metzer Gemeinde als Mitglied angehöre. Napoleon I. genehmigte die Wahl, und Löw erklärte sich am 5. Mai bereit sie anzunehmen.1) Um jene Zeit ergieng auch aus Paris an ihn ein höchst ehrender Ruf: die oberste Behörde der französischen Israeliten, das Centralconsistorium, hatte ihn als Mitglied cooptirt. Aber trotz seiner warmen Sympathien für Frankreich ist er nicht in seine alte Heimat

1) Er schrieb an den Präfecten u. a.: Je reverrai donc la France, ce paradis gar la terre; je vivrai donc le reste de mes jonrs sous les loix les plus sages, sons le monarque le plus admire, le plus cheri et le plus digne de l’etre. Quel bonheur pour moi, quel souverain plaisir de me retrouver parmi mes anciens amis fran^ais si obere ä mon coeur! Je rends mille actions de gräce a la Providence pour cet heureux evenement . . .

137 zurückgekehrt.1) Der Vorgang Napoleons, der zur Regelung der jüdischen Verhältnisse 1806 eine Notabelnversammlung2)3 *von * * *über 100 Mitgliedern einberufen hatte, aus der 1807 das grosse Synhedrion (Sanhedrin) hervorgieng, veranlasste den Grossherzog Earl Friedrich von Baden, eine Commission jüdischer Vertrauensmänner zu gleichem Zweck einzusetzen und ihr die Ernennung eines Landesoberrabbiners zu Überlassen. Auch ihre Wahl fiel auf Löw. Um ihm die Über­ siedelung nach Baden zu ermöglichen, stellte Collini, der badische Geschäftsträger zu Paris, es dem französischen Minister als eigenen Wunsch des Grossherzogs hin, ihm Löw als die zur Hebung der badischen Judenschaft im Sinn der von Napoleon angeordneten Re­ formen am meisten geeignete Persönlichkeit zu überlassen. Der Minister willigte ein, und Löw konnte nun seine Stelle an der Spitze der badischen Israeliten einnehmen. Die Wallersteiner Regierung ertheilte ihm bei seinem Abgang das Zeugniss eines tüchtigen Volks­ vorstands und eines Mannes von sittlich gutem Charakter.8) Über die Verhältnisse der beiden ött.-ött. und ött.-spielb. Rabbinate zu Öttingen liegen nur sehr spärliche Nachrichten vor. Um 1661 stehn als Rabbiner zu öttingen im Amt Henocb, Sohn des Abraham, und Simon Hirsch, später Simson, Sohn des Isai. 1696

1) In seinem Entschuldigungsschreiben an den Minister gab er als Gründe, die ihn verhinderten, seiner Berufung Folge zu leisten, neben seinem Augenleiden auch die Weigerung seiner Frau an, nach Frankreich überzusiedeln. 2) Auch an die öttinger Gemeinde orgieng eine Einladung, sich vertreten zu lassen. 3) Einen nicht minder bedeutsamen Wirkungskreis hatte einst nach wechsolvollen Geschicken Lippmann Jom Tob Heller, der Sohn des Wallersteiner Gemeinde­ glieds Nathan, gefunden. Geboren 1579 ward er 1625 als Rabbiner nach Wien berufen, 1627 nach Prag. 1629 wurde eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet, weil er in einem Werke zur Anpreisung des Talmud gegen das Christenthum ge­ schrieben haben sollte. Nach langer Haft in Wien wurde ihm eine Busse von 10000 Gl. auferlegt und die Führung eines Rabbinats untersagt. Er wandte sich nun nach Polen, übernahm 1631 das Lehramt der Gemeinde zu Namierow und 1634 die Führung der vereinigten Gemeinden Lodomir, Ostrow, Kremnitz und Lnzk. Seit 1644 aber stand er an der Spitze der Judenschaft zu Krakau, wo er 1654 starb. Unter seinen zahlreichen Schriften werden noch jetzt seine Glossen zur Misohnah geschätzt. Sein Hauptverdienst aber liegt darin, dass er den im Lande eingerissenen Missbrauch der Käuflichkeit der Rabbinate abstellte. Er setzte es durch, dass die Gemeinden, die einen eingekauften Rabbiner annähmen, in den Bann kämen. Diese Anordnung erhielt für ganz Polen Gültigkeit und wurde all­ jährlich in den Synagogen verlesen (I. M. Jost, Gesch. d. Judenthums III, 243).

138 starb Rabbi Moses Meier Tarnopol, Sohn Isaaks, Verfasser eines Commentars zum Pentateuch: Meor Eoton (kleine Lenchte). Demnächst werden Naphthali Henoch, Sohn des Mardochai, und Isaak oder Seligmann1) genannt, der 1705 starb. Um 1719 bat Abraham David Mahler aus Prag das Öttinger Rabbinat inne. 1724 führt er den Titel: Hochfürstl. und Hochgräfl. Landrabbiner, der darauf hindeutet, dass ihm die Leitung der beiden Synagogen zu öttingen und die gesamte ött.-ött. und ött.-spielb. Judenschaft unterstand. Von 1729—1732 fungirte er auch zu Ober­ dorf in Ött.-Baldern. Er genoss den Ruf eines unparteiischen, be­ scheidenen, frommen und sehr gelehrten Religionslehrers, und seine Gemeinden Harburg und Deggingen, die 1743 aus dem Verband des Ott. Landrabbinats ausscbeiden mussten, verloren ihn höchst ungern. An seine Stelle trat 1753 Abraham Benjamin (Wolf) Levi, Sohn des Samuel Levi. Ihm folgte Jakob Pinchas Katzenellenbogen, der sich 1764 bereits im Besitz des Amtes befand. Er stand bei seinen Volksgenossen in hohem Ansehn, was sich besonders auch darin aussprach, dass Raphael Cohen (geb, 1723, gest. ,1803), Rabbiner der Gemeinden Hamburg und Altona und Präsident des jüdischen Obergerichts zu Altona, sich seinen durch gründliche talmudische Gelehrsamkeit ausgezeichneten Sohn Lazarus Jakob2) (geb. 1775, gest. 1828) zum Eidam ersah. Nach dem am 11. Juli 1795 er­ folgten Tod von Jakob Pinchas wurde als Stadt- und Landrabbiner von öttingen sein Sohn Pinchas Jakob Katzenellenbogen, vorher Districts-Rabbiner zu Schwabach, von Parnossen und Beisitzern der Gemeinden öttingen, Hainsfart, Mönchsroth, Kleinerdlingen und Schopflooh am 20. August 1795 erwählt. Er schied erst 1844 aus dem Leben. Im Öttingen-Baldernschen Landestheil besass die Judenschaft zu Aufhausen in früherer Zeit einen Rabbiner, wie aus einer von ihr abgegebenen Erklärung hervorgeht. Später unterstand sie, wohl nur auf kurze Zeit, dem Rabbiner des nahen deutschordischen 1) 8. beim Landrabbinat Wallerstein. 2) Lazarus Jakob nahm bei seiner Übersiedelung nach Altona zur Erinnerung an die heimatliche Eiessebene den Namen Eiesser an. Sein jüngster Sohn war Dr. Gabriel Eiesser (geb. 2. April 1806, gest. 22. April 1868), einer der bedeutend­ sten Vorkämpfer für die Gleichberechtigung der Juden, für die er namentlich als Mitglied der Deutschen Nationalversammlung von 1848 bei der Berathung der Grundrechte des deutschen Volkes mit Erfolg eintrat (Vgl. G. Eiessers Leben von M. Isler. 1871).

139 Städtchens Lauchheim, Schmuei Beloch. Dies Verhältnis wurde auf gräflichen Befehl 1725 gelöst. 1753 erhielt der öttinger Rabbiner Abraham Benjamin Levi auf seine Bitte die Ermächtigung, die Angelegenheiten der Aufhauser Gemeinde zu versehen. Zu Oberdorf, wo um 1723 ein Rabbinats-Substitut sass, amtirte von 1729—1732 der öttingische Stadt- und Landrabbiner Abraham Mahler. Weiterhin gehörte es zum Wallersteiner Rabbinat. Graf Ignaz Anton bemühte sich wiederholt, aber vergeblich, ein eigenes Rabbinat für sein Ländchen zu begründen. Er ernannte 1757 wider alles Herkommen durch einfaches Decret den bisherigen Vorsinger zu Aufhausen, Löw Uhlmann, zum Rabbiner. Die Gemeinde liess es sich gefallen, zeigte aber dem Günstling des Grafen bei jedem Anlass, dass sie ihn für unwürdig halte, und zog namentlich bei allen Casualien fremde Rabbiner zu, so dass Uhlmann die Gelegenheit zum Abzug benützte, die sich 1758 durch Erledigung des Rabbinats zu Laupheim bot. Der Landrabbiner zu Burgau ertheilte ihm zwar das zum Antritt dieser Stelle erforderliche Rabbinatsattest, widerrief es aber, als die Aufhauser Parnossen ihm den Uhlmann als einen „schlechten Juden und Verräther (Moser)“ schilderten. Er war sogar in Zweifel, ob er nicht den Bann über ihn verhängen sollte, was auf eine das Bewusstsein und die Interessen der Gemeinde schwer verletzende Führung Uhlmanns schliessen lässt. Der Burgauer Landrabbiner übertrug schliesslich die Beurtheilung des Falls den Rabbinern zu Öttingen und Ansbach und erklärte Parnossen und Gemeinde für die Kosten des Verfahrens haftbar. Einen weiteren Versuch, die Gemeinden Aufhausen und Oberdorf zur Aufstellung eines eigenen Rabbiners zu bestimmen, machte Graf Ignaz Anton im Jahr 1770. Allein die Gemeinden erklärten, wegen ihrer Ar­ mut die Besoldung nicht aufbringen zu können, und baten den Grafen, von seinem Verlangen abzustehn. Sie blieben nun dem Wallersteiner Landrabbinat zugetheilt, besassen aber später (1790) einen Substituten, der bei freier Wohnung ein Gehalt von 50 Gl. bezog. Als Ortsrabbiner war Hirsch Benjamin Kuhn, Schwiegersohn des Harburger Gemeindeglieds Israel Guggenheimer, zu Harburg thätig. Er wurde 1791 nach Stadtbergen in Westfalen als Land­ rabbiner berufen.

140 Pamossen. Neben den Rabbinern waren die Pamossen1) an der Leitung der Gemeinden betheiligt. Es stand ihnen bei einzelnen Amtshand­ lungen der Rabbiner eine controlirende Mitwirkung zu, ihre vor­ wiegende Thätigkeit aber lässt sie als Organe der Regierungsgewalt erscheinen. Sie wurden auf Vorschlag der Gemeinde gewöhnlich auf die Dauer von 3 Jahren ernannt. In den grösseren Orten gab es deren 3, (1661 zu Wallerstein 4), in kleineren 2, die monatlich mit der Amtsführung wechselten und sich dabei von mehreren, meist durch das Loos bestimmten Gemeindegliedern (Beisitzern, Gebohim) unterstützen lassen konnten. Ihre hauptsächlichste Aufgabe bestand darin, das Interesse des gräfl. oder fürstl. Fiscus zu wahren, den Vollzug der herrschaftlichen Verordnungen zu überwachen, Polizei in der Schule und in der Gemeinde zu üben und die Armenpflege zu regeln. Sie hatten alle 3 Jahre eine Vermögensschatzung ihrer Volksgenossen vorzunehmen2) und das Ergebniss der Regierung mitzutheilen. Es lag ihnen ferner ob, die Umlagen ihrer Gemeinden einzutreiben und an das herrschaftliche Ärar abzuführen, wogegen sie während ihrer Amtsdauer von persönlichen Diensten (Frohnden und Wachen) befreit waren, wie die Rabbiner für ihre amtlichen Ausfertigungen procentuelle Gebühren bezogen und die Befugniss besassen, in Gemeinschaft mit ihren Beisitzern Vorsinger, Schul­ meister, Schächter und Schulklopfer aufzustellen. Diese Aufgaben waren häufig mit Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten verknüpft, die freilich nicht selten mit der Art ihrer Amtsführung zusammenhiengen. 1709 erhoben die Pamossen von Wallerstein, Pflaumloch und Oberdorf gemeinsame Klage über „brutale Aufführung von Ge­ meindeangehörigen bei Einhebung der zu leistenden Prästanda“, worauf ein Regierungserlass in Erinnerung brachte, die Pamossen seien befugt, gegen „solche meisterlose Juden“ Strafen bis zu 5 Gl. zu verhängen, und die Assistenz der Regierung hiebei in Aussicht stellte. Diese Bestimmungen mussten 1730 gegen renitente Ge­ meindeglieder in Wallerstein aufs neue eingeschärft werden, ohne viel beachtet zu werden. Die Pamossen konnten aber auch in

1) Eigentlich Famosen (Pamasini). Die Akten des 17. Jahrhunderts haben ständig die Form Pamossen. Später ist die Schreibung Barnossen üblich geworden. 2) Beschwerden über die Einschätzung konnten dem Rabbiner vorgetragen werden (1661).

141 eine unbequeme Lage gerathen, wenn, was mitunter vorkam, Conflicte zwischen den einzelnen Landesregierungen entstanden. Am ehesten war dies möglich in Öttingen, der gemeinschaftlichen Resi­ denzstadt der katholischen Linie Ött.-Spielberg und der evangelischen Linie ött. - öttingen, deren Bevölkerung sich gleichfalls je nach ihrem Unterthanenverhältniss zu einem der beiden Häuser in Katho­ liken und Protestanten schied. Es kam sogar so weit, dass auch die jüdischen Insassen veranlasst wurden, eine zweite Synagoge zu bauen, in der die Spielbergischen Israeliten getrennt von den öttingischen ihre Andacht verrichteten. Man nannte kurzweg die eine die katholische, die andere die lutherische Judenschule.1) Die auf der confessionellen Verschiedenheit beruhende unfreundliche Stimmung der beiden regierenden Familien wurde noch gesteigert, als Graf Albrecht Ernst, das Haupt der öttingischen Linie, im Jahr 1674 gefürstet wurde. Denn von nun an griff auch die Befürchtung Platz, dass sich der neue Fürst in den alleinigen Besitz der gemein­ schaftlichen Hausrechte setzen wolle. Sehr bald kam es zu einem langwierigen und gereizten Schriftenwechsel zwischen dem Fürsten und der Vormünderin-Wittwe Gräfin Ludovica Rosalia zu Ött.Spielberg. Albrecht Ernst hatte in seiner Judenschule ausrufen lassen, es solle kein Jude bei einem Schneider der Gräfin-Wittib arbeiten lassen, was die Gräfin so auslegte, als habe der Fürst damit den Anfang machen wollen, „alle Commercien bei gemeiner Stadt zu separiren und soviel als möglich auf seine Seite zu ziehen“.2) Es war wohl nur ein Act der Wiedervergeltung, als bald darauf in der „katholischen“ Synagoge der Vorsinger Lämmle auf Befehl der

1) Die gräfl. Vormundschaftsräthe bedienen sich in ihren Schriften des Aus­ drucks: „in der luterischen Synagoge.“ Diese Bezeichnung blieb haften. Schudt berichtet in seinen jüd. Merkwürdigkeiten aus Wagenseils Schrift Pera librorura juvenilium II, p. 363, „dass man zu öttingen die Juden, welche unter den katholischen Christen wohnen, katholische Juden, und die, welche unter den evang. Christen sind, lutherische Juden zu nennen pflege. Wagenseil habe 1708 auf dem Marktschiff nach Mainz einen Öttinger Juden gefragt, ob er ein lutherischer oder katholischer Jude sei? welches bei den Anwesenden sowohl Christen als Juden Verwunderung und Widerwillen erregt, bis man ihnen die wahre Beschaffenheit der Sache entdeckte.“ 2) 1702 verbot dagegen die Ftirstl. ött. Regierung ihren Bürgern und Unterthanen, mit den Gräfl. Ött.-Spielb. Juden weitere Handlung zu pflegen, da diese allen Handel und Wandel an sich gezogen hätten.

142 drei Parnossen Elias, Lazarus und Eber den Verruf des fttrstl. Schutzjuden Hänle Uhlmann verkündigte.1) Dieser war Schulmeister „Procurator und Richter bei den jüdischen Ceremonien“ und wurde von den Parnossen als „zu aller Streiterweckung und Uffwicklung hochbegierig“ bezeichnet, „dem man es zutraue, dass er sogar beide Herrschaften zu einigem Missverstand bringen könne“. Die fürst­ lichen Räthe aber erachteten die Ausrufung Hänles als eines „ohntüchtigen Manns“ für einen vermessentlichen Eingriff in die dem Fürsten über ihn znstehende Jurisdiction. Den Parnossen wurde wegen Violirung der fürstl. Rechte eine Strafe von 300 Thalern auferlegt, sowie eine Busse von 12 Thalern für jede Stunde, die bis zur Zurücknahme des Verrufs verstreichen würde. Hofjuden. Eine bevorzugte Stellung in der Judengemeinde nahmen die­ jenigen ihrer Glieder ein, die im Besitz eines grösseren Vermögens und besonderer Findigkeit dazu geeignet erschienen, bei privaten Geldbedürfnissen des Landesherrn den Vermittler zu spielen, wobei sie nicht nur reichen Gewinn aus ihrer Thätigkeit ernteten, sondern sich auch die Gunst des Regenten und damit hohen Einfluss am Hofe erwarben. Diesen Hofjuden — man findet sie auch unter dem Namen von Hoffactoren und Hofagenten an vielen deutschen Höfen seit der Mitte des 17. und während des 18. Jahrhunderts — wurde, um ihnen auch im Kreise ihrer Gemeinde den höchsten Rang zu sichern, öfter der Titel eines Oberparnossen mit allerlei lebens­ länglichen Machtbefugnissen beigelegt. Hatte ein solcher Würden­ träger Interesse für das Wohl seiner Stammesgenossen, so konnte er es leicht wahren, wie z. B. der kaiserl. Hofjude Löw Manasses 1740 mit dem Grafen Johann Friedrich wegen der in den neuen Schutz­ brief für den ött.-ött. Grafschaftsantheil aufzunehmenden Bestim­ mungen ein Übereinkommen traf. Aber ebenso nachtheilig konnte Eigennutz oder selbstbewusste Willkür der fürstlichen Günstlinge dem Gedeihen der Gemeinde werden. 1) Der Voreiliger rief aus: „Hört zu, ihr Vereamblung! Hie stehe ich aus Befelch der 8 Parnossen und sie mir anbefohlen auszurufen, weil der Hänle Uhl­ mann ist hier gewesen, nichts anders gethan als die Leut aneinander geknüpft und lauter Zank und Hader gemacht, von desswegen thun sie zu wissen und befehlen, wer ihne würdt mehr für einen Richter oder Procuratorn nehmen, solle der also 5 Gl. Straff geben halb der Herrschaft und halb dem Almosenkasten ohne andere Schand und Schmach und die Straff, die ihr werd zu gewarten haben.“

143 Von den öttingischen Hofjaden sind Hirsch Neumark und Daniel Oppenheimer, beide zu Öttingen, besonders bekannt geworden. Die ungewöhnlich einflussreiche Stellung Neumarks lässt sich heute nur noch aus zwei der bekanntesten Processe jener Zeit er« schliessen.1)2 3 Neumark **** stand in enger Verbindung mit dem Hof­ juden Elkan Fränkel zu Ansbach, dem Markgraf Friedrich Wilhelm in allen Zweigen der Verwaltung eine so bedeutende Macht eingeränmt hatte, dass, wer nur irgend eine Stelle im Fürstenthum erhalten wollte, sich unmittelbar an Elkan oder doch durch Neumark an ihn wandte. Gegen Fränkel wurde 1712 eine Untersuchung ein­ geleitet, die damit schloss, dass er öffentlich ausgestäupt und auf die Wülzburg abgeführt wurde, wo er 1720 starb.*) Das Ansehn, das Neumark bei der markgräfl. Judenschaft genoss, erhellt auch aus dem Fall Paccoton, mit dem sich von 1698—1705 nicht nur deutsche Regierungen, sondern auch die Eidgenossenschaft beschäftigten. Er legt aber namentlich auch die Stellung klar, die Neumark zu den massgebenden Kreisen in öttingen einnahm. Am Abend des 14. Sept. 1698 war der Fürther Jude Daniel Dreyfuss von Nürnberg nach Fürth zu weggeritten. Um 10 Uhr 8) traf der Nürnberger Feldweibel bereits mehrere Juden zu Pferd vor der Stadt, die ihre Befürchtung aussprachen, Dreyfuss könne ums Leben gebracht worden sein, vielleicht von einem Schweizer Kauf­ mannsdiener; denn er habe, wie man wisse, mit einem solchen un­ längst einen Perlenhandel verabredet. Als nun am nächsten Morgen der Handelsbediente Joh. Ludwig Paccoton aus Yverdun, der bis dahin bei dem Handelshaus Adrian und Wilhelm Schäffer zu dessen vollster Zufriedenheit in Condition gestanden, Nürnberg verliess,

1) Von seinen Lebensverhältnissen liess sich nur wenig ermitteln. 1687 »war er gutes Vermögens“ und Besitzer eines Hauses in Wallerstein, das er an einen Christen verkaufte. 1699 wurde er wegen seiner vielfachen Dienste in Wechselund andern Sachen zum Oberparnos mit persönlichem Strafrecht bis zu 5 Gl. ernannt. 2) S. Haenle: Geschichte der Juden im ehern. Fürstenthum Ansbach. 1867. S. 80 f. 3) Das seitens der Paccoton veröffentlichte »Factum“ verfehlt nicht, auf das Auffällige des frühen Erscheinens der Fürther Juden hinzuweisen und fügt hinzu, „Dr. sei 36 Stunden nach der That erstickt und erwürgt ohne alle Wunden in einem fremden Mantel gefunden worden, also auf eine den christlichen Böswichten ungeübte Weiso. Es sei auch gemunkelt worden, er habe Christ werden wollen“-

144 um über Nördüngen und Ulm in seine Heimat zurückzureisen, wo sein Vater die Steüen eines Rathsherrn, Salzdirectors und Obrist­ lieutenants bekleidete, hielten ihn einige Fürther Juden an, angeb­ lich um einen Pferdehandel mit ihm abzuschliessen, in Wirklichkeit, um sein genaues Signalement aufzunehmen. Ein gewisser Geisser liess sich gegen eine Geldsumme sofort herbei, den jungen Kaufmann vor einem Notar als einen ihm bekannten Juwelier zu bezeichnen, widerrief jedoch später vor dem Nürnberger Gericht sein falsches Zeugniss. Ungesäumt wurde nun die Judenschaft zu Schwabach durch einen hebräischen Avisbrief aufgefordert, Paccoton bei Betreffen als Strassenräuber arrestiren zu lassen. An den Hofjuden Hirsch Neumark zu öttingen aber gingen zwei Stafetten ab, um durch ihn seine Verhaftung zu bewirken, wenn er öttingen passiere. Er war aber schon vor ihrem Eintreffen durch öttingen gekommen, und Neumark ersuchte die fürstl. Regierung, ihm nacheilen und ihn ver­ haften zn lassen. Dies geschah so eilig, dass man die Ausfertigung des fürstl. Steckbriefs nicht abwartete, sondern den Kanzellisten Kress nach Nördüngen sandte, wo sich Paccoton im Gasthaus zur Krone befand. Kress erschien, wie dieser berichtet, mit einem Schwarm Juden, die ihn als Übelthäter greulich lästerten und an­ spieen, und forderte ihn auf, sein Felleisen zu öffnen und zu zeigen, was er an Perlen und Ringen mit sich führe. Er fügte sich und liess selbst die Kleider, die er am Leibe trug, durchsuchen, um darzuthun, dass er an Kleinodien auch nicht das Mindeste besitze. Er übergab dem Kanzellisten sogar seine Attestate, immer in der Meinung, es handle sich um eine ihm zur Last gelegte Zolldefrau­ dation, da er eine Zollstätte an der Landesgrenze wegen der kothigen Strassen umritten. Trotzdem verfügte sich Kress auf das Bürgermeister­ amt und verlangte wegen eines auf dem Fremden ruhenden Verdachtes des Raubmords seine Festhaltung bis zur Ankunft des in Bälde zu er­ wartenden Steckbriefs. Da er aber die wegen der Verantwortung und der entstehenden Unkosten geforderte Caution nicht übernehmen wollte, wurde nicht darauf eingegangen. Ebenso wendete sich nun Paccoton klagend an die städtische Behörde, gab vor einer Raths­ deputation Aufschluss über seine Verhältnisse und beantragte wegen der falschen Bezichtigung Satisfactionund die Stellung von 3000 Thalem Caution durch den Kläger. Auch der Rath fühlte sich durch das eigenmächtige Vorgehn des fürstlichen Beamten im Bereiche der Stadt in seinen Hoheitsrechten verletzt und verlangte Aufklärung. Kress suchte sich zu entschuldigen und betheuerte, keineswegs

145 einen Eingriff in die städtische Jurisdiction beabsichtigt zu haben: er habe lediglich auf Neumarks Befehl unter Approbation der fürsil. Räthe gehandelt, Caution und Satisfaction sei daher lediglich Sache des Juden. Darauf hin ward Paccoton des Schutzes der Stadt ver­ sichert, durch Handschlag vergelübdet nicht zu entweichen und ihm für den weiteren Verlauf der Sache ein unter polizeiliche Controle gestelltes Gelass im Rathhaus angewiesen. Als Kress am 18. wieder vor Rath erschien, berichtete er, die öttingischen Räthe hätten sich nach Einsicht der Papiere des Inculpaten der Sache nicht mehr annehmen wollen, „ihn für einen ehrlichen Kerl haltend“. Neumark sei aber darauf bestanden, ihn auf der Juden Gefahr und Kosten weiterhin in Arrest zu behalten, und die Räthe hätten sioh dem gefügt. Inzwischen hatte die Ansbachische Regierung einen Antrag auf Auslieferung Paccotons wegen Zollabreitung gestellt, der mit der Begründung abgelehnt wurde, der Arrest sei in erster Linie wegen der Beschuldigung verübten Raubmords verhängt worden. Man konnte in Ansbach das Verfahren des Raths nicht beanstanden und entschloss sich, nunmehr auch wegen des Mordverdachts die Auslieferung zu verlangen. Zu dem Zweck begab sich Hofrath Fürster nach NOrdlingen. Er liess merken, dem Markgrafen sei lediglich wegen „der Ausübung seines Burggrafenthums und seiner Regalien“ viel daran gelegen, die Sache vor sein Forum zu bekommen. Der Angeklagte werde selbstverständlich honest tractirt und bald wieder entlassen werden, da nichts Widriges gegen ihn vorliege. Der Rath erklärte, dem Wunsch des Markgrafen gern entsprechen zu wollen, erst aber müsse das gerichtliche Verfahren in Nördlingen zum Ab­ schluss kommen. Mit einer nachträglichen Behandlung der Sache aber war der Ansbacher Regierung nicht gedient. Der Hofrath brach die Verhandlungen mit der Bemerkung ab, „in diesem Falle künne der Mensch hinlaufen, wohin er wolle“. Hirsch Neumark war drei­ mal vergeblich citirt worden, um zur Ausführung seiner Anklage Rede zu stehn und sich wegen angemassten Eingriffs in die städt­ ische Jurisdiction zu verantworten, mit ihm wegen des letzteren Reats auch mehrere Juden von öttingen und Erdlingen. Da das Oberamt öttingen die verlangte Stallung Neumarks verweigerte, kam es am 14. Oct. 1698 nach Erfüllung aller üblichen Formalitäten zum Urtheilsspruch des Nördlinger Raths. Paccoton wurde als der gegen ihn erhobenen schweren Criminalinzichten unschuldig losge­ sprochen, ihm die Befugniss ertheilt, für die auf Leib und Leben gehende Bezichtigung 1000 Thaler von Neumark als Arrestanten zu 10

146 suchen und daneben Ersatz aller Schaden und Unkosten zu fordern. Dem Neumark wurde Regress an die Dreyfussischen Erben und Befreundeten in Fürth Vorbehalten, weil das Commissionsschreiben der Fürther Judenschaft ihn ermächtigt hatte, „dieweilen er schon an sich selbst so klug sei als ein Engel Gottes, diesen Arrest nach seinem Belieben, jedoch mit grosser Behutsamkeit vor sich gehen zu lassen“, und ihm Ersatz seiner Kosten znsicherte. Paccoton war nun genOthigt, die Execution dieses Urtheils in öttingen zu suchen, allein Fürst Albrecht Ernst verweigerte es, der reichsstädtischen Sentenz Folge zu geben, da dies nicht Brauch bei den Fürsten sei. Er stellte jedoch anheim, vor seinen Regierungsräthen zu procediren. Paccoton lehnte dies wegen Befangenheit einiger Glieder des Re­ gierungscollegiums ab; denn obwohl anfänglich sich die Mehrzahl der Räthe dahin ausgesprochen hätte, nicht weiter gegen ihn vor­ zugehn, sei auf der Juden ungestümes Anliegen unter Zustimmung des Kammerdirectors Muck und mit Genehmigung des Fürsten doch der Beschluss ergangen, am Arrest festzuhalteu. Die Processakten wurden an die Juristenfacultät in Tübingen versandt, die im Jan. 1699 auf die gleiche Entschädigungssumme wie der Nördlinger Rath erkannte. Der Fürst unternahm in jener Zeit eine Reise ins Aus­ land, während welcher die Judenschaft den Präsidenten und einen Theil des Ott. Hofgerichts dahin bestimmte, ein neues Urtheil zu Allen, das gegen Nenmark nur eine ganz geringe Geldbusse aus­ sprach und ihm den Regress an seine Auftraggeber offenhielt. Paccoton legte Protest ein und wandte sich, um die Ausführung des Tübinger Spruchs zu erwirken, an seine heimatliche Regierung zu Bern und an die Acht Alten Orte insgesamt. Diese beschlossen, wenn Fürther Juden die schweizerische Grafschaft Baden betreten sollten, sie verhaften zu lassen und so lange in Arrest zu behalten, bis dem Geschädigten die gebührende Genugthuung geworden. Auf Grund dieses Tagsatzungsmandats nahm man Moses Simon und Salomon Ulmann aus Fürth, die eben zugereist waren, in Lenzburg fest, liess sie aber, weil der den Juden für die Graftschaft Baden ertheilte Schutzbrief noch in Geltung war, in das Bernerbiet nach Tverdun abführen. Markgraf Georg Friedrich forderte im März 1700 energisch ihre Freilassung und Verfällung Paccotons in die Kosten. Dieser mOge gegen Neumark, der wegen der ihm zugefügten Schmach verurtheilt sei, die Execution nachsuchen. Glaube er aber, die ganze Judensohaft von Fürth für die erlittene Unbill verantwortlich machen zu sollen, so mOge er nach Ansbach kommen, wo er unparteiische

147 Justiz finden werde. Die Gefangenhaltung der beiden Juden sei ein Eingriff in die Jurisdiction des Markgrafen und verstosse gegen das Völkerrecht. Die Regierung von Bern wies ihrerseits darauf hin, dass auch die Juden gemeinsame Sache gegen Paccoton gemacht, der Handel bereits endgiltig entschieden sei und nur das Urtheil seiner Vollstreckung bedürfe. Das Verfahren Berns fand auf die Dauer nicht die allseitige Billigung. Zürich drang vor allem auf baldige Erledigung der Angelegenheit. Die Zürcher Kaufmannschaft könne es nicht mehr wagen, auf ihrem Besuche der Leipziger Messen das markgräfliche Gebiet zu betreten und müsse ihre Waaren mit grossen Kosten auf Umwegen hin- und herführen lassen. Es seien sogar Nachtheile für das reformirte Kirchenwesen zu Stein a. Red­ nitz zu befürchten, wo sich viele Eidgenossen aufhielten. Man dachte nun an eine allgemeine Ausweisung der Juden aus der Eid­ genossenschaft, liess sie aber mit Rücksicht auf ihren noch nicht abgelaufenen Schirmbrief wieder fallen. Nur die Kantone Bern, Preiburg und Basel verbannten im Sept. 1701 die Juden aus ihren Gebieten. Die Sache schleppte sich weiter, bis die beiden gefangenen Juden nach einem misslungenen Fluchtversuch sich im April 1705 zur Zahlung einer Entschädigung von 3000 Thalern an Paccoton verstanden, worauf man sie ihrer Haft entliess und das Ausweisungs­ mandat wieder aufhob. Den unschuldigen Opfern der Neumark’schen Eigenwilligkeit wurde aus Billigkeitsrücksichten das Recht zuge­ sprochen, von allen ihren die Schweiz betretenden Glaubensgenossen eine Beisteuer zu der von ihnen erlegten Entschädigungssumme zu erheben. Von einer Heranziehung der Fürther Judenschaft oder Neumarks zu einer Schadloshaltung ist nicht weiter die Rede. Eine für den Ruf der seit dem Ende des 14. Jahrhunderts zu öttingen bestehenden Münzstätte verhängnisvolle Thätigkeit übte Daniel Oppenheim oder Oppenheimer als s. g. Münzjude des Fürsten Albrecht Ernst I. aus. In Heidelberg mit „mehr als getrübtem Leumund“ entlassen1) gelangte er unter sehr vortheilhaften Beding­ ungen zur thatsächlichen Leitung der öttingischen Münze. Statt

1) 0. wurde wegen eines zum Nachtheil des Juden Ischi zum Stern in Frankfurt a. M. verübten Betrugs von der kurpf&lzischen Regierung unter Confiscation aller seiner Güter, die der Kurfürst in eine Geldstrafe umwandelte, auf ewig des Landes verwiesen. 1672 nahm ihn Graf Albrecht Emst von Öttingen auf 15 Jahre gegen ein jährliches Schutzgeld von 30 Gl. als Hofjuden auf.

10*

148 einer Geldbesoldung war ihm verstattet, wöchentlich 20 Mark fein Silber nach dem in der Münze geltenden Schrot und Korn ohne Entrichtung eines Scblagschatzes zu vermünzen. Das dazu nOthige Silber, wie das für den Betrieb der Münze überhaupt erforderliche Metall durfte er selbst beschaffen. Dies besorgte er aber in der Weise, dass er nicht 'etwa Silberbarren ankanfte, sondern bereits geprägtes grobes Geld in guten Sorten dazu verwendete, zu welchem Zweck sich Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Neuburg herbeiliess, freie Einfuhr des für die Ottingische Münze bestimmten Geldes zu bewilligen. Vielfache Klagen über den bei diesem Verfahren natürlich wesentlich verschlechterten Gehalt der öttingischen Münzen-bestimmten die drei in Münzsachen correspondirenden Kreise Baiern, Schwaben und Franken, gegen das Weiterbestehn der öttingischen Münze Einspruch zu erheben (1674), die dort geprägten grösseren und kleineren Silbermünzen zu verbieten (1680) und einen fiscalischen Prooess beim Kammergericht einzuleiten (1681). Dieser ward 1695 niedergeschlagen, nachdem Fürst Albrecht Ernst II. nachgewieseu hatte, dass seit dem Erscheinen des Münzedicts von 1680 weder von seinem Vater noch von ihm geprägt worden sei. Dagegen übertrug der Kaiser dem Beichshofrathspräsidenten Grafen Wolfgang zu Öttingen-Wallerstein die Commission, gegen die Lieferanten des Fürsten Albrecht Ernst I. vorzugehn. Darauf hin wurde Daniel Oppenheimer in öttingen verhaftet und nach Baldern gebracht, wo der Baldernsche Kanzleidirector Schilling im Namen des Grafen die Untersuchung führte. Die Anklage lautete dahin, „er habe die öttinger Münze mit guten, geprägten, noch im Curs befindlich gewesenen, von ihm aufgekauften Münzen des Reichs und fremder Staaten zum Einschmelzen versehen, zur Erzielung grossen Gewinns aber sie sodann in geringere Münze umgewandelt, also ein mit den schwersten Strafen bedrohtes Verbrechen begangen“. Der Beklagte wurde aktenmässig überführt, suchte aber die Verantwortlichkeit auf den fürstl. Director Geh.-Bath Bernhard Multz zu schieben. Bei dem Handel wurden auch andere Juden in Untersuchung gezogen, allein zu einem Spruche kam es nicht, da Oppenheimer Anfang Mai 1697 in seiner übrigens milden Haft zu Baldern unvermuthet starb. Seine Hinterbliebenen klagten auf Ersatz wegen erlittenen Schimpfes und Schadens, wohl mit Becht, da er offenbar nur mit Genehmigung des Fürsten und seiner Regierung handeln konnte.1) 1) W. v. LBffelholz: öttingana (1883) S. 60.

149 Qegen Ende des vorigen Jahrhunderts standen in näherer Be­ ziehung zum fürstl. Hof in öttingen als hochf. Hofjuden Joseph Löw Zacharias und Zacharias Model (gest. 1772), als hochf. HofFactoren und Oberparnossen Hänle Meyer (gest. 1775) und Simon Hayum Springer, und als hochf. Cabinets-Factoren Itzig Wolf Springer und Wolf Hayum Springer (gest. 1771). Der letzte herr­ schaftliche oder Ober-Parnos zu öttingen, dem die Gnade der Fürstin Maria Aloysia sein Amt verliehen hatte, war der Hoffactor Abraham Jonas. Sein Vermögen betrug 1735 nur 1500 Gl., vermehrte sich aber dergestalt, dass er mit der Gemeinde öttingen (1811) ein Ab­ kommen treffen konnte, demzufolge für ihn und seinen Sohn Samson Abraham ein unerhöhbares Schatzungsmaximum von 50000 Gl. fixirt wurde, wogegen er sich verbindlich machte, jäbrlioh 200 Gl. über die ihn treffende Anlage zum Besten der Gemeinde zu erlegen.1) Am gräflichen Hofe zu Baldern wurde 1710 Koppel zu Lauchheim als Hofjude aufgenommen. Er erhielt eine Besoldung an Holz, dazn 3 Malter Roggen und 2 Malter Dinkel. In Wallerstein wurde 1739 von Graf Johann Friedrich der ohurpfälzische Kabinetsfactor Abraham Elias Model zu Monheim in Anbetracht seiner nützlichen und erspriesslichen Dienste zum gräflichen Kabinets- und Kammerfactor mit dem Vorrang vor allen andern Juden ernannt. Regierung und Rentkammer waren angewiesen, „sich ergebende Negotia und Lieferungen ihm in erster Linie zu übertragen“. Einen bedeutenden Einfluss hat der Hoffactor und Parnos Borich Raphael zu Wallerstein unter dem Fürsten Kraft Ernst ge­ übt. Dieser treffliche Regent erkannte die schweren Schäden, an denen die Verwaltung seines Landes litt, und bemühte sich in landes­ väterlicher Gesinnung, überall das Bessere anzubahnen. Es war selbstverständlich, dass er dabei diejenigen Persönlichkeiten hervorzog, bei denen er ähnliches Bestreben wahrnahm. Zu ihnen gehörte der Hoffactor Raphael, der den Privatinteressen, die sich zum Nachtheil der Gemeinde geltend machten, ohne Scheu entgegentrat, dabei aber nicht selten selbstherrlich verfuhr. Er hatte namentlich mit dem

1) In einem Urtheil des Stadtgerichts öttingen von 1811 findet sich, „die dortigen Gemeindeverhältnisse seien durch die sich angemasste, unerlaubte Gewaltthaten und Kränkungen des berüchtigten Hoffactors und herrschaftlichen Baraos Abr. Jonas zumeist verwirrt und zerstört worden.“ J. resignirte auf seine Stelle.

150 -Widerstand seiner Mitparnossen zu kämpfen, die, verletzt durch seine Rücksichtslosigkeit, 1789 sich beim Fürsten beschwerten, „er habe sioh des Dominats angemasst, als hätte er allein zu disponiren und der ganzen Judenschaft Gesetze und Befehl zu geben“. Unter andern warf man ihm „Verletzung der jüdischen Ceremonien“ vor. An einem schwülen Sommertag hatte er trotz der Anwesenheit des Rabbiners in der Schule den Vorsinger angewiesen, sich zu beeilen und dem langen Gebet einmal ein Ende zu machen. Als sich der Vorsinger nicht fügte und der Rabbiner dem Hoffactor freistellte, aus der Schule zu gehn, wenn es ihm zu heiss wäre, erklärte er, der Rabbiner habe in der Schule nichts zu befehlen, der Vorsinger unterstehe ihm als Parnossen, und ertheilte diesem einen öffentlichen Verweis. Der Fürst liess ihm eröffnen, dass dies Auftreten keines­ wegs seine Billigung finden könne, gab ihm aber bezüglich der übrigen gegen ihn erhobenen minderwerthigen Klagepunkte Recht und liess ihn seines Beifalls in Absicht auf die von ihm zur Rege­ lung des Haushalts der Gemeinde getroffenen gemeinnützigen Ein­ richtungen versichern. Raphael erfreute sich des fortdauernden Wohlwollens seines Fürsten, sah sich aber doch 1792 „wegen unge­ sitteten Benehmens und fortwährender Neckereien der dasigen Juden8ohaft“ veranlasst, seine Stelle als Parnos niederzulegen. Die Regierung annullirte die hierauf auf die „unanständigste und gewalt­ tätigste Art“ vorgenommene Wahl neuer Parnossen, da Raphael „schon in Rücksicht auf den ihm verliehenen Charakter als Hoffactor wie in allen benachbarten Staaten das erste Recht auf diesen Vorzug habe“ und ernannte ihn, sowie den s. g. Wechseljuden Abraham Itzig und Hayum Löw zu Parnossen. Fürst Kraft Ernst bemerkte dazu, etwaiger Ungehorsam gegen diese Verfügung werde die Auf­ kündigung des Schutzverhältnisses zur unausbleiblichen Folge haben. Die letzte Ernennung zum Hoffactor in Wallerstem erhielt Jacob Hechinger in Harburg. Fürstin Wilhelmine belohnte 1803 auf diese Weise „seine in allen bisher ihm aufgetragenen Negocien geleisteten nützlichen Dienste“, sah sich aber 1804 genöthigt, den neuen Würdenträger ernst zu rügen. Er hatte einer Wittwe vorge­ spiegelt, es hänge lediglich von ihm ab, ob ihr Kapital bei der fürstl. Rentkammer länger stehen bleiben könne, und sich dafür als „Douceur“ 2 Schaff Kern ausbedungen. Neben diesen Trägem eines öttingischen Hoftitels muss auch einer auswärtigen jüdischen Finanzgrösse gedacht werden, die sich durch Fürstengunst zu allgebietender Stellung emporgehoben sah,

151 am durch Volkshass ein schmachvolles Ende sonder Gleichen zu finden. Es ist Joseph SQss Oppenheimer, vom Volk kurzweg „Jud Süss“ genannt, der Geheime Finanzrath des Herzogs Karl Alexander von Württemberg, der die für den verschwenderischen herzoglichen Hofhalt erforderlichen Mittel durch Münzspeculationen, indireote Steuern, Monopole und Erpressungen aller Art herbeizuschaffen wusste, dabei aber sich durch die von seinem Gönner ihm gewährten Gewinnantheile an all seinen Unternehmungen ein ungeheures Ver­ mögen erwarb. Im Jahr 1734 vermittelte er den Verkauf des früher öttingischen Dorfes Ederheim,1) das sich im Besitz der Wittwe des Generals v. Elster, der nunmehrigen Gräfin von Schönburg, befand, an den Herzog, wofür er als „Douceur“ 18000 Gl. in Anspruch nahm. Dieser Kauf wurde nach dem 1737 erfolgten unerwarteten Tode des Herzogs von der württembergischen Landesadministration als zu hoch und betrügerisch angefochten und nach einem dreizehn­ jährigen Process durch Beichshofrathsbeschluss aufgehoben. Die Gräfin von Schönburg gab die vom Kaufschilling bereits erhaltene Summe heraus und erhielt das Gut zurück, das 1750 der deutsche Orden um 96000 Gl. erwarb. Für das von Süss bezogene Douceur hatte die württembergiscbe Finanzkammer durch die Confiscation seines gesamten Vermögens Deckung gefunden. Eine Betheiligung öttingischer Hoffactoren bei diesem sich innerhalb ihrer Gesohäftssphäre abwickelnden Handel lässt sich nicht erweisen. Es liegt doch nahe, sie vorauszusetzen, wenn man sich des Zusammengehns der öttinger und Ansbacher Hoffactoren Neumark und Fränkel erinnert.

7. Verhältniss

der öttinger Judenschaft zu Kaiser und Beich.

Die dem Grafen Ludwig dem Alten zu öttingen am 30. Mai 1331 und seinen Neffen Ludwig und Friedrich am 27. April 1333 von Kaiser Ludwig ertheilten Privilegien gewährten den Grafen das Becht, „ihre Juden zu nutzen und zu messen mit allen Bechten, Ehren und guten Gewohnheiten.“ Der Kaiser übertrug damit ins­ besondere den Grafen auch das Begal der Judenbesteuerung für ihr

1) E. gieng 1525 aus dem Besitz der v. Emmershofen an die v. Jaxheim über (Abschn. III. S. 88 u. 89), wurde 1570 von David v. Jaxheim an öttingen verkauft und blieb bis 1709 in ött. Besitz.

152 Gebiet, bedang sioh aber am 21. Sept. 1342 die unter dem Namen des güldenen Opferpfennigs von allen Juden über 12 Jahre als jährlichen Leihzins an Weihnachten abzuführende Abgabe von einem Goldgulden.1) Über ihre Zahlung finden sich jedoch weder aus jener noch einer spätem Zeit Belege. Zu dieser an das Reichsoberhaupt zu leistenden ständigen Reichniss trat in der Folge die bei der Krönung zum deutschen König zu entrichtende Ehrung des dritten Pfennigs. Von Kaiser Sigismund wurde aber eine gleiche Ehrung auch 1433 anlässlich seiner Kaiserkrönung beansprucht. Die damals von den Juden der Grafschaft Öttingen bezahlte Summe — ihre Höhe ist unbekannt — überwies der Kaiser an Graf Ludwig XI. von öttingen. Bei dem Regierungsantritt König Albrechts betrug der von dem Wiener Juden Nachum gemachte Voranschlag des von den gräflichen Juden zu erlegenden dritten Pfennigs 1000 Gl. Als Graf Ludwig XI. und seine Neffen Johann und Ulrich die Weisung erhielten, ihre Juden zur Verhandlung mit den königlichen Räthen nach Nürnberg zu senden, erklärte Graf Ludwig am 16. Juni 1439 seine Bereitwilligkeit, dem königlichen Befehl nachzukommen. Er habe aber, fügte er bei, seit längeren Jahren nur einen einzigen Juden in seinem Gebiet und zwar in Öttingen sitzen gehabt, der sein Arzt und vermögenslos sei, was im Zweifelfalle die Nürnberger Jüdischeit bestätigen könne: den wolle er senden. Der schon im October erfolgte Tod Albrechts mag die Judenschaft einer Leistung überhoben haben. Dann verlautet lange Zeit nichts von derartigen Forderungen. Doch wird man annehmen dürfen, dass es Kaiser Friedrich III. und sein Sohn nicht unterlassen haben, Krönungs­ steuer und güldnen Opferpfennig wie anderwärts so auch hier zu heischen. 1583 machte Kaiser Rudolf II. den Versuch, durch seinen Commissär Achilles Ilsung im Schwäbischen Kreis diese Bezüge er­ heben zu lassen. Er blieb aber wenigstens bei der Öttinger Juden­ schaft ohne allen Erfolg. Auch als Kaiser Matthias 1617 die „undisputirliche Gerechtigkeit“ seiner Ansprüche betonend mit der recht bescheidenen Forderung eines einzigen Krönungsguldens sowie der versessenen Weihuachts- oder Opferpfennige hervortrat und die öttinger Judenschaft durch die kaiserl. Commissäre Joh. Ulrich Ilsung und Bartholomäus Keller nach Augsburg citiren liess, ver­ hielten sich die Grafen und ihre jüdischen Schützlinge ablehnend.

1) S. Abschn. I. II. S. 12. 34. 35. 36.

153 Letztere setzten in einer, wohl ans der gräfl. Kanzlei hervor­ gegangenen Supplication auseinander, „vor mehr als 100 Jahren sei die Jndenschaft allenthalben im römischen Reich als kaiserl. Kammer­ knechte dem Kaiser mit sonderbaren Servitiis und Lieferungen ver­ fangen gewesen. Es habe sich aber, wie anderes mehr im Reich, damit insofern geändert, dass ihnen länger denn in 100 Jahren nicht allein dergleichen nie zugemuthet worden, sondern sie seien von unmittelbarer Schutzverwandnus der röm. Kaiser unter die Stände des Reichs gekommen, welche ihnen allen Schutz, obrigkeit­ liche Hilfe und Handbietung erzeigt, und diese respectirten und er­ kennten sie als ihre unmittelbare Obrigkeit. Da sie dieser bisher auch ausschliesslich ihre Steuer und Anlage entrichtet, wollten sie von jeder weiteren Anmuthung verschont bleiben.“ Trotz eines un­ gnädigen kaiserl. Schreibens vom 6. Oct. 1617 blieb die Forderung der Commission ohne Beachtung. In ähnlichem Sinne äusserte sich die öttingische Regierung gegenüber der brandenb.-onolzbachischen am 7. Juli 1624 bezüglich der abermals von kaiserl. Commissären begehrten Kronsteuer: „diese sei auf die weltlichen Stände ge­ kommen und habe seither ihren Fortgang nicht erreicht; man ge­ denke, in vestigiis prioribus zu bleiben.“1) Demgemäss verfuhr man auch, als Kaiser Leopold am 23. Nov. 1666 ein Mandat zur Zahlung eines Goldguldens zur kaiserlich-römischen Krönung und des gül­ denen Weihnachtspfennigs erliess. Es wurde zwar am 31. Dec. zu Wallerstein publicirt und, wie üblich, am Kirchenthor affigirt. Da man aber bei den benachbarten geistlichen und weltlichen Höfen in Erfahrung brachte, dass dort derlei kaiserl. Schreiben nicht ein­ gelaufen seien — die Reichstagsgesandten von Kurbrandenburg, Brandenburg-Onolzbach, Pfalz-Neuburg, Eichstätt u. s. w. hatten es einfach abgelehnt, das Mandat behufs der Übermittelung an ihre fürstl. Principale anzunehmen — so verhielt man sich passiv. Nur

1) 1643 stellte das Beichskammergericht za Speier bei der Reichsdeputation den Antrag, weil weder der regierende Kaiser noch sein Vorgänger Kronsteuer und güldene Opferpfennige bezogen hätten, den Kaiser za ersuchen, die Einnahmen aus diesen Begalien dem Beich und der Justiz zum Besten dem Beichskummergericht zu überweisen. Der Antrag wurde fallen gelassen, weil sich der Kaiser principicll dagegen aussprach. Er gab aber bei diesem Anlass zu, dass die etwaigen Erträg­ nisse der beiden Steuern kaum hinreichen dürften, die durch die hierzu verordneten Commissarien verursachten Kosten zu decken, da der mehreste Theil der Juden arm sei.

154 Graf Ernst erachtete es in seiner Eigenschaft als Reichshofraths­ präsident in Wien für angemessen, einen legalen Weg einzuhalten. Zu diesem Zweck wurde Hänle Weil 1668 mit einem Attestat der gräflichen Kanzlei über die ,.kundliche Armuthei“ ihrer Schutzjuden nach Wien entsandt, um bei der kaiserl. Hofkammer eine Zahlungs­ entbindung zu erwirken. Seitdem unterliess es diese Behörde, irgend welche Anforderungen an die Öttinger Judenschaft zu richten.1) Die Tradition von den Reichskammerknechten war allgemach er­ loschen.

TI. Topographisches and Statistisches. 1. Judengasse, Synagoge und Judenfriedhof zu Nör düngen. Zu den ältesten Documenten aus den Tagen der zweiten Nördlinger Judengemeinde zählt eine Urkunde über ein in jüdischem Besitz befindliches Wohnhaus. Am 28. Mai 1325 genehmigte König Ludwig der Bai er seinen Verkauf seitens des Juden Isaak an die Deutschordenscommende zu Ellingen unter Vorbehalt des dem Reich und der Stadt Nördlingen daran zustehenden Besteuerungsreohts.2) Dies Haus, worin bis 1806 ein Deutschordenskastner seinen Sitz hatte, lag damals ausserhalb der städtischen Ringmauer an der Reimlinger Thorstrasse und war wohl auf Grund und Boden des ehemaligen Königshofes Nördlingen errichtet worden und desshalb dem Reich wie der Stadt zinspflichtig. Es bestand also, wie es scheint, damals noch kein Judenquartier zu Nördlingen. Vielleicht waren die Juden in jener oder auch in andern Tborstrassen ange­ siedelt, da die Stadt vor ihrer nach 1327 beginnenden Erweiterung3)

1) Sie verfuhr im Übrigen mit auffälliger Unkenntniss der Verhältnisse.

In

Nördlingen, wo doch seit 1507 keine Juden mehr sassen, musste das Mandat von 1666 auf wiederholten kaiserl. Befehl angeschlagen werden, damit es zur Eenntniss der Judenschaft käme, und noch 1721 sah sich der Nördl. Rath genöthigt, auf das Privileg Maximilians hinzuweisen, als Earl VI. an ihn die Aufforderung zur Erledigung der Eronsteuer und des Opferpfennigs ergehn liess. 2) S. Acta Ludovici in: Berum Boicarum scriptores ed. A.F. Oefelius (1763) I, 752. 3) Am 3. Mai 1327 befahl E. Ludwig, „die grossen Vorstädte, von denen aus die Stadt leicht bezwungen und besetzt werden möchte, mit Graben und Mauern und anderm Bau zu der Stadt zu festen und zu fangen, um diesem Gebrest für die Stadt und das Beich abzuhelfen. *

155 nur wenig Baum bot. Mit diesei mag das Zusammensiedeln der jüdischen Schatzbürger in eine besondere Gasse, wie es auch bei den handwerkerlichen Körperschaften üblich war, Zusammenhängen, ln dem Vergleich vom 17. April 1349, den die Grafen von öttingen mit der Stadt bezüglich der ihnen zugefallenen Judenhäuser ab­ schlossen, werden diese als solche bezeichnet, die zu Nördlingen in der Stadt „in der Mure“ gelegen sind. Die Judenschaft wohnte also bereits damals in der innem Stadt und zwar wohl im Bereich ihrer Synagoge und ihres Friedhofes, den sie schon lange Jahre vor 1348 besessen hatte.1) Jedenfalls finden wir die vom Beginne des 15. Jahr­ hunderts an auftretende 4. Judengemeinde ausschliesslich in der Judengasse, die als „Judengesslin“ 1402 zum erstenmal urkundlich vorkommt, und in ihrer Abzweigung, dem „Gnannengesslin,“ an­ gesiedelt. Sie zählt heutzutag etwa 20 Häuser, bietet aber ein von der ursprünglichen Anlage vielfach abweichendes Bild. Ihr ein­ stiges Hauptgebäude, die Synagoge (D. 15), ist längst zu profanen Zwecken umgebaut, und nur seine ungewöhnlich starken, von schmalen Fenstern durchbrochenen Mauern, die Bäume mit niedrigen Kreuz­ gewölben umschliessen, bewahren die Erinnerung an die einstige Bestimmung.2) Auch das Strassenprofil am östlichen Eingang hat sich seit dem Abzug der 4. Gemeinde etwas verändert. Eine sehr wesentliche Umgestaltung aber gieng auf der Südseite vor sich, als der Beichsvicekanzler Nicolaus Ziegler 1519 in der Eisengasse einen stattlichen Neubau aufführen liess, dessen Zubehörden sich bis in die Judengasse erstreckten.3) Damals verschwand auoh das „Gnannen­ gesslin,“ ein von der Judengasse zum Kathhaus führendes Seiten­ gässchen, und eine hohe, die Häuserreihe unterbrechende Mauer ent­ zog fortan den Ziergarten Zieglers den Blicken. Auch sie ist in unsern Tagen gefallen, und an der Stelle jener Anlage erhebt sich

1) In der Urkunde Bischof Burkhards vom 1. April 1378 heisst es: Cum Judei in opido Noerdlingen ante miserabile . . eorum . . eicidium per vetusta annorum spacia cimiterium hahuisse noscantur . . . 2) Ein Giebelfenster mit gothischem Masswerk an der Rückseite des Ge­ bäudes ist erst vor Kurzem beseitigt worden. 3) Der Rath vergönnte ihm, „eine Behausung vorn am Markt und hinten auf die Judengassen stossend, so weilendt Peter Löslin ingehabt, mit aller Zugehör zu kaufen und darin etliche Häuser und Städel abzubrechen und nach seinem Lust zu machen.“ Bereits 1606 hatte er sich als Entgelt fQr seine Bemühungen in der Ausschaffungsangelegonheit ein Haus in der Judengasse ausbedungen.

156 ein Sohulgebäude von grossen Dimensionen, gegen das die bescheidenen, meist einstöckigen Wohnungen dieser Strasse sehr znrücktreten. Ob in der Zeit der zweiten Judengemeinde das „Judengesslin“ ausschliesslich von Juden bewohnt war, lässt sich nicht feststellen. Aber nach 1348 entsprach der geringe Bestand der jüdischen Familien nicht mehr der Häuserzahl, und es finden sich dort seitdem stets auch christliche Hauseigenthümer: um 1375 Götz Ainkürn, 1394 Engel Töterin und Guta Renhartin,1) — diese alle aus patricisohem Geschlecht —, 1402 Kunz Schön der Weber, 1410 Geori Hafner, 1456 der Kaplan zu St. Johannes Stefan Kösslin, 1459 Endlin Apotheggerin, 1477 Bernhart Rechner der Obser, 1481 Friedrich Herlin der Maler, dessen Wohnung zwischen einem Judenhaus und Bräuhäusem Martin Forners lag, und Jörg Berger Zunftmeister, 1482 Jörg von Mauren der Schuster, 1501 Hans Sporer der Stadt­ rechner, 1502 Sixt von Buchdorf der Schneider u. a. Auch dem Hospital gehörte ein Pfründhaus in dem Gässchen.2) Die Synagoge war ursprünglich Eigenthum der jüdischen Ge­ meinde und wohl auf ihre Kosten errichtet. Als bei der Katastrophe von 1348 vertragsmässig alle Häuser und Hofstätten der Juden den Grafen von öttingen mit der Bedingung zufielen, sie binnen 3 Jahren zu verkaufen, ist sie vermuthlich zunächst an die Stadt übergegangen und wurde von ihr an die neugebildete Judengemeinde überlassen. Im Jahr 1357 verkaufte diese aus „ihrer Judenschul“ und der dazu gehörigen Hofstatt an Götz Ainkürn 6 © Haller ewig Gelds um 66 © Haller, wofür sie die Schule selbst als Pfand einsetzte. Bei dem Untergang dieser Gemeinde 1384 wurde die Schule von König Wenzel der Stadt zugesprochen. Gleichsam als Sühne für den begangenen Frevel beschloss der Rath, die Synagoge mit einigen

1) Ihr Haus „auf der Juden Hofstat“ war vielleicht auf dom ehemaligen, nach 1348 von Christen überbauten jüdischen Friedhof gelegen, während Ainktirns Haus an die Judensohule stiess. 2) Die Räumung der im Bereich der Judengasse befindlichen heimlichen Gemächer liess der Rath etwa alle 25 Jahre einmal vornehmen. 1426 fand man in Veifelmans Haus, als man „die Profete grub,“ einen Hafen voll Geld, den sein Eigner wohl bei dem Blutbad von 1384 der Raubgier entzogen hatte; Y. bekam davon für seinen Theil die beträchtliche Summe von 220 Goldgulden. 1451 zahlten die Stadtrechner „von Juden Prifet ze ramen“ 19 Pfd. 4 ß, und 1475 erhielt der Baumeister Hans Schyd „von 139 Karren Kats uss dem Judengesslin zefiera“ 13 Pfd. 18 ß.

157 Judenhäusern dem Aatonierorden zur Herstellung einer Kapelle des hl. Antonius samt Kirchhof zu aberlassen. Die Schenkung wurde von Papst Bonifacius IX. am 29. Mai 1393 bestätigt, und dag Antonierhaus zu Memmingen entsandte 1394 zwei Ordenspriester und einen Laienbruder, um die erforderlichen Anordnungen zu treffen. Aber Abt und Convent von Kloster Heilsbronn erhoben als Inhaber des Patronatsrecbts der Pfarrei Nördlingen Einspruch, so dass die Antonier unverrichteter Dinge abziehen mussten. Der Bath lbste 1398 und 1399 die auf „der Schule und der Bleiche dabei“ lastenden Ewiggelder im Betrag von 37 U Hallern, die der Patricier Heimrand Zingel, seine Schwester Agnes und sein Schwager Franz Baupold bezogen, um 123 Gl. ab und befand sich nun bis 1509 im vollen Eigenthum der Synagoge, für deren Benützung fort­ an jedes selbständige Gemeindeglied alljährlich eine in seinem Pactbrief festgesetzte beträchtliche Abgabe, den Schulzins, erlegte. Als Ende März 1504 der in Nördlingen stationirte Baleyer oder Almosensammler des Antonierordens mit Tod abgieng, verweilte der Präceptor des Antonierhauses zu Memmingen, Sebastian de Bonis, einige Zeit in der Stadt. Es konnte ihm nicht verborgen bleiben, dass Unterhandlungen mit dem königlichen Hof wegen Ausschaffung der Juden im Gange waren. Er erschien daher vor Bath und führte aus, dereinst sei auf des Baths Anrufen die Syna­ goge mit ihrer Umgebung durch eine päpstliche Bulle dem Memminger Haus zugesprochen worden. Er ersuche desshalb, ihm jetzt zu ihrer Erlangung behülflich zu sein, damit die seinerzeit der Stadt wie dem Präceptor erwachsenen merklichen Kosten nicht ver­ loren wären. Die anwesenden Bathsmitglieder — ein Theil von ihnen weilte mit dem Amtsbürgermeister in Augsburg — erklärten, ihm wegen mangelnder Sachkenntniss nicht rathen zu können. Im März 1506, als der Auszug der Juden unmittelbar bevorstand, kam ein Vertreter des Präceptors mit dem Nördlinger Antonier vor Bath und begehrte Bescheid auf den vor zwei Jahren gestellten Antrag. Falle dieser nicht im Sinn des Ordens aus, so seien sie beauftragt den Juden zu verkünden, von ihrer Synagoge abzustehn. Der Bath antwortete ausweichend. Die Juden seien dem König unterworfen und zugehörig, und der Bath habe über sie nicht zu verfügen. Bezüglich der Synagoge und der Judenhäuser aber be­ streite er die Ansprüche der Antonier und erbiete sich ihrethalb vor dem König zu Becht. Als der Priester nun den Wunsch aus­ sprach, der Bath möge selbst den Handel bei dem König anhängig

158 machen, entnahm man daraus, dass der Orden seine Ansprüche für wenig begründet halte, und beschloss, die Sache einstweilen ruhen zu lassen. Man versäumte jedoch nicht, sich durch ein königliches Privileg ausdrücklich das Eigenthum der Schule und der Häuser der Juden zu sichern. Der Präceptor aber hatte seinerseits eine Confirmation der Bulle von 1393 erwirkt und legte sie 1507 dem Rath zur Einsicht vor. Dieser nahm sie an mit dem Protest, da­ gegen seine geziemende Gegenwehr zu behalten. Der Orden liess jetzt seine Ansprüche fallen und bat 1509 um die Erlaubniss, an der Stelle der Synagoge oder auch an einem andern Platz eine Kapelle nebst einer Behausung für den Kapellan auf seine Kosten erbauen zu dürfen. Auch diese Bitte liess der Rath unberück­ sichtigt, obwohl der Präceptor drohte, die Sache zu gütlichem oder rechtlichem Entscheid vor die Augsburger Curie zu bringen. Ab und zu bezog der städtische Fiscus auch eine Nebennutzung aus der Synagoge von ihren Bodenräumen. Von 1475—1479 dienten sie zur Lagerung von Kornvorräthen des Hospitals gegen einen jährlichen Kastenzins von 2 Gl. Gegen Ende des Jahrhunderts zeigten sich bedenkliche Bauschäden an der Schule, welche die Ge­ meinde 1486 veranlassten, den Rath um Abhilfe zu bitten. Trotz der Rente von 75%, die er damals aus dem Gebäude bezog, konnte er sich nicht entschlossen, dem Ersuchen stattzugeben, sondern be­ gnügte sich damit, seinen jüdischen Schutzbefohlnen nahezulegen, sie mochten zunächst selbst für ihre Sicherung sorgen. Bei den Unterhandlungen wegen Austreibung der Juden war neben dem Stadtammau der Stadtrechner Hans Sporer besonders thätig gewesen. Es schien daher billig, ihm, der bereits ein Haus nächst der Synagoge besass, eine Gelegenheit zur VergrOsserung dieses Besitzes zu geben. Im Jahr 1509 überliess ihm der Rath die Sohule nebst der Wohnung des Rabbi und den anstossenden Hof — das Ganze von einer 12' hohen und 21/3‘ dicken Mauer eingefriedigt — um 200 Gl. für frei eigen.1) Seitdem ist sie in Privatbesitz verblieben. Mit der Synagoge hieng eine Wohnung für den jeweiligen Hochmeister zusammen, der deshalb auch kurzweg als „Jud uff der Schul“ bezeichnet wird. Für ihre Benützung aber hatte er einen 1) Die Thüren in dieser Mauer und an der Schule, die bisher in den Frei­ lass am städtischen Mehlhaus führten, wurden vermauert und der bisher bestandene Erbfluss durch die Mauer geleitet.

159 Jahreszins von 4 Gl. zu entrichten. Neben der Schule lag ein um 1428 vom Rath neu erbautes „Steinhüslin“, das dem Schulklopfer gegen einen Miethzins von 4 Gl. als Wohnung diente, 1489 aber in das Eigenthum Leo’s aberging und deshalb der Steuer verfiel. Da­ neben gehörten dem Rath in der Judengasse während der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein grösseres und ein kleineres Haus, worin jüdische Miether gegen einen Jahreszins bis zu 15 Gl. sassen. Eigene Häuser hatten von 1401—1435 nur Joseph, Mosse, Veifelmann, Jöslin, Hirss und Leo. 1459 steigt die Zahl der jüdischen Hauseigenthümer auf 4—5, sinkt aber 1475 auf 2. Von 1489 ab, vielleicht schon früher, befinden sich wohl in Folge eines Rathsgebots sämtliche jüdische Familien mit Ausnahme des Hochmeisters durch Kauf oder Erbgang im Besitz eigener, steuerbarer Häuser. Zur Errichtung von Neubauten durch Juden waren die Verhältnisse nicht angethan.1) Seit unvordenklicher Zeit besassen die Juden für ihre Todten einen eigenen Friedhof, der altem Brauch entsprechend wohl zu­ nächst ihrem Gotteshaus lag. Nach der Verfolgung des Jahres 1348 wurde er von Christen mit Wohnhäusern überbaut. Bischof Burkhard von Augsburg ertheilte daher der dritten Judengemeinde am 1. April 1378 die Erlaubnis,2) einen neben jenem Friedhof ge­ legenen, ihnen gehörigen Rasenplatz als Begräbnissstätte zu ver­ wenden. Noch zu Ausgang dieses Jahres wurden daselbst Grabsteine für zwei Jungfrauen aufgestellt: für Roslin, die Tochter R. Alex­ anders aus dem Priestergeschlecht, und für Zaret oder Zarte, die Tochter R. Eliesers.3) Er blieb aber nur kurze Zeit im Gebrauch.

1) Michel berühmte sich, er und sein Sohn Leo hätten ihre Häuser gebaut und die Stadt damit gebessert, „das doch seltzem ist Juden Heuser zu bauen.“ 2) Die Urkunde ist abgedruckt bei A.^Steichele: Das Bisthum Augsburg III, S. 939. 3) J. F. Weng gibt im 4. Heft der Zeitschrift „Das Eies“ folgende Über­ setzung ihrer Inschriften: „1) Diesen Stein habe ich als Denkmal gesetzt am Haupte der geehrten Köslin (Rosalie), Tochter B. Alexander, des Priesters. Sie starb am 5. Tage in der Woche eilf Tage im Monat Kislev im Jahr 139 nach der kleinen Zahl. Ihre Seele bleibe aufbewahrt im Bunde des Lebens im Garten Eden. Amen, Amen, Amen, Sela. 2) Dieses (Grab) Zeichen wurde errichtet am Haupte der geehrten Zarit, Tochter des B. Elieser. Sie starb am 4. Tage in der Woche am 25. Tage im Monat Eisler im Jahr 139 nach der kleinen Zahl. Ihre Seele bleibe anfbewahrt im Garten Eden. Amen, Amen, Amen, Sela. (Die von Weng unrichtig angegebenen christlichen Daten der Todestage sind für BSslin der 1. Dec., für Zarte der 15. Dec. 1378). — Die beiden Steine waren früher an der Südwand

160 Vielleicht sind die Opfer der Greuelthat von 1384 noch dort ver­ scharrt worden, und dann mag er als Bleiche (s. o.!) gedient haben. Bei dem Tode Falks, des ältesten Gliedes der 4. Jndengemeinde (1415), bestimmte der ßath ein ihm gehöriges Grundstück am Henkel­ berg znm neuen Judenfriedhof, das von da an den Namen Judenacker *) führte. Er lag bis 1423 offen da und wurde dann mit einer Mauer umschlossen, deren Kosten die Judenschaft mit 59 Gl. trug. Im Jahr 1415 setzte der Rath die für die Begräbnisse zu entrichtenden Gebühren folgendermassen fest: „Weiher Jude hie in dem Acker an dem Henckelperge liegen will, da sol jeder Jud der alt ist, vmb die Grepnuss der Stat geben zwen Guldin vnd ein Eint ein Guldin. Ist aber ein alter Jude fromd, das ist ein Gast, vier Guldin, vnd ein fromds Kint zwen Guldin“. Die Beerdigungen wurden durch den städtischen Todtengräber vollzogen, der dafür von der Stadtkammer die Gebühr von 10 ß 2 Hellern erhielt. Der NOrdlinger Judenacker aber diente während des 15. Jahrhunderts zugleich als Begräbnisstätte für einen weiten Umkreis. Nach Ausweis der Stadtrechnungen, in denen übrigens die Mehrzahl der hierher zu ständigem Verweilen verbrachten „Gäste“ ohne Angabe ihrer früheren Wohnsitze eingetragen ist, fanden hier ihre letzte Ruhestätte Juden aus Baldingen (1433. 1436. 1437), Bopfingen (1432. 1438. 1442. 1488. 1491. 1495), Er­ lingen (1468. 1503), Hainsfurt (1434), Lebsingen (1465. 1468), Maihingen (1479), Offingen (1438), öttingen '(1444. 1448. 1461), Fflaumloch (1487. 1490. 1493. 1494), Wemdingen (1429. 1443); Eiwangen (1428. 1443), Eeuchtwangen (1447), Gunzenhausen (1461), Dischingen (1464), Weissenburg (1490), Werd (1490), Weiden (1494), sowie ein Jude, „den man zu dem Hohenhaus zu Tod ge­ worfen hat“ (1468). Nach dem Auszug der Juden wurde der Juden­ acker seiner früheren Bestimmung zurückgegeben und gieng bald in Privateigenthum über.

der Herrgottskirche nahe dem Eingang eingemauert, wurden bei ihrer Restauration 1869 von dort entfernt und der Obhut der städtischen Behörde anvertraut. Eine Anfrage bei derselben ergab (1898), dass die ehrwürdigen Denkmale nicht mehr existiren. 1) Er liegt an der Ostseite des jetzt Marienhöhe genannten Henkel- oder Galgenbergs, mass 468 Buthen und wurde (nach 1507) au seinem nördlichen Theil wie mehrere andere Äcker jener Berglehne von dem jetzt eingegangenen Weg durch­ schnitten, der zum Hochgericht führte.

161 2. Glieder der jüdischen Gemeinden zu Nördlingen. 1298—1506. Die Namen der Opfer des Jahres 1298 sind dem von S. Salfeld 1898 heraus­ gegebenen Martyrologium des Nürnberger Memorbuchs (S. 181) entnommen. Die Namenliste von Gliedern der Gemeinden des 14. Jahrhunderts ist aus Urkunden zusammengestellt, die ihrer gelegentlich erwähnen, und bietet deshalb selbst­ verständlich nur einen kleinen Theil ihres Bestandes. Das Namenverzeichniss der 4. Gemeinde gründet sich auf die städtischen Steuer- und Rechnungsbücher. Beide beginnen 1399, enthalten aber noch keine Mittheilungen über jüdische Insassen. Für das Jahr 1400 fehlen Steuerregister und Stadtrechnung. Von 1401 ab finden sich regelmässig Einträge über die Leistungen der jüdischen Schutzbürger an die Stadt, die bis 1506, dem Jahre vor ihrer Vertreibung, reichen. Eine empfindliche Lücke besteht nur für die Jahre 1402—1404, deren Rechnungs- und Steuerbücher abgehen. Da für die folgende Zeit meist diese beiden Quellen vorhanden sind oder doch für die einzelnen Jahre wenigstens eine von ihnen, so war es nahezu möglich, die sämtlichen jüdischen Familienhäupter zu verzeichnen, die vom Anfang des 15. bis in die ersten Jahre des 16. Jahrhunderts zu Nördlingen ins Bürgerrecht gelangten. Namen

Er­ wähnt

R. Jakob, Sohn R. Judas, 1298 der Gesetzrollenschreiber Seine Frau Kronlin und seine beiden Kinder R. Levi, Sohn R. Salomos Seine Frau Mirjam Die alte Frau Hanna Ihre Enkelin Frau Hanna Isak

Porsonalien Erlitten sämtlich den Märtyrertod — zum Theil durch das Feuer — in der durch Rindfleisch angestifteten Verfolgung.

1325 J. verkauft ein Haus zu Nördlingen an die Deutschordenskommende zu Ellingen.

Elchanan ben Eleasar ha-Levi 1338 E. war 1338 Vorbeter der Gemeinde zu Nürn­ (von Nördlingen) berg und wurde dort im Dec. 1349 getödtet, mit ihm seine Frau Kela, sein Sohn Josbel und seine übrigen 5 Kinder. Falk Selmlin 1349 Mit Ausnahme von Hanne waren vermuthlich Simon alle Opfer der „Gethat“ von 1348. Mosse Micheltrut Simon Strölin Hanne Mosse von Bopfingen 1357 Treten insgesamt als Eigenthümer der NördYsak, sein Schwager linger Synagoge und der dazu gehörigen Anshalm, Levis Sohn Hofstatt auf. Die Wittwe Levis Hanne, die Schwieger Levis Leo, Michels Sohn Die Mutter Leos Lieberman, Selikmans Sohn Symon, Selikmans Diener

11

162 Namen

Er­ wähnt

Personalien

Gumpreeht

1375

G. hatte an das Amman-Amt zu leisten: „uz dem Nebenhuss 51/«, ß Haller Zins, 1 Pfd. aun 16 Haller ze Valle und 9 ß Haller und 4 Haller Weglos; uz dem Steinhuss 6 Haller Zins; uz Pfaff Wieners Huss 3 ß H. Zins, 10 ß H. ze Valle und 5 ß H. Weglos“.

Bendit, Gumprechts Eidam

1374

Kaiser Karl IV. gebietet seine Wiederaufnahme in die Stadt (Mainz 1374 Nov. 8).

Elias (Maister Elyas)

1375

E. bosass ein von Götz Ainkürn geka uftes, „an der Juden Schul“ gelegenes Haus, wofür er an Heinrich Frickinger, Ainkürns Schwieger­ sohn, jährlich 25 Pfd. Heller «ab. An das Amman-Amt reichte er „24 H. Zins u. 7 ß H. aun 4 H. ze Vall und 40. H. Weglos uz sinem Huss.“

Meir von Köln

1375

M. gab an das Amman-Amt „3 ß H. Zins, 10 ß H. ze Vall und 5 ß H. Weglos uz siner Hofraid.“

Anssei, des Meirs Sohn von Köln

1382

A. wurde von Heinrich Marschalk von Pappen­ heim abgefordert, 1382 Bürger zu Nürnberg und starb 1396. Jakob Rapp von Nürnberg war sein Schwiegersohn.

Josep von Werd

1375- J. wurde von Herzog Stephan von Baiern ab­ 1379 gefordert. Gab an das Amman-Amt „13 ßH. Zins, 3 ß H. ze Vall und 18 H. Weglos uz des Remlingers Huse.“

Roslin, Tochter des R. Ale­ xander aus dem Priester­ stamme

1378

R. starb am 1. Dec. 1378.

Ihre Grabschrift s. o !

Zarte, Tochter des R. Elieser

1378

Z. starb am 15. Dec. 1378.

Ihre Grabschrift s. o!

Jeklin von Ulm

1384

J. wurde am 21. Juli 1384 Bürger zu Nürn­ berg und starb 1402 oder 1403. (Vgl. I. S. 26. j

163 Namen Falk, Sohn des R. Baruch Kohen

| Er­ wähnt

ii Abgaben *) j

Personalien

1401— I.Martini25Gl. F. unterschreibt sich einmal Falk Kohen Chakim (= der Gelehrte), war also 1415 (1413: 15 Gl.) vielleicht Hochmeister. Er wurde 11. 15 Gl. Bürger auf 3 Jahre Pfingsten 1407, III. Invocavit ebenso 1410 und 1413. F. gab 15 Gl. 1407 von seinem Schwager Leo, „der (1415: 12 Gl.) ussbelib seines Bürgerrechts“, 6 Gl.

Sara, Falks Wittwe 1415— I. 1415: 8 Gl. S. ist seit 1415 Wittwe, heiratete aber bald wieder. Im Bürgerbuch steht: („dieVelckin“) 1425 1416-24:4 Gl. „Velckin Jüdin, die den Bendit hat“. III. 12 Gl. Sie starb 1425. Bendit ist nicht ins 1416—20 mit Bürgerbuch eingetragen; doch gab Meir zusamm. er 1425: 4 Gl. Steuer. In den 10 Gl.; Stadtrechnungen erscheint er zwei­ 1421-22 allein. mal: 1415 „von Pendit Juden 2 Gl. alt „Badgelt“; 1419: 5 Gl. der Felkin Man.“ Er starb 1425. Bennet (Benedict), 1405 Falks Sohn, und Borach (Forach), Falks Tochter­ mann.

I. zusammen 15 Gl.

B. sass 1408 zu Weinlingen. Er, sein Vater und sein Schwager hatten einen Streit mit Seligmann und Meyer von Bopfingen, der schliesslich vor König Ruprecht kam. (IV. S. 124.)

Borach,Falks Toch- 1410 terraann, allein 1411

I. 8 Gl.

B. wurde ira Juli 1410 Bürger auf 2 Jahre. Er sass 1408 zu Weinlingen.

II. 5 Gl.

S. gab 1401 zu Besserung 4 Gl. und wurde ausgewiesen.

Süssmann Josep **)

1401

I. 20 Gl. J. gab 2 Gl. Stür von seinem erkauften 1404 Haus und für Wacht- und Grabgeld. 1407 II. Die Jüdischait gibt von Er wurde nebst 2 Söhnen und einem 1405-13 zu­ andern Nördl. Juden von etwas „Ge­ sammen jährl. schichte und Brüche“ wegen, die sie 30 Gl. IV. 2 Gl. gethan, vom Rath gestraft. König Ruprecht verlangte 1404 diese Busse, als ihm zuständig, von der Stadt.

Meir von Speier

1405

I. 12 Gl.

David Meir

1405

I. 7 Gl.

Merklin von Regens­ 1405 I. 8 Gl. DI. 8 Gl. „von burg dem Hüslin“. Jakob vonSchweinfurt 1405

I. 2 Gl.

*) Ziffer I bedeutet die Steuer, Ziffer II den Schulzins, Ziffer III den Haus­ zins und Ziffer IV die Haussteuer. **) Für die Jahre 1402- 1404 fehlen Rechnungs- und Steuerbücher. 11*

164 Namen

Er­ wähnt

Abgaben

Personalien

Mosse von Miltenberg, 1405I. 16 Gl. M. wurde 1407, 1410 und 1413 an II. Die Ge­ Sohn des R. Josef 1420 Martini Bürger auf 3 Jahre und 1414 meinde gibt zu­ Jttdt, seine Frau steuerte bis 1416. 1410 schenkte sammen er der Stadt 8 Gl. zu Glocken und 1415-18: zum Grabonbau. 1410 zahlte er 5 GL, je 28 Gl. 1416: 10 Gl. Besserung. Kommt 1419-24: noch 1420 im Stadtpfandbuch vor. je 20 Gl., Er zog sich wiederholt die Ungnade 1425; 50 Gl. König Ruprechts zu und war mit IV. 2 Gl. seinem Sohn Salman an dem „Auf­ ruhr“ in der Synagoge 1414 be­ theiligt. Salman, (Meschul- 1411— I. 6, seit 1413: lam), Mosses Sohn 1417 10 Gl. Särlin, seine Frau 1414

S.

Süsslin und Hirss, 1423 1.12 Gl. 10 Gl. 1428Mosses Söhne II. 25 Gl. 1432 IV. 5 Pfd. Hirss (allein)

H. gab 21. Mai 1432 für etwas über ein halbes Jahr 2l/g Gl. für Haussteuer, Wach- und Grabgeld.

Panum (Bonam), Mosses Schwager

1405

I. 8 Gl.

wird Bürger 25. Juli 1411 auf 2 Jahre; ist um 1421 zu Nürnberg.

Zahlte „für 3 Person.“

D. ward 23. Mai 1408, 23. April 1410 David v. Höchstädt (?), 1408I. 20 Gl. und 1413 B. auf 3 Jahre. 1408 Sohn des R. Isai 1419 III. 6 Gl., seit Ädelin, seine Frau 1414 1412: 7 Gl. soll er den 7. Gulden Zins an dem ihm geliehenen „Hüsslin kuntlich verbuwen.“ 1416 zahlte er 5 Gl. zu Besserung. Bela, Joelins Tochter 1409von Bettems (Pött- 1411 mes)

I. 5 Gl.

B. ward 23. April 1410 Bürgerin auf 3 Jahre.

Liehermann von Mem­ 1409mingen, Sohn des 1414 R. Soligmann (— Elieeer Sohn des R. Menahem) Särlin, seine Frau 1414

I. 15 Gl.

L. ward B. Mitte August 1409 auf 3 Jahre. Wurde als Hauptbetheiligter an dem „Aufruhr“ in der Syna­ goge 1414 aus der Stadt gewiesen. Bei diesem Handel werden als Bürgen genannt seine Vettern Lieberman von Weissenborn und Mosse von Dietfurt. L. begab sich 1414 unter den Schutz der Marschälke Sigmund Haubt und Heinrich zu Pappenheim.

Anshelm (= Ascher, 1410- 1.1410:15 Gl. A. ward B. Aug. 1410 auf tin Jahr, Nov. 1412 auf 2 Jahre. Gab 1415 Sohn des R. Isak) 1418 1412: 16 Gl. Rächlin, seine Frau 1414 zu Besserung 1 GL, 1416: 10 GL Süsslin von Regens- 1410 1411 burg Leo (Liwa) Sohn des R. Hiskiah

1414

I. 15 Gl.

S. ward B. 22. April 1410 auf ein Jahr. Ist im Steuerbuch als „Süpplin“ eingetragen. Verzichtete mit andern am 13. Juli 1414 auf die bis dahin der jüd. Gemeinde 2ugestandene eigene Rechts­ pflege.

165 Namen

Er­ wähnt

Gutmann (= Simcha), 1414Sohn des R. Juda 1416 ha-Levi Sörchlin (= Sara), 1414 seme Frau Meir

I. 15 Gl.

Personalien

G. gab 1416 zu Besserung 1 Gl.

1415M. zahlte 1415 an Badgeld 2 GL Er 1. 15 Gl. 1424 III. 1421-3: starb 1425 in der Fastenzeit. 7 Gl. 1424: 15 Gl.

Gnenlin, „sin Hus- 1425— 1430 frowtt (Wittwe)

Trostlin (Troschlin)

Abgaben

14151420

I. 4 Gl. G. starb 1430, ihr Sohn 1429. Ihr Tochtermann Jöslin wird 1428 er­ 1429: 1 Gl. II. 5 Gl. wähnt. III. 15, 1429: 10 Gl. I. 2 Gl.

J. gab 1423 zu Besserung 20 Gl. Jöslin von Rotenburg 1419— I. 12 Gl. 1424 IV. 1423:1 Gl. ll/2 PW. Mosse, Schulklopfer 1420- I. nicht im 1434 gab der „jung Schulklopfer“ 2 Gl. Grabgeld von seinem Vater; Steuerbuch 1434 1423 und 1427 gab der »jungMosse“ Sein Sohn . . . 1434- III. 1420 zahlt 1 Gl. Grabgeld von einem Kind; 1437 „Schulklopfer 1437 wurde der Sch. wegen Kaufs 7 Gl. Z. vom gestohlener Schafe und Hühner um Haus“. 1428 u. 10 Gl. gebüsst. 1444 gibt die Gemeinde 4 Gl. „vom neuen Htislin, da der Schulklopfer inn ist“. Yeifelmann von Über­ 1421— I. 1422-4: „Fifelmann“ kam von Giengen, wurde lingen B. 10. Nov. 1421. Beim Graben 1431 22 Gl., dann j des „Profets“ in seinem Haus 1426 10 Gl. wurde ein Silberschatz gefunden, II. 20 Gl. seit von dem er für seinen Theil 220 Gl. 1426. erhielt. Er zahlte am 27. Oct. IV. 2 Gl. 1431: 3 Gl. Steuer vom Haus und für 2 Jahre Wach- und Grabgeld. Liebermann, Veifel- 1423- I.1423 f. 6 Gl. L. wurde am 9. März 1423, dann 1433 und 1438 B. auf 5 Jahre, 1447 auf mannsTochtermann 1453 1426 f. 4 Gl. 3 Jahre. Er zahlte 1439, 1442 u. II. 1428-9: 1445 je 1 Gl. Spielgeld. 1453 erlegte 8 Gl. er an Kriegshilfe 66 Gl. 3 Pfd. 1434 f.: 12 Gl. 16 ß 2 hl. 1449 lieh er dem Rath 200 Gl. Er sass 1445—1463 zu Bopfingen. Hirss, des Lieber­ 1442— 10Gl.ftiralle8. H. ward B. 19. Jan. 1442 auf 3 Jahre. Er hatte „ein Gemftchlin in des 1444 manns Tochter­ Raths Stainhus, da Mosse innen ist.“ mann

166 Er­ wähnt

Namen

Abgaben

Personalien

Ysaac von burg

Weissen-' 1422— 1425

I. 11 Gl. III. 14 Gl.

J. ward 3. Nov. 1422 B.

Viol, Veyel

1423— 1425

I. 11 GL 1425: 5 GL III. 15 GL

Y. ward 9. März 1423 B. auf 3 Jahre. Seine Mutter starb 1426.

Eliud, Seruns Sohn

14251426

I. 3 G1.

„Elyas und auch sein Bruder gaben 1426 zu Besserung 13^2 Pfd.w

Iselin, Yselin

1427 1429

I. 10 GJ. II. 25 G1. IIJ. 15 GL

J. zahlte 1428 Spielgeld 4 Pfd. Mutter starb 1427.

Seine

*Uri, „den man den 1433I. 4 G1. U. erhielt seit 1433 fünfmal das Bürgermeister 1438: 3 GL Bürgerrecht auf ein Jahr erneuert. 1439 nennet“ 11.1434:36G1. Er zahlte an Busse 1434: 21 Behmisch, 1435: 40 dl., 1436 wegen Spiels 1435 ff. 12 GL IV. 1 Pfd. und Kartens 2 GL, 1437: 50 GL und 10 GL, letztere wegen Kaufs gestohlener Hühner. Weib, Sohn, Bruder und Mutter U’s zahlten 1436 zusammen 10 Pfd. Busse. Schmule (Samuel) von 1434- I. 4 Gl. mit Brackenheim Kalman zu­ 1437 sammen 1436: 3 Gl.* allein II. 14 GL Kalman von Kalbe 14341438 (Calw), dessen Tochtermann Jacob Köpflin

1434

Schm, und sein Tochtermann wurden am 27. Juli 1434 B. auf 3 Jahre. Schm, zahlte 1436 wegen Leihens „uf Burger Harnasch“ 50 GL Busse.

I. 1437—8 K. erhielt seinen Pact am 22. Juni 1437 auf 3 Jahre erneuert. Er 3 Gl. allein II. 1437: 9, zahlte 1434 Busse 7 Pfd. 15 ß, vom Spiel 3 Gl. 1438: 11 GL I. 2 GL II. 6 GL III. 4 Gl.

K’s Haus hatte früher der Schul­ klopfer inne. K. zahlte 1434 eine Busse von 20Behmisch, sein „Wider­ teil“ 1 GL

Leo (Leb) von Ra­ 1434— L. erwarb das Bürgerrecht auf 3 Jahre I. 3 GL port swylo (Rappers- 1438 am 29. Juni 1434. Er steht 1438 II. 12. GL wyl) noch im Stadtpfandbuch. 1434 III. 1436:4 GL IV. 1 Pfd. zahlte er eine Busse von 10 ß} 1436 wegen Funddiebstahls 200 GL Seine Muhme gab 1436 eine Busse von 2 Pfd. MoBse von Eichstädt, 1438— Heilmanns Sohn 1442

I. 4 Gl. II. 12 Gl. III. 7 G1. „vom Steinhuse“

M. ward 14. Sept. 1438 B. auf 5 Jahre. 1439 zahlte er 1 GL, 1441: 3 GL Spielbusse und laut Revers v. 19. Oct. 1442: 200 GL Busse wegen „Austretens uud Überfahrens.“

Salman ingen

I. 6 Gl. II. 12 Gl.

S. war B. seit 16. Oct. 1438 auf ein Jahr.

von

Bald­ 14381439

*) Von 1430—33 fehlen die Einträge in den Steuerregistern.

167 Er­ wähnt

Abgaben

Personalien

Josep von Werd

1439 1453

I. 4 Gl. II. 12 Gl.

Yeifelmann

14401445

I. 4 Gl. II. 16 Gl.

J. wurde 1439 und 1447 B. auf 3 Jahre. Er zahlte 1442: 2 GL Spielbusse und 2 Pfd. Ainung, 1444: 1 Gl. Spielbusse, 1453: 100 GL Kriegs­ hilfe. 1449 lieh er dem Rath 150 Gl. 1453 liess er sich in Ulm nieder. 1457 verklagte ihn der Nördl. Stadt­ schreiber Hans Vogg wegen eines Guthabens von 10 Gl., „die er wohl verdient habe, da er ihm treffenliche Sachen zu Westfalen gehandelt und ausge tragen.“ Y. ward 1. Aug. 1440 B. auf 5 Jahre. Er besass die Freiheit, dass seiae Steuer nicht zur Hälfte an die Grafen von öttingen fiel. 1445 zahlte er 2 Gl. Spielbusse. E. ward 10. Sept. 1444 und im Oct. 1447 B. auf 3 Jahre. Er zahlte 1449: 1 Gl. Spielbusse, 1453: 25 Gl. Kriegshilfe.

Namen

Enslin, Veifelmanns 1444 1453 Sohn

I. 2 Gl. II. 6 Gl. III. 6 Gl. 1447 : 4 G1. dann 7 Gl. 1440 I. 1 Gl. Nathan 1440 I. 3 Gl. Bendel II. 7 Gl. 1444I. 4 Gl. Seligmann 1448 II. 12. Gl. I. 4 Gl. Soligmanns Wittwe 14491450 II. 12 GL I. 4 Gl. Süssmann (Süsskind, 14441449 II. 12 Gl. Süss)

David Ca8riel iGas-!l445 riel) von Nürnberg 1454

I. 4 Gl. 11. 12 Gl. | i

j

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in. 6

gl

S. ward 1447 wieder B. auf 3 Jahre, starb aber 1448. S. ward Oct. 1447 wieder B. auf 3 Jahre, starb aber 1449, seine Hausfrau 1448. 1445 zahlte er 2 Gl. Spielbusse. Sein Kind wurde 1453 mit 51 Gl. Kriegshilfe angelegt. D. ward Weihnachten 1445 und wieder 1447 B. auf 3 Jahre und wohnte im „Steinhaus.“ Er zahlte 1445: 1 und 2 Gl. Spielbusse. Sein letz­ ter Pact lief Martini 1453 ab, or entfernte sich aber bereits im Sommer dieses Jahres ohne des Raths Wissen und Erlaubnis und ohne sich unklagbar gemacht zu haben, weshalb man ihm Weib, Kind und Gut nicht folgen liess. Der Rath willigte aber 1 1454 seinem neuen Schirmherrn, i Ritter Martin von Wildenstein, Hof! meister und Schultheiss zu Neueni markt, zu liebe ein, die Differenz | vor dem Rath zu Nürnberg aus­ tragen zu lassen, obwohl man dazu nicht verpflichtet sei. Sein Weib gab 1453 an Kriegshilfe 66 Gl. 3 Pfd. 16 ß 2 dl.

168 Er­ wähnt

Abgaben

Personalien

1447— 1450

I. 5 Gl. II. 20 Gl.

D. ward 18. Aug. 1447 B. auf 3 Jahre. 1447 zahlte er 2 Gl. Spielbusse, 1450: 1 Pfd., weil er Nachts auf der Strasse ohne Licht betroffen wurde.

Aaron von Neresheim 1449 1453 und 14591489

I. 4 Gl. 11. 12 Gl.

A. gelobte am 9. Mai 1449 und verliess in Folge der Kündigung sämt­ licher jüdischer Pactverträge auf Martini 1453 die Stadt. Er wurde wieder B. am 6. Mai 1459 auf 5 Jahre, ebenso am 13. Mai 1464. A. hatte eine Schwester als Ehalten bei sich, die 1473 starb. 1459 war er selbacht; 1475 bestand sein Haus­ halt aus 4 eignen und 2 Sohnskinden, 2 Meden (Mägden), 1 Lehrmeister und 1 Knaben. A. war also damals Wittwer. Nach seinem Tod (zwischen Remin. u. Jubil. 1489) machten — ausser seiner Wittwe Margolis — auf das Erbe Anspruch: Jakob der Elter, David und Schmul Gebrüder; Jakob der Jünger, David und Jesse, auch Ge­ brüder; Joel, Noe, Salmon (Aarons Tochtermann) und Manne. Am 20. Juli 1491 einigte sich diese Verwandtschaft, bei welchem Akt einer der beiden David als Aarons Sohn genannt wird. Dieser David und sein Bruder Schmul hatten sich 1488 nach Welschland verheiratet, bei welchem Anlass der Rath ihnen und ihrem Bruder Jakob bei Erz­ herzog Sigmund Geleit durch Tirol erwirkte. Salmon und Manne sind 1491 Hintersassen des Ritters Renwart von Wölwart zu Lauterburg bei Aalen. Als Enkel A’s werden 1489 Jakob und David genannt: J. sass in sächsischem Schirm zu Königs­ berg in Franken, D. im Schirm Sigmunds von Weiden zu Weiden. 1482 zahlte A. für die Aufenthalts­ bewilligung seines Sohnes Salmon und dessen Weib 10 Gl. 1493 ver­ weilte David 18 Wochen in N. gegen eine Gebühr von wöchentlich 42 dl. J’s Pact lief vom 12. Nov. 1466—68. Vorher lebte er im väterlichen Hause gegen eine monatliche Gebühr von 1 Gl. 1471 bezahlte A. für seinen verstorbenen Sohn 4 Gl. Grabgeld, (die Taxe füreinen auswärtigen Juden).

Namen

David von Werd

1. 6 Gl. II. 20 Gl. IV. 2 Ort für ein 1481 um 100 Gl. erkauftes Haus mit Garten.

Aarons erste Frau... (gestorben vor 1475)

Jesse, Aarons Sohn 14631471

| | ! ! | !

I. 3 Gl. II. 10 Gl.

169 Namen

!

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Er­ wähnt

Abgaben

Personalien

1

j

Jakob der Elter 1465Die Pakte J’s laufen vom 26. Juli I. 3 Gl. Aarons Sohn 1465—1468 und vom 14. Sept. 1481. II. 8 Gl. 1469 Nach 1488 bestand sein Haushalt und 1497/8: 4 Gl. aus ihm, seiner Frau, 7 Kindern, wieder IV. 1489: lOrt dazu von 1 Magd, 1 Knecht, 1 Tochtermann, 14811499 seinem Häus­ 1 Erztin und ihrem Tochtermann. lin 1495: lPfd. 20*/2 di. Jesse, Jakobs Sohn, 1491— I. II. 3 Gl. J. wurde 1495 aufgenommen. 1496 Aarons Enkel 1506 1506: 274 Gl. ertheilte ihm sein Vater Jakob IV. 1 Ort. Generalvollmacht für ( das Stadt­ pfandbuch. Seine Mutter'starb 1504. Bunam (Buman), 1467— 1. 3 Gl. B.’s erste]! Frau starb 1471. 1475 Aarons Tochter- 1491 II. 9 Gl. hatte er 2 Kind, 1 Magd und {1 Lehr­ mann IV.1489:3Pfd. meister; nach 1488: Weib, 4 Kind, 4 dl. St. von 1 Magd, 1 Knecht. Er zahlte 1491 2 Häusern, an Ungelt 29 Pfd. 18 dl., Wach­ 1490: 2 Pfd. geld J Pfingsten und Herbst 24 dl. 15 dl. von 1473 bezahlte er 7a Gl. wegen Be­ | einem Haus. herbergung eines nicht angemeldeten fremden Juden. Sein Sohn Joel wird 1491 als Gewalthaber seines Vaters erwähnt. Samuel, Jakobs 1499Tochtermann 1501

I. II. 4 Gl. IV. 1 Pfd. 21 dl. I. II. 4 Gl. IV. 2 Ort,

Jesse gab 1502 für S. 2 Gl. Grabgeld. S’s Wittwe verheiratete sich mit Eberlin (s. u!).

Bela (Bölin), seine Wittwe

15021504

Josep, Jakobs Tochtermann

1491— 1.2 Gl. 11.7 Gl. J. zahlte 1501 ein Bussgeld von 4 Pfd., 1506 1506 : 67.G1. weil er auf ein „unausbereit GeIV. 1 Kd. schlachtwandertuch“ geliehen. 20yo dl., seit 150Ö: 5 Pfd.

Margolis (Mergoles), 1489 1.6G1.11.20G1. Die Familie der Wittwe M. bestand Aarons spätere 1491 nach 1489 aus]^ Söhnen, 8 Sohns­ Frau, Wittwe seit und kindern, 2 Sohnsfrauen, 1 Lehr­ 1489 1496- I II. 4 Gl. meister, 1 Knecht, 1 Magd. M. IV. 2 Ort, 1506 nahm Urlaub am 15. Juni 1491, von 1499 ab gieng nach Pflaumloch, steuerte aber 2 Pfd. 271/2 dl. wieder 1496. Elias, ihr Sohn

1497— 1503

Jakob, ihr Sohn

1498

E. vertritt seine Mutter bei Pfand­ verkäufen 1497—1502. Er starb 1503. I. II. 4 Gl. zusammen mit Noe.

170 Namen

Er­ wähnt

Abgaben

Personalien

14991503

I. II. 2 Gl. IV. 1 Pfd. 23 dl.

N. stand 1498 noch unter Pflegschaft. Seine Frau Rachel (Rechlin), Tochter Abrahams von Heilbronn, ist 1504 Wittib.

Jesse, ibrTochter- 1499 mann 1506

I., II. 8 Gl. 1506; 6 Gl. IV. 1 Ort.

J. ist als Ebalte bei Margolis und steuert 1503—6 mit ihr zusammen. Von 1502—4 zahlte er 4 Gl. Pactgeld für seine Mutter.

Mosse, „der gross 1459— Judtt von Tübingen 1469

I. 6 Gl. II. 20 Gl. IV. 1 Gl. minus 10 dl.

M.

Noe, ihr Sohn

(36 Wocbt-n)

lebte früher in Ulm und begab sich dann in den Schirm des Grafen Eberhard von Wirtomberg, mit dessen Einwilligung er nach N. übersiedelte. Er hinterliess zahlreiche Schuldner und bat daher den Rath von Reut­ lingen, die Verschreibungen bei ihm hinterlegen zu dürfen. Wegen seiner Forderungen an Heinrich und Hans von Gültlingen sah sich der Nördl. Rath 1461 gonöthigt, sich an Graf Eberhard zu wenden. M.’s Paeto laufen vom 29. Sept. 1459—29. Sept. 1468. 1469 trat er in den Schutz des Grafen Friedrich zu Helfenstein, Pflegers zu Heidenheim, und wohnte 1470 zu Wiesen steig.

Abraham, sein Sohn 14611464

I, 3 Gl. II. 10 Gl.

Pact von 1462. Bürgerrecht.

Josep von Günzburg, 1459Mosses Schwäher 1462

I. 6 Gl. 11. 20 Gl.

Pact vom 29. Sept. 1459.

Michel 1459— Hanna, seine erste 1494 Frau

Leo, Michels Sohn 1481-

1500 Samuel, Michels Sohn

,

14991506

Sass schon 1461 im

I. 6 Gl. Pact um Weihn. 1459 auf 5 Jahre. 1475 hatte M. 1 Kind, 2 Med und II. 20 Gl. IV. 2 Ort 1 Lehrmeister: nach 1488 war er selbneunt. 1483 starb seine Mutter. 26 dl. für Haus und Garten M. zahlte 1472 eine Rathsstrafe von seit 1489, vor­ 3’72 Gl. und kam 1478 wegen unher 1 */2 Ort ohrerbiotiger Worte gegen den Rath ins Gefängniss. 1491 ward er mit 5 ßdem Kirchenbann belegt. 1492 er­ hielt er einen kaiserl. Freiheitsbrief, i nur vor den Hochmeistern zu Regens­ burg, Ulm und Friedberg zu Recht stehn zu müssen. I. 3 Gl. II. 10 Gl. IV. 1 Pfd. 20V, dl-

Pact vom 6. April 1481. L. hatte einen Rechtsstreit mit dem Rab­ biner Josslin. Sein Weib starb 1492. | Seine Erben werden 1501 genannt.

I., II. 2 Gl. S. ward am 14. Sept. 1499 aufge1503: 3 Gl. 1 nommen um 2 Gl. „für alle Sach, 1506: 2V4 Gl. ausgenommen Reis- und Wachtgeld.“ IV. 2 Ort 26 dl.

171 Namen

Er­ wähnt

Abgaben

Personalien

Veiel, Michels 1495— I., II. 18 Gl. Beide wurden am 12. Marz 1495 aufzweite Frau genommen. IV. 2 Ort 1500 („Michel Jüdin“) 26 dl. für und ihr Tochter­ Haus und mann Abraham Garten. Veifs Lasarus, Michels Tochter­ mann

Lieberraann

14791481

V. sass von Mich. 1479 bis Mich. 1480 um 6 Gl. als Inwohner zu N. unter der Bedingung, nicht zu wuchern. 1481 reichte er eine von Markgraf Albrecht zu Brandenburg befür­ wortete Bitte um Wiederaufnahme ein.

1459

L. starb im ersten Jahr. Sein Tochter­ mann Isaak zahlte 10 GL Pactgeld für ihn. Eine auswärts lebende Tochter L’s wurde 1462 in N. be­ graben.

Isaak, Liebermanns 1459— Tochtermann 1461 Seine Wittwe 1462 Josep, Liebermanns 1461 Tochtermann Schmoel von Word! 1461

Eiislin von Wemdingen

I. II. 1. II.

5 Gl. 20 Gl. 5 Gl. 20 Gl.

1459 vermiethete Endlin Apotheggerin ein Haus an J. auf 3 Jahre. Er starb 1461.

I. 6 Gl. i. g;gi. 11. 20 Gl.

• Pact vom 10. Aug. 1461 auf 5 Jahre. ; Wurde nach Joh. Bapt. 1462 unter dem Namen Johannes getauft und führte dann einen Process mit seinen Verwandten wegen verschiedener Werthsachen, die er von seiner ver­ storbenen Schwester Merlin, Frau des Joseph Römhild von Günzburg, in Verwahrung hatte.

1461- I. 4 Gl., seit Pacte vom 16. März 1461 auf 5 Jahre 1469: 6 Gl. und vom 16. März 1466 bis 1468. 1474 11. 20 Gl. E. wurde am 18. Oct. 1474 geurIV. 2 Ort, laubt. Seine Tochter begehrte der von 1468 ab Taufe 1474, wurde aber ausgewiesen. 1 Ort. E. bezahlte 1473 für seinen Schwager Liebermann 5 Gl. Pactgeld.

Feifelmann (Fiffel- 1469- 1.3 Gl. II. 9 Gl. F. war Tochtermann Coppelmanns (s. u.!) Kam 1471 wegen Wuchers 1474 mann), Enslins ins Gefängniss und wurde wie sein Sohn Vater und seine Schwester 1474 geurlaubt. Meir, Schulklopfer

1461— I., II. 10 Gl. M. Schulklopfer kommt im Gerichts* buch 1463 vor. Sein Weibjstarb III. 4 Gl. 1463 1463. 1465 schreibt der Rath an vom Haus. Caspar Neydegker, der einen Streit in Pfandsachen mit ihm hat, M. sei vor etlichen Zeiten aus der Stadt gezogen.

172 Namen

Er­ wähnt

Abgaben

Personalien

M. war vorher zu Ulm. Sein Pact lief vom 23. I)ec. 1462 auf 5 Jahre. 1465 theilt Wilhelm von Rechberg zu Hohenrechberg dem Rath mit, er habe den M. v. E. in seinen Schutz genommen. >1. 8 Gl. von C. wurde 1469 von Markgraf Albrecht 1463 Coppelmann von von Brandenburg in Schirm genom­ 1474 1469 ab 6 Gl. Günzenhausen men und ihm vergönnt, nach Gunzen­ 11. 27 Gl. hausen zu ziehn. 1471 wurde „Copvon 1469 ab pelmann von Gunzenhausen“ in 20 Gl. Nördlingen wegen Friedbruchs be­ IV. 3 Ort 8 ß, straft. Am 4. Jan. 1473 begehrte von 1469 ab er Urlaub seines Bürgerrechts halben 4 Pfd. und blieb bis Oct. 1474. (s. o. Feifelmann!) Süsskind (Süssmann) 1464Pact vom 9. April 1464, in dem Ens10 Gl. von Heilbronn, lin und Coppelmann sich für ihn 1467 für alle Sach. Schulklopfer auf 3 Jahre verbürgen. S. starb mit Weib und 2 Kindern 1467. L. ist wohl seit 1469 Schulklopfer, Leo (Leb) Schulklopfer 1469 I. 1 Gl. wird aber amtlich als solcher erst II. 4 Gl. 1506 I486 aufgeführt. Er hatte 8 Kinder III. 1480 ff und 2 Med. 4 Gl. IV. 1489: 1 Pfd. 20% dl. M. ist Knecht Leo’s. Mosse, sein Tochter­ 1495I. 4 Gl. mann 1506: 3 Gl. 1506 Jakob von Ulm, Hoch­ 1469- 1.1 Gl. II. 5 Gl. J. wurde 1469 als „Schulklopfer44 auf­ genommen, durfte aber anfänglich meister III. 4 Gl. 1482 4 Schüler haben. Eintrag im Steuer­ buch von 1469: „Hochmeister uff der Schul gibt für Steuer und Schul­ zins 6 Gl. und für Hauszins 4 Gl.“ Graf Friedrich von Helfensteiffnennt ihn 1472 „Hochmeister.“ Aaron zahlte 1482 für den „Schulklopfer“ 2 Gl. Grabgeld, von 1478—1481 auch seine Steuern. Jakob, Meister 1 Salo- 1473 I.3G1. II. 9 Gl. Eintrag unter 1473: „Jacob ist hin­ mons Sohn von f und 1.3 Gl. II. 9 Gl. weg.“ J. war damals Schulklopfer. Wassertrüdingen wieder „Am 9. Juli 1484 überkam Jacob IV. 1489: (Schobdach) 1484- 1 Ort; 1490: Jud, der vor Zeit Schulklopfer hie 1490 1 Ort 121/2 dl. was, um 3 und 9 Gl.“ Er wohnte aber schon im Oct. 1482 in Nörd­ lingen. Meir von Bopflngen 1482— I. 8 Gl. M’s Pact begann am 6. Nov. 1482. und sein Sonn 1491 II. 32 Gl. Er hatte 1483 einen Handel mit Salomon IV. 1489: Hans von Hartheim, Peter Jäger u. 2 Ort 1 Pfd. dessen Gesellen, die ihm einen^Ab10 dl. für sagebrief zusandten. Der Nördein 1482 um linger Rath vermittelte. M. zog im 92G1.erkauftes Herbst 1491 ab. Haus. 1 Mosse von Erfurt

1462— 1465

1. 8 Gl. II. 29 Gl. IV. V* Gl.

173 Namen

Er­ wähnt

Abgaben

Personalien

Salomon (allein) 1490— I., II. 26 Gl. S’s Haushalt bildeten sein Weib, 3 Kind, 1 Magd, 1 Kindsmagd. Apch sein 1494 Im Steuer­ buch v. 1493: Bruder lebte bei ihm. „Gibt füro 58 Gl“. IV. lPfd.20dl. 149314:1 Pfd. 13 dl. Jakob, Hochmeister

1482— I.1G1. II.5GI. Die ihn betr. Vormerkung lautet: „1482 hat man zu einem Schul­ 1490 III. 4 Gl. klopfer aufgenommen Jacoben Juden, Joseph J. von Nördlingen Tochter­ mann.“ Er wird 1488 Jacob J. Rabbin und der Juden Schulmeister genannt, 1489 Jacob J. uff der Synagog und Hochmeister. Sein Weib starb 1486.

Lasarns

14821490

Josep Hochmeister (Josslin Rabin)

1490- I.II.III.10G1. J. hatte einen Rechtsstreit mit Leo, 1498 Michels Sohn (s. o.I) 1499 wird für den „Hochmeister“ das Grabgeld von 2 Gl. gezahlt. J’s Sohn Jacob war Schwiegersohn des Mosse von Giengen.

1., II. 2 Gl. IV. 1490: 1 Pfd. 201|2 dl.

L1 Familie bestand nach 1488 aus Weib, 2 Kindern und einem Stief­ sohn, Jakob von Kündsberg. L. ist mit Gische, seinem Sohn, 1491 in Erlingen ansässig; sie halten aber noch am Verband mit der Nördl. Ge­ meinde fest.

Nasse (Nason), des 1491- I. bis 1500: N. ist schon 1491 bei seinem Schwäher Hochmeisters 1506 2 Gl., später auf der Schule, dem er als Knecht Tochtermann nichts. dient. Von 1500 an wird er meist II. seit 1499: als „Jud uff der Schul“ bezeichnet. 10 Gl., 1506: 7i|t Gl. Mo8se von Giongen 1486I. 8 Gl. M’s Pact begann am 4. Sept. 1486. Göllin (Kela), seine 1490 II. 32 Gl. Seinem Tochtermann Jacob von Frau IY. 1489: Giengen wurde 1491 Banns halber Manne, sein Sohn 3 Pfd. 11 dl. der Aufenthalt versagt. M’s Wittwe für ein Göllin erklärte 1491, „sie mochte 1486uml41Gl. ihrer Pfänder halben nicht hinaus.“ erkauftes Sein Sohn Veyfes ist zu Ulm an* Haus. sässig und hat wegen des väter­ lichen Erbes 1490 einen Rechts­ handel mit Nordl. Juden. Manne (allein)

14901491

Salomon Holpronner 14931494 (Heilbronner ?)

I. 4 Gl. IV. 1 Ort, 12l|a dl.

M's Familie bestand aus Weib, Kind und einem Kindsmädlein.

I. 5 Gl. Pact vom 1. Juni 1493, in dem eine 11. 15 Gl. einjährige Kündigung bedungen IY. lPfd. 13dl. wurde.

174 Namen

Er­ wähnt

Abgaben

Personalien

Abraham der Elter, 1501- I. 11. 15 Gl. A. war bis 1499 in Ulm, dann vor­ „der Beich“ von 1506 1506:111|4 Gl. übergehend in Pappenheim. Seine Heilbronn IY. 2 Ort Tochter Bechlin heiratete Noe, den Sohn Aarons (s. o.!) Abraham der Jung, 1501- I. 11. 5 Gl. A. erkaufte ein Haus von Vater. „der Hinkatt,u sein 1506 1506: 38|4 Gl. IV. 1 Pfd. Sohn. 21l|2 dl.

seinem

Seligmann (Seldman) 1504- I. II. 2 Gl. 1506 1506: 1 Gl. von Frankfurt 2 Ort Kechlin, sein Weih 1Y. 1 Pfd. 23 dl. Eberlin Bela, sein Weib

1504— I. II. 4 Gl. 1506 1506 : 3 Gl. IV. 2 Ort.

Bela war die Wittwe von Samuel, dem Tochtermann Jacobs, des Sohns Aarons. Sie verkaufte 1504 ein Haus an Kechlin, Noe’s Wittwe.

Um es zu ermöglichen, die den jüdischen PactbÜrgern auferlegten Jahres­ abgaben an denen des vermöglichsten Theils der christlichen Bevölkerung zu messen, folgen hier einige Zusammenstellungen ihrer Leistungen mit den Steuern des Stadt­ raths, den 16 Herrn aus den Geschlechtern (s. g. alte Käthe) und 16 Zunftmeister bildeten, aus der Zeit der 4. Judengemeinde, ln die Judensteuer sind dabei die bis 1437 zwischen der Stadt und den Grafen von Öttingen getheilte Steuer, Schulund HauBzins und gelegentliche Keichnisse für die Benutzung des Friedhofs ein­ bezogen. 1408 gab der Kath insgesamt etwa 730 Gl. Steuer. Davon entfielen auf die 5 reichsten seiner Glieder 3641/, Gl. (Heinr. Tötter 112 Gl., Heinr. Frickinger 110, Heimrand Zingel 511/2, Cunrad Mangolt 48, Heinrich von Bopfingen 40 Gl.), der Best von 365 Gl. auf die übrigen 27. Von ihnen gaben 8 zwischen 20 und 37 Gl., 4 zwischen 10 und 18, unter 10 Gl. steuerten 15, von diesen wieder 7 weniger als 5 Gl. Die mttssigsten Ansätze sind 2 Gl. 2 Pfd., 1 Gl. 5 ß und 1 Gl. — Falk, Mosse und David entrichteten zusammen 91 Gl., also den 4. Theil der Gesamtsteuer der 27 Bathsherm der 2. Gruppe. 1428 erreichten die Steuersätze der Glieder des alten Baths nur die Höhe von 16, 18, 22, 30 und 35 Gl., während 2 von ihnen und dazu 10 von den An­ sätzen der Zunftmeister unter 3 Gl. blieben. Die alten Käthe steuerten 1988/4 Gl., die Zunftmeister 548/4 Gl., der gesamte Bath 25372 Gl., also durchschnittlich etwa 8 Gl. Die 5 jüd. Schutzbürger Feifelmann, Hirsch, Iselin, Liebermann und die Meirin gaben einschliesslich zweier Hausmiethen an die Stadtkasse 155 Gl., im Durchschnitt 31 Gl.

175 1448 zahlten die vermöglichsten Glieder des alten Raths 70, 22, 19, I8V2 und 15 Gl., die am niedrigsten besteuerten 5l/2, 3l/2, 2l/2 und 2 Gl. Der höchste Ansatz der Zunftmeister war 6V2 Gl., 5 blieben unter 2 Gl., davon 3 unter 1 Gl. Die Gesamtsteuer des Raths betrug 225 Gl. (174 -f- 51 Gl.), im Durchschnitt 7 Gl., die der 7 jüd. Schutzbürger 122 Gl., im Durchschnitt 17V2 Gl. 1468 steuerten die alten Räthe von 28, 24, 21, l81/2 und 16 Gl. bis herab zu 4V2, 4 und V8 Gl. Die Zunftmeister gaben von 7 bis herab zu 1/2 Gl., 4 von ihnen weniger als 2 Gl. Der Gesamtbetrag der Rathssteuer war 221V8 Gl. (17378 + 488/4 ’Gl.), im Durchschnitt 7 Gl., der der 7 jüd. Schutzbttrger 151V2 Gl, im Durchschnitt 2172 Gl. 1478 betrugen die höchsten Ansätze der Glieder des alten Raths 55, 22V2, 18, 15 und 14 GL, die geringsten 5V2, 4l/2> 1 ' l4, 2/s Gl. Die Zunftmeister steuerten von 12 GL bis herab zu 3/8 Gl., 8 von ihnen 3 GL und darunter. Die Gesamt­ steuer des Raths ertrug 246;{/t GL (179 -(- 673/4 GL), im Durchschnitt 8 GL, die der 5 jüdischen Steuerzahler 89 GL, im Durchschnitt 174/6 Gl. 1500 erhob der Rath von 30 seiner Glieder 192 GL, im Durchschnitt 62/6 Gl., von 11 jüd. Gemeindegliedern 80 GL, im Durchschnitt 7x/4 Gl. 1505 belief sich die Steuer von 34 Rathsgliedern auf 184l/2 GL, im Durch­ schnitt auf 72/3 GL, die der 12 jüdischen Gemeindeglieder auf 73 GL, im Durch­ schnitt auf 6l/, 2 Gl. 3. Jüdische Siedelungen im und am Riess, auf dem Härtfeld und um den öselberg unter Namensangabe bis zum Ende des 16. Jahrhunderts.

Die Gemeinden, deren Namen im Druck hervorgehoben sind, bestanden noch am Anfang des 19. Jahrhunderts. Fr. = nach Ausweis der Nördlinger Stadtrechnungen auf dem Friedhof am Henkel­ berg begraben. M. = Einträgo in den Nördlinger Messgeleitsbüchern von 1587—1738 (die Jahr­ gänge 1628-48, 1656, 1676, 1679, 1691, 1699, 1701, 1703, 1707, 1709, 1710, 1712, 1713, 1717, 1720, 1723-32, 1734-37 fehlen). Z. = Messzollbücher von 1787 und 1788. R. — Erwähnung in einem Rechtshandel. U. = Erwähnung ohne Namensangabe. F. — Familien. Es sind auch diejenigen Personennamen aufgenommen, deren Formen wohl nur auf unrichtiger Erfassung des Zollschreibers beruhn. Alerheim. Graf Albrecht Ernst zu öttingen gestattete am 10. März 1671 den PfalzNeuburgischen Juden Benedict Hänle, David Levi, Abraham Ebersbach, Salomon Cain und Hainlein, sich gegen ein jährliches Schutzgeld von jo 14 GL in A. niederzulassen. Yermuthlich bestimmte sie die ihnen gemachte Auflage, sich an öden Plätzen des Dorfes anzubauen, den auf 3 Jahre geschlossenen Vertrag zu brechen und mit einem Rückstand von 8/4 ihres

176 P&ctgeldes vor 1674 abzuziehn. Sie verzogen zum Theil nach Zöschingen, wohin auch 4 jüd. Familien aus Gundelfingen tibersiedelten, die sich am 13. Aug. 1671 um Aufnahme in A. angemeldet hatten. Am 10. Dec. 1673 wurden Baifur aus Worms und Jonas von Friedberg auf 3 Jahre zu A. aufgenommen. Im Jan. 1680 berichtete das Oberamt A., dass sich keine Juden in seinem Bereich befänden.

Anfhausen unter Schenkenstein. R. 1560: Abraham. M. 1587—1600:Koppel,Seligmann, Josoph — Jöslin, Isak — Itzing — Eisig, Ihelin — Jhele, Jemondlin, David, Marx, Götz, Hirsch, Lazarus, Aaron, Meir, Abraham, Mändlin, Alexander, Salomon. Gtttlim Blemli — Bltimlin, Bela, Berlin, Esther, Hindiin — Händelin, Keichlin — Rehlin, Magdalena. M. 1601—1627, 1652—1658. — Zeitweise Ver­ treibung 1659. — In M. wieder 1686 ff. — 1806 ff.: 36 — 38 F. (1899: 15 F.) — Die von Gundolzheim auf Steinhard beanspruchten 1595 Schutz­ recht über einige Juden zu A. Da diese sich weigerten, auch an öttingen Schutzgeld zu zahlen, beauftragte Graf Wilhelm 1597 den Pfleger von Flochberg, sie nächtlicherweile ohne Aufsehn aufzuheben und nach Flochberg zu führen. — 1665 erhielten die Juden von Lauchheira das Recht, auf dem Friedhof von A. ihre Todten gegen Erlegung einer Gebühr von 1 Gl. für einen Erwachsenen und V2 Gl. für ein Kind zu beerdigen. — 1730 gestattete Graf Wilhelm der Gemeinde zu A. wegen grosser Armuth eine Sammlung behufs Erbauung einer neuen Synagoge. Aufkirchen. R. 1487: ü. Au hausen. R. 1487: ü. Baldern. Mosse von Gunzenhausen zu Baldern gesessen 1344. Seine Frau Gutta ist Wittwe vor dem 18. Oct. Iß45. Salman und Simon Josbel bei dem Blutbad von 1348 genannt. — Nach Ausweis der M. hatte B. von 1649—1658 eine beträchtliche jüd. Bevölkerung (1655: 12 F.). 1657 ward hier eine Synagoge erbaut. 1658 musste sich die Gemeinde auflösen. Baldi ngen. R. 1433. 1435: U. — Fr. 1433: U. und Jakob, 1436: Bendel, 1437: ein Kind Salmans, der 1438 Bürger zu Nördlingen wird. — M. 1682. Bissingen, Unterbissingen, Marktbissin gen. R. 1519: Baruch, 1538. 1539: Jakob, Mändlin. — M. 1587—1600: Esaias, Süssmann — Süsslin — Süss, Meir, David — Dafelin, Mannli — Mändlin, Jöslin, Amschel, Moses, Baruch, Hirsch, Benedict, Götz; der Schulmeister. Böslin, Mörlin, Sara — Scharia — Zierlin, Gütlin. M. 1601—1626. 1658. Bollstatt. M. 1588—1597: Falch, Samuel — Sameli — Schmuei, Mossi, Isak. Bonelin, Bela, Kela — Kelin, Sara — Sailen. Bopfingen. 1241 Erwähnung der Judensteuer zu B. — B. wird unter den „Marter­ stätten“ von 1348 genannt. — Mosse v. B., 1357 zu Nördlingen gesessen. Selckmann von B., 1373 zu Bischofsheim a. d. Tauber gesessen (Mon. Boica 45, 187). — 1401: U., dessen Steuer am 23. April 1402 anhob. — Fr.

177 1432 : Lasarus’ Kind, ü. 1438. 1442. 1488. 1491. 1495. — R. 1408: Mosse Miltenberg, Meir. 1410: Meir, 1455—1463: Liebermann und seine Tochter Gütlin, 1504: Mosse. — 1439 taidingen 2 J. von B. mit dem Reichserb kämmerer Konrad von Weinsberg um 20 Gl. — 1482 — 1491 war Meir von B. Bürger zu Nördlingen. — 1545 Privileg der Stadt B., keine Juden halten zu dürfen. (1899: 9 F.) Deckingen am Hahnenkamm. R. 1487: U. — 1586 wurden zu I). 4 J. durch Markgraf Emst von Branden* bürg aufgenommen. — M. 1598—1618. Deggingen (Mönchs-Deggingen). Gemeindegründung durch Einwanderer aus Höchstädt 1684. 1686: 3 F., 1697: 6 F., 1707: 7 F., 1717: 14 F., 1722 und 1735: 25 F., 1739: 31 F., 1760: 30 F., 1776: 35 F., 1788: 34 F., 1806 f: 38*[2—40l|a F. Die Gemeinde löste 6ich am 25. April 1879 auf und vereinigte sich mit der Cultusgemeinde Nördlingen. Dehlingen. M. 1587—1597: David, Mossy, Mann, Abraham, Seligmann, Löw. M. 1601-1611. Diemenstein. 1519: U. Dirgenheim. 1595: Hayum. Dischingen. Fr. 1464: XL—M. 1650. Dürrwang. 1331 gewährt K. Ludwig d. B. lern Heinrich von Dürrenwangen das Recht, 10 J. halten zu dürfen. 1423 bestätigt K. Sigismund dies Recht dem Wilhelm v. D., der den Ort 1433 an die Grafen Ludwig und Johannes von ött. verkauft. — R. 1506: U. — Graf Friedrich (gest. 1579) hatte hier 4 schirmverwandte J. — M. 1587—1600: Isak — Itzing — Eising — Eiselin, Berlin, Hayum, Amschel, Gabriel, Mosse, Alexander, Calman — Calmas — Calmus, Daniel, Samuel, Marx, Aaron, Abraham, Hirsch, Salman, Koppel. Zippora, Riffa — Riffan, Sara. M. 1601—1606. 1610—1615. 1627. 1650. Ederheim. R. 1503: Leo, Jäcklin. — Ausschaffung der J. um 1507. — Die unter Nikolaus von Jaxheim (nach 1525) angesiedelten J. ziehn 1537 ab. — In M. zuerst 1674, dem Jahr der Wiederansiedelung. — 1688 wurde der Judenschaft zu E. gestattet, „dass sie sich des Platzes, den sie auf einem Boden mit Brettern beschlagen lassen, zu einer Schul gebrauchen dürften.tt — 1806: 21 F. (1821: 25 F. — Am 26. April 1874 fasste die Gemeinde den Beschluss sich aufzulösen und sich mit der in Nördlingen bestehenden zu vereinigen) Ehingen am öselberg. R. 1487: Bendel und U. — M. 1609. Erlingen (Erdlingen, Klein-Erdlingen). Fr. 1458. 1503. R. 1487: U., 1491: Lazarus und sein Sohn Gische, 1503: Gumpiin, Jocham. — Um 1507 verfügt der Johanniter-Ofden die Aus-

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178 Schaffung der jüd. Insassen, die durch Graf Joachim v. ött. 1509 rück­ gängig gemacht wird. (1510: 7—8 F.) 1514 wiederholte Ausschaffung durch den Orden. — 1658 Neubegründung der Gemeinde durch 4 Neresheimer F. — In M. zuerst 1659. — 1658 : 5 Haushäbige und 6 Hausgenossen. 1684: 8 F., 1735: 26 F., 1769: 34 F. (1899: 18 Seelen). Flochberg. R. 1514: U., 1538: Hirsch. Fremdingen. Graf Friedrich (gest. 1579) hatte zu F. einen schirm verwandten J. Gerolfingen. R. 1487: ü. Gnotzheim. Graf Friedrich (gest 1579) hatte zu G. einen schirm verwandten J. — M. 1589—1606: Meirlen, Jakob, Mosse, Süssmann, Salomon, Berlin. Grosselfingen. E. 1464: Yesse.

Hainsfart (Hainsfart.) Fr. 1434: U. — Graf Friedrich hatte zu H. 6 schirmverwandte J. — M. 1587-1594: Koppelt, Lazarus, Baruch, Liebmann, Borem, Mosse. M. 1601—1608, 1612—1627. 1663 ff. — 1723 wurde die Erbauung einer Synagoge „in Form eines Wohnhauses, doch mit etwas grösseren Fenstern“ genehmigt. Sie wurde 1810 restaurirt. (1899: 42 F.)

Harbarg. Unter den'„Marterstätten" von 1348 genannt. — R. 1459: Enslin. — 1463 Josef Eumolt von Günzburg durch Graf Wilhelm auf 3 Jahre aufgenommen. — Geraeindegründung am 10. März 1671 durch 5 Einwanderer aus dem Pfalz-Neuburgischen. —1679: 8 F., 1697: 15 F., 1707: 25 F., 1717: 19 F., 1722: 27 F., 1735 und 1770: 58 F., 1779: 56 F., 1806 f.: 48-51 F. 5. Nov. 1794 Seelenzahl 322 (1899: 65 S.). -- Die Gemeinde erhielt 1675 einen Friedhof am grossen Hühnerberg für 75 Gl. Für die Beerdigung eines Erwachsenen war 1 Gl., für die eines Kindes 1/2 Gl. an das Amt H. zu zahlen. — 1801 wurde der Gemeinde genehmigt, einen neugestifteten Dekalog in öffentlicher Procession von einem Judenhaus am Schloss über den Markt herab in ihre Schule zu verbringen. Hausen hinter Hochaltingen. E. 1538. 1539: Mosse. Hechlingen. 1561: David. — M. 1600: Mändlin. Hohentrüdingen. U. Opfer der Verfolgung unter Rindfleisch 1298. zu den „Marterstätten“ von 1348.

H. zählt vielleicht auch

Hürnheim. Opfer der Verfolgung unter Rindfleisch 1298: E. Juda, Sohn R. Samuels, seine Frau Gutlin, seine beiden Söhne und seine Tochter Belle-assez; E. Isak, seine Frau Zeruja und seine beiden Kinder; der Knabe Simson; E. Mardochai, Sohn E. Jakobs, seine Frau Rechlin, sein Sohn E. Jechiel dessen Frau Rechlin und ihre beiden Kinder; E. Samuel, Sohn E. Jakobs,

179 seine Frau Mija und sein Sohn R. Bonzip; R. Jechiel und sein Sohn; Frau Gnta, Tochter R. Abrahams, und der Knabe David. Jaxheim. M. 1601—1610. 1616-1626. Itzlingen. M. 1600: Isak. 1602. 1609. Kesingen (Kösingen). M. 1587—1600: Salomon, Feifelmann — Feilmann, Jhele, Veit, Lasarus, Hayum, Mändlin, Jöslin, Löslin, Abraham, Gabriel. M. 1601—1607. Löpsingen. Fr. 1465. 1468: U. - R. 1472: Isak, 1487 ü. - 1727 hatten sich Wallersteinische J. zu L. niedergelassen. Fürst Al brecht Ernst v. ött. verfügte ihre Ausschaffung, wenn sie nicht binnen 10 Tagen um den Hochf. Schutz nachsuchten. Maihingen (Mayingen). Fr. 1479 : U. - R. 1538. 1539: Leo. — M. 1587-1600: Hirsch, Alexander — Xandor, Ossor — Oster — Auster — Auscher — Uscher — Urscher, Anstall, Löw, Süssmann, Jakob., Itzing, Salomon, Mosse, Scbmuer, Samson; der Schulmeister. Jütlin, Edelin — Öttlin — Ederle — Hederin, Reichlin. M. 1611—1617. 1655 -1663. Merkingen (Dorfmerkingen). Drei J. von M. (Rubin, Schmerlin und Hirsch) 1555 fälschlich wegen Kinds­ mords angeklagt. — M. 1657—1660. Mögesheim (Megesheim). R. 1538. 1539: Gumprecht, Raphael, Veile, Jakob. — Graf Friedrich (gest. 1579) hatte zu M. 6 schirmverwandte J. — M. 1587: Joseph, Mossy, 1593: Lazarus, Enoch. 1657. 1659. Mönehsrot (Roth). M. 1593: Löw — Leo, 1595: Seligman, 1598: Mosse. M. 1621. 1622. 1625. 1657. 1659. 1719 ff. Z. 1787. 1788. (1899: 26 F.) Nereshe im. Aaron von N. ist Bürger zu Nördlingen 1459—1489. - R. 1538: Jakob, Meir, Gerson Meirs Sohn, Jechel Meirs Weib, Joss und sein Weib Gütlin. — Graf Friedrich ^gest. 1579) hatte zu N. 2 schirmverwandte J. — M. 1587—1600: Koppelt, Mann — Mannli — Mändlin, Feifelmann — Feufel, Veitei — Feydel, Hänlin, Joel, Löw, Meir, Mosse, Lämlin, Jsak, Bemel, Hayum — Haiman — Hain, Scheffer — Schäflin, Michal — Michel — Michael, Liebermann. Bela, Edelin, Hefelin, Bonlin — Benlin — Bena. M. 1001—1611. 1623—1627. 1649-1658. — 1635: 5 F., 1656: 11 F., 1658: 8 F. und 5 Hausgenossen, die ausgeschafft werden; Übersiedelung von 4 F. nach Erdlingen. Nördlingen. (1837 suchte Joseph Löw Neuburger vergeblich um die Genehmigung zur Errichtung einer Grosshandlung nach. 1839 erklärte der Magistrat, er werde einem Israeliten weder Ansässigmachung noch temporären Wohnungsaufent­ halt gestatten, letzteren selbst dann nicht, wenn . ihm Wohnhäuser an Zahlungsstatt zufielen und zugeschrieben werden müssten. Die erste Er12*

180 laubniss zur Ansässigmachung wurde dem Lederhändler Eduard Höchstätter von Deggingen am 16. Aug. 1860 ertheilt. Am 28. März 1870 durften sich die 25 damals in N. lebenden isr. Familien zu einer Cultusgemeinde constituiren. Ihre Seelenzahl wuchs im Jahr 1885 auf 406, 1890 auf 469, 1897 auf 483 und 1899 auf 489 Seelen) Oberdorf (Oberndorf). J. Ansiedelung nach 1510. — M. 1587—1600: Löw, Löslin, Jhele, Ambsei—. Anstall, Joseph — Jöslin, Benedict, Salomon, Mosi, Götz, Abraham, Mändlin. Bel, Rechlin, Lieblin, Händelin, Schönlin — Schelin, Dina — Denlin — Delin, Wibelin. M. 1601—1626, 1655-1659. — Zeitweise Ausschaffung 1659. In M. wieder 1673 ff. — 1656: 5 F., 1684 und 1687: 4 F., 1688: 6 F. in 4 Häusern, 1723: 26 F., 1735: 31 F., 1752: 36 F., 1798; 52 F. (1899; 64 F.) Offingen. Fr. 1438: U. Oppertshofen. M. 1681. öttingen. U. Opfer der Verfolgung unter Rindfleisch 1298. — Pfefferkorn, J. der Grafen Ludwig und Friedrich von ött. 1345, 1348 umgekommen. Seine Wittwe Brünin 1349. — In Nürnberg lebten folgende J. aus Ö.: Jokel 1322, Josel 1326—1338, dessen Sohn Fruman 1350, Manne 1436. — Jüd. Arzt zu ö. 1439. — Fr, 1444. 1448: U. 1461: Viol. — R. 1408: Selig­ mann, Salman, 1462: Meir, Jöslin, 1463: Mennlin, 1487 : U. 1552: Isak — Graf Friedrich (gest. 1579) hatte 6 schirmverwandte J. zu ö. — M. 1587—1600: Model, Abraham, Joseph, Marum — Maram — Maron — Moron, Meir, Löw, Jakob, Isak, Mändlin, Nathan— Notin, Mossy, Seligmann, Ephraim, Liebmann, Hirsch, Judeas, Salomon, Samuel, Mullam — Muelem — Mielin, Michael, Gumprecht. Jtitlin, Hindin — Händelin, Sara, Fredla, Belin, Mörlin, Rahel — Reblin. M. 1601—1627. 1649 ff. — 1665: 18 F., 1674: 14 F., 1785: 385 Köpfe, davon 171 Kinder. 1795: 59 F., wovon 23 in der Armenschatzung. 1801: 65 F., wovon 32 in der Armenschatzung. (1899 : 50 F. mit 165 Köpfen)

Pflaumloeh. Fr. 1487: Schulklopfer und U. 1490, 1493. 1494. R. 1538. 1539: Michel, Sander und U., 1562: Nehem, 1573—1575 Hirsch, Henlin. — Graf Friedrich (gest. 1579) hatte zu Pfl. 6 schirmverwandte J. — M. 1587—1600: Joseph, Samson, Alexander — Xander — Sander, Moises — MoBi — Mosselin, Liebmann, Leo — Löw, Hänlin, Isak — Itzing — Eising — Eiselen, Maysus, Feifelmann — Feiferle — Pfeiferlin — Fünferlin, Elias, Feiss, Hirsch, Samuel — Schmul, Daniel, Abraham, Meir, Stumm, Aaron, Mann, Schmer, Salomon, Seligmann, Esaias, Süssmann, Scheifelen, Marum, Moses Schulmeister. Jütlin, Gütlin, Röslin, Sara, Hirtlin, Rachel — Reichlin, Bela, Dina, Hanna, Leiz — Leizlin — Leuxlin, Seizlin, Esther — österlin, Bräunlin — Brendel, Kela — Köllin, Liftlin — Rüftlin, Zinna — Yzinna, Maria — Mayumb — Margumb — Margen — Mergin — Morgen. M. 1601—1627. 1659 ff. — 1658: 7 F., 1668: 9 Hausbesitzer und 6 Hausge­ nossen, 1684 und 1687: 15 Haushaltungen in 8 Häusern, 1688: 18 F. in

181 8 Häusern, 1785: 15 F., 1779 : 18 F., 1788: 15 F., 1806 f.: 31—34 F. (1899: 7 F.) Polsingen. R. 1538. 1539: Anshelm, Sander und 2 U. 1556: Mendlin. Köttingen. Graf Friedrich (gest. 1579) hatte zu R. einen schirm verwandten J. — M. 1587—1600: Meir, Barman — Berma, Anstall, Samuel. Schnai theim. M. 1595: Lasarus. 1607—1623. 1689. Schobdach. Jakob von Sch. zog um 1482 nach Nördlingen. — R. 1487 U. Schopfloch. M. 1587—1600: Anschel, Samuel, Meir, Onymus, Koppelt, Hirsch, Schmer, Mossy, Salomon — Schloum — Schlomu, Baruch, Mannlin, Seligmann, Bonum — Bonamus, Gerson — Gerstlin, Barbon, Lasarus, Isak, Jakob, Emanuel, Joseph. Hanna — Anna — Andla — Handlin, Recblin, Esther, Berlin. M. 1601—1627. 1659—1680. 1686. 1687. 1697. 1698. 1708. 1716 ff. 1785 Kopfzahl: 217. 1800: 46 besteuerte Haushaltungen, dabei 10 Wittwen, und 4 steuerfreie. (1899: 25 F.) Spi eiberg. U. Opfer der Verfolgung unter Rindfleisch 1298. Stcinhard. 1560 sitzen zu St. 6 Juden (darunter Falchle) ira Schutz des Georg Daniel von Gundolzheim. Sie müssen auf Befehl des Grafen Ludwig abziehn. — 1625 befanden sich zu St. 23 F. mit 98 Köpfen; 4 davon gehörten den Freiherrn von Crailsheim, die andern den von Wildenstein. — M. 1589 — 1600: Josep, David, Lasarus, Isak, Simon, Mossy, Liebmann, Samson, Jakob, Low, Samuel, Benedict. M. 1601-1627. 1681. 1696. 1708. Z. 1787.1788.— 1799 wurde die Judenschaft zu St. dem Rabbinat zu Öttingen einverleibt, was Differenzen mit der Kraft Crailsheim’schen Fideicommiss-Administration zur Folge hatte. — (Die Gemeinde löste sich 1883 auf und vereinigte sich mit der in öttingen) Trendel. R. 1556: Michol, Nathan. 1559: Mühmlin. — M. 1587—1600: Hirsoh, Götz, Seligmann, Liebmann, Lasarus, Eberlin — Eberhart, Felchlen, Mann, Aaron, Alexander, David, Mosse, Isak, Ische — Jtische, Süssmann, Amschel, Joseph, Abraham, Meir, Emanuel, Joel. M. 1601—1624. 1625 sassen zu Tr. 11 F. mit 47 Köpfen; von diesen gehörten 3 den Freiherrn von Stein, die übrigen in die Wildensteinsche Vormundschaft. Trugenhofe n. M. 1598; Sudmann. Uz-Memmi ngen. R. 1487: U. 1532: Mändlin, 1538—1539: Mosse. — Graf Friedrich (gest. 1579) besass zu U. 4 schirmverwandte J. — M. 1587—1600: Daniel, Gerson — Gerstle — Gerat, Stumm, Jakob, Lasarus, Isak, Mendlin, Salomon, Samuel — Samele, Hirsch, Samson, Hänlin, Mosy — Mausche, Joel — Jheli, Alexander — Sander — Sannelin — Sandei, Berthon, Nathan, Abraham, Feifelmann — Pfeifelin, Berman — Barm, Simon, Sudlin, Joseph, Süssmann,

182 Jakob, Noah, Gümpelin. Jtitlin, Gtitlin, Mörlin — Märlin, Soleiin, Barlen, Fredel, Bela, Kela, Herzlin, Esther, Hediin — Edelin, Sara — Scharlin, Koffa. M. 1601-1616. Bela allein: 1617-1625. Uzwingen. R. 1538. 1539: Byman.

Wallerstein. Wahrscheinlich 1348 von der Verfolgung heimgesucht. — 1434 Hirss und Süssman Gebrüder. — R. 1514: Mendel, 1536—1549: Falk, 1539: Lazarus Falks Bruder, Möstlin Lazarus Sohn, Isak, 1539—1542: Abraham, Mosse, Mändlin, Jakob Falks Tochtermann, 1555—1571: Mosche Fränklin. M. 1587—1600: Jakob — Kopp, Jakob der Junger, Abraham Schulmeister, Abraham Franklin, Falch Fränklin, Jakob Fränklin, Lipman Fränklin, Nathan Fränklin, Isak, Mosy, Abraham Custel — Kussel, Israel, Samson, Enoch, Simon, Hänlin, Löw, Salomon, Hayum, Gabriel, Lämiin, Schäflin, Joseph, Doctor. Bel — Belle, Katharina — Drinlin — Dreina — Threinlin, Jtitlin, Kela — Köllin, Schlaflin — Schlaue, Berlin, Bonlin, Jetzlin, Merlin — Mörlin, Schönlin, Seizlin, Deichelin, Olla, Hanna — Anielin, Zierlin — Sara — Sörlin — Scharlin, Eva, Gtitlin. M. 1601—1627. 1649 ff. — 1716 Beilegung eines Streits zwischen der Gemeinde zuW. und den 2 Gemeinden zu öttingen wegen des Friedhofs zu W., der „von ewiger Zeit diesen Gemeinden zugehörig gewest.“ Als Sitz der Pfleger wurde W. bestimmt. Für die Benützung des Friedhofs zahlte (1732) die Gemeinde von öttingen jährlich 8 Gl., die von Hainsfart 5 Gl. — 1656: 23 F., 1668: 23 Haushäbige und 14 Hausgenossen, 1684: 43 F., 1687: 39 Haus­ haltungen in 22 Häusern, 1688: 37 Haush. in 22 Häusern, 1735: 38 F., 1752: 38 F., 1779: 34 F., 1788: 38 F., 1806 ff: 48-51 F. (1899: 7. F.) W e m d i n g. Fr. 1429. 1443: U. - 1431-1453 Hirss, der 1455—1476 Bürger zu Nürn­ berg ist. 1444 Jakob. — Enslin von W. ist Bürger zu Nördlingen 1461—1474. Zebingen. 1520 Mändlin. R. 1538. 1539: Mändlin. Im 17. Jhdt. (o. J.) Joss. Zipplingen. R. 1538. 1539: Aaron. Zöschingen. M. 1659—1684.

Berichtigungen. Abschnitt I. S. 9 Z. 4 v. u. lies Jan. statt Juli. S. 35 zu Anm. 1. Nach RTA. XI. S. 305 zahlten die Nördl. Juden 200 Gl. II. S. 40 Z. 8 v. u. 1. 1480. S. 44 Z. 20 v. o. 1.1415 und 1425. S. 44 Z. 22 v. o. 1. 1489 st. 1488. S. 48 Z. 8 v. o. 1. 1482 st.1484. Z. 12 v. u. 1. 1489 st. 1488. III. S. 81 Z. 2 y. o. 1. des Grafen Joachim . . das dieser S. 87 Z. 1 ▼. u. 1. gesehen S. 88 Z. 4 v. u. 1. sitz IV. S. 113 Z. 6 v. o. 1. Bacharaeh st. Seligmann.

III.

Notizen. Ottheinrichs kunstvolle Wandteppiche, zu welchen bekanntlich der Lauinger Maler Mathias Gerung die Entwürfe ge­ liefert hat, sollen nach Dr. v. Baisers Angabe in Neuburg gewirkt worden sein, während J. M. Beitelrook als Ort der Herstellung Lauingen nennt, wo im 16. Jahrhundert eine Art Haute lisseFabrik bestanden haben soll. Dieser Spar folgend, gelangt B. Satzer zu der Annahme, dass die Gobelins von den Niederländern gewebt worden seien, welche der Fürst zu diesem Zwecke aus ihrer Heimat nach Lauingen berufen habe. Beweise hiefür sind jedoch nicht er­ bracht. Im Gegenteil: Die Lauinger Chroniken schweigen sich darüber aus, und mit Becht macht Dr. Manfred Mayer darauf aufmerksam, dass Niederländer Meister erst nach dem grossen Aufstand 1566 bei uns zu haben waren, die Herstellung der Wandteppiche aber in eine frühere Zeit (1533—1543) fällt. Zudem erklären Kenner die fraglichen, zum Teil noch vorhandenen Stücke entschieden für deutsche Erzeugnisse. Auffallender Weise nun beschäftigte Ottheinrich damals einen Seidensticker Namens Hans Niechter aus Augsburg, für welchen er an den Rat der Stadt folgendes Ansuchen stellte: Ottheinrich von gottes gnaden pfalzgraf bei rhein, herzog in nieder- u. oberbaiern Unsern gruss zuvor, Fürsichtige, Ehrsame und Weise, Lieb besondere. Wie wohl ihr auf unser bittlich ansuchen euern mitburger Hans Niechter seidensticker zway jahre seine bei euch habende burgerrechts uns ze gefallen aufgehalten / darumb wir euch dann sondern gnädigen dank sagen / so geben wir euch doch ze er­ kennen / dass wir ime Niechter noch mehr arbeit / welche allhie verfertigt werden muss / ze machen angedingt haben. Ist dem­ nach unser gnädigs bitt und ersuchen / ime eurem mitburger berürte seine burgerrecht uns zu gefallen noch ein jahr aufzehalten und ob diesser kleinen zeit gutwillige geduld zu tragen.

184 Das wollen wir mit sondern gnädigen willen und gnaden gegen euch erkennen. Datum Neuburg den 9. tag Mai Anno etc. 1538. (Papier-Urk. im Stadtarchiv Augsburg in d. sogen. Literaliensammlung.) Damit ist erwiesen, dass Hans Niechter schon von 1535—1537 in Diensten des Pfalzgrafen stand und sich als tüchtiger Meister bewährte. Seine Thätigkeit in Neuburg war jedoch weder mit dem Jahre 1537 noch mit dem Jahre 1539 abgeschlossen. Dies ersehen aus mehreren Augsburger Steuerbüchern, wo es heisst: Auf 24. tag octobris Anno etc. 38 ist Hansen Niechter seidensticker ein jar aus der stat zu wonen vergönnt, hat 3 Steuer für jede 36 % erlegt. „Auf 16. tag septembris 1539 ist bemeltem Hansen Niechter noch ein jar lang obgemelter massen ausserhalb der stat zu wonen vergönnet, soll hinfüro 20 fl. versteuern, so im von zunftmaister Hieber zugestellt sein etc. hat zunftmaister Hieber 16 kr. 1 von seinen wegen auff rechnung erlegt. (Steuerbuch vom Jahre 1537 pag. 60 b.) Auf 5. tag des monats dezembris 1542 ist Hansen Niechter seidensticker ain jar aus der stat zu wonen erlaubt, hat 3 ver­ fallene steuern für jede 1 fl. bezalt. Mer hat er 3 steuern für jede 1 fl. 10 kr. 1 $ erlegt, geht die erst Steuer ab anno 1543. (Steuerbuch vom Jahre 1542 b, pag. 60 c.) Steuerbuch vom Jahre 1543 pag. 47: Hans Niechter dt. 30