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German Pages 120 [121] Year 2022
WÖRTER, SPRACHE, GESPRÄCHE AUSSTELLEN
Stefanie Heraeus (Hg.)
05 EINLEITUNG: WÖRTER, SPRACHE, GESPRÄCHE AUSSTELLEN / INTRODUCTION: EXHIBITING WORDS, LANGUAGE, CONVERSING Stefanie Heraeus 12 #215: LEO ASEMOTA & NÁSTIO MOSQUITO. EINE AUSSTELLUNG ÜBER DIALOGE / AN EXHIBITION ON DIALOGUES Christina Lehnert 16 AN INTIMATE CONVERSATION Bonaventure Soh Bejeng Ndikung / Philippe Pirotte 20 SUBJECT:FWD:UNKNOWN. EINE AUSSTELLUNGSREIHE ÜBER SPRACHE ALS MEDIUM UND FORM / AN EXHIBITION SERIES ON LANGUAGE AS A MEDIUM AND FORM Dennis Brzek / Sarah Heuberger / Lea Maria Steinkampf 24 INTERVIEW WITH TIM ETCHELLS: UNFOLDING IN TIME Dana Schütte / Leonore Spemann 30 INSTALLATIONSANSICHTEN / INSTALLATION VIEWS 44
MICHAL HEIMAN Sarah Heuberger / Ben Livne-Weitzman
48 DISZIPLINIERENDE ÄSTHETIK UND GESTE DER RÜCKKEHR / DISCIPLINING AESTHETICS AND GESTURE OF RETURN Reaktion von / Reaction by Laliv Melamed 52
NORA TURATO Sarah Crowe
55 IM RITUELLEN MODUS DES BOXKAMPFS / IN THE RITUAL MODE OF THE BOXING MATCH Reaktion von / Reaction by Vivien Trommer
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TIM ETCHELLS Peter Hess
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SANFTE EINLADUNG / SOFT INVITATION Reaktion von / Reaction by Yevgeniy Breyger
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YUTIE LEE Klara Hülskamp/Junia Thiede
69 CODES UND SPRACHE / CODES AND LANGUAGE Reaktion von / Reaction by Tomke Braun 73 GESPRÄCHE AUSSTELLEN. PLATZHALTER – RELIKT – VERBINDUNGSLINIE ZWISCHEN KUNST UND GESELLSCHAFT / EXHIBITING CONVERSATION: PLACEHOLDER – RELIC – CONNECTING ART AND SOCIETY Fiona Geuß 86 WÖRTER ZEIGEN. EINE POETISCHE SICHT AUF DAS AUSSTELLEN VON LITERATUR UND PHILOSOPHIE / SHOWING WORDS. A POETIC APPROACH TO THE EXHIBITION OF LITERATURE AND PHILOSOPHY Heike Gfrereis 105 Biografien und Werkangaben / Biographies and Exhibited Works 111 Autor*innen / Authors 114 Literatur / Bibliography 118 Impressum
EINLEITUNG
EINLEITUNG: WÖRTER, SPRACHE, GESPRÄCHE AUSSTELLEN Stefanie Heraeus Wörter, Sätze, Sprachnachrichten, Gespräche und andere sprachbasierte Kommunikationsformen auszustellen ist das Thema des vorliegenden Bandes. Dieses Themenfeld wird aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Im Zentrum stehen dabei gegenwärtige künstlerische Positionen aus verschiedenen kulturellen Zusammenhängen, von denen vier im Rahmen von Subject:Fwd:Unknown. Eine Ausstellungsreihe über Sprache als Medium und Form im Frankfurter Projektraum fffriedrich zu sehen waren: Michal Heiman, Nora Turato, Tim Etchells und Yutie Lee. Dabei nahmen die Wörter und das Medium Sprache höchst unterschiedliche Formen und Dynamiken im Ausstellungsraum an. Sie traten als Gespräch, Stimme, Sound auf, bildhaft, performativ oder als elektronischer Code, als private, geheime oder an eine Öffentlichkeit gerichtete Mitteilung. Jede der vier Ausstellungen eröffnete dezidiert unterschiedliche Zugänge und Funktionsweisen. Sie changierten zwischen persönlich, einfühlend, emotional, anonym, autoritär, investigativ, waren raumgreifend oder eher poetisch und leise. Der Künstlerin Michal Heiman dient Sprache als Mittel, um beim Publikum subjektive oder auch imaginierte Erinnerungen wachzurufen und miteinander zu teilen. Ihre auf Teilhabe und Austausch angelegte Rauminstallation initiierte persönliche Gespräche zwischen den Ausstellungsbesuchenden über Biografie und Genealogie, über reale oder fiktive Vorfahren. Dafür stattete sie den weißen Galerieraum, ein Ladenlokal in der Frankfurter Innenstadt, mit einem Arbeitstisch und Stühlen, mit Fotografien und der Requisite eines halb aufgezogenen Vorhangs aus. Im Gegensatz dazu zielte Nora Turato nicht auf Austausch und Dialog, sondern setzte gesprochene Sprache autoritär, als blockhaften Monolog ein. Das Publikum wurde zum schweigenden Objekt der Betextung. In ihrer 20-minütigen Performance überschüttete sie die Anwesenden mit einem Wortschwall aus abgenutzten Phrasen und Redewendungen im Rapper-Jargon oder mit Werbeslogans, forciert durch eine starke Gestik, Mimik und Intonation. Manche der Phrasen und Slogans fand man auf Prints an den Wänden des reduziert gestalteten Raumes wieder, als schwarze Schriftzüge auf monochromen Farbfeldern. Ganz anders verfuhr Tim Etchells mit gesprochenen Wörtern: In seiner Soundinstallation wisperte es aus vier Lautsprechern und je eigenen Tonspuren immerfort „Something to lose sleep over“ (Etwas, was um den Schlaf bringt). In Variationen, Wiederholungen, Überlagerungen hörte das Publikum immer wieder aufs Neue diesen Satz, geheimnisvoll, beunruhigend, nicht greifbar. Im Schaufenster des Ausstellungsraums nahmen die Wörter hingegen eine visuelle Dimension an als Schriftarbeit mit dunkelroten Buchstaben aus Pappe in zwei Reihen übereinander: Something to Lose Sleep Over und To Lose Sleep Over Something.
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STEFANIE HERAEUS
Yutie Lee arbeitete in zwei gegensätzlich anmutenden Medien, Keramik und Video, gewissermaßen Tradition und Gegenwart des Medialen einander gegenüberstellend. Dabei bediente sie sich aus dem Material einer spezifischen Art historischer Kommunika tionstechniken, nämlich konstruierter, erfundener Sprachen – der „unbekannten Sprache“ (Lingua ignota) der Äbtissin Hildegard von Bingen aus dem 12. Jahrhundert und dem Frequenzsprungverfahren zur Funkfernsteuerung, das die Schauspielerin und Erfinderin Hedy Lamarr im Zweiten Weltkrieg miterfunden hat. Als grafische Zeichen und Vorsilben tauchten typografische Sonderzeichen, Buchstaben und Symbole in den verschiedenen Medien auf. Den vier Einzelausstellungen der gesamten Serie sind jeweils zwei Beiträge gewidmet: zunächst aus der Perspektive der beteiligten Kurator*innen, sodann – gewissermaßen als Reaktion darauf – aus der Perspektive von Besuchenden. Die Konzeption der Ausstellungsserie Subject:Fwd:Unknown, die im Herbst 2018 stattgefunden hat, erläutern Dennis Brzek, Sarah Heuberger und Lea Maria Steinkampf. Mit Tim Etchells haben Dana Schütte und Leonore Spemann ein Interview geführt, das hier publiziert ist. Ausgangs- und zunächst auch Referenzpunkt für die konzeptuellen und kuratorischen Überlegungen von Subject:Fwd:Unknown war ein beinahe zeitgleich stattfindendes Ausstellungsprojekt: #215 mit Leo Asemota und Nástio Mosquito im Portikus in Frankfurt am Main, kuratiert von Philippe Pirotte, Bonaventure Soh Bejeng Ndikung und Christina Lehnert. Beide Ausstellungen wurden parallel erarbeitet. Die Ausstellung im Portikus basierte auf digitalen Sprachnachrichten zwischen Leo Asemota und Nástio Mosquito, die sie sich im Nachgang der documenta 14 und ihrer Beteiligung am dortigen Radioprogramm Savvy Funk über einen längeren Zeitraum zugeschickt hatten. Christina Lehnert schildert in ihrem Beitrag, wie das Ritual des Gesprächs die künstlerischen und kuratorischen Vorgehensweisen im Portikus prägte. Es waren vor allem zwei Gesprächsformate, die angolanische Erzähltradition Ulónga, bei der von persönlichen Erfahrungen des Alltags berichtet wird, und Palaver als eine Diskussionsform ohne Entscheidungsverfahren. Beide waren sowohl das Format für die Erarbeitung der Ausstellung als auch deren Thema. Der Gesprächsmodus wurde zum Ausstellungsgegenstand. Die Inhalte der Dialoge wurden in der Ausstellung nicht offengelegt, vielmehr verwiesen Utensilien wie Sitzkissen, -möbel, Teppiche und Accessoires wie Brettspiele auf soziale, situative Interaktionen des Beisammensitzens, Sprechens und Diskutierens. Darüber hinaus konnten die Besuchenden selbst Sprachnachrichten erzeugen und anderen zugänglich machen. Bonaventure Soh Bejeng Ndikung und Philippe Pirotte diskutieren in ihrem Beitrag das subversive Potenzial privater, ursprünglich nicht für ein Publikum gedachter Gespräche im Kontext zeitgenössischer globaler künstlerischer Praktiken und Ausstellungsroutinen. Was bedeutet es, wenn der Raum einer öffentlichen Ausstellungsinstitution die persönliche Konversation zweier Künstler und deren Kommunikationsformen in den Fokus rückt? Gesprächsmodi auszustellen, die wie in der Ausstellung im Portikus an Palaver und Ulónga anknüpfen, sind für sie nicht zuletzt Versuche, sich im gegenwärtigen postkolonialen Kontext zu bewegen und Ausstellungsinstitutionen als Orte paritätischen Austauschs zu markieren.
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EINLEITUNG
Die sechs Künstler*innen beider Ausstellungen sind in der Publikation mit einem eigenen Beitrag vertreten. Ergänzt werden die künstlerischen Beiträge durch zwei Essays, die sich aus kunsthistorischer und aus literaturwissenschaftlicher Perspektive mit Gesprächs formaten, Worten und Sprache beschäftigen. Fiona Geuß skizziert in „Gespräche ausstellen. Platzhalter – Relikt – Verbindungslinie zwischen Kunst und Gesellschaft“, wie seit dem Ende der 1960er Jahre Gesprächsformate und Dialogformen zum Bestandteil künstlerischer Praktiken wurden, um – häufig im Kollektiv – gesellschaftskritische, teilweise auch aktivistische Haltungen zu formulieren. Anhand exemplarischer Positionen aus Europa und Nordamerika, beginnend mit der 1969 gegründeten Art Workers Coalition bis hin zu Arbeiten des Künstlerkollektivs Group Material aus den 1980er Jahren, erläutert sie, wie diese Einzug in den Ausstellungskontext hielten. Einzelne Exponate oder ganze Installationen, Notizzettel, Visitenkarten, beschriebene Tafeln oder andere Überbleibsel geselliger Zusammenkünfte verweisen auf stattgefundene, nicht öffentliche Gespräche oder solche, die im direkten Austausch mit dem Publikum geführt worden sind. Das Gespräch wurde so zu einem eigenen partizipativen Ausstellungsformat mit gesellschaftspolitischem Anspruch. Heike Gfrereis argumentiert in ihrem Aufsatz „Wörter zeigen. Eine poetische Sicht auf das Ausstellen von Literatur und Philosophie“ aus der Perspektive einer Literaturwissenschaftlerin, die als Kuratorin am Deutschen Literaturarchiv Marbach arbeitet. Ihre kuratorische Handschrift zeichnet sich durch ein Erproben verschiedener Adaptionsweisen aus, um spezifische literarische Formen und Erzählweisen im Ausstellungsraum erfahrbar zu machen. Weil das Medium Literatur zumeist ohne Schauwert, nicht zum Ausstellen konzipiert ist, fokussieren sich Literaturausstellungen auf die Person und Biografie einer Autorin oder eines Autors und arbeiten mit ausgewählten stellvertretenden Objekten: etwa mit persönlichen Relikten, mit Manuskripten, Büchern oder bibliophilen Ausgaben, selten hingegen mit den Wörtern selbst. Gfrereis geht es darum, die spezifischen Eigenschaften von Wörtern zu nutzen. Anhand der Gegenüberstellung zweier Textsorten, einer Szene aus Goethes Wilhelm Meister und Heinrich von Kleists Erzählung Über das Marionettentheater, erläutert sie, wie sich Wörter im Ausstellungsraum durch Bild- und Raumerfindungen so inszenieren lassen, dass sie körperlich wahrgenommen werden können. Mein besonderer Dank gilt Christina Lehnert, die das kuratorische Projekt gemeinsam mit mir über ein Semester lang begleitet hat. Mit Philippe Pirotte und Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, der eine Gastprofessur an der Städelschule hatte, haben wir das Konzept eingehend diskutiert. Leo Asemota und Nástio Mosquito erläuterten in einem Workshop ihre Überlegungen zu ihrer Ausstellung im Portikus. Michal Heiman konnten wir für eine Lecture und Tim Etchells für ein Künstlergespräch gewinnen. Fiona Geuß hat uns im Seminar mit Formen des Gesprächs in künstlerischen Praktiken der 1970er Jahre vertraut gemacht, Heike Gfrereis hat uns ihre kuratorischen Ansätze im Rahmen eines Studientags zum spezifischen Potenzial von Archivmaterialien im Ausstellungskontext vorgestellt. Laliv Melamed, Vivien Trommer, Yevgeniy Breyger
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STEFANIE HERAEUS
und Tomke Braun haben sich die Zeit genommen, die Ausstellungen zu kommentieren. Als es schließlich um die Realisierung der Publikation ging, waren es neben dem Redaktionsteam vor allem drei Personen, die hier eigens hervorgehoben werden sollen: Dennis Brzek, Sarah Heuberger und Ben Livne-Weitzman. Eike Walkenhorst hat die Ausstellungen fotografisch dokumentiert. Wanda Löwe hat die Texte äußerst sorgfältig redigiert. Ihnen allen gilt unser herzlicher Dank – und ganz besonders: den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern.
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INTRODUCTION
INTRODUCTION: EXHIBITING WORDS, LANGUAGE, CONVERSING Stefanie Heraeus The subject of this volume is exhibiting words, sentences, voice messages, conversations and other language-based forms of communication, which are examined from different perspectives. The focus is on contemporary artistic positions from different cultural contexts, four of which – Michal Heiman, Nora Turato, Tim Etchells and Yutie Lee – were presented in the context of Subject:Fwd:Unknown. An exhibition series on language as a medium and form at the Frankfurt project space fffriedrich. In the series, words and the medium of language took on highly diverse forms and dynamics in the exhibition space. They appeared as conversation, voice, sound, figuratively, performatively, or as electronic code, as private, secret, or as public communication. Each of the four exhibitions opened up decidedly different approaches and modes of operation. They fluctuated between personal, empathetic, emotional, anonymous, authoritarian, investigative, between expansive or more poetic and quiet. For artist Michal Heiman, language serves as a means to evoke and share subjective or even imagined memories with the audience. Her spatial installation, designed for participation and interaction, sparked personal conversations about biography and genealogy, about real or fictitious ancestors among the exhibition’s visitors. To this end, she furnished the white gallery space, a storefront in downtown Frankfurt, with props: a worktable and chairs, photographs and a half-drawn curtain. In contrast, Nora Turato did not aim at exchange and dialogue, instead she used spoken language authoritatively, as a block-like monologue. The audience became the silent object of the text. Her 20-minute performance showered the audience with a torrent of worn-out phrases and idioms in rapper jargon or advertising slogans, intensified by strong gestures, facial expressions and intonation. Some of the phrases and slogans also appeared on prints hung on the walls of the pared-down room, as black lettering on monochrome color fields. Tim Etchells took a completely different approach to spoken words: His sound installation “Something to lose sleep over” continuously whispered this phrase from four speakers, each with its own sound track. Visitors heard this mysterious, unsettling and intangible phrase over and over again in variations, repetitions and superimposed over itself. In the showroom window, the words took on a visual dimension as a script with dark red cardboard letters in two rows: Something to Lose Sleep Over and To Lose Sleep Over Something. Yutie Lee juxtaposed tradition and the medial present to a certain extent in two seemingly contradictory media: ceramics and video. She drew on material from a specific kind of historical communication technique: constructed, invented languages – the “unknown language” (Lingua ignota) of the 12th-century abbess and saint Hildegard of
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Bingen and the frequency hopping method that the actress and inventor Hedy Lamarr co-invented during World War II. Special typographic characters, letters and symbols appeared as graphic signs and prefixes in the various media. This volume addresses each of the series’ four individual exhibitions in two essays: first from the perspective of the curators involved, then – as a kind of reaction to them – from the visitors’ perspective. Dennis Brzek, Sarah Heuberger and Lea Maria Steinkampf explain the concept of the exhibition series Subject:Fwd:Unknown, which took place in the fall of 2018. Dana Schütte and Leonore Spemann made an interview with Tim Etchells, which is published here. The starting and initial reference point for the conceptual and curatorial considerations of Subject:Fwd:Unknown was a nearly concurrent exhibition project: #215 with Leo Asemota and Nástio Mosquito at Portikus in Frankfurt am Main, curated by Philippe Pirotte, Bonaventure Soh Bejeng Ndikung and Christina Lehnert. Both exhibitions were developed in parallel. The exhibition at Portikus was based on digital voice messages between Leo Asemota and Nástio Mosquito, which they exchanged over a longer period of time following documenta 14 and their participation in the radio program Savvy Funk there. In her article, Christina Lehnert describes how the ritual of conversation shaped the artistic and curatorial approaches at Portikus. There were two formats of conversation in particular: the Angolan narrative tradition Ulónga, which recounts personal experiences of everyday life, and Palaver, a culture specific format of discussion without a decisionmaking process. Both were simultaneously the format for developing the exhibition as well as its subject, making the mode of conversation the object of the exhibition. The exhibition did not reveal the dialogues’ content; rather, furnishings such as seat cushions, furniture, rugs and accessories, such as board games, alluded to social, situational interactions of sitting together, talking and engaging in discussion. In addition, visitors were able to generate their own voice messages and share them with others. Bonaventure Soh Bejeng Ndikung and Philippe Pirotte discuss in their contribution the subversive potential of private conversations, originally intended for no audience, in the context of contemporary global artistic practices and exhibition routines. What does it mean when a public exhibition space focuses on two artists’ personal conversation and their modes of communication? For them, exhibiting modes of conversation that tie in with Palaver and Ulónga, as in the exhibition at Portikus, are attempts to move in the contemporary postcolonial context and to mark exhibition institutions as places of parity of exchange. The six artists from both exhibitions contributed to this publication. These artistic contributions are complemented by two essays that deal with conversational formats, words and language from the art history and literary studies perspectives. In “Exhibiting Conversations. Placeholder – Relic – Line of Connection between Art and Society”, Fiona Geuß outlines how, since the end of the 1960s, conversational formats and forms of dialogue have become an integral part of artistic practices in order to formulate – often collectively – sociocritical, sometimes activist attitudes. Using exemplary
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INTRODUCTION
positions from Europe and North America, beginning with the Art Workers Coalition founded in 1969 to works by the artist collective Group Material from the 1980s, she explains how these found their way into the exhibition context. Individual pieces or entire installations, notes, business cards, written boards or other remnants of social gatherings reference conversations that have taken place, not in public, or those that were conducted in direct exchange with the audience. The conversation became its own participatory exhibition format with socio-political aspirations. In her essay “Showing Words. A Poetic View on Exhibiting Literature and Philosophy”, Heike Gfrereis argues from the perspective of a literary scholar who works as a curator at Deutsches Literaturarchiv Marbach. Her curatorial signature is characterized by experimentation with different modes of adaptation that make specific literary forms and narratives tangible in the exhibition space. As the medium of literature is mostly without show value, or not designed to be exhibited, literary exhibitions focus on the person and biography of an author and work with selected representative objects: for example, with personal relics, manuscripts, books or bibliophilic editions, but rarely with the words themselves. Gfrereis is interested in using the specific properties of words. By juxtaposing two types of writing, a scene from Goethe’s Wilhelm Meister and Heinrich von Kleist’s story Über das Marionettentheater, she explains how words can be staged in the exhibition space by inventing images and spaces in such a way that they can be physically perceived. I would like to give special thanks to Christina Lehnert, who accompanied the curatorial project together with me for one semester. We discussed the concept extensively with Philippe Pirotte and Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, who held a visiting professorship at the Städelschule. Leo Asemota and Nástio Mosquito held a workshop, in which they explained their thoughts on their exhibition at Portikus. We were fortunate to have Michal Heiman give a lecture and Tim Etchells participate in an artist talk. Fiona Geuß introduced us to forms of conversation in artistic practices of the 1970s in a seminar, and Heike Gfrereis presented her curatorial approaches on the specific potential of archival materials in the exhibition context in the context of a study day. Laliv Melamed, Vivien Trommer, Yevgeniy Breyger and Tomke Braun took the time to comment on the exhibitions for this volume. Finally, in addition to the editorial team, three people deserve special mention for their efforts in making this publication a reality: Dennis Brzek, Sarah Heuberger and Ben Livne-Weitzman. Eike Walkenhorst documented the exhibitions photographically. Wanda Löwe edited the texts with great care. Our heartfelt thanks go to all of them – and especially to the participating artists.
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CHRISTINA LEHNERT
#215: LEO ASEMOTA & NÁSTIO MOSQUITO. EINE AUSSTELLUNG ÜBER DIALOGE Christina Lehnert Das erste Treffen der Künstler Leo Asemota und Nástio Mosquito1 und der Kurator*innen Philippe Pirotte, Bonaventure Soh Bejeng Ndikung und Christina Lehnert begann im Frühjahr 2018 mit einem Ulónga.2 Dabei handelt es sich um eine angolanische Tradition: Wenn man sich trifft, erzählt man sich, was man vom Zeitpunkt des letzten Treffens bis zum Zeitpunkt des gegenwärtigen Treffens erlebt, gedacht, gefühlt hat. Dieses Format des gemeinschaftlichen Sprechens gehört in eine Reihe von Kulturtechniken des Gesprächs wie das Palaver: Ursprünglich bezeichnet Palaver einen Rat, der Entscheidungen durch Gespräche erst dann fällt, wenn ein Übereinkommen erzielt wurde. Entscheidungen werden nicht aufgrund vorgefertigter, abstrakter Regeln getroffen, sondern innerhalb eines Gesprächsverlaufs entwickelt. Asemota wurde zum ersten Ulónga per Skype aus London nach Frankfurt zugeschaltet, was eine die Ausstellung mitbestimmende Dimension verdeutlicht: Politik, die den Einzelnen in seiner Freiheit und Bewegung betrifft, genauso wie die Einfachheit des Reisens von Berlin oder Lissabon nach Frankfurt. Die Idee zur Ausstellung #215 basiert auf einem privaten Austausch von Sprachaufnahmen, die Asemota und Mosquito einander seit ihrem Zusammentreffen anlässlich des documenta-14-Radios Savvy Funk gesandt haben. Sprachnachrichten erzeugen einen zeitlich versetzten Dialog, der eine alternative Unterhaltung ermöglicht und Zeit für eine Reaktion lässt. Daher charakterisieren Gesprächsformen wie Dialog oder Monolog und Interaktion auch ihre Kollaboration in der Ausstellung #215. Als Institution und damit als öffentlicher Raum wurde der Portikus durch #215 zu einem Ort, an dem Begegnung und Privatheit, Manifestationen und Gedanken koexistierten. Die Werke sind für die Ausstellung entstanden und beziehen sich auf die architektonischen, funktionalen und geografischen Eigenheiten des Portikus. Sie verändern den Modus des Ausstellungsbesuchs und die Bewegung durch den Raum: Statt einer Präsentation von Arbeiten wird die Ausstellung zu einem Aufenthalts- und Kommunikationsort. Zentral im Raum befand sich Recording Booth for „These“, ein Aufnahmestudio in der Form der Architektur des Portikus. Hier konnten die Besucher*innen, ähnlich wie die beiden Künstler, Nachrichten aufnehmen, die sie an Personen ihrer Wahl richteten. Dafür wurde ein Verschlüsselungscode generiert, der an die Empfänger*innen weitergereicht werden konnte (als Postkarte, durch die Ausstellungsaufsichten oder als Foto), sodass diese die Nachricht durch Eingabe des Codes im Portikus nachhören konnten. Kommunikation als Motiv fand sich in verschiedenen Formen und Transformationen wieder: Die privaten Gespräche zwischen Asemota und Mosquito wurden nicht offengelegt, fanden sich jedoch als Mitschriften beider Künstler im Ausstellungsraum wieder.
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#215: LEO ASEMOTA & NÁSTIO MOSQUITO
Notizen auf Glas und Notizen auf Kohlepapier erzählten von dem Dialog – quasi aus zweiter Hand. Nástio’s words, some are mine enthielt alle Notizen Asemotas, die er zu den Gesprächen gemacht hatte, so dicht zusammengeschrieben auf einem Papier, dass Chronologie und Lesbarkeit verloren gehen und eher als Verunschriftlichung wie eine Partitur der Aufnahmen Mosquitos bzw. der Gedanken Asemotas erschienen. In die Planung der Ausstellung wurden Kollaborateure eingebunden: Schreiner*innen, Grafiker*innen, Mediengestalter*innen und Architekt*innen bildeten das Studio #215 und erweiterten damit den Kreis außerhalb des festgelegten Teams. Für die Zeit der Installation wurde der Portikus so zu einer Art Workshop, der bereits im Vorfeld durch gemeinsames Erarbeiten im Hinblick auf die Fähigkeiten aller Beteiligten die Entstehung der Ausstellung ermöglichte. Auch in anderer Weise wurden Elemente aus den Herkunftskulturen der Künstler aufgegriffen. Die im Raum angebotenen Sitzgelegenheiten, sogenannte Agba Stools, sind traditionell zeremonielle Stühle aus Benin. Ihre Geschichte und Herstellung zeugt von mehreren kulturellen Einflüssen. So ist die Verbindung der Einzelteile nicht nigerianischer, sondern europäischer Herkunft (mortise and tenon, zu Dt. Verzapfung). Für die Ausstellung wurden die Stühle in vereinfachter Form von Studierenden und Mitarbeiter*innen der Städelschule in verschiedenen Hölzern nachgebaut. Sie dienten als Tische oder Hocker für Besucher*innen und Werke in der Installation. Die Ausstellung nahm immer wieder Bezug auf den Portikus und seine Strukturen: Die von Asemota entworfenen Letterpress-Drucke wurden als Editionen verkauft und sollten für die Reparatur der Letterpress Druckmaschine der Städelschule verwendet werden. Ausstellungskataloge aus dem Lager des Portikus dienten als Sockel für die Notizen Mosquitos. „To take what’s there“ als Ausgangsprinzip zu benutzen war eine Geste, die es den Künstlern an einer öffentlichen Institution ermöglichte, einen Ort zu schaffen, der nichts erzwang. So schöpfte die Ausstellung ihre Möglichkeiten durch Kollaborationen in und mit den vorhandenen Strukturen aus und verwandelte den vorgefundenen institutionellen Rahmen durch die eigenen künstlerischen Praktiken. Die Gespräche zwischen den Künstlern waren der Anstoß für weitere Dialoge, in der nicht der Einzelne, sondern das Wissen vieler zu Bausteinen der Ausstellung geworden sind. 1 2
Leo Asemota wurde in Benin City, Nigeria, geboren. Er lebt in London und an seinem Geburtsort Benin-City. Nástio Mosquito wurde in Angola geboren und pendelt zwischen Lissabon und Gent. #215 war die erste gemeinsame Ausstellung der beiden Künstler. Publiziert als: Lehnert et al. 2018.
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CHRISTINA LEHNERT
#215: LEO ASEMOTA & NÁSTIO MOSQUITO. AN EXHIBITION ON DIALOGUES Christina Lehnert The first meeting between the curators Philippe Pirotte, Bonaventure Soh Bejeng Ndikung and Christina Lehnert, and the artists Leo Asemota and Nástio Mosquito1 in spring 2018 began with an Ulónga, an Angolan tradition in which one generally recounts what one has experienced, thought and felt since the last meeting.2 The format of communal speech is part of a series of cultural conversation techniques, such as the Palaver, which, apart from its everyday meaning, dates back to a form of assembly in which decisions are first made after conversation leads to consensus. Here, decisions are not the product of pre-established abstract rules, but develop over the course of a conversation instead. The fact that Asemota could only be streamed in to the first Ulónga in Frankfurt via Skype reveals a dimension that also defined the exhibition: politics that affect individual freedoms, including movement and the convenience of traveling from Berlin or Lisbon to Frankfurt. The idea for #215 came from a private exchange of voice recordings between both artists, which they have been sending each other since meeting on the occasion of Savvy Funk, the radio program at documenta 14. The voice messages produce a temporally displaced dialogue, which enabled a different kind of conversation. Conversation forms like the dialogue and monologue as well as interaction thus came to characterize the form of their collaboration in the exhibition #215. As an institution and public space, the works and installations transform the Portikus into a site where encounters, privacy, manifestation and thought all coexist. Both artists developed their works specifically for the exhibition and draw on the architectural, functional, geographical and atmospheric particularities of the space. They change the manner of how the exhibition is visited and how visitors move through it: instead of merely presenting work, the exhibition becomes a place to linger and communicate. In the center of the room was the Recording Booth for “These”, a recording studio in the form of the Portikus’ architecture. Here, visitors could record messages that they addressed to people of their choosing, similar to the two artists. The booth generated an encryption code to pass on to the recipient (as a postcard, by the exhibition guards, or as a photograph), so that they could listen to the message by entering the code in Portikus. Communication as a motif was found in various forms and transformations: the exhibition did not divulge the private conversations between Asemota and Mosquito; they were reflected in the space as transcripts by both artists, however. Notes on glass and notes on carbon paper told of the dialogue – second-hand, as it were. Nástio’s words, some are mine contained all of Asemota’s notes that he had taken on the conver-
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sations, written densely on a single sheet of paper so illegibly that the chronology is impossible to follow; it appeared to be more of an anti-transcription, like a score of Mosquito’s recordings or Asemota’s thoughts. The collaborators, carpenters, designers and architects were all involved in planning the exhibition and expanded the design of #215 and its sphere beyond the institute through their means. For the duration of the installation, Portikus became a virtual workshop that enabled all of those involved to create the exhibition in advance by working together and using their skills. Elements from the artists’ cultures of origin were also incorporated in other ways. The seating offered in the room, Agba Stools, are traditional ceremonial chairs from Benin. Their history and manufacture attest to several cultural influences. The individual parts, for example, are joined by methods not of Nigerian but of European origin (mortise and tenon). For the exhibition, Städelschule students and staff reproduced a simplified form of the chairs in various types of wood. They served as tables or stools for visitors and works in the installation. The exhibition repeatedly drew on Portikus and its structures: the letterpress prints designed by Asemota were sold as special editions and the proceeds from the sales were to be used for the repair of the Städelschule’s letterpress printing machine. Exhibition catalogs from the Portikus warehouse served as bases for Mosquito’s notes. “Taking what’s there” as a starting principle was a gesture that allowed artists at a public institution to create a place that didn’t force anything. The exhibition exhausted its possibilities through collaborations in and with the existing structures, transforming the existing institutional framework through the artists’ own practices. The conversations between the artists were the impetus for further dialogues, in which not the individual but the knowledge of many became the building blocks of the exhibition. 1 2
Leo Asemota was born in Benin City in Nigeria. He has places of residence in London, England, and in his city of birth. Nástio Mosquito was born in Angola and lives between Lisbon and Ghent. #215 is the first exhibition that both artists have worked on together. Published as: Lehnert et al. 2018.
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BONAVENTURE SOH BEJENG NDIKUNG / PHILIPPE PIROTTE
AN INTIMATE CONVERSATION Bonaventure Soh Bejeng Ndikung / Philippe Pirotte Philippe Pirotte [PP]: I think that today there is a crisis in the idea of conversing. That is maybe the reason why we chose to help create that intimacy between artists Leo Asemota and Nástio Mosquito, as part of their exhibition at Portikus. A question is: how to find that intimacy again? Paradoxically, tackling that question could produce the most politically-relevant text today. All the rest seems too much a sprawling out of opinions. Bonaventure Soh Bejeng Ndikung [BSBN]: Achille Mbembe once said in a lecture in Johannesburg that opinion is not knowledge. Everybody claims to have an opinion. This is not knowledge. So how do we create those spaces, where you get initiated and you get the knowledge? Where you are of-the-knowing? Leo and Nástio were in a deep conversation that we knew we were interested in, but we could not get into. They were really indulged in it. The question was – how do you present this in an exhibition context? How do you exhibit this conversation without revealing or betraying too much? We engaged in conversations with them, which we also published, but to me, it was a question of – if you have to give out something, what do you give? Even the notion of the carbon copy is twisted. Carbon copy works by placing a carbon paper between two papers, which then transfers the writing from the first to the second paper through the carbon. Then you have a print of what you’ve written. But if you reveal that carbon paper as the piece itself, as the level of communication, then you are concealing as you are revealing. To think with Homi Bhabha’s Location of Culture (1994), this is this space of in-betweenness. The carbon paper is that in-betweenness, it is how you exist in that in-between space as the beyond or the post. This is what interested me in this exhibition and also in general – in my curatorial practice at large. Interestingly, in relation to institutional critique, I think Leo and Nástio are doing some form of institutional critique, just not an up-inyour-face one. PP: It didn’t become institutional critique in the end, because the premise was sympathetic to the institution. What interested me is that we live in times where everything is made public, and how can we, with Portikus as a public institution, do something paradoxical. There was a public aspect to the project, and even a very generous public aspect, but that what the exhibition really was about was kept private, to a big extent. This paradox interested me – how can a public art institution, not a private one, encourage two minds to have a conversation amongst themselves? To continue it, perhaps with more pressure, and in the end not to make it public, because this would destroy that conversation. Already before this project with Leo and Nástio, when it comes to the discourse and theories around institutional critique, I was always interested in the possibility of the critique of the public, which is never made. The public is an institution. It is a kind
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AN INTIMATE CONVERSATION
of taboo to assume that, certainly in contemporary cultural politics, the contexts of cultural funding, with ideas about the distribution of knowledge, etc. But I am convinced today there is a big need to go underground with knowledge. Not to be obscurantist, but to protect certain knowledges against exploitation. BSBN: Exactly. And in the exhibition, it was in the changing of the opening hours, the shift from the standard times to ‘sunrise-to-sunset’. It is very subtle but subversive. It’s underground, in a very gentle way, but it’s there. PP: Perhaps Leo’s most aggressive, but at the same time gentle intervention, was the Eclipse, by turning off Olafur Eliasson’s light installation at the attic. It installs a notion of darkness, a darkness suffused with content. It could even, if you go further, be an allegory, a critique on enlightenment, consciously or unconsciously. Leo brought in darkness by just turning off some lights. BSBN: Yes, this is it. That which is not obvious, that which is not seen primarily. That’s what they did. PP: This project was also a soul-searching for the curator. Curators are often expected to fulfil the role of public intellectuals. We might be intellectuals, and we might have a public role, but fully adopting the role of a public intellectual is almost preposterous. When you mentioned the notion of political speech, the context is so complex, that those opinions are often not much more than sound-bites. That is where the crisis lays. Each political issue today is so complex that it’s very difficult to have a short-range answer to it. You need to take a lot of things into account. That provokes the inflationist series of curatorial concepts. And it is one of the things which had been demanded from curatorial studies and curatorial education – the production of public intellectuals discussing in a delegated realm. The cliché today is to talk about notions of post-truth and fake news, but it is the uttering of opinions that also allowed for that to happen. There is very little time given for a complex consideration of a certain problem. The expectation is for a brief, fast, short answer. The same is being asked from art exhibitions – the moment they are more complex, or that the experience in them and their approach becomes ‘work’ for the audience, they are often dismissed by a big part of the most vocal public realm. I remember when I was 16, I was living in Antwerp and we traveled to Cologne by car. There were no cheap flights yet and all that, so you couldn’t travel far. We went to see the exhibitions there, and what was cool at that time was to see things you wouldn’t understand. It was a very different kind of experience, but a desired one. Looking forward to experience things you wouldn’t understand immediately. That was the pleasure of it. Today, there is an ideology, and often a critical stance towards the art world and art manifestations, which are occupying much more the center of public attention than 30 years ago, but at the same time there is an enormous demand for transparency, a refusal of the positive aspects of opacity, of thickness. I think that is
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BONAVENTURE SOH BEJENG NDIKUNG / PHILIPPE PIROTTE
symptomatic for a bigger phenomenon, a crisis of our times. This is also something we were indirectly thinking about when we were doing this project at Portikus. BSBN: I want to pick up on the point of certainty and uncertainty. A place for more uncertainty. One notices that today people come more with ready-made opinions and are less ready to find a middle ground – ‘I already know where you’re coming from, therefore I know who you are, I am certain about that’. Which is, of course, just not true. An American comedian once said that the worst place for a black man to accomodate is in the mind of a white man. When they see you they don’t really see you, they see some impression of you. I think that is the issue for which conversation becomes extremely important. Conversations as spaces of negotiations. In those spaces where you talk, you negotiate and you find a way, via talking to each other. Coming back to Homi Bhabha, if you stand on your ground – you have your own opinion, you cannot move away. Then, this space of in-betweenness does not exist. If you hear Trump saying ‘I want a wall! Whatever you guys think, I want a wall,’ and then the others say ‘We don’t want a wall, we want border security’ – they are speaking but they are not conversing. They do not find common denominators or even look for them. We experience similar issues daily, even with our partners at home. You talk to each other but you don’t converse. The etymology of converse is situated in keeping company with, living among or being familiar with. We bypass each other in this speaking. Leo and Nástio try to find a way to think about what it means to converse. So how can exhibition-making be connected to these processes of intimate conversation? PP: Curatorial practice should change all the time. What would be radical curating today? It depends from which perspective you come to curate. With what baggage you’re doing it. Meaning – as critical as I might be about it, at the same time I am also intrigued by this notion of the curator as a public intellectual. I was raised in a time where the curator was more of a craftsman and a connoisseur. The latter I kind of dismissed, but I embraced the idea of the craftsman. The moment curatorial education came about, the craftsman idea was abandoned. It was a deskilling of a craft, while at the same time embracing a more discursive approach, trying to build up the discourse of curating, which is also relatively recent. This became the initial focus of curatorial education – to create a discourse while relegating the craftsmanship to others. BSBN: For me, I have been interested in exhibition-making and curatorial practice as a kind of jam session. As if it is 2 a.m. in a jazz club somewhere and people just flow in. Each comes with their own baggage; some know each other, some are in conversation with each other – but at that moment of exposure, they present to you something you do not know. It is really about the conversation. First it’s about them listening to each other. Then they listen to you and you to them. The jammers are in a conversation, in public. It doesn’t tell you anything about what they do when they practice, when they sit at home or play with their band. In the jam session, they come and play something
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unpredictable. It is a certain degree of revelation to the audience, which is not an invited audience, but one which happened to stumble upon the open door. I am interested in this space also in relation to the notion of darkness. Not the overexposed spaces of light, of over- and hyper-visibility. But rather spaces of darkness. What kind of conversations happen there. This is what fascinates me as a curator. PP: One of the issues I am facing at the moment is: what do I do as a white European male curator? What kind of solidarities can I genuinely engage in? It is a very tricky question. One of the things I am happy to have done is to work more for other people. This is what I tend to do now. I worked for Melati Suryodarmo at the Jakarta Biennale. It tries to answer the question of what to do now. How to engage with questions, discourses, where we, as European men, become the people accountable, not those who ask the first question. The attempt is to find a way out of the specific debate, such as on restitution or specific perspectives, and try to find a broader theoretical framework, one which does not yet exist. I found hints in the writings of Jean Genet, who without using the word, thought about decolonizing language, to exorcise it of its Western male entitlement. There is a lot of readiness to jump on the bandwagon of decolonization, but I think the core is a very difficult one – how to think and deconstruct notions of entitlement, without adopting the excuse of guilt, because that would be another iteration of the entitlement of the self. BSBN: This is definitely true, we have to open up. Thinking of SAVVY for example, what we have been trying to do for the past ten years is to create spaces for multiple epistemologies. Multiple ways of being-in-the-world. Multiple bodies existing in certain and varying spaces. How could a curatorial practice engage with that? In embracing differences. Edouard Glissant wrote in Poetics of Relation that relations are only possible due to differences. Not big differences, but a lot of small differences. How could a curatorial practice become a practice of relation-making around differences? Maybe we should shift from curating as a static notion to ‘curatoriality’, a process that is continuously changing, that adopts to time, space, peoples, cultures. Curatorial practice as a jam session – with its possibilities for engaging and negotiating.
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DENNIS BRZEK / SARAH HEUBERGER / LEA MARIA STEINKAMPF
SUBJECT:FWD:UNKNOWN. EINE AUSSTELLUNGSREIHE ÜBER SPRACHE ALS MEDIUM UND FORM Dennis Brzek / Sarah Heuberger / Lea Maria Steinkampf Weiterleiten, empfangen, vergessen, löschen, antworten. Die Ausstellungsreihe Subject:Fwd:Unknown unternimmt den Versuch, unterschiedliche Stimmen im Gespräch zusammenzubringen. Neue Ideen entwickeln, Beziehungen zueinander bilden und Konflikte bewältigen – all diese Techniken menschlichen Handelns werden nur durch das Gespräch möglich. Die Offenheit im Moment der sprachlichen Kommunikation zwischen zwei oder mehr Personen ist grundlegend für ein Zusammenleben, das vom Miteinander profitiert. In einem Gespräch wird spontanen Reaktionen, überraschenden Ideen und ungeahnten Verknüpfungen Raum gegeben – Gedanken zirkulieren oder verflüchtigen sich wieder. Gesellschaftliche Debatten und politische Diskussionen finden inzwischen jedoch zunehmend in geschlossenen Räumen statt, in denen Meinungen homogen und ohne Widerspruch auftreten. Demgegenüber eignet sich eine offene Gesprächsstruktur dafür, sowohl kreative Prozesse anzustoßen als auch entgegengesetzte Standpunkte in Austausch miteinander treten zu lassen. Insofern macht nicht ein erzielter Konsens den Wert eines Gesprächs aus, sondern der Aushandlungsprozess selbst und die eigene Positionierung. Das produktive Gespräch, das zugleich seine Bedingungen reflektiert, scheint im öffentlichen Diskurs aber immer weniger Raum zu finden. Umso wichtiger ist es, Gesprächssituationen in den Blick zu nehmen, die Bedingungen für das Miteinander-Sprechen schaffen. Für den Zeitraum vom 18. Oktober bis zum 9. Dezember 2018 waren vier Künstler*innen eingeladen, aufeinanderfolgend Projekte im Ausstellungsraum fffriedrich in Frankfurt am Main zu realisieren. Das künstlerische Arbeiten von Michal Heiman, Nora Turato, Tim Etchells und Yutie Lee eint, dass Sprache und Kommunikation ein grundlegendes Moment ihrer Praxis bilden. Auf der Grundlage einer spielerischen Methode, die auf dem Prinzip Aktion und Reaktion beruht, wurden die vier Künstler*innen gebeten, in ein Gespräch einzutreten. Über einen Zeitraum von sechs Wochen sandten sie der folgenden Künstlerin oder dem folgenden Künstler sensorische Impulse – Bildmaterial, Texte oder Audiomaterial – per E-Mail zu. Dadurch ausgelöste Assoziationen beeinflussten die jeweils folgende künstlerische Produktion und gaben Anlass für interne Aushandlungsprozesse und externe Verbindungen, die innerhalb der Ausstellungsreihe mehr oder weniger sichtbar waren. Den Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit Mechanismen von Sprache, Kommunikationsformen und Gesprächsbedingungen bildete die Ausstellung #215 der Künstler Leo Asemota und Nástio Mosquito, die vom 1. Dezember 2018 bis zum 27. Januar 2019 im Portikus stattfand. Die dialogische Praxis der beiden Künstler wurde um Gespräche mit der Kuratorin des Portikus Christina Lehnert, dem Rektor der
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Städelschule Philippe Pirotte und dem Kurator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung erweitert und beeinflusste die Routinen ihrer kuratorischen Arbeit. Die Studierenden wurden in diese Überlegungen einbezogen, nahmen an Diskussionen teil und entwickelten davon ausgehend das Konzept zu Subject:Fwd:Unknown. Sowohl die Kooperation mit dem Portikus als auch aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen gaben Anlass, um über Gesprächsbedingungen und die Mechanismen von Sprache nachzudenken und eine Sensibilisierung für diese anzuregen. In letzter Konsequenz muss Kommunikation – und damit jedes gesprochene Wort, jede Geste und auch jeder künstlerischer Ausdruck – als Berührungspunkt eines vielschichtigen und kollektiven Beziehungsgeflechts verstanden werden, in dem unendlich viele Bedeutungen aufeinandertreffen. Das Projekt Subject:Fwd:Unknown sucht dieses Potenzial aufzugreifen und in einem anderen Format fortzuführen. Die eingeladenen Künstler*innen verbindet die Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie ein Gespräch stattfinden kann. Über Sprache und Kommunikation entwickeln sie in unterschiedlichen künstlerischen Medien Formen, wie ein Gespräch performativ, verweigernd, forschend, konkret und abstrakt gerahmt werden kann. Als Kurator*innen begreifen wir künstlerische und kuratorische Praktiken als offene, transdisziplinäre und kommunikative Prozesse. Diese gilt es auch als solche zu gestalten. Im Rahmen dieser Ausstellungsreihe sahen wir unsere Aufgabe darin, die Bedingungen für einen kreativen Gesprächsprozess zu schaffen, in ihn einzutreten, daran mitzuwirken und ihn zu reflektieren. Mit Subject:Fwd:Unknown möchten wir eine vielsprachige, fragmentierte Geschichte erzählen, gemeinsam mit den Künstler*innen und den Besucher*innen eine kollektive Stimme bilden, aber auch unvereinbare Aussagen nebeneinander stehen lassen. Wo die Ausstellungsreihe auf der Weitergabe von Impulsen aufbaute, soll die vorliegende Publikation Raum geben für das zweite wesentliche Element des Gesprächs: die Reaktion. Die verschiedenen künstlerischen Positionen werden nicht nur rückblickend betrachtet, sondern gleichzeitig zum offenen Gesprächsthema. Beschreibungen und Ansichten der einzelnen Ausstellungen bilden einen Einstieg, den vier Autor*innen mit Reaktionen, Assoziationen oder neuen Impulsen beantwortet haben. Ein Interview mit Tim Etchells sowie die Essays von Heike Gfrereis und Fiona Geuß blicken auf kunsthistorische, philosophische und gesellschaftskritische Aspekte der Überführung künstlerischer Praxis in das Medium des Gesprächs. Ihre Perspektiven erweitern den Rahmen unserer Betrachtung und laden dazu ein, weitere Fäden und Netze zu spinnen.
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DENNIS BRZEK / SARAH HEUBERGER / LEA MARIA STEINKAMPF
SUBJECT:FWD:UNKNOWN. AN EXHIBITION SERIES ON LANGUAGE AS A MEDIUM AND FORM Dennis Brzek / Sarah Heuberger / Lea Maria Steinkampf Forward, receive, forget, delete, reply. The exhibition series Subject:Fwd:Unknown is an attempt to bring different voices together in conversation. Developing new ideas, building relationships and managing conflicts – all of these human actions are only possible in conversation. The openness of the moment when two or more people communicate verbally is fundamental for a coexistence that benefits from togetherness. Conversations provide space for spontaneous reactions, surprising ideas and unexpected connections – thoughts both circulate and evaporate. And yet, societal debates are increasingly taking place within closed chambers, where opinions are homogeneous and without objection. An open structure for conversation, in contrast, has the potential to initiate creative processes and to connect oppositional views. Therefore, the value of a conversation is not based on reaching consent, but on the process of negotiation itself, as well one’s own positioning within it. However, in public discourse, little room is provided for productive conversations, that simultaneously and self reflexively elucidate the process of their outcomes. Against this background, the consideration of conversational situations, that create conditions for exchange appears urgent. Between October 18 and December 9 2018, four artists have been invited to successively realise projects at the exhibition space fffriedrich in Frankfurt am Main. The four artists Michal Heiman, Nora Turato, Tim Etchells and Yutie Lee use language and communication as fundamental elements of their respective practices. Based on an approach grounded by the principal of action/reaction, the artists were invited to engage as participants in a conversation throughout the exhibition series. Over a period of six weeks, they emailed sensory impulses – images, texts or sound material – to the artist exhibiting after them. Associations triggered by this input affected the succeeding artistic position and gave rise to processes of internal negotiation and external connections that were more or less visible within the exhibition. Starting point for the exploration of mechanisms of language, forms of communication and conversational conditions was the exhibition #215 by Leo Asemota and Nastio Mosquito, which took place at Portikus from December 1, 2018 to January 27, 2019. Conversations between curator Christina Lehnert, Städelschule’s rector Philippe Pirotte, and curator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung expanded the two artists’ dialogic practice, which also influenced the routines of their curatorial approaches. The students were able to take part in these considerations and participated in discussions that lay ground to the conceptual development of Subject:Fwd:Unknown. Both the collaboration with Portikus as well as current social developments gave rise to the reflection of the current status of conversation and the mechanisms of language
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SUBJECT:FWD:UNKNOWN
as well as an urge to foster a sensibility towards them. Ultimately, communication – every spoken word, gesture or artistic expression – can be understood as a point of contact in a multilayered and collective network of relationships in which an infinite number of meanings come together. The project Subject:Fwd:Unknown seeks to seize on this potential and to pursue it within in a different form. What unites the invited artists is their exploration of how conversations can take place. They use language and communication in different artistic media to develop forms of how a conversation can be framed performatively, refusingly, exploratively, concretely and abstractly. As curators, we understand artistic and curatorial practices as open, transdisciplinary and communicative processes. And those have to be given a form. With this exhibition, we aimed to create the conditions for a creative conversation process, to participate in it, and to reflect on it. With Subject:Fwd:Unknown we wanted to tell a multilingual, fragmented story, to form a collective voice together with the artists and the visitors, and to let incompatible statements stand side by side. Whereas each exhibition in the series was built on forwarded impulses, this publication provides space for the second essential element of conversation: the reaction. The artistic positions are not only be reviewed in retrospect, but are meant to become open topics for an extended conversation. Descriptions and images of the four exhibitions are the introduction to initiate and inspire four authors responses, reactions, associations, or new impulses. An interview with Tim Etchells as well as essays by Heike Gfrereis and Fiona Geuß examine art historical, philosophical and socio-critical aspects of the transfer of artistic practice into the medium of conversation. Their perspectives broaden the scope of our reflections and invite us to spin on further threads.
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INTERVIEW WITH TIM ETCHELLS
INTERVIEW WITH TIM ETCHELLS: UNFOLDING IN TIME Dana Schütte / Leonore Spemann Dana Schütte (DS): Our first question is about which role language plays in your practice. Is there a difference in how you deal with language in different mediums like performance, sound, writing or visual art? Tim Etchells (TE): My concerns are pretty consistent and my interest in language goes across all of my work but in every medium, different things are possible. So, when the medium shifts, for me it creates new possibilities in this exploration of language and new ways of approaching the things that interest me. Broadly, I’m fascinated by the way that language can summon images or questions – the way that with just a small number of words you can bring an idea or an image into the room or into somebody’s mind. So, there is this capacity that language has to make pictures and questions. The other thing that interests me is the invitation language makes to the reader or viewer – that capacity language has to somehow initiate or negotiate a relation with the reader. When you move from one medium to another the form and context of that proposal, as well as the duration of it, changes. It can take a days, weeks or months to read a novel, whereas a neon sculpture in a public space is often seen briefly in passing, in relation to the rest of the city. The temporality changes, as does the social aspect of one’s encounter with the work. We read fiction alone. But a neon sign in a gallery or public space is often encountered rather more collectively, in social space. Performance is often very social in the way we encounter it. One might see a neon several times in a period of months or see it in passing every day for a year. An artwork in that context can get into daily life in a very different way than a novel does. I like that when I move from one medium to another, the frame of the work changes in these ways – each context allows for something totally different regarding the kind of attention you can get from the viewer or the reader. Leonore Spemann (LS): Do you think that works of art can have a dialogue with the visitor and in which way? I mean you described the relation, that your neon light sculptures initiate, but what about your sound works that kind of ‘inhabit’ the ears of the listeners? TE: I think the encounter with an artwork is always a kind of dialogue. The artwork is a proposition, it puts some information or code or pattern into space or into social currency. And as a viewer or visitor or reader, you are always invited to see that, to read it, to engage with it in your own way. You bring things that are on your mind, your own experiences, your own thoughts. I always try to create works that are explicitly open to this dialogue or encounter with the viewer, works that are deliberately porous to the
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context. A neon of mine can be installed in different places, and when are seen in one place or another, they change. It’s not the same to put a work in a town in the north of England as it is to put it in the middle of Paris or London, where economically and socially very different things are happening. Something new is unlocked in the work because of the shift in context. That shift can be environmental, but it can also have to do with the visitor – because as we know every viewer brings their own baggage, thoughts and ideas. I would always think about this porousness, this element of process, in relation to my work with language, but I think it’s true for any artwork, really. Language in particular is always a process of individual unpacking – if someone says: “a chair and a table”, each of us will think of a chair and a table, but we’d all imagine them differently. LS: That’s what Hannah Arendt says, too. She claims that there are so many perspectives that there is no perspective twice in the world. And she is not talking only about the object or the body, but also from what you called “your own thought baggage.” TE: What she says is fundamental. I think it’s also interesting that in specific social and cultural milieu we do nonetheless share certain patterns and frames of perception … if not in fine detail but in bigger shapes I think we share so many things. I’m interested in the negotiation between what’s shared and communal and what’s private, specific and individual. That balance or battle between these two is one of the questions the artworks are tuned to. DS: Thinking about your exhibition at fffriedrich, we discussed a lot about the fact, that sound is a kind of harder to elude than visuals. Does that mean sound can mediate content more pervasively, because it is often perceived unconsciously? TE: That’s very true … it’s also a process, isn’t it? A sound work has time in it in a really clear way, it works in and with time, where a sculptural work or a drawing is an object and has time only in the more subtle sense that the material is decaying very slowly or via the fact that the viewers’ attention operates in and over time. Whereas a sound work literally unfolds in time. And you are right, a sound piece works on our attention in a different way because in order to perceive a drawing or sculpture you have to concretely look or maybe touch, if you are allowed to, but to hear a work, for people who can hear, you don’t really have a choice. It’s there, and you hear it. DS: You cannot close your ears so easily. TE: Indeed. Well it’s harder to close your ears than to close your eyes. Sound is present and persists in a different way than visual information. I guess sound also has that strange quality of becoming a filter or a color to the other senses: it washes over the scene, affecting everything you’re looking at. DS: We were wondering how important it is for you that the voices in your sound works are embodied in a certain sense – linked to a person or speakers that are
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present in the exhibition space. In Subject:Fwd:Unknown it was important for you that the voices did not come from an undefined, hidden place. TE: Well, in live performance an unamplified voice and the performing body are pretty closely linked – the voice and the body/person from which it emanates. For a sound installation presented on speakers, the speakers can be a surrogate, a puppet for an absent body or presence. DS: The speakers almost become representatives of the people? TE: Yes, in some cases. In my work Stand off I use four speakers on stands, facing each other in a small square. The stands hold the speakers at head height and consequently the arrangement reads easily as figures – speakers as heads on the spindly bodies of the stands. The audio on each speaker comprises variations of the phrase: “Get back. Get back. Get back”. So, the piece sets up the idea of figures standing together, locked in a four way confrontation that’s also an impasse. As a viewer you can position yourself in relation to these skeletal figures – inserting yourself into the center of their arrangement or in any place around it. There are other works of mine – Laugh/Cry and Out Of The Picture, both of which I did with speakers on the floor – using loudspeakers from an old public address system. The work has tangles of cable on the floor and the speakers are all pointing in different directions – it’s much more of an organic system, less like the rigid vaguely representational body forms or figures in Stand Off. But you asked how it would be if there was no visible speaker at all, if the sound was just ‘in’ the room. In that situation you wouldn’t be able to visually associate the sound to an object – the voice would be placeless, linked only to the location or to the mind of the viewer/listener. LS: Which role does then the room play in which the work is installed? TE: Well, even given this idea of the speakers as body/figure/body parts there’s also a temptation for me to treat the volume of the gallery itself as a more abstract place in which a particular thought or set of thoughts conjured by the voice is being worked through. As if the room were the inside of a mind. It’s an idea that’s very strongly proposed in that Bruce Nauman work of course Get Out Of My Mind, Get Out of this Room (1987). I’m thinking of the piece Together Apart I made in Braunschweig – a sound installation using speakers across all the different rooms in the Kunstverein. In that work the whole building was a container resonating with different phrases coming from different rooms – layering, overlapping, cacophonous. When I was working on it, I always thought about the building as a mind, as a place where certain thoughts were circulating. DS: Do you think that in the exhibition context in general there should be more conversation not only about the shown works but also between artists and their works and between visitors and artists? In our opinion conversing is crucial for curatorial work and in general: for a democratic society.
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TE: I think it happens in different layers. There is a kind of conversation in the way that visitors engage with artworks. What they bring, what they think, how they make connections from one thing to another. For me that’s already very active. I don’t really subscribe to the idea that the older (‘non-interactive’) forms (novels, movies, paintings etc.) are a kind of closed or one-way communication. As if interactive, participatory works have a monopoly on the idea of two-way processes between artworks and viewers. For me those older forms are already two-way, already active rather than passive. You might not affect the object, but that’s not so important to me. The idea of dialogue is always there. It’s the porousness in the artwork that I was speaking about earlier. Of course, there are forms that try more explicitly to engage, or open conversations of different kinds and I think it’s really valid, important and interesting to open that space even more. LS: Would you then say that the live experience in the exhibition space is the most important thing in the reception of art? We are interested in your thoughts about educational programs that try to include children for example. TE: I guess for me there is something very primary about artworks and one’s encounter with them, whatever the form. I think art is a place where at best you can be thrown into a deep and in a certain sense unexplained encounter with ideas and questions. I think being able to allow oneself to enter that situation, to take on the challenge and the responsibility of that encounter is very valuable. For me the most compelling artwork is not about offering explanations or information – it’s about trying to open different possibilities for thinking, different ways of looking. And yes, it’s about that live moment of encounter that you mention. DS: Do you think that art can provoke change? Maybe also politically? TE: I do. I think art can make change. It may be small change and it may be slower than people might desire. But for me, at best, art really does open people to life and its complexity as well as underscoring the interconnectedness of life – in social, economic and philosophical terms. These ideas about connectedness – relation, power, responsibility – are political questions in the end. DS: Do your works emerge from a certain situation in your life, that is also a certain political situation, or would you say your works are timeless, in a way? TE: Well, there is no such thing as timeless. Everything is in time. And all of these considerations that we are having – about language, about relation to viewers, about contexts, the gallery and so on – arise in this very specific way, in this very specific moment in cultural history. The concerns we have aren’t the concerns of 100 years ago. And 100 years from now our concerns may well seem rather peculiar. Different works have a different relation to the time they’re made in of course. My Vacuum Days back in 2011 was initially an internet project in which I posted one new text work every day for a year. That work was very responsive and direct, super, super connected to the political events of the day. The Arab Spring, Fukushima, austerity,
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Euro-crisis, UK royal wedding, etc. – all of those were immediately and directly responded to in the text of the work. By comparison works like To Lose Sleep and Nothing to Lose which I made for fffriedrich: doesn’t refer directly to specific events, but instead function through this great porousness in the moment one encounters them. If you come to those works in 2018 no doubt, they activate the specific set of anxious ideas and questions that are in the air for us at this point. Ten years later rather different thoughts and ideas would very likely come to mind. The work makes a proposition – it floats some thoughts – but there is enough undecided about it for a process of association and connection to take place. That’s what makes the work dynamic. When I participated in Boris Charmatz’ Expo Zero at Tate, I was making improvised performances using fragments of texts, looping and repeating them. I played a lot with the social possibilities of working in the gallery, using the text to interact with the constant flow of people coming and going. Sometimes I was following people. Sometimes I whispered the text and sometimes I was speaking out loud, very directly to people. Other times I was really shouting. Pushing the text and its possibilities to make links to people and the space, making relations. I think it is interesting to wonder if, in 30 years – if I was alive to do still that work – how different would the social situation of the gallery be. Would it be okay to shout in a gallery? Or to touch people, strangers, as I do in that work? In 30 years, it could be that touching a stranger is too problematic an action to contemplate in such a space. So, all of these works are in time. It is like you would look at a painting now, from a 100 years ago or 50 years ago. What might have seemed very natural and bold, or very expressive at the time, might look strangely mannered or formal to us now. The information is no longer available to us, no longer felt, no longer part of the context for us. Time has moved on. And all of these works we’re making will look like something else in the future too, something that we can’t really imagine. Even works that feel very raw and fresh. Time will change them. LS: Do you speak another language? Would your artistic practice work in another language? Is there something limiting about language and the English language in particular? TE: I don’t speak another language. Almost everything I’ve made has been in English. I have done some work in translation, by working very closely with other people – part translation and part collaboration in some ways. Of course, I’d say my relation to the English language is like that of any native speaker to their own language. It is embodied, and it is very intuitive. My work with text is very much about feeling my way, not super technical. I didn’t have a very classical education. In the broader sense there are certain specific things one needs to note about English of course; it’s a colonizer’s language and care of the dubious legacy of British history, and more recently thanks to America’s position and influence, it continues to have a global
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currency. That currency is connected to economic and political power and to oppression and exploitation, so the ubiquity of the language is at once a blessing and a kind of curse or shadow, fortuitous and uncomfortable. English also has certain specific qualities that are important to me. Often the language that I use – in performances, sculptures and drawings – plays with the fact that in English certain things don’t have to be specified, which is another thing that can lead quite concretely to the kind of conceptual and narrative porousness that we were talking about earlier. I have one neon work that simply says, “You will live forever”. And the particular nature of English language (as opposed to German or Dutch or many others) is that the text doesn’t have to specify if the ‘you’ is particular or general. The pronoun is the same if it’s singular or plural – ‘you’ – and the same if it’s masculine or feminine ‘you’. Often my work in English relies, builds on and raises questions about these very particular capacities of simplicity and ambiguity. LS: Have we spoken enough? Is there a limit of talking? How much talking is effective? Do more discussions lead to more results and movement? That was what we were wondering in retrospect. In the context of our project Subject:Fwd:Unknown a lot was said, in many different ways. There is so much hope in conversation as a form of rapprochement and mutual understanding in contemporary art production and beyond. TE: It is a political question. The world is made in very different ways and for me some of the tasks (certainly of my work) are to raise questions and sensitize people to complexities, to foster discontent and to draw attention to the tensions and difficulties of the situation that we are all in. It is never like an action plan. Mostly for me the artwork isn’t a statement either. We can say that the artwork is in some senses ‘like talking’ but it is clearly not a statement. For me at best the artwork is a complicated object, a disquieting object. An object that is designed to produce imbalance. One’s hope is that this imbalance gets solved somewhere else, outside the realm of art. That the artwork has an extension – a life and an energy that needs to be resolved in another space. But it is not programmatic. I know there are artists who work differently, but the work that I value isn’t programmatic either, it is problematic. The disquiet that comes from the encounter with artworks is something that as a viewer or spectator you are at liberty to take up somewhere else. And people do that in their own very different ways – by taking better care of themselves, their families and their neighbors. Or they do it by protesting, or by organizing, or by doing other things in the world. And as artists and makers we can’t know exactly how all those processes will play out, but I do think that at best the artwork has a capacity to change us. I have never really seen an artwork that interests me as having a sort of programmatic one-toone-relation to a problem. It is more about creating more problems than solving them. DS / LS: Thank you very much, Tim.
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#215: Leo Asemota & Nástio Mosquito, Portikus, 2018
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#215: Leo Asemota & Nástio Mosquito, Portikus, 2018
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INSTALLATIONSANSICHTEN
Leo Asemota, Nastio’s words, some are mine, 2018
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INSTALLATION VIEWS
my•carbon•footprint
Nástio Mosquito, No.One.Gives.A.Mosquito’s.Ass.About.My.Carbon.Footprint, 2018
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INSTALLATIONSANSICHTEN
Subject:Fwd:Unknown / Michal Heiman, fffriedrich, 2018
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INSTALLATIONSANSICHTEN
Subject:Fwd:Unknown / Nora Turato, fffriedrich, 2018
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Subject:Fwd:Unknown / Nora Turato, fffriedrich, 2018
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INSTALLATIONSANSICHTEN
Subject:Fwd:Unknown / Tim Etchells, fffriedrich, 2018
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Subject:Fwd:Unknown / Tim Etchells, fffriedrich, 2018
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INSTALLATIONSANSICHTEN
Subject:Fwd:Unknown / Yutie Lee, fffriedrich, 2018
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Subject:Fwd:Unknown / Yutie Lee, fffriedrich, 2018
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MICHAL HEIMAN
MICHAL HEIMAN Sarah Heuberger / Ben Livne-Weitzman „Ich bin zurückgekehrt, ich habe den Flur durchschritten und blicke mich um. Es ist meines Vaters alter Hof. Die Pfütze in der Mitte. Altes, unbrauchbares Gerät, ineinander verfahren, verstellt den Weg zur Bodentreppe. Die Katze lauert auf dem Geländer. Ein zerrissenes Tuch, einmal im Spiel um eine Stange gewunden, hebt sich im Wind. Ich bin angekommen.“ (Kafka, Franz: Heimkehr, in: ders.: Die Erzählungen und andere ausgewählte Prosa, hg. von Roger Hermes, Frankfurt am Main 2011, S. 424f.) Was bedeutet es zurückzukehren? Kann man wirklich zurückkehren, oder ist der Fluss immer ein anderer? Und was tun, wenn man einmal dort ist? Rückkehr ist ein Übergang, eine Begegnung und Konfrontation mit Erinnerungen, Schatten, verlassenen Welten. Dabei müssen Grenzen überschritten werden, verschiedene Zeiten kollidieren miteinander. Das Thema Rückkehr steht im Mittelpunkt von Michal Heimans aktuellem Projekt und ist Ausgangspunkt dieser ersten Ausstellung der Reihe Subject:Fwd:Unknown. Ein Porträt, ein Blick, ein Paar Hände, eine Frau, sitzend, in einem karierten Kleid, ihre Augen auf die Kamera gerichtet, über Länder und Jahrhunderte hinweg, veranlasste Heiman, sich auf die Suche nach Möglichkeiten zu begeben, um zurückzukehren: zu dieser Frau, festgehalten auf einer Schwarz-Weiß-Fotografie, namenlos, nur gekennzeichnet als Plate 34, einer Patientin in einer Londoner Psychiatrie, um das Jahr 1855. In dieser Frau, der Heiman in dem Buch The Face of Madness. Hugh W. Diamond and the Origin of Psychiatric Photography (1976) begegnete, erkennt sie sich selbst wieder, begegnet sie ihrem eigenen, jüngeren Selbst. Unzählige unsichtbare Geschichten und Gesten sind unter der sichtbaren Oberfläche von Fotografien versteckt, die – ebenso wie in Plate 34 – unbemerkt bleiben und in Vergessenheit geraten. Es sind diese versteckten Erzählungen, für die Heiman sensibilisieren, zu denen sie zurückkehren will. Rückkehr ist eine komplexe Vorstellung – sowohl der Weg als auch das Ziel bleiben unklar. In der 2012 begonnenen Foto- und Filmserie The Dress (1855–2019) versammelt Heiman eine Gruppe unterschiedlicher Menschen, die mit ihr in die Psychiatrie des 19. Jahrhunderts, in die Zeit von Plate 34, zurückkehren. Mit jeder und jedem von ihnen entwickelte sie eine eigene Strategie, um dorthin zu gelangen und den Wächter, der über den Einlass in die Psychiatrie entscheidet und den Übergang in ein vergangenes Jahrhundert markiert, zu passieren. Für Heiman ist ein Wächter nicht nur jemand, der über Einlass oder Abweisung entscheidet, sondern auch jemand, der für eine tiefe Verbundenheit mit Raum und Zeit steht und deshalb ein vertrauensvoller Wegbegleiter sein kann.
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SARAH HEUBERGER / BEN LIVNE-WEITZMAN
Ein halbtransparenter Vorhang aus Stoff dämpft das Licht im Raum, ein gemalter Vorhang, der über eine gesamte Wand hinweg verläuft und in Zusammenarbeit mit Federica Partinico entstand. Der Vorhang suggeriert eine fließende Bewegung und schafft einen geschützten, vertraulichen Raum. Im fffriedrich wurden einige der Porträts aus The Dress versammelt und so präsentiert wie in einem Familienalbum, das den Verlauf der Zeit und die Beziehungen zwischen Individuen andeutet. Die Porträts bilden eine Brücke zum 19. Jahrhundert, eine Brücke zwischen Zeiten, Orten und Menschen. Die Fotografien, begleitet von zwei Videoarbeiten und Archivmaterial, sind alle Dokumente der Suche nach potenziellen, physischen oder psychischen, Strategien einer Rückkehr. Auch die Besucher*innen der Ausstellung sollten im Rahmen des Personal History Mapping Test and Action (P.H.M.) (2018) an diesem Experiment teilnehmen können: Zeichnungen von Familienstammbäumen und darüber entstehende Gespräche zielten darauf ab, persönliche Geschichten mit der Gemeinschaft zu verflechten und dadurch sowohl die Verbindung zur jetzigen sozialen Umgebung als auch zur Vergangenheit zu intensivieren. In diesem kollaborativen Prozess dienen Intimität und Selbstreflexion als Möglichkeiten der Rückkehr. Der Blick auf unterdrückte Erlebnisse und vergessene Momente eröffnet so neue, unerwartete Potenziale.
MICHAL HEIMAN Sarah Heuberger / Ben Livne-Weitzman “I have returned, I have passed under the arch and am looking around. It’s my father’s old yard. The puddle in the middle. Old, useless tools, jumbled together, block the way to the attic stairs. The cat lurks on the banister. A torn piece of cloth, once wound around a stick in a game, flutters in the breeze. I have arrived.” (Kafka, Franz: Home-Coming, in: ibid.: The Complete Stories, ed. by Nahum N. Glatzer, trans. by Tania Stern and James Stem, New York 1993, S. 445f.) What does it mean to return? What does it entail? Can one really return, or is the river always different? What to do, once there? Return is a transition, an encounter and confrontation of memories, shadows, abandoned worlds. On the journey to return, borders need to be crossed and different times collide. The wish to return is at the core of Michal Heiman’s recent project and the starting point of this exhibition. A portrait, a look, a pair of hands, a woman sitting in a checkered dress, directing her eyes to the camera, across countries and centuries, set Heiman on a quest to return to a patient in a London Asylum in around 1855, Plate 34. In that woman, looking back at her from the pages of the book The Face of Madness. Hugh W. Diamond and the Origin of Psychiatric Photography (1976), Heiman saw her younger self.
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MICHAL HEIMAN
Countless hidden and invisible movements are uncovered by the visual appearance of photographs which, like Plate 34, have fallen into oblivion. It is these forgotten narratives Heiman seeks to draw attention to. To return to. Return is a complex notion, both journey and target are unknown. In The Dress (1855–2019), a photography and video series which began in 2012, Heiman gathers a community of people who join her on her way back to the asylum in the mids of the 19th century. With each of them, she deployed a different strategy in order to return and to get past the guard – the guard who watches the entrance to the asylum and marks the passage into a century past. For her, the guard is not only the keeper of the asylum but also the one who may lead her hand. A semi-transparent fabric curtain softens the light in the room, a painted curtain that fills an entire wall and was created in collaboration with Federica Partinico, suggests a flowing movement as well as a sheltered, intimate space. In fffriedrich, the portraits are gathered and displayed as in a family album or above the fireplace. This is the foundation of the bridge to the 19th century, a bridge between times, places and people. The photographs, accompanied by two video works and archival material, are all looking for potential, physical or psychological, strategies of a return. At a table placed in the middle of the space, visitors are invited to take part in an experiment. The Personal History Mapping Test and Action (P.H.M.) (2018) is an enactment that is meant to map – through drawings of family trees and conversations – individual histories as well as strengthen our community with both the momentary surrounding and the past. It is a process of collaboration, in which intimacy and selfinvestigation could serve as a potential strategy of return, to revisit our past and what has been suppressed. Reactivating and witnessing each other’s connections proposes an opening, a glance of the forgotten. At the same time, it brings forth a potential to intensify relations in the present.
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REAKTION VON LALIV MELAMED
MICHAL HEIMAN: DISZIPLINIERENDE ÄSTHETIK UND GESTE DER RÜCKKEHR Reaktion von Laliv Melamed Die Besucher*innen von Michal Heimans Ausstellung wurden eingeladen, an einem schwarzen rechteckigen Tisch mit einem Stapel weißer Formulare an der rechten Seite Platz zu nehmen, zwei Prüfer*innen gegenüber, um an Heimans Personal History Mapping Test and Action (P.H.M.) teilzunehmen. Dafür wurde ihnen ein weißer Vordruck ausgehändigt, in den sie ihre persönlichen Daten eintragen und eine Verzichtserklärung unterschreiben mussten, mit der sie Heiman ihre Zustimmung zur Verwendung des Testmaterials gaben. Auf der folgenden Seite wurden sie gebeten, ihren Stammbaum zu zeichnen. Eine weitere Seite war den Kommentaren der Prüfer*innen gewidmet. Ähnlich wie bei anderen diagnostischen Testverfahren, einer gängigen Praxis in den Sozialwissenschaften und der Psychologie, waren die Anweisungen klar, das Protokoll wurde genau befolgt, und die Daten wie auch die Durchführung des Tests selbst wurden sorgfältig dokumentiert und in Heimans eigenem wachsenden Archiv abgelegt. Der P.H.M.-Test (entwickelt und geleitet von Heiman zusammen mit den Kurator*innen Alice Chardenet, Sarah Heuberger, Vicky Kouvaraki und Ben LivneWeitzman) ist Teil ihrer fortwährenden Aneignung empirisch-diagnostischer, auf visuellem Wissen basierender Methoden. Dazu gehören auch die Michal Heiman Tests (M.H.T.) 1–4, in denen die Geschichte von Fotografie und Psychologie als disziplinierende Institutionen untersucht wird. Indem sie die diagnostische Begegnung und den Test als eine Art invasive Wissensproduktion inszeniert, zielt Heimans Aneignung jedoch darauf ab, deren regulierende Kräfte zu negieren und Intimität und eine andere Form des Wissens zurückzugewinnen. Beim Betreten des Galerieraums sah man sich einer Reihe stilisierter Porträts von Künstler*innen, Intellektuellen, Dichter*innen und Aktivist*innen gegenüber. Alle trugen ein kariertes Kleid und stellten eine 1855 aufgenommene Fotografie einer Frau nach, die in der psychiatrischen Anstalt von Surrey County gelebt hat. Die Geschichte über die Verwendung von Fotografien in der Psychiatrie ist hinlänglich bekannt: Im 19. Jahrhundert wurde die Fotografie als Erweiterung einer Reihe institutioneller Disziplinierungsmethoden zur Behandlung von „Geisteskranken“ eingesetzt, wobei Patienten, die an verschiedenen Krankheiten von Depression bis Epilepsie litten, fotografiert wurden, um ihre Symptome aufzuzeichnen und zu analysieren. Diese Bilder, aufgenommen ohne Einwilligung, meist von weiblichen Patienten, gekennzeichnet durch einen Mechanismus der Beherrschung und der Kontrolle, trugen zur Konstruktion einer typologischen Logik bei, die Kategorien von Vernunft, Moral und sozialer Fähigkeit bestimmte. Gegen die Instrumentalität der Fotografie in einem Gefüge sozialwissenschaftlicher empirischer Werkzeuge, das soziale Normen vor allem durch die Aneignung und Unterdrückung des weiblichen Körpers formt, stellt Heiman ihre künstlerischen
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MICHAL HEIMAN
Untersuchungen. Innerhalb der Geschichte der Frauen, die durch das Disziplinierungsinstrument der Fotografie anonymisiert und zum Schweigen gebracht wurden, ist das Beeindruckendste an der auf Plate 34 festgehaltenen Frau ihre unbestreitbare Ähnlichkeit mit der Künstlerin, als ob eine jüngere Version der Künstlerin aus dem Jahr 1855 ihr trotz der großen Unterschiede von Zeit und Raum entgegenblicken würde. Heiman deutet den direkten Blick der Frau in die Kamera als Verweigerung. Das aktive Zurückblicken der Frau widersetzt sich dem Beweisstatus der Abbildung, der von der Transparenz des Aufnahmegeräts als Mittel zur Erfassung der materiellen Realität abhängt. Ihre Reaktion auf den Blick der Frau beinhaltet das „Nicht-Verstummen-Lassen“ der historischen Aufnahme durch die Wiederholung der Fotografie, die Wiederaneignung des Kleides als geschlechtsspezifisches Mittel der Gefangenschaft und die Wiederholung der Geste der Fotografierten. In der exzessiven Neuinszenierung der Szene (Heiman produzierte mehr als 150 Porträts) liegt die Kraft der Rückkehr: in der Herstellung verschiedener Formen der Verknüpfung, in der Öffnung des Sets für Variationen und Interpretationen, in der Umrahmung der mit jeder Ausführung wachsenden Gruppe von Geistern. Heimans Aneignung des diagnostischen Tests und ihre Version der fotografischen Erfassung der weiblichen Geisteskrankheit dekonstruiert das Wissens- und Machtgefüge, das den visuellen Konventionen der Disziplinierungsinstrumente der Gesellschaft zugrunde liegt: Recht, Bildung, öffentliche Gesundheit usw. Als Bild bedeutete der Stammbaum, Erbe und Genetik nachzuzeichnen, eine traditionelle Vergegenwärtigung der Familie durch Blut und Geld. Die Teilnehmer*innen des P.H.M.-Tests wurden eingeladen, ihre Familiengeschichte über Jahrzehnte und Regionen hinweg zu dokumentieren, einige erstellten ein rhizomatisches, sich ständig verzweigendes Diagramm, manche entwickelten ein visuelles Lexikon, um verschiedene Formen der Verwandtschaft auszudrücken, andere überdachten das Konzept der Verwandtschaft vorab und schlossen Freunde und bedeutende Nicht-Menschen mit ein. Die Prüfer*innen selbst mussten über ihre aktive Rolle bei der Ergründung einer solchen persönlichen Geschichte nachdenken. Während sie den Test durchführten, befanden sich die Kleiderporträts aufgereiht an der Wand zur Linken des Teilnehmenden, „wie in einem Familienalbum oder über dem Kamin“. Der abgegrenzte Raum der Galerie sollte die Kräfte aufheben, die unsere sozialen Konzepte formen und unsere sozialen Interaktionen regeln. So sehr die Galerie die Überschreitung der sozialen Struktur zuließ, so sehr war sie an sich schon ein disziplinierendes Instrument (und das gilt zweifellos auch für die Familie und sogar für andere, nebulösere Formen der Vertrautheit). Die Dialektik von Methode und Transgression, von Disziplinierung und Verweigerung, die für Heimans künstlerische Praxis so zentral ist, wurde durch eine interessante kuratorische Wahl aufgegriffen – die Anbringung eines halbtransparenten Vorhangs an der nach Süden gerichteten Fensterwand der Galerie. Der Vorhang filterte das Licht von außen, grenzte aber auch den vorgegebenen Raum der Ausstellung ab, ja umschloss ihn sogar; er war ein dekoratives Element, das Häuslichkeit und Zartheit vermittelte, oder eine Requisite, die die Szenerie markierte, und darüber hinaus eine Barriere; vor allem aber untergrub die Materialität des Vorhangs, seine sanfte, aber trennende Undurchsichtigkeit, die an der Linie zwischen
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REACTION BY LALIV MELAMED
dem Inneren der Galerie und ihrem Äußeren aufgehängt war, die scheinbar direkte Beziehung zwischen Vision und Wissen. Das Objekt unterstrich die eigene Position der Künstlerin. Heimans künstlerisches Werk verleugnet nicht die eigene regulierende Rolle der Kunst, sondern nimmt sie, nicht ohne einen tiefen Sinn für Ironie und humorvolle Leichtigkeit, durch Aneignung, Nachstellung und Wiederholung – die gestische Übertragung der Wiederkehr – an.
MICHAL HEIMAN: DISCIPLINING AESTHETICS AND GESTURE OF RETURN Reaction by Laliv Melamed Visitors to Michal Heiman’s exhibition were invited to take a seat at a black rectangular table with a tidy pile of white forms at its right side, facing two examiners, and participate in Heiman’s Personal History Mapping Test and Action (P.H.M.). They were handed a white form in which they had to fill in their personal data, and sign a waiver, granting Heiman their consent to make use of the test materials. In the following page they were asked to draw their family tree. Another page was dedicated to the examiner’s comments. Similar to other diagnostic test procedures, a common practice in the social sciences and psychology, instructions were clear, the protocol closely followed, and the data, as well as the test-taking itself, neatly documented and deposited in Heiman’s own growing archive. The P.H.M.-Test (developed and directed by Heiman together with curators Alice Chardenet, Sarah Heuberger, Vicky Kouvaraki and Ben Livne-Weitzman) belongs to the artist’s ongoing appropriation of empirical diagnostic tools that are based on visual knowledge, among them the Michal Heiman Tests (M.H.T.) 1–4, as a way to investigate the history of photography and psychology as disciplining institutions. Enacting the diagnostic encounter, and the test as a sort of invasive knowledge production, Heiman’s repetition strives however at denying its regulating powers, reclaiming intimacy and a different form of knowledge. Upon entering the gallery one faced a series of stylized portraits of artists, intellectuals, poets and activists wearing a checkered dress, reenacting a photograph taken in 1855 of a woman, resident of the Surrey County Lunatic Asylum. The use of photography in psychiatry in the 19th century is a notorious history. Photography was used as an extension of a set of institutional disciplining tools to treat the “lunatic”, while patients, suffering from various maladies from depression to epilepsy, were photographed so their symptoms could be recorded and studied. These images, taken without consent, most of them of women patients, were appropriated by a mechanism of restrain and control, contributing to a typological logic that determined categories of sanity, morality and social capacity. Against the instrumentality of photography in an assemblage of
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MICHAL HEIMAN
social-scientific empirical tools that forges social norms, mostly by the appropriation and oppression of the female body, Heiman sets her artistic investigations. Within the history of women rendered anonymous and silent by the disciplining tool of photography what is striking about the woman captured on Plate 34 is her unquestionable resemblance to the artist herself, as if an 1855 younger version of the artist is looking at her in spite of time and space. Heiman reads the woman’s direct look at the camera as a refusal. The woman’s looking back resists the evidentiary status of the record that hinges on the transparency of the recording apparatus as means to capture material reality. Her response to the woman’s gaze entails the “un-silencing” of the historical record through repeating photography’s capturing, reappropriating the dress as a gendered means of confinement, and reproducing the gesture of the photographed. In the excessive restaging of the scene (Heiman produced more than 150 portraits) lies the power of the return: enabling different forms of linking, opening the set to variations and interpretations, framing the ghosts accumulated with each iteration. Heiman’s appropriation of the diagnostic test and her version of the photographic capturing of female mental disease deconstructs the pack of knowledge and power that lies at the heart of the visual conventions of society’s disciplining tools: law, education, public health, and so on. As a formation, the family tree meant to trace heritage and genetics, a traditional realization of the family through blood and money. The participants of the P.H.M.-Test were invited to chronicle their family journey across decades and geographies, some produced a rhizomatic, ever-branching diagram, some developed a visual lexicon to translate different forms of affinities, others revisit the concept of affinity to begin with, including friends and significant non-humans. The examiners themselves need to reflect on their active role in excavating such personal history. While they take the test, the dress portraits are lined on the wall to the participant’s left, “displayed like in a family album, or above the fireplace.” The demarcated space of the gallery is meant to suspend the powers that shape our social concepts and regulate our social interactions. As much as the gallery allows transgression of the social structure, it is in itself a disciplining tool (and this is also certainly true when it comes to the family, and even other, more nebulous forms of intimacy). The dialectic of method and transgression, of disciplining and refusal, so central for Heiman’s artistic practices, is echoed by an intriguing curatorial choice – the hanging of a semi-transparent curtain on the gallery’s south-facing window-wall. The curtain filters the light from outside, but also delimits, even encloses the pre-determined space of the exhibition; it is a decorative item that conveys domesticity and softness, or a prop that marks the set, and moreover a barrier; most importantly, the curtain’s very materiality, its gentle yet dividing opaqueness, hanged on the line between the inside of the gallery and its outside, undermines the ostensibly straightforward relationship between vision and knowledge. The object underlines the artist’s own position. Heiman’s artistic work does not deny art’s own regulating role, but rather adopts them, not without a deep sense of irony and comic relief, through appropriation, reenactment and repetition – the gestural translation of the return.
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fuck, fuck, fuckity, fuck, fuck,
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NORA TURATO
NORA TURATO Sarah Crowe Der ständige Kampf, den Finger am Puls der Zeit zu haben, diktiert alle Inhalte. Aber gibt es überhaupt einen Puls? Nora Turato liefert in ihrer Performance i’m happy to own my implicit biases (2018) eine Lawine von verbalem Schutt ab. In der Mitte des intimen Gedränges im Ausstellungsraum positioniert, setzt sie den Titel ihres Werkes in Szene, indem sie eine herrische und doch verletzliche Präsenz ausstrahlt. Im Tonfall einer bezahlten Motivationsrednerin macht sie ihre eigenen Worte im Moment des Sprechens geradezu überschwänglich selbst obsolet. Trotzdem sorgt ihre souveräne Manipulation der Sprache dafür, dass die Zuhörer*innen versuchen, der fragmentierten Rede zu folgen. Turatos theatralisch-sprunghafte Darbietung beherrscht mühelos die ganze Aufmerksamkeit und unterstreicht scharfsinnig unser Zeitalter der Unaufmerksamkeit. Ihr unruhiger, impulsiver Dialog verweigert bewusst die sofortige Befriedigung des oberflächlichen Verstehens, das wir allzu bequem aus Dosen von nicht mehr als 160 Zeichen zu gewinnen gewohnt sind. Und doch macht sie eine Aussage, die durch subtile Ironie und Melancholie Sinn ergibt. Ihre Vortragsperformance verstetigt ein halb erfülltes Dasein, das darauf beruht, dass man zu viele Finger im Spiel hat, selbst wenn diese keinen Puls finden können. In ihrer skriptbasierten Live-Performance verschmilzt sie Texte, die aus Literatur und Printmedien, von Facebook und aus Internetforen stammen. Vom Laufsteg bis zum Sitzungssaal spiegelt ihr Styling alles wider, was ihre Performance zu bieten hat. Wenn man die Rolle nur richtig spielt, werden die Leute schon aufmerksam sein. Neurotisch, emphatisch, alles verzehrend. Lächerlich ernst ist es ein hochgradig geplanter, intimer Bewusstseinsstrom, der als dramatische, nicht lineare Erzählung vorgetragen wird. Sie kann überall beginnen und enden. Wir wollen glauben, dass alles auf eine höhere Bedeutung hinweist, denn danach sehnen wir uns – und Turato weiß das. Ähnlich wie bei unserer heutigen Existenz liegt alles in der Übertragung, aber es gibt keine Erlösung. Turato beschreibt eine steile Flugbahn in die oberen Ränge der atemlosen Bedeutung. Sie reißt das Publikum mit, um dann in den Abgrund der isolierenden Realität der Doppelzüngigkeit zu taumeln. Eine harte Realität, die so konstruiert ist, dass die kollektive Aufmerksamkeit des Publikums aufrechterhalten wird. Unsere herkömmlichen Ausdrucksmittel werden von Turato gegen uns verwendet. Sie ist ein Produkt ihrer Zeit. Einer Zeit, in der unsere Sprache abgewertet, dekonstruiert und dann neu verpackt und mit einem hundertprozentigen Aufschlag als Waffe im Kampf des modernen Lebens verkauft wird. Ohne zurückzuschauen, folgt sie der Spur einer Entropie der Sprache, bis Bedeutung zu Lärm wird. Aber keine Angst, sie ist hier, um uns wieder aufzufangen und morgen alles wieder zu tun; eine geplante Wiederholung, die sich zu einer seltsam süchtig machenden
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SARAH CROWE
Art von roher Gruppentherapie entwickelt. Wieder einmal beweist sie, dass wir die Zielgruppe und die Produkte einer durch Technologie und soziale Medien hervorgerufenen emotionalen Verkümmerung sind, die ihre Komplizenschaft durch große Ausgaben für sinnlose, aber fachmännisch vermarktete Wellness- und Self-Care-Produkte kompensiert. Teils Märtyrerin, teils verzweifelte Hausfrau, teils Sozialarbeiterin. Turato hält der Gesellschaft eine gehörige Standpauke mit den Früchten ihres eigenen Untergangs. Übertreibungen bis zum Äußersten, bis nichts mehr übrig ist als das Uninterpretierbare. Das ist die Gesellschaft. Es ist komisch, zynisch, satirisch – und ihre Darstellung ist ironisch schneidend. Wir fügen Elemente des vorgetragenen Monologs zusammen und nehmen daraus, was wir entziffern können, um unsere eigene Version der Gegenwart zu erschaffen, eingehüllt in die Melancholie des Wissens, dass es zu ätzend wahr ist, um lustig zu sein.
NORA TURATO Sarah Crowe The constant struggle to have a finger on the pulse of time dictates all content. Is there even a pulse? Nora Turato delivers an avalanche of verbal detritus in her performance i’m happy to own my implicit biases (2018). Positioned in the center of the intimate throng inside the exhibition space, she proves the truth in the title by exuding an imperious yet vulnerable presence. Performing with the tone of a paid-by-the-minute corporate motivational speaker she effervescently renders her own words obsolete upon deliverance. In spite of this, a commanding manipulation of language ensures listeners attempt to follow the fragmented speech with gusto. Turato’s theatrically erratic deliverance effortlessly commands all-consuming attention, astutely underscoring our age of inattention. Her fitfully impulsive dialogue deliberately withholds the instant gratification of surface level understanding we are too comfortably accustomed to deriving from doses of no more than 160 characters. Yet offer meaning she does, through subtle irony and melancholy. Her lecture performance perpetuates a half-fulfilled existence bedded upon having a finger in too many pies, even when that finger can’t find a pulse. Her script based live performance amalgamates text appropriated from literature and print media to Facebook and internet forums. From catwalk to the boardroom her styling reflects and signifies all that her deliverance offers. If you look and act the part, people will pay attention. Neurotic, emphatic, all consuming. Ludicrously serious it’s a highly planned intimate stream of consciousness delivered as a dramatic non-linear narrative. It can start and end anywhere. We want to believe it’s pointing to some higher meaning because this is what we are crave and Turato knows it. Much like our existence today it’s all in the delivery but there’s no deliverance.
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NORA TURATO
Turato dictates a steep trajectory to the upper echelons of breathless meaning. She carries the audience with her, only to initiate a spiral down into the abyss that is the isolating reality of doublespeak. A harsh reality that she has engineered the audience to collectively perpetuate by virtue of their attention. Our innate tools of expression are used against us by Turato. She’s a product of her time. A time in which our own language is devalued, deconstructed and then repackaged and sold with a 100 % markup as a weapon in the combat of modern life. Without looking back, she follows the trail of an entropy of language until meaning becomes noise. But never fear, she is here to pick you back up and do it all again tomorrow in what develops into a strangely addictive sort of raw group therapy. Again, she proves we are the target-market products of technology and social media induced emotional stuntedness who complicity compensate by spending big on futile but expertedly marketed wellness and selfcare. Part martyr, part desperate housewife, part social worker. Turato gives society an elucidatory dressing down with the fruits of its own demise. A confluence of pushing to the extreme until there’s nothing left but the uninterpretable. That is society. It’s comical, cynical, satirical and her delivery is ironically cutting. We piece together elements of the complied monologue taking from it what we can decipher to create our own version of the present, shrouded in the melancholy of knowing it’s too caustically true to be funny.
NORA TURATO: IM RITUELLEN MODUS DES BOXKAMPFS Reaktion von Vivien Trommer Nora Turato sitzt auf der marmornen Fensterbank des fffriedrich. Dann steht sie auf. Ins Auge sticht ihr Balenciaga-Kostüm: neongrüne Over-Knee-Boots und ein knielanges, schwarzes Plisseekleid. Auf den spitzen Absätzen wackelt sie schlaksig durch den Raum. Sie sucht nach Balance, als ihren Lippen die Worte „You don’t call back I call again“ melodisch, aber unmissverständlich laut entweichen. Im Takt bewegt sie ihren Kopf von links nach rechts und kommt dann ins Stocken: „You just post it basically and hope for the best.“ Mit diesem Auftakt beginnt i’m happy to own my implicit biases (2018), Turatos SpokenWords-Performance, die das Publikum für die folgenden 25 Minuten fesselt. Im Skript ist nur ein Sprecher vorgesehen, für alle anderen heißt es zuhören. „My generation is killing hotels, department stores, chain restaurants, the car industry, the diamond industry“, Turatos Stimme nimmt an Fahrt auf: „the napkin industry, homeownership, marriage, doorbells, motorcycles“, die Liste scheint kein Ende zu nehmen: „fabric softeners, loyalty programs, casinos, serendipity, and wraps“. Pause. Turato holt tief Luft.
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NORA TURATO
Turato dictates a steep trajectory to the upper echelons of breathless meaning. She carries the audience with her, only to initiate a spiral down into the abyss that is the isolating reality of doublespeak. A harsh reality that she has engineered the audience to collectively perpetuate by virtue of their attention. Our innate tools of expression are used against us by Turato. She’s a product of her time. A time in which our own language is devalued, deconstructed and then repackaged and sold with a 100 % markup as a weapon in the combat of modern life. Without looking back, she follows the trail of an entropy of language until meaning becomes noise. But never fear, she is here to pick you back up and do it all again tomorrow in what develops into a strangely addictive sort of raw group therapy. Again, she proves we are the target-market products of technology and social media induced emotional stuntedness who complicity compensate by spending big on futile but expertedly marketed wellness and selfcare. Part martyr, part desperate housewife, part social worker. Turato gives society an elucidatory dressing down with the fruits of its own demise. A confluence of pushing to the extreme until there’s nothing left but the uninterpretable. That is society. It’s comical, cynical, satirical and her delivery is ironically cutting. We piece together elements of the complied monologue taking from it what we can decipher to create our own version of the present, shrouded in the melancholy of knowing it’s too caustically true to be funny.
NORA TURATO: IM RITUELLEN MODUS DES BOXKAMPFS Reaktion von Vivien Trommer Nora Turato sitzt auf der marmornen Fensterbank des fffriedrich. Dann steht sie auf. Ins Auge sticht ihr Balenciaga-Kostüm: neongrüne Over-Knee-Boots und ein knielanges, schwarzes Plisseekleid. Auf den spitzen Absätzen wackelt sie schlaksig durch den Raum. Sie sucht nach Balance, als ihren Lippen die Worte „You don’t call back I call again“ melodisch, aber unmissverständlich laut entweichen. Im Takt bewegt sie ihren Kopf von links nach rechts und kommt dann ins Stocken: „You just post it basically and hope for the best.“ Mit diesem Auftakt beginnt i’m happy to own my implicit biases (2018), Turatos SpokenWords-Performance, die das Publikum für die folgenden 25 Minuten fesselt. Im Skript ist nur ein Sprecher vorgesehen, für alle anderen heißt es zuhören. „My generation is killing hotels, department stores, chain restaurants, the car industry, the diamond industry“, Turatos Stimme nimmt an Fahrt auf: „the napkin industry, homeownership, marriage, doorbells, motorcycles“, die Liste scheint kein Ende zu nehmen: „fabric softeners, loyalty programs, casinos, serendipity, and wraps“. Pause. Turato holt tief Luft.
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REACTION BY VIVIEN TROMMER
Sie schaut sich konzentriert um, ohne einen Einzelnen direkt anzublicken. Schließlich erklingt ihre Stimme eine Oktave tiefer. Leise sagt sie: „We prefer art bottles with no messages inside.“ Dann dreht sie sich abrupt auf der Spitze ihres Absatzes um. Turatos Performance lebt vom Motiv der Iteration. Sie wiederholt Wörter und Gesten, kryptisch dehnt sie Vokale ins Endlose oder beginnt verstört zu stottern. Sie verkörpert das zerbrechlich Hysterische ebenso grandios wie das beißend Zynische und beschwört damit nichts anderes herauf als eine Flutwelle von Gefühlen. Obwohl sie in Codes spricht, sind uns ihre Worte so vertraut wie der gestrige Facebook-Meme. Denn in der zeitlich begrenzten Aufführung scheint sich nichts anderes zu entladen als das Paradoxon eines privat-öffentlichen Social-Media-Threads, den gruppenspezifische Marketingkampagnen aufs Feinste durchdrungen haben. Aber Turato ist nicht einfach Turato. Sie tritt in der Doppelrolle als Regisseurin und Schauspielerin auf. Nicht nur, weil sie sich aus der Zuschauermenge erhebt und sich ihrer Stimme bemächtigt, sondern auch, weil sie zahlreiche neugierige Zuschauer um sich schart und dadurch den Ausstellungsraum quasi zu einem Boxring erklärt. Das Publikum klebt förmlich an ihren Lippen und scheint sich insgeheim die theatrale Katharsis zu erhoffen, welche die feministischen Body Performances der 1970er Jahre so stark machten. Doch nichts Vergleichbares wird eingelöst, denn Turatos Skript entspringt gerade dem, was unseren Alltag auszeichnet. Sie wiederholt die perfiden Strategien der Werbung und des Marketings. Daher treten in Turatos Boxring auch nicht zwei Kontrahenten gegeneinander an, sondern nur eine Person, die den Streit zweier Rivalen verkörpert. Gerahmt von plakativen Texten performt sie im Influencer-Balenciaga-Kostüm die Immoralität eines typischen OnlineMarketings. Gleichzeitig versucht sie deren Sprache ad absurdum zu führen und formuliert mit ihrer Rhetorik eine Haltung des Widerstands gegenüber neoliberalen Leitmotiven. Doch wie die Werbung löst auch Turatos Anti-Werbung keine Versprechen ein. Vielmehr versiegt die Hoffnung auf einen kathartischen Performance-Effekt in unausprechlicher Leere. Das Schauspiel endet in Desillusion. „That’s it“, sagt Turato. Das Publikum applaudiert.
NORA TURATO: IN THE RITUAL MODE OF THE BOXING MATCH Reaction by Vivien Trommer Nora Turato sits on the marble windowsill in fffriedrich. She stands up. Her Balenciaga outfit is eye-catching: neon green over-the-knee boots and a black, knee-length, pleated dress. She sways lankily around the room on the pointed heels. She finds her balance as the words “You don’t call back I call again” escape her lips melodically but unmistakably loud. Moving her head from left to right in time, she stops and deadpans, “You just post it basically and hope for the best.”
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NORA TURATO
After that opener, Turato’s spoken-word performance i’m happy to own my implicit biases (2018) captivates the audience for the next 25 minutes. The script calls for only one speaker; everyone else simply listens. “My generation is killing hotels, department stores, chain restaurants, the car industry, the diamond industry,” Turato’s voice picks up speed, “the napkin industry, homeownership, marriage, doorbells, motorcycles,” the list seems never-ending, “fabric softeners, loyalty programs, casinos, serendipity, and wraps.” Pause. Turato takes a deep breath. She scans the room intently, not looking at anyone in the audience directly. Her voice drops an octave. Faintly, she says, “We prefer art bottles with no messages inside.” Then she turns around abruptly on her heel. Turato’s performance thrives on the motif of iteration. She repeats words and gestures, cryptically stretching vowels into eternity or stuttering bewilderedly. She embodies the fragile hysteric just as grandly as the biting cynic, conjuring up an absolute tidal wave of emotions. Although she speaks in codes, her words are as familiar to us as yesterday’s Facebook meme. Ultimately, the ephemeral performance unleashes nothing less than the paradox of a private-public social media thread finely infiltrated by group-specific marketing campaigns. Yet Turato is not only Turato. She performs the role of both director and actress. Not just because she rises from the crowd and seizes her voice, but also because she gathers a crowd of curious spectators around her, practically transforming the exhibition space into a boxing ring. The audience is literally glued to her lips and seems to secretly hope for the theatrical catharsis that made the feminist body performances of the 1970s so powerful. Yet what Turato delivers cannot compare, for her script springs from the very things that characterize our everyday lives. It merely repeats the perfidious strategies of advertising and marketing. But instead of two opponents competing against each other, in Turato’s boxing ring there is just one person who embodies the struggle between two rivals. Framed by bold texts, she performs the immorality of typical online marketing while dressed in the guise of a Balenciaga influencer. At the same time, she attempts to take their language ad absurdum and uses her rhetoric to formulate a stance resistant to neoliberal leitmotifs. Like advertising, however, Turato’s anti-advertising does not deliver on any promises. Rather, the hope for a cathartic performance effect peters out in inexpressible emptiness. The spectacle ends in disillusionment. “That’s it,” Turato says. The audience applauds.
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TIM ETCHELLS
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PETER HESS
TIM ETCHELLS Peter Hess Sprache – ihre Regeln und Zusammenhänge, gesprochen und geschrieben, als grundlegendes Moment zwischenmenschlicher Kommunikation und gesellschaftlicher Konventionen – steht im Mittelpunkt von Tim Etchells’ künstlerischer Praxis. Der britische Künstler versteht sich selbst als ein Sammler von Sprache. Zusammengetragen aus Konversationen oder mitgehörten Gesprächen in seiner Umgebung, aus Zeitungen und Büchern oder seiner eigenen Fantasie entsprungen, werden die Sprach- und Textfragmente aus ihrem Kontext genommen und in seine künstlerische Arbeit überführt. Das Potenzial seiner verschiedenen Medien – Neon-Arbeiten, Performances, Romane und Soundinstallationen – ist es, bildhafte, erzählerische Momente zu erschaffen, reflexive Augenblicke der Verwunderung und Unbehaglichkeit zu provozieren, sowohl im öffentlichen Raum als auch im geschlossenen Ausstellungskontext. Die im Rahmen der Ausstellungsreihe Subject:Fwd:Unknown für den fffriedrich entstandene neue Soundinstallation Nothing to Lose (2018) von Etchells richtet sich über mehrere Lautsprecher und Audiospuren direkt an die Besucher*innen. Im Fokus steht, wie in all seinen performativen Arbeiten, das gesprochene Wort. Das Publikum wird in eine Situation verwickelt, die sich ihm nicht vollständig offenbart; die sprachlichen Konstruktionen spielen mit ihren Interpretationsmöglichkeiten und der offensichtlichen Doppeldeutigkeit. In ständiger Wiederholung und Variation arbeitet Etchells mit der Phrase „nothing to lose sleep over“. Über vier Lautsprecher, in Schleifen wiederholt und übereinandergelagert, füllt der Klang seiner Stimme den Ausstellungsraum. Der rezitierte Text – in unterschiedlichen Versionen in variierendem Tempo und mit wechselnder Intonation eingesprochen – wird in Etchells’ Arbeit zum formbaren künstlerischen Material. Etchells enthüllt die Lebendigkeit ebenso wie den Facettenreichtum des Gesprochenen und erweitert die vermeintliche Selbstverständlichkeit unseres alltäglichen Sprachgebrauchs. Mit der Soundinstallation erzeugt der Künstler eine Situation, in die man hineingezogen wird, die sich bewusst einer linearen Erzählung und einer vorgegebenen Interpretationsmöglichkeit widersetzt. Verwirrung und Rätselhaftigkeit sind Teil seines künstlerischen Konzepts. Etchells entwirft eine Erzählung auf verschiedenen Ebenen, gelöst vom klassischen grammatikalischen Regelwerk. Er nutzt die Sprache in ihrem buchstäblichen sowie in ihrem metaphorischen Sinn, spielt mit ihr, bricht den Text in seine Bestandteile auf, einzelne Worte und Silben werden seziert, um schließlich wieder als ein neues, größeres, sinnbildliches Ganzes zu wirken. Der Künstler formt mit gesprochenen Worten ein eindrucksvolles poetisches Bild. Bild-Sprache wird transformiert zum Sprach-Bild, das im Raum seine physische Präsenz entfaltet. Sichtbar manifestiert sich Etchells’ Arbeitsweise in der ebenfalls für die Ausstellungsreihe geschaffenen Schriftarbeit To Lose Sleep (2018). Angelehnt an das Werk, das der Künstler für die Frieze Sculpture 2018 realisiert hat, schweben die einzelnen Lettern frei auf Stahlseilen. Im Vorbeigehen ähnelt das Schriftband im Fenster konventionellen
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TIM ETCHELLS
Werbeschriftzügen. Die Arbeit spielt mit der Tatsache, dass das Sichtbare keine Botschaft oder Instruktionen transportiert, während die einzelnen Wörter ihre Lesbarkeit und Bedeutung bewahren. Gleichzeitig animiert das frei stehende, unvollständige Satzfragment die individuelle Vorstellung und lässt die Leser*innen irritiert vorüberziehen.
TIM ETCHELLS Peter Hess Language – its rules and contexts, spoken and written as a fundamental aspect of interpersonal communication and social conventions – is at the heart of Tim Etchells’ artistic practice. The British artist sees himself as a collector of language. Fragments of speech and text are taken out of their specific contexts and transferred into his artistic work. The fragments are compiled together from personal and overheard conversations, newspapers and books, and from his own imagination. The potential of his various media – neon works, performances, novels and sound installations – lies in the creation of pictorial, narrative moments. Etchells’ work provokes reflexive moments of confusion and discomfort, both in public space and in a closed exhibition context. Conceived especially for fffriedrich as part of the exhibition series Subject:Fwd:Unknown, Etchells’ new sound installation Nothing to Lose (2018) is aimed directly at visitors via several loudspeakers and audio tracks. As in each of his performative acts the focus lies on the spoken word. The audience is entangled in a situation not fully revealed to them. Linguistic constructions play with the possibilities of interpretation, evoking obvious ambiguity. In constant repetition and variation Etchells works with the phrase “nothing to lose sleep over.” Through four speakers the sound of his voice fills the exhibition space, repeated in loops and layered upon itself. In Etchells’ work the recited text is spoken in different versions with varying tempo and intonation, becoming malleable artistic material. Etchells reveals the vividness and multifaceted potential of the performative act of speech and expands the implicit naturalness of our everyday use of language. Through the sound installation Etchells creates a situation into which one cannot help but be drawn. Consciously resisting a linear narrative, the possibility for interpretation and confusion he fosters is part of his artistic concept. On varying levels Etchells creates a narrative detached from classic grammatical rules. He uses language in its literal and metaphorical sense. He plays with language, breaks text into components, and dissects individual words and syllables in order to decipher a new larger symbolic whole. The artist paints an impressive poetic picture with spoken words. Visual imagery is transformed into linguistic imagery that unfurls its physical presence in space. Etchells’ way of working manifests itself visibly in the letter work To Lose Sleep (2018) also created for the exhibition series. Based on the work that the artist created for Frieze Sculpture 2018, individual letters become visible floating on steel cables.
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REAKTION VON YEVGENIY BREYGER
The work resembles conventional advertising slogans playing with the fact that the visible does not convey any message or instructions, while the individual words retain their legibility and meaning. Simultaneously the free-standing, incomplete fragment captures one’s imagination, leaving the readers unsettled as they pass by.
TIM ETCHELLS: SANFTE EINLADUNG Reaktion von Yevgeniy Breyger Die Perspektive von Schreibenden auf den Umgang mit Sprache in intermedialer Kunst kann skeptisch und misstrauisch sein. Bewahrt sie sich ihre Neugier, bleibt sie zumindest wachsam und wartet darauf, zu überprüfen, ob das eigene vermeintliche Expertenmilieu im Augenblick von größerer Kontextualisierung zu wirken vermag. Die Frage, die ich stelle, um meine Skepsis gegenüber intermedialen, mit Textmaterial operierenden Ansätzen auszuräumen – die wohlgemerkt auf gehäuft negativen Erfahrungen mit derartigen Objekten beruht –, ist die Frage nach der Grundsätzlichkeit medialer Ausdrucksformen, also die bereits tausendfach beantwortete Frage danach, was sprachlichen Ausdruck im Allgemeinen und literarischen Ausdruck im Speziellen von anderen künstlerischen Ausdrucksformen trennt und was ebenjene verbindet. Um über die Arbeit von Tim Etchells zu sprechen, sei hierbei explizit von literarischem Ausdruck die Rede, denn diese basiert zumeist auf in hohem Maße als literarisch zu verortenden, sich als nahezu klassisch literarisch zu erkennen gebenden Mitteln. Bereits 2012 präsentierte Etchells im Frankfurter Mousonturm ein eigens dafür entwickeltes Lichtobjekt. Er montierte an der Außenfront des Hauses den Satz „the future will be confusing“ in farbigen Neonbuchstaben. Wurden Betrachter*innen vor dem Eintritt ins Gebäude mit der suggerierten Klarheit dieser Aussage konfrontiert, fanden sie diese an einer der Innenwände im Foyer des Mousonturms zu einem Anagramm verstreut vor. Andere Lichtobjekte von Etchells spielen ebenfalls mit der Plastizität von geschriebener Sprache, wir sehen und lesen Aussagen wie „let’s pretend / none of this / ever happend“ – tatsächlich in gebrochenen Zeilen; „coming and going is why the place is there at all“; oder „the best of all possible worlds“. Und klingt in ‚worlds‘ nicht eine verlockende Ähnlichkeit zu ‚words‘ an? Es wäre ein Leichtes, derartige Ebenbildungen als Zufälle oder Spitzfindigkeiten abzutun. Die Frage danach, was eine zufällige sprachliche Verschiebung von einer der Sprache inhärenten logischen Eigendynamik unterscheidet, sollte dann allerdings beantwortet werden – was, wie ich finde, nicht nur müßig wäre, sondern auch unnötig. In diesem Fall lohnt es sich, genauer hinzusehen. Worin läge der Unterschied, wenn eine Wortähnlichkeit anklingt – gehörte Sprache – oder visuell in geschriebener Sprache erkennbar und erlesbar wird? Im Rahmen der Ausstellungsreihe Subject:Fwd:Unknown präsentierte Etchells die für den fffriedrich entstandene Soundinstallation Nothing to Lose (2018). Im Gegensatz
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REAKTION VON YEVGENIY BREYGER
The work resembles conventional advertising slogans playing with the fact that the visible does not convey any message or instructions, while the individual words retain their legibility and meaning. Simultaneously the free-standing, incomplete fragment captures one’s imagination, leaving the readers unsettled as they pass by.
TIM ETCHELLS: SANFTE EINLADUNG Reaktion von Yevgeniy Breyger Die Perspektive von Schreibenden auf den Umgang mit Sprache in intermedialer Kunst kann skeptisch und misstrauisch sein. Bewahrt sie sich ihre Neugier, bleibt sie zumindest wachsam und wartet darauf, zu überprüfen, ob das eigene vermeintliche Expertenmilieu im Augenblick von größerer Kontextualisierung zu wirken vermag. Die Frage, die ich stelle, um meine Skepsis gegenüber intermedialen, mit Textmaterial operierenden Ansätzen auszuräumen – die wohlgemerkt auf gehäuft negativen Erfahrungen mit derartigen Objekten beruht –, ist die Frage nach der Grundsätzlichkeit medialer Ausdrucksformen, also die bereits tausendfach beantwortete Frage danach, was sprachlichen Ausdruck im Allgemeinen und literarischen Ausdruck im Speziellen von anderen künstlerischen Ausdrucksformen trennt und was ebenjene verbindet. Um über die Arbeit von Tim Etchells zu sprechen, sei hierbei explizit von literarischem Ausdruck die Rede, denn diese basiert zumeist auf in hohem Maße als literarisch zu verortenden, sich als nahezu klassisch literarisch zu erkennen gebenden Mitteln. Bereits 2012 präsentierte Etchells im Frankfurter Mousonturm ein eigens dafür entwickeltes Lichtobjekt. Er montierte an der Außenfront des Hauses den Satz „the future will be confusing“ in farbigen Neonbuchstaben. Wurden Betrachter*innen vor dem Eintritt ins Gebäude mit der suggerierten Klarheit dieser Aussage konfrontiert, fanden sie diese an einer der Innenwände im Foyer des Mousonturms zu einem Anagramm verstreut vor. Andere Lichtobjekte von Etchells spielen ebenfalls mit der Plastizität von geschriebener Sprache, wir sehen und lesen Aussagen wie „let’s pretend / none of this / ever happend“ – tatsächlich in gebrochenen Zeilen; „coming and going is why the place is there at all“; oder „the best of all possible worlds“. Und klingt in ‚worlds‘ nicht eine verlockende Ähnlichkeit zu ‚words‘ an? Es wäre ein Leichtes, derartige Ebenbildungen als Zufälle oder Spitzfindigkeiten abzutun. Die Frage danach, was eine zufällige sprachliche Verschiebung von einer der Sprache inhärenten logischen Eigendynamik unterscheidet, sollte dann allerdings beantwortet werden – was, wie ich finde, nicht nur müßig wäre, sondern auch unnötig. In diesem Fall lohnt es sich, genauer hinzusehen. Worin läge der Unterschied, wenn eine Wortähnlichkeit anklingt – gehörte Sprache – oder visuell in geschriebener Sprache erkennbar und erlesbar wird? Im Rahmen der Ausstellungsreihe Subject:Fwd:Unknown präsentierte Etchells die für den fffriedrich entstandene Soundinstallation Nothing to Lose (2018). Im Gegensatz
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zu seinen Lichtobjekten steht hierbei nicht das geschriebene, sondern das gesprochene Wort im Fokus. Über vier Speaker mit jeweils eigener Tonspur wird der Satz „nothing to lose sleep over“ in den Raum gestrahlt, die Einzelteile werden dabei variiert, wiederholt und übereinandergelagert. Das Medium ist Etchells’ Stimme. Mithilfe der im Raum verteilten Speaker und der Überlagerung der Tonspuren beruft sich Etchells wie auch bei seinen Lichtobjekten auf die Plastizität der Sprache und überträgt die anagrammatische Arbeitsweise jener Objekte in eine neue Wahrnehmungssphäre – das Hören. Und damit ins Zuhören, Erhören bis hin zum Verhören – das Verhör. Die Intonation der Stimme erweitert das Spektrum der übertragenen Substanz um mehrere emotionale Marker wie Aggression, Wut, Erholung, Resignation und nicht zuletzt um einen erbaulichen Moment der Hoffnung und des Ausblicks auf noch Kommendes. Schließlich gilt bei all dem weiterhin beständig das Große und Ganze „nothing to lose sleep over“, mach dir keine Sorgen. Die Frage sei noch einmal gestellt – welche Möglichkeiten entfaltet das Anklingen von Variationen gegenüber der sich nur mittelbar verändernden Schrift? Wie viel sicherer wäre ich in der Unsicherheit, im Verhören und Erhören von ‚words‘ in ‚worlds‘, wenn die primäre Aussage keine Entsprechung im Schriftbild fände? Über mehrere Loops verweile ich im Raum und höre die Installation aus verschiedenen Blick- und Hörwinkeln. Mit jeder Schleife fühle ich meine Bereitschaft zum Verhören wachsen und freue mich über die vielen glücklichen Findungen, die Etchells mit seiner Stimme hervorhebt. Wie im bestmöglichen aller Fälle spielt es dabei keine Rolle, inwieweit diese intendiert sind. Der Eindruck, der sich festsetzt, ist klar – Etchells verlässt sich auf die Stimme, auf die Eigendynamik der Sprache, die immer noch weit mehr an die Oberfläche spült, als jemandem bewusst sein kann, der oder die sich daran macht, diese mit größter Absicht und voller Feinheit erkennbar zu machen. Und wäre nicht genau das die Leistung, die Intermedialität erst einfordert? Vielleicht nicht. Das Sichtbarmachen unterschiedlicher bis gänzlich widersprüchlicher Tendenzen ein und derselben Aussage allerdings schon eher. Gelingt es dabei, diese innerhalb von konsistenten emotionalen Ebenen zu entfalten, wie es Etchells in Nothing to Lose vermag, steigt in mir die Freude, einem Kunstwerk beizuwohnen, das über all seiner Klugheit nicht vergisst zu wirken, das sich vor Effekten und Affekten nicht scheut und sich der Kontingenz von Wahrnehmung mutig in den Weg stellt. Etchells schafft hierbei etwas ganz Besonderes, denn die Bausteine des Satzes pendeln gleichberechtigt im Raum – nichts zu verlieren, geh schlafen. Nicht als Wortspiel, sondern als formulierte Frage. Denn wer soll sich hier keine Sorgen machen? Die Zuhörer*innen? Der Künstler, der es wie ein Gebet vor und an sich selbst spricht, scheinbar um sich selbst zu überzeugen, zu erhören? Doch, beide zugleich! Durch den gleichberechtigten Vortrag der einzelnen Bausteine scheint diese Soundinstallation in keinem Moment pädagogisch oder gar übergriffig zu werden. Die Distanz zwischen Künstler und Zuhörerschaft ist auf ein Minimum zusammengeschrumpft, und damit tritt die tatsächliche Qualität des Kunstwerks hervor – es ist das, was es sagt, dass es ist – eine Einladung auszusprechen. Ohne Pose und mit ausgestreckter Hand. Sie sagt: „Nimm die Hand, du hast nichts zu verlieren.“
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REACTION BY YEVGENIY BREYGER
TIM ETCHELLS: SOFT INVITATION Reaction by Yevgeniy Breyger A writer’s perspective on the use of language in intermedia art can be skeptical and suspicious. If it retains its curiosity, it at least remains vigilant, waiting to verify whether its own presumed expertise can work in the moment of greater contextualization. The question I ask in order to dispel my skepticism about intermedia approaches with written material – which, mind you, is based on accumulated negative experiences with such objects – is the question about the fundamental nature of medial forms of expression, i.e., the question that has already been answered a thousand times, about what separates linguistic expression in general and literary expression in particular from other artistic forms of expression and what connects them. In talking about Tim Etchells’ work, I explicitly refer to literary expression, because it is mostly based on instruments that can be considered highly, almost classically, literary. Back in 2012, Etchells presented a specially developed light object at Frankfurt’s Mousonturm. He installed the sentence “the future will be confusing” in colored neon letters on the building’s exterior. Viewers, who were confronted with this statement’s suggested clarity before entering the building, then found it scattered as an anagram on one of the walls in the Mousonturm’s foyer. Etchells’ other light objects also play with the plasticity of written language; we see and read statements like “let’s pretend / none of this / ever happened” – indeed in broken lines; “coming and going is why the place is there at all”; or “the best of all possible worlds.” And doesn’t ‘worlds’ echo a tantalizing similarity to ‘words’? Such similitudes would be easy to dismiss as coincidence or sophistry. However, the question of what distinguishes a coincidental linguistic shift from a logical momentum inherent in language should then be answered – which, in my opinion, would not only be futile but also unnecessary. In this case, it is worth taking a closer look. What would be the difference if a similarity of words were audible – in spoken language – or visually recognizable and readable in written language? As part of the exhibition series Subject:Fwd:Unknown, Etchells presented Nothing to Lose (2018), a sound installation created for fffriedrich. In contrast to his light objects, the focus here is not on the written word, but on the spoken word. The phrase “nothing to lose sleep over” is played in the room over four speakers, each with its own audio track; the individual parts are varied, repeated and superimposed on one another. Etchells’ voice is the medium. Etchells spreads the speakers throughout the room and superimposes the tracks over one another to invoke the plasticity of language, as he does with his light objects, and transfer the anagrammatic mode of those objects’ operation into a new sphere of perception – hearing. And then into listening, acknowledging up to the point of questioning – the interrogation. The intonation of the voice expands the spectrum of the transmitted substance by several emotional markers such as aggression, anger, recovery, resignation and not least by an uplifting moment of hope and anticipation
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TIM ETCHELLS
of things yet to come. After all, the big picture remains – don’t worry about it – “nothing to lose sleep over.” I pose the question again – what possibilities does a soundscape present compared to writing that only changes indirectly? How much safer would I be in uncertainty, in questioning and hearing ‘words’ in ‘worlds’, if the primary statement did not correspond to the written image? I linger in the room for several loops, listening to the installation from different perspectives and angles. With each loop, I feel my willingness to question grow and take pleasure in the many serendipitous findings that Etchells highlights with his voice. As in the best possible of all cases, the extent to which this is intentional is inconsequential. The impression that sticks is clear – Etchells relies on the voice, on the momentum of language, which still flushes far more to the surface than anyone, who sets out to make it discernible with the utmost intention and subtlety, can be aware of. And is that not precisely the accomplishment that intermediality demands in the first place? Perhaps not. Yet, it is more likely the visualization of different or even completely contradictory tendencies of one and the same statement. If it succeeds in unfolding these within consistent emotional levels, as Etchells manages to do in Nothing to Lose, I experience the joy of witnessing a work of art that, for all its cleverness, does not forget to act, that does not shy away from effects and affects, and that courageously stands in the way of the contingency of perception. Etchells creates something very special here, because the building blocks of the sentence swing equally in space – nothing to lose, go to sleep. Not as a play on words, but as a framed question. Because who is not supposed to worry? The listener? The artist, who speaks it like a prayer to and for himself, apparently to convince himself to listen? Yes, both at once! By presenting the individual building blocks equally, this sound installation never turns pedagogical or does not encroach. The distance between artist and audience shrinks to a minimum, and thus the actual quality of the artwork emerges – it is what it says it is – an invitation to speak out. Without posing and with an outstretched hand. It says, “Take the hand, you have nothing to lose.”
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YUTIE LEE
YUTIE LEE Klara Hülskamp / Junia Thiede Wird Sprache nicht verstanden, bleibt die Bedeutung der einzelnen Laute im Verborgenen. Die Trias aus gesprochenem Wort, Schriftzeichen und Geste entleert sich oft in Sekundenschnelle. Übrig ist die bloße Form – ein Klang, eine Vermutung. Mit diesem Wissen spürt Yutie Lees künstlerische Praxis dem Ursprung von Sprache, ihrer primären Funktion von Definition und Zuschreibung, aber auch dem grundlegenden Dualismus von Partizipation und Ausschluss nach. Als Reaktion auf die vorgeschalteten Impulse des Künstlers Tim Etchells und mit subtilem Verweis auf den Ausstellungstitel Subject:Fwd:Unknown schweben Zeichen, Symbole und Buchstaben durch den Raum. Die linguistische Bedeutungsebene verwebt sich mit Ausschnitten aus Lees eigener Praxis zu einem vielschichtigen Code. In der Videoarbeit >>4>4>4>444