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German Pages VI, 65 [71] Year 2020
Thomas Koch Christian Beidl Hermann Rottengruber
Wissenschaftliche Analyse zum Einsatz temperaturabhängiger Emissionsregelungen von Dieselmotoren Technische Studie zum Stand des Wissens, Weiterentwicklung des Standes der Technik und zur Bewertung der generellen Notwendigkeit temperaturabhängiger Emissionsregelungsansätze mit besonderem Schwerpunkt auf Abgasrückführsysteme
Wissenschaftliche Analyse zum Einsatz temperaturabhängiger Emissionsregelungen von Dieselmotoren
Thomas Koch · Christian Beidl · Hermann Rottengruber
Wissenschaftliche Analyse zum Einsatz temperaturabhängiger Emissionsregelungen von Dieselmotoren Technische Studie zum Stand des Wissens, Weiterentwicklung des Standes der Technik und zur Bewertung der generellen Notwendigkeit temperaturabhängiger Emissionsregelungsansätze mit besonderem Schwerpunkt auf Abgasrückführsysteme
Thomas Koch Pfinztal, Deutschland
Christian Beidl Darmstadt, Deutschland
Hermann Rottengruber Unterschleißheim, Deutschland
ISBN 978-3-662-61876-9 ISBN 978-3-662-61877-6 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-61877-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
Allgemeine Erläuterung zu dieser Publikation: Im Verlauf der öffentlichen Diskussion und zahlreicher rechtlicher Bewertungen der Notwendigkeit temperaturabhängiger dieselmotorischer Emissionsregelungsansätze insbesondere bei der Emissionsnorm EURO5, also bei Fahrzeugen des typischen Verkaufszeitraumes zwischen 2009 und 2014, ist der Verband der Automobilindustrie VDA e.V. auf die Autoren dieser Publikation zugegangen und hat um die Ausarbeitung einer wissenschaftlichen Studie gebeten. Aufgrund der besonderen Komplexität der Thematik ergibt sich nur ein kleiner Kreis an Fachexperten, die sich forschungsseitig zum einen intensiv mit den zur Diskussion stehenden physikalisch-chemischen Abläufen beschäftigen und zudem über die sehr wichtigen Kenntnisse der Entwicklungsprozesse verfügen. Diese Studie sollte insbesondere den Stand des Wissens der Zusammenhänge zwischen Temperatur und schädlichen Belagsbildungsphänomenen aufzeigen. Nun soll sie in Form einer fortentwickelten Studie auch der Wissenschaft und Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. Noch immer sind Belagsbildungsphänomene, also wandnahe, chemisch-reaktive, instationäre Strömungsphänomene Gegenstand intensiver Forschungsaktivitäten. So werden beispielsweise im Rahmen eines Sonderforschungsbereiches SFB / Transregio 150, der von der Deutschen Forschungsgesellschaft gefördert wird und unter der Federführung der Technischen Universität Darmstadt in Kooperation mit dem Karlsruher Institut für Technologie bearbeitet wird, verschiedene technische Fragestellungen zu wandnahen Strömungsphänomenen analysiert. Weltweit sind noch immer intensive Forschungsaktivitäten zu verzeichnen, auf die auch im Rahmen dieser Ausarbeitung eingegangen wird. Die Autoren hoffen, mit dieser Studie eine hilfreiche Zusammenfassung für die Diskussion der aufgeführten Fragestellungen zur Verfügung zur stellen.
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Inhaltsverzeichnis
1.
Allgemeine Erläuterungen, inhaltliche Schwerpunkte und Struktur dieser Studie .............. 3 Zusammenfassung 1.: Allgemeine Erläuterungen, inhaltliche Schwerpunkte und Struktur dieser Studie 4
2.
Einleitung zum Stand der bestverfügbaren Technik ............................................................ 5 Allgemeine Informationen zu Stickstoffoxidemissionen ................................................................... 5 Temperaturabhängige Regelungsalgorithmen und die Wechselwirkung mit Belagsbildungsphänomenen ....................................................................................................... 8 Zusammenfassung 2.: Einleitung zum Stand der bestverfügbaren Technik ..................................... 9
3.
Allgemeine Grundlagen der Belagsbildung ....................................................................... 10 Zusammenfassung 3.: Allgemeine Grundlagen der Belagsbildung .................................................. 11
4.
Entwicklung des Wissens über die Belagsbildung von Abgasrückführsystemen .............. 13 Zusammenfassung 4.: Entwicklung des Wissens über die Belagsbildung von Abgasrückführsystemen ............................................................................................................ 25
5.
Entwicklung des Wissens über die Belagsbildung und Temperaturabhängigkeit von Abgasnachbehandlungssystemen ...................................................................................... 27 Zusammenfassung 5.: Entwicklung des Wissens über die Belagsbildung und Temperaturabhängigkeit von Abgasnachbehandlungssystemen ........................................... 29
6.
Funktionsweise und Herausforderungen des Abgasrückführsystems ................................ 30 Zusammenfassung 6.: Funktionsweise und Herausforderungen des Abgasrückführsystems ................. 33
7.
Grundlagen der Entwicklungsmethodik und Absicherung im Entwicklungsprozess ........ 34 Zusammenfassung 7.: Grundlagen der Entwicklungsmethodik und Absicherung im Entwicklungsprozess ................................................................................................................. 36
8.
Risiken für Motorschäden und sicheren Betrieb des Fahrzeuges....................................... 38 8.1 Diskussion der negativen Folgen einer nicht- temperaturabhängigen Regelung der Abgasrückführung ..................................................................................................................... 38 8.2 Diskussion des unvorhersehbaren, auch durch Wartungsarbeiten nicht zu vermeidenden Schadensfalls bei einem Fahrzeugbetrieb außerhalb der abgesicherten Betriebsbedingungen................................................................................................................. 40 8.3 Diskussion der temperaturabhängigen AGR-Regelung am Beispiel des Dieselpartikelfilters 43 8.4 Generelle Diskussion des Einflusses von Applikationsänderungen insbesondere für die Emissionsstufe EURO5 ............................................................................................................... 53 Zusammenfassung 8.: Risiken für Motorschäden und sicheren Betrieb des Fahrzeuges ............... 54
9.
Regulatorische Vorgaben zur Notwendigkeit einer temperaturabhängigen NOxEmissionsregelung ............................................................................................................. 56 Zusammenfassung 9.: Regulatorische Vorgaben zur Notwendigkeit einer temperaturabhängigen NOx-Emissionsregelung ............................................................................................................. 58
10.
Zusammenfassung .............................................................................................................. 59 Fazit 10.: Zusammenfassung .............................................................................................................. 61
11.
Erklärung der Autoren ........................................................................................................ 64
Literatur ...................................................................................................................................... 65
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1. Allgemeine Erläuterungen, inhaltliche Schwerpunkte und Struktur dieser Studie Diese Studie behandelt die temperaturabhängigen Regelungsansätze von emissionsbeeinflussenden Bauteilen von Verbrennungsmotoren (umgangssprachlich auch „Thermofenster“ genannt). Insbesondere konzentriert sich die Studie auf dieselmotorische PKW-Anwendungen mit einem besonderen Augenmerk auf EURO5 Fahrzeuge. Hierbei orientiert sich die Studie an folgenden Kernfragen: 1. Was ist ein Thermofenster? 2. Warum gibt es ein Thermofenster? Ist ein Thermofenster erforderlich, um den Motor oder weitere Bauteile vor Beschädigung zu schützen? Welche Schäden sind ohne die Verwendung von Thermofenstern konkret zu befürchten? Können diese durch regelmäßige Wartungsarbeiten verhindert werden? Kann ohne ein Thermofenster in der Konsequenz auch ein sicherer Betrieb des Fahrzeugs gefährdet sein? 3. Gibt es sachlich nur ein einheitliches („richtiges“) Thermofenster für alle Dieselfahrzeuge? 4. Konnte das Thermofenster aufgrund fortschreitender technologischer Erkenntnisse im Laufe der Jahre verändert und ausgedehnt werden? 5. Entspricht die Verwendung von Thermofenstern in Dieselmotoren der Abgasnorm EU4, EU5 und EU6 dem Stand von Wissenschaft und Technik bzw. der bestverfügbaren Technik? 6. Gibt es alternative Werkstoffe, alternative Konzeptionen oder Konstruktionen, mit denen die Abgasrückführung ohne ein Thermofenster betrieben werden könnte? Für eine temperaturabhängige Regelung wird umgangssprachlich gelegentlich der Begriff des „Thermofensters“ verwendet. „Thermofenster“ ist indes kein definierter Fachbegriff. Der Begriff dient hier vielmehr als Kurzform dafür, die Temperaturabhängigkeit eines technisch-physikalischen Systems zu benennen. Aus ingenieurmäßiger Sicht beschreibt es jenen Temperaturbereich (der sich beispielsweise auf eine Temperatur an einem Systembauteil oder auf die Umgebungstemperatur beziehen kann), in dem ein System seine spezifizierten Auslegungseigenschaften hat. Der Begriff wird in der gegenständlichen Fragestellung insbesondere auf sogenannte Abgasrückführsysteme (kurz AGR-System) bezogen. Allgemeine Grundlagen hierzu finden sich in kompakter Form in Kapitel 2. Generell wichtig ist der Sachverhalt, dass eine temperaturabhängige Regelung, also das, was als Thermofenster bezeichnet wird, ganz allgemein für viele technische Systeme notwendig ist. So arbeitet die Regelung von Fahrzeugkühlsystemen, von Fahrzeugantriebsbatterien, von Fahrzeugklimaanlagen, von elektronischen Schaltungen oder Prozessoren, Visco-Kupplungen und ganz allgemein von Abläufen von Energie- oder Stoffwandlungsprozessen typischerweise in Abhängigkeit von charakteristischen Temperaturgrößen. Technische Systeme sind nicht unter allen Temperaturbedingungen in gleicher Weise funktionsfähig.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Koch et al., Wissenschaftliche Analyse zum Einsatz temperaturabhängiger Emissionsregelungen von Dieselmotoren, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61877-6_1
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Außerhalb des Thermofensters ist nur ein eingeschränkter oder gar kein Betrieb des technischen Systems möglich. Mit Hilfe elektronischer Regelungen kann jedoch für einen Betrieb außerhalb des Thermofensters eine jeweils optimale Parametrierung gefunden werden, die die technischen Potenziale bestmöglich ausnützt. Innerhalb des Thermofensters arbeitet das System mit maximaler Leistungsfähigkeit. Wird der Temperaturbereich des Thermofensters verlassen, können einzelne Bauteile und in weiterer Folge der ganze Motor beschädigt werden, was auch sicherheitsrelevant sein kann. Welche physikalischen, also vor allem temperaturabhängigen Randbedingungen bei der Regelung des Verbrennungsmotors vorliegen, welche Herausforderungen zu beachten waren und welcher Wissensstand hier im Verlauf der beiden letzten Jahrzehnte aufgebaut wurde, dies darzustellen, ist ein wesentliches Element dieser Studie. Die physikalisch-chemischen Randbedingungen, die vor allem das AGR-System betreffen, sind in den Kapiteln 3 und 4 dargestellt. Kompakt wird auf ähnliche Herausforderungen bei Abgasnachbehandlungssystemen in Kapitel 5 verwiesen. Anschließend wird im Kapitel 6 auf die genauen technischen Anforderungen und Bauteilbelastungen des AGR-Systems eingegangen. Hierfür liegen Stellungnahmen von Entwicklungsverantwortlichen namhafter internationaler Zulieferbetriebe vor. Inwiefern, auf welcher Grundlage und über welche Zeiträume diese Bauteil- oder Systembelastungen beispielsweise des Abgasrückführpfades im Rahmen des Entwicklungsprozesses von Fahrzeugen abgebildet werden können, wird im Kapitel 7 erläutert. Ein wesentliches Ziel des Entwicklungsprozesses ist die Vermeidung eines unerwünschten Bauteilversagens. Mögliche Konsequenzen eines Bauteilversagens und Risiken für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs bei Missachtung einer temperaturabhängigen Abgasrückführung werden daher im Kapitel 8 diskutiert. Es schließt sich ein Kapitel 9 an, in dem die geltenden technisch-regulatorischen Randbedingungen aus technischer Sicht bewertet werden. Hintergrund für dieses Kapitel war eine teilweise deutlich abweichende Interpretation der technisch-regulatorischen Vorgaben durch fachfremde Institutionen oder Personen, deren Analyse im Widerspruch zum technischen Sachverhalt und der technischen Einschätzung steht. Die Studie schließt mit einer Zusammenfassung (Kapitel 10) und einer Erklärung der Ersteller dieser Studie zur Unabhängigkeit bei der Erstellung dieser Ausarbeitung (Kapitel 11). Zusammenfassung 1.: Allgemeine Erläuterungen, inhaltliche Schwerpunkte und Struktur dieser Studie Diese Studie erläutert allgemein die Notwendigkeit von temperaturabhängigen Regelungsansätzen, die oftmals durch den Begriff „Thermofenster“ charakterisiert werden. Die Struktur dieser Studie wird vorgestellt. Insbesondere wird bereits einleitend auf die generell sinnhafte und in der Technik oftmals applizierte Regelung verschiedener Systeme auf der Basis von temperaturbasierten Größen eingegangen.
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2.
Einleitung zum Stand der bestverfügbaren Technik
Bei der Verbrennung von Kohlenwasserstoffen entsteht immer Kohlendioxid (CO2) und Wasser (H2O). Jeder handelsübliche Kraftstoff, also auch Dieselkraftsoff, ist ein Kohlenwasserstoff, eventuell noch angereichert mit weiteren zusätzlichen Bestandteilen (Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel, etc.). Es entsteht daher auch bei jedem handelsüblichen Kraftstoff Kohlendioxid CO2 und Wasser H2O bei der Verbrennung. Ferner entstehen typischerweise unerwünschte weitere Emissionsbestandteile. Diese Emissionsbestandteile sind neben nicht vollständig verbrannten Kohlenwasserstoffen oder Kohlenmonoxid vor allem Partikel oder Stickstoffoxidemissionen. Allgemeine Informationen zu Stickstoffoxidemissionen Stickstoffoxide werden häufiger auch Stickoxid oder in der Kurzform NOx genannt. NOx ist die Zusammenfassung aller Stickstoffoxidkombinationsmöglichkeiten (insgesamt gibt es hiervon neun verschiedene Spezies). Relevant sind insbesondere NO und NO2. Typischerweise enthält das Abgas überwiegend NO. Bei Ottomotoren war in der Vergangenheit die NOx-Emission aufgrund des typischerweise eingesetzten Drei-Wege-Katalysators geringer als bei Dieselmotoren. Die oxidierende Reaktion von verbliebenen Kohlenwasserstoffen und Kohlenmonoxid hält sich im Drei-Wege-Katalysator die Waage mit der reduzierenden Reaktion von NOx. Im Dieselabgas, welches durch den Magerbetrieb des Dieselmotors mit Sauerstoff angereichert ist, funktioniert die reduzierende Reaktion des ottomotorischen Drei-Wege-Katalysators von NOx zu Stickstoff und Sauerstoff nicht. Aus diesem Grund mussten Stickoxide bei der dieselmotorischen Entwicklung in anderer Weise behandelt werden. Kühler der Abgasrückführung
Abgasrückführventil
Abbildung 2-1:
Funktionsweise der Hochdruck-Abgasrückführung am Beispiel EURO5, Quelle: Institut für Kolbenmaschinen, eigene Darstellung
Die entscheidende motorinterne NOx-Vermeidungs- und Minderungsmaßnahme bei Dieselmotoren ist die Abgasrückführung. Die dafür zentralen Bauteile sind das Ventil der Abgasrückführung (AGR-Ventil) sowie der Kühler (AGR-Kühler), der typischerweise mit der Emissionsstufe EURO4 Einzug in die Serie hielt (Abbildung 2-1). Insbesondere das AGR-Ventil ist in seiner Funktionalität abhängig von der Temperatur des Abgases. Versottung und Verlackung sind typische, temperaturabhängige Phänomene, die neben anderen Einwirkungen zum Ausfall des AGR-
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Koch et al., Wissenschaftliche Analyse zum Einsatz temperaturabhängiger Emissionsregelungen von Dieselmotoren, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61877-6_2
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Ventils führen können (siehe Abbildung 2-2). Bis heute sind die Hintergründe dieser Phänomene nicht vollumfänglich verstanden. Jedoch half der Erkenntnisgewinn in den letzten Jahren (siehe Kapitel 4), um mögliche Schwierigkeiten im Feld durch eine Vielzahl an Maßnahmen wie Materialauswahl, Oberflächenbearbeitung, Betriebsstrategieoptimierung oder weiteren Applikationsmaßnahmen zu entschärfen, wodurch über die Jahre der Betriebsbereich mit voller Funktionalität der Emissionsminderungstechnologie, also das „Thermofenster“, schrittweise und abhängig von dem jeweiligen Motorkonzept weiter erweitert werden konnte.
Versotteter AGR-Pfad
Abbildung 2-2:
Neue AGR-Einleitstelle
Versottete AGR-Einleitstelle
Beispiele für versottete AGR-Strecke, Quellen: Institut für Kolbenmaschinen, (Motor-Talk, 2016)
Besonders bei den Emissionsstufen EURO4 und EURO5 sind sehr hohe Ausfallraten bekannt.
Abbildung 2-3:
Vereinfachte Wechselwirkung zwischen innermotorischer NOx-Optimierung und anderen Prozessgrößen; ein Öffnen des Abgasrückführventils bedingt eine Reduzierung der NOx-Emissionen und eine Erhöhung der Partikelemissionen, Quelle: Institut für Kolbenmaschinen
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Die Ausfallraten betrugen bis oberhalb von 15%. Ein wesentlicher Grund waren vor allem defekte AGR-Ventile – bedingt durch unerwünschte, temperaturabhängige Kondensationsmechanismen und weiterführende Belagsbildungseffekte. Der wesentliche generelle Wirkmechanismus der Abgasrückführung und ihr Einsatzzweck ist die reduzierende Wirkung auf NOx-Emissionen. Durch die zusätzliche, gekühlte Rückführung der Verbrennungsprodukte H2O und CO2 in den Brennraum sinkt die Temperatur in der Verbrennungszone. In Kombination mit einer geringeren Sauerstoffkonzentration führt dies zu einer reduzierten Stickoxidbildung (Abbildung 2-3). Diese Stickoxidbildung tritt erst bei lokalen Brennraumtemperaturen oberhalb von 1800 K spürbar ein. Durch die Abgasrückführung sinkt die Verbrennungstemperatur je nach eingestellter Rate um einige hundert Kelvin. Die AGR-Rate ist der Massenanteil an rezirkuliertem Abgas der gesamten Frischgasladung im Zylinder. Durch die niedrige Temperatur resultieren reduzierte Stickoxidemissionen. Gleichzeitig verschlechtern sich mit erhöhter Abgasrückführrate in einer vielschichtigen Wechselwirkung zahlreiche andere motorische Parameter wie beispielsweise die Rußbildung (siehe Abbildung 2-4). Das rückgeführte Abgas beeinflusst das Verbrennungsverhalten signifikant. Es ist daher technisch notwendig, für jeden Betriebszustand, also für jede Motordrehzahl, jede Einspritzmenge (Motorlast), jeden Motorbetriebszustand (Normalbetrieb, Höhenbetrieb, Kaltlauf, Motorlastzuschaltung) und abhängig von den Randbedingungen (z.B. Ansaugtemperatur, Kühlwassertemperatur oder Öltemperatur) die Abgasrückführrate zu variieren. Die Herausforderungen der Abgasrückführung sind neben den oben ausgeführten Belagsbildungsphänomenen vor allem die Notwendigkeit eines Druckgefälles zum AGR-Transport (Abbildung 2-1). Ferner ist ein Kühler zur weiteren Temperaturreduzierung notwendig, wodurch das Fahrzeugkühlsystem eine zusätzliche Belastung erfährt.
Abbildung 2-4:
Charakteristische Emissionsbildung durch Anhebung der Abgas-rückführrate AGR (Reduktion NOx versus Steigerung CO und Ruß). Die AGR-Rate ist der prozentuale Massenanteil an Abgas im Zylinder, Quelle: Institut für Kolbenmaschinen (Randbedingugen der AGR-Variation: Ladedruck=const, Einspritzmenge=const)
Die Dauerhaltbarkeit und Funktion der emissionsmindernden Bauteile des Motors muss über der Laufzeit sichergestellt werden. So ist beispielsweise bei der Homologation eines EURO5 Fahrzeugs eine Auslegung emissionsrelevanter Bauteile auf eine Lebensdauer von 160.000 km vorgegeben (EU Verordnung 692/2008).
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Weitere Herausforderungen sind die mechanische Zunahme des Spitzendruckes des Verbrennungsmotors oder die Notwendigkeit, auf mehrere Zylinder das rückgeführte Abgas gleichmäßig zu verteilen. Diese und zusätzliche Randbedingungen sind bei der Auslegung zu beachten und bedürfen großer Anstrengungen. Bei modernen Motoren konnten die Themen aufgrund fortschreitender Erkenntnisse und neuer technischer Entwicklungen besser gelöst werden als noch vor mehreren Jahren. Neben der innermotorischen NOx-Reduzierung durch die Abgasrückführung ist die Abgasnachbehandlung die wichtigste Technologie zur Schadstoffreduzierung. Die NOx-Abgasnachbehandlung kann durch ein selektives katalytisches System (SCR), typischerweise ausgeführt mit einer Betankung durch die wässrige Harnstofflösung AdBlue®, realisiert werden. Diese Technologie ist ebenfalls anspruchsvoll, nach über 15 Jahren Felderfahrung bei Nutzfahrzeugen liegen jedoch zahlreiche Erfahrungswerte vor. Temperaturabhängige Regelungsalgorithmen und die Wechselwirkung mit Belagsbildungsphänomenen Wie obenstehend ausgeführt wurde, sind insbesondere auch Belagsbildungsphänomene ursächlich für einen möglichen Ausfall von emissionsrelevanten Bauteilen, wie beispielsweise dem Abgasrückführventil. Im Rahmen dieser Studie wird daher die Frage erörtert, welche Notwendigkeit für eine temperaturabhängige Regelung der Emissionsminderungstechnologie für entsprechende Emissionsstufen bestand und besteht. In dieser Studie wird vor allem auf die gekühlte Abgasrückführung fokussiert, da diese Technologie zur NOx-Reduzierung schwerpunktmäßig mit der Emissionsstufe EURO5 zum Einsatz kam. Generell verändert eine temperaturabhängige Regelung über die im Motorsteuergerät abgelegte Software den gewünschten Stellwert, also beispielsweise die Position des Abgasrückführventils und somit in unmittelbarer Folge die Abgasrückführrate. Das Abgasrückführventil wird also von der Motorsteuerung über den Kabelbaum mithilfe eines elektrischen Aktuators mit einem präzisen Zielwert angesteuert. Die Ansteuerung erfolgt typischerweise in Abhängigkeit beispielsweise der Kühlwassertemperatur, der Umgebungs- oder Ansaug- oder Ladelufttemperatur oder anderer Größen. Diese anderen Größen können beispielsweise Motordrehzahl, Einspritzmenge oder der Betriebszustand des Motors sein. Dieser temperaturabhängige Regelungsbereich, welcher abhängig von Temperaturführungsgrößen ausgestaltet wird, beispielsweise eben abhängig von der Umgebungs-, Ansaug- oder Ladelufttemperatur, der Abgastemperatur oder der Kühlwasserstemperatur, wird oftmals als Thermofenster bezeichnet. Eine temperaturabhängige Regelung kam generell bei allen den Autoren bekannten Dieselapplikationen in unterschiedlichen Ausgestaltungsformen, je nach Motoraggregat und Entwicklungszeitpunkt, zum Einsatz. Dabei ist anzumerken, dass auch bei Ottomotoren AGR-Systeme teilweise eingesetzt werden, für die ebenfalls eine temperaturabhängige Parametrierung notwendig ist. Lediglich die Sensitivität ist gegenüber dem Dieselmotor geringer, da die Abgastemperaturen generell höher sind. Der Dieselmotor hat aufgrund seines höheren Wirkungsgrades niedrigere Abgastemperaturen.
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Zusammenfassung 2.: Einleitung zum Stand der bestverfügbaren Technik Diese Studie analysiert die Frage, welche Notwendigkeit insbesondere bei EURO5 PKW-Dieselapplikationen bestand, eine temperaturabhängige Regelung der Emissionsstrategie und hier insbesondere der Ansteuerung des Abgasrückführventils zu implementieren. Für diese temperaturabhängige Regelung wird teilweise – technisch verkürzt - der Begriff Thermofenster verwendet. Dieser temperaturabhängige Regelungsbereich, welcher abhängig von Temperaturführungsgrößen ausgestaltet wird, beispielsweise eben abhängig von der Umgebungs-, Ansaug- oder Ladelufttemperatur, der Abgastemperatur oder der Kühlwasserstemperatur, wird oftmals als Thermofenster bezeichnet. Eine wesentliche Rolle kommt nun insbesondere bei der EURO5 Gesetzgebung der Regelung und Steuerung der Abgasrückführung zu. Das rückgeführte Abgas beeinflusst das Verbrennungsverhalten signifikant. Es ist daher technisch notwendig, für jeden Betriebszustand, also für jede Motordrehzahl, jede Einspritzmenge (Motorlast), jeden Motorbetriebszustand (Normalbetrieb, Höhenbetrieb, Kaltlauf, Motorlastzuschaltung) und abhängig von den Randbedingungen (z.B. Ansaugtemperatur, Kühlwassertemperatur oder Öltemperatur) die Abgasrückführrate zu variieren.
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3.
Allgemeine Grundlagen der Belagsbildung
Die Analyse und die Beschreibung von Belagsbildungsprozessen sind eine der großen wissenschaftlichen Herausforderungen im Motorenbau. Die Komplexität der Analyse ähnelt derjenigen der Analyse der motorischen Verbrennung. Allgemein können Belagsbildungsphänomene beobachtet werden, wenn unter bestimmten Randbedingungen eine gasförmige Strömung auf eine Wand trifft. Die Belagsbildungsprozesse sind zunächst ganz allgemein abhängig von • • • • • • •
der Zusammensetzung der Gasphase, also der Konzentration einzelner Spezies in der Gasphase der Zusammensetzung, der Anzahl und den Eigenschaften von Partikeln, welche mit der Gasphase transportiert werden den thermodynamischen Eigenschaften des Gases (Temperatur, Dichte Wärmekapazität, Zusammensetzung) der Oberflächenstruktur und Zusammensetzung der Wand der Oberflächentemperatur der Wand der Betriebsdauer und der lokalen Strömung.
Konkret bezogen auf ein dieselmotorisches System mit Abgasrückführung hängt die Belagsbildung im Abgasrückführungssystem ab von •
der Zusammensetzung des Abgases, also von der unmittelbaren Rohemission des Motors, insbesondere von unterschiedlichen Kohlenwasserstoffen (HC-Konzentration) und deren Konzentration im Abgas. Diese Kohlenwasserstoffe können sowohl aus der Verbrennung als auch aus dem Ölhaushalt des Motors stammen. Motorbetrieb, Kraftstoffqualität, Ölqualität, zahlreiche Toleranzen, Verschleißzustand des Motors oder Umgebungsbedingungen können diese HC-Rohemissionen entscheidend verändern. Aufgrund der typischen Zusammensetzung von Kraftstoff und Öl sind dabei eine Vielzahl unterschiedlicher Moleküle enthalten, beispielsweise Alkane und weitere volatile organische Bestandteile, Aromaten, Phenole, Aldehyde, etc. Es gibt also viele mögliche Beiträge für eine Belagsbildung. Unterschiede im Kraftstoff, Additive im Kraftstoff oder Additive im Öl können die HC-Emissionen beeinflussen. Weitere Spezies wie H2O können ebenfalls entscheidend auf die Belagsbildung einwirken. Ebenfalls üben vor allem Verunreinigungen von Kraftstoff oder Öl (Schwefel, Asche, Additive) einen Einfluss auf Menge und Qualität der Beläge aus.
•
der Partikelanzahl und Partikelbeschaffenheit im Abgas, insbesondere von verbrennungsbedingten Partikelemissionen. Ebenfalls können flüssige Partikel beispielsweise aus dem Ölhaushalt ebenfalls im Abgas vorliegen, insbesondere bei niedrigen Außentemperaturen und reduzierter Last.
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Säurebestandteile im Abgas (beispielsweise Salpetersäure HNO3), die gasförmig oder flüssig vorliegen können, beeinflussen das Belagsbildungsverhalten auch bei niedriger Konzentration. •
insbesondere der Temperatur des Abgases.
•
der Beschaffenheit der Oberfläche, der Rauigkeit oder der Temperatur der Oberfläche. Beim Abgasführsystem sind dies insbesondere die Oberflächen, welche im Kontakt mit dem Abgas stehen. Beispielsweise bei der Belagsbildung von Einspritzdüsen, welche bei höheren Temperaturen oberhalb von 300°C kritisch ist, ist in Fachkreisen bekannt, dass eine Verbesserung der Oberflächenrauigkeit die Belagsbildung verbessert oder zumindest zu einem zeitweisen Abplatzen der Belagsschicht führt.
•
der Temperatur an der Oberfläche. Diese ist entscheidend von der Kühlwassertemperatur abhängig, wenn das Bauteil, beispielsweise das AGR-Ventil, wassergekühlt ist. Die Wasserkühlung ist typischerweise der Fall. Ebenfalls ist die Temperatur des Abgases entscheidend. Der Wassergehalt im Abgas kann durch Kondensationseffekte und hiermit resultierenden Temperaturreduzierungen ebenfalls einen wichtigen Einfluss ausüben.
•
der Betriebsdauer und den Betriebszuständen. Die Belagsbildungsphänomene bauen sich teilweise erst über einen längeren Betrieb von vielen Stunden bis hin zu hunderten Stunden auf. Die Belagsbildungsmechanismen können sich hierbei ändern.
•
den lokalen Strömungsbedingungen in der Nähe der Wand. Durch die lokale Strömungsführung wird wiederum insbesondere die lokale Temperaturverteilung sowie der Transport kritischer Spezies (also Bestandteile im Abgas) zur Wand beeinflusst.
Insgesamt wirkt also eine sehr hohe Anzahl an Parametern auf die Belagsbildung ein. Hierbei ist indes die Temperatur einer der wesentlichen und wichtigsten Parameter, der die Belagsbildungsprozesse beeinflusst. Es ist lange bekannt, dass vor allem niedrige Temperaturen die Belagsbildungsprozesse beschleunigen. Zusammenfassung 3.: Allgemeine Grundlagen der Belagsbildung Die Belagsbildungsprozesse sind sehr komplex und hängen von vielen Randbedingungen ab. Die Temperatur spielt eine wesentliche Rolle. Die Belagsbildungsprozesse können am Ende zu einem Ausfall insbesondere des Abgasrückführventils führen. Unter ungünstigen Randbedingungen lässt sich dies bereits nach wenigen Stunden realisieren, während unter anderen Bedingungen nach Tagen kein Effekt zu beobachten ist, da die Belagsbildung bei Missachtung der Temperaturgrenzen
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fahrprofil- und umgebungsabhängig und deshalb in ihrer Entwicklung vielfach unvorhersehbar abläuft. Insbesondere niedrige Temperaturen begünstigen die unerwünschte Belagsbildung, da diese bis zu einem Bauteilversagen führen kann, mit entsprechenden Folgen für den sicheren Fahrzeugbetrieb (siehe Kapitel 4 und 8). Die exakte Analyse der Belagsbildungsprozesse und insbesondere Versuche zur Vermeidung von Belagsbildungsprozessen bedürfen typischerweise sehr zeitaufwändiger Versuchsreihen. Eine vollständige Identifikation sämtlicher physikalischer und chemischer Hintergründe der Belagsbildung ist bis heute noch nicht gelungen. Dies wird insbesondere dadurch unterstrichen, dass im Serieneinsatz Belagsphänomene aufgetreten sind, die so in der Erprobung nicht beobachtet wurden. Die Parametrierung, also die konkrete Bedatung (Fachbegriff Applikation) des Thermofensters, musste daher stets mit der ingenieurmäßig gebotenen Vorsicht erfolgen. Dennoch wurden die Herausforderungen und Risiken insbesondere bei den EURO5 Fahrzeuge noch nicht ausreichend verstanden, sodass im Feld ein hoher Anteil an Fahrzeugen mit Schäden am Abgasrückführventil (mit den weiter unten unter 8. beschriebenen möglichen Folgewirkungen) ausgefallen ist. Die Ausfallraten lagen teilweise bis über 15 % der Fahrzeuge einer Baureihe.
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4. Entwicklung des Wissens über die Belagsbildung von Abgasrückführsystemen In den 2000er Jahren war der Kenntnisstand über die Ursachen und Vermeidungsmöglichkeiten der Belagsbildung sowie über verschiedene Arten der Belagsbildung lückenhaft. Wesentliche Wirkmechanismen wurden nicht verstanden. Es war allgemeiner Kenntnisstand, dass die Belagsbildung und der resultierende Ausfall insbesondere von Abgasrückführventilen eine große Herausforderung für dieselmotorische Emissionsreduzierungssystemen darstellt (Abbildung 4-1).
Abbildung 4-1:
Eine Publikation von 2006 über Herausforderungen bei der Applikation von Abgasrückführsystemen Quelle: (Koch, 2006)
Es war insbesondere schon seit längerem klar, dass vor allem bei niedrigen Temperaturen verstärkt Belagsbildungsphänomene auftreten. Niedrige Temperaturen im Abgasrückführungssystem können natürlicherweise bei reduzierten Außentemperaturen oder bei niedrigen Abgastemperaturen vorliegen. Niedrige Abgastemperaturen wiederum liegen ebenfalls bei niedrigeren Außentemperaturen und insbesondere bei niedrigen Lastzuständen vor. Niedrige Lastzustände sind insbesondere im Kurzstreckenbetrieb und vor allem im innerstädtischen Betrieb vorhanden. In diesen Betriebszuständen können erhöhte Rußrohemissionen in Kombination mit kondensierten Kohlenwasserstoffemissionen im Abgas die Belagsbildung deutlich beschleunigen.
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Insbesondere verschlechtert die Belagsbildung die Kühlleistung des Abgasrückführkühlers (Abbildung 4-2). Dies ist nachteilig, da eine Reduzierung der rückgeführten Abgastemperatur eigentlich zur folgenden Reduzierung der innermotorischen Stickoxidbildung benötigt wird. Heißeres rückgeführtes Abgas erhöht also die Ladelufttemperatur und somit die Stickoxidbildung - siehe auch (Schmitt, 2014).
Abbildung 4-2:
Einfluss der Belagsbildung auf die Kühlleistung des Abgasrückführungskühlers und auf die NOx-Emissionen Quelle: (Koch, 2006)
Diese prinzipiellen Wirkzusammenhänge waren bereits im letzten Jahrzehnt bekannt. Das Temperaturniveau des Abgases kann sich im Stadtverkehr im Bereich deutlich unterhalb von 200°C einpendeln (Abbildung 4-3). Diese Temperatur hängt im Wesentlichen von der Motorlast ab. Die Abgastemperatur am Abgasrückführventil ist typischerweise etwas höher als die dargestellte Abgastemperatur vor dem Katalysator, gleichwohl kann sie Werte unterhalb von 150°C einnehmen. Zum Vergleich liegen wiederum unter hohen Lasten Spitzentemperaturen des Abgases bis oberhalb von 800°C vor. Bei niedrigen Abgastemperaturen deutlich unterhalb von 200°C kommt es vermehrt zu erhöhten Kondensationsabläufen und als Ergebnis zu Belagsbildungseffekten. Diese generelle Erkenntnis lag bereits in den 2000er Jahren vor. Im Verlauf der 2000er Jahren wurden die Phänomene zunehmend intensiver auch in Forschungsvorhaben analysiert, um einen Verständnisaufbau zu erzielen und zudem um eine Verbesserung der Systeme zu erzielen (Zhan, et al., 2009) (Bravo, et al., 2007) (Abd-Elhady, et al., 2011) (Mulenga, et al., 2009) (Sluder, et al., 2008).
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Abbildung 4-3:
Beispiel für typische dieselmotorische Abgastemperaturen Quelle: (Pfaff, R., Daimler AG, 2014)
So zeigten Publikationen generell die Herausforderungen der Belagsbildung (auch: „EGR Fouling“ genannt) auf, wesentliche Einflussfaktoren (Temperatur, Kohlenwasserstoffemissionen, Rußpartikel) waren zunächst generell bekannt und der sehr hohe technische Anspruch an das Abgasrückführsystem international dokumentiert. Gleichwohl waren sehr viele Fragen nicht beantwortet. Warum unterscheiden sich die Belagstypen? Welche Randbedingungen sind exakt vonnöten? Warum unterscheiden sich Feldergebnisse bei Kundenfahrzeugen von Versuchsdauerlauffahrzeugen? Welchen Einfluss haben biogene Kraftstoffanteile, wie sie beispielsweise in Europa im Dieselkraftstoff (B7) üblich sind? Weiterführender Entwicklungs- und Forschungsbedarf war dringend notwendig.
Abbildung 4-4:
Belagsbildung bei unterschiedlichen Kühlwassertemperaturen zwischen 20 und 80°C Quelle: (Völk, 2014)
Eine grundlegende Arbeit, initiiert durch die deutsche Forschungsgemeinschaft für Verbrennungsmotoren und Verbrennungstechnik e.V., durchgeführt von Völk an der TU München, konnte weitere Erkenntnisse über wichtige Belagsbildungsphänomene erzielen (Abbildung 4-4).
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Der Einfluss der Anströmung (in den untenstehenden Diagrammen durch die Reynoldszahl Re gekennzeichnet) oder der Temperatureinfluss auf die nachteilige Schichtdickenbildung wurde für verschiedene Randbedingungen genauer analysiert. Die unmittelbare Einwirkung der Strömung auf die Wand (Trägheit), Thermophorese als auch Diffusiophoreseprozesse wurden Anfang der 2010er Jahre als mögliche Ursachen für die Belagsbildung eingehender erforscht. (Abbildung 4-5).
Abbildung 4-5:
Einfluss der Anströmung (Re: Reynoldszahl), der Kühlwassertemperatur und der Dauer auf die Belagsbildung beziehungsweise Schichtdicke Quelle: (Völk, 2014)
Dieses Vorhaben wurde von der Forschungsgemeinschaft für Verbrennungsmotoren und Verbrennungskraftmaschinen e.V. (FVV) initiiert, durch einen Fachausschuss für wichtig erachtet und durch einen öffentlichen Antragsprozess schlussendlich 2006 initiiert. Aufgrund langer Antragszeiten ist das Vorhaben schließlich direkt von der FVV mit Eigenmitteln gefördert worden, um die Bearbeitung aufgrund der Wichtigkeit zu beschleunigen. Diese Bearbeitung erfolgte von 2008 bis 2010, Publikationen und weiterführende Promotion folgten danach (Völk, 2014) (Völk, et al., 2012). In Ergänzung zu obenstehenden Ausführungen ist es mindestens seit den letzten Jahren des ersten Jahrzehnts der 2000er Jahre bekannt, dass es durchaus unterschiedliche Formen der Ablagerung gibt. So berichtete beispielsweise auch 2011 Furukawa et.al. von unterschiedlichen Arten, einer Seite 16
lackartigen Belagsbildung bei höheren Temperaturen oder einer puderartigen Belagsbildung (Abbildung 4-6).
Abbildung 4-6:
Verschiedene Belagsbildungstypen im Abgasrückführpfad Quelle: (Furukawa, 2011)
Gleichwohl waren die genauen Abläufe und physikalischen sowie chemischen Ursachen dafür, welche Randbedingungen zu welcher Belagsbildung führen, vor allem während des Zeitfensters der Entwicklung von EURO5 Fahrzeugen (mit einem Schwerpunkt zwischen ca. 2005 und 2009), trotz der weithin bekannten Erkenntnis der Temperaturabhängigkeit, nur lückenhaft verstanden. So wurden auch intensive Forschungsaktivitäten zum Verständnisaufbau der Belagsbildungsprozesse von Bravo et. al. durchgeführt (Abbildung 4-7). Verschiedene Publikationen im Zeitraum 2008 bis 2013 zeigen verschiedene wertvolle Erkenntnisgewinne, sowohl das AGR-Ventil, als auch den AGR-Kühler betreffend (Moroz, et al., 2009), (Moroz, et al., 2008), (Bourgoin, et al., 2010), (Soukeur, et al., 2012)
Abbildung 4-7:
Verschiedene Belagsbildungstypen im Abgasrückführpfad am Beispiel des AGR-Kühlers Quelle: (Bravo, et al., 2014)
In Ihrer SAE-Publikation aus dem Jahr 2014 bestätigten Bravo, Lujan und Tejeiro bezüglich der Belagsbildung „Fouling“, dass die Gründe für die Belagsbildung stark variieren, jedoch keine generellen Aussagen getätigt werden können. Insbesondere wird im Ausblick der vorliegenden Arbeit darauf verwiesen, dass es bisher keinen weit verbreiteten und repräsentativen Test für die Erprobung gibt und ein solcher entwickelt werden muss, um relevante Fahrzeugbetriebszustände im Versuch abzubilden. Erst im Jahrzehnt der 2010er Jahre wurden weiterführende wichtige neue Erkenntnisse durch nationale und internationale Forschungsprojekte gewonnen. So wird erst seit wenigen Jahren in größerem Detailgrad verstanden, welche Randbedingungen entscheidend für die Belagsbildung sind und wie sich verschiedene Belagsbildungstypen unterscheiden. Daher wurden insbesondere am National Institute of Advanced Industrial Science and Technology (AIST), einer staatlich getragenen Forschungsorganisation in Japan, vom Forscherteam um
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Oguma und Takeda die Forschungen zu Belagsbildungsprozessen in diesem Jahrzehnt intensiviert. Hierbei arbeitete und publizierte AIST auch mit der Universität Ibaraki in Japan zusammen. In ihren Forschungsausführungen von 2017 betonen sie nochmals die Notwendigkeit der Belagsbildungsforschung aufgrund des Ausfalls von Abgasrückführventilen, insbesondere durch lackartige Belagsbildungsprozesse. Ebenfalls erwähnen sie den negativen Einfluss von Kohlenwasserstoff (HC) Emissionen auf die Belagsbildung (Abbildung 4-8).
Abbildung 4-8:
Motivation und Randbedingungen zur Belagsbildung Quelle: (Oguma & Takeda, 2017)
Bekannt war zu Beginn des Forschungsvorhabens die generelle Unterteilung der Belagsbildungsphänomene in verschiedene Kategorien. Unbekannt waren jedoch genaue Randbedingungen, die zu den einzelnen Belagsbildungsarten führten (Abbildung 4-9).
Abbildung 4-9:
Charakterisierung und Ursachen verschiedener Belagsbildungstypen Quelle: (Oguma & Takeda, 2017)
2013 startete deshalb ein langjähriges Forschungsprogramm, dessen erste Phase 2016 abgeschlossen war. Es wurden weitreichende neue Erkenntnisse erzielt. Abbildung 4-10 zeigt auf, dass im relevanten Temperaturbereich zwischen 60 und 130°C sogar verschiedene Belagsbildungstypen vorliegen. Bei sehr niedrigen Temperaturen wird die Belagsbildung durch Wasserkondensat weiter beschleunigt.
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Abbildung 4-10:
Einfluss der Gastemperatur auf Belagsbildungsintensität und Belagsbildungsart Quelle: (Oguma & Takeda, 2017)
Neben der dargestellten Gastemperatur ist aber die Wandtemperatur ebenfalls entscheidend. Bei AGR-Ventilen wird diese wesentlich durch die Kühlwassertemperatur definiert (Abbildung 4-11).
Abbildung 4-11:
Einfluss der Wandtemperatur auf Belagsbildungsart und Belagseigenschaften Quelle: (Oguma & Takeda, 2017)
Im Temperaturbereich zwischen 60° und 90° Celsius spielen sich verschiedene Belagsbildungsphänomene ab, welche zu einem harten, lackschichtartigen Belag führen können.
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Abbildung 4-12:
Einfluss verschiedener Kohlenwasserstoffe auf die Belagsbildung Quelle: (Oguma & Takeda, 2017)
Im weiteren Verlauf wurden verschiedene belagsbildungsfördernde Spezies analysiert. Verschiedene Kohlenwasserstoffe (PAH, VOC, Aldehyde, Phenole) wurden als Bestandteil der Belagsschicht und Belagsbildungsförderer identifiziert (Abbildung 4-12). Neu ist insbesondere die Erkenntnis gewesen, dass eine vorhandene reaktive Schicht bei hohen Temperaturen durch Pyrolysevorgänge die Belagsbildungsart ändern kann. In der SAE Publikation von 2016 zeigte Tanaka (Ibaraki Universität in Zusammenarbeit mit AIST) weitere wichtige und neue Erkenntnisse zur Temperaturabhängigkeit und Konzentration von verschiedenen Kohlenwasserstoffverbindungen (Tanaka, et al., 2016). Dies ist eine wesentliche und entscheidende Erkenntnis, da sie das beobachtete AGR-Systemverhalten erklärt, das im realen Fahrbetrieb teilweise deutlich abweichende Belagsbildungsphänomene im Vergleich zu dem Verhalten im Versuchsdauerlauf zeigt. Die realen Belagsbildungsphänomene im realen Fahrbetrieb führten häufig zu einem Bauteilausfall, mit den Folgeschäden und Risiken wie in Abschnitt 8. beschrieben. Mit der Arbeit in der Mitte dieses 2010er Jahrzehnts von Oguma et. al. wurde nachgewiesen, dass sich Beläge im realen Fahrbetrieb ändern können, insbesondere, dass sich diese nachteilig ändern können und dies wiederum abhängig vom Betriebszustand und der Historie der Belagsbildung sein kann, was zugleich erklärt, warum die jeweiligen Schadensentwicklungen bei der Missachtung der temperaturabhängigen Abgasrückführung unvorhersehbar sind und Schäden deshalb auch plötzlich eintreten können (siehe auch Kapitel 8).
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Abbildung 4-13:
Unterschiedliche Zusammensetzung der verschiedenen Belagsarten Quelle: (Oguma & Takeda, 2017)
Die Zusammensetzung der verschiedenen Belagstypen unterscheidet sich ebenfalls deutlich und ist durch unterschiedlich lösliche Anteile der einzelnen Substanzen gekennzeichnet (Abbildung 4-13). Ebenfalls wurde dies in der 2016er Präsentation von Tanaka et. al. (Ibaraki Universität) zusammen mit AIST vorgestellt. Verschiedene Belagsbildungstypen treten abhängig von den vorliegenden Temperaturen auf.
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Abbildung 4-14:
Belagsbildungsphänomene abhängig von der Temperatur links niedrigere Temperaturen (a,b,c), rechts erhöhte Temperaturen (d,e) Quelle: (Tanaka, et al., 2016)
Erarbeitet wurde ferner von dem japanischen Forscherteam die Erkenntnis, dass es einen Bezug der Wandtemperatur zu der Molekülgröße (präzise: zu der Kohlenstoffmasse im Belag) gibt. Diese Erkenntnis erscheint zunächst trivial, der präzise versuchstechnische Nachweis ist jedoch sehr aufwändig (Abbildung 4-15).
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Abbildung 4-15:
Nachweis verschiedener Kohlenwasserstoffe in verschiedenen Belagsarten Quelle: (Oguma & Takeda, 2017)
Zudem analysierten Oguma et. al, dass eine Vielzahl an verschiedenen Phenol- und Oxygenatverbindungen in verschiedenen Belagstypen und insbesondere auch in der lackartigen Belagsschicht zu finden sind (Abbildung 4-16).
Abbildung 4-16:
Phenol und Oxygenatanteile in verschiedenen Belagsarten Quelle: (Oguma & Takeda, 2017)
Eine weitere Erkenntnis war die Analyse, dass die Zugabe von Salpetersäure HNO3 die Belagsbildung signifikant veränderte und beispielsweise den Phenolanteil in der Belagsbildungsschicht deutlich erhöhte.
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Abbildung 4-17:
Einfluss der Zugabe von Salpetersäure auf die Belagsbildung Quelle: (Oguma & Takeda, 2017)
Oguma et. al. fassen ihre sehr umfangreichen und wertvollen Erkenntnisse der Arbeitsperiode 2013-2016 in ihrer zusammenfassenden Analyse und Bewertung in 2017 wie folgt zusammen.
Abbildung 4-18:
Zusammenfassung der Forschungsarbeit von Oguma, Takeda et. al. Mechanismen und Randbedingungen der Belagsbildung, verschiedene Belagsbildungsarten und Entstehungswege Quelle: (Oguma, et al., 2017)
Wesentliche neue Erkenntnisse wurden in dieser Publikation von 2017 dokumentiert (Abbildung 4-18). Insbesondere konnte präzise nachgewiesen werden, dass durch Pyrolyse ein eher puderförmiger Belag in eine sehr harte Lackschicht verwandelt werden kann. Insbesondere das Temperaturprofil war hierbei entscheidend. Niedrige Temperaturen wirken über Kondensationseffekte bekanntermaßen auf die Belagsbildung ein. Die Anwesenheit von Wasser, hohen Temperaturen, unterschiedlichen Kohlenwasserstoffvorläufersubstanzen beeinflussen die Abläufe entscheidend. Ergänzend sei an dieser Stelle auf zahlreiche weiterführende Erkenntnisse verwiesen, die erst in diesem Jahrzehnt gewonnen wurden:
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Einen wichtigen Anteil bei der Belagsbildung können die Ölanteile im Ansaugpfad haben. Diese hängen vom Verhalten der Kurbelgehäuseentlüftung ab. Die Verteilung der Öltropfen, die Filtration in der Kurbelgehäuseentlüftung vor der Einleitung in den Frischluftpfad, der Einfluss der Additivierung und Alterung des Öls sind beispielsweise im Detail noch immer Fragen, die sich weiter im Forschungsstadium befinden. Schon lange wird eine deutliche Reduzierung der Ölemissionen der Kurbelgehäuseentlüftung angestrebt (Enderich, et al., 2008). Noch immer werden sowohl Entwicklungs- als auch Forschungsfortschritte erzielt (Janßen, et al., 2016), (Nowak, et al., 2019), (Nowak, et al., 2018). Aerosoleinwirkungen auf die Belagsbildung sind entscheidend, wie auch eine Arbeit der TU München von 2014 aufzeigt (Hörnig, 2014). Die Interaktion der Strömung mit der Wand ist zudem generell Gegenstand von wichtigen Grundlagenforschungsvorhaben. So ist erst im Jahr 2013 ein gemeinsamer Sonderforschungsbereich „Turbulente, chemisch reagierende Mehrphasenströmung in Wandnähe“ (Transregio 150, Kooperation der TU Darmstadt und dem KIT Karlsruhe) bewilligt worden. Die Analyse von Belagsbildungsphänomen ist auch wesentlicher Gegenstand dieses Sonderforschungsbereichs. Insbesondere Belagsbildungsphänomene im Zylinder als auch in der Abgasnachbehandlung sind hier im Fokus (Hänichen, et al., 2018) (Hänichen, et al., 2019). Aktuell sind immer noch Forschungsprogramme laufend, insbesondere um das Belagsbildungsverhalten im Kaltstart und im Kaltlauf zu analysieren. So ist gerade ein Vorhaben am KIT, initiiert von der deutschen Forschungsvereinigung Verbrennungskraftmaschinen, gestartet, um bei tiefen Temperaturen die Belagsbildung noch eingehender zu analysieren. Darüber hinaus berichteten einige Institute im nationalen als auch im internationalen Umfeld, dass neben öffentlich geförderten Vorhaben insbesondere Auftragsforschungen im Bereich der Belagsbildung im Abgasrückführpfad auch in diesem Jahrzehnt durchgeführt worden sind. Auch dies bestätigt den Sachverhalt, dass die Vermeidung der unerwünschten Belagsbildung, die zu Bauteilschäden und weiteren Risiken führen kann, sehr komplex ist und schon lange große Entwicklungskapazitäten gebunden hat. Zusammenfassung 4.: Entwicklung des Wissens über die Belagsbildung von Abgasrückführsystemen Es war in den 2000er Jahren allgemein bekannt, dass der Feldbetrieb von Abgasrückführventilen zu Belagsbildungsphänomenen mit der Folge von Bauteilschäden und weiteren Risiken führen kann. Bekannt war, dass insbesondere bei niedrigen Temperaturen sowohl des Abgases als auch des Kühlwassers die Probleme deutlich verschärft vorliegen. Die hinter der Belagsbildung stehenden physikalischen und chemischen Prozesse waren im Detail damals nur lückenhaft verstanden. Selbst heute sind die Abläufe nicht vollumfänglich geklärt, obwohl im letzten Jahrzehnt wesentliche Abläufe, die zur schädlichen Belagsbildung im Abgasrückführtrakt führen, besser analysiert und nachvollzogen werden konnten. Wichtig ist die Kenntnis, dass die EURO5 Fahrzeugantriebe, welche zwischen 2009 bis 2014 vermarktet wurden, konstruktionsseitig aufgrund der benötigten langen Softwareentwicklungs- (Applikation) und Absicherungserprobung in den Jahren bis 2004, spätestens mit einem erhöhten Entwicklungsrisiko im Jahr 2005 entwickelt und definiert werden mussten (sogenannter „Design Freeze“, siehe Kapitel 7).
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Eine temperaturabhängige Regelung insbesondere des Abgasrückführventils stellt auch heute den Stand von Wissenschaft und Technik dar, gleichwohl ist heute, z.B. bei EURO6d Fahrzeugen der Funktions- und Temperaturbereich gegenüber EURO5 Fahrzeugen deutlich erweitert. Im Zeitraum der Entwicklung und des „Design Freeze“ von EURO5 Fahrzeugen im Zeitbereich zwischen 2004 bis spätestens 2005 und der Applikation und Absicherung mit einem Entwicklungsschwerpunkt zwischen 2005 und 2009 stellte die temperaturabhängige Regelung der Abgasrückführung unstrittig den Stand von Wissenschaft und Technik sowie die bestverfügbare Technik zur Beherrschung der Abgasrückführsysteme dar. Sogar bei einer Applikation mit reduzierter Abgasrückführraten bei niedrigeren Umgebungstemperaturen aus Bauteilschutzgrünen betrugen die Feldausfallraten bei einzelnen Fahrzeugen noch über 15 %.
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5. Entwicklung des Wissens über die Belagsbildung und Temperaturabhängigkeit von Abgasnachbehandlungssystemen Auch abgasnachbehandlungsseitig sind Belagsbildungsphänomene sehr nachteilig und limitieren das Betriebsverhalten der Fahrzeuge. Insbesondere die Stickoxidkonvertierung in sogenannten SCR-Abgasnachbehandlungssystemen ist bei niedrigen Abgastemperaturen unterhalb von 200°C kritisch (Abbildung 5-1). Zahlreiche teilweise noch immer andauernde Forschungsvorhaben haben diese Abläufe analysiert (Börnhorst & Deutschmann, 2017). Abgasnachbehandlungsseitig liegen für SCR-Systeme insbesondere der ersten Generation, sogenannte Unterboden SCR-Systeme, temperaturseitige Grenzen vor. Vor allem bei kälteren Außentemperaturen und bei niedrigen Lasten ist eine permanente „Heizung“ des Abgases erforderlich, womit eine Verschlechterung des Verbrauches in der Größenordnung teilweise bis weit über 15 Prozent verbunden ist und damit zugleich ein Anstieg der CO2-Emissionen. Ohne diese temperaturabhängigen Maßnahmen hätte die Belagsbildung schnell zu einer signifikanten Systembeeinträchtigung geführt (Abbildung 5-2). An dieser Stelle sei nochmals auf Abbildung 4-3 verwiesen, welche typische Abgastemperaturen im realen Stadtbetrieb aufzeigt. Unter derartigen Randbedingungen deutlich unter 200°C war ein Abgasnachbehandlungssystem der ersten Generation nicht funktionsfähig. Die neueste zweite Generation von motornah angeordneten Abgasnachbehandlungssystemen, die insbesondere die Funktionen von Partikelfiltration und SCR-Katalyse in einem motornahen Bauteil vereinen und somit einen Betrieb auf einem höheren Temperaturniveau ermöglichen, wurde 2016 nach langer Forschung und Entwicklungszeit eingeführt. Derartige Systeme bedingen zwar andere sehr große technische Herausforderungen, verbessern jedoch signifikant die NOx-Konvertierung, also die NOx-Reduzierung im Katalysator, vor allem bei niedrigen Außentemperaturen oder bei niedriglastigem Betrieb. Die Nationale Forschungsakademie Leopoldina hat in Ihrem Gutachten „Bessere Luft“ vom Frühjahr 2019 bestätigt, dass sie die Reduzierung von CO2 Emissionen für wichtiger erachtet als die Reduzierung der NOx-Emissionen (Leopoldina, 2019).
Abbildung 5-1:
Funktionsweise und Mechanismen einer SCR-Katalyse im Abgastrakt Quelle: (Koch, 2018)
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Koch et al., Wissenschaftliche Analyse zum Einsatz temperaturabhängiger Emissionsregelungen von Dieselmotoren, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61877-6_5
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In diesem Kontext sei nochmals auf das Abgastemperaturproblem der ersten Generation SCRSysteme verwiesen. Im immissionsrelevanten Stadtverkehr wäre dieses Abgastemperaturproblem, abhängig von den genauen Randbedingungen, durch einen Verbrauchsanstieg zu lösen gewesen. Dieser wäre aber teilweise nicht mehr verhältnismäßig gewesen.
Abbildung 5-2:
Beispiele für Ablagerungsbildung im Abgastrakt an einer SCR- Mischereinheit Quelle: (Koch, 2018)
Es hätte vor allem bei ungünstigen Randbedingungen (tiefe Temperaturen, niedrige Motorlast) den Vorteil der niedrigeren CO2-Emissionen der Dieseltechnologie unter vielen Betriebszuständen entscheidend reduziert. Erst mit der zweiten Generation an SCR-Systemen konnte insbesondere bei kalten Temperaturen das Problem deutlich entschärft und der Zielkonflikt gelöst werden. Im Übrigen sei ganz allgemein darauf verwiesen, dass auch SCR-Systeme anfangs hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit große Herausforderungen aufwiesen. Vor allem die Dosiereinheit und das Adblue-Fördermodul waren kritische Bauteile. Dabei sind die Herausforderungen beim PKW aufgrund des extrem diversen Nutzungsprofils deutlich größer als im LKW. Der Funktionsbereich der in den 2000er Jahren diskutierten Technologielösungen der Abgasnachbehandlung war für typische PKW-Anwendungen kritisch, da oft die benötigte Betriebstemperatur der Abgasnachbehandlung nicht erreicht wurde. Die Alternative war deshalb ein teilweise deutlich erhöhter Kraftstoffverbrauch und CO2-Ausstoß bis über 20%, je nach Fahrprofil und Fahrzeugkonfiguration. Es gab auch andere Lösungsansätze, insbesondere der NOx-Speicherkatalysator, jedoch bedingte auch diese Lösung Nachteile (Regelungsherausforderung, Mehrverbrauch, deutliche Reduktion der Effizienz bei gealterten Anlagen). Insgesamt war die Systemreife dieser Abgasnachbehandlungssysteme ebenfalls nicht ausreichend. Es war deshalb nachvollziehbar, dass in den USA zunächst nur eine Felderprobung dieser Systeme mit moderaten Stückzahlen erfolgte. Die EURO5 PKW Fahrzeuge wurden bis zum Jahr 2004, spätestens bis 2005 entwickelt, definiert und sodann entwicklungsseitig eingefroren (siehe „Design Freeze“ Kapitel 7). Zu diesem Zeitpunkt waren weltweit nur die LKW-Hersteller Mercedes-Benz, Iveco, Daf, Volvo und Renault mit einem SCR-System, jedoch ohne Partikelfilter im Einsatz. Scania und MAN, alle amerikanischen und japanischen LKW-Motorenhersteller sowie die gesamte PKW-Welt bevorzugten zunächst die Abgasrückführung als Emissionsminderungstechnologie. Dies ist insofern auch PKW-seitig konsequent, da die LKW-SCR Systeme vor allem für einen mittel- bis hochlastigen Fernverkehr optimal ausgelegt waren, jedoch bei sehr niedriger Auslastung aufgrund niedrigerer Abgastemperaturen auch reduzierte NOx-Konvertierungen der Abgasnachbehandlung die Folge waren. Daher hat sich die AGR-Technologie der LKW Motoren in den niedrig ausgelasteten Stadtbussen, quasi als
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Äquivalent zu einer PKW-Anwendung, als die bessere EUROV Technologie hinsichtlich der NOxReduzierung herausgestellt. Gleichwohl sind diese Randbedingungen unabhängig von der Tatsache, dass im entscheidenden Zeitfenster 2004/2005 der EURO5 Technologiedefinition nicht klar war, welche NOx-Reduzierungstechnologie sich beim Dieselmotor durchsetzt. Die Alternative des NOx-Speicherkatalysators wurde aufgrund regelungstechnischer Herausforderungen und eines Mehrverbrauches sowie Schwächen bei gealterten Anlagen kritisch bewertet. Für eine US-Applikation (TIER5, BIN8) wurde die aktive SCR-Abgasnachbehandlung in den USA zum Serieneinsatz entwickelt, typischerweise nur für ein bis drei Anwendungen pro Hersteller. Diese Erkenntnisse der dortigen Kleinserie wurden, wie obenstehend bereits erwähnt, in Europa genutzt, um in einer Großserie PKW-Dieselfahrzeuge mit SCR-Abgasnachbehandlung einzuführen. Insbesondere waren die meisten Fahrzeuge zum damaligen Zeitpunkt Mitte der 2000er Jahre nicht in der Lage, einen motornahen SCR Katalysator zu ermöglichen. Niedrige Abgastemperaturen und die Konsequenz notwendiger Heizstrategien mit teilweise signifikant erhöhten Verbräuchen wären die Folgen für die Technologie zum damaligen Zeitpunkt gewesen. Vor allem in den letzten 10 Jahren konnte eine konsequente Entwicklung zur Verbesserung des Katalysatortieftemperaturverhaltens diesen Nachteil reduzieren. Auf die mannigfaltigen weiteren neuen Herausforderungen der Einführung eines Dieselfahrzeuges mit einem Partikelfilter in Kombination mit einer SCR-Abgasnachbehandlung wird an dieser Stelle verzichtet (OBD; Partikelfilterregeneration, Unterboden-SCR-Katalysator, Thermomanagement, Komponentenzuverlässigkeit der SCR-Technologie, Abgasgegendruckverhalten …). Zusammenfassung 5.: Entwicklung des Wissens über die Belagsbildung und Temperaturabhängigkeit von Abgasnachbehandlungssystemen Belagsbildungsprozesse liegen bei niedrigen Abgastemperaturen unterhalb von 200°C bei SCRSystemen mit Adblue-Dosierung vor. Die generelle Erkenntnis über die Existenz dieser Temperaturgrenze war bereits im letzten Jahrzehnt genau bekannt. Bei kalten Außentemperaturen oder einem niedrig lastigen Fahrzeugbetrieb gelingt eine wichtige Überschreitung dieser Temperaturgrenze nur durch einen CO2-Anstieg. Abhängig von den genauen Randbedingungen konnte dieser CO2-Anstieg bis über 20 Prozent betragen. Im Gegensatz zum Abgasrückführpfad lag aber später mit EURO6d eine Lösung vor, wie die Belagsbildung weitestgehend unkritisch beherrscht werden konnte. Die generelle Aussage, man hätte nur eine Abgasrückführung mit einer zusätzlichen NOx-Abgasnachbehandlung kombinieren müssen, ist nicht zu treffend. Die für eine EURO5 Einführung bei PKW notwendigen Erfahrungen, die Marktakzeptanz, die Systemreife und vor allem die NOxKonvertierung bei tiefen Außentemperaturen des SCR-Systems waren zu den damaligen Entwicklungszeitpunkten, also bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Entwicklung von EURO 5 Fahrzeugen hardwareseitig eingefroren war („Design Freeze“, Zeitfenster 2004-2005) im PKW-Bereich kritisch und keineswegs sicher.
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6. Funktionsweise und Herausforderungen des Abgasrückführsystems Insbesondere Abgasrückführventil und Abgasrückführkühler sind Bauteile, die besonders von Belagsbildungsprozessen betroffen und deren Betriebssicherheit und Funktion durch Belagsbildungsprozesse bis hin zum Totalausfall beeinträchtigt sein können. Ehemalige Entwicklungsverantwortliche namhafter heutiger internationaler Zulieferer fassen die Situation in einer angefragten Stellungnahme für diese Studie wie folgt zusammen: 1. Bernhard Klipfel, Dipl.-Ing., Herr Klipfel war leitender Entwickler von Abgasrückführsystemen (Ventile, Kühler, Bypassventile, Strömungspfad etc.) 1988-2013, Siebe Automotive/Cooper Standard Automotive; 2014 bis 2019 Hanon Systems, heute als Berater für Abgasrückführsysteme tätig „Im Zuge der Emissionsverschärfungen gemäß EURO1 bis EURO6 beim Dieselmotor hat sich der Zustand und die Konsistenz des erzeugten Rußes (Soot) stark verändert. Bei EURO1 & 2 war der Ruß überwiegend fett, d.h. die Rußpartikel bildeten eine relativ weiche, pudrige und teilweise ölige Schicht. Die Rußpartikel bildeten z.T. größere schwarze Flocken. Diese Konsistenz hat das Ventil in seinem Dichtverhalten z.T. unterstützt. Der ölige Anteil (überwiegend bei EURO1) war z.T. auch hilfreich als 'Schmierung' für die Ventillagerung (Ventilstange/Führung). Systemausfälle bei Euro1 & 2 wurden durch teilweise extreme Rußakkumulation an kritischen Stellen (Ventilbereich, Umlenkungen etc.) überwiegend bei entsprechenden Betriebsbedingungen (ungünstiges Nutzerverhalten, häufige Beschleunigungsphasen, Kurzstreckenbetrieb, Nebenantrieb etc.) festgestellt. Diese Ausfälle wurden durch die teilweise bzw. vollständige Blockierung des AGR-Pfades hervorgerufen. Die rückgeführte Abgasmenge war dadurch deutlich reduziert, teilweise bis zum Stillstand. Das während der Warmlaufphase verstärkt auftretende Kondensat hatte nur eine geringe Neigung, mit dem fetten Ruß einen 'Verbindung' einzugehen. Der Ruß bei EURO3 & 4 war deutlich anders. Der ölige Anteil war praktisch vollständig verschwunden. Die auftretenden Rußpartikel waren etwas heller, trockener und deutlich kleiner. Diese Konsistenz verursachte aber andere Systemausfälle. Es wurden undichte Ventile, reibungsbehaftete und blockierte Ventilstangen sowie durch eine Belagsbildung wärmeübertragungsreduzierte AGR-Kühler festgestellt. Unter bestimmten Konstellationen (Brennverfahren, erhöhter Blow-By, Öladditive, verschiedene Dieselkraftstoffvariationen, etc.) kam es auch in Verbindung mit dem Kondensatanfall zu lackartigen Belägen. Diese führte durch eine Behinderung des Ventilhubes bis hin zur totalen Blockierung des AGR-Ventils und in diesem Fall typischerweise zum Totalausfall des Systems. Teilweise konnten diese Beläge durch 'Heißfahren' (Autobahnbetrieb mit höheren Lasten) wieder reduziert werden. EURO5 & 6 Motoren haben durch die entsprechende Einspritztechnologie und die damit möglichen Brennverfahren deutlich geringere Rußemissionen. Auch wurde die AGR-Ventiltechnologie weiterentwickelt, um die Ausfallwahrscheinlichkeit zu reduzieren. Es sind Ventilbetätigungsstrategien (Reinigungsbewegungen, 'Ditter cycle', Heißphasen, etc.) eingeführt beziehungsweise verfeinert worden, um die Betriebssicherheit zu erhöhen. Hilfreich war dabei die Optimierung der
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Koch et al., Wissenschaftliche Analyse zum Einsatz temperaturabhängiger Emissionsregelungen von Dieselmotoren, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61877-6_6
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Abgasführung und der Kondensatableitung durch CFD-Simulationen, welche zu konstruktiven Verbesserungen des AGR-Systems führten. Jedoch wurden auch bei EURO5 und EURO6 Systemen Ausfälle des Abgasrückführsystems beobachtet. Hilfreich war das bereits vorhandene Wissen über Kondensatausfall und die konstruktive Verbesserung des Systems, um die schadhafte Wirkung des Kondensats zu reduzieren. Die zuverlässigste Ventiltechnologie für ein Hochdruck AGR-Ventil besteht aus vielen Technologiebausteinen. Heute kennen wir aufgrund langjähriger Erfahrungen und technologischer Fortentwicklungen viele Details (Konstruktion, Werkstoff, Beschichtung, Regelung, Betrieb), die einen Einfluss auf folgende AGR-Ventilteilumfänge ausüben können: •
• • • • • • • • • • • • • • • •
klassische Auslassventilanordnung (runder Teller, Sitzring, Stangenführung) spezielle Ventilsitzkontur mit geschützter Schnittstelle zwischen Ventilstange und Führung (Abschirmung, 'Mesh', Abstreifer oder ähnliches) ausgewählte Materialpaarungen zwischen Ventilteller/Ventilsitz, Ventilstange/Führung, Ventilstangen-Beschichtung/Führungslegierung doppelte Ventilstangenabdichtung sehr hohe Ventilbetätigungskraft (Reibungsüberwindung, Abgasgegendruck, Dynamikoptimierung) spezielle Aktuierungskinematik, die bei geringem Öffnungshub resistent gegen Abgaspulsation ist Lebensdauervalidierung für mindestens 20 Millionen Aktuierungen (DC-Motor, Übersetzungen, Feder, Kinematik, Sensor) Definition eines möglichst aussagekräftigen Selbstzerstörungstestergebnisses (Test to fail) präzise und stabile Positionssensorik wirksame Kühlung durch Kühlwassermantel (Hochlast-AGR, RDE-Anforderungen) Vibrationsvalidierung mit erhöhten Anforderungsprofilen (Zeitraffer-Modi) verschweißte Kontakte zwischen DC-Motor und Anschlussterminals integrierte EMV-Komponenten druckwasserdichter Gehäusedeckel mit Druckausgleichsmembran (Gore) spannungs- und vibrationsfestes Ventilkörperdesign massive Anschraubmöglichkeit am Motor gefordert wirksame Kompensation der thermischen Ausdehnung und der Spannungen hochwertige Ausführung der Abdichtung der Anschlüsse (Abgas, Kühlwasser, Kabelstecker)
Andere Ventilanordnungen haben sich aus verständlichen Gründen nicht bewährt und sind wieder vom Markt verschwunden. Die kritischen Systeme und Komponenten und Ausfallgründe am AGR-Ventil sind: • •
Ventilteller/Ventilsitzring: Ventilstange/Führung:
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Ventilstangenabdichtung: Positionssensor:
Dichtheit, Verklebung, Korrosion Verschleiß, Korrosion, Verklebung, Reibung, Temperatur Dichtheit, Verschleiß, Temperatur Drift, Stabilität, Temperatur
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interne elektrische Verbindungen:
Kontaktierung, Verschleiß durch Vibration, Übergangswiderstände
Ich habe seit 1993 versucht, die Bildung von Ruß und Verbrennungsablagerungen zu verstehen und habe mit verschiedenen Institutionen hierzu zusammengearbeitet. Diese Zusammenarbeit ist etwa 2013 ausgelaufen. Der heutige Wissensstand über Ruß- und Belagsbildungsphänomene war mir 2004 und später bei der EURO5 Entwicklung in weiten Teilen nicht bekannt.“ 2. Dr. Olaf Toedter, Dipl.-Ing., Herr Toedter war Entwicklungsleiter bei Gustav Wahler GmbH (2012-2014), einem der führenden Hersteller von Abgasrückführventilen; Wahler wurde 2014 vom amerikanischen Zulieferer BorgWarner übernommen, heute ist Dr. Toedter am Karlsruher Institut für Technologie am Institut für Kolbenmaschinen zuständig für Technologieinnovation, Zündsysteme und alternative Kraftstoffe, „Abgasrückführventile waren – trotz vielfältiger Bemühungen – individuelle Entwicklungen, maßgeschneidert für jeden Motor und mit hohem Risiko bei Applikationsänderungen versehen. Die Quote an Feldrückläufern lag deutlich über derjenigen anderer vergleichbarer Motorkomponenten. Dementsprechend wurde ein hoher Wert auf Komponentenerprobung und die Analyse der Dauerlauftests der Kunden gelegt. Leider war es eher die Regel, dass es trotz im Vorfeld positiv absolvierten Dauerlauftests zu Feldausfällen kam. Die Analyse der entsprechenden Ausfallteile hat eine Belagsbildung im Bereich der Kinematik gezeigt. Anschließend wurde versucht, die Strömungsführung im Inneren des AGRVentils anhand von CFD-Simulationen so zu optimieren, dass die Belagsbildung an weniger kritischen Stellen erfolgt, wissend, dass die Belagsbildung nicht zu vermeiden ist. Wann und unter welchen Umständen es zu der Belagsbildung kommt, war zu dem Zeitpunkt unklar. Als besonders kritisch wurden AGR-Ventile betrachtet, die offen stehen geblieben sind. Diese wurden teilweise sogar als sogenannte „Liegenbleiber“ eingestuft, d.h. die Motorsteuerung unterbindet hier abhängig von der Betriebsstrategie den weiteren Betrieb des Motors, wenn es zu einem derartigen Fehlerfall kommt. Ich habe daraufhin ein Anforderungsmanagement eingeführt. In Kombination mit den o.g. CFDRechnungen wurde versucht, für zukünftige Ventile robustere Lösungen zu erarbeiten. Da sich in den Komponententests diese Fehlerbilder nicht reproduzieren ließen, musste ein besonderes Augenmerk auf die Kundenerprobung gelegt werden, v.a. die Kaltlanderprobung. Diesen Testläufen muss man ein erhöhtes Augenmerk schenken, da die Belagsbildung nach Analyse der Symptome (z.B. in einem Rasterelektronenmikroskop) mit einer Kondensatbildung in Zusammenhang gebracht wurden. Dies bedeutet, dass es ein Temperaturfenster geben muss, innerhalb dessen es zur Abscheidung dieser Beläge kommt. Auffällig war, dass diese Schichten bei manchen Rückläufern entfernt werden konnten, andere Schichten aber stark klebriger Natur waren und weder durch Hitze noch durch Strömung (beides potenzielle innermotorische Reinigungsmechanismen) entfernt werden konnten. Diese erhöhte Ausfallquote blieb trotzdem bis zu meinem Ausscheiden aus der Firma eine sehr große Herausforderung. Inzwischen sind nach meinen Informationen weiterführende Forschungsvorhaben durchgeführt worden, insbesondere am AIST in Japan, wo die Mechanismen der Belagsbildung an speziellen
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Prüfständen nachgestellt werden konnten. Von einer Lösung, diese Belagsbildung zu vermeiden ist mir leider noch nichts bekannt.“ Zusammenfassung 6.: Funktionsweise und Herausforderungen des Abgasrückführsystems Experten für die Entwicklung von Abgasrückführventilen oder Abgasrückführkühler betonen die Herausforderungen bei der Vermeidung von Belagsbildungsprozessen. Der besonders nachteilige Einfluss niedriger Temperaturen wird hervorgehoben. Hohe Feldausfallraten teilweise bis weit über 15 % bei einzelnen Baureihen der Abgasrückführventile waren eine große technische Herausforderung.
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7. Grundlagen der Entwicklungsmethodik und Absicherung im Entwicklungsprozess Die Auslegung, Konstruktion, Applikation und Absicherung eines AGR-Systems ist Teil des gesamten Entwicklungsprozesses für ein Antriebssystem eines Fahrzeugs. Es handelt sich dabei um einen vom jeweiligen Hersteller streng dokumentierten, qualitätsgesicherten, aggregatespezifischen Prozess, in den auch die Zulieferer eingebunden sind und der sich über mehrere Jahre erstreckt. Dieser Prozess lässt sich stark vereinfacht in zwei Phasen unterteilen. Die erste Phase umfasst Auslegung und Konstruktion - und damit Spezifikation - der gesamten Hardware. Dies muss gemäß Stand der bestverfügbaren Technik erfolgen und endet mit dem sogenannten "Design Freeze". Danach sind Änderungen nicht mehr oder nur mehr mit unverhältnismäßig hohem Aufwand und zusätzlichem Qualitätsrisiko möglich. Für die erste Generation von EURO 5 Fahrzeugen ist dieser Design Freeze im Jahr 2004 und spätestens mit einem erhöhten Entwicklungsrisiko im Jahr 2005 verankert gewesen (siehe auch Kap. 4,5,6). Die zweite Phase umfasst insbesondere die Applikation und die Absicherung. Der verwendete Fachbegriff Applikation bedeutet im weiteren Sinne Anwendung und hier im engeren Sinn die Ermittlung von Einstellparametern für den Motorbetrieb und deren Ablage im Motorsteuergerät in Form von Kennfeldern und Funktionsparametern. In Verbindung mit den Funktionen der Motorsteuerung bilden diese Daten den sogenannten Softwarestand. Aus technischer Sicht wird dabei eine Optimierung mit dem Ziel durchgeführt, die Anforderungen an die Einhaltung der Schadstoffemissionsgrenzwerte, Dauerhaltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen, Kraftstoffverbrauch, CO2-Emissionen, Fahrleistung und Fahrbarkeit, Geräuschemissionen und Lebensdauer der betroffenen Bauteile zu erfüllen. Dabei wird für jeden einzelnen Betriebspunkt unter Berücksichtigung unterschiedlicher Randbedingungen (z.B. Temperatur) für die Kombination der sich gegenseitig beeinflussenden Einstellparameter ein Optimum gesucht und im neuen Applikationsdatensatz der Motorsteuerung abgelegt (vereinfacht wird dies üblicherweise als „Software“ bzw. „Softwarestand“ bezeichnet). Es handelt sich dabei um eine Multiparameteroptimierung, die überwiegend versuchstechnisch durchgeführt wurde und im Verlauf des letzten Jahrzehnts zunehmend durch immer mächtigere Simulationstools unterstützt wurde. Die relevanten Fachbegriffe lautet hier Design of Experiments, Modellbildung und Optimierungsanalyse. Dieser Vorgang wird häufig auch als Kalibration bezeichnet. Ein Betriebspunkt wird typischerweise durch die Motordrehzahl und die Motorlast, d.h. dem Drehmoment, charakterisiert. So gibt es sehr viele Betriebspunkte, die rasterförmig den gesamten Betriebsbereich des Motors abdecken. Während der realen Straßenfahrt werden viele verschiedene Betriebspunkte aktiviert. In jedem Betriebspunkt muss eine optimale Einstellung aller Parameter, die den Verbrennungsprozess im Zylinder beeinflussen, im Hinblick auf Effizienz/Kraftstoffverbrauch gefunden werden. Zwischen verschiedenen Betriebspunkten kann ein einzelner Parameterwert, z.B. die Abgasrückführrate oder der Einspritzdruck in Abhängigkeit von den Werten anderer Parameter steigen oder fallen. Gefragt ist eine optimale Kombination von Parameterwerten, weshalb dies als Multiparameter-Optimierung bezeichnet wird.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Koch et al., Wissenschaftliche Analyse zum Einsatz temperaturabhängiger Emissionsregelungen von Dieselmotoren, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61877-6_7
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Dieser Vorgang ist sehr aufwändig, da es sich bei einem Motor inkl. Getriebe und Abgasnachbehandlungssystem um ein sehr komplexes mechatronisches System handelt und eine Vielzahl von Parametern in der Motorsteuerung appliziert, also „bedatet“ werden muss. Für die gegenständliche Motorentechnologie sind u.a. folgende voneinander abhängige Parameter zu optimieren: Einspritzbeginn, Einspritzverlauf, Einspritzdruck, Ladedruck, Ladungsbewegung, und eben auch die AGR-Rate. Dieser Applikationsvorgang ist einer der wesentlichsten und umfangreichsten Entwicklungsabschnitte in der Entwicklung von Fahrzeugantrieben geworden. Dies wird u.a. in allgemeingültiger Fachliteratur dargelegt (Beidl, et al., 2019). Aufgrund der hohen Bedeutung haben sich die Entwicklungsmethoden in diesem Bereich im Jahre 2019, verglichen mit dem Stand der bestverfügbaren Technik im Zeitfenster der EURO5 Technologiedefinition zwischen 2004 und 2005 mit der nachgelagerten EURO5 Applikation bis circa 2009 signifikant weiterentwickelt. In der Regel wird dieser Vorgang zunächst im – auch vom Gesetzgeber vorgegebenen – Standardbzw. Auslegungstemperaturbereich durchgeführt. Anschließend erfolgt eine Erweiterung der Kalibration und Absicherung für alle Temperaturbereiche, die im Fahrzeugbetrieb auftreten können. Dies wird im Rahmen des Absicherungsprozesses für das jeweilige Fahrzeug und das Aggregat durchgeführt. In der Serienentwicklung eines OEMs besteht dieser exemplarisch aus den folgenden Einzelaktivitäten: a. 2x Sommererprobung b. 2x Wintererprobung c. Absicherung / Dauerlauf am Motorprüfstand und im Fahrzeug d. Applikation für den geforderten Kennfeld-/Temperaturbereich e. Industrialisierung / Optimierung der Serienfertigung f. Zulassungsprozess Zusätzlich werden Tests unter strengen Randbedingungen durchgeführt, um Betriebsgrenzen zu identifizieren und das Systemverhalten unter ungünstigen Randbedingungen abzusichern. Dies ist notwendig, da im PKW-Volumenmarkt unterschiedlichste Nutzungsprofile möglich sind. Ein Testablauf für ein AGR System könnte exemplarisch folgende Randbedingungen enthalten: Start des kalten Motors, niedrige Motordrehzahl beim Beschleunigen und niedrige Umgebungstemperatur. Dies bedeutet, dass es unwahrscheinlich ist, dass der Motor einen Zustand erreicht, in dem die Komponenten normale Betriebstemperaturen erreichen. Die Verwendung dieser extrem ungünstigen Bedingungen führt dazu, dass die Belastung viel höher ist, als es unter typischen Bedingungen der Fall wäre. Auch ein solches Betriebsprofil darf zu keinen Motorschäden und Folgerisiken führen. Die Absicherung des Fahrzeugstandes während des Entwicklungsprozesses erfolgt in der Art, dass daraus bei einem gewöhnlichen und vorhersehbaren Betrieb mit regelmäßiger Wartung beherrschbare Feldherausforderungen resultieren. Dieser Betrieb mit einem beherrschbaren Verhalten der Fahrzeuge in Kundenhand ist technisch nur dann möglich, wenn alle Komponenten in ihren abgesicherten und freigegebenen Spezifikationen, also innerhalb der Auslegungsbetriebsbedingungen, betrieben werden.
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Zusammenfassung 7.: Grundlagen der Entwicklungsmethodik und Absicherung im Entwicklungsprozess Die Parametrierung der AGR-Rate ist Teil einer Multiparameteroptimierung der in der Motorsteuerung hinterlegten Regelparameter eines Motors. Sie erfolgt aggregatespezifisch jeweils für die spezifische Hardware und muss u.a. unterschiedliche Temperaturbereiche berücksichtigen. Die Auslegung, Konstruktion, Applikation und Absicherung eines AGR-Systems ist Teil des gesamten Entwicklungsprozesses für ein Antriebssystem eines Fahrzeugs. Es handelt sich dabei um einen vom jeweiligen Hersteller streng dokumentierten, qualitätsgesicherten, aggregatespezifischen Prozess, der sich über mehrere Jahre erstreckt und in zwei Phasen unterteilen lässt. Die erste Phase umfasst Auslegung und Konstruktion - und damit Spezifikation - der gesamten Hardware. Dies muss gemäß Stand der bestverfügbaren Technik erfolgen und endet mit dem sogenannten "Design Freeze". Danach sind Änderungen nicht mehr oder nur mehr mit unverhältnismäßig hohem Aufwand und zusätzlichem Qualitätsrisiko möglich. Für die erste Generation von EURO 5 Fahrzeugen ist dieser Design Freeze im Jahr 2004 und spätestens mit einem erhöhten Entwicklungsrisiko im Jahr 2005 verankert gewesen (siehe auch Kap. 4,5,6). Die zweite Phase umfasst insbesondere die Applikation und die Absicherung, bei EURO 5 Fahrzeugen der Zeitraum zwischen 2005 und 2009. Allein die der Applikation folgende Absicherung umfasst für die Serienentwicklung eines OEMs exemplarisch folgende Einzelaktivitäten: a. 2x Sommererprobung b. 2x Wintererprobung c. Absicherung / Dauerlauf am Motorprüfstand und im Fahrzeug d. Applikation für den geforderten Kennfeld-/Temperaturbereich e. Industrialisierung / Optimierung der Serienfertigung f. Zulassungsprozess In der Applikationsphase ist es möglich, innerhalb der vorgegebenen Grenzen, die von der bereits festgelegten Hardware bestimmt werden, Fortschritte auf der Basis des vorliegenden Standes der bestverfügbaren Technik und der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erarbeiten. Eine Berücksichtigung eines weiterentwickelten Standes von Wissenschaft und Technik setzt wegen der Notwendigkeit der Bauteilabsicherung und Systemoptimierung eine Neuentwicklung voraus, die dann entsprechend wieder mehrere Jahre in Anspruch nimmt. Beispielsweise am Anwendungsfall der Niederdruckabgasrückführung kann dies nochmals verdeutlicht werden. Die Niederdruckabgasrückführung entnimmt Abgas nach dem Partikelfilter, leitet dieses vor dem Verdichter über ein AGR-Ventil und Kühler wieder zu und stellt eine Erweiterung der darstellbaren Abgasrückführrate in weiten Kennfeldbereichen dar. Dieser positive Sachverhalt bedingt aber zugleich eine Absicherung bezüglich zahlreicher neuer Herausforderungen wie • • • • • • • •
dem Verhalten während der Partikelfilterregeneration, dem erhöhten Wassergehalt im Frischluftpfad, der Klärung der Versottungsneigung im Frischluftpfad, der möglichen Vereisungsgefahr, der Analyse des Verdichterverhaltens im Beisein von Abgasemissionen, der erhöhten Verdichteraustrittstemperatur, der Verkokungsneigung des Verdichters, der abrasiven Schädigung des Verdichterrades durch Wassertropfenkontakt,
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der strömungstechnischen Anpassung von Verdichter und Turbinenrad, der Materialverträglichkeit, der Sensorik so wie der Entwicklung von Regelungsstrategien inklusive Onboard Diagnose Funktionen, der eventuellen Anpassung des Brennverfahrens zur Beherrschung erhöhter AGR-Raten, der Beherrschung der Fahrzeugkühlwärme und zahlreicher weiterer Sachverhalte.
Insgesamt erfolgt die Absicherung des Fahrzeugstandes generell während des Entwicklungsprozesses in der Art, dass daraus bei einem gewöhnlichen und vorhersehbaren Betrieb mit regelmäßiger Wartung beherrschbare Feldherausforderungen resultieren. Dieser Betrieb mit einem beherrschbaren Verhalten der Fahrzeuge in Kundenhand ist technisch nur dann möglich, wenn alle Komponenten in ihren abgesicherten und freigegebenen Spezifikationen, also innerhalb der Auslegungsbetriebsbedingungen, betrieben werden. Daher kann erst nach der umfassenden Absicherung, die sich über viele Jahre erstreckt, eine verantwortungsvolle Übernahme in eine Serienproduktion erfolgen. So wurde beispielsweise die Niederdruckabgasrückführung mit Produktionsstart der EURO6 Fahrzeuge im großen Stil im Zeitfenster um das Jahr 2014 in die Serie eingeführt.
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8.
Risiken für Motorschäden und sicheren Betrieb des Fahrzeuges
Bei der Bewertung der Risiken für Motorschäden oder der Sicherstellung des Betriebs des Fahrzeuges unter Vermeidung jeglicher Gefahr für die Insassen sind aus technischer Sicht vor allem folgende Sachverhalte zu differenzieren, die nachfolgend erläutert werden. Zunächst ist die Bewertung entscheidend, warum insbesondere die Abgasrückführung bei einer nicht-temperaturabhängigen Regelung zu einem Fahrzeugbetrieb mit kritischen Betriebszuständen bis hin zum unmittelbaren Fahrzeugstillstand führt. Dies wird im Abschnitt 8.1 diskutiert. Es ergibt sich aus dieser Diskussion die Notwendigkeit der Bewertung der Fragestellung, wie schnell es zu einem Schadensfall kommen kann. Dies impliziert die Diskussion, ob und warum dieser Schadensfall schnell und trotz regelmäßiger Wartung des Fahrzeuges eintreten kann. Insbesondere ist die Fragestellung entscheidend, wieso bei einem Betrieb außerhalb der Auslegungsrandbedingungen (Temperatur, Druck, Spezieskonzentration, Massenstrom, Alterungsverhalten….) sehr schnell ein Bauteilausfall resultieren kann und wieso vor allem niedrigere Außentemperaturen zu einem technisch nicht vermeidbaren Betrieb außerhalb der Auslegungsrandbedingungen führen. Diese Fragestellungen werden im Abschnitt 8.2. erörtert. Zur weiteren Untermauerung wird zudem explizit die Notwendigkeit einer temperaturabhängigen Regelung des Abgasrückführventils am Beispiel eines weiteren entscheidenden und sicherheitsrelevanten Bauteils erörtert. Das kontrollierte Rußabbrandverhalten des Dieselpartikelfilters (DPF) ist von übergeordneter Bedeutung für die Betriebssicherheit der Dieselfahrzeuge und auch mit dem Wissensstand für heutige EURO6d Fahrzeuge weiterhin eine technische Herausforderung. Die Wechselwirkung des DPF mit der temperaturabhängigen Regelung der Abgasrückführung, die betriebssicherheitsrelevanten Fragestellungen und der Stand des Wissens ist deshalb im Abschnitt 8.3 aufgeführt. Schlussendlich erläutert Abschnitt 8.4 die immer positive als auch zugleich negative Wirkung einer Thermodynamikmaßnahme beim Dieselmotor. 8.1 Diskussion der negativen Folgen einer nicht- temperaturabhängigen Regelung der Abgasrückführung Mögliche Ausfallgründe insbesondere für den Abgasrückführpfad sind in den vorigen Kapiteln bereits ausführlich beschrieben worden. Vor allem ist der kritische Einfluss niedriger Temperaturen auf die Belagsbildung mit der Folge eines möglichen Bauteilausfalls beschrieben worden. Ein plötzlicher und unvorhersehbarer Ausfall der Funktionsfähigkeit des Abgasrückführventils kann nun zu schwerwiegenden Konsequenzen führen. Beispiele für ein Bauteilversagen finden sich in Abbildung 8-1.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Koch et al., Wissenschaftliche Analyse zum Einsatz temperaturabhängiger Emissionsregelungen von Dieselmotoren, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61877-6_8
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Abbildung 8-1:
Beispiele für Schadensfälle im Abgasführpfad Oben links: Verlackung, Quelle: https://carbon-cleaning.co.uk/egr-valvecleaning
Oben rechts: Eisbildung im Ansaugpfad, Quelle: IFKM-Vorlesung Unten links: Belagsbildung im AGR-Pfad, Quelle: IFKM-Vorlesung Unten rechts: komplett versotteter Abgasrückführpfad Quelle: motortalk.de Naheliegend und unbedingt zu vermeiden ist ein derartiger, praktisch unvorhersehbarer und unvermeidbarer Ausfall z.B. unmittelbar während eines Überholvorgangs. Ein nicht mehr erfolgendes Schließen des Abgasrückführventils führt typischerweise dazu, dass nicht der gesamte Abgasmassenstrom über die Turbine des Abgasturboladers geleitet wird, was zu einem deutlich verzögerten Ladedruckaufbau führt. Ein nicht mehr korrekt schließendes Abgasrückführventil führt dann also dazu, dass plötzlich eine deutlich reduzierte Beschleunigungsfähigkeit des Fahrzeugs vorliegt, was als schwerwiegend und sicherheitsrelevant eingestuft und unbedingt vermieden werden muss. Vor allem Verlackungsvorgänge führen zu diesem plötzlichen und unvorhersehbaren, unmittelbaren Bauteilversagen mit Folgerisiken für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs. Ebenfalls würde ein nicht mehr korrekt schließendes Abgasrückführventil dazu führen, dass auch im Volllastbereich hohe Abgasmassenströme den Abgasrückführkühler schädigen und das Fahrzeugkühlsystem überlasten. Eine hohe Motorleistung stünde dann nur für eine begrenzte Zeit zur Verfügung, was auch sicherheitsrelevant sein kann.
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Abhängig von der Regelungsstrategie, der Detailausgestaltung und konstruktiver Randbedingungen sind Fahrzeuge bekannt, bei denen ein Ausfall des Abgasrückführventils, abhängig von individuell unterschiedlichen Betriebsstrategien, sogar zu einem unmittelbaren „Fahrzeugliegenbleiber“ geführt hat. Auf jeden Fall führt ein geöffnetes und nicht mehr schließfähiges Abgasrückführventil dazu, dass das Fahrzeugkühlsystem bei hohen Lasten die anfallende Kühlwärme nicht mehr abführen kann. Folgeschäden sind sehr wahrscheinlich. Ein Betrieb mit deutlich reduzierter Last wäre zwar realisierbar, kann aber, je nach Fahrsituation, sicherheitsrelevant sein. Zusätzlich ist an dieser Stelle auf das weitere Risiko der Eisbildung (siehe auch oben rechts: Abbildung 8-1) hinzuweisen. Auf jeden Fall finden in der gekühlten Abgasrückführstrecke Kondensationseffekte statt, die zu einem Ausfall von Wasser führen. Bei einem Gefrieren kann ein Bauteilversagen bis hin zu einem ggf. erheblichen Motorschaden die Folge sein. Insbesondere in der jahreszeitlichen Übergangszeit führt dies zu Herausforderungen, wenn im Fahrbetrieb große Wassermengen kondensieren und das Fahrzeug abgestellt wird. Vor allem über Nacht kann bei einem Temperatursturz ein komplettes Bauteilversagen bis zu einem kapitalen Motorschaden durch einen Pleuelwasserschlag die Folge sein, was nur in Kombination mit einer temperaturabhängigen Regelung vermieden werden kann. Zahlreiche deutschsprachige Forschungsstellen haben im Rahmen der Ausarbeitung dieser Studie bestätigt, dass sie für Fahrzeug- oder Komponentenhersteller ebenfalls Forschungsaktivitäten begleiten, um die Belagsbildungsthematik besser zu verstehen. Aus Vertraulichkeitsgründen wurden keine Details genannt, gleichwohl verdeutlicht dies den Stand der Wissenschaft, wonach trotz des heute verbesserten Kenntnisstands noch immer ein weiterer Erkenntnisgewinn wichtig ist. Ergänzend sei an dieser Stelle zudem nochmals auf die VO (EG) 692/2008 der EU-Kommission verwiesen, welche eine Prüfung der Dauerhaltbarkeit von emissionsbeeinflussenden Bauteilen bis zu einer Fahrzeugfahrleistung von 160.000 km einfordert. Zusammengefasst musst betont werden, dass die Missachtung der temperaturabhängigen Abgasrückführung zu plötzlichen, erheblichen Motorschäden und Risiken für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs führen kann. 8.2 Diskussion des unvorhersehbaren, auch durch Wartungsarbeiten nicht zu vermeidenden Schadensfalls bei einem Fahrzeugbetrieb außerhalb der abgesicherten Betriebsbedingungen Aus technischer Sicht ist generell bei der Vermeidung von Schadensmechanismen und im Speziellen bei der Belagsbildung eine Differenzierung erforderlich. Auch für die Belagsbildung und daraus folgenden Konsequenzen gilt wie bei der Vermeidung von Bauteilschäden, der Sicherstellung von Dichtheitsanforderungen, bei tribologischen Herausforderungen, Filtrationsfragestellungen und weiteren Entwicklungsherausforderungen, dass verschiedene Bauteilverhaltensmuster resultieren können. So kann auch die Belagsbildung zu Motor- oder Fahrzeugschäden führen, die sich durch regelmäßige Wartungsmaßnahmen verhindern lassen, als auch zu solchen Motorschäden, die sich durch regelmäßige Wartungsmaßnahmen nicht verhindern lassen. Das hat folgenden Hintergrund: Standardmäßig werden in der Fahrzeugindustrie alle Bauteile danach unterschieden, wie sie sich bei Betrieb innerhalb vorgegebener Betriebsbedingungen auf die Auslegungsgrenze, z.B. bei einer Laufleistung von mehreren 100.000 km, verhalten. Grundsätzlich erfahren alle Bauteile durch den
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Betrieb eine Schädigung, die sich während des Betriebs kumuliert und durch den Schädigungsgrad (siehe dazu Abbildung 8-2) abgebildet wird. Hierbei kann es (a) Bauteile geben, die bei definitionsgemäßem Betrieb (Schmierung, Spitzendruck der Verbrennung, Drehzahl, Betriebsverhalten ...) dauerhaft ausgelegt und haltbar sind, weil ihr Schädigungsgrad bei bestimmungsgemäßem und geplantem Betrieb nicht oder nur äußerst gering zunimmt. Sie würden bei Betrieb innerhalb der vorgegebenen Betriebsbedingungen sogar theoretisch eine unendliche Lebensdauer aufweisen, wenn die Dauerbelastungen genügend klein sind. In der Praxis ist eine vielfache Lebensdauer oberhalb des typischen Fahrzeuglebens oftmals gegeben. So können z.B. ein Kurbelgehäuse, eine Riemenscheibe oder eine Kurbelwelle theoretisch beliebig lange halten, wenn sie innerhalb der für sie geltenden Betriebsbedingungen betrieben werden. Die technische Auslegung dieser Bauteilgattung (a) ist exemplarisch in untenstehender Darstellung (Abbildung 8-2) in schwarz eingezeichnet. (b) Bauteile geben, die zeitfest ausgelegt sind, weil ihr Schädigungsgrad nur langsam zunimmt. Diese Bauteile erreichen ihr Lebensdauerende erst deutlich nach der Auslegungsgrenze des Fahrzeugs. So kann z.B. ein AGR-Ventil 300.000 km halten, wenn es innerhalb der für das Ventil geltenden Betriebsbedingungen betrieben wird (in der Graphik: orange Linie). (c) Bauteile geben, die aufgrund einer relativ raschen Steigerung des Schädigungsgrads im Betrieb zeitfest mit vordefinierten Wartungsintervallen ausgelegt sind, da sie z.B. einem typischen und vorhersehbaren Verschleißprozess unterliegen und deshalb einer regelmäßigen Wartung bedürfen. Hierunter fallen solche Bauteile, die ihr Lebensdauerende bei Betrieb innerhalb der vorgegebenen Betriebsbedingungen schon innerhalb der Auslegungsgrenze des Fahrzeugs erreichen. So werden z.B. Ölfilter, Zündkerzen, Luftfilter oder Zahnriemen in bestimmten Wartungsintervallen überprüft bzw. ersetzt (in der Graphik: grüne Linie). Wenn Bauteile, die dauerfest oder zeitfest ausgelegt sind, außerhalb der für sie geltenden Betriebsbedingungen, z.B. außerhalb von bestimmten Temperaturgrenzen betrieben werden oder wenn insbesondere die Bauteile außerhalb der Betriebsbedingungen (z.B. Schmierfilm, Bauteilgeometrie, Temperaturgrenzen, mechanische Belastung) arbeiten, weil die notwendigen Betriebsbedingungen durch die Randbedingungen (z.B. Außentemperatur) nicht sichergestellt werden können, so ändert sich das Verhalten der Bauteile deutlich, und es kommt zu einem steilen Anstieg des Schädigungsgrades, der nicht sicher vorhersehbar ist, weil er von weiteren Fahrbedingungen abhängt (z.B. Umgebungstemperatur, Luftdruck, Streckenprofil, Fahreigenschaften, Luftfeuchtigkeit, nicht vorhersehbare Einflussgrößen wie Sensorsignale, nicht geplante Steuergerätereaktionen, Überlagerungen mehrerer Einflussgrößen, etc.). Konkret sei als mögliches Beispiel das Verlacken des AGR-Ventils aufgeführt. Wird bei sehr niedrigen Temperaturen ein EURO5 Motor mit permanent voll geöffnetem AGR-Ventil betrieben, so würde nach einer überschaubaren Laufzeit das Abgasrückführventil versagen. Ein mögliches Fehlerbild ist dann ein Offenbleiben des AGR-Ventils ohne Möglichkeit, es wieder zu schließen. In Folge dessen würde bei einem nachfolgenden Motorbetrieb bei hohen Motorlasten ein deutlich zu großer Abgasmassenstrom durch das offenstehende AGR-Ventil strömen und deutlich zu hohe Wärmeströme in den AGR-Kühler und das Fahrzeugkühlsystem erwirken. Natürlich würden auch die Ansauglufttemperaturen deutlich zunehmen. Ein nicht mehr abgesicherter Betrieb mit sehr hohen lokalen Temperaturen deutlich außerhalb der Auslegungsbetriebsbedingungen ist die Folge eines ursprünglich nicht verantwortungsvollen Einsatzes eines voll geöffneten AGR-Ventils bei niedrigen Temperaturen. Ein hochlastiger Motorbetrieb (Bergfahrt, Anhängerbetrieb, schnellere
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Autobahnfahrt) könnte nun in Überlagerung von weiteren Einflüssen bei ungünstigen Betriebsbedingungen schnell zu einem Motorschaden oder Fahrzeugliegenbleiber mit Risiken für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs führen. Eine Schadenbehebung mit der EURO5 und EURO6 Technologie der ersten Generation wäre nur durch einen Bauteiltausch möglich. Bei dem Betrieb von Bauteilen außerhalb ihrer Betriebsbedingungen ist es deshalb nicht vorhersehbar und kalkulierbar, wann die Ausfallgrenze erreicht wird (in der Graphik unten: gepunktete grüne, orange und schwarze Linien: Schadenfälle S1 bis S7). Die Ausfallgrenze kann für den Fahrer plötzlich und unvorhersehbar überschritten werden. Deshalb kann in diesen Fällen auch eine regelmäßige Wartung den plötzlichen Schaden nicht verhindern. Denn die Schädigungen bei dem Betrieb von Bauteilen außerhalb ihrer Betriebsbedingungen nehmen unterschiedliche und unkalkulierbare Verläufe. Es könnten deshalb bei Missachtung der Betriebsbedingungen keine Wartungsintervalle bestimmt werden, durch die ein Schaden vermieden werden könnte. In einem Fall könnte der Schaden nach 800 km Fahrbetrieb, in einem anderen nach 3.000 km, in einem dritten nach 9.000 km eintreten. Auch dauerfeste Bauteile der Kategorie a können bei Vorliegen eines anderen Systemfehlverhaltens einen unverhofften, schnellen Schadenverlauf nehmen (S6, S7); hingegen sind sie bei Beachtung der bestimmungsgemäßen Randbedingungen unkritisch. Konkret können Bauteile der Kategorie a versagen (S6, S7), wenn die auslegungsgerecht ausgeführten Bauteile (z.B. Kurbelwelle) außerhalb ihrer Betriebsauslegungsgrenzen betrieben werden, was typischerweise durch ein Versagen benachbarter Teilsysteme passiert (z.B. Versagen der Ölfiltration mit nachfolgenden Schmutzpartikeln im Lagerspalt, Versagen der thermodynamischen Prozessführung mit dem Resultat von Verbrennungsanomalien und deutlich erhöhten Spitzendrücken, Versagen der Ölschmierung, Versagen der tribologischen Kolben-Zylinderwandinteraktion bis zum Kolbenfresser…).
Abbildung 8-2:
Betriebsverhalten bis zum Bauteilversagen beim Verlassen sicherer Betriebsbedingungen, exemplarische Veranschaulichung Quelle: eigene Darstellung
Natürlich können auch Bauteile der Kategorie c ebenfalls vorschnell und unvorhersehbar trotz eingeplanter Wartung versagen (S1, S2), wenn ein Betrieb außerhalb der Betriebsspezifikationen vorliegt.
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So erfolgt beispielsweise der Ausfall eines AGR-Ventils im Falle einer Nichtberücksichtigung der temperaturabhängigen Abgasrückführung unvorhersehbar. Das AGR-Ventil würde aufgrund Belagsbildung beeinträchtigt, dies kann relativ plötzlich passieren und irreparabel sein sowie nicht durch Wartung verhindert werden. Bei einem Betrieb eines AGR-Ventils außerhalb seiner Betriebsbedingungen ist nicht vorhersehbar, wann, in welcher Weise und in welchem Umfang Schadensmechanismen einsetzen, weil dies von den oben aufgeführten Randbedingungen in Summe abhängt (Streckenprofil, Fahreigenschaften, Vorschädigung etc.). Insbesondere zeigen die in Kapitel 4 aufgezeigten Mechanismen, welche vielschichtigen physikalisch-chemischen Prozesse Einfluss nehmen können. Dieser Umstand ist bei Personenkraftwagen besonders herausfordernd, da ein sehr großes Spektrum unterschiedlicher Betriebsweisen möglich ist. (z.B. ausgeprägter Kurzstreckenbetrieb bei niedrigen Außentemperaturen, häufiger Start-Stopp Betrieb, Schlechtkraftstoff, ungünstige Kombination aus Niedrig- und Hochlast, …). Generell muss betont werden, dass das Bauteilversagen eines außerhalb der Betriebsbedingungen betriebenen AGR-Ventils deshalb auch nicht durch Wartungsmaßnahmen vermieden werden kann. Dies betrifft insbesondere die Emissionsstufen EURO5 und EURO6b. Der Wissensaufbau der letzten Jahrzehnte und insbesondere der letzten 15 Jahre hat zu einem kontinuierlich erweiterten Betriebsbereich der Bauteile geführt. Sicherlich ist es wie bei allen Technologien so (Abgasturbolader, Einspritzsysteme, Air-Management, etc.), dass unstrittig durch, in der Realität nicht vollumfänglich vermeidbare, Feldausfälle als Konsequenz Erfahrungen und der Stand des Wissens aufgebaut und stückweise verbessert werden. Dies ist ein Kennzeichen jeder Entwicklung vom Entwicklungsstart zur Serieneinführung bis zum Serienende. Dabei gilt in einem für alle Hersteller verpflichtend qualitätsgesicherten Entwicklungsprozess ein strenges Freigabeprinzip für Komponentenspezifikationen und Einstellparameter, das umfangreiche Testprogramme erfordert. Damit wird sichergestellt, dass die einzelnen Komponenten und das Gesamtsystem innerhalb der sicheren Betriebsbedingungen betrieben werden. Nur unter dieser Voraussetzung ist es möglich, Wartungsanforderungen, z.B. Wartungsintervalle, zu definieren. Der Umkehrschluss ist technisch zwingend. Werden diese geprüften und freigegebenen Bedingungen nicht eingehalten, treten unvorhersehbare Effekte und Schadensakkumulationen auf. Wenn also AGR-Ventile nach dem zum Zeitpunkt der Typgenehmigungen jeweils maßgeblichen – und damit über die Jahre unterschiedlichen – Stand der Technik nur in bestimmten (engen oder weiten) Temperaturbereichen betrieben werden können, so kann ein Betrieb außerhalb dieser Betriebsbedingungen zu plötzlichen und irreparablen Motorschäden führen, die sich durch regelmäßige Wartungsmaßnahmen nicht verhindern lassen. Wie also im Kapitel 7 bereits ausgeführt wurde, erfolgt die Absicherung des Fahrzeugstandes während des Entwicklungsprozesses in der Art, dass daraus bei einem gewöhnlichen und vorhersehbaren Betrieb mit regelmäßiger Wartung beherrschbare Feldherausforderungen resultieren. Dieser Betrieb mit einem beherrschbaren Verhalten der Fahrzeuge in Kundenhand ist technisch nur dann möglich, wenn alle Komponenten in ihren abgesicherten und freigegebenen Spezifikationen, also innerhalb der Auslegungsbetriebsbedingungen, betrieben werden. 8.3 Diskussion der temperaturabhängigen AGR-Regelung am Beispiel des Dieselpartikelfilters Die technische Diskussion der Regelung des Abgasrückführventils muss zwingend im Kontext betroffener weiterer technischer Teilsysteme geführt werden. Durch das Abgasrückführventil wer-
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den wiederum beispielsweise der Abgasrückführkühler, das Fahrzeugkühlsystem, der Abgasturbolader, die motorische Verbrennung mit samt vielschichtiger Einflüsse (Bauteiltemperatur, Emissionszusammensetzung, etc.) oder die Abgasnachbehandlung in ihrem Betrieb teilweise signifikant beeinflusst. Eintritt Abgase
Abbildung 8-3:
Austritt Abgase
Funktionsweise des wallflow Partikelfilters mit poröser Wandstruktur und Oberflächenfiltration, C-Ansammlung in den Partikelfilterkanälen exemplarische Veranschaulichung Quelle: (Koch, 2018)
Eine der größten Herausforderungen der 2000er Jahre, die bis heute anhält, ist die Realisierung des betriebssicheren, stabilen Betriebs des Partikelfilters unter allen auftretenden Betriebszuständen. Der Dieselpartikelfilter ist ein diskontinuierlich arbeitendes Bauteil mit der Aufgabe, die partikelförmigen Abgasbestandteile aller Größenklassen im Abgas durch Oberflächenfiltration zu filtrieren.
Abbildung 8-4:
Betriebsverhalten des Partikelfilters: Rußbeladung und Rußabbau Exemplarische Darstellung des Nutzens hoher NO2 Konzentration und niedrigere Partikel-Emissionen (PM) Quelle: (Dittler, 2014)
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Es finden sich in der Literatur zahlreiche Beispiele der Betriebsweise. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf (Koch, 2018) hingewiesen. Abbildung 8-3 zeigt die prinzipielle Funktionsweise eines Partikelfilters. Die größte Herausforderung ergibt sich zwangsläufig aus der Funktion der Filtration des Kohlenstoffs (Ruß). Dieser muss nach der Filtration und Anlagerung zeitweise oder kontinuierlich verbrannt werden, um eine zu große Partikelbeladung zu vermeiden (siehe Abbildung 8-4). Die Folge einer zu großen Ruß- beziehungsweise Partikelbeladung ist der unkontrollierte und unbedingt zu vermeidende Durchbrand des Partikelfilters (Abbildung 8-5). Bei diesem Durchbrand können auch stromabwärts angebrachte Komponenten zerstört werden (z.B. SCR-Katalysator). In Abbildung 8-5 ist ein Rußpartikelfilter aus Cordierit zu sehen, der bei einer Regeneration thermisch zerstört wurde.
Abbildung 8-5:
Folgen einer unerwünschten Partikelfilterregeneration DPF-Durchbrand Quelle: (Gaertner, et al., 2013)
Während des Betriebs wurde der in Abbildung 8-5 dargestellte Partikelfilter mit deutlich mehr als der typischen Beladungsgrenze von circa 5 Gramm Ruß pro Liter Filtervolumen beladen. Die nachfolgende Regeneration des DPF führte zur Überhitzung durch lokale Spitzentemperaturen deutlich oberhalb von 800°C und dadurch zu einem Bruch des Filtermaterials. Es können lokale Spitzentemperaturen deutlich oberhalb von 1000°C gemessen werden. Die Kohlenstoffbeladung ist danach vollständig abgebrannt, der Filter ist „weiß“, jedoch auch zerstört. Dieser Zustand der Bauteilschädigung ist unbedingt zu vermeiden. Im ungünstigsten Ablauf sind sogar Brandentwicklungen nicht auszuschließen, weshalb ein großer Aufwand bei der Absicherung des Partikelfilters betrieben werden muss. Neben der Vermeidung des Partikelfilterversagens, welches zudem zu einer deutlichen Reduzierung der Abscheideleistung des Filters führt und per se nicht toleriert werden kann, ist also darüber hinaus ein weiterführender Schaden unbedingt zu vermeiden. Diese Vermeidung einer unkontrol-
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lierten Brandentwicklung war eine wichtige Fragestellung bei der Einführung des vom Gesetzgeber zwingend mit EURO5 eingeforderten DPF. Die Gefahrenbewertung ging hierbei deutlich über das reine Bauteilversagen oder den sicheren Betrieb des Fahrzeuges hinaus. Kritische Betriebszustände können ein Brand in einem Tunnel, in einer Tiefgarage oder beim Betanken sein. Dieses Gefahrenpotential bei einer Überlagerung unglücklicher Randbedingungen zeigt sich beispielsweise beim „Monastry Fire“ im Jahr 2011, als ein Nutzfahrzeug mit einem nachgerüsteten DPF durch eine unerwünschte, zusätzliche Anreicherung mit Kohlenwasserstoffen in der Konsequenz einen schwerwiegenden Folgeschaden verursacht hat (Abbildung 8-6).
Abbildung 8-6:
Monastry Fire, State Washington, USA, September 2011 Flächenbrand: 3500 acres – ca. 1400 ha, 29 Wohngebäude & 71 weitere Gebäude, Sachschaden: $ 5.4 Millionen 721 Feuerwehrleute im Einsatz, 11 tägige Löscharbeiten Ursache: Abgasturboladerschaden am Fahrzeug Entzündung der Beladung des (nachgerüsteten) Partikelfilters Schmelzen des intermetallischen Filters, Brandursache: glühende Partikel setzen Gras in Brand Quelle: (Dittler, 2018)
Durch eine unglückliche Überlagerung mehrerer auch unerwünschter Folgeeffekte sind Bauteiltemperaturen bis weit oberhalb von 600°C möglich, weshalb Teilsysteme an ihre thermische Auslegungsgrenze und sehr schnell darüber gelangen können. Intensivste jahrelange Feldabsicherungen erfolgten deshalb bereits in den 2000er Jahren vor dem Serienstart, Rußbeladungsmodelle der Partikelfilter wurden mit großem Aufwand entwickelt und sukzessive bis heute verfeinert. Trotzdem konnte niemand trotz umfangreicher Vermeidungsaktivitäten und zudem nicht mit dem Wissensstand der 2000er Jahre vollumfänglich ausschließen,
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dass sich im Betrieb durch eine Überlagerung ungünstiger Randbedingungen ein Bauteilschaden, wenn nicht im „worst case“ sogar ein Brandfall, einstellt. Besonders kritisch ist der Betriebszustand des Leerlaufs oder des langsamen Schubbetriebes des Fahrzeuges unmittelbar nach dem Zünden des Partikelfilters (drop-to-idle, drop-to-push). Der hohe Sauerstoffpartialdruck im Abgas in Kombination mit einer niedrigen Strömungsgeschwindigkeit führt zu hohen lokalen Temperaturen. Dieser Betriebszustand kann generell nie ausgeschlossen werden, da langsame Fahrzeugfahrt bis zum Stillstand häufig auftreten. Einen Einfluss auf den zu vermeidenden, unkontrollierten Durchbrand des Partikelfilter haben insbesondere: • • • •
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Rußemissionen (positiv sind niedrige Rußemissionen durch Schließen des AGR- Ventils bei niedrigen Temperaturen mit einer niedrigeren AGR-Rate) NOx-Emissionen (positiv sind hohe NOx-Emissionen durch Schließen des AGR-Ventils bei niedrigen Temperaturen mit einer niedrigeren AGR-Rate) HC-Emissionen (positiv sind niedrige HC-Emissionen durch Schließen des AGR-Ventils mit einer niedrigeren AGR-Rate) Raumgeschwindigkeit, Abgastemperatur und weitere Abgaszusammensetzung (insbesondere Abgassauerstoffanteil) als Funktion von o Fahrstreckenprofil o Fahrerverhalten Ascheemissionen und Ascheeinlagerungsverhalten, beziehungsweise Ölverbrauch DPF Auslegung (Kanalstärke, Wanddicke, Geometrie) Sauerstoffkonzentration im Abgas Luftfeuchte Außentemperatur Alterungszustand der Oxidationskatalysatoren Öleigenschaften (Formulierung, Additive) Baumusterstand Anströmverhalten und Einbausituation Qualität der Differenzdrucksensierung Qualität der Luftmassenmodellierng etc.
In einer Überlagerung ungünstiger Randbedingungen, insbesondere bei Vorliegen eines nicht identifizierten Bauteilversagens wie einer geringen Ölleckage (z.B. Ventilschaftabdichtung, Kolbenring, Kurbelgehäuseentlüftung, Abgasturbolader) kann also in Kombination mit einem ungünstigen Fahrprofil, beispielsweise mit lange anhaltenden geringen Fahrzeuglasten, niedrigen Außentemperaturen und häufigerem Stillstand ein ungünstiger Gesamtbetriebszustand mit einer signifikanten Zunahme der Gefahr des unerwünschten Rußabbrandes die Folge sein. Die wichtigste Maßnahme zur Vermeidung erhöhter Rußbeladungen im Partikelfilter und zur Sicherstellung des sicheren Fahrzeugbetriebes war deshalb die temperaturabhängige Erhöhung des NOx / Rußverhältnisses, also die Anhebung der NOx Emissionen bei gleichzeitiger Reduzierung der Ruß-Emissionen im realen Fahrbetrieb in Abhängigkeit (u.a.) von der Temperatur. Dieser CRT-Effekt (continuously regenerating trap, auch: passive DPF-Regeneration) war seit den 1990er Jahren bekannt und zudem den Behörden, die mit der Fahrzeugzulassung beschäftigt waren, ebenfalls geläufig. Die Erhöhung der NOx-Emissionen und Reduzierung der Rußemissionen
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im Rahmen des Möglichen wurde im realen Fahrbetrieb von allen den Autoren bekannten Datensätzen vorgenommen, war Gegenstand wissenschaftlicher Publikationen und zudem bis in die 2010er Jahre und insbesondere in den 2000er Jahren weltweit Stand der Technik (Abbildung 8-7).
Abbildung 8-7:
Publikation von 2007 zur passiven Regeneration und zur Wichtigkeit hoher NO2 Konzentration im Abgas beim Einsatz von Partikelfiltern Quelle: (Koch & Gaertner, 2007)
So ist auch in dieser Publikation aus dem Jahr 2007 explizit aufgeführt, dass für den Betrieb von Dieselpartikelfiltern folgende Aussagen Gültigkeit haben. ▪
Niedrige Stickoxidrohemissionen erschweren die Realisierung von (benötigten) NOx/PM Massenverhältnissen >20.
▪
Auch in Verbindung mit einem DPF ist die Entwicklung eines Brennverfahrens mit minimalen Rußemissionen im stationären und transienten Betrieb von entscheidender Bedeutung (eine geringe Rußkonzentration und eine möglichst hohe NO2 Konzentration im Abgas sind anzustreben).
Diese Erhöhung der NOx-Emissionen und gleichzeitige Reduzierung der Rußemissionen erfolgte durch ein Schließen des Abgasrückführventils, insbesondere bei niedrigen Außentemperaturen, denn bei niedrigen Abgastemperaturen ist ein höheres NO2/PM Verhältnis vonnöten und war gängige Praxis, technisch vor allem bei dem EURO5 Hardwareentwicklungsstand notwendig und in Fachkreisen bekannt.
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Zunahme des benötigten NOx/PM Verhältnisses im Abgas bei niedrigeren Abgas-/Außentemperaturen
Abbildung 8-8:
Abhängigkeit der Betriebsstrategie von der Abgastemperatur und dem NOx/PM Verhältnis im Rohabgas. Rote und grüne Linie zeigen unterschiedliche Auslegungen des Oxidationskatalysators, Zusätzliche in blau ergänzte Erläuterungen, Koch Quelle: (Dittler, 2014)
So zeigt die grundlegende Darstellung in Abbildung 8-8, dass bei kälteren Abgastemperaturen eine Zunahme des NOx/PM Verhältnis anzustreben ist. Bei einem Betrieb im rot hinterlegten Bereich links im Diagramm belädt sich der Partikelfilter schnell. Bei einem Betrieb im weiß hinterlegten Bereich rechts ist eine langsame Rußbeladung des Partikelfilters die Folge. Die Details der Umsetzung der Applikation unterscheiden sich bei den Herstellern. Die generelle Notwendigkeit möglichst hoher NOx/Ruß Abgaskonzentrationen im Realbetrieb zur Sicherstellung eines realen Fahrbetriebs war jedoch gegeben. Die technische Alternative der späteren Einspritzlage zur NOx-Reduzierung hätte einen deutlich erhöhten Verbrauch (je nach NOx-Reduzierung bis oberhalb von 20%) zur Folge und zudem eine sicherheitsrelevante Herausforderung aufgrund erhöhter Rußemissionen bedeutet. Dies war daher kein gangbarer Weg. Generell war nun schon seit den 1980er Jahren unmittelbar mit der Materie vertrauten Ingenieuren bekannt, dass sich das Abbrandverhalten des Partikelfilters deutlich im Betrieb ändern kann. Insbesondere war zu diesem Zeitpunkt intensiv mit der Materie vertrauten Ingenieuren bekannt, dass die Gründe für das unterschiedliche Abbrandverhalten nicht verstanden sind. Dies ist noch heute Gegenstand von wissenschaftlichen Arbeiten und noch immer nicht umfassend geklärt. Gleichwohl konnte in den letzten 15 Jahren wertvolles Wissen zum Verständnisaufbau generiert werden. So verdichteten sich mit Verbreitung der DPF-Systeme Mitte der 2000er Jahre die Forschungsaktivitäten mit dem Ziel, das Rußoxidationsverhalten im Partikelfilter genauer zu analysieren. Ende der 2000er Jahre häuften sich erste Publikationen, die vor allem die obenstehend erläuterte und seit den 1990-Jahren prinzipiell bekannte CRT Reaktion der gewünschten Oxidation des Rußes im
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Partikelfilter mit NOx eingehender und präziser beschrieben (Reichert, et al., 2008) (Reichert, et al., 2008). Hauptaugenmerk war hierbei zunächst auf dem Erkenntnisgewinn, bei welchen Temperaturen überhaupt eine Oxidation stattfindet, welche Einflussfaktoren einwirken und insbesondere, wie die Abgaszusammensetzung und Abgastemperatur den Rußabbrand die Oxidation beeinflusst.
Abbildung 8-9:
Publikation von 2009 mit ersten Ergebnissen zum präzisen Rußabbrandverhalten und zur Wichtigkeit hoher NO2 Konzentration im Abgas beim Einsatz von Partikelfiltern Quelle: (Reichert, et al., 2008), (Reichert, et al., 2008)
So berichteten Reichert et. al. Ende der 2000er Jahre, bei welchen Temperaturen eine Zunahme der Rußreaktivität vorliegt und insbesondere analysierten Sie, bei welchen Temperaturen der Rußabbrand insbesondere in Wechselwirkung mit den vorliegenden Stickstoffoxidemissionen interagiert (siehe Abbildung 8-9). Unbekannt blieben jedoch die Beeinflussung und Abhängigkeiten des Rußverhaltens vom motorischen Betrieb [siehe auch (Saner, et al., 2009)]. Nachfolgende wissenschaftliche Grundlagenarbeiten wurden initiiert und mündeten in zahlreiche Publikationen, die allesamt erst Mitte der 2010er Jahre zum allgemeinen Stand des Wissens gehörten. Weiterführende Analysen zum Verständnisaufbau des Rußabbrandes, insbesondere der Abhängigkeiten der entscheidenden Reaktivität des Rußes von Einflussfaktoren und Maßnahmen zur Verbesserung sind schwerpunktmäßig in den 2010er Jahre publiziert. Wichtige Arbeiten wurden hierbei von Lindner in einer bis dato nicht bekannten Vielschichtigkeit im Jahr 2015 veröffentlicht (siehe Abbildung 8-10). Die Arbeiten von Lindner wurden beispielsweise initiiert, nachdem ein einfacher Wechsel des Entwicklungsbaumusterstandes der Einspritzinjektoren zu einem neuen Partikelfilterabbrandverhalten mit bislang nicht beobachteten, unerwünschten Temperaturüberschreitungen beim Rußabbrand inklusive Bauteilschäden führten. So zeigte Lindner erstmalig präziser, wie Betriebseinflüsse und Baumusterwechsel einen Einfluss auf die Rußreaktivität ausüben. Gleichwohl sind noch immer zahlreiche Fragen ungeklärt, insbesondere die generelle Übertragbarkeit ist nicht zwangsläufig gegeben, Abhängigkeiten von Kraftstoffzusammensetzungen, Brennverfahrensdetails oder der Betriebsstrategie sind noch immer eindrücklich und nicht umfänglich verstanden.
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Abbildung 8-10:
Beispiele des Einflusses motorischer Betriebsgrößen auf die Rußreaktivität (CO2 Emission als Maß der Reaktivität über T) Quelle: (Lindner, et al., 2015)
Insgesamt konnte gegen Mitte der 2010er Jahre ein umfassenderes, aber keineswegs vollständiges Bild gewonnen werden, welche Prozessgrößen überhaupt einen Einfluss auf die Rußreaktivität ausüben. Wissenschaftliche Erkenntnisse können aufgrund der Komplexität und Vielschichtigkeit auch hier trotz großer Anstrengungen nur Teilaspekte aufzeigen, entsprechend ist für Serienanwendungen große Sorgfalt und Vorsicht geboten. Der sichere Betrieb des Partikelfilters unter allen Betriebszuständen war und ist eine Herausforderung. Erhöhte NO2 Konzentrationen im Abgas sind wesentlich gewesen, um einen sicheren Betrieb zu ermöglichen. Dies wurde mit einem Schließen des AGR-Ventils erreicht. Der Wissens- und der Verständnisaufbau sind noch immer nicht abgeschlossen, gleichwohl wurden im Verlauf der letzten 10 Jahre wichtige Erkenntnisse gewonnen.
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Es ist in der Wissenschaft unstrittig, dass ein sicherer Betrieb des Partikelfilters und aller Teilsysteme bedingt, dass alle in Wechselwirkung stehenden Teilsysteme innerhalb ihrer Spezifikationen und Betriebsbedingungen betrieben werden. Dies gilt in besonderem Maß für das in der Motorsteuerung hinterlegte Beladungsmodell für den Partikelfilter, dessen Funktion unbedingt für eine sichere Regeneration erforderlich ist. Wird nun das AGR-System außerhalb der sicheren Betriebsbedingungen betrieben, z.B. durch eine zu hohe AGR Rate bei niedrigen Temperaturen, können diese Beladungsmodelle versagen beziehungsweise zu hohe Rußbeladungen des Partikelfilters nicht mehr vermieden werden mit dem oben genannten Schadensrisiko. Die Schwere einer möglichen Beeinträchtigung des Partikelfilters bei einer Überlagerung von ungünstigen Randbedingungen mit dem Wissenstand von 2009 hängt von vielen Randbedingungen ab. Das bei EURO5 flächendeckend verwendete SIC- DPF (Silizium-Carbid) Substrat war bereits die bestmögliche Entwicklung und setzte sich gegen weniger temperaturstabile Cordierith Substrate als DPF Technologie durch. Trotzdem sind zahlreiche Feldausfälle aufgrund hoher thermischer Spannungen mit dem damaligen EURO5 Technologiestand der Rußbeladungsmodelle zu verzeichnen gewesen. Vollkommen unabhängig von der Qualität der OnBoard Diagnose, welche mögliche Schädigungen erst nach einer Schädigung und mit immer vorhandenen Restunsicherheiten detektieren kann, wäre auf jeden Fall bei zu hohen Rußbeladungen das Risiko gegeben, auch nach kürzerer Laufleistung eine plötzliche, irreversible Schädigung des DPF bei permanent geöffnetem AGR-Ventil (unabhängig von der Temperatur) zu erfahren. Abbildung 8-11 zeigt einen unerwarteten, plötzlichen Fahrzeugbrand, der gemäß vorliegendem Informationsstand durch einen thermisch nicht kontrollierten Abbrand des DPF verursacht wurde. Die Fahrzeugapplikation beinhaltete selbstverständlich Thermofenster. Trotzdem ist in diesem Fall durch die Überlagerung kritischer Randbedingungen ein Betrieb außerhalb der Absicherungsbedingungen generiert worden, der zu diesem plötzlichen, schwerwiegenden Fahrzeugtotalschaden führte. Bei Missachtung der temperaturabhängigen Abgasrückführung steigt dieses Risiko gegebenenfalls signifikant.
Abbildung 8-11:
Beispiel eines plötzlichen und unerwarteten Versagens des Partikelfilters bei einem EURO6 Dieselfahrzeug Quelle: Fotos privat, zur Veröffentlichung freigegeben, 2019
Das temperaturabhängige Schließen des Abgasrückführventils war deshalb eine wichtige, lebensnotwendige Maßnahme, die der Technologie des DPF zum flächendeckenden sicheren Betrieb verholfen hat. Trotz umfangreicher Entwicklungsanstrengungen sind jedoch bei einer Überlagerung mehrerer kritischer Randbedingungen weiterhin Betriebszustände möglich, die nicht abgesichert werden können. Diese Wahrscheinlichkeit ist in den letzten 20 Jahren durch fortlaufende weitere technische Erkenntnisse signifikant reduziert worden.
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Ergänzend und abschließend muss insbesondere im Kontext der Partikelfilterentwicklung ein weiteres Element berücksichtigt werden. Der Aufbau eines Abgasnachbehandlungsprototypen dauert ein halbes Jahr, eine Weiterentwicklung hin zu einem Technologiefortschritt mindestens ein zusätzliches Jahr, der Aufbau einer Serienproduktion der Abgasnachbehandlung 2 Jahre. Der Gesetzgeber hat jedoch nur 2 Jahre zwischen Gesetzveröffentlichung 2007 und Serienstart 2009 der Entwicklung zugestanden. Die Technologiedefinition der Fahrzeuge musste 2004, spätestens 2005 ohne präzise Kenntnis des Gesetzes erfolgen. Unterschiedliche Technologien mussten in Unkenntnis der endgültigen Gesetzentwicklung vorbereitet und parallel entwickelt werden. Eine angemessene Entwicklungszeit stand nicht zur Verfügung, was kritisiert werden muss. Die zu leistenden Umfänge und die zur Verfügung stehende Zeit zwischen einzelnen Emissionsstufen und insbesondere zwischen Veröffentlichung des Gesetzes und Serienstart waren nicht in Einklang. Vor diesem Hintergrund sind bei der vorhandenen Komplexität unter der Perspektive der Entwicklungsprozessbelastbarkeit die erzielten Reifegrade, die Gesamtperformance und die Ausfallhäufigkeit der EURO5 Systeme in Summe als eindrückliche Gesamtleistung zu bewerten. Die heute bei EURO6d verwendete Technologie ist nicht ansatzweise mit der EURO5 Technologie vergleichbar, sondern intensiv weiterentwickelt (Hardware Motor, Hardware Abgasnachbehandlung, Software, Sensorik, leistungsfähigere Prozessoren in Steuergeräten, umfangreiche Felderfahrungen). Aber auch diese EURO6d Technologie heute weist noch Thermofenster aus gutem Grund aus, die, wenn sie nicht beachtet würden, ebenfalls zu unvorhersehbaren und ggf. erheblichen, auch sicherheitsrelevanten Motorschäden führen würden. Aufgrund der Ausweitung des Temperaturbereichs in der bei EURO6d verwendeten Technologie haben diese aber nur noch einen marginalen Einfluss auf die NO2-Immissionen. 8.4 Generelle Diskussion des Einflusses von Applikationsänderungen insbesondere für die Emissionsstufe EURO5 Generell ist die Aussage entscheidend, dass jede Änderung der Betriebsweise des Dieselmotors unweigerlich eine Änderung fast aller charakteristischer Motorgrößen (Temperaturen, Drücke, Massenströme, Emissionszusammensetzung, Verschleiß, …) bewirkt. Aufgrund der Vielzahl und der Wechselwirkungen ruft eine Änderung der Betriebsweise (z.B. Schließen des Abgasrückführventils, Öffnen des VTG-Stellers der Abgasturbine, Erhöhung des Einspritzdruckes) typischerweise fast immer positive und negative Effekte hervor, je nach Betrachtung der Zielgröße. Am Beispiel der sehr einfachen zweidimensionalen Variation von Abgasrückführrate und LuftKraftstoffverhältnis, die an einem Dieselmotor durch die Stellung des Abgasrückführventils und der Abgasturbinenansteuerung (z.B. VTG-Position oder Wastegate Position) eingestellt werden, zeigt Abbildung 8-12 die gegenläufigen Auswirkungen auf. Für eine Reduzierung der Rußemissionen müsste exakt gegensätzlich zu einer Reduzierung der NOx-Emissionen operiert werden. So steht prinzipiell jeder Maßnahme einem positiven Effekt auch ein negativer Effekt entgegen. Die dieselmotorische Applikation ist also immer das Ergebnis einer vieldimensionalen Optimierung. Exakt diese Herausforderung der vieldimensionalen Optimierung war Gegenstand der dieselmotorischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre, jeweils unter Beibehaltung des dieselmotortypischen CO2-Vorteils.
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Abbildung 8-12:
Beispiele des Einflusses motorischer Stellgrößen auf das Betriebsverhalten, siehe hierzu NO2/Ruß(PM) Bedarf von Abbildung 8-8 Quelle: (Koch & Gaertner, 2008)
Zusammenfassung 8.: Risiken für Motorschäden und sicheren Betrieb des Fahrzeuges Es war in den 2000er Jahren allgemein bekannt, dass die Missachtung der temperaturabhängigen Abgasrückführung zu plötzlichen, erheblichen Motorschäden und Risiken für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs führen kann. Denn Verlackungsvorgänge, deren Verlauf von den jeweils unterschiedlichen Umgebungsbedingungen und Fahrprofilen abhängen und sehr unterschiedlich sind, können unvorhersehbar zu einem nicht mehr korrekt schließenden Abgasrückführventil führen, womit plötzlich eine deutlich reduzierte Beschleunigungsfähigkeit des Fahrzeugs vorliegt, was als schwerwiegend und sicherheitsrelevant eingestuft und vermieden werden muss. Darüber hinaus forderte der Gesetzgeber einen Zuverlässigkeitsnachweis der Betriebstauglichkeit beispielsweise von Abgasrückführventilen bis zu einer Laufleistung von 160.000 km, was ein Schließen des Abgasrückführventils und damit eine temperaturabhängige Regelungsstrategie, also ein „Thermofenster“ bei niedrigen Temperaturen zwangsläufig bedingte, um einen plötzlichen Systemausfall mit Folgerisiken für einen sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu vermeiden.
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Der jederzeit sicher beherrschbare und vorhersehbare Betrieb des Abgasrückführventils oder des Partikelfilters war mit einem NOx-Emissionsniveau der EURO5 Zertifizierung unter allen sonstigen auftretenden Betriebszuständen nicht darstellbar! Temperaturabhängige NOx-Emissionsanhebungen als Konsequenz der Sicherstellung eines auch unter ungünstigen Randbedingungen sicheren Fahrzeugbetriebs waren unabdingbar. Das Schließen des Abgasrückführventils war insbesondere bei einer Überlagerung ungünstiger aber realistischer Betriebsrandbedingungen eine wichtige Maßnahme zur Reduzierung kritischer thermischer Spannungen im DPF, was der Technologie des DPF zum flächendeckenden sicheren Betrieb mit akzeptablen Ausfallraten verholfen hat. Insbesondere war die Maßnahme unabdingbar, um einen sicheren Betrieb des Fahrzeugs innerhalb der absicherungsfähigen Betriebsbedingungen zu gewährleisten. Generell ist die vom Gesetzgeber zugebilligte Entwicklungszeit von 2 Jahren (Veröffentlichung 2007, Serienstart 2009) nicht akzeptabel für eine abgesicherte Serienentwicklung gewesen, die im Optimalfall rund 5 Jahre in Anspruch nimmt. Die heute bei EURO6d verwendete Technologie ist nicht ansatzweise mit der EURO5 Technologie vergleichbar, sondern intensiv weiterentwickelt (Hardware Motor, Hardware Abgasnachbehandlung, Software, Sensorik, leistungsfähigere Prozessoren in Steuergeräten mit höherer Speicherkapazität, umfangreiche Felderfahrungen). Aber auch diese Technologie heute weist noch Thermofenster aus gutem Grund aus, die, wenn sie nicht beachtet würden, ebenfalls zu unvorhersehbaren und ggf. erheblichen, auch sicherheitsrelevanten Motorschäden führen würden. Aufgrund der Ausweitung des Temperaturbereichs in der bei EURO6d verwendeten Technologie haben diese aber nur noch einen marginalen Einfluss auf die NO2-Immissionen.
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9. Regulatorische Vorgaben zur Notwendigkeit einer temperaturabhängigen NOx-Emissionsregelung Es besteht in Teilen eine erhebliche Diskrepanz zwischen einzelnen juristischen Bewertungen von Fahrzeuglösungen, welche die Existenz von temperaturabhängigen Regelungen für nicht zulässig halten, auf der einen Seite und auf der anderen Seite der technischen Bewertung der Realisierbarkeit einer unter allen Randbedingungen (Robustheit, Emissionsverhalten, Entwicklungsrisiko, Risiken für Motorschäden und sicheren Betrieb des Fahrzeugs etc.) zu betrachtenden, verantwortungsvollen Entwicklung einer gesamten EURO5 Flotte im gegebenen Entwicklungszeitraum mit einem konstruktionsseitigen Schwerpunkt bis zur Designfestlegung 2004-2005 und der nachgelagerten Applikations- und Absicherungsphase bis 2009. Diese Diskrepanz betrifft nicht das grundsätzliche Verbot unzulässiger Abschalteinrichtungen. Es betrifft aber die Frage, ob Abschalteinrichtungen wie beispielsweise eine temperaturabhängige Reglung des AGR-Systems, also ein „Thermofenster“, in AGR-Systemen notwendig sind, um den Motor vor Beschädigung zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Dies zu beachten bleibt Teil der technischen Bewertung, dass die generelle temperaturabhängige Softwarestruktur im Kern verantwortungsvoll und jeweils gemäß dem Stand der bestverfügbaren Technik aufgebaut ist. Ferner betrifft die technische Bewertung auch die aufgrund des Erkenntnisfortschrittes erfolgte Überarbeitung vieler Fahrzeuglösungen durch Darstellung eines besseren Kompromisses insbesondere zwischen Fahrzeugverbrauch, NOx-Emissionen und Partikelfilterregenerationshäufigkeit. Auch der Gesetzgeber hat ausdrücklich diese technischen Fakten und Sachverhalte anerkannt, indem er Emissionsgrenzwerte temperaturabhängig festgelegt hat: Mit der Einführung der modernsten EURO6d Gesetzgebung im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber in Kombination mit einem neuen WLTP-Fahrzyklus und darüber hinaus mit der Einführung von RDE-Realfeldemissionsmessungen der Fahrzeugflotte (RDE: real driving emission – Realemissionsmessung mit Hilfe einer mobilen Messeinrichtung PEMS: portable emission measurement system) eine weitere deutliche Reduzierung der NOx-Emissionen erwirkt. Die EURO6d Gesetzgebung kann allgemein als sehr anspruchsvoll und zugleich in Summe als sehr vernünftig und als sehr wertvolle Leistung der gesetzgebenden Instanz betrachtet werden. Die EURO6d Gesetzgebung trägt einerseits der Weiterentwicklung des Standes von Wissenschaft und Technik Rechnung, andererseits werden unabweisbare physikalische Grenzen berücksichtigt. Typischerweise kommt bei modernsten Dieselfahrzeugen eine Kombination einer gekühlten und einer ungekühlten Hochdruck-Abgasrückführung mit einer Niederdruckabgasrückführung und einer typischerweise meistens zweistufig ausgeführten NOx-Abgasnachbehandlung, wiederum typischerweise mit einem SCR-Partikelfiltermodul der neuesten zweiten Generation, zum Einsatz. Dieses Technologiegesamtpaket war im letzten Jahrzehnt intensiver Gegenstand der Forschung und Entwicklung und ist seit ca. 2016 in den modernsten Dieselfahrzeugen eingeführt worden. Gleichwohl hat der Gesetzgeber auch bei der aktuell modernsten Gesetzgebung differenziert und temperaturabhängig unterschiedliche Realemissionsgrenzwerte eingeführt (Tabelle 1).
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Koch et al., Wissenschaftliche Analyse zum Einsatz temperaturabhängiger Emissionsregelungen von Dieselmotoren, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61877-6_9
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Emissionslimit bei Feldüberprüfungen EURO6dtemp (EURO6dfinal) Außentemperaturen 3° (0°C) bis 30°C
Emissionslimit bei Feldüberprüfungen EURO6dtemp (EURO6dfinal) Außentemperaturen -2° (-7°C) bis 3° (0°C) oder 30°C bis 35°C Gestattung erhöhter NOx Emissionen bei Abweichung der Außentemperatur
168 (80 zzgl. Messtoleranz) mg / km
Tabelle 1:
bei niedrigen [-2°C (-7°C) bis 3°C (0°C) ] oder erhöhten Außentemperaturen [30°C35°C] werden NOx-Messwerte durch Faktor 1,6 dividiert
NOx-Emissionslimit für Realfahrten (PEMS) am Beispiel EURO6d Anmerkung: Messtoleranz (Genauigkeit von PEMS-Messungen) betrug ursprünglich 40 mg/km und ist für EURO6dfinal auf 34 mg/km (Herleitung: CF * Grenzwert = 0,43 * 80 mg/km) reduziert worden
Die modernen Anforderungen sind selbstverständlich nicht mit dem Stand von Wissenschaft und Technik während der Entwicklung von EURO5 Fahrzeugen mit einer Designfestlegung im Zeitfenster um 2004-2005 vergleichbar, sondern können heute durch weiterführende Kenntnisse sowohl der konstruktiven als auch der applikationsspezifischen Umsetzung weit darüber hinaus gehen. Dennoch sind auch mit der heutigen modernsten Technologie grundsätzlich temperaturabhängige Regelungsalgorithmen notwendig, um den physikalisch-chemischen Randbedingungen Rechnung zu tragen. Der Gesetzgeber hat für die modernsten aktuellen Systeme nach EURO6d Standard die Grenzwerte für die Bereiche über und unter 0°C unterschiedlich definiert, nämlich höhere Grenzwerte für den niedrigen (zwischen -7° bis 0° ) und den hohen Temperaturbereich (30°C bis 35°C) festgelegt, als für den Temperaturbereich zwischen 0°C und 30°C (bei EURO6d). Zwar ist insgesamt der Temperaturbereich, in dem die volle Leistungsfähigkeit des Emissionskontrollsystems vorliegt, im Verlauf der Entwicklungsfortschritte der letzten 15 Jahre deutlich erweitert worden. Bis heute aber ist technisch unbestritten, dass eine temperaturabhängige Regelung insbesondere der AGR und damit ein Thermofenster notwendig ist. Diese physikalisch-technisch unstrittige Erkenntnis der Temperaturabhängigkeit der Abgasreinigung ist auch dem Gesetzgeber für die modernsten aktuellen Systeme nach EURO6d Standard bewusst, weshalb er für unterschiedliche Temperaturen unterschiedliche Grenzwerte eingeführt hat. Der Gesetzgeber hat im Übrigen auch bereits in der Vergangenheit explizit die Notwendigkeit temperaturabhängiger Betrachtungen anerkannt. So führte der Gesetzgeber mit Einführung der EURO5/EURO6 Gesetzgebung (Regulierung (EC692/2008, mit Bezug ECE R83, Regulierung 715/2007) erweiterte Randbedingungen ein, welche auch den Kaltstart und die Kaltlaufphase betrafen. Dabei hatte der Gesetzgeber für ottomotorische Fahrzeugantriebe (Fahrzeugklasse M1) im NEFZFahrzeug bei -7°C ein präzises Emissionslimit von Kohlenmonoxid (CO: 15 g/km) und für Kohlenwasserstoffe (HC: 0,8 g/km) vorgeschrieben.
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Für dieselmotorische Fahrzeugantriebe hat er aber bei kälteren Außentemperaturen gerade kein definiertes Emissionslimit definiert. Es ist offensichtlich, dass diese Formulierung des Gesetzgebers begründet ist in den oben beschriebenen physikalisch-technischen Herausforderungen und Grenzen, die insbesondere bei EURO5 Dieselaggregaten bei niedrigeren Temperaturen gegeben sind. Auch im Rahmen der Vereinbarungen auf dem „Nationalen Forum Diesel“ im Jahr 2017, die zu einer weiteren Minderung von NOx Emissionen im innerstädtischen Betrieb durch freiwillige Softwareupdates von geeigneten EU5 Fahrzeugen ins Leben gerufen wurde (auch zur Vermeidung von etwaigen Fahrverboten wegen der Überschreitung der für Städte geltenden NO2 Immissionen), ist in der Prüfvorschrift der BMVI-Expertengruppe 1 und des KBA ein Temperaturbereich, in der die verbesserte Wirksamkeit der Abgasrückführung nachgewiesen wird, zwischen 5°C bis 35°C zugrunde gelegt. Es ist daher nach ingenieurmäßigem Verständnis klar festgehalten, dass Abweichungen der Motorkalibration vom Auslegungstemperaturbereich möglich sind, wenn dies notwendig ist, um Motorbauteile vor Beschädigung zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Zusammenfassung 9.: Regulatorische Vorgaben zur Notwendigkeit einer temperaturabhängigen NOx-Emissionsregelung Aus technischer Sicht untermauert die aktuelle EURO6d wie auch die zuvor gültige EURO6 und EURO5 Gesetzgebung implizit die Notwendigkeit einer temperaturabhängigen NOx-Emissionsregelung, insbesondere von EURO5 Dieselfahrzeugen. Im Gegensatz zum Ottomotor, welcher keine derart ausgeprägte Belagsbildungsproblematik aufgrund des nicht benötigten Abgasrückführsystems aufwies und bei dem klare Emissionsgrenzwerte im Kaltbetrieb bei -7°C definiert waren, gab es für dieselmotorische Fahrzeuge in der Gesetzgebung zu EURO5/EURO6 gerade keinen expliziten Emissionsgrenzwert im Kaltbetrieb. Es ist offensichtlich, dass dies aufgrund der technischen Herausforderungen und Grenzen, die bei Dieselaggregaten bei niedrigeren Temperaturen gegeben sind, derart vorgegeben wurde. Dies lässt darauf schließen, dass auch der Gesetzgeber die physikalisch-technischen Grenzen und Herausforderungen gekannt und diesem Sachverhalt Rechnung getragen hat. Darüber hinaus definiert selbst die heutige EURO6d Gesetzgebung, selbstverständlich auf einem deutlich anspruchsvolleren Niveau und dem technologischen Fortschritt der letzten circa 15 Jahre Rechnung tragend, die zulässigen Stickoxidemissionsgrenzwerte im realen Fahrbetrieb in Abhängigkeit von der Außentemperatur. Die Gesetzgebung lässt bei niedrigen und höheren Temperaturen ausdrücklich höhere NOx Emissionen zu und anerkennt damit technisch-physikalische Grenzen und Notwendigkeiten. Auch dies untermauert die generelle Notwendigkeit temperaturabhängiger Regelungsalgorithmen zum Bauteilschutz und zur Vermeidung von Folgerisiken für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs. Gleichwohl ist durch die Weiterentwicklung modernster Emissionsreduzierungstechnologien gemäß EURO6d Standard der Betriebsbereich mit geringerer NOxEmissionsminderung deutlich verkleinert worden und fällt gegenüber älteren EURO5 FahrzeugKonzepten heute praktisch kaum noch ins Gewicht.
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10.
Zusammenfassung
Die Aufgabe dieser Studie ist die Analyse der Frage, welche Notwendigkeit insbesondere bei EURO5 PKW-Dieselapplikationen bestand, eine temperaturabhängige Regelung der Emissionsstrategie zum Einsatz kommen zu lassen. Diese Studie zeigt auf, dass die Betriebszuverlässigkeit insbesondere der Abgasrückführeinheit temperaturabhängig teilweise erheblich von Belagsbildungsmechanismen beeinträchtigt werden kann. Insbesondere zeigt diese Studie auf, dass diese Belagsbildungsmechanismen bis zum Totalausfall insbesondere des Abgasrückführventils, aber auch des Abgasrückführkühlers führen können. Ferner kommen die Gutachter zu der Schlussfolgerung, dass in den Jahren der EURO5 Entwicklung, konkret der hardwareseitigen Schwerpunktentwicklung bis 2004-2005 und der nachfolgenden Applikationsentwicklung und Absicherung bis 2009 zwar das Phänomen und seine wesentlichen Bedingungen bekannt waren, aber noch nicht die genauen physikalischen und chemischen Prozesse im Detail. Vielmehr sind erst in den letzten 5 Jahren weitere wichtige Erkenntnisse erarbeitet worden, trotz insgesamt bereits seit vielen Jahren bestehender intensiver Forschungsund Entwicklungsaktivitäten. Die im einleitenden Kapitel 1 aufgeführten Leitfragen der Studie führen zu folgenden Bewertungen und Antworten. 1. Was ist ein Thermofenster? „Thermofenster“ ist kein definierter Fachbegriff. Der Begriff hat sich als Kurzform dafür etabliert, die Temperaturabhängigkeit eines technisch-physikalischen Systems zu adressieren. Aus ingenieurmäßiger Sicht beschreibt es jenen Temperaturbereich (System- bzw. Umgebungstemperatur), in dem ein System seine spezifizierten Auslegungseigenschaften hat. Der Begriff wird in der gegenständlichen Fragestellung auf sogenannte AGR-Systeme (siehe Kapitel 3) bezogen, ein Thermofenster gemäß diesem Verständnis ist aber allgemeingültig für viele technische Systeme gegeben. Mit Hilfe elektronischer Regelungen kann jedoch für einen Betrieb außerhalb dieses Thermofensters eine jeweils optimale Parametrierung gefunden werden, welche die technischen Potenziale bestmöglich ausnützt (siehe Kapitel 4,5,6,7,8). Innerhalb des Thermofensters arbeitet das System mit maximaler Leistungsfähigkeit. 2. Warum gibt es ein Thermofenster? Ist ein Thermofenster erforderlich, um den Motor oder weitere Bauteile vor Beschädigung zu schützen? Welche Schäden sind ohne die Verwendung von Thermofenstern konkret zu befürchten? Können diese durch regelmäßige Wartungsarbeiten verhindert werden? Kann ohne ein Thermofenster in der Konsequenz auch ein sicherer Betrieb des Fahrzeugs gefährdet sein? Insbesondere für technische Systeme, in denen Energie- und Stoffwandlungsprozesse stattfinden, ist ein Thermofenster physikalisch vorgegeben und erforderlich. Wird der Temperaturbereich des Thermofensters verlassen, finden Vorgänge statt, die einzelne Bauteile und in weiterer Folge den ganzen Motor beschädigen können, dies mit Folgerisiken für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs. Darauf wird insbesondere in Kapitel 4 und 8 detailliert eingegangen. Es handelt sich dabei um komplexe chemisch-physikalisch Vorgänge, die im gegenständlichen Fall zu Ablagerungsbildung und Ausfall vor allem von AGR-Ventilen führen können.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Koch et al., Wissenschaftliche Analyse zum Einsatz temperaturabhängiger Emissionsregelungen von Dieselmotoren, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61877-6_10
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Ohne temperaturabhängige Applikation ist kein sicherer und emissionskonformer Betrieb über die gesetzlich geforderte Nutzungsdauer von Fahrzeugen möglich. Eine temperaturabhängige Parametrierung des AGR-Systems ist also technisch notwendig (siehe Kapitel 4, 6, 8). Bei Nichtberücksichtigung der temperaturabhängigen Abgasrückführung sind die Motorschäden plötzlich, unvorhersehbar und können nicht etwa durch Wartungen verhindert werden (Kapitel 8.1 und 8.2). Beispielsweise würde das AGR-Ventil aufgrund Belagsbildung beeinträchtigt, dies kann relativ plötzlich passieren und irreparabel sein sowie nicht durch Wartung verhindert werden. Bei einem Betrieb eines AGR-Ventils außerhalb seiner Betriebsbedingungen ist nicht vorhersehbar, wann, in welcher Weise und in welchem Umfang Schadensmechanismen einsetzen, weil dies von den oben aufgeführten Randbedingungen in Summe abhängt (Streckenprofil, Fahreigenschaften, Vorschädigung etc.). Insbesondere zeigen die in den Kapiteln 4 und 8 aufgezeigten Mechanismen, welche vielschichtigen physikalisch-chemischen Prozesse Einfluss nehmen können. Dieser Umstand ist bei Personenkraftwagen besonders herausfordernd, da ein sehr großes Spektrum unterschiedlicher Betriebsweisen möglich ist. (z.B. ausgeprägter Kurzstreckenbetrieb bei niedrigen Außentemperaturen, häufiger Start-Stopp Betrieb, Schlechtkraftstoff, ungünstige Kombination aus Niedrig- und Hochlast, …). Es entspricht außerdem der anerkannten und einwandfreien Vorgangsweise in der technischen Entwicklung, dass die in der Motorsteuerung hinterlegten temperaturabhängigen konkreten Parameter physikalisch-technisch begründet sein müssen. Dazu besteht mit der Regulierung in der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, Art. 5, Absatz (2), Unterabsatz a) ein gültiges Regelwerk. Ein nicht physikalisch-technisch begründetes „Abschalten“ beispielsweise des AGR-Systems wäre also keine korrekte ingenieurmäßige Vorgangsweise im Rahmen der gegebenen Regularien und gegebenenfalls nicht von der zuständigen Behörde zu genehmigen. 3. Gibt es sachlich nur ein einheitliches („richtiges“) Thermofenster für alle Dieselfahrzeuge? Oder erfordern verschiedene Motoren eines Herstellers oder zwischen den Herstellern auch unterschiedliche Thermofenster, so dass Rückschlüsse von dem Thermofenster eines Motors auf das Thermofensters eines anderen Motors nicht möglich sind? Das Thermofenster ist für jedes individuelle System physikalisch-technisch unterschiedlich und von vielen Faktoren abhängig (Fahrzeug, Motor, Konzeption des AGR- Systems, u.v.m.). Das bedeutet, dass Temperaturschwellen bzw. temperaturabhängige Parametrierungen der AGR-Raten von Fahrzeugtyp zu Fahrzeugtyp und auch zwischen den Abgasstufen und dem Entwicklungszeitpunkt des Aggregats unterschiedlich sind. Ferner entwickelte sich der Stand von Wissenschaft und Technik kontinuierlich weiter, so dass über die Entwicklungszeit Verbesserungen einfließen konnten wie optimierte Werkstoffpaarungen, optimierte Beschichtungen, optimierte Strömungsführungen, optimierte Reinigungsfunktionen, optimiertes Thermomanagement und weitere Technologiefortschritte. Der Entwicklungsprozess zur Kalibration (d.h. Optimierung der Einstellparameter und Absicherung der Bauteilzuverlässigkeit) sieht umfangreiche Test- und Prüfverfahren vor. Die Fahrzeughersteller sind dabei gefordert, vorgegebene Qualitätskriterien einzuhalten. Aufgrund der Bedeutung des Themas wurden herstellerindividuelle spezielle Prüfprozeduren entwickelt, die besonders ungünstige Nutzungsprofile abbilden.
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Als Ergebnis liegt eine im Versuch nachweisbare und physikalisch begründete temperaturabhängige Parametrierung vor. 4. Gibt es zeitlich ein einheitliches Thermofenster für Dieselfahrzeuge, welches seit vielen Jahren immer identisch ist? Oder konnte das Thermofenster aufgrund fortschreitender technologischer Erkenntnis im Laufe der Jahre verändert und aufgeweitet werden? Es gibt kein einheitliches, identisches Thermofenster. Das Thema ist Gegenstand intensiver Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten, wie in Kapitel 4, 5, 6, 7 und 8 ausgeführt. In dem Bestreben, den Bereich der maximalen Leistungsfähigkeit des Systems auf einen möglichst großen Temperaturbereich zu erweitern, wurden neue Erkenntnisse zu physikalisch-chemischen Gründen der Schädigungsmechanismen sowie verbesserte Systemauslegungen erarbeitet. Dementsprechend ist der Stand von Wissenschaft und Technik kontinuierlich fortgeschritten und gemäß heutigem Stand sind deutlich ausgeweitete Thermofenster gegenüber bspw. EURO 5 möglich. Der Stand von Wissenschaft und Technik zeigt noch weitere Potenziale für zukünftige Anwendungen. 5. Entspricht die Verwendung von Thermofenstern in Dieselmotoren der Abgasnorm EU4, EU5 und EU6 dem Stand von Wissenschaft und Technik bzw. der bestverfügbaren Technik? Ja, das ist der Fall. Eine temperaturabhängige Parametrierung ist für ein AGR-System notwendig. Die je nach Emissionsstufe bestverfügbare Technik bildet sich in der Ausprägung der Parametrierung ab. Hohe Feldausfallraten von teilweise über 15 % einzelner Fahrzeugbaureihen, obwohl diese Fahrzeuge bereits mit einer temperaturabhängigen Regelung ausgerüstet sind, untermauern diese Notwendigkeit. Ein stabiler Partikelfilterbetrieb der gesamten Flotte wäre zudem mit permanent geöffnetem AGR-Ventil nicht möglich gewesen aufgrund der Gefahr eines plötzlichen Bauteilversagens. Die Bewertung der Notwendigkeit eines Thermofensters fußt aber auch auf weiteren kritischen technischen Konsequenzen, die ein permanentes Öffnen des AGR-Ventils zur Folge hätte. Insbesondere ist ein stabiler Betrieb des Partikelfilters bei permanent geöffnetem AGR-Ventil nicht gesichert und gravierende Folgeschäden (bis hin zu Fahrzeugbrandschäden, vgl. Kapitel 8.3) sind möglich. 6. Gibt es alternative Werkstoffe, alternative Konzeptionen oder Konstruktionen, mit denen die Abgasrückführung ohne ein Thermofenster betrieben werden könnte? Nein, ein gänzlicher Verzicht wird aufgrund der physikalischen Randbedingungen nicht möglich sein. Wie oben ausgeführt können aber mit zunehmend besserem Stand der Technik größere Thermofenster erreicht werden. Generell ist festzuhalten, dass AGR-Systeme in Verbindung mit der Thermodynamik des Motors und dem Abgasnachbehandlungssystem das Emissionssystem bilden, für dessen Regelung auch gesamthaft thermische Randbedingungen berücksichtigt werden müssen. Fazit 10.: Zusammenfassung Eine generelle temperaturabhängige Regelung der Emissionsminderungsstellgrößen, insbesondere eine Kühlwasser- oder außentemperaturabhängige Regelung des Abgasrückführventils, ist technisch notwendig, um nutzungs- und emissionsrelevante Schäden von Bauteilen mit Folgerisiken
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für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs abzuwenden. Insbesondere ist diese Regelung auch aus technischer Sicht unstrittig Stand von Wissenschaft und Technik. Die Regelung dieses „Thermofensters“ ist für jedes individuelle System unterschiedlich und von vielen Faktoren abhängig (Fahrzeug, Motor, Konzeption des AGR- Systems, u.v.m.). Dies bedeutet, dass Temperaturschwellen bzw. temperaturabhängige Parametrierungen der AGR-Raten von Fahrzeugtyp zu Fahrzeugtyp und auch zwischen den Entwicklungszeitpunkten unterschiedlich sind. Eine Parametrierung der Abgasrückführrate ohne Berücksichtigung relevanter Prozesstemperaturen hätte insbesondere bei kalten Außentemperaturen oder reduzierter Kühlwassertemperatur zu einer noch intensiveren Belagsbildung und typischerweise sehr schnell und unvorhersehbar zu einer Bauteilfunktionseinschränkung bis hin zu einem plötzlichen Bauteilausfall, mit Folgerisiken für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs, geführt. Diese Schäden, die bei einer Missachtung der temperaturabhängigen Abgasrückführung eintreten, beruhen darauf, dass Bauteile außerhalb ihrer Betriebsbedingungen betrieben werden. Wird z.B. ein AGR-Ventil außerhalb seiner Betriebsbedingungen betrieben, ist nicht vorhersehbar, wann, in welcher Weise und in welchem Umfang Schadensmechanismen einsetzen, weil dies von den sehr verschiedenen Randbedingungen in Summe abhängt (Streckenprofil, Fahreigenschaften, Vorschädigung etc.). Deshalb können Schäden bei einem Betrieb außerhalb der Betriebsbedingungen auch nicht etwa durch Wartung verhindert werden. Hohe Feldausfallraten von teilweise über 15 % einzelner Fahrzeugbaureihen, obwohl diese Fahrzeuge bereits mit einer temperaturabhängigen Regelung ausgerüstet sind, untermauern die Notwendigkeit einer temperaturabhängigen Abgasrückführung. Es ist zudem für den Fachmann offensichtlich, dass auch der Gesetzgeber aufgrund der genannten technischen Herausforderungen explizit das Emissionsverhalten von Dieselmotoren bewusst nicht derart präzise wie bei Ottomotoren limitiert hat, da er die Schwierigkeiten gekannt haben muss. Ferner war und ist dem Gesetzgeber die generelle Notwendigkeit einer temperaturabhängigen Emissionsregelung bewusst gewesen, da auch die neueste Emissionsstufe EURO6d bei niedrigen Temperaturen generell erhöhte Emissionen zulässt. Zweifellos ist diese Temperaturgrenze von 0°C aufgrund der heute verbauten komplexeren Technologie deutlich weniger relevant und das Emissionsniveau deutlich niedriger, als dies in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Gleichwohl liegen auch bei den modernsten EURO6d Dieselfahrzeugen physikalische und chemische Gründe für eine temperaturbasierte Regelungsstrategie vor. Aktuell angebotene Softwareupdates von EURO5 und EURO6 Dieselfahrzeugen berücksichtigen den aktuellsten Stand des Wissens und vergrößern den Einsatzbereich des Abgasrückführsystems auf der Basis der neuesten Erkenntnisse aus rund 15 Jahren Erfahrung mit gekühlten Abgasrückführsystemen. Die Gutachter bestätigen also ausdrücklich die Frage nach der Notwendigkeit von temperaturabhängigen Emissionsregelungsalgorithmen. Diese Bestätigung fußt auf dem Ausfallrisiko des Abgasrückführsystems mit Ausfallraten bis oberhalb von 15 %. So betont diese Studie die technische Notwendigkeit, im Betrieb keine Einschränkungen im Lastaufschaltverhalten, also im Beschleunigungsverhalten zu akzeptieren. Ein Ausfall des Abgasrückführventils könnte ein deutlich verschlechtertes Beschleunigungsverhalten mit Folgen für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs, z.B. bei einem Überholvorgang, bewirken.
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Die Bewertung fußt aber auch auf weiteren kritischen technischen Konsequenzen, die ein permanentes Öffnen des AGR-Ventils zur Folge hätte. Insbesondere ist ein stabiler Betrieb des Partikelfilters bei permanent geöffnetem AGR-Ventil nicht gesichert und gravierende Folgeschäden (bis hin zu Fahrzeugbrandschäden, vgl. Kapitel 8.3) sind möglich. Es bleibt also generell festzuhalten, dass AGR-Systeme in Verbindung mit der Thermodynamik des Motors und dem Abgasnachbehandlungssystem das Emissionssystem bilden, für dessen Regelung auch gesamthaft thermodynamische Randbedingungen berücksichtigt werden müssen.
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Erklärung der Autoren
Die Autoren dieser Studie verfügen zusammen über mehrere Jahrzehnte Erfahrung im Kontext der Auslegung von verbrennungsmotorischen Systemen zur Reduzierung von unerwünschten Emissionen. Alle Autoren haben vor Ihrer Zeit an den Universitäten als Instituts- oder Lehrstuhlleiter in der Industrie in verantwortlicher Position gearbeitet. Die auch in dieser Zeit gewonnenen Erkenntnisse sowie die Möglichkeit von heutiger vorwettbewerblicher Grundlagenforschung im Austausch mit industriellen Fragestellungen sind unabdingbar für eine umfassende Bewertung des komplexen Sachverhaltes. Die Autoren erklären, dass diese Studie frei von jeglicher Einflussnahme ausgearbeitet wurde und sich ausschließlich am Stand des Wissens orientiert.
Darmstadt, im Juni 2020 Christian Beidl
Karlsruhe, im Juni 2020 Thomas Koch
Magdeburg, im Juni 2020 Hermann Rottengruber
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Koch et al., Wissenschaftliche Analyse zum Einsatz temperaturabhängiger Emissionsregelungen von Dieselmotoren, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61877-6
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