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German Pages 185 Year 1994
Wirtschaftsstandort Deutschland -
Chancen und Gefahren
22. INTERNATIONALE TAGUNG DER SOZIALAKADEMIE DORTMUND
Wirtschaftsstandort Deutschland Chancen und Gefahren Herausgegeben von
Perygrin Warneke
DUßcker & Humblot . Berliß
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Sozialakademie (Dortmund): .. Internationale Tagung der Sozialakademie Dortmund. Berlin : Duncker und Humblot. Früher Schriftenreihe ISSN 0417-9978 NE:HST Wirtschaftsstandort Deutschland : Chancen und Gefahren / hrsg. von Perygrin Wameke. - Berlin, Duncker und Humblot, 1994 ( .. Internationale Tagung der Sozialakademie Dortmund ; 22) ISBN 3-428-08160-9 NE: Warneke, Perygrin [Hrsg.] 22. Wirtschaftsstandort Deutschland. -
1994
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Gennany ISSN 0417-9978 ISBN 3-428-08160-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Nonn für Bibliotheken
Vorbemerkung Die Sozialakademie Dortmund ist als wissenschaftliche Akademie des Landes Nordrhein-Westfalen der Lehre und Forschung verpflichtet. Sie bietet Arbeitnehmern, die über berufliche Erfahrungen verfUgen, ein wirtschafts- und sozialwissenschaftliches Studium. Wissenschaftliche Erkenntnis und praxisorientierte Qualifikation kennzeichnen den Lehr- und Forschungsauftrag dieser Institution. Der Realisierung dieses Lehr- und Forschungsauftrages dient auch die 22. Internationale Tagung "Wirtschaftsstandort Deutschland - Chancen und Risiken", die vom Fachvertreter für Betriebswirtschaftslehre ausgerichtet und vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, der HansBöckler-Stiftung und den Freunden und Förderern der Sozialakademie Dortmund gefOrdert wurde. Zielsetzung dieser Tagung ist die Beurteilung des wirtschaftlichen Wandels, dargestellt am Beispiel des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Da wirtschaftliche Sachverhalte und Entwicklungen unterschiedlich beurteilt waren, ist beabsichtigt, Auffassungen von Arbeitnehmern, Politikern und Wissenschaftlern zu verdeutlichen, untereinander Informationen darüber auszutauschen und Gestaltungsvorschläge zu erarbeiten. Im einzelnen sollen 1. wesentliche Aspekte der Forschung dargestellt, 2. Konzepte, Erfahrungen und Einschätzungen der Teilnehmer erörtert, 3. Möglichkeiten der Umsetzung für die Lehre erarbeitet werden. Diese Konzeption war für die Auswahl der Themen und Referenten bestimmend. Gegenwärtig finden in Deutschland tiefgreifende Strukturveränderungen statt, ohne daß erkennbar ist, welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, um die Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland auch zukünftig zu gewährleisten. Für die Sozialakademie Dortmund, die sozialwissenschaftliehe Fragestellungen in Forschung und Lehre untersucht, ist die gewählte Thematik dieser Tagung gerade auch unter dem Aspekt der Interessen von Arbeitnehmern von besonderer Bedeutung. Die Tagung will ein Forum bieten, um in der Kontroverse über den Wirtschaftsstandort Deutschland unterschiedliche Auffassun-
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Vorbemerkung
gen zu diskutieren und Positionen zu verdeutlichen. Dabei geht es um die Klärung I. wie Unternehmen auf die Globalisierung der Märkte und Internationalisierung der Produktion reagieren und sich Erfolgspotentiale zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit bestimmen und entwickeln lassen, 2. welche Bedeutung die Leistungsfähigkeit von Arbeitnehmern und Führungskräften für die Schaffung strategischer Wettbewerbsvorteile hat. 3. welche Aufgaben dem Staat bei der Fest1egung der Rahmenbedingungen, Arbeitsmarktregelungen, Sozialgesetzgebung, Fiskal- und Steuerpolitik zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes obliegen. Der Tagungsbericht soll das Spannungsfeld von staatlicher Ordnungs- und Wirtschaftspolitik, internationalen Entwicklungen, unternehmerischen Zielen und arbeitnehmerbezogenen Interessen aufzeigen, um I. Orientierungshilfen für Wirtschaft, Politik und Wissenschaft zu formulieren, 2. um einzuordnen, welche Bedeutung Deutschland als Wirtschaftsstandort zukommt und 3. welchen Einfluß die Politik des Staates und der Sozialpartner hat. Chancen und Risiken des technischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandels zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland auszutarieren. Die betriebswirtschaftliche Ausrichtung des Themas bedingt Begrenzung und Spezialisierung. An signifikanten Beispielen der Unternehmenspolitik sowie der Wirtschafts- und Sozialpolitik wird die Thematik exemplarisch behandelt. Die Sozialakademie Dortmund dankt dem Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, der Hans-Böckler-Stiftung sowie den Freunden und Förderern der Sozialakademie Dortmund, ohne deren finanzielle Förderung die Tagung nicht hätte durchgeführt werden können. Für die umsichtige und sorgfllltige Erstellung des Manuskripts danke ich Frau Brigitta Horoba, Frau Marlis Rau und Herrn Francisco Santana. Für die fachliche und sachliche Ausführung stehen die jeweiligen Autoren ein. Für die Konzeption des Tagungsbandes zeichnet der Herausgeber verantwortlich. Dortmund, im Oktober 1993
Perygrin Wameke
Inhaltsveneichnis L Einleitende Referate Wolfgang Lecher Sozialpartnerschaft, Untemehmenspolitik und Wettbewerbsftlhigkeit Zustand und Zukunft der Arbeitsbeziehungen in der Triade .............................. 11 Norbert Blüm Arbeits- und Gesundheitsschutz einer zukunftsorientierten Unternehmenspolitik ............................................................................................................... 21 Ulrich Steger und Sabine Spelthahn Umweltschutz als internationaler Wettbewerbsfaktor ........................................ 29 Karl-W. Vogel WeichensteIlung für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland .................. 43 Klaus Weißhaar Bedeutung der Unternehmenspolitik für die Wettbewerbsftlhigkeit von Unternehmen. dargestellt am Beispiel der Friedrich Grohe AG, Hemer............................................................................................................... 59 HeroBrahms Der Treuhandauftrag: Vom Plan zum Markt. .................................................... 73 Claus F. Hofmann Sozialpolitik als Wettbewerbsfaktor .................................................................. 85 Roland Röhrn. Ullrich Heilemann. Klaus LObbe, Hans Dieter von Loeffelholz Anmerkungen zum Wirtschaftsstandort Deutschland ...................................... 105 Perygrin Wameke Chancen und Gefahren für den Wirtschaftsstandort Deutschland .................... 145
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InhaItsverzeiclmis
D. Podiumsdiskussion
Wolfgang Böhm Beitrag zur Podiumsdiskussion ....................................................................... 159
Ludwig Bußmann Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland aus wirtschaftspolitischer Sicht. Thesen zum Theßl3 ............................................................................. 163 PeterKühne Beitrag zur Podiumsdiskussion ....................................................................... 169 BemdSchütt Thesen zur Podiumsdiskussion Rahmenbedingungen flir die Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland ................................................................. 173 Petra Bratzke Thesen zur Podiumsdiskussion ....................................................................... 179
L Einleitende Referate
Sozial partnerschaft, Unternehmenspolitik und Wettbewerbsfähigkeit -Zustand und Zukunft der Arbeitsbeziehungen in der Triade Von Wolfgang Lecher Der Zuschnitt dieser Tagung ist international. Denn "Chancen und Risiken des Wirtschaftsstandorts Deutschland" können nur im internationalen Vergleich analysiert und beurteilt werden. Bezüglich des zu behandelnden Themas "Sozialpartnerschaft, Unternehmenspolitik und Wettbewerbsfähgikeit" wird als gemeinsamer Schnittpunkt dieser drei Aktionsfelder der Zustand der Arbeitsbeziehungen ("industrial relations") zugrunde gelegt. Die Arbeitsbeziehungen zwischen Untemehmer(verbänden), Gewerkschaften und Staat definieren, so die Ausgangsthese - als makrosoziales Standortkriterium diese Aktionsfelder wesentlich. Um der internationalen Perspektive Rechnung zu tragen, soll der eigentlich naheliegende zwischennationale Vergleich der Arbeitsbeziehungen bezüglich ihrer Prägekraft für Wettbewerbsfähigkeit, Unternehmenspolitik und Sozialpartnerschaft zugunsten eines übernationalen Vergleichs Europa, USA und Japan (also der sogenannten Triade) zurückgestellt werden. Dabei wird an Arbeiten von Lester Thurow ("Head to Head - the Coming Economic Battle among Japan, Europe and America") sowie Michel Albert ("Capitalisme contre Capitalisme") angeknüpft. Entscheidend für die folgenden Überlegungen ist, ob es gelingt, Elemente eines genuin europäischen Arbeitsbeziehungsmodells gegen ein US-amerikanisches und japanisches Modell zu setzen. Im Zentrum der Ausfiihrungen wird daher die Diskussion von Grundelementen eines europäischen Modells der Arbeitsbeziehungen stehen. Ein solcher Versuch lohnt sich meines Erachtens mehrfach. Zunächst einmal fehlt bis heute eine übernationale Identifikation der Arbeitnehmer und auch der nationalen Gewerkschaften mit dem ökonomisch zusammengewachsenen Europa. Das ist zwar angesichts der immer noch sehr unzufriedenen Sozialdimension der EG und der vergleichsweise größeren Schwierigkeiten von" Arbeit" gegenüber "Kapital" sich zu internationalisieren verständlich. Doch angesichts des bereits erreichten Binnenmarkt Integrationsgrades und der meines Erachtens unabweisbaren Notwendigkeit einer zukünftigen grenzüberschreitenden Kollektivverhandlungsfähigkeit der Gewerk-
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schaften liegt hier ein gefährliches Defizit der Arbeitnehmerbewegung vor. Ein von allen akzeptiertes Modell europäischer Arbeitsbeziehungen könnte dagegen integrativ wirken. Zweitens könnte sich seine Wirkung aber auch nach außen entfalten - und dies in doppelter Hinsicht. Gegenüber den Weltmarktkonkurrenten USA und Japan, die - das wird im folgenden noch gezeigt - in wichtigen Eckpunkten ihrer Arbeitsbeziehungen oft geradezu konträre Positionen zu einem europäischen Modell vertreten und dieses in der Regel zuungunsten von" Arbeit". Drittens schließlich könnte ein solches Modell aber auch als Richtschnur für die Entwicklung neuer Arbeitsbeziehungen in Osteuropa dienen. Das absehbare Scheitern der überharten neoliberalen Wirtschaftspolitik mit entsprechenden gesellschaftspolitischen Auswirkungen in diesen Ländern könnte den Weg zum Aufbau stabiler und humanerer Arbeitsbeziehungen nach westeuropäischem Muster erleichtern und diese Staaten so perspektivisch zur gesamteuropäischen Integration führen. Welches sind nun die zentralen Elemente eines europäischen Arbeitsbeziehungsmodells, wo liegen die wichtigsten Differenzen zu den Konkurrenten USA und Japan, und wo weichen reale nationale Beziehungsmuster in Europa signifikant von einem solchen denkbaren Modell ab? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden nachfolgend sechs besonders wichtige Eckpunkte des Modells aufgezeigt:
1. Solidarität und soziale Gerechtigkeit In Europa wurden die jeweiligen Extrempositionen dazu bis zum Ende der achtziger Jahre vom skandinavischen Wohlfahrtsstaat mit seiner korporativen Solidarität und über enorme Transferleistungen finanzierten Sozialpolitik auf der einen Seite und dem Manchesterkapitalismus der unmittelbaren, ungefilterten Konfrontation von Individuum und Markt im Großbritannien Thatchers andererseits eingenommen. Beide Modelle sind heute in einer kritischen Phase. Skandinavien (insbesondere Schweden) aufgrund der Grenzen der Finanzierbarkeit seines Sozialmodells, Großbritannien aufgrund der sozialen Folgekosten extremer ökonomischer und sozialer Deregulierung. Die übrigen Länder Westeuropas liegen mit unterschiedlicher Affinität zwischen diesen Positionen. Spanien etwa mit seinem inzwischen stark deregulierten Arbeitsmarkt wohl näher am britischen Beispiel, die Niederlande mit einem immer noch vergleichsweise hohen Sozialstandard näher an Skandinavien. Im Schnitt jedenfalls ist immer noch ein klarer Unterschied zwischen der Legitimität des sozialen Anspruchs und seinem erreichten Niveau zwischen Europa einerseits und USA bzw. Japan andererseits festzustellen. Die "Reagonomics" der USA in den achtziger Jahren bezeichneten - und dies in deutlichem Unterschied zu Großbritannien - nicht etwa einen Bruch der sozialökonomischen Ent-
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wicklung, sondern nur ihre logische Weiterfiihrung. Von der Gesundheitsvorsorge bis zur Arbeitslosenunterstützung gehören die USA traditionell zu den Schlußlichtern unter den entwickelten Industriestaaten. Die Individuen müssen sich wesentlich durch Eigenvorsorge vor den Negativeffekten des Marktes schützen, gesellschaftliche Solidarität und das Prinzip sozialer Gerechtigkeit werden im internationalen Vergleich klein geschrieben. Ob die nach europäischem Vorbild geplante Gesundheitsreform der ClintonRegierung realisiert wird, ist noch völlig offen. Auch in Japan spielt der Staat eine sozialpolitisch schwache Rolle, was sich zum Beispiel in der mangelhaften Alterssicherung und einem völlig unzureichenden Engagement bei der Herstellung von finanzieller Chancengleichheit bei Erziehung und Bildung zeigt. Doch es besteht gegenüber den USA ein gewichtiger Unterschied. Die Sozialabsicherung der sogenannten Stammarbeiter durch extensive betriebliche Sozialleistungen (Renten-Ersatz durch hohe Abfindungszahlungen am Ende eines regulären Arbeitslebens; auch im Vergleich der entwickeltsten westlichen Länder sehr hohe Löhne und Gehälter; Erziehungsbeihilfen für Kinder usw.) schafR für ca. 25 % der Arbeitnehmer eine finanziell gesicherte soziale· Situation, die den fiihrenden europäischen Ländern durchaus vergleichbar ist. Dies geht allerdings faktisch zu Lasten der nicht regulär Beschäftigten. Dies sind vor allem Frauen, Zeit- und Teilzeitarbeitnehmer, Leiharbeiter und ausländische Arbeitnehmer. Der tief segmentierte japanische Arbeitsmarkt erlaubt also eine arbeitnehmerubergreifende Solidarität und einen umfassenden Anspruch auf soziale Gerechtigkeit per Definition nicht. Dies wird in Japan allerdings durch eine extreme nationale Identifikation überdeckt, so daß die zweifellos objektiv vorhandenen sozialen Spannungen im Unterschied etwa zu den USA und Großbritannien (noch) nicht für jedermann sichtbar aufgebrochen sind. 2. Element: Gesellschaftspolitischer Anspruch der Gewerkschaften Wiederum im Kontrast zu den USA und Japan beschränken sich die Gewerkschaften in Europa in aller Regel nicht auf die Vertretung eng definierter Arbeitsinteressen, sondern haben traditionell immer versucht, mit der Interessenvertretung der Arbeitnehmer auch einen gesellschaftspolitischen Anspruch zu verbinden. "Arbeit" wurde und wird als der zentrale Bezugspunkt der "Arbeitsgesellschaft" angesehen und legitimiert Überlegungen zur perspektivischen Weiterentwicklung der Gesellschaft. Dabei spielt es keine vorrangige Rolle, ob solche Perspektiven durch Richtungsgewerkschaften, Einheitsgewerkschaften, durch korporative Einbindung oder durch tarifautonome Gegenmachtkonzeption zu realisieren versucht werden. Nicht der Weg der Einflußnahme auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung ist das Entscheidende,
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sondern Anspruch und Wille, dies überhaupt zu tun. Zieht man nämlich die USA und Japan zum Vergleich heran, so zeigt sich sofort, daß dieser Anspruch der Gewerkschaften weder bei den Business-Unions in den USA noch bei den Betriebs- bzw. Unternehmensgewerkschaften in Japan besteht. In beiden Ländern sind die zentralen Gewerkschaftsebenen gegenüber den betrieblichenIlokalen Ebenen ausgesprochen schwach. Die Dachverbände versuchen hauptsächlich nach innen zu koordinieren, ohne einen nennenswerten Lobbydruck auf den Staat über die unmittelbare Arbeitssphäre hinaus entfalten zu können. Beide Gewerkschaftsbewegungen wollen nicht nur nach ihrem historischen, sondern auch nach ihrem aktuellen Selbstverständnis kein umfassendes gesellschaftspolitisches Konzept entwikkeln. Ein gutes Beispiel für die unterschiedliche Betroffenheit der Gewerkschaften in Europa und den beiden anderen Hemisphären ist die Diskussion um die "Zukunft der Arbeit" und deren gesellschaftliche Implikationen, wie sie insbesondere von den weit industrialisierten europäischen Staaten zur Zeit geführt wird. Eine solche Diskussion findet in den USA und Japan schlicht nicht statt. 3. Anerkennung der Gewerkschaften als intermediäre Organisationen Klammem wir aus Gründen der Zeit diejenigen Gewerkschaften in Europa mit relativ hohem und stabilem Organisationsgrad und somit ungefährdeter Rolle in ihren jeweiligen Ländern aus (Skandinavien, Belgien, BRD oder auch Italien) und konzentrieren uns auf ein Problembeispiel, nämlich Frankreich. Dort liegt die gewerkschaftliche Organisationsquote inzwischen unter 10 %, in der Privatindustrie nur noch bei knapp 6 %, und es ist immer noch keine Ende des gewerkschaftlichen Niedergangs abzusehen. Es soll hier nicht über die Gründe dieser Entwicklung reflektiert werden (Stichpunkte dazu wären etwa: extreme Richtungsgewerkschaften, enormer Staatseinfluß auf die gewerkschaft1iche Tarifpolitik, das Problem der exponierten militanten Gewerkschaftsanhänger, individuelles Streikrecht usw.), sondern vielmehr gezeigt werden, wie die beiden anderen Akteure der Arbeitsbeziehungen, nämlich Staat und Unternehmen, versuchen, die Gewerkschaften vor weiterem Verfall zu bewahren. Wenig bekannt ist beispielsweise, daß alle französischen Richtungsgewerkschaften in staatliche und parastaatliche Institutionen quasi korporativ eingebunden sind. Sie sind z. B. auf der Ebene der Departements in rund 30, auf nationaler Ebene in über 100 Gremien vertreten. Sie sind an der Arbeitsschiedsgerichtsbarkeit beteiligt und wirken in der Sozialversicherung mit. Sie erhalten beträchtliche staatliche Zuschüsse (1987 knapp 40 Millionen DM), ohne die sie wohl heute gar nicht mehr handlungsfähig wären und es gibt Regelungen, die ihnen auf Zeit und unentgeltlich Ministerialbeamte zur Zuarbeit zur Verfiigung stellen. Auch die Unternehmen machen sich zuneh-
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mend Gedanken zur Sicherung des Überlebens der Gewerkschaften als der Kollektivvertretung der Arbeitnehmer. So haben beispielsweise schon neun Großunternehmensgruppen Vereinbarungen mit den Gewerkschaften mit dem Ziel ihrer finanziellen Unterstützung und Sicherung getroffen. Die letzte wurde mit der Casinogruppe (Einzelhandelsbereich) abgeschlossen, wonach - jede Gewerkschaft im Konzern ca. 60.000 DM pro Jahr zuzüglich ca. 15,00 DM für jede Stimme bei den Betriebsausschußwahlen (für die die Gewerkschaften ein Vorschlagsrecht haben) erhält; - in jeder Niederlassung des Konzerns und auf Konzernebene obligatorisch Betriebsausschüsse eingerichtet werden; - eine Garantie für alle Gewerkschaftsvertreter gegeben wird, daß ihre Tätigkeit weder ihrer Karriere schadet noch mit sonstigen Nachteilen verbunden ist; - ein betriebliches Schlichtungswesen eingerichtet wird. Es geht hier nicht darum, diese für die Gewerkschaftsautonomie gewiß nicht unproblematischen Unterstützungsleistungen seitens des Staates und einiger großer Unternehmen zu bewerten, sondern diese Beziehungsmuster vor allem dem USamerikanischen Union- Busting (Gewerkschaftssprengen als neue private Dienstleistung) gegenüberzustellen. Ziel ist die totale Entfernung der Gewerkschaften aus den Betrieben, die durch entsprechende Beratung und "Hilfestellung" der Unternehmens-Consulter erreicht werden soll. Drastischer kann der unterschiedliche Stellenwert der Arbeitsbeziehungen und in ihnen derjenige der Gewerkschaften als intermediärer Organisation in Europa und den USA nicht ausfallen. Die japanischen Gewerkschaften haben hier im übrigen ein interessantes abweichendes Problem, das in der stärkeren Segmentierung der Arbeit wurzelt. Bis heute organisieren sie mit geringen Ausnahmen (z.B. im Textilbereich) nur Stammarbeiter und stagnieren daher bei einer Organisationsquote von knapp 25 %. Schon aus diesem Grund ist die Anerkennung der Gewerkschaften als tendenziell für alle sprechende intermediäre Organisation zwischen Staat und Individuen in Japan nicht gegeben. 4. Überbetriebliche Tarifpolitik
Auch hier handelt es sich um ein Kriterium der Arbeitsbeziehungen, das große Auswirkungen nach innen in die Interessenvertretung selbst hinein, aber auch nach außen als gesellschaftliche Ordnungsbedingung hat. Die diesbezügliche Situation ist in Europa klar von den USA und Japan zu unterscheiden. In allen westeuropäischen Ländern besteht ein abgestuftes System von Tarifverhandlungsebenen mit Dominanz der Branchenebene in der großen Mehrzahl der europäischen Staaten. Zwar gibt es in den letzten Jahren eine
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verstärkte Tendenz zur betrieblichen, "flexiblen" Verhandlung - die in Großbritannien besonders weit entwickelt ist - doch lassen sich auch gewisse Gegentendenzen hin zu rahmenkoordinierenden Vereinbarungen auf Branchenebene ausmachen. Damit soll die betriebliche Vereinbarungspolitik in den kollektiv wünschenswerten Grenzen gehalten werden. Dies gilt besonders für Länder mit einem sogenannten dualen System der Betriebsvertretung und einer entsprechend weit entwickelten betrieblichen Autonomie. Insbesondere große Unternehmen sind an einer solchen Wettbewerbsentzerrung der Arbeitsbedingungen interessiert. Ganz anders die Situation in USA und Japan, wo extrem betriebsbezogen verhandelt wird. Die historisch geringe Koordinierung, wie z. B. die gemeinsame Frühjahrslohnoffensive "Shunto" in Japan, unterliegt dabei interessanterweise in den letzten Jahren einer zusätzlichen Auszehrung. Viel hängt natürlich auch davon ab, ob die Arbeitgeber gleichfalls in Verbänden mit anerkannter Verhandlungsmacht organisiert sind und der Staat die Tarifautonomie respektiert. Beides sind Voraussetzungen, die in den USA und Japan nicht in gleichem Maße wie im Schnitt der europäischen Staaten gegeben sind.
5. Existenz und Regierungsfllhigkeit der Sozialdemokratie Auf das oft delikate Verhältnis zwischen (Richtungs)Gewerkschaften und zugeordneten (sozial)demokratischen Parteien soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Nur soviel: Die formale Trennung von Partei und Gewerkschaft als verschiedene Säulen der Arbeitnehmerbewegung hat sich in Europa historisch bewährt. Eine zu enge Verflechtung zwischen diesen beiden Organisationen schadet offenbar - aktuell unschwer zu zeigen an Großbritannien - letztlich beiden. Wichtiger im thematischen Zusammenhang ist aber, daß nach dem Zweiten Weltkrieg in allen Staaten Westeuropas eine sozialdemokratische (bzw. sozialistische) Regierungsepoche zu verzeichnen war oder zumindest eine bedeutsame Beteiligung entsprechender Parteien an einer Regierungskoalition. Dies verstärkt in der Regel den Einfluß der Gewerkschaften auf die Politik. Allerdings gibt es auch Beispiele - Spanien -, wo diese Konstellation zu zunehmenden Spannungen zwischen Partei und Gewerkschaftsbewegung fUhrt und damit sicherlich unfreiwillig zu einer Annäherung der Richtungsbünde beiträgt. Im Unterschied zu diesem europäischen Zusammenspiel existiert weder in den USA noch in Japan eine regierungsrelevante Arbeitnehmerpartei. Die Demokratische Partei der USA vermeidet jeden intensiveren Gewerkschaftskontakt (vor allem bei Wahlkämpfen), die sozialistische Partei Japans hat zwar einen starken Gewerkschaftsbezug, war aber bis vor wenigen Wochen nie in Regierungsverantwortung. Bei den letzten Wahlen hat sie übrigens von allen Parteien die schwersten Verluste erlitten,
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und ihr Einfluß auf die Politikgestaltung der neuen japanischen Regierung ist minimal. 6. Regionale und nationale Vielfalt Dieser abschließende Punkt wird in der Regel eher als ein Defizit als eine Chance der Arbeitsbeziehungen aufgefaßt, weil er die Internationalisierung bzw. Supranationalisierung arbeitnehmerbezogener Politik zu erschweren scheint. Zu unterschiedlich sind die nationalen Arbeitsbeziehungsstrukturen, die Organisationsgrade und Organisationsprinzipien der Gewerkschaften und Unternehmensverbände und die Politiktypen zwischen Korporatismus und neoliberaler Deregulierung. Auf der Grundlage dieser Vielfalt kann ein Widerstandspotential gegen den nicht nur in Mittel- und Osteuropa zu beobachtenden neuen Nationalismus und gegen eine bürokratische, parlamentarisch nicht genügend legitimierte Super-EG erwachsen. Die regionale, föderalbundesstaatliche Vielfalt in Europa kann zu einem Gegengewicht sowohl zum drohenden Identitätsverlust gegenüber "BfÜssel", als aber auch zu den heute deutlich sichtbaren Leerstellen des traditionellen Nationalstaats aufgrund seines Kompetenzschwundes werden. Größere Autonomie fiir die Region ist die beste Absicherung gegen nationalen Kompetenzschwund und übernationalen Kontrollverlust. Auf der Ebene der sogenannten Euregios ergeben sich darüber hinaus auch interessante Ansatzpunkte fiir eine internationale, regional flächendeckende Tarifpolitik. Aus diesen Gründen wird die kulturelle, mentale und in unterschiedlichen historischen Erfahrungen und Strukturen wurzelnde nationale und regionale Differenzierung Europas - die so weder die USA noch Japan kennen - eher fiir eine Chance gehalten. Sie kann eine Bastion bilden gegen eine bürokratischverwaltende Super-EG, sie kann die im 19. Jahrhundert zusammengewachsenen Nationalstaaten auf wieder bürgernähere, überschaubare und politisch motivierende Regionalsysteme "kleinschneiden" helfen, und sie stellt vor allem ein unerschöpfliches Laboratorium bzw. Experimentierfeld an Wirtschafts- und Sozialerfahrungen und damit auch an Arbeitsbeziehungen dar. Um eine Analogie zu bemühen: Wie der Genpool in der Natur mit zunehmender Größe und Differenzierung die Chancen der Artenoptimierung erhöht, so könnte auch der reich differenzierte nationale/regionale Wirtschafts- und Sozialpool Europas die Selektion jeweils "guter" Lösungen anregen und erleichtern. Abschließend werden die genannten sechs Eckpunkte bzw. Grundelemente eines europäischen Arbeitsbeziehungsmodells nach den neuesten Entwicklungen problematisiert und damit zugleich versucht, die vorgestellten Thesen fiir die Diskussion zu öffnen: 2 Womeke
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Wolfgang Lecher
- Der Anspruch der Arbeitnehmer auf soziale Gerechtigkeit und Solidarittit im Europa der 90er Jahre ist durch einen erheblich reduzierten Verteilungsspielraum und beginnende Umverteilung auch innerhalb der Arbeitnehmerschaft enormen Belastungen ausgesetzt (besonders deutlich wird dies für Deutschland durch die Osterweiterung). - Der gese/lschaftspolitische Anspruch der Gewerkschaften kommt in Konflikt mit den betriebsgemeinschaftlichen Produktionskonzepten von lean production (Stichworte dazu: Corporate identity bzw. der Auf- und Ausbau konzernintemer Arbeitsbeziehungsstrukturen). - Die Anerkennung der Gewerkschaften als intenneditirer Organisation, d.h. Sprecherin aller Arbeitnehmer ist durch fast überall rückläufige oder allenfalls stagnierende Organisationsquoten, die relativ schwache Verankerung bei Angestellten, Frauen und Jugendlichen und die zunehmende Arbeitslosigkeit in Frage gestellt. - Die flächendeckende, überbetriebliche Tarifpolitik wird zunehmend durch Verbetrieblichung, Flexibilisierung und Differenzierung erschwert und tendenziell ausgehöhlt. Die Regierungsfähigkeit der Sozialdemokratie nimmt mit Auflösung des keynesianischen Wohlfahrtsstaats und der Renaissance liberaler, deregulierter Marktpolitik ab. - Regionale/nationale Vielfalt gerät bei einer zu starken Forcierung der Europäischen Währungsunion und der politischen Union in die Zange zwischen EG-Bürokratisierung und nationalistischem Widerstandspotential dagegen. Sie wird in ihrer kreativen Potenz beschnitten.
Trotz dieser zum Teil schwerwiegenden Bedenken zur Zukunft eines sozialpartnerschaftlich-sozialstaatlichen europäischen Arbeitsbeziehungsmodells erscheint ein verhaltensoptimistisches Fazit gerechtfertigt: Ein europäisches Modell der Arbeitsbeziehungen kann attraktiv nach innen (Subsidiarität und Integrationsfähigkeit) aber auch nach außen insbesondere hinsichtlich Osteuropa wirken. Angesichts des im Vergleich negativen sozialen Abschneidens der Alternativmodelle USA und Japan wird es eine der wichtigsten Aufgaben arbeitnehmerorientierter Politik in Europa sein, sich für die Gestaltung eines originären europäischen Arbeitsbeziehungs-systems auf der Grundlage der vorgestellten national-konvergenten Grundelemente einzusetzen.
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Literaturveruichnis Albert, Michel: Capitalisme contre Capitalisme, Paris 1991IBispinck, ReinhardlLecber, Wolfgang: Tari1jlolitik und Tarifsystem in Europa, Köln 1993 Bobbke, ManfredlLecher, Wolfgang: Arbeitsstaat Japan, Köln 1990 DAubler, WolfganglLecher, Wolfgang: Die Gewerkschaften in den 12 EG-Ländem, Köln 1991 Ferner, AnthonylHyman. Richard: Industrial Relations in the New Europe, Oxford 1992 Hartmann, JOrgen: VerbAnde in der westlichen Industriegesellschaft, FrankfurtlNew York 1985 Kaelble, Hartmut: Auf dem Weg zu einer europäischen Gesellschaft, München 1987
Lecher, Wolfgang: Elemente eines europäischen Arbeitsbeziehungsmodells gegenüber Japan und den USA, in: WSI-Mitteilungen 12/1992 Lüthje, Boy/Scherrer, Christoph: Jenseits des Sozialpakts - Neue Unteme1unensstrategien, Gewerkschaften und ArbeitskImpfe in den USA, Münster 1993 Thurow, Lester: Head to Head - The Coming Bath among lapan, Europa and America, New York 1992 Windmüller, lohn P., Gladston, In: Employers Associations and Industrial Relations, Oxford 1984.
Arbeits- und Gesundheitsschutz einer zukunftsorientierten U ntemehmenspolitik Von Norbert Blüm Arbeits- und Gesundheitsschutz gehören unabdingbar zu einer zukunftsorientierten Unternehmenspolitik. Wenn wir uns heute fragen, welchen Stellenwert der Arbeits- und Gesundheitsschutz in Zukunft haben soll, so ist diese Frage eigentlich schon durch den Titel des Vortrages beantwortet: Arbeits- und Gesundheitsschutz gehören unabdingbar zu einer zukunftsorientierten Unternehmenspolitik. Denn der Mensch steht im Mittelpunkt des Wirtschaftens. Er ist das Maß der Dinge. Oder wie es das 11. Vatikanische Konzil (1965) zusammenfaßte: "Auch im Wirtschaftsleben sind die Würde der menschlichen Person und ihre ungeschmälerte Berufung ... zu achten und zu fördern, ist doch der Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft". Wenn wir dies auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz übertragen, so kann er an sich schon kein notwendiges Übel sein, durch staatliche Sanktionen durchgesetzt, in den Betrieben stiefmütterlich behandelt und ohne ausreichende finanzielle Ressourcen ausgestattet. Der Schutz des Menschen an seinem Arbeitsplatz ist und muß integrativer Bestandteil der Unternehmenspolitik sein - aus humanitären Gründen, aber auch aus ökonomischen Gründen: Denn mangelhafter Arbeitsschutz kommt uns volkswirtschaftlich teuer zu stehen. Dabei sind die Veränderungen in der Arbeitswelt insgesamt zu betrachten: So hat sich das Werteverständnis der Menschen speziell in den westlichen Industrienationen verändert. Arbeit wird nicht mehr immer als Selbstverwirklichung empfunden, sondern auch einfach als Job, bei dem der Verdienst die oberste Priorität hat. Gleichzeitig ist die Umwelt-Sensibilität gewachsen, was sich auch auf die Umwelt der Arbeitsplätze auswirkt. Aber nicht nur diese Einstellungen haben sich geändert, auch die Arbeitswelt selbst, die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen ändern sich in einem rasanten Tempo. Unser Status als Exportnation verpflichtet sowohl die Wirtschaftspolitik als auch die Unternehmen selbst, sich auf die wachsende wirtscbaftliche ~
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fähigkeit einiger Entwicklungsländer einzustellen, die sich - wie z. B. Taiwan, Südkorea oder Singapur - vom RohstotI- und Arbeitskräftelieferanten zu Industriekonkurrenten entwickelt haben. Diese "jungen Tiger" Ostasiens lehren nicht nur uns in Europa, sondern selbst Japan das Fürchten. Auf neue Wettbewerbsbedingungen tretIen wir aber nicht nur im asiatischen Raum. Gleiches gilt auch für das zusammenwachsende Europa. Offene Grenzen und neue Märkte durch den europäischen Binnenmarkt und die Öffnung der Staaten Osteuropas sind für unsere Wirtschaft Herausforderung und Chance in einem. Diesen Herausforderungen müssen wir uns im gemeinsamen Dialog stellen: Staat und Politik, Gewerkschaften und Unternehmen. Es ist meine feste Überzeugung, daß wir gemeinsam diese Herausforderungen meistem werden und Deutschland auch künftig ein starker Wirtschaftsstandort sein wird. Aktuelle Probleme dürfen uns nicht entmutigen I ganz im Gegenteil! Sie müssen die Kraft, die Intelligenz und das Engagement der arbeitenden Menschen mobilisieren. Und dafiir ist ein auf Wohlstand und Gesundheit, Solidarität und Leistung gerichtetes Gesellschaftssystem, wie es die soziale Marktwirtschaft darstellt, Voraussetzung. Eine "Ellbogengesellschaft" würde vor einer solchen Herausforderung scheitern. Deshalb muß auch künftig ein wirtschaftlich starkes Deutschland auch ein soziales Deutschland sein. Dies gilt aber nicht nur in wirtschaftlich guten Zeiten. Auch in wirtschaftlich turbulenten Zeiten darf das soziale Element unserer Marktwirtschaft, wozu auch der Arbeits- und Gesundheitsschutz zählt, nicht außer Kraft gesetzt oder hinten angestellt werden.
Die Gestaltung des sozialen Europas Arbeits- und Gesundheitsschutz sind aber keine rein nationale Angelegenheit. Spätestens seit dem Straßburger Gipfel von 1989, auf dem die Staats- und Regierungschefs mehrheitlich die "Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der ... und Arbeitnehmer", die sogenannte "Europäische Sozialcharta", angenommen haben, gilt der Arbeits- und Gesundheitsschutz europaweit. Auf diese Initiative hin liegt der Schwerpunkt der sozialen Dimension des Binnenmarktes im Arbeitsschutz. Im Vordergrund stehen dabei zwei Richtliniengruppen. 1. Mit den sogenannten Binnenmarktrichtlinien zur technischen Harmonisierung bei Geräten und Maschinen werden die wesentlichen Anforderungen für deren Sicherheit europaweit einheitlich festgelegt. Abweichungen von diesen Richtlinien sind für den deutschen Gesetzgeber grundsätzlich nicht
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mehr möglich. Diese wesentlichen Anforderungen werden durch EG-weite Normen konkretisiert. 2. Mit den Richtlinien zum betrieblichen Arbeitsschutz werden europaweit verbindliche Mindeststandards aufgestellt. Jeder Staat hat aber die Möglichkeit, wo immer erforderlich, strengere oder weitergehendere Anforderungen festzulegen. Von zentraler Bedeutung ist hier die Arbeitsschutzrahmenrichtlinie. Diese Rahmenrichtlinie kann als "Grundgesetz" des europäischen Arbeitsschutzes bezeichnet werden. Denn hier sind Grundpflichten der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und des Staates festgeschrieben. Die Umsetzung europäischen Rechts in nationales Recht Mit der Umsetzung der EG-Richtlinien in unser nationales Recht werden wir die Möglichkeiten nutzen können, den hohen deutschen Standard zu halten und bestehende Lücken zu schließen. Denn durch die europaweite Verständigung auf einen erweiterten Arbeitsschutzbegriff mit umfassender Prävention sollen ArbeitsunflUle und Berufskrankheiten nicht nur direkt verhütet, sondern auch arbeitsbedingte Erkrankungen verhindert werden, die oft erst viel später meßbar bzw. sichtbar sind. Hierzu zählen insbesondere Erkrankungen durch Streß, psychische Belastung und falsche ergonomische Gestaltung. Ökonomische Aspekte des Arbeits- und Gesundheitsschutzes Neben der Bekämpfung gesundheitlicher Einschränkungen der einzelnen Arbeitnehmer stehen aber auch handfeste ökonomische Argumente. Allein die deutsche Volkswirtschaft hat - (Berechnungen der Bundesanstalt fiir Arbeitsschutz zufolge) - jährlich rund 630 Mio. krankheitsbedingte Ausfalltage zu verkraften. Diese Zahl multipliziert mit dem durchschnittlichen Bruttoeinkommen der Erwerbstätigen ergibt ca. 90 Mrd. DM an Ausfällen fiir die Volkswirtschaft. Dabei sind die Kosten fiir die notwendigen medizinischen Behandlungen noch nicht einmal berücksichtigt. Ein Teil dieser Erkrankungen muß als arbeitsbedingt angesehen werden. Allein die Muskel- und Skeletterkrankungen schlagen mit ca. 25 % der Kosten zu Buche. Dies zeigt, welche Ressourcen hier noch durch eine erfolgreiche betriebliche Prävention freigesetzt werden können. Eine erhebliche Entlastung unserer sozialen Sicherungssysteme, aber auch der Betriebe und der Arbeitnehmer selbst wäre die Folge. Die neuen Vorschriften z. B. fiir Bildschirmarbeit oder zum Handhaben von Lasten werden für den deutschen Arbeitsschutz Neuerungen bringen, die über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten hinausreichen
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und mit dazu beitragen, die Arbeit an den Menschen und nicht den Menschen an die Arbeit anzupassen. Mebr Gesundbeitsscbutz durcb das neue Arbeitsscbutzgesetz Zu den wichtigen Elementen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes der Mitarbeiter im Betrieb gehört auch die Reglementierung der Arbeitszeit. Deshalb hat die Bundesregierung ein neues Arbeitszeitrechtgesetz verabschiedet, das in diesen Tagen im Bundestag in 1. Lesung behandelt wurde. Im Vordergrund steht ein verbesserter Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer, der durch Mindestnormen und Höchstgrenzen garantiert ist. Zu diesen Grundnormen gehört z. B. der Grundsatz des 8-Stunden-Tages, der Sonn- und Feiertagsruhe und der Ruhepausen von bestimmter Dauer. Innerhalb dieser Grenzen können die Tarifpartner die Arbeitszeit selbst zeitgemäß und variabel vereinbaren - im Interesse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Gleichzeitig schafft das neue Arbeitszeitgesetz Raum für mehr Kreativität und Flexibilität in den Betrieben und kann einen beachtlichen Produktivitätsschub in unserer Wirtschaft auslösen und somit vorhandene Arbeitsplätze erhalten und neue schaffen. In kaum einem anderen Bereich wird der enge Zusammenhang zwischen Produktion und gleichzeitigem Gesundheitsschutz deutlicher wie bei der Arbeitszeitregelung. Beide Tarifparteien müssen nur bereit sein, die neuen Möglichkeiten auch zu nutzen. Auswirkungen für die Unternehmen Was bedeutet dies für die Unternehmen? Die Anforderungen des Arbeitsund Gesundheitsschutzes an menschengerechte Arbeitsbedingungen in den Betrieben stehen den veränderten wirtschaftlichen Erfordernissen nicht entgegen. Ganz im Gegenteil. Sie sind eine notwendige Voraussetzung dafür. Das Beispiel der Lean Production macht dieses Zusammengehen von wirtschaftlichem Erfolg und Arbeits- und Gesundheitsschutz deutlich. Entsprechend der weltweit beachteten MIT-Studie von 1990, die die Krise der US-Wirtschaft und die Erfolge der Japaner auf dem amerikanischen Markt verdeutlichte, bestehen wesentliche Hauptmerkmale der Lean Production: - in der Gruppenarbeit, - in der Prozeßorientierung der Arbeit, - in der Verringerung von Hierarchiestufen durch Delegation von Veranwortung und Aufgaben auf die Arbeitnehmer direkt am Arbeitsplatz, - in der Verringerung der Fertigungstiefe und
Arbeits- und Gesundheitsschutz einer zukunftsorientierten Unternelunenspolitik
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- in der Orientierung nicht an Produktion, sondern am Menschen. Diese Merkmale sind nun so furchtbar neu nicht. Schon in den 70er Jahren haben europäische Betriebe Versuche mit neuen Arbeitsfonnen entwickelt: z. B. Gruppenarbeit bei Volvo, Saab und VW sowie Qualitätszirkel bei BMW. Im Rahmen des "Forschungs- und Entwicklungsprogramms Arbeit und Technik" (Arbeit und Technik-Programm) der Bundesregierung wurden Gestaltungs- und Entwicklungsvorhaben mit genau diesen Merkmalen durchgeführt. Allerdings war hierbei die Zielsetzung nicht eine entschlackte Produktion, sondern die Gestaltung menschengerechter Arbeitsbedingungen. Die in diesen Vorhaben gefundenen Gestaltungslösungen mußten wirtschaftlich sein, genauso wie die neuen Fertigungskonzepte zur Lean Production menschengerecht sein müssen. Denn nur mit gesunden und motivierten Mitarbeitern lassen sich die hohen Anforderungen an Flexibilität, Qualität und Zuverlässigkeit, die heute auf dem Markt verlangt werden, erfüllen. Innovation kann sich deshalb nicht auf die Entwicklung von Technik allein beschränken, sondern sie muß ihre Einbindung in Organisationsstrukturen, die richtige Qualifizierung der Mitarbeiter und den Arbeits- und Gesundheitsschutz berücksichtigen. Im Rahmen des "Arbeit und Technik-Progamms" der Bundesregierung ist dafiir der Begriff von der "umfassenden Innovation" entwickelt worden. Neue Herausforderungen in der Arbeitswelt Ein Beispiel für so einen umfassenden Innovationsansatz ist ein Verbundvorhaben aus dem "Arbeit und Technik-Programm" der Bundesregierung, das in 10 Kleinbetrieben der neuen Bundesländer gefördert wird. (Hierbei handelt es sich um reprivatisierte, sich nicht mehr in der Abwicklung befindliche Unternehmen hauptsächlich aus Sachsen.) Zielsetzung ist die Entwicklung und der Einsatz neuer werkstattorientierter Produktionskonzepte mit einem hohen Maß an Autonomie für die Beschäftigten, wie sie auch für die Lean Production charakteristisch sind. Lean Production, wie andere neue Technologien und Fertigungskonzepte auch, wird sich - dies ist meine feste Überzeugung - aber nur erfolgreich auf dem Markt behaupten können, wenn sie nicht nur als "schlanke" Produktion, sondern als intelligente Produktion verstanden wird. Hierzu gehört eindeutig auch ein moderner Arbeits- und Gesundheitsschutz, der Gesundheitsrisiken für die Beschäftigten durch neue Produkte und neugeschaffene Gestaltungslösungen ausschließt. Ein aktuelles Beispiel dafür ist Asbest.
26
Norbert Blüm
Wir haben es geschafft. die Exposition gegenüber diesem gefährlichen, krebserregenden Stoff Asbest zurückzudrängen und haben - einzig in Europa in der novellierten Gefahrstoffverordnung ein umfassendes Herstellungs- und Verwendungsverbot verankert. Eine der künstlichen Mineralwachsen, die nun an Stelle des Asbestes eingesetzt werden, stehen nun ebenfalls im Verdacht, krebserzeugend zu sein. Wir werden auch bei diesen neuen Gefahren alle notwendigen Schutzmaßnahmen ergreifen. Aber nicht nur Stoffe können Gesundheitsrisiken fiir die Beschäftigten verursachen. Genauso kann eine falsche Software fiir den Bürocomputer oder eine falsche Arbeitsorganisation psychischen Streß verursachen, der letztlich auch zu Erkrankungen führen kann. Ein neues Arbeitsschutzverstindnis Wenn es gelingt, die menschengerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen ohne unnötigen bürokratischen Aufwand mit einem umfassenden Innovationsverständnis zu kombinieren, dann kann man tatsächlich von einem Arbeitsund Gesundheitsschutz auf hohem Niveau sprechen. Zu einem modemen Arbeits- und Gesundheitsschutz auf hohem Niveau gehört auch, und Unternehmensführung die die Mitarbeiter davon zu überzeugen, daß Arbeits- und Gesundheitsschutz "von oben" durch Gesetze, Verordnungen und Unfallverhütungsvorschriften nicht ausreichen. Sie müssen vielmehr Eingang in die Köpfe der Menschen finden und in der Betriebspraxis auch konsequent umgesetzt werden. Der Schutz der Mitarbeiter muß fester, integrativer Bestandteil der Unternehmenspolitik werden, damit die Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich sind, ihre Mitarbeiter mehr motiviert werden und so die Innovation der Betriebe vorantreiben. Besondere Bedeutung hat dabei die Prävention, die eine tragende Säule des neuen Arbeitsschutzverständnisses ist. Vorausschauende Gestaltung der Arbeitsbedingungen, frühzeitiges Erkennen von Risiken in der Arbeitswelt sind dabei die wesentlichen Merkmale. Dazu gehört auch die Gesundheitsfiirderung im Betrieb durch Gestaltung der Arbeitsaufgabe und der Arbeitsumgebung, aber auch durch Gesundheitsförderprogranune, wie zum Beispiel Rückenschulen, die zur Vermeidung von arbeitsbedingten Muskel- und Skeletterkrankungen beitragen. Dieses Verständnis ist längst mehr als nur ein theoretisches Konzept, da es schon in einer Reihe von Betrieben sehr erfolgreich praktiziert wird. So trat z. B. in einem mittelständigen Unternehmen der Metallverarbeitung eine Häufung gesundheitlicher Beschwerden im Muskel- und Skelettbereich auf. Durch eine gemeinsame technische Umgestaltung der Arbeitsplätze durch die Geschäftsfiih-
Arbeits- und Gesundheilsschutz einer zukunftsorientierten Unternehmenspolitik
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rung, den Betriebsrat, die Vorarbeiter und Meister gingen diese Beschwerden binnen kurzer Zeit von 40 % auf 24 % zurück und der Krankenstand sank von ca. 9 % auf 3 %. Der Prävention werden auch Modellvorhaben zur Bekämpfung arbeitsbedingter Erkrankungen dienen, mit deren Förderung wir dieses Jahr konkret beginnen. Dafür stehen bis 1996 35 Mio. DM zur VerfUgung. Es sollen mit diesen Vorhaben insbesondere Maßnahmen zur Früherkennung, Beratung und Aufklärung bei arbeitsbedingten Erkrankungen gefördert werden. Dazu werden arbeitsmedizinische Zentren unterstützt, die mit allen im Arbeits- und Gesundheitsschutz Beteiligten eng zusammenarbeiten und den Transfer ihrer arbeitsmedizinischen Erkenntnisse in die Praxis organisieren sollen. Diese unterschiedlichen Maßnahmen und das Beispiel aus der Praxis verdeutlichen: Arbeits- und Gesundheitsschutz kann nie sozialer Ballast sein. Dies gilt sowohl für die gesamte Volkswirtschaft als auch für die einzelne Arbeitsstätte. Besondere Probleme stellen sich aufgrund der demographischen Entwicklung. Wir alle wissen, daß unsere Erwerbsbev61kerung immer alter wird. Ab dem Jahr 2000 wird das Potential an älteren Erwerbspersonen das der jüngeren übersteigen. Die bisherige Praxis, ältere Arbeitnehmer einfach freizuzsetzen, wird bald nicht mehr funktionieren. Dies wäre auch unsinnig, denn ältere Arbeitnehmer verfUgen über einen Schatz von Erfahrungen; wir können es uns nicht leisten, diesen Schatz zu vergeuden. Es müssen daher verstärkt Anstrengungen unternommen werden, die Arbeitsbedingungen, die Organisationsstukturen, die QuaIifikationsmaßnahmen im Betrieb an die Erfordernisse alterer Arbeitnehmer anzupassen. Ich bin nicht sicher, ob sich tatsächlich schon viele Personalleitungen in den Unternehmen mit diesem Problem beschäftigt haben. Wenn nicht, wird es im Sinne langfristiger Planungen höchste Zeit. Denn die Ursachen zum Beispiel für die Frühinvalidität, dafür, daß in manchen Berufen, wie z. b. bei den Busfahrern, die Arbeitnehmer zu einem sehr großen Teil weit vor Erreichung der Altersgrenze in den Ruhestand gehen, liegen oftmals in den widrigen Arbeitsbedingungen, denen diese Arbeitnehmer über Jahrzehnte ausgesetzt waren und sind. Die menschengerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen kann letztendlich auch dazu beitragen, dieses Problem zu lösen. Dabei wird der Staat auch künftig seinen Beitrag leisten. Durch Forschung und Entwicklung werden wir weitere Erkenntnisse über die Gesundheitsrisiken der Arbeitswelt gewinnen sowie Methoden und Instrumente zur Identifi-
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Norbert BIOm
zierung solcher Gesundheitsrisiken und zur Gestaltung menschengerechter Arbeitsbedingungen bereitstellen. Die Bundesregierung wird durch das "Arbeits- und Technik-Programm" dafiir auch weiterhin erhebliche Mittel bereitstellen. Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung Im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung haben wir darüber hinaus eine Reihe von Initiativen zur Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz für den Arbeitnehmer gestartet: 1. Wir haben die gewerblichen Berufsgenossenschaften aufgefordert, ihre Unfallverhütungsvorschriften zur sicherheitstechnischen und betriebsärztlichen Betreuung mit dem Ziel der Betreuung aller Arbeitnehmer zu ändern. Dabei setzen wir auf den Unternehmer selbst und haben für die sicherheitstechnische Betreuung von Kleinbetrieben das sog. "Unternehmermodell" entwickelt. Dieses Modell versteht sich als Alternative zur bisher üblichen Betreuung der Unternehmen. Informations- und Motivationsmaßnahmen für den Arbeitsund Gesundheitsschutz sollen den verantwortlichen Unternehmer sensibilisieren, damit in seinem Betrieb Gesundheitsrisiken erkannt und beseitigt werden. Qualifizierte externe sicherheitstechnische Beratungen werden diese Maßnahmen begleiten. 2. Zusätzlich bereiten wir ein neues, qualitativ und quantitativ erweitertes Ausbildungskonzept für die Sicherheitsfachkräfte vor. Dieses Ausbildungskonzept wird dem erweiterten Arbeitsschutzverständnis Rechnung tragen. 3. Schließlich haben wir gemeinsam mit den Betriebsärzten, den Berufsgenossenschaften und den Ländern Qualitätskriterien für die betriebsärztliche Tätigkeit erarbeitet und sind dabei, dies auch für die Sicherheitsfachkräfte zu tun. Alle diese Initiativen dienen dem Ziel der menschengerechten Gestaltung der Arbeit. Denn gerade in einem rohstoffarmen, exportorientierten Land wie der Bundesrepublik werden gesunde, motivierte und qualifizierte Mitarbeiter im Betrieb künftig ein noch entscheidenderer Wettbewerbsfaktor sein als bisher. So sorgen gesunde Arbeitsbedingungen für eine gesunde Volkswirtschaft. Enges partnerschaftliches Zusammenwirken zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den Betrieben ist der entscheidende Motor, den Arbeitsschutz als umfassende Innovation zum Wohle sowohl der Beschäftigten als auch der Unternehmen zu realisieren und ständig weiterzuentwickeln.
Umweltschutz als internationaler Wettbewerbsfaktor Von Ulrich Steger und Sabine Spelthahn 1. Einleitung Die Debatte, ob Umweltschutz die Wettbewerbsposition Deutschlands beeinträchtigt oder ob umgekehrt Umweltschutz die Wettbewerbsposition stärkt, stellt gleichsam einen "Evergreen" (Sprenger 1992, S. 1) der wirtschaftspolitischen Diskussion dar. Um die gegenwärtige Diskussion einordnen zu können ist ein kurzer Rückblick auf die Umweltpolitik sinnvoll. Die Debatte pro und contra Umweltpolitik verlief bisher in verschiedenen Phasen: 1. Phase: Setzt man den Beginn der Umweltpolitik mit dem 1969 angekündigten und 1971 veröffentlichten Regierungsprogramm der Sozialliberalen Koalition an, so kennzeichnet die 1. Phase der Umweltpolitik eine Zunahme von Gesetzen und Regelungen, die aber unter wettbewerbspolitischen Gesichtspunkten von der Industrie relativ kommentarlos akzeptiert wurden, da Konkurrenzländer wie USA und Japan eine noch strengere Umweltpolitik betrieben. 2. Phase: Die 2. Phase der Umweltpolitik setzte nach der 1. Ölkrise 1974 und der im Anschluß daran einsetzenden Rezession ein. Auch damals betonte die Industrie - ähnlich wie heute - die möglichen negativen Auswirkungen des Umweltschutzes auf Wachstum, Beschäftigung und die internationale Wettbewerbsfähigkeit und damit die mögliche Beeinträchtigung des Standortes Deutschland. Dies fiihrte zu dem Beschluß auf Schloß Gymnich im Jahr 1975, die umweltschutzinduzierten Belastungen der deutschen Industrie nicht über diejenigen anderer hochindustrialisierter Staaten ansteigen zu lassen und damit de facto zu einem Stop der Umweltpolitik. 3. Phase: Mit dem Einsetzen der konjunkturellen Erholung zu Beginn der 80er Jahre begann die Phase, in der die Umweltpolitik zunehmende Akzeptanz erfuhr und sich auch auf Seiten der Industrie eine ausgewogenere Sichtweise durchsetzte. Die Umweltschutzindustrie wuchs in dieser Zeit zu einem bedeutenden Teilsegment der Wirtschaft. 4. und gegenwllrtige Phase: Auf dem Hintergrund der Herstellung der deutschen Einheit, dem Transformationsprozß in Osteuropa sowie der allgemei-
Vlrich SIeger und Sabine Spclthalm
30
nen ökonomischen Krise wird heute vor allem aus dem Bereich der Industrie daraufhin gewiesen, daß Deutschland im Umweltschutz bereits eine fiihrende Position erreicht habe und weitere Belastungen nicht mehr verkraften könne. Eine Atempause im Umweltschutz sei notwendig, andernfalls müsse mit einer spürbaren Beeinträchtigung des Standortes Deutschland gerechnet werden. Es wird ein "Stop der erdrückenden Umweltauflagen" (Capital 4/93) gefordert.
StandortkriterIen bzw. ·faktoren
I
I
I
I
Produktions· und kostenrelevante Standortraktoren
Absatzrelevante Standortfaktoren
"weiche- Standortfaktoren
- Markt- und Kundennähe
- VerfOgbart.eit von Gewerbenächen
- politische
- kurzfristige LiefermOglichkeit
- Verfilgbartteit von Arbeitskräften
- Arbeitstrieden
- Umgehung von Importreslriklionen
I.B. (Importkontingente. ZOlle) - Vermeidung von Wechselkursrlsiken
Stabilit~U
- Rohstoffbasis
• Akzeptanz seilens der Nachbarn
- AgglomeratIonsvorteile
- Technikakzeptanz
- Infrastruktur
• Umweltqualitlt
- Lohnkosten
- Image des Standortes
- Sozialabgaben
• Wohne, Bildungs-, Kultur- und
• Arbeitszeitregelungen
Freizeitangebot
- Energiekosten - Transportkosten - Umweltschutzanforderungen - Steuern - VerfOgbarkeit von Subventionen
Abbildung 1: Standortkriterien bzw. -faktoren Quelle: Sprenger 1992, S. 11
Dem wird allerdings auf der anderen Seite entgegengehalten, daß auch und gerade in den industriell geprägten, hochentwickelten Volkswirtschaften Umweltschutz selbst zu einem bedeutsamen Standortfaktor geworden ist. Dies ist erstens deswegen der Fall, da steigende Absatzchancen für umweltrelevante Technologien und Produkte durch die Umweltpolitik hervorgerufen werden. Zweitens - und dies wird auch in der Zukunft immer wichtiger - werden umweltbelastete Regionen von den Unternehmen mehr und mehr gemieden: Die Attraktivität eines Standortes hängt auch von sogenannten "weichen Faktoren" ab (Prätorius, 1992). Welche Effekte überwiegen - die positiven oder die negativen - ist zwar die hier besonders interessierende und spannende Frage. Sie kann jedoch - dies sei bereits vorweggenommen - von der empirischen Wirtschaftsforschung nicht mit letzter Klarheit beantwortet werden. Es lassen sich allerdings eine Reihe
Umweltschutz als intemationaler Wettbewerbsfaktor
31
von Argumenten und empirischen Fakten finden, die zumindest eine tendenzielle Antwort erlauben.
2. Umweltschutz und Standortqualitit Der Umweltschutz wirkt auf verschiedenen Ebenen positiv wie negativ auf die Standortqualität ein. Abbildung 1 verdeutlicht die Komplexität der Diskussion, da auf die Standortqualität eines Landes viele Faktoren einwirken. In der Abbildung läßt sich erkennen, daß der Umweltschutz auf 3 Ebenen auf die Standortqualität einwirkt. Erstens als Produktions- und kostenrelevanter Standortfaktor, zweitens als absatzrelevanter Standortfaktor - z. B. Umweltbewußtsein der Haushalte in Konsumgüterbereich sowie Absatzmarkt für Umweltschutzgüter - und drittens als sogenannter "weicher Faktor" in Fonn der Umweltqualität (vgl. Abb. 1) Einige grundlegende Zusammenhänge zwischen Umweltschutz und Standortqualität seien an dieser Stelle kurz angerissen (vgl. ausführlicher Meissner/Gräber-Seißinger 1992/Sprenger 19921Umweltbundesamt, Berichte 1/1993). Insofern der Umweltschutz nach dem Verursacherprinzip angelastet wird, führt dies i. d. R, zu spezifischen Umweltschutzinvestitionen, um bestimmte Grenzwerte einzuhalten. Bei unveränderter Produktionstechnik, d.h. also bei additiven Umweltschutztechnologien, stellt dies zweifellos einen Kostenfaktor für die Industrie dar. Können die steigenden Kosten nicht an die Verbraucher weitergewälzt werden, so werden direkt die Gewinne geschmälert. Aber auch, wenn die Kosten weitergewälzt werden können, so werden via steigende Preise die Märkte und damit der Umsatz verringert. In beiden Fällen sind also negative Auswirkungen möglich und der Industriestandort verliert tendenziell an Wert. So wurde sicherlich das produzierende Gewerbe - allen voran z.B. die Energiewirtschaft und die chemische Industrie - durch das immer dichter werdende Netz von Gesetzen und Verordnungen in den 70er und 80er Jahren mit zusätzlichen Kosten belastet. Es sind jedoch andererseits auch Anpassungsreaktionen der Unternehmen in Fonn einer veränderten Produktionstechnik, das heißt in Fonn integrierter Technologien, möglich. Diese müssen keine steigende Kostenbelastung darstellen, sondern können wettbewerbsneutral sein oder sogar Ressourcen einsparen und damit kostensenkend wirken. Darüber hinaus können die kurzfristig negativen Effekte der Umweltpolitik langfristig in positive Effekte umschlagen, wenn durch die neuen Technologien und Produkte neue Absatzmärkte geschaffen werden. Dies ist dann der Fall, wenn andere Länder und Regionen mit den Umweltstandards nachziehen und umweltfreundliche Produkte und/oder Umweltschutztechnologien importieren. Der Innovator kann
32
Ulrich Steger lUId Sabine Spelthalm
dann "Pioniergewinne" erzielen. Der Wettbewerbsnachteil kann sich in diesem Fall fiir die gesamte VoIkswirtschaft in einen Wettbewerbsvorteil verwandeln. Drittens wird fiir Unternehmen die UmweItqualität eines Standortes zunehmend wichtiger, da Manager, Arbeiter und Angestellte umweltbelastete Regionen meiden. So dürfte die unzureichende Investitionsneigung in den neuen Bundesländern auch auf die z. T. katastrophalen Umweltbedingungen zurückzufUhren sein (Altlasten, Luft- und Wasserqualität). Insbesondere qualifizierte Arbeitskräfte sind bei schlechter UmweItqualität schwer zu gewinnen. Die Aufzählung der verschiedenen Ebenen verdeutlicht, daß Umweltschutz und Wettbewerbspolitik in einem ambivalenten Verhältnis zueinander stehen. Im folgenden soll versucht werden, einige empirische Fakten als Anhaltspunkte fiir die Diskussion zu geben. J. Umweltschutz als Belastungsfaktor
Bei der Diskussion, ob Umweltschutz einen Belastungsfaktor fiir die Standortqualität darstellt, wird zumeist auf die hohen Umweltausgaben im Vergleich Z)J anderen Ländern verwiesen (vgl. Tab. 1). Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß die Umweltschutzausgaben in Deutschland im Jahr 16,4 Mrd. Dollar in Wechselkursen von 1980 betragen. So viel wurde ungefähr auch in Japan ausgegeben. Im Gegensatz zu Japan sind allerdings die Umweltschutzausgaben in Deutschland gegenüber 1980 um 38 Prozent angestiegen. während in Japan die Umweltschutzausgaben gegenüber 1980 um 17 v. H. zurückgingen. Neben Japan und Deutschland hat nur die USA einen höheren absoluten Betrag an Umweltschutzausgaben vorzuweisen. Interessant fiir den internationalen Vergleich ist allerdings vor allem der prozentuale Anteil der Umweltschutzausgaben am Bruttosozialprodukt (vgl. Abbildung 2). Außer Deutschland mit Umweltschutzausgaben in Höhe von 1,74 v. H. des Bruttosozialprodukts im Jahr 1991 hat nur Österreich einen höheren Wert mit 1,94 v. H. des BSP aufzuweisen. Danach folgen die Niederlande mit 1,46 v. H .. In den USA - in der Tabelle damit an 4. Stelle - beträgt der Anteil knapp 1,4 v. H. und in Japan rund 1,0 v. H. Die niedrigsten Werte weisen Norwegen (0,57 v. H.), Dänemark (0,78 v. H.) und Schweden (0,87 v. H.) auf. Die Reihenfolge sei noch einmal anhand Abbildung 2 verdeutlicht. Ebenfalls hoch sind in Deutschland die Anteile der privaten Unternehmen an den Umweltschutzausgaben. In Deutschland beträgt dieser 63 v. H., nur übertroffen von Oesterreich mit 65 v. H.. Danach folgen an 3. Stelle die USA (59 v. H.), Finnland (57 v. H.) und Großbritannien (52 v. H.) (vgl. auch Abbildung 3). In Japan beträgt der private Anteil an den Umweltschutzausgaben dagegen lediglich 12 v. H..
i
711
4982
47105
67S
5387
43570
Kanada
13209
6464
705
11829
911
5887
677
633
1235
DeulschlandJ
ÖsIerreich 2
Frankreich2
Dänemark
Norwegen 2
Schweden2
1991
1301
484
703
7171
1783
16369
0,99
1,15
1,02
0,87
0,92
0,81
0,90
0,88
0,87
0,57
0,78
0,91
1,94
1,45 1,50
1,74
1,22
1,46
28,8
33,3
9,9
49,8
34,4
32,4
11,5
37,8
65,0
22,0
59,0
31,0
63-,0 36,9
33,3
12,0 57,0
48,6
8,6 20,2
1991 52,0
26,6
36,6
33,S
36,4
30,4
58,9
59,6
1,36
1,53
34,9
40,2
1,30
1,28
1,47
1,59
12,8 S5,3
14,1
1,05
1,16
53,5
1,02
1,34
1,10
1,62
50302
2818
2,04
1,30
1,84
1986 50,0
1980
1,2
I,S4
48,5
1991
Anteile der Umweltschutzaufgaben der Unlernehmen in vH4
0,93
1986
1980
4706
742
16170
6270
Anteile am BSP in VH
18,9
12,9
119,1
103,2
90,5
249,7
360,4
26,3
2,6
14,7
329,3
234,5
1989
nachr.: Einwohner jeqkmS
Quelle: Umweltbundesamt (Hrsg.), Berichte 111993, S. 33
Quelle: lW-Trends 2/92, Berechnungen des DIW. - Ipreise und Wechselkurse von 1980. - lTeilweise abweichende Berichlsjahre. - 3Westdeutschland einsch!. Berlin(West); hierfür lagen keine Daten aus 1986 vor, sie sind durch Daten aus 1985 ersetzt. - 4Produzierendes Gewerbe ohne Baugewerbe sowie Land- und Forstwirtschaft, Fischerei. In einzelnen Ländern abweichende Abgrenzung, siehe dazu OECD (Hrsg.), Pollution Control and Abatement Expenditure in OECD Countries. A Statistical Compendium. Environment Monographs Nr. 38, Paris 1990. - SQuelle: Eurostat.
1267
556
1255
2293
1875
Niederlande2
USA
17629
19572
Finnland
Japan
1986
7312
8297
GroßbrilaJmien
1980
Werte in Mio US $1
Tabelle 1 Umweltschutzausgaben im internationalen Vergleich
w w
i
i
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I.
5·
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Ulrich Steger 1D1d Sabine Spclthahn
34
Wenn man davon ausgeht, daß Güter, die mit hohen Umweltschutzkosten belastet sind, gleichzeitig auch eine Verschlechterung ihrer Wettbewerbsposition erleiden, so stellt sich nach der Untersuchung von Low und Yeats (vgl. LowNeats, 1992, nach Umweltbundesamt (Hrsg.) 1993, S. 92) folgender bemerkenswerter Sachverhalt bemerkenswerter Sachverhalt heraus: Wenn man davon ausgeht, daß Güter, die mit hohen Umweltkosten belastet sind, gleichzeitig auch eine Verschlechterung ihrer Wettbewerbsposition erleiden, so stellt sich nach der Untersuchung von Low und Yeats (vgl. LowNeats, 1992, nach Umweltbundesamt (Hrsg.) 1993, S. 92) folgender bemerkenswerter Sachverhalt heraus: Auch bei urnweltintensiv gefertigten Gütern - als urnweltintensiv wurden in den USA diejenigen Industrien eingestuft, die im Jahr 1988 die höchsten Ausgaben fiir Umweltschutz hattenl - ist die Wettbewerbsposition Deutschlands im Vergleich zu anderen Ländern nicht beeinträchtigt. Bei ausgewählten urnweltintensiv produzierten Gütern nimmt Deutschland im Jahr 1988 trotz der mit diesen Produktionen verbundenen hohen Umweltschutzauflagen die fiihrende Position ein (vgl. Tabelle 2).
2,5
(I""""-;:===~--------------------I
.1980 Cl 1986 01991(3)
2]-~====-----~~~-------------~
Groß·
Japan
Finnland
Kanada
USA
britannien
Quelle: lW-Trends 2/92 Standort Bundesrpublik Deutschland
Niederlande
Deutsch· land
Österreich
(3) Berechnungen des IW.
Abbildung 2: Anteile der Umwe1tschutzausgabcn am BSP in ausgwlhlten IndustrielIndern Quelle: Umweltbundesamt (Hrsg.), Berichte 111993, S. 34
I
Diese Industrien hatten Umweltkosten, die höher als 1 v. H. ihres Umsatzes waren.
Umweltschutz als internationaler Wettbewerbsfaktor
3S
Mit einem Anteil von 11,9% am Welthandel und einem Ausfuhrvolumen von 45,6 Mrd. US-Dollar steht Deutschland an erster Stelle beim Export von umweltintensiven Gütern, gefolgt von den USA (28,5 Mrd.), Kanada (25,2 Mrd. US-Dollar), Frankreich (22,0 Mrd.), Belgien-Luxemburg (20,8 Mrd.), Niederlande (20,3 Mrd.) und Japan (18,9).
70~---------------------------------------------'
60
so 40
30
20 10
I
1980
CI
1986
Quelle: IW-1h:zuis W2 Staadon Bun~publik DM""';'I .. '; - 1 ~ des Iw. Abbildung 3: Anteile privater Umweltschutzausgaben im internationalen Vergleich
in v. H. der gesamten Umweltschutzausgaben Quelle: Umweltbundesamt (Hrsg.), Berichte 1/1993,
Ulrich Sieger W1d Sabine Spelthahn
36
Fazit: Insgesamt ist der Anteil der Umweltschutzausgaben in Deutschland mit 1,7 v. H. des BSP im internationalen Vergleich sicherlich hoch. Der Abstand zu den übrigen Industrieländern ist allerdings als nicht gravierend zu bezeichnen. Darüber hinaus gibt es keine oder zumindest nur sehr schwache Anzeichen dafür, daß Branchen mit hohen Umweltschutzkosten, d.h. mit umweltintensiv produzierten Gütern, deswegen bisher ihre international führende Wettbewerbsposition verloren haben. Tabelle 2 Under mit der höchsten Ausfuhr von umweltintcnsiven GQtern (1988) nachr.: RWA-Wert
Welthandelsanteil (in vH)
Ausfuhr (Mrd. US$)
Bundesrepublik Deutschland
1,00
11,9
45,6
USA
0,67
7,4
28,S
Kanada
1,52
6,6
25,2
Frankreich
0,93
5,7
22,0
Belgien-Luxemburg
1,50
5,4
20,8 20,3
Niederlande
1,29
5,3
Japan
0,52
4,9
18,9
Großbritannien
0,90
4,5
17,3
Italien
0,88
4,2
16,0
Schweden
2,10
4,0
15,3
Finnland
3,27
2,6
10,0
Sowjetunion
1,85
2,2
8,3
Brasilien
1,55
2,1
7,9 6,9
Österreich
1,57
1,8
Spanien
1,17
1,8
6,8
Süd-Korea
0,75
1,7
6,6
Taiwan
0,64
1,6
6,2
Norwegen
1,74
1,6
6,0
Australien
1,26
1,5
5,7
Schweiz
0,71
1,5
5,6
Quelle: P. Low/A. Yeats, 1992, a.a.o., Berechnungen des DIW. Siehe Übersicht A 2.2-1.
Quelle: Umweltbundesamt (Hrsg.), Berichte 1/1993, S. 92
Umweltschutz als internationaler Wettbewerbsfaktor
37
4. Umweltschutz als Marktchance Den möglichen negativen Effekten durch Umweltschutz stehen die positiven Effekte der Umweltpolitik gegenüber. Der Umweltschutz verbessert vor allem aus zwei Gründen - wie oben bereits angerissen - die Wettbewerbsposition. Erstens werden neue Absatzmärkte ftir Umweltschutz-güter geschaffen. Zweitens führen technologische Innovationen im Bereich Umweltschutz oft gleichzeitig auch zu betrieblichen Kostensenkungen -etwa durch die Einsparung von Energie oder durch die Einsparung von Entsorgungskosten. Das Marktvolumen ftir Umweltschutzgüter wird derzeit in Deutschland auf etwa 40 Mrd. DM pro Jahr geschätzt, wobei jährliche Wachstumsraten zwisehen 6 und 8 Prozent zu erwarten sind (vgl. BOI 1992, S. 58). Ein bedeutender Markt ftir Umweltschutzgüter öffnet sich außerdem im Ausland. Neuere Untersuchungen belegen, daß die Bundesrepublik Deutschland die Spitzenposition beim Export von Anlagen zum Umweltschutz einnimmt (vgl. Tabelle 2). Bei einem gesamten Handelsvolumen umweltrelevanter Güter von 166 Mrd. DM im Jahr 1990 kommt Deutschland ein Anteil von 21 v. H. zu. was einem Handelsvolumen von 35 Mrd. DM entspricht. Danach folgen an zweiter Stelle die USA (16 v. R), gefolgt von Japan (13 v. R), Italien (10 v. H.), Großbritannien (9 v. H.) und Frankreich (8 v. R). (vgl. Legler u.a. 1992, S. 111-113).
Deutschland
USA
Japan
Italien
Großbritannien
Frankreich
Abbildung 4: Anteile am Weltmarkt bei umweltrelevanten Giltem im Technologiebereich in Pr0-
zent im Jahr 1990 (1990=166 Mrd. DM) Quelle: Legter u. a. 1992 nach DIW 1993a, S. 205
Vlrich SIeger und Sabinc Spclthahn
38
Ein weiterer Indikator für die starke Stellung Deutschlands im Umweltschutzbereich ist die Zahl der Patentanmeldungen für Umweltschutztechnologien. Bei den internationalen Patentanmeldungen im Bereich der Umwelttechnik, die in mehr als einem Land angemeldet wurden, entfielen im Zeitraum 1985-1988 auf die Bundesrepublik Deutschland 30 Prozent (vgl. Gerstenberger 1992 nach DIW 1993a, S. 204). Danach folgten die USA mit 22 v. H. und Japan mit 12 v. H .. Die anspruchsvolle Umweltpolitik in Deutschland war damit ein Anreiz für die Entwicklung neuer Zukunftstechnologien. Die Bundesrepublik Deutschland verfügt daher insgesamt über eine relativ günstige Ausgangsposition auf einem Markt, der in Zukunft sicherlich noch an Dynamik gewinnen wird. Nach einer Prognose der OECD ist für den Zeitraum von 1990 bis zum Jahr 2000 ein ansteigendes Marktvolumen von 200 Mrd. US-Dollar auf 300 Mrd. US-Dollar pro Jahr zu erwarten (vgl. OECD 1992, S. 12 ff.) .
1200000
o neue Bundesländer (1) I:lalte Bundesländer
100 80
546000
1990
2000
(1) Zahl für dl. neuen Bunde.länder Anfang '11
Abbildung 5: Arbeitsplätze im Umweltschulzbereich Quelle: DIW (l993b)
Umweltschutz all internationaler Wcttbewerbsfaktor
39
Der Erfolg der deutschen Anbieter von Umweltschutzgütern und -dienstleistungen schlägt sich auch auf dem Arbeitsmarkt nieder. Die vom Umweltbundesamt herausgegebene Studie des DIW und RWl schätzt die Zahl der im Umweltschutz Beschäftigten auf circa 500.000 im Jahr 1988 allein in den alten Bundesländern (vgl. Umweltbundesamt 1993, S. 127). In einer Studie des DIW (vgl. DIW 1993b) wird die Zahl der aktuell Beschäftigten in den alten und neuen Bundesländern insgesamt auf 680.000 im Jahr 1990 berechnet. Diese Anzahl könnte sich bis zum Jahr 2000 noch fast verdoppeln (vgl. Abb. 5).
5. Umweltschutz und Standortverlagemng Die Faktoren für eine Entscheidung, den Standort zu verlagern sind in der Regel so vielschichtig, daß es kaum möglich ist, den Anteil der Umweltschutzgesetzgebung in der Entscheidung herauszufiltern. Ausschlaggebend für Standortverlagerungen dürften an erster Stelle andere Faktoren sein wie Bereitstellung von Gewerbeflächen, Arbeitskosten usw. Einige Anhaltspunkte geben Unternehmensbefragungen. In einer Untersuchung in den frühen achtziger Jahren auf der Basis von 150 befragten Unternehmen konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen Umweltschutzaufwendungen und Standortverlagerungen gefunden werden (vgl. Knödgen 1982). Eine neuere Untersuchung bestätigt, daß Umweltschutz bei der Überlegung, den Standort zu verlagern, nur eine geringe Rolle spielt. Danach waren für 80 v. H. von 600 befragten Unternehmen die Umweltschutzgesetzgebung kein Grund, über Produktionsverlagerungen ins Ausland nachzudenken (vgl. AnteslTieblerlSteger 1991). Allerdings könnte sich das in Zukunft ändern. In einer Befragung unter 667 Spitzenkräften (vgl. Capital 4/93, S. 98 ff.) aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung äußerten sich 35% der befragten WirtschaftsfUhrer dahingehend, daß sie über Standortverlagerungen nachdenken. An erster Stelle der möglichen neuen Standorte wurde dabei die Tschechische Republik genannt (34%), gefolgt von den neuen Bundesländern (18%), Slowenische Republik (15%), Ungarn (10%) und Polen (10%). Allerdings dürften hierbei vor allem die niedrigeren Arbeitskosten ausschlaggebend sein. In derselben Befragung äußerten 53 v. H. der befragten Wirtschaftsftihrer, daß sie einen Verzicht auf verschärfte Umweltschutzregelungen rur sehr wichtig halten, 27 v. H. hielten dies für nicht so vordringlich und 17 v. H. hielten den Verzicht auf eine verschärfte Umweltschutzregelung für schädlich (vgl. ebenda, S. 106). Insgesamt ergibt sich jedoch in wissenschaftlichen Untersuchungen ein überraschend einheitliches Bild, daß eine strengere Umweltschutzgesetzgebung in Deutschland langfristig eher als Wettbewerbsvorteil, denn als Nachteil angesehen wird (vgl. Prätorius 1992IUmweltbundesamt 1993/Sprenger 1992). !
U1rich SIeger und Sabine Spelthalm
40
Die Qualität der Umwelt ist inzwischen als wesentliches Element der Neuausrichtung fiir Standortpräferenzen anzusehen (prätorius 1992. S. 155). da fiir eine Standortentscheidung die Möglichkeit. qualifizierte Führungskräfte zu gewinnen. als sehr wichtig angesehen wird. Diese wiederum ist eng mit den "weichen Standortfaktoren" verknüpft (vgl. zu Details Fees-Dörr I Prätorius I Steger 1988).
6. Fazit Nach den empirischen Fakten zu urteilen. lassen sich insgesamt keine Anhaltspunkte dafiir finden. daß die Umweltpolitik die Qualität des Wirtschaftsstandorts Deutschland generell beeinträchtigt hat. Dies schließt nicht aus. daß Standortentscheidungen einzelner Unternehmen durch umweltpolitische Maßnahmen beeinflußt worden sind. Dem Umweltschutz als Kostenfaktor auf der einen Seite stehen auf der anderen Seite erhebliche Vorteile durch den Umweltschutz gegenüber. die vor allem in dem Wettbewerbsvorteil auf den Märkten fiir Umweltschutzgüter liegen. Diese Vorteile können durch ein stärker offensiv ausgerichtetes Umweltmanagement in der Zukunft noch ausgebaut werden.
Literaturveruicbnis Antes, R.rriebler, P.lSteger, U. (1991),Ergebnisse der Interviews mit Mitgliedern der GeschAftsleitung
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Umweltschutz als internationaler Wettbewetbsfaldor
41
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R.-v.
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Weichenstellungen f"tir Wachstum und Beschäftigung in Deutschland Von Karl-W. Vogel Vorbemerkung Anliegen dieses Referates ist es, aus der Sicht eines Unternehmensberaters darzustellen. welche Weichenstellungen aus unserer Erfahrung und in Kenntnis der deutschen Wirtschaft notwendig wären, um auch für die Zukunft weiteres Wachstum mit der Folge anhaltend guter Beschäftigungsentwicklung und Erhaltung des erreichten Wohlstandsniveaus zu sichern. Die Erörterung des Themas soll in drei Abschnitte gegliedert sein: A. Zunächst muß man sich damit befassen, was eigentlich den Wirtschaftsstandort Deutschland heute charakterisiert. Insbesondere ist zu analysieren, welche Stärken er hat. wie sich die Problemlandschaft strukturiert und welche generellen Perspektiven sich für die Zukunft ergeben. B. Um sich bietende Perspektiven optimal zu nutzen, wird Handlungsbedarf auf verschiedenen Ebenen gesehen. Dieser Handlungsbedarf soll im zweiten Abschnitt skizziert werden. C. Abschließend soll benannt werden, welche Aussichten sich für den Standort Deutschland bei den sich bietenden Optionen für die Jahre 1995 ergeben könnten. Sinn und Zweck dieses Vortrages ist es nicht. umfänglich vorhandene, sehr akademische Studien eine weitere hinzuzufiigen; vielmehr will dieses Referat anband einer Vielzahl von Fakten die aktuelle Situation sowie die sich bietenden Chancen und Risiken verständlich herleiten und beschreiben. A. Situation am Wirtschaftsstandort Deutschland im Jahr 1993 Wenn wir den Wirtschaftsstandort Deutschland in seiner aktuellen Situation betrachten, so ist zunächst festzuhalten, daß unser Land heute sicherlich nicht mehr als isolierte Einheit zu sehen ist, sondern als integraler Bestandteil des europäischen Wirtschaftsraumes. Unter dem europäischen Wirtschaftsraum verstehen wir Westeuropa insgesamt. also nicht allein die Europäische Gemeinschaft, sondern zusätzlich, beispielsweise den EFfA-Raum.
Karl-W. Vogel
44
Betrachtet man sich die Positionierung Deutschlands innerhalb der EWR. dann stellen wir fest, daß Deutschland etwa 21 % der Bevölkerung ausweist. Wir produzieren mit diesen 21 % immerhin 24 % der Bruttoinlandsprodukte, bringen 32 % der F+E-Ausgaben, 24 % der Exporte und 30 % der Auslandsinvestitionen. Von daher betrachtet ist leicht abzuleiten, daß die Deutschen in Europa sicherlich eine der führenden Wirtschaftsnationen, wenn nicht die führende Nation ist. Ein weiteres Indiz fiir unsere starke Position ist sicherlich auch der Wohlstand unserer Bevölkerung, der - gemessen in Bruttoinlandsprodukt pro Kopf - auf diesem Planeten kaum übertroffen wird. Im Vergleich mit dem Westteil unseres Landes liegen nur noch die Amerikaner und Schweizer knapp vor uns. Zusammengenommen mit Ostdeutschland fällt Deutschland zwar zurück, belegt aber immer noch hinter Japan und Frankreich den 5. Platz. Auch unserem Ruf als "Exportweltmeister" fiir Industriegüter werden wir nach wie vor gerecht. In 1992 erreichten wir mit Industriegüter-Exporten in Höhe von 319 Milliarden US-$ vor Japan und USA den 1. Platz. Allerdings ist bei Betrachtung der Größenordnungen erkennbar, daß wir nur noch 29 Milliarden vor den Japanern bzw. 38 Milliarden US-$ vor den Amerikanern lagen - bei weiter abnehmender Tendenz.
Aber: Deutsche Exporte auf Europa konzentriert bei Untergewichtung der Wachstumsmärkte in Fernost/USA Deutsche Exporte 1992 Weltweit 430 Mrd. US$
EG 234 Mrd. US$
Ost9uropa
.GUS
EWR
GB.IRL
Quelle: Eurostat, OECD, Roland Berger & Pamer-Berechnungen
Weichenstellungen filr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland
45
Es lohnt sich, eine differenzierte Analyse der deutschen Exportaktivitäten vorzunehmen. Wenn man sich beispielsweise vergegenwärtigt, wohin wir eigentlich exportieren, dann ist festzustellen, daß wir uns extrem stark auf den europäischen Wirtschaftsraum selbst, also auf unsere nächsten Nachbarn, konzentrieren. Dies hat sicherlich historisch eindeutig nachvollziehbare Gründe nämlich das über dem weltwirtschaftlichen Wachstum liegende Wachstum imEWR-Raum in den 60er und 70er Jahren - fiihrte aber dazu, daß wir auf wichtigen Zukunftsmärkten, insbesondere in Japan und den Tigerstaaten sowie in Nordamerika, heute nur relativ schwach vertreten sind (Abbildung 1). Aber: Deutsche Exporte auf Europa konzentriert bei Untergewichtung der Wachstumsmärkte in FemostlUSA. Würde man sarkastisch formulieren, könnte man auch sagen, Österreich sei uns wichtiger als die Tigerstaaten. Man könnte annehmen, daß diese Verhältnisse seit längerem bekannt sind und man reagiert hat. Dem widerspricht allerdings die Betrachtung des Investitionsverhaltens beispielsweise im Jahr 1991: Entgegen den Erwartungen zeigt sich, daß wir offensichtlich noch nicht im notwendigen Maße unsere 10vestitionsströme umgelenkt haben, denn auch im vorvergangenen Jahr betrugen die Direktinvestitionen, die wir innerhalb Europas tätigten, satte 93 % von insgesamt 53,2 Milliarden DM weltweit (Abbildung 2).
1991: 93% der deutschen Direktinvestitionen in Europa Deutsche Direktinvestitionen 1991
Weltweit 53,2 Mrd DM Qsleuropa +GUS 2,1%
EG
41,8 Mrd DM Nord·
..--rtT''h-- prod~läl SilÄI löligen kapila's 1990 1992 insgesami wertes schöpfung wertschöptunl tät rendite
Ausetwiilall. Br_DZlIr... l1Ir die._ U_.I1....ulz ...u p l _...... WirIscIaaft .......
Tabelle 7
i ~ ~
g
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.i
~
J
i.
5=!
j
11'
01
-...
Anmerkungen zum Wirtschaftsstandort Deutschland
127
Es sollte aber auch gesehen werden, daß den Kosten des Umweltschutzes vielfältige Nutzen und Erträge gegenüberstehen. und zwar sowohl in ökologischer wie in ökonomischer Betrachtung: Gerade in einem dichtbesiedelten Land wie der Bundesrepublik sind auch die Kosten eines unterlassenen Umweltschutzes in Rechnung zu stellen18 . Hier ist auf zwei Faktoren hinzuweisen: - Umweltschutz erhöht c. p .. die Chancen eines Standortes im interregionalen bzw. internationalen Wettbewerb. Eine intakte Umwelt gilt als zunehmend wichtiger, sog. weicher Standortfaktor, da Kapitalanleger, aber auch Manager, Arbeiter und Angestellte offensichtlich umweltbelastete Regionen mehr und mehr meiden. Hinzu kommt, daß viele Produktionsprozesse (etwa in der Land- und Forstwirtschaft, aber auch in sog. Hochtechnologiebereichen) hohe Anforderungen an die Umweltqualität stellen. So dürften die immer noch unbefriedigenden Investitionen in einigen Regionen der neuen Bundesländer auch auf die z. T. katastrophalen Umweltbedingungen zurückzuführen sein und - umgekehrt die allmähliche Erholung im Ruhrgebiet nicht zuletzt die unverkennbaren Erfolge in der Luftreinhaltung und der Wohnumfeldverbesserung widerspiegeln. Vergleichbare Beispiele lassen sich auch im internationalen Maßstab finden. - Die in- und ausländische Nachfrage nach Umweltschutzgütern stellt ein nicht zu unterschätzendes Absatzpotential dar, das eine beträchtliche Zahl von Arbeitsplätzen zu schaffen bzw. zu sichern vermag; Schätzungen über das gegenwärtige Produktionsvolumen schwanken zwischen 25 und 50 Mrd. DM. Die gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungswirkungen der Nachfrage der Unternehmen, des Staates und des Auslandes nach Umweltschutzgütern sind auf knapp eine halbe Million Erwerbspersonen zu beziffern; darüber hinaus sind die nicht unbedeutenden - und mutmaßlich überdurchschnittlich wachSenden - Erträge aus Patenten und Lizenzen für Umweltschutzgüter zu berücksichtigen. Freilich ist darauf hinzuweisen, daß die für den Umweltschutz aufgewendeten Mittel alternativen Verwendungen entzogen werden. so daß - von einer Situation stark unterausgelasteter Kapazitäten abgesehen - von zusätzlichen Arbeitsplätzen strenggenommen nicht gesprochen werden kann.
•1
vgJ. dazu vor allem A Endres (u. a.), Der Nutzen des Umweltschutzes. Synthese der Ergebnisse des
Forschungsschwerpunktprogrammes "Kosten der UmweltversclunutzungINutzen des Umweltschutzes". (Berichte des Umweltbundesamtes, Nr. 12191.) Berlin 1991.
128
R. Röhm, U. Heilemann, K. UIbbe. H. D. von Loeffetholz
Insgesamt betrachtet, stellen die Auflagen zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in der Bundesrepublik damit ein vergleichsweises dichtes Regelungswerk dar, das die Branchenstruktur der Wirtschaft durchaus signifikant verändert hat und noch weiter verändern wird. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, inwieweit noch Gestaltungsspielräume zu einer ökonomieverträglichen Politik bestehen, die stärker als bisher unternehmensinterne Handlungsspielräume einräumt und unternehmensexterne Austauschprozesse zuläßt, die unmittelbarer die Gewinne bzw. die Liquidität der Unternehmen beeinflußt, aber auch vorhersehbarer und kalkulierbarer ist19 • Generell - also nicht nur bezogen auf den Umweltschutz - gilt, daß ordnungsrechtliche Instrumente die Rechte und Pflichten der Exekutive und der Betroffenen eindeutiger definieren sollten. Dies könnte auch dazu beitragen, die oftmals als unerträglich lang beklagte Dauer von Genehmigungsverfahren zu verkürzen20• Die Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer international harmonisierten Umweltpolitik sollten nicht überschätzt, aber auch nicht übersehen werden: Divergierende Umweltschutznormen sind zu einem gewissen Teil das Resultat unterschiedlicher Umweltknappheiten, und daraus resultierende Abweichungen in den Kosten der Umweltnutzung sind als "natürliche" Standortvor- und nachteile im internationalen Wettbewerb hinzunehmen21 wohl erscheint vor allem aus verteilungspolitischen Gründen und bei grenzüberschreitenden Schadstoff-Frachten eine Harmonisierung der Umweltpolitik durchaus sinnvoll. Eine kritische Abwägung aller Fakten und Argumente läßt die These, daß die Unternehmen allein aus Umweltschutzgründen den Industriestandort Bundesrepublik meiden und die Produktion mehr und mehr ins Ausland verlagern, als überzogen erscheinen. Wer so argumentiert, verkennt den Nutzen des Umweltschutzes auch für die Unternehmen des Produzierenden Gewerbes; er I' Vgl. P. Klemmer, Umweltschutz und Wirtschaftspolitik. Grenzen der Belastbarkeit der Unterneh-
men. (Wirtschaftspolitische Schriften der Adolf-Weber-Stiftung. Bd. 17.) Bertin 1990, und P. Klemmer, Gesamtwirtscbafliche Effe1cte ökonomischer Instrumente des Umweltschutzes. In: Umweltschutz - Herausfordenmgen und CIwlcen filr die Wirtschaft. (Beihefte der KonjWlkturpolitik, Heft 38.) Bertin 1991, S. 135 20
Gesicherte Ergebnisse ober Dauer von Genehmigungsverfahren und die Ursachen filr mögliche
Verzögerungen liegen indessen nur vereinzeh vor. Vgl. dazu etwa R. Steinberg (u. a.). Zur Beschleuni-
gung des Genehmigungsverfahrens filr Industrieanlagen. Eine empirische und rechtspolitische Untersuchung. Baden-Baden 1991 11
Vgl. dazu P. Klemmer, Hannonisierung der Umweltpolitik in der EG. "Wirtschaftsdienst", Ham-
burg. Jg. 71 (1991), S. 262 ff.
Amnerkungen zum Wirtscharftsstandort Deutschland
129
übersieht, daß eine intakte Umwelt offensichtlich zu einem bedeutsamen, p0sitiv zu wertenden Standortfaktor geworden ist.
Deutsche Wettbewerbsposition im Energiesektor Für den Bereich der Energieversorgung hat das RWI die Auswirkungen des EG-Binnenmarktes auf Verbraucher und Energiewirtschaft in der Bundesrepublik untersucht. Im einzelnen wurden die von der EG-Kommission ins Auge gefaßten Integrationsziele und -maßnahmen fiir die Elektrizitäts- und Gasversorgung, den Steinkohlenbergbau und die Mineralölwirtschaft dargestellt und analysie.-22 • Gravierende Veränderungen auf die Standortentscheidungen, insbesondere energieintensiver Sektoren, sind danach vom EG-Binnenmarkt fiir Energie nicht zu erwarten. Allenfalls durch die Einführung wettbewerblicher Elemente in die leitungsgebundenen Energiemärkte (Strom und Gas) könnten Großverbraucher günstigere Tarife durchsetzen. Daß davon allerdings Standortentscheidungen abhängig gemacht werden, ist angesichts der relativ geringen Bedeutung der Energiekosten im allgemeinen und der Stromkosten im besonderen nicht zu erwarten. Eine Änderung dieser Einschätzung kann sich jedoch ergeben, wenn es infolge umweltpolitischer Entscheidungen (etwa einer Klimaschutzsteuer) zu einer starken Anhebung der Energiepreise kommt.
Bedeutung des deutschen Arbeits- und Tarifvertragsrechts sowie der Mobilität der Arbeitnehmer Das Arbeits- und Tarifrecht, also der institutionelle Rahmen des Arbeitsmarktes, kann wie andere Rahmenbedingungen auch nur schwer vom gesellschaftlichen Zusammenhang eines Landes und dem dort erzielten sozialen Grundkonsens abgetrennt und international verglichen werden. Die Übertragung einer in der einen Gesellschaft bewährten Verfahrensweise könnte den sozialen Frieden in der anderen Gesellschaft empfindlich stören, den sozialen Frieden und damit die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft negativ beeinflussen. Dies gilt zumal fiir Vorschläge, den gesellschaftlichen Umgang von Ar-
22
vgl. B. Hillebrand (u.a.), Auswirkungen des EG-Binnenmarktes filr Energie auf Verbraucher und
Energiewirtschaft in der Bundesrepublik. (Untersuchungen des Rheinisch-Westfllischen Instituts filr Wirtschaftsforschung, Heft 1.) Essen 1991. 9 Womeke
130
R. Röhm, U. Heilemann, K. Löbbe, H. D. von Loeffelholz
beitsmarktakteuren aus verschiedenen Kulturkreisen (z.B. Fernost und Europa) auf einen anderen AIbeitsmarkt übertragen zu wollen. Versucht man unter diesem Vorbehalt dennoch die Regulierungsdichte auf dem deutschen AIbeitsmarkt mit derjenigen auf den AIbeitsrnärkten der wichtigsten Wettbewerber auf den Weltmärkten ins Verhältnis zu setzen, wie dies im Standortgutachten des RWI von 1989 geschehen ist, kommt man zu den folgenden allgemeinen Ergebnissen: - Der bundesdeutsche AIbeitsmarkt scheint im Vergleich mit den Arbeitsmärkten der Hauptkonkurrenten nicht übermäßig stark reguliert zu sein. Wie bei vielen anderen standortrelevanten Faktoren nimmt die Bundesrepublik auch hier einen Mittelplatz ein. - Positiv ist insbesondere zu bewerten, daß in den letzten Jahren die befristete Beschäftigung erleichtert wurde. - Es ist zu prüfen, ob weitere Deregulierungen, etwa durch ein späteres Einsetzen des Kündigungsschutzes oder durch eine Erhöhung der Schwellenwerte beim Kündigungsschutz durchgeführt werden können, ohne die in Deutschland vergleichsweise hohe AIbeitsmotivation und AIbeitseffizienz zu gefährden.
Technologische Wettbewerbsposition der deutschen Wirtschaft Die Messung der technologischen Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft stützt sich bekanntlich auf drei konkurrierende Ansätze, die jeweils spezifische Stärken und Schwächen aufweisen23 : - Die Erfassung der monetären Aufwendungen fiir Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, wobei die unterschiedliche Größe der Unternehmen, Branchen und Regionen durch Bezug auf den Umsatz, die Bruttowertschöpfung, die Erwerbstätigen- oder die Einwohnerzahl ausgeschaltet wird; - die Auszählung der Patente, die (fiir den nationalen oder den internationalen Markt) fiir eine Firma oder ein Land registriert wurden bzw. die Gegenüberstellung der Einnahmen und Ausgaben fiir Patente und Lizenzen; - die Bewertung der "technologischen Reife" der Güter, mit denen ein Land am internationalen Handel teilnimmt. Hierzu sollen einige Ergebnisse kurz vorgestellt und kritisch beleuchtet werden.
23
Vgl. zu den nachfolgenden Ausftlhrungen K. Löbbe, Die Bundesrepublik Deutschland - Verlierer im
Teclmologiewettlauf? In: U. Heilemann, P. Klenuner und K. Löbbe (Hrsg.), S. 83 f[
Anmerkungen zum Wirtschaftsstandort Deutschland
131
Im Durchschnitt aller OECD-Staaten haben die Unternehmen und der Staat im Jahre 1989 für Forschung und Entwicklung mehr als 2,4 v. H. des BIP und damit mehr als je zuvor aufgewendee4 , auch wenn sich der für die erste Hälfte der achtziger Jahre charakteristische Ausgabenanstieg erkennbar abgeschwächt hat. Bedeutsam ist indes, daß zwischen den einzelnen Ländern, was die Anteile am BIP wie auch die Entwicklung im Zeitablauf angeht, gravierende Unterschiede bestehen: Zwar entfällt von den FuE-Ausgaben aller OECD-Staaten immer noch ein überwältigend hoher Anteil (etwa 47 v. H.) auf die Vereinigten Staaten; gemessen am BIP sind die FuE-Aufwendungen der amerikanischen Unternehmen und des Staates aber seit Jahren rückläufig. Der Anteil Japans belief sich auf knapp 18 v. H., die EG-Staaten trugen insgesamt 28 v. H. zu den FuE-Aufwendungen im OECD-Raum bei, in beiden Fällen mit steigender Tendenz. Unter den EG-Staaten wiederum nimmt die Bundesrepublik traditionell eine Spitzenposition ein - mit einem Anteil der FuE-Aufwendungen von zuletzt 2,6 v. H. lag sie deutlich vor Frankreich, Vereinigtes Königreich und Italien, wurde aber von Japan mitt:lerneile überltolt (vgl. Tabelle 8). Tabelle 8 Struktur der F&E·Ausgaben 1985 bis 1991 1985
1987 i
1989
1991
F&E·Ausgaben in vH des Bruttoinlandsprodukts Bundesrepublik Deutschland l Frankrl'ich Italien Vereinigtes Königreich
2,7 2,3 1,1 2,3
2,9 2,3 1,2 2,2
2,9 2,3 1,2 2,2
2,6 2,4 1,4 2,2"
EG Vereinigte Staaten Japan
1,9b 2,9 2,8
2,0 2,8 2,8
2,0 2,7 3,0
2,0 2,7 3,0
Anteil der industriefinanzierten F&E.Ausgaben an den gesamten F&E·Ausgaben in vH Bundesrepublik Deutschland I Frankreich Italien Vereinigtes Königreich
63,1b 41,2b 403b 47:0b
63,6 41,8 41,7 49,2
63,3 43,9 46,4 SO,7
59,9 42,8 44,7 49,S"
EG Vereinigte Staaten Japan
51 Ob SO'2b 68:?
51,9 51,9 68,5
53,0 53,0 72,3
51,7" 51,7" 72,7
Nach Angaben der OECD.• IBis 1990 n~r alte Bundesländer, ab 1991 einschließlich neue Bundesländer.• "1990. - 1986.
24
VgI. hierzu und ZU den nachfolgenden Zahlenangaben OECD (Ed.) Science and TecImology Policy -
Review and OurtIook 1991. Paris 1992, S. III ff.
132
R. Rölun, U. Heilemann, K. Löbbe, H. D. von Loeffelholz
Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang aber auch, daß der Finanzierungsanteil der Unternehmen in der Bundesrepublik deutlich höher, der des Staates deutlich niedriger ist als in vergleichbaren Ländern. Auf der Basis der hier genannten Kriterien - einem konstant hohen Anteil der FuE-Ausgaben am BIP und hoher Eigenfinanzierungsquoten der Privatwirtschaft - ordnet die OECD die Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit Japan, Schweden, Schweiz, Finnland und Belgien - in eine Spitzengruppe (Kategorie 1) ein. Das Vereinigte Königreich wird (zusammen mit z. B. den Niederlanden, Dänemark und Spanien) demgegenüber der Kategorie 2 zugerechnet; sie ist durch einen niedrigen, aber steigenden Eigenfinanzierungsanteil der Unternehmen gekennzeichnet. Die Vereinigten Staaten (und Frankreich, Kanada und Italien) werden - aufgrund hoher staatlicher FuE-Aufwendungen, nicht zuletzt ftir Verteidigungszwecke - in Kategorie 3 eingestuft. Allerdings sagen die Forschungs- und Entwicklungsausgaben, da sie nur den Input der Forschungsaktivitäten messen, nichts über die damit bewirkten Erfolge aus, gleichgültig, ob dieser Erfolg nach technischen oder aber nach ökonomischen Kriterien gemessen wird. Darüber hinaus ist, was die Abgrenzung der FuE-Ausgaben von den übrigen Aufwandspositionen der unternehmerischen Ergebnisrechnung angeht, ein gewisser Unschärfebereich bzw. Interpretationsspielraum bei der Umsetzung der zugrundeliegenden Kriterien in Rechnung zu stellen. Aus diesem Grunde soll die Position der Bundesrepublik im internationalen Technologiewettlauf ergänzend anband der Patentstatistik, die das Ifo-Institut seit einigen Jahren regelmäßig auswertet, gemessen werden. Basis dieser Bewertung ist die Zahl derjenigen Patente, die die Unternehmen in mehr als einem Land angemeldet haben, ftir die sie also eine gewisse Weltmarktbedeutung vermuten. Im Prinzip weist auch dieser Indikator den deutschen Unternehmen eine nach wie vor gute Position zu: Von den internationalen Patentanmeldungen entfielen im Durchschnitt der Jahre 1982 bis 1988 mehr als ein Viertel auf die Vereinigten Staaten, wobei in jüngster Zeit ein seit Anfang der siebziger Jahre anhaltender, leicht fallender Trend gestoppt werden konnte (vgl. Tabelle 9).
Amnerkungen zum Wirtschaftsstandort Deutschland
133
Tabelle 9
Internationale Patentanmeldungen 1 nach Ursprungsländern 1970 bis 1989 Jahresdurchschnitt 1982 bis 1989 1970 Anzahl Welt insgesamt darunter: BR Deutschland Frankreich Vereinig. Königr. Vereinigte Staaten Japan
1980
1989
invH
73035
100,0
100,0
100,0
100,0
13750 4563 5010 19327 16878
18,8 6,2 6,9 26,5 21,1
20,0
28,5
17,0
28,5 12,0
27,5 17,5
28,3 26,0
Eigl:ne Berechnungen nach Angaben des Ifo-Instituts. meldungen in mehr als einem Land.
-
lpatentan-
Einen spektakulären Anstieg ihrer Patentaktivitäten erlebten die japanischen Finnen, deren Anteil an den weltweit angemeldeten Patenten von 12 v. H. im Jahre 1970 auf mehr als 26 v. H. im Jahre 1987 anstieg, er zeigt allerdings nicht zuletzt als Spiegelbild der Trendumkehr fiir die Vereinigten Staaten seither eine stagnierende Entwicklung. Nach den Vereinigten Staaten und Japan meldet die Bundesrepublik Deutschland die meisten internationalen Patente an. Anlaß zu ernster Besorgnis könnte hier der seit 1980 rückläufige Anteil an den weltweit angemeldeten Patenten geben. Allerdings werden auch diesem Indikator fiir die Position eines Landes im internationalen Technologievergleich gewisse Vorbehalte entgegenzubringen sein. Im Unterschied zu den Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen handelt es sich zwar um einen sog. outputorientierten Indikator, er setzt also nicht - wie jener - die Bemühungen um technologische Kompetenz mit dem Ergebnis gleich. Als Mangel kann allerdings empfunden werden, daß die Neigung der Unternehmen zu Patentanmeldungen auch von strategischen Erwägungen und Erwartungen der Unternehmen abhängt und nicht immer dagegen die tatsächliche technische oder ökonomische Bedeutung der Verfahren widerspiegelt. Als dritter und letzter Indikator fiir die technologische Reife einer Volkswirtschaft soll schließlich noch der Anteil sog. techn%gieintensiver Gater an den Exporten der Industrieländer analysiert werden.
134
R. Röhm, U. Heilernarm, K. Löbbe, H. D. von Loeffelholz
Dabei gelten als technologieintensiv jene Güter, die - im Exportsortiment hochentwickelter westlicher Industrieländer überdurchschnittlich stark vertreten sind25 oder fiir die - vergleichsweise hohe Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen (s.o.) getätigt wurden. Berechnungen der OECD, in denen der Technologiegehalt der Güter an den branchen- und produktspezifischen Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen gemessen wird, bestätigen prima facie die These, daß die Entwicklung des Welthandelsvolumens mehr und mehr von technologieintensiven Produkten geprägt wird. Die Ergebnisse zeigen deutlich den zunehmenden Anteil von Produkten mit hoher Technologieintensität (z. B. von Luft- und Raumfahrzeugen, Computern) zu Lasten der Produkte mit niedrigem Technologiegehalt (vgl. Tabelle 10). Tabelle 10 Exportstruktur der OECD-Länder 1963 bis 1987; Anteil an den Gesamtausfuhren des Produzierenden Gewerbes in vH 1963/64
1975/79
1985/87
nach Technologieintensität Hoch Mittel Gering
14,1 39,2 44,8
16,8 43,8 39,4
22,6 44,1 33,4
Hochtechnologieexporte nach Produktgruppen Luft- und Raumfahrt Computer Elektrotechnik Pharmarzeutika Wiss. Instrumente Elektr. Instrumente Insgesamt
2,6 1,3 3,3 1,3 2,9 2,7 14,1
2,3 1,9 4,3 1,1 3,2 3,9 16,8
,
2,9 4,3 6,1 1,3 4,0 4,0 22,6
Nach Angaben der OECD.
25
vgl. W. Gerstenberger, WettbewerbsBhige Strukturen gestatten Expansionspolitik. Strukturbe-
richterstattung 1987 - Kembericht. (lfo-Scluiftenreihe, Heft 120.) Berlin 1988.
Anmerkungen zum Wirtschaftsstandort Deutschland
135
Bei diesen technologie- bzw. forschungs- und entwicklungsintensiven Gütern nahmen die Vereinigten Staaten lange Jahre eine dominierende Rolle im internationalen Handel ein; sie wurden von dieser Führungsposition im Verlauf der achtziger Jahre verdrängt, an ihre Stelle trat Japan. Die Bundesrepublik Deutschland hält bei diesen Hochtechnologiegütern nach wie vor einen durchaus achtbaren dritten Platz (vgl. Tabelle 11) und - so wäre hinzuzufügen - im Bereich mittlerer Technologien zumeist den Spitzenplatz. Tabelle 11
Marktanteil ausgewählter Industrieländer am OECD-Außenhandel1 mit F &E-intensiven Gütern 1969 bis 1987 Rangziffer
Anteil in vH
Vereinigte Staaten BR Deutschland Japan Vereinig. Königr. Frankreich Niederlande Schweiz Italien
1969
1979
1987
1969
1979
1987
29,3 16,0 10,1 8,7 5,8 5,2 4,9 4,4
21,0 15,0 12,1 7,0 7,2 4,1 3,9 4,0
17,3 12,6 18,2 6,5 6,4 3,1 3,1 3,6
1 2 3 4 5 6 7 8
1 2 3 5 4 6 8 7
2 3 1 4 5 7 8 6
Nach Angaben der OECD. - 11m porte der OECD-Länder. Alles in allem belegen die hier herangezogenen Indikatoren, daß die Bundesrepublik im internationalen Technologiewettlauf auch weiterhin einen ausgezeichneten Platz unter den Industrienationen einnimmt; sie belegt nach den - gemessen an Bevölkerungszahl und Fläche - wesentlich größeren Ländern (Vereinigte Staaten und Japan) in der Regel den dritten Platz. Eine gewisse Ausweitung des Abstandes zu diesen "führenden Nationen" im Zeitablauf sollte nicht übersehen, aber auch nicht überbewertet werden. Inwieweit die unterschiedlichen länderspezifischen Forschungsaktivitäten tatsächlich die relative Wettbewerbsposition eines Landes verändert haben, kann anband der Entwicklung der "income terms of trade" beurteilt werden. Diese income terms of trade - sie werden auch als "Importkraft der Exporterlöse" bezeichnet - berücksichtigen neben den Erlösveränderungen durch höhere oder niedrigere Preise auch die davon ausgelösten Mengeneffekte im internationalen WarenhandeI. Sie sind ein Maß dafür, inwieweit die - z.B. auf-
136
R. Rölun, U. Heilernann, K. Löbbe. H. D. von Loeffelholz
grund einer relativen Preissteigerung (einer Verbesserung der commodity tenns of trade) oder eines Mengenzuwachses an Exportgütern - gestiegenen Exporterlöse eines Landes ausreichen, um höhere Einfuhrpreise, etwa eine höhere Ölrechnung, zu begleichen und auf diese Weise eine (materielle) Wohlstandsmehrung zu garantieren. In einer Untersuchung des Rwf6 konnte gezeigt werden, daß sowohl Länder mit hoher Forschungs- und Entwicklungsintensität als auch Nationen. die sich zunehmend um die Vergrößerung ihres technologischen Leistungspotentials bemühten. überdurchschnittliche Realeinkommenszuwächse im Außenhandel erzielten und damit ihre internationale Standortqualität verbesserten. So weisen die Ergebnisse für Japan, die Bundesrepublik, die Schweiz und Schweden darauf hin. daß sie offensichtlich aufgrund ihrer überdurchschnittlichen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten auch überdurchschnittliche income terms of trade-Gewinne erreichen konnten. Mit Verbreiterung ihrer technologischen Leistungsfiihigkeit waren auch Italien, Spanien und das südostasiatische Schwellenland Südkorea anscheinend in der Lage hauptsächlich mengeninduzierte überdurchschnittliche Realeinkommenszuwächse aus dem Außenhandel zu erringen. Demgegenüber haben - wider Erwarten - jene Länder an Attraktivität im internationalen Standortwettbewerb verloren, die sich - ähnlich wie etwa Japan oder die Bundesrepublik - überdurchschnittlich um die Erweiterung ihres technologischen Leistungspotentials bemüht haben; zu diesen Ländern gehören u.a. die Vereinigten Staaten und vor allem das Vereinigte Königreich. In diesem Zusammenhang liegt die Vennutung nahe, daß möglicherweise Effizienzverluste bei der Anwendung und Umsetzung von Forschungsaktivitäten in marktfähige Produkte dafür verantwortlich sind, wenn sich diese auf Bereiche konzentrieren, die der staatlichen Kontrolle unterliegen.
Akzeptanz bei Politik und Bevölkerung für neue Technologien Im Rahmen des bereits erwähnten Gutachtens zur Standortqualität der Bundesrepublik Deutschland hat das RWi die für das Davos-Symposium 1984 durchgeführten Umfragen des European Management Forum ausgewertee7 • Diese Umfrage weist den Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland, was die Einstellung zu Prozeß- und Produktinnovationen angeht, eine ver-
26
Vg1. dazu R. Graskamp, Auswirkungen von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten auf die Preis-
und Absatzsituation im internationalen Wettbewerb. Essen 1992, unveröffenl Manuskript. 27
Vg1. European Managernent Forum (Ed.), Rapport sur la Competitivite International. Paris 1984.
Amnerkungen zum Wirtschaftsstandort Deutschland
137
gleichsweise hohe, den Arbeitnehmern immerhin eine mittlere Technikakzeptanz zu. Weitere Analysen bzw. Umfragen zu diesen Themen wurden bislang nicht durchgeführt. Nimmt man die "veröffentlichte" Meinung zum Maßstab, dann scheint die "allgemeine Technikfeindlichkeit" in Deutschland derzeit nur wenig ausgeprägter als in früheren Jahren zu sein. Das in den letzten Jahren gestiegene Umweltbewußtsein sollte nicht ohne weiteres als Technikfeindlichkeit gewertet werden, da die hierdurch induzierten Neuerungen i. d. R, ein hohes technisches Niveau aufweisen.
Infrastrukturausstattung und künftige Anforderungen des Wu1schaftsstandortes Deutschland In den letzten anderthalb Jahrzehnten haben die Infrastrukturinvestitionen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, in den meisten Industriestaaten an Bedeutung verloren; ein Anstieg ist demgegenüber nur in den Schwellenländern zu beobachten. Primär verantwortlich fiir den Rückgang dieser spezifischen Investitionsquote in den Industriestaaten ist die Verringerung der öffentlichen Investitionstätigkeit insgesamt. Zugleich änderte sich die funktionale Struktur der öffentlichen Investitionen, und zwar eindeutig zu Lasten der sozialen und zugunsten der institutionellen Infrastruktur. Dieses Entwicklungsmuster trifft auch auf die Bundesrepublik Deutschland zu. Während sich die Investitionen der privaten und öffentlichen Unternehmen in die Energie- und Wasserversorgung sowie das Verkehrs- und Nachrichtenwesen in etwa proportional zum BIP entwickelt haben, verloren die öffentlichen Investitionen erheblich an gesamtwirtschaftlicher Bedeutung. Der tendenzielle Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Infrastrukturquote wirft die Frage auf, ob das Leistungspotential der Infrastruktur in der Bundesrepublik Deutschland abnimmt. Dagegen spricht, daß das Nettoanlagevermögen des Infrastruktursektors bislang immer noch zugenommen hat. Fraglich ist indes, ob die qualitative und quantitative Struktur des Infrastrukturkapitals noch der Nachfrage nach entsprechenden Leistungen gerecht wird. Diese Frage kann nicht pauschal beantwortet werden28 •
Vor- und Nachteile des deutschen Bildungssystems Es wird zu Recht in der Standortdiskussion immer wieder hervorgehoben, daß die Qualifikation der Arbeitskräfte ein wichtiger, wenn nicht der wichtig-
28
Vg1. dazu K Löbbe, R. Dö1un, H.D. von Loeffelholz U.8., S. 248 ff.
138
R. Röhm. U. Heilemann.. K. Ulbbe. H. D. von Loeffelholz
ste Standortfaktor eines Landes ist. Auch hier ist festzuhalten, daß es durchaus unterschiedliche gesellschaftliche Organisationsformen der Vermittlung der notwendigen Qualifikation geben kann, die zu durchaus vergleichbar guten Ergebnissen führen können. Generell läßt sich im Ländervergleich feststellen, daß das hohe Niveau der Allgemeinbildung in der Bundesrepublik Deutschland auch eine wichtige Voraussetzung dafür ist, daß Deutschland bei der beruflichen Bildung bei den in die Betrachtung einbezogenen Ländern zusammen mit der Schweiz und Japan an der Spitze steht. Zu beachten ist jedoch, daß es bei der beruflichen Bildung, anders als bei der schulischen Bildung, bislang keine international anerkannte Klassifizierung gibt, die die beruflichen Qualifikationen in den einzelnen Ländern objektiv vergleichbar macht. In einen Vergleich des Ausbildungsniveaus gehen deshalb notwendigerweise auch Werturteile ein, die bei der positiven Beurteilung der beruflichen Qualifikation in Deutschland mit bedacht werden sollten.
Management und Arbeitsorganisation Seit einiger Zeit wird auch in der Bundesrepublik Deutschland die Frage diskutiert, in welchem Ausmaß die Erfolge einiger Industriezweige Japans namentlich der Automobilindustrie - auf spezifische Produktionskonzepte zurückzufiihren sind; gemeint ist in diesem Zusammenhang vor allem die starke Arbeitsteilung zwischen den Automobilherstellern und ihren Zulieferem in Form der sog. lean production; hierbei wird die Herstellung komplexer Systeme und Baugruppen auf Zulieferunternehmen übertragen, die dann für die mängelfreie und termingerechte Lieferung verantwortlich sind (womit Übergänge zur just in time-Produktion sichtbar werden). All dies geht mit einer deutlichen Verminderung der Fertigungstiefe (der sektoralen Bruttowertschöpfung) und einer Ausweitung der Marktbeziehungen einher. Letzteres dürfte denn auch der entscheidende Impuls zur Effizienzsteigerung sein: Bislang sektorintern erstellte, u. U. mit hohen internen Kontrollkosten verbundene Produktionsstufen werden ausgelagert und dem Markttest unterworfen. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß Marktbeziehungen stets mit mehr oder weniger ausgeprägten Aushandlungs- bzw. Transaktionskosten verbunden sind; es ist im Einzelfall zu prüfen, ob diese Transaktionskosten wirklich niedriger als die sonst anfallenden (internen) Kontrollkosten sind. In diesem Fall ist auch die Betriebsgrößenstruktur der Zulieferer zu beachten; dies sind hierzulande typischerweise mittelständische Unternehmen, die weitgehend auf wenige große Abnehmerbereiche ausgerichtet sind, auf anderen Märkten, vor allem im Ausland, aber bislang wenig Erfahrungen sammeln
Anmerkungen zum Wirtschaftsstandort Deutschland
139
konnten. Generell ist zu vennuten, daß die hier diskutierten Veränderungen in Management und in der Unternehmensorganisation ein hohes Ausbildungsniveau der Erwerbstätigen voraussetzen. Zu berücksichtigen ist aber auch, daß in der Bundesrepublik Deutschland die Automobilproduzenten und Zulieferer weitgehend dem gleichen Arbeitsmarktregime unterworfen sind, in der Regel denselben Arbeitgeberorganisationen angehören und mit denselben Gewerkschaften Tarifverträge abgeschlossen haben. Das wirtschaftliche Übergewicht der Automobilproduzenten einerseits, eine ähnlich hohe (Lohn-)Kostenbelastung wie jene andererseits, könnten dazu führen, daß die Renditen der Zulieferer mehr und mehr unter Druck geraten, die der Automobilhersteller aber stabil bleiben. Für eine derartige Vennutung liegen erste Anhaltspunkte vor. Für den internationalen Vergleich der Arbeits- bzw. Maschinen/aufteilen ist es derzeit noch nicht möglich, auf verläßliches Datenmaterial zurückzugreifen. Ohne jedoch einzelne Fallstudien unzulässig verallgemeinern zu wollen, erscheint die Vennutung plausibel, daß die Maschinen/aufteilen in der Bundesrepublik verglichen mit anderen Ländern relativ niedrig sind. Einem daraus resultierenden Standortnachteil deutscher Unternehmen im internationalen Wettbewerb könnte durch eine weitere Lockerung der relativ starren Arbeitszeitfonnen entgegengewirkt werden.
Standortentscheidungen von Unternehmen und EG-Binnenmarkt Da der Weg zum EG-Binnenmarkt vor nunmehr sechs Jahren begonnen wurde und zahlreiche der angesprochenen Harmonisierungen und Liberalisierungen bereits im Laufe dieser Zeit in Kraft traten, läßt sich schwer abschätzen, wieweit Standortentscheidungen in den letzten Jahren bereits im Hinblick auf den Binnenmarkt fielen oder ob sich die Konsequenzen des Binnenmarktes erst in den Entscheidungen kommender Jahre zeigen. Generell dürften zwei einander gegenläufige Wirkuhgen die Wahl eines Standorts in der EG beeinflussen: - durch die Liberalisierung des Kapitalmarktes nimmt die Mobilität des Faktors Kapital zu, - durch die Harmonisierungen im Warenverkehr entfallen letzte Schranken für eine EG-weite Distribution von Waren, - durch die Liberalisierung der Verkehrsmärkte sinken die Transportkosten (zumindest relativ). Dies würde bedeuten, daß Produktionsstandorte in Europa stärker in Regionen mit niedrigen Arbeitskosten verlagert werden, und dies um so eher, je
140
R. Röhm,
u. Heilemam, K. Löbbe. H. D. von Loeffelholz
leichter es ßUlt, mit der Verlagerung der Produktion auch hohe Produktivitäten zu "exportieren". Dem steht jedoch entgegen, daß der Binnenmarkt mittel- bis langfristig eine Nivellierung der Preise und der Löhne bewirken wird und daß im Rahmen der sozialen Dimension des Binnenmarktes auch eine Annäherung in den Arbeitsbedingungen herbeigeführt wird. Damit werden die Vorteile von "Niedriglohn-Standorten" nach und nach schwinden. Seit dem Beginn des Binnenmarktprogramms ist eine Umorientierung der deutschen Direktinvestitionen auf die EG-Länder festzustellen. Ob dies Hinweis auf eine Verlagerung von Produktionsstandorten ist oder nur Ausdruck einer verbesserten innereuropäischen Arbeitsteilung, läßt sich derzeit allerdings nicht entscheiden, zumal Investitionen im Finanzsektor überwiegen. 3. Gesamtbewertung und Schlußfolgerungen Insgesamt betrachtet kann die Bundesrepublik Deutschland nach wie vor als guter Standort fiir modeme und zukunftsträchtige Produktionszweige gelten. Sowohl in Relation zu den großen Industrieländern wie auch im Verhältnis zu den Schwellen- und Entwicklungsländern nimmt sie bei den meisten Standortfaktoren einen der vorderen Plätze ein, wobei nicht absolute Spitzenpositionen in einigen wenigen Segmenten, sondern eine gute bis sehr gute Stellung bei den meisten Indikatoren die Standortqualität der Bundesrepublik Deutschland kennzeichnen. Diese Position dürfte - soweit bisher erkennbar - durch die aus der deutschen Einheit resultierenden zusätzlichen Aufgaben und Anpassungslasten nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. Sicherlich bedarf diese Pauschalbewertung im Hinblick auf einzelne Branchen und Indikatoren der Differenzierung. So kann nicht verwundern, daß sich das wirtschaftliche Umfeld fiir lohnintensive oder umweltbelastende Produkte bzw. Produktionsprozesse in der Bundesrepublik erkennbar verschlechtert hat. Unübersehbar stehen aber auch traditionell wachstumsstarke, exportorientierte Branchen wie der Fahrzeug- und Maschinenbau oder die Elektrotechnik (einschließlich der Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten) vor neuen Herausforderungen: Der weltwirtschaftliche Strukturwandel und technisch-organisatorische Entwicklungen machen gerade in diesen Wirtschaftsbereichen tiefgreifende Veränderungen der Produktionstechnik, Wirtschaftsbereichen tiefgreifende Veränderungen der Produtionstechik, der Unternehmensorganisation und der interindustriellen Zusammenarbeit notwendig. Dies ist primär eine Aufgabe der betroffenen Unternehmen; sie müssen bereit sein, zusätzliche Risiken zu übernehmen und flexibel auf die neuen Herausforderungen zu reagieren. Von den Arbeitnehmern werden eine höhere
Anmerkungen zum Wirtschaftsstandort Deutschland
141
berufliche Mobilität und Lembereitschaft erwartet - im Hinblick auf neue
Formen der Arbeitsorganisation. neue Arbeitsmittel und -techniken und nicht zuletzt eine flexiblere Gestaltung der Arbeitszeiten. Die Wirtschaftspolitik kann diesen Strukturwandel unterstützen. indem sie die Rahmenbedingungen fiir eine rasche und sozial verträgliche Anpassung gestaltet. Strukturkonservierende Maßnahmen sollten in überschaubaren Fristen - in jedem Fall aber rascher als bisher - abgebaut, der Wettbewerbsmechanismus auch in bisher regulierten Bereichen ge!itärkt werden. Im übrigen sollte die öffentliche Hand angesichts der kurz- und mittelfristig auf das Äußerste angespannten finanziellen Situation des Staates auf der einen Seite und eines im EG-Binnenmarkt verschärften internationalen Standortwettbewerbs auf der anderen, klare Prioritäten zugunsten ihrer standortrelevanten Ausgaben in wichtigen Infrastrukturbereichen, wie im Verkehrs-, Telekommunikations- und im Ausbildungsbereich, setzen. Dies gilt grundsätzlich in den alten wie in den neuen Bundesländern und impliziert, daß andere Anspruche des Staates an das Sozialprodukt bis auf weiteres zurückgenommen werden. Nur dann dürfte sich auch eine Steuer- und Abgabenpolitik aufrechterhalten lassen, die den Produktionsstandort Bundesrepublik Deutschland trotz vergleichsweiser hoher Belastungen weiterhin attraktiv erscheinen läßt.
Gezielte Förderung der Standortqualität in zukunftstrllchtigen Wu1schaftshereichen? Legitime Aufgabe des Staates in der Sozialen Marktwirtschaft ist es, strukturelle Anpassungsprozesse in stagnierenden Wirtschaftsbereichen bzw. A1tindustrien zeitlich zu strecken und sozial abzufedern. In der Praxis hat dies allerdings immer wieder zu dauerhaften Erhaltungssubventionen geführt. Aus diesem Grunde ist fiir zukünftige Anpassungshilfen eine strenge zeitliche Befristung vorzusehen; der Beschluß zur Einführung ist zukünftig von einem die Regierung und das Parlament bindenden Zeitplan zum Abbau der Hilfen abhängig zu machen. Der Einwand, daß derartige Regelungen nachträglich abänderbar sind, ist sicherlich zutreffend; gleichwohl würde auf diese Weise zusätzlicher BegrüDdungsbedarf fiir eine Aufrechterhaltung der Hilfen geschaffen. Unter ökonomischen Aspekten wird die Förderung sog. zukunftsträchtiger Wirtschaftsbereiche, Hoch- oder Schlüsseltechnologien stets ambivalent zu beurteilen sein: - Unter den Prämissen des neoliberalen Paradigmas wäre die gezielte Förderung sog. zukunftsträchtiger Branchen strikt abzulehnen; Ausnahmen
142
R. Röhrn, U. I1eilemann, K. Löbbe. H. D. von Loeffelholz
kämen allenfalls für öffentliche (insbesondere militärische) Güter in Betracht. Allerdings scheint das zugrundeliegende Leitbild den tatsächlichen Verhältnissen auf den Weltmärkten und den Gefahren, die aus strategischem Handeln weltweit agierender Anbieter resultieren, nicht (mehr) gerecht zu werden. - Der Versuch. die nationale Eigenständigkeit in den (vermeintlich) wichtigen Technologiebereichen zu wahren, ist mit erheblichen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden: Auf die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung - die in diesem Fall auch eine Risikoteilung ist - wird apriori verzichtet; Spezialisierungs- und Größenvorteile gehen verloren. Erweist sich eine Entwicklung als Fehlschlag, dann sind die gesamtwirtschaftlichen Verluste um so höher, je mehr Länder an diesem "Technologiewettlauf' beteiligt waren. Das legitime Interesse des Staates, die Rahmenbedingungen für heutiges und zukünftiges wirtschaftliches Wachstum zu sichern, steht damit in Konflikt mit den tatsächlichen Möglichkeiten - womit sowohl die heute verfiigbaren finanziellen Ressourcen als auch die intellektuellen Fähigkeiten, zukünftige Technologieentwicklungen vorherzusehen, gemeint sind. Staatliche Technol0giepolitik sollte daher, sowohl was die Ziele als auch die Instrumente angeht, mit großer Zurückhaltung betrieben werden. Im Hinblick auf die Ziele erscheint eine Beschränkung auf die Grundlagenforschung und die Entwicklung heute noch unbekannter Technologien geboten. In instrumenteller Hinsicht kommt es vor allem darauf an, die Fähigkeit und Bereitschaft der Unternehmen zu verbessern, sich verstärkt in den globalen technologischen Such- und Wettbewerbsprozeß einzuschalten und ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zu erhöhen.
"Marktkonforme" oder "wettbewerbsneutrale" Industriepolitik des Staates Vor diesem Hintergrund könnte eine "marktkonforme" bzw. "wettbewerbsneutrale" sektorale Struktur- (bzw. Industrie-)politik vor allem darauf abzielen - den inter- und intrasektoralen Wettbewerb zu intensivieren, - die Fähigkeit zur Entwicklung und Anwendung neuer Technologien (Mikrosystem- und Mikrostrukturtechnik) und Werkstoffe sowie neuer Produktions-, Organisations- und Logistikkonzepte zu fördern, - die Initiativkraft und Flexibilität von Klein- und Mittelbetrieben zu stärken. Als Instrumente einer solchen sektoralen Struktur- (Industrie-)politik kämen vor allem in Betracht
Anmerkungen rum Wirtschaftsstandon Deutschland
143
-
der Abbau aller strukturkonservierenden Rahmenbedingungen und Subventionen, - die Deregulierung und Privatisierung, soweit regional-, verteilungs- oder sozialpolitische Ziele dem nicht entgegenstehen, - der weitere Ausbau der wirtschaftsnahen Infrastruktur, etwa im Verkehrsund Kommunikationsbereich oder zur Risikokapitalbildung, - die Anpassung der Lehrinhalte und Lehrpläne der allgemein- bzw. berufsbildenden Schulen sowie der Hochschulen an veränderte Anforderungen in Wirtschaft und Gesellschaft, - die Verbesserung der Beziehungen zu (Groß-) Unternehmen und Unternehmerverbänden, Gewerkschaften und anderen wirtschaftsnahen Organisationen. Darüber hinausgehende Maßnahmen zugunsten "strategischer Industriesektoren" sind abzulehnen. Zwar hat sich gezeigt, daß bei der Nutzung "moderner Technologien" (etwa der Mikroelektronik) Lern- und Skaleneffekte vorliegen können, diese Externalitäten sind aber wettbewerbspolitisch zu vernachlässigen, da sie in der Regel keine nennenswerten Marktzugangs-schranken schaffen. Darüber hinaus läßt sich zeigen, daß die frühzeitige Entwicklung und Markteinfiihrung nur bedingt Vorteile im internationalen Wettbewerb verschafft: Statt der erhoffien Rentenabschöpfung bzw. -umlenkung ist in vielen Fällen (z. B. im Luftfahrzeugbau) eher eine Begünstigung der ausländischen Nachfragen zu beobachten29 .
29
Vg1. dazu ausfilhrlich G. BletschacherlH. Klodt, Strategische Handels- und Industriepolitik. The0re-
tische Grundlagen, Branchenanalysen und wettbewerbspolitische Implikationen. (Kieler Studien, Band 244.) TObingen 1992.
Chancen und Gefahren f"tir den Wirtschaftsstandort Deutschland l Von Perygrin Warneke Seit einiger Zeit werden die Vor- und Nachteile des Wirtschaftsstandortes Deutschland im internationalen Vergleich intensiv behandelt und vielfältige Maßnahmen zur Standortsicherung diskutiert2 • Gegenwärtig finden in Deutschland tiefgreifende Strukturveränderungen statt/ ohne daß erkennbar ist, welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, um die Leistungsfahigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland auch künftig zu gewährleisten. Im einzelnen geht es um die Klärung wie Unternehmen auf die Globalisierung der Märkte und Internationalisierung der Produktion reagieren, wie sich Erfolgspotentiale zur Verbesserung der Wettbewerbsflihigkeit bestimmen und entwickeln lassen, welche Bedeutung die Leistungsfähigkeit von Arbeitnehmern und Führungskräften für die Schaffung strategischer Wettbewerbsvorteile hat, welche Aufgaben dem Staat bei der Festlegung der Rahmenbedingungen (Arbeitsmarktregelungen, Sozialgesetzgebung, Fiskal- und Steuerpolitik) I
Referat zur Einfilhrung in die 22. Internationale Tagung der Sozialakadernie Dortmund vom 20. - 22.
Oktober 1993 2
Jahresgutachten 1993/94 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung, BT Drucks. 12/6170, S. 249 ff. Erklärung der Bundesregierung zur Zukunftssicherung
des Standortes Deutschland, abgegeben von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl vor dem Deutschen Bundestag, Presse- und Infonnationsarnt der Bundesregierung, Bulletin Nr. 90, S. 1013 ff, Bonn 1993. Bundesverband der Deutschen Industrie, Produktionsstandort Deutschland, Köln 1993. Gutachten Institut Arbeit und Technik., Bosch, G., "Standortdebatte mit falschen Zahlen; im internationalen Vergleich hat die Bundesrepublik zu lange Betriebszeiten", Gelsenkirchen
1993, vgl.
a
Programmdebatte "Internationalisierung der Wirtschaft". In: Gewerlcschaftliche Monatshefte, H. 1., Köln 1994. 3
Verwirklichung der Deutschen Einheit; Gestaltung der Europäischen Union, politische Umbrüche in
Osteuropa; weltweite Konjunkturkrise; die alten Bundesländer befinden sich seit 1949 in der vierten und schwersten Rezession mit steigender Arbeitslosigkeit; gravierende Strukturprobleme, z. B. im Montanbereich werden nicht gelöst 10 Wlrneke
146
Perygrin Wameke
zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland obliegen und welche Möglichkeiten der Einflußnahme auf Unternehmensebene der Staat hat. Zu untersuchen ist, inwieweit einzel- und gesamtwirtschaftliche Entscheidungen, z. B. zur politischen, wirtschaftlichen und sozialen Stabilität, zur Gewährleistung einer hohen Umweltqualität, bei der Beschäftigung (Entlohnungsformen, Arbeitszeitregelungen, Qualifikation, Mitbestimmung), in Forschung und Entwicklung die Wettbewerbsfähigkeit fördern oder ihr entgegenstehen und ob die Kritik zutrifft, es werde zu teuer produziert, zu wenig gearbeitet, eine unzureichende Qualität gefertigt, die Gesellschaft sei nicht innovativ genug, teilweise sogar technologiefeindlich, Unternehmern. Arbeitnehmern und Behörden mangele es an Flexibilität. Mit der Kritik an Standortbedingungen werden manchmal Krisenszenarien4 entworfen, die d~r Realität nicht entsprechen. Tatsächlich steht die deutsche Wirtschaft im internationalen Vergleich noch immer gut da. Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner gehört mit zu den höchsten der Welt. Der Weltmarktanteil deutscher Exporteure ist nur wenig geringer als der amerikanischer Unternehmen und deutlich höher als der der japanischen Wirtschaft. Bei der gesamtwirtschaftlichen Investitionsquote befindet sich Deutschland im guten Mittelfeld. Die Leistungsfahigkeit sowohl der gesamten Volkswirtschaft, wie auch die der Unternehmen als auch der Arbeitnehmer, hängt entscheidend von den durchgeführten Investitionen beim Sachvermögen und Personal ab. Mit Investitionen wird über Einkommen und Beschäftigung entschieden. Investitionen dienen der Erhaltung, Verbesserung und Erweiterung der betrieblichen Anlagen. Maßgeblich sind die Netto-Investitionen. Sie stellen zusätzliches Sachvermögen, z. B. Anlage- oder Ausrüstungs- sowie Lagerinvestitionen dar und wirken sich über die volkswirtschaftliche Gesamtnachfrage und damit über den Multiplikator auf die Höhe des Volkseinkommens aus. Dies ist der Nachfrage- oder Einkommenseffekt von Investitionen. Zum anderen erhöhen Investitionen den zukünftigen Bestand an Sachkapital. Dies macht ihren Kapazitätseffekt aus, und dieser ist entscheidend fiir die Beschäftigung. In einer vergleichenden Untersuchung über die Wettbewerbsfähigkeit der wichtigsten Industrie- und Entwicklungsländer wurde Deutschland vom 2. auf den 5. Rang zurückgestuft. ' Gründe sind der Rückgang des Bruttosozialprodukts, die hohe Inflation, die negative Leistungsbilanz, das schwindende Vertrauen in die Regierung und in die Leistungsfähigkeit der Unternehmensführungen.
4
vgl. Der Spiegel, H. 19, Jg. 1993.
Chancen und Gefahren filr den Wirtschaftsstandort Deutschland
147
Gegenwärtig werden alle Ziele des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes verfehlt. Weder werden eine hohe Beschäftigun~ noch stabile Preise7 noch Wachstum' noch außenwirtschaftliches Gleichgewicht9 erreicht:. auch eine sozial gerechte Einkommensverteiiung ist nicht gewährleistet. Die neuesten Konjunkturdaten vom Geschäftsklima über die Produktion bis zu den Auftragseingängen im verarbeitenden Gewerbe signalisieren fiir Optimisten zumindest eine Stabilisierung des Konjunkturverlaufs. Pessimisten rechnen mit einer nochmaligen Schrumpfung des realen Bruttosozialprodukts, weil die Ausrüstungsinvestitionen rückläufig sind. Einig ist man sich aber darin, daß auch in 1994 die Arbeitslosigkeit weiter ansteigen wird. Auch der SachverständigenratIO spricht sich fiir einen Umschwung bei den Erwartungen aus, damit verlorengegangenes Zukunftsvertrauen ZUfÜckgewonnen wird und die Wirtschaft aus einer tiefen Rezession herausfinden kann. Trotz aller Negativklischees, die in der Standortdiskussion verbreitet werden, ist festzuhalten: Die Rezession in Deutschland ist die Folge einer weltweiten Nachfrageschwäche und keine deutsche Sonderkrise. Auch die vielgerühmten Japaner und die Franzosen leiden unter derselben Konjunkturkrankheit wie die Deutschen. Das besondere Problem Deutschlands ist, daß weltweite Konjunkturund Strukturprobleme zusammenfallen mit der besonderen Aufgabe, den deutschen Einigungsprozeß zu finanzieren 11 • Jährlich werden ca. 170 Mrd. DM von West- nach Ostdeutschland transferiert. Im Mittelpunkt der betriebswirtschaftlichen Investitionstheorie steht die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Verwendung finanzieller Mittel fiir den Investor rentabel ist. Die Beurteilungsgröße ist der erzielte Gewinn, respektive cash flow, der auch die wichtigste Finanzierungsquelle fiir Investis vgl. World Competitivenes Report vom Internationalen Management Institut in Lausanne; Jahreswirtschaftsbericht 1993 der Kommission der Europäischen Gemeinschaften. S. a. Tab. 1: Westdeutschland im internationalen Vergleich. In: Heise, M., Die deutsche Wirtschaft im internationalen Standortwettbewerb, in: Wirtschaftsdienst, H. 7, 1993, S. 349. Die Arbeitslosenzahl betrug im JahresdurclL'lchnitt in Westdeutschland 2,28 Mio, in Ostdeutschland
6
1,16 Mio. 7
Die durclL'lchnittliche Preissteigerungsrate betrug 3,5 %.
• Das reale Bruttosozialprodukt nahm um 2 % in Westdeutschland ab, um 6,5 % in Ostdeutschland zu. 9
Die realen Exporte gingen um 8,5 % zurück; die Importe um 10,5 %
10
vgl. SachvenltAndigenrat a.a.O, Sp. 284 ff.
11
Jlhrlich werden ca. 170 Mrd. DM von West- nach Ostdeutschland transferiert. In 1993 betrugen die
Transfers in Mrd. DM: Bund 47; Treuhand 38; Fonds "Deutsche Einheit" 35; Bundesanstah rur Arbeit 32; LAnder/Gerneinden (West) 10,5; Rentenversicherung 5; Zinssubventionen ERPIKfW 0,5 insgesamt 168 Mrd DM; iwd, H. 2, 20. Jg, Köln 1994, S. 4.
148
Perygrin Wameke
tionen darstellt. Die Entwicklung der Gewinne läßt den Unternehmen derzeit keinen großen Spielraum für Investitionen. Zwischen 1992 und 1993 fielen die Gewinne um 2,1 % des Bruttoproduktionswertes (von 192 Mrd. DM auf 142 Mrd.DM). Für das Wachstum der Wirtschaft sind die künftige Entwicklung der Investitionsquote und der Produktivität entscheidend. Um in Deutschland mittelfristig wieder eine Zunahme der Beschäftigung zu erreichen, ist ein Wachstum von 3 % zu realisieren. Wo immer es geht, versuchen Unternehmen mit weniger Mitarbeitern auszukommen, um durch Kostensenkungen die Gewinnund Verlustrechnung zu entlasten. So sind viele Arbeitsplätze als Folge der ausgeprägten Investitionsschwäche in den 70er Jahren, in der Rezession 1980/82 verlorengegangen, und auch gegenwärtig - in der schwersten Rezession seit dem 2. Weltkrieg - zeigt sich wieder eine dramatische Zunahme der Arbeitslosigkeit nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa, ja sogar weltweit. In den Erklärungen wird stets auf die zu hohen Lohn- und Lohnnebenkosten, bedingt durch Tarifverträge, Sozialabgaben, Arbeitszeitregelungen u. a. hingewiesen. Nach der Erklärung der Bundesregierung zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschlandl2 leisten sich die Deutschen zu kurze Arbeits- und Maschinenlaufzeiten. So sei z. B. die Jahresarbeitszeit in den USA ca. 15 % und in Japan ca. 25 % höher als in Deutschland13 • Die Personalzusatzkosten in Industrie und Bauwirtschaft erreichen danach inzwischen 84 % des Direktentgelts und verringerten damit den Spielraum für eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik. Die Beitragssätze für die gesetzliche Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung liegen heute bei 37,4 % des Bruttoarbeitsentgelts, 1,6 % mehr als vor der Einigung. Im Jahre 1992 hat die Belastung mit Steuern und Sozialabgaben 43,7 % des Bruttoinlandsprodukts erreicht. Bei nationalen und internationalen Vergleichen von Lohnstückkosten ist aber darauf zu achten, daß nicht Niveaus, sondern die relativen Zunahmen zu erfassen sind und Aussagen eingeschränkt werden müssen, wenn sich die Analyse nur auf den gewerblichen Bereich bezieht. In einern Vergleich des DIW zur "Entwicklung der gesamten Lohnstückkosten" über 25 Jahre zeigt sich, daß die Lohnstückkosten nur 1970/71 und 1990/91 in Deutschland stärker gestiegen sind als die der Mitbewerber in den OECD-StaatenI4 • Für einen aussagefähigen internationalen Vergleich sind 12
13
Hrsg. Der Bundesminister filr Wirtschaft, Bonn 1993, S. 24 f[ Bei einem internationalen Vergleich von Betriebs- und AIbeitszeiten mOssen einheitliche
Meßkonzepte berilcksichtigt werden, um Fehlinterpretationen zu vermeiden. In Deutschland wurde mit
der Arbeitszeitverktlrzung auch eine Entkoppelung von Arbeits- und Betriebszeit realisiert. 14
vgl. dazu DIW Wochenhericht 11/92, S. 122.
Chancen und Gefahren filr den Wirtschaftsstandort Deutschland
149
auch Wechselkursentwicklungen zu beachten. Mit den Lohnstückkosten allein lassen sich deshalb nicht die Nachteile fiir den Wirtschaftsstandort Deutschland begründen. Für Investitionsentscheidungen sind außerdem weniger die Kosten als vielmehr Marktaussichten und zu erwartende Gewinne maßgeblich. Obwohl die Arbeitnehmereinkommen in den vergangenen Jahren zurückgegangen und die Lohnstückkosten in den letzten Jahren kaum gestiegen sind, ist nicht mehr investiert worden. Die weltweite Konkurrenz international tätiger Unternehmen bedingt auch Investitionsentscheidungen, die nicht immer zugunsten des Standortes Deutschland getroffen werden. Wichtige Beweggründe fiir Investitionen im Ausland sind z. B. Erschließung neuer Absatzmärkte; Sicherung von Marktpositionen. Problematisch ist es aber, wenn in Deutschland nur Ersatzinvestitionen erfolgen, während Innovationen und modeme Anlagen im Ausland realisiert werden. Gravierend ist das niedrige Niveau der Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland. So haben ausländische Unternehmen nur 12 Mrd. DM 1991 und 1992 in Deutschland investiert, während deutsche Unternehmen mehr als fiinfmal soviel Kapital ins Ausland exportierten. Die Investitionsstrategie deutscher Konzerne in den vergangenen vier Jahren ist eurozentriert. 2/3 der deutschen Direktinvestitionen (ca. 20 Mrd. DM in 1991) gingen in die Europäische Union. Den Gesamtinvestitionen von 29,2 Mrd. DM standen ausländische Direktinvestitionen von 1,9 Mrd. DM gegenüber. Besonders viel Kapital floß nach Luxemburg. Wachstumsmärkte in Südostasien blieben dagegen weitgehend unberücksichtigt. Somit werden einerseits arbeitsplatzschaffende Investitionen häufiger ins Ausland verlagert, während andererseits beschäftigungswirksame Investitionen von Ausländern im Inland weitgehend ausbleiben. Unstrittig hängt die Investitionsneigung der Unternehmen nicht ausschließlich von einzelwirtschaftlichen Bestimmungsgrößen, wie Rentabilität, Wirtschaftlichkeit, Produktivität und Liquidität, sondern auch ganz maßgeblich von den gesamtwirtschaftlichen und sozialpolitischen Rahmenbedingungen (Arbeitsmarktregelungen, Sozialgesetzgebung, Fiskal- und Steuerpolitik) und den Entscheidungen des Staates zur politischen, wirtschaftlichen und sozialen Stabilität ab. Für jedes Land gelten neben diesen Faktoren auch länderspezifische Bedingungen der Wettbewerbsfahigkeit. So sind fiir Deutschland m. E. maßgeblich: - die außenwirtschaftliche Verflechtung, - die Verwirklichung der Deutschen Einheit, - die Gestaltung der Europäischen Union,
ISO
Perygrin Wameke
- die Entwicklungen in Japan, den USA und den ASEAN-Staaten, - die Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Die Weltwirtschaft ist gegenwärtig geprägt - durch die zunehmende Globalisierung von Unternehmen über Direktinvestitionen, - durch grenzüberschreitende Unternehmenszusamrnenschlüsse, - durch die zunehmende Integration und Interdependenz der VoIkswirtschaften, - durch die zunehmende Einflußnahme des Staates auf der Unternehmensebene durch Industrie-, Forschungs- und Entwicklungspolitik, die auf die Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen VoIkswirtschaften zielt. Nach der Entwicklung der Auslandsaufträge im Verlauf dieses Jahres ist anzunehmen. daß der deutsche Export seinen Tiefpunkt erreicht hat und sich wieder verbessert. Mit einer Expansion von Nachfrage und Produktion in Europa wird die Ausfuhr dorthin trotz Aufwertung der Deutschen Mark wieder zunehmen; denn Regressionsrechnungen zeigen. daß die Auslandskonjunktur von größerer Bedeutung für den Export ist als die Veränderung der realen Wechselkurse. Die Leistungsfähigkeit der deutschen VoIkswirtschaft und ihrer Betriebe wurde und wird auch entscheidend geprägt durch die Mitbestimmung. Der soziale Friede in Deutschland und die Erfahrungen, die man in Deutschland mit der betrieblichen Mitbestimmung und der Unternehmensmitbestimmung in den vergangenen Jahrzehnten gemacht hat, finden nicht nur weltweite Anerkennung, sondern sollten dazu veranlassen, den Konsens zwischen Staat, Unternehmern und Arbeitnehmern nicht aufzukündigen. sondern vielmehr über den Mitbestimmungsbereich hinaus zu suchen. Nicht die Betonurig der Gegensätze von Kapital und Arbeit, nicht die Abgrenzung von staatlichen und privaten Wirtschaftsformen. wie sie unter dem Stichwort nDeregulierung" diskutiert werden. nicht die Alternative Industriepolitik versus Sozialpolitik helfen die gegenwärtige Krise zu überwinden und Strukturprobleme zu lösen. Maßgebend ist die gemeinsame Übernahme von Verantwortung im Sinne der Mitbestimmung. Die Kooperation zwischen Staat, Unternehmern und Arbeitnehmern unter Einbeziehung von Gewerkschaften. Kammern und Hochschulen erlaubt es, akzeptierte Ziele und Maßnahmen zu fixieren. um Schwächen der deutschen Wirtschaft zu überwinden. Es geht darum, daß sich der Staat, die Unternehmer und Arbeitnehmer über Rahmenbedingungen verständigen. unter denen es wirtschaftlich vorteilhaft ist, in Hochtechnologien zu investieren. Entscheidende Bedeutung hat die zukünftige Struktur- und Technologiepolitik.
Chancen und Gefahren fllr den Wirtschaftsstandort Deutschland
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Die Auswirkungen der weltweiten Konjunkturkrise treffen Deutschland zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt. Die Kosten der Vereinigung und die Staatsverschuldung1' engen den Handlungsspielraum des Staates ein und lassen damit wenig Raum ftir eine Erhöhung der Investitionsmittel. Über 3 Mio. Menschen sind arbeitslos16 und die Arbeitslosigkeit nimmt weiter zu bei sinkenden Realeinkommen. In den nächsten Jahren könnten es ca. 5 Mio. Arbeitslose sein. Arbeitslosigkeit bedeutet nicht nur ftir den einzelnen materielle Not, sondern belastet auch die Sozialsysteme, Betriebe und Beitragszahler, besonders aber den sozialen Frieden. Die wirtschaftliche Leistungsfllhigkeit des Standortes Deutschland wird neben der Konjunkturkrise auch durch gravierende Strukturprobleme beeinträchtigt. So wurden technologische Entwicklungen und die damit verknüpften Produktivitätspotentiale von der deutschen Wirtschaft ftir Investitionen nicht genutzt und politisch unvereinbare Auffassungen verhindern Investitionen. Gerhard Cromme, der Vorstandsvorsitzende der Fried. Krupp AG HoeschKrupp, schätzt, daß der Energiedissens in Deutschland Investitionen von mehr als 200 Mrd. DM in der Energiewirtschaft blockiert17• Die schwierige Situation, in der sich die deutsche Volkswirtschaft derzeit befindet, hat zu einer neuen Diskussion um die Wettbewerbsfllhigkeit der deutschen Wirtschaft geführt. Tatsächlich hilft die isolierte Diskussion über Standortschwächen und die damit verbundenen Kostenaspekte nicht weiter. Maßgeblich ftir eine neue Politik ist der konsequente Ausbau der Standortstärken, wie die Innovationskraft deutscher Forscher, die QuaIifikation der Arbeitnehmer, die Mitbestimmung, die Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung des Staates. Wirtschaftliche, technische und gesellschaftliche Einflüsse wirken auf Unternehmen und beeinflussen ihre Investitionen. Auf dem Weltmarkt fUhren wachsende Konkurrenz, spezifische Kundenforderungen, Preisdruck, Typenvielfalt, Stückzahlschwankungen, kleine Losgrößen, kurze Lieferzeiten und erhöhte Qualitätsanforderungen zu immer kürzeren Innovationszeiten. Ein beschleunigter technologischer Wandel verändert Produkt-, Fertigungs- und Organisationsstrukturen sowie die Anforderungen an die Qualifikation von Arbeitnehmern. Das Haushaltsdefizit des staates betrAgt in 1992 2,8 % des Bruttosozialprodukts, 1993
U
4,8 0/0, 19943,5 %. 16 Im
November 1993 8,7 % im Westen, um 16 % im Osten, vgl. Schaft, W., Staatsdefizit
bleibt hoch. In: Konjunktur von morgen, Nr. 901 vom 25.11.1993. 17
Handeslblatt v. 04. 11. 1993, S. 5.
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Am Beispiel der deutschen Automobilindustrie lassen sich die komplexen Ursachen für die Absatz- und Produktionseinbrüche verdeutlichen. Nach einer langen Boomzeit, um 3 Jahre durch die deutsche Einigung verlängert, gibt es zur Zeit einen tiefen Einschnitt bei der Produktion. beim Export und bei den Neuzulassungen. Die Rezession hat Strukturschwächen dieses Industriezweiges aufgedeckt. Schon vor 2 Jahren schätzten Fachleute die Differenz zwischen den Fertigungskosten japanischer und deutscher Hersteller auf ca. 30 %11 Die gegenwärtig einsetzenden Bestrebungen der deutschen Unternehmen, solche Vorsprünge der Konkurrenten durch Produktivitätssteigerungen aufzuholen. geht nunmehr abrupt auf Kosten der Beschäftigung. Hier zeigt sich sehr deutlich, wie sich unterlassene Investitionen negativ auf die Beschäftigung auswirken. Hatte die Automobilindustrie 1991 noch 780.000 Arbeitnehmer, so schätzt man für 1995 eine Beschäftigtenzahl von ca. 600.000. Der derzeitige Verkauf lastet die Kapazitäten zwischen 60 und 70 % aus, während die Gewinnschwelle bei manchen Herstellern über 90 % liegt. Nicht nur in der Automobilindustrie entfallen Arbeitsplätze, sondern auch in der chemischen Industrie, in der Elektrobranche, ganz abgesehen von der Stahlindustrie, dem Bergbau und der Textilindustrie. Selbst im Dienstleistungssektorl9 mit den bisher leistungsstarken Banken und Versicherungen muß künftig mit Entlassungen gerechnet werden. Mit der Umstrukturierung (Stichworte lean production, Verbesserung der Wertschöpfung, Dezentralisation der Eigenverantwortlichkeit von Bereichen. Verlegung von Arbeiten mit niedriger Wertschöpfung ins Ausland) wird man zwar wieder wettbewerbsflihiger, aber um den Preis eines massiven Abbaus von Arbeitsplätzen und den Folgen einer Beschäftigungskrise sowie der Infragestellung des Sozialstaates. Nicht nur Rezession und Kostenkrise bedingen die gegenwärtige Situation. sondern auch eine ausgeprägte Strukturkrise. Von Amerika und Japan geht eine neue industrielle Revolution aus. Für die Zukunftssicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland ist es somit unverzichtbar, in den Bereichen Informationstechnik, Biotechnik, neue Werkstoffe, neue Energien. Luft- und Raumfahrt zu investieren. 18
vgl. Rommel, G., Internationale Wettbewerbsflhigkeit durch Einfachheit In: KomplexitAt meistem,
Wettbewerbsßhigkeit sichern, Hrsg. Reiss, M., Gassert, H., Horvath, P., StuUgart 1993, S. 127 ff. 19 Seit
1980 sind im westdeutschen Dienstleistungsbereich 2,8 Mio. neue Arbeitspilitze entstanden. Die
Umstrukturienmg von Unternehmen tru-dert den Trend zum Ausbau der DienstleistungsgeseUschaft. Nach Daten der Bundesanstalt filr Arbeit erhöhte sich der Anteil sozialversichenmgspflichtiger Beschäftigte zwischen 1980 und 1992 um 27,9 %, d h. um 2.769.000. Trotz der großen Bedeutung von Dienstleistungen muß beachtet werden, daß fiir die Wohlstandsposition Deutschland auch künftig die Industrieg1ltererzeugung eine wesentliche Basis dantellt.
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Wer investiert, der gewinnt. Erfolgreiche Investitionen erhöhen die Leistungsfähigkeit von Unternehmen. Realisierte Gewinne können fiir qualifizierten Personaleinsatz, fiir Produktentwicklungen und neue Technologien verwendet werden. Bei den wachstums- und ertragsstärksten Unternehmen sind die Bruttoinvestitionen in Sachanlagen um 50 % und die Bruttoinvestitionen je Beschäftigten um 60 % höher als bei den weniger erfolgreichen Unternehmen. Dies hat eine Untersuchung von 300 deutschen Aktiengesellschaften in den vergangenen 25 Jahren ergeben. 20 Die Entwicklung der Brultoinlandsinves(i(ionen war in den letzten Jahren sehr uneinheitlich und gibt in der jüngsten Zeit Anlaß zur Sorge. Insgesamt war der Anteil der Bruttoanlageinvestitionen an der Bruttowertschöpfung rückläufig. Im Jahresdurchschnitt entwickelten sich die Anlageinvestitionen im Unternehmenssektor wie folgt: + 4,8 % 1970/60 1,9% 1980/70 + 1990/80 + 1,5 % 1987/60 + 2,9 % + 3,9 % 1987/82 Im Jahr 1993 schrumpften die Anlageinvestitionen in Westdeutschland real um 5,5 %. Auch die Investitionen des Staates haben abgenommen. 1970/60 + 7,7 % 0,5% 1980/70 ./. 2,9% 1990/80 ./. 1,9% 1987/60 + 0,7% 1987/82 ./. Die Anlageinvestitionen bestehen aus Bau- und Ausrüstungsinvestitionen. Der Anteil der Ausrüstungsinvestitionen an den Anlageinvestitionen ist von rd. 29 % (1960) auffast 50 % (1990) gestiegen. Diese Entwicklung zeigt, daß die volkswirtschaftlichen Investitionen maßgeblich von den Ausrü-stungsinvestitionen geprägt werden. Sie bestimmen in den meisten Branchen des Unternehmenssektors auch die Entwicklung der Arbeitsplätze. Die Ausrüstungsinvestitionen des Unternehmenssektors haben in den 60er Jahren um mehr als 3,5 %jährlich zugenommen. Die höchste Steigerungsrate ergab sich in diesem Zeitraum mit gut 6,5 % im Jahresdurchschnitt. In den 70er Jahren betrug diese Rate nur noch gut 2 %, in den 80er Jahren rd. 0,75 %; gegenwärtig ist die Rate negativ. Für 1993 rechnet das Ifo-Institut bei der Nachfrage nach Investitionsgütern im vercubeitenden GeweIbe mit einem Minus von 14 %.21 20
vgl. a. Ronunel, G., a.a.0., S. 137 ff.
21 iwd, H. 4,20. Jg., Köln 1994, S. 3.
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Mit nur kurzer zeitlicher Verzögerung hat der westdeutsche Arbeitsmarkt auf die nachlassende wirtschaftliche Dynamik reagiert. Nach einer Zeit kräftig steigender Beschaftigung kam der Beschaftigungszuwachs zum Erliegen. Der Wandel der Erwerbstätigenstruktur vom verarbeitenden Gewerbe hin zum tertiären Sektor der Dienstleistungen hat sich wieder beschleunigt. Für eine Entwicklung des Arbeitsmarktes kommt es somit entscheidend auf eine neue Investitionsdynamik an. wenngleich das Unbehagen über die Politik die Investitionsneigung bremst und der Rückgang bei den Bestellungen auch die Investitionstätigkeit betriffi. Die Industriebetriebe investieren 1993 in erster Linie in die Kostensenkung, um Lohn- und Gehaltskosten einzusparen. Die Beschaftigung nimmt somit sowohl durch die rückläufige Produktion als auch durch die Substitution von Arbeit durch Kapital ab. Auch der Sachverständigenrat kommt zu dem Ergebnis, daß "nicht viel fiir eine rasche und nachhaltige Erholung der Investitionsneigung spricht." Die Investitionen haben Signalfunktion fiir die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Man muß gegenwärtig davon ausgehen, daß wegen fehlender Aufträge und durch die derzeit in den Unternehmen stattfindenden Änderungen der Produktions- und Organisationsstrukturen noch mehrere hunderttausend Arbeitsplätze verloren gehen. Eine wesentliche Voraussetzung fiir eine leistungsfähige Industrienation ist die Erschließung von Wachstumsmärkten und die ausreichende Versorgung mit bezahlbaren Rohstoffen und Energien. Beschaftigung und Wirtschaftswachstum benötigen eine leistungsfähige Wirtschaft und eine gesicherte Energieversorgung. In der nicht immer sachlich geführten Diskussion über Ziele und Instrumente der Energiepolitik kommt dem Staat die Aufgabe zu, die notwendigen politischen Rahmenbedingungen zu setzen, um sachgerecht marktwirtschaftliehe Prozesse zu steuern. Die ordnungs- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen des Staates sind Orientierungsdaten fiir das Investitionsverhalten der Unternehmer und wirken sich damit auf die Beschaftigung aus. Unbestritten ist der sparsame und rationelle Umgang mit Energie. Gestritten wird über die Notwendigkeit, eigene Energiepotentiale zu nutzen und darüber, welche Energieträger einzusetzen sind. Gegenwärtig gibt es keinen Energiekonsens und somit auch keine gesicherte Perspektive fiir die deutsche Energiewirtschaft, und damit steht auch die Arbeitsplatzsicherung in diesem Wirtschaftszweig in Frage. Dies insbesondere dann, wenn die staatliche Politik nicht verläßlich ist. Zu beachten ist, daß eine eigene Rohstoftbasis nicht ausschließlich unter ökonomischen Gesichtspunkten zu beurteilen ist. Im Rahmen der sozialen
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Marktwirtschaft bleibt es eine Hauptverpflichtung nationaler Politik, eine sichere Energieversorgung unter Berücksichtigung der übrigen Ziele wie Preiswürdigkeit, Umweltverträglichkeit u.a. zu gewährleisten. I. Die Qualität von Standorten hängt von wirtschaftlichen, rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten ab. Makroökonomische und unternehmensbezogene Faktoren kennzeichnen die wirtschaftliche Standortqualität. Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang für Deutschland das Bildungssystem, die Forschungsstruktur, der modeme Kapitalbestand, die Infrastruktur, der soziale Konsens und die politische Stabilität. Zu den Schwächen werden das hohe Lohnniveau, die relativ kurzen Arbeitszeiten und die hohen Steuersätze bei vergleichsweise niedrigen Bemessungsgrundlagen gerechnet. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung e. V. l l bescheinigt Deutschland relativ ausgeglichene Standortbedingungen. 2. Ohne kalkulierbare wirtschafts- und ordnungspolitische Rahmendaten besteht die Gefahr, daß Schlüsseltechnologien und mit ihnen leistungsfähige Arbeitsplätze ins Ausland abwandern. Werden von einer exportorientierten Industrienation Großtechnologien nicht nur in Frage gestellt, so hat das Konsequenzen für Investitionen, Beschäftigung und Wohlstand. Angesichts der globalen Entwicklungen kommt es auf eine ausgewogene Mischung der verfügbaren Energien an. Die Leistungsfähigkeit im internationalen Wettbewerb um Produktionsstandorte hängt auch maßgeblich von dem Standortfaktor "Energie" ab. 3. Die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit kann man nicht allein durch Sparkonzepte realisieren. Schlanke Produktionen lassen zwar Kosten sinken, notwendig sind aber Erlössteigerungen, die nur über Investitionen zu erreichen sind. Eine defensive Unternehmenspolitik schaftl nicht diti Voraussetzungen für eine sichere Beschäftigung. Für den dynamischen Unternehmer gilt, wie ihn bereits Schumpeter beschrieben hat, zündende Erwerbsideen in Unternehmensstrategien umzusetzen. Nicht Erhaltungsinvestitionen, sondern Gestaltungsinvestitionen sichern Einkommen und Beschäftigung. 4. Voraussetzung für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sind Produkte und Märkte im Hochtechnologiebereich, z. B. in der MedizinElektronik, in der Pharmazie, der Biochemie; in der Entwicklung neuer Werkstoffe, in der Photovoltaik, im Umweltschutz, in der Luft- und Raumfahrtindustrie. Bei Tätigkeiten mit niedriger Wertschöpfung ist Deutsch-
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Rheinisch-WestflIisches Institut fllr Wirtscbaftsforschung (Hrsg.), Analyse der strukturellen
Entwicklung der deutschen Wirtschaft, Essen 1989 (RWI-Standortgutachten)'
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land nicht wettbewerbsfiUrig. Für Deutschland sind die Bereiche der Produkt- und Prozeßinnovation maßgeblich. "Zwei Drittel aller Kostennachteile deutscher gegenüber japanischen Unternehmen werden nicht durch höhere Lohn- und Materialkosten, sondern durch Mängel in der fertigungsgerechten Konstruktion, der Arbeitsorganisation, durch eine wenig vorteilhafte Fertigungstiefe verursacht". (H. Henseler, Me Kinsey). Innovationen und Investitionen schaffen (neue) Arbeitsplätze, sie bedürfen der konsequenten Förderung. Hochwertige Erzeugnisse und Problemlösungen bedingen qualifizierte Arbeitnehmer. Die Bedeutung des Standortes Deutschland entscheidet sich im Wettbewerb zwischen Europa, Japan und den USA. 5. Deutschland verfügt im internationalen Vergleich über sehr gut qualifizierte Arbeitskräfte. Dieser Vorteil muß genutzt werden. Die Qualität der Führungskräfte und Arbeitnehmer bildet den langfristig wichtigsten Erfolgsfaktor. Die Bedeutung des Menschen im Unternehmen erwächst daraus, daß die übrigen Erfolgsgrößen, wie z. B. Rohstoffbeschaffung, Unternehmensfiihrung, Innovationsbereitschaft Ergebnis der personellen Leistungsfähigkeit sind. Industrieländer sind zunehmend darauf angewiesen, Wettbewerbsvorteile durch "know how" zu begründen. Investitionen im Bildungsbereich sind daher unerläßlich. Der technische, wirtschaftliche und soziale Wandel bedingt, daß Arbeitnehmer ihre Leistungsfähigkeit durch lebenslanges Lernen sichern. 6. Entscheidend ist, welche Werthaltungen das wirtschaftliche Handeln beeinflussen, wie wirtschaftliche Zielsetzungen der Unternehmen und Interessen der Arbeitnehmer miteinander verknüpft, Möglichkeiten zur Selbstbestimmung bei der Arbeit genutzt werden, wie die Beteiligung der Beschäftigten an den Entscheidungsprozessen geregelt ist. Unternehmensf'iihrung ist nicht nur als wirtschaftlich-technische, sondern auch als soziale Gestaltungsaufgabe zu verstehen, die die Arbeitnehmer mit ihren Interessen einbezieht. Gerade die Mitbestimmung hat gezeigt, wie verantwortungsbewußt Unternehmen geführt und wirtschaftliche und soziale Belastungen des Strukturwandels begrenzt werden können. 7. Ob und wie der technologische und wirtschaftliche Wandel in Betrieben durch Investitionsentscheidungen genutzt wird, bestimmt die Beschäftigung und hängt entscheidend vom Verhalten des Staates, der Unternehmer und der Arbeitnehmer ab. Unsere marktwirtschaftliche Effizienz gründet sich gerade auf die Akzeptanz einer Wirtschaftsordnung, die soziale Sicherheit, Verteilungsgerechtigkeit und Mitbestimmung voraussetzt. Es geht um eine ökonomisch und ökologisch sachgerechte und zugleich sozial verantwortete Wirtschaft.
11. Podiumsdiskussion
Beitrag zur Podiumsdiskussion Von Wolfgang Böhm Die Qualität eines Wirtschaftsstandortes hängt sicherlich nicht in erster Linie von den arbeits- und sozialrechtlichen Rahrnenbedingungen ab. Aber mit sinkender Bedeutung der traditionellen tarifären und nichttarifären Handelshindernisse durch Liberalisierung der sog. Verkehrsbedingungen (EU, EWR. GATI) wächst naturgemäß die Bedeutung der sog. Standortbedingungen, wozu neben dem Steuer- und Umweltrecht sicherlich auch die arbeits- und sozialrechtlichen Rahrnenbedingungen gehören. Ob das AIbeits- und Sozialrechtssystem der Bundesrepublik Deutschland als Wettbewerbsfaktor dabei auf die Positiv- oder Negativseite zu buchen ist, ist jedoch heftig umstritten. Einerseits wird darauf hingewiesen, daß soziale Sicherheit und daraus resultierender gesellschaftlicher Friede eine unverzichtbare Voraussetzung :fiir langfristig kalkulierbare Investitionen seien. Denn Kapital fließe nun einmal dorthin, wo es sich wohlfühle, und das werde nun einmal vor allen Dingen von der Stabilität der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und Rechtsverhältnisse geprägt. So sei zu beobachten, daß trotz der niedrigen Löhne und der gewaltigen Marktchancen in den ehemaligen Staaten der Sowjetunion und jetzigen GUS-Ländern allein der Handel wirklich floriere, weil hier - im Gegensatz zu industriellem Engagement - ein schneller Return on Investment gewährleistet sei. Dauerhafte Stabilität der genannten Bedingungen werde aber in the long run allein durch Konsensgesellschaften und nicht durch Konfliktoder Umbruchgesellschaften garantiert. Eine Konsensgesellschaft sei aber darauf haben der Vertreter des Bundesarbeitsministeriums genauso hingewiesen wie der Unternehmensberater Vogel - nicht zum Nulltarif zu haben. Sie koste selbstverständlich ihren Preis in Form hoher Lohn- und Lohnnebenkosten und einer starken gesetzlichen und tarifvertraglichen AIbeitsplatzsicherung der abhängig Beschäftigten. Von Vorteil sei jedoch, daß man überhaupt einen klar kalkulierbaren Preis rur die "Sicherheit" von Investitionen angeben könne. In manchen Reformstaaten, in zahlreichen GUS-Ländern und in fast allen Entwicklungsländern sei eben dies nicht der Fall, weshalb Langfristinvestitionen trotz niedriger Löhne und Lohnnebenkosten nicht getätigt würden. Vor genau fiinf Jahren hat die Sozialakademie Dortmund eine Tagung mit der - wie wir meinten, eher rhetorischen - Fragestellung durchgeführt:
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Wolfgang Bölun
"Europa 1993: Nur Supennarkt oder auch Sozialraum?" Damals bestand von den Gewerkschaften bis zu den Unternehmern - von Ernst Breit bis hin zu Carl H. Hahn - Übereinstimmung, daß eine Europäische Gemeinschaft oder gar Union langfristig mehr sein müsse als eine bloße Freihandelszone. Denn Freihandelszonen zerfielen, sobald die wirtschaftlichen Vorteile für die Beteiligten ausblieben - also in wirtschaftlichen Krisenzeiten. Eine dauerhafte und krisenfeste Union müsse deshalb auf mehr gegründet werden als bloße wirtschaftliche Vorteile. Eine Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen wurde deshalb von allen für unverzichtbar gehalten. Unter-schiedliche Auffassungen gab es eigentlich lediglich darüber, was alles vereinheitlicht werden müsse und in welchem Tempo dies zu geschehen habe bzw. geschehen könne. Hier setzten Gewerkschafter und Sozialpolitiker naturgemäß auf möglichst viel Einheit und Gleichheit, Unternehmer und Wirtschaftspolitiker eher auf Differenzierung, Regionalisierung und Flexibilisierung. In diesem Jahr nun haben wir eine Studienreise in das Vereinigte Königreich unternommen und mit geradezu messianischem Eifer bei unseren britischen, insbes. konservativen Gesprächspartnern für den Sozialraum Europa geworben. Viele sind sehr nachdenklich, manche sogar irritiert heimgekehrt. Ich schließe mich da nicht aus. Wir haben unseren englischen Gesprächspartnern das Argument vorgetragen, daß nur eine Konsensgesellschaft, die natürlich ihren Preis habe, attraktiv für Langfristinvestoren sei. Wenn dies richtig sei, so müsse diese Einsicht in einem zusammenwachsenden Europa zur communis opinio werden. In ihrer unnachahmlich gelassenen Art haben die Briten zurückgefragt: "Wenn Sie das wirklich glauben, daß eine Konsensgesellschaft, die ihren Preis hat, ein Wettbewerbsvorteil ist, warum wollen Sie dann diesen Wettbewerbsvorteil auf andere Staaten der Gemeinschaft ausdehnen und damit ausschalten, statt umgekehrt auf Exklusivität bedacht zu sein und Nutzen aus diesem Vorteil zu ziehen?" Die angelsächsische Philosophie geht jedoch noch einen Schritt weiter: "Wieso erscheint es Ihnen in einem Binnenmarkt, selbst in einer politischen Union von selbständigen Staaten sinnvoll, daß zentralistische SupeIbehörden alles im Sinne von Gleichheit reglementieren. Wenn wir wirklich an Markt und Wettbewerb glauben, wäre es doch sinnvoller, konkurrierende Modelle anzubieten und es einmal darauf ankommen zu lassen, welches Modell unter Wettbewerbsbedingungen sich schließlich als das erfolgreichste erweist. Macht Ihr doch Euer deutsches Modell mit Mitbestimmung auf allen Ebenen, mit gesetzlich und tariflich abgesicherten Besitzständen und wir machen - gemäßigten - Thatcherismus. Und irgendwann muß sich ja zeigen, wer das bessere Rezept hat.Dann werden es die anderen schon aus Eigeninteresse über-
Podiumsdiskussion
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nehmen, aber allein deswegen, weil das Rezept besser ist, und nicht deswegen, weil irgendwelche Eurokraten in Brüssel das für alle verbindlich angeordnet haben." Britische Politiker werben ganz ungeniert und in aller Offenheit um japanische Investitionen mit dem Slogan: "Warum wollen Sie den deutschen Sozialstaat, den Freizeitpark Deutschland mitfinanzieren? Investieren Sie im Vereinigten Königreich, Sie haben genauso große soziale, wirtschaftliche und Währungsstabilität - aber außerdem ein vernünftiges und interessantes Lohnniveau." Da ich lediglich Jurist bin, kann und mag ich nicht entscheiden, wer ökonomisch und sozialpolitisch die besseren Argumente hat. Aber unsere britischen Gesprächspartner haben uns doch in sehr nachdrücklicher Weise die Frage nach unserer Glaubwürdigkeit gestellt. Denn wenn wir wirklich daran glauben würden, daß unser Arbeits- und Sozialsystem trotz seiner hohen Kosten am Ende der Wettbewerbsfaktor unter im übrigen ziemlich ähnlich strukturierten Industrienationen wäre, dann sollte man doch meinen, daß wir auf diese Karte setzen und zu gegebener Zeit diesen Joker spielen, statt mit messianischem Eifer zu verlangen, daß alle anderen Mitspieler - ob in der Europäischen Union oder weltweit - von Amts wegen auch einen Joker zugeteilt bekommen. Ich danke Ihnen.
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Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland aus wirtschaftspolitischer Sicht Thesen zum Thema Von Ludwig Bußmann
These 1: Die These von der Gefährdung des Wirtschaftsstandortes Deutschland zeichnet sich durch eine große Zählebigkeit aus. Sie erinnert an das Abfiillen von altem Wein in neue Schläuche. Standortprobleme wurden nicht nur 1967, 1975, 1982 und auch jetzt wieder diskutiert·, sondern diese These von der Gefährdung taucht bereits in der Weimarer Republik auf, ja schon 1820 erregte der Ökonom Georg Sartorius mit einem Buch Aufsehen, dessen Titel lautete: "Über die Gefahren, welche Deutschland bedrohen, und die Millel, ihnen mit G/Uck zu begegnen, GtJltingen 1820". Es fragt sich also, ob wir es mit einer regelmäßig auftretenden Wintergrippe oder mit einer chronischen Erkrankung unserer Wirtschaft zu tun haben. These 2: Der Verdacht, es könne sich bei dieser These gar um eine interessenbedingte Ideologie, d. h., um eine eingebildete Krankheit, handeln, liegt s0lange nahe, wie nicht stichhaltig belegt ist, worauf sie gründet und weIchesGewicht sie in einem Komplex von Ursachenfaktoren hat, die unsere gegenwärtige Wirtschaftssituation bestimmen. Ich meine hier das Zusammentreffen von zunehmender Globalisierung der Märkte, von fortschreitender weltwirtschaftlicher Arbeitsteilung, von säkularem Sektorstrukturwandel (Drei-Sektoren1 Vgl. z.B. Bundesministerium ftlr Wirtschaft (BMWi) (Hrsg.), Zukunftssicherung des Standortes Deutschland, Bonn 0.]. (1993), BMWi (Hrsg.), QualiW des Standortes Deutschland und Ansatzpunk-
te zur Verbesserung, Bonn, Jan. 1992, Erwin Dichtl (Hrsg.), Standort Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1994 Hans-Böckler-Stiftung, Wirtschaftsstandort Deutschland - Ende der Verteilungsspielräume?, Forum
am 11. u. 12. Nov. 1993 in Bonn, Herbert Henzler, Kritische WQrdigung der Debatte um den Wirtschaftsstandort Deutschland, in: Zeitschrift ftlr Betriebswirtschaft, 63. ]g. (1993), Heft 1, S. 5-21 Sachverständigenrat ftlr die Begutachtung
der gesamtwirtschaft\ichen Entwickung, Stabilisierung ohne Stagnation, Jahresgutachten 1965/66, Stuttgart 1965, Tz. 256 und 257. 11·
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Ludwig Bußmann
Hypothese), von Transformationsproblemen der Wirtschaftssysteme im Osten, von konjunktureller Rezession und von wirtschaftspolitischer Ratlosigkeit vieler Politiker in der Zirkuskuppel der öffentlichen Medien, wo sie den Mangel an wirtschaftspolitischem Konsens beklagen, sich aber vor der Entscheidung von Zielkonflikten fürchten. These 3: Wenn und soweit die Drei-Sektoren-Hypothese empirischen Gehale hat - und ich meine, im langfristigen Trend spricht vieles dafür -, dann sollten wir damit rechnen, daß es die meisten von uns erleben werden, wie nur noch gut ein Fünftel der Beschäftigten uns mit industriellen Waren mehr als gut versorgen wird. Wenn man im Jahre 1850, als rund 60 % aller Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig waren, den damaligen Zeitgenossen erklärt hätte, daß 150 Jahre später nur noch 3 % aller Beschäftigten mehr als den Ernährungsbedarf, nämlich die sog. Argrarüberschüsse, produzieren würden, wer hätte das damals geglaubt? Da es uns wohl an dem Vorstellungsvermögen fehlt, was im nächsten Jahrhundert rund drei Viertel aller Beschäftigten im Dienstleistungsbereich leisten sollen, kann man einstweilen sein Heil und die Heilung von Altersverschleißerscheinungen im Export suchen, der in fast jedem Konjunkturtief der Nachkriegszeit die Aufgabe hatte, den deutschen Wirtschaftsmotor wieder anspringen zu lassen. These 4: Wenn Deutschland eine führende Rolle im Prozeß der weltweiten Arbeitsteilung spielen möchte, müssen in diese Überlegungen alle relevanten Standortfaktoren einbezogen werden, von denen man beim Blick in die Fachliteratur mehr als drei Dutzend aufzählen könnte). Auf Ihre Auswahl und Kombination kommt es an.
2
Vgl. Klaus LöbbelRainer GraskamplRicarda KampmannlMarkus Scheuer/Johann Waher, Teclmi-
sehe Dienstleistungen, Technologietransfer und Innovation, Heft 7 der Untersuchung des RheinischWestflUisehen Instituts filr Wirtschaftsforschung, Essen 1992.
Podiumsdiskussion
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Die gegenwärtige Diskussion greift einen einzelnen Standortfaktor heraus: Die kostenpreisliche Wettbewerbsfähigkeit bzw. Exportabsatzfunktion. Die Verfechter dieser These vom wirtschaftlichen Rheumatismus befinden sich allerdings in einem Erklärungsnotstand: Die notorischen strukturellen Außenhandelsbilanzüberschüsse Deutschlands deuten eher auf ein zu niedriges Kostenniveau des deutschen Exportangebotes hin· . Oder meint man im Augenblick nur die Wechselkursproblematik, die darin besteht, daß ein Exporteur fiir I Dollar vor gar nicht allzu langer Zeit 2 DM und heute nur noch 1,60 DM erlöst und jetzt vielleicht glaubt, den Mindererlös durch Lohnsenkung weitergeben zu können. Wenn dies gemeint ist, so sollte man es wenigstens klar aussprechen. These 5: Vielleicht zielt die Standortdiskussion aber auch auf das Investitionsverhalten der Unternehmen im internationalen Zusammenhang. Bei der
] Vgl. Reinhard ClemenslHennann Tengler, Standortprobleme von lndustrieuntemelmten in BalIIJ11!l11rAunten, Göttingen, 1983. (Auf S. 117, 118 nennen sie 46 Standortfaktoren.) Die Wirtschaftswoche
greift auf die Ergebnisse einer Umfrage unter 10 000 Managern zurilck, die vom Genfer World Economic Forum und dem Lausanner Forschungsinstitut MD vorgenommen wurde und 16 Standortfaktoren heranzog. Vgl. Wirtschaftswoche Nr. 53 vom 24. 12. 1992, S. 36 - 41. Eberhard Harner verwendet filr die Standortentscheidung mittelstllndischer Betriebe 12 Faktoren, die sich nur zum Teil mit den bisher genannten Faktoren decken. Vgl. Eberhard Harner, Über den Standort entscheidet die Familie, in: FAZ Nr. 159 vom 13.7.1993. Eine ifo-Umfrage unter 500 Managern begrenzt sich auf 6 Standortfaktoren. Vg1. Wirtschaftswoche Nr. 16 vom 16.4.1993. Das Forschungsinstitut Empirica verdichtet in einer Untersuchung Ober "Zukunftsstandorte in Westeuropa" eine größere Zahl von Standortkriterien im Verlauf einer Cluster-Analyse auf 5 Standortfaktoren. Vgl. Wirtschaftswoche Nr. 2 vom 8.1.1993. Ein Panel von filhrenden Unternehmungsberatungsfirmen konzentriert sich auf 16 Standortfaktoren, die die Wettbewerbsfelder Arbeit und Management, Technik und Infrastruktur, Kapital und Steuern sowie Staat und Umfeld reprAsentieren. Vgl. Wirtschaftswoche Nr. 49 vom 3.12.1993. •
Vg1. Meinolf DierkeslKlaus Zimmermann (Hrsg.), Wirtschaftsstandort Bundesrepublik, Frankfurt
arnMain, NewYork 1990, S. 20 und S. 129. ~ "Hier vollend' ich's. Die Gelegenheit ist günstig." (Wilhelm Tell, 4. Akt, 2. Szene).
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Ludwig Bu8marm
Analyse der Investitionsfunktion wird dann aber auch der Blick auf die Kostenseite verengt und die Absatz- und Ertragschancen bleiben ausgeblendet (Magendruck als Hungergefühl). Hinzu kommt die politische Dimension; denn alle guten Menschen werden die Forderung beifällig aufnehmen. daß das Kapital gefaIligst zu den arbeitssuchenden Menschen zu gehen habe. Doch wehe, wenn die arbeitssuchenden Menschen in A1abama statt in Rastatt wohnen!
These 6: Eine offenere Diskussionshaltung würde es erleichtern festzustellen. ob die Arbeitgeber/Unternehmer die gegenwärtige Rezession weniger als Strukturbereinigungskrise denn als Wilhelm-Tell-Situation' begreifen und ausnutzen. In jedem Fall verlegen sich die meisten Unternehmen auf Defensivstrategien, die den produktionsrückgangsbedingten Kostendruck durch Sparmaßnahmen, Investitionskürzungen und Beschaftigungsrückgang aufzufangen trachten und dabei den Ast immer mehr absägen. auf dem sie sitzen. 6 These 7: Unternehmerische Defonsivstrategien zeichnen sich durch ein Dilemma aus, das auch eine aktive Industrie- und Arbeitsmarktpolitik kurzfristig nicht beheben kann. 7 Der Problemdruck ist hoch und steigend und der traditionell vorhandene Produktmix hat immer weniger Absatzchancen. These 8: Der innovative Unternehmer kennt nach Joseph A. Schumpeter nur eine Sorge: den Absatz, alles andere sei Ärger. Also müssen offensive Strategien gesucht und gefahren werden. Im Export bleibt fiir ein Hochlohnland wie die Bundesrepublik nur die Spezialisierung auf hochwertige Waren und Dienstleistungen, die ebenfalls auch im Inland gebraucht werden. Dies könnten sein: - umweltschonende und umweltheilende Verfahren auf allen Gebieten. - alternative Energien, - neue Werkstoffe, - sparsame Verkehrsmittel fiir Waren und Menschen sowie - neue Kommunikationssysteme, um nur einige zu nennen.
6
Vgl. Ludwig Bußmarm, Flexibilisierung als Mittel der Arbeitsmarktpolitik? In: Willi LambertslRWI
(Hrsg.), Nordrhein-Westfalen in der Krise - Krise in Nordrhein-Westfalen?, Berlin 1985, S. 205 f. 7
vg1. Carslen Kreklau, Industriepolitische AnsItze in der deutschen Industrie, in: Jahrbuch Arbeit und
Technik 1992 Schwerpunktthema Industriepolitik, Borm 1992, S. 33 ff.
Podiumsdiskussion
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Die Paarung von innovatorischem Mut und sozialer Phantasie ist nötig. Sie gilt es in Zusammenarbeit aller Akteure zu organisieren These 9: Dem Staat käme dabei weniger die Rolle des Finanziers als vielmehr des Organisators von Kooperations- und des Moderators von Entscheiungsprozessen im Sinne einer neuen Form von "Public Private Partnership" zu.
Podiumsdiskussion Von Peter Kühne Bei allem Respekt vor den hier anwesenden Ökonomen und betrieblichen Praktikern, die mit hautnahen Problemlösungen umzugehen haben und Vorsorge für den nächsten Tag treffen müssen in dieser Krise, möchte ich als Soziologe doch ein gewisses Unbehagen äußern am Begriff "Industriestandort Deutschland" und an dem Konzept. das hinter diesem Begriff zu stecken scheint. Es scheint von zweierleier Philosophemen bestimmt zu sein: einmal dem Philosophem "Weiter so, nur schneller und noch intensiver". Die sozialen Kosten, die ein solches "Weiter so" verursachen, und in Sonderheit die entstehenden ökologischen Kosten werden weitgehend verdrängt. Sie werden allenfalls im Binnenverhältnis dieser Gesellschaft thematisiert. etwa im Hinblick auf eine ökologisch beeinflußte Produktions- und Produktpolitik, aber nicht im Außenverhältnis, mit Blick auf den Ressourcenverbrauch in der Dritten Welt. auf Klimaveränderungen weltweit und in der Frage der Machbarkeit des Exports unseres industriegesellschaftlichen Paradigmas in die vormodernen Länder der südlichen Erdkugel. Das zweite Philosophem, das dahinter zu stecken scheint und mir ein gewisses Unbehagen bereitet. ist die Ideologie des Partikularen, um nicht zu sagen Nationalen. Denn gefragt wird: Wie können wir als Deutsche uns auf dem Weltmarkt behaupten? Nicht oder zu wenig gefragt wird: Wie können wir als Deutsche uns mit Anderen verständigen und so weit arrangieren, daß - auch unter HintansteIlung eigener Interessen - der weitere Bestand des Globus und das Überleben aller Menschen unter einigermaßen menschenwürdigen Verhältnissen mittelfristig, längerfristig gesichert ist. Lassen Sie mich auf diesen zweiten Aspekt noch etwas weiter eingehen: Integraler Bestandteil des Konzepts "Wirtschaftsstandort Deutschland" war und ist zunächst eine Internationalisierung der Arbeitsmärkte. Durch Anwerbung ausländischer Erwerbstätiger sollen inländische Arbeitsmarktlücken geschlossen, Wirtschaftswachstum beschleunigt, Defizite in der Bevölkerungsentwicklung ausgeglichen und das System der sozialen Sicherung finanziert werden. Seit 1955 wurden Millionen zum Vorteil dieses Wirtschaftsstandortes angeworben. Noch zuletzt und bezogen auf die Jahre 1988 - 1991 haben die
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Wirtschaftsforscher des RWI gezeigt. daß dies für den Industriestandort Deutschland äußerst vorteilhaft war. So weit, so gut! Und jetzt kommt der partikulare und nationale Aspekt, den ich kritisiere: Eine Minderheit aus dem Kreis dieser Zuwanderer blieb in dieser Bundesrepublik und entwickelte hier eine Aufenthaltsperspektive. Diese Minderheit wird aber bis heute - und das heißt ja inzwischen bis in die dritte Generation hinein - als nicht zugehörig betrachtet. Bis beute steht diese Minderheit unter einer Sondergesetzgebung, z. B. des Ausländer- und Arbeitserlaubnisrechts, ohne die Perspektive, irgendwann einmal nach einer bestimmten Frist, nach 5 Jahren, nach 8 Jahren oder wann auch immer, aus der Zuständigkeit dieses Sondergesetzes entlassen zu werden, sei es in der Form eines Rechts auf Niederlassung, sei es in der Form einer Einbürgerung, die auch Doppelstaatsbürgerschaften zuließe. Selbst die hier Geborenen und Aufwachsenden unterliegen diesem Sonderrecht. Die Novelle des Ausländergesetzes von 1990 hat in einer für mich geradezu provokativen Weise nicht zuletzt für diese Jungen, die zweite oder dritte Generation, gesetzliche Verschärfungen eingeführt. So sind nunmehr auch Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren aufenthaltserlaubnis- und visumpflichtig. Wenn ein Lehrer aus Münster oder Kleve mit seinen ausländischen Schülern nach Amsterdam fährt, muß er fiir sie zunächst ein Visum besorgen. Und der Erhalt eines verfestigten Aufenthaltsstatus, in der Form der Aufenthaltsberechtigung, ist fiir diese jungen Menschen u. a. an die Voraussetzung gebunden, daß 60 Monatsbeiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden sind, was bei Jugendlichen in der Regel nicht der Fall sein kann. Wurde das Ausländergesetz, diese bestimmte Form einer gesetzlichen Ausgrenzung, bisher als ein mehr sozialtechnisches Steuerungsinstrument für den Arbeitsmarkt betrachtet, so wächst ihm aktuell eine auch ideologische Bedeutung zu: Der verfugte gesetzliche Ausgrenzungsmechanismus wird bejaht als Ausfluß unseres Nationalstaatsverständnisses, eines Nationalstaatverständnisses, das den Nationalstaat als eine homogene Abstammungsgemeinschaft begreift, der Zuwanderer als Seiteneinsteiger grundsätzlich nicht angehören können. Vorläufiges Fazit: Im Konzept des Wirtschaftsstandorts Deutschland werden einerseits die Vorteile einer Transnationalität und Globalisierung wirtschaftlichen Wandels nicht nur akzeptiert, sondern geradezu als ökonomisch unabdingbar betrachtet. Die einer solchen Globalisierung innewohnenden Risiken werden aber in bestimmter Weise externalisiert. Aktuell, im Zeichen der weltweiten Rezession und, wie wir wissen, vielfältiger fiskalischer Krisenerscheinungen schlägt das Pendel mit besonderer Heftigkeit in Richtung Partikularität und nationale Verengung. Maastricht hin oder her. Konnten liberale Theoretiker, ich nenne in diesem ZusanImenhang Dahrendorf oder auch Fuku-
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jama, noch vor wenigen Jahren von der "Unwiderruflichkeit" des liberalen Projekts - und im Zusammenhang damit von WeltbÜfgerschaft und einer in der Tendenz weltweiten zivilen Gesellschaft, von Freiheit, Demokratie, Menschenrechten - sprechen, zeichnet sich jetzt ein wertpolitischer Paradigmenwechsel ab. Wir erleben die Renaissance national-konservativen Denkens und einer Gemeinschafts- und Gemeinwohlorientierung entlang ethnischen Linien, - und dies in einer, wie mir scheint, seit 1945 nicht mehr für möglich gehaltenen Intensität. Dem Konzept einer "konsensuellen Investitionsdemokratie" - dieser Begriff stammt von Joschka Fischer, ich zitiere ihn gerne - wird die selegierende, auf soziale Schließung angelegte Volksgemeinschaft entgegengesetzt und in der Folge eine Politik der inneren und äußeren Grenzziehung entlang den Linien von Selbst- und Fremdethnisierung. Damit aber scheint mir ein Stück weit jener Wertewandel gestoppt, den jedenfalls die Bundesrepublik West seit 1949 und verstärkt noch einmal seit 1968 durch ihre Integration in die westlich-republikanische Wertegemeinschaft erfahren hat. Eine Dimension dieses Wertewandels war, daß wir uns als Deutsche auch aus dem Blickwinkel der jeweils Anderen zu sehen und dementsprechende Verhaltensorientierungen zu entwickeln vermochten. Wird uns dies auch noch in Zukunft gelingen können? Hierzu bedarf es u. a. entschiedener neuer Denkanstöße, neuer Begriffe und Konzepte. Das Konzept "Wirtschaftsstandort Deutschland" greift zu kurz.
Thesen zur Podiumsdiskussion Rahmenbedingungen rdr die Sicherung des W.rischaftsstandortes Deutschland Von Bernd Schütt 1. Standortdebatten sind im Gefolge ökonomischer Krisen so sicher wie das Amen in der Kirche. Mit schöner Regelmäßigkeit werden das Lied der hohen Lohnkosten gesungen und die hohen Steuersätze ins Feld geführt. Wie sehr diese Standortdebatte von Interessen geleitet wird, läßt sich an der Forderung des BOI-Präsidenten Tyll Necker, "die Krise zu nutzen" ablesen. Standortdebatten beinhalten auch immer den Versuch, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse auszutarieren und nach Möglichkeit zu verschieben. Gegenwartig wird versucht, Verteilungsgerechtigkeit durch lean welfare zu erset-
zen.
2. Weitgehend unbeachtet bleibt die Erneuerung des Kapitalstocks der Industrie. Im Jahresbericht des BOI 1990 bis 1992 ist zu lesen: Die westdeutschen Unternehmen haben "zwischen 1986 und 1992 mehr als 1,5 Billionen DM in die Modernisierung der Produktionsprozesse und Produkte gesteckt". Wertend heißt es weiter: "Hinter dieser gewaltigen Summe steckt auch Qualität: Der Kapitalstock der westdeutschen Industrie hat sich in den vergangenen sechs Jahren in einem Tempo verjüngt wie nie zuvor in unserer Wirtschaftsgeschichte. " Auch der ehemalige Vorsitzende des Sachverständigenrates, Hans Karl Schneider, kann mit Blick auf diese Ergebnisse nicht nur das Klagelied der Versäumnisse anstimmen. Er stellte fest, daß die "Vorbereitung auf schlechtere Zeiten" nun "mit Macht nachgeholt" wird. "Sobald die Konjunktur wieder anzieht, werden wir daher einen Produktivitätssprung erleben, den größten seit 1976." (FAZ-Magazin, 02.07.1993). 3. Es ist unbestritten, daß die Ausgestaltung des bundesdeutschen Sozialstaates in Abhängigkeit von der internationalen Wettbewerbsfllhigkeit gesehen werden muß. Den Idealstandort gibt es nicht, Standortqualität definiert sich immer aus den rechtlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Gegebenheiten eines Landes. Deshalb kann ein Land nur in einer begrenz-
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ten Zahl von Wirtschaftszweigen. Technologie- und Anwendungsbereichen führend sein. Für jede Branche gibt es nur eine eingeschränkte Zahl von Ulndem, die substantielle Standortvorteile aufweisen. 4. Die Standortqualitat definiert sich über ma1cro-ökonomische Faktoren, branchenbezogene Parameter und unternehmensbezogene Determinanten. Ihre unterschiedlichen Ausprllgungen kOnnen selbst in einem Land in unterschiedliche Richtungen zeigen. Folgt man Studien der HarvardUniversitat, so ist die Ausstattung mit Produktionsfaktoren, die dem Profil produzierter Leistung entspricht, von groBer Bedeutung. Eine zenttale Rolle spielen die Fortschrittsfaktoren wie qualifizierte Arbeitskrafte, Forschungsinfrastrukt oder Bildungssystem. Daraus ergeben sich filr jeden Wirtschaftszweig spezielle Faktorkombinationen, die seine Entwicklung zur internationalen Wettbewerbsßlhigkeit begQnstigen. Lohndumping, Wiedereinfllhrung von Bildungsprivilegien oder die Beschränkung von Forschungsausgaben sind deshalb kontraproduktiv. 5. Der Einsatz qualifizierter Arbeitskrafte ist kennzeichnend filr die Bundesrepublik Deutschland. Aus der Produktion von Massengütern hat sich die Bundesrepublik weitgehend verabschiedet. Ihr Feld sind Produkt-, Proze8und Strategieinnovationen. Ihnen sind qualifizierte Arbeitnehmer gleichsam vorausgesetzt. Die Debatte um hohe Lohnkosten suggeriert die Konkurrenz mit Anbietern von Massenprodukten aus SchwelJenJändern. Im übrigen zeigen die LohnstOckkosten. die im Vergleich zu den Mitbewerbern im Mittelfeld liegen. daß das Argument zu hoher Lohnkosten nicht stichhaltig ist. Viel bedeutender sind die Kursschwankungen der D-Mark, die in letzter Zeit gerade die Lohnstückkosten negativ beeintlußt haben. Vor allem die "de facto Aufwertung" der D-Mark im europIischen Wabrungssystem, die sich auf die unsolide Finanzpolitik der Bundesregierung und die sie begleitende Zinspolitik der Bundesbank stützt, wirken sich derzeit negativ auf den Standort aus. Betrachtet man die Entwicklung der Lohnstückkosten seit 1985 nur auf DollaJbasis, so ergibt sich ein Anstieg von 12,6 Prozent (Durchschnitt 8,6 Pr0zent). Betrachtet man jedoch die Lohnstückkostenentwicklung auf DM-Basis, so ist die Jahresrate mit 2,6 Prozent unterc1urchschnittlich gestiegen. In diesem Sinne handelt es sich nicht um ein ~osten-, sondern um ein Wabrungsproblem. Vor allem die gegenwartige Finanzpolitik ist entscheidende StOrgrOße filr die internationale Wettbewerbsßlhigkeit 6. Wenn Produkt-, Proze8- und Strategieinnovation das Rückgrat der deutschen Wettbewerbsßlhigkeit bilden. so ist danach zu fragen. ob sie auch in ausreichender Weise vorangetrieben werden. Diese Bereiche sind gerade
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vor dem Hintergrund der vereinigungsbedingten Sonderkonjunktur und des größeren Binnenmarktes vernachlaßigt worden. Die Hoffnung auf einen neuen Ostmarkt ließ Erneuerungsinvestitionen in den Hintergrund treten. Es ist zum Beispiel symptomatisch, daß der Umweltschutz nur als Kostenfaktor diskutiert wird. Unstrittig sind die hohen Umweltschutzaufwendungen in Deutschland. die 1990 1,62 Prozent des Bruttosozialproduktes ausmachten (USA 1,37 Prozent; Japan 1,33 Prozent). Sie müssen aber als Zukunftsinvestition betrachtet werden, die zu neuen Wettbewerbsvorteilen filhren. Bereits jetzt liegt Deutschland bei der Anmeldung von Patenten im Umweltbereich vorne. Nachteilig ist allerdings die Beschränkung auf nachsorgende Technologien, was durch die bisherige Umweltgesetzgebung begünstigt wurde. Das Umweltbundesamt kommt nach einer Untersuchung der Arbeitsplatzeffekte durch Umweltschutz zu dem Schluß, daß durch Umweitauflagen zwar 55.000 Arbeitsplätze verloren gehen, aber 240.000 Arbeitsplätze neu entstehen. Zudem wies es die geringe KonjunkturanßUligkeit in diesem Bereich nach. Vemieidungstechnologien müssen in den Vordergrund gestellt werden und durch entsprechende Gesetze und Rahmenbedingungen initiiert werden. Vor allem im Bereich der Energieeinsparung und COrReduktion gibt es gewaltigen Nachholbedarf. Zum Beispiel ist in Japan der Stromverbrauch der industrie seit den 70er Jahren um 63 Prozent gegenüber 20 Prozent in der BRD zurückgegangen. Auch der Kampf um veraltete Technologien und Anwendungsbereiche (pVC) fördert Phantasielosigkeit und behindert Innovationstlihigkeit. 7. "Zwei Drittel aller Kostennachteile deutscher gegenüber japanischer Unternehmen werden nicht durch höhere Lohn- und Materialkosten, sondern durch Mangel in der fertigungsgerechten Konstruktion, der Arbeitsorganisation, durch eine wenig vorteilhafte Fertigungstiefe verursacht", so beurteilt der Chefvon MC KINSEY (H. Henseler) die deutschen Standortnachteile. Die Kienbaum-Gruppe kommt zu dem Ergebnis: "Die meisten Unternehmen kranken an akutem Ideenmangel. " Hinzuzufilgen sind die bürokratischen Verkrustungen der Hierarchie, die die kreative und innovative Intelligenz unterer Ebenen behindern, und unzureichende langfristige Strategien fiir Produktinnovationen und Marktentwicklung. Ein Konzept der "schlanken Produktion" eröffnet dann neue Chancen, wenn es sich eben nicht als einseitiges Kostenmanagement versteht. Es muß das Hllman kapital in den Mittelpunkt stellen. Grobkonzepte mit erweiterter Ver-
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antwortung und Spielräume fiir Kreativität und Lernprozesse sind unverzicht-
bar.
Wer Unternehmen nicht auch als sozialen Prozeß begreift, der Innovationen in sich birgt, verschenkt Zukunftschancen. Gerade die GruppeDaIbeit, die beispielsweise im Zusammenhang mit der Humanisierungsdiskussion der 70er Jahre von den Gewerkschaften aufgebracht worden ist, ist an mangelnder, untemehmerischer Strategiephantasie gescheitert. Erst über den japanischen Umweg hat sie unternehmerische Anerkennung gefunden. Rationalisierungs- und Partizipationsinteressen als Elemente ökonomischer und gesellschaftlicher Innovation müssen über Tarifvertrage miteinander in Einklang gebracht werden. 8. Insofern Kompetenz an den einzelnen Arbeitsplatz bzw. an Arbeitsgruppen zurückgegeben und durch Tarifvertrage flankiert wird, lassen sich auch neue Formen der Arbeitszeitßexibilisierung angehen. Beispielsweise könnte die jeweilige Arbeitsgruppe im Rahmen eines Zeitfensters die Arbeitszeit an der Aufgabe orientieren. woraus autonome Besetzungsregelungen fiir die Gruppe resultieren können. Allerdings ist die Rückkehr von Verantwortung an die einzelnen Arbeitsplätze vorausgesetzt. Die gegenwärtigen Tarifvertrage lassen in vielerlei Hinsicht Flexibilisierung zu, die eine Abkoppelung von Betriebslauf und individuellen Arbeitszeiten ermöglicht Warum diese Möglichkeiten nicht genutzt werden. mag sich vielleicht daraus erklären. daß sich die Hierarchien ökonomisch selbst im Wege stehen. 9. Sowohl die gegenwärtige Vermögensverteilung in der Bundesrepublik Deutschland als auch neue innovationsfbrdernde Formen der Arbeitsoiganisation lassen es sinnvoll erscheinen. über komplementäre Entlohnungsformen nachzudenken. Eine dieser Formen könnte die investive Erfolgsbeteiligung sein, wie sie von der JG Bau-Steine-Erden vorgeschlagen wird Die Arbeitnehmer einer Branche werden an der WertschOpfung der jeweiligen Betriebe über einen Branchenfond beteiligt. Die Mittel dienen der Vermögensbildung der Arbeitnehmer und können zugleich in Form stiller Beteiligungen die mittelständischen Betriebe stärken. Die Risikokombination von Arbeits- und Kapitalverlust kann fiir den Arbeitnehmer über diesen Weg weitgehend ausgeschlossen werden. 10. Die Regelung der kollektiven Arbeitsbeziehungen im Rahmen der Tarifautonomie haben dazu gefilhrt, daß sich der Fortschritt in Wirtschaft und Gesellschaft in etwa parallel vollzieht. Gerade das daraus resultierende Netzwerk zwischen Kapital und Arbeit sichert den Interessenausgleich. Diese
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Kooperation hat den sozialen Frieden zu einem wichtigen Standortvortei! gemacht. Andererseits hat die Verallgemeinerung durch tarifliche Normen immer wieder zu ökonomischen und gesellschaftlichen Erneuerungen geführt. Beispielsweise hat die tarifliche Qualifizierungspolitik auf den Bi!dungsbereich ausgestrahlt und umgekehrt. Die Tarifbeziehungen einschließlich der sozialstaatlichen Komponenten sind keine Wettbewerbsbarrieren, sondern befbrdern die Flexibilität der Gesamtwirtschaft, wie in einer Untersuchung von Weaver und Allen nachzulesen ist. Da das Netzwerk der sozialen Beziehungen in der Bundesrepublik historisch gewachsen ist, läßt es sich nicht ohne weiteres von anderen Staaten imitieren. Angriffe auf die Tarifautonomie und soziale Destabilisierungspolitik gefährden deshalb mittelfristig die Wettbewerbstllhigkeit.
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Thesen zur Podiumsdiskussion Von Petra Bratzke Thema der heutigen Veranstaltung ist es, die Chancen und Risiken des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu diskutieren. Die Bundesregierung führt in jüngster Zeit unter falschem Vorzeichen eine Standortdiskussion, die eher am Thema vorbeigeht und mehr Verunsicherung hervorruft. Die allgemeine wirtschaftliche Lage, die Rezession, wird genutzt, um eine sogenannte "Standortsicherungspolitik" zu propagieren, die im Kern im Abbau des Sozialstaates und einer Umverteilung zu Lasten der untersten Einkommensschichten besteht Diese Art der Diskussion geht an den eigentlichen Problemen vorbei. Ein wichtiger Pfeiler der Standortqualität, der soziale Konsens, wird untergraben. Ich denke, diese ganze Standortproblematik ist sehr komplex und kann hier nur ansatzweise diskutiert werden. Für mich stellt sich das Problem in zwei Ebenen dar: 1. ErhaltlSicherung/Entwicklung industrieller Standorte in den neuen Bundesländern und 2. übergeordnet über 1.: Gestaltung notwendiger gesamtgesellschaftlicher Rahmenbedingungen zum Erhalt der Wettbewerbsftlhigkeit Deutschlands. Da hier noch Kollegen aus den westlichen Bundesländern zu Wort kommen, möchte ich mich stärker der ostdeutschen Problematik zuwenden. Der DGB, bzw. die DGB-Gewerkschaften, haben sich relativ früh vor dem Hintergrund des anhaltenden Deindustrialisierungsprozesses, d.h., vor der jetzt geführten sogenannten "Standortdiskussion" , mit Fragen der Zukunft industrieller Standorte in Ostdeutschland befaßt und ihre Positionen dargelegt. Kemforderungen waren und sind: 1. Es darf nicht zugelassen werden, daß es in gewachsenen Industrieregionen zu einem nicht mehr kompensierbaren Verfall der wirtschaftlichen Strukturen kommt. Erhalt sogenannter "nichtindustrieller Kerne", besser Erhalt und Zukunftssicherung der wirtschaftlichen Standorte. 2. Einbettung der Sanierung und Modemisierung strukturbedstimter Betriebe in ein Konzept für die wichtigen Industriestandorte. Aufhebung der strikten Trennung zwischen Aufgaben der Treuhandanstalt und denen der 12'
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her - zwischen Bund / Ländern /rnA - geschoben werden. sondern bedarf klarer Regelungen. 3. Die rnA muß die noch bei ihr geführten Unternehmen entschlossen sanieren. Die unsichere Zukunft lähmt die Unternehmen. Sie "bluten aus" und mit ihnen die Regionen. Aufträge gehen verloren. Manager, Forscher und Facharbeiter wandern ab. Die Betriebe müssen in die Lage versetzt werden. am Wettbewerb teilzunehmen. Dafilr benötigen sie Zeit, um den Strukturwandel zu bewältigen sowie das entsprechende Sanierungskapital. 4. Sanierungsstrategien mit meßbaren Beschaftigungswirkungen benötigen Innovationskonzepte. Gezielte Maßnahmen im Bereich der Förderung von Forschung und Entwicklung sind dringend erforderlich. - Bekenntnis zum Erhalt der Forschungskapazitäten. - Stabilisierung der hochschulbasierten wirtscbaftsnahen Forschungskapazitäten. - bevorzugte Vergabe von Fördermitteln für Umweltforschung, Erstellungspezifischer Forschungsprogramme, - Verbindung von WirtschaflsR)rderung und Forschungsförderung. 5. Nachfragestützung zur Stabilisierung der Unternehmen. z.B. durch - Auftragsvergabe der öffentlichen Hand, - öffentliches Beschaffungswesen. - Stützung Osthandel (HERMES, Osthandelsgesellschaften. u.ä.), - Stützung Einstieg in neue Märkte. 6. Hilfen zur Investitionsfbrderung und zum Infrastrukturausbau. Die staatliche WirtschaflsR)rderung muß den Umstrukturierungsprozeß begleiten und durch gezieIten Einsatz von Förderinstrumenten vorantreiben. Für die Übergangszeit bis zur Errichtung einer modemen öffentlichen infrastruktur und bis zur Errichtung eines neuen rentablen Anlagebestandes müssen sich Maßnahmen zur Förderung privater Investitionen daher auch an einem Ausgleich der Standortnachteile und der niedrigen Rentabilität vorhandener Anlagen orientieren. Der DGB fordert in diesem Zusammenhang z. B. ein öffentliches Infrastruktursofortprogramm, öffentliche finanzielle Beschäftigungspolitik, Forcierung, nicht Rücknahme von Fortbildung und Umschulung, eine darin eingebettete entsprechende Arbeitsmarktpolitik. Dies sind alles nur Facetten. jedoch geht es immer um Standorterhalt, um die Fragen der langfristigen Sicherung entsprechender Industriestrukturen in Ostdeutschland. Inzwischen hat Ostdeutschland "Kritische Untergrenzen" er-
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reicht. denn sowohl beim sektoralen Strukturwandel als auch bei der Entwicklung der Betriebsgrößenstruktur (Großbetriebe bis zu klein- und mittelständischen) hat es bereits eine "Überanpassung" gegeben. In allen fünf neuen BundesIandem hat der massive Handlungsdruck zu praktischen Lösungsansätzen gefilhrt, wie z B AN