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German Pages 224 Year 2014
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Edition Psychologie Herausgegeben von
Dr. Arno Mohr Bisher erschienene Werke: Güttier, Sozialpsychologie, 4. Auflage Mayer, Einfuhrung in die Wahrnehmungs-, Lern- und Werbe-Psychologie Sanns • Schuchmann, Lineare und loglineare Modelle in Psychologie und Sozialwissenschaften Schuchmann, Probabilistische Testtheorie Siegler, Das Denken von Kindern, 3. Auflage Spieß, Wirtschaftspsychologie
Wirtschaftspsychologie Rahmenmodell, Konzepte, Anwendungsfelder
Von
Prof. Dr. Erika Spieß
R.Oldenbourg Verlag München Wien
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© 2005 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk außerhalb lässig und filmungen
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Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, Bad Langensalza ISBN 3-486-57660-7
Inhaltsverzeichnis
Danksagung
1
Vorwort
3
Einleitung
5
Teil I: Ein psychologisches Rahmenmodell 1. Menschenbilder im wirtschaftspsychologischen Kontext
9
2. Theoriestränge der Wirtschaftspsychologie
13
2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.4 2.5
14 17 19 23 27 27 29 33 35 38 41
3.
Theoretische Ansätze in der Psychologie Die Feldtheorie Ein marktpsychologischer Ansatz Kultur und kulturvergleichende Psychologie Transitions- und Stressforschung Die Transitionsforschung Ergebnisse der Stressforschung Die Rolle der sozialen Unterstützung Ein kultursoziologischer Ansatz Systemische Erklärungsansätze Resümee Das wirtschaftspsychologische Feld - ein psychologisches Modell wirtschaftlichen Handelns
42
Teil II: Wirtschaftspsychologisch relevante Konzepte und Methoden 4.
Wirtschaftspsychologisch relevante Konzepte
47
4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6 4.1.7
Individuelle Ebene Werte Einstellungen Gefühle und Emotionen Motivation und Handeln Attribution Kompetenz Lernprozesse
47 48 52 56 58 62 63 65 V
4.1.8 4.1.9 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.2.7 4.2.8 4.2.9 4.3
Entscheidungsprozesse Selbst und Identität Interpersonelle Ebene Prozesse in und zwischen Gruppen Diversität Kooperation und Konkurrenz Konflikt und Konfliktlösung Die Rolle des Verhandeins Kommunikation Die Rolle des Vertrauens Macht Gerechtigkeit Resümee
69 70 74 74 78 79 83 87 89 92 93 95 96
5.
Methoden der Wirtschaftspsychologie
98
Teil III: Anwendungsfelder 6.
Prozesse des Kaufens und Verkaufens
103
6.1 6.2 6.3 6.4 6.5
Die Rolle der Werbung Die Bedeutung der Marke Der persönliche Verkauf Kaufverhalten Resümee
103 109 112 115 121
7.
Unternehmenszusammenschlüsse und ihre Folgen
123
7.1 7.2 7.3
Die Rolle der Unternehmenskultur Akkulturationsstrategien Resümee
123 124 128
8.
Die Rolle von Beratung in wirtschaftsnahen Kontexten
129
8.1 8.2 8.3 8.4
Formen der Beratung Grundsätze der Beratung Phasen eines Beratungsprozesses Resümee
129 132 133 136
9.
Arbeit und Freizeit
138
9.1 9.2 9.3
Definitionen Das Verhältnis von Arbeit und Freizeit Resümee
138 140 143
10.
Arbeitslosigkeit
144
10.1 10.2
Folgen der Arbeitslosigkeit Interventionen
145 146
VI
10.3
Resümee
148
11.
Interkulturelles Handeln in wirtschaftsnahen Kontexten
149
11.1 11.2 11.3 11.4
Besonderheiten einer Tätigkeit im Ausland Der Prozess einer Entsendung Die Bedeutung interkultureller Kompetenz Resümee
149 154 158 159
12.
Psychologie des Geldes
161
13.
Unternehmerisches Handeln und Selbstständigkeit
166
13.1 13.2 13.3
Die Rolle des Unternehmers Merkmale von Selbstständigkeit Resümee
166 168 170
14.
Ausblick
171
15.
Literatur
173
Jutta Gallenmüller-Roschmann und David Maus Finanzpsychologie
191
Stichwortverzeichnis Autorenverzeichnis
207 210
VII
Danksagung
Hiermit danke ich Werner Kannheiser, der mir den Anstoß dazu gab, dieses Buch zu schreiben. Ebenso danke ich meinem langjährigen wissenschaftlichen Mentor, Lutz von Rosenstiel. Mein Dank gilt auch den Studierenden der Wirtschaftspsychologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, die sich für dieses Fach und seine Themen begeistern konnten. Jutta Gallenmüller-Roschmann und David Maus haben freundlicherweise das komplexe Themenfeld „Finanzpsychologie" übernommen. Für die Textformatierung danke ich Susanne Kappler, für kritische Anmerkungen Angela Lang, Ralph M. Wosch6e und Rosmarie Gasteiger, für die Gestaltung der Graphiken Ralph M. Woschie, Susanne Kappler und Monika Schinhärl. Monika Schinhärl gilt auch mein Dank für die Korrekturlesearbeiten am Text. Dieses Buch ist sowohl für Studierende des Faches Wirtschaftspsychologie, für Fachkollegen als auch für interessierte Praktiker gedacht. Es bietet einen theoretischen Rahmen für das Fach und stellt wichtige Anwendungsfelder der Wirtschaftspsychologie vor wie z. B. die Prozesse des Kaufens und Verkaufens, Arbeitslosigkeit oder interkulturelles Handeln in wirtschaftlichen Kontexten. Ebenso werden wirtschaftspsychologisch relevante psychologische Konzepte eingeführt. Ich hoffe, dass dieses Buch das Fach weiterhin an Universitäten und Fachhochschulen etablieren hilft und sich besonders unter einer feldtheoretischen Perspektive weitere bedeutsame Forschungsfelder erschließen.
München Erika Spieß
1
Vorwort
Die Wirtschaft bedarf der Psychologie. Hier sind sich nahezu alle Praktiker und viele Wissenschaftler einig. Eine Wirtschaftspsychologie als Vertiefungsfach innerhalb deutscher universitärer Psychologie-Curricula suchte man jedoch vergebens. Anders sieht dies bei stärker praxisorientierten Fachhochschulen aus, innerhalb derer sich ganze Studiengänge unter dem Namen Wirtschaftspsychologie konstituieren. Auch im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) befindet sich eine Sektion Wirtschaftspsychologie in Gründung. Hoffen wir, dass auch die Universitäten dem gesellschaftlichen Bedarf bald Rechnung tragen werden. Wirtschaftspsychologie - das ist ja weit mehr als die an fast allen Hochschulen angebotene Arbeits- und Organisationspsychologie, die sich aus psychologischer Sicht mit der Erzeugung und Bereitstellung von Angeboten - seien dies nun Produkte, Dienstleistungen oder Ideen - auseinandersetzt. Es geht auch um die psychologische Perspektive bei der Analyse und Gestaltung des Erlebens und Verhaltens von Konsumenten und deren Beeinflussung durch Angebotsgestaltung, Marktkommunikation, Preis und Absatzweg. Und es geht - das wird in der meist am Individuum orientierten Psychologie häufig vergessen um den gesamtwirtschaftlichen Rahmen, um Fragen etwa, wie die nach der Verankerung von Leistung, Konsum, Geld, Arbeit und Freizeit in der Kultur eines Landes, nach psychologischen Bedingungen von Konjunkturen und Krisen, von Inflation und Deflation, von Vollbeschäftigung und Arbeitslosigkeit. Dahinter stehen häufig die wenig reflektierten subjektiven Bilder der Wirtschaft, des Marktes, der Organisation und des Menschen in den Köpfen jener, die für die Wirtschaft relevante Entscheidungen treffen. Die Autorin dieses Buches, Frau Prof. Dr. Erika Spieß, hat in der hier vorliegenden „Wirtschaftspsychologie" dazu beigetragen, die Basis des Faches zu vertiefen und zu verbreitern. Sie informiert über theoretische Grundlagen, relevante Begriffe, Konzepte und Methoden, über Anwendungsfelder und weiße Flecken auf der Landkarte der Forschung. So wünsche ich der Autorin, diesem Buch und somit einem relevanten und in der Wissenschaft zu lange unterschätztem Fach, der „Wirtschaftspsychologie", Erfolg. Es ist zu hoffen, - dem Vorbild der Pioniere folgend - dass sich die Wirtschaftpsychologie an allen Fachhochschulen etabliert und an den Universitäten - die Grenzen der etablierten Arbeitsund Organisationspsychologie sprengend - konsequent entwickelt. Das Buch von Erika Spieß könnte und sollte dazu beitragen.
München Lutz von Rosenstiel
3
Einleitung
Die Wirtschaftspsychologie beschäftigt sich mit Fragen, die das menschliche Verhalten und Erleben im wirtschaftlichen Kontext behandeln. Beispiele für Fragestellungen sind: Wie wirkt Werbung? Warum lässt man sich doch zum Kauf eines Produktes überreden, das man zunächst gar nicht kaufen wollte? Was zeichnet einen guten Verkäufer aus? Wie lässt sich die Beziehung zwischen Verkäufer und Kunden erfassen? Wie kommen Arbeitslose mit ihrer Situation zurecht? Was kennzeichnet einen erfolgreichen Unternehmer und wie unterscheidet sich dieser von einem Selbstständigen? Um menschliches Verhalten und Erleben zu erklären, werden Erkenntnisse aus der psychologischen Grundlagenforschung, wie z. B. der Sozialpsychologie herangezogen. Die Wirtschaftspsychologie versteht sich als interdisziplinäres Forschungsfeld (Lea, Tarpy & Webley, 1987; Wakenhut, 1993), das z. B. Erkenntnisse aus Soziologie, Wirtschaftswissenschaften, Geschichte und Sprachwissenschaften mit einbezieht. Dabei werden die Grundannahmen der Ökonomie (z. B. Samuelson & Nordhaus, 1998; Altmann, 2003), nach denen das Rationalitätsprinzip als Verhaltensmaxime vorherrscht und das Ziel menschlichen Verhaltens in der Nutzen- bzw. Gewinnmaximierung besteht, in der Psychologie skeptisch betrachtet. So wissen Psychologen um die Begrenztheit der menschlichen Kapazität der Informationsverarbeitung oder darum, dass Urteile häufig auf der Basis von Heuristiken gefällt werden. Als ein wichtiges Ziel der Wirtschaftspsychologie wird neben dem Erfassen des wirtschaftsbezogenen Erlebens und Verhaltens sowie der Gestaltung des Wirtschaftslebens auch der Anspruch formuliert, über Zusammenhänge und Abhängigkeiten wirtschaftlichen Verhaltens aufzuklären, um dadurch den Menschen ein selbstbestimmteres Verhalten zu ermöglichen (Wakenhut, 1993; von Rosenstiel & Neumann, 2002). Als Begründer der Wirtschaftspsychologie wird Hugo Münsterberg (1912) angesehen. Weitere wichtige Vertreter der Disziplin waren George Katona (University of Michigan), Günther Schmölders (Universität Köln) und Burkhard Strümpel (FU-Berlin). Gegenwärtige Vertreter der Disziplin im deutschsprachigen Raum sind Lutz von Rosenstiel (Universität München), Erich Kirchler (Universität Wien), Linda Pelzmann (Universität Klagenfurt), Günter Wiswede (Universität Köln), Georg Felser (Fachhochschule Wernigerode), Friedemann W. Nerdinger (Universität Rostock) und Klaus Moser (Universität ErlangenNürnberg). Das Erleben und Verhalten des Menschen im wirtschaftlichen Kontext lässt sich unterscheiden in die Rolle des Produzenten und in die des Konsumenten (Abb. 1). Mit der Rolle des Produzenten beschäftigt sich vor allen Dingen die Arbeits- und die Organisationspsychologie. Die Arbeitspsychologie untersucht das Verhältnis von Menschen zur Arbeit und Mensch-Maschine-Interaktionen (z. B. Ulich, 2001), während die Organisationspsychologie den Menschen als Teil der Organisation und sein Erleben und Verhalten in Organisationen analysiert (z. B. von Rosenstiel, 2003). Die Rolle des Konsumenten wird hingegen von der Markt- und der Werbepsychologie erforscht (von Rosenstiel & Neumann, 2002). Orientiert sich die Marktpsychologie am Erleben und Verhalten der Men-
5
sehen als Teil des Marktgeschehens, so hat die Werbepsychologie den Schwerpunkt im Erleben und Verhalten aufgrund der Werbung zum Gegenstand (Clemens-Ziegler, 1994).
Individuum und Arbeit: Voraussetzungen und Folgen
Mensch als Teil der Organisation, als soziales Wesen
Erleben und Verhalten als Teil des Marktes
Erleben und Verhalten aufgrund der Werbung
Abb. 1: Die Rolle des Produzenten und des Konsumenten nach Asanger & Wenninger (1992)
Die Aufgabenfelder der Wirtschaftspsychologie lassen sich unterschiedlich einteilen. Nach Graf Hoyos, Kroeber-Riel, von Rosenstiel und Strümpel (1990) wird die Psychologie gesamtwirtschaftlicher Prozesse, die Marktpsychologie, die Organisationspsychologie und die Arbeitspsychologie unterschieden. Wiswede (2000) unterscheidet in eine Psychologie der makroökonomischen und der mikroökonomischen Prozesse, wobei er unter die mikroökonomischen Prozesse die Marktund Konsumpsychologie sowie die Arbeits- und Organisationspsychologie zählt. Unter der makroökonomischen Perspektive fasst er die Themenbereiche der wirtschaftlichen Entwicklung, die Psychologie entwickelter Gesellschaften und die Psychologie des Geldes. Kirchler (1999) hingegen schließt die Arbeits- und Organisationspsychologie aus der Wirtschaftspsychologie aus. Er stellt die psychologischen Grundlagen von Marktprozessen vor, wobei er Konsumgüter- und Arbeitsmärkte in den Vordergrund stellt. Wirtschaftspsychologie wird als Teildisziplin der Angewandten Psychologie aufgefasst. Die wirtschaftspsychologische Forschung wurde besonders durch das „Journal of Economic Psychology" institutionalisiert. Im vorliegenden Buch wird die Arbeits- und Organisationspsychologie, ein Teilbereich der Wirtschaftspsychologie, ausgeklammert, denn dies würde den Rahmen sprengen. Die Arbeits- und Organisationspsychologie wird in zahlreichen profunden Lehrbüchern dargestellt, wie z. B.: Grundlagen der Organisationspsychologie von Lutz von Rosenstiel (2003), Organisationspsychologie - eine Einführung von Peter Winterhoff-Spurk (2002), Verhalten in Organisationen von Erika Spieß und Hans Winterstein (1999), Organisationspsychologie - ein Lehrbuch von Ansfried B. Weinert (1998), Enzyklopädie der Organisationspsychologie I und II, herausgegeben von Heinz Schuler (2004a,b), Arbeits- und Organisationspsychologie von Carl Graf Hoyos und Dieter Frey (1999), Lehrbuch Arbeitspsychologie von Ekkehart Frieling und Karlheinz Sonntag (1999), Arbeitspsychologie von Eberhard Ulich (2001) und von Winfried Hacker Arbeitspsychologie (1998). Aus 6
dem anglosächsischen Bereich seien exemplarisch Adrian Furnham (1997), The psychology of behaviour at work: The individual in the organization und Stephen P. Robbins (1998) Organizational behavior: concepts, controversies, applications, Frank. J. Landy (1989), Psychology of work behavior, Paul M. Muchinsky (1997), Psychology applied to work; Marvin D. Dunnette & Leaetta M. Hough (1992), Handbook of Industrial and Organizational Psychology; Harry C. Triandis, Marvin D. Dunnette & Leaetta M. Hough (1994), Handbook of Industrial and Organizational Psychology, erwähnt. Das Buch gliedert sich in drei große Teile: Teil I führt über die Darstellung von zentralen Menschenbildern und wichtiger Theoriestränge zu einem psychologischen Rahmenmodell, das psychologisches Handeln im wirtschaftlichen Kontext in ein Feld dynamischer Handlungen eingebettet sieht, für das bestimmte Voraussetzungen in Form verschiedener Kapitalformen existieren. Teil II stellt die wirtschaftspsychologisch relevanten Konzepte und Methoden vor. In Teil III werden Anwendungsfelder der Wirtschaftspsychologie vorgestellt. Abbildung 2 zeigt zentrale Anwendungsfelder der Wirtschaftspsychologie: Die Auseinandersetzung mit dem Markt und dem Marktgeschehen (Kapitel 2.1.2), ebenso wie Verkaufs- und Kaufprozesse (Kapitel 6) sind Forschungsfelder der Wirtschaftspsychologie. So zählt zum Themenfeld des Verkaufs z. B. die Rolle der Werbung, die Bedeutung von Marken oder die Rolle des Verkäufers, sowie zum Kauf das Verhalten der Kunden und Typologien von Konsumenten. Auch die Untersuchung der verschiedenen Facetten von Kaufentscheidungen gehört in dieses Feld. Unternehmenszusammenschlüsse und ihre Folgen haben psychologische Implikationen für die Unternehmen und ihre Belegschaften (Kapitel 7), deshalb gehören sie ebenso wie die Formen und Grundsätze der wirtschaftspsychologischen Beratung (Kapitel 8) zu den wichtigen Themen der Wirtschaftspsychologie, für die es noch wenig explizit wirtschafts-
Abb. 2: Anwendungsfelder der Wirtschaftspsychologie
7
psychologische Forschungen gibt. Ein weiteres Feld der Wirtschaftspsychologie sind das Verhältnis von Arbeit und Freizeit (Kapitel 9) sowie die Rolle von Arbeitslosigkeit für die Menschen (Kapitel 10). Prozesse der Globalisierung geben dem interkulturellen Handeln in wirtschaftsnahen Kontexten und dem Einfluss kultureller Faktoren eine zunehmende Bedeutung (Kapitel 11). Die Rolle des Geldes (Kapitel 12), die Psychologie der Börse und die Finanzpsychologie (Gallenmüller-Roschmann & Maus, im selben Band) gehören ebenso zu Feldern der Wirtschaftspsychologie wie die zunehmende Bedeutung von Selbstständigkeit und unternehmerischem Handeln (Kapitel 13). Diese Themen werden vor dem Hintergrund eines theoretischen Rahmenmodells betrachtet, das in Kapitel 3 vorgestellt wird.
8
Teil I Ein psychologisches Rahmenmodell
In diesem Teil wird das psychologische Rahmenmodell ausgeführt, das das Erleben und Handeln in wirtschaftlichen Kontexten erklärt. Zunächst werden die zentralen Menschenbilder vorgestellt, die den Betrachtungsweisen wirtschaftlicher Zusammenhänge zugrundeliegen. Im Kapitel zu den Theoriesträngen werden wichtige Theorien aus Psychologie, Kulturwissenschaften und Soziologie vorgestellt, die dann, im Kapitel 3, in der Vorstellung des wirtschaftspsychologischen Feldes gebündelt werden.
1.
Menschenbilder im wirtschaftspsychologischen Kontext
Ein Menschenbild wird laut Brockhaus (2001, S. 365) als eine Vorstellung vom Menschen definiert, „die von bestimmten Fakten und Vorstellungen ebenso geprägt wird wie von einzelnen wissenschaftlichen und weltanschaulichen Systemen". So gibt es Menschenbilder, für die religiöse Ideen leitend sind wie z. B. der Buddhismus, das Christentum oder der Islam, oder es gibt Menschenbilder, denen bestimmte Konzepte von Wissenschaft zugrunde liegen wie z. B. des Marxismus, der Psychoanalyse oder des Behaviourismus. Diese Vorstellungen über den Menschen können das Handeln der Menschen steuern. Für die Wirtschaftspsychologie in ihrer westlichen Ausprägung ist die protestantische Arbeitsethik zur Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklung wichtig. McClelland (1966) knüpft an die These von Max Weber (1920; 1988) an, wonach die protestantische Ethik einem neuen Menschentyp entspricht, der wesentlich mit dazu beitrug, die Entwicklung des modernen Kapitalismus voranzutreiben. In der Religion des Protestantismus werden Werte vermittelt, die die Arbeit und die Eigeninitiative der Menschen in den Mittelpunkt stellen. Der Protestantismus predigt z. B., dass man sich auf sich selbst verlassen soll. Dies erzeugt ein Erziehungsklima in den Familien, in dem Unabhängigkeit und Selbstständigkeit stark betont werden. Dies wiederum bietet optimale Voraussetzungen für die Entwicklung eines ausgeprägten Leistungsmotives. Nach McClelland führt dies zur Initiierung unternehmerischen Handelns, das sich in beschleunigtem Wirtschaftswachstum niederschlägt. Diese zentrale These wurde von McClelland und seinen Mitarbeitern in zahlreichen Studien untersucht und bestätigt (vgl. Nerdinger, 1991).
9
McGregor (1970) ging von zwei grundlegend verschiedenen Einstellungen zum Menschen und zur Arbeit aus, die das Verhalten lenken können. Er hat sie als „Theorie X " und „Theorie Y " bezeichnet. Theorie X besagt: -
der Mensch hat eine angeborene Abscheu vor der Arbeit und versucht sie zu vermeiden. Eine Schlussfolgerung daraus ist, dass die meisten Menschen deshalb kontrolliert und geführt werden müssen.
Theorie Y beinhaltet: -
Arbeit ist eine wichtige Quelle der Zufriedenheit für Menschen. Bei entsprechender Anleitung sucht der Mensch eigene Verantwortung. Organisationen unterschätzen den Einfallsreichtum und die Kreativität der Menschen und aktivieren sie zu wenig.
Die Typologie der Menschenbilder von Schein (1980) hat besonders in der Psychologie und in den Wirtschaftswissenschaften große Verbreitung gefunden (Tab. 1). Er hat vier Typologien entworfen: das Menschenbild der ökonomischen Rationalität (rational-economic man), das der sozialen Orientierung (social man), das des nach Selbstverwirklichung strebenden Menschen (self-actualizing man) und den des flexiblen und komplex agierenden Typus (complex man). Letzterer ist das modernste Menschenbild.
Tab. 1 : Typologie von Menschenbildern und Managementstrategien nach Schein (1980) und Spieß & Winterstein (1999)
Die Typologie von Menschenbildern
Entsprechende Management- und Organisationsstrategien
Der ökonomisch Rationale ist motiviert durch Klassische Managementfunktionen wie Planen, extrinsische Anreize und ist passiv. Organisieren, Motivieren, Kontrollieren. Im Mittelpunkt steht die Effizienz. Der sozial Orientierte ist durch soziale Aufbau und Förderung von Gruppen und soziale Bedürfnisse motiviert, er entspricht den Vor- Anerkennung stellungen der Human-Relations Bewegung. Das Ziel des am Selbstverwirklichung Intrinsische Motivationsmethoden und Mitausgerichteten Typus ist Autonomie. bestimmung am Arbeitsplatz. Der flexible und komplexe Typus ist äußerst Diagnostiker von Situationen, die das Verhalten wandlungs- und lernfähig. situationsgemäß variieren.
Der ökonomisch rational handelnde Typus entspricht der „Theorie X " von McGregor, denn er wird vor allem durch externe Anreize motiviert. Wird dieses Menschenbild z. B. in einem Unternehmen vertreten, stehen die klassischen Managementfunktionen wie Planen und Kontrollieren im Mittelpunkt. Zugleich wird dem Einzelnen keine Eigeninitiative überlassen, ebensowenig wird ihm ein intrinsisches Interesse an der Arbeit zugetraut. Der sozial orientierte Typus ist vor allem durch soziale Bedürfnisse motiviert und entspricht den Vorstellungen der Human-Relations Bewegung.
10
-
Die Hawthorne-Studien gelten als Auslöser für die „Human Relations-Bewegung". Darunter versteht man die Entdeckung der sozialen Motivation des Menschen in Organisationen. Diese Bewegung gilt als Überwindung der im Rahmen des „scientific management" von Taylor (1911) verbreiteten Auffassung, die den Menschen als nur am ökonomischen Nutzen interessiert (homo oeconomicus) und ohne soziale Bezüge ansah. Die Hawthorne-Studien wurden von Mayo und seinen Mitarbeitern von 1927 bis 1933 in der „Western Electric Company" in Hawthorne bei Chicago durchgeführt. Ausgangsthese der Forscher war, dass die Arbeitsleistung von der Beleuchtungsstärke abhängt. In einer experimentellen Variation der Beleuchtungsstärke führte diese zwar hypothesengemäß zu einer Leistungsverbesserung, allerdings trat diese Verbesserung auch in der Kontrollgruppe auf und sogar in der Gruppe, in der die Lichtverhältnisse verschlechtert worden waren. Die Forscher nahmen von daher die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz stärker unter die Lupe, wobei sie verschiedene Methoden wie Interviews oder die teilnehmende Beobachtung verwendeten. Hierbei wurde auch die Bedeutung von informellen Normen in Arbeitsgruppen entdeckt. Obwohl es Kritik an diesen Studien gab, gelten sie als Standardwerk der Organisationspsychologie und Soziologie. Man teilte das Menschenbild des „social man" und widmete den sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz erhöhte Aufmerksamkeit (vgl. von Rosenstiel, 1991a).
Die Bedürfnisse des an Selbstverwirklichung ausgerichteten Typus sind hierarchisch geordnet, sein Ziel ist Autonomie. Als Typus entspricht er den Annahmen der „Theorie Y" von McGregor. Hier sind Manager nicht mehr Kontrolleure, sondern Förderer. Der flexible und komplexe Typus ist äußerst wandlungs- und lernfähig. Die unterschiedlichen Annahmen über die Bedürfnis- und Motivationsstruktur haben verschiedene Management- und Organisationsstrategien zur Folge: Dem ökonomisch rationalen Typus entsprechen klassische Managementfunktionen wie Planen, Organisieren, Motivieren und Kontrollieren. Im Mittelpunkt steht die Effizienz. Aufbau, Förderung von Gruppen und soziale Anerkennung entsprechen dem sozial orientierten Typus, während für den nach Selbstverwirklichung strebenden Manager intrinsische Motivationsmethoden und Mitbestimmung typisch sind. Der Typus d quant. Dim.
klassenspezifische
2) Struktur des Kapitals (ökonomisches, soziales, kulturelles Kapital)
->
-
3) soziale Laufbahn (individuell + kollektiv)
- > zeitl. Dim.
qual. Dim.
DenkWahmehmungsBeurteilungs
Geschmacksvarianten
Schemata
-
Distinktion Prätention Notwendigkeit
V
Sozialer Raum
Raum der Lebensstile Soziale Ungleichheit in fortgeschrittenen Klassen- und Konsumgesellschaften
Abb. 12: Grundzüge des theoretischen Ansatzes von Pierre Bourdieu (Müller, 1986)
37
In Abbildung 12 werden die wichtigsten Theoriekonzepte zur Erklärung sozialer Ungleichheit in Konsumgesellschaften visualisiert: Im Mittelpunkt steht der Habitus, der auf der einen Seite von der Struktur beeinflusst ist und auf der anderen Seite die Praxis beeinflusse in dem er den Raum für verschiedene Lebensstile aufspannt. Die Struktur wird unterschieden in die verschiedenen Formen des Kapitals, in das Volumen, die Struktur (ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital) sowie die soziale Laufbahn. Dieses prägt die individuellen Denk- und Wahrnehmungsschemata, die wiederum den individuellen Geschmack ausmachen. Der Habitus wird geprägt durch tatsächliche Lebensbedingungen einer Person oder Gruppe, wobei diese Bedingungen in Form der drei Kapitalarten konkretisiert werden (Müller, 1986). Neuerdings wird in verschiedenen empirischen Studien auf die Theorie von Bourdieu zurückgegriffen: Turner und Edmunds (2002) beziehen sich in ihrer qualitativen Studie über die Mitglieder der australischen Elite auf die Theorie Bourdieus. Die Studie von Rocamora (2002) bearbeitet besonders den Feldbegriff und kritisiert, dass Bourdieu die materielle Seite der Kultur vernachlässigt, indem er sich nur auf die Symbole bezieht. Ebensowenig wird er dem Phänomen der Massenmode gerecht. Es wird Bourdieu jedoch zugute gehalten, dass seine Studien zum Konsum die Rolle der Kultur berücksichtigt haben. In den letzten Forschungsarbeiten von Bourdieu spielte auch der Feldbegriff, im Zusammenhang mit dem Studium der Rolle der Religion eine große Rolle (2000a; Egger, Pfeuffer & Schultheis, 2000). Dies macht ihn auch interessant für wirtschaftspsychologische Modellüberlegungen (vgl. Kapitel 3). Vertiefende Literatur: Bourdieu, P. (1997). Das Elend der Welt: Zeugnisse und Diagnosen alltäglichen Leidens an der Gesellschaft. Konstanz: Univ.-Verl.
2.4
Systemische Erklärungsansätze
Die systemischen Erklärungsansätze haben besonders in Modellen der Organisationsentwicklung eine Bedeutung gewonnen (French, Bell & Cecil, 1990). Es gibt auch eine Nähe von Feldtheorie und Systemtheorie (vgl. Kapitel 2.1.2). Die Begriffe der Systemtheorie (z. B. Selbstreferenz, Kommunikation, Autopoesis) sind voraussetzungsvoll und jenseits der Alltagssprache. Die Konzepte der systemtheoretischen Ansätze gehen auf verschiedene Traditionslinien zurück wie z. B. der Biologie, der Soziologie oder der konstruktivistischen Erkenntnistheorie (Neuberger, 2002). In den Systemtheorien werden Organisationen als soziale Systeme verstanden, die durch allgemeine Merkmale gekennzeichnet sind. Wichtig ist, dass es immer auf die Relationen zwischen den Systemelementen ankommt. Nach Luhmann (1964) werden beim Systembegriff drei Entwicklungsphasen unterschieden: -
Die Differenz zwischen Teil und Ganzem: Systeme werden als Ganzheiten gesehen, die aus Elementen bestehen, die miteinander vernetzt sind. Diese Relationen erzeugen ein „Mehr als die Summe ihrer Teile".
-
Die zweite Differenz bezieht sich auf das System und die Umwelt. Systeme werden von Umwelten abgegrenzt, stehen aber mit dieser in einer Austauschbeziehung (offene Systeme).
38
-
Die dritte Differenz besteht zwischen Identität und Differenz: Es wird von geschlossenen Systemen ausgegangen, die sich durch Grenzziehung von ihrer Umwelt abheben und ihre Identität durch diese Grenze herstellen. Sie verarbeiten eigenständig Informationen.
Schneewind und Schmidt (2002) bezeichnen Systeme als Konstruktionen bzw. als Modelle, die sich die Menschen von der Realität machen. Dies entspricht einer konstruktivistischen Position; die besagt, dass die Realität erst durch den sprachlichen Zugriff des Beobachters zu einer für den Menschen geordneten Welt wird. Durch die Verwendung von Sprache für ein zu bezeichnendes Ding nimmt der Beobachter aus seiner Perspektive die Konstruktion der Wirklichkeit vor, wodurch diese zu seiner Wirklichkeit wird. Neben einer Konsensualisierung der unterschiedlichen subjektiven Wirklichkeiten (d. h. man sucht einen gemeinsamen Konsens) kann es auch zu einer sog. Dekonstruktion kommen, z. B. dann, wenn sich der Beobachter eine andere Sicht der Dinge zulegt. Die Autoren unterscheiden personale und soziale Systeme. Die Basis bildet das personale System, das den individuellen Organismus umfasst. Das soziale System ist diesem System übergeordnet und besteht wiederum aus verschiedenen Subsystemen wie das Gruppensystem (die Familie oder die Arbeitsgruppe), Organisationen, die Gesellschaft und supranationale Systeme wie die Europäische Union oder Vereinte Nationen. Auf der Seite der Person werden nach der Selbstbestimmungstheorie drei zentrale Bedürfnisse ausgemacht: Bedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und Bezogenheit. Für den Umgang mit personalen und sozialen Systemen ist Systemkompetenz (Kriz, 2000) erforderlich. Kriz definiert Systemkompetenz als bewusst angelegte Doppeldeutigkeit: Als Kompetenz von Systemen für Systeme, als Kompetenz von Systemen für ihr eigenes Verhalten und als Kompetenz für das Verhalten anderer Systeme in ihrer Umwelt. Es gibt folgende Bestandteile von Systemkompetenz: -
Berücksichtigung von Sozialstrukturen und Kontexten (z. B. Rollenklärung, Teamfähigkeit, Spielregeln kennen und einhalten lernen)
-
Umgang mit der Dimension Zeit (z. B. Perspektiven und Ziele entwickeln, Zeitdruck vermeiden, Kenntnis von Familien- und Lebenszyklen)
-
Umgang mit der emotionalen Dimension (z. B. vorhandene Kräfte nutzen, Engagement, Ambiguitätstoleranz, d. h. Ertragen von widersprüchlichen Wahrnehmungen und Wirklichkeiten)
-
Soziale Kontaktfahigkeit (z. B. verständliche Sprache, flexible Selbstdarstellung)
-
Systemförderung, Entwicklung von Selbstorganisationsbedingungen (z. B. Experimentieren, Fehlerfteundlichkeit)
-
Theoriewissen, systemtheoretische Methoden (z. B. methodisches Wissen, Modellierungskompetenz).
Systemkompetenz beinhaltet „Grundhaltungen, Wissen, Handlungs- und Methodenkompetenz über das Wirksamwerden von Prinzipien der Systemwissenschaften (z. B. Rückkopplung, Selbstorganisation) in verschiedenen Lebenswelten. Bei der aktiven Gestaltung menschlicher Lebenswelten schließt systemkompetentes Wissen und Handeln insbesondere einen nachhaltigen Umgang des Menschen mit seinem Körper, seiner Psyche und seiner sozialen technischen und natürlichen Umwelt mit ein" (Kriz, 2000, S. 13 f.).
39
Kriz (2000) hat ein Trainingsmodell für die Systemkompetenz entwickelt, in dem er neben theoretischem Wissen auch konkrete Techniken entwickelt: Techniken für Systemanalysen, soziale Kompetenzen bis hin zu Entspannungsübungen. Er entwickelt eine „Gaming Simulation" und erprobte dieses Trainingsprogramm mit Studierenden an der Universität München. Nach der systemtheoretischen Sicht lassen sich z. B. Probleme in Organisationen nicht isoliert, sondern nur im Kontext des jeweiligen Systems lösen. Es geht nicht um die Suche nach einzelnen Schuldigen, sondern um die Frage, welches Zusammenspiel von welchen Faktoren bringt dieses Problem hervor. Theorien auf der Basis der Autopoiesis ziehen eine Analogie zu biologischen Systemen (Maturana & Varela, 1987). Demnach gleicht jedes autopoetische System einem Organismus, dem die Fähigkeit zur Selbsterhaltung und Selbstreproduktion innewohnt. Es ist selbst- und nicht fremdbestimmt. Für die Relation System - Umwelt gilt das Prinzip der strukturellen Koppelung. Wenn man Organisationen als autopoetische Systeme auffasst, liegt der Schwerpunkt auf den Selbstaktualisierungskräften und auf der Eigendynamik. Der Ansatz der Selbstorganisationstheorie von Haken (1996) legt den Schwerpunkt auf die Selbsterhaltung der Organisationsdynamik und der externe Einfluss im System Umweltbezug wird stärker betont (Schönig & Brunner, 1993). Sonntag, Benz, Edelmann und Kipfmüller (2001) haben in ihrem Projekt „Gesundheit, Arbeitssicherheit und Motivation bei innerbetrieblichen Restrukturierungen" die Frage untersucht, welche Aufgaben und Anforderungen der Arbeits- und Gesundheitsschutz bei betrieblichen Veränderungsprozessen in Instandhaltungsmeistereien und einem kauftnännisch-verwaltenden Tätigkeitsbereich eines großen Automobilkonzerns hat. Die Autoren plädieren hier für eine systemische Perspektive, die das gesamte Arbeitssystem mit ein bezieht. Folgende Ansatzpunkte sind besonders für den Arbeits- und Gesundheitsschutz von Bedeutung: -
Technikberatung und -gestaltung,
-
Arbeitsaufgaben und -Organisation (z. B. Vermeidung von Über- und Unterforderungen),
-
Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen (z. B. Förderung der sozialen Unterstützung),
-
Stärkung personaler Ressourcen (z. B. Stressbewältigungsstrategien).
In ihren Befragungen und Beobachtungen konnten die Autoren ermitteln, dass bei hohem Stellenwert der Arbeitssicherheit in der Wahrnehmung der Mitarbeiter, dies mit weniger sicherheitskritischen Ereignissen korrelierte. Dabei stellte sich als neuer Stressor im Kontext der arbeitsorganisatorischen Veränderungen die Arbeitsplatzunsicherheit heraus. Die systemischen Ansätze wenden sich gegen isolierende Betrachtungsweisen und sind auch für die Wirtschaftspsychologie von Interesse, denn jede wirtschaftspsychologische Intervention hat wiederum eine weitere, häufig nicht bekannte Wirkung. Problematisch erscheint mitunter der hohe Abstraktionsgrad der systemischen Theorien, der den Anwendungsbezug erschwert. Unter Umständen erscheint die Wirklichkeit lediglich verdoppelt und die Theorien liefern keine Problemerklärung.
40
Vertiefende Literatur: Kriz, W. C. (2000). Lemziel: Systemkompetenz. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
2.5
Resümee
Aus der Vielfalt der theoretischen Ansätze in der Psychologie wurden diejenigen herausgegriffen, die für das psychologische Rahmenmodell wirtschaftlichen Handelns relevant sind (Kapitel 3): Die klassische Feldtheorie von Lewin, die bereits frühzeitig auch auf wirtschaftspsychologische Fragestellungen bezogen wurde. Die Marktpsychologie, die dem traditionell ökonomischen Marktkonzept ein psychologisches gegenüberstellt, sowie die kulturvergleichende Psychologie, die dem zunehmenden Einfluss kultureller Faktoren im Wirtschaftsgeschehen gerecht wird. Transitions- und Stressforschung bilden ebenfalls wichtige Bausteine zur Erklärung wirtschaftspsychologischer Phänomene: Die zahlreichen lebenskritischen Ereignisse wie der Übergang in die Arbeitslosigkeit oder eine Auslandsentsendung können mit Stress verbunden sein. Das Konzept der sozialen Unterstützung liefert hierzu wiederum einen wichtigen Erklärungsbeitrag. Der kultursoziologische Ansatz von Bourdieu verweist auf die unterschiedlichen Voraussetzungen der handelnden Akteure und kategorisiert sie im Sinne einer Ressourcentheorie in ökonomische, soziale und kulturelle Kapitalia. Systemische Ansätze liefern wichtige Denkmethoden für das wirtschaftspsychologischen Handeln.
41
3.
Das wirtschaftspsychologische Feld - ein psychologisches Modell wirtschaftlichen Handelns
In diesem Kapitel soll nun aus in den vorausgehenden Kapiteln erläuterten Theoriesträngen der Wirtschaftspsychologie ein Rahmenmodell des wirtschaftspsychologischen Handelns vorgestellt werden. Abbildung 13 zeigt aus psychologischer Sicht (von Rosenstiel, 2003) die wichtigsten Einflussfaktoren auf das wirtschaftliche Verhalten: Es ist dies auf der einen Seite das individuelle Wollen wie z. B. Motivation, Ziele und Werthaltungen (vgl. Kapitel 4.1.1 Werte, 4.1.2 Einstellungen und 4.1.4 Motivation und Handeln) und das persönliche Können wie z. B. berufliche Fähigkeiten und Fertigkeiten (vgl. Kapitel 4.1.6 Kompetenz). Auf der anderen Seite stehen Faktoren wie die situative Ermöglichung, d. h. bestimmte Marktsituationen können das wirtschaftliche Verhalten erleichtern oder erschweren sowie das soziale Dürfen und Sollen wie z. B. gesetzliche Regelungen durch den staatlichen Akteur.
Abb. 13: Bedingungen wirtschaftlichen Verhaltens nach von Rosenstiel (2003)
Strümpel (1990) hat aus wirtschaftspsychologischer Sicht ein Handlungsmodell entworfen, das den aktiven Anteil des Einzelnen stärker betont (Abb. 14). Die in den Wirtschaftswissenschaften und auch in der Praxis vorherrschenden Anschauungen über die gesamtwirtschaftlichen Prozesse sind ohne Rückgriff auf die wissenschaftliche Psychologie entstanden. Der handelnde Mensch im Zentrum der wirtschaftlichen Dynamik wird als „black box" ausgeblendet. Es herrscht ein deterministisches Weltbild vor, das die Rolle handelnder Personen nicht berücksichtigt. Gesamtwirtschaftliche Größen wie z. B. Preisniveaus oder Konsumquoten gelten als summierte Verhaltensweisen. Statt wirtschaftliches Verhalten aus wirtschaftsstatistischen Daten abzuleiten, wird die Analyse des menschlichen Verhaltens in spezifischen Situationen vorgeschlagen (Katona, 1962). Dies gilt besonders für das Konsumentenverhalten (vgl. Kapitel 6.4). 42
Umweltveränderung
Persönlichkeitsverhalten
(Reize, objektive Situation)
(Gewohnheiten, Einstellungen, Erwartungen usw.)
Änderungen von Einstellungen und Erwartungen
Verhalten
Abb. 14: Ein wirtschaftspsychologisches Handlungsmodell (Strümpel, 1990)
Die ökonomische Betrachtungsweise bezieht sich lediglich auf das Verhältnis von Stimulus d. h. Umweltveränderung und dem Verhalten als der direkten abhängigen Variablen. Konsum wird z. B. als Funktion des Preises oder Sparen als Funktion des Zinses gesehen. Die Wirtschaftspsychologie widmet sich hingegen den dazwischen angesiedelten Prozessen wie Einstellungen (vgl. Kapitel 4.1.2), Erwartungen und Gewohnheiten des Einzelnen und deren Änderungen. In den letzten Jahren hat sich in den Industrieländern ein größerer wirtschaftlicher Handlungsspielraum für den Einzelnen ergeben. In früheren Zeiten, als die Produktion noch damit beschäftigt war, lebensnotwendige Güter herzustellen, hatte der normale „Konsument" keine Wahlmöglichkeiten. Natur und Tradition gaben das Notwendige vor. Inzwischen hat sich der Verhaltensspielraum erheblich vergrößert. Zusätzliche Faktoren, die das Verhalten bestimmen (Strümpel, 1990) sind Informationen, Habitualisierung, Gruppenprozesse, Erwartungen, Bedürfnisse und Lebensstile. Setzen ökonomische Theorien Markttransparenz voraus, d. h. der Einzelne ist über die Angebote am Markt vollständig informiert, so reagieren Personen auf erlebte Situationen. Die Wahrnehmung einer Situation ist durch die eigenen Erfahrungen geprägt und selektiv. Ebenso wenig gilt das angenommene rationale Verhalten der Wirtschaftssubjekte, die z. B. impulsiv Käufe tätigen oder aus Gewohnheit kaufen (vgl. Kapitel 6.4). Auch Kaufentscheidungen werden nicht isoliert getroffen, sondern sind mitbeeinflusst durch soziale Nonnen, kulturelle Einflüsse oder soziale Vergleiche. Erwartungen spielen gleichfalls eine große Rolle, wobei hier Hoffnungen oder Sorgen über die Zukunft das wirtschaftliche Verhalten stärker bestimmen als die Analyse wirtschaftlicher Informationsquellen. Auch die Bedürfnisse und Lebensstile sind einem Wandel unterworfen (vgl. Kapitel 4.1.1). Abbildung 15 illustriert nun die Vorstellung, wirtschaftliches Handeln in einem Feld zu verorten, in dem verschiedenste Kräfte die Handlungen der Akteure beeinflussen. Aus der Theorie Bourdieus stammt die Anregung, dass die Akteure über unterschiedliche Voraussetzungen verfügen und zwar hinsichtlich ihres ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapitals (vgl. Kapitel 2.3). Die Akteure im Feld sind z. B. staatliche Funktionsträger, Unternehmer und Selbstständige, Verkäufer und Konsumenten, Arbeitslose und Nichterwerbstätige sowie Mitarbeiter und Angestellte. Alle Akteure befinden sich im Lewinschen Sinne in einem Feld. Sie handeln, setzen etwas in Bewegung, beeinflussen andere, setzen Aktionen in Gang und werden wiederum in ihrem Verhalten verschiedenen, gegensätzlichen Kräften ausgesetzt, die sich auch wechselseitig beeinflussen. Das Bild ist lediglich eine abstrakte Metapher für die Kräfte, die im wirtschaftlichen Kontext aufeinander wirken. Dies soll beispielhaft erläutert werden (vgl. auch Teil III, Anwendungsfelder):
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1) Verantwortliche Konsumenten können durch qualitätsbewusstes Kaufverhalten einen Einfluss auf die Angebotspalette von Produkten ausüben (vgl. Kapitel 6.4). Verkäufer müssen sich auch mit den kulturellen Hintergründen und Gewohnheiten ihrer Kunden auseinandersetzen, um in bestimmten Märkten erfolgreich zu sein (vgl. Kapitel 6.3). 2) Bei Unternehmenszusammenschlüssen wird auch Personal freigesetzt. Sie erzeugen bei den Unternehmensmitgliedern häufig Ängste. Die Lage am Arbeitsmarkt kann die eigenen Chancen dort erhöhen oder einen möglichen Arbeitsplatzwechsel erschweren (vgl. Kapitel 7). 3) Beratungen spielen eine große Rolle im wirtschaftlichen Kontext. Ein kompetenter Berater sollte sich hier über alle wichtigen Einflussgrößen seines Beratungsfeldes, vor allem auch über deren Zusammenspiel Kenntnis verschaffen (vgl. Kapitel 8). 4) Flexibilisierte Arbeitszeiten eröffnen neue Chancen der individuellen Dispositionsmöglichkeiten, bedeuten aber auch in Hinblick auf Familienarbeit neue Grenzen. Verlängerte Arbeitszeiten können für Unternehmensmitarbeiter oder Angestellte die Gesundheit und das Verhältnis zur Familie tangieren, für den Kunden wiederum bringen sie Erleichterungen (vgl. Kapitel 9). 5) Arbeitslosigkeit kann zu Depressionen und Handlungsunfähigkeit fuhren, aber auch als Chance für Weiterqualifikationen genutzt werden und damit neue Handlungsperspektiven eröffnen (vgl. Kapitel 10). 6) Die zunehmende Internationalisierung bringt für viele Unternehmensmitglieder neue Aufgaben und stellt sie vor ungewohnte Herausforderungen. Dazu müssen spezifische Kompetenzen erworben werden und die jeweiligen Besonderheiten der Kulturen und ihre Dynamik analysiert werden (vgl. Kapitel 11). 7) Der Umgang mit Geld ist sehr unterschiedlich, es gibt sparsame und sorglose Verhaltensweisen. Eine feldtheoretische Betrachtung kann hier das ökonomische, soziale und kulturelle Umfeld miteinbeziehen (vgl. Kapitel 12). 8) Ungebremstes unternehmerisches Handeln entfesselt die Marktkräfte, treibt die Wirtschaft voran, kann aber auch Arbeitsplätze an anderer Stelle vernichten und Gesundheit gefährden (vgl. Kapitel 13).
Abb.15: Akteure im wirtschaftspsychologischem Feld
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Das wirtschaftspsychologische Feld, das als Metapher für das wirtschaftspsychologische Handeln steht, ist im Sinne der Systemtheorie ein „offenes System", d. h. es gibt externe Einflussfaktoren wie z. B. Globalisierungseffekte. Die Rolle des staatlichen Akteurs befindet sich im Umbruch, wobei dies unterschiedliche Deutungen erfährt: Wird dies zum einen als ein zunehmender Rückzug von klassischen staatlichen Aufgaben wie Bildung und Gesundheitswesen gesehen (Bourdieu, 1997), der die Menschen ungeschützt den Marktkräften überlässt, so wird dies zum anderen als eine chancenreiche Neuorientierung interpretiert. In der Soziologie wird von „Entgrenzung" (Gottschall & Voß, 2003) gesprochen. Damit ist gemeint, dass sich die traditionell festgesetzten Grenzen von Arbeitszeiten, Arbeit und Freizeit zunehmend auflösen. In diesem Kontext wird auch die Diskussion um die Rolle von Netzwerken wichtig. Im Mittelpunkt der Diskussion um Netzwerke stehen die sich wandelnden Anforderungen an Wirtschaftsunternehmen. Krücken und Meier (2003) formulieren die These, dass Netzwerke als Formalstruktur und Mythos der Innovationsgesellschaft gelten. An die Stelle rationalistischer und regelorientierter Vorstellungen über angemessenes Verhalten in Organisationen treten Vorstellungen über flexible, offene und lernbereite Organisationen. Dazu passende Strukturen sind nicht bürokratische Organisationen, sondern Netzwerke. Nach Mahnkopf (1994) ist ökonomisches Handeln eingebunden in die Strukturen sozialer Beziehungsnetzwerke. Für diese Netzwerke spielt das Prinzip der Reziprozität (vgl. Kapitel 4.2.9) eine große Rolle. Netzwerke folgen einer eigenen Strukturform jenseits von Markt und Hierarchie (Powell, 1990) und haben gegenüber Markt und Hierarchie spezifische Vorteile: Sie sind flexibel und schnell, sie bieten günstige Bedingungen für Lernprozesse und den Wissensaustausch. Zudem reduzieren sie Unsicherheit, die besonders bei marktvermittelten Transaktionen hoch ist. Häufig beteiligen sich Akteure an den Netzwerken, die aus unterschiedlichen sozialen Bereichen stammen (z. B. Forschungsinstitute, Branchenvereinigungen und Verwaltungen). Die Entstehung und der Fortbestand von Netzwerken beruht in hohem Maße auf Vertrauen (vgl. Kapitel 4.2.7). Netzwerke ermöglichen den Zugang zu spezifischen Ressourcen und Informationen. Sydow (1992, S. 79) kennzeichnet Unternehmensnetzwerke als „komplex-reziproke, eher kooperative denn kompetitive und relativ stabile Beziehungen zwischen rechtlich selbständigen, wirtschaftlich jedoch meist abhängigen Unternehmungen". Netzwerke verknüpfen organisationale mit interorganisationaler Flexibilität. Ein wesentliches Merkmal ist deren Offenheit. Die Versuche, Organisationen durch Dezentralisierung und Umstrukturierung effizienter zu gestalten, verringern die bestehende Arbeitsteilung. Angestrebt werden Netzwerke gleichberechtigter, sich selbst regulierender Organisationseinheiten. Solche Netzwerke funktionieren jedoch nur, wenn die Abstimmungsprozesse und die Zusammenarbeit der Mitarbeiter gelingen (vgl. auch Spieß & Nerdinger, 1998). Die Feldtheorie liefert mii dem Feldbegriff einen zentralen Rahmen für wirtschaftspsychologisches Handeln. Allerdings muss sie um weitere Aspekt ergänzt werden. In Erweiterung der klassischen Vorstellung, die bereits von der Interdependenz der Einflussfaktoren ausgeht, sind in dem vorgestellten Modell die Ressourcen der Akteure mit aufgenommen, die nach dem kultursoziologischen Ansatz von Bourdieu in ökonomische, soziale und kulturelle Kapitalia unterschieden werden. Darin sind die Ansätze der sozialen Unterstützung und der Kulturbegriff enthalten. Aus der Systemtheorie stammt der Gedanke,
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dass das Feld mit einem offenen System zu vergleichen ist, das in ständigem Austausch mit der Umwelt steht. Deren Berücksichtigung in der Analyse der wirtschaftspsychologischen Fragestellungen dürfte künftig sehr viel differenziertere Prognosen erlauben. Das Modell liefert einen Anstoß, wie wirtschaftspsychologische Probleme und Themen zu betrachten sind.
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Teil II Wirtschaftspsychologisch relevante Konzepte und Methoden
In diesem Teil werden die für die Wirtschaftspsychologie bedeutsamen Konzepte zur Erklärung des Erlebens und Verhaltens in wirtschaftlichen Kontexten sowie die wichtigsten wirtschaftspsychologischen Methoden vorgestellt.
4.
Wirtschaftspsychologisch relevante Konzepte
Für die wirtschaftpsychologischen Betrachtungsweisen und Analysen werden nachfolgend Konzepte herausgegriffen, die häufig zur Erklärung auch des Erlebens und Verhaltens in wirtschaftsnahen Kontexten wie Arbeitslosigkeit oder Selbstständigkeit herangezogen werden. Dabei werden die Konzepte danach gegliedert, ob sie auf der individuellen oder auf der interpersonellen Verhaltensebene liegen. In jedem Kapitel werden neben der Darstellung der Grundlagen auch die wirtschaftspsychologischen Anwendungen erwähnt.
4.1
Individuelle Ebene
Die psychologischen Prädiktoren wirtschaftlichen Handelns auf der individuellen Ebene sind für den kurzen Überblick in Abbildung 16 aufgelistet: Werte, Einstellungen, Gefühle und Emotionen, Motivation und Handeln, Attribution, Kompetenz, Lern- und Entscheidungsprozesse sowie Selbstwert und Identität.
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Abb. 16: Psychologische Konzepte auf der individuellen Ebene
4.1.1 Werte Werte sind zentral für das menschliche Handeln, sie spielen somit auch für die Erklärung wirtschaftlichen Handelns eine große Rolle, z. B. im interkulturellen Handeln (Kapitel 11), wenn Angehörige verschiedener Kulturen aufeinander treffen oder bei Unternehmenszusammenschlüssen (Kapitel 7), wenn die in den fusionierten Unternehmen gelebten Werte nicht zusammenpassen. Abbildung 17 zeigt das Verhältnis von Werten zu Einstellungen und Verhalten: Werte bilden zusammen mit den kulturellen und situativen Einflüssen Voraussetzungen zur Bildung von Einstellungen und können so auch Verhalten vorhersagen. Nach Lewin (1982b) sind Werte keine Kraftfelder, sondern sie induzieren Kraftfelder. So versucht man nicht den Wert „Fairness" zu erreichen, sondern dieser Wert lenkt das Verhalten einer Person. Werte entscheiden darüber, welche Handlungsweisen für eine Person in einer bestimmten Situation eine positive oder negative Valenz im Sinne von Wertigkeit bekommen.
Verhalten
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Werte lassen sich als „eine explizite oder implizite, für ein Individuum oder eine Gruppe charakteristische Konzeption des Wünschenswerten" definieren, die die Auswahl unter verfügbaren Handlungsarten, -mittein und Zielen beeinflusst (Kluckhohn, 1951, S.395). Hofstede (1980, S. 19) hat diese Definition dahingehend
vereinfacht, dass er von einer „broad tendency to prefer certain states of affairs over others" spricht. Für das Individuum haben Werte Maßstabscharakter und dienen der Orientierung für Denken und Handeln, für die Gesellschaft stellen Werte eine Legitimationsgrundlage dar (von Rosenstiel, 1998). Werte haben in der Psychologie „identitätsverbürgende" Elemente, wobei Graumann und Willig (1983) die Herkunft des heutigen Wertbegriffs aus dem Tauschen und Wirtschaften ableiten. Zentrale Werte der westlichen Kulturen stammen aus der philosophisch-theologischen Tradition und bestimmen das Bewerten entsprechend sozialisierter Individuen. Auf individueller Ebene werden Werte als Werthaltung bezeichnet und dienen der Identitätswahrung. Sie haben eine Bewertungs-, eine Orientierungs- und Anpassungsfunktion. Schließlich können die individuellen Werthaltungen Handlungen zur Folge haben, die der Wahrung der Identität dienen (Witte, 1994). Für die Wertforschung ist die Unterscheidung in Zielwerte (z. B. Gleichheit) und in instrumenteile Ziele (Verhaltensweisen, wie z. B. Gehorsam) zentral (Schwartz & Bilsky, 1987). Sie lehnt sich damit an die Erhebungsmethode von Rokeach (Witte, 1994, S.406) an, der 18 Zielwerte, die durch Literaturstudium und Befragung gewonnen wurden und 18 Instrumentalwerte, die aus einer Liste von persönlichkeitsbeschreibenden Wörtern ausgewählt wurden, erfasste. Die Versuchspersonen müssen die Ziel- und Instrumentalwerte jeweils in eine Rangordnung bringen. Bedeutsame Werte werden auch mit starken emotionalen Reaktionen assoziiert im Vergleich zu weniger wichtigen Werten (Feather, 1988). Werte können sich auch im Zeitablauf verändern - dies zeigt der Wertewandel. Die Konstatierung eines Wertewandels bezog sich zunächst auf in repräsentativen, demoskopischen Umfragen feststellbaren Veränderungen im Antwortverhalten der Bevölkerung auf Fragen nach z. B. Erziehungs- und Lebenszielen (Abb. 18), nach der Bedeutsamkeit von Lebensbereichen und der Religion sowie Einstellungen zur Erwerbsarbeit. Der Soziologe Klages (1984) unterschied in seiner vergleichenden Analyse empirischer Arbeiten im deutschsprachigen Raum über den Wandel der Wertorientierungen in „Pflicht- und Akzeptanzwerte", wie z. B. Disziplin und Gehorsam und in „Selbstentfaltungswerte", z. B. Autonomie des Einzelnen und Selbstverwirklichung. Bis in die Mitte der 60er Jahre dominierten Pflicht- und Akzeptanzwerte, während es dann zu einem Anstieg der Selbstentfaltungswerte kam. Dieser Trend stagniert seit Ende der 70er Jahre. Träger des Wertewandels waren die jungen, gebildeten Menschen in den Städten (von Rosenstiel, Nerdinger & Spieß, 1991). Solche Änderung in den Werthaltungen der Bevölkerung können erheblichen Einfluss auch auf das wirtschaftliche Handeln haben: So befürchtete Noelle-Neumann (Noelle-Neumann & Strümpel. 1984), dass der Rückgang der Pflicht- und Akzeptanzwerte die Arbeitsmoral untergraben könnte. Strümpel deutet den demoskopischen Befund jedoch anders: Für ihn war die stärkere Betonung der Selbstentfaltungswerte durch die jüngere Generation Ausdruck der Suche nach einer sinnerfüllten Arbeit und wies auf ein neues Arbeitsverständnis der jungen Generation hin.
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51 54 57 64 67 69 72 74 76 78 79 81 83 86 87 89 91 95
Abb. 18: Der Wertewandel am Beispiel geänderter Erziehungsziele nach von Rosenstiel (2003)
-
Die zentralen Ergebnisse des Wertewandels beinhalten zusammenfassend (von Rosenstiel, Nerdinger & Spieß, 1991):
-
eine Säkularisierung nahezu aller Lebensbereiche,
-
eine starke Betonung der eigenen Selbstentfaltung und des eigenen Lebensgenusses,
-
eine Befürwortung der Gleichheit zwischen den Geschlechtern,
-
eine höhere Bewertung der eigenen körperlichen Gesundheit,
-
eine Hochschätzung der natürlichen Umwelt,
-
eine Skepsis gegenüber tradierten Werten wie Leistung, Wirtschaftswachstum und technischem Fortschritt,
-
eine Ablösung der Sexualität von überkommenen Normen,
-
die Bereitschaft zur Unterordnung sank ebenso wie die Bereitschaft, Arbeit als Pflicht anzusehen
Ausdruck eines Wertewandels ist auch der Ersatz einer asketischen Moral durch eine neue Wirtschaftslogik bzw. eine hedonistische Konsummoral: So zeigt sich der ganze Gegensatz zwischen alt- und neumodisch „zwischen dem schmerbäuchigem, steifem Direktor und dem schlanken, gebräunten Cadre, der auf Cocktailpartys ebenso ungezwungen aufzutreten weiß wie im Umgang mit denen, die er seine Sozialpartner' nennt" (Bourdieu, 1982, S. 490). Bourdieu (1982) thematisiert diesen Wertewandel unter der Titelüberschrift „von der Pflicht zur Pflicht zum Genuss": Die „Moral der Pflicht" zog die Angst vor dem Genießen nach sich. Die moderne Moral hingegen verpflichtet zum Genuss und zerstört ihn damit. Eine wichtige, immer wieder auch in wirtschaftspsychologischen Kontexten zitierte Untersuchung ist die von Hofstede (1980; 1997), der in einem multinationalen Konzern in über 40 Ländern arbeitsbezogene Wertvorstellungen erfasste. Über die verschiedenen Kulturen hinweg ermittelte Hofstede faktorenanalytisch vier Dimensionen: 1. Machtdis-
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tanz, 2. Unsicherheitsvermeidung, 3. Individualismus/Kollektivismus, 4. Maskulinität/ Feminität. 1. Machtdistanz bedeutet die Akzeptanz von Ungleichverteilung der Macht in Institutionen und Organisationen in einer Gesellschaft. Eine niedrige Machtdistanz bedeutet z. B. flache Hierarchien, Abbau von Statusunterschieden und hierarchiefreie Räume. Sie beinhaltet aber auch zugleich eine Tendenz zur Instabilität und Desorientierung. Eine hohe Machtdistanz wiederum steht für stark ausgebaute Hierarchien (Scholz, 1994). 2. Unsicherheitsvermeidung bezeichnet das Ausmaß an Ängstlichkeit der Mitglieder einer Gesellschaft angesichts unstrukturierter und widersprüchlicher Situationen. Diese Dimension unterscheidet rigide von flexibleren Gesellschaften (Thomas, 1993). In rigiden Gesellschaften wird versucht, Unsicherheit möglichst zu vermeiden. Tritt sie auf, sind die Menschen sehr verunsichert, im Unterschied zu flexiblen Gesellschaften, in denen Menschen besser mit solchen Situationen umgehen können. Dies bedeutet z. B. für die Personalarbeit bei einem geringen Maß an Unsicherheitsvermeidung ein wenig vorhandenes Ausmaß an geschriebenen Regeln, eine geringe Standardisierung und Spezialisierung (Scholz, 1994). 3. Individualismus bedeutet die Bevorzugung eines relativ lose zusammengehaltenen Netzwerkes im Unterschied zum Kollektivismus, der für die Bevorzugung eines relativ eng geknüpften Netzwerkes steht. Eine kollektivistische Kultur bedeutet in Organisationen, dass die Förderung der Mitarbeiter sich z. B. nach dem Senioritätsprinzip richtet. Vom Organisationsmitglied wiederum wird ein moralisches Engagement und eine Wertschätzung gemeinsamer Ziele erwartet, das Unternehmen wird als Teil der Familie gesehen. In individualistisch orientierten Ländern sind die Einzelnen weniger emotional abhängig von der Organisation. Für sie steht der instrumentelle Aspekt im Vordergrund: Man entscheidet sich für die Organisation, weil man den Job gerade spannend findet, sieht aber auch kein Problem daran, den Arbeitsplatz bei einer sich bietenden Karrierechance baldmöglichst wieder zu wechseln (Scholz, 1994). 4. Maskulinität bezeichnet Gesellschaften, in denen eine klare geschlechtsspezifische Rollendifferenzierung vorherrscht. Im Unterschied dazu bezeichnet Femininität Gesellschaften, in denen die geschlechtsspezifischen Rollen sich in bemerkenswerten Bereichen überlappen. Für maskuline Kulturkreise ist eine hohe Karriereorientierung typisch. Für einen eher feminin orientierten Kulturkreis hingegen überwiegen Wünsche nach Ausgeglichenheit und die Abneigung vor Stress und Hektik (Scholz, 1994). Besonders zur Dimension Individualismus/Kollektivismus gibt es eine rege Forschungstätigkeit. So lassen sich Kulturen, Gruppen und Personen entlang dieser Dimension klassifizieren (Triandis, 1995; Thomas, 1993): -
Personen mit einer kollektivistischen Wertorientierung (allozentrische Orientierung) sind Werte wie Harmonie, Verpflichtung gegenüber den Eltern, Zurückhaltung, Gleichheit in der Gewinnverteilung und Befriedigung der Bedürfnisse anderer wichtig.
-
Die zentralen Werte der Personen mit einer individualistischen Wertorientierung (idiozentrischen Orientierung) betonen hingegen Freiheit, soziale Anerkennung, Hedonismus und Gerechtigkeit.
Das soziale Verhalten der Personen mit einer kollektivistischen Wertorientierung ist stärker von sozialen Normen und Gefühlen der Verpflichtetheit bestimmt, allerdings nur in-
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soweit es die eigene Gruppe betrifft (Chen, Chen & Meindl, 1998; Markus & Kitayama, 1991). Das Konstrukt „Individualismus/Kollektivismus" wurde bisher empirisch vor allem in westlichen Industrienationen und dem asiatischen Raum untersucht und kaum in den Ländern des ehemaligen Ostblocks (Oyserman, Coon & Kemmelmeier, 2002). In den bisherigen Operationalisierungen enthält der Kollektivismus eine starke familiale Komponente, d. h. die Gruppenzugehörigkeit bezieht sich auf die Familie und nicht auf ein staatliches Kollektiv. Deshalb erscheint die Weiterentwicklung des Konstruktes von Singeiis, Triandis, Bhawak und Gelfand (1995) für weitere Untersuchungen in diesem Bereich interessant (Spieß & Brüch, 2002a). Sie unterscheiden zum einen in eine individualistische bzw. kollektivistische Persönlichkeitsausprägung, d. h. in eine unterschiedliche Bezugnahme auf das Verhältnis von Individuum und Gruppe. Zum anderen aber nehmen sie auch auf, wie hierarchische Unterschiede zwischen Personen wahrgenommen und beurteilt werden. -
Beim horizontalen Kollektivismus bezieht sich das Selbstkonzept auf die anderen Gruppenmitglieder, hierarchische Unterschiede zwischen Personen sind nicht relevant. Zentraler Aspekt ist die individuelle Ausrichtung auf eine Gruppe.
-
Der vertikale Kollektivismus betont ebenfalls sehr stark den Bezug zur Gruppe, jedoch sind hier auch Statusunterschiede wichtig. Hierarchische Unterschiede zwischen Personen werden erwartet und akzeptiert.
-
Horizontaler Individualismus bedeutet eine starke Betonung der Autonomie des Selbst und geht davon aus, dass die Individuen den gleichen Status besitzen.
-
Vertikaler Individualismus geht ebenfalls von einem autonomen Selbstkonzept aus, allerdings werden Statusunterschiede akzeptiert.
Diese vier Dimensionen wurden als Gruppenorientierung (horizontaler Kollektivismus), Traditionalismus (vertikaler Kollektivismus), Einzigartigkeit (horizontaler Individualismus) und Wettbewerbsorientierung (vertikaler Individualismus) bezeichnet (Brüch, 2001).
In der Studie von Spieß und Brüch (2002a), die Studierende aus Ost- und Westdeutschland zu interkulturellen Kontakten und der Bereitschaft, einmal beruflich bedingt ins Ausland zu gehen, untersuchte, zeigte sich, dass sich besonders die Dimension des horizontalen Kollektivismus positiv auf die Bereitschaft zu interkulturellen Kontakten auswirkte. Vertiefende Literatur: Hofstede, G. (1997). Lokales Denken, globales Handeln. München: Beck.
4.1.2 Einstellungen Einstellungen bilden im Wirtschaftsverhalten eine entscheidende Rolle und besonders die Werbetreibenden versuchen auf unterschiedlichste Weise, auf sie Bezug zu nehmen (Kapitel 6.1). Einstellungen sind definiert als die Bereitschaft, auf einen Gegenstand wertend zu reagieren. Eine Einstellung besteht aus kognitiven, affektiven und verhaltensbezogenen Komponenten (Abb. 19). Dabei wird die Einstellung als Produkt aus kognitiven, affektiven und verhaltensbezogenen Prozessen aufgefasst, die sich jeweils wieder im Verhalten niederschlagen können (Bohner, 2002).
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Abb. 19: Das Dreikomponentenmodell der Einstellung nach Bohner (2002)
Jeder Mensch verfügt über ein festes Repertoire an Einstellungen gegenüber den unterschiedlichsten Gegenständen und Personen. Einstellungsobjekte können sowohl konkrete Gegenstände als auch abstrakte Ideen sein. Die Bewertungen dieser Einstellungsobjekte beruhen auf den Erfahrungen, die der Einzelne im Laufe seiner Erziehung damit gemacht hat. Einstellungen steuern den Prozess der Informationsverarbeitung. Es wird aktiv nach Informationen, Wahrnehmungen und Erinnerungen gesucht, die die eigene Einstellung bestätigen. Informationen, die dazu nicht passen, werden zurückgewiesen. Einstellungen sind Ausdruck eigener Werte und damit tief in der Persönlichkeit und in der Lebensgeschichte verankert. Entsprechend lassen sich Einstellungen nur sehr schwer verändern. Einstellungen erfüllen verschiedene Funktionen: •
Ich-Verteidigungsfunktion: Wird eine Einstellung in Frage gestellt, führt dies häufig dazu, dass die Person sich angegriffen fühlt und glaubt, ihre Ansichten verteidigen zu müssen.
•
Anpassungsfunktion: Durch das Äußern bestimmter Einstellungen demonstriert man seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bezugsgruppe.
•
Wissensfunktion: Einstellungen helfen, die Flut der Informationen zu reduzieren.
•
Instrumentelle Funktion: Einstellungen steuern das Verhalten so, dass Belohnungen angestrebt und Bestrafungen vermieden werden sollen.
•
Aufrechterhaltung des Selbstwertgefühls: Das eigene Selbst wird erhöht, unangenehme Dinge werden abgewehrt.
Die wichtigste klassische Theorie über die Beziehung zwischen Einstellung und Verhalten ist die Theorie des überlegten Handelns (Fishbein & Ajzen, 1975) die dann in der Theorie des geplanten Verhaltens nach Ajzen und Madden (1986) weiterentwickelt wurde (Abb. 20). In diesem Modell wird die subjektive Norm mit eingefügt. Diese beinhaltet, dass eine für die Person wichtige andere Person dem beabsichtigten Verhalten zustimmt. Zum Beispiel legen die Freunde viel Wert auf demonstrativen Konsum. Ist diese Meinung der Freunde wichtig für den Betreffenden, wird er sich eher zum Kauf entsprechender Waren entschließen. Im Modell kommt dann noch die subjektiv wahrgenommene Verhaltenskontrolle hinzu. Diese besagt, dass die tatsächliche Handlungsausführung als leicht
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durchführbar angenommen wird. Diese Annahme kann das Verhalten direkt oder auch indirekt über die Absicht beeinflussen. Die Theorie ist durch experimentelle Befunde gut gestützt (Bohner, 2002), allerdings gilt sie nur für bewusste und absichtliche Verhaltensweisen, nicht bewusst beabsichtigtes Verhalten kann weniger gut durch dieses Modell vorhergesagt werden. Einstellungen beeinflussen das Verhalten, doch ebenso können sich Einstellungen an das Verhalten anpassen. Dieser Aspekt wurde durch die Theorie der kognitiven Dissonanz von Leon Festinger (1957) stärker berücksichtigt. Die Theorie steht in der Tradition der kognitiven Konsistenzforschung (Bohner, 2002) und geht von Abb. 20: Theorie des geplanten Verhaltens kognitiven Elementen wie Gedanken, Vorstellungen, Meinungen, Einstellungen und Relationen zwischen diesen aus. Dabei wird in zwei Arten von Relationen unterschieden, in konsonante und dissonante. Ein Beispiel für zwei dissonante Kognitionen wäre: „Ich rauche viel" und „Rauchen ist sehr gesundheitsschädigend". Diese beiden Kognitionen erzeugen die kognitive Dissonanz, d. h. die Person gerät in einen angespannten Zustand. Nach der Theorie von Festinger sind Menschen bestrebt, diesen Zustand zu vermeiden. Dann setzen Prozesse ein, die die Dissonanz beseitigen sollen (Strategien der Dissonanzreduktion): Es wird versucht, dissonante Relationen in konsonante zu verwandeln, oder es erfolgt eine Neuaufnahme kognitiver Elemente, so dass neue konsonante Relationen gebildet werden können. Die häufigste Dissonanzreduktion besteht darin, dass man die Kognition der Entscheidung anpasst. Neuere Entwicklungen der Dissonanztheorie untersuchen die Rolle der Verantwortlichkeit für das Handeln. Die Theorie der kognitiven Dissonanz findet besonders in werbepsychologischen Kontexten Anwendung (vgl. Kapitel 6.1). Unter sozialer Informationsverarbeitung - „social Cognition" - wird die Tatsache betont, dass der Mensch seine eigene soziale Umwelt konstruiert. Die Prozesse der Informationsverarbeitung im Menschen sind erfahrungsabhängig und beruhen auf Kategorisierungen: Die Objekte der Umwelt werden, je nach Gemeinsamkeit ihrer Merkmale, in Kategorien zusammengefasst. Objekte, die einer Kategorie im besonderen Maße entsprechen werden als Prototyp bezeichnet. Besondere Eigenschaften des sozialen Informationsverarbeitungs- bzw. Kategorisierungsprozesses sind: 1.
Evaluieren: Kategorien werden mit gefühlsmäßigen Wertungen verknüpft.
2.
Akzentuieren: Sachverhalte werden durch den Kategorisierungsprozess noch unterschiedlicher.
3.
Generalisieren: Zuordnung eines Sachverhaltes zu einer Kategorie aufgrund einiger seiner Merkmale, trotz Unvereinbarkeiten. Generalisieren beinhaltet demnach Selektions- und Inferenzprozesse.
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Nicht nur die soziale Umwelt wird durch die menschliche Wahrnehmung kategorisiert, sondern der Mensch kategorisiert sich auch selbst. Mit der Selbstkategorisierung (Tajfel, 1982) ordnet sich der Mensch in seine Umwelt ein und fühlt sich dann identisch mit Aspekten der sozialen Umwelt (z. B. mit einer bestimmten Gruppe). Vor diesem Hintergrund lassen sich soziale Vorurteile vom allgemeiner gefassten Einstellungskonzept abgrenzen durch starkes (Über)-Gewicht des Evaluierens, (über)-deutliches Akzentuieren und (vor-)schnelles Generalisieren. Zwischen Einstellungen und Vorurteilen werden also nur graduelle Unterschiede angenommen, die fließende Übergänge zulassen. Vorurteile haben jedoch einen ablehnenden Charakter. Stereotype können als die subjektiv erwartete Korrelation zwischen Eigenschaften und Gruppenmitgliedschaft angesehen werden. Beispiel: Harry neigt dazu, die logischen Fähigkeiten von Frauen und Mädchen wesentlich negativer zu beurteilen, da stereotypbestätigende Information leichter aus seinem Gedächtnis abgerufen werden kann. Die erwartungsgesteuerte Natur menschlicher Informationsverarbeitung stellt eine ständige Quelle für Stereotypen dar (Fiedler & Bless, 2002). Es gibt verschiedene Erklärungsansätze (Bierbrauer, 1996): -
Der kognitive Ansatz: Stereotype und Vorurteile dienen der kognitiven Ökonomie. Die Informationsfülle wird reduziert, und dies erlaubt eine bessere Kontrolle der Umwelt.
-
Der psychodynamische Ansatz: Stereotype und Vorurteile ermöglichen die Steigerung des Selbstwertgefiihls durch Abwertung von Fremdgruppen.
-
Der sozialkulturelle Ansatz: Stereotype und Vorurteile helfen Menschen, sich mit ihrer sozialen Bezugsgruppe zu identifizieren, indem sie deren Überzeugungen und Werthaltungen teilen.
Pettigrew und Meertens (1995) unterscheiden zwischen zwei Vorurteilsvarianten, unverhohlen (blatant) und spitzfindig (subtle). „Blatant prejudice" bedeutet, dass die Vorurteile unverhohlenen und offen gezeigt werden, „subtle prejudice" besagt, dass die Vorurteile nicht so deutlich nach außen kundgegeben werden, aber dennoch in subtiler Form vorhanden sind. Neben dieser funktionalen Definition von Einstellungen und Vorurteilen lassen sich auch noch inhaltliche Aspekte unterscheiden: Es gibt Einstellungen gegenüber den verschiedensten Objekten, wobei für die Wirtschaftspsychologie besonders Einstellungen gegenüber materiellen Gütern, Politik und wirtschaftliche Entwicklungen wichtig sind. Zwei Studien seien herausgegriffen: Ger und Belk (1996) haben in einer Umfrage Kulturunterschiede in der materialistischen Einstellung gefunden: Am materialistischsten waren die Rumänen, gefolgt von den USA, Neuseeland, Ukraine, Deutschland und die Türkei. Dies widerlegt frühere Annahmen über die Konsumentenkultur, wonach der Materialismus nur in westlichen Ländern vertreten ist. Klassischerweise galt die Konsumorientierung, die das eigene Glück verfolgt, als typisches Merkmal westlicher Konsumgesellschaften. Neuere Untersuchungen über die Globalisierung zeigen, dass die Konsumentenkultur sich weiter ausbreitet über Massenmedien, Tourismus und multinationales Marketing. Kollektivistische und individualistische Nationen können beide materialistisch sein. Gemeinsames Verständnis aller Befragten vom Materialismus ist:
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Materialismus ist ein Wettbewerbsverhalten um mehr als andere zu besitzen,
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Materialistische Menschen denken, dass Besitz sie glücklich macht,
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Materialismus bewertet Dinge höher als Menschen,
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Materialistische Menschen haben ein starkes Bedürfnis, Besitz zu erwerben und zu behalten,
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Materialismus ist eine Schwäche, die bei unsicheren Menschen verbreitet ist.
Furnham (1997) zeigte in einer Regressionsanalyse im Rahmen einer Studie mit 277 Personen, dass politische Einstellungen der beste Prädiktor für Arbeitseinstellungen und ökonomische Werte waren. Laien haben kohärente sozioökonomische und ideologische Glaubenssysteme wie z. B. das freie Unternehmertum oder staatlich versus arbeiterkontrollierte Systeme. Vertiefende Literatur: Bohner, G. (2002). Einstellungen. In W. Stroebe, K. Jonas & M. Hewstone (Hrsg.), Eine Einßhrung (S. 266-318). (4. Aufl.). Berlin: Springer.
Sozialpsychologie.
4.1.3 Gefühle und Emotionen Emotionen werden in der Psychologie als komplexes Muster von Veränderungen definiert, das physiologische Erregung, Gefühle, kognitive Prozesse und Verhaltensweisen beinhaltet. Sie bilden eine Reaktion auf eine Situation, die'als persönlich bedeutsam wahrgenommen wird (Zimbardo & Gerrig, 1999). Schmidt-Atzert (1996) verweist auf die Definitionsvielfalt in der Literatur sowie auf den Unterschied zwischen Gefühlen und Emotionen (Bischof, 1989). Gefühle beziehen sich eher auf das Erleben, z. B. Angsthaben. Emotion ist der globalere Begriff, der neben dem Gefühl auch den körperlichen Zustand und den Ausdruck mit einschließt. Emotion ist ein hypothetisches Konstrukt. Verwandte Konstrukte der Emotion sind Stimmung, Wohlbefinden, Affekt und Stress. Stimmungen gelten als schwächer und weniger variabel als Emotionen, länger andauernd und nicht klar auf einen Auslöser bezogen. Das Erkennen wie der Ausdruck von Emotionen erfolgt über verschiedene Ebenen, z. B. durch Mimik, Stimme oder Körperbewegungen (Schmidt-Atzert, 1996). Emotionen umfassen physiologische Prozesse, das bewusst erlebte Gefühl und den Gefiihlsausdruck, der sich im nonverbalen Verhalten ausdrückt. Nicht alle Emotionen können eindeutig anhand der physiologischen Abläufe identifiziert werden, psychophysiologische Messungen zeigen nur den Grad der Aktivierung an, nicht aber die Qualität des Erlebens. Der Gefühlsausdruck wiederum unterliegt der sozialen Kontrolle (Nerdinger, 2001). Nach dem kognitiven Modell von Lazarus (1991) sind Emotionen eine Reaktion auf bewertende Urteile (vgl. Kapitel 2.2.2). Wichtig für die Entstehung einer Emotion ist ihre subjektive Bedeutung. Die Bewertung wird als kognitiver Prozess bezeichnet (Abb. 21).
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Abb. 21: Das kognitive Modell nach Lazarus (1991, in Schmidt-Atzert, 1996)
Das kognitive Modell nach Lazarus zur Erklärung von Emotionen ist auch kritisiert worden. So gibt es Auffassungen, nach denen das emotionale Erleben eine unmittelbare Folge neuronaler Prozesse ist (Schmidt-Atzert, 1996). Eine zentrale Frage in der psychologischen Forschung ist die nach der Universalität der Emotionen bzw. der kulturellen Einflüsse. Ekman (1994) bestätigte die schon von Darwin (1872) vermutete These, wonach die Spezies Mensch über ein universelles emotionales Ausdrucksrepertoire verfugt. Sieben Emotionen werden weltweit als gleich erkannt und ausgedrückt: -
Fröhlichkeit, Überraschung, Wut, Ekel, Furcht, Traurigkeit, Verachtung.
Funktionen von Emotionen sind Motivation, das Richten des Verhaltens auf bestimmte Ziele, das Geben von Rückmeldung über die eigene Motivation und das Bewusstmachen innerer Konflikte (Zimbardo & Gerrig, 1999). In der Einschätzung der Auswirkungen von Emotionen gibt es zwei Lager: Zum einen werden Emotionen als nützlich und im Dienste der Anpassung des Einzelnen an seine Umwelt, oder aber als störend und schädlich beurteilt. So konnte ein Zusammenhang zwischen Emotionen und dem Einschätzen von Risiken festgestellt werden: Bei negativem Befinden werden negative Ereignisse für wahrscheinlicher gehalten, in guter Laune hingegen werden diese Ereignisse als weniger wahrscheinlich beurteilt. Diese Effekte kamen in unabhängigen Untersuchungen mit verschiedenen Methoden der Emotionsinduktion (z. B. durch Filme, Zeitungsausschnitte, Hypnose) zustande. Die Auswirkungen von Emotionen auf Entscheidungsprozesse sind hingegen nicht eindeutig (Schmidt-Atzert, 1996). Matsumoto, Takeuchi, Andayani, Kouznetsova und Krupp (1998) haben interkulturelle Unterschiede in den emotionalen Darstellungsregeln bezogen auf das Konstrukt Individualismus/Kollektivismus (vgl. Kapitel 4.1.1) an Versuchspersonen in den USA, Japan, Südkorea und Russland untersucht. Die Versuchspersonen mussten die sieben universalen Emotionen in verschiedenen sozialen Kontexten (Familie, Freunde, Kollegen, Fremde) einstufen. Zum einen stellten sich signifikante Differenzen in Abhängigkeit von Individualismus und Kollektivismus heraus: Wie erwartet waren die Versuchspersonen aus Russland und Korea sehr kollektivistisch eingestellt, am wenigsten die Japaner. Auch in den emotionalen Darstellungsregeln gab es signifikante Unterschiede: Die russischen Versuchspersonen beschrieben ihre Emotionen mit der höchsten Kontrolle bezogen auf Familie, Freunde und Kollegen. Die amerikanischen Versuchspersonen hingegen waren gegenüber Fremden am kontrolliertesten.
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Matsumoto und Kupperbusch (2001) haben die Unterschiede bei allozentrischen und ideozentrischen Persönlichkeiten im Ausdruck und in der Erfahrung von Gefühlen untersucht. Die Versuchspersonen sahen emotional positive und negative Filme entweder alleine oder mit einer anderen Person. Dabei wurden Videoaufhahmen gemacht und analysiert. Die angenommenen Unterschiede bestätigten sich: Die allozentrischen Persönlichkeiten zeigten in der Bedingung mit der anderen Person mehr positive Gefühle und vermieden stärker das Zeigen von negativen Emotionen. Dies heißt, die Gegenwart anderer führt dazu, die eigenen Gefühle zu verbergen. Die Unterschiede zeigten sich jedoch nicht in den Selbstaussagen der Versuchspersonen, sondern nur auf dem Videofilm. Diese interkulturellen Studien zeigen die Verknüpfung von Werten mit der Gefühlsebene, d. h. inwieweit diese durch kulturelle Werte bestimmt ist. Diese Befunde sollten auch in zukünftigen Forschungen in der Wirtschaftspsychologie berücksichtigt werden, z. B. in der Werbewirkungsforschung. Anwendung in der Wirtschaftspsychologie findet die Berücksichtigung von Emotionen und Stimmungen besonders in der Erhebung subjektiver Einschätzung von wirtschaftlichen Entwicklungen (z. B. durch Konsumklimaindexe), um so Vorhersagen zu treffen. Die einfache Befragung einer repräsentativen Stichprobe von Bundesbürgern durch das Allensbacher Institut am Jahresende, ob man dem neuen Jahr hoffnungsfroh oder mit Ängsten entgegen sieht erwies sich als guter Prädiktor für das wirtschaftliche Wachstum im kommenden Jahr (Schmidt-Atzert, 1996). Gefühle und Emotionen spielen im persönlichen Verkauf eine große Rolle (vgl. Kapitel 6.3), ebenso wie in der Werbung, wo sie gezielt eingesetzt werden. Gefühle und Emotionen sind jedoch auch für alle anderen Bereiche in der Wirtschaft wichtig: Sie beeinflussen z. B. das Verhalten an Börsen (Gallenmüller-Roschmann & Maus, im selben Band), bei Unternehmensfusionen (Kapitel 7) und Auslandsentsendungen (Kapitel 11) sowie den Verkauf und den Kauf, z. B. Spontaneinkäufe (Kapitel 6). Vertiefende Literatur Schmidt-Atzert, L. (1996). Lehrbuch der Emotionspsychologie. Stuttgart: Kohlhammer.
4.1.4
Motivation und Handeln
Motivation - das ist die Frage nach dem „Warum" des menschlichen Verhaltens und Erlebens - die sich auch für die Wirtschaftspsychologie stellt. Zum Beispiel: Wieso werden bestimmte Produkte gekauft und andere nicht? Warum scheitern so viele Unternehmenszusammenschlüsse? Motivation weist auf Bewegung und Antrieb hin: Motivation bewegt zum Handeln, richtet auf Ziele hin und sichert einen längerfristigen Einsatz von Kräften. Richtung, Intensität und Dauer des Handelns werden durch die Motivation beeinflusst. Motivation ist das gelungene Zusammenspiel von motivierter Person und motivierender Situation. Man kann zwar das Verhalten anderer Menschen beobachten, ihre Motive lassen sich aber nicht unmittelbar erkennen. Diese Motive kann man aus dem Verhalten lediglich erschließen. Von einem Motiv - Motiv und Bedürfnis werden in der Psychologie meist synonym gebraucht - ist dann die Rede, wenn nur ein Beweggrund herausgegriffen wird: z. B. Durst oder der Wunsch nach Anerkennung. Die körpernahen Motive werden als Mangel erlebt und drängen darauf, diesen Mangel zu beseitigen. Sie pendeln zwischen Man-
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Mangelzustand und Sättigung. Sie werden auch als primäre Bedürfnisse bezeichnet, weil sie angeboren und biologisch notwendig sind. Die Art und Weise, wie sie befriedigt werden, hängt von der jeweiligen Situation und dem Kulturkreis ab. Die sekundären Bedürfnisse, wie z. B. das Leistungsmotiv, sind erlernt. Motive sind auf bestimmte Ziele gerichtet und lösen Handlungen aus, sie bringen also etwas in Bewegung. Es gibt eine sehr große Vielfalt von Motiven, weshalb Klassifikationssysteme entwickelt wurden, um die Vielzahl der Motive zu ordnen. Eine zentrale Unterscheidung ist die in Defizit- und Wachstumsmotive. Defizitmotive zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Befriedigung durch Beseitigen eines Mangelzustands erfolgt. Bei den Wachtumsmotiven hingegen hat das Ziel keinen festgelegten Sollwert, sondern die Ziele werden ständig neu entworfen. Ein sehr bekanntes Klassifikationssystem ist die Bedürfnispyramide von Maslow. Danach unterscheidet sich der Mensch grundsätzlich von allen anderen Lebewesen durch sein Bedürfnis nach Selbstverwirklichung und sein Streben nach Autonomie. Maslow ordnete die Motivgruppen hierarchisch (Abb. 22). Transparenz Selbstverwirklichung Ästhetische Bedürfnisse Kognitive Bedürfnisse Selbstwert Bindung
Defizitmotive
Sicherheit Biologische Bedürfnisse
Abb. 22: Die Maslowsche Bedürfnispyramide nach Zimbardo & Gerrig (1999)
Zur untersten Kategorie der Defizitmotive zählen basale physische Bedürfnisse wie z. B. Hunger, Durst. In der nächsten Motivkategorie ist der Wunsch nach Sicherheit angesiedelt, gefolgt von den sozialen Motiven wie z. B. nach Kontakt. Es folgen Ich-Motive wie z. B. nach Anerkennung und Status, sowie kognitive und ästhetische Bedürfnisse. Werden diese Motive nicht befriedigt, kann dies zu Krankheit führen: Wer Hunger hat, bekommt Mangelerscheinungen, wem Anerkennung versagt wird, bildet eine Neurose aus. Sind alle Defizitmotive befriedigt, kann auch das Wachstumsmotiv der Selbstverwirklichung gelebt werden. Diesem Bedürfnis folgt noch das Bedürfnis nach Transzendenz, d. h. nach Spiritualität. Obwohl die Maslow'sehe Bedürfnispyramide wissenschaftlich umstritten ist, hat sie zu wertvollen Anregungen für die Arbeitswelt geführt. Viele Unternehmen haben sich nur an den physiologischen und Sicherheitsbedürfhissen der Mitarbeiter orientiert. Doch ist nicht nur die Erfüllung der Grundmotive durch angemessene Entlohnung, Pausen und Urlaubsregelungen wichtig, sondern soziale Bedürfnisse nach Wertschätzung und Anerkennung, oder das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung brauchen Beachtung. So kann dem
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Wunsch nach Selbstverwirklichung durch das Schaffen interessanter Arbeitsinhalte entgegengekommen werden (von Rosenstiel & Spieß, 1995). Auch der Wertewandel (vgl. Kapitel 4.1.1) lässt sich durch die Maslow'sche Bedürfhispyramide erklären (von Rosenstiel, Nerdinger & Spieß, 1991): In einer Zeit wirtschaftlichen Mangels, in der die ältere Bevölkerung Europas aufgewachsen ist, waren die unbefriedigten Grundbedürfnisse zentral. Menschen werden - nach psychologischen Erkenntnissen - durch Erlebnisse in der Kindheit geprägt. Die Erfahrung, dass materielle Güter knapp sind, bewahrte diese Generation als stabile Wertorientierung, obwohl sich in den 60er Jahren allgemeiner Wohlstand ausbreitete. Für die später Geborenen, die ihre Kindheit in einer Zeit relativen Wohlstandes erlebten, waren materielle Güter selbstverständlich. Sie konnten ein Wachstumsmotiv wie die Suche nach Selbstverwirklichung aktivieren. Eine weitere wichtige Theorie der Motivation, die besonders im Bereich der Wirtschaftspsychologie Anwendung fand, ist die VIE-Theorie von Vroom (1964), die in der Tradition der Erwartungs-mal-Wert - Modelle (vgl. Kapitel 4.1.2) steht. Dabei wurde das Motivziel formal bestimmt als subjektive Maximierung des Nutzens. Der Mensch wägt verschiedene Handlungsalternativen gegeneinander ab und wählt dann diejenige Alternative, bei der das Produkt aus dem Nutzen und der Wahrscheinlichkeit des Auftretens des erwünschten Handlungsergebnisses maximal ist. Im Sinne der Nutzenmaximierung wird die Tätigkeit gewählt, die dem Betroffenen wichtig ist. Ein hohes Anstrengungsniveau wird jedoch erst dann angestrebt, wenn das zu erwartende Ergebnis nicht nur eine hohe Bedeutung hat, sondern wenn zugleich auch die Wahrscheinlichkeit hoch eingestuft wird, dass die Anstrengung lohnt und das Ziel erreicht wird. So ist z. B. einem Mitarbeiter das Produkt, das er herstellt, sehr wichtig. Doch erst wenn er sich sicher ist, dass das Produkt auch gekauft wird, wird er sich vermehrt anstrengen. Ziele spielen eine wichtige Rolle bei der Motivation, denn sie bringen Handlungen in Gang. Sie spielen besonders im Kontext von Mitarbeiterführung eine wichtige Rolle (z. B. Nerdinger, 1995; von Rosenstiel & Comelli, 2003). Ziele sind langfristig ausgerichtet, verleihen dem Handeln Stabilität, Konsistenz und Sinn (Brunstein & Maier, 1996). Nach Forschungen von Locke und Latham (1990) sollten Ziele präzis und eindeutig formuliert sein. Ein vages Ziel wäre z. B. „Tun Sie Ihr Bestes!", ein spezifisches Ziel: „Erstellen Sie einen Kostenplan bis nächsten Dienstag". Schwierige und herausfordernde Ziele fuhren zu besseren Leistungen als mittlere oder leicht zu erreichende Ziele. Dasselbe gilt für herausfordernde und präzise definierte Ziele. Ziele sollen widerspruchsfrei sein und müssen von den Mitarbeitern akzeptiert werden, nur so können sie eine motivierende Funktion haben. Es ist z. B. die Aufgabe von Führungskräften, Ziele nicht nur zu setzen und dem Mitarbeiter zu verdeutlichen, sondern besser noch, sie gemeinsam mit dem Mitarbeiter festzulegen und zu vereinbaren. Wichtig ist für beide Seiten, dass sie von der Bedeutsamkeit des Ziels - z. B. den Kunden zufrieden zu stellen - überzeugt sind. Eine längerfristige Bindung an ein Ziel erfolgt dadurch, dass der Mitarbeiter auch überzeugt ist, das Ziel erreichen zu können. Ziele müssen daher repräsentativ für das Aufgabengebiet sein und mit dem Belohnungssystem übereinstimmen. Für die Motivation sind auch willentliche Prozesse wichtig, d. h. um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, müssen konkrete Handlungsschritte unternommen werden. Heckhausen (1989) hat hierfür ein idealtypisches Modell der Handlung entworfen, das deren Verlauf in vier Phasen einteilt (Abb. 23): In der ersten Phase geht es um Wünsche und das Ab60
wägen, welcher Wunsch bzw. welche Handlungsalternative gewählt wird (Abwägephase). Zum Beispiel überlegt sich der Kunde die Vor- und Nachteile verschiedener Produkte. Ist dann eine Entscheidung getroffen worden, hat man - analog dem historischen Vorbild Julius Cäsars - nach Heckhausen den Rubikon überschritten gibt es nach dieser Entscheidung kein Zurück mehr. Diese Phase mündet dann aber in der Intentionsbildung, d. h. man legt sich dann auf ein bestimmtes Ziel fest, das man dann gegen andere Intentionen konsequent verfolgt (Planungsphase). Der Kunde hat sich also jetzt für ein bestimmtes Produkt entschieden. Nach diesem Modell befindet er sich jetzt in der Phase der Volition, konkrete Handlungsschritte werden für den Kauf geplant und durchgeführt. Man fühlt sich nun verpflichtet, das gewählte Vorhaben auch zu realisieren. Das Ziel wird verbindlich. Dann folgt die Phase des Handelns - das gewählte Ziel wird umgesetzt. Nach der Aktion folgt jedoch wieder eine Phase der Bewertung. Vergleicht man diese Phase mit einer Kaufentscheidung, so wäre dies die „Nachentscheidungsphase", in der der Kunde über seinen vollzogenen Kauf noch einmal nachdenkt. In der letzten Phase wird das Ergebnis der Handlung bewertet und der Handlungszyklus beginnt von vorne.
MOTIVATION
VOLITION
VOLITION
MOTIVATION
Prädezisional
präaktional
aktional
postaktional
WÄHLEN
ZIELSETZUNG
HANDELN
BEWERTEN
Abb. 23: Das Rubikonmodell der Handlungsphasen nach Heckhausen (1989); Nerdinger (1995)
Anwendungen fand dieses Modell auf wirtschaftspsychologische Fragestellungen z. B. für den Prozess der Stellensuche und für die Motivation, einmal eine Stelle im Ausland anzunehmen. Für den Prozess der Stellensuche wurde die Selbstselektion beim Übergang vom Studium in den Beruf anhand des Handlungsmodells von Heckhausen aus den rückblickenden Aussagen der Befragten rekonstruiert (Spieß & Nerdinger, 1991). Unter die Abwägephase wurden die Ziele bei der Stellenwahl subsummiert. Die Planungsphase betraf die Stellensuche selbst, in der gezielt nach einer Stelle in einem Unternehmen gesucht wurde. Als Handlungsphase galt das Vorstellungsgespräch. Die abschließende Bewertungsphase ist der erfolgreiche Berufsstart der Befragten, in der sie die Stellensuche als gezielt geplant darstellen. Für die Motivation, einmal eine Stelle im Ausland anzustreben, wurden Personen danach unterschieden, ob sie diesen Wunsch bei einer Befragung nur einmal angeben (dann sind sie noch in der Abwägephase), oder ob sie bei der Wiederholungsbefragung immer noch diesen Wunsch hegen. Dann befinden sie sich in der Planungsphase, d. h. es werden gezielte Schritte unternommen, um eine entsprechende Stelle zu finden. Der Entschluss, ins Ausland zu gehen ist bereits gefallen. In der Studie zeigte sich entsprechend der Theorie, dass für die beiden Phasen unterschiedliche Kriterien Bedeutung hatten: In der Abwägephase waren arbeitsbezogene Werthaltungen und bereits gemachte Ausländserfahrungen wichtig, die für die Planungsphase hingegen keine Rolle spielten. Hier waren unternehmensspezifische Informationen relevant. Es zeigte sich allerdings, dass berufliche und private Ziele hierbei miteinander konfligierten, denn verheiratete Personen gaben das
61
Ziel, einen Auslandsaufenthalt zu machen, häufiger wieder auf (Spieß & Wittmann, 1999). Vertiefende Literatur: Heckhausen, H. (1989). Motivation und Handeln. Göttingen: Hogrefe.
4.1.5
Attribution
In den verschiedensten Wirtschaftsprozessen stellen sich Fragen nach den Ursachen bzw. der Ursachenzuschreibung. Zum Beispiel: Liegt es an der Politik, dass der wirtschaftliche Aufschwung auf sich warten lässt? Sind die Manager unfähig, wenn ein Unternehmen konkurs geht? Sind die Arbeitslosen selbst an ihrer Situation schuld? Dahinter steht häufig auch die Frage nach der Verantwortlichkeit für die jeweiligen Handlungen. Die kognitiv orientierte Attributionstheorie geht davon aus, dass Menschen Verhalten beobachten und versuchen, dafür Ursachen zu finden. Die Forschungen zum Attributionsprozess zeigen, dass Menschen in ihrer Verhaltensbeurteilung konsistent sind: Es gibt ein Vierfelderschema mit den Dimensionen Zeit (stabil/variabel) und den Ort bzw. die Lokalisierung (internal/external) der wahrgenommenen Ursachen (Abb. 24). Es wird angenommen, dass die Person entweder aus innerem Antrieb gehandelt hat (internale Attribution) oder ihr Handeln durch die Umstände verursacht (externale Attribution) ist. Ebenso kann das Verhalten stabil oder instabil sein. Somit ergeben sich vier Varianten der Attribution eines Verhaltens: Wird das Verhalten internal und stabil attribuiert, wird die Fähigkeit einer Person als Ursache gesehen. Wird das Verhalten hingegen als internal und variabel attribuiert, liegen die wahrgenommenen Ursachen bei der mangelnden Anstrengung. Wird das Verhalten external und stabil attribuiert, werden die Ursachen in der Schwierigkeit einer Aufgabe gesehen. Wird das Verhalten external und variabel attribuiert, wird der Zufall als Ursache angenommen. Hierbei geht es um subjektive Zuschreibungen. Wahrgenommene Ursachen Zeit
In der Person (internal)
In den Umständen (external)
Stabil
Fähigkeit
Aufgabenschwierigkeit
Anstrengung
Zufall
Variabel
Abb. 24: Das klassische Kausalschema der Attribution nach Weiner (1972)
In neueren Forschungen wurde dieses Schema noch um eine dritte Dimension, die Kontrollierbarkeit erweitert. Dies bedeutet, dass in die Überlegungen zur Ursachenattribution miteinbezogen wird, ob ein Verhalten absichtlich oder unabsichtlich ausgeführt wird. Die psychologische Forschung hat verschiedene Formen der Attributionsverzerrungen festgestellt. So gibt es eine allgemeine Vorliebe, wahrgenommene Ursachen auf die Person zu attribuieren. Personale und dispositionale Faktoren werden überschätzt, die Rolle der Si62
tuation hingegen wird unterschätzt (fundamentaler Attributionsfehler). Ebenso gibt es einen Attributionsunterschied zwischen Handelndem und Beobachter: Wer handelt, sieht die Ursachen für Fehlverhalten eher in der Situation, während Beobachter von Handelnden die Ursachen in stabilen Persönlichkeitsmerkmalen vermuten. Die Attributionstheorie hat besonders Anwendung in der Führungsforschung gefunden. Wie eine Führungskraft das Verhalten ihres Mitarbeiters attribuiert, ob sie Fehlverhalten eher der Person oder der Situation zuschreibt, hat Konsequenzen für dessen Verhalten (Neuberger, 2002). Williamson und Wearing (1996) haben in 95 Interviews die Laienvorstellungen von Australieren über ökonomische Prozesse erhoben. Sie gehen dabei der Annahme aus, wonach Laien ökonomische Prozesse diskutieren und insbesondere die Probleme entweder Personen in Institutionen zuordnen oder externalen, unkontrollierbaren Faktoren. Eine Inhaltsanalyse der Interviews ergab, dass die Interviewpartner häufig ökonomische Variablen mit nicht ökonomischen Variablen kombinierten. Insgesamt spiegeln die Interviews auch die in Meinungsumfragen ermittelten widersprüchlichen Einstellungen wieder, wonach die meisten Befragten ein Interesse an reduzierten Steuern und Regierungsausgaben haben, auf der anderen Seite aber mehr Ausgaben für spezifische Regierungsaufgaben wünschen wie z. B. Gesundheit, Ausbildung und Umwelt. Ebenso zeigt sich, dass die meisten wenig über ökonomische Prozesse informiert und den Zusammenhang zwischen Regierungsausgaben und Besteuerung nicht verstanden. Häufig wurden stereotype Angaben gemacht nach dem Motto „die Australier sind faul", wobei man sich selbst nicht zu dieser Kategorie zählte. Vertiefende Literatur: Rudolph, U. (2003). Motivationspsychologie.
4.1.6
Weinheim: Beltz.
Kompetenz
Menschen brauchen neben entsprechender beruflicher Qualifikationen zunehmend auch verschiedenste Kompetenzen, um ihr berufliches und privates Leben zu meistern. Dies entspricht einer Transformation von der Wissensgesellschaft in eine Kompetenzgesellschaft (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2003). In der Literatur gibt es verschiedene Operationalisierungen von Kompetenzkonstrukten (Pietrzyk, 2001). Das Gemeinsame all dieser Konstrukte besteht darin, dass Kompetenz über Kognitionen hinaus geht. Berufliche Handlungskompetenz wird definiert als „Integration kognitiver, emotionaler, motivationaler, volitiver und sozialer Aspekte menschlichen Handelns in der Arbeitssituation" (Erpenbeck & Heyse, 1996, S. 19). Grundlagenarbeit zu Kompetenzen von Führungskräften stammt aus dem anglosächsischen Bereich, wobei es einen Unterschied zwischen dem amerikanischen und dem britischen Ansatz gibt. Im amerikanischen „Competencies"-Ansatz geht es darum, herausragende Leistungen unter Führungskräften zu identifizieren. Der Schwerpunkt liegt auf der Person. Im britischen Ansatz geht es darum, Minimalstandards aller Mitarbeiter zu definieren, der Schwerpunkt liegt hier auf der Tätigkeit. In der Kompetenzliteratur wird weiterhin zwischen „Generic Competencies" und „Organic Competencies" unterschieden. Generic Competencies betreffen allgemeine Kompetenzen über alle Personen und Positionen hinweg. Die Organic Competencies sind hingegen kontext- und organisationsspezifisch.
63
McClelland (1973) schlug als Alternative zu den traditionellen Wissens- und Intelligenztests die Identifikation von Kompetenzen vor. Er gründete zusammen mit seinen Mitarbeitern 1963 die McBer Consultancy Company, die Kompetenzen misst und trainiert, die im Zusammenhang mit der Leistung in verschiedenen organisationalen Rollen und Organisationen entstehen (Winter, 1998). Die Kompetenzen sind nur durch die Performanz, d. h. in der Anwendung und Handlungsausführung zu erklären. Kompetenz ist eine Form von Zuschreibung aufgrund eines Beobachterurteils. Dem Handelnden werden aufgrund von bestimmten beobachtbaren Verhaltensweisen bestimmte Dispositionen als Kompetenzen zugeschrieben. Kompetenzen befähigen eine Person, spezifische Verhaltensweisen zu zeigen, die zu entsprechenden Ergebnissen führen. Jedoch nur im Zusammenwirken mit der Organisationsumwelt, von Tradition und Kultur, kann es zu einer effektiven Leistung kommen (Boyatzis, 1982; Rabl, 2003). Kauffeld, Grote und Frieling (2000) verstehen Kompetenzen als Dispositionen, selbstorganisiert zu handeln. Die Fähigkeit zur Selbstorganisation bedeutet, dass sich der Einzelne selbst Ziele setzt, Pläne und Strategien zu deren Umsetzung testet und aus den dabei gemachten Erfahrungen lernt. Kompetenzen erweisen sich letztendlich in der Bewältigung konkreter Handlungssituationen (Erpenbeck & Heyse, 1999). Die Autoren unterscheiden vier Dimensionen der Kompetenz: die Fach-, die Methoden-, die Sozial- und die Selbstkompetenz. -
Fachkompetenz: organisations-, prozess-, aufgaben- und arbeitsplatzspezifische berufliche Fertigkeiten und Kenntnisse. Wichtig ist dabei die Fähigkeit, dieses Wissen sinnorientiert einzuordnen und zu bewerten, Probleme zu erkennen und zu analysieren und Lösungen selbstständig zu entwickeln.
-
Methodenkompetenz: in der Lage sein, Entscheidungen zu treffen und Prioritäten zu setzen, über ein Methodeninventar zur Strukturierung und Operationalisierung von Problemstellungen verlugen und Kommunikations-, Präsentations- und Visualisierungstechniken beherrschen. Es sind dies ganz allgemein die Strategien zur Umsetzung des Wissens.
-
Sozialkompetenz umfasst das korrekte Einschätzen der eigenen Stärken und Schwächen, aktive und passive Kritikfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Empathie und Offenheit für Veränderungen. Sie beinhaltet auch die Fähigkeit, Handlungspläne gemeinsam zu entwickeln und durchzuführen sowie die eigene Tätigkeit mit anderen zu koordinieren (König, 1992, S. 2046).
-
Selbstkompetenz schließlich meint aktive Gestaltung, Eigeninitiative, Selbstmanagement, das Annehmen von Herausforderungen und Eigenverantwortung.
Soziale Kompetenz ermöglicht in Verbindung mit fachlicher und methodischer Kompetenz die Handlungskompetenz eines Individuums (Faix & Laier, 1991, S. 36). Kompetenz wird auch als Handlungsressource verstanden. Weitere Formen von Kompetenz sind z. B. die kommunikative und die interkulturelle Kompetenz (vgl. Kapitel 11.3). -
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Kommunikative Kompetenz bezieht sich über die grundlegende Fähigkeit zu kommunizieren hinaus auf eine situationsangemessene Kommunikation. Kommunikative Kompetenz ist immer nur relativ, d. h. auf einen bestimmten sozialen Kontext, eine bestimmte Kultur und deren typische Interaktionsweisen bezogen. Mit „kommunikativer Kompetenz" wird daher häufig weitgehend dasselbe gemeint wie mit „sozialer Kompetenz" (Spitzberg & Cupach, 1984).
Der Kernpunkt von KompetenzKultur/Gesellschaft entwicklung besteht in der Selbstorganisationsfähigkeit der Individuen. Die Lernresultate aus der Kompetenzentwicklung beziehen die Aneignung und Weiterentwicklung aufgabenbezogener beruflicher Fähigkeiten ebenso mit ein wie aufgabenunabhängige Fähigkeiten (z. B. kognitive Strategien) bis hin zu Einstellungen und Werthaltungen. Kompetenzentwicklung ist auch Teil der Persönlichkeitsentwicklung, wobei eine Wechselwirkung von Persönlichkeit und Arbeitstätigkeit existiert (Pietrzyk, 2001). Eine zentrale Voraussetzung für die berufliche Abb. 25: Voraussetzungen für Kompetenzentwicklung Kompetenzentwicklung (Abb. 25) ist eine entsprechende Lernkultur im Unternehmen, der wiederum die Unternehmenskultur vorausgesetzt ist, die wieteren kulturellen und sozialen Einflüssen unterliegt (vgl. Kapitel 7). Kompetenz ist ein wichtiges Konstrukt geworden, auch wenn seine Definition an Genauigkeit noch zu wünschen übrig lässt. Für den wirtschaftspsychologischen Bereich wäre eine spezielle „Wirtschaftskompetenz" zu entwickeln, die die Fähigkeit beinhaltet, in wirtschaftspsychologischen Kontexten effektiv zu handeln. In der Messung der Kompetenzen ist man allerdings schon weiter: Erpenbeck und von Rosenstiel (2003) stellen in ihrem Sammelband verschiedene Methoden zur Messung von Kompetenz vor. Vertiefende
Literatur:
Erpenbeck, J. & von Rosenstiel, L. (2003). Handbuch Kompetenzmessung. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
4.1.7 Lernprozesse Ständiger Wandel in der Arbeitswelt, Flexibilisierung und geforderte Mobilität, neue Arbeits- und Organisationsformen stellen zum Einen eine Herausforderung und Chance für den Einzelnen dar, zum Anderen verbinden sich mit dieser Entwicklung auch Befürchtungen und Ängste, denn besonders der permanente Wandel in der Arbeitswelt lässt die Halbwertszeit des Wissens und damit die individuellen Qualifikationen ständig sinken. Dies erfordert vom Einzelnen, dass er sich stets darum bemüht, neues und aktuelles berufsrelevantes Wissen zu erwerben. So wird neuerdings das Lernen nicht mehr nur mit einer bestimmten Lebensphase verknüpft - klassischerweise betraf dies die Kinder- und Jugendzeit - sondern es ergibt sich die Notwendigkeit, dass Menschen ihr ganzes Leben lang lernen. Lernen ist ein Prozess, der zu stabilen Verhaltensänderungen führt und erfahrungsabhängig ist. Dieser Prozess lässt sich nicht direkt beobachten, sondern wird aus den Verände-
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rungen von beobachtbarem Verhalten erschlossen (Zimbardo & Gerrig, 1999, S. US UR 206). Eine grundlegende Form des Lernens bildet die klassische Konditionierung, die auf den russischen Physiologen Pawlow n.S, zurückgeht. Danach lernt der Organismus, wenn zwei Reize miteinander verkoppelt CS CR werden. In den klassischen Experimenten wurde ein neutraler Reiz (CS, z. B. ein Glockenton) wiederholt mit einem unkonditionierten Stimulus (US, z. B. Nahrung) Abb. 26: Die klassische Konditionierung nach Neumann (2000) verbunden. Dies bewirkte, dass die Speichelsekretion bei Hunden auch bei dem Glockenton nach einer gewissen Zeit auftrat und somit eine ursprünglich rein reflexartige Reaktion (UR) zu einer gelernten Reaktion (CR) wird. Daraus wurden in der Psychologie fundamentale Lernprinzipien abgeleitet wie Reizgeneralisierung, das Lernen durch Verstärkung oder das Lernen am Modell. Innerhalb der Wirtschaftspsychologie findet das klassische Konditionieren als Form des Lernens besonders in der Werbung Eingang (vgl. Kapitel 6.1). Eine Weiterentwicklung der klassischen Konditionierung erfolgte durch Skinner, der zwischen reflexartigem respondenten Verhalten, das reizgesteuert ist und dem operanten Verhalten unterscheidet, das von äußeren Reizen in der Auftretenswahrscheinlichkeit beeinflusst wird. Für dieses operante Verhalten werden systematisch die Beziehungen zwischen den vorausgehenden Reizen, dem beobachtbarem Verhalten und den unmittelbaren Verhaltensfolgen wie Belohnung und Bestrafung sowie deren Wahrscheinlichkeit (Verstärkerpläne) analysiert. Diese Lerngesetze fanden Eingang in die Verhaltenstherapie. Verhaltenskonsequenzen treten ein, wenn die entsprechende Reaktion gezeigt wurde und haben so Verstärkerfunktion für das Verhalten, der instrumenteilen Konditionierung. Eine neuere Lerntheorie ist das Lernen am Modell von Bandura, wonach durch das Beobachten des Verhaltens von Modellen und seiner Folgen Lernprozesse initiiert werden können. Der Beobachter wird stellvertretend durch die Wahrnehmung der Verhaltenskonsequenzen für die Modellperson verstärkt (Bierhoff & Herner, 2002). Beobachtungslernen heißt, dass Menschen durch Beobachtung eines Modells kognitive Fertigkeiten und Verhaltensmuster erwerben, die vorher noch nicht zum Verhaltensrepertoire gehörten. Vorausgesetzt sind vier Teilprozesse: Aufmerksamkeit, Behalten, motorische Kontrolle und motivationale Prozesse. -
-
-
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Aufmerksamkeit: Von der Aufmerksamkeit hängt es ab, ob das Verhalten des Modells auch wahrgenommen wird. Für den Beobachter sind kognitive Fähigkeiten und Vorkenntnisse wichtig. Behalten: Für diese Leistung ist die kognitive Repräsentation des Erlebten wichtig. Gedankliche Wiederholungen des Wahrgenommenen unterstützen den Prozess. Motorische Kontrolle: Schwierigkeiten können bei der Ausführung dann auf-
verstärkt
erwünschte Reaktion
Belohnung
Abb. 27: Das instrumenteile Lernen nach Neumann (2000)
treten, wenn die notwendigen Fähigkeiten wie z. B. Sportlichkeit nicht vorhanden sind oder bei komplexem Verhalten. -
Motivationale Prozesse: Diese Prozesse werden durch drei Anreize mitbeeinflusst: direkte, stellvertretende und selbstgesetzte Anreize.
Für die Ausführung einer Handlung ist die wahrgenommene Selbstwirksamkeit, d. h. die subjektive Überzeugung einer Person, ein bestimmtes Verhalten auch erfolgreich ausführen zu können, wichtig. Davon abgegrenzt gibt es eine weitere subjektive Einschätzung, die Ergebniserwartung. Menschen können zwar davon überzeugt sein, dass ein bestimmtes Verhalten zu bestimmten Ergebnissen führt (z. B. mit dem Rauchen aufzuhören unterstützt die Gesundheit), doch können sie an der Selbstwirksamkeit zweifeln, dieses Verhalten auch auszuführen. Die generelle Selbstwirksamkeit wird als stabile Persönlichkeitsdisposition betrachtet (Jonas & Brömer, 2002). Lernen spielt auch in der Arbeitswelt im Zuge des lebenslangen Lernens eine zunehmend wichtigere Rolle. Das Konzept des „lebenslangen Lernens" besagt, dass Lernen nicht mit der Schulbildung abgeschlossen ist, sondern ein das ganze Leben überdauernder Prozess der ständigen aktiven und lernenden Auseinandersetzung mit neuen Herausforderungen darstellt. Bisherige Qualifizierungsansätze haben die einzelnen Lernphasen in Kindergarten, Schule, Berufsausbildung und Arbeitsleben meist getrennt betrachtet. Dies genügt angesichts des kontinuierlichen Wandels in der Arbeitswelt nicht mehr (Große-Jäger, Sieker & Graat, 2003). Nach der Definition der Europäischen Union soll lebenslanges Lernen der Verbesserung von Wissen, Qualität und Kompetenzen dienen und im Rahmen einer persönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen bzw. beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgen (vgl. Mitteilung der Kommission der EU zum Thema „Einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens schaffen" vom 21.1.2001). Das lebenslange Lernen erfolgt deshalb nicht mehr nur durch institutionalisierte und formalisierte Wissensvermittlung, sondern umfasst neben dem formalen Lernen, wie es bislang in den klassischen Ausbildungs- und Weiterbildungsstätten auch nichtformales Lernen und informelles Lernen: -
Nichtformales Lernen, d. h. Lernen, das nicht in einer Bildungseinrichtung stattfindet und das nicht zertifiziert wird.
-
Informelles Lernen, d. h. Lernen das im Alltag, am Arbeitsplatz, in der Familie und in der Freizeit stattfindet.
Die Diskussion über selbstorganisiertes Lernen in der beruflichen Weiterbildung und die Aufwertung informeller Lernprozesse rückt den Lernenden in den Mittelpunkt (Tully, 2003). Dem Konzept des selbstorganisierten Lernens kommt in der betrieblichen Weiterbildung besondere Bedeutung zu, da die Lernenden hier bereits über eigene Erfahrungshintergründe, Kenntnisse, Erwartungen und Interessen in Bezug auf ihre Qualifizierung verfügen, denen vorstrukturierte Curricula und feststehende Lehrmethoden nicht entsprechen können (Heyse & Erpenbeck, 1997). Voraussetzungen der Selbstorganisation des Lernens sind: -
die Lernautonomie der Akteure (freie Wahl der Lernmethoden, Lernmedien und Lernzeiten),
-
die Lerneignung des physischen Umfelds (Ausstattung mit Lernmitteln, Zugriffsmöglichkeiten auf externe Wissensressourcen, keine beeinträchtigenden Umgebungsbedingungen),
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-
das lernförderliche Verhalten der Vorgesetzten,
-
die Lernkompetenz der Akteure.
Selbstorganisiertes Lernen in der betrieblichen Bildung findet in sozialen Zusammenhängen statt. Lernen stellt spezifische Anforderungen an den Lernenden, die Lernumgebung und an denjenigen, der lehrt. So sind von den Lernenden Eigenaktivität, Selbstmotivation, Bewusstheit über die eigenen Lernbedürfnisse, das Festlegen der eigenen Lernziele, das Entwickeln einer angemessenen Lerastrategie und die Evaluation des Lernergebnisses gefordert (Geldermann & Spieß, 2001). Die Anforderungen an die Gestaltung der Lernumgebung selbstorganisierten Lernens bestehen zum einen in einem Methodentraining und zum anderen in einer eher indirekten Förderung, in dem die Lernenden in die Planung des Lernprozesses mit einbezogen werden. Das Verhältnis des Lernenden zum Lehrenden verändert sich: Selbstorganisiertes Lernen soll von den Lehrenden kompetent begleitet werden, womit sich dessen herkömmliche Lehrerrolle grundlegend ändert. Selbstorganisiertes Lernen am Arbeitsplatz verändert auch die Rolle des Vorgesetzten in den Unternehmen: Er muss diese neuen Lernprozesse durch sein Engagement unterstützen. Dies setzt voraus, dass er den Mitarbeitern ihre Verantwortung zur eigenen Weiterentwicklung auch zugesteht und ermöglicht. Er muss ihnen entsprechende Handlungsund Entscheidungsspielräume geben, ihren Lernprozess beratend begleiten, Feedback geben, Fehler als Lernchance zulassen. Letztendlich kann dies nur gelingen, wenn das Lernen im Rahmen der ganzen Organisation als ein dauerhafter, selbstregulierter und selbstverständlicher Prozess verstanden wird (Dubs, 2000, S. 99). Die Bedeutung lebenslangen Lernens kann am Beispiel des Arbeitschutzes gezeigt werden: Das traditionelle Ziel des Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutzes besteht darin, schädigende Auswirkungen der Arbeit innerhalb und außerhalb einer Organisation zu vermeiden. Mit Hilfe von traditionellen Arbeits- und Gesundheitsschutzvorschriften sollen kurz- und langfristige Gesundheitsschäden vermieden werden. Bei dieser traditionellen Sichtweise stehen die negativen Folgen wie Unfälle und Berufskrankheiten im Vordergrund. Wichtig ist es jedoch in diesem Bereich verstärkt präventiv tätig zu werden. Dafür ist eine Sichtweise bedeutsam, die Sicherheit, Gesundheit und eine intakte Umwelt als primäre Ziele ansieht und Unfälle und Berufskrankheiten als Folge von Defiziten (Wenninger, 1999). Um diese Ziele zu erreichen, müssen sich auch das Verhalten der Akteure und die Verhaltensbedingungen ändern. Zielvorstellung ist daher, diese verschiedenen Bereiche in das Konzept eines lebenslangen Lernprozesses zu integrieren. Künftig genügt es z. B. im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes nicht mehr, nur eine einmalige Qualifizierung - eine Unterweisung am Arbeitsplatz - durchzuführen. Vielmehr sollen arbeitswissenschaftliche und arbeitspsychologische Erkenntnisse in den Bereichen von Sicherheit und Gesundheitsschutz in alle Lebensphasen übernommen werden. Dazu zählt auch die Sensibilisierung für solche Fragestellungen, d. h. dass man ein Bewusstein schafft für die Themen von Sicherheit und Gesundheit. Zielvorstellung sind ganzheitliche Qualifizierungsmodelle, die das gesamte Lebensumfeld (Lernorte, Lehrende und Lernende) miteinbeziehen (Große-Jäger, Sieker & Graat, 2003). Vertiefende Literatur: Heyse V. & Erpenbeck J. (1997). Der Sprung über die Kompetenzbarriere. Kommunikation, selbstorganisiertes Lernen und Kompetenzentwicklung von und in Unternehmen. Bielefeld: W. Bertelsmann.
68
4.1.8 Entscheidungsprozesse Zahlreiche, besonders ökonomische Entscheidungstheorien gehen von einem Menschenbild aus, wonach Menschen Entscheidungen rational kalkulierend vollziehen. Handlungsalternativen werden gesucht und bewertet, Kosten und Nutzen gegeneinander abgewogen und die am günstigsten erscheinende Handlungsoption wird gewählt. Entscheidungen sind Situationen, in denen eine Person mindestens zwischen zwei Optionen wählt (Jungermann, Pfister & Fischer, 1998). So interessiert beim Konsumentenverhalten die Wahl zwischen verschiedenen Produkten oder Dienstleistungen. In der präskriptiven Entscheidungstheorie, die in den Wirtschaftswissenschaften dominiert, geht man von den Optionen aus, die eine Person wählen sollte, wenn sie sich rational verhält. Dazu werden Ziele, Optionen, Umweltbedingungen, mögliche Ergebnisse und deren Wahrscheinlichkeiten und Nutzen ermittelt und mit Regeln der Entscheidungslogik verknüpft. Die Annahme lautet, dass es dem Einzelnen im Wirtschaftskontext um Nutzenmaximierung geht. In der deskriptiven Entscheidungsforschung, die in der Psychologie vorherrscht, wird hingegen das tatsächliche Verhalten der Menschen bei Entscheidungen untersucht. Demnach folgen menschliche Entscheidungen häufig ihrer eigenen „Psycho-Logik" (Nerdinger, 2001). Menschliche Entscheidungen sind nicht nur von der Ratio geprägt, sondern vielfach spielen Emotionen und irrationale Wünsche und Ängste eine große Rolle. So gibt es impulsive Kaufentscheidungen, bei denen besonders die Gefühle handlungsleitend sind. Entscheidungen, die nicht der Regel entsprechen, wurden insbesondere von Kahneman und Tversky (1973) untersucht. Demnach hängt die Art und Weise, wie Menschen Entscheidungen treffen auch davon ab, mit welchen Entscheidungsalternativen sie konfrontiert werden. Entscheidungen sind Resultat eines aktiven Konstruktionsprozesses; es wird von einer „kontextabhängigen Entscheidungsstrategie" gesprochen (Bierbrauer, 1996). Eine Asymmetrie zwischen Verlust- und Gewinnsituationen motiviert Menschen dazu, bei drohenden Verlusten risikoreiche Verhaltensalternativen zu wählen. Damit sollen die drohenden Verluste abgewendet werden. Bei der Aussicht auf einen Gewinn wird eher eine risikovermeidende Strategie benutzt. Zwei Phänome, bei denen es zu einer Verhinderung einer „vernünftigen" Entscheidung in Gruppen kommt, sollen stellvertretend für viele andere herausgegriffen werden: Das „Risky-shift"- und das „ Group-think "-Phänomen. Das Risky-shifi-Phänomen - die Tendenz von Gruppen, riskantere Entscheidungen zu treffen - wird inzwischen eher als Sonderfall angesehen, der eintritt, wenn Risikobereitschaft eine Gruppennorm ist. Hofstätter (1993) hat zur Erklärung dieses Phänomens fünf Hypothesen aufgestellt: -
In Gruppen kommt es zu einer Diffusion der Verantwortung,
-
die Gegenwart anderer Personen ermutigt, riskantere Entscheidungen zu treffen,
-
Personen, die in der Diskussion einen größeren Einfluss ausüben, zeigen eine höhere Risikobereitschaft,
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in Gruppen wirken soziale Normen, die eine hohe Risikobereitschaft betonen,
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es gibt eine zunehmende Vertrautheit mit dem Problem, die „den Eindruck seiner Gefährlichkeit verringert" (ebd., S. 137). 69
Gruppendenken (group think) - eine bei massivem Uniformitätsdruck auftretende Pseudogewissheit - bedeutet, dass hochkohäsive Gruppen unter einem großen Druck stehen und so dissonante Informationen, d. h. widersprüchliche Informationen, abwehren (Janis, 1982). Dieses Phänomen tritt besonders bei Entscheidungen unter Stress, bei ungeklärten Befugnissen und schlecht organisierten Entscheidungsregeln auf. Relevante Informationen werden verzerrt wahrgenommen. Die Folge können schwerwiegende Fehlurteile sein. Moser, Hahn und Galais (2000) haben den Einfluss von Expertentum auf das Ausmaß eskalierenden Commitments (Bindung) bei Entscheidungen untersucht. Es zeigte sich, dass Experten in fiktiven Szenarien weniger investierten und entsprechend geringeres Commitment entwickelten als Laien. Das Konzept des „eskalierenden Commitments" besagt, dass eine Neigung von Entscheidungsträgern besteht, an einmal getroffenen Entscheidungen, auch wenn sie sich als erfolglos erweisen, weiterhin festzuhalten. Dafür lassen sich zahlreiche Beispiele aus dem Alltag wie auch aus Wirtschaft und Politik anführen: Zum Beispiel investieren Entscheidungsträger Millionenbeträge in Projekte, die sich als längst marode herausgestellt haben. Typisch ist, dass zu Beginn eine Investition getätigt wird, die sich mit der Erwartung verbindet, dadurch ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Wenn dieses Ziel nicht erreicht wird, kann die Bindung an die Entscheidung eskalieren, d. h. man hält wider besseren Wissens weiterhin an dieser Investition fest. Häufig wollen die Entscheidungsträger nicht zugeben, dass sie eine falsche Wahl getroffen haben und die Investition umsonst war. Es gibt Belege, dass eskalierendes Commitment besonders dann zu erwarten ist, wenn der Entscheidungsträger für andere sehr deutlich für negative Konsequenzen verantwortlich ist oder wenn die Entscheidung öffentlich vertreten wurde. Vertiefende Literatur: Jungermann, H., Pfister, H. R. & Fischer, K. (1998J. Die Psychologie der Entscheidung. Eine Einführung. Heidelberg: Spektrum.
4.1.9 Selbst und Identität Das Selbst und Fragen der Identität sind für viele wirtschaftspsychologische Anwendungsfelder relevant: So wurde z. B. in der Arbeitslosenforschung festgestellt, dass ein längerer Prozess der Arbeitslosigkeit das Selbstwertgefühl schädigen kann (vgl. Kapitel 10). Auch Verkäufer müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen, den Selbstwert des Kunden berücksichtigen (vgl. Kapitel 6.3). Die Wahrnehmung und die Bewertung der eigenen Person steuert die Verarbeitung selbstbezogener Informationen (Schütz & Laux, 2000). Die Fähigkeit zur Selbstreflexion ist ein zentrales Merkmal von Menschen: Nur der Mensch kann sich selbst zum Objekt der Reflexion machen und verfügt über ein „Selbst" (Schütz, 2003). Der Psychologe William James (1890) unterschied zwei Formen des Selbst: Das Selbst als Subjekt der Betrachtung (Seif as knower) und das Selbst als Objekt der Betrachtung (Seif as known). Selbstkonzept und Selbstwertgefühl sind Bestandteile des Selbst als Objekt der betrachtung - „Seif as known" - und beruhen auf den Wahrnehmungs- und Bewertungsprozessen des Subjekts der Betrachtung. Wie sich Menschen wahrnehmen und bewerten wirkt sich auf ihr Erleben und Verhalten aus. Meist wird die positive Einstellung zur eigenen Person als wichtiger Teil psychischer Gesundheit verstanden. Das Selbstkonzept ist eher deskriptiv aufzufassen, während das Selbstwertgefühl eine evaluative Komponente des Selbst darstellt. Häufig wird das Selbstwertgefühl als zentraler Aspekt des Selbst be70
zeichnet. Die Bedeutsamkeit des Selbstwertgefiihls wird z. B. deutlich wenn eine Person von einer anderen Hilfe empfängt, denn der Erhalt von Hilfe kann den Selbstwert des Hilfeempfängers bedrohen (Bierhoff, 1998). Das Selbst ist ein viel beforschtes Thema innerhalb der Psychologie (Schütz, 2003). Persönlichkeits- und sozialpsychologische Studien untersuchen besonders die intrapersonale Dynamik des Selbstwertgefühls, z. B. selbstwertdienliche Verzerrungen, die Verarbeitung selbstwertrelevanter Rückmeldungen oder die Reaktionen auf Erfolge oder Misserfolge. Als Quellen für den Selbstwert werden die Wahrnehmung der eigenen Leistung, soziale Vergleiche und Anerkennung durch Dritte genannt. Ein häufig ermittelter Befund ist, dass Personen mit einem hohen Selbstwertgefühl ihre Fähigkeiten auch höher bewerten als Personen mit einem niedrigen Selbstwert. Ebenso beruht deren Selbstwertgefühl auf einer stabileren Basis. Allerdings wird ein positiver Zusammenhang von Selbstwertgefühl und Sozialverträglichkeit angezweifelt: Personen mit hohem Selbstwertgefühl neigen auch dazu bedrohliche Informationen zu negieren oder zu verdrängen. Mitunter werden diese Personen als arrogant und überheblich erlebt. In der Literatur wird berichtet, dass Personen mit hohem Selbstwertgefühl besonders resistent gegen Kritik sind und auch besonders defensiv auf Kritik reagieren. Hier wird von Schütz (2003) eine differenzielle Betrachtungsweise vorgeschlagen, wonach es Personen mit einer stabilen Selbstakzeptanz gibt, die Kritik annehmen können, Menschen, die sich durch eine egozentrische Selbstaufwertung auszeichnen und dazu neigen Kritik abzuwehren und Menschen, die durch Kritik starke Selbstwertschwankungen erleben. Einerseits wird in der Literatur von einem positiven Sozialverhalten und hoher Beliebtheit bei Personen mit hohem Selbstwertgefühl ausgegangen, andererseits werden mit diesen Personen auch sozial problematische Selbstdarstellungsstile verbunden. Ein hohes Selbstwertgefühl ist also nicht unbedingt positiv zu bewerten. Schütz schlägt vor, von Selbstbewertung oder Selbsteinschätzung statt von Selbstwertgefühl zu sprechen. Ein weiterer wichtiger Forschungsgegenstand ist die interpersonelle Dimension. Demnach wird das Selbst als ein „soziales Konstrukt" verstanden. Das Selbstkonzept und das Selbstwertgefühl wird in Zusammenhang mit der vermuteten Wahrnehmung durch andere gesehen. Es wird untersucht welche Rolle externe, soziale Einflussfaktoren wie z. B. Lob und Kritik oder soziale Unterstützung auf das Selbstwertgefühl haben. Ebenso gibt es einen grundlegenden Unterschied im Verständnis des Selbst in Abhängigkeit von Individualismus und Kollektivismus: Individualistisch orientierte Personen definieren das Selbst als eine autoMutter nome Einheit, während Personen mit einer kollektivistischen Werteorientierung das Selbst mehr in Abhängigkeit von anderen Personen der verschiedenen Ingroups (z. B. Familie) auffassen (Abb. 28).
Freund
Abb. 28: Das Selbst in der Sicht von Kollektivisten nach Markus & Kitayama (1991)
Die Sozialpsychologie ist noch weit von einer integrativen Theorie des Selbst entfernt, vielmehr mangelt es der vorherrsehenden Forschung oftmals an Praxisrelevanz. So sollte es an71
gesichts der Veränderungen in der Wirtschaft auch darum gehen, dass z. B. Führungskräfte zu einem veränderten Selbstkonzept gelangen, das sie innovativer und veränderungsbereiter werden lässt (Frey, 1997). Im Kontext eines beruflichen Selbstkonzeptes ist die wahrgenommene Kongruenz von Person und Umwelt wichtig, d. h., dass der Einzelne mit seiner spezifischen Arbeitsumwelt harmoniert bzw. es ihm gelingt, seine beruflichen Ambitionen und Wünsche im Berufsleben zu verwirklichen (Weinert, 1998). Selbstdarstellung (Impression-Management) spielt besonders in wirtschaftsnahen Kontexten ebenfalls eine große Rolle, etwa bei Auswahlsituationen, im Rahmen eines Assessment Centers oder auch im Verhältnis von Mitarbeiter und Führungskraft. Sie ist definiert als die absichtliche Steuerung des Eindrucks, den man auf jemanden machen will (Mummendey, & Bolten, 1993; Mummendey, 1995). Es gibt verschiedene Arten der Selbstdarstellung: Sie kann aus kurzfristig und situationsspezifischen Taktiken bestehen oder aber eine langfristig angelegte Strategien sein. Eben so kann sie assertiv oder defensiv angelegt sein. Ein assertives Auftreten demonstriert Selbstbehauptung, z. B. Expertentum und Kompetenz, während mit defensiven Techniken ein zurückhaltender und bescheidener Eindruck vermittelt wird. Selbstmanagement wird als eine Form von sozialen Fertigkeiten bzw. von sozialer Kompetenz verstanden (Kastner, 1999). Wer als sozial kompetent gilt, ist in der Lage sich situationsangemessen zu verhalten. Im Umgang mit Kollegen zeigt der sozial Kompetente z. B. Rücksichtnahme und Feingefühl. Beim Selbstmanagement geht es um eine adäquate Selbst- und Fremdwahrnehmung, um Empathie, d. h. die Fähigkeit, sich in andere hineinversetzen und hineinfühlen zu können, um Zuhören-Können, Rhetorik, und insgesamt gut mit zwischenmenschlichen Kontakten und Situationen umgehen zu können. •
Kehr (1998) hat in einem Selbstmanagementtraining für Führungskräfte, das in Zweibis Dreitägigen Seminaren stattfand, vor dem Training eine Stärken/SchwächenAnalyse und eine Teilnehmerdatenerhebung durchgeführt. Er setzte als Methoden Lehrgespräche, mentale Simulationen und Problemgespräche sowie ein Trainingsbegleitheft ein. Die Trainingsmodule bestanden aus der Lösung von Zielkonflikten, dem Kennenlernen unbewusster Motive, dem Aufbau von Willensstärke und der Reduzierung von Überkontrolle durch die Förderung des Spaßfaktors. Im Ergebnis der erfolgreich durchgeführten Trainings zeigte sich z. B., dass Führungskräfte ihre Trainingsziele dann besser realisieren konnten, wenn sie ein hohes unbewusstes Machtmotiv hatten. Ebenso erreichten Führungskräfte mit hoher Willensstärke besser ihre Ziele und erzielten höhere Umsätze. Eine starke willentliche Überkontrolle beinträchtigte hingegen die Leistung, ebenso wie wenn die Tätigkeit lustlos erledigt wurde.
Die Frage nach dem Selbst kann auch auf die Identität bezogen werden: Die zentrale Frage des „Wer bin ich?" stellt den populären Kernpunkt der Frage nach der Identität eines Menschen dar. Identitäten sind komplexe und spezifische Inhalte des Selbst (Hormuth & Otto, 1996). Das Selbstkonzept einer Person beinhaltet verschiedene Identitäten, die unterschiedliche Lebensbereiche umfassen wie z. B. den eines guten Vaters (Familie), eines passionierten Bergsteigers (Freizeit) oder eines erfolgreichen Managers (Beruf)- Je nach subjektiver Bedeutung sind diese Identitäten für den Einzelnen unterschiedlich hierarchisch angeordnet, steht z. B. für den einen der Beruf an oberster Stelle, so hat für den anderen die Familie die höchste Priorität. Einerseits ist das Selbst ein Prozess, der ständigem Wandel ausgesetzt ist und andererseits eine Struktur, die zeitlich stabil ist. Den motivationalen Aspekt von Identität thematisiert die Theorie der symbolischen Selbstergänzung von Wicklund und Gollwitzer (1982). Demnach sind Ziele, die Men72
sehen verfolgen - z. B. einmal ein erfolgreicher Geschäftsmann werden zu wollen - auch Teilbestand von Identität. In der Sichtweise von Wicklund und Gollwitzer kann bereits die Vorgabe eines Symboles für dieses Ziel, z. B. ein Aktenkoffer, für das Selbstkonzept bedeutsam sein. Die Theorie der symbolischen Selbstergänzung knüpft an Kurt Lewin an. Nach Lewin entsteht durch jede Zielsetzung ein sog. „Quasi-Bedürfnis". Dieser zielgerichtete Spannungszustand hört erst auf, wenn das Ziel erreicht wurde oder man es nicht mehr erreichen will. Wenn das Ziel noch nicht erreicht wurde, kann man Ersatzziele als Symbole der Selbstdefinition zur Schau stellen. Personen, die sich ein selbstbezogenes Ziel gesetzt haben, versuchen, den Mangel an relevanten Symbolen durch das Zurschaustellen alternativer Symbole auszugleichen (sog. „selbstsymbolisierende Handlungen"). So stattet sich mancher Student der Betriebswirtschaftslehre schon früh mit den Insignien eines erfolgreichen Bankiers aus, auch wenn er noch kein Examen abgelegt hat. Geld kann die Funktion der „symbolischen Selbstergänzung" übernehmen, d. h. es wird zum Ausdruck der eigenen Identität und der Schätzung des Selbstwertes (vgl. Kapitel 12). Das Konzept der Identität ist ein gutes Beispiel für eine Überlappung zwischen individueller und interpersoneller Ebene. Man unterscheidet personale und soziale Identität, wobei die persönliche Identität alle individuellen Merkmale umfasst wie z. B. Interessen, während sich die soziale Identität über eine Gruppenmitgliedschaft definiert. Die „Social Identity Theorie", die sich der Erklärung der sozialen Identität widmet (Tajfel & Turner, 1979), nimmt ihren Ausgangspunkt vom „minimal group paradigma", wonach bereits die Zugehörigkeit zu einer bestimmten, willkürlich gewählten Gruppe genügt, um die Mitglieder der eigenen Gruppe zu begünstigen. Soziale Identität gibt es in wechselnden Kontexten, z. B. ist eine Person sowohl Mitglied in einem Sportverein als auch in einer Partei. Ebenso wechseln diese Mitgliedschaften häufiger. Wenn sich Personen als Mitglied einer Gruppe definieren, entsteht eine Betonung der Ähnlichkeiten innerhalb der Gruppe und der Differenzen zu anderen Gruppen, die Kontraste zwischen der In- und der Outgroup verstärken sich (Turner & Haslam, 1999). Wenn die soziale Identität im Unterschied zur personalen hervorsticht, sehen sich die Menschen weniger als individuell unterscheidbare Personen, sondern vielmehr als ähnliche, prototypische Vertreter der Ingroup. Dies führt zu einer regelrechten Depersonalisierung des Selbst. Simon und Mummendey (1997) unterscheiden in Anlehnung an die Social Identity Theorie in individuelles und kollektives Selbst, wobei sie das individuelle Selbst im Sinne einer einzigartigen Selbst-Interpretation definieren, während das kollektive Selbst eher eine austauschbare, allen anderen Mitgliedern der Eigengruppe entsprechende Selbst-Interpretation ist. In dieser Sicht setzt die soziale Identität eine Erweiterung der Selbst-Interpretation voraus. Beide Formen der Identität - individuell wie kollektiv - werden jedoch sowohl ihrem Ursprung wie auch ihrem Inhalt nach, als sozial gekennzeichnet. Haslam, Eggins und Reynolds (2003) haben ein Modell zur personalen und sozialen Identität entwickelt, um die Effektivität von Organisationen zu steigern. Sie gehen davon aus, dass der Erfolg von Organisationen am Markt nicht nur von ökonomischen Faktoren abhängt, sondern dass Organisationen auch in ihren Mitarbeitern über soziales Kapital verfügen. Sie definieren es als Ressourcen, die in den Netzwerken und Beziehungen der Mitarbeiter bestehen. Das Modell, das die Autoren vorstellen, geht auf die soziale Identitätstheorie von Tajfel und Turner (1979; Tajfel 1982) zurück und verläuft in vier Phasen, an deren Ende eine neue, organische Identität der Organisation stehen soll. Begonnen wird in einer kleinen Einheit des Unternehmens und auf der individuellen Basis: Mitar-
73
beiter werden nach ihrer sozialen Identität, d. h. ihrem Gruppenzugehörigkeitsgefühl gefragt. In einer Gruppe entwerfen kleinere Einheiten und Abteilungen Ziele, die zu ihren Identitäten passen. Am Schluss wird die Organisationsleitung über die Ergebnisse informiert. Letztlich geht es darum, in Wirtschaftsorganisationen Ressourcen für Gruppenidentitäten zu entwickeln und dadurch zu einer größeren Bindung (Commitment) an das Unternehmen beizutragen. Vertiefende Literatur: Schütz, A. (2003). Psychologie des Selbstwertgeßhls.
4.2
Stuttgart: Kohlhammer.
Interpersonelle Ebene
Abbildung 29 zeigt im Überblick die psychologisch relevanten Konzepte auf der interpersonellen Ebene: Prozesse in und zwischen Gruppen, Diversität, Kooperation und Konkurrenz, Konflikt und Mediation, Verhandeln, Kommunikation, Vertrauen, Macht und Fragen der Gerechtigkeit.
Abb. 29: Psychologische Konzepte auf der interpersonellen Ebene
4.1.1 Prozesse in und zwischen Gruppen Gruppenprozesse spielen in den verschiedensten wirtschaftspsychologischen Kontexten eine entscheidende Rolle: in Unternehmen, bei Gruppenarbeit, wenn sich organisierte Gruppen begegnen wie Unternehmensvertreter und Vertreter der Arbeitnehmer, bei Fusionen von Unternehmen (vgl. Kapitel 7) oder in der Begegnung mit anderen Kulturen (vgl. Kapitel 11). Deshalb ist es sinnvoll, sich mit den Besonderheiten des menschlichen Verhaltens in Gruppen zu befassen. In der Literatur (Hertel & Scholl, in Druck) hat man sich auf eine Minimaldefinition von Gruppe geeinigt: Eine Gruppe besteht aus zwei oder mehr Mitgliedern, die gemeinsame Ziele verfolgen und somit kooperieren und interagieren müssen. Eine Gruppe kann eine besondere Wirkung auf ihre Mitglieder haben und das Verhalten in Gruppen kann sich vom individuellen Verhalten durchaus unterscheiden. Sader (1991) bestimmt den Begriff der Gruppe als „Konstruktbegriff". Häufig verwendete Bestimmungsstücke von Gruppe sind: -
Die Mitglieder erleben und definieren sich als zusammengehörig.
-
Sie verfolgen gemeinsame Ziele und teilen Normen für einen bestimmten Verhaltensbereich.
74
-
Sie entwickeln Ansätze von Aufgabenteilung und Rollendifferenzierung.
-
Sie haben mehr Interaktionen untereinander als nach außen.
-
Sie identifizieren sich mit einer gemeinsamen Bezugsperson oder einer Aufgabe.
-
Sie sind räumlich und/oder zeitlich von anderen Individuen der weiteren Umgebung abgehoben.
Ein weiteres häufiges Kriterium ist, dass ein unmittelbarer Kontakt jedes Mitgliedes mit jedem anderen möglich sein soll (von Rosenstiel, 2003). Ebenso spielt die Überschaubarkeit der Gruppe eine Rolle. Es gibt eine Unterscheidung von informellen und formal institutionalisierten Gruppen (Furnham, 1997). Formale Gruppen sind explizit eingerichtet worden, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Sie haben Rechte und Pflichten, das Verhalten ist oftmals genau vorgeschrieben und wird bei Nichtbefolgen der Regeln bestraft. Die Gruppenrollen, Strukturen und Entscheidungsprozesse sind festgeschrieben. Die formale Gruppe ist häufig dem Organigramm einer Organisation zu entnehmen. Informale Gruppen entstehen dagegen oft spontan und natürlich. Sie bestehen aus Personen unterschiedlicher Abteilungen und Hierarchiegrade und zeichnen sich durch Gemeinsamkeiten aus wie z. B. sportliche Aktivitäten oder einfach auch gemeinsame Hoffnungen oder Befürchtungen. Manchmal ist der Übergang zur „Clique" fließend. Gruppen lassen sich ebenso in Mitgliedschafts- und Bezugsgruppen unterscheiden (Bierhoff, 1998). Die Mitgliedschaftsgruppe definiert sich durch formale Zugehörigkeit, während sich die Bezugsgruppe auf der Basis einer Identifikation bildet und zu einem Orientierungspunkt für das Individuum wird. Bezugsgruppen haben eine normative und eine Vergleichsfunktion, wobei beide Funktionen im Sozialisationsprozess vermittelt werden. In Organisationen gibt es zumeist „Mitgliedschaftsgruppen". Die Ergebnisse der sozialpsychologischen Forschungen haben Hinweise geliefert, wie Gruppenstrukturen und -prozesse das Verhalten ihrer Mitglieder beeinflussen. Tuckman (1965) hat ein häufig benutztes Modell der Gruppenentwicklung vorgestellt, das die Entwicklung gemäß den fünf folgenden Stufen: „Forming, storming, norming und performing" darstellt. In der ersten Phase des „Forming" ist die Gruppenstruktur durch Unsicherheit, Verwirrung und Vorsicht gekennzeichnet. Die einzelnen Gruppenmitglieder fühlen sich vom Gruppenführer abhängig. Die Aufgabe der Gruppe in dieser Phase besteht darin, Aufgabe und Regeln festzulegen. Das „Storming" beinhaltet Konflikt, Konfrontation und Kritik des Gruppenführers. Es kommt teilweise auch zur Ablehnung der Aufgabenanforderungen. Das „Norming" zeichnet sich durch die Entwicklung von Gruppenzusammenhalt, Gruppennormen und gegenseitiger Unterstützung aus. Es ist nun ein offener Austausch von Meinungen und Gefühlen möglich, jetzt kann Kooperation beginnen. Das „Performing" bedeutet, dass die Gruppe ihre zwischenmenschlichen Probleme gelöst hat und ihre Aufgaben erfüllen kann. Die Soziometrie widmet sich vor allem der Beschreibung von Gruppenstrukturen. Die beteiligten Gruppenmitglieder werden z. B. befragt, mit wem sie am liebsten zusammenarbeiten möchten (Witte, 1994). Faktorenanalytisch wurden hierfür zwei Faktoren ermittelt: ein Beliebtheits- und ein Tüchtigkeitsfaktor. Bales und Slater (1955) haben in ihren Studien über die Führungsrollen in Kleingruppen eine Differenzierung in Aufgaben- und in sozioemotionale Rollen festgestellt. 75
Jede Gruppe entwickelt bestimmte Verhaltensstandards bzw. Gruppennormen, die das Miteinander in der Gruppe regeln. Diese Verhaltensregeln können implizit sein, d. h. sie sind selbstverständlich für das Verhalten und werden erst wahrgenommen, wenn sie durchbrochen werden. Verhaltensregeln werden aber auch formal als gültige Regeln festgeschrieben. Nonnen sind gegenüber Veränderungen relativ resistent und entsprechen häufig den durchschnittlichen ursprünglichen Präferenzen der Gruppenmitglieder („Konvergenz- bzw. Trichtermuster" der Normenbildung nach Wilke & Wit, 2002). Cartwright und Zander (1968) unterscheiden vier Funktionen der Gruppennormen: -
Gruppenlokomotion: Normen helfen, die Gruppenziele zu erreichen. Aufrechterhaltung der Gruppe: Normen tragen mit dazu bei, die Gruppe aufrechtzuerhalten, z. B. durch regelmäßige Treffen. - Soziale Wirklichkeit: Normen schaffen für die Gruppe einen gemeinsam geteilten Bezugsrahmen - Definition der Beziehungen zur Umwelt: Normen helfen, die Beziehungen der Gruppe nach außen zu definieren. Besonders intensive emotionale Erfahrungen werden ebenfalls in Gruppen gesucht. Selbsterfahrungsgruppen sollen dadurch, dass sie die Teilnehmer zeitlich und räumlich vom Alltag absondern und ihnen neue Spielregeln der Interaktion auferlegen, neues Bewusstsein und eine größere Sensibilität für die Umwelt schaffen. Die Bestandsaufnahme verschiedener Evaluierungsstudien kam zu der Schlussfolgerung, dass Selbsterfahrungsgruppen häufig entsprechende Effekte haben, die aber nicht lange anhalten. Als Gemeinsamkeiten der sehr verschiedenartigen gruppendynamischen Methoden gelten das Prinzip des „Hier-und-Jetzt" und die Technik der Rückmeldung (Brandstätter, 1990). Gruppen können positive und negative Einflüsse auf ihre Mitglieder ausüben. Verhalten kann hervorgerufen bzw. bestärkt werden - dies zeigt die Leistung bei Anwesenheit anderer. Eine Gruppe kann Personen emotionalen Schutz und Unterstützung gewähren. Zu den ältesten Forschungsthemen der Sozialpsychologie gehört die Frage, wie sich die Anwesenheit anderer auf die Leistung eines Individuums in einer Aufgabe auswirkt. Dabei gab es jedoch widersprüchliche Ergebnisse, einige Studien zeigten Leistungsverbesserungen als Folge der Anwesenheit anderer, andere jedoch nicht. Dies wird mit dem Aufgabentypus erklärt: Bei einfachen oder auch trainierten Aufgaben besteht Erfolgserwartung, ein Publikum kann dabei zu erhöhter Leistung motivieren. Bei schwierigen Aufgaben bzw. Aufgaben, die die Person noch nicht beherrscht, löst ein Publikum jedoch Unsicherheit und Ängste aus. Damit geht eine Erregung einher, die die Leistung in der Aufgabenerfüllung verschlechtert (Wilke & Wit, 2002). Ein wichtiger Forschungsbereich ist die Untersuchung der Beziehung der Gruppenmitglieder untereinander. Der Zusammenhalt innerhalb einer Gruppe wird als Kohäsion bezeichnet. Gruppenkohäsion beruht auf Faktoren, die die Bindung an die Gruppe erhöhen. Zum Beispiel wird Gruppenkohäsion begünstigt, 76
wenn eine äußere Bedrohung besteht, wenn die Gruppe klein und exklusiv ist, wenn die Gruppe Erfolge hat, wenn eine für alle zufriedenstellende Rollenverteilung herrscht, wenn viel Zeit gemeinsam verbracht wird, wenn es schwierig ist, Mitglied der Gruppe zu werden.
Positive Konsequenzen der Gruppenkohäsion in Unternehmen sind z. B. geringe Fehlzeiten. So kann hohe Kohäsion bei hoher Arbeitsbelastung eine Pufferfunktion haben (Titscher, 1992). Die negativen Folgen von Gruppenkohäsion verweisen auf Prozesse der Konformität. Konformität im Gruppenprozess bedeutet, dass Gruppenmitglieder in Richtung auf Gruppenregeln oder -normen beeinflusst werden (Sader, 1991). „Soziales Bummeln" und riskante Entscheidungen sind weitere negative Folgen von Gruppenprozessen (vgl. Kapitel 4.1.8). Das Phänomen des „Sozialen Bummelns" (social loafing) ist eine unbewusste Neigung, in der Leistung nachzulassen, wenn man in der Gruppe arbeitet, und zwar unabhängig davon, ob die Aufgabe interessant und bedeutungsvoll ist (Zimbardo & Gerrig, 1999). Die negative Auswirkung des sozialen Bummelns besteht darin, dass nicht nur weniger gearbeitet, sondern dass auch weniger Verantwortung übernommen wird. Latan6, Williams und Harkins (1979) haben den Ausdruck des 'social loafing* geprägt. Es spielt z. B. eine Rolle, ob der Einzelne innerhalb der Gruppe identifizierbar ist oder nicht. So wurde das soziale Bummeln eliminiert, wenn die Einzelpersonen ihre individuelle Leistung zurückgemeldet bekamen. Dafür genügte die Rückmeldung eines objektiven Standards (Bettenhausen, 1991). Viele 'social loafing'-Aufgaben sind im Grunde soziale DilemmataAufgaben. Es gibt zwei Charakteristika zur Kennzeichnung dieses Dilemmas: -
Erstens kann es sein, dass die anderen Gruppenmitglieder so viel Anstrengung unternehmen, dass die eigene Anstrengung überflüssig erscheint. Die Menschen reduzieren ihre Beiträge für die Gruppe, weil sie glauben, sie können in den Genuss des Gruppenerfolgs kommen, ohne dazu beigetragen zu haben („Free rider-Effekt").
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Zweitens kann die Kräftezurückhaltung in Leistungsgruppen auch damit zusammenhängen, dass man befürchtet, ausgenutzt zu werden und dass soziales Bummeln somit nur die Absicht beinhaltet, im Sinne der Dissonanztheorie Gleichheit wiederherzustellen („Sucker-Effekt").
Intergruppenverhalten Treffen Gruppen aufeinander, so kann zwischen diesen eine besondere Dynamik entstehen. Das zeigen besonders drastisch Begegnungen zwischen Mitgliedern verschiedener Nationen und Ethnien. Ist die personale Identität einer Person durch ihre eigene Entwicklungsgeschichte und ihre persönliche Biografie bestimmt, so sind die Mitgliedschaft in einer Gruppe bzw. das Zugehörigkeitsgefiihl zu ihr Teil der sozialen Identität dieser Person. Soziale Identität kann auch als Prozess gesehen werden, der interpersonales Verhalten in Intergruppen-Verhalten verwandelt. Da die soziale Identität mit anderen Individuen geteilt wird, ist sie weniger statisch, sondern Teil eines konstruktiven und dynamischen Prozesses. Menschen wollen den Wert der Gruppe, der sie angehören, erhöhen, weil dies ihre soziale Identität beeinflusst und diese wiederum den Selbstwert (Harquail, 1998). Simon und Mummendey (1997) vermuten, dass das individuelle Selbst weniger das Potenzial für soziale Konflikte besitzt als das kollektive, denn Intergruppen-Situationen, in denen das kollektive Selbst dominiert, provozieren weitaus eher die Konfrontation mit den anderen und die „Wir-versus-die-anderen"-Mentalität. Mitglieder einer Gruppe versuchen sich häufig gegenüber einer Außengruppe abzugrenzen, um ein positives Selbstbild zu bewahren. Dabei werden Vergleiche zwischen der eigenen und der fremden Gruppe gezogen. Allerdings vergleichen sich die Gruppenmit77
glieder nur mit Gruppen, die für sie eine persönliche Bedeutung haben bzw. ihnen als gleichwertig erscheinen (Tajfel, 1982). So vergleicht sich das Mitglied eines mittelständischen Unternehmens nicht unbedingt mit einem Großunternehmen hinsichtlich der Einführung neuer Bildungsmaßnahmen, sondern mit den Mitarbeitern eines etwa gleich großen Unternehmen mit ähnlicher Problematik. Das Verhalten zwischen Gruppen kann sehr uniform werden - die Mitglieder der Außengruppe werden dann nicht mehr als individuelle Personen wahrgenommen, sondern ihnen werden einheitliche, stereotype Merkmale zugeschrieben, zum Beispiel: Alle Firmenangehörigen dieses Unternehmens sind arrogant. Dies geht bis hin zu der Tendenz, Mitglieder der Fremdgruppe zu diskriminieren, um das eigene Selbstwertgefühl zu stärken. Verhalten gegenüber Mitgliedern von Fremdgruppen kann insbesondere unter Wettbewerbsbedingungen feindselige Züge annehmen. Besonders Gruppen, die einen „Gewinner-Verlierer-Standpunkt" einnehmen, neigen zu Aggressionen gegenüber Fremdgruppen (Brown, 2002). Vertiefende Literatur: Brown, R. (2002). Beziehungen zwischen Gruppen. In W. Stroebe, K. Jonas & M. Hewstone (Hrsg.), Sozialpsychologie (S. 537-575). Berlin: Springer Wilke, H. & Wit, A. (2002). Gruppenleistung. In W. Stroebe, K. Jonas & M. Hewstone (Hrsg.), Sozialpsychologie (S. S. 497-532). Berlin: Springer.
4.1.2 Diversität Diversität gewinnt aufgrund der Internationalisierung zunehmend auch für die Gruppenarbeit an Bedeutung. Darunter werden Unterschiede in den Werten und Einstellungen zwischen Menschen innerhalb einer Gruppe, aber auch entsprechende Unterschiede zwischen Gruppen verstanden. Weitere Unterscheidungsmerkmale sind Geschlecht, Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, Kultur und Beruf. Die empirischen Befunde zu Diversität in Gruppen gehen zumeist auf Laboruntersuchungen zurück. In diesen wurden positive Leistungseffekte ermittelt, die ihre Ursache vor allem in der unterschiedlichen Art und Weise haben, Probleme zu lösen. Dies stellt auch eine zentrale Determinante von Kreativität dar. Die wenigen Studien über Diversität von Gruppen in Organisationen weisen negative Reibungseffekte dann auf, wenn die Gruppen noch nicht lange zusammenarbeiten (vgl. Podsiadlowski, 1998). Kulturell diverse Situationen können auch Chancen in sich bergen, z. B. dann, wenn die jeweiligen kulturspezifischen Stärken nutzbar gemacht werden. Als Ziel und ideales Ergebnis der Zusammenarbeit interkulturell arbeitender Personen wird die kulturelle Synergie postuliert. Darunter wird das produktive Zusammenwirken kulturell unterschiedlicher Werte, Normen und Verhaltensweisen verstanden, wobei das Ergebnis dann - ganz im gestaltpsychologischen Sinne - mehr ist als die Summe seiner Teile (Adler, 1997). Potenzielle Vorteile interkultureller Gruppenarbeit sind die Vielfalt der Perspektiven und eine deutliche Zunahme der Kreativität. Um diese Effekte zu erhalten, bedarf es einer gezielten Moderation und Anleitung. Interkulturelle Kooperation kann durch gezielte Auswahl der Arbeitsgruppenmitglieder anhand des Kriteriums der „interkulturellen Kommunikationsfähigkeit" und durch entsprechende Fortbildung der Mitglieder effektiver werden. Die Bildung eines effizienten
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Tab. 4: Vorteile multikultureller Arbeitsgruppen (nach Kühlmann & Stahl, 2001) Vorteile Beispiele Kreativität
Mitarbeiter unterschiedlicher kultureller Herkunft entwickeln verschiedenartigste Ideen.
Entscheidungsqualität Es werden vielfältigere Gesichtspunkte und Alternativen berücksichtigt. Es gibt unterschiedliche Formen der Aufgabenerfüllung. Dadurch steigt Organisationsflexibilität auch die Anpassungsfähigkeit einer Organisation an sich verändernde Marktbedingungen. Kundennähe
Personalimage
Ausländische Mitarbeiter können bei der Markterschließung ihrer Herkunftsländer behilflich sein. Durch kulturelle Heterogenität der Mitarbeiter wird der Eindruck für die Öffentlichkeit vermittelt, dass nicht die Herkunft, sondern die Leistung zählt.
multikulturellen Arbeitsteams ist jedoch meist ein zeitaufwändiger Prozess (Kühlmann & Stahl, 2001). Vertiefende Literatur: Podsiadlowski, A. (2002). Multikulturelle Arbeitsgruppen in Unternehmen. Münster: Waxmann.
4.1.3 Kooperation und Konkurrenz Kooperation und Konkurrenz sind für die Wirtschaftspsychologie zwei zentrale Konzepte, die einerseits als gegensätzliche Verhaltensweisen aufgefasst werden, andererseits aber durchaus auch vereinbar sind. Kooperation wird als Form gesellschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Personen, Gruppen oder Institutionen bzw. als soziale Interaktion aufgefasst (Argyle, 1991). Kooperation zeichnet sich durch bewusstes und planvolles Herangehen bei der Zusammenarbeit sowie durch Prozesse der gegenseitigen Abstimmung aus (Piepenburg, 1991). Von den Partnern der Kooperation werden die öffentlich anerkannten Regeln und Verfahren akzeptiert. Kooperation setzt zudem faire Bedingungen der Zusammenarbeit voraus (Rawls, 1993). Dies beinhaltet den Grundgedanken von Gegenseitigkeit bzw. Reziprozität. Kooperation gilt somit auch als eine sozialethische Norm, als Strukturprinzip von Gruppen und Organisationen sowie als Spieler 2 Verhalten bzw. Interaktionsform und spielt beLeugnen Gestehen sonders für jede Form C D menschlicher ZusamLeugnen C 9/9 0/10 Spieler 1 menarbeit, wie sie in Gestehen D 10/0 5/5 Unternehmen organiAuszahlungsmatrix des Gefangenendilemmas: Die Auszahlung siert ist, eine große jedes Spielers wird als Einsparung gegenüber der maximalen Rolle (Korsgaard, MeGefängnisstrafe von 10 Jahrenangegeben. glino & Lester, 1997; Spieß, 1996, 1998). Sie Abb. 30: Das Gefangendilemma nach Bierhoff (1998) 79
ist häufig auch das Gegenbild der Konkurrenz, die von Wirtschaftsvertretern als Motor der Wirtschaft gesehen wird, von Psychologen häufig jedoch auch in ihren negativen Wirkungen thematisiert wird. Kooperation und Konflikt wurden experimentell vorwiegend innerhalb der Sozialpsychologie untersucht (Bierhoff, 1998; Franke & Frey, 2002). Dabei wird auf eine häufig untersuchte experimentelle Spielsituation, das Gefangenendilemma, zurückgegriffen. Jeder Teilnehmer hat zwei Alternativen: Er kann entweder mit dem Gegenspieler kooperieren oder sich auf dessen Kosten durchsetzen (kompetitiv). Es sind dies sog. „mixed - motives"- Spiele, weil sowohl eine kooperative als auch eine nichtkooperative Strategie möglich ist (Bierbrauer, 1996; Bierhoff, 1998). Dem Gefangenendilemma liegt folgendes Beispiel zugrunde: -
Zwei Verdächtige werden verhaftet und getrennt verhört. Der Anwalt ist sich sicher, dass sie schuldig sind, es fehlen aber Beweise. Jeder Gefangene bekommt mitgeteilt, dass es für ihn zwei Alternativen gibt: das Verbrechen zu gestehen oder nicht. Wenn beide Gefangenen nicht gestehen, werden sie wegen geringer Vergehen bestraft. Gestehen beide, werden beide verurteilt, aber es wird keine Höchststrafe geben. Gesteht einer und der andere nicht, erhält derjenige, der nicht gesteht, die Höchststrafe, und der Geständige wird leicht bestraft.
Das Leugnen gilt im Spiel als die kooperative Wahl: Man verzichtet auf den größtmöglichen Gewinn und für beide Partner gibt es ein besseres Ergebnis. Dies setzt aber Vertrauen in den Partner voraus. In den zahlreichen Experimenten dazu - es gibt vielfache Varianten des Dilemmas, in denen nicht Gefängnisjahre sondern Chips oder Geld „ausgezahlt" werden - haben die Teilnehmer solcher Spiele eine Tendenz, auch dann nicht zu kooperieren, wenn Kooperation für beide Partner günstiger wäre. Für das Gelingen von Kooperation bedarf es Möglichkeiten der Zielabstimmung und des Informationsaustausches, wechselseitiger Kommunikation und gegenseitiger Unterstützung, konstruktiver Problemdiskussionen und einer längeren Zeitperspektive, in der die Form der Kooperation erprobt wird und sich das Vertrauen in den jeweiligen Kooperationspartner entwickeln kann. Eine kooperative Situation setzt zudem ein gewisses Maß an Entscheidungs- und Handlungsfreiheit der beteiligten Partner voraus. Die relative Autonomie der Akteure ist bedeutsam (Spieß, 1998; Tjosvold, 1988). Die Psychologie definiert Konkurrenz bzw. Wettbewerb als das Streben, andere zu übertreffen. Sie hält als Positivum fest, dass dies Menschen zu hoher Leistung anspornt. Andererseits beinhaltet sie auch ein Gefahrenpotenzial, in dem Kooperation und Altruismus verhindert werden (Brockhaus, 2001). Wettbewerbsorientiertes Verhalten neigt dazu, in bestimmten Situationen zu eskalieren, während kooperatives Verhalten mitunter als Schwäche ausgelegt wird (Van de Vliert, 1999). -
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Die psychologischen Wirkungen von kooperativem und konkurrierendem Verhalten sind sehr unterschiedlich: Der amerikanische Psychologe Morton Deutsch (1949) hat in seinen klassischen Experimenten zum Thema Kooperation und Konkurrenz durch die Vorgabe von verschiedenen Aufgaben nachgewiesen, dass die Versuchspersonen in kooperativen Situationen, die durch Gruppenarbeit gekennzeichnet waren, die Aufgaben wie z. B. die Lösung eines Puzzles oder das Ausarbeiten einer Empfehlung besser bearbeiteten als in konkurrenzorientierten Situationen, in denen jeder auf sich alleine gestellt war. Unter der kooperativen Versuchsbedingung erwiesen sich die Teilnehmer des Experimentes wechselseitig mehr Aufmerksamkeit, koordinierten sich besser, ak-
zeptierten die Ideen des anderen und kommunizierten untereinander effektiver. Insgesamt war die Arbeitsatmosphäre freundlicher als unter der Bedingung der Konkurrenz. Hier neigten die Versuchspersonen dazu, die Person und die Arbeit anderer abzuwerten. Dies führt dann auch zu einer negativen Stimmung bei den einzelnen Personen. Eine wesenüiche Funktion von Kooperation besteht somit in der Erzeugung positiver Gefühle. Erfolgreiche Kooperation führt zu Anziehung zwischen denjenigen, die miteinander kooperieren, die Gruppenmitglieder schätzen sich wechselseitig, ermutigen sich gegenseitig und gewähren sich Hilfe (Tjosvold, 1988; Lu & Argyle, 1991). Kooperation wird als die Tendenz beschrieben, positive Handlungsergebnisse für sich und andere zu erreichen, während wettbewerbsorientiertes Verhalten den eigenen Handlungsergebnissen ein positives und denen der anderen ein negatives Gewicht zuschreibt. Die Sorge um künftige Konsequenzen im Sinne eines nachhaltigen Denkens ist ebenso Teilbestand kooperativen Handelns (Van Lange & de Dreu, 2002). Kooperation und Konkurrenz müssen jedoch nicht zwingend als Gegenpole, die sich ausschließen, aufgefasst werden. Unter bestimmten Bedingungen können sie sich auch sinnvoll ergänzen. Untersucht man auf der individuellen Ebene Zusammenarbeit und Konkurrenz in Form von Konfliktstilen und setzt Problemlösen mit Kooperation und Kämpfen mit Konkurrenz gleich, dann zeigen experimentelle Studien, dass beide Verhaltensweisen gemeinsam auftreten können und dann sogar sehr effektiv sind. Es wird vorgeschlagen, künftig diese Interaktion zwischen Kooperation und Konkurrenz, bzw. dass beides Komponenten eines Verhaltens sein können, stärker zu berücksichtigen (Van de Vliert, 1999). In den zahlreichen sozialpsychologischen Studien zu kooperativem und kompetitivem Verhalten werden fünf zentrale Einstellungen untersucht: 1.
Die individualistische Einstellung, die z. B. bei Gewinnaufteilungsaufgaben vor allem den eigenen Vorteil maximiert.
2.
Eine Wettbewerbsorientierung, die den anderen übertreffen möchte.
3.
Die kooperative Orientierung, die an den eigenen und an den Gewinnen des Partners orientiert ist.
4.
Die altruistische Orientierung, die das eigene Handeln vor allem am Wohlergehen des Partners ausrichtet.
5.
Das Streben nach Gleichheit der Belohnungen (Bierhoff & Müller, 1993).
Für diese Einstellungen gibt es auch sog. Mischtypen, z. B. koexistieren häufig eine individualistische und eine Wettbewerbsorientierung. In Zweiergruppen dominieren im Verlauf einer experimentell erzeugten Interaktion mit kooperativen Personen die wettbewerbsorientierten Personen, d. h. kooperative Personen schwenken auf Wettbewerbswahlen um, um sich vor Verlusten zu schützen. Kooperative Personen zeigen somit eine höhere Verhaltensflexibilität, denn sie sind in der Lage, sowohl kooperativ als auch wettbewerbsorientiert zu handeln, während wettbewerbsorientierte Personen aufgrund der reziproken Reaktion ihrer Partner den Schluss ziehen, dass alle Menschen wettbewerbsorientiert sind (Van Lange, van Vugt, Meertens & Ruiter, 1998; Van Lange & de Dreu,
2002).
Besonders von sozialen Werten wird nun angenommen, dass sie kooperatives Verhalten mitbeeinflussen (Korsgaard, Meglino & Lester, 1997). Diese Werte enthalten kollektive
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Moral, soziales Interesse und soziale Verantwortung, prosoziale Orientierung und die Sorge um andere. Altruismus Kooperation
Unterlegenheit Bedeutung der Handlungsergebnisse des anderen
Masochismus
Individualismus
Nihilismus
Wettbewerb Aggression ->
Bedeutung der eigenen Handlungsergebnisse
Abb. 31: Typologie sozialer Wertorientierungen nach Van Lange & de Dreu (2002)
In der Typologie (Abb. 31) werden zwei Dimensionen aufgespannt, in der sich zentrale Wertorientierungen einordnen lassen: die Bedeutung, die man den eigenen und die Bedeutung, die man den Handlungsergebnissen anderer beimisst. Jede Wertorientierung enthält einen Gegenpol: Kooperation den Nihilismus, Indivualismus den Masochismus, Wettbewerb die Unterlegenheit und Altruismus die Aggression. So wird Kooperation als eine Tendenz definiert, positive Handlungsergebnisse für sich selbst und für andere zu betonen. Wettbewerb wird wiederum so definiert, dass man seinen Vorteil anderen gegenüber hervorhebt, man möchte besser als andere sein. Individualismus bedeutet, dass man die eigenen Handlungsergebnisse maximiert und wenig auf andere Rücksicht nimmt, ganz im Gegensatz zum Altruismus, der das eigene Interesse zurückstellt und das der anderen betont. Die Theorie geht davon aus, dass man sich von den Präferenzen des unmittelbaren Eigeninteresses zugunsten längerfristiger Handlungsergebnisse abwendet (Van Lange & de Dreu, 2002). Die dargestellte Typologie weist eine Nähe zu dem Dualconcern-Modell von Pruitt und Rubin (1986) auf (vgl. auch Kapitel 4.2.5). Auch das kulturelle Umfeld spielt für Kooperation und Konkurrenz eine entscheidende Rolle. Chen, Chen und Meindl (1998) haben ein kulturelles Modell der Kooperation entworfen. Demnach beeinflussen kulturelle Werte das kooperative Verhalten entweder direkt oder über die Beziehungen zwischen den Zielen. Je nach kultureller Prägung gibt es auch Unterschiede im Hinblick auf das kooperative und kompetitive Verhalten: In individualistischen Kulturen wie z. B. Großbritannien konkurrieren Individuen eher miteinander und versuchen sich gegenseitig zu übertreffen, in kollektivistischen Kulturen wie z. B. China findet die Konkurrenz zwischen Gruppen statt, während der Einzelne sich stärker in der Gruppe unterordnet (Triandis, 1989; Van Lange & de Dreu, 2002). Vertiefende Literatur: Spieß, E. (Hrsg.). (1998). Formen der Kooperation - Bedingungen und Perspektiven. Göttingen: Hogrefe.
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4.1.4 Konflikt und Konfliktlösung Konflikte sind gerade in Wirtschaftskontexten nahezu alltäglich: Es gibt Streit zwischen den Tarifpartnern, die Wirtschaftsverbände boykottieren steuerliche Maßnahmen oder nach einer Fusion entbrennt ein Konflikt zwischen den im Unternehmen neu geschaffenen Abteilungen. Konflikte werden in der Psychologie als Spannungssituationen bezeichnet, in denen zwei oder mehrere Parteien, die voneinander abhängig sind, versuchen, scheinbar oder tatsächlich unvereinbare Handlungspläne bzw. inkompatible Handlungen bzw. Handlungstendenzen zu verwirklichen (Glasl, 1994; Thomas, 1992). Lewin (1963) ging von der Annahme aus, dass in einer Konfliktsituation Kräfte auf eine Person einwirken, die von etwa gleicher Stärke sind, jedoch in entgegengesetzter Richtung ziehen. Konfliktursachen können in der Person liegen, wie z. B. in einem ausgeprägten Machtmotiv, sie können auf der interpersonalen Ebene liegen, z. B. in fehlender Anerkennung (Delhees, 1994) oder sie liegen in der Struktur, z. B. in ungerechter Güterverteilung in Gesellschaften. Konflikte können zunächst unbemerkt entstehen (latenter Konflikt). In einer qualitativen Studie über konfliktreiche Beziehungen zwischen Handelsvertretern und durch sie vertretene Unternehmen zeigte sich, dass sich anhand bestimmter Signale Konflikte mitunter schon frühzeitig erkennen lassen wie z. B. zunehmendes Misstrauen, häufige Abwesenheiten, spitze Bemerkungen usw.. Die Bedeutung der bereits frühzeitig auftretenden meist subtilen Differenzen wurde vielen Befragten erst im Nachhinein klar (Spieß, Nerdinger, von Rosenstiel & Sigl, 1996). Diese Phase der Latenz ist beendet, wenn durch ein Auslöseereignis der Konflikt für die Beteiligten offenbar wird - in der manifesten Phase besteht Klarheit über den Dissens (Berkel, 1990). Bei der Konfliktwahrnehmung kann es zu verschiedenen Verzerrungen kommen. Der Konflikt wird z. B. unter- oder überschätzt. Konflikte entwickeln zudem häufig eine eigene Dynamik. Eskalation bzw. Deeskalation ist ein Weg, um Veränderungen im Grad oder in der Intensität eines Konfliktes zu beschreiben. Eskalation beinhaltet wachsende Feindseligkeit, Konkurrenz, extreme Forderungen und Zwangstaktiken. Glasl (1994) hat idealtypisch die Stufen einer Eskalation beschrieben: Es gibt drei Hauptphasen der Eskalation, die wiederum jeweils in drei Unterphasen unterteilt sind. Es wird angenommen, dass Konflikte von einer Stufe zur nächsten eskalieren. Wenn eine Hauptphase überschritten ist, wird eine zusätzliche Dynamik entwickelt, die es zunehmend schwierig macht, zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Die ersten Stufen der Eskalation sind durch stetig vereinfachende Definitionen des Konfliktes gekennzeichnet. -
Phase I (win-win) umfasst Rationalität und Kontrolle; Stufe 1: Versuche zu kooperieren; Stufe 2: Polarisation; Stufe 3: Interaktion anhand von Taten.
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Phase II (win-lose) personalisiert die andere Partei, es gibt stereotypes SchwarzWeiss-Denken; Stufe 4: Sorge um den Ruf und Koalitionen; Stufe 5: Gesichtsverlust; Stufe 6: Überwiegen von Drohstrategien.
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In Phase III (lose-lose) gehen beide Konfliktparteien auf ihr Ende zu, es herrscht Aggression und Destruktion vor; Stufe 7: Systematische und destruktive Kampagnen; Stufe 8: Angriffe auf die Machtzentren des Feindes; Stufe 9: Totale Destruktion und Selbstmord.
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Eskalationsstufen: „win-win" 1
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„win-lose" 3
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5
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lose-lose" 6
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I
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Moderation Prozessbegleitung sozio-therap. Prozessbegleitung Vermittlung Schiedsverfahren Machteingriff
Moderation
Mediation
übergeordnete Instanz
A b b . 32: E s k a l a t i o n s s t u f e n eines Konfliktes nach Glasl (1994)
Für die Stufen der Eskalation werden verschiedene Interventionsstrategien vorgeschlagen (Abb. 32). Beginnend mit Moderation, über Prozessberatung, soziotherapeutische Prozessberatung, Mediation, Schlichtung und Machtintervention. Prozessberatung und soziotherapeutische Beratung gehen am stärksten auf negative Gefühle, Stereotype und andere psychische Barrieren ein, die Vertrauen verhindern. Diese Strategien benötigen spezielle therapeutische Fähigkeiten. Bei der Konfliktbewältigung geht es um das Beenden des manifesten Zustandes von Konflikten. Es gibt drei Grundstrategien: Gewinn-Verlust-, Verlust-Verlust- und GewinnGewinn-Strategie. -
Für die Gewinn-Vier/wsi-Strategie ist typisch, dass eine Partei gewinnt, die andere verliert. Einer kann nur auf Kosten des anderen gewinnen, Gewinne und Verluste verschiedener Teilnehmer addieren sich zu Null. Die wichtigsten Methoden sind Autoritätsausübung, Machtanwendung, Indifferenz und Mehrheitsentscheid. So kann ein Vorgesetzter durch seine Autorität, die er aufgrund seiner Machtposition ausübt, eine Entscheidung durchsetzen. Wo Autorität oder Macht eingesetzt werden, herrschen Individualentscheide vor, während Mehrheitsbeschlüsse Gruppenentscheide sind. Sowohl Individuen als auch Gruppen können die Nichtbeachtung des Konfliktes als eine Form der Bewältigung wählen.
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Bei der Verlust-Ver/Msf-Methode verlieren beide Parteien. Zu den Konfliktbewältigungsmethoden zählen Kompromiss, Kompensation und Hinzunahme eines Dritten. Die Konfliktbewältigung durch einen Kompromiss zwingt die Kontrahenten jeweils von ihren persönlichen Ansprüchen etwas zurückzunehmen - beide verlieren etwas. Durch eine Kompensation soll die Konfliktpartei bestochen werden, einen Verlust hinzunehmen. Dabei verliert aber auch die andere Konfliktpartei. Diese Kompensationen sind häufig mit hohen Kosten verbunden. Eine neutrale Drittpartei wird hinzugezogen, wenn sich die Kontrahenten in einem ergebnislosen Machtkampf befinden und
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ein Kompromiss unmöglich erscheint. Diese Drittpersonen können als Schlichter oder Vermittler auftreten. Wenn diese dabei Autorität ausüben, verfahren sie nach der Gewinn-Verlust-Strategie. Die Vermittlungsarbeit ist nur dann wirksam, wenn die Kontrahenten die Rolle des Vermittlers akzeptieren und seine Entscheidung respektieren. -
Die Gewinn-Gewinn-Strategie schafft für alle Beteiligten letztlich neue Lösungen oder Alternativen, die alle zufriedenstellen. Eine Einigung kommt dann zustande, wenn eine Lösung des Problems gefunden wurde, mit der alle einverstanden sind. Voraussetzung dafür ist eine ungezwungene Meinungsäußerung, gegenseitiges Vertrauen, freier Zugang zu den Informationen und Partizipation an der Entscheidungsfindung. Die integrative Entscheidungsfindung gilt als eine problemlösungsorientierte Methode. Auf diesem Wege wird versucht, die persönlichen Ziele und Werte der Kontrahenten im Zuge der Bewältigung zu integrieren (Delhees, 1994).
Für die Beurteilung des Konfliktausgangs gibt es drei wichtige Dimensionen: Eine egozentrische Sichtweise definiert das Problem einzig vom eigenen Standpunkt aus. Diese Sichtweise beinhaltet ein starkes „Entweder-Oder-Denken". Deshalb verursachen egozentrische Wahrnehmungen eher eine Wettbewerbsorientierung im Sinne von GewinnVerlust-Denken. Die Berücksichtigung der zugrundeliegenden Bedürfnisse bzw. der dahinterliegenden Intentionen des Partners erleichtert eine kooperative Problemlösung, es werden Gewinn-Gewinn-Lösungen wahrscheinlicher. Beide Konfliktstile wurden auch experimentell untersucht, wobei sich ein positiver Bezug zu Gewinn-Verlust bzw. Gewinn-Gewinn-Absichten zeigte. Das Ausmaß des Konfliktgegenstandes, z. B. dass sehr viele Menschen von der Auseinandersetzung betroffen sind, spielt gleichfalls eine Rolle. Motivational gesehen kann dies eine integrative Lösung erschweren (Thomas, 1992; Spieß, in Druck). Thomas (1992) hat für den Umgang mit Konflikten zwei orthogonale Dimensionen klassifiziert (Abb. 33): Assertiveness versus Cooperativeness bzw. Durchsetzung versus Kooperation. Durchsetzung beinhaltet das Ausmaß, mit dem eine Partei ihre eigenen Intentionen verfolgt und Kooperation den Grad der Sorge für andere Personen. In diesem Raum lassen sich die fünf wichtigsten Strategien der Konflikthandhabung aufspannen. Konkurrenz als Konfliktbewältigungsstrategie setzt die eigenen Interessen gegen die andere Seite rigoros durch. Diese Strategie entspricht einer Gewinn-Verlust-Haltung. Kurzfristig kann diese Strategie erfolgversprechend erscheinen, während sie über einen längeren Zeitraum eher mit Kosten verbunden ist, da die unterlegene Partei u.U. die Kooperation verweigert. Bei der Strategie der Anpassung kommen die eigenen Bedürfnisse zu kurz, sie ist der Gegenpol zu einem konkurrierenden Stil. Häufig erscheint ein Kompromiss vielversprechend: Zwar können beide Parteien nicht ihre Interessen ganz durchsetzen, es muss auf beiden Seiten eingelenkt und nachgegeben werden, dennoch ist eine Partei nicht nur der Verlierer. Für diese drei Strategien gilt die Annahme eines Null-Summen-Spiels, d. h. was die eine Partei gewinnt, das verliert die andere notgedrungen. Dies wird auch als distributive Form möglicher Konfliktergebnisse bezeichnet, im Unterschied zu der integrativen. Letztere integriert die Interessen beider Parteien. Distributive Konfliktanteile wirken eher konfliktverschärfend, während integrative Anteile eher konfliktmindernd wirken (Scholl, 1995).
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