Wilhelm Wundt – Sein philosophisches System [Reprint 2021 ed.] 9783112544143, 9783112544136


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German Pages 300 [301] Year 1981

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Wilhelm Wundt – Sein philosophisches System [Reprint 2021 ed.]
 9783112544143, 9783112544136

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Berichtigungen S. 22, 9. Z. v. o. S. 164, 10. Z. v. u.

S. 168, 2. Z. v. o.

6560 W . W u n d t

richtig: fordere richtig: . . . schränkung gemacht werden. Ausgehend von Wundts in der unmittelbaren Erfahrung gegebenem Vorstellungsobjekt muß die Erkennbarkeit der Welt als ein . . . richtig: . . . psychologistisch-

Alfred Arnold Wilhelm Wundt — Sein philosophisches

System

Alfred Arnold

Wilhelm Wundt Sein philosophisches System

AKADEMIE-V ERLAG - BERLIN 1980

Erschienen im Akademie-Verlag, D D R - 1080 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie-Verlag 1980 Lizenznummer: 202- 100/15/80 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei „Gottfried Wilhelm Leibniz", 445 Gräfenhainichen • 5524 Einbandgestaltung: Rolf Kunze Bestellnummer: 753 752 6 (6560) • LSV 0165 Printed in G D R DDR 2 2 - M

Inhalt

Vorwort

7

1.

9

2.

Biographische Skizze Die

historischen

Entwicklungsbedingungen

der philosophischen

Auffassungen

Wundts

17

2.1.

D i e ökonomische und die politische Situation in Deutschland

17

2.2.

Zur Wissenschaftsentwicklung

26

2.3.

D i e Entwicklung der Psychologie zur selbständigen Wissenschaft

32

3.

Wundts Weg zur Philosophie - seine philosophischen Quellen

41

4.

Wundts Klassifikation der Wissenschaften

57

5.

Grundzüge seines philosophischen Systems

69

5.1.

Definition, Gegenstand und A u f g a b e der Philosophie

69

5.2.

D i e Anerkennung einer objektiven Realität

73

5.3.

Materie und Bewußtsein bei Wundt

76

5.4.

Wundts subjektiv-idealistische Erfahrungskonzeption

84

5.5.

D i e Rolle des psychophysischen Parallelismus in Wundts Philosophie

88

5.6.

D e r Voluntarismus im philosophischen System Wundts

5.7.

D i e Beantwortung der Grundfrage der Philosophie durch Wundt

5.8.

Wundts Entwicklungs-, Dialektik- und Kausalitätsverständnis

108

5.9.

Wundts Konzeption von einer geistigen Einheit der Welt

121

5.10. D i e Rolle des Denkens und der Erkenntnis in Wundts Philosophie

93 101

131

5.11. Wundts Gesellschaftstheorie

167

5.12. Wundts Ethik

183

5.13. Wundts Kritik am Empiriokritizismus

205

6.

Wundts psychologisches System - philosophische Aspekte

224

6.1.

Gegenstand, A u f g a b e und Methoden der Psychologie

224

6.2.

Wesensbestimmung des Psychischen durch Wundt

243

7.

Zusammenfassende Einschätzung der Leistungen Wundts

264

Verzeichnis ausgewählter Veröffentlichungen Wilhelm Wundts

268

Personenregister

291

5

Vorwort

Vor 100 Jahren wurde in Leipzig das erste Institut der Welt für experimentelle Psychologie gegründet. Das war ein wichtiger Schritt auf dem Wege der Psychologie zur selbständigen experimentellen Wissenschaft und zu ihrer Emanzipation von der damaligen idealistisch-metaphysischen Philosophie. Der Gründer dieses „Instituts für experimentelle Psychologie", das für einige Jahrzehnte zum Weltzentrum der psychologischen Forschungen mit großer Ausstrahlungskraft wurde, war Wilhelm Wundt. Seine Arbeiten werden im vorliegenden Buch aus der Sicht eines marxistisch-leninistischen Philosophen untersucht. Die kritische Analyse hat jedoch nicht in erster Linie Wundts Psychologie zum Gegenstand, sie konzentriert sich vielmehr auf seine umfangreichen philosophischen Schriften und auf seine philosophisch besonders relevanten psychologischen Ideen und Theorien. Am Beispiel der Wundtschen Auffassungen und seiner philosophischen Konzeption wird die enge Wechselbeziehung von Philosophie und Psychologie sichtbar gemacht. Es wird gezeigt, wie unter dem Einfluß psychologischer Tätigkeit und durch die Aneignung idealistischen philosophischen Ideengutes Wundts philosophisches System entstand und wie es zunehmend auf seine psychologischen Arbeiten zurückwirkte. Am Wundtschen Schaffen wird die verhängnisvolle Rolle spekulativer idealistischer Philosophie für die Entwicklung der Psychologie verdeutlicht und zugleich nachgewiesen, daß eine wissenschaftliche Psychologie nur auf dem Boden dialektisch-materialistischer Erkenntnisse entstehen konnte. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich nicht auf einen historischen Exkurs; im Blickpunkt stehen vielmehr eng miteinander verbundene philosophische und psychologische Probleme von großer aktueller Bedeutung. Wundts philosophische Fragestellungen und Lösungsversuche werden nicht nur einer kritischen Analyse unterzogen, sondern zugleich vom gegenwärtigen Erkenntnisstand des dialektischen Materialismus beleuchtet. Der Autor möchte mit seiner Arbeit über Wilhelm Wundt am historischen Beispiel die untrennbare Verflochtenheit von Philosophie und Psychologie sichtbar machen und zugleich einen Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion philosophischer Fragen der Psychologie leisten.

Berlin, Februar

1979

Alfred

Arnold 7

1.

Biographische Skizze

Wilhelm Wundts philosophische Auffassungen reflektieren in ihrer Struktur und in ihren Wandlungen den Entwicklungsweg ihres Schöpfers vom Naturwissenschaftler zum philosophierenden Psychologen - und zum psychologisierenden Philosophen - , und sie widerspiegeln seinen mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung vom Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Imperialismus sich reaktionär verschärfenden bürgerlichen Klassenstandpunkt. Um die materiellen und geistigen Entwicklungsbedingungen seiner philosophischen Anschauungen sichtbar zu machen, sei der Analyse der Wundtschen Philosophie erstens eine Skizze seiner wichtigsten Lebensdaten und zweitens ein kurzer Abriß der historischen Situation seiner Schaffenszeit vorangestellt. 1 Wilhelm Wundt wurde am 16. 8. 1832 in Neckarau bei Mannheim als Sohn eines Pfarrers geboren. E r wuchs in einem religiösen Milieu auf; nach eigenen Angaben bewegten ihn besonders in seiner Jugendzeit religiöse Probleme sehr stark. Von seinem zweiten Schuljahr an wurde er von einem jungen Hilfsgeistlichen unterrichtet und erzogen. Nach seinem eigenen Bekenntnis stand ihm dieser näher als Mutter und Vater. Als sein geistlicher Hauslehrer eine eigene Pfarre erhielt, verließ er mit ihm das Elternhaus. Nach dem Tode Wundts schrieb sein ehemaliger Schüler und Assistent Felix Krueger: „In seiner Jugend bewegten ihn religiöse Bedürfnisse; sie setzten sich frühzeitig in metaphysisches Grübeln um, vollends nachdem eine schwere Krankheit den 24jährigen bei ruhigster Bewußtheit dem Tode nahe gebracht hatte." 2 In den Jahren 1852 bis 1856 widmete sich Wundt in Tübingen, Heidelberg und Berlin dem Studium der Medizin und einiger naturwissenschaftlicher Disziplinen. In Tübingen studierte er bei dem Anatom und Physiologen Friedrich Arnold, einem Bruder seiner Mutter. Im Sommersemester 1852 vertiefte er sich, wie er in seinen Lebenserinnerungen schrieb, von früh bis spät vor allem in gehirnanatomische Werke und Präparate. Die Philosophie, die zur damaligen Zeit 1 Siehe dazu:

W.

Meischner

-

unter Mitarbeit der

Forschungsgruppe

„Geschichte

der

Psychologie", Wilhelm Wundt ( 1 8 3 2 - 1 9 2 0 ) , in: Berichte aus der Sektion Psychologie der Karl-Marx-Universität Leipzig, Heft 9 - Mai 1977. 2 F . Krueger, Wilhelm Wundt als deutscher Denker, in: Wilhelm Wundt - eine Würdigung, Anhang zum 2. Band „Beiträge zur Philosophie des Deutschen Idealismus", Erfurt 1922, S. 2.

9

an der Tübinger Universität vorwiegend von Theologen gelehrt wurde, spielte für ihn noch eine völlig untergeordnete Rolle. Wundts Tochter Eleonore berichtete über die Tübinger Zeit: „ E r hörte ziemlich ungeregelt die verschiedensten naturwissenschaftlichen Vorlesungen, daneben das einzig philosophische Kolleg, das er überhaupt in seinem Leben besucht hat, die Ästhetik bei Friedrich Theodor Vischer. D e r einzige streng wissenschaftliche Gewinn dieses Tübinger Jahres war schließlich ein gründliches Studium der Gehirnanatomie." 3 D i e nächste Station der Wundtschen Studienzeit war Heidelberg. Hier widmete er sich auch dem Studium der Mathematik, um die physikalischen G r u n d lagen der Physiologie besser verstehen zu lernen. Für seine späteren experimentellen physiologischen und psychophysiologischen Arbeiten waren in Heidelberg die Vorlesungen von Robert Bunsen besonders fruchtbar. „ E s war eine der anregendsten Vorlesungen, die ich jemals gehört habe", schrieb Wundt in seiner Selbstbiographie. 4 Bunsen habe seine Vorlesungen mit experimentellen D e m o n strationen von wunderbarer Vollendung begleitet. D i e s e Vorlesungen gaben Wundt den Anstoß, selbst zu experimentieren. Im chemischen L a b o r von Bunsen untersuchte er die Wirkung von Mineralstoffen auf den Organismus. Seine erste auf Experimenten begründete Arbeit „Über den Kochsalzgehalt im H a r n " erschien 1853 im Journal für praktische Chemie. Während seiner Studienzeit in Heidelberg beschäftigte sich Wundt auf dem Gebiet der Physik vorwiegend mit Fragen der Mechanik, und in der Medizin mit praktischen Disziplinen. Seine erste experimentalphysiologische Arbeit „Über den Einfluß der Durchschneidung des Lungennerven auf die Respirationsorgane" wurde durch ein Preisausschreiben der Heidelberger Medizinischen Fakultät angeregt. Wundt erhielt für seine Arbeit, die er in seiner Studierstube mit H i l f e seiner Mutter experimentell vorbereitet hatte, gemeinsam mit einem anderen Bewerber als „Außenseiter" den Preis. D i e Arbeit f a n d Anerkennung, indem sie der Physiologe Johannes Müller in den J a h r g a n g 1855 seines „Archivs für A n a t o m i e und Physiologie" aufnahm. N a c h erfolgreichem Staatsexamen arbeitete Wundt als klinischer Assistent bei seinem Lehrer E w a l d Hasse. In der Klinik untersuchte er mit Vorliebe die bei einigen Patienten aufgetretenen Lokalisationsstörungen von Empfindungen. Besonders interessierten ihn Lähmungen der Muskeln und der H a u t und die durch sie verursachten Schäden des Tastsinns. Bei diesen Untersuchungen wurde Wundt auf die Arbeiten von Ernst Heinrich Weber über den Tastsinn aufmerksam. Seine eigenen Beobachtungen und experimentellen Forschungen ließen bei ihm Zweifel an den theoretischen Vorstellungen Webers über die anatomischen Grundlagen des Tastsinnes aufkommen. Wundt neigte stärker zu psychologischen Erklärungen. Zu Webers theoretischen Vorstellungen erklärte er: „ I m Gegensatz zu ihnen schienen mir psychologische Auffassungen nahezuliegen, die jene fest an die 3 E.

Wundt, Wilhelm Wundt, Deutsches

Biographisches

Jahrbuch,

Leipzig ohne weitere Jahresangabe, S. 627. 4 W. Wundt, Erlebtes und Erkanntes, 2. Aufl., Stuttgart 1921, S. 75.

10

1917-1920,

Berlin-

anatomische Verbreitung der Sinnesnerven gebundenen Vorstellungen unmöglich machten." 5 Im Unterschied zu Weber suchte Wundt nach psychischen Ursachen für die Schäden des Tastsinns. Im Ergebnis seiner sinnesphysiologischen Untersuchungen wandte er sich immer stärker dem Studium der Psychologie zu. Für die damalige Psychologie betrachtete er als repräsentativ die Arbeiten von Lotze, Fortlage, George, Volkmann und Czermak. „So war die Klinik die erste Station", schrieb Wundt später, „die mich auf dem Wege eigener experimenteller Arbeiten zuerst zur Psychologie führte, ehe ich noch mich gründlicher mit philosophischen Studien beschäftigt hatte." 6 In Heidelberg promovierte Wundt 1856 mit einer seinem ehemaligen Lehrer Ewald Hasse gewidmeten Arbeit „Das Verhalten der Nerven in entzündeten und degenerierten Organen." Im gleichen Jahr ging er für ein Semester nach Berlin. Obwohl zeitlich kurz, war der Berliner Aufenthalt für ihn sehr bedeutsam. Er arbeitete bei Johannes Müller und Emil Du Bois-Reymond. Bei den beiden namhaften Physiologen hoffte Wundt, wie er selbst erklärte, zwei seiner Wünsche erfüllen zu können, eine Einführung in die vergleichende Physiologie und die Teilnahme an Arbeiten auf dem Gebiete der experimentellen Psychologie. Am stärksten war der Einfluß, den Du Bois-Reymond auf ihn ausübte. In seinen Lebenserinnerungen schrieb Wundt: „Als ich in Berlin meine Studien zur Nerven- und Muskelphysiologie begann, war dieses Gebiet in besonders lebhaftem Aufschwung begriffen. Den entscheidenden Einfluß hat hier Du Bois-Reymond geübt, von dem man wohl sagen kann, daß er, so gering an Zahl die jüngere Generation war, die sich der Physiologie zuwandte, doch eine Art Schule gebildet hat." 7 Wundt widmete sein 1858 erschienenes Buch „Die Lehre von der Muskelbewegung" Emil Du BoisReymond. Im Sommer 1856 habilitierte sich Wundt mit seiner Dissertationsschrift, was damals üblich war, zum Privatdozent der Physiologie. Als im Jahre 1858 Helmholtz nach Heidelberg berufen wurde, bewarb sich Wundt um eine Assistentenstelle bei ihm, die er auch erhielt. Im physiologischen Laboratorium von Helmholtz unterrichtete er vorwiegend junge Mediziner in experimentellen Übungen. Die Assistententätigkeit bei Helmholtz hat Wundts spätere eigene experimentelle Arbeiten zweifellos nachhaltig beeinflußt. Voller Hochachtung schrieb er über Helmholtz: „Unter den Naturforschern, die den Glanz der Heidelberger Hochschule nach der Mitte des Jahrhunderts ausmachten, war Hermann Helmholtz ohne Frage der hervorragendste." Im Hinblick auf dessen Einfluß für seine eigene Entwicklung fügte er hinzu: „Mit einem Manne von dieser vielseitigen Genialität mehrere Jahre lang beinahe täglich verkehren zu dürfen, ist ein Vorzug, der sicherlich nicht hoch genug eingeschätzt werden kann." 8 Zu einer unmittelbaren gemeinsamen Forschungstätigkeit und zu engem persönlichem Kontakt zwischen Helmholtz und seinem Assistenten Wundt ist es 5 6 7 8

Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda,

S. S. S. S.

100. 101. 134. 155.

11

jedoch nicht gekommen. Als Wundt von Professor Königsberger aus Heidelberg 1902 anläßlich einer Ehrung von Helmholtz gebeten wurde, als dessen langjähriger Assistent eine kurze Schilderung der Helmholtzschen Vorlesungs- und Laboratoriumstätigkeit zu schreiben, lehnte er ab und bekannte, er selbst sei mit den jungen Medizinern beschäftigt gewesen, Helmholtz mit den wenigen „älteren Herren". So sei es gekommen, „daß unsere Wege in Vorlesungen und Laboratorium relativ unabhängig nebeneinander hergingen, und daß es mir viel unmöglicher sein würde, eine der Sache gerecht werdende Schilderung der Helmholtzschen Vorlesungen sowohl wie seiner Laboratoriumsarbeit zu geben, als irgendeinem der jetzt noch lebenden Physiologen, die damals in Heidelberg teils noch als Studierende, teils mit speziellen Aufgaben im Laboratorium Beschäftigte sich aufgehalten haben." 9 Als Wundt diese Zeilen schrieb, hatten er und Helmholtz sehr unterschiedliche Wege zurückgelegt. In seiner „Problemgeschichte der Psychologie" schrieb L. J. Pongratz treffend: „Dreizehn Jahre lehrten und forschten die beiden Gelehrten nebeneinander, ohne persönlich und fachlich in engeren Kontakt zu kommen. Ihre Forschungsarbeit nahm trotz dem gemeinsamen Ausgang (der Physiologie) eine verschiedene Richtung. Wundts Weg ging von der Physiologie zur Psychologie. 1862 erschien die Programmschrift der experimentellen Psychologie: Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung, 1864 ein erstes Resümee seiner Forschungen über die Bedingungen und Erscheinungsformen des Seelenlebens: Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele. Helmholtz hingegen wandte sich von der Sinnesphysiologie später wieder Fragen der Physik zu; er übernahm 1871 den Lehrstuhl für Physik in Berlin und wurde 1888 Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt." 10 Neben den Übungen für Medizinstudenten beschäftigte sich Wundt während seiner Assistentenzeit bei Helmholtz besonders mit optischen Untersuchungen und mit Arbeiten zur Theorie der Augenbewegungen. Aus den Heidelberger Untersuchungen resultierten seine 1858 bis 1862 erschienenen „Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung", mit denen er den Übergang von rein naturwissenschaftlichen zu philosophisch begründeten Arbeiten vollzog. Im Jahre 1864 wurde Wundt in Heidelberg zum Professor für Anthropologie und medizinische Psychologie berufen. Er hielt Vorlesungen über mikroskopische Physik, Anatomie und medizinische Physiologie. Außerdem las er über Anthropologie, Ethnologie, Psychologie vom naturwissenschaftlichen Standpunkt und über philosophische Ergebnisse der Naturforschung. Schon während seiner noch vorwiegend physiologischen Tätigkeit begann er also, sich philosophischen Fragen zuzuwenden. Als Ergebnis seiner Heidelberger Lehrtätigkeit entstand ein „Lehrbuch der Physiologie des Menschen", das 1864/65 erschien, und das „Handbuch der medizinischen Physik", das 1867 vorlag. In den Jahren von 1864 9 Brief von W u n d t an Königsberger vom 23. Juni 1 9 0 2 , in: Wundt-Forschungsarchiv der Karl-Marx-Universität Leipzig, Briefwechsel II. 1 0 L. J. Pongratz, Problemgeschichte der Psychologie, Bern-München 1 9 6 7 , S. 99/100.

12

bis 1868 war Wundt Mitglied der zweiten Kammer des Badischen Landtages als Vertreter der Stadt Heidelberg und vorher zeitweilig Vorsitzender des Heidelberger Arbeiterbildungsvereines. Im nächsten Kapitel wird darauf ausführlicher eingegangen. Die sinnesphysiologischen Untersuchungen, bei denen sich Wundt immer wieder mit Fragen psychologischen und philosophischen Charakters konfrontiert sah, hätten ihn in zunehmendem Maße zur Psychologie geführt und immer stärker sein Interesse an philosophischen Problemen geweckt. Im Jahre 1867 begann er seine Vorlesungen über die physiologische Psychologie. Sein damaliger Standpunkt war noch vorwiegend von naturwissenschaftlich-physiologischen Erkenntnissen geprägt. Angeregt durch Darwins Evolutionstheorie und den Aufschwung der Tierpsychologie weitete Wundt seine psychologischen Überlegungen auf die „Tierseele" aus. 1863 erschien sein Buch „Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele". In Wundts psychologischen Auffassungen vollzog sich allmählich ein Gesinnungswandel; hatte er, von der Physiologie kommend, zunächst Psychologie vom naturwissenschaftlichen Standpunkt untersucht und gelehrt, wandte er sich in. zunehmendem Maße „geisteswissenschaftlichen" und philosophischen Aspekten der Psychologie zu. Die Psychologie galt ihm bald als grundlegende Disziplin aller Geisteswissenschaften. Die Hinwendung zu psychologischen Problemen verstärkte bei Wundt zwangsläufig das Interesse an philosophischen Fragen. Erkenntnistheorie, Ethik und schließlich Metaphysik gewannen für seine Arbeiten große Bedeutung. Im Jahre 1866 erschien seine erste überwiegend philosophische Schrift: „Die physikalischen Axiome und ihre Beziehungen zum Kausalgesetz". 1874 wurde Wundt als Nachfolger des Neukantianers Friedrich Albert Lange, der sich durch seine „Geschichte des Materialismus" den fragwürdigen Ruf eines profilierten Gegners des Materialismus erworben hatte, als Professor für induktive Philosophie berufen. Mit der Übernahme eines Lehrstuhles für Philosophie erlangte die Philosophie zentrale Bedeutung in seinem Schaffen. Er begann mit der systematischen Ausarbeitung seiner „Metaphysik". In Zürich hielt er Vorlesungen zur Logik und zur Völkerpsychologie. 1874 erschien die erste Auflage der „Grundzüge der physiologischen Psychologie", die von Wundts naturwissenschaftlichen, vor allem von seinen physiologischen Forschungen sehr stark beeinflußt war. In späteren, ständig erweiterten und veränderten Auflagen wurde der naturwissenschaftliche zugunsten eines rein psychologischen Standpunktes zurückgedrängt. Wundt urteilte später : „ D i e erste Auflage dieses Werkes war im wesentlichen nicht mehr als eine möglichst planmäßig geordnete Sammlung von Fragmenten, die zu einem großen Teil dem überkommenen Bestand der Sinnesphysiologie und der sogenannten Assoziationspsychologie entnommen werden mußten. Indem es von dem einen Band der ersten Auflage, unterstützt durch das Leipziger Institut für experimentelle Psychologie sowie mehr und mehr durch die Arbeiten außerhalb desselben stehender Psychologen und Physiologen zu den drei umfangreichen Bänden der sechsten Auflage vom Jahre 1908 bis 1911 fortschritt, darf 13

ich wohl sagen, daß in ihm ein beträchtlicher Teil meiner Lebensarbeit niedergelegt ist." 1 1 In Zürich wirkte Wundt nur ein Jahr, bereits 1875 wurde er als Professor der Philosophie an die Universität nach Leipzig berufen. Mit dieser Berufung auf einen philosophischen Lehrstuhl an einer Hochschule des preußisch-deutschen Obrigkeitstaates vollzog sich im geistigen Schaffen Wundts eine endgültige Wende. Aus dem einstigen Naturwissenschaftler wurde mehr und mehr der Hochschulprofessor für idealistische Psychologie und idealistische deutsche Philosophie. Das schließt nicht aus, daß sich Wundt während seiner langjährigen Leipziger Tätigkeit trotz vieler von ihm ausgehender negativer Einflüsse unbestreitbare Verdienste um die Entwicklung der Psychologie zu einer selbständigen experimentellen Wissenschaft erwarb. In Leipzig lernte Wundt Ernst Heinrich Weber und Gustav Theodor Fechner kennen, deren Pionierleistungen auf dem Gebiete der Physiologie und Psychophysik seine eigenen Arbeiten befruchtend anregten. „ D a ß es mir vergönnt war", schrieb Wundt später, „in Leipzig die zwei Männer kennen zu lernen, die mehr als irgendwelche andere, die ich zu nennen wüßte, durch ihre Arbeiten auf meine eigenen psychologischen Studien von Einfluß gewesen sind, Ernst Heinrich Weber und Gustav Theodor Fechner, habe ich stets als eine besondere Gunst des Schicksals betrachtet." 1 2 Im Jahre 1879 gründete Wundt in Leipzig das erste Institut für experimentelle Psychologie der Welt. Dieses Institut gewann in den folgenden Jahrzehnten starken Einfluß auf die Psychologieentwicklung in und außerhalb Deutschlands. Zahlreiche Schüler und Assistenten Wundts gründeten später eigene Institute für experimentelle Psychologie und vollbrachten hervorragende Leistungen auf dem Gebiete der Psychologie. Zu ihnen gehören: Emil Kraepelin, einer der Begründer der modernen Psychiatrie, Oswald Külpe, ein Hauptvertreter der Würzburger Schule, Felix Krueger, Verfechter einer „genetischen Ganzheitspsychologie", Theodor Lipps, besonders durch seine experimentell-psychologischen Beiträge zur Ästhetik hervorgetreten, Karl Marbe, Vertreter der forensischen Psychologie, Ernst Meumann, einer der Begründer der experimentellen Pädagogik und Hugo Münsterberg, bekannt durch seine Arbeiten zur Psychotechnik. In den U S A arbeiteten als ehemalige Schüler oder Assistenten Wundts: Granville Stanley Hall, der das erste psychologische Labor in den U S A gründete, die erste psychologische Zeitschrift der U S A herausgab und die erste psychologische Gesellschaft bildete, J . Mc. Keen Cattell, der erste Inhaber eines psychologischen Lehrstuhls in den U S A , und Edward Bradford Titchener, der aus Oxford kam und nach seiner Leipziger Zeit in den U S A ebenfalls ein psychologisches Institut gründete. Zeitweilig bei Wundt arbeiteten unter anderen die russischen Psychologen W . M. Bechterew, N. N . Lange und der georgische Psychologe D . N . Usnadse. Wundt gab 1883 die erste Zeitschrift für experimentelle Psychologie „Philol l W . Wundt, Erlebtes und Erkanntes, a. a. O., S. 194. 12 Ebenda, S. 301.

14

sophische Studien" heraus, in der die Forschungsergebnisse des Leipziger Instituts veröffentlicht wurden. Warum er eine psychologische Zeitschrift „Philosophische Studien" genannt habe, begründete Wundt wie folgt: „Philosophische, nicht psychologische nannte ich sie, weil es nötig schien, auch einzelne, namentlich von mir selbst geschriebene Abhandlungen aufzunehmen, die teils der theoretischen Begründung des Standpunktes dieser Arbeiten, teils der zusammenfassenden Übersicht bestimmt waren. Zugleich war aber dieser Titel ein Kampftitel. Denn die experimentelle Psychologie begegnete in den ersten Jahren des Bestehens unseres Instituts lebhaften Angriffen von Seiten mancher Philosophen, denen freilich das damals noch verbreitete Mißverständnis zugrunde lag, diese neue Psychologie wolle auf einem Umwege den alten, durch das epochemachende Werk Albert Langes gründlich abgefertigten Materialismus wieder einführen, jedenfalls aber handle es sich hier um physiologische, nicht um eigentlich psychologische Studien. Mit dem Titel „Philosophische Studien" sollte daher unzweideutig ausgedrückt werden, daß diese neue Psychologie den Anspruch erhebe, ein Teilgebiet der Philosophie zu sein." 13 Nachdem 20 Bände der Zeitschrift erschienen waren und die Daseinsberechtigung der experimentellen Psychologie nicht mehr bezweifelt wurde, hat Wundt die „Philosophischen Studien" gemäß ihrem eigentlichen Charakter in „Psychologische Studien" umbenannt. Bis zu seinem Rücktritt vom Lehramt im Jahre 1917 erschienen noch 10 Bände der neu benannten Zeitschrift. 1880 wurde der erste Band von Wundts „ L o g i k " herausgegeben, der eine allgemeine Logik und die Erkenntnistheorie enthält. Drei Jahre danach erschien der zweite Band als Methodenlehre. D i e „Logik" wurde von Wundt mehrmals umgearbeitet und erweitert. Als dreibändiges Werk erschien sie noch in mehreren Auflagen. Der „Logik" folgte 1886 die „Ethik", eine „Untersuchung der Tatsachen und Gesetze des sittlichen Lebens". Auch sie erlebte in mehrmals umgearbeiteter und erweiterter Fassung zahlreiche Auflagen. Die endgültige Wandlung Wundts vom philosophierenden Naturwissenschaftler zum konsequenten idealistischen Philosophen zeigte sich unwiderlegbar in seinem 1889 veröffentlichten „System der Philosophie". Mit dem „System der Philosophie" beabsichtigte Wundt als Zusammenfassung einzelwissenschaftlicher Erkenntnisse eine neue Metaphysik vorzulegen, welche eine „die Forderungen des Verstandes und die Bedürfnisse des Gemüts befriedigende Welt- und Lebensanschauung" geben sollte. 14 Grundgedanken des Wundtschen „Systems der Philosophie" werden in der vorliegenden Arbeit analysiert und der Kritik unterworfen. Dabei wird sich zeigen, daß dieses System nicht zum Fortschritt der Philosophie beizutragen vermochte, daß es hinter den progressiven Aussagen der klassischen deutschen Philosophie weit zurückblieb, ganz zu schweigen von den etwa zur gleichen Zeit erschienenen Werken von Marx und Engels, die dem Wundtschen „System der Philosophie" 13 Ebenda, S. 313. 14 W. Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1889, S. 2.

15

um eine ganze historische Epoche voraus waren. Die nach dem „System" erschienenen psychologischen Arbeiten Wundts zeigen deutlich das Bestreben, den Idealismus in der experimentellen Psychologie stärker zur Geltung zu bringen. Vergleicht man etwa den „Grundriß der Psychologie" von 1896 mit der etwa zwanzig Jahre früher erschienenen ersten Auflage der „Grundzüge der physiologischen Psychologie", dann wird das Wuchern des Idealismus besonders gut sichtbar. D e m „System" folgten weitere philosophische Veröffentlichungen, 1901 eine „Einleitung in die Philosophie" und 1914 „Sinnliche und übersinnliche Welt". Außer den genannten Publikationen erschienen zahlreiche kleinere Arbeiten, darunter Reden, Aufsätze und Essays. W u n d t hatte schon in frühen Arbeiten, beispielsweise in seinen Beiträgen zur Theorie der Sinneswahrnehmung, gefordert, d a ß der Individualpsychologie eine Psychologie der Gemeinschaft - eine Völkerpsychologie - hinzugefügt werden müsse. Nach langjähriger Beschäftigung mit völkerpsychologischen Problemen erschienen, gewissermaßen als Pendant zu seinen individualpsychologischen Veröffentlichungen und als Resümee seiner psychologischen und philosophischen Arbeiten, von 1900 bis 1920 10 Bände seiner „Völkerpsychologie". Mit diesem umfangreichen Werk beabsichtigte W u n d t , die Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythos und Sitte vom psychologischen Standpunkt zu untersuchen und darzustellen. Im letzten Jahre seines Lebens erschienen unter dem Titel „Erlebtes und Erkanntes" Wundts Lebenserinnerungen, in denen er sich nochmals nachdrücklich zum deutschen Idealismus bekannte und prophezeite, d a ß nur der deutsche Idealismus eine neue Zukunft der europäischen Kultur herbeiführen könne. 1 5 D e r bürgerliche Wissenschaftler W u n d t hatte bis zu seinem Lebensende nicht erkannt, d a ß der Idealismus nach der klassischen deutschen Philosophie nicht mehr zum kulturellen Fortschritt beizutragen vermochte. Am 31. August 1920 starb W u n d t in Großbothen bei Leipzig. 15 W. Wundt, Erlebtes und Erkanntes, a. a. O., S. 391.

16

2.

Die historischen Entwicklungsbedingungen der philosophischen Auffassungen Wundts

2.1.

Die ökonomische und die politische Situation in Deutschland

W u n d t lebte in einer Zeit, in der sich in Deutschland - eingebettet in den internationalen Entwicklungsprozeß der kapitalistischen Gesellschaftsformation tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen vollzogen. Es war die Zeit vom Heranreifen der bürgerlich-demokratischen Revolution 1848/1849, ihrer Durchführung und Niederlage, der Konstituierung und vollen Entfaltung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung bis zur Entwicklung des Imperialismus und der ersten proletarischen Revolutionen. In seiner Kindheit erlebte W u n d t die revolutionäre Volksbewegung vor 1848 in Heidelsheim in Baden als „richtige Dorfrevolution", wie er sie in seinen Lebenserinnerungen bezeichnete. D e n tatsächlich politischen Charakter dieser Ereignisse hat er offensichtlich nicht verstanden; es habe sich nicht um politische Fragen gehandelt, sondern um „Parteien ziemlich gleichgültiger Art" 1 . In Baden hatte sich in den Jahren 1848/1849 ein Zentrum der Revolution herausgebildet. Im September 1848 kam es zu Aufständen der Stadt- und Landbevölkerung. Friedrich Engels, aktiv an den Badener Ereignissen beteiligt, schrieb über die Situation: „Der Aufstand in Baden kam unter den günstigsten Umständen zustande, in denen eine Insurrektion sich nur befinden kann. D a s ganze Volk war einig in dem H a ß gegen eine wortbrüchige, achselträgerische und in ihren politischen Verfolgungen grausame Regierung. Die reaktionären Klassen, Adel, Bürokratie und große Bourgeoisie, waren wenig zahlreich . . . Mit Ausnahme dieser wenigen Adeligen, Beamten und Bourgeois, mit Ausnahme der Karlsruher und Baden-Badener vom Hof und von reichen Fremden lebenden Krämer, mit Ausnahme einiger Heidelberger Professoren und eines halben Dutzend Bauerndörfer um Karlsruhe war das ganze Land ungeteilt für die Bewegung." 2 W u n d t charakterisierte die revolutionären Ereignisse von 1848 in Baden in seinen Lebenserinnerungen als „rasch vergängliche Putsche", von denen nur wenig im Gedächtnis haften geblieben sei. Dagegen habe bei ihm die badische Revolution von 1849 einen ungleich tieferen Eindruck hinterlassen. Im Zusammenhang mit 1 W. Wundt, Erlebtes und Erkanntes, 2. Aufl., Stuttgart 1921, S. 4. 2 F. Engels, D i e

deutsche Reichsverfassungskampagne,

in: Karl Marx/Friedrich

Engels,

Werke (im folgenden M E W ) , Bd. 7, Berlin 1960, S. 133.

2

Wilhelm W u n d t

17

der Reichsverfassungskampagne war es in diesem Jahre in Baden zu schweren Kämpfen gekommen. Die reguläre Armee war auf die Seite des Volkes übergegangen. Trotz dieser Tatsache und der von Engels genannten günstigen Bedingungen für die revolutionäre Bewegung gelang es dem vor der Revolution zitternden badischen Kleinbürgertum, ein Übergreifen der revolutionären Kämpfe auf andere deutsche Staaten zu verhindern und die Revolution schließlich abzuwürgen. Infolge der unentwickelten Industrie gab es in Baden keine große Bourgeoisie und kein gereiftes Proletariat, das Kleinbürgertum besaß das Übergewicht. Schon im Vormärz war Baden ein Zentrum des Liberalismus, kleinbürgerliche Demokraten und Liberale beherrschten die politische Szene. Als Repräsentant des Kleinbürgertums stand der Advokat Brentano an der Spitze der Reichsverfassungskampagne, der es mit diplomatischer Schlauheit von Anfang an verstand, die revolutionäre Bewegung abzuwürgen und auf den Weg bloßer Reformen abzudrängen. Nach der Flucht des Großherzogs von Baden lenkte er die Geschicke des Landesausschusses, von dem Engels schrieb, daß dieser „Spießbürgerausschuß", aus „badischen Biedermännern mit der tüchtigsten Gesinnung und mit den unklarsten Köpfen bestehend, aus ,reinen Republikanern', die vor der Proklamierung der Republik zitterten und vor der geringsten energischen Maßregel sich bekreuzten", ganz von Brentano abhängig sei. 3 Marx und Engels übten in Karlsruhe persönlich scharfe Kritik am Landesausschuß und wiesen den Weg zu revolutionär-demokratischen Maßnahmen, stießen jedoch auf Unverständnis und empörte Ablehnung. Der Verrat des badischen Kleinbürgertums ermöglichte der preußischen Armee, Baden zu besetzen und die Revolution im Blute zu ersticken. Die durch eine überwiegend kleinbürgerliche Führung desorganisierte und irregeleitete badische Volksarmee leistete dem preußischen Heere trotz allem heldenhaften Widerstand. „Dieselben Krieger", schrieb Engels, „die auf dem Marsch oder dem Schlachtfelde mehr als einmal von panischem Schrecken ergriffen wurden - sie sind in den Gräben von Rastatt gestorben wie die Helden. Kein einziger hat gebettelt, kein einziger hat gezittert. Das deutsche Volk wird die Füsilladen und die Kasematten von Rastatt nicht vergessen; es wird die großen Herren nicht vergessen, die diese Infamien befohlen haben, aber auch nicht die Verräter, die sie durch ihre Feigheit verschuldeten : die Brentanos von Karlsruhe und von Frankfurt,"4 Diese Würdigung von Engels, der führend an der revolutionären Bewegung teilnahm und selbst in den Reihen der Freischaren kämpfte, klingt völlig anders als die Lebenserinnerungen Wundts an die gleichen Ereignisse. Darin heißt es: „Auch das tragische Ende dieser kurzen Republik habe ich, noch dazu fast in unmittelbarer Nähe miterlebt, als ich von der Höhe des Gaisberg bei Heidelberg aus die Kanonen der Schlacht bei Waghäusel blitzen sah, in der die preußische Armee unter der Führung des damaligen Prinzen von Preußen, des späteren 3 Ebenda, S. 1 3 6 . 4 Ebenda, S. 1 9 7 .

18

Kaiser Wilhelm, die republikanischen Truppen zu Paaren trieb." 5 Nach der Zerschlagung der republikanischen Truppen wütete die Reaktion in Baden, ein Schreckensregime begann. Militärtribunale nahmen ihre blutige Arbeit auf. Ungeachtet dieser Tatsachen feierten die Bourgeoisie und die gemäßigten Demokraten die preußische Armee als Retter vor der Anarchie. Auch Wundt wußte von seinem Klassenstandpunkt aus in den Lebenserinnerungen nicht mehr zu berichten, als daß sich die weibliche und die jugendliche Bevölkerung der Stadt sehr bald mit dem preußischen Regiment angefreundet habe. Ihn selbst seien von einem biederen Pommerschen Grenadier die Anfangsgründe der Klarinette beigebracht worden. 6 Während seiner Dozentenzeit wurde Wundt als Vertreter Heidelbergs in den badischen Landtag gewählt. In seinen Lebenserinnerungen berichtete er: „Ich brachte von nun an etwa 4 Jahre in Karlsruhe zu, wo ich großenteils im Kreise der allen möglichen Ständen vom Landmann bis zum Beamten und Advokaten angehörenden Landtagsabgeordneten verkehrte. Ein größerer Kreis, dem der Minister August Lamey und die beiden Führer der damals sogenannten Fortschrittspartei, Karl Eckhart und Friedrich Kiefer, angehörten, versammelte sich täglich mit etwa einem Dutzend weiterer Deputierter an der Mittagstafel des Darmstädter Hofs, während die Abende meist zu Kommissionssitzungen oder anderen Arbeiten bestimmt waren. Das badische Gesetzgebungswerk war in ein beschleunigtes Tempo geraten . . . Eine neue Verwaltungsorganisation, ein Polizeistrafgesetzbuch, ein Gesetz über die bürgerliche Gleichstellung aller Staatsbürger ohne Unterschied der Religion, ein Niederlassungsgesetz, später ein Gesetz über die Aufhebung der akademischen Gerichtsbarkeit, mit dessen Kommissionsbericht ich selber beauftragt war, wurden geschaffen . . . Schließlich entstand als das wichtigste ein Gesetz, das die Verhältnisse zwischen Staat und Kirche regelte, und ein umfassendes Schulgesetz, das die Volksschulen auf einen neuen Boden stellte, indem es den ganzen Organismus derselben in den Kreisschulräten der Schule selbst entnahm und der geistlichen Schulaufsicht ein Ende machte." 7 In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts drängte die industrielle Entwicklung in den deutschen Staaten und der ökonomische sowie politisch-militärische Konkurrenzkampf mit der englischen und französischen Bourgeoisie - als Voraussetzung der vollen Entfaltung des Kapitalismus - zur Bildung eines bürgerlichen deutschen Nationalstaates. Dafür gab es die Alternative: Entweder Errichtung einer bürgerlich demokratischen Republik auf dem Wege einer revolutionär-demokratischen Volksrevolution gegen alle Dynastien oder Bildung eines deutschen Nationalstaates auf konterrevolutionärem Wege unter Führung des preußischen Junkertums. Während die fortschrittlichsten Kräfte der Arbeiterklasse, der Bauern und die revolutionär-demokratische Minderheit der Bourgeoisie den Kampf gegen 5 W. Wundt, Erlebtes und Erkanntes, a. a. O., S. 9. 6 Ebenda. 7 Ebenda, S. 20.

2*

19

das adlig-junkerliche Herrschaftssystem führten und die Durchsetzung des Kapitalismus auf „preußischem Wege" zu verhindern versuchte, wandte sich die Mehrheit der Bourgeoisie gegen die revolutionär-demokratische Volksbewegung zur Schaffung einer demokratischen Republik. Marx und Engels hatten auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kommunismus eine Strategie des Volkskampfes zur Errichtung der demokratischen deutschen Republik ausgearbeitet. Zwischen Preußen und Österreich entspann sich ein scharfer Kampf um die Hegemonie in dem zukünftigen deutschen Nationalstaat. Im Frühjahr 1866 begann Bismarck als Repräsentant des preußischen Junkertums die militärische Auseinandersetzung zur Sicherung dieser Hegemonie vorzubereiten. Gegen Preußens Kriegspolitik entwickelte sich eine breite demokratische Antikriegsbewegung. In der Frage „Für Preußen oder Österreich?" bildeten sich in Baden und seinem Landtag zwei Parteien. Wundt berichtete über die damalige Situation: „Mehr als ein ausgeprägtes Standesbewußtsein fehlte aber dem Süddeutschen von damals ein fest bestimmtes Nationalbewußtsein. Als Deutscher fühlte sich jeder, aber ob Preußen oder Österreich als die deutsche Vormacht anzusehen sei, darüber herrschte große Unsicherheit, und die Mehrzahl der Bevölkerung stand wohl auf österreichischer Seite. Auch gingen die Sympathien naher Freunde und Verwandter manchmal weit auseinander. In dieser zweifelhaften Lage hatte die Kammer der Landstände durch die Rückwirkung, die sie auf weitere Kreise übte, eine nicht geringe Bedeutung, und vom Tag von Königgrätz an standen die führenden Mitglieder der Landstände, in der ersten Kammer Bluntschli, in der zweiten Eckhart und Kiefer, entschieden auf preußischer Seite." 8 Wundt bekannte sich wie die Mehrheit der Bourgeoisie zu einem zukünftigen preußisch-deutschen Nationalstaat, als eine erstrebenswerte Etappe auf diesem Weg betrachtete er den Anschluß Badens an Preußen. In einer Würdigung der Leistungen ihres Vaters schrieb Eleonore Wundt: „Auch seine politischen Interessen waren natürlich besonders in der bewegten Zeit um die Mitte der sechziger Jahre rege. Er trat lebhaft für den Anschluß Badens an Preußen ein, als Vorbereitung für die politische Einigung Deutschlands." 9 Nach dem preußischösterreichischen Krieg von 1866 erfolgte der von den reaktionären Teilen der Bourgeoisie erhoffte Anschluß Badens an Preußen jedoch noch nicht. Wundt hat diese Tatsache außerordentlich bedauert. In seinen Erinnerungen schrieb er: „Übrigens ließ der norddeutsche Bund, soviel ich mich erinnere, die offizielle Bitte Badens um Aufnahme unbeantwortet. Auch als später Mathy noch einmal persönlich sich an Bismarck mit der gleichen Bitte wandte, antwortete dieser bedauernd, aber ablehnend. E s war eine trübe Zeit, die nun folgte, und in der das Land Baden jahrelang die Rolle eines verstoßenen Kindes spielte, anscheinend ein selbständiger Staat und doch in allem dem Vorbild des norddeutschen 8 Ebenda, S. 22. 9 E.

Wundt, Wilhelm

Wundt,

Deutsches

Leipzig, ohne weitere Jahresangabe, S. 628.

20

Biographisches

Jahrbuch

1917-1920,

Berlin-

Bundes folgend, jeden Augenblick bereit, diesem Bund beizutreten und doch immer wieder ablehnend beschieden. Nirgends ist wohl die Unhaltbarkeit dieser deutschen Zustände bis zum Ausbruch des Krieges von 1870 so fühlbar gewesen wie in Baden, und am drückendsten machte sich dieser Zustand in der Ständekammer geltend, die mehr und mehr die eigene Tätigkeit, soweit sie sich auf die allgemeinen deutschen Verhältnisse bezog, als eine überflüssige empfand. Mir persönlich wurde diese Lage schließlich unerträglich, und im Jahre 1868 legte ich mein Mandat nieder, um wieder ganz zu meinem akademischen Beruf zurückzukehren." 10 Wenn Wundt den Austritt aus dem Landtag in seinen Erinnerungen als einen gewissen Abschluß seines politischen Lebens bezeichnete, dann stimmt das nur insofern, als er in den mehr als 50 Jahren seines weiteren Lebens nicht mehr in politischen Organisationen oder Parteien tätig war, abgesehen von wissenschaftlichen Vereinigungen, wie dem von ihm mitbegründeten historisch-philosophischen Verein in Heidelberg, die allerdings keineswegs unpolitisch waren. Im ideologischen Kampf hat sich Wundt bis an sein Lebensende für den bürgerlichen Staat und den Idealismus engagiert. In den 60er Jahren war er in Heidelberg zeitweilig Vorsitzender des dortigen Arbeiterbildungsvereines. E s war die Zeit, als diese Bildungsvereine stark unter dem Einfluß der liberalen Bourgeoisie standen. Deren Zielsetzung war eine allgemeine Volksbildung als Voraussetzung einer starken deutschen Nation und der weiteren raschen industriellen Entwicklung. Auch Wundt ging es um die Entwicklung einer geistigen Gemeinschaft des deutschen Volkes, keineswegs um die klassenmäßige Bildung der Arbeiter. In seinen Erinnerungen berichtete er, daß er vor allem vor gebildeten Kreisen kleinerer Städte Lehrvorträge gehalten habe, zum Beispiel über die Erhaltung der Kraft oder über Darwins Evolutionstheorie. „Dabei war es ein charakteristischer Zug dieser Vereinigung", schrieb er, „daß anfänglich politische Gegensätze gar keine Rolle spielten. So entsinne ich mich einer Zusammenkunft von Vorständen über ganz Baden zerstreuter Arbeiterbildungsvereine, der aus einem Freiburger Landesgerichtsrat, einem Pforzheimer Gymnasialdirektor, einem späteren Mannheimer Sozialdemokraten und mir selber bestand, während ihr außerdem der auf der Durchreise befindliche Begründer der Frankfurter Zeitung angehörte. Eine ungleich größere Zahl von Mitgliedern aus Bürger- und Arbeiterkreisen vereinigte etwa um das Jahr 1863 eine große, hauptsächlich aus Württemberg und Baden gekommene Versammlung, deren Mitglieder teils dem Bürger - teils dem Arbeiterstand angehörten und auf der ich das einzige Mal in meinem Leben den damals als Professor der .induktiven Philosophie' in Zürich lebenden Albert Lange, den Verfasser der Geschichte des Materialismus, kennen gelernt habe." 1 1 E s bedarf wohl keines weiteren Beweises, daß es Albert Lange, einem zweitrangigen neukantianischen Philosophen, dessen Anwesenheit von Wundt hervor10 W . Wundt, Erlebtes und Erkanntes, a. a. O., S. 29. 11 Ebenda, S. 18.

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gehoben wird, nicht um die klassenmäßige Bildung von Arbeitern ging. Eine Volksbildung ohne Klassengegensätze war auch Wundts erklärtes Ziel. „Der jugendliche Universitätslehrer", schrieb sein ehemaliger Schüler und Assistent Felix Krueger, „bemühte sich, die Mitglieder jenes Vereins für die .große nationale Sache' zu erwärmen. Das Ziel, so heißt es in dem Entwürfe einer dort gehaltenen Rede, wahrscheinlich aus dem Jahre 1863, das Ziel der ganzen Arbeiterbewegung sei ,die Freiheit und Selbständigkeit des Arbeiterstandes', seine Erlösung aus maschinenhaften Lebensformen. Aber dieses Ziel hänge unauflöslich mit ,der deutschen Einheit und Freiheit' zusammen. Beides forderte von den deutschen Arbeitern, über ihre Berufs- und Klasseninteressen sich erhebend, mitzukämpfen pflichtbewußt ,für die Ehre der Nation'." 12 Als sich die Arbeiterbildungsvereine von der liberalen Bevormundung zu lösen und auf proletarische Klassenpositionen überzugehen begannen, schied Wundt aus. Er beklagte, daß „Arbeitergenossenschaften" an Stelle der früheren Vereine getreten seien, die „von ihren anfänglichen Führern nichts mehr wissen wollten"1-®. Wundt schied aus, als sich, wie er selbst formulierte, „mit dem Auftreten der großen Agitatoren Ferdinand Lassalle und Karl Marx" ein Übergang der harmlosen Bildungsvereine in „sozialdemokratische Arbeitervereine" vollzog. 14 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als Wundt seine wissenschaftliche Laufbahn begann und sich zu einem international bedeutenden Psychologen entwickelte, siegte und festigte sich in Deutschland der Kapitalismus. Vor allem ab 1871 bis zur Jahrhundertwende konstituierte und festigte die deutsche Bourgeoisie ihre Machtverhältnisse. Sie hatte ihren Sieg nicht auf dem revolutionären „französischen" Weg erobert, ihr „deutscher Weg" zum Kapitalismus war durch seinen reformistischen Charakter gekennzeichnet. Die nationale Einigung Deutschlands, als unabdingbare Voraussetzung für die weitere Industrialisierung und die volle Machtentfaltung des Kapitalismus, errang die deutsche Bourgeoisie im Kompromiß mit dem reaktionären preußischen Junkertum. Die Reichsgründung erfolgte durch „Stahl und Eisen" im Gefolge von drei Kriegen. Der Feudaladel verwandelte sich im Bündnis mit der Bourgeoisie in das kapitalistisch wirtschaftende Junkertum. Der gegen die revolutionäre Arbeiterklasse gerichtete Kompromiß zwischen Bourgeoisie und Junkertum verlieh dem deutschen Nationalstaat seinen extrem reaktionären, militanten und aggressiven Charakter. Nach dem deutschfranzösischen Krieg und der Reichsgründung von 1871 entwickelte sich Deutschland zu einem mächtigen Industriestaat, der bald unverhohlen mit Weltmachtsansprüchen auftrat. Mit dem raschen Wachstum der auf Ausbeutung und Unterdrückung beruhenden kapitalistischen Machtverhältnisse erstarkte das Proletariat als Klasse und formierte sich zu einer starken revolutionären Kraft. Im „Kommu1 2 F. Krueger, Wilhelm W u n d t als deutscher Denker, in: Wilhelm Wundt - eine Würdigung, Anhang zum 2. Band „Beiträge zur Philosophie des Deutschen Idealismus", Erfurt 1 9 2 2 , S. 3. 1 3 W . Wundt, Erlebtes und Erkanntes, a. a. O., S. 17. 1 4 Ebenda, S. 2 1 .

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nistischen Manifest" hatten Marx und Engels festgestellt: „Aber die Bourgeoisie hat nicht nur die Waffen geschmiedet, die ihr den Tod bringen; sie hat auch die Männer gezeugt, die diese Waffen führen werden - die modernen Arbeiter, die Proletarier,"15 Die Formierung des Proletariats zur revolutionären Bewegung vollzog sich auf der Grundlage der von Marx und Engels ausgearbeiteten Weltanschauung. In Deutschland entwickelte sich die Sozialdemokratie zur revolutionären Partei der Arbeiterklasse. Auf der Grundlage ihres marxistischen Programms führte sie die Arbeiterklasse in ihrem politischen, ökonomischen und ideologischen Kampf. Ihr wachsender Einfluß zeigte sich besonders in großen Massenaktionen gegen Imperialismus und Militarismus. Um die Jahrhundertwende bewies die deutsche Sozialdemokratie ihre revolutionäre Kampfkraft, indem sie Bismarcks berüchtigtes Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemokratie liquidierte. Der preußisch-deutsche Militärstaat versuchte mit allen Mitteln die revolutionäre Arbeiterbewegung und ihre marxistische Weltanschauung zu unterdrücken. Wundt identifizierte sich durch Handlungen und Schriften prinzipiell mit den Interessen und Zielen des junkerlich-bourgeoisen Staates, in dem er als beamteter Hochschullehrer für Philosophie und Psychologie seine Wirkungsstätte gefunden hatte. Zu Beginn des ersten Weltkrieges bezog er sogar die Position eines stark engagierten, chauvinistischen Apologeten der Kriegsziele des deutschen Imperialismus. Der liberale bürgerliche Intellektuelle ging zu einem chauvinistischen Standpunkt über, wie es Meischner charakterisierte.16 Bei Kriegsausbruch appelhatte. Zu Beginn des ersten Weltkrieges bezog er sogar die Position eines stark erfüllen, und er stellte sich voll und ganz hinter die räuberischen Ziele des deutschen Imperialismus. Als Hauptfeind und als Schuldigen am Krieg prangerte er England an, bestritt dagegen jede Schuld der herrschenden Klasse in Deutschland. Das deutsche Volk müsse sich in einem ihm aufgezwungenen Krieg gegen einen Feind wehren, der ihm Freiheit und Selbständigkeit rauben wolle. Während die Linken in der deutschen Sozialdemokratie unter Führung von Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring und Clara Zetkin die tatsächlichen Ursachen und Ziele des Krieges enthüllten, den deutschen Imperialismus als Hauptschuldigen entlarvten und von ihrer proletarischen Klassenposition aus nachwiesen, daß der Hauptfeind im eigenen Lande stehe, propagierte Wundt die Lüge vom Verteidigungskrieg und verbreitete die demagogische Parole von der Vaterlandsverteidigung. Er erklärte: „. . . ein Volk, das mit seiner ganzen Kraft, das in allen seinen Gliedern, vom Fürsten bis zum Bauern, vom großen Industriellen und Kaufmann bis zum geringsten seiner Gehilfen und Arbeiter, vom Künstler und Gelehrten bis zum bescheidenen Handwerker, ein Volk, das sich gegen diesen 1 5 K . Marx/F. Engels,

Manifest

der

Kommunistischen

Partei,

in

MEW,

Bd.

4,

Berlin

1 9 5 9 , S. 4 6 8 . 16 W.

Meischner, Die Anwendung marxistisch-leninistischer

Prinzipien

der

Psychologiege-

schichte auf die Wundt-Forschung, in: Kongreßband des 4. Kongresses der Gesellschaft für Psychologie der Deutschen Demokratischen Republik, Leipzig 1 9 7 5 , S. 9.

23

Angriff wehrt, k ä m p f t einen K a m p f nicht um vergänglicher V o r t e i l e willen, es kämpft ihn für alle künftigen Geschlechter, ja es k ä m p f t ihn - das ist das G r ö ß t e und Gewaltigste an diesem V ö l k e r k a m p f - für die Menschheit und damit schließlich selbst für die V ö l k e r , die ihm heute als seine F e i n d e gegenüberstehen." 1 7 A u f Seiten der Gegner, argumentierte W u n d t , sei die Aufrüstung bereits die V o r bereitung zum Kriege, auf deutscher Seite dagegen eine notwendige Schutzmaßregel gewesen. Im Widerspruch zur historischen W a h r h e i t erklärte W u n d t das ganze englische V o l k zum Hauptschuldigen an der Entfachung des W e l t b r a n d e s . D a s englische V o l k habe sich durch seine „ W o h l f a h r t s m o r a l " schuldig gemacht. 1 8 M i t seinem berüchtigten Appell bei Kriegsausbruch stimmte W u n d t mit den ärgsten Apologeten des deutschen Imperialismus und Militarismus völlig überein. H a ß e r f ü l l t schrieb e r : „ E n g l a n d führt also diesen K r i e g gegen jeden einzelnen Deutschen. E n g l a n d , das stammverwandte germanische L a n d , tut alles, um ihn in einen Rassenkampf zu verwandeln. D a m i t ist E n g l a n d mindestens für diesen K r i e g aus der R e i h e der zivilisierten Staaten ausgeschieden, und mit ihm

wetteifern

seine Verbündeten, sowie es in ihren K r ä f t e n steht. Nein, dieser K r i e g ist auf der Seite unserer F e i n d e kein wahrhafter K r i e g , denn er ist überhaupt kein K r i e g , da auch der K r i e g seine Rechte und Gesetze hat. E r ist ein ehrloser räuberischer Überfall, dessen Mittel M o r d , Piraterie und Flibustiertum sind, nicht der offene, ehrliche K a m p f

mit den W a f f e n . " 1 9 „ D a r u m ist dieser K r i e g " ,

schlußfolgerte

W u n d t , „im vollsten Sinne jenes W o r t e s , das dereinst im Sturm der Befreiungskriege, die wir heute als das Vorspiel dieses gewaltigen V ö l k e r k a m p f e s erkennen, Fichte geprägt, ein wahrhafter K r i e g , denn er ist, wenn wir nicht uns selbst aufgeben wollen, ein notwendiger und, weil er unsere höchste Pflicht in sich schließt, ein heiliger K r i e g . " 2 0 W u n d t beteiligte sich nicht nur am Versuch, den deutschen Imperialismus von jeder

Kriegsschuld

freizusprechen,

er propagierte

zugleich

dessen

räuberische

Ziele. E r sagte: „ W i e viel mehr fordert eine solche fast übermenschliche

An-

strengung, wie sie uns jetzt aufgebürdet ist, zu der F r a g e heraus: was soll das Ziel dieses Krieges sein? D a ß es damit nicht getan sein darf, die F e i n d e abzuwehren, mit der Aussicht, d a ß sie ein zweites M a l , wenn sie sich besser gerüstet glauben, wieder über uns herfallen, darüber ist unter uns wohl alle W e l t einig. A b e r d a ß auch die Millionen und Milliarden, die wir uns für die N o t und das E l e n d dieser Wochen

als Kriegsentschädigung zahlen lassen, nur eine nebensächliche

Rolle

spielen können, versteht sich von selbst. E i n Verlust an G u t und L e b e n , wie ihn ein solcher K r i e g mit sich bringt, ist j a überhaupt nicht mit G e l d zu bezahlen, und eine Geldsühne allein vermöchte einen neuen Angriff bestenfalls zu verzögern, nicht unmöglich zu machen. Auch hat der K r i e g von 1 8 7 0 jedem von uns, 17 W . Wundt, Über den wahrhaften Krieg, Rede, gehalten in der Alberthalle zu Leipzig am 10. September 1 9 1 4 , Leipzig 1 9 1 4 , S. 5. 18 Ebenda, S. 13. 19 Ebenda, S. 2 9 / 3 0 . 2 0 Ebenda, S. 2 4 .

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der seine nächsten Folgen erlebt hat, deutlich genug die Lehre eingeprägt, d a ß ein allzu reichlicher Zustrom von G o l d , wenn nicht gleichzeitig die W e g e zu dessen fruchtbarer Verwertung eröffnet werden, ein zweifelhafter Segen ist. Solche Wege können sich aber uns allein eröffnen durch die Erweiterung unseres kolonialen Besitzes." 2 1 W u n d t fügte als „ A r g u m e n t " hinzu: „ E n g l a n d trägt außerdem für einen kleinen Inselstaat allzu schwer an seinem kolonialen Besitz. E s wird uns reichlich zahlen müssen von dem, was es zu viel hat, wenn aus diesem K r i e g eine gerechte Verteilung der kolonialen Kulturarbeit der Nationen hervorgehen soll." 2 2 Chauvinistische Überheblichkeit und Elitedenken Wundts richteten sich zugleich gegen Rußland. E r erklärte: „Deutsche Staatsmänner haben zu einem großen Teil seine Politik geleitet. Deutsche Offiziere haben seine Heere ausgebildet. W a s es in der Wissenschaft geleistet hat, verdankt es zumeist deutschen Gelehrten." 2 3 A u s dieser chauvinistischen Sicht propagierte W u n d t die geplanten Ostexpansionen des deutschen Monopolkapitals. E r forderte: „ D a s heutige RussischPolen wird in der Vereinigung mit den deutschen und den anderen slawischen Ländern Österreichs den Schutz und die Freiheit finden, die die österreichischungarische Monarchie allen unter ihrem Zepter vereinigten Nationen zuteil werden läßt und die in diesem K r i e g e alle unter Österreichs Fahne zum begeisterten K a m p f gegen Rußland mit den Deutschen verbundenen Slawen dankbar bezeugen. D i e deutschen Balten, denen Rußland ihre Verdienste so schnöde gelohnt hat, werden als gerechte Sühne für die Mißhandlungen, die sie erfahren, d e m deutschen Mutterlande, dem das Herz der Besten unter ihnen allezeit treu geblieben ist, wieder zugeführt werden." 2 ' 1 Wundt war ein sehr eifriger Befürworter von Annexionen. In einem Brief an seinen ehemaligen Assistenten Ernst Meumann schrieb er bei Kriegsbeginn: „ G e wiß ist es mit Freuden zu begrüßen, wenn auch Sie und andere jüngere Vertreter der Wissenschaft, die zu dem A u s l a n d e Beziehungen haben, eine K u n d g e b u n g veranstalten, dies umso mehr, d a im A u s l a n d immer noch gelegentlich die L e g e n d e existiert, die ,Intellektuellen' in Deutschland seien Gegner des Krieges, und nichts kann ja solche Irrtümer mehr begünstigen, als wenn ein Historiker wie D e l b r ü c k in so unsinniger Weise gegen jede Annexion von deutscher Seite protestiert, wo er sich doch sagen müßte, daß die Herstellung eines solchen .Gleichgewichts' der Großmächte, wie er sie fordert, uns in 10 oder 20 Jahren einen neuen K r i e g einbringen würde. ' , 2 ° Wundts H a ß richtete sich gegen die revolutionären Sozialdemokraten, die mutig gegen den imperialistischen K r i e g auftraten. Im Sinne der Dolchstoß21 Ebenda, S. 33/34. 22 Ebenda, S. 35. 23 Ebenda, S. 36. 24 Ebenda, S. 37/38. 25 Brief Wundts an Ernst Meumann vom 29. Oktober 1914, in: Wundt-Forschungsarchiv der Karl-Marx-Universität Leipzig, Briefwechsel IV.

25

legende erklärte er sie auch zu den Hauptschuldigen an der Niederlage im Kriege. In seinen Lebenserinnerungen schrieb er zur Sozialdemokratie: „In den außerdeutschen Ländern hat sie jedesmal dann ihren Einfluß verloren, wenn der Gedanke an das Interesse der Erhaltung der Macht der Nation in Frage kam. Bei uns ist in ihr die alte Tradition ihrer internationalen Mission allezeit erhalten geblieben, und sie hat daher fortan während dieser Jahre die Tendenz verfolgt, unserem nationalen Interesse möglichst entgegenzuwirken, in der Meinung, dadurch um so mehr ihre internationalen Ziele zu fördern. Auf diese Weise ist sie zu einer internationalen Partei geworden, die eigentlich nur noch in unserer eigenen Nation existierte und sich so dieser gegenüber mit innerer Notwendigkeit in eine antinationale umwandelte. So sind wir schließlich unterlegen, nicht weil uns unsere Gegner besiegten - davon ist bekanntlich bis gegen Ende des Krieges, wo dieser zersetzende Einfluß unvermeidlich in die Armee selbst eindrang, nirgends die Rede gewesen - , sondern wir sind geschlagen worden, weil die bei uns herrschende Partei planmäßig unsere staatlichen Kräfte untergrub, um sich selbst zur Herrschaft zu verhelfen." 26 Wundt hatte das Wesen des ersten Weltkriegs ebensowenig begriffen, wie er von seinem bürgerlich-chauvinistischen Standpunkt aus die internationalistische Haltung der besten Vertreter der deutschen Sozialdemokratie zu diesem Krieg zu verstehen vermochte. In seinem Unverständnis für die historischen Ereignisse stempelte er die Linken in der Sozialdemokratie, die besten Vertreter des deutschen Volkes, zu Verrätern an der deutschen Nation. Wundt verharrte bis an sein Lebensende auf einem reaktionären politischen Standpunkt, der durch den tatsächlichen geschichtlichen Prozeß ad absurdum geführt wurde. Während der letzten Lebensjahre Wundts leitete die russische Arbeiterklasse, geführt von Lenin und der Partei der Bolschewiki, im Bündnis mit den werktätigen Bauern mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution den gesetzmäßigen Übergang zu einem neuen Kapitel der Menschheitsgeschichte ein. Unter diesem Einfluß erhob sich in Deutschland im November 1918 die Arbeiterklasse gegen Imperialismus und Militarismus, jagte der Bourgeoisie Angst und Schrecken ein und trotzte ihreinige soziale Zugeständnisse ab. Der bedeutende Wissenschaftler Wundt vermochte die Schranken seiner Klassenzugehörigkeit nicht zu überwinden, er engagierte sich politisch für die Reaktion.

2.2.

Zur Wissenschaftsentwicklung

Mit dem stürmischen Wachstum des Kapitalismus war eine industrielle Revolution verbunden. Die mächtige Entwicklung von Wissenschaft und Technik war eine entscheidende Voraussetzung für die volle Entfaltung des Kapitalismus; für den Profit setzte die sich zur herrschenden Klasse konstituierende Bourgeoisie 2 6 W . Wundt, Erlebtes und Erkanntes, a. a. O., S. 379.

26

gewaltige Produktivkräfte in Bewegung, die Wissenschaft und Technik und damit den gesamten Produktionsprozeß revolutionierten. Die rasche Entwicklung des Kapitalismus erzeugte das Bedürfnis nach Erweiterung und Vertiefung der wissenschaftlichen Forschung und nach beschleunigter Anwendung von Forschungsergebnissen in der Praxis. In zahlreichen Wissenschaftsdisziplinen, auch in völlig neuentstandenen, und im Bereich der Technik führten umfangreiche Forschungsarbeiten zu immer neuen Entdeckungen und Erfindungen und zu ihrer produktiven Nutzung. Besonders rasch entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Gebiet der Elektrotechnik. Eine kleine Auswahl von Fakten und Daten soll diese Tatsache veranschaulichen. 1855 erfand D. E. Hughes den ersten Drucktelegrafenapparat. 1856 entwickelte J. C. Maxwell seine Theorie der Elektrizität und des Magnetismus. 1857 erfand H. Goebel die Glühlampe mit Kohlefaden. 1861 wurde von J. P. Reis das Telefon erfunden. 1865 sagte J. C. Maxwell die Existenz einer elektromagnetischen Strahlung voraus. 1866 entdeckte W . • von Siemens das elektrodynamische Prinzip. 1874 erfand J. M. E. Baudot den nach ihm benannten Telegrafen. 1878 erfand D. E. Hughes das Kohlemikrophon. 1882 erfolgte die erste Fernübertragung von 1,5 K W elektrischer Energie mit 2000 V Gleichspannung zwischen Miesbach und München. 1888 wies Hertz die Existenz elektromagnetischer Wellen nach. 1889 erfand M. D. Doliwo-Dobrowolski den Elektromotor. 1892 erfand C. von Auer die Metallfadenglühlampe. 1895 entdeckte W . C. Röntgen die nach ihm benannten Strahlen. Hinzu kamen neue Erkenntnisse und Entdeckungen auf dem Gebiete des Elektromagnetismus durch M. Faraday und Weiterentwicklungen auf dem Gebiete der Elektrotechnik durch T. A. Edison. Dieser gewiß unvollständigen und etwas willkürlichen Aufzählung von Entdeckungen und Erfindungen im Bereich der Elektrotechnik ließen sich für zahlreiche naturwissenschaftliche Disziplinen ähnliche Fakten und Daten für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts anfügen. Es sei nur noch auf einige bedeutsame Entwicklungen hingewiesen. Die organische Chemie erlebte besonders durch Arbeiten von Dumas, Liebig und Pasteur einen mächtigen Aufschwung. Liebig erwarb sich vor allem Verdienste durch die Entwicklung der landwirtschaftlichen Chemie; Pasteur legte eine Keimtheorie der Krankheiten vor. 1869 stellte Mendelejew sein Periodensystem der Elemente auf. Für den industriellen und militärischen Bedarf entwickelte die Chemie zahlreiche Färb- und Explosivstoffe. Darwin veröffentlichte sein berühmtes Werk „Über die Entstehung der Arten". Ein imposanter Fortschritt vollzog sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch auf den Gebieten der Metallurgie und des Maschinenbaus. Die Erzeugung von Stahl revolutionierte die Basis der Metallurgie und des Maschinenbaus. 1855 wurde das Bessemer-Verfahren zur Herstellung von Gußstahl patentiert; 1860 wurde es industriell nutzbar gemacht. 1861 konstruierte Lenoir den ersten betriebsfähigen Gasmotor. 1864 verwendeten F. Siemens sowie P. E. und E. Martin den 1856 neuentwickelten und nach ihnen benannten Ofen erstmalig zum Stahlschmelzen. 1866 entdeckte W . v. Siemens das dynamoelektrische Prinzip 27

und wurde damit zum eigentlichen Begründer der Starkstromtechnik. 1876 konstruierte N . A. Otto den ersten nach dem Viertaktverfahren arbeitenden Gasmotor. 1879 erbaute W. von Siemens für die Berliner Gewerbeaussteilung die erste elektrische Eisenbahn, die als Grubenbahn eingesetzt wurde, und schuf die erste elektrische Gesteinsbohrmaschine. Lomonossow, Mayer, Joule und Helmholtz erwarben sich große Verdienste bei der theoretischen Bestimmung des Energiebegriffs und vor allem durch die Entdeckung und Formulierung des Energiesatzes. 1850 formulierte J. E. Clausius erstmalig den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik und gab 1865 eine exakte Definition für Entropie. Ch. A. Parsons schuf 1884 die Gleichdruckdampfturbine und baute 1897 die erste D a m p f t u r b i n e für den Schiffsantrieb. 1898 fanden P. und M. Curie Radium. Schließlich sei noch die um die Jahrhundertwende erfolgte Ausarbeitung der Quantentheorie und der Relativitätstheorie erwähnt, die besonders mit den N a m e n der genialen Gelehrten M. Planck und A. Einstein verbunden ist. Wie zahlreiche andere Wissenschaften erlebte auch die Physiologie in dieser Zeit einen raschen Aufschwung und führte zu wichtigen neuen Erkenntnissen. Mit dem Wachstum des Kapitalismus erlangte der Mensch als Produktivkraft zunehmende Bedeutung. D i e Physiologie mußte einen wesentlichen Beitrag zur genaueren Erforschung des menschlichen Erkenntnis- und Leistungsvermögens liefern. D i e Tätigkeit der Sinnesorgane sowie die Nerven- und Gehirnprozesse wurden ihr zentrales Thema. Die experimentelle Tätigkeit der Physiologen, die zugleich eine unabdingbare Voraussetzung und die entscheidende Grundlage für die Entstehung einer experimentellen Psychologie bildete, erreichte in kurzer Zeit ein beachtlich hohes Niveau. Als eine Voraussetzung für die weitere Erforschung der Sinnes- und Nerventätigkeit war die Struktur des Nervensystems als Zellstruktur erkannt worden. Eine wesentliche Vorarbeit hatten die Begründer der Zellentheorie T. Schwann und M. J. Schleiden geleistet, indem sie bewiesen, d a ß tierische wie pflanzliche Gewebe aus Zellen, aus einheitlichen Elementareinheiten, bestehen. Friedrich Engels hat diese Entdeckung neben der Evolutionstheorie und dem Gesetz von der Erhaltung der Energie bekanntlich zu den drei großen Entdeckungen gezählt, durch welche die Lehre von der Entwicklung der Natur bestätigt worden sei. Durch die Verbesserung des Mikroskops und die Entwicklung neuer Methoden bei der Herstellung mikroskopischer Präparate gelang es, Zellen und Fasern zu unterscheiden. Die Zellenzusammensetzung der grauen Gehirnmasse konnte nachgewiesen werden. Bereits 1811 hatte Charles Bell die sensorischen und motorischen Nerven entdeckt. Zahlreiche Physiologen vollbrachten Pionierleistungen bei der Erforschung der Sinnes- und Nervenprozesse und gelangten zu wichtigen Erkenntnissen über die Tätigkeit des Gehirns. Aus der Entwicklungsgeschichte der Physiologie des 19. Jahrhunderts seien nur einige wenige Beispiele genannt. Einen grundlegenden Beitrag für die Entwicklung der Physiologie zu einer auf Beobachtung und Experiment beruhenden Wissenschaft leistete Johannes Müller (1801-1858). Wegweisend waren seine Versuche zur Messung der Leitungs28

geschwindigkeit der Nerven. Seine Reaktionszeitmessungen bildeten den Grundbestandteil der Weber-Fechnerschen Psychophysik und der experimentellen Psychologie. Müllers Handbuch der Physiologie war ein wirksamer Beitrag zur Überwindung der spekulativen Naturphilosophie. Wertvolle Anregungen für die weitere physiologische Forschung gab seine Arbeit „Zur vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes". Johannes Müllers physiologische Untersuchungen waren eng mit psychologischen Fragen verbunden. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er den Problemen der Sinneswahrnehmung. Seine übertriebene anatomische Betrachtungsweise und die Annahme von spezifischen Sinnesenergien begrenzten jedoch seine Erkenntnismöglichkeiten. Seine agnostizistischen Theorien, wonach die Empfindungen als Ausdruck der spezifischen Energie der Sinnesorgane subjektiv seien, widerlegte Ludwig Feuerbach. Die „spezifischen Sinnesenergien" betrachtete Müller nativistisch als durch das Erbgut gegebene, a priori wirkende Erscheinungen. Wertvolle Beobachtungen und Experimente zur Physiologie der Sinne führte auch der tschechische Physiologe J. E. Purkinje (1787-1869) durch. Seine Verdienste liegen besonders auf dem Gebiet der physiologischen Optik. Tiefgreifenden Einfluß auf die Entwicklung der Physiologie zur experimentellen Wissenschaft und für die Herausbildung einer selbständigen experimentellen Psychologie hatte E. H. Weber (1795-1878), den Wundt als den „Vater der experimentellen Psychologie" bezeichnete. Weber suchte Antwort auf die Frage, wie die Beziehung von Natur und Geist mit naturwissenschaftlichen Methoden erforscht werden könne. Er ging bei seinen Untersuchungen von der Annahme aus, daß sich Psychisches mit physischen Maßgrößen messen lasse, und er bewies, daß psychische Erscheinungen experimentell erforscht werden können. Weber gehört zu den Begründern der in engem Zusammenhange mit der Sinnesphysiologie entstandenen Psychophysik. Während die Physiologie bei der Erforschung von Struktur und Funktion der Sinnesorgane besonders den Zusammenhang von physiologischen Prozessen und psychischen Erscheinungen beachtet, interessiert die Psychophysik dabei vor allem das Verhältnis von Physischem (physikalischem Reiz) und psychologischen Vorgängen. Auf spezifische Weise geht es ihr um die philosophische Fragestellung nach dem Verhältnis von Natur und Geist. Besondere Bedeutung für die physiologische Forschung erlangten Webers Experimente zur Erfassung von Unterschiedsschwellen. Er untersuchte, wie groß der minimale Unterschied zwischen zwei Reizen sein muß, damit diese noch als Unterschied empfunden werden können. Die Unterschiedsschwellen bestimmte er mit mathematischen Methoden. Weber erkannte gesetzmäßige Beziehungen zwischen Reiz- und Empfindungsgröße. Er stellte fest, daß einem bestimmten Reizzuwachs eine bestimmte Veränderung der Empfindungsintensität entspricht und daß Reiz und Empfindung nicht in gleichem Maße ansteigen. Auf der Grundlage des von Weber erfaßten Zusammenhangs entwickelte Fechner seine als Weber-Fechnersches Gesetz bezeichnete Maßformel, nach der ein logarithmischer Zusammenhang zwischen Reiz und Empfindungsgröße besteht. Weber erfaßte für das Gebiet der Sinnesempfindungen das Prinzip der Relativität. Außerdem 29

entwickelte er neue Methoden zur experimentellen Erforschung von Empfindungen und Wahrnehmungsprozessen. Mit seinen Arbeiten trug Weber in starkem Maße dazu bei, für die experimentelle Psychologie eine tragfähige naturwissenschaftlich-experimentelle Basis zu schaffen. Zu den Wegbereitern der experimentellen Psychologie unter den Physiologen gehörte der Holländer F. C. Donders (1818-1889). Mit seinen Reaktionszeitmessungen lieferte er einen wichtigen Beitrag zum Nachweis des Prozeßcharakters psychischer Erscheinungen. Er wies nach, daß die Reaktionszeit zwischen Reiz und motorischer Reaktion von verschiedenen Variablen abhängig ist. Für die Reaktionszeitmessungen entwickelte er einige neue Versuchsanordnungen. Seine Arbeit „ D i e Geschwindigkeit der psychischen Prozesse" zeigt, daß es ihm bei seinen physiologischen Untersuchungen zugleich um die Analyse psychischer Erscheinungen ging. Neben den genannten haben noch zahlreiche andere Physiologen mit ihren Arbeiten die Entstehung der experimentellen Psychologie vorbereitet. Der Anatom und Physiologe A. W. Volkmann (1800-1877) untersuchte besonders erfolgreich Vorgänge des Sehens. K . Vierordt (1818-1884) befaßte sich mit Fragen der Zeitwahrnehmung. E r gab eine Bestimmung konstanter Fehler und wies die Abhängigkeit der Zeitschätzung von früheren Empfindungen nach. E . U. Brücke (1819-1892) hat durch seine Forschungen besonders zur Entwicklung der Verdauungsphysiologie beigetragen. Der Physiologe H. Aubert (1826 bis 1892) analysierte die Vorgänge bei der Raumwahrnehmung. Dabei untersuchte er besonders gründlich Phänomene der Sinnestäuschungen, speziell der optischen Täuschungen. Als zusammengehörige Faktoren des Wahrnehmungsvorganges erkannte er die Leistungen des Sehorgans, die Bewegungen des Körpers und die psychische Tätigkeit. Damit erfaßte er die Einheit von physischen, physiologischen und psychischen Prozessen. Zu den besonders verdienstvollen Physiologen gehörte auch E . Hering (1834-1918). Seine Arbeiten auf dem Gebiete der Sinnesphysiologie konzentrierten sich besonders auf Probleme der physiologischen Optik. Zu den bedeutendsten Physiologen und Wegbereitern der experimentellen Psychologie gehört schließlich auch Hermann von Helmholtz (1821-1894). D i e Physiologie und die experimentelle Psychologie verdanken dem vielseitigen Naturforscher zahlreiche grundlegende und wegweisende Leistungen und Forschungsergebnisse. Allein seine exakte Begründung des von R. Mayer entdeckten Gesetzes von der Erhaltung der Energie wies der physiologischen und psychologischen Forschung neue Wege. Diese Tatsache hat Jaroschewski folgendermaßen begründet: „ D a s von Helmholtz (und fast gleichzeitig auch von Mayer und Joule) formulierte Prinzip besaß eine gewaltige Bedeutung für die Physiologie. Wenn der Organismus eine durch Energie angetriebene Maschine ist, dann kann er nur auf einem Wege wissenschaftlich erforscht werden, und zwar nur mit Hilfe physikalisch-chemischer Methoden und Begriffe. Durchdrungen von dem Glauben an die Allmacht der physikalisch-mathematischen Methoden, wandte Helmholtz sie auch für die Untersuchung so diffiziler Organe an, wie es die 30

Gesichts- und Gehörorgane sind." 27 Helmholtz beschäftigte sich vor allem mit der Physiologie des Sehens und Hörens. Seine Arbeiten trugen entscheidend dazu bei, d a ß sich Beobachtung und Experiment zu den Hauptmethoden physiologischer Forschung entwickelten, und sie gehören zugleich zur Basis der experimentellen Psychologie. Als unermüdlicher Experimentator konstruierte Helmholtz zahlreiche Instrumente und Apparate für die Physiologie, unter anderem den Augenspiegel, das Perimeter, einen Farbmischapparat und Resonatoren. Helmholtz untersuchte die Fortpflanzungsgeschwindigkeit von Nervenreizen. Aus der Tatsache, d a ß Empfindungen kausale Wirkungen von Reizen sind, ergab sich für ihn die Frage, wie die Empfindungen etwas über die Gegenstände aussagen können, durch die sie hervorgerufen werden. Durch sein „Prinzip des unbewußten Schließens" versuchte er die Beziehungen zwischen Reizen und Empfindungen aufzudecken, rein physiologische Erklärungen genügten ihm nicht. Neben seiner Theorie von den unbewußten Induktionsschlüssen finden wir bei Helmholtz weitere Erklärungsversuche für die experimentell erforschten Erscheinungen, so seine Hypothese über die Innervationsgefühle, die unsere Muskeltätigkeit steuern, und seine Auffassung vom Zeichencharakter sinnlicher Abbilder. Als besonders verdienstvoll sind weiterhin Helmholtz' Arbeiten zur Raum-Zeit-Wahrnehmung hervorzuheben. D e r nativistischen Raum-Zeit-Auffassung von Müller und Weber setzte er einen empirischen, im Grunde materialistischen Standpunkt entgegen. Helmholtz erkannte eine Regelhaftigkeit im Verhältnis von Umgebungsstruktur und Eigenaktivität des Organismus beim Zustandekommen realitätsgerechter Wahrnehmungen. Zu den Wegbereitern für eine experimentelle Psychologie gehörte nicht zuletzt auch G. T. Fechner (1801-1887), einer der Begründer der Psychophysik. Aus seinen Intensitätsmessungen von Reizen und Empfindungen und aus den Erkenntnissen Webers zog er allgemeine Schlußfolgerungen und leitete die als WeberFechnersches Gesetz bekannte Formel ab, daß die Empfindungsintensität proportional mit dem Logarithmus der Reizintensität wächst. Für die experimentelle Physiologie hatte diese Ableitung große Bedeutung. Fechner führte experimentelle Untersuchungen zum Auffinden absoluter und relativer Empfindungsschwellen durch. Sein Ansatz, Empfindungen an physikalischen Einheiten zu messen, war durchaus materialistisch. Trotz seiner mystisch-idealistischen Philosophie vertrat er hinsichtlich des Verhältnisses von Physischem und Psychischem im allgemeinen einen materialistischen Standpunkt. Seine Arbeiten zur Ermittlung des Verhältnisses von physischem Reiz und psychischen Erscheinungen wurden für die weitere Forschung wegweisend. Fechner dehnte Webers Untersuchungen der Reizschwelle auf weitere Sinnesgebiete aus. Dabei entwickelte er wirkungsvolle neue Methoden, die Methoden der merklichen Unterschiede, der richtigen und falschen Fälle und die der mittleren Fehler. Fechner wandte erstmalig wahrscheinlichkeitstheoretische Überlegungen in der Psychophysik an. 21 M. G. Jaroschewski, Psychologie im 20. Jahrhundert, Berlin 1975, S. 76.

31

Zu den Physiologen, die die naturwissenschaftlich-experimentelle Grundlage für die selbständige experimentelle Psychologie schufen, gehörte auch Wundt. E r war vor allem aktiv an der Ausbildung von Methoden zur Reaktionszeitmessung beteiligt.

2.3.

Die Entwicklung der Psychologie zur selbständigen Wissenschaft

D i e physiologische und die physikalische Erforschung von Struktur und Funktion der Sinnesorgane, der Nerven und des Gehirns führten zu zahlreichen Problemen psychologischer Art, für die sich rein physiologische und physische Erklärungen als unzulänglich erwiesen und die mit Mitteln und Methoden der Physiologie und der Psychophysik nicht allseitig untersucht werden konnten. Es waren Erscheinungen, die sich nicht auf physische und physiologische Vorgänge reduzieren ließen. Das Wesen von Empfindungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen konnte nicht allein durch die Untersuchung von Sinnesorganen und Nervenprozessen erfaßt werden. Die Physiologen sahen sich mit der Tatsache konfrontiert, d a ß die von ihnen experimentell erzeugten und variierten Reize physische und psychische Reaktionen auslösten. D i e Forschungen in der Physiologie und in der Psychophysik bereiteten infolge der ständigen Konfrontation mit psychischen Erscheinungen, die sie nicht zu fassen vermochten, den Boden für die Verselbständigung der Psychologie. Aber nicht nur die in der Physiologie und der Psychophysik beobachteten Erscheinungen drängten nach einer selbständigen Psychologie, sondern vor allem die rasche Entwicklung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse unter den Bedingungen des Kapitalismus rief das starke Bedürfnis nach wissenschaftlicher Erforschung der menschlichen Psyche wach. Mit metaphysischen Spekulationen über die Seele konnte die Bourgeoisie für die Entwicklung der Arbeitskräfte zugunsten ihres Profits und für die effektive Gestaltung bürgerlicher Macht- und Lebensverhältnisse wenig anfangen. Das schließt nicht aus, d a ß idealistische Spekulationen über die Seele immer zum Repertoire bürgerlicher Ideologie gehörten und mit dem Übergang zum Imperialismus ständig an Bedeutung gewannen. In der zweiten H ä l f t e des 19. Jahrhunderts brauchte die Bourgeoisie dringend handfeste Ergebnisse der Psychologie. Es ging ihr um die Beantwortung sehr konkreter Fragen: Mit welchen psychologischen Mitteln läßt sich die Arbeitsleistung in der Produktion steigern? W i e ist es mit dem Vermögen menschlicher Sinne bestellt? Wie lassen sich Leitung und Organisation effektiver beeinflussen und stimulieren? W i e lassen sich ideologische Prozesse steuern? Mit welchen psychologischen Mitteln kann der Revolutionierung des Proletariats entgegengewirkt werden? Besonders im Zusammenhang mit der Produktivkraftentwicklung begannen auch Pädagogik und Medizin Fragen an die Psychologie zu stellen. D a s starke Interesse der Bourgeoisie an einer aussagekräftigen Psychologie kam dieser im Prozeß ihrer Verselbständigung entgegen.

32

Die selbständige Psychologie konstituierte sich zunächst als physiologische Psychologie. Wundt erklärte zu diesem Prozeß: „Aus der Physiologie der Sinneswerkzeuge hat sich allmählich durch die Übertragung naturwissenschaftlicher Beobachtungs- und Versuchsmethoden auf die innere Erfahrung die neue Wissenschaft der experimentellen Psychologie entwickelt, die ihrem ganzen Wesen nach dazu berufen scheint, die Vermittlerin zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften zu bilden. "2H Die Entwicklung der Psychologie zur selbständigen Wissenschaft vollzog sich nicht eingleisig als Herausbildung der physiologischen Psychologie. Die Wissenschaftsentwicklung und vor allem das gesellschaftliche Bedürfnis der Bourgeoisie, Tätigkeiten und Verhaltensweisen mit psychischen Mitteln und Methoden zu steuern und manipulieren zu können, führte zur Entstehung weiterer Disziplinen der Psychologie. Starken Einfluß auf die sich entwickelnde Psychologie hatte die Evolutionstheorie Darwins. Sie ermöglichte es, die Funktion des Psychischen bei der Anpassung der Lebewesen an ihre sich ständig verändernde Umwelt besser zu verstehen. Außerdem gab sie wesentliche Hinweise auf die Entstehung von Formen höherer psychischer Tätigkeit aus niederen. Nach dem Vorbild der Evolutionstheorie wurde das Psychische stärker als bisher als Prozeß verstanden. Gemeinsam mit den Forschungsergebnissen der Physiologie und der Psychophysik formte die Evolutionstheorie in starkem Maße die sich zur selbständigen Wissenschaft konstituierende Psychologie. Jaroschewski schrieb darüber: „Die Physiologie der Sinnesorgane erforschte die Bedingtheit sensorischer Reaktionen durch die Rezeptorstruktur. Die Psychophysik untersuchte die Wechselbeziehung zwischen einer Reihe physikalischer Erreger und den entsprechenden Empfindungen. Die Evolutionslehre hat den Schwerpunkt ihrer Untersuchung von einem Organismus, der durch die äußere Einwirkung geformt wird, auf einen Organismus verlegt, dessen Organe und Funktionen sich alle einer aktiven Umweltanpassung unterordnen. Die neue Psychologie bildete sich durch Synthese dieser Ideen und Richtungen." 29 Auf der Grundlage der Evolutionstheorie entwickelten sich die Kinder- und die Tierpsychologie. Als spezifische Disziplin entstand die Arbeitspsychologie. 1882 begann F. Taylor seine Arbeitsstudien mit der Zielsetzung, den Kapitalisten mit geringsten Kosten Arbeitskräfte zu beschaffen. Die Entwicklung der Psychologie zu einer selbständigen Wissenschaft erforderte einerseits eine Verselbständigung gegenüber der Physiologie, denn jede einseitige physiologische Erklärung psychischer Tatsachen barg die Gefahr einer Reduzierung von Psychischem auf Physisches in sich, und andererseits verlangte sie nach enger Kooperation mit der Physiologie, denn isoliert von den durch die Psychologie erforschten physischen Trägerprozessen ließen sich psychische Erscheinungen nicht wissenschaftlich erfassen. 2 8 W . W u n d t , Essays, 2. A u f l . , Leipzig 1 9 0 6 , S. 5. 2 9 M . G . Jaroschewski, W . I. Lenin und die K r i s e der Psychologie zu Beginn des 2 0 . J a h r hunderts, in: Lenins philosophisches E r b e und Ergebnisse der sowjetischen

Psychologie,

Berlin 1 9 7 4 , S. 2 0 0 .

3

Wilhelm Wundt

33

Wundt

hat

sowohl

den

erforderlichen

Prozeß

der

Verselbständigung

der

Psychologie gegenüber der Physiologie und der Psychophysik als auch die Herbeiführung enger Kooperationsbeziehungen maßgeblich unterstützt. E r spielte dabei allerdings eine zwiespältige Rolle, die noch genauer nachgewiesen werden wird. Einerseits wandte er bei seinen psychologischen

Experimenten, selbst von

der

Physiologie kommend, ständig Erkenntnisse und Methoden dieser Wissenschaft an, andererseits trennte er Psychisches und Physisches nach seinem Prinzip des psychophysischen Parallelismus voneinander und entwickelte er eine dualistische Auffassung von K ö r p e r und Seele. D i e Forschungsresultate und Erkenntnisse von Physiologie,

Psychophysik

und

Evolutionstheorie

gaben

der neu

entstehenden

Psychologie eine materialistische Fundierung und Orientierung. D i e von Lenin in seinem Buch „Materialismus und Empiriokritizismus" festgestellte Tatsache, d a ß die moderne Physik dabei sei, den dialektischen Materialismus zu gebären, traf auf Physiologie, Psychophysik und Evolutionstheorie gleichfalls zu. T r o t z dieser positiven Voraussetzungen und Grundlagen entstand in der zweiten H ä l f t e des 19. Jahrhunderts die experimentelle Psychologie dialektisch-materialistische hängig von

den

damaligen Klassenauseinandersetzungen,

ideologischen

Kampf.

dialektischen

Materialismus,

kapitalistischen

nicht als

Wissenschaft. D i e Psychologie entstand nicht unab-

Die

Bourgeoisie enthüllte

Gesellschaftsordnung

als er

herrschende

doch

nicht Klasse

schonungslos

als Ausbeutungs-

isoliert

vom

fürchtete

den

das

und

Wesen

der

Unterdrückungs-

system. D e s h a l b führte sie einen unerbittlichen K a m p f gegen alle dialektischen und materialistischen

Auffassungen

und verhinderte, d a ß diese in der

neuen

Psychologie zur bestimmenden weltanschaulichen, methodologischen und erkenntnistheoretischen Grundlage werden konnten. V o r allem an den Hochschulen des junkerlich-bourgeoisen deutschen Staates war für den dialektischen und historischen Materialismus noch kein Platz. In der Offensive gegen den

erstarkenden

Marxismus entwickelten sich damals zahlreiche idealistische Philosophien, von denen nicht wenige eng mit psychologischen

Konzeptionen

verbunden

waren,

der Neokantianismus, die Phänomenologie, die Lebensphilosophie, der Existentialismus - von Papst L e o X I I I . 1 8 7 9 zur einzig zulässigen Philosophie der katholischen K i r c h e erklärt - , der Pragmatismus, der Empiriokritizismus, die T i e f e n und die Ganzheitspsychologie. Unter den politischen,

ökonomischen

und

ideologischen

Bedingungen

im

preußisch-deutschen Reiche konnte sich die neue Psychologie nicht ungestört auf der G r u n d l a g e bereits gewonnener materialistischer und dialektischer Erkenntnisse entwickeln. Idealismus und Metaphysik drangen als bestimmende Ideologie der herrschenden Bourgeoisie in die sich zur selbständigen Wissenschaft formierende Psychologie ein. Als bürgerlicher Wissenschaftler und Hochschullehrer im preußisch-deutschen Obrigkeitsstaat hat W u n d t bei der systematischen idealistischen Unterwanderung

der

Psychologie

maßgeblich

mitgewirkt.

Der

Einbruch

idealistischen Ideologie in die junge Psychologie, die sich auf der von Physiologie, Psychophysik und Evolutionstheorie

34

der

Grundlage

so hoffnungsvoll zu ent-

wickeln begonnen hatte, führte bald zu einer Krise der Psychologie. Dazu trugen gleichzeitig bestimmte Erscheinungen in den Naturwissenschaften bei. Viele Naturwissenschaftler, die eine spontan-materialistische Weltanschauung besaßen, den Materiebegriff jedoch als physikalischen Begriff im Sinne der Substanz verstanden, gerieten durch neue physikalische Erkenntnisse in Zweifel am Materialismus. Konfrontiert mit dem physikalischen Materiebegriff schienen die Entdeckungen der Radioaktivität, des elektromagnetischen Feldes und bestimmter Strahlungen tatsächlich auf ein „Verschwinden der Materie" hinzudeuten. Mit der Untauglichkeit des Materiebegriffs schien zugleich der Materialismus widerlegt, ist doch der Materiebegriff eine grundlegende Kategorie seines theoretischen Systems. Das Eindringen idealistischer Philosophie in die Psychologie wurde weiter begünstigt durch die berechtigte Abwehr des Vulgärmaterialismus und dessen Reduzierung des Psychischen auf Physisches und die Gleichsetzung des Vulgärmaterialismus mit dem Materialismus insgesamt. Die berechtigte Abkehr einiger Physiologen und Psychophysiker von den Positionen des Vulgärmaterialismus wurde von den bürgerlichen Ideologen in ihrem Kampfe gegen den Materialismus ausgiebig mißbraucht. Die widerspruchsvollen Entstehungsbedingungen für die Psychologie bestimmten auch deren Verhältnis zur Philosophie. Die psychophysiologischen Forschungen führten zu zahlreichen philosophischen Fragen, deren Beantwortung im Rahmen der einzelwissenschaftlichen Untersuchungen nicht möglich w a r : zur Frage nach dem Verhältnis von Körper und Geist, der Beziehung von Gehirn und Denken, nach der Quelle und dem Wesen von Empfindungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen, zur Frage nach unserem Erkenntnisvermögen und zu anderen philosophischen Fragen. Die idealistische Philosophie des 19. Jahrhunderts konnte darauf keine Antwort geben. Als Teildisziplin der alten Metaphysik vermochte auch die Psychologie zur Beantwortung dieser Fragen keinen ernsthaften Beitrag zu leisten; Spekulationen versperrten den Weg zu wissenschaftlicher Erkenntnis. Solange metaphysische Spekulationen über die Seele solides Wissen über die psychischen Erscheinungen verhinderte, konnte die Psychologie keine Wege weisen, wie psychische Prozesse beeinflußt und gesteuert und wie das Verhalten der Menschen mit psychologischen Mitteln manipuliert werden kann, wonach die Bourgeoisie nachdrücklich verlangte. Außerdem wurden die idealistischen Spekulationen über die Seele durch zunehmende Erkenntnisse in den Natur- und Gesellschaftswissenschaften immer fragwürdiger. Die Zwangsjacke der alten Metaphysik hinderte die Psychologie an einer ähnlich stürmischen Entwicklung, wie sie sich in einigen Naturwissenschaften vollzogen hatte. Der Bruch mit der spekulativen Metaphysik war für die sich zur selbständigen Wissenschaft formierende Psychologie zur historischen Notwendigkeit geworden. Mit einer Trennung von der alten Philosophie war es jedoch für die Psychologie nicht getan. Die aufgeworfenen Fragen philosophischen Charakters waren damit nicht verschwunden, sondern forderten Antwort. Jede positivistische Abstinenz der Psychologie gegenüber der Philosophie erwies sich als unfruchtbar und schäd3«

35

lieh. W u n d t hat die enge Zusammenarbeit beider Disziplinen trotz seiner Trennungsbestrebungen gegenüber der alten Metaphysik stets entschieden gefordert. Er resümierte: „Ich habe stets gesucht d a r a n mitzuarbeiten, d a ß der Psychologie ihre selbständige Stellung als empirische Wissenschaft außerhalb der Philosophie gesichert werde, und d a ß ihr dabei die H i l f e der naturwissenschaftlichen Methodik, so weit diese auf sie übertragen werden kann, nicht fehle; ich habe aber freilich nicht minder gestrebt, das was sich die Psychologie auf solchem W e g e nach meinem D a f ü r h a l t e n erarbeitet hatte, w i e d e r der Philosophie nutzbringend zu machen."'* 0 Als Professor der Philosophie trat W u n d t in Leipzig sogar sehr energisch für ein Verbleiben der Psychologie in der philosophischen Fakultät ein. W i e sich das Verhältnis von Psychologie und Philosophie zukünftig gestalten solle, darüber gab es zur Zeit der Entstehung der Psychologie zur selbständigen Wissenschaft sehr unterschiedliche Auffassungen. W u n d t schätzte in seinem Artikel im J a h r e 1904 die Situation wie folgt ein: „Mehr vielleicht als irgend ein anderes Gebiet der Philosophie sieht sich die Psychologie im W e n d e p u n k t des 19. und des 20. Jahrhunderts in einer umstrittenen Lage. W a s ihre A u f g a b e sei, welche W e g e zu deren Lösung sie einzuschlagen habe, und wie sich demzufolge ihre Zukunft gestalten werde, darüber schwanken die Meinungen nicht am wenigsten unter denen, die sich selbst an der psychologischen Forschung beteiligen. D a gibt es manche, die sie ganz aus der Philosophie ausscheiden möchten, um sie der Naturwissenschaft als deren jüngsten Sproß anzugliedern; andere, die umgekehrt in ihr die spezifische Geisteswissenschaft' sehen, in der sie die Philosophie selbst aufgehen lassen wollen. Daneben fehlt es nicht an einer vermittelnden Richtung, die den fördernden Einfluß naturwissenschaftlicher Methoden und die Notwendigkeit einer A l l i a n z mit der Biologie und Physiologie zur Lösung der Probleme des Lebens anerkennt, dabei aber doch die Eigenart der psychologischen Arbeit gegenüber diesen naturwissenschaftlichen Nachbar- und Hilfsgebieten zu wahren sucht. Und hier zerfällt nun freilich auch diese Mittelpartei wieder in zwei Fraktionen. Der einen gilt die Psychologie als eine positive Einzelwissenschaft, die gerade so gut w i e die Physik, Physiologie oder Geschichte ihren Platz außerhalb der Philosophie habe. Die andere möchte die alte Zugehörigkeit zu dieser nicht missen, da die Tatsachen des unmittelbaren seelischen Erlebens mit den Problemen, die w i r der Erkenntnistheorie, Ethik, Religionsphilosophie und anderen anerkannt philosophischen Gebieten zuweisen, auf das engste zusammenhängen." 3 1 D i e Forderung der jungen Psychologie nach einer philosophischen Grundlage, die mit den neuesten Erkenntnissen der Einzelwissenschaften in Einklang gebracht werden konnte, erwies sich unter den gesellschaftlichen Bedingungen in Deutschland als unerfüllbar. Es gab nur eine wissenschaftliche Philosophie zur Zeit der Entstehung der selbständigen Psychologie, den dialektischen und historischen 3 0 W . W u n d t , System der Philosophie, 2. A u f l . , Leipzig 1 8 9 7 , V o r w o r t , S. IX. 3 1 W . W u n d t , D i e Psychologie im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, in: R e d e n und A u f sätze, Leipzig 1 9 1 3 , S. 1 6 3 .

36

Materialismus von Marx und Engels, der selbst noch im Entstehen begriffen war. D i e bürgerlichen Herrschaftsverhältnisse verhinderten, d a ß er zur weltanschaulichen, methodologischen und erkenntnistheoretischen Grundlage der experimentellen Psychologie werden konnte. D i e Ideologie der herrschenden Klasse prägte der Psychologie im damaligen Deutschland ihren Stempel auf. D e r Geist der neuen Psychologie blieb nicht unbeeinflußt von der extrem reaktionären E n t wicklung der bürgerlichen Machtverhältnisse. D i e Bourgeoisie und ihre ideologischen Handlanger bekämpften systematisch die Ausbreitung materialistischen Gedankengutes in der Psychologie. Wie auf alle Wissenschaftler wurde auch auf Philosophen und auf die Psychologen an den Hochschulen und Universitäten im deutschen Reiche reglementierender Zwang ausgeübt. D i e staatliche Aufsicht überwachte und lenkte die politischen und ideologischen Aktivitäten ihrer Wissenschaftler. Auch W u n d t gehörte als Hochschulprofessor an einem philosophischen Lehrstuhl in Leipzig zu den vom Staat abhängigen beamteten Wissenschaftlern; das darf man nicht außer acht lassen, will man sein philosophisches Schaffen allseitig verstehen. Wundts Bestreben, die Psychologie von der alten Metaphysik zu befreien und sie eng mit den Naturwissenschaften zu verbinden, sowie die Einführung experimenteller Methoden in die Psychologie, gehören zu den historisch bedeutsamen progressiven Leistungen. Sein Beitrag zur Emanzipation der Psychologie von der alten Metaphysik blieb jedoch auf halbem Wege stecken. D i e von ihm entwickelte „neue Metaphysik", von der er glaubte, d a ß sie auf den Erkenntnissen der Einzelwissenschaften beruhe, erwies sich als idealistische Fessel für die Entwicklung der Psychologie zu einer echten Wissenschaft. W u n d t s philosophisches System machte in zunehmendem M a ß e die wertvollen materialistischen Ansätze seiner eigenen experimentellen Forschungen zunichte. E r erwarb sich durch seine experimentellen psychologischen Arbeiten und seine umfangreiche wissenschaftsorganisatorische Tätigkeit zweifellos große Verdienste um die E n t wicklung der Psychologie zur selbständigen Wissenschaft; als Philosoph trug er jedoch in verhängnisvoller Weise dazu bei, die Krise ihrer philosophischen G r u n d lagen herbeizuführen. Der jungen Psychologie haftete anfangs der „Makel" einer von der Physiologie, Psychophysik und Evolutionstheorie überkommenen materialistischen Denkweise an, sie vermochte sich daher trotz der erwähnten gesellschaftlichen Bedürfnisse zunächst nur sehr schleppend zu entwickeln. W u n d t schätzte die Situation zu Beginn des 20. Jahrhunderts wie folgt ein: „Ist es doch bekannt genug, d a ß z. B. in Preußen nur vier bis fünf sehr bescheiden ausgestattete psychologische Laboratorien gegenwärtig existieren, von denen einzelne sich kaum über das Niveau einer Sammlung von Demonstrationsmitteln erheben. In Heidelberg und Freiburg und meines Wissens auch in Tübingen und an der Gesamtuniversität Jena sind überhaupt keine vorhanden. Bayern besitzt ein einziges Institut, ein zweites soll in München demnächst errichtet werden." 3 2 32 W. Wundt, Die Psychologie im Kampf ums Dasein, Leipzig 1913, S. 35.

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Weil die reaktionären Verhältnisse in Deutschland um die Jahrhundertwende eine wissenschaftliche philosophische Fundierung der Psychologie verhinderten, konnte sich diese selbst nicht unbegrenzt zu einer Wissenschaft von hohem theoretischem Niveau entwickeln. Die theoretischen Grundlagen für eine moderne wissenschaftliche Psychologie schufen nicht die offiziellen Professoren der Psychologie, sondern Marx, Engels und Lenin mit dem dialektischen und historischen Materialismus. Sie erfaßten das Wesen des Menschen als Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse, deckten den gesetzmäßigen Prozeß der gesellschaftlichen Entwicklung und deren Triebkräfte auf, analysierten das Wesen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung mit ihren sozialen Klassen und Schichten, untersuchten die Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten der Individualitäts- und Persönlichkeitsentwicklung und gaben erstmalig eine wissenschaftliche Erklärung des Wesens psychischer Prozesse, indem sie diese als Widerspiegelung objektiver Realität, als Produkt der Materie sowie als Eigenschaft und Funktion des Gehirns und des Nervensystems erfaßten und sie als Orientierungs- und Regulierungsgrundlage menschlichen Verhaltens verstanden. Russische bzw. sowjetische Wissenschaftler schufen auf dieser Grundlage als erste eine dialektischmaterialistische Psychologie und wurden zu Begründern der eigentlich wissenschaftlichen Psychologie. Sie konnten auf den Traditionen der philosophischen Ideen der großen russischen Materialisten Herzen, Belinski, Dobroljubow und Tschernyschewski aufbauen. Grundlegende Voraussetzungen für eine dialektisch-materialistische Psychologie schuf der Begründer der materialistischen Physiologie in Rußland J. M. Setschenow (1829-1905) mit seinen Arbeiten zur Physiologie der Reflexe und des Zentralnervensystems. Mit Hilfe seiner dialektischen Denkmethode deckte er erstmalig die universelle Rolle der Reflexe auf. In seinem 1863 erschienenen Buche „Reflexe des Gehirns" führte er die gesamte komplizierte Nerventätigkeit beim Menschen auf Reflexe zurück. Indem Setschenow die reflektorische Hirntätigkeit auf Einwirkungen der Außenwelt zurückführte, erfaßte er den Mechanismus der Verbindung des Organismus mit der Außenwelt. Bei seinen Untersuchungen gewann Setschenow zahlreiche wichtige Detailerkenntnisse. Er entdeckte beispielsweise' die vom Mittelhirn ausgehenden reflexhemmenden Wirkungen. Seine wegweisenden Untersuchungen, denen ein materialistischer Standpunkt zum Verhältnis von Körper und Geist zugrunde lag, boten für die weitere Erforschung der höheren Nerventätigkeit einen fruchtbaren Ansatz. Grundlegende Bedeutung für die Entwicklung einer dialektisch-materialistischen Psychologie hatten die Arbeiten des russisch-sowjetischen Physiologen I. P. Pawlow (1849-1936). Bèi der Erforschung der höheren Nerventätigkeit entdeckte er die bedingten Reflexe, die der individuellen Anpassung des Organismus an seine wechselnden Umweltbedingungen dienen. Er untersuchte die Arten der Reflexe und die ihnen im Zentralnervensystem zugrunde liegenden Mechanismen. Seine materialistische Lehre von der höheren Nerventätigkeit enthält die bedeutsame Erkenntnis, daß die Umweltbeziehungen von Tieren und Menschen durch ange38

borene (unbedingte) und erworben (bedingte) Reflexe, realisiert werden. P a w l o w untersuchte die physiologischen Mechanismen der Sprache und des Denkens und entwickelte seine Lehre vom zweiten Signalsystem. D a m i t leistete er einen entscheidenden Beitrag zur Erforschung der materiellen Basis psychischer Tätigkeit. Seine Lehre von der höheren Nerventätigkeit ist ein wesentlicher Bestandteil der naturwissenschaftlichen Grundlagen des dialektischen Materialismus. Sie bestätigt und präzisiert die Leninsche Widerspiegelungstheorie. P a w l o w bewies experimentell Lenins Erkenntnis von der Empfindung als der ersten W i d e r s p i e g e l u n g der objektiven Realität im menschlichen Bewußtsein. M i t seinen Untersuchungen trug P a w l o w wesentlich dazu bei, die Quellen menschlicher Erkenntnis aufzudecken. Im J a h r e 1909 erhielt er für seine Pionierleistungen auf dem Gebiete der Physiologie den Nobelpreis. Einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung der Physiologie der Nerventätigkeit, speziell der Reflextheorie, leistete auch der russische Psychiater und Neurologe W . M . Bechterew ( 1 8 5 7 - 1 9 2 7 ) . Er gehörte zu den Begründern der experimentellen Psychologie in R u ß l a n d . Zeitweilig hatte er bei Du Bois-Reymond und bei W u n d t studiert. Seine Forschungen konzentrierten sich auf die Untersuchung des Gewebes und der Funktionen des Zentralnervensystems und motorischer Prozesse. Dabei gelang es ihm, einige wichtige Reflexe zu erkennen. Er erforschte die nach ihm benannte Wirbelsäulenversteifung. Bechterew lehnte subjektivistische Methoden für die Physiologie ab und bemühte sich, die Äußerungen lebender Substanz gegenüber Außenreizen objektiv zu erfassen. Bechterew vertrat die Theorie vom psychophysischen Parallelismus, wobei der Einfluß von W u n d t nicht unerheblich gewesen sein dürfte, und er versuchte, die von ihm erforschten Prozesse mechanisch zu erklären. Zu den Wegbereitern und Schöpfern der experimentellen Psychologie in R u ß land gehörte auch N. N. Lange. Er schuf eines der ersten Laboratorien für experimentelle Psychologie in R u ß l a n d an der Universität in Odessa. Langes Arbeiten, die durch eine spontan-materialistische Position gekennzeichnet sind, fanden international starke Beachtung und wurden im Bericht des Londoner Internationalen Kongresses für Experimentalpsychologie publiziert. Langes „Psychologische Forschungen", die 1893 erschienen, enthalten vor a l l e m wichtige Arbeiten zum experimentellen Studium der Perzeption und der willkürlichen A u f m e r k s a m k e i t . Lange Hat ein für seine Zeit ausgezeichnetes Lehrbuch der Psychologie v e r f a ß t . Zu den bedeutendsten Vertretern der sich in den 80er und 90er Jahren in R u ß l a n d entwickelnden experimentellen Psychologie gehörten neben Bechterew und Lange noch Tschish, Toharski, Kowalewski, Sikorski, Bernstein und Rossolimo. Es widerspricht den historischen Tatsachen, wenn bürgerliche Ideologen versuchen, die Herausbildung einer wissenschaftlichen Psychologie auf d i e Entstehung der experimentellen Psychologie in Deutschland zu reduzieren. Sie w a r schon gar nicht das W e r k eines Mannes. W e n n W u n d t hin und w i e d e r als „Vater der Psychologie" bezeichnet w i r d , dann hat das - bei aller Anerkennung seiner Leistungen - mit der historischen W a h r h e i t nichts zu tun. Rubinstein hat den

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Prozeß des Zusammenfallens mehrerer Entwicklungslinien bei der Herausbildung der wissenschaftlichen Psychologie in folgender Weise charakterisiert: „Das Eindringen der experimentellen Methode in die Psychologie und die Entwicklung zu einer besonderen experimentellen Disziplin ist zweifellos für die Psychologie von außerordentlicher Bedeutung. Aber die neue psychologische Wissenschaft ist nicht mit einemmal entstanden. D a s war ein langer, noch nicht abgeschlossener Prozeß, in dem drei Höhepunkte unterschieden werden müssen: Der erste liegt im 18. Jahrhundert (oder auch in der Übergangsperiode vom 17. zum 18. Jahrhundert, deren Bedeutung für die gesamte Wissenschaft Engels hervorhob). Der zweite ist die Entwicklung der experimentellen physiologischen Psychologie in der Mitte des 19. Jahrhunderts. D e r dritte liegt in der Zeit, als das System der Psychologie endgültig ausgebildet, die Forschungsmethodik vervollkommnet und zu einer neuen, wirklich wissenschaftlichen Methodologie wurde. Den Grundstein zu diesem neuen Bau legte Marx mit seinen Jugendschriften." Zur weltanschaulichen Situation fügte Rubinstein hinzu: „Für die Entwicklung der Psychologie in der zweiten Periode ist das Fehlen großer, originaler Systeme charakteristisch, die man etwa mit denen vergleichen könnte, die das 18. oder der Anfang des 19. Jahrhunderts hervorgebracht haben. In dieser Zeit wurden solche Konstruktionen wie die eklektische „induktive" Metaphysik Wundts, die pragmatische Philosophie von James oder der Empiriokritizismus von Mach und Avenarius in die Psychologie eingeführt. Damals wurde von den idealistischen Positionen aus verschärft gegen die spontan-materialistischen Tendenzen, gegen die sensualistischen und mechanistischen Prinzipien vorgegangen, auf denen ursprünglich die experimentelle physiologische Psychologie aufgebaut worden war. Gegen E n d e der Periode führte dieser Kampf die Psychologie in eine offene Krise." 3 3 33 S. L. Rubinstein, Grundlagen der Allgemeinen Psychologie, 7. Aufl., Berlin 1971, S. 82.

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3.

Wundts Weg zur Philosophie seine philosophischen Quellen

Wundt begann seine ersten philosophischen Studien als Naturwissenschaftler. Seine entschiedene Ablehnung der reinen metaphysischen Spekulation sowie die Hochschätzung empirischer Forschung und Fakten und einzelwissenschaftlicher Erkenntnisse waren eine gute Voraussetzung philosophischer Überlegungen. Seine klassenbedingte, von Anfang an vollzogene Hinwendung zum Idealismus und seine Feindschaft gegenüber dem Materialismus - die sich anfangs gegen vulgärmaterialistische Auffassungen richtete, sich jedoch zunehmend zu einer ideologischen Kampfposition gegen jeden Materialismus verdichtete - wirkte seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen entgegen und führte schließlich zu einer verworrenen, eklektischen Philosophie, wie sie Lenin in seinem „Materialismus und Empiriokritizismus" charakterisierte. Ernst Haeckel, der Wundt als „kühnen und talentvollen Naturforscher" geschätzt hatte, verurteilte dessen Hinwendung zur idealistischen Philosophie als „totalen philosophischen Prinzipienwechsel" 1 . Der Naturforscher Wundt, der sich bleibende Verdienste durch die Einführung experimenteller Methoden in die Psychologie erwarb, geriet in einen unversöhnlichen Gegensatz zum Philosophen, der sich von seiner bürgerlichen Klassenposition nicht zu lösen vermochte, eine „neue Metaphysik" zu entwickeln versuchte und seine Philosophie immer stärker in den Dienst bürgerlicher Klasseninteressen und Ziele stellte. Trotz dieses Widerspruchs bestand natürlich eine enge Wechselwirkung zwischen Wundts psychologischen und philosophischen Untersuchungen. Seine psychologischen Standpunkte, Hypothesen und Theorien bildeten sich unter dem vielfältigen Einfluß des deutschen Idealismus. Viele seiner wesentlichen philosophischen Auffassungen resultierten aus der idealistischen Interpretation psychischer Erscheinungen. Bei der Lösung psychologischer Probleme wurden wertvolle, vor allem aus der Physiologie übernommene materialistische Ansätze durch Wundts Philosophie zunichte gemacht, welche die objektiven Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten dieser Probleme nicht adäquat widerspiegelte. Besonders für jene Gebiete der Psychologie, die der experimentellen Methode nicht zugänglich waren, erwies sich die Wundtsche philosophische Interpretation als verhängnisvoll. D e r einstige Gegner metaphysischer Spekulationen geriet im 1 E. Haeckel, Die Welträtsel, Bonn 1899, S. 118.

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Bestreben, Erkenntnislücken zu schließen, selbst auf den Weg unfruchtbarer Spekulationen. Marx und Engels hatten damals zur Lösung vieler von der Psychologie aufgeworfener Fragen wissenschaftlich begründete Wege gewiesen, die W u n d t als bürgerlicher Wissenschaftler - vor allem als offizieller Vertreter der Philosophie an einer deutschen Hochschule - nicht zur Kenntnis nahm oder von vornherein ablehnte. Materialistische Detailerkenntnisse wurden von ihm immer stärker einer idealistischen Grundposition untergeordnet. Der experimentellen Psychologie wollte er einen geachteten Platz innerhalb der idealistischen Philosophie verschaffen, und die Psychologie versuchte er auf der Grundlage seiner idealistischen „neuen Metaphysik" aufzubauen. Mögen dabei auch persönliche Motive eine Rolle gespielt haben, prinzipiell trat er immer für eine enge Verbindung von Psychologie und Philosophie ein, selbst dann, wenn er der spekulativen Metaphysik den Kampf ansagte. Im Gegensatz zu positivistischen Standpunkten erfaßte er sehr klar, d a ß sich die Psychologie isoliert von der Philosophie nicht zur Wissenschaft entwickeln konnte. Sie bedurfte der Hilfe durch die Philosophie von der Gegenstandsbestimmung bis zur Wesenserfassung psychischer Erscheinungen. An die Philosophie stellte W u n d t die Forderung, die Spekulation durch die Erfahrung zu ersetzen. In diesem Zusammenhang begrüßte er es, d a ß die Psychologie, die sich bereits als philosophische Disziplin immer als Erfahrungswissenschaft verstanden habe, in der sich stärker der Erfahrung zuwendenden Philosophie größere Bedeutung erlangt habe. Befriedigt stellte er fest: „So ist das stiefmütterlich behandelte Kind der idealistischen Systeme in unseren Tagen immer mehr in den Vordergrund getreten und hat, in dem Maße, als die Metaphysik zurücktrat, an Boden gewonnen. Fast kann man sagen, d a ß unsere ganze Philosophie gegenwärtig Psychologie ist."'-' Wundts Forderung, d a ß die alte spekulative Metaphysik durch eine neue, auf Erfahrung begründete und sich auf einzelwissenschaftliche Erkenntnisse stützende, ersetzt werden müsse, beruhte auf folgender Einsicht: Innerhalb der alten Metaphysik, die naturwissenschaftliche Erfahrungen ignorierte und naturwissenschaftliche Methoden für ihren Bereich strikt ablehnte, kann die Psychologie ihre Aufgaben nicht erfüllen, werden objektiv mögliche Lösungen gehemmt oder verhindert. Auch die in der Psychologie aufgeworfenen Fragen nach der Beschaffenheit, dem Sitz, dem Ursprung und der zukünftigen Schicksale der Seele bleiben durch Spekulationen unbeantwortet. Aber viele Fragen philosophischer Art gibt es in der Psychologie und werden weiter existieren. Deshalb bedarf es einer neuen Metaphysik, mit der sich die Psychologie verbinden müsse. Als sich W u n d t aus diesen Gründen intensiv mit der Philosophie zu beschäftigen begann, bestand für ihn als bürgerlichen Dozenten an einer staatlichen Hochschule nicht der geringste Zweifel, d a ß die neue Metaphysik nur eine idealistische sein könne. Sein bürgerlicher Klassenstandpunkt war durch seine ganze 2 W.

Wundt,

S. XIII.

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Beiträge

zur

Theorie

der

Sinneswahrnehmung,

Leipzig-Heidelberg

1862,

bisherige Erziehung so gefestigt, d a ß er sich bewußt auf den Idealismus orientierte. W e n n er hin und wieder gegen „den Idealismus" polemisierte, so war das kein Zugeständnis an den Materialismus; seine Auseinandersetzung war dann gegen metaphysische Spekulationen gerichtet, die zu offensichtlich im Widerspruch zu naturwissenschaftlichen Erkenntnissen standen. Schon während seiner H e i d e l berger Zeit, als er über die Notwendigkeit einer Verbindung von psychophysiologischer und philosophischer Forschung nachzudenken begann, richtete sich sein B l i c k nach eigenem Eingeständnis auf bekannte idealistische Systeme. E r schrieb: „Von da an hat sich mir daher in fortschreitendem M a ß e die Nötigung aufgedrängt, die einzelne A r b e i t jedesmal gleichzeitig der tatsächlichen

Wirklichkeit

und einer das G a n z e dieser Wirklichkeit umfassenden Weltanschauung einzuordnen, und ich konnte mich endlich der Überzeugung nicht verschließen, d a ß die A u f g a b e der Philosophie wesentlich darin bestehe, jenen Zusammenhang

zwi-

schen der empirisch-sinnlichen Wirklichkeit und ihrer geistigen Wiedererzeugung in dem menschlichen Bewußtsein wiederzugeben. E b e n das schien mir in der G e schichte der Philosophie zum ersten M a l e in der Sprache seiner Zeit deutlich ausgesprochen zu sein in der platonischen Ideenlehre, insofern sie die Ideen als die geistigen Urbilder der D i n g e auffaßte, dann in der Leibnizschen U m f o r m u n g der Ideenwelt in ein den logischen Forderungen seines Zeitalters angepaßtes System seelischer Einheiten, das Monadensystem, und endlich in der kühnen, aber in seiner Durchführung einseitig logizistisch und darum in seiner Anwendung scheiternden dialektischen M e t h o d e Hegels".'' W u n d t suchte bei den gängigsten deutschen Idealisten nach Antworten auf seine Fragen. E s war sein erklärtes Ziel, im Anschluß an diese idealistischen Systeme selbst zur Erneuerung der Metaphysik beizutragen. Seine philosophischen A u f f a s sungen grenzte er als „ R e a l i s m u s " gegen den extremen Idealismus ab, kennzeichnete sie zugleich in Konfrontation mit dem Materialismus als „Idealrealismus". M a x W u n d t charakterisierte die Ausgangsposition der Philosophie seines V a t e r s wie f o l g t : „ D i e Geisteswissenschaften kommen zu hoher B l ü t e und dringen allmählich zum Bewußtsein ihrer Selbständigkeit und ihres von der

Naturwissen-

schaft unabhängigen eigentümlichen Verfahrens durch. D i e Psychologie entwickelt sich zu einer strengen Wissenschaft und bietet allgemein gültige Einsichten vom Wesen des Geistes. D e r G e i s t wird wieder in seiner übergreifenden Bedeutung, nach welcher er die N a t u r mit umschließt, erkannt, und die innere notwendige Struktur des Geistes zu verstehen, wird eine Aufgabe, welche über aller einzelnen Wissenschaften hinausreicht und daher von selbst wieder sich der Metaphysik zum Gegenstand anbietet. E s findet eine allmähliche R ü c k k e h r zur Geistesphilosophie statt, in welcher der Jenseitsgedanke der ersten Richtung mit dem Diesseitsgedanken der zweiten vereinigt wird, da der G e i s t sich als die unmittelbare E r f a h r u n g darstellt, aber zugleich über alle E r f a h r u n g hinaus weist. W i l h e l m W u n d t , von der Psychologie herkommend, R u d o l f E u c k e n , von der Erneuerung des Aristoteles 3 W . Wundt, Erlebtes und Erkanntes, 2 . Aufl., Stuttgart 1 9 2 1 , S. 1 2 5 .

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durch Trendelenburg angeregt, Wilhelm Dilthey, besonders auf dem Gebiete der Geschichte beschäftigt, können als wichtigste Vertreter genannt werden." 4 Wundt verstand sein eigenes philosophisches Schaffen als den Versuch, die Metaphysik zu erneuern und sie auf idealistischer Grundlage mit den Ergebnissen der Naturwissenschaften in ein widerspruchsfreies Verhältnis zu bringen. D i e Notwendigkeit einer solchen Metaphysik führte Wundt auf psychische Ursachen zurück, das „Einheitsbedürfnis" des Denkens sei die Wurzel aller Metaphysik. D i e folgenden Darlegungen über die philosophischen Quellen der Wundtschen Philosophie beschränken sich auf gut rekonstruierbare Zusammenhänge. Wundt hat bei zahlreichen idealistischen Philosophen und bei philosophierenden Naturwissenschaftlern Anleihen genommen, die im einzelnen kaum noch nachweisbar sein werden, und für sein philosophisches System verwertet. Tatsache ist, daß Wundt Gespräche und Diskussionen mit Positivisten verschiedener Prägung, speziell mit Neukantianern, mit Herbartianern und nicht zuletzt mit Empiriokritizisten geführt hat. Avenarius war zum Beispiel ein gern gesehener Gast im Hause Wundts, obwohl sich Wundt mit dem Empiriokritizismus oft heftig auseinandergesetzt hat. Nach seinen eigenen Angaben studierte Wundt als erstes umfangreiches philosophisches Werk Kants „Kritik der reinen Vernunft". Wie allgemein unter den Naturwissenschaftlern, so waren auch unter den Physiologen Kants Ideen weitverbreitet, wenn auch meist in neokantianischer Prägung. Über die Rolle der Kantschen Philosophie unter den Naturwissenschaftlern urteilte Wundt: „Heute hören wir darum überall aus dem Kreise der einzelnen Wissenschaften, sobald man wieder beginnt sich der Philosophie zu nähern, die Äußerung laut werden, Kant sei derjenige Philosoph, dessen Standpunkt jenem der Erfahrungswissenschaften befreundet sei. Fragen wir aber nach dem Grund dieser Anerkennung, so liegt derselbe sicherlich nicht bloß darin, daß Kant von der Mißachtung, mit welcher der spätere Idealismus die E r fahrung behandelte, noch nichts wußte. Auch in der Zustimmung zu den einzelnen Lehren des Kantschen Systems dürfte er schwerlich zu finden sein. Denn wenige werden mehr mit der aus einer veralteten Psychologie erwachsenen Gliederung der menschlichen Geisteskräfte oder mit der Kategorienlehre oder gar mit der metaphysischen Begründung der Naturwissenschaft . . . einverstanden sein. Jene Anerkennung bezieht sich vielmehr auf die allgemeine Auffassung, die Kant von dem Wesen unserer Erkenntnis besitzt. Diese ist nach ihm ein Produkt einerseits der Erfahrung, andererseits solcher Elemente, welche vor der Erfahrung in unserem Bewußtsein liegen, und welche alle Erfahrung formen und ordnen." 5 Wundts philosophisches System entwickelte sich besonders stark unter dem Einfluß der erkenntnistheoretischen Auffassungen Kants. W i e dieser betrachtete Wundt menschliches Erkennen als ein grundsätzlich theoretisches Verhältnis zur Welt. Im Sinne Kants unterschied er objektive und subjektive Quellen der E r -

4 M . Wundt, Geschichte der Metaphysik, Berlin 1 9 3 1 , S. 3 1 . 5 W . Wundt, Über den Einfluß der Philosophie auf die Erfahrungswissenschaften, Akademische Antrittsrede, gehalten zu Leipzig am 2 0 . N o v e m b e r 1 8 7 5 , Leipzig 1 8 7 6 , S. 6 .

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kenntnis, lehnte jedoch den Apriorismus in der Kantschen Form ab. Als besonders verdienstvolle Leistung bezeichnete Wundt die auch von ihm vertretene Unterscheidung von subjektiven und objektiven Bewußtseinsinhalten. In seiner Erfahrungskonzeption hat er diese Kantschen Ideen verarbeitet. Auch seine Theorie von der stufenweisen Entfaltung des Geistes in der Anschauungs-, Verstandesund Vernunfterkenntnis führt offensichtlich auf Kant zurück, ungeachtet der Tatsache, daß Wundt selbst einen solchen Zusammenhang nicht wahrhaben wollte. Vorwiegend unter dem Einfluß der Ideen Kants entwickelte sich der kritische Aspekt in Wundts Philosophie. Er sei bemüht gewesen, schrieb er selbst, „Kants kritische Analyse weiterzuführen" 6 . Erkenntnis setzt voraus, erklärte Wundt im Sinne Kants, daß zunächst das Erkenntnisinstrument hinsichtlich seiner Möglichkeiten und Grenzen kritisch untersucht werde. „Kants Erkenntniskritik", schrieb er, „ist die Basis, auf der die empirischen und die philosophischen Wissenschaften dieses Jahrhunderts ruhen. Die Empirie entnimmt für sich das realistische Moment, die positiven Ergebnisse seiner Kritik, die Philosophie knüpft an das idealistische Moment, die willkürliche Herleitung der Anschauungsformen aus dem denkenden Geiste, an. Die Grundansichten, welche in der Physiologie der Sinne der Hauptsache nach noch jetzt gültig sind, leiten ihren Ursprung aus der Kantschen Philosophie her, die einen meistens unbewußten Hauptbestandteil unserer ganzen wissenschaftlichen Bildung und Denkrichtung ausmacht." 7 Wundt lehnte wie Kant jede Verabsolutierung des Rationalen in der Erkenntnis und die Mißachtung der sinnlichen Erkenntnis ab, wie dieser war er überzeugt, daß uns alle Gegenstände durch Anschauung vermittels der Sinnlichkeit gegeben seien. Im Sinne Kants bemühte sich Wundt, Elemente des Rationalismus und des Empirismus miteinander zu verbinden. Von Kant machte er sich den Standpunkt zu eigen, daß unsere Sinnenwelt bloß Erscheinungen enthalte, wies jedoch dessen Auffassung vom unerkennbaren „Ding an sich" entschieden zurück. Es sei der schwerste Fehler Kants gewesen, daß er dem Begriff der Erscheinung den des unerkennbaren „Dinges an sich" entgegengestellt habe, statt die Erscheinung der Wirklichkeit. Mit dem Kantschen Postulat eines „Dinges an sich" stünden wir rettungslos einer Erscheinungswelt gegenüber, aus der kein Weg zum Sein führe. Die Ablehnung des Kantschen „Ding an sich" bewahrte Wundt jedoch nicht davor, den subjektiv-idealistischen Fehler nachzuvollziehen, anzunehmen, daß die Ordnung der erkannten Gegenstände das Werk des erkennenden Subjekts sei. Über die Bedeutung der Philosophie Kants für Wundts philosophische Auffassungen schrieb der neukantianische österreichische Philosoph Rudolf Eisler: „Mit Kant teilt Wundt die Unterscheidung von Stoff und Form des Erkennens, die Überzeugung von dem Notwendigkeitscharakter der Anschauungsformen Raum und Zeit, nur daß er das Apriori anders bestimmt als der Königsberger 6 W . Wundt, System der Philosophie, 2. Aufl., Leipzig 1 8 9 7 , S. VIII. 7 W . Wundt, Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung, a. a. O., S. 92.

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Philosoph, wie er auch die Subjektivität von Raum und Zeit nicht so schroff formuliert, die Annahme einer .reinen Apperzeption' und die Beachtung der Einheitsfunktion der empirischen Apperzeption, aus der die Grundbegriffe unseres Erkennens entspringen, aber nicht unabhängig von aller Erfahrung, wie Kant meint; ferner die Unterscheidung von Erscheinung und ,An sich' der Dinge, welcher Gegensatz aber bei W u n d t anders als bei Kant bestimmt wird, die Aktualität des Seelenlebens, die Wertung des Sittlichen als Selbstzweck und noch so manche Gesichtspunkte. In methodischer Beziehung und betreffs der Gültigkeit des Erkennens hält W u n d t an dem von Kant zuerst durchgeführten Gedanken fest, d a ß aller Inhalt unsres Wissens aus der Erfahrung stammt, daß aber Bedingungen des Erkennens vorhanden sein müssen, die nicht gegeben, sondern im erkennenden Subjekte begründet oder mindestens mitbegründet sind; d a ß ferner die allgemeinen Begriffe dazu dienen, Ordnung und Einheit in die Mannigfaltigkeit des Erfahrbaren zu bringen; d a ß endlich alles Geschehen sich kausal interpretieren lassen muß, unbeschadet der teleologischen Betrachtungsweise, die daneben zu ihrem Rechte kommen kann und muß. D i e idealistische Spekulation nach Kant, von der sich W u n d t durch seine philosophische Methode und durch den empirischen Zug seines Systems weit entfernt, ist eigentlich nichts andres als eine Synthese von Spinoza, Leibniz, Kant mit Aufnahme Platonisch (und Neuplatonisch - ) Aristotelischer Ideen, natürlich nicht ein Aggregat aller dieser Bestandteile, sondern organisches Produkt höchst subjektiv-gestaltenden Denkens." 8 W u n d t eignete sich Kantsches Ideengut nicht kritiklos an, in zahlreichen Schriften setzte er sich mit diesem auseinander. E r polemisierte heftig gegen „die Enge der mechanischen Naturanschauung", die Enge der „individualistischen Moral", die den Blick auf die Mannigfaltigkeit des geistigen Lebens beschränke und „den unheilbaren Zwiespalt zwischen mechanischer Naturanschauung und moralischer Weltbetrachtung" 9 . W u n d t warf Kant vor, das Prinzip der „Weltharmonie", wie es Leibniz genannt habe, durch den Standpunkt eines Zwiespaltes zwischen sinnlicher und übersinnlicher Welt beseitigt zu haben. W u n d t verurteilte die „abstrakt-schematische Methode der sogenannten transzendentalen Deduktionen" Kants, die nur dazu gedient habe, „die wirklichen Gedanken in ein ihnen äußerlich aufgenötigtes Gewand schablonenhafter Begriffe zu zwängen" 1 0 . Selbst ein starres Festhalten an Grundanschauungen Kants bezeichnete W u n d t als Dogmatismus. „Darin gerade besteht der Dogmatismus", schrieb er, „daß er derartige Anschauungen so behandelt, als wenn sie Tatsachen oder durch willkürliche Definition ein für allemal festzustellende Begriffe wären." 1 1 Neben K a n t war es Leibniz, der einen starken - wenn nicht sogar stärkeren Einfluß auf Wundts philosophische Anschauungen ausübte. Leibniz galt für W u n d t 8 R. Eisler, W. Wundts Philosophie und Psychologie, Leipzig 1902, S. 22. 9 W. Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, Leipzig 1914, S. 307. 10 W. Wundt, Was soll uns Kant nicht sein, in: Kleine Schriften, Leipzig 1910, S. 146. 11 Ebenda, S. 153.

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als der größte deutsche Philosoph der Vergangenheit und als Begründer der deutschen Philosophie 12 . Grundlegende konzeptionelle Gedanken von Leibniz verarbeitete Wundt vor allem für seine „Metaphysik". Anläßlich des zweihundertsten Todestages von Leibniz hob Wundt in einer Würdigung als dessen bleibende historische Leistung die Neubegründung des Idealismus auf der Basis der Naturphilosophie und der exakten mathematischen Naturwissenschaften besonders hervor. 13 Mit dieser von ihm besonders hervorgehobenen Leistung identifizierte Wundt gewissermaßen sein eigenes philosophisches Programm. Er bekannte sich wiederholt zum deutschen Idealismus, „wie ihn Leibniz entwickelt habe". Es sei eine Aufgabe der Zukunft, die Neubegründung des Idealismus als ein Hauptmotiv der Leibnizschen Philosophie weiter zu verfolgen. Dem Idealismus Leibnizscher Prägung prophezeite Wundt eine reiche Zukunft. Als einen Kerngedanken seiner Metaphysik übernahm Wundt von Leibniz die Idee der geistigen Einheit und der Harmonie des Universums. Dabei ging es ihm in erster Linie um das geistige Wesen aller Dinge. Er schrieb: „Gegenüber dem die Einheit des Seins in den unausgeglichenen Gegensatz von Gott und Welt, von Geist und Körper zerspaltenden französischen Dogmatismus und gegenüber dem sinnlichen Schein und die äußerliche Nützlichkeit zu Leitmotiven erhebenden englischen Realismus gilt ihm die Einheit des Seins als die unaufhebbare Forderung des philosophischen Denkens. Eine zwingende Konsequenz dieser Forderung ist ihm aber der Satz, daß das Wesen der Dinge nach dem Vorbild des menschlichen Geistes, der eben damit ein Spiegel der Welt selbst sei, als ein geistiges Sein gedacht werden müsse. Damit ist Leibniz der Begründer jenes Idealismus geworden, der von da an die spezifisch deutsche Philosophie ist. Mochte auch die Form, die dieser Idealismus in der Folgezeit annahm, nach verschiedenen, zum Teil von dem von ihm eingeschlagenen Wege weit abliegenden Richtungen gehen, jener Gedanke, daß in der geistigen Welt das Wesen der Welt selbst sich entfalte, ist der deutschen Philosophie fortan eigen geblieben." 14 Bei Leibniz fand Wundt seine ethisch und metaphysisch motivierte Überzeugung vom überragenden Wert der geistigen Welt bestätigt. W i e Leibniz postulierte er, der Geist könne nur in seiner Beziehung zur Natur erfaßt werden, und die Natur sei Vorstufe des Geistes. Auf Leibniz berief sich Wundt mit Vorliebe, wenn er das Geistige zum letzten Grunde aller Dinge erklärte und wenn er die logischen Gesetze des Denkens als die allgemeinsten Gesetze bezeichnete, die das Universum beherrschten. Im Leibnizschen Sinne versuchte Wundt die Kluft zwischen naturwissenschaftlich-mechanischer Weltbetrachtung und idealistischer Philosophie zugunsten der letzteren zu überbrücken. Er würdigte solche Bestrebungen bei Leibniz: „So ist er denn schon in jüngeren Jahren eifrig bemüht, die Kluft zu überbrücken, welche zwischen der mechanischen Weltanschauung der Zeit, die 1 2 Vgl. W . Wundt, Leibniz - zu seinem zweihundertjährigen Todestag, Leipzig

1917.

13 Ebenda, S. 1 2 1 . 14 W . Wundt, Die Nationen und ihre Philosophie, a. a. O., S. 75.

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mit der N a t u r auch den Menschen der unerbittlichen Notwendigkeit der mechanischen Gesetze unterwerfen möchte, und jener anderen, von Plato herstammenden, auch in dieser Zeit des Aufschwungs der mechanischen Naturwissenschaften nicht ganz zum Schweigen gebrachten idealistischen Philosophie besteht, die der geistigen Welt ihren überragenden Wert gewahrt sehen möchte. Sicherlich, sagt Leibniz, beherrschen die Gesetze der Mechanik die gesamte körperliche Welt. Doch wo kommen, so fragt er, die Gesetze der Mechanik her? Wenn alles in der Natur mechanisch erklärlich ist, diese Gesetze selbst sind es nicht. Wohl aber bilden sie ein harmonisches, zweckvoll verbundenes System, welches, da Zweckideen überall nur geistigen Ursprungs sein können, darauf hinweist, d a ß der letzte Grund der Dinge überhaupt nur ein geistiger sein kann. W o anders können wir nun dieses geistige Sein, wenn auch wahrscheinlich selbst hier nur in einem verdunkelten Abbild erkennen, als in unserem eigenen Geiste? D a r u m , weil das Wesen der Dinge ein geistiges ist, sind die wahren Gesetze des Seins die geistigen Gesetze: sie beherrschen in gebundener Form die materielle N a t u r ; und in höherer, freierer Form, als ein System klar bewußter Zwecke treten sie uns in dem Leben und Wirken des Menschen entgegen. So bereitet in den Stufenfolgen der N a t u r die Entwicklung des Menschen und der Menschheit in ihrem geschichtlichen Werden sich vor." 1 5 Leibniz habe die bei Kepler noch im mystischen Dunkel schwebende Idee einer universellen geistigen Einheit der Welt „zur Klarheit eines philosophischen Prinzips" erhoben, „das auf die Forderung der durchgängigen Wechselbeziehung aller durch die geistige Einheit des Seins verbundenen Teile des Universums gegründet" sei. 16 Der Gedanke des universellen geistigen Zusammenhangs findet sich bei W u n d t in einer mit den Leibnizschen Ideen beinahe identischen Form. D i e folgenden Leibnizschen Auffassungen von der Einheit der materiellen und geistigen Welt könnten ebensogut eine Darstellung seiner eigenen Anschauungen sein. W u n d t schrieb: „Beide, Natur und Geist, sind in Wahrheit eins und dasselbe: sie sind weder verschiedene Substanzen noch verschiedene Attribute einer Substanz, sondern sie sind einander ergänzende Standpunkte in der Auffassung der Welt. Unter ihnen ist an sich der nach innen gerichtete, der psychologische, der entscheidende. Denn er umfaßt den Inhalt der uns unmittelbar gegebenen Wirklichkeit, der damit für das geistige Leben, das außerhalb des Fokus unserer eigenen seelischen Erlebnisse liegt, wie für die äußere Natur, die sich in unserem Bewußtsein spiegelt, die Formen und Gesetze des Geschehens bestimmt." 1 ' Wundts Konzeption von den Willenseinheiten, die in einer Stufenfolge die Ordnung der Welt bildete, besitzt eine nicht zu übersehende Ähnlichkeit mit der Leibnizschen Monadologie, wenn in ihr auch die substantiellen Monaden zur Vermeidung jeglicher materialistischer Tendenz durch „substanzerzeugende 15 W. Wundt, Gottfried Wilhelm Leibniz, in: Reden und Aufsätze, Leipzig 1913, S. 246. 16 W. Wundt, D i e Nationen und ihre Philosophie, a. a. O., S. 76. 17 W. Wundt, Leibniz - zu seinem zweihundertjährigen Todestag, a. a. O., S. 65.

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Willenseinheiten" ersetzt sind. D i e nahe Verwandtschaft der Wundtschen „Willenseinheiten" mit den Leibnizschen „Monaden" veranlaßte Wundts Tochter Eleonore festzustellen, d a ß ihr Vater eine „eigentümliche metaphysische G r u n d anschauung, die Lehre von den individuellen Willensmonaden" entwickelt habe. 1 8 Leibnizsches Ideengut bildete auch eine der Quellen für Wundts Prinzip des psychophysischen Parallelismus. In der Lehre von der „prästabilisierten Harmonie" hatte Leibniz synchrone Abläufe von Geist und Körper angenommen. Bei W u n d t wie bei Leibniz ist diese dualistische Auffassung mit der Anerkennung einer selbständigen Existenz der Materie verbunden. Nach dem Vorbild von Leibniz versuchte W u n d t in seinen Arbeiten den Gedanken von der Einheit der Wissenschaften zu realisieren. Wie dieser war er bestrebt, seine Metaphysik auf den modernen Naturwissenschaften zu begründen, was ihm infolge seiner idealistischen Grundposition nur in sehr begrenztem M a ß e gelingen konnte. In Übereinstimmung mit Leibniz bemühte er sich zugleich, die Philosophie in ein harmonisches Verhältnis zur Religion und zur Theologie zu bringen. In ähnlicher Weise wie Leibniz wandte sich W u n d t in seinen philosophischen und psychologischen Untersuchungen vorwiegend der „geistigen Innenseite" der Lebensvorgänge zu. Im Hinblick auf die Psychologie schrieb er dazu: „Wie die moderne Mathematik in manchen der von ihr neu erschlossenen Gebiete, der Funktionentheorie und der abstrakten Arithmetik wieder an Lei'bnizsche Ideen anknüpft, und wie die moderne Physik sein Grundgesetz der Erhaltung der K r a f t wiedergefunden und erweitert hat, so erstrebt die heutige Psychologie und vielfach bereits im Bunde mit ihr die Biologie ein tieferes Verständnis der Probleme des Lebens, indem sie neben der Naturgesetzlichkeit der Lebensvorgänge deren geistige Innenseite zur Geltung zu bringen sucht." 19 Starken Eindruck hat auf W u n d t der universelle Entwicklungsgedanke von Leibniz ausgeübt, den er als einen besonders großen Fortschritt des deutschen Philosophen schätzte. W i e Leibniz betrachtete er die Erscheinungen der Erkenntnis dynamisch, alles galt ihm als unaufhörlicher Prozeß, als wechselseitig bewirkte Veränderung. E r teilte den Leibnizschen Entwicklungsoptimismus, wonach sich Entwicklung in ihrer Tendenz als Höherentwicklung vollziehe. Von Leibniz übernahm W u n d t auch den Begriff des Bewußtseins, den er besonders für die Psychologie sehr hoch bewertete. Dieser Bewußtseinsbegriff sei für die Psychologie eine epochemachende Tat, er habe für die gesamte spätere Psychologie die Grundlage geschaffen. 20 Wie Leibniz ging W u n d t bei philosophischen und psychologischen Untersuchungen von der Erfahrung aus. Wundts Prinzip der „Aktualität der Seele" geht ebenfalls auf Leibniz zurück. An diesem Leibnizschen Prinzip rühmte er von seiner gegen die materialistische Widerspiegelungstheorie gerichteten Position her vor allem, d a ß es die Vorstellungen nicht zum Spiegelbild der wirklichen Dinge 18 E. Wundt, Wilhelm

Wundt, Deutsches

Biographisches

Jahrbuch

1917-1920,

Berlin-

Leipzig ohne weitere Jahresangaben, S. 635. 19 W. Wundt, Gottfried Wilhelm Leibniz, in: Reden und Aufsätze, a. a. O., S. 248. 20 Vgl. W. Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, a. a. O., S. 231. 4

Wilhelm W u n d t

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gemacht habe. Wundt schrieb: „Indem Leibniz die Vorstellung als die Tätigkeit der Seele, das Begehren als ein Streben nach dieser Tätigkeit auffaßt, gilt ihm nicht, wie manchen Abirrungen der späteren Psychologie, die Vorstellung als eine Art subjektiven Spiegelbildes der wirklichen Dinge, sondern sie ist ihm, wie er wiederholt versichert, selbst immerwährende Tätigkeit, ebenso wie d a s Streben und Begehren, das von den gegebenen Vorstellungen fortwährend zu neuen hindrängt. D i e s e völlig veränderte A u f f a s s u n g des geistigen Lebens ist aber in doppelter Weise epochemachend geworden für die kommende Psychologie. A u f der einen Seite ist aus ihr jener G e d a n k e eines Mechanismus des Vorstellungsverlaufs entstanden, der an sich gänzlich außerhalb des durch bestimmte logische Motive geleiteten Denkens liegt, und der von der Assoziationspsychologie an bis auf Herbart und seine Schule die Psychologie in weitem U m f a n g beherrscht hat. A u f der anderen Seite enthält sie die A n f ä n g e jenes .Voluntarismus', der zu einer bald bewußt ausgebildeten, bald latent bleibenden Signatur der modernen Psychologie geworden ist." 2 1 In diesem Zusammenhange sei erwähnt, daß der Wundtsche Voluntarismus offensichtlich viel stärker unter dem Einfluß von Leibniz als unter dem von Schopenhauer entstanden ist. In Anlehnung an Leibniz unterschied Wundt als Prinzipien der Verstandestätigkeit: das Prinzip des Widerspruchs (als falsch wird angesehen, was einen Widerspruch enthält) und d a s Prinzip des zureichenden Grundes (keine Begebenheit sei wirklich und seiend, keine A u s s a g e wahr, wenn kein hinreichender G r u n d vorhanden). Anläßlich des 70. Geburtstages von Wundt schrieb Rudolf E i s l e r : „ M i t Leibniz weist Wundt wesentliche Berührungspunkte auf. E r kann geradezu der Leibniz des 19. Jahrhunderts genannt werden, wenn man ihn nicht, was auch geschieht, mit K a n t vergleichen will. D i e Polyhistorie des Schöpfers der Monadenlehre, der .vermittelnde' Standpunkt, die Betonung und Wertung des Geistigen als des ,An sich' der Dinge, die teleologische Weltbetrachtung in Verbindung mit streng kausaler A u f f a s s u n g der Naturphänomene, der G e d a n k e immanenter geistiger Entwicklung, das Streben als Faktor dieser Entwicklung, der metaphysische Individualismus, die Idee einer Harmonie des Weltganzen, die Bestimmung der Seele als ,Entelechie', die Unterscheidung verschiedener Bewußtseinsgrade, durch welche eine Stufenfolge von Wesen hergestellt wird - das alles charakterisiert die Leibnizsche ebenso wie die Wundtsche Philosophie. D a z u kommen noch besondere psychologische und erkenntnistheoretische Ähnlichkeiten: die Bevorzugung der inneren E r f a h r u n g vor der äußeren, die Apperzeption als bewußtseinssteigernde Tätigkeit, die A u f f a s s u n g von R a u m , K ö r p e r , Materie als ,wohl fundierte', in den Dingen an sich objektiv begründete, wenn auch zunächst subjektive Phänomene, die Einsicht, daß alles, auch das aus der E r f a h r u n g stammende Wissen die verarbeitende Tätigkeit des Intellekts voraussetzt, der psychologische Determinismus, das Unterordnen des Handelns der einzelnen unter die Zwecke der Gesamtheit." 2 2 21 W. Wundt. Leibniz - zu seinem zweihundertjährigen Todestag, a. a. O., S. 62/63. 22 R. Eisler, W. Wundts Philosophie und Psychologie, a. a. O., S. 21/22.

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Zu den Quellen der Wundtschen Philosophie gehören auch die philosophischen Auffassungen Herbarts, die selbst unter dem Einfluß von Kant und Leibniz entstanden sind. In seinen Lebenserinnerungen berichtet W u n d t : „Seit mir bei dem Problem der Entstehung des Sehfeldes die Erkenntnis aufgegangen war, daß die Physiologen hier auf Neben- oder Irrwegen gewandelt waren, beschäftigte mich die Frage, inwieweit insbesondere da, wo von den einfachen Vorgängen der Empfindung und Wahrnehmung zu den verwickeiteren Erscheinungen des Seelenlebens ein Übergang zu suchen sei, bei den Philosophen Rat geholt werden könne. Noch entsinne ich mich, wie ich mehrere Wochen lang früh um fünf meine Studierlampe anzündete, um mich in das Studium von Herbarts .Psychologie als Wissenschaft' zu vertiefen, die mir von allen Werken, die sonst die philosophische Literatur in psychologischen Dingen bot, am meisten imponierte und die zu jener Zeit am ehesten von den strengeren philosophischen Werken auf die Physiologie herübergewirkt hatte." 23 In seinen „Grundzügen der physiologischen Psychologie" bekannte Wundt, daß er nächst Kant in der Ausbildung eigener philosophischer' Ansichten Herbart am meisten zu verdanken habe. 24 Als Wundt 1875 sein philosophisches Lehramt in Leipzig antrat, waren dort im Widerstreit mit der Hegeischen Philosophie - Herbarts Anschauungen vorherrschend, gelehrt vor allem von dem Philosophen Drobisch. Über die Wirkung, welche die Herbartsche Philosophie in Leipzig auf ihn ausübte, schrieb W u n d t : „So wenig ich selbst der Herbartschen Philosophie zugeneigt war oder von den Vertretern dieser als einer der ihrigen angesehen worden wäre, kann ich doch nicht umhin, dankbar anzuerkennen, daß sie durch die unabhängige Stellung, die sie viele Jahre in Leipzig behauptete und in der sie die Tradition eines befreundeten Verhältnisses der Philosophie und der positiven Wissenschaften aufrecht erhielt, mir den Eintritt in mein philosophisches Lehramt und dadurch die weitere Wirksamkeit in diesem erleichtert hat. Die Herbartsche Schule hat, wie man wohl sagen darf, nicht wenig dazu beigetragen, jenes Verhältnis wechselseitiger Anerkennung wiederherzustellen, das in früheren Zeiten zwischen der Philosophie und den Einzelwissenschaften bestanden hatte, und dadurch eine Zeit vorzubereiten, in der diese nicht mehr, wie durchgehends um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, als eine vorübergegangene Wissenschaft galt, sondern wiederum, wie zu Kants Zeiten, eine geachtete Stellung einnahm." 25 Wundt entnahm der Erfahrungskonzeption Herbarts Grundgedanken für seine Auffassung von der Erfahrung. Die Metaphysik müsse ihren Gegenstand aus der Erfahrung gewinnen; ihre Aufgabe sei, mittels der Erfahrungsanalyse Widersprüche zu beseitigen und eine widerspruchsfreie Erfahrungsgrundlage zu schaffen. Die einzelnen Wissenschaften führten zu Begriffen, die mannigfaltige Widersprüche in sich trügen. Die Aufgabe der Metaphysik sei, die Begriffe von den 23 W . Wundt, Erlebtes und Erkanntes, a. a. O., S. 1 9 1 . 2 4 W . Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie, Leipzig 1 8 7 4 , S.VI. 25 W . Wundt, Erlebtes und Erkanntes, a. a. O., S. 2 9 6 .



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Widersprüchen zu reinigen und das eigentlich Reale aus den Widersprüchen herauszuarbeiten. Von Kant und Herbart ausgehend, betrachtete W u n d t die kritische Bearbeitung der Erfahrung als Ausgangspunkt aller Erkenntnis. Wie Herbart vertrat W u n d t die Meinung, d a ß sich unser Denken, das mit der E r f a h rung beginne, über den Erfahrungsbereich erheben könne und zu den äußeren Dingen vordringe. Im Sinne Herbarts wollte W u n d t die Psychologie auf E r f a h rung, Metaphysik und Mathematik begründen. Auch Herbartsches Ideengut hat W u n d t nicht kritiklos übernommen. E r äußerte beispielsweise starke Bedenken gegen dessen Seelenbegriff. Dazu schrieb er: „Denn ich kenne unter den heute noch einigermaßen kursfähigen psychologischen Systemen kein anderes, dem die Seele als eine bloß äußerlich mit dem Körper verbundene, in ihrem eigenen Leben aber von diesem im wesentlichen unabhängige metaphysische Substanz gilt. Für diese Herbartsche Seele sind in der Tat die Vorstellungsbildungen, die Assoziationen usw. rein innerliche Erlebnisse der Seele, und sie stehen als solche in einem .unmittelbaren', nirgends durch körperliche Vorgänge vermittelten Zusammenhang. D a ß die Herbartsche Psychologie ein metaphysisches Hypothesengebäude ist, und d a ß der unmittelbare Zusammenhang, den sie voraussetzt, nirgends wirklich existiert, ist aber heute eine ziemlich allgemeine Überzeugung der Psychologen. Alles was unserem Seelenleben angehört, ist, so viel wir wissen, an physische Vermittlungen gebunden, von den einfachen zeitlichen und räumlichen Vorstellungen an bis zu den verwickeltsten Assoziationen und Apperzeptionen." 2 6 Auch bei seinem Bemühen, die genetische Betrachtungsweise in die Psychologie einzuführen, geriet W u n d t in ernsthaften Widerspruch zur Herbartschen Vorstellungsmechanik, die dem Entwicklungsgedanken im Wege stand. Seelenbegriff und Vorstellungsmechanik Herbarts stünden im Widerspruch zu dessen scharfer Beobachtungsgabe. „Was hätte ein Mann wie Herbart", schlußfolgerte W u n d t , „ausgerüstet wie wenig andere mit der G a b e der Zergliederung innerer W a h r nehmungen, der Psychologie für bleibende Dienste leisten können, wenn er nicht den besten Teil seines Scharfsinns auf die Erfindung einer völlig imaginären Mechanik der Vorstellungen verschwendet hätte, zu der ihn sein metaphysischer Seelenbegriff verführte! Was bleibend in Herbarts psychologischen Arbeiten ist, verdankt er seiner scharfen Beobachtungsgabe des wirklichen Geschehens; was unhaltbar und verfehlt ist, stammt von seinem metaphysischen Seelenbegriff und den Hilfsannahmen her, zu denen er durch diesen veranlaßt wurde." 2 7 Trotz seiner scharfen Kritik an Herbart hielt W u n d t ihn für einen der „scharfsinnigsten Denker des 19. Jahrhunderts" 2 8 . Starken Einfluß auf das psychologische und philosophische Schaffen Wundts hatte Fechner. Einige Jahre lang stand W u n d t in enger Verbindung mit ihm. Fechner nahm fast regelmäßig an den auch von W u n d t besuchten monatlichen Sitzungen der „Königlich Sächsischen Gesellschaft

26 W. Wundt, Probleme der Völkerpsychologie, 2. Aufl., Stuttgart 1921, S. 66. 27 W. Wundt, Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele, 6. Aufl., Leipzig 1919, S. 4. 28 Ebenda.

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der Wissenschaften" teil und hielt dort wiederholt selbst Vorträge. Wundt war nach eigener Aussage beeindruckt von Fechners Ansichten über die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Naturerscheinungen, von dessen Prinzip der Kausalität, und der Zweckmäßigkeit und von der Art und Weise, mittels Intuition und Analogie eine Weltansicht zu gewinnen sowie verwickelte Zusammenhänge durch methodische Analyse auf einfache Beziehungen zurückzuführen. In Übereinstimmung mit Fechners „Tagesansicht" sah Wundt die ganze physische Welt von einem psychischen Leben erfüllt, und er teilte dessen idealistische Grundauffassung, daß die Dinge vom Bewußtsein her erfaßt werden müßten, nicht, wie es die „Nachtanschauung" versuche, das Bewußtsein von den Dingen aus. In ähnlicher Weise wie Fechner versuchte Wundt jeden Gegensatz von Materie und Bewußtsein bzw. deren Verhältnis zueinander aufzulösen, indem die Dinge als Elemente des Bewußtseins untersucht wurden. Eine von Flügel in dieser Hinsicht geschriebene Einschätzung der Fechnerschen Bestrebungen trifft ebenso gut auf Wundt zu. Flügel schrieb: „Aber da die Existenz der Materie und die Gültigkeit der Naturwissenschaften nicht geleugnet werden konnte, war die einzige Lösung, die beiden Elemente - Materie und Bewußtsein - als ein und dasselbe anzusehen. Es wurde zu seiner Lebensarbeit, die beiden Welten zu verbinden und die Gesetze ihres inneren Zusammenhangs zu entdecken." 2 9 Fechners Auffassung, daß Materielles und Geistiges aneinander gebundene, nur durch unterschiedliche Standpunkte der äußeren und der inneren Auffassungen geschiedene Eigenschaften des Wirklichen seien, findet sich wieder in Wundts Erfahrungskonzeption. Fechner übte vor allem auf Wundts psychologische Forschungen starken Einfluß aus. Von ihm übernahm er die Methoden der eben merklichen Unterschiede, der richtigen und falschen Fälle und der mittleren Fehler. Durch Fechner wurde er in seinem Standpunkt des psychophysischen Parallelismus bestärkt. Fechners psychophysische Experimente und dessen Hypothesen und Theorien führten oft zu wichtigen materialistischen Einsichten. Wundt war sehr darauf bedacht, sich bei der unumgänglichen Verwertung Fechnerscher psychophysischer Erkenntnisse von materialistischen Standpunkten abzugrenzen. Das Weber-Fechnersche Gesetz bezeichnete er daher als ein psychisches, nicht als psychophysisches. In seinen Lebenserinnerungen schrieb er: „Nicht ein Grundgesetz für das Verhältnis der körperlichen zur geistigen Welt hatte er gefunden, dagegen in jenem Prinzip der Relativität eine Gesetzmäßigkeit von hohem Wert, die sich über das gesamte geistige Leben und durch den Einfluß desselben auf die Erkenntnis der Außenwelt wahrscheinlich weit über dessen Grenzen hinaus erstreckte." 3 0 Für Wundt galt das Weber-Fechnersche Gesetz als ein allgemeines Prinzip der Relativität psychischer Erscheinungen, der Sinnesempfindungen. Damit versuchte er, die in diesem Gesetz erfaßten Gesetzmäßigkeiten, vom Materiellen ausgehende Beziehungen, auf psychische Zusammenhänge zu reduzieren. Jede 29 J . C. Flügel, Probleme und Ergebnisse der Psychologie, Stuttgart o. J., S. 81. 30 W. Wundt, Erlebtes und Erkanntes, a. a. O., S. 202.

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gesetzmäßige Bestimmung von Psychischem durch Physisches wurde von ihm strikt abgelehnt. Zu den Quellen der philosophischen Auffassungen Wundts müssen auch Arbeiten Hegels gezählt werden. Bereits während seiner Heidelberger Zeit habe er mit Fachkollegen heftig über Hegels Ideen diskutiert, berichtete W u n d t in seinen Lebenserinnerungen. Einem gründlicheren Studium der Hegeischen Werke hat er sich offensichtlich erst viel später zugewandt. E r war fasziniert von dem großen Wurf einer „Selbstentwicklung des Geistes", vermochte dagegen mit Hegels Dialektik nichts anzufangen. Entweder hat er deren Wesen nicht begriffen, oder aber ihr revolutionärer Kern hat ihn abgeschreckt, sie für seine Arbeiten nutzbar zu machen. D a s resultierte aus seiner allgemeinen Einstellung zur Dialektik, die er fast ausschließlich als verworrene Begriflsdialektik identifizierte und zurückwies. Seine begeisterte Zustimmung zur Hegeischen Idee von der Selbstbewegung des Geistes, die er als einen entscheidenden Wendepunkt im philosophischen Denken begrüßte, verband W u n d t mit einer Kritik an ihrer einseitig logischen Form. Hegel sei es nicht gelungen, zu einer haltbaren Geistesphilosophie zu gelangen, weil er die psychologische Vertiefung in das individuelle Seelenleben und die aus ihm zu erschließenden seelischen Antriebe des gesellschaftlichen Lebens unterlassen habe. W u n d t schrieb: „Ihm genügte bei dem geringen M a ß seines naturwissenschaftlichen Interesses der Grundgedanke dieser Naturphilosophie," - gemeint war Schellings Naturphilosophie - „daß die N a t u r eine Vorstufe des Geistes sei. Diese reichte ihm, um eine Philosophie des Geistes zu begründen, die, soweit sie sich auf positive Grundlagen stützte, ganz und gar nach der Geschichte selbst und nach den geschichtlich entstandenen Erzeugnissen des menschlichen Geistes orientiert war. Freilich fehlte ihr, um zu einer haltbaren Geistesphilosophie zu gelangen, die psychologische Vertiefung in das individuelle Seelenleben und in die erst von ihm aus zu erschließenden seelischen Antriebe des gesellschaftlichen und geschichtlichen Lebens, Grundlagen, die unmöglich durch eine noch so tiefsinnige logische Konstruktion ersetzt werden konnten. Immerhin bezeichnete die Idee der Selbstbewegung des Geistes nach ihm immanenten Gesetzen, die diese Philosophie nachdrücklich zur Geltung brachte, trotz der einseitig logischen Form, in der sie durchgeführt war, einen entscheidenden Wendepunkt . . ," 31 W u n d t warf Hegel vor, d a ß er der naturwissenschaftlichen Erkenntnis zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe. E r schrieb: „Zudem war bei ihm nicht nur der seit der Renaissance die Philosophie beherrschende Naturalismus beseitigt, sondern die naturwissenschaftliche Betrachtung selbst war offenbar zu kurz gekommen. Sie war überdies in ihrer durch die vorangegangene naturphilosophische Spekulation gefälschten Form eigentlich nur dazu bestimmt, die Lücke zu schließen, die zwischen der abstrakten Logik des Systems und der Lehre vom Geiste geblieben war." 3 2 Die Hegeische Konzeption von der Selbstentwicklung

31 W . W u n d t , Sinnliche und übersinnliche Welt, a. a. O., S. 310. 32 E b e n d a , S. 311.

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des Geistes imponierte W u n d t vor a l l e m durch die Tiefe und W e i t e ihres Entwicklungsgedankens. W u n d t schätzte die Hegeischen Ideen nicht nur als bedeutsam für die Philosophie, er hob auch deren starken Einfluß auf die Psychologie hervor. Er schrieb: „So trägt denn die Psychologie der G e g e n w a r t die Spuren aller der Einflüsse an sich, in denen die Philosophie des 19. Jahrhunderts die hauptsächlichste der geistigen Strömungen dieser Zeit zum Ausdruck brachte. Von Herbart hat sie die ersten Anregungen zu einer exakten Betrachtung der Bewußtseinsvorgänge empfangen. A n Schopenhauer klingen gewisse metaphysische und erkenntnistheoretische Gedanken an. Als ihr mächtigster V o r l ä u f e r ist aber schließlich in den allgemeinen Zielen, denen sie zustrebt, der Philosoph hervorgetreten, dem sie anfänglich am fernsten schien: Hegel." 3 3 Die Ideen von Kant, Leibniz, Herbart und Hegel haben offensichtlich W u n d t s philosophisches und psychologisches Schaffen am nachhaltigsten beeinflußt. D a neben wirkten weitere philosophische Richtungen auf sein philosophisches Denken ein, so beispielsweise empiriokritisches Gedankengut, obwohl sich W u n d t w i e d e r holt mit dem Empiriokritizismus auseinandersetzte. W i e bereits erwähnt, verkehrte Avenarius während der Zeit seines Aufenthaltes in Leipzig 1879 bis 1880 viel im Hause Wundts. Zu Ernst Mach bestand dagegen offenbar kein persönlicher Kontakt. Aus dem mir zugänglichen Briefwechsel W u n d t s ergab sich d a f ü r kein Anzeichen. In der Untersuchung von J . Thiele „Briefe deutscher Philosophen an Ernst Mach aus den Jahren 1865 bis 1915" w i r d mitgeteilt: „Der A n t w o r t W i l h e l m W u n d t s auf Machs Bitte um H i l f e bei einer Literatur-Recherche hat sich eine weitere Korrespondenz nicht angeschlossen." ;>/l Nicht ohne Einfluß auf W u n d t s Philosophie waren der Neukantianismus bzw. die von Kant ausgehenden Auffassungen einiger Physiologen, wozu wohl auch Fechner gerechnet werden darf. W u n d t hat jedoch oft Stellung gegen neukantianische Positionen bezogen. Er w a r sich bewußt, d a ß er dabei unter den Physiologen und Psychologen gegen den Strom schwamm. In einem Brief an Rudolf Eucken schrieb e r : „Wer heute gegen den Strom des Kantianismus zu schwimmen versucht, muß sich auf Widerspruch aller Art, und kann sich nur selten auf Zustimmung gefaßt machen." 3 5 W u n d t hat aus seiner Sicht einer psychologischvoluntaristischen Metaphysik in zahlreichen Arbeiten gegen den Positivismus Stellung bezogen, das schließt jedoch nicht aus, d a ß er selbst - zum Beispiel hinsichtlich des Verhältnisses von Philosophie und Einzelwissenschaften - bestimmte positivistische Auffassungen vertrat. D i e von M a n f r e d Buhr in seiner Arbeit „Zur A k t u a l i t ä t der Leninschen Positivismus-Kritik" nachgewiesene a l l -

3 3 W . Wunde, D i e Psychologie im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, in: R e d e n und A u f sätze, a. a. O . , S. 2 3 0 . 3 4 J. Thiele, B r i e f e deutscher Philosophen an Ernst M a c h aus den J a h r e n 1 8 6 5 bis 1 9 1 5 , i n : Philosophia Naturalis, B d . 1 6 , H e f t 1, 1 . V i e r t e l j a h r 1 9 7 6 . 3 5 Brief W . W u n d t s an R u d o l f Eucken, J e n a , v o m 3 1 . Juli 1 8 9 1 , in: W u n d t - F o r s c h u n g s a r c h i v der K a r l - M a r x - U n i v e r s i t ä t Leipzig, B r i e f w e c h s e l I.

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gemeine Tendenz bürgerlicher Philosophie zum Positivismus trifft auf Wundts Arbeiten uneingeschränkt zu. 36 Umstritten ist der Einfluß Schopenhauers auf Wundt. In einigen psychologiehistorischen Arbeiten bürgerlicher Autoren wird ein solcher konstatiert, ohne ihn ausreichend zu begründen. In Wundts Arbeiten, zu deren wesentlichen Merkmalen ein voluntaristischer Idealismus gehört, ist meines Erachtens eine direkte Übernahme Schopenhauerscher Ideen nicht feststellbar, ihr Einfluß ist aber trotzdem anzunehmen. W u n d t hat selbst von dem Einfluß Schopenhauers auf die neue Psychologie gesprochen, der er sich ja schließlich zurechnete. Neben den genannten Philosophien hat W u n d t noch andere verwertet, wenn sie dem Ausbau oder der Stützung seiner Position nützlich sein konnten. So erwähnte er den Einfluß der Ideenlehre Piatons auf sein philosophisches Denken. In einem Brief an Ernst Haeckel schrieb er, d a ß er sich hinsichtlich seines Monismus Spinoza zum Vorbild genommen habe. 37 In Wundts Elementarlehre klingen Ideen von Bacon, Hobbes und Newton an. In seinen Arbeiten bezog er sich oft auf Lotze, zum Beispiel bei seiner Elementenauffassung des Psychischen, und auf v. Hartmann, dessen Idee vom Willen und von den Vorstellungen als geistigem Prinzip der Welt in seinen Arbeiten zu finden ist. Ausgehend von den Grundpositionen Kants, Leibniz', Herbarts und Hegels, hat W u n d t sein philosophisches System errichtet und dabei zahlreiche Anregungen anderer Philosophen verwertet, wenn sie geeignet waren, seine Grundauffassung zu untermauern. 36 M. Buhr, Zur Aktualität der Leninschen Positivismuskritik (Reihe: Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie, Bd. 12), Berlin 1972, S. 31 ff. 37 Brief W. Wundts an Ernst Haeckel vom 28. September 1899, in: Wundt-Forschungsarchiv der Karl-Marx-Universität Leipzig, Briefwechsel I.

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4.

Wundts Klassifikation der Wissenschaften

W u n d t betrachtete die Wissenschaften als miteinander wechselwirksam in einem einheitlichen System verbunden. D a s galt auch für das Verhältnis von Einzelwissenschaften und Philosophie. Eine Sonderstellung nahm in seinem Wissenschaftssystem die Psychologie ein. Wie sein gesamtes Werk hatte Wundts Klassifikation der Wissenschaften einen zwiespältigen Charakter; innerhalb einer idealistischen Grundposition sind zahlreiche richtige Erkenntnisse enthalten. D i e Entstehung und Entwicklung der Wissenschaften erklärte W u n d t aus geistigen Bedürfnissen, die grundlegenden und bestimmenden materiellen Bedingungen, besonders die Produktion, ließ er außer acht. E r erklärte: „Aus rein intellektuellen Bedürfnissen sind die Einzelwissenschaften hervorgegangen. Ihre Entstehung setzt zwei Bedingungen voraus, die sich ihrer N a t u r nach verhältnismäßig spät erst verwirklicht haben: die eine besteht in der Sonderung der religiösen von der wissenschaftlichen Weltbetrachtung, die andere in der Trennung der verschiedenen intellektuellen Interessen voneinander." 1 Obwohl W u n d t immer wieder forderte, alle Ereignisse unter dem Gesichtspunkt von Ursache und Folge zu betrachten, erklärte er hier eine Folgeerscheinung zur unvermittelten Ursache. E r erkannte nicht, d a ß die produktive Auseinandersetzung der Menschen mit der N a t u r zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung und die damit entstehenden sozialen Beziehungen die erste entscheidende Quelle aller Wissenschaftsentwicklung sind. Auch die „rein intellektuellen Bedürfnisse" sind ihrem Ursprünge nach auf materielle Bedürfnisse und Interessen zurückführbar, wobei eine relative Selbständigkeit geistiger Bedürfnisse keineswegs geleugnet werden soll. Wundts Wissenschaftsbetrachtung konzentrierte sich auf die Phase des abstrakten begrifflichen Denkens im Wissenschaftsprozeß, die empirische Seite hingegen betrachtete er wenig, obwohl in seinen philosophischen Überlegungen die sinnliche E r f a h r u n g als Grundlage aller geistigen Erscheinungen breiten Raum einnimmt. D i e produktiv-praktische Funktion der Wissenschaften gehörte nicht zum Gegenstand seiner Untersuchungen, höchstens das materielle Produkt als Resultat geistiger Leistung. Von seinem idealistischen Standpunkte bestimmte W u n d t die logische Operation 1 W. Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1889, S. 10.

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mit den Begriffen von Objekten zur eigentlichen Aufgabe der Wissenschaften. D i e materiell-gegenständliche Erforschung, produktive Gestaltung und Veränderung von Objekten erfaßte er nicht als Aufgabe der Wissenschaften. Obwohl W u n d t das Objekt und seine sinnliche Erfassung für die Bildung der Begriffe voraussetzte, verselbständigte er diese, wenn es um die Bestimmung des Inhalts und die Einteilung der Wissenschaften ging. W u n d t lehnte völlig berechtigt einige der damaligen Klassifikationssysteme der Wissenschaften ab, so die Einteilung nach Zwecken, die namentlich für die häufig benutzte Unterscheidung theoretischer und praktischer Wissenschaften bestimmend war, die Einteilung nach Verfahrensweisen - nach beschreibenden und erklärenden Wissenschaften - und jede Abgrenzung nach der Art „mikroskopische Anatomie", „analytische" und „synthetische Chemie" und dergleichen. Weil die logischen Verfahrensweisen der Wissenschaften keine geeigneten Gesichtspunkte für eine Klassifikation böten, blieben allein die Gegenstände, mit denen sie sich beschäftigten, als mögliche Grundlage übrig. Dieser Einsicht fügte W u n d t einschränkend hinzu: „Hierbei ist aber nicht zu vergessen, d a ß diese Gegenstände nicht an und für sich, sondern allein in den Begriffen, zu deren Bildung sie Anlaß geben, Ausgangspunkt einer wissenschaftlichen Einteilung sein können, wie ja auch im einzelnen die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Objekten in der begrifflichen Verarbeitung derselben besteht." 2 D a s Experiment, zu dessen Einführung in die Psychologie W u n d t einen wichtigen Beitrag leistete, spielt in diesen Überlegungen keine Rolle. Hier galt „die rein theoretische Weltbetrachtung" als der „einzige Zweck der Wissenschaften" 3 . E r war sich jedoch bewußt, d a ß eine Isolierung von der Praxis für die Wissenschaft unmöglich ist, wobei sich seine Auffassung der Praxis weitgehend auf geistige Prozesse bezog. E r schrieb: „ D a ß die Wissenschaft, wie im einzelnen Fall auf die Praxis des Lebens, so auch auf die praktische Lebensanschauung überhaupt und namentlich auf ihren wichtigsten Teil, die Religion, ihre Einflüsse ausüben kann und muß, ist dadurch nicht ausgeschlossen." 4 Für W u n d t war die Praxis für die Gegenstands- und Aufgabenbestimmung der Wissenschaften und deren Klassifikation eine Nebensache, er erfaßte nicht, d a ß die Dialektik von Praxis und Theorie die Struktur der Wissenschaft entscheidend bestimmt. Zwar hatte er richtig erkannt, d a ß das theoretische Wissen - das auf den Begriff gebrachte Wissen - den eigentlichen Gegenstand der Wissenschaften bildet, er ließ aber die grundlegende Bedingung wissenschaftlicher Arbeit außer acht, die ständige Konfrontation dieses Wissens mit den Dingen und Prozessen der objektiven Realität. Theoretisches Wissen verselbständigte er und isolierte es von der Praxis. W u n d t unterschied drei Gebiete der Einzelwissenschaften als relativ selbständige Teile des Systems der Wissenschaften: die Mathematik, die Naturwissen2 Ebenda, S. 25. 3 Ebenda, S. 11. 4 Ebenda.

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Schäften und die Geisteswissenschaften. 5 Die Mathematik bezeichnete er als Formwissenschaft, die Natur- und Geisteswissenschaften als die Erfahrungswissenschaften. Zwischen der Mathematik und der Gesamtheit aller übrigen Wissenschaften bestehe ein wesentlicher Unterschied: im Gegensatz zur Mathematik seien die Natur- und Geisteswissenschaften an die Erfahrung oder wenigstens an in der Erfahrung mögliche, vermutete oder vorauszusehende Tatsachen gebunden; die Mathematik beginne mit den Objekten der empirischen Wirklichkeit, führe aber in ihren Operationen beliebig über die Grenzen der Erfahrung hinaus. Wundt hat die Eigenschaft der Mathematik, erfahrungsunabhängig zu sein, stark überbewertet. Zwar sind von realen Objekten relativ unabhängige Operationen möglich und vor allem in der mathematischen Grundlagenforschung notwendig, aber letzten Endes sind auch diese an objektive Beziehungen und Zusammenhänge gebunden, denn auch die Mathematik muß als spezifische Form der Widerspiegelung objektiver Realität diese adäquat widerspiegeln. Wundt betonte, daß die Mathematik nicht nur in den Naturwissenschaften, sondern auch in den „Geisteswissenschaften" ihren Anwendungsbereich finden müsse. „Nun ist es zweifellos richtig", schrieb er, „daß als Hilfswissenschaft die Mathematik die meisten Beziehungen zur Naturforschung hat. Aber weder ist diese Stellung tatsächlich die einzige, noch ist sie prinzipiell eine solche, die eine anderweitige Verwendung ausschließt. Abgesehen von der Psychologie, in welcher seit Herbart mehrfach nicht bloß für psychophysische, sondern selbst für rein psychische Verhältnisse mathematische Formulierungen versucht wurden, bieten die Lehre von den Bewegungen der menschlichen Gesellschaft sowie die nationalökonomische Werttheorie Beispiele fruchtbringender Anwendung mathematischer Methoden, und selbst die Logik läßt sich auf einen eigenartigen mathematischen Algorithmus zurückführen." 6 Wundt bezweifelte jedoch, daß in den historischen Disziplinen die Anwendung der Mathematik möglich sein werde, was analog auch in seiner dualistischen Trennung der Psychologie in Experimental- und Völkerpsychologie seinen Ausdruck fand. Die Erfahrungswissenschaften - oder realen Wissenschaften, wie er sie auch nannte - gliederte er in Natur- und Geisteswissenschaften, wobei er die letzteren nicht im Sinne der alten Metaphysik verstanden wissen wollte. Jede Einteilung der Wissenschaften, die im metaphysischen Sinne von einer Gegenüberstellung von Körpern und Geistern ausgehe, betrachtete er als ausgeschlossen. Für die Einteilung der „realen Wissenschaften" in Natur- und Geisteswissenschaften waren für Wundt nicht unterschiedliche Objektbereiche oder deren begriffliche Widerspiegelung ausschlaggebend, sondern Unterschiede in der denkenden Betrachtung, was entsprechend seiner Erfahrungskonzeption - die noch ausführlich erörtert wird - keinen Widerspruch zu seiner Meinung bildet, daß die Gegenstände, mit denen sich die Wissenschaften beschäftigen, Anlaß zu ihrer Einteilung sein könn5 W . W u n d t , Einleitung in die Philosophie, 9. A u f l . , Leipzig 1 9 2 2 , S. 5 8 . 6 E b e n d a , S. 5 9 .

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ten. Bei der Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften handele es sich nicht um einen Unterschied der Gegenstände, denn geistige und körperliche Welt seien eine einzige für uns unteilbare Erfahrungswelt, die eine Naturseite und eine geistige Seite unserer denkenden Betrachtung darbiete. 7 Eine Trennung in Natur- und Geisteswissenschaften vollziehe sich durch die von unserem Geiste vollzogene Sonderung der den Dingen real zukommenden Eigenschaften. Wundt erläuterte: „Nachdem die formalen von den realen Eigenschaften der Dinge getrennt sind, werden die realen Eigenschaften hinwiederum in diejenigen zerlegt, welche wir auf die Gegenstände beziehen, insofern sie als von uns verschiedene wahrgenommen werden, und in diejenigen, durch welche sie uns ihre Verwandtschaft mit unserem eigenen, unmittelbar von uns innerlich erfaßten Sein verraten. D a s erste Geschäft weisen wir den Naturwissenschaften, das zweite den Geisteswissenschaften zu." 8 D a s Geistige als Gegenstand der „Geisteswissenschaften" verstand Wundt als eine Seite des Seins, nicht als Widerspiegelung und Abbild der objektiven Realität. Einerseits erkannte er, daß die Geisteswissenschaften gezwungen sind, von den objektiven Tatsachen auszugehen und daß geistige Vorgänge nur durch ihre körperlichen Begleiterscheinungen objektiv erkennbar werden, andererseits glaubte er, daß sich die Geisteswissenschaften begnügen könnten, diese körperlichen Begleiterscheinungen lediglich als Erkenntnismittel des Geistigen zu betrachten. 9 Wundt klassifizierte die Wissenschaften weiterhin als phänomenologische, genetische und systematische. Phänomenologisch nannte er Disziplinen in Natur- und Geisteswissenschaften, die Vorgänge untersuchten, systematisch solche, die Gegenstände behandelten und genetisch die, welche nach den Beziehungen dieser beiden Gruppen fragten. Geschichtlich betrachtet, hätten die systematischen Disziplinen zuerst ihre Ausbildung erhalten, danach die genetischen und zuletzt die phänomenologischen. In den logischen Beziehungen bestünde ein umgekehrtes Verhältnis. „Hier stützten sich schon jetzt", schrieb Wundt, „innerhalb der Naturlehre die systematischen ganz und gar auf die genetischen und die phänomenologischen, die verschiedenen Teile der Entwicklungsgeschichte aber wiederum auf die letzteren, so daß Physik, Chemie und Physiologie heute schon als die letzten Grundlagen der gesamten Naturwissenschaften anerkannt sind." 1 0 In den Geisteswissenschaften verhielte es sich ähnlich, jedoch habe die Psychologie infolge ihrer noch mangelhaften Ausbildung die Stellung einer allgemeinen phänomenologischen Grundlage noch nicht zu erringen vermocht. Bis zur Verselbständigung der Psychologie als Wissenschaft habe im System der Einzelwissenschaften die Philosophie an Stelle der Psychologie eine notdürftige Rolle gespielt. Für die Philosophie ergebe sich nach der Entwicklung der selbständigen Psycho7 Vgl. W. Wundt, System der Philosophie, a. a. O., S. 28. 8 Ebenda, S. 29. 9 Vgl. ebenda. 10 W. Wundt, Einleitung in die Philosophie, a. a. O., S. 74.

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logie hinsichtlich ihrer Stellung im System der Einzelwissenschaften folgende Situation: „In dem Augenblick, wo als das letzte der größeren Einzelgebiete die Psychologie zu einer rein empirischen Disziplin geworden ist, die in dem System der Einzelwissenschaften eine bestimmte Lücke ausfüllt, in dem gleichen Augenblick bleibt für die Philosophie in dem System keine Stelle mehr übrig, da nun die sämtlichen Objekte wissenschaftlicher Betrachtung an einzelne, mit bestimmt abgegrenzten Aufgaben ausgerüstete Einzelgebiete verteilt sind. Aber damit ist auch die Stellung der Philosophie eine wesentlich andere geworden, so hat sie nun um so mehr eine neue Aufgabe übernommen, die freilich nicht mehr in dem System der Einzelwissenschaften selbst, sondern in einem ihm beigeordneten besonderen System der philosophischen Wissenschaften ihre Stelle findet."11 Wundt klassifizierte die Disziplinen der Philosophie nach deren spezifischer Stellung zu den Einzelwissenschaften und in Analogie zum System der Einzelwissenschaften. Dabei hielt er drei Gesichtspunkte für maßgeblich: Erstens gelte für die Philosophie wie für die Einzelwissenschaften als allein zulässige Methode die Verbindung der Tatsachen nach dem Prinzip von Grund und Folge. Zweitens habe die Philosophie ihr Gebäude nicht völlig neu zu errichten, sie müsse vielmehr von den hypothetischen Elementen ausgehen, die ihr die Einzelwissenschaften darböten. Drittens habe sie diese Elemente logisch zu prüfen, in Übereinstimmung miteinander zu bringen und sie zu einem widerspruchslosen Ganzen zu verbinden. Die Notwendigkeit dieser Aufgaben begründete Wundt aus dem geistigen Geschehen; aus dem geistigen Bedürfnis nach Einheit und Zusammenhang erwachse die Forderung nach einer widerspruchsfreien Verbindung der Daten der Einzelwissenschaften. Die Anerkennung einzelwissenschaftlicher Hypothesen als Grundlage philosophischer Forschung verband Wundt mit einer positivistischen Einstellung zu philosophischen Hypothesen, die es möglichst zu vermeiden gelte. Auch die Forderung, daß eine Philosophie als allgemeine Wissenschaft notwendig sei, begründete Wundt aus dem Geistigen. Er schrieb: „ D a ß aber eine solche allgemeine Wissenschaft nötig ist, beweist nicht nur jener philosophische Trieb, der überall innerhalb der Einzelforschung, und heute lebendiger als lange zuvor, sich regt, sondern das ergibt sich vor allem aus seiner Forderung nach Einheit und Zusammenhang, der sich unser Denken niemals auf die Dauer entziehen kann." 1 2 Obwohl die Philosophie an die Einzelwissenschaften gebunden sei, ergebe sich ihre systematische Einteilung aus ihrer außerhalb der einzelnen Wissenschaften liegenden allgemeinen Aufgabe. Diese Aufgabe sei auf das Erkenntnissystem, auf das menschliche Wissen bezogen, sie beruhe auf den Beziehungen und Verbindungen, in denen die verschiedenen Teile des menschlichen Wissens als Bestandteile eines und desselben Erkenntnissystems zueinander stünden. Bei seiner Klassifizierung der philosophischen Disziplinen ging Wundt von der Frage aus, von welchem Gesichtspunkt das menschliche Wissen einer 11 Ebenda, S. 76. 12 W. Wundt, Essays, 2. Aufl., Leipzig 1906, S. 21.

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zusammenfassenden, das einzelne vergleichenden und verbindenden Prüfung unterzogen werden könne. Dabei unterschied er zwei Gesichtspunkte, den des werdenden und den des gewordenen Wissens. Der Gesichtspunkt des werdenden Wissens führe zu den Fragen, wie Erkenntnis entsteht, was ihre Quellen sind, wie die Merkmale ihrer Sicherheit und ihre Grenzen zu bestimmen sind. Diese Fragen, die keine Einzelwissenschaft beantworten könne, bildeten den Inhalt der Erkenntnislehre. Unter dem Gesichtspunkt des gewordenen Wissens könne der Gesamtinhalt menschlicher Erkenntnis betrachtet werden. E r führe zur Frage nach den Prinzipien der Erkenntnis, die der Prinzipienlehre zuzuweisen sei. Erkenntnis- und Prinzipienlehre verhielten sich zueinander analog wie die genetischen und systematischen Gebiete im System der Einzelwissenschaften. Einen der Phänomenologie entsprechenden Bestandteil gäbe es im System der Philosophie nicht. An dessen Stelle trete die Psychologie. Mit dieser Sonderstellung der Psychologie im System der Philosophie versuchte W u n d t seinen psychologistischen philosophischen Standpunkt zu begründen. Weil die Psychologie im System der Einzelwissenschaften und in der Philosophie die phänomenologische Grundlage bilde, seien alle von den Geisteswissenschaften erforschten Vorgänge und alle philosophischen Verallgemeinerungen und Systematisierungen auf die Psychologie zurückzuführen. Den beiden Hauptgebieten der Philosophie, der Erkenntnis- und der Prinzipienlehre, fügte W u n d t als eine dazwischen liegende Disziplin die Geschichte der Philosophie hinzu. Im System der Philosophie stünde der Metaphysik die Ethik, die Ästhetik und die Logik ergänzend zur Seite. W u n d t vertrat konsequent den Standpunkt, d a ß Philosophie und Einzelwissenschaften eng miteinander verbunden sein müßten. E r begrüßte lebhaft das „Umsichgreifen" des philosophischen Bewußtseins in den Einzelwissenschaften und die zunehmende Erkenntnis unter den Naturwissenschaftlern, d a ß eine philosophische Gesamtauffassung von der N a t u r notwendig sei. Als Fortschritt schätzte er ein, d a ß die Ansicht zur allgemeinen Geltung gekommen sei, „daß es mit der bloßen Beschreibung und Verbindung der Tatsachen eines beschränkten Gebietes nicht getan sei, sondern d a ß es die höchste Aufgabe aller einzelnen Zweige der Naturwissenschaft bleibe, an einer philosophischen Gesamtauffassung der N a t u r mitzuarbeiten" 1 3 . D i e philosophischen Regungen innerhalb der Einzelwissenschaften seien vor allem deshalb bedeutsam, weil die Einzelwissenschaftler auch über die allgemeinen Fragen ihres Fachgebiets am besten urteilen könnten. Enthusiastisch bezeichnete W u n d t das „Wiedererwachen der Metaphysik" unter den Naturwissenschaftlern als „das wunderbarste unter den Zeichen der Zeit". Seine Einschätzung erläuternd schrieb W u n d t : „Dasjenige Gebiet der Philosophie, das so lange verstoßen und geschmäht worden ist, d a ß selbst die Mutigsten unter uns kaum mehr daran zu rühren wagten, die Metaphysik, nicht die Philosophen haben es wieder zu Ehren gebracht, sondern - welch wunderbare Wendung der Dinge - gerade die unter ihren Feinden, die sie am tiefsten verachteten, die Naturforscher." 1 4 13 Ebenda, S. 4. 14 Ebenda, S. 28.

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Die Erörterung philosophischer Probleme in den Einzelwissenschaften fand Wundts volle Zustimmung, er wies jedoch darauf hin, daß diese „Philosophie der Spezialisten" nicht ausreiche, daß es einer selbständigen Metaphysik bedürfe. Der Spezialist komme nicht zu einer philosophischen Gesamtschau, denn er könne den Zusammenhang seines Gebietes mit den anderen Gegenständen des menschlichen Interesses nicht klar überschauen. Das Bild, das die „Philosophie der Spezialisten" darbiete, urteilte Wundt, sei keineswegs überall ein erfreuliches. „Man sieht, nicht bloß die Metaphysik ruht heute mehr noch als vor dreißig Jahren" - geschrieben 1906 - „in den Händen der Naturforscher und anderer .Spezialisten', sondern auch darin ist es nicht anders geworden, daß über die tiefsten und höchsten Probleme der auf seinem eigensten Fachgebiet besonnenste und exakteste Forscher gelegentlich spekuliert, als wenn so etwas wie eine kritische Erkenntnistheorie überhaupt nicht existiere, und ohne von dem unbarmherzigen Gericht eine Ahnung zu haben, das die Geschichte der Wissenschaft an ähnlichen Phantasiegebilden vergangener Zeiten bereits geübt hat." 15 Wundt polemisierte gegen eine Entfremdung von Philosophie und Einzelwissenschaften. Als unhaltbar charakterisierte er beispielsweise die „Alexandrinische Periode", in der die Philosophie „in phantastischer Schwärmerei" den festen Boden wissenschaftlicher Methodik völlig unter den Füßen verloren habe, während sich die Einzelwissenschaften mit Vorliebe in eine nüchterne und mühselige Detailarbeit vertieft hätten. 16 Seit der Entstehung der Einzelwissenschaften seien immer wieder zwei Tatsachen in Erscheinung getreten, die für die zukünftige Philosophie nicht maßgebend sein dürften. Wundt schrieb: „Die erste besteht darin, daß der Einfluß der Einzelwissenschaften auf die Philosophie stets ein einseitig beschränkter gewesen ist, indem Gesichtspunkte, die bestimmten Erkenntnisgebieten entnommen waren, die Auffassungen der Philosophie beherrschten und durch sie auf entlegene Gebiete übertragen wurden. Die zweite darin, daß diese Einflüsse im allgemeinen nur in verborgener Weise stattfanden, und daß sie von der Philosophie selbst sozusagen als illegitime betrachtet wurden, indem dieselbe in den meisten ihrer Richtungen den Anspruch erhob, überhaupt ohne jede Beihilfe von den einzelnen Erkenntnisgebieten aus ihre Aufgabe erfüllen zu können." 17 Die Philosophie müsse bewußt den ganzen Umfang wissenschaftlicher Erfahrungen der Einzelwissenschaften zu ihrem Fundament nehmen. „Aufhören sollte der Zustand", forderte Wundt, „wo die Philosophie als ein herrenloses Gebiet gilt, auf dem die sonst bewährten Regeln wissenschaftlicher Forschung ihr Recht verlieren und wo man sich über alles hinwegsetzen darf, was immerhin die Philosophie selbst in der Kritik der Begriffe und in der Beseitigung unhaltbarer metaphysischer Hypothesen bis dahin geleistet hat." 18 Von den Einzelwissenschaften müsse die Philosophie die Grundlage der Erfahrung entlehnen, den allgemeinen Zusammenhang der Erkenntnisse 1 5 Ebenda, S. 37. 16 Ebenda, S. 10. 1 7 W . Wundt, System der Philosophie, a. a. O., S. 1 5 . 18 W . Wundt, Essays, a. a. O., S. 40.

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müsse sie den Einzelwissenschaften mitteilen. Seinen Standpunkt zum Verhältnis von Philosophie und Einzelwissenschaften zusammenfassend, schrieb Wundt: „Erstens: die Philosophie ist nicht Grundlage der Einzelwissenschaften, sondern sie hat dieselben zur Grundlage; und zwar hat sie sich mit vollem Bewußtsein auf diese Basis zu stellen und daher jede einseitige Bevorzugung wissenschaftlicher Gesichtspunkte, welche nur einem beschränkteren Gebiete entlehnt sind, zu vermeiden. Zweitens: indem die Philosophie ihren Zweck darin sieht, die Ergebnisse der Einzelwissenschaften zu einer widerspruchslosen Weltanschauung zu verbinden, tritt sie hinwiederum jenen selbst regulierend und richtunggebend gegenüber. Überall wo sich zwischen den Auffassungen auf verschiedenen Gebieten ein Widerspruch herausstellen sollte, ist es die Philosophie, die den Grund desselben aufzuklären und dadurch den Widerspruch zu beseitigen hat." 1 9 D i e Philosophie müsse die in den Einzelwissenschaften erörterten Probleme und Lösungsversuche aufgreifen. „Der Philosoph sollte sich entschließen", betonte Wundt, „nicht noch einmal das Weltproblem in allen seinen Teilen von Anfang an lösen zu wollen, sondern die Anläufe zu solchen Lösungen, die ihm die positiven Wissenschaften bieten, sollte er aufnehmen, vergleichen, ihre verschiedenen Ansprüche gegeneinander auszugleichen und sie so weit wie möglich zu Ende zu führen suchen. Der philosophische Metaphysiker würde nach diesem Programm nicht mehr ein souveräner Bauherr sein, der seine Pläne ganz nach eigener Phantasie oder mit den Hilfsmitteln der zufälligen Erfahrungen, die er gesammelt, ausführte, sondern ein Architekt, der auf dem Terrain des positiven Wissens, unter der Aufsicht und nach den Bedürfnissen der hier befehlenden Sondereigentümer sein Werk zu vollenden und überall darauf zu sehen hat, daß die Teile zu einem harmonischen Ganzen zusammenstimmen." 20 Wundt verband seine Forderung, daß die Philosophie ihr Material den Einzelwissenschaften entnehmen müsse, mit seiner Ablehnung positivistischer Positionen. Am französischen Positivismus, der auch auf die englische und deutsche Philosophie der Gegenwart einwirke, kritisierte er, daß er über seiner richtigen Einsicht, daß die Einzelwissenschaften Grundlage der Philosophie seien, die eigene Aufgabe der Philosophie völlig vergessen habe. E r begnüge sich damit, die allgemeinen. Sätze der einzelnen Wissenschaften zusammenzustellen. Wundt wandte sich dagegen, der Philosophie lediglich die Aufgabe zuzuweisen, die allgemeinen Resultate der Einzelwissenschaften zusammenzustellen und gewissermaßen eine enzyklopädische Übersicht über dieselben zu geben, und er polemisierte gegen die Meinung, die Philosophie beanspruche als selbständiges Gebiet höchstens die Untersuchung der allgemeinen Bedingungen der Erkenntnis. D i e Verfechter der „reinen Erkenntnistheorie" unter den Philosophen stießen überall auf Begriffe, wie Substanz, Kausalität, Materie, Leben, Seele, Wille, Freiheit, die schon in den 19 W . Wundt, System der Philosophie, a. a. O., S. 21. 20 W . Wundt, Die Metaphysik in Vergangenheit und Gegenwart, in: Reden und Aufsätze, Leipzig 1913, S. 113.

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einzelnen Wissenschaften eine Rolle spielten und mit denen sie sich zwangsläufig beschäftigen müßten. Der Positivismus beruhe auf einem philosophischen Vorurteil, das durch die Beschäftigung mit der Wissenschaft sofort widerlegt werde. Im Bemühen, Philosophie und Einzelwissenschaften eng zusammenzuführen, stellte Wundt eine weitgehende, heute noch beachtenswerte Forderung: „Aufhören muß jedoch, wie ich meine, der Zustand, daß der Philosoph Philosoph sei und nichts weiter. Man wird von ihm die volle Beherrschung mindestens eines seinen philosophischen Arbeiten nächstliegenden Spezialgebietes verlangen müssen." 21 Die Einzelwissenschaft müsse sich auf die zusammenfassenden Erkenntnisse der Philosophen stützen, sie dürfe sich nicht völlig planlos auf die hohe See der Spekulationen hinauswagen. In seinem System der Einzelwissenschaften räumte Wundt der Psychologie eine besondere Stellung ein. Die Psychologie bilde die Grundlage und die Voraussetzung aller Geisteswissenschaften, erforsche sie doch die allgemeingültigen Formen und Gesetze aller menschlichen Erlebnisse, Erfahrungen und Erkenntnisse. Weil alle Geisteswissenschaften, im Unterschied zu den Naturwissenschaften, die unmittelbare Erfahrung zum Gegenstande ihrer Untersuchungen hätten, müßten sie sich, wie die Psychologie selbst, des Verfahrens der psychologischen Interpretation bedienen. Aus dieser Sicht rückte Wundt immer stärker von seinem früheren Standpunkte ab, wonach die Psychologie als Naturwissenschaft betrieben werden müsse, und begann, diese den Geisteswissenschaften zuzurechnen. Er argumentierte: „Wenn es die gemeinsame Abhängigkeit von geistigen Vorgängen und Entwicklungen ist, die den Zusammenhang der Geisteswissenschaften vermitteln, so kann natürlich dasjenige Gebiet, das sich mit der unmittelbar im Bewußtsein gegebenen Beschaffenheit dieser Vorgänge selbst beschäftigt, nicht von ihnen ausgeschlossen werden."-' 2 Gegen die Auffassung, daß die Psychologie den Wissenschaften zuzurechnen sei, die sich mit geistigen Erscheinungen beschäftigen, dürfte wohl kaum ein ernsthafter Einwand vorgebracht werden, abgesehen von der Tatsache, daß sich die von Wundt als Geisteswissenschaften bezeichneten Disziplinen keineswegs nur mit Geistigem beschäftigen. Starken Widerspruch muß allerdings Wundts Bestreben auslösen, die Psychologie gegenüber den Naturwissenschaften völlig abzugrenzen. Naturwissenschaften und Psychologie unterschieden sich darin, d a ß die letztere den unmittelbaren Erfahrungsinhalt zum Gegenstand habe, die Naturwissenschaften dagegen ihren Gegenstand nur unmittelbar, begrifflich erfasse. Mit dieser Einengung des Gegenstandes der Psychologie auf Bewußtseinsphänomene, aus der sich zwangsläufig eine Entgegensetzung zu den Naturwissenschaften ergibt, isolierte Wundt die Psychologie von ihren materiellen, natürlichen Grundlagen. Wundt betrachtete die Psychologie auch als Vermittlerin zwischen den Natur21 W . Wundt, Essays, a. a. O., S. 25. 2 2 W . Wundt, Einleitung in die Philosophie, a. a. O., S. 68. 5

Wilhelm Wundt

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und Geisteswissenschaften und als Ergänzung für die Naturwissenschaften. E r erklärte: „ I n d e m die Psychologie die von der Physik prinzipiell aus ihrer Betrachtung ausgeschiedenen subjektiven Elemente und ihre Verbindungen in ihrem eigenen Zusammenhang so viel als möglich exakt und experimentell zu erforschen sucht, tritt sie in der G e s a m t a u f f a s s u n g der Erscheinungen der Naturwissenschaft ergänzend zur Seite. Beide vereinigt umschließen das G a n z e der E r f a h rung; aber dieses zerfällt nicht mehr, wie unter der Herrschaft der metaphysischen Psychologie, in zwei disparate Gebiete, sondern in zusammengehörige, durch die wissenschaftliche Abstraktion zunächst geschiedene, darum nicht minder ihre Synthese fordernde Betrachtung der gesamten Wirklichkeit. D a m i t sind Physik und Psychologie als korrelate Gebiete einander gegenübergetreten, und wie in diesem Verhältnis die Physik die theoretischen Grundlagen der N a t u r wissenschaft einschließt, so umfaßt die Psychologie, wie dies vornehmlich in dem neu entstandenen Zwischengebiet der Völkerpsychologie seinen Ausdruck findet, das geistige Leben der menschlichen Gemeinschaft und damit die Grundlagen der Geisteswissenschaften." 2 3 Im Verhältnis zur Philosophie hat Wundt die R o l l e der Psychologie sehr stark überbewertet. D e r philosophischen Untersuchung solle nur dann ein Wert eingeräumt werden, wenn sie bei jedem Schritt die Tatsachen der psychologischen E r f a h r u n g im A u g e behalte. D i e s e überspitzte Forderung der Psychologie an die Philosophie schloß nicht aus, daß Wundt von den Psychologen hohes philosophisches Wissen verlangte. Für das Hochschulwesen forderte er: „ M a n lasse schon zur Habilitation keinen K a n d i d a t e n zu, der bloßer Experimentator und nicht zugleich ein psychologisch wie philosophisch gründlich durchgebildeter und von philosophischen Interessen erfüllter Mann ist; und die Philosophen, wie nicht minder die Psychologen selbst, sollten darauf hinwirken, daß die Fakultäten bei der V a k a n z philosophischer Lehrstühle, denen die Hauptvertretung der Psychologie zugewiesen ist, nur Männer vorschlagen, die zugleich eine wirksame und selbständige Vertretung philosophischer Lehrfächer übernehmen können." 2 4 Wundt zählte zu den Einzelwissenschaften, die die G r u n d l a g e der Philosophie bilden müßten, auch die Religionswissenschaft als eine unabhängige theoretische Wissenschaft. D e r Einheitstrieb der menschlichen Vernunft versöhne zwischen Philosophie und Religion, zwischen Wissen und Glauben. D i e religiösen Vorstellungen und G e f ü h l e gehörten wie alle Bestandteile der E r f a h r u n g zum Bewußtseinsinhalt, dessen Einheit und Zusammenhang herzustellen unser Denken bestrebt sei. Wenn der Metaphysik auf G r u n d sämtlicher wissenschaftlicher Einzelerkenntnisse die letzte und umfassende Interpretation alles Gegebenen zugewiesen werde, gehörten auch die religiösen Tatsachen dazu. I m Sinne von Leibniz versuchte Wundt Wissenschaft und Religion miteinander zu versöhnen. Leibniz befolge in seinen philosophischen Schriften „unentwegt das Ziel, Religion 23 W. Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, Leipzig 1914, S. 326. 24 W. Wundt, D i e Psychologie im K a m p f ums Dasein, Leipzig 1913, S. 37.

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und Philosophie zu einer einheitlichen, die Bedürfnisse des Denkens wie des Gemüts befriedigenden Weltanschauung zu verbinden" 20 . Wundt betrachtete das Wissenschaftssystem und die Religion als die sich ergänzenden Bestandteile einer Weltanschauung. Realismus und Idealismus seien darin vereint. Religiöses Fühlen und Denken nehme die nämlichen Rechte für sich in Anspruch wie alle anderen Teile unseres Bewußtseins. Indem Wundt religiöses Denken und Fühlen vom Bewußtsein her zu bestimmen versuchte, erfaßte er nicht die Tatsache, die Wissenschaft und Religion voneinander trennt: Die Wissenschaften widerspiegeln mehr oder weniger adäquat die objektive Realität im Bewußtsein, die Religion hingegen gibt eine verworrene, phantastische Darstellung der Wirklichkeit. Wundt akzeptierte aus ethischen Gründen die Religion, gleichzeitig versuchte er deren psychologische Grundlagen zu begründen, religiöse Ansichten als notwendige Konsequenzen unseres Denkens nachzuweisen. Offensichtlich unter dem Einfluß von Feuerbach erklärte er, d a ß das Wesen der religiösen Mythenbildung darin bestehe, daß der Mensch sein eigenes Bewußtsein objektiviere. Als Theologie unterwarf er die Religion wie jede Einzelwissenschaft naturwissenschaftlichen Erkenntniskriterien. Die religiösen Ideen als die des „letzten Weltgrundes" könnten abweichend von allen Vernunftideen nicht direkt von der Erfahrung ausgehend erfaßt, sondern nur aus der Forderung verstanden werden, daß zu dem im Fortschritt der geistigen Entwicklung sich vorbereitenden ideellen Enderfolg ein dem letzteren vollständig adäquater Grund hinzugedacht werde. W i e alle Vernunftideen sei die „Gottesidee" nicht beweisbar. Wundt argumentierte: „Man kann sie aufzeigen als letzte Voraussetzungen, zu denen unser Denken gelangt, wenn es den in der Erfahrung beginnenden Fortschritt von Folgen zu Gründen über jede gegebene Grenze hinaus fortsetzt. Aber man kann sie nicht als notwendige Folge aus gegebenen Prämissen beweisen. Am allerwenigsten ist das bei der Gottesidee möglich, welche im Unterschiede von den übrigen Vernunftideen gar nicht aus einem in der Erfahrung beginnenden Fortschritt, sondern durch den unvermittelten Rückgang von einer selbst schon außerhalb aller Erfahrung gelegenen Folge zu ihrem letzten Einheitsgrunde erhalten wurde, so daß hier, abgesehen von der für alle Vernunftideen gültigen Unendlichkeit, auch noch durch die völlige Unbestimmbarkeit der Idee die Möglichkeit aufgehoben ist, sie anders als in der Form einer allgemeinen Forderung zu denken." 26 Der Philosophie könne nur die negative Aufgabe zufallen, darzustellen, daß transzendente Vernunftideen unbeweisbar seien. Um aus dieser unbefriedigenden Situation herauszukommen, postulierte Wundt im Widerspruch zu den historischen Tatsachen, daß die Gottesidee in das sittliche Menschheitsideal „allem Anscheine nach auch empirisch genommen von allgemeingültiger Beschaffenheit" sei. 27 Damit erwachse der Philosophie neben ihrer ersten negativen doch eine positive Aufgabe hinsichtlich der transzendenten Idee. Die 25 W . Wundt, Die Nationen und ihre Philosophie, Baden 1 9 4 1 , S. 77. 2 6 W . Wundt, System der Philosophie, 2. Aufl., Leipzig 1 8 9 7 , S. 4 3 1 . 27 Ebenda, S. 431/436.

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Philosophie h a b e den tieferen G r u n d und d a m i t d e n eigentlichen Rechtsgrund dieser I d e e n nachzuweisen. I n d e m d i e Philosophie die A l l g e m e i n g ü l t i g k e i t der G o t t e s i d e e aufzeige, weise sie zugleich die N o t w e n d i g k e i t dieser I d e e nach. E i n e der I d e e entsprechende R e a l i t ä t könne d i e Philosophie nicht a u f zeigen. „ D i e Philosophie", schlußfolgerte W u n d t , „ k a n n d i e N o t w e n d i g k e i t des G l a u b e n s b e w e i s e n ; ihn in Wissen u m z u w a n d e l n , d a z u reicht ihre M a c h t nicht a u s . " 2 8 D e r Z w e c k der Philosophie gegenüber der Religion sei der N a c h weis des U r s p r u n g s religiöser G e f ü h l e und Vorstellungen und d i e E i n o r d n u n g der religiösen E l e m e n t e in eine d i e gesamten B e s t a n d t e i l e des menschlichen D e n k e n s enthaltende allgemeine Weltanschauung. D i e Philosophie d ü r f e keinen direkten E i n f l u ß auf die religiöse Praxis nehmen, sondern nur auf d i e T h e o l o g i e als E i n z e l w i s s e n s c h a f t . D i e Erkenntnis sei gereift, d a ß d a s V e r h a l t e n der Philosophie zur R e l i g i o n v o r a l l e m ein theoretisches, kein praktisches sein müsse. Ihr nächster Z w e c k der Religion gegenüber sei es, sie zu begreifen. W u n d t charakterisierte den Z u s a m m e n h a n g v o n Philosophie und Religion wie f o l g t : „ D a m i t zwischen Philosophie u n d Religion ein a n a l o g e s Verhältnis sich herstelle, wie es zwischen Philosophie u n d Recht besteht, d a z u ist d e m n a c h erforderlich, d a ß hier zwischen der T h e o r i e und d e m L e b e n d i e Religionswissenschaft eine ähnlich vermittelnde Stellung einnehme, wie sie die Rechtswissenschaft sich errungen hat. E i n e Religionswissenschaft, die auf d i e s e Stellung Anspruch erheben will, hat aber zwei F o r d e r u n g e n zu e r f ü l l e n : erstens müssen die U b e r l i e f e r u n g e n , in denen d i e geschichtliche E n t w i c k l u n g irgend welcher G l a u b e n s v o r s t e l l u n g e n niedergelegt ist, einer Untersuchung unterworfen werden, d i e sich keiner a n d e r n V o r a u s s e t z u n g und Hilfsmittel bedient, als sie auf allen andern G e b i e t e n historischer K r i t i k zur A n w e n d u n g k o m m e n ; und zweitens müssen die G l a u b e n s l e h r e n jeder Religion, welche es auch sei, einer Interpretation unterworfen w e r d e n , d i e sich aller V o r a u s s e t z u n g e n entschlägt, die nicht in allgemein feststehenden T a t sachen der psychologischen E r f a h r u n g ihre Rechtfertigung finden."29 Wundt unterstrich wiederholt, d a ß Religion aus ethischen G r ü n d e n unentbehrlich sei. Selbst der A r m e , d e m höhere Interessen geistiger K u l t u r v e r s a g t blieben, f ü h l e sich in der Religion eines mit seinen Mitmenschen. A l s „geistiges Bindemittel der M e n s c h h e i t " u n d „ V e r k ü n d e r der größten sittlichen u n d intellektuellen W a h r h e i t " könne m a n d i e Religion nicht entbehren. 3 0 A m deutschen I d e a l i s m u s hob W u n d t hervor, d a ß er eng mit der T h e o l o g i e verbunden sei. E r schrieb: „ N o c h ein K a n t u n d Fichte, ein Schelling und H e g e l begannen ihre L a u f b a h n mit d e m S t u d i u m der T h e o l o g i e . So ist es begreiflich, d a ß in der deutschen Philosophie v o n frühe an d i e religiösen und mit ihnen die ihnen eng v e r b u n d e n e n metaphysischen P r o b l e m e im V o r d e r g r u n d stehen, und d a ß v o n d a aus ein universalistischer Z u g der deutschen Philosophie eigen geblieben i s t . " 3 1 28 29 30 31

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Ebenda. W. Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1889, S. 6. W. Wundt, Ethik, Bd. III, Stuttgart 1912, S. 207. W. Wundt, Die Nationen und ihre Philosophie, a. a. O., S. 72.

5.

Grundzüge seines philosophischen Systems

5.1.

Definition, Gegenstand und Aufgabe der Philosophie

Wundt bestimmte die Philosophie als „allgemeine Wissenschaft, welche die durch die Einzelwissenschaften vermittelten allgemeinen Erkenntnisse zu einem widerspruchslosen System zu vereinigen" habe. 1 Die Philosophie sei weder eine Begriffsdichtung, noch ein aus a priori gültigen Voraussetzungen zu konstruierendes Vernunftsystem. Grundlage aller Philosophie sei die Erfahrung; ihre alleingültige Methode die schon in den Einzelwissenschaften angewandte Verbindung der Tatsachen nach dem Prinzip von Grund und Folge. Die Philosophie habe sowohl das Faktenmaterial als auch das methodische Instrumentarium den Einzelwissenschaften zu entnehmen. Weil dem so sei, wären die philosophischen Aufgaben durch die jeweils erreichte Stufe der wissenschaftlichen Entwicklung bedingt. Als Ausgangspunkt für die logische Verarbeitung einzelwissenschaftlichen Materials und dessen Aufbereitung zu einem widerspruchsfreien System betrachtete Wundt die Hypothesen der Einzelwissenschaften. In der Auseinandersetzung mit den spekulativen Methoden der alten Metaphysik, die einzelwissenschaftliche Erkenntnisse weitgehend ignorierte, und mit positivistischen Auffassungen, wonach sich die Philosophie überhaupt aller Hypothesen enthalten müsse, spielte Wundts Forderung nach Verarbeitung einzelwissenschaftlicher Hypothesen eine fortschrittliche Rolle. Ausgangspunkt der philosophischen Forschung seien die empirischen Tatsachen, nicht Spekulationen, jedoch müsse die Philosophie als hypothetische Wissenschaft in ihren Aussagen über die Erfahrung hinausgehen. Wundt trat trotz gelegentlicher positivistischer Auffassungen gegen die Ablehnung philosophischer Hypothesen auf, wies beispielsweise Machs Forderung nach einer Philosophie als hypothesenfreier Wissenschaft entschieden zurück. Die Philosophie habe den gleichen Gegenstand wie alle Wissenschaften, die Dinge und Prozesse der Realität, nicht irgendwelche transzendenten Erscheinungen oder realitätslose Gedankenkonstruktionen. „Die Philosophie", stellte Wundt fest, „hat es, wie alle Wissenschaft, mit der sinnlichen, empirischen Welt zu tun, die allein Gegenstand unserer Erkenntnis sein kann." 2 W i e im vorangegangenen Kapitel gezeigt wurde, wandte sich Wundt gegen 1 W . Wundt, System der Philosophie, 2. Aufl., Leipzig 1 8 9 7 , S. 1 7 . 2 W . Wundt, Einleitung in die Philosophie, 9. Aufl., Leipzig 1 9 2 2 , S. 23.

69

den positivistischen Standpunkt, d a ß Gegenstand und A u f g a b e der Philosophie in den einzelnen Wissenschaften aufgehen müßten. D i e Philosophie sei keinesfalls eine nur die Resultate der Einzelwissenschaften ordnende Disziplin. D e n Anspruch der Philosophie auf Selbständigkeit verteidigte er sehr energisch. E r polemisierte gegen verschiedene

Spielarten

einer

solchen Ablehnung

selbständiger

Philo-

sophie, wenn er beispielsweise schrieb: „Sie sagen e t w a : heute hat nicht mehr die Metaphysik, die doch nur eine verkappte Mythologie ist, die ,Welträtsel' zu lösen, sondern die Naturwissenschaft. O d e r auf der anderen Seite denkt man, die wahre Philosophie sei die Geschichte, da ihr O b j e k t , der Mensch mit seinen Schöpfungen, schließlich das einzige wertvolle Problem der Philosophie sei. D e r partikulare Positivismus . . . schillert also wieder in sehr verschiedenen

Farben,

deren Widerspiel dem menschlich begreiflichen M o t i v entspringt, die D i n g e für die wichtigsten zu halten, mit denen man sich selber beschäftigt."-' W u n d t betonte, d a ß die Philosophie Aufgaben zu lösen habe, die von keiner Einzelwissenschaft bewältigt werden könnten. D i e Philosophie stelle spezifische Fragen, die nicht zum Gegenstand anderer Wissenschaften gehörten. Als solche spezifisch philosophischen Fragen galten W u n d t : „ D i e erste dieser Fragen l a u t e t : welchen N o r m e n folgt das menschliche D e n k e n , und worin besteht das W e s e n der E r k e n n t n i s ? D i e zweite, wie entsteht das geistige Leben und worin besteht das W e s e n der S e e l e ? D i e dritte: welche Gesetze beherrschen die N a t u r ? E n d l i c h die v i e r t e : welchen allgemeinen Regeln soll das menschliche Handeln Bereits in dieser Gegenstands- und Aufgabenbestimmung

für die

folgen?"4

Philosophie

wird sichtbar, daß für W u n d t das D e n k e n Ausgangspunkt und zentrale K a t e g o r i e seiner philosophischen Arbeiten war. W i e noch zu zeigen sein wird, ging er bei der Analyse der Erkenntnis und bei der Bestimmung des Erkenntnisobjekts von der F r a g e aus, was D e n k e n sei. Selbst dann, wenn die Philosophie ihren B l i c k auf die realen O b j e k t e richte, müsse sie mit der Untersuchung des

Denkens

beginnen. D i e s e vom D e n k e n ausgehende idealistische Grundposition durchdringt W u n d t s gesamtes philosophisches System und seine psychologischen Darstellungen, sowohl in seinen Prinzipien als auch bei Detailuntersuchungen. Als A u f g a b e und Zweck seiner Philosophie bezeichnete W u n d t die „ G e w i n nung einer allgemeinen W e l t - und Lebensanschauung, welche die Forderungen unserer V e r n u n f t und die Bedürfnisse unseres Gemüts befriedigen soll" 5 . Zwei Z w e c k e habe die Philosophie zu erfüllen: der eine sei ein theoretischer,

rein

intellektueller, der im Streben unserer Vernunft nach E i n h e i t und Zusammenhang des Wissens seine Wurzel h a b e ; der andere ein praktischer, der der „Gemütsseite unseres Seelenlebens" angehöre und nach einer Weltanschauung verlange,

die

unseren subjektiven Wünschen entgegenkomme. E s begegneten sich demnach ein 3 W . Wundt, Reden und Aufsätze, Leipzig 1 9 1 3 , S. 6 9 . 4 W . Wundt, Die Anfänge der Philosophie und die Philosophie der primitiven Völker, Einleitung zu: Die Kultur der Gegenwart, hrsg. von P. Hinneberg, Allgemeine der Philosophie, 2. Aufl., Leipzig 1 9 1 3 , S. 5. 5

70

W . Wundt, Einleitung in die Philosophie, a. a. O., S. 5.

Geschichte

logisches und ein ethisches M o t i v hinsichtlich der Z w e c k e der Philosophie, wobei das eine oder das andere zu gewissen Zeiten dominiere oder beide M o t i v e sich gegenseitig bekämpfend gegenüberstünden. A u f g a b e und Zweck der Philosophie leitete W u n d t aus logischen und ethischen Motiven ab, bestimmte sie somit vom Bewußtsein her. D i e o b j e k t i v e

Realität

- vor allem das materielle Sein - , ihre Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten sowie die reale Wechselbeziehung von Subjekt und O b j e k t bildeten in W u n d t s philosophischer Konzeption bereits bei der Aufgaben- und

Gegenstandsbestim-

mung gewissermaßen nur den vorausgesetzten Hintergrund geistiger

Vorgänge,

von dem das D e n k e n M a t e r i a l und Anregungen empfange. W e n n W u n d t seiner Metaphysik trotzdem den Versuch unternahm, die allgemeinsten

mit

Entwick-

lungs- und Bewegungsgesetze der N a t u r , der Gesellschaft und des D e n k e n s zu erfassen, sich damit dem eigentlichen Gegenstand wissenschaftlicher

Philosophie

näherte, geschah das vom D e n k e n ausgehend, dem D e n k e n verhaftet und endete schließlich bei der Übertragung von Denkgesetzen auf N a t u r und Gesellschaft. Als die drei Hauptprobleme der Philosophie unterschied W u n d t das E r k e n n t nis-, das metaphysische und das ethische Problem. F ü r ihn war Philosophie in erster Linie Erkenntnis- und Prinzipienlehre. Aus den Problemen der einzelwissenschaftlichen

Forschung entstünde die Forderung nach einer

philosophischen

Wissenschaft. „Sobald innerhalb der Einzelforschung ein wichtiges P r o b l e m von allgemeiner T r a g w e i t e sich auftut", schrieb er, „so wird es von selbst,

indem

es die H i l f e anderer Wissensgebiete und unter ihnen insbesondere auch diejenige der Psychologie und Erkenntnislehre voraussetzt, zu einer philosophischen A u f g a b e . So erhebt sich aus der M i t t e der Einzelwissenschaften selbst die Forderung nach einer Wissenschaft der Prinzipien, der allgemeinen Grundbegriffe und

Grund-

gesetze, für die der N a m e Metaphysik beibehalten werden mag, vorausgesetzt, d a ß man das Zerrbild, das häufig unter diesem N a m e n gegangen ist, nicht mit der berechtigten und notwendigen A u f g a b e einer solchen

Prinzipienwissenschaft

verwechseln w i l l . " 6 E s sei für alle Wissenschaften notwendig, d a ß die Philosophie ihre spezifische A u f g a b e erfülle, denn sie seien ohne Ausnahme um E i n h e i t und Zusammenhang der Erkenntnis bemüht. K e i n Resultat der

Einzelwissenschaften

könne als gesichert gelten, solange es nicht außer mit den Tatsachen des eigenen Forschungsgebiets auch mit anderwärts gewonnenen Ergebnissen in Ubereinstimmung gebracht worden sei. D i e s zu tun, sei die von keiner einzelnen Wissenschaft zu lösende spezifische A u f g a b e der Philosophie. D i e gnoseologische Funktion und die ethische A u f g a b e der Philosophie wurden von W u n d t stark hervorgehoben, ihre ideologische Funktion dagegen weitgehend ignoriert. O f t trennte er sogar Philosophie und Weltanschauung, wobei er unter letztere auch die Religion subsumierte. T r o t z dieser ungerechtfertigten Trennung war er stets bemüht, Philosophie und Weltanschauung in Übereinstimmung zu bringen. D i e allgemeine A u f g a b e der Philosophie gliederte W u n d t in zwei H a u p t 6 W . Wundt, Essays, 2. Aufl., Leipzig 1 9 0 6 , S. 2 2 / 2 3 .

71

Probleme: Entweder könne der Inhalt des Wissens hinsichtlich seiner Entstehung, oder aber im Hinblick auf die Verbindung seiner Prinzipien untersucht werden. In der Erkenntnislehre habe die Philosophie das werdende Wissen zum Gegenstand, Objekt der Metaphysik sei das gewordene Wissen. W u n d t forderte für alle Teilgebiete der Philosophie, d a ß sie die Tatsachen der ihnen zugeordneten historischen und systematischen Einzelwissenschaften mit den Gesetzen der Psychologie sowie mit den Prinzipien der allgemeinen Geistesphilosophie, der Erkenntnislehre und der Metaphysik in Beziehung setzten. 7 Die von W u n d t vertretene Begriffsbestimmung für Philosophie sowie sein Verständnis vom Gegenstand und den Aufgaben der Philosophie sind ihrem Wesen nach idealistisch, sie gehen aus vom Geistigen und konzentrieren sich auf die „geistige Seite des Seins". Ihr Hauptmangel besteht darin, d a ß sie nicht die Erforschung der allgemeinsten Bewegungs- und Entwicklungsgesetze der N a t u r und der Gesellschaft als Voraussetzung jedes Verständnisses geistiger Erscheinungen zur Grundlage und zum Hauptgegenstand ihrer Untersuchungen machen. Obwohl W u n d t der Philosophie theoretische und praktische Aufgaben zuerkannte, beschränkte er die praktische Bedeutung der Philosophie auf den erkenntnistheoretischen und den ethischen Aspekt, die praktische Bedeutung für die materielle Produktion und für den Klassenkampf erfaßte er nicht. E r gelangte auch nicht zum Verständnis der Praxis als Grundlage, Ziel und Bewährungsfeld sowie Kriterium der philosophischen Forschung. Sein Praxisverständnis bezog sich fast ausschließlich auf Bedürfnisse des menschlichen Bewußtseins. W u n d t unterschied nicht nur Erkenntnislehre und Prinzipienlehre als die zwei allgemeinen philosophischen Wissenschaften, er trennte innerhalb der Prinzipienlehre die „Philosophie des Geistes" von der „Philosophie der Natur". D i e Philosophie des Geistes habe die Aufgabe, die von den „Geisteswissenschaften" gewonnenen Einzelerkenntnisse mit der allgemeinen Erkenntnislehre und der Metaphysik in eine widerspruchslose Verbindung zu bringen; der Philosophie der N a t u r wies er die entsprechende Aufgabe für die Naturwissenschaften zu. Mit dieser Unterscheidung wurde eine willkürliche Trennung der notwendig einheitlichen philosophischen Erforschung der materiellen und geistigen Welt vollzogen. D i e Ursache dürfte in erster Linie in Wundts Unverständnis für das Wesen geistiger Erscheinungen als Produkt, Eigenschaft, Funktion und Widerspiegelung des Materiellen zu finden sein. Bei allen wertvollen Ansätzen - dem im allgemeinen richtigen Verständnis vom Verhältnis Philosophie - Einzelwissenschaften, mit Ausnahme der der Psychologie eingeräumten Sonderstellung, und der Ablehnung positivistischer Auffassungen von der Philosophie - blieb Wundts Philosophieverständnis idealistisch auf Bewußtseinsphänomene eingeengt; entscheidende Seiten philosophischer Forschung ließ er völlig außer acht. 7 Vgl. W . W u n d t , System der Philosophie, Leipzig 1889, S. 35.

72

5.2.

Die Anerkennung einer objektiven Realität

Wundt war bestrebt, seiner Philosophie in Übereinstimmung mit den Ergebnissen und Erkenntnissen der einzelnen Wissenschaften - vor allem mit den zahlreichen naturwissenschaftlichen Resultaten seiner Zeit - einen realistischen Charakter zu verleihen. In Ablehnung des „reinen Idealismus" bezeichnete er seine Philosophie als eine Form des Realismus, grenzte diese jedoch, um von vornherein keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, zugleich sehr entschieden vom Materialismus ab. Mit dem Bekenntnis zu einem „Idealismus" versuchte Wundt für sein philosophisches System einen Platz zwischen „reinem" Idealismus und Materialismus zu finden, bekundete aber zugleich seine grundsätzliche Sympathie für die Geisteshaltung des Idealismus hinsichtlich der Höherwertung des Geistigen gegenüber dem Materiellen. D a ß ein philosophischer Ort zwischen Materialismus und Idealismus nicht möglich ist, hat Wundt hin und wieder begriffen, worauf noch einzugehen ist. Wenn er gezwungen war, sich zwischen Materialismus und Idealismus zu entscheiden, bekannte er sich stets konsequent zum Idealismus. Weil es eine Zwitterstellung zwischen Materialismus und Idealismus bei allen mit der Grundfrage der Philosophie nach dem Verhältnis von Materie und Bewußtsein zusammenhängenden Fragen nicht gibt, • erwies sich Wundts „Idealrealismus" immer wieder als Spielart des Idealismus. Sein realistischer Standpunkt bestand darin, daß er die Existenz einer vom Subjekt unabhängigen Realität voraussetzte. E r anerkannte sogar das Primat des „Seins" vor dem Bewußtsein, wobei der Begriff des Seins bei ihm nicht als Materie zu verstehen ist. Bei seinen experimentellen physiologischen oder psychophysiologischen Untersuchungen war Wundt ständig mit der Tatsache konfrontiert, daß eine vom Subjekt unabhängige Realität auf unsere Sinnesorgane einwirkt und Empfindungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen hervorruft. „Die empirische Psychologie", resümierte er, „setzt also unbedingt eine Priorität des Seins voraus, und auch da, wo sie irgendwelchen Sinnestäuschungen oder sonstigen subjektiven Einflüssen auf die Spur kommt, die das von uns vorgestellte gegenüber dem wirklichen Sein irgendwie verändern können, liegt ihr der Gedanke fern, damit das Sein selbst leugnen oder ihm das Bewußtsein als seine notwendige Bedingung voranstellen zu wollen." 8 D i e Anerkennung einer objektiven Realität veranlaßte Wundt wiederholt, sich mit der subjektiv-idealistischen Position des Empiriokritizismus auseinanderzusetzen. Unter dem Begriff Sein faßte Wundt drei Postulate zusammen: „Das erste und notwendigste Erfordernis des Seins ist das Gegebensein, die Existenz . . . D i e zweite Forderung ist das objektive Gegebensein oder das unabhängig von unserer subjektiven Auffassung vorausgesetzte Sein . . . Das dritte Erfordernis des Seins ist endlich das unveränderte Gegebensein. Das Sein schließt die Veränderung 8 W . W u n d t , S i n n l i c h e und ü b e r s i n n l i c h e W e l t , a . a. O . , S .

251.

73

aus." 9 Dieser Seinsbegriff läßt die Frage nach dem materiellen oder ideellen Charakter des Seins unbeantwortet. Er gibt keine Auskunft über das Verhältnis von Materie und Bewußtsein, umgeht die Grundfrage der Philosophie nach diesem Verhältnis. Indem das Sein der Veränderung entgegengesetzt wird, erfaßt der Wundtsche Seinsbegriff auch nur einen Zustand der objektiven Realität, wobei die relative zur absoluten Ruhe verabsolutiert wird. Ein solches veränderungsloses Sein, von der Veränderung isoliert, wie es Wundt konstatierte, gibt es nicht, Bewegung, Veränderung und Entwicklung gehören zur Daseinsweise allen Seins. Wundt polemisierte gegen die subjektiv-idealistische Auffassung, die das Sein als Schöpfung unseres Bewußtseins betrachtet. Aus seiner idealistischen Sicht versuchte er durch mehrere Argumente diese Auffassung ad absurdum zu führen. Drei Gesichtspunkte seien geeignet, die Priorität des Seins gegenüber dem Bewußtsein zu bestätigen: ein logischer, ein psychologischer und ein erkenntnistheoretischer. Der logische Gesichtspunkt zeige, daß das Bewußtsein rein logisch betrachtet nicht ohne die Voraussetzung eines Seins möglich sei, daß jedoch umgekehrt das Sein keineswegs als logisches Korrelat ein Bewußtsein fordere. Bewußtsein sei immer ein Wissen um etwas. Der psychologische Gesichtspunkt beweise, daß zu unseren Erfahrungen das Bild der Außenwelt gehöre. Indem die Psychologie untersuche, wie das Bild der Außenwelt entstehe, gehe sie stets von der Annahme einer Priorität des Seins vor dem Bewußtsein aus. Das Sein bleibe ihr bei allen Untersuchungen vom Subjekt unabhängige Realität. Der erkenntnistheoretische Gesichtspunkt zeige schließlich, daß logisch die notwendige Voraussetzung jeder Erkenntnis ein Gegebenes sein müsse, ein Etwas, das erkannt werden soll. Die richtige Einsicht, daß objektive Realität im Bewußtsein widergespiegelt wird, war bei Wundt mit subjektiv-idealistischen Inkonsequenzen verbunden, weil er, wie noch nachgewiesen werden wird, das kognitive Verhältnis von Subjekt und Objekt nicht richtig verstand, weil er vor allem das Entstehen eines Bildes der Wirklichkeit im Bewußtsein nicht als Widerspiegelung und Abbild verstand. Seine Auffassung von der Realitätsabhängigkeit des Bewußtseins schränkte er auf Elemente der Vorstellungen ein, die auf äußere Gegenstände bezogen seien, der übrige Bewußtseinsinhalt galt ihm als willkürliche subjektive Schöpfung des menschlichen Geistes. Gefühls- und Willenserscheinungen sowie die konkreten Empfindungsqualitäten wurden somit aus der Abhängigkeit vom Sein „befreit" und zu subjektiven psychologischen Erscheinungen erklärt. Gleichzeitig betonte Wundt in Auseinandersetzung mit dem Empiriokritizismus, daß die Dinge willensunabhängig und räumlich selbständig seien; er lehnte die machistische Position von den Dingen als subjektiven Vorstellungskomplexen ab. Zu dem logisch gültigen Prinzip, daß zu jedem gedachten Objekt ein denkendes Subjekt gehöre, dürfe nie das andere treten, daß das Objekt überhaupt oder mindestens der gesamte dem Denken als Wirklichkeit gegebene Begriff desselben ein Erzeugnis des Subjekts sei. 10 Bei seinen 9 W . Wundt, Zur Geschichte und Theorie der abstrakten Begriffe, in: Kleine Schriften, Bd. I, Leipzig 1 9 1 0 , S. 232. 1 0 Vgl. W . Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, a. a. O., S. 262.

74

eigenen, vor allem bei den philosophischen Untersuchungen, ging Wundt jedoch keineswegs immer konsequent von der Tatsache aus, daß die realen Objekte und Prozesse außerhalb unseres Bewußtseins und unabhängig von ihm existieren sowie vom Bewußtsein widergespiegelt werden können. Die Verworrenheit seiner Auffassungen zeigt sich beispielsweise darin, daß er einerseits die „Gegenstände oder Dinge" als unseren Willen unabhängig erklärte, sie aber zur gleichen Zeit als „von unserem Willen unabhängige Komplexe von Empfindungen" bezeichnete, sie also an die Empfindungen band, von denen er betonte, daß sie psychischer Art seien. 11 Für Wundt war die Welt nicht Vorstellung, für ihn existierte sie objektiv real; in seinen Arbeiten - nicht nur in den psychologischen, sondern auch in den philosophischen - untersuchte er sie jedoch vorwiegend als Vorstellungsobjekt, das heißt als Inhalt unseres Bewußtseins. Gegenstand seiner Analysen war das „Objekt" im Bewußtsein, so wie es uns als Vorstellungsobjekt in der unmittelbaren Erfahrung gegeben sei, nicht die unabhängig und außerhalb unseres Bewußtseins existierende Realität, die er voraussetzte. Wundts Realismus erwies sich in der Tat in vielfacher Hinsicht als eine Erscheinungsform des subjektiven Idealismus, mit dem sich - wie noch gezeigt werden wird - auch Elemente des objektiven Idealismus verbanden. In seinem Sinne war die Realität eine Verschmelzung von Materiellem und Ideellem. Natürlich besteht die objektive Realität aus materiellen und geistigen Erscheinungen, aber sie bilden nicht ein solches Konglomerat, wie es Wundt verstand, das Geistige ist vielmehr Produkt, Eigenschaft, Funktion und Widerspiegelung des Materiellen. Wundt lobte den „neuen Idealismus", weil er die „Zweiheit von Materie und Idee" durch die von Sein und Erscheinung ersetzt habe. Er schrieb: „So wird der moderne Idealismus zum Pluralismus und an die Stelle der Zweiheit von Idee und Materie tritt die andere von Sein und Erscheinung. In dieser Einsetzung der Erscheinungswelt in ihre Rechte besteht der große Schritt, den dieser neue Idealismus getan hat, und der in doppelter Beziehung als die bedeutsamste philosophische Errungenschaft des Zeitalters der Erneuerung der Wissenschaften gelten kann. Auf der einen Seite ist es die volle Anerkennung der Erscheinungswelt als der Stätte des menschlichen Erkennens und Handelns, die sich hier durchgesetzt hat. Auf der anderen Seite ist es die Erkenntnis, daß das geistige Leben selbst, nicht eine ihm äußerlich gegenüberstehende Welt transzendenter Ideen, Sein und Erscheinung aneinander bindet. Darum sind beide, Sein und Erscheinung, gleich wirklich. W i e das Sein die Wirklichkeit unseres eigenen Geistes, so ist die Erscheinung diejenige Wirklichkeit, die das Universum für uns besitzt. Damit wird aber auch erst die wissenschaftliche Erkenntnis, nicht die unmittelbare Wahrnehmung, zum M a ß der erscheinenden Wirklichkeit." 1 2 Trotz der schwankenden Position hinsichtlich des Verhältnisses von Sein und 1 1 W . Wundt, Allgemeine Logik und Erkenntnistheorie, I. Bd., 4. Aufl., Stuttgart 1 9 1 9 , S. 4 5 1 . 1 2 W . Wundt, Leibniz - zu seinem zweihundertjährigen Todestag, Leipzig 1 9 1 7 , S. 1 0 3 / 1 0 4 .

75

Bewußtsein anerkannte Wundt die Existenz einer vom Bewußtsein unabhängigen Realität und die Priorität des Seins vor dem Bewußtsein, und er akzeptierte die Tatsache, daß die Dinge auf unsere Sinne einwirken müssen, um von uns wahrgenommen und vorgestellt werden zu können. Aus diesen richtigen Erkenntnissen zog er jedoch keine materialistischen Schlußfolgerungen. In seiner Metaphysik gelangte er schließlich zu dem im Widerspruch mit den genannten richtigen Einsichten stehenden Postulat einer geistigen Einheit des Seins. Ausgangspunkt seiner philosophischen und psychologischen Untersuchungen waren trotz seines „Realismus" nicht materielle Objekte und Prozesse und nicht das reale kognitive und tätig-verändernde Verhältnis des Subjekts zum Objekt, sondern Bewußtseinsprozesse und -inhalte und Erzeugnisse geistiger Tätigkeit.

5.3.

Materie und Bewußtsein bei Wundt

Der von Wundt sehr häufig verwendete Begriff Materie unterscheidet sich wesentlich von dem des dialektischen und historischen Materialismus. Wundt verstand unter Materie nicht die Gesamtheit der außerhalb und unabhängig vom Bewußtsein existierenden objektiven Realität. Materie war für ihn nicht die philosophische Kategorie, die ausschließlich in ihrem Verhältnis zum Bewußtsein definiert und nicht auf einen umfassenderen Begriff zurückgeführt werden kann und deren einzige Bestimmung es ist, objektiv real außerhalb und unabhängig vom Bewußtsein zu existieren. Wundt benutzte den Begriff Materie in einem engen Sinne als hypothetischen Hilfsbegriff der Naturwissenschaften. Er schrieb: „So ist der Begriff Materie ein fundamentaler Hilfsbegriff der Naturwissenschaft. In seiner allgemeinsten Fassung bezeichnet er das im Weltraum vorausgesetzte beharrende Substrat, als dessen Wirkungen wir alle Naturerscheinungen betrachten." 13 Diese Begriffsbestimmung engt Materie auf das Substrat der Naturerscheinungen ein, also auf eine Erscheinungsform der materiellen W e l t ; die Gesellschaft ist in den Wundtschen Materiebegriff nicht eingeschlossen. Für ihn war dementsprechend die Gesellschaft kaum als materielle Erscheinung Forschungsobjekt, seine gesellschaftstheoretischen Überlegungen konzentrierten sich auf geistige gesellschaftliche Tätigkeit, das geistige Verhältnis zur Gesellschaft und auf die Resultate gesellschaftlicher geistiger Tätigkeit, die materielle Produktion und materielle Formen des Klassenkampfes spielten in seinen Arbeiten fast keine Rolle. Der naturwissenschaftliche Hilfsbegriff Materie sei darauf gerichtet, einen widerspruchslosen Zusammenhang der Erkenntnis der Außenwelt zu ermöglichen. Auf das denkende und fühlende Wesen habe er jedoch keinerlei Zwangswirkung, mit anderen Worten, Denken und Fühlen seien frei gegenüber der Materie. W i e vielen Naturwissenschaftlern diente auch Wundt der Materiebegriff zum besseren Erfassen des Naturzusammenhanges. Für geistige Zusammenhänge bestritt 1 3 W . Wundt, Grundriß der Psychologie, 13. Aufl., Leipzig 1 9 1 8 , S. 3 8 7 .

76

er jedoch jede Beziehung zum Materiebegriff. Der geistige Zusammenhang, zu dem der Naturzusammenhang zwar parallel verlaufe, sei gegenüber dem materiellen ein höherer und übergeordneter. Die Natur sei ein geschlossenes System, das geistige Geschehen dagegen unbegrenzt und unendlich. In der Natur herrsche das Gesetz der Erhaltung der Energie, im Geistigen ein Gesetz ständigen Wachstums. Der geistige Zusammenhang sei umfassender, denn er beziehe die ganze Außenwelt in sich ein. Wundts Materiebegriff bezieht sich also auf die körperliche Beschaffenheit, die substantielle Struktur der Welt. „Die empirische Konstanz der Objekte", erklärte Wundt, habe sich „zu dem Begriff einer absolut beharrenden Grundlage der Erscheinungen, der Materie, verdichtet, einem allerdings hypothetischen Begriff, der sich aber für alle weiterhin prinzipiellen Feststellungen fruchtbar erwies, und auf den namentlich alle jene Konstanzgesetze, die der Naturkausalität ihre spezifische Färbung geben", zurückzuführen 1 ' 1 seien. Der Materiebegriff habe der Naturwissenschaft gute Dienste geleistet, sei jedoch für die Psychologie unter keinen Umständen zu akzeptieren. Für Wundt waren zwei unterschiedliche Ursachen maßgebend für die Zurückweisung des Materiebegriffs in der Psychologie. Einerseits richtete sich diese Zurückweisung gegen Auffassungen von der Seele als Substanz, andererseits war sie ein Versuch, die materielle Determiniertheit psychischer Vorgänge zurückzuweisen. Obwohl Wundt seinen Begriff Materie auf die beharrende Substanz bezog, isolierte er Materie nicht von Bewegung und Entwicklung in der Natur. Die Natur galt ihm als an ein Substrat gebundene unaufhörliche Bewegung und Veränderung. Deshalb solle der Materiebegriff mit dem Substratbegriff zugleich die grundlegenden Bewegungen der Natur erfassen. „Die Materie", schrieb Wundt, „ist ein zur Veranschaulichung der realen physischen Bewegungsvorgänge dienender Begriff, der schon deshalb allezeit hypothetisch bleibt, weil stets verschiedene Hypothesen nebeneinander denkbar sind, die in gleich vollkommener Weise einer solchen Veranschaulichung dienen können. Dieses Mittelgliedes, das an sich selbst ein abstrakter Begriff ist, dabei aber jederzeit in die Anschauung umgesetzt werden kann, bedarf die physikalische Theorie, weil die von ihr untersuchten Naturvorgänge, nachdem die psychischen Elemente, das heißt eben die anschaulichen Eigenschaften der Erscheinungen, von ihr eliminiert sind, selbst einen abstrakt begrifflichen Charakter besitzen." 15 Der Begriff Materie diene der Naturwissenschaft als Grundlage zur Veranschaulichung von realen Naturvorgängen. Die Art und Weise dieser Anschauung sei vom erkennenden Subjekte abhängig; Naturvorgänge könnten auf verschiedene Weise gleich wirksam veranschaulicht werden. Unsere Auffassung von der Außenwelt werde subjektiv von der Beschaffenheit unserer Sinne, von der Organisation unseres Nervensystems und von den Eigenschaften unseres Vorstellens und Denkens beeinflußt. Subjektiven Ursprungs sei auch der Faktor „Zeit" im Materiebegriff, der als unentbehrliche 1 4 W . Wundt, Ethik, Bd. III, Stuttgart 1 9 1 2 , S. 45. 1 5 W . Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, a. a. O., S. 3 2 3 .

77

Ergänzung hinzutrete. Wenn auch in der Naturwissenschaft vom subjektiven Ursprung der Zeit abstrahiert werde, da sich in der Natur keine Bewegung ohne Zeitverlauf mit regelmäßigen Bewegungen denken lasse, hebe diese Tatsache den subjektiven Ursprung der Zeitvorstellung nicht auf. Wundt argumentierte: „Nun kann aber eine solche Objektivierung niemals den subjektiven Ursprung der Zeitvorstellung selbst aufheben, der sich vor allem darin ausspricht, daß er den Objektivierungen der Zeit den Charakter des gesetzmäßigen Verlaufs mitteilt. Die objektive Zeit ist demnach ein integrierender Faktor der Naturgesetze, in denen neben den räumlichen Bildern der materiellen Bewegung die zeitliche Ordnung dieser Bewegungen vorausgesetzt ist; und diese Ordnung ist zwar in den objektiven Erscheinungen begründet, sie selbst beruht aber auf den logischen Motiven unseres den Lauf des objektiven Geschehens ordnenden Denkens. Indem nun die zeitliche Ordnung zu den räumlichen Formen der Materie und ihrer Bewegungen diesen logischen Faktor hinzubringt, verbietet sich zugleich jeder Versuch einer von ihm abstrahierenden Objektivierung der Zeit, wie ein solcher z. B. darin bestehen würde, wenn man die Zeit neben den drei Raumdimensionen als eine vierte von ebenfalls rein objektiver Bedeutung betrachten wollte." 16 Der Wundtsche Zeitbegriff ist sehr zwiespältig: Einerseits wird die „objektive Zeit" als integrierender Faktor der Naturgesetze bezeichnet, der in den objektiven Erscheinungen selbst begründet sei, andererseits wird die Zeit den logischen Motiven des Denkens unterworfen und die Forderung erhoben, daß von diesem subjektiven Faktor bei der Objektivierung der Zeit nie abstrahiert werden dürfe. Der Zeit wird eine „rein objektive Bedeutung" abgesprochen. Die Vermengung von objektiven und subjektiven Elementen im Zeitbegriff und das Unverständnis für das Wesen der Zeit als einer grundlegenden Existenzform der Materie sind vor allem darauf zurückzuführen, daß Wundt geistige Erscheinungen - also auch den Zeitbegriff - nicht als Widerspiegelung der objektiven Realität verstand. Wundts Materiebegriff ist subjektabhängig und in seinen inhaltlichen Bestimmungen wandelbar. Auch in dieser Hinsicht unterscheidet er sich wesentlich vom Materiebegriff des dialektischen und historischen Materialismus, der durch subjektive Einflüsse nicht in seinen inhaltlichen Bestimmungen verändert werden kann, sagt er doch über die objektive Realität nicht mehr und nicht weniger aus, als daß sie außerhalb und unabhängig vom Bewußtsein existiert und von diesem widergespiegelt werden kann. Der Wundtsche Materiebegriff bezieht sich auf Bewegungsformen und Strukturen der Natur. Indem Wundt aus der Tatsache, daß das Erfassen der Bewegungsformen und Strukturen der Natur auch vom subjektiven Denken und Erkennen abhängig ist, eine subjektive Bestimmtheit des Materiebegriffs ableitete, machte er diesen zur Lösung philosophischer Fragen ungeeignet. Der Wundtsche Materiebegriff vermag bei der Klärung der philosophischen Grundfrage nach dem Verhältnis von Materie und Bewußtsein keine Dienste zu leisten. Wundt wollte den Materiebegriff nicht eng auf die mechanische 16 Ebenda, S. 49.

78

Bewegungsform der Materie eingeschränkt verstanden wissen. Die Materie als „letztes Substrat der physikalischen Erscheinungen" sei niemals mit irgend einem bestimmten Körper identisch. Die Materie sei keine „Wiederholung der wirklichen Körperwelt, sondern ein Begriff, oder, besser gesagt, ein Begriffssystem, das alle Grenzbegriffe vereinigt, die zur Interpretation der Naturerscheinungen erfordert werden" 17 . Dem eigentlichen Sinn nach sei der Begriff Materie ein symbolischer; er mache sich als Ersatz der von der Physik geforderten Abstraktion vom anschauenden Subjekt erforderlich. Die objektive Realität könne nur begrifflich, nicht anschaulich erfaßt werden, dazu diene auch der Materiebegriff. Die der Materie zugeschriebenen Eigenschaften könnten unter einem dreifachen Gesichtspunkt betrachtet werden. Wundt erläuterte: „Sie sind erstens heuristische Hypothesen, insofern sie zwar unentbehrliche, aber empirisch niemals direkt nachzuweisende Begriffe sind. Sie sind zweitens anschauliche dynamische Symbole und als solche Anpassungen allgemeingültiger, auf der geometrischen Anschauung ruhender phoronomischer Symbole an die physikalische Erfahrung. Sie sind endlich drittens metaphysische Begriffe, weil sie den Anspruch erheben, Prinzipien der Erscheinungswelt zu sein, obgleich sie selbst nicht der Erscheinungswelt angehören." 18 Wundt betonte, daß Modifikationen in modernen Theorien über den Zustand der Materie nicht die Materie selbst beseitigen. „Wenn daher in neuerer Zeit versucht wurde", erklärte er, „den Begriff der Energie zum beherrschenden Prinzip zu erheben, so ist damit nicht der Begriff der Materie selbst beseitigt." 19 Wundt versuchte mit diesem Standpunkt vor allem den neuen Erkenntnissen der Physik auf dem Gebiet der Energie gerecht zu werden. Materie sei im Sinne der heutigen Physik „nicht mehr ein Begriff von absoluter Geltung, sondern das hypothetische Substrat von Vorgängen, die infolge jener fundamentalen Abstraktion vom erkennenden Subjekte, auf der unsere objektive Naturerkenntnis ruht, durchaus nur als gesetzmäßig verbundene Bewegungen von verschiedener Form und Geschwindigkeit gedacht werden" 20 . Auf dieser Abstraktionsstufe könnte der Wundtsche Begriff Materie durchaus als philosophische Kategorie zur Bezeichnung der objektiven Realität verstanden werden, in dem jedoch das Verhältnis der Materie zum Bewußtsein in keiner Beziehung bestimmt ist. Von seiner idealistischen Position aus nahm Wundt Stellung gegen die unsinnige Verkündung, die Materie verschwinde. Die Verabsolutierung des Energiebegriffs und den Versuch, durch ihn den Materiebegriff zu ersetzen, wies er zurück. Dabei durchschaute er sogar die ideologischen Hintergründe dieses Versuches, mit dem Energiebegriff die Materie aus der Welt schaffen zu wollen. Er schrieb: „Die Naturlehre sollte sich umwandeln in eine Beschreibung der verschiedenen uns unmittelbar in unserer Wahrnehmung gegebenen Energieformen und eine Darstellung ihrer Verwandlungen . . . In Kreisen, die außerhalb der Naturwissenschaften standen, hat diese Bewegung 1 7 Ebenda, S. 38. 18 Ebenda. 19 W . Wundt, Grundriß der Psychologie, a. a. O., S. 387. 20 W . Wundt, Sinnliche und übersinnliche W e l t , a. a. O., S. 3 2 7 .

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nicht zum wenigsten deshalb Beifall gefunden, weil Theologen und Philosophen zuweilen der Meinung waren, mit der Materie werde nun auch der Materialismus auf Nimmerwiedersehen verschwinden, was freilich eine ebenso große Begriffsverwechselung war, als wenn man von der energetischen Theorie eine Stärkung des moralischen Charakters der Menschheit hätte erwarten wollen." 2 1 Trotz richtiger Detailerkenntnisse wäre es nicht im Sinne Wundts, seinen Materiebegriff als einen philosophischen Begriff zu werten. Ihm ging es nicht um die begriffliche Erfassung der gesamten objektiven Realität, wenn auch manche seiner Formulierungen zu der Annahme führen könnten, sondern vom naturwissenschaftlichen Gesichtspunkt aus um die begriffliche Fixierung der Art und Weise des natürlichen Aufbaus der Welt. Zugleich war er bestrebt, die unterschiedlichen naturwissenschaftlichen Materieinterpretationen zu vereinen. E r war beispielsweise überzeugt, daß eine Zeit kommen werde, in der die „Theorie der zwei Materien", der ponderablen Atome und des Äthers, als völlig unbefriedigend beseitigt und die „zwei Materien" in einer Theorie vereinigt würden. Von der physikalischen Theorie der Materie erwartet Wundt, daß sie für die Philosophie eine atomistische Theorie der Materie liefere, welche die Forderung der Philosophie nach der Gleichförmigkeit der letzten Elemente und deren absolute Einfachheit erfülle. 2 2 Also selbst dann, wenn Wundt den Materiebegriff mit der Philosophie in Beziehung brachte, blieb dieser ein naturwissenschaftlicher Begriff für ihn. Der Materiebegriff müsse sich dem jeweiligen Fortschritt der Naturerkenntnis anpassen, auch in dieser Hinsicht sei sein hypothetischer Charakter bewiesen. D i e großen naturwissenschaftlichen Umwälzungen, die der „Regeneration der Atomistik" vorausgegangen seien, hätten den Unterschied zwischen Tatsachen und Hypothesen lebhaft ins Gedächtnis gerufen. „Vielleicht", resümierte Wundt, „daß diese Erfahrung auch in der Zukunft ihre Früchte trägt, indem man sich die Erkenntnis gegenwärtig hält, daß der Begriff der Materie zwar unentbehrlich ist, daß er aber ein im letzten Grunde allezeit hypothetischer Begriff bleibt." 2 3 Weil für Wundt konkrete Bewegungsformen und Strukturen der Natur den Inhalt des Materiebegriffs bildeten, betrachtete er diesen als einen in ständiger Abhängigkeit von den historisch bedingten Erkenntnissen über Entwicklungs- und Strukturformen der Materie sich wandelnden Begriff. Wie der Begriff Materie für das Naturgeschehen, so besaß der Begriff Seele für Wundt die gleiche allgemeine und fundamentale Bedeutung zur Bezeichnung aller geistigen Vorgänge. Auch der Hilfsbegriff Seele sei unentbehrlich, weil wir eines die Gesamtheit der psychischen Erfahrungen des individuellen Bewußtseins zusammenfassenden Begriffs bedürften. Als Seele bezeichnete Wundt also die Gesamtheit der inneren Erfahrung. D e r Inhalt des Seelenbegriffs sei abhängig von den weiteren Hilfsbegriffen, mit denen die Natur der psychischen Kausalität bestimmt werde. 21 W. Wundt, Essays, a. a. O., S. 87/88. 22 Vgl. ebenda, S. 79/82. 23 Ebenda, S. 103.

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W u n d t lehnte jeden substantiellen Seelenbegriff a b ; die Seele besitze keine ähnliche Substanz wie die Gegenstände außer uns. Auch dürfe das Bewußtsein nicht als ein dem äußeren Raum analoger innerer Raum betrachtet werden, hinter dem sich die dunkle Stätte des Unbewußten befinden soll, in welcher jene beharrenden Vorstellungen dauernd aufbewahrt werden, um sich gelegentlich wieder über die „Schwelle des Bewußtseins" zu erheben. D i e Seele sei aus sich selbst heraus, nicht aus einem metaphysischen Substrat zu erklären. Sie sei ein sich nach logischen Gesetzen entwickelndes geistiges Wesen. W u n d t erkannte einerseits richtig, d a ß das Geistige - eine Vorstellung, eine Idee, ein Begriff, eine Theorie und dergleichen - nicht mit dem materiellen Substrat identisch ist, er verselbständigte aber andererseits das Geistige und löste es von den materiellen Trägerprozessen und den materiellen Objekten und Prozessen, die es widerspiegelt. Aus sich selbst heraus kann sich Geistiges nicht entwickeln und kann es auch nicht in seinem gesetzmäßigen Verlauf erkannt werden, was eine relative Selbständigkeit geistiger Prozesse - zum Beispiel in der Entwicklung von Ideen - natürlich nicht ausschließt. W u n d t wandte sich gegen zwei Varianten des Seelenbegriffs, gegen die „materialistische" und die spiritualistische. Den „materialistischen" Seelenbegriff lehnte er ab, weil dieser die psychischen Vorgänge als Wirkungen der Materie oder gewisser materieller Komplexe, wie der Gehirnteile, betrachte. Gleichzeitig w a n d t e er sich gegen die spiritualistische Seelenauffassung, welche die Seele als Zustände und Veränderungen eines unausgedehnten, darum unteilbaren und beharrenden Wesens von spezifisch geistiger N a t u r betrachtete. Wundts Ablehnung der sich mit logischer Konsequenz aus der Substantialisierung aller geistigen Vorgänge ergebenden Reduzierung von Psychischem auf Physisches war völlig berechtigt. Sein schwerwiegender Fehler war die Annahme einer Autonomie des Geistigen, einer sich unabhängig von der Materie nach eigenen Gesetzen entwickelnden Seele. 24 Die berechtigte Kritik Wundts an mechanisch-materialistischen und vulgärmaterialistischen Auffassungen vom Geistigen erstreckte sich völlig unberechtigt auf die materialistische Widerspiegelungstheorie. Wundts Kritik an der substantiellen Seelenauffassung war somit zwiespältig, sie richtete sich einerseits gegen unwissenschaftliche substantielle Bestimmungen des Psychischen und gegen die Reduzierung von Psychischem auf Physisches; sie wies andererseits die entscheidenden wissenschaftlich-materialistischen Erkenntnisse vom Psychischen zurück. Wundts ständige Hervorhebung einer Autonomie des Psychischen hatte auch einen historischen Aspekt, sie diente der Entwicklung der Psychologie zu einer selbständigen Wissenschaft, indem sie das Psychische als einen besonderen Forschungsgegenstand vom Physischen abgrenzte. W u n d t schrieb: „In der Tatsache, d a ß das natürliche Bewußtsein überall die innere Erfahrung als eine gesonderte Erkenntnisquelle darstellt, kann daher die Psychologie einstweilen ein hinreichen24 Vgl. W. Wundt, Grundriß der Psychologie, a. a. O., S. 389. Wilhelm W u n d t

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des Zeugnis ihrèr Berechtigung als Wissenschaft erblicken, und indem sie dies tut, adoptiert sie zugleich den Begriff Seele, um eben damit das ganze Gebiet der inneren Erfahrung zu umgrenzen." 25 Völlig zugestimmt werden kann Wundts Kritik an der spiritualistischen Seelenauffassung. Der Annahme eines beharrenden Wesens spezifisch geistiger Art setzte er seinen Standpunkt vom Psychischen als Tätigkeit, Prozeß und Veränderung entgegen. Gegen substantielle und spiritualistische Seelenauffassungen entwickelte er seine Aktualitätstheorie, auf die noch ausführlicher eingegangen wird. W u n d t lehnte auch jede Annahme einer transzendenten Seelensubstanz ab. E r erklärte: „Denn wie man auch über die Notwendigkeit denkt, zu dem Gesamtinhalt dessen, was wir das seelische Leben nennen, eine transzendente Substanz als Trägerin vorauszusetzen, gewiß ist, daß wir es in der Erfahrung niemals mit einer solchen zu tun haben, und daß, wo man etwa über diesen Punkt anders dachte, die Voraussetzungen über die Seelensubstanz entweder sich als unnütze metaphysische Ornamente erwiesen oder zu zweifelhaften, wenn nicht direkt der Erfahrung widerstreitenden Folgerungen führten. Für die empirische Psychologie kann die Seele nié etwas anderes sein als der tatsächlich gegebene Zusammenhang der psychischen Erlebnisse, nichts, was zu diesem von außen oder von innen hinzukommt."- 6 Auf das seelische Geschehen wandte W u n d t auch den Begriff Bewußtsein an. E r definierte: „Wenn wir von den einzelnen allein wirklichen Vorgängen unserer unmittelbaren seelischen Erfahrung absehen und bloß darauf reflektieren, d a ß wir Tätigkeiten und Ereignisse in uns wahrnehmen, so nennen wir vielmehr eben diese Abstraktion das Bewußtsein." 27 Dieser Bewußtseinsbegriff isoliert die geistige Tätigkeit von ihrem Inhalt, er ignoriert damit das wesentliche Merkmal des Bewußtseins, Widerspiegelung und Abbild der objektiven Realität zu sein. Bewußtsein wird nicht als bewußtgewordenes Sein verstanden, sondern als innerpsychischer Prozeß. W u n d t übernahm den Begriff Bewußtsein in der Form, wie ihn Leibniz ausgebildet hatte, lehnte jedoch dessen „intellektualistischen" Charakter ab. D i e Herausbildung des Bewußtseinsbegriffes durch Leibniz bezeichnete er als eine „epochemachende Tat". Leibniz habe mit seinem Bewußtseinsbegriff auf zwei Eigenschaften der Bewußtseinsinhalte hingewiesen: auf deren Klarheit und deren Verbindungen untereinander. D a m i t habe der Leibnizsche Bewußtseinsbegriff für die Psychologie große Bedeutung gewonnen. W u n d t schrieb: „Diese allgemeinen Eigenschaften der psychischen Erfahrungsinhalte, die, abgesehen von ihrer einseitig intellektualistischen Auffassung als Vorstellungen (Perzeptionen), für uns noch immer den Begriff des Bewußtseins bilden, sind eben unmittelbar aus der Erfahrung geschöpft, und wie in der Verbindung kosmologischer und psychologischer Begriffe die Eigenart der Leibnizschen Philosophie überhaupt 25 W. Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie, Leipzig 1874, S. 8. 26 W. Wundt, Völkerpsychologie, 1. Bd., Leipzig 1911, S. 9. 27 W. Wundt, Ethik, Bd. III, Stuttgart 1912, S. 2.

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besteht, so ist es vornehmlich der von ihm ausgebildete Bewußtseinsbegriff, durch den er für die gesamte spätere Psychologie die Grundlage geschaffen hat." 28 Das Bewußtsein betrachtete Wundt nicht als ein für sich bestehendes seelisches Erlebnis, sondern als die Verbindung der Erlebnisse selbst. Es galt ihm in erster Linie als ein individuelles Erfassen „innerer Zustände", als Vermögen, diesen oder jenen Zustand bei uns zu beobachten. Wenn Wundt dabei auch das eigentliche Wesen des Bewußtseins als Widerspiegelung und Abbild der objektiven Realität nicht verstand, so wies er doch darauf hin, daß sich Bewußtseinsvorgänge auf eine uns objektiv gegebene Welt beziehen. Neben die auf objektive Realität bezogenen stellte Wundt die subjektiven, nicht durch Äußeres hervorgebrachten Bewußtseinsinhalte. (Darauf wird im Abschnitt 6 näher eingegangen.) Subjektive Bewußtseinsinhalte, wie Gefühle - Spannung und Lösung, Lust und Unlust, Erregung und Beruhigung - , Willensprozesse sowie konkrete Empfindungsqualitäten verstand Wundt als subjektive Reaktionen des Bewußtseins, die die Empfindungen und Vorstellungen begleiten, begriff jedoch nicht deren spezifischen Widerspiegelungscharakter. Sie galten ihm als zum äußeren Eindruck hinzutretende innere psychische Erscheinungen, die aus der subjektiven Apperzeption zu erklären seien. Zweifellos sind die von Wundt genannten Bewußtseinselemente bei den verschiedenen Individuen sehr unterschiedlichen subjektiven Charakters, jedoch liegt ihre Quelle nicht in einem autonomen innerpsychischen Prozeß, sie sind vielmehr eine spezifische Form der Widerspiegelung objektiver Realität im Bewußtsein. Sie widerspiegeln das für das Subjekt jeweils typische Verhältnis zu den Objekten und Prozessen der Realität, besonders seine sozialen Beziehungen zu anderen Menschen. Die von Wundt als rein subjektiv betrachteten Bewußtseinselemente sind also als spezifische Formen der Widerspiegelung durch die objektiven Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt determiniert. Wundt hielt das Bewußtsein nicht für einen das Sinnesmaterial automatisch verarbeitenden Mechanismus, wie es die Assoziationspsychologie tat, sondern für schöpferische geistige Tätigkeit. Er betonte: „Unsere zusammengesetzten Vorstellungen bauen sich aus einfachen Empfindungen auf. Aber die resultierende Vorstellung ist keineswegs in den sie bildenden Empfindungen so enthalten, daß sie der Summe derselben gleichgesetzt werden könnte, sie ist ein neuer Akt unseres Bewußtseins, welcher als solcher stets eine Art schöpferischer Synthesis enthält." 29 Wundt verband mit seiner berechtigten Betonung des schöpferischen Charakters unseres Bewußtseins immer wieder die Auffassung vom autonomen Charakter des Bewußtseins, von dessen Unabhängigkeit gegenüber dem Materiellen. Er schrieb beispielsweise: „Doch es hat, wenn wir den Begriff noch irgend in wissenschaftlichem Sinne anwenden wollen, eigentlich keinen Sinn zu sagen, die psychischen Vorgänge seien Gehirnfunktionen, ebenso wie es, nachdem die spiritualisti28 W . Wundt, Sinnliche und übersinnliche W e l t , a. a. O., S. 2 3 1 . 29

6'

W . Wundt, System der Philosophie, a. a. O., S. 3 1 4 .

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sehe Annahme eines punktförmigen Seelenatoms unhaltbar geworden ist, wissenschaftlich keinen Sinn mehr hat zu sagen, das Gehirn sei der ,Sitz der Seele' . . . Aber anzugeben, wie unsere Empfindungen entstehen, und wie weiterhin, wenn diese als gegeben vorausgesetzt werden, durch ihre Verbindung unser gesamtes seelisches Leben zustande kommt, dazu geben uns die Gehirnprozesse gar keinen Anhaltspunkt. Beiderlei Vorgänge sind eben in ihren Elementen sowohl wie in der Art der Verbindungen der Elemente unvergleichbar. Man kann begreifen, wie sich eine Bewegung in eine andere Bewegung, allenfalls auch wie sich ein bestimmtes Empfinden und Fühlen in ein anderes Empfinden und Fühlen umwandelt. W i e aber eine Bewegung zu einer Empfindung oder zu einem Gefühl werden soll, oder wie aus einer Summe von Netzhautempfindungen das räumliche Bild eines Gegenstandes, aus einer Reihe aufeinanderfolgender Eindrücke eine Zeitvorstellung entstehen kann, alles das vermag keine Mechanik der Welt verständlich zu machen." 30 Weil Wundt den Widerspiegelungscharakter psychischer Erscheinungen nicht verstand und ablehnte, begriff er auch nicht das Wesen der physiologischen Gehirnvorgänge als materieller Trägerprozesse bei der Widerspiegelung der objektiven Realität durch das Individuum. Die funktionellen Zusammenhänge zwischen physischen und psychischen Erscheinungen blieben ihm verborgen. Sie galten ihm lediglich als parallele Erscheinungen, die es ihm im Laborversuch ermöglichten, aus bestimmten physiologischen Vorgängen auf solche psychischer Art zu schließen. Wundt verabsolutierte die relative Selbständigkeit und Eigengesetzlichkeit des Bewußtseins und trennte es kausal und funktionell von seinen materiellen Grundlagen, sowohl von der abgebildeten objektiven Realität als auch von den Nerven- und Gehirnprozessen, ungeachtet der Tatsache, daß er immer wieder auf diesen Zusammenhang hinwies.

5.4.

Wundts subjektiv-idealistische Erfahrungskonzeption

Bei seinen philosophischen, besonders aber bei den erkenntnistheoretischen und psychologischen Untersuchungen ging Wundt von der Erfahrung aus. Der Begriff Erfahrung ist eine zentrale Kategorie in seinem philosophischen und in seinem psychologischen System. Damit wählte er die Subjektivität des Menschen zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen und Forschungen. Er unterschied innere und äußere Erfahrung, die jedoch nicht verschiedene Gegenstände, sondern nur verschiedene Gesichtspunkte der einheitlichen Erfahrung bezeichneten. Die geistige und die körperliche Welt bildeten eine einzige, für uns unteilbare Erfahrungswelt, die eine Naturseite und eine geistige Seite darbiete. Jede Erfahrung sondere sich in zwei Faktoren, in einen uns gegebenen Inhalt und in unsere Auffassung dieses Inhaltes. Den ersten Faktor bildeten die Objekte der Erfahrung, der zweite sei das erfahrende Subjekt. Die Naturwissenschaften betrachteten 3 0 W . Wundt, Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele, 6. Aufl., Leipzig 1 9 1 9 , S. 7.

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Objekte „in ihrer von dem Subjekt unabhängig gedachten Beschaffenheit", die Psychologie untersuche den „gesamten Inhalt der Erfahrung in seinen Beziehungen zum Subjekt und in den ihm von diesem unmittelbar beigelegten Eigenschaften" 31 . Demnach sei der Standpunkt der Naturwissenschaften der der mittelbaren Erfahrung, der Standpunkt der Psychologie der der unmittelbaren Erfahrung. Die in der Erfahrung gegebenen Vorstellungsobjekte und die sie begleitenden subjektiven Regungen faßte Wundt als unmittelbare Wirklichkeit. Die äußere, mittelbare Erfahrung sei die der Außenwelt, der Welt der realen Objekte. Die äußere Erfahrung könne nur mittelbar durch begriffliche Bearbeitung gewonnen werden. Die mittelbare Erfahrung bilde den Forschungsgegenstand der Naturwissenschaften. Die dem erkennenden Subjekt unmittelbar gegebene innere Erfahrung werde von der Psychologie erforscht. Wundt unterstrich immer wieder die ursprüngliche Einheit von innerer und äußerer Erfahrung, die nur durch unterschiedliche Gesichtspunkte aufgehoben werden könne. Die in der Gegenwart zur Geltung gelangte „Psychologie der unmittelbaren Erfahrung" erkenne eine reale äußere Erfahrung keineswegs an. In Auseinandersetzung mit der „Psychologie der inneren Erfahrung", die auch „Psychologie des inneren Sinns" genannt werde, schrieb Wundt: „Ihr gegenüber erkennt die für uns maßgebende, in der Naturlehre der Renaissancezeit bereits vorbereitete, aber erst in der Gegenwart zur Geltung gelangte Richtung der Psychologie der unmittelbaren Erfahrung eine reale Verschiedenheit innerer und äußerer Erfahrung nicht an, sondern sie sieht den Unterschied nur in der Verschiedenheit der Gesichtspunkte, von denen aus hier und dort die an sich selbst einheitliche Erfahrung betrachtet wird, und vermöge deren dann allerdings zugleich die Naturwissenschaft nur den objektiven Teil der Erfahrung, die Psychologie dagegen die gesamte unmittelbare Erfahrung, ihre objektiven Bestandteile, die Vorstellungen, ebenso wie die mit diesen stets verbundenen subjektiven, die Gefühle, Affekte usw., zu ihrem Inhalt hat."'' 2 Wundt lehnte die Annahme Kants von a priori gegebenen Erfahrungsinhalten ab. Alle Vorstellungsinhalte betrachtete er als von objektiv existierenden Gegenständen angeregt. Jedoch seien uns die Gegenstände der Außenwelt nie „an sich" gegeben, sondern immer als Vorstellungsobjekte, also vermischt mit subjektiven Erfahrungsinhalten. Erfahrung verstand Wundt als einen Prozeß äußerer Einwirkung und innerer Verarbeitung, das heißt als einen subjektiven Vorgang mit objektivem Inhalt. Darin könnte man ihm unbedenklich zustimmen. Seine weitere Konstruktion vom „Vorstellungsobjekt", die den Kern seiner Erkenntnistheorie und vieler seiner philosophischen und psychologischen Auffassungen bildet, kann jedoch vom wissenschaftlichen Standpunkt nicht akzeptiert werden. In der unmittelbaren Erfahrung seien dem erkennenden Subjekt Objekt und Vorstellung als ungetrennte Einheit gegeben. Diese Einheit in der Erfahrung sei zugleich objektiven und subjektiven Charakters. Objektiv seien die Vorstellungsinhalte, 3 1 W . Wundt, Grundriß der Psychologie, a. a. O., S. 3. 32 Ebenda, S. 8.

85

weil sie sich auf Objekte bezögen, subjektiv dagegen die Empfindungsqualitäten, Gefühle, Affekte und Willensvorgänge. Nach dieser Erfahrungskonzeption mußte jede Untersuchung der objektiven Realität mit der Zergliederung des Erfahrungsinhaltes beginnen, mit der Sonderung der subjektiven von den objektiven Erfahrungsbestandteilen. D i e Psychologie befasse sich mit dem gesamten Erfahrungsinhalt, mit seinen objektiven und subjektiven Bestandteilen. Indem W u n d t das in der unmittelbaren Erfahrung gegebene Vorstellungsobjekt zum Ausgangspunkt aller naturwissenschaftlichen und psychologischen Untersuchungen erklärte, ging er von den psychologischen Erscheinungen aus, wie sie nur dem Individuum in der reinen Selbstbeobachtung gegeben sind. Diese introspektionistische Position, die wesentliche Züge seiner Philosophie und Psychologie bestimmte, wirkte sich auch auf seine experimentellen Arbeiten negativ aus. Für W u n d t bildeten Bewußtseinsinhalte, nicht reale Objekte, die Grundlage und den Ausgangspunkt zur Erforschung objektiver Realität, und damit vertrat er einen subjektiv-idealistischen erkenntnistheoretischen Standpunkt. Um zum realen Objekt zu kommen, müßten mittels geistiger Tätigkeit zunächst alle Empfindungsqualitäten als subjektiv ausgesondert werden. Als real sei der Vorstellungsinhalt erst zu deuten, wenn von allen empfindungsmäßigen und subjektiv begrifflichen Elementen abstrahiert worden sei. Nach Aussonderung aller subjektiven Bestandteile des Erfahrungsinhalts könnten die Objekte der Naturwissenschaften nur als raumzeitlich gegebene Materie schlechthin, ohne konkrete Farben, Gerüche, Töne, Geschmack und dergleichen, gedacht werden. Reale Objekte seien nicht wahrnehmbar, sondern nur begrifflich zu denken. W u n d t konstatierte wiederholt: das qualitative Sein der Dinge ist nicht wahrnehmbar.'5'® Alle Naturerscheinungen könnten nur begrifflich als äußere Beziehungen und Beziehungsänderungen von Substraten aufgefaßt werden. D i e konkreten Eigenschaften, die wir vom Subjekt her der Materie beilegten, könnten nur darin ihre Rechtfertigung finden, „daß sie die räumlich-zeitlichen Beziehungen der Teile der Materie zueinander begreiflich" machten.' 14 W u n d t setzte bei seinen Überlegungen eine unabhängig und außerhalb vom Bewußtsein existierende Realität voraus, als Forschungsgegenstand interessierte sie ihn jedoch in seinen philosophischen und psychologischen Arbeiten vorwiegend als Teil des in der unmittelbaren Erfahrung gegebenen Vorstellungsobjektes. D i e äußeren materiellen und die inneren geistigen Erscheinungen galten ihm gleichermaßen als Objekte der Erfahrung. D e m Vorstellungsobjekt, also einem Bestandteil unseres Erfahrungsinhaltes, komme zugleich die Eigenschaft zu, reales Objekt zu sein. Wenn W u n d t den Vorstellungsobjekten die Eigenschaft objektiv zu sein zusprach, wollte er darauf hinweisen, d a ß sie der Wirklichkeit entsprechen, keine willkürliche Gedankenkonstruktionen sind, die Vorstellungsobjekte waren ihm nicht im machistischen Sinn Erzeugnisse unseres Geistes. Seine Erfahrungskonzep33 Siehe beispielsweise W. Wundt, System der Philosophie, 4. Aufl., 2. Bd., Leipzig 1919, S. 5. 3 4 Ebenda, S. 9.

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tion w a r trotzdem untauglich, das Verhältnis von objektiver R e a l i t ä t und Vorstellung richtig zu erfassen, w e i l er die Vorstellungen nicht als W i d e r s p i e g e l u n g und Abbild der objektiven Realität verstand. Der Begriff „objektiv" interessierte ihn weniger in seiner wesentlichen Bedeutung als „außerhalb und unabhängig vom Bewußtsein existierend, sondern vielmehr zur Bezeichnung des durch geistige Tätigkeit von subjektiven Elementen gesonderten Erfahrungsinhaltes". Entsprechend seiner Erfahrungskonzeption bildeten nicht objektive Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten und nicht das reale Objekt-Subjekt-Verhältnis den Hauptgegenstand der Wundtschen Philosophie, sondern Bewußtseinsinhalte. Selbst ökonomische Probleme beschäftigten ihn - was allerdings sehr selten geschah - fast ausschließlich als Ideen und Theorien oder in ihren ethischen Zusammenhängen. Objektiv betrachten bedeutete für W u n d t , durch geistige Abstraktionsverfahren nach logischen Prinzipien den Erfahrungsinhalt vom erkennenden Subjekt zu sondern. Durch Denken gehe der einheitliche Begriff des vorgestellten Objektes in die zwei Begriffe der Vorstellung und des Objektes auseinander, im praktischen Handeln gehe dieseTrennung sofort wieder verloren. Zusammenfassend formulierte W u n d t seinen Standpunkt wie f o l g t : „Die Scheidung der ursprünglich einheitlichen Erfahrung in eine innere und äußere beginnt mit der Sonderung des Gefühls von dem Vorstellungsanteil der Wahrnehmungen. Sie vollendet sich mit der Zurücknahme der Empfindungen und der anschaulichen Form ihrer räumlich-zeitlichen Ordnung in das erkennende Subjekt, wodurch nun das unabhängig von diesem gedachten Objekt als eine nur durch Begriffe zu lösende A u f g a b e des Denkens zurückbleibt. Hiermit haben dann innere und äußere Erfahrung die M e r k male gewonnen, durch die sie fortan logisch getrennt w e r d e n : jene ist rein anschaulich, diese ist rein begrifflich. Zugleich ist auf diese W e i s e die ursprüngliche Einheit der Erfahrung wiederhergestellt. Innere und äußere Erfahrung sind nun nicht mehr verschiedene Erfahrungsgebiete, sondern sie haben sich in verschiedene Standpunkte v e r w a n d e l t , die unsere wissenschaftliche Betrachtung der allgemeinen Erfahrung gegenüber einnimmt. Der subjektive Standpunkt der .inneren E r f a h rung' gehört der Psychologie, der objektive der ,äußeren Erfahrung' der Naturwissenschaft an."rir> W u n d t s Erfahrungskonzeption ist gegenüber der Position von Mach „realistisch", sie setzt eine vom Bewußtsein unabhängige R e a l i t ä t voraus. Den Vorstellungsinhalt führt sie sogar auf diese objektive R e a l i t ä t zurück, wenn auch nicht im Sinne der dialektisch-materialistischen Widerspiegelungstheorie. Indem W u n d t das Vorstellungsobjekt, also einen Bestandteil des Bewußtseins, zur Erkenntnisgrundlage und zum Ausgangspunkt seiner philosophischen und psychologischen Arbeiten erklärte, näherte er sich bedenklich dem Machismus, den er sonst sehr heftig bekämpft hat. Seine philosophischen w i e seine psychologischen Untersuchungen waren in der Hauptsache Bewußtseinsanalysen, isoliert von den materiellen Grundlagen und Bedingungen des Bewußtseins. In W u n d t s E r f a h rungsanalyse spielten die Erforschung der objektiven G r u n d l a g e aller Erfahrung

3 5 W . W u n d t , System der Philosophie, 2. A u f l . , Leipzig 1 8 9 7 , S.

146/147.

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und die gesellschaftliche Praxis höchstens einmal als Randerscheinung eine R o l l e . V o r allem ignorierten seine Untersuchungen völlig die materiell-gegenständliche Tätigkeit, welche die entscheidende G r u n d l a g e aller E r f a h r u n g bildet. Wundts Erfahrungskonzeption

vermochte

weder

objektive

Entwicklungsprozesse,

noch

psychische V o r g ä n g e adäquat zu erfassen, sie ist unwissenschaftlich und gegen den Fortschritt gerichtet. Lenins Urteil trifft auf sie uneingeschränkt zu, in dem es h e i ß t : „Heute verhüllt die Professorenphilosophie der verschiedensten tierungen

ihren

reaktionären

Charakter

durch

Deklamationen

über

Schat-

die

Er-

fahrung'." 3 6

5.5.

Die Rolle des psychophysischen Parallelismus in Wundts Philosophie

Wundts philosophische Auffassungen sind in starkem M a ß e durch die A n n a h m e eines psychophysischen Parallelismus geprägt. Psychisches und Physisches betrachtete W u n d t als untrennbare parallel verlaufende Prozesse, als Lebensvorgänge, die wir zwar zum Z w e c k e der Analyse voneinander trennen könnten, die aber keine Abstraktion der W e l t tatsächlich in getrennte O b j e k t e zu scheiden vermöge. D i e N a t u r galt ihm als Substrat des G e i s t e s ; geistiges L e b e n , das nicht an die N a t u r gebunden sei, wäre undenkbar. Zum Prinzip des psychophysischen Parallelismus erklärte W u n d t : „ D e n Satz, d a ß alle diejenigen Erfahrungsinhalte, gleichzeitig

der

mittelbaren,

naturwissenschaftlichen

und

der

die

unmittelbaren,

psychologischen Betrachtungsweise angehören, zueinander in Beziehung

stehen,

indem innerhalb jenes Gebiets jedem elementaren Vorgang auf psychischer Seite ein solcher auf physischer entspricht, bezeichnet man als Prinzip des

psycho-

physischen Parallelismus." 3 7 W u n d t war sich bewußt, d a ß mit diesem Prinzip die F r a g e nach dem Verhältnis von N a t u r und Geist nicht gelöst werden konnte. D a s Prinzip des psychophysischen Parallelismus sei jedoch als heuristisches Prinzip erforderlich, denn ehe die F r a g e nach dem Verhältnis von Natur und G e i s t entschieden werden könne, müßten Naturwissenschaften

und Psychologie selbständig und unabhängig

voneinander

ihre Aufgaben zu E n d e führen. D i e Aufgabe, zu entscheiden, ob der G e i s t eine Schöpfung der äüßeren N a t u r , oder diese ein Erzeugnis des Geistes sei, oder ob beide von jeher eine sich ergänzende E i n h e i t bildeten, müsse zunächst in zwei Aufgaben geschieden werden. W u n d t schrieb: „So sehen wir uns hier überall auf das heuristische Prinzip eines ,psychophysischen Parallelismus' hingewiesen; doch dieses Prinzip selbst ist keine Lösung der hier vorliegenden Aufgabe,

sondern

es besteht vielmehr in der Scheidung dieser zwei A u f g a b e n : in eine physiologische, die die gesamten Lebensvorgänge G l i e d für G l i e d den Gesetzen der allgemeinen 3 6 W . I. Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, i n : W e r k e , B d . 14, Berlin 1 9 6 8 , S. 1 4 4 . 37 W . Wundt, Grundriß der Psychologie, a. a. O . , S. 3 9 4 .

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Naturkausalität einzuordnen, und in eine psychologische, die in ähnlichem Sinne den psychischen Erlebnissen, von denen jene physische Weltbetrachtung grundsätzlich abstrahiert, in den ihnen eigenen Verbindungen nachzugehen hat. Wie sich beide Reihen zu einander verhalten, das ist eine Frage, die jenseits der beiden Einzelgebiete liegt." 3 8 Somit trennte Wundt die psychischen V o r g ä n g e von ihrem physiologischen Substrat und ihren physiologischen Trägerprozessen, wenn er auch deren Einheit immer wieder hervorhob und sein Prinzip des psychophysischen Parallelismus nur als ein hypothetisches mit heuristischem Wert verstanden wissen wollte. D i e dualistische Betrachtung von physiologischen und psychischen Vorgängen war bereits in Wundts „ G r u n d z ü g e n der physiologischen Psychologie" von 1874 vorgebildet. Schon hier schrieb er: „ D i e Physiologie gibt über jene Lebenserscheinungen Aufschluß, welche sich durch unsere äußeren Sinne wahrnehmen lassen. In der Psychologie schaut der Mensch sich selbst gleichsam von innen an und sucht sich den Zusammenhang derjenigen V o r g ä n g e zu erklären, welche ihm diese innere Beobachtung darbietet." 3 9 Zwischen „ ä u ß e r e m " und „innerem L e b e n " konstatierte Wundt lediglich „zahlreiche Berührungspunkte". D i e innere E r f a h rung würde durch äußere Einwirkungen beeinflußt, die inneren Z u s t ä n d e griffen in den A b l a u f des äußeren Geschehens ein. 4 0 Trotz dieses dualistischen Standpunktes, der sich aus dem Unverständnis des Psychischen als Widerspiegelung der objektiven Realität und als Funktion des Zentralnervensystems ergab, ging es Wundt um den Zusammenhang physiologischer und psychischer Prozesse. D i e neue physiologische Psychologie müsse in erster Linie erforschen, wie denn äußeres und inneres D a s e i n in ihrem letzten G r u n d e zusammenhingen. Wundt schrieb: „Somit weisen wir unserer Wissenschaft die A u f g a b e z u : erstlich diejenigen Lebensvorgänge zu erforschen, welche, zwischen äußerer und innerer E r f a h r u n g in der Mitte stehend die gleichzeitige Anwendung beider Beobachtungsmethoden, der äußeren und inneren, erforderlich machen, und zweitens von den bei der Untersuchung dieses Gebietes gewonnenen Gesichtspunkten aus die Gesamtheit der Lebensvorgänge zu beleuchten und auf solche Weise wo möglich eine Totalauffassung des menschlichen Seins zu vermitteln.'" 1 1 Bei diesen Untersuchungen gehe die psychologische Selbstbeobachtung H a n d in H a n d mit den Methoden der Experimentalphysiologie, und aus der Anwendung physiologischer experimenteller Methoden auf die Untersuchung psychischer Erscheinungen seien als eigener Zweig der Experimentalforschung die psychophysischen Methoden entstanden. D a s Prinzip des psychophysischen Parallelismus, d a s an Stelle der tatsächlichen psychophysischen Einheit geistiger Prozesse parallel verlaufende V o r g ä n g e setzt, gab Wundt einerseits die Möglichkeit, die Selbständigkeit und Höherwertigkeit des Psychischen zu behaupten, andererseits einen untrennbaren Zusammenhang 38 W. Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, a. a. O., S. 88. 39 W. Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie, a. a. O., S. 1. 40 Ebenda. 41 Ebenda, S. 2.

89

physischer und psychischer Erscheinungen zu konstatieren, wenn auch einen seinem Wesen nach nicht richtig erfaßten. W u n d t wollte seinen Standpunkt des psychophysischen Parallelismus nicht als Dualismus verstanden wissen; als K e r n g e d a n k e galt ihm vielmehr die Feststellung, d a ß jedem psychischen Geschehen ein physischer Vorgang entspreche. D a s heuristische Prinzip des psychophysischen Parallelismus schränke somit das Forschungsprinzip nicht ein, d a ß zu jedem geistigen möglichst ein körperlicher Vorgang zu suchen sei. V o n den Empfindungen und einfachsten G e f ü h l e n , den „Elementen des Psychischen", bis zu den verwickeltsten Gedankenprozessen gäbe es keinen psychischen Vorgang, zu dem nicht physische Prozesse parallel verliefen. „ D e n n j e d e einfache Empfindung", erklärte W u n d t , „zeigt sich an einen äußerst verwickelten Zusammenhang peripherer und zentraler Nervenprozesse gebunden, nicht minder jedes noch so elementare G e f ü h l . . , " 4 2 In einzelnen Erkenntnissen erfaßte W u n d t bestimmte funktionelle Zusammenhänge von Physischem und Psychischem und überschritt damit die E n g e seines eigenen psychophysischen Parallelismus. E r erklärte beispielsweise: „So erweist sich

hier

vorzugsweise

dies

als

eine

eminent

wichtige

Leistung,

welche

die

physiologischen Substrate der seelischen V o r g ä n g e erfüllen, d a ß sie die vorübergehenden

Lebenseindrücke

in ein dauerndes Besitztum

überführen,

ohne

daß

doch das Bewußtsein fortwährend mit den ihm zugeflossenen Erwerbungen belastet b l e i b t . ' " " Selbst die psychologischen Gesetze, deren Eigenständigkeit nachzuweisen ihm besonders angelegen war, sah W u n d t im engen Zusammenhange mit den physischen Erscheinungen. E r betonte: „Auch wenn wir den psychologischen Gesetzen einen eigenartigen, von dem der physischen verschiedenen Inhalt zuschreiben, so meinen wir damit doch nicht im mindesten, diese Gesetze könnten jemals ohne physische Zwischenvorgänge verwirklicht werden." V l D e n Denkgesetzen und D e n k formen liefen Seinsgesetze und Seinsformen parallel. D i e Aktualität des seelischen Geschehens und die physiologische K a u s a l i t ä t seien in diesem Sinne zusammengehörige Erscheinungen. D e n tatsächlichen Zusammenhang dieser Phänomene vermochte W u n d t nicht zu erfassen, die A n n a h m e eines Parallelismus und sein Postulat einer Eigenständigkeit der Seele setzten ihm Erkenntnisschranken. E i n e gewisse Autonomie - oder besser: relative Selbständigkeit - des Psychischen ist unbestritten. D i e Entwicklung des Psychischen ist keineswegs fatalistisch an die gegebenen biogenetischen Grundlagen gebunden, es besteht vielmehr im Rahmen der vorhandenen N e r v e n - und Gehirnstrukturen - die sich in der O n t o genese selbst noch entwickeln - ein mehr oder weniger großes Möglichkeitsfeld ihrer Entfaltung. Für W u n d t standen Physisches und Psychisches als eigenständige Erscheinungen mit voneinander unabhängiger K a u s a l i t ä t in einem

korrelativen

Zusammenhange. D u r c h seine bereits erörterte Erfahrungskonzeption 4 2 W . Wundt, Einführung in die Psychologie, Leipzig 1 9 1 1 , S. 1 2 1 . 4 3 W . Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1 8 8 9 , S. 5 8 4 . 4 4 W . Wundt, Probleme der Völkerpsychologie, Leipzig 1 9 2 1 , S. 67.

90

versuchte

er die aus dieser Position unvermeidlich entstehende K l u f t zwischen materiellen und geistigen Erscheinungen zu überbrücken. Die „notwendige Idee eines Parallelismus der Vorstellungen und der ihnen entsprechenden Bewegungsvorgänge ihres hypothetischen Substrats, der Materie" beziehe sich nicht, wie Spinoza gedacht habe, „auf zwei unabhängig voneinander gegebene unendliche Wirklichkeiten, sondern auf eine einzige, die wir in der Form der Vorstellungen so, wie sie uns unmittelbar gegeben ist, auffassen, in der Form der materiellen Bewegungsvorgänge so, wie wir sie nach ihrer begrifflichen Verarbeitung und nach Abstraktion von den in der Erfahrung stets an sie gebundenen Gefühls- und Willensreaktionen voraussetzen" 45 . Wundts Erfahrungskonzeption ist ungeeignet, die nach dem Prinzip des psychophysischen Parallelismus vorgenommene Trennung von Körper und Geist zu überwinden, sie löst die in der Erfahrung gegebenen psychischen Erscheinungen von den realen objektiven Dingen und Prozessen, deren Widerspiegelung sie sind, und sie erklärt Physisches und Psychisches in naher Verwandtschaft mit Berkeley und den Machisten zu einem zunächst ungesondert gegebenen Bewußtseinsinhalt. D a s entscheidende Motiv, das W u n d t zur Annahme eines psychophysischen Parallelismus zwang, obwohl er sich bei seinen physiologischen und psychophysiologischen experimentellen Arbeiten ständig mit dem einheitlichen psychophysischen Prozeß und dem tatsächlichen Verhältnis von Materie und Bewußtsein konfrontiert sah, war seine idealistische Auffassung vom Geistigen als einer autonomen und gegenüber dem Materiellen höherwertigen Erscheinung, und sein daraus abgeleitetes Postulat, Geistiges könne nicht aus Materiellem hervorgehen. „Die Materie", argumentierte Wundt, „ist ein hypothetischer Begriff, den wir, den Antrieben folgend, die einerseits die relative Konstanz der Objekte, anderseits unser logisch begründetes Denken ausübt, gebildet haben. D a ß dieses Substrat der Objekte unserer Vorstellungen auf das fühlende und wollende Subjekt, das diese Vorstellungen erzeugt, mechanische Wirkungen ausübe, die den Wechselwirkungen der Objekte als solcher analog seien, dies ist ein völlig unvollziehbarer Gedanke." / | ( i Nach den Regeln der naturwissenschaftlichen Logik dürften nur solche Tatsachen in einen Zusammenhang von Bedingungen und Folgen gebracht werden, die unter sich gleichartig seien, insofern sie mit übereinstimmenden Maßen gemessen und unter übereinstimmende Prinzipien gebracht werden könnten. Hiervon ausgehend erklärte W u n d t : „Unser Fühlen, Wollen und Denken ist aber in diesem Sinne nicht vergleichbar mit den Gegenständen der Außenwelt: wir können das W o r t hören, das einen Gedanken ausspricht, wir können den Menschen sehen, der ihn gebildet hat, wir können das Gehirn zergliedern, das ihn gedacht hat; aber das Wort, der Mensch, das Gehirn sind nicht der Gedanke, und in der Erkenntnis dessen, was Denken bedeutet, wie es in seinen eigenen Bestandteilen zusammengefügt ist, und wie es mit früheren Inhalten unseres Bewußtseins zusammenhängt - in allem

45 W. Wundt, Ethik, Bd. II, a. a. O., S. 45. 46 Ebenda, S. 46.

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dem können wir durch die Untersuchung jener physischen Gegenstände und Vorgänge nicht um einen Schritt vorwärts kommen." 47 Mit dem Argument, daß das Wort, der Mensch und das Gehirn nicht der Gedanke seien, was durchaus zu akzeptieren ist, läßt sich die Eigenständigkeit des Psychischen gegenüber dem Physischen nicht begründen, es hebt die Tatsache nicht auf, daß die materielle Welt über unsere Sinnesorgane auf das Zentralnervensystem einwirkt, materielle Nerven- und Gehirnprozesse hervorruft, die als Widerspiegelung Abbilder in Gestalt von Empfindungen, Anschauungen, Vorstellungen, Begriffen, Ideen, Theorien, Hypothesen und anderen geistigen Erscheinungen erzeugen und - ebenfalls als Widerspiegelung - ein bestimmtes gefühls- und willensmäßiges Verhältnis zur objektiven Realität. Jede Entgegensetzung von physischen und psychischen Gesetzmäßigkeiten hinsichtlich ihrer Quelle, ihrer Determinanten und ihres Verlaufs wird dem tatsächlichen Geschehen nicht gerecht. Ausgehend von der naturwissenschaftlichen Forderung, daß nur gleichartige Erscheinungen als in einem kausalen Zusammenhang stehend aufgefaßt werden dürften, argumentierte Wundt: nach dem Prinzip der Naturkausalität könnten Naturvorgänge nur in gleichartigen Naturvorgängen ihre Ursache haben. Physische Erscheinungen unterlägen dem Gesetz der Erhaltung der Energie, wogegen sich in psychischen Prozessen nach dem Prinzip der schöpferischen Synthese eine ständige Zunahme von Energie vollziehe. Im Psychischen, das mit dem Physischen nicht gleichartig sei, wirkten ganz andere Gesetzmäßigkeiten als im Physischen: Erlebnis- und Erfahrungszusammenhänge, Assoziations- und Apperzeptionsvorgänge und dergleichen. Das von Wundt zur Begründung der Andersartigkeit des Psychischen angeführte „Prinzip der schöpferischen Synthese", nach dem sich durch synthetische geistige Tätigkeit aus Bewußtseinsinhalten ständig neue ergeben, ist keineswegs im Gegensatz zum Gesetz der Erhaltung der Energie mit einer ständigen Energiezunahme verbunden. Jeder schöpferisch neue Gedanke ist mit Energieverbrauch in den nervalen Trägerprozessen verbunden, neue schöpferische Synthesen erfordern Zuführung von Energie. Ohne ständige Nahrungsaufnahme könnten die biophysiologischen Vorgänge - und somit schöpferisches Denken - nicht funktionieren. Im einheitlichen psychophysischen Prozeß sind die Erhaltungsgesetze durchaus wirksam, beseitigt man jedoch durch die Annahme eines psychophysischen Parallelismus diese Einheit und ersetzt sie durch zwei parallel verlaufende Kausalreihen, dann wird das Problem der „Energieerhaltung" völlig unverständlich. Wundt schränkte die Annahme eines phychophysischen Parallelismus auf einfache psychische Vorgänge ein. Höhere psychische Prozesse, bei denen das Prinzip der Resultanten wirksam sei, hätten keine Entsprechung in physischen Prozessen. Gerade diese seien aber das eigentlich Formende, Synthetische des Bewußtseins, das sich nach logischen und ethischen Gesetzen verbinde. Wundts Prinzip des psychophysischen Parallelismus kann für seine Zeit nicht 4 7 W . Wundt, Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele, a. a. O., S. 6.

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als ausschließlich unwissenschaftlich und reaktionär bewertet werden; historisch bedingt spielte es eine gewisse progressive Rolle. W i e gezeigt wurde, unterstrich dieses Prinzip die untrennbare Verbindung von Physischem und Psychischem, und war somit'gegen jede extreme Form des Dualismus gerichtet, der diese Einheit zu negieren versuchte. Eine progressive Rolle spielte das Prinzip des psychophysischen Parallelismus außerdem in der Auseinandersetzung mit dem Reduktionismus, der in vulgärmaterialistischer Weise psychische Erscheinungen auf materielle Nervenprozesse und gehirnphysiologische Vorgänge reduzierte. Wundt wandte sich gegen die unwissenschaftliche Auffassung, Psychisches sei ein bloßes Epiphänomen des Physischen. Dabei ging es ihm auch um die Rechtfertigung der Psychologie als einer selbständigen Wissenschaft mit eigenem Forschungsgegenstand, denn die Reduzierung von Psychischem auf Physisches beraubte die Psychologie ihres Gegenstandes. Der psychophysische Parallelismus, nach dem das Psychische eine selbständige Erscheinung ist, lieferte Wundt somit die Begründung für das Recht der Psychologie auf Selbständigkeit. In diesem Zusammenhange schrieb Jaroschewski: „Der Parallelismus stellte eine Doktrin dar, die den W e g zur friedlichen Koexistenz' von Naturwissenschaft und Psychologie wies. Er erhielt die Gültigkeit der naturwissenschaftlichen Gesetze aufrecht, und der Psychologie gestand er das Recht auf Selbständigkeit zu, da der Bereich des Psychischen gleichberechtigt neben den körperlichen Erscheinungen stand und nicht als deren unnützer Rest erschien.'"18 In seinen frühen Arbeiten hatte Wundt mit seinem Prinzip des psychophysischen Parallelismus in gleichem Maße die Selbständigkeit des Psychischen und dessen untrennbaren Zusammenhang mit dem Physischen zu begründen versucht. Er war sich bewußt, daß die Psychologie als experimentelle Wissenschaft nur in enger Beziehung zur Physiologie lebensfähig ist, und er versuchte, eine physiologische Psychologie zu entwickeln. Später ging es Wundt hauptsächlich um die Autonomie und Höherwertigkeit des Psychischen. Sein Standpunkt des psychophysischen Parallelismus trat immer stärker zugunsten seiner idealistischen Erfahrungskonzeption zurück. In seinen völkerpsychologischen Arbeiten, die mehr als 20 Jahre im Zentrum seines Forschens standen, spielte der psychophysische Parallelismus nunmehr eine völlig untergeordnete Rolle.

5.6.

Der Voluntarismus im philosophischen System Wundts

Ein besonders hervorstechendes Merkmal der psychologischen und philosophischen Auffassungen Wundts ist der Voluntarismus. Wundt selbst bezeichnete seinen Standpunkt wiederholt als einen voluntaristischen. Er vertrat den Voluntarismus 4 8 M. G. Jaroschewski, W . I. Lenin und die Krise der Psychologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Lenins philosophisches Erbe und Ergebnisse der sowjetischen

Psychologie,

Berlin 1 9 7 4 , S. 2 0 1 .

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in seiner psychologischen, erkenntnistheoretischen und „metaphysischen" Erscheinungsform. Der Begriff des Willens galt ihm als die zentrale Kategorie der neuen Psychologie. Nicht Wahrnehmungs- und Vorstellungsprozesse, sondern Gemütsbewegungen, Affekte, Triebe, Leidenschaften, Willensvorgänge seien entscheidend für das seelische Leben. Gegen die „intellektualistische" wollte W u n d t eine „voluntaristische" Psychologie setzen. Über die Bedeutung des Willens für die neue Psychologie schrieb er: „Wie die Einführung der experimentellen Methode das augenfälligste äußere Merkmal ist, durch das sich die neue von der alten Psychologie unterscheidet, so darf man vielleicht sagen, d a ß für die Anschauungen die unter der Einwirkung dieses Hilfsmittels entstanden sind, der Begriff des Willens zu dem zentralen Problem geworden ist, nach dem in letzter Instanz alle andern Hauptprobleme der Psychologie orientiert sind."'' 9 D i e empirische Basis seines voluntaristischen Standpunktes bildeten für W u n d t psychologische Arbeiten, speziell seine Untersuchungen zum Verhältnis von Vorstellen, Fühlen und Wollen im einheitlichen psychischen Prozeß. Als Resultat seiner psychologischen Forschungen formulierte er: „Es gibt nur einen einzigen psychischen Prozeß, für den diese Forderung, typischer Repräsentant aller psychischen Erfahrungsinhalte zumal zu sein, zutrifft, dies ist der Willensvorgang." 5 0 D e r Wille sei als „unser eigenstes mit unserem Wesen selbst identisches Besitztum" anzusehen, „dem die Vorstellungen als etwas Äußeres gegenüberstehen, auf welches dieser unser Wille in seinen Gefühlen reagiert" 51 . W u n d t resümierte: „So fällt im letzten G r u n d e der Wille mit unserem ,Ich' zusammen: dieses Ich ist aber weder eine Vorstellung noch ein spezifisches Gefühl, sondern es besteht in jenen elementaren Willensprozessen der Apperzeption, die stetig veränderlich und doch zugleich beharrlich die Bewußtseinsvorgänge begleiten und auf diese Weise das dauernde Substrat unseres Selbstbewußtseins bilden." 52 Unter den Komponenten des psychischen Geschehens betrachtete W u n d t somit den Willen, der den Kern unseres „Ich", unserer Persönlichkeit bilde, als vorherrschend und bestimmend. Unser gesamtes psychisches Leben sei ein letztlich durch Willensvorgänge verursachter geistiger Prozeß. Alle psychischen Prozesse mündeten in eine Willenshandlung ein; der Zusammenhang der psychischen Erscheinungen sei durch Willensprozesse gegeben. Dazu schrieb W u n d t : „Unsere seelischen Zustände sind niemals beharrend, sondern sie sind unaufhaltsam fließende, untereinander verbundene Vorgänge, und dieser Zusammenhang wird, so viel sich erkennen läßt, wesentlich herbeigeführt durch unsere alle einzelnen Gedanken begleitende Willenstätigkeit." 5 3 Alle psychischen Vorgänge betrachtete W u n d t als von Willensprozessen durchdrungen. D i e Gefühle seien vielfältig an den Willen gebunden ; der Wille selbst sei ein Gefühlsverlauf, ein Affekt, der sich durch einen Ent4 9 W. Wundt, Essays, a. a. O., S. 342. 50 W. Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, a. a. O,. S. 338. 51 W. Wundt, Einführung in die Psychologie, a. a. O., S. 45. 5 2 Ebenda. 53 W. Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1889, S. 306.

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Schluß selber zur Ruhe bringe. Gefühle seien Triebfedern des Willens, sie existierten nicht ohne Vorstellungen, in denen meist der Zweck und der beabsichtigte Erfolg der Willenshandlung vorweggenommen werde. Wundt ging bei der genaueren Bestimmung der Willensprozesse vom Affekt aus, wobei er letzterem keine sehr präzise Definition zugrunde legte. E r schrieb: „Wo sich . . . eine zeitliche Folge von Gefühlen zu einem zusammenhängenden Verlaufe verbindet, der sich gegenüber den vorausgegangenen und den nachfolgenden Vorgängen als ein eigenartiges Ganzes aussondert, das im allgemeinen zugleich intensivere Wirkungen auf das Subjekt ausübt als ein einzelnes Gefühl, da nennen wir einen solchen Verlauf einen Affekt." 5 4 D i e durch einen Affekt verbreitete und ihn plötzlich beendende Veränderung der Vorstellungs- und Gefühlslage sei eine Willenshandlung. Kontraste der Gefühle bildeten die psychologische Grundlage des Willens. D i e Entstehung primitiver Willensvorgänge könne wahrscheinlich auf Unlustgefühle zurückgeführt werden, welche bestimmte äußere Bewegungsreaktionen auslösten, als deren Wirkung Lustgefühle entstünden. Aus der Wirksamkeit von Willenskräften leitete Wundt den Prozeßcharakter des Psychischen und in letzter Instanz die psychische Kausalität ab. Willensvorgänge seien keimhaft bereits in jeder Triebund Reflexhandlung wirksam. Unter einer Triebhandlung könne man „eine einfache, d. h. aus einem einzigen Motiv hervorgehende Willenshandlung" verstehen. 35 Die Überbewertung von Willensvorgängen im psychischen Geschehen kommt in Wundts eigenartiger genetischer Betrachtung des Zusammenhanges von Willenshandlung, Trieb und Reflex deutlich zum Ausdruck, in der er einige psychische Erscheinungen unzulässig verabsolutierte. Wenn es bei einer Willenshandlung zur „Ermäßigung der Affektanteile" und zur Vorherrschaft intellektueller Motive komme, werde keine äußere Bewegung, sondern eine innere Willenshandlung ausgelöst. Im Laufe der Entwicklung komme es zur Verselbständigung solcher innerer Willenshandlungen, gewissermaßen zu einer Vergeistigung des Mechanischen. Diesem progressiven Prozeß stünde ein regressiver gegenüber. Wenn sich Willensvorgänge übereinstimmenden Motivinhaltes häufig wiederholten, erfolge eine Rückwandlung einer komplizierten Willenshandlung in eine einfache oder eine Triebhandlung. D i e Triebbewegung könne schließlich zu einer automatischen Bewegung werden, ein Willensvorgang also zu einem Reflexvorgang. Es sei nicht unwahrscheinlich, schlußfolgerte Wundt, „daß die Reflexbewegungen der Tiere und des Menschen überhaupt diesen Ursprung" hätten. 56 Im Bestreben, eine geistige Einheit der Welt nachzuweisen, hat er diese Möglichkeit später bis zu den Bewegungen der Pflanzen fortgeführt, die ebenfalls aus ursprünglichen Willensvorgängen hervorgegangen sein könnten. Wundts voluntaristische Erklärung des Zusammenhanges von Willens-, Trieb- und Reflexhandlung 5 4 W . Wundt, Grundriß der Psychologie, a. a. O., S. 2 0 3 . 5 5 Ebenda, S. 2 2 4 . 5 6 Ebenda, S. 2 3 1 .

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geriet in einen Widerspruch mit seinem Prinzip des psychophysischen Parallelismus, denn eine Mechanisierung von Geistigem und eine Vergeistigung von Materiellem kann es danach nicht geben, weil immer nur gleichartige Erscheinungen auseinander hervorgehen könnten. Wundt erkannte diesen Widerspruch und argumentierte: Die Mechanisierung von Geistigem sei in der Tat „ein Zurücktreten höherer in niedere Formen des geistigen Geschehens", die Vergeistigung materieller Vorgänge eine Aufnahme geistigen Geschehens in materielles Geschehen."'7 Ein überzeugendes Argument zur Begründung seines Voluntarismus glaubte Wundt in der Zweckmäßigkeit der Natur, besonders der Organismen, gefunden zu haben. Jede Zweckmäßigkeit weise auf einen zwecksetzenden Willen hin. „So möchte es denn überhaupt wahrscheinlich sein", schrieb Wundt, „daß die in so eminentem Maße zweckmäßige Organisation namentlich der höheren Tiere unter dem Miteinfluß von Zwecken als Ursachen entstanden ist, - freilich nicht von Zweckvorstellungen, die außerhalb der Wesen oder unbewußt als mystische Vitalkräfte in ihnen liegen, sondern von solchen, die ihre bewußten Handlungen bestimmt haben. Daß in diesem Sinne die Gestaltungen innerhalb der menschlichen Gesellschaft vorwiegend von kausal wirkenden Zwecken hervorgebracht werden, wird ja niemand leugnen wollen. Warum sollte es also unwahrscheinlich sein, daß auch die weiter zurückreichende physische und geistige Entwicklung lebender Wesen auf derselben Grundlage ruht?" 38 Wundt übertrug seine Theorie vom Hervorgehen von Trieb- und Reflexprozessen auf den Entwicklungsweg der Arten. Mit entwickeltem Bewußtsein erscheine als angeborener Reflex, „was ursprünglich, in der Lebensgeschichte der Art, selbst eine unmittelbare Willensrcaktion des Bewußtseins gewesen" sei. 59 Zweifellos gibt es eine Mechanisierung bestimmter psychophysischer Vorgänge, die bisher dem Willen unterlagen. Werden beispielsweise Reaktionen auf Umwelteinflüsse oder Handlungsabläufe oft wiederholt, kann eine Mechanisierung eintreten. Wenn jede Reaktion auf äußere Einflüsse und jeder Handlungsablauf vom Willen gesteuert werden müßten, wäre angepaßtes, sinnvolles und zweckmäßiges Verhalten - vor allem Arbeit als weltverändernde Tätigkeit - bei der ungeheueren Fülle von Einflüssen gar nicht möglich. Triebe und Reflexe allgemein genetisch aus ursprünglichen Willenshandlungen zu erklären, stellt jedoch die Tatsachen auf den Kopf. Zu einer solchen Auffassung gelangte Wundt auf Grund seiner idealistischen Position, wonach Geistiges nicht aus Materiellem hervorgehen könne. Wenn sich die Feststellung eines kausalen Zusammenhanges von Physischem und Psychischem nicht umgehen ließ, was zum Widerspruch mit dem Prinzip des psychophysischen Parallelismus führte, leitete Wundt körperliche Bewegungsvorgänge aus geistigen Prozessen ab. Wundts Auffassung negierte die Tatsache, daß alle psychischen Prozesse - also 57 W . Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1 8 8 9 , S. 5 8 7 . 58 W . Wundt, Allgemeine Logik und Erkenntnistheorie, a. a. O., S. 6 3 6 . 5 9 W . Wundt, System der Philosophie, a. a. O., S. 5 8 9 .

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auch Willensvorgänge - Produkt, Eigenschaft und Funktion der höchstentwickelten Materie, des menschlichen Gehirnes, sind und daß sie objektive Realität widerspiegeln. Wundts voluntaristische Position war gegen die materialistische Widerspiegelungstheorie gerichtet. Wie wir in unseren Denkakten die Elemente unseres Bewußtseins zusammenfügten, unterliege ganz unserem Wollen. „Jeder Denkakt", schrieb Wundt, „besteht aus gewissen Vorstellungen, die teils einzeln, teils in ihren Verbindungen zugleich Gefühle enthalten. Außerdem ist jedes Denken ein Wollen. Die Denkakte werden uns nicht gegeben, wie die äußeren Sinneswahrnehmungen oder die frei und ungesucht aufsteigenden Gedächtnisbilder. Mögen ihre Elemente auch ganz oder zum Teil ungesucht sich bieten, die Art, wie wir sie aneinander fügen, bleibt eine T a t unseres Wollens." 6 0 Zweifellos spielen Willensakte in den Denkprozessen eine sehr bedeutsame Rolle, oft wird der Willensaspekt des Denkens sogar unterschätzt. Wie jedoch Bewußtseinselemente im richtigen Denken, das die objektive Realität - die Objekte, Prozesse, Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten - adäquat widerspiegelt, zusammengefügt werden müssen, hängt nicht in erster Linie vom Willen ab, sondern von der objektiven Realität selbst. Wundt überschätzte die Möglichkeit des Willens im Denkprozeß, weil er den Willen als Handlungs- und Entscheidungsaspekt im Psychischen nicht im Zusammenhang mit dem Widerspiegelungsgeschehen betrachtete. E r beachtete vor allem nicht, daß sich im Handeln durch den Willen nur objektiv gegebene Möglichkeiten realisieren lassen, D i e Überbewertung der Willenshandlung im Denkprozeß führte bei Wundt nicht zur völligen Negierung der äußeren Einflüsse auf das Denken. Denken galt ihm als Produkt der Natur und Schöpfung des Geistes. E r schrieb: „Wir würden eine in bestimmter Folge sich uns bietende Reihe von Eindrücken nicht in uns assoziativ festhalten und wiedererzeugen können, wenn nicht die Aufmerksamkeit von Glied zu Glied die einzelnen Teile der Reihe verfolgte, um sie schließlich zu einem Ganzen zu verbinden. So erwächst das geordnete Denken aus dem Naturzusammenhang, in den sich der Mensch gestellt sieht, und dieses Denken selbst ist von frühe an nichts anderes als die subjektive Wiedererzeugung der Gesetzmäßigkeit des Naturgeschehens. Aber diese Wiedererzeugung ist ihrerseits nur durch den die Verkettung der Vorstellungen beherrschenden Willen möglich. So ist das menschliche Denken, wie der Mensch selbst, gleichzeitig ein Produkt der Natur und eine Schöpfung seines eigenen geistigen Lebens, das in dem Willen jene Einheit findet, welche die unabsehbare Mannigfaltigkeit der geistigen Inhalte zu einem ganzen zusammenfaßt. Auf diese Weise bestätigt schließlich die Entwicklung der apperzeptiven Gedankenverbindungen aus den Assoziationen das früher bei der Betrachtung der Willensvorgänge gewonnene Ergebnis, daß allem äußeren willkürlichen Handeln innere, eben in der Wirkung auf den Gedankenverlauf sich betätigende Willensakte gegenüberstehen." 61 6 0 W . Wundt, System der Philosophie, 2. Aufl., Leipzig 1 8 9 7 , S. 38. 61 W . Wundt, Einführung in die Psychologie, a. a. O., S. 9 5 / 9 6 .

7

Wilhelm Wundt

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W u n d t b e f a ß t e sich in seinen psychologischen und philosophischen Arbeiten nicht nur mit d e m Willen des einzelnen I n d i v i d u u m s , in seinen Untersuchungen, besonders in der „ V ö l k e r p s y c h o l o g i e " und in der E t h i k spielen der G e m e i n s c h a f t s und der „ G e s a m t w i l l e " eine zentrale R o l l e . A u s g a n g s p u n k t w a r der W i l l e als T ä t i g k e i t eines Einzelbewußtseins. A l s solche f a l l e der W i l l e mit d e r E n t w i c k l u n g des Selbstbewußtseins z u s a m m e n . W i l l e und Selbstbewußtsein bildeten - unter verschiedenen A s p e k t e n betrachtet - Teilerscheinungen eines einheitlichen V o r ganges. A u s ihrer Willenstätigkeit erklärte W u n d t die F ä h i g k e i t der Menschen zur Selbstunterscheidung, zur Erkenntnis des eigenen I c h ; und aus der Willenstätigkeit leitete er d a s Selbstbewußtsein ab. W u n d t schrieb: „ D i e Selbstunterscheidung des Ich ist an dessen innere und äußere W i l l e n s a k t e g e b u n d e n , und in der unmittelbaren W a h r n e h m u n g seiner T ä t i g k e i t findet sich d a s I n d i v i d u u m als einzelne Persönlichkeit. I n d e m d i e s e T ä t i g k e i t r e g e l m ä ß i g mit V e r ä n d e r u n g e n verbunden ist, die der Inhalt des Bewußtseins erleidet, und i n d e m sie allen sonstigen Wechsel innerer Z u s t ä n d e relativ unverändert begleitet, erscheint sie aber als derjenige Inhalt der seelischen E r f a h r u n g , der a l l e V e r b i n d u n g innerer E r l e b n i s s e erst möglich macht. D e n n aus der F ü l l e der eigenen H a n d l u n g e n sondern sich die inneren, die A k t e der A p p e r z e p t i o n , wieder als diejenigen aus, als deren F o l g e n die äußeren Willenshandlungen erscheinen. So ergibt sich als letzte S t u f e dieser E n t w i c k l u n g , d a ß d a s I n d i v i d u u m sein eigenstes W e s e n in der reinen A p p e r z e p tion erkennt, d. h. in der d e m übrigen Bewußtseinsinhalte gegenübergestellten inneren Willenstätigkeit. D a s Ich erfaßt sich zu jeder Zeit als d a s s e l b e , i n d e m es d i e s e innere Willenstätigkeit a l s eine stetige, in sich gleichartige und zeitlich zus a m m e n h ä n g e n d e wahrnimmt. D e m n a c h kann d i e L ö s u n g des Willens v o n den einzelnen E l e m e n t e n der inneren W a h r n e h m u n g nie so weit gehen, d a ß die Beziehungen zu diesen verschwinden. V i e l m e h r , je bestimmter d a s W o l l e n als die eigenste T ä t i g k e i t des Subjekts zur G e l t u n g k o m m t , u m so deutlicher drängen sich die G e f ü h l s - und Vorstellungsinhalte der W i l l e n s v o r g ä n g e der W a h r n e h m u n g a u f , u n d u m so mehr w i r d daher d a s innere L e b e n in zahlreichen seiner B e s t a n d t e i l e als ein v o m Ich gewolltes erfaßt. G a n z kann dies freilich niemals geschehen, d a neben d e m E i n f l u ß des Willens auf die seelischen E r l e b n i s s e der Z w a n g d e r N a t u r b e d i n gungen f o r t w ä h r e n d w i r k s a m bleibt. A b e r je v o l l k o m m e n e r der W i l l e v o n diesen äußeren E i n f l ü s s e n sich löst, um so näher k o m m t doch die A u f f a s s u n g einem I d e a l persönlichen D a s e i n s , bei d e m d a s innere L e b e n des Menschen a l s sein eigenes W e r k erscheinen u n d er sich daher im G u t e n wie im Schlimmen als der U r h e b e r seiner G e d a n k e n u n d A f f e k t e und aller äußeren F o l g e n , die aus ihnen hervorgehen, betrachten w ü r d e . " 6 2 I m W i d e r s p r u c h zu diesem S t a n d p u n k t , der den Einzelwillen d i e höchste A n näherung an d a s „ I d e a l persönlichen D a s e i n s " zuerkennt, die sich a m v o l l k o m m e n sten v o n äußeren Einflüssen zu lösen vermochten, hielt W u n d t den wechselseitigen E i n f l u ß v o n Einzelwillen für sehr b e d e u t s a m . J e d e selbstbewußte Persönlichkeit 62 W. Wundt, Ethik, Bd. III, a. a. O., S. 22.

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stehe unter dem Einfluß der äußeren Naturbedingungen, die sich bald fördernd, bald hemmend auswirkten, und unter dem Einfluß anderer Personen. Gegenüber den Naturbedingungen gehe die Willensentwicklung darauf aus, „die Fesseln dieses Zwangs zu durchbrechen" 63 . Ganz anders verhalte es sich mit dem Einfluß, den andere Personen auf die selbstbewußte Persönlichkeit ausübten. „Er besteht", schrieb Wundt, „in dem Wollen anderer gleichartiger Persönlichkeiten, mit denen sich der einzelne Wille in der Erstrebung gleicher Zwecke begegnet, eine Übereinstimmung, die je nach äußeren Bedingungen bald den Willen fördert, bald ihn in Konflikte verwickelt. Hier verwandelt dann aber die Gleichartigkeit der individuellen Erlebnisse die gesonderten Bewußtseinsinhalte der einzelnen Persönlichkeiten in eine umfassendere Einheit, in welcher sich der individuelle W i l l e selbst als Bestandteil eines Gesamtwillens wiederfindet, von dem er in seinen Motiven und Zwecken getragen ist. W a s vom Standpunkte des Individualwillens aus als eine Summe gesonderter und teilweise einander widerstrebender Kräfte erscheint, das stellt sich jetzt im Lichte dieses Gesamtwillens als eine allgemeine Einheit dar, innerhalb deren in jedem einzelnen neben den ihm eigenen Strebungen die Motive und Zwecke wirksam sind, von denen die Gemeinschaft erfüllt ist." 64 Der durch Wechselwirkung von Persönlichkeiten entstandene Gesamtwille galt für Wundt als Ursache vieler gesellschaftlicher Erscheinungen, die in Wirklichkeit primär auf materielle Ursachen, vor allem auf den jeweiligen Entwicklungsstand der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse zurückzuführen sind. Er schrieb: „Jede Bildung eines Gesamtwillens strebt nach Organisation, und wo immer dauernde Normen für die Bindung des Einzelwillens durch den Gesamtwillen erforderlich werden, da bildet daher eine organische Verbindung sich aus. So sind Familie, Gemeinde, Kirche, Berufsverbände, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften organische Einheiten von mehr oder weniger festem Bestand." 6 3 Unter dem Zwang des „Gesetzes der Unterordnung aller anderen Gesellschaftseinheiten unter eine einzige" ordneten sich die letztgenannten schließlich alle dem Staate unter. 66 Der reine Einzelwille existiere nur als Abstraktion; der menschliche Gesamtwille zur Erreichung gemeinsamer Zwecke sei dagegen ein ständig zu erstrebendes, jedoch nie völlig erreichbares praktisches Ideal. Die überragende Rolle des Willens im Psychischen übertrug Wundt schließlich auf das gesamte Weltgeschehen; er entwickelte eine voluntaristische Metaphysik, die Willenskräfte zum Einheitsgrund allen Seins erklärte. M a x Wundt schrieb über den metaphysischen Voluntarismus seines Vaters: „Endlich stellt Wilhelm Wundt, von den psychologischen Forschungen herkommend, eine Willensmetaphysik auf, nach welcher der Grund der Wirklichkeit in den geistigen Kräften gelegen ist, die ihre Einheit in dem Willen finden. Wenn dieser Voluntarismus an Schopenhauer erinnert, so knüpft Wundt doch zugleich an Leibniz an, indem auch er den Willen 63 Ebenda, S. 23. 6 4 Ebenda. 65 W . Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1 8 8 9 , S. 6 1 1 . 6 6 Ebenda.



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nicht als eine Einheit schlechthin, sondern als die konkrete Besonderheit bestimmter Einzelwesen faßt. Der wesenhafte Gehalt der Wirklichkeit ist ein System von Willensmonaden, in deren Wechselverhältnis zueinander die Vorstellungen entstehen." 67 Obwohl W u n d t betonte, daß sein metaphysischer mit seinem psychologischen Voluntarismus nichts zu tun habe, denn ersterer sei ein Grenzbegriff von allzeit hypothetischem Charakter, während der letztere aus der Analyse konkreter Bewußtseinsvorgänge empirisch gewonnen sei, ist doch offensichtlich, d a ß psychologische Überlegungen und deren transzendente Ausweitung zum Willensbegriff seiner Metaphysik geführt haben. Wundts voluntaristischer Standpunkt ergab sich nicht ausschließlich aus einer fehlerhaften Interpretation seinem psychologischen Arbeiten, er entstand auch unter dem Einfluß voluntaristischer Philosophie. A m stärksten beeindruckten ihn die Willenstheorien von Leibniz, Kant und Hegel, deren intellektualistischen Charakter er jedoch ablehnte. E r wies alle Willenstheorien zurück, die das geistige Sein einseitig vom Verstand her erfassen wollten oder die es vorwiegend als die Wirkung von Vorstellungen interpretierten. Ebenso entschieden lehnte er die Willenstheorie der Assoziationspsychologie ab, die die Willenserscheinungen auf körperliche Vorgänge reduzierte, die der physischen Kausalität unterworfen seien. Wie schon erwähnt, ist der Einfluß Schopenhauers auf die Herausbildung der voluntaristischen Konzeption Wundts umstritten, vorhanden war er zweifellos, wenn auch nicht als der entscheidende. W u n d t hat mehrmals heftig gegen den Standpunkt Schopenhauers polemisiert. Im Gegensatz zu Herbarts Versuch, eine exakte Metaphysik zu errichten, sei Schopenhauers Philosophie völlig willkürlich kombiniert; individuelle Laune herrsche in ihr vor. W u n d t urteilte weiter: „Wie er in der Psychologie von dem physischen Materialismus und in den Grundgedanken seiner Metaphysik von Kants Lehre vom Willen Gebrauch macht, so ist seine Ästhetik von der platonischen Ideenlehre beeinflußt, und über das Ganze seiner Philosophie ist schließlich jene pessimistische, weltflüchtige Stimmung ausgebreitet, in der er sich der Gedankenwelt der indischen Denker verwandt fühlt." 6 8 Schopenhauers Wille sei eine „schlechthin intelligenzlose, unvorstellbare, transzendente Kraft" 6 9 . D a s Einheitsbedürfnis der menschlichen Vernunft fordere letzte Elemente des Physischen und des Psychischen. Bei den Atomen und letzten Willenseinheiten bleibe die Vernunft nicht stehen, sie vereine beide. Geistiges Wirken und Schaffen sei der Urgrund der Welt. Schon im Materiellen seien Anlagen zum Geistigen gegeben, die N a t u r sei Vorstufe des Geistes. D a s Sein oder die Wirklichkeit - erklärte W u n d t voluntaristisch zur Vielheit von Willenskräften. D i e Wirklichkeit beruhe im letzten G r u n d e nicht auf beharrenden Substanzen, sondern auf im Fluße befindlichen Willenskräften. Zwar herrschten in der unbelebten N a t u r mechanische Gesetze, die N a t u r erscheine jedoch zweckmäßig,

67 M. Wundt, Geschichte der Metaphysik, Berlin 1931, S. 92. 68 W. Wundt, Einleitung in die Philosophie, a. a. O., S. 395. 6 9 Ebenda, S. 394.

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biete zweckmäßige Bedingungen für das Leben der Menschen. Zwecke existieren immer nur dort, wo Willenskräfte wirksam seien. In allen Vorgängen in der Natur seien Willenseinheiten niederer und höherer Stufe wirksam. Die Naturzweckmäßigkeit wollte Wundt nicht aus dem Wirken eines übergreifenden Weltwillens verstanden wissen, er führte sie auf die Wechselwirkung der Zwecksetzungen der individuellen Willenseinheiten zurück. Aus der Wirksamkeit der zwecksetzenden Willenseinheiten leitete Wundt auch die geistige Einheit der Welt ab, auf die noch eingegangen werden wird. Wundt bestimmte Willensvorgänge als geistige, nicht durch materielle Bedingungen determinierte Prozesse, obwohl er natürliche Einwirkungen auf den Willen nicht leugnete. Die psychische Determination komme bei der Beurteilung von Willenshandlungen als einzige in Frage. 70 Der menschliche Wille ist keineswegs eine innerpsychische, nur der geistigen Kausalität unterworfene Erscheinung. Als Komponente des Psychischen mit spezifischer Bedeutung für Handlungen und Entscheidungsprozesse ist er als besondere Form der Widerspiegelung primär durch die realen Objekte und Prozesse determiniert, die Willenshandlungen auslösen, und er ist zugleich an materielle Nerven- und Gehirnprozesse gebunden. Der menschliche Wille ist determiniert durch die materiellen und geistigen Lebens- und Entwicklungsbedingungen des jeweiligen Individuums, besonders durch die Produktionsverhältnisse. Wundt beschränkte die Wirkung des Willens auf geistige Prozesse, die orientierende und regulierende Rolle der Willensprozesse für die materiell-gegenständliche Tätigkeit ließ er weitgehend unbeachtet. Auf diese Willenskonzeption trifft ihrem Wesen nach die Kritik zu, die Marx und Engels an Kants Auffassung vom Willen übten. Er habe nicht gemerkt, schrieben sie, daß den „theoretischen Gedanken der Bourgeois materielle Interessen und ein durch die materiellen Produktionsverhältnisse bedingter und bestimmter Wille zugrunde lag; er trennte daher diesen theoretischen Ausdruck von den Interessen, die er ausdrückt, machte die materiell motivierten Bestimmungen des Willens der französischen Bourgeois zu reinen Selbstbestimmungen des ,freien Willens', des Willens an und für sich, des menschlichen Willens, und verwandelte ihn so in rein ideologische Begriffsbestimmungen und moralische Postulate" 71 .

5.7.

Die Beantwortung der Grundfrage der Philosophie durch Wundt

Wundt erfaßte die „Frage nach dem Verhältnis von Sein und Bewußtsein" als eine Grundfrage der Philosophie und Psychologie.72 Obwohl Wundt nicht Materie und Bewußtsein gegenüberstellte, was aus seiner Sicht durchaus verständlich 7 0 Vgl. W . Wundt, Ethik, Bd. III, a. a. O., S. 5 1 . 71 K . Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie, in: K a r l Marx/Friedrich Engels, W e r k e (im folgenden M E W ) , Bd. 3, Berlin 1 9 5 8 , S. 1 7 8 . 72 Vgl. W . Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, a. a. O., S. 2 2 9 .

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war, galt ihm doch Materie lediglich als hypothetischer Hilfsbegriff der Naturwissenschaften, und obgleich er den Begriff des Seins nicht als synonym mit dem des Materiellen verstand, war er sich bewußt, daß es in der G r u n d f r a g e um das Verhältnis von Materiellem und Ideellem geht. Offensichtlich bemüht, den Zwiespalt zu überbrücken, der sich aus seiner idealistischen philosophischen Grundposition einerseits und einigen dem Wesen nach materialistischen Einsichten aus seinen physiologischen und psychologischen Arbeiten andererseits ergab, versuchte Wundt zunächst die Beantwortung der G r u n d frage zu umgehen, bzw. im Sinne K a n t s zwischen Materialismus und Idealismus zu vermitteln. Mit seiner Erfahrungskonzeption, seinem Prinzip des psychophysischen Parallelismus und seiner Aktualitätstheorie glaubte er das ermöglichen zu können. E r schrieb: „ V o m Gesichtspunkt des Aktualitätsbegriffs aus erledigt sich nun zugleich eine Streitfrage, die lange Zeit die metaphysischen Systeme der Psychologie entzweite: die F r a g e nach dem Verhältnis von Leib und Seele. Betrachtet man L e i b und Seele beide als Substanzen, so bleibt jenes Verhältnis ein Rätsel, wie man auch die zwei Substanzbegriffe bestimmen möge . . . V o m Standpunkt der Aktualitätstheorie aus ist aber die unmittelbare Wirklichkeit des G e schehens in der psychologischen E r f a h r u n g enthalten. Unser physiologischer Begriff des körperlichen Organismus ist lediglich ein Teil dieser Erfahrung, den wir, wie alle anderen naturwissenschaftlichen Erfahrungsinhalte, auf G r u n d der Voraussetzung eines von dem erkennenden Subjekt unabhängigen Objekts gewonnen haben."71® Indem Wundt den „physiologischen Begriff des körperlichen Organism u s " dem Erfahrungsinhalt subsumierte, entfiel für ihn die Notwendigkeit, K ö r p e r und G e i s t gegenüberzustellen und die F r a g e nach ihrem Verhältnis zu beantworten; damit bezog er aber zugleich einen unwissenschaftlichen, machistischen Standpunkt. Wenn Objekt und Vorstellung zum ungetrennten Erfahrungsinhalt erklärt werden, dann fallen Sein und Bewußtsein in der Selbstwahrnehmung gewissermaßen zusammen, ihr reales Verhältnis zueinander ist im Denken aufgehoben, jede F r a g e danach scheinbar überflüssig. Wundt erklärte, daß es außerhalb v o m abstrahierenden Denken kein Subjekt und kein Objekt gäbe. 7 4 D a s Denken v e r m a g jedoch nicht zu beseitigen, was objektiv existiert, d a s tatsächliche Verhältnis von Materie und Bewußtsein ließ sich durch keine Konstruktion aus der Welt schaffen. Wundts Erfahrungskonzeption konnte nicht dazu beitragen, das Wesen der Materie und das Wesen des Bewußtseins zu erfassen, sie war völlig ungeeignet, über das Verhältnis der beiden Erscheinungen zueinander etwas auszusagen. Erkenntnisse über die objektive Realität und über unser Bewußtsein sind nach dieser Erfahrungskonzeption nur durch die logische Bearbeitung des unmittelbar gegebenen Erfahrungsinhaltes - also durch eine Bewußtseinsanalyse zu gewinnen. Mit einer auf den Bewußtseinsinhalt begrenzten Analyse kann das Verhältnis dieses Inhalts zur objektiven Realität nicht erforscht werden; eine Aus-

73 W. Wundt, Grundriß der Psychologie, a. a. O., S. 393. 74 Vgl. W. Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1889, S. 100.

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sage über die Beziehung von Materiellem und Ideellem ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Wundts metaphysische Methoden vermochten zur Lösung der G r u n d f r a g e der Philosophie nichts beizutragen, ebensowenig konnten sie diese aus der Welt schaffen. Auch W u n d t konnte sie nicht umgehen; das wurde ihm selbst bewußt, wenn zwischen materialistischer und idealistischer Philosophie entschieden werden mußte. Im Zusammenhang mit Überlegungen zur Entwicklung der Philosophie äußerte er: „Eine solche ist nun an und für sich nur in doppelter Form möglich: entweder muß sie schließlich auf eine materialistische, oder sie muß auf eine idealistische Krönung ihres Gebäudes hinauskommen."' 5 Trotz dieser Erkenntnis, die bei ihm in klaren Entscheidungssituationen immer zu einem eindeutigen Bekenntnis für den Idealismus führte, hat W u n d t immer wieder versucht, einen W e g zwischen Materialismus und Idealismus zu finden. Bei seiner Suche nach einem „letzten Einheitsgrund der Dinge" zeigte sich das sehr deutlich. E r schrieb: „Entweder ist der letzte Einheitsgrund der Dinge mit dem Prinzip des natürlichen Geschehens identisch, er ist Materie; oder er fällt mit dem Einheitsgrund des Geistigen zusammen, er ist Geist; oder endlich er ist keines von beiden, sondern ein Drittes, ein absolut transzendentes und daher nach seinem eigenen Wesen unbestimmtes Sein, welches aber Grund der N a t u r sowohl wie des Geistigen ist. Auf diese Weise ergeben sich der Materialismus, der Idealismus und der transzendente Monismus als die drei Hauptsysteme der Metaphysik." / G Der außerhalb von Materialismus und Idealismus stehende „transzendente Monismus" erwies sich immer dann als eine Fiktion, wenn eine Antwort auf die Grundfrage der Philosophie gegeben werden mußte, was sich bei zahlreichen philosophischen Problemen als unumgänglich erwies. D a n n waren die Verfechter des „transzendenten Monismus" genau so wie W u n d t als Vertreter des „Idealrealismus" gezwungen, ihre Zwitterstellung aufzugeben und sich für den Idealismus oder den Materialismus zu entscheiden. W u n d t bekannte sich, wie gesagt, in solchen Situationen zum Idealismus, was nicht ausschließt, d a ß er oft einen zum Materialismus tendierenden realistischen Standpunkt einnahm. Wenn er bei der Untersuchung des Verhältnisses von individuellem Bewußtsein und den Gegenständen der Außenwelt den Gegenständen das Primat zusprach, und wenn er außerdem erklärte, d a ß diese den Inhalt unserer Vorstellungen bestimmten, war das eine materialistische Position, wenn sie auch nicht bis zum Verständnis des Widerspiegelungscharakters der Vorstellungen vordrang. Zwischen materialistischen Einsichten und idealistischen Interpretationen schwankten besonders jene Auffassungen Wundts, die er aus seinen psychophysischen Arbeiten ableitete. Die Ursache dieser Schwankungen liegt darin, d a ß W u n d t als Physiologe einerseits die Tatsache akzeptieren mußte, d a ß die Gegenstände der Außenwelt auf die Sinnesorgane einwirken, Empfindungen hervorrufen und den Inhalt der Vor75 W. Wundt, Einleitung in die Philosophie, a. a. O., S. 397. 76 W. Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1889, S. 214.

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Stellungen bestimmen, daß er anderseits bestrebt war, die Selbständigkeit und Höherwertigkeit des Geistigen gegenüber dem Materiellen zu begründen. A m Beispiel, wie W u n d t versuchte, das „psychophysische P r o b l e m " zu beantworten, zeigt sich seine zwiespältige Position sehr deutlich. E r warf zwei Fragen a u f : „ D i e erste lautet: wie verhält es sich mit der Neuentstehung psychischer V o r gänge,

die

aus

physischen Einwirkungen

auf

unsere Sinne hervorgehen?

Die

zweite: was wird aus den psychischen Inhalten, die aus den Verbindungen, die wir das Bewußtsein nennen, verschwinden, und wie läßt sich ihr späterer Wiedereintritt in diese Verbindungen bei den sogenannten Erinnerungsvorgängen d e u t e n ? " 7 7 In Auseinandersetzung mit der T h e o r i e von den spezifischen Sinnesenergien gelangte W u n d t zu der Auffassung, d a ß die durch die äußere Einwirkung auf die Sinnesorgane entstehende Erregung mit der äußeren identisch sei. D i e

Schall-

welle, erklärte er, „bleibt auch in uns Schallwelle, und alles spricht dafür, d a ß sie sich als solche, als oszillatorische Erregung, auf den Hörnerv fortpflanzt"' 8 . W u n d t ging es zunächst um die Aufdeckung materieller Vorgänge, auch dann, wenn er weiterhin feststellte: „ D a nun der Reproduktionsvorgang sein physisches Substrat zweifellos in einer erneuten Auslösung früherer Erregungsvorgänge der entsprechenden Nervenelemente hat, so ist offenbar jene sogenannte ,Aufbewahrung der Vorstellungen' überhaupt keine Aufbewahrung, sie ist es weder im Sinne der A b lagerungs- noch in dem der Spurentheorie, sondern es kann sich bei ihr nur um molekulare, im vorliegenden Fall vorläufig allerdings nur durch die Reizeffekte selbst, also rein symptomatisch nachweisbare Änderungen der Struktur handeln, die

eine

erneute

Auslösung

früher

stattgehabter

Erregungsvorgänge

begün-

Erkenntnissen,

damals

stigen." 7 9 Aus

diesen

ihrem Wesen

nach

materialistischen

die

natürlich noch völlig ungenügend wissenschaftlich fundiert waren - und auch heute in zahlreichen D e t a i l s noch nicht erforscht sind - , zog W u n d t nicht die Schlußfolgerung, d a ß das Psychische im einheitlichen psychophysischen Prozeß als W i d e r spiegelung, Produkt, Eigenschaft und Funktion des Materiellen weiter erforscht werden muß. Für ihn war die Frage, wie sich die physischen bzw. physiologischen Prozesse mit dem Psychischen verbinden. D i e empirische Psychologie könne einen Standpunkt der Abstraktion beziehen, indem sie ausschließlich die

psychischen

Inhalte betrachte. Auf diesem W e g e seien alle bisher bekannten psychologischen Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien gefunden worden. W u n d t begriff, daß dieser Standpunkt der Abstraktion nicht dazu führen dürfe, d a ß die Psychologie die physischen V o r g ä n g e völlig außer acht läßt. E r schrieb: „ B e i aller Beschränkung auf die im eigentlichen Sinne psychischen Erfahrungsinhalte kann sie sich nicht über die T a t s a c h e hinwegsetzen, d a ß diese Inhalte überall an physische Lebensvorgänge gebunden sind; und hier sind es nun vor allem die Erscheinungen der Pro-

77 W . Wundt, Sinnliche und übersinnliche W e l t , a. a. O . , S. 7 8 E b e n d a , S. 1 2 5 . 7 9 E b e n d a , S. 1 3 1 .

104

123.

duktion und der Reproduktion psychischer Inhalte, bei denen der Verlauf des seelischen Lebens Lücken bietet, die auf dem Boden psychologischer Betrachtung unüberbrückbar sind. Hier bleibt daher für den empirischen Psychologen, wenn er den Standpunkt seiner, der physikalischen entgegengesetzten, Abstraktion festhalten will, keine W a h l : er muß annehmen, daß der Entstehung der E m p f i n d u n g ebenso wie ihrer Wiedererneuerung jedesmal ein physischer V o r g a n g entspricht, der zwar an sich mit dem psychischen Erlebnis unvergleichbar ist, dessen Veränderungen aber in gesetzmäßiger Weise an Veränderungen der Empfindungen gebunden sind oder, wie man sich bildlich auszudrücken pflegt, diesen .parallel gehen'." 8 0 „ J e d e r E m p f i n d u n g " , führte Wundt weiter aus, „entspricht ein physiologischer Parallelprozeß, der mit ihr verschwindet, aber eine Übungsdisposition im Gehirn zurückläßt, die, wenn sie aus ihrem latenten wieder in den aktuellen Zustand übergeht, auch die E m p f i n d u n g wieder aktuell werden läßt." 8 1 Ausgehend von seinen physiologischen Erkenntnissen konstatierte W u n d t den engen, untrennbaren Zusammenhang von physiologischen und psychischen Prozessen, er zog jedoch nicht den naheliegenden, den Tatsachen entsprechenden Schluß, daß in diesem einheitlichen Prozeß dem Materiellen das Primat zukommt, sondern spaltete ihn nach dem Prinzip des psychophysischen Parallelismus in zwei parallel verlaufende V o r g ä n g e auf. D a m i t schuf er sich die Möglichkeit, in seiner Metaphysik die G r u n d f r a g e der Philosophie nach dem Verhältnis von Materie und Bewußtsein - im Widerspruch zu den von ihm erkannten psychophysischen Tatsachen - idealistisch zu beantworten. Einen ähnlich zwiespältigen, bei der Beantwortung der G r u n d f r a g e der Philosophie schließlich in den Idealismus mündenden Standpunkt vertrat W u n d t hinsichtlich des Verhältnisses von Bewußtsein und Dingen der objektiven Realität. E i n e v o m Bewußtsein unabhängige Existenz billigte er den Dingen nur als raumzeitliche Substrate zu. D i e konkreten Sinneseindrücke, wie Geruch, Geschmack, Töne, Farben und dergleichen, galten ihm als v o m erkennenden Subjekt hinzugefügte Elemente. D i e Beziehungen der D i n g e betrachtete er als Resultat unseres Denkens. D i e „ungeheuere Mehrheit der Denkenden", schrieb er, begnüge sich, „ d a s in Beziehung zu setzen, was von selbst schon auf einander bezogen zu sein scheint, so daß sogar der G l a u b e entsteht, es sei nicht erst das eigene Denken, welches solche Beziehungen herstelle, sondern diese seien an sich schon in der Welt der D i n g e vorhanden" 8 2 . Wundt kritisierte Hume, weil dieser dem D e n k e n nicht das Recht zugestehe, über die Art zu entscheiden, wie die Tatsachen zu verbinden seien. E r wies auch den Rationalismus zurück, der für jede T a t s a c h e eine Denknotwendigkeit forderte. Sehr widersprüchlich war auch Wundts Standpunkt zum Verhältnis von N a t u r und Denken. E r forderte zu Recht, d a ß wir die N a t u r so nehmen müßten, wie sie 80 Ebenda, S. 135. 81 Ebenda, S. 136. 82 W. Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1889, S. 46.

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ist, keine Ideen hineinlegen oder sie nach vorgefaßten Meinungen deuten dürften, zugleich polemisierte er gegen „ d a s unbedingte Vertrauen in den Sinnenschein" und schrieb: „ D e n n auch der Sinnesschein, obgleich er aus der Wirkung der äußeren D i n g e auf unsere Sinne hervorgeht, ist darum doch durch die N a t u r der letzteren zunächst bestimmt. Licht und Farbe, Schall und Schwere existieren als solche nur, insofern die D i n g e ein Auge, ein Ohr und eine tastende H a n d finden, auf die sie einwirken können. Wenn wir den empfindenden Menschen hinwegdenken, so werden zwar die äußeren Ursachen bleiben, durch welche die Eindrücke entstehen, aber Licht, Schall und Schwere werden jene Ursachen nicht mehr, oder wenigstens nicht mehr in dem Sinne genannt werden können, den wir ursprünglich mit diesen Bezeichnungen verbinden." 8 3 Indem wir glaubten, „ d i e Welt sei so beschaffen, wie sie in unsern Sinnen sich spiegelt und wie sie unser ästhetisches G e f ü h l erregt, setzen wir unsere Empfindungen und G e f ü h l e an die Stelle der wirklichen D i n g e " 8 4 . Wundt zog die Schlußfolgerung: „In der Überwindung dieses Standpunktes, in der allmählichen Anbahnung der Erkenntnis, daß unsere Vorstellungen nicht die D i n g e selbst sind, sondern Zeichen, die auf sie hindeuten; darin wurzelt mindestens ebenso sehr als in der wachsenden Fülle beobachteter Tatsachen der Fortschritt der Naturerkenntnis." 8 5 D i e A u f f a s s u n g von den Vorstellungen als Zeichen, die auf D i n g e hinweisen, zeigt, daß Wundt eine Abhängigkeit des Denkens von der materiellen Welt anerkannte, d a ß er nicht im idealistischen Sinne eine Abhängigkeit der D i n g e v o m Denken annahm. Weil er aber den Widerspiegelungscharakter unserer Vorstellungen und des gesamten Denkens nicht verstand und weil er das Kriterium der Praxis für die Adäquatheit des Denkens nicht erfaßte, trennte er unsere Sinneseindrücke als Erscheinungen v o m objektiven Sein und zog in Zweifel, daß sich die Welt in unseren Sinnen so spiegelt, wie sie tatsächlich beschaffen ist. D a s B i l d der Welt, das wir besäßen, sei „zunächst" durch die N a t u r unserer Sinne bestimmt. Obwohl Wundt das Bewußtsein nicht zum Schöpfer des Materiellen erklärte, hat er das tatsächliche Verhältnis von objektiver Realität und ideellem A b b i l d somit nicht verstanden. D i e Frage nach einem materiellen oder ideellen Ursprung der Welt hat Wundt in der richtigen Erkenntnis ihrer Unendlichkeit nicht gestellt. Außerdem argumentierte er: „ N a c h einer Ursache der Welt zu fragen, haben wir . . . theoretisch überhaupt keinen Anlaß. Alles Geschehen, auf das der Begriff der Ursache anwendbar ist, ereignet sich in der Welt, und unser diskursives Denken vermag, Ursachen und Wirkungen verknüpfend, niemals außerhalb derselben seinen Standpunkt zu nehmen. E i n theoretischer Beweggrund aber, die Welt als Ganzes irgend einmal entstanden zu denken, läßt sich nicht aufzeigen." 8 6 In letzter Konsequenz, wenn es um das Wesen des Seins ging - worauf noch näher eingegangen werden wird - beantwortete Wundt die G r u n d f r a g e der Philosophie nach 83 W. Wundt, Essays, a. a. O., S. 42. 84 Ebenda, S. 43. 85 Ebenda. 86 W. Wundt, Allgemeine Logik und Erkenntnistheorie, a. a. O., S. 400.

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dem Verhältnis von Materie und Bewußtsein idealistisch. E r erklärte: „Obgleich der Zusammenhang des kosmischen Geschehens im einzelnen vollkommen zureichend aus den Bedingungen der Naturkausalität, nämlich aus den angenommenen Eigenschaften der Materie und aus den mechanischen Prinzipien, abzuleiten ist, so findet doch die Idee der Entwicklung, welche der Gesamtverlauf jenes Geschehens hervorbringt, seine eigentliche Rechtfertigung erst in einer Übertragung des der geistigen Entwicklung entnommenen Zweckbegriffs auf deren kosmische Bedingungen. Vollends die Gestaltungen des Lebens auf seinen verschiedenen Stufen werden in ihrem ganzen Umfange nur unter der Voraussetzung verständlich, d a ß die in ihnen sich entfaltenden höchsten Formen der Naturkausalität zugleich Wirkungen geistiger K r ä f t e sind." 87 Wieso die höchste Form der Naturkausalität geistiger Art sein solle, obwohl doch nach dem Prinzip des psychophysischen Parallelismus eine kausale Abhängigkeit zwischen körperlichen und geistigen Erscheinungen völlig unmöglich sei, darauf blieb W u n d t eine Antwort schuldig. Um die G r u n d f r a g e der Philosophie idealistisch beantworten zu können, bedurfte es eines logischen Bruches in seiner Konzeption. Sein Postulat, wonach Physisches und Psychisches zwei völlig verschiedene Kausalreihen bildeten, die zwar untrennbar verbunden seien, jedoch keine die Ursache der anderen sein könne, muß er fallen lassen. Zu einer idealistischen Antwort auf die G r u n d f r a g e der Philosophie gelangte er, indem er im Widerspruch zu den Tatsachen das dem Geistigen bereits im Erfahrungsbereich, zugesprochene Primat auf dem Wege „transzendenter Ideen" auf das gesamte Sein übertrug. Es sei „die selbe Vernunft", die in der gegenständlichen Welt und in uns selbst wirksam sei. 88 Obwohl W u n d t betonte, d a ß es kein dem Menschen ähnlicher Geist sei, der die natürliche Entwicklung verursache, galt ihm schöpferisches geistiges Werden als letzte Ursache des gesamten Weltgeschehens. Die Übertragung von Zwecksetzungen des Geistes auf die Entwicklung der N a t u r verband W u n d t mit seinem voluntaristischen Standpunkt. In der Willenshandlung sei alles vereinigt, „was möglicherweise überhaupt bei der Frage nach der letzten Einheit des Seins oder, wie wir es gemäß dem allem Sein zukommenden Charakter der Aktivität ausdrücken können, bei der Frage nach dem Wesen alles Geschehens in Betracht kommen kann" 8 9 . Der Wille sei hierbei nicht als ein psychischer Inhalt, sondern als ein metaphysischer Begriff zu verstehen, als „ein Postulat, auf das uns aller Orten, zunächst in unserem Bewußtsein, dann aber auch in der Außenwelt, alles empirisch Gegebene hinweist, und das darum selbst an die Erscheinung gebunden ist, in denen es sich manifestiert" 90 D i e Denkgesetze, die W u n d t mit den Gesetzen der objektiven Realität identifiziert, waren ihm zugleich „Gesetz des Willens". D i e „Verlängerung" des Volun87 W. Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1889, S. 561. 88 W. Wundt, Was soll uns Kant nicht sein?, in: Kleine Schriften, a. a. O., S. 199. 89 W. Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, a. a. O., I. Bd., S. 339. 90 Ebenda, S. 345.

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tarismus über die Erfahrung hinaus bedeutete eine objektiv-idealistische Beantwortung der G r u n d f r a g e der Philosophie, auch wenn Wundt keinen „transzendenten Weltwillen" im Sinne eines Schöpfers postulierte. 9 1 W u n d t verband seine Erkenntnis, d a ß sich der Geist aus der N a t u r entwickelt, mit der mystischen Annahme, d a ß „die N a t u r Vorstufe des Geistes, also in ihrem eigenen Sein Selbstentwicklung des G e i s t e s " sei 9 2 . E s sei ein Resultat der Erkenntnistheorie, daß der Begriff der materiellen Substanz, in dem die Beziehung auf ein geistiges Sein fehle, nur dadurch zustande komme, daß bei ihm ausschließlich auf die äußeren raumzeitlichen Relationen der Erfahrungsobjekte reflektiert, also von dem eigenen Sein der D i n g e abstrahiert werde. Wundt fügte in seine metaphysischen Betrachtungen den Dingen und Prozessen der objektiven Realität völlig willkürlich ein in unserer E r f a h r u n g nicht gegebenes und von der Naturwissenschaft außer Betracht gelassenes „geistiges Sein" hinzu. Im eklatanten Widerspruch zu den Resultaten seiner physiologischen und psychophysiologischen Forschungen gelangte er so durch „transzendente I d e e n " zur idealistischen Beantwortung der G r u n d f r a g e der Philosophie nach dem Verhältnis von Materie und Bewußtsein. Von einer subjektiv-idealistischen erkenntnistheoretischen Ausgangsposition führte dieser W e g zu seiner objektiv-idealistischen Konzeption bei der Beantwortung der Frage nach dem Wesen des Seins.

5.8.

Wundts Entwicklungs-, Dialektik- und Kausalitätsverständnis

Wundt war ein Anhänger der sich zu dieser Zeit schnell verbreitenden Evolutionstheorie; in seinen Arbeiten ist der Entwicklungsgedanke stark ausgeprägt. Seine Evolutionsauffassung schöpfte er vor allem aus den philosophischen Entwicklungskonzeptionen von Leibniz und Hegel, jedoch auch Darwins Lehre beeinflußte ihn stark. D i e Bedeutung des Darwinismus, erklärte Wundt, habe ihm besonders Haeckel bewußt gemacht. In einem Brief an Haeckel bekannte er: „ S i e erinnern mich an meine Rezension ihrer .Generellen Morphologie' aus dem Jahre 1866. Ich gedenke dabei mit D a n k b a r k e i t der reichen Belehrung, die ich aus diesem großen Werke geschöpft habe, durch das mir erst die ganze Bedeutung der Darwinschen Entwicklungslehre klar geworden ist, wie nicht minder deren große Wichtigkeit für die gesamte systematische Wissenschaft." 9 3 Wundt vertrat eine idealistische Entwicklungskonzeption; als Ursache der psychischen Entwicklung setzte er geistige K r ä f t e voraus, zu Triebkräften der gesellschaftlichen Entwicklung erklärte er die im Gemeinschafts- oder G e s a m t willen verbundenen Willenseinheiten und in letzter Instanz vermutete er auch im Naturgeschehen geistige Triebkräfte. In seiner „Naturphilosophie", die er von 91 W. Wundt, System der Philosophie, 2. Aufl., Leipzig 1897, S. 35 f. 92 W. Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1889, S. 561. 93 Brief Wundts an E . Haeckel vom 23. September 1914, in: Wundt-Forschungsarchiv der Karl-Marx-Universität Leipzig, Briefwechsel I.

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der „Philosophie des Geistes" unterschied, wandte er sich Fragen der Entwicklung des Kosmos und besonders des organischen Lebens zu. Seine Untersuchungen erfassen nicht das tatsächliche Wesen natürlicher Entwicklungsprozesse, sie beschränken sich mehr oder weniger auf eine ziemlich oberflächliche philosophische Interpretation einiger physikalischer Zusammenhänge im Entwicklungsprozeß, und sie sind im allgemeinen nicht mehr als metaphysische Spekulationen. Im allgemeinen bekannte sich Wundt zu der Auffassung, daß sich unser Weltsystem entwickle; das von Laplace bezeichnete Prinzip der Stabilität, wonach das ganze Planetensystem immer nur in einem gewissen mittleren Zustand oszilliere, von dem es sich nie weiter als um eine sehr kleine Größe entfernen könne, sei durch die Auffassung ersetzt worden, daß der gegenwärtige Bewegungszustand als ein relativ lange dauernder, aber doch vorübergehender einer umfassenderen Entwicklungsreihe untergeordnet werden müsse. Er schrieb, die Prüfung des empirischen Tatbestandes habe gelehrt, „daß auch das Sonnensystem, so wenig wie irgend ein anderes System von endlicher Größe, der Forderung eines absoluten Perpetuum mobile entsprechen kann. Andere Einflüsse, welche die Gravitation der Massen begleiten, wie die Flüssigkekjreibung an der Oberfläche der Planeten, die Verbreitung eines Widerstand leistenden Mediums im Weltraum, vielleicht auch eine allmähliche Zunahme der Sonnenmasse durch einstürzende Meteoriten, lassen keine Kompensation vermuten, sondern machen die Annahme eines dereinstigen Untergangs dieses Systems durch die Vereinigung der sämtlichen Begleiter der Sonne mit der eigenen Masse derselben mindestens vom Standpunkte unserer heutigen Kenntnisse aus wahrscheinlich. Damit sie aber auch in Bezug auf die Zukunft das Prinzip der Entwicklung zum Siege gelangt." 9 4 Für das organische Leben sei das Prinzip der Stabilität durch das umfassendere der Entwicklung eingeschränkt. Wundt verband den Begriff Entwicklung mit dem der Zweckmäßigkeit. Zweckmäßigkeit sei nur möglich, wenn zwecksetzende geistige Kräfte existierten. Von dieser Position aus mußte Wundt in Frage stellen, ob die Anwendung des Entwicklungsgedankens auf das kosmische Geschehen überhaupt berechtigt sei. E s sei nicht erwiesen, daß im kosmischen Geschehen Zweckbeziehungen existierten, oder ob es sich dabei um zwecklose Verbindungen von Tatsachen handle. Wundt argumentierte: „So lange die geistige Wechselwirkung fehlt, die in der menschlichen Gesellschaft und auf einer unvollkommeneren Vorstufe da und dort im Tierreich die äußerlich getrennten Einheiten zu einer realen Einheit höherer Ordnung verbindet, mögen die gebildeten Einheitsbegriffe für unsere logische Zusammenfassung noch so notwendig und nützlich sein, die Gegenstände selbst bilden darum gerade so wenig eine reale Einheit, als wenn jener Anlaß zu ihrer subjektiven Vereinigung nicht vorhanden wäre. Sollte nun aber im Sinne dieser rein logischen Verknüpfungen der Gedanke der Welteinheit überhaupt ein bloßes Erzeugnis formaler Begriffsbildung sein, so würde offenbar auch der Begriff der Entwicklung auf das Universum angewandt nur die Bedeu94 W. Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1889, S. 485.

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tung einer äußeren Vergleichung besitzen. Da, wie wir annehmen, ein kosmisches System entsteht, während einer gewissen Zeit in relativem Gleichgewicht andauert, um dann wieder unterzugehen, und da solche Perioden des Entstehens, Beharrens und Vergehens, wie die gleichförmig geltenden Gesetze der Massenwirkung annehmen lassen, überall in ähnlicher Weise sich wiederholen, so liegt darin zweifellos eine Ähnlichkeit mit den Entwicklungsvorgängen, bei denen ebenfalls diese drei Stadien einander ablösen. Doch diese Ähnlichkeit ist eine rein äußerliche. Um eine wirkliche Verwandtschaft mit der organischen Entwicklung anzuerkennen, dazu fehlt es an der Hauptsache: an dem Nachweis, daß jene Entwicklung von der Wirksamkeit innerer, in dem System selbst gelegener Ursachen herrühre, und daß demgemäß auch die zweckmäßige Form des Zusammenhangs nicht durch einen Zusammenfluß äußerer Bedingungen, sondern durch eine dem System selbst immanente kausale Zweckbestimmung erzeugt sei. Beides trifft nun bei der kosmischen Entwicklung nicht zu." 95 Daß Wundt nach dem bisher Gesagten im letzten Satz trotzdem von kosmischer Entwicklung spricht, mag verwundern. Wie ist das möglich, wenn er doch Entwicklung nur unter der Voraussetzung geistiger Zwecke akzeptierte? Auch für den Kosmos und das Naturgeschehen galten Wundt geistige Zwecke als Kriterium der Entwicklung. Nur in der Verbindung mit solchen anerkannte Wundt kosmische und natürliche Entwicklung. Der allgemeine Zusammenhang der kosmischen Vorgänge sei die Voraussetzung, daß objektive Zwecke in einer gesetzmäßigen Reihenfolge zur Erfüllung gelangen könnten. Schließlich schrieb Wundt: „Wie hier die Natur als das Material geistiger Zwecke, so erscheint sie dort als das Hilfsmittel zur Entstehung derselben. Nur insofern sie ein solches Hilfsmittel ist, übertragen wir auf sie selbst den Begriff der Entwicklung." 96 Für die objektive Gesetzmäßigkeit der organischen Natur glaubte Wundt in Darwins Theorie vom Kampf ums Dasein die Ursache gefunden zu haben. Er schrieb: „Dieser Gedanke besteht in dem Hinweis darauf, daß in den lebenden Wesen Willenskräfte frei werden, die in den Verlauf der Naturerscheinungen bestimmend eingreifen, und durch deren Rückwirkungen vor allem die handelnden Wesen selber fortan verändert werden." Und er fügte hinzu: „Jede auf äußere Reize entstehende Willensreaktion trägt den Keim zu einer Weiterentwicklung der an ihr beteiligten Organe in sich." 97 Nebenbei sei vermerkt, daß Wundt die Darwinsche Evolutionstheorie nicht vorbehaltlos akzeptierte, er wies die Auffassung vom Psychischen als Anpassungsfunktion zurück. Somit faßte Wundt Entwicklung als einen vom zwecksetzenden Geist ausgehenden oder mindestens von ihm aus zu beurteilenden Begriff. Die grundlegenden materiellen Entwicklungsprozesse in Natur und Gesellschaft, die vom Bewußtsein widergespiegelt werden können, bildeten keinen Forschungs95 Ebenda, S. 487. 96 Ebenda, S. 493. 97 Ebenda, S. 331.

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gegenständ bei der Analyse des Entwicklungsbegriffs durch Wundt- D i e entscheidenden Triebkräfte des Geschichtsprozesses - die Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse ebenso wie der Klassenkampf - spielen in Wundts Entwicklungskonzeption keine Rolle. E r bezog sie bestenfalls als Resultate geistigen Wirkens in seine Überlegungen ein. D i e Produktivkräfte, wenn er sie erwähnte, subsummierte er unter die Natur- und Kulturbedingungen des geistigen Entwicklungsprozesses. D e n Kampf der sozialen Klassen hat W u n d t nie als wesentliche Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung verstanden, sondern als eine die Weltharmonie und die menschliche Gemeinschaft zerstörende K r a f t verurteilt. D i e Entwicklung des menschlichen Individuums ordnete W u n d t in den Entwicklungsprozeß von Gemeinschaften ein, vor allem in den Entwicklungsgang des Volkes. D a s war eine besonders für seine psychologischen Arbeiten sehr progressive Erkenntnis. D a jedoch die Wechselwirkung von Individuum und Gemeinschaft im gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß vorwiegend als Wechselbeziehung geistiger K r ä f t e verstanden wurde, die grundlegenden produktiven und sozialen Beziehungen unbeachtet oder unverstanden blieben, konnte Wundts Erkenntnis wenig zum gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Fortschritt beitragen. Seine idealistische Entwicklungskonzeption wandte W u n d t in erster Linie auf die psychischen Erscheinungen an, deren Prozeßcharakter er ständig betonte. D e n Entwicklungsprozeß des Psychischen betrachtete er als einen logischen Prozeß, in dem Empfindungen zu Wahrnehmungen und Vorstellungen aufgebaut würden. E r schrieb: „Unser gesamtes Seelenleben stellt sich dar als die kontinuierliche Aneinanderreihung logischer Prozesse. Durch diese bauen wir aus den Empfindungen Wahrnehmungen auf und schreiten von den Wahrnehmungen zu Vorstellungen: die Folge dieses kontinuierlichen Verlaufs der logischen Prozesse unserer Seele ist die Zeitreihe, unter deren Form wir alles psychische Geschehen auffassen." 98 Für die Entwicklung unseres Seelenlebens sei das „Gesetz der psychischen Funktionen auseinander" maßgebend. 9 9 Damit erklärte W u n d t innerpsychische Vorgänge zu Triebkräften der geistigen Entwicklung; die objektive Entwicklung, die sich im Psychischen widerspiegelt und psychische Entwicklungen hervorruft, sowie die Entwicklung in den Beziehungen von Objekt und Subjekt, erkannte er nicht als Quellen psychischer Entwicklung. Das tatsächliche Verhältnis verkehrte W u n d t oft in sein Gegenteil: objektive gesellschaftliche Entwicklungserscheinungen, wie Familie, Staat, Kirche und andere, galten ihm als Resultat psychischer Tätigkeit. W u n d t bekämpfte sehr entschieden den zu seiner Zeit verbreiteten Standpunkt, d a ß sich die Psychologie als eine Gesetzeswissenschaft nicht mit Entwicklungsproblemen beschäftigen dürfe. Bei psychischen Erscheinungen handele es sich in erster Linie um Entwicklungsprozesse, hob er mit Nachdruck hervor. E r schrieb beispielsweise über das individuelle Bewußtsein: „Ist hier nicht wiederum alles 98 W. Wundt, Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmungen, Leipzig-Heidelberg 1862, S. 385. 99 Ebenda.

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Entwicklung, von der Bildung der einfachsten Sinneswahrnehmungen an bis zu der Entstehung der verwickeltsten Gefühls- und Gedankenprozesse? Hat auch die Psychologie, soweit sie es vermag, diese Erscheinungen auf Gesetze zurückzuführen, so darf sie doch nimmermehr solche Gesetze von den Tatsachen der geistigen Entwicklung selber loslösen." 1 0 0 Wundt vertrat die Meinung, daß die allgemeine Psychologie zur Erforschung der Entwicklung psychischer Erscheinungen der Hilfe zweier Wissenschaften bedürfe, der „Entwicklungsgeschichte der Seele" und der vergleichenden Psychologie. Bei der Analyse psychischer Erscheinungen verknüpfte er den Entwicklungsgedanken mit seiner Elementenauffassung vom Psychischen. D a s bei seiner Zergliederung zusammengesetzter Seelenerscheinungen erforschte „Einfachere" galt ihm zugleich als das „Frühere". D a s Einfache seien „die Anfänge des Seelenlebens, - und zwar die Anfänge im einzelnen beseelten Wesen sowohl wie in der ganzen Stufenleiter beseelter Geschöpfe" 1 0 1 . Wundt befaßte sich auch mit dem Entwicklungsprozeß des philosophischen Denkens. Dabei gelangte er zur Einsicht, daß der Kampf der Weltanschauungen eine Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung ist und für die Philosophie große Bedeutung hat. Seine Analyse beschränkte sich jedoch wiederum auf den geistigen Prozeß; sozialökonomische Prozesse, ohne deren Aufdeckung die Ursachen und Triebkräfte der weltanschaulichen Kämpfe und der Philosophieentwicklung verborgen bleiben müssen, ließ er unbeachtet. In der Wissenschaftsentwicklung sei der Kampf und die Veränderung logischer Motive im philosophischen Denken begründet. In diesem Zusammenhange kritisierte Wundt die Neukantianer, die in ihrer unhistorischen Betrachtungsweise unberücksichtigt ließen, daß die Entwicklung der Philosophie vom „Geiste der Zeit" abhängig sei. „So ist es denn höchst merkwürdig", schrieb er, „daß diese Neukantianer, die doch durchweg zugleich Historiker der Philosophie waren, nicht einmal das aus der Geschichte gelernt hatten, daß die Philosophie einer Zeit ein Spiegelbild des Geistes der Zeit selbst ist." 1 0 2 Wie Wundt allgemein den Widerspiegelungscharakter geistiger Erscheinungen nicht verstand, so blieb ihm auch das Wesen philosophischer Entwicklungen als ideologischer Reflex materieller gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse verborgen. Von seiner idealistischen Position aus gelangte er zu verworrenen und mystischen Auffassungen vom philosophischen Entwicklungsprozeß. Er unterschied drei Entwicklungsstufen metaphysischen Denkens: die poetische, die dialektische und die kritische. D a s „Poetische" herrsche in den Anfängen der Philosophie, es sei aus der Mythendichtung hervorgegangen. Die Ideenentwicklung führe zur Überwindung der poetischen Entwicklungsstufe der Philosophie. Aus dem Fortschritt der Welterkenntnis resultierte schließlich die kritische Philosophie. Wundt schrieb: „In der in ihm" - im Poetischen - „zur Herrschaft gelan100 W. Wundt, Probleme der Völkerpsychologie, a. a. O., S. 16. 101 W. Wundt, Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung, a. a. O., S. X I V . 102 W. Wundt, Erlebtes und Erkanntes, 2. Aufl., Stuttgart 1921, S. 126.

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genden Idee der Welteinheit und in dem allmählich zu ihr hinzutretenden Gedanken einer der Welt selbst immanenten Gesetzmäßigkeit strebt es jedoch über den Mythos hinaus und bereitet allmählich das zweite, dialektische Stadium vor. In diesem wandelt sich jenes Bild einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit in die Forderung einer begrifflichen Notwendigkeit um. Das Weltgesetz gilt nun nicht mehr als ein äußerlich angeschautes, sondern als ein innerlich begriffenes, das eben darum nicht anders sein könne. Diese dem Denken immanente Notwendigkeit gilt so zugleich für die wahre Wirklichkeit der Dinge selbst. Endlich in dem dritten, dem kritischen Stadium, wird der gesamte Inhalt der Welterkenntnis einer kritischen Analyse unterworfen, welche die einzelnen Elemente derselben auf ihre Herkunft und auf ihren Zusammenhang mit den allgemeinen Erkenntnisfunktionen prüft. Dabei verwandelt sich dann die Forderung der Denknotwendigkeit in die andere einer Nachweisung des logischen Ursprungs der Erkenntnis und der den Erkenntnisinhalt ordnenden Begriffe." 1 0 3 Die relative Selbständigkeit philosophischer Ideenentwicklung verabsolutierte Wundt und trennte die Philosophiegeschichte von ihren materiellen gesellschaftlichen Grundlagen, vor allem vom ökonomischen und politischen Kampf der Klassen- D i e kritische Überwindung der Dialektik galt ihm als bisher höchste Entwicklungsstufe im philosophischen Denken. Das jeweils höhere Stadium im Entwicklungsprozeß der Philosophie habe die vorangegangenen nicht völlig zu verdrängen vermocht. Nachdem als höchstes Entwicklungsprodukt die kritische Philosophie entstanden sei, existierten alle drei Richtungen nebeneinander. D i e dialektische Philosophie müsse demnach als eine rückständige Form bewertet werden. Wundt war bestrebt, philosophische Entwicklungsprozesse aus psychischen Ursachen zu erklären. D i e philosophische Regsamkeit in den Einzelwissenschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts führte er auf den „unausrottbaren spekulativen Trieb des menschlichen Geistes" und auf das „freie Bedürfnis des Spekulierens" zurück. 104 E r verstand die historische Tatsache nicht, daß sich zwangsläufig im Zuge des mächtigen Wachstums der Produktivkräfte und der kapitalistischen Produktionsverhältnisse sowie der raschen Entwicklung der Wissenschaften und durch zahlreiche neue Erkenntnisse, Entdeckungen und Erfindungen viele philosophische Fragen ergaben. In Wundts Entwicklungskonzeption spielte der Zufall als Entwicklungsmoment eine beträchtliche Rolle. Nach dem Prinzip der „Heterogonie der Zwecke" überschreite regelmäßig die bewußte, auf bestimmte Zwecke gerichtete Tätigkeit ihren eigentlichen Zweck. D i e zufälligen, nicht beabsichtigten Nebenwirkungen würden dann notgedrungen zum Ausgangspunkt neuer Zwecksetzungen genommen. Mit den beabsichtigten entstünden dabei wiederum unbeabsichtigte Nebenwirkungen und so fort. Somit galt für Wundt der Zufall als eine gesetzmäßige Erscheinung 103 W . Wundt, Die Metaphysik in Vergangenheit und Gegenwart, in: Reden und Aufsätze, Leipzig 1913, S. 74. 104 Ebenda, S. 96/97. 8

Wilhelm W u a d t

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im Entwicklungsprozeß; als Ursache des Zufalls betrachtete er menschliches Wollen, das er hinsichtlich seiner Möglichkeit, bestimmte Zwecke zu erreichen, nicht als allmächtig ansah. Wundt war unbestritten ein eifriger Verfechter des Entwicklungsgedankens, aber wie für sein gesamtes Schaffen typisch, gab es auch dabei Inkonsequenzen und Halbheiten. Aus dem Entwicklungsprozeß der geistigen Kultur versuchte et „ewige Kulturwerte" herauszulösen. Er nahm an, daß die Grundeigenschaften der menschlichen Psyche seit der Urgeschichte der Menschheit gleichgeblieben seien, daß sich nur der Inhalt der Erfahrung geändert habe. „Die Grundbestandteile der Kultur", erklärte er, „bilden nie und nirgends ein deutlich nachweisbares Nacheinander, sondern nur ein Nebeneinander, dessen einzelne Inhalte darum auch durchgängig in Wechselwirkung stehen." Er nahm an, daß „alle Richtungen der Kultur schon innerhalb der frühesten Zustände, in denen uns der Mensch in der Gegenwart wie in der Geschichte begegnet, mindestens in ihren Anfängen und damit in den deutlichen Anlagen zu ihrer weiteren Entwicklung vereinigt" seien. 105 Wundts Entwicklungskonzeption mangelt es nicht nur an Materialismus, sondern auch an Verständnis für die Dialektik von Entwicklungsprozessen. Über die Konstatierung eines Prinzips der Gegensätze, das im Psychischen in subjektiven geistigen Kontrasterlebnissen, in den Widerspruchspaaren von Lust und Unlust, Erregung und Beruhigung, Spannung und Lösung sowie im Gegensatz von Leiden und Tun zur Wirkung komme, ist Wundt kaum hinausgekommen, wenn er auch in seiner mechanischen Naturauffassung hin und wieder mechanische Gegensätze erwähnte. Die materialistische Dialektik von Marx und Engels nahm er wie die meisten offiziellen Professoren der Philosophie seiner Zeit kaum zur Kenntnis; was er las, hat er offensichtlich dem Wesen nach nicht begriffen und vom Standpunkt seiner Klassenideologie von vornherein abgelehnt. Auch Hegels idealistische Dialektik hat er völlig mißverstanden. Für ihn war sie nicht mehr als „verfehlte" Begriffsdialektik; bleibenden Wert besaß für ihn nur der im Hegeischen System entwickelte Gedanke vom gesetzmäßigen geistigen Entwicklungsprozeß. An der dialektischen Methode im „Idealrealismus" von Hegel und Fichte kritisierte Wundt, daß sie auf die Ordnung von Begriffen eingeengt, also reine Begriffsdialektik sei und somit wirkliche Entwicklung unbeachtet lasse. Über die Dialektik im Idealrealismus schrieb Wundt: „Bei dem Idealrealismus ist es nur noch die Methode, nach der die Begriffe geordnet werden, und die mit ihr zusammenhängende Auffassung von der Selbstbewegung der ,Idee', die den Systemen einen idealistischen Charakter verleiht. Indem sich dabei die zur Grundlage genommene dialektische Methode als ein künstlicher formaler Schematismus erweist, bleibt tatsächlich doch als bedeutsamer Inhalt dieser Form zurück, daß sie die gesamte konkrete Wirklichkeit umfaßt, und in dieser ihrer unmittelbaren Wirklichkeit mit dem wahren Sein der Dinge identisch ist." 106 In kritischer Wertung 1 0 5 W . Wundt, Völkerpsychologie, 10. Bd., Leipzig 1 9 2 0 , S. 48. 1 0 6 W . Wundt, Einleitung in die Philosophie, a. a. O., S. 3 8 0 .

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des „Idealrealismus" - namentlich Fichtes und Hegels - konstatierte Wundt, daß diesem nur in sehr bedingter Weise ein Verdienst um den Entwicklungsgedanken zugebilligt werden könne, weil er infolge seines Festhaltens „an dem idealistischen Prinzip, überall nur eine ideale, d. h. in den begrifflichen Beziehungen der Erscheinungen gelegene, niemals aber eine reale, also eine in Wahrheit so zu nennende Entwicklung im Auge" habe. 107 Bei seiner im allgemeinen durchaus berechtigten Kritik an der idealistischen Enge der Hegeischen Dialektik übersah Wundt - ganz im Gegensatz zu Marx und Engels - den revolutionären Kern dieser Dialektik, und er beschränkte die eigenen Untersuchungen idealistisch auf geistige Entwicklungsprozesse. Ihm blieb auch das Wesen der „Übernahme" Hegelscher Dialektik durch Marx und Engels unverständlich, was sich in folgender Einschätzung zeigt: „Als nun noch von der Mitte des 19. Jahrhunderts an unter dem Einfluß der zunehmenden Teilung der wissenschaftlichen Arbeit das Interesse an allgemeineren,über die nächsten Aufgaben des wissenschaftlichen Einzelbetriebes hinausreichenden Fragen ohnehin abnahm, da gab der Zusammenbruch der Hegeischen Philosophie den letzten Anstoß zu einer in weiten Kreisen immer mehr um sich greifenden Überlegung, daß es mit der Philosophie überhaupt und insonderheit mit der Metaphysik ein für allemal vorbei sei. Dennoch gewann dieses selbe Hegeische System ein anderes Ansehen, wenn man, unbehelligt von der dialektischen Form, seinen Inhalt ins Auge faßte und hier wieder das in' den Vordergrund stellte, was auch dem Interesse und der Kenntnis seines Urhebers am nächsten l a g : die Gebiete der Gesellschaft, der Geschichte, der Kunst, der Religion, endlich der Entwicklung der Philosophie selbst. Hier gibt es denn doch zu denken, daß nicht bloß Historiker der Philosophie wie Eduard Zeller und Kuno Fischer, Ästhetiker wie Friedrich Vischer, Theologen wie Emanuel Biedermann und Richard Rothe teils dauernd, teils wenigstens in ihren Ausgangspunkten von Hegel beeinflußt waren, sondern daß dieser auch in radikalen Religionsphilosophien wie Ludwig Feuerbach und David Strauß und nicht zum wenigsten in den Sozialphilosophien der jüngsten Vergangenheit, in Ferdinand Lassalle und Karl Marx, nachgewirkt hat." 108 Im völligen Gegensatz zu Wundts Einschätzung hat Marx in seiner keineswegs der Vergangenheit angehörenden Philosophie, unbehelligt von Hegels mystischem System, den Kern der revolutionären Dialektik herausgearbeitet und dabei die Hegeische Dialektik vom Kopf auf die Füße gestellt und sie in eine mächtige geistige Waffe verwandelt. Wundt befaßte sich ausschließlich mit der subjektiven Dialektik im Selbstentwicklungsprozeß des Denkens. Der Widerspruch spielte in Wundts Dialektikverständnis nur als subjektive Erscheinung eine Rolle, die Existenz von Widersprüchen in der objektiven Realität lehnte er ab. Es müsse als eine logische 1 0 7 Ebenda, S. 3 8 1 . 1 0 8 W . Wundt, Die Metaphysik in Vergangenheit und Gegenwart, in: Reden und Aufsätze, a. a. O., S. 90.



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Voraussetzung gelten, „daß jeder Widerspruch an sich nur ein scheinbarer ist, die gegebenen Tatsachen selbst also von vornherein widerspruchslos sein würden, wären sie nicht aus bestimmten Gründen, die unter Umständen zwingender Natur sein mögen, einer einseitigen und darum unvollständigen Betrachtung unterzogen worden" 1 0 9 . Damit beseitigte Wundt den revolutionären Kern der Dialektik, und zugleich erwies sich seine Entwicklungskonzeption als unbrauchbar, denn ohne Verständnis der Rolle von Widersprüchen in Entwicklungsprozessen können Wesen, Quelle und Triebkraft aller Entwicklung nicht erfaßt werden. D i e Leugnung des Widerspruchs machte es ihm zugleich unmöglich, Dialektik als revolutionäre Methode des Handelns zu verstehen. Für Wundt galt Dialektik im eigentlichen Sinne gar nicht als Bestandteil wirklicher Entwicklungsprozesse, er verselbständigte und verabsolutierte deren auf geistige Tätigkeit bezogenen methodischen Aspekt. Als dialektische Methoden in der Philosophie bezeichnete er alle die, „bei denen aus gegebenen Begriffen vermittels einer rein logischen Entwicklung andere Begriffe abgeleitet werden" 1 1 0 . Wundts begrenztes und unentwickeltes Dialektikverständnis zeigt sich zum Beispiel darin, daß er den Unsterblichkeitsbeweis im Platonschen Phäidon als ein Musterbeispiel der Dialektik pries. In diesem „Beweis" wird der Gegensatz undialektisch als nur sich ausschließende Erscheinung verwendet. Wundt schrieb zu diesem als Musterbeispiel der Dialektik angeführten Beweis: „Die Seele - so läßt sich dieser Beweis formulieren - ist das Prinzip des Lebens; was aber nach seinem Begriff das Merkmal des Lebens hat, kann nicht das entgegengesetzte Merkmal an sich tragen: also muß die Seele immer leben." 1 1 1 Abgesehen davon, daß sich Wundt diesen „Beweis" keineswegs zu eigen gemacht hat und daß sich sein Lob nur auf das methodische Verfahren bezog, wird doch das völlige Unverständnis für das Wesen der Dialektik hinreichend sichtbar. In Wundts Entwicklungskonzeption spielt der Begriff des Gegensatzes eine große Rolle, der für ihn nicht mit dem Widerspruch identisch ist. Das Denkgesetz der Entwicklung in Gegensätzen sei zugleich - wie alle Denkgesetze - ein Gesetz der objektiven Realität; Widersprüche existieren in ihr nicht. In materiellen Prozessen versuchte Wundt Entwicklung in Gegensätzen nicht nachzuweisen, er wandte dieses Gesetz hauptsächlich auf psychische Erscheinungen an. Das Gesetz der Entwicklung in Gegensätzen sei eine Anwendung des Prinzips der Kontrastverstärkung auf umfassendere, in Entwicklungsreihen sich ord/iende Zusammenhänge. Das Prinzip der psychischen Kontraste beziehe sich auf das Verhältnis psychischer Inhalte zueinander. Subjektive Erfahrungsinhalte ordneten sich nach Gegensätzen: Lust und Unlust, Erregung und Beruhigung sowie Spannung und Lösung. Diese Gegensätze folgten in ihrem ständigen Wechsel dem allgemeinen 1 0 9 W . Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, a. a. O., S. 3 2 5 . 1 1 0 W . Wundt, Über naiven und kritischen Realismus, in: Philosophische Studien, 13. Bd., Heft 1, Leipzig 1 8 9 6 , S. 6 8 . 111 W . Wundt, Die Metaphysik in Vergangenheit und Gegenwart, in: Reden und Aufsätze, a. a. O . , S. 8 0 .

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Gesetz der Kontrastverstärkung. Nach dem Prinzip der sich steigernden Kontraste würden Gefühle und Vorstellungen durch Gegensätze gesteigert. Von den subjektiven Erlebnisinhalten übertrage sich das Kontrastprinzip auf objektive Erfahrungsbestandteile, auf die Vorstellungen und ihre Elemente, Gefühle und Triebe von zunächst geringer Intensität würden durch den Kontrast zu den während einer gewissen Zeit überwiegenden Gefühlen und Trieben von entgegengesetzter Qualität allmählich immer stärker, um schließlich die bisher vorherrschenden Motive zu überwältigen und nun für eine Zeit die Herrschaft zu gewinnen. Der gleiche Wechsel von Gefühlen und Trieben von zunächst geringer Intensität in herrschenden Motiven könne sich im Wechsel mehrmals wiederholen. Bei solchen „Oszillationen" würden das Gesetz des Wachstums und das der Heterogonie der Zwecke wirksam werden, „so daß die nachfolgenden Phasen zwar in der allgemeinen Gefühlsrichtung den vorangegangenen gleichartigen Phasen ähnlich, in ihren einzelnen Bestandteilen aber wesentlich verschieden erscheinen" 112 . Hier klingt bei Wundt, wenn auch begrenzt auf psychische Erscheinungen, eine gewisse Einsicht in die Entwicklung als Negation der Negation an. D a s Gesetz der Entwicklung in Gegensätzen mache sich schon in der individuellen geistigen Entwicklung geltend, teils in individuell wechselnder Weise innerhalb kürzerer Zeiträume, teils mit einer gewissen allgemeingültigen Regelmäßigkeit im Verhältnis einzelner Lebensperioden zueinander. D i e vorwiegenden Temperamente böten in den verschiedenen Lebensaltern gewisse Kontraste. Wundt erläuterte: „So geht die leichte, aber selten tiefgehende sanguinische Erregbarkeit des Kindesalters in die die Eindrücke langsamer verarbeitende, aber energischer festhaltende und häufig melancholisch angehauchte Gemütsrichtung des Jünglingsalters, dieses wieder in das bei ausgereiftem Charakter im allgemeinen am meisten zu raschen, tatkräftigen Entschlüssen und Handlungen angelegte Mannesalter, und letzteres endlich allmählich in die zu beschaulicher Ruhe sich neigende Stimmung des Greisenalters über." 1 1 3 Eine solche nach Temperamenten bestimmte Phaseneinteilung der Lebensentwicklung ist wertlos und hält ernsthaften Prüfungen nicht stand. Erstens existieren in jeder Entwicklungsphase alle Temperamente, von denen man annehmen kann, daß sie durch genetisches Erbe erworben sind, nebeneinander. E s existiert keineswegs als Prototyp der melancholische Jüngling. Zweitens bilden die Temperamente zwar eine Grundlage menschlichen Verhaltens, sie sind aber im Hinblick auf die wesensbestimmenden Merkmale der Menschen von völlig untergeordneter Bedeutung. D a s Verhalten der Menschen wird in erster Linie durch seine materiellen Lebens- und Entwicklungsbedingungen bestimmt, besonders durch die Art und Weise seiner Tätigkeit - als Erwachsener seiner Arbeit und durch die mit der Tätigkeit verbundenen sozialen Beziehungen. Wundt wollte das Gesetz der Entwicklung in Gegensätzen auch auf das soziale 112 W. Wundt, Grundriß der Psychologie, a. a. O., S. 406. 113 Ebenda.

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Leben angewendet wissen. E r schrieb: „Mehr als im individuellen tritt jedoch die Entwicklung in Gegensätzen im sozialen und geschichtlichen Leben, in dem Wechsel der geistigen Strömungen und ihren Rückwirkungen auf Kultur und Sitte, auf soziale und politische Entwicklungen hervor. Wie das Gesetz der Heterogonie der Zwecke für das sittliche, so hat daher das der Entwicklung in Gegensätzen seine Bedeutung vorzugsweise für das allgemeine Gebiet des geschichtlichen Lebens." 114 Auch in der Anwendung des Gesetzes der Entwicklung in Gegensätzen auf die Geschichte blieb es für W u n d t ein psychologisches Gesetz. Zur Wirkung dieses Gesetzes im Naturgeschehen vermochte er nur sehr wenig zu sagen. Sein Verständnis für Gegensätze in der N a t u r blieb völlig seinem mechanistischen Weltbild verhaftet, er beschränkte sich darauf, das „Prinzip der Gegenwirkung in der N a t u r " zu konstatieren. Das Prinzip sage aus, „daß die Wirkung, die ein Teil der Materie auf einen anderen ausübt, von einer Gegenwirkung des letzteren begleitet ist, die der Wirkung an Größe gleichkommt" 115 . Wundts Entwicklungskonzeption beruht vor allem auf seinem „Gesetz der Kausalität". D i e Kausalität als wesentliche Form des Zusammenhanges bezeichnete W u n d t als ein das gesamte Sein beherrschendes Prinzip. E r schrieb: „ D a ß die N a t u r wie das geistige Leben, das sich aus ihr entwickelt, beide unter der ausnahmslosen Herrschaft des Prinzips der Kausalität stehen, ist . . . eine unabweisliche Forderung unseres überall vom Grund zur Folge fortschreitenden oder von der gegebenen Folge zu ihren Gründen zurückgehenden Denkens." I l c Das Erfassen des objektiven kausalen Geschehens durch unser Bewußtsein wird somit von W u n d t ausschließlich auf eine Eigenart unseres Denkens zurückgeführt, nicht als Widerspiegelungsprozeß verstanden. Wie im Abschnitt über den psychophysischen Parallelismus bereits erläutert, unterschied er die physische und die psychische Kausalität, wobei er beide Kausalreihen als untrennbar miteinander verbunden betrachtete. Mit Hilfe seiner Erfahrungskonzeption und dem Prinzip des psychophysischen Parallelismus versuchte W u n d t nachzuweisen, d a ß psychophysische Prozesse einer doppelten Kausalität unterlägen. E r schrieb: „. . . als Vorstellungen nehmen die Elemente des Bewußtseins teil an der psychischen des geistigen Lebens, als materielle Bewegungsvorgänge gehören sie zu der mechanischen der äußeren Natur. Beide Kausalitäten verhalten sich aber ähnlich zueinander wie die ihnen entsprechenden Substrate. D i e geistige Kausalität ist die unmittelbare, uns direkt gegeben als Beziehung von Motiven und Zwecken; sie bedarf keiner diesem Tatbestand der psychischen Erlebnisse hinzugefügten Voraussetzung. D i e mechanische ist die mittelbare: sie wird zwar angeregt durch den Inhalt gewisser unmittelbar gegebener Vorstellungen; aber diese bilden nur die Gelegenheitsursachen zur Anwendung begrifflicher Konstruktionen, deren Funda-

114 Ebenda. 115 W. Wundt, System der Philosophie, 4. Aufl., 2. Bd., Leipzig 1919, S. 45. 116 W. Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, a. a. O., S. 364.

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mente schließlich hypothetisch, jedoch durch Postulat der widerspruchslosen Verknüpfung gerechtfertigt sind." 117 Physische und psychische Kausalreihen seien qualitativ unvergleichbar, keine könne auf die andere zurückgeführt werden, weil das den Naturgesetzen und der Eigenart des Psychischen widerspreche. Die Tatsache, daß das Psychische als Produkt, Eigenschaft und Funktion des Materiellen die materielle Welt widerspiegelt, widerspricht weder den Gesetzen des Naturgeschehens, noch den Eigenarten des Psychischen. Entsprechend seinem vor allem klassenmäßig bedingten Vorurteil von der Höherwertigkeit des Geistigen gegenüber dem Materiellen, betonte Wundt besonders, daß Psychisches nicht aus materiellen Vorgängen hervorgehen könne. Es sei mit keinem Mittel begreiflich zu machen, wie aus einer Bewegung eine Empfindung entstehen solle. Die entscheidende psychische Kausalität dürfe nicht ignoriert werden, wie es der Materialismus tue. Der dialektische Materialismus ignoriert keineswegs, daß es eine relativ selbständige Entwicklung und somit relativ selbständige Kausalität des Geistigen gibt. Diese relativ selbständige Kausalität ist aber letztlich dem Wesen des Psychischen entsprechend immer durch materielle Prozesse determiniert, unterliegt somit der Kausalität im materiellen Entwicklungsprozeß. Die geistige Kausalität bewertete Wundt gegenüber der mechanischen, die eine „Unterform" geistiger Kausalität sei, als die höhere und entscheidende. Er schrieb in diesem Zusammenhange, daß es für alle empirischen Untersuchungen zwei Forderungen gäbe: „Erstens, das geistige Geschehen, so weit nur immer möglich, auf die uns unmittelbar gegebenen Gesetze dieses Geschehens zurückzuführen, und zweitens, das System unserer Vorstellungen von der Außenwelt jener spezifischen Form einer aus logischen Prinzipien entstandenen, also im letzten Grunde ebenfalls geistigen Kausalität unterzuordnen, die durch die Beziehungen dieser Prinzipien auf ein absolut beharrliches, nur der wechselnden Lageverhältnisse in unserem Anschauungsraum fähiges Substrat entsteht. Damit bleibt die mechanische eine Unterform der geistigen Kausalität " 118 Indem Wundt die mechanische Kausalität, von der er glaubte, daß sie das gesamte Naturgeschehen beherrsche, zu einer Unterform der geistigen erklärte, bestimmte er die geistige Kausalität zur Grundlage des Naturgeschehens. Die Höherwertigkeit und den übergeordneten Charakter der geistigen Kausalität begründete er damit, daß in der Naturkausalität das Prinzip der Geschlossenheit und das Gesetz der Erhaltung der Energie herrsche, während in der geistigen Kausalität, der im Unterschied zur Naturkausalität kein Substrat zugrunde liege, durch schöpferische Synthese die Energie immer zunehme. „Das geistige Leben", erklärte er, „ist extensiv wie intensiv von einem Gesetz des Wachstums der Energie beherrscht: extensiv, indem die Mannigfaltigkeit der geistigen Entwicklungen fort-

1 1 7 W. Wundt, Ethik, Bd. III, a. a. O., S. 47. 1 1 8 Ebenda, S. 49.

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während sich erweitert, intensiv, indem die in diesen Entwicklungen entstehenden Werte ihrem G r a d e nach zunehmen." 1 1 9 W u n d t ging von einer fiktiven, vom einheitlichen psychophysischen Prozeß isolierten Energie aus, die er als geistige Energie der physischen gegenüberstellt. Von energetischen Erscheinungen bei psychischen Vorgängen kann jedoch nur dann die Rede sein, wenn wir sie in ihrer untrennbaren Einheit mit ihren materiellen Trägerprozessen betrachten. Dabei unterliegen die physischen Erscheinungen dem Gesetz der Erhaltung der Energie, eine Zunahme von Energie im Sinne einer Neuschöpfung ist nicht möglich. D i e für die psychischen Lebensvorgänge erforderlichen Energiemengen, die die Nerven- und Gehirntätigkeit ermöglichen, entnimmt der Mensch seiner materiellen Umwelt, vor allem in Form seiner Nahrung. D i e durch materielle und geistige Tätigkeit verausgabte Energie muß ständig mittels körperlicher Reproduktionsprozesse durch neue ersetzt werden, der Geist vermag diese Aufgabe nicht zu erfüllen. Obwohl W u n d t den Unterschied von materieller und geistiger Kausalität hervorhob und vielfältig zu begründen versuchte, hielt er seinen Standpunkt des psychophysischen Parallelismus nicht konsequent durch, wenn es ihm um den Zusammenhang von Physischem und Psychischem in einer einheitlichen Welt ging. In seinem „System der Philosophie" akzeptierte er innerhalb eines Kapitels, das den Unterschied der beiden Kausalreihen zu begründen sucht, die Möglichkeit eines Übergangs der physischen in die psychische Kausalreihe. E r schrieb: „Daneben aber befindet sich das einzelne Subjekt, ebenso wie eine jede geistige Gemeinschaft, unter dem Einflüsse physischer Einwirkungen, die, indem sie Empfindungen und Gefühle erregen, fortan dem inneren Geschehen neue Inhalte zuführen, um in ihm die Bildung neuer Kausalverbindungen zu veranlassen. Hier ist die Psychologie, die als empirische Wissenschaft die Gegenüberstellung von N a t u r und Geist anzuerkennen hat, genötigt, einen Übergang physischer in psychische Kausalverbindungen zu statuieren, indem sie die Entwicklung solcher Voraussetzungen, welche den mit den Grundprinzipien unseres Erkennens unvereinbaren Begriff einer psychophysischen Wechselwirkung beseitigen, der Metaphysik überläßt." 1 2 0 Im Sinne seiner subjektiv-idealistischen Erfahrungskonzeption begann W u n d t die Untersuchung kausaler Beziehungen beim Vorstellungsobjekt der unmittelbaren Erfahrung. Kausalität müsse sich „stets auf Objekte, also auf Vorstellungen beziehen", stellte er fest. 121 Somit wurde die objektive Kausalität vom Geistigen her untersucht, nicht in ihrer subjektunabhängigen Existenz. Das Kausalitätsprinzip galt W u n d t als „Anwendung des Satzes vom G r u n d e auf den Inhalt der Erfahrung" 1 2 2 . Der Satz des Grundes sei ein logisches Axiom, das aus den Bedürfnissen des Denkens zu begründen sei; ein Denkgesetz, das sich an einem empirisch gegebenen Inhalte verwirklichen müsse. Wundts Kausalitätsauffassung war mit der 119 W. Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1889, S. 315. 120 Ebenda, S. 311. 121 W. Wundt, Allgemeine Logik und Erkenntnistheorie, a. a. O., S. 626. 122 Ebenda, S. 604.

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Annahme verbunden, daß die psychischen Erscheinungen die entscheidenden D e terminanten des menschlichen Verhaltens seien. D i e aktive Apperzeption als innere Willenstätigkeit und die damit verbundenen determinierenden Tendenzen der Gefühle bestimmten die Vorstellungen und das Verhalten. D i e grundlegenden und bestimmenden Determinanten des menschlichen Verhaltens in den materiellen Lebensprozessen, die materielle Tätigkeit, vor allem die Arbeit, und die sozialen Wechselbeziehungen, wurden von Wundt kaum beachtet. Zweifellos gehört das psychische Geschehen zu den Determinanten des Verhaltens, muß doch alles, was die Menschen in Bewegung setzt, durch ihren Kopf hindurch. Psychische Prozesse orientieren, steuern und regulieren das gesamte menschliche Verhalten. Materielle Einwirkungen und Determinanten werden über psychische Vorgänge wirksam. Geistige Triebkräfte, Wissen, Gedanken, Erkenntnisse, Ideen, Überzeugungen, Zielsetzungen und andere lösen- geistige und materielle Tätigkeiten aus, führen zu zweckmäßigen Veränderungen der Welt und bringen neue geistige Inhalte hervor. Alle diese Tatsachen, welche die gewaltige Bedeutung geistiger Kräfte für das menschliche Verhalten beweisen, schließen nicht aus, daß die psychischen Determinanten aus den materiellen Lebensbedingungen der Menschen entstehen und diese widerspiegeln, also sekundären Charakter haben. Wundts ständiges Bemühen, Entwicklungsprozesse in ihrem gesetzmäßigen Verlaufe zu erfassen und alle Erscheinungen historisch zu erklären, hat besonders in der Psychologie genetisches Herangehen gefördert und die Erkenntnis vom Prozeßcharakter des Psychischen vorangetrieben. Sein Unverständnis für die Dialektik in Entwicklungsprozessen, seine Ignoranz gegenüber grundlegenden materiellen Erscheinungen und zahlreiche idealistisch-mystische Konstruktionen innerhalb seiner Evolutionsauffassung verhinderten jedoch, die tatsächlichen Entwicklungszusammenhänge zwischen den psychischen Prozessen und ihren materiellen Grundlagen und Voraussetzungen aufzudecken.

5.9.

Wundts Konzeption von einer geistigen Einheit der Welt

Trotz seines dualistischen Standpunktes zum Verhältnis von Physischem und Psychischem bekannte sich Wundt zu einer Einheit des Seins. Dieses einheitliche Sein betrachtete er nicht als ein beharrendes, substantielles, sondern als ein sich ständig veränderndes, aktuelles. Es sei die „Tat, die die Welt außer uns und das geistige Leben in uns beherrscht" 12,,! . D i e Realität bildete für Wundt einen einheitlichen Prozeß. E r schrieb: „Besteht auf beiden Seiten, der physischen wie der psychischen, das Wirkliche in der Aktualität des Geschehens, . . . so kann jene Einheit des Seins, die beide Seiten des Wirklichen umfaßt, nicht mehr als beharrende Substanz, sondern nur noch als Aktualität des Seins gedacht werden." 1 2 4 1 2 3 W . Wundt, Sinnliche und übersinnliche W e l t , a. a. O . , S. 3 3 0 . 124 Ebenda.

121

Von seinem auf dem Prinzip des psychophysischen Parallelismus beruhenden Standpunkte aus konnte W u n d t nur auf dem Wege metaphysischer Spekulation zur Idee der Einheit der Welt gelangen. Im Unterschied zur marxistischen Auffassung von der Einheit der Welt war seine Einheitsidee nicht das Resultat einer Analyse der Wirklichkeit und der Verallgemeinerung so bedeutsamer einzelwissenschaftlicher Erkenntnisse wie des Zusammenhangs von Strahlung und Elementarteilchen, der Umwandlung von Elementarteilchen ineinander, des Periodensystems der chemischen Elemente, des Zusammep längs von Organischem und Anorganischem, der Abstammungslehre, dem Gesetz der Erhaltung und Umwandlung der Energie sowie dem Wechselverhältnis von Physischem und Psychischem und des gesellschaftlichen Seins mit dem Bewußtsein. Als Schlußfolgerung aus der Fülle von Tatsachen und wissenschaftlichen Erkenntnissen hatte Friedrich Engels festgestellt: „Die wirkliche Einheit der Welt besteht in ihrer Materialität, und diese ist bewiesen nicht durch ein paar Taschenspielerphrasen, sondern durch eine lange und langwierige Entwicklung der Philosophie und der Naturwissenschaft." 1 2 0 W u n d t ging es darum, vom Psychischem ausgehend Physisches und Psychisches in einer geistigen Einheit zusammenzufassen- Eine Zusammenfassung des gesamten Weltgeschehens zu einer Einheit verlange das Einheitsbedürfnis unserer Vernunft. E r postulierte eine Einheit des Seins, umging aber zunächst die Frage, ob sie ihrem Wesen nach materiell oder geistig sei. An die Stelle einer solchen Bestimmung setzte er den Begriff der Aktualität, die allen Seinsformen zukomme und diese zur Einheit verbinde. Damit war jedoch nichts gewonnen, ein Aspekt des Seins wurde verabsolutiert, die Frage nach dem materiellen oder geistigen Charakter offen gelassen. W u n d t erkannte, d a ß er diese Frage nicht unbeantwortet lassen konnte. E r fragte: „Wo ist nun aber die Einheit zu finden, die diese beiden Welten, die objektive des Geschehens außer uns und die subjektive des Werdens und Handelns in uns, wieder zusammenschließt?" 1 2 6 Um das Wesen dieser Einheit zu bestimmen, gab es auch für ihn nur die Alternative: materiell oder geistig. E r erklärte: „Entweder muß die Welt als eine materielle oder sie muß als eine geistige von uns gedacht werden, sofern sie überhaupt als eine Einheit zu denken ist, ein drittes gibt es nicht." 127 Um eine Lösung zu finden, wandte sich W u n d t dem Sein zu, wie es uns im individuellen Bewußtseinsinhalt gegeben sei. „Dieses Sein", erläuterte er, „ist uns objektiv gegeben in den aus der Analyse der Naturerscheinungen erschlossenen Bewegungsgesetzen, subjektiv aber in einer unbestimmten Fülle qualitativer Eigenschaften, die mit diesen Bewegungen veränderlich sind. Sie gehen dann unter bestimmten Bedingungen, die, wie wir weiterhin voraussetzen müssen, mit den objektiven Gesetzen dieser Bewegungen zusammenhängen, Verbindungen miteinander ein, welche das konstituieren, was wir individuelles Be-

125 F. Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft M E W , Bd. 20, Berlin 1968, S. 41. 126 W. Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, a. a. O., S. 331. 127 W. Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1889, S. 411.

122

(Anti-Dühring),

in:

wußtsein nennen." 128 Wundts „individuelles Bewußtsein" als Erscheinungsform der Einheit des Seins vermochte ebenso wenig wie seine „Aktualitätstheorie" einen Aufschluß über das Wesen des Seins zu geben. Unbeantwortet blieb die von ihm selbst gestellte Frage, wie objektive Bewegungen in subjektive Bewußtseinsinhalte eingehen. Weil Wundt die Frage nach der Einheit der Welt durch eine Bewußtseinsanalyse zu klären versuchte und weil er das Bewußtsein weder als Widerspiegelung der objektiven Realität noch als Produkt, Eigenschaft und Funktion des Zentralnervensystems verstand, konnte er keinen Beitrag zur Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis von Materie und Bewußtsein und nach dem Wesen des einheitlichen Seins leisten. Jaroschewski hat darauf hingewiesen, daß jede Auffassung von einer Einheit der Welt, die deren Materialität und das Widerspiegelungsprinzip mißachtet, auch innerhalb der psychologischen Forschung zwangsläufig in eine Sackgasse führen muß: „In der marxistisch-leninistischen Lehre ist der Gedanke, daß die Einheit der Welt in ihrer Materialität besteht, unlöslich mit dem Widerspiegelungsprinzip verbunden. Diese innere Verbundenheit ist ein Eckpfeiler der dialektisch-materialistischen Weltanschauung. Jeder Versuch, diese Grundprinzipien zu umgehen, führt unausweichlich nicht nur zu falschen philosophischen Konstruktionen, sondern auch in Sackgassen bei der Arbeit an grundlegenden Problemen der neuropsychischen Tätigkeit. Sobald man das Prinzip des materialistischen Monismus außer acht läßt, wird das Psychische aus einer Funktion des Gehirns zu einem besonderen Wesen und sein Verhältnis zum materiellen Substrat völlig unbegreiflich. Berücksichtigt man das Prinzip der Widerspiegelung nicht, so ist es, selbst, wenn die Gebundenheit des Psychischen an das Gehirn, seine Ableitbarkeit vom körperlichen Substrat anerkannt wird, unmöglich zu erklären, wie die gesamte Vielfalt der sinnlichen Eigenschaften aus der Dynamik der Impulse im Nervensystem abzuleiten ist." 1 2 9 Auf zwei Wegen versuchte Wundt, eine geistige Einheit der Welt nachzuweisen: durch Schlußfolgerungen aus seiner Erfahrungskonzeption und mittels transzendenter Ideen. Die beiden Seiten der Erfahrung, die wir als Natur und Geist bezeichneten, seien keine voneinander unabhängige oder widerstreitende Formen des Seins, sondern zueinandergehörige Bestandteile der Wirklichkeit- Auch die Naturgesetze und die Gesetze des geistigen Geschehens ergänzten sich in einer Einheit des Wirklichen. Wundt schlußfolgerte: „Indem dieses erst durch die sondernde Tätigkeit des menschlichen Geistes in seine Teile zerfällt, bezeugt dieser Ursprung aus der denkenden Betrachtung der Dinge, daß der Geist, der diese Scheidung bewirkt hat, selbst die Einheit ist, aus welcher, der Unterscheidung des denkenden Subjekts von seinen Objekten folgend, die einander ergänzenden Begriffe von Natur und Geist hervorgegangen sind. Was dieser subjektive Ursprung als ein notwendiges Postulat erkennen läßt, das bestätigt aber auch die objektive Natur128 W. Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, a. a. O., S. 335. 129 M. G . Jaroschcwski, Psychologie im 20. Jahrhundert, Berlin 1975, S. 170.

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betrachtung, nach der d i e N a t u r als das letzte Erzeugnis ihrer Bildungen das geistige L e b e n hervorbringt, was u n d e n k b a r w ä r e , wenn d i e A n l a g e d a z u nicht in d e r gesamten E n t w i c k l u n g gegeben w ä r e , als d e r e n letzte R e s u l t a n t e dieses geistige L e b e n in die Erscheinungswelt eintritt. V o n diesem G e s i c h t s p u n k t e aus ergibt sich d a h e r K a n t s .transzendenter W i l l e ' nicht als d e r A u s f l u ß einer übersinnlichen K a u s a l i t ä t , die d e r N a t u r k a u s a l i t ä t entgegengesetzt ist, s o n d e r n als ein allerdings besonders bedeutsames G l i e d in d e r Fülle der V o r g ä n g e schöpferischer K a u s a l i t ä t , d i e das L e b e n des Geistes auf allen Stufen seiner E n t w i c k l u n g , v o n d e r einfachen S i n n e s w a h r n e h m u n g an bis zu d e r aus einer verwickelten V e r b i n d u n g v o n M o t i v e n entspringenden W i l l e n s h a n d l u n g , kennzeichnet u n d zu der die N a t u r k a u s a l i t ä t nur einen v o n b e s c h r ä n k e n d e n Bedingungen abhängigen, eben d a r u m aber niemals mit ihr in einen tatsächlichen W i d e r s p r u c h t r e t e n d e n G r e n z f a l l bildet. L i e ß jene isolierende G e g e n ü b e r s t e l l u n g einer einzelnen, w e n n auch ethisch noch so b e d e u t samen geistigen F u n k t i o n , des freien Willens, N a t u r u n d Geist als u n v e r e i n b a r e G e g e n s ä t z e erscheinen, so fließen nun von diesem erweiterten G e s i c h t s p u n k t aus b e i d e zu einer E i n h e i t z u s a m m e n . Sie widerstreiten sich nicht, s o n d e r n sie ergänzen sich, i n d e m d i e N a t u r s e i t e des Wirklichen überall nur d i e begrenzenden Bedingungen bezeichnet, innerhalb deren sich d i e schöpferischen K r ä f t e der geistigen E n t w i c k l u n g betätigen." 1 3 0 W u n d t bezeichnete es als eine Fiktion, a n z u n e h m e n , d a ß es eine W e l t in uns u n d eine W e l t a u ß e r uns gäbe, die sich z w a r in ihren G r e n z e n b e r ü h r t e n , sonst aber nichts m i t e i n a n d e r gemein hätten. „ D i e s e Fiktion", schrieb er, sei „ u n h a l t b a r , d e n n die W e l t a u ß e r uns besteht aus denjenigen Vorstellungen, denen wir v e r m ö g e gewisser ihnen z u k o m m e n d e r E i g e n s c h a f t e n eine objektive B e d e u t u n g beimessen, u n d d i e W e l t in uns besteht aus diesen nämlichen Vorstellungen samt ihren wechselnden subjektiven V e r b i n d u n g e n u n d den d a r a n g e k n ü p f t e n G e f ü h l e n u n d W i l l e n s v o r g ä n g e n . " ) : i l F ü r die „ W e l t a u ß e r uns" konstatierte W u n d t , m ü ß t e m a n v o n d e r V o r a u s s e t z u n g ausgehen, „ d a ß d i e allgemeine Möglichkeit, geistige G e b i l d e mit d e n entsprechenden Gesetzen d e r psychischen V e r b i n d u n g e n u n d B e ziehungen zu erzeugen, nirgends fehlt, d a ß sie v i e l m e h r an d a s Sein selbst o d e r , wie m a n es v o m S t a n d p u n k t physikalischer H y p o t h e s e n b i l d u n g a u s d r ü c k e n mag, an die M a t e r i e als solche g e b u n d e n " sei. 132 U m zur I d e e einer geistigen E i n h e i t d e r W e l t zu gelangen, müsse der E r f a h r u n g s b e r e i c h überschritten w e r d e n ; innerh a l b d e r E r f a h r u n g sei der materielle o d e r d e r geistige C h a r a k t e r d e r einheitlichen W e l t nicht zu erschließen. D u r c h t r a n s z e n d e n t e I d e e n , durch d i e v o n d e r V e r n u n f t g e f o r d e r t e F o r t f ü h r u n g der im E r f a h r u n g s b e r e i c h g e w o n n e n e n k o s m o logischen u n d psychologischen E r k e n n t n i s s e über die E r f a h r u n g hinaus gelangte W u n d t zur geistigen E i n h e i t d e r W e l t . Bei d e r F o r t f ü h r u n g der I d e e n über den E r f a h r u n g s b e r e i c h hinaus d ü r f e die N a t u r a n s c h a u u n g nicht ü b e r b e w e r t e t w e r d e n , 130 W. Wundt, Völkerpsychologie, Bd. 7, Erster Teil, Leipzig 1916, S. 34. 131 W. Wundt, Uber die Messung psychischer Vorgänge, in: Philosophische Studien, hrsg. von W. Wundt, 1. Bd., 2. Heft, Leipzig 1883, S. 254. 132 W. Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, a. a. O., S. 333.

124

von den „kosmischen Ideen" sei ein Übergang zur Einheit der Welt nicht möglich. Der kosmische Regressus abstrahiere von der Tatsache, daß das Objekt zugleich Vorstellung sei. Damit werde die bestimmende Rolle des Geistigen nicht berücksichtigt. In diesem Zusammenhange wandte sich Wundt wiederum scharf gegen die materialistische Erkenntnis, wonach die Vorstellungen subjektiver Abbilder der objektiven Realität sind. 133 Das Vorstellungsobjekt als ursprüngliche Einheit des Gegenstandes und seiner Vorstellung fordere, daß der zunächst jeweils gesondert ausgeführte Fortschritt der kosmologischen und psychologischen Ideen schließlich zu der Einheit zurückgeführt werde, welche als letzter Grund seiner ursprünglichen Einheit angesehen werden könne. Die kosmologische Betrachtung habe zunächst davon abgesehen, daß die Objekte zugleich Vorstellungen seien, die psychologische davon, daß die Vorstellungen zugleich Objekte seien. Beide bedürften daher einer Ergänzung, wodurch die aufgegebene Einheit wieder herbeigeführt werde. Die „Frage nach dem letzten Grund alles Seins oder nach der transzendenten Einheit des Natürlichen und Geistigen" bilde den Inhalt des „ontologischen Problems" 134 . „Der Ausgangspunkt des ontologischen Problems", schrieb Wundt, „liegt nämlich in der Tatsache, daß das ursprüngliche Vorstellungsobjekt in das Objekt und in die Vorstellung als seine beiden voneinander zu trennenden und doch zusammengehörigen Bestandteile sich scheidet. Da beide ursprünglich eins sind und für die praktische Lebensauffassung fortan als eins gelten, so ist die theoretische Reflexion von Anfang an von dem Streben beseelt, diese Scheidung, die sie notgedrungen ausführen mußte, nachträglich wieder aufzuheben, indem sie die Trennung der inneren und der äußeren Erfahrung zum Zwecke der empirischen Analyse der Erscheinungen bestehen läßt, für eine darüber hinausgehende metaphysische Betrachtung aber beseitigt." 133 Wundt betrachtete den ontologischen Regressus gegenüber dem kosmologischen und dem psychologischen als eine andere Art. Bei den beiden letzteren könne der „Weg ins Transzendente" möglicherweise zu einer dem Inhalt nach, nie aber zu einer ihrer allgemeinen Form nach verfehlten Vernunftidee gelangen. Ob die gegenwärtige Weltentwicklung mit einem gasförmigen chaotischen Anfangszustand begonnen habe, könne bezweifelt werden, aber irgendeine Verteilungsform der Materie werde immer als relativer Anfang gedacht werden müssen. Ob das Wollen, ob das Vorstellen, ob vielleicht beide zusammen den Ausgangspunkt alles geistigen Geschehens bilden, darüber könne man streiten, unbestritten bleibe, daß irgend ein geistiger, das heißt nach dem Vorbild unserer Bewußtseins Vorgänge zu denkender Inhalt als ursprünglich gegeben angenommen werden müsse. Beim ontologischen Regressus liege keine Erfahrung von bestimmter Form vor; das Sein könnten wir uns in der Form der äußeren Erfahrung, wie die Materialisten, oder in der der inneren Erfahrung vorstellen, wie die Idealisten. W i r könn1 3 3 Vgl. W . Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1 8 8 9 , S. 4 1 2 . 1 3 4 Ebenda, S. 4 0 6 . 1 3 5 Ebenda, S. 4 0 7 .

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ten schließlich auch eine dualistische F o r m wählen. D i e R e s u l t a t e der k o s m o l o g i schen und psychologischen G e d a n k e n r e i h e n dürften nicht einfach nebeneinander bestehen bleiben, denn dann w e r d e die W a h l zwischen den sich b e k ä m p f e n d e n ontologischen Standpunkten zugunsten des „gemeinen D u a l i s m u s " entschieden, der die gewonnenen V e r n u n f t i d e e n zu zwei Substanzbegriffen verdichte. D a auf diese W e i s e die Wechselwirkung v o n K ö r p e r und G e i s t nicht mehr begreiflich gemacht w e r d e n könne, müsse der D u a l i s m u s noch eine dritte, „ a b s o l u t i m a g i n ä r e S u b s t a n z " annehmen, welcher d i e A u f g a b e zufalle, durch einen nur mittelbaren Eingriff o d e r sonst auf geheimnisvolle W e i s e die W e c h s e l w i r k u n g ins W e r k zu setzen. 1 3 6 In der cartesianischen Schule und in der Wölfischen O n t o l o g i e sei d i e s e a b s o l u t i m a g i n ä r e Substanz einfach mit der G o t t e s i d e e verschmolzen worden. A u s g e h e n d v o n seiner K o n z e p t i o n des in der unmittelbaren E r f a h r u n g gegebenen V o r s t e l l u n g s o b j e k t s versuchte W u n d t eine L ö s u n g der F r a g e nach d e m C h a r a k t e r des einheitlichen Seins durch eine „ W e i t e r f ü h r u n g des psychologischen Fortschritts" auf d i e o b j e k t i v e W e l t . D a m i t entschied er sich v o n vornherein für den geistigen S t a n d p u n k t , nahm somit v o r w e g , w a s er begründen wollte. A u s gehend v o m Verhältnis v o n V o r s t e l l u n g u n d Willen g e l a n g t e W u n d t zur idealistischen „ L ö s u n g " des ontologischen Problems. E r schrieb: „ D e n n es erweist sich . . . überall d i e V o r s t e l l u n g a l s d a s M e d i u m , durch welches d i e Willen in W e c h s e l w i r k u n g miteinander treten, so d a ß insbesondere nur vermittels der G e m e i n s c h a f t der Vorstellungen eine G e m e i n s c h a f t des W o l l e n s entstehen kann. Hierin v e r r ä t sich deutlich, d a ß d a s eigenste Sein des einzelnen Subjekts d a s W o l l e n ist, u n d d a ß die V o r s t e l l u n g erst aus der V e r b i n d u n g d e r w o l l e n d e n S u b j e k t e o d e r aus d e m K o n f l i k t der verschiedenen Willenseinheiten ihren U r s p r u n g nimmt, w o r a u f sie d a n n zugleich d a s Mittel w i r d , welches höhere Willenseinheiten entstehen läßt. N a c h d e m nun aber d a s V o r s t e l l u n g s o b j e k t selbst auf die T ä t i g keit anderer wollender S u b j e k t e zurückgeführt ist, v e r l a n g t offenbar d a s ontologische P r o b l e m eine W e i t e r f ü h r u n g jenes psychologischen Fortschritts in d e m Sinne, d a ß die o b j e k t i v e W e l t in die Reihe der dort gewonnenen Willensentwicklungen sich einfügt. D a s kann nur geschehen, wenn wir a l l e R e a l i t ä t als eine unendliche T o t a l i t ä t individueller Willenseinheiten denken, denen eine S t u f e n f o l g e v o n Wechselbeziehungen ursprünglich z u k o m m t , durch welche jedes E i n z e l w o l l e n zu v o r s t e l l e n d e m W o l l e n w i r d , aus welchem letzteren d a n n wieder eine Z u s a m m e n f a s s u n g vieler Willenseinheiten zu höheren W i l l e n s f o r m e n hervorgeht, so d a ß d i e W e c h s e l w i r k u n g der Willenseinheiten zugleich d a s E n t w i c k l u n g s p r i n z i p des Willens selbst ist- In dieser A n n a h m e sind zwei V o r a u s s e t z u n g e n gemacht, die eine weitere A b l e i t u n g nicht z u l a s s e n : nach der ersten beruht a l l e selbständige R e a l i t ä t auf der Willenseinheit; nach der zweiten ist d i e V o r s t e l l u n g gleichzeitig B e z i e h u n g s f o r m d e r realen Willenseinheiten zu einander und E n t w i c k l u n g s f o r m höherer realer Willenseinheiten aus e i n f a c h e r e n . " 1 3 7 136 Ebenda, S. 409. 137 Ebenda, S. 416.

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Inwiefern sich die objektive Welt in den Entwicklungsprozeß der Willenseinheiten einfügen muß, läßt sich wohl mit keinem Mittel logischen Scharfsinns begründen. Indem Wundt abrupt und ohne Begründung die objektive Welt in die Reihe der Willensentwicklungen einfügte, wird besonders augenfällig, daß es ihm nicht um eine vorurteilslose Erforschung der Tatsachen ging, aus denen der Charakter der Einheit der Welt wissenschaftlich erschlossen werden konnte, sondern um eine Gedankenkonstruktion, die seine vorgefaßte idealistische Position begründen sollte. In Wundts metaphysischer Konzeption von der Einheit des Seins und des Denkens sind richtige, ihrem Wesen nach materialistische Teilerkenntnisse enthalten. Die wahre Einheit von Denken und Sein sah er in der „Gebundenheit des subjektiven Erkenntnisaktes an die Eigenschaften und Verhältnisse der gegebenen Wirklichkeit", wenn auch nicht im Sinne der materialistischen Widerspiegelungstheorie. 1:i8 Trotz solcher Einsichten führte das objektiv zum Scheitern verurteilte Bemühen, eine geistige Einheit der Welt zu begründen, immer wieder zu metaphysischen Spekulationen. Wundt schrieb beispielsweise: „Nachdem die Wissenschaft auf Grund einer Jahrhunderte dauernden Arbeit die Qualität der Empfindung aus der ursprünglichen Einheit des Gegenstandes endgültig in das erkennende Subjekt zurückverwiesen hat, sind Licht und Schall und was sonst den reichen Inhalt unserer Empfindungen ausmacht, wahrlich nicht aus der Wirklichkeit verschwunden; aber sie sind zu den zurückbleibenden objektiven Inhalten in ein Verhältnis der Ergänzung getreten, die sich überall mit jenen wieder verbinden muß und von selbst verbindet, wo unsere eigene volle Persönlichkeit mit dem gesamten Inhalt der Erscheinungswelt in Beziehung tritt." 139 Die Einheit des Seins begründete Wundt auch damit, daß alle Abstraktionen und Konstruktionen der Physik Anwendungen der Denkgesetze seien und daß überall, wo physische und psychische Funktionen ineinander griffen, die Bedingungen der physischen Welt die Grenzen unserer seelischen Leistungen bestimmten. Die naturphilosophische Hypothese von einer Allbeseelung der Welt lehnte Wundt ab, mit seinen Auffassungen gelangte er jedoch in deren Nähe. Seelisches Leben dürfe nur dort angenommen werden, wo sich in Äußerungen von Motiven und in zweckmäßigen Handlungen die spezifischen psychischen Gesetze beobachten ließen. Um den seelischen Kräften im Weltgeschehen mehr Gewicht zu verleihen, bestimmte Wundt deren Wirkungskreis sehr weit; schon bei den niedersten Organismen nahm er Willenshandlungen an. Es könne „keinem Zweifel unterworfen sein, daß die Bewegungen in der niedersten Tierwelt nach ihren objektiven Merkmalen ganz und gar diesem Typus einfacher Willenshandlungen angehören. . . . Bei den niedersten Protozoen zeigt jeder Teil der Leibesmasse den nämlichen Bewegungstyp" 140 . Die Protozoen seien nach einheitlichen Willensakten geleitete 1 3 8 W . Wundt, W a s soll uns Kant nicht sein?, in: Kleine Schriften, 1. Bd., a. a. O., S. 1 9 7 . 1 3 9 Ebenda, S. 1 9 8 . 1 4 0 W . Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1 8 8 9 , S. 3 3 3 .

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einfachste psychophysische Organismen. Die Anfänge des pflanzlichen Lebens stimmten in ihren Erscheinungsformen vollkommen mit denen des tierischen Lebens überein, demnach müsse angenommen werden, daß in ihnen Willenskräfte wirksam gewesen seien. In den ersten Anfängen des Lebensprozesses wären die das Leben erweckenden Grundtriebe zur Äußerung gekommen. Bei den späteren Pflanzen handle es sich um erstarrte Organisationsstufen. 141 Im Unterschied zum Tierreich sei also bei den Pflanzen nur ein psychisches Anfangsglied anzunehmen, gewissermaßen ein psychischer Impuls, der der gesamten weiteren Folge der Erscheinungen das Merkmal des Zweckvollen aufgeprägt habe, dann aber erstarrt, mechanisiert sei. Physische Prozesse im Pflanzenreich wären demnach aus einfachen Formen des Psychischen hervorgegangen. Der Aufbau des Organischen galt für Wundt als „das erste Glied in der Reihe jener Veranstaltungen, durch die sich der Wille als aktuelle geistige Macht die Naturkräfte dienstbar macht, um die Erfolge des geistigen Wirkens bleibend zu befestigen und neue Unterlagen für die unablässige Steigerung dieses Wirkens zu gewinnen." 142 Die Selbstschöpfung der organischen Welt sei somit eine Vorstufe der geistigen Entwicklung. Bewertet man einzelne Aussagen Wundts isoliert, zum Beispiel seine Feststellung, daß die organische Entwicklung der geistigen als Vorstufe vorangegangen sei, so könnte man annehmen, daß er das Geistige als Entwicklungsprodukt des Materiellen betrachtet habe. Die „Selbstschöpfung" der organischen Welt verstand aber Wundt keineswegs als einen materiellen, von geistigen Kräften unabhängigen Entwicklungsprozeß. Geistiges Wirken - der Wille als aktuelle geistige Macht werden dieser „Selbstschöpfung" vorangestellt. Die „Selbstschöpfung" habe den Zweck, die „Erfolge des geistigen Wirkens bleibend zu festigen", setze demnach „zwecksetzende K r ä f t e " voraus. Die organische Entwicklung subsumierte Wundt unter das „Gesetz der geistigen Entwicklung" 1 4 3 . Die organische Entwicklung schaffe die physischen Grundlagen für die geistige Entwicklung, das könne sie aber nur, weil sie selbst aus geistigen Triebkräften hervorgegangen sei. Wundt schrieb: „ D i e organische bildet eine Vorstufe der geistigen Entwicklung. Jene schafft die physischen Grundlagen, deren diese bedarf; und sie vermag dies nur, weil die letzten Triebkräfte, aus denen sie hervorging, selbst geistige Kräfte sind. Darum wirkt nun aber auch die geistige Entwicklung ihrerseits auf ihre physischen Grundlagen zurück: sie bildet diese zu immer vollkommeneren Wirkungen ihrer Zwecke um und wirkt von hier aus zweckgestaltend auf die gesamte Naturumgebung, aus der sie ein geistiges Werkzeug zu machen strebt." 144 D i e „beseelten Wesen" integrierte Wundt zunächst im Sinne des psychophysischen Parallelismus in das Naturgeschehen. Er schrieb: „Ihr Umkreis erstreckt sich möglicherweise über das gesamte Reich der Organismen, da schon das Protoplasma der Protozoen, vielleicht auch selbst das der jugendlichen Pflanzenzellen Träger solcher psychi141 142 143 144

128

Vgl. ebenda, S. 333 f. Ebenda, S. 337. Ebenda, S. 343. Ebenda.

scher Elementarverbindungen sein mag. So bilden nach der sich hier eröffnenden Naturanschauung die Bewußtseinseinheiten oder Seelen, wie wir sie im Sinne des aktuellen Seelenbegriffs nennen dürfen, gleichsam Knotenpunkte im Naturlauf, in welchen sich aus der unendlichen Mannigfaltigkeit untergeordneter psychischer Elemente Verbindungen herstellen, die als mehr oder minder zusammengesetzte und umfassende Systeme solcher allverbreiteter qualitativer Elementarvorgänge betrachtet werden können. Es ist, wie man sich wohl bildlich ausdrücken darf, die Innenseite der Natur, die uns in ihren Knotenpunkten des Naturlaufs entgegentritt, die uns objektiv als Formen des organischen Lebens, subjektiv als Bewußtseinseinheiten teils direkt in unserem eigenen Bewußtsein, teils indirekt in gewissen Handlungen lebender Wesen gegeben sind. So bewahren in diesem einheitlichen Bilde die Naturgesetze ihre volle, auch das Leben in allen seinen Erscheinungen umfassende Gültigkeit; aber sie werden ergänzt durch die qualitative, psychische Seite des Seins, die, ungestört von den objektiven Naturgesetzen, ihren eigenen Gesetzen folgt, und die, wo es auf eine einheitliche Gesamtauffassung der Welt ankommt, zur Ergänzung der Naturgesetze unentbehrlich ist." 145 Diese Darstellung, in der den seelischen Kräften überragende Bedeutung zugesprochen wird, bewegt sich noch völlig im Rahmen des psychophysischen Parallelismus, sie konstatiert noch kein „geistiges Wesen der Welt". Um das Physische dem Psychischen unterordnen zu können, mußte Wundt das Prinzip des psychophysischen Parallelismus aufgeben und den Boden der empirischen Tatsachen zugunsten der metaphysischen Spekulation verlassen. Er erklärte: „Vom Standpunkte der empirischen Betrachtung des Seelenlebens aus schließt das Prinzip des psychophysischen Parallelismus nur die Voraussetzung ein, daß jedem psychischen Geschehen ein physischer Vorgang entspreche, während die Umkehrung dieses Satzes durchaus nicht gefordert wird, da zahlreiche physiologische Prozesse nicht nur zu den Bewußtseinserscheinungen selbst, sondern auch zu den im zentralen Nervensystem ablaufenden Hilfsvorgängen derselben außer aller Beziehung stehen. Anders liegt die Sache für den metaphysischen Gesichtspunkt- Da der letztere allgemein in den physischen Vorgängen nur Objektivierungen eines Geschehens erblicken kann, dessen wirkliches Sein unserem eigenen geistigen Leben analog ist, und da auf diese Weise die psychischen Leistungen des lebenden Körpers Ergebnisse von Vorbedingungen sein müssen, die ihnen selbst gleichartig sind, so kann hier jene empirische Einschränkung nicht bestehen bleiben, sondern der ganze lebende Körper erscheint nunmehr als ein einheitliches psychophysisches Substrat des geistigen Lebens." 146 Der Übergang Wundts vom Standpunkt des psychophysischen Parallelismus zur Annahme beseelter Wesen, die das Naturgeschehen bestimmen, rief selbst unter seinen Mitarbeitern Verwunderung hervor. Sein ehemaliger Schüler und Assistent Krueger schrieb: „Der Parallelismus, als Arbeitshypothese von dem Psychologen 1 4 5 W . Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, a. a. O., S. 3 3 5 . 1 4 6 W . Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1 8 8 9 , S. 5 8 4 . 9

Wilhelm Wund:

129

höchst fruchtbar gemacht, geht ohne scharfe Grenze in ein metaphysisches Prinzip der Allbeseelung über. Aus wissenschaftstheoretischen Überlegungen, aus rein metaphysischen und Wert-Überzeugungen erwächst daneben ein entschiedener Spiritualismus, ohne rechte Vermittlung. Endlich das urdeutsche Prinzip der Entwicklung (die Natur als notwendige .Vorstufe' des Geistes) wird zu ausschließlich psychogenetisch gefaßt, um seine Fruchtbarkeit voll entfalten zu können." 1 4 7 Wundts Idee einer geistigen Einheit des Seins postulierte keinen „Weltgeist" und keine „absolute Idee", zu Triebkräften des Weltgeschehens erklärte sie individuelle Willenseinheiten, die sich auf immer höherer Stufe zu Gemeinschaften vereinten. Außerhalb der individuellen Seelen existiere kein geistiges Wesen; geistige Gemeinschaften seien qualitativ mehr als die Summe der sie konstituierenden Individuen. D i e Entwicklung des menschlichen Geistes - oder Willens führe von der Stufe der individuellen Persönlichkeit über Zwischenglieder Familie, Stamm, Nation - zum ständig erstrebten, jedoch nie völlig erreichbaren Gesamtgeist der Menschheit. Zur Bestimmung des allgemeinen geistigen Weltgrundes müsse in Fortführung der in der Erfahrung begonnenen Kausalreihe ein zwar imaginärer, aber denknotwendiger Universalgeist im Sinne des kosmischen Geisterreiches angenommen werden. Wundt schloß als Denkmöglichkeit - allerdings im Widerspruch zu seiner Grundauffa&sung von individuellen und Gemeinschaftsgeistern - Gott nicht aus; aus ethischen Gründen akzeptierte er die Gottesvorstellung. Wundts Konzeption einer geistigen Einheit des Seins ist in starkem Maße von Leibniz'Gedanken der „Weltharmonie" beeinflußt. Wundt selbst hat diesen starken Einfluß hervorgehoben; die Idee der Weltharmonie zählte er zu den bedeutendsten Leistungen des „Begründers der deutschen Philosophie", die bis in die jüngsten Tage hineinwirkten. Leibniz habe die Idee der Weltharmonie zur Klarheit eines philosophischen Prinzips erhoben, indem er sie auf die „Forderung der durchgängigen Wechselbeziehung aller durch die geistige Einheit des Seins verbundenen Teile des Universums" gegründet habe. 1 4 8 Wundt identifizierte sich mit dem Leibnizschen Standpunkt, daß selbst die Naturgesetze, wie der Zweckgedanke erkennen lasse, geistige Gesetze seien. Zustimmend erklärte er: „Sind es die Gesetze des geistigen Lebens, die die materielle wie die geistige Welt regieren, so kann aber die Natur nur eine Erscheinungswelt sein, hinter der das gleiche geistige Leben verborgen ist, das wir unmittelbar in uns selbst, in unserer eigenen Seele finden."149 147 F. Krueger, Wilhelm Wundt als deutscher Denker, in: Wilhelm Wundt - eine Würdigung, Anhang

zum

2.

Band

„Beiträge

zur

Philosophie

des

Deutschen

1 9 2 2 , S. 9. 1 4 8 W . Wundt, Die Nationen und ihre Philosophie, Baden 1 9 4 1 , S. 7 6 . 149

130

Ebenda.

Idealismus",

Erfurt

5.10.

Die Rolle des Denkens und der Erkenntnis in Wundts Philosophie

Tn Wundts psychologischen und philosophischen Arbeiten ist das Denken eine zentrale Kategorie. „Unser Denken", schrieb er, „betrachten wir als das notwendige Werkzeug aller Erkenntnis. Wo jemals sich Zweifel erheben an der Wahrheit des Gedachten, da beruhen diese Zweifel samt den Berichtigungen, die sie an dem Gedankeninhalte hervorbringen mögen, wiederum auf unserem Denken. Alle Philosophie, ob sie nun auf den Erkenntnisvorgang oder auf dessen Gegenstände ihren Blick richtet, steht daher zuerst vor der Frage: Was ist Denken?" 1 5 0 D a s Denken bestimmte W u n d t als subjektive, selbstbewußte und beziehende Tätigkeit. Erst in ihrer Verbindung erschöpften diese Merkmale den Begriff des Denkens. Sie erläuternd, schrieb W u n d t : „Subjektive Tätigkeit ist das Denken mit Rücksicht auf die allgemeinste Unterscheidung der Erfahrungsinhalte, im Gegensatz also zu denjenigen Bestandteilen der Erfahrung, die wir als Objektive auffassen. Selbstbewußte Tätigkeit ist es in Bezug auf die Willensseite unserer Erfahrung. Als beziehende Tätigkeit endlich bewährt es sich gegenüber seinen Inhalten." 1 5 1 Zweifellos spielt im Erkenntnisprozeß das Denken eine unabdingbare und entscheidende Rolle. Als höchste Stufe der bedingt-reflektorischen Widerspiegelung ermöglicht sie es, das Wesen, die gesetzmäßigen Zusammenhänge und Entwicklungsprozesse immer adäquater zu erfassen. Wundts Analysen des Denkens beschränkten sich weitgehend auf den subjektiven Tätigkeitsaspekt; als nach logischen Gesetzen verlaufendes innerpsychisches Geschehen isolierte er es von seinen objektiven, vor allem von seinen grundlegenden und bestimmenden materiellen Determinanten. Obwohl W u n d t voraussetzte, d a ß unser Denken der Anregung durch die Gegenstände der Außenwelt bedürfe, verstand er nicht dessen Wesen als Widerspiegelung der objektiven Realität. Als eigentliche Quelle der Gedankenentwicklung betrachtete W u n d t den Begriff, den er ebenfalls nicht als Form der ideellen Widerspiegelung erfaßte. Der Gedanke Verlauf führe zur Ausbildung neuer Begriffe, die wiederum Quelle neuer Gedanken und Begriffe seien und so fort. D a s Denken wurde v so - indem einige Aspekte isoliert und verselbständigt wurden - auf ein nach logischen Gesetzen verlaufendes Operieren mit Begriffen reduziert, sein grundlegender, wesensbestimmender Widerspiegelungscharakter dabei außer acht gelassen. W u n d t glaubte sogar, d a ß sich in der Denktätigkeit eine immer weitergehende Loslösung des abstrahierenden Denkens von den Bedingungen der Anschauung vollziehe. Im Gegensatz zur dialektischmaterialistischen Auffassung vom Denken, die eine Höherentwicklung des D e n kens in zunehmend begrifflich-abstrakteren Formen als Prozeß der immer adäquateren Widerspiegelung der objektiven Realität, ihrer genaueren Abbildung, nachweist, in dem tatsächlich die direkte sinnliche Vermittlung zurücktritt, bestand 150 W. Wundt, System der Philosophie, 2. Aufl., Leipzig 1897, S. 35. 151 Ebenda, S. 41. 9*

131

für Wundt die Höherentwicklung des Denkens in einer Verselbständigung gegenüber der objektiven Realität, in der Lösung von der Gebundenheit an die Sinnesempfindungen - in der „Freiheit" des Denkens von allen materiellen Fesseln. In dem berechtigten Bemühen, vor allem gegenüber mechanistischen Widerspiegelungsauffassungen den aktiv-schöpferischen Charakter des Denkens hervorzuheben, wandte sich Wundt wiederholt dagegen, das Denken als Widerspiegelung aufzufassen. Ihm ging es um den Nachweis, daß bestimmte Bewußtseinsinhalte vom subjektiven Denken selbständig und schöpferisch hervorgebracht werden. Das zeigt sich sehr deutlich, wenn wir seine Analyse der beziehenden Tätigkeit betrachten. Als beziehende Tätigkeit könne unser Denken die verschiedensten Vorstellungsinhalte miteinander in Verbindung bringen. Ursprünglich beschränke es sich in dieser Freiheit des Tuns, indem es sich streng an die Verbindungen halte, welche die Vorstellungswelt darbiete. Die ungeheure Mehrheit der Denkenden mache von der Freiheit des Denkens höchst bescheiden Gebrauch, „indem sie sich damit begnügt, das in Beziehung zu setzen, was von selbst schon auf einander bezogen zu sein scheint, so daß sogar der Glaube entsteht, es sei nicht erst das subjektive Denken, das solche Beziehungen herstelle, sondern diese seien an sich schon in der Welt der Dinge vorhanden" 102 . Das beziehende Denken sei keineswegs an die Verbindungen gekettet, die ihm unmittelbar in der Anschauung gegeben sind, sondern es vermöge, aus in ihm selbst gelegenen Motiven an sich getrennte Vorstellungen zu vereinigen und zueinander in Beziehung zu setzen. In Urteilen wie „Der Wolf ist ein Raubtier" oder „Das Dreieck ist eine ebene Figur" fehle die ursprüngliche Einheit der Anschauung vollständig. In diesen Auffassungen Wundts, die in ihrer Gesamtheit nicht akzeptiert werden können, weil sie den wesentlichen Aspekt des Denkens als Widerspiegelung der objektiven Realität ignorieren, sind zweifellos richtige Teilerkenntnisse enthalten. Das Denken ist tatsächlich keine passive Widerspiegelung der objektiven Realität im Bewußtsein. Es entsteht und entwickelt sich als schöpferische Tätigkeit im Prozeß der aktiven materiell-gegenständlichen und geistigen Auseinandersetzung mit der Natur und den gesellschaftlichen Erscheinungen, vor allem durch die Arbeit. Das Denken hat aktiv-schöpferischen Charakter, indem es das Verhalten und die Tätigkeit der Menschen orientiert, steuert und reguliert. Gegenüber seiner sinnlichen Basis - deren Existenz Wundt nicht leugnete - besitzt das Denken relative Selbständigkeit. Wenn wir die logischen Gesetze beachten, ist es möglich, durch „reine" Denkoperationen neue Erkenntnisse zu gewinnen, auch zu Erkenntnissen zu gelangen, die der sinnlichen Erfahrung nicht oder noch nicht zugänglich sind. Engels schrieb dazu im „Anti-Dühring": „Wenn wir die Voraussetzungen richtig haben und die Denkgesetze richtig auf sie anwenden, so muß das Resultat mit der Wirklichkeit stimmen." 153 Durch Denkoperationen können Zusammen1 5 2 Ebenda, S. 42. 1 5 3 F. Engels, Materialien zum „Anti-Dühring", in: M E W , Bd. 20, a. a. O., S. 5 7 3 .

132

hänge erschlossen oder konstruiert werden, die in unseren Wahrnehmungen nicht gegeben sind oder objektiv gar nicht existieren. Trotzdem sind solche Denkoperationen Widerspiegelungsprozesse, wenn auch in vielfältig vermittelter Form. Weil er ihren Widerspiegelungscharakter nicht verstand, beachtete Wundt nicht, daß wir zwar alle möglichen Vorstellungen willkürlich miteinander verbinden und die in der Wahrnehmung gegebenen Inhalte zergliedern können - der Freiheit unseres Denkens als beziehender Tätigkeit tatsächlich ein weiter Spielraum gegeben ist - , daß wir aber nur zu adäquaten Erkenntnissen von den Dingen und Prozessen der Wirklichkeit kommen, wenn wir sie so im Denken erfassen, wie sie wirklich sind, in den Beziehungen also, in denen sie objektiv real existieren. Unser Denken als Bestandteil des Bewußtseins ist primär abhängig von der materiellen Welt, die es widerspiegelt, dadurch büßt es seinen aktiv-schöpferischen Charakter nicht ein. Obwohl für das Urteil „Der Wolf ist ein Raubtier" die Einheit in der Anschauung ursprünglich nicht gegeben sei, darf es nicht als reine subjektive Gedankenschöpfung verstanden werden. Die beiden Begriffe Wolf und Raubtier widerspiegeln in ihrer Einheit einen objektiven Tatbestand. Sollte das beziehende Denken sich die „Freiheit" nehmen, Pferd und Insekt zu dem Urteil „Das Pferd ist ein Insekt" zu verknüpfen, so wäre das eine völlig sinnlose Konstruktion ohne jeden Erkenntnisgewinn. Erkenntniswert haben nur solche Vorstellungsverbindungen, die aus der unbegrenzten und unendlichen Vielfalt der objektiven Realität bestimmte Erscheinungen, Zusammenhänge, Seiten, Momente und dergleichen mehr oder weniger adäquat widerspiegeln. Die Feststellung von Beziehungen der Dinge und Prozesse der Wirklichkeit war für Wundt in erster Linie das Ergebnis der subjektiven Denktätigkeit, nicht Resultat eines Widerspiegelungsvorganges, der eine relative Selbständigkeit von Denkoperationen einschließt. Er bezog das Denken als Widerspiegelungstätigkeit nicht auf die objektive Realität, und er begriff es nicht als einen das SubjektObjekt-Verhältnis vermittelnden Prozeß. Er bezog das Denken - als innere Tätigkeit des Subjekts - auf die dem Subjekt gegebenen Vorstellungen, gleichgültig, ob diesen reale Objekte entsprachen oder nicht. Natürlich sind unsere Vorstellungen auch Produkte unserer Denktätigkeit - ohne Denken könnten sie nicht existieren - , ihr Wesen ist aber nur zu verstehen, wenn wir sie zugleich als Widerspiegelung objektiver Realität im Bewußtsein erfassen. Für Wundt war Denken „eigenstes inneres Erleben" 154 . Ausgangspunkt aller Erkenntnisschritte war für ihn subjektive Tätigkeit, nicht das kognitive Verhältnis von Objekt und Subjekt. Den Zusammenhang unserer Vorstellungen führte er nicht auf objektive Verhältnisse zurück, die, wenn auch oft über viele Stufen vermittelt, letzten Endes den Zusammenhang unserer Vorstellungen bestimmen, sondern auf eine „innere Notwendigkeit". Nichts trage in gleichem Maße den Charakter solch innerer Notwendigkeit an sich, wie unser Denken. Das Denken müsse man als

1 5 4 W . Wundt, System der Philosophie, 2. Aufl., Leipzig 1 8 9 7 , S. 36.

133

„die allgemeine Norm" betrachten, „auf die jede Art des Zusammenhanges unserer Vorstellungen zurückgeführt" werden müsse. 135 Auch der Wechsel von Vorstellungen wurde von Wundt nicht primär aus dem Wechsel objektiver Erscheinungen, sondern aus unserer subjektiven Gedankentätigkeit erklärt, womit auch in dieser Beziehung das subjektive aktive Element des Denkens verselbständigt und vom Widerspiegelungsaspekt isoliert wurde. Wundt nahm bestimmte logische Funktionen als a priori gegeben an. Es sei nicht gerechtfertigt, die Annahme bestimmter Apriori als falsch abzutun. Die Existenz gewisser Apriori kann wohl insofern anerkannt werden, als mit der phylogenetischen Entwicklung unserer Gehirnstrukturen als materielles Substrat sich bestimmte materielle Nerven- und Gehirnstrukturen und Mechanismen herausbildeten, die dem Individuum tatsächlich vor jeder Erfahrung gegeben sind. Außerdem hat sich die Fähigkeit, logisch denken zu können, bereits phylogenetisch im sozialen Erkenntnisprozeß als Widerspiegelungsfähigkeit entwickelt. Diese ist auch nicht von vornherein wirksam, sondern bildet sich im sozialen Lebensprozeß aus. Wundt verstand das Denken trotz seiner idealistischen Grundposition keineswegs als rein subjektive, von der objektiven Realität unabhängige Tätigkeit. Das Denken werde durch die Dinge und Prozesse der objektiven Welt angeregt, und es entnähme dieser seine Inhalte. Die Quelle des Denkens sei jedoch innere subjektive Tätigkeit. Wundts Auffassung vom Denken ist durch seinen Voluntarismus geprägt. Jedes Denken sei ein Wollen. Denkakte würden uns nicht gegeben wie die äußeren Sinneswahrnehmungen oder die frei aufsteigenden Gedächtnisbilder. Wundt stellte fest: „Mögen ihre Elemente auch ganz oder zum Teil ungesucht sich bieten, die Art, wie wir sie aneinander fügen, bleibt eine Tat unseres Wollens." 156 Willensprozesse sind zweifellos wesentliche Elemente des Denkens, die Qualität des Denkens wird weitgehend vom Entwicklungsniveau des Willens beeinflußt, jedoch sind Denkakte als spezifische Form der Widerspiegelung primär durch die objektive Realität determiniert. Bei seinen psychophysiologischen Untersuchungen war Wundt ständig mit den materiellen Grundlagen und Voraussetzungen des Denkens konfrontiert. Er vertrat deshalb nicht uneingeschränkt eine subjektiv-idealistische Auffassung vom Denken. Er unterschied primäre und sekundäre Gedankenformen. Bei der primären Gedankenform gehöre die Verbindung der Vorstellungselemente der vorausgehenden Anschauung an. Hinsichtlich der „primären Gedankenform" näherte sich Wundt somit der Erkenntnis vom Widerspiegelungscharakter des Denkens. Bei der sekundären Gedankenform werde die Verbindung durch das Denken zustande gebracht. Die Unterscheidung von primären und sekundären Gedankenformen ist nicht völlig abwegig, die Gebun1 5 5 W . Wundt, Über den Einfluß der Philosophie auf die Erfahrungswissenschaften, Akademische Antrittsrede, 20. November 1 8 7 5 , Leipzig 1 8 7 6 , S. 1 4 . 1 5 6 W . Wundt, System der Philosophie, 2. Aufl., Leipzig 1 8 9 7 , S. 39.

134

denheit unserer G e d a n k e n an die o b j e k t i v e R e a l i t ä t ist zweifellos sehr unterschiedlich. J e d o c h d a r f aus der T a t s a c h e , d a ß v i e l e G e d a n k e n über Beziehungen nicht unmittelbar V e r h ä l t n i s s e v o n G e g e n s t ä n d e n u n d Prozessen der objektiven R e a l i t ä t widerspiegeln, nicht geschlußfolgert werden, sie entstünden u n a b h ä n g i g v o m Widerspiegelungsgeschehen. A l l e D e n k o p e r a t i o n e n , auch die v o n W u n d t als sekundär bezeichneten G e d a n k e n , beruhen letzten E n d e s auf der W i d e r s p i e g e lung objektiver R e a l i t ä t , gleichgültig, in welch vermittelter F o r m über a b s t r a k t begriffliche O p e r a t i o n e n diese W i d e r s p i e g e l u n g v e r l ä u f t , u n d u n a b h ä n g i g d a v o n , in welchem M a ß e o b j e k t i v e R e a l i t ä t a d ä q u a t widergespiegelt wird. D a s D e n k e n ist in seiner T o t a l i t ä t W i d e r s p i e g e l u n g objektiver R e a l i t ä t im B e w u ß t s e i n ; „rein s u b j e k t i v e " , v o m Widerspiegelungsgeschehen v ö l l i g u n a b h ä n g i g e E l e m e n t e sind nicht in ihm enthalten. A u c h bei der E r k l ä r u n g der E n t s t e h u n g von B e g r i f f e n k o m m t W u n d t s zwiespältige Position zum A u s d r u c k . E i n Begriff sei „ j e d e r aus d e m V o r s t e l l u n g s i n h a l t des Bewußtseins entstandene D e n k i n h a l t " . D e r Begriff setze „ V o r s t e l l u n g e n a l s sein M a t e r i a l und d a s beziehende Urteilen als die dieses M a t e r i a l f o r m e n d e T ä t i g k e i t " v o r a u s . 1 5 7 E s ist zweifellos richtig, d a ß V o r s t e l l u n g e n und beziehendes Urteilen zu den V o r a u s s e t z u n g e n v o n B e g r i f f s b i l d u n g e n gehören, aber d a m i t ist d a s W e s e n von B e g r i f f e n als W i d e r s p i e g e l u n g noch nicht erfaßt. D i e E n t s t e h u n g v o n B e g r i f f e n als W i d e r s p i e g e l u n g einer K l a s s e v o n I n d i v i d u e n - o d e r v o n K l a s s e n - l u f G r u n d ihrer invarianten M e r k m a l e erscheint bei W u n d t lediglich als ein auf den Vorstellungsinhalt bezogenes D e n k e n . A u c h in dieser Hinsicht ließ W u n d t den Z u s a m m e n h a n g mit der objektiven R e a l i t ä t nicht v ö l l i g außer acht. E n t s p r e c h e n d seiner K o n z e p t i o n v o m V o r s t e l l u n g s o b j e k t , d e m auch d i e E i g e n s c h a f t z u k o m m e , o b j e k t i v zu sein, w a r immer ein indirekter Z u s a m m e n h a n g jeder D e n k o p e r a t i o n , auch der B e g r i f f s b i l d u n g , mit der objektiven R e a l i t ä t vorausgesetzt. D a die f o r m e n d e D e n k t ä t i g k e i t nur mittels des M a t e r i a l s festgehalten w e r d e n könne, auf welches sie wirke, müßten „uns f o r t a n V o r s t e l l u n g e n als Zeichen der B e g r i f f e d i e n e n " 1 5 8 . D a s primitive D e n k e n v e r w e n d e d i e V o r s t e l l u n gen selbst, aus denen durch ihre V e r w e r t u n g im Urteil d i e B e g r i f f e entstanden seien. „ D a s entwickelte D e n k e n " , schrieb W u n d t , „setzt . . . an d i e S t e l l e der unmittelbaren Vorstellungen, welche d i e Unterlagen der B e g r i f f e g e b i l d e t haben, die für diese fixierten sprachlichen Zeichen, die g e r a d e durch ihre Verschiedenheit von den ursprünglichen Vorstellungen in viel höherem G r a d e geeignet sind, sich den jeweiligen B e d ü r f n i s s e n des D e n k e n s zu fügen. So w i r d es auf dieser S t u f e erst möglich, d a ß nun auch rein begriffliche E i g e n s c h a f t e n , wie die allgemeinen K a t e g o r i e n der B e g r i f f e , ihre Beziehungs- und V e r b i n d u n g s f o r m e n , in bestimmten Vorstellungen, d i e den W e r t v o n Begriffszeichen besitzen, zum A u s d r u c k gelangen."159

157 W. Wundt, System der Philosophie, 2. Aufl., Leipzig 1897, S. 44. 158 Ebenda. 159 Ebenda, S. 45.

135

D i e A u f f a s s u n g e n W u n d t s widerspiegeln einen realen Prozeß, sie erfassen aber d a s W e s e n der Vorstellungen nicht allseitig- D e r Begriff eines G e g e n s t a n d e s ist zweifellos nicht identisch mit einer bestimmten konkreten V o r s t e l l u n g von d i e s e m ; in ihm sind nur wesentliche M e r k m a l e enthalten, die einer K l a s s e v o n I n d i v i d u e n oder K l a s s e n als invariant z u k o m m e n . W e r d e n jedoch Vorstellungen, denen B e griffe z u g r u n d e liegen, ausschließlich als Zeichen von Begriffen bestimmt, w i r d d a s wesentliche M e r k m a l ignoriert, sinnlich-ganzheitliches A b b i l d v o n objektiven G e g e n s t ä n d e n und ihren E i g e n s c h a f t e n und Beziehungen zu sein. D i e s e s Merkmal wird nicht durch die Spezifik beseitigt, d a ß Vorstellungen im Unterschied zu W a h r n e h m u n g e n keine unmittelbaren A b b i l d e r gegenwärtig auf die Sinnesorgane einwirkender G e g e n s t ä n d e sind, sondern reproduzierte W a h r n e h m u n g s bilder früher wahrgenommener G e g e n s t ä n d e . W u n d t betrachtete d a s D e n k e n als einen gesetzmäßig v e r l a u f e n d e n Prozeß. Sein Ziel w a r es, G e s e t z e des D e n k e n s zu erforschen und anzuwenden. A l l e D e n k f o r m e n führte er auf zwei G r u n d f o r m e n zurück, auf d i e totale oder partielle Identität und d i e wechselseitige A b h ä n g i g k e i t . A l s G r u n d g e s e t z e galten ihm der S a t z der Identität und der Satz des W i d e r s p r u c h s . W u n d t schrieb: „ D i e beiden G r u n d f u n k t i o n e n , d i e sich so bei j e d e m zur Feststellung wie zur Verneinung von Gleichheitsverhältnissen dienenden Urteile bestätigen, lassen zwei G r u n d g e s e t z e aus sich hervorgehen. D i e Funktion der Übereinstimmung stellt an unser D e n k e n die F o r d e r u n g , überall d a s Ü b e r e i n s t i m m e n d e gleichzusetzen. D a ß dies geschehen solle, drückt der Satz der Identität aus. E r bildet die G r u n d r e g e l für jenen B e s t a n d t e i l des vergleichenden D e n k e n s , der die Gleichheit bestimmter B e g r i f f s m e r k m a l e hervorhebt. D i e Funktion d e r Unterscheid u n g d a g e g e n veranlaßt uns, a b w e i c h e n d e M e r k m a l e zu s o n d e r n ; sie fordert, d a s V e r s c h i e d e n e als ungleich dem Übereinstimmenden entgegenzustellen. D e r Satz, der diese E n t g e g e n s e t z u n g zum A u s d r u c k bringt, ist der Satz des W i d e r s p r u c h s . " 1 6 0 B e i d e G r u n d g e s e t z e seien R e g e l n , die bei jeder G e d a n k e n t ä t i g k e i t nebeneinander w i r k s a m seien. Sie erfaßten noch keine Abhängigkeitsverhältnisse. W u n d t unterschied, wie in a n d e r e m Z u s a m m e n h a n g e bereits erwähnt, die „ g e g e b e n e n , aus der Vorstellungswelt des Bewußtseins s t a m m e n d e n " v o n den „ i m D e n k e n g e f u n d e n e n , überall die logische G e d a n k e n t ä t i g k e i t selber b e s t i m m e n d e n " Beziehungen und A b h ä n g i g k e i t e n . 1 6 1 D i e letzteren faßte er als unmittelbar innerlich gegeben auf und erklärte sie zu den b e d e u t s a m e r e n . D i e rein logische A b h ä n g i g k e i t h a b e die H e r r s c h a f t über a l l e aus der V o r s t e l l u n g gegebenen A b h ä n g i g k e i t e n , weil sie die einzige sei, „ d i e als eine notwendige, v o n d e m D e n k e n nicht zu v e r w e i g e r n d e " a u f g e f a ß t w e r d e . 1 6 2 W u n d t erläuterte: „ J e n e Superiorität, welche die logische A b h ä n g i g k e i t über a l l e anderen F o r m e n derselben behauptet, besteht somit darin, d a ß diese A b h ä n g i g k e i t eine nach den G e s e t z e n der logischen Vergleichung hervorgebrachte und daher auch n o t w e n d i g diesen G e s e t z e n gehorchende ist. D i e s e

160 Ebenda, S. 70. 161 Ebenda, S. 74. 162 Ebenda.

136

Bedingungen bewirken es aber, daß unser Denken überall bemüht ist, die realen Abhängigkeitsbeziehungen, die sich in der Anschauung darbieten, der logischen Abhängigkeit unterzuordnen. D a wir die Glieder dieser logischen Abhängigkeit als G r u n d und F o l g e bezeichnen, so hat man die Regel, nach der wir Begriffe oder D e n k a k t e ihrer Abhängigkeit gemäß verbinden, allgemein den Satz v o m G r u n d e genannt " 1 6 3 Wundt hat die Denkgesetze nicht von der E r f a h r u n g losgelöst. Sie waren ihm die allgemeinsten Gesetze, die das Denken bei der Verknüpfung der empirischen Tatsachen befolge. Sie galten ihm als logische Gesetze, insofern sie aus den Grundfunktionen unseres Denkens hervorgingen, als empirische, sofern sie für alle Bearbeitung der E r f a h r u n g Geltung besäßen und in unserem D e n k e n keinen Bestand haben könnten, wenn sich nicht die Gegenstände der Anschauung ihrer Anwendung fügten. Hinsichtlich ihres empirischen Aspektes vertrat W u n d t damit den materialistischen Standpunkt, daß sich die Denkgesetze nach den Gegenständen der Anschauung richten müßten. Solche materialistischen Einsichten wurden immer wieder von idealistischen Konstruktionen überwuchert, weil der Widerspiegelungscharakter des Denkens nicht verstanden wurde. D i e Beziehung der Denkinhalte zu den realen Objekten versuchte Wundt v o m D e n k e n her zu erfassen. „ D i e s e Gesetze der Anschauung und des D e n k e n s " , schrieb er, „sind aber, da es kein Denken ohne Inhalt gibt, nichts anderes als die allgemeinsten Gesetze des Denkinhaltes oder der D i n g e selbst." 1 6 4 D i e Gesetze der objektiven Realität könnten demnach durch die Analyse der im Denken gegebenen Vorstellungsinhalte und des gesetzmäßigen Verlaufs der Denkprozesse erforscht werden. V o m Denken her entwickelte Wundt auch seine Erkenntnistheorie. Alles Erkennen sei „ein Denken, mit welchem sich die Überzeugung von der Realität solcher Objekte und objektiver Beziehungen verbindet, die dem Vorstellungsinhalte der Gedanken entsprechen" 1 6 5 . Wundts erkenntnistheoretische Konzeption geht von der Voraussetzung aus, daß Erkenntnis objektive Realität erfordert, wenn auch nicht im engen Sinne eines äußeren Objektes. In der Wirklichkeit sei d a s Vorstellungsobjekt gegeben, nicht durch unser Denken erzeugt. „ D a s Objekt muß auf das Subjekt wirken, um von diesem vorgestellt zu werden", betonte Wundt. 1 6 6 E r wies die empiriokritische Position zurück, wonach die Objekte K o m p l e x e unserer Vorstellungen sind. „Nicht objektive Realität zu schaffen aus Elementen, die selbst solche noch nicht enthalten", könne die wahre lösbare A u f g a b e der Erkenntniswissenschaften sein, „sondern objektive Realität zu bewahren, wo sie vorhanden, über ihre Existenz zu entscheiden, wo sie dem Zweifel ausgesetzt ist." 1 6 7 D i e alte Regel, 163 Ebenda, S. 75. 164 W. Wundt, Allgemeine Logik und Erkenntnistheorie, 1. Bd., a. a. O., S. 417. 165 W. Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1889, S. 90. 166 Ebenda, S. 138. 167 Ebenda, S. 103.

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aus Nichts wird Nichts, behalte auch hier ihre Geltung. Wo keine Wirklichkeit sei, lasse sich mit allen Künsten logischen Scharfsinns keine zustande bringen. Obwohl Wundt für jeden Erkenntnisakt ein Objekt voraussetzte, ließ er bei seiner Erkenntnisanalyse das reale Verhältnis von Objekt und Subjekt, besonders die grundlegende kognitive Beziehung von Materie und Bewußtsein, unbeachtet. Durch die Untersuchung von Denkinhalten versuchte er das Wesen menschlicher Erkenntnis zu erforschen, wobei er entsprechend seiner Erfahrungskonzeption von dem im Bewußtsein gegebenen Vorstellungsobjekt ausging. Gegenstand der Erkenntnis und der Erkenntnisanalyse war ihm „das Vorstellungsobjekt mit allen den Eigenschaften, die ihm unmittelbar zukommen, insbesondere also auch mit der Eigenschaft reales Objekt zu sein" 168 . Indem Wundt die Quelle der Erkenntnis ins Subjekt verlegte und den Erfahrungsinhalt zum Ausgangspunkt aller Erkenntnis erklärte, vertrat er einen subjektiv-idealistischen erkenntnistheoretischen Standpunkt. Wundt reduzierte die Untersuchung des Erkenntnisprozesses auf eine Analyse der Denktätigkeit. Das reale Verhältnis von Subjekt und Objekt sowie die materiell-gegenständliche Tätigkeit - Arbeit und Praxis - spielten in seiner Erkenntniskonzeption keine Rolle. Das Denken erhebe sich zum Erkennen, wenn die Voraussetzung hinzukomme, daß unsere Vorstellungen Objekten entsprächen und sich in unseren Gedankenverbindungen Wechselbeziehungen der Objekte wiederfänden. Wundt schloß somit die objektive Realität nicht aus seinen erkenntnistheoretischen Überlegungen aus, sie bildete für ihn einen Bestandteil des Gedankeninhaltes, aber er erkannte nicht ihre grundlegende und bestimmende Bedeutung im kognitiven Prozeß. Die objektive Realität bildete für ihn gewissermaßen den für alle Erkenntnis - wie für das Denken überhaupt - vorausgesetzten Hintergrund, von dessen Existenz wir überzeugt wären. Erkenntnis wurde somit nicht als aktiver Widerspiegelungsprozeß des erkennenden Subjekts in seinem praktischen und theoretischen Verhältnis zur objektiven Realität begriffen, sondern als denkende Verarbeitung des Erfahrungsinhaltes bestimmt. Zweifellos ist die denkende Verarbeitung von Bewußtseinsinhalten eine unabdingbare Voraussetzung menschlicher Erkenntnis, aber geistige Operationen führen nur im Zusammenhange mit der materiellen praktischen Tätigkeit zur Erkenntnis, wobei im konkreten Erkenntnisprozeß die zugrunde liegenden Tätigkeiten auf verschiedene Individuen aufgeteilt sein können. Für bestimmte Etappen des Erkenntnisgewinnes können rein geistige Operationen bestimmend sein, denn auf der Grundlage adäquater Widerspiegelungsinhalte lassen sich durch geistige Operationen mit logischen Mitteln aus bereits gewonnenen Erkenntnissen neue ableiten. Ob sie die Wirklichkeit adäquat widerspiegeln, läßt sich letzten Endes nur in der Praxis entscheiden, nicht ausschließlich durch logische Verfahren. Als Erkenntnisfunktion könne man „dasjenige Denken definieren", schrieb Wundt, „das sich die Aufgabe stellt, eins zu werden mit seinem Objekt", wobei es sich 168 Ebenda, S. 107.

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für das Denken darum handle, „dem Sein relativ näher zu kommen, als es ihm zuvor war" 169 . Wundt ging es um die untrennbare Einheit von Objekt und Subjekt im Erkenntnisprozeß. Seine Konzeption dieser Einheit, die er in das Vorstellungsobjekt des Subjektes verlegte, also gewissermaßen entmaterialisierte, führte ihn jedoch auf subjektiv-idealistische Irrwege. Obwohl er ein vom denkenden Subjekt unabhängiges Sein voraussetzte, liquidierte er im erkenntnistheoretischen Ansatz dessen Selbständigkeit und verschmolz Materie und Bewußtsein zürn unmittelbaren Erfahrungsinhalt. Von dieser Position aus ergab sich für Wundt die Frage: „Was gehört überhaupt an unseren Vorstellungen dem Objekte, und was gehört uns, dem vorstellenden Subjekte selbst an?" 1 7 0 Als unmittelbar gegeben sei alles anzusehen, was wir überhaupt wahrnehmen, gleichgültig ob es auf ein Objekt bezogen sei oder nicht, also Gefühle, Affekte, Vorstellungen jeder Art sowie Phantasiebilder und wirkliche Anschauungen. Nur ein kleiner Teil des Wahrnehmungsinhaltes sei objektiv, beziehe sich auf von uns unabhängige reale Gegenstände. Um zu diesen objektiven Bestandteilen zu gelangen, von denen wir voraussetzen dürften, daß sie objektiv existieren, müßte der Wahrnehmungsinhalt von den subjektiven Elementen befreit werden. Jede ErkenntnLstätigkeit beginne demnach mit der Bearbeitung der Wahrnehmung durch das Denken. Erkennendes Denken könne zwei Wege einschlagen. Der erste, der von Leibniz, Kant und Hegel beschritten worden sei, gehe vom Primat des Bewußtseins aus. Leibniz habe die dem Bewußtsein gegebene Erscheinung als einen Hinweis auf das Sein genommen. Bei Kant sei es bei der Erscheinung geblieben, das Sein habe er zum unerkennbaren „Ding an sich" erklärt, auf das der Stoff der Empfindung hinweise. Hegel habe schließlich die Identität mit dem Sein, die dem Denken von Anfang an als sein letztes Ziel vorgeschwebt, zur niemals aufzuhebenden Grundlage desselben gemacht. Die Erscheinungswelt habe ihm nur als die Entfaltung dieses Seins in der Fülle seiner Bestimmungen gegolten. Der zweite Weg, der die Behandlung des Erkenntnisproblems dem verhängnisvollen Zirkel zu entreißen vermöge, in den sie durch die für die positive Wissenschaft gleich unergiebigen Standpunkte einer bloßen Bewußtseinsrealität geraten sei, wäre der folgende: Das Vorstellungsobjekt solle zunächst in seiner unmittelbaren Realität anerkannt werden, solange dadurch nicht Widersprüche entstünden, die das Denken nötigten, diese aufzulösen. Die Berichtigungen, die am Vorstellungsobjekt vorzunehmen seien, müßten Schritt halten mit den objektiven Nötigungen, die hierzu entstünden. Hier klingen bei Wundt, indem er das objektiv Gegebene gelten läßt, materialistische Einsichten an; sie bleiben aber in einer subjektiv-idealistischen Grundposition befangen, weil das Objekt im Bewußtsein verbleibt, und die „objektiven Nötigungen" für Berichtigungen vom Denken ausgehen. Die Lösung des Erkenntnisproblems suchte Wundt in der Aufdeckung der „psychologischen Motive, durch welche die Re-

1 6 9 W . Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, a. a. O., S. 2 5 5 . 1 7 0 W . Wundt, System der Philosophie, 2. Aufl., Leipzig 1 8 9 7 , S. 1 3 2 .

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flexion veranlaßt wird, das ursprüngliche Vorstellungsobjekt in das vorgestellte Objekt und in das vorstellende Subjekt zu verlegen", und in der Beantwortung der F r a g e nach dem „logischen Wert dieser Motive und nach den Folgerungen, die demgemäß aus ihnen für unsere A u f f a s s u n g der Wirklichkeit abgeleitet werden können" 1 ' 1 . Wundt gelangte zu dem Resultat, daß das Motiv der Unterscheidung des denkenden Subjekts von den Objekten sowie die Trennung des ursprünglich einheitlichen Tatbestands von Vorstellen, Wollen und Fühlen der Doppelnatur unseres Geistes entspringe. D i e s e bestehe darin, „ d a ß es einerseits einem Zusammenhang hingegeben ist, dessen Wirkungen es passiv hinnehmen muß, und daß es andererseits doch wieder selbsttätig in diesen Zusammenhang eingreift" 1 ' 2 . D i e Zergliederung des im unmittelbaren Erfahrungsinhalt gegebenen Vorstellungsobjektes unterliege einem unbegrenzten Erkenntnisfortschritt, der vom naiven zum reflektierenden Denken führe. D a s ursprüngliche naive D e n k e n messe allen Vorstellungen und Vorstellungsverbindungen reale Bedeutung bei. Infolge der Reflexion über die Gedächtnis- und Phantasietätigkeit und infolge von Konflikten zwischen verschiedenen Erkenntnisakten scheide sich allmählich der V o r g a n g des Erkennens v o m Objekt, auf das er bezogen sei. „ N u n erst", konstatierte Wundt, „wird dem Denken die Rolle einer subjektiven Tätigkeit zugeteilt, welche mit den Objekten, die in sie eingehen, nicht identisch, sondern dazu bestimmt sei, in allmählicher Annäherung dieselben nachzubilden, wo dann zwischen diesem Bild und der Wirklichkeit immer Unterschiede zurückbleiben m ö g e n . " 1 ' 3 D i e ursprüngliche Einheit von Denken und Erkennen im naiven Denken sei eine Einheit von Denken und Sein. N a c h d e m der Zwiespalt eingetreten, sei alles Erkennen beseelt von dem Streben nach Wiederherstellung dieser Einheit. D i e Einheit des naiven Erkennens, die ohne Reflexion die Realität hinnehme, sei jedem durch die Reflexion angeregten Zweifel schutzlos preisgegeben. Auf der Stufe des reflektierenden Denkens sei eine solche Einheit nie vollkommen zu erreichen. D a s goldene Zeitalter der Erkenntnis sei untergegangen, als der Mensch seine Vorstellungen von den Objekten, auf die sie sich beziehen, zu unterscheiden gelernt habe. Hinfort sei es sein nie völlig erreichbares Streben, eine Übereinstimmung von Vorstellung und Objekt zu erzielen. Wundts A u f f a s s u n g vom Erkenntnisfortschritt enthält die Einsicht, daß das naive Denken - als Erkenntnisstufe im historischen Prozeß der Menschheitsentwicklung und als alters- oder bildungsbedingte Entwicklungsstufe eines Menschen alle Vorstellungsinhalte für bare Münze nimmt, selbst dann, wenn ihm die Wirklichkeit verzerrt oder phantastisch reflektiert, also nicht a d ä q u a t widergespiegelt wird. D e r tatsächliche Fortschritt der Erkenntnis besteht jedoch nicht in der zunehmenden gedanklichen Scheidung des erkennenden. Subjekts v o m Objekt, wenn auch Erkenntnis des eigenen Ich und seiner Beziehung zum Objekt sowie 171 W. Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1889, S. 97. 172 Ebenda, S. 98. 173 Ebenda, S. 91.

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die Zergliederung von Gedankeninhalten notwendige Erkenntnismomente sind. Der Erkenntnisfortschritt besteht in der durch gesellschaftliche materielle und geistige Tätigkeit - mit zunehmend verbesserten Mitteln und Methoden - erzielten immer adäquateren Widerspiegelung der objektiven Realität, die von der Erscheinung zum Wesen vordringt, wozu auch die zunehmend tiefere Einsicht in Bewußtseinsprozesse gehört. Ausgehend von der Überzeugung, daß es eine Rückkehr von der reflektierenden zur naiven Erkenntnis nicht gebe, erklärte Wundt, daß die gewöhnliche philosophische Weltansicht den Fehler mache, die Brücke zur naiven Erkenntnis völlig abzubrechen. Ein weiterer Fehler bestehe darin, daß die beiden Merkmale, Objekt und vorstellende Tätigkeit, die aus der begrifflichen Trennung resultierten, zu selbständigen Objekten gemacht würden, so daß nach dieser Auffassung das Objekt unabhängig von unserem Vorstellen existiere und daß das Vorstellen unabhängig von Objekten sei. Wundt formulierte folgenden Standpunkt: „ D a s Objekt ist von der Vorstellung, und die Vorstellung ist von dem Objekte niemals zu trennen. Unabhängig von unserer vorstellenden Tätigkeit gibt es keine Objekte. Wir können voraussetzen, daß es Gegenstände gebe, die in diesem oder jenem Moment nicht von uns vorgestellt werden, ja die vielleicht in kein vorstellendes Bewußtsein eingehen. Aber in die Voraussetzung solcher Gegenstände müssen wir unvermeidlich die Eigenschaft, mögliche Vorstellungsobjekte zu sein, a u f n e h m e n . " m Dieser Standpunkt Wundts mag zunächst rein idealistisch anmuten, er wäre damit jedoch nicht völlig richtig charakterisiert. In ihm ist zunächst die ihrem Wesen nach materialistische Einsicht enthalten, daß es keine Vorstellungen ohne Objekte gibt. Auch die Auffassung, daß es keine Objekte ohne Vorstellungen gebe, ist bei Wundt nicht schlechthin Idealismus. In Anlehnung an Kant unterschied er Objekte der Erkenntnis und Gegenstände. Den Begriff Objekt benutzte er immer als Korrelat zum Begriff erkennendes Subjekt. Die Existenz von Gegenständen unabhängig vom Subjekt setzte er voraus, im Unterschied zu Kant war er der Meinung, daß sie alle zu Vorstellungsobjekten werden könnten, das heißt, daß sie erkannt werden können. Wundts Erkenntniskonzeption war von tiefem Erkenntnisoptimismus durchdrungen, den Agnostizismus Kants wies er zurück. Mit dem „Ding an sich" stelle Kant der objektiven Vorstellung den Begriff eines Objektes gegenüber, der niemals zu einer Vorstellung werden könne. Eine solche Annahme sei unnatürlich. Wundt schrieb: „Aber die Unnatur beider Begriffe dokumentiert sich nun auf das handgreiflichste darin, daß die objektlose Vorstellung und das nicht vorstellbare Objekt gleichwohl aufeinander bezogen werden, indem die Vorstellung zwar völlig von dem Ding verschieden sei, aber dennoch auf dasselbe hinweisen soll." 1 '® Bei Kant verwandle sich das „Ding an sich" in die Ursache unserer Vorstellungen. Eine bedenklichere Vermengung unvereinbarer Gesichtspunkte habe die Geschichte des menschlichen Denkens kaum erlebt. 174 Ebenda, S. 93. 175 Ebenda, S. 95.

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W u n d t wandte sich auch gegen die Lösungsversuche Berkeleys und des Empiriokritizismus. Bei diesen idealistischen Lösungen bleibe der nämliche Grundirrtum bestehen. W u n d t gelangte trotz vieler im Detail treffender Kritiken infolge seiner subjektiv-idealistischen Konstruktion vom Vorstellungsobjekt selbst nicht zu einer wissenschaftlichen Lösung des Erkenntnisproblems. In Anlehnung an Kant - was er selbst zurückwies - unterschied W u n d t als Stufen der Erkenntnis Wahrnehmungs-, Verstandes- und Vernunfterkenntnis. Es seien keine scharf geschiedenen Erkenntnisfunktionen, sie bildeten vielmehr eine in sich einheitliche Geistestätigkeit. D e n Stoff der Wahrnehmungen bildeten die Empfindungen, als Formen der Wahrnehmung müßten unterschieden werden: die allgemeine Ordnung der Empfindungen in Raum und Zeit und die Sonderung des so geordneten Ganzen der Anschauung in einzelne Vorstellungsobjekte. Der Wahrnehmungsvorgang verlaufe in zwei Stufen: in der Synthese der Empfindungen zu einem raumzeitlichen Wahrnehmungsinhalt und in der Analyse dieses Inhalts in einzelne Gegenstände. Synthese und Analyse erfaßte W u n d t in ihrer untrennbaren Einheit im Erkenntnisprozeß. In der Anschauung seien Objekt und Vorstellung identisch, die Vorstellung selbst sei das Objekt. Der Gedanke, beide einander gegenüberzustellen, könne daher auf der Stufe der Wahrnehmung gar nicht entstehen. Die Zerlegung von Wahrnehmungen in einen stofflichen und einen formalen Teil sei rein logischer Natur. Raum und Zeit als die formalen Wahrnehmungsbestandteile betrachtete W u n d t demnach als unlösbar mit dem Stoff verbunden. Wie noch zu zeigen sein wird, ist Wundts Auffassung von Raum und Zeit sehr widerspruchsvoll. Im Zusammenhang mit seiner Wahrnehmungsanalyse enthält sie zunächst materialistische Einsichten. D i e Auffassung vom „leeren Raum" und der „leeren Zeit" wies W u n d t zurück. Ebenso entschieden wandte er sich gegen eine Bestimmung von Raum und Zeit als selbständige Vorstellungen. „Sind uns doch Raum und Zeit", argumentierte er, „nicht anders als die Empfindungen im Wahrnehmungsinhalte tatsächlich gegeben. Beide aus a priori gegebenen Funktionen des Denkens abzuleiten ist . . . ebenso unmöglich, wie es unmöglich ist, die Empfindungen rot und blau a priori zu deduzieren." 176 W u n d t polemisierte gegen nativistische Theorien, wonach Raum- und Zeitanschauungen angeboren bzw. vor der Erfahrung gegeben seien, und gegen empiristische Auffassungen, nach denen Raum- und Zeitauffassungen erst durch die Erfahrung entstünden. D i e nativistische Theorie widerspräche den psychologischen Tatsachen; die empiristische Auffassung bewege sich innerhalb eines logischen Widerspruchs, denn Raum- und Zeitanschauungen machten Erfahrung erst möglich. W u n d t konstatierte ein Mittleres zwischen angeborenen und durch Erfahrung entstandenen Raum- und Zeitanschauungen: die in der angeborenen Beschaffenheit unserer Sinnesorgane und in den allgemeinsten Eigenschaften unseres Bewußtseins begründeten Assoziationen. Sowohl die von W u n d t aufgeführte angeborene Beschaffenheit unserer Sinnesorgane als auch bestimmte assoziative Vorgänge sind tatsächlich Voraus176 Ebenda, S. 120.

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Setzungen für unsere Raum- und Zeitanschauungen, aber die Entstehung konkreter Raum- und Zeitanschauungen läßt sich allein aus ihnen noch nicht erklären. D i e grundlegende Voraussetzung für unsere Raum- und Zeitanschauungen bilden die raumzeitlichen Verhältnisse der objektiven Realität, die widergespiegelt werden. Zwischen Empfindung und Erfahrung liege der Vorgang der Wahrnehmung oder der Vorstellungsbildung, welcher der Erfahrung die Objekte gebe und sie überhaupt erst möglich mache. D i e Entwicklung von Raumanschauungen begründete Wundt mit der Lokalzeichentheorie. Infolge der unterschiedlichen Beschaffenheit der Nervenendigungen in der Körperhaut gleiche kein Eindruck dem anderen. Jede Stelle habe eine besondere Färbung, einen besonderen Empfindungston. Aus dieser bestimmten Färbung resultierten Lokalzeichen der Empfindung. Auch in der Netzhaut des Auges habe jeder einzelne Punkt sein Lokalzeichen. Mit seiner Lokalzeichentheorie versuchte Wundt zwar unsere Raumwahrnehmungen auf bestimmte materielle Vorgänge zurückzuführen, blieb jedoch dem Subjektiven verhaftet, zum Verständnis von objektivem Raum und ideellem Abbild gelangte er nicht. Wundt polemisierte vor allem gegen Kants Auffassung von Raum und Zeit, rechtfertigte jedoch einige seiner Grundgedanken. Nach Kant müßten Raum und Zeit jeder Wahrnehmung als Anschauungsformen a priori vorausgehen, könne kein Gegenstand wahrgenommen werden, ohne ihn räumlich und zeitlich zu ordnen. Der für Raum und Zeit von Kant benutzte Ausdruck „transzendente Form" bedeute bei diesem jedoch nicht, daß leere Formen in uns lägen. Diese seien Funktionen unseres Bewußtseins, die wirksam würden, sobald uns Empfindungen gegeben seien. D i e „Materie der Empfindungen" existiere niemals ohne ordnende Formen. Es existierten also weder reine Raum- und Zeitanschauungen noch reine Empfindungen. Sei auf diese Weise jede sinnliche Wahrnehmung ein raum-zeitlich geordneter Komplex von Empfindungen, so erhebe sich unabweislich die Frage, welches die logischen Motive seien, die uns veranlaßten, die Anschauungsformen und die Materie der Empfindungen voneinander zu sondern. Kant sei auf diese Frage nicht eingegangen. Wundt stellte fest: „Er begnügte sich mit dem ersten Schritt, den hier die Analyse tun mußte, indem er nachwies, daß Raum und Zeit weder mit zu der Materie der Empfindung gehören, wie der Empiriker Locke vorausgesetzt hatte, noch daß sie a priori in uns liegende, völlig ohne sinnliches Substrat denkbare Begriffe sind, wie die ältere rationalistische Philosophie annahm. Im Gegensatz zu beiden stellte Kant fest, daß Raum und Zeit durchaus anschaulich seien, da sie unmittelbar in jede sinnliche Wahrnehmung eingehen und ohne eine solche gar nicht von uns vorgestellt werden können, daß sie aber zugleich eine von der Empfindung wesentlich verschiedene Bedeutung besitzen, da sie eben ordnende Formen der Empfindung, d. h. nicht selbst Empfindungen sind; und insofern sie zu jeder Wahrnehmung gefordert werden, nannte sie eben Kant apriorische Formen. Freilich aber hatte dieses a priori bei ihm einen ganz anderen Sinn als in dem älteren Apriorismus. Es konnte, da die Anschauungsformen immer nur in den einzelnen sinnlichen Wahrnehmungen wirksam werden, 143

nur bedeuten: das allen einzelnen Wahrnehmungen Gemeinsame, für sie Allgemeingültige." 1 7 7 Wundt erklärte, man müsse das große Verdienst, das sich Kant durch diese Vorstellungen erworben habe, rückhaltlos anerkennen. Kant habe jedoch seine Zerlegung des Wahrnehmungsinhalts in eine a priori gültige Form und in einen in jedem Falle empirisch gegebenen Stoff nicht zu Ende geführt. D a Anschauungsformen immer mit dem Stoff gegeben seien, habe die Analyse unseres Erkennens nachzuweisen, welches die logischen Motive seien, die zur Trennung von Anschauungsformen und Stoff der Empfindungen geführt haben. D a Wahrnehmungen immer räumlich und zeitlich zugleich seien, müsse ferner gezeigt werden, was die logischen Gründe für eine Trennung von Raum und Zeit seien. Kant habe fälschlich die Zeit als Anschauungsform des „inneren Sinns", den Raum als die des „äußeren Sinns" betrachtet. Innere und äußere Wahrnehmung seien keine verschiedenen Wahrnehmungsgebiete. Wundt bemühte sich im Sinne Kants, dessen Wahrnehmungsanalyse weiterzuführen, indem er die logischen Gründe für die Zerlegung der Wahrnehmung in die Anschauungsform und in die Materie der Empfindung sowie für die Sonderung der Anschauungsform in Raum und Zeit aufzufinden strebte. Als Hauptresultate seiner Untersuchungen nannte er: Erstens: D i e formalen Bestandteile der Wahrnehmung Raum und Zeit könnten nicht geändert gedacht werden, ohne daß zugleich Änderungen im Stoff der Empfindungen eintreten. Zweitens: Der Stoff der Empfindung kann sich bei konstant bleibender Raum- und Zeitform ändern. Drittens: Raum und Zeit sind unabhängig voneinander veränderlich. Diese Veränderungen seien nicht gleichwertig. Zeitliche Änderungen am Empfindungsinhalt seien ohne begleitende räumliche möglich, dagegen räumliche Änderungen nicht ohne zeitliche. Der Raum sei in seinen formalen Eigenschaften ohne Rücksicht auf Zeit möglich, jedoch nicht die Zeit ohne Herbeiziehung des Raumes. Bei allen diesen Unterscheidungen, schränkte Wundt ein, handle es sich um rein logische Motive. Für die erkenntnistheoretische und die psychologische Analyse sei der Gesamtinhalt der empirischen Wahrnehmung der Ausgangspunkt. D i e Untersuchungsergebnisse Wundts zeigen, daß er Raum und Zeit nicht materialistisch als Daseinsweise der Materie verstand. Seine fehlerhafte Auffassung ergab sich außerdem aus der Tatsache, daß er Raum und Zeit im Widerspruch zu ihrem Wesen gedanklich voneinander isolierte. Wundt vertrat den Standpunkt, daß die von Kant für Zeit und Raum betonte Notwendigkeit einer Interpretation bedürfe. Nach Kant sei diese Notwendigkeit Folge der Apriorität der reinen Raum- und Zeitanschauung. D e r empirische Empfindungsinhalt sei immer zufällig, das Apriorische dagegen, das als formale Bedingung in jede Erfahrung eingehe, sei notwendig. Während der Stoff der Empfindungen fortwährend wechsle, bildeten Raum und Zeit konstante Faktoren der Wahrnehmung. Wundt führte im Unterschied zu Kant die Apriorität auf zwei Bedingungen zurück: „erstens auf ihre Konstanz beim Wechsel der sonstigen Bestandteile des 177 W . Wundt, W a s soll uns K a n t nicht sein?, i n : K l e i n e Schriften, B d . 1, a . a . O . , S. 1 5 8 .

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Wahrnehmungsinhaltes, und zweitens auf die logischen Motive, die uns veranlassen, ihnen die Bedeutung von Anschauungsformen mit konstanten Eigenschaften beizulegen." 178 Kant habe nur die erste Bedingung berücksichtigt, daher erscheine sein Apriori wie aus der Pistole geschossen. Damit sei er über eine vorausgesetzte, aber nicht bewiesene Apriorität nicht hinaus gekommen. Der ältere Apriorismus habe sich mit dem tatsächlich gegebenen Apriori begnügt, was ihm möglich gewesen sei, weil er überhaupt fertig gegebene Ideen für möglich gehalten habe. D a ß solche Ideen nicht möglich seien, habe gerade Kant gelehrt. Apriorität könne nur in den die Erfahrung ordnenden Begriffen und Anschauungsformen, nie isoliert vom Wahrnehmungsinhalt gegeben sein. „Wenn aber solches der Fall ist", schlußfolgerte Wundt, „dann können es nur logische, freilich in der Anschauung selbst, nicht erst in der Reflexion eines außerhalb stehenden Philosophen gelegene Motive sein, die uns veranlassen, gewisse Bestandteile der Anschauung als a priori notwendig, andere als bloß empirisch gegeben anzusehen." 1 ' 9 Eine Apriorität in diesem logischen Sinne wäre den Anschauungsformen nicht abzusprechen. Raum und Zeit gehörten jedoch nicht zum Empfindungsinhalt. „Behalten die Empiristen recht", fragte Wundt, „wenn sie behaupten, Raum und Zeit gehörten mit zum Empfindungsinhalt, von andern Empfindungen etwa nur unterschieden durch ihre größere Wichtigkeit für die Interpretation der wirklichen W e l t ? " Und er fügte hinzu: „Ich beantworte diese Frage mit nein, und ich glaube, indem ich das tue, hier nur die transzendentale Ästhetik Kants folgerichtig zu ergänzen." 1 8 0 Aus logischen Motiven trennten wir die raum-zeitliche Form vom Empfindungsinhalt und innerhalb der Form Raum und Zeit. Diese Unterscheidung erfolge in anschaulichen Formen, in Gedankenexperimenten, in denen der Inhalt der Wahrnehmung willkürlich variiert werde. Abstrakt betrachtet, vollzögen sich diese Unterscheidungen nach den allgemeinen Gesetzen des logischen Denkens, indem wir bei Veränderungen der Wahrnehmung das übereinstimmend bleibende als übereinstimmend, das sich verändernde als verschieden auffaßten nach Maßgabe des Satzes der Identität und des Satzes vom Widerspruch und indem wir an jede formale Änderung als Folge eine Änderung der Materie der Empfindung nach dem Satz des Grundes erkennen. D i e Anwendung der Denkgesetze werde durch das in der Erfahrung Gegebene angeregt. Denkgesetze seien aber in uns liegende Funktionen, ohne die sich die Scheidung in Anschauungsformen und Materie der Empfindung niemals vollziehen könne. Nicht in der fertigen Raumund Zeitform sei demnach das Apriori enthalten, wie es Kant gelehrt habe, sondern in den logischen Funktionen, die zur Abstraktion der reinen Raum- und Zeitanschauung führten. Anschauungsformen seien nicht, wie Kant angenommen habe, als reine Schöpfungen des Denkens oder der Einbildungskraft anzusehen, sondern als Erzeugnisse, die aus der Bearbeitung der dem Denken gegebenen

178 Ebenda, S. 166. 179 Ebenda, S. 167. 180 Ebenda. 10

Wilhelm W u n d t

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Objekte entstanden sind und die gleichzeitig in diesen Objekten selbst und in den sie in ihre Faktoren zerlegenden Funktionen des Denkens ihren Ursprung haben. D i e Anschauungsformen besäßen den Charakter des Gegebenen, sie seien nicht dem Stoff der Erfahrung hinzugefügt. Raum und Zeit als reine Denkformen seien nur in Begriffen existierende Denkresultate. Einerseits müsse die Anschauung gegeben sein, damit das Denken aus ihr die reine, substratlose Form gewinne. Andererseits bildeten die Anschauungsformen den notwendigen formalen Inhalt des Denkens, auch wo dieses von allen realen Inhalten der Erfahrung abstrahiere. Reine Raum- und Zeitformen seien die beiden formalen Bedingungen aller Erkenntnis. W u n d t resümierte: „So sind die Formen des Denkens an die Formen der Anschauung ebenso wie diese an jene gebunden. In dieser Einheit kommt beiden die gleiche und die einzige Apriorität zu, die überhaupt möglich ist: die eines ursprünglich Gegebenen." 1 8 1 In Wundts Auffassung von Raum und Zeit, die er der Wahrnehmungserkenntnis zurechnete, sind materialistische und idealistische Standpunkte eng miteinander verbunden. Indem er Raum und Zeit den Objekten zuweist, stimmt er mit der materialistischen Erkenntnis überein, d a ß Raum und Zeit Existenzformen der Materie sind. In prägnanter Weise hatte Lenin formuliert: „. . . die sich bewegende Materie kann sich nicht anders bewegen als im Raum und in der Zeit." 182 Auch Wundts Erkenntnis ist akzeptabel, d a ß die Anschauungsformen als Bewußtseinsinhalte aus der Bearbeitung der dem Denken gegebenen Objekte entstehen. U m zur adäquaten Widerspiegelung der objektiven Zeit und des objektiven Raumes zu gelangen, bedarf es bestimmter, nach logischen Strukturen verlaufender geistiger Operationen und - als materieller Voraussetzung - teils angeborener, teils erworbener physiologischer Mechanismen. Bei W u n d t fehlte jedoch der letzte Schritt zur wissenschaftlichen Erkenntnis des Wesens von Raum und Zeit, und zwar die Einsicht, d a ß Raum- und Zeitvorstellungen Widerspiegelung objektiver Raum- und Zeitverhältnisse sind, was eine relative Verselbständigung zum Zwecke bestimmter Analysen nicht ausschließt. W u n d t vermochte die Kantsche Bestimmung von Raum und Zeit nicht materialistisch zu überwinden, weil er das Verhältnis von Materie und Bewußtsein nicht richtig erfaßte. Entsprechend seinem Standpunkt des psychophysischen Parallelismus betrachtete er Raum und Zeit als ursprünglich sowohl dem Objekt als auch dem Denken gleichermaßen gegeben. Zeit und Raum galten ihm als Resultat von Innervationsvorgängen. Rubinstein schrieb über Wundts Auffassung von Raum und Zeit: „Das bedeutet, d a ß der Raum etwas Abgeleitetes ist, das man als Ergebnis, wenn auch nicht von Assoziationen, so doch des Zusammenfließens (Wundt) unräumlicher Elemente erhält, nämlich der Empfindungen und zwar als Resultat der allmählich sich entwickelnden Deutung der sensorischen Lokalzeichen." 183 181 W. Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, a. a. O., S. 272. 182 W. I. Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, in: Werke, Bd. 14, a. a. O., S. 171. 183 S. L. Rubinstein, Grundlagen der Allgemeinen Psychologie, 7. Aufl., Berlin 1971, S. 325.

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D i e Verbundenheit von „Materie der Empfindung" und Raum und Zeit hatte bei W u n d t eine eigenartige Gestalt. Für ihn galten die Objekte in ihren jeweils konkreten raumzeitlichen Bedingungen nicht al§ erste Voraussetzung für die E n t stehung eines entsprechenden Abbildes in unserem Bewußtsein. Obwohl er für alle Objekte raumzeitliche Beziehungen voraussetzte, war für ihn die raumzeitliche Trennung der gegebenen Mannigfaltigkeit eine Funktion unseres Denkens. Der ursprüngliche Wahrnehmungsinhalt enthalte das Mannigfaltige in ungesonderter Einheit und zugleich die Bedingungen zu seiner vom Denken vorgenommenen Trennung. Abbilder von raumzeitlichen Objekten gab es für ihn nicht im Bewußtseinsinhalt. D i e allgemeinsten Gesetze des Denkens, ohne die nichts gedacht werden könne, fänden im Stoff wie in der Form der Wahrnehmung die ihnen adäquaten Substrate. D i e Anwendung der Denkgesetze auf den nach Stoff und Form gegebenen Wahrnehmungsinhalt falle der Erfahrungswissenschaft zu. Mit der Trennung von Raum und Zeit als gesonderter Formen des Wahrnehmungsinhaltes hänge die Bildung der Begriffe „qualitative Änderung" und Bewegung zusammen. Die Bewegungsanschauung werde durch die Sonderung des ursprünglich ungetrennten Wahrnehmungsinhaltes in verschiedene raumzeitliche Objekte vermittelt. In diesem Prozeß erkenne sich das denkende Subjekt selbst als Objekt. D i e unabhängige Bewegung der Objekte sei ein zureichender Grund für die Sonderung von Objekt und Subjekt. Was sich in der Bewegung nicht sondere, bleibe auf der Stufe der Wahrnehmung ein Objekt. Trotz des ursprünglich ungetrennten Wahrnehmungsinhaltes faßten wir diesen nicht als ein Ganzes, sondern als Vielzahl von Gegenständen in ihren Relationen auf. Mit der Selbstunterscheidung des Subjekts entwickle sich die Vorstellung einer Wechselwirkung des Subjekts mit dem Objekt. W u n d t stellte neben der Frage, was von unseren Vorstellungen dem Objekt und was dem Subjekt angehöre, zwei weitere erkenntnistheoretische Fragen. D i e erste bezog sich auf das Verhältnis des Subjekts zu den einzelnen Objekten, die zweite auf die Beziehung von Stoff und Form der Wahrnehmung und die Abhängigkeit dieser beiden Faktoren vom erkennenden Subjekte und von den Objekten. Die empiriokritische Position, der gesamte Wahrnehmungsinhalt sei subjektiver Natur, lehnte W u n d t ab. Wenn der Empiriokritizismus feststelle, d a ß es durch irgendwelche Merkmale gelinge, den Vorstellungen objektiven Wert zuzuweisen, so könnten solche Merkmale logischerweise wieder nur der subjektiven Wahrnehmung angehören. „Es ist also gar nicht einzusehen", schlußfolgerte W u n d t , „wie auf diesem Wege das wahrnehmende Subjekt jemals aus sich selber hinauskommen kann." 1 8 4 W u n d t empfand, d a ß sich innerhalb des Subjektiven die Objektivität bestimmter Vorstellungen nicht entscheiden läßt, er selbst fand allerdings keinen Weg, der tatsächlich über das Subjektive hinausführte. D i e einzig wissenschaftliche Bestimmung von Wahrnehmung und Vorstellung als Abbilder der objektiven Realität lehnte er ab, womit er auch die Praxis in ihrer Bedeutung als 184 W. Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1889, S. 141.

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Kriterium der Wahrheit nicht verstehen konnte. Wundt schrieb: „Denn die Ausrede, daß nur das äußere Objekt als Wirkliches, die subjektive Vorstellung aber lediglich als ein Bild dieses Wirklichen gedacht werde, ist hinfällig, weil diese Ausrede nur ein sehr unzutreffendes Bild für die Sache selbst gibt." 1 8 3 Wenn Wundts Polemik gegen die mechanistische Widerspiegelungstheorie gerichtet war, so enthielt sie doch eine allgemeine Ablehnung des Widerspiegelungscharakters unserer Wahrnehmungen und Vorstellungen. Wundt erfaßte nicht, daß die materialistische Widerspiegelungstheorie den Tatbestand einschließt, daß das Abbild nicht in jedem Falle ein getreues Spiegelbild der Wirklichkeit ist, sondern der Grad der Adäquatheit von vielen Faktoren abhängt, vom Entwicklungsstand der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, vom Niveau der Wissenschaftsentwicklung sowie von zahlreichen subjektiven Erkenntnismöglichkeiten und -fähigkeiten. Obwohl er selbst Erkenntnisstufen annahm, ignorierte er sie für die Entwicklung ideeller Abbilder der objektiven Realität. Die Verworrenheit der Wundtschen Auffassungen und sein Unverständnis für die Widerspiegelungstheorie kommen in folgendem Argument gut zum Ausdruck: „Wenn wir in einem Spiegel das Bild eines Gegenstandes erblicken, so berechtigt uns zur Unterscheidung von Bild und Objekt die Tatsache, daß beide wirklich als zwei Gegenstände unserem Gesichtssinn gegeben sind. Aber die Vorstellung und ihr Gegenstand sind uns ja niemals als zwei Gegenstände gegeben. Alle Merkmale eines sinnlichen Objektes müssen der Forderung entsprechen, sinnlich vorstellbar zu sein. D a s bedeutet aber offenbar nichts anderes, als daß in dem Objekt lediglich dieselben Merkmale gesetzt werden, die ¡schon in der subjektiven Vorstellung angenommen waren." 1 8 6 Mit der Konstruktion vom „Vorstellungsobjekt" versuchte Wundt seine Schwierigkeiten zu meistern, wobei er tatsächlich dem Kern der Frage nach dem Verhältnis von Objekt und Subjekt nur auswich. „Alle diese Schwierigkeiten fallen nun hinweg", schrieb er, „sobald wir von vornherein an der Tatsache festhalten, daß Objekt und Vorstellung ursprünglich identisch sind." 1 8 7 Weil Wundt das Wesen von Wahrnehmung und Vor tellung nicht als ideelles Abbild der objektiven Realität akzeptierte, ging es ihm hauptsächlich um die Trennung von subjektiven und objektiven Bestandteilen. E r konfrontierte bei seinen Untersuchungen zum Verhältnis von Objekt und Subjekt nicht die objektive Realität einerseits und Bewußtseinsinhalte andererseits, als deren mehr oder weniger adäquate Widerspiegelung, sondern gegebene objektive und erzeugte subjektive Bewußtseinselemente. Von seinem Postulat, daß alle Wahrnehmungserkenntnis ursprünglich unmittelbar sei, die Erkenntnis objektiver Gegenstände Zurücknahme der subjektiven Wahrnehmungsanteile durch Denkoperationen erfordere, schlußfolgerte er: „ D i e bloße Wahrnehmungserkenntnis bleibt deshalb bei 185 Ebenda. 186 Ebenda. 187 Ebenda, S. 142.

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dem Resultate stehen, daß das Objekt gegeben ist; sie muß aber darauf verzichten zu entscheiden, wie es gegeben ist . . . " Dieses Ergebnis lasse sich daher auch in die Formel bringen, daß das erkennende Subjekt nur sich selbst wahrzunehmen, die objektive Welt aber bloß zu begreifen, das heißt in Begriffen festzuhalten im Stande sei."188 Die nach den logischen Korrekturen und der Zurücknahme der subjektiven Wahrnehmungsinhalte übrigbleibenden Objekte seien nicht mehr vorstellbar, sondern nur noch begrifflich zu denken. Die Wahrnehmung erfasse nur das im Bewußtsein unmittelbar gegebene Vorstellungsobjekt mit allen seinen objektiven und subjektiven Elementen, sie könne demnach nicht zur Erkenntnis des realen Objektes führen. Hinsichtlich der Wahrnehmung vertrat Wundt somit einen agnostizistischen Standpunkt, er verstand die Wahrnehmung nicht als die durch Sinnesorgane vermittelte Widerspiegelung, durch die ein konkret-anschauliches Abbild der objektiv-realen Umwelt - einschließlich des eigenen Organismus - vermittelt wird. Wundt ist zuzustimmen, daß Wahrnehmungen nicht ausreichen, uns Erkenntnisse vom Wesen, den Zusammenhängen und Beziehungen und von den Gesetzmäßigkeiten der objektiven Realität zu vermitteln; dazu bedarf es der denkenden Verarbeitung von Wahrnehmungs- und Vorstellungsinhalten in Einheit mit der materiell-gegenständlichen Untersuchung der objektiven Realität. Aber die Wahrnehmung widerspiegelt als Stufe und grundlegende Form der Erkenntnis objektive Realität. Es stimmt nicht, daß sich das erkennende Subjekt nur selbst wahrnehme, nicht die objektive Realität. Diese irrige Auffassung konnte nur zustande kommen, weil Wundt viele widergespiegelte Elemente zu subjektiven erklärte. Die Feststellung des objektiven Inhaltes unserer Wahrnehmungen erfordere die Anwendung bestimmter Prinzipien. Mit der Anwendung dieser Prinzipien zur Analyse des Wahrnehmungsinhaltes vollziehe sich der Übergang von der Stufe der Wahrnehmungserkenntnis zur Stufe der Verstandeserkenntnis. Die Verstandeserkenntnis beginne „in dem Augenblick, wo die Überzeugung sich aufdrängt, daß jene Korrektur des ursprünglichen Vorstellungsinhaltes, welche durch den Widerstreit der Wahrnehmungen untereinander gefordert wird, nicht mittels der Vorstellungsfunktion, sondern nur durch Begriffe herbeizuführen ist, für welche die Vorstellungen nunmehr nur noch die Bedeutung stellvertretender Symbole besitzen" 189 . Nachdem der ganze Empfindungsinhalt in das Subjekt zurückgenommen sei, könnten die Vorstellungen nur noch als subjektive Symbole von objektiver Bedeutung gelten, durch deren Bearbeitung eine Erkenntnis der Außenwelt allein auf begrifflichem Wege möglich sei. Obwohl Wundt die Wahrnehmung als unerläßliche Voraussetzung der Erkenntnis betrachtete, verstand er nicht, daß sinnliche Wahrnehmung und Denken in ihrer Einheit objektive Realität widerspiegeln. Der Empfindungsinhalt gehört zum Widerspiegelungsinhalt, bildet also objektive Realität ab; wenn man ihn 188 Ebenda, S. 144. 189 Ebenda, S. 143.

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„ins S u b j e k t z u r ü c k n i m m t " , wie es W u n d t forderte, bleibt d a s W e s e n v o n W a h r n e h m u n g u n d V o r s t e l l u n g verschlossen. D i e subjektive E i g e n a r t v o n E m p f i n dungsinhalten schließt diesen grundlegenden T a t b e s t a n d nicht aus. W u n d t sonderte den E m p f i n d u n g s i n h a l t als subjektiven B e s t a n d t e i l der W a h r n e h m u n g aus, um zur Erkenntnis v o n O b j e k t e n zu gelangen. D i e s e r W e g mußte sich als ungangbar erweisen; bei seinen experimentellen Arbeiten ging W u n d t zum eigenen V o r teil o f t a n d e r e W e g e . A l s K o n s e q u e n z aus der Wundtschen Erkenntniskonzeption ergibt sich, d a ß nicht d i e vermittels unserer Sinnesorgane entstandenen E m p f i n d u n g e n u n d W a h r nehmungen d i e G r u n d l a g e aller Erkenntnis bilden, sondern d a s begriffliche D e n k e n . M i t dieser Position w i r d die materielle G r u n d l a g e aller Erkenntnis gegenüber d e m D e n k e n abgewertet. T r o t z d e m polemisierte er gegen Berkeley, der d i e B i l d e r als einzig wirkliche O b j e k t e betrachtet habe. D a s sei ein durch nichts gerechtfertigter A k t subjektiver Willkür. Weil der V e r s t a n d die u n a b h ä n g i g v o m denkenden Subjekt vorauszusetzenden O b j e k t e als G e g e n s t ä n d e einer begrifflichen, den Wahrnehmungsinhalt des Subjekts als G e g e n s t a n d einer anschaulichen Erkenntnis behandle, erwüchsen ihm n o t w e n d i g in der Untersuchung der äußeren u n d der inneren E r f a h r u n g getrennte A u f g a b e n . W u n d t schrieb: „ D i e G e g e n s t ä n d e der ersteren unterwirft er einer begrifflichen Untersuchung, bei welcher ihm die Vorstellungen nur als Zeichen dienen, die auf zu b i l d e n d e B e g r i f f e hinweisen oder bereits g e b i l d e t e in anschaulicher F o r m festhalten; bei der A n a l y s e der inneren W a h r n e h m u n g bedient er sich der B e g r i f f e allein zu d e m Z w e c k e , um die Unterscheidung und Z u s a m m e n f a s s u n g der in der A n s c h a u u n g gegebenen T a t s a c h e n zu erleichtern." 1 9 0 F ü r den V e r s t a n d blieben innere und äußere E r f a h rung zwei verschiedene Welten, die sich z w a r a u f e i n a n d e r bezögen, weil die Vorstellungen neben ihrer subjektiven B e d e u t u n g zugleich den W e r t objektiver S y m b o l e besäßen, die aber nie a u f e i n a n d e r zurückgeführt werden könnten. D a m i t sprach W u n d t d e m V e r s t a n d die Möglichkeit a b , den realen Z u s a m m e n h a n g v o n O b j e k t und Subjekt erfassen zu können. D i e sinnliche W a h r n e h m u n g und ihre v e r s t a n d e s m ä ß i g e V e r a r b e i t u n g führten nach W u n d t nicht zur Erkenntnis des Z u s a m m e n h a n g e s v o n Physischem u n d Psychischem, v o n M a t e r i e und B e wußtsein. A l l e r d i n g s leugnete W u n d t nicht, d a ß der V e r s t a n d zu einer bestimmten Gewißheit richtiger Erkenntnis gelangen könne. Mittels der D e n k g e s e t z e w ü r d e n innere anschauliche und äußere begriffliche Erkenntnis vereint. D a b e i ordnete W u n d t die durch reale O b j e k t e erzeugten Sinneswahrnehmungen völlig den D e n k g e s e t z e n unter. D i e G e g e n s t ä n d e dürften sich nicht v o n den V o r a u s s e t zungen der D e n k g e s e t z e entfernen. W u n d t schrieb: „ J e mehr die G e g e n s t ä n d e und V o r g ä n g e der W a h r n e h m u n g von den V o r a u s s e t z u n g e n sich entfernen, welche d a s D e n k e n machen muß, um die G e s e t z e d e r Identität u n d des W i d e r s p r u c h s , der T e i l u n g nach unterscheidenden M e r k m a l e n u n d der V e r k n ü p f u n g nach G r u n d und F o l g e auf sie anzuwenden, u m so mehr w i r d d a s s e l b e genötigt, willkürlich

190 Ebenda, S. 156.

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Anschauungsbilder zu erzeugen und zu benützen, welche seinen Forderungen besser entsprechen als jene unmittelbaren Tatsachen der W a h r n e h m u n g . Hierin besteht der große Vorteil symbolischer Darstellungen der Begriffe. D i e naheliegendsten dieser Symbole sind die W o r t e der Sprache, welche ihre vielseitige Verwertbarkeit der Eigenschaft verdanken, daß auf eine Übereinstimmung mit dem Gegenstande der Anschauung bei ihnen völlig verzichtet wird." 1 ! ! 1 W u n d t betrachtete Empfindungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen nicht als miteinander verbundene jeweils spezifische Formen der ideellen W i d e r s p i e gelung der objektiven Realität und somit auch nicht als durch die objektive Realität determiniert, er verstand sie als von den Denkgesetzen a b h ä n g i g e subjektive geistige Tätigkeit, die ihre Anregungen und Inhalte durch die objektive Realität empfängt. Empfindungen seien „subjektive Zeichen", „die nicht selbst Realität besitzen, sondern auf ein Reales hinweisen, welches daher nur begrifflich konstruiert" werden könne. 1 9 2 W e i l sich unsere Wahrnehmungen ständig v e r ä n d e r ten, würden sich zwangsläufig Widersprüche ergeben, sobald w i r die einzelnen Gegenstände unserer Erfahrung in Wechselbeziehungen setzten. D a s zwinge uns, die unmittelbare Realität des Vorstellungsobjektes aufzuheben, um an ihre Stelle eine mittelbare Realität von begrifflicher Art zu erzeugen. W u n d t e r k l ä r t e : „ D a r u m ist ja jener beharrende Gegenstand einzig und allein der Gegenstand des Begriffs: er liegt bereits inmitten der Begriffsbildungen, welche dahin streben, die vorgestellte Wirklichkeit durch eine gedachte zu ersetzen. Nunmehr entsteht die A u f gabe, die Wirklichkeit so zu denken, d a ß die Widersprüche verschwinden, welche die veränderlichen Vorstellungsobjekte von dem Augenblick an darbieten, wo ihnen das Denken mit der Forderung eines durchgängigen Zusammenhanges seiner Wahrnehmungen gegenübertritt." 1 9 3 Somit stellte W u n d t der „vorgestellten W i r k l i c h k e i t " als Berichtigung eine „gedachte W i r k l i c h k e i t " entgegen. Durch das begriffliche Erfassen w e r d e die vorgestellte W i r k l i c h k e i t überwunden. Zweifellos müssen falsche Vorstellungen von der W i r k l i c h k e i t überwunden werden, wobei auch ihre denkende Verarbeitung eine unerläßliche Voraussetzung bildet, aber die Vorstellung als anschauliche Form der W i d e r s p i e g e l u n g w i r d dabei nicht durch die gedankliche, in Begriffen vollzogene Erfassung der W i r k lichkeit beseitigt, nur in ihrer Einheit führen sie zur a d ä q u a t e n Erkenntnis der Wirklichkeit. D a b e i widerspiegelt der Begriff die invarianten M e r k m a l e , Eigenschaften und Beziehungen einer Klasse von Individuen oder von Klassen, die jedoch unabhängig von den vermittels der Sinnesorgane gegebenen konkreten Wahrnehmungsbestandteilen nicht existieren. Durch das begriffliche Erfassen der Wirklichkeit, mit dem wesentliche M e r k m a l e und Zusammenhänge erkannt werden, w i r d die vorgestellte Wirklichkeit nicht beseitigt, sondern auf eine höhere Erkenntnisstufe gehoben. D a b e i werden im Erkenntnisprozeß nicht nur i n a d ä q u a t e 1 9 1 Ebenda, S. 1 5 9 . 1 9 2 Ebenda, S. 1 6 9 . 1 9 3 Ebenda. S. 1 7 2 .

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Vorstellungen aufgehoben bzw. korrigiert, sondern auch Begriffe inhaltlich verändert oder präzisiert. Obwohl W u n d t der Anschauung das Denken überordnete, erkannte er ihre große Bedeutung für den Erkenntnisprozeß. Der Anschauung entstammten alle Denkgesetze. Um bestimmte Zusammenhänge begrifflich denken zu können, müßten mindestens die Spuren jener durch Begriffe zu vollendenden Gesetzmäßigkeiten in der Anschauung selbst schon existieren. Begriffe seien im Interesse widerspruchsfreien Denkens gebildet, sie müßten die in der Anschauung gegebenen Widersprüche beseitigen. Der im Sinne eines widerspruchsfreien Zusammenhangs unternommenen begrifflichen Bearbeitung der Erfahrung stellte W u n d t drei Hauptaufgaben: erstens die Untersuchung der nach den allgemeinen Gesetzen des Denkens möglichen Erkenntnisformen, zweitens die Bearbeitung der objektiven Vorstellungen zum Zwecke der Herstellung eines widerspruchsfreien Systems der objektiven, mittelbaren oder begrifflichen Erkenntnis und drittens die Bearbeitung des gesamten Bewußtseinsinhaltes zum Zwecke der Herstellung eines widerspruchsfreien systematischen Zusammenhangs der subjektiven, unmittelbaren oder anschaulichen Erkenntnis. D i e erste Aufgabe sei von der Mathematik als allgemeiner Formwissenschaft zu lösen, die zweite von der Naturlehre oder Realwissenschaft der objektiven Erfahrung und die dritte von der Psychologie als Realwissenschaft der subjektiven Erfahrung. Neben der begrifflichen Bearbeitung der Erfahrung sei noch die Möglichkeit transzendenter Begriffsbildung gegeben, hervorgerufen durch das Bedürfnis einer idealen Ergänzung. Objektive mittelbare und subjektive unmittelbare Erkenntnis seien keine verschiedenen Inhalte, sondern nur verschiedene Betrachtungsweisen. In Annäherung an den machistischen Standpunkt erklärte W u n d t : „Sind und bleiben auch objektive und subjektive Erkenntnis, jene als die mittelbare, diese als die unmittelbare, jene als die begriffliche, diese als die anschauliche, voneinander geschieden, so bedeuten doch beide unverkennbar nicht einen verschiedenen Inhalt, sondern lediglich eine verschiedene Art der Bearbeitung eines und desselben uns zunächst in der unmittelbaren Wahrnehmung anschaulich dargebotenen Inhaltes." 194 D i e Wahrnehmungserkenntnis gehe von der Überzeugung aus, das Vorstellungsobjekt sei die ursprüngliche Einheit von Vorstellung und Objekt. D i e Verstandeserkenntnis endige mit dem Gedanken, die getrennte Untersuchung könne die ursprüngliche Einheit nicht aufheben. D i e Erfahrung unterstütze eine die Scheidung wieder aufhebende Einheit, indem sie auf die Abhängigkeit des denkenden Subjekts von der Außenwelt sowie auf die Wirkung hinweise, die das Subjekt auf die Außenwelt ausübe. D i e Verstandeserkenntnis sei am Schlüsse ihrer Arbeit vor die Frage gestellt, inwiefern und unter welchen Bedingungen ein rein ideales, das heißt ein den empirisch begrenzten Zusammenhang der Wahrnehmungen und Verstandesbegriffe überschreitendes System einen Anspruch auf Erkenntnis habe. Weiterhin: Wie und unter welchen Bedingungen ist ein System, welches die Totalität aller

194 Ebenda, S. 180.

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objektiven, und ein solches, welches ebenso die Totalität aller subjektiven E r kenntnisse umfaßt, möglich und gerechtfertigt? Und schließlich: Welche Bedeutung kommt der Idee einer Einheit beider Erkenntnissysteme zu, und wie kann diese Idee zu unserer wirklichen Welterkenntnis in Beziehung gebracht werden? Hinsichtlich der Wahrnehmung war W u n d t zu dem agnostizistischen Schluß gelangt, daß durch sie reale Objekte nicht zu erfassen seien, weil sie sich immer auf das im Erfahrungsinhalt gegebene Vorstellungsobjekt richte, dem ungesondert objektive und subjektive Elemente anhafteten. Auch die Verstandeserkenntnis könne nicht zum Begriff eines von unserem Erkennen unabhängigen Gegenstandes geführt werden, weil allen unseren Vorstellungen das Merkmal Objekt zu sein anhafte, das ihm niemals abzusprechen sei. W u n d t schlußfolgerte: „Somit bleibt die Realität des Objektes eine der Vorstellung als solcher sowie dem aus der Vorstellung entwickelten objektiven Dingbegriff unveräußerlich zukommende Eigenschaft, die nicht aus den übrigen Elementen dieses Begriffes herausgenommen werden darf, um noch einmal selbständig objektiviert zu werden." 1 9 5 D i e Trennung von Objekt und Vorstellung hielt W u n d t für einen Irrtum, bei dem zwei Bestimmungen, die dem gleichen Gegenstande angehörten, in zwei selbständige Gegenstände getrennt würden. Objekt als Abgebildetes und Vorstellung als Abbild sind tatsächlich verschieden, wenn auch nicht zwei selbständige materielle Erscheinungen; das Objekt existiert auch unabhängig von unseren Vorstellungen, welche ihrerseits Objekte voraussetzen. W u n d t kritisierte von seiner idealistischen Position aus Kants Auffassung vom unerkennbaren „Ding an sich". Weil die Forderung nach einem von der Vorstellung verschiedenen Objekt, das zugleich von dieser vorgestellt werden solle, unerfüllt bleiben müsse, schließe Kant, d a ß ein „Ding an sich" vorausgesetzt werden müsse, das uns aber, weil unsere Erkenntnis von Dingen an Vorstellungen gebunden sei, absolut unbekannt bleibe. Der Ursprung des Trugschlusses liege darin, d a ß der richtige Satz „Alles objektive Erkennen entsteht aus unseren Vorstellungen" in den falschen verwandelt werde „Alles objektive Erkennen besteht aus unseren Vorstellungen". In Wahrheit bestehe unser objektives Erkennen nur aus Begriffen, zu deren Bildung wir durch alle die Motive genötigt würden, welche aus der Berichtigung der Widersprüche der Wahrnehmung hervorgingen. W ü r d e n diese Berichtigungen fehlerfrei vorgenommen, so hätten wir keinen Grund, die objektive Realität zu bezweifeln, die den Begriffen entspreche. Von der Anschauungs- und Verstandeserkenntnis gelangte W u n d t schließlich mittels der Denkgesetze zur Vernunfterkenntnis. Nach dem Gesetz von G r u n d und Folge sei das Überschreiten der Erfahrung eine Denknotwendigkeit; das Denken sei genötigt, für die Anfangs- und Endpunkte der Erfahrungsreihen die zugehörigen Glieder außerhalb der wirklichen E r f a h r u n g zu suchen. D i e Wirksamkeit des Denkens, welche die Bearbeitung der Wirklichkeit durch Ideen ergänze, die alle Erfahrung umspanne, selbst aber der E r f a h r u n g nicht angehör195 Ebenda, S. 184.

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ten, sei als die T ä t i g k e i t der V e r n u n f t a u f z u f a s s e n . D i e Beziehung nach G r u n d und F o l g e setze die G l i e d e r u n g eines G a n z e n in seine T e i l e v o r a u s . D a m i t entstehe mit der I d e e eines unbegrenzten Fortschritts zugleich die I d e e einer T o t a l i tät allen Seins. D e r Ü b e r g a n g v o m empirisch G e g e b e n e n zum nicht G e g e b e n e n besitze als ein an d a s D e n k e n gebundener Fortschritt nur f o r m a l e B e d e u t u n g , beziehe sich nicht auf den Inhalt des G e d a c h t e n . A l l e r d i n g s w e r d e überall d a , wo ein durch unser D e n k e n festgestellter Z u s a m m e n h a n g v o n G r ü n d e n und F o l g e n über die G r e n z e n der E r f a h r u n g hinausführe, der so gedachte Fortschritt durch Schlußfolgerung mit der F o r m auch den Inhalt ergeben. In diesem Sinne w e r d e den mechanischen Prinzipien A l l g e m e i n g ü l t i g k e i t zugeschrieben. H y p o t h e s e n seien wissenschaftlich notwendig, schlußfolgerte W u n d t v ö l l i g berechtigt, insofern mit ihnen der Versuch gemacht w e r d e , gewisse in der E r f a h r u n g gegebene K a u s a l r e i h e n zu E n d e zu führen. D e r Fortschritt ins T r a n s z e n d e n t e , zu d e m die V e r n u n f t durch den ihr immanenten T r i e b der unbegrenzten V e r b i n d u n g des G e g e b e n e n mit seinen V o r a u s s e t z u n g e n genötigt w e r d e , beziehe sich auf den Inhalt und die F o r m der Erfahrung. E s ist nicht in erster L i n i e ein „ i m m a n e n t e r T r i e b " , der die V e r n u n f t zu den von W u n d t genannten Ideen nötigt, wenn auch d a s geistige B e d ü r f n i s und der T r i e b nach unbegrenzter Erkenntnis eine wichtige R o l l e im Prozeß der Erkenntnis spielen. D i e I d e e n des unendlichen Fortschritts und der T o t a l i t ä t ergeben sich p r i m ä r als W i d e r s p i e g e l u n g und Schlußfolgerung aus den objektiven T a t s a c h e n , vor allem des materiellen Geschehens, mit denen wir im praktischen L e b e n besonders im P r o d u k t i o n s p r o z e ß - und in den Wissenschaften s t ä n d i g konfrontiert sind. S i e w i d e r s p i e g e l n die T a t s a c h e , d a ß wir in der praktischen E r f a h r u n g und in ihrer wissenschaftlichen theoretischen V e r a r b e i t u n g für a l l e v o n uns bekannten und erforschten O b j e k t e U r s a c h e n feststellen können, d a ß ihnen allen materielle raumzeitliche B e d i n g u n g e n v o r a u s g e h e n . G e i s t i g e Erscheinungen lassen sich d a b e i immer wieder auf materielle U r s a c h e n - wenn auch o f t erst über i d e e l l e Vermittlungen - zurückführen und in den unendlichen materiellen E n t w i c k l u n g s p r o z e ß eingliedern. D i e A u f f a s s u n g v o n einer Unendlichkeit der W e l t in Zeit und R a u m führte W u n d t w i e d e r u m auf eine N ö t i g u n g des D e n k e n s zurück. E r schrieb: „ W i r können uns die W e l t nicht anders denken als stetig in R a u m und Zeit ausgedehnt, d. h. in f o r m a l e r Beziehung ins U n e n d l i c h e teilbar und über j e d e G r e n z e hinaus sich e r s t r e c k e n d . " 1 9 6 F ü r den Inhalt sei d a m i t nichts g e w o n n e n ; w i e die A n o r d nung der M a t e r i e und die v o n dieser A n o r d n u n g a b h ä n g i g e K a u s a l i t ä t des Geschehens jenseits der G r e n z e n der uns möglichen Z e r l e g u n g und der uns z u g ä n g lichen F o r m e n v o n R a u m u n d Zeit zu denken sei, bleibe v ö l l i g unbestimmt. J e d o c h könnten bestimmte Rückschlüsse aus d e m G e g e b e n e n gezogen werden. So sei die I d e e des A t o m s als letztes E l e m e n t der M a t e r i e entstanden. N i c h t nur für die B e t r a c h t u n g der äußeren W e l t , sondern auch für d i e der W a h r n e h m u n g f o r d e r t e W u n d t einen doppelten Fortschritt zu letzten Einheitsideen. D e r eine 196 Ebenda, S. 208.

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beziehe sich auf die letzte, nicht weiter zerlegbare E i n h e i t des geistigen Seins, der a n d e r e auf die T o t a l i t ä t alles Geistigen oder den universellen G r u n d der g e s a m t e n geistigen W e l t . Schließlich ging es W u n d t auf der S t u f e der Vernunfterkenntnis um die I d e e eines letzten W e l t g r u n d e s überhaupt. D i e N o t w e n d i g k e i t einer solchen I d e e ergebe sich einerseits aus den in der E r f a h r u n g gegebenen Wechselwirkungen v o n äußerem und innerem Geschehen, andererseits aus den a n d e r e n transzendenten I d e e n selbst. D i e T r e n n u n g von O b j e k t und S u b j e k t w e r d e erst in der E r f a h r u n g vollzogen, d a m i t sei die A n n a h m e nahegelegt, d a ß der ursprünglichen Einheit des E r f a h r u n g s o b j e k t e s eine ursprüngliche E i n h e i t des Seins entspreche. E n t s c h e i d e n d e r als a l l e empirischen G e s i c h t s p u n k t e sei d a s metaphysische B e d ü r f n i s , zwischen den beiden transzendenten I d e e n , zu deren E n t w i c k l u n g die B e g r i f f e N a t u r und G e i s t A n l a ß gegeben hätten, eine V e r e i n i g u n g herzustellen. In seiner weiteren Untersuchung w a n d t e sich W u n d t zunächst den möglichen A n n a h m e n über d e n U r s p r u n g der Erkenntnis zu. D e r E m p i r i s m u s b e h a u p t e , d a ß a l l e Erkenntnis v o n außen aus der E r f a h r u n g s t a m m e , der R a t i o n a l i s m u s suche die Q u e l l e der Erkenntnis ausschließlich im D e n k e n , der „ K r i t i z i s m u s " schließlich e r f a s s e Erkenntnis als P r o d u k t eines von außen gegebenen S t o f f s , der innerlich durch den V e r s t a n d seine F o r m e m p f a n g e . W u n d t lehnte a l l e diese Möglichkeiten a b . D e r w a h r e A n f a n g der Erkenntnis könne „einzig u n d allein in d e m ideellen ursprünglichen V o r s t e l l u n g s o b j e k t g e f u n d e n w e r d e n " , d a ß heiße, „in einem G e g e n stand unseres D e n k e n s , an d e m wir doch a l l e in Wirklichkeit nie f e h l e n d e A r b e i t des D e n k e n s als noch nicht a u s g e f ü h r t voraussetzen, also d i e T r e n n u n g v o n Stoff und F o r m , v o n O b j e k t und Subjekt, sowie der verschiedenen V o r s t e l l u n g s o b j e k t e und ihrer E i g e n s c h a f t e n v o n einander noch nicht v o l l z o g e n d e n k e n . " 1 9 ' D a s V o r stellungsobjekt b i l d e t e den A u s g a n g s p u n k t für W u n d t s E r k e n n t n i s a n a l y s e u n d auch für seine transzendenten Ideen. I m Erkenntnisprozeß beginne d i e logische E n t w i c k l u n g der B e g r i f f e mit der B e a r b e i t u n g des ursprünglichen V o r s t e l l u n g s objektes. V o m einfachen E r f a h r u n g s b e g r i f f führe die E n t w i c k l u n g zu immer umfassenderen E r f a h r u n g s b e g r i f f e n , schließlich zu allgemeinsten B e g r i f f s k l a s s e n u n d zu abstrakten Beziehungsbegriffen. D e r empirische Einzelbegriff h a b e sein v o l l e s Substrat im O b j e k t , auf d a s er sich bezieht, er b e d ü r f e keiner „stellvertretenden V o r s t e l l u n g " . In den empirischen B e g r i f f e n sei der G e g e n s t a n d gegeben, nicht durch unser D e n k e n erzeugt. H ö h e r e B e g r i f f s f o r m e n erforderten „stellvertretende S y m b o l e " . B e s t i m m t e a b s t r a k t e B e g r i f f e löste W u n d t v o m E r f a h r u n g s i n h a l t . Er schrieb: „ D a g e g e n sind die B e g r i f f e der Z a h l , des a b s t r a k t e n R a u m e s u n d der abstrakten Zeit, sowie a l l e einzelnen arithmetischen, geometrischen, p h o r o n o m i schen B e g r i f f e , nicht minder die B e g r i f f e des Seins, des Stoffs, der F o r m usw. z w a r allgemeine, aber keine E r f a h r u n g s b e g r i f f e , weil bei ihnen allen solche F o r derungen des D e n k e n s verwirklicht g e d a c h t sind, die in keiner einzigen E r f a h r u n g wirklich v o r k o m m e n . " 1 9 8 D i e in diesen B e g r i f f s b i l d u n g e n geforderten A b s t r a k -

197 Ebenda, S. 220. 198 Ebenda, S. 227.

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tionen seien in keiner Vorstellung, nur noch im Denken durchführbar. Deshalb könne für sie nie eine einzelne Vorstellung adäquates Symbol sein. D a m i t nehme auf der Stufe solcher abstrakter Begriffsbildungen notwendig die im Bewußtsein vorhandene stellvertretende Vorstellung die Bedeutung eines nicht nur willkürlichen, sondern auch inadäquaten Symbols an. Indem W u n d t diese abstrakten Begriffe zu inadäquaten Symbolen erklärte, beseitigte er theoretisch ihren tatsächlichen realen Zusammenhang mit den Objekten; er verstand ihren spezifischen Abbildcharakter nicht. Trotz dieser unhaltbaren Bestimmung gewisser abstrakter Begriffe negierte W u n d t deren Zusammenhang mit der E r f a h r u n g nicht völlig, er bezeichnete sie als die letzten Stufen der logischen Verarbeitung des Wahrnehmungsinhaltes, die mit den empirischen Einzelbegriffen begonnen habe. Wundts Analyse der Vernunfterkenntnis führte folgerichtig zur Ablehnung des metaphysischen Substanzbegriffes, denn dieser geht von einer ursprünglichen Trennung von Objekt und Vorstellung aus. Wenn man die Substanz als Grundlage aller in der Erfahrung gegebenen Erscheinungen betrachte, lägen in ihrer Definition zwei Bestimmungen eingeschlossen. Erstens werde die Substanz als Grund der Erfahrung gedacht, jedoch nicht als in der Erfahrung gegeben, zweitens werde die Substanz der Erscheinung gegenübergestellt. Wenn gemäß der ersten Bestimmung Substanz kein Gegenstand der Erfahrung sei, so müsse ihr Begriff ein transzendenter sein und könne somit nur aus einer hypothetisch bleibenden Ergänzung der Erfahrung entstehen, wenn nach der zweiten Bestimmung alles empirisch Gegebene als Erscheinung, die Substanz als Sein gedacht werde, sei Substanz als Unbedingtes gefordert. Beide Bestimmungen gerieten somit notwendig in Widerspruch. Dieser sei bereits in der Voraussetzung begründet, wonach Vorstellung und Objekt ursprünglich voneinander geschieden seien. W u n d t wandte sich sowohl gegen die materialistische als auch gegen die idealistische Trennung von Objekt und Vorstellung. Alle Trennungen seien unhaltbar; sie sind es, schrieb Wundt, „wenn man eine a priori in uns liegende Idee eines transzendenten Objektes voraussetzt; denn alle unsere Objektbegriffe sind entweder unmittelbar an empirisch gegebene Objekte gebunden, oder sie sind infolge von logischen Forderungen entstanden, welche ihrerseits wieder in den Eigenschaften der empirischen Objekte ihre Quelle haben. Sie ist ferner unhaltbar, wenn man das Objekt als ein außer uns Liegendes annimmt, das aber ein ihm in allen oder doch in wesentlichen Eigenschaften gleichendes Bild in unserem Bewußtsein erzeugen könne; denn diese Gegenüberstellung von Bild und Gegenstand ist selbst nur ein bildlicher Vergleich, der bloß für jene mittlere Erkenntnisstufe notdürftig zutrifft, auf welcher zwar die Unterscheidung der Vorstellung von dem Objekte bereits eingetreten ist, jede tiefere Besinnung über das Wechselverhältnis beider aber noch mangelt." 1 9 9 Substanz sei kein Begriff, der Erfahrung erst möglich mache, er gehe im Gegenteil erst aus der Bearbeitung, der Erfahrung hervor. Es sei weiterhin ein 199 Ebenda, S. 269.

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Widerspruch, einerseits anzunehmen, die Substanz sei das beharrende Sein der Dinge, und andererseits alle Veränderlichkeit der Erscheinung auf die kausale Wirksamkeit der Substanz zurückzuführen. Wundts Kritik am Substanzbegriff war berechtigt, soweit sie sich gegen die Annahme einer metaphysischen beharrenden Substanz richtete. Als solche existiert die materielle Welt nicht, sondern in der Mannigfaltigkeit ihrer unendlich unterschiedlichen Entwicklungsformen. Indem W u n d t jedoch die Substanzauffassung durch seine Theorie der Aktualität allen Seins ersetzte, richtete sich seine Kritik auch gegen die Materialität, durch die alle Dinge und Erscheinungen zu einem sich in ständiger Entwicklung befindlichen einheitlichen Weltzusammenhange verbunden sind. Wundts Theorie der Aktualität ignoriert die qualitative Bestimmtheit aller Dinge und Erscheinungen und erfaßt nicht den Tatbestand der relativen Ruhe. W u n d t wandte sich besonders gegen das Prinzip der substantiellen Kausalität, wobei es ihm hauptsächlich darum ging, den Standpunkt zurückzuweisen, d a ß Geistiges aus Materiellem hervorgehe. D a s Prinzip der Kausalität der Substanz sei widersprüchlich, es setze die Substanz als beharrendes Sein voraus, erhebe sie jedoch gleichzeitig zum G r u n d des Werdens. D a m i t werde der Gegensatz von Sein und Werden ungerechtfertigt aufgehoben. Die Substantialisierung des Kausalbegriffes habe ihre psychologische Wurzel in der handelnden Persönlichkeit. Schon das mythologische Denken habe das Naturgeschehen als Handlungen lebender Wesen betrachtet. D a s erste Stadium in der Entwicklung des substantiellen Kausalbegriffes bestehe somit in der Ausbildung des Kraftbegriffs. In der Naturwissenschaft, wo der Begriff der substantiellen Kausalität noch die größte Berechtigung gehabt habe, sei er zuerst ins Wanken geraten. An seine Stelle seien die Wechselbegriffe K r a f t und Masse getreten. Die Physik sei außerdem genötigt gewesen, den Begriff K r a f t durch den der Energie zu ersetzen. So habe sich „schließlich in der materiellen Substanz der Begriff des empirischen Dings in einen hypothetischen Hilfsbegriff der N a t u r wissenschaft umgewandelt, dessen Inhalt ganz und gar nach der Forderung sich richtet, d a ß alles Geschehen in der N a t u r als ein zusammenhängendes System von Gründen und Folgen begriffen werde" 2 0 0 . W u n d t hat den Begriff der Substanz allgemein mit dem für die Naturwissenschaften gebrauchten „hypothetischen Hilfsbegriff Materie" synonym verwendet. Seine Darstellung der Entwicklung des Substanzbegriffes enthält somit dem Sinne nach die Auffassung vom „Verschwinden der Materie", was nicht ausschließt, wie im Kapitel über Materie und Bewußtsein näher ausgeführt wurde, d a ß er an anderer Stelle gegen diese Auffassung polemisierte. W u n d t gelangte bei seiner Erkenntnisanalyse zu der Einsicht, d a ß wissenschaftliche Erkenntnis über die Grenzen der Erfahrung hinausführen müsse. E r erklärte: „Indem das Wissen die in der E r f a h r u n g gegebenen Tatsachen nach Gründen und Folgen ordnet, wird es schon zu reinen Erkenntniszwecken genötigt, von den in der 200 Ebenda, S. 300.

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Erfahrung gegebenen zu weiteren Gründen aufzusteigen, die nicht gegeben sind, sondern bloß nach Anleitung des in der Erfahrung begonnenen Rückgangs von dem Bedingten zu seinen Bedingungen hinzugedacht werden. Das Geschäft dieser Ergänzung der Wirklichkeit ist eine der Hauptaufgaben der Metaphysik - eine Aufgabe, die schon inmitten der Erfahrungswissenschaften mit mancherlei Hypothesen beginnt und dann von der Philosophie fortgeführt wird." 2 0 1 Transzendente Ideen betrachtete Wundt als unabdingbare Voraussetzung menschlicher Erkenntnis. In zwei Beziehungen führe die wissenschaftliche Betrachtung der Außenwelt über die Grenzen jeder gegebenen Erfahrung: erstens hinsichtlich der quantitativen Eigenschaften, der Ausbreitung der Sinnendinge und des zeitlichen Verlaufs der Ereignisse, und zweitens hinsichtlich der qualitativen Bestimmungen des Inhalts des Seins, der Materie und der Kausalität. Der Raum wurde zugleich ins Unendliche teilbar und ins Unendliche ausgedehnt gedacht. Daraus folge nicht, daß auch die Materie ins Unendliche teilbar und ausgedehnt sein müsse. Obwohl sich Wundt wiederholt gegen die Annahme eines leeren Raumes und einer leeren Zeit aussprach, trennte er hier Raum und Zeit von der Materie. Außerdem trennte er den Unendlichkeitsbegriff, der dem formalen Fortschritt in Raum und Zeit zugrunde liege, von dem Fortschrittsbegriff, der sich auf den qualitativen Inhalt des Gegebenen beziehe. Der Fortschritt in den formalen Bestimmungen Raum und Zeit war für Wundt nicht zugleich materieller Fortschritt. E r gab folgende Begründung: „Sowohl die allgemeingültigen formalen Eigenschaften der Materie und ihrer Kausalität wie der veränderliche, bis zu einem gewissen Grade immer hypothetisch bleibende qualitative Inhalt dieser Begriffe bewegen sich auf dem Gebiet der Erfahrung: die ersteren sind ihr unmittelbar entnommen, der letztere ist ausschließlich zum Behuf ihrer widerspruchslosen Interpretation entstanden. Somit bleibt hier kein Raum für einen unendlichen Fortschritt, dem in analoger Weise eine reale Bedeutung beigelegt werden könnte, wie dem Fortschritt in der Ausdehnung des Raumes oder in dem Verlauf der Zeit." 2 0 2 In Wundts Konzeption, die Raum und Zeit gegenüber der Materie verselbständigt - auch wenn diese als untrennbar miteinander verbunden angesehen werden - , sind richtige Erkenntnisse enthalten. Wundt erfaßte, daß die Welt in Zeit und Raum unendlich ist, daß für die der Erfahrung gegebenen Existenz- und Entwicklungsformen der materiellen Welt jedoch Endlichkeit und Begrenztheit angenommen werden können. Dabei räumte er ein, daß auch die Materie und ihr kausaler Verlauf als unendlich gedacht werden müßten. Wundt bekannte sich zu einem unendlichen Erkenntnisfortschritt. D i e empirische Analyse der Naturerscheinungen könne nie zu Ende kommen, ein Stillstand der Erfahrungen nie erreicht werden.

2 0 1 W . Wundt, Allgemeine Logik und Erkenntnistheorie, 1. Bd., a. a. O., S. 4 0 3 . 2 0 2 W . Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1 8 8 9 , S. 3 5 8 .

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D i e Idee der Unendlichkeit galt W u n d t als „eine der wunderbarsten Ideen, die je in dem menschlichen Gehirn entsprungen" sei. 203 W u n d t wandte sich gegen die Annahme, durch die Kant das Problem der Unendlichkeit zu lösen versuchte. E r wies die Auffassung zurück, d a ß die Welt in ihrer ganzen zeitlichen und räumlichen Existenz Erscheinung sei, ein von unserem Bewußtsein entworfenes Bild einer Wirklichkeit. Es sei keineswegs so, d a ß die Erscheinungen, selbst Tatsachen des Bewußtseins, bloß nach den dem Bewußtsein immanenten Formen der Anschauung und des Denkens geordnet würden. Auf dieser Grundlage seien alle Versuche gescheitert, Erkenntnisprobleme zu lösen. Sie beruhe auf Subjektivismus und Psychologismus und widerspreche der geschichtlichen Entwicklung und den Prinzipien der wissenschaftlichen Forschung. Zur Lösung der Frage, ob die Welt endlich oder unendlich sei, wäre es unerheblich, ob das „gemeine Bewußtsein" den Dingen Zeit und Raum als außerhalb des Bewußtseins zugehörend betrachte, oder ob der „kritische Philosoph" hinzufüge, aber diese Welt ist meine Welt, es ist meine Art und Weise, die Dinge so vorzustellen. O b Zeit und Raum außerhalb des Bewußtseins existieren oder Formen unserer Anschauung seien - die Frage nach der Unendlichkeit der Welt bleibe. Einer endlichen Begrenzung stelle sich der in unserem Denken liegende Trieb, über jede Grenze hinauszugehen, als Widerstand entgegen. W u n d t unterschied die transzendenten Ideen, die sich auf die N a t u r beziehen, von denen, die das geistige Leben betreffen. Während der Begriff der Materie ein hypothetisch-empirischer sei, der erst mit der Frage nach dem absolut letzten Element derselben zur transzendenten Idee werde, sei die Frage nach der Seele von A n f a n g an transzendent. D i e transzendenten Fragen, die das kosmologische Problem in sich schließe, könnten gestellt und beantwortet werden, ohne auf das Eingreifen geistiger Potenzen in den Naturverlauf Rücksicht zu nehmen. D i e Frage nach der Seele gehe nicht darauf aus, einen Begriff zu finden, „der an Stelle der gegebenen Erfahrungsobjekte als deren reales Substrat vorausgesetzt werden könnte", sondern sie suche „zu den nach dem Prinzip von Grund und Folge verbundenen unmittelbaren Erfahrungstatsachen einen letzten G r u n d , der ihrer aller Vorhandensein begreiflich mache" 204 . Mit seiner transzendenten Idee von der Seele versuchte W u n d t einen geistigen Urgrund für alle Bewußtseinserscheinungen zu postulieren. E r räumte ein, d a ß hinsichtlich der geistigen Erscheinungen eine Fortsetzung des in der E r f a h r u n g beginnenden Regressus stärker dem Zweifel unterliegen müsse als bei der Materie. E r wandte sich aber gegen den Empirismus und den Skeptizismus, die das Problem der Einheit und der Totalität des geistigen Seins nicht akzeptierten. Mit seinem „psychologischen Regressus" gelangte W u n d t zur Willenstätigkeit, die den inneren Erlebnissen ihre Einheit verleihe. Alle unsere Erfahrungen bestünden aus einer Mannigfaltigkeit von Vorstellungen, mit denen sich die Gefühle des eigenen 203 W. Wundt, Essays, a. a. O., S. 106. 204 W. Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1889, S. 370.

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Leidens und der eigenen Tätigkeit verbänden. Von den Vorstellungen würden wir leiden, indem sie uns ohne eigene Tätigkeit gegeben wären; gleichzeitig seien wir selbst vorstellend tätig, indem wir uns bewußt seien, Vorstellungen hervorzubringen oder Änderungen an gegebenen Vorstellungen zu erzeugen. Tun und Leiden könnten nur aus der inneren Wahrnehmung selbst abgeleitet werden. Das Leiden sei an den Bestandteil der inneren Erfahrung gebunden, den wir auf Objekte außer uns bezögen, an die Vorstellungen. Tätigkeit sei dem „Ich" unmittelbarer zuzuteilen als das Leiden. Die eigene Tätigkeit sei Quelle unseres Tuns und Leidens. Die Mannigfaltigkeit von Vorstellungen in der inneren Erfahrung bilde ständig Gegenstände eines Wollens, das ihnen gegenüber sein Wirken entfalte und von ihnen in diesem gehemmt werde. Von allen Bestandteilen des Bewußtseins bilde das Wollen den einzig stetig zusammenhängenden, in sich gleichartigen, den einzigen also, welcher den inneren Erlebnissen wirkliche Einheit verleihe. Somit sei die innere Willenstätigkeit, die „Apperzeption in ihrer reinen, von allen Inhaltsbestimmungen unabhängig gedachten Form" Endpunkt des individuellen psychologischen Regressus. 205 Die Vernunft werde von der Idee der individuellen Seeleneinheit zu der Idee einer geistigen Totalität geführt, welche als der letzte Grund alles individuellen geistigen Seins angesehen werden könne. Der Wille des einzelnen sei eingeschlossen in eine Willensgemeinschaft, mit der er in Wechselwirkung stehe. Gemeinsames Wollen sei zugleich individuelles Wollen. Als praktisches Ideal betrachtete Wundt den menschlichen Gesamtwillen. Er schrieb: „So wird jene unendliche Totalität, die wir nach vorwärts blickend in dem sittlichen Menschheitsideal, das wir uns vorstellen, nie zu erreichen im Stande sind, in der Idee dadurch hergestellt, daß wir einen unendlichen Grund dieses Ideals fordern, der dasselbe als seine Folge, aber nicht als seine einzige und nicht als seine letzte Folge enthält. So entsteht die religiöse Idee als die Ergänzung des sittlichen Ideals." 206 Nachdem die Erkenntnis durch den kosmologischen und den psychologischen Regressus mittels transzendenter Ideen zur Einheit und Totalität auf ihren Gebieten gelangt sei, gelte es den letzten Einheitsgrund allen Seins zu erfassen. Wundt konstatierte, daß die Frage nach der Beziehung von Körper und Geist den Gedanken an einen letzten Einheitsgrund des Seins angeregt habe. Diese Frage dürfe nicht unter Berufung auf ihre angebliche Unlösbarkeit zur Seite geschoben werden. W i e in anderem Zusammenhange bereits erläutert, sah Wundt vier Möglichkeiten, die Frage nach dem letzten Einheitsgrund des Seins zu beantworten: eine materialistische, die den Ursprung in der „äußeren Erfahrung" sehe, eine idealistische, die ihn in der „inneren Erfahrung" betrachte, und eine dritte, den Dualismus, der von der ursprünglichen Koexistenz beider Prinzipien ausgehe. Außerdem sei die Voraussetzung eines absolut imaginären Seins denkmöglich. Zu dem transzendenten Fortschritt, der zum letzten Einheitsgrund des Seins führe, 205 Ebenda, S. 388. 206 Ebenda, S. 404.

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müsse der Ausgangspunkt in der Erfahrung gefunden werden, er dürfe nicht auf einer metaphysischen Hypothese beruhen. Die in der Erfahrung begonnene Verbindung von Grund und Folge gelte es weiterzuführen, bis die Einheit gewonnen sei, die es möglich mache, die ganze Reihe samt ihren Gliedern, die der Erfahrung angehören, als ein Ganzes zu denken. Um zu dieser letzten Einheit zu gelangen, ging Wundt wieder vom Vorstellungsobjekt - also vom Bewußtseinsinhalt - aus. D a s Vorstellungsobjekt als ursprüngliche Einheit des Gegenstandes und seiner Vorstellung erfordere, daß der zunächst gesondert ausgeführte Fortschritt der kosmologischen und psychologischen Ideen wieder zu einer Einheit zurückführe, welche als der letzte Grund jener ursprünglichen Einheit angesehen werden könne. Die kosmologische Betrachtung habe davon abgesehen, daß die Objekte zugleich Vorstellungen seien, die psychologische davon, daß die Vorstellungen zugleich Objekte seien. Beide bedürften daher einer Ergänzung, die die aufgegebene Einheit wiederherstelle. Hierbei lehnte Wundt wiederum materialistische Lösungsversuche, die die Vorstellungen zu subjektiven Abbildern der objektiven Welt erklärten, ebenso ab wie subjektiv-idealistische Konzeptionen, nach denen Objekte nur Vorstellungen seien. Seine Ablehnung der materialistischen „metaphysischen Systeme" in dieser Frage begründete er wie folgt: „ D i e innere Welt ist ihnen ein Spiegelbild der äußeren. Die letzte Bedingung für jene wissen sie daher nur in einer Totalität der Vorstellungen zu finden, welche der Unendlichkeit des Kosmos analog ist. So bleiben gerade diejenigen Elemente unbeachtet, welche bei der Zerlegung des Vorstellungsobjektes nicht in das Objekt hinüberwandern und hieran schon als diejenigen zu erkennen sind, die für die psychologische Betrachtung die fundamentalere Bedeutung beanspruchen, der Wille und die eng mit ihm verbundenen Formen der Gemütsbewegung." 2 0 7 Leibniz habe den Weg gezeigt, den der psychologische Regressus zu nehmen habe, indem er die Monaden als Kräfte bezeichnete und für die selbstbewußte Tätigkeit der denkenden Seele den Begriff der Apperzeption geschaffen habe. Nur die Befangenheit im überkommenen Substanzbegriff und der Naturalismus seiner Zeit, der durch eine einseitige Hervorhebung der Vorstellungsseite des Seelenlebens gekennzeichnet gewesen sei, habe ihn die entscheidenden Schritte nicht tun lassen. Erst Kant habe gründlich mit der alten Anschauung gebrochen, indem er den Substanzbegriff der vorangegangenen Metaphysik aus der Psychologie in die Naturwissenschaften verwiesen und die Leibnizsche Apperzeption zum Begriff der transzendentalen Apperzeption weitergeführt habe. Der Endpunkt des psychologischen Regressus sei also der Wille, in welchem das denkende Subjekt seine eigene Realität unmittelbar in sich finde. D i e Vorstellung dagegen sei das dem denkenden Subjekt gegebene Objekt. D a s Objekt könne nicht so festgehalten werden, wie es unmittelbar in der Vorstellung gegeben sei. E s mache einer begrifflichen Rekonstruktion Platz, die alles aus ihm entferne, was unserer subjektiven Empfindung angehöre. Damit gehe das Vorstellungs207 Ebenda, S. 413. 11

Wilhelm W u n d t

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objekt aus dem unmittelbar Wirklichen für unseren Verstand in bloß mittelbar Wirkliches über, das heißt in ein solches, das nur infolge seiner Wirkung auf unsere vorstellende Tätigkeit als Objekt gedacht werden könne. Daher seien Momente des Leidens und der Tätigkeit untrennbar an alles Vorstellen und Wollen geknüpft. Der Gegenstand, der die leidende Tätigkeit unseres Wollens anrege, sei für sich allein betrachtet, ebenso unbekannt, wie unser Willen als reines Wollen. Für die Beantwortung der Frage, was der Gegenstand sei, wenn wir ihn losgetrennt von unserem Willen betrachteten, bleibe uns nur ein Gesichtspunkt : Was Leiden errege, müsse selbst tätig sein. 208 Mit diesem „logischen" Exkurs gelangte W u n d t bei seiner „Erkenntnisanalyse" zur Postulierung eines „letzten Einheitsgrundes des Seins". Leiden werde nur durch Tätigkeit erzeugt; wenn wir die Dinge der objektiven Welt erleiden, müssen sie durch Tätigkeit auf uns wirksam werden. Uns sei aber keine andere Tätigkeit außer der unseres Willens bekannt. Unser eigenes Leiden sei demnach fremdes Wollen. D a s Wechselverhältnis von Tun und Leiden müsse auf eine Wechselwirkung verschiedener Willen zurückgeführt werden. D i e Vorstellung sei das Medium, durch welches die Willen in Wechselwirkung miteinander stünden. Nachdem das Vorstellungsobjekt auf die Tätigkeit anderer wollender Subjekte zurückgeführt sei, verlange das ontologische Problem eine Weiterführung des psychologischen Fortschritts in dem Sinne, d a ß sich die objektive Welt in die Reihe der dort gewonnenen Willensentwicklungen einfügt. Das könne nur geschehen, wenn wir alle Realität als eine unendliche Totalität individueller Willenseinheiten denken, denen eine Reihenfolge von Wechselbeziehungen ursprünglich zukomme, durch welche jedes Einzelwollen zu vorstellendem Wollen wird, aus welchem dann wieder eine Zusammenfassung vieler Willenseinheiten zu höheren Willensformen hervorgehe, so daß die Wechselwirkung der Willenseinheiten zugleich das Entwicklungsprinzip des Wollens sei. Bei dieser ins Mystische abgleitenden Annahme ging W u n d t von zwei Voraussetzungen aus. Erstens beruhe alle selbständige Realität auf der Willenseinheit; dies sei das Ergebnis des individuellen psychologischen Regressus. Zweitens sei die Vorstellung Beziehungsform der realen Willenseinheiten zueinander und gleichzeitig Entwicklungsform höherer realer Willenseinheiten aus einfacheren; das sei das Ergebnis des universellen psychologischen Regressus. D i e Vorstellung beruhe auf einem dem Willen fremden Sein, von dem jeder leide, und sie sei zugleich eigene Tätigkeit des Willens, die durch dieses Leiden erregt werde. Bei der Zergliederung des Vorstellungsobjektes nehme die Verstandeserkenntnis schließlich außer dem Willen auch den gesamten Empfindungsinhalt in das Subjekt zurück, um an die Stelle des Objekts einen Begriff zu setzen, der nicht mehr angeschaut, sondern nur noch gedacht werden könne. Der Empfindungsinhalt sei die unmittelbar anschauliche Form der Wechselbeziehung des wollenden Subjekts mit den Objekten, während der Begriff des Objektes als ein unabhängig von dieser 208 Vgl. ebenda, S. 415.

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Wechselbeziehung zu denkender Gegenstand zurückbleibe. Somit erklärte Wundt objektive Eigenschaften und Merkmale der Dinge und Erscheinungen - Farben, Gerüche, Töne und dergleichen - , die auf unsere Sinnesorgane einwirken und ideelle Abbilder der objektiven Realität im Bewußtsein hervorrufen, zu subjektiven psychischen Phänomenen. Auf der Stufe der Verstandeserkenntnis war für Wundt die Welt Wille, Empfindung und Begriff. Weil die Verstandeserkenntnis durch die Subjektivierung der Empfindung das erkennende Subjekt und das erkannte Objekt voneinander trenne, sei sie genötigt, die Einheitsideen, denen sie zustrebe, zunächst unabhängig voneinander zu entwickeln. Die Vernunfterkenntnis könne diese Trennung nicht aufrecht erhalten, denn die Welt sei nicht in dem Sinne Wille, Empfindung und Begriff, daß die beiden ersten ausschließlich dem Subjekt zukämen, der letztere das Objekt in seiner Identität enthalte. Die kosmologische und die psychologische Ideenentwicklung zeigten die Unmöglichkeit einer solchen Trennung. Die psychologische Reihe zeige uns den Willen als wirkliche Relation unseres Seins, jedoch nicht, wie unser Sein in Relation zu den Objekten außer ihm treten könne. Die kosmologische Reihe zeige uns die Welt als eine Verkettung der mannigfachen Relationen von Gegenständen, über deren eigene Natur erführen wir jedoch nichts. Den Zusammenschluß beider Reihen - also von Willen und Objekt „bewältigte" Wundt auf dem Wege metaphysischer Spekulation. E r erklärte: „ D a wir nun unmöglich annehmen können, daß die Objekte überhaupt kein eigenes Sein haben, und ein anderes eigenes Sein als unser Wille uns nirgends gegeben ist, da insbesondere die Vorstellung und der aus ihr entwickelte Begriff stets objektiviert, also auf ein fremdes Sein bezogen werden, so wird hier unweigerlich eine Ergänzung des kosmologischen durch den psychologischen Regressus gefordert: das eigene Sein der Dinge, die uns die kosmologische Betrachtung nur in ihren äußeren Relationen zu verfolgen gestattet, ist dem unseren gleichartig; es ist Wollen. D a aber das Wollen für sich allein wiederum inhaltsleer sein würde, so ist von vornherein gefordert, daß dieses Wollen zugleich immer ein inhaltliches bestimmtes, also vorstellendes Wollen sei." 209 Damit war Wundt, der sich oft sehr heftig gegen metaphysische Spekulationen gewandt hatte, bei seinen Willensmonaden angelangt: D a s Wesen der Dinge ist vorstellendes Wollen. Die Welt sei „die Gesamtheit der Willenstätigkeiten, die durch ihre Wechselbestimmung, die vorstellende Tätigkeit, in eine Entwicklungsreihe von Willenseinheiten verschiedenen Umfangs sich ordnen" 2 1 0 . Der so gewonnene Weltbegriff müsse nach dem Prinzip von Grund und Folge bis zur Gewinnung letzter Einheitsideen entwickelt werden. Der erforderliche ontologische Fortschritt zerfalle in eine individuelle Reihe, die auf eine nicht weiter zerlegbare Einheitsidee alles Seins zurückgehe, und in eine universelle Reihe, die eine nicht weiter überschreitbare Einheit der Totalität alles Seins zu erreichen 209 Ebenda, S. 419. 210 Ebenda, S. 421. 11*

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strebe. Mit Hilfe seines ontologischen Regressus postulierte W u n d t schließlich einen Gesamtwillen. Damit hatte er, gewissermaßen von subjektiv-idealistischen erkenntnistheoretischen Prämissen ausgehend, eine objektiv-idealistische Position zur Begründung eines geistigen Urgrundes des Seins erreicht. Wenn alle Dinge und Erscheinungen der Welt auf Willenseinheiten zurückgeführt sind, dann ist es durchaus gerechtfertigt, zum Beispiel Atome auch als geistige Wesen zu betrachten. Diese absurde Schlußfolgerung hat W u n d t tatsächlich gezogen. Wenn in der Psychologie oder in der Physiologie bestimmte physische und psychische Kausalzusammenhänge erforscht werden müßten, könne man den Standpunkt vertreten, „nach welchem die materiellen Atome zugleich als psychische Einheiten angesehen werden, die physisch nur in äußerer, psychisch nur in innerer Wechselbestimmung stehen" 211 . Für diese letzten Einheiten des geistigen Geschehens und der Naturkausalität, bekannte W u n d t selbst, könne man den Leibnizschen Begriff der Monaden verwenden. Bei Leibniz, Herbart und Lotze seien die Monaden tätige Substanzen gewesen. Ihnen fehle aber als Hauptmerkmal des Substanzbegriffes die Beharrlichkeit. Sich der Kritik Humes und Kants anschließend, stellte W u n d t fest, es seien keine tätigen Substanzen, sondern substanzerzeugende Tätigkeiten. W u n d t korrigierte also den Leibnizschen Monadenbegriff im Sinne des konsequenten Idealismus und befreite ihn von jedem materialistischen Beigeschmack. Für ihn waren die letzten Bausteine der Welt geistige Kräfte, die Materielles hervorbringen können. D a m i t hatte sich W u n d t im Ergebnis seines erkenntnistheoretischen Exkurses unmißverständlich für eine idealistische Lösung der philosophischen Grundfrage nach dem Verhältnis von Materie und Bewußtsein entschieden. D a s Einheitsbedürfnis der Vernunft führe zur Überzeugung, „daß der kosmische Mechanismus nur die äußere Hülle ist, hinter der sich ein geistiges Wirken und Schaffen, ein Streben, Fühlen und Empfinden verbirgt, dem gleichend, das wir in uns selber erleben" 212 . Wenn zunächst festgestellt wurde, d a ß Wundts erkenntnistheoretischer Konzeption ein ausgeprägter Erkenntnisoptimismus eigen ist, so muß nun eine Einfahrung gegebenem Vorstellungsobjekt muß die Erkennbarkeit der Welt als ein schränkung gemacht werden. Ausgehend von Wundts in der unmittelbaren E r immanentes Wesensmerkmal unterstellt werden. Wenn das Objekt zum Bestandteil des Erfahrungsinhaltes des erkennenden Subjektes erklärt wird, besteht kein Grund, ja wäre es geradezu widersinnig, diesem Objekt nichterkennbare Merkmale zuzuschreiben. Außerdem galten für W u n d t die Gesetze des Denkens zugleich als Gesetze des gesamten Seins. Auch aus dieser Position läßt sich schwerlich eine Unerkennbarkeit der Welt ableiten. W u n d t lehnte die Kantsche Gegenüberstellung von Erscheinung und unerkennbarem „Ding an sich" entschieden ab. Zwischen dem in der Vorstellung gegebenen und dem realen Objekt konstatierte er keine 211 Ebenda, S. 426. 212 Ebenda, S. 432.

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Gegensätze, sie galten ihm nur als unterschiedliche Betrachtungsweisen. Trotz dieser Voraussetzungen führte Wundts subjektiv-idealistische Erfahrungskonzeption zwangsläufig zu agnostizistischen Standpunkten. Indem er neben den Gefühlsund Willenserscheinungen auch die Empfindungsqualitäten ins Subjekt verwies, verblieben beim Objekt nur formale Bestandteile plus unbestimmte Substanz. D a s vom Vorstellungsinhalt des Subjekts gesonderte Objekt läßt sich nur noch begrifflich als materielles Substrat in raum-zeitlicher Form bestimmen. E s ist somit nicht mehr anschaulich wahrzunehmen, sondern nur noch begrifflich zu bestimmen. Für die Objekte ist in Wundts Konzeption die konkrete qualitative Bestimmtheit aufgehoben; das qualitative Sein der Dinge könne vom erkennenden Subjekt nicht wahrgenommen, nicht sinnlich erfaßt werden. Wie oft und wie heftig Wundt auch gegen den Agnostizismus Kantscher Prägung polemisierte, seine eigene erkenntnistheoretische Position ist selbst eine Erscheinungsform des Agnostizismus. Wundts agnostizistische Auffassung beruht vor allem auf einem Unverständnis des Verhältnisses von Anschauung und Begriff. Zweifellos geht nicht alles in den Begriffsinhalt ein, was in der Wahrnehmung ungesondert enthalten ist, aber auch die Wahrnehmungselemente, die als unwesentlich nicht in den Begriff des entsprechenden Dings oder der entsprechenden Erscheinung eingehen, sind keine vom Subjekt erzeugten Zutaten. Auch sie widerspiegeln Merkmale der unendlich mannigfaltigen objektiven Realität. Weil Wundt das Wesen der Erkenntnis nicht als Widerspiegelung und Abbild objektiver Realität im Bewußtsein erfaßte, konnte er kein objektives Kriterium für die Adäquatheit unserer Bewußtseinsinhalte, kein objektives Wahrheitskriterium finden. Wie sehr er sich auch bemühte, eine objektive Bestimmung der Gewißheit unserer Erkenntnis zu finden, seine subjektiv-idealistische Ausgangsposition machte alle derartigen Bemühungen zunichte, aus der Enge seiner subjektiven Kriterien kam er nicht heraus. D a s Dilemma wird bereits in seiner Unterscheidung von mittelbarer und unmittelbarer Gewißheit offensichtlich. Alle objektive Gewißheit sei mittelbarer Natur. Wenn ich den Himmel als blau empfände, sei nur die Empfindung blau als eine unbestreitbare Tatsache meines Bewußtseins unmittelbar gewiß. Objektive Gewißheit sei stets ein Resultat der Bearbeitung unmittelbar gegebener Tatsachen des Bewußtseins durch das Denken. Damit ist in der Tat der objektive Charakter der Gewißheit beseitigt, wird diese doch dem Denken des Subjekts unterworfen. Der Übergang von der subjektiven zur objektiven Gewißheit erfolge auf dem Wege der objektiven Wahrnehmung. Von einer solchen könne gesprochen werden, „wenn uns eine Vorstellung gegeben ist, von der wir voraussetzen, daß ihr ein Objekt entspreche" 213 . Damit war nichts gewonnen, die „Gewißheit" blieb weiterhin dem Subjektiven verhaftet. Um vergleichen zu können, ob die Vorstellung und das zu ihr gehörige Objekt einander gleichen, müsse das ursprünglich einheitliche Vorstellungsobjekt in seine beiden Bestandteile geschieden werden, in das Objekt

213 W. Wundt, Allgemeine Logik und Erkenntnistheorie, 1. Bd., a. a. O., S. 405.

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und in die Vorstellung, das aber ist nach Wundts eigener Erklärung wiederum nur durch individuelle subjektive geistige Tätigkeit möglich. Von Wundts erkenntnistheoretischer Grundposition führte kein W e g zu einem objektiven Erkenntniskriterium. D e m gemeinen Bewußtsein gelte als gewiß, wenn die einzelnen Wahrnehmungen eines erkennenden Subjekts und die Wahrnehmungen verschiedener Subjekte übereinstimmen. Wenn sich Zweifel am Inhalt des Wahrgenommenen regten, stützten wir uns auf die Konstanz bestimmter W a h r nehmungen und bedienten uns der Zustimmung anderer erkennender Subjekte zu unseren Wahrnehmungen. Für die Wissenschaft sei mit diesem Verfahren keine zureichende Bürgschaft gegeben. In der Wissenschaft werde der Schein nicht dadurch zur Wahrheit, d a ß ihm alle Wahrnehmenden unterworfen seien. D i e Mehrheit der Philosophen gehe davon aus, d a ß das Erkennen ein subjektiver Vorgang wäre, d a ß jedes Erkenntnisobjekt als subjektive Vorstellung gegeben sei. Auch die wissenschaftliche Forschung gehe vom ursprünglichen Vorstellungsobjekte aus, das ja nicht bloß Vorstellung, sondern zugleich Objekt sei. D i e Einzelforschung mache sich die vom praktischen Leben benutzten Merkmale der gemeinen Gewißheit zu eigen und verbessere sie, bis alle Zweifel beseitigt seien. Im Sinne der wissenschaftlichen Forschung habe die Wahrnehmung so lange als objektiv gewiß zu gelten, als nicht durch den Widerspruch, in den einzelne Wahrnehmungen miteinander treten, ihr subjektiver Ursprung nachgewiesen werden könne. Mit der gemeinen Gewißheit beginnend nehme die wissenschaftliche Forschung zunächst den gesamten Wahrnehmungsinhalt als objektiv gegeben an. D a n n suche sie unter vielfach veränderten Bedingungen neue Wahrnehmungen, die die Genauigkeit der bisherigen Wahrnehmungen sicherstellten. Einer berichtigenden Kontrolle durch neue Wahrnehmungen schließe sich eine weitere an. Es sei ein Grundsatz der wissenschaftlichen Forschung, daß nichts als gewiß angenommen werde, was nicht eine vielfältige Kontrolle bestanden habe. W u n d t näherte sich mit dieser Auffassung der Erkenntnis von der Praxis als Kriterium der Adäquatheit unseres Erkennens und der Wahrheit. Ein wirklich objektives Kriterium fand er nicht. U m zur objektiven Gewißheit zu gelangen, konfrontierte er Wahrnehmung mit Wahrnehmung, nicht Abbild und Abgebildetes, gelangte somit aus der Subjektivität nicht hinaus. D i e von ihm geforderte Kontrolle deutete einen richtigen W e g an, verblieb aber im engen Rahmen vergleichender geistiger Tätigkeit. W u n d t erkannte die große Bedeutung relativer Wahrheiten für die wissenschaftliche Erkenntnis. Zahlreiche wissenschaftliche Sätze besäßen den Charakter relativer Gewißheit. Was Gewißheit genannt werde, sei oft nichts anderes als ein hoher G r a d von wissenschaftlicher Wahrscheinlichkeit. N u r solche Tatsachen könnten als objektiv gewiß gelten, die auf dem Wege fortschreitender Berichtigung der Wahrnehmungen nicht mehr berichtigt werden könnten. Das letzte und entscheidende Kriterium zur Feststellung der Gewißheit von Tatsachen war für W u n d t ein logisches, ein vom Denken des Subjektes abhängiges, also kein objektives. E r schrieb: „Dieses letzte und entscheidende Kriterium der Gewißheit ist

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nun selbst kein tatsächliches, sondern ein logisches. Objektive Wahrnehmungen können uns immer nur darüber belehren, daß eine Tatsache bis dahin der Berichtigung widerstanden hat; ob sie ihr aber auch fernerhin widerstehen werde, dies kann sich nur aus Schlußfolgerungen ergeben, die sich freilich ihrerseits auf Wahrnehmungen stützen müssen. Objektiv gewiß kann uns darum auch immer erst eine Tatsache sein, wenn sie Gegenstand eines zwingenden Beweises geworden ist. Zwingend ist dieser aber nur dann, wenn erstens alle Wahrnehmungen als in Übereinstimmung mit der betreffenden Tatsache stehend, und zweitens alle entgegenstehenden Annahmen als unzulässig erwiesen sind."21/' Es sei erforderlich, daß wir aller Wahrnehmung mit dem logischen Postulat einer durchgängigen Übereinstimmung des uns durch die Wahrnehmung gegebenen Denkinhalts gegenübertreten. „Dieses Postulat", erklärte Wundt, „kann nur aus dem Denken selber stammen, und es findet in der Tat in der durchgängigen Übereinstimmung der logischen Denkgesetze miteinander seine Erklärung." 215 Im gleichen Sinne, in dem Wundt den gesamten Erkennlnisprozeß als spezifischen Denkprozeß zu erfassen versuchte, glaubte er auch, das Kriterium der Gewißheit unserer Erkenntnis im Denken selbst suchen zu müssen. Das Wesen menschlicher Erkenntnis blieb Wundt verschlossen, denn der Gesichtspunkt des Lebens, der Praxis war ihm nicht der erste und grundlegende Gesichtspunkt, wie es Lenin in seinen erkenntnistheoretischen Arbeiten immer wieder forderte. Lenin wies den einzig erfolgreichen Weg zur Erforschung der menschlichen Erkenntnis, indem er feststellte: „Von der lebendigen Anschauung zum abstrakten Denken und von diesem zur Praxis - das ist der dialektische Weg . . . der Erkenntnis der objektiven Realität." 216

5.11.

Wundts Gesellschaftstheorie

Wundts Auffassung von der Gesellschaft und ihrer Entwicklung wurde von seiner psychologistisch-voluntaristischen Grundposition bestimmt. Sie stützt sich nicht auf sozialökonomische Analysen. Sozialökonomische Erscheinungen und Prozesse hat Wundt nicht als grundlegend und bestimmend für die Struktur und die Entwicklung der Gesellschaft erfaßt, ihre Existenz versuchte er vielmehr aus psychischen Gesetzmäßigkeiten abzuleiten. Die psychologistische Interpretation gesellschaftlicher Erscheinungen ist der vorherrschende Wesenszug der Wundtschen Gesellschaftstheorie. Für jedes tiefere Verständnis geschichtlicher Zusammenhänge sei eine psychologische Interpretation unentbehrlich.217 Wundt nahm an, daß den Naturgesetzen die mechanische Kausalität, den gesellschaftlichen Gesetzen die psychische Kausalität zugrunde liege. 2 1 4 Ebenda, S. 4 1 5 . 2 1 5 Ebenda, S. 4 1 6 . 2 1 6 W . I. Lenin, Konspekt zu Hegels „Wissenschaft der Logik", in: Werke, Bd. 38, Berlin 1 9 7 0 , S. 1 6 0 . 2 1 7 Vgl. W . Wundt, Probleme der Völkerpsychologie, a. a. O., S. 22.

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D i e soziale Struktur der Gesellschaft galt ihm als vorwiegend psychisch determiniert. Von seiner psychologisch-voluntaristischen Position aus und zugleich vom Standpunkt der Aktualitätstheorie schrieb er über Familie, Staat und Gesellschaft: „Alle diese sozialen Bildungen sind kein ruhendes Sein, sondern sie sind Vorgänge, Handlungen, und sie besitzen nur als solche Wirklichkeit. Hierin zeigt sich eben, daß alle sozialen Gebilde in erster Linie psychische Gebilde sind."- 1 8 „Nun besteht dieses Leben", schrieb er an anderer Stelle, „seinem Wesen nach nicht in stabilen Gebilden, sondern in Vorgängen, Handlungen, hinter denen der menschliche Wille steht, der die Mitglieder der Gesellschaft nach übereinstimmenden Motiven handeln läßt, oder der, wenn die Einzelwillen nach verschiedenen Richtungen gehen, aus dem Streit der Motive neue Strebungen hervorbringt." 2 1 9 D e r Wille galt Wundt als entscheidende Triebkraft des gesamten gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses. D i e grundlegenden und entscheidenden materiellen Triebkräfte des gesellschaftlichen Lebens spielten für ihn eine untergeordnete Rolle. Zweifellos ist der menschliche Wille als Element der geistigen Triebkräfte der Gesellschaft sehr bedeutsam; der sozialökonomisch determinierte Wille der jeweils herrschenden Klasse bestimmt weitgehend die jeweilige Gesetzgebung, die gesellschaftlichen Normen, Sitten und dergleichen; der Wille sozialer Klassen, Schichten und Gruppen prägt mehr oder weniger stark den Charakter sozialer Aktionen. Willensmäßige Triebkräfte, die soziales Verhalten stimulieren, orientieren und regulieren, besitzen sogar eine relative Selbständigkeit, sie sind nicht immer direkt und unmittelbar Reflex bestimmter materieller Verhältnisse. Letzten Endes ist aber der menschliche Wille durch die materiellen gesellschaftlichen Lebensbedingungen - vor allem durch den Entwicklungsstand der Produktivkräfte und die Produktionsverhältnisse - determiniert; wie alle psychischen Erscheinungen widerspiegelt er diese im Bewußtsein und dient - als Orientierungs- und Regulierungsgrundlage - ihrer Stabilisierung und Festigung bzw. ihrer Veränderung. Träger gesellschaftlicher Prozesse waren für Wundt die in menschlichen Gemeinschaften, wie Stamm, Familie, Staat oder Volk, zum Gemeinschaftswillen vereinten Individualwillen; der Wille sozialer Klassen spielte in seinen Untersuchungen eine untergeordnete Rolle. Trotz seiner starken Überbewertung des Psychischen als Triebkraft des gesellschaftlichen Lebens räumte Wundt ein, daß soziale Beziehungen nicht in jedem Falle auf psychische Eigenschaften der Menschen zurückgeführt werden könnten. E r anerkannte sogar, daß psychische Eigenschaften zu einem nicht geringen Teil von Formen des sozialen Lebens bestimmt werden. E r schrieb: „Gewiß ist die Form des Zusammenlebens nicht allein von den psychischen Eigenschaften der Individuen abhängig, da umgekehrt diese selbst zu einem nicht geringen Teil von den Formen des sozialen Lebens bestimmt werden. Ebensowenig sind aber diese von den ursprünglichen und den erworbenen psychischen Anlagen unabhängig. So 2 1 8 W . Wundt, Völkerpsychologie, 7. Bd., a. a. O . , S. 2 0 . 2 1 9 E b e n d a , S. 22.

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folgt denn auch daraus, daß eine bestimmte Gesellschaftsform nicht an einen bestimmten Rassencharakter gebunden ist, keineswegs die Einflußlosigkeit psychischer Bedingungen überhaupt. Denn allen Rasseneigenschaften voran gehen die allgemeingültigen seelischen Eigenschaften des Menschen, ohne die natürlich keine Art des Zusammenlebens entstehen kann, die aber nie für sich allein, sondern nur in Verbindung mit einer Menge weiterer Bedingungen teils der N a t u r u m gebung, teils der vorangegangenen geschichtlichen Entwicklung den sozialen Zustand bestimmen. So ist dieser, ganz wie der Mensch selbst, das Produkt physischer und psychischer, augenblicklich vorhandener und vorausgegangener F a k toren." 2 2 0 Wundt resümierte, daß sich ein historisches Ereignis ebensowenig wie ein Gesellschaftszustand bloß auf G r u n d psychologischer Erwägungen begreifen lasse. J e d o c h müsse auch jeder Versuch scheitern, das gesellschaftliche Leben nur aus sich selbst, unter geflissentlicher Abstraktion von psychischen Motiven, verstehen zu wollen. Ökonomische Entwicklungsprozesse, für die er eine gewisse U n a b hängigkeit vom Willen annahm, ordnete Wundt der geistigen Entwicklung unter. Sie galten ihm als nach psychischen Gesetzmäßigkeiten verlaufende Erscheinungen. E r erklärte beispielsweise: „ H i e r bietet das wirtschaftliche Leben ein gewaltiges Schauspiel einer Selbstorganisation der menschlichen Gesellschaft, die in hohem G r a d e automatisch aus den allgemeinen Lebensbedingungen heraus sich entwickelt, wogegen in den politischen Verfassungen der Staaten eine höhere, mehr und mehr zu klarem Bewußtsein sich erhebende Selbstorganisation zur Entwicklung gelangt, die sich nun zusammen mit jenen automatischen Vorgängen des wirtschaftlichen Lebens, teils von ihnen abhängig, teils sie bestimmend, vollzieht. Wesentlich in diesen Verhältnissen, in dem Charakter der Selbstregulierung einerseits und in den Einflüssen der politischen Entwicklung wie der geistigen Kultur andererseits, liegen nun die psychologischen Gesetze begründet, nach denen die wirtschaftlichen Vorgänge und Handlungen verlaufen." 2 2 1 Wundt anerkannte, daß wirtschaftliche Prozesse tief in menschliche Willensentschlüsse eingreifen, stellte aber zugleich fest, d a ß eben diese Prozesse nach psychischen Gesetzen verliefen. E i n e wissenschaftliche Gesellschaftslehre existiere erst seit der Zeit, in der A d a m Smith die Psychologie des menschlichen Individuums auf die Gesellschaft ausgedehnt habe. Wundt schrieb: „ E r s t seit A d a m Smith auf die glückliche Idee kam, die Psychologie des menschlichen Individuums auf die menschliche Gesellschaft auszudehnen, existiert eine Gesellschaftslehre als Wissenschaft." 2 2 2 So versuchte Wundt bereits in einem seiner frühen Werke psychologisches Gedankengut auf sozialökonomische Erscheinungen zu übertragen. D a b e i kam er zu der absurden A u f f a s s u n g , die N a t i o n a l ö k o n o m i e könne man als „Psychologie der G e s e l l s c h a f t " bezeichnen. 2 2 3 220 Ebenda, S. 48. 221 W. Wundt, Völkerpsychologie, 10. B d

a. a. O., S. 318.

222 W. Wundt, Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung, a. a. O., S. X V I I I . 223 Ebenda.

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W u n d t führte nicht nur das gesellschaftliche Leben auf psychische Faktoren zurück, auch das Wesen des Individuums und die Art seiner Existenz versuchte er aus dem Psychischen zu begründen. Die materiellen Lebensbedingungen der Menschen, die Stellung und Funktion des einzelnen in der materiellen Produktion und seine Klassenzugehörigkeit ließ er weitgehend unberücksichtigt. D i e Arbeit als erste Existenzbedingung alles menschlichen Lebens und als grundlegende Form des gesellschaftlichen Lebens spielte in Wundts Gesellschaftsbetrachtung eine völlig untergeordnete Rolle. Selbst in seiner zehnbändigen „Völkerpsychologie" untersuchte er die Arbeit vorwiegend als Erfahrungsinhalt und als Objekt der Erkenntnis. Die Arbeit wurde dabei fast ausschließlich auf ein Verhältnis der Menschen zur N a t u r reduziert, sie wurde nicht als gesellschaftlicher kooperativer Prozeß erfaßt und nicht in ihrer historisch konkreten Bedingtheit. Trotz seines Unverständnisses für das Wesen der Arbeit hat W u n d t deren Bedeutung für den gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß an einzelnen Beispielen materialistisch dargelegt. E r schrieb beispielsweise: „So ist es die Schaffung des Werkzeuges auf der einen, und die an diese gebundene Feuerbereitung auf der anderen Seite, was vor allem den primitiven Menschen von früh an von dem Tiere scheidet." 224 Erscheinungen der materiellen Produktion galten ihm hier als Ursachen menschlicher Entwicklung, wobei er allerdings die Schaffung von Werkzeugen hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der zugrunde liegenden geistigen Leistung betrachtete. In seiner „Ethik" bezeichnete W u n d t die Arbeit als eine individuelle Form des sittlichen Lebens, ordnete sie also dem Sittlichen unter. Zur Entwicklung der Arbeits- und Lohnverhältnisse gab er folgende, im Detail viele richtige Erkenntnisse enthaltende, Skizze, wobei er sich auf die vulgäre Wirtschaftsstufentheorie Büchers stützte: Die Arbeit sei aus der N o t des Lebens, aus dem Bedürfnis nach Kleidung, Nahrung und Wohnung entstanden. Zu den notwendigen Bedürfnissen gehöre der Schmuck, denn er entspringe aus Kultvorstellungen, deren Quelle der Wunsch sei, das Leben unter den dauernden Schutz der Götter zu stellen. Mit der Verwendung des Schmucks zu weltlichen Bedürfnissen, zur Verschönerung des Daseins, erfolge eine Erweiterung der Lebensbedürfnisse, die zu fortschreitender Arbeitsteilung führe. Eine zunehmende Trennung der Arbeitsgebiete erfolge durch die Gründung dauernder und ausgedehnter Ansiedlungen. D i e Lebensverhältnisse würden verwickelter, weil sich die vorausschauende Sorge für die Zukunft erhöhe. Der Bau der Hütte werde sorgfältiger, Haus- und Ackergeräte würden für längere Dauer produziert, was zu soliderer Arbeit ansporne. D i e zu bleibendem Besitz geschaffenen Gegenstände weckten zugleich den Sinn für künstlerische Ausschmückung. Eine erste Ständescheidung erfolge keimhaft in der Geschlechterteilung und mit der Sonderung der Horden in Männer unterschiedlicher Altersklassen und die Unterordnung unter einen Häuptling. Zur Entstehung des Verhältnisses von „Herren zu Dienstleuten" führte 224 W. Wundt, Elemente der Völkerpsychologie -

Grundlinien einer psychologischen Ent-

wicklungsgeschichte der Menschheit, Leipzig 1913, S. 33.

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W u n d t dann weiter a u s : „Hat sich dann aus dem ursprünglich gemeinsam bewirtschafteten Boden allmählich ein Sonderbesitz herausgebildet, der, in dem M a ß e als er anwächst, einer größeren Zahl von Herdgenossen Unterhalt gewährt, während er zugleich zahlreichere Kräfte fordert, die den Ackerbau und die anderen mit dem seßhaften Leben entstandenen Arbeiten besorgen, so tritt nun mehr und mehr neben das Verhältnis des Häuptlings zu den übrigen Stammesgenossen das des Herrn zu seinen Dienstleuten." 2 2 5 D i e Arbeit der im Kriege erbeuteten Menschen w e r d e jetzt nutzbar gemacht. So begründe „der erste Schritt zur Kultur sofort die größte soziale Ungleichheit, die zwischen Sklaven und Herrn" 2 -'". D a s für den Unterworfenen zunächst drückende Verhältnis mildere sich bald, denn der S k l a v e gelte als M i t g l i e d der Familie. In dem M a ß e , in dem der Druck abnehme, greife ein anderes Moment in die Entwicklung der Ständescheidung um so wirksamer ein, der durch das Grundeigentum und das seßhafte Leben erzeugte Unterschied des Besitzes. Der Freie, aber Ärmere müsse sich zwangsläufig unter den Schutz des Reichen und Mächtigen begeben. „Für die Vorteile, die er so genießt", schrieb W u n d t , „übernimmt er als Gegendienste gewisse Pflichten: er leistet Kriegsfolge, er gibt einen Teil seiner Ernteerträge ab, oder er verpflichtet sich zu bestimmten persönlichen Arbeiten." 2 2 7 So entwickle sich zugleich der Stand der freien Handwerker, die dem Landbesitzer Häuser bauen, W a f f e n schmieden, W a g e n und Ackergeräte, Töpfe und Schmuck produzieren, dagegen Kleidung, Nahrung und Obdach empfingen. W e n n ein erobernder Stamm die unter ihm stehende Bevölkerung seinen Arbeitszwecken dienstbar mache, falle mit der Ständescheidung noch die Rassenscheidung zusammen. D i e Herausbildung der Standesunterschiede führe vom ursprünglichen Tauschverkehr zum Arbeitsverkehr in der engeren Bedeutung des Wortes. Ein mehr und mehr durch die Selbstregulierung der neu auftretenden Bedürfnisse und ihre allmähliche Sanktion durch Sitte und Recht sich ordnender Arbeitsverkehr entwickele sich erst mit dem Ü b e r g a n g der Arbeit vom Sklaven auf den Freien und Halbfreien. Als Folge entstünden „die beiden Fundamente wirtschaftlicher Kultur, Lohn und Vertrag" 2 2 8 . M i t dem W a n d e l der Tauschmittel - Getreide, Vieh, Metalle, rechtlich geschütztes Papiergeld - seien mächtige ethische W i r k u n g e n verbunden gewesen. W u n d t schrieb: „Solange der Lohn in der Spendung der Lebensbedürfnisse selbst besteht, fehlt ihm der Sporn, der den Arbeitenden zur äußersten Anstrengung seiner Kräfte antreibt." 2 2 9 Erst die edleren M e t a l l e erweckten einen reiferen Erwerbstrieb. D i e stärkste, auch ethisch bedeutsamste W i r k u n g übte diese Entwicklung auf die Teilung der Arbeit aus. Gesteigerte Erwerbsfähigkeit, verbunden mit wachsendem Streben nach Erwerb, führe dazu, d a ß sich K r ä f t e der Arbeitenden auch solchen Arbeiten zuwendeten, die früher im Hause besorgt 2 2 5 W . Wundt, Ethik, Bd. I, 4. Aufl., Stuttgart 1 9 1 2 , S. 1 6 3 . 226 Ebenda. 2 2 7 Ebenda, S. 1 6 4 . 2 2 8 Ebenda, S. 1 6 8 . 229 Ebenda, S. 1 6 9 .

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wurden. Schließlich würden auch Leistungen unter den Gesichtspunkt der A r b e i t u n d des L o h n e s gestellt, die der einzelne für die G e s a m t h e i t vollbringe. D a m i t w e r d e der L o h n allmählich v o n der Mißachtung befreit, die ihm aus der Zeit seines U r s p r u n g e s anhafte. W u n d t löste schließlich den Begriff des L o h n e s aus seinen historisch bestimmten sozialökonomischen Z u s a m m e n h ä n g e n . D i e g e s a m t e menschliche T ä t i g k e i t w u r d e für ihn zu einem Lohnverhältnis. E r schrieb: „ E i n gewaltiger U m s c h w u n g ist es, der v o n dieser primitiven A u f f a s s u n g , die nur die körperliche, auf die P r o d u k t i o n der notwendigsten L e b e n s b e d ü r f n i s s e gerichtete L e i s t u n g als eigentliche A r b e i t gelten läßt, zu unserer heutigen A n s c h a u u n g geführt hat, welche die B e z a h l u n g des H a n d w e r k e r s , d a s H o n o r a r des Dichters und Schriftstellers, die B e s o l d u n g des B e a m t e n und schließlich selbst die Zivilliste des Fürsten d e m nämlichen G e s i c h t s p u n k t e unterstellt." 2 3 0 In j e d e m F a l l e h a n d e l e es sich u m L o h n f o r m e n . M i t dieser Ansicht w i r d d a s W e s e n der L o h n a r b e i t verfälscht, d a s P r o b l e m des V e r k a u f s der A r b e i t s k r a f t , der A u s b e u t u n g und U n t e r d r ü c k u n g verschleiert. D i e L o h n h ö h e e r f a s s e a l l e F o r m e n der L e b e n s f ü h r u n g , v o m reichen H a u s h a l t des höchsten W ü r d e n t r ä g e r s bis zum ärmlichen des T a g e l ö h n e r s . Z u m W e s e n des L o h n e s erklärte W u n d t : „ D a d e r L o h n kein Ä q u i v a l e n t der A r b e i t ist, sondern ein E r s a t z der zur A r b e i t erforderlichen L e b e n s b e d ü r f n i s s e , so richtet sich d i e H ö h e desselben in erster L i n i e nach d e m M a ß d i e s e r B e d ü r f n i s s e , nicht nach d e m W e r t oder gar nach d e m U m f a n g der A r b e i t . D e r Minister bezieht einen höheren G e h a l t als sein Schreiber, der G e l e h r t e w i r d für seine Leistungen besser bezahlt als der T a g e l ö h n e r , nicht weil die Leistungen der ersteren wertv o l l e r e sind, sondern weil sie eine kostspieligere F o r m der L e b e n s f ü h r u n g notw e n d i g machen." 2 1 ' 1 Freilich w e r d e d a s Gleichgewicht zwischen L e i s t u n g und B e d ü r f n i s nie v o l l s t ä n d i g erreicht. W u n d t gelangte bei seiner Betrachtung schließlich zu einem den T a t s a c h e n in der kapitalistischen G e s e l l s c h a f t s f o r m a t i o n hohnsprechenden R e s u l t a t : „ D i e ethischen F o l g e n dieser E n t w i c k l u n g sind v o n ungeheurer T r a g w e i t e . A u s einem Hilfsmittel, d a s die K r ä f t e des A r m e n u n d Unterdrückten den B e d ü r f n i s s e n des Mächtigen dienstbar machte, ist der L o h n zu einem V e h i k e l der G ü t e r v e r t e i l u n g g e w o r d e n , d a s j e d e m die F o r m der L e b e n s f ü h r u n g zu sichern strebt, die der A r t seiner A r b e i t entspricht. D i e V e r a l l g e m e i n e r u n g des L o h n p r i n z i p s hat mit d e m L o h n auch die A r b e i t g e a d e l t , und i n d e m sie die Schranke zwischen d e m freien, nicht arbeitenden Herrn und d e m abhängigen Arbeiter beseitigte, ist sie eines der mächtigsten Förderungsmittel menschlicher Gleichheit geworden. D i e s e Gleichheit wird freilich auch in der idealsten menschlichen G e s e l l s c h a f t nie eine a n d e r e als eine Gleichheit der äußeren B e d i n g u n g e n in d e m W e t t b e w e r b um A r b e i t und L o h n sein k ö n n e n . " 2 3 2 M i t der K a p i t a l b i l d u n g sei allerdings eine sich f o r t w ä h r e n d erneuernde Q u e l l e 230 Ebenda, S. 171. 231 Ebenda. 232 Ebenda, S. 173.

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ursprünglicher Verschiedenheiten des Besitzes gegeben, mußte Wundt einräumen Eine Untersuchung der Quelle des Kapitals der herrschenden Klasse seiner Zeit umging er geflissentlich. Als Resümee seiner Gedanken schrieb er: „Erst jene Entwicklung der Sitte, welche die Arbeit zur freien Leistung erhebt und dann über alle Gebiete ersprießlicher Tätigkeit ausdehnt, strebt die Idee einer sittlichen Gemeinschaft, in der Tätigkeit und Pflichttreue die Lebensbedingungen sind, zu einem allmählich alle Lebenskreise durchdringenden Grundsatz zu machen." 233 Verfälschung der Tatsachen und Apologie der kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung gehören hier wie Zwillingsbrüder zusammen. Der idealistische - psychologistisch-voluntaristische - Charakter der Wundtschen Gesellschaftstheorie wird besonders deutlich in seiner Betrachtung der gesellschaftlichen Entwicklung. Weil psychische Phänomene die entscheidenden Ursachen gesellschaftlicher Entwicklung seien, müsse die Geschichtswissenschaft in erster Linie Aufschluß über die den empirischen Verlauf beherrschenden Ideen geben. Mit dieser Forderung wurde eine Aufgabe der Geschichtswissenschaft verabsolutiert und verselbständigt. Natürlich ist es notwendig, die beherrschenden Ideen aufzuspüren und zu analysieren, aber dabei darf die Geschichtswissenschaft nicht stehenbleiben. Eine rein ideenigeschichtliche Forschung vermag die Gesetzmäßigkeiten des Geschichtsprozesses nicht aufzudecken, die grundlegenden Triebkräfte gesellschaftlicher Entwicklung bleiben ihr verborgen. Der Entwicklungsgang von Ideen besitzt nur relative Selbständigkeit. Für die Geschichtswissenschaft kommt es darauf an, die tieferliegenden materiellen, vor allem die ökonomischen und sozialen Prozesse aufzudecken, als deren Reflex sich gesellschaftliche Ideen ergeben und deren Begründung und Rechtfertigung, beziehungsweise deren Widerlegung und Beseitigung sie dienen. Unbestritten ist dabei die Analyse von Ideen eine unabdingbare Aufgabe, können doch Ideen, wenn sie die Massen ergreifen wie es schon Marx lehrte - zur materiellen Gewalt werden. Die Analyse geschichtlicher Vorgänge betrachtete Wundt auch als einen psychologischen Vorgang. Die Zustände und Ereignisse, die die Geschichte schildere, seien Gegenstände der Anschauung. Wenn sich auch die Motive menschlicher Handlungen unserer direkten Beobachtung entzögen, so seien es die in die Anschauungen tretenden Handlungen, die uns durch eine auf unser eigenes Seelenleben zurückführende Intuition diese Motive erschließen ließen. Intuition und Analogie hätten zu jeder Zeit in der Geschichtswissenschaft eine um so größere Rolle gespielt, je stärker diese von der Beschreibung und Erklärung zur Interpretation der Tatsachen übergegangen seien. Analogie und in bestimmten Grenzen auch Intuition spielen zweifellos in der Geschichtswissenschaft - wie in allen Wissenschaften - eine Rolle, zur Erkenntnis von Gesetzmäßigkeiten des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses führt jedoch eine Bearbeitung der Anschauungstatsachen mittels Analogie und Intuition keinesfalls. Als grundlegende Bedingung ist dazu die Analyse der konkreten materiellen Entwicklungsprozesse erforderlich, vor allem die Untersuchung 2 3 3 Ebenda, S. 1 7 5 .

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des Entwicklungsstandes der Produktivkräfte nud der Produktionsverhältnisse sowie ihrer dialektischen Wechselbeziehung und die Analyse der sozialen Klassen und ihres Kampfes. D i e materiellen Prozesse betrachtete W u n d t als unwesentlich für die geschichtliche Entwicklung, er bewertete sie lediglich als äußere Bedingungen im geistesgeschichtlichen Prozeß der Menschheit. „Die Weltgeschichte", schrieb er, „ist uns die Geschichte der Menschheit, ja sie ist in noch engerem Sinne im letzten G r u n d e die menschliche Geistesgeschichte. Was außerhalb dieser liegt, kommt wohl als äußere Bedingung, nicht aber als wesentlicher Inhalt in Betracht." 234 W u n d t zog den Schluß: „Wenn alle geschichtliche Erkenntnis den Zweck hat, den gegenwärtigen Zustand der Menschheit aus ihrer Vergangenheit zu verstehen und, insoweit wir dieser Erkenntnis zugleich einen praktischen Wert beimessen, unseren Erwartungen für die Zukunft die Richtung zu weisen, so ist die Geistesgeschichte die nächste Quelle solcher Erkenntnis. D a n n ist aber das aus seelischen Motiven des menschlichen Handelns entspringende Geschehen der wesentliche Inhalt der Geschichte; und er ist zugleich derjenige, der in dem Zusammenhang und in dem Wandel der Motive diesem Geschehen jene innere Kontinuität verleiht, die wir für jede Geschichte fordern. . . . D a aber die Geschichte im eigentlichen Sinne Geistesgeschichte ist, die physischen Momente in ihr nur als ihre notwendigen Substrate eine Bedeutung besitzen, so ist die nächste Vorbereitung zu einer nicht die Wirklichkeit aus der Idee, sondern die Idee aus der Wirklichkeit begreifenden Philosophie der Geschichte die psychologische Entwicklungsgeschichte der Menschheit. . . . Wir dürfen künftighin fordern, d a ß eine Philosophie der Geschichte, die an der Lösung dieser Probleme arbeiten will, in der psychologischen Entwicklungsgeschichte der Menschheit ihre Grundlage zu gewinnen suche." 233 Wundts psychologistische Geschichtskonzeption bestimmte auch seine Auffassung von der Gesetzmäßigkeit gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse. D i e Gesetzmäßigkeiten im gesellschaftlichen Leben reduzierte er weitgehend auf psychische Gesetzmäßigkeiten der geistigen Erscheinungen. Obwohl W u n d t seine Völkerpsychologie als Gesetzeswissenschaft bezeichnete, bestritt er die Existenz allgemeiner Gesetzmäßigkeiten im geschichtlichen Prozeß. Hier gebe es höchstens Analogien zwischen verschiedenen Epochen, jedoch keine „allgemeingültigen psychologischen Entwicklungsgesetze des Verlaufs" 2 3 6 . Der Historiker verzichte darauf, die Geschichte auf ähnlich unveränderlich wirkende Gesetze wie in der Naturgeschichte zurückführen zu können; jedoch bleibe die Erkenntnis des inneren Zusammenhangs der gesamten geschichtlichen Entwicklung der Menschheit das Endziel aller Geschichtsforschung. W u n d t lehnte die Meinung ab, d a ß es in der Geschichte nur Singuläres gebe. Es sei keineswegs zutreffend, „daß das Reguläre als solches die Geschichte nichts angehe". W u n d t fügte hinzu: „Die 234 W. Wundt, Elemente der Völkerpsychologie -

Grundlinien einer psychologischen Ent-

wicklungsgeschichte der Menschheit, a. a. O., S. 503. 235 Vgl. ebenda, S. 503/516. 236 W. Wundt, Probleme der Völkerpsychologie, a. a. O., S. 22.

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Historiker haben es seit den Tagen des Polybius, sofern sie nicht etwa bloß Chronisten waren, selten unterlassen, auf gleichzeitige Vorkommnisse und auf analoge Zusammenhänge in verschiedenen Zeiten hinzuweisen und solche historische Parallelen sogar zu gewissen Schlüssen zu benutzen." 237 Einen gesetzmäßigen Verlauf nahm W u n d t für Sprache, Mythos und Sitte an. Sie unterschieden sich von der „eigentlichen Geschichte" durch „den allgemeingültigen Charakter bestimmter geistiger Entwicklungsgesetze, die in ihnen zur Erscheinung" gelangten. 238 Sprache, Mythos und Sitte, von W u n d t als geistige Entwicklungsprodukte verstanden, die aus willensmäßigem Wirken hervorgingen, folgten universellen geistigen Entwicklungsgesetzen. D i e von W u n d t untersuchten Erscheinungen werden tatsächlich auch von psychologischen Gesetzmäßigkeiten tangiert, sind sie doch untrennbar mit Bewußtseinsprozessen verbunden. Aber ihr geschichtlicher Entstehungsprozeß und ihr Verlauf unterliegen in erster Linie den gesetzmäßigen materiellen gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen. Weil W u n d t die grundlegenden materiellen Gesetzmäßigkeiten im Geschichtsprozeß nicht erfaßte, weil er die sozialökonomischen Faktoren und Triebkräfte aus seiner Gesetzeskonzeption ausschloß, konnten seine gesellschaftstheoretischen Arbeiten bis auf bestimmte Detailergebnisse nicht zu wissenschaftlichen Resultaten führen. W u n d t leitete die psychologischen Gesetze, die angeblich den Geschichtsprozeß beherrschten, zwar nicht unmittelbar aus dem individuellen Bewußtsein ab - in diesem seien sie noch nicht vorgebildet - , aber Eigenschaften des individuellen Bewußtseins enthielten die letzten Motive dieser Gesetze. In Sprache, Mythos und Sitte wiederholten sich „gleichsam auf einer höheren Stufe die Elemente, aus denen sich der Tatbestand des individuellen Bewußtseins zusammensetzt" 2 3 9 . W u n d t konkretisierte diese Auffassung wie folgt: „Die Sprache enthält die allgemeine Form der in dem Volksgeiste lebenden Vorstellungen und die Gesetze ihrer Verknüpfung. Der Mythos birgt den ursprünglichen Inhalt dieser Vorstellungen in seiner Bedingtheit durch Gefühle und Triebe. D i e Sitte endlich schließt die aus diesen Vorstellungen und Trieben entsprungenen allgemeinen Willensrichtungen in sich." 240 Für W u n d t entstand Gesetzmäßigkeit im gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß durch die Wirksamkeit und Entwicklung des „Gesamtgeistes", materielle Erscheinungen, so die Entwicklung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse, ordnete er diesem unter und bezog sie nicht in die Gesetzmäßigkeit ein. E r räumte jedoch ein, d a ß für den Kausalzusammenhang der Geschichte wahrscheinlich nicht ausschließlich psychologische Gesetze in Frage kämen, denn das materielle Leben bilde einen Zusammenhang von Vorgängen, der zwar in mannigfacher Beziehung zum geistigen Leben stehe, jedoch in seiner unmittelbaren Abhängigkeit 237 W. Wundt, Einleitung in die Philosophie, a. a. O., S. 65. 238 W. Wundt, Probleme der Völkerpsychologie, a. a. O., S. 25. 239 Ebenda, S. 31. 240 Ebenda.

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von den Naturgesetzen offenbar ein Reich für sich darstelle. 241 D a m i t ordnete W u n d t die materiellen gesellschaftlichen Erscheinungen den Naturgesetzen unter und betrachtete sie gleichzeitig in starker Abhängigkeit von den geistigen Gesetzen; das materielle Leben der Gesellschaft besaß für ihn keine eigenständige Gesetzmäßigkeit. In Wundts Konzeption vom Wesen der Gesellschaft und ihrer Entwicklung fügt sich seine Auffassung von der Persönlichkeit und vom Verhältnis von Individuum und Gesellschaft ein. W u n d t betrachtete den Menschen vor allem als ein in Gemeinschaft tätiges geistiges Wesen, die materiell-gegenständliche Tätigkeit bezog er selten in seine Betrachtungen ein. Wenn er es tat, interessierte ihn diese besonders als Ausdrucksform von Willenskräften. D e r Mensch war für W u n d t ein gesellschaftliches Wesen; die selbstbewußte geistige Persönlichkeit sei nur mit und in der Gemeinschaft möglich. D i e Gemeinschaftsbeziehungen reduzierte er jedoch fast ausschließlich auf die geistige Kommunikation, die grundlegenden kooperativen Beziehungen im Arbeitsprozeß und die sozialen Klassenbeziehungen spielen in seinen Untersuchungen eine völlig untergeordnete Rolle. Insgesamt schenkte er den bestimmenden materiellen gesellschaftlichen Determinanten der Persönlichkeit und ihrer Entwicklung kaum Aufmerksamkeit. Leben und Tätigkeit der Persönlichkeit seien durch sprachlichc, sittliche, religiöse und ästhetische Lebensverhältnisse von Kollektiven bestimmt. D i e richtige Erkenntnis von der Abhängigkeit der Persönlichkeit von Kollektiven bezog sich bei W u n d t nur auf die geistige Aktivität der letzteren, die Bedeutung der produktiven Tätigkeit für die Kollektiv- und Persönlichkeitsentwicklung beachtete er nicht. Wundts Menschenbild beruhte auf einer subjektiven psychologischen Voraussetzung: der Mensch sei nicht, wie er von außen erscheine, „sondern wie er unmittelbar sich selber gegeben ist" 242 . Unter den Bedingungen gemeinsamen Denkens und Wollens schlössen sich die Menschen zu Gemeinschaften zusammen. 2 4 3 W u n d t gelangte bei seiner Untersuchung des Verhältnisses von Individuum und Gemeinschaft zu richtigen Teilerkenntnissen. D i e Gemeinschaft habe gegenüber dem Individuum den Vorrang. In der Geschichte der Menschheit sei das Erste nicht das Individuum, sondern die Gemeinschaft. Der Mensch habe, solange sich seine Geschichte verfolgen lasse, immer in Gemeinschaft gelebt und gewirkt. E r wandte sich gegen die Auffassung, d a ß „jedes Erzeugnis des menschlichen Geistes . . . auf einen individuellen Urheber oder höchstens auf eine beschränkte Anzahl von Individuen" zurückzuführen sei. 244 W u n d t vertrat die richtige Auffassung, d a ß nicht einzelne Persönlichkeiten, sondern Massen die Geschichte machen. E r schrieb über Veränderungen im gesellschaftlichen Leben: „Vielmehr erweisen sich diese Veränderungen, wo wir imstande sind ihren Bedingungen nachzugehen, regel241 Vgl. W. Wundt, Völkerpsychologie, 10. Bd., a. a. O., S. 312. 242 W. Wundt, Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele, 2. Aufl., Hamburg-Leipzig 1892, S. 1. 243 Vgl. W. Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1889, S. 593. 244 W. Wundt, Probleme der Völkerpsychologie, a. a. O., S. 55.

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mäßig als solche, die nicht von einem Individuum und nicht einmal von einer bestimmt begrenzten Zahl von Individuen ausgehen, sondern auf Einflüssen beruhen, die entweder die sämtlichen Mitglieder einer Gemeinschaft oder mindestens deren überwiegende Masse treffen." 245 Jede Auffassung, wonach Geschichte ausschließlich durch hervorragende Persönlichkeiten bewirkt werde, lehnte Wundt als „einseitigen Individualismus" ab. Werde der Geschichtsprozeß nur aus individuellen Einflüssen erklärt, so führe das zum absoluten Zufall. In Wundts Gesellschaftstheorie ist eine Analyse der Entstehung und Entwicklung von sozialen Klassen nur in Ansätzen enthalten. Wir finden in ihr eine Schilderung der Herausbildung der Sklaverei und des Handwerks unter feudalen Verhältnissen und - mehr oder weniger nur in Andeutungen - die Entwicklung des „Herr und Knecht"-Verhältnisses überhaupt. Hierbei werden von Wundt noch grundlegende ökonomische Prozesse teilweise richtig erfaßt. Mit der allseitigen Entwicklung des Lohnverhältnisses beginnt für ihn ein gesellschaftlicher Zustand der Gleichheit, wenn er aiuch Mißstände im Kapitalismus hin und wieder kritisierte. Schon bei der Untersuchung der Ständescheidung gelangte Wundt zu der Auffassung, daß die Herausbildung von Berufen ihre eigentliche Ursache sei und daß anderen sozialökonomischen Gründen nur zweitrangige Bedeutung zukomme. Die in den Städten vollzogene Trennung von Patriziern, Kaufleuten und Handwerkern interpretierte er wie folgt: „So entsteht eine Ständegliederung, in der zwar die alten Motive von Geburt und Besitz noch fortwirken, neben denen aber mehr und mehr der Beruf die herrschende Bedeutung gewinnt. Eine bloß diese äußere Entwicklung verfolgende Betrachtung ist geneigt, als das ausschlagende Motiv der neuen Ständebildung das materielle Interesse der Berufsgenossen anzusehen. Gleichwohl ist es mehr als zweifelhaft, ob die egoistischen Triebe, von denen dieses Interesse geleitet wird, eine solche Wirkung erzielt haben würden." 2 '* 6 Der Ursprung der Gliederung der Gesellschaft aus der Verschiedenheit des Besitzes sei allmählich in einen Zustand übergegangen, in dem die Berufsklassen die überwiegende Bedeutung gewonnen hätten. Mit fortschreitender gesellschaftlicher Entwicklung hätten demnach Eigentums- und Machtverhältnisse für die Gliederung der Gesellschaft immer mehr an Bedeutung verloren. Die Gesellschaftsklassen seien ursprünglich aus den drei Faktoren Unterschied des Besitzes, des Berufes und der geistigen Interessen hervorgegangen. In der neueren Gesellschaft spiele die Scheidung nach der Geburt kaum noch eine Rolle. Jetzt könne der einzelne leichter aus einer Klasse in die andere überwechseln. Soziale Unterschiede seien schwankender geworden; es sei nur noch die Sonderung „in eine höhere und eine niedere Klasse übrig geblieben" 247 . Beide Gesellschaftsklassen unterschieden sich wiederum durch Besitz, Beruf und geistige Bildung. Die höhere Klasse seien die Besitzenden, oder wie es besser auszudrücken sei, sie umfasse diejenigen, „die über einen größeren und durch seine Größe- stetigeren, ihre Träger in höherem 245 W . Wundt, Völkerpsychologie, 1. Bd., 3. Aufl., Leipzig 1 9 1 1 , S. 22. 246 W. Wundt, Völkerpsychologie, 8. Bd., Leipzig 1917, S. 288. 247 W . Wundt, Ethik, Bd. III, a. a. O., S. 242. 12

Wilhelm Wundt

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G r a d gegen den Wandel des Geschicks sichernden Besitz verfügen" 2 4 8 . D i e niedere Klasse sei die des fluktuierenden Besitzes. D i e „erste oder besitzende Klasse" sei die der höheren Berufe. Drei Gruppen der höheren Berufe seien zu unterscheiden: erstens Unternehmer, die in der geistig-technischen Ausbildung ihre Hilfsmittel fänden, zweitens die Regierenden in Staat und Gemeinde, Verwaltungsbeamte, Richter, Lehrer und Geistliche und drittens die Gruppe der „rein geistigen, freien Berufe". Zur ersten Klasse müßten auch die berufslosen Reichen gezählt werden. In der niederen Klasse seien die rein technischen Berufe zu finden. D i e Angehörigen der niederen Klasse unterschieden sich noch nach qualifizierten und unqualifizierten Berufen. Mit der Sonderung der Gesellschaftsklassen nach Besitz und Beruf hingen schließlich die Unterschiede der Bildung zusammen. Besitz und Bildung fielen jedoch nicht im entferntesten zusammen. W u n d t konstatierte: „Die Reichsten sind bekanntlich nicht immer gebildet, und die Gebildetsten sind in der Regel nicht reich." 249 Mit der von W u n d t vertretenen Einteilung der Gesellschaftsklassen wurde das Wesen der sozialen Klassen verfälscht, vor allem wurde die für die kapitalistische Gesellschaftsordnung grundlegende Polarisierung der beiden Hauptklassen Proletariat und Bourgeoisie verschleiert. Damit wird zugleich der Antagonismus der kapitalistischen Gesellschaft verdeckt. Der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie läßt sich aus dieser Sicht nicht als gesetzmäßiger Prozeß verstehen, der notwendig zur Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsformation führt. Wundts Konzeption von den Gesellschaftsklassen läßt die Möglichkeit offen, die gesellschaftliche Struktur durch Reformen grundlegend zu verändern; die historische Rolle des Proletariats und die proletarische Revolution haben keinen Platz in ihr. W u n d t stellte fest, d a ß das Streben nach Gleichheit, das in der Französischen Revolution das Bürgertum emporgehoben habe, jetzt auch den „vierten Stand" ergriffen hätte. Weil dieser Stand nichts besitze, fordere er nicht nur gleiches Recht, sondern auch die Beseitigung der Vorteile, die der größere Besitz gewähre. Weil in der gegenwärtigen Gesellschaft der Besitz „Träger aller übrigen Faktoren" sei, wäre die Forderung des vierten Standes berechtigt. „Eine solche Vorherrschaft der Besitzverhältnisse über alle andern" - das heißt über die von Beruf und geistiger Bildung - „ist aber offenbar ein ungesunder und sittlich bedenklicher Zustand", erklärte Wundt. 2 5 0 D e r bedenkliche Zustand, der sich auch im Kapitalismus ausgebreitet habe, resultiere aus der Denkweise des Individualismus. Bezogen auf den Kapitalismus behauptete W u n d t : „So ist der Kapitalismus gleichzeitig ein Kind des Individualismus, der die Geisteswissenschaften der Aufklärungszeit beherrschte, und des Naturalismus, der in dem Aufschwung der Naturwissenschaften und in der naturwissenschaftlichen Weltanschauung des folgenden Zeitalters seinen Ausdruck fand." 2 5 1 Der aus dem Individualismus geborene 248 249 250 251

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Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda,

S. S. S. S.

243. 246. 248. 250.

Kapitalismus sei ein mächtiges, unentbehrliches Förderungsmittel der Kultur gewesen, und er sei es natürlich noch heute. Abgesehen davon, daß die Entstehung des Kapitalismus in der Entwicklung der materiellen Produktion und in der Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen ihre Ursache hat, nicht in der Geistesrichtung des Individualismus, wie Wundt meinte, widersprach auch dessen Einschätzung des Kapitalismus den geschichtlichen Tatsachen. In seiner frühen Entwicklungsperiode war er tatsächlich ein „Förderungsmittel der Kultur", das war aber vorbei, als Wundt diese Einschätzung schrieb, zu dieser Zeit war der deutsche Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium eingetreten, strebte nach Weltmacht, bereitete den ersten Weltkrieg vor, verschärfte ständig die Ausbeutung und Unterdrückung des Proletariats und der anderen Werktätigen, erwies sich immer unfähiger, kulturelle Werte zu schaffen, und unterdrückte zunehmend das kulturelle Leben und die kulturellen Bedürfnisse der werktätigen Massen. Wundt differenzierte die Kapitalisten in den Unternehmer, „der aus eigenem technischen Können einen großartigen Fabrikationsbetrieb ins Leben ruft, der, Erfinder, Industrieller und Kaufmann zugleich, seiner Schöpfung mannigfache Hilfsbetriebe angliedert und Verkehrswege schafft und schließlich, ein König unter seinen Beamten und Arbeitern, einen guten Teil seines Erwerbs der Förderung allgemeiner Kulturzwecke zur Verfügung stellt", und in den zweiten Typus, dessen Reichtum nicht auf der eigenen technischen Leistungsfähigkeit beruhe, „sondern auf dem Geschick, mit dem sich der Unternehmer die Arbeit anderer durch seinen Kapitalbesitz dienstbar zu machen und auf dem Handelsgeist, mit dem er günstige Konjunkturen zu benutzen weiß." 252 Mit dieser „Differenzierung" wurden die Kapitalisten nicht nach ihrer objektiven Stellung und Funktion in der materiellen Produktion eingeteilt, nicht danach beurteilt, daß sie ohne Ausnahme durch Ausbeutung - durch die Aneignung von Mehrwert - „ihren" Besitz erwerben, sondern nach bestimmten psychischen Verhaltensweisen. Den beiden genannten Typen fügte Wundt den „Rentner" hinzu, der von dem Ertrag lebe, den ihm ohne nennenswerte Arbeit sein Kapital eingebracht habe. Der Unternehmer sei der energische, tätige Charakter, der ein rastloses, aufreibendes Leben führe, der Rentner sei der ruhige, dem Genuß des Lebens hingegebene Typ. Mit dieser Charakteristik werden die wesensbestimmenden negativen Merkmale der Kapitalistenklasse völlig ignoriert, und damit erfüllte sie eine apologetische Funktion zugunsten des Kapitals. Die prinzipielle Rechtfertigung des Kapitalismus war bei Wundt mit der Kritik an kapitalistischen Mißständen verbunden. Der Kapitalismus habe „in seinen Endwirkungen einen Zustand geschaffen, unter dem mindestens die Mehrzahl der Menschen notleidet", stellte er fest. 253 „Der sittliche Fehler der kapitalistischen Gesellschaftsordnung" bestehe darin, „daß sie das natürliche ethische Kausalver252 Ebenda, S. 252. 253 Ebenda, S. 255.

12'

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hältnis der drei Faktoren der gesellschaftlichen Stellung vollständig umkehrt. Den Besitz, der, als äußeres Mittel der Betätigung der Persönlichkeit in Bildung und Beruf, das letzte sein sollte, macht sie zum ersten, und indem sie so das ethische Mittel zum Selbstzweck erhebt, wirkt sie entsittlichend auf die Gesellschaft." 2 3 4 Wundt hatte nicht begriffen, daß der „Besitz" - das Eigentum an Produktionsmitteln - für die Kapitalisten nicht „ethisches Mittel", sondern materielle Existenzgrundlage ist, und daß beim Übergang in das imperialistische Stadium Konzentration und Zentralisation des Kapitals - also riesenhafte Zunahme des „Besitzes" objektiv erforderlich waren, um im nationalen und internationalen Konkurrenzkampf bestehen zu können. Auch Wundts positiver Kapitalistentyp konnte da nicht ausscheren. Wundt kritisierte bestimmte Übel des Kapitalismus, verteidigte jedoch gleichzeitig die bestehende Einteilung in Gesellschaftsklassen. Wollte man sie abschaffen, „so würden die Unterschiede der Naturanlage und der sittlichen Begabung - es würden aber vor allem auch die sittlichen Bedürfnisse der Gesellschaft selbst sie wieder zu erzeugen streben" 255 . Die Gesellschaft habe sittliche Zwecke, die sie nur durch eine Gliederung in verschiedene Berufe und Bildungskreise erreichen könne. Zweifellos muß es in der Gesellschaft eine Gliederung in Berufe und in bestimmter Weise auch in unterschiedliche „Bildungskreise" geben, allerdings ohne Bildungsprivilegien und bei Sicherung der allseitigen Bildung der Werktätigen, aber diese Gliederung hat nichts mit den im Kapitalismus bestehenden sozialen Klassen zu tun. Wundt versuchte aus dem geistigen Entwicklungsprozeß die notwendige Existenz einer höheren und einer niederen Gesellschaftsklasse abzuleiten. Grundvoraussetzung allen geistigen Lebens sei es, daß der einzelne von den Vorstellungen, Gefühlen und Trieben der Gesamtheit getragen werde, auf die er durch eigene Gedanken und seinen Willen zurückwirke. Dem Einzelbewußtsein kämen in diesem Prozeß die schöpferischen Aufgaben zu. Indem die Gesamtheit die geistigen Schätze an einen den Untergang der Individuen überdauernden Träger binde, mache sie seine Schätze erst wirkungsvoll für künftige Entwicklungen und vermittle so die Kontinuität des geistigen Lebens. Diese Wirkung könne die Gesellschaft nur ausüben, „weil sie in aktive, an der Vermehrung der geistigen Güter direkt beteiligte, und in passive, die neuen Gedanken und Willenskeime aufnehmende und bewahrende Elemente" zerfalle. 2 5 6 J e verwickelter die Leistungen der Gesellschaft würden, umso nötiger sei es, daß eine Gliederung eintrete, innerhalb derer die relativ schwächeren Geister im Dienste der Ideen arbeiteten, deren Hauptträger der Entwicklung die Bahnen wiese, ohne sie im einzelnen bestimmen zu können. Von seiner Einteilung der Gesellschaft in aktive und passive Elemente gelangte Wundt schließlich zur Rechtfertigung der Existenz einer höheren und einer niede254 Ebenda, S. 256. 255 Ebenda, S. 257. 256 Ebenda.

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ren Klasse. Er schrieb: „Jener Bedingung, daß die Gesellschaft sich aus aktiven und passiven Elementen zusammensetzt, entspricht nun aber die Gliederung in eine höhere Gesellschaftsklasse, die für die Ausbildung aktiver geistiger Träger des gesellschaftlichen Lebens die günstigeren Vorbedingungen bietet, und in eine niedrigere, die als empfangendes Gesamtbewußtsein dem, was die aktiven Elemente geschaffen, die notwendige Festigung und Sicherung durch die Wirkung auf den Gesamtwillen verleiht." 257 W i e bereits durch ein Zitat belegt, zählte Wundt zur höheren Gesellschaftsklasse an erster Stelle die Unternehmer. Alle von ihm genannten Elemente, aus denen sich die für die Gesellschaft angeblich existenznotwendige höhere Gesellschaftsklasse zusammensetze, waren völlig identisch mit der tatsächlich herrschenden Bourgeoisie. Die Stellung des einzelnen in der Gesellschaft machte Wundt von der Entwicklung seiner geistigen Bildung und sittlichen Willensenergie abhängig. Die für die gesellschaftliche Stellung der Individuen grundlegenden materiellen Bedingungen die Eigentums- und Machtverhältnisse - , die zugleich Ursache und Grundlage für die Spaltung der Gesellschaft in soziale Klassen bilden, ließ Wundt in seinen Untersuchungen weitgehend unberücksichtigt, oder er erwähnte sie lediglich als den sittlichen Zwecken untergeordnete Hilfsmittel. Er wollte bei Aufrechterhaltung der bestehenden Klassenbeziehungen nur die zu großen Besitzunterschiede beseitigen, wobei er immer wieder betonte, daß der geistigen Bildung gegenüber den Besitzverhältnissen die größere Bedeutung zukomme. Für die zukünftige Entwicklung gab er folgende Empfehlung: „Ist es aber auch das Gebiet der geistigen Bildung allein, auf dem nach Maßgabe der Unterschiede der Begabung eine relative Gleichheit der einzelnen erreichbar und für die Geltendmachung des sittlichen Wertes ihrer Persönlichkeit erforderlich ist, so ist es doch unausbleiblich, daß dies auf die andern die soziale Stellung bestimmenden Momente herüberwirkt. Der Einzelbesitz wird, als ein Hilfsmittel persönlich freier Betätigung, gerade aus sittlichen Gründen wahrscheinlich niemals entbehrt werden können. Aber um ihn auf dieses M a ß berechtigten Einflusses einzuschränken, werden jene übermäßigen Unterschiede verschwinden müssen, denen die schwersten sittlichen Nachteile folgen." 2 " 8 Als Wundt diese Sätze schrieb, war durch den historischen Prozeß bereits hinlänglich bewiesen und durch Marx und Engels wissenschaftlich exakt begründet, daß im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung keine gerechten Besitzverhältnisse möglich sind. Die Konzentration und Zentralisation des Kapitals ist unter kapitalistischen Verhältnissen ein objektiver, gesetzmäßiger Prozeß, der sich durch sittliche Reformen und Illusionen nicht aufhalten läßt. Gerechte Eigentumsverhältnisse werden erst nach der Zerschlagung des Kapitalismus durch den Sozialismus geschaffen. Besonders stark ausgeprägt war der unwissenschaftliche und apologetische Charakter in Wundts Theorie vom Staate. Finden wir bei seiner Analyse der Entste257 Ebenda, S. 259. 258 Ebenda, S. 260.

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hung und des Wesens antiker Staaten noch richtige Detailerkenntnisse und idealistische Fehlinterpretationen eng miteinander verbunden, so entfernt sich seine Darstellung des kapitalistischen Staates, dem er treu ergeben war, weit von der historischen Wahrheit. Zwei Bedingungen seien bei der Herausbildung des Staates wirksam gewesen, eine friedliche und eine des Kampfes. „Die eine", erläuterte Wundt, „beruht auf der durch die Entwicklung von Sondereigentum und Arbeitsteilung allmählich erfolgenden Entstehung der Einzelfamilie und der gleichzeitigen Umwandlung der dauernden Männergemeinschaft in zeitweilige, der Ordnung der gemeinsamen Angelegenheiten dienenden Versammlungen der Stammes- oder Familienhäupter. Dies ist der Weg der friedlichen Entwicklung." 209 Die zweite Bedingung für die Herausbildung des Staates sei der Kampf der Stammesverbände um Herrschaft und Besitz. In dieser Darstellung zeigt sich bereits das Wesen der Wundtschen Fehlinterpretation: Die Trennung der Gesellschaft in antagonistische Klassen und deren Kampf werden nicht als Grundlage der Staatenentstehung erfaßt, und die ökonomische Grundlage dieses Prozesses, die Aneignung der Produktionsmittel als Privateigentum, wird zur friedlichen Herausbildung von „Sondereigentum" erklärt. Die tatsächliche Ursache der Entstehung von Staaten und deren Wesen bleiben in der Wundtschen Auffassung verborgen. Schon für den frühesten Staat wird der Stamm ausschließlich als eine Gemeinschaft von Individuen dargestellt, die sich nach außen, im Kampf mit anderen Stämmen bewähren müsse; die entscheidenden Klassenwidersprüche innerhalb der Stämme bleiben unerwähnt. Aus dieser Sicht entwickelte Wundt seine Gedanken weiter bis zur Gemeinschaft des Volkes im modernen Staate. Der Staat galt ihm schließlich als höchste Form der Zusammenfassung geistiger Kräfte. Er erklärte: „Die höchste Zusammenfassung dieser geistigen Kräfte ist aber der Staat, in welchem materielles und geistiges Leben zu einer organischen Einheit verbunden werden." 260 Der Staat sei „der Vollzug des Gesamtwillens durch den Einzelwillen bestimmter mit diesem Recht ausgerüsteter Personen, oder, mit anderen Worten, es ist das Bestehen einer tatsächlich von der Gesamtheit anerkannten und durch keinen über ihr stehenden Willen gebundenen Regierung, die das Wesen des Staates ausmacht" 261 . Der Staat sei eine Willenseinheit, ein Gesamtwille. Indem der Staat an eine die Gesamtheit beherrschende Gewalt gebunden sei, die durch einzelne Persönlichkeiten ausgeübt werde, besitze er den Charakter „einer frei handelnden Gesamtpersönlichkeit" 262 . Die Idee des Staates schließe den Begriff der Herrschaft über alle seine Mitglieder ein. Das tatsächliche Wesen des Staates als Machtinstrument der jeweils herrschenden Klasse hat Wundt nicht verstanden, für ihn war der Staat eine Form gesellschaftlichen Zusammenschlusses, die aus gemeinsamem Willensentschluß zustande komme. Im Staat werde der auf gemeinsame Zwecke gerichtete Gesamtwille zu 2 5 9 W . Wundt, Ethik, Bd. I., a. a. O., S. 2 2 4 . 2 6 0 W . Wundt, Völkerpsychologie, Bd. 9, Leipzig 1 9 1 8 , S. 4 6 6 . 2 6 1 W . Wundt, Völkerpsychologie, Bd. 7, a. a. O., S. 67. 2 6 2 Ebenda.

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einer Einheit zusammengeschlossen. W u n d t schrieb: „Alle die Einzelorganisationen, die in der Gesellschaft ungeordnet enthalten sind und sich darum nicht selten, ebenso wie die Individuen, in den Zwecken, die sie verfolgen, widerstreben, faßt dann die umfassendste und zugleich machtvollste Erscheinungsform eines Gesamtwillens, der Staat, abermals zu einer geordneten Einheit zusammen." 26 - 1 D i e nationalen Staaten der Neuzeit bezeichnete W u n d t als Neuschöpfung geistiger Gesamtheiten. 2 6 4 Aus dieser Sicht wandte sich W u n d t scharf gegen die klassenkämpferischen Tendenzen der deutschen Sozialdemokratie und propagierte die Unterordnung unter den Staat als sittliche Pflicht jedes Staatsbürgers. Besonders die Einordnung des Proletariats in den bürgerlichen Staat lag W u n d t am Herzen, wie jede andere Klasse habe es seine Pflichten innerhalb der Gemeinschaft des Staates zu erfüllen. Ausgehend von der chauvinistischen Position, wonach die deutsche Arbeiterklasse die gebildetste der Welt sei, schrieb W u n d t noch im letzten Buche seines Lebens „Erlebtes und Erkanntes": „Im gleichen Maße, in welchem sie sich zu dieser Höhe erhoben hat, muß sie aber auch allmählich aufhören, sich als eine den übrigen Gliedern der Gemeinschaft feindlich gegenüberstehende Klasse zu fühlen. D i e Elite unserer Arbeiterschaft beginnt daher bereits aus einer der Gesellschaft feindselig gegenüberstehenden Klasse zu einem mitten innerhalb dieser Gemeinschaft stehenden Stande zu werden, der so gut wie jeder andere seine Pflichten zu erfüllen hat." 2 6 5 Wenn W u n d t unter dem Einfluß der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und der revolutionären Ereignisse in Deutschland einer Sozialisierung im Sinne des Fichteschen Staatssozialismus zuneigte, so änderte das nichts an seiner G r u n d auffassung vom Staate. Als besonders positiv am Staatssozialismus Fichtescher Prägung hob er die Respektierung des Privateigentums und die entschiedene Ablehnung des Kommunismus hervor. Nach dem ersten Weltkrieg sah W u n d t den Weg zur Überwindung der Misere, in die der Imperialismus das deutsche Volk gestürzt hatte, in der Erneuerung des deutschen Idealismus auf der Grundlage der Klassenversöhnung. E r schrieb: „Nur eine Umkehr, die dem herrschenden egoistischen Militarismus gegenüber sein volles Gegenbild, jenen Idealismus zur Herrschaft bringt, der die Gemeinschaft und in ihr die geistigen Güter als die höchsten schätzt, Jcann eine neue Zukunft der Kultur herbeiführen. U n d wenn es eines unter den europäischen Völkern gibt, das in seiner Geschichte Zeugnisse für eine solche Wendung der Gesinnung erblicken darf, so ist es das deutsche." 266

5.12.

Wundts Ethik

W u n d t hat sich in zahlreichen Arbeiten, vor allem in seinen völkerpsychologischen Schriften und in seinem umfangreichen Werk „Ethik - eine Untersuchung der 263 W. Wundt, Ethik, Bd. III, a. a. O., S. 187. 264 W. Wundt, System der Philosophie, 4. Aufl., Zweiter Bd., Leipzig 1919, S. 191. 265 W. Wundt, Erlebtes und Erkanntes, a. a. O., S. 397. 266 W. Wundt, D i e Weltkatastrophe und die deutsche Philosophie, Erfurt 1920, S. 10.

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Tatsachen und Gesetze des sittlichen Lebens" sehr ausführlich mit ethischen Problemen beschäftigt. Ethische Studien sind insbesondere auch in seine kulturhistorischen Analysen eingebettet, mit denen er den sittlichen Ursprung und Gehalt von Sprache, Religion, Sitte und Mythos nachzuweisen versuchte. D a s Grundproblem der Wundtschen Ethik ist das Verhältnis von I n d i v i d u u m und Gesellschaft. Dabei ging es ihm zugleich um Prinzipien und Normen des sittlichen Verhaltens. W u n d t betrachtete die Ethik als einen unveräußerlichen Bestandteil der Metaphysik. A u f g a b e der Metaphysik sei es, die ethische und die naturwissenschaftliche Betrachtung in Übereinstimmung miteinander zu bringen. W u n d t schrieb: „In die natürliche und in die sittliche Weltordnung zerlegt sich uns der Begriff der Weltordnung überhaupt. Indem die Metaphysik die ethische wie die naturwissenschaftliche Betrachtung voraussetzt, w i r d es ihre A u f g a b e , jene beiden Formen der Weltordnung in eine innere Übereinstimmung zu bringen und auf diese W e i s e eine Weltanschauung zu begründen, die den Bedürfnissen unseres theoretischen Erkennens w i e den Forderungen unseres sittlichen Bewußtseins gleichmäßig gerecht w i r d . " 2 6 ' W u n d t vertrat das Prinzip, d a ß ethische Forschung von den Tatsachen des sittlichen Lebens ausgehen müsse, d a ß sie ihre Aussagen nicht auf Spekulationen begründen dürfe. Nur vom Boden der Tatsachen aus könne die Ethik als eine empirische Wissenschaft entwickelt werden. Trotz dieser richtigen und notwendigen Voraussetzungen gelangte W u n d t bei seinen ethischen Untersuchungen nur in sehr begrenztem M a ß e zu wissenschaftlichen Erkenntnissen, weil er die von ihm untersuchten geistigen Tatsachen nicht auf ihre materiellen Ursachen und Grundlagen zurückführte. Von seinem Standpunkt des Psychologismus und Voluntarismus mußten ihm die grundlegenden Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten der „sittlichen Tatsachen" verborgen bleiben. D i e Quelle des sittlichen Lebens suchte W u n d t nicht im Einzelbewußtsein, sondern in den Beziehungen von Einzelund Gemeinschaftswillen. Gleichzeitig betonte er - scheinbar im krassen W i d e r spruch dazu d a ß das sittliche Leben des Individuums im freien W i l l e n seine ursprüngliche Q u e l l e habe. Dieser scheinbare Widerspruch w i r d verständlich, wenn man W u n d t s Konzeption von der Wechselwirkung zwischen Einzel- und Gesamtw i l l e berücksichtigt, auf die noch eingegangen w i r d . W u n d t band die Ethik sehr eng an die Psychologie. Die Ethik dürfe jedoch nicht in der Individualpsychologie verbleiben, die eigentliche „Vorhalle zur Ethik" sei die Völkerpsychologie. Diese gebe Auskunft über Entstehung und W a n d l u n g der Sitten und der Sittlichkeit in der menschlichen Gesellschaft. Bei der Untersuchung des Verhältnisses von I n d i v i d u u m und Gemeinschaft stellte sich W u n d t die Frage, w i e sich das Einzelwesen zur Gesamtheit verhalte. Ausgehend von seinem aktuellen Seelenbegriff betrachtete er die Einzelseelen nicht als isolierte Substanzen, sondern als eingeordnet in den Gesamtgeist. Den Gliedern einer geistigen Gemeinschaft sei ein großes M a ß von Vorstellungen, Gefühlen und Willenstätigkeiten eigen. Indem sich 2 6 7 W . Wundt, Ethik, Bd. I, a. a. O., S. 16.

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der einzelne selbständig wollend diesen Besitz aneigne, löse er sich von der Gesamtheit, komme aber immer zu ihr zurück, den Gesamtgeist durch den Ertrag seiner Arbeit bereichernd. Wundt näherte sich mit dieser Konzeption einem dialektischen Verständnis von Gemeinschaft und Individuum, reduzierte jedoch dieses Verhältnis auf ein geistiges. In der Wechselwirkung von Gesamt- und Einzelwille gelte das Prinzip: Soviel Aktualität, soviel Realität. Dem Gesamtwillen komme ebenso Realität zu wie dem Einzelwillen, allerdings nicht isoliert von diesem. Der Einzelwille sei immer in den Gesamtwillen eingebettet. Offensichtlich besonders von Fechner beeinflußt, vertrat Wundt die ohne Mystik durchaus akzeptable Auffassung, der einzelne lebe ein Gesamtleben mit vergangenen und zukünftigen Geschlechtern. Die Entwicklung des Sittlichen sei eine ständige Wechselbeziehung von individuellen und überindividuellen Willenseinheiten. Der einzelne sei stets der Gemeinschaft verpflichtet, müsse sich dem überindividuellen Willen unterordnen. Den „Gesamtgeist" oder „Gesamtwillen", der sich aus allen Einzelwillen zusammensetze, bestimmte Wundt nicht einfach als die Summe der ihn bildenden Individuen oder als bloße Addition individueller Wirkungen. Schöpfungen der Gemeinschaft seien echte Neuschöpfungen. Vom Geistigen her betrachtete Wundt die Einheit von Individuum und Gemeinschaft als von jeher gegeben und als für alle Zeit unlösbar, eins bedinge das andere. Er schrieb: „Denn wie die Lebenserscheinungen der Gemeinschaft überall auf die geistigen Kräfte der Einzelnen zurückweisen, so bedürfen nicht minder die letzteren eines Gesamtlebens, von dem jede individuelle Entwicklung getragen und fortan in ihren Leistungen bestimmt wird." 2 6 8 Wundt erklärte weiter: „So ist das Einzelleben eine vergängliche Woge auf dem durch die Jahrhunderte dahinflutenden Strome des Lebens der Nation, mit dem es schließlich einmündet in den unermeßlichen Ozean des geistigen Gesamtlebens der Menschheit." 269 Wundts Darstellung des Verhältnisses von Gemeinschaft und Individuum ging von der Bestimmung des Menschen als geistiges Wesen aus. Wesen und Art der Existenz der Menschen beruhten vornehmlich auf deren geistiger Natur. Auch als Formen des Gemeinschaftslebens interessierten Wundt vor allem geistige Erscheinungen: Sprache, Sitte, Mythos, Lebensanschauungen und Religion; die grundlegenden materiellen Beziehungen der Menschen, vor allem ihre kooperativen Beziehungen im Arbeitsprozeß und ihre sozialen, klassenmäßigen Wechselverhältnisse interessierten ihn bei seinen ethischen Untersuchungen kaum. Das Wesen menschlicher Gemeinschaften sei nur auf Grund einer „umfassenden Einsicht in die geistige Natur des einzelnen Menschen" zu erkennen. 270 Bei seiner Auffassung vom geistigen Wesen des Menschen und menschlicher Gemeinschaften berief sich Wundt auf Ideen, die bis auf Aristoteles zurückgingen. 2 6 8 W . Wundt, Über das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft, in: Wundt, Reden und Aufsätze, Leipzig 1 9 1 3 , S. 56. 2 6 9 Ebenda. 2 7 0 Ebenda, S. 38.

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Aristoteles habe das Wesen des Menschen in der Geistestätigkeit erblickt, nicht in einer transzendenten Substanz, an der die seelischen Erscheinungen nur als vergängliche, dem wahren Wesen des Geistigen fremde Schattenbilder vorüberzögen. In folgerichtiger Fortbildung der Ideen Fichtes sei in der deutschen Philosophie die Idee einer „objektiven Weltvernunft", eines „Gesamtgeistes" entstanden, von dem man angenommen habe, d a ß er in der Geschichte, im staatlichen Leben und in allen auf der zusammenhängenden Geistesarbeit der Menschheit beruhenden idealen Schöpfungen, wie Kunst, Religion, Philosophie, seine dem Einzeldasein unendlich überlegene selbständige Realität bekunde. 2 7 1 Auch an Hegels System würdigte W u n d t die Idee eines Gesamtgeistes. E r kritisierte jedoch dessen logischen Schematismus, der an Stelle der realen geschichtlichen Entwicklung eine gekünstelte Systematik der Begriffe gesetzt und in Gegensätze gespalten habe, was dem Wesen nach zusammengehöre. Das Gebiet der objektiven Sittlichkeit habe er wie eine andere, höhere Welt der subjektiven Moral gegenübergestellt. Recht und Staat erschienen wie Wesen eigener Art, fast so als wenn sie unabhängig von den einzelnen existieren könnten. D i e heutige Psychologie suche, wie es Kant gezeigt habe, die Seele in den geistigen Tatsachen selbst, nicht in einem unerkennbaren „Ding an sich", das nur durch die vorübergehenden Wechselwirkungen, in die es zu anderen Dingen trete, das geistige Geschehen als einen vergänglichen Schein hervorbringe. Es gebe keinen besonderen geistigen Lebensinhalt, der nicht zum Inhalt unseres Denkens, Fühlens und Handelns in Beziehung stehe. D i e geistigen K r ä f t e der Gesamtheit, betonte W u n d t wiederholt, resultierten nicht aus irgend einer transzendenten Erscheinung, sondern hätten ihren Ursprung im einzelnen. Sie könnten außerdem nur ein geistiges Gesamtleben erzeugen, wenn sie auf einzelne zurückwirkten. Jedoch sei das geistige Gesamtleben die übergeordnete Realität. In dieser Hinsicht sei die staatliche Gemeinschaft „Träger eines Gesamtwillens von normativer Kraft" 2 7 2 . Aus seiner Konzeption des Zusammenhangs von Einzel- und Gesamtwillen die richtige Detailerkenntnisse enthält, jedoch auf einer unannehmbaren idealistisch-voluntaristischen Grundposition beruht - leitete W u n d t eine deterministische Freiheitsauffassung ab. Jede Willenshandlung sei durch Charakter und Gesamtwillen determiniert. Freiheit bestünde nicht darin, d a ß Willenshandlungen ursachlos seien. Wenn es so wäre, ginge jede Sicherheit des Handelns verloren. Freiheit bestehe darin, d a ß sich jeder nach seinem seelischen Wesen ohne jede äußere Hemmung und ohne jeden Zwang betätigen könne. Dabei sei das Grundgesetz menschlichen Wesens: für die Gemeinschaft leben und die K r ä f t e in ihren Dienst stellen. W e r so handle, handle frei, weil er nur seinem eigenen Wesen gehorche. Wer nur seinen Trieben folge, sei unfrei, denn er lasse sich von außen, nicht durch sein innerstes Wesen bestimmen. Wer seinem eigenen Wesen folge, folge einer Notwendigkeit, aber fühle sich frei. Unser Freiheitsbewußtsein sage 271 Ebenda, S. 47. 272 Ebenda, S. 60.

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nur, daß wir uns frei von Zwang, nicht ursachlos fühlten. D i e Anschauung mechanischen Zwangs dürfe nicht aus der Natur auf geistige Vorgänge übertragen werden, denn für das geistige Leben seien die Gesetze des körperlichen, mechanischen Geschehens nicht gültig. D i e Gesetze des geistigen Lebens schlössen als eine Unterart die Naturgesetze ein. Diese von W u n d t vertretene Freiheitsauffassung enthält innerhalb ihrer idealistischen Grundposition richtige Erkenntnisse: Freiheit sei nicht ursachlos, Freiheit und Notwendigkeit sind miteinander verbunden, Freiheit bedeute im ethischen Sinne für die Gemeinschaft leben. Der Begriff der Freiheit wurde somit von W u n d t richtig als gesellschaftliche Kategorie verstanden. Eine umfassende Einsicht in das Wesen der Freiheit konnte die vom Geiste und vom Willen her bestimmte Konzeption nicht bringen. Das Wesen der Freiheit ist nur zu verstehen, wenn man Freiheit als Verhältnis der Menschen zu den objektiven Gesetzmäßigkeiten in N a t u r und Gesellschaft erfaßt. Gradmesser für die Freiheit ist das Niveau der Erkenntnis und der praktischen Beherrschung dieser Gesetzmäßigkeiten im H a n deln der Menschen. W u n d t hatte erkannt, daß die persönliche Freiheit nicht in der Unabhängigkeit von der Gesellschaft besteht, sondern in der Tätigkeit in und für die Gesellschaft, d a ß Freiheit vom „Gesamtwillen" abhängig sei. D i e gesellschaftliche Determiniertheit der Freiheit faßte er aber nicht konkret historisch, er verstand nicht die grundlegende Abhängigkeit der Freiheit vom Entwicklungsstand der Produktivkräfte und vor allem der Produktionsverhältnisse. Unter kapitalistischen Verhältnissen ist wie in jeder antagonistischen Klassengesellschaft der G r a d der individuellen Freiheit sehr unterschiedlich, die Masse der werktätigen Menschen ist in den wichtigsten Lebensprozessen - vor allem in der Arbeit unfrei. Erst unter sozialistischen und kommunistischen Verhältnissen gewinnen die werktätigen Menschen auf der Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln in wachsendem Maße die Möglichkeit, ihren gesamten gesellschaftlichen Lebensprozeß entsprechend den erkannten und ausgenutzten Gesetzmäßigkeiten nach einem Gesamtplan und Gesamtwillen zu beherrschen. Sie erlangen damit zunehmend gesellschaftliche und individuelle Freiheit. W u n d t stellte sich die Aufgabe, „von den Tatsachen des sittlichen Lebens und der Entwicklung der sittlichen Lebensanschauungen ausgehend, die Prinzipien einer gleichzeitig empirischen und normativen Ethik zu gewinnen" 273 . D i e Ethik müsse stets den explikativen und den normativen Standpunkt in untrennbarer Einheit beachten. Außerdem betonte W u n d t in diesem Zusammenhange, d a ß er seine Ethik bewußt auf dem Entwicklungsgedanken begründet habe. Sitte und Sittlichkeit müßten genetisch behandelt werden. Denken und Handeln der Menschen - und damit auch die Normen des Denkens und Handelns - seien in einem fortwährenden Fluß der Entwicklung begriffen. W u n d t lehnte die Auffassung ab, ethische Normen seien unveränderliche, ewige Wahrheiten. Sittliche Normen betrachtete er in Übereinstimmung mit den geschichtlichen Tatsachen als historisch 273 W. Wundt, Ethik, Bd. I, a. a. O., S. VIII.

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bedingt. Aus der jeweiligen Entwicklungsstufe der Gesellschaft seien die Normen zu abstrahieren, wobei günstigstenfalls aus der bisherigen Entwicklung auf die zunächst bevorstehende geschlossen werden könne. Diese Tatsache habe die Ethik vor allem als praktische Normwissenschaft zu berücksichtigen; Formen der Sitte wandelten sich je nach Lebensbedingungen und nach Lebensanschauungen. Obwohl W u n d t die Möglichkeit ewiger Normen verneinte, lehnte er zugleich die Auffassung ab, Normen seien bloß subjektive, ständig veränderliche Gebilde. D i e sittliche Weltordnung sei wie die Naturordnung eine objektive Gesetzmäßigkeit, nur d a ß das Objekt, das menschliche Handeln, nicht etwas Gegebenes, sondern ein werdendes, ein fortwährend unter neuen Bedingungen und darum in neuen Gestaltungen sich entwickelndes wäre. In der Ethik, wie in jeder Normwissenschaft, unterlägen die Tatsachen einer Wertschätzung und einer Stufenreihe von Wertgraden. Grundlage dieser Wertschätzung bilde der Gegensatz des N o r m gemäßen und des Normwidrigen. D i e explikative Betrachtung kenne nur ein Sein; der Begriff der N o r m verwandle das Sein in Sollen. Zum obersten Richter über Normen erklärte W u n d t den freien menschlichen Willen, er erkannte nicht deren primäre Bedingtheit in den materiellen Lebensverhältnissen der Menschen. E r verstand ebensowenig, d a ß die jeweils herrschende Klasse einer Gesellschaftsformation solche Verhaltensweisen zur N o r m - und zum Gesetz - erklärt und ihre Einhaltung mit Gewalt erzwingt, die den eigenen Eigentums- und Machtverhältnissen dienen. Indem W u n d t die N o r m und ihre Wertung als vom freien menschlichen Willen abhängig erklärte, postulierte er ein subjektives Kriterium für Verhaltensnormen, wenn er auch beteuerte, daß Normen objektiven Charakters seien. Normen bezögen sich auf freie Willenshandlungen, auf Objekte nur dann, wenn diese ihren Ursprung Willenshandlungen verdanken. 2 7 4 Mit diesen Bestimmungen verblieb Wundts Analyse von Verhaltensnormen innerhalb des moralischen Bewußtseinsbereiches; die Moralpraxis als deren Grundlage, Gegenstand und Kriterium war darin nicht einbezogen. D i e Moral ist nicht nur eine spezifische Form des gesellschaftlichen Bewußtseins, sondern zugleich und vor allem des praktischen Verhaltens der Menschen. Ethische Normen und ihre Bewertung ergeben sich in erster Linie aus dem praktischen sozialen Lebensprozeß der Menschen, dieser muß daher in die Untersuchung sittlicher Erscheinungen notwendigerweise einbezogen werden. W u n d t begnügte sich allerdings nicht mit der rein theoretischen Bearbeitung seiner ethischen Auffassungen; es ging ihm um die praktische Anwendung im gesellschaftlichen und individuellen Leben. Ausgehend von einem „autonomen Menschengeist" und „dem freien Willen", bei Verzicht auf eine Analyse der historisch konkreten materiellen Lebensverhältnisse der Menschen, gelang es ihm allerdings nicht, die den meisten vormarxistischen Moralsystemen anhaftende undialektische Trennung von Theorie und Praxis zu überwinden und praktikable Erkenntnisse auf dem Gebiet der Ethik zu ent274 Ebenda, S. 8.

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wickeln. Als Methode der Ethik lehnte Wundt berechtigt jede einseitig spekulative ebenso ab, wie jede einseitig empirische. „Die Ethik", schrieb er, „ist weder eine rein spekulative, noch eine rein empirische Disziplin, sondern sie ist, wie jede allgemeine Wissenschaft, empirisch und spekulativ zugleich." 275 D i e spekulative Methode vernachlässige den ungeheuren Reichtum der empirischen Tatsachen. D i e subjektive empirische Methode bevorzuge die in der inneren W a h r nehmung sich bietenden Bedingungen unserer Willenshandlungen, führe daher zu einer einseitigen psychologischen Betrachtung; die objektive empirische Methode gehe einseitig von den in der Gesellschaft und Geschichte gegebenen Erscheinungen aus. W u n d t lehnte somit zu Recht Psychologismus und Soziologismus als Methoden der Ethik ab, trotzdem spielt der erstere in seiner Ethikauffassung eine dominierende Rolle. D i e Aufgabe der Ethik bestehe „in der Feststellung der Prinzipien, auf welche die sittlichen Tatsachen zurückgeführt oder als deren besondere, durch das Zusammentreffen mit gewissen äußeren Bedingungen bestimmte Anwendungen sie betrachtet" werde. 2 7 6 Dabei sei es selbstverständlich, „daß die objektiven Tatsachen des sittlichen Lebens zunächst einer psychologischen Prüfung zu unterwerfen" seien, und d a ß sie, soweit es möglich sei, psychologisch erklärt werden müßten. 2 7 7 D i e Ethik sei eine metaphysische Disziplin, soweit sie der Spekulation bedürfe, jedoch müsse dieser das empirische Verfahren vorausgehen. Metaphysik sei die Ethik, weil sie sich auf nicht unmittelbar der Erfahrung zugängliche Voraussetzungen über den Zusammenhang der Dinge beziehe. Über die Einheit von empirischer und spekulativer Methode in der Ethik schrieb W u n d t : „ D i e Herrschaft der empirischen Methode reicht so weit, als diese Begriffe" - gemeint sind Begriffe, mit denen das Denken operiere - „unmittelbare Abstraktionen und Induktionen aus der Erfahrung sind. D i e Spekulation beginnt, sobald hypothetische Elemente in die Begriffsbildung eingehen, die nicht der Erfahrung entnommen, sondern ihr unter dem Einfluß der Einheitsbedürfnisse unseres Denkens hinzugefügt werden." 2 ' 8 D i e Aufgabe der Ethik bestand für W u n d t in einer spezifischen Erforschung von Bewußtseinsinhalten. D i e ursprüngliche Quelle für die Erkenntnis des Sittlichen sei „das sittliche Bewußtsein des Menschen, wie es in den allgemeinen Anschauungen über Recht und Unrecht und außerdem vornehmlich in den religiösen Vorstellungen und in der Sitte seinen objektiven Ausdruck" finde.279 D e r nächste W e g zur Aufsuchung der ethischen Prinzipien sei daher eine anthropologische Untersuchung, wobei Völkerpsychologie sowie Ur- und Kulturgeschichte als Hilfsgebiete nutzbar gemacht werden müßten. D i e Forschungen der Ethik erforderten das Bemühen, aus der Mannigfaltigkeit der Lebensbedingungen die sitt275 276 277 278 279

Ebenda, Ebenda, Ebenda. Ebenda, Ebenda,

S. 15. S. 14. S. 16. S. 17.

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liehen auszusondern, ohne dabei deren Zusammenhang aus den Augen zu verlieren. Wundt erkannte, daß es nicht möglich sei, das Wesen sittlicher Erscheinungen zu begreifen, wenn man diese von den allgemeinen Lebensbedingungen isoliert; er vermochte jedoch den tatsächlichen Zusammenhang zwischen den materiellen sozialen Lebensbedingungen der Menschen und ihren sittlichen Verhaltensweisen und Normen nicht zu erklären. Die Ethik müsse den Spuren nachgehen, die von den Anfängen ethischer Anschauungen zu ihren entwickelten Gestaltungen hinüberführten. Ein weiterer Weg der ethischen Forschungen bestünde darin, die geschichtliche Entwicklung der sittlichen Weltanschauung zu untersuchen. Diese finde ihren deutlichsten Ausdruck in der Reflexion über die Sittlichkeitsbegriffe in ethischen Systemen der Philosophie. Die Aufgabe der Ethik sei eine doppelte: Sie habe zuerst auf der gegebenen Grundlage die Prinzipien, auf denen unsere sittlichen Werturteile ruhten, ihre Entstehung und ihren Zusammenhang aufzusuchen, und sie habe schließlich diese Prinzipien auf die Hauptgebiete des sittlichen Lebens anzuwenden, auf Familie, Recht, Staat und Gesellschaft. 280 Hier wird wieder Wundts idealistische Ausgangsposition deutlich sichtbar: Statt aus den materiellen Lebensbedingungen auf die Prinzipien der Ethik zu schließen, glaubt er diese mittels einer Bewußtseinsanalyse erforschen zu können, um sie danach auf das sittliche Leben der Gesellschaft anzuwenden. Wundt begann seine Untersuchung der „Tatsachen des sittlichen Lebens" mit einer Sprachanalyse, weil die Sprache die frühesten Zeugnisse für die Ausbildung menschlicher Vorstellungen enthalte. Daher werde die Untersuchung des Ursprungs der sittlichen Vorstellungen zuerst ihre Fragen an die Sprache zu richten haben. Im Ergebnis seiner Sprachanalyse - auf die im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden kann - stellte Wundt fest, daß sittliche Vorstellungen nicht a priori gegeben wären, sondern aus der Entwicklung ursprünglich sinnlicher Vorstellungen resultierten, die auf innerliche Eigenschaften übertragen worden seien. Die Nützlichkeit solcher Sprachanalysen soll keineswegs bestritten werden, sie vermögen jedoch ohne die Analyse der materiellen gesellschaftlichen Ursachen und Grundlagen sittlichen Verhaltens keine wissenschaftliche Erklärung über die Entstehung und Entwicklung von Moralnormen und sittlichen Verhaltensweisen zu geben. Als weitere Tatsache des sittlichen Lebens untersuchte Wundt das Verhältnis von Religion und Sittlichkeit. Wundt gelangte zu der im Widerspruch zu den historischen Tatsachen stehenden Auffassung, das sittliche Leben sei innerhalb der Religion entstanden. Die Verinnerlichung und Vertiefung sittlicher Ideen habe in der Verbindung mit der Religion ihre Quelle. Jede Auffassung sei falsch, wonach sittliche Normen außerhalb der religiösen Vorstellungen entstanden wären. Zweifellos hat im geschichtlichen Prozeß der Entstehung und Ausbildung von 2 8 0 Vgl. ebenda, S. 1 9 .

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sittlichen Anschauungen und Normen die Wechselwirkung mit der Religion eine große Rolle gespielt. Jedoch läßt sich aus der Religion keinesfalls der wesentliche Inhalt von sittlichen Anschauungen und Normen ableiten. Das schließt nicht aus, daß unter bestimmten Herrschaftsverhältnissen religiöse Verhaltensweisen zu sittlichen Normen werden können. Die tiefste Ursache liegt aber auch dann weniger in Glaubenselementen als vielmehr in den Eigentums- und Machtverhältnissen der jeweiligen Gesellschaftsformation. Wundt hat die sozialen Ursachen sittlichen Verhaltens nicht völlig ignoriert, er betrachtete sie als „Ergänzung" zu den religiösen Motiven. Mit den religiösen Motiven könnten sich diejenigen Erscheinungen der Sitte messen, die in den sozialen Bedingungen des menschlichen Daseins wurzelten. Obwohl Wundt die Notwendigkeit einer genetischen Betrachtungsweise in der Ethik forderte, gelangte er zu der Auffassung, daß die Menschen aller Kulturstufen mit den „nämlichen guten und schlimmen Trieben behaftet" gewesen seien, die heute wie immer die Quellen ihres Glücks und ihrer Leiden gewesen seien. 281 Vom genetischen Gesichtspunkt aus seien zahlreiche der unter uns noch wirksamen Sitten „Überlebnisse" von Kulturhandlungen, deren ursprüngliche Zwecke unverständlich geworden und neuen Zwecken dienstbar gemacht seien. Neben religiösen Ursprüngen einer Sitte gäbe es anderweitige Traditionen als Quelle, insbesondere Rechtsanschauungen, die oft in einzelnen nicht mehr verstandenen Bräuchen fortlebten. Die Existenz der von Wundt genannten Quellen für bestimmte Sitten steht außer Zweifel, hinter diesen geistigen Erscheinungen verbergen sich aber letzten Endes materielle soziale Beziehungen, die er nicht beachtete. Wundt systematisierte die Sitten nach den Lebensgebieten, denen sie in ihren verschiedenen Entwicklungsperioden gedient hätten. Er unterschied vier Gebiete der Sitten: Erstens individuelle Lebensformen. Hier sei der einzelne Subjekt und Objekt der Verpflichtungen. Dazu zählten Sitten, die sich aus der Sorge um Nahrung, Wohnung, Kleidung und Schmuck ergeben hätten. Zweitens Verkehrsformen. Der einzelne sei das verpflichtende Subjekt, die Gesellschaft als Ganzes oder in einzelnen ihrer Glieder Objekt der Verpflichtung. Hierzu zählten Arbeitsverkehr, Gruß und andere. Drittens Gesellschaftsformen. Ein Verband von Individuen sei das verpflichtete Subjekt, die Gesellschaft Objekt der Verpflichtung. Dabei sei der einzelne indirektes Subjekt und Objekt der Verpflichtung. Viertens humane Lebensformen. Subjekt der Verpflichtung seien Individuen und Verbände, Objekt die Menschheit. Als Gebiete der „individuellen Sitte" untersuchte Wundt Nahrung, Wohnung, Kleidung, Arbeit. Schon daraus wird ersichtlich, daß er das Wesen der Arbeit nicht verstand, sie nicht als gesellschaftliche, kooperative, zweckmäßige und bewußte Tätigkeit der Menschen begriff, durch die Naturstoffe zur Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse verändert werden. Unter den „Verkehrsformen" der Sitte untersuchte Wundt den „Arbeitsverkehr",

2 8 1 Ebenda, S. 1 0 9 .

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der noch mehr als die Arbeit selbst „ein Produkt der Kultur" sei. 282 Vom Schmuck, als dem ersten Eigentum des Menschen, und dessen Austausch sei der Fortschritt der Kultur ausgegangen. Muscheln, Perlen und glänzende Metallstücke seien als Vorstufe des Geldes die ersten Tauschmittel gewesen. Allmählich sei das Bedürfnis erwacht, auch Gegenstände des täglichen Bedarfs zu tauschen. D a m i t seien Produkte der Arbeit zu Tauschmitteln geworden. Diese Tauschmittel legten „daher frühe schon den Gedanken einer Schätzung ihres Wertes nach dem M a ß der auf sie verwendeten Arbeit nahe" 283 . Als weitere „Verkehrsformen der Sitte" untersuchte Wundt das Spiel und die Umgangsformen. Schließlich analysierte er als „Gesellschaftsformen", immer vorwiegend unter dem Blickwinkel geistiger Aspekte, verschiedene soziale Erscheinungen, von der Familienentstehung bis zum Staat, der Volksgemeinschaft und der Rechtsordnung. Einige Beispiele mögen die Verworrenheit seiner idealistischen Interpretation sichtbar machen. D i e Tatsache, d a ß die Menschen schon auf der frühesten Entwicklungsstufe in sozialen Gruppen lebten, erklärte W u n d t wie folgt: „ . . . wahrscheinlich darf es selbst im zoologischen Sinne als ein Artmerkmal des Menschen gelten, d a ß bei ihm beide Formen der Verbindung, die Familie und die Vereinigung von Individuen zu einer sozialen Gruppe, nebeneinander bestehen. Die beiden Triebe, auf die überall schon im Tierreich das gemeinsame Leben zurückgeht, der Geschlechts- und der allgemeine Geselligkeitstrieb scheinen hier von frühe an in annähernd gleicher Stärke entwickelt zu sein." 284 D i e ursprüngliche Monogamie entbehre der sittlichen Motive, der Mensch bringe sie als eine von fernen Generationen her ererbte Richtung seines Geschlechtstriebes ins Leben mit; dagegen sei die monogamische E h e und Familie der höheren Kultur nach schweren Kämpfen gegen widerstrebende Motive entstanden. Als Errungenschaften der Kultur seien Einzelehe und Einzelfamilie allerdings nur denkbar, weil dies der ursprünglichen N a t u r der Menschen entspräche. Auch hier galten für W u n d t N a t u r und Sitte als Grundlage und Triebkräfte der sozialen Beziehungen der Menschen, er sah nicht, d a ß die Sitten ihre Grundlage in sozialökonomischen Faktoren haben. Zur Entstehung der Einzelfamilie schrieb W u n d t außerdem: „Nachdem die überwiegende Wertschätzung physischer K r a f t einer Anerkennung der geistigen Seite der Persönlichkeit gewichen war, brach sich die neue, in der Trennung der Einzelfamilie vorbereitete Anschauung von selbst Bahn - trotz der Versuche eines Plato, die alte Männergesellschaft in seinem idealen Zukunftsstaat wiederherzustellen." 2 8 5 Pietät und Selbstsucht seien die entscheidenden Motive gewesen, die von frühe an als Triebkräfte bei der Bildung politischer Gemeinwesen wirksam gewesen seien. W u n d t schrieb: „Zwei Motive werden wir als die geistigen K r ä f t e anerkennen müssen, die von frühe an bei der Bildung politischer Gemeinwesen wirksam waren: das eine ist die Pietät, die von der Familie und dem Stammesverband 282 283 284 285

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Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda,

S. S. S. S.

165. 166. 194. 213.

aus auf die ihnen nachfolgenden umfassenderen Verbände übergeht; das andere die Selbstsucht, die dem Individuum als dem letzten Bestandteil jener Gemeinschaft innewohnt. Den pietätvollen Gehorsam, den der Sohn dem Vater entgegenbringt, überträgt er auf den Stammeshäuptling, und dieser wieder verbindet jenes Sympathiegefühl, das schon in dem primitiven Männerverband den einzelnen an seine Genossen fesselt, mit einem Zuge väterlicher Fürsorge für die Seinen." 286 Wie im vorhergehenden Kapitel gezeigt wurde, kam Wundt von seiner psychologistisch-voluntaristischen Grundposition besonders bei der Bestimmung des Staates zu absurden Ergebnissen. Als Bürger des reaktionären preußisch-deutschen Staates, der mit Polizeiterror alle demokratischen Kräfte brutal unterdrückte und den ersten Weltkrieg zur Eroberung der Weltherrschaft vorbereitete, schrieb er: „Gerade im Staate aber ist es durch die Wechselwirkung der zahllosen geistigen Kräfte, auf denen seine Erhaltung und Entwicklung beruht, am ehesten möglich, daß das Sein dem Sollen zwar nicht gleichkommt, aber doch annähernd mit ihm Schritt hält. Hierauf beruht die ungeheure ethische Bedeutung, welche die Entwicklung der staatlichen Einrichtungen für alle anderen Lebenskreise besitzt. Insbesondere in der Rechtsordnung stellt der Staat Normen auf, in denen er neben sonstigen für das äußere Leben nützlichen Bestimmungen auch die für die Gemeinschaft unerläßlichen Sittengesetze zum Ausdruck bringt, und durch die er den einzelnen gegen Gewalthandlungen schützt, die dem sittlichen Gewissen widerstreiten." 287 Wundt erklärte, daß die sittliche Entwicklung wie alle gesellschaftliche Entwicklung nach psychologischen Gesetzen verlaufe. Die sittliche Entwicklung zerfalle in vier Stadien, deren charakteristische Merkmale hauptsächlich durch das wechselseitige Verhältnis der verschiedenen nebeneinander herlaufenden Motive bestimmt werde. Das erste Stadium sei das vorsittliche. Es werde charakterisiert durch mythologische Anfänge ohne religiöse Bestandteile sowie durch die Existenz sozialer Verbindungen ohne Wirksamkeit irgendwie merklicher ethischer Momente. Das zweite Stadium sei das der Erweckung primitiver sittlicher Motive. Das Stammesgefühl wachse in der gemeinsamen Tätigkeit und in der Abwehr fremder Gewalt. Sympathie, Ehrfurchtsgefühle und erste religiöse Affekte keimten auf. Das dritte Stadium sei durch die Sonderung sittlicher Anschauungen gekennzeichnet. Das vierte Stadium werde in erster Linie durch einen Wandel der religiösen Ideen eingeleitet, mit dem sich in wachsendem Maße der Einfluß des Nachdenkens über die gemeinsamen Eigenschaften der Menschen und der Ziele ihres Lebens verbinde. In der philosophischen Ethik finde dieses Stadium seinen Höhepunkt. Innerhalb der sittlichen Entwicklung mache sich das Prinzip der Heterogonie der Zwecke geltend. Im gesamten Umfange menschlicher Willensvorgänge gingen die Wirkungen der Handlungen mehr oder weniger weit über die ursprünglichen Willensmotive hinaus, so daß für künftige Handlungen neue Mo286 Ebenda, S. 227. 287 Ebenda, S. 232. 13

Wilhelm W u n d t

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tive entstünden, die abermals neue Wirkungen hervorbrächten. Durch Wirkungen von Nebeneinflüssen decke sich der Effekt einer Handlung nicht mit der im Motiv gelegenen Zweckvorstellung. W u n d t schlußfolgerte: „Das Prinzip der Heterogonie der Zwecke ist es, das hauptsächlich über den wachsenden Reichtum sittlicher Lebensanschauungen Rechenschaft gibt, in deren Erzeugung sich die sittliche Entwicklung betätigt." 288 W u n d t entwickelte seine Gedanken zur Ethik in ständiger Auseinandersetzung mit anderen Moralsystemen, besonders mit der damals vorherrschenden englischen Moralphilosophie. D e m Kampf der Moralsysteme schenkte er große Aufmerksamkeit. Es gäbe kein Gebiet der Philosophie, auf dem der Kampf widerstreitender Anschauungen größer wäre als auf dem der Ethik. W u n d t kritisierte an der bisherigen Ethik besonders zwei Mängel: die Unbestimmtheit und Vieldeutigkeit ihrer Begriffe und die Verwendung veralteter Psychologie. Seine eigene Psychologie betrachtete er als Schlüssel für die Ethik. W u n d t war überzeugt, d a ß für die Erforschung der Geschichte der Ethik die Geschichte der Philosophie repräsentativen Wert besitze. E r schrieb: „In der Geschichte der philosophischen Weltanschauung spiegelt sich mehr als in irgendeinem anderen Gebiet historischer Entwicklung, selbst mehr als in Staat und Gesellschaft, die Geschichte des allgemeinen Denkens der Zeiten und Völker. Freilich darf dabei niemals unbeachtet bleiben, d a ß die geistige Verfassung eines Zeitalters niemals in dem Geist eines einzelnen Philosophen sich ausspricht, sondern daß man alle in der Zeit wurzelnden Richtungen des Denkens zusammennehmen muß, um kein einseitiges und unvollständiges Bild zu gewinnen." 289 D i e Entwicklungsgeschichte der sittlichen Weltanschauungen lehre einen inneren Zusammenhang, in dem übereinstimmende Richtungen und analoge Gegensätze sich wiederholten, wenn sie auch nie als die gleichen wiederkehrten. D a s Beharren gewisser allgemeiner Motive in Verbindung mit ihrer fortwährenden Umwandlung und Neuschöpfung bilde so den Grundzug. Aus dieser Tatsache ergebe sich die Möglichkeit, die Entwicklungsphasen aus ihrem historischen Zusammenhange zu lösen, um sie zu den andern Anschauungen verwandten Charakters in Beziehung zu setzen. D a m i t verwandle sich der historische in den systematischen Standpunkt. Eine Klassifikation und Kritik der Moralsysteme erscheine als ein zweckmäßiger Abschluß der historischen Betrachtung und als wünschenswerte Vorbereitung zur weiteren Untersuchung. 290 W u n d t hatte die notwendige Einheit von historischem, systematischem und kritischem Aspekt für die ethische Forschung klar erfaßt, beschränkte sich aber auf eine ideengeschichtliche Analyse. Für die Klassifikation ethischer Systeme sah er zwei mögliche Einleitungsgründe: erstens nach den Motiven, die für das sittliche Handeln vorausgesetzt werden, und zweitens nach den Zwecken sittlichen Handelns. Beide Einteilungen durchkreuzten sich oft, flössen auch manchmal 288 Ebenda, S. 285. 289 W. Wundt, Ethik, Bd. II, a. a. O., S. 2. 290 Ebenda, S. 261.

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zusammen, wenn die Ethiker Zweckmotive voraussetzten. Bei der Einteilung nach Motiven unterschied Wundt drei Grundformen: die Gefühlsmoral, die Verstandesmoral und die Vernunftsmoral. Er erläuterte: „ D i e Gefühlsmoral leitet das Sittliche aus Gefühlen und Affekten ab, die Verstandesmoral aus verständiger Reflexion, die Vernunftmoral entweder aus einer die verständige Überlegung überschreitenden, aber immerhin ebenfalls unter der Einwirkung der Erfahrung zur Äußerung kommenden vernünftigen Einsicht, oder aus einer aller-Erfahrung vorausgehenden Vernunftanschauung. Die Gefühlsmoral gründet sich hiernach stets auf die Annahme ursprünglicher Gefühlsanlagen, die eine weitere Herleitung nicht zulassen; die Verstandesmoral betrachtet das Reflexionsvermögen als eine durch die Einwirkungen der Erfahrung geweckte und entwickelte Fähigkeit; der Vernunftmoral endlich ist die Vernunft ein angeborenes Vermögen, dessen ethische Betätigung entweder auf einer durch Erfahrung erworbenen Einsicht in die allgemeinsten Zwecke des menschlichen Handelns oder auf ursprünglichen Vernunftideen beruht." 291 Die Gefühlsmoral sei „ethischer Intuitionismus", die Verstandesmoral „ethischer Empirismus", die Vernunftmoral stehe zwischen beiden. Nach der Verstandesmoral gehöre der Mensch mit seinem sittlichen Streben nur der Sinnenwelt an, für die Vernunftmoral sei er zugleich Bürger einer übersinnlichen Welt, vor allem seine sittlichen Zwecke, wie sie durch Einsicht in sein eigenes Wesen von ihm erkannt würden, reichten in die übersinnliche Welt hinüber. Damit sei für die Vernunftmoral das Ethische ein spezifisch menschliches Lebensgebiet, die Gefühlsmoral lege in der Regel die Anfänge, die Verstandesmoral die Keime des Sittlichen in die Tierseele. Bei der Einteilung nach Zwecken unterschied Wundt Zwecke, die außerhalb der menschlichen Natur ihre Quelle besäßen; die durch einen „äußeren Befehl" Gehorsam erforderten von solchen, die dem Menschen selbst angehörten, durch ursprüngliche Anlagen und natürliche Entwicklungsbedingungen entstanden seien. Die erste Art bezeichnete er als autoritative oder heteronome, die zweite als autonome Moralsysteme. D i e autoritativen Moralsysteme sonderten sich in politische und religiöse Heteronomie. Bei autonomen Systemen könne nach dem Zweckinhalt unterschieden werden. Entweder gehe sittliches Handeln auf die Verwirklichung unmittelbar zu realisierender Güter, dann seien es eudämonistische Systeme, oder sittliches Handeln sei integrierender Bestandteil einer sittlichen Entwicklung, dann handele es sich um evolutionistische Systeme. J e d e dieser Anschauungen spalte sich schließlich in eine individuelle und in eine universelle Richtung. Wundt erläuterte: „Der individuelle Eudämonismus oder reine Egoismus betrachtet das eigene Glück, der universelle Eudämonismus oder Utilitarismus das Wohl aller oder der Gesamtheit als Zweck des Handelns. Hiernach führt dieser universelle Eudämonismus auch den Namen der Wohlfahrtsmoral. Der individuelle Evolutionismus sieht in der eigenen Vervollkommnung, der universelle Evolutionismus in der geistigen Entwicklung der Menschheit, wie sie 291 Ebenda, S. 262. 13*

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in dem geschichtlichen Werden derselben sich darstellt, den letzten Zweck des Sittlichen." 292 Der erste Fehler der autoritativen Moralsysteme sei die Umkehrung der ethischen Kausalität; die Erzeugnisse der sittlichen Anschauungen würden zur Ursache derselben gemacht. Am offensichtlichsten sei das bei der politischen Heteronomie. Heteronome Moralsysteme würden den psychologischen Ursprung politischer und religiöser Gebote verkennen. Ein gewisser praktischer Wert könne ihnen nicht abgesprochen werden, betonten sie doch die unbedingt verpflichtende Autorität. Bei dieser Kritik, die im Sinne des Psychologismus geübt wurde, befand sich Wundt in einem grundlegenden Irrtum, wenn er annahm, politische und religiöse Gebote wären psychologischen Ursprungs. Wundt kritisierte auch die von ihm als eudämonistisch bezeichneten Moralsysteme. Beim reinen Egoismus schlügen Sittlichkeitsbegriffe in ihr Gegenteil um, der Nebenmensch werde nur als Werkzeug zur Befriedigung des eigenen Glücks und der eigenen Macht anerkannt. Der reine Egoismus werde zum Immoralismus, er negiere alle sittlichen Werte. Der soziale Utilitarismus gerate mit sich selbst in Widerspruch, weil schon seine prinzipiellen Voraussetzungen einander widersprächen. Wundt schrieb über den sozialen Utilitarismus: „ E r verlegt den Zweck des Sittlichen in das Ganze der menschlichen Gesellschaft, aber dieses Ganze zerlegt er zugleich in zusammenhanglose Atome. Einer atomistisch gedachten Gesellschaft entspricht notwendig eine egoistische Ethik. Dem Utilitarismus widerstrebt die letztere, doch ihre Voraussetzungen vermag er nicht zu beseitigen. Dadurch gerät er in eine unhaltbare Lage zwischen unvereinbaren Gegensätzen. Den Egoismus, auf den seine individualistische Gesellschaftstheorie hinausführt, will sein richtig geleiteter ethischer Instinkt nicht gelten lassen. So wird notwendig für ihn das sittliche Motiv zu einem unerklärlichen Impuls und der sittliche Zweck zu einem leeren Phantom, das doch gern für ein Ideal sich ausgeben möchte." 293 A m Standpunkt des individuellen Evolutionismus kritisierte Wundt, das Moment der individuellen Vervollkommnung sei mit fast jeder ethischen Anschauung verbunden. Selbstvervollkommnung sei aber kein ethisches Prinzip. Mit dem universellen Evolutionismus stimmte Wundt in wesentlichen Prinzipien überein, kritisierte jedoch einseitige Ausprägungen. Der universelle Evolutionismus erkläre das allgemeine geistige Sein, das sich im historischen Werden der Menschheit entfalte und als dessen Gestaltungen Kunst, Religion, Staat, Rechtsordnung und der Prozeß der Geschichte sich darstellten, zum wahren Träger des sittlichen Lebens. Wundt lehnte den extremen Universalismus ab, wie ihn Hegel ausgeführt habe. Dieser sei zu einem Historismus geworden, „für den das Gebiet der subjektiven Moralität nur insofern in Betracht kommt, als sich der einzelne entweder dem Allgemeinwillen unterordnet, wo er als der Träger und Vollbringer desselben erscheint, oder sich ihm entzieht, wo seine Tat zu einer nichtigen wird, die in dem 292 Ebenda, S. 265. 293 Ebenda, S. 284.

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allgemeinen Entwicklungsprozeß völlig verschwindet" 294 . Der universelle Evolutionismus sei allen anderen Moralsystemen voraus, weil er die menschlichen Gemeinschaften als reale sittliche Mächte anerkenne. Der einseitige Historismus, beispielsweise der Hegels, habe dieses richtige Prinzip überspannt und versäumt, den unabhängigen Wert der einzelnen sittlichen Persönlichkeit zu betonen. Alle Richtungen der Ethik, die eudämonistischen so gut wie die evolutionistischen, hätten einen Mangel, sie beruhten auf einer veralteten Psychologie. Vermögenspsychologie und Assoziationspsychologie bildeten ihre Grundlage. Wundt forderte, daß die Völkerpsychologie ein Fundament der Ethik bilden müsse. E r schrieb: „ D i e Tatsachen des sittlichen Lebens sind durchgehend nur unter Zuhilfenahme jener weiteren psychischen Bedingungen verständlich, welche die Entwicklung der menschlichen Gemeinschaft mit sich führt. So wird für uns heute, neben der psychologischen Analyse des individuellen Bewußtseins, die Völkerpsychologie zu einer Hauptgrundlage der Ethik." 2 9 5 Wundt leitete aus psychologischen Erwägungen, aus seiner voluntaristischen Konzeption von Individual- und Gesamtwille, die „Prinzipien der Sittlichkeit" ab. Der Zusammenhang zwischen Individualwillen und Gesamtwillen werde äußerlich bezeugt, „durch alle die Momente der Kultur und Sitte", „in denen das übereinstimmende Fühlen und Denken einer Gemeinschaft sich ausprägt. Sprache, mythologische und religiöse Anschauungen, Lebensgewohnheiten und Normen des Handelns weisen hier auf gemeinsame geistige Erlebnisse hin, die an Umfang alles, was der einzelne für sich zurückbehalten mag, überragen" 296 . Am deutlichsten äußere sich diese Tatsache in der gemeinsamen Sprache. Für Wundt hatten die Erscheinungen von Moral und Ethik ihren eigentlichen Ursprung im psychischen Geschehen, in dem zum Gemeinschaftswillen vereinten Individualwillen. Die „äußeren Naturbedingungen", unter die er auch die materiellen sozialen Beziehungen der Menschen subsumierte, betrachtete er nur unter dem Aspekt des hemmenden oder fördernden Einflusses. Wundt begründete seine Prinzipien der Sittlichkeit aus der Einheit von Individuum und Gemeinschaft. Die Gemeinschaft sei eine „die individuelle Persönlichkeit ergänzende und in sich aufnehmende Form des menschlichen Lebens" 2 9 7 . D a s Wesen dieser Gemeinschaft sei in der Natur des Menschen selbst begründet. Mit fortgeschrittenen Gemeinschaften gewinne die individuelle Persönlichkeit zunehmend an Selbständigkeit. In der primitiven Horde, der ursprünglichsten Form menschlicher Gemeinschaft, sei die individuelle Persönlichkeit noch fast ganz in der Masse der Zusammenlebenden verschwunden. D a s war eine sehr bedeutsame Erkenntnis Wundts, die sich besonders gegen alle Auffassungen richtete, wonach die Persönlichkeit um so selbständiger sei, je mehr sie sich von der Gemeinschaft zu lösen verstehe. Wundts richtige Erkenntnis mündete in einer apologetischen Darstellung des Staates. Die staatliche Organisation sei die höchste 294 295 296 297

Ebenda, S. 286. Ebenda, S. 289. W. Wundt, Ethik, Bd. III, a. a. O., S. 24. Ebenda.

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Form menschlicher Gemeinschaft, mit ihr trete dem selbstbewußten Willen der Individuen ein in der allgemeinen Rechtsordnung seinen Ausdruck findender selbstbewußter Gesamtwille gegenüber. 298 Auf den kapitalistischen Staat angewandt, um den es Wundt ja ging, steht diese Auffassung in krassem Widerspruch zu den historischen Tatsachen; das Recht verkörpert im kapitalistischen Staate immer den durch die ökonomischen und sozialen Verhältnisse determinierten Willen der herrschenden Bourgeoisie, niemals den selbstbewußten Gesamtwillen seiner Bürger. Wundt verstand den Menschen als soziales Wesen, das von seinem Einzelwillen und dem in Sitte und Recht zum Ausdruck kommenden Gesamtwillen gleichzeitig beherrscht werde. Nichts spreche dafür, daß der Gesamtwille erst aus den Einzelwillen hervorgegangen sei, die zunehmende Verselbständigung des Einzelwillens erfolge erst im Ergebnis der Entwicklung. Der Mensch individualisiere sich aus einem Zustand relativer sozialer Indifferenz, aber nicht, um sich bleibend von der Gemeinschaft zu lösen, sondern um sich ihr mit reicher entwickelten Kräften zurückzugeben. Wundt wandte sich gegen die universalistische Auffassung, wonach es eine objektive Sittlichkeit gebe, die dem individuellen Bewußtsein als eine äußere, fremde Macht gegenübertrete. Dabei übersah er allerdings, daß der zu Sitte und Recht gewordene Wille der herrschenden Klasse in Ausbeuterordnungen der Mehrheit des Volkes tatsächlich als fremde Macht gegenübertritt. Wundt lehnte auch jene individualistische Auffassung ab, nach der der Einzelwille der einzige reale und der ursprüngliche Wille sei. Aus dem Problem der Einordnung des Individualwillens in den Gesamtwillen ergaben sich für Wundt weitere Überlegungen zur individuellen Freiheit. Indem er die Freiheit des Individuums an das psychische Geschehen band, gelangte er zu einem subjektiv-idealistischen Resultat. Freiheit sei die Fähigkeit eines Wesens, durch besonnene Wahl zwischen verschiedenen Motiven in seinen Handlungen bestimmt zu werden. Unfreiheit entstehe durch äußeren Zwang, durch den die Wirksamkeit von Motiven verhindert werde, oder durch Mangel an Besonnenheit. Zur Freiheit gehöre zunächst Willkür, diese genüge jedoch nicht. Die freie Handlung sei durch psychische Kausalität bestimmt, Freiheit und Kausalität stünden nicht im Gegensatz zueinander. Frei sei das Handeln, wenn es der inneren Kausalität folge, die teils durch Anlagen, teils durch die Entwicklung des Charakters bestimmt sei. Wundt schrieb: „Nun liegt für uns das Kennzeichen der sittlichen Verantwortlichkeit überall in der Kausalität des Charakters. Der Mensch handelt im ethischen Sinne frei, wenn er nur der inneren Kausalität folgt, die teils durch seine Anlagen, teils durch die Entwicklung seines Charakters bestimmt ist. Ein Mensch, der den augenblicklichen Motiven gegenüber nicht durch die Kausalität seiner gesamten geistigen Vergangenheit determiniert wird, handelt nicht frei, sondern er ist ein Spielball der Triebe, die durch die jeweils im Bewußtsein anzu2 9 8 Ebenda, S. 25.

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treffenden Motive erregt werden." 299 Weil der Einzelwille in einem Gesamtwillen enthalten sei, erhöben sich über die individuellen die gemeinsamen Willensrichtungen, aus denen sich der Gesamtcharakter menschlicher Vereinigungen zusammensetze. Infolge des Einflusses gemeinschaftlicher geschichtlicher Erlebnisse, der Gemeinschaft der Sprache und des durch sie vermittelten geistigen Lebens gewinne der Volkscharakter zunehmend an Bedeutung. Wundt leitete seinen Begriff des Volkscharakters ausschließlich aus geistigen Erscheinungen ab, die wesentlichen sozialökonomischen Grundlagen der Charakterformung ließ er außer acht. Außerdem ignorierte er die Tatsache, daß unter kapitalistischen Bedingungen von einem „Volkscharakter" nur in sehr begrenztem Maße die Rede sein kann, weil auch die Charakterentwicklung bei Angehörigen antagonistischer Klassen gegensätzlich verläuft. Nicht der Volkscharakter, sondern der Klassencharakter ist in Ausbeutergesellschaften die bestimmende Form des Gemeinschaftscharakters. Als wesentliche Faktoren des Sittlichen untersuchte Wundt sittliche Zwecke und sittliche Motive. Der Charakter sittlichen Handelns ergebe sich nicht allein durch erstrebte Zwecke, sondern zugleich durch die Beschaffenheit der Motive. Zwecke und Motive seien zusammengehörige Faktoren des Sittlichen. Diese Tatsache finde ihre psychologische Begründung in der Natur des Gewissens. Wundt erklärte zum Gewissen: „Dieses, als ein gleichzeitig auf bestimmte Motivinhalte des Bewußtseins und auf die aus ihnen entspringenden zwecktätigen Willensakte gerichteter Affekt der Billigung oder Mißbilligung gibt in den Graden seiner Äußerung überall das unmittelbare subjektive Wertmaß des Sittlichen ab."'®0 Wundt untersuchte die Frage, welche Zwecke von unserer Beurteilung allgemein als sittliche anerkannt würden. Dabei wandte er sich den Idealen zu. Die Frage nach dem sittlichen Ideal gehöre zur ethischen Forschung. Wundt stellte sehr berechtigt allgemeine Forderungen an den Begriff des Ideals, die nach wie vor Gültigkeit besitzen. Er schrieb: „Nur soll freilich das Ideal kein willkürlich konstruiertes Phantasiegebilde und kein in starrer Abgeschlossenheit der Wirklichkeit gegenübertretendes Postulat sein, sondern es soll in der gradlinigen Fortsetzung des Weges liegen, den bis dahin die sittliche Entwicklung zurückgelegt hat. Auch soll man sich bei ihm stets dessen bewußt bleiben, daß selbst unsere Ideale relative sittliche Werte sind, die jedesmal nur für den erreichten Standpunkt und für die Ausblicke, die er gewährt, Gültigkeit besitzen."'' 01 Wundt unterschied individuelle, soziale und humane sittliche Zwecke. Urimittelbar an die sinnlichen Triebe lehne sich der Zweck der Selbsterhaltung an; Selbstbeglückung und Selbstvervollkommnung seien weitere individuelle Zwecke. Die praktischen sittlichen Urteile beherrsche der Grundsatz, das eigene Sein dürfe niemals bloß um seiner selbst willen als sittlicher Zweck erscheinen, es dürfe nur ein Mittel im Dienste solcher Zwecke sein, die außerhalb des eigenen Seins lägen. 299 Ebenda, S. 52. 3 0 0 Ebenda, S. 75. 3 0 1 Ebenda, S. 78.

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W e n n nicht d a s I n d i v i d u u m letzter Z w e c k des Sittlichen sei, dann bleibe nur die öffentliche W o h l f a h r t und der a l l g e m e i n e Fortschritt G e g e n s t a n d sittlichen W o l lens. W u n d t wertete die sittlichen Z w e c k e umso höher, je umfangreicher die sozialen G e m e i n s c h a f t e n seien, auf die sie sich b e z ö g e n : auf F a m i l i e , G e m e i n d e , S t a a t u n d V o l k und schließlich auf die Menschheit. E i n e r verschwindenden Z a h l bevorzugter Sterblicher sei es vergönnt, nach allgemeinen humanen Z w e c k e n zu streben. A n der M i s s i o n , die ein V o l k in der Geschichte zu erfüllen habe, wirkten d a g e g e n unzählige T e i l k r ä f t e . W u n d t schrieb: „ M ö g e n die direkten Z w e c k e , die der einzelne v e r f o l g t , noch so beschränkt sein, sie überschreiten immer ihr nächstes Ziel und verlieren sich schließlich in d e m unermeßlichen S t r o m menschlicher G e i s t e s e n t w i c k l u n g . " 3 0 2 V o n humanen Z w e c k e n könnten wir nur reden, weil d e m allgemeinen menschlichen G e i s t die I d e e der H u m a n i t ä t im Sinne eines geistigen G e s a m t l e b e n s a u f g e g a n g e n sei, d a s sich in den geschichtlichen T a t e n und E r e i g nissen betätige. G e i s t i g e E r z e u g n i s s e menschlicher G e m e i n s c h a f t seien d i e uns erreichbaren O b j e k t e des Sittlichen. D i e s e O b j e k t e hätten ihren U r s p r u n g im Willen, daher sei d a s W e s e n des Sittlichen unaufhörliches, nie rastendes Streben. D e r letzte Z w e c k des sittlichen Strebens w e r d e somit zu einem idealen, in der Wirklichkeit nie erreichbaren. W u n d t s A n a l y s e sittlicher Z w e c k e b e w e g t e sich im Bereich des Geistigen, sie d r a n g nicht v o r zu den materiellen G r u n d l a g e n und D e t e r m i n a n t e n sittlichen Verhaltens. W u n d t erfaßte nicht, d a ß sich sittliche Z w e c k e letzten E n d e s aus den materiellen L e b e n s b e d i n g u n g e n sozialer K l a s s e n und Schichten ergeben, v o r allem aus den Produktionsverhältnissen mit ihrer spezifischen E i g e n t u m s - und M a c h t struktur. W u n d t führte auch die M o t i v e sittlichen H a n d e l n s auf psychische F a k toren zurück. E r schrieb: „ V e r m ö g e der N a t u r des Willens sind es die G e f ü h l s elemente des Bewußtseins, denen bei der K a u s a l i t ä t der H a n d l u n g e n die entscheid e n d e B e d e u t u n g zukommt. J e d e r W i l l e n s v o r g a n g ist ein G e f ü h l s v e r l a u f , der in V e r b i n d u n g mit den in ihn eingehenden Vorstellungen die M o t i v e des Willens h e r v o r b r i n g t . " 3 0 3 W u n d t unterschied Wahrnehmungs-, V e r s t a n d e s - u n d Vernunftmotive. W a h r n e h m u n g s m o t i v e entstünden aus der unmittelbaren W a h r n e h m u n g und aus d e n durch Assoziation und K o m p l i k a t i o n mit ihr verbundenen V o r s t e l lungen. V e r s t a n d e s m o t i v e würden w i r k s a m , wenn zwischen die einwirkenden Vorstellungen und den E n t s c h l u ß zur H a n d l u n g die Ü b e r l e g u n g trete. A l s V e r nunftmotive bezeichnete W u n d t schließlich a l l e B e w e g g r ü n d e , die aus der V o r stellung der idealen B e s t i m m u n g des Menschen entsprängen. W u n d t war bemüht, einen allgemeinen Begriff des Sittlichen zu finden. E i n solcher könne sich nur aus der sorgfältigen A n a l y s e der T a t s a c h e n des Sittlichen ergeben. Z w e c k e und M o t i v e ließen sich d e m Prinzip unterordnen: „Sittlich sind G e sinnungen u n d H a n d l u n g e n , in denen der E i n z e l w i l l e mit d e m G e s a m t w i l l e n , in welchem er enthalten ist, übereinstimmt; u n d f a l l s mehrere übergeordnete Willen 302 Ebenda, S. 86. 303 Ebenda, S. 93

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gleichzeitig in ihm wirksam werden, entscheidet die Übereinstimmung mit dem umfassenderen Gesamtwillen über den Wert der Gesinnung und Handlung." 3 0 4 In diesem „Prinzip" fehlt jede inhaltliche Bestimmung des Sittlichen. Nach dieser Auffassung wäre der Wille des Bourgeois, die Profitrate zu erhöhen und den Mehrwert zu vergrößern, eingebettet in den Gesamtwillen seiner Klasse sittlich gerechtfertigt, solange nicht ein umfassenderer „Gesamtwillen" entgegengestellt wird. Daß die Entwicklung eines solchen „Gesamtwillens" durch zahlreiche Mittel der herrschenden Klasse über längere Zeiträume verhindert werden kann, ist geschichtlich bewiesen. Was sittlich ist, läßt sich nicht an einem „Gesamtwillen" ermessen, sondern nur an objektiven Kriterien feststellen; entscheidend ist, ob durch sittliche Zwecke und Motive sowie sittliche Verhaltensweisen für die Masse des Volkes menschenwürdige Lebensverhältnisse gesichert werden. Wundt leitete auch die sittlichen Normen aus allgemeinen geistigen Bestimmungen ab, untersuchte weder deren Entstehungsbedingungen in den materiellen Lebensverhältnissen noch ihre konkrete Wirksamkeit in diesen. Die Ethik habe die Normen zu finden, auf welche die Erscheinungen des menschlichen Willens zurückführten. Die Allgemeingültigkeit dieser Normen sei durch die Gesetze der Entwicklung des Willens bedingt und begrenzt. Weil uns die Normen niemals in der Form klar formulierter Gesetze gegeben seien, bestehe deshalb die Aufgabe der Ethik darin, sie zu formulieren. Sobald sich ein Widerstreit zwischen Normen verschiedenen Wertumfangs ergebe, gebühre der umfassenderen Norm der Vorzug, dem individuellen gehe der soziale, und diesem der humane Zweck vor. D i e subjektive Pflicht eines jeden gegen sich selbst sei die Selbstachtung; daraus ergebe sich die N o r m : Denke und handle so, daß dir niemals die Achtung vor dir selber verloren gehe. Die objektive Pflicht des einzelnen sei die Pflichttreue; daraus ergebe sich die N o r m : Erfülle die Pflichten, die du dir und anderen gegenüber auf dich genommen hast. Die subjektive Gesinnung, welche die Grundlage aller objektiven sozialen Betätigungen von sittlichem Wert bilde, sei die Achtung des Nebenmenschen. Daraus ergebe sich: Achte deinen Nächsten wie dich selbst. Der Achtung des Nächsten als einer subjektiven Gesinnung stehe als objektive Norm der Gemeinsinn gegenüber, der sich in der Übernahme und treuen Erfüllung der Pflichten äußere, die Familie, Staat und sonstige Gesellschaftsbeziehungen auferlegten. Daraus ergebe sich: Diene der Gemeinschaft, der du angehörst. Die höchsten Leistungen der Pflichttreue und des Gemeinsinns reichten über den unmittelbaren Pflichtenkreis hinaus, würden zu humanen Tugenden. D i e subjektive Tugend sei die Demut, deren Norm laute: Fühle dich als Werkzeug im Dienste des sittlichen Ideals. Die objektive Tugend sei die Selbsthingabe, deren Norm laute: D u sollst dich selbst dahingehen für den Zweck, den du als deine ideale Aufgabe erkannt hast. Diese von Wundt formulierten Normen sittlichen Verhaltens entbehren jeder konkreten inhaltlichen Bestimmung. Sie sind unhistorisch, isolieren sittliches Ver304 Ebenda, S. 126.

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halten von den ökonomischen, sozialen, ideologischen und anderen sozialen Bedingungen. W a s sittlich ist, läßt sich nicht nach allgemeinen Prinzipien bestimmen, sondern muß am konkret-historischen Fortschritt gemessen werden. In diesem Sinne schrieb Lenin: „Sittlich ist, was der Zerstörung der alten Ausbeutergesellschaft und dem Zusammenschluß aller Werktätigen um das Proletariat dient, das eine neue, die kommunistische Gesellschaft aufbaut." 305 Sittliche Normen a h Wertungsmaßstäbe und Verhaltensregulatoren ergeben sich nicht aus der „Natur des Menschen", was nicht ausschließt, daß aus dem „Natürlichen" Forderungen entstehen, und sie lassen sich nicht aus allgemeinen Prinzipien erschließen. Sittliche Normen entstehen aus den konkreten Lebensverhältnissen der Menschen, vor allem aus den Produktionsverhältnissen und den Klassenbeziehungen, sie unterliegen den objektiven Entwicklungsgesetzen der Gesellschaft. In den sittlichen Normen sind in erster Linie klassenbedingte Entscheidungen über zu verwirklichende Möglichkeiten im gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß fixiert. Es gibt keine einheitlichen sittlichen Imperative und Gesetze für die ganze Menschheit und für alle Zeiten. Lenin betonte, daß jede Sittlichkeit, die aus einem klassenlosen Begriff abgeleitet wird, abzulehnen sei. 306 Solange soziale Klassen existieren, sind sittliche Normen durch deren Charakter geprägt, widerspiegeln sie Interessen, Bedürfnisse, Ziele, Anschauungen, Überzeugungen, Wertungen und dergleichen von bestimmten Klassen. Wundt untersuchte die Tatsachen des Sittlichen in verschiedenen Lebensgebieten. Einen breiten Raum nahmen in seinen Überlegungen die Besitzverhältnisse ein. Der Besitz an materiellen Gütern habe in zwei Zwecken sein sittliches Fundament: in der Sicherung des Daseins und in der Gewährung der Mittel zu eigener Willenstätigkeit. Im sittlichen Interesse sei es wünschenswert, die Grenzen des Zuwenig und des Zuviel an Besitz zu vermeiden. Wundt räumte ein, daß der einzelne nur in beschränktem Maße imstande sei, sich die Lebenslage, in die er durch erarbeiteten oder erworbenen Besitz gelange, selbst zu wählen, das sei von Geburt, Lebensschicksalen sowie von sozialen und politischen Verhältnissen abhängig. An die „Gesellschaft als Ganzes" trete die sittliche Forderung heran, „daß sie Schutzmaßregeln schaffe, die jene beiden sittlich ungünstigen Grenzfälle der Besitzverteilung verhüten" 307 . Nach Wundts Rezept sollte demnach die Monopolbourgeoisie, die die Produktionsmittel und die Macht besaß, gemeinsam mit dem Proletariat, das ausgebeutet und unterdrückt war und nichts als seine Ketten zu verlieren hatte, gemeinsam die Eigentumsverhältnisse sittlich günstig gestalten. Welch eine Verkennung der historischen Tatsachen! Der sittliche Erfolg des Besitzes sei ein doppelter: Der Erwerb wirke versittlichend, indem er zur Arbeit und zu stetiger Pflichterfüllung ansporne, und erworbener Besitz ermögliche Freiheit und Leistung. Eine Folge der Besitzverteilung 3 0 5 W . I. Lenin, Die Aufgaben der Jugendverbände, in: Werke, Bd. 3 1 , Berlin 1 9 5 9 , S. 2 8 3 . 3 0 6 Vgl. ebenda, S. 2 8 1 . 3 0 7 W . Wundt, Ethik, Bd. III, a. a. O., S. 1 9 1 .

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sei es, daß sich Hand in Hand mit der materiellen und geistigen Arbeitsteilung auch die beiden ethischen Wirkungen des Besitzes ergänzten. Erläuternd schrieb Wundt: „Der Reiche, der den ererbten oder durch die Leistungen fremder Kräfte gemehrten Besitz durch gute Werke adelt, entbehrt jener ethischen Wirkung der Arbeit, deren Erfolge den bescheidenen Handwerker beglücken." 308 Welch ausgleichende Gerechtigkeit: Weniger Besitz bringt mehr ethische Beglückung. Soziale Kämpfe zur Veränderung der Besitzverhältnisse lehnte Wundt ab. Solche K ä m p f e seien bedenklich, weil „den Fordernden eine dem Einfluß, den sie verlangen, entsprechende öffentliche Leistungsfähigkeit nicht zur Seite" stehe. 109 Wundt forderte als ethisches Postulat, daß jeder Mensch einen Beruf habe, und damit in der regelmäßigen Erfüllung bestimmter sittlicher Zwecke seine Lebensaufgabe erblicke. Die Berufslosigkeit sei eine Quelle des Unsittlichen. Sittlich sei jeder nützliche Beruf, denn er sei Teilkraft im Triebwerk sittlicher Kräfte, welche die sittliche Ordnung bilden. In völliger Verkennung der objektiven historischen Gesetzmäßigkeit beklagte Wundt, daß das alte Handwerk als einstiges Bollwerk der Berufsehre durch die Organisation aller Arbeit nach dem Muster der Fabrikarbeit ersetzt worden sei. Die Fabrikarbeit galt Wundt als das eigentliche Übel, nicht die kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung, die dieser ihren Stempel aufprägte. Der Charakter der Fabrikarbeit ergibt sich aus den Produktionsverhältnissen; die Berufsehre der Fabrikarbeiter ist unter sozialistischen Bedingungen sehr hoch entwickelt. Als eine weitere Grundlage des Sittlichen betrachtete Wundt die geistige Bildung. Hierbei wird seine apologetische Klassenposition besonders augenfällig; im Prinzip versuchte er die Bildungsungleichheit unter den bestehenden kapitalistischen Bedingungen zu rechtfertigen. Er schrieb: „ D i e Verschiedenheiten der Anlage, die Unterschiede der Besitz- und Berufsverhältnisse machen hier ihre Rechte geltend. Darum ist es überhaupt nicht der Umfang der geistigen Interessen, sondern die Energie, mit der sie zur eigenen Gemütsbildung verwendet werden, die ihren sittlichen Wert ausmacht. Die geistigen verhalten sich in dieser Beziehung nicht anders als die materiellen Güter. Wie der bescheidene Arbeiter im Genüsse seines mäßigen Erwerbs oft zufriedener ist als der Millionen besitzende Kaufmann, dessen Sorgen und Pflichten mit der Größe der Summen, über die er verfügt, zunehmen, so kann die Hingabe an die einfachsten religiösen Ideen dem leiblich und geistig Armen mehr innere Erhebung gewähren, als dem auf der Höhe des Lebens stehenden Reichen die Beschäftigung mit den Schätzen der Kunst und Literatur." 3 1 0 Für den Armen genüge es, wenn seine religiösen Bedürfnisse befriedigt würden. Die Religion, erklärte Wundt, sei die Form des geistigen Lebens, „in der sich auch derjenige, dem die höheren Interessen der geistigen Kultur versagt bleiben, eins weiß mit seinen Mitmenschen". Und er fügte hinzu: 308 Ebenda, S. 192. 309 Ebenda, S. 199. 310 Ebenda, S. 206.

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„ D i e R e l i g i o n beseitigt d a r u m , w o sie nicht selbst v e r w e l t l i c h t u n d f r e m d a r t i g e n Z w e c k e n d i e n s t b a r g e w o r d e n ist, geflissentlich d i e G r e n z e n z w i s c h e n a r m u n d reich, v o r n e h m u n d gering, w i s s e n d u n d u n w i s s e n d . " 3 1 1 A u c h in d e r K u n s t als h ö h e r e r F o r m d e r geistigen B i l d u n g sei f ü r d i e Ä r m e r e n d a s religiöse u n d d a s d e r n a t i o n a l e n G e s c h i c h t e e n t l e h n t e K u n s t w e r k a m g e e i g n e t s t e n , e r r e g e es d o c h religiöse o d e r p a t r i o t i s c h e G e f ü h l e . Bei seiner U n t e r s u c h u n g d e s „sittlichen L e b e n s b e r e i c h e s " d e r G e s e l l s c h a f t gel a n g t e W u n d t schließlich z u r R e c h t f e r t i g u n g d e r a l l e r d i n g s r e f o r m b e d ü r f t i g e n k a p i talistischen G e s e l l s c h a f t s o r d n u n g u n d z u r A b l e h n u n g des „ k o m m u n i s t i s c h e n Sozial i s m u s " . W u n d t s A r g u m e n t e gegen d e n u n s i t t l i c h e n K o m m u n i s m u s w a r e n w e d e r originell noch n e u : d e r K o m m u n i s m u s r e d u z i e r e d a s P r i v a t e i g e n t u m auf d i e d e n u n m i t t e l b a r e n L e b e n s b e d ü r f n i s s e n d i e n e n d e n N a h r u n g s - u n d G e n u ß m i t t e l , er b r i n g e eine v ö l l i g e U n i f o r m i e r u n g , d u l d e K u n s t u n d W i s s e n s c h a f t n u r noch als F r e i z e i t b e s c h ä f t i g u n g u n d er g e r a t e in u n l ö s b a r e n K o n f l i k t m i t z w e i u n u m s t ö ß lichen T a t s a c h e n d e r Psychologie, m i t d e r V e r s c h i e d e n h e i t d e r B e g a b u n g u n d d e r Charaktere und mit dem Gesetz der Abhängigkeit der Leistung von der Übung. D i e k o m m u n i s t i s c h e G e s e l l s c h a f t s o r d n u n g w e n d e alle d e n k b a r e n M i t t e l a n , u m d i e geistigen L e i s t u n g e n so g e r i n g w e r t i g w i e m ö g l i c h z u m a c h e n . W u n d t s A u s f ä l l e r i c h t e t e n sich k e i n e s w e g s gegen v u l g ä r m a t e r i a l i s t i s c h e A u f f a s s u n g e n v o m K o m m u n i s m u s , sie h a t t e n d e n d i a l e k t i s c h e n u n d historischen M a t e r i a l i s m u s v o n M a r x u n d Engels zum Ziel. W u n d t schrieb: „ M a n halte nur Rousseaus A b h a n d l u n g über d i e U n g l e i c h h e i t d e r M e n s c h e n u n d seinen C o n t r a t social n e b e n M a r x u n d E n g e l s . W e l c h e r A b s t a n d ! D o r t ein w i r k l i c h e s I d e a l , d a s im einzelnen v e r z e i c h n e t sein m a g , d a s a b e r in d e r auf d i e l e b e n d i g e V o l k s g e m e i n s c h a f t g e g r ü n d e t e n I d e e n d e r p e r s ö n l i c h e n F r e i h e i t u n d R e c h t s g l e i c h h e i t i m m e r h i n einen u n v e r g ä n g l i c h e n W a h r h e i t s k e r n in sich birgt. H i e r als ethisches G r u n d m o t i v d e r E g o i s m u s , d e r K a m p f aller m i t a l l e n , o h n e R ü c k s i c h t auf d i e a n d i e n a t i o n a l e G e m e i n s c h a f t g e b u n d e n e n G ü t e r d e s L e b e n s , d a r u m i n t e r n a t i o n a l , nicht u m ein h u m a n e s M e n s c h h e i t s i d e a l zu e r r i c h t e n , s o n d e r n u m d a s K l a s s e n i n t e r e s s e u n d d i e M a s s e n i n s t i n k t e d e n sittlichen T r i e b e n des M e n s c h e n u n t e r z u s c h i e b e n , " 3 1 2 W u n d t ging es u m d i e E r h a l t u n g d e r k a p i t a l i s t i s c h e n G e s e l l s c h a f t , d a s zeigen d i e f o l g e n d e n W o r t e sehr d e u t l i c h : „ M u ß d e n n n u n a b e r z u e r s t d i e b e s t e h e n d e G e s e l l s c h a f t s o r d n u n g z e r s t ö r t w e r d e n , u m ein m e n s c h e n w ü r d i g e s D a s e i n f ü r a l l e u n d einen Z u s t a n d ziu erreichen, in d e m e i n e m j e d e n f r e i e r S p i e l r a u m z u r B e t ä t i g u n g seiner K r ä f t e in d e r seinen F ä h i g k e i t e n e n t s p r e c h e n d e n F o r m g e g e b e n ist? A n g e s i c h t s d e r g e w a l t i g e n A n t r i e b e , d i e in d e r h e u t i g e n G e s e l l s c h a f t , u n d d i e v o r a l l e m im h e u t i g e n S t a a t auf eine f o r t s c h r e i t e n d e S o z i a l i s i e r u n g d e r A r b e i t h i n w i r k e n , ist d i e s e F r a g e sicherlich m i t nein zu b e a n t w o r t e n . D e r soziale S t a a t w i r d k o m m e n , w e n n nicht a l l e V o r z e i c h e n t r ü g e n . A b e r er w i r d nicht k o m m e n u n t e r d e m Z e i c h e n d e r b r u t a l e n G e w a l t rücksichtsloser egoistischer T r i e b e , s o n d e r n u n t e r d e r 311 Ebenda. 312 Ebenda, S. 287.

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unentbehrlichen Mithilfe geistiger Ideale und unter der Wirkung eines an das staatliche Leben gebundenen Gemeinsinns, aus dem heraus überall erst eine erfolgreiche Pflege der humanen Lebenszwecke möglich ist." 3 1 3 Es ist kein Zufall, daß Wundts ethische Untersuchungen in eine Rechtfertigung der kapitalistischen Verhältnisse und in scharfe Angriffe gegen den Kommunismus einmündeten, ihre idealistische, psychologistisch-voluntaristische theoretische Grundlage, gepaart mit einem reaktionären bürgerlichen Klassenstandpunkt, mußte notwendig dazu führen. Trotz ihrer „allgemeinmenschlichen" Terminoloigie verblieb die Wundtsche Ethik im Rahmen bürgerlicher Klasseninteressen.

5.13.

Wundts Kritik am Empiriokritizismus

Wundt übte in seinen philosophischen Schriften wiederholt scharfe Kritik am Empiriokritizismus; in einer speziellen Studie „Über naiven und kritischen Realismus" setzte er sich sogar systematisch mit empiriokritischen Grundauffassungen auseinander. 314 Seine Polemik deckte zahlreiche Ungereimtheiten, logische Widersprüche und metaphysische Spekulationen des Empiriokritizismus auf, so daß Lenin in seinem „Materialismus und Empiriokritizismus" Standpunkte des Hochschulprofessors für idealistische Philosophie in einigen Fragen gegen die Empiriokritizisten verwenden konnte. D i e Leninsche und die Wundtsche Kritik waren jedoch ihrem Wesen nach völlig verschieden. Lenin unterwarf vom Standpunkt des dialektischen und historischen Materialismus die metaphysisch-idealistischen Spekulationen und die widersinnige Vermengung von Materialismus und Idealismus des Empiriokritizismus einer vernichtenden Kritik; Wundt wandte sich als Idealist vor allem gegen materialistische Tendenzen des Empiriokritizismus, bezog allerdings einige extreme subjektiv-idealistische Positionen in seine Kritik mit ein. Auch er polemisierte wie Lenin gegen die unsinnige Vermengung von Materialismus und Idealismus im Empiriokritizismus, von entgegengesetzter Klassenposition und von entgegengesetztem philosophischem Standpunkt lobte er dabei antimaterialistische Tendenzen desselben. Wundt charakterisierte den Empiriokritizismus als ein metaphysisches System, in dem trotz des schon im Namen festgelegten Anspruches die Kritik eine sehr bescheidene Rolle spiele. E r gleiche den bürgerlichen Modephilosophien, die sich der Schlagworte Kritik und Realismus bedienten. Avenarius und seine Schüler verstünden unter empiriokritischem Standpunkt eine von der natürlichen Erfahrung ausgehende, nicht durch mythologische oder philosophische Umdeutungen verfälschte Kritik aller vorwissenschaftlichen und wissenschaftlichen Weltanschauungen. Durch diese Kritik solle eine „reine Erfahrung" in kritisch geläuterter Form 3 1 3 Ebenda, S. 2 8 7 . 3 1 4 Siehe dazu: H. Ley, Zu Wilhelm Wundts Selbstverständnis seiner philosophischen Position, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, Gesellschaftsund Sprachwissenschaftliche Reihe, 2 / 1 9 7 5 , S. 207 ff.

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gewonnen werden. Sarkastisch bemerkte W u n d t : „Die Philosophie kennt bis dahin einen .Empirismus' schlechthin, ebenso einen .Kritizismus' und endlich als Verbindung beider einen .kritischen Empirismus'. D i e Umkehrung des letzteren, ein .empirischer Kritizismus' fehlte noch; und da es in der Philosophie immer ein Verdienst ist, wenn vakante Stellen, die zwischen den bereits existierenden Systemen offen geblieben sind, besetzt werden, so scheint jedenfalls dieses Verdienst, eine vorhandene Lücke auszufüllen, der neuen Philosophie zuzukommen." 3 1 5 Im Unterschied zu seinen Vorgängern trete der Empiriokritizismus nicht mit Kritik der Erfahrung gegenüber, wie es W u n d t vom Standpunkt seiner Erfahrungskonzeption für unumgänglich hielt, er lege vielmehr die „empiriokritische Erfahrung" der Kritik aller philosophischen oder sonstigen wissenschaftlichen und vorwissenschaftlichen Begriffe zugrunde. Erfahrung und Kritik seien damit in einen eigenartigen Gegensatz gebracht. „ N u r dann", argumentierte W u n d t , „werden ja in die zur Grundlage aller Kritik gemachte Erfahrung nicht unversehens unberechtigte Produkte der Reflexion Eingang finden und auf die nachherige Kritik einen schädlichen Einfluß gewinnen, wenn seine grundlegende Erfahrung selbst sich jeder Reflexion, darum aber eigentlich auch aller Kritik entäußert." 3 1 6 Der „empirische Kritiker" erhebe doch Anspruch darauf, sich der Erfahrung gegenüber rein empfangend, das unmittelbar Erfahrene völlig unverändert beschreibend zu verhalten. Eben deshalb nenne er die aller Kritik vorausgehende Erfahrung die „reine" oder die „natürliche" Erfahrung. W u n d t begriff sehr gut, daß es dem Empiriokritizismus gar nicht um eine voraussetzungslose Kritik der „reinen Erfahrung" ging. D i e Kritik der reinen Erfahrung solle sich daher treffender als „Kritik der Begriffe vom Standpunkt der reinen (natürlichen) Erfahrung" nennen, bemerkte er scharfsinnig. 317 Avenarius Werk verfolge zwei Ziele: „Zuerst will es eine Theorie dessen geben, was als ,reine Erfahrung' definiert wird, der grundlegenden Bedingungen, auf denen die ursprüngliche und unverfälschte Erfahrung beruht; und dann will es zeigen, wie von dieser Grundlage aus die mannigfachen Begriffsbildungen zu deuten sind, die das theoretische und praktische Interesse des Menschen auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung hervorgebracht hat." 318 Nach Avenarius sei das ganze Unternehmen des Empiriokritizismus aus einer Aufgabe und zwei offenkundig vorausgesetzten Axiomen entsprungen. D i e Aufgabe bestehe darin, alles theoretische Verhalten - an sich und in seiner Beziehung zum praktischen Verhalten als Folge einer einzigen Voraussetzung aufzufassen. D a s erste Axiom, das der Erkenntnis, statuiere, daß jedes menschliche Individuum sich gegenüber eine Umgebung mit mannigfachen Bestandteilen wahrnehme: andere menschliche Individuen mit mannigfachen Aussagen und das Ausgesagte in irgendeiner Abhängig315 W. Wundt, Über naiven und kritischen Realismus, in: Philosophische Studien, 13. Bd., Leipzig 1898. S. 4. 316 Ebenda, S. 5. 317 Ebenda, S. 6. 318 Ebenda.

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keit von der Umgebung. Nach dem zweiten Axiom, dem der Erkenntnisformen, seien alle wissenschaftlichen Erkenntnisformen und Erkenntnismittel Ausbildungen vorwissenschaftlicher. Das erste empiriokritische Axiom war nach Meinung Wundts maßgebend für die Grundlegung des Systems, für die empiriokritische Theorie, das zweite für die Anwendung der Theorie oder die vom Standpunkt derselben unternommene Kritik der Begriffe. Der Inhalt des ersten Axioms - so behaupteten die Empiriokritizisten - sei die einzige empiriokritische Voraussetzung, aus der alles theoretische und praktische Verhalten abgeleitet werde. Diese Voraussetzung bezeichnete der Empiriokritizismus als „empiriokritischen Befund" oder als „empiriokritische Prinzipialkoordination". Mit dieser Voraussetzung verbinde der Empiriokritizismus die Hypothese, „daß den Bewegungen der als Umgebungsbestandteile des Individuums vorgefundenen Mitmenschen dieselbe Bedeutung zukomme wie den eigenen Bewegungen, daß also insbesondere auch die Aussagen der Mitmenschen auf einen Inhalt hinweisen, der dem von dem Individuum selbst auf solche Aussagen bezogenen Inhalte analog sei"319. Indem der Empiriokritizismus der Wahrnehmung der eigenen subjektiven Erlebnisse die Aussagen der Mitmenschen über das von ihnen Erlebte - ihre Gefühls-, Erkenntnis- und sonstigen Werturteile - substituiere, versuche er vergeblich, einen Standpunkt der objektiven Betrachtung einzunehmen. Als Grundlage für seine Auseinandersetzung mit dem Empiriokritizismus gab Wundt in der Arbeit „Über naiven und kritischen Realismus" eine thesenhafte Darstellung der empiriokritischen Auffassungen. Zum besseren Verständnis seiner Kritik soll diese Darstellung skizzenhaft nachvollzogen werden. Daraus wird bereits ersichtlich, daß Wundt seine Kritik auf Bestandteile des Empiriokritizismus konzentrierte, die materialistische Tendenzen enthielten oder von denen er es zumindest glaubte; vor allem auf Aussagen über die Abhängigkeit der Erfahrungen und der Erkenntnis vom Zentralnervensystem und auf die sogenannte „unabhängige Vitalreihe", die dem Physischen gegenüber dem Psychischen nach Meinung Wundts wohl zu große Bedeutung einräumte. Aus den Voraussetzungen des Empiriokritizismus lasse sich die Vermutung ableiten, daß dieser dem „Ich" die „Umgebungsbestandteile" gegenüberstelle. Dem sei jedoch nicht so, er substituiere vielmehr dem als „Ich" bezeichneten Individuum einen beliebigen Mitmenschen, gestützt auf seine Hypothese, daß die Aussagen der Mitmenschen eine den eigenen Aussagen analoge Bedeutung hätten. Demnach zerfalle die Summe aller Erfahrung in Umgebungsbestandteile, in Aussagen über diese und in weitere Aussagen, die ein affektionales Verhalten (Lust, Unlust, Zustimmung, Wissen, Glauben und dergleichen) jenen gegenüber ausdrückten. Die in den Aussagen eines Mitmenschen gegebenen, der Beschreibung zugänglichen Werte - E-Werte - sind von doppelter Art. Sie beziehen sich auf Umgebungsbestandteile, wie grün, blau, kalt usw. - solche E-Werte werden „Elemente" genannt - und auf ein affektionales Verhalten, wie angenehm, unangenehm, wahr, unwahr, bekannt, unbekannt usw., 319 Ebenda, S. 8.

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diese E - W e r t e werden als „Charaktere" bezeichnet. Umgebungsbestandteile der ersten Art (grün, kalt und dergleichen) sind R-Werte. Jeder beliebige E - W e r t ist von einem R - W e r t abhängig. Einer Reihe von R-Werten (R, R ' , R " . . . R'"') ist eine Reihe von E-Werten ( E , E ' , E " . . . EW) als abhängige Variable zugeordnet. D i e Zuordnung ist nicht eindeutig; zu verschiedenen Zeiten sind bei verschiedenen Individuen den nämlichen R-Werten verschiedene E - W e r t e zugeordnet. D i e Funktionsbeziehung zwischen E und R bezieht sich nicht nur auf Aussagenwerte der Art „Elemente", sondern auch auf die der Art „Charaktere", da ja durch diese nur „Elemente" charakterisiert werden, so daß sie von den letzteren in ähnlicher Weise abhängen, wie das Erinnerungsbild von der Wahrnehmung oder der Gedanke von der gedachten Sache. D i e Funktionsbeziehung zwischen E und R schließt die Voraussetzung ein, daß beide als Veränderliche gedacht werden. Jede Funktionsbeziehung ist ein System zweier Veränderlicher V i und V2. V j ist die bedingende, V2 die abhängige Veränderliche. D i e zwischen zwei gegebenen Zeitpunkten erfolgende Veränderung eines solchen Systems kann als eine quantitative (positive oder negative) betrachtet werden, durch welche die Veränderliche V in einen Endzustand V + A V übergeht. Für jede gegebene Veränderung ist eine Summe von Änderungsbedingungen anzunehmen. Die Größe der Veränderung ist gleich der Gesamtheit ihrer Bedingungen. Nicht alle Bedingungen sind gleichwertig. Der Eintritt der Veränderung erfolgt erst, wenn eine bestimmte Bedingung - die Komplementärbedingung - hinzutritt. Naheliegende Erfahrungen zeigen, daß E von R nur mittelbar abhängig ist. Physiologische Versuche an den zentralen Nervenorganen lehren, daß zwischen vielen physiologischen Tatsachen und den E-Werten kein Verhältnis unmittelbarer Abhängigkeit besteht. D e r Empiriokritizismus setzt ein nervöses Teilsystem voraus, das die von der Peripherie ausgehenden Änderungen in sich sammelt und die an die Peripherie abzugebenden Änderungen verteilt. Dieses Teilsystem wird als „System C " bezeichnet. D i e empiriokritische Aufgabe ist die Feststellung des Abhängigkeitsverhältnisses aller möglichen E-Werte (Elemente und Charaktere) von den Änderungen und Änderungsbedingungen des „Systems C". Anders ausgedrückt: Alle Erfahrungen oder aus Erfahrungen entstandenen Erkenntnisinhalte oder praktischen Verhaltensweisen sind unmittelbar abzuleiten aus den Zuständen und Zustandsänderungen des auf Grund physiologischer Beobachtungen anzunehmenden zentralsten Teiles des nervösen Zentralorgans. Jeder E - W e r t ist eine abhängige Veränderliche, die durch Übergang von C in einen Endzustand C + A C unmittelbar durch irgendwelche Umgebungsbestandteile R mittelbar bedingt ist. R und C bilden ein System wechselseitiger Beziehungen der Abhängigkeit, indem R die Bedeutung einer Komplementärbedingung für C und C die Bedeutung systematischer Vorbedingungen (S) für R besitzt. Unter diesen Bedingungen strebt das Individuum und folglich das System C danach, sich zu behaupten. Volle E r haltung oder „vitales Erhaltungsmaximum" des Systems C gegenüber den diese Erhaltung bedrohenden Einflüssen der Umgebung sind ein idealer Zustand, darum nur als Fiktion möglich. Eine „ideale Umgebung" enthält keine der vitalen E r -

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haltung ungünstigen Momente. Alle realen Umgebungen sind nach ihrer Entfernung von diesem Ideal zu beurteilen. Fundamentale Erhaltungsbedingungen des Systems C sind: 1. die Übung (Funktion von R - f (R) ), die von der Umgebung ausgeht, und 2. systematische, in C enthaltene Vorbedingungen (Stoffwechselvorgänge im zentralen Nervensystem) f (S). Jeder Übungsvorgang bedingt Stoffverbrauch; die beiden Änderungen f (R) und f (S) sind demnach als entgegengesetzte zu denken. Sowohl f (R) ist als Erhaltungs- und f (S) als Vernichtungsbedingung möglich als auch umgekehrt. Einerseits degenerieren zentrale Elemente, wo Übungseinflüsse fehlen, andererseits erschöpfen sich zentrale Elemente, wo der mit der Übung verbundenen Arbeit kein zureichender Stoffwechselersatz gegenübersteht. Größter Erhaltungswert ist gegeben, wenn sich beide Einflüsse kompensieren. Der größte vitale Erhaltungswert ist durch die Gleichung auszudrücken: f (R) = - f (S), oder, da f (R) und f (S) entgegengesetzte Größen: f (R) + f (S) = O. Da das System C aus einer großen Menge von Partialsystemen (zentrale Zellen) besteht, lassen sich die Gleichheitsbedingungen in einer Summationsgleichung ausdrücken :

2f (R) + 2 f (s) = o. Die rechte Seite der Gleichung bildet die „Vitaldifferenz". Die Vitaldifferenz O entspricht dem Erhaltungsmaximum; jede Abweichung davon bezeichnet eine Systemschwankung. Der unter ausschließender Berücksichtigung der in der allgemeinen Erhaltungsgleichung f (R) + f (S) = O enthaltenen Größen R und S, unter Abstraktion von den E-Werten, betrachtete Verlauf der Schwankungen des Systems C wird eine unabhängige Vitalreihe genannt. Durch Congregation mehrerer C entstehen C höherer Ordnung. E-Werte (Aussagen des Mitmenschen über Wahrgenommenes, Gedachtes oder Gefühltes) gehören als Abhängige den „unabhängigen Vitalreihen" an. Aufgabe der Theorie ist es, die Gesetze der abhängigen Vitalreihen auf die der „unabhängigen" zurückzuführen, das heißt den gesamten Inhalt des wissenschaftlichen wie des vorwissenschaftlichen Denkens, des theoretischen wie des praktischen Verhaltens aus den Zuständen und Zustandsänderungen des zentralen Nervensystems abzuleiten. Soweit die skizzenhafte Darstellung der Standpunkte des Empiriokritizismus durch Wundt. Das empiriokritische System postuliere nun zwei „empiriokritische Voraussetzungen"; eine analytische: ein Ausgesagtes hat in allen seinen Komponenten Bestandteile unserer Umgebung zur Voraussetzung, und eine synthetische: Erfahrung ist ein Ausgesagtes, welches in allen seinen Komponenten nur Bestandteile unserer Umgebung zur Voraussetzung hat. Es ergebe sich die Frage, ob nur Aussageinhalte über unsere Umgebung als Erfahrung zu bezeichnen seien, oder ob es Aussageninhalte gäbe, die sich nicht auf Umgebungsbestandteile beziehen. Der empiriokritische Begriff der Erfahrung gebe keine klare Antwort, er sei doppeldeutig. Im weiteren Sinne gelte jeder Aussageinhalt, jeder E-Wert, ob er sich auf Wahrgenommenes oder Gedachtes, auf Gewisses oder Ungewisses, auf Sein 14

Wilhelm Wundt

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oder Nicht-Sein beziehe, als Erfahrungsinhalt. Im engeren Sinne würden nur diejenigen E-Werte als „reine Erfahrung" definiert, die als ein „Sachhaftes", „Wahrgenommenes" bestimmt und als Glieder der unabhängigen Vitalreihe des Systems C auf eine Affektion der peripheren Nerven bezogen würden. Wundt kritisierte zu Recht, daß der Begriff der „reinen Erfahrung", der zu den Fundamentalbegriffen des Empiriokritizismus gehört, nicht eindeutig ist. Auf der Grundlage dieses nicht eindeutigen Begriffes der „reinen Erfahrung" habe es die „Kritik der reinen Erfahrung" unternommen, einen nach Form und Inhalt konstanten Weltbegriff zu schaffen. Wundt wies nach, daß weitere grundlegende Begriffe und Voraussetzungen des Empiriokritizismus wissenschaftlich nicht tragfähig sind. Er bezichtigte den Empiriokritizismus der Begriffsschaukelei auf dem Postulat unhaltbarer Voraussetzungen. Die „Kritik der reinen Erfahrung" beschränke sich auf eine logisch-systematische Entwicklung der in ihren Voraussetzungen postulierten Begriffe. Hier liege außerdem eine psychologische Anschauung zugrunde. Wundt polemisierte gegen die empiriokritische „Theorie der Introjektion", und lobte zugleich, worauf Lenin hingewiesen hat, deren antimaterialistische Tendenz. 320 Unter dem Begriff „Introjektion" verstehe der Empiriokritizismus die Tatsache, „daß jeder Mensch zunächst den ihn umgebenden Mitmenschen, dann aber auch andern .Umgebungsbestandteilen' nicht nur .Wahrnehmungen der von ihm vorgefundenen Sachen', sondern auch ,Denken, Gefühl und Wille' und demnach .Erfahrung und Erkenntnis überhaupt' beilegt oder in sie hineinlegt. Die Introjektion macht in Folge dessen aus dem .Vor mir' ein ,In mir', aus dem .Vorgefundenen' ein .Vorgestelltes', aus dem ,Bestandteil der (realen) Umgebung' einen .Bestandteil des (ideellen) Denkens'." 321 Wundt kritisierte also, daß der Empiriokritizismus aus den Bestandteilen der Umgebung Bestandteile des Denkens mache. Diese berechtigte Kritik an einem extremen subjektiv-idealistischen Standpunkt erfolgte jedoch nicht von einer entgegengesetzten materialistischen Position. Wundt warf den Empiriokritizisten zugleich vor, daß sie bei ihrer Untersuchung der Introjektion den „Weg objektiver Betrachtung" einschlage, daß sie statt vom „als Ich bezeichneten Individuum" zu einem Mitmenschen von zwei Menschen zueinander ausgehe. Wenn als Ausgangspunkt der Analyse der Introjektion zwei Menschen (M + T) genommen würden, M in T Wahrnehmung, Denken, Gefühl und Wille verlege, und wenn als Inhalt der Erfahrung Sachen und Wahrnehmungen von Sachen verstanden würden, werde die Einheit von Objekt, Wahrnehmung und Vorstellung zerrissen. Irgendein Umgebungsbestandteil R, welchen T wahrnehme, trete damit in das Objekt R und in die Wahrnehmung oder Vorstellung von R auseinander. Wundt ging es nicht in erster Linie um eine Zurückweisung subjektiv-idealistischer Positionen, er forderte vielmehr idealistische Konsequenz. Er kritisierte, daß die empiriokritische 3 2 0 Vgl. W . I. Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, in: Werke, Bd. 1 4 , a. a. O., S. 83. 3 2 1 W . Wundt, Über naiven und kritischen Realismus, in: Philosophische Studien, 13. Bd., a. a. O., S. 35.

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Analyse die ursprüngliche Einheit von Objekt und Subjekt schon vom Ansatz her zerreiße. Seine Polemik gegen eine Trennung von Objekt und Wahrnehmung bzw. Vorstellung richtete sich zugleich gegen die materialistische Widerspiegelungstheorie. W u n d t unterzog die „empiriokritischen Voraussetzungen" einer kritischen Beleuchtung. Energischen Widerspruch rief bei ihm die empiriokritische „Prinzipialkoordination" hervor. Sie besage: Zu jeder Erfahrung gehören ein „Ich" und eine Umgebung. Von diesem „Befund" gehe die Kritik der reinen Erfahrung aus. An die Stelle des „Zentralgliedes" der Prinzipialkoordination - des „Ich" oder des aussagenden Mitmenschen - setze der Empiriokritizismus das „System C". Das sei die „empiriokritische Substitution". D e r Versuch, das Zentralnervensystem (das System C) stellvertretend für das „Ich" einzusetzen, den jeder Materialist als vulgärmaterialistischen Unsinn zurückweisen muß, stieß auch auf d e n Widerspruch des Idealisten W u n d t , zieht er doch das Geistige auf die Stufe des Materiellen herunter. Avenarius habe die Absicht verkündet, alles theoretische und praktische Verhalten als eine Reihe von Folgen aus einer einzigen Voraussetzung zu entwickeln. Seine beiden Axiome bildeten jedoch bereits zwei voneinander unabhängige Voraussetzungen. Der empiriokritische „Befund" oder die „Prinzipialkoordination", wonach jedes Individuum eine Umgebung vorfinde, Individuum und Umgebung demnach nicht zu trennen seien, habe nichts mit der historisch-psychologischen Abstraktion zu tun, daß alle wissenschaftlichen Erkenntnisformen Entwicklungsprodukte vorwissenschaftlicher seien. W u n d t stellte fest, wie auch Lenin in seiner Kritik betonte, d a ß der Empiriokritizismus gar keine originellen Voraussetzungen habe, sondern die gleichen, von denen auch die Immanenzphilosophie ausgehe. Für den Empiriokritizismus seien Umgebung und „System C" die beiden Glieder der Prinzipialkoordination, für die Immanenzphilosophie Umgebung und Bewußtsein. D a s empiriokritische Prinzip der „Prinzipialkoordination" sei weder als psychologische Tatsache, noch als Postulat der empirischen Wissenschaften akzeptabel. W u n d t argumentierte: „Psychologisch ist es nicht richtig, daß das Individuum zu jedem Objekt sich selbst hinzudenke. Vielmehr ist der Satz, d a ß zu jedem Vorstellungsobjekt ein vorstellendes Subjekt erforderlich sei, erst das Produkt einer erkenntnistheoretischen Reflexion. Die Behauptung, daß wir das Objekt überhaupt nicht ohne das Subjekt denken können, ist daher . . . eines jener trügerischen Erzeugnisse der Reflexionspsychologie, welche dadurch entstehen, daß logische Überlegungen über das tatsächlich Gegebene mit diesem selber verwechselt werden. D i e vollkommen berechtigte Zurückweisung der in der Vulgärpsychologie und in zahlreichen Erkenntnistheorien üblichen Trennung des einheitlichen Vorstellungsobjektes in zwei von Anfang an voneinander verschiedene Dinge, in das Objekt und die Vorstellung, vermischen beide Denkweisen mit der ganz andern, psychologisch .und erkenntnistheoretisch unhaltbaren Annahme, daß bei dem Objekt immer zugleich an den Vorstellenden gedacht werden müsse. Eben darum aber, weil uns tatsächlich in der Wahrnehmung Objekte ohne hinzugedachte Subjekte gegeben sein können, ist

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nun auch dieses Hinzudenken kein von der Wissenschaft unvermeidlich zu erfüllendes Postulat." 322 In dieser Kritik wird Wundts zwiespältige Position wiederum gut sichtbar; einerseits weist sie die subjektiv-idealistische Auffassung zurück, nach der die Existenz subjektunabhängiger Objekte beseitigt wird, andererseits verlegt sie Objekt und Vorstellung als ursprünglich ungetrennt in den Erfahrungsinhalt, richtet sich also gegen die materialistische Widerspiegelungstheorie. W u n d t hielt dem Empiriokritizismus entgegen, daß ja die Naturwissenschaft von den wahrnehmenden Subjekten abstrahiere; wäre die „Prinzipialkoordination" ein jeder Erfahrung inhärenter Bestandteil, dann würden nicht nur zahlreiche Begriffsbildungen hinfällig, die sich in der Naturwissenschaft wenigstens als heuristische Hilfsmittel bewährt hätten, wie zum Beispiel die Atome, sondern eigentlich alle Probleme, die über die Existenz des menschlichen Individuums hinausführten. W u n d t resümierte: „Indem die Empiriokritiker in der Tat diese Folgerung ziehen, verwickeln sie sich daher, geradeso wie die Immanenzphilosophen, in einen unlösbaren Widerspruch mit dem Standpunkt der positiven Naturwissenschaft, einen Widerspruch, den sie vergeblich durch Ausflüchte und Hilfsannahmen aufzulösen bemüht sind."' 0 3 W u n d t konstatierte, d a ß der Empiriokritizismus, der angeblich von einer einzigen Voraussetzung ausgehen wolle, drei Klassen von Annahmen und eine methodologische Forderung voraussetze. Erstens setze er für alle objektiven Vorgänge die naturwissenschaftliche Weltanschauung voraus. Deren Prinzip, alle qualitativen Veränderungen auf quantitative zurückzuführen, und das für diese Veränderungen maßgebende Gesetz der Erhaltung der Energie nehme er als ein Gegebenes und Bekanntes. Begriffe der Psychologie und der Geisteswissenschaften betrachte er als ein Unbekanntes, das erst auf seine Bedingungen zurückgeführt werden müsse. W u n d t bezeichnete es als Widerspruch, wenn der Empiriokritizismus einerseits viele seiner Sätze als Denknotwendigkeiten deklariere, das Denken andererseits oft als etwas Fragwürdiges charakterisiere. Zu den Voraussetzungen des Empiriokritizismus gehörten zweitens bestimmte Hypothesen über allgemeine Funktionsformen des Zentralnervensystems, die sich auf einige der Physiologie entnommene Anschauungen und Erfahrungssätze stützten. Diese Hypothese enthalte die Annahme eines zentralen Systems, welches das Individuum in seiner Totalität zu vertreten geeignet sei, und die Annahme, daß Stoffwechsel und Arbeitsleistung bzw. Funktionsausübung derart in Wechselbeziehung stehende physiologische Vorgänge seien, daß sich dadurch immer wieder ein Gleichgewicht herzustellen strebe. Drittens postuliere der Empiriokritizismus eine psychologische Voraussetzung, die unter dem Begriff der „Introjektion" zusammengefaßten „Verdopplungen" des Individuums, seiner Mitmenschen und anfänglich der Ohjekte überhaupt. Zu den 322 Ebenda, S. 43/44. 323 Ebenda.

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Voraussetzungen des Empiriokritizismus komme die Forderung hinzu: Alle irgendwie denkbaren Erkenntnis- und Gefühlswerte müßten aus den Schwankungen des zentralen Nervensystems um die erwähnte Gleichgewichtslage abgeleitet werden. Das sei eine völlig a priori gemachte Annahme, deren Beweisgründe.unvollständig entwickelt seien. Die einzigen Argumente des Empiriokritizismus seien längst bekannte, deren sich schon die materialistische Literatur des 18. Jahrhunderts bedient habe. Wundt hob in seiner Kritik wiederholt hervor, daß der Empiriokritizismus alte Hüte als neue verkaufen wolle. Ihm ging es dabei jedoch nicht darum, veraltete mechanisch-materialistische Auffassungen durch neue materialistische Erkenntnisse zu korrigieren, sondern in erster Linie um die Tilgung materialistischer Tendenzen. Für Wundt war nicht der mechanistische und vulgäre Charakter des empiriokritischen „Materialismus", den er sogar als den einzig annehmbaren bezeichnete, der Stein des Anstoßes, sondern das Abweichen vom Idealismus. Zunächst wandte er sich allerdings gegen zwei vulgärmaterialistische Positionen des Empiriokritizismus, erstens gegen die Annahme, zu jeder Erfahrung gehörten Umgebungsbestandteile und das erfahrende Individuum. Dem letzteren könne nach den Erfahrungen der Physiologie für alle Funktionen der Wahrnehmung, des Gefühls usw. das zentrale Nervensystem substituiert werden, für alle gedachten Funktionen sei das Nervensystem die einzige konstante Bedingung, Umgebungsbestandteile seien variable Bedingungen; zweitens gegen das Argument der Empiriokritizisten, entsprechend der Regel, daß Unbekanntes auf Bekanntes zurückgeführt werden müsse, sei das Denken, Wissen, Bewußtsein als Unbekanntes auf die bekannten Funktionen des Nervensystems und der bekannten Energiegesetze zurückzuführen. Wundt lehnte besonders die Hervorhebung des Zentralnervensystems gegenüber dem Denken ab. Die durch nichts bewiesene „Prinzipialkoordination" bilde für den Empiriokritizismus den Grund für die Statuierung des zentralen Nervensystems als allein konstanter Bedingung jeder Art von Erfahrung. Abgesehen von dem zweifelhaften Charakter der „Prinzipialkoordination" sei die „empiriokritische Substitution" des „Systems C" für das Individuum ein willkürlicher Akt. Wundt polemisierte berechtigt gegen eine Zurückbeziehung aller unmittelbar gegebenen Erfahrungsinhalte auf „Schwankungen" der Gehirnfunktionen. Es könne nicht die Rede davon sein, daß alles menschliche Erkennen, Denken, Fühlen, Wissen usw. auf solche Schwankungen als die bedingende „unabhängige Vitalreihe" zurückgeführt werden müsse. Die „unabhängige Vitalreihe" war für Wundt eine völlig unannehmbare Annahme, postulierte sie doch - wenn auch in empiriokritischer Verworrenheit - die Abhängigkeit des Psychischen vom Physischen. Auf diese Tatsache hat Lenin besonders hingewiesen; er schrieb: „Zu den materialistischen Brocken des Avenarius-Machschen Miscbmaschs zählt Wundt hauptsächlich die Avenariussche Lehre der ,unabhängigen Vitalreihe ."324 324 W . I. Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, in: W e r k e , Bd. 1 4 , a. a. O., S. 55.

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Von seinem Standpunkt des psychophysischen Parallelismus aus bemerkte Wundt weiter, daß die dem Empiriokritizismus als zweite Stütze dienende Regel, wonach das Unbekannte auf das Bekannte zurückzuführen sei, nur relative Berechtigung habe, nur solange es sich um Tatsachen eines und desselben Erfahrungsgebietes handle. D a s sei hier keinesfalls gegeben, denn es gehe um Physiologie und Psychologie, die nicht zu einem Erfahrungsgebiet gehörten. D e r Empiriokritizismus leite selbst, im Gegensatz zur eigenen Forderung, Bekanntes aus Unbekanntem ab, Begriffe, G e f ü h l e , Urteile aus dem unbekannten „System C " . Völlig willkürlich sei auch die Annahme eines Strebens des „Systems C " nach einem Erhaltungsmaximum. Sie beruhe auf der spärlichen Annahme, daß sich Ernährung und Zersetzung durch Arbeitsleistung vollständig oder annähernd kompensieren könnten. D i e empiriokritische Voraussetzung sei lediglich ein Spezialfall dieses Widerspruchs. Wundt kritisierte: „ A u f der einen Seite soll für alle objektiven V o r g ä n g e die exakt naturwissenschaftliche Anschauung maßgebend sein; auf der andern Seite werden die Funktionen des Nervensystems, die doch zu den objektiven Vorgängen gehören, auf allgemeine .Vermögensbegriffe' zurückgeführt, deren wechselseitiges Verhältnis durch ein Zweckmäßigkeitsprinzip hypothetisch bestimmt wird. D e m Streben, diese beiden inadäquaten Kategorien allgemeiner Voraussetzungen einander anzupassen, dürfte vor allem die Theorie der .unabhängigen Vitalreihe' ihren eigenartigen Charakter verdanken." 3 2 5 Wundts kritische E i n w ä n d e richteten sich besonders gegen das starke Mißtrauen, das der Empiriokritizismus dem Bewußtsein und allen subjektiven Wahrnehmungen entgegenbrachte. A l l e Voraussetzungen des Empiriokritizismus charakterisierte er in seiner zusammenfassenden Bewertung als völlig willkürlich, weil die verschiedenen Bestandteile, die naturwissenschaftliche Weltanschauung, die physiologisch-teleologischen Begriffe und die psychologische Theorie der Introjektion völlig heterogen seien. Wundts Kritik richtete sich auch gegen d i e Methode und die heuristischen Prinzipien des Empiriokritizismus. E r bediene sich zweier Hauptmethoden, eines auf empirischer Abstraktion beruhenden Analogieverfahrens und einer spekulativen dialektischen Methode einerseits, und zweier heuristischer Prinzipien der „ Ö k o n o m i e des D e n k e n s " und eines rein beschreibenden Standpunktes der Betrachtung andererseits. Wundt wies den Vorschlag von Avenarius als unberechtigt zurück, nur noch von psychologischen und physikalischen oder physiologischen, nicht aber von psychischen und physischen Tatsachen, Zuständen, Gesetzen und dergleichen zu sprechen. D a b e i verteidigte er seinen Standpunkt des psychophysischen Parallelismus und bemüht sich, jeder Unterstellung einer materialistischen Tendenz in diesem von vornherein zu begegnen. E r schrieb: „ A l s M e t h o d e der .psychophysischen Analogien' bezeichne ich ein Verfahren, welches allgemein zwischen physiologischen und psychologischen Tatbeständen irgendwelche Ähnlichkeiten des Verhaltens feststellt. D e r Ausdruck .psycho-physisch' ist also hier 325 W. Wundt. Über naiven und kritischen Realismus, in: Philosophische Studien, 13. Bd., a. a. O., S. 50.

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nicht etwa in dem Sinne verstanden, als wenn dabei metaphysische Voraussetzungen über die .Psyche' oder über die .Materie' gemacht würden, sondern lediglich in dem, daß mit psychischen Tatbeständen solche gemeint sind, die zu dem Untersuchungsgebiet d e r Psychologie oder der Geisteswissenschaften, unter den physischen dagegen solche, die vor das Forum der Naturwissenschaften, in diesem Falle speziell der Physiologie, gehören." 3 2 6 D i e empiriokritische M e t h o d e statuiere zunächst gewisse durch Wechselbeziehungen von Stoffwechsel und Übung eintretende Schwankungen des „Systems C " , dann weise sie darauf hin, daß analoge Schwankungen intellektueller Werte vorkommen. Bei dem unsicheren Zustand unserer Kenntnisse der Funktionen des zentralen N e r v e n systems könne keine R e d e davon sein, daß beide Schwankungen regelmäßig sich begleitende Veränderungen seien. D e r G r u n d g e d a n k e , wonach von den beiden Analogiegliedern überall d a s physische als das bedingende, das psychische als das abhängig zu denkende sei, werde v o m Empiriokritizismus nicht bewiesen, sondern in der Annahme vorweggenommen, daß alle „psychischen W e r t e " auf irgendwelchen physischen Änderungen des „Systems C " beruhten. Wundt wies den Empiriokritizisten auch hinsichtlich ihrer Methoden Inkonsequenzen nach. D i e Methode der psychophysischen Analogien werde von den Empiriokritizisten in zwei Richtungen verwendet, nicht nur v o m Physischen zum Psychischen, sondern auch umgekehrt; dabei wäre zu vermuten gewesen, daß entsprechend der Konstruktion der „unabhängigen" und der „abhängigen Vitalreihen" immer v o m Physischen ausgegangen werde. Beim Empiriokritizismus liege das entscheidende Moment der Analogiebildung im Begriff der Übung, was übrigens ebenfalls keine neue Idee sei. Wundt bezweifelte nicht die Existenz von Übungsvorgängen im Gebiet der physiologischen Funktionen und in den willkürlichen Bewegungen; von einer Zurückführung aller geistigen Übungsvorgänge auf die Übungsvariationen des „Systems C " könne jedoch im empirischen Sinne schon deshalb nicht die Rede sein, weil diese Übungsvariationen selbst im einzelnen gar nicht nachgewiesen, sondern nur als abstrakte Möglichkeiten angenommen werden könnten. „ E s kann daher höchstens gesagt werden", behauptete Wundt, „daß, da im allgemeinen zentrale Übungsvorgänge existieren, auch Unterschiede derselben den Unterschieden der psychischen Übungsvorgänge parallel gehen werden: ein solcher Schluß ist d a n n aber direkt, wie man sieht, gar nicht auf psycho-physische Analogien, sondern auf die vorausgesetzte Gültigkeit eines ,psycho-physischen Parallelismus' gegründet." 3 2 7 Auch bei dieser Kritik ging es Wundt darum, j e d e direkte Abhängigkeit des Psychischen von Funktionen des Zentralnervensystems zurückzuweisen; seine Höherbewertung des Geistigen gegenüber dem Physischen erforderte das Postulat, wonach Psychisches nicht durch Physisches verursacht werden könne. Berechtigt war Wundts E i n w a n d , in dem er mit Lenins Kritik a m E m p i r i o 326 Ebenda, S. 57. 327 Ebenda, S. 6C. 215

kritizismus übereinstimmte, d a ß der Inhalt des Psychischen nicht aus Gehirnprozessen erwächst. Im Unterschied zu Lenin vermochte Wunidt dafür keine wissenschaftliche Begründung zu geben, weil er das Psychische nicht als Widerspiegelung und Abbild der objektiven Realität im Bewußtsein verstand. Wundt warf dem Empiriokritizisten vor, sein Begriff „System C", von dem er immer behauptete, er bezeichne das Zentralorgan des menschlichen Nervensystems, sei gar kein empirischer, sondern ein metaphysischer Begriff. Von den wesentlichen Eigentümlichkeiten, die über die möglichen Änderungen des „Systems C" ausgesagt würden, bestünde nur ein spärlicher Teil in einer von der physiologischen Begriffsbildung ausgehenden Begriffsbestimmung, dagegen ein größerer Teil „in einer auf dieser Grundlage ausgeführten rein dialektischen Begriffsbewegung, und ein letzter, für die Anwendungen der Theorie jedenfalls wichtigste, in Konstruktionen . . ., bei denen nach Analogie gewisser Begriffsübergänge und Begriffsgegensätze auf intellektuellem Gebiet die zugehörigen (Schwankungen des Systems C' festgestellt werden" 328 . Indem Wundt dem Empiriokritizismus nachwies, daß er sowohl von der Kritik als auch von empirischen Fakten nur sehr , spärlich Gebrauch mache, zeigte er, daß dieser schon vom Namen her ,mit völlig unberechtigten Ansprüchen auftrat. Wundt charakterisierte schließlich das „System C" des Empiriokritizismus als eine metaphysische Substanz. Bei empirischen Funktionsbeziehungen seien die unabhängigen und abhängigen Größen empirische Tatsachen, die Abhängigkeit bestehe in einem regelmäßigen Zusammenhange empirischer Veränderungen dieser Größen. Bei den metaphysischen Kausal- und Substanzbegriffen seien die abhängig veränderlichen Werte empirisch gegeben, die unabhängigen dagegen als überempirisch gegeben hypothetisch konstruiert. Alles, was über die „Schwankungen des Systems C" um sein „Erhaltungsmaximum", und was 1 über die verschiedenen Modifikationen dieser Schwankungen gesagt würde, sei hypothetisch, also „überempirisch". Wundt zog den Schluß: „Wir kommen daher zu dem Resultat, daß das System C überhaupt nicht mit dem uns aus der Erfahrung bekannten zentralen Nervensystem identisch, sondern daß es nach allen seinen Merkmalen ein metaphysischer Substanzbegriff ist, der nur in einigen unwesentlichen allgemeinen Verhaltensweisen an das zentrale Nervensystem, erinnert." 329 Diese Auffassung werde besonders durch die empiriokritische Annahme von „Systemen. C- höherer Ordnung" bestätigt. „Gesamtbewußtsein" und „Gesamtwille" seien empirische Begriffe, der Begriff eines, „Gesamtgehirns", der alle Schädelinhalte sämtlicher Individuen einer Gesellschaft umfasse, sei dagegen ein Unding, bemerkte Wundt sarkastisch. 330 Der Begriff des Systems C, wenn man noch dazu sein? Partialsysteme in Rechnung ziehe, die durch mechanische Gesetze verbunden seien, könne schwer3 2 8 Ebenda, S. 6 4 3 2 9 Ebenda, S. 65 3 3 0 Ebenda, S. 66.

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lieh als Nervensystem verstanden werden. Von einem solchen mechanistischen System einen fruchtbaren Übergang zur Mannigfaltigkeit von Wissen, Glauben und Erkennen zu finden, sei völlig unmöglich. Wundt unterzog auch die „Dialektik" des Empiriokritizismus scharfer Kritik, verstand jedoch unter Dialektik selbst eine idealistische Begriffsdialektik. Es sei ein immer wiederkehrender Charakter der Dialektik, „daß sie sich als eine den Begriffen immanente und darum logisch notwendige Entwicklang zu geben pflegt" 331 . Für Wundt war Dialektik eine Domäne idealistischer Philosophie, ein Zusammenhang von materiellen Prozessen und Dialektik kam für ihn nicht in Betracht. Es könne scheinen, bemerkte er, daß für eine Philosophie, die aus den Funktionen des zentralen Nervensystems alles menschliche Handeln und Erkennen ableitet, also aus Materiellem, Dialektik, die der „verwegenste Idealismus" als Eigentum betrachte, nicht in Frage käme. Das System C habe aber nur eine oberflächliche Ähnlichkeit mit dem zentralen Nervensystem, deshalb sei für den Empiriokritizismus Dialektik möglich. Wundt schrieb: „In der Macht der Verneinung hat nun die Dialektik aller Zeiten die mächtigste treibende Kraft für die Selbstbewegung der Begriffe gesehen. Jene Verneinung, die aus dem Ich das Nicht-Ich, aus dem Sein das Nicht-Sein und das Werden hervorzaubert, spielt in der Tat auch in der Dialektik des empiriokritischen Systems die herrschende Rolle." 33 ? Die empiriokritische Dialektik setze an dem an das System C geknüpften Begriff „Selbsterhaltung" an. Wundt kritisierte den nach einer logischen Dreiteilung begründeten formalen Charakter der empiriokritischen Dialektik. Im Zusammenhang mit den „Schwankungen des Systems C" konstruierte der Empiriokritizismus als erstes Glied (als Initialglied) - als reine Setzung - die Selbsterhaltung von C, als zweites Glied (als Medialglied) die Negation der Selbsterhaltung, die „Vitaldifferenz", und als drittes Glied (als Finalglied) die „Aufhebung der Vitaldifferenz". Wundt kritisierte vom Standpunkt seines mechanistischen Weltbildes, daß, nur eine willkürliche dialektische Gliederung zu einer solchen Dreiteilung gelangen könne, jede mechanisch-mathematische Betrachtung irgendeines Vorganges würde alle Teile des Verlaufs als stetig zusammenhängende behandeln. Wundts berechtigte Kritik an der formalistischen, metaphysischen Dreiteilung der Begriffe durch den Empiriokritizismus war mit einem völligen Unverständnis für die Dialektik überhaupt gepaart. Von d e s „älteren Verwandten" untere scheide sich die empiriokritische Dialektik in einem Punkte. Wundt schrieb:: „Indem die Begriffe bloß als Größen betrachtet werden, die sich durch "ihre positiven und negativen Vorzeichen unterscheiden,; entsteht der abstrakte Begriff eines rein formalen Verlaufs einander superponister ,Schwankungen', dessen reale Bedeutung dahingestellt bleibt, der sich also ebenso gut auf einen : ganz imaginären Prozeß wie auf die Entstehung irgendwelcher .Grundwerte' von 3 3 1 Ebenda, S. 68. 3 3 2 Ebenda, S. 69.

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qualitativem Inhalt beziehen könnte. D a r u m wird es nun erforderlich, seiner bloß formalen Entwicklung der unabhängigen Vitalreihe' eine entsprechende qualitative Begriffsreihe als .abhängige Vitalreibe' gegenüberzustellen; und bei dieser muß dann diesem Ursprung gemäß die dialektische Entwicklung zurücktreten, um der oben geschilderten Methode der .psycho-physischen' Analogien ,den Platz zu räumen'." 3 3 3 Auf diese Weise sei die gesamte empiriokritische Methode die Verbindung einer formalen Begriffsdialektik mit einem Analogieverfahren, das zu den einzelnen Stufen des dialektischen Prozesses qualitative Analogieglieder auf psychologischem und -erkenntnistheoretiscH'em Gebiet aufsuche, während zugleich nicht selten nach den Bedürfnissen dieser qualitativen Werte nachträglich die formalen Entwicklungen ergänzt würden. D i e Entwicklung des „Weltbegriffs" des Empiriokritizismus sei „geradezu eine Wiederholung des Hegeischen .Kreislaufes der Idee' " 334 . D a s Anfangsund das Endglied hätten überempirischen Charakter; das Endglied sei wie bei Hegel eine Rückkehr zum Anfangsglied. Vom Empiriokritizismus werde das Anfangsglied als „empiriokritischer Befund", also offenbar als eine empirische Tatsache ausgegeben, in der Tat handle es sich jedoch um einen abstrakten Begriff, der in der Erfahrung nie vorkomme. Unter dem Gesichtspunkt der empiriokritischen Theorie der „Introjektion" kritisierte W u n d t : „Es ist nun psychologisch offenbar im höchsten G r a d e unwahrscheinlich, d a ß sich der Mensch, sei es der Mensch im allgemeinen, sei es ein einzelner, ursprünglich in demselben Zustand geläuterter Auffassung, als Besitzer des natürlichen Weltbegriffs' vorgefunden haben sollte. Es wäre das die Vorstellung des goldenen Zeitalters auf das Gebiet der Philosophie übertragen: die Annahme, daß die endgültige Philosophie, die am E n d e der Dinge zur bleibenden Errungenschaft werden soll, schon einmal im Anfang der Dinge dagewesen sei." 335 Zur „dialektischen Selbstbewegung" des Empiriokritizismus fügte W u n d t hinzu: „Wenn diese übrigens alle Variationen des .Weltbegriffs' als eine Art .Abfall' von jener ursprünglich dagewesenen .reinen Erfahrung' darstellt, welcher Abfall schließlich überwunden werden müsse, so klingt das mehr noch nach dem ursprünglichen Piatonismus als nach den späteren Gestaltungen desselben. So zeigt auch diese Entwicklung, daß das spekulative Denken nicht nur heute noch im wesentlichen mit den nämlichen Hilfsmitteln arbeitet wie vor Jahrtausenden, sondern daß es auch von den scheinbar entlegensten Ausgangspunkten aus und unter den verschiedenartigsten Verkleidungen immer wieder bei ähnlichen Ergebnissen endet." 33 " W u n d t wies auch den Anspruch des Empiriokritizismus zurück, mit dem heuristischen Prinzip der „Ökonomie des Denkens" eine originale philosophische Leistung vollbracht zu haben. Dieses Prinzip führe auf Galilei, teilweise sogar auf früheste Anfänge der Philosophie zurück. Im Empiriokritizismus habe das Prinzip 333 334 335 336

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Ebenda, S. 70. Ebenda, S. 71. Ebenda, S. 73. Ebenda.

der „Ökonomie des Denkens" drei Bedeutungen, eine didaktische, eine methodologische und eine metaphysische. Als didaktischem Prinzip sei die Forderung, wissenschaftliche Inhalte in möglichst einfachen Formen zum Ausdruck zu bringen, berechtigt und notwendig. D i e methodologische Forderung, Probleme in möglichst einfacher Weise zu formulieren und sich eines möglichst einfachen Verfahrens zu ihrer Lösung zu bedienen, sei ebenfalls berechtigt. Dabei dürfe jedoch der einfache W e g nicht mit einem absolut einfachsten verwechselt werden, durch den den Tatsachen Gewalt angetan werden könne. Zurückgewiesen werden müsse das metaphysische Prinzip, wonach die N a t u r selbst die einfachsten Mittel zur Hervorbringung ihrer Wirkungen wähle. Mit diesem Prinzip trete der Empiriokritizismus den Tatsachen mit einem Postulat gegenüber, das ihnen nicht entnommen sei. Wenn der Empiriokritizismus verlange, d a ß die Dinge so einfach wie möglich seien, wäre das ein subjektiver Wunsch, für den kein objektiver 'Grund vorliege. D a s Prinzip der „Ökonomie des Denkens" sei demnach eine weitere unbewiesene, 'metaphysische Voraussetzung, auf der der Empiriokritizismus sein System aufgebaut habe. Die metaphysische Bedeutung des Prinzips der „Ökonomie des Denkens" sei im Empiriokritizismus die vorherrschende. W u n d t schrieb: „Die vorherrschende Bedeutung, die das Prinzip bei ihm besitzt, ist aber die metaphysische: der natürliche und der aus ihm wiederherzustellende allgemein menschliche ,Weltbegriff' ist vor allen denkbaren andern zu bevorzugen, weil er der einfachste' ist, indem bei ihm alle ,Beibegriffe' eliminiert sind, und diejenige Philosophie ist zu bevorzugen, die alles aus ,einer Voraussetzung' ableitet, wodurch eine solche Philosophie wiederum andern Systemen gegenüber, die mehrerer Voraussetzungen zu bedürfen glauben, die einfachste ist." 33 ' Im Empiriokritizismus spiele das Prinzip der Einfachheit d i e Rolle eines metaphysischen Weltgesetzes, wobei die G r ü n d e völlig verborgen blieben. Im Empiriokritizismus stehe das Prinzip der Einfachheit unter der Voraussetzung, daß Philosophie eine „Begriffsdichtung" sei, für die nicht logische, also wissenschaftliche, sondern ästhetisch-teleologische Prinzipien maßgebend sind. Das Gesetz der Einfachheit diene dem Empiriokritizismus dazu, „Erfahrungszusammenhänge als nicht existierend zu behandeln, wo sie irgend einmal mit den Voraussetzungen, d i e unter dem Schutz des metaphysischen Simplizitätsprinzips gemacht worden sind, nicht übereinstimmen sollten" 338 . Aus einem als heuristische Maxime nützlichen methodologischen Hilfsmittel in den Händen des wissenschaftlichen Forschers sei das Prinzip der „Ökonomie des Denkens" für den spekulativen empiriokritischen Philosophen zu einem Werkzeug zur Unterdrückung unbequemer Tatsachen geworden. W u n d t wandte sich nicht nur gegen metaphysische Spekulationen des Empiriokritizismus, sondern zugleich gegen dessen positivistisches „Postulat der reinen Beschreibung", wonach sich die Wissenschaft auf die Feststellung der Tatsachen und ihre Beschreibung zu beschränken, aber jede Hinzufügung von Begriffen und 337 Ebenda, S. 83. 338 Ebenda, S. 84.

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jede Erklärung zu unterlassen habe. Der Empiriokritizismus halte sich selbst nicht an dieses unhaltbare Prinzip, denn daran lasse sich wohl nicht zweifeln, daß alles, was er über die Schwankungen des Systems C, über Vitaldifferenzen und Vitalreihen verschiedener Ordnung entwickelt habe, nicht im geringsten eine Beschreibung wirklich beobachteter Tatsachen sei, höchstens eine Schilderung hypothetischer Konstruktionen. Wundt betonte die Notwendigkeit der Erklärung vorgefundener Tatsachen. Überall, wo die Tatsachen nicht nach bloßen Verhältnissen der Koexistenz und der zeitlichen Aufeinanderfolge, sondern nach Grund und Folge geordnet würden, handle es sich bereits um eine Erklärung. Die Beschreibung beschränke sich auf konkrete Gegenstände, Eigenschaften und Zustände, sie habe es niemals mit Begriffen zu tun, die erst durch Vergleichung zahlreicher Objekte gewonnen werden. Die Naturerklärung sei unbedingt notwendig, denn es komme darauf an, den Weltlauf zu verstehen, ihn nicht nur zu beschreiben. Völlig im Gegensatz zu seiner eigenen Forderung habe der Empiriokritizismus zuerst ein System möglicher Begriffe aufgestellt, dann diesem System Denknotwendigkeit zugeschrieben und schließlich daraus die Wirklichkeit abgeleitet. Im Widerspruch zu dieser scharfen Kritik und infolge der Unkenntnis des dialektischen Materialismus kam Wundt zu dem abschließenden Urteil, der Empiriokritizismus habe das Verdienst, einen zwischen dem absoluten Materialismus worunter Wundt die Zurückführung des Psychischen auf Gehirnfunktionen verstand --T und dem Spinozismus liegenden Materialismus entwickelt zu haben, den einzigen heute noch wissenschaftlich diskutierbaren Materialismus. Wundt polemisierte gegen Avenarius' Anspruch, daß seine metaphysische Richtung kein Materialismus sei. Indem Avenarius psychische Vorgänge als Funktionen materieller Prozesse, speziell von Gehirnproze&sen, annehme, vertrete er den Materialismus. Gleichzeitig prangerte Wundt Halbheiten im Empiriokritizismus an. Avenarius habe für Spinozas transzendente Substanz, mit der „ein Drittes" zwischen Physischem und Psychischem postuliert worden sei, das System C eingesetzt. Avenarius' Glaube an das „Dritte" beweise, daß er, nachdem er mit seinem Intellekt zum Materialismus übergegangen wäre, mit seinen Gefühlen und Neigungen immer noch dem Spinozismus anhänge. Als philosophische Quellen des Empiriokritizismus betrachtete Wundt neben den Ideen von Spinoza vor allem die von Herbart und Hegel. Starken Einfluß habe auf Avenarius das metaphysische System Herbarts ausgeübt. Herbarts „Reale" seien in Avenarius' „System C " mit eingegangen. Von Herbart habe Avenarius auch seine mathematiisch-ontologische Betrachtungsweise übernommen. Herbarts Schwäche sei sein unhistorisches Herangehen, gewesen, auch in dieser Hinsicht sei sein Einfluß spürbar. D i e Begtiffsdialekti'k - die Dialektik als Selbstbewegung der Begriffe - habe der Empiriokritizismus schließlich, von Hegel übernommen. Von Spinoza durch Herbart zu Hegel, mit diesem Satze könne man die Einflüsse der älteren Systeme auf die empir.iokriti.sche Philosophie charakterisieren. Bei seiner kritischen Analyse des Empiriokritizismus gelangte Wundt zu dem Urteil, es könne keinen Zweifel geben, „daß diejenige Auffassung vom Verhältnis des Psychischen zum Physischen, die 220

der Empiriokritizismus vertritt, historisch in direkter Deszendenz aus jenen älteren Formen materialistischer Metaphysik hervorgegangen, und d a ß sie systematisch die einzige Gestaltung des Materialismus ist, in der heute noch Jemand vernünftiger Weise Materialist sein kann" 3 3 9 . D e r Empiriokritizismus sei eine Form des Materialismus des 19. Jahrhunderts, die das Seelische als „Funktion" körperlicher Vorgänge betrachte. Alle geistigen Werte (E-Werte) bestimme er als Abhängige von den unabhängigen Schwankungen des zentralen Nervensystems. D e r empiriokritische Materialismus trage noch Züge an sich, „die man mit einem dem Darwinismus entnommenen Bilde atavistische Rudimentärbildungen früherer Entwicklungsstufen nennen könnte. Dahin gehört vor allem die Erscheinung, d a ß Begriffe wie ,Bewußtsein', ,Wisisen', ,Wille' und dergl. als ein gänzlich fragwürdiger Bestand angesehen werden, der erst dann auf eine klare Formel gebracht sei, wenn man die zugehörigen Schwankungen des Systems C ermittelt habe. Dies gemahnt immer noch an die konfusen Wahrnehmungen der zerebralen Molekularvorgänge aus der älteren Epoche des Materialismus." 3 ' 10 D e r Empiriokritizismus habe am klarsten zum Ausdruck gebracht, „alle geistigen Vorgänge, Schöpfungen und Werte sind in dem Sinne Funktionen des zentralen Nervensystems und der N a t u r bedingungen, unter denen sich dieses befindet, daß sie ohne Rest aus diesen ihren körperlichen Bedingungen abgeleitet werden können"*141. W u n d t bestritt von seinem Standpunkt des psychophysischen Parallelismus die Möglichkeit, daß exakte Gehirnphysiologie Auskunft über den inneren Zusammenhang psychischer Prozesse geben könne. „Was wir äußersten Falls erreichen können", schrieb er, „ist der Nachweis, daß gewissen regelmäßigen Verbindungen hier gewisse regelmäßige Verbindunigen dort entsprechen. D a aiber nicht nur die zu vergleichenden Elemente, sondern auch die Art, wie sie sich zusammenfügen, absolut unvergleichbar sind, so ist damit für die Interpretation des psychischen Geschehens selbst nicht das geringste geleistet." 3 '' 2 W u n d t hatte recht, d a ß sich aus neurophysiologischen Prozessen die Zusammenhänge psychischer Erscheinungen - vor allem die ihren Inhalt betreffenden - nicht erschließen lassen. Dazu ist es erforderlich, sie als Widerspiegelung objektiver Realität zu erfassen. W u n d t unterschätzte aber zugleich die Möglichkeiten, die sich aus gehirnphysiologischen Erkenntnissen für das Verständnis des Ablaufs und der Art und Weise psychischer Prozesse ergeben, weil er das Psychische nicht als Gehirnfunktion verstand, das Wesen des einheitlichen psychophysischen Vorganges nicht begriff. D e m Empiriokritizismus hielt W u n d t zugute, daß er das Denken nicht ausdrücklich als Funktion des Gehirns bezeichne. E r schrieb: „ D a ß das Gehirn oder irgend ein Teil desselben ,kein Wohnort, Sitz, Erzeuger' des Denkens oder irgend eines andern psychischen Vorgangs, eben darum auch das Denken nicht eigentlich eine .Funktion des Gehirns' sein könne, davon ist er ja, wie wir gesehen haben, 339 340 341 342

Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda,

S. S. S. S.

351. 352. 353. 354.

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ebenso gut wie jede andere einigermaßen zurechnungsfähige Erkenntnistheorie überzeugt." 34:! Von einer Funktionalbeziehung zwischen den körperlichen Substraten des Seelenlebens und diesem selbst könne beim Empiriokritizismus nur in dem Sinne die Rede sein, daß eine Abhängigkeit zwischen den „Elementen und Charakteren" und „bestimmten Änderungen des Systems C" bestehe, bei der diese als Unveränderliche, jene als abhängige Veränderliche anzusehen seien. Es sei ein unleugbares Verdienst des Empiriokritizismus, daß er seine „materialistische Hypothese" in eine Form gebracht habe, die nicht sofort mit den fundamentalsten Forderungen wissenschaftlicher Methodik in Konflikt gerate. Trotzdem rügte W u n d t die materialistische Tendenz im Empiriokritizismus; sie sei ungerechtfertigt, denn wegen der gänzlich heterogenen Beschaffenheit der Gehirnvorgänge und der den sogenannten „E-Werten" zugrunde liegenden psychischen Vorgänge sei eine Abhängigkeit zwischen physischen und psychischen Vorgängen nicht nachweisbar. Heftigen Widerspruch rief bei W u n d t die empiriokritische Gegenstands- und Aufgabenbestimmung für die Psychologie hervor. E r lehnte den vulgärmaterialistischen Standpunkt ab, daß die Psychologie vor allem die Abhängigkeit psychischer Erscheinungen von Änderungen des Systems C zu erforschen habe. Ein solcher Standpunkt sei spekulativ, erfahrunigsfeindlich und wissenschaftlich unfruchtbar. D i e empiriokritische Definition der Psychologie könne in keiner Weise als die begriffliche Abgrenzung eines selbständigen Wissenschaftsgebietes betrachtet werden. Die Untersuchung des Systems C müsse Aufgabe der Anatomie und Physiologie bleiben. W u n d t setzte dem Empiriokritizismus seinen auf dem psychophysischen Parallelismus und der Verselbständigung des Geistigen gegenüber dem Physischen beruhenden Standpunkt entgegen. E r schrieb: „Nur dann hat die Psychologie eine selbständige Aufgabe, wenn das, was wir ,psychische Tatsachen', .geistige Vorgänge' oder ähnliches nennen, in sich selbst einen Zusammenhang darbietet, der uns nötigt, mindestens in weitem Umfange psychische Erfahrungsinhalte aus andern psychischen Erfahrungsinhalten zu begreifen und auf solche Weise besondere Formen psychischer Kausalität zu statuieren." 3/ ' 4 Ein weiterer Konflikt ergab sich zwischen W u n d t und den Empiriokritizisten aus der unterschiedlichen Betrachtung der Kausalität. Der Empiriokritizismus mache den Versuch, jede Art von geistiger Kausalität auszuschalten. Der Begriff der Kausalität werde von ihm durch „logische Abhängigkeit" ersetzt, wobei die „abhängige Vitalreihe" einen Ersatz für geistige Kausalität bilde. Obwohl es Wundt bei dieser Polemik um die Sicherung seiner idealistischen Position von einer „geistigen Kausalität" ging, sind in ihr richtige Erkenntnisse darüber enthalten, warum der Empiriokritizismus die Kausalität zu negieren versuchte. W u n d t enthüllte den eigentlichen Beweggrund der Empiriokritizisten; für deren „ontologisch-metaphysische Denkweise" seien es nicht die Tatsachen, nach denen wir unsere Begriffe zu bilden hätten, sondern nach unseren Begriffen sollten sich die 343 Ebenda, S. 356. 344 Ebenda, S. 410.

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Tatsachen richten. Es sei gleichgültig, ob der Begriff Kausalität durch den der „logischen Bedingung", wie bei Avenarius, oder den des „Gesetzes der Eindeutigkeit", wie bei Petzold, ersetzt werde. „Beide Ausdrucksweisen", konstatierte Wundt, „kommen darin überein, daß sie die Wirklichkeit nach Denkgesetzen konstruieren wollen, statt die Denkgesetze als Hilfsmittel zu betrachten, mittels deren wir die Wirklichkeit nach den in ihr gegebenen Beziehungen zu begreifen suchen." 345 Seine Kritik am Empiriokritizismus zusammenfassend, gelangte W u n d t zu folgendem Urteil, dem auch vom materialistischen Standpunkt weitgehend zugestimmt werden kann: „Bei aller Anerkennung des Scharfsinns, mit dem aus jenen physiologischen Allgemeinbegriffen des Stoffwechsels, der Übung usw. eine zusammenhängende Theorie der zentralen Vorgänge zu entwickeln versucht wird und mit dieser die allgemeinsten Gesichtspunkte in Verbindung gebracht sind, unter die man die so genannten geistigen .Grundwerte' ordnen kann, muß doch gesagt werden, daß bei diesen Bemühungen weder für das Verständnis der physiologischen Gehirnprozesse noch auch für die Erkenntnis des geistigen Lebens selbst irgend etwas herauskommt. Nichts für das Verständnis der zentralen Prozesse, denn hier zeigt ja, wie wir gesehen haben, die Theorie der .unabhängigen Vitalreihe' vollkommen klar, daß man mit jenen allgemeinen Begriffen der Ernährung, Arbeit und Übung überhaupt nichts anfangen kann, und d a ß daher in der Durchführung der Theorie in Wahrheit an ihre Stelle ein ganz anderes Begriffssystem tritt, nämlich das irgend einer Substanz, die positive und negative Schwankungen um eine Gleichgewichtslage erleidet, auf der sie sich zu erhalten strebt, ein Begriffssystem, das auf die Störungen und Selbsterhaltungen einer Herbartschen Seele an und für sich ebenso gut anwendbar ist, wie auf das zentrale Nervensystem, und das in beiden Fällen eine hypothetische Fiktion bleibt. D a s System leistet aber auch nichts für das Verständnis der geistigen .Grundwerte'. Denn es ordnet diese lediglich unter einen formalen Schematismus, der den wirklichen Zusammenhang des geistigen Geschehens in individueller Erfahrung, in Gesellschaft und Geschichte völlig unberührt läßt." 3 4 8 345 Ebenda, S. 405. 346 Ebenda, S. 364.

223

6.

Wundts psychologisches System philosophische Aspekte

6.1.

Gegenstand, Aufgabe und Methoden der Psychologie

Mit den folgenden Ausführungen ist weder eine systematische Darstellung noch eine kritische Wertung der psychologischen Arbeiten Wundts beabsichtigt. Eine solche Aufgabe muß von marxistischen Fachpsychologen bewältigt werden. Hier soll lediglich der enge Zusammenhang von Philosophie und Psychologie bei Wundt gezeigt und der Widerstreit sichtbar gemacht werden, der sich aus dessen naturwissenschaftlichen und physiologischen Einsichten und Erkenntnissen einerseits und seiner idealistischen Grundposition andererseits ergab. Wundt wies zwei zu seiner Zeit vorherrschende Begriffsbestimmungen für Psychologie nachdrücklich zurück. Erstens ¡sei die Psychologie nicht „die Wissenschaft von der Seele", die die psychischen Vorgänge als Erscheinungen betrachte, „aus denen auf das Wesen einer ihnen zugrunde liegenden metaphysischen Seelensubstanz zurückzuschließen sei" 1 . Zweitens sei Psychologie nicht „Wissenschaft von der inneren Erfahrung". Nach dieser gehörten die psychischen Vorgänge „einer besonderen Art von Erfahrung an, die ohne weiteres daran zu unterscheiden sei, daß ihre Objekte der ,Selbstbeobachtung' oder, wie man diese auch im Gegensatze zur Wahrnehmung durch die äußeren Sinne nennt, dem ,inneren' Sinne gegeben seien" 2 . Wundt war bei der Benutzung des Begriffs „innere Erfahrung" nicht konsequent, er benutzte ihn oft selbst im Sinne des Gegenstandes der Psychologie. Den empirischen Standpunkt von der Seelensubstanz betrachtete Wundt als überwunden, nachdem sich die Psychologie zu einer selbständigen empirischen Disziplin mit experimentellen Methoden entwickelt hatte und nachdem die „Geisteswissenschaften" als ein den Naturwissenschaften gegenüberstehendes Wissensgebiet anerkannt seien, das eine selbständige, von den metaphysischen Theorien unabhängige Psyohologie als seine allgemeine Grundlage fordere. Der zweite Standpunkt der Psychologie als „innerer Erfahrung" erwecke das Mißverständnis, es habe sich die Psychologie mit Gegenständen zu beschäftigen, die von denen der sogenannten „äußeren Erfahrung" durchgängig verschieden seien. Zwar gäbe es Objekte, die nur der Psychologie, nicht den Naturwissenschaften als Forschungs1 W. Wundt, Grundriß der Psychologie, 13. Aufl., Leipzig 1918, S. 1. 2 Ebenda.

224

gegenständ zukämen, die Gefühle, Affekte und Willensentschlüsse, jedoch gäbe es keine Naturerscheinung, die nicht unter anderen Gesichtspunkten auch Gegenstand der Psychologie sei. Wundt begründete seinen Standpunkt wie folgt: „Aber insofern diese Naturerscheinungen zugleich Vorstellungen in uns sind, bilden sie außerdem Objekte der Psychologie, die über die Entstehungsweise dieser Vorstellungen und über ihr Verhältnis zu andern Vorstellungen sowie zu den nicht auf äußere Gegenstände bezogenen Vorgängen, den Gefühlen, Willensregungen usw., Rechenschaft zu geben sucht." 3 Aus dieser Erklärung wtird der subjektiv-idealistische Charakter des Wundtschen Psychologieverständnisses bereits deutlich sichtbar. Zum Gegenstand- und Aufgabenbereich der Psychologie zählte er nur die Verhältnisse zwischen den Vorstellungen und die der Vorstellungen zu den subjektiven Erfahrungsdnhalten, nioht die Verhältnisse von Objekt und Vorstellung, auf deren Wichtigkeit er allerdings wiederholt hinwies, und nicht das Verhältnis von physiologischen und psychischen Prozessen, wenn er auch im Sinne des psychophysischen Parallelismus physiologische Erscheinunigen als Hilfsmittel in seine Untersuchungen einbezog. Wundt zweifelte allerdings nicht daran, daß mit den Vorstellungen .dem erkennenden Subjekte die Objekte gegeben seien, die Objekte so, wie sie die Naturwissenschaft zum Gegenstand habe. „Die Vorstellungen", schrieb Wundt, „deren Eigenschaften die Psychologie zu erforschen sucht, sind dieselben wie diejenigen, von denen die Naturforschung ausgeht; und die subjektiven Regungen, die bei der naturwissenschaftlichen Auffassung der Dinge außer Betracht bleiben, die Gefühle, Affekte, Willensakte, .sind uns nicht mittels besonderer Wahrnehmungsorgane gegeben, sondern sie verbinden sich für uns unmittelbar und untrennbar mit den auf äußere Gegenstände bezogenen Vorstellungen'"'. Ohne die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen, hat Wundt sogar in einigen Arbeiten gefordert, die Wechselwirkung von Objekt und Subjekt zu untersuchen. Jede Erfahrung, betonte Wundt, sondere sich unmittelbar in zwei Faktoren: in einen uns gegebenen Inhalt und in unsere Auffassung dieses Inhalts. D e n ersten Faktor bezeichneten wir als die Objekte der Erfahrung, den zweiten als das erfahrende Subjekt. D i e Naturwissenschaft betrachte die Objekte der Erfahrung in ihrer von dem Subjekt unabhängig gedachten Beschaffenheit; die Psychologie untersuche den gesamten Inhalt der Erfahrung in seinen Beziehungen zum Subjekt und in den ihm von diesem unmittelbar beigelegten Eigenschaften. Demnach sei der naturwissenschaftliche Standpunkt der der mittelbaren und der psychologische der der unmittelbaren Erfahrung. Aus dieser Sicht entfiel für die Psychologie die Frage nach dem Verhältnis von physischen zu psychischen Objekten. „Auf dem so gewonnenen Standpunkte der Psychologie", erklärte Wundt, „kommt nun aber die Frage nach dem Verhältnis der psychischen zu den physischen Objekten selbstverständlich überhaupt in Wegfall. Beide sind ja in Wahrheit gar 3 Ebenda, S. 2. 4 Ebenda. 15

Wilhelm W u n d t

225

nicht verschiedene Gegenstände, sondern ein und derselbe Inhalt, der nur das eine M a l , bei der naturwissenschaftlichen Untersuchung, unter Abstraktion von dem Subjekt, das andere M a l , bei der psychologischen Untersuchung, in seiner unmittelbaren Beschaffenheit und in seinen durchgängigen Beziehungen zu dem Subjekt betrachtet wird. D e n n alle metaphysischen Hypothesen über dieses V e r hältnis sind unter diesem Gesichtspunkte Lösungen eines Problems, das auf einer falschen Fragestellung beruht." 0 W u n d t bestimmte d i e Psychologie als „Erfahrungswissenschaft, die es nicht mit einem spezifischen Erfahrungsinhalt, sondern mit dem unmittelbaren Inhalt aller E r f a h r u n g " zu tun habe. ß D i e Wundtsche Begriffsbestimmung

für

Psychologie

geht nicht vom psychischen Prozeß als Wechselbeziehung von Subjekt und O b j e k t aus, sie erfaßt nicht den Widerspiegelungs- und Abbildcharakter des Psychischen, sondern subsumiert das O b j e k t zunächst undifferenziert dem unmittelbaren E r f a h rungsinhalt, und sie läßt auch die Eigenschaft

des Psychischen, Funktion

des

Zentralnervensystemes zu sein, unbesücksichtigt. Schließlich nennt sie die orientierende und regulierende R o l l e des Psychischen im menschlichen Verhalten nicht als Gegenstand psychologischer Forschung. Als Hauptrichtungen der Psychologie unterschied W u n d t die metaphysische und die empirische. E r war ein G e g n e r der metaphysischen Psychologie, die keinen W e r t auf die empirische Analyse und die kausale Verknüpfung psychischer V o r gänge legte. D e r

metaphysische

Charakter seiner eigenen Psychologie ist ihm

offensichtlich nicht bewußt geworden. D i e Hauptabsicht metaphysischer Psychologie sei es, „eine Begriffsbestimmung vom ,Wesen der Seele' zu gewinnen, die mit der gesamten Weltanschauung des metaphysischen Systems, in das diese Psychologie eingeht, im E i n k l ä n g e steht" 7 . In seine Auseinandersetzung mit der metaphysischen Psychologie bezog W u n d t auch die materialistische Psychologie ein. Die

metaphysische

Psychologie

leite

psychische

Vorgänge

nicht

aus

anderen

psychischen Vorgängen ab, wie es erforderlich sei, sondern entweder aus einer besonderen Seelensubstanz oder aus Eigenschaften und Vorgängen der Materie. Wundts

zwiespältige

Ablehnung

der metaphysischen

also nicht nur gegen Substanzauffassungen

vom

Psychologie

richtete

Psychischen, sondern

sich

zugleich

gegen die wissenschaftliche materialistische Erkenntnis vom Psychischen als W i d e r spiegelung der objektiven R e a l i t ä t und als Produkt, Eigenschaft und Funktion des zentralen Nervensystems. W u n d t verfocht die idealistische Auffassung, Psychisches lasse sich nur aus Psychischem erklären. Bereits in einer seiner Frühschriften erklärte e r : „. . . die Psychologie ist in der glücklichen L a g e , nicht eine Hypothese, sondern eine Erfahrungstatsache an die Spitze ihrer Untersuchungen stellen zu können, und diese Erfahrungstatsache ist die Seele als ein aus sich selber heraus nach logischen Gesetzen handelndes und sich entwickelndes W e s e n . " 8 5 Ebenda, S. 10. 6 Ebenda, S. 6. 7

Ebenda.

8 W . Wundt, Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung, Leipzig-Heidelberg 1 8 6 2 , S. 4 5 1 .

226

Die von diesem Standpunkt aus geführte Polemik Wundts gegen die materialistische Psychologie zeigt, daß er die dialektisch-materialistische Position entweder nicht zur Kenntnis genommen oder sie völlig mißverstanden hatte. Er unterstellte, entweder werde von der materialistischen Psychologie „der Inhalt der seelischen Erfahrung auf eine verworrene, ungenaue Auffassung mechanischer Molekularvorgänge im Gehirn zurückgeführt (mechanischer Materialismus); oder es wird die Empfindung als eine ursprüngliche Eigenschaft, sei es der materiellen Elemente überhaupt, sei es speziell der Gehirnmolekeln, jeder zusammengesetzte psychische Vorgang aber als ein Summationsphänomen solcher Empfindungen gedeutet, das aus den entsprechenden physischen Gehirnprozessen erklärt werden müsse" 9 . Der dialektische Materialismus erklärt die Entstehung psychischer Inhalte keineswegs in diesem Sinne, die verworrene und ungenaue Auffassung Wundts vom Materialismus ignorierte diese Tatsache. Wundt konstatierte, daß für die Psychologie 3 Prinzipien Gültigkeit besäßen, aus denen sich deren dreifache Stellung ableiten lasse: „1) Die innere oder psychologische Erfahrung ist kein besonderes Erfahrungsgebiet neben andern, sondern sie ist die unmittelbare Erfahrung überhaupt. 2) Diese unmittelbare Erfahrung ist kein ruhender Inhalt, sondern ein Zusammenhang von Vorgängen; sie ibesteht nicht aus Objekten, sondern aus Prozessen, nämlich aus den allgemeingültigen menschlichen Erlebnissen und ihren gesetzmäßigen Wechselbeziehungen. 3) Jeder dieser Prozesse hat einerseits einen objektiven Inhalt und ist andererseits ein subjektiver Vorgang, und er schließt auf diese Weise die allgemeinen Bedingungen alles Erkennens sowohl wie aller praktischen Betätigungen des Menschen in sich." 10 Diesen drei Bestimmungen entspräche eine dreifache Stellung der Psychologie: Erstens sei sie gegenüber den Naturwissenschaften eine „ergänzende Erfahrungswissenschaft", zweitens „Grundlage aller Geisteswissenschaften" und drittens gegenüber der Philosophie „die vorbereitende empirische Wissenschaft." 11 Entsprechend seiner Gegenstandsbestimmung erklärte Wundt als Aufgabe der Psychologie, die Tatsachen des Bewußtseins, ihre Verbindungen und Beziehungen zu untersuchen und die Gesetze aufzufinden, von denen diese Beziehungen beherrscht werden. 12 Trotz seiner Ablehnung der „Psychologie der inneren Erfahrung", die für innere und äußere Erfahrung verschiedene Erfahrungsinhalte annahm, bezeichnete Wundt die Analyse der inneren Erfahrung als die eigentliche Aufgabe der Psychologie. 13 Er schrieb: „Diese Aufgabe besteht in der Erforschung dessen, was wir im Gegensatz zu den Gegenständen der äußeren Erfahrung, mit denen sich die Naturforschung beschäftigt, die innere Erfahrung nennen: in unserem eigenen Empfinden und Fühlen, Denken und Wollen. Der Mensch selbst, nicht wie er von außen erscheint, sondern wie er unmittelbar sich selber gegeben 9 W . Wundt, Grundriß der Psychologie, a. a. O., S. 7. 1 0 Ebenda, S. 1 7 . 11 Ebenda, S. 18/19. 1 2 W . Wundt, Einführung in die Psychologie, Leipzig 1 9 1 1 , S. 1. 1 3 W . Wundt, Allgemeine Logik und Erkenntnistheorie, 4. Aufl., I. Bd., Stuttgart 1 9 1 9 , S. 7. 15«

227

ist - er ist das eigentliche Probten der Psychologie." 14 Alle Aufgaben der Psychologie müßten letzten Endes auf diese introspektionistische Individualpsychologie zurückgeführt werden. Wundt erklärte: „Was diese auch sonst noch in den Kreis ihrer Betrachtungen ziehen mag, das Seelenleben der Tiere, das aus übereinstimmenden geistigen Anlagen entspringende gemeinsame Vorstellen und Handeln der Menschen, endlich die geistigen Erzeugnisse der einzelnen wie der Gemeinschaften - alles dies führt unvermeidlich auf jene erste Aufgabe zurück." 1 5 D i e Analyse der inneren Erfahrung erfordere eine Zerlegung des Bewußtseinsinhaltes in seine Elemente. „Die allgemeine Aufgabe der experimentellen Psychologie", schrieb Wundt, „läßt sich dahin feststellen, daß sie den Inhalt unseres Bewußtseins in seine Elemente zerlegt, diese Elemente nach ihren qualitativen und quantitativen Eigenschaften kennen lehrt und die Verhältnisse der Koexistenz und der Aufeinanderfolge derselben in exakter Weise ermittelt." 1 6 Die Psychologie solle den Zusammenhang der Erfahrungsinhalte so darstellen, wie er dem Subjekt wirklich gegeben sei; dabei müsse die psychologische Erfahrung als unmittelbare aus sich selbst interpretiert werden, nicht aus anderen Prinzipien. Wie bereits erwähnt, gelangte Wundt zu der Einsicht, daß Subjektives nicht ohne Beachtung der Wechselwirkung von Objekt und Subjekt erfaßt werden kann, ohne jedoch für seine eigenen Arbeiten die notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen. Wundt schrieb: „Der Abhängigkeit von äußeren Einflüssen und dem Prozeß geschichtlicher Entwicklung ist das Individuum so gut unterworfen wie irgendeine Gesamtheit; eine der Hauptaufgaben der Psychologie wird es daher immer bleiben, jene Wechselwirkungen zu untersuchen und diese Entwicklung begreiflich zu machen." 1 7 Zur konsequenten Realisierung dieser Einsicht konnte Wundt nicht kommen, weil er das Wesen des Psychischen nicht als Widerspiegelung objektiver Realität im Bewußtsein verstand und weil er das Objekt als Untersuchungsgegenstand in den unmittelbaren Erfahrungsinhalt verlegte. Den letzteren hat Wundt allerdings nicht als völlig isoliert von physiologischen Vorgängen zum Forschungsobjekt der Psychologie erklärt; im Sinne des psychophysischen Parallelismus bezog er physische Erscheinungen in den Untersuchungsgegenstand ein. E r schrieb: „Die Aufgaben der Psychologie sind zunächst der Gesetzmäßigkeit des inneren Geschehens zugewandt. Indem jedoch der Zusammenhang der Vorstellungen in unserem Bewußtsein überall auf Bedingungen hinweist, die außerhalb des Bewußtseins liegen, also auch nicht in der Form geistiger Vorgänge uns gegeben sein können, wird die Psychologie nicht selten genötigt, auf die physiologische Untersuchung zurückzugreifen, um, wo der Kausalzusammenhang der

1 4 W . Wundt, Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele, 6 . Aufl., Leipzig 1 9 1 9 , S. 1. 15 E b e n d a . 16 W . Wundt, Uber psychologische Methoden, i n : Philosophische Studien, hrsg. von W . Wundt, Erster B a n d , 1. Heft, Leipzig 1 8 8 3 , S. 2 . 17 W . Wundt, Probleme der Völkerpsychologie, 2. Aufl., Stuttgart 1 9 3 1 , S. 20.

228

inneren Erfahrungen unterbrochen scheint, wenigstens die ihm parallel gehende Verbindung physischer Vorgänge festzustellen." 18 Die Wundtsche Gegenstands- und Aufgabenbestimmung für die Psychologie hat Jaroschewski treffend so charakterisiert: „In der praktischen Tätigkeit kontrolliert der Mensch pausenlos die Adäquatheit seiner Abbilder, ihre Übereinstimmung mit der vom Bewußtsein unabhängigen und objektiven Realität als Quelle des Abbildes. Unter bestimmten Bedingungen - außerhalb einer auf die Lösung realer Aufgaben gerichteten Tätigkeit - ist es jedoch möglich, daß das Subjekt nach einer Instruktion zu handeln beginnt, die von ihm mit Hilfe der Selbstbeobachtung (in der physiologischen Psychologie mit Hilfe spezieller Geräte), die Zerlegung seiner Bewußtseinsinhalte bis in Ausgangselemente erfordert. Dann entstehen künstliche Produkte als ein eigenartiger Ersatz realer Abbilder ,reine Empfindungen', Elemente .unmittelbarer Erfahrung' u. a. m. Auf die Untersuchung dieser Ersatzabbilder lenkte Wundt die psychologische Forschung. Er stellte ein Programm der Entwicklung der Psychologie zu einer selbständigen Wissenschaft auf und sah ihre Eigenständigkeit darin, daß sie die .Bewußtseinsfakten' in .Reinkultur' untersucht, wie sie dem Subjekt unmittelbar gegeben sind, während alle anderen Wissenschaften aus diesen Fakten Objekte der Außenwelt schaffen. Bei näherer Betrachtung zeigte sich, daß das von Wundt unter .Bewußtseinsinhalte' Verstandene nichts anderes als der Gegenständlichkeit beraubte Empfindungen sind, d. h. Ersatzabbilder, aus denen die wissenschaftliche Psychologie - nach der Auffassung Wundts - die ganze Architektur des Seelenlebens neu gestalten müsse. Da sich .Bewußtseinsinhalte' prinzipiell durch eine Reihe Merkmale von der durch die Naturwissenschaften untersuchten äußeren Natur unterscheiden, wird der Kreis jener Erscheinungen umrissen, die von keinem anderen erforscht werden können als von der damit die Selbständigkeit erringenden Psychologie. In Wirklichkeit erwarb sich die Psychologie ihre Selbständigkeit auf ganz anderen Grundlagen." 19 Wundt entwickelte - sowohl auf den Gegenstand und die Aufgaben als auch auf die Methoden bezogen - eine dualistische Konzeption der Psychologie. Ausgehend von der Individualpsychologie forderte er, die psychologische Forschung müsse auf die Vorgänge des gemeinsamen seelischen Lebens ausgedehnt werden, auf gemeinsame geistige Erzeugnisse wie Sprache, Mythos, Sitte und andere. Daher scheide sich die Psychologie in eine experimentelle und in eine völkerpsychologische Richtung. Erläuternd schrieb Wundt: „Die Psychologie in der gewöhnlichen und allgemeinen Bedeutung dieses Wortes sucht die Tatsachen der unmittelbaren Erfahrung, wie sie das subjektive Bewußtsein uns bietet, in ihrer Entstehung und in ihrem wechselseitigen Zusammenhang zu erforschen. In diesem Sinne ist sie Individualpsychologie. Sie verzichtet durchgängig auf eine Analyse jener Er1 8 W . Wundt, Essays, 2. Aufl., Leipzig 1 9 0 6 , S. 172. 1 9 M. G. Jaroschewski, W . I. Lenin und die Krise der Psychologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Lenins philosophisches Erbe und Ergebnisse der sowjetischen

Psychologie,

Berlin 1 9 7 4 , S. 2 0 2 .

229

scheinungen, die aus der geistigen Wechselwirkung einer Vielheit von Einzelnen entspringen. Eben deshalb bedarf sie aber einer ergänzenden Betrachtung, die wir der Völkerpsychologie zuweisen. Demnach besteht die Aufgabe dièses Teilgebiets der Pisychologie in der Untersuchung derjenigen psychischen Vorgänge, die der allgemeinen Entwicklung menschlicher Gemeinschaften und der Entstehung gemeinsamer geistiger Erzeugnisse von allgemeingültigem Werte zugrunde liegen." 20 D i e dualistische Auffassung von der Pisychologie als Wissenschaft führte zur Spaltung in eine experimentelle Psychologie des Individuums, die - zumindest anfangs - naturwissenschaftlich orientiert war, und in eine geisteswissenschaftliche •Völkerpsychologie. Die Individualpsychologie betrachtete W u n d t als Naturlehre, die naturwissenschaftliche Methoden anwendet, die Völkerpsychologie als Naturgeschichte, die geistige Erzeugnisse psychologisch untersucht, wobei sie mittels Beobachtung - ohne Experiment - Sprache, Mythos, Sitte und Religion erforschen müsse. Die Individualpsychologie untersuche Erscheinungen des menschlichen Bewußtseins von allgemeingültiger Bedeutung. Ihrer Methode nach sei sie physiologische Psychologie, weil das innere Geschehen zu den materiellen Prozessen in Beziehung gesetzt werde. D i e Völkerpsychologie sei Ausdehnung der individualpsychologischen Untersuchungen auf soziale Gemeinschaften, aber eben ohne Experiment. Zum dualistischen Charakter der Wundtschen Psychologie schrieb Meischner: „Im G r u n d e stehen sich im theoretischen Grundkonzept zwei miteinander unvereinbare Betrachtungsweisen gegenüber, nämlich einmal eine eigentlich introspektionistisch angelegte Individualpsychologie und eine kulturhistorisch konzipierte soziale Psychologie der Völker und ihrer Entwicklung. Deutlich wird dieser Widerspruch auch in dem wissenschaftstheoretischen Modell, daß die Individualpsychologie ,Naturlehre', die Völkerpsychologie demgegenüber .Naturgeschichte' sei. Erstere versucht, mit der naturwissenschaftlichen Methode des psychophysischen Experiments Psychisches zu erforschen, die Völkerpsychologie die ,geistigen Erzeugnisse' psychologisch zu untersuchen." 21 Mit der dualistischen Begründung der Psychologie durch W u n d t war somit zugleich die Entwicklung zweier unterschiedlicher Methodensysteme verbunden. In kritischer Einschätzung stellte W u n d t fest, daß in der bisherigen Psychologie, zwei Methoden angewandt worden seien: die Selbstbeobachtung und die Ableitung der Erscheinungen des Seelenlebens aus metaphysischen Hypothesen. D i e Selbstbeobachtung werde auch zukünftig ein unentbehrliches Hilfsmittel bleiben; sie sei jedoch völlig unzureichend, wenn es sich darum handelt, auf die Anfänge und auf d i e Ursachen der Erscheinungen zurückzugehen. W u n d t betonte: „Die Selbstbeobachtung kann nie hinaus über die Tatsachen des Bewußtseins, mit diesen fängt daher eine auf die Selbstbeobachtung gegründete Wissenschaft an, während sie damit endigen sollte. Denn die Erscheinungen des Bewußtseins sind zusammengesetzte Produkte der unbewußten Seele, aus deren Beschaffenheit, 20 W. Wundt, Völkerpsychologie, Erster Band, 3. Aufl., Leipzig 1911, S. 1, 21 W. Meischner, Beiträge zur Wundt-Forschung, Leipzig 1975, S. 11.

230

sobald sie einmal fertig ins Bewußtsein getreten sind, sich nur selten noch unmittelbar auf ihre Bildung zurückschließen läßt. D i e auf die Selbstbeobachtung gegründete Psychologie, die vorzugsweise als empirische Psychologie sich bezeichnete, muß sich daher auf eine ordnungslose Aneinanderreihung der Tatsachen des Bewußtseins beschränken; und da sie eine innere Verknüpfung dieser Tatsachen nicht aufzufinden vermag, so zersplittert sie das Zusammengehörige in eine Menge auseinanderfallender Einzelheiten. Auf diese Waise ist die empirische Psychologie dazu gekommen, jede Tätigkeitsäußerung der Seele als Äußerung eines besonderen Seelenvermögens darzustellen." 2 - W u n d t hatte richtig erkannt, daß Erkenntnisse über Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten psychischer Erscheinungen nicht allein durch Selbstbeobachtung gewonnen werden können. D i e sich auf Hypothesen berufende metaphysische Spekulation über die Seele lehnte er als Methode der Psychologie ab. Als Resümee seiner Methodenkritik forderte W u n d t : D i e deduktive Methode sei in der Psychologie zu verwerfen, es müsse an die induktive Methode angeknüpft werden. Die bisherige Beobachtungsmethode sei zu erweitern. Das Experiment müsse als Untersuchungshilfsmittel einbezogen werden. Wie in den Naturwissenschaften sei auch in der Psychologie die statistische Methode zu benutzen. Die Notwendigkeit, naturwissenschaftliche Methoden in der Psychologie einzuführen, begründete W u n d t vor allem mit seiner Erfahrungskonzeption, als „Wissenschaft der unmittelbaren Erfahrung" habe es die Psychologie mit dem gesamten Umfang der Erfahrung zu tun, auch mit dem von der Naturwissenschaft bearbeiteten Erfahrungsinhalt, eine prinzipielle Verschiedenheit der Methoden sei demnach nicht einzusehen. In einigen frühen Arbeiten vertrat W u n d t noch den Standpunkt, daß das Experiment allmählich auch in den „Bereich der höheren Seelentätigkeit" eindringen werde. 2 3 Später glaubte er, die Möglichkeit experimenteller Forschung auf elementare psychische Prozesse beschränken zu müssen. N u r solche psychischen Erscheinungen, die direkten physischen Einwirkungen zugänglich seien, könnten experimentell untersucht werden. In seinem „Grundriß der Psychologie" schrieb Wundt, die Psychologie verfüge „über zwei exakte Methoden: die erste, die experimentelle Methode, dient der Analyse der einfacheren psychischen Vorgänge; die zweite, die Beobachtung der allgemeingültigen Geisteserzeugnisse, dient der Untersuchung der höheren psychischen Vorgänge und Entwicklungen" 2,5 . W u n d t war bemüht, durch die Einführung der experimentellen Methode die Psychologie zu einer exakten Wissenschaft zu entwickeln, die den Naturwissenschaften in nichts nachstehen sollte. Bei der Durchsetzung und der qualitativen Verbesserung psychologischer experimenteller Methoden erwarb sich W u n d t große Verdienste, wenn er auch keineswegs „der Begründer" der experimentellen Psychologie war. W u n d t experimentierte anfangs besonders auf der Basis der Fech22 W. Wundt, Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung, a. a. O., S. XVI. 23 Ebenda, S. XXVII. 24 W. Wundt, Grundriß der Psychologie, a. a. O., S. 30.

231

nerschen Arbeiten. An das Experiment in der Psychologie legte er hohe Maßstäbe. Als grundlegende Prinzipien des Experimentierens betrachtete er Willkürlichkeit, Kontrollierbarkeit, Variierbarkeit und Wiederholbarkeit. Bei Wahrung des selbständigen Gegenstandes der Psychologie versuchte er durch das Experiment sinnesphysiologiische und psychologische Erkenntnisse in Einheit zu erfassen. Wundt schrieb: „Die Veränderungen im inneren Geschehen, idie man durch den Wechsel der äußeren Einflüsse, von denen es abhängt, herbeiführt, werden also eben damit auch über das innere Geschehen selbst Aufschlüsse enthalten." 25 Das Wundtsche Experiment war psychophysischer und psychophysiologischer Art, es basierte auf dem Prinzip des psychophysischen Parallelismus. Wundt erläuterte: „Wenn wir nun . . . uns selbst oder einen anderen Menschen experimentellen Einwirkungen unterwerfen wollen, so ist es selbstverständlich, daß dieselben direkt nur seinen Körper treffen können. Aber wir werden sicherlich nicht von vornherein behaupten wollen, daß eben deshalb solche Einwirkungen uns über dessen psychisches Leben keinen Aufschluß zu geben vermögen. Sind doch alle unsere Vorstellungen ursprünglich abhängig von körperlichen Einwirkungen, und ist uns doch in diesem Sinne jeder Lichtstrahl, der in unser Auge, jeder Schall, der in unser Ohr dringt, ein Experiment, das die Natur mit uns anstellt. . . . Wenn wir nun Sinneseindrücke willkürlich erzeugen, nach Qualität und Stärke sie angemessen verändern und die ihnen entsprechenden Veränderungen der Empfindung verfolgen, so liegt in der Ausführung solcher Beobachtungen offenbar schon ein Experiment vor, welches freilich nur erst teilweise ein psychologisches zu nennen ist, da auf die Abhängigkeit unserer Empfindungen als psychischer Zustände von den äußeren Sinneseindrücken die physiologischen Eigenschaften der Sinnesorgane und des Nervensystems gleichzeitig von Einfluß sind. Experimente dieser Art wurden daher sehr passend als psychophysische bezeichnet. Indem dieser Name darauf hinweist, daß die Resultate solcher Versuche an und für sich gemischter Natur sind, ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß durch geeignete Veränderungen der Beobachtungen die psychischen und die physischen Einflüsse aus jener gemischten Abhängigkeitsbeziehung gesondert werden oder daß sich einander parallel gehende Gesetze ergeben, die sich auf einen und denselben Vorgang beziehen, welcher eine innere und eine äußere, eine psychologische und eine physiologische Auffassung zuläßt."- 8 Rubinstein schrieb über das Wundtsche Experiment: „Das ursprüngliche Wundtsche Experiment war ein psychophysiologisches Experiment. Es .bestand im wesentlichen in der Registrierung physiologischer Reaktionen, die die psychischen Prozesse begleiten, wobei die Registrierung durch die Selbstbeobachtung ergänzt wurde. Das Wundtsche Experiment ging von der dualistischen Theorie eines äußerlichen Parallelismus des Psychischen und des Physiologischen aus. Diese

2 5 W . Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie, Leipzig 1 8 7 4 , S. 5 . 2 6 W . Wundt, Essays, a. a. O . , S. 2 0 0 / 2 0 2 .

232

methodischen Prinzipien lagen der experimentellen Methode zugrunde und bestimmten die ersten Schritte der Experimentalpsychologie." 2 7 D i e experimentelle Methode Wundts stützte sich auf eine unhaltbare Theorie über das Verhältnis von Physischem bzw. Physiologischem und Psyohischem. Diese Tatsache beschränkte die Wirksamkeit und den Anwendungsbereich des Experiments in der psychologischen Forschung. D a es sich aber in der Tat bei den physiologischen und psychischen Erscheinungen um einen einheitlichen Prozeß handelt, konnten trotz der falschen theoretischen Position bei der Analyse nervaler Trägerprozesse im Detail richtige Erkenntnisse über Psychisches gewonnen werden. W u n d t versuchte vermittels der planmäßigen Beobachtung und Variation der äußeren Bedingungen Einblick in die psychischen Elementarprozesse zu bekommen. Abgesehen von der ungerechtfertigten Einschränkung auf psychische Elementarprozesse vertrat er damit einen noch heute akzeptablen Standpunkt. Rubinstein schrieb über das Experiment in der Psychologie: „Die Hauptaufgabe des psychologischen Experiments besteht darin, die wesentlichen Besonderheiten des inneren, psychischen Prozesses der objektiven äußeren Beobachtung zugänglich zu machen. Zu diesem Zweck ist es erforderlich, die Bedingungen des Ablaufs der äußeren Tätigkeit zu variieren und so eine Situation zu schaffen, bei der der äußere Verlauf des Akts den inneren, psychischen Gehalt adäquat widerspiegelt. Durch das experimentelle Variieren der Bedingungen soll vor allem die Richtigkeit der bestimmten psychologischen Interpretation einer Handlung oder Tat festgestellt und dadurch die Möglichkeit aller anderen ausgeschlossen werden." 2 8 W u n d t wandte Methoden der Sinnesphysiologie auf einfache Probleme des Psychischen an, auf kognitive Prozesse elementarer Art, er stellte Größen- und Helligkeitsunterschiede verschiedener Reize fest, verglich Töne und Gerüche in ihren Auswirkungen, und er untersuchte die Zusammensetzung von Vorstellungen, die Intensität von Gefühlen unid den Umfang von Begriffen. In Wundts Experimenten ging es vorwiegend um die Beziehungen von Reizgrößen und Empfindungswerten. W u n d t trat entschieden gegen das zu seiner Zeit sehr weitverbreitete Vorurteil auf, Psychisches lasse sich nicht messen, es sei naturwissenschaftlichen Methoden überhaupt nicht zugänglich. E r hielt dagegen, unser Bewußtsein gebe uns ein maßvoll geordnetes Bild der äußeren Welt, wie sollte dann alles, was im Bewußtsein geschieht, des Maßes entbehren? Außerdem sei die Zeit selbst ein psychisches Phänomen, fügte er von seiner idealistischen Position aus hinzu. D i e Möglichkeit, psychische Erscheinungen messen zu können, begründete W u n d t nicht nur mit innerpsychischen Ursachen, er führte sie zugleich auf eine dem Messen zugängliche Beziehung von Physischem und Psychischem zurück. E r schrieb: „Die Empfindung, die ein psychischer Akt ist, gibt für die Intensität der äußeren Eindrücke ein ungefähres Maß, ohne das wir jedoch ein genaueres niemals finden würden, weil es uns unmöglich wäre, nach einem solchen zu suchen. Stehen uns

27 S. L. Rubinstein, Grundlagen der allgemeinen Psychologie, 7. Aufl., Berlin 1971, S. 57. 28 Ebenda.

233

a b e r einmal physikalische M e t h o d e n zur Messung der L i c h t - und

Schallstärken

zu G e b o t e , so k ö n n e n wir nun mit diesen w i e d e r an d i e E m p f i n d u n g herantreten und uns f r a g e n , i n w i e f e r n sie ein treues M a ß ist für den ä u ß e r e n V o r g a n g , der auf unsere S i n n e e i n w i r k t , o d e r , um es a n d e r s zu bezeichnen, wie sich die S t ä r k e unserer E m p f i n d u n g e n ä n d e r t , wenn wir die ä u ß e r e n E i n d r ü c k e ,

durch

welche

die E m p f i n d u n g e n erzeugt w e r d e n , um b e s t i m m t e G r ö ß e n ihrer physischen E n e r g i e wachsen l a s s e n . " - 9 N i c h t nur die S t ä r k e

der E m p f i n d u n g e n

lasse sich

messen,

sondern auch die ¡stetige A b s t u f u n g der E m p f i n d u n g e n in ihrer q u a l i t a t i v e n

Be-

schaffenheit. F o l g e n d e F r a g e n gelte es in der psychologischen F o r s c h u n g i m Z u s a m m e n h a n g m i t der A n w e n d u n g v o n M e ß m e t h o d e n hauptsächlich zu b e a n t w o r t e n : „ W e l c h e o b j e k t i v m e ß b a r e Z e i t b r a u c h t die A u f f a s s u n g unserer E m p f i n d u n g e n , die B i l d u n g unserer V o r s t e l l u n g e n ? W e l c h e G e s e t z e gibt es für die V e r b i n d u n g und die zeitliche A u f e i n a n d e r f o l g e der einzelnen E r e i g n i s s e in unserem B e w u ß t s e i n ? " 3 0 W u n d t ging d a v o n aus, d a ß die F o r t p f l a n z u n g eines Sinneseindruckes zum G e h i r n eine gewisse D a u e r e r f o r d e r t . M i t der F e s t s t e l l u n g dieser D a u e r sei j e d o c h die den Psychologen interessierende F r a g e nicht erledigt. E r nachdem

der

Eindruck

in

den

Nerven

bis zum

Gehirn

w o l l e wissen

fortgepflanzt

ob,

ist,

im

Z e n t r a l o r g a n des B e w u ß t s e i n s nun auch die A u f f a s s u n g erfolge. Z u r R e a k t i o n s z e i t gelangten wir, wenn wir v o n der G e s a m t d a u e r zwischen R e i z und E m p f i n d u n g s bzw. V o r s t e l l u n g s b i l d u n g die Z e i t d a u e r d e r physiologischen V o r g ä n g e die wir aus a n d e r w e i t i g e n

abzögen,

B e o b a c h t u n g e n kennen w ü r d e n . W u n d t w a r

infolge

seines S t a n d p u n k t e s des psychophysischen P a r a l l e l i s m u s b e m ü h t , d i e M e s s u n g der psychischen

A k t e s von

den rein physiologischen

Prozessen

möglichst

exakt

zu

sondern. F o l g e n d e A r g u m e n t a t i o n W u n d t s m a c h t das (deutlich. D i e R e a k t i o n s z e i t bei v o r h e r u n b e k a n n t e n E i n d r ü c k e n ist länger a l s bei e i n e m R e i z v o n b e k a n n t e r Beschaffenheit.

E s k ö n n e festgestellt w e r d e n , d a ß die R e a k t i o n s b e w e g u n g

erst

ausgeführt w e r d e , n a c h d e m die Q u a l i t ä t des E i n d r u c k s genau unterschieden w o r den sei. W u n d t s c h l u ß f o l g e r t e : „ Z i e h e n wir a b e r v o n ihr j e n e Z e i t ab, die zur R e a k t i o n a u f einen einfachen R e i z v o n b e k a n n t e r B e s c h a f f e n h e i t e r f o r d e r l i c h w a r , so w e r d e n wir w i e d e r die D a u e r eines rein psychischen A k t e s , nämlich des A k t e s einer U n t e r s c h e i d u n g e r h a l t e n . " 3 1 D i e s e T r e n n u n g

der D a u e r „rein

psychologi-

s c h e r " V o r g ä n g e v o n der D a u e r der physiologischen Prozesse ist wissenschaftlich u n h a l t b a r , denn physiologischer T r ä g e r p r o z e ß und psychologische V o r g ä n g e sind absolut u n t r e n n b a r . D i e längere R e a k t i o n s z e i t d a u e r bei bisher u n b e k a n n t e n

Ein-

drücken ist d a r a u f zurückzuführen, d a ß mehr, u m f a n g r e i c h e r e , ungeübtere, k o m pliziertere o d e r neuartige psychophysiologische Prozesse durch solche E i n d r ü c k e h e r v o r g e r u f e n w e r d e n . D i e R e a k t i o n s z e i t betrifft i m m e r den einheitlichen psychophysischen P r o z e ß . W u n d t h a t die Messungen in der P s y c h o l o g i e auf die „ W a h l z e i t " , die „ A s s o z i a t i o n s z e i t " , einige logische D e n k a k t e , den U m f a n g v o n A p p e r z e p -

29 W. Wundt, Essays, a. a. O., S. 217. 30 Ebenda, S. 220. 31 Ebenda, S. 224.

234

tionen und andere psychische Erscheinungen ausgedehnt. W u n d t beachtete bei seinen Messungen in der Psychologie die in der Astronomie gewonnene Erfahrung, d a ß bei Messungen die Subjektivität des Messenden nicht unberücksichtigt bleiben dürfe, der sogenannten „persönlichen Differenz" schenkte er daher große Aufmerksamkeit. Seine Maßmethoden wandte er nicht in positivistischer Enge bloß empirisch an, er forderte ihre theoretische Verarbeitung und die Aufstellung von Hypothesen auf der Grundlage von Meßresultaten. E r trennte allerdings dabei Aufgaben für die „empirische Psychologie" von den Aufgaben der „theoretischen Psychologie". D i e Aufgabe der experimentellen Psychologie sei erschöpft, wenn sie eine exakte Beschreibung der Tatsachen zustandegebracht habe. D i e Verwertung der Tatsachen müsse der theoretischen Disziplin überlassen bleiben, denn Hypothesen und Theorien seien ein Bestandteil der Wissenschaft, „welchen erst unser eigenes Denken dem objektiv gegebenen Tatbestande hinzufügt" :i2 . Indem W u n d t für die experimentelle Psychologie eine Beschränkung auf die Tatsachenbeschreibung forderte, engte er deren Aufgabenbereich positivistisch ein. Obwohl er in mehreren Arbeiten die notwendige Einheit von Empirie und Theorie im Forschungsprozeß betonte, trug er dazu bei, die experimentelle Psychologie auf positivistischer Grundlage zu formieren. Es sei die Aufgabe der experimentellen Psychologie, zu einer exakten Beschreibung des Bewußtseins zu gelangen. Diese Aufgabe gliedere sich in drei Einzelaufgaben. „Wir können erstens fragen: welches sind die Elemente, aus denen sich alle Bestandteile unseres Bewußtseins zusammensetzen, und welche qualitativen und quantitativen Eigenschaften besitzen dieselben? Wir können zweitens untersuchen, wie sich die Elemente miteinander verbinden, um die tatsächlich gegebenen Zustände und Vorgänge des Bewußtseins, die immer komplexer N a t u r sind, hervorzubringen. Wir können endlich drittens die Verhältnisse der Koexistenz und Aufeinanderfolge bestimmen, die für die inneren Vorgänge im allgemeinen maßgebend sind."'''-® Diese Fragestellung zeigt deutlich, daß W u n d t das Bewußtsein an sich, in seinen inneren gesetzmäßigen Zusammenhängen erfassen wollte, daß er bei seinen Untersuchungen nicht vom Widerspiegelungs- und Abbildcharakter ausging, somit auch dem grundlegenden Verhältnis von Objekt und Subjekt bei seinen Bewußtseinsanalysen wenig Beachtung schenkte, wobei einschränkend gesagt werden muß, d a ß sich W u n d t bewußt war, daß die Vorstellungen ihren Inhalt durch die objektiven Gegenstände erhalten. Eine einigermaßen erfolgreiche Behandlung von Bewußtseinstatsachen sei bisher nur bei den psychischen Erscheinungen möglich gewesen, konstatierte W u n d t , die durch eine regelmäßige Abhängigkeit von den äußeren Objekten, mit denen unser Bewußtsein in Beziehung stehe, gekennzeichnet seien, bei d e n Vorstellungen. 3 4 Gefühle, Gemütsbewegungen und Willensregungen besäßen in höherem G r a d e von unberechenbaren subjektiven Einflüssen abhängigen Charakter. Im Gebiete 32 W. Wundt, Über psychologische 1. Heft, a. a. O., S. 3.

Methoden,

in: Philosophische

Studien,

Erster

Band,

33 Ebenda, S. 4. 34 Ebenda, S. 5.

235

des Vorstellens unterschied W u n d t drei Methoden der experimentellen Forschung: die psychophysische Methode im engeren Sinne des Wortes, Methoden zur Analyse der Sinneswahrnehmung und Methoden der psychologischen Zeitmessung. Es seien drei Methoden psychophysischer Art. In Anlehnung an Fechner verstand W u n d t darunter alle Methoden, die sich auf die exakte Untersuchung der Elemente unserer Vorstellungen bezögen. Diese Elemente waren für ihn Empfindungen. E r schrieb: „Ich behalte auch hier für diese Elemente den Namen Empfindungen bei und rechne also die ganze Feststellung der Eigenschaften und Gesetze der Empfindungen der psychophysischen Methodik zu." 35 W u n d t erkannte, daß die psychophysischen Methoden auf die Wechselbeziehungen von Physischem und Psychischem gerichtet sind, sein Standpunkt des psychophysischen Parallelismus und der Höherwertigkeit des Geistigen gegenüber dem Materiellen hinderte ihn jedoch, das Wesen dieser Wechselbeziehungen zu erfassen. Ihm ging es immer wieder um die Selbständigkeit des Psychischen - was, wie wir sahen, historisch betrachtet auch zwei positive Momente einschloß, eine Absage an jede Reduktion von Psychischem auf Physisches, und ein Argument für die Selbständigkeit der Psychologie gegenüber der Physiologie. W u n d t unterschied drei hauptsächlich in der Psychologie angewandte psychophysische Methoden: die Methode der eben merklichen Unterschiede oder der Minimaländerung der E m p findungen, die Methode der mittleren Fehler und die Methode der richtigen und falschen Fälle. N u r die erstgenannte Methode ließ er als ein zulässiges Verfahren gelten. Dieses Verfahren bestehe darin, „daß man zuerst einen untermerklichen Reiz oder Reizunterschied so lange möglichst stetig vergrößert, bis er eben übermerklich geworden ist, und dann einen übermerklichen so lange in derselben Weise verkleinert, bis er eben untermerklich geworden ist, oder auch umgekehrt verfährt, dann aber den Mittelwert zwischen der Grenze des Übermerkliohen und Unter,merklichen als die Reizschwelle oder Unterschiedsschwelle annimmt"' 10 . Der Zweck solcher Untersuchungen bestehe in der vollständigen Ermittlung der Elemente, aus denen sich der einzelne Wahrnehmungsprozeß zusammensetzt, sowie der Gesetze, nach welchen sich diese Elemente verbinden. Mittels der synthetischen Methode könnten elementare Empfindungen direkt ermittelt werden, indem man die zusammengesetzte Vorstellung aus ihren Elementen rekonstruiere. Mittels der analytischen Methode könnten die elementaren Empfindungen indirekt erschlossen werden, indem man die Bedingungen variiere, unter denen eine Wahrnehmung zustandekommt, und aus den sich ergebenden Resultanten auf die bei derselben zusammenwirkenden Elemente zurückschließe. D i e Methoden der Zusammensetzung, der Zerlegung und der Variation der Bedingungen bildeten also die psychophysischen Methoden der Wundtschen Bewußtseinsanalysen. Hinzu kamen Methoden zur Messung der zeitlichen Verhältnisse von Vorstellungen, die W u n d t in die Reaktionsmethode und die Vergleichsmethode unterteilte. G r o ß e

35 Ebenda, S. 6. 36 Ebenda, S. 8.

236

Beachtung schenkte er der statistischen Methode in der psychologischen Forschung, für die „Theorie der Seelenerscheinungen" könne sie allerdings gegenwärtig nichts leisten, wohl aber für die psychologische Praxis. Wundt erklärte: „Es kann aber auf diesem Wege für die Psychologie nicht nur Neues gewonnen werden, sondern es hat 'diese Methode auch den unendlichen Vorteil, daß sie an die Stelle vager Vermutungen eine unerschütterliche Gewißheit setzt, daß sie nicht unbestimmte Folgerungen, sondern Schlüsse mit mathematischer Sicherheit zu ziehen erlaubt. . . . Man kann ohne Übertreibung sagen, daß aus den statistischen Ermittlungen sich mehr Psychologie lernen läßt, als aus allen Philosophen, den Aristoteles ausgenommen. Freilich sind die statistischen Tatsachen zunächst nur von Wichtigkeit für die praktische Psychologie, nicht für die Theorie der Seelenerscheinungen." 37 Für die Analyse der Gefühle unterschied Wundt die Eindrucks- und die Ausdrucksmethode. Schon die Doppelheit dieser Methoden sei für die zentrale Stellung der Gefühle inmitten des „Seelenlebens" bezeichnend. D i e Eindrucksmethode diene der Analyse der Gefühle wie der Empfindungen und Vorstellungen, nur daß für letztere überhaupt kein anderes Verfahren in Frage komme als die willkürliche Variation der Bewußtseinsinhalte durch äußere Reize. Bei der Gefühl&analyse finde die Eindrucksmethode ihre Ergänzung in einer Methode, die umgekehrt in dem Sinne von innen nach außen gerichtet sei, daß sie zu bestimmten subjektiv wahrgenommenen Gefühlen die physischen Begleiterscheinungen aufsuche, die als mehr oder weniger regelmäßige Symptome derselben gelten könnten. „Beide Methoden sind ,psyohophysisch' ", erklärte Wundt, „insofern ihre Absicht auf die Analyse psychischer Vorgänge ausgeht, sie aber zur Erreichung dieses Zwecks physischer Hilfsmittel bedürfen: der äußeren Reize die Eindrucksmethode, gewisser körperlicher Symptome die Ausdrucksmethode." 38 Bei seinen Gefühlsanalysen wertete Wundt die Eindrucksmethode als indirekte Methode. Durch den Reiz wolle der experimentelle Psychologe zunächst eine Veränderung des Vorstellungsinhaltes hervorbringen, um die Beziehungen, in denen dieser zu gewissen Gefühlsvorgängen stehe, und damit zugleich die Eigenschaften der letzteren selbst ermitteln zu können. D e r von der objektiven Realität - und deren im Experiment erzielten Variationen - ausgehende Reiz spielte für Wundt gewissermaßen nur die Rolle des unumgänglichen Auslösers, dem bei der eigentlichen Untersuchung der Bewußtseinserscheinungen lediglich eine Hilfsfunktion zukam. Für Wundt blieb die Selbstbeobachtung - vor allem in der theoretischen Reflexion - die grundlegende Methode der Psychologie, obgleich er wiederholt auf die Begrenztheit ihrer Möglichkeiten hinwies und obwohl sie in seinen eigenen experimentellen Arbeiten oft keine Rolle spielte. D i e experimentelle Methode trete nicht an die Stelle der Selbstbeobachtung, sondern sie ermögliche erst eine wissenschaftlich fundierte Selbstbeobachtung. Die Erkenntnis, daß mit Hilfe des 37 W . Wundt, Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung, a. a. O., S. X X I V - X X V . 38 W . Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Bd., 5. Aufl., Leipzig 1902, S. 263.

237

Experiments infolge der willkürlichen Fixierung und Variierung der Bedingungen sich eine zuverlässige Selbstbeobachtung erreichen lasse, könne als „Geburtsmoment der experimentellen Psychologie" bezeichnet werden.-' 9 Die „innere Wahrnehmung" sei „das Fundament der ganzen Psychologie" 40 . W u n d t äußerte die Meinung, d a ß die Selbstbeobachtung nur unter den Bedingungen des Experimentes ausführbar sei. Wenn der rein subjektiven, das heißt aller objektiven Hilfsmittel entbehrenden Selbstbeobachtung beispielsweise ein eben merklicher Unterschied begegnen sollte, wüßte sie damit gar nichts anzufangen. W u n d t kombinierte demnach die Selbstbeobachtung mit objektiven Hilfsmitteln und fügte sie in das Experiment ein, erklärte sie aber weiterhin für die wichtigste Methode zur Erfassung psychischer Erscheinunigen. Unter objektiver Methode, schrieb W u n d t , habe er niemals eine „bloß objektive" verstanden, die die Selbstbeobachtung ausschlösse, das hieße eine Sinnlosigkeit verlangen/' 1 Das Experiment in der Psychologie, schlußfolgerte er, sei „eigentlich nur eine durch objektive Hilfsmittel verschärfte und streng genommen sogar erst ermöglichte Methode der Selbstbeobachtung'" 12 . W u n d t hat die Bedeutung der Selbstbeobachtung infolge der Überbewertung der individuellen unmittelbaren Erfahrung sehr stark überschätzt. Seine introspektionistische Orientierung war ein ernstes Hemmnis für seine experimentelle psychologische Tätigkeit. Die Selbstbeobachtung spielt zweifellos - gewissermaßen als eine Hilfsmethode - in der Psychologie eine Rolle, für die unmittelbare Erlebensforschung ist sie sogar unentbehrlich; der grundlegende Widerspiegelungscharakter psychischer Erscheinungen läßt sich mit ihr jedoch nicht erfassen, und außerdem isoliert sie mehr oder weniger das Psychische aus seinen sozialen Wechselbeziehungen. Insgesamt müssen Wundts Methoden in der experimentellen Psychologie als eng und mechanistisch eingeschätzt werden. Ihr Ansatz ging vom psychophysischen Parallelismus aus, und sie stützten sich auf die Introjektion. W u n d t ging es um die Erforschung von Elementen des Bewußtseins und deren gesetzmäßige Beziehungen zueinander, nicht um die realen Beziehungen von objektiver Realität und Bewußtsein. Die Wundtschen Experimente gingen zwar von der Beziehung des Psychischen zum Physischen aus, erfaßten aber nicht das Wesen dieser Beziehung. Sie bezogen sich weder auf die gesetzmäßigen Wechselbeziehungen von äußeren Gegenständen und deren psychischen Abbildern noch auf die grundlegenden Beziehungen zwischen dem materiellen Substrat im Nervenprozeß und dem Psychischen, sie mißachteten die Tatsache, daß das Psychische Funktion des Gehirns ist. In Wundts experimenteller Arbeit spielte auch der Tätigkeitsaspekt des Psychischen keine Rolle, er untersuchte nicht die Funktion 39 W. Wundt, D i e Psychologie im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, in: Reden und Aufsätze, Leipzig 1913, S. 217. 40 W. Wundt, Selbstbeobachtung und innere Wahrnehmung (1888), in: Kleine Schriften von Wilhelm Wundt, 3. Bd., Stuttgart 1921, S. 430. 41 Ebenda, S. 435. 42 Ebenda, S. 438.

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des Psychischen bei der Orientierung und Regulierung menschlichen Verhaltens. Trotz dieser Tatsachen wäre es völlig ungerechtfertigt, die Wundtschen Experimente in der Psychologie nur negativ unter dem Gesichtspunkt ihrer Enge und Unzulänglichkeiten zu bewerten, ganz im Gegenteil, dem Experiment in der Psychologie entscheidend zum Durchbruch verholfen zu haben, ist .das unbestrittene Verdienst Wundts. Trotz zunehmender eigener spekulativer Auffassungen half er damit, die Psychologie von der spekulativen Metaphysik zu lösen und sie zu einer experimentellen Wissenschaft zu entwickeln. Wundt hat entscheidend dazu beigetragen, Methoden der Physiologie für die Psychologie nutzbar zu machen. Obwohl Wundt, wie bereits gezeigt wurde, anfangs sehr optimistisch die Ausweitung des Experimentes auf höhere psychische Prozesse für möglich hielt, festigte sich schließlich sein Standpunkt, daß nur psychische Elementarprozesse dem Experiment zugänglich seien. Er kam zu dem Ergebnis: „Wenn man aber die ganze Psychologie die experimentelle nennt, so ist dies ebenso gewiß eine falsche Bezeichnung, weil es Gebiete gibt, die der Natur der Sache nach dem Experiment unzugänglich sind. Dazu gehört in erster Linie die Entwicklung des Denkens . . ," 43 Diese Auffassung von der begrenzten Anwendungsmöglichkeit des Experimentes in der psychologischen Forschung bestärkte Wundt in der Absicht, neben der experimentellen Individualpsychologie eine nur auf die Beobachtung begründete Völkerpsychologie als relativ selbständige Wissenschaft zu entwickeln. „So fügt es sich denn glücklich", schrieb er, „daß gerade von dem Punkte an, wo die experimentelle Beobachtung ihren Beistand versagt, nun die Hilfsmittel der Völkerpsychologie an deren Stelle treten." Vl In seinen Lebenserinnerungen schrieb W u n d t : „Als ich . . . um das Jahr 1860 den Gedanken faßte, der experimentellen Psychologie, die sich ihrer ursprünglichen Absicht wie den ihr zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln gemäß auf die Tatsachen des individuellen Seelenlebens zu beschränken hatte, eine Art von Oberbau beizufügen, der sich, von diesen Tatsachen als unentbehrlichen Grundlagen ausgehend, die Erscheinungen des menschlichen Zusammenlebens, namentlich in ihren Anfängen, zur Aufgabe setzen müsse, da erschien mir nun bald diese Aufgabe als die höhere und in Wahrheit als die eigentlich abschließende der Psychologie." 4 '' Wundts Idee zur Ausarbeitung einer „Völkerpsychologie" war vor allem angeregt durch den 1859 erschienenen ersten Band der „Anthropologie der Naturvölker" von Theodor Waitz und den 1860 veröffentlichten ersten Band der „Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaften" von Lazarus und Steinthal. Zum Gegenstand der Völkerpsychologie erklärte Wundt die psychischen Erscheinungen, die die geistige Wechselbeziehung der menschlichen Gemeinschaft voraussetzten. Er schrieb: „Wie es nun die Aufgabe der Psychologie ist, den 4 3 W . Wundt, Die Psychologie im Kampf ums Dasein, Leipzig 1 9 1 3 , S. 29. 4 4 W . Wundt, Essays, a. a. O., S. 2 0 9 . 45 W . Wundt, Erlebtes und Erkanntes, 2. Aufl., Stuttgart 1 9 2 1 , S. 2 0 1 .

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Tatbestand des individuellen Bewußtseins zu beschreiben un.d in bezug auf seine Elemente und Entwicklungsstufen in einen erklärenden Zusammenhang zu bringen, so muß unverkennbar auch die analoge genetische und kausale Untersuchung jener Tatsachen, die zu ihrer Entwicklung die geistigen Wechselbeziehungen der menschlichen Gesellschaft voraussetzen, als ein Objekt psychologischer Forschung angesehen werden.'" 16 Diese Gegenstandsbestirrnmung enthält die unhaltbare Position, daß nur bestimmte psychologische Erscheinungen der sozialen Wechselbeziehungen bedürften. In seiner „Völkerpsychologie" wollte Wundt die „Einheit des menschlichen Geistes in seinen allgemeinen Anlagen und Strebungen" zum Ausdruck bringen/' 7 Die menschliche Gemeinschaft, ohne die sich psychisches Leben nicht entwickeln kann, begrenzte Wundt aLs „Lebensbedingung ihrer Existenz" auf bestimmte psychische Tatbestände. Ausgehend von seiner Bestimmung „der Seele" als „Gesamtheit aller inneren Erlebnisse" erklärte er einen bestimmten Teil dieser „inneren Erlebnisse" zum speziellen Gegenstand der Völkerpsychologie. Es seien die „inneren Erlebnisse", die stets einer großen Zahl von Individuen gemeinsam seien; für viele psychische Erzeugnisse, wie für Sprache und mythische Vorstellungen sei die Gemeinschaft geradezu Lebensbedingung ihrer Existenz. D i e Gemeinsamkeit psychischer Erscheinungen hafte vor allem den Völkern an, daher ,sei es berechtigt, von einer Volksseele zu sprechen. Der Begriff „Völkerpsychologie" greife einen Zentralbegriff des Inhalts dieser Wissenschaft heraus. Zweifellos haben sich im historischen Entwicklungsprozeß infolge bestimmter gemeinsamer Lebensbedingungen einige gemeinsame psychische Eigenarten eines Volkes herausgebildet; die Volksseele im Wundtschen Sinne ist eine unhaltbare Fiktion. Solange soziale Klassen existierten und existieren, prägen in erster Linie diese die psychischen Eigenarten großer Menschengruppen. Zwischen den Proletariern verschiedener Länder gibt es ausgeprägtere psychische Gemeinsamkeiten als zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie eines Landes. Wundt wollte den Begriff der „Volksseele" nicht mystisch im Sinne einer substantiellen Seele verstanden wissen. Auch hier sei „nur jener aktuelle Seelenbegriff brauchbar, nach welchem die Seele nichts anderes als die Einheit der seelischen Vorgänge selbst ist. Nach diesem Gesichtspunkte allein bestimmt sich daher das Verhältnis der Begriffe Einzelseele und Volksseele und mit ihm das der Einzelnen zur Gemeinschaft. So wenig diese ohne die Einzelnen bestehen könnte, so ist sie darum noch nicht eine bloße Addition und Verstärkung der Eigenschaften und Tätigkeiten der Einzelnen. Vielmehr ist es die Verbindung und Wechselwirkung der Individuen, welche die Gemeinschaft als solche hinzubringt, und durch die sie auch in dem Einzelnen neue, dem gemeinsamen Leben .spezifisch angehörige Leistungen weckt." 4 8 Letzte und wichtigste Aufgabe der Völkerpsychologie sei es, allgemeingültige

46 W . Wundt, Probleme der Völkerpsychologie, a. a. O., S. 2. 47 W . Wundt, Erlebtes und Erkanntes, a. a. O., S. 222. 48 W. Wundt, Völkerpsychologie, 1. Bd., 2. Aufl., Leipzig 1911, S. 21.

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Entwicklungsgesetze der Volksseele aufzufinden. D i e „Volksseele" unterliege bestimmten Regelmäßigkeiten, daher sei es berechtigt, die Völkerpsychologie als eine Gesetzeswissenschaft zu bezeichnen. W u n d t wandte sich gegen die Auffassung, d a ß die psychologische Untersuchung von Sprache, Mythos und Sitte zugleich die Belange der Geschichtswissenschaft mit wahrnehme. Weil sich die genannten Erscheinungen jedoch nach psychischen Gesetzmäßigkeiten entwickelten, müsse die völkerpsycholoigische der geschichtswissenschaftlichen Untersuchung parallel gehen. Als positiv kann der Versuch der Wundtschen Völkerpsychologie gewertet werden, die Erforschung und Erklärung psychischer Erscheinungen ausschließlich vom Individuum her zu überwinden. Als wertvoll muß auch jeder ernsthafte Versuch gewürdigt werden, das Verhältnis von Gemeinschaft und Individuum genauer zu bestimmen. W u n d t gelangte zu der bedeutsamen Erkenntnis, d a ß alles individuelle psychische Wirken als vom „Gesamtgeist" determiniert aufgefaßt werden müsse. D a W u n d t aber die historisch konkrete soziale Struktur der menschlichen Gemeinschaftsbeziehungen nicht erfaßte und den „Geist" nicht als Widerspiegelung begriff, mußte sein „Gesamtgeist" eine mystische Fiktion bleiben. Den „Volksgeist" unter kapitalistischen Verhältnissen zu der psychischen Erscheinung zu erklären, die als das allen Individuen Gemeinsame der inneren psychischen Tätigkeit definiert werden könne, hilft wissenschaftlicher Erkenntnis keinen Schritt voran, dient aber, gewollt oder ungewollt der apologetischen Rechtfertigung der bourgeoisen Eigentums- und Machtverhältnisse. Auch in Wundts Erkenntnis, d a ß dem „Gesamtgeist" gegenüber den individualpsychologischen Erscheinungen eine neue, höhere Qualität zukomme, verbinden sich richtige Einsichten mit der unbrauchbaren Anwendung auf den „Volksgeist". In seiner Völkerpsychologie hat W u n d t die Geistesgeschichte der Menschheit weitgehend verselbständigt, diese von den grundlegenden und bestimmenden materiellen Lebensprozessen isoliert. Wenn sich W u n d t mit materiellen Prozessen beschäftigte, dann untersuchte er diese meistens als Resultate gemeinsamen geistigen Wirkens. D a s tatsächliche Verhältnis von materiellen und ideellen Prozessen verkehrte er idealistisch in sein Gegenteil; statt beispielsweise aus der materiellen Produktion bestimmte geistige Erscheinungen abzuleiten, versuchte er die Art und Weise der Produktion aus geistigen Motiven zu erklären. Den für die materielle und geistige gesellschaftliche Entwicklung als Triebkraft wirksamen grundlegenden Widerspruch von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erfaßte er nicht. D a s hervorstechendste Merkmal der Wundtschen Völkerpsychologie ist die Psychologisierung gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse. Eine Erklärung der zusammengesetzten Erscheinungen der Völkerpsychologie verlange eine Beleuchtung durch das individuelle Bewußtsein, weil diese Erscheinungen den aus dem individuellen Bewußtsein geschöpften Gesetzen unterzuordnen seien. 49 D i e von der Völkerpsychologie untersuchten seelischen Entwicklungen führte W u n d t auf die psychischen Gebilde der Elementenpsychologie zurück. W u n d t wollte seine 49 Vgl. W. Wundt, Elemente der Völkerpsychologie, 2. Aufl., Leipzig 1913, S. 3. 16

Wilhelm W u n d t

241

Völkerpsychologie als Entwicklungspsychologie verstanden wissen. Er ging von der richtigen Erkenntnis aus, daß die Psychogenese nicht durch die Individualpsychologie erfaßt werden kann. Die „Völkerpsychologie" war der Versuch, eine geistige Entwicklungsgeschichte der Menschheit au« Sitte, Sprache, Mythos und Religion abzuleiten; sie war zugleich der Versuch einer Psychogenese der gesellschaftlichen Entwicklung, ausgehend von einer fiktiven geistigen Einheit der Völker und der Menschheit. Die psychologisierende Betrachtungsweise verhinderte Wesenserkenntnis der untersuchten Phänomene, und sie hat die positive Tendenz, psychische Erscheinungen genetisch zu betrachten, nur in sehr geringem Maße fruchbar werden lassen. Eine detailliertere Analyse der in den zehn Bänden der „Völkerpsychologie" erläuterten Erscheinunigen kann im Rahmen dieser Arbeit nicht erfolgen; eine solche Analyse dürfte heute auch kaum noch großen Nutzen bringen. Das empirische völkerkundliche Material, das Wundt der damaligen Literatur entnehmen mußte, weil er selbst in seiner Leipziger Wirkungsstätte keine eigene empirische völkerkundliche Forschung betreiben konnte, ist nur noch wenig brauchbar, und wissenschaftliche Erkenntnisse psychischer Entwicklungsprozesse waren auf der Grundlage der psychodogistisdi-voluntaristischen Grundposition Wundts ohnehin nur in sehr begrenztem Umfange möglich. Die ins Mystische gehende Wundtsche Einteilung der psychologischen Menschheitsgeschichte vom Zeitalter des primitiven Menschen über das totemistische Zeitalter und das Zeitalter der Helden und Götter zur Humanität hält keiner geschiohtswissenschaftlichen Kritik stand. Der wichtigste Faktor, der den Beginn der Humanität einleite - den Wundt in seine Zeit datierte - , sei die Religion, die die nationalen Schranken überschreite, dann folgten Sitte, Kunst und Wissenschaft. Als Wundt seine psychologischen Entwicklungsstufen der Menschheit veröffentlichte, lagen bereits exakte Analysen des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses von Marx, Engels und Lenin vor. Wundts „Völkerpsychologie", die von den meisten aktiven Psychologen abgelehnt oder nicht benutzt wurde, gab der Psychologie keine brauchbare Entwicklungskonzeption. In seiner „Entwicklungspsychologie" urteilt Schmidt: „Solche und ähnliche Auffassungen einliniger Evolution stießen wegen des in ihnen verborgenen Konstruktivismus auf den Widerspruch und Widerstand derjenigen, die als aktive, vielerfahrene FeLdforscher in die verwirrende Fülle und Vielfalt völkerpsychologischen Materials mehr Einblick hatten als beispielsweise Wundt, der sein Wissen lediglich aus der Literatur schöpfte und dadurch notwendigerweise wirklichkeitsfremd blieb." 50 Die duale Begründung der Psychologie durch Wundt, seine Gegenüberstellung von Individualpsychologie als experimenteller Psychologie, die einfache psyohische Vorgänge und Elemente untersuche, und der nichtexperimentellen Völkerpsychologie, die zusammengesetzte, komplizierte psychische Tatbestände mit der Methode der historisch-vergleichenden Beschreibung erfasse, hat die Entwicklung der Psychologie gehemmt. Sie errichtete eine unzulässige Kluft zwischen einer geisteswissen50 H. D . Schmidt, Allgemeine Entwicklungspsychologie, Berlin 1973, S. 32.

242

schaftlichen und einer physiologischen Psychologie, die sich naturwissenschaftlicher Methoden bedienen müsse. Abschließend sei eine Einschätzung Rubinsteins zitiert, die den Grundfehler der Wundtschen völkerpsychologischen Konzeption treffend charakterisiert: „Dabei handelt es sich nicht darum, im Sinne des Idealismus die Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung der Kultur aus psychologischen Gesetzmäßigkeiten abzuleiten, sondern die Gesetzmäßigkeiten der psychischen Entwicklung des Menschen aus den Gesetzmäßigkeiten seiner gesellschaftlich-historischen Entwicklung zu verstehen. Dabei unterscheidet sich diese Methode grundlegend von jener dem Wesen nach idealistischen Anwendung, die sie zum Beispiel in der zehnbändigen ,Völkerpsychologie' von Wundt erfuhr, der die ideologischen Gebilde als Projektion der menschlichen Psyche auffaßte. Jeder Versuch, die gesellschaftlichen, ideologischen Gebilde zu psychologisieren und sie auf psychologische Gesetzmäßigkeiten zurückzuführen, ist von Grund auf verfehlt. D i e psychologische Analyse, die von den objektiven Produkten der menschlichen Tätigkeit ausgeht, darf nicht die soziologisch-historische Methode ersetzen, sondern muß sich auf sie stützen." 51

6.2.

Wesensbestimmung des Psychischen durch Wundt

Wundts Begriffs- und Wesensbestimmung des Psychischen ist untrennbar mit seiner subjektiv-idealistischen Erfahrungskonzeption verbunden. Das Psychische umfasse die gesamte unmittelbare Erfahrung, die Vorstellungen als objektive und Gefühle, Affekte, Empfindungsqualitäten und Willensprozes.se als subjektive E r fahrungsbestandteile enthalte. Leib und Seele galten Wandt als Teile der gleichen Erfahrung. „Unser physiologischer Begriff des körperlichen Organismus", schrieb er, „ist lediglich ein Teil dieser Erfahrung, den wir, wie alle anderen naturwissenschaftlichen Erfahrungsinhalte, auf Grund der Voraussetzung eines von dem erkennenden Subjekt unabhängigen Objektes gewonnen haben." 3 2 Indem Wundt das Objekt, daß als unabhängig vom menschlichen Bewußtsein gedacht werden müsse, zum Bestandteil des Vorstellungsinhaltes erklärte und es damit in den Begriff des Psychischen einbezog, beseitigte er in der Theorie das Grundverhältnis von Objekt und Subjekt. Wundt unterschied sich zwar in seiner Position vom Empiriokritizismus, denn er setzte ein vom Subjekt unabhängiges Objekt voraus; indem er aber zum Gegenstand seiner philosophischen und psychologischen Untersuchungen das Objekt als Bestandteil des Erfahrungsinhaltes nahm, bezog er selbst einen machistisahen Standpunkt. Das tatsächliche Verhältnis des Psychischen zur materiellen Welt - zu den Objekten und Prozessen der Außenwelt sowie zum eigenen Körper mit seinen physischen und physiologischen Vorgängen bleibt in Wundts Bestimmung des Psychischen unberücksichtigt. Indem Wundt 51 S. L . Rubinstein, Grundlagen der allgemeinen Psychologie, a. a. O . , S. 6 0 . 5 2 W . Wundt, Grundriß der Psychologie, a. a. O . , S. 3 9 3 .

16'

243

Physisches und Psychisches in seiner Konzeption zum einheitlichen Erfahrungsinhalt erklärte, führte für ihn der Weg zur Erkenntnis realer Objekte sowie des Psychischen folgerichtig über Bewußtseinsanalysen. Das Psychische wurde von Wundt als „autonomes Dasein" in zweifacher Hinsicht von seinen materiellen Grundlagen und Bedingungen isoliert: es wurde bei der Analyse von den realen Objekten und Prozessen getrennt, deren Widerspiegelung und Abbild es ist, und es wurde von seinen physischen und physiologischen Trägerprozessen gelöst, somit nicht als Funktion des zentralen Nervensystems verstanden. Außerdem hat Wundt das Psychische nicht in seiner orientierenden, steuernden und regulierenden Funktion der materiell-igegenständlichen Tätigkeit der Menschen erfaßt. Das Unverständnis für die wesensbestknmenden Merkmale psychischer Erscheinungen mußte sich zwangsläufig negativ auf die theoretische Grundlegung der sich zur selbständigen Wissenschaftsdisziplin entwickelnden Psychologie auswirken. Die Psychologie wurde hinsichtlich der weiteren Ausarbeitung ihrer theoretischen Grundlagen, der Präzisierung von Aufgaben und Gegenstandsbestimmung sowie der Methodenentwicklung auf falsche Wege geführt. Wundt hat die verschiedenartigen psychischen Erscheinungen trotz seines Bestrebens, sie analytisch in ihre Elemente zu zerlegen, .stets als ein Ganzes aufgefaßt. Es ging ihm um die Totalität psychischer Vorgänge. Er wollte nachweisen, wie in den elementaren Prozessen des Bewußtseins, in den Empfindungen und Assoziationen, überall bereits das geistige Leben in der Totalität seiner Beziehungen wirksam ist. Denken, Fühlen und Wollen galten ihm als Aspekte eines einheitlichen Vorganges. Jeder Denkakt, argumentierte er, besteht aus Vorstellungen, die zugleich Gefühle enthalten. Außerdem sei jedes Denken ein Wollen. Die Einheit aller psychischen Erscheinungen wurde von Wundt auf innerpsychische Strukturbedingungen zurückgeführt, nicht als Ausdruck des einheitlichen Widerspiegelungsprozesses erfaßt. Wiundts Erkenntnis von der Einheit aller psychischen Prozesse enthielt die ihrem Wesen nach materialistische Einsicht, daß Denken ohne Anschauung nicht möglich ist. Seihst für die abstraktesten Formen des Denkens habe die Anschauung grundlegende Bedeutung. Wundt schrieb: „Jener Fortschritt unseres Denkens von konkreteren zu abstrakteren Formen, welcher in der Entstehung der Verhältnisurteile und in ihrer rückwärts gerichteten Anwendung auf die Urteile der Anschauung seinen Ausdruck findet, kann nun a bei niemals, und namentlich auf keinem Gebiete wissenschaftlich er Betrachtung der Erfahrungsgegenstände, zu einer vollständigen Aufhebung der ursprünglichen Denkformen führen. Fortan übt die Anschauung durch den Fluß des Geschehens und durch den Wechsel der Merkmale der Gagenstände auf unser Denken eine zwingende Macht aus." 53 Auch Schlüsse seien an das „Material des Denkens" gebunden. Wundt schrieb: „Da aber gleichwohl in dem Schließen nur die nämliche beziehende Tätigkeit zur Wirkung kommt, die schon das Urteilen beherrschte, so kann der wesentliche Unterschied beider eben nur darin liegen, daß im Urteil die in den Vorstellungen 5 3 W . Wundt, System der Philosophie, Leipzig 1 8 8 9 , S. 4 1 .

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bereitliegenden Beziehungen aufgefunden, in den Schlüssen aber aus den gefundenen Beziehungen neue erzeugt werden. Und weil

es sich hierbei u.m keine

absolute Neuschöpfung handelt, sondern der Schluß immer nur dieselben Urteilsformen hervorbringt, wie sie auch unabhängig von ihm als Ergebnisse unmittelbarer Beziehungen der Vorstellungen vom D e n k e n gefunden werden, so bleibt jene schöpferische Tätigkeit des Schließens immer nur ein gesteigertes Finden, ein Erfinden, welches ganz von dem M a t e r i a l des D e n k e n s und dessen Eigenschaften abhängt." 0 4 W u n d t wandte sich gegen weitverbreitete intellektualistische Auffassungen vorn Psychischen, die den Gefühlen nicht den gebührenden Platz einräumten. V o r s t e l lungsprozesse und „Gemütsbewegungen" könnten nur in ihrer E i n h e i t verstanden werden. D i e Vorstellungsprozesse bildeten

den T e i l des unmittelbaren

Erfah-

rungsinhakes, der von der Stellungnahme des Subjekts unabhängig sei, d i e G e m ü t s bewegungen umfaßten diesen Erfahrungsinhalten zukommende Verhältnisse zum Subjekt. M i t dieser Einsicht von der Objektgebundenheit unserer G e f ü h l e näherte sich W u n d t dem Standpunkt der materialistischen Erkenntnistheorie. In der Auseinandersetzung mit d e m Intellektualismus spielte W.undts Auffassung von

der

E i n h e i t von Vorstellung und G e f ü h l eine positive R o l l e , W u n d t gelangte jedoch in zunehmendem M a ß e zu einer unzulässigen Überbewertung der von ihm als subjektive Erfahrungsbestandteile

bezeichneten

psychischen

Erscheinungen,

was

schließlich den W e g zum Voluntarismus bereiten half. O b w o h l W u n d t den realen O b j e k t e n als „Material des D e n k e n s "

Beachtung

schenkte, versuchte er das Psychische aus sich selbst heraus zu erklären, vertrat er eine im Grunde introspektionistische Auffassung. D a s reflektorische

Prinzip

der psychischen Tätigkeit verstand er nicht als G r u n d l a g e des Widerspiegelungsprozesses, er ging vielmehr von einer Reflexion des Psychischen in sich selbst aus. E s sei eine unumstößliche T a t s a c h e der Erfahrung, daß die Seele „ein aus sich selber heraus nach logischen Gesetzen handelndes und sich entwickelndes W e s e n " sei. 0 5 W u n d t ging bei

Struktur

und

D y n a m i k des Psychischen aus, er isolierte die psychischen Erscheinungen

seinen

Untersuchungen

von

der inneren

von

ihren materiellen Existenz- und Wirkungsbedingungen. D e r

introspektionistische

Wesenszug seiner Auffassung vom Psychischen kommt unter anderem darin zum Ausdruck, daß er annahm, zu Erkenntnissen über O b j e k t e der A u ß e n w e l t gelangten wir, indem wir aus dem unmittelbar gegebenen Erfahrungsinhalt durch geistige Tätigkeit alle subjektiven E l e m e n t e aussonderten. Jaroschewski

charakterisierte

die Wundtsche introspektionistische Auffassung als eine solche, „die den ganzen Reichtum der A u ß e n w e l t in das Innere des Subjekts verlagerte und sie durch sein Bewußtsein

begrenzte". „In

Konzeptionen wie der Wundtschen

oder der von

B r e n t a n o " , schrieb er weiter, „wurde das A b b i l d von den körperlichen Mechanismen, die es hervorrufen, und von der gegenständlichen Tätigkeit, deren integrieren5 4 E b e n d a , S. 6 6 . 5 5 W . Wundt, Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung, a. a. O , , S. 4 5 1 .

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des Moment es ist, losgelöst. Dadurch verlor die Psychologie, kaum daß sie es geschafft hatte, eine selbständige Wissenschaft zu werden, ihren Gegenstand." 56 „Das Bemühen, .sich an Tatsachen zu halten, Spekulationen zu meiden, konnte nicht konsequent verwirklicht werden", resümierte Jaroschewski, „solange die Analyse der psychischen Erscheinungen (selbst jener, die als Konkretum betrachtet wurden, ohne daß man auf die Seele als besonderes Wesen zurückgriff) von immanentem Charakter war, das heißt in den Grenzen des Bewußtgewordenen oder unmittelbar Erlebten verblieb." 57 Obwohl Wundt bei seinen im Bewußtseinsbereich verbleibenden Analysen das Psychische faktisch von den objektiven Gegenständen und den körperlichen Prozessen isolierte, betonte er doch dessen untrennbare Verbundenheit .mit den Objekten der Außenwelt .und dem Körper. Die Anregungen durch die auf unsere Sinnesorgane einwirkenden Gegenstände verstand er als Bedingung geistiger Prozesse. Durch die kontrollierte Variation der äußeren Bedingungen sei ein Zugang zum Verständnis des Psychischen gegöben. Die Tätigkeit der Sinnesorgane •und die Nerven- und Gehirnprozesse hielt Wundt ebenfalls für eine unabdingbare Voraussetzung jeder geistigen Tätigkeit. Die Gebundenheit psychischer Erscheinungen an physiologische Prozesse stand für Wundt außer Zweifel. „Mit zureichender Sicherheit läßt sioh wohl der Satz als begründet ansehen", schrieb er, „daß sich nichts in unserem Bewußtsein ereignet, was nicht in bestimmten physiologischen Vorgängen seine körperliche Grundlage fände. Die einfache Empfindung, die Synthese der Empfindungen zu Vorstellungen, die Assoziationen und Wiedererweckung der Vorstellungen, endlich die Vorgänge der Apperzeption und der Willensregung sind begleitet von physiologischen Nervenprozessen." ;>8 Das Wesen dieses von ihm immer wieder hervorgehobenen Zusammenhanges verstand Wundt nicht. Er sah lediglich ein „Prinzip der ständigen Wechselwirkung zwischen Seele und Leib", das sich „mit unwiderstehlicher Gewalt über das Gebiet der inneren Erfahrung" ausdehne. 59 In seinem Frühwerk, den „Grundzügen der physiologischen Psychologie" vertrat Wundt noch den im Grunde materialistischen Standpunkt, der später seinem psychophysischen Parallelismus weichen mußte, daß die physiologischen Effekte, sobald sie zum Bewußtsein gelangen, Empfindungen seien. 60 Auch Wundts Auffassung von .den Funktionen der Gehirnteile enthielt materialistische Einsichten. Für diese Funktionen formulierte er vier Prinzipien, erstens das Prinzip .der Verbindung der Elementarteile: Jedes Nervenelement sei mit anderen Nervenelementen verbunden und werde erst in dieser Verbindung zu physiologischen Funktionen befähigt; zweitens das Prinzip der Indifferenz der Funktionen: Kein Element vollbringe spezifische Leistungen, sondern die Form seiner Funktion sei von seinen Verbindungen und Beziehungen abhängig; drittens das 56 M. G. Jaroschewski, Psychologie im 20. Jahrhundert, Berlin 1 9 7 5 , S. 1 7 5 . 57 Ebenda, S. 1 4 8 . 5 8 W . Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie, a. a. O., S. 858. 5 9 Ebenda, S. 8 5 9 . 6 0 Ebenda, S. 1 0 4 .

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Prinzip der stellvertretenden Funktion: Für Elemente, deren Funktion gehemmt oder aufgehoben sei, könnten andere die Stellvertretung übernehmen, sofern sich dieselben in den geeigneten Verbindungen befänden; viertens das Prinzip der lokalisierten Funktion: Jede bestimmte Funktion habe einen bestimmten Ort im Zentralorgan, von welchem sie ausgehe, das heißt dessen Elemente in den zur Ausführung der Funktion geeigneten Verbindung stehe. Bei seinen physiologischen und psychophysischen Arbeiten gelangte Wundt zur Erkenntnis, daß psychische Tätigkeiten keiner strengen Lokalisation im Gehirn unterliegen. Andere Teile des Gehirns könnten die Fähigkeit gewinnen, für ausgefallene einzutreten. Obwohl Wundt selbstverständlich nicht sagen konnte, wie Psychisches im Gehirn gespeichert wird - er nahm an, daß die Rindenzellen als organisches Substrat geistiger Tätigkeit Träger von Vorstellungen seien - , wandte er sich gegen die phrenologische Lokalisationstheorie und gegen eine Objektivierung der Vorstellungen durch die „neue Psychologie". Wundt schrieb: „Die Phrenologie hatte die künstlichen Begriffsgebilde, nach welchen wir die inneren Erfahrungen ordnen, wie reale Objekte behandelt; die neuere Gehirnphysioloigie objektiviert die natürlichen Tätigkeitsäußerungen unseres Bewußtseins, die Vorstellungen. Das eine ist so unmöglich wie das andere. Wir haben allen Grund, vorauszusetzen, daß Vorgänge in unserem Gehirn unsere Empfindungen und Vorstellungen begleiten. Aber daß jede Vorstellung in irgend einer Nervenzelle festsitze, dies ist gerade ebenso unwahrscheinlich, wie die Annahme sein würde, daß unser Auge alle Bilder, die in ihm entworfen werden, zu künftigem Gebrauch in sich aufspeichere." 0 1 Wie jeder Willensakt sei die Vorstellung eine vorübergehende Tätigkeit, bei der zu ihrer Wiedererneuerunig eine Disposition zurückbleibe. Wundt war überzeugt, daß bestimmte psychische Erscheinungen - die willkürliche Bewegung von Zunge und Arm, der Gesichts- und der Gehörsinn und andere - im Gehirn „zentrale Vertretungen" besäßen. Obwohl Wundt im Detail den Zusammenhang von physiologischen und psychischen Vorgängen oft richtig darstellte, verharrte er auf dem Standpunkt des psychophysischen Parallelismus und nahm für körperliche und geistige Prozesse getrennte, in sich geschlossene Kausalreihen an. E r erklärte: „Auch der Naturforscher, der für sein Untersuchungsgebiet mit Recht an der Ansicht festhält, daß die von uns vorgestellte Welt eine von unseren Vorstellungen unabhängige Realität besitze, kann daher immer ruur einen Parallelismus der geistigen Vorgänge und der sie begleitenden physiologischen Funktionen statuieren. Ein solcher Parallelismus schließt die Voraussetzung ein, daß die Erscheinunigen des geistigen Lebens unter sich in einer ebenso durchgängigen ursächlichen Verbindung stehen, wie diejenigen der körperlichen Natur; - aber gerade, weil es sich hier um zwei in sich geschlossene Kausalverbindungen handelt, kann aus keiner derselben in die andere ein Übergang stattfinden." 62 Weil Wundt den Widerspiegelungscharakter des Psychischen nicht erfaßte, blieb sein Standpunkt vom Zusam-

61 W. Wundt, Essays, a. a. O., S. 169. 62 Ebenda, S. 172.

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menhang physischer und psychischer Erscheinungen verworren. Er war der Meinung, daß zwar aus keinem geistigen Erzeugnis der sinnliche Anteil wegzudenken sei, selbst der abstrakteste Begriff könne nur in der Form einer sinnlichen Vorstellung festgehalten werden, aber es fehle an „jedem Anhalte dafür, daß dasjenige, was in unserer inneren Erfahrung jenen sinnlichen Inhalt gestaltet, was ihn nach logischen oder ethischen Normen verbindet, nun an irgendwelche physischen Vorgänge besonderer Art ,geknüpft sei" 63 . Wundt trennte unsere Anschauungen der Dinge von den Dingen selbst, bezweifelte aber nicht deren Existenz; den empiriokritischen Standpunkt, daß die Welt nur ein täuschender Schern sei, wies er zurück. Er schrieb: „Wenn die Psychologie die geistigen Vorgänge aufzeigt, welche unsere Anschauungen der Objekte bestimmen, so beweist sie nur, daß unsere Auffassung der Dinge von uns selbst abhängt, nicht aber, daß die Dinge erst durch uns ihre Existenz empfangen . . . Die Gegenstände der äußeren Erfahrung müssen von uns geistig aufgenommen und angeeignet werden; die Art, wie wir sie auffassen, ist daher ganz und gar bestimmt von der Natur der geistigen Vorgänge, die hierbei wirksam sind." 64 Mit dieser Darstellung erfaßte Wundt nicht das Wesen der Anschauungen als Abbilder der objektiven Realität, trotzdem sind richtige Detailerkenntnisse in ihr enthalten. Bezogen auf bestimmte Stufen der Erkenntnis und auf die individuell unterschiedlichen Erkenntnisakte zeigt sich, daß die verschiedenen Menschen die uns sinnlich gegebenen Dinge entsprechend ihrem Erkenntnisvermögen, ihren Interessen, Zielen, Wertungen und dergleichen tatsächlich sehr unterschiedlich auffassen. Die Art und Weise, wie wir die Dinge auffassen, muß aber, was Wundt nicht beachtete, mit einem objektiven Kriterium konfrontiert werden, mit den Dingen selbst, im praktischen Umgang mit ihnen. Aus der Natur der geistigen Vorgänge läßt sich allein nicht feststellen, in welchem Maße wir die Welt adäqiuat im Bewußtsein erfassen. Ein falsches Bewußtsein von den Dingen, ihren Eigenschaften, Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten, führt dazu, daß wir sie im praktischen Leben nicht beherrschen, sie nicht unseren Bedürfnissen und Zwecken gemäß verändern können. Die materielle Produktion als Existenzgrundlage des gesellschaftlichen Lebens wäre auf der Basis falschen Bewußtseins nicht möglich. Die Art und Weise, wie wir die Dinge auffassen, ergibt sich im Widerspiegekingsprozeß somit letzten Endes aus der Art und Weise, in der die Dinge objektiv existieren; es ist für uns eine Lebensnotwendigkeit, die Dinge und ihre Eigenschaften und Zusammenhänge so aufzufassen, wie sie wirklich sind, es steht unserem Bewußtsein nicht frei, dauernd willkürliche Gedanken zu erzeugen. Wundt betrachtete die psychischen Erscheinungen als Tätigkeit, als Prozeß, als ständige Entwicklung. Mit seiner Aktualitätstheorie versuchte er die verschiedenen substantiellen Seelenauffassungen zu überwinden. Psychische Erscheinungen seien keine beharrende Substanz, kein ruhendes Sein, sondern Wirken und Werden. Der Kampf gegen substantielle Seelenauffas63 Ebenda, S. 174. 6 4 Ebenda, S. 1 8 2 .

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suragen war ein wichtiger Schritt, um in der Psychologie die Spekulation über „die Seele" zu überwinden. Wundt betonte: „Das ist der allgemeine Charakter der Bewußtseinsersoheinungen als fortwährend fließender komplexer Prozesse, die in keinem Moment konstant bleiben, und die, wo sie annähernd in übereinstimmenden Formen wiederkehren, doch niemals wieder dieselben sind, sondern stets neu aus einer großen Anzahl verschiedener Bestandteile sich zusammensetzen. Mit einem W o r t : die seelischen Erlebnisse sind niemals auch niur relativ stabile Gebilde, als die uns die Objekte der Außenwelt wenigstens teilweise erscheinen können, sondern sie sind Prozesse, die sogenannten Vorstellungen ganz ebenso wie die Gefühle, Affekte und Willensvorgänge." 6 5 D i e Wirklichkeit des psychischen Geschehens sei identisch mit dem geistigen Wirken, dieses Wirken setze jene Kontinuität voraus, für die Leibniz den Namen des Bewußtseins in die Psychologie eingeführt habe. D e n Zusammenhang von Bewußtsein und Aktualität der Seele erläuterte Wundt wie folgt: „Nun gehören zu jeder Erkenntnis zwei Faktoren: das erkennende Subjekt und ein unabhängig von diesem gedachtes Objekt. D i e Untersuchung des Subjektes in seinen uns im menschlichen Bewußtsein gegebenen Eigenschaften bildet daher nicht bloß eine notwendige Ergänzung der naturwissenschaftlichen Betrachtung des Menschen selbst, sondern sie gewinnt dadurch eine allgemeinere Bedeutung, daß alle geistigen Werte und ihre Entwicklung aus unmittelbar erlebten Bewußtseinsvorgängen entspringen und daher allein aus diesen zu begreifen sind. Das ist es aber und nichts anderes, was wir unter dem Prinzip der Aktualität der Seele verstehen." 6 6 D i e konsequente Hervorhebung des Prozeßcharakters aller psychischen Erscheinungen durch Wundt war für die Psychologieentwicklung seiner Zeit sehr nützlich. Sie richtete sich nicht nur gegen die Substanzauffassung vom Seelischen schlechthin, sondern zugleich gegen die damals weit verbreitete Vermögenspsychologie, die das Psychische auf durch nichts Äußeres bedingte materielle Wesenheiten zurückführte. Auf die noch immer aktuelle Bedeutung der Auseinandersetzung mit der Vermögenspsychologie hat Vorwerg hingewiesen. E r schrieb: „Freilich ist der von Wundt bekämpfte vermö'genspsycholoigische Ansatz in der bürgerlichen Psychologie nie ganz verschwunden. Man kann die zahlreichen Metamorphosen dieser Auffassung insbesondere in der Persönlichkeitspsychologie vom Personalismus bis zu den gegenwärtigen konstruktpsycholo-gischen Ansätzen verfolgen. . . . D i e letzteren sind außerdem noch mit einem erkenntnistheoretischen Mangel behaftet, den wir auch bei Wundt entdeckt haben. Deshalb ist es meines Erachtens nötig, auch darauf hinzuweisen, daß die bei uns verbreiteten Strategien zur Suche von sogenannten Persönlichkeitseigenschaften ,der sozialistischen Persönlichkeit' quasi vermögenspsychologische Strategien sind, die eigentlich bei Wundt bereits als unwissenschaftlich entlarvt wurden." 6 7 6 5 W . Wundt, Sinnliche und übersinnliche W e l t , Leipzig 1 9 1 4 , S. 9 8 . 6 6 W . Wundt, Einführung in die Psychologie, a. a. O . , S. 1 2 9 . 67 M . Vorwerg, Wilhelm Wundt und die Stellung der Psychologie, i n : Zeitschrift für Psychologie mit Zeitschrift für angewandte Psychologie, B d . 1 8 3 ( 1 9 7 5 ) , H e f t 4 , S. 3 4 3 .

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Mit der verdienstvollen Kritik am substantiellen SeelenbegrifE verband sich bei Wundt eine antimaterialistische Grundposition. D i e Seele galt ihm als eine sich ständig verändernde rein geistige Erscheinung, die zwar im Sinne des psychophysischen Parallelismus mit dem Körper verbunden sei und von der körperlichen Welt ihre Anregungen empfange, die jedoch nicht durch Materielles verursacht werde und nicht als Funktion von Materiellem aufgefaßt werden dürfe. In der Konsequenz ergibt sich aus dieser Auffassung, daß der Entwicklungsprozeß des Psychischen nicht der materiellen Analyse zugänglich ist. Warndts Aktualitätstheorie bezog sich auf die nach logischen Prinzipien und Gesetzen verlaufenden geistigen Tätigkeiten. Die Aktualität wurde nicht als reflexive Tätigkeit erfaßt, nicht als ein Merkmal im Proizeß der Widerspiegelung der objektiven Realität im Bewußtsein. Zugleich ließ Wundts Aktualitätstheorie die Gehirn- und Nervenprozesse als materielles Substrat und Trägerprozesse unberücksichtigt. Wundt hat die psychischen Erscheinungen als Tätigkeiten verstanden, isolierte sie aber gleichzeitig von der materiell-gegenständlichen Tätigkeit der Menschen. Als Orientierungs- und Regulierungsmechanismen des gesamten menschlichen Verhaltens spielten psychische Prozesse für Wundt kaum eine Rolle, lediglich in seiner Ethik untersuchte er bestimmte psychisah bedingte Verhaltensweisen, brachte sie aber auch dort nicht mit der materiell-gegenständlichen Handlung in direkten Zusammenhang. D i e Vermittkmgsrolle des Psychischen im Objekt-Subjekt-Verhältnis gehörte nicht zum Untersuchungsgegenstand der Wundtschen Psychologie. Wundts Standpunkt von der Einheit und vom Prozeßcharakter aller psychischen Erscheinungen ist enig mit seiner elementenpsychologischen Konzeption verbunden. Komplizierte psychische Prozesse verstand er genetisch als jeweils aus einfacheren hervorgegangen, letzten Endes aus elementaren Zuständen. E r wollte das Wesen des Psychischen erfassen, indem er psychische Erscheinungen in ihre Elemente zu zerlegen und sie auf elementare Zustände zurückzuführen versuchte. Empfindungen und einfache Gefühle galten ihm als elementare Bausteine der Erlebniswirklichkeit, als die zwei Klassen von psychischen Elementen. E r unterschied zwischen den Empfindungen als psychischen Elementen und den Wahrnehmungen als Komplexen von Elementen. Empfindungen bezeichnete Wundt als Elemente des objektiven und einfache Gefühle als Elemente des subjektiven Erfahrungsinhaltes. D i e einfache Empfindung sei das Element, auf das alle im weitesten Sinne objektivierten Inhalte unseres Bewußtseins zurückgeführt werden könnten. Das einfache Gefühl sei das subjektive, auf das Bewußtsein selbst bezogene Element. Aus Elementen entstünden psychische Gebilde, zusammengesetzte Apperzeptionsfunktiomen wie Synthese und Analyse gingen beispielsweise aus einfacheren Apperzeptionsverbindungen hervor. D i e verschiedenen Vorstellungskomplexe, Affekte und Willensvorgänge seien sämtlich „Resultanten" psychischer Verbindungsprozesse. Auch die Elemente des Psychischen betrachtete Wundt als prozeßhafte Erscheinungen. Wenn alle psychischen Inhalte fließend seien, gelte 'das auch für psychische 'Elemente. D a s schließe nicht aus, daß wir zum Zwecke der Analyse Elemente fixiert denken könnten. D i e Elemente des Psychischen dürften aber

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keinesfalls als Substanzen, als „Seelenatome" verstanden werden. Trotz der großen Bedeutung, die Warndt den psychischen Elementen zuschrieb, sah er es nicht als letzte Aufgabe der psychologischen Forschung an, elementare Vorgänge aufzudecken. Die kausale Analyse einer Wahrnehmung dürfe nicht nur Elemente aufzeigen, sondern sie müsse nachweisen, wie aus diesen Elementen mit Notwendigkeit bestimmte Resultate hervorgingen. Damit solle zugleich die Möglichkeit geschaffen werden, bei zukünftigen Fällen aus den gegebenen Bedingungen die Folgen voraussagen zu können. Wundts Auffassung von den Elementen des Psychischen spielte eine gewisse progressive Rolle in der Auseinandersetzung mit der .damaligen Gestalt- und Ganzheitspsychologie. Allerdings war seine elementenpsychologische Konzeption mit gewissen ganzheitspsychologischen Standpunkten verbunden. Entsprechend seinem Prinzip der „schöpferischen Synthese" nahm er an, daß ein psychisches Gebilde gegenüber der Summe der Eigenschaften aller Elemente etwas qualitativ Neues darstelle. Für die Entwicklung einer wissenschaftlichen Psychologie vermochte die Zergliederung psychischer Erscheinungen in ihre Elemente wenig zu leisten. Zu einer elementenhiaften Zergliederung des Psychischen gelangte Wundt, weil er dessen grundlegenden Widerspiegelungscharakter nicht verstand, weil er bestrebt war, das Bewußtsein „rein" zu erfassen. Die objektive Realität, die sich in unserem Bewußtsein widerspiegelt, ist nicht in solchen „Elementen" gegeben. D a s schließt nicht aus, daß durch unsere Sinnesorgane und auch durch die psychische Verarbeitung der auf die Sinnesorgane einwirkenden Reize eine gewisse analytische Zerlegung in „Elemente" erfolgt, und daß wir zium Zwecke der Analyse geistiger Erscheinungen diese in Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorstellungen und dergleichen zerlegen können, um komplexe Prozesse besser zu erfassen. Wenn aber die psychischen Erscheinungen nicht als Widerspiegelung und Abbild objektiver Realität verstanden werden, dann führt keine Zergliederung in „Elemente" zur Erkenntnis ihres Wesens. Die Sinnlosigkeit solchen Tuns hat Jaroschewski treffend charakterisiert. Er schrieb: „Der Mensch überprüft in seiner praktischen Tätigkeit ununterbrochen die Adäquatheit seiner Abbilder, ihre Übereinstimmung mit der vom Bewußtsein unabhängigen objektiven Quelle. E s ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß sich ein Subjekt unter bestimmten Bedingungen von einer Tätigkeit, die auf das Lösen von realen Aufgaben gerichtet ist, lossagt und nach einer Instruktion zu handeln beginnt, die von ihm fordert, durch Selbstbeobachtung (in der physiologischen Psychologie mit Hilfe spezieller Geräte) seinen Bewußtseinsinhalt in Elemente zu zergliedern. Dann eben entstehen künstliche Produkte, ein spezifischer Ersatz realer Abbilder - ,reine Empfindungen', .Elemente' ,der unmittelbaren Erfahrung' - usw. Auch die psychologische Forschung Wundts begann diese Ersataahbilder zu .suchen."68 Wundt gelangte nicht zu einem richtigen Verständnis der von ihm als elementare psychische Prozesse verstandenen Empfindungen, weil er sie nicht als spezifische 68 M. G . Jaroschewski, Psychologie im 20. Jahrhundert, a. a. O., S. 162.

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Form der Widerspiegelung verstand. Dabei war ihm jedoch ein Zusammenhang von Empfindung und durch Gegenstände und Prozesse verursachtem Reiz durchaus bewußt. E r schrieb: „Die Entstehung der Empfindung ist, wie uns die physiologische Erfahrung lehrt, regelmäßig an gewisse physische Vorgänge gebunden, die teils in der unsern Körper umgebenden Außenwelt, teils in bestimmten Körperorganen ihren Ursprung haben, und die wir mit einem der Physiologie entlehnten Ausdruck als die Sinnesreize oder Empfindungsreize bezeichnen. Besteht der Reiz in einem Vorgang der Außenwelt, so nennen wir ihn einen physikalischen; besteht er in einem Vorgang in unserm eignen Körper, so nennen wir ihn einen physiologischen." 69 Warndts Standpunkt des psychophysischen Parallelismus und seine subjektiv-idealistische Erfahrungskonzeption hinderten ihn, zu einem materialistischen Verständnis des Zusammenhanges von Reiz und Empfindung zu kommen. Für ihn waren die physischen bzw. physiologischen Vorgänge parallel verlaufende Erscheinungen, die unterschiedlicher Kausalität und verschiedener Gesetzmäßigkeit unterworfen seien. Wundt begründete seinen Standpunkt wie folgt: „Der Natur der Sache nach ist es unmöglich, aus der Beschaffenheit der physikalischen und physiologischen Reizungsvorgänge die Beschaffenheit der Empfindungen ab' zuleiten, da die Reiziungsvorgänge der naturwissenschaftlichen oder mittelbaren, die Empfindungen dagegen der psychologischen oder unmittelbaren Erfahrung angehören, beide also unvergleichbar miteinander sind. Wohl aber besteht insofern ein Wechselverhältnis zwischen den Empfindungen und den physiologischen Reizungsvorgängen, als verschiedenen Empfindungen stets verschiedene Reizungsvorgänge entsprechen. Dieser Satz von dem Parallelismus der Empfindungsunterschiede und der physiologischen Reizungsunterschiede ist ein wichtiges Hilfsprinzip sowohl der psychologischen wie der physiologischen Empfindungslehre."' 0 Wundt konstruierte bereits für den einfachen Empfindungsvorgang, mit dem er als Physiologe und in seinen späteren psychophysiologischen Arbeiten ständig als einheitlichem psychophysiologischem Prozeß konfrontiert war, einen abrupten Bruch zwischen Physischem und Psychischem. „Derjenige Akt", schrieb er beispielweise, „der allen Wahrnehmungsprozessen vorangeht, ist die durch den äußeren Sinneseindruck hervorgerufene Empfindung. D i e Empfindung kommt zu Stande, indem die äußere Bewegung, die den Sinneseindruck ausmacht, durch empfindende Nervenfasern zu zentralen Ganglienzellen sich fortpflanzt. Der äußere Eindruck besteht in einem physischen Bewegungsprozeß, in welchen die peripherischen Endapparate der Sinnesorgane versetzt werden, ebenso ist die Leitung des Eindrucks in der Nervenfaser ein physischer Bewegungsprozeß, und endlich ist es ohne Zweifel wieder ein physischer Bewegung&prozeß, der in der Nervenzelle selber die Empfindung erregt. D i e Empfindung aber, dieser erste psychische Akt, in welchen der fortgepflanzte Bewegungsprozeß sich umsetzt, ist etwas vollkommen Neues, das aus den vorangegangenen Bewegungserscheinungen

69 W. Wundt, Grundriß der Psychologie, a. a. O., S. 45. 70 Ebenda, S. 54.

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sich vorerst nicht ableiten läßt."' 1 Lenin hat das Wesen des Zusammenbanges von Reiz und Empfindung klar formuliert. E r schrieb: „Für jeden Naturforscher, der durch die Professorenphilosophie nicht verwirrt worden ist, sowie für jeden Materialisten ist die Empfindung tatsächlich die unmittelbare Verbindung des Bewußtseins mit der Außenwelt, die Verwandlung der Energie des äußeren Reizes in eine Bewußtseinstatsache."' 2 In seiner „Zergliederung" des Psychischen in Elemente gelangte Wundt bis zu „reinen Empfindungen", einer Annahme, die ihn völlig jenseits wissenschaftlicher Erkenntnis führte. Zwar betonte er, daß die reinen Empfindungen nur in der Abstraktion existierten, bezeichnete sie aber dennoch als die eigentlichen Grundelemente des Psychischen. Er schrieb: „Diejenigen psychologischen Elemente, welche den Charakter einfachster Erscheinungen zweifellos an sich tragen, sind aiber die reinen Empfindungen. Wir verstehen unter ihnen die ursprünglichsten Zustände, welche der Mensch in sich findet, losgetrennt von allen Beziehungen und Verbindungen, die das entwickelte Bewußtsein immer ausführt." 7 3 „Reine Empfindungen" galten Wundt als ein nach außen völlig abgeschlossenes, nach Stänke und Qualität veränderliches inneres Sein. Diese Annahme ist völlig unhaltbar, denn alle Empfindungen entstehen aus materiellen Reizen auf bestimmte Rezeptoren, unabhängig davon, ob sie von Objekten und Prozessen der Außenwelt oder aus unserem eigenen Organismus hervorgerufen werden. Empfindungen erklärte Wundt zu „bloß subjektiven Zeichen", die keine Realität besäßen, sondern nur auf Realität hinwiesen, daher auch nur begrifflich konstruiert werden könnten. 74 Als „subjektive Zeichen" seien sie das Substrat, das die Beziehungen des Subjekts mit seiner Umwelt vermittle. E s kann Wundt zugestimmt werden, wenn er die Empfindungen - nicht die „reinen" - als elementare psychische Prozesse verstand. Was er nicht begriff, ist die Tatsache, daß Empfindungen einzelne Eigenschaften von Objekten oder Prozessen der objektiven Realität widerspiegeln, die als materielle Reize unmittelbar auf Rezeptoren einwirken. Den Prozeß der Verwandlung der Energie des äußeren Reizes in eine Bewußtseinstatsache verstand er nicht als Widerspiegelung objektiver Realität durch das Subjekt. Auch das Resultat der Wahrnehmung erfaßte er nicht als konkret-anschauliches Abbild objektiver Erscheinungen, wenn er es auch nicht als rein innerpsychisches Geschehen auffaßte. Wundt erkannte, daß alle Wahrnehmungen aus Empfindungen hervorgehen; von seiner Auffassung der Empfindungen als subjektiver, auf Realität hinweisender Zeichen führte aber kein Weg zu wissenschaftlicher Erkenntnis von Wahrnehmungsvorigängen. Wie sollte aus primär subjektiv bestimmten Elementen eine Wahrnehmung zustande kommen, in der uns die Außenwelt mit einiger Gewißheit gegeben ist? Wundt konstruierte einen Parallelismus zwischen den Empfindungen und dem äußeren Ge71 W. Wundt, Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung, a. a. O., S. 423. 72 W. I. Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, in: Werke, B d . 14, Berlin 1968, S. 42. 73 W. Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie, a. a. O., S. 273. 74 W. Wundt, System der Philosophie, a. a. O., S. 169.

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schehen, durch den die Möglichkeit einer Wahrnehmung überhaupt erst entstehe.' 3 Außerdem existiere ein fester Reflexzusammenihang zwischen bestimmten Empfindungsgebieten und bestimmten Bewegungsgebieten. Wundt hielt den Mechanismus der Übertragung von Empfindungseindrücken in Bewegungsimpulse, den er als Reflexbewegung bezeichnete, für außerordentlich wichtig für das gesamte psychische Leben. Hier gingen Psychisches und Physisches ohne Grenze ineinander über. Eine eingehende Zergliederung des Seelenlebens zeige, daß sich alle psychischen Handlungen, bis zum selbstbewußten Willen, durch diesen physischen Mechanismus herausgebildet hätten. Zur Verbindung von Reflexmechanismus und Wahrnehmung schrieb Wundt: „Für die Wahrnehmung wird der erörterte Reflexmechanismus dadurch von so großer Bedeutung, daß durch ihn die Empfindungen der objektiven Sinnesorgane nicht isoliert bleiben, sondern sich stets mit bestimmten subjektiven Empfindungen des Muskelsinns kombinieren. Auf dem hiermit gegebenen Parallelismus zweier Empfindungsreihen beruht die ganze Entstehung der Sinneswahrnehmung und beruht insbesondere die Ausbildung der räumlichen Wahrnehmung. Ohne diesen Parallelismus würden die Empfindungen stets sukzessive Veränderungen unseres subjektiven Zustandes bleiben, ohne ihn würden wir niemals dazu gelangen, die Empfindungen zu ordnen .und zu Wahrnehmungen zu verknüpfen." 76 Wundt hat im Verlauf seines Lebens den physischen und physiologischen Vorgängen bei der Analyse psychischer Erscheinungen immer weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Der von ihm in seinen Lebenserinnerungen beschriebene Entwicklungsweg der Theorie der Sinneswahrnehmung in der modernen Sinnesphysiologie ist charakteristisch für seinen eigenen Entwicklungsweg. Wundt schrieb: „Die Theorie der Sinneswahrnehmung hat in der modernen Sinnesphysiologie eine höchst interessante Entwicklung zurückgelegt, die ihr charakteristisches Gepräge dadurch empfängt, daß sie mit einer streng physiologischen Auffassung der Erscheinungen beginnt, dann Schritt für Schritt zu einer Verbindung dieser mit psychologischen Hilfsbegriffen übergeht, um schließlich den ursprünglichen rein physiologischen Standpunkt vor dem Richterstuhl einer unbefangenen Kritik als einen unmöglichen dazutun." 77 Wundt fügte hinzu: „Hier bietet die empiristische Theorie der Physiologie der Sinne unverkennbar das Schauspiel einer allmählichen Selbstauflösung der Versuche, die Sinnes Wahrnehmung auf physiologischem Wege zu interpretieren, während die rein psychologische Theorie als ein Versuch sich darstellt, die elementaren psychischen Prozesse dem allgemeinen Zusammenhang des geistigen Lebens einzuordnen." 78 Wundt vollzog den Übergang von einer physiologisch fundierten Wahrnehmungstheorie zu einer rein psychologischen. Damit wurde in zunehmendem Maße der von den physiologischen Trägerprozessen isolierte „rein geistige" Vorgang zum 7 5 W . Wundt, Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung, a. a. O., S. 4 2 4 . 7 6 Ebenda, S. 4 2 6 . 77 W . Wundt, Erlebtes und Erkanntes, a. a. O., S. 161. 78 Ebenda,

254

S.

169.

Gegenstand seiner Untersuchung. Ähnlich verhielt es sich mit seiner Auffassung vom Wesen der Vorstellung. Als Vorstellung galt ihm die Erhebung der Wahrnehmung ins Bewußtsein. Wundt schrieb: „Wir haben dann ausführlicher gezeigt, wie aus der Empfindung sich die Wahrnehmung hervorbildet auf dem Wege logischer Prozesse, die sich in der Unbewußtheit vollziehen. Wir- können jetzt weiterhin die Vorstellung kurz als die Erhebung der Wahrnehmung ins Bewußtsein bezeichnen." 79 Auch die Vorstellungen, obwohl er deren Inhalt aus den Gegenständen erklärte, verstand Wundt nicht als Abbilder objektiver Realität. Das Wesen der Vorstellung sah er in der Verbindung von Empfindungen, die Beziehung auf Gegenstände galt ihm als sekundäres Merkmal. Bei der Abgrenzung von Wahrnehmung und Bewußtsein ging es Wundt vor allem um eine nähere Bestimmung des Bewußtseins. Die Wahrnehmungen galten ihm im Gegensatz zur Vorstellung als niedere seelische Prozesse. 80 Vorstellungen entstünden durch die Synthese der Empfindungen in ihre zeitliche und räumliche Form. Diese Synthese sei an eine bestimmte physische Organisation gebunden. W i e alle psychischen Er-' scheinungen fänden auch die Vorstellungen in physiologischen Vorgängen ihre körperliche Grundlage. Die Synthese der Empfindungen zu Vorstellungen verstand Wundt nicht imSinne der Widerspiegelung objektiver Realität. Die Empfindungen, aus denen sich die Vorstellung zusammensetze, seien die subjektive Form, in der wir auf den äußeren Eindruck reagierten, alle Empfindungsqualitäten gehörten zum subjektiven Erfahrungsinhalt. Raum und Zeit als für alle Vorstellungen notwendige Bestandteile beruhten auf subjektiven Gesetzen der Synthese von Vorstellungen. Die Begriffe der Kausalität und der Substanz, deren wir bei jeder Naturerklärung bedürften, seien schließlich psychologischen Ursprungs. Von diesen subjektiv-idealistischen Voraussetzungen her definierte Wundt die Vorstellungen als „subjektive Symbole von objektiver Bedeutung", „durch deren Bearbeitung eine Erkenntnis der Außenwelt allein auf begrifflichem Wege gewonnen werden" könne. 81 Im Gegensatz zum Intellektualismus schenkte Wundt bei seinen Untersuchungen den Gefühlen und Willensvorgängen große Aufmerksamkeit. Bei seiner Bestimmung der Gefühle näherte er sich der materialistischen Einsicht, daß diese durch die Eigenart der Beziehungen des Subjekts zum Objekt hervorgerufen werden, er drang aber nicht zum Verständnis ihres Wesens als spezifischer Formen der Widerspiegelung objektiver Realität in Gestalt eben dieser Beziehungen im Bewußtsein vor. Gefühle seien die „spezifische Reaktionsweise der Apperzeption auf die mit dem unmittelbar apperzipierten Eindruck in Beziehung stehenden Bewußtseinsinhalte" 82 . Für Wundt waren Gefühle die Reaktionsweise der Apperzeption auf gegebene Inhalte. Dieser Standpunkt führe auch zum Verständnis der Gefühlsgegensätze. Der Apperzeptionsakt stelle einen einfachen Willensakt dar. Jedes 79 W . Wundt, Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung, a. a. O., S. 4 4 6 . 80 Vgl. Ebenda, S. 446/447. 81 W . Wundt, System der Philosophie, a. a. O., S. 153. 82 W . Wundt, Einführung in die Psychologie, a. a. O., S. 5 1 .

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Wollen enthalte latent ein Streben oder ein Widerstreben, unser Wollen werde von dem erstrebten Gegenstand angezogen, oder es wende sich von dem uns widerstrebenden Gegenstand ab. Als grundlegende Gefühle bezeichnete W u n d t die jeweils gegensätzlichen psychischen Erscheinungen Lust und Unlust, Spannung und Lösung sowie Erregung und Beruhigung. Gefühle und Willensvorgänge betrachtete er in enger Zusammengehörigkeit: Gefühle bildeten den Anfang von Willenshandlungen, Wollen sei ein zusammengesetzter Gefühlaprozeß. Obwohl W u n d t die Gefühle als Reaktionsiweise der Apperzeption auf gegebene Inhalte bestimmte, stellte er sie trotzdem als nicht auf Außendinge bezogenes inneres Erleben den Vorstellungen gegenüber. E r sohriab: „ D e m Fühlen und Wollen als der Seite des inneren Erlebens, die wir nicht auf Außendinge, sondern nur auf uns selbst beziehen, stellen wir zunächst die Objekte und diesen entsprechend die subjektiven Tätigkeiten, die wir zu ihrer Erzeugung voraussetzen, die Vorstellungen gegenüber." 83 W u n d t hatte durch seine psychophysiologischen Untersuchungen die Einsicht gewonnen, d a ß Vorstellungen und Vorstellungsveribindungen sowie andere psychische Erscheinungen nicht ausschließlich auf assoziative Weise entstehen, daß dabei vielmehr aktive Apperzeptionsvorgänge, die er als Willensprozesse bestimmte, wirksam sind. Gegen die alte Assoziationspsychologie gewandt, schrieb er: „Man kann in Wahrheit keine noch so einfache Willenshandlung aus einer bloßen Assoziation von Vorstellungen ableiten, ohne das Wollen selbst in die bloße Vorstellung einer Handlung umzuwandeln, der zum Wollen das Nötigste fehlt, nämlich der Verlauf der Gefühle und Affekte, aus dem es entspringt. Man kann ebensowenig das wechselnde Klarer- und Dunklerwerden der Bewußtseinsinbalte und die damit verbundenen Funktionen der Aufmerksamkeit sowie alle mit dieser zusammenhängenden seelischen Tätigkeiten einfach aus dem Assoziationsprinzip erklären." 84 Keine Vorstellung sei die erschöpfende Vergegenwärtigung aller Empfindungen, die das Objekt durch seine Wirkungen auf uns anrege, die Apperzeption beschränke sich auf gewisse dominierende Empfindungen. W u n d t bekämpfte die alte Assoziationspsychologie, weil sie den selbständigen, aktiv-schöpferischen Charakter des Geistigen unberücksichtigt lasse, weil es neben den passiven psychischen Verbindungen eine schöpferische Synthese als Resultat der Aktivität des Bewußtseins gebe. Zugleich ging es W u n d t im Sinne seines voluntaristisohen Standpunktes um eine Hervorhebung des Willens, dessen Bedeutung von der Assoziationspsychologie negiert wurde. Den Apperzeptionsvorgang betrachtete er zugleich als Bestätigung der Existenz einer spezifischen psychischen Kausalität, somit war seine Apperzeptionsauffaissung auch antimaterialistisch. Von Leibniz ausgehend und offensichtlich von Kant und Henbart beeinflußt, hatte W u n d t die Begriffe Perzeption und Apperzeption in seine Psychologie eingeführt.

83 W. Wundt, System der Philosophie, a. a. O., S. 42. 84 W. Wundt, D i e Psychologie im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, in: Reden und Aufsätze, Leipzig 1913, S. 221.

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Unter Peremption verstand er den Eintritt von Wahrnehmungen ins Blickfeld des Bewußtseins, unter Apperzeption den Eintritt der Wahrnehmung in den Blickpunkt des Bewußtseins. Leibniz hatte sein AppenzOptionsprinzip der Assoziationstheorie entgegengestellt, Wundt setzte sich mit dieser zwar ebenfalls auseinander, versuchte aber, das Apperzeptionsprinzip mit dem Assoziationsprinzip zu verknüpfen. Apperzeptionen setzten Assoziationen voraus, gingen aus ihnen hervor und fänden in diesen ihr Material. Im Sinne von Leibniz verlband Wundt die Apperzeption mit der Aufmerksamkeit. Zahlreiche Eindrücke stünden ständig im Blickfeld unseres Bewußtseins, ein großer Teil davon würde jedoch nur perzipiert. Erst die Aufmerksamkeit rnoke einen Eindruck in den Blickpunkt, dieser werde damit klarer und deutlicher. Im Klar- und Deutlichwerden bestünde das eigentliche Wesen der Apperzeption. Durch die Wirkung der Apperzeption würden die Eindrücke ins Bewußtsein eintreten. Die „Einleitungsfunktion" der Apperzeption bestünde darin, die mannigfaltigen Inhalte zu einem Ganzen zu verbinden. Die Tatsache, daß das Bewußtsein ein fließendes Geschehen sei, werde vor allem durch Aufmerksamkeitsprozesse hervorgerufen. Passive Aufmerksamkeitsprozesise unterlägen assoziativen Mechanismen, aktive, wie Denken, Phantasie und Verstandestätigkeit, bildeten dagegen die aktive Apperzeption. Wundt betrachtete Assoziationen und Apperzeptionen als psychische Aktivität. Im Unterschied zu den Apperzeptionen seien jedoch die Assoziationen nicht vom Willen gesteuert, demnach passives Erleben. Der Willensprozeß der Apperzeption sei aktives Erleben. Assoziationen charakterisierte Wundt als Verschmelzungen psychischer Verlbindungen, durch die aus psychischen Elementen psychische Gebilde entstünden. Apperzeptionisverbinduragen seien höhere psychische Prozesse, somit willensabhängige aktive Erlebnisse. Die Hervorhebung des aktiven Charakters geistiger Prozesse war in der Auseinandersetzung mit der Assoziationspsychologie verdienstvoll. Da Wundt jedoch das Psychische nicht als Widerspiegelung verstand, demnach auch die Apperzeptionen nicht in das Widerspiegelungsgeschehen einzuordnen vermochte, gelangte er zu seiner subjaktivistischen Überbewertung des Willens bei Apperzeptionsprozessen. Die Tatsache des aktiv-schöpferischen Charakters der Apperzeption verband Wundt mit seiner Auffassung von einem Wachstum der psychischen Energie. Wundts „Überwindung" der alten Assoziationspsychologie hatte also positive und negative Züge. Sie trug dazu ibei, die Betrachtung des Psychischen als passive Aufnahme von Eindrücken zu überwinden. Zu Recht wurden einerseits das aktivschöpferische Wesen psychischer Prozesse und der selektive Charakter unserer Vorstellungen hervorgehoben. Andererseits war Wunidts „Überwindung" der Assoziationspsychologie igegen deren materialistische Tendenzen gerichtet; immaterielle Willenstätigkeit wurde an Stelle mechanistischer Assoziationsvorgänge zur letzten Ursache psychischer Erscheinungen erklärt. Psychische Tätigkeit betrachtete Wundt als gesetzmäßigen Prozeß, wenn er auch die psychischen Gesetzmäßigkeiten nicht völlig mit der Gesetzmäßigkeit in der Natur gleichsetzen wollte. Unter psychischen Gesetzen verstand er in erster Linie die Vorgänge, nach denen sich psychische 7

Wilhelm Wundt

257

Elemente zu komplexen und komplexeren psychischen Verbindungen zusammensetzten. „So werden demnach Verbindungen von Empfindungen oder von einfachen Gefühlen zu komplexen Vorstellungen, Affekten usw., wenn sie sich irgendwie regelmäßig vollziehen, psychische Gesetze genannt werden können", schrieb er. 85 Wundt betrachtete die geistige Entwicklung als „durch und durch gesetzmäßig", fügte jedoch einschränkend hinzu, idaß sie sich nicht auf eine „¡bestimmte Gesetzesformulierung und damit auf eine .Entwicklungstheorie' " zurückführen lasse.86 Nach dem allgemeinen Charakter der geistigen Entwicklung müßten wir, abgesehen von gewissen Erscheinungen einfachster Art, wie sie uns bei den elementaren Prozessen der Sinneswahrnehmung begegneten, wohl grundsätzlich auf formulierbare Gesetze verzichten, darum sei für die Gesamtauffassung des geistigen Lebens die Erkenntnis der Prinzipien wichtiger als die Feststellung der Gesetze. Es sei viel wichtiger, den geeigneten Standpunkt zur Beurteilung geistiger Entwicklungen zu gewinnen, als einen einzelnen Zusammenhang zu erkennen, der doch in keinem anderen Falle der nämliche sei.87 A J U S seiner Sicht des psychophysisohen Parallelismus hob Wundt hervor, d a ß das psychische Laben nach eigenen Gesetzen verlaufe, woibei er diese lEigengesetzlichkeit ihrem Wesen nach als logische Gesetzmäßigkeit bestimmte. Er erklärte: „Das Gesetz, auf welches die Analyse der einzelnen Wahrnehmungsvorgänge immer wieder zurückführt, ist das Gesetz der logischen Entwicklung der Seele."88 Es bedürfe nur der Anwendung dieses Gesetzes, um die Erscheinungen des unbewußten und des bewußten Seelenlebens von der Empfindung bis zur Vorstellung in gesetzmäßiger Folge ableiten zu können. Für die 'Gesamtheit der „Seelenerscheinungen" seien zwei Gesetze gültig: das Gesetz der Abhängigkeit der psychischen Funktionen voneinander und idas Gesetz der Entwicklung der psychischen Funktionen auseinander. Beide Gesetze habe das Experiment kennengelehrt. Die Regelmäßigkeiten innerhalb der Bewußtseinsvorgänge unterschied Wundt von den Regelmäßigkeiten der physiologischen Gehirnprozesse. Ebensowenig gelte der naturwissenschaftliche Gesetzesibegriff, der im wesentlichen mit dem mechanischen zusammenfalle, für die Psychologie, weil „die physikalische und die psychologische Betrachtung der Wirklichkeit verschiedene, nicht entgegengesetzte, wohl aiber einander ergänzende Seiten dieser Wirklichkeit zum Inhalt" hätten. 89 Mit dieser Betrachtung identifizierte Wundt die relativ selbständigen logischen Gesetzmäßigkeiten - die auf der Ebene des ideellen Abbildes in allen geistigen Prozessen wirksam sind - mit den psychischen Gesetzen überhaupt und stellte sie außerdem den physischen und physiologischen Gesetzmäßigkeiten entgegen.

85 86 87 88 89

W. Wundt, Einführung in die Psychologie, a. a. O., S. 103. W. Wundt, Probleme der Völkerpsychologie, a. a. O., S. 159. Vgl. ebenda, S. 160. W. Wundt, Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung, W. Wundt, Probleme der Völkerpsychologie, a. a. O., S. 157.

258

a. a. O.,

S.

XXXI.

Für bestimmte Detiailuntersuchun.gen psychischer Erscheinungen ist eine relative Verselbständigung gesetzmäßiger logischer Zusammenhänge tatsächlich erforderlich, alber das Wesen psychischer Prozesse läßt sich damit nicht erfassen. Um zum Wesen des Psychischen zu gelangen, müssen vor allem die Gesetzmäßigkeiten erforscht werden, niaoh denen sich die Widerspiegelung objektiv realer Zustände und Zusammenhänge im Bewußtsein vollzieht, muß das gesetzmäßige Verhältnis von Abbild und Abgebildetem aufgedeckt werden. Es gilt in erster Linie die Gesetze zu erfassen, nach denen der Informationsaustausch zwischen Organismus und Umwelt erfolgt, nach denen Informationen aufgenommen, gespeichert und weitergegeben werden. Die Gesetze des Psychischen müssen dabei als Gesetze des einheitlichen psyohophysischen Prozesses verstanden werden. Weil das Psychische nicht als vom Gehirn unabhängige geistige Erscheinung existiert, sondern als einheitliches psycho,physisches Phänomen, muß in die Untersuchung psychischer Gesetzmäßigkeiten die Analyse der Korrelation von 'physiologischen Trägerprozessen und psychischen Erscheinungen einbezogen wetlden. Psychische Gesetzmäßigkeiten lassen sich weiterhin nicht aufdecken, wenn nicht die orientierende und regulierende Funktion psychischer Prozesse für das Verhalten, vor allem für die «materiell-gegenständliche Tätigkeit der Menschen in die Untersuchung einbezogen wird. Schließlich sei darauf verwiesen, daß sich aus den sozialen Lebensbedingungen gesetzmäßig bestimmte psychische Eigenarten ergeben. In psychischen Erscheinungen sind auf verschiedenen Ebenen mannigfaltige Gesetzmäßigkeiten wirksam, die Untersuchungsgegenstand unterschiedlicher Disziplinen und Arbeitsbereiche der Psychologie sind. Erst aus den Resultaten aller Detailuntersuchungen lassen sich die Gesetze des Psychischen ableiten, wobei die das Wesen des Psychischen als Widerspiegelung objektiver Realität und als Funktion des Zentralnervensystems bestimmenden Gesetzmäßigkeiten grundlegende Bedeutung haben. Jede dualistische Trennung von psychischen und physiologischen gesetzmäßigen Zusammenhängen hemmt 'dabei den Erkenntnisfortschritt. Wundt hat bei der Erforschung von Gesetzmäßigkeiten im psychischen Leben das Verhältnis von Psychischem und Physischem trotz seines dualistischen Standpunktes nicht völlig unbeachtet gelassen. Im Rahmen seiner psychophysisohen Experimente versuchte er, „die gesetzmäßigen Beziehungen zwischen der äußeren Veränderung des Reizes und der inneren der Empfindung zu bestimmen" 90 . In diesem Zusammenhang formulierte er sogar, 'daß die experimentelle Psychologie die Wechselbeziehung zwischen Physischem und Psychischem zum eigentlichen Objekte habe. Diese Erkenntnis blieb innerhalb des Standpunktes vom psychophysisohen Parallelismus eingeengt und weitgehend unwirksam, bis zum Verständnis des Widerspiegelungscharakfcers psychischer Erscheinungen gelangte sie nicht. Wundt ging es in erster Linie um den gesetzmäßigen Zusammenhang von psychischen Elementen und Gebilden. Jede komplexe psychische Erscheinung könne auf 90 W . Wundt,

Über

psychologische

Methoden,

in:

Philosophische

Studien,

hrsg.

von

W . Wundt, Erster Band, a. a. O., S. 6. 17*

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ein gesetzmäßiges Zusammenarbeiten von Elementen zurückgeführt werden. Vorstellungen seien beispielsweise gesetzmäßige Verbindungen vom Empfindungen. Die Verbindung von Elementen zu psychischen Gebilden war für Wunidt das Resultat subjektiver geistiger Tätigkeit. Er begriff nicht, daß letzten Endes die „psychischen Gebilde" Zusammenhänge objektiv realer Erscheinungen widerspiegeln. Objektive physische Tatsachen und Zusammenhänge und psychische Gesetzmäßigkeiten bei der Verbindung von Elementen waren iür ihn völlig getrennte Erscheinungen. Er schrieb beispielsweise: „Daß gewisse objektive Klangquellen wie Saiten, Lufträume, physische Eigenschaften besitzen, vermöge deren solche regelmäßige Verbindungen von Tonqualitäten entstehen, ist sicherlich ein für jenes psychische Gesetz der Tonverschmelzung wichtiges Moment, aber selbst haben diese physischen Tatsachen mit diesem Gesetze nicht das Geringste zu tun." 91 Obwohl die „seelischen Vorgänge" an Naturerscheinungen gebunden seien, beruhe „ihr eigenstos Wesen" „auf den inneren, qualitativen Beziehungen der jeweils zu einem Ganzen verbundenen Elemente" 92 . Wundt hat seine Auffassung von den allgemeinen Gesetzen des psychischen Geschehens in drei Prinzipien entwickelt. Er formulierte erstens da« Prinzip der psychischen Resultanten (der schöpferischen Synthese), zweitens das Prinzip der psychischen Relationen (der psychischen Analyse) und drittens das Prinzip der psychischen Kontraste (der Mehrdimensionalität des Gefühlslebens). Erläuternd schrieb er: „An der Spitze der .Prinzipien, die wir . . . gleichzeitig als allgemeinste Ergebnisse und als leitende Grundsätze der Psychologie betrachten können, steht als erstes 'das der schöpferischen Synthese. Es sagt aus, daß jedes aus einer Summe psychischer Elemente entstehende Produkt ein eigenartiges seelisches Gebilde ist, das zwar in seinen einzelnen Eigenschaften in einer gesetzmäßigen Abhängigkeitsbeziehung zu seinen Elementen steht, dabei aiber in seinem allgemeinen Wertgehalt diese stets übertrifft. ,Die Resultante ist größer an Wert als die Summe ihrer sämtlichen Komponenten'." 93 So sei ein musikalischer Klang als psychisches Phänomen eine Synthese mehr oder weniger zahlreicher Tonempfindungen, die zu einer Einheit verschmelzen. Nach ihrer Vorstellungs- und Gefühlsseite sei diese Einheit ein neues Gebilde, -mehr a b die einfache Addition ihrer Elemente, aus denen sie aber, wie jede Variation dieser .Elemente nach Qualität und Intensität zeige, ausschließlich zusammengesetzt sei. Am klarsten trete uns die schöpferische Synthese und ihre gesetzmäßige Natur bei den Apperzeption «Verbindungen entgegen. Das Prinzip der schöpferischen Resultanten bringe die Kausalität zum Ausdruck, die das geistige Leben überhaupt ibeherrsdie; es sei das Fundamentalprinzip geistiger Kausalität. Wundts Prinzip der schöpferischen Synthese erfaßte einerseits richtig den aktiv-schöpferischen Charakter psychischer Tätigkeit, ließ aber andererseits das Wesen dieser Tätigkeit als Widerspiegelung objektiver 91 W. Wundt, Einführung in die Psychologie, a. a. O., S. 104. 92 Ebenda, S. 112. 93 W. Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, a. a. O.j S. 102.

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Realität unberücksichtigt. Psychische Gebilde galten nach diesem Prinzip nicht als Widerspiegelung und Abbild objektiver Realität, sondern nur als Resultat der synthetischen Verbinidung von psychischen Elementen na komplizierteren Gebilden durch geistige Tätigkeit. Damit wunden idie grundlegenden psychischen Prozesse introspektionistisch interpretiert. Der Inhalt des Psychischen wurde subjektividealistisch aus der Art und Weise der subjektiven (geistigen Tätigkeit begründet, wenn diese auch, wie Wundt einräumte, ihre Anregung durch die realen Objekte erhalte und Gegenstände den Inhalt der Vorstellung&bestandteile der Eniahrung bildeten. Zum Prinzip der psychischen Relationen, oder der beziehenden Relationen, wie er es auch nannte, schrieb Wundt: „Dem Gesetz der Resultanten steht ferner als seine Ergänzung und doch in gewissem Sinne zugleich als ein Ausdruck der nämlichen psychischen Gesetzmäßigkeiten das Prinzip der ¡beziehenden Relationen gegenüber. Wie das Resultantengesetz die Formen psychischer Synthese in einen einheitlichen Ausdruck zusammenfaßt, so kann das Relationsgesetz als ein analytisches Prinzip gelten, welches die Verhältnisse det in einem soldien synthetischen Ganzen enthaltenen Bestandteile einer allgemeinen Regel unterordnet. Diese Regel besteht aber darin, daß die psychischen Elemente eines Produktes in inneren Beziehungen zueinander stehen, aus denen da« Produkt selbst mit Notwendigkeit hervorgeht, während zugleich der allen psychischen Resultanten zukommende Charakter der Neuschöpfung durch diese Beziehungen motiviert wird. Dabei verstehen wir unter inneren Beziehungen solche, die von der qualitativen Beschaffenheit der einzelnen Inhalte abhängen und insofern jenen äußeren Beziehungen, die durch ihre formale Ordnung bestimmt sind, als ein spezifisch verschiedenes und zugleich ergänzendes Verhältnis gegenüberstehen." 94 Das Prinzip der beziehenden Relationen finde seine Ergänzung im Prinzip der psychisohen Kontraste, wonach sich im psychischen Geschehen entgegengesetzte Kräfte verstärkten, während sie sich in der Natur aufhöben. Den drei Prinzipien des geistigen Geschehens stünden drei Entwicklungsgesetze des geistigen Lebens zur Seite: das Gesetz des geistigen Wachstums, das Gesetz der Heterogonie der Zwecke und das Gesetz der Entwicklung in Gegensätzen. Gemäß dem erstgenannten Gesetz bleibe sich das geistige Leben der Individuen und der Gemeinschaft nicht gleich, sondern wachse ständig, dabei bildeten alle neuentstehenden psychischen Gebilde jeweils ein „Mehr" als die Elemente, aus denen sich diese zusammensetzten. Als Summierung der geistigen Tätigkeiten würden Wirkungen erzielt, die ursprünglich nicht beabsichtigt gewesen seien. D a im Gesetz der schöpferischen Resultanten aus der Verbindung der seelischen Erlebnisse neue, unvergleichliche Gebilde erwüchsen, so entstünden im Verlaufe der Entwicklung Veränderungen, die uns berechtigen, von einem Gesetz der Heterogonie der Zwecke zu reden. Zur Erläuterung dieses Gesetzes schrieb Wundt: „Bei den verwickeiteren Erscheinungen des Seelenlebens und besonders bei solchen, die sich zu einem umfassenderen Ganzen verbinden, wie bei den komplexen Willens94 W . Wundt, Einführung in die Psychologie, a. a. O., S. 111.

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Vorgängen und den geschichtlichen Entwicklungen, nimmt nun weiterhin das Resultantenprinizip eine spezifische Forin an. Sie ergibt sich daraus, daß wir, je verwickelter sich die Erscheinungen gestalten, um so mehr dahin gedrängt wenden, nicht das Ganze des Verlaufs stetig zu verfolgen, sondern Anfang und Ende vergleichend einander gegenüberzustellen. Hierbei geht dann notwendig zugleich die kausale Auffassung in ihre Umkehrung, die teleologische, über. Die so entstehende Umformung können wir das Prinzip der Heterogonie der Zwecke nennen. Es steht dem die Willenshandlungen im allgemeinen beherrschenden Prinzip der Vorausnahme des Zwecks im Motiv gegenüber." 95 Aus dem Gesetz der Heterogonie der Zwecke ergebe sich die reiche Entfaltung der Kultur, wobei die Befriedigung eines geistigen Bedürfnisses ständig neue Bedürfnisse schaffe. Mit dem Gesetz der Heterogonie der Zwecke leitete Wundt den geistigen Entwicklungsprozeß der Gesellschaft psychologistisch aus individualpsychologischen Erscheinungen aib, sah er doch die letzte Ursache dieses Gesetzes darin, daß nach dem Prinzip der schöpferischen Resultanten aius der Verbindung seelischer Erlebnisse immer neue, unvergleichliche Gebilde entstünden. Mit dem Gesetz der Heterogonie der Zwecke erfaßte Wundt die Tatsache, daß im gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß Handlungen oft nicht zu den gewollten Ergebnissen, sondern zu unbeabsichtigten Wirkungen führen. Diese Erscheinung läßt sich nicht im Sinne Wundts als ein geistiges Entwicklungsprinzip erklären, das in psychischen Processen seine letzte Ursache habe. Unbeabsichtigte Resultate gesellschaftlichen Handelns haben - auch im geistig-kulturellen Bereiche - vor allem in den materiellen Lebens- und Entwicklungsbedingungen ihre letzte Ursache. So ist es eine historisch hinlänglich bewiesene Tatsache, daß unter den gesellschaftlichen Bedingungen des Privateigentums an den Produktionsmitteln, die eine gesamtgesellschaftliche Planung im grundlegenden Bereich der Ökonomie nicht ermöglichen, Handlungen der herrschenden Klasse immer wieder spontan zu nicht beabsichtigten Ergebnissen führen. Erst im Sozialismus führt gesellschaftliches Handeln in zunehmendem Maße zu den im Plan vorgesehenen Ergebnissen. Wundt betrachtete die Entwicklung des geistigen Lebens der Individuen und der Gesellschaft als in Gegensätzen verlaufend. Daibei ging es Wundt allerdings nicht um eine objektive Dialektik, nicht um oibjektive Widersprüche als Quelle und Triebkraft gesellschaftlicher Entwicklung, sondern um Kontraste, die zustandekämen, weil jedes seelische Erlebnis sein Gegenteil hervorrufe. Als grundlegende, entwicklungsfeestimmende Kontraste galten ihm die psychischen Erscheinungen von Lust und Unlust, Spannung und Lösung. In den genannten drei Entwicklungsgesetzen offenbare sich die psychische Kausalität. In seiner Gesetzeskonzeption für psychische Erscheinungen und Prozesse ließ Wundt die materiellen Grundlagen des Psychischen weitgehend unberücksichtigt, sie war daher ungeeignet, das Wes-en psychischer Vorgänge zu erfassen. Hierzu ist es erforderlich, vor allem die Gesetze der höheren Nerventätigkeit aufzudecken. Auf der Grundlage der 95 W. Wundt, Sinnliche und übersinnliche Welt, a. a. O., S. 104.

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Erkenntnisse von Pawlorw konnten wesentliche Gesetzmäßigkeiten der höheren Nerventätigkeit erforscht werden. Gesetzmäßige Zusammenhänge von Erregungsund Hemmungsprozessen wurden erkannt, die Entstehung und Löschung zeitweiliger Verbindungen festgestellt und Gesetzmäßigkeiten der Irradiation und der Konzentration sowie das Gesetz der wechselseitigen Induktion genauer erforscht. Die „psychischen Gesetzmäßigkeiten" Wundts sind isoliert von wesentlichen Bestimmungen des Psychischen als Funktion des Zentralnervensystems, die darin besteht, die objektive Realität widerzuspiegeln und das Verhalten zu orientieren und zu regulieren.

263

7.

Zusammenfassende Einschätzung der Leistungen Wundts

Wundts 'bleibende Verdienste liegen auf dem Gebiete der Psychologie; zum Fortschritt der Philosophie hat er keinen fruchtbaren Beitrag geleistet. Hohe Wertschätzung gelbührt ihm als einem der Begründer der experimentellen Psychologie. Seinem Schaffen ist es in starkem Maße mit zu verdanken, daß sich die Psychologie aus einer über die „Seele" räsonierenden 'Disziplin der spekulativen Metaphysik zu einer selbständigen Wissenschaft entwickelte, die mit naturwissenschaftlichen Methoden psychologische Prozesse zu untersuchen begann. Mit seinen Frühschriften gab Warndt der psychologischen Forschung eine naturwissenschaftliche Orientierung, die trotz unreifer theoretischer Grundlage zahlreiche wertvolle Ansätze enthielt. Wundts „Grundzüge der physiologischen Psychologie" aus dem Jahre 1874 gehören zu den bedeutsamsten Gründungsdokumenten der experimentellen Psychologie. Die „Grundizüge" enthalten in systematischer Darstellung die Ansätze und Ergebnisse bisheriger experimentalipsychologischer Forschung, und sie wiesen der sich zur selbständigen Wissenschaft entwickelnden Psychologie programmatisch den Weg. Wundt hat sich das Programm seiner ersten Auflage der „Grundzüge" fiir die spätere psychologische Arbeit nicht zu eigen gemacht. Aus den „Grundzügen" wurden materialistische Tendenzen von Auflage zu Auflage stärker getilgt. In seinen Labenserinnerungen „Erlebtes und Erkanntes" hat sich Wundt schließlich von seiner bedeutsamen Programmschrift von 1874 faktisch distanziert. Wundt forderte anfangs eine Wende von der spekulativen Psychologie zu einer auf dem Experiment und der Beobachtung beruhenden Erfahrungswissenschaft. Seine eigene Erfahrungsikonzeption erwies sich jedoch als ungeeignet, den Bruch mit der spekulativen Metaphysik zu vollziehen. Infolge ihrer subjektiv-idealistischen Fundierung erwies sie sich selbst als Spekulation, die schließlich in die machistisohe Konstruktion von der „unmittelbaren Erfahrung" mündete, die Objekt und Subjekt in ursprünglicher Einheit als Bewußtseinsinhalt vereint. Zu Wundts Verdiensten um die Psychologie gehört sein unablässiges Bemühen, Erkenntnisse der Evolutionstheorie für die psychologische Forschung nutzbar zu machen und den Prozeßcharakter des Psychischen nachzuweisen. Sein verworrener philosophischer Standpunkt hinderte ihn jedoch, eine brauchbare Entwicklungskonzeption für die Psychologie zu schaffen. Seine umfangreiche „Völkerpsycho-

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logie", die Wunidt nach eigenem Bekenntnis als Krönung seines psychologischen Schaffens betrachtete, beruht auf einer ins Mystische albgleitenden psychologistischvoluntaristischen Entwicklungsaufiassung. Als historisch bedeutsamste Leistung Warndts kann wohl hervorgehoben werden, daß er maßgeblich zur Einführung und Durchsetzung experimenteller Anbeit in der Psychologie beigetragen hat. Indem er Methoden der Physiologie zur Erforschung psychischer Erscheinungen anwendete, wies er der Psychologie einen fruchtbaren Weg zur Entwicklung psychophysisoher Experimente. Dabei leistete Wundt vor allem mit seinen frühen Arbeiten zur Sinnesempfindung - speziell bei Reaktionszeitmessungen - einen wertvollen eigenständigen Beitrag zur Methodenentwicklung in der Psychologie. Weltweite Anerkennung erwarb sich Wundt durch die Gründung des ersten Instituts für experimentelle Psychologie der Welt in Leipzig im Jahre 1879. Mit dem Wundtschen Labor erhielt die experimentelle Psychologie ihre erste institutionelle Basis. Unter Wundts Leitung entwickelte sich das Institut in Leipzig für einige Jahrzehnte zum internationalen Mittelpunkt psychologischer Forschung. Zahlreiche namhafte Psychologen wurden in ihm ausgebildet oder sammelten Erfahrungen in diesem Institut. Trotz der unbestrittenen Verdienste Wundts, die er sich im Ringen um eine selbständige experimentelle Psychologie erwarb, war sein Einfluß auf die psychologische Forschung sehr zwiespältig. Verhängnisvoll für die Psychologieentrwicklunig wurde das Bestreben des bürgerlichen Wissenschaftlers Wundt, die Psychologie auf dem Boden des Idealismus zu begründen. Wundts Zielstellung, .die mehr und mehr ins Zentrum 'seines Schaffens rückte, war die Gestaltung einer neuen Metaphysik auf der Grundlage des deutschen Idealismus, die mit den neuesten Erkenntnissen der Naturwissenschaften vereinbar sein sollte. Ein solches Vorhaben war objektiv zum Scheitern verurteilt; Idealismus und naturwissenschaftliche Erkenntnisse lassen sich nicht vereinbaren, und wissenschaftliche Psychologie ist nur vom Standpunkt des dialektischen Materialismus möglich. Mit seinen philosophischen Arbeiten hat Wundt zur Krise der theoretischen Grundlagen der Psychologie beigetragen. In dem Maße, in dem er Experimente und mathematische Meßmethoden in die Psychologie einführte und damit metaphysische Spekulationen ü'ber die Psyche zurückdrängen half, diente seine Arbeit dem wissenschaftlichen Fortschritt; in dem Maße jedoch, in dem er seine metaphysische Philosophie entwickelte und ihre Prinzipien auf die Psychologie zu übertragen versuchte, belastete er die psychologische Forschung mit neuen metaphysischen Spekulationen und hemmte damit den wissenschaftlichen Fortschritt. Als Philosoph war Wundt Idealist, Fideist und Eklektiker, wie Lenin in „Materialismus und Empiriokritizismus" urteilte. Es ist nicht einfach, sein philosophisches System einer bestimmten philosophischen Schule zuzuordnen. Wenn Wundts Philosophie wiederholt dem „kritischen Realismus" zugerechnet wurde, so kann man dem wohl zustimmen, wenn der kritische Realismus etwa in dem Sinne verstanden wird, wie ihn Herbert Hörz in seinem Buche „Marxistische 18

Wilhelm Wundt

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Philosophie und Naturwissenschaften" charakterisiert hat. 1 Ihrem Wesen nach ist Wundts Philosophie psychologistisch-voluntaristischer Idealismus. In ihr sind neben einzelnen materialistischen Einsichten, die im Entwicklungsprozeß zunehmend zurückgedrängt wurden, subjektiv-idealistische Auffassungen neben oibjektiv-idealistischen Positionen enthalten. D i e erkenntnistheoretische Grundlage, die auf Wundts Psychologie den stärksten Einfluß ausübte, ist subjektiv-idealistisch und hat viele Ähnlichkeiten mit Machs philosophischer Grundposition. Wundts Philosophie blieb in ihrem theoretischen Niveau weit hinter dem klassischen deutschen Idealismus zurück, dem sie eklektisch ihre Grundbestandteile entnahm. Die etwa um die gleiche Zeit entstehenden Werke von Marx, Engels und Lenin waren den Wundtschen philosophischen Schriften um eine historische Epoche voraus. Mit seiner Philosophie entwickelte sich W u n d t zunehmend zu einem politischen Reaktionär. Zur Zeit des ersten Weltkrieges propagierte er als engagierter Apologet die Kriegsziele und -forderungen der deutschen Imperialisten. Der ideologische Kampf gegen den Materialismus war fester Bestandteil seines philosophischen Schaffens. Bei der Ausarbeitung seines philosophischen Systems stützte sich W u n d t in starkem Maße auf psychologische Erscheinungen, die er idealistisch interpretierte. Seine philosophischen Ansichten wirkten zunehmend auf seine psychologische Tätigkeit zurück. In dieser ständigen Wechselwirkung entstanden - anknüpfend an den deutschen Idealismus - als philosophisches Fundament der gesamten Tätigkeit Wundts die subjektiv-idealistische Erfahrungskonzeption, das dualistische Prinzip des psychophysischen Parallelismus und die psychologistisch-voluntaristische Konzeption. Diese philosophische Position mußte die psychologische Arbeit fehlorientieren; Aufgabe und Gegenstand der Psychologie konnten aus dieser Sicht nicht wissenschaftlich bestimmt werden. Trotz seiner Verdienste um die Entwicklung der Psychologie hat der Psychologe W u n d t die wesentlichsten Merkmale seines Forschungsigegenstandes, des Psychischen, in Frage gestellt: Er leugnete den Widerspiegelungs- und Abbildcharakter psychischer Erscheinungen, erfaßte das Psychische nicht als Eigenschaft und Funktion des Zentralnervensystems und bezog den Tätigkeitsaspekt psychischer Prozesse nicht in seine Untersuchungen ein. Ungeachtet der idealistisch-metaphysischen Zwangsjacke, in die W u n d t die Resultate und Erkenntnisse seiner psychologischen Forschungen zu pressen versuchte, gehören seine experimentellen Arbeiten und die materialistischen Positionen seiner „Physiologischen Psychologie" trotzdem zum fruchtbaren Erbe der Psychologie. D i e marxistisch-leninistische Psychologie hat sich dieses E r b e kritisch angeeignet und weiterentwickelt. D i e Gründung des Leipziger Instituts für experimentelle Psychologie und die experimentelle psychologische Tätigkeit Wundts und seiner Schüler werden von den marxistischen Psychologen als eine bedeutsame Entwicklungsetappe ihrer Wissenschaft gewürdigt. Vorbehaltlos wird auch Wundts Meisterschaft im Experimentieren als vorbildlich für die sich entwickelnde Experi1 H. Hörz, Marxistische Philosophie und Naturwissenschaften, Berlin 1974, S. 572 ff.

266

mentiertätigkeit auf dem Gebiet der Psychologie anerkannt. Hoch eingeschätzt wird auch sein Beitrag, den er mit seinen frühen Schriften zur Loslösung der Psychologie vom metaphysischen Seelenbegriff geleistet hat. Ohne die Verdienste Wundts schmälern zu wollen, muß jedoch festgestellt werden, daß von seiner idealistischen psychologischen Theorie kein W e g zu einer wissenschaftlich fundierten Psychologie führte. D i e wissenschaftliche Psychologie hat sich auf einer anderen Entwicklungslinie herausgebildet. Sie entstand und entfaltete sich mit der Aneignung des dialektischen Materialismus unter den Bedingungen der sozialistischen Revolution. Nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution schufen sowjetische Psychologen, aufbauend auf den materialistischen Traditionen der russischen revolutionären Demokraten Herzen, Belinski, Dobroljubov und Tschernischewski und im Sinne der materialistischen Orientierung durch Setschenow, Pawlow, Bechterew, Lange und andere mit der Durchsetzung der Lehren von Marx, Engels und Lenin als weltanschauliche, erkenntnistheoretische und methodologische Grundlage der Psychologie die Basis für echte wissenschaftliche Psychologie. Auch die marxistisch-leninistische Psychologie in der D D R entwickelte sich nicht auf der Wundtschen Linie. Sie stützte sich auf die materialistische Psychologie, die sich nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution in der Sowjetunion herausgebildet hatte. Unschätzbare Hilfe leisteten die ersten Übersetzungen der Arbeiten von K . N. Kornilaw, A. A. Smirnow und S. L. Rubinstein. D i e Aneignung dieser dialektisch-materialistischen Psychologie erfolgte in einem Prozeß der langwierigen und harten Auseinandersetzung mit überkommenen idealistischmetaphysischen psychologischen Ideen und Theorien, darunter auch mit Auffassungen von Wundt. Im Laufe der weiteren Entwicklung wurde den Psychologen in der Deutschen Demokratischen Republik nicht nur eine immer breitere Palette psychologischer Arbeiten aus der Sowjetunion zugängig, es entwickelte sich zugleich eine enge kameradschaftliche Zusammenarbeit mit den sowjetischen Fachkollegen. Psychologen aus der D D R erschlossen gemeinsam mit Psychologen aus der Sowjetunion und aus anderen sozialistischen Ländern schöpferisch den Ideenreichtum von Marx, Engels und Lenin für ihre Wissenschaft. Jedoch werden dabei auch Wundts historisch bedeutsame Leistungen als Erbe heutiger Psychologie fruchtbar gemacht. An der Karl-Marx-Universität entstand ein interdisziplinärer Arbeitskreis „Wundt-Forschung", der bereits einige international beachtete Forschungsergebnisse vorgelegt hat. Dieser Arbeitskreis pflegt den interdisziplinären Gedankenaustausch und regt interdiziplinäre Forschungen an. Im Wundt-Archiv in Leipzig wird ein umfangreicher Teil des Wundtschen Briefwechsels sorgsam bewahrt und für die wissenschaftliche Forschung zugängig gemacht. In mehreren Symposien und Kolloquien wurden in der Deutschen Demokratischen Republik Wundts bleibende Leistungen analysiert und geehrt.

18*

267

Verzeichnis ausgewählter Veröffentlichungen Wilhelm Wundts1

1 Über den Kochsalzgehalt des Harns. Journal für praktische Chemie. Jg. 1853, 59. Bd., S. 3 5 4 - 3 6 3 . 2 Versuche über den Einfluß der Durchschneidung des Lungenmagennerven auf die Respirationsorgane. Preisarbeit. Johannes Müllers Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medizin. Jg. 1855, S. 2 6 9 - 3 1 3 . 3 Untersuchungen über das Verhalten der Nerven in entzündeten und degenerierten Organen. Inaug.-Dissertation, Heidelberg 1856 (als Habilitationsschrift anerkannt). 4 Über die Elastizität der tierischen Gewebe. Vortrag am 19. 12. 1856. Verhandlungen des naturhistorisch-medizinischen Vereins Heidelberg, Bd. I, S. 9-10/Heidelberger Jahrbücher der Literatur, 50. Jg., 1857, S. 2 4 9 - 2 5 0 . 5 Über die Elastizität feuchter organischer Gewebe. Johannes Müllers Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medizin. Jg. 1857, S. 2 9 8 - 3 0 8 . 6 Die Lehre von der Muskelbewegung. Nach eigenen Untersuchungen bearbeitet. Braunschweig 1858. 7 Über das Gesetz der Zuckungen und die Veränderungen der Erregbarkeit durch geschlossene Ketten. Vortrag am 12. 7. 1858. Verhandlungen des naturhistorisch-medizinischen Vereins Heidelberg, Bd. I, S. 159 bis 160/Heidelberger Jahrbücher der Literatur, 51. Jg., 1858, S. 9 1 5 - 9 1 8 . 8 Über das Gesetz der Zuckungen und die Modifikation der Erregbarkeit durch geschlossene Ketten. Wunderlichs Archiv für physiologische Heilkunde, N. F. II, 1858, S. 3 5 4 - 4 0 0 . 9 Über den Einfluß hydrotherapeutischer Einwirkungen auf den Stoffwechsel. Archiv des Vereins für gemeinschaftliche Arbeiten zur Förderung der wissenschaftlichen Heilkunde, Bd. III, 1858, S. 3 5 - 4 3 . 10 Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung. I. Abhandlung: Über den Gefühlssinn mit besonderer Rücksicht auf dessen räumliche Wahrnehmungen. Henle und Pfeufers Zeitschrift für rationelle Medizin, 3. Reihe, IV, 1858, S. 2 2 9 - 2 9 3 . 11 Über die Geschichte der Theorie des Sehens. Vortrag am 14. 2. 1859. Verhandlungen des naturhistorisch-medizinischen Vereins Heidelberg, Bd. I, S. 196-198/Heidelberger Jahrbücher der Literatur, Jg. 52, 1859, S. 348 bis 350. 12 Über die Bewegungen des Auges. Vortrag am 5. 8. 1859. Verhandlungen des naturhistorisch-medizinischen Vereins Heidelberg, Bd. I, S. 240-245/Heidelberger Jahrbücher für Literatur, Jg. 52, 1859, S. 8 3 3 - 8 3 5 . 1 Entnommen aus: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe, 2/1979, S. 2 4 3 - 2 5 9 .

268

13 Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung. 2. Abhandlung: Zur Geschichte der Theorie des Sehens. Henle und Pfeufers Zeitschrift für rationelle Medizin, 3. Reihe, VII, 1859, S. 279-317. 14 Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung. 3. Abhandlung: Über das Sehen mit einem Auge. Henle und Pfeufers Zeitschrift für rationelle Medizin, 3. Reihe, VII, 1859, S. 321-396. 321-396. 15 Über sekundäre Modifikation der Nerven. Reichert und Du Bois-Reymonds Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medizin, Jg. 1859, S. 537-548. 16 Über den Verlauf der Muskelzusammenziehung bei direkter Muskelreizung. Reichert und Du Bois-Reymonds Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medizin, Jg. 1859, S. 549-552. 17 Über den Einfluß des Curaregiftes auf Nerven und Muskeln. Vortrag am 6. 1. 1860. Verhandlungen des naturhistorisch-medizinischen Vereins Heidelberg, Bd. II, S. 12—13/ Heidelberger Jahrbücher der Literatur, Jg. 53, 1860, S. 172-173. 18 Über die Elastizität der organischen Gewebe. Vortrag am 11. 5. 1860. Verhandlungen des naturhistorisch-medizinischen Vereins Heidelberg, Bd. II, S. 33-42/Heidelberger Jahrbücher der Literatur, Jg. 53, 1860, S. 723-732. 19 Über die Elastizität der organischen Gewebe. Henle und Pfeufers Zeitschrift für rationelle Medizin, 3. Reihe, VIII, 1860, S. 267-279. 20 Über das binokulare Sehen. Vorträge am 6. 11. und 7. 12. 1860. Verhandlungen des naturhistorisch-medizinischen Vereins Heidelberg, Bd. II, S. 6 9 - 7 2 und 75-78/Heidelberger Jahrbücher der Literatur, Jg. 54, 1861, S. 163-166 und 169-172. 21 Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung. 4. Abhandlung: Über das Sehen mit zwei Augen. Henle und Pfeufers Zeitschrift für rationelle Medizin, 3. Reihe, XII, 1861, S. 145-262. 22 Bemerkung zu dem Aufsatz des Herrn Dr. H. Münk „Über die Leitung der Erregung im Nerven. II". Reichert und Du Bois-Reymonds Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medizin, Jg. 1861, S. 781-783. 23 Über die Entstehung des Glanzes. Vortrag am 26. 4. 1861. Verhandlungen des naturhistorisch-medizinischen Vereins Heidelberg, Bd. II, S. 115-118/Heidelberger Jahrbücher der Literatur, Jg. 54, 1861, S. 561-564. 24 Über die Bewegung des Auges. Vortrag auf der 36. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Speyer am 18. 9. 1861. Beilage zum Tageblatt der Versammlung. 25 Über persönliche Differenz zwischen Gesichts- und Gehörsbeobachtung. Vortrag auf der 36. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Speyer am 28. 9. 1861. Beilage zum Tageblatt der Versammlung. 26 Über die Verteilung der Muskelkräfte am Auge. Vortrag am 29. 11. 1861. Verhandlungen des naturhistorisch-medizinischen Vereins Heidelberg, Bd. II, S. 176-181/Heidelberger Jahrbücher der Literatur. Jg. 55, 1862, S. 164-169. 27 Der Blick. Eine physiognomische Studie. Unterhaltungen am häuslichen Herd. 3. Folge, I. Bd. 1861, S. 1028-1033. 28 Uber binokulares Sehen. Poggendorffs Annalen der Physik und Chemie CXVI, 4. Stück, 1862, S. 617-626. 29 Über die Entstehung des Glanzes. Poggendorffs Annalen der Physik und Chemie CXVI, 4. Stück, 1862, S. 627-631. 30 Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung. 5. Abhandlung: Über einige besondere

269

Erscheinungen des Sehens mit zwei Augen. Henle und Pfeufers Zeitschrift für rationelle Medizin, 3. Reihe, XIV, 1862, S. 1 - 7 7 . 31 Beiträge zur Theorie

der Sinneswahrnehmung.

6. A b h a n d l u n g :

Über

den

psychischen

Prozeß der W a h r n e h m u n g . Henle und Pfeufers Zeitschrift für rationelle Medizin, 3. Reihe, X V , 1862, S. 1 0 4 - 1 7 9 . 32

Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung. Leipzig und Heidelberg 1862.

33 Ü b e r ein künstliches Augenmuskelsystem. Vortrag am 27. 6. 1862. Verhandlungen naturhistorisch-medizinischen Vereins Heidelberg, Bd. II, S. 225/Heidelberger

des

Jahrbücher

der Literatur, Jg. 55, 1862, S. 583. 34 Über die Bewegung des Auges. Archiv für Ophthalmologie, V I I I , 1862, Abt. II, S. 1 bis 87. 35 Beschreibung

eines künstlichen

Augenmuskelsystems

zur Untersuchung

der

Bewegungs-

gesetze des menschlichen Auges im gesunden und kranken Zustand. Archiv für Ophthalmologie, VIII, 1862, Abt. II, S. 8 8 - 1 1 4 . 36 Zur „sekundären Modifikation". Reichert und D u Bois-Reymonds Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medizin, Jg. 1862, S. 4 9 8 - 5 0 7 . 37 Notiz über neue Induktionsapparate. Reichert und D u Bois-Reymonds Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medizin, Jg. 1862, S. 507. 38 D e r M u n d . Eine physiognomische Studie. Unterhaltungen am häuslichen H e r d , 3. Folge II, 1862, S. 5 0 5 - 5 1 0 . 39 D i e Zeit. Unterhaltungen am häuslichen H e r d , 3. Folge II, 1862, S. 5 9 0 - 5 9 3 . 40 D i e Geschwindigkeit des Gedankens. Gartenlaube, N r . 17, 1862, S. 2 6 3 - 2 6 5 . 41 Eine Bcnefizvorstellung. Volkszeitung für Süddeutschland, N r . 26, 31. Januar 1862. 42 Karl Freund. Volkszeitung für Süddeutschland, N r . 28, 2. Februar

1862.

4 3 Robert und Bertram. Volkszeitung für Süddeutschland, N r . 36, 12. Februar 1862. 44 D a s Benefiz des Rezensenten. Volkszeitung für Süddeutschland, N r . 43, 20. Februar 1862. 45 Z u m Besten der Theaterbaukasse. Volkszeitung für Süddcutschland, N r . 45, 22. F e b r u a r 1862. 46 Theatralischer Unsinn. Volkszeitung für Süddeutschland, N r . 61, 13. März 1862. 47 Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele. 2 Bde., Leipzig 1863. 48 Über D r . E . Herings Kritik meiner Theorie des Binokularsehens. Poggcndorffs Annalen der Physik und Chemie CXX, 4. Reihe, 30. Bd., 1863, S. 1 7 2 - 1 7 6 49 W i e der T o d in die W e l t kam. Gartenlaube, N r . 24, 1863, S. 3 8 3 - 3 8 4 . 50 Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 1. u. 2. Lieferung, Erlangen 1864. 51 Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 3. Lieferung, Erlangen 1865. 52 D a s Gutachten des Heidelberger Arbeiterbildungsvereins

über den

Gewerbeschulzwang,

(Gegen die Konstanzer Zeitung.) Heidelberger Journal, 5. August 1865. 53 D i e physikalischen Axiome und ihre Beziehung zum Kausalprinzip. Ein Kapitel aus einer Philosophie der Naturwissenschaften. Erlangen 1866. 54 Über einige Zeitverhältnisse des Wechsels der Sinnesvorstellungen. Vorläufige Mitteilung. Göschens Deutsche Klinik, X V I I I , 1866, N r . 9, S. 7 7 - 7 8 . 55 Über das psychische M a ß . Ein populärer Vortrag. Göschens Deutsche Klinik, X V I I I , 1866, N r . 45, S. 4 0 1 - 4 0 3 und N r . 46, S. 409 bis 412. 56 Sanders, Geleidingsbanen in het Ruggemerg voor de Gevoelsindrukken. Kritische Blätter f ü r wissenschaftliche und praktische Medizin, N r . 10, 1866, S. 9 3 - 9 6 . 57 Kühne, Lehrbuch der physiologischen Chemie. 1. Lieferung: D i e Lehre von der Verdauung. Kritische Blätter für wissenschaftliche und praktische Medizin, N r . 12, S. 133 bis 134.

270

1866,

5 8 Besprechung: Kritische bis

Pflüger, Untersuchungen

Blätter

aus dem physiologischen

Laboratorium

und praktische

Nr.

für wissenschaftliche

Medizin,

13,

zu

1866,

Bonn. S.

125

126.

5 9 Beprechung: Krause, Beiträge zur Neurologie der oberen Extremitäten. Kritische

Blätter

für wissenschaftliche und praktische Medizin, Nr. 14, 1 8 6 6 , S. 1 3 3 - 1 3 4 . 6 0 Besprechung: Müller, Über den feineren B a u der Milz. Kritische Blätter für wissenschaftliche und praktische Medizin, Nr. 19, 1 8 6 6 , S. 1 8 1 - 1 8 2 . 61 Beprechung:

Ludwig, D i e physiologischen

Kritische

für wissenschaftliche

Blätter

Leistungen

des Blutdrucks.

und praktische

Medizin,

Nr.

Antrittsvorlesung. 20,

1866,

S.

193

6 2 Besprechung: Fick, D i e medizinische Physik. Kritische Blätter für wissenschaftliche

und

bis 1 9 4 . praktische Medizin, Nr. 2 1 , 1 8 6 6 , S. 2 0 1 bis 2 0 2 . 6 3 Besprechung: Nasse, Beiträge zur Physiologie der Darmbewegung.

Kritische Blätter

für

wissenschaftliche und praktische Medizin, Nr. 3 6 , 1 8 6 6 , S. 3 2 9 - 3 3 0 . 6 4 Besprechung:

Bischoff,

Mikroskopische

Analyse

der

Anastomosen

der

Kopfnerven.

Kritische Blätter für wissenschaftliche und praktische Medizin, Nr. 3 9 , 1 8 6 6 , S.

353.

6 5 Beprechung: Rauber, Vatersche K ö r p e r der Bänder und Periostnerven und ihre Beziehung zum

sogenannten

Muskelsinne.

Kritische

Blätter

für

wissenschaftliche

dem

Gebiete

und

praktische

Medizin, Nr. 3 9 , 1 8 6 6 , S. 3 5 3 - 3 5 4 . 6 6 Beprechung:

Kletzinsky,

Mitteilungen

aus

Chemie. Kritische Blätter für wissenschaftliche

der

reinen

und praktische

und

angewandten

Medizin, N r . 4 0 ,

1866,

S. 3 6 3 . 67 Besprechung: Winter, Experimentalstudien über die Pathologie des Flügelfelles.

Kritische

Blätter für wissenschaftliche und praktische Medizin, Nr. 4 0 , 1 8 6 6 , S. 3 6 3 . 6 8 Besprechung: Cornelius, Grundzüge einer Molekularphysik. Kritische Blätter für wissenschaftliche und praktische Medizin, Nr. 4 2 , 1 8 6 6 , S. 3 7 7 - 3 7 8 . 6 9 Besprechung: säure

Meißner

im tierischen

und Sheppard, Untersuchungen

Organismus.

Kritische

Blätter

über das Entstehen

für wissenschaftliche

der

und

Hippur-

praktische

Medizin, Nr. 4 2 , 1 8 6 6 , S. 3 7 8 - 3 7 9 . 7 0 Besprechung: der

Kühne, Lehrbuch der physiologischen

tierischen

Flüssigkeiten

und

Gewebe.

Kritische

Chemie. Blätter

2. Lieferung: für

Die

Chemie

wissenschaftliche

und

praktische Medizin, N r . 5 1 , 1 8 6 6 , S. 4 5 3 . 71 D a s

allgemeine

Januar

Wahlrecht

und

die

Arbeiterfrage.

Heidelberger

Journal,

19. und 2 0 .

1866.

7 2 V o m N e c k a r : Badische Zustände. Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Augsburg, 9 . August 1866. 7 3 Handbuch der medizinischen Physik. Erlangen 1 8 6 7 . 7 4 Neuere Leistungen auf dem Gebiete der physiologischen Psychologie.

Vierteljahresschrift

für Psychologie, Psychiatrie und gerichtliche Medizin, Jg. I, 1 8 6 7 , S. 2 3 - 5 6 . 75 Über die Physik der Zelle in ihrer Beziehung zu den allgemeinen Prinzipien der Naturforschung. Vortrag in der 2. allgemeinen Sitzung der 4 1 . Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Frankfurt/M. am 2 0 . September 1 8 6 7 , Tageblatt der Versammlung S. 2 1 - 2 6 . 7 6 Besprechung:

v.

Helmholtz,

Handbuch

der

physiologischen

Optik.

Göschens

Deutsche

Klinik X I X , 1 8 6 7 , S. 3 2 6 - 3 2 8 . 77 Beprechung:

Haeckel,

Generelle

Morphologie

der

Organismen.

Kritische

Blätter

für

wissenschaftliche und praktische Medizin, N r . 2, 1 8 6 7 , S. 1 3 - 1 7 und Nr. 5, 1 8 6 7 , S. 4 1 - 4 5 .

271

78 Besprechungen: Kübler, Mikroskopische Bilder aus dem Leben unserer heimischen

Ge-

wässer. Kübler und Zwingli, Mikroskopische Bilder aus der Urwelt der Schweiz. Kritische Blätter für wissenschaftliche und praktische Medizin, N r . 2, 1867, S. 17. 79 Harting, D a s Mikroskop. Kritische Blätter für wissenschaftliche und praktische Medizin, N r . 3, 1867, S. 2 2 - 2 3 . 80 Besprechung: Schultze, Zur Anatomie und Physiologie der Retina. Kritische Blätter f ü r wissenschaftliche und praktische Medizin, N r . 8, 1867, S. 6 9 - 7 0 . 81 Besprechung:

Nägelie

und

Schwendener,

Das

Mikroskop.

Theorie

und

Anwendung.

Kritische Blätter für wissenschaftliche und praktische Medizin, N r . 9, 1867, S. 7 7 - 7 8 . 82 Vom N e c k a r : D i e Reformbedürfnisse Badens. Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Augsburg, 4. J a n u a r 1867. 83 Antwort auf eine „Erklärung" badischer Ständemitglieder. Heidelberger Zeitung, 15. 1867. 84 Kommissionsbericht über den Gesetzentwurf, die Rechtsverhältnisse der Studierenden an den beiden Landesuniversitäten

betreffend. Beilage zum Protokoll

der 23. öffentlichen

Sitzung der 2. Badischen K a m m e r vom 6. N o v e m b e r 1867. 85 Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 2. völlig umgearbeitete Auflage, Erlangen 1868. 86 Besprechung:

Engelmann, Über

die H o r n h a u t

des Auges. Göschens Deutsche

Klinik,

X X , 1868, S. 186. 87 Vom

unteren

Neckar: Die

Zollparlamentswahlen

in Baden. Beilage

zur

Allgemeinen

Zeitung, Augsburg, 7. M ä r z 1868. 88 Vom N e c k a r : D a s provisorische Gesetz über die Militärstrafrechtspflege in Baden. Allgemeine Zeitung, Augsburg, 21. und 22. April 1868. 89 Vom N e c k a r : D a s badische Ministerium und die liberale Partei. Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Augsburg, 12. D e z e m b e r 1868. 90 Ü b e r

die

Entstehung

räumlicher

Gesichtswahrnehmungen.

Philosophische

Monatshefte,

III, 1869, S. 2 2 5 - 2 4 7 . 91 Über die Erregbarkeitsveränderungen im Elektrotonus und die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Nervenerregung. Vortrag am 10. 6. 1870. Verhandlungen medizinischen

Vereins

Heidelberg,

Bd.

V,

S.

des

163-166/Heidelberger

naturhistorischJahrbücher

der

Literatur, Jg. 63, 1870, S. 4 8 1 - 4 8 4 . 92 Über die Erregbarkeitsveränderungen im Elektrotonus und die Fortflpanzungsgeschwindigkeit der Nervenerregung. Vorläufige Mitteilung. Pflügers Archiv für Physiologie, Bd. III, 1870, S. 4 3 7 - 4 4 0 . 93 Besprechung: Harms, Philosophische Einleitung in die Enzyklopädie der Physik. 1. Bd., G . Karsten, Allgemeine Enzyklopädie

der Physik. 1. Bd. Philosophische

Monatshefte,

V , 1870, S. 2 5 3 - 2 5 9 . 94 Untersuchungen zur Mechanik der N e r v e n und Nervenzentren. 1. Abteilung: Ü b e r Verlauf und Wesen der Nervenerregung. Erlangen 1871. 95 Besprechung: Brandt, Anatomisch-histologische Untersuchungen über den Sipunculus N u d u s L. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r 44, Sp. 1106. 96 Besprechung: Müller, Beiträge zur pathologischen Anatomie und Physiologie des menschlichen Rückenmarkes. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 44, Sp. 1106 bis 1107. 97 Besprechung:

Bernstein.

Untersuchungen

über

den

Erregungsvorgang

im N e r v e n -

und

Muskelsystem. Literarisches Zentralblatt f ü r Deutschland, N r . 44, Sp. 1107. 98 Physiologie. Alexander von Humboldts Wirksamkeit auf verschiedenen Gebieten der Wissenschaft. Hrsg. K . C. Bruhns. 1872, S. 3 0 3 - 3 1 4 .

272

99 Besprechung: Henle, Anatomischer Handatlas. 1. Heft. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 5, 1872, Sp. 106. 100 Besprechung: Aeby, Der Bau des menschlichen Körpers. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 8, 1872, Sp. 186-187. 101 Besprechung: Preyer, Die Blutkristalle. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 11, 1872, Sp. 267. 102 Besprechung: Huxley, Grundzüge der Physiologie in allgemein verständlichen Vorlesungen. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 33, 1872, Sp. 383-384. 103 Besprechung: Ultzmann und Hofmann, Atlas der physiologischen und pathologischen Harnsedimente in 44 chromolithographischen Tafeln. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 36, 1872, Sp. 982. 104 Besprechung: Braune, die Oberschenkelvene des Menschen in anatomischer und klinischer Beziehung. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 38, 1872, Sp. 1039 bis 1040. 105 Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 3. völlig umgearbeitete Auflage, Erlangen 1873. 106 Besprechung: Althann, Beiträge zur Physiologie und Pathologie der Zirkulation. I. Der Kreislauf in der Schädelrückgratshöhle. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 2, 1873, Sp. 4 4 - 4 5 . 107 Besprechung: Pettenkofer, Beziehungen der Luft zu Kleidung, Wohnung und Boden. Drei populäre Vorlesungen. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 3, 1873, Sp. 77. 108 Besprechung: Kleinenberg, Hydra. Eine anatomisch-entwicklungsgeschichtliche Untersuchung. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 4, 1873, Sp. 108-109. 109 Besprechung: Henke, Beiträge zur Anatomie des Menschen mit Beziehung auf Bewegung. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 6, 1873, Sp. 167-168. 110 Besprechung: Ceradini, Der Mechanismus der halbmondförmigen Herzklappen. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 6, 1873, Sp. 168. 111 Besprechung: Wilckens, Untersuchungen über den Magen der wiederkäuenden Haustiere. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 6, 1873, Sp. 170-171. 112 Besprechung: Lott, Zur Anatomie und Physiologie des Cervix uteri. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 8, 1873, Sp. 243. 113 Besprechung: Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. Mitgeteilt von C. Ludwig. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 12, 1873, Sp. 357-358. 114 Besprechung: Rauch, Die Einheit des Menschengeschlechts. Anthropologische Studien. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 12, 1873, Sp. 358-359. 115 Besprechung: Schenk, Anatomisch-physiologische Untersuchungen. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 13, 1873, Sp. 399. 116 Besprechung: Hoffmann, Die Körperhöhlen des Menschen und ihr Inhalt. Nebst Anleitung zu ihrer Eröffnung und Untersuchung. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 13, 1873, Sp. 399-400. 117 Besprechung: Ranke, Grundzüge der Physiologie des Menschen mit Rücksicht auf die Gesundheitspflege. 2. Aufl. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 21, 1873, Sp. 651-652. 118 Besprechung: Müller, Gesammelte und hinterlassene Schriften zur Physiologie des Auges. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 21, 1873, Sp. 653. 119 Besprechung: Stieda, Die Bildung des Knochengewebes. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 24, 1873, Sp. 748. 120 Besprechung: Landzert, Beiträge zur Anatomie und Histologie. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 24, 1873, Sp. 748.

273

121 Besprechung: Preyer, Uber die Erforschung

des Lebens.

Literarisches Zentralblatt

für

Deutschland, Nr. 2 5 , 1 8 7 3 , Sp. 7 7 5 . 122 Czermak, Über das physiologische Privatlaboratorium an der Universität Leipzig. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 2 6 , 1 8 7 3 , Sp. 8 1 2 - 8 1 3 . 1 2 3 Besprechung: Mädchens

Bischoff,

Helene

Anatomische

Becker

aus

Beschreibung

Offenbach.

eines

mikrozephalen

Literarisches Zentralblatt

achtjährigen

für Deutschland,

Nr. 2 6 , 1 8 7 3 , Sp. 8 1 3 . 1 2 4 Besprechung: Exner, Leitfaden bei der mikroskopischen Untersuchung ticrischer G e w e b e . Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 2 6 , 1 8 7 3 , Sp. 8 1 3 . 1 2 5 Besprechung: Merkel, D e r Kehlkopf oder die Erkenntnis und Behandlung des menschlichen Stimmorgans im gesunden und erkrankten Zustande. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 3 2 , 1 8 7 3 , Sp. 1 0 0 3 . 1 2 6 Besprechung:

Rüdinger,

Topographisch-chirurgische

Anatomie

2. Abtlg. Brust und Bauch. Literarisches Zentralblatt

des

Menschen.

1.

für Deutschland, Nr. 3 3 ,

Bd., 1873,

Sp. 1 0 3 9 . 127 Besprechung:

Gesellius,

Die

Transfusion

des

Blutes.

Literarisches

Zentralblatt

für

Deutschland, Nr. 3 3 , 1 8 7 3 , Sp. 1 0 3 9 - 1 0 4 0 . 1 2 8 Besprechung: Neumann, Zur Kenntnis der Lymphgefäße der Haut des Menschen und der Säugetiere. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 3 3 , 1 8 7 3 , Sp. 1 0 4 0 . 1 2 9 Besprechung: Hasse, D i e vergleichende Morphologie und Histologie des häutigen Gehörorgans der Wirbeltiere, nebst Bemerkungen zur vergleichenden Physiologie.

Literarisches

Zentralblatt für Deutschland, Nr. 3 4 , 1 8 7 3 , Sp. 1 0 6 7 - 1 0 6 8 . 1 3 0 Besprechung: Schmidt, D i e Laryngoskopie an Tieren. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 3 6 , 1 8 7 3 , Sp. 1 1 2 8 . 1 3 1 Besprechung: Eckhard, Beiträge zur Anatomie und Physiologie. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 3 7 , 1 8 7 3 , Sp. 1 1 6 3 . 1 3 2 Besprechung: Huxley, Handbuch der Anatomie der Wirbeltiere. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 3 7 , 1 8 7 3 , Sp. 1 1 6 3 - 1 1 6 4 . 1 3 3 Besprechung: Hyrtl, D i e Korrosionsanatomie und ihre Ergebnisse. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 39, 1 8 7 3 , Sp. 1 2 2 8 - 1 2 2 9 . 1 3 4 Besprechung: Brücke, Vorlesungen über Physiologie. 2. B d . : Physiologie der Nerven und der Sinnesorgane und Entwicklungsgeschichte. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 3 9 . 1 8 7 3 , Sp. 1 2 2 9 . 1 3 5 Besprechung:

Heitzmann,

Die

deskriptive

und

topographische

Anatomie

in 6 0 0 Ab-

bildungen. 5. Lieferung: D a s Nervensystem. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 3 9 , 1 8 7 3 , Sp. 1 2 2 9 - 1 2 3 0 . 1 3 6 Besprechung: Boll, D i e Histologie und Histiogenese der nervösen Zentralorgane. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 5 1 , 1 8 7 3 , Sp. 1 6 1 7 . 137 Grundzüge der physiologischen Psychologie. 1. Teil. 2. T e i l , Leipzig

1873.

1 3 8 Grundzüge der physiologischen Psychologie. Leipzig 1 8 7 4 . 1 3 9 Ü b e r die Aufgabe der Philosophie in der Gegenwart. Akademische Antrittsrede in Zürich. Leipzig

1874.

1 4 0 Besprechung: Gruber, Monographie über das zweigeteilte Jochbein os zygomatitum

bi-

partitum bei dem Menschen und den Säugetieren. Bericht über die Leistungen der praktischen Anatomie an der medico-chirurgischen

Akademie in St. Petersburg.

Zentralblatt für Deutschland, Nr. 12, 1 8 7 4 , Sp. 3 8 0 - 3 8 1 .

274

Literarisches

141 Besprechung: His, Untersuchungen über das Ei und die Eientwicklung bei Knochenfischen. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 13, 1874, Sp. 417. 142 Besprechung: Braune und Trübiger, D i e Venen der menschlichen

Hand.

Literarisches

Zentralblatt f ü r Deutschland, N r . 19, 1874, Sp. 630. 143 Besprechung: Gegenbaur, G r u n d r i ß der vergleichenden Anatomie. Literarisches Zentralblatt f ü r Deutschland, N r . 22, 1874, Sp. 7 2 4 - 7 2 5 . 144 Besprechung: Kölliker, Die normale Resorption des Knochengewebes und ihre Bedeutung für die Entstehung der typischen Knochenformen. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 22, 1874, Sp. 7 2 5 - 7 2 6 . 145 Besprechung: Jahresbericht über die Fortschritte der Anatomie und Physiologie, hrsg. von H o f m a n n und Schwalbe. Literarisches Zentralblatt f ü r Deutschland, N r . 26, 1874, Sp. 848. 146 Besprechung: Ebner, D i e acinösen Drüsen der Zunge und ihre Beziehungen zu den G e schmacksorganen. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 26, 1874, Sp. 8 4 8 - 8 4 9 . 147 Besprechung: Fick, K o m p e n d i u m der Physiologie des Menschen mit Einschluß der E n t wicklungsgeschichte. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 28, 1874, Sp. 917. 148 Besprechung: Bain, Geist und K ö r p e r . D i e Theorien über ihre gegenseitigen Beziehungen. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 32, 1874, Sp. 1 0 3 8 - 1 0 3 9 . 149 Besprechung: Preyer, D a s myophysische Gesetz. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 32, 1874, Sp. 1 0 3 0 - 1 0 4 1 . 150 Besprechung: Schulze, Ü b e r den Bau von Syncoryne Sarsii lovén und der zugehörigen Meduse Sarsia Tubulosa Lesson. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 36, 1874, Sp.

1206-1207.

151 Besprechung: Rüdinger, Topographisch-chirurgische Anatomie des Menschen. 3. Abtlg., 1. H ä l f t e : D e r K o p f . Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 37, 1874, Sp. 1234 bis 1235. 152 Besprechung: Brücke, Vorlesungen über Physiologie. 1. B d . : Physiologie des Kreislaufs, der Ernährung,

der Absonderung,

der Respiration

und

der

Bewegungserscheinungen.

Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 39, 1874, Sp. 1301. 153 Besprechung: Noel, Die materielle Grundlage des Seelenlebens. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 41, 1874, Sp. 1357. 154 Besprechung: Strümpell, D i e N a t u r und Entstehung der T r ä u m e . Literarisches Zentralblatt f ü r Deutschland, N r . 41, 1874, Sp. 1358. 155 Besprechung: Nägeli, Beiträge zur näheren Kenntnis der Stärkegruppe in chemischer und physiologischer Beziehung.

Literarisches Zentralblatt

für Deutschland,

N r . 42,

1874,

Sp. 1396. 156 Besprechung: Filehne, Über das Cheyne-Stokessche Atmungsphänomen. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 42, 1874, Sp. 1397. 157 Besprechung: Bischoff, Ü b e r den Einfluß des Freiherrn Justus von Liebig auf die E n t wicklung der Physiologie. Literarisches Zentralblatt f ü r Deutschland, N r . 47, 1874, Sp. 1552. 158 Besprechung: Hitzig, Untersuchungen

über das Gehirn. Jenaer Literaturzeitung,

1874,

S. 5 1 8 - 5 1 9 . 159 D i e Theorie der Materie. Deutsche Rundschau, V, 1875, S. 3 6 4 - 3 8 6 . 160 L a Mesure des Sensations. Réponse à propos du logarithme des sensations à M r . E m i l e Algave. La R e v u e scientifique de la France et de l'Etranger. 2. Serie, V I I I , 1875, S. 1917 bis 1 9 1 8 / D e l b œ u f , Eléments de Psychophysique générale et spéciale. 1883. 161 Besprechung: Ludwig, Ü b e r die Eibildung im Tierreiche. Literarisches Zentralblatt f ü r Deutschland, N r . 4, 1875, Sp. 106.

275

162 Besprechung: Meynert, Zur Mechanik des Gehirnbaues. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 5, 1875, Sp. 136-137. 163 Besprechung: Auerbach, Organologische Studien. 1. H e f t : Zur Charakteristik und Lebensgeschichte der Zellkerne. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 5, 1875, Sp. 231. 164 Besprechung: Mach, Grundlinien der Lehre von den Bewegungsempfindungen. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 15, 1875, Sp. 484-485. 165 Besprechung: Becker, Repetitorium der Physiologie. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 15, 1875, Sp. 485. 166 Besprechung: Kollmann, Mechanik des menschlichen Körpers. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 17, 1875, Sp. 543. 167 Besprechung: Gerlach, Das Verhältnis der Nerven zu den willkürlichen Muskeln der Wirbeltiere. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 18, 1875, Sp. 577-578. 168 Besprechung: Gudden, Experimentaluntersuchungen über das Schädelwachstum. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 21, 1875, Sp. 676-677. 169 Besprechung: Rubinstein, Die sensoriellen und sensitiven Sinne. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 22, 1875, Sp. 706-707. 170 Besprechung: His, Unsere Körperform und das physiologische Problem ihrer Entstehung. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 32, 1875, Sp. 1035-1036. 171 Besprechung: Büchner, Physiologische Bilder. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 49, 1875, Sp. 1576. 172 Besprechung: Schulze, Kant und Darwin, ein Beitrag zur Geschichte der Entwicklungslehre. Jenaer Literaturzeitung, 2. Jg. 1875, S. 841. 173 Besprechung: Huber, Zur Kritik moderner Schöpfungslehren. Jenaer Literaturzeitung, 2. Jg., 1875, S. 841. 174 Besprechung: Hitzig, Untersuchungen über das Gehirn. Neue Folge. Jenaer Literaturzeitung, 2. Jg., 1875, S. 858. 175 Besprechung: Bernstein, Die fünf Sinne des Menschen. Jenaer Literaturzeitung, 2. Jg., 1875, S. 858-859. 176 Besprechung: Mann, Betrachtungen über die Bewegung des Stoffes. Jenaer Literaturzeitung, 2. Jg., 1875, S. 859. 177 Hallier, Die Weltanschauung des Naturforschers. Jenaer Literaturzeitung, 2. Jg., 1875, S. 859-860. 178 Besprechung: Spencer, Grundlagen der Philosophie. Jenaer Literaturzeitung, 2. Jg., 1875, S. 893-894. 179 Besprechung: Mayer, Die Lehre von der Erkenntnis, vom physiologischen Standpunkte allgemeinverständlich dargestellt. Jenaer Literaturzeitung, 2. Jg., 1875, S. 911-912. 180 Untersuchungen zur Mechanik der Nerven und Nervenzentren. 2. Abtlg.: Über den Reflexvorgang und das Wesen der zentralen Innervation. Stuttgart 1876. 181 Über den Einfluß der Philosophie auf die Erfahrungswissenschaften. Akademische Antrittsrede in Leipzig. Leipzig 1876. 182 Central Innervation and Consciousness. Mind, a quarterly Review of Psychology and Philosophy, I, 1876, S. 161 bis 178. 183 Besprechung: Drobisch, Neue Darstellung der Logik nach ihren einfachsten Verhältnissen mit Rücksicht auf Mathematik und Naturwissenschaft.. 4. Aufl., Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 2, 1876, Sp. 33. 184 Besprechung: Volkmann, Lehrbuch der Psychologie vom Standpunkte des Realismus und

276

185 186 187 188 189 190 191 192 193

194

195 196 197

198 199 200

201

202 203 204

nach genetischer Methode, 1. Bd. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 2, 1876, Sp. 3 3 - 3 4 . Besprechung: Stieda, Über den Bau des zentralen Nervensystems der Amphibien und Reptilien. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 2, 1876, Sp. 44. Besprechung: Straßburger, Über Zellbildung und Zellteilung. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 2, 1876, Sp. 45. Besprechung: Wolff, Untersuchungen über die Entwicklung des Knochengewebes. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 2, 1876, Sp. 4 5 - 4 6 . Besprechung: Landois, Die Transfusion des Blutes. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 3, 1876, Sp. 83. Besprechung: Müller, Transfusion und Plethora. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 3, 1876, Sp. 8 3 - 8 4 . Besprechung: Frey, Grundzüge der Histologie, zur Einleitung in das Studium derselben. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 3, 1876, Sp. 84. Besprechung: Baumgärtner, Die Weltzellen. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 18, 1876, Sp. 5 9 1 - 5 9 2 . Besprechung: Lamarck, Zoologische Philosophie. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 18, 1876, Sp. 592. Besprechung: Volkmann, Lehrbuch der Psychologie vom Standpunkte des Realismus und nach genetischer Methode. 2. Bd. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 22, 1876, Sp. 7 1 6 - 7 1 7 . Besprechung: Jahresbericht über die Fortschritte der Anatomie und Physiologie, hrsg. von Hofmann und Schwalbe, 3. Bd., 2. Hälfte, 1874. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 25, 1876, Sp. 820. Besprechung: Hazard, Zwei Briefe über Verursachung und Freiheit im Wollen, gerichtet an John Stuart Mill. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 26, 1876, Sp. 8 4 3 - 8 4 4 . Besprechung: Virchow, Über einige Merkmale niederer Menschenrassen am Schädel, Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 29, 1876, Sp. 949. Besprechung: Schmidz-Dumont, Zeit und Raum in ihren denknotwendigen Bestimmungen, abgeleitet aus dem Satz des Widerspruchs. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 30, 1876, Sp. 9 7 5 - 9 7 6 . Volkelt, Die Traumphantasie. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 31, 1876, Sp. 1001-1003. Besprechung: Sterne, Werden und Vergehen. Eine Entwicklungsgeschichte des Naturganzen. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 31, 1876, Sp. 1003. Besprechung: Herrmann, Die Sprachwissenschaft nach ihrem Zusammenhang mit Logik, menschlicher Geistesbildung und Philosophie. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 31, 1876, Sp. 1003. Besprechung: Rosenthal, Bemerkungen über die Tätigkeit der automatischen Nervenzentren, insbesondere über die Atembewegungen. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 31, 1876, Sp. 1014. Besprechung: Preyer, Über die Grenzen der Tonwahrnehmung. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 31, 1876, Sp. 1014-1015. Besprechung: Tyndall, Das Licht. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 33, 1876, Sp. 1081-1082. Besprechung: Du Bois-Reymond, Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysik. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 33, 1876, Sp. 1 0 8 5 - 1 0 8 6 .

277

2 0 5 Besprechung: Radenhausen, Osiris. Weltgesetze in der Erdgeschichte. J e n a e r

Literatur-

zeitung, 3. Jg., 1 8 7 6 , S. 2 8 2 - 2 8 . 2 0 6 Besprechung: Spencer, Einleitung in das Studium der Soziologie. J e n a e r Literaturzeitung, 3. Jg., 1 8 7 6 , S. 2 9 5 - 2 9 6 . 2 0 7 Besprechung: Kirchner, Leibniz' Psychologie. Ein Beitrag zur Geschichte der Philosophie und Naturwissenschaft. J e n a e r Literaturzeitung, 3. J g . , 1 8 7 6 , S. 4 5 6 - 4 5 7 . 2 0 8 Ü b e r den Ausdruck der Gemütsbewegungen. Vortrag in Berlin im Winter 1 8 7 6 / 7 7 . Deutsche Rundschau X I , 1 8 7 7 , S. 1 2 0 - 1 3 3 . 2 0 9 Über das kosmologische Problem. Vierteljahresschrift

für wissenschaftliche

Philosophie,

I, 1 8 7 7 , S. 8 0 - 1 3 6 . 2 1 0 Philosophy in Germany. Mind, a quarterly Review of Psychology and Philosophy,

II,

1 8 7 7 , S. 4 0 3 - 5 1 8 . 2 1 1 Selbstanzeige: Untersuchungen zur Mechanik der Nerven und Nervenzentren. 2. A b t l g . : Über den Reflexvorgang und das Wesen der zentralen Innervation. Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie, I, 1 8 7 7 , S. 1 5 6 . 2 1 2 Einige Bemerkungen zu vorstehender Abhandlung, (zu Laßwitz, E i n Beitrag zum kosmologischen Problem und zur Feststellung des Unendlichkeitsbegriffs). Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie, I , 1 8 7 7 , S. 3 6 1 - 3 6 5 . 2 1 3 Besprechung: Carneri, Gefühl, Bewußtsein, W i l l e . Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 9, 1 8 7 7 , Sp. 2 6 8 - 2 6 9 . 2 1 4 Besprechung: Michelet, D a s System der Philosophie als exakte Wissenschaft. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 9, 1 8 7 7 , Sp. 2 6 9 - 2 7 0 . 2 1 5 Besprechung: Widemann, Über die Bedingungen

der Übereinstimmung des diskursiven

Denkens mit dem intuitiven, Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 10,

1877,

Sp. 2 9 8 . 2 1 6 Besprechung: Raith, Entdeckungen im Gebiet der geistigen Verrichtungen des Zentralnervensystems. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 10, 1 8 7 7 , Sp. 2 9 8 . 2 1 7 Besprechung: Flechsig, D i e Leitungsbahnen im Gehirn und Rückenmark des Menschen, auf Grund entwicklungsgeschichtlicher Untersuchungen dargestellt. Literarisches

Zentral-

blatt für Deutschland, Nr. 10, 1 8 7 7 , Sp. 2 0 3 - 2 0 4 . 2 1 8 Besprechung: Frommann, Untersuchungen über die normale und pathologische Histologie des zentralen Nervensystems. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 10,

1877,

Sp. 3 0 3 . 2 1 9 Besprechung:

Krause, D i e

Gesetze

des menschlichen

Herzens, wissenschaftlich

darge-

stellt als die formale Logik des reinen Gefühles. Literarisches Zentralblatt für Deutsch' land, N r . 14, 1 8 7 7 , Sp. 4 5 4 . 2 2 0 Psychologische Studien

(monatliche Zeitschrift), hrsg. von Aksakow. Literarisches

Zen-

tralblatt für Deutschland, Nr. 2 1 , 1 8 7 7 , Sp. 6 8 1 - 6 8 2 . 2 2 1 Besprechung: Jahresberichte über die Fortschritte der Anatomie und Physiologie, hrsg. von Hofmann und Schwalbe, 4 . B d . Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 2 1 , 1 8 7 7 , Sp. 6 8 9 - 6 9 0 . 2 2 2 Besprechung: Henle, Anthropologische Vorträge. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 2 7 , 1 8 7 7 , Sp. 8 8 1 . 2 2 3 Besprechung:

Witte,

Zur

Erkenntnistheorie

Deutschland, N r . 2 8 , 1 8 7 7 , Sp. 9 1 4 .

278

und

Ethik.

Literarisches

Zentralblatt

für

2 2 4 Besprechung: Schmidt, D i e naturwissenschaftlichen Grundlagen der Philosophie des Unbewußten. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 3 0 , 1 8 7 7 , Sp. 9 8 5 - 9 8 6 . 2 2 5 Besprechung: Ribot, D i e Erblichkeit. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 3 1 , 1 8 7 7 , Sp. 1 0 1 9 . 2 2 6 Besprechung: Schwellwien, D a s Gesetz der Kausalität in der Natur. Literarisches

Zen-

tralblatt für Deutschland, N r . 3 3 , 1 8 7 7 , Sp. 1 0 9 1 - 1 0 9 2 2 2 7 Besprechung: Entleuthner, Naturwissenschaft, Naturphilosophie und Philosophie der L i e b e . Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 52, 1 8 7 7 , Sp.

1713-1714.

2 2 8 Besprechung: R é e , D e r Ursprung der moralischen Empfindungen. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 5 2 , 1 8 7 7 , Sp. 1 7 1 4 - 1 7 1 5 . 2 2 9 Besprechung: Langer, D i e Grundlagen der Psychophysik. J e n a e r Literaturzeitung, 4 . J g . , 1 8 7 7 , S. 3 7 - 3 8 . 2 3 0 Besprechung: Spencer, System der synthetischen Philosophie. II. D i e Prinzipien der Biologie, Bd. I. J e n a e r Literaturzeitung, 4 . J g . , 1 8 7 7 , S. 2 5 0 - 2 5 1 . 2 3 1 Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 4 . umgearbeitete Auflage. Stuttgart 1 8 7 8 . 2 3 2 Über

den

gegenwärtigen

Zustand

der Tierpsychologie.

Vierteljahresschrift

für

wissen-

schaftliche Philosophie, I I , 1 8 7 8 , S. 1 3 7 - 1 4 9 . 2 3 3 Sur la Theorie des Signes locaux. Revue philosophique de la France et de l'Etranger, V I , 3. Jg., 1 8 7 8 , S. 2 1 7 - 2 3 1 . 2 3 4 Besprechung: Luys, D a s Gehirn, sein B a u und seine Verrichtungen. Literarisches

Zen-

tralblatt für Deutschland, Nr. 1, 1 8 7 8 , Sp. 12. 2 3 5 Besprechung: Mihalkovics, Entwicklungsgeschichte des Gehirns. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 2 0 , 1 8 7 8 , Sp. 6 7 4 . 2 3 6 Besprechung: Stilling, Neue Untersuchungen über den Bau des kleinen Gehirns beim M e n schen. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 2 0 , 1 8 7 8 , Sp. 6 7 4 . 2 3 7 Besprechung: Kalischer, Goethes Verhältnis zur Naturwissenschaft und seine Bedeutung in derselben. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 2 2 , 1 8 7 8 , Sp.

737-738.

2 3 8 Besprechung: Kirchmann, Erläuterungen zu Kants Schriften zur Naturphilosophie.

Lite-

rarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 2 4 , 1 8 7 8 , Sp. 7 8 6 - 7 8 7 . 2 3 9 Besprechung: Prinz, Über den Traum. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 2 4 , 1 8 7 8 , Sp. 7 8 7 . 2 4 0 Besprechung:

Pflüger, D i e teleologische Mechanik

der lebendigen

Natur.

Literarisches

Zentralblatt für Deutschland, Nr. 3 0 , 1 8 7 8 , Sp. 9 7 1 - 9 7 2 . 2 4 1 Besprechung: Huber, D a s Gedächtnis. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 3 0 , 1 8 7 8 , Sp. 9 7 2 . 2 4 2 Besprechung: Kußmaul, Störungen der Sprache, Versuch einer Pathologie der (Ziemßens

Handbuch

der

Pathologie

und

Therapie

XII,

2.).

Sprache

Vierteljahresschrift

für

wissenschaftliche Philosophie, I I , 1 8 7 8 , S. 3 5 2 - 3 6 8 . 2 4 3 Besprechung: Spencer, System der synthetischen Philosophie. II. D i e Prinzipien der B i o logie, 2. B d . J e n a e r Literaturzeitung, 5. Jg., 1 8 7 8 , S. 3 5 - 3 6 . 2 4 4 D e r Spiritismus, eine sogenannte wissenschaftliche Frage. O f f e n e r B r i e f an Herrn Prof. Ulrici in Halle. Leipzig 1 8 7 9 . 2 4 5 Ü b e r das Verhältnis der Gefühle zu den Vorstellungen. Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie, I I I , 1 8 7 9 , S. 1 2 9 - 1 5 1 . 2 4 6 Psychologische Tatsachen und Hypothesen. Reflexionen aus A n l a ß der Abhandlung von A . Horwicz „Über das Verhältnis der Gefühle zu den Vorstellungen". Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie, I I I , 1 8 7 9 , S. 3 4 2 - 3 5 7 .

279

247 Logik. Eine Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis und der Methoden wissenschaftlicher Forschung. 1. B d . : Erkentnislehre. Stuttgart 1880. 248 Grundzüge der physiologischen Psychologie. 2. völlig umgearbeitete Auflage. 1. und 2. Bd., Leipzig 1880. 249 Gehirn und Seele. Deutsche Rundschau, XXV, 7. Jg., 1880, S. 4 7 - 7 2 . 250 Der Aberglaube in der Wissenschaft. Nach einem am 16. Oktober 1879 im Kaufmännischen Verein in Leipzig gehaltenen Vortrag. Unsere Zeit, Deutsche Revue der Gegenwart, I, 1880, S. 2 6 - 4 7 . 251 Entgegnung. (Auf A. Horwicz, Nochmals die Priorität des Gefühls.) Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie, IV, 1880, S. 1 3 5 - 1 3 6 . 252 Berichtigende Bemerkung zu dem Aufsatz des Herrn B. Erdmann „Zur zeitgenössischen Psychologie in Deutschland". Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie, IV, 1880, S. 1 3 7 - 1 3 8 . 253 Besprechung: Haeckel, Gesammelte populäre Vorträge aus dem Gebiete der Entwicklungslehre. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 2, 1880, Sp. 3 8 - 3 9 . 254 Besprechung: Espinas, Die tierischen Gesellschaften. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 2, 1880, Sp. 39. 255 Besprechung: Quatrefages, Das Menschengeschlecht. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 3, 1880, Sp. 7 1 - 7 2 . 256 Besprechung: Heidenhain, Der sogenannte tierische Magnetismus. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 48, 1880, Sp. 1617. 257 Besprechung: Bergmann, Thesen zur Erklärung der natürlichen Entstehung der Ursprachen. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 48, 1880, Sp. 1 6 2 2 - 1 6 2 3 . 258 Besprechung: Strümpell, Psychologische Pädagogik. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 50, 1880, Sp. 1 6 9 2 - 1 6 9 3 . 259 Besprechung: Roskoff, Das Religionswesen der rohesten Naturvölker. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 52, 1880, Sp. 1769. 260 Besprechung: Stern, Die Philosophie und die Anthropogenie des Professor Dr. E. Haeckel. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 1, 1881, Sp. 7 - 8 . 261 Hoffmann, Tierpsychologie. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 1, 1881, Sp. 8. 262 Besprechung: Stricker, Studien über die Sprachvorstellungen. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 1, 1881, Sp. 2 6 - 2 7 . 263 Besprechung: Tschofen, Die Philosophie Arthur Schopenhauers in ihrer Relation zur Ethik. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 3, 1881, Sp. 75. 264 Besprechung: Lange, Über Apperzeption. Eine psychologisch-pädagogische Monographie. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 14, 1881, Sp. 4 8 2 - 4 8 3 . 265 Besprechung: Cornelius, Zur Theorie der Wechselwirkung zwischen Leib und Seele. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 14, 1881, Sp. 483. 266 Besprechung: Roux, Der Kampf der Teile im Organismus. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 46, 1881, Sp. 1 5 7 0 - 1 5 7 1 . 267 Besprechung: Schultz, Erinnerung und Gedächtnis. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 48, 1881, Sp. 1634. 268 Das Webersche Gesetz und die Methoden der Minimaländerungen. Dekanatschrift. Leipzig 1882. 269 Logische Streitfragen. 1. Artikel. Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie, IV,

280

1882,

S.

340-355.

270 D i e Aufgaben der experimentellen Psychologie. Unsere Zeit. Deutsche Revue der Gegenwart,

III,

1882,

S.

389-406.

271 Besprechung: Lotze, Grundzüge der Psychologie. D i k t a t e aus den Vorlesungen. Literarisches Zentralblatt f ü r Deutschland, N r . 46, 1882, Sp. 1 5 4 0 - 1 5 4 1 . 272 Besprechung: Lazarus, D a s Leben der Seele in Monographien über seine Erscheinungen und Gesetze. 3. Bd. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 50, 1882, Sp. 1694 bis 1695. 273 Besprechung: Stricker, Studien über die Bewegungsvorstellungen. Literarisches

Zentral-

blatt für Deutschland, N r . 51, 1882, Sp. 1 7 3 2 - 1 7 3 3 . 274 Besprechung: Rehmke, Die W e l t als Wahrnehmung und Begriff. Eine Erkenntnistheorie. Göttingische Gelehrte Anzeigen, Stück 25, 1882. 275 Logik. Eine Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis und

der Methoden

wissen-

schaftlicher Forschung. 2. B d . : Methodenlehre. Stuttgart 1883. 276 Über psychologische Methoden. Philosophische Studien, I, 1883, S. 1 - 3 8 . 277 Über die mathematische Induktion. Philosophische Studien, I, 1883, S. 9 0 - 1 4 7 . 278 Ü b e r die Messung psychischer Vorgänge. Philosophische Studien, I, 1883, S. 2 5 1 - 2 6 0 . 279 Zur Lehre vom Willen. Philosophische Studien, I, 1883, S. 3 3 7 - 3 7 8 . 280 Weitere

Bemerkungen

über

psychische

Messung.

Philosophische

Studien,

I,

1883,

S. 4 6 3 - 4 7 1 . 281

D i e Logik der Chemie. Philosophische Studien, I, 1883, S. 4 7 3 - 4 9 4 .

282 Über die M e t h o d e der Minimaländerungen. Philosophische Studien, I, 1883, S. 5 5 6 - 5 7 2 . 283 Schlußwort zum 1. Band. Philosophische Studien, I, 1883, S. 6 1 5 - 6 1 7 . 284 Über

Schallstärkemessung.

Annalen

der

Physik

und

Chemie,

N.

F.

XVIII.

1883,

S. 6 9 5 - 7 0 3 . 285 Bemerkungen zu vorstehendem Aufsatz. (Poske, D e r empirische Ursprung und die Allgemeingültigkeit

des

Beharrungsgesetzes.)

Vierteljahresschrift

für

wissenschaftliche

Philosophie, V I I I , 1884, S. 4 0 5 - 4 0 6 . 286 Besprechung: Stumpf, Tonpsychologie. 1. Bd. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, N r . 16, 1884, Sp. 567. 287 Essays.

Leipzig

1885.

(Inhalt: Philosophie und Wissenschaft, 1874. D i e Theorie der Materie, 1875. D i e Unendlichkeit der Welt, 1885. Gehirn und Seele, 1880. D i e A u f g a b e n der experimentellen Psychologie, 1882. D i e Messung psychischer Vorgänge, V o r t r a g 1871/1872. D i e

Tier-

psychologie, 1878. G e f ü h l und Vorstellung, 1879. D e r Ausdruck der Gemütsbewegungen, 1877. D i e Sprache und das D e n k e n , Vortrag 1875/1876. D i e Entwicklung des Willens, 1885. D e r Aberglaube in der Wissenschaft, 1880. D e r Spiritismus, 1879. Lessing und die kritische Methode, 1860, 1885.) 288 Über

das Webersche

Dekanatschrift

von

Gesetz.

Philosophische

Studien,

II,

1885,

S.

1-36

(erweiterte

1882).

289 Zur Geschichte und Theorie der abstrakten Begriffe. Philosophische Studien, II. 1885, S. 1 6 1 - 1 9 3 . 290 E r f u n d e n e Empfindungen. Philosophische Studien, II, 1885, S. 2 9 8 - 3 0 5 . 291 Zur Kritik des Seelenbegriffs. Philosophische Studien, II, 1885, S. 4 8 3 - 4 9 4 . 292 K a n t s kosmologische Antinomien

und das Problem

der Unendlichkeit.

Philosophische

Studien, II, 1885, S. 4 9 5 - 5 3 8 . 293 Ethik. Eine Untersuchung der Tatsachen und Gesetze des sittlichen Lebens.

Stuttgart

1886. 19

Wilhelm Wund t

281

294 Über den Begriff des Gesetzes mit Rücksicht auf die Ausnahmelosigkeit der Lautgesetze. Philosophische Studien, III, 1886, S. 1 9 5 - 2 1 5 . 295 W e r ist der Gesetzgeber der Naturgesetze? Philosophische Studien, III, 1886, S. 4 9 3 - 4 9 6 . 296 D a s Sittliche in der Sprache. Deutsche Rundschau, XII, 1886, S. 7 0 - 9 2 . 297 Ü b e r die physikalischen

Axiome. Festschrift des historisch-philosophischen

Vereins

in

Heidelberg zum Universitätsjubiläum. 1886, S. 8 7 - 9 9 . 298 Besprechung:

Gerber,

D i e Sprache

und

das Erkennen.

Literarisches Zentralblatt

für

Deutschland, N r . 8, 1886, Sp. 2 5 4 - 2 5 5 . 299 Vorwort. G r u n d z ü g e der physiologischen Psychologie, in französischer Übersetzung. 1886. 300 Grundzüge der physiologischen Psychologie. 3. umgearbeitete Auflage, 1. und 2. Bd., Leipzig 301 Z u m

1887.

ethischen

Evolutionismus.

Eine Entgegnung.

Preußische Jahrbücher,

LIX,

1887,

S. 4 7 8 - 4 8 5 . 302 Zur Moral der literarischen Kritik. Eine moralphilosophische Streitschrift. Leipzig 1887. 303 Zur Erinnerung an Gustav T h e o d o r Fechner, W o r t e , gesprochen an seinem Sarge am 21. N o v e m b e r 1887. Leipzig 1887/Philosophische Studien, IV, 1888, S. 4 7 1 - 4 7 8 . 304 Über Ziele und W e g e der Völkerpsychologie. Philosophische Studien, IV, 1888, S. 1 - 2 7 . 305 Bemerkungen

zu vorstehendem

Aufsatz. (Neiglick, Zur

Psychophysik

des

Lichtsinns.)

Philosophische Studien, IV, 1888, S. 1 1 2 - 1 1 6 . 306 Selbstbeobachtung und innere W a h r n e h m u n g . Philosophische Studien, IV, 1888, S. 292 bis 309. 307 D i e E m p f i n d u n g des Lichts und der Farben. Philosophische Studien, IV, 1888, S. 311 bis 389. 308 Berichtigung. Philosophische Studien, IV, 1888, S. 640. 309 System der Philosophie. Leipzig 1889. 310 Über den Zusammenhang der Philosophie mit der Zeitgeschichte. Eine Zentenarbetrachtung. Rektoratsrede, Leipzig 1889/Deutsche Rundschau, X V I , 1890, S. 5 2 - 7 1 . 311 Uber die Einteilung der Wissenschaften. Philosophische Studien, V, 1889, S. 1 - 5 5 . 312 Biologische Probleme. Philosophische Studien, V, 1889, S. 3 2 7 - 3 8 0 . 313 Vorwort des Herausgebers. (Zu Fechner, Elemente der Psychophysik. 2.

unveränderte

A u f l a g e ) , 1889, S. V - V I . 314 Bericht über das Studienjahr 1889/1890. R e d e als abtretender Rektor. Leipzig 1890. 315 Über das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft. Rede. Deutsche Rundschau, XVII, 1891, S. 1 9 0 - 2 0 6 . 316 Zur Frage der Lokalisation der Großhirnfunktionen. Philosophische Studien, VI, 1891, S. 1 - 2 5 . 317 Über

die

Methoden

der

Messung

des Bewußtseinsumfanges.

Philosophische

Studien,

VI, 1891, S. 2 5 0 - 2 6 0 . 318 Zur Lehre von den Gemütsbewegungen. Philosophische Studien, VI, 1891, S. 3 3 5 - 3 9 3 . 319 Ü b e r Vergleichung von Tondistanzen. Philosophische Studien, VI, 1891, S.

605-640.

320 Zur Erinnerung an den Heimgang Friedrich Zarnckes. Rede, gehalten am Sarge

am

15. O k t o b e r 1891. Leipzig 1891. 321 Ethik. Eine Untersuchung der Tatsachen und Gesetze des sittlichen Lebens. 2. umgearbeitete Auflage. Stuttgart 1892. 322 Vorlesungen

über die Menschen- und Tierseele.

2. umgearbeitete

Auflage.

Hamburg

und Leipzig 1892. 323 Hypnotismus und Suggestion. Leipzig 1892/Philosophische Studien VIII, 1893, S. 1 - 8 5 .

282

324 325 326 327 328 329

330 331 332 333 334 335 336 337

338 339 340 341 342

Was soll uns Kant nicht sein? Philosophische Studien, VII, 1892, S. 1 - 4 9 . Zur Frage des Bewußtseinsumfanges. Philosophische Studien, VII, 1892, S. 222-231. Eine Replik C. Stumpfs. Philosophische Studien, VII, 1892, S. 298-327. Bemerkungen zur Assoziationslehre. Philosophische Studien, VII, 1892, S. 329-361. Auch ein Schlußwort. Philosophische Studien, VII, 1892, S. 633-636. Besprechung: Das Dasein als Lust, Leid und Liebe. Die altindische Weltanschauung in neuzeitlicher Darstellung. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 14, 1892, Sp. 474-475. Grundzüge der physiologischen Psychologie. 4. umgearbeitete Auflage, 1. und 2. Bd., Leipzig 1893. Logik. Eine Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis und der Methoden wissenschaftlicher Forschung. 1. Bd.: Erkenntnislehre. 2. umgearbeitete Auflage, Stuttgart 1893. Psychophysik und experimentelle Psychologie. Die deutschen Universitäten. Bd. I, 1893, S. 450-457. Ist der Hörnerv direkt durch Tonschwingungen erregbar? Philosophische Studien, VIII, 1893, S. 641-652. Chronograph und Chronoskop. Notiz zu einer Bemerkung J. M. Cattells. Philosophische Studien, VIII, 1893, S. 653-654. Notiz über psychologische Apparate. Philosophische Studien, VIII, 1893, S. 655-656. Besprechung: Pesch, Die großen Welträtsel. Philosophie der Natur. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 51, 1893, Sp. 1812-1813. Logik. Eine Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis und der Methoden der wissenschaftlichen Forschung. 2. Bd.: Methodenlehre. 1. Teil: Allgemeine Methodenlehre. Logik der Mathematik und der Naturwissenschaften. 2. umgearbeitete Auflage, Stuttgart 1894. Bemerkungen zu vorstehendem Aufsatz. (Cattell, Chronoskop und Chronograph.) Philosophische Studien, IX, 1894, S. 311-315. Akustische Versuche an einer labyrinthlosen Taube. Philosophische Studien, IX, 1894, S. 496-509. Über psychische Kausalität und das Prinzip des psychophysischen Parallelismus. Pilosophische Studien, IX, 1894, S. 1 - 1 2 4 . Sind die Mittelglieder einer mittelbaren Assoziation bewußt oder unbewußt? Philosophische Studien, IX, 1894, S. 326-328. Zur Beurteilung der zusammengesetzten Reaktionen. Philosophische Studien, IX, 1894, S. 485-498.

343 Logik. Eine Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis und der Methoden wissenschaftlicher Forschung. 2. Bd.: Methodenlehre. 2. Teil: Logik der Geisteswissenschaften. 2. umgearbeitete Auflage, Stuttgart 1895. 344 Zur Frage der Hörfähigkeit labyrinthloser Tauben. Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. 61. Bd., 1895, S. 339-341. 345 Besprechung: Höffding, Psychologie in Umrissen auf Grundlage der Erfahrung. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 3, 1895, Sp. 8 3 - 8 4 . 346 Besprechung: D e la Grasserie, D e la Classification objective et subjective des arts, de la literature et des sciences. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 9, 1895, Sp. 283-284. 347 Grundriß der Psychologie. Leipzig 1896. 348 Über die neue Definition der Psychologie. Philosophische Studien, XII, 1896, S. 1 - 6 6 . 19»

283

3 4 9 Ü b e r naiven und kritischen Realismus. S. 3 0 7 - 4 0 8 .

1. Artikel.

Philosophische Studien, X I I

1896

3 5 0 Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele. 3. umgearbeitete Auflage. Hamburg und Leipzig 1897. 3 5 1 Grundriß der Psychologie. 2. verbesserte Auflage, Leipzig 1 8 9 7 . 3 5 2 System der Philosophie. 2. umgearbeitete Auflage, Leipzig 1 8 9 7 . 3 5 3 Gutachten über das Frauenstudium. D i e akademische Frau, 1 8 9 7 , S.

179-181.

3 5 4 Grundriß der Psychologie. 3. verbesserte Auflage, Leipzig 1 8 9 8 . 355 Die

geometrisch-optischen

Täuschungen.

Abhandlungen

der

mathematisch-physischen

Klasse der Königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften,

Bd. X X I V ,

Leipzig

1 8 9 8 , S. 5 5 - 1 7 8 . 3 5 6 Über naiven und kritischen Realismus. 2. Artikel. Philosophische Studien, X I I I ,

1898,

S. 1 - 1 0 5 . 3 5 7 Einige

Bemerkungen

zu

vorstehendem

Aufsatze.

(Schubert-Soldern,

Erwiderung

auf

Prof. Wundts Aufsatz „Über naiven und kritischen Realismus".) Philosophische Studien, X I I I , 1 8 9 8 , S. 3 1 8 - 3 2 2 . 3 5 8 Ü b e r naiven und kritischen Realismus. 3. Artikel. Philosophische Studien, X I I I ,

1898,

S. 3 2 3 - 4 3 3 . 3 5 9 Bemerkung

zu

vorstehender

Berichtigung.

(Heymans,

Berichtigung.)

Philosophische

Studien, X I I I , 1 8 9 8 , S. 6 1 6 - 6 1 9 . 3 6 0 Zur

Theorie

der

räumlichen

Gesichtswahrnehmungen.

Philosophische

Studien,

XIV,

1 8 9 8 , S. 1 - 1 1 8 . 3 6 1 Völkerpsychologie.

Eine

Untersuchung

der

Entwicklungsgesetze

von

Sprache,

Mythus

und Sitte. 1. B d . in 2 T e i l e n : D i e Sprache. Leipzig 1 9 0 0 . 3 6 2 Bemerkungen zur Theorie der Gefühle. Philosophische Studien, X V , 1 9 0 0 , S.

149-182.

3 6 3 Zur Kritik tachistoskopischer Versuche. Philosophische Studien, X V , 1 9 0 0 , S.

287-317.

3 6 4 Zur Technik des Komplikationspendels. Philosophische Studien, X V , 1 9 0 0 , S.

579-582.

3 6 5 Zur Kritik tachistoskopischer Versuche. 2. Artikel. Philosophische Studien, X V I ,

1900,

S. 6 1 - 7 0 . 3 6 6 Besprechung: Osthoff, V o m Suppletivwesen der indogermanischen Sprachen. Anzeiger für indogermanische Sprach- und Altertumskunde, 11. B d . , 1 9 0 0 , S. 1 - 6 . 3 6 7 Grundriß der Psychologie. 4 . neubearbeitete Auflage, Leipzig 1 9 0 1 . 3 6 8 Einleitung in die Philosophie. Leipzig 1 9 0 1 . 3 6 9 Gustav T h e o d o r Fechner. R e d e zur Feier seines 1 0 0 . Geburtstages. Mit Beilagen

und

einer Abbildung des Fechnerdenkmals. Leipzig 1 9 0 1 . 3 7 0 Sprachgeschichte und Sprachpsychologie.

Mit Rücksicht auf B . Delbrücks

Grundfragen

der Sprachforschung. Leipzig 1 9 0 1 . 3 7 1 Besprechung: Thumb und M a r b e , Experimentelle Untersuchungen über die psychologischen

Grundlagen

der sprachlichen

Analogiebildungen.

Anzeiger

für

indogermanische

Sprach- und Altertumskunde, 12. B d . , 1 9 0 1 , S. 1 7 - 2 0 . 3 7 2 Besprechung: Mauthner, Sprache und Psychologie. Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 2 0 , 1 9 0 1 , Sp. 8 1 7 . 3 7 3 Grundzüge

der physiologischen

Psychologie.

5. völlig

umgearbeitete

2. B d . , Leipzig 1 9 0 2 . 3 7 4 Grundriß der Psychologie. 5. umgearbeitete Auflage, Leipzig 1 9 0 2 . 3 7 5 Einleitung in die Philosophie. 2. unveränderte Auflage, Leipzig 1 9 0 2 .

284

Auflage,

1.

und

3 7 6 Grandzüge Leipzig

der physiologischen

Psychologie.

5. völlig

umgearbeitete

Auflage,

3.

Bd.,

1903.

3 7 7 Naturwissenschaft und Psychologie. Sonderausgabe der Schlußbetrachtungen der 5. Auflage der Grundzüge der physiologischen Psychologie. Leipzig 1 9 0 3 . 3 7 8 Ethik. Eine Untersuchung der Tatsachen und Gesetze des sittlichen

Lebens. 3. umge-

arbeitete Auflage, 1. und 2. B d . , Stuttgart 1 9 0 3 . 3 7 9 Schlußwort des Herausgebers. Philosophische Studien, X V I I I , 1 9 0 3 , S. 7 9 3 - 7 9 5 . 3 8 0 Völkerpsychologie.

Eine

Untersuchung

der

Entwicklungsgesetze

von

Sprache,

Mythus

und Sitte. 1. B d . in 2 T e i l e n : D i e Sprache. 2. umgearbeitete Auflage, Leipzig

1904.

3 8 1 Grundriß der Psychologie. 6. verbesserte Auflage, Leipzig 1 9 0 4 . 3 8 2 Einleitung in die Philosophie. 3 . Auflage. Mit einem Anhang tabellarischer zur Geschichte der Philosophie und ihrer Hauptrichtungen, Leipzig

Ubersichten

1904.

3 8 3 Ü b e r empirische und metaphysische Psychologie. E i n e kritische Betrachtung. Archiv für die gesamte Psychologie, I I , 1 9 0 4 , S. 3 3 3 - 3 6 1 . 3 8 4 Psychologie.

Die

Philosophie

im Beginn

des 2 0 .

Jahrhunderts.

Festschrift

für

Kuno

Fischer. 1. B d . , S. 1 - 5 3 , Heidelberg 1 9 0 4 . 3 8 5 Völkerpsychologie.

Eine

Untersuchung

der

Entwicklungsgesetze

von

Sprache,

Mythus

und Sitte. 2 . B d . : Mythus und Religion. 1. T e i l . Leipzig 1 9 0 5 . 3 8 6 Grundriß der Psychologie. 7. verbesserte Auflage. Leipzig 1 9 0 5 . 3 8 7 Antwort auf die Enquête der Zeitschrift L ' E u r o p é e n , Courier internationale daire: „La France est-elle en D é c a d e n c e ? " , Nr. 3 8 8 Völkerpsychologie.

Eine

Untersuchung

der

1 2 2 , 2. April

hebdoma-

1904.

1905.

von

Sprache,

Mythus

Methoden

wissen-

Entwicklungsgesetze

und Sitte. 2. B d . : Mythus und Religion. 2. T e i l . Leipzig 1 9 0 6 . 3 8 9 Logik.

Eine

Untersuchung

der Prinzipien

der Erkenntnis

und der

schaftlicher Forschung. 1. B d . : Allgemeine Logik und Erkenntnistheorie. 3. umgearbeitete Auflage, Stuttgart 1 9 0 6 . 3 9 0 Vorlesungen und

über

Leipzig

die Menschen-

und Tierseele.

4.

umgearbeitete

Auflage,

Hamburg

1906.

3 9 1 Einleitung in die Philosophie. 4 . Auflage, Leipzig 1 9 0 6 . 3 9 2 Essays. 2. Auflage, mit Zusätzen und Anmerkungen. Leipzig 1 9 0 6 . 3 9 3 Vorwort des Herausgebers. Psychologische Studien, I. 1 9 0 6 , S. 1 - 3 . 3 9 4 Kleine

Mitteilungen:

Über

den

Begriff

des

Glücks.

Darwinismus

kontra

Energetik.

Psychologische Studien, I, 1 9 0 6 , S. 1 7 3 - 1 7 7 . 3 9 5 K l e i n e Mitteilungen: D i e dioptrischen Metamorphosien und ihre Angleichung. Psychologische Studien, I, 1 9 0 6 , S. 4 9 4 - 4 9 7 . 3 9 6 Logik.

Eine

schaftlicher Auflage,

Untersuchung Forschung.

Stuttgart

2.

der Prinzipien Bd.:

Logik

der Erkenntnis

der

exakten

und der

Wissenschaften.

Methoden 3.

wissen-

umgearbeitete

1907.

3 9 7 System der Philosophie. 3. umgearbeitete Auflage. 1. und 2. B d . , Leipzig 1 9 0 7 . 3 9 8 Grundriß der Psychologie. 8. verbesserte Auflage. Leipzig 1 9 0 7 . 3 9 9 K l e i n e Mitteilungen:

Ist Schwarz eine Empfindung?

Psychologische Studien, I I ,

1907,

S. 1 1 5 - 1 1 9 . 4 0 0 K l e i n e Mitteilungen: D i e Projektionsmethode und die geometrisch-optischen Täuschungen. Psychologische Studien, I I , 1 9 0 7 , S. 4 9 3 - 4 9 8 . 4 0 1 D i e Anfänge der Gesellschaft. Eine völkerpsychologische Studie. Psychologische Studien, I I I , 1 9 0 7 , S. 1 - 4 8 .

285

402 Über Ausfrageexperimente und über die M e t h o d e n zur Psychologie des Denkens. Psychologische Studien, III, 1907, S. 3 0 1 - 3 9 0 . 4 0 3 Psychologie.

Die

Philosophie

im Beginn

des

20. Jahrhunderts.

Festschrift für

Kuno

Fischer. 2. Auflage, 1907. 4 0 4 Schallnachahmungen und Lautmetaphern in der Sprache. Beilage zur Allgemeinen Zeitung, N r . 40, S. 3 1 3 - 3 1 6 , München 1907. 4 0 5 Metaphysik. Kultur der Gegenwart. 1. Bd., 6. Abtig., S. 1 0 3 - 1 3 7 , Leipzig 1907. 406 D i e

Anfänge

der

Philosophie.

Internationale

Wochenschrift

für Wissenschaft,

Kunst

und Technik, I, col. 9 3 5 - 9 4 0 , 1907. 407 Vorwort des Herausgebers (Fechner, Elemente der Psychophysik, 3. unveränderte A u f lage), S. V - V I , 1907. 4 0 8 Besprechung: Bockel, Psychologie der Volksdichtung. Hessische Blätter für Volkskunde, Bd. VI, 1907, S. 1 9 7 - 1 9 8 . 409 Logik. Eine Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis und der Methoden

wissen-

schaftlicher Forschung. 3. B d . : Logik der Geisteswissenschaften. 3. umgearbeitete A u f lage, Stuttgart 1908. 410 Grundzüge der physiologischen Psychologie. 6. umgearbeitete Auflage, 1. Bd., Leipzig 1908. 411 Völkerpsychologie.

Eine

Untersuchung

der Entwicklungsgesetze

von

Sprache,

Mythus

und Sitte. 3. B d . : D i e Kunst. 2. neu bearbeitete Auflage, Leipzig 1908. 412 Kritische Nachlese zur Ausfragemethode. Archiv für die gesamte Psychologie, XI, 1908. S. 4 4 5 - 4 5 9 . 4 1 3 Märchen, Sage und Legende als Entwicklungsformen des Mythus. Archiv für Religionswissenschaft, XI, 1908, S. 2 0 0 - 2 2 2 . 414 Metaphysik. D i e Kultur der Gegenwart. 1. Bd., 5. Abtig., S. 6 6 - 1 1 8 , 2. Aufl. 1908. 415 Völkerpsychologie.

Eine

Untersuchung

der

Entwicklungsgesetze

von

Sprache,

Mythus

und Sitte. 2. B d . : Mythus und Religion. 3. Teil. Leipzig 1909. 416 G r u n d r i ß der Psychologie. 9. verbesserte Auflage, Leipzig 1909. 417 Einleitung in die Philosophie. 5. Auflage, Leipzig 1909. 4 1 8 Festrede zur fünfhundertjährigen Jubelfeier der Universität Leipzig, I, Leipzig 1909. 419 Das Institut für experimentelle Psychologie. Festschrift zum 500jährigen Jubiläum

der

Universität. Leipzig 1909. 420 D i e A n f ä n g e der Philosophie und die Philosophie der primitiven Völker. D i e

Kultur

der Gegenwart. Hrsg. P. Hinneberg, 1. Teil, V. Abtig., Leipzig 1909, S. 1 - 3 1 . 421 Grundzüge der physiologischen Psychologie. 6. umgearbeitete Auflage. 2. Bd., Leipzig 1910. 422 Völkerpsychologie.

Eine

Untersuchung

der

Entwicklungsgesetze

von

Sprache,

Mythus

und Sitte. 4. B d . : Mythus und Religion. 1. Teil. 2. neu bearbeitete Auflage, Leipzig 1910. 4 2 3 D i e Prinzipien

der mechanischen

Naturlehre.

Ein

Kapitel aus einer Philosophie

Naturwissenschaften. 2. umgearbeitete Auflage der Schrift „Die physikalischen

der

Axiome

und ihre Beziehung zum Kausalprinzip" (1866). Stuttgart 1910. 424 Kleine Schriften. 1. Bd., Leipzig 1910. (Inhalt: Ü b e r das kosmologische Problem, 1877. K a n t s kosmologische Antinomien

und

das Problem der Unendlichkeit, 1885. W a s soll uns K a n t nicht sein?, 1892. Z u r

Ge-

schichte und Theorie der abstrakten Begriffe, 1885. Über naiven und kritischen Realismus, 1896/98. Psychologismus und Logizismus, 1910.) 425 Über reine und angewandte Psychologie. Psychologische Studien, V , 1910, S. 1 - 4 7 . 426 D a s Institut für experimentelle Psychologie.

(Abdruck

der Festrede zur f ü n f h u n d e r t -

jährigen Jubelfeier der Universität Leipzig.) Psychologische Studien, V ( 1910, S. 2 7 9 - 2 9 3 .

286

427 Logik und Psychologie. Zeitschrift f ü r pädagogische Psychologie, Pathologie und Hygiene, Bd. XI, 1910, S. 1 - 1 8 . 428 Grundzüge der physiologischen Psychologie. 6. umgearbeitete Auflage. 3. Bd., Leipzig 1911. 429 Naturwissenschaft und Psychologie. Sonderausgabe des Schlußkapitels der

„Grundzüge

der physiologischen Psychologie", 2. Auflage, Leipzig 1911. 430 Völkerpsychologie.

Eine

Untersuchung

der

Entwicklungsgesetze

von

Sprache,

Mythus

und Sitte. 1. B d . : D i e Sprache. 1. Teil. 3. neu bearbeitete Auflage, Leipzig 1911. 431 Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele. 5. Auflage, H a m b u r g und Leipzig 1911. 432 G r u n d r i ß der Psychologie. 10. verbesserte Auflage, Leipzig 1911. 433 Probleme der Völkerpsychologie. Leipzig 1911. 434 Einführung in die Psychologie. 1. und 2. Abdruck. Pädagogische

Literaturgesellschaft:

N e u e Bahnen, Leipzig 1911. 435 Kleine Schriften. 2. Bd., Leipzig 1911. (Inhalt: Über psychische Kausalität, 1894. D i e Definition der Psychologie, 1896. Ü b e r psychologische M e t h o d e n : D i e Methoden der Messung des Bewußtseinsumfanges, 1891. Zur Assoziationslehre, 1892. Zur Theorie der G e f ü h l e , 1900. Über Ausfrageexperimente und die M e t h o d e n der Psychologie des Denkens, 1907. Reine und angewandte Psychologie, 1910. Empirische und metaphysische Psychologie 1904. Z u r Lehre von den

Ge-

mütsbewegungen, 1891. Hypnotismus und Suggestion, 1802). 436

Hypnotismus und Suggestion. 2. durchgesehene Auflage, Leipzig 1911.

437 Sprachwissenschaft 1911,

S.

und

Völkerpsychologie.

Indogermanische

Forschungen,

XXVIII,

205-219.

438 Antwort auf die R u n d f r a g e der Deutschen Juristenzeitung, Berlin, über die Beibehaltung der Todesstrafe. X V I . Jg., 1911, S. 18. 439 Zur Psychologie und Ethik. 10 ausgewählte Abschnitte. Leipzig 1911 (aus der „Völkerpsychologie" und der „Ethik"). 440 Völkerpsychologie.

Eine

Untersuchung

der

Entwicklungsgesetze

von

Sprache,

Mythus

und Sitte. 2. B d . : D i e Sprache. 2. Teil. 3. neu bearbeitete Auflage, Leipzig 1912. 441 Elemente

der

Völkerpsychologie.

Grundlinien

einer

psychologischen

Entwicklungsge-

schichte der Menschheit. Leipzig 1912. 442 Ethik. Eine Untersuchung der Tatsachen und Gesetze des sittlichen Lebens. 1., 2. und 3. Bd., 4. umgearbeitete Auflage, Stuttgart 1912. 443 D i e Entstehung der Exogamie. Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie. V. Bd., 1912, S. 1 - 4 0 . 444 D i e Bedeutung der akademischen Seminarien für die Geisteswissenschaften.

Handbuch

der Politik. 2. Bd., 1912, S. 5 8 6 - 5 8 7 . 445 Nachruf auf Raoul Richter. Gedächtnisbuch. 1912, S. 3 8 - 4 3 . 446 Antwort

auf

die R u n d f r a g e des

Leipziger

Tageblatts

„Über

das

Frauenstimmrecht".

7. Juli 1912. 447 G r u n d r i ß der Psychologie. 11. Auflage, Leipzig 1913. 4 4 8 Einführung in die Psychologie. 3. Abdruck. Leipzig 1913. 449 Reden und Aufsätze. Leipzig 1913. (Inhalt: Über den Zusammenhang der Philosophie mit der Zeitgeschichte, 1889. Ü b e r das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft, 1891. D i e Metaphysik in Vergangenheit und Gegenwart, 1907. D i e Philosophie des primitiven Menschen, 1909. D i e Psychologie im A n f a n g des 20. Jahrhunderts,

1904/07. G o t t f r i e d Wilhelm Leibniz, 1902.

Gustav

T h e o d o r Fechner, 1901. D i e Leipziger Hochschule im W a n d e l der J a h r h u n d e r t e , 1909.)

287

450 D i e Psychologie im Kampf ums Dasein. Leipzig 1913. 451 D i e Anfänge der Philosophie und die Philosophie der primitiven Völker. D i e Kultur der Gegenwart. Hrsg. P. Hinneberg, 1. Bd., V . Abtlg. 2. Auflage, Leipzig 1913. 452 Gutachten über die Dresdner Universitätsfrage. Leipziger Neueste Nachrichten, 29. April 1913. 453 Erklärung über Gerhard Hauptmanns Jahrhundertfestspiel. Leipziger Tageblatt, 1. Juli 1913. 454 Völkerpsychologie.

Eine Untersuchung

der Entwicklungsgesetze

von

Sprache,

Mythus

und Sitte. 5. B d . : Mythus und Religion. 2. Teil. 2. neu bearbeitete Auflage, Leipzig 1914. 4 5 5 Sinnliche und übersinnliche Welt. Leipzig 1914. 456 Einleitung in die Philosophie. 6. Auflage, Leipzig 1914. 457 Totemismus

und

Stammesorganisation

in Australien.

Anthropos.

Internationale

Zeit-

schrift für Völker- und Sprachenkunde. IX. Bd., 1914, S. 1 3 - 3 9 . 458 Kleine Mitteilungen : Zur Frage der umkehrbaren, perspektivischen Täuschungen. Psychologische Studien, I X , 1914, S. 2 7 2 - 2 7 7 . 4 5 9 England und der Krieg. Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, 9. Jg., 1914, Sp. 1 2 1 - 1 2 8 . 4 6 0 Gutachten über den Schutz des Kunstbesitzes in Feindesland. Deutsche Kunst und Dekoration, November 1914. 461 Völkerpsychologie.

Eine

Untersuchung

der

Entwicklungsgesetze

von

Sprache,

Mythus

und Sitte. 6. B d . : Mythus und Religion. 3. Teil. 2. neu bearbeitete Auflage, Leipzig 1915. 462 D i e Nationen im Spiegelbild ihrer Philosophie. Österreichische Rundschau, B a n d : Liebesgaben aus dem deutschen Volk. 1915, S. 1 2 7 - 1 3 4 . 463 Deutschland im Lichte des neutralen und des feindlichen Auslandes. Scientia, Bd. X V I I , 1915, S. 7 1 - 8 5 . 464 D i e Nationen und ihre Philosophie. Ein Kapitel zum Weltkrieg. Leipzig 1915. 4 6 5 An der Bahre Karl Lamprechts. Akademische Rundschau, III, 1915, S. 1 - 6 . 466 Karl Lamprecht. Ein Gedenkblatt von Wilhelm Wundt und Max Klinger. Leipzig 1915. 467 Zur Erinnerung an Ernst Meumann. Zeitschrift für pädagogische Psychologie und experimentelle Pädagogik, Bd. X V I , 1915, S. 2 1 1 - 2 1 4 . 468 Besprechung:

Bönke,

Plagiator

Bergson.

Literarisches

Zentralblatt

für

Deutschland,

Nr. 46, 1915, Sp. 1 1 3 1 - 1 1 3 7 . 4 6 9 Eine Berichtigung. (Gegen das Buch von Stanley Hall „ D i e Begründer der modernen Psychologie"). Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 48, 1915, Sp. 1080. 4 7 0 D i e Nationen und ihre Philosophie. Taschenausgabe. Leipzig 1916. 471 Völkerpsychologie

und

Entwicklungspsychologie.

Psychologische

Studien,

X,

1916,

S. 1 8 9 - 2 3 9 (aus: Probleme der Völkerpsychologie). 472 Gottfried Wilhelm

Leibniz zum

Gedächtnis.

Bericht

der

mathematisch-physikalischen

Klasse der Königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Bd., L X V I I I ,

1916,

S. 2 5 5 - 2 6 6 / D e u t s c h e Revue, 1916, S. 2 4 8 - 2 5 4 . 473 Zur Lage. Polnische Blätter. Zeitschrift für Politik, Kultur und soziales Leben, Bd. V, 1916, S. 9 9 - 1 0 1 . 474 Noch einmal die Volksausschüsse. Erwiderung auf W. Goetz. Leipziger Tageblatt vom 11. Oktober 1916. 475 Über die Lage. Interview der Leipziger Abendzeitung. 1916. 476 Völkerpsychologie.

Eine Untersuchung

der

Entwicklungsgesetze

von

und Sitte. 7. und 8. B d . : Die Gesellschaft 1. Teil, 2. Teil., Leipzig 1917. 477 Leibniz. Zu seinem 200jährigen Todestag. Leipzig 1917.

288

Sprache,

Mythus

4 7 8 Chauvinismus

und

Militarismus.

Kulturrundschau

der

Leipziger

Illustrierten

Zeitung,

B d . 1 4 8 , 1 9 1 7 , 1. Februar. 4 7 9 Luther

als

deutscher Mensch.

Kunstwart

(Deutscher

Wille),

1.

Novemberheft

1917,

S. 9 9 - 1 0 0 . 4 8 0 D e r formale Abschluß. Gutachten über Abschaffung der Reifeprüfung. Berliner Tageblatt, 25. Dezember 1 9 1 7 . 4 8 1 Völkerpsychologie.

Eine

Untersuchung

der

Entwicklungsgesetze

von

Sprache,

Mythus

und Sitte. 9. B d . : D a s Recht. Leipzig 1 9 1 8 . 4 8 2 Einleitung in die Philosophie. 7. Auflage, Leipzig 1 9 1 8 . 4 8 3 Grundriß der Psychologie. 13. Auflage, Leipzig 1 9 1 8 . 4 8 4 Einführung in die Psychologie. 4 . Abdruck. Leipzig 1 9 1 8 . 4 8 5 Deutsche Träumer vergangener hefte, April 1 9 1 8 , S.

Zeiten. D i e

deutschen Träumer.

Süddeutsche

Monats-

12-13.

4 8 6 D i e Zeichnungen des Kindes und die zeichnende Kunst der Naturvölker. Festschrift zu Johannes Volkelts 7 0 . Geburtstag. 4 8 7 Schlußwort 4 8 8 Stimmen

des

Herausgebers.

(Aus: Probleme der Völkerpsychologie,

Psychologische

Studien,

X,

1918,

S.

1911.)

571-572.

führender Männer zur N o t der Zeit. N r . 6 der Veröffentlichungen

der

Ge-

sellschaft für staatsbürgerliche Erziehung. 1 9 1 8 . 4 8 9 Geschichte der Universität. Stätten der Bildung. B d . 1 : Leipzig, Hrsg. R e k t o r und Senat der Universität. 1 9 1 8 , S. 2 8 - 3 5 . 4 9 0 Völkerpsychologie.

Eine

Untersuchung

der

Entwicklungsgesetze

von

Sprache,

Mythus

und Sitte. 3. B d . : D i e Kunst. 3. neu bearbeitete Auflage, Leipzig 1 9 1 9 . 4 9 1 Logik. Eine Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis und der Methoden wissenschaftlicher Forschung. 1. B d . : Allgemeine Logik und Erkenntnistheorie. 4 . neu

bearbeitete

Auflage, Stuttgart 1 9 1 9 . 4 9 2 System der Philosophie. 4 . umgearbeitete Auflage, 1. und 2 . B a n d , Leipzig

1919.

4 9 3 Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele. 6. neu bearbeitete Auflage, Leipzig 1 9 1 9 . 4 9 4 Offener B r i e f an den Leipziger evangelischen Pfarrerverein über Abschaffung des Religionsunterrichts. 1 9 1 9 (in mehreren Zeitungen veröffentlicht). 4 9 5 D e r Bund der Frontsoldaten. Akademische Nachrichten und Leipziger Studentenzeitung, 1. Jg., 1 9 1 9 , Nr. 6. 4 9 6 D a s Land Baden im Kriegsjahr 1 8 6 6 . D e n Mitgliedern des Leipziger Bibliophilenabends. Leipzig 1 9 1 9 . 4 9 7 Völkerpsychologie.

Eine

Untersuchung

der

Entwicklungsgesetze

von

Sprache,

Mythus

4 9 8 D i e Zukunft der Kultur. Schlußkapitel des 10. Bandes der „Völkerpsychologie".

Leipzig

und Sitte. 10. B d . : Kultur und Geschichte. Leipzig 1 9 2 0 . 1920. 4 9 9 Völkerpsychologie.

Eine

Untersuchung

der

Entwicklungsgesetze

von

Sprache,

Mythus

und Sitte. 4 . B d . : Mythus und Religion. 1. T e i l . 3. Auflage, Leipzig 1 9 2 0 . 5 0 0 Grundriß der Psychologie. 14. Auflage, Stuttgart 1 9 2 0 . 5 0 1 Einleitung in die Philosophie. 8. Auflage, Stuttgart 1 9 2 0 . 5 0 2 Logik. E i n e Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis und der Methoden wissenschaftlicher Forschung, 2. B d . : Logik der exakten Wissenschaften. 4. neu bearbeitete Auflage, Stuttgart 1 9 2 0 . 5 0 3 Erlebtes und Erkanntes. Stuttgart 1 9 2 0 . 5 0 4 D i e Weltkatastrophe

und die deutsche Philosophie. Veröffentlichungen

der

Deutschen

Philosophischen Gesellschaft, 6. Beiheft, Erfurt 1 9 2 0 .

289

505 Logik. Eine Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis und der Methoden wissenschaftlicher Forschung. 3. Bd. : Logik der Geisteswissenschaften. 4. umgearbeitete Auflage, Stuttgart 1921. 506 Erlebtes und Erkanntes. 2. Auflage, Stuttgart 1921. 507 Kleine Schriften. 3. Bd., Stuttgart 1921. (Inhalt: Über die Einteilung der Wissenschaften, 1889. Über die mathematische Induktion, 1883. Die Logik der Chemie, 1883. Über die Methode der Minimaländerungen, 1883. Biologische Probleme, 1889. Die Empfindung des Lichts und der Farben, 1888. Zur Theorie der räumlichen Gesichtswahrnehmungen, 1888. Anhang. Das Raumproblem in erkenntnistheoretischer Beleuchtung, 1869 (unter dem Titel „Über die Entstehung räumlicher Gesichtswahrnehmungen" veröffentlicht). Selbstbeobachtung und innere Wahrnehmung, 1888. Zur Frage der Lokalisation der Großhirnfunktionen, 1891. Über den Begriff des Gesetzes mit Rücksicht auf die Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze, 1886. Wer ist der Gesetzgeber der Naturgesetze? 1886. Logik und Psychologie, 1910. Die Psychologie im Kampf ums Dasein, 1913.) 508 Probleme der Völkerpsychologie. 2. vermehrte Auflage, Stuttgart 1921. 509 Metaphysik. Kultur der Gegenwart. Hrsg. P. Hinneberg. 1. Bd., 6. Teil, 3. Auflage, Leipzig 1921, S. 98-134. 510 Die Bedeutung der akademischen Seminarien für die Geisteswissenschaften. Handbuch der Politik, 2. Auflage, 3. Bd., 1921. 511 Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele. 7. und 8. Auflage, Leipzig 1922. 512 Völkerpsychologie. Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythus und Sitte. Bd. 1 und 2: Die Sprache. 1. und 2. Teil. 4. unveränderte Auflage, Stuttgart 1922. 513 Einleitung in die Philosophie. 9. unveränderte Auflage, Leipzig 1922. 514 Grundriß der Psychologie. 15. Auflage. Mit Ergänzungen zur Literatur von W. Wirth, Leipzig 1922. 515 Völkerpsychologie. Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythus und Sitte. 3. Bd.: Die Kunst. 4. Auflage, Leipzig 1923. 516 Völkerpsychologie. Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythus und Sitte. 5. und 6. Bd.: Mythus und Religion. 2. und 3. Teil. 3. Auflage, Leipzig 1923. 517 Ethik. Eine Untersuchung der Tatsachen und Gesetze des sittlichen Lebens. 1. Bd., 5. Auflage, Stuttgart 1923. 518 Sinnliche und übersinnliche Welt. 2. unveränderte Auflage, Leipzig 1923. 519 Grundzüge der physiologischen Psychologie. 1. Bd., 7. Auflage, Leipzig 1923. 520 Ethik. Eine Untersuchung der Tatsachen und Gesetze des sittlichen Lebens. 2. und 3. Bd., 5. Auflage, Stuttgart 1924. 521 Logik. Eine Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis und der Methoden wissenschaftlicher Forschung. 1. Bd.: Allgemeine Logik und Erkenntnistheorie. 5. Auflage, Stuttgart 1924. 522 Zur Psychologie und Ethik. 2. Auflage, Leipzig 1925. 523 Völkerpsychologie. Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythus und Sitte. 4. Bd.: Mythus und Religion. 1. Teil. 4. Auflage, Leipzig 1926. 524 Die Nationen und ihre Philosophie. 8. Auflage, Leipzig 1929. 525 Einführung in die Psychologie. 7. Abdruck. Bonn 1950.

290

Personenregister

Aristoteles 43, 46, 185 f. Arnold, F. 9 Aubert, H. 30 Auer, C. von 27 Avenarius, R. 40, 44, 55, 205 f., 211, 213 f., 220, 223 Bacon, F. 56 Baudot, J. M. E. 27 Bechterew, W. M. 14, 39, 267 Belinski, W. G. 38, 267 Bell, Ch. 28 Berkeley, G. 142, 150 Bernstein, E. 39 Biedermann, E. 115 Bismarck, O. 20, 23 Bluntschli, J. C. 20 Brentano, L. P. 18, 245 Brück, E. U. 30 Buhr, M. 55 Bunsen, R. 10 Clausius, J. E. Curie, M. 28 Curie, P. 28 Czermak 11

28

Darwin, Ch. 13, 21, 27, 108, 110 Delbrück, B. 25 Dilthey, W. 44 Dobroljubow, N. A. 38, 267 Doliwo-Dobrowolski, M. D. 27 Donders, F. C. 30 Drobisch, M. W. 51

Du Bois-Reymond, E. Dumas, J. B. 27

11, 39

Eckhart, K . 19 f. Edison, T. A. 27 Einstein, A. 28 Eisler, R. 45, 50 Engels, F. 15, 17 f., 23, 28, 38, 40, 42, 101, 114 f., 122 f., 132, 181, 204, 242, 266, 267 Eucken, R. 43, 55 Faraday, M. 27 Fechner, G. Th. 14, 29, 31, 52 f., 55, 185, 231, 236 Feuerbach, L. 29, 67, 115 Fichte, J. G. 24, 68, 114 f., 183, 186 Fischer, K . 115 Flügel, J. C. 53 Fortlage 11 Galilei, G. 218 George 11 Goebel, H. 27 Haeckel, E. 41, 56, 108 Hall, G. St. 14 Hartmann, E. von 56 Hasse, E. 10 Hegel, G. W. F. 43, 51, 54 ff., 68, 100, 108, 114 f., 139, 186, 196 f., 218, 220 Helmholtz, H. von 11 f., 28, 30 f. Herbart, J. F. 50 ff., 55 f., 59 f., 164, 220, 256

291

Hering, E. 30 Hertz, H. 27 Herzen, A. I. 38, 267 Hobbes, Th. 56 Hörz, H. 265 Hughes, D . E. 27 Hume, D . 164 James, W. 40 Jaroschewski, M. G. 229, 245 f., 251 Joule, J. 28, 30

30 f., 33, 93,

123,

Kant, I. 44 ff., 50 ff., 55 f., 68, 100 ff., 124, 139, 141-146, 153, 159, 161, 164 f., 186, 256 Keen Cattell, J. Mc. 14 Kepler, J. 48 Kiefer, F. 19 f. Königsberger 12 Kornilow, K . N. 267 Kowalewski, A. O. 39 Kraepelin, E. 14 Krueger, F. 9, 14, 22, 129 Külpe, O. 14 Lamey, A. 19 Lange, F. A. 13, 15, 21 Lange, N. N . 14, 39, 267 Laplace, P. S. de 109 Lassalle, F. 22, 115 Lazarus, M. 239 Leibniz, G. W. 46-51, 55 f., 66, 82, 99 f., 108, 130, 139, 161, 164, 249, 256 f. Lenin, W. I. 26, 34, 38 f., 41, 88, 146, 167, 205, 210 f., 213, 215 f., 242, 253, 265 ff. Lenoir, J. J. ß. 27 Liebig, J. von 27 Liebknecht, K . 23 Lipps, Th. 14 Locke, J. 143 Lomonossow, M. W. 28 Lotze, P. H. 11, 56, 164 Luxemburg, R. 23 Mach, E. 40, 55, 69, 86, 91, 102, 213, 244, 266

292

Marbe, K . 14 Martin, E. 27 Martin, P. E. 27 Marx, K. 15, 18, 22 f., 28, 40, 42, 101, 114 f., 123, 173, 181, 204, 242, 266 f. Mathy, K . 20 Maxwell, J. C. 27 Mayer, R. 28, 30 Mehring, F. 23 Meischner, W. 9, 23, 230 Mendelejew, D. I. 27 Meumann, E. 14 Müller, J. 10 f., 28 f., 31 Münsterberg, H. 14 Newton, I. Otto, N. A.

56 28

Parsons, Ch. A.

28

Pasteur, L. 27 Pawlow, I. P. 38 f., 263, 267 Petzold, J. 223 Planck, M. 28 Piaton 56, 100, 116, 192 Pongratz, L. J. 12 Purkinje, J. E. 29 Reis, J. P. 27 Röntgen, W. C. 27 Rossolimo, G. I. 39 Rothe, R. 115 Rousseau, J. J. 204 Rubinstein, S. L. 39 f., 146, 232, 243, 267 Schelling, F. W. J. von 54, 68 Schleiden, M. J. 28 Schmidt, H. D. 242 Schopenhauer, A. 50, 55 f., 99 f. Schwann, Th. 28 Setschenow, I. M. 38, 267 Siemens, F. 27 Siemens, W. von 27 f. Sikorski, I. A. 39 Smirnow, A. A. 267 Smith, A. 169 Spinoza, B. 46, 56, 91, 220

Steinthal, H. Strauß, D. F.

239 115

Taylor, F. W. 33 Thiele, J. 55 Titchener, E. B. 14 Toharski 39 Trendelenburg, F. A. 44 Tschernyschewski, N. G. 38, 267 Tschish 39 Usnadse, D . N.

14

Vierordt, K. 30 Vischer, F. Th. 10, 115 Volkmann, A. W. 11, 30 Vorwerg, M. 249 Waitz, Th. 239 Weber, E. H. 10 f., 14, 29 Wundt, E. 10, 20, 49 Wundt, M. 43 Zeller, E. Zetkin, C.

115 23

MANFRED BUHR/JÖRG SCHREITER

Erkenntnistheorie - kritischer Rationalismus — Reformismus Zur jüngsten Metamorphose des Positivismus (Schriften zur Philosophie und ihrer Geschichte) 1979. 95 Seiten - 8° - Leinen 6,50 M Bestell-Nr.: 753 6 1 2 8 Bestellwort: Buhr/Scheiter 2178/22

Im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung mit der Theorie Karl Raimund Poppers, des Hauptvertreters und Begründers des kritischen Rationalismus. Die Autoren behandeln die gesellschaftliche Funktion dieser Theorie innerhalb der bürgerlichen Ideologie und auch innerhalb der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus. Dabei gehen sie von der vorliegenden marxistischen Literatur aus, die systematisch ausgewertet und folgerichtig weitergeführt wird, wobei sie das marxistische Prinzip der Einheit von Historischem und Logischem anwenden.

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AKADEMIE-VERLAG DDR - 1080 Berlin, Leipziger Str. 3 - 4

JÖRG SCHREITER

Wahrheit —Wissenschaftlichkeit — Gesellschaftswissenschaften (Schriften zur Philosophie und ihrer Geschichte) 1979. 102 Seiten - 8 ° - 9 , - M Bestell-Nr. 753 575 8 Bestellwort: Schreiter 2178/19

Der Autor behandelt Probleme der Wahrheitsfindung in den Gesellschaftswissenschaften, insbesondere in der Geschichtswissenschaft. Ausgehend vom Zusammenhang von materialistischer Erkenntnistheorie, historischem Materialismus und den speziellen marxistischleninistischen Gesellschaftswissenschaften, entwickelt er neue Gesichtspunkte zum Begriff der Tatsache und zur marxistischen Totalitätsauffassung.

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