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German Pages 260 [268] Year 1950
S A M M L U N G G O S C H E N B A N D 1031
Philosophisches Wörterbuch Von
Dr. Max Apel
Dritte, neubearbeitete Auflage
WALTER
DE G R U Y T E R & CO.
vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Keimer • Karl J. Triibner • Veit & Comp. Berlin
1950
Alle R e c h t e , i n s b e s o n d e r e das von der V e r l a g s h a n d l u n g :
Übersetzungsrecht, vorbehalten
Archiv - N r . 11 10 31 D r u c k von W a l l e r de G r u y t e r & Co., Berlin W 35
a : in der Logik Zeichen f ü r das allgemein b e j a h e n d e Urteil: alle S sind P ; h e r g e n o m m e n von dem lateinischen Wort a f f i r m o (ich bejahe), i: partikulär bejahend. A = A : übliche Formel f ü r den logischen G r u n d s a t z der Identität: A ist A, jeder Begriff ist mit sich selbst identisch. Abälard, P e t r u s (1079—1142): Im Universalienstreit Eklektiker. Universaiia in rebus. In echt kritischem Geiste beginnt er mit dem Zweifel. Der Zweifel f ü h r t zur Forschung, die F o r s c h u n g zur Wahrheit. Die Vernunft, d. s. die D o g m e n der Kirche, beweisen, nicht Bibelsprüche und W u n d e r . Er fordert geistige Auslegung der Bibel. So bedeutet die H i m m e l f a h r t die E r h e b u n g der Seele zum H i m m lischen. Die Vernunft weist örtlichen Himmel und örtliche Hölle ab. Abälard behandelt die Ethik unter dem Titel: Erkenne Dich selbst! Sie gründet sich auf die Gesinnung und das Gewissen des Einzelnen. Sünde wie Sittlichkeit bestehen vor allem in der Gesinnung. Abälard ist reich an Widersprüchen, t r o t z d e m aber einer der bedeutendsten D e n k e r des Mittelalters. Der Briefwechsel mit Helo'ise ist eine literarische Fiktion. W e r k e : Sic et non. Die Selbstbiographie „Historia calamitatum". Der „Dialog zwischen einem Philosophen, einem Juden und einem C h r i s t e n " . Aberglaube ist der H a n g , in das, was als nicht natürlicherweise zugehend vermeint wird, ein g r ö ß e r e s Vertrauen zu setzen, als was sich nach Naturgesetzen erklären läßt — es sei im Physischen oder Moralischen. (Kant, Streit d. Fak.). Dieser Glaube an übernatürliche V o r g ä n g e ist in der Regel Überbleibsel überholter N a t u r a u f f a s s u n g e n oder f r ü h e r e r Religionsformen und entspricht nicht mehr dem herrschenden Glauben. Z u m Aberglauben rechnet man Alchemie, Astrologie, Chiromantie, Gespensterglauben, Zauberei und dergleichen mehr. [Vgl. Bächtold-Stäubli, H a n d w ö r t e r b u c h des deutschen Aberglaubens, 10 Bände.] Abhängigkeit: Verhältnis zweier oder m e h r e r e r Gegenstände, die sich gegenseitig bedingen. [Vgl. Funktion, Korrelation, Religion, Schleiermacher.] abnorm: regelwidrig, von der Regel abweichend. 1*
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absolut—Abstraktion
absolut: losgelöst von jeder Bindung, Beziehung, Bedingung, A b h ä n g i g k e i t , also uneingeschränkt, f ü r sich seiend, unbedingt, u n a b h ä n g i g , aus sich bestimmt. Das Absolute: der letzte U r g r u n d alles Seins. Eine absolute E r k e n n t n i s : eine Erkenntnis des an sich Wirklichen, der Dinge an sich. N e w t o n legte seiner Mechanik (1687) eine absolute, w a h r e und mathematische, gleichmäßig fließende Zeit und einen absoluten, stets gleichen und unbeweglichen Raum zugrunde. Nach K a n t haben Raum und Zeit keine absolute Realität, keine an sich seiende Wirklichkeit, sondern sind reine F o r m e n der Erscheinungswelt. — In S c h e l l i n g s Identitätssystem ist das Absolute, die absolute Vernunft,' die Indifferenz von N a t u r und Geist, von O b j e k t und Subjekt. Die G e g e n s ä t z e von Subjekt und O b j e k t , Realem und Idealem, N a t u r und Geist lösen sich im Absoluten auf. Bei H e g e l ist das Absolute die sich selbst entwickelnde Vernunft, das einzig Seiende, das sich in die Welt auseinanderlegt und sich als Geist wieder mit sich selbst zusammenschließt. Philosophie ist danach u. a. Wissenschaft vom Absoluten. Absolutismus: Lehre vom Absoluten oder Lehre der absoluten Geltung der W a h r h e i t und Werte. — Staatsrechtlich: u n b e s c h r ä n k t e Gewalt des Staates o d e r der staatlichen M a c h t h a b e r . Abstammungslehre: siehe Deszendenztheorie. abstrahieren: vom Besonderen, Zufälligen absehen zum Z w e c k e der H e r a u s h e b u n g des Allgemeinen und Wesentlichen. abstrakt: aus einem g e g e b e n e n Z u s a m m e n h a n g e herausgelöst und für sich allein betrachtet. So erhält abstrakt den Sinn von begrifflich, gedacht, im G e g e n s a t z zum anschaulich G e g e b e n e n . [Vgl. k o n k r e t . ] Abstraktion: das logische Verfahren, durch W e g l a s s u n g von M e r k m a l e n vom anschaulich G e g e b e n e n zur Allgemeinvorstellung und von einem g e g e b e n e n Begriffe zu einem allgemeineren aufzusteigen, etwa von „Eiche", „Birk e " usw. zum Begriffe „ B a u m " . Die Abstraktion vermindert den Inhalt und erweitert den U m f a n g . — G e g e n s a t z : Determination. — L o t z e l e h r t : Abstraktion besteht nicht in Weglassung, sondern im „Ersatz der weggelassenen M e r k m a l e durch ihr Allgemeines". S i g w a r t kritisiert die g e w ö h n liche Lehre, daß die Begriffe durch Abstraktion g e w o n n e n werden, d. h. durch einen P r o z e ß , in welchem die gemein-
abstrus—Achilleus
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schaftlichen M e r k m a l e einzelner O b j e k t e von dem sie unterscheidenden g e s o n d e r t und jene zur Einheit zusammeng e l a ß t w e r d e n . Denn um ein vorgestelltes O b j e k t in seine einzelnen M e r k m a l e aufzulösen, sind schon Urteile notwendig, deren P r ä d i k a t Begriffe sein müssen, die nicht durch Abstraktion erst g e w o n n e n sind. W e r den Allgemeinbegriff Tier durch Aufsuchen der gemeinschaftlichen M e r k m a l e aller Tiere finden wollte, m ü ß t e den Begriff Tier, den er sucht, in Wahrheit schon haben. Abstraktion sollte also allein die t r e n n e n d e Abstraktion heißen, verm ö g e der das in der Anschauung ungeteilte Ganze in Ding, Eigenschaft und T ä t i g k e i t zerlegt und die aus ihrer konkreten Einheit losgerissenen a b s t r a k t e n Vorstellungen gebildet w e r d e n , welche es allein möglich machen, k o n k r e t Verschiedenes nach allgemeinen M e r k m a l e n zu vergleichen und es also gleich oder verschieden zu finden. abstrus: verworren, unverständlich. absurd: ungereimt, unsinnig d e n k w i d r i g ; ad a b s u r d u m f ü h r e n : durch A u f d e c k u n g von F o l g e r u n g e n , die n o t w e n dig zu Widersprüchen f ü h r e n , widerlegen. Abulie: Willenlosigkeit. abundant: (überfließend), eine a b u n d a n t e Definition gibt überflüssigerweise abgeleitete M e r k m a l e an, z. B. ein Viereck, dessen Gegenseiten parallel und gleich sind, heißt ein Parallelogramm. Die Gleichheit folgt aus der Parallelität. acervus: (Haufe), H a u f e n s c h l u ß , ein T r u g s c h l u ß , der die Scheinhaftigkeit der sinnlichen W a h r n e h m u n g zeigen soll: bei Z e n o n in der F o r m : 1 W e i z e n k o r n macht beim Fallen kein Geräusch, folglich ; kann ein H a u f e W e i z e n k ö r n e r auch kein Geräusch m a c h e n ! Die Vielheit des Seienden ist T ä u schung. Später in a n d e r e r F o r m bei dem M e g a r i k e r E u b u l i d e s : 2 W e i z e n k ö r n e r bilden noch keinen H a u f e n , sondern eine bestimmte Zahl, auch nicht 3, 4 usw. Körner, also wir k o m m e n durch H i n z u f ü g u n g einer Einheit nie von wenigen Körnern zum H a u f e n , zur u n b e s t i m m t e n , nicht mit dem Blicke zahlenmäßig zu bestimmenden M e n g e . [Vgl. Kahlkopf, Sorites.] Achilleus: ein b e r ü h m t e r Beweis des Eleaten Z e n o n (um 450 v. Chr.) gegen die Möglichkeit der B e w e g u n g : d e r schnellfüßige Achilles kann die langsame Schildkröte nicht einholen, die einen V o r s p r u n g h a t ; denn er m u ß zuerst diesen V o r s p r u n g einholen, inzwischen aber ist die Schildkröte eine kleine Strecke v o r w ä r t s g e k o m m e n , w i e d e r u m
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Achtung—Adept
muß Achilles nun zuerst diesen Vorsprung durchlaufen, und wiederum hat inzwischen die Schildkröte einen Vorsprung erlangt, und dieses Spiel bricht nie ab, immer behält die Schildkröte einen, wenn auch stets kleiner werdenden Vorsprung. Die Sinne zeigen jedoch, daß Achilles in kurzer Zeit die Schildkröte überholt. S o stehen Denkbetrachtung und Sinneswahrnehmung in schroffem Widerspruche, der nur dadurch überwunden werden kann, daß die Annahme der Bewegung überhaupt falsch ist. Es gibt also gar keine B e w e g u n g ! Sicherlich hat Z e n o n darin recht, daß die durch jene Betrachtungsweise gewonnene Reihe niemals abbricht. Aber die mathematische Zerlegbarkeit der Bewegung in eine solche unendliche Reihe darf nicht mit der stetigen Bewegung gleichgesetzt werden. Die Schildkröte habe einen Vorsprung von 100 m, in 1 Sekunde lege Achilles 10 m, die Schildkröte I m zurück; den Vorsprung von 1 0 0 m hat Achilles in 10 Sekunden eingeholt, die Schildkröte hat in dieser Zeit einen neuen Vorsprung von 10 m gewonnen, diese 10 m durchläuft nun der Verfolger in 1 Sekunde, die der Schildkröte einen W e g von 1 m ermöglicht, usw. Wir erhalten so die R e i h e : 100m + 10m + I m + 0,1 m + 0,01m + . . . Diese Reihe hat unendlich viele Glieder, aber ihre Summe ist 1 1 1 , 1 1 1 . . . = l l l 1 / 9 m . Achilles holt also die Schildkröte nach Zurücklegung einer Strecke von l l l V s t n in 11V 9 Sekunden ein: 11V 9 Sekunde = 1 0 + l + Vio+Vioo + . . . = 11,111... Achtung: Gefühl für das, was Wert an sich hat; d. i. für den sittlichen W e r t , die Würde freier Wesen (Wert einer Persönlichkeit, einer Handlung, eines Gesetzes). actus purus: reine, von Stofflichkeit freie Wirklichkeit und W i r k s a m k e i t ; in der scholastischen Philosophie ist Gott actus purus, der keine Potentialität (bloß Möglichkeit) in sich hat. Auch L e i b n i z bezeichnet Gott, die höchste Monade, als absolute Tätigkeit, als actus purus. Adaptation: Anpassung; in der Psychologie die Anpassung und Abstumpfung der Empfindungen bei andauerndem Fortbestehen der objektiven Reize. adäquat: angemessen, gleichkommend, genau entsprechend, übereinstimmend; eine adäquate Erkenntnis ist die mit dem Wesen der Sache übereinstimmende Erkenntnis. Adept: der Eingeweihte, der Meister der Alchemie, der
Adiaphoron—Ästhetik
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den Stein der Weisen, die Kunst der Verwandlung unedler Metalle in edle, gefunden hat. Adiaphoron: (Ununterschiedenes), Gleichgültiges; für die Kyniker und Stoiker waren alle äußeren Güter, wie Reichtum, Ehre, Gesundheit, selbst das Leben, gleichgültige Dinge, Adiaphora; als einziges wahres Gut gilt dem Weisen die Tugend, als einziges Übel das Laster. Aerobaten: Die spekulativen Philosophen nach Aristophanes. Ähnlichkeit: teilweise Gleichheit bei teilweiser Verschiedenheit. Sie spielt in der Naturforschung (Klassifikation) und in der Psychologie (Assoziation) eine wichtige Rolle. Aon: Ewigkeit, beständige Dauer. Der Gnostiker V a l e n t i n (um 150 n.Chr.) nennt den Urgrund der Dinge ( G o t t ) den vollkommenen Äon, aus dem dann dreißig niedere Ä o n e n (Geister) hervorgehen. Äquilibrismus: Gleichgewichtslehre; Lehre der Scholastik, daß Freiheit des Willens (arbitrium liberum) nur bei Gleichgewicht zweier gleichwertiger entgegengesetzter Motive bestehen kann. Äquipollenz: logische Gleichgeltung von Begriffen und Urteilen, die dasselbe, nur in verschiedener Form, aussagen. Äquipollent sind die Urteile: Jede Lüge ist verwerflich — es gibt keine Lüge, die nicht verwerflich wäre. äquivalent: gleichwertig. Äquivalenz: Gleichwertigkeit. Der Satz von der Äquivalenz von Wärme und mechanischer Arbeit wurde 1842 von R o b e r t M a y e r entdeckt: die Arbeit, welche durch Hebung von 1 kg hoch senkrecht 427 m geleistet wird, ist gleichwertig der Wärmemenge, welche nötig ist, um 1 kg Wasser um 1 Grad (genauer: von 14,5° auf 15,5°) zu erwärmen. äquivok: gleichlautend, doppelsinnig, zweideutig. Äquivokation: die Verwendung doppelsinniger Worte. Ästhetik: wörtlich: Lehre von der sinnlichen Anschauung. In diesem Sinne nennt K a n t den ersten Teil seiner Kritik der reinen Vernunft „die transzendentale Ästhetik", „Wissenschaft von allen Prinzipien der Sinnlichkeit a priori", d. h. Untersuchung von Raum und Zeit in ihrer Bedeutung für die sinnliche Erkenntnis. — B a u m g a r t e n gebraucht den Namen Ästhetik im Sinne einer Anleitung zum richtigen Empfinden, einer Wissenschaft vom Schönen. Die moderne wissenschaftliche Ästhetik beginnt mit Kants
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Ästhetizismus—Affinität
Grundlegung des ästhetischen Urteils. In der Gegenwart stehen sich verschiedene Richtungen innerhalb der Ästhetik gegenüber, die sich vor allem nach der Gegenstandsauffassung des Ästhetischen unterscheiden. Während Kant lediglich in der F o r m des schönen O b j e k t s das Wesen des ästhetischen Urteils erblickt (formalistische Ästhetik), erblicken andere in der Kunst ein Phänomen der künstlerischen Darstellung inhaltlicher Lebenswerte. Das gilt vor allem von der idealistischen Ästhetik, die die Kunst als Ausdruck der Idee oder des Absoluten aufzufassen sucht (Hegel, Schelling, Solger, Schopenhauer, v.Hartm a n n ) . Neben dem ästhetischen Objektivismus, der das Schöne als reale Qualität des Gegenstandes versteht ( S t e p h a n W i t a s e k , M a x D e s s o i r ) , gibt es einen ästhetischen Subjektivismus, der im Kunstwerk eine Ursache für Lusterlebnisse ( F e c h n e r ) bzw. eine Äußerungsform des Spieltriebes ( K a r l G r o o s ) erblickt. Andere sehen im schönen Gegenstand eine Wertqualität, die durch Einfühlung erschlossen wird ( T h e o d . L i p p s , J o h . V o l k e l t ) . Ästhetizismus: Anschauung, daß das Ästhetische, die ästhetische Lebensgestaltung, den höchsten Wert besitzt. Ätiologie: Lehre von den Ursachen. Affekt: vorübergehende Gemütsbewegung, seelische Erschütterung. Nach den Stoikern sind Affekte vernunftlose, naturwidrige Gemütsbewegungen, die vom Weisen beherrscht und unterdrückt werden müssen. S p i n o z a unterscheidet drei Grundaffekte: Lust, Unlust und Begierde. — Nach der neueren Psychologie sind Affekte intensive gefühlsartige Erlebnisse mit lebhaften physiologischen Begleiterscheinungen. Nach W u n d t ist Affekt ein in sich geschlossener Verlauf von Gefühlen, die eine intensive Wirkung und Nachwirkung auf den Zusammenhang der psychischen V o r g ä n g e ausüben. Affekte wie Zorn, Freude, Begeisterung, die ein aktives seelisches und physiologisches Verhalten zeigen, heißen sthenisch (belebend, stärkend), lähmende, hemmende Affekte, wie Furcht, Trauer, Sorge heißen asthenisch. Nach der J , a m e s - L a n g e s c h e n Ansicht bedingt der körperliche Zustand die Gemütsbeweg u n g : wir weinen nicht, weil wir traurig sind, sondern wir sind traurig, weil wir weinen. Affektion: a) Zustandsänderung des Subjekts, Sinneserr e g u n g ; b) Zuneigung, Neigung. Affinität: Verwandtschaft; K a n t nennt den objektiven
Affirmation—Akademie
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Cirund aller Assoziation der Erscheinungen die Affinität der Erscheinungen. Affirmation: Bejahung, b e j a h e n d e Aussage. affirmativ: b e j a h e n d ; ein affirmatives Urteil hat die F o r m : S ist P. äff ¡zieren: einwirken, erregen, beeinflussen. Nach K a n t wird unsere Vorstellungsfähigkeit von G e g e n s t ä n d e n affiziert, so daß wir E m p f i n d u n g e n erhalten. Agens (Mehrzahl: A g e n t i e n ) : tätige, w i r k e n d e , treibende Kraft. Aggregat: A n h ä u f u n g von Teilen zu einem äußerlichen Zusammenhang. K a n t : Erfahrung (Erfahrungserkenntnis) ist kein bloßes A g g r e g a t von W a h r n e h m u n g e n , keine bloß empirische Z u s a m m e n s e t z u n g der W a h r n e h m u n g e n , sondern ein auf Begriffen und G r u n d s ä t z e n a priori beruhendes systematisches Ganzes. Agnosie: Unwissenheit, das Nichtwissen. Agnostizismus: ein erkenntnistheoretischer S t a n d p u n k t , der eine U n e r k e n n b a r k e i t von allem ü b e r die E r f a h r u n g h i n a u s g e h e n d e n Übersinnlichen, Metaphysischen b e h a u p tet, ohne die Existenz des Absoluten und T r a n s z e n d e n t e n bestreiten zu wollen. Die Bezeichnung Agnostizismus w u r d e zuerst 1869 von dem englischen N a t u r f o r s c h e r T h o m a s H u x l e y gebraucht. Agnostiker sind auch D a r w i n , der sich in metaphysischen, ü b e r die E r f a h r u n g hinausgehenden F r a g e n des Urteils enthalten will; S p e n c e r der ein letztes „ U n e r k e n n b a r e s " als unerforschliches Absolutes voraussetzt; C o m t e , der unter A b l e h n u n g aller M e t a p h y sik ein den Erscheinungen z u g r u n d e liegendes u n e r k e n n bares Sein annimmt. Auch der moderne Positivismus kann der agnostizistischen Philosophie zugerechnet w e r d e n , soweit er ein Sein jenseits der E r f a h r u n g zuläßt. Ahnung: das fühlende Innewerden oder Innehaben eines N i c h t g e w u ß t e n oder Nichtwißbaren, etwa ein dunkles Bew u ß t w e r d e n von etwas, das schon geschehen ist o d e r noch geschehen wird. Ahriman: der böse Geist in der Religion des Z o r o a s t e r . Siehe Z a r a t h u s t r a . Akademie: in der N ä h e einer nach dem H e r o s Akademos benannten T u r n s t ä t t e bei Athen e r w a r b P l a t o einen G a r t e n , in dem er seine Schüler um sich v e r s a m m e l t e : die platonische Akademie. Diese A k a d e m i e bestand fast ein J a h r t a u s e n d . Die unmittelbaren Nachfolger mit den ersten
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Akkommodation—Aktivität
Schulhäuptern S p e u s i p p und X e n o k r a t e s bilden die „ältere Akademie", die die pythagoreische Zahlenlehre ihrer Lehre zugrunde legt. Die „mittlere Akademie" schlägt eine skeptische Richtung ein (im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr.). Die „neuere Akademie" schließt sich an die Stoa an. Kaiser J u s t i n i a n hat 529 alle Philosophenschulen aufgehoben. Eine neue „platonische Akademie" erstand im 15. Jahrhundert n. Chr. in Florenz. Seit dem 18. Jahrhundert ist Akademie die übliche Bezeichnung für Institute, die der reinen Forschung gewidmet sind. Akkommodation: Anpassung, Anbequemung; physiologisch: die selbsttätige Anpassung des Auges an verschiedene Entfernungen der Gegenstände durch Wölbung der Augenlinse, sodaß die Lichtstrahlen auf die Netzhaut fallen. Akosmismus: Weltlosigkeit; Leugnung der Welt als selbständiger Existenz; nach H e g e l ist S p i n o z a s Pantheismus, bei dem der Welt der Einzeldinge keine Wirklichkeit neben Gott zukommt, ein Akosmismus. akroamatisch: (hörbar, zum Anhören bestimmt), Schriften des A r i s t o t e l e s , die aus zusammenhängenden Vorträgen entstanden waren, nannte man akroamatisch. Die akroamatische Methode ist im Gegensatz zur populären „erotematischen" die wissenschaftliche. Akt: Handlung, Tätigkeit; in sich geschlossener seelischer Vorgang, ein Bewußtseinsinhalt, der auf etwas Gegenständliches außerhalb seiner selbst, gerichtet ist. B r e n t a n o unterscheidet Akt und Inhalt des Vorstellens; im Vorstellungsakt bezieht sich unser Bewußtsein auf etwas Gegenständliches. Nach H u s s e r l bedeutet der Akt ein intentionales Moment innerhalb der Erlebnisse; der Akt ist auf etwas gerichtet, „meint" einen Gegenstand. S c h e l e r erweitert Husserls logische Theorie der A. um eine Analyse der emotionalen, auf „Werte" bezogenen Akte. S p r a n g e r versteht unter einem geistigen Akt „die aus verschiedenen seelischen Funktionen strukturell zusammengewobene Tätigkeit des Ich, wodurch es eine geistige Leistung von überindividuellem Sinne hervorbringt". [Vgl. Intention.] aktiv: tätig, wirksam. Aktivismus: die Überzeugung, daß nur in die Tat umgesetztes Erkennen Leben und Kultur zweckvoll gestalten kann. Hauptvertreter J. G. F i c h t e . Aktivität: Tätigkeit, Selbständigkeit, Wirksamkeit.
Aktualismus—Alexandrinische Philosophie
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Aktualismus: Nach diesem Prinzip, das nicht nur in der Geologie und Biologie in Geltung ist, sondern auch in der Kultur- und Geistesgeschichte, sind die gegenwärtig wirksamen Kräfte und ihre Gesetzmäßigkeiten dieselben wie die in früheren Perioden der Erd- und Geistesgeschichte wirksamen. Aktualität: das unmittelbar auf eine gegebene Situation bezogene Wirklichsein. Aktualitätstheorie: die Lehre, daß alle Wirklichkeit im Werden, Geschehen, Tun besteht. Diese metaphysische Anschauung ist in der Psychologie (W. W u n d t ) unter Anlehnung einer Seelensubstanz auf die Lehre von der Seele als einem Zusammenhang seelischer Vorgänge übertragen. [Vgl. Substantialitätstheorie.] aktuell: momentan wirklich, tatsächlich wirksam. [Vgl. potentiell.] akzidentell: unwesentlich, zufällig, unselbständig. Akzidenz: 1. Unwesentliche, zufällige Eigenschaften der Dinge; Gegensatz: Essenz. 2. Wechselnde Zustände im Gegensatz zur beharrlichen Substanz. K a n t : Die Bestimmungen einer Substanz, die nichts anderes sind, als besondere Arten derselben zu existieren, heißen Akzidenzen. Albertus Magnus: Albert von Boilstädt (1193—1280), einer der bedeutendsten Scholastiker, Lehrer des Thomas von Aquino. Er gab unter dem Einfluß von Avicenna und Maimonides dem scholastischen Denken die aristotelische Wendung. Er hielt jedoch im Anschluß an Plato am „Sein an sich" der Begriffe fest. Er bewies einen für seine Zeit außergewöhnlichen Sinn für die Naturwissenschaften. So stellte er selbst Beobachtungen an und tauschte mit seinen Freunden Erfahrungen aus. „Wir haben nicht zu erforschen, wie Gottes freier Wille die Geschöpfe gebraucht zu Wundern, sondern was in den Naturdingen nach den natürlichen Ursachen auf natürliche Weise geschehen kann." d'Alembert (1717—1773): bedeutender Mathematiker, mit Diderot Herausgeber der franz. „Encyclopédie". Als Philosoph ist d'Alembert Sensualist, aber von der Existenz der Außenwelt überzeugt, religiös ist er Deist. Alexandrinische Philosophie: die im letzten vorchristlichen und im ersten nachchristlichen Jahrhundert in Alexandria vertretene Philosophie, eine Mischung aus griechischer Philosophie und orientalischer, besonders jüdischer Mystik.
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Algorithmus—amoralisch
Algorithmus: Rechenbuch, Rechenkunst, nach dem Namen eines arabischen Mathematikers (9. Jahrh. n. C h r . ) ; der logische Algorithmus ist der Versuch, die Logik in den Symbolen einer mathematischen Wissenschaft abzuhandeln. All, Allheit: Gesamtheit aller Dinge, das Universum. Die Gottheit ist nach X e n o p h a n e s das All-Eine, ev koi ttSw ein und alles. Allbeseelung: Lehre, daß die Welt in allen ihren Teilen beseelt ist. [Vgl. Panpsychismus.] allgemein: für alle Gegenstände einer Art gültig; allgemeine Urteile: alle S sind P ; kein S ist P. Allgemeinbegriff: ein Begriff, der auf eine Menge von Dingen anwendbar ist, die in bestimmten Eigenschaften übereinstimmen. So umfaßt der Begriff Metall alle einzelnen Metalle. Allgemeinheit: ausnahmslose Gültigkeit; strenge Allgemeinheit eines Urteils beruht auf einem „Vermögen des Erkenntnisses a priori" ( K a n t ) . Allgemeinvorstellung: eine Vorstellung, die das mehreren Einzelgegenständen Genieinsame gesondert und zusammenfassend heraushebt, alogisch: nicht logisch, vernunftlos. als o b : siehe Fiktion. Alternative: die entscheidende Wahl zwischen zwei Möglichkeiten; alterna'.ive Urteile sind 1. zweigliedrige disjunktive Urteile: S ist entweder P oder Q ; 2. Urteile, die miteinander vertauscht werden können, ohne daß der Sinn sich ändert, alternieren: miteinander abwechseln. Altruismus: ethische Lehre, die die Selbstlosigkeit als hauptsächliches Merkmal der Sittlichkeit bezeichnet und ein auf das Wohl anderer gerichtetes Handeln fordert; namentlich von englischen Moralphilosophen vertreten, so von L o c k e , H u m e , A d a m S m i t h , S h a f t e s b u r y , B e n t h a m , S p e n c e r . Der Ausdruck stammt von C o m t e (179S —1857), der den Egoismus durch den Altruismus, die Selbstsucht durch altruistische, soziale Gefühle überwunden wissen will. Ambiguität: Zweideutigkeit infolge unklarer Begriffe. Amnesie: krankhafte Gedächtnisschwäche, amoralisch: eine Haltung und Gesinnung, die die F r a g e nach dem Moralischen ausschaltet; das Außersittliche.
Amphibolie—Analytik
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Amphibolie: Zweideutigkeit, Verwechslung. K a n t bezeichnet die L e i b n i z unterlaufene Verwechslung der reinen V e r s t a n d s o b j e k t e mit den Erscheinungen als eine transzendentale Amphibolie. So habe L e i b n i z in seinem Prinzip der „Einheit des nicht zu Unterscheidenden" Einerleiheit im Begriffe mit Einheit des G e g e n s t a n d e s verwechselt. Aber zwei Wasserstropfen, die begrifflich völlig gleich sind, sind doch zwei numerisch verschiedene G e g e n s t ä n d e im Raum, in dem sie existieren. Anästhesie: Unempfindlichkeit, Gefühllosigkeit. analog: entsprechend, in bestimmter Beziehung gleich. Analogie: Ähnlichkeit, Übereinstimmung in bestimmten Verhältnissen; nach K a n t : eine vollkommene Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen. Analogien der Erfahrung: bei K a n t Verstandesregeln, nach denen „aus W a h r n e h m u n g e n Einheit der E r f a h r u n g entspringen soll"; ihr allgemeiner G r u n d s a t z ist: „Alle Erf a h r u n g e n stehen ihrem Dasein nach a priori unter Regeln der Bestimmung ihres Verhältnisses untereinander in der Zeit." Die drei Analogien lauten: 1. G r u n d s a t z der Beharrlichkeit: „Bei allem Wechsel der Erscheinungen b e h a r r e t die Substanz, und das Q u a n t u m derselben wird in der Nat u r w e d e r vermehrt noch vermindert." 2. G r u n d s a t z der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität: „Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der V e r k n ü p f u n g der Ursache und W i r k u n g . " 3. G r u n d s a t z des Zugleichseins nach dem Gesetze der W e c h s e l w i r k u n g oder G e m e i n s c h a f t : „Alle Substanzen, sofern sie im Räume als zugleich w a h r g e n o m m e n werden k ö n n e n , sind in d u r c h g ä n g i g e r Wechselw i r k u n g . " Diese drei G r u n d s ä t z e bedingen d e n ' Z u s a m m e n hang aller Erscheinungen in der Einheit der Natur. Analogieschluß: ein Schluß aus der Übereinstimmung o d e r Ähnlichkeit von G e g e n s t ä n d e n in einigen P u n k t e n auf ein gleiches oder ähnliches Verhalten auch in anderen P u n k t e n . So wird von der Tatsache der Beseelung der Menschen und der Ähnlichkeit von Menschen und Tieren auf die Beseeltheit auch der Tierwelt geschlossen. Mit abn e h m e n d e m G r a d e der Ähnlichkeit wird der Schluß immer unsicherer. Analogon: etwas Entsprechendes, Ähnliches. Analyse: Auflösung, Z e r l e g u n g eines Z u s a m m e n g e s e t z ten in seine Bestandteile. Analytik: bei A r i s t o t e l e s die Kunst der G e d a n k e n z e r -
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analytisch—Anaxagaros
legung; sein logisches Grundwerk, die Lehre vom Schließen und Beweisen, nannte A r i s t o t e l e s Analytik, Zergliederung des Denkens. Die „transzendentale Analytik" des Kantischen Kritizismus ist die „Zergliederung unseres gesamten Erkenntnisses a priori in die Elemente der reinen Verstandeserkenntnis". Diese apriorischen Elemente sind die Begriffe (Kategorien) und Grundsätze des reinen Verstandes, die aller Erkenntnis zugrunde liegen. analytisch: auflösend, zergliedernd. Analytische Definitionen erklären den Begriff durch logische Zerlegung in seine Merkmale. Analytische Urteile sind nach K a n t solche Urteile, bei denen das Prädikat schon im Subjektsbegriffe enthalten ist, also durch Zergliederung des Subjekts gefunden wird. Analytische Urteile sind also bloße Erläuterungsurteile, weil sie uns nur Prädikate geben, die im Subjekt schon gedacht waren. Ein solches Urteil ist der Satz: alle Körper sind ausgedehnt; denn Körper sein, heißt im Räume sein, also ausgedehnt sein. Analytische Urteile setzen die Gültigkeit des Satzes des Widerspruchs voraus. — Die analytische Methode ist allgemein das Verfahren, das als Ganzes angenommene Untersuchungsobjekt in seine Bestandteile zu zerlegen. Das wichtigste Hilfsmittel des analytischen Verfahrens ist das Experiment. K a n t nennt seine in den Prolegomenen befolgte Methode analytisch (regressiv), indem er „von dem, was gesucht wird, als ob es gegeben sei, ausgeht und zu den Bedingungen aufsteigt, unter denen es allein möglich". [Vgl. synthetisch.] Anamnese (Anamnesis): Wiedererinnerung. P l a t o führt die Erkenntnis der Ideen auf die Anamnese zurück: die menschliche' Seele hat im Zustande der Präexistenz in der übersinnlichen Welt die Ideen geschaut und erinnert sich jetzt beim Anblick der einzelnen Erscheinungen an ihre einst geschauten Urbilder, die Ideen; alles Lernen ist also Wiedererinnerung. Auch Begriff der Medizin. Anarchismus: Gesellschaftsordnung vollkommener Herrschaftslosigkeit bei größter Autonomie der Individuen, die insbesondere den Staat verneint. Wichtige Vertreter Bakunin, Elisée, Reclus u. a. Die neueste Phase des europäischen Anarchismus ist der revolutionäre Syndikalismus. Anaxagaros: um 500 v. Chr. in Klazomenä geboren. Anaxagaros spielt im Geistesleben Athens eine hervorragende Rolle. Euripides ist von seinen Ideen stark beeinflußt. „Und alles, was sich da mischte und absonderte und voneinander
Anaximander—animalisch
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schied, kannte der Geist (6 vous). U n d alles ordnete der Geist an (vcüs TravTa 8i6k6ctht|CT£v), wie es in Z u k u n f t werden soll, wie es vordem war und wie es g e g e n w ä r t i g ist" (Diels, V o r s o k r a t i k e r ) . Anaximander (600 v. C h r . ) : unter den ionischen Naturphilosophen der bedeutendste. Er setzte als Urprinzip des Seins t 6 cntEipov: das U n b e g r e n z t e , das Unendliche, das Unbestimmte. Aus dem Apeiron, das der unmittelbaren sinnlichen W a h r n e h m u n g unzugänglich ist, entsteht die Welt der unterscheidbaren Dinge durch Ausscheidung in G e g e n sätzen. • angeboren: im wörtlichen Sinne: mit der G e b u r t vorhand e n ; im weiteren Sinne: nur als Anlage vorhanden. Man verstand P i a t o s Lehre von der Anamnese falsch im Sinne a n g e b o r e n e r Begriffe und W a h r h e i t e n . Auch C i c e r o spricht von notiones innatae, a n g e b o r e n e n Begriffen, wie dem G o t t e s b e g r i f f . D e s c a r t e s gründet die w a h r e Erkenntnis auf ideae innatae (eigentlich „ e i n g e b o r e n e " Ideen), aber er versteht unter diesem Angeborensein nicht ein psychologisches, sondern ein logisches Z u g e h ö r e n zu der G r u n d a u s r ü s t u n g unseres Geistes, w o d u r c h ein Erkennen durch die bloße Vernunft möglich wird. So erklärt er die ganze M a t h e m a t i k f ü r angeboren, d. h. auf Vernunft, nicht auf S i n n e s w a h r n e h m u n g g e g r ü n d e t . Ähnlich nimmt L e i b n i z nur ein potentielles oder virtuelles Angeborensein der Anlage nach an, das sich dann erst in der Erkenntnis entfaltet. Auch K a n t kennt keine angeborenen Vorstellungen, sondern schließt sich L o c k e an, der schon 1690 in seinem „Versuch ü b e r den menschlichen V e r s t a n d " das psychologische Angeborensein als unhaltbar zurückgewiesen hat. Eine Art Vermittlung zeigt H e r b e r t S p e n c e r : es gibt in den Individuen durch V e r e r b u n g Angeborenes, das aber von der G a t t u n g empirisch e r w o r b e n ist. [Vgl. a priori.] angenehm: das, was den Sinnen in der E m p f i n d u n g gefällt. Es unterscheidet sich grundsätzlich vom Guten und vom S c h ö n e n ; denn es ist pathologisch bedingt und bloß auf die Person des Urteilenden beschränkt. T r i e b f e d e r der Begierden (Kant, Kritik der Urteilskraft). Ängleichung: Ein Prinzip der Massenpsychologie, nach welchem der Einzelne sich dem D e n k e n der Mehrheit anpaßt und deren M e i n u n g zu der seinigen zu machen strebt. animalisch: den Tieren eigentümlich. Man unterscheidet animalische und vegetative Funktionen. Diese dienen der
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Animismus—Anschauung
E r n ä h r u n g und dem W a c h s t u m , jene der E m p f i n d u n g und Bewegung. Animismus: 1. Glaube an die Beseeltheit der N a t u r und der N a t u r k r ä f t e ; als Seelenglaube die Auffassung der primitiven Weltanschauung, daß ein selbsttätiges Wesen den Körper des Menschen b e w o h n e , und A u s d e h n u n g dieses Seelenglaubens auf Geister in der N a t u r ; 2. Lehre, daß die Seele das Prinzip des Lebens ist. Anlage: Eine in den Keimzellen vorgebildete, noch unentwickelte potentielle Funktion des O r g a n i s m u s , die die k ü n f t i g e Entwicklung bestimmt. Anomalie: Abweichung von einer Regel o d e r einem Gesetz. Anpassung: 1. b i o l o g i s c h : die Gestaltung eines Lebewesens, insofern als sie sich in Rücksicht auf die g e g e b e n e n Lebensbedingungen der U m g e b u n g und im Einklang mit diesen aktiv vollzieht; 2. l o g i s c h : A n p a s s u n g der Gedanken an die Tatsachen. Diese G e d a n k e n a n p a s s u n g vollzieht sich u n b e w u ß t und unwillkürlich in der E r f a h r u n g der sinnlichen Tatsachen und absichtlich in den M e t h o d e n wissenschaftlicher F o r s c h u n g (so E r n s t M a c h ) . anschaulich: unmittelbar, k o n k r e t wirklich oder phantasiemäßig g e g e b e n , zugleich in G e g e n s a t z zum a b s t r a k t und begrifflich Gedachten. Anschauung: das unmittelbare G e w a h r w e r d e n , Innewerden, Erfassen eines äußeren Gegenständlichen o d e r eines inneren V o r g a n g s oder Z u s t a n d e s . K a n t : „Vermittelst der Sinnlichkeit also werden uns G e g e n s t ä n d e g e g e b e n , und sie allein liefert uns A n s c h a u u n g e n ; durch den Verstand aber w e r d e n sie g e d a c h t und von ihm entspringen B e g r i f f e . " Alles Denken bezieht sich auf Anschauungen. Die empirische A n s c h a u u n g bezieht sich immer auf wirklich g e g e b e n e G e g e n s t ä n d e der Sinne oder Empfindungen. Aber die empirische A n s c h a u u n g ist nur durch die reine Anschauung des Raumes und der Zeit möglich. Raum und Zeit sind Anschauungsformen a priori, sind selbst „reine Anschauungen", die der empirischen z u g r u n d e liegen. — Eine „intellektuelle" Anschauung bedeutet eine übersinnliche E r f a s s u n g des absoluten Wesens der Dinge, eine rein geistige A n s c h a u u n g ohne Vermittlung der E r f a h r u n g s e r kenntnis. Nach K a n t ist diese intellektuelle Anschauung eine ursprüngliche, schöpferische Anschauung, durch die das Dasein der Dinge unmittelbar g e g e b e n wird, die als
Anschauungsformen—Anthropologie
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solche allein dem Urwesen, niemals aber einem seinem Dasein sowohl als seiner Anschauung nach abhängigen Wesen z u k o m m e n kann. F i c h t e : „Dieses dem Philosophen ang e m u t e t e Anschauen seiner selbst im Vollziehen des Aktes, wodurch ihm das Ich entsteht, nenne ich i n t e l l e k t u e l l e A n s c h a u u n g . Sie ist das unmittelbare Bewußtsein, daß ich handle und was ich h a n d l e : sie ist das, w o d u r c h ich etw a s weiß, weil ich es t u e . " Solches V e r m ö g e n der intellektuellen Anschauung läßt sich nicht durch Begriffe d e m o n strieren, jeder muß es unmittelbar in sich selbst finden. S c h e l l in g sieht in der intellektuellen Anschauung ein geheimes w u n d e r b a r e s V e r m ö g e n , „uns aus dem Wechsel der Zeit in unser innerstes, von allem, w a s von außen her hinzukam, entkleidetes Selbst zurückzuziehen und da unter der Form der U n w a n d e l b a r k e i t das Ewige a n z u s c h a u e n . " S c h o p e n h a u e r nennt unsere empirische Anschauung in erkenntnistheoretischem Sinne intellektual, weil diese Anschauung nur durch A n w e n d u n g der V e r s t a n d e s f u n k t i o n der Kausalität auf die Sinnesempfindung zustande k o m m t . [Vgl. W e s e n : Wesenschauung, Phänomenologie.] Anschauungsformen: die sinnlichen Anschauungen vollziehen sich in den F o r m e n Raum und Zeit, die nach Kant nicht selbst etwas Sinnliches sind, sondern als O r d n u n g s formen der E m p f i n d u n g e n a priori g e g e b e n sind. Anselm von Canterbury (1033—1109): Sein credo, ut intelligam b e s a g t : Der Glaube muß der Erkenntnis vorausgehen, er muß zu ihr hinstreben. Anselm ist Realist: die Sinne e r k e n n e n das Einzelne, der Geist das Allgemeine, das etwas Wirkliches ist. Von Anselm von C a n t e r b u r y stammt der ontologische Beweis f ü r das Dasein Gottes. [Vgl. Gottesbeweis, ontologischer.] an sich: f ü r sich selbst betrachtet, u n a b h ä n g i g vom w a h r n e h m e n d e n Subjekt. Antagonismus: Widerstreit. Antecedenz: das V o r h e r g e h e n d e , im Geschehen die Ursache, im Urteil das Subjekt, im Beweis der Beweisgrund, im Schluß der O b e r s a t z . [Vgl. Konsequenz.] Anthropismus: Vermenschlichung (siehe A n t h r o p o m o r phismus). Anthropogenie: Entwicklungsgeschichte des Menschen. Anthropolatrie: Vergöttlichung des Menschen. Anthropologie: Wissenschaft von Menschen, b e s o n d e r s vom naturwissenschaftlichen S t a n d p u n k t e aus. F r i e s grünA p e 1, philosophisches Wörterbuch
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Anthropologismus—Antinomie
det die Erkenntnis auf eine philosophische o d e r psychische Anthropologie. F e u e r b a c h : Alle Theologie ist Anthropologie, denn der Mensch erzeugt selbst den Begriff Gottes aus dem Bedürfnis des eigenen H e r z e n s ; alle Religion ist Selbstvergötterung des Menschen. „Die neue Philosophie macht den Menschen mit Einschluß der N a t u r als seiner Basis zum höchsten und alleinigen G e g e n s t a n d e der Philosophie und demnach die Anthropologie zur Universalwissenschaft." In der neuesten Philosophie wird die A. besonders f o r t g e f ü h r t , erneuert und entwickelt von S c h e l e r , im Anschluß an diesen von G e h l e n , P l e ß n e r u. a. Anthropologismus: Z u r ü c k f ü h r u n g auf Anthropologie. Anthropomorphismus: Vermenschlichung, Betrachtung vom S t a n d p u n k t e des Menschen aus, D e u t u n g in Analogie zur menschlichen Natur. Alle Wirklichkeit, Erkenntnis, W e r t u n g wird dabei vom menschlichen Wesen aus beurteilt und abgeleitet. Der religiöse A n t h r o p o m o r p h i s m u s d e n k t die Gottesvorstellung nach dem Menschenbilde, vermenschlicht die G ö t t e r . D a g e g e n schon X e n o p h a n e s (um 550 v. C h r . ) : „Gott ist Menschen nicht ähnlich, weder an Gestalt noch an G e d a n k e n . " G o e t h e : „Der Mensch begreift niemals, wie anthropomorphistisch er ist." Anthroposophie: Weisheit vom Menschen; die „Geistw i s s e n s c h a f t " R u d o l f S t e i n e r s , die durch innere Schauungen ein Wissen vom Übersinnlichen erlangen will und auf dem W e g e methodischer Schulung das übersinnliche Wesen des Menschen und der Welt zu erkennen vorgibt. Entstanden ist die anthroposophische B e w e g u n g aus der T h e o s o p h i e . [Vgl. Theosophie.] anthropozentrisch: auf den Menschen als Mittelpunkt b e z o g e n . Die anthropozentrische W e l t a n s c h a u u n g sieht im Menschen Z w e c k und Ziel aller Wirklichkeit: Die Kirschen reifen im S o m m e r , damit der Mensch seinen Durst stillen kann, antike Philosophie: griechische Philosophie. Antilogie: Widerspruch, Widerstreit der G r ü n d e , antilogisch: in sich widersprechend. Antinomie: Widerstreit zweier e n t g e g e n g e s e t z t e r Sätze, von denen keiner als u n w a h r widerlegt werden kann. K a n t versteht unter Antinomien „Widersprüche, in die sich die V e r n u n f t bei ihrem Streben, das Ü n b e d i n g t e zu denken, mit N o t w e n d i g k e i t verwickelt, Widersprüche der Vernunft mit sich selbst". Es gibt vier solcher Antinomien: 1. Die
Antipsychologismus—Antithetik
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Welt hat einen Anfang in der Zeit und ist dem R ä u m e nach in Grenzen eingeschlossen. — Die Welt ist s o w o h l in A n s e h u n g der Zeit als des Raumes unendlich. 2. Eine jede zusammengesetzte Substanz in der Welt besteht aus einfachen Teilen. — Es existiert ü b e r h a u p t nichts Einfaches in der Welt. 3. Es gibt Willensfreiheit. — Alles in der Welt geschieht lediglich nach Gesetzen der Natur. 4. Es gibt ein schlechthin n o t w e n d i g e s Wesen. — Es existiert kein schlechthin notwendiges Wesen, w e d e r in der Welt noch außer der Welt, als ihre Ursache. Diesen Widerstreit zwischen Thesis (Satz) und Antithesis (Gegensatz) löst K a n t dadurch, daß er zeigt, wie beide Sätze ü b e r die E r f a h r u n g hinausgreifen. (Durch seine Unterscheidung von „ D i n g an s i c h " und Erscheinung, indem er die Erkenntnis auf die E r f a h r u n g begrenzt und ihre Gültigkeit f ü r das Ding an sich leugnet). Den beiden ersten Antinomien liegt ein widersprechender Begriff zugrunde, da sie von der Welt als einem g e g e b e n e n Dinge an sich sprechen und doch auf ihn Raum und Zeit anwenden, die nur f ü r die Erscheinungen Gültigkeit besitzen. D a h e r sind bei beiden Antinomien sowohl Thesis wie Antithesis falsch. Bei der dritten und vierten Antinomie können Thesis und Antithesis alle beide w a h r sein, wenn man die Thesis auf Dinge an sich und die Antithesis auf Erscheinungen bezieht. [Vgl. „intelligibeler C h a r a k t e r " . ] Antipsychologismus: eine Richtung der Erkenntnistheorie, die bestreitet, daß die logische Gültigkeit des wissenschaftlichen E r k e n n e n s durch eine psychologische Untersuchung des U r s p r u n g s und der Entwicklung der D e n k prozesse b e g r ü n d e t werden kann. Hauptsächlich von Husserl und seiner phaenomenologischen Schule gegen Sigwart geltend gemacht. Antisthenes (444—366 v. C h r . ) : griech. Philosoph, Stifter der kynischen Philosophenschule. Als Philosophie gilt ihm einzig die Ethik. Ziel des Weisen ist die Glückseligkeit. Zu ihr f ü h r t nicht Wissen, sondern allein die T u g e n d . T u g e n d ist f ü r Antisthenes Bedürfnislosigkeit. Die Volksreligion verwarf er zugunsten eines reinen Monotheismus. Antithese, Antithesis: Gegensatz, Verneinung einer Behauptung. Antithetik: bei K a n t Widerstreit der dem Scheine nach dogmatischen Erkenntnisse, die gleiches Recht beanspru2*
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Antizipation—Aphasie
chen. Die transzendentale Antithetik ist eine U n t e r s u c h u n g ü b e r die Antinomik der V e r n u n f t . Antizipation: V o r w e g n ä h m e . K a n t : „Man kann alle Erkenntnis, w o d u r c h ich dasjenige, was zur empirischen Erkenntnis g e h ö r t , a priori e r k e n n e n und bestimmen kann, eine Antizipation n e n n e n . " So kann man die reinen Bestimm u n g e n im Räume und in der Zeit Antizipationen der Erscheinungen nennen, weil sie dasjenige a priori vorstellen, was auch immer a posteriori in der E r f a h r u n g g e g e b e n werden mag. Die E m p f i n d u n g selbst kann nicht antizipiert w e r d e n , sondern ist immer empirisch, in der W a h r n e h m u n g a posteriori g e g e b e n . Aber es gibt doch auch Antizipationen der W a h r n e h m u n g , denn die Eigenschaft aller Empfindungen, daß sie eine intensive G r ö ß e , einen G r a d haben, kann a priori erkannt, also antizipiert w e r d e n . Aoristie: Prinzip der älteren Skeptiker, nach dem alles u n g e w i ß und unentschieden ist. A p a g o g e : bei A r i s t o t e l e s ein Schluß aus einem gültigen O b e r s a t z und einem Untersatz, dessen Gültigkeit zwar nicht sicher, aber mindestens e b e n s o g e w i ß ist wie die Folgerung. apagogisch: ein apagogischer Beweis besteht in dem indirekten Beweisverfahren, daß ein Satz durch Widerleg u n g seines kontradiktorischen Gegenteils erwiesen wird. Apathie: Unempfindlichkeit, Gefühllosigkeit. Die stoische Philosophie fordert vom Weisen völlige Ausschaltung der Gefühle, Freiheit von den Leidenschaften, die als unv e r n ü n f t i g zu b e k ä m p f e n sind, um dadurch Freiheit von Leiden zu gewinnen. Apeiron: das U n b e g r e n z t e , Unendliche. Aus einem unbegrenzten Urstoff, dem Apeiron ( t o corsipov), läßt A n a x i m a n d e r (um 600 v . C h r . ) alle Dinge durch Ausscheidung hervorgehen. Aperçu: geistreiche B e o b a c h t u n g in formvollendeter Art, z. B. bei G o e t h e die Erkenntnis der U r p h a e n o m e n e . Aphasie: Sprachlosigkeit. 1. Die Skeptiker lehrten eine Aphasie als E n t h a l t u n g von Urteilen und Aussagen über die Dinge, da eine bestimmte und sichere Erkenntnis unmöglich sei. 2. P a t h o l o g i s c h : Sprechstörungen. Die motorische Aphasie besteht in einer A u f h e b u n g der Sprechfähigkeit, die sensorische Aphasie ist die W o r t t a u b h e i t , der Kranke versteht auch bei nicht gestörtem G e h ö r nicht das zu ihm Gesprochene.
Apodeiktik—Apprehension
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Apodeiktik: Die Lehre von der Gewißheit der Erkenntnis ( A r i s t o t e l e s ) . apodiktisch: unbedingt geltend, n o t w e n d i g , schlechthin gewiß, unwiderleglich. Das apodiktische Urteil drückt logische N o t w e n d i g k e i t a u s : S muß n o t w e n d i g P sein. Apologet: Verteidiger einer L e h r e ; insbesondere nennt man so die Verteidiger des Christentums gegen die Angriffe und V o r w ü r f e von seiten heidnischer Schriftsteller im 2. und 3. J a h r h u n d e r t n . C h r . A p o l o g e t e n : J u s t i n der Märtyrer, I r e n a u s , T e r t u l l i a n , M i n u c i u s F e l i x u . a . Apologie: Verteidigung. Apologie des Sokrates durch Piaton in dem so benannten Dialog. Aporem: logische Schwierigkeit. Aporetiker: Zweifler, Skeptiker. Aporie: im G e g e n s t a n d des D e n k e n s b e g r ü n d e t e r logischer Zweifel, Denkschwierigkeit, Einwand. a posteriori: wörtlich: vom Späteren h e r ; in der mittelalterlichen, scholastischen, auf A r i s t o t e l e s zurückgehenden P h i l o s o p h i e : E r k e n n t n i s aus den W i r k u n g e n . Bei K a n t : durch E r f a h r u n g g e g e b e n , auf E r f a h r u n g b e r u h e n d ; Erkenntnisse a posteriori sind empirische Erkenntnisse, die ihre Quelle in der E r f a h r u n g haben. Die E m p f i n d u n g e n sind a posteriori g e g e b e n . [Vgl. a priori.] Apperzeption: A u f f a s s u n g ; die mit A u f m e r k s a m k e i t verb u n d e n e A u f n a h m e eines Vorstellungsinhaltes ins Bewußtsein. Bei L e i b n i z : E r h e b u n g einer Vorstellung ins Selbstbewußtsein. K a n t versteht unter empirischer Apperzeption „das Bewußtsein seiner selbst nach den Bestimmungen unseres Z u s t a n d e s bei der inneren W a h r n e h m u n g " , also eine psychische T ä t i g k e i t . Aber allem empirischen Bewußtsein liegt die reine, transzendentale Apperzeption (das „Ich d e n k e " ) z u g r u n d e als höchste Einheitsfunktion f ü r alle apriorischen E r k e n n t n i s b e d i n g u n g e n und damit f ü r alle Erkenntnis. Bei H e r b a r t : A u f n a h m e und A n e i g n u n g neuer Vorstellungen durch Angliederung an die schon vorhandenen. F ü r W u n d t ist die Apperzeption eine innere Willensh a n d l u n g der Seele, die H e r a u s h e b u n g einzelner Eindrücke aus dem Blickfelde in den engeren Blickpunkt des Bewußtseins. apperzipieren: eine Vorstellung klar und deutlich ins Bewußtsein a u f n e h m e n . Apprehension: A u f f a s s u n g eines Bewußtseinsinhalts; K a n t versteht unter Synthesis der Apprehension die Zu-
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a priori—Apriorismus
sammenfassung des in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen zur Einheit der Anschauung. Auch die Vorstellungen des Raumes und der Zeit werden durch solche Synthesis der Apprehension erzeugt. a priori: vom Früheren her; in der mittelalterlichen Philosophie bedeutet a priori eine Erkenntnis aus den Ursachen oder Gründen. In der neueren Philosophie ( H u m e , L e i b n i z ) bezeichnete man die begriffliche Erkenntnis als a priori im Gegensatz zur Erfahrungserkenntnis a posteriori. K a n t versteht unter dem a priori dasjenige in unserer Erkenntnis, was unabhängig von der Erfahrung und von allen Sinneseindrücken möglicher Ursprung von Erkenntnissen ist. Notwendigkeit und strenge Allgemeingültigkeit sind die sicheren Kennzeichen einer Erkenntnis a priori, denn Erfahrung gibt nur zufällige und besondere Erkenntnisse. Nehmen wir aus unseren Erfahrungserkenntnissen alles weg, was den Sinnen angehört, so bleiben gewisse ursprüngliche, apriorische Anschauungsformen und Begriffe und aus ihnen erzeugte Urteile übrig. Solche sind die Anschauungsformen Raum und Zeit, die aller sinnlichen Erkenntnis zugrunde liegen, und die reinen Verstandesbegriffe, die Kategorien, die sich als Handlungen des reinen Denkens a priori auf Gegenstände beziehen und so als Bedingungen a priori aller Erkenntnis von Gegenständen zugrunde liegen. Urteile a priori sind die mathematischen Sätze und die Grundsätze des reinen Verstandes, wie z. B. das Kausalgesetz „alles, was geschieht, hat eine U r s a c h e " . Der Begriff a priori darf nicht psychologisch als angeboren mißverstanden werden. „Der Zeit nach geht also keine Erkenntnis in uns vor der Erfahrung vorher, und mit dieser fängt alle a n " ; aber die apriorischen Begriffe und Sätze haben eine von der Erfahrung unabhängige notwendige und allgemeine G e l t u n g . — H e r b e r t S p e n c e r nimmt Grundbegriffe an, wie Materie, Bewegung, Raum, Zeit, die für das Individuum apriorisch geworden sind, also durch Vererbung angeboren, aber von der Gattung empirisch erworben wurden. [Vgl. angeboren, Rationalismus.] Apriorismus: 1. erkenntnistheoretisch die Lehre vom a priori als Grundlage der Erkenntnis; 2. ethisch die Lehre von der Begründung des Sittlichen auf Vernunft; als formaler Apriorismus die Ethik K a n t s : „Reine Vernunft ist für sich allein praktisch und gibt (dem Menschen) ein allgemeines Gesetz, welches wir das S i t t e n g e s e t z nennen."
arabische (islamitische) Philosophie—Argutien
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arabische (islamitische) Philosophie: Bei den Arabern (besonders am H o f e der Abbassiden zu Bagdad) reges Interesse f ü r die naturwissenschaftlichen und metaphysischen Schriften des Aristoteles. Ihre Philosophie ist Aristotelismus. Sie übermitteln die Schriften des Aristoteles an die Scholastiker. H a u p t v e r t r e t e r der arabischen Philosophie: AI Kendi (gest. um 880), Alfarabi (gest. um 950), Avicenna (980—1037), Algazel (gest. um 1100), Avempace (gest. 1138), Averroes (1126—1198). (Siehe De Boer, Geschichte der Philosophie im Islam.) Arbeit: „jede einen äußeren Effekt auslösende Betätig u n g körperlicher o d e r geistiger K r a f t " — gleichgültig, o b die Betätigung z w e c k b e w u ß t (Mensch) oder u n b e w u ß t (Tier) o d e r mechanisch ist. In der P h y s i k : Arbeit = Kraft mal W e g (in Richtung der Kraft). In der N a t i o n a l ö k o n o m i e : wirtschaftliche Arbeit ist jede auf B e d a r f s d e c k u n g oder Erw e r b gerichtete z w e c k m ä ß i g e Betätigung des Menschen. Arbeitshypothese: nur als vorläufig a n g e n o m m e n e Hypothese, die f ü r die F o r s c h u n g f r u c h t b a r ist, indem sie ihr A n r e g u n g zu weiterem F r a g e n und Suchen in bestimmter Richtung gibt, eine p r o b e w e i s e Annahme, die Hilfsmittel der induktiven F o r s c h u n g ist. Arbeitsteilung: Teilung der menschlichen Arbeit in Teilf u n k t i o n e n und Ü b e r n a h m e derselben von besonderen Arbeitern, damit durch zweckmäßiges Ineinandergreifen die g r ö ß t e G e s a m t w i r k u n g erzielt wird. Jede Arbeitsteilung setzt einen sinnvollen Z u s a m m e n h a n g der einzelnen Funktionen in und zu einem Ganzen voraus. arbitrium liberum: Willensfreiheit, Wahlfreiheit. Archetyp: Urbild, Muster. — In der analytischen Psychologie von C. G. J u n g werden die in der u n b e w u ß t e n Region der Seele liegenden Kollektivbilder als Archetypen bezeichnet. — [Vgl. Ectypus.] Archeus: ( H e r r s c h e r ) ; bei P a r a c e l s u s das jedem Wesen i n n e w o h n e n d e Lebensprinzip. Archigonie: U r z e u g u n g . Architektonik: Baukunst. K a n t : Kunst der Systeme, in systematischer Einheit wissenschaftliche Erkenntnisse zu einem zweckvollen Ganzen zusammenzufassen. Argument: Beweisgrund. Argumentation: B e w e i s f ü h r u n g . argumentieren: beweisen, b e g r ü n d e n . Argutien: Spitzfindigkeiten.
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Aristarch von Samos—Aristoteles
Aristarch von Samos (250 v. C h r . ) : griechischer Astronom, der die B e w e g u n g der Erde um ihre Achse und in einer K r e i s b e w e g u n g um die Sonne lehrte. Seine Schriften sind verloren bis auf eine kleine: „Von der G r ö ß e und den Entfernungen der Sonne und des M o n d e s " . Aristipp von Kyrene (435—355 v. C h r . ) : G r ü n d e r der Kyrenaischen Schule. Die Physik und die Logik treten bei ihm hinter der E t h i k zurück. A u s g a n g s p u n k t derselben die Lust- und Unlustgefühle des einzelnen (Hedoniker). „ T u g e n d ist G e n u ß f ä h i g k e i t " . H e r r s c h a f t über den G e n u ß . „Ich suche mir die Dinge zu u n t e r w e r f e n , statt mich ihnen". Aristoteles (384—322 v. C h r . ) : g e b o r e n in Stagira in Mazedonien (daher der Stagirite), w a r Arzt und ein Schüler des Plato. Er war der Erzieher Alexanders des G r o ß e n . Er g r ü n d e t e im Lykeion in Athen seine eigene philosophische Schule: die peripatetische. Der N a m e s t a m m t teils von den L a u b e n g ä n g e n (Peripatoi) des G y m n a s i u m s , teils von der A n g e w o h n h e i t des Aristoteles, im Auf- und A b g e h e n (TTEprrraTEiv ) zu lehren. Zwischen Alexander und Aristoteles kam e,s zum Z e r w ü r f n i s , weil Aristoteles dem König geg e n ü b e r seine nationalhellenische Gesinnung zu s t a r k betonte. In Athen stieß er als F r e u n d der M a k e d o n e n auf Mißtrauen und w u r d e schließlich wohl aus diesem G r u n d e d e r G o t t l o s i g k e i t (der Asebie) a n g e k l a g t . Aristoteles verließ Athen, um den Athenern nicht zum zweiten Mal G e l e g e n heit zu geben, sich an der Philosophie zu versündigen, und b e g a b sich nach Chalkis auf Euböa, w o er 322 an einem Magenleiden starb. — Seine Schriften teilt man ein in exoterische und esoterische. Die exoterischen (zumeist in Dialogform verfaßt) w e n d e n sich an ein weiteres P u b l i k u m , w ä h r e n d die esoterischen die s t r e n g wissenschaftlichen sind. Ein weiterer Titel findet sich: Die akroamatischen Schriften. Sie enthalten die A u s a r b e i t u n g e n mündlicher V o r t r ä g e . Die uns erhaltenen Lehrschriften umfassen das g e s a m t e Gebiet des menschlichen Wissens mit A u s n a h m e der M a t h e m a t i k . Das Auslassen der M a t h e m a t i k ist bezeichnend f ü r das hauptsächlich am organischen Leben orientierte D e n k e n des A.; es erklärt auch das Mißverhältnis zu Piatos Ideenlehre. Neben der Metaphysik hat Aristoteles m e h r e r e logische Schriften verfaßt, ferner eine ü b e r Rhetorik. Zahlreiche Schriften beziehen sich auf die N a t u r w i s s e n s c h a f t e n . Dazu rechnet auch seine Psychologie. Drei Ethiken gehen unter seinem Namen, von denen die Nikomachische von ihm
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selbst, die Eudemische von seinem Freunde Eudemos verfaßt ist, während die dritte (Magna Moralia) einen Auszug aus den beiden ersten darstellt. Ferner sind von ihm erhalten eine Poetik und eine Politik. — Aristoteles hat ein abgeschlossenes System hinterlassen, das sich stützt auf die Überzeugung, daß sich das Sein auf allen Gebieten der Kultur schon restlos ausgesprochen hat. Überall, in der Metaphysik, der Physik und der Ethik, stoßen wir auf ein völlig abgeschlossenes, für sich bestehendes Sein. In der Natur gibt es von Ewigkeit zu Ewigkeit eine feste Zahl von Gattungen und Arten der Dinge und der Lebewesen. In der Ethik kommt es auf die Wiederholung und die dabei erzielte Gewöhnung an. In der Politik knüpft Aristoteles an die bestehenden Verhältnisse an, auch in der Überzeugung, daß auf diesem Gebiete Neues sich nicht bilden könne. — Plato hatte mit der Methode der Hypothesis auf die Problematik alles Wissens und Seins hingewiesen. In ihr entstand und bestand die objektive Natur. Diese Hypothesis (Grundlegung) wird bei Aristoteles wieder zum Hypokeimenon (zur Grundlage). Er tadelt es an Plato, daß er die Ideen von den Dingen trenne. Aus dem Teilhaben der Erscheinungen am Sein der Ideen folgert er sowohl für die Ideen als auch für die Dinge gesonderte Existenz. Wenn einerseits die sinnliche Erscheinung des einzelnen Menschen, andererseits die Idee der Menschheit vorhanden ist, so soll das die Teilhabe vermittelnde Dritte der Mensch sein. Aristoteles übersieht dabei, daß die Unterscheidung von Idee und Erscheinung keine Trennung in substantieller Hinsicht bedeutet, sondern lediglich eine Trennung des Einzelfalles vom Gesetz. Aristoteles betont demgegenüber: Die Ideen sind nicht von den Dingen getrennt, sondern in ihnen mit ihrem fertigen, abgeschlossenen Dasein. Vom einzelnen, an sich seienden Ding geht Aristoteles aus. Das einzelne (t66s t i ) ist das Seiende, die Substanz. Der Widerspruch zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen wird der Logik wie der Metaphysik des Aristoteles zum Verhängnis. Das Einzelding bringt seine Wesenheit nicht von vornherein mit, sondern verdankt sie dem Begriff,, d. h. dem Allgemeinen. Genau genommen gibt es bei Aristoteles sogar 3 Arten des Substanzbegriffes: 1. den Stoff (zugleich Prinzip der Individuation); 2. die Form oder den Begriff, d . h . das Allgemeine, das sich im Stoff verwirklicht; 3. das Einzelding, d. h. den im Stoff verwirklichten Begriff.
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Aristoteles
Die Materie existiert immer nur in der Form eines bestimmten Begriffes. Aristoteles setzt Materie und Substanz gleich. Dadurch kommt die Materie unter die Kompetenz der Bewegung. Das System des Aristoteles wird von einer Reihe von Gegensatzpaaren getragen. Die wichtigsten sind: Begriff und Materie, Möglichkeit und Wirklichkeit, Stoff und F o r m , Ursache und Zweck. Alle diese Qegensatzpaare sprechen im Grunde denselben Gedanken aus. Die Materie ist in bezug auf den verwirklichten Begriff zunächst reine Möglichkeit. Die Verwirklichung des Begriffs in der Materie geschieht nicht durch die Materie, sondern durch den in ihr angelegten Begriff. Der Same einer Pflanze ist der Möglichkeit nach die Pflanze. Die Verwirklichung geschieht nicht durch die Einwirkung innerer und äußerer kausaler Kräfte, sondern durch den Begriff selbst, der als Süvoojus wirksam ist. Die vollendete Pflanze bildet den Zweck und das Ziel dieser Entwicklung. Da der Begriff den Prozeß des Werdens in G a n g bringt, ist er also Ziel, Zweck und bewegende Ursache zugleich. Das Ganze, d. h. z . B . die Pflanze, ist nach Aristoteles demnach früher als der Anfang. Die Begriffe der Dynamis, der Energie und der Entelechie sollen dies verdeutlichen. Während Dynamis die Möglichkeit der Materie, begrifflich bestimmtes Sein zu werden, bedeutet, begründet sich in der Energie der P r o z e ß der Verwirklichung des Begriffes. Der verwirklichte Begriff ist die Entelechie. — Wenn die neuere Zeit Aristoteles bekämpfte, so richtete sich dieser Kampf gegen die einseitige Lehre vom zugleich begrifflichen und kausalen Charakter des Zweckes, wie sie über anderthalb tausend Jahre von Aristoteles ab die Wissenschaft beherrschte. Der Zweck ist logisches und ontologisches Prinzip der Wirklichkeit. Diese Teleologie hat keinen Zusammenhang mit der Kausalität der Mechanik. Der Zweck als das logische Erste ist gerichtet auf den ersten B e w e g e r oder den göttlichen voüs. Aristoteles macht im Zweck den ersten B e w e g e r zum Prinzip der Bewegung. Das Prinzip der B e w e g u n g wird zur Gottheit. Aristoteles baut die Biologie aus. Sein philosophisches Interesse konzentriert sich auf die Entwicklung. In der Biologie, in der beschreibenden organischen Naturwissenschaft, hat die Zweckmäßigkeit ihre Stelle. Durch die ungeheure Zahl seiner Beobachtungen, durch einen vorbildlichen Tatsachensinn begründete Aristoteles die Forschung im Bereiche der Naturwissenschaf-
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ten bis in die Zeiten des Galilei. Begriffe, Oattungs- und A r t b e g r i f f e sind das e r z e u g e n d e und f o r m g e b e n d e Prinzip. Dabei berücksichtigte er vor allem den teleologischen Gesichtspunkt. W e n n eine Übereinstimmung zwischen F e d e r n , H a a r e n und Schuppen oder zwischen Kiemen und Lungen als Merkmal bestimmter G a t t u n g e n usw. besteht, dann sind diese von der N a t u r zu dem Z w e c k geschaffen, daß es solche G a t t u n g e n und Arten gibt. O h n e diese Übereins t i m m u n g g ä b e es nur Individuen. Der Gattungsbegriff steckt im Individuum. Man muß, g e m ä ß dem aristotelischen Prinzip der Induktion, das Analoge zu einem Individuum an andern aufsuchen, um ihn zu finden. Aristoteles lehrt eine Stufenfolge der Wesen in der Natur, die durch ein einziges Band verbunden sind, in einer Stufenfolge von F o r m e n , von denen jeweils die niedere der höheren gegenüber als Stoff o d e r Potentialität erscheint. — Die Ethik des Aristoteles ist T u g e n d l e h r e . Er unterscheidet zwischen ethischen und dianoetischen T u g e n d e n . Die ethischen e r g e b e n sich aus dem Verhältnis der praktischen Vernunft zum Beg e h r e n , die dianoetischen sind reine D e n k t u g e n d e n wie Weisheit, Verstand und Klugheit. Das Endziel des sittlichen Handelns sieht er in der Glückseligkeit, die nicht gleichbedeutend ist mit der Lust, die er streng abweist. Die höchsten T u g e n d e n f ü r den Menschen sind die dianoetischen. Die praktische T u g e n d ist die rechte Mitte zwischen zwei Extremen. Mut ist die Mitte zwischen Tollkühnheit und Feigheit. Z u r Glückseligkeit gehört jedoch f ü r Aristoteles mehr als ein t u g e n d h a f t e s Leben. Man m u ß gesund, edel g e b o r e n , frei und im Besitze eines gewissen Reichtums sein. — Da er das Wirkliche als vernünftig ansah, m u ß t e Aristoteles die Sklaverei und die U n t e r o r d n u n g der Frau f ü r berechtigt halten und verteidigen. J e d e m k o m m t im Staat nur soviel an politischem Recht und Besitztum zu, als er seiner sittlichen W ü r d e nach verdient. Sklaven, H a n d w e r k e r und Frauen sind daher bei ihm politisch ohne Rechte. — Über die allgemeinen G r u n d b e griffe der Ästhetik ist w e n i g von Aristoteles auf uns gek o m m e n . Schönheit ist ihm nicht nur W o h l g e o r d n e t h e i t , sondern vor allem wird auch hier das richtige Maß betont. Berühmtheit hat vor allem die Definition der T r a g ö d i e erl a n g t : als n a c h a h m e n d e Darstellung einer würdigen und in sich abgeschlossenen H a n d l u n g an einer fest umrissenen A u s d e h n u n g durch das verschönte W o r t , und zwar derart,
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Art—asomatisch
daß die verschiedenen Arten der Verschönerung des Wortes in den verschiedenen Teilen des Ganzen gesondert angewandt werden und die Personen selbsttätig handelnd auftreten und nicht nur von ihnen berichtet wird, so daß dadurch die Affekte Furcht und Mitleid erregt und gereinigt werden. Die Komödie stellt minderwertige Charaktere dar, jedoch nicht direkt schlechte, sondern solche, die durch ihre Häßlichkeit Lachen erregen. Während Aristoteles selbst seine Forschungen als toropfai bezeichnet, wird die Geschichte selbst, wiewohl er den Thukydides kannte, nur gering eingeschätzt. Die Geschichte berichtet nur, was geschehen ist, die Tragödie, was geschehen mußte. Diese Bestimmung bildet gleichsam eine Korrektur zur „nachahmenden Darstellung". Die Tragödie soll typische Charaktere darstellen. Die Entelechie, die das Wesen des Helden ausmacht, bildet den Charakter desselben. Sie ist nicht nur das Gesetz der Entwicklung dieses einzelnen Helden, sondern man muß ihn, um ihn völlig zu bestimmen, als Artbegriff einer Gattung kennen. Zum Individualbegriff Orestes muß der Gattungsbegriff Muttermörder hinzutreten. — L e s s i n g s Konflikt mit der Kunstlehre der Franzosen betraf die Frage der drei Einheiten und der Katharsis, der Reinigung der Affekte bei Aristoteles. Lessing hatte die Erregung von „Schrecken und Mitleid", wie die Franzosen übersetzten, in „Furcht und Mitleid" richtiggestellt. Art: 1. b i o l o g i s c h die unterste Gruppe, die nur noch in Unterarten und Individuen zerfällt; 2. l o g i s c h : der Artbegriff ist einem höheren, dem Gattungsbegriff, untergeordnet, kann aber selbst wieder Gattungsbegriff der ihm untergeordneten Arten sein. — Die moderne Biologie nimmt an, daß unter dem Einfluß äußerer Faktoren (Kampf ums Dasein usw.) eine allmähliche Wandlung der A. eintritt. Asebie: Gottlosigkeit. Aseität: wörtlich: das Von-sich-aus-sein; unbedingte Selbständigkeit, Unabhängigkeit, Allgenügsamkeit, z. B. Gottes (bei den Scholastikern), der Substanz ( S p i n o z a ) , des Willens ( S c h o p e n h a u e r ) . Askese: Übung; enthaltsame, bis zur Abtötung aller sinnlichen Begierden gehende Lebensweise als Mittel zur Läuterung der Seele. asomatisch: unkörperlich; a. sind nach der Lehre der Stoiker nur das Leere, die Zeit und die Denkobjekte.
assertorisch—Astrologie
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assertorisch: b e h a u p t e n d ; ein assertorisches Urteil hat die F o r m einer einfachen B e h a u p t u n g : S ist P, S ist nicht P. Assimilation: Verähnlichung, Angleichung, U m w a n d l u n g ; 1. b i o l o g i s c h : Stoffwechselprozeß, der in einer A u f n a h m e und U m w a n d l u n g der N a h r u n g in lebende Substanz bes t e h t ; 2. p s y c h o l o g i s c h : der Vorgang, daß durch Assoziation zu einem E m p f i n d u n g s k o m p l e x ältere Vorstellungen hinzutreten und mit ihm zu einer u n t r e n n b a r e n Einheit verschmelzen ( W u n d t ) . Assoziation: Vergesellschaftung, V e r k n ü p f u n g der Vorstellungen, s o d a ß eine Vorstellung, wenn sie g e w e c k t wird, mechanisch eine andere nach sich zieht. Diese Vorstellungsb e w e g u n g wird von vier Prinzipien b e h e r r s c h t : es verk n ü p f e n sich g e g e n w ä r t i g e Vorstellungen mit f r ü h e r e n ähnlichen, gegensätzlichen, räumlich v e r b u n d e n e n , zeitlich zugleich o d e r nacheinander erlebten Vorstellungen. So haben wir die vier Assoziationsgesetze der Ähnlichkeit, des Kontrastes, des räumlichen Zusammenseins, der zeitlichen Aufeinanderfolge. Diese schon von A r i s t o t e l e s erwähnten Beziehungen w u r d e n von H a r t l e y und H u m e weiter ausgef ü h r t und der Erkenntnis des Seelenlebens z u g r u n d e gelegt. W u n d t hebt hervor, daß die gewöhnlich so genannten Assoziationen (die sukzessiven) nur einzelne, und zwar die losesten unter diesen V e r b i n d u n g s p r o d u k t e n sind; außerdem müssen aber noch simultane (gleichzeitige) Assoziationen a n g e n o m m e n w e r d e n . Assoziationspsychologie: die von H a r t l e y und H u m e b e g r ü n d e t e Richtung d e r Psychologie, die alle Seelenvorg ä n g e bloß auf den Mechanismus der Assoziationen o h n e M i t w i r k u n g einer aktiven Seite des Geistes z u r ü c k f ü h r e n will. [Vgl. Gestaltspsychologie.] Astralgeister: Gestirngeister, Geister der beseelt gedachten H i m m e l s k ö r p e r ; mittelalterlicher Glaube, daß Gestirngeister gefallene Engel o d e r Seelen Verstorbener seien. Astralleib: Annahme eines ätherischen Körpers, der den materiellen Leib durchdringt und dessen Form wiederholt, zugleich auf den irdischen Leib einwirkt ( P a r a c e l s u s ) . Die A n n a h m e eines Astralleibs wird in den „Geheimwiss e n s c h a f t e n " zur E r k l ä r u n g von Halluzinationen, Fernsehen und dergleichen h e r a n g e z o g e n . Astrologie: ursprünglich als S t e r n k u n d e gleich Astronomie; daneben die Lehre von der Abhängigkeit alles Irdi-
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Ataraxie—Atom
sehen und damit auch des Schicksals jedes Menschen von Stellung und Lauf der Gestirne. A t a r a x i e : Unerschütterlichkeit des Gemüts, Seelenruhe, das höchste Ziel des Lebens bei den Epikureern und Skeptikern. Atavismus: Rückschlag, Wiederauftreten von Merkmalen und Eigenschaften, die einer früheren Entwicklungsstufe angehörten. Athanasie: Unsterblichkeit. Atheismus: Gottlosigkeit; Verneinung der Existenz der Götter oder Gottes oder überhaupt eines Urgrundes der Welt. A t m a n : in der indischen Lehre das Göttliche, All-Eine; das eigentliche Selbst der Seele hat am Atman teil. A t o m : das Unteilbare; die Atomistik ist begründet von L e u k i p p und D e m o k r i t (im 5. Jahrh. v. C h r . ) ; die Atome sind die letzten, unteilbaren Massenteilchen, alle stofflich gleichartig, nur an Gestslt und G r ö ß e verschieden. Sie bewegen sich im leeren Raum und bilden durch mechanische Vereinigung und Trennung alle Dinge, .auch das ganze Universum. Dieser Atomismus ist im Altertum von E p i k u r u n d seiner Schule übernommen, in der Neuzeit im 17. Jahrhundert von dem Wittenberger Professor S e n n e r t und dem französischen Geistlichen und Naturforscher G a s s e n d i erneuert und von dem englischen Physiker R o b e r t B o y l e zur Grundlage der Chemie gemacht worden. Dem Engländer D a l t o n gelangen dann unter Zugrundelegung der Atomhypothese zu Anfang des 19. Jahrhunderts die Entdeckung des Grundgesetzes der multiplen Proportionen und die Bestimmung der Atomgewichte. Vorher, im 18. Jahrhundert, hatte schon B o s c o v i c h eine Umbildung des Atombegriffs vorgenommen, indem er in Anlehnung an die Newtonsche Physik anziehende und abstoßende Atomkräfte annahm und so die Annahme besonders gestalteter, mit Zacken und Vertiefungen versehener Atome überflüssig machte. In neuester Zeit hat die Atomphysik ganz neue Anschauungen entwickelt: die Atome aller chemischen Elemente bestehen danach aus einem positiv geladenen Kern, der der T r ä g e r der Atommasse ist, und einer Anzahl negativ geladener Elektronen, die mit großer Geschwindigkeit um den Kern nach Art der Planeten herumkreisen (das R u t h e r f o r d - B o h r s c h e Atommodell). R u t h e r f o r d
Attraktion—Augustinus
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ist es auch gelungen, Atomzertrümmerungen zu beobachten. [Vgl. Element.] Attraktion: Anziehung. Attribut: wörtlich „aas Beigelegte"; Grundeigenschaft der Substanz. Substanz und Attriout gehören kategorial zusammen. Durch das Attribut wird die Substanz näher bestimmbar. Nach D e s c a r t e s ist das Denken Attribut der Seele, die Ausdehnung Attriout des Körpers. Nach S p i n o za kommen der unendlichen Substanz unendlich vieie Attribute zu, von denen wir nur zwei kennen: Denken und Ausdehnung, die das Wesen der göttlichen Substanz ausmachen. Aufklärung: das Streben, sich vom bloß Hergebrachten und Überlieterten frei zu machen und in eigenem Denken und Prüfen zu allen Fragen Stellung zu nehmen. Solche Haltung nahmen in Griechenland im 5. Jahrhundert v. Chr. die Sophisten ein, indem sie Wissenschaft, Religion, Sitte und Staat der Kritik unterzogen. Das neuere Zeitalter der Aufklärung hat seine Hauptvertreter zuerst in England in L o c k e , Höhepunkt H u m e , in Frankreich in V o l t a i r e , in Deutschland in W o l f f , F r i e d r i c h d e m G r o ß e n , L e s s i n g . K a n t in seiner „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" 1784: „Aufklärung ist der Ausweg des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Sapere aude! Habe Mut, dich deines e i g e n e n Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung." Aufmerksamkeit: die Aufmerksamkeit besteht in einer absichtlichen wachen Sammlung des beobachtenden Denkens. Sie kann allgemeinen Charakter haben, also nicht auf spezielle Gegenstände gerichtet sein, oder sich besonderen Objekten zuwenden. In diesem Fall bewirkt sie ein lebhaftes Hervortreten und Wirksamwerden einzelner seelischer Gebilde auf Kosten anderer, also eine. Einschränkung oder Konzentration der Seele auf eine verengte Gruppe seelischer Vorgänge. Diese Auswahl, die in dem aufmerkenden Bewußtsein aus den Erlebnisinhalten getroffen wird, hängt ab von der größeren Stärke der auf die Seele einwirkenden Motive, vom Gefühlswert der Eindrücke, von der Übung (bei Beobachtungen). Augustinus, A u r e l i u s (354—430): Er ist der größte unter den katholischen Kirchenvätern. Sein Einfluß erstreckt sich bis in die Gegenwart. Die Lehre des Augustinus beherrschte die europäische Kultur 1200 Jahre hin-
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Außenwelt—Automat
durch. Insbesondere seine Gesellschaftslehre, die auch den staatsrechtlichen Primat der Kirche begründete, ist grundlegend für die katholisch-christliche Welt. Auch Luther ist von Augustinus auf das stärkste beeinflußt. Sein philosophischer Ausgangspunkt ist die Selbstgewißheit der inneren Erfahrung. Außer der sinnlichen Empfindung ist für die Erkenntnis die höhere Fähigkeit des Denkens wichtig, das ist das Vermögen der Anschauung unkörperlicher Wahrheiten, die für alle denkenden Wesen gelten. Diese „ I d e e n " ruhen in Gott. Augustinus läßt die menschliche Willensfreiheit insoweit gelten, als der Mensch fähig ist, sich aus eigener Kraft, seiner erbsündigen Uranlage folgend, dem Bösen zuzuwenden. Er vermag dagegen nicht, ohne göttliche Beihilfe den W e g zum Outen zu finden. Darüber, ob ein Mensch zum Heil gelangen soll oder nicht, entscheidet Gottes unbekannter Wille (Prädestination). — Neuplatonisches Gedankengut verbindet sich bei Augustinus eng mit den Lehren des Alten und Neuen Testamentes. So wird der Grund gelegt für die Universalität der katholisch-christlichen Kultur. — Das W e r k „De civitate D e i " enthält seine Geschichtsphilosophie. Die göttliche Führung des Menschengeschlechts erfolgt gemäß einem göttlichen Erziehungsplan in sechs Perioden. Letztes Ziel ist: Seliges Anschauen Gottes im Jenseits. Augustinus fordert für das Diesseits konsequent sittliches Handeln. Seine Ethik knüpft an die platonischen Kardinaltugenden an und ergänzt sie in christlichem Sinne durch Glaube, Hoffnung und Liebe. Außenwelt: die Welt im Räume, die Welt des physikalischen Geschehens im Gegensatz zur Innenwelt des Seelischen. In engerem Sinne: die Welt außerhalb des Leibes, des leiblichen Ich. Erkenntnistheoretisch bedeutet das Außen ein vom erkennenden Subjekt Unabhängiges. Autarkie: die Selbstgenügsamkeit des stoischen Weisen, dem allein die T u g e n d Glückseligkeit bedeutet. Automat: ein funktionsfähiger körperlicher Mechanismus, der so eingerichtet ist, daß er zur Ausübung seiner Funktionen nur einen äußeren Anstoß, aber keine fortwährenden äußeren Impulse braucht, solange die ihm zuerteilte Kraft wirken kann. D e s c a r t e s betrachtet die T i e r e als seelenlose Automaten. Im 18. Jahrhundert erregten die mechanischen Konstruktionen eines V a u c a n s o n : ein automatischer Flötenspieler und eine künstliche
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autonom—Avicenna
Ente, sowie der beiden D r o z , Vater und Sohn, mit dem Automaten eines Kindes, einer Klavierspielerin usw. g r ö ß tes Aufsehen. — S p i n o z a und L e i b n i z bezeichnen die Seele als geistigen A u t o m a t e n . K a n t : Der Mensch, allein vom S t a n d p u n k t e der mechanischen N a t u r b e t r a c h t u n g aus gesehen, w ä r e ein d e n k e n d e r Automat, g e z i m m e r t und a u f g e z o g e n von dem obersten Meister aller K u n s t w e r k e . autonom: sich selbst Gesetze g e b e n d ; sich selbst bestimmend. Autonomie: S e l b s t g e s e t z g e b u n g ; Selbstbestimmung. Autonomie des Willens ist nach K a n t „die Beschaffenheit des Willens, dadurch derselbe ihm selbst (unabhängig von aller Beschaffenheit der G e g e n s t ä n d e des Wollens) ein Gesetz ist". Autosuggestion: Selbstsuggestion. [Vgl. Suggestion.] Avenarius, R i c h a r d (1843—1896): Begründer des Empiriokritizismus oder der Philosophie der reinen Erfahr u n g . Er geht aus von einer u n a u f h e b b a r e n Korrelation zwischen Subjekt und O b j e k t . Die Kritik der reinen Erf a h r u n g hat die A u f g a b e , aus der naiven E r f a h r u n g durch Ausschaltung aller bloß individuellen, logisch unhaltbaren Elemente die „reine E r f a h r u n g " herzustellen. So soll nach und nach ein natürlicher Weltbegriff entstehen, der das G e m e i n s a m e aller möglichen individuellen E r f a h r u n g e n u m f a ß t . Alle qualitative V e r ä n d e r u n g ist auf quantitative, das Psychische auf Physisches z u r ü c k z u f ü h r e n . So erhält der Empiriokritizismus eine materialistische F ä r b u n g . W e r k e : Kritik der reinen E r f a h r u n g , 2 Bde., 1888—1891. — P e t z o l d t : E i n f ü h r u n g in die Philosophie der reinen Erf a h r u n g 1899. Averrogs (1126—1198): b e r ü h m t e r arabischer Philosoph in Spanien und K o m m e n t a t o r des Aristoteles. F ü g t sein u m f a s s e n d e s Na*urwissen philosophisch in das System des Aristoteles ein. Seine philosophiegeschichtliche B e d e u t u n g besteht darin, daß er in Frankreich und Italien naturwissenschaftliche Erkenntnisse vermittelte und f ü r A u f k l ä r u n g im Sinne einer natürlichen Religion (Wesenseinheit der Vernunft und Verzicht auf individuelle Unsterblichkeit) w i r k t e . Avicenna (Ibn Sina) (980—1037): der bedeutendste der morgenländischen arabischen Philosophen. Sein „Kanon der Medizin" w a r jahrhundertelang G r u n d l a g e des medizinischen Unterrichts. Welt und Materie gelten ihm als ewig und strengen Gesetzen u n t e r w o r f e n . A p e l , Philosophisches Wörterbuch
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Axiologie—Bachofen
Axiologie: Wertlehre. A x i o m : Grundsatz; Sätze, die unmittelbar einleuchten, keines Beweises fähig noch bedürftig sind, aber zur Grundlage alles Beweisens dienen, heißen Axiome. Logische Axiome sind: der Satz der Identität, der Satz des Widerspruchs u . a . Mathematische A x i o m e : Jede G r ö ß e ist sich selbst gleich; zwischen zwei Punkten ist die Gerade der kürzeste W e g ; durch einen Punkt läßt sich in einer Ebene zu einer Geraden nur eine Parallele ziehen (das Parallelenaxiom) u. a. K a n t hebt den anschaulichen Charakter der geometrischen Axiome hervor. Die neue axiomatische Methode der Mathematik sucht die Berufung auf die Anschauung auszuschalten ( D a v i d H i l b e r t ) . Bachofen, J o h a n n J a c o b (1815—1887): Die mythische Überlieferung ist für ihn, dem an einem phantasievollen Bild der Überlieferung mehr liegt als einer streng methodischen Einzeluntersuchung mit historisch-kritischer Grundeinstellung, die beste Geschichtsquelle. So entwirft er ein Bild vom lykischen Volk, von seiner Demokratie, seiner allgemeinen Brüderlichkeit, das er dann im Volk der Schweizer in vielem wiederfindet, während sich nach Eduard Meyer auf den lykischen Inschriften überhaupt keinerlei Zeugnis für mutterrechtliche Zustände findet. Auf diesem Boden des Mythus entwirft Bachofen seine Bilder vom Matriarchat, die von der historischen Forschung fast durchweg abgelehnt werden. Die moderne Mythenforschung hat sich entwickelt, ohne auf Bachofens Schriften Rücksicht zu nehmen (besonders Robertson, Smith, Marett, J a m e s ) . Im Mutterschoß der Erde ist der Urgrund des ewigen Werdens und Vergehens. Menschliches Tun und kosmisches Werden verbinden sich miteinander und treten füreinander ein. Bachofen stellt (in der Vorrede zum „Mutterrecht") eine Abhängigkeit der menschlichen Entwicklung von kosmischen Mächten fest. Sie ist ihm objektive Wahrheit, eine geoffenbarte Philosophie. Die griechische Geschichte konnte ihn belehren, daß der Mythus sich lediglich als Rohstoff erwiesen hat. Von ihm aus hätte man weder zum Epos noch zum Drama gelangen können. Die griechische T r a g ö d i e schafft den Menschen zur selbsttätigen und selbstverantwortlichen Persönlichkeit um. Vieles, was Bachofen auf Grund mühseliger Kleinforschung und emsiger Durchforschung zahlreicher Museen über die Symbole, den Kult und andere Probleme der Religionswissenschaft geäußert
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Baco von Verulam—Bayle
hat, wurde später von der Fachwissenschaft bestätigt und sichert ihm eine bleibende Anerkennung, auch wenn man seine Grundthesen ablehnt. Baco von Verulam (1561—1626): Er kann nicht wie Galilei, Kepler und Lionardo zu den Begründern der neueren Wissenschaft gerechnet werden. Er steht vielmehr in einer Reihe mit den Naturphilosophen der Renaissance: Telesio, Bruno, Sanchez. Aber er hat das richtige Empfinden für die umwälzende Kraft, mit der die Naturwissenschaft die Kulturideale der Zeit umgestaltete, und er trat für diese Umbildung ein. Sein Hauptwerk ist das „Novum Organum scientiarum". Er fordert vom Naturforscher, daß er sich zunächst von allen Vorurteilen („Idolen") frei mache. Für die Philosophie sind am gefährlichsten die idola theatri. Er richtet nun Angriffe gegen Aristoteles, Plato, Pythagoras, Gilbert. Auch Kopernikus und Galilei gehören zu denen, die alles Mögliche erdichten, wenn es nur in Rechnungen aufgeht. Seine Methode ist die der „Induktion" oder der Instanzen. Auf sehr umständliche Weise — über 27 Arten (von den isolierten bis zu den magischen Eigenschaften) erhält er schließlich die „Form"' eines Dinges und seine Definition. Die Form der Wärme besteht z. B. in dem, was sich überall findet, wo Wärme ist, nirgends, wo Wärme fehlt, was stärker oder schwächer vorhanden ist, je nachdem mehr oder weniger Wärme da ist. Die Wärme wird von ihm definiert als eine schnelle Expansivbewegung der aufwärts strebenden kleinsten Teilchen. Daß Induktion nicht möglich ist ohne Deduktion, bleibt ihm fremd. Die Mathematik ist ihm Magd der Naturwissenschaft, nicht wie bei Galilei das einzige Objektivierungsmittel der Natur. In der Ethik stellt er Musterbilder auf und zeigt in feinen und geistvollen Essays, die an Montaigne erinnern, wie man sich diesen Vorbildern nähern kann. Er hat zwar stets die Macht des Wissens betont; die neue Methode der naturwissenschaftlichen Forschung ist jedoch von anderen geschaffen und von ihm direkt nicht gefördert worden. Bayle, P i e r r e (1647—1706): Wegbereiter der französischen Aufklärung (und z. T. der deutschen). Sein Hauptwerk, das große Dictionnaire historique et critique, legt Zeugnis ab für den Scharfsinn und die unübertreffliche Klarheit seiner Kritik. Sein Stil ist stets lebendig, schlagfertig und geistreich. Er kämpft gegen allen Dogmatismus, betont den Widerspruch zwischen Offenbarung (Religion) 3*
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Bedeutung—Begriff
und Vernunft (Wissenschaft), die Unabhängigkeit der Sittlichkeit des Menschen von seinen religiösen Meinungen und fordert zum ersten Male unbedingte Toleranz auch gegen Atheisten. Bedeutung: Wort und Begriff sind nicht dasselbe. Ein Wort ist ein Lautkomplex oder ein geschriebenes Zeichen für etwas Unsinnliches. Dieses Unsinnliche ist die B e d e u t u n g des W o r t e s und macht das Wort zur Darstellung eines B e g r i f f s . Die Bedeutung ist ein Problem sowohl für die L o g i k als auch für die S p r a c h p h i l o s o p h i e . Die Bedeutung, welche wir mit einem Wort verbinden, kann sich nämlich verändern, ohne daß sich das Wort verändert. Und so kann ein Wort mehrere Bedeutungen besitzen. Man spricht im ersteren Falle von B e d e u t u n g s w a n d e l . Für die Logik hat G o m p e r z den Bedeutungsbegriff ausführlich untersucht, auch H u s s e r l in seiner „ P h ä n o m e n o l o g i e " unternimmt Bedeutungsanalysen. Nach G o m p e r z ist die Relation der Bedeutung von der Relation der Bezeichnung streng zu unterscheiden. Bedeutung „hat" überhaupt nicht der Lautkomplex, sondern die Aussage, die sinnvolle Rede. S o führt das Bedeutungsproblem zur Frage nach dem „ S i n n " und dem „ V e r s t e h e n " [Vgl. Verstehen]. Bedingung: ein Umstand, der etwas anderes ermöglicht. Die logische Bedingung ist der Grund, das so Bedingte die F o l g e ; die reale Bedingung ist die Ursache, das so Bedingte die Wirkung. Begriff: das Wesentliche des logischen Begriffs besteht „in der Konstanz und allseitigen Unterscheidung eines mit einem bestimmten Worte bezeichneten Vorstellungsgehalts" ( S i g w a r t ) . Der Inhalt eines Begriffs besteht aus einem Inbegriff von Merkmalen, die notwendig, wesentlich oder nur möglich, unwesentlich sind. Der Inbegriff der Arten, auf die sich der Begriff bezieht, ist sein Umfang. J e reicher der Inhalt ist, um so ärmer ist der Umfang, und u m g e k e h r t : je ärmer der Inhalt, um so reicher der U m fang. Der Inhalt des Begriffs „gelbes M e t a l l " ist reicher, der Umfang aber ärmer als vom Begriff Metall. K a n t unterscheidet empirische, auf Erfahrung beruhende Begriffe und reine Begriffe a priori, Kategorien als Handlungen des reinen Denkens. Es gibt aber keine gegenständliche Erkenntnis aus bloßen B e g r i f f e n ; es ist ebenso notwendig, seine Begriffe sinnlich zu machen (d. i. ihnen den Gegenstand jti der Anschauung beizufügen) als seine Anschauungen
Behaviorismus—Bergson
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sich verständlich zu machen (d. i. sie unter Begriffe zu bringen): „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind." Nach H e g e l ist der Begriff das Wesen des Dinges selbst und das System der Begriffe das System der Wirklichkeit. Behaviorismus: Verhaltenspsychologie, eine besonders von amerikanischen Forschern vertretene Richtung, die die Psychologie unter Verzicht auf Selbstbeobachtung auf die Beschreibung des jedem zugänglichen äußeren Verhaltens von Lebewesen bei bestimmten Umständen beschränken will. Die Psychologie ist also Wissenschaft vom Verhalten der Lebewesen, ist eine Naturwissenschaft wie jede andere; sie unterscheidet sich von der Physiologie dadurch, daß sie stets das Verhalten des ganzen Individuums ins Auge faßt, nicht die Funktion einzelner Organe. Hauptvertreter: die Amerikaner J . B. W a t s o n und E. L. T h o r n d i k e . Bentham, J e r e m i a s (1748—1832): Hauptvertreter der „Nützlichkeits"-Philosophie (Utilitarismus). Sein ethisches und rechtsphilosophisches Grundprinzip lautet: „Größtmögliches Glück der größtmöglichen Zahl". Es ist töricht, von einer Tugend um der Tugend willen zu sprechen. In unserem wohlverstandenen Interesse liegt es, auch an unseren Nächsten zu denken: Harmonie der wohlverstandenen Interessen. Bentham ist mehr Philanthrop als Philosoph. Beobachtung: aufmerksame Betrachtung von Gegenständen oder Vorgängen, wie sie gegeben sind, also ohne sie zu verändern. K a n t : Erfahrung methodisch anstellen, heißt beobachten. Bergson, H e n r y (1859—1941), französischer Philosoph, Vertreter einer spiritualistischen Metaphysik, die auf Intuition beruht. Bergson schreibt den durch Intuition erfaßten Bewußtseinszuständen eine rein qualitative Intensität zu, eine sich stetig verändernde unräumliche „ D a u e r " (durée) und damit Freiheit. Die zum Wesen der Welt gemachte durée zeigt sich als eine immerwährende schöpferische Entwicklung, als ein Lebensschwung (élan vital), der sich seine Ziele in freien Schöpfungen weder in mechanischer noch teleologischer Ordnung setzt. Dem freien Geist gegenüber soll das menschliche Gehirn nur ein automatisches W e r k zeug des Handelns sein. — Bergson hat mit dieser Metaphysik Einfluß auf die europäische Lebensphilosophie des 20. Jahrhunderts ausgeübt. W e r k e : Essais sur les données
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Berkeley—Beweis
immédiates de la conscience, 1889. — Matière et mémoire, 1896. — Le rire, 1900. — L'évolution créatrice, 1907. B e r k e l e y , G e o r g e (1684—1753): englischer Philosoph und T h e o l o g e . Er bildet den Empirismus Lockes in einen subjektiven Immaterialismus um. Seine W e r k e sind in schöner und anschaulicher Sprache geschrieben. Seine erste Schrift: Versuch einer neuen T h e o r i e des Sehens, ist bedeutend, da sie die Elemente der modernen Sinnesphysiologie enthält. Wir nehmen nur Licht und Farben w a h r ; Körper sehen wir erst durch Verbindung des Gesichtssinnes mit dem Tastsinn. Berkeley bestreitet Wirklichkeitsgeltung der abstrakten Ideen. Wir können uns rote und gelbe Dinge vorstellen, aber flicht die Farbe im allgemeinen. Alle sog. äußeren Dinge bestehen nur in unserer Vorstellung. Sein ist = Wahrgenommen werden (esse = percipi) oder = Erkannt werden. Real ist nur, was sinnlich wahrgenommen wird. Berkeley will nicht die Wirklichkeit der Dinge bestreiten, nur das, was die Philosophen körperliche Substanz oder Materie nennen. Es gibt jedoch ein eigentlich Existierendes, das ist: Das Ich, die Seele oder der Geist. Sein Wesen ist nicht percipi „wahrgenommen werden", sondern percipere „wahrnehmen". Wenn sich Berkeley auch mit den Problemen der modernen Naturwissenschaft beschäftigt hat, so fehlt ihm doch die Einsicht in den Wert physikalischer Grundbegriffe, wie Materie, Bewegung, ja, er tadelt die Infinitesimal-Rechnung von Newton und Leibniz als seltsame und nutzlose Spekulation. Er gibt demgemäß der teleologischen Weltanschauung vor der mechanischen den Vorzug und will nicht die natürlich wirkenden Ursachen, sondern die Zweckursachen der Dinge aufsuchen. — Hauptwerk: Treatise concerning the principles of human knowledge, 1710. B e s c h r e i b u n g : die Darlegung der in der Wahrnehmung gegebenen Merkmale, Beziehungen, Vorgänge bei Dingen und Ereignissen. Der Physiker K i r c h h o f f stellte der Mechanik die Aufgabe, „die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen zu beschreiben, und zwar vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben". Diese vollständige Beschreibung soll dabei die ursächliche Erklärung ersetzen. B e w e g g r u n d : siehe Motiv. B e w e i s : Aufzeigen der Gültigkeit einer Behauptung, sei es durch unmittelbare Demonstration des behaupteten Zusammenhanges usw., sei es durch Ableitung eines Satzes
Bewußtsein—Biologie
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aus anderen Sätzen, die als gewiß und notwendig vorausgesetzt sind. Die Beweiskraft richtet sich nach der Gültigkeit der Beweisgründe. Ein Beweis ist falsch, wenn einer der Beweisgründe falsch ist (materialer Fehlschluß) oder wenn die Ableitung aus den Prämissen ungültig ist (formaler Fehlschluß). Enthalten Begründungen solche Fehlschlüsse, so begeht man Beweisfehler: der Zirkelbeweis (circulus vitiosus) benutzt den zu beweisenden Satz schon als Beweisgrund; die Erschleichung (petitio principii) setzt einen noch unbewiesenen Satz als Beweisgrund voraus. Bewußtsein: das Wissen von den seelischen Vorgängen, die wir unmittelbar im Vorstellen, Fühlen, Wollen erleben, also der Oesamtinhalt unserer unmittelbaren Erfahrung. K a n t : Das empirische Bewußtsein ist „das Bewußtsein seiner selbst nach den Bestimmungen unseres Zustandes bei der inneren W a h r n e h m u n g " ; das „transzendentale Bewußtsein" oder das „Bewußtsein überhaupt" ist' nichts Psychologisches, sondern das Prinzip der objektiven Erkenntnis. Die Immanenzphilosophie beschränkt die Erkenntnismöglichkeit auf die im Bewußtsein gegebenen Erscheinungen. biogenetisches Grundgesetz: „Die Keimesgeschichte ist ein Auszug der Stammesgeschichte" ( H a e e k e l ) ; die Entwicklung des Individuums ist eine kurze und schnelle, durch die Gesetze der Vererbung und Anpassung bedingte Wiederholung der Entwicklung des zugehörigen Stammes. Es reproduziert dabei typische Erscheinungsstufen der Vorfahren, welche die Ahnenkette des betreffenden Individuums bilden. Schon L o r e n z O k e n (1779—1851) hatte gemeint, daß die Entwicklungsgeschichte im Ei nichts anderes sei als eine Wiederholung der Schöpfungsgeschichte der Tierklassen. Biologie: Wissenschaft vom Leben, umfaßt als allgemeine Biologie die T h e o r i e der Besonderheit der belebten gegenüber der unbelebten Natur. Besondere Fachrichtungen der B. sind: Zoologie, Botanik, Physiologie. Entscheidend für die Begründung der B. als einer eigentümlichen Erkenntnisweise ist es, ob und in welcher Weise die biologische Wissenschaft sich gegenüber der „mechanistis c h e n " Naturwissenschaft abgrenzen kann, ob es eigentümliche Prinzipien etwa ganzheitlicher Art neben der Kausalität gibt usw. (s. Vitalismus, Neovitalismus). Die Quantenbiologie wendet die Erkenntnisse der neuesten
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Brahman—Buddhismus
A t o m f o r s c h u n g aus der Quantentheorie auf die Lebenserscheinungen an. Brahman: in der indischen Lehre die Weltseele, identisch mit dem A t m a n ; zugleich personifiziert der oberste Gott. Breysig, K u r t (1866—1940): Auf der G r u n d l a g e von Übersichten über die Menschheitsgeschichte in ihrem Insgesamt und die A u f d e c k u n g von dessen Gesetzlichkeit (Der Stufenbau und die Gesetze der Weltgeschichte, 1905) errichtet Breysig seine nicht m e h r chronologisch, sondern theoretisch a n g e o r d n e t e Geschichtslehre.'Immer neue Sichten über den Gesamtverlauf der Menschheitsgeschichte verfolgen je eine einzige, von den A n f ä n g e n bis zur Geg e n w a r t dominierende Fragestellung (Vom Sein und Erkennen geschichtlicher Dinge 1—IV, 1935—1944). Die geschichtlichen Urbestandteile des N a t u r g e s c h e h e n s , insbesondere in Physik und Astronomie aufsuchend, deutet Breysig auch das außermenschliche Weltgeschehen als im inneren Sinne geschichtlich (Naturgeschichte und Menschheitsgeschichte, 1933). Das Hinüberfließen des N a t u r g e s c h e h e n s in u n t e r b e w u ß t e s und b e w u ß t e s menschliches T u n wird verfolgt, der T a t k e r n allen T u n s als Urgeschehen, die Abspieglung der Welt im Geist, E n t s t e h u n g und Schicksal eines menschlichen Weltbildes als Geistgeschehen und die W e g e w a h l der Menschheit als Regelgeschehen w e r d e n dargestellt (Der W e r d e g a n g der Menschheit vom Naturgeschehen zum Geistgeschehen, 1935). Breysigs Sittenlehre g r ü n d e t sich auf diese Weltsicht. (Der Wille der Welt an unserem T u n , 1942; Das Recht auf Persönlichkeit und seine Grenzen, 1944). Bruno, G i o r d a n o (1548—1600): Naturphilosoph der Renaissance, f ü h r t e ein unstetes Wanderleben, das ihn durch Italien, Frankreich, England und Deutschland reisen ließ. Er fiel nach seiner R ü c k k e h r nach Italien in die H ä n d e der Inquisition und w u r d e in Rom öffentlich verbrannt. Bruno ist ein glühender Verehrer des Kopernikus, dessen Lehre er mit Dichterphantasie zu einem g r o ß a r t i g e n Weltbilde gestaltet. Er ist besonders stark beeinflußt von dem Ged a n k e n g u t des N i k o l a u s C u s a n u s . Buddhismus: indische Erlösungsreligion Buddhas (um 500 v . C h r . ) : die Welt ist Leiden, Leben ist Leiden; die Ursache dieses Leidens ist der Durst, die Begierde, das
Buridans Esel—Carus
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Streben nach Lust, der Wille zum L e b e n ; das Ziel ist L ä u t e r u n g der Seele, A u f g e h e n in das Nirwana, das Nichts. Buridans Esel: ein nach dem scholastischen Philosophen B u r i d a n (im 14. J a h r h u n d e r t ) benanntes Beispiel f ü r die Unmöglichkeit der Willensfreiheit: ein Esel, g e n a u in die Mitte zwischen zwei g a n z gleichen Heubündeln gestellt, m u ß verhungern, da keine Ursache vorhanden ist, die ihn eher zum linken als zum rechten Bündel greifen ließe, und ursachloses Handeln ausgeschlossen ist. Campanella, T h o m a s (1568—1639): Kirchlich gesinnt, jedoch, wahrscheinlich seiner politischen Anschauungen w e g e n , von der Kirche verfolgt, verbrachte etwa 30 J a h r e seines Lebens im Kerker. Er lebte zuletzt in Paris. Campanella nimmt eine doppelte Erkenntnisquelle a n : den Glauben f ü r die Theologie und die W a h r n e h m u n g f ü r die Philosophie. Er unterscheidet den codex scriptus d e r O f f e n b a r u n g und den codex vivus der N a t u r , auf deren eifriges Studium er als G e g n e r des Aristoteles und Schüler des Telesio drängt. — Bedeutsam ist seine politische Philosophie. Er entwirft in seinem „Sonnenstaat" einen sozialistischen Z u k u n f t s s t a a t , der von Priesterphilosophen geleitet wird. Carnotsches Prinzip (nach dem französichen P h y s i k e r C a r n o t ) : In der N a t u r ist kein V o r g a n g möglich, dessen G e s a m t w i r k u n g W ä r m e ü b e r g a n g von niederer zu h ö h e r e r T e m p e r a t u r wäre. Dieser Satz wird mit einer Richtigstellung von C l a u s i u s , wonach ein Teil der W ä r m e , indem er eine ihm äquivalente Arbeitsmenge erzeugt, als W ä r m e verschwindet, w ä h r e n d der andere Teil der zugef ü h r t e n W ä r m e als solche in den kälteren Körper ü b e r g e h t , der zweite H a u p t s a t z der mechanischen W ä r m e t h e o r i e genannt. Carus, K a r l G u s t a v (1789—1869): Vertreter einer Lebensphilosophie, stand unter dem Einfluß der Schellingschen Naturphilosophie. Er hat Interesse f ü r alles Irrationale. C. betont die Bedeutung des U n b e w u ß t e n im Seelenleben und legt den G r u n d f ü r die Charakterologie, indem er in romantischem Geist alles Leibliche als Ausdruck seelischer W e s e n s z ü g e und Kräfte auslegt. H a u p t w e r k e : Denkschrift zum lOOiährigen G e b u r t s t a g s f e s t e Goethes. — Über ungleiche Befähigung der verschiedenen Menschheitss t ä m m e f ü r h ö h e r e geistige Entwicklung, 1849. — Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte dQr Seele, 1846. — Über
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causa—Chamberlain
bensmagnetismus, 1857. (In der Einleitung zu dieser Schrift wird das Unbewußte als Schlüssel für das Verständnis des Bewußten angegeben.) — Über Grund und Bedeutung der verschiedenen Formen der Hand in verschiedenen Personen, 1846. — Symbolik der menschlichen Gestalt, 1852. — Vergleichende Psychologie oder Geschichte der Seele in der Reihenfolge der Tierwelt, 1866. — Über die typisch gewordenen Abbildungen menschlicher Kopfformen, 1863. — Carus ist als Philosoph des Unbewußten von der neuromantischen Richtung der neueren Philosophie (L. Klages), die das Magische und Mystische in den Vordergrund rückt, wiederentdeckt worden. „Je höher die Intelligenz sich entwickelt, je weiter die Fackel der Wissenschaft leuchtet, um so mehr zieht sich das Reich des Wunderbaren, des Magischen zusammen". Die Einheit der Welt wird durch das wissenschaftliche Bewußtsein gespalten, und so erlebt der Mensch die Welt in zweierlei W e i s e : unbewußt (intuitiv) und bewußt. Carus vertritt daher auf seine Weise auch eine Lehre von der doppelten Wahrheit. Er unterscheidet die durch das physikalische Experiment und den mathematischen Beweis erlangte von der, „welche unmittelbar im Gefühl erkannt wird und gleichsam als Blüte der gesamten seelischen Anschauungen hervortritt". causa: U r s a c h e ; causa cognoscendi: Erkenntnisgrund; causa efficiens: wirkende U r s a c h e ; causa essendi: Seinsgrund; causa finalis: Zweckursache; causa formalis: gestaltende Ursache; causa materialis: Stoffursache; causa sufficiens: zureichender Grund; causa occasionalis: G e legenheitsursache; causa sui: Ursache seiner selbst. S p i n o z a : unter Ursache seiner selbst verstehe ich das, dessen Wesenheit die Existenz in sich schließt, d. i. die unendliche Substanz Gott. Causa aequat effectum: die Ursache ist der Wirkung gleich, lautet die alte Fassung des Kausalprinzips. Chamberlain, H o u s t o n S t e w a r t (1855—1927). Hauptw e r k : Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts, 1899. Den „Angelpunkt" dieses Buches, das eine Deutung der Geschichte vom rassischen Standpunkt aus gibt, bildet „das Erwachen der Germanen zu ihrer welthistorischen Bestimmung als Begründer einer durchaus neuen Zivilisation und einer durchaus neuen Kultur". Er sieht es als „unw a h r " an, „daß unsere Kultur eine Wiedergeburt der hellenischen und römischen ist". „Dieses rinascimento wirkte
Chaos—Charakter
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mindestens ebenso h e m m e n d wie f ö r d e r n d und warf uns auf lange Zeit aus unserer gesunden Bahn heraus. Die mächtigsten Schöpfer jener Epoche — ein Shakespeare, ein Michelangelo — konnten ja kein Wort griechisch oder lateinisch". „Der g r ö ß t e aller Irrtümer ist aber die Annahme, daß unsere Zivilisation und Kultur der Ausdruck eines allgemeinen F o r t s c h r i t t e s d e r M e n s c h h e i t sei." Chaos: u n g e o r d n e t e r U r z u s t a n d der Welt, ein mythischer Begriff. Charakter: G e p r ä g e ; die bestimmte feste Eigenart eines Dinges oder V o r g a n g e s ; im moralischen Sinn die beständige Sinnesart. Im weitesten Sinn bedeutet Ch. jede F o r m , in der eine Bedeutung, ein Sinn oder ein Wesen sich ausp r ä g t . Diese W o r t b e d e u t u n g entspricht der H e r k u n f t des Begriffs von dem griechischen Wort xctpAacco, ich ritze ein. So gibt es aesthetische C h a r a k t e r e , die gedanklich vertieft zum Symbol w e r d e n . K a n t unterscheidet den empirischen und den intelligiblen C h a r a k t e r des Menschen. Der Mensch als Teil der Sinnenwelt, als Glied der Erscheinungswelt hat einen empirischen C h a r a k t e r , der in die Kette der N a t u r u r s a c h e n verflochten ist, sodaß alle seine H a n d l u n g e n naturgesetzlich bedingt sind wie alles sonstige Naturgeschehen. Der Mensch als zur Welt der Dinge an sich g e h ö r e n d betrachtet, hat einen intelligiblen C h a r a k t e r , der nicht unter den Bedingungen der sinnlichen Welt steht, nicht dem Kausalgesetz u n t e r w o r f e n ist, also als frei handelnd betrachtet werden kann. Eine H a n d l u n g aus dem empirischen C h a r a k t e r hergeleitet, ist naturnotwendig, auf den intelligiblen C h a r a k t e r bezogen, frei. Der Verstand erkennt das n o t w e n d i g e natürliche Geschehen, die V e r n u n f t beurteilt das freie sittliche Sollen. In seiner „ A n t h r o p o l o g i e " erklärt K a n t : „Einen C h a r a k t e r schlechthin zu haben, bedeutet diejenige Eigenschaft des Willens, nach welcher "das Subjekt sich selbst an bestimmte praktische Prinzipien bindet, die es sich auch durch seine eigene Vernunft unabänderlich vorgeschrieben hat." Ein solcher C h a r a k t e r „hat einen inneren W e r t und ist ü b e r allen Preis e r h a b e n " . — Nach S c h o p e n h a u e r ist der individuelle C h a r a k t e r a n g e b o r e n und unveränderlich. Der intelügible C h a r a k t e r ist Teil des Weltwillens, unveränderlich und unzerstörbar. H e r b a r t in seiner „Allgemeinen P ä d a g o g i k " : Der Wille ist der Sitz des C h a r a k t e r s ; „was ü b e r h a u p t am Menschen als vernünftigem Wesen charak-
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Charakterologie—Cohen
t e r f ä h i g ist: das ist der Wille;" „der C h a r a k t e r ist die Gestalt des Willens." Das Handeln ist das Prinzip des Charakters. [Vgl. Willensfreiheit.] Charakterologie: Lehre vom Wesen und von der Entwicklung des C h a r a k t e r s ; Persönlichkeitsforschung, insofern sie die wichtigsten individuellen Unterschiede untersucht und durch Aufweisen von konstitutionell bedingten o d e r geistig g e f o r m t e n Wesenszügen, sowie durch Zus a m m e n f a s s u n g des gleichartigen Einzelnen zur Aufstellung von T y p e n gelangt. Chrysipp (etwa 280—205 v . C h r . ) : gilt als zweiter Beg r ü n d e r der stoischen Schule. Cicero, M. T u l l i u s (106—43 v . C h r . ) : römischer Staatsmann, Philosoph und Redner. Er hat das Verdienst, die R ö m e r mit den Ausläufern der griechischen Philosophie bekannt gemacht zu haben und der Schöpfer der philosophischen Terminologie f ü r die Römer g e w o r d e n zu sein. Er ist dadurch neben Aristoteles der wichtigste philosophische Lehrer des Mittelalters g e w o r d e n . Sein Lieblingsgebiet ist die populäre Ethik im Sinne der Stoa, wobei er sich auf den consensus gentium und die a n g e b o r e n e n Beg r i f f e b e r u f t . Er verteidigt die göttliche V o r s e h u n g , die Unsterblichkeit der Seele und die Willensfreiheit. Circulus in probando, circulus vitiosus: Zirkelschluß; ein Fehlbeweis, der das, was bewiesen werden soll, schon im Beweisgrund voraussetzt. cogito, ergo sum: Ich denke, ich habe Bewußtsein, also bin ich. Nach D e s c a r t e s in ähnlicher Weise wie in der Philosophie A u g u s t i n s der sichere A u s g a n g s p u n k t aller Erkenntnis, der archimedische P u n k t von unerschütterlicher G e w i ß h e i t ; der Satz bedeutet keinen Schluß, sondern die unmittelbare Selbstgewißheit des eigenen geistigen Seins. W e n n man auch an allem zweifelt, so kann man nicht zweifeln, daß man zweifelt, und als Zweifelnder existiert m a n . Der Einwand G a s s e n d i s , man könne aus jeder beliebigen Tätigkeit auf die Existenz schließen, verfehlt den entscheidenden P u n k t . Der Satz: ich gehe spazieren, also bin ich, besagt nichts, da das Spazierengehen als körperliche B e w e g u n g dem allgemeinen Zweifel unterliegt. Es m u ß h e i ß e n : ich bin mir bewußt, (daß ich spazieren gehe,) also bin ich. Cohen, H e r m a n n (1842—191S) zusammen mit Paul Nat o r p : G r ü n d e r der „ M a r b u r g e r Schule". 1871 „Kants The-
coincidentia oppositorum—Comte
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orie der Erfahrung", ein epochemachendes Werk für das Verständnis Kants und die Wiederbelebung des Kantianismus. In „Kants Begründung der Ethik" wird die soziale Bedeutung des kategorischen Imperativs betont. Von „Kants Begründung der Ästhetik" urteilt Qottfr. Keller: „Dies Buch wälzt eine Last von den Künstlern." Cohens System: Logik der reinen Erkenntnis, 1902; Ethik des reinen Willens, 1907; Ästhetik des reinen Gefühls, 1912. coincidentia oppositorum: Zusammenfall der Gegensätze. N i k o l a u s C u s a n u s (1401—1464): Gott faßt alles in sich, auch alles Gegensätzliche; in Gott fallen alle Gegensätze zusammen. Comenius, J o h . A r n o s , mit seinem tschechischen Namen Komenski (1592—1670): gehört der böhmischen Brudergemeinde an. Philosophisch ist er von Baco von Verulam beeinflußt. Von ihm hat er gelernt, daß ein tätiges Leben besser ist als ein beschauliches. Diese Gesinnung hat er in einem Leben, das reich ist an Verfolgungen, bewährt. Er ist voll Liebe zur Menschheit und konsequenter Vertreter der Humanitätsidee. Philosophisch vertritt er eine „Pansophie", eine Allweisheitslehre, in der Renaissancegedanken und enzyklopädische Ideen miteinander verbunden sind. Seine Hauptbedeutung liegt auf dem Gebiete der Pädagogik. Er ist einer der Väter der modernen Didaktik. Sein Wahlspruch war: „Alles verlaufe naturgemäß, fern bleibe den Dingen aller Zwang." Hauptwerk: Didactica magna s t u omnes omnia docendi artificium, 1657. Die Didaktik und die Pansophie sollten alles lehren, was die Menschen zu wissen, zu tun, zu glauben und zu hoffen hätten. Common sense: gemeiner (gesunder) Menschenverstand. Die schottische Schule des gesunden Menschenverstandes ( T h o m a s R e i d , B e a t t i e , O s w a l d , S t e w a r t ) glaubte die von L o c k e , B e r k e l e y und namentlich von H u m e aufgeworfenen Probleme der Gültigkeit des Denkens in Hinsicht auf die Erfahrung durch Berufung auf den common sense entscheiden zu können. Comte, A u g u s t e (1798—1857): aus Montpellier, französischer Begründer des Positivismus und der modernen Soziologie, der er den Namen gegeben hat. Er verwirft jede Metaphysik. Nach seiner an Turzot anknüpfenden geschichtsphilosophischen Lehre durchläuft der menschliche Geist drei Stadien: das theologische, das metaphysi-
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Condillac
sehe und das positive. Im theologischen Stadium erklärt der Mensch die Natur aus einem besonderen Willen der Dinge oder übernatürlicher Wesen (Stufen des Fetischismus, des Polytheismus und des Monotheismus). Im zweiten Stadium aus abstrakten Ursachen, aus Ideen und Kräften; im dritten, dem positivistischen, spürt der Mensch durch Beobachtung und Experimente die Zusammenhänge der Erscheinungen auf und spricht die konstanten Zusammenhänge in Gesetzen aus. In diesem Stadium, in dem der Gelehrte und der Industrielle herrschen, vollzieht sich die Vereinigung von Theorie und Praxis. Der einzige Glaubenssatz in der dritten Periode soll die Unwandelbarkeit der Naturgesetze sein. Die einzelnen Wissenschaften treten jedoch nicht gleichzeitig in das positive Stadium ein, sondern in einer Reihenfolge, die zugleich eine Entwicklung und Rangordnung (Hierarchie) bedeutet. Es folgen sich: 1. Mathematik, 2. Astronomie, 3. Physik, 4. Chemie, 5. Biologie, 6. Soziologie. Die Soziologie gilt es, in das positive Stadium zu bringen. Sie umfaßt nicht nur die gesamte Nationalökonomie, sondern auch die Psychologie, die Ethik und die Geschichtsphilosophie. Zwischen Proletariern und positiven Denkern besteht Übereinstimmung über das Ziel ihres Strebens, allen Gelegenheit zu geistiger Entwicklung und das Recht auf Arbeit zu verschaffen. Der Gemeinschaftsgedanke ist die Quelle des Pflichtbegriffs. Hieran schließt sich von selbst die Religion der Humanität. Sie ist eine Religion ohne Gott, Gegenstand ihrer Verehrung das „Grand Etre" der Menschheit. Das „große Wesen" der Menschheit umfaßt alle vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Menschen, die für das Wohl der Gesamtheit gewirkt haben, wirken und noch wirken werden. Die Generalformel von Comtes Religion lautet: Liebe als Prinzip, Ordnung als Grundlage, Fortschritt als Ziel. Den Sinn der Wissenschaft faßt er in der Formel zusammen: „Wissen, um vorauszusehen, voraussehen, um zu können" (savoir pour prévoir, prévoir pour pouvoir). Werke: Plan des travaux scientifiques nécessaires pour réorganiser la société, 1822, — Cours de philosophie positive, 1830—1842. Condillac, E t i e n n e d e (1715—1780): französischer Aufklärer. Er ist reiner Sensualist; einzige Erkenntnisquelle ist ihm die Empfindung, die sinnliche Wahrnehmung. Aufmerksamkeit z. B. besteht in der Hingabe an eine Empfin-
consensus gentium—Dämonen
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düng, Erinnerung in ihrer Nachwirkung. Die Ethik wird in ähnlicher Weise auf ein Gefühl der Lust und Unlust gegründet. Gut ist das, was uns Lust gewährt. Als guter Katholik nimmt er seiner Erkenntnislehre zum T r o t z die Zeit vor dem Sündenfalle und nach unserem T o d e aus. Er erkennt Gott als unseren G e s e t z g e b e r und das Sittengesetz als allgemeinverpflichtend an. consensus gentium: Übereinstimmung der V ö l k e r ; allgemeine Übereinstimmung in den Auffassungen als vermeintlicher Grund für ihre Wahrheit. So C i c e r o in Anlehnung an die stoische Philosophie. contradictio: Widerspruch; contradictio in adjecto: W i derspruch im Beiwort, wie z. B. hölzernes Eisen. cornutus: Fangschluß des E u b u l i d e s : Was du nicht verloren hast, hast du noch. Hörner hast du nicht verloren. Also hast du Hörner. Cusanus, N i k o l a u s (1401—1464): eigentlich Nikolaus Chryffs oder Krebs aus Kues an der Mosel, gehört dem Mittelalter und der Neuzeit, der T h e o l o g i e und der Philosophie an. Er schätzt besonders Plato, die Pythagoreer und die Neuplatoniker; er schätzt Mathematik und Naturwissenschaften sehr hoch, lehrt schon vor Kopernikus die Kugelgestalt und die Achsendrehung der Erde. Nihil certi habemus in nostra scientia nisi mathematicam. (Die einzig sichere Wissenschaft ist die Mathematik). Seine Erkenntnislehre lehrt einen Aufbau des Wissens in vier Stufen. Diese bestehen in: 1. dem Sinn, der nur verworrene Bilder liefert, 2. dem Verstand, 3. der spekulativen Vernunft, 4. der mystischen Anschauung, die in der Vereinigung der Seele mit Gott besteht. In Gott, den der Mensch nie ganz zu erfassen vermag (docta ignorantia), fallen alle G e g e n sätze zusammen (coincidentia oppositorum). Er hat in vielfacher Hinsicht der Naturphilosophie des 16. Jahrhunderts vorgearbeitet. Daimonion: eine Art innerer, göttlicher Stimme, die S o k r a t e s als Abmahnung und Warnung in sich spürte und der er Folge leistete. Vgl. auch die christliche Lehre vom Gewissen. Dämonen: Geister; Mittelwesen zwischen der Gottheit und den Menschen. Der Dämonenglaube ist der animistischen Naturauffassung verwandt, wird aber auch philosophisch verwertet, so im Anschluß an X e n o k r a t e s in der stoischen Philosophie, in der die Dämonen als Schutzgeister
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Darwinismus—Deduktion
der Menschen heilig gehalten w u r d e n , w ä h r e n d später im Christentum die Dämonen als böse Geister galten. Darwinismus: die von D a r w i n 1859 in seinem W e r k e „Über den U r s p r u n g der Arten durch natürliche Auslese'' b e g r ü n d e t e A b s t a m m u n g s l e h r e : die einzelnen Lebewesen einer Art sind nie völlig gleich, sondern weichen etwas voneinander ab, so daß sie den L e b e n s b e d i n g u n g e n mehr oder weniger a n g e p a ß t sind. Im Kampf ums Dasein setzt sich das besser Geeignete in langen Zeiträumen durch und ü b e r t r ä g t in immer steigendem M a ß e die vorteilhaften Eigenschaften durch V e r e r b u n g auf die weiteren Generationen, so daß allmählich immer g r ö ß e r e A b ä n d e r u n g e n in der organischen Welt a u f t r e t e n , die bis zur Bildung neuer Arten f ü h r e n k ö n n e n . Dieses Zuchtwahlprinzip der Erhalt u n g der begünstigsten Rassen im Kampf u m s Dasein soll eine mechanische E r k l ä r u n g f ü r die U m w a n d l u n g und Entwicklung der Lebewesen a b g e b e n . Der Darwinismus ist im weiteren Sinne einer allgemeinen Entwicklungs- und Abs t a m m u n g s l e h r e eine wesentliche Annahme der Wissenschaft. Deduktion: Ableitung des Besonderen aus dem Allgemeinen. Die deduktive M e t h o d e leitet in der M a t h e m a t i k aus Definitionen und Axiomen Sätze ab und stellt einen sich immer erweiternden Z u s a m m e n h a n g neuer Einsichten her. Die Physik sucht allgemeine Gesetze zu gewinnen, aus denen Folgerungen gezogen w e r d e n , die dann mit d e r E r f a h r u n g verglichen w e r d e n , aber auch gestatten, H y p o thesen zu bilden und neue Erscheinungen und Gesetzlichkeiten vorauszusagen und zu entdecken. So w a r das periodische G e s e t z der Elemente imstande, neue u n b e k a n n t e Elemente mit ihren Eigenschaften im voraus zu bestimmen. Die Deduktion ist in der modernen Wissenschaft im Gegensatz zu der von Aristoteles bestimmten Scholastik kein Verfahren der Erkenntnis, denn es ist nicht möglich, neue Erkenntnisinhalte aus allgemeinen Sätzen abzuleiten, die mit diesen nicht schon g e g e b e n w ä r e n . D a g e g e n wird sie g e ü b t , uns vorliegende Erkenntnisse in einen geschlossenen Z u s a m m e n h a n g zu bringen, sie nach ihren Inhalten voneinander abzuleiten und so ein geschlossenes System zu bilden. Speziell die mathematischen Naturwissenschaften sehen in dem deduktiven Verfahren ihr Ziel, da es in diesen Wissenschaften darauf a n k o m m t , beobachtete P h ä n o m e n e auf Gesetze z u r ü c k z u f ü h r e n , die dann in ihrem Zusammen-
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Definition—Deismus
hang miteinander in möglichst strenger deduktiver Form ausgesprochen werden müssen. [Vgl. Induktion, Hypothese). Nach Kant zeigt die empirische Deduktion die Art an, wie ein Begriff durch Erfahrung und Reflexion über dieselbe erworben ist; die metaphysische Deduktion gibt die Ableitung der Kategorien aus den Urteilsfunktionen, die transzendentale Deduktion macht die objektive Gültigkeit der Begriffe a priori begreiflich. Definition: Begriffsbestimmung, die vollständige Angabe der in einem Begriff gedachten Merkmale eines Vorstellungsinhalts. R e g e l : eine Definition geschieht durch Angabe der nächst höheren Gattung und des artbildenden Unterschieds (per genus proximum et per differentiam specificam), etwa: ein Parallelogramm ist ein Viereck mit parallelen Seiten. Fehler der Definition: die Zirkeldefinition enthält schon den zu definierenden Begriff in der Definition selbst; die abundante Definition gibt außer den wesentlichen auch unwesentliche Merkmale an; die zu weite Definition gibt zuviel, die zu enge zu wenig wesentliche Merkmale a n ; die Definition darf nicht lediglich negativ sein, wo sie positiv sein kann. Im Gegensatz zu dieser „klassischen" Auffassung lehrt die moderne Logik die genetische D. als Verleihung eines begrifflichen Gegenstands durch sein Entstehen. Beispiel: Ein Kreis entsteht, indem ein Punkt in gleichem Abstand um einen anderen Punkt bewegt wird. [Vgl. Nominal- und Realdefinition, implizit]. Deismus: Vernunftglaube an G o t t ; eine auf die gemeinsame Menschenvernunft sich gründende natürliche philosophische Religion von wesentlich moralischem Inhalt. Die W e l t ist danach von Gott erschaffen, aber ihr gesetzmäßiger Verlauf nach den einmal von Gott g e g e b e nen Bedingungen ist unabänderlich und bleibt unabhängig von einem weiteren Einwirken des Weltschöpfers, das für die Wirklichkeit nicht notwendig ist. Der erste Vertreter der deistischen Vernunftreligion, H e r b e r t v o n C h e r b u r y (1581—1648), stellt fünf Glaubensartikel auf: 1. es gibt ein höchstes Wesen, 2. die Pflicht, dieses höchste Wesen zu verehren, 3. den wichtigsten Teil dieser Verehrung bildet Tugend im Verein mit Frömmigkeit, 4. die Forderung der Reue über Vergehen, 5. Belohnung oder Strafe in diesem oder dem jenseitigen Leben. Weitere Deisten im 18. J a h r hundert: T o l a n d , C o l l i n s , T i n d a l , V o l t a i r e , die Philosophen der Aufklärung. Dagegen H u m e in seiner „NaA p e 1, Philosophisches Wörterbuch
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Demiurg—Demokrit
turgeschichte der Religion" (1755): Religion stammt nicht aus der Vernunft, sondern aus dem Gefühls- und Triebleben des Menschen. Nicht logisch, sondern psychologisch lassen sich die religiösen Vorstellungen erklären. [Vgl. Theismus]. Demiurg: Werkmeister, Weltbildner; bei P l a t o der weltbildende Gott, der die Welt im Hinblick auf die Ideen schuf und gestaltete. Der zu den Neupythagoreern zählende N u m e n i o s (im 2. Jahrh. n.Chr.) sieht im Demiurg den die Materie gestaltenden zweiten Oott zwischen dem höchsten übersinnlichen ersten Oott und dem dritten, der Welt selbst. Bei den Onostikern (im 2. Jahrh. n. Chr.), die die christliche Religion gegen die jüdische scharf abgrenzen wollen, ist der Gott des Alten Testaments der Demiurg als Bildner der Sinnenwelt, der selbst der Erlösung durch den höchsten in Christus geoffenbarten Gott bedürftig ist. Demokrit (geb. um 460 in Abdera in Thrakien): griechischer Naturphilosoph. Bedeutend seine Lehre von den Atomen, die zum Fundament der mechanischen Physik geworden ist. Die Atome sind letzte kleinste unteilbare (CCTOpa) Teilchen, aus denen sich die physische Wirklichkeit zusammensetzt. Sie haben weder Farbe, noch besondere Gestalt und sind insofern ohne sinnliche Qualität, d. h. also nicht wahrnehmbar und nur erdacht. Er nennt sie Formen und Gestalten. Die Atomistik Demokrits ist für die moderne Naturwissenschaft von grundlegender Bedeutung geworden. Die Gesetze des Schalles, des Lichtes, der Wärme und die Veränderungen in der Chemie wurden zuerst auf Grund der atomistischen Lehre gefunden. Die Atomistik erklärt das Zustandekommen der physischen Wirklichkeit aus der Bewegung der Atome, also streng mechanisch. Jeder Zufall und jede nach bewußten Zwecken handelnde Gottheit sind ausgeschlossen. Gleichwohl kann man Demokrits System nicht als Materialismus oder Sensualismus ansprechen. Um die Bewegung zu erklären, nahm er den leeren Raum der Eleaten an (TÖ UFI öv). Von diesem Nichtseienden berichtet Sextus Empiricus: „Die Atome und das Leere sind das wahrhaft Seiende". Im Gegensatz zu dem wahrhaft Seienden steht das Sein der Satzung, d. i. der Sinnesempfindung, dessen Subjektivität und Relativität Demokrit betont. Alles Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten gehört zu dieser unebenbürtigen oder dunklen Erkenntnis. Von Demokrit sind 230 ethische Fragmente (zu-
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Demonstration—Denkgesetze
meist kurze Sittensprüche) erhalten, mit einer Fülle edler Oedanken. Er geht zwar von Lust und Unlust aus; das Ziel bilden aber die Wohlgemutheit, die Wohlbestalltheit und die Unerschütterlichkeit. Das Sittliche liegt in der Gesinnung und hängt von der Einsicht ab. „Out ist nicht das Nicht-Unrechttun, sondern das nicht einmal UnrechttunWollen." „Wer Unrecht tut, ist unseliger, als wer Unrecht leidet." „Eine gute Staatsleitung soll man für das Wichtigste von allem halten." „Dem Weisen steht jedes Land offen, denn die Heimat einer edlen Seele ist die ganze Welt." Demonstration: Beweis, Beweisführung. Demoralisation: Entsittlichung, Sittenlosigkeit. denken: im weitesten Sinne jedes bewußte Vorstellen, jeder seelische Vorgang im Unterschiede vom Fühlen, Empfinden und allen ¡sinnlichen Funktionen. So unterschied D e s c a r t e s Denken im Sinne der Bewußtheit des seelischen Wesens und Ausdehnung (Körperliches). Die ältere Psychologie nimmt meist eine Dreiteilung des Seelenlebens vor: Denken (in engerem Sinne), Fühlen, Wollen (so S u l z e r und T e t e n s ) . Die Denkpsychologie hat die Aufgabe, Ursprung und Verlauf der Denkprozesse in ihrem Zusammenhange mit dem gesamten Seelenleben zu untersuchen und festzustellen. Die Logik ist Wissenschaft von den allgemeinen Formen, Normen und Oesetzen des Denkens. Als charakteristische Funktionen werden hervorgehoben: das Verbinden, Trennen, Unterscheiden, Vergleichen. Die Orundfunktion des Denkens ist das Urteil. Die Kantische Erkenntnistheorie stellt Anschauen und Denken einander gegenüber: „Die Sache der Sinne ist, anzuschauen; die des Verstandes, zu denken. Denken aber ist: Vorstellungen in einem Bewußtsein zu vereinigen". Aber dieses Denken in Begriffen (Kategorien) erhält die Bedeutung des Erkennens erst durch Beziehung auf gegebene Anschauung: „wir können uns keinen Gegenstand d e n k e n ohne durch Kategorien; wir können keinen gedachten Gegenstand e r k e n n e n ohne durch Anschauungen, die jenen Begriffen entsprechen." Hauptproblem der kritischen Erkenntnistheorie: „wie s u b j e k t i v e B e d i n g u n g e n d e s D e n k e n s sollten o b j e k t i v e G ü l t i g k e i t haben". H e g e l entwickelt auf der Annahme einer Identität von Denken und Sein sein System des absoluten Idealismus. Denkgesetze: 1. p s y c h o l o g i s c h die Gesetzlichkeit, nach der die wirklichen Denkvorgänge ablaufen; 2. l o 4*
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Denkökonomie—Descartes
g i s c h Grundgesetze (Normen) für alles richtige Urteilen und Schließen: a) der Satz der Identität (A ist A), b) der Satz des Widerspruchs (A ist nicht von A), c) der Satz des ausgeschlossenen Dritten (von zwei kontradiktorisch entgegengesetzten Urteilen A ist B und A ist nicht B, muß das eine wahr sein), d) der Satz vom zureichenden Grunde: mit dem Grunde ist die Folge notwendig gesetzt. (Wenn A gilt, dann gilt auch B.) Denkökonomie: die Lehre des modernen Positivismus von der ökonomischen Denkweise der Wissenschaft: Gedankenökonomie als Ersparnis an Denkmitteln und Arbeit ist der Leitfaden für den Vollzug der wissenschaftlichen Erkenntnis. Die Methode der Naturwissenschaft hat zum Ziel den sparsamsten, einfachsten begrifflichen Ausdruck der Tatsachen. Physik ist ökonomisch geordnete Erfahrung. Das Lichtbrechungsgesetz gestattet es, ohne weitere Erfahrung jeden beliebigen Fall der Brechung ohne Schwierigkeit in Gedanken nachzubilden und zu ergänzen. So E r n s t M a c h . [Vgl. Ökonomie.] Dependenz: Abhängigkeit. Logische Dependenz bedeutet Abhängen der Gültigkeit eines Urteils von einem anderen, sachliche D. die eines Faktums von einem anderen, z. B. der Folge von dem Eingetretensein der Ursache. Descartes, R e n é (geb. 1596 in der Touraine, gest. 1650 zu Stockholm) : Mit seinen regulae ad directionem ingenii beginnt nach bisheriger Auffassung die moderne Methodenlehre der Wissenschaften in einem kritizistischen Sinn. Hier wird die Erkenntnis aller Dinge von der Erkenntnis des Verstandes abhängig gemacht. Was ist menschliche Erkenntnis und wie weit erstreckt sie sich? Er fragt nicht (wie Mittelalter und Renaissance) nach den verborgenen Qualitäten der Dinge, wie viele das tun, ohne gefragt zu haben, „ob dazu die menschliche Vernunft überhaupt zureicht". Wenn man die Wahrheit erforschen will, muß man zunächst seinen eigenen Intellekt prüfen. „Nichts Nützlicheres gibt es hier zu erforschen, als was die menschliche Erkenntnis sei und wie weit sie sich erstrecke." Die Kraft der Erkenntnis liegt in ihrer Methode, Einheit zu stiften. Die Erkenntnis bleibt eine und dieselbe bei aller Verschiedenheit der Gegenstände. Das Universum des Geistes enthält die Erkenntnis des Universums der Dinge in sich. Die Meditationen beginnen mit einer Kritik der Erkenntnisbedeutung der sinnlichen Vorstellungen. Der Begriff des Kör-
Deskription -Deszendenztheorie
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pers als eines sinnlich Gegebenen wird abgewiesen. Hierbei ist die Mathematik, die aus reinen, durch die Intuition gewonnenen Begriffen ihre Schlüsse zieht, das Urbild der Wissenschaft. Die Intuition berührt sich, obwohl das wechselnde Zeugnis der Sinne abgelehnt wird, mit dem Begriff der Evidenz. Von ersten Elementen der begrifflichen Erfassung ausgehend, erschafft die Deduktion ein System von Erkenntnissen. Im Discours, in den Meditationen und den Prinzipien der Philosophie, sowie in seinen mathematischen Schriften geht Descartes von dem Oedanken aus, man müsse im Leben einmal alle überkommenen Lehrmeinungen bezweifeln und auf einem neuen Grunde aufbauen. Dieses Fundament bildet das Selbstbewußtsein. Absolut gewiß ist nur, daß ich denke. Das ist zunächst erkenntnistheoretisch gemeint, erhält aber dann eine metaphysische Bedeutung. Das Ich ist eine Substanz, die denkt, und die von der Erkenntnis unabhängige Welt des Daseienden erscheint wieder. In der Ideenlehre unterscheidet D. die eingeborenen Ideen (wie Ding, Wahrheit, Bewußtsein), die von außen gekommenen ,und die von mir selbst gemachten. Zu den eingeborenen rechnet er die Gottes-Idee. Als endliches Wesen kann ich nicht selbst „Ursache" dieser eingeborenen Idee Gottes sein. Damit ist Gott als Ursache bewiesen. Eine Ethik hat der Philosoph nicht begründet. Was er in dieser Hinsicht äußert, erinnert an die Stoa. La générosité ist ihm der Schlüssel aller Tugenden. Amor intellectualis zu Gott ist das edelste aller Gefühle. Die rationale philosophische Haltung des D., sein prinzipieller Zweifel an allem, was nicht klar beweisbar ist, ist ein wesentlicher Grundzug des Denkens im modernen Frankreich geworden. Sie hat über die fachlich = philosophischen Fragen hinaus eine große kulturelle W i r k u n g in Europa geübt, indem sie die scholastische Denkweise ersetzte, wobei Descartes im Inhalt der Überzeugungen, die er festhielt, im übrigen noch stark an das Mittelalter gebunden blieb. Deskription: Beschreibung; deskriptive Wissenschaften: beschreibende Wissenschaften. Deszendenztheorie: Abstammungslehre. Alle verschiedenen, jetzt oder früher lebenden Organismen stammen von einer einzigen oder von wenigen einfachen Urformen ab, die sich in stetigem Zusammenhang fortentwickelt haben. [Vgl Darwinismus.]
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Determination —Dialektik
Determination: Begrenzung, B e s t i m m u n g ; logisch: die H i n z u f ü g u n g eines besonderen, begrenzenden Merkmals zu einem allgemeineren Begriff, dessen Inhalt dadurch reicher, dessen U m f a n g eingeschränkt wird, z. B. der Begriff Haus, zu dem die nähere Bestimmung „ f ü r gottesdienstlichen Z w e c k " k o m m t , w o d u r c h der dem Inhalt nach bestimmtere, dem Geltungsbereich nach b e g r e n z t e r e Begriff „Kirche" erfaßt wird. G e g e n t e i l : Abstraktion. S p i n o z a s Satz „omnis determinatio est negatio", jede Determination ist Verneinung, b e d e u t e t : jede einschränkende Bestimmung ist eine Einschränkung der absoluten Wescnsfülle der umfassenden Einheit der Substanz. Logisch ausgelegt bedeutet dieser lange vor Spinoza formulierte Satz, d a ß jede w e i t e r g e h e n d e Bestimmung eines G e g e n s t a n d e s oder Begriffs zugleich andere Bestimmungen ausschließt. Beispiel: indem ich ein Blatt „ f a r b i g " nenne, schließe ich aus, daß es auch weiß sein kann. Indem ich die F a r b e als „ g r ü n " bestimme, verneine ich, daß es etwa auch rot sein könnte. Determinismus: das Bestimmt- und Bedingtsein durch Ursachen, besonders die B e h a u p t u n g der ursächlichen Bestimmtheit der Willenshandlungen im G e g e n s a t z zur Ann a h m e der Willensfreiheit, zum Indeterminismus. [Vgl. Willensfreiheit.] Dialektik: U n t e r r e d u n g s k u n s t . Bei den Eleaten ( Z e n o n ) die M e t h o d e des indirekten Beweises; bei den Sophisten die Kunst, durch Scheinbeweise zu glänzen. P l a t o nennt Dialektik die Wissenschaft von den Ideen, wie sie in der U n t e r r e d u n g mit anderen oder auch im Zwiegespräch mit sich selbst durch methodische Entwicklung und O r d n u n g der Begriffe erzeugt wird. A r i s t o t e l e s bezeichnet mit Dialektik die auf das induktive Verfahren gerichtete Denktätigkeit, von den Tatsachen der E r f a h r u n g zu allgemeinen begrifflichen Bestimmungen aufzusteigen. K a n t nennt Dialektik die Kunst, mit den Mitteln der formalen Logik scheinbar gegenständliche Erkenntnis zu entwickeln und so die allgemeine Logik zum Blendwerk von objektiven Behauptungen zu mißbrauchen. Diesen dia'ektischen Schein hat die Logik a u f z u d e c k e n . Die „transzendentale Dialektik" ist „eine Kritik des Verstandes und der Vernunft in Anseh u n g ihres hyperphysischen G e b r a u c h s " , eine Kritik „metaphysischer G a u k e l w e r k e " , die den Schein t r a n s z e n d e n t e r Urteile aufdeckt. Freilich ist es „eine natürliche und un-
Diallele—Diderot
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vermeidliche Dialektik der reinen V e r n u n f t " , subjektive G r u n d s ä t z e als objektive unterzuschieben und so die Illusion einer Erkenntnis des Unbedingten zu haben. H e g e l entwickelt das dialektische Verfahren des Geistes, sich in G e g e n s ä t z e zu entzweien, die aber in einem h ö h e r e n dritten Begriff ausgeglichen, „ a u f g e h o b e n " werden. In einer solchen Selbstbevvegung der Begriffe unter der treibenden Kraft des Widerspruchs vollendet sich das System der Philosophie und auch der Weltentwicklung. Die Dialektik ist so das metaphysische Weltgesetz, denn alles Sein ist nur Verwirklichung der V e r n u n f t . Bei S c h l e i e r m a c h e r ist Dialektik die „ D a r l e g u n g der G r u n d s ä t z e f ü r die kunstgem ä ß e G e s p r ä c h s f ü h r u n g im Gebiete des reinen D e n k e n s " , eine Kunstlehre des D e n k e n s , die Kunst des B e g r ü n d e n s ; sie u m f a ß t Metaphysik und Logik. — M a r x und E n g e l s nehmen die Dialektik in die materialistische A u f f a s s u n g der N a t u r und Geschichte hinein. Nach ihnen ist Dialektik „die Wissenschaft von den allgemeinen Gesetzen der B e w e g u n g sowohl der äußeren Welt wie des menschlichen D e n k e n s " . An die Stelle der objektiven oder subjektiven Dialektik der Ideen tritt bei ihnen eine in der Entwicklung der materiellen Produktionsverhältnisse b e g r ü n d e t e Dialektik. — Eine „Realdialektik", die Schopenhauers und H e g e l s philosophische Auffassungen verbindet, entwickelt Julius Bahnsen. [Vgl. Synthesis.] Diallele: Gegenseitig = wechselweise Bestimmtheit. Führt logisch zu nichtssagenden Behauptungen. (Die Armut k o m m t von der pauvreté.) dianoëtisch: A r i s t o t e l e s unterscheidet dianoëtische und ethische T u g e n d e n , D e n k - und C h a r a k t e r t u g e n d e n . Die ersteren sind die höheren, denn in ihnen entfaltet sich die V e r n u n f t in der theoretischen und praktischen Einsicht und f ü h r t so zur höchsten Lust des Wissens. Diätetik: Lebenskunst, Lehre von der richtigen Lebensweise. Dichotomie: Zweiteilung, zweigliedrige Einteilung. Von Bedeutung f ü r ein systematisch-deduktives Denken. A ist e n t w e d e r B oder C. Wenn A B ist, dann . . . , wenn A C ist, dann . . . Diderot, D e n i s (1713—1784): französischer Enzyklopädist. Er ging von Locke aus, schloß sich dann den Freidenkern an und landete schließlich bei den Materialisten. H a u p t w e r k : Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des
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differentia spezifica—Dilthey
sciences, des arts et des métiers, 1751—1766. D'Alembert, Voltaire, Rousseau, Holbach waren Mitarbeiter. Bahnbrechend hat Diderot als Ästhetiker gewirkt. Lessing verdankt ihm viel. Auch Goethe fühlte sich von ihm angezogen und übersetzte mehrere seiner W e r k e . Diderot kämpft für eine neue Kunstrichtung gegen die klassizistische Verbildung der Natur und die Geschraubtheit der höfischen Kunst und fordert größere Nähe zur Natur. Er tritt für das zu seiner Zeit aufkommende bürgerliche Schauspiel ein. Diderot ist im Grunde Rationalist. differentia specifica: artbildender Unterschied. [Vgl. Definition.] différentielle Psychologie: während die allgemeine Psychologie das den verschiedenen Individuen Gemeinsame gesetzmäßig zu erfassen sucht, will die Psychologie der individuellen Differenzen individuelle Abweichungen in ihrer Gesetzmäßigkeit feststellen und untersuchen, „wie sich das Bild einer tatsächlich vorhandenen Individualität aus der Fülle ihrer Merkmale, und wie sich die Struktur der Individualität aus den Beziehungen der Merkmale untereinander darstellen l ä ß t " ( W . S t e r n ) . Differenzierung: Herausbildung von Besonderem aus einem gleichartigen Ganzen. Dilemma: zweiteilige Annahme; logisch ein Schluß nach dem S c h e m a : wenn A wäre, so müßte entweder B oder C sein, nun ist weder B noch C, also ist A nicht. — Das Altertum hat viel beachtete Dilemmen aufgestellt, Gedankenverknüpfungen, aus denen entgegengesetzte Folgen gleich notwendig und gleich unmöglich fließen. [Vgl. Lügner und Krokodilschluß]. In allgemeinerem Sinne bedeutet Dilemma eine schwierige Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Dilthey, W i l h e l m (1833—1011): Historiker der Philosophie und Forscher auf dem Gebiet der allgemeinen Geistesgeschichte. Sein Hauptwerk ist die „Einleitung in die Geisteswissenschaften", 1883. Es soll eine Kritik der historischen Vernunft geben. Sein Denken geht davon aus, dem Philosophieren die Erfahrung in ihrer Ganzheit zugrunde zu legen, wobei er unter „ E r f a h r u n g " das Erlebnis versteht. Die philosophische T h e o r i e muß die ganze Wirklichkeit umfassen und ist daher der naturwissenschaftlichen Wirklichkeit an Würde überlegen. Methodisches Nacherleben ist Verstehen. Wenn wir so in das Verständnis fremder Lebensäußerungen eindringen, tun wir es an der Hand
Dimension—Ding an sich
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g e g e b e n e r kategorialer Bestimmungen, der Strukturen. Die „Strukturpsychologie" wird von Dilthey in scharfen Gegensatz gestellt zu der naturwissenschaftlichen Psychologie, die er Elementenpsychologie nennt, womit er vor allem die Assoziationspsychologie meint. Die Strukturpsychologie wird f ü r D. zum Instrument der Geisteswissenschaften. Sie beschreibt innere E r f a h r u n g e n . Dimension: A u s m e s s u n g ; räumliche A u s d e h n u n g nach Länge, Breite, H ö h e : den drei Dimensionen. Mathematisch hat man den Begriff einer n-fachen Dimension gebildet. Ding: Kategorie der gegenständlichen Wirklichkeit. Z u m Dingbegrifl' g e h ö r t n o t w e n d i g e r w e i s e der der „Eigenschaft". Es kann kein Ding geben ohne Eigenschaften, aber auch keine Eigenschaften, die in der körperlichen Wirklichkeit nicht Eigenschaften eines Dinges sein m ü ß t e n . H e r b a r t findet einen Widerspruch in dem Verhältnis von Ding und Eigenschaften. W a s ist ein D i n g ? Wir antworten durch A u f z ä h l u n g der uns bekannten Eigenschaften. Aber „die Mehrheit der Eigenschaften verträgt sich schlechterdings nicht mit der Einheit des G e g e n s t a n d e s " . Wir erkennen nur die Eigenschaften, die das Ding h a t , nicht, was das Ding i s t ; das Ding selbst, der Besitzer jener Kennzeichen, bleibt unbekannt. H e r b a r t löst den Widerspruch auf durch seine Bearbeitung der Begriffe: es existiert eine Mehrheit von Realen (Dingen) mit je einer einfachen Eigenschaft, aus deren Z u s a m m e n der Schein des einen Dinges mit vielen Eigenschaften entsteht. Mach erk l ä r t : „Das Ding, der Körper, die Materie ist nichts außer dem Z u s a m m e n h a n g e der Elemente, der F a r b e n , T ö n e usw., außer den sogenannten M e r k m a l e n . " Das vielgestaltige vermeintliche philosophische Problem von dem e i n e n Ding mit seinen v i e l e n Merkmalen entsteht durch das Verkennen des Umstandes, daß übersichtliches Z u s a m m e n fassen und sorgfältiges T r e n n e n nicht auf e i n m a l g e ü b t werden können. V a i h i n g e r rechnet den Begriff des Dinges zu den Fiktionen. Ding an sich: Das D i n g a n s i c h ist bei den empirischpsychologischen Philosophen jenes u n b e k a n n t e Etwas, welches übrigbleibt, wenn man die s e k u n d ä r e n und primären Qualitäten vom „ D i n g " a b g e z o g e n hat. Bei d ' A l e m b e r t heißt es: „wir können auch nicht einmal klar angeben, w a s unter der N a t u r eines Dinges an sich selbst zu verstehen sein soll". Kant gebraucht zunächst
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Ding an sich
vor allem noch in der „Dissertation" von 1770, aber noch gelegentlich in den älteren Partien der transzendentalen Ästhetik den Begriff des Dinges an sich im hergebrachten Sinn. Aber es gewinnt bei ihm einen neuen Inhalt. „Was versteht man denn", so fragt Kant, „wenn man von einem der Erkenntnis korrespondierenden, mithin davon unterschiedenen Gegenstand r e d e t ? " „Es ist leicht einzusehen, daß dieser Gegenstand nur als etwas überhaupt = x gedacht werden müsse, weil wir außer unserer Erkenntnis doch nichts haben, welches wir dieser Erkenntnis als korrespondierend gegenübersetzen k ö n n e n " . Der Gegenstand wird noch näher als bloßer „Grenz"begriff bestimmt. Erkenntnis eines Gegenstandes kommt nach Kant dadurch zustande, daß die synthetische Einheit der Kategorie das Mannigfaltige des Raumes und der Zeit zur Einheit des O b j e k t s zusammenfaßt. Ein „Ding an sich", ein rein begriffliches Wesen in positivem Sinne, das unabhängig von der Erkenntnis irgendwie g e g e b e n wäre, anzunehmen ist sinnlos. Die Dinge heißen Erscheinungen (Phaenomena), weil sie von der Art der wissenschaftlichen Voraussetzungen abhängen, insbesondere von Raum und Zeit, in denen sie „erscheinen", und die so erst zu ihrer Erkenntnis verhelfen. Sie sind so ihrer Absolutheit entkleidet. Der Gedanke des Humeschen Empirismus, die Dinge seien zwar absolut gegeben, wir könnten aber nicht zu ihnen vordringen, hat für den kritischen Kant keine Bedeutung mehr. Ebenso aber ist mit der transzendentalen „ D i a l e k t i k " die Position des dogmatischen Rationalismus überwunden, wonach, wie es noch 1770 bei Kant hieß, die Sinnlichkeit die Dinge erkennt, wie sie erscheinen, der Verstand „wie sie sind". Der Gedanke einer voraus, v o r der Erkenntnis und unabhängig von ihr gegebenen, absoluten „ W e l t " ist auf der Höhe der kritischen Philosophie überwunden; aus der WeIt-„Substanz" ist die W e l t - „ I d e e " geworden, die nicht mehr „konstitutive", sondern nur „regulative" Bedeutung hat, d. h. dazu dient, ins Unendliche (in indefinitum) die Erforschung der Naturerscheinungen zu vereinheitlichen. Gerade in dieser Hinsicht ist Kant als Kritiker der dogmatischen Metaphysik ein Erfolg beschieden gewesen, während die ihm folgenden Philosophen teils den Begriff des „ D i n g e s " an sich vollends kritisch auflösten (Fichte), teils zu dem Gedanken einer Erkenntnis (materiell) an sich bestehender Dinge zurückkehrten, so-
Diogenes von Sinope—Disposition
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daß der dogmatische Empirismus heute noch unter den Einzelforschern zahlreiche Anhänger zählt. „Wenn die Klag e n " , sagt die Kritik der reinen Vernunft, „wir sehen das Innere der Dinge gar nicht ein, soviel bedeuten sollen, als wir begreifen nicht durch den reinen Verstand, was die Dinge, die uns erscheinen, an sich sein mögen, so sind sie ganz unbillig und unvernünftig; denn sie wollen, daß man ohne Sinne doch Dinge erkennen . . . soll. Ins Innere der Natur dringt B e o b a c h t u n g und Z e r g l i e d e r u n g d e r E r s c h e i n u n g e n , und man kann nicht wissen, wie weit dieses mit der Zeit gehen werde". (Kritik der reinen Vernunft, 2. Aufl., S. 333.) Daneben entwickelt Kant den Oedanken, daß wir zwar die Dinge an sich nicht gegenständlich erkennen können, daß wir aber unserer selbst als des intelligiblen Charakters zugleich als eines Dinges an sich inne werden können. Hieran anknüpfend lehrt Schopenhauer das metaphysische Weltwirken als das hinter allen Erscheinungen stehende absolute Ding an sich. Diogenes von Sinope: Kynischer Philosoph (412—323 v. Chr.), setzte die Lehre des Antisthenes in die Praxis des Lebens um. Desintegration: bei H e r b e r t S p e n c e r der Prozeß der Zerteilung, Auflösung des Stoffes. [Vgl. Integration.] disjunkt: (geschieden) disjunkte Begriffe sind unterschiedene Artbegriffe bei demselben Gattungsbegriff: rechtwinkliges und schiefwinkliges Dreieck. Disjunktion: logische Entgegensetzung, disjunktiv: gegensätzlich, entgegengesetzt; in disjunktiven Urteilen werden einem Subjekt verschiedene, einander ausschließende Prädikate zugeordnet: eine ganze Zahl ist entweder gerade oder ungerade; oder es wird verschiedenen einander ausschließenden Subjekten dasselbe Prädikat zugeordnet: entweder der Kläger oder der Angeklagte hat gelogen. Ein disjunktiver Schluß enthält in seinem Obersatz ein disjunktives Urteil. Diskrepanz: Mißton, Unvereinbarkeit, Abweichung, diskursiv: (auseinanderlaufend) das Denken wird als diskursiv bezeichnet, weil es in einem Durchlaufen und Vereinigen der verschiedenen Vorstellungen besteht. Diskursiv bedeutet daher begrifflich: im Gegensatz zu anschaulich. disparat: getrennt, unvereinbar, disparat heißen Begriffe, die kein Merkmal gemein haben, wie z . B . V e r s t a n d — T i s c h . Disposition: l o g i s c h : planmäßige Anordnung von Ge-
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Dissimilation—Dogmatismus
d a n k e n ; p h y s i o l o g i s c h u n d p s y c h o l o g i s c h : ererbte oder e r w o r b e n e Anlage, F ä h i g k e i t ; auch G e m ü t s s t i m m u n g , seelische Verfassung. Dissimilation: Auflösung, Abbau der lebendigen Substanz. Dissipation: Z e r s t r e u u n g ; physikalisch der V o r g a n g der Z e r s t r e u u n g der Energie infolge d e j Tatsache, daß die im Weltall enthaltene Energie immer mehr in W ä r m e überg e h t , die sich nach allen Seiten verbreitet und die T e m p e raturunterschiede ausgleicht. [Vgl. Entropie.] distinkt: unterschieden, deutlich. Division: Einteilung eines Begriffs in die ihm untergeordneten A r t b e g r i f f e ; ein divisives Urteil v e r k n ü p f t ein Subjekt mit verschiedenen P r ä d i k a t e n , die aber den ganzen U m f a n g des S u b j e k t s b e g r i f f e s umfassen m ü s s e n : Körper sind ihrem A g g r e g a t z u s t a n d e nach teils fest, teils flüssig, teils g a s f ö r m i g . docta ignorantia: gelehrte Unwissenheit, Wissen des Nichtwissens. Ursprünglich Ausdruck der mystischen T h e ologie ( A u g u s t i n , D i o n y s i u s A r e o p a g i t a u . a . ) . Von N i k o l a u s C u s a n u s zur Bezeichnung seiner Lehre von der überrationalen, auf scharfsinnigen mathematischen Grenzbetrachtungen beruhenden Erkenntnis des Absoluten verw e n d e t : „in der docta ignorantia umfassen wir das Unbegreifliche auf unbegreifliche Weise." D o g m a : Lehrsatz; Annahme ohne Beweis; theologisch: Glaubenssatz. Dogmatisch ist ein Denken, das auf Erfahrungserkenntnis und E r f a h r u n g s b e w e i s e verzichtet und die Ableitung seiner Ü b e r z e u g u n g von Glaubenssätzen f ü r hinreichend b e w e i s k r ä f t i g hält. Dogmatismus: das Verfahren, aus vorausgesetzten G r u n d s ä t z e n streng methodisch Sätze abzuleiten, in erkenntnistheoretischem Sinne die unkritische V o r a u s s e t z u n g einer möglichen Erkenntnis der Dinge an sich. Der D o g matiker glaubt, in den Begriffen und G r u n d s ä t z e n a priori metaphysisches Wissen zu besitzen, aus reiner Vernunft das Übersinnliche erkennen zu können, indem er die Vernunftprinzipien f ü r Beweise metaphysischer Sätze (von der F o r t d a u e r der Seele nach dem T o d e , von der Freiheit des Willens, vom Dasein G o t t e s ) hält. Kant ist nach seinem eigenen Bericht erst durch die Lehre D a v i d H u m e s in seinem „dogmatischen S c h l u m m e r " unterbrochen w o r d e n , denn noch 1770 behauptete K a n t , d a ß die intellektuellen Begriffe „die innere und ab-
Doktrin—Dualismus
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solute Eigenschaft der Objekte ausdrücken", daß die intellektuelle Erkenntnis die Dinge vorstellt, „wie sie sind". Dieser Dogmatismus ist die „Anmaßung, mit einer reinen Erkenntnis aus Begriffen . . . allein fortzukommen. Dogmatismus ist also das dogmatische Verfahren der reinen Vernunft o h n e v o r a n g e h e n d e K r i t i k i h r e s e i g e n e n V e r m ö g e n s " . Aber „die Kritik ist nicht dem d o g m a t i s c h e n V e r f a h r e n der Vernunft in ihrer reinen Erkenntnis als Wissenschaft entgegengesetzt" (denn diese muß jederzeit dogmatisch, d. i. aus sicheren Prinzipien a priori strenge beweisend sein). Hier bedeutet also dogmatisch streng-systematisch, mithin schulgerecht (nicht populär). In diesem Sinne ist W o l f f der größte unter allen deutschen dogmatischen Philosophen. — Dogmatisch ist nicht nur der, der alles, auch Übersinnliches, beweisen will, sondern auch der, der alles Übersinnliche verneint, denn beide überschreiten die Grenzen aller menschlichen Einsicht. Doktrin: Lehre; die Doktrin der Urteilskraft untersucht die Möglichkeit der objektiven Gültigkeit der Begriffe und Grundsätze des Verstandes ( K a n t ) . Dominante: In der Naturphilosophie R e i n k e s bedeutet Dominante eine Oberkraft, die über den Energien steht und sie lenkt, aber selbst keine Energie ist; sie wirkt richtend, bestimmend auf die Naturkräfte ein, kann aber ohne diese nichts hervorbringen. Dominanten sind richtende Triebkräfte in Pflanze und Tier. Die Arbeitsdominanten „sind die verborgenen Chemiker der Zellen, wie die Gestaltungsdominanten die unsichtbaren Baumeister der Pflanzen und Tiere". Für die Soziologie unterscheidet v. Gölte Dominanten als oberste richtungbestimmende Ziele des Willens von Determinanten als Bedingungen der Verwirklichung. Doppel-Ich, Doppelbewußtsein: eine krankhafte Spaltung des Ich in zwei Persönlichkeiten, die in verschiedenen Perioden des Lebens ein verschiedenes, nicht durch Erinnerung verknüpftes Dasein führen. (Max Dessoir, Das Doppel-Ich.) Dualismus: Zweiheitslehre; allgemein eine Aufstellung zweier entgegengesetzter Prinzipien, wie gut und böse, Licht und Finsternis, Gott und Teufel u. a. Der metaphysische Dualismus P i a t o s stellt der vergänglichen Erscheinungswelt das Urbild der ewigen Ideenwelt gegenüber. A r i s t o t e l e s unterscheidet den Stoff, die Materie als das
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Dualität—Duns Scotus
bloß der Möglichkeit nach Seiende und die Form, das gestaltende Prinzip, das aus der Möglichkeit zur Verwirklichung führt; alles Wirkliche ist geformter, zweckvoll gestalteter Stoff. D e s c a r t e s ist der Hauptvertreter des modernen Dualismus durch seine Lehre von den beiden geschaffenen Substanzen: der res cogitans, der denkenden Substanz, der Seele, und der res extensa, der ausgedehnten Substanz, der Materie. Indem er zwischen der seelischen und der körperlichen Welt schroff unterscheidet und die ganze räumliche Natur als für sich bestehend ansieht, begründet er seine mechanische Naturauffassung, die auch die organische Natur, die Tierwelt, einschließt. In engerem Sinne dualistisch ist D e s c a r t e s ' Lehre von Leib und Seele. Im Menschen sind Leib und Seele, die an sich verschiedene Substanzen sind, durch Wechselwirkung in der Zirbeldrüse verknüpft. Nach K a n t gilt der Dualismus von Materie und Seele nur „im empirischen Verstände", d. h. im Zusammenhang der gesamten Erfahrung ist wirklich Materie dem äußeren Sinne (Raum) wie das denkende Ich vor dem inneren Sinne (Zeit) gegeben. Aber dieser Dualismus darf nicht die Erscheinung mit Dingen an sich gleichsetzen und so den erfahrungsmäßigen Dualismus in einen absoluten, metaphysischen verwandeln. [Vgl. Wechselwirkung.] (Vgl. A. Vierkandt, Der Dualismus im modernen Weltbild.) Dualität: Zweiheit, Zweigliederung. Dühring, E u g e n (1833—1921): Er nennt seine Philosophie Wirklichkeitsphilosophie. Sein Ausgangspunkt ist idealistisch: Zwischen den Oesetzen des Denkens und der Wirklichkeit besteht Identität. Später ist die Wirklichkeit, wie sie uns vorliegt, das allein Reale und schlechthin Vernünftige. Er lehnt Pessimismus und Egoismus ab und sieht in den sympathischen Instinkten der Menschen die Keime zur Moral. Eine Entwicklung der Einzelpersönlichkeit hält er erst in der freien Gesellschaft der Zukunft für möglich, wenn das Lohnsystem beseitigt und alle Menschen gleichberechtigte Glieder der menschlichen Gesellschaft sind. Gegen Dührings Philosophie wendet sich Friedrich Engels mit seiner Schrift „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft". Duns Scotus (1270—1308): scholastischer Philosoph, Gegner von Thomas von Aquino. Während Glauben und Wissen sich bei Thomas ergänzen, stehen sie bei Duns im Ge-
Dynamik—Egoismus
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gensatz. Er nimmt den Primat des Willens an: voluntas est superior intellectu. Die Vorstellung ist Dienerin des Willens. Der Wille steht zwar in Verbindung mit den Trieben, er vermag sich jedoch über sie zu erheben. Er steht außerhalb der kausalen Verbindungen, und Lust und Unlust zwingen ihn nicht. Sogar der göttliche Wille vermag ihn nicht zu nötigen. Wäre der Wille abhängig, dann gäbe es keine Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen. Das Gute ist nicht deshalb gut, weil Gott es gebietet, sondern Gott gebietet es, weil es gut ist. Der menschliche Wille bestimmt grundsätzlich, was gut ist. Das Dasein Gottes ist nicht aus Begriffen, sondern aus seinen Werken zu beweisen. Gottes Wille ist die Urtatsache. Dynamik: die Lehre von der Bewegung mit besonderer Berücksichtigung der Kräfte, die die Bewegung hervorrufen. Begründer der Dynamik ist G a l i l e i . dynamisch: kraftartig, auf Kräften beruhend. Die dynamische Weltanschauung sieht in den Kräften das Wesen der Welt. So L e i b n i ' z , der den Kraftbegriff nicht nur seiner dynamischen Physik zugrunde legt, sondern ihn auch metaphysisch verwertet, indem er als Substanzen die Kräfte, krafterfüllte Einheiten hinstellt, die Monaden, seelische, unräumliche Krafteinheiten. Einen physikalischen Dynanismus begründete B o s c o v i c h (1711—1787), der die Materie aus punktuellen Zentren aufgebaut denkt, zwischen denen anziehende und abstoßende Kräfte wirken. Diese Punktatome selbst sind ausdehnungslos, das Wesen der Substanz besteht in Kräften. Auch K a n t entwickelt eine ähnliche dynamische Theorie der Materie in seinen „Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft", 1786. Ebenso ist für S c h e l l i n g Materie lediglich ein Verhältnis von Kräften. Ein einflußreicher Vertreter des Dynamismus in der neuesten Zeit ist Henry Bergson. [Vgl. Atom.] Dysteleologie: Unzweckmäßigkeitslehre. H a e c k e l weist darauf hin, daß in fast allen höheren Organismen sich auch zwecklose Körperteile finden, verkümmerte, entartete, rudimentäre Organe. e : Bezeichnung des allgemein verneinendes Urteils; hergenommen von nego, o teilweise verneinend. Ectypus: Abbild. Egoismus: Rückbeziehung aller Werte usw. auf das Ich, das eigene Selbst. Ethisch: Selbstsucht, eigennützige Gesinnung, die nur das eigene Wohl zum Ziele hat. Nach
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egozentrisch—Einfühlung
H o b b e s ist der Mensch im Naturzustande ein durchaus selbstsüchtiges Wesen, so daß ein „Krieg aller gegen alle" die Folge ist. „Ein Mensch ist dem Menschen ein Wolf". Aber der Selbsterhaltungstrieb führt dann allmählich zur Bildung des Staates, der Allmacht besitzt. S c h o p e n h a u e r : „Die Haupt- und Grundtriebfeder im Menschen wie im Tier ist der Egoismus, d. h. der Drang zum Dasein und Wohlsein." S t i r n e r vertritt in seinem Werk „Der Einzige und sein Eigentum" einen unbeschränkten Egoismus: nicht „der Mensch" als Gattung, sondern I c h bin das Maß aller Dinge. — Der theoretische, erkenntnistheoretische Egoismus ist ein Solipsismus, der nur das erkennende Ich für allein wirklich hält. egozentrisch ist ein Mensch eingestellt, der alles auf sich als Mittelpunkt bezieht und alles von sich aus betrachtet. eidetisch: auf die „Form", d. h. auf das Wesen, die „ideale Bedeutung" bezüglich ( H u s s e r l ) ; eidetische Wissenschaften sind „Wesenswissenschaften", die es nicht mit Tatsachen und Wirklichkeiten, ¡sondern mit Wesenerkenntnis des Bewußtseins zu tun haben. [Vgl. Phänomenologie.] — Psychologisch ist die eidetische Anlage die Fähigkeit, Sinneseindrücke nach Aufhören der Reize deutlich als subjektive Anschauungsbilder wiederzuerleben. Individuen mit der Fähigkeit solcher „Anschauung" heißen Eidetiker. Die Eidetik ist besonders von E. R. J a e n s c h erforscht worden. Eidolologie: Bilderlehre, H e r b a r t s Bezeichnung für den Teil der Metaphysik, der die Vorstellungen, die geistigen Erscheinungen erklärt: „in der Eidolologie soll Rechenschaft gegeben werden von der Möglichkeit des Wissens." Eidos: die Idee als Gestalt, Form, das objektive Weltprinzip P i a t o s ; bei A r i s t o t e l e s die Form als Wesenheit der Substanz. [Vgl. Idee, Form.] Einbildungskraft: die Fähigkeit, gehabte Erlebnisse umzugestalten und schöpferisch Neues sinnvoll zu bilden. — K a n t nennt Einbildungskraft das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen. Von diesem psychologischen ist der erkenntnistheoretische Begriff der produktiven Einbildungskraft zu unterscheiden, die als synthetische Einheitsfunktion das Mannigfaltige der Anschauung zur anschaulichen Vereinigung bringt. Einfühlung: allgemein die Fähigkeit, sich in das Seelenleben anderer hineinzuversetzen und mitzufühlen. In je-
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Einheit—Ekstase
des O b j e k t kann sich das Ich nach L i p p s einfühlen, indem es alles mit seinen Strebungen, Kräften, Stimmungen erfüllt und sich in der Außenwelt spiegelt. Auf dieser Einfühlung beruht nach Lipps die ästhetische Wertung. Einheit: 1. im Sinne des numerisch Einen das Einzelne der Zahl nach; 2. die Zusammenfassung einer Mehrheit zur Einheit. Die „Einheit des Bewußtseins" als synthetische Einheit der Apperzeption ist die Bedingung der Einheit der Erfahrung (Kant). Einstein: A l b e r t (geb. 1879), Physiker, behauptet eine Relativität der Bewegungen für den Spezialfall der geradlinigen und gleichförmigen B e w e g u n g : Der Bewegungsbegriff hat nur relativ zu einem materiellen Bezugskörper einen physikalischen Sinn. Die Feststellung der Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse an verschiedenen Orten führt zu verschiedenen Resultaten, wenn sie von Körpern vorgenommen wird, die sich zueinander b e w e g e n ; die Feststellung ist abhängig vom Bewegungszustande des Menschen. Die Dauer eines Ereignisses ist keine absolute G r ö ß e , sondern ebenfalls abhängig vom Bewegungszustande des Bezugskörpers, von dem aus sie gemessen wird. Die Masse ist relativ; sie hängt von der Geschwindigkeit ab. — W e r k e : Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie, 1917. — Äther und Relativitätstheorie. 1920. — Geometrie und Erfahrung, 1921. Einteilung: logische Einteilung eines Begriffs besteht in der Aufführung der Arten, die ihm als Gattungsbegriff untergeordnet sind. Das Merkmal, das der Einteilung zugrunde gelegt wird, heißt der Einteilungsgrund. Die Einteilung muß auf einem einzigen Einteilungsgrunde beruhen. S o kann man die Menschen nach der Hautfarbe oder nach einem anderen Merkmale einteilen. Eklektizismus: das Verfahren, sich durch Auswahl von Gedanken aus verschiedenen früheren Systemen ein eigenes zu bilden. Eklektiker im Altertum besonders C i c e r o , in der Neuzeit deutsche Philosophen im 18. Jahrhundert, die die strenge Methode W o l f i s verschmähen, wie C r u s i u s , F e d e r u. a. E k s t a s e : das Außer-sich-sein, das Entrücktsein; bei P h i I o n (im 1. Jahrh. n. Chr.) das gänzliche Aufgehen in Gott, die mystische Vereinigung mit dem göttlichen Wesen unter Hingabe der Individualität; bei P l o t i n (im 3. J a h r h . n. Chr.) die höchste Seligkeit der außerbewußten VerA p e 1, Philosophisches Wörterbuch
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Eleaten—Element
zückung im Einswerden mit der Gottheit; ein Schauen Gottes ähnlich bei den deutschen Mystikern, wie E c k h a r t , S u s o , T a u l e r , J a k o b B ö h m e u. a. Eleaten: eine griechische Philosophenschule, die ihren Sitz in Elea (Unter-Italien) hatte. Sie lehrten die Einheit und Unveränderlichkeit des Seins gegenüber dem ewigen Werden der Welt nach Heraklit. Das Sein ist und das Nicht-Sein bzw. das Werden ist nicht. Das Denken, nicht die sinnliche Anschauung führt zur Erkenntnis der Dinge. Zu den Eleaten zählen Xenophanes, Parmenides, Zeno aus Elea und Melissos aus Samos. Elektra: Name eines bekannten antiken Fangschlusses: fragt man Elektra, ob sie den fern von ihr herangewachsenen Bruder, der jetzt verhüllt als Fremder vor ihr steht, kennt, so ist sowohl ihre Bejahung als auch ihre Verneinung dieser Frage unrichtig, denn sie kennt ihn nicht, weil sie nicht weiß, daß der neben ihr Stehende Orestes ist; sie kennt ihn, weil er als Orestes, ihr Bruder, ihr vertraut ist (ein leeres Wortspiel mit der Zweideutigkeit des Kennens). Element: die letzten, nicht weiter zerlegbaren Bestandteile der körperlichen Dinge. Als Begründer der Elementenlehre gilt E m p e d o k l e s (im 5. Jahrh. v.Chr.), der alle zusammengesetzten Dinge auf vier „Wurzeln", die später sogenannten vier Elemente: Feuer, Luft, Wasser, Erde, zurückführen wollte, durch deren Verbindung nach bestimmten Proportionen alle Dinge entstehen. Später kam bei den Pythagoreern und bei A r i s t o t e l e s als fünftes Element, als quinta essentia, der Äther hinzu. In der Chemie der Gegenwart kommt man auf 92 Elemente als Grundstoffe, die im Periodischen System ( M e y e r , M e n d e l e je ff 1869) nach ihrer inneren Verwandtschaft im System der Elemente geordnet erscheinen. Schon der englische Arzt P r o u t machte 1815 die Hypothese, daß alle Elemente aus Wasserstoff als dem Urelement aufgebaut seien. Heute ist man dieser Frage nach der Einheit des Stoffes wieder nähergekommen in dem Problem des elektrischen Aufbaus der Materie. — Auch die Psychologie sucht das gegebene einheitliche Seelenleben in seine Elemente, in elementare Prozesse und einfachste seelische Gebilde zu zerlegen, etwa in Vorstellungen, Gefühle, Willensakte. W u n d t : der Tatsache, daß die unmittelbare Erfahrung zwei Faktoren enthält, einen objektiven Erfahrungsinhalt und das erfahrende
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Elenchus—Empedokles
Subjekt, entsprechen zwei Arten psychischer Elemente, die sich als Produkte der psychologischen Analyse ergeben: Empfindungselemente und Gefühlselemente. — Nach M a c h bestehen Körperwelt und Ich, Materie und Seele aus Elementen, d. h. letzten Bestandteilen, die sich bisher nicht weiter zerlegen ließen: Farben, Töne, Wärme, Druck, Räume, Zeiten usw., an die Stimmungen, Gefühle und Wille gebunden sind. „Nicht die Körper erzeugen Empfindungen, sondern E l e m e n t e n k o m p l e x e (Empfindungskomplexe) bilden die Körper." Das Ich ist ebenso wie der Körper nur eine praktische Einheit von nur relativer Beständigkeit, da seine Elemente sich ständig langsam ändern. Elenchus: Widerlegung, Gegenbeweis; ignoratio elenchi: Unkenntnis des Widerspruchs zwischen zwei Behauptungen. Emanation: Ausfluß; P l o t i n (205—270 n. Chr.) läßt die Welt aus dem Einen, der Gottheit, in der Art einer Emanation, eines Überquellens, einer Ausstrahlung in den Abstufungen Geist, Seele, Körper hervorgehen. Emotion: Gemütsbewegung, Affekt. emotional: gefühlsmäßig, dem Gefühl, dem Affekt zugehörig. H e i n r i c h M a i e r stellt neben das erkennende, urteilende (kognitive) Denken ein nichterkennendes, aus dem Gefühls- und Willensleben hervorgehendes Denken: das emotionale Denken, bei dem ein affektives und ein volitives Denken zu unterscheiden ist. Das affektive Denken ist im ästhetischen Vorstellen und religiösen Glauben wirksam, das volitive Denken hat es mit Begehrungsvorstellungen in Recht, Sitte, Ethik zu tun. Die emotionalen Denkfunktionen stellen sich als die zweite Grundform neben das Urteil. Die Gegenstände der emotionalen Derikfunktionen sind durch Begehrungssätze (Wunsch-, Willerisund Gebotsätze) bezeichnet, die vom Urteil grundsätzlich verschieden sind. Das Geltungsbewußtsein bei den Urteilen ist das Wahrheitsbewußtsein; emotionale Geltung ist nicht Wahrheit, aber doch logische Notwendigkeit. Nur der kognitiven Geltung, der Wahrheit der Urteilsfunktionen, korrespondiert durchweg ein wirkliches Sein der Objekte. Dem kognitiv-realen Sein steht gegenüber das emotional-imaginative, das Seinsollen der Begehrungsobjekte und ;das eingebildete oder geglaubte. Empedokles: (490—430 v.Chr.) griechischer Philosoph und Arzt aus Agrigent. Verneint Entstehen und Vergehen der Substanz, führt jede Veränderung auf Mischung und 6*
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Empfindung—Empirismus
Entmischung zurück. Begründer der Elementenlehre. Annahme von unveränderlichen, unentstandenen und unvergänglichen Urstoffen, der vier Elemente: Feuer, Luft, Wasser, Erde, die durch Liebe und Haß verbunden und getrennt werden. — Empedokles ist als Mystiker Anhänger des orphisch-pythagoreischen Seelenwanderungsglaubens. [Vgl. Element.] Empfindung: früher auch in der Bedeutung von Gefühl gebraucht, jetzt die durch Analyse sich ergebenden einfachsten Bestandteile der Sinneswahrnehmung: die Sinnesempfindungen des Gesichts, des Gehörs, der Temperatur, des Drucks, des Geruchs, dazu die ¡unästhetischen Empfindungen (Empfindungen von Lage, Bewegung der Gliedmaßen, von Widerstand und Anstrengung), der statische oder Gleichgewichtssinn im Ohr (Bogengänge und Otolithensäckchen), Organempfindungen (Hunger, Durst, Sättigung, Behagen, Unbehagen u. a.). Die Empfindungen oder Sinnesqualitäten werden als subjektiv angesehen (vgl. Qualität). Auch Räume und Zeiten werden von einigen zu den Empfindungen gerechnet, wie Farben oder Töne. Dinge, Körper, Materie sind nach M a c h Zusammenhänge von Empfindungen (Empfindungskomplexe). Empirie: Erfahrung. Empiriker: ein Forscher, der sich einseitig auf Beobachtung und Erfahrung stützt. Empiriokritizismus: eine von R i c h a r d A v e n a r i u s (1843—1896) begründete „Philosophie der reinen Erfahrung", die alle metaphysischen und apriorischen Bestandteile aus dem Erkennen ausscheiden und so eine „reine" Erfahrung herstellen will. Hauptwerke: Kritik der reinen Erfahrung, 1888—1891, und einfacher: Der menschliche Weltbegriff, 1891. empirisch: erfahrungsgemäß, auf Erfahrung beruhend. Empirische Begriffe, Anschauungen, Erkenntnisse sind auf Grund der Erfahrung gebildet. Empirismus: Erfahrungsphilosophie, eine philosophische Richtung der Erkenntnistheorie, die alle Erkenntnis auf Erfahrung zurückführt. So nahmen schon die Stoiker an, daß die Seele bei der Geburt einer unbeschriebenen Wachstafel zu vergleichen sei, in die sich die Außendinge abdrücken und so Vorstellungen bewirken. Auch die Epikureer lassen alle Erkenntnis aus sinnlichen Wahrnehmungen hervorgehen. In der Neuzeit sind vor allem die eng-
fempiristisch—Energetik
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lischen Denker Empiristen: B a c o n , L o c k e , B e r k e l e y , H , u m e , J. St. M i l l . L o c k e mit seinem Werke „Ein Versuch über den menschlichen Verstand", 1690, kann als Hauptvertreter des Empirismus gelten: das gesamte Material für alles Denken und Erkennen stammt danach aus der Erfahrung, und zwar aus der äußeren Erfahrung, der Sensation, und der inneren Erfahrung, der Reflexion. „Alle jene erhabenen Gedanken, die über die Wolken emporragen und bis an den Himmel selbst dringen, haben hier ihren Ursprung und ihre Grundlage", in der Sinneswahrnehmung und der Wahrnehmung der geistigen Tätigkeiten. Freilich muß das aus den Wahrnehmungen gewonnene Material durch den Verstand bearbeitet werden. K a n t beginnt die 2. (Auflage der „Kritik der reinen Vernunft", 1787, mit den Worten: „Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange, daran ist gar kein Zweifel." Und auch mit den Begriffen a priori kann die Vernunft niemals über das Feld möglicher Erfahrung hinauskommen. Alle Erkenntnis ,des Wirklichen muß mit Wahrnehmungen zusammenhängen. [Vgl. Erfahrung.] empiristisch: Denkweise und Methode, die nur das auf Erfahrung gegründete Denken gelten lassen wollen. Endursache: eine Ursache, die ein Ziel eines Vorganges vorwegnimmt und durch die Richtung auf dieses Ziel hin wirkt. In der Eichel ist die Gestalt der Eiche nach dieser Denkweise schon enthalten, und sie wirkt in dem Wachstum des Baumes ursächlich auf das Ziel der Verwirklichung der Eiche hin. Energetik: zunächst „eine wissenschaftliche Gesamtauffassung, nach welcher der physikalische Begriff der Energie als derjenige angesehen wird, welcher zur Zeit die erfolgreichste und exakteste Zusammenfassung der physikalisch-chemischen Tatsachen und Gesetze gestattet" ( O s t w a l d ) . Das mechanistische Weltbild, das alle Naturgesetze auf Bewegungsgesetze von dinglichen Elementen zurückführen will, soll ersetzt werden durch ein energetisches Weltbild: alles Geschehen in der Welt besteht darin, daß die Energie aus einer Form in eine andere übergeht; Materie ist „nichts als eine räumlich zusammengeordnete Gruppe verschiedener Energien". Die Energie ist also die wahre Substanz, die allem zugrunde liegt. Dieses energetische Weltbild wird bei O s t w a l d zu einer energetischen
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Energie—Energie, spezifische
Weltanschauung erweitert: auch das Geistige und Kulturelle wird unter dem Gesichtspunkte der Energie behandelt. Der energetische Imperativ lautet: Vergeude keine Energie, sondern verwerte sie! E n e r g i e : bei A r i s t o t e l e s die Verwirklichung, die verwirklichende Kraft im Gegensatz zur bloßen Möglichkeit des Stoffes. — Den physikalischen Begriff der Energie hatte in einem auf die Mechanik eingeschränkten Sinne schon L e i b n i z entwickelt: bei allen rein mechanischen Vorgängen bleibt die Summe der lebendigen Kraft (der kinetischen Energie) und der Energie der Lage (der potentiellen Energie) konstant. Aber dieses mechanische Prinzip der lebendigen Kraft läßt sich zu einem im ganzen Bereiche der physikalischen und chemischen V o r g ä n g e gültigen G e s e t z erweitern: dem Prinzip der Erhaltung der Energie. Der schwäbische Arzt J u l i u s R o b e r t M a y e r erkannte zuerst 1842, daß mechanische Arbeit, die anscheinend bei bestimmten P r o z e s s e n verloren geht, in Wirklichkeit in einer entsprechenden M e n g e von W ä r m e , die erzeugt wird, erhalten bleibt, und berechnete das mechanische Wärmeäquivalent, d . h . d i e Anzahl Arbeitseinheiten, die einer Wärmeeinheit (Kalorie) gleichwertig ist (nach späteren Ermittelungen ist 1 kcal = etwa 427 m k g ) . 1845 entwickelte Mayer in einer zweiten Schrift das allgemeine Prinzip: in der gesamten Natur ist ein gewisser Arbeitsvorrat vorhanden, der zum Teil in kinetischer, zum Teil in potentieller Energie,besteht, aber als Gesamtenergie unverändert bleibt. „Es gibt in Wahrheit nur eine einzige Kraft. In ewigem Wechsel kreist dieselbe in der toten wie in der lebenden Natur; dort und hier kein Vorgang ohne Formänderung der K r a f t . " Da der Kraftbegriff schon in der Mechanik als Produkt von Masse und Beschleunigung festgelegt ist, führte R a n k i n e die Bezeichnung Energie ein. Energieformen sind Wärme, Licht, Elektrizität, chemische Verwandtschaft, Elastizität, mechanische Energie, die sich ineinander umwandeln. Energie, spezifische: jedes Sinnesorgan hat eine spezifische, ihm eigentümliche Art und Weise, auf Reize zu antworten. Der Sehnerv kann gereizt werden durch Ätherwellen, galvanischen Strom, D r u c k ; auf alle diese so verschiedenen Reize folgt eine Lichtempfindung. Die Empfindung ist also kein Abbild des objektiven Reizes, sondern eine rein subjektive Beantwortung des Reizes. Dieser
Energismus—Entelechie
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Satz wurde zuerst von J o h a n n e s M ü l l e r (1801—1858) aufgestellt; seine Deutung ist umstritten. Energismus: nach P a u l s e n die ethische Anschauung, die das höchste Ziel menschlichen Strebens in eine objektive Lebensgestaltung und Lebensbetätigung setzt: auf die Entwicklung und Betätigung der geistig-sittlichen Lebenskräfte ist der menschliche Wille seinem Wesen nach gerichtet. Enge des Bewußtseins: das Bewußtsein ist nur imstande, eine begrenzte Zahl von Vorstellungen gleichzeitig zu umfassen. Nach H e r b a r t können sich wegen der „Enge des Bewußtseins" immer nur sehr wenige Vorstellungen über der „Schwelle des Bewußtseins" befinden. Engels, F r i e d r i c h (1820—1895), wissenschaftlicher Theoretiker und Praktiker der Arbeiterbewegung, mit dem zusammen K a r l M a r x den d i a l e k t i s c h e n M a t e r i a l i s m u s begründete. Er dehnte die dialektische Betrachtung der Natur auf die Erforschung der oekonomischen und sozialen Geschichte aus und deckte Entwicklungsgesetze der Gesellschaft, insbesondere der modernen kapitalistischen Gesellschaft, auf. „Der große Grundgedanke, daß die Welt nicht als ein Komplex von fertigen Dingen zu fassen ist, sondern als ein Komplex von Prozessen, worin die scheinbar stabilen Dinge nicht minder wie ihre Gedankenabbilder, die Begriffe, eine ununterbrochene Veränderung des Werdens und Vergehens durchmachen." Karl Marx verfaßt mit ihm das „Kommunistische Manifest" (1848): „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen". — Werke: Die Lage der arbeitenden Klassen in England, 1845. — Kommunistisches Manifest, 1848. — Herrn E. Dührings Umwälzung der Wissenschaft, 4. Auflage, 1901. — Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, 1867. — Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, 8. Auflage, 1900. — Die Entwicklung des Socialismus von der Utopie zur Wissenschaft, 4. Auflage, 1891. [Vgl. Materialismus.] ens: das Seiende, Wesen; ens summum, perfectissimum. realissimum, das höchste, vollkommenste, allerrealste Wesen = Gott und ens a se = Gott; ens ab alio = alles, was •erschaffen ist (in der Scholastik). Entelechie: bei A r i s t o t e l e s die zweckverwirklichende Kraft, Tätigkeit; so ist die Seele die Entelechie, das ge-
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Enthymem—Epagoge
staltende Prinzip des Leibes. D r i e s c h hat den aristotelischen Ausdruck wieder aufgenommen: die formbildenden Prozesse des Lebens sollen danach physikalisch nicht voll erklärbar, sondern durch einen unräumlichen Faktor, die Entelechie, bedingt sein. Dieser teleologisch wirkende Naturtaktor bezieht sich auf den Raum und gehört daher zur Natur; aber Entelechie ist nicht im Räume, sie wirkt nicht im Räume, sie wirkt in den Raum hinein. Enthymem: eine „im Geiste" festgehaltene Erkenntnis, die als Prämisse vorausgesetzt, aber nicht ausgesprochen ist; ein verkürzter Schluß: alle körperlichen Substanzen sind ausgedehnt, folglich zusammengesetzt. Hier ist der Obersatz „alles Ausgedehnte ist zusammengesetzt" ausgelassen. Entität: Wesenheit. Entropie: (Verwandlung) von C l a u s i u s 1865 in der Physik zur Bezeichnung eines von ihm entdeckten Naturverhaltens gebraucht. Während der erste Hauptsatz der Wärmetheorie besagt, daß niemals Schöpfung oder Vernichtung, sondern nur Umwandlung von Energie möglich ist, beschränkt der zweite Hauptsatz diese Umwandlung auf eine bestimmte Richtung: es gibt keine vollständig umkehrbaren (reversiblen) Vorgänge; es lassen sich wohl alle Energiearten in Wärme, aber nicht umgekehrt ohne weiteres Wärme in andere Energien umwandeln. So läßt sich die mechanische Arbeit der Reibung in Wärme, aber nicht umgekehrt ohne weiteres Wärme in mechanische Arbeit überführen. Die Natur bevorzugt eine Richtung der Vorgänge: bei jeder Umsetzung von Energien geht ein Teil in Wärme über, die sich durch Temperaturausgleich im Räume zerstreut. So kommt C l a u s i u s zu dem Schlüsse, daß "die Welt sich immer mehr einem Zustande völliger Temperaturgleichheit, dem Wärmetod, nähert. Entwicklung: siehe Evolution. Enzyklopädie: den ganzen Kreis der Bildung umfassende Unterweisung; ein Hauptwerk der französischen Aufklärung ist die von D i d e r o t und d ' A l e m b e r t 1751—1780 in 35 Bänden herausgegebene „Enzyklopädie der Wissenschaften, Künste und Gewerbe". Zu den Enzyklopädisten zählen weiter: V o l t a i r e , T u r g o t , H o l b a c h , G r i m m und anfangs auch R o u s s e a u . Epagoge: der Fortgang vom Einzelnen zum Allgemeinen, das logische Verfahren der Induktion.
Epigénesis—Epikur
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Epigénesis: die im Gegensatz zur Präformationstheorie von dem deutschen Naturforscher K a s p a r F r i e d r i c h W o l f f 1759 aufgestellte Theorie, daß ein Lebewesen durch Neubildung der im Keime nur als Anlage vorhandenen Organe entsteht. In übertragenem Sinne spricht K a n t von einem „System der Epigenesis der reinen Vernunft: daß nämlich die Kategorien von Seiten des Verstandes die Gründe der Möglichkeit aller Erfahrung überhaupt enthalten. Epiktet (um 50—138 n. Chr.): Sklave, dann Freigelassener. Er lebte als Lehrer der stoischen Philosophie in Rom und Nikopolis in Epirus. Werke: 7 Bücher „Unterhaltungen" von Arrian veröffentlicht und das „Handbüchlein". Er ist Sittenprediger im Geiste des Seneca. In volkstümlich packender Sprache predigt er Seelenreinheit und Mäßigkeit, Bruderliebe und Sanftmut, Barmherzigkeit und Geduld. Er verbietet Ehebruch und Schwören. Familie und Staat treten bei ihm zurück. Er kennt jedoch im Gegensatz zum Neuen Testament keine Offenbarung, sondern die Grundlage seiner Ethik ist die Vernunft. Von besonderer Bedeutung ist seine Unterscheidung von dem, was bei uns steht und was nicht Bei uns steht. Jenes macht uns den tapferen Gebrauch der Freiheit unseres Willens zur Pflicht; während wir mit Würde tragen müssen, was nicht bei uns steht. Herakles, Sokrates und Diogenes werden bei ihm nach der Art der Stoa zu idealisierten Musterbildern. An eine Unsterblichkeit der Seele hat Epiktet im Gegensatz zu Seneca nicht geglaubt. Physik und Logik treten ganz zurück bei ihm. Epikur (341—270 v. Chr.): Er übernimmt das Sensualistische von Demokrit, läßt jedoch das Mathematische beiseite. Die sinnliche Wahrnehmung ist Maßstab der Wahrheit und Quelle der Vernunft. „Von Ewigkeit an existieren die Atome und der leere Raum" — nicht als Gedankendinge wie bei Demokrit. Epikur betont ihre Wirklichkeit. In der Ethik ist er Egoist. Sein Ideal ist die Gemütsstille, ein heiteres friedlich-stilles Leben. Ausgangspunkt ist die bleibende, nicht die augenblickliche Lust des Einzelnen. Die geistige Lust ist höher zu schätzen als die des Fleisches. Das höchste Gut ist die Einsicht (