Philosophisches Wörterbuch 9783495860847, 9783495482131, 9783451204104


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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Autoren
Abkürzungen der Verlagsorte
Philosophisches Wörterbuch
A
Absicht / Intention
Absolut
Abstrakt
Abstraktion
Agnostizismus
Ähnlichkeit
Akt / Potenz
Allgemein
Analogie
Analyse
Analytisch / Synthetisch
Analytische Philosophie
Andere
Angst
Anlage
Anschauung / Intuition
Anthropologie
Anthroposophie
Antinomie
Aporie
A priori / A posteriori
Arbeit
Aristotelismus
Art
Assoziation
Ästhetik
Atheismus
Atomismus
Aufklärung
Augustinismus
Ausdehnung
Aussage
Außenwelt
Autonomie / Heteronomie
Autorität
Axiom
B
Bedeutung
Bedingung
Bedürfnis
Begehren
Begriff
Behauptung
Behavio(u)rismus
Bestimmung / Bestimmtheit
Bewegung
Beweis
Bewusstsein
Bild
Böse
C
Cartesianismus
Christliche Philosophie
D
Dasein / Existenz
Deduktion
Definition
Deismus
Demokratie
Denken
Deontisch / Deontologisch
Determinismus / Indeterminismus
Deutscher Idealismus
Dialektik
Dialektischer Materialismus
Dialog
Dialogphilosophie
Differenz / Unterscheidung / Unterschied
Differenz, ontologische
Dilemma
Ding
Ding an sich
Disjunktion
Diskurs
Dogmatismus
Dritten, Satz vom ausgeschlossenen
Dualismus
E
Eigenschaft
Eigentum
Einfachheit
Einheit
Einstellung
Einteilung
Eklektizismus
Emergenz
Emotivismus
Empfindung
Empirismus
Endlichkeit
Entfremdung
Entscheidung
Entwicklung
Epikureismus
Ereignis
Erfahrung / Empirie
Erkenntnis
Erkenntnistheorie
Erkenntnisvermögen
Erklärung
Erleben
Erscheinung / Phänomen
Esoterik
Essentialismus
Ethik / Moralphilosophie
Evidenz
Evolution
Ewigkeit
Existenzphilosophie
F
Fallibilismus / Falsifikationismus
Fehlschluss
Fideismus
Form
Fortschritt
Frage
Freiheit
Freundschaft
Friede
Funktion
G
Ganz / Ganzheit
Gedächtnis
Gedankending
Gefühl / Emotion
Gegensatz
Gegenstand / Objekt
Gegenwart
Geheimnis
Geist
Geisteswissenschaft
Geltung
Gemeinschaft
Gemeinwohl
Genetik / Gentechnik
Gerechtigkeit
Geschichte
Geschichtlichkeit
Geschichtsphilosophie
Gesellschaft
Gesetz
Gewalt
Gewissen
Gewissheit
Gewohnheit
Glaube
Gleichheit
Glück
Gnosis / Gnostizismus
Gott
Gottes Eigenschaften
Gottes Wirken
Gottesbeweis(e)
Gottesbeweis, ontologischer
Gotteserkenntnis
Grund
Gut / das Gut(e)
Güterabwägung
H
Handlung
Handlungstheorie
Hedonismus
Heiligkeit
Hermeneutik
Herrschaft
Historismus
Hoffnung
Holismus
Horizont
Humanwissenschaft
Hylemorphismus
Hypostase / Hypostasieren
Hypothese
Hypothetisch
I
Ich
Ideal
Idealismus
Idee
Identität
Ideologie
Illumination
Immanenz
Imperativ
Imperativ, kategorischer
Implikation
Indexikalisch / Indikator
Individualismus
Individuum
Induktion
Information
Informationsverarbeitung
Instinkt
Institution
Intellektualismus
Intelligenz, künstliche
Intensität
Intentional
Interesse
Interpretation
Intersubjektivität
Intuitionismus
Intuitiv / kontraintuitiv
Irrational / Irrationalismus
Irrtum
K
Kalkül
Kategorie
Kategorisch
Kausalität
Kausalgesetz / Kausalprinzip
Klasse
Kohärenz
Kollektivismus
Kommunikation
Kommunitarismus
Kompatibilismus
Konkret
Konsequentialismus
Konstitution
Konstruktivismus
Kontingenz
Kontinuum / Kontinuität
Konvention
Konventionalismus
Konvergenz
Körper
Kosmologie
Kraft
Kritischer Rationalismus
Kultur
Kulturphilosophie
Kunst
Kybernetik
L
Leben
Lebensform
Lebensphilosophie
Lebenswelt
Legalität
Leib
Leib-Seele-Problem
Leiden
Leidenschaft / Affekt
Letztbegründung
Liberalismus
Liebe
Logik
Lüge
Lust / Freude
M
Macht
Marxismus
Materialismus
Materie
Mathematik
Mechanik
Mechanismus / Mechanismen
Meinen / Meinung
Menge / Mengenlehre
Mensch
Menschenrechte
Metaethik
Metapher
Metaphysik
Methode
Modalität
Modell
Möglichkeit / Unmöglichkeit
Monade
Monismus
Moralität
Moralpositivismus, Moralrelativismus
Moralsystem
Motiv
Mystik
Mythos
N
Name
Natur
Naturalismus
Naturgesetz / Naturkausalität
Natürlich
Naturphilosophie
Naturrecht
Naturwissenschaft
Negation
Negative Theologie
Neomarxismus
Neukantianismus
Neuplatonismus
Neuscholastik
Nichts
Nominalismus
Norm
Notwendigkeit
O
Objektiv / Objektivität
Objektivismus
Offenbarung
Okkasionalismus
Ökologie
Ontologie
Ontologismus
Operationalismus
Optimismus
Ordnung
Organismus
P
Pantheismus / Panentheismus
Paradigma
Patristische Philosophie
Performativ
Person
Pessimismus
Pflanze
Pflicht / Sollen
Phänomenalismus
Phänomenologie
Phantasie
Philosophie
Philosophiegeschichte
Physik
Physisch
Platonismus
Pluralismus
Politologie / Politische Philosophie
Positivismus
Postmoderne
Postulat
Prädikabilien
Pragmatik
Pragmatismus
Praxis
Prinzip
Privation
Problem
Psychologie
Psychologismus
Q
Qualität
Quantität
R
Rational
Rationalismus
Raum
Realismus
Realität
Recht
Rechtsphilosophie
Rechtspositivismus
Reduktion
Reduktionismus
Referenz
Reflexion
Regel
Regress, unendlicher
Reinkarnation
Relation / Beziehung
Relativ
Relativismus
Religion
Religionskritik
Religionsphilosophie
Retorsion
S
Sachverhalt
Satz
Schein
Schema
Schluss
Schmerz
Scholastik
Schönheit
Schöpfung
Schuld
Seele
Sein
Selbst
Selbstbewusstsein
Semantik
Semiotik
Sensualismus (Sensismus)
Setzung
Sexualität
Sinn
Sinneserkenntnis
Sinnesqualitäten
Sinnlichkeit
Sittengesetz
Situation / Situationsethik
Skepsis / Skeptizismus
Skotismus
Sokratik
Solidarismus
Solidarität
Solipsismus
Sortal
Souveränität
Sozial
Sozialethik
Sozialismus
Sozialphilosophie
Sozialpsychologie
Sozialwissenschaft
Soziobiologie
Soziologie
Spekulation
Spiel
Spieltheorie
Spinozismus
Spiritualismus
Spontan / Spontaneität
Sprache
Sprachphilosophie
Sprachspiel
Sprechakt
Staat
Staatsphilosophie
Stimmung / Gestimmtheit
Stoizismus
Strafe
Streben / Tendenz
Struktur
Strukturalismus
Suarezianismus
Subjekt
Subjektiv
Subjektivismus
Subsidiarität
Subsistenz
Substanz / Akzidens
Supposition
Suppositum
Symbol
Syntax
Synthese
System
Systemtheorie
Szientismus
T
Tathandlung
Tatsache / Faktum
Tautologie
Technik
Teil
Teilbarkeit
Teilhabe
Teleologie / Finalität
Theismus
Theodizee
Theologie
Theorie
Theosophie
Thomismus
Tier
Tierschutz
Tod
Toleranz
Tradition
Transzendental
Transzendentalien
Transzendentalphilosophie
Transzendenz
Trieb
Tugend
Typ / Typus
Typentheorie
U
Übel
Übernatürlich
Unbewusst
Unendlichkeit
Universalienproblem
Unmittelbarkeit / Vermittlung
Unsterblichkeit
Ursache
Urteil
Urteilskraft
Utilitarismus
V
Veränderung
Verantwortung
Vergebung
Verhalten
Verifikation
Vernunft
Verstand
Verstehen
Vertragstheorie(n)
Vielheit
Vitalismus
Völkerrecht
Vollkommenheit
Vollständigkeit
Voluntarismus
Voraussetzung
Vorsokratiker
Vorstellung
Vorurteil / Vorverständnis
W
Wahrheit
Wahrheitskriterium
Wahrheitstafeln / Wahrheitswert
Wahrheitstheorie
Wahrnehmung
Wahrscheinlichkeit
Wechselwirkung
Weisheit
Welt
Weltanschauung
Werden
Wert
Wertethik / Wertphilosophie
Wesen
Widerspruch, Satz vom
Widerstand
Wille
Wirken
Wirklichkeit
Wirtschaft
Wissenschaft
Wissenschaftstheorie
Wunder
Würde
Z
Zahl
Zeichen
Zeit
Ziel
Zufall
Zwang
Zweck
Zweifel
Abriss der Geschichte der Philosophie
Geschichte der morgenländischen Philosophie
Indien
Urzeit
Die Upanishaden (nicht-systematische Textsammlungen; 800–300 v. Chr.)
Die älteren Upanishaden (Geheimlehren; um 800 v. Chr.)
Die jüngeren Upanishaden
Sekten
Der ältere Buddhismus (zwischen den älteren und jüngeren Upanishaden)
Der Jainismus
Das Mahabharata
Die Systeme
Nyaya-Vaisheshika (Logik und Besonderheit)
Mimansa (Erörterung)
Samkhya und Yoga
Der spätere Buddhismus (3. Jahrhundert v. Chr. bis 8. Jahrhundert n. Chr.)
Vedanta (Ende des Veda: Standpunkt der Upanishadenanhänger)
Indische Philosophie im 19. und 20. Jahrhundert
China
Die alten Klassiker (allmählich in den obersten Staatsämtern entstanden)
Taoismus
Älterer Taoismus
Späterer Taoismus (gleitet ganz ins Zauberwesen ab)
Konfuzianismus
Alter Konfuzianismus
Neukonfuzianismus
Der sogenannte »Höhere« Konfuzianismus
Mohismus
Buddhismus
Einführung des Buddhismus in der Gestalt des Mahayana (Sutra der 42 Abschnitte)
Rege Übersetzertätigkeit aus der buddhistischen Sanskritliteratur (3.–6. Jahrhundert)
Wichtigere Schulen
Höhepunkt der Ausbreitung des Buddhismus in China im 6. und 7. Jahrhundert; später Verfolgungen und Verfall.
Philosophie des Wang Yang-ming (auch Wang Schou-jen; 1472–1528) Philosoph der Ming-Zeit; Idealismus.
Japan
Shinto (Weg der Götter)
Übernahme der chinesischen Kultur
Der Konfuzianismus
Der Buddhismus
Bushido (= der Weg des Samurai)
Einbruch des abendländischen Geistes (seit 1853)
Ungehemmte Übernahme des westlichen Geistes
Periode wachsender Kritik
Rückbesinnung
Geschichte der abendländischen Philosophie
Philosophie des Altertums
Anfänge des philosophischen Denkens
Untersuchungen über das Sein der Dinge (600–450)
Untersuchung über das Werden und die Veränderung (etwa 500–370)
Skeptische Kritik an den bisherigen Untersuchungen (Sophistik; Verfall der vorsokratischen Philosophie; 450–350)
Klassische Philosophie
Attische Philosophie
Hellenistisch-Römische Philosophie (320 v. Chr.–200 n. Chr.; Niedergang der klassischen Philosophie)
Neuplatonismus
Vorläufer (um 50 v. Chr.–250 n. Chr.)
Philosophie des Neuplatonismus
Andere Richtungen des Neuplatonismus
Philosophie des christlichen Altertums und Mittelalters (bis etwa 1450)
Patristische Philosophie
Anfänge
Volle Entwicklung der patristischen Philosophie
Ausklang der patristischen Philosophie
Philosophie des Mittelalters
Die Vorscholastik (8.–9. Jahrhundert)
Die Frühscholastik
Nicht-Scholastische Philosophie des Mittelalters
Hochscholastik
Spätscholastik (14.–15. Jahrhundert)
Philosophie der Neuzeit
Bis zu Kants Revolution in der Philosophie (1450–1781)
Zeit des Übergangs (1450–1640)
Descartes und die konstruktiven Systeme des 17. Jahrhunderts
Die Philosophie der Aufklärung (18. Jahrhundert)
Kant und das Zeitalter des Deutschen Idealismus (1781 bis Mitte des 19. Jahrhunderts)
Der Kritizismus (bzw. die moderne Transzendentalphilosophie)
Pantheistische Weiterbildung der Transzendental-Philosophie
Anthropologische Weiterbildung der Transzendentalphilosophie
Realistische Weiterbildung des Kritizismus
Im Gegensatz zu Kant: Rückgang auf Leibniz
Mitte des 19. Jahrhunderts bis Anfang des 20. Jahrhunderts
Nachidealistische Philosophie im deutschsprachigen Raum
Im Gegensatz zur Transzendentalphilosophie: starker Einfluss der Naturwissenschaften
Wiedererneuerung der Transzendentalphilosophie
Neuansätze des philosophischen Denkens
Christliche Philosophie
Nachidealistische Philosophie im nicht-deutschsprachigen Raum
Französischsprachiger Raum: Die Philosophie wird seit Napoleon in allen Schulen gelehrt.
Italienischsprachiger Raum
Englischsprachiger Raum
Spanischsprachiger Raum
Russland
Andere Länder
Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Christliche Philosophie: Lage zu Beginn des 19. Jahrhunderts
Neue Ansätze im 19. Jahrhundert
Neuscholastik im 19. und 20. Jahrhundert
Neue Ansätze im 20. Jahrhundert
Analytische Philosophie
Vorläufer der Analytischen Philosophie
Analytische Philosophie von den Anfängen bis zur Gegenwart
Analytische Philosophie des Geistes (philosophy of mind)
Analytische Religionsphilosophie
Philosophie der Mathematik und Logik
Logik
Wissenschaftstheorie
Allgemeine Wissenschaftstheorie (i. d. R. von der Naturwissenschaft her kommend)
Kritischer Rationalismus
Naturphilosophie
Von der Physik her
Von der Biologie her
Umwelt und -schutz
Ontologie
Ethik / Moralphilosophie
Metaethik
Utilitarismus
Tugendethik
Emotivismus
Nonkognitivismus
Deontologische Ansätze
Moralischer Realismus
Vertragstheoretische Ansätze
Ethischer Pluralismus und ethischer Relativismus
Weitere Ansätze
Sonstige
Politische Philosophie
Liberalismus, Universalismus
Kommunitarismus
(Neo-)Marxismus und Kritische Theorie
Politische Theologie und ihre Kritik
Politische Anthropologie
Kritischer Rationalismus
Sprachpragmatik
Fachwissenschaftliche Theoriebildung
Rechtsphilosophie
Konstruktivismus
Erlanger Schule (gegründet 1964 von Wilhelm Kamlah und Paul Lorenzen)
Entwicklungen aus dem Erlanger Konstruktivismus
Argumentationstheorie
(Sozial-)Psychologisch
Radikaler Konstruktivismus (neurologisch)
Strukturalismus
Postmoderne
Pragmatismus und Neopragmatismus
Vorläufer des Pragmatismus
Pragmatismus in Deutschland
Phänomenologie
Ausgangspunkt der phänomenologischen Bewegung in Deutschland
Phänomenologie, Fundamentalontologie und Existenzphilosophie
Werttheoretische Richtung
Göttinger und Münchener Kreis: ontologische bzw. realistische Richtung
Freiburger Kreis: transzendentalphilosophische bzw. idealistische Richtung
Weitere phänomenologische Denker des deutschsprachigen Raums, Belgiens und der Niederlande
Grenzgänger zu den Humanwissenschaften
Internationale Fortführungen
Existenzphilosophie
Existenzphilosophie im deutschen Sprachraum
Französischsprachige Existenzphilosophie
Italienische Existenzphilosophie
Spanische Existenzphilosophie
Russische Existenzphilosophie
Dialogphilosophie
Feministische Philosophie
Hermeneutik
Deutschland
Frankreich
Italien
Geschichtsphilosophie
Ästhetik
Neo-/Marxistische Ansätze
Post-/Strukturalismus/Postmoderne
Medientheorie
Sonstige
Anthropologie
Jüdische Philosophie
Andere Richtungen
Deutschland, Österreich
Frankreich
Italien
Spanien
Kolumbien
Japan
Namensregister
Philosophiegeschichtliches Namensverzeichnis
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Philosophisches Wörterbuch
 9783495860847, 9783495482131, 9783451204104

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Walter Brugger Harald Schöndorf

Philosophisches Wörterbuch

VERLAG KARL ALBER

https://doi.org/10.5771/9783495860847

.

B

Walter Brugger / Harald Schöndorf Philosophisches Wörterbuch

VERLAG KARL ALBER

A

https://doi.org/10.5771/9783495860847 .

https://doi.org/10.5771/9783495860847 .

Walter Brugger / Harald Schöndorf (Hg.)

Philosophisches Wörterbuch

Verlag Karl Alber Freiburg / München

https://doi.org/10.5771/9783495860847 .

Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2010 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise GmbH, Trier ISBN (Buch) 978-3-495-48213-1 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-86084-7

https://doi.org/10.5771/9783495860847 .

Vorwort

Das Brugger-Wörterbuch braucht bei Kennern keine besondere Empfehlung mehr. Es ist so gefragt, dass es seit Jahren immer wieder nachgedruckt wird, obwohl es seit der Mitte der 70er Jahre keine Neubearbeitung mehr erfahren hat. Aus verschiedenen Gründen hat sich die Neubearbeitung immer wieder verzögert. Inzwischen hat sich die philosophische Situation so sehr verändert, dass es angebracht schien, eine vollständige Neubearbeitung herauszubringen. Dabei sollte aber das Wörterbuch seinen Charakter nicht verlieren, ein Wörterbuch der großen philosophischen Tradition zu sein und zu bleiben. Aus diesem Grund wurden spezielle Termini mancher heutiger philosophischer Richtungen nur aufgenommen, wenn man von ihnen sagen kann, dass sie inzwischen zur allgemeinen philosophischen Terminologie gehören. Eine Reihe von Artikeln wurde aus dem Wörterbuch herausgenommen, vor allem solche, die anderen Wissenschaften als der Philosophie zugehören, wobei selbstverständlich klar ist, dass es hierbei immer Randunschärfen gibt und dass es zur Philosophie gehört, nicht im Elfenbeinturm zu sitzen, sondern auch die angrenzenden Wissenschaften zu berücksichtigen. Manche Ausdrücke werden nicht mehr allein für sich, sondern innerhalb eines anderen, größeren Artikels erörtert, manche konnten als veraltet weggelassen werden. Vor allem im Bereich der Sprachphilosophie und der politischen Philosophie wurde eine ganze Reihe neuer Termini aufgenommen. Fast alle Artikel wurden neu geschrieben. In bestimmten Bereichen musste darauf verzichtet werden, die Spezialausdrücke aufzunehmen. Dies gilt vor allem von den speziellen angewandten Ethiken, wie etwa der biologischen und medizinischen Ethik oder der Wirtschaftsethik. Hierfür gibt es inzwischen eigene Wörterbücher, die über die Bedeutung der entsprechenden Fachausdrücke informieren können. Der Abriss der Geschichte der Philosophie wurde bis in die Gegenwart weitergeführt. Dabei ergibt sich natürlich die Schwierigkeit, dass die Wichtigkeit zeitgenössischer philosophischer Richtungen und ihrer markanten Vertreter wesentlich schwerer einzuschätzen ist als bei Autoren vergangener Epochen, deren Wirkungsgeschichte ihnen inzwischen eine entsprechende Position in der Philosophiegeschichte zugewiesen hat. Aus diesem Grund ist es praktisch unvermeidlich, dass mancher wichtige zeitgenössische Philosoph

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Vorwort

6

übersehen wurde, während bestimmten anderen Autoren oder Richtungen möglicherweise zu viel Raum und Gewicht gegeben wurde. Die Gestaltung wurde im Großen und Ganzen beibehalten. Das Stichwortregister wurde jedoch in die Artikel alphabetisch eingereiht, wie dies allgemein üblich und sinnvoll ist. Ferner gibt es nur noch zwei Arten von Literaturangaben: Klassiker und heutige Literatur. Mein Dank gebührt zunächst einmal allen, die durch die Übernahme bestimmter Artikel an diesem Wörterbuch mitgewirkt haben und deren Namen im Autorenverzeichnis aufgeführt sind. Sodann danke ich meinen Mitarbeitern, die wesentlich dazu beigetragen haben, den philosophiegeschichtlichen Anhang bis in die Gegenwart weiterzuführen: dem Ehepaar Dr. Adrienne und Ulrich Weigl, Herrn Dr. Frank Beyersdörfer, Frau Dr. Bernadette SchwarzBoenneke und Herrn Dr. Thomas Nawrath. Ferner gilt mein Dank Frau EvaMaria Nawrath M.A. für die ganze abschließende redaktionelle Arbeit. Ein besonderer Dank gilt auch dem Verlag Alber und seinem Leiter, Herrn Lukas Trabert, für das Verständnis und die Geduld angesichts der Verzögerungen, die leider bei der Erstellung der Neuausgabe entstanden sind. Harald Schöndorf SJ

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Inhaltsverzeichnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Abkürzungen der Verlagsorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10

. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Abriss der Geschichte der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . .

597

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

705

Verzeichnis der Autoren

Philosophisches Wörterbuch

Namensregister

https://doi.org/10.5771/9783495860847 .

https://doi.org/10.5771/9783495860847 .

Verzeichnis der Autoren

PD Dr. Stefan Bauberger SJ, München Dr. Felix Berkemeier, München Prof. Dr. Norbert Brieskorn SJ, München Prof. Dr. Godehard Brüntrup SJ, München Dr. Rainer Carls SJ, Stockholm Prof. Dr. Peter Ehlen SJ, München Prof. Dr. Johannes Ehrat SJ, Rom Ruth Eichler, M.A., Bonn Prof. Dr. Paul Erbrich SJ † Prof. Dr. Rüdiger Funiok SJ, München Prof. Dr. Hans Goller SJ, Innsbruck Dr. Andreas Gösele SJ, München Prof. Dr. Bernhard Grom SJ, München Prof. Dr. Gerd Haeffner SJ, München Dr. Johannes Herzgsell SJ, München Dr. Dr. Johannes Huber, Heidelberg Bernd-Stefan Kellner, München Prof. Dr. Christian Kummer SJ, München Prof. Dr. Johannes Müller SJ, München Dr. Bruno Niederbacher SJ, Innsbruck Prof. Dr. Antonio Ponsetto SJ, München Prof. Dr. Dr. Friedo Ricken SJ, München Prof. Dr. Klaus Riesenhuber SJ, Tokio Prof. Dr. Giovanni Sala SJ, München Peter Sandner, Straubing Prof. Dr. Josef Schmidt SJ, München Prof. Dr. Harald Schöndorf SJ, München Dr. Fritz Schlumprecht, München Dr. Dr. Johannes Seidel SJ, München Dr. Andreas Trampota SJ, München Prof. Dr. Béla Weissmahr SJ † Katharina Wulffius, M.A., München

https://doi.org/10.5771/9783495860847 .

Abkürzungen der Verlagsorte

A Ab An At Au B Ba Be Bg Bi Bl Bn Bo Bs Bu C Ch D Da Dd E Ei Er F Fi Fr Fri G GC Gi Gö Gr Gt Ha Hd He HH Hi Hl

Amsterdam Aschaffenburg Antwerpen Athen Augsburg Berlin Barcelona Bern Braunschweig Bielefeld Brüssel Bonn Bologna Basel Breslau Cambridge Chicago Düsseldorf Darmstadt Dresden Edinburgh Einsiedeln Erlangen Frankfurt a. M. Florenz Freiburg i. Br. Fribourg/Schweiz Genf Garden City, N.Y. Gießen Göttingen Graz Gütersloh Hannover Heidelberg Helsinki Hamburg Hildesheim Halle

I J Jr K Ke Kh Kp L LA Lb Lei Lm Lo Ls Lv Ly Lz M Ma Md Me Mi Mr Ms Mz N Na NH Nj Nk NY O P Pb Ph Pr Q Rb Ro

Innsbruck Jena Jerusalem Köln Kempten Kopenhagen Konstantinopel Leipzig Los Angeles Lissabon Leiden Leumann, Turin London Lausanne Leuven, Louvain, Löwen Lyon Luzern München Madrid Maredsous Meisenheim (Glan) Mailand Marburg Münster Mainz Nürnberg Neapel New Haven Nijmegen Neukirchen(-Vluyn) New York Oxford Paris Paderborn Philadelphia Princeton Quaracchi, Grottaferrata Regensburg Rom

https://doi.org/10.5771/9783495860847 .

11 S Sa Sb Sh Sig St Th The Tl Tn To Tt

Salzburg Salamanca Straßburg Stockholm Sigmaringen Stuttgart Turnhout Thessalonike Toulouse Tournai Turin Toronto

Tü Up Ut V Va W Wa We Wi Ws Wü Z

Tübingen Uppsala Utrecht Venedig Vatikanstadt Wien Washington Weimar Wiesbaden Warschau Würzburg Zürich

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Philosophisches Wörterbuch Zahlen in eckigen Klammern verweisen auf die Randnummern im Abriss der Geschichte der Philosophie

Abbildtheorie 3 Erkenntnis 3 Vorstellung Abbildung (mathematisch) 3 Funktion 3 Zahl Abduktion 3 Schluss Aberglaube 3 Glaube Abgötterei 3 Religion Abgrund 3 Grund Ableitung 3 Beweis 3 Deduktion 3 Logik 3 Schluss Abschreckung 3 Strafe Absicht / Intention Der Begriff der A. ist mit dem der 3 I.alität verwandt; beide gehen auf das lat. Wort intentio zurück. Während Letzterer aber ganz allgemein die für geistige Akte charakteristische Gegenstandsbezogenheit benennt, handelt es sich bei Ersterem um einen handlungstheoretischen Begriff (3 Handlungstheorie), der die Zielgerichtetheit menschlichen Handelns und Wollens bezeichnet. Handlungen unterscheiden sich von Ereignissen dadurch, dass die in Verbindung mit ihnen gestellte Warum-Frage nicht mit einem vorausgehenden Ereignis, sondern mit einer A. des Handelnden beantwortet wird. Man spricht in diesem Zusammenhang – im Unterschied zur Ereigniskausalität – von i.aler Kausalität oder Handlungskausalität. An Profil gewinnt der Begriff der A., wenn man ihm den aristotelischen Begriff der Freiwilligkeit zur Seite stellt. Der Begriff der a.lichen Handlung ist enger als der der freiwilligen Handlung, der die Grenze der sittlichen Bewertung markiert. Während über die Freiwilligkeit einer Handlung neben der Rückführbarkeit des Handlungsprozesses auf den Handelnden als seinen Ursprung vor allem dessen Wissen bzw. Nicht-Wissen um die Handlungsumstände entscheidet, ist zur Klärung ihrer A.lichkeit die Frage maßgeblich, ob die Handlung auf Überlegung und einem daraus resultierenden Vorsatz beruht. Eine A. und das aus ihr hervorgehende Handeln können voneinander unterschieden werden: Sie können zeitlich auseinander fallen; man kann eine A. haben und die intendierte Handlung dann doch nicht ausführen; man kann seine A. erreichen oder verfehlen. Thomas v Aquin bestimmt die I. – im Anschluss an Aristoteles (Nik. Eth. III) – als einen Akt des Willens, der die anderen menschlichen Vermögen (das Wahrnehmungsvermögen, das Strebevermögen etc.) auf ein Ziel hin bewegt (STh I–II q 12 a 1). Und die durch sie

https://doi.org/10.5771/9783495860847 .

Absolut

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ermöglichten spezifisch menschlichen Handlungen (actiones humanae) beschreibt er als solche, die aus einer überlegten Willensbildung hervorgehen. Dabei unterscheidet sich der Wille von einer Neigung (inclinatio) dadurch, dass die von ihm hervorgebrachten Vorstellungen, die zum Handeln bewegen, das Ergebnis eines vorangehenden Reflexionsprozesses sind. Eine vorausgehende A. ist allerdings nur für diesen Typ von Handlung erforderlich. Es gibt auch Handlungen, die deshalb als a.lich gelten, weil sie von einer A. begleitet werden, wie z. B. spontane Handlungen oder Nebenhandlungen. Der Begriff der A. ist also mehrdeutig. Das i.ale Objekt kann z. B. mehr oder weniger allgemein bzw. spezifisch sein. Es ist sinnvoll, zwischen 3 Motiv und A. einer Handlung zu unterscheiden. Die A. umfasst im Unterschied zum Motiv nicht nur das angestrebte Ziel, sondern auch die Mittel zu diesem Ziel, und ist deshalb nur dann erreicht, wenn das Ziel auf die beabsichtigte Weise erreicht wurde. Da A.en im menschlichen Leben niemals isoliert vorkommen, führt die Frage nach der richtigen A. unweigerlich zu der nach dem richtigen Lebensentwurf bzw. der nach den richtigen Maximen. Aristoteles: Nik. Eth. III; T v Aquin: STh I–II q 6–21. – G Anscombe: A., Fr 1986; R M Hare: I., in: J Macquarrie / J Childress (Hg): A New Dictionary of Christian Ethics, Lo 1986; D Davidson: Bea.igen, in: ders.: Handlung und Ereignis, F 1990; F Ricken: Allgemeine Ethik, Kapitel C, St 4 2003.

Trampota Absolut (lat. ab-solvere: losgelöst, im Gegensatz zu relativ: bezogen) a. wird dasjenige genannt, welches in einer bestimmten oder in jeder Hinsicht als unabhängig von Bezügen, die es konstituieren, also von Bedingungen, gedacht werden muss. Der Radikalität des Philosophierens entspricht die Frage nach einem Letzten und Unbedingten, dem schlechthin A.en. Bereits die Vorsokratiker fragten nach einem nicht mehr auf anderes zurückführbaren Ursprung der Dinge (der Arché). Nach Platon ist dieses als höchstes Gutsein zu bestimmen (das mehr ist als faktisches Sein), weil erst in ihm ein letztes Umseinerselbstwillen gedacht werden kann, welches das wahrhafte Unbedingte, das »Anhypotheton«, ist (Politeia 511b). Dieses ist realer Grund aller Dinge, höchstes Ziel des Strebens und letzter Grund unseres Erkennens. Damit sind auch die verschiedenen Dimensionen der Frage nach dem A.en angesprochen. Nach einem letzten in sich stehenden 3 Sein fragt die 3 Ontologie, nach einem höchsten Wert die 3 Ethik und nach einer letztbegründeten Erkenntnis die 3 Erkenntnistheorie. Platons Einsicht in die Zusammenführung der Fragerichtungen war wegweisend für die in den großen metaphysischen Systemen der abendländischen Philosophie artikulierte Einsicht, dass ursprüngliches Sein, höchster Wert sowie der Grund alles Erkennens und Wollens letztlich identisch sein müssen, da ein Sein durch sich selbst nur als Sein um seiner selbst willen gedacht und seiner eigenen Präsenz in Erkennt-

https://doi.org/10.5771/9783495860847 .

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Abstrakt

nis und Bejahung nicht mehr gegenübergestellt werden kann. Das Problem, ein solches A.es zu denken, wird allerdings bereits durch dessen Begriff bezeichnet. Ist ein A.es (von anderem Losgelöstes) nicht selbst schon als Relatives bestimmt? Andererseits kann es nicht nur Relatives geben, das dann selbst als a. zu nehmen wäre. Das A.e muss also so gedacht werden, dass es die Beziehung zum Nichta.en begründet und umfasst und sich eben so als wahrhaft A.es erweist. Gelegentlich wird bereits bei den Kirchenvätern (Tertullian, Hieronymus) Gott als das »höchste Gut« mit dem Prädikat »a.« bestimmt. Anselm sagt vom göttlich substantiellen Geist: »qui solus a.e est« (Monol. 28). Aber erst von Nicolaus Cusanus wird der Begriff des A.en systematisch auf Gott angewendet: Die »unitas a.a, cui nihil opponitur, ipsa a. a. maximitas, quae est deus benedictus« (de doct. ign. I, 5), sie ist jeder Quantifizierung überlegen, da sie als das Umfassendste zugleich im Kleinsten enthalten ist (I, 4; de possest 8, 9). Wie Gott nur durch sich ist, so ist auch sein Begriff nur durch sich begreifbar, nicht von irgendwoher ableitbar, und ist insofern »a.us conceptus« (de possest 40). Im 3 Deutschen Idealismus wurde der Begriff des A.en zum Leit- und Grundbegriff, besonders auch der 3 Religionsphilosophie. Er ist bei J G Fichte der Begriff, der die Auflösung der kantischen Dualismen bezeichnet, gewonnen durch die Einsicht in die ontologische Relevanz moralischer Unbedingtheit. Bei F W J Schelling ist er zugleich Grundbegriff einer Philosophie der Natur, die in ihrer Entfaltung aus sich Selbstdarstellung des A.en ist. Für G W F Hegel ist die »a.e Idee« die Vermittlungseinheit aller logischen Bestimmungen und aller natürlichen und geistigen Vollzüge. Heute entspricht der traditionellen Frage nach dem A.en weitgehend die Diskussion um eine wissenschaftstheoretisch mögliche »Letztbegründung« theoretisch-praktischer Annahmen. Platon: Politeia, st505–511; Anselm: Monologion 28; N Cusanus: de docta ignorantia, de possest; J G Fichte: Wissenschaftslehre (1804), Anweisung zum seligen Leben; F W J Schelling: Darstellung meines Systems der Philosophie, Über das Wesen der menschlichen Freiheit; G W F Hegel: Wissenschaft der Logik, III, Enzyklopädie (1830), §§ 553–577. – V Hösle: Begründungsfragen des objektiven Idealismus, in: Philosophie und Begründung, F 1987, 212–267.

Schmidt Abstammungslehre 3 Evolution Abstrakt (lat. abstractus: abgezogen; Gegensatz: 3 konkret) a. sind unsere geistigen Erkenntnisse und Formulierungen, da sie als Resultat der 3 A.ion nicht alle Bestimmungen des Gegenstandes enthalten, sondern nur bestimmte Charakteristika herausgreifen, da das Betreffende nur unter einer bestimmten Rücksicht (scholastisch: Formalobjekt) betrachtet wird. Darum ist das A.e als solches nicht sinnlich wahrnehmbar, sondern kann nur begrifflich

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erfasst werden. Was a. ist, ist nicht anschaulich und ohne konkrete Beispiele. Somit sind alle 3 Begriffe insofern a., als sie das Individuelle oder Besondere weglassen und nur das Allgemeine enthalten, was der betreffenden Klasse gemeinsam ist. Allerdings wird oft nur dann von a.en Begriffen gesprochen, wenn das mit dem Begriff bezeichnete Objekt a. ist, also eine allgemeine Form (Natur, Eigenschaft oder dergleichen) ist, die als solche nicht individuell existiert. Dass von etwas abstrahiert wird, bedeutet nicht die Leugnung dessen, was weggelassen wird. Was a. (scholastisch auch: praecise oder praecisive) bezeichnet wird, lässt die mögliche Existenz anderer Bestimmungen offen. G W F Hegel nennt das einseitige und undialektische Verstandesdenken a., das nicht die Gesamtheit berücksichtigt. W Künne: A.e Gegenstände, F 1983; E N Zalta: Abstract objects, Dordrecht 1983; R Teichmann: Abstract entities, NY 1992; E Chitas (Hg): A. und konkret, F 2000; P Cobben u. a. (Hg): Hegel-Lexikon, Da 2006.

Schöndorf Abstraktion Die A. (gr. aphaíresis, lat. abstractio, resolutio: Wegnahme, Herausnahme) ist ein grundlegender geistiger Vorgang, der uns überhaupt erst das begriffliche und verallgemeinernde Denken und Erkennen ermöglicht. In der 3 Scholastik findet sich hierfür auch der Terminus praecisio und das hieraus hervorgehende Adjektiv präzisiv (praecise, praecisive), das besagt, dass der betreffende Ausdruck einen bestimmten Aspekt herausgreift, aber völlig offen lässt, ob es an der betreffenden Sache auch noch andere Aspekte gibt. Was präzisiv gemeint ist, will anderes nicht negieren, sondern macht darüber keine Aussagen. Die A. kann auf eine doppelte Weise aufgefasst werden: als ein Weglassen und als ein Herausnehmen. Beides sind aber nur zwei verschiedene Aspekte desselben Vorgangs, denn das Hervorheben dessen, worauf sich die A. konzentriert, setzt das Weglassen im Sinn des Ausklammerns oder Übergehens der übrigen Merkmale voraus. Die Möglichkeit und Notwendigkeit der A. ergibt sich daraus, dass unsere Erkenntnis nie allumfassend ist, sondern immer die Aufmerksamkeit auf bestimmte Objekte und gewisse Merkmale lenkt, um die Objekte auf diese Weise miteinander in Beziehung zu setzen. Ohne die A. könnten wir den verschiedenen Objekten nur Eigennamen oder Nummern zuerteilen, aber keine Beziehungen zwischen ihnen herstellen und hätten somit nur unverstandene isolierte Objekte, aber keine echte Erkenntnis. Die A. ist die Konzentration auf das Wesen(tliche), auf die Merkmale oder Momente, die ein Objekt mit anderen Objekten derselben Art (Klasse, Typ, …) oder Natur gemeinsam hat. Sie erlaubt uns die Klassifikation eines Objekts, die durch die Subsumtion dieses Objekts unter eine ganz bestimmte Klasse geschieht, was wir dadurch ausdrücken, dass wir das Objekt durch einen Allgemeinbegriff (3 Begriff) benennen. Die A. findet auf verschiedenen Ebenen statt: Zunächst klassifizieren wir

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die Objekte dadurch, dass wir ihnen nicht Eigennamen, sondern Allgemeinbegriffe zuerteilen, indem wir von den individuellen Unterschieden absehen und das Gemeinsame herausheben. Analoges geschieht, wenn wir verschiedene Arten zu einer Gattung zusammenfassen. Beim wissenschaftlichen Arbeiten geschieht ein vergleichbarer Vorgang, wenn wir Daten sammeln und nach bestimmten Gesichtspunkten einordnen, was wiederum zunächst das Herausheben des Gemeinsamen und das Absehen von den Unterschieden erfordert. Ähnliches gilt für die Entdeckung eines Naturgesetzes: Erst das Ausklammern bestimmter Faktoren als Randbedingungen (z. B. der Luftwiderstand beim Fallen eines Objekts) ermöglicht, dass sich (z. B. beim freien Fall, der so in der Natur normalerweise gar nicht vorkommt, sondern das Experiment erfordert) eine Gesetzmäßigkeit abzeichnet. Nach Aristoteles kommt bereits der sinnlichen Erkenntnis eine gewisse A. zu, insofern sie die Form (Washeit) von etwas Sinnlichem (forma, quidditas rei sensibilis) erfasst, was die Untersuchungen der Gestaltpsychologie bestätigt haben. Normalerweise schreiben wir aber die A. der geistigen Erkenntnis zu, da sie das Allgemeine in den konkreten Objekten und somit ihre 3 Natur oder ihr 3 Wesen (ihre Washeit) ausdrücklich erfassen und hierüber weitere Überlegungen anstellen kann, was die Voraussetzung für jede 3 Wissenschaft ist. Nach Aristoteles und Thomas v Aquin vermag der Geist den geistigen Gehalt dem sinnlich Gegebenen zu entnehmen (intelligible in sensibili). Das damit gewonnene geistige Erkenntnisbild (species intelligibilis) wird zuerst innerlich ins Wort gefasst (verbum mentis) und kann dann sprachlich als Begriff(sausdruck) formuliert werden. Die aristotelisch-scholastische Tradition kennt drei Formen der A.: die A. vom Individuellen und Besonderen; die A. von den sinnlichen Qualitäten, die bei der Mathematik vorliegt; die A. von der Materie überhaupt, die bei rein Geistigem vorliegt. Die Scholastik unterscheidet zwischen der Formala., bei der eine Form (Natur, Wesenheit, Eigenschaft, z. B. Menschheit, Schönheit) als solche erfasst wird, und der Totala., bei der der Begriff eines Ganzen (z. B. Mensch, Berg) gebildet wird. In der Spätscholastik wird die aristotelische A.slehre verändert, da man meint, der Gegensatz von Geist und Materie lasse ein Herausnehmen des Geistigen aus dem Sinnlichen nicht zu. Für Suárez geschieht darum die geistige Begriffsbildung parallel zur sinnlichen Wahrnehmung. Die Tradition betonte bei der A. die Heraushebung des Wesens des betreffenden Objekts. Nominalisten und Empiristen interpretieren die A. eher als die Erfassung äußerer Merkmale und sehen oft in der A. eine Art Verdünnung durch die begriffliche Formulierung im Gegensatz zur konkreten Fülle in der anschaulichen Gegebenheit eines Objekts. Hieran ist richtig, dass die A. vom Detailreichtum des Konkreten absehen muss. Dafür wird aber der Reichtum der Einsicht in die Zusammenhänge und Strukturen und in den Sinn und Zweck des Ganzen gewonnen. Außerdem werden die Details des Konkreten bei einer richtig verstandenen A. nicht geleugnet, sondern nur

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vorläufig ausgeblendet, um im Bewusstsein des größeren Zusammenhangs wieder in den Blick genommen werden zu können. Das Bemühen darum, eine falsch verstandene A. zu vermeiden und die Zusammenhänge des Ganzen ohne Verlust des Konkreten zu erkennen, kennzeichnet vor allem das Denken Hegels. Aristoteles: De anima III, 4–8; T v Aquin: STh I 40, 3c; 84, 6; 85, 1–3; F Suárez: DM 1, s. 1–5. – R Hönigswald: A. und Analysis, St 1961; K Prätor (Hg): Aspekte der A.stheorie, Aachen 1988; R D Rollinger: Meinong and Husserl on abstraction and universals, A 1993; L Spruit: Species intelligibilis from perception to knowledge, Lei 1994 f.; F Bertelé: Scienza, analogia, astrazione, Padova 1999; A de Libera: L’art des généralités, P 1999; M A Raschini: Concretezza e astrazione, V 2 2000; K Fine: The limits of abstraction, O 2002.

Schöndorf Abzählbar 3 Zahl Achtung 3 Gefühl Actio 3 Wirken Actualitas 3 Wirklichkeit Actus purus 3 Gott Adaequation 3 Wahrheit Adjunktion 3 Disjunktion Aevum 3 Ewigkeit Affekt 3 Leidenschaft Affektion, Affizieren 3 Leiden 3 Transzendentalphilosophie 3 Wirken Agere sequitur esse 3 Wirken Agnostizismus (gr. agnotos: unerkennbar, unbekannt) Der von T H Huxley 1869 eingeführte Ausdruck A. dient als Sammelbezeichnung für philosophische und religiöse Lehren, deren Vertreter bestimmte Realitäten für unerkennbar halten (vgl. 3 Skepsis), ohne – etwa wie im 3 Atheismus – deren Existenz zu leugnen. Im weitesten Sinn behauptet der A. die Unerkennbarkeit der Wirklichkeit (Wahrheit) überhaupt, im engeren Sinn die Unerkennbarkeit jeder transempirischen Realität, insbesondere der Realität Gottes (Dasein und Sosein), und bestreitet so die Möglichkeit von 3 Metaphysik und rationaler 3 Gotteserkenntnis. Ein A. findet sich u. a. im Kritizismus Kants. T v Aquin: STh I q 13. – H Robert (Hg): Der moderne A., 1979; J Marx (Hg): Athéisme et agnosticisme: colloque de Bruxelles mai 1986, Bl 1986.

Herzgsell Ähnlichkeit (gr. homoiótes, lat. similitudo) ist Gleichheit zusammen mit Verschiedenheit, wobei dies als ein Zugleich und Ineinander aufgefasst werden muss. Denn die Ä. beruht auf einer mehr oder minder großen qualitativen, formalen Übereinstimmung. Sie ist umso größer, je näher sie der Gleich-

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heit kommt. Für Aristoteles ist das ähnlich, was von derselben Qualität ist (Metaph. V, 15, 1021a). Für Thomas v Aquin hängt der Grad der Ä. davon ab, in welcher Weise und welchem Ausmaß es formale Gemeinsamkeit zwischen mehreren Seienden gibt. Als Seiende sind die Geschöpfe dem Ursprung allen Seins, Gott, ähnlich (STh I 4, 3c; ScG I, 29). Hierauf beruht die Möglichkeit analoger Aussagen über Gott (ScG I, 34). Zwischen Abbild und Urbild herrscht Ä., wobei das Ähnlichsein dem Nachrangigen und nicht dem Urbild zugeschrieben wird. Wittgenstein spricht in seinen philosophischen Untersuchungen von der Familienä., die darin bestehe, dass von verschiedenen Fällen jeweils zwei einander ähnlich sind, dass es aber keine durchgängige Ä. oder Gemeinsamkeit aller gebe. Der Terminus Familienä. ist allerdings unglücklich gewählt, da die Ä. der Familienmitglieder auf der gemeinsamen Abstammung beruht, Wittgenstein eine derartige Gemeinsamkeit aber gerade für die Familienä. bestreitet. Aristoteles: Metaph. V, 15; T v Aquin: STh I 4, 3c; ScG I, 29–34; L Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, 66 f. – J Kohne: Drei Variationen über Ä., Hi 2005.

Schöndorf Akademie 3 Platonismus Akt / Potenz sind die in der deutschsprachigen neuscholastischen Literatur üblichen Bezeichnungen für die in der aristotelischen Scholastik seit dem Mittelalter gebräuchlichen lateinischen Ausdrücke actus / potentia, die den aristotelischen Termini »energeia on« (Seiendes der Verwirklichung nach) bzw. »dynamei on« (Seiendes dem Vermögen nach) entsprechen. Sie sind die inneren Seinsprinzipien des 3 Werdens, der 3 Veränderung fähigen endlichen Seienden, und dienen dazu, das Werden, die Veränderung, die für das die Wirklichkeit in statischen Begriffen erfassende Denken aporetisch sind, verständlich zu machen. Denn Werden, Veränderung, kann nur dort stattgefunden haben, wo das Gewordene (z. B. ein Erwachsener) sich vom Werdenden (von einem Kind) unterscheidet, aber so, dass es dem Werdenden gegenüber nicht ein seinem 3 Wesen nach Anderes ist. Die Einsicht des Aristoteles war nun, dass es zur Lösung der begrifflich auftretenden Aporie notwendig ist, das Seiende innerlich differenziert zu denken, d. h. zu unterscheiden zwischen dem, was es »dem Vermögen nach« (als »dynamei on«, als »ens potentia« d. h. als P.) und dem, was es »der Verwirklichung nach« (als »energeia on«, als »ens actu«, also als A.) ist. P. ist demnach hinsichtlich dessen, was als A. zu gelten hat, ein relatives (weil schon bestehendes, aber noch weiter zu bestimmendes) Nichtseiendes. Die Bezeichnung »Vermögen« (dynamis) bedeutet, wenn sie – wie hier – auf Seiendes als Bestimmbares bezogen wird, eine passive Eigenschaft, eine »potentia passiva«, also eine »Möglichkeit, weiter bestimmt zu werden«. Von diesem ist das Vermögen

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im a.iven Sinn, die »potentia activa«, oder »das Vermögen, etwas bestimmen zu können«, zu unterscheiden. Hier ist allerdings zu bemerken, dass das Bestimmbare eigentlich nur unter der Voraussetzung der Existenz eines Bestimmen-Könnenden als Bestimmbares gelten kann, woraus folgt, dass die Unterscheidung des passiven und a.iven Vermögens nur eine »Unterscheidung der Zusammengehörenden« sein kann. Aristoteles veranschaulicht seine Konzeption gewöhnlich mit Hilfe von Beispielen, die aus der etwas gestaltenden Tätigkeit des Menschen genommen werden. Die vom Künstler erarbeitete fertige Statue der Venus ist »das der Verwirklichung nach Seiende« (der A.). Das von ihm bearbeitete Material (Bronze, Marmor) ist (im passiven Sinn genommenes) »Seiendes dem Vermögen nach« (die passive P.). Die hinsichtlich der fertigen Statue noch formlose Materie erhält durch die Tätigkeit des Künstlers (der die aktive P. ist) die Venusgestalt als das bestimmende Moment der fertigen Statue. Aus diesem Beispiel ist auch zu ersehen, warum für Aristoteles das Begriffspaar »Dynamis – Energeia« (also A. – P.) mit dem für seine Naturphilosophie wichtigen Begriffspaar »Hyle – Morphe« (3 Materie, 3 Form, 3 Hylemorphismus) übereinstimmt. Denn die im Bereich des Materiellen sich vollziehende Veränderung ist immer eine Veränderung von etwas, das, weil es in der Weise eines Substrates durch eine Form der Weiterbestimmung fähig bzw. bedürftig ist, sich zu dieser als die zu bearbeitende Materie verhält. Diese Identifizierung der Energeia-Dynamis-Lehre mit dem Hylemorphismus ergibt sich außerdem aus den Eigenschaften, die nach Aristoteles den Wesensformen des materiellen Seienden zukommen und die sich am deutlichsten auf der Ebene der Lebewesen kundtun. Auf der Stufe der Lebewesen ist es nämlich überdeutlich, dass das artbestimmende Allgemeine die Wesensform ist, die durch die Zeugung weitergegeben wird und sich in den jeweiligen (nach dem ersten Blick nur in ihrer Materialität verschiedenen) Individuen vervielfältigt. So kommt man in dem sich auf Aristoteles berufenden (neu)scholastischen Thomismus zu der These: Der A. als solcher ist (d. h. in seinem Artbereich) unendlich; er wird nicht begrenzt und nicht vervielfältigt, es sei denn durch die P, die ihn aufnimmt. Zum richtigen Verständnis der A.-P.-Lehre ist zu beachten, dass A. und P. als aufeinander bezogene Momente des Seienden, d. h. als Seinsprinzipien (also nicht als das, was selbst ein Etwas ist; sondern als das, durch das etwas ist), nicht aber als Selbststand habende Seiende aufzufassen sind. Deswegen betont Aristoteles immer wieder, dass weder die Materie selbst noch die Form selbst werden, sondern dass das aus ihnen Resultierende wird. Das kommt deutlich zum Ausdruck in der von ihm gegebenen Definition der 3 Veränderung. Trotzdem haben es weder er noch Thomas v Aquin deutlich ausgesprochen, dass A. und P. eben als entgegengesetzte Momente ineinander greifen und somit in Differenz identisch sind. An den für die philosophische Systematik entscheidenden Stellen wird jedenfalls die Verschiedenheit von A. und

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P. stets stärker betont als ihre Einheit. Das ist insofern verständlich, als beide Philosophen davon ausgehen, man müsse die Hinsichten, nach denen Unterscheidungen vollzogen werden, immer von einander deutlich abheben, was aber – streng durchgeführt – das Verstehen der letzten Fragen verhindern kann. Siehe: 3 Widerspruch, Satz vom. – Folgende Punkte sind hier zu erwähnen: a) Aus der nicht in Frage gestellten Forderung, dass das Potentielle und das A.uelle letztlich klar zu unterscheiden sind, ergibt sich die Notwendigkeit der Annahme einer »ersten Materie« als einer »puren Potentialität«, die gänzlich unbestimmt, jedoch nicht Nichts sein soll. b) Die Dynamis-Energeia-Lehre ist in ihrer durch die Identifizierung mit dem Hylemorphismus bestimmten Gestalt, die die Annahme fester Wesensgrenzen fordert, auf das geistige Seiende nicht anwendbar. Denn geistiges Seiendes ist Offenheit auf alles, was Aristoteles selbst betont. c) Das Streben nach eindeutigen Unterscheidungen führt dazu, dass die P. (das dem Vermögen nach Seiende), insofern sie dem A. (dem der Verwirklichung nach Seienden) entgegengesetzt ist, nur passive Potentialität besagt. D. h. die »Dynamis« im Sinne der systematischen Dynamis-Energeia-Lehre wird jeder Dynamik entblößt, wodurch ihre Bezogenheit zum a.uierenden Prinzip (zur a.iven P.) zu einer rein äußerlichen Beziehung wird. Wenn man nämlich die Frage stellt: Wie wird aus einem potentiellen Seienden ein a.uelles Seiendes? Dann lautet die Antwort: »Das der Verwirklichung nach Seiende entsteht immer aus dem Vermögen nach Seienden durch ein der Verwirklichung nach Seiendes« (Metaph. IX 8, 1049b, 24 f.). Diese Aussage wird meistens (und schon von Aristoteles selbst) so interpretiert, dass das a.uelle Seiende, dem es zu verdanken ist, dass aus einem potentiellen (noch zu vervollkommnenden) Seienden ein zur vollen Verwirklichung gekommenes Seiendes wird, ein von dem potentiellen Seienden verschiedenes, ihm gegenüber anderes Seiendes ist. Diese Interpretation führt aber dazu, dass das »seinsmäßige Mehr«, das der A. der P. gegenüber besitzt, immer von einem dem potentiellen Seienden gegenüber anderen Seienden kommen muss, denn, so wird argumentiert, nichts kann sich etwas geben, was es noch nicht hat; woraus dann folgt, dass jede Selbstbewegung (und damit auch jede freie Handlung) prinzipiell ausgeschlossen ist. Weil diese Konsequenz sicher falsch ist, muss man davon ausgehen, dass das im Werden entstehende Neue immer auch von dem werdenden Seienden selbst herstammt, dass also die zur weiteren Aktualität geführte P. auch selbst a.iv ist. Aus dieser Einsicht ergibt sich dann, dass der Begriff der P. ein »dialektischer« Begriff ist, d. h. ein solcher, der gebildet wurde, um eine vollkommen eindeutig gar nicht ausdrückbare Einsicht festzuhalten. Er besagt nämlich, dass eine gewisse Vollkommenheit (eben der A.), auf die hin ein Seiendes »vermögend« ist, in diesem Seienden anwesend ist, ohne schon zu ihm zu gehören. Eine Eigenschaft dem Vermögen nach zu haben, bedeutet also, dass ein Seiendes die betreffende Eigen-

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Allgemein

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schaft (ihrer Verwirklichung nach, d. h. tatsächlich) zwar nicht hat, ihrer aber trotzdem nicht schlechthin entbehrt, sondern sie »irgendwie« besitzt. Oder von der entgegengesetzten Seite her betrachtet: Jedes endliche Seiende ist immer schon mehr als es ist; jede P. ist immer auch eine von sich aus a.ive P. In der Theologie wird manchmal der Ausdruck »Gehorsams-P.« (potentia obedientialis) gebraucht. Darunter versteht man die Fähigkeit des geistigen Geschöpfs (also des Menschen), dem Wirken Gottes auch über die Grenzen seiner (als bloß geschöpfliche Wirklichkeit aufgefassten) Natur Raum zu bieten. Sie soll die Voraussetzung für die übernatürliche Begnadigung des Menschen (also für seine Teilhabe am inneren Leben Gottes selbst) sein, die man als ein über die durch die Schöpfung begründete menschliche Natur hinausgehendes Geschenk betrachtet. Aristoteles: Metaph. V, 7, 12; IX 1–9; XII 6, 7, 9; T v Aquin: In metaph. Arist. IX; Sth I q 3 a 4; Plotin: Enn. II, 4, 6, 8–12, 16. – G Manser: Das Wesen des Thomismus, Fri 3 1949; J Stallmach: Dynamis und Energeia, Me 1959; J Krämer: Der Ursprung der Seinsmetaphysik, A 1964.

Weissmahr Aktualismus, Aktualitätsphilosophie 3 Seele Akzidens 3 Substanz/Akzidens Akzidentell 3 Prädikabilien Algorithmus 3 Wissenschaftstheorie Allaussage 3 Allgemein 3 Induktion Allegorie 3 Symbol 3 Metapher All-Eins-Lehre 3 Monismus Allgegenwart 3 Gottes Eigenschaften Allgemein bedeutet »gemein(sam)« (gr. koinós, lat. communis, engl. common) z. B. in 3 Gemeinwohl im Gegensatz zu »besonders« (gr. ídios, lat. proprius, engl. particular, singular), aber auch »alles je für sich« (gr. kathólou, lat. generalis, universalis, engl. universal) im Gegensatz zu »einzeln«, »individuell« (gr. kath’hékaston, lat. singularis, engl. single, individual, 3 Individuum). A. sind die durch prädikative 3 Abstraktion aus Einzelnen gewonnenen und durch prädikative Phrasen wie ›singt‹ und ›ist ein Pferd‹ ausgedrückten 3 Begriffe (lat. universalia). In seiner Prädikatsfunktion (3 Logik) hat jeder von ihnen einen bestimmten Inhalt, der auf ein unbestimmtes logisches 3 Subjekt bezogen ist und von jedem Einzelnen einer wenigstens gedachten 3 Vielheit wahrheitsgemäß ausgesagt werden kann. Die durch Totalabstraktion, d. h. durch Absehen von der Prädikatsfunktion und durch Substantivierung gewonnenen a.en Terme (lat. nomen commune, engl. common nouns) wie ›Singender‹ und ›Pferd‹ unterscheiden sich von singulären Termen für sogenannte Individualbegriffe (3 Definition) wie ›der höchste Alpengipfel‹, ›der gegenwärtige König von Frankreich‹, und von Ausdrücken für Begriffs-

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Analogie

konstruktionen wie ›die Zeit‹, ›das Universum‹, Kollektivbegriffe wie ›die Vereinigten Staten‹ und Stoffbegriffe wie ›Wasser‹. Mit a.er 3 Natur (lat. natura communis, universalis) meint man das, was einem durch Formalabstraktion gewonnenen 3 abstrakten Begriff, z. B. dem des Pferdseins, in der 3 Realität entspricht (3 Universalienproblem). – Alle einfachen 3 Aussagen bzw. (Aussage-)Sätze enthalten mindestens einen Begriff als Prädikat. In Allaussagen, d. h. in a.en (generellen) Aussagen bzw. Sätzen, wird – im Gegensatz zu singulären Aussagen – der Prädikatbegriff in Bezug auf einen a.en Subjektbegriff (-term) und – im Gegensatz zu partikulären und anderen Aussagen – generell, d. h. auf a.e Weise, ausgesagt. – Man spricht von a.gültigen 3 Urteilen und 3 Behauptungen, wenn die entsprechenden Aussagen uneingeschränkt wahr sind, von a.gültigen (logischen) 3 Regeln, wenn diese notwendige Beziehungen besagen und uneingeschränkt angewendet werden, und von a.gültigen 3 Normen (3 Werten), wenn die ihnen entsprechenden Bewertungen uneingeschränkt, d. h. zu allen Zeiten für jeden gültig sind (vgl. 3 Geltung). Entsprechend den verschiedenen Formen des A.en kann man von Vera.erung bzw. Generalisation sprechen: (1) bei Begriffsbildung, insofern Begriffe durch Abstraktion aus dem konkreten Einzelnen gewonnen werden, (2) bei der Bildung von Allaussagen aufgrund von singulären oder partikulären Tatsachen der 3 Erfahrung (3 Induktion), (3) bei der Erfassung der A.gültigkeit von Urteilen, Regeln, Normen usw. Platon: Menon 72c-77a; Aristoteles: Metaph. I, VII, XIII; N Hartmann: Aristoteles und das Problem des Begriffs, 1939; E Tugendhat: Ti Kata Tinos, 1958; PF Strawson: Individuals, Lo 1959; W V Quine: Word and Object, C 1960. – P T Geach: Reference and generality, NY 1962; G Patzig (Hg): Gottlob Frege, 1962.

Carls Allmacht 3 Gottes Eigenschaften Allquantor 3 Logik Alltagssprache 3 Sprache 3 Sprachphilosophie Allwissenheit 3 Gottes Eigenschaften Altruismus 3 Liebe Anagogisch 3 Methode Analogie Die allgemein üblich gewordene Bedeutung des philosophischen Fachausdrucks A. ist das Ergebnis einer langen Entwicklung, die auch den Gebrauch dieses Wortes in der heutigen Umgangssprache bestimmt und die mit der ursprünglichen philosophischen Verwendung dieses griechischen Wortes (das von »aná-logon« herstammend »nach-Verhältnis« bedeutet) nur teilweise übereinstimmt. Die philosophische Besinnung auf Eigentümlichkeiten der Sprache entdeckte u. a., dass die gleichen Wörter in verschiedenen Zusammenhängen Verschiedenes bedeuten. Damit ist (in heutiger Terminologie ausgedrückt) das A.problem unter seinem semantischen Aspekt, d. h. als Eigenschaft der

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Analogie

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in verschiedener Bedeutung verwendeten gleichlautenden Prädikate, angesprochen. – Die sich auf dieses Problem beziehende wirkungsgeschichtlich bedeutende Stellungnahme von Aristoteles steht im 1. Kapitel der Kategorien. Hier werden die Ausdrücke ›homonym‹, ›synonym‹ und ›paronym‹ erklärt. Homonym (gleichnamig) nennt er Dinge, die trotz der sich auf sie beziehenden gleichen sprachlichen Zeichen der Sache nach vollständig verschieden sind (›Flügel‹ als Körperteil des Vogels und eine Art des Klaviers). Heute spricht man in diesen Fällen meistens von Äquivokation, die man als Lautgleichheit übersetzen kann. Das dieselbe Lautgestalt, jedoch verschiedene Bedeutung habende Wort wird ›äquivok‹ verwendet. – ›Synonym‹ heißen bei Aristoteles Dinge, bei denen sowohl der Name gemeinsam als auch der zum Namen gehörige Wesensbegriff derselbe ist. Sein Beispiel ist ›Sinnenwesen‹ für den Menschen und für den Ochsen, das als generische Bezeichnung (seiner Meinung nach) für die Genannten im selben Sinn gebraucht wird. ›Synonym‹ bedeutete also für Aristoteles etwas vom heutigen Sprachgebrauch Grundverschiedenes. Denn heute steht ›synonym‹ für ›gleichsinnig‹, d. h. für die Eigenschaft von verschiedenen Wörtern, nach der sie die (annähernd) gleiche Bedeutung haben (z. B.: Angebot – Offerte; unterweisen – lehren; untief – seicht). – ›Paronym‹ (nachbenannt) nennt Aristoteles Dinge, die mit vom gleichen Stamm abgeleiteten Wörtern bezeichnet werden (Rede, Redner, reden). Für die Entwicklung der Lehre der A. sind jene Beobachtungen des Aristoteles bedeutsam, die sich auf zwei Arten der Homonymie beziehen. Dies sind einmal jene, die durch eine Proportionsgleichheit (»kat’analogian«) miteinander verbunden sind; und das andere Mal jene bedeutungsverwandten Worte, welche bezogen sind auf einen Ausdruck (»pros hen«), dem eine Primärbedeutung zukommt. Von diesen nämlich leiten sich die in der mittelalterlichen Philosophie vor allem diskutierten Hauptarten der A., d. h. die Proportionalitätsa. und die Attributionsa., ab. – Diese haben das Ziel, die A. so zu bestimmen, dass dabei das Verhältnis des gleichen Wortes zu jenen ›Sachen‹, auf welche sich das Wort bezieht, möglichst klar zum Ausdruck kommt. Hiermit ist das über den bloß semantischen Aspekt hinausgehende erkenntnistheoretische Problem der A.lehre angesprochen: Wie ist das Verhältnis von erkannter Wirklichkeit und deren sprachlicher Ausdruck zu denken? Fest steht jedenfalls, dass unsere auf eindeutige Wortbedeutung durch 3 Definition festgelegten 3 abstrakten 3 Begriffe der Erkenntnis der konkreten Wirklichkeit niemals ganz gerecht werden können, da sie von den in der Wirklichkeit jeweils vorhandenen Differenzen der mit dem gleichen Wort bezeichneten ›Sachen‹ absehen. Klare Eindeutigkeit (›Univokation‹) gibt es deshalb nur auf der Ebene des Begriffs. Das bedeutet aber (was die scholastische Philosophie nicht erkannt hat), dass wir, indem wir sprechen, jedes nicht durch Definition auf einen univoken Gebrauch festgelegte Wort eigentlich immer analog gebrauchen, d. h. so, dass wir mit dem einen Wort alle die zu

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seinem Umfang gehörenden ›Sachen‹ bezeichnen (und sie so als miteinander gleiche behandeln), ohne jedoch damit unser (gewöhnlich allerdings explizit nicht thematisiertes) Wissen um die zwischen diesen ›Sachen‹ bestehenden Differenzen zu leugnen. Der die Sprache spontan gebrauchende Mensch weiß also um den tiefsten, nämlich um den ontologischen Aspekt der A., d. h. darum, dass A. letztlich eine Grundbestimmung alles Wirklichen, also der Seienden als solchen ist. Damit ist das gemeint, was man mit dem Ausdruck »A. des Seins« bezeichnet. Sie besteht darin, dass Seiende im Sein sowohl miteinander übereinkommen als auch sich voneinander unterscheiden. Analog sind deshalb von einem ontologischen Standpunkt her betrachtet diejenigen, die in dem übereinkommen, worin sie sich unterscheiden. Diese Einsicht setzt freilich zum einen voraus, dass man unter 3 Sein (im Gegensatz zu einer rein logischen Betrachtung) nicht etwas bloß Formales, sondern etwas höchst Inhaltliches, nämlich die »Vollkommenheit der Vollkommenheiten« (Thomas v Aquin) versteht; und zum anderen, dass man eingesehen hat, man muss zwei Weisen der 3 Identität und der 3 Differenz unterscheiden (nämlich eine aufgrund der Seinsvollkommenheit und eine aufgrund der Seinsunvollkommenheit). Deshalb ist die saubere Unterscheidung der verschiedenen Hinsichten (die für das begriffliche Denken eine wesentliche Forderung ist) überall dort, wo es um die letzten Gründe der Wirklichkeit geht, nicht wirklich durchführbar (3 Widerspruch, Satz vom). Aus dieser Einsicht ergibt sich, dass die üblichen Darlegungen der A. diese nicht in ihrer letzten Bedeutung erfassen. Die Attributionsa. stützt sich darauf, dass in der Sprache viele Wörter in einem übertragenen Sinn gebraucht werden, wobei es aber eine Hauptbedeutung gibt, von der her die anderen Verwendungen ihre Bedeutung ableiten. (›Gesund‹ heißt ursprünglich der seinsollende Zustand eines Lebewesens; ›gesund‹ nennen wir aber auch die Gesichtsfarbe und auch gewisse Speisen, weil sie Ausdruck der Gesundheit oder das sind, was diese fördert.) – Die Proportionalitätsa. bestimmt die A. als eine gewisse Entsprechung der Verhältnisse. Beispiel: ›Prinzip‹ ausgesagt vom Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern und vom Verhältnis des Punktes zur Linie. – In beiden Fällen besteht eine Tendenz, unter den Analogaten ein eindeutiges Moment festzuhalten, weshalb sie immer im Sinne einer Univozität (miss)verstanden werden können. T v Aquin: Sth q 13a 5; De Ver 2, 11; De Pot q 7a 7; Cajetanus (Tommaso de Vio): De nominum analogia; Suárez: Disp. metaph. d 32 sect 2; I Kant: Prolegomena § 58. – E Przywara: Analogia entis 1932; P Grenet: Les origines de l’A. philosophique dans les Dialogues de Platon, P 1948; H Lyttkens: The analogy between God and the world, Up 1952; G Klubertanz: St. Thomas on analogy, Ch 1960; B Montagnes: La doctrine de l’analogie de l’être d’après s Thomas d’Aquin, P 1963; L Puntel: Analogie und Geschichtlichkeit, Fr 1969; B Weissmahr: Ontologie, St 1985, 89–95.

Weissmahr

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Analyse

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Analyse (gr. analysis: Auflösung) ist – im Gegensatz zur 3 Synthese – die Zergliederung eines Ganzen in seine Teile, einer Einheit in eine Vielheit. Bei der logischen A. des Aristoteles werden Schlüsse auf ihre die Schlüssigkeit garantierende logische Form zurückgeführt. In der Erkenntnisa. wird nach Bonaventura das expliziert (ausdrücklich gemacht), was in einer vorgegebenen Erkenntnis implizit (unentfaltet) enthalten ist. Durch logische A. der Sprache versuchen analytische Philosophen im 20. Jahrhundert auf verschiedene Weise, die der natürlichen Sprache zugrundeliegenden logischen Formen (syntaktische A.) oder die Bedeutung ihrer Ausdrücke und Sätze (semantische oder pragmatische A.) zu klären. Die A. untersucht Gegenstände oder Vorgänge auf ihre Bestandteile, Entstehungsbedingungen, -ursachen oder -verläufe hin oder Begriffe, Urteile und Schlüsse auf ihre Grundbegriffe (oder Merkmale), Grundsätze und Grundschlussformen hin. J Hintikka / U Remes: The Method of Analysis, Dordrecht 1974; E Tugendhat: Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie, F 1976.

Herzgsell Analytik, existenziale 3 Existenzphilosophie Analytik, transzendentale 3 Transzendentalphilosophie Analytisch / Synthetisch haben ihren Wortsinn aus den Substantiven »análysis« (Auflösung, Zergliederung) und »synthesis« (Zusammensetzung). Die Problematik des Begriffspaars ist durch Kant bestimmt, der diese Termini als eine vollständige disjunktive Einteilung der Urteile eingeführt hat. Dabei war seine Grundabsicht, die Basis für eine besondere Klasse von Aussagen zu schaffen, nämlich die s.en Urteile a priori (3 Transzendentalphilosophie). Nach der Kritik der reinen Vernunft (A 6 f., auch Prolegomena § 2) ist in einem Urteil das Prädikat entweder im Begriff des Subjekts enthalten oder liegt außer ihm. Im ersteren Fall ist das Urteil a., insofern das Prädikat durch Zergliederung des Subjektbegriffs erkannt werden kann, im anderen Fall fügt das Prädikat dem Subjekt etwas hinzu. Kant nennt die a.en Urteile auch »Erläuterungsurteile«, die s.en »Erweiterungsurteile«. In A 151 wird auf einen anderen Aspekt der a.en Aussagen hingewiesen, der den Grund ihrer Wahrheit betrifft. »Wenn das Urteil a. ist […], so muß dessen Wahrheit jederzeit nach dem Satz des Widerspruchs hinreichend können erkannt werden«. Diese Bedeutung von a. (und die entsprechende von s. für die Urteile, deren Wahrheit nicht mittels des Widerspruchsprinzips allein erkannt werden kann) erklärt, warum die Ausdrücke ›a.e‹ bzw. ›s.e Aussagen‹ als Synonyme von ›a.en‹ bzw. ›s.en Wahrheiten‹ verwendet werden. Diese ›klassische‹ Einteilung wirft die Frage auf, ob das Verhältnis eines Prädikats zum Subjekt das Proprium des Urteils sei und nicht vielmehr dem vorhergehenden Moment der Einsicht in eine Erfahrung gehöre, so dass Erweiterung und Erläuterung eines Begriffs die Leistung der Einsicht sei, aus der der Begriff hervorgeht.

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Analytische Philosophie

I Kant: KrV. – H Vaihinger: Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft, 1881, I 253–292.

Sala Analytische Philosophie Unter ›Analyse‹ versteht man im Zusammenhang der a. P. das Zerlegen eines komplexen Begriffs, Gedankens oder einer Theorie, so dass eine an der Oberfläche nicht direkt erkennbare logische Struktur sichtbar wird. Die a. P. benutzt dabei das logische Instrumentarium, das vor allem von Frege und Russell entwickelt wurde und das eine wesentliche Umformung und Erweiterung der klassischen aristotelischen 3 Logik darstellt. Die Frege’sche Analyse des Satzes gemäß der mathematischen Struktur von Funktion und Argument sowie seine Entwicklung der Prädikatenlogik in der Begriffsschrift (1879) können als theoretischer Ausgangspunkt der a. P. betrachtet werden. Einflussreich war auch die logische Analyse von »existiert« als Quantor und die daraus resultierende Analyse der logischen Form von Existenzaussagen als »Es gibt ein x, so dass Fx«. Die logische Analyse der Eigennamen als definite Beschreibungen in On Denoting (1905) von Russell komplettierte das analytische Instrumentarium und ermöglichte die Elimination verschiedener semantischer Probleme, die auf der logischen Oberflächenstruktur der Sprache auftauchen (z. B. Eigennamen, die sich auf keinen Gegenstand in der Welt beziehen). Wittgenstein baute dann auf Frege und Russell auf. Er konstruierte Propositionen funktional und teilte die Skepsis gegenüber der Oberflächenanalyse der syntaktischen Struktur von Aussagen. Die logische Analyse von Aussagen und damit des Denkens setzt tiefer an als die Syntax. Für den frühen Wittgenstein des Tractatus (1918) führte die logische Analyse der Sprache auch zu metaphysischen Schlussfolgerungen über die ontologischen Strukturen der Welt. Die philosophische Analyse sollte in zwei Schritten verlaufen: Nach der Aufdeckung der logischen Tiefenstruktur einer Proposition folgte in einem zweiten Schritt die Frage nach den metaphysischen Konsequenzen dieser logischen Analyse. Dieser Begriff der philosophischen Analyse wurde in der so genannten »Cambridge School of Analysis« vertreten, beispielsweise durch Stebbing, eine Mitbegründerin (1933) der bis heute die a. P. exemplarisch verkörpernden Zeitschrift Analysis. Neben der Cambridger Schule gab es die Wiener Schule, die wesentlich von Rudolf Carnap geprägt wurde (Logische Syntax der Sprache, 1934). Für den sogenannten Wiener Kreis war eine im weiten Sinne kantisch geprägte kritische Einstellung gegenüber der Metaphysik charakteristisch. Neben Empirie und rein analytischer begrifflicher Erkenntnis in Mathematik und Logik gab es keinen Raum für Metaphysik. Die Philosophie wurde eine Disziplin zweiter Ordnung, die Propositionen anderer Disziplinen formallogisch analysierte. Um einen sprachlichen Ausdruck aber genau logisch analysieren zu können, muss der Ort bestimmt werden, den er im Gesamtsystem einer formal präzise zu bestimmenden

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Analytische Philosophie

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Sprache einnimmt. Spätestens ab hier kann man dann einen eindeutigen »linguistic turn« der Philosophie konstatieren. Wegen der formalen Kunstsprachen, die notwendig werden, um die Vagheit der Ausdrücke der natürlichen Sprache zu überwinden, spricht man auch von einer »idealsprachlichen« Richtung der a. P. Ein wichtiges Organ dieser Richtung ist die von Carnap 1930 mitbegründete Zeitschrift Erkenntnis. Eine davon zu unterscheidende Form der philosophischen Analyse wurde in Oxford entwickelt. Hier war ebenfalls der Gedanke zentral, dass die oberflächliche semantische Struktur der Sprache die Philosophie in die Irre führt. Die Analyse der sprachlich-logischen Form von Aussagen muss daher die nicht unmittelbar gegebene logische Tiefenstruktur explizieren. Für die Oxford-Schule, der man den späten Wittgenstein, Ryle und Austin zurechnen kann, war die Einsicht leitend, dass ein Mangel an solcher kritischen Analyse der natürlichen Sprache viele philosophischen Probleme allererst entstehen lässt. Obwohl man ein genuin metaphysisches Problem identifiziert zu haben glaubt, reflektiert man eigentlich nur über die syntaktische Form der natürlichen Sprache und nicht über die Welt. Wegen dieses Augenmerks auf die natürliche Sprache spricht man daher von der »normalsprachlichen« Richtung der a. P. Ryle versuchte in The Concept of Mind (1949) am Beispiel des Leib-Seele-Problems zu zeigen, wie eine Fragestellung der klassischen Metaphysik durch einen in mangelnder sprachlicher Analyse begründeten Kategorienfehler entsteht. Im Werk von Strawson wendet sich die normalsprachliche Richtung aber wieder der Metaphysik zu (Individuals, 1959). Er versuchte, die ontologischen Annahmen zu explizieren, die in den fundamentalen und irreduziblen begrifflichen Unterscheidungen der alltäglichen Sprache verborgen sind. Die philosophische Metaphysik ist also rein deskriptiv, weil sie die in der normalen Sprache implizit angenommenen ontologischen Strukturen zwar durch Begriffsanalyse beleuchtet, aber nicht revidiert. Nach dem 2. Weltkrieg verlagerte sich der Schwerpunkt der a. P. in die USA, nicht zuletzt weil prominente Vertreter des Wiener Kreises dorthin ins Exil gegangen waren. Die amerikanische Ausprägung der a. P. folgte aber nur teilweise dem Vorbild des Logischen Positivismus. Von dort entlehnte man die Orientierung an den Naturwissenschaften, die Metaphysikfeindlichkeit übernahm man hingegen nicht. Es entwickelte sich eine deutliche Tendenz zu einer physikalistischen Ontologie. Die zentrale Figur war Quine, dessen Kritik der analytisch-synthetisch-Unterscheidung die Grenzen zwischen empirischen Wissenschaften und philosophischer Begriffsanalyse verwischte. Seine Kritik an den Zwei Dogmen des Empirismus (1951) überwand die scharfe Trennung zwischen Naturwissenschaft und Ontologie. Einen Wendepunkt markierte in vielfacher Hinsicht Kripke, dessen sprachphilosophische Untersuchung Naming and Necessity (1972) ausgehend von einer Analyse der Eigennamen und der Artbezeichnungen gegen die anti-realistischen Tendenzen in der a. P. und für einen metaphysischen Realismus argu-

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Andere

mentierte. Gegen die Modalitätsskepsis setzte er einen Essentialismus in Bezug auf die natürlichen Arten und rehabilitierte damit Teile der klassischen Metaphysik. Schließlich argumentierte er für die Verschiedenheit von Gehirn und Geist. Damit wurde eine doppelte Engführung der a. P. überwunden: nicht-physikalistische Ansätze gewannen an Einfluss, und es trat neben dem Thema der Sprache auch die Frage nach der Ontologie mentaler Entitäten in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Übergang von der Philosophie der Sprache zur Philosophie des Geistes ergab sich aus systematischen Gründen. Zentrale Begriffe der Bedeutungstheorie, wie z. B. ›Intentionalität‹ können nicht ohne eine Ontologie des Mentalen expliziert werden. Die a. P. hat so schrittweise fast alle ursprünglichen Begrenzungen überwunden und ist zur breitesten und einflussreichsten Strömung der Gegenwartsphilosophie geworden. Sie umfasst neben den erwähnten Gebieten Sprachphilosophie und Philosophie des Geistes vor allem auch die analytische Ontologie, in der Fragen der klassischen Metaphysik wie die nach der Natur der Universalien, der Einzeldinge oder der Possibilien mittels des begrifflichen Instrumentariums der modernen Logik diskutiert werden. Daneben gibt es andere florierende Gebiete wie die analytische Ethik oder die analytische Religionsphilosophie. Die a. P. ist heute eine inhaltlich pluralistische, nur durch methodologische und historische Gemeinsamkeiten verbundene Bewegung. Vertreter der a. P. bemühen sich um begriffliche und argumentative Klarheit unter Einsatz des logisch-semantischen Instrumentariums, das von Frege, Russell, Wittgenstein, Carnap und anderen entwickelt wurde und in den folgenden Jahrzehnten eine umfassende Ausarbeitung erfuhr. G Frege: Begriffsschrift; B Russell: On Denoting, in: Mind Nr. 14 (1905); L Wittgenstein: Logisch-philosophische Abhandlung, Tractatus logico-philosophicus, 479–493; L Stebbing: The Method of Analysis in Metaphysics, in: Proc. Aris. Soc. 33 (1932–3), 65–94; R Carnap: Die Logische Syntax der Sprache, W 1934; G Ryle: The Concept of Mind. Lo 1949; W V O Quine: Two Dogmas of Empiricism, in: Phil. Rev. 60 (1951), 20–43; P Strawson: Individuals, Lo 1959; S Kripke: Naming and Necessity (1972), O 1980.

Brüntrup Anámnesis 3 Platonismus Anarchismus 3 Staatsphilosophie Anbetung 3 Religion Ancilla theologiae 3 Scholastik 3 Theologie Andere Im philosophischen Sprachgebrauch kommt das Wort vor allem in den Wendungen ›das Eine / das A.‹ und ›das Selbst / der A.‹ vor. Seine Großschreibung sagt, dass es sich um eine 3 Kategorie bzw. um einen Grundbegriff handelt. Alles, was innerhalb einer Vielheit als ein Etwas (unum, aliquid) erfasst wird, ist ein a.s (aliud-quid) im Vergleich zu a.m. Einheit und Andersheit definieren sich so gegenseitig. Das, was als das eine bezeichnet wird,

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Angst

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bekommt dadurch einen gewissen Vorrang vor dem bloß A.n. Es gibt, innerhalb einer Menge, eine relative Andersheit in der Ordnung des Soseins (›Türkis ist anders als blau‹) und in der Ordnung des individuellen Seins (›Fritz ist durch einen a.n ersetzt worden‹). Innerhalb eines paarweisen Gegensatzes (z. B. oben–unten, Frau–Mann) herrscht eine korrelative Andersheit. In der Tradition des Platonismus, wo der Gedanke des schlechthin Einen gedacht wird, das nicht durch seine Abgrenzung von a.m innerhalb eines Allgemeinen bestimmt werden kann, ist die pure Andersheit ein Grenzbegriff, der mit dem der Ersten 3 Materie zusammenfällt. Das schlechthin Eine (Gott) ist das Nichta. (Cusanus). In der späten Neuzeit tritt jenes Verhältnis in den Mittelpunkt des Interesses, in dem ich selbst für mich selbst der eine bin, dem alles a. zum A.n wird, sei es, dass dieses unbestimmt sächlich bezeichnet wird (die Natur als Nicht-Ich) oder als wiederum selbsthafter A.r auftritt, der zu mir »du« sagt bzw. den ich mit »du« anreden kann. Jedes Selbst hat die Tendenz, sich als das privilegierte Eine zu verstehen. So kommt es im Verhältnis zwischen Zweien, die sich gegenseitig zu A.n werden, leicht zu einem Kampf um Über- oder Unterordnung bzw., was das Schwierigste ist, zur Bemühung um gegenseitige Anerkennung. G W F Hegel (in seiner »Phänomenologie des Geistes«, im Kapitel über die Entstehung des Verhältnisses von Herr und Knecht) und J-P Sartre (in »Sein und Nichts«) haben diesen Kampf eindringlich beschrieben. Nach E Levinas wird zunächst alles, was die Welt eines Menschen ausmacht, als auf ihn relativ empfunden. Wie kann da Gott als der ganz A. zu mir erkannt werden, ohne dass zugleich das Ich vernichtet wird? Antwort: Im Blick des Schwachen, in dem die Bitte liegt, die zugleich ein Imperativ ist: Töte mich nicht. E Levinas: Totalität und Unendlichkeit, Den Haag 1961; P Ricœur: Das Selbst als ein Anderer, P 1990. – P Bolberitz: Philosophischer Gottesbegriff bei Nikolaus Cusanus, Lp 1989; S Rütter: Herausforderungen angesichts des A.n, Fr 2000; A Letzkus: Dekonstruktion und ethische Passion, M 2002.

Haeffner Angeborene Ideen 3 Ideen 3 Kategorien Angenehm 3 Gut Angleichung 3 Erkenntnis Angst im weiteren Sinn ist eine der stärksten psychophysischen Emotionen. Sie ist das 3 Gefühl der Beunruhigung über ein bevorstehendes Übel, dem man sich nicht gewachsen glaubt. Als solche ist sie ein wichtiges Thema der Psychologie und Psychotherapie. Ins Zentrum des philosophischen Interesses rückt die A. bei Kierkegaard, der sie streng von der Furcht unterscheidet. Während die Furcht eine Reaktion auf eine erkennbare Bedrohung des weltlichen Daseins ist, ist die A. objektlos und unbestimmt: In ihr fühlt sich das Ich selbst bedroht, und zwar von innen her, wobei sich in das Bedrohliche

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Anlage

auch Faszination mischt. Genauer gesagt hat Kierkegaard die A. als eine anfängliche Form des 3 Selbstbewusstseins der 3 Freiheit im Auge, wobei er Freiheit als die Möglichkeit und Notwendigkeit sieht, ohne jeden Halt an Endlichem sich selbst zu bestimmen, und zwar angesichts der doppelten Alternative von Gut und Böse und damit von Selbstgewinn oder Selbstverlust. Weil das Aufkeimen des Freiheitsbewusstseins mit A. verknüpft ist, wird verständlich, warum Menschen auf der Flucht vor ihrer Freiheit sind und sich so verfehlen. Heidegger denkt besonders an jene A., in der das Sein zum 3 Tode – und damit indirekt die Möglichkeit entschieden endlichen Selbstseins – bewusst wird. S Kierkegaard: Der Begriff A.; M Heidegger: Sein und Zeit. – M Düe: Ontologie und Psychoanalyse, F 1986; M Bongardt: Der Widerstand der Freiheit, F 1995.

Haeffner Animismus 3 Erkenntnis 3 Religion Anlage Eine A., Disposition (D.) oder Veranlagung ist ein Vermögen, eine Fähigkeit, Einstellung, Potenz (3 Akt) zu einer Tätigkeit, einem Verhalten oder auch zu einem Erleiden, die einem Subjekt zukommt. Normalerweise ist damit eine aufgrund von Vererbung angeborene dauerhafte A. eines Lebewesens gemeint. Eine D. (seltener eine A.) kann auch eine erworbene, durch die Umstände verursachte oder nur vorübergehende Fähigkeit sein. Eine A. ist noch nicht eine durch Übung oder Erfahrung erworbene Fertigkeit und Geschicklichkeit (Habitus), sondern besagt nur, dass ein Subjekt die hierfür nötigen Voraussetzungen hat. Eine D. kann auch eine Anordnung (sowohl im Sinn von Ordnung, Einteilung als auch im Sinn von Anweisung, Verfügung) meinen, die als Vorbereitung und Ermöglichung eines Handelns oder Prozesses dienlich ist. D.sprädikate geben eine D. eines Objekts an. Sie enden im Deutschen oft auf -bar oder -lich. Diese Eigenschaften sind für die naturwissenschaftliche Erkenntnis unentbehrlich, werden aber (vor allem bei der Auflösbarkeit oder Zerstörbarkeit) gewöhnlich nicht anhand der Verwirklichung der D. festgestellt, sondern daraus gefolgert, dass das Objekt einer Art angehört, die diese D. besitzt. Hieran zeigt sich, dass sich die Naturwissenschaft nicht auf das unmittelbar sinnlich Wahrnehmbare beschränken kann, sondern von Anfang an auf weitergehende Schlussfolgerungen angewiesen ist. Aristoteles: Metaph. V, 19. – Lehrbücher der Psychologie und Genetik.

Schöndorf Anorganisch 3 Organismus Anschauung / Intuition Unter A. wird eine bestimmte Weise der 3 Erkenntnis verstanden. In einer verkürzten Sprechweise kann man unter A. auch das Angeschaute, das Objekt der A. verstehen. Der Begriff A. (lat. intuitio, daher

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Anschauung

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I.) meint ursprünglich die visuelle Wahrnehmung. In der philosophischen Tradition wurde das Sehen aber weithin zum Sinnbild für Erkenntnis überhaupt. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass der Gesichtssinn von den äußeren Sinnen die reichhaltigste und zugleich differenzierteste Information liefert. Somit bedeutet A. im engsten Sinn die Wahrnehmung mit den Augen, die Erkenntnis durch das Sehen; in einem weiteren Sinn wird damit jede Art von sinnlicher Wahrnehmung gemeint. Während jedoch beim Ausdruck Wahrnehmung im Allgemeinen der Akzent auf dem sinnlichen Vorgang liegt, wird der Ausdruck A. dazu benutzt, diese Erkenntnisart in der Art und Weise, wie sie sich uns zeigt, zu charakterisieren. So wird A. zum allgemeinen Terminus für eine Erkenntnisweise, die ihr Objekt unmittelbar und konkret präsentiert. Ferner kann jede Art von Erkenntnis, die von derselben Art ist, auch wenn sie sich nicht auf ein tatsächlich vorhandenes Objekt bezieht, sondern nur eine imaginäre Vorstellung ist, im weiteren Sinn als A. bezeichnet werden. Die sinnliche A. fällt der Sache nach mit der sinnlichen Wahrnehmung zusammen. Diese macht einen entscheidenden Bestandteil der menschlichen Erfahrung aus, kommt aber auch den Tieren zu. Nach Kant gründet jede Erkenntnis in der sinnlichen Anschauung: »Alles Denken aber muß sich […] zuletzt auf A.en, mithin, bei uns, auf Sinnlichkeit beziehen« (KrV B 33). Es sei notwendig, den Begriffen »den Gegenstand in der A. beizufügen« (KrV B 75). Dabei übersieht Kant aber, dass schon die Physik unanschauliche Größen wie Kraft oder Energie kennt. Da die A. ihr Objekt unmittelbar und konkret erfasst, muss die vollkommene Erkenntnis, wie sie Gott zukommt, eine geistige A. sein. Ob es auch beim Menschen eine solche intellektuelle A. gibt, wird von Kant bestritten, während Fichte und Schelling dies bejahen: Mein Wissen um die verantwortliche und freie Tätigkeit meiner selbst ist eine intellektuelle (auch: intellektuale) A. Von dem lateinischen Wort für A. »intuitio« stammt das Adjektiv »intuitiv«, mit dem in der normalen Sprache eine Erkenntnis gemeint ist, die spontan ohne ausdrückliches Nachdenken zustande kommt, also ein Einfall, eine plötzliche Idee, eine Eingebung oder auch eine Einsicht, die man (noch) nicht zu begründen vermag. Dies hängt damit zusammen, dass sich eine anschauliche Erkenntnis in unserem Bewusstsein zumeist unmittelbar in ihrer Ganzheit präsentiert. Allerdings haben Philosophen wie Kant darauf hingewiesen, dass auch die anschauliche Erkenntnis dann, wenn sie etwas Ausgedehntes erfasst, was vor allem für das Sehen gilt, eine Synthese, also eine Handlung des Zusammenfügens darstellt. Dies gilt nicht für die Intensität, also den stärkeren oder schwächeren Grad des Eindrucks des Angeschauten; und es gilt im Allgemeinen auch nicht für Wahrnehmungen anderer Sinne. Der Ausdruck I. wird auch für eine unmittelbare moralische oder ästhetische Einsicht verwendet, während A. zumeist eine theoretische Erkenntnis meint.

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Anthropologie

Unter Schau (lat. visio) kann dasselbe wie A. verstanden werden. Oft wird damit aber eine besondere ganzheitliche Erfassung gemeint, die über die normalen Erkenntnismöglichkeiten des Menschen in seinem irdischen Leben hinausgeht, also entweder eine mystische Erfahrung (Vision) oder die beseligende Schau (visio beatifica) Gottes nach dem Tode. Auch die Erkenntnis, die Gott besitzt, kann Schau genannt werden. N v Kues: De possest; I Kant: KrV B 66–72; J G Fichte: Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, GA I 4, 167–281, F W J Schelling: Vom Ich als Princip der Philosophie […], GA I 2, 67–175; E Husserl: Ideen […], 1. – J Stolzenberg: Fichtes Begriff der intellektuellen A., St 1986; G Marcel: Reflexion und I., F 1987; B H Helander: Die visio intellectualis als Erkenntnisweg und -ziel des Nicolaus Cusanus, Sh 1988; H-J Pieper: »A.« als operativer Begriff, HH 1993; W Hoeres: Der Weg der A., Zug 2004.

Schöndorf An sich 3 Sein 3 Ding an sich Anspruch 3 Recht Antagonismus 3 Dialektik Anteprädikamente 3 Prädikabilien Anthropisches Prinzip 3 Kosmologie Anthropogenese 3 Evolution Anthropologie bedeutet eine »begründete Rede vom Menschsein«. Sie kann in einzelwissenschaftlicher Perspektive angesetzt sein, wie die Humanbiologie oder die Kultura. (cultural bzw. social anthropology) usw. Die philosophische A. besteht in der reflexen Bestimmung des Wesens des Menschen, d. h. dessen, was den Menschen als solchen ausmacht. Die vor-wissenschaftlichen Überzeugungen vom Wesen des Menschen werden darin teils näher präzisiert und vereinheitlicht, teils auch kritisch in Frage gestellt und durch ein besseres Wissen zu ersetzen gesucht durch philosophische Überlegungen, die in Wechselwirkung mit empirischen Forschungen stehen. Zur Philosophie gehörten von Anfang an anthropologische Aussagen. Doch tritt die philosopische A. erst spät in den Kreis der zentralen philosophischen Disziplinen. Dazu bedurfte es auf der einen Seite der durch Kant vollzogenen kritischen Wende zum Subjekt und auf der anderen Seite der Überwindung der Idealisierung des endlichen Subjekts. Diltheys Einsicht, dass das geschichtliche Verstehen in den hermeneutischen Geisteswissenschaften nur unter der Voraussetzung eines denkend-fühlend-wollenden Subjekts, m. a. W. von uns Menschen selbst, denkbar ist, spielte für diesen zweiten Schritt eine entscheidende Rolle. Auf diesem Hintergrund entstanden im 20. Jahrhundert die anthropologischen Entwürfe, die man vielleicht grob in drei Richtungen einteilen kann. Da sind zunächst die wissenstheoretisch-hermeneutisch angelegten A.en wie die Heideggers und Ricœurs; da sind dann die A.en, die das Wesen des Lebewesens »Mensch« im Hinblick auf

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Anthropologie

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andere Lebewesen zu bestimmen versuchen, wie die Theorien von Scheler, Plessner, Gehlen und anderen; und da sind schließlich die existenz-theoretisch und -praktisch angelegten A.en in der Nachwirkung Kierkegaards, wie die der 3 Existenzphilosophie und des Personalismus (Buber, Guardini, Levinas usw.). Die anthropologische Orientierung der Philosophie ist zu unterscheiden von der These des Anthropologismus. Dieser deutet alle logischen, metaphysischen und ethischen Überzeugungen als bloße Meinungen, die sich das Lebewesen »Mensch« nach rein subjektiven Gesetzlichkeiten zurechtgelegt hat. Damit ist jeder Wahrheitsanspruch für unglaubwürdig deklariert und natürlich auch derjenige dieser These selbst. Es ist umgekehrt: Erstens beruht A. schon auf Einsichten der Logik, der Erkenntnistheorie, der Metaphysik und der allgemeinen Ethik. Zweitens muss sie selbst ausgehen vom Wunder der Erkennbarkeit und von der erstaunlichen Tatsache, dass Menschen der Erkenntnis fähig sind. In der philosophischen A. verständigen sich Menschen über sich selbst, insofern sie mit anderen Menschen übereinkommen und sich von anderen Wesen unterscheiden. Der Allgemeinbegriff »Mensch« steht im lebenspraktischen Sprachgebrauch neben anderen allgemeinen Begriffen wie »Tier«, »Pflanze«, »rein geistiges Wesen«. Letztere bezeichnen Realitäten, die nicht, wie Menschen normalerweise, im Turnus einmal Angesprochene, dann wieder Redende und Beredete sind. Der Unterschied zwischen Menschen und Tieren gilt als »wesentlich«, nicht nur graduell; er fundiert ein völlig anderes Verhalten zu Individuen der einen oder anderen Gruppe. Aus der ethischen Relevanz und aus der umgreifenden Ansetzung des Unterschieds wird deutlich, dass der Unterschied Mensch–Tier von anderer Art ist als der Unterschied der biologischen Species homo sapiens sapiens zu anderen Species der Primaten, dass er folglich nicht »speziesistisch« in letzterem begründet ist. Dasjenige jedoch, was den Menschen von allem Tierischen (ungeachtet der biologischen Ferne oder Nähe der Tierarten zur Art »Mensch«) unterscheidet, heißt von jeher »3 Geist«. Was »Geist« heißt, erschließt sich in der Analyse des interpersonal-reflexiven Vollzugs des Menschseins. Geist manifestiert sich im Selbstbewusstsein: dass wir nicht nur handeln und wahrnehmen, sondern zugleich wissen, dass wir handeln und wahrnehmen; dass wir zugleich die Welt aus unserer Perspektive erfassen und bewerten und uns selbst von außen betrachten und nach objektiven Maßstäben beurteilen; dass wir nicht nur reagieren, sondern unser Handeln nach frei gewählten Prinzipien gestalten können; schließlich (was das Wichtigste ist und eigentlich erst unsere Würde konstituiert), dass unser Denken unter dem Anspruch der Wahrheit und unsere Lebensführung unter dem Anspruch des Guten steht, d. h. dass die höchste Stufe des Selbstbewusstseins die Form des 3 Gewissens hat. Weil der Mensch geschichtlich-interpersonale Existenz ist, gehört zur

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Anthroposophie

philosophischen A. auch die Frage nach der Bestimmung des Menschen, d. h. nach dem 3 Sinn seines Daseins. Genau genommen hat das Interesse für die Erfassung der mannigfachen Bestimmtheiten des Menschseins einen philosophischen Charakter erst dann, wenn es motiviert ist von der Bemühung, dem Rätsel der Bestimmung des Menschen auf die Spur zu kommen. Dasselbe gilt für das Verhältnis der Fragen, wie es phylo- und ontogenetisch, wirtschaftsund kulturgeschichtlich zur heutigen Gestalt des Menschseins gekommen sei, zur Frage, was uns unser heutiges Menschsein bedeute: diese letztere Frage bleibt auch dann, wenn die ersteren ihre Antwort gefunden haben, die im Übrigen nur wenig beitragen kann für die Antwort auf die Frage: Was sind wir, wer sollen wir sein? Eine wichtige Frage der Ontologie des Menschen ist das sog. 3 Leib-SeeleProblem, in dem es um die innere Einheit des Menschseins geht. Es hat sehr verschiedene Formen, z. B. je nachdem ob »Leib« als funktionale Ganzheit im Sinn eines physikalischen Systems oder als biologisches System mitsamt seinen immanenten Finalitäten verstanden wird. Im ersten Fall heißt »Seele« dann soviel wie Bewusstsein, im zweiten soviel wie Prinzip eines Strebens und Tuns, das über die dem Organismus eigenen Zielsetzungen (Selbst- und Arterhaltung bzw. Genomreproduktion) hinausgreift und einen absoluten Sinn anzielt. H Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch, 1928; M Scheler: Die Stellung des Menschen im Kosmos, 1928; A Gehlen: Der Mensch, 1940; K Lorenz: Einführung in die philosophische A., Da 2 1992. – G Böhme: A. in pragmatischer Hinsicht, F 1985; E Coreth: Was ist der Mensch?, I 4 1986; H Rombach: Struktur-A., Fr 2 1993; J Fischer: Philosophische A., Fr 2002; T Rentsch: Heidegger und Wittgenstein, St 2 2003; C Thies: Einführung in die Philosophische A., Da 2004; G Haeffner: Philosophische A., St 4 2005; Philosophische Anthropologie, hg. v. J Fischer u. a., Nordhausen 2008 f.

Haeffner Anthropomorph 3 Erkenntnis 3 Gottes Eigenschaften Anthroposophie Die A. versteht sich als antimaterialistische Bewegung, die entsprechend dem Erkenntnisweg ihres Gründers Rudolf Steiner (1861– 1925) dem Einzelnen eine spirituell-esoterische »Schulung« vermitteln und durch die reformerischen Impulse ihrer ganzheitlichen Medizin, Erziehung (Waldorfpädagogik), Heilpädagogik u. a. alle Bereiche der Kultur erneuern will. Bereits in seiner noch überwiegend philosophisch argumentierenden Frühphase vertrat Steiner einen »Gedanken-Monismus« (GA 4, 266), den er in einem ausgeprägten 3 Intuitionismus (der Mensch schöpft die Begriffe anlässlich sinnlicher Wahrnehmungen durch »Intuition« aus der »Ideenwelt«) und Panentheismus verankert hat: »Indem wir empfinden und fühlen, sind wir einzelne, indem wir denken, sind wir das all-eine Wesen« (GA 4, 91). In

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Antinomie

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seiner vorwiegend esoterischen Hauptphase (ab 1900) entwickelte er diesen Ansatz in Auseinandersetzung mit Schriften der Rosenkreuzer, des Paracelsus, der 3 Theosophie H. P. Blavatskys u. a. weiter. Nach Steiner ist der physische Leib des Menschen eine Individualisierung des Mineralreichs, der Ätherleib des Weltenäthers, der Astralleib der Astralwelt und das Ich des Göttlich-Geistigen. Letzteres individualisiert sich in einem ständigen Entwicklungsprozess auch in einer Vielzahl von übermenschlichen Wesenheiten (»Hierarchien«). Ein Teil des Geistig-Göttlichen hat sich durch Emanation und Verdichtung zum jetzigen »Erdenzustand« entwickelt und will sich, angereichert mit den Beiträgen der Menschen im Laufe vieler Inkarnationen, aber auch durch mehrere Wiederverkörperungen von Erde und Kosmos hindurch zu reiner Geistigkeit empor entwickeln. Steiner beruft sich großenteils auf die »übersinnliche Erkenntnis« seiner Intuitionen und seines Lesens in einer Art Weltgedächtnis (»Akasha-Chronik«). Die heutige A. entfaltet seine Lehre nicht weiter, sondern paraphrasiert sie als Offenbarung eines besonders Initiierten in der Erwartung, dass sich jeder von ihr zu dem ihm karmisch möglichen Erkenntnis- und Entwicklungsprozess anregen lässt. R Steiner: Gesamtausgabe (GA), Dornach/Schweiz 1958 ff. – H Witzenmann: Die Voraussetzungslosigkeit der A., St 1986; B Grom: A. und Christentum, M 1989; R Geisen: A. und Gnostizismus, Pb 1992.

Grom Antinomie Das Wort A. (gr. antí: gegen, nómos: Gesetz) heißt wörtlich Gegengesetzlichkeit. Eine A. stellt einen Sonderfall eines Widerspruchs dar: A.n sind Sätze, die sowohl in ihrer Bejahung als auch in ihrer Verneinung zu Widersprüchen führen. Ist die Behauptung wahr, so folgt daraus ihre Falschheit; ist sie falsch, so folgt daraus ihre Wahrheit. Dies stellt ein besonderes Problem dar, da normalerweise aus dem Vorhandensein eines Widerspruchs in einer Aussage geschlossen werden kann, dass die kontradiktorische Aussage wahr ist. Im Fall einer A. trifft dies aber nicht zu, so dass die Lösung nicht wie bei anderen Widersprüchen darin bestehen kann, die betreffende widersprüchliche Aussage zu verneinen. Schon in der Antike wurden verschiedene Formen von A.n diskutiert. Nach Kant verstrickt sich die theoretische Vernunft (im engeren Sinn des Wortes im Gegensatz zum Verstand) notwendigerweise in eine A., die er in der »Dialektik der reinen Vernunft« behandelt und auch als »Antithetik der reinen Vernunft« bezeichnet. Auch wenn Kant mancherorts den Eindruck erweckt, dies gelte für die drei Vernunftideen Gott, Welt und Seele, so führt er nur im Falle der Welt eine vierfache A. an: Man könne für die Welt zeitlich und räumlich sowohl die Begrenztheit als auch die Unbegrenztheit, die begrenzte wie die unbegrenzte Teilbarkeit, das Vorhandensein von Freiheit und eines notwendigen Wesens ebenso gut wie das Gegenteil beweisen. In seinen Argumenten hierfür geht Kant jedoch von verschiedenen Voraussetzungen

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Antinomie

aus. Auch bei der praktischen Vernunft sieht er im Verhältnis von Sittlichkeit und Glückseligkeit eine A. In beiden Fällen sei die A. nur durch die Unterscheidung zwischen dem Ding an sich und der Erscheinung auflösbar. In der zeitgenössischen Philosophie werden gewöhnlich zwei Arten von A.n unterschieden: 1) Semantische (d. h. auf der Wortbedeutung beruhende) A.n (auch grammatikalische oder linguistische A.n genannt, da sie mit der Sprache zusammenhängen): Bei ihnen liegt der Widerspruch in den verwendeten Ausdrücken, d. h. in den Konsequenzen, die sich aus der Bedeutung des betreffenden Satzes ergeben. In vielen Fällen kommt die A. dadurch zustande, dass die betreffende Aussage eine konkrete Bezugnahme enthält, die mit dem semantischen Gehalt der Aussage nicht vereinbar ist. Ein Beispiel dafür ist: ›Dieser Satz ist falsch.‹ (Wenn er falsch ist, ist er richtig, und umgekehrt.) Ein aus der Antike bekanntes klassisches Beispiel ist die Aussage des Kreters: ›Alle Kreter sind Lügner.‹ Wenn man Wörter, deren Wortgestalt ihrer Bedeutung entspricht, »autologisch« (z. B. ›kurz‹, ›dreisilbig‹), alle anderen »heterologisch« nennt (z. B. ›lang‹, ›einsilbig‹), so ergibt sich eine A. für das Wort »heterologisch« (wenn seine Bedeutung nicht seiner Struktur entspricht, ist es heterologisch; wenn es aber heterologisch ist, ist es autologisch). 2) Mengentheoretische A.n, die sich mit dem Aufkommen der Mengentheorie und der formalisierten Logik ergaben: Die bekanntesten von ihnen sind Cantors Paradox und Russells A. Die mengentheoretischen A.n werden auch logische genannt, da die moderne Logik oft mengentheoretisch formuliert wird: Es handelt sich um bestimmte mengentheoretische (logische) Aussagen, die zu mengentheoretischen Widersprüchen führen. Russells A.: Die Menge (Klasse) aller Mengen (Klassen), die sich nicht selbst als Element enthalten. Diese Menge müsste als Allmenge sich selbst enthalten und dürfte als Menge, die sich nicht enthält, sich nicht enthalten. Cantors A.: Die Potenzmenge (= Menge aller Teilmengen) der Menge aller Mengen. Diese Menge müsste als Potenzmenge mehr Mengen enthalten als die in ihr enthaltenen Mengen, kann aber nicht mehr enthalten, weil es nicht mehr als alle Mengen gibt. Lösung des A.nproblems: Da alle A.n auf Selbstbeziehung beruhen, verlangt Tarski, ähnlich wie Russell, das Verbot der Selbstbezüglichkeit in der formalisierten Sprache bzw. Sprachebene. Stattdessen findet das Reden über die Objektsprache in der Metasprache statt. Der wahre Grund für die semantischen A.n liegt aber nicht in der Selbstbeziehung als solcher, sondern in der in diesen A.n immer enthaltenen negativen Selbstbeziehung, die prinzipiell widersprüchlich ist. Auch wenn dies vielleicht nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen ist, können Ausdrücke wie ›falsch‹, ›Lügner‹, »heterologisch« letzten Endes nur mit Hilfe direkter oder indirekter Negation definiert werden. In den mengentheoretischen A.n werden Ganzheiten mit ihren Teilen auf

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Aporie

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dieselbe Stufe gestellt und zusammenaddiert, was ebenso wenig angeht, wie wenn man die verschiedenen 3 Kategorien als univok betrachten und zusammenaddieren würde. Unter Antinomik verstehen manche Philosophen die Tatsache, dass bestimmte Aussagen über Gott nur auf eine widersprüchliche Weise formuliert werden können, da unsere Begriffe ihrem Wesen nach für innerweltliche Objekte gelten. I Kant: KrV B 432–595; KpV, AA V 113–119; B Russell: The principles of mathematics, Lo 1903. – R Carls: Idee und Menge, M 1974; M Albrecht: Kants A. der praktischen Vernunft, Hi 1978; N Domeisen: Logik der A.n, Be 1990; E Brendel: Die Wahrheit über den Lügner, B 1992; M Bachmann: Die A. logischer Grundsätze, Bn 1998; W Malzkorn: Kants Kosmologie-Kritik, B 1999; J Bromand: Philosophie der semantischen Paradoxien, Pb 2001; J Seifert: Überwindung des Skandals der reinen Vernunft, Fr 2001.

Schöndorf Antinomik 3 Antinomie Antinomismus 3 Freiheit Antipathie 3 Liebe Antirealismus 3 Realismus Antithese 3 Deutscher Idealismus 3 Antinomie Antithetik 3 Antinomie Antrieb 3 Bewegung 3 Trieb Apeiron 3 Unendlichkeit Apodiktische Urteile 3 Modalität Aporie (von gr. aporía: Weglosigkeit) bezeichnet die durch die Unmöglichkeit der Lösung eines anstehenden 3 Problems ausgelöste Verlegenheit und Ratlosigkeit. Sokrates dient die A. als Mittel, um seine Gesprächspartner ihres Nichtwissens zu überführen und damit den Weg frei zu machen für die Suche nach begründetem Wissen. Für Aristoteles stellt das Aufsuchen von A.n und der Umgang mit ihnen, die Aporetik, eine eigene philosophische Forschungsmethode dar. In der Gegenwartsphilosophie nimmt man auftretende A.n oft zum Anlass, auf immanente Widersprüche in bestimmten philosophischen Bereichen aufmerksam zu machen und im Ausgang hiervon das Spektrum der Auflösung dieser Widersprüche darzulegen. W Wieland: A.n der praktischen Vernunft, F 1989.

Ollig A posteriori 3 A priori Apperzeption 3 Wahrnehmung Apperzeption, transzendentale 3 Transzendentalphilosophie Appetitus 3 Streben Apprehension 3 Wahrnehmung

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A priori

A priori / A posteriori Das Begriffspaar bezeichnet ganz allgemein, dass man in einer geordneten Folge von einem früheren (prius) Element zu einem späteren – bzw. von einem späteren (posterius) zu einem früheren – fortschreitet, gleichgültig ob diese Folge zeitlich ist oder nicht. In der von Boëthius ins Lateinische übersetzten Kategorien-Schrift gehört »früher« zusammen mit »entgegengesetzt«, »zugleich«, »Bewegung« und »Haben« zu den dort so genannten »Postprädikamenten«. Sowohl an dieser Stelle als auch in der Metaphysik (V, 11) führt Aristoteles eine Reihe von Bedeutungen des Begriffspaars (próteron/hy´steron) aus, nämlich von der ontologischen Rangfolge bis zur Anordnung in Raum und Zeit. In der Zweiten Analytik (Kap. 2) wird die erkenntnistheoretisch wichtige Unterscheidung zwischen »von Natur« und »für uns Früherem« vorgenommen. In der darauf folgenden mittelalterlichen Tradition wurde zwischen einem Beweis »propter quid« und einem Beweis »quia« unterschieden je nach dem, ob er von dem »von Natur Früheren« (der Ursache) oder von dem »für uns Früheren« (der Wirkung) ausgeht. Ab dem 18. Jahrhundert bezeichnet das Begriffspaar nicht mehr den Weg des Erkenntnisprozesses, sondern fast nur den Ursprung einer Erkenntnis: »a pr.« ist eine Erkenntnis aus der Vernunft, »a po.« eine Erkenntnis aus der Erfahrung. Kant hat in der Kritik der reinen Vernunft das »A pr.« zum Schlüssel seines Transzendentalidealismus gemacht. Eine wissenschaftliche Erkenntnis als allgemein und notwendig muss »von der Erfahrung unabhängig« und in diesem Sinne »a pr.« sein (A 2). Ihre Apr.tät liegt in ihren formalen Bestandteilen: den zwei reinen Anschauungen der Sinnlichkeit und den zwölf reinen Verstandesbegriffen (Kategorien); ihr Inhalt dagegen ist »a po.«. Es handelt sich also um synthetische Urteile a pr., deren erweiternder Charakter in der Erfahrung gründet, ihre Allgemeinheit und Notwendigkeit im »Zusatz« aus unserem Erkenntnisvermögen (B 1). Gerade deshalb sind sie Erkenntnis von »Erscheinungen«. Kant aber hat seine »Kopernikanische Wende« nicht konsequent zu Ende, d. h. zu einem restlosen Idealismus geführt; er rekurriert auf die Erfahrung, um die »Gesetzmäßigkeit des Besonderen« zu erklären (A 127f und B 165). Dieses Problem (Wie können aus der Erfahrung Bestimmungen entnommen werden, die allgemein sein müssen?) versuchte er dann in immer wieder neuen Anläufen vergeblich zu lösen. In der Tat stammt die Allgemeinheit unserer Erkenntnis daraus, dass der Verstand im Sinnlichen ein Intelligibles zu erfassen vermag (vgl. Thomas v Aquin, STh I, q 84, a 7), das nicht auf das einzelne Konkretum beschränkt ist, in dem es erfasst wurde, während die Notwendigkeit im Urteil als absoluter Setzung gründet. T v Aquin: STh I; I Kant: KrV A1–6/B1–10. – H Vaihinger: Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft I, 1881, 165–253.

Sala Äquiprobabilismus 3 Moralsystem Äquivalent 3 Wert

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Arbeit

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Äquivok 3 Analogie Äquivokation 3 Fehlschluss 3 Lüge Arational 3 Irrational Arbeit Der Mensch a.et, wenn er seine geistigen oder körperlichen Kräfte betätigt in Richtung auf ein ernst genommenes Ziel, das erreicht oder verwirklicht werden soll, auch wenn keine Erzeugnisse hervorgebracht werden. Auch Lernen und Beten sind A. (Nell-Breuning). Körperliche A. ist auf ein äußerlich wahrnehmbares Ergebnis gerichtet: Erzeugnisse oder Zustandsänderung. So sehr A. mühevoll sein kann, ist a.en zu können ein Vorrecht des Menschen. Zielstrebiges Handeln zur Erreichung eines Zwecks erfordert schöpferischen Einsatz; in ihm gründet die Würde der A., weil durch ihn der A.ende am Schöpfertum Gottes teilhat. Der Sinn der A. liegt nicht allein in der Herstellung lebenswichtiger Güter, sondern ebenso in der Entfaltung der schöpferischen Anlagen des Menschen und Ermöglichung der 3 Kultur. Dem müssen die Bedingungen, unter denen A. verrichtet wird, entsprechen. Wo sie 3 Spiel und Muße ganz ausschließen, ist Verkümmerung und 3 Entfremdung die Folge. Sofern die Befähigung (Ausbildung) und die Mittel zur A. (3 Sprache) durch die A. anderer und deren Entwicklungsstand bestimmt sind, ist individuelle A. immer auch gesellschaftlich; A. berücksichtigt meist die Erwartungen anderer. Tiere und Maschinen a.en nur uneigentlich, sofern sie vom Menschen dazu angehalten und gelenkt werden. M Riedel: A., in: HpG, M 1973; Johannes Paul II.: Laborem exercens, Fr 1981; O v Nell-Breuning: A.et der Mensch zu viel?, Fr2 1985.

Ehlen Arbor porphyriana 3 Kategorie Arché 3 Prinzip Argument 3 Beweis Aristokratie 3 Demokratie Aristotelismus Das Werk des Aristoteles (384–322 v. Chr.) umfasst Schriften zur 3 Logik, 3 Sprachphilosophie und 3 Wissenschaftstheorie (Kategorien, Topik, Hermeneutik, 1. und 2. Analytik, zusammenfassend das Organon genannt), zu Grundbegriffen der 3 Naturphilosophie (3 Physik), zur 3 Kosmologie (Über den Himmel, Über Entstehen und Vergehen), zur Zoologie (Tierkunde, Über die Teile der Tiere, Über die Entstehung der Lebewesen), zur Ersten Philosophie und 3 Anthropologie (3 Metaphysik, Über die Seele), zur praktischen Philosophie (Nik. Eth., Politik) und zur 3 Kunst (Rhetorik, Poetik). Die ersten beiden Jahrhunderte nach dem Tod des Theophrast, der Aristoteles in der Leitung der Schule, des Peripatos, nachfolgt, sind eine Zeit des Niedergangs. Mit der Edition des Andronikos von Rhodos im 1. Jahrhundert v. Chr. beginnt die Kommentierung; am bedeutendsten ist Alexander von Aphrodisias (um 200 n. Chr.), der eine betont antiplatonische 3 Interpretation

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Art

vertritt. Spätestens mit dem Mittelplatoniker Albinos (2. Jahrhundert n. Chr.) zeigt sich eine Richtung, die die Übereinstimmung von Platon und Aristoteles betont. Sie wird dominierend durch die Kommentare des Neuplatonikers Porphyrios, vor allem durch seine Einführung (Eisagogé) in die Kategorien. Von der Mitte des 10. Jahrhunderts an liegen alle Lehrschriften in arabischer Übersetzung vor. Das Organon findet ungeteilte Anerkennung. Die Rezeption der Metaphysik wird dadurch erschwert, dass eine Plotin-Paraphrase als 3 Theologie des Aristoteles im Umlauf ist. Bedeutendster arabischer Kommentator ist Averroës (1126–1198). Er lehrt, dass es nur eine, allen Menschen gemeinsame 3 Vernunft gebe. Bekanntester Vertreter des mittelalterlich-jüdischen Aristotelismus ist Moses Maimonides (1138–1204). Er hält alles, was Aristoteles über das Seiende der sublunaren Sphäre gesagt hat, für unzweifelhaft wahr; die Meinungsverschiedenheiten betreffen den Gottesbegriff und die Entstehung der 3 Welt. Im lateinischen Sprachbereich verbreitet sich nach 1000 die Kenntnis der von Boëthius (gestorben 524) übersetzten Schriften des Organon. Nach 1125 beginnt mit Jakob von Venedig die Übersetzung der Lehrschriften. 1255 werden alle bis dahin bekannten Schriften in das offizielle Lehrprogramm der Pariser Artistenfakultät aufgenommen. Die Aristoteles-Paraphrasen Alberts des Großen zeigen noch den Einfluss des Neuplatonismus. Thomas v Aquin folgt als Kommentator eher dem Averroës. Der heterodoxe A. (Siger von Brabant) lehrt die 3 Ewigkeit der Welt und die Einzigkeit der Vernunft. Die Vorherrschaft des A. an den Universitäten Europas wird durch den Humanismus nicht gebrochen. Bedeutendster Aristoteliker der Renaissance ist Pietro Pomponazzi mit seiner Schrift De immortalitate animae (1516): Die 3 Seele als 3 Form des 3 Leibes entsteht und vergeht mit dem Körper. Trotz Luthers Abneigung führt Melanchthon etwa 1525 den A. an den protestantischen Universitäten ein. Entscheidende Anstöße für die Philosophie des 20. Jahrhunderts gehen in Oxford von den Aristoteles-Interpretationen von John Cook Wilson (1849–1915) und in Deutschland von Martin Heidegger aus. N Kretzman (Hg): The Cambridge History of later medieval philosophy, C 1982; H Flashar (Hg): Ältere Akademie, Aristoteles, Peripatos, Bs 1983; C B Schmitt: Aristotle and the Renaissance, C Mass. 1983; F van Steenberghen: La philosophie au XIIIe siècle, Lv 2 1991; P Moraux: Der A. bei den Griechen, 1973 ff.

Ricken Art (lat. species, gr. eîdos) ist ein Klassifizierungsbegriff, der die Natur oder das Wesen eines Seienden zum Ausdruck bringt. Die A. ist die am weitesten gehende Ausdifferenzierung, die verschiedene Individuen oder Fälle derselben Natur zusammenfasst. Die biologische A. lässt sich meist in Rassen oder Untera.en ausdifferenzieren. Spätestens seit Darwin stellt sich in der Biologie die Frage nach der Konstanz und Variabilität der A.en: 3 Evolution. Die nächsthöhere Stufe der Begriffshierarchie ist die Gattung, die wie die

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Assoziation

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A. zu den 3 Prädikabilien gehört. Die klassische Definition einer A. erfolgt durch die nächsthöhere Gattung (genus proximum) und den a.bildenden Unterschied (differentia specifica), z. B.: die Jurisprudenz ist die Wissenschaft (Gattung) vom Recht (spezifische Differenz). Die Kennzeichnung der von Natur aus feststehenden (biologischen, chemischen, physikalischen) A.en (natural kinds) erfolgt durch feste Bezeichnungen. Die angeblich ungerechte Privilegierung der menschlichen A. gegenüber den Tieren wird Speziesismus genannt. Die Würde der Person gründet aber nicht in der Bevorzugung einer bestimmten A. (Spezies), sondern in der Geistigkeit, die dem Menschen kraft seiner Zugehörigkeit zur A. (Spezies) Mensch zukommt. 3 Person, 3 Würde. Aristoteles: Metaph. VII 12; Topik 6, 6; Porphyrios: Eisagogé; T v Aquin: STh I–II 35, 8 c. – A Menne: Einführung in die Logik, 1966; P Ax: Systematik in der Biologie, St 1988.

Schöndorf Artbildender Unterschied 3 Art Aseität 3 Gott Askese 3 Tugend Assertorisches Urteil 3 Behauptung 3 Modalität Assoziation ist die Verbindung von Inhalten im Bewusstsein. Bereits Aristoteles nahm an, dass wir Gedächtnisinhalte dann verknüpfen, wenn sie einander ähnlich sind oder zueinander in Kontrast stehen und irgendwann gemeinsam in unserem Bewusstsein vorhanden waren. Er formulierte die drei Gesetze der A.: Das Gesetz der Ähnlichkeit, des Kontrastes und der zeitlichen und räumlichen Berührung (Kontiguität). Der Begriff A. spielt in der Lernpsychologie eine wichtige Rolle, vor allem im ›Klassischen Konditionieren‹ nach Pawlow. Ein Organismus lernt, auf einen vorher neutralen Reiz zu reagieren, weil dieser Reiz mit einem biologisch bedeutsamen Reiz, der bereits eine Reaktion auslöst, verbunden wird. Beispiel: Fleischpulver, das bei einem hungrigen Hund Speichelfluss auslöst, wird wiederholt gemeinsam mit einem Glockenton dargeboten. Bietet man nach dieser Prozedur dem Hund nur noch den Glockenton dar, dann löst dieser ehemals neutrale Reiz ebenfalls die Speichelflussreaktion aus. Das ursprünglich neutrale Vorkommnis (Glockenton) wird durch wiederholte A. mit dem unkonditionierten Reiz Fleischpulver zu einem konditionierten Reiz. Für uns Menschen können auch Vorstellungen, Worte und Symbole durch A. mit bestimmten Erlebnissen zu konditionierten Reizen werden. Worte und Symbole vermitteln nicht nur eine Bedeutung, sie lösen auch emotionale Reaktionen aus, die durch A.slernen entstanden sind. Es gibt eine Reihe von psychischen Vorgängen, die als assoziative Verknüpfungen erklärt werden können. Neben den einfachen Paara.en und A.sketten können ganze Wissensgebiete im Gedächtnis in Form von A.komplexen gespeichert werden.

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Ästhetik

W Edelmann: Lernpsychologie, Weinheim 2000.

Goller Ästhetik bedeutet an sich soviel wie Theorie der 3 Wahrnehmung (gr. aísthesis). So verwendet es z. B. Kant im ersten Teil seiner Kritik der reinen Vernunft, in der »transzendentalen Ä.«, wo er die gegenstandskonstitutive Funktion der reinen Wahrnehmungsformen Raum und Zeit darlegt. Die heutige Bedeutung des Wortes Ä. geht auf A Baumgarten (1750) und seine Schüler zurück. – Das Begriffswort Ä. ist analog zu »Logik« gebildet: so wie diese die Regeln des korrekten Verstandesgebrauchs reflektiert, so soll die Ä. die Regeln auffinden, die dem richtigen Gebrauch der Kräfte des Wahrnehmens (speziell durch die Augen und die Ohren) und Empfindens im Hinblick auf ein zutreffendes Geschmacksurteil zugrunde liegen. Der zentrale Begriff eines Geschmacksurteils ist »schön«. Darin spricht sich die Empfindung des Gefallens aus, die ihr objektives Fundament in der 3 Vollkommenheit (Harmonie) des betrachteten Gegenstandes hat, sei es, dass dieser von 3 Natur aus da ist oder durch 3 Kunst hervorgebracht wurde. Im Anschluss an E Burke behandelt Kant im ersten Teil seiner Kritik der Urteilskraft nicht nur das Schöne, sondern auch das Erhabene. Als schön wird ein Gegenstand empfunden, wenn er eine geistige 3 Lust, ein interesseloses Wohlgefallen hervorruft, weil er ein Symbol der Sittlichkeit ist. Als erhaben empfinden wir etwas, was uns durch seine Größe oder Macht schlechthin übersteigt und uns dadurch unsere physische Schwäche, aber zugleich auch die Erhabenheit unserer eigenen Bestimmung zum Bewusstsein bringt; das Gefühl der Erhabenheit ist also eine mit Unlust gemischte Lust. Dass es trotz mangelnder Objektivität des ästhetischen Urteilsvermögens eine große Übereinstimmung in dem gibt, was schön und erhaben ist, führt Kant auf einen Gemeinsinn zurück. Während zunächst das Schöne, zusammen mit dem Erhabenen, primär in der Natur gefunden wurde, wandelt sich die Ä. mehr und mehr zu einer Theorie der Kunst. F Schillers und G W F Hegels Ä. sind dafür die prominentesten Beispiele. Schiller erhofft sich von ästhetischer Erziehung eine Veredelung des Menschen im Hinblick auf seine moralische Bestimmung. Für Hegel ist Ä. schon gleichbedeutend mit »Philosophie der schönen Kunst«. Denn das Schöne gehört dem 3 Geist an, der höchstens einen Reflex davon in der Natur wiederfindet. Im Kunstwerk spricht sich der menschlichgöttliche Geist in sinnlich erscheinenden Gestalten aus; damit steht die Kunst, weit entfernt, menschlichen Bedürfnissen oder der Moral zu dienen, autonom neben der Religion und der Philosophie. Hegel gliedert die Geschichte der Kunst in drei wesentlich verschiedene Epochen des Verhältnisses von Idee und Gestalt. Dieses Verhältnis sei am besten in der klassisch-antiken Kunstreligion erreicht worden, aber in der »romantischen« (christlich-protestantischen) Epoche von der Geist-Gestalt der Innerlichkeitsreligion überholt worden. In A Schopenhauers Philosophie des triebhaften Willens ist das

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Atheismus

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Schöne unter allen sinnlichen Objekten dadurch ausgezeichnet, dass es den Menschen beruhigt; für F Nietzsche hingegen soll das Kunstwerk das schöpferische Sehnen aufregen; beide stellen dabei die romantisch aufgefasste Musik ins Zentrum ihrer Ä. Wenn der Gegenstand der Ä. auch ein bestimmt qualifiziertes sinnlich Erscheinendes ist, so ist die Ä. selbst als Kunstphilosophie ein rationales Unternehmen. Soll sie sich nicht in den wechselnden Moden der Kunstkritik erschöpfen, sondern irgendwie philosophisch sein, so wird sie nach 3 Regeln suchen, die ein Kunstwerk als ein solches qualifizieren, sei es in der Herstellung, sei es in der Rezeption. Diese Regeln werden kaum noch a priori aufgestellt werden können, sondern werden als 3 Hypothesen im engen Kontakt mit den Produktionen, die als Kunst gelten, entstehen. Käme es nicht zu einer breiten Übereinstimmung (mindestens der ›Kenner‹) über das, was als künstlerisch gut zu gelten hat, gäbe es keine Beispiele, an denen sich der Geschmack bilden, die Künstler orientieren und die Regeln einer Ä. abstrahiert werden können. Diese selbst kann mehr die Situation des Künstlers (seines Erlebens und seiner Stellung in der Gesellschaft) oder mehr die des Adressaten usw. ins Zentrum rücken, der etwas als Kunst rezipiert, sich davon ansprechen lässt und daraus neue Sichtweisen auf die Realität gewinnt. Schließlich kann man versuchen, sowohl die Produktions- wie die Rezeptions-Ä. zurücktreten zu lassen zugunsten einer werkimmanenten Analyse. T W Adorno: Schr. 2 und 7, F 1970 ff.; A Danto: Die Verklärung des Gewöhnlichen, F 1984; A Gethmann-Siefert: Einführung in die Ä, M 1995; M Fick / S Gößl: Der Schein der Dinge, Tü 2002; Oxford Handbook of Aesthetics, O 2002; J Küpper: Dimensionen ästhetischer Erfahrung, F 2003; W Henckmann / K Lotter: Lexikon der Ä., M 2 2004; K Liessmann: Reiz und Rührung, W 2004; G Pöltner: Philosophische Ä., St 2008.

Haeffner Ataraxie 3 Epikureismus, 3 [49] Atheismus Unter A. wird die Leugnung der Existenz Gottes (theos), göttlicher Wesen oder allgemein des Göttlichen, manchmal auch überhaupt der religiösen Dimension der Wirklichkeit verstanden. Der Begriff ist somit schillernd und abhängig von der Bedeutung des jeweils verneinten (oder als verneint unterstellten) Inhalts. So wurden in der Antike diejenigen des A. oder der (gleichbedeutenden) Asebie bezichtigt, die den mit dem Staatskult verbundenen Götterglauben anzugreifen schienen, wie z. B. Anaxagoras, weil er »die göttliche Sonne für einen glühenden Stein« ausgebe (Diogenes Laertios II, 12), oder Sokrates, weil er »neue Götter einführe« (Apol 24 c). Die Anklage gegen Sokrates zeigt, dass auch ein tieferes, zum Monotheismus tendierendes Verständnis des Göttlichen Anlass für jene Bezichtigung sein konnte. Platon entfaltet dieses sokratische Gottesverständnis. Er verbannt

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die homerischen »Lügen« über die Götter aus seinem »Staat« (Politeia II), allerdings auch die Leugner des wahrhaft Göttlichen (Nomoi X). Entsprechend konnten die Christen von den Heiden (Justin 1. Apol 6) und diese wiederum von jenen (Eph 2, 12) »atheoi« genannt werden, obwohl aus christlicher Sicht eine ernsthafte, sei es implizite oder (bei den Philosophen sogar) explizite Frömmigkeit der heidnischen Umgebung durchaus Anerkennung verdiente (Apg 17, 16–31). Die völlige Leugnung des Göttlichen ist in der Antike selten. Doch finden sich für später wichtige Ansätze, etwa bei Demokrit (der Glaube der Götter entstamme der Angst und falscher Deutung der Naturereignisse, A 75) oder bei Kritias (die Götter seien eine bloße Erfindung der Menschen zum Zweck ihrer Disziplinierung, B 25). Eher stößt man auf eine religiöse Skepsis wie bei Cicero (de natura deorum). Noch fremder bleibt der A. dem Mittelalter. Aber mit der Ausbildung eines allgemein akzeptierten und klar definierten Begriffs von Gott erhält auch dessen mögliche Verneinung klarere Konturen. Dazu kommt, dass mit der Lehre vom transzendenten Schöpfer eine Entsakralisierung der Welt verbunden ist, die das Aufkommen der Naturwissenschaften begünstigt und mit ihr den Gedanken einer aus sich erklärbaren Natur konzipierbar macht. Auch lässt die im Spätmittelalter sich vertiefende Einsicht einer Unmittelbarkeit zu Gott (gipfelnd in der Reformation) ein Freiheitsbewusstsein entstehen, das politisch und sozial zur Emanzipation drängt und sich angesichts der religiösen Streitigkeiten (Religionskriege) allmählich von Glaubensinhalten zu lösen beginnt. Zwar führt die so beginnende »Aufklärung« der Neuzeit nicht sogleich zum A. Sie ist aber der Raum, in dem er sich ausbildet. Einen radikalen Versuch, die genannten Motive in einem noch religiösen Verständnis zusammenzuführen, macht Spinoza mit seiner aus der Vernunft begründeten Lehre von der Einheit Gottes und der Natur (»deus sive natura«). Damit handelt er sich jedoch den Vorwurf des A. ein, der in der Folgezeit allen ähnlich scheinenden Systemen gilt. »Spinozismus ist A.« heißt es bei F H Jacobi (Werke IV, 1, 216). J G Fichte gerät über solche Vorwürfe in den »A.streit«, verteidigt sich allerdings dahingehend, dass es ihm nicht um die Negation der Religion gehe, sondern um ihre Erneuerung aus der theoretisch-praktischen Unbedingtheitsgewissheit der Freiheit. Ähnliches können auch F W J Schelling und G W F Hegel gegen solche Vorwürfe erwidern. Zu einem dezidierten A. mit Breitenwirkung kommt es in Deutschland erst (in der linken Hegelschule) durch L Feuerbach. Gott ist nach ihm die Hypostasierung der Unendlichkeit des menschlichen Gattungslebens, die in ein imaginäres Jenseits projiziert wird. An ihn anschließend ist für K Marx die Religion »Opium des Volkes«, weil es sich mittels religiöser Tröstungen sein soziales Elend erträglich zu machen sucht und so dessen wahren Grund, die ungerechten Verhältnisse, verkennt und stabilisieren hilft. Deswegen stehe die Religionskritik am Anfang der sozialen und politischen Emanzipation. F Engels verbindet diese Lehre mit einer natürlichen Welterklärung zu einem System des Materialis-

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mus, der später in den kommunistischen Ländern zur Staatsdoktrin wird. Ein naturwissenschaftlich begründeter Materialismus (Ansätze dazu in der Antike bei Demokrit) hatte sich bereits in der vorrevolutionären Aufklärung in Frankreich ausgebildet, etwa bei Holbach, Helvétius oder La Mettrie (L’homme machine). Darwins Evolutionslehre wurde zu einem Hauptargument des Materialismus (E Haeckel: Die Welträtsel), der sich fortsetzt in immer differenzierteren Argumentationen bis in die neueren materialistischen Systeme der analytischen Philosophie, die mehr oder weniger explizit einen A. vertreten (W V O Quine; P M Churchland; M Bunge u. a.). F Nietzsche hat seinen A. vor allem mit der die Triebe unterdrückenden Lebensfeindlichkeit der Religion (vor allem der christlichen) begründet. Dieser Weg führt zu S Freud, der in der Religion hauptsächlich eine Neurose sieht, die den Menschen in der Infantilität gefangen hält. J-P Sartres postulatorischer A. folgt aus seiner Auffassung über die Unvereinbarkeit von Freiheit und Gott. Die postmoderne Philosophie (z. B. P Feyerabend, R Rorty, J Derrida) scheint in ihrem großzügigen Relativismus des »everything goes« auch der Religion wiederum einen Platz einzuräumen, entzieht ihr aber mit ihrer Leugnung letzter Wahrheitsansprüche zugleich die Grundlage. All diese verschiedenen Varianten des A. haben das heutige Bildungsbewusstsein geprägt und ein verbreitetes Lebensgefühl erzeugt, in dem Religion und Gott keine Rolle mehr spielen. Eine philosophische Auseinandersetzung mit dem A. hängt an der Wahrheitsfähigkeit des in ihm geleugneten Begriffsinhaltes. Dieser muss entsprechend »vernünftig« sein, um ihn gegen seine Negation zu verteidigen. Angenommen, dass nur der monotheistische Gottesbegriff eines absoluten Welt- und Freiheitsgrundes diese Voraussetzung erfüllt, so wird es darum gehen, die Wahrheit eines schlechthin Unbedingten als Implikation unserer theoretisch-praktischen Vollzüge zu erweisen. Sollte dies erfolgreich sein (3 Gottesbeweise), ist Gott als letzte und tiefste Voraussetzung des geistigen Lebens anzuerkennen und der A. ein Widerspruch im (allerdings stets freien) Selbstverhältnis des Menschen. Doch ist an dieser Stelle an die Vieldeutigkeit des Gottesbegriffs zu erinnern. Oft ist der geleugnete Gott nicht der Gott, dem die Verehrung gebührt, sondern lediglich eine kritikwürdige Vorstellung von ihm. Der Atheist mag in seinem Herzen, sogar ohne ihn zu »kennen«, beim wahren Gott angelangt sein. Umgekehrt kann der dogmatisch korrekte Glaube äußerlich bleiben und sogar ein (bewusstes oder unbewusstes) Nein zu Gott verbergen. In der theoretischen Behandlung des A. wie im praktischen Umgang mit ihm wäre seine Vielschichtigkeit immer zu berücksichtigen. A.: in: HWPh, TRE, LthK; E Haeckel: Die Welträtsel, L 1899; F Mauthner: Der A. und seine Geschichte im Abendlande, St 1920 ff.; H de Lubac: Die Tragödie des Humanismus ohne Gott, S 1950; H Ley: Geschichte der Aufklärung und des A., B 1966 ff.; E Coreth / J B Lotz (Hg): A. kritisch betrachtet, M 1971; W Kern: A. – Marxismus – Christentum, M 1979; A K Wucherer-Huldenfeld

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Atomismus (Hg): Weltphänomen A., Fr 1979; J L Mackie: Das Wunder des Theismus, St 1982.

Schmidt Atomismus nennt man die schon in der Antike (Demokrit) vertretene philosophische These, wonach alle Körper, die uns doch kontinuierlich raumfüllend vorkommen, aus winzigen Teilchen bestehen, die im leeren Raum »fallen«. Sie sind »unzerschnitten« (gr. átomos), unteilbar und undurchdringlich. Der A. will die These des Parmenides’, wonach Seiendes ist und nicht nicht sein kann, Veränderungen folglich Illusionen sein müssen, retten, aber ebenso die Wirklichkeit von Veränderung, die durch wechselnde Aggregationen von unvergänglichen Atomen zustande kommt. Aristoteles lehnt den A. ab, weil u. a. ein in jeder Hinsicht leerer Raum ein Nichts ist, in dem auch nichts fallen kann. Der A. wird erst wieder in der Renaissance aufgegriffen (P Gassendi) und weiterentwickelt (R Boskovich SJ). Vom philosophischen A. ist die naturwissenschaftliche Atomtheorie zu unterscheiden. In der Neuzeit mehren sich die Anzeichen für die Existenz von Atomen derart, dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Atomtheorie weitgehend anerkannt wird, von positivistisch eingestellten Physikern abgesehen (z. B. E Mach). Stoffe, die aus einer einzigen Sorte von Atomen bestehen, nennt man Elemente. Bis heute sind 92 verschiedene, natürlich vorkommende und chemisch unterscheidbare Elemente bekannt. Die Atome sind nicht mehr unteilbar und unveränderlich. Sie bestehen aus einer Hülle von Elektronen und einem winzigen Kern aus Protonen und Neutronen, welche ihrerseits noch einmal zusammengesetzt sind aus Quarks. Teilchen, die sich (bis jetzt) innerlich als strukturlos erwiesen (Elektronen, Quarks), sind deswegen nicht unveränderlich. Bei hochenergetischen Zusammenstößen können sie zerstrahlen oder erzeugen einen Schwarm verschiedenartiger, meist kurzlebiger Teilchen, deren Masse um ein Vielfaches höher sein kann als die Masse der zusammenstoßenden Teilchen (infolge der Einstein’schen Äquivalenz von Masse und Energie). A G van Melsen: A. gestern und heute, F 1957; B Falkenburg: Teilchenmetaphysik, Mannheim 1994.

Erbrich Attribut 3 Cartesianismus 3 Eigenschaft 3 Spinozismus Attribute Gottes 3 Gottes Eigenschaften Aufeinanderfolge 3 Zeit Aufhebung 3 Deutscher Idealismus 3 Negation Aufklärung ist zunächst die Bezeichnung der Erhellung und Erklärung von etwas. In diesem Sinn kann man über etwas bisher noch nicht Bekanntes A. erhalten. Einen speziellen Sinn gewann das Wort A. als Selbstbezeichnung einer

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Augustinismus

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Epoche, die für sich beanspruchte, nicht mehr irgendwelchen fremden Instanzen wie Autorität und Tradition zu folgen, sondern nur noch die um sich selbst wissende und zugleich selbstkritische eigene Vernunft gelten zu lassen. Die europäische A. begann in England zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit dem Freidenkertum, dem 3 Liberalismus, dem 3 Deismus, dem 3 Empirismus, der Theorie des moralischen Gefühls, der Wirtschaftstheorie und der Philosophie des Common Sense. Die A. ist wichtig für die 3 Staatsphilosophie. Ein Höhepunkt der französischen A., für die Materialismus und Atheismus typisch sind, ist die Encyclopédie (Diderot, d’Alembert). Die deutsche A. wird vor allem von der Leibniz-Schule geprägt (Wolff, Baumgarten). Ferner werden der Deismus und die Reduktion des Christentums auf eine Vernunftreligion vertreten. Es beginnt die 3 Geschichtsphilosophie und es erscheinen die ersten Theoretiker des 3 Fortschritts in Frankreich sowie in Deutschland die 3 Sprachphilosophie. Ihren Höhepunkt erreicht die deutsche A. mit Kant, der sie den »Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit« nennt und dazu auffordert: »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!« (AA VIII 35) Das Schrifttum der A. wandte sich als Popularphilosophie mit großem Einfluss an die Gebildeten. In Deutschland setzt sich erst Kant durch seine Denkweise von ihr ab. Mit den Folgen der französischen Revolution kam die A. an ihren geschichtlichen Wendepunkt. Geistesgeschichtlich geschieht dies durch die Einbeziehung von Geschichte, Sprache und Kultur in die Philosophie sowie die Relativierung des unangefochtenen Primats der universalen 3 Vernunft. In einem weiteren Sinn kann man jede Epoche, die sich kritisch verhält und auf ihre eigene Vernunft besinnt, als A. bezeichnen. Darum werden oft die gesamte Moderne sowie die Zeit vom Beginn der griechischen Philosophie bis zu ihrer Hochblüte einschließlich als A. bezeichnet. I Kant: Beantwortung der Frage: Was ist A.?, AA VIII 33–42; M Horkheimer / T W Adorno: Dialektik der A., A 1947. – W Schneiders (Hg): Lexikon der A., M 1995; E Cassirer: Die Philosophie der A., HH 1998; J C McCarthy (Hg): Modern enlightenment and the rule of reason, Wa 1998; E Coreth / H Schöndorf: Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts, St 3 2000; M Oberhausen (Hg): Vernunftkritik und A., St 2001; A Borgstedt: Das Zeitalter der A., Da 2004; F Grunert (Hg): Philosophie der A, B 2005; T Paprotny: Kurze Geschichte der Philosophie der A., F 2005; K Broese (Hg): Vernunft der A, B 2006; A Baillot (Hg): Formen der Philosophie in Deutschland und Frankreich 1750–1830, H 2007.

Schöndorf

Aufweis 3 Beweis Augustinismus kann im weiten Sinn als Sammelbezeichnung für verschiedene an Augustinus orientierte theologisch-philosophische Denkrichtungen verstanden werden. Augustinus gilt im Frühmittelalter neben der Heiligen Schrift als die größte philosophische und theologische Autorität. In den Sen-

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Augustinismus

tenzen des Petrus Lombardus, dem hochmittelalterlichen Theologieschulbuch schlechthin, machen Augustinuszitate 90 % aller Zitate aus. Auch im Humanismus (Erasmus), in der Neuzeit (Descartes, Pascal) und der neuesten Zeit (Husserl, Scheler) greift man immer wieder auf augustinisches Gedankengut zurück und wird davon beeinflusst. Neuerdings taucht in Nordamerika eine »Augustinian Christian Philosophy« auf, die sich verstärkt der philosophischen Theologie, der Apologetik, und der Kulturkritik zuwendet. Im engeren Sinn werden seit F Ehrle mit »philosophischem A.« jene Positionen des 13. Jahrhunderts bezeichnet, die sich gegen einen Aristotelismus, wie er etwa bei Thomas v Aquin vorliegt, formieren. Der Streit gipfelt 1277 in der Verurteilung aristotelischer Lehren in Paris und Oxford. Als Verfechter des A. gelten vor allem Johann Peckham und Wilhelm de la Mare. Sie vertreten unter anderem, dass es geistige Materie gibt; sie richten sich gegen die Annahme der Ewigkeit der Welt, gegen die Annahme, Individuationsprinzip sei die Materie, und gegen die Annahme, es gebe beim Menschen nur eine einzige substantielle Form. Nach Augustinus bilden Theologie und Philosophie eine Einheit. Der christliche Glaubensinhalt, die wahre Philosophie und Weisheit, wird aufgrund der Autorität Gottes geglaubt. Glauben ist ein Akt des Willens. Dennoch ist er nicht irrational, denn es gibt Glaubwürdigkeitsgründe, die zum Glauben motivieren. Aber zur Einsicht gelangen kann man erst auf der Grundlage des Glaubens. Die Welt entsteht durch einen freien Schöpfungsakt Gottes aus dem Nichts. Das Übel ist nicht eine Gott gegenüberstehende Macht, sondern wird als ein Mangel an Gutem verstanden (3 Privation). Moralisches Übel wird auf den freien Willen des Menschen zurückgeführt. Das Problem, dass es in der Heiligen Schrift einerseits heißt, Gott habe alle Dinge zusammen geschaffen, andererseits aber, Gott habe sie nacheinander in sechs Tagen geschaffen, löst Augustinus mit der Annahme der rationes seminales (De gen ad litt 9, 17,32 und 10, 20,35; De Trin 3,9,16). Diese samenhaft in der Welt angelegten Formen werden erst mit der Zeit aktualisiert. So erscheint es, dass im Lauf der Geschichte neue Gattungen auftreten. Den Menschen versteht Augustinus als Einheit aus Leib und Seele. Dennoch ist die Seele etwas Besseres als der Leib. Die Seele ist eine immaterielle, einfache, vernünftige, unsterbliche Substanz und in ihrem höheren Teil mit Gedächtnis, Verstand und Wille ein Abbild des dreieinigen Gottes. Trotz des Wechsels der Bewusstseinsinhalte bleibt die Seele mit sich selbst identisch. Gegen den Skeptizismus findet Augustinus im Ich einen unbezweifelbaren Bewusstseinsinhalt: »Denn wenn ich mich täusche, bin ich«. Bezüglich der Erkenntnis ewiger Wahrheiten vertritt Augustinus eine Illuminationstheorie, die in unterschiedlicher Weise gedeutet und weiterentwickelt wurde. G Leff: A., in: TRE; F Ehrle: John Peckham über den Kampf zwischen dem A. und Aristotelismus in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts, in: ZKTh 13 (1889), 172– 193; P Glorieux (Hg): Les premières polémiques Thomistes, Kain 1927; C P

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Ausdehnung

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Mayer / W Eckermann (Hg): Scientia Augustiniana, Wü 1975; C Horn: Augustinus, M 1995; R Heinzmann: Philosophie des Mittelalters, St 2 1998; A Plantinga: Augustinian Christian Philosophy, in: G B Matthews (Hg): The Augustinian Tradition, Berkeley 1999.

Niederbacher

Ausdehnung Unter A. (lat. extensio) wird entweder der Prozess des SichAusdehnens (Expandierens) oder (meist) das Ausgedehntsein verstanden. Die A. im letzteren Sinn ist eine fundamentale Eigenschaft der Materie, gehört zum Bereich der Quantität und ist darum prinzipiell exakt messbar. Oft wird bei A. nur an die räumliche A. (das Nebeneinander) gedacht, aber auch die zeitliche Erstreckung (das Nacheinander) ist eine Weise der A. Die räumliche und zeitliche A. ist kontinuierlich: 3 Kontinuum. Die räumliche A. erstreckt sich in die drei Dimensionen des Raums und gilt als dessen grundlegende Eigenschaft. Die zeitliche A. ist linear und unumkehrbar. Die A. bedeutet, dass das materielle Ding auf verschiedene Raum- und Zeitstellen verteilt und an keiner von ihnen voll und ganz ist: darum ist die Materie wegen ihrer A. wesentlich unvollkommen, so dass Gott nicht materiell sein kann. Für Descartes ist die räumlich verstandene A. das Wesensattribut der Materie und hat die Akzidentien oder Modi Gestalt, Bewegung und Ruhe, weshalb er die materielle Substanz als res extensa (ausgedehntes Ding) definiert. Dadurch wird jedoch der Unterschied zwischen Materie und Raum verwischt, weshalb Descartes die Existenz des leeren Raums bestreitet. Spinoza schreibt die A. Gott selbst zu. T v Aquin: 1. Super Sent., l. 2, 30, 2, 1 c; R Descartes: Principia I, 48; 53; 64; B de Spinoza: Ethica I, Prop. 15, Schol.

Schöndorf Ausdrücklich 3 Analyse Ausgeschlossenen Dritten, Satz vom 3 Dritten, Satz vom ausgeschlossenen Auslegung 3 Interpretation Auslese 3 Evolution Ausmessung 3 Raum Aussage Normalerweise wird unter einer A. eine sprachliche Äußerung verstanden, die einen bestimmten Sachverhalt oder eine Meinung kundgibt, also eine theoretische, kognitive Information über die Wirklichkeit oder über die Gedanken des Sprechers liefert. Im normalen Sprachgebrauch wird dabei vor allem an eine Information über bestimmte Sachverhalte und Ereignisse gedacht, wenn man davon spricht, eine A. zu machen oder zu verweigern. Die sprachliche Form der A. ist der normale 3 Satz, der A.satz, der im Gegensatz zu einem Frage-, Befehls- oder Ausrufesatz oder einer bloßen Interjektion steht. Wenn eine A. ernst gemeint ist, so stellt sie zugleich eine 3 Behauptung dar, was in der Tradition auch als ein 3 Urteil bezeichnet wurde. Der Ausdruck A. legt den Akzent nicht auf das Behaupten, sondern auf den Sprechakt und

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Außenwelt

seinen Inhalt, den A.gehalt oder (nach Austin) lokutionären Gehalt, der auch als Proposition oder propositionaler Gehalt bezeichnet werden kann. Eine A. ist im Allgemeinen dadurch gekennzeichnet, dass von einem bestimmten 3 Subjekt etwas Bestimmtes ausgesagt (prädiziert) wird. Man kann auch diese Prädikation, also das, was das Prädikat beinhaltet, als die A. im engeren Sinn des Wortes bezeichnen. In diesem Fall muss man sagen, dass über ein bestimmtes Subjekt eine bestimmte A. gemacht wird. Die A. ist wahr oder falsch. Normalerweise (wenn keine situationsbezogenen Indikatoren verwendet werden) lässt sich die A. von der konkreten Sprechsituation lösen und ist für sich allein ohne die ausdrückliche Bezugnahme auf ihren Sprecher und ihren Adressaten verstehbar, so dass sie weitergegeben und schriftlich niedergelegt werden kann. Diejenige logische Disziplin, die die A.n selbst nicht weiter analysiert, sondern als Grundelemente ansieht und ihre verschiedenen logischen Verknüpfungen untersucht, wird A.nlogik genannt. Früher wurde sie auch als Urteilslogik bezeichnet (3 Logik). H Rodingen: A. und Anweisung, Me 1975; J L Austin: How to do things with words, O 2 1976; A Beckermann: Einführung in die Logik, B 1997; E Tatievskaya: Einführung in die A.nlogik, B 2003.

Schöndorf Aussagenvariable 3 Logik Außenwelt Das Problem der sogenannten A. ist die Frage, ob es »außer« mir eine unabhängig existierende (materielle) Welt gibt. Neuzeitlicher Ausgangspunkt war vor allem Descartes’ universaler Zweifel, der nur die Gewissheit der eigenen Existenz übrig ließ, während die A. in Frage gestellt wurde. Berkeley leugnete die Existenz substantieller Materie (3 Idealismus). Nach Malebranche und Fichte glauben wir an die Realität der A. Für Kant ist es ein »Skandal der Philosophie«, dass wir das »Dasein der Dinge außer uns […] bloß auf Glauben annehmen« müssen (KrV B XXXIX Anm.), weshalb er eine »Widerlegung des Idealismus« liefert (ebd. B 275–279). Nach Schopenhauer ist die Leugnung der A. nur für einen Verrückten möglich, aber theoretisch nicht widerlegbar (Die Welt als Wille und Vorstellung, 1. Bd., § 19). Heidegger verwirft die Versuche, die A. überhaupt zu beweisen (Sein und Zeit § 43a). Hieran ist richtig, dass schon die Frage nach der A. ohne ihre Existenz gar nicht möglich wäre. G Berkeley: A treatise concerning the principles of human knowledge; I Kant: KrV. – L E Hoyos Jaramillo: Kant und die Idealismusfrage, Mz 1995; D H Heidemann: Kant und das Problem des metaphysischen Idealismus, B 1998; A Kulenkampff: Esse est percipi, Bs 2001; B Russell: Unser Wissen von der A., HH 2004; A-T Tymieniecka (Hg): Does the world exist?, Dordrecht 2004; V de Oliveira Farias: Kants Realismus und der A.skeptizismus, Hi 2006.

Schöndorf

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Autonomie

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Autonome Moral 3 Autonomie Autonomie / Heteronomie Die Ausdrücke A. und H. stammen aus dem Griechischen und bedeuten Selbstgesetzgebung und Fremdgesetzgebung (autós: selbst, nómos: Gesetz, héteros: anderer). Ihr ursprünglicher Ort ist also die Staatslehre. Ein Volk besitzt A., wenn es sich selbst seine Gesetze geben kann. H. liegt hingegen vor, wenn ihm eine fremde Herrschaft seine Gesetze vorschreibt. Wenn ein 3 Staat über A. verfügt, so ist dies ein Zeichen seiner 3 Freiheit und 3 Souveränität gegenüber anderen Staaten. Für Kant stellt die A. einen Zentralbegriff seiner Moral dar. Er versteht darunter die moralische Gesetzgebung der eigenen 3 Vernunft. Die Unterwerfung unter nicht von der eigenen Vernunft gegebene Gesetze ist nach Kant H. und darum unmoralisch. Als H. bezeichnet Kant in seiner »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten« eine Moral, die sich auf das physische Gefühl (Glückseligkeit), das moralische Gefühl, die Vollkommenheit oder den Willen Gottes beruft. In der »Kritik der praktischen Vernunft« nennt er als zwei weitere Weisen der H. noch die Erziehung und die »bürgerliche Verfassung« als Grundlagen der Moral. A. bedeutet, dass sich moralisches Handeln weder von einer fremden Instanz noch von den eigenen Trieben und Emotionen leiten lassen darf, sondern dem Gesetz der Vernunft gehorchen muss. Eine autonome oder unabhängige Moral bezieht ihre Gesetze aus der eigenen vernünftigen Einsicht. In einem gewissen Sinn ist jede echte Moral insoweit autonom, als nur das moralisch ist, was ich aufgrund meiner eigenen Einsicht als gut oder böse beurteile. Dies gilt aber auch dann, wenn ich dem Urteil von jemandem folge, dessen moralisches Urteilsvermögen ich als mir überlegen beurteile und dessen Argumente mich überzeugen. Wenn jemand Gott nur deshalb gehorchen sollte, weil er mächtiger ist und ihn belohnen oder bestrafen kann, so handelt er nicht wirklich moralisch, weil ihm die Einsicht in den guten oder bösen Charakter der entsprechenden Handlung fehlt. Eine recht verstandene »autonome Moral« schließt aber die Bereitschaft ein, dem Gesetz Gottes, der die höchste Gerechtigkeit ist, und gerechten menschlichen Gesetzen zu folgen sowie das Urteil kompetenter Autoritäten in die eigene moralische Urteilsbildung mit einzubeziehen. I Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV 433; 440–445; KpV, AA V 33–41. – R Bittner: Moralisches Gebot oder A., M 1983; G Prauss: Kant über Freiheit als A., F 1983; A Auer: Autonome Moral und christlicher Glaube, D 1984; C Schilling: Moralische A., Pb 1996; P Baumann: Die A. der Person, Pb 2000; K-P Köpping (Hg): Die autonome Person – eine europäische Erfindung?, M 2002; H Pauer-Studer (Hg): Freiheit, Gleichheit und A., W 2003; U Thiele: Repräsentation und A.prinzip, B 2003.

Schöndorf Autopoiese 3 Konstruktivismus

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Autorität

Autorität (von lat. auctoritas: Vorbild, augere: wachsen machen) kommt einer physischen oder juristischen Person zu, wenn man ihr aufgrund von Wissen, Erfahrung oder Charakter glaubt: dann »ist sie eine A.« (persönliche A.). Falls sie ihre Macht innerhalb einer rechtlichen Zuständigkeitsverteilung ausübt und deshalb zumindest mehrheitlich Gehorsam erfährt, dann »hat sie A.« (amtliche A.). Die Erziehungsa. entsteht unmittelbar mit der ElternKind-Beziehung. Verhilft sie dem Kind zum verantwortlichen Umgang mit sich in der Gesellschaft, ist sie weder autoritäre noch antiautoritäre Erziehung. Mit Ersterer setzt sich eigensüchtiger Beherrschungswille an die Stelle der A., die zweite Umgangsweise verneint die Pflichten gegenüber der Gesellschaft. – Menschliches Leben bedarf der A. als unabdingbarer Vorgabe, und zwar als Hilfe zur Selbsthilfe. Doch muss A. ihre Anliegen einsichtig machen, das in sie gesetzte Vertrauen rechtfertigen und der Mündigkeit wie dem Gemeinwohl dienen. Nur dann verpflichten auch Anordnungen der amtlichen A. im Gewissen. T Hobbes: Leviathan, Kap. 14–20; H G Gadamer: Wahrheit und Methode, Tü 2 1965; H Arendt: Was ist A.?, M 1994; A Gehlen: Anthropologische und soziale Überlegungen zum Problem der A., in: GA Bd. 7, F 1978. – F Faller: Die rechtsphilosophische Begründung der gesellschaftlichen und staatlichen A. bei Thomas von Aquin, Hd 1954; T Eschenburg: Über A., F 1965; J M Bochen´ski: A., Freiheit, Glaube, M 1988; J Raz (Hg): Authority, O 1990.

Brieskorn Averroismus 3 Aristotelismus 3 Scholastik 3 [101] Axiologie 3 Wertethik Axiom (gr. axíoma) im weitesten Sinne ist eine 3 Aussage bzw. ein 3 Satz, von denen man in einer 3 Deduktion ausgeht, um aufgrund logischer Schlussregeln zu einem Schlusssatz zu gelangen. Ein A., dessen Wahrheit eines 3 Beweises nicht »fähig oder bedürftig« ist (Aristoteles), ist ein (Erkenntnis-)Prinzip (gr. arché, koiné énnoia) z. B. in Philosophie oder 3 Logik. Wird ein A. in einer wissenschaftlichen Deduktion vorausgesetzt, ohne einsichtig oder bewiesen zu sein, handelt es sich um eine 3 Hypothese (gr. hypóthesis), mit der man eine These oder gewisse Tatsachen erklären will, oder um ein 3 Postulat (gr. aítema), welches als unentbehrlich für die Deduktion vorausgesetzt wird. Sieht man von der Existenz der Gegenstände eines Wissensbereichs und von der Wahrheit der (gewöhnlich) endlich vielen »A.e« einer Wissenschaft gänzlich ab, können formale a.atisch-deduktive Systeme kalkülmäßig entworfen werden. Dabei müssen die Bedingungen der Widerspruchsfreiheit (engl. consistency) und 3 Vollständigkeit (engl. completeness) eines A.ensystems, d. h. der Gesamtheit von A.en einer Deduktion, beachtet werden sowie die Unabhängigkeit der A.e, d. h. ihre Nichtableitbarkeit voneinander (Hilbert).

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Bedeutung

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Aristoteles: Topik VIII; An. post. I,2.9–10; Euklid: Elemente I,1; Proklos: In Euclidis elementorum primum libr. comm.; D Hilbert: Grundlagen der Geometrie, L 1899; Die logischen Grundlagen der Mathematik, Math. Ann. 88 (1923), 151. – H Schüling: Die Geschichte der a.atischen Methode im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert, 1969; O Becker: Grundlagen der Mathematik in geschichtlicher Entwicklung, F 1975; M Bense: A.atik und Semiotik, 1981.

Carls Axiomatik 3 Wissenschaftstheorie Badener Schule 3 Neukantianismus Basis 3 Marxismus Bedeutung kann in einem ganz allgemeinen Sinn jede Art von Wichtigkeit, Relevanz, Bedeutsamkeit meinen. Im engeren Sinn wird jedoch unter B. das verstanden, was mit einem bestimmten Wort oder Ausdruck gemeint ist, was damit bezeichnet wird (bezeichnen: lat. significare, daher Bezeichnung: significatio). Dies ist zunächst einmal sowohl das bei einem Wort Gedachte als auch das real existierende Objekt in seinem Eigensein, worauf sich der betreffende Ausdruck der Sache nach bezieht, sofern es ein solches Objekt gibt. Frege nannte die Sache, auf die Bezug genommen wird, B. (Beispiel: der Planet Venus), während er den gedachten Gehalt eines sprachlichen Ausdrucks (der Morgen- oder der Abendstern) als Sinn bezeichnete. Es hat sich aber inzwischen eingebürgert, den geistigen, intentionalen Gehalt eines Ausdrucks seine (semantische oder inhaltliche) B. zu nennen, während man das außersprachliche Objekt oder den Sachverhalt, worauf sich ein Ausdruck bezieht, als seine Referenz (sein Referenzobjekt) bezeichnet. Die Lehre von den B.en heißt 3 Semantik. Die (semantische, inhaltliche, intensionale) B. ist also der mit einem sprachlichen Ausdruck (Wort, Wortverbindung, Satz) verbundene (geistige) Informations- bzw. Wissensgehalt, der etwas Bestimmtes repräsentiert (vorstellt). Die B. ist das zu einem Ausdruck gehörige und zu seinem inhaltlichen (= semantischen, intensionalen) Verständnis nötige geistige Wissen, aber nicht als expliziter Akt, sondern als explizierbarer Gehalt. Denn dieses Wissen bleibt im Vollzug des Denkens und Sprechens oft latent, implizit. Die B. darf nicht psychologistisch als anschauliche Vorstellung verstanden werden. Die B. schöpft die Wirklichkeit dessen, worauf der Ausdruck referiert, nicht aus. Ein Ausdruck kann eine B. haben, obwohl er auf kein existierendes Objekt referiert (z. B. im Märchen). Er hat aber keine B., wenn er keine inhaltliche Information liefert, auch wenn er möglicherweise einen sinnvollen Zweck erfüllt (z. B. Herstellung einer Kommunikation durch einen inhaltslosen Zuruf). Die B. eines Ausdrucks wird durch seine Definition, durch Synonyma (andere gleichbedeutende Ausdrücke) oder durch den Verweis auf das Referenzobjekt erklärt. Bei wissenschaftlich eindeutig definierten Termini han-

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Bedingung

delt es sich dabei um genau dieselbe B. bei der Definition oder bei der Übersetzung in eine andere Sprache; aber auch bei den meisten umgangssprachlichen Wörtern gibt es in der Alltagssprache bestenfalls B.snuancen, die den überwiegenden Kernbereich der B. unangetastet lassen. Die B. hängt zwar mit dem Gebrauch eines Ausdrucks zusammen (Synonyma werden oft in unterschiedlichen Zusammenhängen gebraucht) und kann sich durch den Gebrauch ändern, aber dies setzt gerade voraus, dass B. und Gebrauch nicht dasselbe sind. Wittgensteins »Philosophische Untersuchungen« enthalten in Nr. 43 die Behauptung, die B. bestehe in vielen Fällen im Gebrauch eines Wortes. Richtig ist hieran nur, dass unsere Wörter je nach Gebrauch andere Funktionen haben können als (nur) die einer inhaltlichen Information: Die Funktion eines sprachlichen Ausdrucks (Information, Appell, Ausdruck, …) hängt vom Handlungszusammenhang ab. Darum reicht das Wissen um die B. zusammen mit der Grammatik für den richtigen Sprachgebrauch nicht aus, sondern es ist auch die Kenntnis der Funktion, der Sprachebene (Stil) und der festen Wortverbindungen nötig. G Frege: Funktion, Begriff, B.; L Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen. – G Bornet: Die B. von »Sinn« und der Sinn von »B.«, Be 1996; A Newen: Kontext, Referenz und B., Pb 1996; C Bermes: Philosophie der B., Wü 1997; M N Lance / J O’Leary-Hawthorne: The grammar of meaning, C 1997; G Falkenberg: Sinn, B., Intensionalität, Tü 1998; G Harman: Reasoning, meaning and mind, O 1999; A Keller: Sprachphilosophie, Fr 3 2000; E Waniek (Hg): B.?, W 2000; C Demmerling: Sinn, B., Verstehen, Pb 2002; M Kober: B. und Verstehen, Pb 2002; D Gerber: B. als Brücke zwischen Wahrheit und Verstehen, Pb 2005; M Textor: Über Sinn und B. von Eigennamen, Pb 2005.

Schöndorf Bedingt zukünftige Handlungen 3 Gottes Eigenschaften Bedingung (lat. conditio) im weitesten Sinne hat es mit konditionalen »wenn …, dann …«-Verhältnissen zu tun (3 Implikation). Versteht man diese im Sinne von »Q, sofern P«, ist Q das Bedingte (ein Ding, ein Sachverhalt, eine Situation, die 3 Wahrheit, die 3 Geltung u. a.) und P das Bedingende bzw. die B., d. h. 3 Grund, 3 Ursache, 3 Motiv oder 3 Voraussetzung für Q, von der Q irgendwie abhängt und in Bezug auf welche Q 3 relativ ist. Eine B. kann auf verschiedene Weise durch anderes bedingt sein, aber in gewisser Hinsicht auch b.slos oder letztlich gänzlich unbedingt (3 absolut) sein. – In verschiedener Hinsicht unterscheidet man logische B.en, z. B. für die Gültigkeit von Schlüssen oder die Wahrheit eines Schlusssatzes, erkenntnistheoretische B.en, z. B. für die Wahrheit oder 3 Gewissheit einer Aussage, wissenschaftliche B.en, z. B. für die Erklärung einer Beobachtung oder die Durchführung eines Experimentes, psychologische B.en, z. B. für die Erklärung einer Entscheidung, juridische B.en, z. B. für das Gelten eines Kontrakts oder eines Gesetzes, ontologische B.en, z. B. für die Existenz oder die Einheit eines Ein-

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Bedürfnis

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zelnen. Ein realer B.szusammenhang, z. B. »Der Mensch kann lieben, weil er frei ist« ist zu unterscheiden von einem erkenntnismäßigen, z. B. »Der Mensch ist frei, wenn er lieben kann«. Im Fall der hinreichenden B. gilt »B, wenn A1 und A2 und … und An (zusammen)« (lat. conditio per quam) und bei einer notwendigen B., die nicht immer hinreichend sein muss (lat. conditio sine qua non; negative B.): »B, nur wenn A«. Zu Möglichkeitsb. vgl. 3 Transzendentalphilosophie. E Adams: The Logic of Conditionals, Dordrecht 1975; E Sosa (Hg): Causation and Conditionals, O 1975; D H Sanford: If P, than Q, Lo 1989; F Jackson (Hg): Conditionals, O 1991; D Edgington: On Conditionals, Mind 104 (1995), 235–329.

Carls Bedürfnis Die Unterscheidung zwischen Wünschen oder Neigungen (desire) und B.sen (need), zwischen dem, was jemand möchte, und dem, was jemand benötigt oder braucht, ist von Bedeutung für die Frage, in welchen 3 Situationen eine 3 Pflicht zur Hilfeleistung besteht. Der Unterschied sei zunächst an einem Beispiel gezeigt. Die 3 Person A ist körperlich behindert; sie braucht Hilfe, um am normalen menschlichen Leben teilnehmen zu können. Die Person B hat ausgefallene Wünsche, die nur mit einem großen Aufwand befriedigt werden können. Wie sollen wir unsere begrenzten Mittel verteilen? Wir würden 3 intuitiv urteilen, dass A einen moralischen Anspruch auf Hilfe und damit auf die erforderlichen Mittel hat, wogegen die Wünsche von B moralisch ohne Bedeutung sind. Begrifflich lässt dieser intuitive Unterschied sich folgendermaßen fassen: 1. Ein Wunsch oder eine Neigung ist eine propositionale 3 Einstellung. Im Unterschied dazu enthält ein 3 Satz, der ein B. ausdrückt, eine 3 Aussage über eine notwendige 3 Bedingung oder ein notwendiges Mittel. Wenn ich x wünsche und x identisch ist mit y, dann wünsche ich nicht notwendig y. Dagegen benötige ich x nur dann, wenn ich y, das mit x identisch ist, ebenso benötige. Was ich wünsche, hängt von meinen Vorstellungen ab. Wenn ich dieses bestimmte Bild kaufen möchte, weil ich es für einen echten van Gogh halte, dann hängt dieser Wunsch nicht davon ab, ob es tatsächlich ein echter van Gogh oder eine Fälschung ist; hinreichende Bedingung für den Wunsch ist, dass ich es für einen echten van Gogh halte. Wenn ich dagegen etwas benötige, weil es F ist, z. B. weil es schmerzstillend ist, dann muss es tatsächlich F sein, und es ist ohne Bedeutung, ob ich es für F halte oder nicht. 2. Der 3 Gegenstand eines B.ses unterscheidet sich von anderen Mitteln durch die besondere 3 Klasse von 3 Zielen, für die er ein notwendiges Mittel ist. Es handelt sich, um es negativ zu formulieren, nicht um Ziele, die wir uns nach Belieben setzen oder auf die wir nach Belieben verzichten können; vielmehr sind diese Ziele uns vorgegeben; unter normalen Umständen sind wir ihnen gegenüber nicht frei. Beispiele für solche Ziele sind Freiheit von 3 Schmerz, Gesundheit, Gebrauch unserer Sinne und Glieder. Gegenstand

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Begehren

eines B.ses sind die Mittel, die wir brauchen, um diese notwendigen Ziele zu erreichen, z. B. Nahrung, Kleidung, Medikamente. B.se sind ohne Zweifel in einem hohen Ausmaß kulturbedingt. Dennoch wird kein Relativist bestreiten können, dass es B.se gibt, deren Erfüllung für die bloße Erhaltung des menschlichen Lebens unerlässlich ist, und ebenso 3 Leiden und Behinderungen, die unabhängig von der 3 Kultur kein Mensch als solche wollen kann. J Griffin: Well-Being, chap.3, O 1986; D Wiggins: Needs, Value, Truth, O 1987; D Miller: Principles of Social Justice, 203–213, Cambridge Mass. 1999; T M Scanlon: The Difficulty of Tolerance, chap. 4, C 2003.

Ricken Befehl 3 Autorität Begehren ist ein vieldeutiger Begriff, dessen Bedeutungsspektrum vom sexuellen B. (le désir bei Sartre z. B.) bis zum natürlichen Verlangen nach Gott (desiderium naturale) reicht. In seiner allgemeinsten, abstrakten Bedeutung bezeichnet er das dynamische, konative Prinzip der Seele im Unterschied zu ihrer kognitiven Funktion. Platon unterscheidet zwischen dem vernünftigen Reflexionsvermögen (to logistikón) und dem vernunftlosen Begehrungsvermögen (to epithymetikón) und charakterisiert letzteres als das, womit die Seele liebt, hungert, dürstet oder sonst irgendetwas begehrt. In einem zweiten Schritt grenzt er das Muthafte (to thymoeidés) wegen seiner Eigenart vom vernunftlosen B. ab und schlägt eine Dreiteilung der Seele vor (vgl. Rep. IV 435b-441c). Grundlage dieser Unterscheidungen ist die Erfahrung, dass die genannten psychischen Kräfte sich widerstreiten können. Platon hält sie aber für vordergründig und weist auf die Einfachheit der Seele hin (vgl. Rep., Phd.): Alle Vermögen sind Manifestationen einer einzigen seelischen Grundenergie, die er ›Eros‹ nennt, und wenn die Seele durch die Herrschaft der Vernunft geeint wird, ist der begehrende Eros eine positive Kraft beim Aufstieg zu den Ideen (vgl. Symp. 201d-212b). Aristoteles subsumiert die verschiedenen Formen des B.s unter den Begriff des Strebens (órexis), der in Verbindung mit dem Begriff der Bewegung (kínesis) eingeführt wird, weil er jenes Vermögen der Seele bezeichnet, das bewegt (An. III-10 433a31). Ohne Streben oder Meiden bewegt sich nichts, es sei denn durch Gewalteinwirkung (An. III-7). Deshalb gehört zur Seele neben dem Ernährungs-, Wahrnehmungs- und Vorstellungs- auch ein Strebevermögen (to orektikón), das dem Begriff und dem Vermögen nach von den anderen verschieden ist. Ihm werden sowohl vernunftlose als auch vernünftige Strebungen zugeschrieben: auf der einen Seite die Begierde (epithymía), die nach dem Angenehmen strebt, und der Mut (thymós), der im Unterschied dazu auf Überzeugungen gründet, und auf der anderen der Wille (boúlesis), der ein überlegtes Streben nach dem ist, was man sich als gut vorstellt. An ihn knüpft die praktische Vernunft an. Denn der Ausgangspunkt des praktischen Denkens – das im Unterschied zum sinnlich orientierten Streben ein Lebewesen mittels

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Begriff

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Denktätigkeit (nóesis) und 3 Entscheidung (prohaíresis) bewegt – ist das Erstrebte (to orekton), ohne das es nichts bewegen könnte (vgl. An. III-10). In der weiteren historischen Entwicklung kommt es zu einer schärferen Trennung des unteren und des oberen Begehrungsvermögens. Thomas v Aquin unterscheidet z. B. deutlich zwischen dem sinnlichen (appetitus sensitivus) und dem vernünftig-willentlichen Streben (appetitus intellectivus) (vgl. STh I–II q. 80–81, De ver. q. 25). Besonders ausgeprägt ist die Unterscheidung in der deontologischen Vernunftkonzeption Kants, in der das Begehrungsvermögen bestimmt wird als »das Vermögen durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein« (MdS AA VI 211), wobei die Vorstellung des unteren Begehrungsvermögens von einem Gegenstand der Sinnlichkeit herrührt und die des oberen die bloße Form des Moralgesetzes ist (vgl. KpV § 3). Das untere Begehrungsvermögen differenziert er mittels der Begriffe Begierde, Neigung und Wunsch: »Begierde (appetitio) ist die Selbstbestimmung der Kraft eines Subjects durch die Vorstellung von etwas Künftigem als einer Wirkung derselben. Die habituelle sinnliche Begierde heißt Neigung. Das B. ohne Kraftanwendung zu Hervorbringung des Objects ist der Wunsch.« (Anthr. AA VII 251) Platon: Politeia; Phaidon; Symposion; Phaidron; Aristoteles: De Anima; Rhetorik; T v Aquin: In Aristotelis Librum de Anima Commentarium; I Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, drittes Buch; J-P Sartre: L’Être et le Néant. – A Schöpf: Bedürfnis, Wunsch, B., Würzburg 1978.

Trampota Begriff (gr. lógos, lat. conceptus oder notio) kann in einem zweifachen Sinn verstanden werden. Im eigentlichen und engeren Sinn des Wortes besteht der B. in der Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks. Der B. bedarf zwar der sprachlichen Formulierung, ist aber streng genommen davon zu unterscheiden, wenn auch nicht davon zu trennen. Dass der B. nicht auf den B.sausdruck reduziert werden kann, zeigen die Übersetzung von Fachtermini (gleicher B. in verschiedenen Sprachen) und die 3 Definition: Der zu definierende Terminus (»definiendum«) und die Definition (»definiens«) besagen dasselbe, sind also ein und derselbe B., werden aber mit verschiedenen Wörtern ausgedrückt. Oft wird aber in einem weiteren Sinn auch der sprachliche Ausdruck mitsamt seiner Bedeutung als B. (lat. terminus, engl. term) bezeichnet. B.sausdrücke sind nicht nur Substantive, sondern ebenso auch Adjektive und Verben. In der normalen Sprache kann aber nicht jeder sprachliche Ausdruck für einen Allgemeinb. (lat. Universale, 3 Universalienproblem) stehen. So sind Eigennamen (3 Name) keine B.e (obwohl die lateinische Terminologie oft für Namen und B.e den Ausdruck »nomen« verwandte), denn sie haben zwar meist ursprünglich eine b.liche Bedeutung, dienen aber dazu, eine ganz bestimmte Person zu bezeichnen, ganz unabhängig davon, welche Charakteris-

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Begriff

tika dieser Person zukommen. Auch Metaphern sind keine B.e, da sie nur Vergleiche und nicht direkte Charakterisierungen der von ihnen gemeinten Objekte darstellen. Ebenso kommen die Indikatoren oder indexalischen Ausdrücke (hier, dies …), zu denen auch die Personalpronomina zählen, nicht als B.sausdrücke in Frage, da ihre Bedeutung vom jeweiligen Kontext abhängt. Ferner sind die synkategorematischen oder synsemantischen (gr. sy´n: mit; kategoreîn: aussagen; semaínein: bedeuten) Ausdrücke (und, oder, weil …) keine B.sausdrücke, da sie keine eigenständigen inhaltlichen Aussagen darstellen, sondern eine bestimmte verknüpfende (oder entgegensetzende) Funktion im Satz erfüllen. Auch bestimmte Interjektionen haben keine b.liche Bedeutung, sondern dienen nur dazu, eine bestimmte kommunikative Funktion zu erfüllen (z. B. hallo) oder ein bestimmtes Gefühl oder Empfinden auszudrücken (z. B. au). Zu philosophischen (oder anderen wissenschaftlichen) Zwecken können allerdings auch Ausdrücke aus den eben genannten Wortarten substantiviert und auf diese Weise zu einem B. gemacht werden, wie z. B. der Ausdruck das »3 Ich« in der 3 Transzendentalphilosophie. Man unterscheidet zwischen der 3 Bedeutung und der 3 Referenz eines B.s. Die Bedeutung oder der Inhalt (die Intension) eines B.s besteht in dem, was die Definition eines B.s besagt, also in dem, was gewusst wird, wenn ein B. verstanden wird. Dagegen nennt man das oder die konkreten Objekte, die unter einen B. fallen, auf die ein B. in der Wirklichkeit angewandt wird, die Referenz (das oder die Referenzobjekte) oder (in ihrer Gesamtheit) den Umfang (die Extension) des B.s. Ein Allgemein-B. im strengen Sinn ist eine durch ein Wort oder eine Wortverbindung ausdrückbare nicht-anschauliche, d. h. abstrakte, gedankliche, geistige und darum auf Gleichartiges anwendbare und allgemein nachvollziehbare Repräsentation (»Vergegenwärtigung« = erkenntnismäßige, kognitive, theoretische Vorstellung im weitesten Sinn dieses Wortes), die aufgrund eines oder mehrerer Merkmale (Charakteristika) (die den Inhalt, die Intension oder Bedeutung des B.s ausmachen) und somit aufgrund des (wesentlichen) Gehaltes entweder eindeutig (univok) oder analog (ähnlich aufgrund einer Beziehung) eine bestimmte Art (Typ, Klasse, Menge) von Dingen, Eigenschaften usw. Individuen, Arten u. ä. (was als Umfang, Extension, (Gesamtheit der) Referenz des B.s bezeichnet wird) allgemein bezeichnet und kennzeichnet (= auf sie »referiert«), wobei die Zahl der Exemplare, auf die der B. referiert, offen bleibt (sie kann mit oder ohne Notwendigkeit auch 0 oder 1 sein). Die Allgemeinheit (3 Allgemein) des Allgemeinb.s gründet in der 3 Abstraktion, d. h. darin, dass der B. gerade und nur diejenigen Merkmale beinhaltet, die allen Gegenständen einer bestimmten Menge oder Klasse zukommen, während er von den Verschiedenheiten absieht (ohne sie jedoch zu leugnen!), die nicht allen von ihnen gemeinsam sind, sondern nur einzelnen Individuen oder ihnen auf verschiedene Weise zukommen.

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Hierbei ist eine zweifache Bedeutung von abstrakt zu unterscheiden: Zum einen ist jeder B. insofern abstrakt, als er nur die gemeinsamen (wesentlichen) Merkmale herausnimmt, weshalb er allgemein ist. Insofern ein solcher B. aber empirische Gegenstände bezeichnen kann, kann man ihn einen empirischen B. nennen. Ferner gibt es auch B.e, die sich sowohl auf Empirisches als auch auf Nicht-Empirisches anwenden lassen. Und es gibt abstrakte B.e im engeren Sinn, die Nicht-Empirisches bezeichnen. Ferner gibt es B.e, die selbst wiederum B.e charakterisieren (3 Reflexion), und es gibt innerhalb der B.e eine Hierarchie von Ober- und Unter-B.en: 3 Art 3 Kategorien. B.e werden aufgrund des intensionalen Gehaltes (Bedeutung) gebildet und auf alles angewandt, dem der betreffende Gehalt zukommt, wodurch sie ihre Extension erlangen. Namen mögen zwar auch eine bestimmte Bedeutung haben, aber sie kommen nicht jedem zu, der diese Charakteristika aufweist, sondern nur dem oder denen, die irgendwann so benannt wurden, auf die sie also referieren. Sie fungieren also dank ihrer Extension, nicht aufgrund ihrer Intension. Wenn ein B. notwendigerweise nur auf ein Objekt referiert (weil es sich um eine Totalität handelt, wie z. B. »Wirklichkeit« oder »Gott«, oder weil das Gemeinte keine Pluralbildung zulässt wie z. B. »Sittlichkeit« oder »Subjektivität«), so handelt es sich nur im uneigentlichen Sinn um einen »Allgemein«-B. Ein B. kann aber auch deshalb nur auf ein einziges Objekt referieren, weil es faktisch nur ein Exemplar gibt, auf das die betreffende Bezeichnung zutrifft, obwohl es rein theoretisch davon auch mehrere Exemplare geben könnte. In einem solchen Fall wird oft auch von einem Individualb. gesprochen, d. h. von einem B., der so gebildet ist, dass seine Merkmalskombination nur auf ein einziges Individuum zutrifft. Wenn wir einen solchen Individualb. bilden, dann ist dies auf zwei Weisen möglich, die miteinander kombiniert werden können. Wir können eine Kombination von Merkmalen benennen, von der wir wissen oder annehmen, dass sie nur auf dieses bestimmte Individuum zutrifft, wobei diese Merkmale, für sich betrachtet, Allgemeinb.e sind. Oder wir verwenden Indikatoren. Allgemeinb.e, die auf jedes einzelne Exemplar unmittelbar und ganz Anwendung finden, sind von Kollektivb.en zu unterscheiden, wo das einzelne ein Teil des Ganzen ist, wie z. B. bei Stoffen, Elementen, Metallen, Nahrungsmitteln u. ä., weshalb man korrekterweise im Einzelfall nur von einer bestimmten Menge sprechen kann: ein Liter Wasser, ein Laib Brot … Dies wird bspw. im Englischen und Französischen auch bei unbestimmten Mengen sprachlich ausgedrückt: I give you some money. Je bois du vin. Zum Übergang von einem Namen zu einem B. oder umgekehrt siehe 3 Name. Der B. des Seins oder, genauer, des Seienden ist konkret (3 Sein), d. h. er umfasst seinem Inhalt nach alles, weil ich damit, dass ich etwas als seiend

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Behauptung

bezeichne, gerade von nichts absehe, sondern alles an dem Betreffenden meine. Denn alles, was irgendeiner Sache oder irgendjemandem zukommt, ist. Während andere Allgemeinb.e durch das Hinzutreten von nicht in ihnen enthaltenen weiteren Spezifizierungen und Präzisierungen weiter ausdifferenziert werden (Übergang von der Gattung zur Art durch die Hinzufügung der nicht im Gattungsb. enthaltenen spezifischen Differenz), kann dem B. Seiend nichts hinzugefügt werden, was nicht seinerseits auch seiend ist. Aus diesem Grund kann man den B. des Seins oder des Seienden auch nur uneigentlich als einen Allgemeinb. bezeichnen (3 Analogie). E Cassirer: Erkenntnis, B., Kultur; G Frege: Funktion, B., Bedeutung. – R L Schwartz: Der B. des B.es in der philosophischen Lexikographie, M 1983; R Teuwsen: Familienähnlichkeit und Analogie, Fr 1988; L Noiré: Logos, Hi 1989; C Peacocke: A study of concepts, C Mass. 1992; M Rojas Hernández: Der B. des Logischen und die Notwendigkeit universell-substantieller Vernunft, Aachen 2002; C Panaccio: Ockham on concepts, Aldershot 2004; A Arndt (Hg): Hegels Lehre vom B., Urteil und Schluss, B 2006; B Prien: Kants Logik der B.e, B 2006.

Schöndorf Begriffsbestimmung 3 Definition Behauptung Eine B. (gr. lógos apophantikós, lat. affirmatio) ist eine 3 Aussage (Äußerung) oder ein 3 Urteil, das die sprachliche Form eines Aussage3 Satzes hat und von dem betreffenden Sprecher ernst gemeint ist und folglich als wahr behauptet wird. Rein der sprachlichen Form nach unterscheidet sich eine B. nicht von einer Aussage oder einem Urteil. Eine nicht mit einer Bedingung oder mit anderen Aussagen verknüpfte einfache Tatsachenb. wird auch als assertorisches Urteil bezeichnet. Eine Aussage kann im Gegensatz zu einer B. aber auch als bloße Vermutung, als Ironie, als Scherz, als Märchen und dgl. oder als ein inhaltlich nicht relevanter Beispielsatz vorgetragen werden. Ob eine Aussage wirklich behauptet wird und somit eine B. darstellt, hängt davon ab, ob der Sprecher seine Aussage ernsthaft als wahr behaupten will oder nicht. Ein anderer als der Sprecher kann dies zunächst nur vom Kontext her beurteilen. Eine positive B. stellt eine Bejahung (affirmatio), eine negative B. eine Verneinung (negatio) dar. Wird der Ausdruck B. ohne weitere Spezifizierung gebraucht, so ist er meist gleichbedeutend mit Bejahung. Das Moment des Behauptens (veritative Synthese) wird sprachlich durch die Kopula (»ist«) ausgedrückt, die auch dazu dient, das Prädikat mit dem Subjekt zu verknüpfen. Dies lässt sich daran zeigen, dass man das Moment der B. dadurch ausdrücklich machen kann, dass man einen beliebigen Satz »A« umformen kann in die Formulierung »Es ist so, dass A.« Eine 3 Frage stellt keine B. dar, enthält aber normalerweise implizit bestimmte B.en, da jede Frage die Geltung bestimmter Annahmen schon voraussetzen muss. In manchen Fällen enthalten Fragen auch ausdrückliche

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Behavio(u)rismus

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B.en. So enthält z. B. die Frage »Was hast du gesagt?« die B., dass der andere etwas gesagt hat. Auch eine bloße Meinung oder Vermutung kann man als eine Weise der B. auffassen, bei der jedoch nur die mehr oder weniger große Wahrscheinlichkeit einer Tatsache behauptet wird. Auch für eine Aufforderung (Bitte, Wunsch, Befehl) gilt, dass sie keine B. darstellt, aber eine oder mehrere B.en implizieren kann. So enthält z. B. die Bitte »Drücken Sie bitte auf diesen Knopf« die implizite B., dass hier ein Knopf ist, auf den man drücken kann. Mit einer B. ist notwendigerweise ein uneingeschränkter Wahrheitsanspruch verbunden. Auch wenn die Geltung der B. durch irgendwelche Formulierungen (Bedingungen, Klauseln, Adverbien o. ä.) eingeschränkt wird, so ist doch wiederum der Wahrheitsanspruch der samt ihren Einschränkungen und sonstigen Differenzierungen genommenen B. uneingeschränkt: universal in Bezug auf alle möglichen Adressaten und absolut in Bezug auf alle denkbaren Bereiche. J B Lotz: Das Urteil und das Sein, Pullach 1957; J R Searle: Speech acts, C 1970; J L Austin: How to do things with words, O 2 1976. – A Appiah: Assertion and conditionals, C 1985; E Rolf: Illokutionäre Kräfte, Opladen 1997; J C King: The nature and structure of content, O 2007.

Schöndorf Behavio(u)rismus ist eine extreme Form objektiver 3 Psychologie, die nur das beobachtbare 3 Verhalten als Untersuchungsgegenstand akzeptiert. Der B. prägte die Psychologie von ca. 1912 bis zur sogenannten kognitiven Wende in den sechziger Jahren. Er nimmt an, dass der Großteil des menschlichen Verhaltens gelernt ist und von Umwelteinflüssen determiniert wird. Es gibt verschiedene Formen des B. Der metaphysische B. geht auf J Watson zurück. Er leugnet die Existenz des Bewusstseins und verbannt alle mentalistischen Begriffe aus dem wissenschaftlichen Vokabular. Der radikale B. nimmt bezüglich des 3 Leib-Seele-Problems einen monistisch-materialistischen Standpunkt ein. Nach B F Skinner lassen sich Aussagen über psychische Ereignisse als Aussagen über Verhalten identifizieren. Der methodologische B. leugnet zwar nicht die Existenz von Bewusstseinsphänomenen, akzeptiert sie aber nicht als Forschungsgegenstand, weil sie intersubjektiv nicht überprüfbar sind. In seiner schwächeren Form fordert diese Variante des B., dass der Zugang zu mentalen Phänomenen aus forschungslogischen Gründen über das beobachtbare Verhalten zu erfolgen hat. Markenzeichen des B. sind Objektivität und methodische Strenge bei der experimentellen Überprüfung präzise formulierter Hypothesen. Im Zuge der kognitiven Wende verschob sich das Forschungsinteresse des B. vom beobachtbaren Verhalten hin zu kognitiven Prozessen. Denken, Fühlen, Wollen und Empfinden werden jetzt als verdecktes Verhalten bezeichnet.

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Bestimmung

J B Watson: B., K 1986; B F Skinner: Was ist B.?; HH 1987. – H Reinecker: Grundlagen der Verhaltenstherapie, M 1994.

Goller Bejahung 3 Behauptung 3 Setzung 3 Urteil Belief 3 Glaube 3 Meinen Beobachtung 3 Erfahrung Beraubung 3 Privation Berufsethik 3 Sozialethik Berührung 3 Raum Beschaffenheit 3 Qualität Beschauung 3 Mystik Besitz 3 Eigentum Bestimmung / Bestimmtheit a) Bestimmung (B.) kann die Aufgabe oder das Ziel meinen, zu dem ein Mensch geschaffen oder berufen ist. b) B. kann das Schicksal von jemand meinen. c) B. oder Bestimmtheit ist die vor allem im Deutschen Idealismus übliche Terminologie für alles, was einem Seienden zukommt und von ihm auszusagen ist. Die B. ist eine wesentliche oder akzidentelle Form oder Prägung eines Seienden und liefert eine Charakterisierung, Qualifikation, Beschreibung des betreffenden Seienden. Akzidentelle B.en können auch als Affektionen bezeichnet werden. Ein konkret existierendes Seiendes ist durchgängig (d. h. unter jeder Rücksicht) bestimmt, das Mögliche jedoch nicht. Die Gesamtheit der B.en eines Seienden macht seine Washeit (lat. quidditas), sein Sosein, aus. Die präzise B. eines Begriffs heißt 3 Definition. Der Ausdruck Determination kann für B. in den drei genannten Bedeutungen verwendet werden, wird aber oft im Sinn einer eindeutig kausal notwendigen und somit deterministischen B. verstanden (3 Determinismus). J G Fichte: Die B. des Menschen; Die B. des Gelehrten; M Heidegger: Zur Frage nach der B. der Sache des Denkens. – M Wetzel: Reflexion und Bestimmtheit in Hegels Wissenschaft der Logik, HH 1971; W Pannenberg: Die B. des Menschen, Gö 1978; H Eidam: Dasein und B, B 2000; R Brandt: Die B. des Menschen bei Kant, HH 2007.

Schöndorf Beweger, erster 3 Gottesbeweise Beweggrund 3 Motiv Bewegung im weitesten Sinne jede Art (kontinuierlicher) Veränderung, im engeren (modernen) Sinne eine Änderung der Position von Körpern in Raum und Zeit. Aristoteles unterscheidet von außen erzwungene und natürliche, von innen entspringende und darum zielgesteuerte B. (3 Natur). Er konnte aber nicht wirklich einsichtig machen, warum z. B. ein Speer die erzwungene B. nach Ende des Stoßes fortsetzt, statt sogleich in seine natürliche Bewegung

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Beweis

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des freien Falls überzugehen. Spätere Scholastiker (z. B. Buridan) postulierten einen vom Werfenden dem Geschoss mitgeteilten Impetus (Schwung, Wucht), der proportional zum Gewicht und zur Geschwindigkeit sei und durch unterwegs angetroffene Widerstände aufgebraucht werde, so dass die B. allmählich in den freien Fall übergehen müsse. Im Unterschied zum Impetus gilt vom Impuls der modernen Physik nicht nur die genannte Proportionalität, sondern darüber hinaus ein Erhaltungssatz (Huygens). Zudem sind alle B.en durch 3 Kräfte von außen erzwungen, ausgenommen die trägheitsbedingte B., nämlich die gleichförmig-geradlinige. Newton glaubte, absolute B. relativ zu einem absoluten Raum nachweisen zu können (Eimerversuch). Heute gelten alle B.en als relativ zum Beobachter (bzw. Koordinatensystem). Beschreibungen einer B. von verschiedenen, zueinander gleichförmig-geradlinig bewegten Beobachtern sind ineinander überführbar mittels der Galilei-Transformationen, die nur die räumlichen Dimensionen betreffen, nicht aber die Zeit. Für elektromagnetische Vorgänge gelten die Lorentz-Transformationen, die auch die Zeit relativieren. Die Vereinheitlichung der Transformationssysteme durch Einstein führte zur speziellen Relativitätstheorie. Die ihr eigentümlichen Effekte (Längenverkürzung, Zeitdehnung, Massenzunahme) sind erst bei hohen, mit der Lichtgeschwindigkeit vergleichbaren Geschwindigkeiten nachweisbar. Die Einbeziehung auch beschleunigter Koordinatensysteme, sofern die Beschleunigung nur gravitationell bedingt ist, führte zur allgemeinen Relativitätstheorie, die eine Gravitationstheorie ist. Aristoteles: Phys. III, VIII. – F Kaulbach: Der philosophische Begriff der B., K 1965; I Szabó: Geschichte der mechanischen Prinzipien und ihrer wichtigsten Anwendungen, Bs 2 1979.

Erbrich Beweis (gr. apódeixis, lat. demonstratio) im Allgemeinen ist die Angabe eines (Erkenntnis-) Grundes für die 3 Wahrheit einer 3 Aussage. Das kann geschehen z. B. durch Hinweis auf direkte 3 Erfahrung (»dies ist eine Kuh«), durch Aufweis der 3 Evidenz in einer vergleichenden 3 Begriffs-3 Analyse (»alles Farbige ist ausgedehnt«) oder in einem eigentlichen B. (Argument), in dem man von Aussagen (3 Sätzen) ausgeht, deren Wahrheit von vornherein akzeptiert oder wenigstens hypothetisch vorausgesetzt wird, und mit Hilfe von 3 Deduktion, 3 Induktion oder anderen 3 Methoden zeigt, wie Wahrheit oder 3 Wahrscheinlichkeit eines 3 Schlusssatzes aus ihnen folgen. Die B.kraft eines solchen Arguments hängt davon ab, dass der Schlusssatz in einer endlichen Anzahl von B.schritten erreichbar ist (3 Regress, unendlicher), dass er nicht schon unter den als wahr vorausgesetzten Aussagen oder als implizite Existenzvoraussetzung (existential presupposition) vorhanden ist (3 Fehlschluss) bzw. dass diese nicht grundlos vorausgesetzt werden. Unerlaubt ist auch eine sogenannte Übertragung (gr. metábasis eis állo génos),

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Bewusstsein

bei der man in einer Argumentation von einem Wissensgebiet in ein anderes übergeht. – Ein hypothetischer B. ist kein B. im strengen Sinne, sondern eine 3 Deduktion, in der ein Schlusssatz (These) aus als wahr angenommenen, aber in ihrer Wahrheit nicht gesicherten 3 Hypothesen abgeleitet wird. – B. im strengen Sinne ist erst die Deduktion, die von evidenten und sicheren 3 Prinzipien ausgeht oder von 3 Axiomen, deren Wahrheit anderweitig bewiesen ist. Da für einen solchen B. gilt: Weil (nicht nur: Wenn) gewisse Aussagen wahr sind, ist der Schlusssatz wahr, muss eine B.führung letztlich von unbewiesenen Prinzipien und Existenzvoraussetzungen ausgehen. – Zum indirekten B. (gr. apagogé eis to ady´naton, lat. reductio ad absurdum) vgl. 3 Widerspruch, Satz vom. Das Grundproblem sind die Allaussagen, zu denen eine Argumentation führt oder die vorausgesetzt werden müssen. Für die uneingeschränkten Allaussagen der Erfahrungswissenschaften (3 Naturgesetze) gibt es keinen strengen B., da durch Induktion nicht logisch korrekt von endlich vielen Fällen auf alle Fälle geschlossen werden kann. Bei Deduktionen der 3 Mathematik und abhängiger 3 Wissenschaften ist man aufgrund der Nicht-3 Vollständigkeit (Gödel) gezwungen, von letztlich unendlich vielen unbewiesenen Axiomen auszugehen, ohne die Widerspruchsfreiheit der formalen 3 Systeme beweisen zu können. Infolge der Unentscheidbarkeitstheoreme (Church, Turing) können nicht einmal prädikatenlogische B.e in mechanischer Weise durchgeführt werden. Die Gewinnstrategien der dialogischen Logik können zwar verdeutlichen, von welchen Hypothesen die Wahrheit einer These abhängt (3 Konstruktivismus), aber nicht die Wahrheit hypothetischer Allaussagen bestätigen, sofern nicht eine uneingeschränkte Allheit als Summe aufgefasst und ein unbewiesenes Ordnungsprinzip vorausgesetzt wird, die eine vollständige Induktion ermöglichen. Aristoteles: An. prior. I; An. post. I; Topik; D Hilbert: Hilbertiana, Da 1964. – P Lorenzen: Einführung in die operative Logik und Mathematik, B 1955; K Schütte: B.theorie, B 1960; J Gredt: La théorie de l’argumentation, 1963; R B Angell: Reasoning and Logic, NY 1964; S E Toulmin: The Uses of Argument, L 1964; M Detlefsen (Hg): Proof, logic and formalization, L 1992.

Carls Bewusstsein In der antiken und mittelalterlichen Philosophie spielt das B. keine große Rolle, da es den Menschen nicht vom Tier unterscheidet, auch wenn es bereits bei Cicero, Seneca und Thomas v Aquin erwähnt wird. Zu einem zentralen Thema wurde das B. erst durch Descartes, da er in seiner 2. Meditation den menschlichen 3 Geist mit dem B. gleichzusetzen scheint. Die Bedeutung von B. lässt sich nicht durch eine Rückführung auf etwas Ursprünglicheres erklären. Es lassen sich höchstens andere Ausdrücke dafür wie Innewerden, Innesein, Gewahrsein, Für-mich-Sein, Erleben o. ä. finden. ›B.‹ hängt wie das lat. conscientia mit Wissen zusammen. Das B. umschließt

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das Erkennen der Wirklichkeit, aber auch Täuschung, Irrtum, Traum sowie alle von unserer Fantasie herbeigeführten Vorstellungen, die im Gegensatz zu echter Erkenntnis kein von uns unabhängiges Sein vorstellen. Zum B. gehören ferner das Wissen um unsere Wünsche, Willensakte, Affekte und Emotionen sowie das Gedächtnis. Ferner haben wir die Fähigkeit, uns durch die 3 Reflexion in unserem B. in ein Verhältnis zu unserem eigenen Erkennen und Tun zu setzen, wissen also um uns selbst, haben ein 3 Selbstb. Das B. umfasst somit das gesamte 3 Denken im weitesten Sinn des Wortes. Vertreter der 3 analytischen Philosophie haben gezeigt, dass sich die Kenntnis der B.sphänomene nicht aus dem objektiven naturwissenschaftlichen Wissen herleiten lässt, was die Nichtreduzierbarkeit des B.s auf materielle Vorgänge erweist. Zu meinem B. habe nur ich einen unmittelbaren, privilegierten Zugang, während fremdes B. nur mit mehr oder weniger großer Sicherheit aus dem Verhalten oder Sprechen anderer erschlossen werden kann. Hiermit hängt die Sonderrolle der ersten Person Singular zusammen, der andere Eigenschaften zukommen als den anderen grammatikalischen Personen. Aus der absoluten Gewissheit meines eigenen B.s ergibt sich für Augustinus und Descartes die unbezweifelbare Sicherheit meiner eigenen Existenz sowie die Unbezweifelbarkeit der eindeutigen B.sphänomene als solcher. Bezweifelbar ist lediglich, ob die dem B. gegenwärtigen Objekte oder Sachverhalte tatsächlich unabhängig von uns existieren oder nur »im« B. vorkommen. Nur das, dessen wir uns in irgendeiner Weise bewusst sind, ist für uns. Da wir uns aber dies bewusst machen können, ist unser B. prinzipiell unbegrenzt und für alles offen. Da das B. immer zunächst das B. anderer Objekte ist, ist es sozusagen immer schon außer sich. Es ist von sich aus beim anderen seiner selbst, was sich in der Andersheit und dem »Gegenüber« der Welt und der anderen im B. selbst zeigt. Die in der immer erst nachträglichen Reflexion gewonnene 3 Gewissheit des Selbstb.s hat teilweise zu der irrigen Annahme geführt, das B. sei ein in sich geschlossenes Ganzes (3 Idealismus). Diese Auffassung wird verstärkt, wenn nicht der Geist, dessen Produkte als Worte, Begriffe, Zahlen öffentlich gemacht werden können, sondern individuelle Empfindungen wie Schmerz zum typischen Kennzeichen das B.s gemacht werden. Es gibt verschiedene Deutlichkeitsstufen des B.s. Dieses differenzierte Gefüge konnte entwicklungsgeschichtlich nicht auf einmal entstehen, sondern bedurfte der Vorformen des tierischen B.s, dem noch die Geistigkeit, also das ausdrückliche Selbst- und Freiheitsb., die Reflexion, aber auch die begriffliche, abstrakte und über das Sinnliche hinausgehende Erkenntnis fehlen. Das B. ist aber für die Lebensvorgänge nicht notwendig, da die richtige Verarbeitung der von außen kommenden Reize und das hieraus entspringende überlebensdienliche Verhalten auch ohne B. möglich ist und in vielen Fällen auch ohne B. geschieht. Das B. ist jedoch die notwendige Voraussetzung für Erkenntnis und Freiheit.

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Bild

Descartes scheint das B. als immer gleichermaßen transparent aufzufassen, obwohl er darauf hinweist, dass es auf unsere Aufmerksamkeit ankommt. Für Leibniz hat das B. verschiedene Schichten und Grade, und er nimmt einen gleitenden Übergang vom ausdrücklichen B. bis zum 3 Unbewussten an. Dieses Thema wird dann Denker wie Schopenhauer und Freud beschäftigen. Eine zentrale Rolle spielt das B. im frühen 3 Deutschen Idealismus und der 3 Phänomenologie Husserls. Für Schleiermacher gibt es ein nicht ausdrückliches B. unserer schlechthinnigen Abhängigkeit von Gott. Der transzendentale Neuthomismus (3 Neuscholastik) spricht von der transzendentalen Gotteserfahrung, die im Hintergrund unseres ausdrücklichen B.s den Horizont all unserer Erkenntnisse bildet. Vom Beginn der Neuzeit an bis zur sprachphilosophischen Wende (»linguistic turn«: 3 Sprachphilosophie) der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben wir es mit B.sphilosophie zu tun. Hierzu gehören: 3 Rationalismus 3 Empirismus 3 Transzendentalphilosophie 3 Deutscher Idealismus 3 Phänomenologie. T v Aquin: STh I 79, 13; R Descartes: Meditationes II; I Kant: KrV; E Husserl: Ideen I. – H Schleichert: Der Begriff des B.s, F 1992; T Metzinger (Hg): B., Pb 1995; D J Chalmers: The conscious mind, NY 1996; S Krämer (Hg): B., F 1996; K Gloy: B.stheorien, Fr 1998; J R Searle: The mystery of consciousness, Lo 1998; G Rager (Hg): B. und Person, Fri 2000; C McGinn: Wie kommt der Geist in die Materie?, M 2001; U Meixner (Hg): Seele, Denken, B., B 2003; C McGinn: Consciousness and its objects, O 2004; M Plümacher: Wahrnehmung, Repräsentation und Wissen, B 2004; C S Herrmann (Hg): B., Philosophie, Neurowissenschaften, Ethik, M 2005; F Wunderlich: Kant und die B.stheorien des 18. Jahrhunderts, B 2005; T Metzinger (Hg): Phänomenales B., Pb 2006.

Schöndorf Beziehung 3 Relation Bild (gr. eikón, lat. imago) Ein B. oder Abb. meint ursprünglich eine sinnlich wahrnehmbare, ähnliche Nachahmung von etwas oder jemand in Gestalt einer malerischen oder plastischen Darstellung. Der Ausdruck B. kann das nur Nachgeahmte hervorheben (die Sinnenwelt als B. der Ideen bei Platon), er kann aber auch positiv auf die Ähnlichkeit mit dem abgeb.eten Urb. (das Ich als B. des Absoluten beim späten Fichte) hinweisen und so eine vermittelnde Funktion zwischen dem Ursprünglichen und anderem bekommen. Dabei ist das Urb. (Archetypus) im Gegensatz zum Abb. oder Nachb. (Ektypus) selbst gerade kein B. Bedeutsam wird in der christlichen Philosophie, dass der Mensch – und nur er – Abb. Gottes ist (Gen 1,26). Wenn die Nachahmung im Handeln geschehen soll, spricht man von einem Vorb. (Beispiel, exemplum. Zur causa exemplaris siehe 3 Ursache). Vom Terminus B. hergeleitet ist die Bezeichnung »Einb.ungskraft« (ima-

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Böse

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ginatio) für diejenige Erkenntnisfähigkeit, die im Gegensatz zum begrifflichen Denken sinnlicher und somit b.hafter Art ist. Wegen ihrer wahrnehmungspsychologischen Wirkung spielen B.er eine besondere Rolle in der Medienphilosophie. 3 Metapher 3 Symbol. G Böhme: Theorie des B.es, M 1999; R Zimmermann (Hg): B.ersprache verstehen, M 2000; M Pietraß: B. und Wirklichkeit, Opladen 2003; B Blanke: Vom B. zum Sinn, Wi 2003; B Naumann (Hg): B.er-Denken, M 2004; H Schemann: B., Sprachb., Weltb., Phantasieb., Hi 2005; E Husserl: Phantasie und B.bewußtsein, HH 2006.

Schöndorf Bildung 3 Pädagogik Binärcode 3 Kybernetik Bioethik 3 Ethik Biogenese 3 Evolution Biologismus 3 Naturalismus Bisubjunktion 3 Logik Bonitas, Bonum 3 Gut 3 Wert Bonum commune 3 Gemeinwohl Böse (lat. malus, malum morale, gr. kakós, ponerós) bezeichnet die moralische Schlechtigkeit im Gegensatz zum physischen 3 Übel, wird theologisch als Sünde bezeichnet und ist der Gegenbegriff zum moralisch 3 Guten. Der Habitus des B.n wird im Gegensatz zur Tugend Laster genannt. Das B. ist Minderung des Seins und darum nichts Positives, kein Sein, und hat darum nicht Gott zum Urheber. Das B. kann nur parasitär als Verkehrung des Guten existieren und bezieht nur hieraus seine Kräfte. Die Bosheit des B.n ist also als solche nichts positiv Seiendes und kommt nur durch die Perversion des Guten zustande. Es gibt also nichts in der Wirklichkeit, was Kraft seiner Existenz b. wäre, sondern alles, was ist, ist von sich her gut. Das B. kommt erst durch den verkehrten Umgang mit der Wirklichkeit, durch falsches Wollen und Handeln zustande. Es gibt folglich auch kein absolutes B.s und kein dem Guten paralleles Prinzip des B.n (3 Dualismus). Das B. ist zerstörerisch und letzten Endes tödlich, es ist eine Verweigerung der Anerkennung der Wirklichkeit und darum Lüge und Lieblosigkeit, da die 3 Liebe die Bejahung und Bestärkung dessen darstellt, was ist. Es ist der Angriff auf die rechte Ordnung und die unberechtigte Überbetonung oder Verabsolutierung eines partikulären Aspekts zum Schaden des Ganzen. Das B. kann nicht um seiner selbst willen, sondern nur um eines scheinbaren Gutes willen gewollt werden. Gegen Nominalismus und Voluntarismus ist daher zu sagen, dass etwas b. ist, weil es nicht im Einklang mit der rechten Ordnung der Wirklichkeit steht und nicht deshalb, weil es willkürlich als b. dekretiert wird: 3 Moralrelativismus. Auch wenn das B. die Freiheit voraussetzt, so vermindert und gefährdet es

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Cartesianismus

doch die Freiheit, da es zu einer Bindung an Partikuläres führt und auf diese Weise den Blick auf das Ganze, das allein die volle Freiheit gewährt, verstellt und anstelle der Offenheit für die gesamte Wirklichkeit die Unterwerfung unter bestimmte Triebe, Begierden und Interessen bewirkt. Bei Augustinus und Thomas v Aquin finden sich wichtige Überlegungen zur Willensfreiheit im Zusammenhang mit der Erörterung des B.n, weil für das B. allein der Mensch verantwortlich ist. Kant erörtert im ersten Teil seiner Religionsschrift die theologisch als Konkupiszenz bezeichnete erbsündliche Begierlichkeit, indem er von der Einwohnung des b.n Prinzips, vom radikalen B.n und vom Hang zum B.n beim Menschen spricht und die These vertritt, der Mensch sei von Natur aus b. Augustinus: De libero arbitrio; T v Aquin: De malo; STh I–II 18–21; 24; 71–89; G W Leibniz: Theodizee; I Kant: Religion, Erstes Stück; F W J Schelling: Über das Wesen der menschlichen Freiheit; F Nietzsche: Jenseits von Gut und B. – H Ebeling: Gut und B., Wü 1995; A Pieper: Gut und B., M 1997; H Rommel: Zum Begriff des B.n bei Augustinus und Kant, F 1997; C McGinn: Das Gute, das B. und das Schöne, St 2001; H Arendt: Über das B., M 2006; I U Dalferth: Das B., Tü 2006; P Ricoeur: Das B., Z 2006; P van Inwagen: The problem of evil, O 2006.

Schöndorf Cantors Paradox 3 Zahl Cartesianismus (auch Kartesianismus) meint im engeren Sinn die Philosophie von R Descartes (lat. Cartesius), im weiteren Sinn die Philosophie seiner Anhänger in der Folgezeit. Ausgehend von der Möglichkeit, alles zu bezweifeln, gelangt Descartes in seiner 2. Meditation zur unbezweifelbaren Gewissheit der eigenen Existenz, geht von dort aus weiter zum Beweis der Existenz Gottes und schließlich auch der materiellen Dinge. Er teilt die Welt in zwei Arten von Substanzen, die geistige »res cogitans«, deren Wesensattribut das Denken darstellt, und die »res extensa«, die durch die Ausdehnung charakterisierte Materie. Einen eigenen Bereich des Lebendigen kennt er nicht. Rein geistig ist mein (Selbst-) Bewusstsein, also mein denkendes Ich, während die übrige Welt, von meinem eigenen Leib angefangen, rein materieller, d. h. ausgedehnter, räumlicher Natur ist, wobei es keinen leeren Raum geben kann. Diese Zweiteilung der Weltwirklichkeit liegt auch noch der »philosophy of mind« zugrunde, weshalb sie den cartesischen Dualismus nicht wirklich überwindet. Descartes möchte die Physik auf geometrisch konzipierte Mechanik zurückführen, weshalb er physikalische Kräfte ablehnt. Die endlichen Substanzen existieren, von ihrer Abhängigkeit von Gott abgesehen, unabhängig von allem anderen. Der menschliche Geist ist für ihn der Herr seiner Gedanken (Ideen), die seine Produkte sind. Er lehnt die aristotelisch-scholastische Abstraktionslehre als Erklärung unserer Grundbegriffe ab und sieht in ihnen

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stattdessen angeborene Ideen. Sein rein materielles Verständnis des Leibes legt den Grundstein für eine naturwissenschaftliche Konzeption der Medizin. Während Descartes sowohl die metaphysische Unterscheidung von Geist und Materie als auch die Einheit von Leib und Seele lehrt und die Wahrnehmung sowie die willentliche Bewegung als Zusammenwirken beider auffasst, können die späteren Anhänger des C. diese Theorie der Wechselwirkung (Interaktion) nicht mehr nachvollziehen und vertreten den 3 Okkasionalismus. Spinoza lehrt einen dualen Monismus (3 Spinozismus), während Leibniz eine prästabilierte Harmonie von Seele und Leib annimmt (3 Leib-SeeleProblem). R Descartes: Meditationes, II. – W Röd: Descartes, M 2 1982; J Cottingham (Hg): The Cambridge companion to Descartes, C 1992; G Rodis-Lewis: René Descartes; in: Grundriß der Geschichte der Philosophie, hg. v. J-P Schobinger, Bs 1993; K Albert: Descartes und die Philosophie der Moderne, Dettelbach 2000; E Coreth / H Schöndorf: Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts, St 3 2000; T Thern: Descartes im Licht der französischen Aufklärung, Hd 2003; R Ariew: Historical dictionary of Descartes and Cartesian philosophy, Lanham 2003.

Schöndorf Causa 3 Ursache Causae occasionales 3 Okkasionalismus Causa exemplaris 3 Idee Causa sui 3 Gott Charakter 3 Person Chorismos 3 Form 3 Platonismus Christliche Philosophie ist eine Bezeichnung, die sich schon bei Johannes Chrysostomus findet. Im (frühen) Mittelalter wird darunter vor allem das Mönchsleben verstanden. Im Spätmittelalter und der beginnenden Neuzeit wird der Begriff c. P. unterschiedlich gebraucht und kann (eher reformatorisch) einen christlichen Lebensstil, Theologie als auch (eher katholisch) eine mit dem Christentum in Übereinstimmung stehende Philosophie meinen. Die deutschen Idealisten verstehen ihr Denken als ausgesprochen christlich, auch wenn sie meist nicht den Terminus c. P. verwenden. Im 19. Jahrhundert wird katholischerseits der Begriff c. P. für eine Philosophie gebraucht, die sich an die Richtlinien des kirchlichen Lehramtes hält. Die mittelalterliche Philosophie wird von Theologen im Zusammenhang mit der christlichen Theologie betrieben und ist darum auch von dieser Beziehung geprägt. Die führenden Philosophen zu Beginn der Neuzeit wirken nicht an der Universität und verhalten sich unterschiedlich gegenüber Theologie und Glauben. Denker wie Pascal, Locke, Berkeley und Leibniz verstehen sich ausdrücklich christlich, andere Philosophen wie Descartes wollen so philosophieren, dass dies mit Glauben und Theologie vereinbar ist. Außerdem

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beginnen nun die Entwürfe des Deismus und der Reduzierung des Christentums auf eine bloße Vernunftreligion. Aber erst in der Aufklärung wird der Atheismus offen vertreten. Kant verficht zwar in seiner Religionsschrift eine Vernunftreligion, versucht aber, möglichst viel Christliches darin zu integrieren. Ausgesprochen christliche Denker sind z. B. Hamann, Herder, Jacobi, Schleiermacher. Der späte Fichte sowie Schelling und Hegel verstehen sich als christliche Philosophen, wenn nicht gar als die besseren Theologen. Durch die Einbeziehung der Geschichte in das systematische Denken werden nun auch explizit christliche Gehalte philosophisch reflektiert. C. P. findet sich in den verschiedensten Richtungen des modernen Denkens, soweit sie nicht grundsätzlich agnostisch (3 Agnostizismus), atheistisch oder materialistisch sind. Hierher gehören z. B. die Dialogphilosophie (Ebner), die Phänomenologie (Reinach, E. Stein, v. Hildebrand), die Existenzphilosophie (Marcel), Vertreter der Transzendentalphilosophie und viele andere. Auch die Scholastik entwickelt sich weiter: 3 Neuscholastik. Im 20. Jahrhundert gibt es eine zweifache Kontroverse um die c. P.: Zum einen wird darüber diskutiert, ob und in welchem Sinn die mittelalterliche Philosophie c. P. genannt werden kann. Zum anderen stellt vor allem Heidegger die grundsätzliche Frage, ob es überhaupt so etwas wie eine c. P. geben kann und ob ein überzeugter Christ ein echter Philosoph sein kann. Die Diskussion über die mittelalterliche Philosophie ist vielleicht mehr ein Streit um Worte. Denn der Sache nach ist diese Philosophie sicherlich eine c. P., und zwar wegen ihrer inneren Ausrichtung und ihrer Übereinstimmung mit dem christlichen Glauben, aber auch deshalb, weil sie von Theologen im Rahmen des Theologiestudiums getrieben wurde. Dennoch handelte es sich um echte Philosophie und nicht etwa um Theologie. Denn der Charakter der Philosophie hängt nicht an den persönlichen Überzeugungen des betreffenden Denkers, sondern an ihren Fragestellungen und Methoden. Dies führt zur Antwort auf die Frage, ob ein überzeugter Christ überhaupt Philosophie treiben kann. Zunächst einmal könnte man diese Frage mit viel größerem Recht an einen Atheisten, Skeptiker, Agnostiker usw. richten. Deshalb hat Pieper gegen Heidegger eingewandt, dass man, wenn überhaupt, die Frage stellen müsste, wie ein Atheist ein wahrer Philosoph sein kann. Wer aber einem Philosophen feste Überzeugungen verbieten wollte, müsste alle großen Philosophen aus der Philosophie ausschließen, was offensichtlich absurd ist. Zudem müsste man dieselbe Forderung auch an den Ethiker stellen. Aber die Forderung, jemand dürfe keine ethischen Überzeugungen haben, wäre selbst zutiefst unmoralisch. Die Problematisierung der c. P. ist in Wahrheit keine philosophische, sondern eine theologische Fragestellung, auch dann, wenn sie nicht von einem professionellen Theologen aufgeworfen wird. Denn nur von theologischen Voraussetzungen her kann gefragt werden, wie sich geoffenbartes und aus rein menschlicher Vernunft stammendes Wissen zueinander verhalten und

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Dasein

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ob christlicher Glaube und philosophische Überzeugung miteinander in Konflikt geraten (können). In der Ursprungszeit des Christentums, in der Scholastik und seit der Reformation gab es immer wieder Denker, die zwischen Gnade und Offenbarung einerseits und Philosophie andererseits eine bis zum Widerspruch gehende Spannung sahen. Dahinter steht die Annahme, dass die auf sich gestellte menschliche Vernunft durch die Erbsünde so beeinträchtigt ist, dass sie nicht mehr die entscheidende Wahrheit zu erkennen vermag. Dem steht aber entgegen, dass das Neue Testament selbst die Überzeugung vertritt, dass alle Menschen prinzipiell zur Erkenntnis Gottes aus seiner Schöpfung (Röm 1,19 f.) und zur Erkenntnis des Sittengesetzes (Röm 2,14) befähigt sind, weshalb Paulus in seiner Areopagpredigt an die Frömmigkeit der Athener anknüpfen kann (Apg 17,22–31). M Heidegger: Einführung in die Metaphysik, Tü 3 1966; J Pieper: Was heißt philosophieren?, M 8 1980; E Coreth u. a. (Hg): C. P. im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts, Gr 1987 ff.; T P Flint (Hg): Christian philosophy, Notre Dame (Ind.) 1990; L Sweeney: Christian philosophy, NY 1997; R Heinzmann: Christlicher Glaube und der Anspruch des Denkens, St 1998; Johannes Paul II.: Fides et ratio, Ro 1998; E Coreth: Beiträge zur c. P., I 1999; H Schöndorf: »C. P.«, in: J Oswald (Hg): Schule des Denkens, St 2000, 247–268; T Kobusch: C. P., Da 2006; P Secretan (Hg): La philosophie chrétienne d’inspiration catholique, Fri 2006.

Schöndorf Circulus vitiosus 3 Fehlschluss Cogito, ergo sum 3 Cartesianismus Coincidentia oppositorum 3 Gegensatz 3 Gotteserkenntnis 3 [135] Common sense 3 Erkenntnis Concursus divinus 3 Gottes Wirken Creatio continua 3 Schöpfung Darwinismus 3 Evolution Dasein / Existenz Die Ausdrücke »D.« und »E.« haben jeweils mehrere Bedeutungen. Sie können synonym verwendet werden. Dann ist »D.« die deutsche Übersetzung des lateinischen »existentia«. Von diesem Wortgebrauch soll hier zunächst gehandelt werden. – E. in diesem Sinn ist seinem Gehalt nach ein nicht weiter aufklärbarer Begriff, der nur durch seinen Gegensatz, die Nicht-E., definiert ist. Seiner Form nach ist er abhängig von seinem Gegenstück, dem Begriff des 3 Wesens (des Wasseins, der 3 Idee, des 3 Begriffs usw.), der ihm gegenüber die Priorität hat: wir fragen, ob ein So-und-so existiere. »E.« kann einen sehr weiten Sinn haben und ist dann gleichbedeutend mit »es gibt« (z. B.: »Gibt es eine Primzahl zwischen 23 und 31?«, »Es existieren nur noch wenige Pandas.«). Im engeren und eigentlichen Sinn bedeutet »E.« soviel wie »als selbstständiges Etwas für sich dasein«; in diesem Sinn schreiben wir Tischen, nicht aber unmittelbar bestimmten Längen und

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3 Qualitäten E. (D.) zu. (Noch weiter eingeschränkt ist die Anwendung von »E.« in der 3 E.philosophie, wo dieses Wort aus seinem Bezug zum Wesensbegriff gelöst wird und das Fürsichsein der menschlichen 3 Freiheits-Wirklichkeit meint.) E. wird erst in der späteren 3 Scholastik ein philosophisch wichtiger Begriff. Bei Cajetan wird sein Sinn etymologisch gedeutet: das Stehen (sistere) eines Etwas außerhalb (ex) des 3 Nichts und seiner Ursachen. Der Gegenbegriff ist also ein Sein, das nur im Gedachtsein (durch den schöpferisch entwerfenden Gott oder Menschen) besteht. Damit ist gesagt, dass der Ausdruck »E.« (»D.«) seinen Ort in der Frage nach der Überbrückung der Differenz hat, die zwischen dem Möglichen und dem Verwirklichten besteht. Von daher erweist sich die Anwendung des E.prädikats auf Gott als problematisch. Die E. (das D.) von etwas kann ausdrücklich behauptet (bzw. negiert) oder wie selbstverständlich vorausgesetzt sein. Bei vielen prädikativen Sätzen wird die E. des Subjekts vorausgesetzt (»Peter singt.«, »Dieses Haus ist nicht weiß.«, »Ich bin müde.«). Der Ausdruck »E.« darf aber nicht als Prädikat in der Linie von »weiß-sein«, »singen« usw. verstanden werden, weil sonst negative E.sätze insofern zu einem widersprüchlichen Gebilde würden, als sie die E. eines Etwas zugleich voraussetzten und verneinten. Einen Ausweg aus diesem logischen Problem bietet der Vorschlag Russells, alle Aussagesätze nach dem Modell zu rekonstruieren: »Für mindestens ein (bzw. für kein, für alle) x gilt: x hat die Eigenschaft F.« Damit wandelt sich das E.prädikat zum »Quant(ifikat)or« »für mindestens ein«, – wobei allerdings die Variable x sowohl ein real existierender Gegenstand wie eine Zahl oder ähnliches sein kann, so dass ein Abgrenzungsproblem bleibt. Der Wesensbegriff hat einen semantischen Vorrang vor der ausdrücklichen E.aussage, wird aber selbst im Hinblick auf ein erfahrungsmäßig gegebenes Seiendes gewonnen. Der schlichte Seinsbezug liegt also aller Wesenserfassung und -konstruktion und damit auch aller E.behauptung voraus. – Idealistische Theorien (wie die Platons oder Hegels) statuieren eine ontologische Priorität der Idee (essentia) vor dem Seienden, dessen D. sie als Materialisierung und so Vereinzelung der in sich universalen Idee deuten. Gegen diesen »Essentialismus« wenden sich, je auf ihre Weise, die auf Thomas v Aquin zurückgreifende Seinsphilosophie und die E.philosophie. Auf der Basis des Sinns, in dem »D.« mit »E.« äquivalent ist, können mit »D.« noch weitere Bedeutungen verbunden werden. Bei manchen Autoren hat D. den engeren Sinn jenes Existierens, das »Leben« heißt, und hier wieder speziell menschliches Leben. Einige (wie z. B. Jaspers) meinen mit D. das sogenannte bloße D., d. h. das Am-Leben-Sein, in dem man sich zu halten sucht. Heidegger hingegen bezeichnet mit D. die menschliche Seinsart, die er gegen das bloße D. abgrenzt, die er »Vorhandenheit« nennt. Gemeint ist, dass zum menschlichen Sein eine Erschlossenheit (»Da«) des Seins gehört, seines eigenen sowohl wie all dessen, was in seine Welt eingehen kann. Ent-

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Deduktion

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sprechend deutet Heidegger die spezifisch menschliche E. als Ek-sistenz, d. h. als das Ausstehen der Offenheit von 3 Welt. E Gilson: L’être et l’essence, P 1948; J B Lotz: Sein und E., Fr 1965; A Keller: Sein oder E.?, M 1968; P Strawson: Einzelding und logisches Subjekt, St 1972; B Russell: Die Philosophie des logischen Atomismus, M 1976, 178 ff.; E Runggaldier / C Kanzian: Grundprobleme analytischer Ontologie, Pb 1998; F W v Herrmann: Subjekt und D., F 3 2004.

Haeffner Dauer 3 Zeit Deduktion bzw. Ableitung im engeren Sinne ist eine 3 Methode, in der man von 3 Axiomen bzw. 3 Prinzipien, 3 Hypothesen oder 3 Postulaten ausgeht und allein aufgrund von (gewöhnlich) endlich vielen logischen 3 Schlüssen zu einem Schlusssatz gelangt. »Ableitung« wird auch die geordnete Menge von Sätzen, die einer solchen D. entsprechen, genannt. Da innerhalb einer D. der Erkenntnisinhalt des Schlusssatzes nicht umfassender sein kann als der Erkenntnisinhalt aller Axiome zusammen, ist D. – im Gegensatz zur 3 Induktion – auch die Methode, durch welche man vom 3 Allgemeineren zum weniger Allgemeinen und letztlich zum Individuellen, im Grenzfall auch zum gleich Allgemeinen gelangt. Da gewöhnlich mehrere Axiome in einer D. vorkommen, enthält ein einzelnes Axiom gewöhnlich nicht den Schlusssatz (gegen Bacon). – Da für die D. nur die logischen Beziehungen zwischen begrifflichen und anderen Denkinhalten relevant sind, kann man von der Existenz der in der D. erwähnten Gegenstände und von der 3 Wahrheit der Axiome absehen. Die Grundform der D. hat folgende Gestalt: wenn es gewisse Gegenstände gibt und wenn die Axiome der D. wahr sind, dann ist der Schlusssatz wahr. Die D. ist vor allem anwendbar in den formalen Wissenschaften, aber auch in den empirischen, sofern man die Axiome als Hypothesen einführt und von inhaltlichen Existenzvoraussetzungen absieht. Platon: Resp. VI; Aristoteles: An. post. I; F Bacon: Novum Organum I, 69. – H B Curry: A theory of formal deducibility, Notre Dame 1950; H Scholz: Die Axiomatik der Alten, in: Mathesis universalis, hg. v. H Hermes / F Kambartel / J Ritter, Bs 1961; D Prawitz: Natural Deduction, Up 1965.

Carls Deduktion, transzendentale 3 Transzendentalphilosophie Definition Die D. (Begriffsbestimmung, Worterklärung; gr. horismós: Begrenzung) ist die 3 Erklärung der 3 Bedeutung eines 3 Begriffs und erfolgt normalerweise durch andere Begriffe. Der Zweck einer D. besteht in der Rückführung auf Bekanntes, der Erklärung, dem Verständlichmachen sowie der Exaktheit und Präzision (speziell in der Wissenschaft). Eine (explizite) D. ist nur dann korrekt, wenn der zu definierende Ausdruck (definiendum) und die D. (definiens) bedeutungsgleich und darum aus-

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Deismus

tauschbar sind und wenn die D. nicht zirkulär ist, d. h. wenn der Wortlaut des Definiendum oder seiner Bestandteile in der D. selbst nicht vorkommt. Die D. soll alle, aber auch nur diejenigen Elemente enthalten, die zur Unterscheidung des zu Definierenden von etwas anderem nötig sind. Sie soll also ausreichend zur Eindeutigkeit, aber nicht redundant sein (nichts Überflüssiges enthalten). Dabei soll sie das zu Definierende sowohl in seiner Eigenart möglichst positiv bestimmen als es auch von anderem und Andersartigem eindeutig abgrenzen. Eine korrekte D. ist in der Terminologie Kants ein analytisches Urteil, dessen Wahrheit 3 a priori, also ohne Rekurs auf die Erfahrung, durch die bloße Analyse der Bedeutung der verwendeten Begriffe festgestellt werden kann, da das Gegenteil einen Widerspruch darstellt. Formal wird eine D. so angegeben: = def oder = df oder: =. Bei einer impliziten D. wird ein Ausdruck durch seine Verwendung oder durch typische Beispiele (exemplarische D.) erklärt. In diesem Fall spricht man besser von einer Einführung des Ausdrucks. Bei expliziten D.en kann man unterscheiden: Eine nominale D. ist eine bloße Worterklärung ohne Anspruch auf die Erfassung des Wesentlichen. Eine festlegende D. weist einem Ausdruck eine ganz bestimmte Bedeutung zu wie im Fall der Einführung eines wissenschaftlichen Fachausdrucks (terminus technicus). Eine reale (feststellende) D. stellt eine Sacherklärung dar. Diese ist nach klassischer Auffassung eine Wesensbestimmung, wenn sie durch die Angabe der nächsthöheren Gattung (genus proximum) und des artbildenden Unterschiedes (differentia specifica) erfolgt (3 Prädikabilien). Eine intensionale D. gibt den Begriffsinhalt an, während eine extensionale D. den Begriffsumfang nennt. Eine genetische D. erklärt ein Objekt durch die Angabe seiner Entstehung oder Herstellung. Eine rekursive D. nennt das erste Element und gibt eine Regel zur Fortsetzung der Reihe an. Deiktisch oder ostensiv (gr. deíknymi, lat. ostendo: ich zeige) ist eine D., die nicht durch Worte, sondern durch Gesten (Hindeuten) geschieht. In der Folge von Russell wird die Erklärung eines Ausdrucks durch die Angabe seiner Merkmale in der analytischen Philosophie Kennzeichnung (definite description) genannt. Aristoteles: Top. I, 8, 103 b 15 f.; T v Aquin: STh I, 3, 5 c; ScG I, 25. – R Kleinknecht: Grundlagen der modernen D.stheorie, Königstein 1979; T Pawlowski: Begriffsbildung und D., B 1980; A Keller: Allgemeine Erkenntnistheorie St 3 2006; M Deslauriers: Aristotle on d., Lei 2007.

Schöndorf Deismus (von lat. deus: Gott) Der D. ist der auf Vernunftgründen beruhende Glaube an einen außerhalb der Welt stehenden persönlichen Schöpfergott, der – im Gegensatz zur Auffassung des 3 Theismus – nach der Schöpfung die Welt den von ihm geschaffenen Naturgesetzen überlässt und in ihre Entwicklung (Natur und Geschichte) nicht mehr eingreift (vgl. physikotheologi-

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Demokratie

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sche Uhrmacher- bzw. Architektenmetapher). Positiv trat der D. für eine (universale) natürliche Religion (Vernunft- bzw. Urreligion) ein, die sich ganz auf die Vernunft stützt, für die die Moralität (Tugend) wesentlich ist und die für die ewige Seligkeit des Menschen ausreicht. Negativ kritisierte der D. in verschiedenen Graden das Christentum als (spezielle) Offenbarungsreligion. Viele Deisten verwarfen eine übernatürliche Offenbarung (und Wunder) als reine Fiktion und lehnten die kirchliche Tradition ab (Dogmen, Priestertum usw.). Einige Deisten hielten an der Offenbarung fest, maßen ihr aber bestenfalls pädagogischen Wert bei. Der D. führte teilweise zum Glauben an das unbestimmt Göttliche als kosmisches Prinzip und zum Atheismus. Der D. ging im 16. Jahrhundert von Frankreich aus und erlebte zwischen 1650 und 1750 vor allem in England seine Blütezeit (Herbert von Cherbury, die Freidenker), von wo aus er auf Frankreich zurückwirkte (Voltaire, die Enzyklopädisten) und sich später auch in Deutschland (Reimarus) und Amerika verbreitete. Als der D. wichtige Ziele erreicht hatte (zunehmende religiöse Toleranz und Religionsfreiheit), verlor er Ende des 18. Jahrhunderts an Bedeutung. Er war die Religionsphilosophie der Aufklärung. P Byrne: Natural Religion and the Nature of Religion, Lo 1989.

Herzgsell Demiurg 3 Platonismus 3 Schöpfung Demokratie (gr. dêmos: Volk, kratía: Herrschaft) bezeichnet Platon (Politeia VIII) als die Regierung der Unfähigen, von blinder Gleichheit und unersättlicher Freiheit (auch: Ochlokratie genannt) beherrscht, welche die Tyrannis provoziert. Aristoteles stellt (Politik III.7) den drei guten Verfassungen die jeweilige Entartung gegenüber, dem Königtum die Tyrannis, der Aristokratie die Oligarchie und der Politie die D. – Da Rousseau (Du Contrat Social) D. als Selbstbestimmung der Bürger versteht, fasst er D. positiv; er lehnt jedoch jegliches Repräsentativsystem ab, verfälsche es doch den Wählerwillen. Für Kant (Zum ewigen Frieden) ist D. notwendig ein Despotismus, wohingegen die republikanische Verfassung die drei Gewalten teilt, öffentlichen und privaten Willen trennt sowie repräsentativ verfasst ist. – Dieses Modell bezeichnet man heute als rechtsstaatliche freiheitliche D. Sie baut auf den Menschen- und Grundrechten auf, legitimiert die drei Gewalten durch Wahlen, vergibt alle Ämter nur auf Zeit und sorgt für gewaltlosen Machtwechsel. Als Herrschaft des Volkes durch das Volk und für das Volk bezweckt dieses Selbstverwaltungsmodell Schutz, Teilhabe und Einschluss aller Mitglieder des Staatsvolks. – Bedenken weckt, dass 1) jede Stimme gleich zählt, die des Unkundigen wie des Kundigen; 2) ein Teil des Staatsvolks sich gewöhnlich der Stimmabgabe enthält; sich 3) die Gleichheit oft unter Missachtung berechtigter Ungleichheit durchsetzt; und sich 4) eine dem Staatsvolk nur sporadisch verantwortliche politische Klasse bildet.

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Denken

Anzufragen ist: ob D. 1) ab einer bestimmten Bevölkerungsgröße noch funktionieren kann; ob sie 2) nicht nur ein Selbstverwaltungsmodell, sondern auch ein emanzipatorisches Ideal ist; ob sie 3) die Demokratisierung aller Lebensbereiche verlangt und sich 4) mit dem Kapitalismus verträgt, der unvermeidlich Ungleichheiten erzeugt; ob es 5) neben den Wahlen zu Vertretungsorganen noch Bedarf an Plebisziten gibt und ob sie 6) fordert, Teilhaberechte des Staatsvolks auf alle Bewohner des Territoriums auszudehnen. – Wer die Freiheit auf das Gute ausgerichtet weiß, erkennt an, dass die D. als Ausdruck der Freiheit des Volkes (Volkssouveränität) unter nicht mehr verhandelbarer Verantwortung für das Gute steht. Auch funktioniert D. gerade wegen der Pluralität nur dank einer der Abstimmung entzogenen Gemeinsamkeit. D. muss als territorial bezogene Selbstverwaltungsorganisation wegen der von ihr behaupteten Gleichheit aller Menschen zu grenzüberschreitender Solidarität fähig sein. Den Beweis, dass sich D. grundsätzlich Krieg und Großmachtstreben verweigert, hat sie stets aufs Neue zu erbringen. C de Montesquieu: Vom Geist der Gesetze, St 1976; A de Tocqueville: Über die D. in Amerika, M 1980; J Madison / A Hamilton / J Jay: Die Federalist-Artikel, hg. v. A u. W P Adams, Pb 1994. – N Bobbio: Über die Zukunft der D., B 1988; M Hättich: Begriff und Formen der D., Mz 1991; J Habermas: Faktizität und Geltung, F 1992; R Harrison: Democracy, Lo 1993; A Giddens: Jenseits von Links und Rechts, F 1997; O Höffe: D. im Zeitalter der Globalisierung, M 1999; M G Schmidt: D.-theorien, Opladen 3 2000; R Dworkin: Sovereign virtue, C (Mass.) 2002; P Massing: D.-theorien, Bn 2003; J Rawls: Gerechtigkeit als Fairneß, F 2003; H Vorländer: D., M 2003.

Brieskorn

Denken Was jeweils unter D. verstanden wird, lässt sich am besten durch die Abhebung vom jeweiligen Gegenteil genauer bestimmen (vgl. A Keller: Sprachphilosophie, 94–98): a) In der weitesten Bedeutung ist D. der Gegenbegriff zu dem, was eine eigenständige wirkliche Existenz besitzt, und meint alles, dessen ich mir bewusst bin (3 Bewusstsein), im Gegensatz zum 3 Sein. In diesem Sinn, der nicht nur die 3 Erkenntnis, die Erinnerung und die Phantasie, sondern auch das Wünschen und Wollen sowie jede Art von Fühlen und Erleben umfasst, definiert Descartes den menschlichen Geist als ein denkendes Wesen (res cogitans). D. ist darum für Descartes das Wesensattribut des menschlichen Geistes. Der Gedanke in diesem weitesten Sinn wird von Descartes und Locke als Idee bezeichnet. b) Unter ›bloßem‹ D. wird jene Art von Bewusstsein verstanden, die nur unserer produktiven Geistestätigkeit entspringt, aber keine Erkenntnis der Wirklichkeit beinhaltet, also Gedankenentwürfe, Phantasiegebilde u. ä. Hierzu kann auch die Erinnerung gerechnet werden. c) ›Reines‹ D. als Gegenbegriff zu sinnlicher Erkenntnis und bildhafter Vorstellung meint geistiges, rationales Erfassen oder Entwerfen, das sich in

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Denken

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Begriffen und Zahlen ausdrücken lässt und ein Werk des 3 Verstandes oder der 3 Vernunft darstellt: in dieser Bedeutung wird D. von Kant verwendet. d) Bloßes und zugleich reines D. (b+c) als Gegenbegriff sowohl zu sinnlichem Erkennen als auch zu Erkennen von real gegenwärtig Existierendem. D. im Sinn von c) ist ein Grundbegriff der Philosophie. Einerseits gibt es dieses D. nur im jeweils eigenen, persönlichen Vollzug, weshalb Kant die Philosophie Selbstd. nannte; andererseits ist das Resultat des D.s nicht eine Sinnesqualität, sondern etwas, was formale Regeln kennt (3 Logik, 3 Mathematik) und sich durch die 3 Sprache (und die Schrift) öffentlich machen lässt und so allgemein zugänglich ist. Durch seine besonderen Gesetze und Eigentümlichkeiten (Logik, Bejahung und Verneinung, 3 Wahrheit und Falschheit, Zeitlosigkeit) erweist das D. seine inhaltliche Unabhängigkeit von der Materie. Von alters her wird das geistige D. als ständige von selbst tätige Aktivität (Kant: »Spontaneität«) verstanden, da wir im Alltag die Objekte unserer Erkenntnis sofort gedanklich und nicht nur sinnlich wahrnehmend erfassen, was sich darin zeigt, dass wir sie in Worte fassen können (3 Begriff). Das menschliche D. ist diskursiv, d. h. es geschieht in nacheinander erfolgenden Schritten, was sich schon bei der sprachlichen Formulierung der Sätze und dann bei Schlussfolgerungen zeigt. Die Scholastik unterscheidet zwischen dem diskursiven D. und den grundlegenden intuitiven Einsichten (3 Anschauung) in die ersten Prinzipien. Aber auch die zusammenfassende Einsicht in einen Zusammenhang kann als intuitiv bezeichnet werden. Das D. erfasst das Allgemeine und kann es sich als solches bewusst machen, was die Voraussetzung für alle Wissenschaften ist, die die allgemeinen Regeln und Strukturen bestimmter Bereiche der Wirklichkeit erforschen. Sofern unter D. nicht die Gesamtheit dessen verstanden wird, dessen wir uns bewusst sind (a), handelt es sich beim D. um einen kognitiven, theoretischen Vorgang im Gegensatz zum Streben und Wollen, das praktischen Charakter hat. In den religiösen Traditionen gibt es verschiedene Formen des nach innen gewandten D.s, die meist mit dem Sammelbegriff Meditation bezeichnet werden. In der christlichen Tradition verstand man unter Meditation im speziellen Sinn das Nachsinnen über irgendwelche Texte, während das bildhafte, beschauliche oder das gegenstandslose D. Kontemplation genannt wurde. Heute wird die Terminologie meist anders gebraucht, und das beschauliche oder das gegenstandslose D. wird als Meditation bezeichnet. 3 Reflexion. R Descartes: Meditationes de prima philosophia; I Kant: KrV; M Heidegger: Was heisst D.?, F 2002. – K Beiersdörfer (Hg): Was ist D.?, Pb 2003; U Meixner (Hg): Seele, D., Bewusstsein, B 2003; A Keller: Allgemeine Erkenntnistheorie, St 3 2006.

Schöndorf Denkgesetze 3 Logik Denkökonomie, Prinzip der 3 [175]

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Deontisch

Deontisch / Deontologisch Die Wörter ›deonti.‹ und ›deonto.‹ leiten sich her von dem griechischen Substantiv to déon ›das Notwendige‹, ›die 3 Pflicht‹. Man spricht von deonti.er 3 Logik, aber von deonto.er Ethik. Deonti.e Logik ist die Logik der Sollenssätze oder der 3 Normen. Ihre Aufgabe ist es zu bestimmen, welche Normensätze 3 allgemein gültig sind. Ein 3 Satz ist genau dann allgemein gültig, wenn er wahr ist und in ihm nur logische Ausdrücke wesentlich vorkommen. Die deonti.e Logik arbeitet mit den drei Satzoperatoren ›Es ist geboten, (dass p)‹, ›Es ist erlaubt, (dass p)‹, ›Es ist verboten, (dass p)‹. Sie werden durch die Anfangsbuchstaben der entsprechenden englischen Wörter symbolisiert: O(p) (obligatory), P(p) (permitted), F(p) (forbidden). Wegen der gegenseitigen Definierbarkeit dieser Operatoren kann jeder von ihnen die Rolle des undefinierten Grundoperators übernehmen. Unter ›deonto.er Ethik‹ versteht man eine Begründungsmethode moralischer 3 Urteile; sie wird von der teleologischen Ethik unterschieden. Die deonto.e Ethik entstammt der jüdisch-christlichen Gebotsmoral (Dekalog); Ursprung der teleologischen Ethik ist die Frage der Griechen nach dem höchsten 3 Gut oder letzten 3 Ziel des menschlichen Handelns. Nach den teleologischen 3 Theorien ist ausschließliches Kriterium des sittlich richtigen Handelns das außermoralisch Gute. Die deonto.en Theorien negieren diese Ausschließlichkeit; für die Beurteilung des sittlich Richtigen müssen außer den außermoralischen Folgen noch andere Gesichtspunkte, vor allem der 3 Gerechtigkeit und des 3 Rechts, berücksichtigt werden. C D Broad: Five Types of Ethical Theory, Lo 1930; G H v Wright: Handlung, Norm und Intention, B 1977; W K Frankena: Analytische Ethik, M 3 1981; L Åqvist: Introduction to Deontic Logic and the Theory of Normative Systems, Na 1987.

Ricken Deszendenztheorie 3 Evolution Determination 3 Bestimmung Determinismus / Indeterminismus (lat. determinare: begrenzen, bestimmen) Nach dem D. ist jedes Geschehen durch die ihm vorausgehenden Ursachen eindeutig und unveränderlich bestimmt. Geschieht diese Vorherbestimmung durch Gott (Prädestinationslehre), so handelt es sich um den theologischen D. Nach der Lehre der Stoa ist alles durch die Gestirne und den Kosmos vorherbestimmt (kosmologischer D.). Der moderne naturgesetzliche D. fußt auf der frühneuzeitlichen Annahme, die Naturgesetze müssten ebenso wie die euklidische Geometrie ein System notwendig ableitbarer Zusammenhänge darstellen. Nach Laplace (1749– 1827) wüsste ein allwissendes intelligentes Wesens (»Laplacescher Dämon«) zu einem gegebenen Zeitpunkt alle Weltzustände samt allen wirkenden Ursachen und könnte darum alles Künftige voraussagen. Hieraus folgt die Leugnung der Wahlfreiheit (z. B. Spinoza, Schopenhauer; 3 Freiheit), außer

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man schreibt, wie Kant, den D. und die Willensfreiheit verschiedenen Bereichen der Wirklichkeit zu. James unterscheidet einen »weichen«, mit Ethik und Freiheit vereinbaren D. von einem »harten« D., der die Freiheit verunmöglicht. Der 3 Kompatibilismus hält den D. mit der Wahlfreiheit für vereinbar. Die These, der Wille werde genötigt (anthropologischer oder ethischer D.), ist entsprechend den als nötigend angenommenen Faktoren ein biologischer, psychologischer oder soziologischer D. Der gemäßigte I., der den universalen D. bestreitet, aber eine mehr oder weniger starke Beeinflussung des Willens annimmt, ist die Voraussetzung, wenn auch noch kein hinreichender Beweis für die Wahlfreiheit. Der radikale I., der eine durchgängige kausale Unbestimmtheit behauptet, ist mit dem Kausalprinzip nicht vereinbar und darum unhaltbar. Der D. ist als Theorie widersprüchlich, da er nach seinen eigenen Voraussetzungen ebenso wie alles andere das notwendige Resultat bestimmter Naturprozesse ist. Nun sind aber Naturvorgänge Fakten und keine Theorien. Zum anderen beruht die moderne Naturwissenschaft weithin auf Experimenten, deren Anfangsbedingungen willkürlich variiert werden können, was dem universalen D. widerspricht. Zur Erklärung der Naturvorgänge reicht ferner die statistische Regelmäßigkeit aus, wie die Mikrophysik zeigt. Außerdem sind die Naturgesetze und somit auch der D. Resultat einer abstrahierenden und idealisierenden Verallgemeinerung konkreter Ereignisse, die immer mehr sind als das bloße Produkt des Wirkens irgendwelcher Ursachen. Spinoza: Ethica II 49 Schol.; G W Leibniz: Discours de Métaphysique 1–5, 13, 30– 32, 36; D Hume: An Essay Concerning Human Understanding 8; I Kant: KrV, B 472–479, 560–586; J G Fichte: Die Bestimmung des Menschen; W James: The Dilemma of Determinism, in: The Writings of W. James, Ch 1977, 587– 610. – M R Ayers: The refutation of determinism, Lo 1968; B Welte: Determination und Freiheit, F 1969; K Lehrer u. a. (Hg): Freedom and determinism, Atlantic Highlands 1976; U Pothast (Hg): Seminar: Freies Handeln und D., F 1978; J Earman: A primer on determinism, Dordrecht 1986; M Rosenberger: D. und Freiheit, Da 2006; G Seebaß: Die Bedeutung des Willensfreiheitsproblems, B 2007.

Schöndorf Deutscher Idealismus bezeichnet eine Richtung und zugleich Epoche der Philosophie (etwa von 1790–1850), deren wichtigste Repräsentanten J G Fichte (1762–1814), F W J Schelling (1775–1854) und G W F Hegel (1770– 1831) sind. Gemeinsam ist ihnen die Anknüpfung an Kants »kopernikanische Wende« und an die Diskussion, die sich um seine Philosophie ergab. R Kroner sah die Einheit ihres Denkens in einem Argumentationszusammenhang, der sich aus der Abfolge ihrer Systeme von einem subjektiven (Fichte) zu einem objektiven (Schelling) und schließlich absoluten Idealismus (Hegel) ergab. Doch diese Sicht ist nur zum Teil richtig. Denn jeder der drei fand in

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durchaus eigener Weise zu einer idealistischen, d. h. geistphilosophischen Antwort auf die Dualismen der kantischen Philosophie, etwa der Trennung von Subjektivität und Ding an sich, von theoretischer und praktischer Erkenntnis oder der Gewissheit des Unbedingten und dem postulatorischen Gottesglauben, zu einer Antwort, in der bei allen dreien der Begriff des Absoluten oder Unbedingten (oder aus sich Unendlichen) eine Schlüsselrolle spielte. Für Fichte war Kants praktische Philosophie die Befreiung vom Determinismus, d. h. die Einsicht, dass der Mensch durch das Bewusstsein absoluter moralischer Bindung seiner Freiheit gewiss wird. Doch Fichte erkannte, dass diese praktische Unbedingtheitsgewissheit zugleich eine theoretische ist, weil sie sich sonst wieder auflösen würde, dass sie aber als theoretische die Letztbegründung aller Erkenntnis sein muss. In seiner Wissenschaftslehre (WL) von 1794 nennt Fichte diese theoretisch-praktische Realisierung der Unbedingtheit die »3 Tathandlung« des sich ursprünglich setzenden, absoluten 3 Ich (1. Grundsatz). Wenn aber das Ich, das sich diese Ursprünglichkeit erschließt, Re-flexion ist, d. h. eine immer auch nachträgliche Vergegenständlichung und damit Verendlichung seines Inhaltes, dann ist ihm der Inhalt auch immer Objekt, d. h. Nicht-Ich (2. Grundsatz), dem gegenüber es sich als ebenfalls begrenzt erfährt (3. Grundsatz). Doch diese das Erkennen und Handeln gleichermaßen bedingende Grenzerfahrung ist nur möglich aufgrund der vorausliegenden Absolutheit des Ich. Ansonsten könnte die Begrenzung nicht erfasst und vollzogen (»gesetzt«) werden. Daraus folgt die unbedingte Aufforderung zu einer stets bedingten und beschränkten theoretisch-praktischen Transzendenzleistung des konkreten Ich. Weil aber mit dem Begriff »Ich« unvermeidlich eine Totalpartikularität konnotiert wird, wählt Fichte in seiner WL von 1801 für die Fundierung jenes Absolutheitsvollzuges des Ich, der nun »absolutes Wissen« heißt, den Begriff der »intellektuellen Anschauung«, da dieser eine letzte Vorgegebenheit mit aussagt. Gemäß der WL von 1804 hat sich dieser vollendete Wissensvollzug als »Bild« des Absoluten zu begreifen, der seine Bild-Transparenz nur in einem Akt sich »vernichtender« Selbstüberschreitung erreichen kann. Schelling schließt sich zunächst Fichtes erster WL an, versteht aber die Absolutheit des Ich sofort im vollen Sinn des metaphysisch absoluten Seins (Vom Ich als Prinzip der Philosophie, 1795). Die von ihm ebenfalls vorgenommene Korrektur der mit dem Ich-Begriff gegebenen Einseitigkeit im Blick auf das Absolute ist seine Hinwendung zur Natur (Ideen zu einer Philosophie der Natur, 1797), in welcher er eine mit dem Ich gleichursprüngliche Erscheinung des Absoluten sieht (System des transzendentalen Idealismus, 1800), eine These, die zum Zerwürfnis mit Fichte führt. Die Zusammenführung der konstatierten Parallelität ergibt Schellings »Identitätssystem«. Es besagt, dass sich die ursprüngliche Subjekt-Objekt-Einheit nach den zwei inneren Polen extern darstellt, wobei sich diese äußeren Manifestationen nur

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im Maße ihrer Subjekt-Objekt-Anteile und deren jeweiliger Dynamisierung unterscheiden (Darstellung meines Systems der Philosophie, 1801). Der Gedanke dieser weltkonstituierenden Gesamtmanifestation der absoluten Identität führt Schelling mehr und mehr zur Ausbildung einer Religionsphilosophie (Philosophie und Religion, 1804) und einer das Ich konstituierenden, Freiheit begründenden Schöpfungslehre (Über das Wesen der menschlichen Freiheit, 1809), die er des Weiteren zu einer vorweltlichen Gotteslehre (Weltalter I) und schließlich zu einer breit angelegten Erscheinungslehre des Absoluten als Geschichte der Religion ausbaut (Philosophie der Mythologie bzw. der Offenbarung). Er verbindet hierbei die apriorische (»negative«) mit einer empirischen (»positiven«) Philosophie, deren Einheit in der nach beiden Seiten auszulegenden Seinserkenntnis besteht (all dies: vgl. Nachlassschriften). Hegel entfaltet in seiner Phänomenologie des Geistes (1807) in geschichtsphilosophischer Verschränkung der großen Disziplinen der Philosophie den Grundgedanken, dass die Einsicht in die Beschränkungen unseres Wissens sich einem »absoluten Wissen« verdankt, welches ebenso erkenntnisleitend gegenwärtig wie in seinen Objektivierungen begrenzt ist und so unseren Geist zu immer neuen Korrekturen seiner Gesamtsicht auf die Welt und sich selbst nötigt, bis er schließlich zu eben jener Einsicht in das »absolute Wissen« gelangt, das zugleich Wissen des Absoluten ist. An dieses Ergebnis knüpft Hegel seine Wissenschaft der Logik (1812/13/16). Denn dieses Wissen eröffnet dem Denken einen logischen Raum, der die Dualität von Subjekt und Objekt, von Für-mich und An-sich überschreitet, indem er sich in den allgemeinsten Bestimmungen unseres Denkens darbietet (wie etwa Sein, Nichts, Werden, Substanz und Akzidens, Subjekt und Objekt und anderen) und in ihrer Verschränkung und Stufung dessen umfassende Einheit beweist, die als »absolute Idee« des Wahren und Guten und höchste begriffliche Verdichtung Idee des Absoluten selbst ist. Logik und Metaphysik sind hier eins. Im Anschluss an Kant und Fichte könnte man sagen: Die transzendentale Synthesis des Ich und ihre theoretisch-praktischen Grundbestimmungen sind hier zugleich die Struktur des Selbst-Seins des Seins. Auf dieser Logik erbaut Hegel in seiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (Auflagen 1817/27/30) sein System als Abfolge von Logik, Natur- und Geist-Philosophie. Danach ist die Natur die Selbstmanifestation der »absoluten Idee« in raum-zeitlicher Faktizität. Sie enthält jene Idealität des Ursprungs als Teleologie hin zu einem Mehr an Beisichsein. Im Geist erfasst sich diese Manifestation aus ihrem ideellen Grund als individuell »subjektiver« und kollektiv »objektiver Geist«. Dieser letztere ist das Kulturprodukt des Moral und Sittlichkeit umfassenden und die Freiheit sichernden »Rechts« (dazu: Philosophie des Rechts 1821). Seine allmähliche Durchsetzung macht das geschichtliche Zusichkommen des Geistes aus (Geschichte als »Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit«). Indem der Geist schließlich das Ganze seiner

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Dialektik

selbst und der Natur als Manifestation des Absoluten erfasst, erhebt er sich zur Sphäre des »absoluten Geistes« und damit der »Religion, wie diese höchste Sphäre im allgemeinen bezeichnet werden kann« (Enz 1830 § 554). Das Absolute erscheint darin zunächst im sinnlich-schöpferischen »Anschauen« der »Kunst« (deren Höhepunkt und »Ende« die Kunst-Religion des klassischen Griechenland ist), wird sodann in der vollendeten »Religion« (dem Christentum) erinnernd »vorgestellt« als Ereignis der Geschichte (Inkarnation Gottes) und wird schließlich »begriffen« in der »Philosophie« als Konstitution und Erfüllung all unseres Denkens und Handelns. In den (nach seinem Tod edierten) Berliner Vorlesungszyklen hat Hegel seine diesbezügliche »Philosophie der Geschichte«, der »Kunst«, der »Religion« sowie seine »Geschichte der Philosophie« breit entfaltet. Bald nach seinem Tod gewann die linke Hegelschule deutlich die Oberhand. Sie knüpfte an den freiheitlich emanzipatorischen Impuls der idealistischen Philosophie an, löste ihn aber entschieden vom Gedanken eines metaphysisch Absoluten, worin sie nur eine menschliche Projektion zu sehen vermochte. Die Tendenz zum Materialismus, die sich daraus bald ergab (von Feuerbach zu K Marx, F Engels u. a.), mag für eine Philosophie, die sich aus der Absetzung vom D. I. versteht, immerhin die Anfrage enthalten, ob eine Philosophie der Freiheit und des Geistes auf eine Lehre vom Unbedingten oder Absoluten verzichten kann. D. I.; in: HWPh; I. (4) in: TRE; N Hartmann: Die Philosophie des D. I., B 1923/29 (ND 1960); R Kroner: Von Kant bis Hegel, Tü 1921/24; H M Baumgartner / H Korten: F. W. J. Schelling, M 1966; W Janke: Fichte, B 1970; L B Puntel: Darstellung, Methode und Struktur, Bn 1973; E Coreth / P Ehlen / J Schmidt: Philosophie des 19. Jahrhunderts, St 1997; J Schmidt: ›Geist‹, ›Religion‹ und ›absolutes Wissen‹, St 1997; V Hösle: Hegels System, HH 2 1998; X Tilliette: Schelling, St 2004; H J Sandkühler (Hg): Handbuch D. I., St 2005.

Schmidt Dezision 3 Entscheidung Dialektik (gr. dialektiké von dialégesthai: sich unterreden) bedeutet eigentlich Kunst der Unterredung. Den vielen Bedeutungen von D. ist gemeinsam, dass es sich dabei immer um eine Denkweise handelt, die mit Antagonismen (Gegensätzen) oder Widersprüchen arbeitet oder zu tun hat. Bei Platon handelt es sich um die Kunst, mit Hilfe der Reflexion und Diskussion über die Begriffe den Weg des Aufstiegs von der sinnlichen Wahrnehmung zu den 3 Ideen zu gehen. Bei Aristoteles und in der Scholastik ist die D. ein Teil der 3 Logik oder die Logik überhaupt. In gewissem Sinn kann man auch die Kunst der scholastischen Disputation als D. bezeichnen, insofern sie der Regel des Sic et non (ja und nein: Titel eines Werkes von Abälard) folgt und jeweils auf differenzierte Weise die Gegenposition teilweise oder ganz bejaht oder verneint, um so schrittweise die Wahrheit herauszuarbeiten.

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Dialektischer Materialismus

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Kant nennt die D. eine Logik des Scheins, da sie auf Widersprüchen beruht. In der Transzendentalen D. der Kritik der reinen Vernunft will er die falschen Folgerungen der Vernunft bezüglich ihrer Ideen widerlegen (3 Antinomie 3 Transzendentalphilosophie). Im Deutschen Idealismus erhält D. einen positiven Sinn als die Denkweise, die auf dem Weg der These, der Negation (Antithese) und der Negation der Negation auf eine höhere Ebene (Synthese) gelangt. Dies beginnt bei Fichte mit der Setzung von Ich, Nicht-Ich und teilbarem Ich und Nicht-Ich. Schelling bezieht die Natur mit ein, und Hegel stellt in seinen systematischen Werken die Entfaltung des Bewusstseins und der Wirklichkeit als dialektischen Prozess dar. Dabei spricht er von einer spekulativen Logik, um das Missverständnis einer gedankenlos formalistisch angewandten Methode zu vermeiden. Zur D. von Marx, Engels und Lenin: 3 Dialektischer Materialismus 3 Marxismus. Horkheimer und Adorno sprechen von einer negativen D., um damit anzudeuten, dass diese D. eine kritische Funktion besitzt und nicht zu einem abschließenden positiven Ergebnis gelangt (3 Neomarxismus). Die D. des Deutschen Idealismus gründet in dem Bemühen, einen zweifachen Gegensatz denkerisch zu verarbeiten: zwischen Geist und Materie und zwischen Subjekt und Objekt. Außerdem vereint sie die beiden Anliegen der Philosophie: die möglichst präzise analytische Unterscheidung, die zur Entgegensetzung führt, und die synthetische Sicht auf das Ganze, das die gegensätzlichen Elemente umgreift und vereint. Aristoteles: Topica, Analytica priora; I Kant: KrV, B 82–88; KpV AA V 107–113; J G Fichte: Wissenschaftslehre; G W F Hegel: Phänomenologie, Logik, Enzyklopädie; T W Adorno: Negative D., F (1966) 1975. – H H Holz: Die Ausarbeitung der D., St 1997; J Ritsert: Kleines Lehrbuch der D., Da 1997; D Wandschneider (Hg): Das Problem der D., Bn 1997; W Senz: Über die Platonische D. und Aristotelische Logik, F 2000; A Honneth (Hg): Theodor W. Adorno, B 2006; W Lütterfelds: Das Erklärungsparadigma der D., Wü 2006; H-U Wöhler: D. in der mittelalterlichen Philosophie, B 2006; N Rescher: Dialectics, Heusenstamm 2007.

Schöndorf Dialektik, transzendentale 3 Dialektik 3 Transzendentalphilosophie Dialektik, materialistische, subjektive, objektive 3 Dialektischer Materialismus Dialektischer Materialismus ausgehend von Marx’ dialektischer Gesellschaftslehre (3 Marxismus), ist ein von Engels, Plechanow (von dem der Begriff stammt) und Lenin grundgelegtes philosophisches System, das versucht, die Entwicklung der Welt mit dem Menschen in Verbindung mit Prinzipien hegelscher 3 Dialektik materialistisch zu erklären. »Grundfrage« jeder Philosophie sei die Frage nach dem Verhältnis von 3 Materie und 3 Bewusstsein; der d. M. beantwortet sie monistisch mit der Behauptung, dass jedes Bewusstsein gegenüber der Materie »sekundär« sei. Er will damit sowohl dem

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Dialektischer Materialismus

entwicklungsgeschichtlichen, erkenntnistheoretischen und ontologischen Aspekt der Frage gerecht werden (Thesen: die Erkenntnisgegenstände werden durch die Erkenntnis nicht mitkonstituiert; Abbildtheorie; die Welt in ihrer Bewegung bis hin zum geistbegabten Menschen bedarf keines nicht-materiellen Erklärungsgrundes). Die einzige Eigenschaft der Materie, an deren Anerkennung der d. M. sich binden will, ist »die Eigenschaft, objektive Realität zu sein, außerhalb unseres Bewußtseins zu existieren« (Lenin). Dennoch wird die Materie auch ontologisch bestimmt: sie gilt als unendlich (räumlich, zeitlich und in ihrer dynamischen Potenz); sie ist nie ohne Bewegung; es gibt keine Bewegung ohne materielles Substrat. Alles, was ist, ist nach spezifischen Gesetzen sich bewegende Materie. Bereits die anorganische Materie besitzt eine Eigenschaft, »die dem Wesen nach der Empfindung verwandt ist, die Eigenschaft der Widerspiegelung« (Lenin); deshalb kann sie in »dialektischem Sprung« schließlich die »Eigenschaft« Bewusstsein hervorbringen. Triebkraft für die von niedrigsten Bewegungsformen auf die menschlich-gesellschaftliche Bewegungsform der Materie gerichtete Entwicklung ist der Kampf der Gegensätze innerhalb der Einheit eines jeden Elements, Prozesses oder Systems. Die neuen Qualitäten werden erreicht, sobald durch Veränderung von Quantitäten das Maß eines Elements usw. überschritten werde (Qualitätssprung); dabei wird nur das der Weiterentwicklung Entgegenstehende negiert und der Zusammenhang mit dem Vorhergehenden gewahrt; auf höherer Ebene kann diese Entwicklung eine Rückwendung zum Ausgangspunkt einschließen (Negation der Negation). Diese Gesetzmäßigkeit der objektiven Dialektik findet ihren bewussten Ausdruck im menschlichen Erkennen (subjektive Dialektik, dialektische Logik). Der d. M. glaubt, seine Thesen durch eine der Induktion gleichkommende »Verallgemeinerung« von Ergebnissen der Einzelwissenschaften und der gesellschaftlichen Erfahrungen beweisen zu können. Die gesellschaftliche Praxis ist nicht nur Ausgangspunkt jeder Erkenntnis, sie ist letztlich auch einziges Kriterium der Wahrheit, das die Festlegung durch die »führende Kraft« der gesellschaftlichen Praxis, die machthabende Partei, einschließt (Parteilichkeit). (Bloch sah sich durch die Schwierigkeit, den erkennenden Geist aus Materie zu erklären, veranlasst, diese in seiner Variante des d. M. in Anlehnung an Spinoza als natura naturans zu verstehen.) Der d. M. lehnt jede apriorische Wesenserkenntnis ab. Die von ihm dennoch vorausgesetzten apriorischen Prinzipien werden nicht reflektiert. Er kann nicht zeigen, wie Dialektik in geistloser Materie wirksam sein und eine »gesetzmäßige« Höherentwicklung bis zum Menschen bewirken könne. Fragen, die sich auf den Sinn der Welt als ganzer und darüber hinaus auf einen nicht-welthaften Sinngrund der Welt richten, weist er als »unwissenschaftlich«, d. h. unsinnig, ab; existentiell bedeutsame Fragen (Opfer, Leid, Liebe, Tod) werden kaum bedacht. Wie fragwürdig sein Fortschrittsoptimismus ist, erhellt aus seiner These, dass der Begriff der Höherentwicklung auf die Welt

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Dialog

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als ganze nicht anwendbar, diese vielmehr eine ewige Wiederkehr des Gleichen sei (Engels). 3 Naturalismus. Der d. M. diente der Rechtfertigung der politischen Macht der marxistisch-leninistischen Parteien. Gegenwärtig hat er erheblich an Bedeutung verloren. J de Vries: Die Erkenntnistheorie des d. M, M 1958; H J Lieber: Die Philosophie des Bolschewismus in den Grundzügen ihrer Entwicklung, F 1961; G A Wetter: D. und historischer M., F 1962; G Klaus / M Buhr (Hg): Marxistisch-leninistisches Wörterbuch der Philosophie, Reinbek 1972; Marxistisch-leninistische Philosophie, B 1979; D. und historischer M., B 16 1989.

Ehlen Diallele 3 Fehlschluss Dialog kommt aus dem Griechischen und meint soviel wie Unterredung. Genauer gesagt geht es weder um eine bloße Unterhaltung noch um geschäftliche Kontakte, sondern um den Austausch von Gedanken zur selben »Sache« zwischen einander gleichzeitigen Menschen im Dienst der Wahrheitserkenntnis. Partner des D.s können nur einzelne Menschen sein, nicht etwa Kulturen oder Religionen. Auch ein Selbstgespräch ist kein D. Ein D. kommt nur zustande, wenn beide Partner daran interessiert sind, auf den anderen zu hören und von ihm etwas zu lernen, was sie nicht schon wissen, und wenn beide ihre Meinung ehrlich offenlegen. Durch den Eintritt in einen D. kommt es zu einer gegenseitigen Anerkennung als 3 Person und damit zu einer gewissen Gleichrangigkeit. Eine besondere Form des D.s ist der sokratische. Hier geht es weniger um den Austausch von Wissen als darum, dass der eine Partner, der sich als Unwissender gibt, den anderen durch ein geführtes Fragen zur »Entbindung« einer Erkenntnis bringt, die dieser unfertig schon in sich trug.Vom realen D. zu unterscheiden ist die literarische Form des D.s. Im Rahmen eines Schauspiels unterscheidet sie sich vom Monolog oder vom chorischen Sprechen. Um einen Gedankengang darzustellen, kann ein Autor die Form des Traktats (Abhandlung) oder des D.s wählen; berühmte philosophische D.e der letztgenannten Art sind von Platon, aber auch von Lullus, Galilei, Hume u. a. überliefert. D.ische 3 Logik nennt man eine Theorie, die die Begriffe der formal-logischen Wahrheit und Falschheit dadurch definiert, dass sie das Ergebnis eines endlichen, in entscheidbaren Schritten verlaufenden Argumentierens zwischen einem Proponenten und dem Opponenten darstellen. E Hasselberg u. a. (Hg): Der D.begriff am Ende des 20. Jahrhunderts, B 1996; M Nkowo: Der Reichtum des Menschseins, F 2004.

Haeffner Dialogphilosophie versteht sich aus dem Gegensatz zur neuzeitlichen IchPhilosophie. Es sollen zwei unbedachte Voraussetzungen des Ich-Stand-

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Differenz

punkts (cartesischer oder kantischer usw. Prägung) deutlich werden: die Wirklichkeit der 3 Sprache und die Wirklichkeit des Du. Hatte schon die moderne Transzendentalphilosophie erkannt, dass sich das 3 Ich nur um den Preis eines falschen 3 Bewusstseins unter die vielen Seienden einordnen könne, so entwickeln die Denker der D. eine analoge Überlegung zum Du. Nicht nur das »(ich-)bin«, sondern auch das »(du-)bist« (und die entsprechenden Pluralformen) sind ihrem Sinne nach irreduzibel auf das »ist«, so dass das neutral-indifferente »ist«, das aller Objektivierung als Vehikel dient, nur für die 3 Wissenschaft eine Universalität beanspruchen kann, während für die Lebensaktualität selbst das 3 Sein keine univoke, sondern eine entsprechend den Personalpronomina analog zu verstehende 3 Einheit hat: bin, bist, ist usw. Diese Einheit ihrerseits ist in ihrer Wurzel das Zu- und Auseinander von Ich und Du. Wenn es nicht vorher als »du« angesprochen worden ist, kann sich kein »ich« konstituieren; ohne ein Du zu finden, dem gegenüber es sich ausspricht, bleibt jedes »ich« stumm. D. ist also immer auch Sprachdenken. Der dialogische Gedanke ist unmittelbar von religionsphilosophischer Relevanz. Abgelehnt wird eine Deutung des Letzten und Ersten als höchstes Seiendes: sei es als (im endlichen Ich sich vollziehendes) absolutes Ich oder sei es als Subjekt-Objekt-Indifferenz (bzw. -Totalität). Abgelehnt wird also der Gedanke des Einen zugunsten der personalen 3 Differenz, sowohl in Bezug auf den Ursprung von allem wie auf das Ziel der menschlichen Vollendung. Nicht Identitätsmystik, sondern Nächstenliebe soll gelten. Die Anfänge der modernen D. liegen bei Hamann, Jacobi und Feuerbach. Als klassische Vertreter des Du-Gedankens und insofern der D. gelten Ferdinand Ebner und vor allem Martin Buber. Buber findet ein Du – d. h. eine mich ansprechende, »meinende« Instanz, die kein bloßes »Es« ist – nicht nur im Mitmenschen, sondern auch in den Naturwesen (z. B. einem Baum) und in den zu künstlerischer Gestaltung drängenden Ideen. Auch Franz Rosenzweig und Emmanuel Levinas werden oft zur D. gerechnet, obwohl bei beiden weder »Du« noch »Dialog« Zentralworte sind. F Ebner: Das Wort und die geistigen Realitäten, in: Schriften I, M 1963; M Buber: Das dialogische Prinzip, Hd 5 1984; M Theunissen: Der Andere, B 1965; F Rosenzweig: Der Stern der Erlösung, Den Haag 4 1976; E Levinas: Totalität und Unendlichkeit, 1961; B Casper: Das Dialogische Denken, Fr 2 2002.

Haeffner Dianoia 3 Vernunft Differenz / Unterscheidung / Unterschied Dass es D. oder Unterschied (U.) gibt, ist offensichtlich, da nach dem Zeugnis unserer äußeren und inneren Erfahrung nicht alles schlechthin dasselbe ist. Deshalb muss D. oder U. etwas Wirkliches, unserem Wahrnehmen und Denken Vorgegebenes sein. Doch (da mit ihnen kein gegenständliches Sein bezeichnet wird) entstehen sie als solche erst dadurch, dass sie von einem des Unterscheidens fähigen

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Differenz

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Subjekt wahrgenommen und ausgesagt und damit als D., als U. von Verschiedenem bestimmt werden. D./U. hat also immer sowohl mit der uns vorgegebenen Realität als auch mit unserem Urteilen und Denken zu tun. Daraus ergeben sich zwei (in der scholastischen Lehre über die Distinktionen vernachlässigte) wichtige Einsichten hinsichtlich der D. (1) Obwohl D. rein abstrakt betrachtet die 3 Identität der Differenten ausschließt und auch in der konkreten Wirklichkeit immer auf irgendeine Weise die Identität der Verschiedenen negiert, ist D. nicht einfach als schlechthinnige Verneinung der Identität derer, die als Verschiedene bezeichnet werden, zu bestimmen. Denn jeder U. setzt Gemeinsames voraus; durch jede Behauptung einer D. wird immer auch eine In-Einheit-Setzung der voneinander U.enen vollzogen. (2) Die simple Entgegensetzung der realen oder sachlichen Unterscheidung (Un.) (distinctio realis), in der sowohl die numerische als auch die spezifische bzw. die generische Verschiedenheit untergebracht werden, einerseits und der gedanklichen oder begrifflichen Un. andererseits (distinctio rationis) ist sehr problematisch, da sie in ihrer Plumpheit dem differenzierten Verhältnis von Sein und Denken nicht gerecht wird. Wenn man nämlich etwas von etwas sogenannt bloß gedanklich unterscheidet – und das heißt, dass man diese Un. als solche bestimmt, nach der die behauptete Un. etwas bloß Gedachtes und überhaupt nichts Wirkliches sei –, dann behauptet man etwas Falsches. Denn die grundsätzliche Übereinstimmung von Denken und Sein ist die Bedingung der wahren Erkenntnis. Deshalb ist jede Behauptung einer gedanklichen und in keiner Weise wirklichen D. eine irrige Behauptung. – Zugleich ist aber zu berücksichtigen, dass in jeder ausdrücklich vollzogenen, begrifflich fixierten Un. immer auch ein von dem die Un. treffenden Subjekt (von seinen Interessen, von seinem Vorwissen, von seiner Absicht) herstammendes (von Fall zu Fall freilich verschiedenes Gewicht besitzendes) Moment anwesend ist. Das heißt aber, dass jede behauptete D. (entsprechend des jeweiligen Seingehaltes und der jeweiligen Seinsweise der zu unterscheidenden Seienden) in einer jeweils anderen, erst genauer zu bestimmenden Weise real ist. Deshalb muss die Frage, wie D. und Identität sich zueinander verhalten, genauer untersucht werden. Aus dem Umgang mit dem, was uns begegnet und was wir selbst sind, ergeben sich bezüglich sowohl der D. als auch der Identität zwei einander entgegengesetzte Standpunkte. Wir beschränken uns hier auf die D. – Einmal gibt es D. dadurch, dass das Eine das, was das Andere ist (was es an Sein hat), nicht ist (an Sein nicht hat). Diese Weise der D. ergibt sich aus der Seinsunvollkommenheit (aus dem Mangel an Seinshabe) der Seienden. Sie ist die am meisten ins Auge springende D. und sie war die fast Einzige, die in der klassischen Metaphysik bedacht wurde. Diese D. ist der Grund der Bruchstückhaftigkeit, der Entfremdung und Isolation der endlichen Seienden voneinander. Hier waltet eine D., in der die Identität tendenziell ausgeschlossen ist, ohne freilich jemals den Zustand einer vollkommen

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Differenz, ontologische

identitätslosen D. erreichen zu können, denn eine solche könnte nur unter Nichtseienden »bestehen«. – Zum anderen gibt es jedoch eine Weise der D., die aufgrund dessen besteht, dass ein Seiendes sein mit anderen Seienden aufgrund seines Seins identisches Sein auf eine ihm jeweils individuell eigene und eben dadurch von anderem verschiedene Weise verwirklicht. Diese D. aufgrund der individuell eigenen Weise des 3 Seins tritt desto deutlicher ausgeprägt hervor, je höher die Seinsstufe des betreffenden Seienden ist. Ihr ist zu verdanken, dass ganz allgemein gilt: je größer die Identität der Seienden aufgrund ihres gemeinsamen Seins ist, desto größer ist auch ihre D. aufgrund ihrer jeweils individuell eigenen Weise, das Sein zu verwirklichen (3 Analogie). Sie gilt also überall, aber unübersehbar ist sie auf der Ebene der individuellen Verschiedenheit der menschlichen Personen, die niemals als eine das genau gleiche wiederholt reproduzierende und somit ohne weiteres identische Vervielfältigung derselben Menschennatur gedeutet werden können. Das bedeutet aber im Klartext, dass diejenige D., die sich aus der je individuell eigenen Weise des Seienden, das Sein zu verwirklichen, ergibt, reine, d. h. (im Sinne der klassischen Metaphysik) transzendentale Seinsvollkommenheit (3 Transzendentalien) bezeichnet. Sie schließt die Identität der Seienden miteinander im Sein nicht aus, sondern ein. Sie ist das Prinzip der Individualität (3 Individuum), die voll verwirklicht für uns im Personsein (3 Person) fassbar ist. Sie ist das gegeneinander Anderssein derer, die aufgrund desselben Seins, das sie verwirklichen, einander durchwalten. Es handelt sich hier um jene D., die auch vom schlechthin Absoluten, von 3 Gott ausgesagt werden kann, bzw. nach christlicher Lehre von Gott als dem Dreifaltigen ausgesagt werden muss. 3 Vielheit 3 Einheit. N v Kues: De docta ignorantia; G W F Hegel: Wissenschaft der Logik. – B Weissmahr: Ontologie, St 2 1992, 95–119.

Weissmahr Differenz, ontologische ist ein von M Heidegger geprägter Ausdruck: gemeint ist das Verhältnis des Seienden (ón) zum Sein, das sein Grund (lógos) ist. Er hat mehrere Bedeutungen, die in der Geschichte der Reihe nach aufgetreten sind. Die erste kann eidetische D. genannt werden und meint den Unterschied zwischen dem, was ist, und seinem 3 Sein, das in doppelter Gestalt auftritt: als Was-sein (ein bestimmtes 3 Wesen = eidos haben) und als Dass-sein. Das Was-sein und das Dass-sein sind nicht selbst etwas Seiendes. Die o. D. ist also kein Unterschied wie der zwischen verschiedenen Seienden. Vielmehr ist sie die Rückseite der onto-logischen »3 Identität«: Ohne das Sein gibt es kein Seiendes, ohne Seiendes gibt es kein Sein. Die zweite Form der o. D. kann man transzendentale D. nennen. Sie tritt bei Kant auf als der Unterschied zwischen den Gegenständen der Erkenntnis und ihrer Gegenständlichkeit selbst. Während die erste und die zweite Weise der o. D. Begriffe sind, in denen

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Dilemma

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Heidegger klassische Positionen der Ontologie deutet, ist die dritte Form der o. D. diejenige, in der er sein eigenes Anliegen ausdrückt: Sie besteht zwischen dem Sein, insofern es als Grund des Seienden betrachtet wird, und dem Sein in seinem eigenen Sich-Lichten. M Heidegger: Identität und Differenz, Pfullingen 1957. – M Müller: Existenzphilosophie, Fr 4 1986; D Donkel: The Understanding of Difference in Heidegger and Derrida, NY 1992.

Haeffner Dihairese 3 Einteilung Diktatur des Proletariats 3 Marxismus Dilemma ist ein komplexer logischer 3 Schluss, bei dem man unter Voraussetzung der Wahrheit des 3 Satzes vom ausgeschlossenen Dritten »p oder nicht-p« aus den zwei konditionalen Aussagen »wenn p, dann q« und »wenn nicht-p, dann q« auf q schließt. In einer Variante dieses positiven D.s schließt man unter Voraussetzung des ausgeschlossenen Dritten aus »wenn p, dann q« und »wenn nicht-p, dann r« unter Zuhilfenahme der Aussage »nicht-r« auf q. Ein negatives D. liegt vor, wenn aus »wenn p, dann (entweder q oder r)« zusammen mit »weder q noch r« oder in komplexerer Form aus »wenn p, dann (entweder m oder n)« zusammen mit »wenn m, dann q«, »wenn n, dann r« und »weder q noch r« auf »nicht-p« geschlossen wird. Bestehen die 3 Disjunktionen in diesen Schlüssen aus mehr als zwei Gliedern, spricht man von einem Polylemma. I M Bocheñski: Ancient Formal Logic, A 1951; B Mates: Stoic Logic, Berkeley 1961.

Carls Dimension 3 Raum Ding In der heutigen deutschen Sprache wird unter D. oder Sache etwas verstanden, was eine Einheit und Ganzheit besitzt, aber nicht lebendig oder gar personal, sondern ein bloßes lebloses materielles Objekt, ein reiner Gegenstand ist. In der Neuzeit ist D. die Übersetzung des lateinischen Wortes »res«, das die Hochscholastik unter die jedem Seienden zukommenden 3 Transzendentalien zählte. Dabei hob das Wort »res« (D. oder Sache) die Washeit, das Wesen der Sache hervor, dasjenige, was in der Definition zum Ausdruck kommt, während der Ausdruck »Seiendes« immer auch den Bezug zur Existenz beinhaltete. Im Gegensatz zu »D.« wurde »Etwas« (aliquid) von Thomas v Aquin als »aliud quid«, als etwas anderes, als das von anderem Unterschiedene interpretiert. Seit dem Spätmittelalter tritt »D.« mehr und mehr an die Stelle von »Seiendes« (ens) oder »Substanz«. Darum unterteilt Descartes die endlichen Substanzen in res cogitans (denkendes »D.«) und res extensa (ausgedehntes »D.«). Auch bei Kant meint »D.« soviel wie Seiendes, Objekt, Substanz, Ge-

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Ding an sich

genstand überhaupt. Darum unterscheidet er zwischen dem D., wie es an sich selbst ist (3 D. an sich), und dem D., wie es uns erscheint (3 Erscheinung). In all diesen Fällen ist »D.« nicht der Gegenbegriff zu Person oder Lebewesen, sondern ist der umfassende Begriff. Zur Verd.lichung siehe 3 Gegenstand. T v Aquin: De ver. I, 1 c.; R Descartes: Meditationes II; I Kant: KrV B, XXff.

Schöndorf

Ding an sich Dieser Begriff ist mit Kants transzendentalem Idealismus verbunden. Bereits in seiner Dissertation von 1770 hatte Kant die sinnliche Erkenntnis wegen der Formen, mit denen unsere Sinnlichkeit ausgestattet ist (Raum und Zeit), für eine Erkenntnis von Erscheinungen gehalten. In der Kritik der reinen Vernunft dehnte er dieselbe Argumentation auf die reinen Verstandesbegriffe (3 Kategorien) aus: Sie üben eine konstitutive Funktion aus, so dass unsere intellektuelle Erkenntnis zwar objektiv ist im Sinne einer allgemeinen und notwendigen Erkenntnis, aber das dadurch Erkannte den ontologischen Stellenwert einer Erscheinung aufweist. Das Gegenstück dieser Phänomenalitätsthese ist die Lehre von einer an sich seienden Wirklichkeit (B XXVIf.), das D. a. s. (auch »Noumenon«, »transzendentales Objekt« genannt), das uns völlig unbekannt bleibt. Der Begriff eines D. a. s. als »Grenzbegriff« (A 310 f.) signalisiert eine Spannung, die die ganze KrV durchzieht und die der Grund gewesen ist, warum bereits zu Kants Lebzeiten andere Denker nicht auf dem halben Weg des Idealismus kantischer Prägung stehen bleiben wollten, sondern ihn zu einem restlosen Idealismus weiterführten. Jacobi hat diese Spannung im Diktum zum Ausdruck gebracht, »daß ich ohne jene Voraussetzung [das D. a. s.] in das System nicht hineinkommen, und mit jener Voraussetzung darin nicht bleiben konnte« (David Hume über den Glauben (1787) in: Werke II, 304). Denn schon die Beurteilung, unsere Erkenntnis sei auf Erscheinungen beschränkt, kann nur in einem realistischen Sinn gefällt werden. Der These von einer prinzipiellen Unerkennbarkeit des D. a. s.s liegt eine irrationale Auffassung von der Wirklichkeit zugrunde, dass sie nämlich das Korrelat einer »intellektuellen Anschauung« ist, die dem Menschen fehlt. Denn der Umstand, dass Kant auf seine Weise die Intelligenz unseres Verstandes und die Rationalität unserer Vernunft (ihre Tendenz zum Unbedingten) anerkennt, zeigt, dass er die beim Menschen vermisste »intellektuelle Anschauung«, welche die wahre Wirklichkeit erkennen würde, gemäß der Extraversion der Sinne und nicht in den Termini der Intelligenz und der Rationalität konzipiert. I Kant: KrV. – E Adickes: Kant und das D. a. s., 1924.

Sala

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Disjunktion

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Disjunktion und Adjunktion sind Aussagenverbindungen, welche durch »(entweder) p oder q« ausgedrückt werden. Während die eigentliche (ausschließende) D. (= Kontravalenz) besagt »entweder p oder q (aber nicht p und q zusammen)« (lat. aut), meint man mit der Adjunktion (= Alternative, logische Summe) als einschließende (= schwache) D. die Aussagenverbindung »entweder p oder q oder beide (p und q)« und sie wird bisweilen durch »p oder/und q« (lat. vel) ausgedrückt. Die Adjunktion kann mithilfe der Verneinung in »wenn nicht-p, dann q« auf die materielle Implikation zurückgeführt werden. – Mit der D. wird bisweilen die Exklusion verwechselt, welche in der Alltagssprache oft auch durch »p oder q« ausgedrückt wird, die aber eigentlich »nicht beide p und q zusammen« bzw. »nicht-p oder nicht-q« besagt. G Frege: Begriffsschrift, Hl 1879; A Menne: Einführung in die Logik, M 1966; F v Kutschera: Elementare Logik, W 1967.

Carls Diskurs meint in den romanischen Sprachen (discours, discorso) und dem Englischen (discourse), aus denen dieses Wort übernommen ist, ursprünglich eine Rede. In der frühen Neuzeit (z. B. bei Descartes, Galilei, Leibniz, Rousseau) wird daraus eine philosophische Vortragsform, die ein Thema auf eine weniger thesenhafte Art behandelt als ein Traktat. Während in der frühen Neuzeit ein D. von einem einzigen Autor vorgetragen wird, versteht Habermas unter einem D. eine argumentativ geführte Diskussion(srede). Er unterscheidet den strategischen D., der zur Durchsetzung bestimmter Interessen in der Politik oder vor Gericht geführt wird, vom herrschaftsfreien D., der die Wissenschaften und die Philosophie kennzeichnen soll. Da es in der Realität keinen wirklich herrschaftsfreien D. gibt, muss dieser von den D.teilnehmern kontrafaktisch antizipiert werden. Hieraus hat Habermas dann die D.ethik (3 Ethik) entwickelt, die als eine Art Weiterführung der kantischen Ethik den D. aller Betroffenen als die Methode ansieht, um zur rechten ethischen Entscheidung zu gelangen. R Descartes: Discours de la méthode; G Galilei: Discorsi e dimostrazioni matematiche; G W Leibniz: Discours de métaphysique; J J Rousseau: Discours sur les sciences et les arts; Discours sur l’origine et les fondements de l’inegalité parmi les hommes; M Foucault: Die Ordnung des D.es, M 1974; D. und Wahrheit, B 1996; J Habermas: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, F 1983; Erläuterungen zur D.ethik, F 1991.

Schöndorf Disposition 3 Anlage Distanz 3 Raum Distinktion 3 Differenz Docta ignorantia 3 Gotteserkenntnis 3 [135] Dogmatik 3 Theologie

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Dogmatismus

Dogmatismus kommt von gr. dógma (Lehrsatz) und meint eine philosophische Haltung, die bestimmte Thesen vertritt, ohne sie einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Es kann damit auch generell eine Einstellung bezeichnet werden, die sich weigert, auf Einwände einzugehen und sich einer kritischen Auseinandersetzung zu unterziehen. Vor allem Kant hat der philosophischen Tradition den Vorwurf des D. gemacht, weil sie ohne eine vorherige Vernunftkritik Metaphysik getrieben hat. Die Denker des 3 Deutschen Idealismus kritisieren als D. ein Denken, das seinen Ausgang nicht vom Ich und seiner Freiheit, sondern von dessen Gegenteil, einem objektiv gegebenen und materiell verstandenen dinglichen Sein nimmt. Als typisches Beispiel eines D. wird dabei oft der 3 Spinozismus genannt. Gelegentlich wird D. aber auch im positiven Sinn verstanden als die Annahme grundlegender und nicht mehr hintergehbarer Grundsätze. I Kant: KrV B XXXV; J G Fichte: AA I, 2, St 1965, 279–282; F W J Schelling: AA I, 2, St 1980, 94–98; G W F Hegel: Theorie Werkausgabe 2, F 1970, 47–49; A Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, 1. Bd., § 5.

Schöndorf Dominium 3 Recht Doxa 3 Meinen Drei-Stadien-Gesetz 3 Soziologie Dreiwertige Logik 3 Dritten, Satz vom ausgeschlossenen Dritten, Satz vom ausgeschlossenen Im ontologischen Sinne besagt der S. a. D. (lat. principium exclusi tertii), dass es zwischen 3 Sein und 3 Nichts kein Drittes gibt (lat. tertium non datur). Problematisch ist in dieser Formulierung, dass »ist« und »ist nicht« wie gewöhnliche Prädikate verwendet werden, wie es auch in den verwandten ontologischen 3 Prinzipien der 3 Identität und des Widerspruchs geschieht. Aber während diese beiden Prinzipien aufgrund ihrer konditionalen Form »Wenn etwas ist, ist es bzw. kann es nicht nicht sein« und »Wenn etwas so (beschaffen) ist, ist es so bzw. kann es nicht nicht so sein« keine Existenzvoraussetzungen haben, muss man beim S. a. D. »Alles ist oder ist nicht« bzw. »Alles ist so beschaffen oder ist nicht so beschaffen« wegen der adjunktiven Subjekt-Prädikat-Form erst klären, ob und inwiefern man über etwas spricht, z. B. ob die größte Primzahl, die es bekanntlich nicht gibt, größer ist als 5 oder nicht. Da der platonistische 3 Realismus die Existenz auch nicht erfassbarer idealer 3 Gegenstände als vorgegeben annimmt, ist der S. a. D. als logisches Prinzip unproblematisch. Dagegen wird seine uneingeschränkte 3 Geltung vom antirealistischen 3 Intuitionismus und 3 Konstruktivismus und sogar vom gemäßigten Realismus bestritten, sofern dieser annimmt, dass ideale Gegenstände wie Zahlen aufgrund vorgegebener Strukturen der Wirklichkeit im Denken hervorgebracht werden. Eine ähnliche Problematik liegt beim S. a. D. im logischen Sinne vor, d. h. beim metasprachlichen Bivalenzprinzip (vgl. 3 Wahrheitstafeln).

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Dualismus

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Aristoteles: Metaph. IV, 7; L E J Brouwer: De onbetrouwbaarheid der logische principes, Tijdschrift voor wijsbegeerte 2(1908), 152–158; A Heyting: Die formalen Regeln der intuitionistischen Logik, B 1930. – N Tennant: Antirealism and Logic, O 1987; M A E Dummett: The Logical Basis of Metaphysics, Lo 1991.

Carls

Du 3 Andere 3 Dialogphilosophie

Dualismus (lat. duo: zwei) wird eine Lehre genannt, die die Wirklichkeit auf zwei Prinzipien (z. B. Yin und Yang) zurückführt, in zwei gegensätzliche Bereiche einteilt (z. B. Sinnes- und Verstandeswelt) oder durch zwei entgegengesetzte Komponenten (z. B. Materie und Geist) erklärt. Von D. wird auch gesprochen, wenn es nicht gelingt, zwei widerstreitende Phänomene einheitlich zu erklären (Welle-Teilchen-D.). Der Gegensatz hierzu ist entweder der 3 Monismus (Einheitslehre) oder der 3 Pluralismus (Vielheitslehre). Die Annahme von zwei höchsten Prinzipien würde zu einem Widerspruch führen: Sie müssten als grundlegende Prinzipien völlig voneinander unabhängig sein, zugleich aber als Prinzipien, aus denen alles andere hervorgeht, in irgendeiner Weise zusammen auf dieselbe Welt einwirken. Es hat sich darum in der philosophischen Tradition kein derart radikaler metaphysischer D. durchgesetzt, wie er manchen Lehren (3 Gnosis) zugeschrieben wird. Der anthropologische D. vertritt beim 3 Leib-Seele-Problem die These einer wesensmäßigen Verschiedenheit des 3 Leibes und der 3 Seele beim Menschen. L Scheffczyk (Hg): D. versus Dualität, Fr 1990; J-L Vieillard-Baron: Le problème de l’âme et du dualisme, P 1991; G P Baker / K J Morris: Descartes’ dualism, Lo 1996; H Holz: Raum-Zeit-Kohärenz, Ms 2003; T Schlicht: Erkenntnistheoretischer D., Pb 2007.

Schöndorf Duplex effectus 3 Handlung Dy´namis 3 Akt Dysteleologie 3 Teleologie Egoismus 3 Liebe Eidetische Reduktion 3 Phänomenologie Eidola (Demokrit) 3 [33] Eidos 3 Art 3 Form Eigenname 3 Name Eigenschaft Eine E. ist ein zur Art oder Gattung oder zum Namen hinzukommendes Merkmal oder Attribut, eine Charakterisierung, Beschaffenheit oder Bestimmung einer Substanz, die eine Gegebenheit, einen Zustand, nicht aber ein Geschehen (Wirken oder Erleiden) besagt und normalerweise durch ein Adjektiv ausgedrückt wird. Sie kann aber ihrerseits durch die 3 Abstraktion selbst zum Subjekt für weitere Aussagen werden, z. B.: ›Grün ist eine Farbe‹. Dabei ist zu unterscheiden zwischen einer unwesentlichen,

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Eigentum

akzidentellen E., die der Substanz zukommen oder nicht zukommen kann, ohne dass sich dadurch das Wesen der Substanz verändert, und einer Wesense., die die Substanz als solche notwendigerweise charakterisiert. Eine E., die einer Substanz notwendigerweise oder im Regelfall zukommt, ohne zu ihrer Definition zu gehören, heißt in der scholastischen Terminologie Proprium (Eigentümlichkeit), wie etwa das Proprium des Menschen, lachen zu können. Descartes kennt zwei Wesense.en, die die beiden Arten von Substanzen charakterisieren und die er Attribute nennt: die Ausdehnung der Materie (res extensa: ausgedehntes 3 Ding) und das Denken des Geistes (res cogitans: denkendes Ding). R Descartes: Principia I 53. – E Tegtmeier: Grundzüge einer kategorialen Ontologie, Fr 1992; B Schnieder: Substanzen und (ihre) E.en, B 2004; C Dufour: Inhärenz, M 2005; F Nef: Les propriétés des choses, P 2006.

Schöndorf Eigentum bezeichnet gemeinhin das Recht unbeschränkter und ausschließender Herrschaft über eine Sache. – Zu seiner Selbsterhaltung bedarf jeder Mensch der Sachenwelt. Eine Ordnung, in der alle auf alles zugreifen dürften, würde verwirrend und instabil sein. Daher ist um des Friedens und Gemeinwohls, der berechenbaren Zurechnung von Mensch und Sachen und deren besserer Pflege willen eine Ordnung der je privaten Aneignung nötig. Insofern ist das Privateigentum (Pe.) in der Menschennatur begründet und von ihr gefordert, nicht aber die Gütergemeinschaft. I Kant zufolge beruht die Pe.ordnung auf dessen universaler Bejahung, welche rechtliche Stabilität jedoch erst durch den Staat mit seinem Monopol physischer Gewalt erhält. Beide Sichtweisen des Pe.s stehen damit zwischen den Utopien, welche es ablehnen (T Morus; T Campanella, C Fourier, Kommunismus) und einer jegliche soziale Bindung verneinenden liberalen E.sdoktrin (R Nozick). – Träger von E. können auch Gemeinschaften wie die Familie und Institutionen wie der Staat sein. – Primäre E.stitel sind Besitzergreifung einer herrenlosen Sache, Erweiterung der eigenen Sache durch Natur (Wachstum, Anschwemmung) oder ihre Bearbeitung sowie die Arbeit. Sie begründet also nicht E. (dies ist die universale Bejahung, Kant), sondern regelt die Zuerkennung der Sache an Personen. Sekundäre E.stitel stellen Erbfolge, Vertrag und Verjährung dar. – Des E.s fähige Güter sind der Erdboden, Naturprodukte, von Menschen hergestellte Werke, Erfindungen, aber auch Rechte, z. B. Urheberrechte und Patente. Das Verfügungsrecht über den eigenen Leib sowie über die Leiche hat seine Grenze an der sich auf sie erstreckenden (Menschen-)3 Würde. Die Beziehung des Menschen zu einer Sache ist der Beziehung von Mensch zu Mensch unterzuordnen. – Das E. ist vor Schädigung, Diebstahl sowie dem Verkommenlassen zu schützen. Umfang des Pe.s und Art des Umgangs mit ihm unterstehen Forderungen des 3 Gemeinwohls, im Besonderen der Nachhaltigkeit. Daher darf die politische Gemeinschaft z. B.

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Einfachheit

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zugunsten landbedürftiger Gruppen Pe. im öffentlichen Verfahren enteignen; ob mit oder ohne Entschädigung, ist ebenso durch Einzelprüfung am Gemeinwohl zu entscheiden wie Reichweite und Dauer des Schutzes von geistigen Werken und Erfindungen. Urheberrechte und Patente – etwa an Medikamenten – regen zu Erfindungen an und erhalten die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft, doch ist der Zugang der Bedürftigen zu ihnen zu regeln, und dies unter dem Aspekt des Weltbedarfs. T von Aquin: STh II–II, 66; H Grotius: De iure belli ac pacis, 2. Buch, Kap. 2, 3; 8; J Locke: Zwei Abhandlungen über die Regierung; I Kant: Metaphysik der Sitten; G W F Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 41–71. – K Heinisch (Hg): Der utopische Staat, HH 1960; R Brandt: E.theorien von Grotius bis Kant, St 1974; R Nozick: Anarchie, Staat, Utopia, M 1976; C Macpherson: Die politische Theorie des Besitzindividualismus, F 2 1980; W Voßkamp (Hg): Utopieforschung, St 1982; J Waldron: The Right to Private Property, O 1988; R Munzer: A Theory of Property, C 1990; M Brocker: Arbeit und E., Da 1992.

Brieskorn Eigentümlichkeit 3 Eigenschaft Einbildungskraft 3 Phantasie Eindeutig 3 Analogie Einerleiheit 3 Ordnung Einfachheit ist die radikalste Form der 3 Einheit. Normalerweise wird unter E. nicht das Fehlen jeglicher Differenzierung, sondern die Unteilbarkeit verstanden. In diesem Sinn kommt jedem geistigen Wesen E. zu, auch wenn es verschiedene Vermögen und Fähigkeiten besitzt. In diesem Sinn ist die 3 Seele und sind alle 3 Monaden bei Leibniz einfach. In einem strengeren Sinn haben wir es mit E. zu tun, wenn nicht nur keine physische (materielle) Zusammensetzung vorliegt, die immer Teilbarkeit zur Folge hat, sondern wenn auch keine metaphysische Zusammensetzung vorliegt. Eine metaphysische Zusammensetzung oder Unterscheidung liegt dann vor, wenn zwei Komponenten oder Prinzipien einander entgegengesetzt sind, so dass sie voneinander zu unterscheiden sind, aber nicht voneinander getrennt werden können, wie dies bei allen irdischen Gegenständen für die metaphysischen Prinzipien Akt und Potenz oder Materie und Form gilt. Bei Gott liegt die radikalste E. vor, die auch die metaphysische Zusammensetzung ausschließt und soweit geht, dass selbst Wesen und Sein zusammenfallen. Allerdings können wir nicht umhin, dieses Zusammenfallen durch unterschiedliche Termini auszudrücken, so dass in unserer Terminologie eine gedankliche Zusammensetzung und Unterscheidung vorliegt. Eine rein gedankliche E. kann auch durch Reduktion (3 Abstraktion 3 Negation) so herbeigeführt werden, dass alles bis auf einen letzten Rest weggelassen wird, so dass nur noch ein einziges Element übrig bleibt, wie etwa beim Punkt.

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Einheit

Bei der Bildung von 3 Theorien, aber auch bei anderen praktischen Tätigkeiten und Aufgaben gilt die E. unter sonst gleichen Bedingungen als Vorzug und Indiz der Wahrheit: simplex sigillum veri (das Einfache ist das Sigel des Wahren). T v Aquin: STh I 3; ScG I 18; F Suárez: DM 30, 3–5; G W Leibniz: Monadologie. – B Schulz: E. und Mannigfaltigkeit, Bottrop 1938; J Fiedler: E., B 1982; F G Immink: Divine simplicity, Kampen 1987; H Steinfath: Selbständigkeit und E., F 1991; W Derkse: On simplicity and elegance, Delft 1993; R Swinburne: Simplicity as evidence of truth, Milwaukee 1997; F Merrell: Simplicity and complexity, Ann Arbor 1998; A Zellner (Hg): Simplicity, inference and modelling, C 2001.

Schöndorf Einfühlung 3 Verstehen Einheit ist ein spannungsgeladener Begriff. Während die Sinneswahrnehmung uns mit einer zunächst ungeordneten Mannigfaltigkeit konfrontiert, ist es das von der Sinneserfahrung angeregte Denken, welches in der Wirklichkeit E. in mehrfacher Hinsicht wahrnimmt. (1) Jedes Seiende als solches verwirklicht durch sich die E., indem es als ungeteiltes Einzelnes (3 Individuum) ganz es selbst ist und sich dadurch zugleich von allem anderen absetzt. Dies drückt die klassische Definition des Einen aus: Eines ist das, was in sich ungeteilt (indivisum in se) und von allem anderen verschieden (divisum a quolibet alio) ist. Diese Weise der E. wird mit Recht als eine transzendentale (mit dem 3 Sein koextensive) Vollkommenheit (3 Transzendentalien) bezeichnet (unum quod convertitur cum ente), von der also gilt, je höher die Seinsstufe, desto höher die »E. in sich« des (einzelnen) Seienden. Die klassische (das »henologische Prinzip« ausdrückende) These: »omne ens est unum«, alles Seiende ist ein Eines, muss hinsichtlich der in diesem ersten Sinn verstandenen E. differenzierter formuliert werden: omne ens est unum secum, alles Seiende ist mit sich ein Eines. Wenn man diese Einsicht ernst nimmt, dann ergibt sich aus ihr (was allerdings in der klassischen metaphysischen Tradition kaum thematisiert wurde), dass mit der zunehmenden E. des Seienden auch seine Verschiedenheit von dem anderen entsprechend zunehmen muss, dass es hier also um eine E. geht, die die Verschiedenheit von dem anderen nicht aus-, sondern einschließt. – (2) Eine andere von der vorausgehenden verschiedene, aber ebenso grundlegende Weise der E. zeigt sich dem auf die Wirklichkeit ausgerichteten Denken, indem es in der Wirklichkeit eine vielfältig abgestufte Ordnung wahrnimmt, nach dem gleichsam auf der höchsten Stufe letztlich alles Seiende im Sein übereinkommt, im Sein eine E. bildet. Auch die in diesem Sinn aufgefasste E. ist eine mit dem Sein koextensive, transzendentale Bestimmung der Seienden, die entsprechend der Zu- bzw. der Abnahme der Seinshöhe der Seienden zu- bzw. abnimmt. Um diese E. auszudrücken, muss die erwähnte klassische These auf folgende

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Einheit

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Weise ergänzt werden: omne ens est unum cum aliis entibus, alles Seiende ist eins mit allen anderen Seienden. Wenn man diese Einsicht unabgeschwächt gelten lässt, dann bedeutet sie: Im Sein kommt alles miteinander überein; oder in negativer Formulierung: Es kann nichts geben, was nicht im Sein eine E. bilden würde. E.sloses Vieles ist deshalb nicht nur nicht denkbar (da der Begriff des Vielen dieses Viele bereits im Denken geeint hat), sondern kann als solches auch nicht vorkommen, da Denken und Sein (wollen wir das Denken nicht vollkommen inhaltslos machen) nicht grundsätzlich verschieden sein können. Dies war die Grundeinsicht von Parmenides, mit dem das abendländische Seinsdenken beginnt. Ihm ging auf, dass das Sein das Eine und das Allumfassende ist, und dass es das »reine Nichts« nicht gibt. Von dieser Einsicht überwältigt, verabsolutierte er die sich hier zeigende E. und erklärte alle Vielheit und Verschiedenheit zum Schein. Dies müssen wir zwar ablehnen, doch festzuhalten bleibt die E. alles Seienden im Sein. Deshalb kann es auch keinen Gegensatz geben, der sich nicht innerhalb des Seins befände, und demzufolge kann (da das 3 Nichts als solches nicht besteht, und somit das Sein als solches keinen kontradiktorischen Gegensatz hat) schlechthin Kontradiktorisches in der Wirklichkeit nicht vorkommen. Deshalb ist auch das Prinzip vom 3 Widerspruch nicht das allererste Prinzip der 3 Metaphysik. E. ist zwar abstrakt gesehen stets das der wiederum abstrakt betrachteten 3 Vielheit Entgegengesetzte, denn sie besagt ihrem abstrakt genommenen Inhalt nach eben Nicht-Vielheit, obwohl die real verwirklichte E. bzw. Vielheit sich nicht ausschließen, sondern sich vielmehr gegenseitig bedingen. Deshalb gehören beide erwähnten Weisen der E. zu den Transzendentalien, was allerdings in der klassischen Lehre über diese nicht zur Geltung kam. Diese E. und diese Vielheit ist ein 3 Apriori des denkenden Subjekts, das in letzter Instanz alles in welcher Weise auch immer ihm Begegnende als Seiendes und damit als im Sein eine zweifache E. (nämlich eine E. in sich und eine E. mit allem anderen) Bildendes erkennend sich aneignet. Aus der vollkommenheitsmäßigen Bezogenheit dieser E. und dieser Vielheit aufeinander folgt außerdem, dass beide stets analog, d. h. jeweils nach Maß und Weise des Seins anders (3 Analogie) verwirklicht sind und niemals als univoke (und so sich natürlich ausschließen müssende) Bestimmungen gedacht werden können. Es gibt also so viele Weisen der E., als es Weisen des Seins gibt. Von dieser als transzendentale Vollkommenheit zu bewertende E., welche mit der Zunahme der Seinshöhe der Seienden mit einer Zunahme der Verschiedenheit der Seienden einhergeht, muss (als 3. Weise der E.) jene soeben schon erwähnte abstrakte E. unterschieden werden. Sie ist die von dem sich auf begriffliche Eindeutigkeit, Univozität ausgerichteten Denken durch Abstraktion von allem nicht rein Quantitativen konstruierte E. Sie zeigt sich am deutlichsten an der abzählbaren E. der einzelnen Gegenstände, die unter dieser Rücksicht auch Lebewesen bzw. auch Personen sein können. Es geht hier

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Einstellung

um die identische Multiplikation des streng Desselben, also um jenes EinsSein, dessen Prinzip die Zahl ist (unum ut principium numeri). 3 Identität. Aristoteles: Metaph. X; Plotin: Enn VI 9, 2, 1–10; 24; 27; T v Aquin: STh I q 11; Nicolaus Cusanus: De docta ignorantia, I, 6; De non aliud; De ven. sapientiae 21,59. – K Flasch: Die Metaphysik des Einen bei Nikolaus von Kues, Lei 1973; K Gloy: E. und Mannigfaltigkeit, B 1981.

Weissmahr Einklammerung 3 Phänomenologie Einschließlich 3 Analyse Einsehen, Einsicht 3 Erkenntnis 3 Verstehen Einstellung ist ein Begriff, der mit der Entstehung der modernen Psychologie im 19. Jahrhundert an Bedeutung gewinnt, vor allem in der 3 Sozialpsychologie, wo er relativ stabile psychische Dispositionen bezeichnet, die das menschliche Verhalten in kognitiver, affektiver und konativer Hinsicht steuern, zu seiner Erklärung angeführt werden und zu den Persönlichkeitsmerkmalen eines Menschen gerechnet werden. In der Philosophie hatte der Begriff erstmals eine wichtige Funktion im Zusammenhang mit der Forderung Husserls, dass zum Zwecke der philosophischen Erkenntnis anstelle der natürlichen die phänomenologische, reflexive E. treten müsse, in der das Subjekt vom Wirklichkeitscharakter der Gegenstände abstrahiert und zum ›Zuschauer‹ seines eigenen Bewusstseinserlebens wird, um auf diesem Weg ihr reines Wesen zu schauen. Hartmann hat als Vertreter eines kritischen Realismus dieser Konzeption mit der These widersprochen, die Ontologie solle sich ihrem Gegenstand nicht auf reflektierenden Umwegen nähern, sondern der direkten Richtung des Erkennens folgen, die der natürlichen E. entspricht. In der neueren Philosophie spielt der Begriff in der Philosophie des Geistes und der Handlungstheorie eine prominente Rolle, wo er wie in der Psychologie zur Erklärung menschlichen Verhaltens dient, vor allem aber des von einer 3 Absicht geleiteten Verhaltens, das ›3 Handlung‹ genannt wird. Die dafür relevanten E.en werden ›intentionale E.en‹ genannt, weil die Ausrichtung auf abstrakte mentale Gegenstände für sie konstitutiv ist. Zu ihnen gehören geistige Zustände kognitiver und konativer Art, also sowohl E.en des Meinens und Wissens als auch E.en des Wünschens und Beabsichtigens. Weil diese E.en sprachlich in Sätzen der Art ›x glaubt (meint, wünscht, befürchtet …), dass p’ zum Ausdruck kommen, wobei ›p‹ eine Proposition symbolisiert, werden diese E.en – Russell folgend – auch ›propositionale E.en‹ genannt. Des Weiteren spricht man im Kontext der Erklärung intentionalen Verhaltens auch von ›Pro-E.en‹. Zu ihnen zählt man konative E.en, welche die motivationale – im Unterschied zur kognitiven – Komponente von Handlungsgründen repräsentieren. Das phänomenale Spektrum, das dieser Begriff abdeckt, reicht von permanenten Charakterzügen bis zur flüchtigen Laune. Es umfasst Impulse, Wünsche, Formen des 3 Begehrens, gesellschaftliche

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Einteilung

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Konventionen, ökonomische Vorstellungen, öffentliche und private Ziele und Werte, ästhetische Grundsätze und ethische Überzeugungen. Auch die Gesinnung eines Menschen hat eine steuernde Wirkung, die sich im konkreten Handeln zeigt. Dieser Begriff steht aber im Unterschied zu dem der E. für die basalen Werte, Ziele, Absichten, Handlungsprinzipien, Motive und Überzeugungen, die zusammen die weltanschauliche Grundausrichtung eines Menschen ausmachen und so häufig zum Gegenstand moralischer Bewertung werden. N Hartmann: Zur Grundlegung der Ontologie, Me 3 1948; E Husserl: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosopohie, Den Haag 1950; Erste Philosophie II, Den Haag 1959; B Russell: An Inquiry into Meaning and Truth, Lo 5 1956. – G D Wilson: E., in: Lexikon der Psychologie I, hg. von W Arnold u. a., Fr 1980, 436–443; D Davidson: Handlungen, Gründe und Ursachen, in: ders. Handlung und Ereignis, F 1985; R Giedrys: E., in: Enzyklopädie Philosophie, hg. von H J Sandkühler, HH 1999, 92–99.

Trampota Einteilung (gr. dihairesis, lat. divisio, distinctio, 3 Teilbarkeit) im logischen Sinne ist – im Gegensatz zur realen Trennung (lat. separatio) eines Teils von einer realen Ganzheit oder von einer kollektiven oder stofflichen Gesamtheit und im Gegensatz zur gedanklichen Zerlegung (lat. divisio) eines kontinuierlichen oder mathematischen Ganzen – das gedankliche Abgrenzen (3 Denken) einer 3 Art (gr. eídos, lat. species) bzw. Teilklasse von einer Gattung (gr. génos, lat. genus) bzw. übergeordneten 3 Klasse mithilfe eines spezifizierenden Merkmals (gr. diaphorá, lat. specifica differentia, 3 Prädikabilien). Innerhalb eines bestimmten Bereichs (engl. universe of discourse), z. B. dem der 3 konkreten Dinge, der Stoffe, der Artefakte usw. ist der Ausgangspunkt einer E. eine Gattung oder Klasse aller der Einzelnen, die jeweils eine gemeinsame fundamentale Eigenschaft haben und unter einen allgemeinen 3 Begriff fallen. Es ist umstritten, ob solche Ausgangsklassen sowie die nachfolgende E. prinzipiell durch Wesensbegriffe (engl. real essences) bestimmt sein müssen, oder ob die mehr konventionellen Bestimmungen (engl. nominal essences) von sogenannten natürlichen Klassen oder Arten (engl. natural kinds) genügen (Aristoteles, Locke, Kripke, Putnam). – Durch E. kann eine übergeordnete Klasse wie die der Lebewesen entweder systematisch mithilfe der Negation in zwei komplementäre Teilklassen, z. B. die der vernunftbegabten und die der nicht vernunftbegabten Lebewesen, oder unsystematisch in Teilklassen wie zweibeinige, sechsbeinige, tausendbeininge usw. Lebewesen aufgegliedert werden. Wird eine solche Teilklasse wiederum eingeteilt, entstehen Hauptund Untereinteilungen, die zusammen eine Klassifikation ergeben. Sind dabei die spezifizierenden Merkmale konstitutiv und notwendig für die Einzelnen, liegt eine wesentliche E. im Gegensatz zu einer unwesentlichen vor. Eine vollständige E. in Teilklassen liegt vor, wenn diese Teilklassen jedes zur über-

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Eklektizismus

geordneten Klasse gehörende Einzelne erfassen. Eine distinkte E. liegt vor, wenn kein Einzelnes ein Element in zwei gleichrangigen Teilklassen ist. Der logischen E. entspricht auf intensionaler Ebene die Vereinigung (gr. sy´nthesis) von Begriffsinhalten wie der Vernunftbegabung und des Lebewesens zu einem reicheren Begriff wie dem des Menschen. Der umgekehrte Prozess ist das Herauslösen (gr. análysis) eines Teilinhaltes und des umfangsmäßig größeren Begriffs aus einem weniger umfassenden Begriff oder aus dem Einzelnen. Nach dem Reziprozitätsprinzip gilt: Je umfassender der Umfang eines Begriffs, desto ärmer sein Inhalt, und umgekehrt. Ein Grenzfall der E. ist die allumfassende und damit inhaltsärmste Allklasse aller Seienden, die nach Aristoteles keine Gattung ist und die aufgrund von Cantors Antinomie widerspruchsvoll ist (3 Sein 3 Transzendentalien). Der andere Grenzfall ist das Einzelne (3 Individuum), welches als konkretes Einzelding nicht rein begrifflich festgelegt werden kann, sofern man nicht auf ein anderes Einzelnes und letztlich auf sich selbst als Sprecher Bezug nimmt. Platon: Sophistes, Politikos; Aristoteles: An. pr. I, 31, An. post. II, 5; II, 13, J Locke: An Essay Concerning Human Understanding II, 27; III, 3–6; S Kripke: ›Naming and Necessity‹,in: Semantics of Natural Language, hg. v. D Davidson / G Harman, Dordrecht 1972, 253–355; H Putnam: Mind, Language, and Reality, Cambridge 1975, Kap. 8, 10–12. – R Carls: Idee und Menge, München 1974; S P Schwartz (Hg): Naming, Necessity, and Natural Kinds, Ithaca 1977; M Ayers: »Locke versus Aristotle on Natural Kinds«, in: Journ. Phil. 78(1981), 247–272; T E Wilkerson: Natural Kinds, Aldershot 1995; P Riggs (Hg): Natural Kinds, Laws of Nature, and Scientific Methodology, Dordrecht 1996.

Carls Einzeln 3 Individuum Einzigkeit 3 Einheit Eklektizismus kommt von eklektisch (gr. eklektikós: auswählend) und meint eine Philosophie, die aus verschiedenartigen Elementen zusammengesetzt ist. Der Ausdruck wurde vor allem von systematischen Denkern benutzt, um Philosophen zu kritisieren, deren Philosophie kein streng deduktives 3 System darstellt. Eine ähnliche Bedeutung hat der Terminus Synkretismus (gr. synkretismós; Etymologie umstritten), der eine Vermischung verschiedener weltanschaulicher Überzeugungen und Praktiken besagt und vor allem im religiös-theologischen Bereich verwendet wird. J M Dillon (Hg): The question of »eclecticism«, Berkeley 1996; G Wiessner (Hg): Synkretismusforschung, Wi 1978.

Schöndorf Ek-sistenz 3 Dasein Ekstase 3 Mystik Élan vital 3 Lebensphilosophie Eleatische Schule 3 Vorsokratiker

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Emergenz

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Element 3 Atomismus 3 Prinzip Elementarteilchen 3 Körper Elimination 3 Negation Emanation 3 Neuplatonismus Emergenz (lat. emergere, engl. emerge: auftauchen, zum Vorschein kommen) meint das Entstehen von Gebilden, die neuartige Eigenschaften besitzen und neuen Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Supervenienz (engl. supervene: hinzukommen) bezeichnet in der philosophy of mind (3 Leib-Seele-Problem) das Mehr der höheren (supervenienten) Bewusstseinsebene gegenüber der niederen (subvenienten) körperlichen Ebene (Subvenienz), wobei die verschiedenen Supervenienztheorien eine unterschiedliche Abhängigkeit der einen von der anderen Ebene annehmen. Den von Leibniz für das ständige Hervorgehen der Monaden aus Gott gebrauchten Terminus Fulgurationen (wörtlich: Aufblitzen; Monadologie 47) verwendet K Lorenz für das plötzliche Auftauchen neuartiger Konstellationen im Bereich des Lebens. Werden Leben, Bewusstsein, Geist als bloßes Epiphänomen (Begleiterscheinung) bezeichnet, so wird ihnen kein echtes Eigensein zuerkannt. G W Leibniz: Monadologie 47; K Lorenz: Die Rückseite des Spiegels, M 1973; H Jonas: Macht oder Ohnmacht der Subjektivität?, F 1981. – G Brüntrup: Das Leib-Seele-Problem, St 3 2008.

Schöndorf Eminenter, eminenti modo 3 Gotteserkenntnis Emotion 3 Gefühl Emotivismus ist die Auffassung, dass moralisch wertende Äußerungen wie ›gut‹ und ›schlecht‹ und ästhetische Äußerungen wie ›schön‹ und ›hässlich‹ keine Behauptungen oder Feststellungen sind, sondern die individuelle Einstellung des Urteilenden zum fraglichen Gegenstand ausdrücken. Wertende Äußerungen oder moralische Sätze dienen dazu, die Gefühle und Einstellungen des Sprechers zum Ausdruck zu bringen sowie beim Zuhörer Gefühle zu wecken, um diesen zu bestimmten Handlungen zu bewegen. Beim Ausdruck von Gefühlen wird kein Sachverhalt behauptet, der wahr oder falsch sein kann. Auch das Vorbringen von Gründen, die ein Moralurteil stützen, ist lediglich als Mittel der psychologischen Beeinflussung zu betrachten, das der Überredung des Zuhörers dient. C Stevenson: Ethics and Language, New Haven 1944; F Ricken: Allgemeine Ethik, St 2003, 43–49.

Goller Empfindung ist eine nicht weiter auflösbare psychische Erscheinung, die durch äußere, auf die Sinnesorgane wirkende Reize erzeugt wird und in ihrer

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Empfindung

Intensität von der Reizstärke, in ihrer Qualität von der Art des Sinnesorgans abhängt. Mit dieser klassischen Begriffsbestimmung grenzt Rohracher (1965) den Begriff E. gegenüber dem Begriff 3 Wahrnehmung ab. Unter Wahrnehmung versteht er eine komplexe, aus Sinnese.en und Erfahrungskomponenten bestehende psychische Erscheinung. Sehr verbreitet ist die Ansicht, dass E. durch die Sinnesorgane entsteht und eine ›Vorstufe‹ bewusster Wahrnehmung und Erfahrung ist. Wir sagen z. B., wir haben Schmerzen, oder empfinden einen Raum als warm oder kalt. In der Geschichte der Psychologie verstand man den Begriff E. meist im Sinne von ›E. haben‹ und unterschied ihn vom Begriff Wahrnehmung (Goldstein 2000). E. betrachtete man als ›einfache‹ interne Erfahrung, die durch ›einfache‹ Reize hervorgerufen wird, während man unter Wahrnehmung eine ›komplexe‹ Erfahrung verstand, die durch ›komplexe‹, ›bedeutungsvolle‹ Reize ausgelöst wird. Diese Vorstellung enthielt auch den Gedanken, dass E. eng mit der Tätigkeit der Sinnesrezeptoren verbunden ist, während Wahrnehmung stärker durch höhere Prozesse der Integration, des Wiedererkennens und der Interpretation komplexer Empfindungen vermittelt wird. Die Trennung von E. und Wahrnehmung ist in der Praxis kaum durchführbar. Es ist schwer möglich, Kriterien anzugeben, nach denen zwischen einfachen und komplexen Reizen und Reaktionen unterschieden werden kann. Außerdem wäre es willkürlich und physiologisch nicht begründbar, die Tätigkeit der Rezeptoren von der Gehirntätigkeit abzukoppeln. In der Psychologie ist heute kaum noch die Rede von E.en, wohl aber von Wahrnehmungen (Guski 2000). Die Psychophysik (E H Weber, G T Fechner) befasst sich mit dem Zusammenhang zwischen physischen Reizen und psychischem Erleben. Unsere Wahrnehmungsleistungen unterliegen einer eingeschränkten Genauigkeit. Es gibt einen Bereich von physikalisch verschiedenen Reizen, die wir als gleich wahrnehmen. Ein Baum wird in der Regel nicht kleiner, doch viele Objekte können sich in beide Richtungen verändern, so dass ein Unsicherheitsintervall aus Unterschiedsschwellen nach oben und unten besteht. Verändert sich ein Reiz über die Unterschiedsschwelle hinaus, dann nehmen wir die Veränderung wahr, ansonsten nicht. Die Größe der Unterschiedsschwelle hängt von der Größe des Ausgangsreizes ab. Beispielsweise muss der Reizzuwachs bei einem Baum recht groß sein, damit er uns als gewachsen erscheint. Die wissenschaftstheoretische Problematik des Begriffs E. besteht darin, dass E. ein subjektives Erleben ist. E.en sind nur dem erlebenden Subjekt unmittelbar gegeben, von außen sind sie jedoch nicht direkt beobachtbar. Aussagen, mit denen wir E.en ausdrücken (z. B. ich habe eine unangenehme Geschmackse.), können intersubjektiv weder bestätigt noch widerlegt werden. Damit entsteht die Frage, wie empirisch aufgestellte Korrespondenzen zwischen objektiv-physischen Reizen und subjektiven E.en zu verstehen

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Empirismus

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sind, da es sich um Objekte verschiedener 3 Kategorien handelt (3 Leib-SeeleProblem). H Rohracher: Einführung in die Psychologie, W 1965; E B Goldsstein: Wahrnehmungspsychologie, Hd 2002; R Guski: Wahrnehmung, St 2000.

Goller Empirie 3 Erfahrung Empiriokritizismus 3 Positivismus 3 [175] Empirismus ist der Gegenbegriff zu 3 Rationalismus und meint dem Wortsinn nach eine philosophische Richtung, die von der Empirie (3 Erfahrung) ihren Ausgang nimmt. Der Ausdruck geht auf eine Wendung bei F Bacon zurück und bezeichnet jene frühneuzeitliche Philosophie, die die Grundlage aller Erkenntnis in der sinnlichen Wahrnehmung sieht, wobei radikale Empiristen wie Hume in allen verstandesmäßigen Denkgebilden etwas Sekundäres gegenüber den ursprünglichen Sinneseindrücken sehen. Der klassische vorkantische E. des 17. Jahrhunderts lässt sich auch mit einem 3 Idealismus oder Spiritualismus verbinden, wie dies bei Berkeley der Fall ist. Denn Berkeley lehnt zwar allgemeine und angeborene Ideen ab, ist aber der Meinung, dass es die materiellen Objekte, die uns die sinnliche Wahrnehmung präsentiert, in Wahrheit gar nicht gibt. Eine Radikalisierung des E. stellt der 3 Positivismus dar. Hauptvertreter des sogenannten englischen (richtiger wäre: britischen) E. sind Locke, Berkeley und Hume. Seit Descartes ist der E. ebenso wie der Rationalismus eine Form der Bewusstseinsphilosophie. Oft wird als Gemeinsamkeit aller Empiristen die Ablehnung angeborener Ideen und Prinzipien bezeichnet, zumal Locke im ersten Buch seines Essays über den menschlichen Verstand massiv gegen derartige Ideen und Prinzipien polemisiert. Allerdings hat keiner der großen »rationalistischen« Philosophen die von Locke kritisierte Auffassung vertreten, wir besäßen jederzeit ausdrücklich bewusste angeborene Ideen und Prinzipien. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem E. Lockes stellen die Nouveaux Essais von Leibniz dar. Der E. erweckt leicht den Eindruck, er stelle die Philosophie des gesunden Menschenverstandes dar. Dabei wird übersehen, dass der E. ebenso wie der Rationalismus eine erkenntnistheoretische Theorie ist, die bereits auf dem Standpunkt der Reflexion steht. In unserem normalen Bewusstsein erkennen wir nämlich nicht sinnliche Eindrücke oder Gegebenheiten, sondern konkrete Objekte in ihrer Ganzheit. Erst wenn wir diese Erkenntnis genauer analysieren, entdecken wir, dass sie sich zu einem großen Teil – aber nicht ausschließlich – dem verdankt, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen. Da auch Aristoteles, die Scholastik und Kant ebenso wie der E. die These vertreten, dass die menschliche Erkenntnis mit der Erfahrung beginnt, wird diesen philosophischen Richtungen zum Teil auch ein empiristischer Charakter zugesprochen.

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Endlichkeit

J Locke: An essay concerning human understanding; G Berkeley: A treatise concerning the principles of human knowledge; D Hume: An enquiry concerning human understanding. – L Krüger: Der Begriff des E., B 1973; M Benedikt: Der philosophische E., W 1977; L Bonjour: The structure of empirical knowledge, C (Mass.) 1985; H-J Engfer: E. versus Rationalismus?, Pb 1996.

Schöndorf Endlichkeit bedeutet soviel wie Begrenztheit/Beschränktheit und ist ein Zeichen von Unvollkommenheit. Die metaphysische E. besagt, dass etwas von sich selbst her, aufgrund seiner inneren Verfassung, endlich ist. Die E. ist darum ein Merkmal der metaphysischen 3 Kontingenz. Alles, was zerstreut ist, also alles Materielle, ist seinem Wesen nach endlich, da eine wahre 3 Une. nur in einer allumfassenden 3 Einheit und Ganzheit bestehen kann. Im Gegensatz zur Kontingenz liegt bei der E. die Betonung auf den Grenzen. Die E. ist darum in einem stärkeren Maße direkt erfahrbar als die Kontingenz, die erst aus der E. erschlossen werden muss. Die Begrenzung, die der E. zugrunde liegt, kann sich nicht demselben Prinzip verdanken wie die Wirklichkeit selbst, da dieses Prinzip sonst in sich widersprüchlich wäre, denn jede Begrenzung bedeutet eine Negation von Wirklichkeit. Darum hat die thomistische Philosophie die E. auf das Wesen (essentia) zurückgeführt, dem nur eine begrenzte Fassungskraft zu eigen ist. Allerdings kann diese Erklärung nur teilweise befriedigen, weil nun dem Wesen sowohl eine positive (als Natur) als auch eine negative Funktion zugeschrieben wird. Für Denker wie Bonaventura ist die Materie das Prinzip der E., weshalb er den Engeln eine geistige Materie (materia spiritualis) zuschreibt. Für Kant ist die Begrenzung (Limitation) ein eigener Fall der Kategorie der Qualität, der durch die Verbindung von Realität (Sachheit) und Negation zustande kommt. Fichte übernimmt diesen Gedanken und macht die Limitation zum dritten Grundsatz seiner Wissenschaftslehre als 3 Setzung des teilbaren 3 Ich und des teilbaren Nicht-Ich. Hegel verweist darauf, dass das Wissen um eine Grenze bereits deren Überschreitung bedeutet. Kant vertritt die Ansicht, dass unsere Erkenntnis endlich ist, da sie nur innerhalb der Schranken der Anschauung möglich sei. Da der Mensch in seinen Trieben, Wünschen, Sehnsüchten und Begierden keine Grenzen kennt, geschieht die Erfahrung der E. in diesem Bereich durch die Begrenztheit der Erfüllung, die als Mangel erlebt wird und darum darauf verweist, dass die E. nicht die letzte und endgültige Charakterisierung der Wirklichkeit sein kann. Die E. als bloßes Faktum zu charakterisieren, das auf nichts Weiteres mehr verweist, entspricht nicht der gesamten menschlichen Selbsterfahrung. M Wundt: Ewigkeit und E., St 1937; F-J v Rintelen: Philosophie der E. als Spiegel der Gegenwart, Me 1960; R Schenk: Die Gnade vollendeter E., Fr 1989; E Fink:

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Entfremdung

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Welt und E., Wü 1990; R C de Oliveira: Das Denken der E. und die E. des Denkens, B 1999; B Nitsche: E. und Freiheit, Wü 2003; P Kouba: Der Sinn der E., Wü 2005.

Schöndorf Enérgeia 3 Akt Energie 3 Materie Ens 3 Sein Ens rationis 3 Gedankending Entelechie 3 Aristotelismus 3 Form 3 Leben 3 Teleologie Entfernung 3 Raum Entfremdung besagt, dass ein Subjekt die Differenz zwischen der Realität und der von seinem eigenen Wesen vorgezeichneten Selbstverwirklichung schmerzlich empfindet. Diese Differenz kann aus dem Verlust einer schon gegebenen (unvollkommenen) Einheit von Wesen und Existenz hervorgegangen sein. Zentral ist die Kategorie E. in Hegels Darstellung der Selbstverwirklichung der absoluten Idee über ihr Anderssein in Natur und Geschichte, in dessen Aufhebung die Idee zur erfüllten Einheit mit sich selbst gelangt; 3 Dialektik. Hier wird bereits 3 Arbeit als Weise der E. und zugleich als deren Aufhebung verstanden. Marx (beeinflusst durch Hegel und durch Feuerbachs Deutung des Glaubens an Gott als Selbstentzweiung und E. des Menschen von sich selbst) begreift die E. als das Merkmal der bürgerlichen Gesellschaft; sie sei hervorgerufen durch den Verlust der menschlichen Wesenskraft in der zur Ware gewordenen Arbeit; sämtliche Beziehungen innerhalb dieser Gesellschaft, da durch Arbeit gestiftet, sind verdinglicht und somit entfremdet (Lukács); 3 Marxismus. Die existentielle Erfahrung, die endgültige Selbstverwirklichung noch nicht gefunden zu haben, findet im Neuen Testament ihren Ausdruck in der Charakterisierung des Menschen als Pilger und Fremdling. G Lukács: Geschichte und Klassenbewußtsein, 1923; N Lobkowicz: E., in: SDG II, Fr 1968; R Maurer: E., in: HPG II, Fr 1973.

Ehlen Enthymém 3 Schluss Entscheidung Im weiten Sinn des Wortes ist eine E. ein Prozess, durch den etwas Ungewisses und Zweifelhaftes zur Klärung kommen soll. So gebrauchen wir es sowohl in der Alltagssprache als auch im Kontext wissenschaftlicher Theoriebildung, wie z. B. in der E.s- und Spieltheorie (decision theory, game theory), die verschiedene Formen der Wahlrationalität untersuchen. Im engeren Sinn ist das Wort ein ethischer (rechtlicher, politischer, religiöser) Terminus, der in die Domäne der praktischen Vernunft gehört, die der Frage ›Was soll ich tun?‹ nachgeht. Hier bezeichnet es den intentionalen Akt, der einer Handlung unmittelbar vorausgeht und für ihre Ausführung bzw. Un-

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Entwicklung

terlassung maßgeblich ist. Wenn eine Handlung auf die E. eines Menschen (oder einer Gruppe) zurückgeführt werden kann, wird er (oder sie) damit als ihr Ursprung identifiziert und trägt – innerhalb bestimmter Grenzen – Verantwortung dafür. Der Begriff des Freiwilligen und Zurechenbaren ist zwar weiter als der E.sbegriff, weil man auch für Handlungen verantwortlich ist, für die man sich nicht explizit entschieden hat (z. B. für spontan-unreflektierte, gewohnheitsmäßige und willensschwache Handlungen). Aber zu freiwilligem Handeln sind nur Lebewesen fähig, die prinzipiell dazu in der Lage sind, E.en zu treffen. Dieses Vermögen ist ein charakteristisches Merkmal humanen Lebens. Man kann verschiedene Aspekte bzw. Ebenen des Phänomens der E. unterscheiden. Da ist zunächst einmal die grundsätzliche E. darüber, ob eine bestimmte Art des Handelns, die sich aufgrund von Wünschen und Neigungen nahelegt, realisiert werden soll. Wenn sie negativ ausfällt, gilt auch die Unterlassung oder das Aufschieben als Handlung. Wenn sie positiv ausfällt, muss in einem zweiten Schritt aus verschiedenen konkreten Handlungsmöglichkeiten, die gegebenenfalls zur Realisation des allgemeinen Handlungstyps verfügbar sind, eine ausgewählt werden. Das ist z. B. die Aufgabe jener Form von E., die bei Aristoteles ›prohairesis‹ (und bei Thomas v. Aquin ›electio‹) heißt und als »überlegtes Streben nach dem, was in unserer Macht steht« (Nik. Eth. III-V 1113a10) bestimmt wird. Dabei geht es um die Wahl von Mitteln zu einem vorgegebenen Ziel. Und schließlich haben ethische E.en auch eine existenzielle Dimension, die je nach Kontext unterschiedlich stark ausgeprägt ist. In ihnen verhält sich der Mensch nämlich nicht nur zu seinen Wünschen und Neigungen, zu den Forderungen anderer und zu einer vorgefundenen Handlungssituation, sondern – wenigstens implizit – auch zu sich selbst und seinem Dasein als Ganzem und trifft in ursprünglicher Freiheit eine Grunde. darüber, wer bzw. was für eine Art von Mensch er sein will. Auf diesen existenzphilosophischen Aspekt von E.en hat vor allem Kierkegaard hingewiesen, aber auch andere Philosophen wie z. B. Nietzsche, Heidegger, Sartre und Jaspers. Im Unterschied zu einer willkürlichen Dezision, deren Maxime (gemäß C Schmitt) Hobbes’ Diktum »Auctoritas, non veritas facit legem« ist, beruft sich eine ethische E. auf praktische Vernunft, die einer spezifischen Form des ›Wissens‹ verpflichtet ist, das kein Wissen von Gegenständen, sondern ein genuin praktisches, handlungsleitendes Wissen ist. Aristoteles: Nik. Eth. III; S Kierkegaard: Entweder/Oder, 2. Teil; C Schmitt: Politische Theologie, M 2 1934. – H Lübbe: Theorie und E, Fr 1971; O Höffe: Ethik und Politik, Kap. 12, F 1979; M Hollis / W Vossenkuhl (Hg): Moralische E. und rationale Wahl, M 1992.

Trampota Entwicklung Allgemein die allmähliche Veränderung von Dingen oder Anlagen auf einen (definierten) Endzustand hin. Biologisch im Deutschen so-

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Entwicklung

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wohl für das individuelle Werden (Ontogenese) als auch die stammesgeschichtliche Veränderung (Phylogenese, 3 Evolution) gebraucht. Entsprechend der eindeutigen Unterscheidung von E.sbiologie (engl. developmental biology) und Evolutionsbiologie (engl. evolutionary biology) soll im Folgenden E. nur im ontogenetischen Sinn als Entstehung ganzer Lebewesen aus totipotenten Ausgangszellen verstanden werden. Solche totipotenten Zellen entstehen bei der Fortpflanzung entweder geschlechtlich aus der Verschmelzung von Keimzellen oder ungeschlechtlich als unbefruchtete Keimzellen bzw. Sporen; bei der vegetativen Vermehrung können sie auch durch Reprogrammierung bereits differenzierter Körperzellen gebildet werden. Von solcher Totipotenz ist die Pluri- bzw. Multipotenz von Stammzellen zu unterscheiden, deren eingeschränktes E.spotential nur noch die Bildung einer mehr oder weniger großen Anzahl unterschiedlicher Zelltypen zulässt, zum Aufbau des geordneten Formganzen eines Organismus aber nicht mehr in der Lage ist. Auf die Frage nach der Anlage des Formganzen in der totipotenten Ausgangszelle (gewöhnlich das befruchtete Ei) gibt es zwei prinzipielle Antworten: präformistisch oder epigenetisch. Nach präformistischer Auffassung ist das Formganze schon im Ei enthalten, sei es in noch unsichtbarer struktureller Vorbildung (klassischer Präformismus) oder als kybernetisch festgeschriebenes genetisches Programm (Gen-Determinismus). Epigenetisch ist Entwicklung gekennzeichnet durch sukzessive Neubildung vorher noch nicht vorhandener Strukturen. Historisch wurde dafür das Wirken einer immateriellen Bildungskraft bemüht (3 Vitalismus). Heute lässt sich das epigenetische Auftreten neuer Strukturen verstehen als Wechselwirkung von Genom und Organisation: Von einer Ausgangs-Organisation aktivierte Gene führen zu neuer Strukturbildung und diese induziert wieder zusätzliche Genaktivität usw. Darin deutet sich eine Überwindung des alten mechanistischvitalistischen Gegensatzes in der Biologie an: Auf molekularer Ebene sind E.sprozesse mechanistisch interpretierbar; ihre folgerichtige Zusammenfassung zu einem Programm setzt aber die Einbettung in die Ganzheit schon bestehender Organisation voraus (holistischer Organizismus). Die Minimalorganisation, die für den epigenetischen Selbstaufbau des E.sprogramms Voraussetzung ist, definiert den Zustand der Totipotenz bzw. den Beginn der Keimesentwicklung (Embryogenese). Ob das befruchtete Säugerei diese Eigenschaft schon besitzt, ist kontrovers. T Horder u. a.: A History of Embryology, C 1987; C Kummer: Philosophie der organischen E., St 1996; K Sander: Landmarks in Developmental Biology 1883– 1924, B 1997; C Coen: The art of genes, NY 1999; J Slack: Essential Developmental Biology, O 2001; S Gilbert: Developmental Biology, Sunderland (MA) 7 2003; W Müller u. a.: E.sbiologie, B 3 2003; C Nüsslein-Volhard: Das Werden des Lebens, M 2004.

Kummer

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Epikureismus

Epagogé 3 Induktion Epichirém 3 Schluss Epigenese 3 Evolution Epikie 3 Gesetz Epikureismus Epikurs Philosophie wird unterteilt in Kanonik (3 Erkenntnistheorie), 3 Physik (3 Naturphilosophie) und 3 Ethik (Diogenes Laertios X 29 f.). Fundament der Erkenntnis ist die Sinneswahrnehmung. Die Naturphilosophie beruht auf dem Prinzip, dass nichts aus dem Nichtseienden entsteht und nichts ins Nichtseiende vergeht. Das All besteht aus 3 Körpern und dem leeren Raum; die Körper sind aus unteilbaren und unveränderlichen Elementen zusammengesetzt. Auch die Werturteile werden letztlich durch die unmittelbare 3 Empfindung begründet; Kriterium dafür, was zu erstreben und was zu meiden ist, sind 3 Lust und 3 Schmerz. 3 Ziel aller 3 Handlungen ist das Freisein von Schmerz und Furcht. Diogenes Laertios: Leben und Lehre der Philosophen, X. – M Erler: Epikur, in: Philosophen der Antike II, hg. v. F Ricken, St 1996, 40–60; K Algra u. a. (Hg): The Cambridge history of Hellenistic philosophy, C 1999.

Ricken Epiphänomen 3 Emergenz Epistemische Logik 3 Gewissheit 3 Glaube Epistemologie 3 Erkenntnistheorie Episyllogismus 3 Schluss Epoché 3 Phänomenologie 3 Skeptizismus Erbanlage, Erbgut 3 Genetik Ereignis ist im normalen Sprachgebrauch ungefähr gleichbedeutend mit Geschehen, Vorgang, Geschehnis. Während aber der Ausdruck Geschehen stärker an einen eine gewisse Zeit dauernden Vorgang, also an einen Prozess denken lässt, wird unter einem E. im Allgemeinen ein eher punktuelles, momentanes, keine längere Zeitdauer in Anspruch nehmendes Geschehen oder dessen Beginn verstanden. Ferner sieht der Ausdruck E. von der Ursache des betreffenden Geschehens ab und hebt allein das Geschehen als solches hervor. Was offensichtlich einem bestimmten Urheber zuzuschreiben ist, also eine Handlung, wird darum im Normalfall nicht als ein E. bezeichnet, es sei denn, man will damit seinen ungewöhnlichen Charakter hervorheben. Im nichtemphatischen Begriff des E.ses schwingt für gewöhnlich die Konnotation des Zufälligen, des Neuen und Unerwarteten oder des Besonderen und Außergewöhnlichen mit. Andererseits kann man jeden Sachverhalt, jede Tatsache als Resultat eines E.ses verstehen. Vor allem Philosophen, die einen Gegenakzent zur Substanzmetaphysik setzen wollen, betonen das E., das sprachlich nicht als Handlung eines Subjektes, sondern auf unpersönliche Weise formuliert wird, also als ein Geschehen, bei dem es nicht auf den Ur-

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Erfahrung

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heber oder die Ursache, die vielleicht gar nicht bekannt oder benennbar sind, sondern auf den Vorgang als solchen und sein Resultat ankommt. In der Wissenschaftstheorie ist ein E. ein raumzeitlich existierender begrenzter Vorgang, der als Ganzheit aufgefasst wird. Naturgesetzliche 3 Kausalität wird in der analytischen Philosophie gewöhnlich als E.-Kausalität im Gegensatz zur Agens-Kausalität aufgefasst. In einem emphatischen Sinn des Wortes versteht man unter einem E. etwas Besonderes, Ungewöhnliches, sich von anderem Unterscheidendes und Herausragendes. Eine wichtige Rolle spielt der Terminus E. in der Spätphilosophie Heideggers. Für ihn ist das E. das entscheidende Geschehen in der Seinsgeschichte. Es bricht herein und ereignet sich plötzlich und unvorhersehbar, bewirkt ein ursprünglicheres Verhältnis von Mensch und Sein und eröffnet eine neue Weise der Sprache. Es ist für den späten Heidegger der grundlegendste Begriff, den man sich denken kann, und der deshalb auf keinen anderen Begriff mehr rückführbar ist. Denn durch das E. verändert sich das Sein selbst und lässt keine anderen Seinsmöglichkeiten mehr zu. Dabei sieht der späte Heidegger einen engen Zusammenhang zwischen dem E. und dem Menschen sowie der Sprache und der Kunst. M Heidegger: Identität und Differenz, Pfullingen 1957; Unterwegs zur Sprache, Pfullingen 1959; Zur Sache des Denkens, Tü 1969. – U Meixner: E. und Substanz, Pb 1997; C Kanzian: E.se und andere Partikularien, Pb 2001; D Thomä (Hg): Heidegger-Handbuch, St 2003; D Barbaric (Hg): Das Spätwerk Heideggers, Wü 2007.

Schöndorf Erfahrung / Empirie Die Urbedeutung von »erfahren« ist: »durch Fahren (Wandern) etwas erreichen oder erkunden«; erst seit dem 18. Jahrhundert setzte sich der Gebrauch des Wortes für das »bloße Gewahren und Vernehmen« mehr und mehr durch (Grimm). Dem ursprünglichen Sinn am nächsten bleibt der Sprachgebrauch, in dem eine durch langen Um-»gang« mit Menschen und Dingen gewonnene, der Praxis dienende Kenntnis Erfahrung (E.) genannt wird. Jedoch haben sich auch andere Begriffe von E. herausgebildet: Auf der einen Seite nennen manche im Gefolge des britischen 3 Empirismus schon eine einzelne Beobachtung bzw. ein einzelnes inneres Erlebnis »E.«, die aber besser nur als unselbstständige Elemente einer E. zu bezeichnen wären, weil zu E. die Verarbeitung einer gewissen Zahl von Erlebnissen usw. gehört. Auf der anderen Seite steht der E.sbegriff der E.swissenschaften, der auch »Empirie (Em.)« heißt. Em. ist das geplante Aufspüren und Sammeln von hinreichend vielen sinnlichen Daten, die eine angesetzte Hypothese verifizieren oder falsifizieren können. Eine besondere Form der Em., wenn es um die Erkenntnis von Kausalbezügen geht, ist das Experiment: Man probiert aus, welche Folgen sich ergeben, wenn man bestimmte Ausgangsbedingungen systematisch variiert. – Die wissenschaftliche E. unterscheidet sich

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Erfahrung

von der E. im ursprünglichen Sinn durch mehrere Züge: dadurch, dass in ihr die Breite und Tiefe der 3 Sinnlichkeit bewusst eingeschränkt wird auf Daten, deren Form vorpräpariert ist; dadurch, dass die so entstehenden Kenntnisse keinen unmittelbaren Praxisbezug haben, und dadurch, dass das erfahrende Subjekt zwar gebraucht wird, aber im Ergebnis nicht mehr vorkommt. Empirische Erkenntnis ist diesbezüglich neutral und unmittelbar von intersubjektiver Geltung, während E.serkenntnis im alltäglichen Sinn etwas Persönliches ist, zunächst nur subjektiv gilt und nicht unmittelbar übertragbar ist. Geläufig ist die Unterscheidung der inneren von der äußeren E. Äußere E. hat zum Gegenstand die 3 Welt »da draußen«, deren Qualitäten und Ausdehnungen sich durch die äußeren Sinne melden und durch bestimmte Überlegungen erschlossen werden. Analog dazu ist der Begriff der inneren E. gebaut. Er hat zum Gegenstand die Zustände der eigenen 3 Seele, auf deren Wechsel man aufmerksam wird und mit denen man seine E.en macht: zunächst die 3 Stimmungen, dann auch die Akte des Wahrnehmens, Denkens, Liebens und Hassens selbst, die von einem schweigenden Bewusstsein begleitet werden und durch 3 Reflexion ausdrücklich bewusst werden können. Alle E. hat ein sinnlich-rezeptives und ein geistiges Element. Dieses kann sich spontan hineinmischen, wie im Falle der einfachen 3 Kategorien (d. h. Formen des Wahrnehmungsurteils) usw. Es kann aber auch als bewusste Deutung mit Hilfe von konkreten Begriffen und Erklärungen der Natur, der Herkunft und des Sinns der Phänomene auftreten. E.en sind also immer so oder so gedeutete E.en. Die letzten Möglichkeitsbedingungen von E. sind Gegenstand der 3 transzendentalen Erkenntnis. Es sind einerseits die Stammbegriffe (wie »ist«, »nicht«, »etwas«, »gut« usw.) und die Prinzipien, in denen Sein überhaupt erfasst wird, wie das Prinzip der Identität und des Widerspruchs sowie evtl. das Prinzip des Grundes, – und andererseits das Ich als subjektiver Pol allen geistigen Erfassens selbst. Manche Autoren sind der Meinung, dass diese Erkenntnis nicht nur auf einer Reflexion, sondern auch auf einer Intuition beruht, und geben ihr deshalb den Namen »transzendentale E.«. Entsprechend der Gliederung der kritischen Philosophie Kants (und in Erinnerung an die 3 Transzendentalien der 3 Scholastik) hat man im Neukantianismus neben der wissenschaftlichen E. noch drei andere Formen geistiger Erfassung unterschieden. Es ist die ästhetische E., in der sich etwas als schön zeigt. Es ist die ethische E., in der man die Stimme seines 3 Gewissens hört. Und es ist die religiöse E., durch die sich das »Heilige« erschließt. H Dörrie: Leid und E., Wi 1956; J B Lotz: Transzendentale E., Fr 1978; A Gehlen: Vom Wesen der E., F 1983; N Hinske: Lebense. und Philosophie, St 1986; W Röd: E. und Reflexion, M 1991; D Claußen u. a.: Philosophie und Em., F 2001; H Heuermann: Welt und Bewußtsein, F 2002; B Waldenfels: Bruchlinien der E., F 2002; F Ricken (Hg): Religiöse E., St 2004.

Haeffner

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Erkenntnis

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Erhaben 3 Schönheit Erhaltung der Welt 3 Schöpfung Erinnerung 3 Gedächtnis Erkennen Gottes 3 Gottes Eigenschaften Erkenntnis Das Wort E. kann sowohl den Vorgang des Erkennens als auch das Resultat dieses Vorgangs meinen. Die E. ist Sinn und Zweck unseres Denkens. Wenn eine E. zutreffend ist, d. h. wenn sie die Wirklichkeit so darstellt, wie sie tatsächlich ist, so nennen wir diese E. wahr. Ausdruck der menschlichen E. ist die Sprache, durch die wir unsere E.se anderen mitteilen, die wir aber auch in unserem eigenen Inneren zum Artikulieren und Ausformulieren unserer E.se benutzen. Im Deutschen kann Erkennen als der gegenwärtige Wissenserwerb von Wissen als dem geistigen Besitz des Erkannten unterschieden werden. Die frühe Neuzeit hat die verschiedenen Weisen der E. unter dem Sammelbegriff Perzipieren, Perzeption zusammengefasst. Die E. ist ebenso wie jedes Denken als Vorgang nicht von außen her beobachtbar, sondern nur vom Erkennenden selbst her zugänglich. Eine Wissenschaft, die nur das untersucht, was intersubjektiv überprüfbar ist und mit bestimmten Methoden und Instrumenten gemessen werden kann, kann darum die E. selbst weder feststellen noch erklären, sondern nur Faktoren untersuchen, die seitens des Organismus oder der Umwelt auf die E. einwirken. E. ist nur möglich, weil es eine Offenheit des Menschen auf die Wirklichkeit und der Wirklichkeit auf den Menschen hin gibt. Diese radikale Offenheit zeigt sich daran, dass wir uns immer die Frage stellen können, ob unsere E. bloß subjektiv oder anthropomorph (wörtlich: menschenförmig; d. h. nur unter menschenbezogener Rücksicht betrachtet) ist, da wir mit einer solchen Fragestellung die eingeschränkte Perspektive bereits überwunden haben. Die E. ist eine Art Abbild oder Repräsentation (lat. Vergegenwärtigung) der Wirklichkeit. Man kann auch von einer Gleichförmigkeit (Isomorphie) oder Angleichung (3 Wahrheit) sprechen. Wer diese Repräsentationstheorie der E. rundheraus ablehnt, kann nicht erklären, wieso wir etwas über die Wirklichkeit wissen können, wenn dieses Wissen nicht in irgendeiner Weise mit der gewussten Wirklichkeit übereinstimmt. Dies bedeutet aber nicht, dass es sich bei der E. um eine gleichsam mechanische passive Abspiegelung der Wirklichkeit in uns handeln würde. Eine rein passiv verstandene Abbildoder Repräsentationstheorie ist unhaltbar. Denn die E. ist ein rezeptives und zugleich aktives Geschehen. Dies gilt sowohl für die sinnliche als auch für die geistige E. (3 E.vermögen). Beide Arten von E. erfordern eine aktive Hinwendung, Aufmerksamkeit, Auswahl und Akzentuierung, müssen aber zugleich eine Entgegennahme und Bewusstmachung der uns vorgegebenen Wirklichkeit sein, wenn es sich um E. und nicht um Fiktion handeln soll. Dies lässt sich an der E. anderer Menschen klarmachen. Wir haben einen ganzheitlichen Eindruck von dem, was ein anderer Mensch ausdrückt, tut und sagt. Aber

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Erkenntnis

wir machen uns damit zugleich ein bestimmtes Bild von ihm. Am deutlichsten wird dies, wenn wir ein Gespräch mit jemandem führen, den wir nicht immer ganz leicht oder sofort verstehen. Dann wird uns nämlich bewusst, dass wir seine Aussage ebenso nachkonstruieren müssen wie einen schwierigen Text. Im Grunde gilt dies für alle E. Aber dies bedeutet nicht, dass wir ein eigenes Produkt an die Stelle des rezeptiv Erkannten setzen würden, sondern es heißt, dass wir es uns geistig zu eigen machen. Erkennen im Vollsinn gibt es erst dann, wenn wir etwas verstehen. Etwas verstehen heißt aber, es für und in sich selbst rekonstruieren. Unsere E. ist eine Re-Konstruktion der Wirklichkeit. Dies heißt, dass sich unsere E. an der Wirklichkeit orientiert und an ihr gemessen werden muss, dass sie aber andererseits auch ein konstruktives Moment enthält. Sie ist und bleibt unvollständig und muss von uns schrittweise immer weiter erfahren, erarbeitet und durchdacht werden. Da die menschliche E. sowohl ein rezeptiver als auch ein aktiver Vorgang ist, ist es nicht verwunderlich, dass die verschiedenen e.theoretischen Positionen oft den realistischen oder den idealistischen (konstruktiven, selektiven, perspektivischen) Aspekt unserer E. über Gebühr herausheben und so zu einseitigen und unrichtigen Auffassungen der E. gelangen. Die Rekonstruktion der Wirklichkeit erfolgt in einer bestimmten Sprache und Terminologie. Daraus folgt aber nicht, dass dies darum zu einer Verzerrung oder unrichtigen Darstellung der Wirklichkeit führen müsste oder dass das, was in verschiedener Terminologie formuliert wird, auch Unterschiedliches bedeutet. Denn die Unvollständigkeit unserer E. bedeutet noch keine Falschheit, solange sie als solche bewusst ist und nur Akzente setzt, ohne das Wesentliche zu verfehlen; und diese Unvollständigkeit kommt auch darin zum Ausdruck, dass nicht jede E. den Sachverhalt, auf den sie sich bezieht, in genau gleicher Weise darstellt. Die E. von anderem ist diejenige Vereinigung mit dem anderen, bei der man nicht aus sich herausgeht (operatio immanens: innere Tätigkeit), sondern bei sich bleibt – sie ist die Gegenwart von anderem (Vergegenwärtigung = re-praesentatio), und zwar gerade als anderem in unserem eigenen Selbst, also die Gegenwart dessen, was nicht ich bin, in mir und zwar in der Weise seines Nicht-Ich-Seins. Ich bin »draußen« beim anderen insofern und dadurch, dass dieses andere bei und in mir ist. Erkennen ist Bei-sich-Sein im Beim-anderen-Sein und zugleich umgekehrt Beim-anderen-Sein im Beisich-Sein. In gewissem Sinn gilt dies auch für die Selbste. (3 Selbstbewusstsein), denn auch in diesem Fall werde ich mir zum Objekt und insofern in gewisser Hinsicht zu etwas anderem. Erkennen ist somit diejenige spezifisch menschliche intentionale Tätigkeit, die die Wirklichkeit als solche zugleich erfasst und sein lässt, wobei es also um Wahrheit geht. Wenn Erkennen »gelingt«, wenn ich zu Wissen gelange, so wird mir die Wirklichkeit als solche im Bewusstsein präsent, was ich mir – rezeptiv und aktiv zugleich – im Akt der Zustimmung (Bejahung) zu eigen mache und als Urteil (Aussage, Proposi-

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Erkenntnis

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tion) sprachlich formuliere, wobei ich mir in der Reflexion diesen Vollzug des Erkennens selbst (ebenso wie alle anderen bewussten Vollzüge) als solchen nochmals bewusst machen kann. E. ist die Einheit (Identität) des erkennenden Subjekts mit dem erkannten Objekt als solchem. Im Vollzug der E. fallen Erkennendes und Erkanntes in eins: Es gibt das erkennende Subjekt nur, insoweit es ein Objekt erkennt; und es gibt ein erkanntes Objekt nur, insoweit es von einem Subjekt erkannt wird. Dabei ist aber festzuhalten, dass trotz dieser Identität Subjekt und Objekt (außer bei der Selbste.) voneinander verschieden bleiben, um diese Einheit nicht idealistisch misszuverstehen (3 Idealismus). Wenn ich etwas Rotes erkenne, so wird dieses Rot zwar Teil von mir, insofern es als erkanntes Objekt »in« meinem Bewusstsein ist, aber es bleibt zugleich das mir gegenüber andere. Wir haben es mit einer Identität in Verschiedenheit zu tun. Denn in der E. geht das Erkannte gerade nicht in seinem Erkanntsein auf, sondern es wird, wenn es als Existierendes erkannt wird, als etwas erkannt, das über sein (nie vollständig) erkanntes Sosein hinaus sein eigenes Dasein besitzt. Die aristotelisch-scholastische Auffassung vom Zustandekommen der E. (die man E.metaphysik nennen kann) sieht darin das Aufnehmen der E.form, des »E.bildes« (»species«) durch das entsprechende E.vermögen. Die species sensibilis (sinnliches E.bild) oder die species intelligibilis (geistiges E.bild) wird als species impressa (eingeprägtes E.bild) vom entsprechenden E.vermögen aufgenommen und zur species expressa (ausdrückliches E.bild), dem »inneren Wort« (verbum mentis) umgebildet. Die ursprüngliche E. ist immer schon personal. Dies zeigt sich auch am Animismus ursprünglicher Kulturen und kleiner Kinder, d. h. an deren Tendenz, alle Objekte nach der Art beseelter Lebewesen aufzufassen. Dies entspricht der Tatsache, dass wir zunächst einmal anderes soweit wie möglich als ein uns ähnliches Gegenüber auffassen, mit dem wir in Kontakt treten können. Bestimmte Objekte als nur materiell aufzufassen, ist das Resultat einer Abstraktionsleistung, die dann freilich zu einem prägenden Merkmal unserer Kultur und ihrer stark auf Sachen bezogenen Ausrichtung wurde (vgl. die Rolle von Naturwissenschaft und Technik). 3 E.theorie 3 Wahrheit. E Cassirer: Phänomenologie der E., Da 9 1990; J de Vries: Grundbegriffe der Scholastik, Da 3 1993; S L Frank: Der Gegenstand des Wissens, Fr 2000. – P Janich: Was ist E.?, M 2000; H Lenk: Das Denken und sein Gehalt, M 2001; H Seidl (Hg): Erkennen und Leben, Hi 2002; C Sedmak: Erkennen und Verstehen, I 2003; R M Chisholm: E.theorie, Bamberg 2004; A Keller: Allgemeine E.theorie, St 3 2006; N Rescher: Studies in epistemology, F 2006; B Weissmahr: Die Wirklichkeit des Geistes, St 2006.

Schöndorf Erkenntniskritik, -lehre 3 Erkenntnistheorie

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Erkenntnistheorie

Erkenntnistheorie Der Ausdruck E. scheint zum ersten Mal in der Zeit um 1820 bis 1830 gebraucht worden zu sein. Die damit gemeinte Sache ist freilich älter und geht bis in die Antike zurück, wurde aber in früheren Zeiten in Verbindung mit der Metaphysik oder der Logik behandelt. Die Vorordnung der erkenntnistheoretischen Fragestellung vor der Metaphysik beginnt bei Descartes, der seine Meditationen als erste Philosophie, d. h. als Metaphysik bezeichnet, sie aber mit der Frage nach unbezweifelbarem Wissen beginnt. Locke scheint als Erster ein Werk mit einer ausdrücklich erkenntnistheoretischen Zielsetzung zu schreiben, nämlich den Essay Concerning Human Understanding (Versuch über den menschlichen Verstand), in dem er Ursprung, Gewissheit und Umfang der menschlichen Erkenntnis untersuchen will. Kant nimmt diese Fragestellung in seiner Kritik der reinen Vernunft (daher die Bezeichnung »Erkenntniskritik«) auf und unterscheidet dieses Vorhaben von der erst später zu erfolgenden Metaphysik. Dies wird besonders deutlich im Titel seines Werkes Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, das eine einführende Kurzfassung seiner Kritik der reinen Vernunft darstellt. Die E. im metaphysischen Sinn fragt danach, was Erkenntnis philosophisch ist und wie sie sich philosophisch erklären lässt. Die neuzeitliche E. (auch Erkenntnislehre, Erkenntniskritik, Gnoseologie, Epistemologie, Noëtik, Noologie o. ä. genannt) fragt vor allem nach der Geltung oder Gültigkeit der Erkenntnis, also nach der Wahrheit. Diese Frage darf weder mit der Frage nach der genetisch-historischen Entstehung der Erkenntnis noch mit der Frage nach den tatsächlich auftretenden Formen von Erkenntnis und ihren verschiedenen Zusammenhängen verwechselt werden. Die Genese der menschlichen Erkenntnis wird von der Biologie untersucht; die faktischen Zusammenhänge unserer verschiedenen Erkenntnisse untersuchen Psychologie und Soziologie. Diese Wissenschaften samt ihren Verzweigungen wie der Evolutionstheorie und der Physiologie können aber nicht die Frage nach der Wahrheit der Erkenntnis klären. Die Physiologie vermag nur anzugeben, welche Gehirnvorgänge welchen Vorgängen im menschlichen Bewusstsein entsprechen. Die Biologie kann nur angeben, mit welchen Verhaltensweisen ein Lebewesen auf die Reize seiner Umwelt reagieren muss, um in dieser Umwelt überleben zu können. Dabei zeigt sich aber, dass nur eine Reaktion auf die überlebensrelevanten Faktoren nötig ist. Hierzu ist, wie das Tierreich zeigt, eine realistische wahre Erkenntnis der Welt nicht notwendig. Ferner betreffen alle diese Weisen von Erkenntnis nur die lebensweltliche Alltagserkenntnis. Die Philosophie hat aber immer die viel weiter gehende Frage gestellt, ob und inwieweit wir das wahre Wesen der Wirklichkeit zu erkennen vermögen. Und sie stellt die Frage, ob unsere Erkenntnis tatsächlich realistisch ist, d. h. die Welt so erfasst, wie sie ist, oder ob wir uns eine eigene, uns gemäße Vorstellung der Welt machen, die der eigentlichen Wirklichkeit gar nicht ent-

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Erkenntnisvermögen

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spricht (3 Realismus). Solche Fragen können nicht durch die Erforschung der Sinnesorgane, der Nerven und des Gehirns oder des Verhaltens geklärt werden, sondern bedürfen philosophischer Überlegungen. Die spezielle Fragestellung der neuzeitlichen E. ergibt sich daraus, dass bereits die frühneuzeitliche Wissenschaft nicht mehr wie früher eine Verfeinerung und Präzision unserer Alltagserkenntnis (des »common sense«) darstellt, sondern in entscheidenden Punkten im Gegensatz dazu steht, wie vor allem die Astronomie und die Teilchenphysik zeigen. In der analytischen E. geht es vor allem um die Rechtfertigung der für wahr erachteten Erkenntnisse und Behauptungen. Dabei wird unterschieden zwischen dem Internalismus, der eine rein bewusstseinsinterne Rechtfertigung anstrebt, und dem Externalismus, für den die Wahrheit unserer Erkenntnisse von den Tatsachen selbst verursacht wird. E.n, die in der Tradition von Descartes und Husserl die gesamte Erkenntnis auf ein gewisses und möglichst unbezweifelbares Fundament aufbauen wollen (3 Evidenz), werden in der analytischen Philosophie meist als Foundationalism (Fundationalismus oder Fundamentalismus) bezeichnet. Die Fragestellung der E. lässt sich somit in zweifacher Hinsicht aufgliedern: 1. Die Analyse der menschlichen Erkenntnis: Was ist Erkenntnis, und was macht die speziell menschliche Erkenntnis aus? Welche Elemente lassen sich innerhalb der menschlichen Erkenntnis unterscheiden? Diese Fragestellung kann auch Erkenntnismetaphysik genannt werden. – 2. Die Frage nach der Gültigkeit dieser Erkenntnis, also nach der Wahrheit: Bleiben wir der Täuschung und dem Irrtum verhaftet oder gelangen wir in unserer Erkenntnis zur Wirklichkeit? Richtet sich unser Erkennen nach der Wirklichkeit oder schaffen wir uns ein von uns gemachtes Gebilde, das wir fälschlich für die Wirklichkeit halten? Welche Maßstäbe (Kriterien, Kriteriologie) für wahre Erkenntnis gibt es? Diese Fragestellung wird auch als Erkenntniskritik bezeichnet. Zu einer eigenen Disziplin hat sich bereits in der Antike die 3 Logik und seit dem 18. und 19. Jahrhundert die 3 Wissenschaftstheorie entwickelt. E Husserl: Allgemeine E. – G Gabriel: Grundprobleme der E., Pb 1993; R Spaemann: Was heißt »wirklich«?, Waakirchen-Schaftlach 2000; P Baumann: E., St 2002; P K Moser (Hg): The Oxford handbook of epistemology, O 2002; H Schnädelbach: E. zur Einführung, HH 2002; N Rescher: Epistemology, Albany 2003; J König: Probleme der E., Norderstedt 2004; H G Ruß: Wissenschaftstheorie, E. und die Suche nach Wahrheit, St 2004; U Meixner (Hg): Focus, Pb 2005; K Zeyer: E. im 20. Jahrhundert, Hi 2005; A Keller: Allgemeine E., St 3 2006; N Rescher: Studies in epistemology, F 2006.

Schöndorf Erkenntnisvermögen sind Fähigkeiten, die wir besitzen, und sind von den körperlichen Organen (gr. órganon: Werkzeug), die als Mittel für die Er-

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Erklärung

kenntnis nötig sind, zu unterscheiden. Die Fähigkeit der Erkenntnis kommt im eigentlichen Sinn nicht den E., sondern dem Menschen als solchem zu. In einem uneigentlichen Sinn kann man sie jedoch auch den verschiedenen E. und -organen zusprechen. Die Unterscheidung zwischen den verschiedenen E. entstammt (wie jede Rede von verschiedenen Vermögen oder Fähigkeiten) dem Rückschluss aus der Unterscheidung zwischen verschiedenen Weisen und Komponenten der Erkenntnis. Wenn sich die menschliche Erkenntnis aus qualitativ unterschiedlichen Bestandteilen zusammensetzt, so muss sie sich auch verschiedenen E. oder einem differenzierten E. verdanken. Das niedere, auch den Tieren zukommende E. ist die 3 Sinnlichkeit, das höhere ist das nur dem Menschen zukommende geistige E., das als 3 Verstand, 3 Vernunft oder Intellekt bezeichnet wird. Verstand und Vernunft können genauer voneinander unterschieden werden, werden aber oft bedeutungsgleich verwendet. Zwischen niederem und höherem Vermögen sind in der aristotelisch-scholastischen Tradition der Gemeinsinn (sensus communis) und die Schätzungskraft (vis aestimativa) angesiedelt, die die für sich genommen völlig heterogenen Wahrnehmungen der verschiedenen Sinne zu einer Gesamtwahrnehmung verbinden. Ohne diese Fähigkeit würden wir nicht visuelle Eindrücke und Tasteindrücke demselben Gegenstand oder die sichtbare Gestalt und die gehörten Worte derselben Person zuschreiben. Der lat. Ausdruck sensus communis hat dann in den modernen Sprachen oft die Bedeutung »gesunder Menschenverstand« erhalten (common sense, sens commun). Fundamentale Voraussetzung aller Erkenntnis ist ferner das Gedächtnis oder Erinnerungsvermögen. Die Rolle der Koordination der verschiedenen Sinne wird von anderen Philosophen der Einbildungskraft zugedacht, wobei die ganzheitliche Wahrnehmung immer auch sinnliche Elemente enthält, die von der Einbildungskraft spontan als Ergänzung oder Korrektur hinzugefügt werden, wie etwa die Rückseite des Gesehenen oder die Einfügung oder spontane Interpretation nicht genau gehörter Töne. Eine weitere Aufgabe der Einbildungskraft besteht darin, Vergangenes wieder sinnlich zu vergegenwärtigen oder freie Fantasievorstellungen hervorzurufen. Aristoteles und die Scholastik schreiben der Sinnlichkeit die Erfassung der sinnlichen Form zu, während der Verstand die geistige Form erfasst. Für Kant hingegen ist die Sinnlichkeit die Rezeptivität des anschaulich Gegebenen, das dann durch den Verstand begrifflich geordnet wird. 3 Erkenntnistheorie. Aristoteles: De anima; T v Aquin: In de anima; STh I 78 f.; F Suárez: De anima; I Kant: KrV. – L Habrich: Pädagogische Psychologie, Bd. 1, M 6 1921; T Roelcke: Die Terminologie der E., Tü 1989.

Schöndorf Erklärung (lat. explicatio, explanatio) ist die Offenlegung und Entfaltung eines Zusammenhangs, um so zum (besseren) Verständnis der betreffenden Sache zu gelangen. Denn die bloße Kenntnis von Wörtern oder von isolierten

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Erklärung

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Fakten ermöglicht noch kein Verstehen und darum noch kein eigentliches Wissen. Die E. im Sinn einer öffentlichen Kundgabe einer bestimmten Meinung oder Auffassung (»eine E. abgeben«) ist eine Stellungnahme, Deklaration, Proklamation oder ein Manifest. Zumeist handelt es sich dabei um eine E. im doppelten Sinn: um die Darstellung einer Position und zugleich um ihre Begründung. Die E. der 3 Bedeutung eines Wortes geschieht durch die 3 Definition oder, weniger genau, durch eine Umschreibung. Eine reale Definition ist auch eine E. des Wesens der betreffenden Sache. Die E. einer Handlung besteht in der Darlegung ihres Ziels, ihrer Beweggründe (3 Motive), ihrer sonstigen 3 Ursachen oder der Weise und Mittel ihrer Ausführung. Die E. eines Gedankengangs besteht in der Darlegung der 3 Gründe und der Regeln des gedanklichen Zusammenhangs (3 Logik). Die E. eines Prozesses oder Geschehens und somit eines kontingenten Faktums besteht in der Entfaltung des Zusammenhangs seiner einzelnen Momente oder Teilvorgänge (Frage: wie?) oder in der Darlegung seiner Ursachen und Zwecke samt den übrigen bedingenden Faktoren (Frage: warum?: kausale E.). Eine E. muss die spezifisch relevanten Faktoren darlegen und nicht Gründe, die auch etwas anderes erklären könnten. Sie kann je nach Fragestellung und Wissenschaft unter verschiedener Rücksicht geschehen und unterschiedlich weit reichen. Eine in jeder Hinsicht hinreichende E. ist nur durch eine 3 Letztbegründung möglich. E.en zu liefern, ist die Aufgabe der Wissenschaften. Zum eigentlichen Wissen gehört seit Aristoteles die Kenntnis der Ursachen. Dilthey schreibt den Naturwissenschaften die E. zu, die hypothetisch Ursachen sucht, während den Geisteswissenschaften das Verstehen zukommt, das eine Art Einfühlung darstellt. Windelband unterscheidet das nomothetische Vorgehen der Naturwissenschaften von der idiographischen Methode der Kulturwissenschaften. Dem widerspricht aber, dass auch in den Geistes- und Kulturwissenschaften ein Geschehen aus seinen Zusammenhängen heraus als Ergebnis bestimmter Ursachen und Bedingungen nach bestimmten Regeln verstanden wird, mögen diese auch weniger streng sein als bei den Naturwissenschaften. Erklären und Verstehen sind keine Alternative, sondern die E. ist das Mittel, um zum Verständnis zu führen. Von Hempel und Oppenheim stammt das deduktiv-nomologische E.sschema, bei dem aus den Antezedensbedingungen und den Gesetzen, die beide zusammen das Explanans (Erklärende) bilden, mit deduktiver Notwendigkeit das Explanandum (zu Erklärende) folgt (3 Kausalität). Aber dieses Schema braucht weitere Zusatzannahmen, um Scheine.en zu verhindern, die auf Faktoren rekurrieren, die offensichtlich nicht kausal wirksam oder spezifisch relevant sind. 3 Wissenschaftstheorie.

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Erleben

W Windelband: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, 1892; Geschichte und Naturwissenschaft; Sb 1894; Einleitung in die Philosophie; Tü 1914; C G Hempel / P Oppenheim: Studies in the Logic of Explanation, in: Philosophy of Science 15 (1948), 135–175; G H v Wright: Erklären und Verstehen, F 1974; W Stegmüller: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie I, B 2 1983; W Dilthey: Gesammelte Schriften 5 u. 7, Gö 2006.

Schöndorf Erlanger Schule 3 Konstruktivismus Erläuterungsurteil 3 Analytisch Erleben meint umgangssprachlich bewusst anwesend sein, wenn etwas geschieht. Daraus werden zwei Dimensionen des E.s sichtbar: Die Unmittelbarkeit des Selbst-Erlebten, das zuerst noch vor-begrifflich ist und sich von einer von außen vermittelten Darstellung eines Sachverhaltes unterscheidet. Die zweite Dimension ist die Zeitlichkeit (3 Zeit). Jedes E. hat eine Dauer. Man muss hier zwischen der physischen Zeit, die vergeht, während etwas erlebt wird, und der subjektiv gefühlten Zeit, deren Verstreichen man erlebt, unterscheiden. So kann die gefühlte Dauer eines Ereignisses länger oder kürzer sein als die physische Zeit, die tatsächlich vergeht. E. beschreibt unser je individuelles Aufeinandertreffen mit der 3 Welt, sofern wir sie durch unsere Sinne (3 Sinnesqualitäten) erfahren. E. stellt aber nicht einen bestimmten Teil unserer 3 Wahrnehmung dar, es bildet vielmehr die maximale Extension des 3 Subjektiven. So tritt im/mit (dem) E. die 3 Qualität des Wahrnehmungsinhaltes »für mich« ins 3 Bewusstsein. Ich kann nicht nur fragen, »was ich erlebt habe«, sondern auch »wie es sich angefühlt hat«. Jeder Bewusstseinsinhalt hat immer schon eine Qualität »für mich«, weil er, nur indem er von mir erlebt wird, Teil des Bewusstseins werden kann. Alles, was ich tue, fühlt sich eben »so und so« an. Auch die Informationsverarbeitung (3 Information) (Kognition/Erkennen) eines Lebewesens ist niemals frei von der Komponente des E.s, nämlich der Qualität des Inhaltes, der sich »so und so« »für mich« anfühlt. Alles, was ich erlebe, ist subjektiv, also nur mir zugänglich. Es ist dasjenige, das dem Gegenüber immer verschlossen bleibt, im Gegensatz zum 3 Verhalten, das als notwendigerweise beobachtbar definiert ist. E. und Verhalten sind jedoch keine Alternativen, sondern komplementäre, aufeinander einwirkende Prozesse. E. ist, wenn nicht notwendige Voraussetzung, dann ein möglicher Anlass für Verhalten (Handeln) und dieses wird wiederum erlebt. Auch Emotionen werden erlebt. Sie sind Teil des E.s. Ebenso wie kognitive Inhalte sind uns Emotionen nur bewusst, wenn wir sie e. oder erlebt haben. Insofern ist E. jenes Moment des Geistigen, in dem Emotionen zusammen mit kognitiven Inhalten in ihren wechselwirkenden Verbindungen auftreten.

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Erscheinung

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Emotionen sind nicht lediglich die »Färbung« oder eine Qualität kognitiver Inhalte. Im E. sind diese beiden – häufig als Antagonisten des Geistigen verstandenen – Bewusstseinsinhalte gleichwertig und untrennbar verbunden. Erst die Reflexion macht eine Unterscheidung des Erlebten in Informationen (Kognition) und Emotion möglich. T Hermann u. a. (Hg): Handbuch psychologischer Grundbegriffe, M 1977; T Nagel: Wie ist es eine Fledermaus zu sein, in: Analytische Philosophie des Geistes, hg. v. P Bieri, Bodenheim 2 1993; D Chalmers: Das Rätsel des bewußten E.s, in: Spektrum der Wissenschaft 1996/2; H Goller: Das Rätsel von Körper und Geist, Da 2003.

Kummer-Sandner Erleiden 3 Leiden Erleuchtung (Augustinus) 3 Illumination Eros 3 Platonismus Erscheinung / Phänomen (gr. phainómenon, lat. phaenomenon, apparentia, apparitio) ist das, was sich uns, d. h. unserer Erkenntnis überhaupt oder unserer sinnlichen Wahrnehmung zeigt. Dies kann in einem mehrfachen Sinn verstanden werden: a) Als die besondere Offenbarung, Kundgabe von jemandem oder etwas, was normalerweise nicht und nur unter besonderen Umständen wahrnehmbar oder erkennbar ist. Dies gilt vor allem für numinose oder göttliche E.en (Visionen). b) Als die E. des Seienden, wie es sich in der normal und klassisch verstandenen Erkenntnis zeigt. In diesem Fall erscheint das Seiende so, wie es tatsächlich ist. Es gibt sich uns zu erkennen. In diesem Sinn wird der Ausdruck E. normalerweise in der P.ologie (Husserl, Heidegger) verwendet, die davon ausgeht, dass sich das Seiende selbst zeigt, sofern man es ihm mit der richtigen Methode ermöglicht, sich als solches unverstellt zu zeigen. c) Als die E., die im Gegensatz zu dem Seienden steht, wie es an sich selbst ist. Dies ist der Fall bei Kant, der die E., die er auch als phaenomenon bezeichnet, vom 3 Ding an sich unterscheidet. Unsere theoretische Erkenntnis erreicht nur die E., die im Gegensatz zum für uns theoretisch unerkennbaren Ding an sich durch unsere subjektiven apriorischen Formen (Raum, Zeit und die Kategorien) geprägt ist. Schon Leibniz nennt den Körper ein phaenomenon bene fundatum (wohlbegründete E.) im Gegensatz zur eigentlichen Wirklichkeit der 3 Monade. Im Grund geht dieser Gedanke auf Platon zurück, der im Höhlengleichnis unsere Alltagswelt im Gegensatz zum Bereich der Ideen als eine Welt der Schatten charakterisiert. Bei Kant ist die E. kein trügerischer Schein, sondern die intersubjektive und somit objektive Welt unseres Alltags und unserer Naturwissenschaft, die nach allgemeinen und notwendigen Gesetzen geregelt ist. d) Bei manchen Autoren wird die E. mit dem Schein gleichgesetzt oder

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Esoterik

rückt in seine Nähe. Letzteres ist z. B. bei Schopenhauer der Fall, bei dem der Ausdruck E. zwischen der kantischen Bedeutung und der Interpretation als bloßer Schein schwankt. Der Ausdruck »Die P.e retten« (gr. sózein tà phainómena) wurde ursprünglich von den griechischen Astronomen verwendet, um darauf hinzuweisen, dass die Hypothesen und Theorien so sein müssen, dass sie die sinnlich feststellbaren Daten erklären. Seit Galilei wurde hieraus eine allgemeine wissenschaftliche Forderung. Man könnte auch sagen: Die P.e müssen erklärt und dürfen nicht »wegerklärt« werden. I Kant: KrV, B 33–73; 294–315; G W F Hegel: Enzyklopädie, §§ 131–141; E Husserl: Die Idee der P.ologie, 41–52. – J Mittelstraß: Die Rettung der P.e, B 1962; H Melenk: Das P. Entwicklung und Kritik des Husserlschen P.begriffs, Wü 1968; G Prauss: E. bei Kant, B 1971; R Paimann: Die Logik der E.; F Heiler: E.sformen und Wesen der Religion, St 1979.

Schöndorf Erste Intention 3 Reflexion Erste Materie 3 Materie Erste Philosophie 3 Metaphysik Erster Beweger 3 Gott 3 Gottesbeweis Erstreben 3 Streben Erweiterungsurteil 3 Analytisch Erziehung 3 Pädagogik Erzwingbarkeit 3 Recht 3 Zwang Es 3 Dialogphilosophie, 3 [348] Esoterik Bezeichnete das Eigenschaftswort »esoterisch« (»nach innen«, für einen Innenkreis) in der griechischen Antike nur Abhandlungen eines Philosophen, die Schülern mit der nötigen Vorbildung vorbehalten waren – im Unterschied zu seinen »exoterischen« (»nach außen«) Texten – so wurde das Substantiv E. (französisch: ésotérisme) seit E Lévi um 1870 als Sammelbegriff für Auffassungen gebräuchlich, die vom naturwissenschaftlichen und aufklärungsorientierten Denken abweichen. (Häufiges Synonym: Okkultismus.) Das Charakteristische der E. liegt heute nicht in bestimmten Auffassungen, sondern im Erkenntnisanspruch, mit dem man sie vertritt. E. sieht bewusst von den Rationalitätskriterien modernen wissenschaftlichen und weltanschaulichen Denkens ab und beruft sich auf eine besondere, höhere Erkenntnis – Intuition, Weisheit, ganzheitliches Bewusstsein oder übersinnliche Erkenntnis genannt –, die sich angeblich nur einem Innenkreis von entsprechend Sensiblen, Erleuchteten, spirituell Fortgeschrittenen oder Eingeweihten in der Vergangenheit erschlossen hat oder heute erschließt: aus geheimen Überlieferungen, vorwissenschaftlichen Welt- und Menschenbildern, Offenbarungserlebnissen großer Medien, eigenen Intuitionen, spiritistischen Kontakten oder symbolischer Deutung von Gestirnen, Handlinien,

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Essentialismus

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Kartenbildern u. a. Von einer religiös-spirituell interessierten E. (3 Theosophie 3 Anthroposophie, Transpersonalisten, Universelles Leben) bis zu medizinischen und psychologischen Lebenshilfe-Angeboten (Astrologie, Tarot, I Ging, Reiki, Kinesiologie) umfasst die gegenwärtige E. ein breites Spektrum. Ihr intuitionistischer Erkenntnisanspruch fördert die Neigung, sich der Argumentationspflicht zu entziehen und gegen Kritik zu immunisieren. E Runggaldier: Philosophie der E., St 1996; B Grom: Hoffnungsträger E.?, Rb 2002.

Grom Esse 3 Sein Essentia 3 Wesen Essentialismus (von lat. essentia: Wesen) hat zwei Bedeutungen: a) Als Gegensatz zum 3 Nominalismus bedeutet E. dasselbe wie 3 Realismus, nämlich die Auffassung der klassischen philosophischen Tradition, dass wir das Wesen der Dinge erkennen können. b) Als Gegensatz zu einer am Sein als Akt orientierten Philosophie (Existenzialismus) wird unter E. eine nicht am Seinsakt, sondern am 3 Wesen (dessen Möglichkeit bei den Geschöpfen der Verwirklichung vorausgeht) orientierte Philosophie verstanden. In dieser Hinsicht gilt vor allem die Spätscholastik (Scotus, Suárez) im Gegensatz zur Hochscholastik als E., da sie das Wesen dem Seinsakt, also dem wirklich existierenden Sein vorordnet. Dieser E. führt zur Vorordnung der Möglichkeit vor der Wirklichkeit, die sehr stark das Denken der Neuzeit prägt: Vorordnung der formalen oder transzendentalen Ontologie vor einer am wirklichen Sein orientierten Metaphysik und daraus folgende weitgehende Abkehr von der Analogielehre (3 Analogie). Für Gilson ist der E. platonisch, da er an der Ideenlehre orientiert ist, der Existenzialismus hingegen aristotelisch inspiriert, da er den Primat der Wirklichkeit vor der Möglichkeit hervorhebt. E Gilson: L’être et l’essence, 1948; Being and some philosophers, 1949; P Foulquié: L’existentialisme, 1947; K R Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, 1945; Das Elend des Historizismus, Tü 1965.

Schöndorf Essenz 3 Wesen Ethik / Moralphilosophie Der heute übliche philosophische Sprachgebrauch unterscheidet zwischen Moral und E. Das lateinische Wort mores ist die auf Cicero zurückgehende Übersetzung des griechischen Wortes êthos (3 Gewohnheit, Brauch, Charakter), das von Aristoteles auf éthos (Gewöhnung) zurückgeführt wird. Es bezeichnet die Verhaltensweisen, in denen eine Gruppe von Menschen aufgrund einer alten Gewohnheit übereinstimmt. ›Moral‹ bezeichnet einen Bereich des menschlichen 3 Lebens, der von 3 Kunst, 3 Wissenschaft, 3 Recht oder 3 Religion verschieden ist. ›Moralisch‹ bzw. ›sitt-

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Ethik

lich‹ bedeutet nach diesem Sprachgebrauch also nicht ›moralisch bzw. sittlich gut‹, sondern ›zum Bereich der Moral gehörend‹. ›E.‹ (ta êthika) wird seit Aristoteles zur Bezeichnung einer philosophischen Disziplin gebraucht. Eine Moral wird gelebt. Die Aufgabe der E. besteht darin, Moral zu reflektieren, d. h. nach ihrer Begründung zu fragen. Anstelle von ›E.‹ gebraucht man auch die eindeutigere, auf Cicero zurückgehende Bezeichnung ›M.‹. Durch die 3 Frage nach der 3 Geltung und Begründung moralischer Sätze unterscheidet die E. sich von anderen Wissenschaften, die ebenfalls den Bereich der Moral zum Gegenstand haben. Untersuchungen darüber, wie bestimmte Handlungsweisen in einer 3 Gesellschaft faktisch beurteilt werden oder wie das moralische 3 Bewusstsein sich in der Geschichte der Menschheit oder beim einzelnen Menschen entwickelt, sind nicht Aufgabe der E.er, sondern empirischer Wissenschaften, z. B. der 3 Soziologie, 3 Psychologie oder Geschichtswissenschaft. Die E. fragt nicht, ob eine Handlungsweise für richtig gehalten wird, sondern ob sie richtig ist. Bei der Begründung eines moralischen 3 Urteils sind verschiedene Ebenen zu unterscheiden; diese Unterscheidung wird oft durch die 3 Begriffe ›normative E.‹ und ›3 Metae.‹ ausgedrückt. Die normative E. macht begründete 3 Aussagen darüber, wie wir handeln sollen; sie bedient sich einer Objektsprache. Metae. ist nach einem weiteren Begriff jede 3 Reflexion über die 3 Methoden, mit denen inhaltliche moralische Forderungen begründet werden, und zwar unabhängig davon, mit welcher Methode zweiter Ordnung diese Reflexion durchgeführt wird. Nach dem engeren Begriff beschränkt die Metae. sich darauf, die 3 Bedeutung der Moralsprache zu untersuchen; sie spricht mit Hilfe einer Metasprache über die 3 Sprache der Moral. ›Jeder 3 Mensch ist als 3 Zweck an sich selbst zu behandeln.‹ ist eine Aussage der normativen E.; ›Moralische Sätze dienen ausschließlich dem Ausdruck von 3 Gefühlen.‹ ist eine Aussage der Metae. im engeren Sinn. Die beiden Klassiker der normativen E. sind Aristoteles und Kant; sie haben die moralphilosophische Begrifflichkeit entwickelt, und die Geschichte der Philosophie greift in vielfachen Abwandlungen auf Elemente ihrer E. zurück. Aristoteles geht aus von der Frage nach dem letzten 3 Ziel (télos) des menschlichen Handelns. Die übereinstimmende Antwort aller Menschen sagt, es sei das 3 Glück (eudaimonía). Das Glück besteht in der besten 3 Lebensform, und diese wiederum in der Verwirklichung der den Menschen als solchen auszeichnenden Fähigkeit, der 3 Vernunft; hier unterscheidet Aristoteles zwischen der praktischen Vernunft, welche das Handeln bestimmt, und der theoretischen, die nach den obersten 3 Prinzipien der 3 Wirklichkeit sucht. Der Mensch ist aber nicht nur ein vernünftiges, sondern auch ein strebendes, begehrendes, emotionales und bedürftiges Wesen. Er kann nur dann glücklich sein, wenn Vernunft und 3 Streben zu einer 3 Einheit gekommen sind. Diese Verfassung bezeichnet Aristoteles als 3 Tugend (areté). Sie schenkt dem Menschen die innere Einheit und disponiert ihn zur richtigen

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3 Entscheidung und zum richtigen Handeln. Die vollkommenste Tugend ist die 3 Gerechtigkeit; sie bestimmt das Verhältnis zum 3 anderen Menschen. Die praktische Vernunft (phronésis) erkennt die obersten sittlichen Prinzipien, z. B. der Gerechtigkeit, und wendet sie als praktische 3 Urteilskraft und abwägende Vernunft in der einzelnen Entscheidung entsprechend den gegebenen Umständen an; sie kann das praktisch Richtige nur dann erkennen, wenn das Strebevermögen mit der Vernunft in Harmonie ist, d. h. sittliche 3 Erkenntnis setzt ethische Tugend voraus. Wie für Aristoteles, so ist für die verschiedenen Formen des 3 Utilitarismus die Frage nach dem Glück Ausgangspunkt der moralphilosophischen Diskussion. Der Tugendbegriff steht im Mittelpunkt der materialen 3 Werte (Max Scheler, Nicolai Hartmann) der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ebenso greift die gegenwärtige Tugende. (Virtue Ethics), die für sich in Anspruch nimmt, gegenüber den beiden dominierenden E.en, dem Utilitarismus und der kantischen E., ein dritter, neuer 3 Typ zu sein, auf Aristoteles zurück. Kants Anliegen ist eine Metaphysik der Sitten; dabei versteht er unter ›Metaphysik‹ eine auf bestimmte Gegenstandsbereiche eingeschränkte Philosophie aus Prinzipien 3 a priori. Die Metaphysik der 3 Natur hat die Gesetze a priori, nach denen alles geschieht, zum Gegenstand, die Metaphysik der Sitten die Gesetze a priori, nach denen alles geschehen soll, jedoch mit Erwägung der 3 Bedingungen, unter denen es öfters nicht geschieht. Dass eine Metaphysik der Sitten möglich ist, leuchtet aus der im alltäglichen Bewusstsein lebendigen Idee der 3 Pflicht ein; dass sie notwendig ist, ergibt sich daraus, dass die Sitten der Verderbnis unterworfen sind, solange die oberste 3 Norm nicht klar erkannt ist. Das sittlich 3 Gute ist von allen anderen Gütern unterschieden und durch kein anderes Gut bedingt. »Es ist überall nichts in der Welt, ja auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter 3 Wille.« Jedes andere Gut, so begründet Kant diesen ersten Satz der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, kann gut oder schlecht gebraucht werden. Der gute Wille ist nicht gut durch das, was er bewirkt, sondern allein durch das Wollen, d. h. an sich. Der Wille ist an sich gut, insofern er durch die 3 Vorstellung des 3 Gesetzes und nicht durch die erwarteten Wirkungen der 3 Handlung bestimmt wird; der sittliche Wert ist der Wert der handelnden 3 Person und nicht der Wert der aus der Handlung resultierenden Folgen. Eine pflichtmäßige Handlung stimmt 3 objektiv mit dem Gesetz überein, lässt jedoch die Neigungen als Bestimmungsgrund des Willens zu (3 Legalität). Eine Handlung aus Pflicht hat die Achtung vor dem Gesetz zum alleinigen Bestimmungsgrund des Willens (3 Moralität). Das eine 3 Sittengesetz findet seinen Ausdruck in den verschiedenen Formeln des 3 Kategorischen Imperativs; sie fordern eine wechselseitige 3 Verantwortung des Handelns. Die Diskurse. interpretiert Kant mit Hilfe der Sprechakttheorie. Wer ein moralisches Urteil fällt, behauptet damit, dass es richtig ist, und verpflichtet

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Ethik

sich, diesen Anspruch, sollte er bestritten werden, in einem begründenden 3 Diskurs einzulösen. An diesem Diskurs darf jedes sprach- und handlungsfähige 3 Subjekt teilnehmen. Jeder darf seine 3 Einstellungen, Wünsche und 3 Bedürfnisse äußern. Kein Sprecher darf durch innerhalb oder außerhalb des Diskurses herrschenden 3 Zwang gehindert werden, diese Rechte wahrzunehmen. Eine strittige Norm kann unter den Teilnehmern des Diskurses nur dann Zustimmung finden, wenn die Folgen, die sich aus einer allgemeinen Befolgung der strittigen Norm ergeben, von allen zwanglos akzeptiert werden können. John Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit verbindet kantische und aristotelische Elemente. Wie Kant fordert, den Menschen jederzeit als Zweck an sich selbst und niemals bloß als Mittel zu behandeln, so betont Rawls, jeder Mensch besitze eine aus der Gerechtigkeit entspringende Unverletzlichkeit, die auch im Namen des Wohls der ganzen Gesellschaft nicht aufgehoben werden könne. Rawls geht aus von Kants Begriff der 3 Autonomie, d. h. der Idee der 3 Würde eines vernünftigen Wesens, das keinem anderen Gesetz gehorcht als dem, das es zugleich selbst gibt. In seiner Konstruktion des Urzustandes, in dem die Gerechtigkeitsgrundsätze unter dem Schleier des Nichtwissens gewählt werden, versucht er, diese Vorstellung zu konkretisieren: Nach Kant handle jemand autonom, wenn er die Grundsätze seiner Handlung als Ausdruck seiner Natur als eines freien und gleichen Vernunftwesens gewählt habe und nicht wegen seiner gesellschaftlichen Stellung oder seiner natürlichen Gaben. Aristotelisch sind u. a. Rawls’ These, Gerechtigkeit sei die erste Tugend 3 sozialer 3 Institutionen und seine Epistemologie des Überlegungs-Gleichgewichts, wonach das wohlüberlegte Einzelurteil Ausgangspunkt der moralphilosophischen Reflexion ist. An Kants Forderung der Autonomie und Selbstzwecklichkeit knüpft auch der Kontraktualismus (T M Scanlon) an. Danach ist eine Handlung sittlich falsch, wenn ich sie anderen gegenüber nicht mit Gründen rechtfertigen kann, von denen ich erwarten kann, dass die anderen sie akzeptieren. Moralische Urteile sind Urteile darüber, was erlaubt ist aufgrund von Prinzipien, die von Menschen nicht vernünftigerweise abgelehnt werden können, denen es darum geht, Prinzipien für das 3 Verhalten zu finden, die andere ähnlich motivierte Menschen nicht vernünftigerweise ablehnen können. Oberstes normatives Prinzip und allgemeinstes inhaltliches Kriterium des sittlich Richtigen ist die Forderung der möglichen Rechtfertigung (justifiability). Die Unterscheidung zwischen allgemeiner und angewandter E. darf nicht so verstanden werden, als würden mit Hilfe eines deduktiven Verfahrens allgemeine Normen auf eine spezifische 3 Situation angewendet. Insofern philosophische E. Reflexion auf die gelungene 3 Praxis ist, setzt sie das richtige sittliche Einzelurteil immer schon voraus. Ziel der ethischen Reflexion ist eine verantwortungsbewusstere Praxis; die Frage nach den Prinzipien soll helfen, unklare Einzelfälle richtig zu entscheiden. Die Anwendung mora-

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Evidenz

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lischer Prinzipien ist kein deduktiver Prozess, sondern eine Leistung der abwägenden praktischen Urteilskraft. Das klassische Beispiel einer angewandten E. ist die Medizine., deren Prinzipien in der Antike im Eid des Hippokrates formuliert wurden; sie sind Ergebnis der Reflexion auf die verantwortungsbewusste Praxis des Arztes. Die große Nachfrage, die heute nach angewandter E. besteht, ergibt sich daraus, dass Wissenschaft und 3 Technik neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet haben. Weil die angewandte E. auf Tatsachenwissen angewiesen ist, braucht sie den interdisziplinären Diskurs. Sie muss zurückgreifen auf Prinzipien, die ihr aus anderen Lebensbereichen vertraut sind, und sie analog auf die neuen Handlungsfelder anwenden. Wichtige Bereiche der angewandten E. sind: Bioe. (im weiten Sinn; sie betrifft den verantwortlichen Umgang des Menschen mit jeder Form des menschlichen und außermenschlichen Lebens), Mediene., Politische E., Wirtschaftse., Technike. Aristoteles: Nik. E.; I Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten; KpV; M Scheler: Der Formalismus in der E. und die materiale Werte., 1913/1916; N Hartmann: E., 1926; J Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971; J Habermas: Erläuterungen zur Diskurse., F 1991; T M Scanlon: What We Owe to Each Other, C Mass 1998, R Hursthouse: On Virtue Ethics, O 1999. – J NidaRümelin (Hg): Angewandte E., St 1996; M Düwell / C Hübenthal / M H Werner (Hg): Handbuch E., St 2002; F Ricken: Allgemeine E., St 4 2003.

Ricken Ethiko-Theologie 3 Gottesbeweis Ethologie 3 Verhalten Ethos 3 Ethik Etwas 3 Ding Eudaimonie 3 Glück Euthanasie 3 Tod Evidenz bedeutet im deutschen und lateinischen (evidentia) Sprachgebrauch das zweifelsfreie Sich-Zeigen (der Wahrheit) einer (Tat-)Sache. Hingegen bedeutet der englische Ausdruck »evidence« normalerweise nur ein Indiz oder eine gute Begründung für etwas. Dem deutschen Wort E. entspricht im Englischen der Ausdruck »self-evidence«. Was evident ist, zeigt sich von sich selbst her als wahr und lässt sich darum höchstens mittelbar und nachträglich bezweifeln. Der Ausdruck E. bekommt erst im Lauf der Zeit die heute gängige Bedeutung. Der Sache nach sind für Aristoteles und die Scholastik die ersten Prinzipien unmittelbar evident (lat. per se nota = wörtl.: durch sich bekannt), sobald man ihre Formulierung verstanden hat. Augustinus und Descartes (3 Cartesianismus) zeigen, dass diese E. dem Wissen um meine eigene Existenz zukommt. Dabei weist Descartes auf, dass diese E. nicht nur eine psychologische Unbezweifelbarkeit darstellt, sondern auf transzendentale Argumente gestützt werden kann, die ihre innere Notwendigkeit und Unanfechtbarkeit aufweisen.

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Evolution

Von einer mittelbaren E. kann man sprechen, wenn die Wahrheit durch Überlegungen und Schlussfolgerungen aufgezeigt wird. In diesem Sinn zielt jeder Beweis darauf ab, das zu Beweisende als evident aufzuweisen. Die E. ist der Grund für die 3 Gewissheit, mit der einer Erkenntnis zugestimmt wird, die daraufhin als Wissen bezeichnet wird. Vor allem seit dem 20. Jahrhundert wird die Forderung nach E. im Sinn absoluter, metaphysischer Unbezweifelbarkeit weithin als übertrieben und unerfüllbar kritisiert. Eine auf E. basierende 3 Erkenntnistheorie wird in der 3 Analytischen Philosophie gewöhnlich als Fundationalismus (foundationalism) bezeichnet und von anderen Erkenntnisbegründungen unterschieden, die keine E. als Rechtfertigung für wahre Behauptungen verlangen. Intuitive E. und argumentatives Beweisen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern ergänzen einander: Ohne argumentative Absicherung besteht die Gefahr trügerischer Scheine.en, andererseits soll die Argumentation zur Einsicht und somit zur E. führen. Die Aufgabe der Philosophie besteht somit darin, E.en argumentativ zu vermitteln und abzusichern. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen: durch argumentatives Beweisen oder dadurch, dass in der Darlegung des Sachverhalts seine Unausweichlichkeit, innere Notwendigkeit und Wahrheit aufgezeigt wird. Eine wichtige Rolle spielen die verschiedenen Weisen der E. (vorprädikative, prädikative, apodiktische, adäquate u. a.) als Selbstgebung der Phänomene bei Husserl und in der späteren 3 Phänomenologie. J Geyser: Über Wahrheit und E., Fr 1918; P Wilpert: Das Problem der Wahrheitssicherung bei Thomas von Aquin, Ms 1931; P Achinstein (Hg): The concept of evidence, O 1983; G Heffernan: Bedeutung und E. bei Edmund Husserl, Bn 1983.

Schöndorf Evolution Unter E. versteht man allgemein das Entstehen des Komplexeren aus einfacheren Vorformen. Obwohl es heute üblich ist, diesen Begriff auch auf die Geschichte des Universums insgesamt zu übertragen, ist E. im strengen Sinn die Deutung der Vielfalt des Lebendigen mithilfe der von Darwin geschaffenen Theorie (s. u.) als Artwandel und Abstammungszusammenhang. Diese biologische E. beginnt mit der Entstehung des Lebens auf der Erde (Biogenese) vor etwa 3,8 Milliarden Jahren. Mit dem Auftreten des Menschen ist die E. nicht abgeschlossen, tritt aber in eine neue Phase, die kulturelle E. Umstritten ist, von Höherentwicklung (Anagenese) in der E. zu sprechen. Immerhin lassen sich auch auf selektionstheoretischem Hintergrund anagenetische Reihen fortschreitender Organisationshöhe verfolgen, die dem Menschen einen besonderen Platz im Ganzen der E. zuweisen, ohne ihn deshalb zur angezielten Spitze eines geradlinigen Prozesses zu machen. Als Kriterien für einen solchen »biologischen Aufstieg« gelten: (a) Zunahme

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Evolution

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von Differenzierung und innerer Integration, (b) Zunahme an Umweltunabhängigkeit und (c) Zunahme der individuellen Autonomie. Bei der theoretischen Durchdringung der E. sind drei Frageebenen zu unterscheiden: (1) die Frage nach dem »Dass« der E. (Tatsachenfrage), (2) nach dem »Wie« (Stammbaumfrage) und (3) nach dem »Wodurch« der E. (Ursachenfrage). (1) Dass E. auf dieser Erde stattgefunden hat und weiter stattfindet, ist heute unbestritten. Kontrovers ist allerdings der Umfang, in dem E. am Werk ist. Während von der großen Mehrheit der Biologen E. als hinreichend für die Erklärung organismischer Komplexität angesehen wird, möchte eine kleine Gruppe von Andersdenkenden den Geltungsbereich der E. auf die Artbildung beschränkt sehen (»Mikroe.«), die Ausbildung der Großbaupläne (»Makroe.«) jedoch durch direkte Schöpfertätigkeit Gottes verstanden wissen (Kreationismus). Diese Auffassung kann allerdings nicht den Rang einer wissenschaftlichen Alternativtheorie für sich beanspruchen. (2) Durch morphologischen Vergleich von lebenden und ausgestorbenen Formen (Fossilien) ist es möglich, die Organismenvielfalt in einen Abstammungszusammenhang zu bringen, der in Form von Stammbäumen dargestellt werden kann. Die hierbei unterstellten Verwandtschaftsbeziehungen sind aber vielfach hypothetisch und unterliegen ständiger Revision. (3) Darwins Verdienst ist es, ein plausibles Modell für die Ursachen der E. entwickelt zu haben. Danach genügen die beobachtbare Variabilität der Individuen und ihre den vorhandenen Lebensraum stets überbeanspruchende Fortpflanzungsrate, um in einem fortwährenden Konkurrenzkampf des Überlebens der Tüchtigsten eine kontinuierliche Veränderung der Arten zu erzeugen (»natürliche Zuchtwahl« oder Selektion). Durch Entdeckung der genetischen Grundlagen der Variabilität (Mutation) und Einbeziehung mathematischer Methoden (Populationsgenetik) ist aus diesem Ansatz die sogenannte »synthetische E.stheorie« geworden, die als naturwissenschaftliches »Standardmodell« der E. gilt. Wie weit die Geistigkeit des Menschen als Produkt der E. gefasst werden kann, ist eine Frage, welche über die Reichweite biologischer Theoriebildung hinausgeht. Die schärfste Grenze wird hier von der katholischen Lehre gezogen, wonach die menschliche Geistseele einen eigenen Schöpfungsakt Gottes erfordert. Demgegenüber werden die meisten Biologen, auch wenn sie das Mentale für eine emergente Eigenschaft halten, an einem allmählichen Übergang des Menschen aus dem Tierreich festhalten. Dies impliziert weder den Verzicht auf die Anerkennung einer menschlichen Sonderstellung noch die Verneinung einer besonderen Gottesbezüglichkeit der menschlichen Person (›Seele‹ im theologischen Sinn). Wie sich Schöpfung und E. transzendentalphilosophisch zusammendenken lassen, hat K Rahner mit dem Begriffspaar der eigentätigen geschöpflichen Selbstüberbietung, die von der göttlichen Selbstmitteilung ermöglicht wird, deutlich gemacht. Den Entwurf

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Ewigkeit

einer vom ganzen leib-geistigen Phänomen des Menschen ausgehenden E. verdanken wir Teilhard de Chardin. C Darwin: On the Origin of species, L 1859; P Teilhard de Chardin: Le phénomène humain, P 1955; P Overhage / K Rahner: Das Problem der Hominisation, Fr 1961. – C Kummer: E. als Höherentwicklung des Bewusstseins, Fr 1987; R Dawkins: Gipfel des Unwahrscheinlichen, 1996; S Jones: Wie der Wal zur Flosse kam, HH 1999; T Junker / U Hoßfeld: Die Entdeckung der E., Da 2001; E Mayr: Das ist E., 2001.

Kummer-Wulffius Ewigkeit Wortgeschichtlich hängt E. (gr. aión) mit »jung« zusammen. Da die Jugend die Zeit der größten Vitalität ist, kommt E. zur Bedeutung »Lebenskraft« oder auch die »Zeit«, für die die Lebensenergie reicht. Durch die Anwendung dieser Idee auf die endlos sich wiederholende Rotation der Himmelskugel entsteht der Begriff der E. als endlose Dauer (lat. sempiternitas) aus unerschöpflicher Energie. So stellten sich die antiken Menschen auch die »ewige Jugend« ihrer Götter als permanente Erneuerung ihrer Lebenskraft vor. E. im strengen Sinn aber (lat. aeternitas) überschreitet das Zeitliche völlig. Sie tritt zunächst in der negativen Form der Zeitlosigkeit auf. So nennt man »ewige« Wahrheiten jene Wenn-dann-Sätze der Mathematik, Logik und Metaphysik, die nicht nur immer, sondern notwendig und deswegen dann auch immer gelten. – E. im strengsten Sinn aber betrifft nicht nur das Gelten, sondern das Sein. Ein erster Ansatz dieser Idee findet sich bei Parmenides (Fragment 8); Plotin gibt einen vollen Begriff davon in seiner Abhandlung Über Zeit und E. (Enn. III,7). Für die weitere Philosophie und Theologie des Abendlandes wurde die Definition entscheidend, die Boëthius (De consolatione philosophiae V, 6) gegeben hat: E. sei »der zeitlich nicht zerstückte und vollkommene Besitz von grenzenlosem Leben« (interminabilis vitae tota simul et perfecta possessio). – Diese Idee der E. meint nicht nur Dauer, sondern auch Sinnintensität. Allein vom Begriff der Zeit her ist sie nicht zu gewinnen. Sie wird jedoch unweigerlich auf die Ebene der Zeit projiziert. Dadurch ergeben sich zeitliche Bilder für die E., wie etwa das endlose Währen ohne Anfang und Ende oder ein Jetzt, das nicht sofort wieder hinfällt, sondern steht (nunc stans). Eine gewisse Erfahrungsbasis hat die Idee der E. im Erleben des erfüllten Augenblicks (3 Zeit). A J Festugière: Études de philosophie grecque, Paris 1971, 254–271; E Benz: Die ewige Jugend in der christlichen Mystik, in: Eranos-Jb 40 (1971), 1–49; F Alquié: Le désir d’éternité, P 1983; J Durandeaux: De l’éternité, P 1990; R Kather: Zeit und Ewigkeit, Wü 2 1993.

Haeffner Exemplarursache 3 Idee 3 Ursache Existentialismus 3 Existenzphilosophie 3 Essentialismus

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Existenzphilosophie

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Existenz 3 Dasein Existenzial, Existenziell 3 Existenzphilosophie Existenzphilosophie ist ein Sammelname für eine Art des Philosophierens, das sich primär mit den Problemen der menschlichen Existenz befasst. »Existenz« heißt hier soviel wie »endliche, nach Sinn suchende Freiheit«. Von seiner älteren, umfassenderen Bedeutung (Existenz = reales 3 Dasein) kam das Wort zu dieser spezielleren Bedeutung aus polemischem Kontext: Gegen den 3 Idealismus Hegels, der alles bloß kontingente Faktische als Vermittlungsmoment der in sich universalen 3 Idee begriff und dadurch der Erfahrung der Tatsächlichkeit, der Individualität und der Geschöpflichkeit ihren Ernst zu nehmen schien, wurde das begrifflich nicht mehr Auflösbare des individuellen Daseins, das sich in der kontingenten Freiheit verdichtet, gestellt. Die meisten Autoren, die zur E. gezählt werden, beziehen wichtige Anregungen aus dem Werk von S Kierkegaard, der im Willen zum philosophischen System eine Ablenkung vom Ernst der Besinnung erblickte, zu der der Einzelne, in je seiner Situation, angesichts des Anspruchs Gottes, zu dem er sich wesentlich verhält, aufgerufen ist. Aus der 3 Angst, die dem Menschen seine 3 Schuld, seine Sterblichkeit und Einsamkeit bewusstmacht, darf nicht in die Sphäre des 3 Allgemeinen (des Denkens oder der sozialen Konformität) geflohen werden; sie muss existierend im Selbstsein übernommen werden, das der Mensch jedoch ebenso erstrebt wie flieht. Das innerlich paradoxe Menschsein, das aus Zeitlichem (Leib) und Ewigem (Geist) »zusammengesetzt« ist, kann zur Einheit nur kommen im Glauben an das maximale Paradox, dass das Ewige an einem bestimmten Zeitpunkt in die Zeit eingetreten ist. Kierkegaard war religiöser Schriftsteller in zugleich spekulativer und literarischer Manier. Eine E. um ihrer selbst willen hat er nicht aufgebaut. Dies erstrebte erst K Jaspers, der Motive Kierkegaards mit einer kantischen Grundposition verband. Auf ihn geht der Ausdruck »E.« zurück. Der Mensch kann vom bloßen Dasein zur Existenz und damit zur Transzendenz finden, wenn sein Lebenswille und seine Lebensklugheit in den »Grenzsituationen« scheitern: in der Erfahrung unheilbarer Krankheit, des unausweichlichen Kampfs, des Schuldigwerdens und Sterbenmüssens. M Heidegger nimmt in Sein und Zeit den Begriff der Existenz zum methodischen Leitfaden seiner Fundamental-Ontologie. Er unterscheidet dort zwei Weisen des Existenz-Verstehens: das existenzielle gehört zum Existieren (Leben) selbst, während das existenziale auf dessen theoretische Durchsichtigkeit zielt. Die ontologischen Grundbegriffe, durch die Existenz ausgelegt wird, heißen »Existenzialien«; sie entsprechen dem, was für die Dinge die 3 Kategorien sind. Heidegger verlässt den Umkreis der E. bald, indem er Existenz als Ek-sistenz, d. h. als wesenhafte Offenständigkeit für das Lichtungsgeschehen des Seins deutet.

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Fallibilismus

J P Sartre unterscheidet zwei Varianten der E., die er im Französischen existentialisme (Existenzialismus) nennt: die christliche (Jaspers und Marcel) und die atheistische (zu der er Heidegger und sich selbst rechnet). Sowohl für Heidegger wie für Jaspers ist diese Einordnung unpassend. G Marcel kam vom Kritizismus u. a. durch sein eigenständiges existenziell-personalistisches Denken zum christlichen Glauben. Sartre sieht die endliche Freiheit, die in keinerlei Wesensordnung eingebunden ist, als das aussichtslose Streben nach einer Selbstidentität, die derjenigen des reflexionslosen dinglichen Seins ähnlich wäre. Sartres E. nahm später die Form der Begründung eines politischen Aktionismus an. – Andere Denker, die zur E. gerechnet werden, sind A Camus, P Wust, F Ebner. Alle Formen der E. sind weitgehend religiöse Reflexionen unter dem Vorzeichen des Verlustes einer Glaubensgemeinschaft oder des Gottesglaubens selbst. Die Konzentration auf die Sphäre des individuellen Erlebens und Entscheidens und die Reserve gegenüber der Wesensmetaphysik bezeichnen Stärke und Schwäche der E. S Kierkegaard: Der Begriff Angst, 1844; Die Krankheit zum Tode, 1849; EntwederOder, 1843; M Heidegger: Sein und Zeit, Hl 1927; K Jaspers: Philosophie, B 1932; J P Sartre: Das Sein und das Nichts, HH 1993; A Camus: Der Mythos vom Sisyphos, HH 1959; G Marcel: Metaphysisches Tagebuch, W 1955. – W Janke: E., B 1982; F Zimmermann: Einführung in die E., Da 3 1992; T Seibert: E., St 1997; P Knopp: Existenzialismus heute, B 1999; U Thurnherr / A Hügli (Hg): Lexikon Existenzialismus und E., Da 2007.

Haeffner Existenzquantor 3 Logik Experientia 3 Erfahrung Experiment 3 Erfahrung 3 Induktion Explizit 3 Analyse Extension 3 Begriff 3 Quantität Extensionslogik 3 Logik Externalismus 3 Erkenntnistheorie Faktizität 3 Tatsache Faktum 3 Tatsache Fallibilismus / Falsifikationismus wird die auf Popper zurückgehende wissenschaftstheoretische Auffassung bezeichnet, eine wissenschaftliche 3 Theorie könne nie definitiv verifiziert (als wahr erwiesen) werden, da keine (vollständige) 3 Induktion möglich sei. Stattdessen sei es immer möglich, eine Theorie zu falsifizieren (als falsch zu erweisen), indem nachgewiesen wird, dass eine bestimmte empirische Folge aus der Theorie nicht eintrete (Falsifikation statt Verifikation). Darum seien alle wissenschaftlichen Theorien prinzipiell widerlegbar (falsifizierbar, fallibel). Diese Auffassung hat sich aber

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Fehlschluss

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wissenschaftstheoretisch als zu einfach erwiesen. 3 Kritischer Rationalismus 3 Wissenschaftstheorie. K R Popper: Logik der Forschung, Tü 3 1969.

Schöndorf Falschheit 3 Norm 3 Wahrheit Falsifikationismus 3 Fallibilismus Familienähnlichkeit 3 Ähnlichkeit Fangschluss 3 Fehlschluss Fatalismus 3 Gottes Wirken Fehlschluss (gr. paralogismós, lat. paralogismus, engl. fallacy) ist ein vermeintlicher 3 Schluss ohne logische Folgerichtigkeit oder ein aus Schlüssen zusammengesetztes Argument ohne eigentliche Beweiskraft. Ein F. ist ein Trugschluss oder Fangschluss (gr. sophisma), wenn seine scheinbare Folgerichtigkeit bzw. Beweiskraft absichtlich zur Widerlegung eines Dialogpartners benutzt wird. Aristoteles’ Systematisierung der F.e in solche, die auf sprachlicher Mehrdeutigkeit beruhen, und andere, die mehr von Fehlern im Beweisen abhängen, wurde in Textbüchern der 3 Logik präzisiert und führte in neuerer Zeit zu wichtigen Unterscheidungen zwischen semantischen, beweistheoretischen und pragmatischen F.en. – Die Anwendung desselben Ausdrucks mit unterschiedlicher 3 Bedeutung in den Prämissen oder der Konsequenz eines Schlusses führt zum F. der Äquivokation (lat. fallacia aequivocationis) und beim kategorischen Syllogismus durch einen mehrdeutigen Mittelbegriff zur unerlaubten Vervierfachung der Termini (lat. quaternio terminorum). Eine Verwechslung (lat. ignoratio elenchi) liegt vor, wenn nicht die zu beweisende Aussage bewiesen wird, sondern eine andere, die ihr sprachlich ähnelt. Ein solcher F. kann durch eine eindeutige Terminologie verhindert werden. – Ein ungültiger Schluss liegt z. B. vor in der Umkehrung (gr. hy´steron próteron), insofern man bei einer 3 Implikation wie »Wenn es regnet, ist die Straße nass.« nicht von der Bedingung »Es regnet.« das Bedingte »Die Straße ist nass.«, sondern vom Bedingten die Bedingung ableitet. – Kein Beweis liegt vor im Falle des falschen Anfangs (gr. próton pseúdos), d. h. bei einem Argument mit einer falschen Voraussetzung, weil aus etwas Falschem alles logisch ableitbar ist. Ein Argument ohne Beweiskraft ist gegeben bei der Erschleichung (lat. petitio principii, engl. begging the question), bei der man von einer bisher unbewiesenen Aussage als 3 Hypothese oder von einem anderen unbewiesenen Beweismittel z. B. einer impliziten Existenzvoraussetzung (engl. existential presupposition) ausgeht, um die Wahrheit des Schlusssatzes abzuleiten. Ein Sonderfall der Erschleichung ist das Zirkelargument bzw. der Zirkelschluss (lat. circulus vitiosus) oder die zirkuläre Definition (gr. diallélon), bei denen die zu beweisende Aussage bzw. der zu definierende Ausdruck direkt oder in synonymer Umformung als Hypo-

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Fideismus

these bzw. als Definiens vorausgesetzt wird. – Über den formalen Beweis hinaus gehen Argumente, die gewöhnlich keine F.e sind, auch wenn sie unter pragmatischer Rücksicht entweder den Sprecher selbst, z. B. in einem argumentum ad hominem oder in einer 3 Retorsion, in die Argumentation miteinbeziehen oder aber Elemente verwenden, die für einen Beweis äußerlich sind, wie die Zeugnisse von Experten, die allgemeine Meinung, emotionale Faktoren usw. Aristoteles: Soph. el.; An. pr. II,16; Topik VIII,13. – H Rüdiger: Der Kampf mit dem gesunden Menschenverstand, M 1938; R K Sprague: Plato’s Use of Fallacy, L 1962; C L Hamblin: Fallacies, L 1970; D N Walton: Begging the Question, NY 1991; A Pragmatic Theory of Fallacy, Tuscaloosa 1995.

Carls Fetischismus 3 Religion Fideismus (von lat. fides: Glaube) Der F. steht für eine dem 3 Rationalismus entgegengesetzte Glaubensphilosophie, nach der metaphysische, moralische und religiöse Wahrheiten nicht durch die Vernunft, sondern nur durch den Glauben erkannt werden. Im reformatorischen Raum kam der F. Ende des 19. Jahrhunderts in Paris im Anschluss an Kant, Schleiermacher und den Neukantianismus als Gefühlsglaube auf. Ihm zufolge sind religiöse Begriffe und Dogmen bloße Symbole, die religiöse Gefühle ausdrücken (Symbolf.). Im katholischen Raum verbreitete sich im 19. Jahrhundert der F. als Autoritätsglaube, der ausschließlich auf der Offenbarung und ihrer Auslegung durch die Tradition beruht (Traditionalismus). Der dialektische 3 Materialismus verwendet den Ausdruck F., um nicht-materialistische Positionen als a-rational zu kennzeichnen. T Penelhum: God and skepticism, Dodrecht 1983.

Herzgsell Fiktionalismus 3 Schein Finalität 3 Teleologie Finitismus 3 [318] Folge 3 Grund Folgerichtigkeit, Folgerung 3 Schluss Form ist die Übersetzung des griechischen Wortes eídos: ›das was gesehen wird‹, das durch Platon zu einem philosophischen Terminus wird. Bei Platon finden sich folgende Bedeutungen: (a) Anblick, Gestalt; (b) (geometrische) Figur; (c) 3 Bild; (d) 3 Klasse, 3 Art, Spezies; (e) 3 Idee. – Der Übergang vom allgemeinen zum philosophischen Gebrauch wird deutlich in dem frühen 3 Dialog Euthyphron. Sokrates fragt nach »jener F. (eídos) selbst, durch die alles Fromme fromm ist; denn du sagtest ja, dass durch eine Gestalt (idea) das Unfromme unfromm und das Fromme fromm sei« (6d10–e1). Alle 3 Hand-

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Fortschritt

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lungen, von denen das Prädikat ›fromm‹ ausgesagt wird, müssen eine gemeinsame F. aufweisen, die diese Prädikation rechtfertigt. Diese F. des Frommen muss in allen Handlungen mit sich selbst identisch sein (5d1 f.). Sie kann aber nicht aus den Handlungen erkannt werden, weil sie als Kriterium dafür dient, ob eine Handlung fromm oder unfromm ist (6e4–7); sie muss also, wie es Aristoteles dann in seiner Kritik an Platon formuliert, »getrennt (choristón) an und für sich« existieren (Nik. Eth. I 4, 1096b33). Die späten Dialoge Sophistes und Politikos fragen nach der einen Gestalt (idéa) oder F. (eídos), die verschiedene Individuen zur 3 Einheit einer Klasse verbindet (Pol. 258c3– 8). Eídos wird in einem weiteren Sinn gebraucht als Bezeichnung für eine beliebige Klasse und im engeren Sinn für eine Klasse, die sich nicht weiter unterteilen lässt, d. h. eine Spezies. Dieser Gebrauch findet sich auch bei Aristoteles: Das eidos ist die Art (Spezies), die durch Gattung (genos) und 3 Differenzen definiert wird (Topik VI; Metaph. VII 12). Als ontologischer 3 Begriff ist die F. eine der 3 Ursachen des 3 Werdens (3 Hylemorphismus). Die Artefakte entstehen durch die 3 Kunst (téchne); hier ist (neben dem Stoff) die F. im 3 Geist des Herstellenden Ursache. Die Organismen werden von Individuen derselben Spezies hervorgebracht; die bewirkende Ursache ist »die gleichartige 3 Natur (phy´sis) insofern sie F. genannt wird (diese aber ist in einem anderen), denn ein Mensch zeugt einen Menschen« (Metaph. VII 7,1032a24 f.). F. oder Gestalt (morphé) eines 3 Organismus ist die 3 Seele. Sie ist die »erste 3 Wirklichkeit« (entelécheia próte) eines organischen 3 Körpers, d. h. das Vermögen, das ihn zu den ihm artgemäßen Lebensvollzügen befähigt (De anima II 1). M Frede / G Patzig: Aristoteles, M 1988; E Tugendhat: Ti Kata Tinos, Fr 5 2003.

Ricken Formalobjekt 3 Gegenstand 3 Wissenschaft Formalsprache 3 Sprachphilosophie Fortgang ins Unendliche 3 Regress, unendlicher Fortschritt (lat. progressus) meint den (immer weitergehenden) Übergang zum Besseren. Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Meinung gibt es schon im Altertum Meinungen, nach denen in der Geschichte ein Trend zu einer Verbesserung der Zustände festzustellen oder zu erwarten ist. Die (jüdisch-)christliche Endzeiterwartung ist noch nicht eigentlich als F.sgedanke im modernen Sinn zu verstehen (auch wenn Augustins Schrift über den Gottesstaat das spätere F.sdenken inspiriert hat), da hierbei nicht an eine kontinuierliche Verbesserung gedacht wird, was vor allem für den neuzeitlichen F.sgedanken konstitutiv ist. Denn in der Neuzeit wird die Besserung nicht mehr von Gott erwartet, sondern von der vom Menschen selbst geleisteten Emanzipation von den Zwängen der Natur und der Gesellschaft mit Hilfe der Naturwissenschaft und des aufgeklärten Denkens. Darum werden Naturwis-

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Frage

senschaft und Freiheit zu zentralen Themen der neuzeitlichen Philosophie. War zuerst von F.en auf verschiedenen Gebieten die Rede, so bürgert sich nun die Rede vom F. im Singular ein. Francis Bacon verficht den F., Turgot und Condorcet machen ihn in der Aufklärungszeit zum philosophischen Thema. Bei Leibniz und Kant geht der F. als ein Progressus in infinitum (F. ins Unendliche) auch nach dem Tod endlos weiter. Sowohl für den 3 Deutschen Idealismus als auch für den 3 Marxismus ist die Idee des erreichten oder zu befördernden F.s der 3 Freiheit zentral. 3 Liberalismus und 3 Sozialismus setzen den F. voraus. Comte sieht den F. in der Entwicklung hin zum 3 Positivismus. Ein übertriebenes F.sdenken wird als Progressismus bezeichnet. Die Kritik am F.sdenken beginnt im frühen 19. Jahrhundert mit Schopenhauer, der aber erst ab der Jahrhundertmitte rezipiert wurde. Ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die negativen Seiten des F.s immer deutlicher sichtbar und verstärkten die Kritik an der F.sidee. Denn der unbestreitbare F. im Empirischen und Materiellen garantiert für sich allein noch keine wahre Lebensqualität; und mag es auch einen F. im Bewusstsein der Freiheit und der Menschenrechte geben, so bleibt doch deren Verwirklichung immer wieder gefährdet. 3 Geschichtsphilosophie. A-R-J Turgot: Über die F.e des menschlichen Geistes, 1750–52; M-J-A-N C de Condorcet: Esquisse d’un tableau historique des progrès de l’esprit humain 1793; R Koselleck: Artikel »F.«, in: Geschichtliche Grundbegriffe, St. 1975, 351–423; E R Dodds: Der F.sgedanke in der Antike und andere Aufsätze zu Literatur und Glauben der Griechen, Z 1977; G Radnitzky (Hg): F. und Rationalität der Wissenschaft, Tü 1980; N Rescher: Wissenschaftlicher F., B 1982; K H Haag: Der F. in der Philosophie, F 1983; J Rohbeck: Die F.stheorie der Aufklärung, F 1987; F Rapp:f., Da 1992; A Burgen (Hg): The idea of progress, B 1997.

Schöndorf Frage Eine F. ist eine sprachliche Äußerung, die so formuliert ist, dass sie keine 3 Behauptung aufstellt, sondern ein Unwissen in einem ganz bestimmten Punkt ausdrückt und vom Angesprochenen hierauf eine Antwort erwartet. Der fragliche Punkt wird entweder durch ein F.pronomen ausgedrückt oder besteht im Sinngehalt einer Aussage, deren Ungewissheit und darum Fraglichkeit durch bestimmte Partikel, die Wortstellung oder den Ton des Sprechers ausgedrückt wird. Eine F. ist als solche weder wahr noch falsch, kann aber mehr oder weniger ausdrücklich eine Behauptung beinhalten, die wahr oder falsch ist (3 Wahrheit). Insofern jede F. Wörter verwendet, deren Bedeutung bekannt sein muss, setzt jede F. bereits Wissen und somit auch bestimmte Behauptungen voraus. Insofern ist es nicht möglich, mit der F. einen radikalen und unhintergehbaren Anfang zu machen. Kennzeichnend für den Menschen ist, dass er über alles hinaus nach allem und jedem f.n kann. Hierin zeigt sich die grenzenlose Offenheit seines 3 Geistes. Anderer-

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Frage

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seits kann er auch (wenn auch nicht im praktischen Leben, so doch zumindest theoretisch) alles und jedes inf. stellen, wie die radikale 3 Skepsis zeigt. Hieran zeigt sich, dass es die menschliche Erkenntnis immer mit Freiheit zu tun hat. Von Anfang an galt die unbegrenzte Fähigkeit zur F. als etwas typisch Menschliches: Das Tier »fragt« (d. h. sucht) nur innerhalb seiner Umwelt und zum Zweck seines Überlebens; Gott braucht nicht zu f.n, da ihm alles bekannt ist. Der Mensch steht jedoch in der Spannung zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit, die sich darin zeigt, dass zwar sein Wissen endlich ist, sein F.n aber keine Grenzen kennt. Noch vor der F. kommt das Staunen (gr. thaumázein), das für Platon die dem Philosophen eigentümliche Leidenschaft ist und das überhaupt erst zum philosophischen F. führt. Für christliche Denker kann das Staunen auch den Weg zum 3 Glauben eröffnen. Descartes rechnet die dem Staunen verwandte Verwunderung zu den Affekten, während sie für Schopenhauer zur »Mutter der Metaphysik« wird (Die Welt als Wille und Vorstellung II, Kap. 17, 176). Die mittelalterliche 3 Scholastik hat die von ihr behandelten Themen gerne als F.n (lat. Quaestiones, die dann in Artikel unterteilt werden) formuliert. Dabei meint der lat. Obertitel Quaestio (= F.) zumeist eine übergreifende F.stellung, die in verschiedene Unterf.n untergliedert wird, die Artikel genannt werden. Der Artikel beginnt mit der Formulierung der F., die in den heutigen Ausgaben als Überschrift verwendet wird. Sodann werden zunächst verschiedene Einwände formuliert, dann wird ausführlich im »corpus« genannten Hauptteil die zentrale Antwort mit Begründung gegeben und schließlich wird auf die anfangs vorgetragenen Einwände eine Lösung vorgetragen. Diese Vorgehensweise entspricht im Wesentlichen der scholastischen Disputatio, zeigt aber zugleich, dass es in der Philosophie zunächst einmal um das rechte F.n geht, bevor man zu Antworten und Thesen gelangt. Auch wenn jede F. bereits ein Wissen voraussetzt, so dient doch die F. dazu, dieses Vorwissen überhaupt erst ausdrücklich bewusst zu machen. Bezeichnend für die Philosophie ist ferner, dass in ihr viel bereits von der richtigen F.stellung abhängt, dass es aber andererseits keine Möglichkeit oder Methode gibt, sich noch einmal des richtigen F.ns zu versichern, auch wenn dies immer wieder im Lauf der Philosophiegeschichte versucht worden ist. In nicht wenigen Fällen kann keine befriedigende Antwort gefunden werden, weil in der F. bereits falsche Voraussetzungen enthalten sind oder eine falsche Alternative aufgestellt wird. Schon für den platonischen Sokrates kommt es auf die richtige Weise des F.ns an. Es geht beim Philosophieren nicht darum, nach Beispielen und Geschichten zu f.n, sondern die F. nach der Bedeutung der Begriffswörter zu stellen und zu beantworten versuchen. Durch die Maieutik (Hebammenkunst) des rechten F.ns kann dem Gesprächspartner das Wissen entlockt werden, das immer schon in ihm da war und darum nach Platons Interpretation eine Wiedererinnerung (Anámnesis) darstellt. Für Schopenhauer stellt die

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Freiheit

Philosophie die F. nach dem Was und nicht nach dem Wie der Sachen. Heidegger unterscheidet zwischen dem Gefragten, wonach gefragt wird, dem Befragten, an das die Frage gerichtet wird, und dem Erfragten, worin das F.n zum Ziel kommt (Sein und Zeit, § 2). Für Coreth beginnt die Metaphysik mit der F. nach der F. Vermutlich von Nietzsche stammt der Ausdruck hinterf.n, um damit eine kritische Rückf. zu bezeichnen, die ideologiekritisch (3 Ideologie) auf eine andere, als grundlegender erachtete Ebene zielt. Das Problem dieses Hinterf.ns besteht freilich darin, dass aufgrund der verschiedenen Aspekte der Wirklichkeit immer von einem Bereich auf einen anderen übergegangen werden kann, so dass das Hinterf.n selbst nicht selten zu einem ständigen Ausweichen vor der eigentlichen F. durch den Sprung auf eine andere Ebene wird. Eine spezielle Form der F. ist die von Kant als transzendental bezeichnete, der Sache nach aber schon seit Descartes in der Neuzeit vollzogene F. oder F.stellung (3 Transzendentalphilosophie), die die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis erforscht. Platon: Menon; R Descartes: Les passions de l’âme; M Heidegger: Sein und Zeit, § 2. – K Rahner: Geist in Welt, M 2 1957; Hörer des Wortes, M 2 1963; B Waldenfels: Das sokratische F.n, Me 1961; U Hölscher: Anfängliches F.n, Gö 1968; E Coreth: Grundriß der Metaphysik, I 1994; A Keller: Allgemeine Erkenntnistheorie, St 3 2006; P Engelhardt (Hg): Metaphysisches F.n, K 2008.

Schöndorf Frankfurter Schule 3 Neomarxismus Freiburger Schule 3 Neukantianismus Freiheit im philosophisch relevanten Sinn ist eine Idee, die, auf den Menschen bezogen, vor allem drei Bedeutungen hat: erstens die F. von äußerem Zwang (Handlungsf.: tun können, was man will), zweitens die F. von gesetzlicher oder moralischer Bindung (tun dürfen, was man will) und schließlich vor allem die F. als Fähigkeit, seinem Wollen selbst eine Richtung zu geben (Willens-, Wahl- oder Entscheidungs-F.). In der praktischen (Moral-, Staats-, Gesellschafts- und Erziehungs-) Philosophie geht es um Recht und Notwendigkeit der Durchsetzung oder Einschränkung der F. in der ersten und der zweiten Bedeutung. In der theoretischen Philosophie (Anthropologie) und auch im Folgenden geht es um die F. des menschlichen Willens: Man fragt sich, wie sie verstanden bzw. definiert werden soll, und diskutiert, ob es sie wirklich gibt usw. (In welchem Sinn von einer gewissen F. höherer Tiere gesprochen werden kann oder von der F. übermenschlicher Intelligenzen bzw. Gottes selbst, ist ein eigenes Thema. In jedem Fall kann der dann vom Menschen her auszuweitende Begriff der F. nur eine analoge Einheit haben.) Die Willensf. kann definiert werden als die (bloß prinzipielle oder effektive) Fähigkeit, mich selbst für oder gegen ein bestimmtes (mir physisch mögliches und als sinnvoll erlebbares) Verhalten zu entscheiden. Eine anders ak-

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Freiheit

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zentuierte, aber im Grunde identische Beschreibung nennt als Alternative nicht das Ja oder das Nein zu einem Projekt, sondern das Ja zu diesem oder zu jenem von zwei Projekten. Innerer Grund der Fähigkeit, sich vom Triebdruck, den ein Objekt vertritt, im Einzelnen so zu distanzieren, dass man davon nicht mitgenommen wird, sondern dass es zu einem souveränen Nein oder Ja kommen kann, ist die Bindung an allgemeinere und höhere Werthorizonte, letztlich an die Idee des 3 Guten überhaupt. Die Fähigkeit zur Entscheidung kann zur Handlung selbst in einer Nähe oder Distanz stehen: Ganz nah steht sie, wenn sie unmittelbar in das Handeln übergehen kann, weil alle dafür notwendigen subjektiven Bedingungen (Motivation, Wissen, Wachheit, Kraft usw.) gegeben sind. Sie ist dann effektive Fähigkeit. Aber einem Wesen, das überhaupt zu freien Entschlüssen fähig ist, obwohl es gerade schläft, betrunken o. ä. ist, wird man die F. als prinzipielle Fähigkeit nicht absprechen. Immerhin ist effektive F. möglich nur unter der Voraussetzung einer in etwa gelungenen zerebralen und psychischen Entwicklung, für die das Erleben von liebender Zuwendung wesentlich ist. F. ist ihrerseits der Grund der Verantwortlichkeit, d. h. der Fähigkeit, Handlungen mir selbst zuzurechnen bzw. zugerechnet zu bekommen. F. als prinzipielle F. gehört zur Wesensausstattung des Menschen und begründet dessen Würde. F. als effektive F. hängt freilich von vielen Bedingungen ab und lässt offenbar Grade zu. Den Zweifel an der menschlichen Willensf. nennt man 3 Determinismus. Diesen gibt es in »weicher« und in »harter« Form. Der weiche Determinismus drückt den Eindruck aus, dass Menschen sich nahezu immer irgendwoher bestimmen lassen, statt dass sie sich selbst bestimmen. Dieser Eindruck hat manches für sich, kann aber keine grundsätzliche Bestreitung der F. tragen. Der harte Determinismus hingegen drückt (nach Meinung seiner Vertreter) keinen empirischen Eindruck aus, sondern ein apriorisches Wissen. Das klassische Argument besteht im Hinweis auf die kausale 3 Notwendigkeit alles Geschehens in der Welt, in der es keine indeterministische »Lücke« geben könne. Seit der Quantenphysik ist die Idee einer durchgängigen Determiniertheit des Geschehens, anders als zu den Zeiten von Laplace und Kant, freilich nicht mehr Gemeingut der Physiker. Doch wird dieses Argument im kleinen Maßstab von denen erneuert, die sich darauf berufen, dass gewissen Handlungseinstellungen bestimmte Erregungen in entsprechenden Arealen des Gehirn vorhergehen; was aber nach einer Regel vorhergeht, sei auch Ursache. In der Tat kommen mit der Hirnforschung neue Komponenten der Entschlussbildung in den Blick. Ob aber die vorhergehende zerebrale Erregung den Entschluss selbst oder nur die noch unbestimmte Entschlussbereitschaft verständlich macht, bleibt offen. – Keine Form des »harten« Determinismus hat sich bisher stichhaltig begründen lassen. Doch ist damit nur die Negation der F. beseitigt. Sie selbst ist dadurch noch nicht aufgewiesen. Tatsache und Wesen der F. lassen sich positiv nur durch transzendentale 3 Refle-

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Freundschaft

xion auf den (interpersonal vermittelten) Bezug menschlichen Handelns auf die 3 Idee des Guten (der Gerechtigkeit usw., kurz: des mehr als bloß funktional Sinnvollen) erfassen. Aristoteles: Nik. Eth. III 1–8; Augustinus: De libero arbitrio; I Kant: KrV B 561– 586; Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, III; F W J Schelling: Untersuchungen zum Wesen der menschlichen F. – F Ulrich: Gegenwart der F., Ei 1974; J B Lotz: Person und F., Fr 1979; E Coreth: Vom Sinn der F., I 1985; A Keller: Philosophie der F., Gr 1994; P Bieri: Das Handwerk der F., M 2001; R Kane (Hg): The Oxford Handbook of Free Will, O 2002; G Haeffner: Philosophische Anthropologie, St 4 2005, 180–212.

Haeffner Fremdseelisches 3 Andere Freude 3 Lust Freundschaft meint eine Form der zwischenmenschlichen Beziehung, die aus freier Zuwendung hervorgeht, auf Dauerhaftigkeit angelegt ist, in der Sympathie der Partner füreinander gründet und sich in gemeinsamen Überzeugungen artikuliert. Von erotischer 3 Liebe unterscheidet sich F. nach Forschner »durch ihre größere 3 Freiheit von naturwüchsigen 3 Voraussetzungen, durch das Dominieren der 3 Vernunft gegenüber den Momenten 3 irrationaler 3 Leidenschaft und durch geringere Exklusivität und Intimität.« Im neueren politischen Sprachgebrauch können auch Kollektive zum 3 Subjekt von F. werden, wenn etwa in modernen Vertragstexten von ›Völkerf.‹ als dem Ziel der internationalen Beziehungen die Rede ist. Die wirkungsgeschichtlich wichtigsten Aussagen in der Antike stammen von Aristoteles und Cicero. Nur F.en, die auf einem gegenseitigen und ausdrücklichen Wollen des 3 Guten für den anderen und um des anderen willen basieren, verdienen nach Aristoteles diesen Namen, nicht hingegen F.en, die aus Nutzerwägungen oder um des Lustgewinns geschlossen werden. Wirkungsgeschichtlich noch bedeutsamer als Aristoteles ist Cicero, weil er durch die Kirchenväter und speziell Augustinus rezipiert wurde. Als Bedingung wahrer F. nennt Cicero die Übereinstimmung in allen menschlichen und göttlichen Dingen, zudem Wohlwollen und Güte. Hatten die antiken Philosophen noch deutlich zwischen Liebe und F. unterschieden, so neigte die 3 christliche Philosophie des Mittelalters zu einer Gleichsetzung von Liebe und F. Zudem bekam der Begriff F. hier deutlich religiöse Konnotationen, wie der Begriff der geistlichen F. und der Begriff der Gottesf. belegt. Im 3 Denken der 3 Aufklärung wird der Begriff der F. modifiziert zu einer diesseitigen, vernünftigen und moralischen Grundhaltung gegenüber jedermann, zur 3 Pflicht gegenüber der 3 Gesellschaft ohne Affektbindung. In der Romantik wird dieser Begriff dagegen subjektiviert und mystifiziert. F. wird nunmehr verstanden als irrationale Neigung aus Seelenverwandtschaft und als Mittel zur Überschreitung der Grenzen der endlichen Subjektivität. Im 19. Jahrhundert äußern Schopen-

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Friede

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hauer und Nietzsche 3 Zweifel am 3 Ideal einer interesselosen F. Die Gegenwartsphilosophie diagnostiziert einerseits einen gesellschaftlichen Bedeutungsverlust von hochpersonalisierten F.sbeziehungen, an deren Stelle in vielen Fällen altersgruppenspezifische oder interessen- bzw. zweckbezogene Verkehrsbeziehungen von oft geringerer Kontinuität treten, andererseits bemüht sich der 3 Kommunitarismus um eine Aufwertung der F. gegenüber der 3 Gerechtigkeit. A Müller / A Nitzschke / C Seidel: Artikel »F.«, in: HWPhil, Bd. 2, 1105 ff.; H-H Schrey: Artikel »F.«, in: TRE 11, 590 ff.; H Kuhn: Liebe, M 1975; K-D Eichler: Philosophie der F., L 2000.

Ollig Friede reicht in gradueller Steigerung von der »bloßen Abwesenheit von Krieg (K.) und Konflikten« bis hin zum »gerechten Zustand«, der keinen Nährboden mehr der Gewalt anbietet. »Äußerer F.« meint die bloße Unterdrückung zerstörender Handlungen, lässt aber deren Gefahrenpotential bestehen, das der »innere F.« abbaut. Seelischen F. erfährt, wer inmitten der Widrigkeiten am vernünftig gewählten Ziel festhält. – Da Konflikte, ja Ungerechtigkeiten bleiben und konflikts- wie k.slose Zeiten utopisch sind, ist der F. inmitten des agonalen Charakters der Wirklichkeit zu stiften. Jedoch sind K. und das Böse nicht die Ausgangssituation der Menschheit, setzen vielmehr den F. und das Gute voraus, gegen die sie sich entscheiden. F. lässt sich, wie Kant es richtig sah, nur auf dem Weg über eine behutsame, gemeinsam getragene Republikanisierung (3 Demokratie) des Zusammenlebens, die Verrechtlichung der Staatsbeziehungen, das universal zuständige Gewaltmonopol (3 Zwang) und die Rechenschaftspflichtigkeit der Amtsträger (3 Autorität) erreichen. 3 Gewalt kann als letztes Mittel zur Rettung oder Wiederherstellung des innen- und außenpolitischen F.ns berechtigt sein. Einen K. rechtfertigen 1) die Ermächtigung, heute durch die UN-Charta, 2) die Verteidigung (ein anderer Grund rechtfertigt nicht) und zwar als ultima ratio, nach Erschöpfung aller anderen Mittel, und 3) die F.ns- und Versöhnungsabsicht. Es müssen 4) die durch den K. verursachten menschlichen Opfer, Schäden und die Souveränitätsverletzung in einer rechtfertigbaren Proportion zu den (Menschen)-Rechtsverletzungen stehen, die der angegriffene Staat begeht (3 Völkerrecht); außerdem muss 5) Aussicht auf Erfolg, d. h. auf F., bestehen. Vertrauensbildende Maßnahmen und Methoden gewaltfreier Konfliktlösungen haben der sittlich zu verantwortenden Verteidigungspolitik zur Seite zu treten. Der Pazifist muss sich fragen lassen, ob er das Recht anderer auf Leben zu schützen bereit ist und seinen Pazifismus nicht nur dank der Verteidigungsbereitschaft anderer zu leben vermag. Die Arbeit für den F. wird heute auch den Schutz des komplexen Systems Natur, die nachhaltige Versorgung mit Energie, Wasser und Nahrung und die menschenfreundliche Gestaltung der Lebensräume beinhalten müssen.

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Funktion

Augustinus: De civitate Dei, 19. Buch; N Cusanus: Vom F. zwischen den Religionen; I Kant: Zum ewigen F.; G W F Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 331 ff.; J Rawls: The Law of Peoples, in: On human Rights, hg. v. S Shute / S Hurley, NY 1993. – E Biser: Der Sinn des F., M 1960; R Aron: K. und F., F 1963; C F von Weizsäcker: Bedingungen des F.s., Gö 6 1974; J Barnes: The Just War, in: The Cambridge History of later Medieval Philosophy, hg. v. N Kretzmann / A Kenny / J Pinborg, C 1982; V Zsifkovits: Ethik des F., Linz 1987; O Höffe (Hg): I Kant: Zum ewigen F., B 1995; R Merkel / R Wittmann (Hg): ›Zum ewigen F.‹, F 1996; O Höffe: ›Königliche Völker‹, F 2001; M Quante / D Janssen (Hg): Gerechter K., Pa 2002; E Luttwak: Strategie: Die Logik von K. und F., Lüneburg 2003.

Brieskorn Fulguration 3 Emergenz Fundamentalismus 3 Erkenntnistheorie Fundamentalontologie 3 Existenzphilosophie Fundamentalphilosophie 3 Metaphysik Fundamentum in re 3 Gedankending 3 Universalienproblem Fundationalismus 3 Erkenntnistheorie Funktion im technischen, soziologischen, psychologischen und physiologischen Sinne hat es mit der Leistung oder Betätigungsweise von Artefakten, gesellschaftlichen Institutionen, seelischen Vermögen und körperlichen Organen zu tun. F. im mathematischen Sinne ist eine 3 Relation zwischen Zahlgrößen (3 Zahl), die in einem durch F.szeichen (Funktoren) festgelegten Abhängigkeitsverhältnis stehen und zwar so, dass der einen Größe (F.sargument, unabhängige Variable) eindeutig eine andere Größe (F.swert, abhängige Variable) entspricht, wie z. B. im F.sausdruck »y = x2 « der Funktor in der Potenzangabe »2 « besteht und dem Argument 5 für »x« der Wert y = 52 = 25 zugeordnet wird. Werden quantitative Werte veränderlicher physikalischer Größen als Argumente und Werte einer F. gewählt, lassen sich gesetzmäßige Abhängigkeitsverhältnisse in der 3 Natur mathematisch-quantitativ erfassen. Eine mathematische Abbildung entspricht einer solchen Zuordnung von F.en zu physikalischen und anderen veränderlichen Prozessen. – Lässt man beliebige 3 Gegenstände und die Wahrheitswerte als Argumente und Werte von F.en zu, wird der F.sbegriff ausgeweitet, so dass eine für 3 Logik und 3 Mathematik gemeinsame Grundlage entsteht (Frege). So kann z. B. der durch »ist ein Planet« ausgedrückte 3 Begriff in seiner Prädikatsf. als eine ungesättigte Wahrheitsf. (engl. propositional function) verstanden werden, die angewandt auf Gegenstände wie Jupiter bzw. Rom als Argumente das Wahre bzw. das Falsche als Wert ergibt. R Dedekind: Was sind und was sollen die Zahlen, Bg 1887. – G Patzig (Hg): G Frege, Gö 1969; A Maier: Die Vorläufer Galileis im 14. Jahrhundert, Ro 1949; K Menger: Calculus, Boston 1955.

Carls

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Ganz

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Funktor 3 Funktion 3 Logik Für sich 3 Sein 3 Selbst Futura contingentia 3 Kontingenz Futuribilia 3 Gottes Eigenschaften Ganz / Ganzheit Ein Ganzes (G.) im weitesten Sinne (gr. hólon, lat. totum, engl. whole, fr. tout), wofür man auch Ganzheit (Gh.) sagt, ist eine 3 Einheit, die aus einer 3 Vielheit Einzelner (3 Individuum) als seinen 3 Teilen besteht. Man sagt auch, dass etwas g. ist, wenn ihm kein Teil fehlt. – Bei einem realen G.en, das gewöhnlich als 3 konkrete Einheit in der vom 3 Denken unabhängigen 3 Realität vorkommt, werden die vielen oftmals verschiedenartigen Teile von einem Gh.sprinzip zu einer Einheit zusammengeschlossen. Ein reales G.es kann ein 3 natürliches G.es (lat. totum essentiale, totum naturale) sein, etwa eine menschliche 3 Person oder ein anderer lebender 3 Organismus, in dem ein Gh.sprinzip (3 Form) die vielen oft verschiedenartigen psychischen Akte, Körperteile und Zellen zur einem einzigen heterogenen G.en zusammenfügt, ohne selbst Teil des G.en zu sein (Entelechie; Aristoteles). Ein solches Gh.sprinzip ist z. B. die 3 Seele, die in jeglichem 3 Leib »sowohl g. im g.en wie auch g. in jedem seiner Teile« ist (Augustinus, De Trin. VI,6,8). Ob auch rein 3 materielle Gebilde wie Sterne, Planeten, Steine, Kristalle, Moleküle, Atome usw. durch ein Gh.sprinzip zu G.en werden, ist umstritten. Bisweilen hat man das gesamte Weltall als ein reales G.es aufgefasst, dessen verschiedenartige Teile von einer Weltseele vereinigt werden (Platons Timaios, Stoizismus, Neuplatonismus, G Bruno, F W J Schelling). Während ein natürliches G.es ein Gh.sprinzip in sich selbst hat, werden kulturelle G.e, z. B. Kunstwerke, Artefakte, Staaten, Wissenschaften, Religionen vornehmlich durch menschliches Wollen und Handeln aus vielfältigen Teilen zu Einheiten zusammengefügt. – Das Verständnis eines kontinuierlichen G.en (lat. totum continuum, 3 Kontinuum) wie des 3 Raumes und der 3 Zeit, die in Teilabschnitte, z. B. Strecken und Zeitperioden oder auch Punkte und Augenblicke unterteilt werden können, hängt davon ab, ob man in Raum und Zeit bloße Anschauungsformen (Kant) oder reale Gegebenheiten absoluter (Newton) oder relativer Art (Aristoteles) sieht. Als universales bzw. begriffliches G.es (lat. totum universale, 3 Begriff) hat man den Gattungsbegriff im Verhältnis zu 3 Art als Teilbegriff oder den Artbegriff im Verhältnis zu den zu ihm gehörenden Individuen aufgefasst (Boëthius). Dieses Verständnis ist in neuerer Zeit durch die Auffassung einer 3 Menge als G.es in Bezug auf ihre sogenannten Teilmengen ersetzt worden. – Man hat auch eine Summe bzw. ein Produkt als ein mathematisches G.es aus Summanden bzw. Multiplikationsfaktoren als Teile angesehen. Inwieweit solche kollektiven Gesamtheiten (Kollektivbegriff) wie Sandhaufen, Bergketten, Galaxien, Bienenschwärme und Schafherden, die aus trennbaren Komponenten oder »(Bestand-) Teilen« bestehen, als reale G.e verstanden

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Ganz

werden können, hängt davon ab, ob sie durch ein einigendes Gh.sprinzip zu einer Einheit zusammengefügt werden oder ob sie nur im Nachhinein zu vorstellungsmäßigen oder gedanklichen G.en gemacht werden. So kann z. B. auch das Weltall nur als ein regulatives Prinzip der Erkenntnis gesehen werden (Kant). Ein Stoff wie Wasser ist dagegen kaum als reales G.es zu sehen, es sei denn als G.es aus Sauerstoff und Wasserstoff. Auch konkrete Stoffquantitäten, z. B. die Wasseransammlung eines Teichs, sollte nicht als Stoffg.es gesehen werden, sondern höchstens als konkrete Stoffgesamtheiten mit Teilen bzw. Teilquantitäten. Eine holistische Auffassung liegt noch nicht vor, wenn man Euklids Axiom »Das G.e ist mehr als der Teil« oder das Prinzip »Das G.e ist mehr als die Summe seiner Teile« akzeptiert, sondern erst wenn man dem G.en einen entscheidenden Vorrang vor den Teilen einräumt (Aristoteles), was sich im Prinzip ausspricht »Das G.e ist mehr als die Gesamtheit seiner Teile und der strukturierenden Relationen zwischen diesen«. Ein Pferd oder eine Symphonie sind als G.es mehr als bloße Anhäufungen von Atomen oder Tönen und mehr als die materielle Struktur, in der die Pferdeatome und Symphonietöne zusammengefügt sind. Die holistische Auffassung wird verstärkt, wenn man außerdem das Prinzip annimmt »Das G.e ist notwendig früher als der Teil« (Aristoteles). Damit ist nicht gemeint, dass das G.e zeitlich vor den Teilen besteht, da die zum Hausbau verwendeten Steine vor dem Haus in der Natur vorkommen können, sondern dass das G.e ontologisch gesehen ein Modell, einen Plan oder eine Idee verwirklicht, welche die 3 Funktion der Teile im G.en im Voraus festlegen. Besonders in der aristotelisch beeinflussten Scholastik wurden Gh.sauffassungen weiterhin präzisiert. Um die Unterschiede zwischen Mensch, Tier, Pflanze und Amöbe zu erklären, ging man von der ontologisch begründeten These aus, dass die 3 Seins- und Wirkvollkommenheit eines realen G.en desto größer ist, je mehr es eine Einheit ist. In der Neuzeit wurde das ontologische Gh.sverständnis in den Hintergrund gedrängt oder in der 3 Transzendentalphilosophie so umgeformt, dass das G.e mit den Möglichkeitsbedingungen der Anschauung oder des 3 Verstandes zu tun hatte (Kant). Erst im 19. Jahrhundert wurde im Gegensatz zum dominierenden 3 Atomismus teils im Anschluss und teils im Gegensatz zur Transzendentalphilosophie ein neues Gh.sverständnis entwickelt, insbesondere von Biologen (Driesch, Haldane, Smuts, Meyer-Abich) und Psychologen (C v Ehrenfels, Wertheimer, Krueger, Metzger, Wellek, Volkelt) sowie auch von Humanwissenschaftlern (Spann). Aristoteles: Metaph. V, 24 ff.; Boëthius: De divisione; De diff. Top. II; Albert Magnus: Met. V,6,2 ff.; T v Aquin: STh I,8,2; 11,2; 76,8; ScG II,57; II,72; IV,65; In Met. 5,21; 7,16; R Goclenius: Lex. Philos. 1613, art. »totus«; I Kant: KrV B 197–224; 436–440; 466–470. – H Driesch: Das G.e und die Summe, L 1921; O Spann: Kategorienlehre, J 1924; K Faigl: Gh. und Zahl, 1926; J S Haldane: The Philosophical Basis of Biology, 1931; A Wenzl: Der Gestalt- und Gh.be-

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Gedächtnis

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griff in der modernen Psychologie, Biologie und Philosophie und sein Verhältnis zum Entelechiebegriff, in: Festschrift J Guyser 1931; H Schickling: Sinn und Grenze des aristotelischen Satzes: »Das G.e ist vor dem Teil«, M 1936; J C Smuts: Die holistische Welt, B 1938; F Krueger: Die Lehre vom G.en, 1948; A Wellek: Gh.spsychologie und Strukturtheorie, Be 1955; A Meyer-Abich: Der Holismus als Idee, Theorie und Ideologie, HH 1956; F Sander / H Volkelt: Gh.spsychologie. 1962; A Kern (Hg): Die Idee der Gh. in Philosophie, Pädagogik und Didaktik, Fr 1965; E Nagel: Das G.e ist mehr als die Summe seiner Teile, 1965; O Lange: Gh. und Entwicklung in kybernetischer Sicht, B 1967; W Heisenberg: Der Teil und das G.e, M 1969.

Carls Gattung 3 Art 3 Prädikabilien Gebet 3 Religion Geburt Gottes 3 [115] Gedächtnis ist die Fähigkeit, Erfahrungen, Verhalten und Wissen zu speichern und später zu reproduzieren. Im Erinnern beziehen wir mittlerweile erworbenes Wissen und Erfahrungen mit ein und rufen Informationen entsprechend der momentanen Gemütslage ab. Es gibt verschiedene G.systeme. Nach der Dauer unterscheidet man zwischen Kurzzeitg. und Langzeitg. Die Kapazität des Kurzzeitg.es ist begrenzt, umfasst in der Regel sieben Informationseinheiten und liegt im Bereich von Sekunden (Ultrakurzzeitg.) bis maximal wenigen Minuten. Das Langzeitg. ist die Information, die Tage bis Jahre erhalten bleibt. Es ist inhaltlich und mengenmäßig nicht begrenzt. Nach dem Inhalt unterscheidet man zwischen explizitem (deklarativem) G. und implizitem (nicht deklarativem) G. Erlebnisse werden anders gespeichert als Wissen oder Fertigkeiten. Zum expliziten G. gehören das episodische und das semantische G. Das episodische G. enthält persönliche Erlebnisse und autobiographische Ereignisse. Das semantische G. umfasst alle Informationen, die wir als bewusstes Wissen verfügbar haben und reproduzieren können. Zum impliziten G. zählt das prozedurale G. und das Priming G. Das prozedurale G. bezieht sich darauf, wie Dinge getan werden, die auf motorischen Fertigkeiten beruhen, wie Radfahren, Tippen, Schwimmen, Skifahren und Musikinstrumente spielen. Priming ist eine Art unbewusste Erinnerungsspur für Dinge, die wir bereits einmal registriert haben (latentes Wissen). H J Markowitsch: Dem G. auf der Spur, Da 2002. – D L Schacter: Wir sind Erinnerung, HH 2001.

Goller Gedächtnisbild 3 Vorstellung Gedanke 3 Denken 3 Vorstellung

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Gedankending

Gedankending (ens rationis) ist etwas, das nur als Gegenstand des Denkens existieren kann. Unter den Begriff des Seienden fallen Dinge, die wirklich existieren, Dinge, die zwar nicht wirklich existieren, aber wirklich existieren könnten und eben G.e, die so, wie sie gedacht werden, in Wirklichkeit nicht existieren können. Suárez unterscheidet zwischen G.en, welche keine Seinsgrundlage (fundamentum in re) haben, wie für unmöglich gehaltene fiktive Dinge, und sachlich begründeten G.e. So ist etwa der Begriff des 3 Raums in der Ausdehnung der Körper und ihrer Beziehung zueinander sachlich begründet. Aber der Raum als etwas, das verschiedene Körper in sich aufnehmen kann, ist nur ein G. Dennoch ist die Vorstellung des Raums nützlich. Denn sie ermöglicht Aussagen über die Lage der Körper. Weiter unterteilt Suárez die G.e in privative (z. B. Blindheit), negative (z. B. Nicht-Flüssigkeit) und relationale (Beziehungen zwischen Denkinhalten, z. B. »Gattung«, »Art«). F Suárez: DM d 51,1 und 54, 1861; F Brentano: Vom ens rationis, in: Psychologie vom empirischen Standpunkt 2., L 1925, 238–277; A Meinong: Über Gegenstandstheorie, HH 1988. – M Reicher: Gibt es Gegenstände, die nicht existieren?, in: Metaphysica 1, 2 (2000), 135–162.

Niederbacher Gefüge 3 Ordnung 3 Struktur Gefühl / Emotion Der Ausdruck G. (E.serleben) bezieht sich auf die subjektive Erlebnisqualität von E.en mit ihren vielfältigen Lust-Unlust-Schattierungen, wie Freude, Trauer, Ärger/Wut, Furcht/Überraschung, Ekel und Verachtung. Der Ausdruck E. ist umfassender und bezeichnet einen qualitativ näher beschreibbarer Zustand, der mit Veränderungen auf einer oder mehreren der folgenden Ebenen einhergeht: G., körperlicher Zustand und Ausdruck (Schmidt-Atzert, 21). An einem e.alen Zustand lassen sich drei Komponenten unterscheiden: das E.serleben bzw. das G., die inneren körperlichen Veränderungen und das von außen beobachtbare Ausdrucksverhalten. E.en sind einerseits zwar subjektiv und privat, andererseits aber durch verbale Berichte, durch das Ausdrucksverhalten und anhand körperlicher Veränderungen von außen ›einsehbar‹. E.en werden bevorzugt auf nichtsprachliche Weise kommuniziert, mit Hilfe der Mimik, Gestik, Körperhaltung, Stimmqualität und durch die sichtbaren Aspekte physiologischer Veränderungen wie Erröten, Blässe oder Zittern. Das Besondere am E.serleben ist, dass es sich auf eine bestimmte Weise anfühlt, in einem e.alen Zustand zu sein. G.e sind das Gegenteil von Gleichgültigkeit. Sie entstehen nur, wenn eigene Bedürfnisse, Interessen und Ziele betroffen sind. Anhand der zeitlichen Dauer lassen sich G.sregungen, e.ale Reaktionsbereitschaften und 3 Stimmungen voneinander unterscheiden. G.sregungen sind akute, momentane Erlebnisse. Sie beziehen sich auf konkrete Personen und Situationen. Die Objekte müssen nicht real existieren. Es

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Gefühl

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genügt die Meinung, dass sie existieren. Jemand kann wütend auf einen Mitmenschen sein, weil er glaubt, dieser habe ein Gerücht über ihn verbreitet. Der Ausdruck e.ale Reaktionsbereitschaft bezieht sich auf die Neigung, gegenüber bestimmten Menschen, Ereignissen und Objekten gewohnheitsmäßig e.al zu reagieren. Vorlieben und Abneigungen, die wir aufgrund früherer Erfahrungen und durch soziales Lernen erworben haben, sind Reaktionsbereitschaften in diesem Sinn. Stimmungen bilden den atmosphärischen Hintergrund unseres gesamten Erlebens. Sie sind reine Zustandserlebnisse und können Stunden oder Tage dauern. In ihnen erleben wir, wie uns ganz allgemein zumute ist. Sie reichen von Heiterkeit und Lustigkeit, bis Missmut, Traurigkeit und Niedergeschlagenheit. Die vorherrschende Stimmung wird auch als Lebensgrundstimmung bezeichnet. Stimmungsschwankungen gehen mit Schwankungen des Selbstwertgefühls einher. E.en haben für unser Erleben, Verhalten und Handeln eine enorme Bedeutung. Ein Leben ohne G.e wäre so kalt und steril wie die Welt der Computer und Roboter, es wäre ohne Sinn und Bedeutung. C Izard bezeichnet E.en als die grundlegendeste Bezogenheit des Menschen auf Wirklichkeit. E.en geben unserem Bewusstsein Kontinuität. Stärker als im Wissen, im Wollen oder im Handeln erlebt der Mensch sich in seinen G.en als mit sich selbst identisch. E.en bringen uns unverzüglich Dinge zum Bewusstsein, die für uns lebenswichtig sind. Sie üben erkennende, aktivierende und motivierende Funktionen aus. Nur in Ausnahmesituationen, wie in einer schweren Depression, kann es geschehen, dass jemand vollkommen teilnahmslos der Welt und den Mitmenschen gegenübersteht und über ein quälendes G. der G.losigkeit klagt. Denken und Fühlen galten in der Psychologie und Philosophie häufig als Gegensätze. In neuerer Zeit wird der Gegensatz von Vernunft und G. in der Gegenüberstellung von kognitiver und e.aler Intelligenz erörtert. Wer schnell und sicher die eigenen G.e und die der Mitmenschen richtig deuten und einordnen kann, verschafft sich einen Vorteil im Umgang mit sich und den Mitmenschen. Die Vorstellung, G.e stehen vernünftigen und verantwortlichen Entscheidungen im Wege, ist weit verbreitet. Neuere Befunde aus der Psychologie und der Gehirnforschung zeigen jedoch, dass E.en bei Entscheidungen nicht bloß hilfreich, sondern notwendig sind. Sie helfen, beim Abwägen von Alternativen eine günstig erscheinende Vorauswahl zu treffen und die Folgen zukünftiger Ereignisse abzuschätzen. Zudem sind sie notwendig, um rationale Erkenntnis in die Tat umzusetzen (Damasio). Der Mensch ist das e.alste und rationalste Lebewesen (Goller). Können G.e ein Forschungsgegenstand für empirische Wissenschaften wie die Psychologie und die Neurowissenschaften sein? Die privaten G.serlebnisse sind für die Forschung keine Daten, weil sie von außen nicht direkt beobachtbar sind. Erlebnisberichte sind Daten und werden in der E.sforschung durch Verhaltensbeobachtungen und physiologische Messungen er-

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Gegensatz

gänzt. Die verschiedenen Forschungstraditionen und E.stheorien unterscheiden sich darin, welche E.skomponente sie bevorzugen: die e.sbezogenen Körperprozesse, das e.ale Verhalten oder die e.sbezogenen kognitiven Prozesse. Ziel der E.sforschung ist es, die kausalen Beziehungen zwischen den E.skomponenten aufzuzeigen und zu eindeutigen Aussagen über die Entstehung, den Verlauf und die Effekte von E.en in Abhängigkeit von bestimmten Bedingungen zu kommen. Wie entsteht eine E. in einer konkreten Situation? Was verleiht dem G. seine spezifische Erlebnisqualität und wie kommt diese zustande? Wichtigstes Ziel der E.sforschung ist es, die Prozesse zu ermitteln, die zwischen dem Auftreten eines äußeren oder inneren e.sauslösenden Reizes und dem bewussten G. ablaufen. Weitgehend ungeklärt ist die Frage, wie viele angeborene E.en, sogenannte Primäre.en oder Basise.en, es gibt. Belege für die Universalität des Gesichtsausdrucks liegen vor für die E.en Freude/ Glück, Ärger/Wut, Ekel, Verachtung und Trauer sowie für Furcht und Überraschung zusammengenommen (Ekman). Soziale E.en wie Sympathie, Achtung, Respekt, Bewunderung, Verlegenheit, Scham, Schuld, Stolz, Eifersucht, Neid, Dankbarkeit, Entrüstung und Geringschätzung sind in den Primäre.en verankert (Damasio). P Ekman: Gesichtsausdruck und G., Pb 1988; H Goller: E.spsychologie und LeibSeele-Problem, St 1992; L Schmidt-Atzert: Lehrbuch der E.spsychologie, St 1996; A Damasio: Descartes’ Irrtum, M 1997; Looking for Spinoza, joy, sorrow, and the feeling brain, Orlando 2003; J LeDoux: Das Netz der G.e, M 1998; C Izard:. Die E.en des Menschen, Weinheim 4 1999; C Wassmann: Die Macht der E.en, Da 2002.

Goller Gegebenes 3 Erfahrung Gegensatz (lat. oppositio) im ontologischen Sinne besteht – als Kennzeichen alles Endlichen – zwischen Gegebenheiten oder Seinsprinzipien, die nicht ineinander auflösbar, oft miteinander unverträglich, aber oft aufeinander bezogen sind (Pythagoreer, chinesische Philosophie). Der 3 Monismus löst jeden G. in eine undifferenzierte 3 Einheit auf (Vedanta-Philosophie, Parmenides), während der 3 Pluralismus den totalen G. von allem überhaupt annimmt (Buddhismus). Nach dem 3 Dualismus ist ein G.paar wie GeistigkeitSinnlichkeit, Leib-Seele miteinander unvereinbar (Platonismus, Descartes), während der 3 Holismus trotz der Annahme einer echten Dualität oder Pluralität mit einem einheitlichen Grund jenseits jedes G.es (Aristoteles) und mit dem Zusammenfall der Gegensätze (lat. coincidentia oppositorum) in Bezug auf den unendlichen Grund (Gott) rechnet (Neuplatonismus, Nikolaus v Kues). – Ein G. kann in der Polarität zwischen den Extremen eines 3 Ganzen vorliegen wie in Nordpol-Südpol, Geburt-Tod oder zwischen einander bedingenden Seinsprinzipien wie Akt-Potenz, Materie-Form, Sein-Wesen. Ein relativer G. besteht zwischen entgegengesetzten Beziehungen wie links-rechts,

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Gegensatz

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früher-später oder zwischen Gegebenheiten, die durch entgegengesetzte 3 Relationen bestimmt sind wie Eltern-Kind. Ein dynamischer G., zu dem auch der dialektische G. gehört (3 Idealismus, 3 dialektischer Materialismus), besteht zwischen einander entgegengesetzten Tätigkeiten und Bestrebungen im gleichen oder in verschiedenen Seienden. Ein privativer G. besteht zwischen dem Vorhandensein und dem Fehlen einer Beschaffenheit, z. B. in lebendig-tot, sehend-blind (3 Privation) und ein konträrer G. zwischen zwei positiven Inhalten wie schwarz-weiß, groß-klein, sofern es ein Drittes gibt. G. im logischen Sinne ist mehr als nur der 3 Widerspruch (lat. contradictio) zwischen einer 3 Aussage und ihrer 3 Negation oder zwischen einem 3 Begriff und seiner Negation, falls diese vom Gleichen ausgesagt werden. G. ist auch mehr als nur die Unverträglichkeit zwischen zwei Aussagen, die nicht zusammen wahr sein können, oder zwischen Begriffen, die nicht gleichzeitig und unter gleicher Rücksicht wahrheitsgemäß vom Gleichen prädizierbar sind. Auch können nicht nur 3 kategorische Aussagen auf vielfache Weise gegensätzlich sein (Aristoteles), sondern alle Aussagen mit 3 Modalitäten, z. B. in der Modallogik, der Normlogik und der epistemischen Logik, wie das folgende Oppositionsquadrat zeigt: Alle S sind P (A)

Kein S ist P (E) konträr

"

Subaltern

Es ist unmöglich, dass p Es ist verboten, dass p A weiß, dass nicht-p

$ " "

Subaltern

Es ist notwendig, dass p Es ist geboten, dass p A weiß, dass p

#

Kontradiktorisch

Irgendein S ist P (I) Es ist möglich, dass p Es ist erlaubt, dass p A weiß nicht, dass nicht-p

Irgendein S ist nicht P (O) subkonträr

$

Es ist möglich, dass nicht-p Es ist erlaubt, dass nicht-p A weiß nicht, dass p

Im kontradiktorischen (diagonalen) Falle kann immer nur der eine wahr und der andere falsch sein. Im konträren Falle können beide zusammen falsch, aber nicht zusammen wahr sein. Im subkonträren Falle können beide zusammen wahr, aber nicht zusammen falsch sein. Im subalternen Falle ist das Untere aus dem Oberen ableitbar. Aristoteles: Kateg. 10; Peri herm. 7; Metaph. V, 10; X,3; Cusanus: De visione Dei 9–15; R Guardini: Der G., Mz 1925; N Hartmann: Der Aufbau der realen Welt, B 1940. – J P Anton: Aristotle’s theory of contrariety, Lo 1957.

Carls

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Gegenstand

Gegenstand / Objekt G. ist die dt. Übersetzung von O. (lat. obiectum), das wiederum der Gegenbegriff zu 3 Subjekt im Sinn des Subjekts einer Tätigkeit ist. Der Ausdruck G. oder O. hat verschiedene Bedeutungen: 1. Ein G. oder O. im allgemeinsten Sinn ist ein jegliches, worauf sich das Erkennen oder Streben (Wollen, Handeln) eines tätigen Subjekts (einer Person oder eines Lebewesens) richtet oder richten kann, also alles Erkennbare und Erstrebbare. 2. In einem engeren Sinn des Wortes ist ein G. oder O. das bestimmte konkrete Seiende, worauf die Intention des Erkennens oder Strebens gerichtet ist. Darum wird eine Denkbemühung oder Willensstrebung, die nicht auf bestimmte einzelne O.e gerichtet ist, sondern von jedem konkreten G. frei sein will, g.slos, übergegenständlich oder ungegenständlich genannt. 3. In einem noch engeren Sinn kann der Ausdruck G. oder O. auch (vor allem in der Alltagssprache) gleichbedeutend mit Ding oder Sache werden und im Gegensatz zu einer Person (und einem Lebewesen) stehen: Wenn gesagt wird, man dürfe einen Menschen nicht zu einem (bloßen) O. machen, so ist damit gemeint, dass ein Mensch nicht wie eine Sache behandelt werden darf, sondern dass seine Menschenwürde zu achten ist (Kant: der Mensch ist Selbstzweck). Der Begriff G. oder O. als solcher kann entweder die nur gedachte Vorstellung von etwas oder das wirklich existierende Seiende meinen. Die Scholastik nennt das O. oder die Gesamtheit der O.e, auf die die Erkenntnis gerichtet ist, als solche das Materialo., während sie die spezielle Hinsicht, unter der die betreffenden Gegenstände untersucht werden, als das Formalo. bezeichnet. Die Frage, inwieweit eine O.ivierung von etwas möglich und zutreffend ist und inwieweit nicht, kann einen mehrfachen Sinn haben: Zum einen ist das O. wesentlich dem Spezifischen des Subjekts entgegengesetzt. Darum kann die Subjektivität als solche nie völlig o.iviert werden, sondern muss vielmehr so gedacht werden, dass ihre O.ivierung im Sinn einer Reduzierung auf den Status eines O.s vermieden wird (3 Transzendentalphilosophie). Zum anderen sind wir weithin gewohnt, nach dem Schema der Erkenntnis raumzeitlicher Gegenstände zu denken, so dass die O.ivierung oder Vergegenständlichung von etwas im Sinn der 3. oben genannten Bedeutung von O. vielfach auf eine Verdinglichung oder auf ein Denken hinausläuft, das nur univoke und formalisierbare Entgegensetzungen kennt (was Hegel dem Verstand im Gegensatz zur Vernunft zuschreibt). In diesem Sinn bedeutet die O.ivierung eine Verdinglichung und stellt somit im Fall eines nicht konkret existierenden Dinges (z. B. einer Wesenheit, Eigenschaft, Vorstellung, eines Prinzips oder des Seins) eine Verfälschung dessen dar, worum es geht. W V O Quine: Word and object, C Mass. 1960; A Meinong: Über G.stheorie, HH 1968. – B Weissmahr: Ontologie, St 1985; H Schmitz: Der Ursprung des G.es, Bn 1988.

Schöndorf

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Gegenwart

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Gegenstandstheorie 3 Phänomenologie Gegenwart Das Wort G. meint (a) soviel wie das Anwesendsein von jemandem oder von etwas, im Unterschied zu seiner Abwesenheit, wobei diese einen bloß faktischen oder aber einen privativen Sinn hat: jemand ist einfach nicht da bzw. jemand fehlt, d. h. er ist nicht da, obwohl er da sein sollte. G. ist immer G. »hier« und »jetzt« »bei uns«. G. hat eine räumliche Komponente: als Anwesen im Gegenüber zu mir bzw. zu uns. Sie hat auch eine zeitliche Komponente: jetzt anwesen. Der Sache nach verbinden sich der räumliche und der zeitliche Aspekt zum vollen Sinn von G. Manchmal (b) bezeichnet G. aber auch, über die schlichte Anwesenheit hinaus, eine Präsenz von gesteigerter Intensität. »Durch die G. von x änderte sich die Atmosphäre«; »ein Bild, das G. ausstrahlt«. Diese G. nennt man auch Gegenwärtigkeit. Schließlich (c): Jede G. von etwas oder jemandem findet statt im »Raum« der G. selbst, in der und kraft derer etwas gegenwärtig oder ungegenwärtig sein kann. Spricht man von »der« G., dann meint man meistens nur die zeitliche Komponente dieser G., nämlich die gespannte Dauer zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. G. in diesem Sinn hat durchaus eine Erstreckung. Die Idee eines bloßen Jetzt-Punktes ist eine mathematische Abstraktion. M Heidegger: Zur Sache des Denkens, Tü 1969, 1–60. – H Schmitz, Die G., in: System der Philosophie, Bd. 1, Bn 1964; G Haeffner: In der G. leben, St 1996; M F Pellegrin: Leçon sur les expériences du présent, P 1998: G Haeffner: Wege in die Freiheit, St 2006, 101–139.

Haeffner Gehalt 3 Form 3 Materie Geheimnis hat eine zweifache Bedeutung: a) Etwas, was geheim zu halten ist (lat. secretum) und nicht veröffentlicht werden darf. – b) Etwas, was für uns nicht begreifbar ist (lat. mysterium). G. im Sinn von a) hat philosophisch nur im Zusammenhang mit der Frage der Wahrhaftigkeit und der Beziehung zu anderen Menschen eine Bedeutung. G. im Sinn von b) ist gemeint, wenn G. in erkenntnistheoretischer und metaphysischer Bedeutung verwendet wird. Das G. im Sinn von a) ist von sich her erkennbar und muss darum ausdrücklich geheim gehalten werden, damit es nicht bekannt wird. In diesem Fall wird also der Erkenntnis eine Schranke auferlegt. Beim G. im Sinn von b) (Mysterium) verhält es sich ganz anders. Ein G. in diesem Sinn kann überhaupt nur als G. erkannt werden, wenn und insofern der Versuch gemacht wird, es zu begreifen. Die Unbegreiflichkeit eines solchen G.ses liegt in seiner eigenen Natur und ergibt sich nicht durch eine gleichsam von außen willkürlich aufgerichtete Begrenzung.

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Geist

Je mehr von einem solchen G. erkannt wird, umso mehr wird auch sein G.charakter erfasst. In diesem Sinn ist im Grunde jedes Seiende ein G., da jede neue Erkenntnis neue Aspekte zeigt, die neue Fragen aufwerfen und da wir weder bei uns selbst noch bei irgendeinem Objekt mit unserer Erkenntnis jemals an ein Ende gelangen. In besonderer Weise ist jede Person ein G., da sie ein Inneres hat, das nur Gott und ihr selbst zugänglich ist. In herausragender Weise ist schließlich Gott ein G. bzw. das G. schlechthin, da er all unser Begreifen übersteigt. Darum nennt K Rahner Gott das absolute G. Die G.haftigkeit Gottes ist von der Art, dass ihre Unbegreiflichkeit zu keiner Unzufriedenheit der Vernunft führt, sondern ihre eigentliche Erfüllung bedeutet, da gerade in diesem Überschreiten allen Begreifens die einzige endgültige Antwort auf alles Fragen und Suchen besteht. Anders ist es mit der Unbegreiflichkeit des 3 Bösen und des 3 Übels, die auch als ein G. bezeichnet werden kann (mysterium iniquitatis: G. der Bosheit; 2 Thess 2,7), das aber negativer Art ist und für die Vernunft ein nie voll aufzulösendes Problem bedeutet: 3 Theodizee. K Fischer: Der Mensch als G., Fr 1974; B Welte: Zeit und G., Fr 1975; S D Ross: Philosophical mysteries, Albany 1981; B Körner: Der Begriff des G.ses als Schnittpunkt zwischen Theologie und positiver Wissenschaft, Gr 1985; K Rieß: Gott zwischen Begriff und G., St. Ottilien 1991; B J Claret: G. des Bösen, I 1997; H D Zimmermann (Hg): G.se der Schöpfung, F 1999; K Rahner: Grundkurs des Glaubens, Fr 1999; M Thurner: Gott als das offenbare G. nach Nikolaus von Kues, B 2001; G Kruck: Das absolute G. vor der Wahrheitsfrage, Rb 2002; A Schmidt: Natur und G., Fr 2003; M Striet: Offenbares G., Rb 2003.

Schöndorf Gehirn 3 Leib-Seele-Problem Gehorsam 3 Autorität Geist (gr. noûs, pneûma, lat. mens, spiritus, intellectus, animus) ist ein Grundwort der Philosophie, da es das bezeichnet, was überhaupt erst das philosophische Fragen und Denken ermöglicht. Denn nur für ein g.iges Wesen gibt es Fragen, Zweifeln, Denken, Sein, Wirklichkeit, Möglichkeit, Notwendigkeit, Freiheit, Negation, wahr, falsch, gut, böse, usf., also all das, was das zentrale Thema der Philosophie ist. Da es Sein und Seiende als solche nur für den G. gibt, konnten Parmenides und Plotin den G. mit dem Sein und den Seienden gleichsetzen. G. im eigentlichen philosophischen Sinn ist nicht einfach dasselbe wie G. im biblischen Sinn, womit zumeist einerseits der Lebensatem, also die g.ige 3 Seele, andererseits die lebenspendende göttliche schöpferische Kraft gemeint ist. G. im ursprünglichen Sinn darf auch nicht, wie in der philosophy of mind (3 Leib-Seele-Problem), aufgrund einer vordergründigen DescartesInterpretation auf bloßes 3 Bewusstsein reduziert werden, denn dieses kommt auch Lebewesen zu, die keinen G. haben. G. ist vielmehr das Ver-

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Geist

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mögen zu 3 Selbstbewusstsein und Bewusstsein von Wirklichkeit und Sein überhaupt und kann darum als Bei-sich-Sein, Für-sich-Sein (3 Selbst) und zugleich Sein-beim-Anderen bezeichnet werden. G. ist ferner zugleich 3 Freiheit, Selbstbestimmung, 3 Vernunft, das Verhältnis zu sich und allem anderen in Erkennen, Wollen und Handeln. G. ist das, was uns am innersten und nächsten ist, da es das Wesentliche an uns ausmacht und darum in unserer alltäglichen Orientierung nach außen leicht übersehen wird. Im Gegensatz zu einer bestimmten Tendenz des modernen Denkens zeichnet sich das G.ige gerade nicht durch individuelle Privatheit, sondern dadurch aus, dass es Objekt der intersubjektiven Öffentlichkeit ist. Was spezifisch g.ig ist, lässt sich in Begriffe fassen und so, zumindest grundsätzlich, über alle zeitliche und räumliche Distanz hinweg anderen mitteilen. Andernfalls wären Redewendungen wie »das Wissen der Menschheit«, »der Stand der Wissenschaft« völlig sinnlos. Die Art und Weise, wie wir ich, du und wir sagen, unsere Behauptungen, Wünsche und Ansprüche zur Geltung bringen, unser Miteinander in geregelten Formen organisieren usw., dokumentiert, dass wir g.ige Wesen sind. Der G. befähigt uns zu Erkenntnissen, die den Bereich des Raumzeitlichen übersteigen und zeitlose Geltung besitzen. Daran zeigt sich, dass der G. als solcher nicht an die Bedingungen des Materiellen gebunden und in dessen Schranken eingeschlossen ist. Die entscheidende Charakterisierung des menschlichen G.es besteht darin, dass er seinem Wesen nach über sich hinausweist, und zwar nicht nur in der Erkenntnis, sondern auch in seinem Streben. Der G. ist erkennend und strebend auf die Gesamtheit der Wirklichkeit und somit auf Gott bezogen und kann nur in ihm seine endgültige Erfüllung finden, wie Augustinus herausgestellt hat. Der G. ist immateriell: er steht im Gegensatz zur 3 Materie. Hieraus folgt aber nicht, dass es nur reinen G. und reine (leblose) Materie gäbe, wie weithin in der Moderne angenommen wird, sondern es gibt als ein Drittes das Leben, das zwar als solches (noch) nicht g.ig ist, aber als Vorform des G.es eine selbstgeprägte Einheit, Ganzheit und Entwicklung sowie sinnliches Erkennen und Streben besitzt. Im Gegensatz zur Materie ist der G. reine und unteilbare, wenn auch in sich differenzierte 3 Einheit (3 Einfachheit). Darum kann die vollkommene Wirklichkeit nur g.iger Natur sein. Platon charakterisiert die 3 Ideen, die die höchste Wirklichkeit sind, als etwas G.iges, das nur durch ein Denken erfassbar ist, das sich noch über die Mathematik hinaus erhebt. Aristoteles nennt Gott Denken des Denkens (nóesis noéseos) und macht dadurch klar, dass Gottes Wesen g.iger Art ist. Der G. des Menschen ist nicht einfach von seiner leiblichen und lebendigen Verfassung her erklärbar, sondern er kommt »von außen« (thy´rathen). Für Plotin ist der G. (noûs) die zweite der drei Hypostasen nach dem Einen und vor der Seele, und er zeichnet sich dadurch aus, dass er der Ursprung aller Formen und Seienden ist. Wegen seiner Besonderheit und seiner Überlegen-

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Geist

heit gegenüber Materie, Raum und Zeit wird der G. von den Griechen gerne als etwas Göttliches im Menschen angesehen. Das christliche Denken sieht in Gott das höchste Wesen, das darum nicht materieller Natur sein kann, sondern reiner und vollkommener G. ist, da allein die Kennzeichen des G.es (Erkenntnis und Wille) in ihrer Reinform ohne alle Unvollkommenheit sind. Auch die von Gott geschaffenen überirdischen Wesen, die Engel, sind g.iger Natur. Darum kann Thomas v Aquin anhand seiner Ausführungen über die Engel darstellen, wie sich die Erkenntnis und das Wollen eines reinen endlichen G.es vollzieht. Gegen die averroistische Auffassung, dass in allen Menschen der numerisch identische G. wirkt, verteidigt Thomas v Aquin die These, dass jeder Mensch seine eigene individuelle G.seele besitzt. In seiner zweiten Meditation scheint Descartes auf den ersten Blick das Wesen des menschlichen G.es mit dem Bewusstsein zu identifizieren, da er die verschiedenen Begriffe für Seele, G. und dergleichen als synonym bezeichnet. Doch eine genauere Lektüre zeigt, dass er das Fühlen (sentire) und sinnliche Vorstellen (imaginari), das mit dem Körper zusammenhängt, nicht auf dieselbe Stufe stellt wie das reine Denken und Wollen. Und in der 6. Meditation macht er vollends klar, dass das eigentliche Wesen des Menschen im reinen Denken, also im G. und nicht in der ganzen Breite des Bewusstseins besteht. Der menschliche G. ist, wie Descartes am Ende der 3. Meditation feststellt, als solcher Bild und Gleichnis Gottes. In derselben Meditation hält er auch an der klassischen Lehre fest, dass der G. seinsmäßig der Materie überlegen ist, weshalb er deren Ursache sein kann. Für Leibniz sind die g.igen Wesen die vollkommensten Substanzen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie Selbstbewusstsein besitzen und eher Gott als die Welt ausdrücken. Die G.er, d. h. die g.igen Wesen, können mit Gott in Gemeinschaft eintreten. Gott als der vollkommenste G. ist das Haupt des Reichs der G.er. Er hat alles für die G.er und deren Vervollkommnung und Glück geschaffen. Eine zentrale Rolle spielt der Begriff des G.es bei Hegel. Er denkt den G. nicht mehr nur individuell, sondern als eine geschichtsmächtige Größe, deren Entwicklung er in einer Art Parallelisierung zwischen der individuellen und der geschichtlichen Abfolge der verschiedenen Stadien des Bewusstseins und Selbstbewusstseins bis hin zur Idee vor allem in der Phänomenologie des G.es darstellt. Er gliedert die Etappen dieses Prozesses in den subjektiven, den objektiven und den absoluten G. Der subjektive G. schildert die Beziehungen des oder der Menschen zur Umwelt und die Entfaltung der g.igen Vermögen. Der objektive G. beinhaltet den gesamten Bereich des Ethischen und Rechtlichen und damit auch von Gesellschaft und Staat, während der absolute G. die höchste Entfaltung des G.es in Kunst, Religion und Philosophie darlegt. In der Zeit nach Hegel wurde der G. von Vertretern der 3 Lebensphilosophie wie Nietzsche oder Klages als Gegenprinzip zum Leben verstanden und als abstraktes begriffliches Denkvermögen aufgefasst, das sich im Gegensatz

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Geisteswissenschaft

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zu und im Kampf mit den emotionalen und vitalen Gegebenheiten und Kräften der Seele befindet. Die analytische Philosophie folgt weithin einer verkürzten Descartes-Interpretation, die G. einfachhin mit Bewusstsein gleichsetzt und aus diesem Grund die Frage der Selbstständigkeit des G.igen gegenüber dem materiellen Körper anhand von Phänomenen wie dem Schmerz und den Sinnesqualitäten lösen will, die aber nicht g.ig im klassischen Sinn des Wortes sind, sondern auch bei Tieren, also nichtg.igen Lebewesen anzutreffen sind. Aristoteles: Metaph. XII, 9; De an. III, 4–11; De gen. an. II, 3; Plotin: Enn. V 1 (10), V 3 (49), V 5 (32), V 9 (5); T v Aquin: STh I, 75, 2 c; De ver 10, 1 c, ad 1, ad 7, ad 8; G W F Hegel: Phänomenologie des G.es. – K Rantis: G. und Natur, Da 2004; A Ros: Materie und G., Pb 2005; E Düsing (Hg): G. und Willensfreiheit, Wü 2006; U H J Körtner (Hg): Die Wirklichkeit des G.es, Nk 2006; B Weissmahr: Die Wirklichkeit des G.es, St 2006.

Schöndorf Geisteswissenschaft G.en (engl. arts, fr. lettres) ist vor allem seit Dilthey der Gegenbegriff zu Naturwissenschaften (und Mathematik) und meint diejenigen Wissenschaften, die nicht die Phänomene und Prozesse in der Natur, sondern die Schöpfungen des Geistes erforschen. Es findet sich für sie auch die Bezeichnung Kulturwissenschaften. Hierzu gehören vor allem die Sprach-, Literatur- und Kunstwissenschaften, die (theoretischen) Sozialwissenschaften und die historischen Wissenschaften. Früher gehörten diese Wissenschaften an den Universitäten zur philosophischen Fakultät (oder zu einer der philosophischen Fakultäten). Üblicherweise kann das Studium dieser Wissenschaften mit dem akademischen Grad eines Dr. phil. abgeschlossen werden. Hinzu kommen die Rechtswissenschaft und die Theologie. Strittig ist, ob die Philosophie auch zu den G.en zählt oder allen Wissenschaften und somit auch den G.en gegenüber eine eigenständige Position innehat. Der Begriff G.en ist im 18. Jahrhundert aufgekommen und kommt vor allem seit Dilthey allgemein in Gebrauch. Dilthey ordnete den G.en das Verstehen im Unterschied zum Erklären der Naturwissenschaften zu. Diese Unterscheidung ist zum einen einseitig an der Geschichte orientiert und berücksichtigt beispielsweise nicht die Sprachwissenschaften und sie ist zum anderen terminologisch nicht besonders glücklich (3 Erklärung), auch wenn es zutrifft, dass es in den Naturwissenschaften viel stärker um die wirkursächliche Erklärung der Prozesse aufgrund von ziemlich strengen Gesetzmäßigkeiten (Naturgesetze) geht als in den G.en, wo keine so strengen Regelmäßigkeiten aufgewiesen werden können. Außerdem geht es zunächst einmal um das Feststellen, Ordnen und Bewerten und dann erst um die Erklärung, die aber immer ein Zurückgreifen auf bestimmte Regeln erfordert. Bei den G.en, wo menschliches Handeln im Spiel ist, wie bei der Geschichtswissenschaft, sind nicht nur wie bei Naturprozessen die Wirkursachen zu

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Geltung

berücksichtigen, sondern ebenso die Motive der Beteiligten. Bei den G.en, die es mit Interpretation zu tun haben, wie die Theologie, die Rechtswissenschaft und die Kunst- und Literaturwissenschaften, kommen die Regeln der 3 Hermeneutik ins Spiel, die für die Naturwissenschaften keine Bedeutung haben. Die G.en zeigen, dass die Methoden und Gebiete der Naturwissenschaften keineswegs den Bereich des Wissenschaftlichen ausschöpfen, sondern dass der gesamte Bereich der menschlichen Kultur mit einer reichhaltigeren Methodologie erforscht werden muss als der Bereich der Natur. Ferner erinnern sie daran, dass die kulturellen Schöpfungen des Menschen ebenso zu unserer Wirklichkeit gehören wie die dem Menschen vorgegebene Natur. Die Philosophie muss darum das gesamte Spektrum der Wissenschaften und ihrer Objekte berücksichtigen, wenn sie der Wirklichkeit gerecht werden will. T Bodammer: Philosophie der G.en, Fr 1987; K Ermert (Hg): Was sind und zu welchem Ende brauchen wir G.en?, Rehburg-Loccum 1989; W Frühwald: G.en heute, F 2 1996; V Schubert (Hg): Die G.en in der Informationsgesellschaft, St. Ottilien 2002; U Arnswald (Hg): Die Zukunft der G.en, Hd 2005; B Malinowski (Hg): Im Gespräch: Probleme und Perspektiven der G.en, M 2006.

Schöndorf Gelegenheit 3 Ursache Gelegenheitsursachen 3 Okkasionalismus Gelehrtes Nichtwissen 3 Gotteserkenntnis Geltung Der G.sbegriff ist ein »notorisch vieldeutiger Term« (Kettner), denn wir können, ohne den Sprachgebrauch über Gebühr zu strapazieren, von 3 Regeln, 3 Handlungen, Äußerungen, 3 Begriffen, 3 Urteilen, Schlüssen, 3 Werten, 3 Normen, 3 Theorien, ja sogar von Wetten und Fahrkarten sagen, dass sie auf je verschiedene Weise ›gelten‹. Seine Karriere verdankt der Begriff Lotze, dessen Unterscheidung von 3 Sein und Gelten im 3 Neukantianismus aufgegriffen wurde, der die These vertrat: Sein ist auf G. rückführbar, aber nicht G. auf Sein. Im Transzendentalthomismus stellt dagegen der 3 Horizont des Seins zugleich den Horizont unbedingter G. dar. Gegenwärtige Rückgriffe auf die neukantianische G.stheorie verstehen diese allerdings in einem nachmetaphysischen Sinn (Krijnen) als adäquate Form einer 3 Letztbegründung des Wissens. Linguistische Reformulierungsversuche interpretieren G. als »das im ›quid iuris?‹ Erfragte« (Schnädelbach) und führen, um den Begriff der Gültigkeitsprüfung eines in Äußerungen ausgedrückten Wissens zu erläutern, den Begriff des G.sanspruchs ein. Nach Habermas muss jeder kommunikativ Handelnde im Vollzug einer beliebigen Sprechhandlung die vier G.sansprüche der Verständlichkeit, propositionalen 3 Wahrheit, Wahrhaftigkeit und normativen Richtigkeit erheben und deren Einlösbarkeit unterstellen. Für eine Unterscheidung von doxastischer, auf bloßer Meinung beruhender G. und 3 objektiver Gültigkeit als zeitloser 3 Qualität von Abstrakta wie etwa Propositionen, logischen Schlüssen, Argumentationen, 3 Er-

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Gemeinschaft

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klärungen plädiert Lumer. Grünewald hingegen unterscheidet zwischen objektiver, 3 subjektiver und formaler G. Bei der objektiven G. differenziert er zwischen theoretischer und praktischer G., bei letzterer zwischen der moralisch-unbedingten G. eines praktischen 3 Gesetzes oder 3 Prinzips und der positiven, durch faktische 3 Setzung bedingten G. einer rechtlichen Vorschrift. Bei der subjektiven G. unterscheidet er zwischen einer faktischen G. für bestimmte 3 Menschen und Gruppen und einer G. für ein 3 Subjekt. Formale G. versteht er hingegen als logische Richtigkeit. Nach Schnädelbach lassen sich bei der objektiven G. die Aspekte der Allgemeinheit und 3 Notwendigkeit unterscheiden: ›3 Allgemein‹ bedeute in diesem Fall das Gegenteil von ›privat‹. Im Hinblick darauf könne man von intersubjektiver G. sprechen. Notwendig bedeute hingegen dasselbe wie ›alternativlos‹. Die intersubjektive G. könne man auch als kulturelle G. bezeichnen, während man bei der notwendigen G. auch von einer natürlichen G. sprechen könne, deren Gegenteil die bloß konventionelle G. darstelle. B Grünewald: Artikel »G.«, in: LThK, Bd. 4, 413 f.; C Lumer: Artikel »G., Gültigkeit«, in: Enzyklopädie Philosophie, Bd. 1, 450 ff.; H Schnädelbach: Reflexion und Diskurs, F 1977; J Habermas: Faktizität und Geltung, F 1992; L Herrschaft: Theoretische G., Wü 1997. Ollig Gemeingut 3 Gemeinwohl Gemeinhaftung 3 Solidarismus Gemeinschaft steht in enger Nähe zu Gesellschaft; bis zu Hegel werden beide Begriffe weithin gleichbedeutend verwendet. Dem heutigen allgemeinen Sprachgebrauch zufolge wird mit G. mehr eine gesinnungs- und gefühlsmäßige Verbindung mehrerer Menschen bezeichnet, während Gesellschaft mehr eine unpersönliche Beziehung besagt. Die Übergänge sind fließend. Einflussreich war die Unterscheidung durch F Tönnies 1887: Mit G. charakterisiert er das »dauernde und echte Zusammenleben«, während Gesellschaft ein nur »vorübergehendes«, nicht in personale Tiefe reichendes meint. Ontologisch bedeutsam ist die Frage nach dem Sein einer G. Hier hat die personalistische Phänomenologie Denkanstöße gegeben (Heidegger: »Mitsein«; Frank: »Wir-sein«). Eine G. ist als Einheit mehrerer eine überindividuelle Wirklichkeit; sie ist nicht identisch mit der Psyche der sie bildenden Individuen, die nur in diesen selbst ist. Eine wechselseitige Beziehung wird zur G. (Freundschaft, Ehe, Familie, Schulklasse, Staat), sobald deren Idee oder Ideal als verbindlich erkannt wird. Diese Ideen erwachsen aus dem gemeinsamen menschlichen Leben, bleiben auf es bezogen und sind wandelbar; sie unterscheiden sich so von der reinen Idealität mathematischer und logischer Ideen. Eine G. erlischt, sobald die sie begründende Idee nicht mehr anerkannt wird. Keine G. kann bestehen, ohne dass ihre Glieder bei der Verwirklichung des Ziels der G. einander wenigstens ein Minimum von Vertrauen entgegen-

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Gemeinwohl

bringen. Die Verbindlichkeit dieser Forderung, deren Anerkennung für jede G. konstitutiv ist, hat ihren Grund nicht allein in der psychophysischen Natur des Menschen (3 Sittengesetz). Eine Gesellschaft mit dem antagonistischen Gegeneinander ihrer Glieder kann nur bestehen, weil diese zugleich geistig vereint sind. Die G. hat das Sein geistigen Lebens (nicht psychischen); in diesem findet die jeweilige Idee der G. ihre äußere Verkörperung. Es ist objektives Sein, aber kein äußerlich gegenständliches; es ist unabhängig von der unmittelbaren Aktualität der Gefühle. Es ist vom Menschen geschaffen und nur in ihm, insofern subjektiv. G. entsteht, wo ein Mensch den anderen nicht als Objekt (Nicht-Ich), sondern als ihm gleichartig erkennt (als Du). Diese Erkenntnis hat die vorgängige Einheit beider zur Voraussetzung: Für jedes Ich als solches ist die Beziehung auf das Du konstitutiv. Diese Einheit ist nicht vom Ich abgeleitet; ebenso wenig ist das Ich aus der Einheit abgeleitet (3 Kollektivismus). Beide Seinsweisen sind gleich ursprünglich. Die Einheit des Wir, die in der Unterscheidung von Ich und Du erhalten bleibt, kann nur als geistige Einheit verstanden werden. F Tönnies: G. und Gesellschaft, 1887; E Stein: Individuum und G., in Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung 5 (1922), 116–283; K Löwith: Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen, 1928; S L Frank: Die geistigen Grundlagen der Gesellschaft, 1929; D v Hildebrandt: Metaphysik der G., Rb 1955; W Brugger: Das Mitsein, in: Scholastik 31 (1956), 370–383; M. Theunissen: Der Andere, B 1965.

Ehlen Gemeinsinn 3 Erkenntnisvermögen Gemeinwesen, öffentliches 3 Staat Gemeinwohl (gr. to koiné symphéron, lat. bonum commune) Jede Gemeinschaft hat ein Ziel, ihr Gemeingut. Es umfasst den Rechtsschutz, den allgemeinen Nutzen und das Glück eines jeden einzelnen Mitglieds sowie der Gemeinschaft selbst. Die Mittel, welche dazu beitragen, das Gemeingut zu erreichen, nennt man in Abhebung vom Gemeingut das G. Es ist im Gegensatz zum Gemeingut daher nicht Selbst-, sondern Dienstwert und in den Beziehungen der Einzelnen untereinander (meist im Vertrag), in ihren Rechten gegenüber dem Staat (Rechtsschutz) und in den Pflichten ihm gegenüber (Schulpflicht) zu verwirklichen. Der Staat muss, auch wenn er Pflichten einfordert, dem G. dienen. Die G.orientierung ist dabei der Privatwohl-Erzielung vorgeordnet, wobei jede Mehrung des Einzelwohls nur insofern das G. vermehrt, als es das Wohl der übrigen vergrößert. Anhand dieses Vorrangs sind die Konflikte zu schlichten. – Thomas v Aquin denkt vom G. her die individual-soziale Natur des Menschen, Gundlach entwirft von der Individualnatur des Menschen her seine Sozialphilosophie. Im ersten Fall ist Individualethik ein unselbstständiger Zweig der 3 Sozialethik, im zweiten Fall geht

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Genetik

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dieser die Individualethik voraus. – Mit G. bezeichnet man aber auch die allen zur Verfügung stehenden öffentlichen Güter. Oft meint man mit G. jedoch sowohl das Ziel als auch das Mittel. – Während für T v Aquin das G. apriori gegeben ist, handelt es sich für E Fraenkel um ein Ergebnis a posteriori: das G. ist dann Resultat politischen Ringens, womit es zum geschichtlich-zufälligen Kriterium wird. Versteht man wie der Utilitarismus J Benthams das G. lediglich als die Summe der Bedingungen, welche das größte Glück der größten Zahl bewirken, lässt sich mit diesem Begriff von G. der einer Minderheit auf- und abgezwungene Rechts- und Güterverzicht rechtfertigen. Wer behauptet, dass sich das G. durch die Eigensucht (»private vices public benefits«, B Mandeville) oder durch eine »unsichtbare Hand« (A Smith) unbekümmert um die Handelnden durchsetze, hält das G. für kein sittliches Ziel, wofür man sich einsetzen soll. – Ähnlich wie die Stoa hat ein Zeitalter der Globalisierung G. als ein Weltg. zu denken. T v Aquin: STh, I – II, 96, 2; II -II, 31, 3; J Bentham: An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, Lo 1970; B Mandeville: Die Bienenfabel, F 1980; A Smith: Der Reichtum der Nationen, M 9 2001. – J Maritain: La Personne et le Bien commun, P 1947; J Messner: Das G., Osnabrück 1962; E Fraenkel: Deutschland und die westlichen Demokratien, St 1964; A Tassi: Anarchism, Autonomy and the Concept of Common Good, in: Int. Philos. quart. 17 (1977), 273–283; A Rauscher (Hg): Selbstinteresse und G., B 1985; B Jordan: The Common Good, O 1989; W Kerber: Sozialethik, St 1998; A F Utz: Ethik des G.s, Pb 1998.

Brieskorn Gemüt 3 Seele Generalisation 3 Allgemein Generatianismus 3 Seele Genetik / Gentechnik Genetik (G.) ist die Lehre von Genen und ihrer Funktion im Organismus: wie DNA-Sequenzen in RNA-Sequenzen, Aminosäuresequenzen und dadurch in phänotypische Eigenschaften von Organismen umgesetzt werden; und wie diese DNA-Sequenzen an Nachfahrengenerationen weitergegeben werden. Gentechnik (Gt.) ist die Anwendung genetischen Wissens zwecks zielgenauer Veränderung von DNA und durch sie beeinflusster Eigenschaften – nicht zu verwechseln mit Klonen, In-vitroFertilisation etc. DNA als Erbmaterial: Spätestens seit dem Neolithikum hat der Mensch eine Ahnung davon, dass sich Pflanzen und Tiere nach irgendwelchen Mechanismen entwickeln, die zwar verborgen sind, die er aber trotzdem durch Züchtung beeinflussen kann. Eine eigene Wissenschaft von der Vererbung entstand aber erst in der späten Neuzeit: die G., die sich um genauere Vorstellungen von den erbinformationstragenden Elementen, den Genen, bemüht. Die Arbeiten von G Men-

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Genetik

del über die Erbse (Pisum sativum) 1865 waren grundlegend. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erkannten Biologen, dass die Chromosomen Träger der Erbanlagen sind. Bis in die 40er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde im Anschluss an Mendel das Gen definiert als ein »Faktor« im Erbmaterial, der während der Meiose als Einheit segregiert und eine bestimmte phänotypische Eigenschaft hervorruft. Der Beweis, dass Gene aus DNA bestehen, gelang 1944 O Avery und Mitarbeitern. Mit dem DNA-Modell der Doppelhelix von J Watson und F Crick 1953 wurde klar, dass die genetische Information für sämtliche Biomoleküle direkt oder indirekt im linearen Doppelmolekül DNA gespeichert ist. Wesentliche Charakteristika des DNA-Modells sind, dass sie aus zwei Polymeren besteht, dass diese antiparallel angeordnet sind und komplementäre Basenpaare bilden. Doppelstrang-Natur und Komplementarität zusammen bilden die Grundlage der genetischen Informations-Vererbung: Da beide Stränge Nukleotidfolgen enthalten, die komplementär sind, tragen beide Stränge letztlich die gleiche Information: Werden beide Stränge getrennt, kann jeder von beiden als Matrize zur Ergänzung des komplementären Partnerstranges benutzt werden. Damit ist sichergestellt, dass bei der Zellteilung jede der Tochterzellen dieselbe genetische Ausstattung bekommt wie die Mutterzelle. Für den aktuellen Lebensvollzug von Zelle und Organismus aber ist nicht die DNA entscheidend, sondern die Proteine (und ihre Produkte). Erst Jahre nachdem bekannt war, dass das Erbgut aus DNA besteht, wurde klar, wie DNA und Proteine zueinander vermittelt sind. Genexpression: Der genetische Informationsfluss läuft von der DNA über die RNA zum Protein. DNA wird in RNA umgeschrieben (transkribiert), die messenger-RNA (mRNA) in eine Aminosäuresequenz übersetzt (translatiert), die sich dann zum funktionellen Protein faltet. Gene kodieren also genau genommen niemals Eigenschaften oder Verhalten, sondern immer nur RNA- bzw. Aminosäuresequenzen. Viele solcher indirekt verhaltensrelevanter Proteine wirken sich nicht nur auf eine Eigenschaft aus, sondern auf mehrere. Und die zelltypischen Eigenschaften hängen meist nicht nur von einem, sondern von mehreren Proteinen, also Genen, ab. Die Gene eines Organismus begrenzen den Raum seiner möglichen Eigenschaften. Gene wirken somit eigenschaftsmitbestimmend, nicht aber individuumskonstituierend. Bei der Genexpression wird nicht die gesamte DNA transkribiert, sondern nur DNA-Abschnitte, die genetische Information tragen. Gesteuert wird die Transkription über einen DNA-Abschnitt, der dem transkribierten Genabschnitt vorgelagert ist, dem Promotor, und anderen genregulatorischen DNA-Abschnitten. Jedes Gen enthält klassischerweise also zwei Bereiche: DNA-Abschnitte mit regulatorischer Funktion und kodierende Sequenzen. Dies ist wichtig, um die Regulation der Genexpression und damit die »Macht der Gene« korrekt einschätzen zu können. Regulation der Genexpression: Ein vielzelliger Organismus wie der

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Genetik

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Mensch besteht aus ca. 1013 Zellen. (Fast) jede dieser Zellen enthält genau die gleichen Gene, nämlich alle. Je nach Zellspezifität und unterschiedlichen Lebenssituationen aber müssen unterschiedliche Gene exprimiert werden. Die Genexpression muss also reguliert werden. Die Regulation geschieht durch regulatorische Proteine, die im Promotorbereich oder an anderen regulatorischen DNA-Abschnitten binden und dadurch Transkription ermöglichen oder blockieren. Neben der Transkriptions-Regulation gibt es weitere Regulationsebenen (z. B. Spleißen der RNA oder RNA-Interferenz): Die Synthese eines funktionellen Proteins wird auf mehreren Ebenen kontrolliert. Auf all diesen Kontrollebenen sind Proteine beteiligt. Vereinfacht stellt sich das Verhältnis von DNA und Proteinen so dar: Einerseits bestimmen die DNA-Sequenzen der Gene die Reihenfolge der Aminosäuren in Proteinen, anderseits kontrollieren regulatorische Proteine, welche Gene wann und wo exprimiert werden. Die Aktivität regulatorischer Proteine hängt aber oft nicht nur von deren Vorhandensein ab, sondern auch vom Einfluss weiterer inner- oder außerzellulärer Faktoren. »Rein genetisch« ist im Organismus streng genommen nichts determiniert. Gene determinieren, welche RNAund Aminosäuresequenzen synthetisiert werden können. Ob aber ein Gen, wann, wo und wie stark exprimiert wird, wird – vermittelt durch regulatorische Proteine – von seiner »Umwelt« (im weitesten Sinn) gesteuert: durch seine intrazelluläre, durch seine interzelluläre und durch die außerorganismische Umwelt. Generell unterstreicht die G. die Einheitlichkeit der lebenden Welt. Mensch, Fliege, Baum, Bakterium zeigen phänotypisch kaum Gemeinsamkeiten. Vergleicht man jedoch die Nukleotidsequenzen ihrer Gene, so treten Verwandtschaftsverhältnisse und Evolutionswege deutlich hervor: Da Mutationen eine Funktion der Zeit sind, kann man aus dem Übereinstimmungsgrad der DNA-Sequenzen von Organismen deren Verwandtschaftsgrad bestimmen. Noch deutlicher wird die evolutive Verwandtschaft mit Blick auf die grundlegenden Mechanismen Replikation, Genexpression und Genregulation: Sie sind in allen Lebewesen im Prinzip gleich – unterschiedlich lediglich in ihrer Komplexität. Diese Einheitlichkeit ist die Möglichkeitsbedingung von Gt. Während der Mensch im Fall von Züchtung der Evolution lediglich die Steuerung der Selektion »aus der Hand nimmt«, die Variation aber weiterhin dem Zufall überlässt, übernimmt er bei der Gt. auch die zielgenaue Steuerung der Variation: »Naturwüchsige« Evolution wird zur vom Menschen verantworteten »Autoevolution« (Teilhard de Chardin). J Seidel: Das Genom als Quelle-Katalog, in: StZ 219 (2001), 591–600; Gt aus biblischer Sicht, in: MThZ 55 (2004), 222–233; J Graw: G., 2006; R Knippers: Molekulare G., 9 2006; A Griffiths u. a.: An Introduction to Genetic Analysis, 9 2007.

Seidel

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Gerechtigkeit

Genetisch 3 Definition Gentechnik 3 Genetik Genugtuung 3 Strafe Genus 3 Art 3 Prädikabilien Gerechtigkeit (gr. dikaiosy´ne, lat. iustitia) Tugend oder Kriterium für Handlungen und Institutionen, fordert für Platon in der Politeia zweierlei: »Jedem das Seine!« und »Sorge zuallererst für Deine eigenen Angelegenheiten!« (433d und 434a). Aristoteles kennt mehrere Formen der G.: Vereinigt ein Mensch sämtliche Tugenden in seinem Handeln (Tapferkeit, Mäßigung, Klugheit u. a.) und lebt er sie »auf die anderen hin«, ist er umfassend gerecht (iustitia generalis). Wer den – gerechten – 3 Gesetzen gehorcht, steht unter der Gesetzesg. (iustitia legalis). Den Grundsatz, jedem das Seinige zukommen zu lassen (so auch T von Aquin, STh II–II 58,1), wahrt die ausgleichende G. (iustitia commutativa, arithmetische G. oder Vertragsg.). Sie achtet darauf, dass der Empfänger in einem Tausch- oder Kaufgeschäft genau den Gegenwert der erhaltenen Sache erstattet. Ein Dritter oder eine übergeordnete Instanz tritt nicht direkt auf, indirekt wohl aber über die Geldregulierung. Wer mindestens zwei Personen Güter gemäß einem bestimmten Maßstab (strikte Gleichheit, Leistung, Bedürfnis, Abstammung u. a.) zuteilt, übt die verteilende G. (iustitia distributiva, geometrische G.) aus. Sie fordert, dass jeder den ihm zuzuerkennenden Teil am 3 Gemeinwohl erhält. Mit korrektiver G. ist gemeint, dass die legitimierte Instanz in angemessenem Verhältnis und Verfahren Schadensersatz verlangt und Strafen aufgrund von Rechtsvergehen verhängt. Aristoteles räumt der iustitia legalis einen Vorrang vor den anderen G.sformen ein. Statt eines doppelten Gegensatzes wie die anderen Tugenden kennt die G. nur einen Gegensatz, die Ung. »Soziale G.« zielt auf einen gesellschaftlichen Gesamtentwurf, den Rechts- und Sozialstaat. Die Billigkeit (epieikia; epikie) will als Korrektur des Gesetzes der Einzelfallg. zum Durchbruch verhelfen. Die Verfahrensg. richtet die Regeln der Beratung und Entscheidungsfindung an Gleichheit und Freiheit aus. Doch ist nicht notwendigerweise jeder in Freiheit gefundene Konsens als solcher bereits inhaltlich gerecht. Für N Luhmann ist ein soziales System dann gerecht, wenn es als Rechtssystem konsistent sowie angemessen komplex ist und Gleiches gleich behandelt. In komparativer G. zu handeln heißt, um die Grenzen des eigenen, für gerecht gehaltenen Standpunktes zu wissen. Niemand hat die absolute G. auf seiner Seite. Platon: Politeia; Aristoteles: Nik. Eth. V. Buch; T von Aquin: STh II–II, 57–62; J S Mill: Utilitarismus, Kap. V; M Walzer: Sphären der G., F 1992; N Luhmann: Das Recht der Gesellschaft, F 1993; J Rawls: Eine Theorie der G., F 10 1998. – G Viert: Epikie, Mz 1983; W Kymlicka: Justice in Political Philosophy, C 1992; M Brumlik / H Brunkhorst (Hg): Gemeinschaft und G., F 1993; J Shklar: Über Ung., F 1997; O Höffe: Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, M 1999;

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Geschichte

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A Honneth: Das Andere der G., F 2000; A Krebs (Hg): Gleichheit und G., F 2000; M Schnell: Zugänge zur G., M 2001; P Prodi: Eine Geschichte der G., M 2003.

Brieskorn Geschichte meint zunächst dasselbe wie »Erzählung« (story). Erzählungen kommen zunächst im Plural vor, als G.n. Ihr Gegenstand kann fiktiv oder »wahr« sein. Eine Zwischenposition nimmt die Legende ein. Was faktisch als G. gilt, ist oft legendär angereichert. – In Bezug auf reale (nicht fingierte) Sachverhalte unterschied der alte Sprachgebrauch zwei Bedeutungen von G. (historia): den Bericht über vorfindliche Gegenstände der Erfahrung (z. B. in der »Tierg.« des Aristoteles oder in der »Religionsg.«) und, eingeschränkt zu dem uns vertrauten Sinn, den Bericht über vergangene Taten und Ereignisse (res gestae). Mit dem Wort G. bezeichnet man zugleich die Erzählung und die Geschehnisse, die erzählt werden. G. als Erzählung ist bezogen auf das, »wie es eigentlich gewesen ist« (Ranke). Aber das, was geschehen ist, kommt zur Gegebenheit einer lesbaren Darstellung nur durch die Arbeit der Erinnerung, der Deutung der Quellen und der Erzählung. Erst durch diese werden Geschehnisse zu einer G. mit Anfang, Mitte und Ende, mit Haupt- und Nebenpersonen, mit Ursachen und Wirkungen. Dabei kann in gewissen Grenzen dieselbe Menge von Daten zu verschiedenen G.n verarbeitet werden, mit ihren je eigenen Akzentsetzungen, Erklärungen und Sinndeutungen, in je eigenen »Inszenierungen« (Ricœur). An die Stelle von Personen können andere Instanzen treten, deren Schicksal beschrieben wird: z. B. ganze Länder (Reiche), die gewissermaßen personalisiert werden, indem ihnen eine Identität durch die Zeiten unterschoben wird (z. B. »G. Frankreichs«), oder auch Institutionen und Lebensgefühle (Kunst-, Wirtschafts-, Mentalitäts-G. usw. in einem bestimmten zeitlichen und geographischen Bereich, z. B. »G. der Medizin«). Nicht alle Ereignisse oder Vorgänge des Wandels werden würdig erachtet, aus den Quellen rekonstruiert und in einem fixierenden Bericht dem Gedächtnis der Nachwelt übergeben zu werden. Vielmehr findet immer eine Auswahl statt, die von den Werturteilen der Gegenwart und den Vermutungen über das Wissensinteresse künftiger Generationen geleitet wird. Die Richtigkeit der historischen Fakten wird durch diese Auswahl nicht aufgehoben. Doch bleibt die historische Wahrheit immer einer partiellen Perspektive verpflichtet. Das vergangene Geschehen selbst, in der Fülle seiner sich überkreuzenden Geschehnisse und Sinnlinien, haben wir nie. Jede G. ist eine G. neben anderen. Sie hat ihre eigenen handelnden Subjekte, ihre eigenen Zeitformen. Sie trägt Verweise auf andere wirkliche oder mögliche G.n an sich, die insgesamt als Facetten einer verborgenen Weltg. verstanden werden können. Eine erzählbare Weltg. ist jedoch nur denkbar,

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Geschichtlichkeit

wenn sie ein durchgängig identisches Subjekt, einen Anfang und ein Ende und, trotz der Freiheit ihrer Akteure, einen verstehbaren Verlauf hat. Unter der Voraussetzung der göttlichen Vorsehung und Lenkung einerseits und der Stellvertreterfunktion des auserwählten Volkes als durchgängigen Subjekts andererseits entstand so im Spätjudentum die Vorstellung von den Weltaltern. Am Ende des 18. Jahrhunderts bildete sich die Idee der einen Weltg. heraus, deren Subjekt (»Held«) die Menschheit war, vertreten durch die Institutionen, in denen das Bewusstsein der Freiheit sich bildete und das Menschen-Recht des Einzelnen einklagbar wurde. Die G. wird so zur vergleichenden und wertenden Darstellung der Typen von Institutionen, in denen bei verschiedenen Völkern und zu verschiedenen Zeiten das typisch Menschliche ausgelegt und gelebt worden ist. Dabei ist vorausgesetzt, dass diese Typen von Institutionen (etwa Herrschaft, Recht, Religion usw.) überall, wenngleich in verschiedenen Gestaltungen, zu finden sind. Faktisch werden dazu die je bei uns vertrauten Formen als Basis genommen, idealisiert und soweit wie möglich generalisiert. Der Glaube, dass sich die G. aus einer inneren, logischen Dynamik auf heute hin entfaltet, hatte die Folge, dass die Zeitgemäßheit zum höchsten Maßstab für das Denken und Handeln wurde. Die Rede von »der G.« wurde so zu einem Instrument der Legitimation der Ansprüche jener Gruppen, die den Zeitgeist oder die Zukunft auf ihrer Seite fühlten, gegen jene Gruppen, die vergangene (und als rechtlos erklärte) Phasen der G. repräsentierten. Heute betrachtet die Geschichtswissenschaft im Allgemeinen die Idee der Weltg. mit Skepsis; das Interesse gilt der Pluralität der G.n, nicht nur in Bezug auf ihren Inhalt, sondern auch in Bezug auf ihre Zeitstrukturen sowie die Wege ihrer Erinnerungs- und Verdrängungsstrategien. R Schaeffler: Die Struktur der Geschichtszeit, F 1963; R. Koselleck u. a.: in: O Brunner / W Conze / R Koselleck (Hg): Geschichtliche Grundbegriffe, II, St 1975, 593–717; P Ricœur: Zeit und Erzählung, P 1983–85; La Mémoire, l’Histoire, L’Oubli, P 2000.

Haeffner Geschichtlichkeit ist zunächst ein Wesenszug der menschlichen Existenz. Sie bedeutet, dass jeder Mensch eingebunden ist in seine Gegenwart, die sich von anderen Zeiten in größerem oder geringerem Maß unterscheidet. »Seine« 3 Gegenwart ist das einmalige Geflecht der Geschehnisse, die auf ihn einwirken und an denen er aktiv teilnimmt. Es sind gleichzeitige Ereignisse und Stimmungen, aber auch die Macht der in bestimmter Weise fortwirkenden, nicht mehr zu ändernden Vergangenheit und der andrängenden offenen Zukunft, die dieses Geflecht bilden. Von ihm gelöst, hat niemand eine konkrete 3 Identität. Jeder lebt und denkt und fühlt aus 3 Möglichkeiten, die entscheidend von den jeweils herrschenden Bedingungen geprägt sind. Die jeweilige Gegenwart eines Menschen unterscheidet sich von dem, was

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Geschichtsphilosophie

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früher war: in den Beziehungen, im Körper, in den Moden, in den gesellschaftlichen Verhältnissen – früher, d. h. in seiner Jugend, oder zur Zeit der alten Römer oder in der Jugend seiner eigenen Eltern. Manchmal überkreuzt sich Vergangenheit mit Gegenwart. Wer in alten Städten lebt, die frühere Generationen gebaut haben, lebt in verschiedenen Epochen gleichzeitig. Dasselbe gilt für das Leben mit Texten, Bräuchen oder Musikstücken aus verschiedenen Zeiten, wie es für eine höhere Kultur und ganz besonders für eine Religion typisch ist. Etwas Ähnliches gilt für das Nebeneinander von Menschen verschiedenen Alters. Die junge, mittlere und alte Generation leben je in ihren, gegeneinander verschobenen Zeiten, die für sie durch die Gleichaltrigen repräsentiert sind. Aber die Generationen leben diese Diachronie (Zeitverschiebung) gegen- und miteinander, also synchron, gleichzeitig. So erfahren sie ihre G. Die G. der Menschen hängt davon ab, dass sich die Umstände und Institutionen, in denen sie leben, wandeln. Dieser Wandel ist nicht immer und überall gleich schnell und radikal. Wenn lange Zeit das Meiste gleich bleibt, kann man die G. übersehen oder überspielen. Ung., wie sie z. B. in archaischen Gesellschaften gesucht wird, ist kein bloßer Mangel, sondern selbst eine Art, mit der G. umzugehen. – Umstritten ist die Frage, inwiefern die Geltung von Erkenntnissen und sittlichen Normen bzw. Idealen dem Wandel unterworfen ist. Für ihren Kern gilt wohl die Einsicht: Was einmal wahr war, ist immer wahr. Doch bleibt aus (mindestens) drei Gründen Platz für die G.: a) Neue Fragen fordern neue Antworten; b) Was für wahr gehalten wurde, war vielleicht nur eine nicht voll begründete Meinung; c) In konkrete Normen waren Tatsachenannahmen eingegangen, die von der Forschung revidiert wurden; so ändert sich auch die Norm, wenngleich nicht ihr normativer Kern. M Heidegger: Sein und Zeit, Hl 1927, §§ 69–71; H G Gadamer: Wahrheit und Methode, Tü 5 1986; M Müller: Erfahrung und Geschichte, Fr 1971; J B Lotz: Geschichtlicher Wandel und unwandelbare Wahrheit, S 1986; R Hohmann: Was heißt in der Geschichte stehen?, St 2005.

Haeffner Geschichtsphilosophie Das Wort »G.« stammt von Voltaire (1765), der darunter freilich nur eine unparteiische, quellenkritische und sich aufs Wesentliche konzentrierende Geschichtsschreibung versteht. Unter einer G. versteht man heute eine philosophische Deutung der Geschichte nach ihren beiden Bedeutungen, (a) Verkettung der epochemachenden Ereignisse und (b) erzählende Darstellung derselben zu sein. (a) Bald nach dem Beginn der Philosophie, als einige Menschen in Griechenland zu fragen begannen, woraus und wodurch »das Ganze des von sich Anwesenden« bestehe, ob und wie es entstanden sei und wieder vergehe, stellte man auch Vermutungen über Gesetze an, die das Schicksal der Menschenwelt bestimmen: ob es permanent von oben nach unten absinke oder

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Geschichtsphilosophie

umgekehrt zum Besseren fortschreite oder in einer Art von Kreislauf immer wieder dieselben Auf- und Abwärtsbewegungen durchlaufe. Erst am Ende des 18. Jahrhunderts, als auch der Kollektivsingular »die Geschichte« aufkam, beanspruchte man, zwischen diesen Vermutungen eine Entscheidung treffen zu können und den Fortschrittsglauben zu einer begründeten These zu erheben. Dadurch entstand das, was man im engeren Sinn unter G. versteht, deren wichtigste Vertreter Kant, Hegel und Marx sind. Sie interessiert sich nicht für das Schicksal einzelner Dynastien, Staaten usw., die ihre partikulären Interessen haben, sondern für das Schicksal der Menschheit im Ganzen unter der Idee der Humanität. Dass diese Suche, nach allen Rückschlägen, letztlich (und in wesentlichen Teilen jetzt) zum Erfolg führt, wird verschieden begründet. Kants Begründung läuft auf den Dreischritt hinaus, man könne diesen Fortschritt zwar nicht theoretisch beweisen; man sei aber verpflichtet, an seine Möglichkeit zu glauben, weil man sonst nicht entschieden an seinem Heraufkommen mitwirken kann; außerdem würden gewisse Zeichen der Besserung (wie die Französische Revolution) diesen Glauben auch empirisch stützen. Hegel vertritt die These, dass die Menschheitsgeschichte, aufs Ganze gesehen, ein Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit aller Menschen sei. Er findet sie apriorisch begründet in der Vernunftförmigkeit der Wirklichkeit, aber auch empirisch bestätigt durch die Entwicklung der Religion und des Staates. Erstere führe die Menschen durch das Christentum (Gott wird Mensch), speziell die Reformation (alle Wahrheit ist innerlich) und die Aufklärung (gedankliche Aneignung des religiös nur Gefühlten) zu wahrem Selbstbewusstsein. Der Staat habe sich vom Despotismus zu republikanischen Formen entwickelt und sei ein Rechts- und Verfassungsstaat geworden. Marx schließlich sieht in der Industrialisierung einen so gewaltigen Fortschritt in der Ausbeutung der Natur, dass nicht mehr einige Menschengruppen (die Kapitaleigner) die großen Massen (die mittellosen Arbeiter) ausbeuten müssen, damit genügend Mittel für das Überleben aller und für die kulturelle Produktion erzielt werden. Damit sei auch die Notwendigkeit der Herrschaft und eines der wichtigsten Motive für Kriege dahingefallen. – Die kritische Erfahrung mit der G. in diesen Formen hat gezeigt, dass ihr Optimismus letztlich von einem theologischen Kapital zehrt (insbesondere dem des Joachim v Fiore), das aber zugunsten eines angeblichen Wissens verleugnet wird. So ist es zu erklären, dass diese G. ambivalente Wirkungen hervorgebracht und philosophisch an Kredit verloren hat. Nur noch in der gelegentlich aufkommenden Rede vom Ende der Geschichte (z. B. bei F Fukuyama) zittert sie nach. (b) In einem weiten Sinn kann man auch die Reflexion auf die Eigenart des geschichtlichen Bewusstseins, auf die Formen der Erinnerungskultur und auf die Geschichtswissenschaft »G.« nennen. I Kant: Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 1784; Zum Ewigen Frieden, 1795; G W F Hegel: Vorlesungen zur Philosophie der

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Gesellschaft

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Geschichte, 1822–31; K Marx: Die deutsche Ideologie, 1845/46. – W Dilthey: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, B 1910; O Marquard: Schwierigkeiten mit der G., F 1973; H de Lubac: La postérité spirituelle de Joachim de Flore, Namur-P 1979 ff.; E Angehrn: G., St 1991; J Rohbeck: G. zur Einführung, HH 2004.

Haeffner Geschlecht, Geschlechtlichkeit 3 Sexualität Geschmack 3 Ästhetik Gesellschaft G. (1) als Oberbegriff bzw. als Gesamtsystem, das auch die Subsysteme Politik, 3 Wirtschaft, 3 Kultur u. a. m. einschließt: relativ stabile, auf gemeinsame Werte oder Ziele ausgerichtete Verbindungen von Menschen von der Mikro- (Gemeinde) bis zur Makroebene (Weltg.). – G. (2) im Unterschied zu Gemeinschaft: G. als »konstruierte«, zweckhafte Gebilde, Gemeinschaften als »naturhafte«, innerlich aufeinander bezogene Gebilde. – G. (3) im Gegensatz zu 3 Staat: Staat verstanden als die machtmäßig organisierte politische Gemeinschaft, G. dagegen als vorgeordneter und grundlegender Verbund; Zivilg. (4) wie (3): Wirtschaft und bürgerliche G. umfassend; oder im Gegensatz zu Staat und Wirtschaft, da nicht profitorientiert. – G. (5) in der Rechtssprache v. a. die Zusammenschlüsse vermögensrechtlicher Art zu Erwerbszwecken. Da G. nicht selbst handeln kann, sondern immer nur Menschen, braucht sie Organisation (Organisiertheit): 3 Strukturen und 3 Institutionen, nicht nur in rechtlicher Form, die durch Leitbilder und Werte (Kultur) geprägt sind. Die g.lichen Strukturen unterscheiden sich nach Schichten (Klassen), Gruppen (Ethnien, Religionen), räumlichen Einheiten (Regionen), Geschlechterbeziehungen (Gender) und anderen Organisationsmustern. Institutionen sind g.liche Regelungen, Einrichtungen, Symbole usw. Dies schließt Leitungsfunktionen ein, deren Autorität legitimiert wie begrenzt wird durch das jeweilige Gesamtziel, ethisch gesprochen durch das, was um des 3 Gemeinwohls willen erforderlich ist. G. wie viele ihrer Strukturen und Institutionen galten lange als naturgegeben oder sogar gottgewollt und insofern als sittlich-ethisch geboten. Sie werden heute meist als soziale Konstruktionen betrachtet: historisch entstanden, von Menschen geschaffen, kulturell vielfältig und insofern auch veränderbar. Zwischen Individuum und G. als sozialen Akteuren besteht ein gewisses Spannungsverhältnis. Der Gegensatz zwischen (westlichem) Individualismus und (östlichem) Kollektivismus spiegelt dies wider, beruht aber primär auf normativen Prämissen. Aus deskriptiver Sicht ist festzustellen, dass die westliche Kultur der einzelnen Person einen hohen, von seiner sozialen Umwelt relativ unabhängigen Wert beimisst, während die meisten anderen Kulturen den Einzelnen stärker in seine G. eingebunden sehen. Je nachdem, wie man

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Gesetz

dieses Verhältnis gewichtet, wird man unterschiedliche Antworten auf die Frage geben, ob es v. a. auf eine Veränderung der Menschen oder aber einen strukturellen Wandel ankommt. Dies schlägt sich auch in der Zuordnung von Tugend- und Institutionenethik nieder. F Tönnies: Gemeinschaft und G., B 1912; M Weber: Wirtschaft und G., Tü 1922; T Parsons: Das System der modernen G.en, M 1972; N Luhmann: Soziale Systeme, M 1984. – P L Berger / T Luckmann: Die g.liche Konstruktion der Wirklichkeit, F 1969; P L Berger: Einladung zur Soziologie, M 1977; N Elias: Was ist Soziologie?, M 1978.

Müller Gesellschaftsvertrag 3 Vertragstheorie Gesetz (gr. nomos, lat. lex) meint die verbindliche und veröffentlichte Anordnung der Vernunft oder die Anweisung durch Amtsträger an eine Mehrzahl von Adressaten. Während das Sitteng. und juristische G. Sollenscharakter trägt, sich an die Freiheit des Menschen richtet und seine Befolgung nicht von vornherein garantiert ist, Letzteres zudem Menschen erlassen und anwenden, versteht man unter dem naturwissenschaftlichen G. die Beschreibung eines unbegrenzt wiederholbaren, in aller Natur geltenden und jederzeit überprüfbaren Zusammenhangs. Das juristische G. unterscheidet sich durch 1) die Allgemeinheit vom Befehl, der an einen Einzelnen ergeht, 2) die Verbindlichkeit vom Rat, 3) die ausdrückliche Setzung und Geltung von der Gewohnheit und dem Brauch, 4) die in ihm enthaltene Rechtssetzung von dem Gerichtsurteil, welches Recht anwendet. Das G. begegnet heute meist als staatlich g.tes Recht, welches in einem durch die Verfassung vorgeschriebenen Verfahren beschlossen und veröffentlicht worden ist. – Zu unterscheiden sind der Inhalt des G.es und der ihm beigegebene Verpflichtungs- und Durchsetzungswille. Was den Inhalt betrifft, so hat das G. sittlich gut, notwendig, nützlich, an die Umstände sowie den Rechtszustand der politischen Gemeinschaft angepasst und erfüllbar zu sein. Man würde es dann mit Aristoteles als »begierdefreie Vernunft« bezeichnen (Politik III, 16). Platon (Nomoi, IV) und Rousseau (Du Contrat Social, II. 7) werten daher den Gesetzgeber zu einem »höheren Wesen« auf, der das Volk neu schaffe und für jede Notwendigkeit vorsorge, so dass nicht gilt: necessitas non habet legem. Zur gerechten Verpflichtung bedarf es einer Ermächtigung; sie erhält das G. allein aus dem Willen des G.gebers, so der 3 Rechtspositivismus, oder durch ihn, insofern er in Übereinstimmung mit dem 3 Gemeinwohl tätig wird (3 Naturrecht). Ein G., das dem Gemeinwohl dient, verpflichtet im Gewissen (3 Autorität). Ungerechte G.e sind nur bei schwerem Verstoß gegen die Menschenrechte und gegen das Gemeinwohl unverbindlich (3 Widerstand). Auch die Anwendung des G.es untersteht sittlichem Urteil, so ist von jedem G. immer nur maßvoll Gebrauch zu machen. Das Erlaubnisg. (Kant, Zum Ewigen Frieden) duldet einen

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Gewalt

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Zustand noch, der eigentlich überwunden gehört, doch wo die sofortige Ausmerzung des Überständigen zu viel Opfer kosten und schwer bewältigbare Verwirrung hervorrufen würde. – In den Kreis der Adressaten des G.es sind auch die G.geber miteingeschlossen. Je nach dem, wie man die Verbindung von 3 Recht und Moral sieht, wird man auf die Frage antworten, ob das G. die Adressaten gut machen soll: Suárez und Hegel bejahen sie, Kant verneint sie. Das G. beschränkt sich in einer modernen rechtsstaatlichen Demokratie auf das Befolgen und verlangt keine innere Bejahung oder ein Erfüllen des G.es. Die G.esänderung hat auf die Gewöhnung an bisherige Regeln Rücksicht zu nehmen und Rechtsunsicherheit zu vermeiden. »Epikie« ist die fallgerechte Auslegung, welche um der Gerechtigkeit willen auf den Sinn statt auf den Wortlaut des G.es achtet. Aristoteles: Politik. III; T v Aquin: STh. I–II, 90–108; C Montesquieu: Vom Geist der G.e.; H Kelsen: Reine Rechtslehre, W 2 1960. – R Alexy: Begriff und Geltung des Rechts, M 1992; G. Schuppert (Hg): Das G. als zentrales Steuerungselement des Rechtsstaates, Baden-Baden 1998; N Horn: Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, Hd 2004.

Brieskorn Gesinnung 3 Einstellung Gestalt 3 Form Gestimmtheit 3 Stimmung Gettier-Problem 3 [307] Geviert 3 Welt Gewalt geben die romanischen und angelsächsischen Sprachen mit zwei Worten wieder: »Violence« (V.) und »Pouvoir« bzw. »Power« (P.). Als V. bedroht oder verletzt G. Selbstbestimmung und Leben. Das Notwehrrecht des einzelnen Menschen ist ausnahmsweise gerechtfertigte V., unterliegt aber auch der Verhältnismäßigkeit. Der äußerste Grad der V. ist dort erreicht, wo Opfer wie Täter nur noch Objekte und nicht mehr sich selbstbestimmende dialogbereite Subjekte sind (3 Zwang). Von V. unterscheidet sich P. als die in ein Reglement gefasste G. Sie tritt als vom Staat monopolisierte G. auf, deren Einsatz aber erst dann legitim ist, wenn er für den 3 Frieden der Gesellschaft sowie zur Konfliktregelung und Normendurchsetzung unverzichtbar ist. Die konkrete Ausübung hat ebenfalls verhältnismäßig zu sein und sich rechtlicher Kontrolle (G.enteilung) zu unterwerfen. Sie muss stärker und effektiver als mögliche G.allianzen der Gesellschaftsmitglieder sein, doch darf sie um der Effektivität und des Erfolgs willen nie die 3 Würde des Menschen verletzen. Strukturelle G. meint die in gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen enthaltene V. Eine Gesellschaft ohne G. – in beiderlei Sinn – ist Utopie, nicht jedoch eine gerechte Gesellschaft.

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Gewissen

N Machiavelli: Der Fürst; T Hobbes: Leviathan, Kap 13–19; M Foucault: Mikrophysik der Macht, F 1976; W Benjamin: Zur Kritik der G., F 1981; J Derrida: Gesetzeskraft, F 1990; H Arendt: Was ist Autorität?, M 1994. – J Galtung: Strukturelle G., Reinbek 1975; A Haverkamp (Hg): G. und Gerechtigkeit, F 1994; G Sorel: Über die G., F 1996; G Agamben: Homo sacer, F 2002.

Brieskorn Gewaltenteilung 3 Staat Gewissen Der Begriff G. bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch und bei den meisten Autoren die Fähigkeit des Menschen, Handlungen und Handlungsziele nach ethischen Maßstäben zu beurteilen und dabei in Regungen des Mahnens, Ermutigtwerdens, Anklagens, Rechtfertigens, der Schuld, Reue oder Zufriedenheit ein verbindliches Sollen sowie entsprechende Impulse zum Handeln zu erleben. Sie ist die Grundlage sittlicher Verantwortung. Die einzelnen Aspekte dieses komplexen Vollzugs wurden von den verschiedenen G.stheorien oft nur selektiv beschrieben und mit unterschiedlichen anthropologischen und erkenntnistheoretischen Auffassungen verbunden, so dass der Begriff G. zu den »uneinheitlichsten und umstrittensten« (J Stelzenberger) gehört. Nachdem erstmals in der hellenistischen Zeit das Phänomen G. mit dem zunächst weiten Begriff syneídesis bzw. conscientia (Mitwissen, Bewusstsein), der im 1. Jahrhundert v. Chr. auch eine deutlich ethische Bedeutung annahm, bezeichnet und thematisiert worden war, und nachdem Cicero und Seneca schwerpunktartig diese conscientia als Quelle einer freien sittlichen Orientierung herausgestellt hatten, entstanden erst in der Hochscholastik zusammenhängende G.stheorien. Thomas v Aquin unterschied zwischen der von Natur aus angelegten, in der Vernunft wurzelnden Fertigkeit, die allgemeinen Prinzipien sittlichen Handelns zu erkennen, die er – wohl aufgrund eines Schreibfehlers beim Wort syneídesis – synderesis nannte. Das Grundsatzwissen dieses »Ur-G.s« (J Pieper) wendet die conscientia (Pieper: »Situationsg.«) auf konkrete, aktuelle Fälle an. Obwohl das konkrete G.surteil aufgrund falscher Information oder fehlerhaften Schlussfolgerns falsch sein kann (conscientia erronea), ist es – solange es die lex divina nicht berührt – verbindlich. Während die Reformatoren das G. weitgehend mit der Glaubensbeziehung gleichsetzten und damit theologisierten, relativierte J Locke das G. als Richter, der – ohne angeborene sittliche Begriffe – nach gesellschaftlich bedingten, veränderlichen Regeln urteilt. Im Rahmen seiner Lehre vom kategorischen Imperativ rehabilitierte I Kant das G. als ursprüngliches, nicht »erwerbliches« »Bewußtsein, das für sich selbst Pflicht ist« (AA VI 185 f.) und als gesetzgebende wie auch richtende Vernunft wirkt. Im Gegensatz zu allen idealistischen G.sauffassungen lehnte F Nietzsche Pflichtgefühl und schlechtes G. als Unterdrückung des Willens zur Macht ab. Auch S Freud leugnete ein »ursprüngliches Unterscheidungsvermögen für Gut und Böse«

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Gewissen

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(GW 14, 483) und beschrieb G. nur als autoritätsbestimmte Orientierung an »sozialer Angst« vor Bestrafung und an der »G.sangst«, die von angstbesetzt verinnerlichten Normen der Umwelt ausgeht (»Über-Ich« als Erbe des angenommenen Ödipuskomplexes). Indes hält die gesamte spätere Moralpsychologie und Prosozialitätsforschung neben einer autoritätsorientierten auch eine autonome (E Fromm: »humanistische«) G.sentwicklung für möglich. Das reflektierte G. kann man psychologisch als den auf ethische Werte »spezialisierten« Bereich menschlicher Selbststeuerung betrachten, der – in Auseinandersetzung mit Einflüssen der sozialen Umwelt – das eigene Denken, Fühlen und Handeln antizipierend, begleitend und rückschauend selbstbeobachtet, es nach verbindlich verinnerlichten Wert- und Sollensmaßstäben bewertet und so – je nach Übereinstimmung oder Diskrepanz – Zufriedenheit, Selbstwertgefühl und Sinnerfüllung oder aber Scham und Schuld erfährt – als Anreiz und Motivation zur Verwirklichung/Beibehaltung oder Verwerfung/Änderung des Verhaltens. G.sängstlichkeit (Skrupulosität) und Fixierung auf eigene Bedürfnisse können das Urteil verzerren. Philosophisch ist anzunehmen, dass die Grundnorm, Gutes zu tun und Böses zu verhindern, eine nicht weiter beweispflichtige Einsicht darstellt, die jedem Menschen möglich ist, wie immer seine Sozialisation verlief. Aus dieser Einsicht muss sich der verantwortungsbewusste Mensch durch G.sbildung allgemeine sittliche Prinzipien und Normen erarbeiten und in Prozessen der Kasuistik auf die konkreten, individuellen Einzelfälle anwenden. Dabei ist die Situation genau zu analysieren und eine Vielzahl von Handlungsumständen, -folgen und -alternativen zu berücksichtigen. Es sind Vorzugsregeln (z. B. der Vorrang von Verboten vor Geboten) und Grundsätze der Güterabwägung anzuwenden. Normen und Gesetze sind im Sinne der Epikie sinn-, nicht buchstabengemäß auszulegen und starre legalistische Einzelnormierungen zu vermeiden. Oft, zumal bei subjektiv erlebten Pflichtenkollisionen, kann die Lösung nur in der Wahl des kleineren Übels bestehen. Die Erlaubtheit einer Handlung muss mit praktischer 3 Gewissheit feststehen (3 Moralsysteme). Dem befehlenden Spruch des G.s ist Folge zu leisten – auch im Fall des unüberwindlich und schuldlos irrenden G.s; denn in wichtigen Angelegenheiten kann die Verantwortung oft nicht an andere delegiert werden. Aus diesem Grund sind auch G.sentscheidungen anderer, die man für irrig hält, zu respektieren, solange sie die Rechte von Mitbürgern nicht verletzen (3 Toleranz). Von Seiten des Staates ist G.sfreiheit zu gewähren, z. B. bei Verweigerung des Kriegsdienstes oder der Mitwirkung bei Abtreibungen aus G.sgründen. Ob im demokratischen Staat »ziviler Ungehorsam« (J Rawls) durch Sitzblockaden, Steuerverweigerung u. ä. zur Durchsetzung partieller Veränderungen im politischen System vertretbar sind, ist umstritten. H Reiner: G. in: HWP 3(1974), 574–592; J-G Blühdorn: G. in: TRE XIII (1984), 192–213; F Noichl: G. und Ideologie, Fr 1993; S Hübsch: Philosophie und G.,

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Gewissheit

Gö 1995; A Zimmer: Das Verständnis des G.s in der neueren Psychologie, F 1999; E Schockenhoff: Wie gewiss ist das G.?, Fr 2003.

Grom Gewissheit ist derjenige innere Zustand bezüglich eines kognitiven oder praktischen Inhalts, der Zweifel und Unsicherheit ausschließt. Sie ist die Überzeugung von der Wahrheit einer Erkenntnis bzw. der Richtigkeit und ggf. Notwendigkeit einer bestimmten Handlung. Sie fällt somit unter den Bereich der epistemischen Logik. Sie kann aber auch den Erkenntnissen oder praktischen Notwendigkeiten selbst zugeschrieben werden. Statt von G. kann in den meisten Fällen auch von Sicherheit gesprochen werden. Der extreme Gegenpol zur G. ist der Zweifel. Dazwischen liegen Ung. oder Unsicherheit, bloße Vermutung oder Meinung und Wahrscheinlichkeit. Auch dann, wenn wir festgestellt haben, dass wir uns geirrt haben, können wir nach wie vor sagen, wir seien uns einer bestimmten Sache gewiss gewesen, während wir nicht mehr davon sprechen können, wir hätten etwas gewusst, sobald wir unseren Irrtum feststellen. Insofern stellt die Rede von der G. zunächst einmal nur die Beschreibung eines subjektiven epistemischen Zustandes dar, während wir mit Evidenz sowohl die G. als auch die Wahrheit der betreffenden Einsicht meinen. Die G. ist berechtigt, wenn sie auf tatsächlichem Wissen beruht, wenn also die Wirklichkeit tatsächlich so beschaffen ist, wie ich sie erkenne. Die Suche nach G. zeichnet vor allem historische Umbruchsituationen aus, in denen kein Verlass mehr auf die herkömmlichen Überzeugungen zu sein scheint und eine Antwort auf die 3 Skepsis nötig wird. Es kommt dann oft zu der Frage, wie eine persönliche individuelle G. erzielt werden kann. Vor allem in der Neuzeit wurde die Suche nach der Wahrheit zur Suche nach der G. Diese Frage beschäftigt nicht nur die Philosophie, sondern auch die Religion. So war die Suche nach der Heilsg. ein entscheidendes Motiv in der Reformation. Aber auch in der katholischen Kirche haben Gestalten wie Ignatius v Loyola nach möglichst großer G. über die persönliche Berufung gesucht. Zu Beginn der Moderne wird die Suche nach G. zum zentralen Thema der Philosophie von Descartes, für den das Wissen um die eigene Existenz eine absolut unbezweifelbare G. darstellt. Bereits Augustinus hat die Skeptiker durch den Aufweis der G. der Existenz meiner selbst widerlegt. Moralisch wird eine G. genannt, die zwar nicht absolut ist, aber doch ausreicht, um moralisch verantwortlich zu handeln. Die höchste Form der G. ist die apodiktische, deren Gegenteil einen Widerspruch bedeutet. Bonaventura: Über den Grund der G.; R Descartes: Discours de la méthode IV; Meditationes; L Wittgenstein: Über G.; G E Moore: Certainty, Lo 1959. – F Wiedmann: Das Problem der G., M 1966; W Baumgartner (Hg): G. und Gewissen, Wü 1987; D Perler: Zweifel und G., F 2006.

Schöndorf

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Gewohnheit

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Gewohnheit Unter einer G. verstehen wir heute üblicherweise ein klar umrissenes und festes Verhaltens- oder Denkmuster, welches das menschliche Leben prägt, ohne dass es in jedem Einzelfall bewusst initiiert und in seinen einzelnen Aspekten bestätigt werden muss. Zur Ausbildung einer G. sind Entscheidungen und Willensakte erforderlich; dann erlangt sie ein gewisses Maß an Selbstständigkeit. In der Philosophie hat das Wort ›G.‹ häufig eine sehr spezifische Bedeutung, die je nach Kontext stark variiert. Bereits Platon hat auf die prägende Kraft etablierter G.en im menschlichen Leben hingewiesen. Im Dialog Politeia fragt Sokrates seinen Gesprächspartner: »[…] hast du nicht bemerkt, dass die Nachahmungen, die man von Jugend auf beständig betreibt, zur G. (éthos) und zur anderen (zweiten) Natur (phy´sis) werden, ob das nun den Leib oder die Stimme oder die Denkungsart betrifft?« (Rep. III 395d) Wegen ihrer Prägekraft spricht Platon den G.en eine wichtige Bedeutung beim Streben nach dem Guten zu. Unter Leitung der Vernunft soll der Mensch gute G.en ausbilden, um sich durch die dadurch erzielte Stetigkeit seines tugendhaften Verhaltens der unwandelbaren Idee des Guten anzugleichen. Aristoteles spricht von G. im Zusammenhang mit der Frage, wie die ethischen 3 Tugenden erlangt werden, weil diese habituellen Dispositionen (héxeis) emotionaler Art nur durch Gewöhnung erworben werden können (vgl. Nik. Eth. II-1). Lediglich die Anlage zu diesen Dispositionen ist dem Menschen von der Natur mitgegeben. Um sie in sich zu entfalten, muss er sie durch ein Tätigsein im Sinne der entsprechenden Tugenden als zweite Natur in sich ausbilden: »Nur indem man gerecht, besonnen, tapfer handelt, wird man gerecht, besonnen, tapfer.« (Nik. Eth. II-I 1103a14-b2) Es ist irreführend, wenn man die Charaktertugenden ganz undifferenziert ›G.en‹ nennt, da es sich dabei nicht um mechanische Verhaltensmuster handelt, die durch Abrichtung anerzogen werden. Aristoteles legt Wert darauf, dass man diese charakterlichen Dispositionen nur jemandem zuschreibt, dessen tugendhaftes Verhalten auf bewussten und freien Entscheidungen dafür gründet. Der Aspekt der Gewöhnung und des Gewohnheitsmäßigen ist wichtig, weil als weiteres Kriterium des tugendhaften Handelns hinzukommt, dass man das Tugendhafte sicher und ohne Wanken (vgl. Nik. Eth. II-3 1105a31– 33) sowie gerne tut: »Vieles […], was von Natur aus nicht angenehm ist, tut man mit Lust, wenn man es erst einmal gewöhnt ist.« (Rhet. I-10 1169b) Das ist nur möglich, wenn die spontanen-unreflektierten Leidenschaften entsprechend geformt sind und dadurch eine Willensstärkung bewirken. Das Ergebnis des Gewöhnungsprozesses sind also keine starren Verhaltensmuster, sondern die von Thomas v Aquin als Habitus bezeichneten Dispositionen. Kant betont, dass sittliche Maximen im Unterschied zu technischen nicht auf G. gegründet werden können. Damit unterstreicht er den Freiheitscharakter der Tugend und hebt sie deutlich von einer durch Übung erworbenen bloßen G. moralisch-guten Handelns ab (vgl. MdS-T AA VI 383–384, 407). Hegel weist auf die Ambivalenz der G.en im sittlichen Leben hin: Einerseits gefährden sie

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Glaube

die Freiheit des Geistes, andererseits helfen sie dem Menschen bei der Aneignung und Durchsetzung seines Wollens, indem sie eine bis ins Leibliche hineinreichende dauerhafte Entschiedenheit unterstützen. Wenn Freiheit habituell werden muss, haben G. und Sitte eine positive Bedeutung. Im britischen Empirismus spielen G.en auch in der theoretischen Philosophie eine wichtige Rolle. Hume nennt die G. (custom, habit) »die große Führerin im menschlichen Leben« (vgl. Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, V-I) und meint, dass alle Ableitungen aus Erfahrungen, die über das hinausgehen, was die Sinne und das Gedächtnis uns sagen, wie z. B. die kausale Verknüpfung von Sinneseindrücken, eine Wirkung der G. und nicht der Vernunfttätigkeit sind. Platon: Politeia, Nomoi; Aristoteles: Nik. Eth. II; T v Aquin: STh I–II, q 49–54; D Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand; G W F Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften III § 409–410; Rechtsphilosophie § 151. – F Ravaisson: Abhandlung über die G., Bn 1954; G Funke: G., Bn 1958; J-I Lindén: Philosophie der G., Fr 1997.

Trampota Gewöhnung 3 Gewohnheit Geworfenheit 3 Kontingenz Glaube (engl. belief) gehört wie Wissen, Meinung, Überzeugung u. ä. zu den epistemischen (die Erkenntnis betreffenden) Einstellungen, die in der epistemischen Logik erörtert werden. G.n im weitesten Sinn des Wortes kann jede Art von Für-wahr-Halten meinen. Der G. (gr. pístis, lat. fides) an Gott im Sinn des Christentums und der christlichen Theologie ist als ganzheitliche menschliche Haltung eine der drei übernatürlichen theologischen, d. h. gnadenhaft von Gott verliehenen Tugenden (G., Hoffnung, Liebe). Im Allgemeinen ist G. ein Gegenbegriff zu (streng beweisbarem) Wissen. G.n in diesem Sinn ist entweder bedeutungsgleich mit 3 meinen oder mit für-wahr-halten aufgrund von Vertrauen. G. auf der Basis von Vertrauen ist immer dann notwendig, wenn es sich um eine personale Beziehung und die daraus resultierende Erkenntnis handelt. G. als Wissen, das auf dem Zeugnis anderer beruht (Zeugniswissen), ist immer dann erforderlich, wenn es um Fakten geht, die man nicht selbst erlebt hat, sondern den Erfahrungen anderer oder der Überlieferung entnehmen muss. Streng beweisbares Wissen gibt es nur von unpersönlichen 3 Sachverhalten. Auch der 3 Gottesbeweis betrifft nur die Tatsache der Existenz Gottes (vgl. Jak 2,19: »Es gibt nur einen Gott […], glauben auch die Dämonen«), während von religiösem G.n erst beim G.n an die Offenbarung und die Güte Gottes, also bei einer vertrauensvollen und persönlichen Gottesbeziehung die Rede sein kann. G. an pseudoreligiöse Erscheinungen und Praktiken wird als Aberg., fehlender religiöser G. als Ung. bezeichnet. Da alle präzise Erkenntnis eine sprachliche Formulie-

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Gleichheit

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rung braucht, die Sprache aber nur von anderen Menschen »g.nd« gelernt werden kann, gibt es kein exaktes Wissen, das nicht auch mit G.n zu tun hätte. Hume nennt die seines Erachtens rational nicht begründbare Überzeugung von der 3 Kausalität ebenso wie unsere moralischen Überzeugungen G. (belief). Als Vernunftg.n bezeichnet Kant die im Zusammenhang mit der Moral vernünftig begründete Überzeugung von der Freiheit, der Unsterblichkeit und der Existenz Gottes, die keine Vermehrung unseres Wissens darstelle, da es sich um keine Erkenntnisse innerhalb der sinnlich wahrnehmbaren Welt handelt. Fichte versteht unter dem G.n an die Existenz der Welt eine vernunftgegründete Überzeugung, die über eine bloße Meinung hinausgeht, aber kein personales Vertrauen ist. I Kant: KpV, AA V 122–146; J G Fichte: Die Bestimmung des Menschen, Drittes Buch; G W F Hegel: G.n und Wissen. – O Quast: Der Begriff des Belief bei David Hume, Hl 1903; A Flew: Hume’s philosophy of belief, Lo 1961; Johannes Paul II.: Fides et ratio, Ro 1998; A T Peperzak: Philosophy between faith and theology, Notre Dame (Ind) 2005; J Disse: G. und G.nserkenntnis, F 2006; D Hercsik: Der G, Wü 2007; T Schärtl: G.ns-Überzeugung, Ms 2007.

Schöndorf Glaubensphilosophie 3 Fideismus Gleichheit (gr. isótes, lat. aequalitas) ist diejenige Weise der 3 Identität, die dann vorliegt, wenn es sich zugleich um eine numerische Verschiedenheit handelt und die verschiedenen gleichen Seienden zumindest unter der Rücksicht, unter der sie einander gleichen, miteinander vertauschbar sind. G. im mathematischen Sinn besteht, wenn die Quantität ein und dieselbe ist, wie schon Aristoteles in seiner Metaphysik (V, 15, 1021 a) darlegt. G. kann es unter verschiedenster Rücksicht geben, wenn unter der oder den jeweiligen Rücksichten eine Identität vorliegt, ohne dass die betreffenden Seienden numerisch identisch sind. Man kann jedoch auch die strenge numerische Identität als die vollkommenste Weise der G. bezeichnen. Für die logische G. (3 Logik) gelten die Gesetze der Reflexivität (jedes ist sich selbst gleich), der Symmetrie (die Gleichung kann umgekehrt gelesen werden) und der Transitivität (wenn das Erste dem Zweiten und das Zweite dem Dritten gleich ist, so ist das Erste dem Dritten gleich). Gehören verschiedene Seiende derselben Art oder Gattung an, so dass ihnen dasselbe Wesen zukommt, liegt Wesensg. vor. In der Wesensg. aller Menschen gründet die G. aller Menschen vor dem Gesetz, die zu den drei klassischen Forderungen der Französischen Revolution gehörte (Freiheit, G., Brüderlichkeit) und heute als ein Grundrecht aller Menschen erachtet wird (3 Menschenrechte, 3 Würde). Wie weit diese G. über die reine rechtliche Gleichstellung hinaus (als Chanceng., Diskriminierungsverbot u. ä.) konkret zu interpretieren ist, um nicht mit der Freiheit in Konflikt zu geraten, lässt

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sich nicht ein für allemal eindeutig beantworten und ist darum in der politischen Philosophie und Praxis eine stets neu zu erörternde Frage. W Windelband: Über G. und Identität, Hd 1910; T Hoppe: Menschenrechte im Spannungsfeld von Freiheit, G. und Solidarität, St 2002; W Kersting: Kritik der G., Weilerswist 2002; H Pauer-Studer (Hg): Freiheit, G. und Autonomie, W 2003; P A Berger (Hg): Welche G. – welche Ung.?, Wi 2004.

Schöndorf Gleichsinnig 3 Analogie Glieder 3 Organismus Glück a) Unter G. kann ein einzelnes erfreuliches Ereignis verstanden werden, wenn es mehr ist als das bloße Ergebnis einer entsprechenden vorausgehenden Anstrengung und Leistung, sondern sich zumindest bis zu einem gewissen Grad als Geschenk, Zufall oder göttliche Fügung erweist. Das G. in diesem Sinn ist gemeint, wenn wir von »G. haben« sprechen. b) Spricht man dagegen von »g.lich sein«, so ist G. in einem umfassenderen Sinn als die Erfahrung innerer Erfüllung und Freude gemeint, die über die bloße Zufriedenheit hinausgeht. Das G. (die G.seligkeit, Eudaimonie: von gr. eudaimonía, lat. felicitas, beatitudo) ist nach der Überzeugung der philosophischen Tradition das letzte Ziel alles menschlichen Strebens und darum das höchste Gut des Menschen. Es besteht in der wahren Erfüllung unserer Sehnsucht. Beide Bedeutungen von G. haben miteinander gemein, dass in ihnen zum Ausdruck kommt, dass das G. nicht das Produkt einer bestimmten Leistung oder das Ergebnis eines Kalküls ist, sondern dass ihm (zumindest auch) der Charakter eines Geschenks, einer Gabe zukommt. Das G. ist nicht einfach machbar, sondern es bedeutet, dass das Leben als Ganzes gelingt. Es ist dann erreicht, wenn ein Mensch sein Leben voll und ganz als sinnvoll bejahen kann. Da das Leben eine Ganzheit darstellt, kann sein Sinn und somit das G. nicht voll und ganz in die Zukunft verlegt werden, sondern muss sich in seinem Kern hier und jetzt schon zeigen. Da andererseits jedes irdische Leben unvollkommen ist, kann erst die Vollendung des Lebens zum G. im vollen und unverlierbaren Sinn führen. Wer sich auf das G.sstreben fixiert, wird das G. nie erreichen, da er es als Leistung oder als Genuss missversteht und mit dem Erreichten nie zufrieden sein wird, denn es fehlt ihm die Fähigkeit, sich das Gute und Schöne auch schenken zu lassen. Wer sich andererseits nur auf die Verpflichtung zum Guten fixiert, liefert sich dem Rigorismus und Perfektionismus aus und wird ebenfalls unfähig zum G. Darum ist der Weg zum G. immer mit dem Bemühen um das Gute verbunden, das Anstrengung und Gabe zugleich ist. Die antiken Philosophien verstehen sich normalerweise als Anleitung zu einem g.lichen Leben. Die 3 Ethik ist in der klassischen Tradition als Lehre vom richtigen Leben und vom Gesollten die Lehre davon, wie wir das G.

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Glück

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erreichen. Darüber, dass das G. das höchste Gut und das Ziel des menschlichen Lebens ist, gibt es keine Meinungsverschiedenheit, wohl aber darüber, welches der rechte Lebensentwurf und der rechte Weg ist, um dieses Ziel zu erreichen. Aristoteles verwirft Lust, Reichtum, Ehre, Gesundheit oder Ähnliches als Inhalt des G.s und zeigt, dass das G. in der der Seele entsprechenden areté (Tugend, Tüchtigkeit) besteht. Da zum wahren G. aber auch ein günstiges Schicksal beitragen muss, kann man nach Aristoteles von einem Menschen erst nach seinem Tod im vollen Sinn sagen, ob er in seinem Leben das G. erreicht hat. Für den dazu Geeigneten besteht das G. in der Schau des Wissens, der theoría. Diesen Gedanken verwandelte das Christentum in die Lehre, dass das endgültige G. eines Menschen in der ewigen G.seligkeit nach dem Tod, in der g.seligen Anschauung Gottes (visio beatifica) besteht. Thomas v Aquin lehrt, dass die vollkommene G.seligkeit des Menschen letzten Endes nur in der Schau des göttlichen Wesens bestehen kann (STh I–II 3, 8 c). Diese G.seligkeit, nach der alle Menschen streben, auch wenn sie sich nicht unbedingt dessen bewusst sind, ist freilich nur durch die Gnade Gottes erreichbar. Kant interpretiert die G.seligkeit in einem rein empirischen und naturhaften Sinn und kann in ihr darum nicht mehr das höchste Ziel des Menschen überhaupt sehen. Statt dessen unterscheidet er zwischen dem obersten höchsten Gut, das in der Sittlichkeit besteht, die uns g.swürdig macht und somit die moralische Bedingung für die G.seligkeit darstellt, und dem vollendeten höchsten Gut, das in der erst durch Gott nach dem Tod möglichen Vereinigung von Sittlichkeit und G.seligkeit besteht, die dem sittlich Handelnden vernünftigerweise gebührt. Außerdem ist die G.seligkeit seiner Meinung nach kein klarer Begriff, sondern ein nicht eindeutig bestimmtes Ideal der Einbildungskraft, weshalb die Regeln zu ihrer Erlangung, die 3 Imperative der Klugheit, keine strengen Gebote, sondern nur Ratschläge der Vernunft sind. Die vor allem seit der Aufklärung dominierende Betonung der Sittlichkeit ließ das G. in der Philosophie in den Hintergrund treten und eher zu einem Thema der Psychologie und der Sozialwissenschaften werden. Erst in der neuesten Zeit kam es zu einer Rückbesinnung darauf, dass die Ethik im klassischen Sinn nicht nur eine Lehre dessen ist, was der Mensch tun soll, sondern eine Lehre vom gelingenden, g.enden Leben als solchen und somit vom G. im klassischen, ganzmenschlichen Sinn des Wortes. Epikur: Wege zum G.; Aristoteles: Nik. Eth.; Seneca: Das g.liche Leben; Augustinus: De vita beata; T v Aquin: STh I–II 2–5; I Kant: Grundlegung; KpV, 1. T., 2. B., 2. Hauptstück; A Schopenhauer: Die Kunst, g.lich zu sein. – R Schaeffler: Fähigkeit zum G., Z 1977; B Grom: G., F 1987; R Spaemann: G. und Wohlwollen, St 1989; M Hossenfelder: Antike G.slehren, St 1996; N Rescher: G., B 1996; G Bien: G., F 1999; A Pieper: G.ssache, HH 2001; D Fenner: G., Fr 2003; B Heller: G., Da 2004; F Ricken: Gemeinschaft, Tugend, G., St 2004; J H Claussen: G. und Gegeng., Tü 2005.

Schöndorf

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Gnosis

Gnoseologie 3 Erkenntnistheorie Gnosis / Gnostizismus Mit Gnosis (G.) im engeren Sinn bezeichnet man eine religiöse Bewegung der Spätantike, nach der Vollendung und Heil des Menschen in der 3 Erkenntnis (gnósis) seiner selbst als des 3 Gottes besteht. Die G. antwortet auf die Fragen, »wer wir waren, wohin wir geworfen wurden, wohin wir eilen, wovon wir erlöst werden, was Geburt und was Wiedergeburt ist« (Klemens von Alexandrien, Exc. ex Theod. 78,2). Die zahlreichen Mythen der G. weisen als gemeinsame Grundstruktur einen 3 Dualismus auf: zwischen der überweltlichen, geistigen, guten Gottheit und dem niederen, unwissenden Weltschöpfer (Demiurgen), der 3 Materie, dem Kosmos; dem göttlichen Lichtfunken und dem vom Demiurgen geschaffenen Körper des Menschen, in dem er gefangen ist. Die gnostische 3 Offenbarung erweckt den Lichtfunken zum 3 Bewusstsein seiner selbst; damit beginnt der Aufstieg. In einem weiteren Sinn wird G. als allgemeiner 3 Begriff der Religionsphänomenologie auf religiöse und philosophische Richtungen angewendet, die der historischen G. verwandte Elemente aufweisen, z. B.: einseitige Betonung der (mystischen oder 3 rationalen) Erkenntnis gegenüber dem 3 Glauben; 3 Reduktion der Erlösung auf Wissen und 3 Selbstbewusstsein; Aufhebung des Unterschieds zwischen Mensch und 3 Gott; Abwertung der sichtbaren 3 Welt, vor allem des menschlichen 3 Leibes und der 3 Sexualität. W Foerster: Die G., Z 2 1995. – H Jonas: G. und spätantiker Geist, Gö 1993; K Rudolph: Die G., Gö 1990; G. und spätantike Religionsgeschichte, Lei 1996.

Ricken Gödelscher Satz 3 Beweis 3 Logik 3 Mathematik 3 Menge 3 Vollständigkeit Gott (gr. theos, lat. deus) ist kein philosophischer Begriff, sondern ein Wort der Religion und bezeichnet im Wesentlichen einen den Verfügungsbereich des Menschen schlechthin überschreitenden Bereich, der in seiner Macht und seinem Anspruch den Menschen angeht und als solcher Verehrung und Hingabe verdient. Gemäß den verschiedenen Weisen seiner Erfahrung stellt er sich im religiösen Bewusstsein zunächst als Vielfalt der Götter und göttlichen Wesen dar, wie sie etwa im griechischen Polytheismus besonders ausgeprägt vorliegt. Aber gerade in ihm wird die Einheit dieses Bereiches zum Thema, so in der Dichtung Homers, wo die Götter als Familie erscheinen, denen Zeus als Vater vorsteht, oder bei Hesiod, der die Götter in einer Genealogie verbindet, die zum Ursprung aller Dinge führt. In dieser Vereinigungstendenz wird eine dem religiösen Bewusstsein immanente Reflexion erkennbar, die bei den vorsokratischen Philosophen in die Frage nach dem die Vielfalt der Erscheinungen begründenden allgemeinen Ursprung mündet. Bei der Beantwortung dient die Abstraktheit der Begriffe (vor allem: arché) und der Rückgriff auf interpretationsneutrale Anschauungen (Wasser; Feuer, Luft) einer kultur-

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Gott

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übergreifenden Verständigung, wie sie der alle Menschen gleichermaßen angehenden Sache gemäß ist. Damit ist der Schritt vom »Mythos« zum »Logos«, zur »Vernunft«, getan, zugleich aber auch die Konvergenz der religiösen und philosophischen Sprache deutlich geworden, denn der allgemeine, für alles maßgebende Ursprung ist genau das, was die Religion mit G. und dem Göttlichen meint. Der Ertrag ist eine Klärung des G.esbegriffs im Sinne der »Arché« aller Dinge, die letztlich nur eine sein kann: das eine, reine, aus sich seiende, ewige »Sein« (Parmenides). Als der endlichen und veränderlichen Wirklichkeit der Erscheinung zugrunde liegend ist es nur durch das Denken zu erreichen, welches zugleich näher bestimmt, was in einer qualifizierten Weise unter G. und dem Göttlichen zu verstehen ist. Bei Platon wird die Lehre vom wahren, d. h. geistig-ideellen Sein und der höchsten Idee des Guten zur »Theologie«; ebenso bei Aristoteles in seiner Lehre von der höchsten in sich stehenden Wirklichkeit, der Substanz (Usia), die er als Geist, als Denken des Denkens (nóesis noéseos) bestimmt, weil sie in ihrem Aus-sich-Sein nur als höchster reflexiver Vollzug gedacht werden kann, wie sie auch höchstes bewegendes, selbst aber (da unveränderlich) unbewegtes Ziel des Kosmos ist. In der Spätantike knüpft Plotin mit seiner Lehre von der höchsten Einheit an Platons Aussage an, dass die Idee des Guten noch »jenseits des Seins« stehe, d. h. jenseits jeder Objektivierung. Da Geist (Nous) als Reflexion stets die Trennung von Subjekt und Objekt enthält, muss nach Plotin das Göttliche als absolute Einheit noch über dem Denken stehen, ist somit für dieses in direktem Zugriff nicht mehr erreichbar, sondern nur in mystischer Ekstase. Immerhin ergibt sich diese Mystik konsequent aus einem sich selbst überschreitenden Denken. Die Philosophie kann also an den Bereich der Religion heranführen und ihn als ihre eigene Erfüllung erkennen. Dabei wird von den antiken Philosophen die volkstümliche und für das politische Leben unverzichtbare Religion mit ihrer Vielzahl von Göttern nicht geleugnet, bekommt aber eine untergeordnete Rolle zugewiesen. Die unterscheidbaren Götter gehören demnach der Erscheinungswelt an. In diesem Punkt ist der jüdisch-christliche G.esglaube radikaler. Er kann sich mit der philosophischen Depotenzierung der Götter verbünden, lehrt aber unter Berufung auf das erste Gebot vom Sinai die radikale Einzigkeit G.es. Bei den Kirchenvätern finden sich zahlreiche Rückgriffe auf die Philosophie, um den eigenen G.esbegriff in einer geläuterten Weise zu präsentieren. So konnte etwa – ausgehend von der Selbstvorstellung G.es in den Worten: »Ich bin der ich bin« (Ex 3,14) – G. als »Sein« begriffen werden, als Sein aus sich und um seiner selbst willen, als Ziel alles Strebens und Quelle aller normativen Ansprüche, somit als höchstes Gut (»summum bonum«). Gleiches galt für die Entfaltung seiner Eigenschaften, etwa der Einfachheit, Ewigkeit, Unveränderlichkeit und Geistigkeit, wie sie von Platon und Aristoteles herausgestellt wurden. Dabei setzte der biblische Glaube durchaus neue Akzen-

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Gott

te. Nach ihm stammt die Erkenntnis der Geistigkeit G.es wesentlich aus seiner Erfahrung als den Menschen ansprechende und seine Geschichte gestaltende personale Macht. Dieser Begriff der Personalität G.es ist in der antiken Philosophie nicht gegeben, obwohl sich in ihr Anknüpfungspunkte für ihn finden, etwa in der Gewissenserfahrung bei Sokrates, dessen Satz »Ich muß G. mehr gehorchen als den Menschen« (Apol 29d) ebenso im Neuen Testament enthalten ist (Apg 5, 29). Die christliche Theologie konnte von daher ihr Verständnis von der Personalität G.es als eine Entfaltung der philosophischen Lehre von der Geistigkeit und Gutheit G.es verstehen, zugleich aber auch mit der Unverfügbarkeit und Freiheit dieser Personalität deutlicher deren bleibende Geheimnishaftigkeit aussprechen und deren mystische Tiefe mit ihrer konkreten Erfahrbarkeit in eine widerspruchslose Einheit bringen. Denn Personalität vollzieht sich in einem Sich-Geben, das im gleichen Sinn ein Sich-Entziehen ist. So verstanden kann die Immanenz des transzendenten G.es in einer Radikalität gedacht werden, die der antiken Philosophie noch nicht möglich war. Die Erscheinungswelt blieb dem reinen Sein immer äußerlich und drohte es durch diese Gegenüberstellung sogar zu verendlichen. Demgegenüber lässt die Lehre von der Menschwerdung G.es dessen Überlegenheit und Souveränität erst voll deutlich werden, denn sie besagt, dass der zur Welt transzendente G. in ihr so präsent sein kann, dass er den Bezug zu ihr in seinen Selbstbezug hineinzunehmen vermag. Der Schritt zur Menschwerdung ist die freie Tat G.es. Mit ihrem Erscheinen in der Kontingenz (in diesem Jesus) beweist sie ihre Unableitbarkeit. Zugleich aber ist diese Unableitbarkeit die tiefste Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis G.es zur Erscheinungswelt und nach seinem eigenen Wesen. Denn in dieser Tat zeigt sich G. Er offenbart sich. Er zeigt sich, wie er ist, wie er in Ewigkeit ist, und so gehört die Beziehung zu dem einen Menschen Jesus in die Definition seines ewigen Wesens. Dies ist die christliche Trinitätslehre, nach der G. in sich selbst Beziehung ist: von Vater und Sohn im einen Geist. Auch mit dieser Lehre von der personalen Selbsterschließung G.es erweist die christliche Theologie ihre philosophische Relevanz. Denn in Absetzung von Plotin eröffnet sie die Möglichkeit, Differenz nicht nur als Mangel zu denken, da G. durch die Beziehung der unterscheidenden Liebe die höchste Einheit in sich selbst ist. So bringt die christliche Theologie mit ihrer Lehre von der Personalität G.es es in gewisser Weise auf den Punkt, dass der nichtphilosophische Begriff von G., dem die Philosophie ihr Entstehen verdankt, seine Bedeutung für sie genau dadurch erweist, dass er ihr ein Gegenüber bleibt, so wie sie ihn ihrerseits immer wieder zur Klärung herausfordern wird. Platon: Politeia; Symposion; Timaios; Aristoteles: Metaph. XII; T v Aquin: STh I, bes qq 3–26; ScG I–III. – J Splett: G.eserfahrung im Denken, M 1973; W Brugger: Summe einer philosophischen G.eslehre, M 1979; O Muck: Philosophische G.eslehre, Düss 1983; B Weissmahr: Philosophische G.eslehre, St 1983; H Beck: Natürliche Theologie, M 1986; E Coreth: G. im philosophischen Den-

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Gottes Eigenschaften

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ken, St 2001; P Strasser: Der G. aller Menschen, Graz 2002; J Schmidt: Philosophische Theologie, St 2003.

Schmidt Gottes Eigenschaften Gott philosophisch gefasst ist der vollkommen aus sich selbst Seiende. So ist er Grund der Gesamtheit dessen, was nicht aus sich selbst ist, d. h. der Welt (3 Gottesbeweise). Diese Grundbestimmung kann in weiteren Attributen oder Eigenschaften Gottes näher entfaltet werden. Denn Gott als der aus sich selbst Seiende ist in dieser absoluten Selbstbezüglichkeit auch für sich und um seiner selbst willen. So ist er absolut gut und als höchstes Gut nicht nur Grund, sondern auch Ziel der Welt, des menschlichen Strebens und Quelle aller unbedingten, moralischen Ansprüche. Darin besteht seine Vollkommenheit, die auch seine Unveränderlichkeit einschließt. Denn (wie schon Platon wusste) eine Veränderung könnte nur eine zum weniger Vollkommenen sein. Aus dem Aussichsein Gottes folgt seine Ewigkeit wie seine Einzigkeit, ebenso seine Einfachheit, d. h. dass er sich nicht einer Zusammenfügung, also einer Konstitution durch anderes verdankt. Dem steht nicht entgegen, dass er als Beziehungseinheit in einer durch sich selbst konstituierten, gleichrangigen Differenzierung gedacht werden kann. Als reiner Selbstbezug ist er im höchsten und allen Beschränkungen menschlicher Art überlegenen Sinn Geist und Person. Der Selbstbezug ist 3 Akt (actus purus), also Vollzug und somit Leben. Dies wehrt das Missverständnis ab, seine Unveränderlichkeit als leblose Starrheit zu denken, obwohl sie doch, wie wir sahen, bleibende Vollkommenheit besagt. Gott ist nicht eine abstrakte Struktur oder ein bloßes Gesetz, sondern Selbstbezug, und damit reflexiver Vollzug, Sein und Leben. Dies wird auch deutlich, wenn von der Notwendigkeit Gottes zu sprechen ist. Er ist überhaupt die einzige und damit absolute Notwendigkeit, weil er sie aus sich selbst ist. Denn alle Notwendigkeit sonst ist immer »von anderem her« (als Folge oder Ableitung), also nie letzte Notwendigkeit, und verweist somit auf eine grundlegende Notwendigkeit in sich, die nur Gott sein kann. Im Selbstbezug Gottes erfüllt und überbietet sich jedoch die Notwendigkeit zur Freiheit. Diese die Notwendigkeit überbietende Freiheit zeigt sich in der Schöpfung und im Verhältnis Gottes zu ihr. Mit diesem Verhältnis sind diejenigen göttlichen Attribute gegeben, die für das Denken das größte Problem darstellen, nämlich seine Allmacht und seine Allwissenheit. Denn mit der Schöpfung beweist Gott nicht nur seine Macht, sondern seine Allmacht, da eine aus beschränkter Macht hervorgehende Welt nicht wirkliche und wahre Schöpfung sein kann (sie wäre allenfalls das Werk eines Demiurgen, der ein vorgegebenes Material gestaltet). Denn in Gott kann die Welt nur in seiner Allmacht gründen. Doch bedeutet Schöpfung auch Eigenständigkeit des Geschöpfes. Besonders in der Freiheit des Menschen tritt sie hervor. Die Schöpfung ist nicht Gottes »Machwerk«, und die Menschen sind nicht seine »Marionet-

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Gottes Eigenschaften

ten«. Dies wäre nicht wirkliche Schöpfung im Sinne ihres Eigenseins. Die Schöpfungsmacht Gottes muss anders gedacht werden. Sie ist ein Raumgeben zur Selbstständigkeit und zum Selbstvollzug, zu einer Selbstentwicklung, die sich erfüllt in der geschöpflichen Freiheit. Diese ist dann so zu denken, dass gerade ihr Selbstsein aus der Abhängigkeit von Gott stammt (einer Abhängigkeit, die unbeschadet der Einfügung in andere Abhängigkeiten von diesen zugleich prinzipiell befreit). Von dieser schöpferischen Allmacht her ist auch die göttliche Allwissenheit zu bestimmen. Denn so wie Gott über alles mächtig ist, weiß er es auch, und umgekehrt. Kann man aber sagen, dass Gott die menschlichen Entscheidungen vorausweiß? Hieße das nicht, dass sie schon im Voraus festliegen müssten und wegen dieser Vorausbestimmung auch nicht frei sein könnten? Gegenüber theologischen Systemen, die mehr oder weniger ausgesprochen eine Prädestination oder Prädetermination der menschlichen Entscheidungen als Konsequenz der göttlichen Allmacht und Allwissenheit vertreten, wurde in der Barockscholastik von Luis de Molina folgende einflussreiche Lehre entworfen: Gott kennt die Freiheitsentscheidungen der Geschöpfe voraus, aber nur insofern sie sich tatsächlich entscheiden, also nur in ihrer Freiheit. Wird aber Gott dadurch nicht abhängig von dem, was geschieht? Molina versucht, Gottes Souveränität zu wahren, indem er lehrt, dass Gott weiß, unter welchen Bedingungen sich die Menschen so oder so entscheiden (scientia media, d. i. zwischen dem Wissen des Notwendigen, bzw. Möglichen und dem faktisch Eintreffenden). Da Gott die Bedingungen kennt, kennt er auch die Entscheidungen. Damit kennt Gott auch die Entscheidungen im irrealen Konditional, d. h. er kennt Entscheidungen, die es nicht gegeben hat und nicht geben wird. Gott wählt nun nach Molina souverän unter den möglichen Welten mit ihren verschiedenen Eventualentscheidungen die unsrige aus. Doch dürfte der hier geprägte Begriff des »futuribile«, d. h. des irrealen Ereignisses (der freien Entscheidung) widersprüchlich sein. Denn wird die freie Entscheidung des Geschöpfes aus den ihr vorausgehenden Bedingungen erkannt, ist sie nicht frei, wird sie durch sich erkannt, kann sie nicht bloß möglich, sondern muss wirklich geschehen sein. Gegen die eigene Intention fällt Molina somit in einen Prädeterminismus zurück. Anzuknüpfen wäre allerdings an seine Ausgangsintuition, dass Gott die freien Entscheidungen nur mit ihnen selbst erkennt. Nicht geschehene Entscheidungen sind hingegen nichts, und auch Gott kann hier nichts erkennen. Die Konsequenz ist aber die, dass Gott die geschöpflichen Entscheidungen in einer gewissen Rezeptivität erkennt, doch nicht aus Mangel an Macht, sondern weil seine Allmacht die Selbstständigkeit des Geschöpfes einräumt. Aus unserer Perspektive ist dies die Erfahrung, dass wir erst dann wahrhaft frei sind, wenn wir uns der Macht des absolut Guten, d. h. wenn wir uns Gott ganz überlassen. Biblisch ist dies die Einheit von Freiheit und Gnade. Nicht die Einheit, sondern die Trennung beider ist also der Widerspruch – eine mögliche Einsicht, die der Philosophie durch die Theologie vorgezeichnet ist.

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Gottes Wirken

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Die wahrhafte Macht über das Weltganze und über die Geschichte behält Gott dadurch, dass er alles, was geschieht, schöpferisch in seinen Gesamtplan einbezieht, so dass ihm nie etwas »aus der Hand« gleitet. Vorsehung meint eben dies. Platon: Politeia II u VI; Aristoteles: Metaph. XII; T v Aquin: Sth I, qq 3–26; L de Molina: Liberi arbitrii cum gratiae donis concordia, Lb 1588. – M Rast: Gott und Welt, Fr 1952; W Brugger: Summe einer philosophischen Theologie, M 1979; G Hughes: The nature of God, Lo 1995.

Schmidt Gottes Wirken ist seinem Wesen nach schöpferisch (3 Schöpfung). Gott bringt das Geschöpf seiner ganzen Wirklichkeit nach hervor. Deshalb hängt das Geschöpf nicht nur seinem Anfang nach von Gott ab, sondern auch hinsichtlich seiner ganzen Dauer und auch hinsichtlich seiner gesamten Tätigkeit. Dieses Wirken Gottes, dessen Ergebnis das jeweils eigene Wirken des Geschöpfes ist, nennt man »Mitwirkung Gottes« (»concursus divinus«). Sie bedeutet den unmittelbaren (schöpferischen) Einfluss Gottes auf das Wirken des Geschöpfes, durch den das dem Geschöpf wahrhaft ihm eigene Wirken entsteht. Wenn man zur Einsicht gekommen ist, dass das schöpferische Wirken Gottes die Eigenwirksamkeit des Geschöpfes begründet, dann kann man das, was Weltregierung Gottes heißt, nämlich die Verwirklichung seines Weltplanes als ein Geschehen zwischen Gott und Mensch betrachten, das nach der Analogie des menschlichen dialogischen Verhältnisses zu deuten ist. In dem Fall ergibt sich aus der Anerkennung der totalen Seinsabhängigkeit des Geschöpfes von dem Handeln Gottes nicht ein Fatalismus, der die Fähigkeit des Menschen, sein eigenes Schicksal zu gestalten, leugnet, sondern eine Idee von der Vorsehung Gottes, die die freien Taten des Menschen in seinen Weltplan einbezieht. Für eine Sicht, die davon ausgeht, dass sich Abhängigkeit von Gott und geschöpfliche Eigenständigkeit nicht ausschließen, sondern bedingen, sind die Probleme, die im Laufe der Geschichte der Philosophie und Theologie dadurch entstanden sind, dass man die göttliche bzw. geschöpfliche Kausalität als ein Entweder-Oder betrachtet hat, im Grunde überholt. Dass diese falsche Alternative zu unüberwindbaren Schwierigkeiten führt, zeigte sich deutlich im sogenannten Gnadenstreit am Ende des 16. Jahrhunderts. Es ging um die Frage: Wie beeinflusst Gott mit seiner mitwirkenden Gnade die freien Handlungen des Menschen, und auf welche Weise erkennt er sie? Die Frage, wie man die göttliche Allmacht und Allwissenheit mit der Freiheit des Menschen vereinbaren könne, wurde damals auch in den Kirchen der Reformation heftig diskutiert. Der sogenannte Thomismus (unter der Führung des Dominikaners D Báñez) lehrte, dass zum Zustandekommen jeder geschöpflichen Tätigkeit

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Gottes Wirken

eine dem geschöpflichen Handeln vorausgehende, es unmittelbar beeinflussende göttliche »Vorherbewegung« (eine »praemotio« oder »praedeterminatio physica«) notwendig ist, um das Mehr, welches das vollzogene Handeln dem bloßen Handelnkönnen gegenüber kennzeichnet, erklären zu können. In dieser Theorie ist die unbedingte Souveränität Gottes sichergestellt, und auch die Frage, wie Gott die freien Taten des Menschen erkennen kann, leicht zu beantworten. Man muss nur auf die das freie Handeln »vorausbestimmenden göttlichen Entscheidungen« hinweisen, von denen her Gott unfehlbar weiß, was das Geschöpf tun wird. Die Freiheit des Geschöpfs ist jedoch in dieser Theorie bloßes Postulat, das nicht erklärt wird. Der Molinismus (benannt nach dem spanischen Jesuiten L de Molina) verstand die Mitwirkung Gottes als einen »concursus simultaneus et indifferens«, d. h. als eine göttliche Mitwirkung, die es ermöglicht, dass der Mensch aus dem Zustand des Wirkenkönnens in den Zustand des tatsächlichen Wirkens übergeht, aber der geschöpflichen Tat als solcher nicht vorausgeht und auch ihre Richtung nicht bestimmt. Diese Theorie hat keine Schwierigkeiten, die freie Tat des Geschöpfs zu erklären, vermag aber nicht verständlich zu machen, woher das in der freien Aktivität auftretende Mehr stammt, und versagt vor allem dann, wenn erklärt werden soll, wie Gott die freien Handlungen des Geschöpfs erkennt; denn in dieser Hinsicht macht sie die Erkenntnis Gottes von den Entscheidungen des Geschöpfs abhängig. Die nie kritisch hinterfragte Voraussetzung der beiden einander bekämpfenden Auffassungen war, man müsse das Gott-Welt-Verhältnis hinsichtlich des Wirkens nach dem Modell der miteinander konkurrierenden und sich deshalb ausschließenden Kräfte denken. Die unter dieser Voraussetzung sich stellenden Probleme sind unlösbar. Lösbar werden sie nur, wenn man davon ausgeht, dass das Geschöpf desto selbstständiger ist, je mehr es aufgrund der schöpferischen Seinsmitteilung Gottes von ihm abhängt. Diese Lösung bedeutet freilich einen Verzicht auf eine begrifflich klare Erklärung der Mitwirkung Gottes mit der Tätigkeit des Geschöpfs. 3 Differenz 3 Identität. Aber auch wenn man das innerweltliche Wirken Gottes und das des Geschöpfs nicht als sich ausschließende Faktoren betrachtet, bleibt noch die Frage, wie das persönlich-freie Wirken Gottes innerhalb der Welt zu denken sei. Sie ist deshalb wichtig, weil Gott nur dann als personhaftes Gegenüber gedacht werden kann, wenn er sich als in der Welt frei Handelnder zu offenbaren vermag. Die seit der Scholastik übliche Erklärung behauptete: Gott, die »Erstursache«, wirke innerhalb der Welt auf zweifache Weise: gewöhnlich durch die (letztlich von ihm stammende) Eigenwirksamkeit der sich als »Zweitursachen« betätigenden geschöpflichen Kräfte; in gewissen außergewöhnlichen Fällen jedoch (nämlich dann, wenn im Laufe der Evolution eine Wesensgrenze überschritten wird, bzw. auch im Falle des die Möglichkeiten der geschaffenen Kräfte übersteigenden Wunders) bringt er die von ihm gewollten Ereignisse ganz allein, d. h. »ohne Zweitursache« hervor. Diese Theo-

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Gottesbeweis(e)

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rie ist jedoch äußerst problematisch. Würde Gott an den Zweitursachen vorbei in der Welt handeln, so wäre er in einem solchen Fall auch (freilich niemals: nur) die aufgrund des Ergebnisses mit den innerweltlichen Ursachen gleichzusetzende Ursache, und nicht der immanent wirkende transzendente Urgrund der Welt. Gott erschafft offensichtlich die gesamte Welt ohne irgendwelche Mitbeteiligung von Zweitursachen. Die Welt als Ganze hängt also nur unmittelbar von Gott ab. Wenn er aber innerhalb der Welt etwas schöpferisch hervorbringt, dann hängt das Ergebnis unbeschadet seiner unmittelbaren Abhängigkeit von Gott zugleich auch von der letztlich auch von Gott herstammenden Eigenwirksamkeit des tätigen Geschöpfs ab. Wäre das nicht der Fall, dann stünde das unmittelbar nur von Gott Herstammende nicht innerhalb der Welt, dann wäre es eine mit unserer Welt nichts zu tun habende Schöpfung. 3 Evolution 3 Wunder. P Teilhard de Chardin: Der Mensch im Kosmos, M 1959; K Rahner: Die Hominisation als theologische Frage, in: P Overhage / K Rahner: Das Problem der Hominisation, Fr 1961, 13–90; B Weissmahr: G. W. in der Welt, F 1973.

Weissmahr Gottesbeweis(e) Gott als Gegenstand des Denkens stellt vor die Frage nach der inneren Stimmigkeit und Wahrheit dieses Gedankens. Wenn die positive Antwort auf diese Frage in Form einer Argumentation geschieht, die als solche Schlüssigkeit beansprucht, so kann man von einem Beweis sprechen. Allerdings ist in diesem Fall der Begriff des Beweises zu präzisieren. Es kann sich hier nicht um einen empirischen Beweis handeln. Denn Gott als das unendliche, unbedingte Seiende kann niemals ein empirischer Gegenstand sein. Ein solcher ist stets eine Gegebenheit innerhalb eines Erfahrungszusammenhangs. Gott aber ist nur als dasjenige zu begreifen, das den ganzen Erfahrungszusammenhang ermöglicht. Der Beweis kann auch nicht ein deduktiv axiomatischer sein, weil ein solcher immer auf weitere Voraussetzungen verweist, die nicht selbst wieder in diesem Beweis bewiesen werden müssen und können, wohingegen der Gottesgedanke auf ein unbedingt Letztes zielt, also auf die Voraussetzung aller Voraussetzungen. Die Frage ist freilich, ob ein solcher Gedanke möglich bzw. notwendig ist. Den Nachweis kann nur eine Argumentation erbringen, die auch den Vollzug des Denkens und Argumentierens mit einbezieht, d. h. die sich nicht nur auf einer Ebene reiner Objektivität bewegt. Gott kann nur derjenige sein, mit dem wir schon immer und unausweichlich zu tun haben und dessen Nichtsein wir gar nicht denken können. Wenn die G. auf diese Unausweichlichkeit zielen, betreffen sie nicht nur einen speziellen Gegenstandsbereich, der etwa nur für religiös Interessierte relevant wäre, sondern beantworten die grundsätzliche philosophische Frage, ob unser Denken und Erkennen nur auf Vorläufiges zielt oder auch auf Letztes, Unhinterfragbares, nicht mehr Bedingtes. Die Kernargumentation muss deswegen darauf hinauslaufen, dass dieses Letzte und Unbedingte

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Gottesbeweis(e)

immer vorausgesetzt wird. Das Argument ist folgendes: wenn es nur Bedingtes gibt, dann ist eben dieses das Letzte und Unbedingte. Dem Widerspruch ist nur zu entkommen, wenn man das Bedingte vom Unbedingten unterscheidet und jenes in diesem gründen lässt. Dies ist ohne Zweifel eine Zirkelargumentation. Aber vom Unbedingten ist nichts anderes zu erwarten, da es nicht von einem anderen her abgeleitet werden und insofern nur reflexiv aufgefunden werden kann. Der Zirkel ist deshalb auch nicht vitiös. Denn ein solcher macht Voraussetzungen, die ohne Widerspruch aufhebbar sind. Doch solche Aufhebung ist hier nicht möglich, und eben dies zeigt die retorsive reflexive Argumentation in der Methode des indirekten Beweises, der sich damit selbst als unhintergehbar erweist. Man kann die Typen dieser Beweise den Aspekten zuordnen, unter denen wir das Sein nach dem ihm eigenen inneren Maßstab auffassen, nämlich nach den Weisen und Graden seines Selbst-Seins, d. h. Sein als (je mehr) selbstständig und aus sich, (je mehr) intelligibel und subjektbezogen, (je mehr) für sich und um seiner selbst willen und (je mehr) eins mit sich bis hin zur Reflexion. Es sind dies die klassischen Transzendentalien des Seins nach seinem Maßstab des Selbst- und Geistseins, der Wahrheit, Gutheit und Einheit. Der Kosmologische G. (KsG) geht vom Seienden aus, das sich zwar als selbstständig zeigt (nicht von uns nur gedacht ist), aber in dieser Selbstständigkeit begrenzt und nicht vollkommen aus sich begreifbar ist, so dass es nicht ohne anderes Seiendes sein kann. Dieses andere ist zunächst ein Seiendes gleicher Art. Doch kann diese Abhängigkeitsstruktur in gleich welcher Konstellation nicht durch sich selbst sein, da sonst das Nicht-durch-sich-Seiende als solches durch sich selbst wäre. Es bedarf somit als Grund seiner selbst des anderen zu ihm als solchen, und dies ist allein das vollkommen durch sich Seiende, in dem das Wesen des Seins nach seinem inneren Maßstab seine höchste Fülle erreicht. Der alethologische G. (AlG) geht von unserer ohne Widerspruch nicht zu leugnenden Fähigkeit aus, Wahrheit zu erkennen, Wahrheit des Seins (auf ein Sein ganz außerhalb unseres Erkennens hätten wir mit dieser Behauptung ebenfalls Bezug genommen). Wahrheit aber hat in sich ein Absolutheitsmoment, das sich dahingehend entfalten lässt, dass im Anspruch auf Wahrheit ein Gesamtzusammenhang des Wahren vorausgesetzt wird, in dem die einzelne Wahrheit ihren Platz hat, wobei dieser letzte Zusammenhang nur als unüberholbarer, allein durch sich selbst vermittelter jene Unbedingtheit im Wahrheitsanspruch garantieren kann. Während der KsG vom Selbststand des Seins dem Subjekt gegenüber ausgeht, bezieht der AlG das Subjekt mit ein. Es geht in ihm um die grundlegende Einheit von Subjekt und Objekt, die als absolute in jeder Erkenntnis impliziert ist. Sie ist damit das Apriori jeder einzelnen Erkenntnis. Damit lässt der AlG auch eine Seite des KsGs deutlicher werden. Denn dessen Unbedingtes ist das subjektive (aber zugleich objektive) Apriori der Erkenntnis des Bedingten. Des Weiteren gilt: Die Ausrichtung auf Wahrheit ist nicht wertneutral. Sie fordert von uns, ihr

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die Ehre zu geben. Diesen Forderungscharakter hat der axiologische G. (AxG) zum Thema. Es ist die Forderung, die sich im Gewissen meldet, dem wahrhaft Guten im Denken und Handeln zu entsprechen. Sie ist unbedingt und kann deswegen nur durch ein unbedingt in sich Gutes gerechtfertigt werden. Dieses in sich Gute kann als in sich selbst begründet kein bloß Gedachtes sein, sondern nur Vollzug und Selbstsein. Wir erkennen hier wiederum eine erweiternde Vertiefung des KsG. Denn das Sein-aus-sich ist zugleich ein Seinfür-sich, Sein um seiner selbst willen. So aber ist es zugleich höchstes Gut und als solches Grund und Ziel allen Seins, denn alles Sein hat als Selbstsein auch eine latente in seinen Graden immer deutlicher hervortretende Zielhaftigkeit in sich. Davon handelt der teleologische G. (TelG). Er geht davon aus, dass die Zielhaftigkeit, die im Leben und Geist anzutreffen ist, aus einer ontologischen Gesamtverfassung des Seins stammt. Wenn Sein wesentlich Selbstsein ist und der Kosmos (wenn auch nur bedingt) aus sich ist, dann ist Leben und Geist in ihm nur seine ausdrücklichere (Selbst-)Darstellung, und er ist als ganzer Hinweis auf seinen Grund, welcher zugleich Ziel ist, höchstes »umseiner-selbst-willen«. Die im Sein als Selbstsein immer gegebene (ob eher latente oder hervortretende) Reflexivität ist nicht wertneutral, sondern wertbegründend. Der Selbstbezug ist auch der Gesichtspunkt des henologischen G.s (HnG) aus der Einheit des Seins. Vielheit kann nur auf dem Hintergrund von Einheit gedacht werden. Sie hat als Einheit mit sich ontologische Priorität, da ansonsten die Fremdvermittlung die letzte Selbstvermittlung des Seins wäre. Sie ist höchstes Gut und Ziel aller Beziehungsvorgänge des Kosmos. Es zeigt sich, dass unser Denken auf den Maßstab eines höchsten Seins nicht verzichten kann. Das ist das Argument des 3 ontologischen G.es (OnG). Wäre unser Denken und Erkennen immer nur bedingt gültig, dann wäre die Bedingtheit letzte Gültigkeit, das Hypothetische letztbegründet. Wir setzen also Unbedingtes voraus. Aber ist das nicht bloß ein Gedanke? Die Trennung von Denken und Sein ist nicht grundsätzlich möglich. Denn sie selbst setzt den Bezug beider voraus. Der Gedanke des Unbedingten, wenn er denn unausweichlich ist, muss sich auf die Einheit von Denken und Sein beziehen, sonst bliebe er hinter seiner Unbedingtheit zurück, auf eine Einheit, wie sie aus allen vorher genannten G.n hervorgeht, d. h. auf die Einheit des Seins wie auch seiner Wahrheit und Gutheit. Wir sehen, dass die G. eigentlich ein einziger Gedanken sind, der nach verschiedenen Aspekten argumentativ entfaltet werden kann. Zur Geschichte: Der älteste ist der KsG, der bereits bei den Vorsokratikern erkennbar wird. Die Frage nach der Arché in der Natur führt auf einen letzten Grund, der sich von dem Begründeten unterscheidet und so das Wesen des Göttlichen begreiflich macht (Anaximander). In der subjektiven Wende durch Sokrates (»Erkenne dich selbst!«) wird nach dem Grund des Handelns gefragt. Dieser kann nicht bloß naturhaft sein, denn das Handeln folgt nicht einfach einem äußeren Anstoß, sondern wesentlich der Frage nach dem Ziel

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und dem Guten (Platon: Phaidon). Dieses Ziel als Norm ist die Idee des Guten, die aber als letztes Ziel auch Anfang des Alls ist (Politeia) und so den Grundgedanken der Vorsokratiker mit aufnimmt. Mit dieser Verbindung zum AxG folgt Aristoteles seinem Lehrer Platon. Der Bewegungszusammenhang der Natur kann nicht durch sich erklärt werden. Er setzt einen ersten, selbst »unbewegten Beweger« voraus, der als Ziel und höchstes Gut bewegt und als solcher auch der Ethik das letzte Ziel vorgibt. Bei Aristoteles tritt allerdings deutlicher als bei Platon die innere Zielstrebigkeit des Kosmos in der ontologischen Beschreibung der naturhaften Wirklichkeit hervor. Deswegen ist bei ihm der TelG zentral, der schon in der sokratischen Tradition (Xenophon) vorhanden ist und später von den Stoikern aufgenommen wird. Dabei ist stets die innere Einheit mit dem AxG gegeben, von dessen zentraler Analyse des in die Welt eingebetteten geistigen Strebens auch er lebt. Dies ist zu bedenken gegenüber neuzeitlichen Versuchen, den TelG aus naturwissenschaftlich objektivierender Perspektive zu entwickeln. Denn mit dieser subjektlosen Sicht unterliegen seine Erklärungen immer wieder der vermeintlich besseren mechanischen Begründung und schwächen seine durchaus vorhandene Argumentationskraft. Der HnG stammt ebenfalls aus der platonischen Tradition (das Hen, die Einheit, in der ungeschriebenen Lehre Platons sowie später bei Plotin). Der AlG geht auf Augustinus zurück und bildet in seiner Darstellung zugleich die Vorform des OnG, wie er sich klassisch bei Anselm findet. Die »quinque viae« des Thomas v Aquin sind Ausgestaltungen des KsG (die ersten drei), des AxG (der vierte) und des TelG (der fünfte). Sie finden sich modifiziert (mit Ausnahme des immer umstrittenen OnG) in der gesamten Tradition der Scholastik. Im neuzeitlichen Rationalismus treffen wir all diese G. (einschließlich des OnG) in Varianten wieder an. Der Ausgang vom cartesischen »Cogito« hat daran nichts geändert. So wird etwa bei Descartes und Wolff der Ausgangspunkt für den KsG lediglich in die Subjekterfahrung verlegt. Kant kritisiert die Beweise im Rahmen seiner Begrenzung theoretischer Ansprüche auf die sinnliche Erfahrung, eröffnet aber über die praktische Philosophie einen Zugang zum Unbedingten im moralischen Bewusstsein, der zum Postulat Gottes führt. Dieser Zugang wird von den idealistischen Systemen (Fichte, Schelling, Hegel) aufgenommen, allerdings zugleich als Fundierung des Wissens, und so werden ihre jeweiligen Lehren vom Absoluten in einer Verbindung von Theorie und Praxis entwickelt, wie sie der Zusammengehörigkeit der G. auch tatsächlich entspricht. Von den zeitgenössischen Versuchen einer Neuformulierung seien zwei erwähnt: der Versuch von R Swinburne, den KsG als wissenschaftstheoretisch diskutables Modell einer Welterklärung stark zu machen, und die von H Jonas und R Spaemann (unabhängig voneinander) vorgelegten Erneuerungen des AlG mit dem Argument, dass die Wahrheitsfähigkeit unserer Aussagen über vergangene, also nicht (mehr) seiende kontingente Ereignisse ein sie bewahrendes absolutes Gedächtnis voraussetze.

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Anaximander in der Darstellung von Aristoteles Physik 203 b 6–15; Platon: Politeia VI, Phaidros 245cff.; Phaidon 97 ff.; Aristoteles: Physik VIII, Metaph. XII; Plotin: En VI 9 Über das Gute oder Eine; Augustinus: de libero arbitrio; Anselm: Proslogion; T v Aquin: STh I q 2 a 3; Scg I, 13 u 15; Descartes: Meditationen III u V; C Wolff: Theologia naturalis I, 1; J G Fichte: Anweisung zum seligen Leben, 1806; F W J Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie, 1795; G W F Hegel: Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes; R Swinburne: Die Existenz Gottes, St 1987; H Jonas: Vergangenheit und Wahrheit, in: Philosophische Untersuchungen, F 1994; R Spaemann: Der letzte G., M 2007. – Q Huonder: Die G., St 1968; W Brugger: Summe einer philosophischen Gotteslehre, M 1979; O Muck: Philosophische Gotteslehre, D 1983; B Weissmahr: Philosophische Gotteslehre, St 1983; H Beck: Natürliche Theologie, M 1986; K-H Weger (Hg): Argumente für Gott, Fr 1987; J Schmidt: Philosophische Theologie, St 2003.

Schmidt Gottesbeweis, ontologischer Der Ausdruck »o. G.« stammt von Kant. Auf ihn laufen nach Kants Meinung alle G.e hinaus. Er sei eine rein begriffliche und darum ungültige Denkoperation: der Schluss vom Begriff Gottes auf seine Existenz wie in der 5. Meditation von Descartes oder die Gleichsetzung des für Kant inhaltsleeren Begriffs des notwendigen (ens necessarium) mit dem allerrealsten (alle Sachgehalte enthaltenden) Seienden (ens realissimum). Da der G. des Proslogions des Anselm v Canterbury vielfach, wenn auch zu Unrecht, mit Descartes’ Argument gleichgesetzt wird, wird auch das Proslogion-Argument oft als o. G. bezeichnet. In seiner 5. Meditation geht Descartes davon aus, dass alles klar und deutlich Erkannte wahr ist, ob es existiert oder nicht. Nun haben wir aber die Idee Gottes und eine klare und deutliche Einsicht, dass es zur Natur Gottes gehört, immer zu existieren. Also existiert Gott. Gegen die Erläuterung, wir müssten Gott alle Vollkommenheiten und somit auch die Existenz zuschreiben, wandten Gassendi und später Kant ein, die Existenz sei keine Vollkommenheit, d. h. kein Attribut, das zur Beschreibung des Wesens gehört. Dies trifft nach Descartes aber nur für die kontingente Existenz zu, während die notwendige Existenz sehr wohl eine Eigenschaft Gottes sei. Wir müssen Gott notwendigerweise so denken, dass bei ihm Wesen und Existenz in eines fallen (was der Sache nach auch Thomas v Aquin nicht bestritten hat). Im Argument des Proslogion bezeichnet Anselm Gott als »aliquid (oder: id) quo maius cogitari non potest« oder ähnlich: etwas oder das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Für unser Denken ist aber das, was wirklich existiert, größer als das, was nur in unseren Gedanken existiert. Darum muss das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, auch als existierend gedacht werden, da sonst ein Widerspruch entsteht. Es muss also existieren, und zwar mit Notwendigkeit, da die notwendige Existenz größer ist als ihr Gegenteil.

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Gotteserkenntnis

Im Gegensatz zu Descartes nennt Anselm sein Argument nirgendwo einen G. 3 a priori. Er bestreitet in der Kontroverse mit Gaunilo ausdrücklich, zu Beginn Gott als das Größte von allem (maius omnibus) zu bezeichnen. Anselm schließt also nicht wie Descartes von einem 3 Begriff (einer Kennzeichnung) auf die Wirklichkeit, sondern nennt eine Tatsache und zugleich Notwendigkeit unseres Denkens: Wir können nichts Größeres als Gott denken. Seine Formulierung ist sowohl heidnisch-philosophischer (Seneca) als auch christlich-theologischer (Augustinus) Herkunft und erlaubt somit ein rein philosophisches Nachdenken über den christlichen Gott. Der Vorrang (»größer«) der Existenz vor dem bloßen Gedachtsein muss für jeden Existenzbeweis vorausgesetzt werden. Immer, wenn wir die Existenz von etwas als bewiesen betrachten, handelt es sich darum, dass wir der Meinung sind, etwas müsse notwendig als existierend gedacht werden. Während die Denker aristotelischer und empiristischer Tradition, für die alle Erkenntnis mit den Sinnen beginnt, den o. G. abzulehnen pflegen, haben ihn rationalistisch und idealistisch orientierte Denker normalerweise akzeptiert. Anselm zeigt, dass unser Denken in seiner Grundstruktur widersprüchlich wäre, wenn der höchstdenkbare Gehalt und die Erkenntnis der Wirklichkeit auseinanderfallen würden. Descartes weist (zumindest implizit) auf, dass das Wissen um Existierendes und das Wissen um Wesenszusammenhänge im Letzten zusammenhängen müssen, nämlich in der Identität von Wesen und Existenz in Gott. Beide Formen des o. G.es gründen darin, dass unser Erkennen in seinem Gipfelpunkt eine höchste Einheit aufweisen muss. Der o. G. zeigt also, dass die Wirklichkeit als solche in ihrer Grundstruktur (und insofern ist Kants Bezeichnung »o.« durchaus berechtigt) nicht ohne Gott möglich und denkbar ist, während die klassischen scholastischen G.e (Kontingenz usf.) zeigen, dass die Welt ohne Gott nicht möglich ist. Anselm: Proslogion; R Descartes: Meditationes de prima philosophia, Med. V; I Kant: KrV B 595–642. – A Plantinga (Hg): The ontological argument, NY 1965; D Henrich: Der o. G., Tü 1967; W Röd: Der Gott der reinen Vernunft, M 1992; G Schrimpf: Anselm von Canterbury, F 1994.

Schöndorf Gotteserfahrung 3 Gotteserkenntnis Gotteserkenntnis Wenn 3 Gott existiert und wir mit ihm zu tun haben, muss er sich auch erkennen lassen. Wenn er aber die tiefste und umfassendste Wirklichkeit ist, die sich als solche von allem sonst Existierenden unterscheidet, kann er nie ein empirischer Gegenstand sein. Auch eine Erschließung Gottes im Ausgang von der Empirie würde ihn an diese Basis binden und ihn auf Umwegen wieder zu einem Gegenstand dieser Art machen. Gott kann dem Menschen also nur unmittelbar oder gar nicht präsent sein und dies nur in überempirischer Weise. Was hier als Widerspruch erscheint, macht genau

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Gotteserkenntnis

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die Eigenart aus, in der wir mit Gott zu tun haben. Er vermittelt sich uns, indem er uns im Rahmen der Empirie sie zugleich zu überschreiten nötigt. Denn das empirisch Endliche »gibt es« für uns gar nicht, d. h. es ist für uns nicht als solches erkennbar, es sei denn auf dem Hintergrund des ganz Anderen zu ihm, das jedoch nie zu einem in seiner Begrenztheit erkennbaren Gegenstand werden kann. Diese Begrenztheit ist aber das durchgehende Charakteristikum unserer Welt, und so gilt, dass wir diese Welt und uns selbst in ihr nur erfassen können von dem Bewusstsein eines prinzipiellen Anderen her. Wegen seiner Un- bzw. Übergegenständlichkeit ist dieses tiefere Bewusstsein schwer zu fassen. Es konstituiert zwar jedes Gegenstandsbewusstsein und begleitet es, bleibt aber gewöhnlich unthematisiert. In nachträglicher Reflexion hervorgehoben und in die Form der Argumentation gebracht, ergeben sich so die 3 Gottesbeweise. Sie legen jene tiefere Dimension unseres geistigen Lebens frei, die uns keineswegs fremd, vielmehr als Anerkennung unbedingter Wahrheit, Gutheit oder letzter Sinnhaftigkeit durchaus vertraut ist, begründet in unserer intentionalen Ausgriffsfähigkeit auf die Ganzheit des Seins. Das, worauf wir hier im Letzten bezogen sind, ist zwar kein Gegenstand, aber es ist eine Gegebenheit. Sie stammt nicht aus der Extrapolation unserer Subjektivität, sondern bringt diese erst zu sich selbst. Es kann dem Menschen vergönnt sein, dass ihm dieses tiefere Gegebensein überwältigend aufgeht. Man darf dann von einer Gotteserfahrung sprechen. Allen Religionen liegen solche Erfahrungen zugrunde. Sie werden exemplarisch tradiert und bilden so einen Zugangs- und Interpretationsraum für die Deutung und Orientierung des je persönlichen Lebens. Philosophie ist wesentlich Reflexion auf diese tiefere Erfahrungsdimension und verhilft der Religion dazu, sich besser zu verstehen, denn es zeigt sich: es gibt eine die menschliche Erkenntnis übersteigende »Erkenntnis«, eben die, welche das absolut Übergegenständliche zum »Gegenstand« hat. Sie enthält die Einheit beider Ebenen, welche zugleich von einer tiefgreifenden Differenz gekennzeichnet ist. Die christliche Metaphysik hat dieses Verhältnis als 3 Analogie zwischen dem Sein Gottes und dem der Welt gefasst. Gemeint ist ein Letzt-Verhältnis, das nicht mehr in eine Univozität und Äquivozität zerlegt bzw. aus beiden vermittelt werden kann. Die Identität ist hier im selben Sinne Differenz und umgekehrt. Dementsprechend ist die Einheit des einzelnen Menschen mit Gott größer als die mit seinem Mitmenschen und den Dingen, wie auch der Unterschied zu ihm größer ist als zu ihnen. Die Unerreichbarkeit Gottes, welche die mystische Tradition in Aufnahme neuplatonischer Quellen so sehr betont (Dionysios Areopagita), ist somit nur die andere Seite seiner Nähe zu uns. Cusanus hat diesen Zusammenhang als »coincidentia oppositorum« beschrieben: das Transzendente ist zugleich das Immanente, das Größte das Kleinste, das Umfassendste das Innerste, und hat die Einsicht in diesen Sachverhalt »docta ignorantia«, wissendes Nichtwissen genannt. Es handelt sich hierbei nicht um metaphorische Ausdrücke. Vielmehr sind es präzise Bestim-

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Grund

mungen jenes religiösen, mystischen und zugleich philosophisch grundlegenden Verhältnisses von Endlichem und Unendlichem. Wie wenig dies alles lebensferne Spekulation ist, zeigt sich daran, dass sich dieses komplexe Verhältnis dort als einfache Gewissheit zu vollziehen vermag, wo es sich als ein personales versteht, d. h. wo das grundlegende Gegebensein in ihm aus dem bleibenden Geheimnis absoluter Freiheit entgegengenommen wird. Dionysios Areopagita: Von der mystischen Theologie PG III, 997 ff.; Cusanus: de docta ignorantia; de apice theoriae. – K Rahner: Gotteserfahrung heute, in: Schriften zur Theologie 9, 161–76; J Splett: Gotteserfahrung im Denken, M 1973; B Weissmahr: Philosophische Gotteslehre, St 1983; Die Wirklichkeit des Geistes, St 2006.

Schmidt Gottesverehrung 3 Religion Gottlosigkeit 3 Atheismus Götzendienst 3 Religion Grad 3 Intensität Grammatica speculativa 3 [117] Grenzbegriff 3 Transzendentalphilosophie Grenze 3 Endlichkeit 3 Quantität Grenzsituation 3 Existenzphilosophie Größe 3 Quantität Grund Als G. im allgemeinsten Wortsinn kann man alles bezeichnen, was auf die Frage »warum?«, »woher?«, »woraus?« antwortet. So gesehen, entspricht das Wort G. ungefähr den griechischen Wörtern arché und aitía sowie dem lateinischen Wort principium. Der G. ist dasjenige, worauf anderes aufbaut, was in der Alltagssprache in Wörtern wie G.besitz, Baug. u. ä. sichtbar wird. In Philosophie, Theologie und Mystik war mit diesem Ausdruck ursprünglich entweder das Innerste und Tiefste der Seele, der Seeleng., oder Gott bezeichnet worden. Im heutigen Deutsch hat das Wort G. sowohl die Bedeutung von Begründung als auch die von Fundament, Basis. Beides hängt auch der Sache nach miteinander zusammen. In verschiedenen Sprachen dient dasselbe Wort dazu, sowohl die Vernunft als auch den G. zu bezeichnen. Dies gilt für das griechische »lógos« ebenso wie für das lateinische »ratio« und die davon abgeleiteten Ausdrücke in den romanischen Sprachen und im Englischen. Dies kommt daher, dass dieses Wort das bezeichnet, was uns etwas verstehen lässt: im Subjekt die geistige Erkenntnisfähigkeit und beim Objekt die Erklärung, d. h. die Angabe des G.es. Die klassische Tradition unterscheidet zwischen dem seinsmäßigen, ontologischen, metaphysischen oder Sachg. und dem erkenntnismäßigen, logischen, epistemologischen oder Erkenntnisg. Wenn der Sachg. von dem, was aus ihm hervorgeht (durch ihn begründet wird), verschieden ist, spricht man heutzutage gewöhnlich von 3 Ursache, während man im heutigen Sprach-

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Grund

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gebrauch unter einem G. im engeren Wortsinn meist einen logischen oder erkenntnismäßigen G. versteht. Im Fall des logischen oder ontologischen Gründens in sich selbst (Identität von G. und Begründetem) spricht man aber gewöhnlich von G. Was mit logischer Notwendigkeit aus einem G. hervorgeht, sich von ihm aber unterscheidet, wird üblicherweise Folge genannt. Unter dem Bewegg. für eine Handlung wird der G. verstanden, der dem Handelnden bewusst ist und ihn zu seiner freien Entscheidung veranlasst: 3 Motiv. Während die Hochscholastik nur für kontingente Seiende einen Seinsg. verlangt, nicht aber für Gott, verallgemeinert das spätere Denken die Forderung nach einem G. und muss deshalb davon sprechen, dass Gott in sich selbst gründet. In der frühen Neuzeit findet sich hierfür auch die Formulierung von der Ursache seiner selbst (causa sui), die aber den Nachteil hat, dass normalerweise eine Ursache von ihrer Wirkung verschieden ist, so dass der Ausdruck »Ursache seiner selbst« widersprüchlich wirkt. Deshalb sind Ausdrücke wie »in sich gründen« oder »Selbst(be)gründung« vorzuziehen. 3 Letztbegründung. Vor allem in der 3 Mystik und in der negativen 3 Theologie wird oft betont, dass wir von Gott als letztem G. so radikal verschieden sind, dass man von einem Abg. sprechen kann, der zwischen Gott und seiner Schöpfung besteht. Bei Jacob Böhme soll diese Abgründigkeit des letzten und tiefsten G.es durch das Wort »Ung.« ausgedrückt werden, das oft mit »Urg.« gleichgesetzt wird und vor allem wieder bei Schelling gebraucht wird. Heidegger hat die These vertreten, dass das Sein selbst nicht wiederum einen G. hat. Spinoza hat den Erkenntnisg. mit der seinsmäßigen Ursache identifiziert. Dies ist in dieser Weise nicht haltbar, da die Ordnung der Erkenntnis oft gegenläufig zur Ordnung der Wirklichkeit ist. Aber richtig an Spinozas These ist, dass der Erkenntnisg. selbst seinen letzten G. in der Wirklichkeit haben muss und darum auf den Sachg. verweist. Leibniz hat das Prinzip vom zureichenden G. aufgestellt. Es besagt, dass es für alles einen G. geben müsse, warum es so ist und nicht vielmehr anders. Damit geht Leibniz einen Schritt über die Hochscholastik hinaus, da seine Formulierung nicht nur die Forderung beinhaltet, es müsse für alles einen zureichenden G. geben, sondern darüber hinaus die weitere Forderung stellt, es müsse auch einen G. dafür geben, warum gerade dies und nicht jenes der Fall sei oder geschehe. Eine solche Ausweitung der Forderung nach einem zureichenden G. gefährdet aber die (Wahl-)Freiheit. Denn es ist ein Charakteristikum der Freiheit, dass sie sich ohne zwingenden G. für eine der ihr vorliegenden verschiedenen Möglichkeiten entscheiden kann. Nach der Meinung von Leibniz muss sich jedoch die Freiheit immer für das entscheiden, was besser ist oder (im Fall der menschlichen Freiheit) besser zu sein scheint. Dies scheint zu einer deterministischen Interpretation des G.es zu führen (3 Determinismus 3 Kausalität). Schopenhauer hat in seiner Dissertation die

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Gut

These aufgestellt, dass es vier Formen des zureichenden G.es gebe, denen unsere gesamte (normale) Erkenntnis unterliegt. Wenn man das Prinzip vom zureichenden G. nicht in dem deterministischen Sinn versteht, dass der G. für die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten eindeutig vorherbestimmt sein müsse, sondern nur als die Forderung, dass sowohl seinsmäßig als auch erkenntnismäßig alles seinen hinreichenden G. haben müsse, so ist es ein G.prinzip des Denkens und der Wirklichkeit. Es kann selbst nicht bewiesen werden, da jeder Beweis seine Geltung bereits voraussetzt. Es kann nur indirekt aufgewiesen werden, indem gezeigt wird, dass seine Leugnung zur absoluten Beliebigkeit jeglicher Behauptung und zur Unerklärlichkeit der Wirklichkeit führen würde. Damit würde aber die Rationalität der Vernunft selbst und aller Erkenntnis bestritten. G W Leibniz: Monadologie § 32; A Schopenhauer: Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden G.e, 1813; M Heidegger: Vom Wesen des G.es; Der Satz vom G. (Gesamtausg. 10). – J Geyser: Das Prinzip vom zureichenden G.e, Rb 1929; T Matsuda: Der Satz vom G. und die Reflexion, F 1990; V Carraud: Causa sive ratio, P 2002.

Schöndorf Grundbegriffe 3 Kategorie Grundentscheidung 3 Tugend Grundrechte 3 Menschenrechte Grundsatz 3 Prinzip Gültigkeit 3 Geltung Gut / das Gut(e) Der Ausdruck ›das G.‹ kann bezeichnen: a) den 3 Begriff ›g.‹, der durch diese Redeweise vergegenständlicht wird; b) die 3 Klasse der Seienden, die unter diesen Begriff fallen; c) das Seiende, das in ausgezeichneter, exemplarischer Weise g. ist; so wird gelegentlich 3 Gott als das G. bezeichnet. Aristoteles (Nik. Eth. I 4) hat gezeigt, dass ›g.‹ von Seienden aller 3 Kategorien ausgesagt werden kann; wir können sprechen von einem g.en Menschen, einer g.en Farbe, einer g.en Charaktereigenschaft, einem g.en Gewicht usw. Die 3 Scholastik hat deshalb das G. zu den 3 Transzendentalien gerechnet. Die verschiedenen Theorien über die 3 Bedeutung von ›g.‹ stimmen darin überein, dass diese nur mit Hilfe des Begriffs des 3 Strebens im weitesten Sinn bestimmt werden kann. So ist nach Aristoteles das G. das, wonach alles strebt (Nik. Eth. I 1); nach R M Hare ist es die primäre Funktion von ›g.‹, Wahlakte zu leiten. Dabei darf das G. jedoch nicht mit dem faktisch Gewollten gleichgesetzt werden; es ist vielmehr das zu Wählende oder zu Erstrebende. Als Gegenstand eines qualifizierten Strebens ist es vom Angenehmen als dem Gegenstand des faktischen Strebens zu unterscheiden. Wie aber kann diese Qualifikation genauer bestimmt werden? Es ist zunächst eine zweifache

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Gut

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Verwendung von ›g.‹ zu unterscheiden. a) x ist g. (nützlich) als Mittel zu einem vorgegebenen 3 Ziel (bonum utile). Aussagen dieser Art werden anhand beschreibender Kriterien begründet. Die Begründung verweist auf 3 Eigenschaften, die x für die Verwirklichung des Zieles tauglich machen. b) Das eigentliche Problem der Begründung von Werturteilen stellt sich erst bei Aussagen, die etwas als in sich g. charakterisieren, d. h. ihm einen Selbstwert zusprechen. Hier ist vor allem der moralische Gebrauch (bonum honestum) zu nennen: eine g.e 3 Handlung, eine g.e 3 Absicht, ein g.er Charakter; im außermoralischen Gebrauch sprechen wir von Gütern, die wir um ihrer selbst willen wählen (z. B. mitmenschliche Beziehungen, ästhetische Erlebnisse, Gesundheit, der Gebrauch unserer leiblichen und geistigen Fähigkeiten). Es seien folgende Lösungsversuche genannt: 1. Die ontologische (objektive) Theorie. Nach Platon und Aristoteles besteht das G. eines Seienden in der Verwirklichung oder Erfüllung seines 3 Wesens. Das G. des Menschen liegt (wie das eines Handwerkers oder eines Organs) in dessen spezifischer Leistung. Sie ist das von dem jeweiligen Seienden in 3 Wahrheit Erstrebte, wobei ein analoger Begriff des Strebens verwendet wird. Ein Seiendes ist in dem Ausmaß g., als es die Fähigkeit besitzt, sein G. zu verwirklichen. Ausgehend von der Begriffsbestimmung am Anfang der Nik. Eth. arbeitet Thomas v Aquin das Verhältnis von ›g.‹ und ›Streben‹ genauer heraus: ›G.‹ gehört zu den ersten Bestimmungen des Seienden; es kann daher nur durch etwas ihm Nachgeordnetes bestimmt werden. Das G. wird nicht durch das Streben konstituiert; das Streben ist vielmehr die Wirkung des G.n, das dessen Ursprung und Ziel ist. Ein Seiendes (in allen Kategorien) ist g., insofern es erstrebt wird (Erkenntnisgrund; 3 Grund), aber es wird erstrebt aufgrund seiner ontologischen 3 Vollkommenheit (Seinsgrund). 2. Die nonkognitive (subjektive) Theorie. Das Verhältnis von ›g.‹ und ›Streben‹ kann jedoch auch so verstanden werden, dass das Streben für das G. konstitutiv ist. Diese Position wird, wiederum im Anschluss an Nik. Eth. I 1, von Hobbes formuliert: »Allen Dingen, die erstrebt werden, kommt, insofern sie erstrebt werden, der gemeinsame 3 Name ›g.‹ zu«. ›G.‹ kann nach diesen Theorien nur zweistellig (g. für etwas; g. für jemand) gebraucht werden, d. h. es kann nur von Mitteln und personenrelativen Gütern prädiziert werden. Letzte Maßstäbe jeder Bewertung sind z. B. faktische, naturgegebene Strebungen, etwa der 3 Trieb nach Selbsterhaltung (3 Naturalismus), 3 Gefühle, Neigungen, 3 Einstellungen (3 Emotivismus), nicht mehr hinterfragbare 3 Entscheidungen (Dezisionismus). 3. Die transzendentale Theorie. Kant wirft den nonkognitiven Theorien vor, dass sie, abgesehen vom zweckrationalen Gebrauch, nicht zwischen dem Angenehmen bzw. Wohl und dem G. unterscheiden können. Auch für ihn ist das Streben für das G. konstitutiv; im Unterschied zu den nonkognitiven Theorien geht er jedoch von einem qualifizierten Streben aus. Der schlechterdings g.e 3 Wille ist oberste Bedingung alles G.n; schlechterdings g. aber ist

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Güterabwägung

ein Wille, der vom 3 Kategorischen Imperativ bestimmt wird. Kant kennt also keinen außermoralischen Begriff des in sich G.n. Der Begriff des G. kann nur durch den des moralischen Gesetzes, das den vernünftigen Willen notwendig bestimmt, eingeführt werden. 4. Die intuitionistischen Theorien berufen sich für die Rechtfertigung von 3 Urteilen mit dem einstellig gebrauchten ›g.‹ auf Evidenzerfahrungen. Nach Brentano »nennen wir etwas g., wenn die darauf bezügliche 3 Liebe richtig ist. Das mit richtiger Liebe zu Liebende […] ist das G.«. Dass eine Liebe richtig und ihr Objekt folglich nicht bloß geliebt oder liebbar, sondern liebenswert ist, ist in der 3 Erfahrung dieser Liebe unmittelbar gegeben. Nach Moore bezeichnet ›g.‹ »einen einfachen, undefinierbaren Gegenstand des Denkens«, der nur durch eine geistige 3 Wahrnehmung (Intuition) erfasst werden kann; die grundlegenden Werturteile sind evident. Ähnlich vertritt Scheler eine radikale Trennung der gegenständlich gedachten 3 Werte, für die er eine eigene Erkenntnisweise postuliert, vom 3 Sein. Gegenüber den nonkognitiven Theorien ist grundsätzlich an der kantischen Kritik festzuhalten. Kants Ansatz ist jedoch insofern nicht ausreichend, als eine Ethik auf die Begriffe des außermoralischen G.s und der Güterabwägung nicht verzichten kann. Das G. darf jedoch nicht als Gegenstand oder Eigenschaft eigener 3 Art verstanden werden; g. ist vielmehr das Seiende in allen Kategorien, insofern es ein qualifiziertes Streben auslöst. Die ontologische Theorie ist mit einem richtig verstandenen 3 Intuitionismus zu verbinden. Dass wir mitmenschliche Beziehungen, ästhetische Erlebnisse, Gesundheit, den Gebrauch unserer leiblichen und geistigen Fähigkeiten lieben, gehört zu den grundlegenden Einstellungen unserer menschlichen 3 Lebensform, die einer weiteren Begründung weder fähig noch bedürftig sind. Ontologische Überlegungen zeigen, dass wir durch Besitz und Gebrauch dieser Güter unser Menschsein entfalten. Platon: Staat 352e-358a; Aristoteles: Nik. Eth. I 1–6; T v Aquin: In I Ethicorum lect.1 nr.9; De veritate q 21; Hobbes: De homine, cap. 11; I Kant, KpV A 110– 114; F Brentano: Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis; G E Moore: Principia Ethica; R M Hare: Die Sprache der Moral, F 1970. – G H v Wright: The Varieties of Goodness, Lo 1963; P Foot: Natural Goodness, O 2001; F Ricken: Allgemeine Ethik, St 4 2003, 76–87.

Ricken Guter Wille 3 Ethik Güterabwägung Güter in einem weiten Sinn sind alles, was es dem Menschen ermöglicht, seine 3 Ziele zu verwirklichen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Gütern, die bloße Mittel, und Gütern, die um ihrer selbst willen erstrebt werden, aber zugleich grundlegende Voraussetzung für das menschliche Handeln sind. Zu diesen unmittelbaren oder Grundgütern zählen 3 Leben, körperliche Unversehrtheit, physische und psychische Gesundheit, 3 so-

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Handlung

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ziale Beziehungen, Anerkennung, Entfaltung der eigenen Fähigkeiten. Güter, die lediglich einen Wert als Mittel haben, sind z. B. Nahrung, Kleidung, Einkommen, 3 Institutionen, 3 Rechte, Infrastrukturen. Zwischen diesen Gütern kann es zu Konflikten kommen, und es ist Aufgabe der G., sie zu lösen. ›Abwägung‹ besagt: Es gibt 3 objektive Gesichtspunkte, an denen die 3 Entscheidung sich zu orientieren hat, aber es gibt keinen 3 Kalkül, mit dessen Hilfe aus ihnen die richtige Entscheidung abgeleitet werden könnte; sie kann nur von der praktischen 3 Urteilskraft gefunden werden. Alle Gesichtspunkte für die Rangordnung verschiedenartiger Güter gelten nur unter sonst gleichen Umständen (ceteris paribus). Ein solcher Gesichtspunkt ist die Nähe des betroffenen 3 Gutes zur 3 Person; eine Schädigung an Leib und Leben wiegt schwerer als eine Schädigung des Besitzes; die unmittelbaren Güter haben vor den Mitteln einen teleologischen Vorrang. Die teleologische Sicht ist zu ergänzen durch die Unterscheidung zwischen bedingendem und bedingtem Gut; Nahrung und Kleidung sind um des Lebens willen, aber zugleich dessen notwendige 3 Bedingung. Einfacher ist die Abwägung, wo es lediglich um ein spezifisches Gut bzw. 3 Übel geht oder wo Güter und Übel an einem übergeordneten Maßstab gemessen werden können (z. B. den Folgen für die Umwelt). Hier lassen sich quantitative ceteris-paribus-Regeln für die G. nennen, z. B.: Eine Handlungsweise, die ein bestimmtes Übel mit geringerer 3 Wahrscheinlichkeit zur Folge hat, ist der vorzuziehen, die dasselbe Übel mit größerer Wahrscheinlichkeit zur Folge hat. Bei unvermeidlichen Übeln ist das geringere dem größeren und das kürzer dauernde dem länger dauernden vorzuziehen. Die mit einer zu Recht gewählten Handlungsweise verknüpften negativen Nebenwirkungen sind auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Die Wahrscheinlichkeit einer möglichen positiven oder negativen Folge muss mit deren Ausmaß multipliziert werden. Aristoteles: Nik. Eth. I 5; VI 5 und 8; Politik VII 1; T v Aquin: STh I–II q 94. – A Gewirth: Reason and Morality, Ch 1978, Kap. 4; J Broome: Weighing the Goods, O 1991; H Lenk / M Maring (Hg): Technikverantwortung, F 1991; H-M Sass / H Viefhues (Hg): G. in der Medizin, B 1991; W Enderlein: Abwägung in Recht und Moral, Fr 1992.

Ricken Habitudo 3 Relation Habitus 3 Möglichkeit Haecceitas 3 Skotismus Handlung Eine H. ist eine von einer 3 Person verursachte 3 Veränderung des Zustands der 3 Welt. Beispiele zeigen, dass diese erste Bestimmung der Präzisierung bedarf. Was ist der Unterschied zwischen (a) ›Der Finger von x krümmt sich‹ und (b) ›x krümmt seinen Finger‹ ? Beides kann dieselben Wirkungen haben. Jemand erschießt einen anderen, indem er den Finger krümmt und den Abzug bewegt; oder jemand hält ein geladenes Gewehr in der Hand,

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Handlung

sein Finger verkrampft sich und löst den Abzug aus, so dass der andere getötet wird. (1.) Bei (a) können wir die Kausalkette immer weiter zurückverfolgen. Warum bekam x einen Krampf im Finger? War eine Durchblutungsstörung die 3 Ursache? Wie kam es zu dieser Durchblutungsstörung? usw. Bei (b) hört die Kausalkette dagegen beim Handelnden auf. Die Ursache ist nicht ein 3 Ereignis, das wiederum von anderen Ereignissen verursacht ist; Ursache ist vielmehr eine Person. Der Handelnde ist Ursprung seiner H.en. (2.) Bei (b) können wir ebenso wie bei (a) die Warum-Frage stellen, aber sie hat hier einen anderen Sinn; wir erhalten einen anderen Typ von Antwort. »Er hat den Finger gekrümmt, um den Abzug zu betätigen«. Wir fragen hier nicht nach einem vorhergehenden Ereignis, sondern nach einer 3 Absicht. Es ließe sich einwenden, das sei kein Unterschied; die Absicht sei das die H. verursachende Ereignis. Darauf ist erstens zu antworten, dass wir auch hier wieder auf die 3 Kausalität des Handelnden zurückkommen. Es ist seine Absicht, aber nicht in demselben Sinn seine Gefäßverengung. Eine Absicht ist nicht etwas, das man erleidet; vielmehr fasst man eine Absicht. Zweitens gehört eine Absicht nicht derselben Kategorie an wie eine Gefäßverengung. Eine Gefäßverengung ist eine Veränderung, die sich an einem Substrat vollzieht. Dagegen handelt es sich bei der Absicht um eine propositionale 3 Einstellung (3 Intentionalität). (3.) Wenn wir bei (a) Ursachen angeben, müssen wir ein 3 Gesetz nennen, das Ursache und Wirkung miteinander verbindet. Das ist jedoch nicht der Fall, wenn ich behaupte, dass ich meinen Finger bewege. Hier habe ich ein unmittelbares, nicht auf der Kenntnis von Gesetzen beruhendes Wissen von meiner Kausalität. H.en unterscheiden sich also von Ereignissen dadurch, dass wir auf die Warum-Frage eine andere Antwort geben; wir antworten nicht mit einem vorhergehenden Ereignis, sondern mit einer Absicht des Handelnden. Aber hier melden sich Gegenbeispiele. Wenn Ödipus seinen Vater tötet, dann ist das offensichtlich eine H., aber Ödipus hat seinen Vater nicht absichtlich getötet. Ödipus hat nicht die Absicht, seinen Vater zu töten, aber er hat die Absicht, den Mann an der Weggabelung zu töten. Dieser Mann und der Vater des Ödipus sind identisch. Wir können deshalb das 3 Verhalten des Ödipus auf zwei Weisen beschreiben. Wir können sagen, dass er den Mann an der Weggabelung getötet hat; unter dieser Beschreibung ist es absichtlich. Und wir können sagen, dass er seinen Vater getötet hat; unter dieser Beschreibung ist es nicht absichtlich. Weil es eine Beschreibung gibt, unter der dieses Ereignis absichtlich ist, haben wir es mit einer H. zu tun. Aristoteles unterscheidet das Handeln (praxis) vom Herstellen (poiesis). 3 Ziel des Herstellens ist ein vom Herstellenden verschiedenes Produkt, das den Charakter eines Zwischenziels hat; es lässt die Frage offen, weshalb der Herstellende dieses Produkt herstellt. Dagegen ist das Handeln in sich selbst letztes Ziel. Handeln als Veränderung des Zustands der Welt ist immer auch ein Herstellen; wir können nicht handeln, ohne etwas zu tun. Es ist jedoch ein

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zweifacher Zielbezug zu unterscheiden. Das technische Ziel (Ziel des Herstellens) des Samariters in Lk 10 ist es, das Leben des Überfallenen zu retten; das sittliche Ziel (Ziel des Handelns) besteht darin, dass er es nicht um eines verschiedenen 3 Zwecks willen tut, sondern allein deswegen, weil in dieser 3 Situation allein dieses Tun richtig ist. Handeln ist eine Form der Kausalität. Von daher ergibt sich ein erster, weiter Begriff der H.sfolgen. Es sind alle Veränderungen oder Zustände, die nicht eingetreten wären, wenn die H. nicht stattgefunden hätte. Von Bedeutung für die moralische Beurteilung sind jedoch allein die vorhersehbaren Folgen; auch nicht vorhergesehene, aber vorhersehbare Folgen können zugerechnet werden. Bei den vorhergesehenen Folgen ist zu unterscheiden zwischen motivierenden und in Kauf genommenen Folgen. Motivierende Folgen sind notwendige 3 Bedingung der H. Er hätte die H. nicht ausgeführt, wenn er diese Folgen nicht hätte erreichen wollen. In Kauf genommene Folgen werden als Nebenwirkungen der motivierenden Folgen vorausgesehen und bejaht. Die motivierende Folge liefert nur eine generelle, nicht hinreichend spezifizierte H.sbeschreibung; sie umfasst nicht alles, was er gewollt hat. Die H.sbeschreibung muss auch den gewählten Weg oder die gewählten Mittel umfassen. Die motivierende Folge ist das zu erreichende 3 Gut; die Mittel lassen den Preis deutlich werden, den er für dieses Gut zu zahlen bereit ist. Und erst so ist eine moralische Bewertung möglich. Nach dem Prinzip der Doppelwirkung ist es für die moralische Beurteilung einer H. von Bedeutung, ob ein 3 Übel als Ziel oder als Mittel beabsichtigt wird, oder ob dasselbe Übel nicht beabsichtigt, sondern lediglich vorausgesehen und in Kauf genommen wird. Das Problem liegt darin, ob und wie gezeigt werden kann, dass der h.stheoretische Unterschied zwischen Beabsichtigen und Inkaufnehmen eine unterschiedliche moralische Beurteilung rechtfertigt. ›Unterlassen‹ bedeutet: (a) Jemand tut etwas nicht, was er tun sollte und tun könnte; (b) jemand tut etwas nicht, was er nicht tun sollte und tun könnte. Beide 3 Bedeutungen lassen die Frage offen, ob eine H. vorliegt oder nicht. Kriterium ist, ob er wusste, dass er es hätte tun sollen und tun können und sich entschieden hat, es nicht zu tun. Dagegen ist Zulassen in jedem Fall eine H.; hier ist ›H.‹ der Oberbegriff, und innerhalb dieses Oberbegriffs ist zu unterscheiden zwischen Tun und Zulassen. Zulassen bedeutet, dass ein Ergebnis, z. B. der 3 Tod eines Menschen, als motivierende Folge gewollt wird. Der Unterschied zwischen Tun und Zulassen liegt in der Art und Weise, wie dieses Ergebnis herbeigeführt wird. Beim Zulassen greift der Handelnde nicht ein in einen Kausalablauf, der zu dem beabsichtigten Ergebnis führt, obwohl er eingreifen könnte; er führt das beabsichtige Ergebnis also durch ein Nicht-Tun herbei.

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Handlungstheorie

Aristoteles: Nik. Eth. III 1–8; VI; VII 1–11; T v Aquin: STh I–II q 6–21. – D Birnbacher: Tun und Unterlassen, St 1995; F Ricken: Allgemeine Ethik, St 4 2003.

Ricken Handlungstheorie Das Wort 3 Handlung wird in vielfacher Bedeutung gebraucht; so sind nach Austin Sprechakte Handlungen, und Habermas nennt 3 soziale Verständigungsprozesse kommunikatives Handeln. Diese vielfältigen Formen des Handeln können unter unterschiedlicher Rücksicht betrachtet werden und sind insofern Gegenstand verschiedener Disziplinen: der Philosophie, der 3 Soziologie, der 3 Psychologie, der Neurophysiologie u. a. m. Es gibt also eine Vielzahl von H.n. Im Singular gebraucht bezeichnet H. einmal eine bisher nur postulierte 3 Wissenschaft: eine allgemeine 3 Theorie der Handlung (T Parsons), in welcher die unterschiedlichen philosophischen und wissenschaftlichen Ansätze zur Beschreibung, 3 Erklärung, Rechtfertigung und Voraussage von Handlungen integriert sind. Ob eine solche Wissenschaft möglich ist, wird seit Aristoteles diskutiert und vor allem von Kant bestritten: Eine solche allgemeine Theorie der Handlung müsste imstande sein, den Unterschied zwischen der Perspektive der ersten und der dritten Person und den zwischen theoretischer und praktischer Philosophie aufzuheben. In einem weniger problematischen Gebrauch dient der Singular als Sammelbezeichnung der Kontroversen, die sich aus den verschiedenen Rücksichten ergeben, unter denen eine Handlung betrachtet werden kann. Beispiele sind die Frage nach dem 3 Begriff der Rationalität, nach dem Verhältnis von 3 Verstehen und Erklären, von Gründen und 3 Ursachen, d. h. von 3 Intentionalität und (deterministischer) 3 Kausalität, von Beschreibung und 3 Norm, von 3 Verantwortung für das eigene Handeln und einem geschlossenen naturwissenschaftlichen Weltbild. Ein Gespräch zwischen den verschiedenen H.n setzt die Klärung des unterschiedlichen Gebrauchs des Wortes Handlung und der für jede H. grundlegenden Begriffe, vor allem der Begriffe Kausalität und 3 Gesetz, und der 3 Logik von Handlungssätzen voraus; es erfordert eine 3 Reflexion über die unterschiedlichen 3 Methoden. T Parsons / E A Shils: Towards a General Theory of Action, Cambridge MA 1951; J L Austin: Zur Theorie der Sprechakte, St 2 1979; G H v Wright: Erklären und Verstehen, F 1974; D Davidson: Handlung und Ereignis, F 1985; J R Searle: Intentionalität, F 1987; J Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, F 1981. – Analytische H., hg. v. G Meggle / A Beckermann, F 1977; H Lenk (Hg): H.n – interdisziplinär, M 1977 ff.; E Runggaldier: Was sind Handlungen?, St 1996.

Ricken Harmonie 3 Ordnung Harmonie, prästabilierte 3 Leib-Seele-Problem 3 Monade Hass 3 Liebe Hässlichkeit 3 Schönheit

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Hedonismus

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Hedonismus Der psychologische H. behauptet, die 3 Lust (hedoné) sei das einzige 3 Ziel, das der Mensch erstreben könne, der ethische H., sie sei das einzige oder höchste 3 Gut. Antike Vertreter des ethischen H. sind die Kyrenaiker und der 3 Epikureismus. Der klassische 3 Utilitarismus verbindet den ethischen mit dem psychologischen H. »Die Natur«, so beginnt Benthams Begründung des Nützlichkeitsprinzips, »hat die Menschheit unter die Herrschaft zweier souveräner Gebieter – 3 Schmerz und Lust – gestellt. Es ist an ihnen allein aufzuzeigen, was wir tun sollen, wie auch zu bestimmen, was wir tun werden.« Der H. beruht auf einem falschen 3 Begriff der Lust. Wir erstreben nicht die Lust, sondern das, woran wir Lust haben. Diogenes Laertios: Leben und Lehre der Philosophen, II 65–104. – J C B Gosling: Pleasure and Desire, O 1969; J C B Gosling / C C W Taylor: The Greeks on Pleasure, O 1982.

Ricken Heiligkeit meint die Andersartigkeit und Unverfügbarkeit des Göttlichen oder Gottes und seine entsprechende Selbstdarstellung und Erfahrbarkeit. Das lat. »sanctus« hängt mit »sancire«, »umgrenzen«, zusammen und bezeichnet ursprünglich den Bereich, der den Tempelbezirk, fanum, von seiner Umgebung, dem pro-fanum, abgrenzte. Das gr. »hagios« kommt von »hazein«, »scheuen«, »verehren«. Bei der Übersetzung in die germanischen Sprachen setzte sich »heilig« durch, dem die Bedeutung »eigen«/»Eigentum« zugrunde liegt. Einzutreten in seinen Bereich geht also mit der Erfahrung einer (wie immer gearteten) Übereignung an das Verehrung fordernde Heilige zusammen, wobei in dem, was dieses Heilige zur Erscheinung bringt, auch der innere Maßstab der Verwendung dieses Begriffs liegt, der deswegen, ebenso wie der Begriff des Göttlichen oder 3 Gottes, nicht nur deskriptiv zu gebrauchen ist. Als Unverfügbares kann das Heilige nur das radikal Unabhängige und Vollkommene sein. Wird seine Unabhängigkeit eingeschränkt, ergibt sich die prinzipielle Möglichkeit der Verfügung (praktiziert etwa als Magie oder in einer Art von Handel). Gerade als das ganz Andere, weil Unbedingte, geht das Heilige den Menschen unbedingt an, tritt vor ihm in Erscheinung und verlangt Anerkennung und Anbetung – nicht aus Willkür, sondern weil es ist, wie es ist. Wer mit ihm zu tun hat, weiß sich ihm übereignet. Er erfährt seine Niedrigkeit vor ihm, aber auch die beseligende Erhebung, die darin besteht, seiner Erscheinung gewürdigt zu werden. Dieses Erscheinen verknüpft sich mit verschiedenen raum-zeitlichen Gegebenheiten, mit Dingen und Ereignissen, die dann in die Verehrung einbezogen werden oder nach denen sie strukturiert wird. So entstehen Riten und Kulte an heiligen Orten und zu geheiligten Zeiten, mit geweihten, d. h. geheiligten Gegenständen und Personen. Durch diese Extension konnte »das Heilige« zu einem Grundbegriff der Religionswissenschaft werden, aber wegen seiner normativen Bedeutungsimplikation höchster Verehrungswürdigkeit auch zu einem solchen

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Hermeneutik

der Religionsphilosophie, wie sie sich am Ende des 18. Jahrhunderts zunächst als Alternative zur dogmatischen Theologie etablierte. Für Kant ist die Moral Mitte der Religion und »H.« demnach »die völlige Angemessenheit zum moralischen Gesetze«. Sie kommt nur Gott, dem allein Heiligen zu. In dieser Tradition versteht W Windelband Religion als »Normalbewußtsein«, d. h. als Zusammenfassung der Normen des »Guten, Wahren und Schönen«. Dagegen sieht R Otto im Heiligen das irrational Überwältigende, das dem Menschen als »mysterium tremendum« und »fascinosum« begegnet. In erneuter Einbeziehung der Sittlichkeit bestimmt M Scheler das Heilige als höchsten personalen und personstiftenden Wert. Bei P Tillich bleibt das Heilige wegen seiner Verbindung mit dem Irrationalen und Dämonischen dem Göttlichen vorgeordnet. Nach M Heidegger hat das Heilige eine Zwischenstellung: »Erst aus der Wahrheit des Seins lässt sich das Wesen des Heiligen denken. Erst aus dem Wesen des Heiligen ist das Wesen von Gottheit zu denken. Erst im Lichte des Wesens von Gottheit kann gedacht und gesagt werden, was das Wort ›Gott‹ nennen soll«. Für die neuere christliche Religionsphilosophie kann der zuletzt genannte »Gott« nur derjenige sein, der seine ihm allein eigene Majestät (»›Mit wem wollt ihr mich vergleichen, dass ich ihm gleich sei?‹ spricht der Heilige« Jes 40, 25) zugänglich macht in seiner Selbstmitteilung durch Christus im »heiligen Geist«. Er allein erfüllt jenen Begriff der »Gottheit«. In seinem Licht sind uns Erfahrungen erschlossen, die für uns absoluten Wert haben und die ihrerseits das »ganz Andere« in unserem Leben erscheinen lassen, Erfahrungen der Freiheit und Personalität, ihrer Abgründigkeit und Würde, des unbedingten Sollens, der Liebe und der tieferen Geborgenheit, Erfahrungen, die uns eröffnen, was letztlich »gilt« und letztlich »ist« (so etwa B Welte, B Casper, K Hemmerle, P Hünermann, J Splett). H. / das Heilige, in: TRE, LthK, HWPh; I Kant: KpV OA 219 f., 58; W Windelband: Präludien, T 1924, II, 305; R Otto: Das Heilige, Gotha 1926; P Tillich: Syst. Theol., St I, 251; M Heidegger: Humanismusbrief, HGA 9, 181 f.; B Casper / K Hemmerle / P Hünermann: Besinnung auf das Heilige, Fr 1966; J Splett: Die Rede vom Heiligen, M 1971.

Schmidt Hellsehen 3 Esoterik 3 Hermeneutik Henologisches Prinzip 3 Einheit Hermeneutik ist die Lehre vom Auslegen und 3 Verstehen. Sie tritt in zwei Formen auf: als Sammlung von Anweisungen zur richtigen Auslegung und 3 Interpretation von Texten – und als philosophische Grundlagenreflexion auf Strukturen und Bedingungen des Verstehens überhaupt. Unter dem Titel H. (vom gr. hermeneúo: verkünden, auslegen, übersetzen) bilden sich im 17. und 18. Jahrhundert auf theologischem und juristischem Gebiet Regeln von der richtigen Auslegung tradierter autoritativer Texte aus. Schleiermacher erweitert diese H. zur »Kunstlehre des Verste-

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Hermeneutik

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hens« des geschriebenen oder gesprochenen Wortes überhaupt; in der gegenseitigen Ergänzung von »divinatorischem«, nämlich sich in den Autor einfühlendem, ganzheitlichem und »komparativem«, nämlich vergleichend grammatischem und historischem Verstehen soll der einzelne Text aus dem Ganzen seines Lebens- und Sinnzusammenhangs erhellt werden. Die Wissenschaftstheorie des späten 19. Jahrhunderts ordnet das Problem des Verstehens der Geschichtswissenschaft (Droysen), 3 Geistes- (Dilthey) oder Kulturwissenschaft (Rickert) zu und stellt es der kausal erklärenden Methode in den 3 Naturwissenschaften gegenüber. Dilthey fordert, jeden Einzelinhalt aus dem Ganzen des Lebens, das sich in ihm objektivierte, im nachfühlenden oder erlebenden Mitvollzug zu verstehen. Nach Heideggers Sein und Zeit ist Verstehen nicht partikuläre Methode, sondern Seinsweise des Menschen, nämlich entwerfende Selbstauslegung und Eröffnung des Horizonts der 3 Welt: H. ist hier Auslegung des ursprünglichen Selbst- und Seinsverständnisses des (menschlichen) Daseins. Nach den späten Werken Heideggers bestimmt sich der Welthorizont, der Verstehen ermöglicht, aus der Geschichte des Seins, das sich vor allem in der Sprache offenbart. Anknüpfend an Heidegger, betont Gadamer die Allgemeinheit des hermeneutischen Problems, dem sich auch die methodisch exakten Wissenschaften nicht entziehen können, und die geschichtliche Perspektivität des Verstehens, in dem der jeweils eigene, von der Überlieferungsgeschichte getragene Verständnishorizont mit dem Horizont des begegnenden geschichtlichen Einzelinhalts verschmilzt. Im Verstehen wird »etwas als etwas« erkannt, d. h. ein Einzelnes in einer weiteren Hinsicht, aus einem umfassenden Bezugsganzen erfasst. Da der einzelne Gegenstand – ein Wort, Text, geschichtliches Werk oder Ereignis – nur vom Ganzen seines Sinnhorizonts her einsichtig, dieses Ganze aber jeweils nur vom Einzelnen her zugänglich wird, bewegt sich das Verstehen unaufhebbar im Zirkel zwischen konkretem Gegenstand und sinngebendem Bewandtnisganzen: hermeneutischer Zirkel (der kein circulus vitiosus ist). Der Horizont des Gegenstands ist dem Verstehen durch ein Vorverständnis erschlossen, das jedoch stets, wenn auch in verschiedenem Grad, eingeschränkt bleibt. Weil der Gegenstand nur im Zusammenhang mit dem begrenzten Vorverständnis des Verstehenden erscheint, also nicht rein an sich objektiviert werden kann, ist Verstehen endlich und geschichtlich. Dennoch löst sich der Sinn des Gegenstands nicht in ein subjektiviertes Vorverständnis auf, da das Vorverständnis wesentlich unabgeschlossen und auf neue Sinngehalte hin geöffnet ist. Im kreisenden Austausch zwischen Vorverständnis und Gegenstandshorizont lässt sich das Vorverständnis korrigieren und vertiefen, wie dies exemplarisch im Vorgang des Gesprächs zwischen zwei Partnern erscheint. Da überdies der geschichtliche Gegenstand in verschiedenen, sich wandelnden Verständnishorizonten sich in je neue Sinndimensionen auslegt, wachsen der Horizont des Verstehenden und die Sinnentfaltung des Gegenstands in dialogischer Kommunikation miteinander.

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Herrschaft

Diese vornehmlich sprachlich vermittelte Begegnung schließt sich jedoch nicht in geschichtlicher Dialektik in sich ab, sondern trägt in sich die unmittelbare Transparenz und vermittelnde Dynamik zum wahren Wesen des Gegenstands und zur Läuterung und Weitung des Verständnishorizonts. Wie echtes Gespräch sachgebunden ist, so lebt auch das Verstehen aus der Offenbarkeit von Sein als 3 Wahrheit und transzendiert daher in der Differenz von direkt Gewusstem und letztlich Gemeintem seine geschichtliche Bedingtheit, ohne sie je abzustreifen. F Schleiermacher: H.; K G Droysen: Grundriß der Historik, 1868; W Dilthey: Einleitung in die Geisteswissenschaften; H Rickert: Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, 1899; M Heidegger: Sein und Zeit, Hl 1927, §§ 31–32; H G Gadamer: Wahrheit und Methode. – J Wach: Das Verstehen, 1926; H U Lessing: Philosophische H., Fr 1999; B Vedder: Was ist H.?, St 2000; G Bertram: H. und Dekonstruktion, M 2002.

Riesenhuber-Haeffner Hermeneutischer Zirkel 3 Hermeneutik Herrschaft tritt in allen Gemeinschafts- und Gesellschaftsformen als persönliche oder institutionelle H. auf. M Weber versteht unter H., die »Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden« (3 Macht). Auch wer nicht das Schlagwort übernimmt, dass jede H. zum Despotismus tendiere (Montesquieu), muss in Anbetracht der Gleichheit aller Menschen H. als Unterwerfung von Menschen unter Menschen rechtfertigen. Weber unterscheidet drei Formen legitimer H.: die traditionale H., welche man bejaht, da sie die bejahten tragenden Ordnungen anerkennt; die legale H., welche ihre Einsetzung einem positivrechtlich korrekt durchgeführten und deswegen anerkannten Verfahren verdankt; die charismatische H., die auf Gehorsam der Gefolgschaft trifft, die sich um den charismatischen Führer an ihn glaubend schart. Eine gerecht sein wollende H. hat individuelle und kollektive Freiheit mit einer stabilen politischen Ordnung zu vereinbaren, Selbst- und Mitbestimmung zu garantieren und den Eintritt in und den Austritt aus dem H.sverband zu regeln. T Hobbes: Leviathan, Kap. 13–21; Spinoza: Tractatus Politicus; J Locke: Traktat über die Regierung; M Montesquieu: Vom Geist der Gesetze, Buch XI; J J Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag; G W F Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 257–263; Phänomenologie des Geistes, Herr und Knecht; M Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Tü 5 1972, 1. Teil, Kap. I, Kap. III und 2. Teil, Kap. IX.; H Arendt: Elemente und Ursprünge totaler H., M 1996. – R Spaemann: Zur Kritik der politischen Utopie, St 1977; W Gebhardt / A Zingerle / M Ebertz (Hg): Charisma, B 1993.

Brieskorn Heteronomie 3 Autonomie Heuchelei 3 Lüge

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Historismus

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Heuristischer Wert 3 Hypothese Historischer Materialismus 3 Marxismus Historismus (engl. historicism) ist die Ausbildung des historischen Sinns, d. h. der Fähigkeit, die Dinge, Institutionen usw. unserer gegenwärtigen Welt als geworden zu betrachten und das Gewordene aus seinen Entstehungsbedingungen zu verstehen. Darin liegt ein Fortschritt insofern, als in dieser Perspektive manches, was man für zeitlos gültig bzw. für uralte Tradition gehalten hatte, sich als zeitbedingt bzw. relativ jung erweist. Einen Erkenntnisgewinn bedeutet der H. auch insofern, als durch die historische Relativierung der eigenen Selbstverständlichkeiten der Blick für die Eigenart anderer Kulturen und früherer Epochen als unserer eigenen freier wird. Protagonisten des H. in Deutschland waren vor allem W Dilthey, E Troeltsch und F Meineke. Wenn der H. nicht mehr nur als begrenzte wissenschaftliche Optik gepflegt, sondern zur 3 Weltanschauung verallgemeinert wird, wächst die Gefahr, dass man das Gegenwärtige nur noch aus der Distanz des historischen Blicks heraus betrachtet, der alles dadurch relativiert, dass er es von anderem her ableitet bzw. als Verweis auf Kommendes deutet. Eine zweite Gefahr besteht darin, dass man alles, worauf die Kategorie des Gewordenseins keine sinnvolle Anwendung findet (wie z. B. Gott oder die Ideen), dadurch zu verstehen meint, dass man das Auftreten und Verschwinden der entsprechenden Überzeugungen zu erklären versucht. Dadurch stirbt der Mut zum Schauen, Denken und Glauben, ja zum schöpferischen Leben selbst, das primär nach vorne, nicht rückwärts vollzogen werden will. F Nietzsche: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, Lp 1874; E Troeltsch: Der H. und seine Probleme, Tü 1922; F Meineke: Die Entstehung des H., M 1936; H Schnädelbach: Geschichtsphilosophie nach Hegel, Fr 1974.

Haeffner Höchstes Gut 3 Glück 3 Gut Hoffnung ist Ausdruck der Zukunftsorientierung des Menschen. Sie besteht in der Einstellung und Stimmung, die das Gute anstatt des Schlechten erwartet. H. kann sich entweder passiv auf das beziehen, was von sich aus kommt (wie z. B. die H. auf gutes Wetter), oder aktiv auf den Erfolg des eigenen Handelns (wie z. B. die H., den Sieg zu erringen). Tritt die H. an die Stelle des möglichen Handelns, so trifft sie der Spottvers »Hoffen und Harren macht viele zu Narren«. Doch ist andererseits alles anstrengende Streben und Leben nur möglich kraft der H., weil sich die Anstrengung ihres Erfolges nicht sicher sein kann, weil er auch von günstigen oder ungünstigen Umständen abhängt. Ein Sonderfall ist die H., die das sittliche Handeln beflügelt, und zwar in zweifacher Hinsicht. Erstens muss einerseits die sittliche Motivation frei sein

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Holismus

vom Blicken auf den Erfolg, zumal auf den eigenen Gewinn. Andererseits ist es dem Menschen nicht möglich, völlig von seinem Glücksstreben abzusehen. Wenn das Tun des Guten aber keine hinreichenden Früchte trägt oder gar dem Gerechten Nachteile, Verfolgung und Todesdrohungen einbringt, muss die H. entweder der Verzweiflung weichen oder sich zur H. auf ein jenseitiges Glück wandeln. Die zweite Hinsicht betrifft das Gelingen der sittlichen Motivation selbst, dass sie echt, rein und konsequent wird. Dazu ist Selbstvertrauen nötig. Aber angesichts der eigenen Schwäche bedarf es hier auch der H. auf Hilfe und Vergebung durch die göttliche Gnade. G Marcel: Homo viator, Pb 2 1964; E Bloch: Das Prinzip H., B 1954–1959; B N Schumacher: Rechenschaft über die H., Mz 2000.

Haeffner Holismus Nach dem H. (gr. hólos: ganz) gibt es nichts selbstständiges Einzelnes. Für den ontologischen H. ist jedes Einzelne nur ein Moment am Ganzen. Spinoza und Hegel werden meist so gedeutet. Für den erkenntnistheoretischen und semantischen H. ist die Erkenntnis eines Objekts oder der Bedeutung eines Wortes nur unter Bezugnahme auf das Ganze möglich. Hieraus folgt für Quine die Unbestimmtheit der Übersetzung einzelner Ausdrücke. Der H. sieht richtig, dass alles mit allem zusammenhängt, übersieht aber, dass Erkenntnis und Sprache schrittweise erlernt und erweitert werden, was nicht möglich wäre, wenn wir uns jedes Mal auf die ganze Wirklichkeit beziehen müssten, um ein einzelnes Wort oder Objekt zu verstehen. J Fodor / E Lepore: Holism, O 1992; L Steinherr: H., Existenz und Identität, St. Ottilien 1995; V Mayer: Semantischer H., B 1997; H Lindroth: Zwischen Wahrheit, H. und Externalismus, W 2000; M Esfeld: H. in der Philosophie des Geistes und in der Philosophie der Physik, F 2002; F-P Krollmann: Der Begriff des Holistischen Idealismus, Essen 2002.

Schöndorf Homonym 3 Analogie Homöomerien 3 [32] Homöostase 3 Kybernetik Honestum, bonum 3 Gut Horizont Der Terminus H. stammt aus dem Griechischen orízein und wird im Deutschen mit »abgrenzen« und »trennen« übersetzt. In die Philosophie wurde er von Anaximander eingeführt als Gegenbegriff des Unendlichen (ápeiron), das »alles umfasst und sämtliches lenkt« (Aristoteles: Physik III, 4, 203b 11). In der Moderne wurde die Bedeutung des Begriffes von Kant geprägt. Mit H. bezeichnet er die Abgrenzung und die Angemessenheit »der Größe der gesamten Erkenntnisse«. In diesem Zusammenhang »lässt sich (der H.) bestimmen 1) logisch, nach dem Vermögen oder den Erkenntniskräften in Beziehung auf das Interesse des Verstandes«; 2) »ästhetisch, nach dem

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Horizont

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Geschmack in Beziehung auf das Interesse des Gefühls«; 3) »praktisch, nach dem Nutzen in Beziehung auf das Interesse des Willens«. Anders gesagt: »Der H. betrifft also die Beurteilung und Bestimmung dessen, was der Mensch wissen kann, was er wissen darf, und was er wissen soll«. (Logik, Einleitung, § VI, A). Im Rahmen der Gegenwartsphilosophie hat Husserl diese H.auffassung übernommen und weiter entwickelt. Getreu dem Grundansatz seiner phänomenologischen Einstellung, wonach es echtes Philosophieren nur geben kann, wenn der Kontakt mit den »Sachen selbst« behalten wird, behauptet Husserl, dass das philosophische Denken mit der sinnlichen Erfahrung anfangen und in Verbindung mit dieser bleiben muss. Nun kennzeichnet sich die sinnliche Erfahrung durch ihre Variabilität, d. h. in der sinnlichen Erfahrung werden die Gegenstände in der Variabilität ihrer perspektivistischen Erscheinungsmöglichkeiten von uns erkannt, und so ergeben sie sich uns nie in der absoluten Konstanz eines Ansichseins. Einen Tisch z. B. sehe ich im Augenblick von dieser Seite. Ich könnte ihn auch in der Perspektive erblicken, die ein anderes Individuum gerade hat. Meine und seine Perspektive stehen aber nicht beziehungslos nebeneinander. Ich weiß vielmehr, dass ich um den Tisch herumgehen und mir die dem anderen Individuum zugekehrte Seite zur Gegebenheit bringen muss, wenn ich erfassen will, was der Tisch an sich und nicht bloß für mich ist. Das heißt: Die Perspektive des anderen ist eine Erfahrungsmöglichkeit bezüglich des Tisches, die sich wirklich an die Erfahrungsmöglichkeit, die ich im Augenblick realisiere, anschließen lässt. Im Vollzug der Wahrnehmungsperspektive, die ich gerade annehme, liegt also ein Verweis auf real anschließbare andere Möglichkeiten, mir den Tisch zur Erscheinung zu bringen. M. a. W.: immer liegen im aktuellen Vollzug einer Erfahrungsmöglichkeit Verweise auf andere Erfahrungsmöglichkeiten, zu denen ich wirklich übergehen kann. Jeder Vollzug, womit ich mir irgendetwas in seiner Existenz und Beschaffenheit zur Gegebenheit bringe, ist also eingebettet in ein Geflecht von Verweisungsbezügen, worin sich immer wieder neue Erfahrungsmöglichkeiten eröffnen. Diesen Verweisungszusammenhang von Erfahrungsmöglichkeiten nennt Husserl H. Zu jeder Einzelerfahrung gehört ein bestimmter H., d. h. ein spezifischer Spielraum von Erfahrungsmöglichkeiten, auf die mich die Einzelerfahrung verweist. In diesem Sinne sprechen wir auch in der Alltagssprache von H.en, die sich im Erfahrungsbereich bestimmter Menschengruppen eröffnen: der H. des Kindes, des Politikers usw. Alle solche H.e bezeichnen zwar einen Umkreis von Erfahrungsmöglichkeiten. Aber diese Kreise sind nichts Geschlossenes; ein H. kann sich erweitern, und er kann in einen anderen H. übergehen. D. h. der nächstliegende Verweisungszusammenhang, den ein H. darstellt, verweist seinerseits schon wieder auf andere Verweisungszusammenhänge, und am Ende gehören alle Verweisungszusammenhänge in einem einzigen umfassenden Verweisungszusammenhang zusammen. Alle H.e sind eingebettet in

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Humanwissenschaft

einen einzigen Universalh. für alle H.e. Diesen H. für alle H.e nennt Husserl »die Welt«. Im Welth. sind alle H.e beinhaltet. Mit keinem Erfahrungsvollzug können wir also die Welt, den H. aller H.e, verlassen. Sie hat in allem Wechsel solcher Vollzüge Bestand; sie ist die gesuchte absolute Konstante. Die Welt ist deshalb das Korrelat der philosophischen Einstellung, weil eben durch die Welt als Universalh. die Philosophie den Zugang erschließt, das Sein als solches und im Ganzen zu begreifen. Der Totalitätsbezug der Philosophie gründet darin, dass das Korrelat der Einstellung, auf der die Philosophie beruht, die Welt ist. Im Vollzug jeder Erfahrung sind wir also immer auf die Welt bezogen als universalen Boden der Vertrautheit. Welt ist das, worin sich unser Seinsverständnis immer schon aufhält, das, woraus und woraufhin wir alles Einzelne verstehen. Im Einklang mit Husserl steht auch Jaspers. Durch ihn ist der H.begriff in den laufenden Sprachgebrauch der Philosophie eingegangen. Nach Jaspers »leben und denken wir doch jederzeit in einem H. Dadurch, dass ein H. ist, sich also ständig ein Weiteres ankündigt, das den gewonnenen H. wieder umgreift, entsteht die Frage nach diesem Umgreifenden. Das Umgreifende ist noch nicht der H., in dem uns jede bestimmte Weise des Wirklichen und des Wahrseins vorkommt, sondern das, worin jeder einzelne H. als in dem schlechthin Umfassenden, das nicht mehr als H. sichtbar wird, beschlossen ist.« (Vernunft und Existenz, 36) »Voraussetzung ist eine philosophische Haltung, deren Leidenschaft für die Wahrheit in ständiger Selbstergriffenheit der eigenen Existenz doch die Besonnenheit gewinnt, durch unablässig wiederholte Infragestellung die grenzenlose Weite zu erblicken, in der am Ende die Einfachheit des Ursprungs erst wahrhaftig sich zu erkennen geben kann.« (Ebd. 37). E Husserl: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, HU.III/1, Abschnitt 15; Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, HU. VI, 165; Analysen zur passiven Synthesis, HU. XI. – L Landgrebe: Der Weg der Phänomenologie 2 1967, 44 f.; K Held: Der Ansatz von Husserls Intersubjektivitätstheorie, 1983.

Ponsetto Humanismus 3 Anthropologie 3 Marxismus 3 Mensch Humanitas 3 [47] Humanität 3 Mensch Humanwissenschaft Unter H.en (engl. humanities, fr. sciences humaines) versteht man die Wissenschaften, die sich mit dem Menschen befassen. Der Terminus H.en ist dem der 3 Geisteswissenschaften und der Kulturwissenschaften ähnlich, greift aber weiter aus, insofern er auch diejenigen Wissenschaften mit umfasst, die teilweise oder ganz als Naturwissenschaften betrachtet werden können wie z. B. die Psychologie, die Medizin oder die gesamten Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Der Vorteil dieses Begriffs besteht darin, dass mit ihm Wissenschaften klassifiziert werden können, die

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Hylemorphismus

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sich sowohl der geistes- als auch der naturwissenschaftlichen Methoden bedienen und darum nicht in die herkömmliche Unterscheidung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften passen. E Zellinger: Die empirische H. im Umbruch, M 1979; J Høyrup: Human sciences, Albany 2000; G Kühne-Bertram: Grenzen des Verstehens, Gö 2002; J-F Dortier: Une histoire des sciences humaines, Auxerre 2006; A Claassen: An inquiry into the philosophical foundations of the human sciences, NY 2007.

Schöndorf Hyle 3 Materie Hylemorphismus ist die von Aristoteles entwickelte ontologische 3 Theorie, die jedes 3 Werden oder jede 3 Veränderung durch die 3 Begriffe Stoff (hy´le) und 3 Form (morphé) erklärt. Alles, was sich verändert, hat einen Stoff. Jedes Werden oder jede Veränderung vollzieht sich innerhalb einer bestimmten 3 Kategorie. Unter dieser Rücksicht lassen sich vier Arten der Veränderung unterscheiden: (a) Etwas ändert die Form (eídos), die es zu dem macht, was es ist: Entstehen und Vergehen. (b) Ein Einzelding ändert seine Größe: Wachsen und Abnehmen. (c) Es ändert seine Beschaffenheit: Qualiltätsveränderung. (d) Es ändert seine Position im 3 Raum: Ortsbewegung. Der Stoff ist das 3 Prinzip eines Einzeldings, aufgrund dessen es (etwas) sein oder nicht sein kann. ›3 Sein‹ ist hier in allen Kategorien zu verstehen. Der Stoff erklärt, weshalb ein Einzelding eine 3 Eigenschaft bekommen oder verlieren kann. ›Stoff‹ wird in vielfacher 3 Bedeutung gebraucht; sie unterscheidet sich entsprechend den Kategorien. Der Stoff für Wachsen und Abnehmen, für Gesundsein und Kranksein ist der 3 Organismus, der Stoff für die Form einer Statue das Erz. In 3 Analogie dazu müssen wir einen Stoff annehmen, der erklärt, dass die Naturgebilde (3 Tiere, 3 Pflanzen, die vier Elemente) ihre Wesensform (3 Wesen) bekommen und verlieren, d. h. entstehen und vergehen können. Er wird von der 3 Tradition als »erste Materie« (materia prima) bezeichnet. Welchen Stoff ein Seiendes hat, hängt davon ab, welchen Veränderungen es unterworfen ist. Die ungewordenen, unvergänglichen und unveränderlichen, aber sich bewegenden Gestirne haben nur den »topischen«, d. h. den der Ortsveränderung zugrunde liegenden Stoff. Aristoteles unterscheidet zwischen der sinnlich wahrnehmbaren (aistheté) und der denkbaren oder gedachten (noeté) Hyle. Die wahrnehmbare Hyle findet sich in allem, das sich auf eine der vier genannten Weisen verändert. Die denkbare Hyle ist die reine 3 Ausdehnung der geometrischen Gebilde; sie ist in den wahrnehmbaren 3 Dingen vorhanden, aber nicht insofern sie wahrnehmbar, sondern insofern sie 3 Gegenstand der 3 Abstraktion sind. Ein Einzelding erhält oder verliert eine Form oder 3 Bestimmung in einer der Kategorien, aber die Form selbst verändert sich nicht, denn das würde voraussetzen, dass sie selbst wiederum aus Form und Stoff zusammengesetzt wäre und so weiter in infinitum. Ein Metallstück wird rund, aber das Rund-

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Hypostase

sein selbst wird nicht. Die Form, durch welche ein Artefakt oder ein Organismus das ist, was es ist, bestimmt den Stoff. Sie ist das Vermögen zu einer Tätigkeit, und als solches kann sie nur in einem geeigneten Stoff verwirklicht sein; so kann z. B. eine Säge ihre 3 Funktion nur erfüllen, wenn sie aus entsprechend hartem Material ist. Die Wesensform eines Organismus ist die 3 Seele. Aristoteles definiert sie als »erste 3 Wirklichkeit eines natürlichen 3 Körpers, der der 3 Möglichkeit nach 3 Leben hat« (De anima II 1, 412a27 f.). Hier bedingen Stoff und Form wechselseitig einander. Der Stoff kann als ein solcher Stoff nur in einer solchen Form sein; verliert er sie, wird er zu einem anderen Stoff; aus dem Organismus wird ein Leichnam. Die Form kann ihre Funktion nur in einem solchen Stoff erfüllen; es ist der organische Körper, welcher das Vermögen zu den verschiedenen Lebensvollzügen hat. Aristoteles: Metaph. VII 1–3; 7–9; VIII; XII 2 f.; De anima II 1 f. – E Tugendhat: Ti Kata Tinos, Fr 5 2003; F van Steenberghen: La philosophie au XIIIesiècle, Lv 2 1991; H Happ: Hyle, B 1971; M Frede / G Patzig, Aristoteles, Metaphysik Z, M 1988.

Ricken Hylozoismus 3 Vorsokratiker Hypostase / Hypostasieren Das intransitive griechische Verbum hyphístamai bedeutet u. a. ›darunter stehen‹, ›sich unten (d. h. unsichtbar) aufstellen‹. Die frühesten Belege für das Substantiv hypóstasis finden sich in naturwissenschaftlich-medizinischen Texten; hier bedeutet es ›das, was sich unten absetzt‹, z. B. das Sediment des Urins. Der Stoiker Poseidonios gebraucht hypostasis für die aus der Urmaterie ins 3 Dasein getretene 3 konkrete 3 Wirklichkeit der Einzeldinge, der Mittelplatoniker Albinos für die »Existenz« der 3 Welt, der 3 Seele, des 3 Geistes und des obersten 3 Gottes; hier deutet sich der Gedanke einer Stufung und wechselseitigen 3 Beziehung an. Alles Seiende, so lehrt Plotin, erhält seine »Wirklichkeit« allein vom Einen (V 4,2,36); hypóstasis ist synonym mit ousia. Philosophischer Fachausdruck wird hypóstasis vor allem durch Porphyrios; in seiner Plotinausgabe gibt er der Schrift V 1, welche die Lehre von der Seele, dem Geist und dem Einen zusammenfasst, den Titel: Über die drei ursprünglichen H.n. Nach Hebr 1,3 ist Christus die Ausprägung der »Wirklichkeit« Gottes. Vor allem Athanasios und die Kappadokier unterscheiden zwischen ousia und hypóstasis, dem einen 3 Wesen Gottes und den drei 3 Personen. – Hypostasierung ist die Verdinglichung oder Personifizierung von 3 Begriffen; Begriffswörter werden als Eigennamen behandelt; was nur in Gedanken existiert, wird als wirklicher 3 Gegenstand außerhalb des 3 Subjekts angenommen. H Dörrie: Upostasi@, Gö 1955; H Köster: Upostasi@, in: Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, VIII, St 1969, 571–588; J Hammerstaedt: Hypostasis, in: Reallexikon für Antike und Christentum, XVI, St 1994, 986–1035.

Ricken

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Hypothese

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Hypothese Eine H. (gr. hypóthesis: Voraussetzung, Grundlage) ist ursprünglich eine unbewiesene Annahme, die einer Schlussfolgerung zugrunde gelegt wird. Im heutigen Sprachgebrauch wird unter einer H. vor allem in der Wissenschaft eine Annahme im Sinn einer vorläufigen und noch unbewiesenen These oder 3 Theorie verstanden, die eine wissenschaftliche Erklärung anbietet. Sobald eine H. als hinreichend bewiesen gilt und allgemein akzeptiert wird, wird sie zu einer Theorie im eigentlichen Sinn. Vor allem in der neuzeitlichen Philosophie und Naturwissenschaft wurde die Frage nach der Rolle und Bedeutung von H.n vielfach diskutiert. Dies hängt damit zusammen, dass es im Gegensatz zur verbreiteten populären Meinung schwierig und umstritten ist, genau anzugeben, unter welchen Bedingungen der Beweis für die Richtigkeit einer wissenschaftlichen Theorie erbracht ist. H.n können auch dann, wenn sie nicht beweisbar sind, neue Anregungen für die weitere Forschung liefern und haben in diesem Fall einen heuristischen Wert. Für den 3 Fallibilismus sind alle wissenschaftlichen Thesen eigentlich nur H.n, da er die Möglichkeit eines Beweises einer Theorie verneint. 3 Wissenschaftstheorie. H Poincaré: Wissenschaft und H., L 2 1906; A v Meinong: Über Annahmen, 2 1910. H Schneider: H., Experiment, Theorie, B 1978.

Schöndorf Hypothetisch ist das Adjektiv zu 3 Hypothese und kann zunächst einmal ganz allgemein etwas meinen, was nicht sicher oder bewiesen ist, sondern nur eine Vermutung darstellt. Vertreter des 3 Fallibilismus bezeichnen darum alle wissenschaftlichen Erkenntnisse als nur h., da sie nicht definitiv beweisbar seien. Genauer bedeutet h. soviel wie bedingt oder bedingungsweise (konditional, von lat. conditio: Bedingung) und dient zur Kennzeichnung von Urteilen oder Schlüssen, die ein Bedingungsverhältnis besagen oder nur unter bestimmten Bedingungen gelten. Ein h.es 3 Urteil ist eine Verknüpfung von zwei einfachen Urteilen durch eine Wenn-Dann-Beziehung (Wenn a, dann b). Diese Beziehung kann eine nur materiale (oder materielle) oder eine formale 3 Implikation bedeuten (3 Logik). In einem weiteren Sinn kann man auch konjunktive und disjunktive Urteile als h. bezeichnen. Als h.en 3 Schluss kann man entweder einen Schluss bezeichnen, der mindestens einen Vordersatz enthält, der ein h.es Urteil darstellt, oder einen Schluss, der die Form eines h.en Urteils hat oder aus h.en Urteilen zusammengesetzt ist: wenn a, dann b; wenn b, dann c; also wenn a, dann c. Kant hat diese Terminologie auf die 3 Imperative übertragen und diejenigen Imperative als h. bezeichnet, die die objektive Notwendigkeit eines Mittels zu einem bestimmten Zweck ausdrücken und darum nur unter der Bedingung ein bestimmtes Handeln vorschreiben, dass ich diesen Zweck erstrebe. Im Gegensatz dazu hängt der 3 kategorische Imperativ von keinen Bedingungen seitens des Handelnden ab, sondern gilt unbedingt. Die h.en

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Ich

Imperative werden von Kant nochmals in problematische und assertorische unterteilt: Problematische (= technische) Imperative (= Regeln der Geschicklichkeit) benennen das notwendige Mittel zu einem beliebig zu wählenden Zweck, während die assertorischen (= pragmatischen) Imperative (= Ratschläge der Klugheit) die Mittel zu dem bei jedem Menschen vorauszusetzenden Zweck der Erlangung des Glücks angeben (Grundlegung, AA IV, 414–417). I Kant: Grundlegung, AA IV, 413–420. – Lehrbücher der Logik; N Rescher: Hypothetical reasoning, A 1964; H Linneweber-Lammerskitten: Untersuchungen zur Theorie des h.en Urteils, Ms 1988.

Schöndorf Ich Die moderne 3 Sprachphilosophie hat ihr Interesse den hinweisenden Fürwörtern zugewandt, die auch deiktische Ausdrücke (engl. indexicals) heißen. Sie funktionieren nur, wenn zu ihnen eine Zeigegeste tritt: solche Ausdrücke sind »hier«, »jetzt«, »du«, »die da« und eben auch »i.«. Sie unterscheiden sich grundlegend von sachhaltigen Begriffen unter zwei Rücksichten. Auf der einen Seite sind Sätze, die nur aus letzteren bestehen, in ihrem Sinn nicht an eine bestimmte Redesituation gebunden, ganz anders als Sätze, die deiktische Wörter enthalten. Auf der anderen Seite aber beruhen alle wirklichen 3 Aussagen auf dem (meist unausdrücklichen) Gebrauch der Fürwörter, weil es von mir ausgeht und auf dich usw. zugeht; sie sind die Grundschicht aller Sprachereignisse. Zu einem zentralen Thema der Philosophie aber wurde das »i.« durch die Abblendung seines konstitutiven Bezugs zu »dir«, »uns« usw.; nur sein individuelles Streben auf objektive Aussagen wurde festgehalten. Gegen den 3 skeptischen Zweifel, ob dieses Streben Erfüllung finden könne, fand Descartes, nach dem Vorbild von Augustinus, die Einsicht, dass in allem Zweifel mein eigenes Sein unbezweifelbar sei, weil es sich durch den Zweifel selbst setzt. Damit trat das I. ins Zentrum der Wirklichkeitserfassung, aber nicht mit Fleisch und Blut, deren Realität weiterhin unter den Zweifel fällt, also nicht i. als 3 Mensch, sondern nur als fragendes, wollendes, einsehendes Wesen: Ego cogito (I. denke). Von der »inneren Burg« dieser Selbstgewissheit aus wird dann alles andere Wissen rekonstruiert: das Wissen von Gott zuerst, dann das mathematische und das physikalische Wissen. So wird es zum »3 Subjekt« (zur Grundlage) der von ihm gewussten Objekte. Die Entdeckung des I. begeisterte Philosophen der folgenden Jahrhunderte, die »das« I. immer mehr vom jeweiligen »i.« ablösten. Kant trennte das »i.«, wie es sich in Innen- und Außenperspektive »empirisch« vorfindet, vom »transzendentalen I.«, das als Subjekt des Weltsystems niemand ist und zwischen einem nur noch funktionalen Konstrukt und einer Art von absolutem Sein schwankt. Die letztere Linie wurde von den Idealisten, allen voran von Fichte, aufgegriffen.

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Ideal

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Später wurde dieses I. relativiert: von der Sprachphilosophie, von der 3 Dialogphilosophie, von der Tiefenpsychologie und von der Phänomenologie. Freud sah »das I.«, als die urteilsfähige psychische Instanz, dem doppelten Druck der 3 Triebwünsche (»Es«) und des Gewissens (»Über-I.«) ausgesetzt. Die Phänomenologie versuchte, das jeweilige I. nicht bloß als Grundlage anzusetzen, sondern es aus der besonderen Gestalt abzulesen, in der es resultativ aus seinen Akten hervorgeht. Entsprechend unterscheidet Heidegger das abstrakte I. von seinen beiden konkreten Existenzweisen: dem »man« und dem »Selbst«. Augustinus: Soliloquia II,1; R Descartes: Meditationes de prima philosophia; F W J Schelling: Vom I. als Prinzip der Philosophie; M Heidegger: Sein und Zeit, Hl 1927, §§ 27- 64. – C Riedel: Subjekt und Individuum, Da 1989; R M Chisholm: Die erste Person, F 1992.

Haeffner Ideal wird als Substantiv und als Adjektiv gebraucht. Es hat seinen Ursprung im platonischen Begriff der 3 Idee und meint die vorbildliche, beispielhafte oder vollkommene Verwirklichung von etwas Gutem. Der I.zustand ist derjenige Zustand, der alle erdenklichen Wünsche und Bedingungen erfüllt, darum aber normalerweise in der Wirklichkeit nicht erreichbar ist (Utopie). Oft wird er als Anfangszustand oder als letztes Ziel (zumindest im Sinn der anzuzielenden Richtung) oder als der Zustand gedacht, den wir herstellen würden, wenn unser Denken ungehindert realisiert werden könnte. Wenn ein Mensch als i. bezeichnet wird, so ist für gewöhnlich damit gemeint, dass er ein außergewöhnliches Vorbild ist. In der Transzendentalen Dialektik von Kants Kritik der reinen Vernunft (3 Transzendentalphilosophie) ist das I. als Urbild die Darstellung der Vernunftidee in einem Individuum, sei es als praktische Richtschnur (KrV B 597), dann aber vor allem theoretisch als das transzendentale I. das Urwesen, das höchste Wesen oder Wesen aller Wesen, d. h. die Idee Gottes, den die Vernunft notwendigerweise als das allerrealste (d. h. alle positiven Eigenschaften besitzende) Wesen denkt (KrV B 606–611). In anderen Schriften nennt Kant auch andere gedachte vollkommene Vorstellungen I.e. I Kant: KrV B 595–611. – B Kellermann: Das I. im System der kantischen Philosophie, B 1920; C Piché: Das I., Bn 1984; R O M Dell’Oro: From existence to the i., NY 1994.

Schöndorf Idealismus a) ist zunächst einmal jede Philosophie, die es mit 3 Ideen zu tun hat. In diesem Sinn kann man die Philosophie Platons als die erste Form des I. bezeichnen. b) Ferner kann der Ausdruck I. in diesem Sinn jede Philosophie bezeichnen, die in der Tradition der klassischen 3 Metaphysik steht und das 3 Sein in

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Idee

seinem Grund als geistig (3 Geist) ansieht. Dies gilt für jede Philosophie, die wie das christliche Denken alles Sein auf einen geistigen Gott zurückführt. Man kann auch bei Platon, Aristoteles und dem Neuplatonismus von I. sprechen, insofern hier ein geistig verstandenes Sein den höchsten Rang einnimmt. c) Als I. kann man ferner jede Philosophie bezeichnen, für die das Geistige die grundlegende Wirklichkeit darstellt und nicht das Materielle. I. in diesem Sinn ist der Gegenbegriff zu 3 Materialismus. In diesem Sinn ist praktisch die gesamte große Tradition der Philosophie als I. zu bezeichnen. d) I. im engeren Sinn wurde in der Neuzeit zunächst die Philosophie von Berkeley genannt, nach der alles Materielle keine eigene Wirklichkeit besitzt, sondern nichts anderes ist als Ideen in unserem Bewusstsein, die uns von Gott eingegeben werden. Es handelt sich hierbei um einen I. im erkenntnistheoretischen Sinn, da Berkeley unter Ideen anschauliche Vorstellungen versteht. Zugleich ist Berkeleys I. ein metaphysischer Spiritualismus, da nur geistige Wesen eine eigenständige Existenz besitzen und wir von ihnen keine Ideen, sondern Begriffe (notions) haben. In diesem Sinn verwendet auch Kant den Begriff I., wenn er es ablehnt, seine Philosophie einfachhin als I. zu bezeichnen und in der 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft eine »Widerlegung des I.« einfügt. Allerdings bezeichnet Kant seine eigene Theorie als transzendentalen I., womit gemeint ist, dass wir die eigentliche Wirklichkeit, das 3 Ding an sich, nicht erkennen können. e) Fichte, Schelling und Hegel: 3 Deutscher I. Schelling hat Fichtes System wegen seiner Fundierung im Ich als subjektiven I., sein eigenes Denken hingegen, das eine objektive Natur anerkennt, als objektiven I. bezeichnet. Schelling hat seine Spätphilosophie ebenso wie Hegel seine Philosophie als absoluten I. bezeichnet. G Berkeley: A treatise concerning the principles of human knowledge; I Kant: KrV, B59–72; 274–279. – W Caspart: Handbuch des praktischen I., M 1987; D Pätzold: Spinoza – Aufklärung – I., F 1995; V Hösle: Philosophiegeschichte und objektiver I., M 1996; F Voßkühler: Der I. als Metaphysik der Moderne, Wü 1996; D H Heidemann: Kant und das Problem des metaphysischen I., B 1998; F-P Krollmann: Die Theorie eines holistischen I., Essen 2000; R Schumacher (Hg): I. als Theorie der Repräsentation?, Pb 2001; B Mojsisch (Hg): Platonismus im I., M 2003; W Beierwaltes: Platonismus und I., F 2004; F v Kutschera: Die Wege des I., Pb 2006.

Schöndorf Idealismus, Deutscher 3 Deutscher Idealismus Ideation 3 Phänomenologie Idee (gr. idéa, eîdos) ist ein Begriff, den Platon aus dem normalen Griechischen nahm, um ihm die spezielle Bedeutung des vollkommenen und nor-

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Idee

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mativen Urbildes zu geben. Die I.n sind ewig und unveränderlich; das sinnlich Wahrnehmbare hat an ihnen teil. Die Seele kann sich mit Hilfe der 3 Dialektik an die I.n erinnern, die sie vor der Geburt geschaut hat (anámnesis). Die höchste I. ist die des Guten, die an einer berühmten Stelle noch jenseits des Wesenhaften (epékeina tês ousías; Staat VI, 509 b 9 f.) angesetzt wird (3 Platonismus). Aristoteles kritisierte die I.nlehre seines Lehrers und verlegte die Formen in die existierenden Dinge. Für Plotin ist der Ort der I.n der Geist, mit dem er sie darum auch gleichsetzen kann. Augustinus übernahm den Terminus I. aus dem Neuplatonismus und machte aus den I.n die Gedanken Gottes, die der Schöpfung als causa exemplaris (üblicherweise mit Exemplarursache übersetzt; besser wäre: Vorbild- oder Urbildursache: 3 Ursache) zugrunde liegen. Diesen Gedanken machte sich auch die Hochscholastik zu eigen. Zu Beginn der Neuzeit wird I. zu einem Terminus für einen kognitiven Bewusstseinsgehalt, den unser Denken produziert. Descartes nennt diejenigen Gedanken (cogitationes) I.n, die etwas darstellen und darum auch Bilder genannt werden können. Er unterscheidet in der 3. Meditation angeborene (ideae innatae; diese Auffassung wird darum auch als Nativismus bezeichnet), von anderswo stammende (ideae adventiciae) und von mir frei erfundene (ideae a me ipso factae) I.n. Locke kennt einfache (simple ideas, auf deren Gehalte hingewiesen werden kann) und komplexe I.n (complex ideas: Modi, Substanzen und Relationen). Hume nennt die nichtanschaulichen Gedanken I.n (ideas) im Gegensatz zu den anschaulichen Sinneseindrücken (impressions). Die Beziehungen der I.n (relations of ideas) haben im Gegensatz zu den Tatsachen (matters of fact) intuitive oder demonstrative Gewissheit. Kant nennt in der Dialektik der Kritik der reinen Vernunft die reinen Vernunftbegriffe Seele, Welt und Gott I.n. Wir können sie nicht inhaltlich erkennen. Sie sind für unsere Vernunft nur von regulativem Gebrauch, um unserer Erkenntnis Einheit zu geben. Für Hegel ist die I. die Einheit von Subjektivität und Objektivität. Ihre höchste Gestalt ist die Einheit der theoretischen und praktischen I., die absolute I. Sie ist die höchste Form des Begriffs, die alles in sich befasst. In der Alltagssprache werden oft Vermutungen oder Projekte, die noch nicht detailliert ausgeformt sind, als I.n bezeichnet. R Descartes: Meditationes III; J Locke: An essay concerning human understanding; D Hume: An enquiry concerning human understanding; I Kant: KrV, Transzendentale Dialektik; G W F Hegel: Enzyklopädie, §§ 213–244. – W Flach: Grundzüge der I.nlehre, Wü 1997; A N Whitehead: Abenteuer der I.n, F 2000; Y Tomida: Inquiries into Locke’s theory of ideas, Hi 2001; M Vorwerk: Plotins Schrift »Über den Geist, die I.n und das Seiende«, M 2001; F Fronterotta (Hg): Eidos – Idea, St. Augustin 2005; N F Klimmek: Kants System der transzendentalen I.n, B 2005.

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Identität

Ideen, angeborene 3 Idee 3 Kategorien Ideenlehre 3 Platonismus Identität wird stets als I. von etwas mit etwas ausgesagt, also als Beziehung, deren Glieder identisch genannt werden. I. bedeutet, dass diese Glieder »ein und dasselbe« sind. I. ist somit jenes entscheidende Moment, kraft dessen die auf irgendeine Weise Verschiedenen miteinander irgendwie (doch) eins sind. Das philosophisch bedeutsame Problem der eine I. aussagenden Sätze ist: Wie können solche Sätze wahr sein, ohne reine Tautologien zu sein? Für eine eindeutige Begriffe fordernde (bloß logische) Betrachtungsweise gibt es nämlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder versteht man I. als a = a. Dieser Satz ist (wenn a nur a ist, d. h. a in jeder Hinsicht identisch ist mit a) immer wahr, aber nichtssagend. Oder man deutet I. als a = b. Dieser Satz kann aber (vorausgesetzt man gebraucht nur eindeutige Begriffe) nur wahr sein, wenn es sowohl eine Hinsicht gibt, unter der a und b identisch, als auch eine andere, unter der sie verschieden sind. Diese zweite Lösung ist die allgemein gebräuchliche. So sind z. B. Peter und Petra (als Menschen) der Art nach identisch, aber »numerisch« (d. h. als Individuen) bzw. auch dem Geschlecht nach verschieden. Die radikalste Lösung dieses Problems ist freilich die von Wittgenstein in seinem Tractatus vorgeschlagene, die das Problem eigentlich eliminiert: »von zwei Dingen zu sagen, sie seien identisch, ist ein Unsinn, und von Einem zu sagen, es sei identisch mit sich selbst, sagt gar nichts« (5.5303). Wenn analytische Philosophen von I. reden, dann meinen sie vor allem die I. in der Zeit (also die »diachronische« I.), d. h. die Beständigkeit, genauer: die eindeutige Identifizierbarkeit der Dinge im Laufe einer Veränderung. Im Falle dieser »diachronischen« I. wird gefordert, die Hinsicht, unter der Verschiedene identisch genannt werden, klar anzugeben. Die vielfältigen Weisen der I., in denen von welcher Einheit auch immer der irgendwie Verschiedenen die Rede sein kann, werden von der I. als Identifizierbarkeit scharf unterschieden und in die Zuständigkeit der Debatte über das 3 Universalienproblem verwiesen. Dabei macht man den vorneuzeitlichen Philosophen den Vorwurf, sie hätten diese Unterscheidung nicht beachtet. Der Grund für die weitgehende Beschränkung des Begriffs der I. auf die Identifizierbarkeit der Dinge dürfte zum einen in dem empiristischen Ausgangspunkt der Analytischen Philosophie zu suchen sein, zum anderen aber darin liegen, dass das Problem der Identifizierbarkeit der Dinge mit klaren Begriffen behandelt werden kann. Hinsichtlich der von den analytischen Philosophen betonten Unterscheidung muss jedoch festgestellt werden, dass sie schon den Vorsokratikern bekannt war. Doch diese und die ganze klassische Tradition waren nicht ohne Grund der Meinung, dass beide Arten der I. wesentlich miteinander zusammenhängen bzw. dass das Problem der I. in der Veränderung ein spezielles Problem der I. der Verschiedenen überhaupt ist. Die entscheidende Frage in Bezug auf die I. bzw. auf die Wahrheit der

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Ideologie

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I.ssätze ist folgende: Muss man I. als eine Bestimmung des Wirklichen auffassen, die vollkommen eindeutig ist, die also jede Verschiedenheit ausschließt, oder kann man (bzw. muss man) sie als eine Bestimmung betrachten, die die Verschiedenheit nicht ausschließt, sondern zugleich mit ihr besteht? Diese Frage kann nur beantwortet werden, wenn man den Ursprung des Begriffs der I. klärt. Diesbezüglich ergeben sich aus unserem alltäglichen Umgang mit den »Dingen« (zu denen auch die Lebewesen und auch wir selbst gehören) zwei einander entgegengesetzte Standpunkte. Einmal ist ein Identisches das, was wie ein einziges Ding ungeteilt da ist und sich so von dem anderen unterscheidet. Zum anderen zeigt sich aber schon im einfachsten Lebewesen eine andere, die Verschiedenheit von innen her zusammenfassende und somit sie nicht ausschließende Art von I. Am deutlichsten zeigt sich dieser Sachverhalt in unseren geistigen Vollzügen bzw. in den interpersonalen Beziehungen. Den Begriff der I. haben wir nämlich ursprünglich nicht (wie es ein erster, aber oberflächlicher Eindruck nahelegt) aus der Beobachtung der materiellen Einzeldinge (in denen die I. der einander äußerlichen Teile eine sehr unvollkommene ist), sondern er ist ein apriorisches Datum unseres selbstbewussten 3 Ich, das, indem es (anlässlich seines Wissens um Anderes) um sich selbst weiß, sich (zunächst zwar unthematisch) als eine I. in 3 Differenz erfasst. Aus diesem im Selbstbewusstsein anwesenden Wissen um I. in Differenz folgt u. a. das Wissen um die räumliche und zeitliche I. in Differenz unserer leiblichen Person (und dadurch das Wissen um 3 Raum und 3 Zeit als solche bzw. auch um die Identifizierbarkeit der Personen und Dinge zu verschiedenen Zeiten). Wie sich hier zeigt, muss die I. als abstrakt eindeutige (und somit Verschiedenheit ausschließende) Bestimmung von jener I., die den Seienden nach dem Maße ihres Seinsgrades zukommt und als solche stets die I. des Verschiedenen ist, unterschieden werden. Jene ist der formalen 3 Logik, diese der 3 Metaphysik zuzuordnen. Wenn man I. als Seinsbestimmung versteht, d. h. als eine Bestimmung, welche dem Seienden als solchem zukommt und es somit stets innerlich betrifft, dann folgt daraus das sogenannte Leibniz-Prinzip (das »principium identitatis indiscernibilium«, das Prinzip des Ununterscheidbaren), nach welchem es ausgeschlossen ist, dass zwei »Seiende«, die in jeder Hinsicht identisch sind, numerisch verschieden seien. Das Prinzip sagt im Grunde nur aus: rein äußerliches Bestimmtsein ist eine Abstraktion. 3 Einheit. Aristoteles: Metaph. V, 9; X, 3; M Heidegger: I und Differenz. – H Berger: Op zoek naar identiteit, Nj / Ut 1968; W Beierwaltes: I und Differenz, F 1980; L Steinherr: Holismus, Existenz und I, St. Ottilien, 1995.

Weissmahr Identitätstheorie 3 Leib-Seele-Problem Ideologie bedeutet zunächst Wissenschaft von den 3 Ideen (Destutt de Tracy); doch schon durch F Bacons Lehre von den Idolen wird das falsche,

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Ideologie

durch gesellschaftliche Vorurteile getäuschte Bewusstsein und so der heute gebräuchliche I.begriff sachlich vorweggenommen. Die französischen Aufklärer lehrten, dass gesellschaftliche Bewusstseinstrübungen gezielt erzeugt und zur Sicherung von Herrschaft genutzt, mittels der Vernunft aber auch überwunden werden können. Weil die bürgerliche Klasse ihre objektiv bereits überfällig gewordene Herrschaft erhalten will, muss sie, wie K Marx erklärt, ihre partikulären Interessen als allgemeingültig ausgeben und kann deshalb nicht zur wahren Erkenntnis über sich selbst, wie sie sich in Philosophie, Recht, Politik u. a. äußert, gelangen; eine solche würde die Interessebedingtheit des eigenen Denkens enthüllen und den eigenen Machtanspruch relativieren. Ihre Denkerzeugnisse sind deshalb I.n. Sie kann deren gesellschaftliche Bedingtheit auch deshalb nicht erkennen, weil die Trennung von geistloser Arbeit und geistigem Schaffen dessen Vollzug als einen vom gesellschaftlichen Sein losgelösten Bereich erscheinen lässt. Der MarxismusLeninismus nennt jedes, auch das eigene, System von Anschauungen über die Gesellschaft I. Gedanken der Marx’schen Kritik wurden aufgenommen durch die Wissenssoziologie, die positivistische I.kritik und die dialektische Theorie der Gesellschaft. – I.verdacht geht über die Behauptung individuellen Fehlurteilens, bedingt durch die Leidenschaften, beschränkte Erfahrung usw., hinaus; er ist total, wo behauptet wird, eine objektive Beurteilung der eigenen gesellschaftlichen Verfasstheit und deren Aussage in Philosophie und Wertbewusstsein sei unmöglich. 3 Subjektivismus. Aufgabe einer I.kritik als Teil der 3 Erkenntnistheorie wäre es, die Abhängigkeit philosophischen Denkens von geschichtlich-gesellschaftlichen Gegebenheiten und seine mögliche Funktion als Rechtfertigung des nur faktisch Gegebenen zu untersuchen und so gerade die kritische Funktion der Philosophie gegenüber einer sich als vollendet (gerecht, frei) ausgebenden gesellschaftlichen Wirklichkeit zu sichern. Dass philosophische Erkenntnis den gesellschaftlichen Bedingungen verpflichtet ist, in denen sie vollzogen wird, ist nicht zu bestreiten; zugleich bleibt wahr, dass diese an Normen zu messen und auf sie hin zu verändern sind, die mit dem Faktischen noch nicht mitgegeben sind. H Kelsen: Aufsätze zur I.kritik, Neuwied 1964; T Geiger: I. und Wahrheit, Neuwied 2 1968; E Lemberg: I. und Gesellschaft, St 1971; H Barth: Wahrheit und I., F 1974; J Barion: Was ist I., Bn 3 1974; J Habermas: Technik und Wissenschaft als I., F 8 1976; K Lenk (Hg): I., I.kritik und Wissenssoziologie, F 9 1984; H-J Lieber: I., Pb 1985; P V Zima: I. und Theorie, Tü 1989; T Eagleton: I., St 1993; K Salamun (Hg): I.n und I.kritik, Da 1992; K Mannheim: I. und Utopie, F 8 1995.

Ehlen

Idole 3 Ideologie 3 Vorurteil Ignoratio elenchi 3 Fehlschluss Illation 3 Schluss Illokutionär 3 Sprechakt

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Illumination

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Illumination (lat. illuminatio: Erleuchtung) ist ein besonderer göttlicher Einfluss beim Zustandekommen menschlicher Erkenntnis. Wie es zum Sehen von Farben Licht braucht, so braucht es auch zum Einsehen bestimmter Erkenntnisinhalte ein geistiges Licht. Man kann verschiedene Varianten von I.s- bzw. Irradiationstheorien je nach dem unterscheiden, ob sie durch I. den Erwerb bestimmter Erkenntnisinhalte und/oder den epistemischen Status von Überzeugungen, etwa ihre volle Gewissheit bzw. Rechtfertigung, erklären. Inhalte, zu deren Erkenntnis es der I. bedarf, können sein: das Wesen der Dinge, apriorische Sätze, Regeln und auch die spezifisch christlichen Glaubensinhalte. Als Begründer der Illuminationstheorie gilt Augustinus, der auf platonische und neuplatonische Gedanken zurückgreift. Er will durch I. hauptsächlich verständlich machen, wie der vergängliche Mensch zu unveränderlichem, apriorischem Wissen gelangt. Nicht durch sinnliche Erfahrung, sondern durch I. erfasst er das unveränderliche Wesen der Dinge, die rationes aeternae, die im Geist Gottes sind. Weitergeführt und systematisiert wird die Theorie durch Robert Grosseteste, Alexander von Hales, vor allem Bonaventura und Heinrich von Gent, die aufgrund von I. die Gewissheit bestimmter Erkenntnisse erklären. Augustinus: 83 Fragen, 9 und 46, De Trinitate 9,6,10 und 4,16, De vera religione 49,96, In Ioan 35,3, Soliloquia 1,6,12; Bonaventura: De scientia Christi, 4. – M Grabmann: Der göttliche Grund menschlicher Wahrheitserkenntnis nach Augustinus und Thomas von Aquin, Ms 1924; É Gilson: Der heilige Bonaventura, Hellerau 1929; U Wienbruch: Erleuchtete Einsicht, Bn 1989.

Niederbacher Illusion 3 Schein Immanenz (lat. immanere: darin bleiben) Im allgemeinen, bildungssprachlichen Sinn gilt als immanent das, was innerhalb eines Bereichs (einer Grenze) bleibt, während das Transzendente einen bestimmten Bereich (eine Grenze) übersteigt. In der Geschichte des philosophischen I.begriffs zeichnen sich hauptsächlich zwei Bedeutungsfelder ab: ein metaphysisch-theologisches und ein erkenntnistheoretisches. In Fortführung der aristotelischen Differenzierung zwischen Handeln (z. B. Denken, Sehen) und Herstellen (z. B. Bauen) unterscheidet die Scholastik zwischen der actio immanens, bei der die Tätigkeit im Subjekt bleibt, und der actio transiens, bei der die Tätigkeit in das äußere (gestaltete) Material übergeht. Diese Unterscheidung überträgt die Scholastik auf Gott. Zu den immanenten Tätigkeiten Gottes gehören das innergöttliche Erkennen und Lieben, durch das sich die drei göttlichen Personen (Vater, Sohn, Geist) konstituieren. Transeunt hingegen ist die schöpferische Tätigkeit Gottes nach außen, die die Welt entstehen und bestehen lässt. Bezüglich der Trinität spricht die Scholastik auch von einer wechselseitigen I., insofern die gänzlich aufeinander bezogenen göttlichen Personen auch ganz ineinander sind und bleiben (gr. Perichorese).

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Imperativ

Spinoza sieht in Gott nicht – wie die christliche Tradition – die nach außen gehende (personale und transzendente) Ursache der Welt, sondern die immanente Ursache aller Dinge. Seinem Pantheismus gemäß ist Gott als »causa immanens« der Welt immanent. Demgegenüber versucht die christliche Theologie die dialektische Bestimmung des Verhältnisses von Gott zur Welt aufrechtzuerhalten: Gott ist der Welt sowohl immanent als auch transzendent. Während Gottes 3 Transzendenz vor allem seine absolute Weltüberlegenheit und seine Wesensverschiedenheit von der Welt beinhaltet, besagt seine I., dass er infolge seiner Allgegenwart die Welt durchdringt, infolge seiner schöpferischen Tätigkeit die Welt erhält und in ihr in allem mitwirkt und als Grund und als »Innerstes« der Welt allem innewohnt. Die erkenntnistheoretische Bedeutung der I. geht auf Kant zurück. Für ihn ist der Gebrauch der Verstandesbegriffe und der Vernunftideen als regulative Prinzipien immanent, da er sich ganz in den Schranken möglicher Erfahrung hält, also nicht auf die unerkennbaren (erfahrungstranszendenten) Dinge an sich geht. Fichte radikalisiert diese I., indem er auch das Ding an sich vom Ich gesetzt sein lässt. Hegel hinwiederum nimmt das Transzendieren in die I. auf, wenn er die Dialektik der Vernunft als »immanentes Hinausgehen« (über das Endliche) kennzeichnet. (Denn wer eine Grenze denke, habe sie auch schon überstiegen.) Einen Höhepunkt findet die Lehre von der Bewusstseinsi. in der I.philosophie Ende des 19. Jahrhunderts (W Schuppe, M R Kauffmann). Sie fasst die Wirklichkeit als reinen Bewusstseinsinhalt auf und identifiziert »wirklich sein« mit »bewusst sein« (vgl. den radikalen 3 Idealismus Berkeleys). Nach der Erfahrungsi., der zufolge sich das Erkennen auf den Umkreis möglicher Erfahrung beschränkt (Kant), und den verschiedenen Formen der Bewusstseinsi., der zufolge den Dingen (Gegenständen der Erkenntnis) kein vom (empirischen, transzendentalen oder allgemeinen) Bewusstsein unabhängiges An-sich-Sein zukommt (3 Deutscher Idealismus 3 Phänomenologie), tritt seit dem linguistic turn die Sprachi. in den Vordergrund. Tatsachen gelten beispielsweise insoweit als sprachimmanent, als sie genau das sind, was wahre Aussagen darstellen. M R Kauffmann: Immanente Philosophie, Bd. 1, L 1893; H Springhorn: I. Gottes und Transzendenz der Welt, HH 2001.

Herzgsell Immaterialität 3 Geist Imperativ ist zunächst einmal die grammatische Bezeichnung für die Befehlsform des Verbs. Kant verwendet diesen Terminus dann in seiner Moralphilosophie für die sprachliche Formulierung eines objektiven Prinzips, das »für einen Willen nötigend ist« (Grundlegung, AA IV, 413), also ein Vernunftgebot ist. Alle I.e drücken ein Sollen aus und gründen in der Vernunft, weshalb das von einem I. Gebotene praktisch gut ist. Kant unterscheidet dann

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Imperativ, kategorischer

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die I.e in hypothetische I.e (3 hypothetisch) und den kategorischen I.: 3 kategorisch 3 Imperativ, kategorischer. I Kant: Grundlegung; KpV.

Schöndorf

Imperativ, kategorischer Diese Redewendung, in der ein Terminus aus der Logik mit einem aus der Grammatik verbunden ist, ist eine Schöpfung Kants. Seine zentrale Rolle zeigt, dass die Ethik Kants zum Typ der »Normenethik« oder »Gesetzesethik« gehört, im Unterschied zu den »Ethiken vom guten Leben«. Die Hauptstelle, an der die verschiedenen Arten von I.en definiert werden, findet sich im zweiten Abschnitt der »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«. Ein I. formuliert ein Gesetz der Vernunft, d. h. ein objektives Prinzip, das für einen Willen, der nicht schon seiner Beschaffenheit nach mit der Vernunft gemäß ist, nötigend, also ein Sollen, ist. Er kann entweder hypothetisch oder kategorisch gebieten je nach dem, ob er eine Handlung als Mittel zu etwas anderem oder für sich selbst gebietet. Das Besondere an der kantischen Konzeption ist, dass eine Handlung nur dann unbedingt geboten werden kann, wenn ihr Gegenstand nicht als Bestimmungsgrund des Willens wirkt. Die Erklärung dafür liegt darin, dass nach Kant alle praktischen Prinzipien, bei denen die Materie (das Objekt) als Bestimmungsgrund des Wollens fungiert, durch die vom Gegenstand zu erwartende Lust motiviert sind. Dem Formalismus Kants liegt das Dilemma zugrunde: Bestimmungsgrund des Willens ist entweder das Objekt als angenehm oder aber die rein formale Qualifikation der praktischen Regel im Sinne einer Verpflichtung zur Allgemeinheit der Handlung. Ein solches Dilemma ist nun unvollständig; denn »datur tertium«, nämlich die Bestimmung des Willens durch das Objekt als sittlich gut. Vom k. I. hat Kant mehrere Formeln vorgelegt, die er auf drei Arten zurückgeführt hat. Die erste lautet: »Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde« (A 52). Unter Maxime versteht Kant »das subjektive Prinzip zu handeln«, während das Gesetz bzw. der k. I. das objektive Prinzip ist, nach dem das Subjekt handeln soll. Nach welchem Kriterium kann jemand entscheiden, ob seine zunächst subjektive Handlungsweise ein allgemeines Gesetz werden kann? Die Antwort kann nur vom Objekt her gegeben werden: Eine Verhaltensweise ist sittlich gut und lässt sich deshalb (!) verallgemeinern, wenn sie dem Menschen in der Totalität seines Wesens und in der konkreten Situation zugute kommt. Der Mensch ist also objektive Norm der Moralität. Die Form der Allgemeinheit ist zwar notwendige Bedingung einer sittlichen Norm (denn der Individualität als solcher darf keine Sonderstellung eingeräumt werden), aber keine zureichende. Die zweite Formel des k. I.s: »Handle so, dass du die die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel

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Implikation

brauchst.« fügt etwas wesentlich Neues hinzu, das aus der ersten Formel nicht ableitbar ist, der gegenteiligen Selbstinterpretation Kants zum Trotz. Die Anerkennung des Menschen als Zwecks an sich selbst ermöglicht eine normative Ethik, d. h. eine Pflichtenlehre zu begründen, wie Kant es in der späteren »Metaphysik der Sitten« getan hat. Dort wird das Prinzip der Allgemeinheit umformuliert: »Handle nach einer Maxime der Zwecke, die zu haben für jedermann ein allgemeines Gesetz sein kann« (Einleitung zur Tugendlehre, IX). Die dritte Formel ist die der Autonomie, insofern der Wille jedes vernünftigen Wesens für allgemein gesetzgebend gehalten wird. Damit verweist Kant auf die Erfahrung der Verpflichtung als von unserem Gewissen stammend. Es drängt sich aber die Frage auf, ob eine absolute Verpflichtung nicht einen absoluten Gesetzgeber verlangt. I Kant: KpV; Grundlegung zur Metaphysik der Sitten; Metaphysik der Sitten. – H J Paton: Der k. I., B 1962; G Sala: Kants Kritik der praktischen Vernunft, Da 2004.

Sala Impetus 3 Bewegung Implikation (lat. implicare: zusammenflechten) hat mit allen Verhältnissen zu tun, die durch »wenn p, dann q« ausgedrückt werden. Die materielle (philonische) I. zwischen zwei 3 Aussagen ist stets 3 wahr, ausgenommen wenn p wahr und q falsch ist. Eine formale I. besteht zwischen 3 Begriffen, wenn das, was unter den ersten fällt, auch unter den zweiten fällt. Eine kontrafaktische I. wird ausgedrückt durch den Konjunktiv: »wenn p wäre, so wäre q« (z. B. »Wenn es geregnet hätte, wäre die Straße nass.«) In einer strengen I. (engl. p entails q) folgt q notwendig aus p, d. h. es ist notwendig, dass falls p wahr ist, auch q wahr ist. In diesen Fällen spricht man von hypothetischen Aussagen. Auch eine logische Folgerung, die durch »aus p folgt (logisch) q« bzw. »p impliziert q« ausgedrückt wird, kann »I.« heißen. Bei einer kontextuellen I. hat ein Sprechhandeln 3 pragmatische Voraussetzungen, die von diesem Sprechhandeln impliziert (engl. implicature) sind, so wie z. B. das Behaupten die Überzeugung voraussetzt, dass es wahre Aussagen gibt. Carls Implizit 3 Analyse Imputabilität 3 Verantwortung Indefinit 3 Unendlichkeit Indeterminismus 3 Determinismus Indexikalisch / Indikator Während die ältere Philosophie ein 3 Individuum meist objektivierend als Diesda (Aristoteles: tóde ti) behandelte oder ihm eine Diesheit (Scotus: haecceitas) als Individualform zuschrieb, betonte man in der sprachanalytisch orientierten Philosophie die radikale Kontextbezo-

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Individualismus

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genheit allen Redens (3 Pragmatik) über das Individuelle, welches in den sogenannten Indikatoren (Zeigwörtern) – bzw. indexical signs (Peirce), egocentric particulars (Russell) oder token-reflexive words (Reichenbach) – zum Ausdruck kommt, zu denen die Demonstrativpronomen, Personalpronomen wie »3 ich«, »du«, »wir«, Zeit- und Ortsadverbien wie »jetzt«, »da«, »hier«, »dort« gehören sowie tempusdifferenzierende Endungen und Umlautungen bei Verben. Diese können zusammen mit anderen komplexen Ausdrücken wie »heute«, »vorgestern«, »in fünf Stunden«, »letztes Jahr«, »rechts von«, »mein Vater«, »dieses Pferd« usw. und mit allen Sätzen, die mit ihrer Hilfe gebildet sind, als indexikalisch (i.) charakterisiert werden (lat. index: Anzeiger, Zeigefinger). I.e Ausdrucksformen zeichnen sich dadurch aus, dass das durch sie Bezeichnete (engl. denotation) bzw. ihr Wahrheitswert je nach Redner, Redesituation bzw. Redeverhalten verschieden sein kann, während ihr 3 begrifflich fassbarer 3 Sinn (engl. connotation) der gleiche ist (3 Zeichen). Der bloße Sinn von »ich« bzw. »jetzt«, womit der Sprecher bzw. der Zeitpunkt einer Äußerung gemeint ist, genügt nicht, um den Kontext einer Äußerung festzulegen. Wenn der Redende, der »ich« von sich sagt, und der Kontext der i.en Äußerung unbekannt sind, kann der Inhalt der Äußerung, z. B. durch ein »dies« (Russell, Reichenbach), dieses nicht eindeutig festlegen und begrifflich objektivieren. Ausdrücke, die ein 3 konkretes Individuum bezeichnen, wie 3 Namen und Kennzeichnungen, scheinen letztlich i. zu sein, da bei einer eindeutigen Festlegung des Bezeichneten letztlich auf den Redenden und den Redekontext Bezug genommen werden muss. Das hat zur Folge, dass alle singulären 3 Sätze und 3 Aussagen über konkretes Einzelnes i. sind und deshalb letztlich sprecher- und situationsbezogen verstanden werden müssen. Außerdem scheint in den i.en Sprachformen eine Besonderheit des menschlichen 3 Selbstbewusstseins zum Ausdruck zu kommen. C S Peirce: Collected Papers, Bd. 2, Cambridge MA 1931; B Russell: An Inquiry into Meaning and Truth, Lo 1940; H Reichenbach: Elements of Symbolic Logic, NY 1947, § 50. – Y Bar-Hillel: Indexical Expressions, Mind 63(1954), 359– 376; W Kamlah / P Lorenzen: Logische Propädeutik, 2 1967, 110–115; J Perry: The Problem of the Essential Indexical and Other Essays, NY 1993; P Yourgrau (Hg): Demonstratives, O 1990; M Frank (Hg): Analytische Theorien des Selbstbewußtseins, Frankfurt 1994; J Almog / J Perry / H Wettstein (Hg): Themes From Kaplan, NY 1989.

Carls Indifferenz 3 Ethik Individualismus Der I. geht von einem Vorrang des 3 Individuums gegenüber dem 3 sozialen Ganzen aus. So wenig sich die Eigenverantwortlichkeit und Unvertretbarkeit des Individuums leugnen lässt, so wenig ist freilich auch dessen Angewiesenheit auf überindividuelle Vorgegebenheiten zu bestreiten. Insofern ist ein radikaler I. ebenso kontraintuitiv wie ein radikaler

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Individuum

3 Kollektivismus. Gleichwohl ist der I. als Existenzhabitus in Zeiten der ReIndividualisierung (Zimmerli) nicht ohne Resonanz. Davon zu unterscheiden ist der methodologische I. der 3 Sozialwissenschaften, der besagt, dass sich soziale Makrophänomene nur im Rückgriff auf das 3 Verhalten von Individuen und ihre gegenseitigen Beziehungen erklären lassen. H Hastedt: Der Wert des Einzelnen, F 1998.

Ollig

Individuum (lat.) bedeutet ebenso wie das gr. átomon (Atom) das Unteilbare und wird zur Bezeichnung des konkret existierenden Einzelwesens verwendet. Die Individualität ist eine Weise der 3 Einheit. In der Natur finden sich Individuen im Allgemeinen noch nicht beim Leblosen, sondern erst bei den Lebewesen. Das eigentlich Individuelle kann nicht begrifflich ausgedrückt werden, weil es nichts Allgemeines ist: »I. est ineffabile«: Das I. (d. h. was die Individualität ausmacht) ist unaussprechlich. In der 3 Scholastik wurde vor allem die Frage nach dem Individuationsprinzip diskutiert. Da die Materie das Prinzip der raumzeitlichen Unterschiede ist, die nur für das jeweilige I., nicht aber für die betreffende Klasse gelten, wurde oft in der Materie das Individualitätsprinzip gesehen, was aber für die Individualität einer 3 Person keine zureichende Erklärung ist. Vom 3 Nominalismus stammt die These, die Existenz als solche bewirke die Individuation und wir hätten eine direkte geistige Erkenntnis des I.s, während Thomas v Aquin nur eine indirekte geistige Erkenntnis des I.s annimmt. Sinnliche Vorstellungen sind perspektivisch und insofern bei aller Ähnlichkeit individuell verschieden, während es zum Wesen begrifflicher und mathematischer Erkenntnis gehört, allgemein und darum auch mitteilbar zu sein. Die Neuzeit will alles von atomar-individuellen Bausteinen her erklären. So wird der Mensch seit Hobbes und Locke nicht mehr als von Natur aus gesellschaftliches Wesen angesehen, sondern im »Naturzustand« als I. erachtet (wenn auch nicht mit dieser Terminologie), das in Feindschaft mit den anderen lebt, weshalb die Vergesellschaftung erst begründet werden muss. Die europäische Geistesgeschichte hat in zunehmendem Maß die persönliche Freiheit des I.s verteidigt, was natürlich zu einem übersteigerten 3 Individualismus führen kann. Dahinter steht die Erfahrung des Gewissens und der persönlichen religiösen Berufung. Für Leibniz gilt das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren (principium identitatis indiscernibilium): Zwischen verschiedenen Individuen kann es nie eine nur quantitative (d. h. bloß numerische, raumzeitliche) Unterscheidung geben, sondern diese muss immer auch qualitativ sein. T Litt: I. und Gemeinschaft. L 3 1926; O v Nell-Breuning: Einzelmensch und Gesellschaft, Hd 2 1962; M Sperber: I. und Gemeinschaft, M 1987; L Bayerl: Individualität und Individuation im deutschen Idealismus, Essen 1988; C Riedel:

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Induktion

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Subjekt und I., Da 1989; G Boehm (Hg): I., St 1994; A J Gurjewitsch: Das I. im europäischen Mittelalter, M 1994; G M Cazzaniga (Hg): L’individu dans la pensée moderne, Pisa 1995.; J A Aertsen (Hg): I. und Individualität im Mittelalter, B 1996.

Schöndorf Induktion ist im Gegensatz zur 3 Deduktion die 3 Methode, mit der man vom Individuellen oder weniger 3 Allgemeinen zum Allgemeineren gelangt. Eine Form der I. (gr. epagogé) führt durch 3 Analyse eines 3 konkreten 3 Ganzen zu dessen begrifflichen 3 Teilen, z. B. den sogenannten »natürlichen 3 Arten« (engl. natural kinds), den Gattungen und 3 Eigenschaften des Einzelnen. In der für empirische 3 Wissenschaften unentbehrlichen eigentlichen I. gewinnt man aus gleichartigen Einzelfällen der 3 Erfahrung ein 3 Naturgesetz, welches als Allaussage für alle Fälle überhaupt gelten soll (Aristoteles). – Problematisch ist dabei, dass I. nicht nur eine Verallgemeinerung exemplarischer Fälle sein soll, sondern eine Begründung der 3 Geltung von Naturgesetzen. Dabei ist die sogenannte vollständige I. unproblematisch, d. h. die Zusammenfassung der Beobachtung aller Fälle in begrenzten Bereichen. Unproblematisch ist auch die deduktive 3 mathematische I., nach der alle natürlichen Zahlen eine Eigenschaft F haben, wenn die Zahl 1 die Eigenschaft F hat und wenn zusammen mit jeder beliebigen Zahl n auch ihre Nachfolgerin n+1 die Eigenschaft F hat. Das Problem der unvollständigen I. besteht darin, dass man logisch nicht von (verhältnismäßig) wenigen gleichartigen Fällen auf die Gleichartigkeit aller Fälle schließen kann. Auch wenn man mit Experimenten durch künstliche Wiederholung die Gleichartigkeit weiterer Einzelfälle unter variierten Bedingungen bestätigt, ist die Gleichartigkeit aller Fälle nicht aufgezeigt. Man kann nicht einmal den objektiven Wahrscheinlichkeitsgrad einer empirischen Allaussage feststellen, da das Verhältnis der für die Bestätigung günstigen zu allen möglichen Fällen für gewöhnlich unbekannt ist. Die Geltung der I. kann nur gerechtfertigt werden, wenn man ein anderes ebenso problematisches 3 Prinzip voraussetzt, etwa das der Gleichförmigkeit der 3 Natur. Die moderne Infragestellung von Newtons Physik hat das I.sproblem erneut aktualisiert. Es hat sich gezeigt, dass »induktive 3 Beweise« nicht wahrscheinlichkeitstheoretisch in einer induktiven Logik erstellt werden können, wenn eine 3 Gewissheit durch 3 Verifikation der induktiv gewonnenen Allaussagen erreicht werden soll. Allaussagen können jedoch als 3 Hypothesen gelten, deren Wahrscheinlichkeitsgrad verstärkt oder deren mögliche Falschheit immer mehr eliminiert wird, wenn die aus ihnen ableitbaren logischen Folgerungen erfahrungsmäßig bestätigt werden (hypothetisch-deduktive Methode). Aber da auch aus falschen Hypothesen Wahres abgeleitet werden kann, ergibt selbst diese Methode keine sicheren Resultate.

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Information

Aristoteles: Topik I; An. pr. II,23–24; An. post I,1–4.18; II,19; F Bacon: Novum Organum; J S Mill: A System of Logic, Ratiocinative and Inductive, Lo 1843. – G H v Wright: The Logical Problem of Induction, O 1941; J O Wisdom: Foundations of Inference in Natural Science, Lo 1952; R Carnap / W Stegmüller: Induktive Logik und Wahrscheinlichkeit, W 1959; J J Katz: The Problem of Induction and its Solution, Lo 1962; K v Fritz: Die Epagogé bei Aristoteles, M 1964; W K Essler: Induktive Logik, Fr 1970; L J Cohen: The Implications of Induction, Lo 1973; N Rescher: Induction, O 1980; H Kornblith: Inductive Inference and its Natural Ground, C 1992.

Carls Inferenz 3 Schluss Infinit 3 Unendlichkeit Information wird umgangssprachlich oft mit Wissen gleichgesetzt: Über etwas Bescheid wissen heißt »informiert sein«. Auf der epistemologischen Skala bilden jedoch Zeichen die Basis. Durch Zuordnung zu einem Code (z. B. Alphabet) werden aus Zeichen Daten. In einen Bedeutungskontext gestellte Daten lassen sich als I.en verstehen. Durch Vernetzung von I.en entsteht Wissen; Wissen ist freilich auch die Voraussetzung dafür, um etwas als I.en begreifen zu können. I.en werden dabei nicht nur aus gesicherten oder plausiblen Aussagen generiert, sondern auch aus Annahmen, Vermutungen und Meinungen, ja auch aus falschen Aussagen. Ein notwendiges qualitatives Element von I. ist ihre Neuheit. Was man schon weiß, ist keine I. Die Neuheit macht den nötigen Mehrwert aus, dazu meist auch die Handlungsrelevanz einer I.: Nachrichten sind (aktuelle) I.en, nach denen man sich richtet, die der Kommunikator und/oder der Rezipient für nützlich halten. Für die Nachrichtentechnik ist der I.sgehalt eine statistische Maßzahl, die in Binärziffern (binary digits, abgekürzt bits) angibt, wie viel die im Kommunikationsprozess vorhandene Ungewissheit durch eine Nachricht beseitigt wird. Bei der Selektion von Nachrichten durch die Journalisten (als Schleusenwärter oder Gatekeeper) sind – vor dem Hintergrund schon eingeführter Themen (Agenda Setting) – etwa zehn Aufmerksamkeitswerte im Spiel: Dramatik/Schaden, kulturelle und/oder räumliche Nähe, Prominenz u. ä. Diese Nachrichtenwerte lassen sich aus der Neugierde des Menschen verstehen und sind daher interkulturell gültig. C E Shannon / W Weaver: The Mathematical Theory of Communication, Urbana, Ill. 1949; W Schulz: Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien, F 1976; O B Roegele: Neugier als Last und Tugend, Z 1982; H Krcmar: I.smanagement, B 1996.

Funiok

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Informationsverarbeitung

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Informationsverarbeitung Der Begriff I. hat in neuester Zeit eine große Bedeutung gewonnen und den der 3 Kybernetik weitgehend abgelöst. Diese Entwicklung ist vom Aufkommen der technischen I. (Computer) befruchtet, sowie durch die physikalischen Theorien der Quanteninformation. Die Informationstheorie hat ihren Ursprung in der Formalisierung technischer Probleme der Optimierung von Signalübertragung in Anwesenheit von Störsignalen. C Shannon gelang eine sinnvolle Definition des Informationsgehalts eines Signals. Bezogen auf ein Zeichen (z. B. einen Buchstaben) in einem Signal ist die Shannon-Information, die dieses Zeichen trägt, umso größer, je weniger wahrscheinlich dieses Zeichen in der Zeichenkette vorkommt. Formal ist das Maß dafür der negative Logarithmus (zur Basis 2) der Wahrscheinlichkeit dieses Buchstabens, mit der Einheit »bit«. Bei einer einzelnen Übermittlung einer Ja/Nein-Information mit gleichwahrscheinlichen Zuständen für Ja und Nein ist das 1 bit. Ein triviales informationsverarbeitendes System ordnet bestimmten Eingabe-Informationen immer dieselben Ausgabe-Informationen zu. Die mögliche Komplexität eines solchen Systems ist sehr begrenzt. Nicht-triviale Systeme reagieren auf Eingabe-Informationen gemäß ihrem inneren Zustand, der von den vorherigen Eingabe- und Ausgabe-Informationen abhängt. Der Vorgang des Lernens entspricht einer Veränderung des inneren Zustands des Systems. Die Komplexität eines solchen Systems lässt sich mathematisch beschreiben und kann schon bei sehr einfachen Eingabe- und Ausgabe-Möglichkeiten so groß werden, dass es sich jeder Berechenbarkeit entzieht. Die praktische Grundlage der I. sind Algorithmen. Die moderne Definition von Algorithmen identifiziert diese mit den Problemen, die eine »TuringMaschine«, ein idealer Computer mit endlichem Speicherplatz, lösen kann. Komplexe Algorithmen haben keinen einfachen linearen Ablauf. Sie enthalten bedingte Verzweigungen, Schleifen oder Rekursionen. Wenn Schleifen oder rekursive Aufrufe auftreten, muss dafür gesorgt werden, dass der Algorithmus für beliebige Eingabeparameter zu einem Ende kommt (Halteproblem). Ob dies der Fall ist, kann selbst nicht algorithmisch entschieden werden. In jüngster Zeit gewinnen in der Computertechnik parallele Algorithmen an Bedeutung, die eine Berechnung in viele Teilprobleme aufspalten, die parallel verarbeitet werden können. Eine extreme Form der Parallelverarbeitung geschieht in neuronalen Netzen, die der Funktionsweise des Gehirns nachgebildet sind. Diese eignen sich besonders für Probleme der Mustererkennung. Der Nachbildung von Gehirnstrukturen in Computern oder Computerprogrammen entspricht umgekehrt, dass der menschliche Geist nach dem Schema eines nicht-trivialen informationsverarbeitenden Systems verstanden wird. Ein solches Verständnis von Geist ist eine objektivierende Betrachtung, die von der Innenerfahrung (Erleben, Freiheit, Subjekt-Erfahrung) abs-

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Instinkt

trahiert. Als eine Perspektive zur Analyse von Geist als Funktion des Gehirns ist dieser Standpunkt fruchtbar. Die Reduktion von Geist auf I. ist hingegen eine populäre moderne Spielart des Naturalismus. Sie wird durch physikalische Auffassungen gestützt, die Information substantialisieren (Begriffe wie »Informationserhaltung«) und diese (anknüpfend an Interpretationen der Quantentheorie) als grundlegende Größe im Aufbau der Physik einführen, der Materie vorgeordnet. Vom philosophischen Standpunkt aus gesehen ist I. immer I. für ein Subjekt, womit der Subjektbegriff dem der I. vorgeordnet ist. Die einseitige Perspektive des mathematisch-technischen Informationsbegriffs zeigt sich darin, dass dieser vom Sinn und der Bedeutung von Information vollständig absieht. C E Shannon / W Weaver: Mathematische Grundlagen der Informationstheorie, M 1976; R Johanneson: Informationstheorie, M 1992; H Lyre: Informationstheorie, M 2002.

Bauberger Inhalt 3 Begriff 3 Form 3 Materie Inhärenz 3 Substanz/Akzidens Instinkt (lat. instinctus: Antrieb) bezeichnet eine angeborene, arttypische Verhaltens- und Bewegungsweise, die durch die Reaktionsbereitschaft auf einen Schlüsselreiz (Signal) ausgelöst wird und in Form einer geordneten Folge von Erbkoordinationen (I.bewegung) zielgerichtet der Lebens- und Arterhaltung dient. Im Gegensatz zum weniger komplexen Reflex wird infolge eines endogenen »Staus« die Reizsituation angestrebt (Appetenzverhalten) und die Handlungsbereitschaft (Motivation) erhöht (Bewegungsunruhe, Schwellenerniedrigung, Leerlaufaktivität). Beim Eintreten der exogenen Reizkombination (Schlüsselreiz) wird der angeborene Auslösemechanismus (AAM) aktiviert (Erkennen der relevanten Umweltsituation) und je nach Reizstärke und innerer Bereitschaft kann nun die gesetzmäßige Abfolge an phylogenetisch programmierten, erbkoordinierten Bewegungen von der Intentionsbewegung bis hin zur Endhandlung ablaufen. Die funktionelle Einheit dieser Vorgänge wird mit I.handlung bzw. »arteigene Triebhandlung« (Heinroth) bezeichnet. K Lorenz: Über tierisches und menschliches Verhalten, M 1965; Vergleichende Verhaltensforschung, W 1978; K Lorenz / P Leyhausen: Antriebe tierischen und menschlichen Verhaltens, M 1968; N Tinbergen: I.lehre, B 5 1972.

Kummer-Eichler Institution I.en sind öffentlich anerkannte Ordnungen, welche dem gesellschaftlichen Leben Handlungsrahmen vorgeben, Autonomie schützen, sozialen Beziehungen Dauer verleihen und die wirkungsvolle Zusammenarbeit und Ausnützung immer begrenzten Wissens ermöglichen. I.en verringern als Regelwerk die Last ständiger Entscheidung. Auf die »Moralität«, der es

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Intellektualismus

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auf die Absicht und innere Einstellung ankommt, lässt G W F Hegel die »Sittlichkeit« als die Sphäre der I.en folgen; sie befreien das Handeln der Einzelnen aus Einseitigkeit und Willkür, entbinden jedoch nicht von moralischer Besserung. Während sich für M Hauriou in den wichtigen I.en jeweils eine tragende Idee verkörpert, kommt für A Gehlen den I.en die Rolle zu, dem im Vergleich zum Tier mangelhaft ausgestatteten Menschen die lebensnotwendigen Kompensationen zu verschaffen, es zu entlasten und zu disziplinieren. Dass I.en ebenso integrieren wie sie ausschließen, erkannte M Weber. Eine Ethik der I.en hat zu beachten, dass der Mensch sie erzeugt, für sie verantwortlich ist und sich ihnen daher nie restlos ausliefern darf. I.en sind – mangels Gewissen – keine Verantwortungssubjekte, wohl aber zurechenbare Verantwortungsträger und Verantwortungsobjekte. M Weber: Macht, Herrschaft; M Hauriou: Die Theorie der I., B 1965; H Schelsky (Hg): Zur Theorie der I., Dü 1970; F Basaglia: Die negierte I. oder die Gemeinschaft der Ausgeschlossenen, F 2 1973; A Gehlen: Urmensch und Spätkultur, Wi 4 1977; Der Mensch, Wi 2 1978; C Hubig (Hg): Ethik i.ellen Handelns, F 1992; W Kasper / M Streit: I.al Economics, Cheltenham 1998.

Brieskorn Instrumentalismus 3 [358] Intellekt 3 Vernunft 3 Verstand Intellektualismus (lat. intellectus: Intellekt, Verstand, Vernunft) ist eine Bezeichnung für verschiedene Positionen, welche dem Intellekt unter irgendeiner Rücksicht Vorrang zuschreiben, z. B. vor der Sinneswahrnehmung, den Gefühlen, hauptsächlich aber vor dem Willen. Als I. kann bezeichnet werden (1) eine Ansicht über moralische Tatsachen und deren Erkenntnis, die im Unterschied zum 3 Voluntarismus besagt, dass der Mensch oder auch Gott mit dem Intellekt eine feststehende vorgegebene moralische Ordnung, die Idee des Guten, erfasst; (2) eine Ansicht über moralische Motivation, wie sie Sokrates zugeschrieben wird, wonach die Erkenntnis des Guten hinreicht, um moralisch gut zu handeln; (3) die Ansicht, dass das Glück des Menschen in einer Tätigkeit des Intellekts besteht, etwa in der Schau Gottes (3 Thomismus); (4) die metaphysische Position, wonach die Welt Setzung des göttlichen oder menschlichen Intellekts ist (3 Idealismus). Platon: Protagoras; T v Aquin: STh I, II 3,8. – F Bartolone: Socrate, Milano 2 1999. P Rousselot: L’intellectualisme de Saint Thomas, P 2 1924.

Niederbacher Intellektuelle Anschauung 3 Deutscher Idealismus 3 Transzendentalphilosophie Intelligenz, künstliche ist eine etwas unglückliche Übersetzung des englischen Ausdrucks artificial intelligence. Denn das englische Wort intelligence

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Intelligenz, künstliche

meint nicht nur I., sondern auch ganz allgemein jede Art von Informationsbeschaffung und -verarbeitung, wie bspw. die Bezeichnung des US-Geheimdienstes CIA (Central Intelligence Agency) zeigt. Unter artificial intelligence ist also nicht k. I., sondern k. 3 Informationsverarbeitung zu verstehen. Der Ausdruck I. hat aber – auch im englischen Sprachraum – dazu geführt, hiermit die Frage zu verknüpfen, ob und inwieweit künstlich hergestellte Maschinen Bewusstsein haben und denken können wie Menschen. Dies hängt damit zusammen, dass schon mechanische und erst recht elektronische Rechenmaschinen (Computer) viele mathematisierbare Operationen wesentlich schneller und zuverlässiger vornehmen können als der Mensch. Dies ist freilich schon seit langem bekannt. Bereits in der frühen Neuzeit stellte man sich die Frage, ob und wie man einen Menschen von einer automatischen Puppe unterscheiden kann. Die von Descartes im 5. Teil seines Discours angegebenen Kriterien hierfür sind auch heute noch aktuell: Eine Maschine kann zwar so konstruiert sein, dass sie auf bestimmte Reize oder Eingaben entsprechende Antworten gibt, aber sie kann nicht Worte so kombinieren, dass sie auf beliebige Worte anderer sinnvoll antwortet. Ferner kann eine Maschine bestimmte Vorgänge womöglich besser verrichten als ein Mensch, aber sie ist in vielen Fällen hierzu nicht fähig, während die Vernunft ein Universalinstrument ist. Daraus, dass Operationen, die letzten Endes auf Rechenvorgängen beruhen, Maschinen übertragen werden können, folgt nicht, dass es in der Materie Bewusstsein gäbe oder alles Materielle beseelt wäre. Vielmehr zeigt die Tatsache, dass die Naturgesetze mathematisch formulierbar sind, dass die Materie selbst eine mathematische Struktur besitzt. Auf Grund dieser Struktur lassen sich darum auch Maschinen herstellen, die mathematische Operationen ausführen, jedoch nur unter der Bedingung, dass sie von Menschen konstruiert und von Menschen entsprechend programmiert werden. Die Natur produziert keine Computer und zeigt schon allein dadurch den Wesensunterschied von einem Lebewesen und einer Maschine. R Descartes: Discours, 5. Teil, AT VI 56 f. – W Sesink: Menschliche und k. I., St 1993; W d’Avis: Können Computer denken?, F 1994; S Krämer: Geist, Gehirn, k. I., B 1994; W C Zimmerli (Hg): K. I., St 1994; A Laux (Hg): Knowledge and belief in philosophy and artificial intelligence, B 1995; K Mainzer: Computer, B 1995; H J Schneider (Hg): Metapher, Kognition, k. I., M 1996; P-A Holzer: Das Verhältnis von k.r I. und Intentionalität, B 1998; K Becker: Philosophische Diskussion der k.n I. und des k.n Bewußtseins, F 2004; B Irrgang: Posthumanes Menschsein?, St 2005; W Achtner (Hg): K. I. und menschliche Person, Mr 2006; G Ewald: Gehirn, Seele und Computer, Da 2006.

Schöndorf Intelligibile in sensibili 3 Abstraktion Intelligible Welt, Charakter 3 Transzendentalphilosophie Intension 3 Begriff Intensionale Logik 3 Logik

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Intensität

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Intensität bedeutet die Stärke von etwas, was nicht durch Zusammensetzung von Einheiten gemessen werden kann, sondern auf einmal als Ganzes stärker oder schwächer ist und darum einen bestimmten Grad hat. Dies trifft für alle 3 Sinnesqualitäten zu, aber auch für andere psychische Gegebenheiten wie Gefühle und Stimmungen. Die I. ist die Größe der 3 Qualität. Eine exakte Messung der I. ist auf direktem Weg nicht möglich, sondern nur mit Hilfe korrespondierender quantitativer Größen. I Kant: KrV B 207–218. – A Maier: Das Problem der intensiven Größe in der Scholastik, L 1939; M-L Raters-Mohr: I. und Widerstand, Bn 1994.

Schöndorf Intentio obliqua, recta 3 Reflexion Intention 3 Absicht 3 Reflexion Intention, erste, zweite 3 Reflexion Intentional / Intentionalität Das Wort I. ist aufgrund seiner sprachlichen Herkunft mit dem der Intention (3 Absicht) verwandt, bezeichnet aber im Unterschied dazu die ganz allgemein für Bewusstseinsakte charakteristische Gegenstandsbezogenheit, ihre Ausrichtung auf einen bestimmten Inhalt. Demnach gibt es keine Erkenntnis- und Strebeakte (Wahrnehmungen, Vorstellungen, Urteile, Begierden, Liebe, Hass …), die sich nicht auf etwas (ein Objekt, einen Sachverhalt, einen intentionalen Gehalt) richten bzw. beziehen. I. gilt als wesentliches Unterscheidungsmerkmal des Geistigen (bzw. Psychischen) vom Materiellen (bzw. Physischen). Die intensive zeitgenössische Debatte darüber in der Philosophie des Geistes geht auf Franz von Brentano zurück, der den Begriff der I. – in Anknüpfung an antike und mittelalterliche Philosophen – in seiner heutigen Bedeutung prägte, um die Eigenständigkeit der Psychologie gegen den Versuch ihrer naturalistischen Reduktion zu verteidigen. Husserl hat ihn weiterentwickelt und zum Leitbegriff der Phänomenologie erhoben. Sprachlich manifestiert sich I. in mentalen Verben, die propositionale 3 Einstellungen zum Ausdruck bringen, wie z. B. ›x glaubt, dass p‹. Das ist der Ansatzpunkt dafür, dass man die erkenntnistheoretischen und ontologischen Probleme, die das Phänomen der I. aufwirft, auch auf sprachanalytischem Weg expliziert und zu lösen versucht. F Brentano: Psychologie vom empirischen Standpunkt; E Husserl: Logische Untersuchungen; B Russell: The Analysis of Mind, Lo 1921. – A Anzenbacher: Die I. bei T v Aquin und E Husserl, M 1972; E Zalta: Intensional Logic and Metaphysics of Intentionality, C Mass. 1988; J Searle: I., F 1996.

Trampota Interesse ist ein sehr vielfältig verwendetes Wort. Als vernunftbegabt ist der Mensch wesentlich ein interessiertes Wesen. In der spanischen Spiritualität gewann I. als Gegensatz zu Tugend und Gottesliebe die Bedeutung von »Selbstsucht«, »Selbstbezogenheit«. In der englischen und französischen

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Interpretation

Aufklärung wird I. als »wohlverstandener Eigennutz« als hauptsächlicher naturgegebener Stimulans angesehen. Die konkurrierenden partikulären I.n (begehrende Selbstliebe) sind für das Zusammenleben (Verwirklichung des Gemeinwohls) unentbehrlich (Smith, Helvétius). Kant bringt I. und 3 Vernunft in einen inneren Zusammenhang: Das »I. der Vernunft« ist als spekulatives und praktisches wirksam. Das spekulative I. lässt die Vernunft die Erkenntnisse zu einer »systematischen Einheit« verbinden; zu ihrem I. gehört es, die Antinomien der transzendentalen Dialektik aufzulösen. Doch schon die theoretische Vernunft ist praktisch interessiert: sie richtet sich auf die »höchsten und angelegentsten Zwecke« der Menschheit. »Alles I. der Vernunft […] vereinigt sich in folgenden drei Fragen: 1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen?« (KrV B 832). Scharf unterscheidet Kant das »reine« praktische I. der Vernunft von den »Neigungen« oder empirischen I.n. Moralisch ist eine Handlung nur, wenn das I. des Willen »rein« ist, er sich durch »Prinzipien der Vernunft« bestimmen, nicht aber von Neigungen leiten lässt. Das 3 Sittengesetz hat »nicht darum für uns Gültigkeit, weil es interessiert […], sondern dass es interessiert, weil es für uns als Menschen gilt, da es aus unserem Willen als Intelligenz, mithin aus unserem eigentlichen Selbst entsprungen ist« (Grundlegung der Metaphysik der Sitten). Hegel hebt die Verbindung von Subjekt und Objekt im I. hervor. Das I. der Person ist darauf gerichtet, »sich selbst zur Wirklichkeit zu bringen«, indem sie nach ihren Zwecken die Welt gestaltet. Hegel sieht im Vernunfti. die historische und gesellschaftliche Dimension (3 Kommunikation, 3 Sprache), die auch bei der Bestimmung des Vernünftigen selbst berücksichtigt werden muss. Für Marx sind die individuellen durch »Klasseni.« bestimmt, die ihrerseits Produktions- und Herrschaftsverhältnisse widerspiegeln. In Schelers Wissenssoziologie bewegt das I. das Erkennen und Wollen, so dass »die Richtungen unseres Vorstellens, Wahrnehmens den Richtungen unserer i.nehmenden Akte und unserer 3 Liebe und unseres Hasses folgen«. Gegenwärtig findet die Institutionalisierung der von der Vernunft ausgehenden komplementären Erkenntnisi.n (technisches, praktisches, emanzipatorisches I.) in bestimmten Wissenschaftstypen Beachtung (Habermas). M Scheler: Liebe und Erkenntnis, in: Von der Ganzheit des Menschen, Bn 1991, 92; J Habermas: Erkenntnis und I., St 1969; J Mittelstraß: Über I.n., in: ders. (Hg): Methodologische Probleme einer normativ-kritischen Gesellschaftstheorie, F 1975.

Ehlen Internalismus 3 Erkenntnistheorie Internationales Privatrecht 3 Völkerrecht Interpretation meint die Handlung und ihr Resultat, nämlich etwas, was unverständlich ist, so zu deuten, dass es verstanden werden kann. Gegenstand der I. sind zunächst Äußerungen von Menschen, die in

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Intersubjektivität

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sprachlicher bzw. schriftlicher Form vorliegen. Eine elementare Form der I. ist die Übersetzung aus einer Sprache in eine vertraute Sprache. Eine weitere Form der I. erschließt die Botschaft, die im Text bzw. der Rede verborgen ist, obwohl diese schon sprachlich verstanden sind. Dabei zielt die I. zunächst auf die Intention, die der Autor ausdrücken wollte. Ergänzend kann sie auch die Absicht enthüllen, die den Autor bei seiner Äußerung leitete, die er jedoch nicht direkt ins Wort bringen wollte oder konnte. Eine dritte Aufgabe der I. liegt in der Deutung des nichtsprachlichen Verhaltens, sei es, dass dessen 3 Sinn dem Handelnden bewusst oder unbewusst ist. Die I. von Äußerungen anderer Personen steht unter sittlichen Voraussetzungen. Es gibt gutwillige I.en, die einen Vorschuss an guter 3 Absicht und tragfähigem Sinn leisten (nach dem »principle of charity«), und es gibt I.en, die misstrauisch die schlechten Absichten oder die Selbsttäuschungen aufsuchen, die den Äußerungen des anderen zugrunde liegen (»3 Hermeneutik des Verdachts«). Der Verdacht muss aber, im Unterschied zum Vertrauen, eigens begründet sein. Eine wohlwollende I. deutet die Worte im Zweifelsfall so, dass sie einen akzeptablen Sinn geben. Das gilt besonders für überlieferte Weisheiten, grundlegende Rechtssätze und vor allem für Sätze der heiligen Bücher der Offenbarung. Insofern sie allgemeine Autorität genießen, will man ihnen auch dann zustimmen, wenn sie kaum verständlich sind oder sogar anstößig erscheinen. Eine I., die den vordergründigen Wortlaut als Hinweis auf einen tieferen und zugleich aktuellen Sinn zu lesen vermag, erlaubt die Kontinuität der Tradition schöpferisch neu zu gewinnen. Ohnehin erschöpft sich der Sinn heiliger wie poetischer Texte letztlich nicht in der Absicht ihrer Autoren; er geht über das hinaus, was diese sich damals dabei dachten. Andererseits ist es möglich, dass überlieferte Texte auch bei bester Absicht keinen akzeptablen Sinn hergeben, so dass man ihrer Autorität den Respekt versagt. Manche skeptische Philosophen, wie z. B. Dilthey und (noch radikaler) Nietzsche, deuten alle Erkenntnisse als bloße I.en, die durch andere I.en ersetzt werden können. Dabei darf man jedoch nicht übersehen, dass alle I. mit einigen Überzeugungen arbeiten, die man nicht in Frage stellen kann, und dass die I.en selbst sehr gut, gut oder schwach bis sehr schlecht oder nicht begründet sein können. P Ricœur: Der Konflikt der I.en, M 1973 f.; D Davidson: Wahrheit und I., F 1986; G Abel: I.-Welten, F 1993; J N Hofmann: Wahrheit, Perspektive, I., B 1994.

Haeffner Intersubjektivität hat zwei Bedeutungen: a) Die für prinzipiell beliebige verschiedene Subjekte zugängliche und öffentlich überprüfbare 3 Objektivität einer Erkenntnis im Gegensatz zur individuellen (nur mir zugänglichen) privaten Subjektivität einer Erkenntnis.

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Intuitionismus

In diesem Sinn sind die verschiedenen Fachwissenschaften und die sinnliche Erfahrung der äußeren Welt intersubjektiv. b) Das grundsätzliche und nicht nur ethisch-praktische Verhältnis verschiedener Subjekte zueinander. Die I. in diesem Sinn wird erst in dem Augenblick ein Thema der theoretischen Philosophie, als sich eine Philosophie etabliert hatte, die ihren Ausgang beim Subjekt nimmt und dieses Subjekt als Ich bezeichnet, so dass sich die Frage stellt, ob es ein solches Ich auch im Plural gibt und wie eine solche Mehrheit von Subjekten mit dem Ansatz beim Ich vereinbar ist. Zunächst einmal stellt die neuzeitliche Bewusstseins- und Subjektphilosophie bei Descartes und in der Folge die Frage der I. noch nicht. Die Existenz anderer Subjekte wird entweder nicht ausdrücklich bedacht oder einfach faktisch vorausgesetzt. Auch die Transzendentalphilosophie Kants befasst sich noch nicht mit der I. Der erste Autor, der ausdrücklich über die I. in transzendentalphilosophischer Hinsicht reflektiert, ist Fichte in der Grundlage des Naturrechts, also in einem Werk der praktischen Philosophie, das aber auf der Basis der theoretischen Wissenschaftslehre aufbaut. Hegel zeigt in der Phänomenologie des Geistes den Zusammenhang von ich und wir zu Beginn seiner Ausführungen über das Selbstbewusstsein. Ein zentrales Thema wird die I. der Sache, wenn auch nicht immer der Terminologie nach dann in der 3 Dialogphilosophie und der 3 Phänomenologie. 3 Andere. J G Fichte: AA I, 3, St-Bad Cannstatt 1966, 340–360; G W F Hegel: Phänomenologie IV; E Husserl: Cartesianische Meditationen, Den Haag 2 1963. – P Kampits: Gabriel Marcels Philosophie der zweiten Person, W 1975; R Grathoff / B Waldenfels (Hg): Sozialität und I., M 1983; E Düsing: I. und Selbstbewußtsein, K 1986; S Vaitkus: How is society possible?, Dordrecht 1991; G Römpp: Husserls Phänomenologie der I., Dordrecht 1992; R Kurt: Subjektivität und I., F 1995; D Zahavi: Husserl und die transzendentale I., Dordrecht 1996; D Davidson: Subjective, intersubjective, objective, O 2001; J Donohoe: Husserl on ethics and intersubjectivity, Amherst 2004; A Chrudzimski: Intentionalität, Zeitbewusstsein und I., F 2005; C Beyer: Subjektivität, I., Personalität, B 2006.

Schöndorf Interventionen 3 Völkerrecht Introspektion 3 Selbstbewusstsein Intuition 3 Anschauung Intuitionismus bezeichnet eine Lehre, die die Erkenntnis auf eine geistige Intuition (3 Anschauung) gründet. Damit kann gemeint sein, dass die grundlegenden Erkenntnisprinzipien (3 Prinzip) durch Intuition erkannt werden. Darum wurde der Schottischen Schule (Reid, Stewart, Hamilton) diese Bezeichnung gegeben. Es kann sich auch um einen I. in Bezug auf die Grundlagen der 3 Ethik wie bei Sidgwick handeln, der auf ethische Grundintuitionen rekurriert. Auch die Lehren von Philosophen, die eine Intuition der

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Intuitiv

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Wirklichkeit oder der Werte vertreten, wie Bergson und Scheler, stellen eine Weise des I. dar. In der 3 Mathematik und 3 Logik wird die von Brouwer begründete konstruktivistische Schule (3 Konstruktivismus) als I. bezeichnet, nach der Logik und Mathematik auf freien Intuitionen beruhen und der 3 Satz vom ausgeschlossenen Dritten nicht gilt. C Piat: Insuffisance des philosophies de l’intuition, P 1908; W Meckauer: Der I. und seine Elemente bei Henri Bergson, L 1917; A Heyting: Intuitionism, A 1956; A S Troelstra: Principles of intuitionism, NY 1969; M Dummett: Elements of intuitionism, O 1977; R Audi: The good in the right, Princeton 2004.

Schöndorf Intuitiv / kontraintuitiv Als i. wird eine Erkenntnis bezeichnet, die sich spontan ohne ein besonderes Nachdenken einstellt. Dabei muss es sich nicht unbedingt um eine Intuition im Sinn einer sinnlichen oder geistigen 3 Anschauung handeln, sondern es kann auch einfach ein unmittelbares, sofortiges Verständnis oder eine Art gefühlsmäßiges Erfassen gemeint sein. Als k. wird eine Auffassung bezeichnet, die im Gegensatz zu dem steht, was der normale Mensch zunächst einmal für wahr und richtig hält. Eine k.e These oder Theorie muss darum besonders gut begründet werden, wenn sie überzeugen soll. Schöndorf Ionische Naturphilosophie 3 Vorsokratiker Ipsum Esse 3 Sein Ironie 3 Sokratik Irradiationstheorie 3 Illumination Irrational / Irrationalismus Irrational (i.) ist der Gegenbegriff zu rational und bedeutet normalerweise so viel wie unvernünftig oder widervernünftig im Sinn des Gegensatzes zur Vernunft. Im Gegensatz hierzu meint vorrational eine psychische Ebene, die noch vorgängig zur Vernunft ist. Das Nichtvorhandensein von Vernunft in einem feststellenden und nicht bewertenden Sinn kann man vernunftlos oder (selten) arational nennen. I. kann auch die Bedeutung des Nichtvernünftigen oder dessen, was das 3 Rationale im engeren Sinn übersteigt, besitzen. Unter einem Irrationalismus (Is.) wird eine Denkrichtung verstanden, die sich gegen den 3 Rationalismus wendet und als oberstes Prinzip eine unvernünftige oder der Vernunft entgegengesetzte Instanz wie z. B. Materie, Gefühl, Macht, Interessen, Bedürfnisse oder einen als vitalen Drang verstandenen Willen annimmt (z. B. Schopenhauer, Nietzsche, 3 Lebensphilosophie). Allerdings muss auch der Is. seine Theorie rational begründen, wenn er sie nicht als bloße unbeweisbare Behauptung verstanden wissen will.

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Irrtum

W Barrett: I. man, Lo 1961; A Baeumler: Das I.itätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft, Da 2 1967; H Titze: Traktat über Rational und I., Me 1975; B Liebrucks: I.er Logos und rationaler Mythos, Wü 1982; A R Mele: I.ity, NY 1987; D Wyss: Die Philosophie des Chaos oder das I.e, Wü 1992; W Wein: Das I.e, F 1997.

Schöndorf Irritabilität 3 Leben Irrtum Unter I. versteht man eine scheinbar wahre Erkenntnis, die in Wahrheit aber falsch ist. Von I. kann man nur da reden, wo etwas für wahr gehalten wird. Wo dies nicht der Fall ist, wie etwa in Beispielsätzen, in spielerischen oder scherzhaften Zusammenhängen oder in frei erfundenen Erzählungen, handelt es sich nicht um I. Ohne Bezug auf die Wahrheit gibt es keinen I. Der I. kann nur als Verfehlen der Wahrheit verstanden werden. Insofern ist er auch begrifflich und nicht nur in der Sache der Wahrheit gegenüber sekundär. Innerhalb des I.s gibt es kein Mehr oder Weniger an Falsch, denn Falschheit kann nur im Vergleich mit Wahrheit gemessen werden. Irrtümer beruhen auf einer Täuschung, die vom Objekt begünstigt wird, auf unkritischer Erkenntnis beruht oder von anderen ausgeht. Eine Sinnestäuschung ist normalerweise für die Wahrnehmung nicht korrigierbar, kann aber auf Grund verstandesmäßiger Überlegung als falsch erkannt werden. Der I. widerfährt mir und zeigt damit sowohl die Rezeptivität der Erkenntnis als auch die Tatsache, dass der Maßstab der Erkenntnis in der Wirklichkeit als solcher und nicht in meinem Willen liegt. Man kann sich nicht irren wollen. Man kann höchstens fahrlässig bestimmte Dinge für wahr halten, obwohl man weiß, dass ihre Wahrheit zweifelhaft ist. Die Feststellung eines I.s erfolgt immer erst im Nachhinein und setzt eine geistige Überlegung voraus. Denn nur der Verstand kann feststellen, ob zwei verschiedene vermeintliche Erkenntnisse miteinander unvereinbar sind, so dass eine von beiden irrig sein muss. Der I. zeigt sich durch seine Widersprüchlichkeit im Verhältnis zu unserer übrigen Erkenntnis. Dies gilt auch für den Traum, den wir nicht als eine zweite Wirklichkeit erleben, sondern als etwas, was sich gegenüber dem Wachzustand als inkohärent erweist. Dass wir unsere Erkenntnis kritisch prüfen (3 Erkenntnistheorie), setzt die Feststellung von Irrtümern in unserer Erkenntnis voraus. Unsere Erkenntnis als ganze kann kein I. sein, wie es die 3 Skepsis für möglich erachtet, denn sonst könnten wir überhaupt keinen I. feststellen. Irrtümer und Täuschungen sind vielmehr partikuläre Vorkommnisse, die den Rahmen der Wahrheit, innerhalb dessen sie geschehen, voraussetzen. Wer immer irren würde, könnte keinen vernünftigen Gedanken oder Satz mehr bilden. T v Aquin: De Ver I, 11 f.; R Descartes: Meditationes IV. – E Mach: Erkenntnis und I., L 1905; L W Keeler: The problem of error from Plato to Kant, Ro 1934;

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Kalkül

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B Schwarz: Der I. in der Philosophie, Ms 1934; W Berkson / J Wettersten: Lernen aus dem I., HH 1982; B Guggenberger: Das Menschenrecht auf I., M 1987.

Schöndorf Isomorphie 3 Erkenntnis Ius 3 Recht Ius gentium 3 Völkerrecht Jetztpunkt 3 Gegenwart Jüngere Naturphilosophie 3 Vorsokratiker Junktor 3 Logik Juristische Person 3 Recht Kalkül (lat. calculus: Rechenstein) ist allgemein ein 3 System zur Herstellung gewisser komplexer Figuren aus vorgegebenen K.elementen aufgrund von immer wieder anwendbaren K.regeln. Ein formales System ist ein spezieller (Doppel-)K., in dem (1) aufgrund gewisser (Sprach-)Regeln (= Grammatik) aus vorgegebenen Symbolen (= Vokabular) die Formeln (= korrekte Sätze einer formalen Sprache) hergestellt und (2) aufgrund von (3 Schluss-)Regeln aus einer gegebenen Formelmenge (= Axiomensystem) die Theoreme (= wahre Sätze der Wissenschaft) syntaktisch, d. h. ohne ein semantisches 3 Modell abgeleitet (3 Deduktion) werden. Für die Ableitung der Theoreme ergibt sich das Problem der Konsistenz (= Widerspruchsfreiheit), nämlich dass die 3 Axiome und die (Schluss-)Regeln so gewählt sein müssen, dass nicht alle Formeln Theoreme sind. Inspiriert von Lullus entwarf Leibniz einen »calculus rationator«. Die ersten an der Algebra orientierten Logikk.e (de Morgan, Boole, Schröder) wurden später eigenständig entwickelt (Frege, Peano, Whitehead-Russell). R Lullus: Ars magna generalis; Leibniz: De arte combinatoria, 1666; G Boole: The Mathematical Analysis of Logic, 1847; E Schröder: Vorlesungen über die Algebra der Logik I–III, 1890–1905; G Frege: Begriffsschrift, Hl 1879; Grundgesetze der Arithmetik I–II, J 1893/1903; G Peano: Formulaire de Mathématique, To 1895–1908; A N Whitehead / B Russell: Principia Mathematica, C 1910–1913. – L Couturat: La logique de Leibniz, P 1901; P Lorenzen: Formale Logik, B 4 1970; R Smullyan: Theory of Formal Systems, Pr 1961; W und M Kneale: The Development of Logic, O 1962 (bes. V,1–3; VI,3–4); M Detlefsen (Hg): Proof, logic and formalization, Lo 1992.

Carls Kalokagathie 3 Ethik Kanon 3 Regel Kapitalismus 3 Marxismus Kartesianismus 3 Cartesianismus Kasuistik 3 Gewissen

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Kategorie

Kategorie (gr. kategoría, lat. praedicamentum: (Weise der) Aussage) K.n nennt Aristoteles die grundlegenden Weisen der möglichen Aussagen, die über ein 3 Subjekt gemacht werden können, die zugleich die grundlegenden Weisen des 3 Seins (3 Analogie) sind. Sie sind somit die obersten Ober-, Stamm-, Grund- oder Urbegriffe unserer Erkenntnis und die Grundstrukturen der Wirklichkeit. Der Ausdruck K.n wurde ins Lateinische mit praedicamenta (Prädikamente) übersetzt. Diesen Prädikamenten wurden dann noch zusätzlich die bei Aristoteles nach den K.n erörterten fünf »Postprädikamente« Gegensatz, zugleich, früher, Bewegung (im Sinn von Veränderung überhaupt) und haben hinzugefügt. Von den K.n zu unterscheiden sind ferner die 3 Prädikabilien. Aristoteles behandelt die K.n an verschiedenen Stellen seiner Schriften. Die bekannteste Darlegung ist seine K.nschrift, deren Urheberschaft nicht völlig unumstritten ist. Aristoteles kennt folgende K.n (die Aufzählung ist nicht immer ganz gleich): als Grundk. die 3 Substanz (ousía: das eigentlich selbstständig an sich Seiende: Dinge, Lebewesen, Personen); dann die verschiedenen Akzidentien (Singular Akzidens, symbebekós: das »Hinzukommende«: dasjenige, was nur an oder in einer Substanz existiert): Dies ergibt zehn K.n: Substanz, Qualität, Quantität, Wo, Wann, Relation, Lage, Haben/Habitus, Wirken, Erleiden (Lage = sitzend, stehend usf.; Habitus = erworbene Fähigkeit, Gewohnheit). Porphyrios, einem Kommentator des Aristoteles im 3. Jahrhundert nach Christus, verdanken wir eine Darstellung der Begriffshierarchie von der K. der Substanz bis zum Menschen, die aufgrund ihrer graphischen Anordnung den Namen Porphyrischer Baum (arbor porphyriana) erhalten hat und in ihrer lat. Fassung wie folgt lautet (s. Schaubild S. 238). Thomas v Aquin hat gezeigt, dass die Liste der K.n des Aristoteles einem ganz bestimmten Einteilungsprinzip folgt. Bei Descartes treten die ideae innatae (angeborenen Ideen) mehr oder weniger an die Stelle der K.n. Diese Theorie wird manchmal auch als Nativismus bezeichnet. Descartes stellt aber keine umfassende Liste dieser angeborenen Ideen auf, sondern nennt nur einige von ihnen. Kant meint, dass die Aufzählung der K.n bei Aristoteles keinem systematischen Prinzip folgt. Deshalb will er die K.n anhand des Leitfadens der Urteilsformen entwickeln, damit so ihre Vollständigkeit garantiert sei (»metaphysische Deduktion«). Er gliedert die K.n in vier Gruppen, von denen die beiden ersten für jede auch nur gedachte Vorstellung nötig sind, die beiden letzteren für Objekte in der Wirklichkeit. In der KrV (B 106/A 80) stellt er folgende Kategorien auf, die er in vier Gruppen gliedert: 1. Quantität: Einheit; Vielheit; Allheit. – 2. Qualität: Realität; Negation; Limitation. – 3. Relation: Substanz-Akzidens (Subsistenz-Inhärenz); Ursache-Wirkung (Kausalität-Dependenz); Wechselwirkung (Gemeinschaft zwischen Handelndem und Leidendem). – 4. Modalität: Möglichkeit-Unmöglichkeit; Dasein-Nichtsein; Notwendigkeit-Zufälligkeit. – Realität meint

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Kategorie

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hierbei nicht Wirklichkeit oder Dasein, sondern Sachhaltigkeit, Gehalt (lat. res: Sache); Subsistenz bedeutet In-sich-Stehen, Selbststand; Inhärenz bedeutet In- oder An-einem-anderen-Sein; Dependenz bedeutet Abhängen, Verursachtsein. Die 3 Modalitäten werden bei Aristoteles noch nicht unter die K.n gerechnet. In der Transzendentalen Deduktion will Kant dann zeigen, dass den K.n tatsächlich Geltung für unsere Erkenntnis zukommt, dass diese Geltung aber auf die Anwendung der K.n auf die Anschauung beschränkt ist. substantia (Substanz) incorporea (unkörperliche, immaterielle)

Porphyrischer Baum

corporea (körperliche, materielle)

corpus (materieller Körper) anorganicum (unbelebter, anorganischer)

organicum (belebter, organischer) vivens (Lebewesen)

non-sensitivum (nicht sinnlich wahrnehmend)

sensitivum (sinnlich wahrnehmend)

animal (»Sinnenwesen«: Oberbegriff zu Tier und Mensch) irrationale, brutum (nicht vernunftbegabt)

rationale (vernunftbegabt) Homo (Mensch)

Einen wichtigen weiteren Schritt in der K.nlehre stellt Hegels Logik dar. In der Folge haben verschiedene Philosophen den Versuch gemacht, ein eigenes K.nsystem zu entwerfen. Heidegger nennt die Seinscharaktere des »Daseins« (d. h. des Menschen) Existenzialien und unterscheidet sie von den K.n anderer Seienden (Sein und Zeit § 9). Die Tatsache, dass wir über die grundlegende kategoriale Struktur verfügen, ist die Voraussetzung und die einzige Erklärung dafür, dass wir selbst als Kinder ursprünglich eine Sprache und von dieser ausgehend andere Sprachen erlernen und uns mit Menschen unterschiedlichster Sprachen verstän-

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Kategorisch

digen können. Diese Tatsache wird inzwischen auch von der empirischen Sprachforschung anerkannt. Die Entwürfe einer Tiefengrammatik, wie sie etwa Chomsky vorschlägt, laufen der Sache nach auch auf eine Art K.nlehre hinaus. Aristoteles: Die K.n; Met. V; T v Aquin: In Met 5, 9; F Suárez: DM 32–53; I Kant: KrV B 89–169; G W F Hegel: Wissenschaft der Logik, Bd. 1; M Heidegger: Die K.n- und Bedeutungslehre des Duns Scotus, Tü 1916; Sein und Zeit. – A Trendelenburg: Geschichte der K.nlehre, B 1846; E Lask: Die Logik der Philosophie und die K.nlehre, Tü 1911; O Spann: K.nlehre, J 1924; N Hartmann: Philosophie der Natur, B 1950; H Krings: Transzendentale Logik, M 1964; R Carls: Idee und Menge, M 1974; D Henrich: Identität und Objektivität, Hd 1976; G Schönrich: K.n und transzendentale Argumentation, F 1981; W Carl: Die transzendentale Deduktion der K.n in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, F 1992; J Heinrichs: Das Geheimnis der K.n., B 2004; R Thiel: Aristoteles’ K.nschrift in ihrer antiken Kommentierung, Tü 2004.

Schöndorf Kategorisch hängt zusammen mit 3 Kategorie im Sinn von Aussage. Als k. werden diejenigen 3 Urteile oder 3 Sätze bezeichnet, die in der klassischen 3 Logik als einfache und darum unbedingt gültige 3 Behauptungen von hypothetischen (Wenn-dann-Urteilen) oder disjunktiven (Entweder-oder-Urteilen) Behauptungen unterschieden sind. Kant hat diese Unterscheidung dann auch auf die 3 Imperative (die Formulierungen der Vernunftgebote für richtiges Handeln) übertragen und den k.n Imperativ (3 Imperativ, kategorischer) der Moral als unbedingt gültigen von den nur bedingt gültigen 3 hypothetischen Imperativen unterschieden. Auch in der normalen Sprache meint k. im Zusammenhang mit Behauptungen oder Befehlen so viel wie: mit allem Nachdruck, unbedingt, unter allen Umständen. Schöndorf Katharsis 3 Neuplatonismus Kausalität (lat. causa: Ursache) bedeutet die Beziehung zwischen 3 Ursache und Wirkung, also Ursächlichkeit, Verursachung. An sich kann K. darum das Wirken jeder Ursache meinen. Im heutigen Sprachgebrauch wird jedoch unter K. normalerweise die Wirkursächlichkeit verstanden. Die betreffenden Gesetze und Prinzipien werden 3 Kausalgesetz und Kausalprinzip genannt. Die K. wurde in der Neuzeit zuerst von den Okkasionalisten in Frage gestellt: 3 Okkasionalismus. Nach Hume können wir keine K. feststellen, sondern nur regelmäßige Aufeinanderfolge. Aufgrund unserer Gewohnheit interpretieren wir diese als Verknüpfung und somit als Ursache und Wirkung, wofür wir aber keine logisch-rationale Begründung haben. Somit leugnet Hume zwar die K., gibt aber einen psychologischen Grund dafür an, warum wir K. annehmen. Er setzt also selbst K. voraus, um die seiner Meinung

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Kausalgesetz

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nach rational nicht begründbare Annahme der K. zu erklären. Kant übernimmt von Hume die These, dass sich die K. als regelmäßige Abfolge zeigt, meint aber, dass wir durch die Anwendung der 3 Kategorie der K. hieraus eine notwendige Gesetzlichkeit machen (3 Determinismus). Das regelmäßige Nacheinander muss aber kein Ursache-Wirkungs-Verhältnis sein; ferner gibt es vorausgehende Bedingungen, die nicht kausal wirken. Die K. ist kein bloßes Nacheinander zweier Ereignisse, sondern ein 3 Wirken der Ursache, das die Wirkung hervorbringt, beinhaltet also eine Gemeinsamkeit beider. Der tiefere Grund für die Infragestellung der K. liegt darin, dass die wechselseitige Interaktion des Menschen mit der Welt nicht mehr bedacht und die Welt nur noch als Gegenüber des Menschen gesehen wird. Wer die K. ablehnt, müsste jedes Wirken und Handeln in der Welt bestreiten und kann keine Veränderungen mehr erklären. Für die neuzeitliche Naturwissenschaft ist die Erforschung der K. (mag sie auch anders genannt werden) der Naturprozesse wesentlich. In der philosophy of mind (3 Leib-Seele-Problem) spielt die Frage eine wichtige Rolle, ob der Geist eine K. auf die Materie ausüben kann. D Hume: An Enquiry concerning human understanding; I Kant: KrV B 232–256. – H Weiss: K. und Zufall in der Philosophie des Aristoteles, Da 1967; H Sachsse: K., Gesetzlichkeit, Wahrscheinlichkeit, Da 1979; P Richter: David Humes K.stheorie, Hi 1980; G Posch (Hg): K., St 1981; P A French: Causation and causal theories, Minneapolis 1984; M Bunge: K., Tü 1987; R J Hankinson: Cause and explanation in ancient Greek thought, O 1998; K Clatterbaugh: The causation debate in modern philosophy 1637–1739, NY 1999; A Hüttemann (Hg): K. und Naturgesetz in der frühen Neuzeit, St 2001; U Meixner: Theorie der K., Pb 2001; W Spohn (Hg): Current issues in causation, Pb 2001; R Schnepf: Die Frage nach der Ursache, Gö 2006.

Schöndorf Kausalgesetz / Kausalprinzip Die verschiedenen Formulierungen und Interpretationen des Kausalgesetzes (Kg.) lassen sich zu zwei Gruppen zusammenfassen. 1. Schwaches Kg. (häufig auch naturwissenschaftliches Kg. genannt): Die Frage, ob Ursachen etwas hervorbringen oder bewirken, wird verneint oder offen gelassen. Das Kg. besagt nur das regelmäßige Nacheinander zweier Ereignisse A und B, wobei A Ursache und B Wirkung genannt wird. Allgemeinheit und Notwendigkeit (auf alle A folgt immer B) ebenso wie die Vorstellung eines Bewirkens sind subjektiv, d. h. vom erkennenden Subjekt zu den empirischen Daten hinzugefügt. Der Grund der Hinzufügung ist bei Hume etwas Psychisches (z. B. Gewohnheit), bei Kant dagegen die Natur des Verstandes, der die Mannigfaltigkeit des sinnlich Gegebenen so ordnet, dass Erfahrung überhaupt erst möglich wird (Kausalität als Kategorie oder Form des transzendentalen Subjekts). Die Ursächlichkeit ist zur bloßen Gesetz-

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Kausalgesetz

mäßigkeit geworden. Um auch Kausalverhältnisse erfassen zu können, in denen keine zeitliche, sondern nur eine sachliche Priorität von A gegenüber B besteht, formuliert man das Kg. auch als Bedingungsverhältnis (wenn A, dann B), womit Ursachen zu bloßen Bedingungen werden. Lässt sich dieses Verhältnis als mathematische Funktion darstellen, wird die Ursache zur unabhängigen Variablen, die Wirkung zur abhängigen. Damit verschwindet der Terminus Ursache aus der Physik, kurioserweise aber nicht sein Korrelat, die Wirkung (vgl. 3 Wechselwirkung). 2. Starkes oder physisches Kg.: Die Ursache tut etwas, sie bringt die Wirkung hervor. Zwar ist in visuellen Daten das Bewirken in der Tat nicht zu sehen. In anderen Fällen aber gehört das Bewirken zum Wahrnehmungsinhalt, nämlich beim Tastsinn. Ich erfahre, wie der Druck meiner Finger die Form des Lehms verändert. Und wenn ich mit der Faust eine Scheibe zertrümmern kann, dann kann das auch ein daher fliegender Stein. Die Faust wie der Stein bewirken etwas. Eine Formel für das starke, physische Kg. könnte lauten: Gleiche Ursachen haben stets gleiche Wirkungen (unter gleichen Bedingungen). Z. B.: Elektrische Ladungen ziehen andere elektrische Ladungen an (oder stoßen sie ab); sie tun nichts anderes; sie tun es immer und prompt. Das liegt an ihrer Eigenart oder Natur (gr. physis; daher physisches Kg.). Ihre Natur begründet und erklärt die Allgemeinheit und Notwendigkeit des starken Kg.es ebenso wie die Eindeutigkeit (Determiniertheit) der Wirkung. Diese Eindeutigkeit fehlt im mikrophysikalischen Bereich, den die Quantenmechanik beschreibt. Zwar breitet sich die zu jedem Quantenobjekt gehörende Materiewelle streng deterministisch aus. Kommt es aber zur Wechselwirkung mit anderen Objekten, kann das Resultat nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit angegeben werden, abhängig von der Amplitude der Materiewelle am Ort der Wechselwirkung. Auch im organischen Bereich fehlt eine durchgehende Determiniertheit der beobachtbaren Vorgänge. Lebewesen können sich spontan verhalten, getrieben von ihren Bedürfnissen, die oft genug unerfüllt bleiben (3 Teleologie). Beim Menschen wird diese Spontaneität zur Fähigkeit, zu seiner Natur Stellung beziehen und sich selbst bestimmen zu können (3 Freiheit). Ein Mensch kann sich wahrhaft menschlich, nur allzu menschlich oder gar unmenschlich verhalten; ein (gesunder) Tiger dagegen kann sich nicht »untigerlich« geben. Das Kausalprinzip (Kp.): »Alles Gewordene ist notwendigerweise durch irgend eine Ursache entstanden« (Platon). Auch hier lassen sich schwache und starke Interpretationen unterscheiden: 1. Schwaches Kp.: »Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung« (KrV B 232). Ursächlichkeit ist wieder ersetzt durch Gesetzlichkeit. Heute gilt das Kp. meist nur noch als heuristische Maxime allen Forschens, »nichts unerklärt zu lassen« (Popper) in der Überzeugung, dass es »für jedes Ereignis eine adäquate wissenschaftliche Erklärung gibt« (Stegmüller).

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Klasse

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2. Starkes oder metaphysisches Kp.: Beim Wirken entsteht immer wieder Neues, das es vorher nicht gab. Bisher nur Mögliches wird aktuell, ein Mehr entsteht. Das ist auf den ersten Blick rätselhaft (der irrationale Rest der Wirklichkeit nach Hartmann). Sollte es eine TOE (theory of everything) eines Tages wirklich geben, könnten wir alle Eigenschaften der Elementarteilchen und was daraus entstehen kann samt allen Naturkonstanten nach Art und Größe mit logischer Notwendigkeit deduzieren. Wir wüssten aber trotz dieses Erfolges noch immer nicht, ob diese Elementarteilchen nun auch existieren. Aktuelle Existenz gehört nicht zu ihrem Wesen, wohl aber mögliche Existenz. Das bedeutet, Elementarteilchen sind fundamental kontingent und damit auch die Welt, die sie aufbauen. Existiert die Welt aber de facto, kann sie das letztlich nur, weil ihre Existenz in einer noch näher zu bestimmenden Weise hervorgebracht wurde und getragen wird von einer Ursache, die selber nicht-kontingent, somit notwendig sein muss und darum kein Bestandteil der kontingenten Welt sein kann (Transzendenz). Sie ist das, was in den Hochreligionen »Gott« genannt wird. Das Kp. lautet somit: Jedes kontingent Seiende muss letztlich eine nicht-kontingente, Existenz verleihende (Wirk-)Ursache haben. Der Satz ist synthetisch, d. h. sein Subjekt sagt nur etwas über die metaphysische Struktur des Seienden (seine Kontingenz), ohne (implizit) eine Beziehung zu anderen Dingen zu setzen. Er gilt a priori, da er nicht auf dieser oder jener empirischen Erfahrung beruht, sondern sich ergibt aus der richtig erfassten Kontingenz. Die Formel »jede Wirkung hat eine Ursache« ist rein analytisch und gewährt keinen Erkenntnisfortschritt. Die Formel Platons (s. o.) ist zu eng, insofern sie dazu verleitet, nur für das Entstehen, nicht auch für das Bestehen eine Ursache zu verlangen. Während die Kg.e etwas über die Wirkung sagen, sagt das Kp. etwas über die Ursache. 3 Kausalität. Aristoteles: Phys. II, 3–8; D Hume: A Treatise of Human Nature I, 3,2; I Kant: KrV B 232–256, KU Einleitung IVf. – L Krüger (Hg): Erkenntnisprobleme der Naturwissenschaften, K 1970; W Stegmüller: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und der Analytischen Philosophie, Bd. I, B 2 1974, Kap. 7; G H v Wright: Erklären und Verstehen, F 1974; B Weissmahr: Ontologie, St 1985; E Sosa / M Tooley (Hg): Causation, O 1993.

Erbrich Kennzeichnung 3 Definition Klar und deutlich 3 Rationalismus Klasse Neben seiner Verwendung in »Schulk.« und »Gesellschaftsk.« wird »K.« bzw. »3 Menge« (engl. class, set) auch in 3 Logik und 3 Mathematik verwendet. Im Unterschied zu Mengen, die in axiomatischen 3 Systemen ohne weitere Begründung vorausgesetzt werden, werden K.n oft als Begriffsumfänge (Extensionen) verstanden, die 3 allgemeinen Prädikaten entsprechen. Die Existenz von solchen K.n wird durch das (eingeschränkte) Komprehensionsprinzip garantiert, wonach jedes 3 Einzelne (eines bestimmten

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Kohärenz

Bereichs), von dem ein (gewissen Einschränkungen unterworfener) Prädikatausdruck wahrheitsgemäß aussagbar ist, Element in einer bestimmten K. ist, und umgekehrt. Im Unterschied zu Beschaffenheiten bzw. 3 Eigenschaften als 3 abstrakten Begriffsinhalten (Intensionen), die auch Prädikatausdrücken entsprechen, ist nach dem sogenannten Extensionalitätsprinzip die Einzigkeit und Identität einer K. allein durch ihre Elemente bestimmt. Den Prädikaten »ist exakt dreiwinklig« und »ist exakt dreiseitig« entsprechen verschiedene Beschaffenheiten, aber nur eine K., die aller Dreiecke. Eine Nullk. hat überhaupt keine Elemente. Eine Allk., die alles (Seiende) überhaupt als Element umfasst, gibt es aufgrund von Cantors Antinomie nicht (vgl. Aristoteles’ Satz »das Seiende ist keine Gattung«). Eine eingeschränkte Allk. dagegen umfasst alles in einem Kategorienbereich (bzw. universe of discourse). Jede Teilk. zu einer K. enthält ausschließlich Elemente dieser K. oder ist die Nullk. A A Fraenkel / Y Bar-Hillel: Foundations of Set Theory, A 1958; W V O Quine: Set Theory and Its Logic, C 1963; R Carls: Idee und Menge, M 1974; M Hallett: Cantorian Set Theory and Limitation of Size, O 1984.

Carls Klassifikation 3 Einteilung Klugheit 3 Tugend Koexistenz 3 Zeit Kohärenz (lat. Zusammenhang) bezeichnet einen stimmigen Zusammenhang, der normalerweise die Widerspruchsfreiheit (Konsistenz) einschließt, aber darüber hinausgeht, jedoch noch keinen logisch notwendigen (deduktiven) Zusammenhang bedeuten muss. Oft wird die K. als ein 3 Wahrheitskriterium aufgefasst, da sie eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für Wahrheit ist, denn was nicht kohärent ist, kann nicht wahr sein. Die Wirklichkeit muss nämlich kohärent sein, da alles mit allem zusammenhängt (3 Sein, 3 Welt). Rescher fordert von einer wissenschaftlichen Theorie eine K., die von der Art ist, dass sie die meisten, wenn auch nicht unbedingt alle Daten widerspruchsfrei integrieren und erklären kann. 3 Wahrheitstheorie. Schöndorf Kollektivbegriff 3 Begriff Kollektivismus bezeichnet eine Gesellschaftsform, welche die Interessen des gesellschaftlichen Ganzen grundsätzlich über die des Individuums stellt. Hiervon zu unterscheiden sind 3 Gemeinschaften, zu denen sich Einzelne freiwillig zusammenschließen, um ein selbstbestimmtes Gut besser verwirklichen zu können. Entscheidend für ihre Bewertung ist, ob die Unterordnung unter das Gemeininteresse die Möglichkeit lässt, die Weise, in der das gemeinsame Gut verwirklicht werden soll, mitzubestimmen, ob das Kollektiv den Anspruch erhebt, in sämtliche Lebensbereiche letztentscheidend ein-

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Kommunikation

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zugreifen und so die sittliche Selbstbestimmung aufhebt, ob die Möglichkeit besteht, sich vom Kollektiv wieder zu lösen. O v Nell-Breuning: K., in: WBPol 1951.

Ehlen

Kommunikation (lat. communicatio: Mitteilung, Austausch, Verständigung, Gemeinschaft) wurde als philosophischer Begriff im Mittelalter überwiegend im Kontext von Schöpfungsphilosophie und Trinitätstheologie (Thomas v Aquin, Nikolaus v Kues) gebraucht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde K. zentral für die 3 Dialogphilosophie (Buber, Rosenzweig, Ebner) und für die 3 Existenzphilosophie von Jaspers. In den letzten drei Jahrzehnten wurden am meisten beachtet das Apriori jeder K.sgemeinschaft von Apel und die Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas, einschließlich seiner kommunikativen Wende der Moralbegründung von Kant. In den Naturwissenschaften kam es zu einer »kommunikativen« Betrachtung molekularer und zellulärer Prozesse. Obschon es K. auch zwischen Tieren gibt, wird K. meist im Sinne menschlicher K. gebraucht. K. ist eine grundlegende Bedingung des Menschseins (und Philosophierens) – wie das Experiment Friedrichs II. zeigt, bei welchem Säuglinge, mit denen man nicht sprach, starben. Es lassen sich drei Grundformen menschlicher K. unterscheiden: (1) intrapersonale K. (Austausch- und Aneignungsprozesse innerhalb eines Individuums beim Ver- und Entschlüsseln eigener und fremder Mitteilungen), (2) interpersonale K. (Austausch zwischen mindestens zwei Individuen oder Gesprächspartnern) und (3) medienvermittelte K. (Individual- und Massenk. mittels technischer Medien wie Druckerzeugnisse, Telefon, Hörfunk, Fernsehen, Internet). Das Gebet als Gespräch mit Gott wäre bei der intrapersonalen K. einzureihen. Für die interpersonale K. gibt es heute ein allgemein akzeptiertes psychologisches Modell, demgemäß jede Mitteilung vier Aspekte besitzt: (1) den Sachinhalt (worüber die sprechende Person informiert), (2) einen Appell an die zuhörende Person (wozu die sprechende sie veranlassen möchte), (3) eine Beziehungsaussage (was die sprechende Person von der zuhörenden hält und wie jene meint, dass sie zueinander stehen) und (4) eine Selbstoffenbarung der sprechenden (was sie von sich selbst kundgibt). Die Rollen von sprechender und zuhörender Person wechseln in einer dialogischen K.sform ständig. Ein Dialog gelingt zur beiderseitigen Zufriedenheit nur, wenn beide u. a. bereit und fähig sind, authentisch zu sprechen (Übereinstimmung zwischen Selbstoffenbarung und Aussage, Verzicht auf Täuschung und Manipulation), aktiv zuzuhören, das Gegenüber zu achten (Beziehungsaussage) und bei Störungen oder Missverständnissen über die stattfindende K. zu sprechen (Metak.). Die medienvermittelte K. hat im 19. und 20. Jahrhundert stetig an Bedeutung gewonnen: Im Jahr 2000 verbrachte der Durchschnitts-Erwachsene in

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Kommunitarismus

Deutschland fast die Hälfte seiner »wachen« Zeit (von täglich ca. 17,5 Stunden), nämlich 8 Std. 22 Min. mit Medien. Davon entfallen 206 Min. (41 % der Mediennutzungszeit) auf das Radiohören, 185 Min. (37 %) auf das Fernsehen, 36 Min. (7 %) auf das Musikhören von Tonträgern, 30 Min. (6 %) auf das Lesen von Zeitungen, 18 Min. (4 %) auf das Lesen von Büchern, 13 Min. (3 %) auf die Nutzung des Internets, 10 Min. (2 %) auf das Lesen von Zeitschriften und 4 Min. (1 %) auf das Anschauen von Videos. Hinzu kommen die ca. 2000–3000 (flüchtigen) täglichen Kontakte mit Botschaften der Wirtschaftswerbung. Mehr als diese quantitativen Aussagen der Publizistik- und K.swissenschaft müsste eine Medienphilosophie die Bedeutung der verschiedenen Medien und Nutzungsarten für das Verständnis der sozialen, insbesondere politischen und kulturellen Wirklichkeit bedenken. Wohl als erster hat Cassirer auch die technischen Medien als wahrheitsrelevante Vermittlungsmomente reflektiert. E Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 2, B 1925; K-O Apel: Transformation der Philosophie, Bd. 2, F 1973; J Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, F 1981; F Schulz von Thun: Miteinander reden, Reinbek 1981; F Hartmann: Medienphilosophie, W 2000; K Berg / C-M Ridder (Hg): Massenkommunikation VI, Baden-Baden 2002.

Funiok Kommunismus 3 Eigentum 3 Marxismus 3 Sozialismus Kommunitarismus (lat. communis: gemeinsam) ist keine einheitliche oder abgeschlossene Sozialphilosophie. Alle seine Vertreter (M Sandel, C Taylor, A MacIntyre und M Walzer) halten jedoch dem 3 Liberalismus (L.) vor: 1) Identität finde der Mensch erst in der konkreten und partikularen Gemeinschaft mit anderen und nicht unabhängig von ihr; 3 Person ist also immer intersubjektiv zu verstehen; das einzelne Ich lasse sich 2) nur aus seinen sozialen Vorverfügtheiten und Einbettungen verstehen; das Engagement für die Gemeinschaft vervollkommne 3) menschliches Leben überhaupt erst, womit 4) nicht den Abwehr- und Leistungsrechten, sondern dem Partizipationsrecht und den Pflichten der Vorrang eingeräumt gehöre; 5) der L. vertrete eine universalistische Ethik formaler und prozeduraler Rationalität; es bedürfe dagegen einer auf die konkrete Gemeinschaft zugeschnittenen Sittlichkeit, die alle Lebenssphären einschließt. – Der K. übersieht meist, dass ein Mensch seine Identität auch durch Trennung, Distanznahme und Verlassen der primären Gemeinschaften ausbildet und ihn erst recht die Pluralität reifen lässt. K. kann dazu führen, »das Andere« und »den Anderen« auszuschließen und die Rechte des Menschen, insbesondere die 3 Menschenrechte, zu vernachlässigen. M Sandel: Liberalism and the Limits of Justice, 1982; M Walzer: Sphären der Gerechtigkeit, F 1984; A MacIntyre: Der Verlust der Tugend, F 1987; C Taylor: Quellen des Selbst, F 1996; A Etzioni: Die Verantwortungsgesellschaft, F 1997.

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Kompatibilismus

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– C Zahlmann: K. in der Diskussion, HH 1992; M Brumlik / H Brunkhorst (Hg): Gemeinschaft und Gerechtigkeit, F 1993; B Barber: Starke Demokratie, HH 1994; R Forst: Kontexte der Gerechtigkeit, F 1994; A Honneth (Hg): K., F 2 1994; J Vogl (Hg): Gemeinschaften, F 1994; S Benhabib: Selbst im Kontext, F 1995; W Reese-Schäfer: Was ist K.?, F 2 1995; J Habermas: Die Einbeziehung des Anderen, F 1997; W Kersting: Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, F 1997; H Rosa: Identität und kulturelle Praxis, F 1998; A Brodocz / G Schaal (Hg): Politische Theorien der Gegenwart, Opladen 1999.

Brieskorn Kompatibilismus (kompatibel: vereinbar) Als K. wird die Auffassung bezeichnet, 3 Determinismus und freier Wille (3 Freiheit) seien miteinander vereinbar. Dabei ist im Normalfall nicht die Theorie Kants gemeint, nach der die Determination und die Freiheit seinsmäßig verschiedenen Bereichen zuzuordnen sind. Vielmehr bemühen sich die Vertreter des K., darzulegen, dass die Bedingungen für ein freies und verantwortliches Handeln auch dann gegeben sind, wenn die Naturgesetze, denen auch der Mensch in seinem Denken und Handeln voll unterworfen ist, deterministischen Charakter besitzen. Eine besondere Form des K. vertrat Leibniz. Nach seiner Auffassung sind geistige Wesen frei, da sie physisch nicht gezwungen werden, obwohl sie moralisch genötigt sind, immer der Überzeugung vom Besseren zu folgen. P Bieri: Das Handwerk der Freiheit, M 2001; D Dennett: Freedom evolves, NY 2003; P Ullrich: Moralischer K., Wü 2008.

Schöndorf Komplementarität 3 Physik Komprehensive Erkenntnis 3 Gottes Eigenschaften Kompromiss 3 Sozialethik Konditional 3 Bedingung 3 Hypothetisch Konflikt 3 Sozialethik Konjunktion 3 Logik Konklusion 3 Schluss Konkret (lat. concretus von concrescere: zusammengewachsen, verdichtet) ist das Gegenteil zu 3 abstrakt und darum auch zu 3 allgemein und meint das einzelne Gebilde (3 Individuum) in unserer Erfahrung mit all seinen Bestimmungen, das nicht einfach, sondern immer metaphysisch (aus Potenz und 3 Akt, 3 Materie und 3 Form) und meist auch physisch und physikalisch zusammengesetzt ist. Das K.e wird sinnlich wahrgenommen, während Gedankliches abstrakt ist. K. kann auch das Einzelne im Gegensatz zum Allgemeinen genannt werden, auch wenn es nicht sinnlich wahrnehmbar ist: Beispiele im Gegensatz zum allgemeinen Gesetz, die angewandte im Gegensatz zur reinen Theorie. Während Begriffe insofern abstrakt sind, als ihr Inhalt nicht das Ganze des jeweiligen k.en Objektes enthält, werden sie oft k. genannt, wenn

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Konsequentialismus

sie k.e, also sinnlich wahrnehmbare Objekte oder deren empirisch feststellbaren Teile bezeichnen, die als solche real existieren (können). Das 3 Sein ist ein k.er Begriff, da es im Gegensatz zu allen anderen Begriffen alle seine Unterbegriffe in sich enthält. Für Hegel sind der Begriff als das K.-Allgemeine, die Vernunft und der Geist k., weil in ihnen die Einseitigkeit der verstandesmäßigen Abstraktion überwunden und die Gesamtheit der Bestimmungen erfasst wird. A Seiffert: Concretum, Me 1961; R Guardini: Der Gegensatz, Mz 4 1998; E Chitas (Hg): Abstrakt und k., F 2000; P Cobben u. a. (Hg): Hegel-Lexikon, Da 2006.

Schöndorf Konkupiszenz 3 Böse Konsequentialismus Der K. behauptet, dass eine 3 Handlung ausschließlich anhand der Folgen, die sie in der 3 Welt hervorruft, moralisch zu beurteilen ist; dabei können zu diesen Folgen auch die Verletzung 3 deontologischer 3 Normen, z. B. der 3 Gerechtigkeit, zählen. Der Handelnde ist für alle vorhergesehenen Folgen seiner Handlung verantwortlich, und es ist ohne Bedeutung, ob er diese Folgen lediglich vorhergesehen oder ob er sie als 3 Zweck oder als Mittel beabsichtigt hat (3 Absicht). Wenn A dadurch, dass er einen Unschuldigen tötet, verhindern kann, dass B zehn Unschuldige tötet, so ist er verpflichtet (3 Pflicht), es zu tun; unterlässt er es, so ist er für den 3 Tod der zehn verantwortlich. Der K. hebt die sittliche Selbstbestimmung des 3 Menschen auf; die Drohung von B wird zum 3 Grund für A, gegen seine eigene sittliche Überzeugung zu handeln. G E M Anscombe: Modern Moral Philosophy, in: Philosophy 33 (1958); W Quinn: Morality and Action, C 1993; S Scheffler: The Rejection of Consequentialism, O 2 1994; J Nida-Rümelin: Kritik des K., M 1995.

Ricken Konsequenz 3 Schluss Konservativismus 3 Tradition Konstante 3 Logik Konstitution (lat. constitutio: Zusammenstellung) bezeichnet in der ontologischen 3 Tradition die Gründung der 3 Dinge in ihren 3 Prinzipien (3 Sein und 3 Wesen, 3 Materie und 3 Form). Eine erkenntnistheoretische Deutung erfährt der Begriff K. bei Kant, der von einer transzendentalsubjektiven K. des Erkenntnisgegenstands ausgeht. Näherhin unterscheidet er zwischen der konstitutiven Rolle der 3 Kategorien beim Zustandekommen der 3 Erkenntnis und der regulativen 3 Funktion der 3 Ideen als Ordnungsgesichtspunkten bereits konstituierter Erkenntnis. Im 3 Neukantianismus betont Bauch die gleichermaßen regulative wie konstitutive Funktion der Idee und Rickert unterscheidet zwischen konstitutiven und methodologischen Kategorien. Eine Schlüsselrolle spielt der Begriff K. bei Husserl, demzufolge die K. der 3 Welt

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Konstruktivismus

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eine Leistung des 3 transzendentalen Egos ist. Carnap unternimmt in seiner K.stheorie, von einer eigenpsychischen Basis ausgehend und sich einzig auf Grundrelation der Ähnlichkeitserinnerung stützend, eine 3 rationale Nachkonstruktion des gesamten, in der Erkenntnis vorwiegend 3 intuitiv vollzogenen Aufbaus der 3 Wirklichkeit und unterscheidet dabei die folgenden vier K.sstufen 1) die Wahrnehmungswelt, 2) die physikalische Welt, 3) die Welt des fremden 3 Bewusstseins und 4) die Welt der geistigen und kulturellen Gegenstände. M Ferrari: Artikel »K., konstitutiv«, in: Enzyklopädie Philosophie, Bd. 1, 714 ff.; W Hogrebe: Artikel »K.«, in: HWPhil, Bd. 4, 992 ff.

Ollig Konstruktivismus ist ein Sammelbegriff für erkenntnis- oder wissenschaftstheoretische Positionen, die in der Reflexion über Erkenntnis und Wissenschaft die konstitutive Leistung des Menschen als Erkenntnissubjekt betonen. Die Erlanger Schule (W Kamlah, P Lorenzen, K Lorenz, J Mittelstraß, C Thiel, F Kambartl, P Janich, neben Erlangen auch in Konstanz und Marburg beheimatet) bezeichnet ihre Position als methodischen K. Ihr Ausgangspunkt waren Ansätze zur konstruktiven Begründung der 3 Mathematik. Diese Methode wurde verallgemeinert und führte zu einer systematischen Rekonstruktion des grundlegenden Aufbaus der Wissenschaften, um deren Geltung zu begründen. Dabei wird betont, dass alle Schritte dieses konstruktiven Aufbaus nachvollziehbar und sorgfältig begründet sein müssen. Ausgangspunkt sind alltägliche und bewährte Überzeugungen und Handlungen, z. B. das Zählen als Grundlage der Mathematik (Praxis der »Lebenswelt«). Wissenschaft entsteht als Hochstilisierung von lebensweltlichen Praktiken wie den handwerklichen Messkünsten. Somit löst der methodische K. das Problem der Letztbegründung durch eine Verankerung in Pragmatik. Damit ist eine pragmatische Interpretation des Geltungsanspruchs von Wissenschaft verbunden. Janich identifiziert den Begriff der »Wirklichkeit« mit dem Phänomen, dass systematische Kenntnis über ein Wissen über Grenzen der Handlungsmöglichkeiten bzw. der technischen Verfügbarkeit der Welt gewinnbar ist. Der radikale K. (E v Glasersfeld, H v Foerster, u. a.) wurde vorwiegend im angelsächsischen Raum entwickelt. Wie die evolutionäre Erkenntnistheorie erklärt er das Erkenntnisvermögen als evolutionäre Errungenschaft. Er verneint aber deren Anspruch, einen (hypothetischen) Realismus der Erkenntnis begründen zu können. Erkenntnis dient dem Überleben. Weil es aber viele Weisen gibt, wie ein Organismus in einer bestimmten Umwelt überleben kann, gibt es auch viele mögliche erkenntnisförmige Beziehungen zur Umwelt, die dem Überleben dienen können. Daher kritisiert der radikale K. alle

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Kontingenz

Vorstellungen von menschlicher Erkenntnis, die diese in irgendeinem Sinn wie eine Abbildung der Welt oder Entsprechung zur Welt verstehen. Eine spezielle Form des radikalen K. ist das Autopoiese-Konzept (H Maturana, F J Varela). Dieses geht von einem Verständnis von lebenden Organismen aus, die sich in einem dynamischen Prozess selbst aufrechterhalten. Diese internen Prozesse und Beziehungen sind für das Verstehen eines Organismus grundlegender als seine Beziehungen zur Außenwelt. Entsprechend ist Erkenntnis ein interner Prozess, der zwar auch von äußeren (Sinnes-)Reizen mit verursacht ist, aber trotzdem vorwiegend in einer selbstreferentiellen Weise im Gehirn erzeugt wird. Der soziale K. ist eine Form der Wissenschafts- und Sozialkritik. Er betrachtet Wissenschaft als soziales und kulturelles Phänomen und bestreitet auf dieser Grundlage im Einzelfall oder allgemein die Objektivität von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Der methodische K. trägt Entscheidendes zum Verständnis von Wissenschaften bei, indem er auf die Verankerung von Wissenschaft in lebensweltlichen Praxen aufmerksam macht und die Theoriefixierung von vielen wissenschaftstheoretischen Positionen kritisiert. Fragwürdig ist aber die stark pragmatische Orientierung in Bezug auf erkenntnistheoretische Begriffe. Der radikale K. stellt interessante Fragen an das menschliche Erkenntnisvermögen. Durch seinen naturalistischen Ansatz, der wissenschaftliche Erkenntnis schon voraussetzt, setzt er sich außerdem dem Vorwurf des performativen Selbstwiderspruchs aus. Der soziale K. hat eine wichtige ideologiekritische Funktion, neigt aber sehr zu Übertreibungen (vgl. z. B. die »Sokal-Affäre«, beschrieben bei Hacking). H Maturana / F J Varela: Der Baum der Erkenntnis. Be 1987; H J Sandkühler (Hg): Theorien, Modelle und Tatsachen, F 1994; H v Foerster u. a. (Hg): Einführung in den K., M 2 1995; H R Fischer: Die Wirklichkeit des K., Hd 1995; P Janich: K. und Naturerkenntnis, F 1996; Kleine Philosophie der Naturwissenschaften, M 1997; J Mittelstraß: Die Häuser des Wissens, F 1998; M Weingarten: Wissenschaftstheorie als Wissenschaftskritik, Bn 1998; I Hacking: Was heißt »soziale Konstruktion«?, F 1999.

Bauberger Kontakt 3 Raum Kontemplation 3 Mystik Kontiguität 3 Raum Kontingenz (lat. Substantiv contingentia vom Verb contingere) Mit »contingit« (es berührt sich, ereignet sich) übersetzt Boëthius zwei von Aristoteles verwendete gr. Ausdrücke: »symbaínei« (es kommt zusammen, ereignet sich) und »endéchetai« (es ist zulässig, möglich). Letzteres bezeichnet das, was möglich ist, also das, was sein kann, und ist dem entgegengesetzt, was nicht sein kann. Als Mögliches schließt es das Unmögliche aus. Wenn es

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Kontingenz

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freilich nur dieses ausschließt, schließt es das, was nicht nicht sein kann, also das Notwendige, ein. Aristoteles verwendet das Wort aber auch so, dass es sowohl das Unmögliche als auch das Notwendige ausschließt, also das bezeichnet, was sein, aber auch nicht sein kann. Damit sind die Modalbegriffe grundgelegt. Das Wort »symbaínei« (dem das lat. contingit sprachlich näher steht) besagt zunächst nur Tatsächlichkeit (unbestimmt, ob notwendig oder nicht), hat aber bei Aristoteles gelegentlich schon die Bedeutung der Tatsächlichkeit dessen, was auch nicht sein könnte. Die spätere Scholastik gebraucht für den Ausschluss der Unmöglichkeit (mit Einschluss der Notwendigkeit) den Begriff »possibilitas«. Unter »K.« wird zwar manchmal (zuerst von Theophrast, dem Schüler des Aristoteles so konzipiert) der Ausschluss nur der Notwendigkeit (mit Einschluss der Unmöglichkeit) verstanden, meist aber die (dem contingit/symbaínei am ehesten gemäße) Tatsächlichkeit dessen, was von sich her sein oder nicht sein kann. Aber was ist das Notwendige, von dem das Kontingente sich absetzt? Wird es als Naturgesetz bestimmt, so ist mit dem kontingenten Erscheinenden nur die Aufgabe gestellt, es in einen naturgesetzlich notwendigen Verlaufszusammenhang einzuordnen und seine K. aufzulösen, die dann lediglich Vorläufigkeitscharakter hat. Doch was ist mit dem naturgesetzlichen Verlauf selbst und mit einer entsprechend verfassten Welt? Haben wir es hier mit einem nicht weiter erklärbaren Faktum zu tun, also mit einer letzten K.? Doch dieses Faktum müsste sich vollständig selbst erklären (zumindest als solches denkbar sein). Es müsste die eigene Faktizität und K. durch sich in Notwendigkeit auflösen können, und zwar in eine solche, die kein Außen mehr hat, sondern vollkommene Selbsterklärung ist, d. h. reiner Selbstbezug. Doch eine solche Wirklichkeit wäre nicht mehr unsere Welt. Sie wäre das »ganz Andere« zu ihr. Den Schritt zu ihr vollzieht die klassische Metaphysik mit der Unterscheidung des kontingenten, abhängigen, endlichen Seins vom notwendigen, absoluten, unendlichen Sein, wobei jenes in diesem seinen letzten Grund hat (3 Gottesbeweise). Ohne eine solche Unterscheidung verschwimmen K. und Notwendigkeit ineinander. Denn eine sich in Notwendigkeit auflösende K. lässt auch die Notwendigkeit kontingent werden, da jede »Erfahrung« des Kontingenten jene sogleich selbst treffen muss. Diese Ambivalenz zeigen geistige wie dinghafte Monismen, das System Spinozas ebenso wie die Systeme des Materialismus. Die heutige Naturwissenschaft ist geneigt, grundlegende K.en in unserem Kosmos anzuerkennen (erste Symmetriebrechungen, welche die Elementarteilchen und ihre Reaktionsweisen hervorgehen ließen, unaufhebbare Indeterminismen in der Mikrowelt, spontane Mutationen im sich evolvierenden Lebensgeschehen). Sie unterscheidet sich damit vom neuzeitlichen Ideal eines in Notwendigkeitsbeziehungen vollkommen auflösbaren Naturgeschehens und ist damit dem metaphysischen Konzept einer kontingenten Welt näher, nach welchem ein in sich notwendiger Kosmos, der zugleich unsere Erfahrungswelt bleibt und damit un-

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Kontinuum

austilgbare Züge der Endlichkeit und des Außer-sich-Seins trägt, ein widersprüchlicher Gedanke ist. Die K. ist also auf verschiedenen Ebenen von der Notwendigkeit unterscheidbar wie auch auf sie bezogen. So ist das einzelne Naturereignis auf einen natürlichen Zusammenhang verwiesen, der sich in mathematischen Gesetzen ausdrücken lässt, ohne dass damit das Gesamtgeschehen seinen kontingenten Charakter je ganz verlöre. Diese bleibende K. schließt eine Abhängigkeit ein, die sie zugleich mit dem »ganz Anderen«, dem Absoluten, verbindet. Wenn die Welt aber durch diese Verbindung besteht, hat sie auch Anteil an dem sie innerlich begründenden aus sich Notwendigen. Thomas v Aquin: »Es gibt nichts Kontingentes, das nicht auch etwas Notwendiges an sich hätte« (STh I q 86 a 3). Dies gilt für alle Ebenen, auch für die metaphysische. Wo die Natur sich selbst erfasst, erfasst sie auch ihre K. Damit weiß sie sich abhängig und zugleich verbunden mit dem, wovon sie letztlich abhängig ist. Aus dieser Verbundenheit ist menschliche Freiheit zu begreifen, die somit beide Dimensionen in sich enthält, nämlich die der K. und der Notwendigkeit, und beide in deren letzter metaphysischer Radikalität. Die Freiheit bleibt als konkretes Ereignis eingebettet in den Naturzusammenhang und ist ihm dennoch überlegen, da sie über ihn als ganzen hinausgeht. Die Scholastik hat deswegen im Rückgriff auf Aristoteles (de interpr. 9) vom »futurum contingens« gesprochen, d. h. von dem aus vorangehenden Ereignissen prinzipiell nicht ableitbaren Freiheitsakt, der als solcher auch die Wahrheitsfähigkeit prognostischer Aussagen über ihn ausschließt und in seiner Unableitbarkeit nur dem überzeitlichen Gott »immer« gegenwärtig ist. Für die in ihrer Selbsterkenntnis in sich zugespitzte K. ist somit ihre (Selbst-)Anerkennung zugleich Überhobenheit über sie (Lübbe: ihre »Bewältigung«). Sie muss sich nicht als blinde »Geworfenheit« begreifen, sondern darf sich aus dem Grund ihrer Freiheit als »Gegebenheit« entgegennehmen. K. in: HWPh; TRE, RGG, LthK; A Becker-Freyseng: Die Vorgeschichte des philosophischen Terminus contingens, Hd 1938; E Scheibe: Die kontingenten Aussagen in der Physik, F 1964; J de Vries: Grundbegriffe der Scholastik, Da 1980; H Lübbe: Religion nach der Aufklärung, Gr 1986; S Knuuttilla (Hg): Modern Modalities, Dordrecht 1988; J Schmidt: Philosophische Theologie, St 2003.

Schmidt Kontinuum / Kontinuität (dt. Stetigkeit) Sehen wir vom Material der Körper ab und betrachten wir nur deren Ausdehnung, dann sagen wir, sie stelle ein (dreidimensionales) Kontinuum (K.) dar. Ebenso betrachten wir den Ablauf der Zeit oder die Bewegung (z. B. eines Geschosses) als ein eindimensionales K. Was aber ist ein K.? Zenon von Elea meinte, dass der schnelle Achill die langsame Schildkröte nie einholen könne. Denn wenn er deren momentanen Vorsprung eingeholt

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Kontinuum

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habe, sei diese schon wieder ein Stückchen weiter usf. Achill muss eine unendliche Anzahl »Vorsprünge« der Schildkröte durchlaufen. Eine unendliche Anzahl von Strecken, auch wenn diese immer kleiner werden, kann nicht in endlicher Zeit durchlaufen werden. Wenn Achill die Schildkröte dennoch einholt, muss dies eine Illusion sein. Aristoteles löst das Paradox, indem er zwischen aktueller Geteiltheit und potentieller Teilbarkeit unterscheidet. Zenon hätte Recht, wenn das K. aktuell aus unendlich vielen unendlich kleinen Abschnitten bestünde. Aber das K. ist zwischen seinen Grenzen ein ungeteiltes Ganzes und nur potentiell beliebig oft teilbar in Teile gleicher Art. Die beliebige (unendliche) Teilbarkeit gilt aber nur von der abstrakten (mathematischen) Ausdehnung. Die Teilbarkeit konkreter materieller Körper gelangt bald an Grenzen, den »minima naturalia«, wie man im Spätmittelalter sagte (welche Minima Nikolaus von Kues »Atome« nannte). Diese Minima sind von der gleichen Art wie das Ganze. Die Gleichartigkeit des Ganzen und seiner Teile ist in der heutigen Physik aufgegeben. Die Eigenschaften der konstitutiven Teile eines Quarzkristalls (Silizium- und Sauerstoffionen) sind von ganz anderer Art als die Eigenschaften des Kristalls. Aristoteles unterschied zwischen diskreter 3 Quantität, mit der es die Arithmetik zu tun hat, und kontinuierlicher Quantität, mit der sich die Geometrie beschäftigt. Diese Trennung verschwindet mit dem Aufkommen der analytischen (»algebraisierten«) Geometrie (Descartes) und der Infinitesimalrechnung (Leibniz, Newton). Im 19. Jahrhundert beginnen die Versuche, das K. als Mannigfaltigkeit von ausdehnungslosen Punkten (die den reellen Zahlen entsprechen) zu begreifen (Mengenlehre, Cantor u. a.). Die begrifflichen Schwierigkeiten, das K. »arithmetisch« zu denken und nicht nur geometrisch vorzustellen, sind so groß, dass sich bis heute keine der vielen Theorien wirklich durchsetzen konnte. Einen Aristoteliker wird das nicht überraschen, denn für ihn ist das K. eine Entität sui generis und nicht reduzierbar auf etwas, was nicht K. wäre (z. B. die Linie auf eine Mannigfaltigkeit von Punkten). Glaubte man an die durchgehende Kontinuität von Ausdehnung, Zeit und Bewegung (»die Natur macht keine Sprünge«, wie besonders Leibniz betonte), so musste diese Sicht zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem Aufkommen der Quantenmechanik aufgegeben werden (nicht-stetige Zustandsänderungen). Aristoteles: Phys. III, 4–8; V, 3 f., VI, 1 f, 9; I Kant: KrV B 211 f.; B 254 f. – H Weyl: Das K., L 1918; P Lorenzen: Differential und Integral, F 1965; F Kaulbach: Philosophisches und mathematisches K., in: W Ritzel (Hg): Rationalität – Phänomenalität – Individualität, Bn 1966, 125–147; E Scheibe / G Süßmann (Hg): Einheit und Vielheit, Gö 1973, 77–90; M Hallet: Cantorian Set Theory and Limitation of Size, O 1984.

Erbrich

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Konvention

Kontradiktionsprinzip 3 Widerspruch, Satz vom Kontraintuitiv 3 Intuitiv Kontraktualismus 3 Vertragstheorie 3 Ethik Konvention (lat. Übereinkommen, auch Verfassung) D Hume arbeitet heraus, dass gesellschaftliches Leben nicht aus impulsiven und irrationalen Tendenzen zustande komme, sondern durch planvolles Handeln, nämlich durch K. Sie hat sowohl einen Inhalt als auch einen Verpflichtungsgrad; dieser folgt aus dem gemeinsamen Interesse aller derer, welche die K. abgeschlossen haben. Deren gemeinsames Interesse rechtfertigt auch die K. – Hume nannte die Grundk.en einer Gesellschaft »Gesetze der Gerechtigkeit« oder auch »Naturgesetze«. Wenn A handelt, und zwar in der Erwartung, dass auch B so handelt, und B der Erwartung gerecht wird, ergibt sich eine Koordination, deren stärkere Verselbstständigung man auch K. nennen kann. Wie jeder Vertrag setzt auch die K. Freiheit des Abschlusses, Gleichheit der Vertragspartner, Verpflichtungswillen und einen Gegenstand voraus, welcher zwischen ihnen festgelegt werden kann. Die freie Zustimmung kennt allerdings Grade und kann zu ungleicher Lastenverteilung zwischen den K.spartnern führen. Geschichtlichen Fortschritt will man sowohl am Weg »vom Status zum Vertrag« (Maitland) ablesen, aber auch daran, inwieweit die nur durch die Vertragspartner kontrollierte K. durch Gesetzeshierarchien samt ihren Sanktionen abgelöst wird. D Hume: Ein Traktat über die menschliche Natur, Buch II und III, Über die Affekte, Über Moral; HH 1978, Absätze 9–11. – F Maitland: History of English Law, Lo 2 1898; D Lewis: Convention, Cambridge (Mass.) 1969; R Axelrod: The Evolution of Cooperation, NY 1984.

Brieskorn Konventionalismus Unter K. versteht man die Lehre, dass Aussagen wie Normen lediglich auf Übereinkommen beruhen, welche ausdrücklich geschlossen oder durch Gewohnheiten zustande gekommen sein können. Solche Festsetzungen beziehen ihre Legitimität somit nicht durch den sittlich guten Inhalt, sondern nur durch die Zustimmung, die Akzeptanz oder das Ausbleiben von Widerstand, der als Zustimmung ausgelegt wird (»qui tacet consentire videtur«, was bereits ein Problem anzeigt). So sehr damit der K. dem Frieden und der Einheit der Gesellschaft dient, so sind doch weder Mehrheiten noch Einstimmigkeit als solche auch Garanten dafür, dass der Vertrag Wahres und Gutes enthält. Außerdem sind Wahrheit, das Gute oder das Gerechte etc. nicht das Ergebnis von Abmachungen der Menschen unter sich. Eine solche Ansicht ist aber auch deswegen unzulänglich, weil sie dem Phänomen der Erfahrung von Wahrsein, Gutsein oder Gerechtsein nicht entspricht; die erfahrene Verpflichtung übersteigt jene Erfahrung, welche wir mit frei eingegangenen Verpflichtungen machen. Zum anderen setzen alle

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Konvergenz

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Abmachungen bereits ein Verständnis von Inhalt und Verpflichtungskraft von Wahrheit, Gutem und Gerechtem voraus. Daher ist die Konvention nicht Quelle, sondern Ergebnis einer Verpflichtung auf Wahrheit, auf das Gute und auf das Gerechte. 3 Vertragstheorien 3 Konvention. Brieskorn Konvergenz Der Begriff K. (lat. convergere: sich hinneigen) bedeutet in der Biologie die 3 Entwicklung von ähnlichen 3 Funktionen bei verschiedenen Lebewesen infolge ihrer Anpassung an vergleichbare Lebensbedingungen. Die K.theorie überträgt den Begriff auf gesellschaftliche 3 Systeme und geht davon aus, dass sich unterschiedliche 3 Gesellschaften aufgrund gleichartiger Rahmenbedingungen und Anforderungen zwangsläufig zu Industriegesellschaften mit gleichen Funktionen und 3 Strukturen entwickeln. In der 3 analytischen 3 Religionsphilosophie besagt die K.argumentation, dass die verschiedenen Argumente für die Existenz 3 Gottes nicht einzeln, aber zusammengenommen die Existenz Gottes wahrscheinlicher machen als seine Nicht-Existenz. R Swinburne: Die Existenz Gottes, S 1987.

Ollig Konzeptualismus 3 Nominalismus Kopula 3 Setzung 3 Urteil Körper ist im weiten Sinn des Wortes die Bezeichnung für ein umgrenztes, nicht flüssiges oder gasförmiges materielles Gebilde. Dabei lässt sich noch einmal unterscheiden zwischen einem wirklich existierenden physikalischen K. und einem durch Abstraktion gewonnenen mathematischen K. K. sind ausgedehnt (3 Ausdehnung), erfüllen einen bestimmten 3 Raum, haben eine Masse und werden durch eine zusammenhängende Oberfläche begrenzt, die ihnen eine Gestalt verleiht. Ob ein K. eine 3 Substanz ist, ist umstritten. Für Descartes und Kant ist die Ausdehnung dem K. wesentlich, Locke rechnet auch die Undurchdringlichkeit hinzu. Die Wissenschaft von den K.n im erstgenannten Sinn ist die 3 Physik. Die neuzeitliche Physik ging wie Demokrit davon aus, dass alles aus kleinsten K.n zusammengesetzt ist, die für unteilbar gehalten und darum Atome (gr. átomos: unteilbar) genannt wurden. Als sich zeigte, dass die Atome aus noch kleineren Bestandteilen bestehen, wurden diese Elementarteilchen genannt. 3 Materie. Im engeren Sinn kann unter K. auch der K. eines Lebewesens verstanden werden, der bei Mensch und Tier im Deutschen, solange er/es lebt, 3 Leib genannt wird (3 Organismus). Schöndorf Kosmogenese, Kosmogonie 3 Evolution 3 Kosmologie

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Kosmologie

Kosmologie ist die wissenschaftliche Betrachtung des Kosmos (Universum) als Ganzem, aus philosophischer oder naturwissenschaftlicher Perspektive. Kosmogonie bedeutet die Lehre von der Entstehung des Kosmos und schließt auch mythische Erklärungen mit ein, die es in vielen Religionen gibt. Heute wird K. meist im Sinn einer Anwendung der Physik auf die großräumige Entwicklung des Kosmos verstanden. Sie definiert ihren Gegenstandsbereich als das größte prinzipiell beobachtbare physikalische System, das durch gravitative Wechselwirkung verbunden ist. Es gibt spezifische wissenschaftstheoretische Probleme, weil sich diese Definition des Kosmos auf einen zeitlich variablen Gegenstandsbereich bezieht und weil das Kriterium der experimentellen Überprüfbarkeit in der K. nur in einem übertragenen Sinn anwendbar ist. Das erfolgreiche Prinzip der Verallgemeinerung von physikalischen Gesetzen (auch in nicht direkt beobachtbare Bereiche) sowie die Übereinstimmung der Ergebnisse verschiedener Messverfahren gibt den Ergebnissen der K. dennoch eine große Plausibilität. Die Durchsetzung des kopernikanischen Weltbildes war mit dem Postulat des kosmologischen Prinzips verbunden, dass kein Ort im Kosmos eine besonders ausgezeichnete Beobachterposition darstellt. Die Verallgemeinerung auf die Zeitdimension, dass der Kosmos großräumig betrachtet zeitlich unveränderlich (und damit von ewiger Dauer) ist, beherrschte das physikalische Weltbild bis ins 20. Jahrhundert. Diese Anschauung erwies sich aber als nicht mit der allgemeinen Relativitätstheorie vereinbar (3 Physik). Daher wurden die ersten physikalischen Theorien (»Weltmodelle«) entwickelt, die eine großräumige Entwicklung des Kosmos beschreiben. E Hubbles Beobachtung, dass sich der Kosmos in Ausdehnung befindet, bestätigte die Weltmodelle, die von einem Anfangszustand extrem hoher Dichte und Temperatur (»Urknall«) ausgehen. Dieser Punkt, in dem Raum, Zeit und Materie entstanden sind, wird etwa 14 Milliarden Jahre rückdatiert. Formal ergibt sich in diesem Anfangspunkt eine unendlich hohe Temperatur und Dichte, was mathematisch eine Singularität bedeutet. Diese physikalisch wenig sinnvolle Beschreibung ist dadurch kein Problem, dass die bekannten physikalischen Gesetze nur bis zum Punkt 1043 Sekunden nach dem Urknall (Planck-Zeit) zurückverfolgt werden können. In den ersten Minuten nach dem Urknall entstand die gegenwärtig vorhandene Materie, die sich dann durch Gravitation zusammenballte und Galaxien und Sterne bilden konnte. Aus Überresten explodierender Sterne bildet sich die Materie der Planetensysteme. Ein wichtiges Indiz für die Urknallhypothese ist die Hintergrundstrahlung, eine sehr kalte Strahlung, die fast gleichmäßig aus allen Richtungen des Kosmos kommt und als Strahlungsrest aus der Zeit 400.000 Jahre nach dem Urknall erklärt werden kann. Die moderne K. kennt Anzeichen, dass die Ausdehnung des Kosmos, die sich nach dem Urknall zunächst stetig verlangsamt hat, durch abstoßende Kräfte, deren Ursprung nicht bekannt ist, inzwischen wieder beschleunigt wird, so dass der Kosmos keinen dem Urknall entsprechenden Endpunkt

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Kraft

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haben wird. Die Möglichkeiten der Lebensentstehung und Lebenserhaltung werden im Lauf der Entwicklung immer schlechter werden, und letztendlich wird der Kosmos im sogenannten »Kältetod« nur noch sehr kalte Strahlung enthalten. Als kosmische Feinabstimmung (missverständlich auch: anthropisches Prinzip) wird das gut bestätigte Phänomen bezeichnet, dass schon sehr kleine Veränderungen der Naturkonstanten die Entstehung von Leben im Kosmos unmöglich machen würden. Dieses Phänomen wird von manchen Vertretern der Religionsphilosophie als moderne Bestätigung des teleologischen Gottesbeweises gewertet, wobei meist nicht von einem Beweis gesprochen wird, sondern von Gott als der besten Erklärung für das Phänomen der Feinabstimmung. Betrachtungen des frühen Universums führten dazu, dass physikalische Theorien postuliert werden, die zur Folge haben, dass unendlich viele Universen entstehen, die untereinander keinen kausalen Kontakt haben (Theorie vom Multiversum). In Verbindung mit anderen Theorien, die erklären, dass die Naturkonstanten in diesen Universen jeweils zufällig festgelegt werden, ergibt sich daraus eine alternative Erklärung für die kosmische Feinabstimmung, die diesen als Beobachtereffekt ansieht: Nur in den Universen, in den die Feinabstimmung stimmt, können Beobachter entstehen. Daher beobachten sie notwendig ein feinabgestimmtes Universum. G Börner u. a. (Hg): Vom Urknall zum komplexen Universum, M 1993; H Goenner: Einführung in die K., Hd 1994; H Lesch / J Müller: K. für Fußgänger, M 2001.

Bauberger Kosmos 3 Ordnung 3 Welt Kraft Materielle Körper sind träge, d. h. sie setzen jedem Versuch, ihren momentanen Bewegungszustand zu ändern, einen Widerstand entgegen. Das, was diesen Widerstand hervorruft, heißt Trägheit. Alles, was den Bewegungszustand eines Körpers ändert, nennt Newton »K.«. Die K. wirkt in einer bestimmten Richtung; sie ist ein Vektor (im Gegensatz zu Größen ohne Richtung, z. B. Temperatur). Newton verlässt die reine Stoßphysik Descartes’ und führt Fernkräfte ein: die Schwerk. (Gravitation), die zwischen allen Körpern (Massen) wirkt und mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt. Damit gelingt es ihm, bisher disparate Erscheinungen auf eine einzige Ursache (Gravitation) zurückzuführen, z. B. freier Fall, Bewegung der Planeten, Gezeiten u. a. m. Die Idee der Fernk. wird im 19. Jahrhundert erweitert zum (K.–)Feld: Der leere Raum Newtons wird erfüllt von Gravitations- und elektromagnetischen Feldern, die von entsprechenden Ladungen ausgehen. Anstelle einzelner K.vektoren, die an einzelnen Körpern angreifen, treten an jedem Raumpunkt K.vektoren auf. Bringt man einen Probekörper mit entsprechender Ladung an

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Kritischer Rationalismus

eine bestimmte Raumstelle, so wird er entsprechend dem K.vektor an dieser Stelle bewegt. Die Elementarteilchenphysik entdeckte zwei weitere Kräfte: Die starke und die schwache Wechselwirkungsk. (3 Wechselwirkung), die für Prozesse im subatomaren Bereich verantwortlich sind. Positivisten wie E Mach lehnen den K.begriff als animistisch-metaphysisch ab, entspringt er doch der bewusstseinsinternen Erfahrung körperlicher Anstrengung beim Bewegen schwerer Dinge. Diese Erfahrung wird auch übertragen auf nicht-materielle Bereiche: vitale und geistige Kräfte als unmittelbare Ursache vitaler und geistiger Veränderungen. I Newton: Philosophiae naturalis principia mathematica, Lo 1687. – M Jammer: Concepts of forces, C (Mass.) 1957; F Hund: Grundbegriffe der Physik, Mannheim 2 1979.

Erbrich Kreatianismus 3 Seele Kreationismus 3 Evolution Kreislauftheorien 3 Geschichtsphilosophie Krieg 3 Friede 3 Völkerrecht Kriteriologie 3 Erkenntnistheorie Kritik der reinen Vernunft 3 Transzendentalphilosophie Kritische Theorie der Gesellschaft 3 Neomarxismus Kritischer Rationalismus hat Popper seine Philosophie genannt, zu der sich auch Hans Albert rechnet. Popper vertritt in der 3 Wissenschaftstheorie einen 3 Fallibilismus oder Falsifikationismus, der die These einschließt, dass alle naturwissenschaftlichen 3 Theorien derart sein müssen, dass ihre empirische Falsifizierung denkbar ist. Diese Theorien werden nicht durch 3 Induktion gewonnen, sondern kreativ entworfen. Ihre Verifizierung ist nicht möglich, es gibt nur eine mehr oder weniger gute Bewährung von Hypothesen. Theorien aufzustellen, die mit allen möglichen Daten vereinbar und darum nicht falsifizierbar sind, ist naturwissenschaftlich illegitim und wird als Immunisierungsstrategie kritisiert. Popper verteidigt die Willensfreiheit sowie die Eigenständigkeit des Geistes und des Ideellen und ist Anhänger der evolutionären 3 Erkenntnistheorie. In der politischen Philosophie tritt er für eine liberale Demokratie ein (3 Liberalismus). Hans Albert geht in seiner Kritik über Popper hinaus und lehnt alle 3 Metaphysik und 3 Gotteserkenntnis ab. K R Popper: Logik der Forschung, Tü 3 1969; Das Elend des Historizismus, Tü 1965; Objektive Erkenntnis, HH 1973; Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie, Tü 1979; Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Tü 7 1992; K R Popper / J C Eccles: Das Ich und sein Gehirn, M 1982; Lesebuch, hg. v. D Miller, Tü 1995; I Pies (Hg): Karl Poppers k. R., Tü 1999; H Albert: K. R., Tü 2000; J M Böhm (Hg): Karl Poppers k. R. heute, Tü 2002; H-J Niemann: Lexikon des k.n R., Tü 2004.

Schöndorf

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Kultur

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Kritizismus 3 Transzendentalphilosophie Kult 3 Heiligkeit 3 Religion Kultur Um leben zu können, muss der Mensch über das Naturgegebene hinausgehen und dazu seine Fähigkeiten ausbilden; er erkennt sich darin als von der 3 Natur unterschieden. Der Lebenswille und die Dynamik des eigenen 3 Geistes lassen ihn auch seine geistigen Fähigkeiten entfalten und sich in Mythos, 3 Kunst, 3 Religion, 3 Recht, 3 Ethik, 3 Wissenschaft ausdrücken. Im weitesten Sinne ist K. das vom Menschen Geschaffene. Die Entwicklung einer inneren K. (Bildung, Gesittung) und ihr Ausdruck in gegenständlichen K.gütern gehen dabei Hand in Hand. Weil die auf Entfaltung gerichtete Geistbegabung dem Menschen wesentlich ist, sind menschliche Natur und K. wesentlich miteinander verknüpft. Sinn der K. ist die Verwirklichung der menschlichen Anlagen. Als kultiviert gilt ein Mensch, der die ihm gegebenen geistigen Fähigkeiten allseitig entwickelt und eine angenehme Form des gesellschaftlichen Umgangs erworben hat. Weil K. aus der Dynamik des Geistes hervorgeht und sich in überindividuellen Formen realisiert, bedarf sie der institutionell gesicherten Freiheit. Die objektive Gestalt der K. bildet sich nur durch das Zusammenwirken vieler; sie ist Ausdruck einer Gemeinschaft, der durch Einzelne aktualisiert wird. Vererbt werden können nur äußere Formen und Werke; die innere K. (Gesittung) muss von jedem neu erworben werden (3 Pädagogik). Heranwachsende Generationen schaffen auf Grund ihrer Erlebniswelt eigene K.formen. Kontinuität (das Wissen um die eigene geistige Herkunft, 3 Tradition) und Ablösung überlieferter K.formen bedingen einander. Unbestreitbar ist die Möglichkeit des Niedergangs einer K. durch innere Ursachen (sittlicher Verfall) und äußere Einwirkungen. Bei einem K.vergleich können nur Formen und K.güter verglichen werden; unter dieser Rücksicht werden (vielseitige, entfaltete) Hochk.en von primitiven K.en unterschieden. Die zunehmende globale Vereinheitlichung der Lebensformen macht sowohl den Dialog der K.en als auch die Wahrung der Eigenständigkeit überlieferter K.en (z. B. der Sprachk.) zur Aufgabe. Die objektive Gestalt der K. bildet die geschichtlich herangewachsene Lebensform eines Volkes, gerichtet auf die Förderung der Humanität durch Werke und Institutionen (Herder). Eine mittels technischer Kommunikation hergestellte Weltk., die gewachsene K. vernichtet, führt zu geistiger Uniformität und Verarmung. Sofern K. von Zivilisation unterschieden wird, bedeutet letzte die Gesamtheit funktionaler Errungenschaften (äußere, materielle K.), die der inneren K. zur Voraussetzung und Grundlage dienen. Gelegentlich wird der Begriff K. verengt auf Kunst, Literatur. 3 K.philosophie. T Haecker: Christentum und K., Hn 1927; M Landmann: Der Mensch als Schöpfer und Geschöpf der K., M 1961; A Gehlen: Der Mensch, Bn 1962; H Bergson: Die beiden Quellen der Moral und Religion, Olten 1980.

Ehlen

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Kulturphilosophie

Kulturphilosophie reflektiert die Beziehung des Menschen zu den von ihm gemeinschaftlich hervorgebrachten Lebensformen (3 Kultur). Sie fragt nach den im Wesen des Menschen liegenden Antrieben und Gründen für die kulturelle Entwicklung und deutet deren Sinn. Ihre Fragen implizieren ein Urteil über das Wesen des Menschen, über seine letzte Bestimmung und den Sinn des Fortschritts und die Maßstäbe, an denen er zu messen ist. K. versucht, in den vielfältigen Formen der gemeinschaftlichen menschlichen Lebensäußerungen gemeinsame Prinzipien und Konstanten zu erkennen. K. bedenkt die wechselseitige Zuordnung kultureller und sozio-ökonomischer Veränderungen. Die K. berührt deshalb aufs engste die philosophische 3 Anthropologie, 3 Geschichtsphilosophie und 3 Sozialphilosophie, aber auch 3 Ethik und 3 Metaphysik. Der Zusammenhang der Kulturerscheinungen erweist den Menschen als schöpferisches, zugleich geschichtliches Wesen, das an die Leistungen der Vorfahren anknüpfen kann und muss und auf die Mitarbeit anderer angewiesen ist. Der Mensch erfährt die Welt als seinem Veränderungswillen unterworfen. In der Auseinandersetzung mit den objektivierten Formen seines Geistes entwickelt er sich selber. Kulturformen können als Stütze (Sinnangebote), aber auch als Fessel erfahren werden, sobald ihr Sinn nicht mehr verstanden wird (3 Entfremdung). Im Unterschied zu den Kulturwissenschaften untersucht die K. nicht die Zusammenhänge der kulturellen Erscheinungen unter empirischer Rücksicht. Der Fortschritt der Kultur zeigt sich für Hegel im »Bewusstsein der Freiheit«. Oft ist K. Kulturkritik (Rousseau, Marx, Nietzsche). Cassirer bezeichnete sein Denken als kritische K.; nach Kants Vorbild verstand er die Grundformen der Kultur als symbolische Formen, mittels derer der menschliche Geist Wirklichkeit erfasst. Elemente einer K. enthält bereits die Reflexion der Bibel über die Bedingungen des kulturellen Fortschritts (der Mensch handelt, indem er sich die Erde untertan macht, als Ebenbild und im Auftrag des Schöpfers; er erkennt die Tiere als ihm nicht gleichartig und gibt ihnen Namen; das Fehlen von Scham im Paradies angesichts körperlicher Nacktheit; das Verbot, vom »Baum der Erkenntnis von Gut und Böse« zu essen und der auf die Übertretung folgende Verlust des unmittelbaren Verkehrs mit Gott und der mühsame Beginn der Kultivierung der Natur); anders die Prometheus-Sage (der Raub des den Göttern gehörenden Feuers, die Bestrafung des Prometheus; Pandora und die mit ihr in die Welt gekommenen Übel). Der Begriff K. findet sich erst seit der Wende zum 20. Jahrhundert (Eucken, Simmel, Windelband, Rickert). A Dempf: K., M 1932; W Solowjew: Die Schönheit in der Natur (1889), M 1953; R Guardini: Das Ende der Neuzeit, Wü 1959; W Ehrlich: K., Tü 1964; M Horkheimer / T W Adorno: Dialektik der Aufklärung, F 1986; C-F Geyer: Einführung in die Philosophie der Kultur, Da 1994; F-P Burkard (Hg): K., Fr 2000.

Ehlen Kulturwissenschaften 3 Geisteswissenschaften

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Kunst

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Kunst (gr. techne, lat. ars) kommt von »Können«, bezogen auf das erfolgreiche und sparsame Hervorbringen von etwas Erwünschtem. Beispiele: Heilk., Kriegsk., Redek. Eine K. ist nicht angeboren, sondern wird unter Anleitung durch Übung und Erfahrung erlernt. Sie ist eine Fertigkeit, die das Wissen einschließt, wie man etwas hervorbringt (Know-how). Dieses Wissen unterscheidet sich von dem der Wissenschaft, die erkennen will, was es von Natur aus schon gibt. Die verschiedenen Arten des Herstellungswissens unterscheiden sich durch die verschiedenen Zwecke, auf die sie spezifisch ausgerichtet sind. In Antike und Mittelalter stellte man die artes mechanicae, die Handwerke, zu denen auch Malerei, Bildhauerei und berufsmäßiges Musizieren gehörten, den sieben freien Künsten (artes liberales) gegenüber, die in Schule und Universität gelehrt wurden: das Trivium der Redek.e (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und das Quadrivium der mathematischen K.e (Musik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie). Seit dem 18. Jahrhundert wurde das Wort K. eingeengt auf jene K.e, deren Zweck in der Herstellung von etwas Schönem liegt. Man spricht seitdem von den Schönen K.en, die geordnet werden nach verschiedenen »Gattungen«; heute etwa: bildende K.e (Malerei, Plastik, Architektur), Dichtung und Musik; darstellende K.e (Tanz, Theater, Film). Bald wurde auch »die K.« oder einfach »K.« (im Singular) – jenseits des Plurals der Schönen K.e – zu einem geläufigen Wort. »Die« K. kann es aber nur durch die Einordnung in eine höhere Gattungsidee geben. Dies ist die Idee des autonomen Schöpfertums, das sich im freien Entwerfen zeigt. Im Bezug auf dieses kann sich K., in Absetzung und Rivalität, in doppelter Weise aus dem Gegenüber zu anderen Entwürfen verstehen: erstens im Gegenüber zur schöpferischen Instanz par excellence, der Natura naturans bzw. dem Schöpfer-Gott, zweitens im Gegenüber zu anderen selbstzwecklichen Ausdrucksformen menschlicher Geistigkeit: zur Religion und zur Metaphysik. Gestützt auf den metaphysischen Rang, den man dem Schönen zuerkannte, konnte K., die sich inzwischen aus der Dienstfunktion gegenüber Autorität und Gemeinwesen gelöst hatte, auch beanspruchen, selbst eine autonome Form der Wahrheit zu sein. Diese hohe Schätzung von K. blieb auch dann bestehen, als man im 20. Jahrhundert begann, das Schöne, ja selbst das »Werk« nicht mehr als den alleinigen Maßstab des Schaffens und Aufnehmens von K. anzuerkennen. Heute scheinen die »nicht mehr schönen K.e« ihre Aufgabe oft mehr in der prophetischen Geste oder in der Erschließung von neuen Räumen des Erlebens zu sehen. Doch bleibt dabei das Schaffen von Neuem ein zentrales Motiv. M Heidegger: Der Ursprung des K.werkes, St 1960; N Goodman: Sprachen der K., F 1973; R Wollheim: Objekte der K., F 1982; T W Adorno: Ästhetische Theorie, F 1997; J Nida-Rümelin / M Betzler (Hg): Ästhetik und K.philosophie von der Antike bis zur Gegenwart, St 1998; R Schmücker: Identität und Existenz, Pb 2003; M Hauskeller: Was ist K.?, M 1998; H Tegtmeyer: Kunst, B 2008.

Haeffner

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Kybernetik

Künstliche Intelligenz 3 Intelligenz, künstliche Kunstphilosophie 3 Ästhetik Kybernetik Der Begriff K. wurde 1947 von N Wiener eingeführt, um die Funktion komplexer Maschinen zu beschreiben. Auch lebende Organismen werden nach demselben Modell analysiert. Der Begriff beschreibt das funktionelle Zusammenspiel der Teile der Maschine/des Organismus unter Abstraktion von der konkreten materiellen Verwirklichung. Ein wichtiger Begriff ist der des rückgekoppelten Regelkreises: Eine kybernetische Maschine erhält gewisse Parameter in einem System aufrecht, indem sie diese Parameter regelmäßig misst und in Abhängigkeit davon steuernd eingreift. Nach diesem Schema funktioniert die Homöostase, die Aufrechterhaltung von stabilen Zuständen in Organismen (z. B. Körpertemperatur). Das Aufkommen der Computertechnik führte dazu, dass der Begriff der K. zunehmend in dem der 3 Informationsverarbeitung aufgegangen ist. N Wiener: K., D 2 1963.

Bauberger Lage 3 Raum Laster 3 Böse 3 Tugend Latentes Wissen 3 Gedächtnis 3 Unbewusstes Leben erfährt jeder unmittelbar im eigenen 3 Erleben; deshalb meint die Alltagssprache mit L. meist die Zeitspanne der Existenz eines Menschen, die mit dem 3 Tod beendet ist. Der L.svollzug zeichnet sich durch ein 3 Wirken aus, das im Gegensatz zu dem lebloser Entitäten nicht nur nach außen, sondern besonders auch nach innen gerichtet ist. Von unserem menschlichen L. ausgehend beurteilen wir andere 3 Wesen anhand ihrer äußeren Erscheinung und ihres 3 Verhaltens: Wir sprechen 3 Tieren, 3 Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen L. in verschiedenen qualitativen Abstufungen zu und erklären alle übrigen Entitäten für leblos. Die dazu nötigen Kriterien sind aus der 3 Natur nicht allgemeingültig ableitbar, sondern müssen definiert werden. Mit der Beschreibung der kategoriebildenden Eigenschaft von Lebewesen ergibt sich eine zweite, allgemeinere Bedeutung von L. Die Biologie als Wissenschaft vom L. nennt mindestens drei notwendige Bedingungen für dessen Vorliegen: Der (1) Metabolismus eines Lebewesens dient der Selbsterhaltung bestehender komplexer Strukturen mittels eines ständigen Energie- und Massedurchflusses, (2) Replikation im Sinne einer Selbstreproduktion des gesamten Organismus und (3) Mutabilität sind die Mindestvoraussetzung evolutiver Entwicklung. Weitere Phänomene des L.digen sind Irritabilität durch äußere Reize, Selbstbewegung, Selbstorganisation und Wachstum, wobei die Ausprägung jeder einzelnen Eigenschaft recht unterschiedlich ausfallen

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Leben

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kann. Viren weisen ohne die Mitwirkung anderer Lebewesen keine dieser Eigenschaften auf und gelten daher als unbelebt. Die fundamentalen L.sfunktionen sind an drei Molekülklassen gebunden, deren abiogene Synthese während der chemischen Evolution postuliert wird. (a) Lipide als Grundbausteine von Biomembranen können in wässrigem Milieu spontan kugelige Strukturen bilden und somit einen Innenraum von der 3 Außenwelt abgrenzen; diese Barriere ermöglicht eine Individualisierung und die Entstehung von Fließgleichgewichten im Rahmen des Stoffwechsels. Als Katalysatoren und Strukturelemente dienen hauptsächlich (b) Proteine, deren Aufbau durch (c) Nukleinsäuren bestimmt wird. Die Möglichkeit der identischen Reduplikation von DNA stellt die Grundlage der Replikation des Gesamtorganismus dar, wobei kleinere Fehler bei diesem Vorgang die Mutabilität begründen. Obwohl dem Erbgut hierbei eine bedeutende Rolle zukommt, ist L. dennoch eine 3 Erscheinung, die nur durch das Zusammenwirken aller Einzelelemente eines 3 Organismus möglich wird; deshalb verbietet sich eine Überbewertung des Genoms in Form des genetischen Reduktionismus, der die eigentlich treibende Kraft allen L.s oder gar dessen Zweck in den Genen vermutet. Mit dem Vorliegen von Nukleinsäuren, Proteinen und Energieträgern im Inneren einer Biomembran ist die Urzelle als Ausgangspunkt der biologischen 3 Evolution gegeben. Für diese Theorie sprechen u. a. die Universalität des genetischen Codes und die Zelle als Organisationsform allen L.s. Auch wenn die Einzelschritte dieser Entwicklung bislang nicht lückenlos nachvollzogen werden können, erscheint der Gesamtansatz doch plausibel. Erst eine solche 3 Theorie zur Entstehung von Lebewesen aus unbelebter Materie hat L. als einheitliches Phänomen naturwissenschaftlich begründet; es handelt sich demnach um eine Erscheinung, die auf der Erde vor etwa 3,8 Milliarden Jahren begann und sich seitdem kontinuierlich fortsetzt. Aufgrund dieser Kontinuität ist die weit verbreitete Redeweise vom Beginn neuen L.s in Bezug auf die individuelle Ontogenese irreführend, da sich jedes Lebewesen aus einer bereits bestehenden zellulären Organisation entwickelt (»omne vivum e vivo«). Auch die Möglichkeit künstlichen L.s lässt sich vor diesem Hintergrund beurteilen: Die Konstruktion einer artifiziellen, l.den Entität aus anorganischen Vorstufen – also eine zweite, gemachte Urzeugung – erscheint prinzipiell denkbar. Beim aktuellen Stand der Forschung ist jedoch nur die Manipulation natürlich entstandenen L.s möglich. Modelle der 3 Kybernetik können L.svorgänge lediglich simulieren. Auch in den 3 Geisteswissenschaften ist L. ein zentrales Thema, wobei die 3 Naturphilosophie ein Bindeglied zur 3 Naturwissenschaft darstellt: Dem 3 Aristotelismus erscheint L. als Bewegungsprinzip, welches das in der 3 Form des 3 Individuums potentiell angelegte Wesen zur tatsächlichen Entfaltung bringt. Dieses innere Seinsziel – die Entelechie – wirkt auf der vegetativen, sensitiven und geistigen Stufe des L.s jeweils als Pflanzen-, Tier- und Men-

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Lebensform

schenseele. Den Gedanken der 3 Teleologie als Grundeigenschaft des L.s betonen in unterschiedlichem Maße auch der 3 Vitalismus und die 3 L.sphilosophie und widersprechen damit dem 3 Mechanismus, der 3 Intentionalität bei vorbewussten L.svorgängen ablehnt. Zur Entstehung des L.s herrschen je nach 3 Weltanschauung verschiedene Überzeugungen vor, in denen Elemente der Extrempositionen 3 Materialismus und Kreationismus (3 Schöpfung) unterschiedlich stark gewichtet sein können. In vielen 3 Religionen gilt L. als Geschenk 3 Gottes, das nicht mit dem biologischen Tod endet; der 3 Körper ist vergänglich, aber die menschliche 3 Seele als unstoffliche Substanz besitzt 3 Unsterblichkeit. Dieser 3 Dualismus stellt eine mögliche Antwort auf das 3 Leib-Seele-Problem dar. Nur der 3 Mensch kann die 3 Endlichkeit aller Lebewesen und seiner selbst erkennen und darüber hinaus fragen (3 Transzendenz). Reflexion über das eigene 3 Ich, 3 Gedächtnis und 3 Bewusstsein charakterisieren sein geistiges L., das mit dem Begriff der 3 Person eng verbunden ist. Der 3 Geist des Menschen äußert sich in 3 Kultur und begründet seine Sonderstellung in der 3 Anthropologie. Der Mensch ist 3 Zweck an sich und seinem personalen L. kommt höchster 3 Wert zu; darum wird dessen Schutzwürdigkeit ausschließlich bei tödlicher Notwehr oder im Krieg relativiert. 3 Tod als Zustand des nicht mehr L.digseins ist durch einen irreversiblen Zusammenbruch der geordneten 3 Struktur gekennzeichnet. Dabei tritt der menschliche Individualtod mit dem Hirntod ein und ist durch endgültiges Erlöschen bestimmter neuronaler Erregungsmuster charakterisiert; erst mit dem Absterben der letzten vitalen Zelle ist bei mehrzelligen Organismen der biologische Tod erreicht. Der Terminus L. in seinen verschiedenen Bedeutungen spielt bei aktuellen bioethischen Fragestellungen eine zentrale Rolle. Für einen zielführenden 3 Diskurs über Themen wie Stammzellenforschung, Reproduktionsmedizin, Abtreibung oder Euthanasie ist dabei eine differenzierte und jeweils eindeutige Verwendung des Begriffes L. unverzichtbar. A I Oparin: Die Entstehung des L.s auf der Erde, B 1957; R Löw: Philosophie des L.digen, F 1980; B-O Küppers: Ordnung aus dem Chaos, M 3 1991; M Eigen: Stufen zum L., M 3 1993; C Kummer: Philosophie der organischen Entwicklung, St 1996; E Schrödinger: Was ist L.?, M 3 1999.

Kummer-Huber Lebensbedingungen 3 Sozialethik Lebensform ist ein von Wittgenstein in seiner Spätphilosophie, den Philosophischen Untersuchungen, verwendeter Ausdruck, um eine bestimmte Lebensweise zu bezeichnen, der ein bestimmtes 3 Sprachspiel entspricht: »sich eine Sprache vorstellen heißt, sich eine L. vorstellen« (§ 19). Man könnte aber bereits bei Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik der Sache nach von L.en sprechen, unter denen der Mensch eine wählt, die den Rahmen für

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Lebensphilosophie

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seine einzelnen Handlungen abgibt, und mit deren Wahl er sich dafür entscheidet, worin er das Gelingen seines Lebens sieht, im Reichtum, im Genuss, in der Ehre oder in einem tugendhaften Leben. Der deutsche Terminus L. hat seinen Ursprung in der Lebens- und Kulturphilosophie des 18. und 19. Jahrhunderts und wird heutzutage in vielfältiger Weise verwendet, um bestimmte Lebensweisen und -stile zu kennzeichnen. L Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen. – W Lütterfelds (Hg): Der Konflikt der L.en in Wittgensteins Philosophie der Sprache, F 1999; W Kienzler: Ludwig Wittgensteins »Philosophische Untersuchungen«, Da 2007.

Schöndorf Lebensphilosophie ist ein Sammelname für Strömungen der Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts. Die L. führt die Subjektphilosophie cartesischidealistischer Herkunft weiter, indem sie anstelle des zeitlosen ego-cogito (ich-denke) das fließende ego-vivo (ich-lebe) als Fundament von allem Bewusstsein und Handeln ansetzt. Insofern steht sie im Gegensatz zu den rationalistischen Fortführungen dieser Tradition wie etwa dem Neukantianismus. Lebensphilosophische Motive durchziehen das Werk Goethes; das Wort L. findet sich zuerst bei F Schlegel (1827). Überhaupt fühlt die Romantik das Bedürfnis nach einer L. im Gegenzug zur aufkommenden Dominanz der Naturwissenschaften und als Ersatz für die seit Kant »verbotene« 3 Metaphysik. Leben ist ein Grundwort Arthur Schopenhauers und Friedrich Nietzsches; beide Mal wird es als arationales Streben gedeutet. Der junge Nietzsche untersucht kritisch den Nutzen und Nachteil der Wahrheitsidee für das Leben, das ihm als letzte Instanz gilt. Aber nicht das Überleben meint er, sondern die ständige Selbstüberbietung in Formen gesteigerten Lebens. Leben dient keinem 3 Zweck; es ist ein 3 Spiel, das uns mit hineinmischt. Im Kontext einer unter den objektivierenden Wissenschaften schon aufgeteilten Welt sucht die spätere, akademische L. noch Platz für ein Bewusstsein des Lebens zu erarbeiten. Die beiden wichtigsten Philosophen dieser L. sind Dilthey und Bergson. Mit Wilhelm Dilthey (1833–1911) werden wir des dunklen Grundes, der Leben heißt, im 3 Erleben inne. Realität wird nicht nur vom erkennenden, sondern vom ganzen ›lebendigen Subjekt‹, diesem ›denkenden, wollenden, fühlenden Wesen‹, erfahren. Aber während für Dilthey damit eine Skepsis gegenüber der Metaphysik verknüpft ist, rehabilitiert Henri Bergson (1859– 1941) gegen Positivismus und Kritizismus die Intuition und entwirft eine spirituelle Metaphysik des Lebensschwungs (élan vital). Im Ausgang von der Kontinuität des inneren Lebensempfindens wird 3 Zeit im ursprünglichen Sinn als Dauer (durée) erlebbar. Bergsons Einfluss auf Philosophie und Literatur (Proust) war groß, vor allem in Frankreich, aber auch z. B. auf Georg Simmel (»Lebensanschauung«, L 1918). Die vielleicht extremste Zuspitzung des Gedankens der L. ist bei Ludwig Klages (1872–1956) zu finden. Er denun-

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Lebenswelt

ziert den »Geist als Widersacher der Seele« (1929–1932) und damit der Einheit von Mensch und Kosmos. – Das Problem der L. liegt in der ontologischen Unklarheit des Lebensbegriffs. K Albert: L. von den Anfängen bei Nietzsche bis zu ihrer Kritik bei Lukács, Fr 1995; T Klug: Grundlagen und Probleme der L., Aachen 1997; R Kozljanicˇ: L., St 2004.

Haeffner Lebensqualität 3 Fortschritt Lebensrecht 3 Menschenrecht 3 Naturrecht Lebenswelt Die ursprüngliche Bedeutung von L. – als das vorwissenschaftliche Reich des Anschaulichen – ergibt sich unmittelbar aus den Überlegungen Husserls in den ersten sieben Paragraphen der Krisis. Es geht hier um den Vorwurf an die Adresse der Wissenschaften, Wahrheit ausschließlich als objektiv-wissenschaftliche Erkenntnis gelten zu lassen. Diese Haltung führt nach Husserl unausweichlich zu einem »philosophischen und weltanschaulichen Positivismus« (5). Die ursprüngliche Idee von Wissenschaft wird damit preisgegeben, denn die Wissenschaften werden zu »Tatsachenwissenschaften« (3), und ihre Krisis zeigt sich im Verlust ihrer »Lebensbedeutsamkeit« (ebd.). In der Tat ist Wissenschaft eine menschliche Leistung, die, das ursprüngliche In-der-Welt-Sein des Menschen variierend, über dieses hinausgeht. Als solche hat die Wissenschaft die »anschauliche L.« (123) des Menschen zu ihrer Voraussetzung und ihrem andauernden Fundament. Der Wissenschaftler weiß sich selbst mit all seinem theoretischen und praktischen Tun als in dieser anschaulichen L. enthalten. Wenn die Wissenschaft Fragen stellt, so stellt sie diese auf dem Boden der ihr vorgegebenen Welt (124). D. h.: In die wissenschaftliche Zugangsweise zur Wirklichkeit fließen immer Momente der vorwissenschaftlichen Zugangsweise zur Wirklichkeit ein. Der wissenschaftliche Zugang zur Welt ist deshalb nur als Variation des vorwissenschaftlichen Zugangs zur Wirklichkeit möglich und durchführbar. Will also die Wissenschaft von allen Momenten vorwissenschaftlichen Lebens abstrahieren, so abstrahiert sie dabei auch von notwendigen Implikationen ihrer eigenen Methode und damit abstrahiert sie von sich selbst. Jede wissenschaftliche Erkenntnis kann deshalb ihre Geltung nur bewahren, wenn das Verhältnis zur L. wirksam bleibt. Da nun die L. die Welt ist, in der die Menschen leben, ist sie von ihrer Geschichtlichkeit geprägt, und so erfolgt die anschauliche Erscheinung der Gegenstände immer in bestimmten Gegebenheitsweisen. M. a. W.: Sie ist immer subjekt- und situationsrelativ. Indem die Wissenschaft von aller Subjekt- und Situationsrelativität abstrahiert, ist ihre Erkenntnis unanschaulich. Das ist es, was in der modernen Wissenschaft passiert, wenn sie sich beim Streben nach dem Objektivitätsideal vom mathematisierenden Formalismus leiten lässt. Damit entperspektiviert sie radikal die Welt, d. h. sie löst ihre Bindungen an die Erfahrungswelt. Die wissenschaft-

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Legalität

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liche Praxis wird somit zu einer nur an ihrer funktionalen Eigengesetzlichkeit orientierten, instrumentalen Praxis. Die Überwindung der durch die Objektivierung der Welt entstandenen Sinnkrise fordert deshalb die Wiederentdeckung der L. als Grundlage aller Wissenschaften. Objektivierung und Verwissenschaftlichung haben ihre Wurzel in der L., da sie erstens durch Transzendierung der l.lichen Horizonte entstehen und also nur in konkretisierender Abgrenzung von der L. bestehen können und zweitens die L. auch durch Wissenschaft gar nicht vollständig transzendierbar ist. Die Wissenschaft ist nämlich eine Leistung von in der Welt lebenden Subjekten. Der l.liche Horizont kann durch den Menschen also grundsätzlich niemals verlassen werden. Auch der Versuch, ihn zu überschreiten, gründet in ihm und bleibt so in ihm eingebettet. Der Versuch, die Einbettung in die L. aufzuheben, führt deshalb zu krisenhaften Erscheinungen. Diese krisenhaften Erscheinungen können nur beseitigt werden durch die Rehabilitierung der L., d. h. durch eine erneute Aufklärung über ihre fundamentale Bedeutung für das menschliche Erkennen und Handeln. E Husserl: Die Krisis der europäischen Wissenschaften; Cartesianische Meditationen. – L Landgrebe: Welt als phänomenologisches Problem, in: Weg der Phänomenologie, 2 1967, 41 ff.; E Ströker (Hg): L. und Wissenschaft in der Philosophie E. Husserls, 1979; K Held: Husserls neue Einführung in die Philosophie, 1984.

Ponsetto Lectio 3 Scholastik Leere 3 Raum Legalität (lat. legalis: gesetzmäßig) In der L. zu sein oder auch legal zu handeln, bedeutet, einem von Menschen gesetzten Gesetz gemäß entsprechend und damit korrekt zu handeln. Kant unterschied in der Kritik der praktischen Vernunft (A 127) und der Metaphysik der Sitten L. und Moralität. Letzterer kommt es wie schon bei Aristoteles (Nik. Eth. II, 3, 1115 a 17 ff.) auf die innere Einstellung an, der L. hingegen auf die (bloß) äußerliche, objektive und formale Übereinstimmung von Handlung und Gesetz. Die 3 Staatsphilosophie stellt ab dem 16. Jahrhundert L. und Legitimität (lat. legitimus: rechtmäßig) gegenüber, der Übereinstimmung mit dem menschlichen Gesetz also die Übereinstimmung mit Gottes Wille oder der Vernunft oder dem souveränen Volkswillen. Für M Weber wird die legale 3 Herrschaft durch Gesetzesgehorsam und Verfassungstreue auch zugleich zur legitimen Herrschaft; und für N Luhmann erzeugen die politisch-rechtlichen Verfahren Legitimität. M Weber: Politik als Beruf, St 1992; Wirtschaft und Gesellschaft, K 1964; N Luhmann: Legitimation durch Verfahren, Neuwied 1969; J Habermas: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, F 1973; C Schmitt: L. und Legitimität, B 3 1980.

Brieskorn

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Leib

Leib Die Wörter »L.« und »Körper« haben im Deutschen weithin denselben Sinn. Doch decken sich die beiden Wörter nicht im Gebrauch: Im Vergleich zu »Körper« ist »L.« intimer (meint mehr den Bereich von Bauch und Geschlecht) und persönlicher: l.hafte Gegenwart ist die Anwesenheit von jemandem selbst, nicht nur vertreten durch Bilder o. ä. Denn »L.« bedeutet ursprünglich soviel wie »Leben« (»L. und Leben verlieren«). Ein »Körper« hingegen muss nicht von Leben erfüllt und jemandes Körper sein; es gibt auch »bloße« Körper, seien es Körper, die wirklich leblos sind, wie Ziegelsteine – seien es Körper, von deren eventueller Lebendigkeit und Subjektivität man absieht, indem man sie ausschließlich mit den Begriffen der Geometrie und Physik beschreibt. Versucht man vom bloßen Körper aus den Rückweg zum lebendigen, denkenden Menschen zu gehen, so stellt sich das 3 L.-SeeleProblem in einer seiner Varianten. Der Stellung dieses Problems und seinen Lösungsversuchen voraus muss jedoch eine Phänomenologie des l.lichen Daseins liegen. L. ist immer jemandes L. Man ist in ihm da; man drückt seine Absichten, Haltungen und Stimmungen automatisch l.lich aus. Mit der Entwicklung des L.s entwickelt sich grundsätzlich auch die Persönlichkeit. Wird der L. zerstört, so bleibt kein sinn-neutrales dreidimensionales Materiegefüge übrig, sondern eine Leiche. Diese ist wesentlich durch den Verlust des Lebens und das Verschwinden der Persönlichkeit bestimmt, deren L. sie gewesen ist. – Ich bin nicht anders »da« als im l.lichen Befinden, im sinnlichen Wahrnehmen der Umwelt, ruhend oder in Bewegung, (in gesunden Tagen) gut oder (bei Krankheit) schlecht »getragen« von den Prozessen, die ohne unser Zutun und Wissen im Körper ablaufen. Das Denken kann ohne seine »Entäußerung« im Medium einer sinnlichen Sprache nicht vorankommen; und das Wollen realisiert sich, motiviert zugleich von Ideen und von physiologisch gesteuerten Antrieben, mit Händen und Füßen. So kann jemand zwar das Schicksal seines Körpers von der Geschichte seiner 3 Seele (in Erkenntnis und freier Wahl, in Selbstwerdung und 3 Schuld) unterscheiden. Doch kann sich die Seele nicht aus ihrem L. heraushalten; vielmehr ist sie darin antreffbar und betreffbar, im Guten wie im Bösen. Wir sind sichtbar und manipulierbar wie die Dinge, ob wir wollen oder nicht. L.lichkeit ist aber auch die universale Voraussetzung für alles Wahrnehmen und Handeln. – Wahrnehmen: Mein L. markiert den vorgegenständlichen Ort aller Richtungen des Raumes wie oben/unten, links/rechts, vorn/ hinten. Er ist auch das wesenhafte Bezugszentrum der erlebten Zeit. Von ihm aus ergeben sich Nähe und Ferne. Um ihn herum erstreckt sich der Raum, in dem mir Dinge begegnen. Also ist es sinnlos, von (je) meinem L. als einem bloßen Ding zu sprechen. – Handeln: Unter den Organen (gr. für Werkzeuge), die unmittelbar zum L. gehören und eine Verfügungsmacht beinhalten, hat die Hand eine zentrale Rolle. Sie ist das wichtigste Organ des Handelns (!); dank ihrer kann es überhaupt erst Werkzeuge, Maschinen usw. ge-

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Leib-Seele-Problem

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ben. Sie selbst jedoch ist kein Werkzeug, ebenso wenig wie es der ganze L. ist; denn womit sollte es gehandhabt werden? Subjekt des Handhabens kann nur ein leiblich existierendes Wesen sein. Insofern ist es sinnlos, vom L. als dem »Instrument« des Geistes zu sprechen. Zum L.lichsein gehört ein Verhältnis zum L. G Marcel hat dieses einzigartige Verhältnis zwischen (je) mir und meinem L. mit der Dialektik von »Haben« und »Sein« beschrieben. Das eine ist untrennbar vom anderen. Ein Verhältnis des Habens liegt vor, wenn wir ihn pflegen, bemalen und kleiden, wenn wir uns bewusst so oder so bewegen, wenn wir uns beherrschen oder gehen lassen, wenn wir unsere Bedürfnisse als seine Bedürfnisse interpretieren und ihre Befriedigung vernünftig regeln. – Aber das Verhältnis des Habens hat immer nur einen beschränkten Spielraum; es beruht darauf, dass wir distanzlos und unwillkürlich l.lich da sind: verkrampft oder locker, als Kind oder Greis, als Frau oder Mann. G Marcel: Sein und Haben, Pb 1954; H Schmitz: Der L., Bn 1965; H Plügge: Der Mensch und sein L., Tü 1967; H Petzold (Hg): L.lichkeit, Pb 1985; G Pöltner / H Vetter (Hg): Leben zur Gänze, W 1986; M Großheim (Hg): L. und Gefühl, B 1995; T Fuchs: L., Raum, Person, St 2000; B Waldenfels: Das l.liche Selbst, F 2000; G Haeffner: Philosophische Anthropologie, St 4 2005, 127–146.

Haeffner Leib-Seele-Problem Unter dem L.-S.-P. wird die Schwierigkeit verstanden, wie zwei so diametral entgegengesetzte Wirklichkeiten wie der materielle menschliche L. und die geistige S. eine so radikal innere Einheit bilden können, dass sie den einen Menschen bilden. Dies zeigt sich konkret in der Fähigkeit der sinnlichen Wahrnehmung und der willentlichen Bewegung, aber auch bei den von der Psychosomatik untersuchten Einwirkungen seelischer Zustände auf das körperliche Befinden und umgekehrt. Ferner ergibt sich das L.-S.-P. aus der Erfahrung des natürlichen Todes, bei dem der Körper zunächst äußerlich unverändert zurückbleibt, aber nicht mehr belebt ist und deshalb früher oder später der Verwesung anheimfällt. Das L.-S.-P. kann nicht dadurch gelöst werden, dass man die Einheit des Menschen betont und alle Unterscheidungen zwischen L. und S. als Dualismus verketzert, denn kein namhafter Vertreter der wesentlichen Unterscheidung zwischen L. und S. bestreitet die Einheit des Menschen, ohne die es überhaupt kein L.-S.-P. gäbe. Ist die S. wie beim Tier nur das Formprinzip des lebendigen Organismus, so gibt es in der aristotelisch-scholastischen Konzeption eigentlich kein L.-S.-P. Das eigentliche L.-S.-P. entsteht erst beim Menschen, wo die S. nicht nur Lebensprinzip, sondern zugleich geistig ist. Dies zeigt sich bereits in der Antike. Platon zeigt die Geistigkeit und Unsterblichkeit der menschlichen S., und bei Aristoteles gibt es trotz seiner Konzeption der S. als Lebensprinzip die Frage, woher der Geist des Menschen kommt. In der Scholastik insistiert Thomas v Aquin darauf, dass der Mensch nur eine einzige S. hat, die immer

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Leib-Seele-Problem

auf den L. bezogen ist. Dagegen versuchen manche andere Denker, das L.S.-P. dadurch zu lösen, dass sie zwischen dem Geist und dem Lebensprinzip unterscheiden. Die große Zeit der philosophischen Erörterung des L.-S-P.s beginnt mit Descartes (3 Cartesianismus). Für ihn gibt es nur noch Geist und Materie, so dass die S. nicht mehr Lebensprinzip, sondern nur noch Geist ist. Ferner tendiert er in seiner 2. Meditation dahin, den menschlichen Geist mit dem Bewusstsein gleichzusetzen. Geist im eigentlichen Sinn ist für ihn jedoch nur das reine Denken. Fühlen und imaginatives Vorstellen verdanken sich hingegen der L.-S.-Einheit, worauf er in seiner Korrespondenz hinweist. In der 6. Meditation führt er sowohl für die wesentliche Unterscheidung als auch für die Einheit (!) von L. und S. einen Beweis an und lehrt die Interaktion (Wechselwirkung, psycho-physische Tätigkeit) zwischen L. und S. in Bezug auf die sinnliche Wahrnehmung und die willentliche Körperbewegung. Die Schaltstelle hierfür sieht er in der Zirbeldrüse des Gehirns. Seine späteren Anhänger sehen freilich zu Recht, dass die Interaktionstheorie mit dem radikalen Gegensatz von Geist und Materie unvereinbar ist, was zum 3 Okkasionalismus führt, der keine l.-seelische Wechselwirkung mehr kennt, sondern Gott zum Wirkenden macht. Spinoza sucht das L.-S.-P. dadurch zu lösen, dass er L. und S. als einander entsprechende Modi der Attribute Ausdehnung und Denken versteht, zwischen denen es keine Interaktion gibt, da sie zwei Aspekte derselben Wirklichkeit darstellen (3 Spinozismus). Dies ist die Urform des psycho-physischen Parallelismus, der (wie die empirische Forschung gezeigt hat, zu Unrecht) als Identitätstheorie eine genaue Entsprechung aller psychischen und physischen Vorgänge behauptet. Leibniz (3 Monade) kennt verschiedene Ansätze zur Lösung des L.-S.-P.s. Durch die prästabilierte (vorbestimmte, d. h. von Gott im Voraus festgelegte) Harmonie entsprechen L. und S. einander, obwohl sie in keinerlei Beziehung zueinander stehen. Die S. ist die Zentralmonade des L.es, und in seiner Korrespondenz spricht Leibniz von einem substantiellen Band (vinculum substantiale) zwischen S. und L. Der vorkritische Kant vertritt die Interaktionstheorie. Für den kritischen Kant entfällt das L.S.-P., da er nun der Meinung ist, wir könnten über die S. keine metaphysischen Aussagen machen. Vom subjektiven Standpunkt der Transzendentalphilosophie aus stellt sich nun aber die Frage nach dem L. als Vermittlung zur Welt, die Kant in seinem Opus postumum und dann Fichte und Schopenhauer aufgreifen. Fichte deduziert den L. als das gegliederte Universalinstrument meiner selbst in der materiellen Welt. Später löst er das L.-S.-P. im Sinn einer doppelten Ansicht des Ich: im Denken oder im inneren Sinn bin ich S., in der Anschauung oder im äußeren Sinn bin ich L. Für Hegel ist die S. die Totalität des Begriffs als Einheit, der L. als sinnliches Auseinander. Im 20. Jahrhundert gibt es zeitweise eine starke Tendenz, den Dualismus zwischen L. und S. zu kritisieren und die Einheit des Menschen zu betonen. In der Frühzeit der analytischen Philosophie wollen Ryle (The concept of mind;

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Leib-Seele-Problem

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dt.: Der Begriff des Geistes) und der späte Wittgenstein (Philosophische Untersuchungen) die dem Cartesianismus zugeschriebene Vorstellung eines in sich abgeschlossenen Bewusstseins, das nicht aus sich herauskommt, durch eine an der (Befähigung zur) Handlung orientierte Interpretation von Denken und Sprache überwinden. Das L.-S.-P. ist das Thema der analytischen »philosophy of mind«, die meist mit »Philosophie des Geistes« übersetzt wird, treffender aber »Philosophie des Bewusstseins« genannt würde, da sie von der traditionellen Descartes-Interpretation ausgeht, die die menschliche S. mit dem Bewusstsein identifiziert. Entsprechend hierzu wird als l.licher Gegenpol das Gehirn angesehen, so dass das L.-S.-P. auf ein Gehirn-Bewusstsein-Problem reduziert wird. Das Festhalten an den cartesischen Prämissen, es gebe nur die im Gegensatz zueinander stehenden Größen Geist und Materie, macht aber das L.S.-P. unlösbar, es sei denn, man behauptet ein dialektisches Überschlagen von Materie in Geist (und umgekehrt). Die Eigenständigkeit des Lebens als eines Dritten und somit Vermittelnden zwischen Geist und Materie wird gewöhnlich gar nicht in Erwägung gezogen. Außerdem wird die in der Scholastik und auch noch vom vorkritischen Kant erwähnte Frage nach der virtuellen Gegenwart der S. im menschlichen L. nicht mehr als eine zum L.-S.-P. wesentlich zugehörige Fragestellung gesehen. Im Einzelnen gibt es in der philosophy of mind mehr oder weniger radikale reduktionistische Positionen (3 Reduktionismus, 3 Materialismus) sowie verschiedene Arten der parallelen Identitätstheorie, die entweder nur jedem geistigen Geschehen überhaupt einen l.lichen Vorgang entsprechen lässt (token-identity-theory) oder eine ganz bestimmte Art von l.lichem Vorgang als Entsprechung fordert (typeidentity-theory). Andere Positionen bezeichnen das Bewusstsein dem Gehirn gegenüber als supervenient oder emergent (3 Emergenz), wobei der Streitpunkt die Frage ist, ob und inwieweit das Bewusstsein mit einer eigenen unabhängigen Kausalität auf die Materie einwirken kann. Das L.-S.-P. ist nur »lösbar«, wenn Geist und Materie nicht nur als Gegensatz, sondern auch als aufeinander bezogen aufgefasst werden, und dem Leben eine vermittelnde Position zwischen beiden zuerkannt wird. Dies bedeutet keinen Panpsychismus, sondern die Überzeugung, dass auch die Materie Elemente des Geistigen in sich trägt, was sich schon daran zeigt, dass sie mathematischen Gesetzen gehorcht. K R Popper / J C Eccles: Das Ich und sein Gehirn, M 1982; H Schöndorf: Der L. im Denken Schopenhauers und Fichtes, M 1982; T Metzinger: Neuere Beiträge zur Diskussion des L.-S.-P.s, F 1985; H Holzhey (Hg): Körper, Geist, Maschine, Be 1987; E Ostenfeld: Ancient Greek psychology and the modern mind-body debate, Aarhus 1987; H Wiesendanger: Mit Leib und Seele, F 1987; J Seifert: Das L.-S.-P. und die gegenwärtige philosophische Diskussion, Da 2 1989; C Macdonald: Mind-body identity theories, Lo 1992; R Warner (Hg): The mind-body problem, O 1994; T Crane (Hg): History of the mind-body prob-

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Leiden lem, Lo 2000; H Goller: Das Rätsel von Körper und Geist, Da 2003; P Neuner (Hg): Naturalisierung des Geistes, Fr 2003; U Meixner: The two sides of being, Pb 2004; T Kläden: Mit L. und S., Rb 2005; Friedrich Hermanni (Hg): Das L.S.-P., M 2006; G Brüntrup: Das L.-S.-P., St 3 2008.

Schöndorf Leibniz 3 Identität 3 Individuum 3 Kalkül 3 Monade Leiden (gr. páthos, lat. passio) hat eine zweifache Bedeutung: a) In der engeren Bedeutung meint L. (absolut gebraucht oder als L. an, durch oder wegen etwas) oder Erl. einer Widrigkeit das Hinnehmen(müssen) eines körperlichen oder seelischen Schadens (3 Privation), was subjektiv als 3 Schmerz oder Leid erlebt wird. L. in diesem Sinn ist die Erfahrung eines 3 Übels und ist (wie Übel) ein zugleich beschreibender und wertender Terminus, da es etwas ist, das zunächst einmal rein als solches nicht sein und darum vermieden und bekämpft werden sollte. Soweit L. leicht erträglich und unausweichlich ist, ist es ein Zeichen menschlicher Reife, es zu akzeptieren. Nur um eines anderen Gutes willen kann L. auch einen positiven Sinn haben (Anzeige einer Funktionsstörung, Ausdruck der Solidarität …): 3 Theodizee. b) In der weiteren Bedeutung ist mit L. (absolut gebraucht) das Erl., d. h. das Erfahren jeder Art von Affektion (Widerfahrnis, Be- oder Getroffenwerden, Modifikation) gemeint, die einem Seienden zugefügt wird und die es selbst rezeptiv (hinnehmend) erlebt. L. in dieser Bedeutung meint: Objekt eines Geschehens oder Tuns sein. Der Gegensatz hierzu ist die Tätigkeit oder Aktivität. Tun und L. in diesem Sinn werden von Aristoteles unter die akzidentellen 3 Kategorien gerechnet. Da die 3 L.schaften, Affekte oder Emotionen normalerweise nicht bewusst von uns hervorgebracht und gesteuert werden, sondern über uns kommen, werden sie klassischerweise Passionen (passiones) der Seele genannt. V E Frankl: Der l.de Mensch, M 1990; P Bourdieu: La misère du monde, P 1993; G Höver (Hg): L., Ms 1997; H Kessler (Hg): Leben durch Zerstörung, Wü 2000; A-T Tymieniecka (Hg): Passions of the earth in human existence, creativity and literature, Dordrecht 2001.

Schöndorf Leidenschaft / Affekt L. ist eine gewohnheitsmäßige Neigung zu Empfindungen, wie z. B. eine starke Begeisterung für eine Person, eine Sache oder Aktivität. Der Ausdruck A. bezeichnet einen kurz dauernden Erregungszustand von besonderer Intensität, der mit verminderter Urteilskraft, dem Verlust der Selbstkontrolle, der Kritikfähigkeit und der Einsicht in die Folgen des Tuns einhergeht. A.handlungen laufen mit großer Erregung und niedriger bewusster Steuerung ab. Ein hochgradiger A.zustand zur Tatzeit kann nach den Regeln des Strafrechts als schuldausschließend oder schuldmindernd geltend gemacht werden.

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Leidenschaft

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Die Psychologie verwendet die Begriffe L. und A. kaum. Der englische Begriff ›affect‹ hat eine völlig andere Bedeutung als das deutsche Wort A. Häufig wird er synonym für Emotion oder 3 Gefühl verwendet, oder um das Erleben von Lust oder Unlust ohne weitere Differenzierung der Gefühlsqualitäten zu beschreiben. In der Klinischen Psychologie ist der Terminus ›A.ive Störungen‹ gebräuchlich. Das sind Störungen der 3 Stimmung wie z. B. die verschiedenen Formen der Depression, die Manie und die manisch-depressive (bipolare) Störung. ›Flacher A.‹ meint eine Minderung der Gefühlsintensität, die Seichtheit oder völlige Abstumpfung der Gefühle. Von ›inadäquatem A.‹ spricht man, wenn die Gefühlsäußerungen eines Menschen deutlich im Widerspruch zum Inhalt seiner Äußerungen stehen oder der Situation völlig unangemessen sind. In der Philosophie spielen die Begriffe L. und A. seit der griechischen Antike eine wichtige Rolle. Platon verglich die L.en mit feurigen Rossen, die der Wagenlenker entweder beherrscht oder die ohne Führung sinnlos rasen. Ein l.sloses Seelenleben wäre verkrüppelt, ein von L.en beherrschtes zerstört sich seine Werte. Aristoteles verwendete für A.e. das Wort pathe. Sie sind vorvernünftige Antriebe, in bestimmter Weise zu reagieren, bilden ein ganzheitliches Erleben und besitzen motivierende Kraft. Einem reinen Vernunfturteil fehlt das ganzheitliche Erleben. Die Vernunft ist auf die motivierende Kraft der A.e angewiesen und die A.e bedürfen der Führung durch die Vernunft. Die Stoa betonte die Vernunftwidrigkeit der A.e und definierte sie als falsche Urteile. Sie erklärte die ›Apathie‹, die L.slosigkeit und Unempfindlichkeit, zu ihrem Bildungsideal. Dabei ging es ihr weniger um Gefühllosigkeit als vielmehr um die rechte Haltung gegenüber den A.en. Nach Thomas v Aquin besitzen wir Menschen ein begehrendes (potentia concupiscibilis) und ein iraszibles Strebevermögen (potentia irascibilis). Gegenstand des begehrenden Vermögens ist etwas, das wir als gut erachten. Gegenstand des irasziblen Vermögens ist etwas, das wir auch als gut, jedoch als schwer erreichbar einschätzen. Thomas v Aquin spricht von passiones concupiscibiles und passiones irascibiles. Was uns gut erscheint, weckt Liebe (amor), Gefallen (complacentia), Sehnsucht (desiderium) und Freude (delectatio). Was uns schlecht erscheint, dagegen Hass (odium) und Schmerz (dolor). Ein schwer erreichbares Gut wirkt zugleich anziehend und abstoßend. Es kann Hoffnung (spes), Verzweiflung (desperatio), Furcht (timor), Mut (audacia) und Zorn (ira) auslösen. Aristoteles: De an.I 1; Rhet. II; Thomas v Aquin: STh I. II q 22–48. – H Saß / H Wittchen / M Zaudig (Hg): Diagnostisches und statistisches Manual Psychischer Störungen, Gö 1998.

Goller Lemberg-Warschauer Schule 3 [322] Leninismus 3 Marxismus Lernen 3 Gedächtnis 3 Kybernetik

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Letztbegründung

Letztbegründung Der Philosoph muss alle seine 3 Behauptungen begründen können. Doch der vernünftige Sinn dieser Forderung kann nicht bedeuten, Begründung müsse in jedem Fall durch Schlussfolgerung geschehen (3 Schluss). Denn aus ihr würde die grundsätzliche Unabschließbarkeit des Begründungsverfahrens folgen. Wenn man also an der (für die 3 Vernunft unaufgebbaren) Forderung, alle Behauptungen begründen zu sollen, festhält, so muss gezeigt werden können, dass es letztbegründete Aussagen im Sinne von durch sich selbst begründeten Aussagen gibt, d. h. Sätze, die deshalb als durch sich selbst begründet gelten können, weil sie nicht zu bestreiten sind, ohne ihre Geltung stillschweigend in Anspruch genommen zu haben. 3 Retorsion. H Albert: Die Wissenschaft und die Fehlbarkeit der Vernunft, Tü 1982; W Kuhlmann: Reflexive L., F 1985; Forum für Philosophie (Hg): Philosophie und Begründung, F 1987; K-O Apel: Nichtmetaphysische L.? in: E Braun (Hg): Die Zukunft der Vernunft aus der Perspektive einer nichtmetaphysischen Philosophie, Wü 1993, 59–85; V Hölse: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie, M 2 1994, Kap 2–3.

Weissmahr Lex 3 Gesetz Lexem 3 Sprache Liberalismus (lat. liber: frei; franz.: liberal; freiheitlich, tolerant) bezeichnet die Grundanschauung des westeuropäischen Bürgertums des 17. bis 20. Jahrhunderts, welches gegen den absolutistischen und restaurativen Staat eine repräsentative rechtsstaatliche 3 Demokratie, gegründet auf 3 Menschenund Bürgerrechte, als Gegenmodell errichten wollte. Basis bildete das neuzeitliche 3 Naturrecht (Jusnaturalismus), das den Menschen im Naturzustand den Gesellschaftsvertrag abschließen ließ, den Staatszweck auf die Garantie von Sicherheit, Eigentums-, Lebens- und Freiheitsschutz eingrenzte und insbesondere die Freiheit des Wirtschaftens zu gewährleisten hatte. Die Kritik des 3 Kommunitarismus am – in sich vielgestaltigen – L. trifft Richtiges, ist aber auch überzogen. Richtig zu stellen ist: 1) Der L. vertritt einen moralischen Individualismus, leugnet jedoch nicht die Sozialität, dass der Mensch ein animal sociale sei. Die Betonung liegt auf dem Selbststand des Einzelnen und seiner von ihm selbst und niemandem anderen zu verantwortenden Lebensführung. 2) Dass die Tätigkeit im politischen Raum erfüllend sein kann und erst bestimmte Eigenschaften und Anlagen im Menschen zu Tage bringt und sich entwickeln lässt, ist auch vom L. anerkannt; fraglich ist, ob eine politische Tätigkeit oder ein Gemeinschaftsengagement wesentlich zum menschlichen Leben gehört. Zweifellos ist Leben erfüllter, wenn Verantwortung für Menschen übernommen wird. 3) Was die Vorverfügungen über den Menschen betrifft, so hebt der L.

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Liebe

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hervor, dass auch solche Vorverfügtheiten (ein bestimmtes Geschlecht haben oder hineingeboren zu sein in Familie, Sprachgemeinschaft, Region etc.) gestaltbar und z. T. auch überwindbar seien; der Mensch sich damit von solchen »Zufälligkeiten« frei machen könne. 4) Der L. leugnet nicht die Pflichten, nur tritt liberales Denken dafür ein, dass Rechte zu gewährleisten seien, unabhängig von der Pflichterfüllung. Die Kritik von Seiten des Sozialismus zeigt den L. oft hilflos oder arrogant gegenüber der sozialen Frage. Er übersieht, dass der formale Rechtsschutz für alle durch eine Sozialpolitik oder durch eine Politik des Differenzprinzips (J Rawls: jede Politik muss die in der Gesellschaft Schlechtestgestellten besser stellen) flankiert werden muss. Für den L. ist 3 Gerechtigkeit in erster Linie die kommutative und nicht die distributive; dieser steht er skeptisch gegenüber; Sozial- und Gerechtigkeitspolitik schaffe Probleme, hingegen sorge der freie Markt mit seinen sich selbst regulierenden Kräften noch am vorteilhaftesten für alle Marktteilnehmer. 3 Eigentum. A Smith: Vom Reichtum der Nationen, 1776; J S Mill: Über die Freiheit, 1859; W v Humboldt: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen des Staates zu bestimmen; R Nozick: Anarchie, Staat und Utopia, M 1978; F A v Hayek: Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Landsberg am Lech 1986. – L Gall (Hg): L., Königstein 1985; J Raz: The Morality of Freedom, O 1986; D Langewiesche: L. in Deutschland, F 1988; R Bellamy (Hg): Liberalism in recent legal and social philosophy, St 1989.

Brieskorn Liberum arbitrium 3 Freiheit 3 Wille Libido 3 Trieb Licht (geistiges) 3 Illumination 3 Vernunft Liebe wird in philosophischem, in religiösem Kontext, in zahlreichen Einzelwissenschaften und in der Alltagssprache in verschiedensten Bedeutungen gebraucht. Wichtige Aspekte hat bereits Platon aufgedeckt, der im menschlichen Eros eine halbgöttliche begehrende Strebekraft erkennt, die den Menschen über jedes nur begrenzt Schöne, Gute und Wahre hinausführt und in ihm die unstillbare Sehnsucht nach dem an sich Schönen, Guten, Wahren – dem Göttlichen – und, weil nach dessen dauerndem Besitz, auch nach der Unsterblichkeit weckt. Dem Eros folgend gleicht sich der Mensch dem Göttlichen an, ohne es je ganz besitzen zu können (Philosophie = L. zur Weisheit). Die Götter haben den Eros nicht, weil sie im seligen Besitz aller Vollkommenheit sind. Neben dem erfinderisch strebenden Eros kennt Platon auch die fürsorgende L. (epiméleia), die das Gute um des anderen willen und für ihn will; ihr Element ist das Freundesgespräch. Aristoteles betrachtet die L. in erster Linie als Freundschaftsl. (philia); sie ist Grundlage menschlicher Gemeinschaft. Der Nous ist l.nswert; er weckt Verlangen nach sich und ist so Grund der Weltbewegung, selber aber unbewegt. Die Bibel, zumal das Neue

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Logik

Testament, versteht Gott als zuwendende L. (agape), die auch den Unvollkommenen liebt (1. Joh 4,16). Um dem Menschen seine L. zu erweisen, wird Gott ihm gleich und nimmt den Tod auf sich. Der Mensch soll l.n, selbst die Feinde, weil Gott die L. ist und er von ihm das Sein hat (Mt 5,43). Diese L. richtet sich auf die Person, sie ist nicht dasselbe wie natürliche Sympathie. Sittlichkeit vollendet sich als L.: »Wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt« (Röm 13,8). Elemente dieser L.: Gott schafft, weil er L. ist (dynamischer Seinsbegriff); L. schafft den Menschen als freien. Wahre menschliche L. ist Mitvollzug der L. Gottes; sie ist geschichtlich konkret. Es gibt berechtigte Selbstl. (im Unterschied zum Egoismus). Erkennen vollendet sich durch L. (vgl. 1. Joh 4,7–12; 1. Kor 13,12). Personale L. impliziert Anerkennung des Geliebten als frei und gleichberechtigt und will Gegenl. wecken. Augustinus (Scheler): L. ist die erste Antriebskraft des Menschen. L. zeigt sich phänomenologisch als »intentionale Bewegung«, in der ausgehend vom aktuell gefühlten Wert des Geliebten ein »ideales Wertbild« als sein eigentlich wahres vorausentworfen wird. Die L. selber bringt »den je höheren Wert ganz kontinuierlich, und zwar im Laufe ihrer Bewegung zum Auftauchen als ob er aus dem geliebten Gegenstande […] ›von selbst‹ herausströme«, ohne dass er »hineingetragen« würde. Geliebt werden können: Leibqualitäten, Erkenntnis- und Kulturwerte, der Personwert. Ihnen entsprechen verschiedene Akte der L.: Vitalakte, seelische Akte, geistige Akte. Mit dem geistigen Akt der L. zum Personwert sind normalerweise auch leiblichsinnliche Formen der L. verbunden. Einige Formen der L. sind in biologischen Beziehungen fundiert (Scheler). Personl. vollendet sich, indem der L.nde dem Geliebten »unbedingte Bedeutung« zuerkennt, ihn »in Gott bejaht« und gerade so in seiner Freiheit achtet. Der L.nde legt sein »ganzes Lebensinteresse« in das Sein des Geliebten und sucht so mit dem Geliebten eins zu werden (Solowjow). Der Personwert, weil Gottes Sein im Menschen, bleibt auch im Bösen l.nswert. Auch in der Einheit der L. bleibt eine Fremdheit (Frank). Nach Schopenhauer ist L. Mitleid (Mitgefühl); es richtet sich auf das leiblichseelische Befinden, setzt (ähnlich Philanthropie, Altruismus und Sympathie) die Verschiedenheit der Personen voraus, zielt nicht auf das seelisch-geistige Einssein mit dem Geliebten. Hass verneint im Gegensatz zur L. den Personwert des Gehassten. M Scheler: Das Ressentiment im Aufbau der Moralen, Be 1955; Wesen und Formen der Sympathie, Be 1973; K Rahner: Artikel »L.« in »Sacramentum mundi«, Bd. 3., Fr 1969; H Kuhn: L., M 1975; W Solowjow: Der Sinn der L., HH 1985; S L Frank: Das Unergründliche, Fr 1995.

Ehlen Logik (gr. logiké [téchne]) kann als natürliche L. unbewusst als 3 Struktur oder 3 Norm dem 3 Denken zugrunde liegen oder als formale L. bewusst ent-

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Logik

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weder als Kunst des richtigen Denkens (Begreifens, Urteilens, Schließens) und Argumentierens oder als 3 Theorie der Denkinhalte (3 Begriffe, 3 Aussagen, 3 Schlüsse), ihrer logischen 3 Relationen und 3 notwendigen 3 Gesetze ausgeformt werden. – Die mit L. als Denkkunst gegebene pragmatische Bindung an den Denkenden macht die L. nicht zu einem Teil der 3 Psychologie (3 Psychologismus), da die L. die Beziehungen zwischen Denkinhalten untersucht und nicht die Denkakte wie die Psychologie. Die Bindung des Denkens an 3 Sprache bedeutet nicht, dass L. eine Theorie von an sich bestehenden und vom Denken losgelösten Sprach- und Gegenstandsstrukturen ist (logischer Formalismus). Während die formale L. die Denkinhalte in ihren Beziehungen zueinander beachtet, befasst sich die 3 Erkenntnistheorie als materiale (reale) L. mit dem Verhältnis der Denkinhalte zu wirklichen 3 Gegenständen und Tatsachen. Die formale L. befasst sich mit dem Denken in seiner gesetzmäßigen Richtigkeit (Denkgesetze), die Methodenlehre damit, wie man sichere und wahre Erkenntnisse gewinnen kann. Abgesehen von Elementen in Platons Ideenlehre, die mit seiner dialektischen Argumentierkunst verbunden sind, wird L. als Kunst und Theorie zum ersten Mal systematisch in Aristoteles’ Organon entwickelt. Auch wenn Aristoteles noch nicht klar zwischen logischen und ontologischen sowie syntaktischen, semantischen und pragmatischen Gesichtspunkten unterscheidet, sollte seine Darstellung der 3 kategorischen und apodiktischen Aussagen in ihren 3 Gegensätzen, seine syllogistische Begriffsl. und die modalen Schlüsse wie auch seine Lehre vom axiomatisch-deduktiven Charakter aller Wissenschaft während mehr als zwei Jahrtausenden das Denken des Abendlandes prägen. Die stoisch-megarische Unterscheidung zwischen wahren und falschen Aussagen als vollständigen und den Aussageteilen als nicht wahrheitsfähigen unvollständigen »Bedeutungen« und die so entwickelte Aussagenl. mit 3 Modalitäten hatte eine geringere Wirkung. Die frühmittelalterliche Logica Vetus, die nur einige aristotelische Schriften und die Kommentare von Porphyrius und Boëthius kannte, wurde nach dem Bekanntwerden weiterer Aristotelesschriften von der Logica Nova abgelöst und beide zusammen später als Logica antiqua der Logica modernorum gegenübergestellt. Zwar war die traditionelle L. schon durch Leibniz und in der logischen Algebra (Boole, de Morgan, Schröder) in einen 3 Kalkül umgeformt worden, aber eigentlich wurde sie erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts abgelöst durch die mathematische L. (Logistik) mit ihrer Formalisierung der Sprache und systematischen Behandlung der logischen Schlüsse (Frege, Peano, Russell– Whitehead). Entscheidender war, dass Frege durch seine Deutung der Prädikatsfunktion der Begriffe im Sinne mathematischer 3 Funktionen implizite Existenzannahmen von 3 abstrakten 3 Eigenschaften oder 3 Klassen in der traditionellen L. durch das sogenannte Komprehensionsaxiom explizit ausdrücken konnte und dass er durch die Verwendung von Quantoren inhaltliche Existenzvoraussetzungen (engl. existential import) bei den Subjektter-

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Logik

men genereller Aussagen beseitigte, welche in der Lehre von den 3 Gegensätzen und den Umkehrungen (lat. conversio) sowie in der Syllogistik zu Problemen führten. Da die Folgerichtigkeit nicht mehr als notwendige Relation zwischen 3 Wahrheiten gesehen wurde, konnten logische Kalküle ohne Berücksichtigung der Wahrheit von Prämissen oder 3 Axiomen rein formal erstellt werden. Der neuzeitliche logische 3 Platonismus, nach dem 3 Mengen, Wahrheitswerte, Aussageinhalte und Begriffe der L. und 3 Mathematik denkunabhängig ähnlich wie Platons 3 Ideen vorliegen (Bolzano), verband sich oft mit einem Logi(zi)smus, wonach alle mathematischen Begriffe und Gesetze auf rein logische zurückgeführt werden können (Frege, früher Russell). Die logischen und semantischen Paradoxien (3 Antinomie) zeigten jedoch, dass aus dem für diese Reduktion benötigten Komprehensionsprinzip ein Widerspruch folgt, wenn man die Existenz von Abstrakta nicht einschränkt wie z. B. in der 3 Typentheorie (Russell, Ramsey) oder in der axiomatischen Mengenlehre. Gödels Theorem der prinzipiellen Nicht-Vollständigkeit der Arithmetik (1931) zeigte außerdem, dass man die Paradoxa nicht umgehen kann durch eine formalistische Axiomatik (Hilbert), wonach man die Widerspruchsfreiheit formaler 3 Systeme mit finiten Mitteln beweist, ohne sich um die 3 Bedeutung ihrer 3 Symbole und die Wahrheit der Aussagen zu kümmern. Man führte deshalb für kompliziertere Formen des logischen Schließens einen formalen Wahrheitsbegriff und 3 Modelle ein und entwickelte die L. auf semantischer Grundlage (Tarski, Carnap). Um die Paradoxa zu vermeiden, hat man auch wie Kant angenommen, dass mathematische (logische) »Gegenstände« vom menschlichen Denken geschaffen werden und dass es sich bei mathematisch-logischen Gesetzen um eine Beschreibung 3 synthetischer 3 apriorischer Denkformen oder um Vorschriften für korrektes Denken oder korrekte Dialoge handelt (3 Intuitionismus, 3 Konstruktivismus). In formalisierten Sprachen der L. kommen außer logischen Konstanten (Funktoren) auch schematische Symbole vor, die anstelle inhaltlicher Sprachgegebenheiten verwendet werden, und die zu Aussagen-, Prädikat- oder Individuenvariablen werden, sofern man über sie quantifiziert und von allen Prädikaten oder einigen Aussagen spricht. Durch Festlegung der syntaktischen Ableitbarkeit (engl. deducibility) bezüglich eines Axiomensystems oder der semantischen 3 Allgemeingültigkeit (engl. validity) bezüglich eines Modells entsteht ein formales L.sytem. Ein spezielles Wissenschaftssystem erhält man, wenn zum L.system auch noch 3 Namen, Prädikate und Axiome als inhaltliche Konstanten hinzugefügt werden. Die Theorie der Syntaktik oder auch 3 Semantik formaler Systeme heißt »Metal.« und die Behandlung ihrer philosophischen Voraussetzungen »Metalogie«. Statt wie die traditionelle L. zwischen bedingungslosen kategorischen und den bedingten 3 hypothetischen (disjunktiven, konjunktiven und konditionalen) Urteilen zu unterscheiden und nur gewisse Schlüsse zu beachten, geht

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Logik

278 DIN

Peano/ Russell

Hilbert

Varianten

Łukasiewicz

Wenn p, q, r, … Aussagenvariablen sind Negation

:p

~p

-p

Np

Konjunktion

p^q

p.q

p&q

Pq

Kpq

Adjunktion

p_q

pq

pq

Pq

Apq

Subjunktion

p!q

pq

p!q

P)q

Cpq

Bisubjunktion

p$q

pq

p~q

p,q u q

Epq

Disjunktion

pq

ptq

Jpq

Exklusion

p|q

Rejektion

p#q

p|q

p|q

Dpq

Wenn F, G, H … Prädikatenvariablen sind und x, y, z … Individuenvariablen Allquantor

8xF(x)

(x)F(x)

(x)F(x)

^xF(x)

PxFx

Existenzquantor

9xF(x)

(x)F(x)

(Ex)F(x)

_xF(x)

SxFx

die neue Aussagenl. von den logischen Beziehungen zwischen den Urteilsbzw. Aussageinhalten (engl. propositions) aus und ergänzte die mangelnde Systematik durch Festlegung aller Aussagenverbindungen mit Hilfe der 3 Wahrheitstafeln, durch Aufstellen widerspruchsfreier und vollständiger Axiomensysteme, durch die Regelsysteme des natürlichen Schließens oder die Vorschriften der dialogischen L. Die einfachen Aussagen decken sich freilich nur teilweise mit den kategorischen Urteilen der traditionellen L., man kann aber mit ihnen alle komplexen Aussagen zusammensetzen mithilfe von Junktoren wie dem Negator (3 Negation), Konjunktor, Adjunktor, Subjunktor (materiale 3 Implikation), Bisubjunktor (materiale Äquivalenz), Disjunktor (3 Disjunktion) usw. Je nach dem wie diese festgelegt werden, entstehen abweichende Systeme der Aussagenl. mit oder ohne den 3 Satz des ausgeschlossenen Dritten. – Während die traditionelle Begriffsl. meinte, dass alle kategorischen Urteile gleichermaßen aus Subjekt S, Prädikat P mit verbindender Kopula bestehen, und zwischen ihrer bejahenden und verneinenden Qualität und generellen, partikulären und singulären Quantität unterschied, geht die neue Prädikatenl. von singulären Aussagen aus, in denen man von einem oder mehreren Individuen durch ein begriffliches Prädikat etwas aussagt. Das ältere Schema der vier Grundformen: generell bejahend (»alle S sind P«), generell verneinend (»alle S sind nicht P« = »kein S ist P«), partikulär bejahend (»einige S sind P«) und partikulär verneinend (»einige S sind nicht P«) kann nun durch viele Arten von nichtsingulären Aussagen ersetzt werden, bei denen Quantoren wie der Allquantor (»für alles gilt«) und der Exis-

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Logik

tenzquantor (»für irgendetwas gilt«) auf verschiedenste begriffliche Verhältnisse zwischen allgemeinen Subjekttermen und Prädikattermen angewendet werden. Diese Prädikatenl. hat sich als widerspruchsfrei und vollständig erwiesen und ebenso die Identitätsl., in der die Gleichheit »=« als Grundsymbol eingeführt wird, was die Definition von komplexen singulären Ausdrücken wie Kennzeichnungen erlaubt. Es werden verschiedene Symbole für die logischen Konstanten angewendet. Um die impliziten Existenzvoraussetzungen bei Namen und beim Schließen mit Quantoren explizit zu machen, hat man existenzfreie L.systeme (engl. free logics) entwickelt, bei denen man auch über mögliche »Gegenstände« quantifizieren darf. Dagegen gilt bei L.systemen höherer Ordnung wie der Typentheorie mit ihrer Quantifizierung über Begriffsumfänge, Klassen und Wahrheitswerte (Extensionsl.) bzw. über Begriffsinhalte, Eigenschaften, Relationen und Aussagen (Intensionsl.), die Prädikatausdrücken und Sätzen entsprechen, dass sie gewöhnlich nicht vollständig sind und deshalb nicht mithilfe eines endlichen Axiomensystems dargestellt werden können (Gödels Theorem). Die Einführung intensionaler L.systeme hat sich schließlich als notwendig erwiesen, um die verschiedenen Formen der Modall. wie epistemische L., Zeitl., Norml. u. a. im Hinblick auf eine Semantik der möglichen Welten entwickeln zu können. Zur transzendentalen L. vgl. 3 Transzendentalphilosophie. Aristoteles: Kategorien.; Peri herm.; An. pr.; An. post.; Topik; Soph. el.; Boëthius: De syllogismo hypothetico; Porphyrius: Eisagoge; Petrus Hispanus: Summulae logicales; A Arnauld / P Nicole: La Logique ou l’art de penser, P 1662; B Bolzano: Wissenschaftslehre, 1837; A de Morgan: Formal Logic, Lo 1847; G Boole: An Investigation of the Laws of Thought, Lo 1854; H McColl: The calculus of equivalent statements, Proc. Lo Math. Soc. 9(1877); E Schröder: Vorlesungen über die Algebra der L. I–III, L 1890–1905; E Husserl: Logische Untersuchungen I–II, 1900/01; G Frege: Begriffsschrift, Hl 1879; Die Grundlagen der Arithmetik, Bu 1884; Grundgesetze der Arithmetik I–II, J 1893/1903; B Russell: The Principles of Mathematics, C 1903; A N Whitehead / B Russell: Principia Mathematica I, C 1910; D Hilbert / W Ackermann: Grundzüge der theoretischen L., B 1928; F P Ramsey: The Foundations of Mathematics and Other Logical Essays, Lo 1931; R Carnap: Introduction to Semantics, C 1948; A Tarski: Logic, Semantics, Metamathematics, O 1956. – H Scholz: Abriß der Geschichte der L., Fr 2 1950; J Łukasiewicz: Aristotle’s Syllogistic from the Standpoint of Modern Formal Logic, O 1951; B Mates: Stoic Logic, Berkeley 1953; P Lorenzen: Einführung in die operative L. und Mathematik, 1955; A Church: Introduction to Mathematical Logic, Pr 1956; I M Bochen´ski: Formale L., Fr 1956; W und M Kneale: The Development of Logic, O 1962; D Prawitz: Natural Deduction, Sh 1965; W Risse: Die L. der Neuzeit I–II, St 1964/1970; F v Kutschera: Elementare L., W 1967; J v Heijenoort (Hg): From Frege to Gödel, C 1967; J Pinborg: L. und Semantik im Mittelalter, St 1972; A A Fraenkel / Y Bar-Hillel / A Levy: Foundations of Set Theory, A 1973; J Barwise (Hg): Handbook of Mathematical Logic, A 1977; K Lorenz (Hg): Konstruktio-

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Lüge

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nen versus Positionen, B 1979; L Hickman: Modern Theories of Higher Level Predicates, M 1980; W Essler / R Martinez: Grundzüge der Logik I–II, F 1991– 1994.

Carls Logik, drei- oder mehrwertige 3 Wahrheitstafeln Logik, epistemische 3 Gewissheit 3 Glaube Logistik 3 Logik Logizismus, Logismus 3 Logik Logos 3 Begriff 3 Grund 3 Verstand Lohn 3 Ethik Lokutionär 3 Sprechakt Lüge Als L. wird eine wissentliche und absichtliche Falschaussage bezeichnet, die den Zweck hat, jemanden etwas glauben zu lassen, was nicht zutrifft, ihn also über die Wahrheit täuschen soll. Offensichtlich erkennbare Unwahrheiten (Scherze, krasse Übertreibungen) sind keine L. Eine aus einer (besonderen) Verlegenheit heraus geäußerte L. wird als Notl. bezeichnet. In einem übertragenen Sinn kann man auch ein Verhalten, das bewusst und absichtlich die Wahrheit verbergen will, als L. bezeichnen, z. B. eine Lebensl. Die Vorspiegelung einer nicht vorhandenen Wertschätzung ist Heuchelei. Eine Mehrdeutigkeit, die zu einem Missverständnis führen kann oder soll, wird Äquivokation genannt. Die stillschweigende Voraussetzung einer bestimmten Bedingung ist ein innerer Vorbehalt (reservatio mentalis). Wie leicht erkennbar ein solcher Vorbehalt sein muss, damit es sich (noch) nicht um eine L. handelt, ist umstritten. Ähnliches gilt für L.n aus Höflichkeit, sofern sie als solche leicht erkennbar sind. Nach Augustinus und Kant ist jede L. unerlaubt. Viele Autoren sind jedoch der Meinung, dass man bei einer ungerechten Bedrohung die Unwahrheit sagen darf, wenn zu fürchten ist, dass Schweigen als Zustimmung ausgelegt wird. Augustinus: Contra mendacium; De mendacio; Kant: Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu l.n, AA VIII 423–430. – G Geismann (Hg): Kant und das Recht der L., Wü 1986; A Baruzzi: Philosophie der L., Da 1996.

Schöndorf Lust / Freude Der 3 Begriff der L. wird meistens im Zusammenhang der 3 Ethik diskutiert; die 3 Frage nach ihrem 3 Wesen wird gestellt, um die nach ihrem 3 Wert zu beantworten. Nach Platon ist 3 Schmerz die Störung der natürlichen Harmonie eines Lebewesens und L. (hedoné) die Rückkehr zum naturgemäßen 3 Sein; sie ist also ein 3 Werden und als solches um des Seins willen; folglich ist sie nicht das höchste 3 Gut. Aristoteles unterscheidet zwischen Prozess (kínesis), der auf ein 3 Ziel gerichtet ist, und Tätigkeit (enérgeia), die ihr Ziel in sich selbst hat und die höchste Form des Seins ist.

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Macht

L. ist kein Prozess, sondern eine zur vollkommenen Tätigkeit hinzukommende Vollendung, ein Mitwahrnehmen der vollendeten Tätigkeit. Kriterium für den Wert einer L. ist der Wert der entsprechenden Tätigkeit. Die Stoiker unterscheiden L. als unvernünftige von F. (chará) als vernünftiger Erregung. Thomas v Aquin übernimmt den L.begriff der aristotelischen ›Rhetorik‹ : L. (delectatio) ist die wahrnehmbare abgeschlossene Wiederherstellung der 3 Natur. F. (gaudium) ist eine 3 Art der L.; Thomas v Aquin unterscheidet zwischen natürlichen Lüsten, die in der Erfüllung natürlicher Begierden, und nicht natürlichen Lüsten, die in der Erfüllung vernunftgeleiteter Strebungen bestehen. Kant unterscheidet zwischen 3 Empfindung und 3 Gefühl. Die Empfindung ist immer auch auf eine 3 Qualität des Objekts (z. B. Temperatur, Farbe) bezogen, während die Gefühle von L. und Unl. nichts am Objekt, sondern nur die Beziehung einer 3 Vorstellung aufs 3 Subjekt ausdrücken. Praktische L. ist mit dem 3 Begehren (als 3 Ursache oder Wirkung) verbunden; kontemplative L. oder untätiges Wohlgefallen haftet allein an der Vorstellung und nicht an der Existenz des Objekts. Platon: Philebos; Aristoteles: Nik. Eth. VII 11–15; X 1–5; Rhetorik I 11; Diogenes Laertius: VII 114–116; Thomas v Aquin: STh I–II q.31–34; Spinoza: Ethica III prop.11; I Kant: Metaphysik der Sitten, AAVI 211 f.; KU §§ 6–9. – G Ryle: Dilemmas, C 1954, Kap. 4; F Ricken: Wert und Wesen der L., in: O Höffe (Hg): Aristoteles: Die Nikomachische Ethik, B 1995, 207–228.

Ricken Macht (etymologisch von: »mögen«, nicht von »machen«) bezeichnet eine Kraft, die zu einer Stellungnahme zwingt. Alles, was ist, hat nicht nur, sondern ist M. – Menschen und 3 Institutionen üben sie durch ihre Existenz und ihr Handeln aus. Von 3 Gewalt unterscheidet sich M. dadurch, dass Gewalt immer M. voraussetzt, aber M. nicht Gewalt. Es gibt zwar gewaltlose, aber nicht m.lose Handlungen; zu Recht spricht man von der M. der Gewaltlosen. Wer auf M. verzichtet, entsagt nur einer bestimmten Form der M. und bedient sich einer anderen. Wer hingegen auf Gewalt verzichtet, lebt gewaltlos. Die M. hat verschiedene Grade. M Weber unterscheidet 3 Herrschaft und M., welche er als »Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht«, bestimmt. Für H Arendt hingegen entsteht M. »überall da […], wo Menschen sich versammeln und zusammen handeln, und […] verschwindet (immer), wenn sie sich wieder zerstreuen.« Wenn mittels Kommunikation sich eine handlungsfähige Personeneinheit gebildet hat, entsteht M. Für J Habermas ist die M. ebenfalls Kommunikation, jedoch kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zu herrschaftsfreier Kommunikation. M Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Tü 5 1972, 1. Teil, Kap. I, Kap. III, 2. Teil, Kap. IX; P Tillich: Das Problem der M., St 1962; H Arendt: M. und Gewalt, M 1970; In der Gegenwart leben II, M 2000; J Habermas: Politik, Kunst, Reli-

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Marxismus

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gion, St 1978; M Foucault: Dispositive der M., B 1978; A Gehlen: Anthropologische und soziale Überlegungen zum Problem der Autorität, F 1978.

Brieskorn Mäeutik, Maieutik 3 Sokratik Magie 3 Religion 3 Symbol Malum 3 Böse 3 Übel Mangel 3 Privation Marxismus ist die Bezeichnung für die Anschauungen der auf Karl Marx sich berufenden Marxisten. Marx’ Denken ist aus dem der Junghegelianer hervorgewachsen. Im Unterschied zu ihnen erkannte er, dass die volle »menschliche Emanzipation« weder durch philosophische Kritik noch durch politische Reformen, sondern nur durch Herbeiführung einer neuen »Weltordnung« verwirklicht werden kann, die das Resultat der »ganzen Bewegung der Geschichte« ist; herbeigeführt von einer Kraft, die selbst Resultat der Geschichte und so Repräsentant der »Menschheit« ist: vom Proletariat. In seiner »revolutionären Praxis« verwirklicht es die antagonistische Dialektik der Geschichte. – Für den Menschen grundlegend ist das »sinnliche« Bedürfnis nach Lebenserhaltung. In der Arbeit, die jenem Bedürfnis entspringt, erlebt er sich der Natur überlegen, entfaltet sich in der Gesellschaft und gewinnt in der praktischen Erfahrung seines Andersseins sein menschliches Selbstbewusstsein. Die wesensgemäße Einheit von Arbeit und gesellschaftlichem Lebensvollzug ist jedoch, da die Arbeit Privateigentum (Waren) produziert und die Arbeitskraft selbst zur Ware wird, zerrissen, der Mensch sich selbst entfremdet. Die zwischenmenschlichen Beziehungen erscheinen als Beziehungen zwischen Sachen. Die Gesellschaft ist gespalten in die Klasse derer, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, und die Klasse der sie kaufenden, gleichfalls entfremdeten Eigentümer der Arbeitsmittel. Die Aufhebung der 3 Entfremdung und Klassenspaltung resultiert »notwendig« aus dem der kapitalistischen Gesellschaft innewohnenden Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit, der dem zwischen den relativ starren Machtverhältnissen und den auf Entfaltung drängenden Produktivkräften entspricht. Wird deren Behinderung unerträglich, werden die Klassenstrukturen revolutionär gesprengt und die Klassenherrschaft selbst beseitigt. Die bisher im Privateigentum vergegenständlichten menschlichen Wesenskräfte werden als gesellschaftliche Kräfte »allseitig« angeeignet. In der kommunistischen Assoziation ist die Geschichte erstmals vernunftgemäß vollzogene Selbstentfaltung des gesellschaftlichen Menschen. Seine Beziehungen sind nicht mehr durch institutionalisierte Subjekte wie den Staat vermittelt. Der Religion, dem ideologischen Ausdruck dafür, dass der Mensch nicht als Schöpfer aus der Kraft seiner Natur lebt, ist der Boden entzogen. Freiheit kann nach der Aufhebung aller im Privateigentum gründenden Schranken nicht Freiheit zur Wahl alternativer gesellschaftlicher Lebensformen sein;

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Materialismus

sie erfüllt sich im bewussten Mitvollzug der gesellschaftlichen Selbstbestimmung; Menschenrechte als Schutzrechte vor gesellschaftlichen Machtträgern kann es nicht geben. Das menschliche Wesen als »ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse« schließt eine Würde, die dieser Gesellschaft als unantastbarer Wert vorgegeben wäre, aus. Die Kräfte, die zur »Emanzipation« des Menschen führen, gründen nicht im Willen der Individuen, sondern in der »Gesellschaft« als dialektisch sich entfaltender Totalität. Der M. ist deshalb wesentlich Geschichtsauffassung. Der Aufweis der Dialektik als Grundgesetz der Geschichte ist jedoch empirisch nicht möglich. Marx’ Begriff des Proletariats ist bereits unter Voraussetzung dieser Dialektik konzipiert. Sein Axiom, Wesensmerkmal des Menschen sei die gegenständlich-sinnliche Produktivkraft, erkennt den geistigen Lebensvollzügen und Freiheit nicht die gleiche Ursprünglichkeit und geschichtsprägende Kraft zu wie der Gegenstandsproduktion. Hierin liegt der eigentlich »materialistische« Charakter des M. Wichtige philosophische Schriften von Marx wurden erst 1932 veröffentlicht (3 Dialektischer Materialismus). Revisionisten und Austromarxisten versuchten, die Gesellschaftsveränderung mit der praktischen Philosophie Kants zu begründen. Durch Lenin wurde der M. zur Rechtfertigungslehre für die Machtausübung einer Partei. Neomarxisten (z. B. Praxis-Gruppe in Jugoslawien) betonten die humanistischen Elemente im M. I Fetscher: Der M., M 1967; L Kolakowski: Die Hauptströmungen des M., M 1977–79; K Hartmann: Die Marxsche Theorie, B 1970.

Ehlen Maschinentheorie 3 Mechanismus Maß 3 Raum 3 Tugend Masse 3 Materie 3 Sozialpsychologie Mäßigkeit, Mäßigung 3 Tugend Materialismus wird eine Philosophie genannt, für die die gesamte Wirklichkeit materieller Natur ist. Der M. bestreitet die Existenz des 3 Geistes oder sieht im Bewusstsein oder im Geistigen nur ein Produkt der Materie, das aus der Materie voll erklärbar ist. Der M. leugnet konsequenterweise auch die Existenz Gottes. Meist ist der M. mit einem empiristischen oder positivistischen Erkenntnisverständnis verbunden. Der M. versucht, den Menschen rein naturwissenschaftlich zu erklären. Der M. ist eine Form des 3 Monismus und zugleich des 3 Reduktionismus, da er nur ein einziges Erklärungsprinzip der Wirklichkeit zulässt. Es gibt schon in der Antike philosophische Richtungen, die man als M. bezeichnen kann, wie etwa den Atomismus von Leukipp und Demokrit. Zu Beginn der Neuzeit erlebt der M. eine neue Blüte. Zunächst pflegten diejenigen Philosophen, deren Lehren zumindest weitgehend materialistisch sind, wie Hobbes, Gassendi oder Hume, ihre Lehre noch nicht ausdrücklich als M.

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Materie

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zu bezeichnen. Dies ändert sich mit der französischen Aufklärung, deren radikale Vertreter sich ausdrücklich zum M. bekennen (Holbach, de la Mettrie u. a.). Spinozas Lehre wurde von den Späteren oft auch als M. interpretiert: 3 Spinozismus. Ein weiterer Vertreter des M. ist Feuerbach, dessen Lehre anthropologischer M. genannt werden kann. Eine besondere Form des M. stellt der 3 Dialektische und Historische M. von Marx, Engels und ihren Nachfolgern dar: 3 Marxismus. Die häufigste Version des M. in der Moderne und der Gegenwart ist der Physikalismus oder 3 Naturalismus, der alles durch die Gesetze der Naturwissenschaft und speziell der Physik erklären und auf sie zurückführen will. Die um 1900 in Deutschland in diese Richtung gehenden Auffassungen nannte man oft Vulgärm. (Moleschott, Vogt, Büchner). Auch der 3 Positivismus ist normalerweise eine Version des M. Auch einige Positionen der philosophy of mind (3 Leib-Seele-Problem) sind Formen des M., vor allem die radikalste Richtung, die als eliminativer Physikalismus auch jeden nicht-materialistischen Sprachgebrauch durch physikalistische Termini ersetzen will. Der M. entspringt meist einem übertriebenen Glauben an die Naturwissenschaft und ihre Methoden sowie einer objektivistischen Einstellung, die nicht auf ihr eigenes Tun reflektiert. Hinzu kommt das Vorurteil, die Welt müsse monistisch durch eine Einheitswissenschaft erklärt werden, wofür sich nur die Naturwissenschaft eigne. M Haupt: Von Holbach zu Marx, HH 1987; D M Armstrong: A materialist theory of the mind, Lo 1993; M Overmann: Der Ursprung des französischen M., F 1993; P K Moser (Hg): Contemporary materialism, Lo 1995; R Kayser: Die Urbewegung der Atome bei Leukipp und Demokrit, Luxemburg 1997; A Wittkau-Horgby: M., Gö 1998; M Bunge / M Mahner: Über die Natur der Dinge, St 2004.

Schöndorf Materialismus, dialektischer 3 Dialektischer Materialismus Materialobjekt 3 Gegenstand 3 Wissenschaft Materie (1) Lebensweltlich: Stoff, woraus die Dinge sind oder hergestellt werden, z. B. der Schrank aus Holz oder das Schneckengehäuse aus Kalk. (2) Philosophisch, allgemein und abstrakt: M., das Bestimmbare im Gegensatz zur Form, dem Bestimmenden. Die M. der Lebewesen ist vor allem (nicht ausschließlich) hochmolekulares Protein, die entsprechende Form eine bestimmte Organisation des Proteins, ohne die Leben nicht möglich ist. In diesem Beispiel ist die M. bereits geformte M., die ihrerseits gedacht werden kann als Bestimmbares durch eine bestimmende Form, nämlich als niedermolekulare M., die eine hochmolekulare Struktur erhält. Diese Überlegung lässt sich wiederholen. Man gelangt schließlich zu einem Grenzbegriff, zu einem Bestimmbaren ohne jede Bestimmung, von Aristoteles und den Scholastikern »materia prima« genannt (Met. 1029a 20 f.) im Gegensatz zu »ma-

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Mathematik

teria secunda«, der schon geformten M. Materia prima ist kein Ding, sondern ein metaphysisches Prinzip, die Möglichkeitsbedingung dafür, dass ein und dieselbe Form vervielfacht auftreten kann. Die philosophische Auffassung, wonach die konkreten materiellen Dinge konstituiert sind durch M. (gr. hy´le) und Form (morphé), heißt 3 Hylemorphismus. Während es sich im Verhältnis von Vermögen (Fähigkeit, Disposition) und entsprechender Tätigkeit um eine aktive Potenz handelt, deren Akt (die Tätigkeit) das Ziel des Vermögens (der Potenz) ist, handelt es sich im Verhältnis von Stoff und Form um eine passive Potenz, wobei die Form nicht das Ziel des Stoffes (der Potenz) ist; der Stoff ist gleichgültig gegenüber der Form, die er gerade hat. Materia secunda, bereits geformte M., ist aber nie bloß reine Empfänglichkeit (rein passive Potenz). Das äußert sich in einer nichtsystematischen Widerspenstigkeit der M. gegenüber weiterer Überformung, spürbar z. B. in nicht eliminierbaren und nicht berechenbaren Materialfehlern in technischen Konstruktionen. (3) Physikalisch: M. ist alles, was die Physik untersucht, also Makrokörper, Elementarteilchen, Kraftfelder oder Strahlung. Mochten Kraftfelder oder Strahlung im 19. Jahrhundert geradezu »immateriell« oder »geistig« erscheinen im Vergleich zu massiven Makrokörpern oder den atomaren Bau-»steinen«, so verschwand dieser Eindruck mit der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik. M. (mit Ruhemasse) kann »zerstrahlen« in Strahlung ohne Ruhemasse, und Strahlung kann umgekehrt »materialisieren«. Elementarteilchen, ja selbst Atome, können, je nach Beobachtungsbedingungen, als quasi punktförmige Partikel auftreten oder aber als breit ausgedehnte Wellenzüge (quantenmechanische Doppelnatur). Quantenobjekte haben weder einen bestimmten Ort noch einen bestimmten Impuls und somit auch nicht exakte Bahnen (Heisenbergs Unschärferelation). Mehr noch, Quantenobjekte, die miteinander in Wechselwirkung standen und danach weit auseinander laufen, können sich instantan und ohne distanzabhängige Abschwächung beeinflussen (sogenannte Nicht-Lokalität). Alle diese quantenmechanischen Eigentümlichkeiten sind nicht mehr nachweisbar, sobald Elementarteilchen in riesigen Zahlen zusammentreten und Makrokörper bilden. Träge Masse (Widerstand gegen Änderung des Bewegungszustandes) ist seit Newton ein Maß für die Menge von M. M Jammer: Der Begriff der Masse in der Physik, Da 3 1981; J de Vries: Grundbegriffe der Scholastik, Da 1983; C F v Weizsäcker: Aufbau der Physik, M 1985; H–D Mutschler: Naturphilosophie, St 2002.

Erbrich Mathematik Die Entwicklung der M. war eng mit der Philosophie verbunden, in Griechenland (3 Zahl, auch Platons Wertschätzung der M. und seine Erkenntnis, dass M. und Naturwissenschaft zu trennen sind), bis hin zum Wiener Kreis (3 Positivismus) und der 3 analytischen Philosophie.

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Die M. beginnt historisch mit Geometrie und Arithmetik, deren Ausbildung ursprünglich auf pragmatische Gründe (Landvermessung, Rechnen mit Geld usw.) zurückgeht. Die Entdeckung von inkommensurablen Streckenverhältnissen führte zur Auffassung, dass die Geometrie grundlegender ist. Die euklidischen Axiome zur logischen Begründung der Geometrie wurden zum Vorbild für die gesamte M. (und teilweise auch für die Philosophie), wenngleich die strenge Form der Axiomatisierung erst später ausgebildet wurde. Mit der Entwicklung der Infinitesimalrechnung (Newton und Leibniz) wurden Geometrie und Arithmetik einander wieder angenähert, in der analytischen Geometrie verschmolzen sie zu einer Einheit. Schon sehr früh war Euklids fünftes Axiom, das Parallelenaxiom (dass es zu einer Geraden durch jeden Punkt genau eine Parallele gibt) strittig. Es gelang aber nicht, dieses Axiom auf die anderen zurückzuführen oder es durch ein intuitiv einleuchtenderes zu ersetzen. Die Entwicklung der nichteuklidischen Geometrie (Lobatschewski, Bolyai, Riemann, Gauß) erwies, dass Geometrie auch ohne das Parallelenaxiom möglich ist. Das war ein wichtiger Schritt zur Entwicklung der M. zur reinen analytischen Strukturwissenschaft. Die moderne Methode der M. geht im Allgemeinen so vor, dass, ausgehend von einer axiomatischen Basis, die aus Grundmengen und postulierten Eigenschaften von Abbildungen zwischen diesen Grundmengen besteht, durch logische Ableitungen Strukturaussagen gewonnen werden. Die Wahrheit der M. ist dann rein analytisch und betrifft nur die Tatsache, dass die Strukturaussagen aus den Axiomen logisch folgen. Sie sieht völlig davon ab, welche Objekte in den Mengen enthalten sind und welche Eigenschaften diese haben sollten. Daher gibt es auch keinen Wahrheitsanspruch der Axiome, nur Konsistenz wird gefordert. Erst ein Modell für die axiomatische Struktur, also die Zuordnung der Elemente der Mengen zu bestimmten Objekten, führt zu einer Anwendung. Z. B. werden Kreise, Punkte und Geraden bestimmten Elementen der Grundmengen der Geometrie zugeordnet. Je nachdem welche axiomatische Struktur gewählt wurde, haben die Beziehungen zwischen diesen Objekten andere Eigenschaften. Im Unterschied zur kantischen Idee von der M. als einer synthetischen Erkenntnis a priori ist in diesem Verständnis die M. analytisch. Die Frage, ob ein bestimmtes Modell einer bestimmten Struktur entspricht (ob z. B. der Raum euklidisch oder nicht-euklidisch ist), ist dagegen synthetisch a posteriori. Diese formale Betrachtung der M. (wobei die Formalisierung in der Praxis nur teilweise durchgeführt wird) setzte im 20. Jahrhundert eine erstaunliche Kreativität frei, die zu einer breiten Auffächerung der M. führte. Ihr entspricht die formalistische Interpretation der M., die dieser jeden Inhalt abspricht. Hilbert formulierte als Konsequenz dieser Interpretation die Forderung einer strengen formalen Begründung der M., wozu v. a. strenge Konsistenzbeweise für alle mathematischen Strukturen gehören sollten. Eine Gegenposition zur formalistischen Interpretation ist ein platonisches (realis-

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Mechanik

tisches) Verständnis, das davon ausgeht, dass die Objekte der M. (z. B. die Zahlen) als ideale (nur der Vernunft, nicht den Sinnen zugängliche) Gegenstände existieren, deren Eigenschaften die M. entdeckt. Ein Problem dieser Position ist, dass die Wahrheit von mathematischen Aussagen dann letztlich nicht überprüfbar ist, was v. a. durch die Gödel’schen Unvollständigkeitssätze deutlich wird. An diesen scheiterte auch das Programm von Hilbert. Der erste dieser Sätze besagt, dass man in jedem formalen System, das so vollständig ist, dass es die elementare Arithmetik beinhaltet, bestimmte Sätze formulieren kann, die in diesem System weder bewiesen noch widerlegt werden können. (Von gewissen dieser Sätze muss außerdem in gewissem Sinn vorausgesetzt werden, dass sie wahr sind). Der zweite Unvollständigkeitssatz besagt u. a., dass die Konsistenz eines formalen Systems, sofern es konsistent ist, nicht innerhalb des Systems bewiesen werden kann. Die beiden Sätze sind von großer Tragweite für das Verständnis des Aufbaus von Wissenschaft. Eine weitgehende, aber plausible Interpretation lautet, dass die Reichweite der menschlichen Vernunft alle formalen Systeme übersteigt. Neben der platonischen und der formalistischen Interpretation gibt es weitere wichtige Interpretationsmuster der M.: Freges Logizismus will alle M. auf Logik zurückführen. Brouwers Intuitionismus leitet anknüpfend an Kant aus der apriorischen Form der Wahrnehmung der Zeit die Eigenschaften des Zählens ab und begründet daraus die M. Ähnlich geht die konstruktivistische Interpretation und Begründung der M. vor (Lorenzen u. a. 3 Konstruktivismus), die aber Logik und das Zählen pragmatisch in der »Lebenswelt« verankert. Verschiedene Interpretationen führen in Einzelfällen zu unterschiedlichen mathematischen Aussagen (vgl. als Bsp. Zahl, potentielle und aktuale Unendlichkeit). Neben der Bedeutung der M. ist auch ihre offensichtliche Anwendbarkeit in der Naturwissenschaft, v. a. in der Physik, interpretationsbedürftig. A N Whitehead / B Russell: Principia Mathematica, W 1984. – P Kitcher: The Nature of Mathematical Knowledge, O 1983; P Benacerraf / H Putnam (Hg): Philosophy of Mathematics, C 2 1983; S Shapiro: Thinking about Mathematics, O 2000.

Bauberger Mathesis universalis 3 Mathematik 3 [141] Maxime 3 Imperativ 3 Regel Mechanik Die M. ist die Lehre von den Bewegungen der materiellen Körper. Sie ist die Basistheorie der Physik. Ihr entstammen die grundlegenden physikalischen Begriffe (Masse, Kraft, Arbeit, Energie) samt der Differentialund Integralrechnung (Newton, Leibniz). Ursprünglich bedeutete M. (gr. mechaniké [téchne]: erfinderische Kunstfertigkeit) die Lehre, Bewegungen in der Natur hervorzubringen. In der frühen Neuzeit wird unter M. auch die

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Mechanismus

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angewandte Physik und die Technik verstanden. Descartes nennt sie eine der drei Früchte, die der Physik entspringen. Die Moderne stellt die M. auf eine neue Grundlage: Dies gilt für die Himmelsm. (Drehung der Erde und der Planeten um die Sonne) und für die allgemeine M., die nicht mehr auf der Zielstrebigkeit von allem, sondern auf der Trägheit der Materie aufbaut. Für Descartes ist die Physik eine nur durch äußeren Druck und Stoß bewegte M. Leibniz und Newton zeigen, dass es innere Kräfte geben muss. Später differenziert sich die M. in viele Teilbereiche aus (Elastom., Hydrom., Wellenm., Gleichgewichtsm.), und die Physik entwickelt sich über die klassische M. hinaus (Thermo- und Elektrodynamik, statistische M.). Die M. gilt nur wesentlich über dem planckschen Wirkungsquantum und wesentlich unter der Lichtgeschwindigkeit. Diese Grenzen werden von der Relativitätstheorie und Quantenm. überschritten. 3 Mechanismus. P Duhem: Die Wandlungen der M. und der mechanischen Naturerklärung, L 1912; R Dugas: Histoire de la mécanique, P 1950; E J Dijksterhuis: Die Mechanisierung des Weltbildes, B 1956; A Maier: Zwischen Philosophie und M., Ro 1958; K v Meyenn (Hg): Lust an der Erkenntnis, M 1990.

Schöndorf-Erbrich Mechanismus / Mechanismen Technisch: durch physikalische Gesetze vollständig determiniertes Funktionieren einer Maschine oder eines Apparates. Naturwissenschaftlich: weit verbreitete Bezeichnung für Verursachung (Kausalität), besonders in jenen Zweigen der Naturwissenschaft, die sich nicht durchgehend mathematisieren lassen (z. B. Chemie, Biologie oder Geologie im Gegensatz zur Physik); so spricht man z. B. vom Mechanismus (M.) der elekrophilen Substitution am Benzolring, vom M. der Muskelkontraktion oder von den Mechanismen (M.n) der Gebirgsbildung. M.n kennen keine Spontaneität (innere Ursachen, 3 Teleologie), mit einer Ausnahme, dem »spontanen« Widerstand realer Dinge gegen jede Änderung des von ihnen zufällig eingenommenen Zustands der gleichförmig-geradlinigen Bewegung oder der Ruhe (Trägheit, eine vis insita nach Newton). Dieser Widerstand kann nur durch Kräfte von außen geändert werden (viribus impressis nach Newton). M.n sagen somit stets, wer (oder was) auf wen wirkt in welcher Weise und mit welchen Folgen. In der Antike und noch im Mittelalter beziehen sich »M.« und ähnliche Ausdrücke auf Technisches und gerade nicht auf Natürliches (auf Natur). Das ändert sich im 17. Jahrhundert. Jetzt wird der M. zum Programm der Naturphilosophie und der beginnenden Naturwissenschaft. Alle Veränderungen in der Körperwelt sollen als M.n verstanden werden. Das geschah zunächst mit den Mitteln der Mechanik, nämlich Veränderung als Folge von Druck und Stoß (Descartes), später auch von Fernkräften (Newtons Gravitation, Maxwells elektromagnetische Felder). Seither bezieht sich der Ausdruck »M.«

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Meinen

nicht nur auf Vorgänge der Mechanik, sondern auf alle von der Naturwissenschaft beschriebenen Vorgänge. Auch Lebensvorgänge werden in M.n aufgelöst, eine Folge der gewählten Methodik, nämlich von Teleologie abzusehen. Wo von Teleologie nicht nur abstrahiert, sondern wo deren Existenz grundsätzlich bestritten wird, haben wir es mit naturwissenschaftlich inspirierten Weltanschauungen zu tun (Naturalismen, Physikalismen). In Originalarbeiten von Naturwissenschaftlern ist selten die Rede von der Entdeckung neuer Naturgesetze, wohl aber ständig von der Entdeckung oder Präzisierung von M.n aller Art. Naturgesetze dienen vornehmlich dazu, mögliche M.en von unmöglichen zu unterscheiden. I Kant: KU (z. B. §§ 71, 75, 78). – E J Dijksterhius: Die Mechanisierung des Weltbildes, B 1956; G Koch: Kausalität, Determinismus und Zufall in der wissenschaftlichen Naturbeschreibung, B 1994; P Erbrich: Makrokosmos – Mikrokosmos, St 1996.

Erbrich Meditation 3 Denken Medius, terminus 3 Schluss Mehrdeutig 3 Analogie Mehrwert 3 Marxismus Mehrwertige Logik 3 Dritten, Satz vom ausgeschlossenen Meinen / Meinung M. (gr. dóxa; lat. opinio) ist ein Ausdruck der sogenannten subjektiven 3 Wahrscheinlichkeit, die sich im Fürwahrscheinlichhalten einer 3 Aussage p äußert bzw. in einem kognitiven 3 Glauben (engl. belief), dass p. Das 3 rationale Glauben, bei dem die 3 Gründe für p stärker sind als die gegen p, schließt jedoch im Gegensatz zu M. 3 Gewissheit nicht aus und umfasst deshalb auch die Überzeugung, bei der alles für und nichts gegen p spricht, da ja derjenige, welcher überzeugt davon ist, dass p, auch glauben muss, dass p. Dagegen ist M. ein bloßes Glauben, bei dem man es trotz einem Übergewicht der Gründe für p dennoch für möglich hält, dass nicht p. Jemand, der meint, dass p, glaubt zwar, aber ist nicht überzeugt davon, dass p. Das M. wird zu einem Vermuten, wenn die Gründe für p auf der Gradskala des Glaubens sehr schwach werden. Alle diese Abgrenzungen sind problematisch, weil die kognitiven Attitüden des Glaubens, Überzeugtseins, M.s und Vermutens gewöhnlich nicht nur entsprechend den vielfältig ungenügenden rationalen Gründen, sondern meistens auch aufgrund von 3 Gefühlen oder willensmäßigen 3 Motiven festgelegt werden. – Die Meinung einer Person kommt dagegen in allen ihren kognitiven Attitüden aus, in denen sie einen Aussageinhalt irgendwie bejaht, also auch in ihren Überzeugungen und in ihrem Wissen. Die Grade des rationalen Glaubens und M.s zeigen sich in 3 Handlungen wie dem Wetten oder moralischen 3 Entscheidungen, aber auch bei weltanschaulichen und wissenschaftlichen Stellungnahmen (vgl. Entscheidungs-

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theorie; engl. theory of decision). – Obwohl im Alltag die Möglichkeit des Gegenteils oft nicht ausgeschlossen werden kann und die subjektive Wahrscheinlichkeit nur ein starkes M. rechtfertigt, spricht man in wohlbegründeten Fällen dennoch von »praktischer bzw. moralischer Gewissheit im weiteren Sinne«. Eine solche moralische Gewissheit liegt besonders beim Vertrauen in die 3 Autorität oder Fachkenntnisse eines andern vor. – Da die 3 Induktion und die statistische Beschaffenheit der 3 Naturgesetze keine Gewissheit in den Erfahrungswissenschaften vermitteln, ist meistens nur bloßes Glauben bzw. M. angebracht, so dass man in wohlbegründeten Fällen nur von einer »an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit« oder von einer »3 hypothetischen Gewissheit« sprechen kann. – Das Verstärken des M.s durch unterschiedliche Methoden ist »Konvergenzschluss« genannt worden (Newman). J F Fries: Wissen, Glaube und Ahnung, 1805; J H Newman: An Essay in Aid of a Grammar of Assent, 1870, Kap. 8–9; A Meinong: Über Annahmen, L 1902; F P Ramsey: Truth and Probability, in: The Foundations of Mathematics and Other Logical Essays, Lo 1931; B de Finetti: Teoria delle probabilità, To 1970. – H Kyburg / H Smokler (Hg): Studies in Subjective Probability, NY 1964; F Wiedmann: Das Problem der Gewißheit, 1966; M Swain (Hg): Induction, Acceptance and Rational Belief, Dordrecht 1970; W Stegmüller: Carnap II, B 1973; H Hörmann: M. und Verstehen, F 1976; I Levi: The Enterprise of Knowledge, C 1980; W Lenzen: Glauben, Wissen und Wahrscheinlichkeit, W 1980; F Dretske: Knowledge and the Flow of Information, C 1981; D Kahneman / P Slovic / A Tversky (Hg): Judgement under Uncertainty, C 1982; R Jeffrey: The Logic of Decision, NY 1983; P Moser (Hg): Rationality in Action, C 1990; I Levi: The Fixation of Belief and its Undoing, C 1991; M Kaplan: Decision Theory as Philosophy, NY 1996.

Carls Memoria 3 Gedächtnis Menge / Mengenlehre Die Mengenlehre (Ml.) hat in der modernen Mathematik die Funktion einer grundlegenden Terminologie gewonnen. Mathematische Objekte werden durch Elemente von M.n repräsentiert, zwischen denen Abbildungen und Regeln axiomatisch definiert werden. Im formalstrukturellen Verständnis der 3 Mathematik werden nur diese M.n, die Verknüpfungsregeln sowie die daraus abgeleiteten Gesetze betrachtet. Eine Zuordnung der Elemente der M. zu »Objekten« (z. B. 3 Zahlen) ist nur jeweils ein Modell der betrachteten Struktur. Eine M. {a, b, c} ist eine Zusammenfassung von Elementen, a, b und c, wobei die Anordnung der Elemente keine Rolle spielt. Wichtige Begriffsbildungen sind die Vereinigung und der Durchschnitt von M.n und das Komplement gegenüber einer Grundm. Für diese Verknüpfungen bzw. Operationen gilt die M.nalgebra. Weiterhin haben das Produkt von M.n sowie die Potenzm. grundlegende Bedeutung. Mit diesen Hilfsmitteln lassen sich aus

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vorgegebenen M.n weitere konstruieren, was im Aufbau der Mathematik eine bedeutende Rolle spielt. M.n können selbst wieder Elemente von M.n sein. Die Entwicklung der Ml. spielte sich im 19. und 20. Jahrhundert ab. G Cantor führte den Begriff der M. in der Weise ein, dass jede formal korrekte Angabe von Eigenschaften von Elementen eine M. definiert. Im Sinn von G Frege setzt das voraus, dass rein intensionale Definitionen von Begriffen unbeschränkt möglich sind. Die Zermelo–Russell-Antinomie zeigte, dass diese Begriffsbildung nicht sinnvoll ist. Sie betrachtet die M. aller M.n, die sich nicht selbst als Element enthalten. Die Antinomie ergibt sich wie folgt: Unter der Voraussetzung, dass sich diese M. nicht selbst als Element enthält, folgt aus der definierenden Eigenschaft, dass sie sich selbst als Element enthält. Unter der Voraussetzung, dass sie sich selbst als Element enthält, folgt entsprechend, dass sie sich nicht selbst als Element enthält. Aufgrund dieser Antinomie musste auch Frege sein Konzept von Logik grundlegend modifizieren. In der Folge musste ein neuer M.nbegriff entwickelt werden, wobei verschiedene Ansätze konkurrieren. B Russell löste das Problem dieser Antinomie durch die Festlegung eines hierarchischen Aufbaus von M.n, in dem diese zwar selbst Elemente von höheren M.n sein können, sich aber nicht selbst als Element enthalten können. Für den praktischen Gebrauch in der Mathematik verwendet man weithin die Definition von M.n durch ein Auswahlkriterium. Dabei wird eine wohldefinierte Grundm. vorausgesetzt. M.n werden entweder durch die Aufzählung von Elementen aus dieser Grundm. definiert (was nur für endlich große M.n möglich ist) oder durch eine Eigenschaft, die darüber entscheidet, ob ein Element aus dieser Grundm. zur M. gehört. Bsp.: Grundm. A={Sokrates, Platon, Cäsar}. Definition durch Aufzählung: M={Sokrates, Platon}. Definition durch ein Auswahlkriterium: N={x A | x ist ein Grieche}. Die beiden M.n sind in diesem Beispiel identisch, M=N. Reichere M.nbegriffe ergeben sich durch eine axiomatische Definition von M.n, z. B. die Zermelo-Fraenkel-Axiome. Umstritten ist, ob das Auswahlaxiom hinzugenommen wird. Dieses postuliert, dass es zu jeder M. von nichtleeren M.n eine Funktion gibt, die aus jeder dieser M.n jeweils genau ein Element auswählt. Bei endlichen M.n ist diese Aussage trivial, bei unendlichen M.n führt das Axiom zu Paradoxien. Z. B. kann, dieses Axiom vorausgesetzt, eine Kugel in Teile zerlegt werden, die (ohne Verformung) neu zusammengesetzt zwei Kugeln ergeben, die jeweils dieselbe Größe haben wie die ursprüngliche Kugel. Die Mathematik ist aber unter Hinzunahme dieses Axioms eleganter und reicher. Es wurde gezeigt, dass sowohl die Annahme als auch die Verwerfung dieses Axioms konsistent durchgeführt werden kann (ein Bsp. für Gödels Unbestimmtheitssatz), so dass es formal beliebig ist, ob seine Geltung vorausgesetzt wird.

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Interessante Fragestellungen ergeben sich aus Cantors Betrachtung der Mächtigkeit von M.n. Bei endlichen M.n bedeutet »Mächtigkeit« die Anzahl der Elemente. Dass M.n dieselbe Mächtigkeit haben, lässt sich so definieren, dass es eine eineindeutige Abbildung (in beide Richtungen eindeutige Zuordnung der Elemente) zwischen den beiden M.n gibt. Dieser Begriff lässt sich auf M.n von unendlicher Mächtigkeit verallgemeinern. Damit kann der Begriff unendlich vieler Elemente mathematisch definiert werden: »M.n von unendlicher Mächtigkeit« sind gleichmächtig zu einer echten Teilm. von sich selbst. Z. B. lässt sich eine eineindeutige Abbildung von der M. der natürlichen Zahlen {1, 2, 3, …} in die M. der Quadratzahlen {1, 4, 9 …} durch Quadratbildung definieren. Cantor erkannte auch, dass nicht alle unendlichen M.n gleichmächtig sind. Dazu führte er den Begriff der Kardinalzahlen (weniger wichtig: der Begriff der Ordinalzahlen) ein. Es lässt sich leicht zeigen, dass die M. der reellen Zahlen (im Unterschied zu den Rationalzahlen) nicht gleichmächtig zur M. der natürlichen Zahlen ist. M.n der Mächtigkeit der natürlichen Zahlen heißen abzählbar unendlich, sonst überabzählbar unendlich. Es lässt sich zeigen, dass es unendlich viele verschiedene Kardinalzahlen für unendlich große M.n gibt, und dass sich die Kardinalzahlen nach Größe anordnen lassen. Eine interessante Frage war lange, ob es M.n gibt, deren Mächtigkeit zwischen der der natürlichen Zahlen und der der reellen Zahlen liegt. (Die Verneinung ist als »Kontinuumshypothese« bekannt.) Es wurde gezeigt, dass diese Frage im Rahmen der gewöhnlichen Arithmetik prinzipiell nicht beantwortet werden kann. Auch das ist ein Beispiel für Aussagen, auf die Gödels Unbestimmtheitssatz zutrifft. Die Betrachtungen über verschiedene unendliche Mächtigkeiten sind nur im Rahmen eines Begriffs von aktualer Unendlichkeit sinnvoll, also einer Unendlichkeit, die tatsächlich vorhanden ist. Aristoteles plädierte stattdessen dafür, sich auf den Begriff der potentiellen Unendlichkeit zu beschränken, der bedeutet, dass zu einer M. immer noch mehr Elemente hinzugefügt werden können. Im konstruktivistischen Verständnis von Mathematik wird Unendlichkeit in diesem Sinn verstanden. Dass die reellen Zahlen überabzählbar unendlich sind (aktuale Unendlichkeit vorausgesetzt), charakterisiert eine Eigenart des Kontinuums. P J Cohen: Set theory and the Continuum Hypothesis, NY 1966; R B Jensen: Modelle der Ml., B 1967; W V O Quine: Ml. und ihre Logik, F 1978; H-D Ebbinghaus: Einführung in die Ml.,Da 1979; K Kunen: Set theory, A 1980.

Bauberger Mensch Als M.en anerkennen wir all jene Wesen, die sich mit uns hier zu einem Wir zusammenschließen können, bis an die Grenze, an der, in der Konfrontation mit 3 Tieren, keine gegenseitige Anerkennung mehr sinnvoll ist. Denkgeschichtlich wie erlebnismäßig liegt dem Abstraktum »der M.« also nicht nur die Abgrenzung zu Tieren, zu Geistern und Göttern, sondern auch

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Mensch

der Inklusionsbegriff des »Bruders« oder »Nächsten« voraus. Damit ist unmittelbar gegeben, dass »M.« immer auch schon ein ethisch »geladener« Begriff ist: Wird ein M. nicht mindestens anfänglich auch mit dem sittlichen Anspruch, der von ihm ausgeht, erfasst, wird er gar nicht als M. wahrgenommen. »M.« ist also nicht primär ein Begriff der biologischen Systematik. Aber das ist er natürlich auch. Der M. ist einer der Primaten. Mit ihnen teilt er eine große Zahl von gemeinsamen Zügen in Bezug auf den Körperbau, die Entwicklung, das Verhalten und noch mehr in Bezug auf die physiologischen Funktionen. Mit ihnen hat er gemeinsame Vorfahren. Mit ihnen zusammen ist er vor einigen Millionen Jahren als unterschiedene Form des Lebens aufgetreten und ist seitdem da, bis auf weiteres. Die Herkunft des heutigen M.en aus demselben Stamm, aus dem sich auch die M.enaffen herausgebildet haben, ist heute eine gesicherte wissenschaftliche Tatsache. Wie aber die gemeinsame Herkunft mit der ganz und gar nicht gemeinsamen Lebensart theoretisch versöhnt werden soll, ist eine große Frage. Sicher ist jedoch, dass alle ernsthaften Lösungsversuche damit beginnen müssen, die Phänomene umfassend zu erheben. Der M. zeigt seit seinem Auftreten Züge, die ihn von allen ihm biologisch verwandten Primaten unterscheiden. Er lebt aktiv in eine offene Welt hinein, die er sich mehr und mehr selbst gestaltet mit Hilfe von selbst erfundenen Techniken. Er baut sich Wohnungen und kleidet sich. Er schnitzt und malt Bilder und erfindet Gedichte und Musikstücke. Er kann zu seinen Verhaltensantrieben in eine gewisse Distanz treten und überlegen, wie er handeln soll in einer Gemeinschaft, die durch Bräuche und sittliche Gesetze mit-bestimmt ist. Er kultiviert die Erinnerung an Gründungsgeschichten. Er kann sich über die Phänomene der Natur wundern und versuchen, ihnen gegenüber einen Stand im Wissen zu gewinnen. Er kann andererseits die prinzipiellen Grenzen dieses Projekts entdecken und so zum Staunen und zur ehrfürchtigen Verehrung eines Höheren gelangen. Auch sich selbst entdecken M.en als Wesen, die Respekt verlangen, angefangen vielleicht mit den Toten. So wird der Ausdruck »M.« mit einem gewissen Pathos geladen. Obwohl man sich sehr wohl bewusst ist, dass der M. angesichts der moralischen Anforderungen ein schwaches Wesen ist, so dass der Hinweis »ich bin doch auch nur ein M.« als generelle Entschuldigung gilt, übersieht man nicht die Stellung des M.en im Kosmos, die ihn in mancher Hinsicht mit höheren Wesen verwandt oder zu ihrer Nachahmung berufen erscheinen lässt. Das ist der Ursprung des sogenannten Humanismus, der antike Wurzeln hat, in der Zeit der Renaissance und des Klassizismus aber bewusst als Weltanschauung aufgestellt wurde. Im Gegenzug dazu wird heute, nach den Gräueln des 20. Jahrhunderts, manchmal das »Ende des Humanismus« (oder gar »der Tod des M.en«) diagnostiziert. Der Einsatz, um den es bei diesen Auseinandersetzungen geht, ist ein doppeltes Problem der Einheit-in-Differenz: erstens das Ver-

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hältnis von Geist und Natur, und zweitens die Einheit der M.heit in der Verschiedenheit ihrer Realisierungen. Erstens: Ist es gelungen, das Geistige vor seiner 3 Reduktion auf das bloß Animalische oder gar Physikalische, das doch beides zweifellos auch zum M.sein gehört, zu retten, so erhebt sich das sogenannte 3 Leib-Seele-Problem, d. h. die Frage, wie die Einheit des individuellen M.en aus den beiden Komponenten des Körperlichen und des Geistigen gedacht werden könne. Festzuhalten ist dabei jedenfalls, dass die Geistigkeit des m.lichen Denkens und Strebens nicht von außen zu einem ansonsten fertigen M.en-Tier hinzutritt, sondern sich, zusammen mit dessen physischen, sozialen und psychischen Reifungsprozessen, von innen her »natürlich« entfaltet. Das heißt auch: Die 3 Würde des M.en bedarf keiner Ursache von außen; sie liegt grundsätzlich schon in der Zugehörigkeit zur M.-heit. Zweitens: Das Problem der Einheit des M.enwesens in der Verschiedenheit seiner Realisierungen stellt sich vor allem bzgl. der Differenz der Geschlechter und der Verschiedenheit der »Rassen« und Kulturen. Während das erstgenannte Problem früher meistens durch die Zu- und Unterordnung der Frau in Bezug zum Mann gelöst wurde – in vielen Sprachen sind M. und »Mann« zunächst gleichbedeutend –, gilt das M.sein heute als gleichermaßen durch Männer und Frauen realisiert. Ähnliches trifft auf die zweite Frage zu. Gegen die alte und noch mächtige Tendenz des Ethnozentrismus, der an Grade des M.seins glaubt, die sich mit der Nähe zur je eigenen Hautfarbe und Lebensweise steigern, ist die prinzipielle Gleichberechtigung der verschiedenen biologischen Typen und kulturellen Gestaltungsweisen des M.lichen zu setzen. – In diesem Kontext wird noch einmal klar, dass »M.heit« nicht bloß ein deskriptiver Klassenbegriff ist, sondern ein Ideal bezeichnet. Platon: Phaidros; Phaidon; Symposion; Aristoteles: De anima; T v Aquin: STh. I, qu. 75–89, 117–119; Descartes, Meditationes de prima philosophia, 1641; L Feuerbach: Grundsätze zur Philosophie der Zukunft, 1843; S Kierkegaard: Der Begriff Angst, 1844; M Scheler: Die Stellung des M.en im Kosmos, Da 1928; H Plessner: Die Stufen des Organischen und der M., B 1928; M Heidegger: Brief über den ›Humanismus‹, F 9 1991; J Derrida: Fines hominis, in: Randgänge der Philosophie, F 1976, 88–123; E Levinas: Humanismus des anderen M.en, HH 1989; L Honnefelder (Hg): Die Einheit des M.en, Pb 1994; P Ricœur: Das Selbst als ein Anderer, M 1996; G Haeffner: Philosophische Anthropologie, St 4 2005.

Haeffner Menschenrechte sind jedem Menschen angeborene, unverzichtbare und unverwirkbare, überstaatliche 3 Rechte. Alles, was ein Menschenantlitz trägt, ist mit M.n ausgestattet, jedes Wesen, welches definitiv darauf angelegt ist, Mensch zu werden. Unverwirkbar sind auch die M. des Schwerverbrechers. Es ist unerheblich, ob man um sie weiß und sie auszuüben vermag. Sie ent-

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stehen nicht durch Anerkennung; denn diese ist dem M.sträger gerade als solchem geschuldet. M. sind Rechte gegen die vom Menschen geschaffenen 3 Institutionen. Adressaten sind also der 3 Staat, aber auch eine Bürgerkriegspartei oder eine Guerillagruppe, welche eine der Staatsgewalt vergleichbare Macht auf einem bestimmten Territorium ausübt. Vom Staat begangene Kriminalität ist M.sverletzung, nicht aber ist es die normale Kriminalität. Es nehmen allerdings die Versuche zu, den M.sschutz auch zwischen gleichberechtigten Zivilpersonen einzurichten; eine Gaststätte dürfte dann niemanden wegen seiner Hautfarbe oder sexuellen Orientierung ausschließen. – Es gibt vier Typen von M.n: 1) Abwehr-, 2) Leistungs-, 3) Partizipationsrechte; und 4) die sogenannte dritte Generation von M.n: Recht auf Entwicklung, Recht auf gesunde Umwelt, intergenerationelle Rechte. Während sich die M. 1) und 2) gegen und an den Staat richten, sagt 3): »wir sind der Staat«, wir sind Adressaten und Autoren der Gesetze; M. 4) adressiert sich an die (Welt-)Gesellschaft. – Zu unterscheiden sind Inhalt und Form: Verpflichteten lange Zeit die Inhalte nur das Gemeinwesen (z. B. als ein dem Staat auferlegtes Verbot zu foltern), wurden sie erst ab der Neuzeit mit individuell einklagund sanktionierbaren Ansprüchen verknüpft (Recht jedes Menschen, nicht gefoltert zu werden). Die Attribute der M. entsprechen nicht zufällig denen, welche man der 3 Souveränität des Staates beigelegt hat. Maßgeblich sind die programmatische, ursprünglich nicht rechtsverbindliche Allgemeine Erklärung der M. [AEMR] (10. Dezember 1948); der Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (beide von 1966/76), und die Europäische Konvention zum Schutz der M. und Grundfreiheiten (4. November 1950). Zum Werden der M.sidee haben alle jene M.stheorien beigetragen, welche »den« Menschen, seine Universalität, Freiheit und Gleichheit sowie damit zusammen die Gefährlichkeit und Unentbehrlichkeit der von Menschen geschaffenen Institutionen gedacht haben (Stoa, Christentum, Locke und Montesquieu, französische und englische Aufklärung). Da sich partikuläre Genese und universale Geltung nicht ausschließen, beeinträchtigt die Erkämpfung der M. in Europa und den USA nicht ihre Geltung für jeden Menschen. Zu den Gegnern der M. zählen: die Romantik mit ihrem organologischen anti-individuellen Denken, Hegels Ansatz, insoweit alle Positionen, auch Rechtspositionen, noch einmal miteinander zu versöhnen und aufzugeben sind; Marxismus, der die M. als Produkt des Klassenkampfs ansieht; eine radikale Diskurstheorie, die sämtliche Rechte auf den Diskurs als Quelle und nicht auf die Vernunftnatur zurückführt; Philosophien, welche das »Ich« nicht als der Zurechnung fähige Identität bezeichnen. – M. wurden aus der Gottebenbildlichkeit, aus seiner 3 Würde- und Vernunftnatur begründet. Was Menschenpflichten betrifft, so fehlen sie nicht einmal in der »AEMR« (Art. 29). Die Rede von den Menschenpflichten, wie der »Interaction Council« (Küng) sie 1996 entwickelt hat, war a) unpräzise, b) ausufernd und c) in der Gefahr, die Erfüllung der Menschenpflichten

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Metaethik

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zur Bedingung für das Gewähren der M. zu machen. – Aufgaben sind: 1) aus Traditionen praktizierte Entwürdigungen und Verstümmelungen aufzugeben, wie die Sklaverei, Witwenverbrennung, Frauenbeschneidung; 2) völkerrechtlich zu regeln, dass bei massiver Verletzung der M., wie bei Genozid, die Souveränität des Staates durch eine humanitäre Intervention (3 Völkerrecht) verletzt werden darf; 3) die M. gerichtlich durchzusetzen und Individualbeschwerderechte zu schaffen. H Arendt: Es gibt nur ein einziges M., Die Wandlung 4 (1949), 754–770; J Schwartländer (Hg): Modernes Freiheitsethos und christlicher Glaube, M 1981; K Hilpert: Die M., D 1991; O Höffe: Vernunft und Recht, F 1996; S Shute / S Hurley (Hg): Die Idee der M., F 1996; N Brieskorn: M., St 1997; T Göller (Hg): Philosophie der M., Gö 1999; S Gosepath / G Lohmann (Hg): Philosophie der M., F 2 1999; W Schweidler: Das Unantastbare, Ms 2001; A Saberschinsky: Die Begründung universeller M., Pb 2002; H Küng (Hg): Dokumentation zum Weltethos, M 2002; M Albers: Informationelle Selbstbestimmung, Baden-Baden 2005.

Brieskorn Menschenwürde 3 Würde Mental 3 Bewusstsein Mereologie 3 Teil Merkmal 3 Begriff 3 Abstraktion Mesokosmos 3 Lebenswelt Messbarkeit des Raums 3 Raum Messen 3 Intensität 3 Quantität 3 Wissenschaftstheorie Metábasis eis állo génos 3 Beweis Metaethik in einem weiteren Sinn ist jede 3 Reflexion über die 3 Methode, mit denen inhaltliche moralische Forderungen begründet werden, und zwar unabhängig davon, mit welcher Methode zweiter Ordnung diese Reflexion durchgeführt wird. Nach dem engeren 3 Begriff beschränkt die M. sich darauf, die 3 Bedeutung der Moralsprache zu untersuchen; sie spricht mit Hilfe einer Metasprache über die 3 Sprache der Moral. »Verdient die intuitionistisch-3 deontologische oder die teleologisch-egoistische Methode den Vorzug?« ist eine Frage der M. im weiteren Sinn; »Worin unterscheidet sich der moralische Gebrauch des Wortes ›3 gut‹ vom außermoralischen Gebrauch?« ist eine Frage der M. im engeren Sinn. Verschiedene Autoren der 3 analytischen Philosophie vertreten die Auffassung, die 3 Ethik habe sich auf die M. im engeren Sinn zu beschränken. Ob man dieser Auffassung zustimmt, hängt nicht zuletzt von der metaethischen Position ab, die man vertritt. Die 3 Frage, welche die M. vor allen anderen zu klären hat, ist, ob normative Ethik als philosophische Disziplin überhaupt möglich ist. Handelt es sich bei den Sätzen der Moral, z. B. »Das Stehlen von Geld ist unrecht«, um 3 Urteile, die einen Geltungsanspruch (3 Geltung) erheben? Der Nonkognitivismus ver-

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Metapher

neint und der Kognitivismus bejaht diese Frage. Für den Nonkognitivismus erschöpft Ethik sich folglich in M. Nonkognitivistische 3 Theorien: Nach dem 3 Emotivismus dienen moralische Sätze dazu, die 3 Gefühle und 3 Einstellungen des Sprechers zu äußern und durch diese Äußerung die Gefühle und Einstellungen des Hörers zu beeinflussen; die Sprache der Moral ist also ein Instrument der Manipulation. Wenn wir eine 3 Norm oder eine Verhaltensweise 3 rational oder richtig nennen, dann drücken wir nach dem Expressivismus dadurch aus, dass wir diese Norm akzeptieren; von einem 3 Wert überzeugt zu sein bedeute, eine verhältnismäßig feste Haltung gegenüber bestimmten Aspekten der 3 Wirklichkeit zu haben. Oberste Normen oder höchste Werte beruhen, so behauptet der Dezisionismus, auf letzten, unbegründbaren 3 Entscheidungen. Gegen den Nonkognitivismus ist einzuwenden, dass Emotionen, Einstellungen und Entscheidungen nochmals bewertet werden können. Nach dem Kognitivismus sind moralische Sätze Urteile, d. h. in ihnen wird einer 3 Aussage mit einem wertenden oder vorschreibenden Prädikat ein Wahrheitswert zugesprochen. Dieser Wahrheits- oder Geltungsanspruch darf jedoch nicht um den Preis erkauft werden, dass der Unterschied zwischen wertenden und vorschreibenden Prädikaten auf der einen und beschreibenden Prädikaten auf der anderen Seite aufgegeben wird, d. h. dass Werte oder Normen auf 3 Tatsachen reduziert werden (ethischer 3 Naturalismus). Nach dem 3 Intuitionismus steht ›gut‹ für eine undefinierbare, nicht natürliche 3 Eigenschaft; auch diese Theorie wird dem vorschreibenden Charakter von ›gut‹ nicht gerecht. Der moralische 3 Realismus behauptet, unsere moralischen Aussagen würden durch Tatsachen in der 3 Welt wahr gemacht. Wenn es sich dabei um natürliche Tatsachen handelt, ist der Realismus ein Naturalismus; nach einer anderen Theorie sind die realen Werte analog zu den sekundären 3 Sinnesqualitäten zu denken. Ob etwas gut ist oder nicht, hängt von der Wirklichkeit ab; dennoch steht ›gut‹ nicht für eine Eigenschaft eigener 3 Art, vielmehr ist etwas gut aufgrund seiner beschreibenden Eigenschaften, insofern diese gewählt oder vorgezogen zu werden verdienen. Sittlich gut ist eine Entscheidung, welche das wählt, was in dieser bestimmten 3 Situation gewählt zu werden verdient. C L Stevenson: Ethics and Language, NH 1944; G E Moore: Principia Ethica,St 1970; A J Ayer: Sprache, Wahrheit und Logik, St 1970; R M Hare: Die Sprache der Moral, F 1972; A Gibbard: Wise Choices, C MA 1990; S Blackburn: Ruling Passions, O 1998. – P Schaber: Moralischer Realismus, Fr 1997; F Ricken: Allgemeine Ethik, St 4 2003.

Ricken Metalogik, Metalogie 3 Logik Metapher (gr. metaphorá) heißt wörtlich Übertragung und meint, dass ein Wort oder Ausdruck in übertragener, bildlicher Bedeutung verwendet wird.

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Unter einer M. wird also ein bildlicher Ausdruck verstanden, der als Vergleich für ein bestimmtes Objekt gewählt wird, um dadurch dieses Objekt auf poetische Weise zu charakterisieren. Aristoteles kennt in seiner Poetik vier Bedeutungen dieses Ausdrucks, von denen sich aber nur die einer uneigentlichen Redeweise mit Hilfe eines bildlichen Vergleichs erhalten hat. Die M. ist im Allgemeinen weniger ein Thema der Philosophie als vielmehr der Rhetorik, der Poetik und der Sprachwissenschaft. Ihre Wertschätzung hat im Lauf der Geschichte stark variiert. Manchmal werden M.n von einem Autor standardmäßig verwendet, so wenn z. B. Descartes den Verstand als natürliches Licht bezeichnet. Die Rede vom Licht als Ermöglichung der Erkenntnis gehört zu den beliebten M.n in der Geschichte der Philosophie. Werden verschiedene Gestalten (meist Personen) als M.n für Lebenshaltungen, Kollektive (z. B. Völker), geistige Werte oder Unwerte oder dergleichen verwendet, so spricht man von Allegorien. Aristoteles: Poetik. – H Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, F 1998; H G Coenen: Analogie und M., B 2002; B H F Taureck: M.n und Gleichnisse in der Philosophie, F 2004; R Konersmann (Hg): Wörterbuch der philosophischen M.n, Da 2007.

Schöndorf Metaphysik wurden ursprünglich jene Schriften des Aristoteles genannt, die Andronikos von Rhodos (im 1. Jh. vor Chr.) unter dem Titel »ta meta ta physika« veröffentlicht hat. Ihr Inhalt wurde im Vorlesungsbetrieb des Lykeon (der aristotelischen Schule) nach der Behandlung der naturphilosophischen Schriften der (aristotelischen) Physik vorgetragen und bezieht sich auf das, was Aristoteles selbst »erste Philosophie« genannt hat. Darin wurden Fragen untersucht, die die letzten Grundlagen unseres Wissens, bzw. das, was über das Wahrnehmbare hinausgeht, behandeln. Mit dem Hinweis darauf, es müsse eine Wissenschaft geben, die sich von einem übergeordneten Standpunkt aus mit der Wirklichkeit im Ganzen beschäftigt und so die Grundlagen der übrigen Wissenschaften klärt, steht Aristoteles selbst in der Tradition der griechischen Philosophie, die seit ihren Anfängen nach dem einen Grund der mannigfaltigen Dinge gefragt hat. Dieser einheitliche (zugleich freilich auch in sich differenzierte) alles umfassende Gegenstand der M. wurde seit Parmenides 3 Sein genannt (3 Ontologie). Entsprechend verstand sich die M. in ihrer wechselhaften Geschichte als die philosophische Grunddisziplin, also als Fundamentalphilosophie, deren Aufgabe ist zu klären, was Wirklichkeit letzten Endes sei. Wegen diesem Anspruch, der von Vielen als überzogen und nicht realistisch betrachtet wurde, wurde sie oft angefeindet und ihr vorgeworfen, sie produziere nur Scheinwissen. Deshalb ist es ihre erste Aufgabe aufzuweisen, sie könne ihre Behauptungen begründen und dabei sogar zu einem letztbegründeten Wissen (3 Letztbegründung) gelangen. Sie muss also zeigen, dass es Aussagen gibt,

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die – ohne 3 Tautologien zu sein – unbestreitbar wahr sind, und die – ohne letztlich durch Einzelwahrnehmungen begründet zu sein – über das, was es tatsächlich gibt, informieren. Die Sätze, die (obwohl sie weder Beobachtungssätze noch bloß analytisch wahre Sätze sind) sinnvollerweise nicht geleugnet werden können, sind die metaphysischen Sätze als solche. Indem aufgezeigt wird, dass allgemeingültig wahre Aussagen über das der empirischen Forschung nicht zugängliche Wirkliche gemacht werden können, ergibt sich auch, mit welcher Methode die M. vorgehen muss, um möglich zu sein. Durch die metaphysischen Aussagen als solchen werden unsere meist nicht reflektierten (aber in unserem vernünftigen Handeln – das das Denken einschließt – notwendig zum Ausdruck kommenden) Grundeinsichten ins ausdrückliche Bewusstsein gehoben. Man kann sie nicht leugnen, ohne sie im Vollzug dieser Leugnung implizit anerkannt zu haben. 3 Retorsion. Die so bestimmten Aussagen der M. sind an sich »leugnungsresistent«. Doch ist jede ihre ausdrückliche Formulierung unausweichlich Missverständnissen ausgesetzt. Da es in ihnen um die Möglichkeitsbedingungen unserer gegenstandsbezogenen Erkenntnis geht, kann ihr Aufweis immer nur indirekt geführt werden. Deshalb kann eindeutig nur aufgewiesen werden, was mit Anspruch auf Wahrheit nicht behauptet werden kann. Von dem ausgehend kann zwar die Wahrheit der Aussagen, die den kontradiktorischen Gegensatz zu den sich notwendig als falsch erweisenden Aussagen bilden, aufgezeigt werden, doch kann der positive Inhalt der als unumstößlich wahr aufgewiesenen Aussagen grundsätzlich nicht so eindeutig angegeben werden, wie das bei Aussagen, die sich auf Abstraktes oder empirisch Beobachtbares beziehen, der Fall ist. Deshalb sind sie vom Standpunkt einer die vorliegenden Gegenstände beschreibenden Sprache her betrachtet vage und unpräzis und erwecken sogar den Eindruck, sie seien inhaltslos. Das sind sie aber nicht, obwohl ihr Inhalt nicht eindeutig fixierbar ist; d. h. er kann nicht in jener uns gewohnten, das eine von anderem klar abgrenzenden Weise zur Sprache gebracht werden, die wir von unseren gegenstandsbezogenen Aussagen mit Recht verlangen. Man muss also »hinter« oder »unter« der Ebene der ausdrücklich formulierten Erkenntnis (die dem 3 Verstand zuzuordnen ist) eine andere Erkenntnisebene (nämlich die der 3 Vernunft) annehmen, die nicht in derselben Eindeutigkeit, welche wir von unserer Gegenstandserkenntnis mit Recht verlangen, formuliert werden kann, deren Bedeutung aber darin liegt, dass sie das Fundament aller unserer direkt angezielten Erkenntnisse ist. Man kann sie »implizit« oder »unthematisch« nennen, wobei aber zu betonen ist, dass sie auch zur Darstellung kommt, obwohl nicht direkt, sondern nur performativ, d. h. durch den Ausdruck des explizit Geäußerten. Die Aufgabe der M. ist also die systematische Entfaltung jener weder durch Begriffsanalyse (d. h. analytisch) noch durch Einzelwahrnehmungen (d. h. empirisch) begründbaren Einsichten, die meistens nicht reflektiert, aber

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in allen unseren bewussten Handlungen aus ihrer Natur folgend notwendig vorausgesetzt (bzw. durch sprachliche Kommunikation performativ mitgeteilt) werden. Deren Wahrheit kann – da sie letzte, von anderem her nicht begründbare Einsichten sind – nicht von anderem her aufgewiesen, sondern nur dem sie Leugnenden gegenüber verteidigt werden, indem der in ihrer Leugnung begangene performative Widerspruch aufgezeigt wird. Indem die M. diese Aufgabe erledigt, thematisiert sie die geistige, absolute Dimension der Wirklichkeit, bzw. die des Menschen. Im Lichte der Unterscheidung der beiden Erkenntnisebenen ist die M. als jene philosophische Disziplin zu bestimmen, die es sich zur Aufgabe macht, dieses hintergründige Grundwissen systematisch zur Sprache zu bringen. Die Schwierigkeit, die Unabschließbarkeit, aber auch der für jedes andere Wissen fundamentale Charakter der M. ergeben sich aus der Natur dieser Aufgabe. Der M. stehen zwei (miteinander verwandte) sprachliche Mittel zur Verfügung, um das eindeutig nicht Formulierbare auszudrücken, nämlich die 3 Analogie und die dialektische (eine Affirmation und eine Negation verbindende und so das Überbegriffliche anzielende) Redeweise (3 Dialektik). Dabei muss sie zeigen, dass der leicht missverständliche analoge und dialektische Sprachgebrauch in der Zweipoligkeit aller unserer Wirklichkeitsgeltung beanspruchenden Identitäts- und Differenzaussagen eine solide Grundlage hat (3 Identität 3 Differenz). Die M. musste ihre Behauptungen von ihren Anfängen her stets gegenüber skeptischen Einwänden verteidigen (3 Skepsis), deren berechtigter Grund immer eine ihre eigentliche Aufgabe verfehlende und damit auf Gebiete, für die sie nicht zuständig ist, ausgreifende Einstellung war. In der neuzeitlichen Naturwissenschaft ist ihr aber ein Gegner entstanden, deren Bezweiflung ihrer Wissenschaftlichkeit radikaler war als die der Skepsis, »da sie selbst ein positives verifizierbares Wissen anbot, und nicht Wissen überhaupt, sondern gezielt metaphysische Erkenntnis aus reinen, in der sinnlichen Erfahrung nicht verifizierbaren Begriffen verwarf« (H M Baumgartner). Deshalb ist es entscheidend, dass die M. ihrem eigentlichen Objekt und ihrer eigenen Methode stets treu bleibt. Aristoteles: Metaph.; T v Aquin: Commentaria; F Suárez: Disputationes Metaphysicae, P 1861; M Heidegger: Was ist M?, Pfullingen 5 1949; Einführung in die M., Tü 3 1966. I Ramsey (Hg.): Prospects for Metaphysics, L 1961. – D J Shine: An Interior Metaphysics, Weston 1966; Jean Wahl: Traité de métaphysique, P 1968; H Heimsoeth: Die sechs großen Themen der abendländischen M., Da 6 1974; E Coreth: M., I 3 1980; G Haeffner: Heideggers Begriff der M., St 2 1980; D Hamlyn: Metaphysics, C 1984; R Chrisholm: On Metaphysics, Minneapolis 1989; P Strawson: Analyse und M.; U Steinvorth: Warum überhaupt etwas ist, HH 1994; M Jubien: Contemporary Metaphysics, O 1997; H Schmidinger: M, St 2000; P van Inwagen: Metaphysics, Colorado (O) 2 2002.

Weissmahr

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Methode

Metaphysik der Sitten 3 Ethik Metasprache 3 Sprache Metempsychose 3 Reinkarnation Methexis 3 Teilhabe Methode (gr. méthodos von hodós: Weg, lat. via procedendi) im weitesten Sinne ist jedes zielgerichtete ordnende Verfahren des 3 Denkens und Handelns. Eine Wissenschaftsm. hat zum 3 Ziel, aus vielen oft disparaten 3 Erkenntnissen eines Wissensbereichs ein 3 System mit einer (Ordnungs-)Struktur zu erstellen. Man befasst sich methodisch mit einem Bereich, wenn man ihn planmäßig durchforscht, Einzelerkenntnisse sachgemäß ordnet und diese logisch verknüpft, um nicht nur verständlich zu machen, wie etwas beschaffen ist, sondern auch, warum es so beschaffen ist. Methodologie ist die Erforschung und Lehre von den M.n. Die Schaffung einer genauen Terminologie (lat. terminus: Grenze), d. h. einer eindeutigen Fachsprache, ist eine wichtige Forderung der wissenschaftlichen Methodologie. In 3 Logik und 3 Mathematik, aber auch in Erfahrungswissenschaften, benutzt man vornehmlich die axiomatische M. und leitet ausgehend von (Grund-)Begriffen und 3 Axiomen mit Hilfe von 3 Definitionen und 3 Deduktionen rein logisch Schlusssätze ab. Sieht man dabei von der Existenz der 3 Gegenstände eines Wissensbereichs und von der 3 Wahrheit der Axiome einer Wissenschaft ab und behandelt diese als 3 Hypothesen, können Deduktionen kalkülmäßig in axiomatisch-deduktiven Systemen durchgeführt werden. Will man jedoch die Wahrheit der Schlusssätze eines 3 Beweises sichern, ergibt sich die Frage, wie die Existenz der Gegenstände und die Wahrheit der 3 Prinzipien und speziellen Axiome einer Wissenschaft garantiert (3 Verifikation) werden kann. – Für Erfahrungswissenschaften, welche die induktive M. anwenden, ergibt sich das Problem der 3 Induktion, nämlich wie man von gleichartigen Einzelbeobachtungen zu den 3 allgemeinen 3 Naturgesetzen gelangt, die als spezielle Wissenschaftsprinzipien vorausgesetzt werden. – Um dem 3 Bewusstsein und der 3 Freiheit des Menschen gerecht zu werden, muss die erklärende M. der 3 Naturwissenschaften ergänzt werden, nicht nur durch die introspektive M. bzw. die deskriptive M. der Psychologie, sondern auch durch die phänomenologische M. der 3 Geisteswissenschaften, durch eine verstehende M., welche die menschlichen Absichten im Reden und Handeln klarlegt, und durch eine hermeneutische M., die den Sinn der inhaltlichen Gegebenheiten des Redens und Handelns verdeutlicht. – Da die 3 Philosophie die Berechtigung aller M.n aufzuzeigen hat, kann sie zwar die sprachliche, begriffliche und phänomenologische 3 Analyse und die logische Deduktion anwenden, muss sich aber vor allem auf die transzendentale M. stützen, die auf die 3 Retorsion und die transzendentalphilosophische Argumentation zurückgeht. Platon verwendete »M.« für die 3 Dialektik, zu der er die Zusammenfüh-

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Methode

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rung (gr. synagogé) gleichnamiger 3 Individuen unter einer 3 Idee, die begriffliche 3 Einteilung (gr. dihaíresis) und den anagogischen Aufstieg (gr. anagogé) von den untersten 3 Arten zu den obersten Ideen rechnete. Für Aristoteles war M. ein geregeltes Verfahren der 3 Praxis und er vertrat eine M.nvielfalt für verschiedene Gegenstandsbereiche. Während nach ihm die Dialektik nur zu Meinungen (gr. dóxa) führt, kommt man zum Wissen (gr. epistéme) durch Definition und apodiktische (3 Modalität) Syllogismen, die letztlich von evidenten Prinzipien ausgehen müssen, sowie durch die Induktion (gr. epagogé). Während die Platoniker in ihren 3 Spekulationen vornehmlich die dialektische M. verwendeten und Euklid die Geometrie nach der axiomatisch-deduktiven M. entwickelte, war nach den Epikureern allein die Induktion zusammen mit 3 Sinneserkenntnis als M. anwendbar. – Im Mittelalter verwendete man außer Platons Dihairesis und Aristoteles Definitionsm. und Syllogistik auch die 3 Analyse (lat. resolutio), um vom Zusammengesetzten zu einem Einfacheren zu gelangen, und die 3 Synthese (lat. compositio), um vom Einfacheren zum Komplexeren fortzuschreiten. Im 13. Jahrhundert versuchte R Lullus mithilfe eines kombinatorischen Verfahrens eine Art universellen 3 Kalküls zu entwickeln. – Die Entwicklung der Mathematik führte im 17. Jahrhundert zu Versuchen, die axiomatische M. (lat. mos geometricus) in Verbindung mit der kombinatorischen M. als eine universelle (Erkenntnis-)M. (lat. mathesis universalis) zu konstruieren (Descartes, Leibniz), nach welcher klare und deutliche Ideen kombinatorisch verknüpft werden sollten, so dass aus so entstehenden Aussagen das gesamte Wissen abgeleitet werden kann. Diese axiomatische M. wurde von Pascal am besten formuliert und durch die Logik von Port-Royal allgemein verbreitet. – Die neuen Naturwissenschaften aktualisierten das Problem der Findung und Bestätigung allgemeiner Naturgesetze (Galilei, Newton). Insbesondere wurde von empiristisch eingestellten Philosophen die Induktion als die einzige wissenschaftliche M. vertreten (Gassendi, Bacon, Mill). – In seiner transzendentalen M.nlehre versuchte Kant eine Letztbegründung alles wissenschaftlichen Denkens zu erstellen. Von Dilthey wurde der Unterschied zwischen naturwissenschaftlichem Erklären und geisteswissenschaftlichem Verstehen hervorgehoben. Aus der in der deskriptiven Psychologie angewendeten M. (Brentano, Wundt) entwickelte Husserl die phänomenologische M., die später als Wesensschau auf allgemeine Gegenstände und Sachverhalte ausgedehnt wurde. Der von neupositivistischen Philosophen des 19. Jahrhunderts vertretene Universalismus der empirisch-logischen M. (Carnap, früher Wittgenstein) muss seit den Erörterungen des 3 Kritischen Rationalismus (Popper, Feyerabend) als gescheitert angesehen werden. Platon: Resp. VI-VII; Phaidros 257–278; Aristoteles: An. pr.; An. post; Topik; Euklid: Elemente; Johannes Damascenus: Dialectica; R Lullus: Ars magna, 1273; Bacon: Novum organum, 1620; P Gassendi: Syntagma philosophicum, 1658; R Descartes: Regulae ad directionem ingenii; Discours de la Méthode, 1637;

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Modalität

B Pascal: De l’esprit géométrique et de l’art de persuader, 1657; A Arnauld / P Nicole: La logique ou l’art de penser, 1662; G W Leibniz: Meditationes de cognitione, veritate et ideis, 1684; I Newton: Philosophiae naturalis principia mathematica, 1687; Kant: KrV B II; Mill: A System of Logic, 1843; W Dilthey: Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie, 1894; Entstehung der Hermeneutik, 1900; E Husserl: Logische Untersuchungen, 1900 f.; Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, 1913; Carnap / Hahn / Neurath: Wissenschaftliche Weltauffassung, 1929; K R Popper: Logik der Forschung, W 1935; Objective Knowledge, O 1972; P Feyerabend: Wider den M.nzwang, F 1976. – H Poincaré: Science et Méthode, 1914; I M Bocheñski: Die zeitgenössischen Denkmethoden, Be 1954; B Lonergan: Insight, Lo 1957; H G Gadamer: Wahrheit und M., Tü 1960; O Muck: Die transzendentale M. der scholastischen Philosophie der Gegenwart, I 1964; P Lorenzen: Methodisches Denken, F 1968; R Hönigswald: Die Grundlagen der allgemeinen M.nlehre I–II, Bn 1969 f.; K Wuchterl: M.n der Gegenwartsphilosophie, Be 1977; H F Spinner: Pluralismus als Erkenntnismodell, Bn 1974 ff.

Carls Mind 3 Bewusstsein Mitleid 3 Liebe Mittel 3 Unmittelbarkeit 3 Zweck Mittelbegriff 3 Schluss Modalität im weitesten Sinne meint die Weise, wie etwas besteht oder geschieht, besonders wenn es 3 relativ zu etwas 3 Absoluten existiert. So kennt der 3 Pantheismus Modi des Absoluten (Spinoza) und die 3 Ontologie die 3 Kategorien als Seinsweisen (lat. modus essendi) mit ensprechenden Denkweisen (lat. modus intelligendi). In der Grammatik unterschied man Weisen des Bezeichnens (lat. modi significandi). – Mit »M.en des 3 Urteilens« meint man die Weisen, wie ein Prädikatterm von einem Subjektterm ausgesagt wird. So ergeben sich psychologische M.en des Behauptens, welches z. B. entschieden oder zögernd sein kann. Da nach Kant die M.en zum Urteilen und nicht zum Urteilsinhalt gehören, unterschied er zwischen apodiktischen, assertorischen und problematischen Urteilen, je nachdem ob etwas als notwendig, faktisch oder nur möglich beurteilt wird. Man spricht bei Urteilen von bewertenden M.en des Bejahens und Bestreitens und von epistemischen M.en des Für-sicher-, Für-wahrscheinlich-, Für-möglich- und Für-unmöglichHaltens. Die eigentlichen M.en sind Modifikationen der (beurteilten) Aussageinhalte (engl. propositions), welche sehr verschieden ausgedrückt werden und den Grund für die verschiedenen Bereiche der Modallogik bilden, für welche ganz ähnliche 3 Gesetze gelten, z. B. das Oppositionsquadrat. Man unterscheidet zwischen modalen Aussagen de dicto, wenn die M. die Aussage als Ganze bestimmt, was oft mit einem Operator in Verbindung mit einem

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Modell

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»dass«-Satz ausgedrückt wird, und solchen de re, wenn die M. einen Teil der Aussage, z. B. das Prädikat, bestimmt, was oft durch Adverbien geschieht. Die wichtigsten M.en, die von Aristoteles zu einem syllogistischen System entwickelt wurden, sind die alethischen, die durch Operatoren wie »es ist notwendig (möglich, unmöglich, kontingent), dass«, Adverbien wie »notwendiger-, möglicherweise«, Hilfswörtern wie »muss« und »kann« usw. ausgedrückt werden und die als M.en der 3 Wahrheit (gr. alétheia) und Falschheit gesehen werden können. Die Bedeutung dieser M.en, ihre iterierte Anwendung und ihre Beziehung zur 3 Implikation sind besonders nach 1950 herausgestellt worden (Lewis, Ackermann, Becker, Anderson/Belnap). Man rechnet auch mit epistemischen M.en, die es mit dem Wissen, Glauben und Meinen zu tun haben, mit temporalen M.en, die durch »immer«, »nie«, »bisweilen«, Zeitadverbien und Tempusendungen ausgedrückt werden, mit deontischen M.en, die mithilfe »es ist geboten, erlaubt, verboten« usw. formuliert werden und in der Normlogik systematisch erfasst wurden. Aristoteles: Peri herm. 9, 12–13; An. pr. I, 2–3.8–22; T v Aquin: De propositionibus modalibus; W v Ockham: Summa logicae II,1; F Suárez: Disp. Metaph. 7,1,17–20; 16,1,21; B Spinoza: Ethica; I Kant: KrV B 95–107; H McColl: Symbolic Logic and Its Applications, Lo 1906; C Lewis / C H Langford: Symbolic Logic, NY 1932; R Carnap: Bedeutung und Notwendigkeit, W 1972; G H v Wright: An Essay in Modal Logic, A 1951; O Becker: Untersuchungen über den Modalkalkül, Me 1952; A N Prior: Time and Modality, O 1957; J Hintikka: Knowledge and Belief, Ithaca 1962; G E Hughes / M J Cresswell: An Introduction to Modal Logic, Lo 1968; H Poser: Zur Theorie der Modalbegriffe bei Leibniz, Wi 1969; N Rescher / A Urquhart: Temporal Logic, NY 1971; J Pinborg: Logik und Semantik im Mittelalter, St 1972; A R Anderson / N D Belnap (Hg): Entailment I–II, Pr 1975, 1992; R Patterson: Aristotle’s Modal Logic, C 1995.

Carls Modallogik 3 Modalität 3 Logik Modell im weiteren Sinne, z. B. ein Flugzeugm. oder ein M. für die Bewegung der Gasatome, liegt dann vor, wenn zwar Strukturgleichheit besteht, aber die 3 konkrete Abbildung eines Grundmusters von diesem sehr abweichen kann. – M. im logischen Sinne ist eine semantische Interpretation eines syntaktischen 3 Kalküls bzw. eines formalen 3 Systems, sofern man den Elementen (3 Symbolen) und damit den aus Symbolen erstellten Figuren (Formeln, Theoremen) und den fundamentalen (Sprach- bzw. 3 Schluss-)Regeln eine 3 Bedeutung zuschreibt und dadurch eine formalisierte Sprache erhält. Ein solches M., in dem man einen Gegenstandsbereich (universe of discourse), die Bedeutung der Namen, die Wahrheitswerte von Formeln usw. festlegt, ist eine Struktur, die alle Theoreme der formalisierten Sprache einer 3 Wissenschaft wahr macht, und deshalb kann eine solche »3 Theorie« in ei-

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Möglichkeit

nem strukturalistischen oder semantischen Sinn als eine Struktur verstanden werden, die ein System in der Wirklichkeit darstellt. C S Peirce: Collected Papers II, C 1932; A Tarski: Introduction to Logic and to the Methodology of the Deductive Sciences, NY 1941; Contributions to the Theory of Models I, in: Indagationes Mathematicae 16(1954)572–588; R Carnap: Introduction to Semantics, C 1942; M Black: Models and Metaphors, Ithaca 1962; J Bridge: Beginning Model Theory, O 1977; F Suppe (Hg): The Structure of Scientific Theories, Urbana 2 1977; The Semantic Conception of Theories and Scientific Realism, Urbana 1989; M Wartofsky: Models, Dordrecht 1979.

Carls Modus 3 Schluss Möglichkeit / Unmöglichkeit Die M. gehört zu den 3 Modalitäten. Wir sprechen von M., weil nur bestimmte Ereignisse geschehen können. Dies gilt für unser (Handeln-)Können, aber auch in der Natur, wo wir mit bestimmten Folgen rechnen müssen, mit anderen jedoch nicht. Die M. kann immer nur als mögliche Verwirklichung gedacht werden, ist also ein teleologischer Begriff (3 Teleologie). Außerdem enthält der Begriff der M. eine Unbestimmtheit, denn was möglich ist, muss nicht notwendigerweise verwirklicht werden. Die logische oder Denkm. besteht in der Widerspruchsfreiheit, während die reale M. zusätzlich das Vorhandensein einer entsprechenden Ursache bedeutet: Mögliche Welten sind nur dann real möglich, wenn ein Schöpfergott vorausgesetzt wird. Ferner ist zu unterscheiden zwischen der aktiven M. (Fähigkeit, Vermögen, Kraft, Macht), die einem Seienden zur Verfügung steht, und der passiven M., die das umfasst, was einem Seienden widerfahren kann (3 Akt). Eine Fähigkeit (meist durch Gewohnheit oder Übung), über die als geläufige Fertigkeit problemlos verfügt wird, heißt Habitus (gr. héxis). Nur oder bloß möglich im engeren Sinn ist das, was möglich, aber nicht wirklich ist. Wird das existierende Kontingente (3 Kontingenz) mit hinzugenommen, handelt es sich um M. im weiteren Sinn. Entfernt(er) oder näher ist eine M., je nachdem wie viele Bedingungen für die Verwirklichung noch erfüllt werden müssen. Unmöglich ist das, dessen kontradiktorisches Gegenteil notwendig ist (3 Notwendigkeit, 3 Logik). Da die schöpferische Allmacht Gottes alles logisch Mögliche umfasst, wurden in der Spätscholastik die möglichen und (noch) nicht wirklichen Seienden Possibilien genannt. W Müller-Lauter: M. und Wirklichkeit bei Martin Heidegger, B 1960; A Meinong: Über M. und Wahrscheinlichkeit, Gr 1972; N Rescher: A theory of possibility, O 1975; U Wolf: M. und Notwendigkeit bei Aristoteles und heute, M 1979; H-J Braun (Hg): Utopien, Z 1987; T Ramelow: Gott, Freiheit, Weltenwahl, Lei 1997; E-M Engelen: Das Feststehende bestimmt das Mögliche, St 1999; T Buchheim: Potentialität und Possibilität, St 2001; T Hoffmann: Creatura intellecta, Ms 2002; D Evers: Gott und mögliche Welten, Tü 2006.

Schöndorf

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Monade

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Molinismus 3 Freiheit 3 Gottes Wirken Moment 3 Abstraktion 3 Zeit Monade Der Ausdruck M. (gr. monás von mónos: allein, einzig) findet sich schon in der Antike sowie bei einigen neuzeitlichen Denkern, wird dann aber besonders durch Leibniz bekannt. Er nennt in seiner Spätphilosophie, in der Monadologie, die Substanzen M.n, da sie unteilbare, letzte, einfache Einheiten darstellen. Sie haben keine Fenster, d. h. sie stehen nicht in einem wirklichen Kontakt miteinander, sondern jede M. ist eine ganz bestimmte Repräsentation (= Vergegenwärtigung), d. h. Darstellung und Vorstellung des Universums in einer je anderen Perspektive. Die M.n haben Strebungen (Appetitionen) von einer Erkenntnis (Perzeption) zur nächsten. Deren Abläufe werden nicht von außen verursacht, sondern ergeben sich aus dem Begriff der jeweiligen M. Die Entsprechung der Vorstellungen der verschiedenen M.n und damit auch von Seele und Leib, Geist, Leben und Materie ist von Gott bei ihrer Erschaffung so eingerichtet worden: »prästabilierte« (= vorbestimmte, im voraus festgelegte) Harmonie. Es gibt eine graduelle Abstufung der M.n. Die geistigen M.n sind Abbilder Gottes. G Bruno: De m. numero et figura; G W Leibniz: Monadologie; Principes de la nature et de la grâce fondés en raison; É B de Condillac: Les m.s. – S Bonk: Monadisches Denken in Geschichte und Gegenwart, Wü 2003; H Bredekamp: Die Fenster der M., B 2004.

Schöndorf Monismus (gr. mónos: einzig, allein) All-Eins-Lehre. Unter M. im Allgemeinen wird eine Lehre verstanden, die in der gesamten Wirklichkeit nur ein einziges Grundprinzip am Werk sieht. Monistisch sind darum der 3 Materialismus ebenso wie der Immaterialismus. Die Philosophie Spinozas kann als Substanzm. bezeichnet werden, da es für ihn in der gesamten Wirklichkeit nur eine einzige Substanz, nämlich Gott oder die Natur gibt, die sich mit Notwendigkeit in die Welt hinein entfaltet. Der Begriff M. taucht jedoch erst in der Philosophie der Aufklärung als Charakterisierung solcher Denksysteme auf. Zur Selbstbezeichnung einer philosophischen Richtung wurde »M.« erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die Anhänger dieser Bewegung, die sich Monisten nannten, propagierten eine einheitliche naturwissenschaftlich fundierte und religionskritische Weltanschauung. Gegenbegriffe sind 3 Dualismus und 3 Pluralismus. ; D Henrich (Hg): All-Einheit, St 1985; H J Sandkühler (Hg): Einheit des Wissens, Bremen 1996; A Bächli (Hg): Monism, F 2003.

Schöndorf Monotheismus 3 Theismus Moral 3 Ethik Moralische Gewissheit 3 Meinen/Meinung

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Moralität

Moralität ist das Substantiv zum Adjektiv moralisch (gut). In diesem Sinn kann das Wort die moralische Qualität einer Absicht oder Handlung meinen. Es kann auch als Synonym zu Sittlichkeit (3 Ethik) verwendet werden. Eine spezielle Bedeutung bekommt das Wort M. bei Kant. Für ihn bedeutet M. im Gegenteil zur bloßen 3 Legalität, dass eine Handlung nicht nur nach außen dem Gesetz konform (»pflichtgemäß«) ist, sondern dass sie in der richtigen inneren Einstellung um der Sittlichkeit willen (»aus Pflicht«) geschieht. Für Hegel bedeutet M. die kantische (deontologische) Auffassung von Moral, die durch ihre Subjektivität gekennzeichnet ist, da sie sich auf das subjektive Gewissen und die Pflicht beruft, die im Gegensatz zur Neigung steht, was aufgrund dieser Gegensätzlichkeit und folglich Einseitigkeit noch einen abstrakten Standpunkt darstellt. Bei aller Würdigung der Bedeutung der inneren Einstellung gegenüber einer bloß äußerlichen Sicht des menschlichen Tuns darf nach Hegel nicht auf dieser Stufe stehen geblieben werden. Es gilt vielmehr, die Sittlichkeit zu erreichen, die die höhere Stufe der Moral darstellt, die auch die Gesellschaft, die Tradition und die konkreten Umstände in die Beurteilung des moralischen Handelns integriert. I Kant: Grundlegung; KpV; G W F Hegel: Rechtsphilosophie. – F Wagner: Geschichte des Sittlichkeitsbegriffs, 1928 ff.; J Blühdorn / J Ritter (Hg): Recht und Ethik, 1970; B Bitsch: Sollensbegriff und M.-Kritik bei Hegel, 1977; L Dorn: Recht, Moralität und Sittlichkeit in der Sozialphilosophie von Hegel, Ms 1981; W Kuhlmann: Moralität und Sittlichkeit, F 1986; T Rentsch: Die Konstitution der Moralität, F 1990.

Schöndorf Moralphilosophie 3 Ethik Moralpositivismus, Moralrelativismus Der Moralpositivismus (Mp.) ist die These, dass die moralische Verpflichtung nicht aus der Natur der Sache, sondern auf Grund einer positiven Vorschrift oder Anordnung entsteht, also nichts anderes als den Gehorsam gegenüber dem Befehl der betreffenden Autorität darstellt. Dies war die Position des klassischen Nominalismus und Voluntarismus, nach dem etwas nur deshalb moralisch gut oder böse war, weil Gott es in seiner freien Willkür so geboten hat (theonomer Mp.), aber nicht, weil es in der Sache falsch ist. Dahinter steht zum einen eine falsche Vorstellung von Gottes Souveränität, die Gott nach dem Bild eines absolutistischen Herrschers denkt oder (wie Descartes) meint, andernfalls werde Gott an irgendwelche Vorgaben – und sei es auch nur die Vorgabe seines eigenen Wesens – gebunden und somit seine Allmacht angetastet (Voluntarismus). Zum anderen wollte man auf diese Weise die Schwierigkeit lösen, Befehle Gottes zu erklären, die in Widerspruch zum natürlichen Sittengesetz stehen (z. B. der Befehl an Abraham, den Isaak zu töten), da man eine zu enge wörtliche Auslegung der Bibel vornahm. Ferner steht dahinter auch die Annahme

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Moralsystem

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des Nominalismus, wir könnten das Wesen der Wirklichkeit nicht erkennen und darum auch nicht die rechte Ordnung der Wirklichkeit entnehmen, was aber nötig wäre, um einen Maßstab für moralisch gutes Handeln zu haben. Von einem Mp. kann auch dann gesprochen werden, wenn die Herkunft und Legitimation der Moral ganz auf faktische Gegebenheiten wie die Gesellschaft, die Tradition, die Erziehung, die Evolution oder auf irgendwelche staatliche oder gesellschaftliche Autoritäten zurückgeführt wird. Der Mp. führt zu einer Relativierung der Moral, da die betreffende Autorität andere Gesetze und Befehle geben und die Gegebenheiten, denen sich die Moral verdankt, sich ändern können. Dadurch wird der Mp. zu einer Form des Moralrelativismus (Mr.), der die These vertritt, die Moral sei historisch und kulturell bedingt und daher je nach Zeit und Kultur verschieden. Richtig hieran ist, dass die Details der Moralvorstellungen in den verschiedenen Gesellschaften unterschiedlich sind und dass das herrschende Moralbewusstsein historischen Wandlungen unterliegt, was damit zusammenhängt, dass die konkrete Ausgestaltung der Moral mit den jeweiligen Umständen und Lebensbedingungen zu tun hat. Die grundlegenden Moralprinzipien sind aber in allen Kulturen gleich. Außerdem kann der Mr. ebenso wenig wie der Mp. erklären, wieso es immer wieder Menschen gibt, die unter Berufung auf ihr Gewissen herrschende Moralvorstellungen oder Gesetze kritisieren. 3 Ethik. G Patzig: Relativismus und Objektivität moralischer Normen, Bremen 1968; G Harman / J J Thomson: Moral relativism and moral objectivity, O 1996; P K Moser (Hg): Moral relativism, NY 2001.

Schöndorf Moralprinzip 3 Ethik 3 Sittengesetz Moralrelativismus 3 Moralpositivismus Moralsystem Die M.e wurden in der frühen Neuzeit in der Moraltheologie entworfen, um eine Antwort auf die Frage zu geben, wie man sich in einer Situation verhalten soll, in der es inhaltlich nicht klar ist, welche Handlung moralisch erlaubt und welche verboten ist. Die rigoristische Position vertritt der Tutiorismus (lat. tutior: sicherer), der der Ansicht ist, man müsse immer das Sicherere tun, also bei jedem denkbaren Zweifel der strengeren Meinung folgen. Diese Position widerspricht dem alten Grundsatz, dass ein zweifelhaftes Gesetz nicht verpflichtet (lex dubia non obligat) und wurde von der Kirche abgelehnt. Die Ansicht des Probabiliorismus (lat. probabilior: wahrscheinlicher) lautet, man dürfe der wahrscheinlicheren Ansicht folgen, d. h. der, für die sich die besseren Argumente finden. Für den Fall, dass keine der verschiedenen Positionen wahrscheinlicher ist als die andere, vertritt der Äquiprobabilismus (lat. aequus: gleich, probabilis: wahrscheinlich) die These, man dürfe der Meinung folgen, die gleich wahrscheinlich sei wie die entgegengesetzte. Der Probabilismus hält derartige Abwägungen für nicht praktikabel und verteidigt darum im Zweifel die Freiheit des Gewissens, das plausible

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Motiv

Gründe für sein Handeln geltend machen kann. Seine These lautet deshalb, man dürfe alles tun, was wahrscheinlich sei, d. h. wofür sich gute Gründe anführen lassen. Eine Extremposition stellt der Laxismus dar, der auch schon beim geringsten Anlass zu einem Zweifel ein Gesetz für ungültig erklärt. Ein philosophischer Widerhall dieser M.e findet sich in der 2. Maxime der provisorischen Moral (morale par provision) zu Beginn des Dritten Teils von Descartes’ Discours de la méthode. Dort schreibt Descartes, man solle beim Handeln, wenn man die Wahrheit nicht erkennen könne, den wahrscheinlichsten Ansichten folgen (Probabiliorismus) oder sich bei gleicher Wahrscheinlichkeit für eine der beiden Ansichten entscheiden (Äquiprobabilismus). R Descartes: Discours de la méthode, 3e partie. – W Schöllgen: Grenzmoral, D 1946; H Klomps: Tradition und Fortschritt in der Moraltheologie, Bn 1963; B A Brody (Hg): Moral rules and particular circumstances, Englewood Cliffs (NJ) 1970; A Rigobello: Certezza morale ed esperienza religiosa, Va 1984; R Schüßler: Die Herausforderung des Probabilismus, Pb 2006.

Schöndorf Moraltheologie 3 Ethik More geometrico 3 Rationalismus Morphé 3 Form Motiv Das Wort geht auf das lateinische movere (bewegen) zurück. Im heutigen Sprachgebrauch bezeichnet es verschiedenartige Beweggründe (Ziele, Absichten, Wünsche, Begierden, Neigungen, Überzeugungen, Triebstrukturen …), die als Erklärung für unabsichtliches oder absichtliches Verhalten (letzteres heißt ›Handeln‹) angeführt werden. Sein ideengeschichtlicher Ursprung ist Aristoteles’ Unterscheidung zwischen dem, was eine Bewegung bzw. Veränderung (kínesis) hervorrufen (kinetikón), und dem, was sie erleiden kann (kinetón). Auch Thomas v Aquins Rede vom m.um ist in diesem weiten Sinn als eines die Ursache einer Veränderung bezeichnenden Beweg(ungs)grundes zu verstehen, die z. B. auch den Anstoß von vernunftlosen Empfindungen wie Schmerzen oder Affekte einschließt. Im Hinblick auf Lebewesen bestimmt er – im Anschluss an Aristoteles’ Seelenlehre und Physik – das Wahrnehmungsvermögen (vis apprehensiva) als das Bewegende (m.um) und das Strebevermögen (vis appetitiva) als das Bewegte (mobile). Hier ist das M. eine das Strebevermögen aktivierende Vorstellung, die dem Lebewesen entweder durch sein Wahrnehmungsvermögen (Sinne oder Vorstellungskraft) oder durch sein Denkvermögen (Intellekt) gegeben wird. Gegenstand ethischer Bewertung ist aber nur das M. einer Handlung, die auf einer überlegten Willensentscheidung beruht (actio humana). Als solches bestimmt Thomas v Aquin den Gegenstand des inneren Willensaktes (finis operantis) im Unterschied zum Objekt des äußeren Aktes (finis operis). Da der Wille (voluntas) in der thomasischen Konzeption vom Intellekt bestimmt wird, erstrebt er notwendig alles unter der Rücksicht des Guten und die M.e,

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Motiv

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die ihm durch die sinnlichen und affektiven Strebungen nahe gelegt werden, können ihn nur mittelbar bestimmen, indem sie das Urteil über das Gute beeinflussen. Mit Hobbes beginnt die empiristische Tradition des Denkens, die diese Bestimmung des Willens als eines rationalen, oberen Begehrungsvermögens, dessen Gründe hinreichendes M. eines Willensaktes sein können, ablehnt. Locke meint z. B., dass nur ein Unbehagen (uneasiness) auslösendes 3 Begehren (desire) oder etwas davon Abgeleitetes ein M. darstellt. Symptomatisch für den Empirismus ist die These Humes, dass die Vernunft allein niemals das M. eines Willensaktes sein kann und deshalb im Praktischen Sklave der Leidenschaften ist, und dies auch sein soll. Die britischen Aufklärer Shaftesbury und Hutcheson haben versucht im Rahmen dieser Konzeption, die durch eine scharfe Trennung von Vernunft und Wille geprägt ist, einen spezifisch moralischen Gefühlsbereich auszuweisen, der nicht auf das M. des Eigennutzes reduziert werden kann. Die rationalistische Gegenposition (Wolff, Baumgarten) geht von der These aus, dass Begierden durch Vorstellungen des Guten (idea boni) hervorgerufen werden, und unterscheidet zwischen einem unteren-sinnlichen und einem oberen-rationalen Begehrungsvermögen, wobei Ersterem die sinnlichen Triebfedern zugeordnet werden, die durch eine konfuse Vorstellung vom Guten hervorgerufen werden, und Letzterem die rationalen Bewegungsgründe, die auf einer klaren Vorstellung vom Guten beruhen (nur sie nennt Baumgarten m.a). Kant steht mit seiner deutlichen Unterscheidung zwischen Sinnlichkeit und Vernunft in dieser Tradition. Das M. (die ›Triebfeder‹) zum sittlichen Handeln geht seines Erachtens aber unmittelbar aus der praktischen Vernunft hervor, deren spezifische Eigenart darin besteht, dass sich bei jeder Reflexion über Handlungsmaximen notwendig das Moralgesetz aufdrängt, das den Menschen anweist, wie ein freies Vernunftwesen zu handeln, und ihm so seine übersinnliche Bestimmung erschließt. Das rein durch Vernunft gewirkte Gefühl der Achtung für dieses Moralgesetz, das aus dieser Reflexion hervorgeht, ist sowohl notwendiges als auch hinreichendes M. des sittlichen Handelns. Aristoteles: Physik III; T v Aquin: Summa Contra Gentiles, Buch II, Kap. 47; STh I–II; D Hume: A Treatise of Human Nature, Book II, Part III, Section III; J Locke: An Essay Concerning Human Understanding, Book II, Chapter XXI; I Kant: KpV, Drittes Hauptstück. – A Kenny: Action, Emotion, and Will, Lo 1963; W P Alston: M.es and m.ation, in: P Edwards (Hg): Encyclopedia of Philosophy V, 399–409; R Lawrence: M.e and Intention, Evanston 1972; F Ricken: Art. ›M.‹, in: HWPh, Bd. 6, 211–214.

Trampota Münchhausen-Trilemma 3 [324] Mündigkeit 3 Recht Muße 3 Arbeit Mutation 3 Genetik 3 Evolution Mysterium 3 Geheimnis

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Mystik

Mystik (gr. my´ein: die Augen schließen) meint die Lehre und Praxis außergewöhnlicher religiöser Erfahrungen. Dabei wird vor allem an ein besonderes Einswerden mit Gott gedacht, das der, der es erlebt, nur schwer in Worte fassen kann. Die oft damit verbundene Erfahrung des Aus-sich-Heraustretens wird als Ekstase bezeichnet. Oft wird aber der Begriff M. auch in einem weiteren Sinn für religiöse Erfahrungen verschiedenster Art gebraucht. Die M. ist eine individuelle Erfahrung und scheint vor allem bei Menschen und in Epochen aufzutreten, die die persönliche religiöse Innerlichkeit betonen. In bestimmten Fällen zeigt sich das mystische Erleben eines Menschen auch für andere durch außergewöhnliche Verhaltensweisen. Die M. ist ein religiöses Phänomen. Da manche Richtungen der antiken Philosophie auch religiösen Charakter haben, werden manchen Vorsokratikern und dann wieder Plotin und Schülern von ihm mystische Erfahrungen zugeschrieben. In der christlichen Tradition wird das Adjektiv mystisch auch für die Charakterisierung des Geheimnisvollen und Unbegreiflichen der Offenbarung verwendet. Besonders die Vertreter der negativen Theologie verweisen nicht selten auf die M. anstelle rationaler Überlegungen als Zugang zum Göttlichen. Die Interpretation mystischer Erfahrungen ist gewöhnlich von der Glaubensüberzeugung dessen geprägt, der eine solche Erfahrung gemacht hat, da sie normalerweise auch im Kontext einer bestimmten gelebten Religion geschieht. Als Hochform des Gebets kann M. als eine besondere Erfahrung der Beschauung oder Kontemplation, also der innerlich schauenden religiösen Hingabe erlebt werden. Formulierungen, die die M. als Vergottung bezeichnen, sind in dem Sinn zu verstehen, wie die Kirchenväter davon sprachen, dass Gott Mensch wurde, um uns Menschen zu vergöttlichen, d. h. an seinem göttlichen Leben Anteil zu geben. Da die M. im eigentlichen Sinn eine seltene Grenzerfahrung darstellt, lassen sich aus ihr nicht ohne weiteres weitergehende Schlussfolgerungen ziehen. Die christliche Tradition hat sich für ihre Glaubwürdigkeit nicht auf die M. berufen und seit Paulus immer betont, dass Glaube und Liebe, nicht aber mystische Erfahrungen für das christliche Leben entscheidend sind. Es ist darum fragwürdig, die M. zur religionsphilosophischen Begründung des Christentums heranzuziehen. A de Libera: La mystique rhénane, P 1994; K Albert: Einführung in die philosophische M., Da 1996; R Margreiter: Erfahrung und M., B 1997; J Bernhart: Die philosophische M. des Mittelalters, Weissenhorn 2000; W Haug (Hg): Deutsche M. im abendländischen Zusammenhang, Tü 2000; F Marxer: Die mystische Erfahrung, Wü 2003; A M Haas: M. im Kontext, M 2004; U StörmerCaysa: Einführung in die mittelalterliche M, St 2004; P Capelle (Hg): Expérience philosophique et expérience mystique, P 2005.

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Mythos

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Mythos (gr., lat.: mythus; Lehre vom M.: Mythologie) bezeichnet eine Göttererzählung, von der, zumindest in späterer Zeit, im Allgemeinen auch angenommen wird, dass sie nur metaphorisch gemeint ist und keiner wahren Begebenheit entspricht, aber eine bestimmte Wahrheit darstellen will. Die Philosophie kann zum einen nach einer berühmten Formulierung als der Übergang vom M. zum Logos angesehen werden, weil nun der Versuch gemacht wird, die Wahrheit begrifflich und argumentativ und nicht mehr in der narrativen Form poetischer Erzählungen darzustellen. Andererseits greift Platon dann zur Darstellungsform des M., wenn er die Verankerung einer Wahrheit in der Tradition oder die Schwierigkeit ihrer argumentativen Beweisbarkeit zeigen will. Mit dem Aufkommen des Christentums wird der M. zunächst kritisch gesehen, da er aus heidnischen Religionen stammt. Normalerweise standen auch alle aufklärerischen Zeiten und Bewegungen dem M. kritisch gegenüber, da sie in ihm eine noch unaufgeklärte, vorwissenschaftliche Weise des Selbst- und Weltverständnisses sehen, die es zu überwinden gilt. Vor allem in der Neuzeit wird im Zusammenhang mit der Erforschung der verschiedenen Kulturen und Religionen und der Deutung der in ihnen tradierten Literatur und Dichtung wieder der positive Gehalt des M. zum Thema gemacht. Andererseits wird in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem durch Bultmann in der protestantischen Theologie die Entmythologisierung zum Programm erhoben, durch die die biblische Botschaft von ihrem mythologischen Gehalt gereinigt und ohne ihre zeitbedingte weltbildliche Einkleidung präsentiert werden soll. F W J Schelling: Philosophie der Mythologie. – K-H Volkmann-Schluck: M. und Logos, B 1969; W Nestle: Vom M. zum Logos, St 1975; B Liebrucks: Irrationaler Logos und rationaler M., Wü 1982; K Hübner: Die Wahrheit des M., M 1985; M Eliade: M. und Wirklichkeit, F 1988; A Losev: Die Dialektik des M., HH 1994; E Rudolph (Hg): M. zwischen Philosophie und Theologie, Da 1994; B Kytzler: Platons Mythen, F 1997; N Bischof: Das Kraftfeld der Mythen, M 1998; J Mohn: M.theorien, M 1998; H-K und S Lücke: Antike Mythologie, Reinbek 1999; K A Morgan: Myth and philosophy from the presocratics to Plato, C 2000; G Valzania: Der M. des Logos und der Logos des M., D 2001; W Barner (Hg): Texte zur modernen Mythentheorie, St 2003.

Schöndorf Nacheinander 3 Zeit Nachrichten 3 Information Nachsatz 3 Schluss Nächstenliebe 3 Liebe Nähe 3 Raum Name In der Antike und im Mittelalter wird meist jede substantivische und adjektivische Bezeichnung für irgendetwas als N. (gr. ónoma, lat. nomen)

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Name

bezeichnet. Unter einem N.n kann in diesem Fall also sowohl ein 3 Begriff (bzw. Begriffsausdruck) als auch ein Eigenn. verstanden werden. Die philosophische Auseinandersetzung mit dem Wesen des N.ns betrifft in dieser Zeit darum auch die Frage nach dem Verhältnis von Wort und 3 Sprache zur Wirklichkeit überhaupt (vgl. 3 Bedeutung). Unter einem N.n im engeren Sinn versteht man jedoch heute normalerweise einen Eigenn.n, der von einem Begriff zu unterscheiden ist. Während ein Begriff eine ganz bestimmte inhaltliche Bedeutung besitzt, aufgrund derer er auf alle Vorkommnisse einer ganz bestimmten Art, Klasse oder Menge angewandt wird (und werden muss), bezeichnet ein (Eigen-)N. jemanden (oder etwas), dem dieser N. irgendwann durch eine ausdrückliche (»Taufe«) oder gewohnheitsmäßige N.nsgebung zuerteilt worden ist. So haben Eigenn.n zwar ursprünglich auch eine inhaltliche Bedeutung, aber an dieser Bedeutung lässt sich nicht ablesen, wer der Träger eines bestimmten N.ns ist. Eigenn.n dienen vor allem dazu, die Individualität und Einmaligkeit von Personen (und Tieren) auszudrücken, können aber auch in andern Fällen (Gemeinschaften, geografische Gebilde …) zur Unterscheidung dienen. Manche Menschen geben auch Sachen, zu denen sie eine besondere Beziehung haben (z. B. ihrem Haus oder ihrem Auto), einen Eigenn.n. Trotz ihrer ursprünglichen Verschiedenheit können Eigenn.n zu Begriffen werden und Begriffe zu Eigenn.n. So war z. B. »Mond« ursprünglich der Eigenn. des Erdtrabanten, bis man entdeckte, dass es auch Trabanten anderer Planeten gibt, die dann ebenfalls Monde genannt wurden. Umgekehrt gibt es den Fall, dass eine populäre Markenbezeichnung für ein bestimmtes Produkt (vor allem, wenn es sich um ein neuartiges Produkt handelt) in der Umgangssprache später auch für alle gleichartigen Produkte anderer Marken verwendet wird. Ferner werden nahe Verwandtschaftsbezeichnungen wie Vater oder Mutter (oder deren Koseformen) in der Familie oft wie N.n verwendet. Ein und dasselbe Wort kann sowohl als Begriff als auch als N. fungieren. Dies gilt immer dann, wenn etwas einzigartig ist. Darum kann man Bezeichnungen, die die Gesamtheit von etwas meinen (Menschheit, Wasser, Eisen …), auch als N.n auffassen, obwohl sie eigentlich Begriffe sind. Im Monotheismus wird die Bezeichnung »Gott«, die ursprünglich ein Begriff ist, zugleich auch als N. des einen Gottes gebraucht. Platon: Kratylos. – S A Kripke: Naming and necessity, 1972; U Wolf (Hg): Eigenn.n, F 1985; M D Palmer: N.s, reference and correctness in Plato’s Cratylus, F 1989; R Barney: N.s and nature in Plato’s »Cratylus«, NY 2001; M Textor: Über Sinn und Bedeutung von Eigenn.n, Pb 2005.

Schöndorf Nationalstaat 3 Staat Nativismus 3 Idee 3 Kategorien

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Natur

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Natur von lat. natura ist die Übersetzung des gr. phy´sis. Beide Ausdrücke haben der indogermanischen Wurzel nach zu tun mit Hervorkommen, Geborenwerden, Wachsen, Entstehen. Das Wort N. (1) wird häufig verwendet als Inbegriff alles dessen, was wir nicht gemacht haben, im Gegensatz zum Artefakt (Kunst, Technik, Kultur). Es bezeichnet aber auch (2) das, was die vielen verschiedenen Arten von natürlichen Dingen zu dem macht, was sie sind, z. B. die N. des Lebewesens oder des Menschen. Man kann sogar (3) von der N. beliebiger Gegenstände oder Sachverhalte sprechen (»es liegt in der N. der Sache, dass …«). Über die N. (2) sagt Aristoteles: Was von N. ist, hat das Prinzip von Bewegung und Ruhe in sich selbst (Phys. 192b 21–23). Alles Übrige hat kein solches Prinzip. Natürliche Dinge sind somit Quellen von Bewegung (Spontaneität). Zum »Übrigen« gehört alles, was der Mensch herstellt. Er selber ist aber auch »von N.«. Seine N. umschreibt, was ihn zum Menschen macht und wozu er fähig ist. Was die natürlichen Dinge von ihrer N. her schon immer sind, ist aber nicht immer schon aktuell. Sie streben danach, das zu werden, was sie ihrer N. nach sein sollen, aber noch nicht sind; sie sind teleologisch konstituiert (3 Teleologie). Daher gibt es Bewegung (kínesis), d. h. Veränderung, vor allem Werden. Bewegung ist somit nach Aristoteles die Verwirklichung (enérgeia, entelécheia) eines der Potenz nach Seienden (dy´namis), insofern es (noch) ein solches ist (Phys. 201a 10f). Thomas v Aquin betont, dass ein der Potenz nach Seiendes nie ein bloß Mögliches ist, sondern immer auch schon ein Wirkliches, aber noch von unvollkommener Wirklichkeit (actus imperfectus), die durch Werden zur vollkommenen wird (actus perfectus). So kann Thomas v Aquin bündig sagen, motus est actus imperfectus (Physik-Kommentar 1b 3, 1c 2 n3, n5), zu deutsch: Selbstverwirklichung unterwegs, dies im Gegensatz zur modernen Selbstorganisation: Organisation der vielen Teile (z. B. der Atome) zu einem »Selbst«, d. h. zu einem System oder Ganzen. Im ersten Fall steht das Selbst als ursprünglich Ganzes am Anfang des Werdens, im zweiten Fall steht es als eine nachträgliche Ganzheit am Ende der Bewegung. Zu Beginn der Neuzeit wird die aristotelische Konzeption von N. aus verschiedenen Gründen schrittweise aufgegeben. Zum einen verbreitet sich die Überzeugung, dass unbewusst steuernde Ziele undenkbar sind. Nur selbstbewusste, der Einsicht fähige Subjekte können Ziele konzipieren und verfolgen, nämlich der Mensch und Gott (auch höhere Tiere, sofern die Ziele sinnlich vorstellbar sind). In der Tat setzt Spinoza Gott und die N. (als Inbegriff) in eins (Deus sive natura). Sie sind zwei Seiten einer einzigen Substanz (natura naturans und natura naturata). Zum anderen können Aristoteles und seine späteren Vertreter nicht plausibel zeigen, wohin denn unbelebte Körper streben, wenn sie sich ungehindert bewegen können. Einen Ausweg zeigt u. a. Descartes. Er macht die Ausdehnung zur grundlegenden Eigenschaft der Körper. Ausdehnung aber ist rein passiv. Folglich bewegen sich Körper nicht sel-

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Natur

ber, sie werden immer nur von außen bewegt (viribus impressis sagt Newton). Die einzige Spontaneität, die ihnen geblieben ist, ist die Trägheit. Newton nennt als Grund der Trägheit eine innere 3 Kraft (vis insita), nämlich die Fähigkeit (potentia), jeder Änderung des Bewegungszustandes zu widerstehen. In der Folge verzichtet die »neue N.philosophie« (die beginnende N.wissenschaft) auf Zielursachen als Erklärungsinstanz und beschränkt sich auf 3 N.gesetze und 3 Mechanismen. Diese Selbstbeschränkung kommt zudem dem Interesse an der Beherrschung der Natur entgegen, die Fancis Bacon verkündet. Nach ihm ist die Kenntnis der Zielursachen im Hinblick auf dieses Ziel so unfruchtbar »wie eine gottgeweihte Jungfrau«. Sie ist sogar hinderlich. Denn wenn die natürlichen Dinge von sich aus bestimmte Ziele »wollten«, könnten wir ja versucht sein, ihr »Wollen« zu respektieren und unser Streben nach Herrschaft würde in Schranken gewiesen (R Spaemann). Im Bereich des Lebendigen hielt sich die aristotelische N. länger. Kant hält es für undenkbar, dass jemals ein »Newton des Grashalms« erscheinen werde, Lebewesen also mechanistisch erklärt werden könnten (KU 338). Dennoch sind teleologische Erklärungen für ihn unwissenschaftlich, denn Zielursachen gehören nicht zu den Kategorien des Verstandes, die vorschreiben, wie mögliche Gegenstände empirischer Wissenschaften zu sein haben. Teleologie ist nur eine regulative Idee, die uns erlaubt, von Lebewesen so zu reden, als ob sie sich zweckmäßig verhielten. Die aristotelische N. verschwand schließlich ebenfalls auch aus der Biologie im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Sie ist in den Augen der meisten Biologen mit der Mechanisierung der Zielstrebigkeit (Teleonomie, 3 Teleologie) endgültig tot. Der fulminante Erfolg der N.wissenschaft scheint ihnen Recht zu geben. Die Folgen dieser Entwicklung sind schwerwiegend. Der Mensch unterscheidet sich von seinen tierischen Vorfahren nur noch graduell. Jedenfalls hat die menschliche N. keinen normativen Charakter. Sie sagt nicht mehr, dass der Mensch im Grunde unverlierbar ist und darum auch werden soll. Sein und Sollen sind auseinander gefallen (3 N.recht). Außerhalb der N.wissenschaft und unter der Wirkung der Ökokrise (3 Ökologie) gibt es erneut Versuche einer Annäherung an so etwas wie eine aristotelische, normative N., die es erlauben soll, Pflanzen, Tieren und sogar Landschaften und Ökosystemen begründet einen Eigenwert oder sogar Rechte zuzuschreiben, die wir respektieren könnten und sollten ähnlich wie die Menschenrechte. R Spaemann: N., in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. 2, 956–969; H Jonas: Das Prinzip Verantwortung, F 1979; R Löw / R Spaemann: Die Frage Wozu?, M 1981; K M Meyer–Abich: Wege zum Frieden mit der N., M 1984; L Honnefelder: N. als Gegenstand der Wissenschaften, F 1992; K Gloy: Das Verständnis der N., M 1995 f.

Erbrich Natura naturans, Natura naturata 3 Pantheismus

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Naturalismus

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Naturalismus Der (moderne) N. behauptet, dass (1) alles, was ist und geschieht, natürlich ist, d. h. auf 3 Natur zurückgeht (ontologischer N.), und dass (2) allein die Naturwissenschaft kompetent ist, Natur zu erklären (methodologischer N., Szientismus). Falls der Naturalist überzeugt ist, dass alle intersubjektiv prüfbaren und allein darum wissenschaftlichen Sätze in physikalischer Sprache ausdrückbar sein müssen, die empirischen Wissenschaften daher im Prinzip auf Physik reduzierbar sind, wird der N. zum Physikalismus. Der N. lädt sich Probleme auf, die er bis heute nicht gelöst hat. Sie stammen vor allem aus der sich aus dem Ansatz ergebenden Notwendigkeit, das Bewusstsein in all seinen Formen durch 3 Mechanismen neurophysiologischer Art erklären zu müssen. Das dürfte schwerlich gelingen, bedenkt man, dass (1) der Erfolg der Naturwissenschaften auf einer methodologischen Selbstbeschränkung beruht, nämlich Verzicht auf Zielursachen (3 Teleologie) und Beschränkung auf Resultate, die (zumindest prinzipiell) zu prüfbaren Prognosen oder doch wenigstens zu Retrodiktionen führen (letzteres z. B. im Falle der Makroevolution), und dass (2) mentale Sachverhalte sich nicht wirklich auf rein physiologische zurückführen lassen. Der N ist heute eine weitverbreitete Weltanschauung, vor allem im Bereich der Medien auf dem Felde der Popularisierung wissenschaftlicher Ergebnisse. W V O Quine: Ontologische Relativität und andere Schriften, St 1975; D Dennett: Consciousness explained, Boston 1991; J Quitterer / E Runggaldier (Hg): Der neue N., St 1999; G Keil / H Schnädelbach (Hg): N., F 1999.

Erbrich Naturfinalität 3 Teleologie Naturgesetz / Naturkausalität Die Vertreter der Wissenschaftstheorie sind sich nicht einig, wie Naturgesetze (N.e) definiert werden sollen. Ein Grund dafür liegt in der Vielheit von Gesetzestypen: Induktiv gewonnene Gesetze (z. B. Ohmsches Gesetz) oder aus einer Theorie abgeleitete (z. B. die zwei Hauptsätze der Thermodynamik); Gesetze, die neben dem empirischen auch einen definitorischen Gehalt haben (z. B. alle Elektronen tragen eine negative Einheitsladung); deterministische Gesetze (z. B. der klassischen Mechanik) oder statistische (z. B. ionisierende Strahlen erzeugen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit Mutationen im Erbgut). Zudem kennt die Biologie Gesetze einer Art, die in der Physik nicht vorkommt, nämlich die Angabe der Zweckmäßigkeit von Strukturen und Prozessen (z. B. das Chlorophyll dient stets der Lichtabsorption bei der Photosynthese), oder die Angabe von Homologien (z. B. die Flügel von Vögeln sind den Vorderextremitäten von Vierfüßlern bauplangleich, homolog), oder teleonomische Erklärungen (die Zielgerichtetheit von Vorgängen setzt stets negative Rückkoppelungen voraus). Offensichtlich behaupten N.e Regelmäßigkeiten in Prozessen und Strukturen, die von allen Elementen einer Klasse in der Vergangenheit wie in der Zukunft gelten sollen. Der Grund für diese Allgemein-

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Natürlich

heit liegt in Notwendigkeiten, die nicht nur logischer Art sind, sondern auch mit der Natur der Dinge zu tun haben. Die Erklärungskraft der N.e liegt nicht nur darin, dass sie Voraussagen, Retrodiktionen und eine gezielte Gestaltung der menschlichen Umwelt erlauben, sondern mehr noch darin, dass sie eine Vielheit von Prozessen und Strukturen auf eine Einheit zurückführen, z. B. auf wenige Arten von Ursachen wie 3 Kräfte und 3 Mechanismen oder auf eine Grundstruktur wie die Baupläne in der Biologie. Bezüglich der Interpretation von N.en gehen die Meinungen auseinander. Die Instrumentalisten betrachten die N.e als denkökonomische Regeln, die Prognosen und die Manipulation der Natur erlauben (Technik); sie sind weder wahr noch falsch, sondern zweckmäßig oder eben nicht. Die Konstruktivisten halten die N.e für Konstruktionen, die auf Vereinfachungen und einer im Labor künstlich erzeugten Umwelt beruhen; sie gelten von der realen Welt höchstens näherungsweise. Die Realisten sind überzeugt, dass die N.e von den realen Dingen gelten unabhängig von unserem Bewusstsein oder unseren Eingriffen, auch wenn sie zugeben, dass (1) N.e oft nur annäherungsweise zutreffen infolge erkenntnismäßiger Einschränkungen wie z. B. Idealisierungen oder (bei statistischen Gesetzen) fehlende Information und dass (2) N.e immer nur hypothetisch gelten, d. h. solange nichts dagegen spricht. Die Praktiker (im Gegensatz zu den Theoretikern) unter den Physikern, Chemikern, Biologen, Geologen etc. sind durchwegs Realisten. Für ihre Haltung spricht der Erfolg von Naturwissenschaft und Technik. K Popper: Logik der Forschung, Tü 3 1969. – H Mohr: Biologische Erkenntnis, St 1981; R P Feynman: Vom Wesen physikalischer Gesetze, M 1996; S Bauberger: Was ist die Welt?, St 2004.

Erbrich Naturgesetz, sittliches 3 Naturrecht 3 Sittengesetz Natürlich ist das Adjektiv zu 3 Natur und hat verschiedene Bedeutungen, je nachdem, wozu es im Gegensatz steht. 1. Als Gegensatz zu künstlich und zu allen Ausdrücken, die von Menschen Gemachtes bezeichnen, wie kulturell, künstlerisch, handwerklich, technisch usf. meint n. alles, was von Natur aus und nicht durch menschliche Einwirkung geschieht. 2. Als Gegensatz zu übern. meint n. das, was sich nicht einem besonderen göttlichen Eingreifen verdankt, also weder ein Wirken der Gnade noch ein Wunder ist, sondern durch Kräfte der geschaffenen Welt (samt dem Menschen) gewirkt wird. 3. Als Gegensatz zu außern. meint n. das, was durch die Naturwissenschaft erklärt werden kann und nicht ein parapsychologisches oder ähnliches Phänomen oder ein Wunder darstellt. 4. Als Gegensatz zu widern. meint n. das, was dem sittlichen Naturgesetz entspricht und nicht zuwiderläuft. In diesem Fall handelt es sich um einen

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Naturphilosophie

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normativen Begriff, der das meint, was den eigentlichen Zielsetzungen der Natur entspricht und im Gegensatz zu dem steht, was zwar auch in der Natur vorkommt, aber eigentlich als Abweichung vom sinnvollen und zweckmäßigen Naturgeschehen anzusehen ist und darum als unmoralisch zu erachten ist. 5. Als Gegensatz zu unn. meint n. das, was normal und üblich ist und in der Natur einen Sinn und Zweck hat. Während jedoch das Widern.e als unmoralisch gilt, gilt das Unn.e nur als unzweckmäßig, affektiert, unpraktisch oder dergleichen. 6. Als Gegensatz zu konventionell ist n. das, was sich keiner willentlichen Vereinbarung verdankt, sondern von Natur aus vorhanden ist. 7. Als Gegensatz zu naturwüchsig meint n. das, was nicht geschichtlich und kulturell gewachsen ist, sondern von Anfang an von Natur aus vorliegt. 8. Im Gegensatz zu kultiviert o. ä. kann n. ein Verhalten bezeichnen, das spontan und noch nicht oder wenig kontrolliert und reflektiert ist, wie bei Kindern. Für Rousseau ist der n.e Mensch (homme naturel) noch nicht durch die Gesellschaft (negativ) beeinflusst und darum ursprünglich gut, aber (noch) nicht sozial. 9. N.e Theologie meint die philosophische Theologie (Gotteslehre oder Religionsphilosophie) im Gegensatz zur geoffenbarten (christlichen, jüdischen, islamischen …) Theologie. 10. N.e Religion meint eine Religion, die sich auf keine Offenbarung oder sonstige Religionsgründung, sondern nur auf die im Menschen selbst liegenden Kräfte beruft. 11. N. kann das meinen, was sich von der Natur der Sache her ergibt oder nahe legt, was also selbstverständlich ist und keiner weiteren Begründungen oder Überlegungen bedarf. M Forschner: Rousseau, Fr 1977; R Spaemann: Rousseau, M 1980; Das N. und das Vernünftige, M 1987; M Lutz-Bachmann (Hg): Die Unn.keit der Natur, Basel 1992; R-E Mohrmann (Hg): Argument, Ms 1999; R Spaemann / R Löw: N.e Ziele, St 2005; D Birnbacher: N.keit, B 2006.

Schöndorf Naturphilosophie Jener Teil der 3 Philosophie, der die außermenschliche Natur zum Gegenstand hat, das also, was wir nicht gemacht haben, sondern immer nur vorfinden, das wir zwar nutzen und gestalten (müssen) zur Daseinssicherung und -steigerung, von dem wir aber trotz aller 3 Technik abhängig bleiben. Die abendländische Wissenschaft begann mit den Vorsokratikern als N. Ihnen ging es vor allem darum, ein Prinzip zu finden, von dem her sie die Vielfalt des Gegebenen zu verstehen hofften. Weitere Themen kommen dazu: Wie entsteht Ordnung (Platon) und wie ist Bewegung (= Veränderung jeglicher Art) möglich (Aristoteles). Aristoteles kommt mit der (scheinbar) einfachsten Bewegung, der Ortsveränderung, nicht wirklich zu

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Naturphilosophie

Rande. Die Auseinandersetzung mit diesem Problem im Spätmittelalter führt zu Beginn der Neuzeit zur Geburt der 3 Naturwissenschaft (Galilei, Newton) und zum Bedeutungsverlust der N. im Bereich des Unbelebten. Im Bereich des Lebendigen bleibt sie einflussreich bis ins 19. Jahrhundert. Sie erlebt noch einmal eine Blütezeit im Deutschen Idealismus (Schelling). Danach verschwindet sie fast vollständig aus dem Fächerkanon der Universität. Nur in konservativen (katholischen) Enklaven behauptet sie unter der Bezeichnung »Kosmologie« ihre alte Stellung. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts taucht sie allmählich aus der Versenkung wieder auf. Anlass dazu ist (1) die moderne Physik (Relativitätstheorie, Quantenmechanik, Elementarteilchenphysik), die eine Reihe von bisherigen Selbstverständlichkeiten in Frage stellt, (2) die Auseinandersetzungen auf dem Feld der Ethik (Abtreibung, Manipulation der Fortpflanzung bei Mensch und Tieren, Gentechnik), (3) die Umweltzerstörung durch das beschleunigte Wirtschaftswachstum, das ohne die Leistungen der »praktischen« Naturwissenschaften (Technik) gar nicht möglich gewesen wäre und schließlich (4) die von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen genährten Weltbilder, die den Sinn des menschlichen Daseins berühren (Kosmologie, Evolutionstheorie). Es gibt heute folgende Forschungsrichtungen, die man in einem weiten Sinne als N. ansprechen kann: (1) Klärung der Begriffe, Untersuchungen zu Methoden und Modellen vornehmlich der Physik, die noch immer als Leitwissenschaft der Naturwissenschaften gilt. Tätigkeiten dieser Art laufen unter der Bezeichnung »Wissenschaftstheorie«. (2) Suche nach den Voraussetzungen, die der Begriffs- und Theoriebildung, der Anwendung der Mathematik oder bestimmten Methoden zugrunde liegen (z. B. Natur und Rolle des Zufalls in der Evolutionstheorie). (3) Versuche, die Ergebnisse der Naturwissenschaften zu interpretieren. Ihre Resultate drängen in der Regel zu weiteren Fragen, darunter solche, die sich mit naturwissenschaftlichen Methoden möglicherweise gar nicht beantworten lassen. (4) Bemühungen, ausgelöst durch die ökologische Krise, die zu zeigen versuchen, dass die Natur, insbesondere Lebewesen, einen Eigenwert (nicht nur Nutzwert) haben, da sie eigene Ziele verfolgen, die wir respektieren könnten und sollten. (5) Andere naturphilosophische Richtungen bemühen sich um jene Züge der Natur, die uns schön oder überwältigend, abstoßend oder grausam anmuten. Und schließlich gibt es (6) noch immer oder schon wieder Versuche (nicht nur bei den Kreationisten), die Natur als Schöpfung Gottes zu begreifen. Den Bemühungen (2) und (3) liegen eigene Voraussetzungen zugrunde. Gelänge es, diese zu heben, kämen wir möglicherweise wieder zu einer N., wie sie Aristoteles, Kant oder den Idealisten vorschwebte, welche nämlich die unabweisbaren (denknotwendigen) Möglichkeitsbedingungen der Naturerkenntnis nennt. Es gibt auch heute derartige Versuche (z. B. G Isaye). Am anderen Ende des Spektrums stehen nichtakademische Formen der N., die hier nur erwähnt werden können: New Age (F Capra), Gaia-Theorie (J Lovelock, Erde

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Naturrecht

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als Quasilebewesen), Anthroposophie (R Steiner), Deep ecology (Arne Naess) u. a. A N Whitehead: Prozeß und Realität, 1929; C F v Weizsäcker: Die Einheit der Natur, M 4 1984; H Jonas: Das Prinzip Leben, F 1994. – M Drieschner: Einführung in die N., Da 1981; G Isaye: L’affirmation de l être et les sciences positives, P 1987; R Koltermann: Grundzüge der modernen N., F 1994; A Bartels: Grundprobleme der modernen N., Pd 1996; K M Meyer-Abich: Praktische N., M 1997; M Esfeld: Holismus, F 2002; H-D Mutschler: N., St 2002; S Bauberger: Was ist die Welt?, St 2004.

Erbrich Naturrecht (lat. lex naturalis, ius naturale, auch lex naturae, ius naturae) Die Frage nach dem N. entsteht oft aus Unrechtserfahrungen und verlangt ein 3 Recht, welches für alle Menschen verbindlich ist und gegen verbrecherische Regime rechtlichen Widerstand rechtfertigt. Die menschliche 3 Würde verdient nämlich den stärksten Schutz, den des Rechts. 1. Bei Aristoteles findet sich ein vierfacher Sinn von N. (Nik. Eth., V), bzw. vom »natürlich Gerechten«: N. ist 1) das zentrale Recht der Polis, weil sie, die historisch gestiftete, die von Natur her beste politische Form ist; 2) jenes Recht, welches das menschlich Wesentliche betrifft (physiko`n díkaion) und dem von Menschen gesetzten geschichtlich bedingten Recht (nomiko`n díkaion) gegenübersteht; 3) das überall und immer geltende Recht, und 4) das durchaus verschieden anzutreffende, veränderliche, jedoch basale Recht der Verfassungen (nach Voegelin). Während die Götter nach völlig unveränderlichem Recht leben, gilt das N. unter den Menschen »nur gewissermaßen«; das Naturgemäße ist veränderliches Recht. 2. Die von Augustinus entwickelte, von Thomas v Aquin voll ausgearbeitete und noch von der Spanischen Scholastik übernommene N.slehre entsprach nur bedingt derjenigen des Aristoteles. Da nun mit Natur jener Teil der Welt gemeint ist, dessen Entstehen, Erscheinen und Wirken vorgängig zum und unabhängig vom Menschen gedacht ist, ist N. jenes Recht, das nicht durch Vereinbarung oder Gewohnheit der Menschen zustande kommt, sondern dem Menschen verbindlich vorgegeben, von ihm nicht veränderbar, wohl aber auf die Situationen hin zu konkretisieren ist. Die Lex aeterna, das ewige 3 Gesetz, enthält nach augustinischer, klassischer thomistischer und suarezianischer Ansicht Gottes Wille; sie ist ein Plan für das gesamte Leben, keine bloße Ansammlung von Normen und auch nicht bloß Programm. Was jeder Mensch von ihr mit seiner Vernunft auffasst (maßgebend Röm 2, 14 f.) – daher auch lex rationis geheißen –, nannte die Tradition N., Lex naturalis. Sie enthält die für das soziale Leben grundlegenden normativen Sätze, an deren Spitze die Verpflichtung steht: »Tue das Gute, meide das Böse!« Dieses erste Gebot ist mit dem Doppelgebot der Liebe zu Gott und zum Nächsten gleichbedeutend (STh I II, 100, 3, Resp. ad 1; 100, 5 ad 1, 11, 11 ad 1); beide

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Naturrecht

unterscheiden sich nur durch die Weise, wie sie dem Menschen eingegeben sind, durch Vernunftteilhabe bzw. durch gnadenhafte Zugabe. Aus diesem für alle Menschen verbindlichen und erkennbaren, analytisch-evidenten primären Satz (STh I II, 94, 2) folgen nachgeordnete Gebote (STh I II, 94, 5 und 94,6); sie »erfordern nur wenig Nachdenken und leuchten im allgemeinen einem jeden Menschen ein« (STh I II, 94, 4; 99, 2 ad 2; 100, 11), so die Verpflichtungen zur Selbsterhaltung, zur Hilfe, zum Leib- und Lebensschutz. Die Lex naturalis adressiert sich an die Vernunft und sucht deren Urteil und evtl. die Konkretisierung in der Lex humana. Diese setzt die Forderung der Lex naturalis in Regeln des äußeren Handelns um. Sie können je nach Situation je anders ausfallen. Dabei ändert sich nicht das N. Das menschliche Gesetz darf dem N. nicht nur nicht widersprechen, sondern benötigt es zur Legitimierung des Inhalts und als Quelle der Verpflichtung. Dass die Lex humana im Gewissen verpflichtet, beruht auf jener Herkunft. Einem Menschen als Menschen oder einer Institution ist niemand im Gewissen verpflichtet, sondern nur jenem Gesetz, insoweit es Gottes Willen wiedergibt. Nur dann können auch die Gesetze die ihnen zugedachte Aufgabe erfüllen, die Menschen gut zu machen. 3. Während Thomas v Aquin den objektiv-vernünftigen Charakter des N. hervorhob, sahen Duns Scotus wie auch W v Ockham das N. als subjektivvoluntaristisch an. 4. Der Jusnaturalismus, der sich ab dem 17. Jahrhundert in Abkoppelung von der Theologie Geltung verschuf, setzt am Einzelwesen Mensch, seinem Selbsterhaltungstrieb und seiner Soziabilität, seiner Vernunft und Selbstbestimmung an und entwirft von ihm her ein Recht, welches Regel, Maßstab und Norm für jedes positive Recht, für alle Institutionen und den Staat zu sein hat. Die Pflichten treten zurück. Jegliches Gesetz und jede Begrenzung der Freiheit bedarf einer vorausgehenden Einwilligung. 5. Kant trennte das Recht vom sittlichen Leben insofern ab, als es im unverzichtbaren Rechtsleben auf äußere Erfüllung ankommt und die innere Einstellung diesbezüglich vernachlässigt werden darf, wozu hingegen Moralität nie berechtigt ist. Insofern die »Natur« nur Erscheinung war, führte sie nicht zu unwandelbaren letzten materialen Normen. Es blieb nur die Verpflichtung auf die Form: Für die Richtigkeit des Rechts bürgt nun dessen widerspruchsfreie Erhebung zum allgemeinen Gesetz. Hegel versuchte, die Dualität von Recht und Moral zu überwinden, und sah im jeweiligen geschichtlich-positiven Recht eine bestimmte Etappe der Konkretion des Geistes. 6. Das N. beider Prägungen geriet in Misskredit 1) durch unmäßiges Ableiten und damit oft Rechtfertigen historischer Gesellschaftszustände (wie Sklaverei, extreme Form des Privateigentums, Monarchie), 2) durch Konkretisierung der »Natur«, meist der Natur des Menschen in einer Weise, welche die biologische Verfasstheit isolierend auf einem bestimmten Erkenntnis-

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Naturwissenschaft

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stand festschrieb und den Menschen als Leib-Geist-Einheit aus dem Blick verlor; und 3) weil man übersah, dass das N. der juristischen Umsetzung und Positivierung bedarf, um als stabiles, berechenbares und der kontrollierten Auslegung zugängliches Recht zu dienen. Cicero: De legibus, De re publica; T v Aquin: STh I–II, 90–108; F Suárez: De legibus I–II; I Kant: Die Metaphysik der Sitten; E Voegelin: Anamnesis, M 1966. – F Böckle / E-W Böckenförde (Hg): N. in der Kritik, Mz 1973; L Strauss: N. und Geschichte, F 2 1977; J Finnis: Natural Law and Natural Rights, O 1980; L Honnefelder: N. und Geschichte, in: N. im ethischen Diskurs, hg. v. M HeimbachSteins, Ms 1990; E Schockenhoff: N. und Menschenwürde, Mz 1996; W Kluxen: Moral – Vernunft – Natur, hg. v. W Korff / P Mikat, Pb 1997; W Schweidler: Das Unantastbare, Ms 2001.

Brieskorn Naturwissenschaft Sie umfasst weitgehend den gleichen Gegenstandsbereich wie die Naturphilosophie, aus der sie entstanden ist: die Gegebenheiten in Raum und Zeit. Die Abspaltung der N. von der Naturphilosophie war ein langwieriger Prozess, der sich durch das ganze 17. Jahrhundert hinzog. Entscheidend war (1) die Einführung des Experimentes, um gesetzartige Regelmäßigkeiten zu finden und (später) Voraussagen der Theorie zu prüfen. Für den Erkenntnisbereich (im Gegensatz zum technischen Bereich) wurde das Experiment ursprünglich abgelehnt, weil man ja gerade erfahren wollte, wie die Natur sich unbeeinflusst vom Menschen zeigt. Entscheidend war ferner (2) der grundsätzliche Verzicht auf 3 Teleologie als ein möglicher Erklärungsfaktor. Der Verzicht erwies sich als fruchtbar für den Bereich des Unbelebten, denn er half, aus der Sackgasse der aristotelischen Physik herauszukommen. Der Verzicht ist durchaus fragwürdig für den Bereich des Lebendigen. Entscheidend war schließlich (3) der Einsatz der Mathematik überall dort, wo die Phänomene sich metrisieren ließen mit Hilfe weniger Grunddimensionen (drei Raumdimensionen, Zeit, Masse und Temperatur). Die Mathematik erlaubt den Aufbau umfassender Theorien, die bisher Getrenntes vereinigen. Sie gewährt Objektivität mit dem größten Abstand von Anthropomorphismen, die mit dem Einsatz der gewöhnlichen Sprache unvermeidbar sind, aber auch unverzichtbar, wenn es darum geht, zu verstehen und nicht nur zu erklären mit Hilfe von Gesetzen, Anfangs- und Randbedingungen. Es gibt viele verschiedene n.liche Disziplinen. Ihre Einheit soll durch Reduzierbarkeit auf Physik gewährleistet sein. Das mag für die Chemie zumindest »im Prinzip« zutreffen. Faktisch aber ist die Chemie noch weit davon entfernt. Es dürfte aussichtslos sein, die Struktur und die Eigenschaften von Proteinmolekülen mit Tausenden von Elektronen und Atomkernen exakt »ab initio« (aus ersten Prinzipien) zu deduzieren. Um das Verhalten solcher Riesenmoleküle zu verstehen, hilft nur noch das, was die N.ler 3 Mechanismen nennen. Analoges gilt von der Geologie, nicht zu reden von der Biologie.

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Negation

Nimmt in einer Disziplin die Möglichkeit exakter Formulierung ab, nimmt für gewöhnlich der Umfang und die Bedeutung deskriptiver Bestandsaufnahmen zu, mit der übrigens jede Disziplin beginnen muss, schon allein um sicher zu sein, was genau ein Experimentator in Händen hält. Immer und überall gibt es aber kleinere oder größere Bereiche, die mathematisierbar sind, selbst in der Paläontologie (Fossilkunde), etwa bei der Datierung von Fossilfunden mittels physikalischer Methoden. A Portmann: Biologie und Geist, Z 1956; P Lorenzen: Die Entstehung der exakten Wissenschaften, B 1960; J Habermas: Technik und Wissenschaft als »Ideologie«, F 1968; C G Hempel: Philosophie der N.en, M 1974; W Büchel: Gesellschaftliche Bedingungen der N., M 1975; W Heisenberg: Schritte über Grenzen, 2 1973; T S Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 2 1976; F Hund: Geschichte der physikalischen Begriffe, Mannheim 2 1978; E Mayr: Die Entwicklung der biologischen Gedankenwelt, B 1984; P Mittelstaedt: Sprache und Realität in der modernen Physik, Mannheim 1986; C F v Weizsäcker: Die Tragweite der Wissenschaft, St 6 1990; P Janich: Grenzen der N., M 1992; K Popper: Logik der Forschung, Tü 10 1994.

Erbrich Naturzustand 3 Vertragstheorie Nebenwirkungen 3 Handlung Negation (lat. negatio von negare: verneinen) bedeutet Verneinung und ist eine der formalen Grundweisen des Urteilens. Die N. ist immer sekundär gegenüber der Position oder Affirmation (Bejahung), da sie einen bestimmten Inhalt voraussetzt, der negiert wird. Als Gegebenheit kommt die N. nicht vor, denn sie behauptet ja gerade die Nichtexistenz des Negierten. Darum ist das Gegebene das Positive (von lat. positum: gesetzt), und eine Philosophie, die nur das Gegebene gelten lassen will, heißt 3 Positivismus. Die N. ist nur möglich als Bezugnahme auf etwas Positives und zugleich Feststellung seines Fehlens. Im abgeleiteten Sinn kann auch das Verschwinden oder Aufhören von etwas als seine N. bezeichnet werden. Die N. im eigentlichen Sinn ist somit ein geistiger Akt. Auf der Stufe des nichtgeistigen Lebens hat sie ihre Vorform in der Differenz zwischen dem noch nicht erreichten Ziel eines triebhaften Strebens und seiner Erlangung. Das idealistische Denken interpretiert die N. als die Setzung des Gegenteils. Dies ist jedoch unzutreffend, denn die N. bringt als solches nichts Positives hervor, sondern beschränkt sich darauf, etwas Positives aufzuheben (zu eliminieren). Richtig ist jedoch, dass die N. von etwas die logisch notwendige Voraussetzung oder Implikation der Behauptung des Gegenteils einer Sache darstellt. Bei Hegel führt die N. der N. zur höheren positiven Synthese. Auch hier gilt aber, dass dies so nicht zutrifft, denn auch die N. der N. bedeutet als solche noch keinerlei Affirmation (Behauptung) von etwas Positivem.

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Negative Theologie

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Die N. der N. kann also korrekterweise nur als notwendige Voraussetzung der positiven Synthese aufgefasst werden. Die N. kann sich sowohl auf ein Wort als auch auf einen ganzen Satz beziehen. Sie kann auch nur teilweise erfolgen und verschiedene Grade der Gewissheit und des Nachdrucks annehmen. Die N. einer Bedingung hat nur im Fall der notwendigen Bedingung die N. des Bedingten zur logischen Folge. Die N. kann im Sinn der Aufhebung oder Elimination die tatsächliche Nichtexistenz des Negierten meinen; im Fall der 3 Abstraktion wird nicht die Nichtexistenz des Negierten behauptet, sondern lediglich das, wovon abstrahiert wird, außer Betracht gelassen. Für Hegel ist die Aufhebung (1) eine N., die zugleich (2) die Aufbewahrung des Negierten und (3) seine Erhöhung auf die höhere Stufe der Synthese ist. H Weinrich (Hg): Positionen der Negativität, M 1975; M Lutz-Müller: Sartres Theorie der N., F 1976; J Spruyt: Peter of Spain on composition and negation, Nj 1989; M Visentin: Il significato della negazione in Kant, Bo 1992; G Tong: Dialektik der Freiheit als N. bei Adorno, Ms 1995; H Wansing (Hg): N., B 1996; T Collmer: Hegels Dialektik der Negativität, Gießen 2002.

Schöndorf Negation der Negation 3 Dialektik Negative Philosophie (Schelling) 3 Deutscher Idealismus Negative Theologie besagt, dass von Gott (bzw. dem Höchsten, Unendlichen) nur oder vor allem in Verneinungen angemessen zu sprechen ist. Ausgebildet wurde sie in der platonischen Philosophie, anknüpfend an Platons Aussage, dass die höchste Idee, die »Idee des Guten« (nach seiner »ungeschriebenen Lehre« identisch mit dem absolut Einen) noch »jenseits des Seins« (epékeina tês usías)« zu denken sei (Politeia 509 b). Plotin entfaltet diesen Gedanken zu einem System des Ursprungs von allem Seienden aus dem Einen (Hen). Als Ursprung ist das Hen allem vorgeordnet und von ihm unterschieden, aber ebenso darauf bezogen, und so bleibt es dem Geist (nous) nur in einer Ekstasis zugänglich, in der dieser sich erfüllt, aber auch übersteigt. Für das begrifflich fixierende Denken ist das Hen nur über Verneinungen zu erfassen. Doch müssen diese von einer, wenn auch ekstatischen, Affirmation getragen sein, ohne welche sie sinnlos würden, denn auf ein Andersartiges kann ohne Verbindung mit ihm nicht Bezug genommen werden. Differenz ist ohne Identität nicht zu denken. Das Hen erweist sich somit als das schlechthin Grundlegende, allerdings als so grundlegend, dass es vom Subjekt nicht mehr objektivierend distanzierbar ist. Im Spätplatonismus hat diese Lehre Proklos differenziert ausgelegt. Er ist es, der das erste Mal von einer »Theología apophatiké« spricht. Ins Christentum kam sie schon vorher über die Kappadozier (4. Jahrhundert) (besonders Gregor von Nyssa), dann aber vor allem durch Dionysios Areopagita. Seine Selbstbezeichnung mit dem Namen des von Paulus in Athen gewonnen Jüngers (Apg 17, 34) führte

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Negative Theologie

dazu, dass er als Überlieferer paulinischer Geheimlehren galt, bis in der Neuzeit seine Abhängigkeit von Proklos nachgewiesen wurde. Dionysios spricht von Gott als dem »Über-Seienden«, »Über-Guten«, sogar »Übergöttlichen« (De div. nom. II 3), der nur in diesen Transzendenz-Aussagen angemessen benennbar sei. Gott »erkennen« heißt, dass der Erkennende eins wird »mit dem völlig Unerkennbaren, durch das Stillstehen aller Erkenntnis, übergeistig erkennend dadurch, dass er nichts erkennt« (De myst. theol. I, 3). Dieses Begreifen im Nicht-Begreifen hat die Mystik eines Eckhart, Seuse, Tauler, Johannes vom Kreuz und anderer bis in die Sprache hinein beeinflusst. Aber auch die eher rationale Theologie blieb davon nicht unberührt. Den Einfluss auf Thomas v Aquin zeigen Sätze wie dieser: »Wir können von Gott nicht erkennen, was er ist, sondern nur, was er nicht ist« (ScG I 30). Cusanus sieht in diesem negativen Erfassen den Gipfel der Vernunft und prägt dafür die Ausdrücke »docta ignorantia« und »coincidentia oppositorum«. Auch Fichte spricht in eben diesem Sinne vom »Begreifen des durchaus Unbegreiflichen als Unbegreiflichen« (WL 1804, IV. Vortrag). Diesen umfassenden Einfluss sowohl auf eine ratio-kritische Mystik wie auf eine hochrationale Theologie und Philosophie konnte die Platon-Rezeption durch den Areopagiten deshalb haben, weil sie mit der n.n zugleich eine Form der positiven T. begründete. Denn die das Begreifen einschränkende Abstandnahme von Gott setzt die Beziehung zu ihm voraus, die, wenn sie bewusst wird, nur eine durch jene Verneinung geläuterte Erhebung zu ihm sein kann. Damit ist der Dreischritt der Lehre von der 3 Analogie des Seins begründet, jenem von Univozität wie Äquivozität verschiedenen, durch simultane Differenz-Identität gekennzeichneten Entsprechungsverhältnis in der Rede vom Seienden, dem unsere Erkenntnis nur in der dreifachen »via affirmativa, negativa und eminentiae« gerecht werden kann. Man sieht sofort, dass diese Lehre sich auch selbst der univoken Eindeutigkeit entzieht und verschiedene Akzentuierungen erlaubt, die wiederum kritisch zueinander ins Verhältnis gebracht werden können. So lehnte K Barth die Analogielehre ab als vermessene Einbeziehung Gottes in unser menschliches Erkennen (KD I/1 VIII u. 239 ff.), und E Przywara verteidigte sie, jedoch mit dem Barth entgegenkommenden Verweis auf die Aussage des IV. Laterankonzils (Denz 806), dass »zwischen Schöpfer und Geschöpf keine Ähnlichkeit zu denken sei ohne eine noch größere Unähnlichkeit«. Zwischen den großen Religionen, wie auch ihren mystischen und philosophischen Traditionen, besteht der Konsens, dass unsere Welt nicht »alles« ist. Sie wäre es aber, wenn es den Bezug zum »ganz Anderen« nicht gäbe. Damit ist jede ernstzunehmende T. n. und positiv, und gleiches gilt auch für die Philosophie, wenn sie die Frage nach den letzten Prinzipien nicht scheut. Im Spannungsbogen einer durch die Negativität geläuterten Analogielehre wären sodann die verschiedenen philosophischen Ansätze, ob nun zu dualistischen, monistischen oder relativistisch sich der Stellungnahme enthaltenden Systemkonzeptionen, zu diskutieren. Im eigentlichen Bereich

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Neomarxismus

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der T. und Religionsphilosophie bräuchte man den Dialog mit dem hochentwickelten Verneinungsdenken fernöstlicher Kulturen nicht zu scheuen, dürfte aber einer Erscheinung wie der »Gott-ist- tot-T.«, in der die n. T. für die Reduktion der Transzendenz auf Immanenz in Anspruch genommen wird, nicht unkritisch gegenüberstehen. Darüber hinaus vermag ein Denker wie E Levinas, für den das Ernstnehmen des platonischen »epékeina« in der herausfordernden Erfahrung personaler Andersheit besteht, daran zu erinnern, dass die christliche Ausprägung der n. T. und ihrer Analogielehre aus einem personalen Verständnis des Bezugs zur radikalen Transzendenz kommt. Denn eben dieses Verhältnis fordert und ermöglicht den Gedanken einer sich als In-Eins von Nähe und Ferne auslegenden Selbsteröffnung und Selbstgabe unverfügbarer Freiheit. N. T. in: LthK, RGG; Dionysios Areopagita: De divinis nominibus, PG 3, 585 ff.; De mystica theologia, PG 3, 997 ff.; Cusanus: De docta ignorantia; De apice theoriae; J G Fichte: Wissenschaftslehre, 1804. – E Przywara: Analogia entis, Einsiedeln 1962; J Pieper: Unaustrinkbares Licht, M 1963; J A T Robinson: Gott ist anders, M 1964; E Lévinas: Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, M 1992; A Halbmayr / G M Hoff (Hg): N. T. heute?, Fr 2008.

Schmidt Negator 3 Logik Neomarxismus werden die philosophischen Richtungen und Denker des 20. Jahrhunderts genannt, die für sich in Anspruch nahmen, zwar Marxisten zu sein, aber nicht der Linie des von der Kommunistischen Partei dirigierten sowjetischen Marxismus folgten, sondern den Marxismus auf ihre eigene Weise weiterentwickelten. Manchmal wird der Ausdruck N. nur auf einen Teil dieser Strömungen angewandt. Hierher gehören einige marxistische Richtungen in den damaligen osteuropäischen Ländern wie die Praxisgruppe in Jugoslawien sowie bestimmte Denker in Polen (Schaff u. a.), der Tschechoslowakei (Šik u. a.) und Ungarn (Lukács u. a.), aber auch in Frankreich (Lefebvre u. a.) und Italien (Gramsci u. a.), ferner marxistische Tendenzen in Westdeutschland wie die Frankfurter Schule (vor allem Horkheimer, Adorno, Marcuse, Benjamin und der frühe Habermas), die sich selbst als Kritische Theorie der Gesellschaft verstand, und Bloch, der ursprünglich in der DDR tätig war, dann aber nach Westdeutschland überwechselte. Auch die österreichischen Austromarxisten können zum N. gerechnet werden. A v Weiss: N., Fr 1970; H H Holz: Strömungen und Tendenzen im N., M 1972; A Langner: N., Reformkommunismus und Demokratie, K 1972; P Anderson: Considerations on western marxism, Lo 2 1977; H J Eysenck: Die Grundlagen des Spätmarxismus, St 1977; H Müller: Praxis und Hoffnung, Bochum 1986.

Schöndorf

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Neukantianismus

Neukantianismus Der N. ist nicht nur ein deutsches, sondern ein europäisches Phänomen. Anders als etwa in Italien und Frankreich avancierte er freilich in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts für kurze Zeit zur führenden philosophischen Strömung. Die Grundlagen für diese Entwicklung wurden in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gelegt. Während dieser Zeit kam es zur Herausbildung der beiden führenden Schulen des N., der Marburger und der Südwestdeutschen Schule. Erstere wurde von Cohen und Natorp begründet, letztere von Windelband und Rickert. Zur zweiten Generation der Neukantianer gehören u. a. der frühe Cassirer, Lask, Bauch, Cohn und Hönigswald. Der N. versteht 3 Philosophie als 3 Reflexion auf jene 3 Prinzipien, die die 3 Geltung kultureller Objektivationen – neben der wissenschaftlichen 3 Erkenntnis sind dies auch Sittlichkeit, 3 Kunst und 3 Religion – verbürgen; außerdem ist für ihn der Gedanke eines 3 Systems der Philosophie leitend, dessen einzelne 3 Teile einen auf Prinzipien gegründeten Zusammenhang bilden. Was die theoretische Philosophie des N. angeht, so bemüht sich die Marburger Schule um eine Freilegung der apriorischen Möglichkeitsbedingungen des (naturwissenschaftlichen) Erkennens, die »aus ihrem Ursprung im reinen 3 Denken auf- und ausgewiesen werden« sollen (Holzhey). Die Südwestdeutsche Schule unternimmt hingegen eine wertphilosophische Deutung des Theoretischen. Erkenntnis wird gedeutet als Anerkenntnis der 3 Norm der 3 Wahrheit, analog zur Anerkenntnis der Norm des 3 Guten im Handeln und zur Anerkenntnis der Norm des Schönen im ästhetischen 3 Gefühl. Wirkungsgeschichtlich bedeutsam wurde Windelbands wissenschaftsmethodologische Unterscheidung von idiographischen Ereignis- und nomothetischen Gesetzeswissenschaften sowie Rickerts Unterscheidung zwischen dem individualisierenden Verfahren der Historie und dem generalisierenden Verfahren der Naturwissenschaft. Einschlägig für die 3 Rechtsphilosophie des N. sind Überlegungen von Lask und Stammler, für die praktische Philosophie des N. hingegen das in der Marburger Schule entwickelte Konzept eines ethischen 3 Sozialismus. Zentral für die 3 Religionsphilosophie des N. ist die Diskussion um die Verortung des religiösen 3 Bewusstseins im Kontext der drei psychischen 3 Funktionen Erkennen, Wollen und Fühlen (Windelband) bzw. der drei Richtungen des Kulturbewusstseins 3 Logik, 3 Ethik und 3 Ästhetik (Cohen). Generell stellt der N. den großangelegten Versuch einer Erneuerung der kantischen 3 Transzendentalphilosophie dar. Ungeachtet seiner ursprünglich epistemologischen Ausrichtung zielt er auf eine umfassende 3 Philosophie der menschlichen 3 Kultur. H Holzhey / U Renz: Art. »N.«, in: Enzyklopädie Philosophie, Bd. 1, 939 ff.; K C Köhnke: Entstehung und Aufstieg des N., F 1986; E W Orth / H Holzhey: N., Wü 1994.

Ollig

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Neuplatonismus

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Neuplatonismus ist die mit Plotin (204–270) beginnende synkretistische Form des 3 Platonismus. Er ist die dominierende Philosophie der Spätantike, und er bestimmt das Platonbild bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Plotin versteht sich als Interpret der Philosophie Platons; er hat Platon jedoch verkürzt, vor allem um die politische Dimension. 3 Kosmologie, 3 Psychologie und Philosophie des Geistes werden aus einem religionsphilosophischen 3 Interesse heraus betrieben; Ethik ist die Lehre von der inneren Läuterung. Die Vita seines Schülers Porphyrios zeigt den Ursprung der Philosophie Plotins in der platonischen 3 Tradition und der eigenen mystischen 3 Erfahrung. Plotin beschreibt den Hervorgang der 3 Welt aus dem transzendenten Einen, und er leitet den Menschen zum Aufstieg zum Einen an. Die 3 Seele soll aus der Selbstvergessenheit zum 3 Bewusstsein ihres 3 Wesens, 3 Wertes und Ursprungs zurückkehren. Sie soll betrachten, dass sie als Weltseele den Kosmos und alle Lebewesen geschaffen hat. Die Seele verdankt ihre Wirklichkeit dem 3 Geist, der sich selbst denkenden Gesamtheit der 3 Formen. Der Geist als Zweiheit des Denkenden und Gedachten ist Ausfluss (Emanation) des Einen und nur durch seine Hinwendung zum Einen wirklich. Er ist in der Seele als deren Form, und das Eine ist in ihm. Das Eine ist Vermögen (dynamis) aller 3 Dinge; sie fließen wie das Licht aus der Sonne aus ihm hervor, ohne seine 3 Vollkommenheit zu mindern; es ist der Mittelpunkt eines Kreises, aus dem alle Radien entspringen und in den sie zurückkehren. Der Aufstieg endet im ekstatischen Einswerden mit dem Einen, das der Mensch nicht aus eigener 3 Kraft erreichen kann. Nach Plotin bilden sich neuplatonische Schulen in Syrien (Iamblichos) und Athen (Proklos); ob auch in Rom (Porphyrios) und Alexandrien, ist strittig. Das religiöse Interesse lässt nicht nur Mythos und Kult, sondern auch die Theurgie, die religiösen Zwecken dienende Zauberei, als philosophisch bedeutsam erscheinen. Charakteristisch für die Metaphysik ist die Vielzahl der 3 Hypostasen, in die Plotins Triade aufgespalten wird; sie soll dem Aufstieg des Menschen zum Einen, das in übersteigerter Transzendenz gedacht wird, dienen. Nach Proklos (412–485) ist die gesamte Wirklichkeit von einer triadischen Kreisbewegung (3 Bewegung) bestimmt: Das Verursachte bleibt in der Ursache (moné); es tritt aus ihr heraus (próhodos); es wendet sich zu ihr zurück (epistrophé). Plotin: Schriften, gr./dt., übers. v R Harder, neu hg. v. R Beutler / W Theiler, HH 1956–1971; Bd Vc: Porphyrios: Über Plotins Leben. – A H Armstrong (Hg): The Cambridge history of later Greek and early medieval philosophy, C 1967; A C Lloyd: The anatomy of Neoplatonism, O 1990; D J O’Meara: Plotinus, O 1993; A Smith: Porphyrios, in: F Ricken (Hg): Philosophen der Antike II, St 1996; J Dillon: Iamblichos, ebd.; S Rappe: Reading Neoplatonism, C 2000.

Ricken Neupositivismus 3 Positivismus

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Neuscholastik

Neurophilosophie 3 Philosophie Neuscholastik Unter N. wird die Scholastik des (19. und) 20. Jahrhunderts verstanden. Für sie ist kennzeichnend, dass sie nicht einfach die inzwischen zur Tradition gewordenen verschiedenen Schulen des 3 Thomismus (in der Nachfolge der Kommentierung von Autoren wie Johannes Capreolus, Silvester von Ferrara, Cajetan oder vom Hl. Thomas) oder 3 Suarezianismus weiterführt, sondern dass sie neu auf die Analyse der ursprünglichen Lehre des Thomas v Aquin zurückgreift, weshalb oft auch von Neuthomismus die Rede ist. Einen wichtigen Anstoß zu diesem Rückgang auf Thomas v Aquin selbst stellte die Enzyklika Aeterni Patris (1879) von Papst Leo XIII. dar, in der Thomas v Aquin als Lehrer herausgestellt und zur Erforschung seines originalen Denkens aufgefordert wurde. Aus diesem Grund bemühte man sich jetzt, Thomas v Aquin nicht mehr in der Interpretation seiner Kommentatoren oder späterer Denker zu lesen, sondern die Aussagen von Thomas v Aquin selbst zum Maßstab zu nehmen. Dies hat vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu umfangreichen Untersuchungen der Lehre des Thomas v Aquin geführt, die die ursprüngliche metaphysische Besonderheit von Thomas v Aquin gegenüber früheren Lehren herausgehoben haben. Hierzu gehört vor allem die Betonung des Unterschieds von Sein und Wesen als Konstitutivum des endlichen, geschaffenen Seienden, sowie der metaphysische Primat des Seinsaktes (actus essendi) gegenüber der Wesenheit (essentia). Damit wurde der vor allem in der nichtkatholischen deutschen Universitätsphilosophie damals verbreiteten Meinung entgegengewirkt, die Metaphysik von Thomas v Aquin sei nichts weiter als eine mittelalterliche Weiterführung der Lehre des Aristoteles. Andererseits wurde gegen die vor allem im Jesuitenorden verbreitete suarezianische Thomas v Aquin-Interpretation herausgestellt, dass Thomas v Aquin in der Nachfolge von Aristoteles die enge Verbundenheit von Materie und Geist beim Menschen und in der menschlichen Erkenntnis lehrt. Die species intelligibilis, durch die wir die geistige Wesenheit eines Objekts erkennen, wird vom menschlichen Intellekt in der sinnlichen Erkenntnis und nicht in einem parallel erfolgenden Akt ergriffen. Ferner entspann sich im Kreis der Vertreter der N. ein Disput darüber, ob es eine eigentliche christliche Philosophie gibt, und wie diese zu verstehen ist. Zu dieser Frage haben auch Autoren Stellung genommen, die nicht der N. zugehören, wie z. B. Heidegger. Herausragende Autoren der N. waren in Frankreich Gilson, vor allem als Thomismus-Forscher, sowie Maritain als Gründer einer eigenen neuscholastischen Richtung; in Belgien van Steenberghen als Thomist und Mittelalterforscher und der Jesuit Maréchal, der den Versuch unternahm, im Ausgang von Kants Fragestellung zu einem transzendentalen Thomismus zu gelangen. Während die meisten Vertreter dieser Art von N. ihr Schwergewicht auf die Erkenntnistheorie und die Metaphysik legten, ging es in Deutschland

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Neuscholastik

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Josef Pieper darum, die wesentlichen Punkte der Lehre des Thomas v Aquin in eine verständliche heutige Sprache zu übersetzen und vor allem dessen ethische Grundgedanken in einer zeitgemäßen Formulierung bekannt zu machen. In der deutschen N. wurde vor allem die Maréchal-Schule einflussreich, die die Lehre des belgischen Jesuiten Maréchal weiterentwickelte. In ihr spielt der Einfluss Kants, des Deutschen Idealismus sowie von Husserl und Heidegger eine entscheidende Rolle. Die Vertreter dieses sogenannten transzendentalen Neuthomismus bemühten sich um eine Synthese von 3 Transzendentalphilosophie und Thomismus. Ihre metaphysische Analyse nimmt den Ausgang beim erkennenden Subjekt, wie dies Kant gefordert hatte. Im Gegensatz zu Kant akzeptieren sie aber nicht die Beschränkung der Erkenntnis auf den Bereich der Empirie. Vielmehr zeigen sie, dass unser Fragen und Urteilen weder in seinem Umfang noch in seiner Geltung in irgendeiner Weise eingeschränkt ist, so dass der menschlichen Erkenntnis eine absolute Geltung und ein absoluter Horizont (ein aus der Philosophie Husserls stammender Terminus) zuzuschreiben ist. Auf diese Weise ist es für sie möglich, das kritische Anliegen Kants aufzunehmen und dennoch über Kant hinaus zu einer Metaphysik im Sinne von Thomas v Aquin zu gelangen. Hauptvertreter dieser Richtung waren und sind deutschsprachige Jesuiten wie Rahner, Lotz und Coreth sowie in Rom der französische Jesuit de Finance. Von einigen anderen Vertretern der N. wurde diese Richtung angegriffen, und es wurde ihr der Vorwurf gemacht, was sie als Sein bezeichne, sei ebenso wie im 3 Deutschen Idealismus nur ein Produkt der menschlichen Erkenntnis. Demgegenüber haben die Vertreter des transzendentalen Neuthomismus freilich immer betont, dass sich das in der Frage bzw. im Urteil erreichte Sein als etwas erweist, das nicht von uns hervorgebracht oder gesetzt wird, sondern das dem menschlichen Denken gegenüber vorgängig ist. Einen eigenständigen Ansatz vertrat der aus Kanada stammende und später in Rom lehrende Jesuit Lonergan. Er entwickelte in seinem Werk »Insight« eine Erkenntnistheorie, die sich stärker an der angelsächsischen Tradition orientiert und von der Analyse der wissenschaftlichen Erkenntnis ausgeht, um von hier aus zu den metaphysischen Grundbegriffen und zur Erkenntnis Gottes zu gelangen. M de Wulf: Introduction à la philosophie Néo-scolastique, Lv 1904; J Gredt: Elementa philosophiae aristotelico-thomisticae, Ro 13 1961; G F McLean (Hg): Scholasticism in the modern world, Wa 1966; E Coreth u. a. (Hg): Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 2, Gr 1988; D Peitz: Die Anfänge der N. in Deutschland und Italien, Bn 2006; P Secretan (Hg): La philosophie chrétienne d’inspiration catholique, Fri 2006.

Schöndorf Neuthomismus 3 Neuscholastik Nicht-Euklidische Geometrien 3 Mathematik

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Nichts

Nichts ist das, was sich aus der 3 Negation von allem, was ist, ergeben sollte. Genauer formuliert: Das »reine«, das »absolute« N. kann als das bezeichnet werden, was durch den für den Menschen aufgrund seiner Denkfähigkeit möglichen Versuch, alles zu negieren, angezielt wird, jedoch als solches niemals zu erreichen ist. Der Mensch vermag nämlich alles Partikuläre zu verneinen und so zur Behauptung jeweils eines »relativen N.« zu kommen. Er kann z. B. wahrheitsgemäß behaupten: In diesem Zimmer gibt es keinen Elefanten; diese Blume ist nicht rot; die Zahl ist nicht ausgedehnt usw. Wenn es aber »relatives N.« auf vielfältige Weise gibt, dann – so folgert das begrifflich rationale Denken – muss es doch auch das absolute N. geben. Dies ist jedoch ein Fehlschluss. Denn das absolute N. kann es nicht »geben«; da die Behauptung, es gäbe es, ein performativer Widerspruch ist (3 Retorsion). Um nämlich durch eine Negation von allem bis zum reinen N. »gelangen zu können«, müsste das Subjekt, welches diese Negation zu vollziehen versucht, zugleich auch sein eigenes Dasein vernichten, was aber ein Scheitern des Versuchs, alles zu negieren, mit sich bringt. Das absolute N. ist also nur als Limesbegriff denkbar. – Daraus ergeben sich wichtige Konsequenzen für die als Seinslehre gedachte 3 Metaphysik. Da es das reine N. nicht gibt, kann es kein Bezugspunkt eines Gegensatzes sein. Das heißt aber, (a) dass es einen kontradiktorischen Gegensatz immer nur innerhalb eines eindeutig begrenzten (und somit durch Abstraktion gewonnenen) Bereichs der Wirklichkeit geben kann, mit der Folge, (b) dass vom Seinsstandpunkt her gesehen jeder Gegensatz als ein relativer zu gelten hat (3 Widerspruch, Satz vom). Das N., insofern es irgendwelches Seinsmoment ausschließt, konstituiert auf verschiedene Weise »relatives«, genauer: durch 3 Privation entstehendes N. Zu unterscheiden sind deshalb: 1) Das N., das alles Endliche durchwaltet und es als solches konstituiert. Endliches ist stets begrenztes, die absolute Fülle des Seins nicht Verwirklichendes. Weil wir auf vielfältige Weise von unserer eigenen Endlichkeit wissen, deshalb ist uns der Gegenbegriff des Endlichen, der Begriff des Unendlichen auf die Weise der Negation der Negation geläufig. Demgegenüber wissen wir um die Nichtigkeit (3 Kontingenz) alles Endlichen. 2) Das N., das wir dann gebrauchen, wenn wir z. B. sagen: »in diesem Zimmer ist nichts«, und damit meinen, es seien darin keine Möbel, und so die in ihm anwesende Luft vernachlässigen. Das ist das N. der alltäglichen empiristischen Einstellung, die nur das (möglichst »greifbar«) gegenständlich Existierende als Gegebenes betrachtet und nicht berücksichtigt, dass auch dem »nur Gedachten« Existenz, nämlich gedachte Existenz zukommt. 3) Das N. dessen, das als nicht Verwirklichtes, sondern als Mögliches gilt. Hier pflegt man zu unterscheiden zwischen dem Realmöglichen und dem abstrakt Möglichen. – Realmöglich nennt man das, was nicht ist, aber in dem Sinn sein kann, dass es ein Vermögen (eine Potenz) gibt, die fähig ist, es hervorzubringen. Das Vermögen ist demnach ein Seiendes Nichtseiendes.

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Nominalismus

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– Das nichtseiende, aber abstrakt Mögliche (auch Denkmögliches genannt) wird im Unterschied zum Unmöglichen meistens beschrieben als das, dessen inhaltliche Bestimmungen sich nicht ausschließen. Dabei setzt man aber eine uns zur Verfügung stehende Wesenserkenntnis voraus, die a priori entscheiden kann, welche Bestimmungen sich nicht ausschließen. Dies ist aber äußerst problematisch. Denn gäbe es z. B. uns Menschen nicht tatsächlich, dann wäre man wohl kaum in der Lage, eine leibgeistige Einheit, die wir sind, für möglich zu halten. 4) Das N. im Sinne des jede Möglichkeit zu sein Ausschließende ist das oben schon erwähnte eben als solches nicht existierende absolute N. Wenn die Existentialisten vom N. reden, dann ist damit das auf irgendeine Weise in der menschlichen Selbst- oder Welterfahrung sich als Gefährdetsein, als Angst meldende N. gemeint. Der Nihilismus vertritt die Auffassung, dass die Wahrheit, die Werte oder die gesellschaftliche Ordnung entweder letztlich N. sind oder in N. zerfallen. Hegel: Wissenschaft der Logik; J-P Sartre: L’Être et le néant, P 1943. – H Thielike: Der Nihilismus 2 1952; E zum Brunn: Le dilemme de l’Être et du néant chez s Augustin, P 1969; N Sprokel: Das N. und die Negativität nach M. Heidegger, Rom 1972.

Weissmahr Nihilismus 3 Nichts Nirva¯na 3 Nichts Nóëma, Nóësis 3 Phänomenologie Nóësis noéseos 3 Aristotelismus 3 Gott Noëtik 3 Erkenntnistheorie Nominalismus im weitesten Sinn bestreitet im Gegensatz zum 3 Realismus, dass sprachlichen Prädikaten bzw. 3 allgemeinen Termen und 3 Namen (lat. nomen) etwas in der 3 Realität adäquat entspricht unabhängig vom 3 Denken (vgl. 3 Universalienproblem). – Ein extremer N., wonach das Allgemeine nur eine Redeäußerung ist (Roscellinus, Hobbes), ist sprachanalytisch unhaltbar. Ein (kollektivistischer) N., wonach dem sprachlichen Allgemeinen nur 3 konkrete kollektive 3 Vielheiten, zerstreute Stoffquantitäten oder Konkretisierungen eines Artefakts (3 Ganz) entsprechen, wird den syntaktischen Bedingungen beim Zählen nicht gerecht. Der sensualistische N. gewisser Empiristen (Berkeley, Hume) und neuerer Psychologen, wonach es nur (Allgemein-)Vorstellungen (engl. general ideas) gibt, z. B. bestimmte schematische Bilder oder Instinktmuster, die Allgemeines aufgrund einer sinnlichen (lat. sensualis) 3 Ähnlichkeit repräsentieren, ist unzureichend für die Grundlegung der 3 Mathematik. Gibt man zu, dass dem sprachlichen Allgemeinen nur etwas im Denken, aber nichts in der Realität entspricht, liegt ein Konzeptualismus vor (z. B. Abaelard). Nach dem Terminismus bzw. psychologistischen Konzeptualis-

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Norm

mus der Spätscholastik (Ockham, Buridan) gibt es nur Einzelnes (3 Individuum) in der realen Welt, während Allgemeinheit eine Beschaffenheit fiktiver Begriffsinhalte (lat. conceptus) bzw. mentaler Terme (lat. terminus) oder ein Merkmal der Akte des begreifenden Bezeichnens ist, die als natürliche 3 Zeichen aufgefasst werden. Auch im Empirismus (Locke) nahm man bisweilen an, dass eine Vielheit von Einzelnen nicht durch ein sinnliches Bild, sondern durch eine 3 abstrakte Idee im Denken repräsentiert wird. Konsequent hat Kant im Rahmen seiner 3 Transzendentalphilosophie einen Konzeptualismus vertreten, da er allgemeine 3 Strukturen in der 3 Anschauung als 3 Handlungen des reinen Denkens bzw. 3 Bewusstseins auffasste, während sie im 3 Neukantianismus als 3 Regeln des Denkens ohne Entsprechung in der Wirklichkeit verstanden wurden. Ein psychologistischer Konzeptualismus liegt vor, wenn man das Allgemeine auch in 3 Logik und Mathematik auf psychische Strukturen reduzieren will (Mill, Sigwardt, Høffding, Wundt). Die durch logische 3 Antinomien erwiesene Widersprüchlichkeit des uneingeschränkten Begriffsrealismus hat in neuester Zeit zu nominalistischen Systemen (Sellars, Quine, Goodman) und zu einem konzeptualistischen Intuitionismus (Brouwer, Heyting) und Konstruktivismus (Lorenzen) geführt, wobei sich diese Systeme freilich oft als ungenügend für die Grundlegung der gesamten Mathematik erwiesen haben. Abaelard: Logica ingredientibus; Logica nostrorum petitioni sociorum; W v Ockham: Summa logica I,12–16; T Hobbes: Leviathan I,4, De Corpore I,2–7; J Locke: An Essay Concerning Human Understanding II, 9, III, 3–4; G Berkeley: A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge; D Hume: A Treatise of Human Nature I, 1, 7. – N Goodman / W V O Quine: Steps Towards a Constructive Nominalism, JSL 12(1947), 97–122; N Goodman: The Problem of Universals, Notre Dame 1956; W Sellars: Abstract Entities, Springfield 1967; R A Eberle: Nominalistic Systems, Dordrecht 1970; N Rescher: Conceptual Idealism, Oxford 1973; P V Spade (Hg): Five Texts on the Medieval Problem of Universals, Indianapolis 1994.

Carls Noosphäre 3 [292] Norm Das Wort N. geht auf den lat. Ausdruck n.a zurück, der – wie der häufig synonym gebrauchte Ausdruck regula (3 Regel) – ursprünglich ein Werkzeug bezeichnete, das bei der Konstruktion von Bauwerken als Richtmaß (Winkelmaß oder Richtschnur) diente. Im weiteren, abstrakten und auf eine Vielzahl geistiger Phänomene übertragbaren Sinn ist eine N. ein begrifflicher Maßstab, den man an einen Gegenstand anlegt, um ihn als etwas erkennbar zu machen, das in einer spezifischen Weise bestimmt werden kann: als z. B. n.al, gen.t, zweckmäßig, über einen bestimmten Grad an Vollkommenheit verfügend, intelligibel, wahr, schön oder sittlich. Die Sätze, in denen

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Notwendigkeit

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N.en zum Ausdruck kommen, haben einen deskriptiven Gehalt und eine imperativische Form. Je nach spezifischer Eigenart eines bestimmten Typs von N. (Durchschnittsn., technisch-pragmatische N., ethische N.) sind diese beiden Aspekte unterschiedlich stark ausgeprägt. In der Philosophie ist die Rede von N.en nicht auf den Bereich der praktischen Vernunft beschränkt. Hier sind N.en Regeln, die das Handeln und Denken (bzw. Sprechen) einem Form gebenden, begrifflichen Ordnungsschema unterstellen. Auf diese Weise soll die subjektive Beliebigkeit überwunden werden, die das Material dieser menschlichen Grundakte aufgrund seines sinnlichen Ursprungs prägt: im ersten Fall die des 3 Begehrens (bzw. Wollens) und im zweiten die des Meinens (bzw. Redens). Eine N. ist also streng genommen kein Ziel (bzw. Zweck) des menschlichen Erkennens und Handelns. Denn der Zielbegriff ist mit dem Begriff des menschlichen Strebens (verstanden als ein Auslangen nach Zielen) korreliert. Eine N. hingegen ist ein begriffliches Kriterium, das an einen Gegenstand angelegt wird, um seine Beschaffenheit kategorial zu erschließen. Durch die Anwendung der N.en der Logik versucht man ihn als denkbar (-wahr) auszuweisen, durch die der Ästhetik als schön und durch die der Ethik als sittlich (-geboten, -verboten oder -erlaubt). N.en sind also begriffliche Formen, mittels derer etwas hinsichtlich seiner Wahrheit, Schönheit und (moralischen, rechtlichen, religiösen) Gutheit beurteilt werden kann. Im besonderen Fall der Moralität wird z. B. geprüft, ob die einer Handlung zugrunde liegende Maxime ihrer Form nach mit dem kategorischen Imperativ als der Grundn. autonomer Freiheit übereinstimmt. Es gehört zu den vornehmsten Aufgaben der Philosophie, N.en aufzufinden und zu rechtfertigen, sowie ihren gemeinsamen Ursprung in der menschlichen Freiheit und ihre Vielfalt sichtbar zu machen. G H v Wright: N. and Action, Lo 1963; A Pieper: Art. ›N.‹,in: HWPh, Bd. 4, 1009– 1021; Pragmatische und ethische N.enbegründung, F 1979; P Lorenzen: N.ative Logic and Ethics, Mannheim 1964; W Kerber (Hg): Sittliche N.en, D 1982; G Patzig: Relativität und Objektivität moralischer N.en, Gö 1994.

Trampota Normlogik 3 Deontisch 3 Logik Nötigung 3 Zwang Notio(n) 3 Begriff Notlüge 3 Lüge Notwendigkeit (gr. anánke, lat. necessitas) ist eine Grundform der 3 Modalität. Notwendig ist das, dessen Gegenteil unmöglich ist. Die N. kann als von innen oder außen kommender Zwang, aber auch als sinnvolle und einleuchtende N. verstanden werden. Es ist zu unterscheiden zwischen der bedingten oder hypothetischen (wenn A, dann notwendigerweise B) und der unbedingten oder absoluten (unter allen Umständen bestehenden) N., die z. B. bei der sittlichen Verpflich-

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Notwendigkeit

tung vorliegt. Absolute N. im vollen ontologischen oder metaphysischen Sinn kommt nur Gott zu. Ihr Gegenteil ist die relative N., die z. B. bei der Naturn. vorliegt. Die N. ist kein sinnlich wahrnehmbares Faktum. Das Notwendige ist unveränderlich. Die antike Überzeugung, es gebe nur vom Notwendigen Wissenschaft, nicht aber vom Veränderlichen, führt dazu, das Veränderliche im Notwendigen gründen zu lassen. Dies geschieht in der Moderne durch das Naturgesetz, das als eine notwendige Regel betrachtet wird. Thomas v Aquin unterscheidet zwischen der N. de dicto, die Aussagen zukommt (logische N.), und der N. de re (ontologische N.), die den Seienden zukommt. Die N. de re wurde vor allem von Denkern, die dem 3 Nominalismus nahestehen, bestritten, wird aber in der heutigen analytischen Philosophie z. B. von Kripke verteidigt. Ohne die N. de re könnte die Logik nicht für die Wirklichkeit gelten. Schon das Existieren trägt in sich ein Moment von N., da etwas, insoweit und insofern es ist, nicht nicht sein kann: »Nihil enim est adeo contingens, quin in se aliquid necessarium habeat« (Nichts ist so kontingent, dass es nicht etwas Notwendiges in sich hat; Thomas v Aquin: STh I 86, 3c). Darum kann Geschehenes (auch von Gott) nicht ungeschehen gemacht werden. Spinoza leitet in seiner »Ethik« alles mit N. voneinander ab. Auch die idealistischen Systeme beruhen oft auf deduktiver N. Für Hegel ist etwas erst dann begriffen, wenn es in seiner N. verstanden ist. Nach Kant können wir die N. nur 3 a priori, d. h. durch den Verstand erkennen. Sie gehört für ihn zu den Kategorien der Modalität. Alles Empirische existiert mit hypothetischer N. infolge der kausalen Verknüpfung. Gott ist zwar das notwendige Wesen, aber hieraus lassen sich für Kant keine Eigenschaften Gottes ableiten. T v Aquin: STh I 14, 13, ad 3; De ver. 2, 12, ad 4, ad 5; I Kant: KrV B 279–282; R Carnap: Bedeutung und N., W 1972; S A Kripke: Naming and necessity, 1972. – U Wolf: Möglichkeit und N. bei Aristoteles und heute, M 1979; J Vuillemin: Nécessité ou contingence, P 1984; J Brandl: Die N. der Namen, Gr 1987; U Meixner: Handlung, Zeit, N., B 1987; Modalität, F 2008; H J Wendel: Benennung, Sinn, N., F 1987; B Williams: Scham, Schuld und N., B 2000; K Utz: Die N. des Zufalls, Pb 2001; G Motta: Kants Philosophie der N., F 2007.

Schöndorf Noumenon 3 Ding an sich 3 Transzendentalphilosophie Nous, Nus 3 Geist 3 Neuplatonismus 3 Platonismus 3 Vernunft 3 Vorsokratiker 3 [31] Numerische Verschiedenheit 3 Individuum Numinos 3 Religion Nutzen, Nützlichkeit 3 Gut 3 Wert Oberbegriff 3 Kategorie Obersatz 3 Schluss Objekt 3 Gegenstand

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Objektiv

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Objektiv / Objektivität kommt von Objekt (lat. obiectum), was 3 Gegenstand bedeutet. Das Adjektiv o. meinte ursprünglich im Gegensatz zu 3 subjektiv die Eigenschaft dessen, was Objekt unseres Denkens oder Strebens ist. Das o.e Sein (esse obiectivum) war darum in der Spätscholastik nicht das wirklich existierende Sein (esse actuale), sondern das Sein des bloß Gedachten oder das Sein, insofern es als Objekt des Denkens gedacht wird, wobei der Inhalt (Gehalt) dieses Seins und nicht seine Seinsweise gemeint ist. Darum steht der o.e Begriff bei Suárez im Gegensatz zum formalen Begriff, der den Denkakt als solchen bezeichnet. Die Bedeutung von o. im Sinn von gedacht, im Bewusstsein gegenwärtig, findet sich noch in Descartes’ 3. Meditation, wenn er vom esse obiectivum einer Idee spricht und dies vom esse formale sive actuale als dem wirklich existierenden Sein unterscheidet, um sich dann der Frage zu widmen, wie sich beide zueinander verhalten. Erst durch Kants theoretische Philosophie (3 Transzendentalphilosophie) erlangt das Wort o. die heutige Bedeutung. Da wir nach Kant nicht das 3 Ding an sich, sondern nur die 3 Erscheinung erkennen können, diese Erscheinung zwar »subjektiv«, aber nicht individuell verschieden, sondern für alle menschlichen Subjekte gleich ist, kommt ihr zusammen mit der Subjektivität zugleich auch der Charakter der Objektivität (O.) zu. Die Erscheinung ist die Art und Weise, wie wir unsere sinnlich wahrnehmbare Welt alltäglich und naturwissenschaftlich erkennen. In ihr gelten allgemeine und notwendige Gesetze. Da sie nicht die Wirklichkeit an sich selbst ist, aber auch kein bloßer Schein und keine individuell-subjektive perspektivische Auffassungsweise, kommt ihr O. im Sinn der empirischen Realität zu. Auf diese Weise bekommt das Wort o. die gegenteilige Bedeutung gegenüber der Spätscholastik und Descartes und behält diese neue Bedeutung seitdem bei. Es meint nun nicht mehr das bloß Gedachte, sondern das real Existierende, Allgemein(gültig)e, Überindividuelle und wird in der Folgezeit nicht mehr nur auf die empirische Erkenntnis bezogen, sondern praktisch gleichbedeutend mit wirklich, vorhanden, dem Subjekt vorgegeben und für dieses normativ (o.e Moral). Als Gegenbegriff zur je unterschiedlichen individuellen Subjektivität, die subjektiven Interessen unterliegt, erhält der Ausdruck O. ferner die Bedeutung von Sachlichkeit, Neutralität, Überparteilichkeit. Dabei wird leicht übersehen, dass die Gefährdung der Sachlichkeit nicht durch die Subjektivität als solche, sondern durch individuelle subjektive Voreingenommenheit entsteht. T Nagel: Die Grenzen der O., St 1991; C Wright: Truth and objectivity, C Mass. 1992; F v Kutschera: Die falsche O., B 1993; R Ingarden: Zur O. der sinnlichen Wahrnehmung, Tü 1997; D Davidson: Subjective, intersubjective, objective, O 2001; G Ernst: Die O. der Moral, Pb 2008.

Schöndorf Objektivierung 3 Gegenstand

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Objektivismus

Objektivismus wird eine Lehre genannt, die die Betonung auf das 3 Objekt(ive) im Gegensatz zum 3 Subjekt(iven) legt. Dies kann Verschiedenes meinen, von der Bestreitung der (Besonderheit der) Subjektivität bis zur Betonung der Unabhängigkeit einer objektiven Erkenntnis oder Norm vom jeweiligen erkennenden oder wertenden Subjekt. Dem (3 Empirismus und dem) 3 Positivismus sowie dem 3 Naturalismus wurde O. im Sinn der Eliminierung des Subjekts vorgeworfen. O. in Moral, Ästhetik oder Religion heißt, dass es in dem betreffenden Bereich objektive Gegebenheiten und Normen und nicht nur subjektive Ansichten gibt. L Waldschmitt: Bolzanos Begründung des O., Wü 1937; R J Bernstein: Beyond objectivism and relativism, O 1985.

Schöndorf Objektivität 3 Objektiv Objektsprache 3 Sprache Occasionalismus 3 Okkasionalismus Ochlokratie 3 Demokratie Offenbarung kann in einem ganz allgemeinen Sinn jede Kundgabe von etwas meinen, was ohne diese Kundgabe nicht bekannt wäre. Umgangssprachlich kann O. auch eine Information bezeichnen, die eine bedeutende und erhellende Erkenntnis liefert. Im spezifisch religiösen Sinn meint O. (gr. apokálypsis, lat. revelatio) eine ausdrückliche göttliche Kundgabe an Menschen, die religionsstiftenden Charakter hat. Hierbei wird zum Teil zwischen einer 3 natürlichen und einer 3 übernatürlichen O., der O. im eigentlichen Sinn des Wortes, unterschieden. Die natürliche O., die auch Uro. genannt wird, ist die Erkennbarkeit Gottes durch seine Schöpfung, während die übernatürliche O. in einem besonderen Wirken Gottes besteht, durch das er sich den Menschen mitteilt. Dieses Wirken ist einerseits geschichtlich, andererseits eine Worto. Die übernatürliche O. übersteigt das, was die menschliche Vernunft allein von sich aus zu erkennen vermag. Für die Religionsphilosophie und die Fundamentaltheologie stellt sich die Frage, an welchen Indizien die göttliche O. als solche erkannt und von irrigen Vorstellungen unterschieden werden kann. Philosophisch gesehen, ist eine O. möglich, da Gott als Schöpfer dem Menschen durch Wort und Tat eine Botschaft vermitteln kann, die zwar von der auf sich allein gestellten menschlichen Vernunft nicht erkannt, aber sehr wohl in ihrem Sinn verstanden, wenn auch nicht eigentlich begriffen werden kann. Dies ist deshalb möglich, weil wir trotz der radikalen Verschiedenheit Gottes von uns ihm dennoch auch ähnlich sind (3 Analogie) und ihn deshalb erkennen können. Zum anderen ist die O. eine personale Kundgabe, die uns wie jede andere personale Mitteilung nur dann und dadurch zugänglich ist, dass sie der andere äußert und wir bereit sind, diese Äußerung hinzunehmen und ihr einen vernünftig begründeten Glauben zu schenken. Der eigentliche Inhalt der O.

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Okkasionalismus

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besteht in der heilsgeschichtlich geschehenen und geschehenden Selbstmitteilung Gottes, die ihren Gipfelpunkt in der Menschwerdung und Auferstehung Jesu Christi hat, durch die er uns an seinem Leben Anteil gibt und uns so unser Heil schenkt. H Waldenfels: Einführung in die Theologie der O., Da 1996; W Pannenberg: Philosophie, Religion, O., Gö 1999; S Orth: Das verwundete cogito und die O., Fr 1999; C Berchtold: Manifestatio veritatis, Ms 2000; J Mader: O. als Selbsto. Gottes, Ms 2000; M Brumlik: Vernunft und O., B 2001; P Koslowski: Philosophien der O., Pb 2001; M Fricke: Franz Rosenzweigs Philosophie der O., Wü 2003; B Dörflinger (Hg): Wozu O.?, Pb 2006; R Swinburne: Revelation, O 2 2007.

Schöndorf Öffentliches Recht 3 Recht Okkasionalismus Unter O. (Occasionalismus) wird die Lehre der DescartesAnhänger (3 Cartesianismus) verstanden, die keine Wechselwirkung zwischen Leib und Seele annehmen (3 Leib-Seele-Problem), sondern das Zusammenspiel von Seele (Geist) und Leib (Materie), wie es sich uns in den Sinneswahrnehmungen und den willentlichen Bewegungen zeigt, dadurch erklären, dass Gott anlässlich (lat. occasio: Gelegenheit, Anlass) eines Sinnenreizes bzw. eines Willensaktes jeweils den entsprechenden Bewusstseinszustand bzw. die entsprechende Körperbewegung hervorruft. Die weltlichen Ursachen sind in Wahrheit also nur »Gelegenheitsursachen« (causae occasionales). Manche Okkasionalisten haben überhaupt jede materielle Ursächlichkeit bestritten und die Verursachung aller Vorgänge in der Welt Gott zugeschrieben. Hauptvertreter des O. waren Geulincx und Malebranche. A Geulincx: Sämtliche Schriften, St 1965 ff.; N Malebranche: La recherche de la vérité. – A de Lattre: L’occasionalisme d’Arnold Geulincx, P 1967; B Rousset: Geulincx entre Descartes et Spinoza, P 1999; D Perler / U Rudolph: O., Gö 2000.

Schöndorf Okkultismus 3 Esoterik Ökologie (gr. oíkos: Haus(halt) und lógos: Lehre) Die Ö., Teil der Biologie, ist die Wissenschaft, die sich mit den Beziehungen der Organismen untereinander und mit ihrer unbelebten Umwelt befasst. Ziel ist es, zu verstehen (und dann auch vorauszusagen), wie und warum bei gegebenen Umweltfaktoren, vor allem Klima und Boden, sich gerade diese und nicht irgendeine andere Pflanzen- und Tiergesellschaft entwickelt. Besonderes Interesse gilt den Bedingungen, unter denen Ökosysteme (z. B. Seen, Wälder oder Steppen) dauerhaft existieren oder eventuell zusammenbrechen und anderen (meist artenärmeren) Ökosystemen Platz machen. Zur strukturellen Betrachtungsweise tritt nach dem Zweiten Weltkrieg

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Ökologie

die dynamische hinzu: die Untersuchung des Energieflusses durch und der Stoffkreisläufe in den Ökosystemen und der Biosphäre als ganzer. Die kurzwellige Sonnenstrahlung wird von der Atmosphäre und der flüssigen und festen Erdoberfläche gestreut und/oder reflektiert (rund 30 %), der Rest wird absorbiert, erwärmt Luft, Wasser und Boden, verdunstet Wasser, treibt das Klimasystem an und wird schließlich als entwertete, langwellige Wärmestrahlung in den Weltraum abgegeben. Weniger als 1 % der Sonnenenergie wird von den Produzenten (grüne Pflanzen) als chemische Energie in organischen Substanzen gespeichert. Davon leben die Konsumenten (Pflanzen- und Tierfresser). Eine Nahrungspyramide entsteht, wobei bis zu 90 % der chemischen Energie der unteren Konsumentenstufe beim Übergang zur nächst höheren verloren gehen. Daher ist die Zahl möglicher Konsumentenstufen beschränkt. Tote organische Substanz würde sich rasch anhäufen und höher organisiertes Leben verunmöglichen, gäbe es nicht die Destruenten (von den Aasfressern über Insektenlarven bis zu den Pilzen und Bakterien). Sie remineralisieren tote organische Substanz, machen sie als Pflanzennährstoffe den Produzenten wieder verfügbar und schließen so die Flüsse der Stoffe zu einem Kreislauf. Der Stoffkreislauf ist aber nicht vollkommen. Organische Substanz wird dem Abbau entzogen und als Kohle, Erdöl und Erdgas gespeichert. Diese machen ein extrem dynamisches Ökosystem möglich, nämlich das der modernen menschlichen Zivilisation. Ihr Produktions- und Kosumniveau droht die sie tragenden natürlichen Ökosysteme zu zerstören. Die daraus entstandene Ökokrise hat die Ö. zu einer Leitwissenschaft von hoher politischer Relevanz gemacht. Das menschliche Ökosystem kann nur dann auf Dauer und im Ganzen existieren, wenn es wie die natürlichen funktioniert: Nutzung des Energieflusses von der Sonne und aus dem Erdinneren (statt Nutzung von erschöpfbaren Energievorräten), Schließung der Stoffströme so weit wie nur möglich (Wiederverwerten allen Abfalls statt Verstauen in Senken, die stets endlich sind). Die Ökokrise hat Umwelt- und Naturschutz (angewandte Ö.) zu vorrangigen Aufgaben von Staat und Gesellschaft gemacht. E P Odum: Grundlagen der Ö, St 2 1983; P Tardent: Meeresbiologie, St 1993; W Haber: Ökologische Grundlagen des Umweltschutzes, Bn 1993; U Gisi: Bodenö., St/NY 2 1997; H Remmert: Spezielle Ö, B 1997; P Erbrich: Grenzen des Wachstums im Widerstreit der Meinungen, St 2004.

Erbrich Ökonomie, Prinzip der 3 [118] Oligarchie 3 Demokratie Ontisch 3 Existenzphilosophie 3 Ontologie 3 Sein Ontochronie 3 Ontologie Ontogenese 3 Evolution

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Ontologie

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Ontologie Die Bezeichnung O. erscheint wohl zum erstenmal im »Lexicon philosophicum« des R Goclenius (Frankfurt 1613). Etwas später kommt sie in den Werken von A Calovius (Rostock 1636) und von J B du Hamel (Paris 1687) vor. J Clauberg verwendet das Wort (zunächst in der Form »Ontosophia«) im Titel seiner Metaphysik (Amsterdam 1656). Das einflussreichste Werk, das diesen Namen trägt, war jedoch die 1730 in Frankfurt und Leipzig erschienene Philosophia prima sive ontologia des C Wolff, welches zusammen mit den anderen lateinischen Werken des Autors die Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts wesentlich geprägt hat. Auch wenn der Name O. erst jüngeren Datums ist, ist die Sache, um die es in ihr geht, viel älter. O. (aus den griechischen Wörtern »to` o´n« und »lo´gos« gebildet) bedeutet nämlich die Wissenschaft vom Seienden bzw. vom 3 Sein. Damit verweist das Wort auf Aristoteles, der im IV. Buch jener Schriften, die später den Namen 3 Metaphysik erhalten haben, von einer Wissenschaft spricht, die »das Seiende, insofern es Seiendes ist« (Met IV, 1003a21) untersucht, und sie als die Wissenschaft, die sich von einem übergeordneten Standpunkt aus mit der Wirklichkeit im Ganzen beschäftigt, hinstellt. Dieser Standpunkt wurde in der griechischen Philosophie schon seit Parmenides mit dem Wort »Sein« bezeichnet. Für Platon war es selbstverständlich, dass die letzten Gründe der Wirklichkeit und das Göttliche zusammengehören, und auch für Aristoteles gehört zum Themenbereich der das Sein untersuchenden Grundwissenschaft nicht nur die Lehre von den letzten Prinzipien der Weltdinge, sondern auch die philosophische Besinnung über den letzten Grund aller Wirklichkeit. Die Überzeugung, dass die allgemeine Seinslehre und die Lehre vom Absoluten zur selben Wissenschaft gehören, blieb auch in der Folgezeit, also während des ganzen Mittelalters, erhalten. Dies war schon dadurch bedingt, dass die Seinslehre vor allem in der Form von Kommentaren der klassischen Texte dargeboten wurde. In der Neuzeit setzte dann ein durch das Entstehen der von der 3 Naturphilosophie in ihrer Methode verschiedenen 3 Naturwissenschaft angeregter Differenzierungsprozess ein. Die sich auf Aristoteles berufende (sowohl das Unbelebte als auch das Beseelte untersuchende) scholastische Naturphilosophie enthielt nämlich undifferenziert sowohl Elemente, die moderne naturwissenschaftliche Erkenntnisse vorwegnahmen, als auch philosophische Gedankengänge im strengen Sinn. Aus der Notwendigkeit, hier zu unterscheiden, ergab sich, dass man die Behandlung der philosophischen Probleme der unbelebten und belebten Natur (der »res extensa« von Descartes) als 3 Kosmologie und jene des menschlichen Geistes (der »res cogitans« von Descartes) als rationale 3 Psychologie und dann auch noch die das Sein und das Wesen Gottes betreffenden Fragen (unter dem von Leibniz herstammenden Namen Theodizee) als die drei Teile der »besonderen Metaphysik« von der Behandlung der »allgemeinen Metaphysik« oder O. abgetrennt und dieser nachgeordnet hat. In dieser Sicht musste die O. als allgemeine Seinslehre zu

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Ontologismus

einer ganz abstrakten philosophischen Disziplin werden, da die philosophische Verarbeitung des konkret Existierenden (Welt, Seele, Gott) den Fächern der besonderen Metaphysik vorbehalten war. Die O. wurde aber auch deshalb zur abstrakten Prinzipienlehre, weil man angeregt durch den cartesischen Rationalismus bestrebt war, die letzten Grundlagen in klaren Begriffen darzustellen und das Wissen über sie streng deduktiv zu entfalten. So wurde die O. zum System der allgemeinsten Prinzipien, deren wichtigste Eigenschaft die begriffliche Widerspruchslosigkeit ist. Der Gegenstand der so aufgefassten O. war nicht mehr das Wirkliche, sondern das Seiende als das abstrakt Denkmögliche. Diese Sicht bestimmte auch die Meinung Kants über Metaphysik. Für N Hartmann ist O. vor allem Kategorialanalyse, d. h. eine Herausarbeitung der Formmannigfaltigkeit des Seienden und des Ineinandergreifens von Abhängigkeit und Selbstständigkeit. Die Fundamentalo. Heideggers versucht die von ihm angeprangerte Seinsvergessenheit der abendländischen Metaphysik zu überwinden. Diese hätte nach der Periode der Vorsokratiker immer nur (als »ontisches« Denken) das Seiende, nicht aber (als »ontologisches« Denken) das Sein bedacht. C Wolff: Philosophia prima seu Ontologia, Neudruck 1962; M Heidegger: Sein und Zeit, Tü 1967; L Lavelle: Introduction à l’o., P 1951; J de Finance: Connaissance de l’être, P 1966; W Stegmüller: Metaphysik – Wissenschaft – Skepsis, F 2 1969; B Weissmahr: O., St 2 1992; E Runggaldier / C Kanzian: Grundprobleme der Analytischen O., Pb 1998.

Weissmahr Ontologie, regionale 3 Phänomenologie Ontologische Differenz 3 Differenz, ontologische Ontologischer Gottesbeweis 3 Gottesbeweis, ontologischer Ontologismus Nach der theologisch-philosophischen Erkenntnislehre des O. ist das seinsmäßig Erste (primum ontologicum, daher der Name O.) zugleich das Ersterkannte (primum intelligibile, primum psychologicum), in dem alles andere erkannt wird; von der Erkenntnis des absoluten Seins hängt jegliche andere Erkenntnis ab. In einem apriorisch-intuitiven Akt erfasst die endliche menschliche Vernunft unmittelbar das absolute Sein Gottes als Urbild aller Ideen (N Malebranche) oder als Ursache der geschaffenen Dinge (Gioberti), ohne jedoch eine klare Einsicht in sein Wesen (in sich) zu erlangen oder ihn im Sinn der seligen Vollendung (visio beatifica) zu schauen. Fundiert im augustinisch-franziskanischen Denken (Illuminationslehre) und erstmals von Malebranche (17. Jahrhundert) expliziert, gewann der O. vor allem im 19. Jahrhundert in Italien (V Gioberti), Belgien und Frankreich eine zentrale Bedeutung und weitreichende Wirkung. D Connell: St. Bonaventura and the ontologist tradition Bd. 2 Grottaferrata 1973, 289–308.

Herzgsell

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Operationalismus

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Operatio 3 Wirken Operationalismus Der O. kann als philosophische Weiterführung des Programms der Operationalisierung verstanden werden. In den empirischen Wissenschaften bewährt sich die Forderung, dass Begriffe operationalisierbar, also in einer festgelegten Weise mit Handlungsanweisungen verknüpft sein müssen. Das bedeutet, dass jeder Eigenschaft ein definiertes Messverfahren zugeordnet sein muss, das darüber entscheidet, ob und in welchem Maß diese Eigenschaft einem betrachteten Objekt zukommt. Dieses Prinzip kommt in der Physik zur Anwendung, wenn der Bereich der Anschaulichkeit überschritten wird, besonders dann, wenn Anschauungen in die Irre führen (z. B. in Bezug auf die Relativität der Gleichzeitigkeit von Ereignissen in der Relativitätstheorie). In den Sozial- und Humanwissenschaften schützt Operationalisierung vor wissenschaftlicher Willkür. Z. B. hat »Intelligenz« in diesem Verständnis keine vorgegebene Bedeutung, sondern dieser Begriff muss explizit an eine jeweilige psychologische Testmethode gekoppelt werden und hat wissenschaftliche Bedeutung nur in diesem Bezug. In Anschluss an P Bridgman wurde der Begriff O. eingeführt. Dieser bezeichnet die Auffassung, dass Begriffe mit den entsprechenden Handlungsanweisungen synonym sind. Diese Auffassung ist eine Spielart des 3 Pragmatismus und steht dem 3 Positivismus und Instrumentalismus nahe. Die Forderung nach Operationalisierbarkeit ist ein bewährtes methodisches Prinzip. O. als philosophische Position kann aber als Hypostasierung der Methode der empirischen Wissenschaften aufgefasst werden, bzw. als Verwechslung von methodischen Prinzipien mit inhaltlichen Aussagen. Es stellt sich die Frage, was Wissenschaft überhaupt beschreibt, ob sie nicht selbstreferentiell ist, wenn ihre Begriffe nur in Bezug auf wissenschaftliche Definitionen Bedeutung haben. P Bridgman: The Logic of Modern Physics, NY 1927; J. Klüver: O, St 1971.

Bauberger Operator 3 Modalität Opfer 3 Religion Opinio 3 Meinen Opposition 3 Gegensatz Optimismus Unter O. (lat. optimum: das Beste) wird eine Weltanschauung oder eine menschliche Grundstimmung verstanden, die die Welt durchgängig positiv beurteilt. O. bedeutet also Weltbejahung und Weltoffenheit. Als mehr oder weniger ausdrückliche Einstellung findet sich der O. meist dann, wenn, wie in der Neuzeit, die Erfahrung des Fortschritts zu mehr Gesundheit und Wohlstand führt. Als philosophischer Hauptvertreter des O. gilt Leibniz, für den unsere Welt die beste aller möglichen Welten ist und deshalb von Gott so

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Ordnung

geschaffen wurde. Dies bedeutet für Leibniz freilich nicht, dass auch alle Details innerhalb der Welt je für sich genommen optimal sind, sondern, dass die Welt in Bezug auf die Vereinbarkeit (Kompatibilität, Kompossibilität) ihrer verschiedenen Bestandteile die bestmögliche Welt ist, weshalb um der Harmonie des Ganzen willen gewisse Übel in Kauf genommen werden müssen. Auf diese Weise will Leibniz das Problem des Übels in der Welt erklären (3 Theodizee) und dabei zugleich an seiner These festhalten, dass Gott immer das Beste tut. Der leibnizsche O. wurde vor allem von Voltaire und Schopenhauer scharf kritisiert. Leibniz: Essais de théodicée. – A Heinekamp (Hg): Leibniz, le meilleur des mondes, St 1992; S Lorenz: De mundo optimo, St 1997; H Poser: Gottfried Wilhelm Leibniz zur Einführung, HH 2005.

Schöndorf Opuscula 3 Scholastik Ordnung (gr. kósmos, lat. ordo) ist die geregelte Einheit, das gegliederte Beziehungsgefüge einer Vielheit, die dadurch eine Ganzheit ist. O. steht im Gegensatz zur Uno., die Beliebigkeit und Zufälligkeit oder völlig ungegliederte Gleichheit und Einerleiheit bedeutet (Chaos). Der gr. Begriff für Welt, Kosmos, bedeutet zugleich O., da die Welt nach der Überzeugung der Antike und des Mittelalters eine klar hierarchisch gegliederte O. aufweist. Wo O. herrscht, befindet sich jegliches an dem ihm zukommenden Ort innerhalb des Ganzen und erfüllt die ihm zugedachte Funktion. O. bedeutet ferner im Normalfall auch Stimmigkeit und Harmonie sowie Rationalität im weiten Sinn des Wortes. Denn Erkenntnis ist nur möglich, wenn die verschiedenen Phänomene und Gegenstände in Beziehung zueinander gebracht werden. Diese Beziehungen sind vielfältiger Art und ihrerseits wiederum nur möglich und verständlich, wenn sie bestimmten allgemeinen Regeln oder Gesetzen gehorchen, also einer bestimmten O. unterliegen. Insofern ist die O. der Wirklichkeit die Voraussetzung dafür, dass die Wirklichkeit als solche erkennbar ist (3 Wahrheit) und dass sie in ihren verschiedenen Bereichen wissenschaftlich erforscht werden kann. Die O. ist ein fundamentaler Charakterzug der Wirklichkeit. Sie manifestiert sich in der Zugehörigkeit der Seienden zu den unterschiedlichen Arten und Gattungen, die in geregelten Verhältnissen zueinander stehen. Das Auffinden dieser O.sprinzipien in Form von Naturgesetzen oder anderen Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhängen stellt die Aufgabe der verschiedenen Wissenschaften dar. Dass wir einerseits nicht umhin können, immer und überall nach O. zu suchen und dass andererseits die Wissenschaft bei dieser Suche immer wieder erfolgreich ist, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sogar bei den Naturerscheinungen, denen terminologisch anscheinend jede O. abgesprochen wird, weil sie als Chaos bezeichnet werden, eine Chaosforschung stattfindet und Chaostheorien gefunden werden können, die die Gesetzmäßigkeiten der scheinbar völligen Uno. aufdecken.

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Organismus

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Heutzutage spielt der Begriff O. wissenschaftlich und im öffentlichen Leben vor allem im politisch-sozialen Kontext eine wichtige Rolle. Dabei geht es vielfach um die Herstellung und Bewahrung der O. im gesellschaftlichen Leben als eine der Voraussetzungen der Sicherheit und des Gemeinwohls. Augustinus: De ordine. – H Krings: Ordo, Hl 1942; W Kranz: Kosmos, Bn 1958; A Anter: Die Macht der O, Tü 2 2007.

Schöndorf Ordo 3 Ordnung Organisation 3 Gesellschaft 3 Organismus Organismus ist die Bezeichnung für ein strukturell und funktionell zusammengesetztes System, in dem die Teile dem Ganzen als Werkzeuge (gr. órganon) dienen. Die einzelnen Glieder sind arbeitsteilig organisiert, können aber aufgrund der gleichzeitigen Zentralisation nicht unabhängig vom O. existieren; dabei führt die Integration der Untereinheiten innerhalb einer komplexen hierarchischen Organisation zum Auftreten emergenter Eigenschaften (3 Emergenz, 3 Systemtheorie). Durch Abgrenzung individualisiert sich eine operational geschlossene Ganzheit, die sich in Wechselwirkung mit ihrer Umgebung dynamisch verändert, zugleich jedoch zu jeder Zeit mit sich identisch bleibt. Die 3 Funktion eines autonomen O. lässt sich als immanent und zielgerichtet beschreiben (3 Teleologie). Im naturwissenschaftlichen Kontext umfasst der Begriff O. den 3 Körper eines jeden Lebewesens; dazu zählen zellkernlose Prokaryota sowie die kernhaltigen Eukaryota, die sich wiederum in die Reiche der Protisten, 3 Pflanzen, Pilze und 3 Tiere gliedern. Zur biologischen Gruppe der Tiere zählt auch der 3 Mensch. Da nur lebende biologische Organismen ihre Struktur und Funktion selbstständig aufrecht erhalten können, müssen zusätzlich die Kriterien für 3 Leben erfüllt sein. Deshalb sind Viren keine Mikroorganismen, obwohl sie allen Kriterien der O.definition genügen. Auch tote Lebewesen zählen im engeren Sinne nicht zu den biologischen Organismen, da keine ganzheitliche Funktion mehr existiert. Die frühere fälschliche Annahme, nur lebende Organismen seien zur Synthese bestimmter chemischer Verbindungen fähig, führte zur Differenzierung in organische und anorganische Stoffe. Die Zelle gilt als kleinste Einheit des Lebens und kann auch außerhalb eines Zellverbandes als autonomer biologischer O. zu bewerten sein. In komplexeren vielzelligen Lebewesen bauen Zellverbände zusammen mit extrazellulären Strukturen verschiedene Gewebe auf, die wiederum abgrenzbare Organe bilden; der O. umfasst hier die Gesamtheit aller Organe. Bei höher entwickelten Organismen findet sich über die Individualität hinaus das Phänomen des 3 Selbst; auch 3 Bewusstsein kann auf dieser Stufe entstehen. Unbewusster Lebensvollzug wird als vegetatives Leben bezeichnet. Auch in anderen Wissenschaftsdisziplinen ist der O.begriff gebräuchlich; außerdem verweisen Analogien und Metaphern auf Ähnlichkeiten zu Lebe-

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Pädagogik

wesen. Im sozialwissenschaftlichen Bereich beispielsweise werden bestimmte Eigenschaften gesellschaftlicher Phänomene betont, wenn vom sozialen O., vom Staats- oder Wirtschaftso. die Rede ist. Ein virtuelles System (3 Kybernetik) kann ebenfalls als O. begriffen werden. A Whitehead: Process and Reality, NY 1929; J v Uexküll: Der O. und die Umwelt, in: H Driesch (Hg): Das Lebensproblem im Lichte der modernen Forschung, L 1931, 189–224; L v Bertalanffy: Theoretische Biologie, B 1932; B Behrens: Der Mensch, HH 1958; H Jonas: O. und Freiheit, Gö 1973; W Gutmann: Kritische Evolutionstheorie, Hi 1981; D Dörner: Bauplan für eine Seele, Reinbek 1999; D S Peters /M Weingarten: Organisms genes and evolution, St 2000; K Köchy: Perspektiven des Organischen, Pb 2003.

Kummer-Huber Pädagogik bezeichnet a) das erzieherische und unterrichtliche Handeln (pädagogische Praxis) und b) die Theorie dieses Handelns (P. als Wissenschaft). Erziehung meint die bewusste und von pädagogischem Ethos getragene Verhaltensbeeinflussung, beginnend in der Familie; von Erziehung zu unterscheiden ist die Sozialisation (Übernahme von Verhaltensmustern und Wertorientierungen, die in den jeweiligen Lebenswelten anerkannt und mehr oder weniger verpflichtend sind). Unterricht bezeichnet die in Institutionen angebotene Vermittlung (beruflich oder lebenspraktisch) relevanter Wissensbestände und Fertigkeiten. Während in anderen Sprachen Erziehung (education, éducation) der Oberbegriff für die beiden pädagogischen Handlungsfelder ist, verwenden wir im Deutschen den auf Eckhart zurückgehenden Begriff Bildung. Gerade die Transformation zur Wissensgesellschaft (alle Funktionsbereiche der Gesellschaft sind wissensabhängig) legt es nahe, P. als (allgemeine) Bildungswissenschaft zu konzipieren. Bildung meint sowohl den Prozess wie das Ergebnis des Erwerbs von Wissen, Fertigkeiten, Einstellungen (3 Tugenden). Dabei lassen sich zwei Grundziele von Bildung unterscheiden, aber gerade heute immer weniger trennen: Auf der einen Seite Allgemein-, Menschen- oder Persönlichkeitsbildung (darunter auch beruflich relevante Kompetenzen wie Verantwortlichkeit, Teamfähigkeit), auf der anderen Seite berufliche Qualifikation im Sinne von Ausbildung, Erwerb nützlichen und notwendigen Wissens bzw. entsprechender Kompetenzen – bis hin zur Aufgabe, seine Beschäftigungsfähigkeit bei allem Wandel der Arbeitswelt durch eigenständiges Lernen zu erhalten. Die neuzeitliche Bildungstheorie (engl. philosophy of education) betont die Bildsamkeit des Menschen (seine Angewiesenheit auf und seine Fähigkeit zur Bildung), die Aufgabe seiner Subjektwerdung (Personalität, Autonomie), der individuellen Aneignung von Kultur und der verstehenden Erschließung von Welt, ferner die allseitige Entfaltung des einzelnen und die Tatsache, das Bildung Allgemeingut für alle Menschen ist, mit der darin enthaltenen Pflicht zu solidarischem Handeln (Klafki 1985).

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Pantheismus

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Geschichtlich konkrete Bildungsideale waren die antike Paideia (in ihrer Akzentuierung durch Platon, Aristoteles, die Stoa), die christliche Bildung (Augustinus, das Mittelalter), die humanistische Bildung des 16. Jahrhunderts (darunter die der Jesuiten), das neuhumanistische Bildungsideal (Humboldt, Hegel, Schelling, Fichte), bis hin zum Nachdenken über die Möglichkeit einer Erziehung nach Auschwitz (Adorno) und die postmoderne Selbstgestaltung als Kunstwerk. Bezogen auf das Alter der zu Bildenden lassen sich Kinder- und Jugendbildung (P. im engeren Sinn), Erwachsenenbildung (Andragogik) und Altenbildung (Geragogik) unterscheiden, von den zahlreichen Anwendungsfeldern her Sozialp., Berufsp., Religionsp. u. ä. Nicht zu übersehen ist die Pädagogisierung unserer Lebenswelten (Weinkunde und Animation auch im Urlaub); aber auch subjektbestimmtes und widerständig-kritisches Lernen erscheint heute als »lebenslängliches« Schicksal. Gesehen und gefordert werden ferner das nicht-formale (d. h. nicht institutionell bereitgestellte) und informelle (beiläufige) Lernen und im Alltag erworbene Kompetenzen. Bis in das 20. Jahrhundert hinein war P. ein Teil der Philosophie, mit besonderer Nähe zur Anthropologie und zur Ethik. Seit Beginn der 60er Jahren gewann die P. ihre Erkenntnisse nicht mehr nur auf philosophisch-analytischen und historischen Wegen, sondern zunehmend mit den Methoden der empirischen Sozialwissenschaften (v. a. der Psychologie und Soziologie). Zur Konzeption einer weiterhin konstruktiv-kritischen Erziehungswissenschaft gehört auch die ideologiekritische Prüfung von Bildungszielen und -idealen (Klafki 1976). T Ballauff / K Schaller: Pädagogik, Fr 1969; W Klafki: Aspekte kritisch-konstruktiver Erziehungswissenschaft, Weinheim1976; Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik, Weinheim 1985; R Funiok / H Schöndorf (Hg): Ignatius von Loyola und die P. der Jesuiten, Donauwörth 2000; D Benner: Allgemeine P., Weinheim 4 2001.

Funiok Palingenese 3 Reinkarnation Panentheismus 3 Pantheismus Panlogismus 3 Pantheismus Panpsychismus 3 Pantheismus 3 Seele Pantheismus / Panentheismus Der Begriff »P.« stammt aus einer Streitschrift gegen den englischen Aufklärungstheologen John Toland, der in seinem Werk Origines Judaicae (1709) den Glauben der »pantheists«, zu denen er sich zählte, so beschrieb, dass es nach ihm kein von der Welt unterschiedenes göttliches Wesen geben könne, sondern die Gesamtheit der Natur die einzige höchste Gottheit sei. Freilich ist diese Einheitslehre viel älter als jener Begriff für sie. Von Aristoteles wird Xenophanes als Vertreter einer religiösphilosophischen Einheitslehre genannt. Dessen Auffassung von dem einen

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Pantheismus

Gott (B 23–26) wurde von Aristoteles so verstanden: »Xenophanes aber, der zuerst die Lehre vom Einen vertrat […] sagt im Hinblick auf den ganzen Himmel, das Eine (to Hen) sei der Gott« (Met 986 b). Die stoische Philosophie betont im Unterschied zu Platon (und später Plotin), aber auch zu Aristoteles, eine weitgehende Einheit von Gott und Welt. Was für Platon und Plotin die »Weltseele« ist (über welcher der Nous und die Idee des Guten stehen), ist für die Stoa bereits Gott. »Als Substanz Gottes (Usian de theou) bezeichnet Zenon die ganze Welt und den Himmel, ähnlich Chrysipp […] sowie Poseidonios« (Diogenes Laertios VII, 148); und wie Cicero berichtet, lehrte Zenon: »es gibt nichts Besseres als das Weltall (nihil autem mundo melius)«, woraus sich für ihn ergab: »daß das Weltall Gott ist (esse mundum deum)« (de nat. deor. II, 21f). Bei Marc Aurel lautet dies so: »Alle Dinge sind miteinander verflochten, und die Verknüpfung ist heilig […] Denn es gibt nur einen Kosmos aus allem und einen Gott durch alles und eine Substanz (Usia) und ein Gesetz (Nomos), die Vernunft (Logos), die allen geistigen Wesen gemeinsam ist, und eine Wahrheit« (Selbstbetrachtungen VII, 9). Doch zeigt sich bei Marc Aurel auch die Ambivalenz dieser Einheitsauffassung. Ist der Kosmos letztlich auf seine göttlich geistige oder materiell faktische Seite hin zu begreifen? Als ungeschiedene Identität mit sich scheint er beide Sichtweisen zuzulassen. Man vergleiche Aussagen über den guten, harmonischen Kosmos (III, 2; IV, 23; V, 8) mit anderen, die das Erschrecken über seine blinde Gleichgültigkeit ausdrücken (VII, 38;VIII, 37; IX, 37), und denen, die den Zweifel, ob das eine oder andere der Fall ist, erkennen lassen (III, 3; IX, 28; XII, 14). Diese Ambivalenz zeigt sich in der Neuzeit am System des Spinoza. Nach ihm ist die eine Substanz »Gott«, aber auch »Natur« zu nennen: »infinitum Ens, quod Deum, seu Naturam appellamus« (Ethik IV, Einl.). Es herrscht nach seinem System eine strenge Notwendigkeitsbeziehung von der einen Substanz über die Attribute zu den Modi bis zu jedem Ereignis in der Welt. Durch den Parallelismus von Denken und Ausdehnung (Materie) bleibt alles Geschehen nach beiden Seiten hin auslegbar. Es ist deswegen nicht verwunderlich, dass Spinoza theistisch, aber auch atheistisch und materialistisch verstanden wurde. Berühmt wurde Jacobis Kritik an Spinoza in letzterem Sinn in seinem Buch Über die Lehre des Spinoza (1785/1789). Er berichtet darin von Gesprächen mit Lessing, in denen sich dieser nach der Losung »Hen kai Pan (eines und alles)« zum Spinozismus bekannt habe, so dass Jacobi meint, Lessings Auffassung von Gott im Sinne jener eigenen Spinozainterpretation verstehen zu müssen. Doch stellt sich Lessings Theologie, wie er sie in der Erziehung des Menschengeschlechtes (1780) entworfen hat, eher theistisch dar. Sein Spinozaverständnis deckte sich also mit dem Jacobis nicht. Herder interpretiert Spinoza als einen unvollendeten Theismus (Gott 1787/1800), ähnlich Schelling, der am Beginn seiner Schrift Über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809) Spinoza im Sinne eines P. auslegt, der immerhin theis-

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tische Züge aufweise. Nach Hegel lehrt Spinoza eine Verflüchtigung der Welt auf Gott hin, da nur die eine göttliche Substanz für ihn existiere: »nur Gott ist, alle Weltlichkeit hat keine Wahrheit. Man würde also sein System besser Akosmismus haben nennen können« (TW 20, 177). Der P. hat also die Ambivalenz an sich, dass die von ihm gelehrte Einheit nach beiden Seiten, nach Gott und nach der Welt hin, ausgelegt werden kann. Es zeigt sich, dass die eigentlich spekulative Aufgabe gerade die Vermittlung der für eins erklärten Bereiche ist. Stellt man sich dieser Aufgabe nicht, kommt es zu jener Unbestimmtheit und zu ganz gegensätzlichen Auffassungen einer pantheistischen Gott-Welt-Einheit. Der Mangel an begrifflicher Klarheit hängt auch damit zusammen, dass es oft mehr um den Ausdruck eines Gefühls geht, einer Stimmung oder Intuition, die noch im Vorfeld differenzierter Reflexion liegt. Diese Verankerung im Gefühl ist freilich auch die Stärke des P. und zeigt sich in seiner Nähe zur Dichtung. Als prominentes Beispiel sei Goethe genannt. Man denke etwa an die Verse: »Kein Wesen kann zu nichts zerfallen! / Das Ew’ge regt sich fort in allen«, oder: »Was wär’ ein Gott, der nur von außen stieße, / Im Kreis das All am Finger laufen ließe! / Ihm ziemt’s die Welt im Innern zu bewegen, / Natur in Sich, Sich in Natur zu hegen, / So daß, was in ihm lebt und webt und ist, / Nie Seine Kraft, nie Seinen Geist vermißt«. Diese Verse sind allerdings durchaus im Sinne einer theistischen Transzendenz-Immanenz-Lehre verstehbar. Man kann die zwei Grundtendenzen des P. an den beiden Weisen zeigen, seine Einheitslehre zu formulieren. (1) »Gott ist alles«, und (2) »Alles ist Gott«. Wenn das Prädikat die eigentliche Bestimmung des Subjektes angibt, dann tendiert (1) zu einem Endlichkeitsmonismus (Was ist unter Gott zu verstehen? – Eben alles, was es gibt) und (2) zu einem Unendlichkeitsmonismus (Was ist alles, was es gibt – letztlich? – Es ist im Grunde Gott). Jacobi hat den P. kritisch im Sinne von (1) gedeutet. Darin folgte ihm Schopenhauer, allerdings (im Unterschied zu ihm) in Zustimmung zu der so sich ergebenden Lehre: »Er (der P.) ist eine höfliche Wendung, dem Herrgott den Abschied zu geben« (Nachlass 441f). Gleiches gilt von Feuerbach, für den sich allerdings in dieser Lehre die Selbstaufhebung der Theologie artikuliert. »Der P. ist die Negation der Theologie auf dem Standpunkte der Theologie« (Reform der Philosophie 245). Schon P-H von Holbach hatte 1770 den Begriff »P.« für sein materialistisches System verwendet. Für die Alternative (2) stehen die oben genannten Philosophen. Eine Variante stellt der »Panentheismus« dar. Der Begriff stammt von dem Schellingianer Karl Christian Krause, der mit seiner in diesem Begriff zusammengefassten Lehre, dass alles »in« Gott und Gott »in« allem zu begreifen sei, das Anliegen des P. aufzunehmen suchte, um es zugleich im Theismus erfüllt zu sehen. »Was mithin den Vorwurf des P. oder der Allgottlehre betrifft, im Sinne der Verwechslung der Welt, oder der Natur, oder überhaupt endlicher Dinge mit Gott, so gilt er durchaus nicht von der Wis-

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Paradigma

senschaft, die alles Endliche als an, oder als in Gott, und als durch Gott als Grund und Ursache erkennt; – sondern nur Panentheismus, oder Allingottlehre, kann selbige genannt werden, wenn dieses Wort richtig verstanden wird« (Grundwahrheiten 484). »[…] weil in der Wesenschauung [so nennt Krause die Einsicht in das göttlich Absolute] erkannt wird, dass Gott auch Alles in, unter und durch sich ist, so könnte wohl die Wissenschaft Panentheismus genannt werden.« (System der Philosophie 256). P. in: HWPh; TRE, RGG, LthK; H Jacobi: Über die Lehre des Spinoza; J G Herder: Gott; G W F Hegel: Theorie-Werk Ausgabe, Suhrkamp; K C Krause: Vorlesungen über das System der Philosophie Göttingen 1828; Vorlesungen über die Grundwahrheiten der Wissenschaft Göttingen 1829; J. Frauenstädt (Hg): Aus A. Schopenhauers handschriftlichem Nachlaß 1864; L. Feuerbach: Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie, 1842. – D. Henrich (Hg): Alleinheit, St 1985.

Schmidt Panvitalismus 3 Vitalismus Paradigma (gr. parádeigma: Beispiel, Vorbild, Beweis) ist ein Begriff, der in der neueren Zeit von T S Kuhn als Terminus technicus für eine Gesamtheit von Methoden und Erklärungsschemata verwendet wurde, die bestimmte wissenschaftliche Grundüberzeugungen charakterisieren, die zu einer bestimmten Zeit in der Naturwissenschaft herrschen. Während nach Kuhn im Normalfall ein bestimmtes P. der gesamten Forschung auf einem bestimmten Gebiet zugrunde gelegt wird und Methoden, Begrifflichkeit und Lösungsrichtungen vorgibt, können zu einem bestimmten Zeitpunkt Probleme (»Anomalien«) auftreten, die sich nach der Überzeugung der Wissenschaftler im herrschenden P. nicht lösen lassen. In diesem Fall bleibt den Wissenschaftlern nichts anderes übrig, als die in ihrer Wissenschaft herrschenden Standardinterpretationen und -überzeugungen aufzugeben und durch andere zu ersetzen; es geschieht ein Paradigmenwechsel. Wenn sich die Mehrheit der Wissenschaftler diesem Wechsel des P.s anschließt, so führt dies zu einer wissenschaftlichen Revolution. In der Diskussion von Kuhns Thesen zeigte sich, dass sein Begriff des P.s noch weiterer Präzisierungen bedurfte (3 Wissenschaftstheorie). T S Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, F 1967. – P HoyningenHuene: Die Wissenschaftsphilosophie Thomas S. Kuhns, Bg 1989; K Bayertz: Wissenschaftstheorie und P.begriff, St 1981.

Schöndorf Paradox 3 Antinomie 3 Existenzphilosophie 3 Logik Parallelismus, psychophysischer 3 Leib-Seele-Problem Paralogismus 3 Fehlschluss 3 Transzendentalphilosophie Paraphysik, Parapsychologie 3 Esoterik Paronym 3 Analogie

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Patristische Philosophie

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Parteilichkeit 3 Dialektischer Materialismus Partizipation 3 Demokratie 3 Teilhabe Passio 3 Leiden Passiones 3 Leidenschaft Patristische Philosophie ist die Philosophie (P.) der ›Väter‹, d. h. der rechtgläubigen altchristlichen Schriftsteller. Sie endet im Westen mit Isidor von Sevilla und im Osten mit Johannes Damaszenus. Die P. dient der Verteidigung des christlichen 3 Glaubens. Sie soll, vor allem den Gebildeten, den Zugang zum Evangelium erschließen. Ihre 3 Begriffe sind das Werkzeug, mit dessen Hilfe aus der biblischen Botschaft ein systematisches Ganzes entwickelt und zwischen einer richtigen und falschen Auslegung unterschieden wird. Die Begegnung zwischen der jüdisch-christlichen 3 Offenbarung und der griechischen P. ist vorbereitet in den Weisheitsbüchern des Alten Testaments und durch die platonische Schriftauslegung des Philon von Alexandrien. Wichtige Anknüpfungspunkte im Neuen Testament sind die Lehre vom Logos (Joh 1) und der natürlichen Gotteserkenntnis (Röm 1, 20). Justinus, der bedeutendste unter den Apologeten des 2. Jahrhunderts, betont mit dem Mittleren 3 Platonismus die 3 Transzendenz und Namenlosigkeit 3 Gottes, der mit der 3 Welt nur durch den Logos in Verbindung tritt. Er ist in Christus sichtbar erschienen, aber jeder 3 Mensch besitzt in seiner 3 Vernunft einen Keim (sperma) des Logos. Das 3 Ideal des Klemens von Alexandrien ist der christliche Gnostiker, der Glaube und Wissen zur 3 Einheit verbindet. Anfang und Grundlage der P. ist der Glaube. Der Logos ist Schöpfer der Welt; er offenbart Gott im Alten Testament und in der P. der Griechen. Origenes war in Alexandrien wie Plotin (3 Neuplatonismus) Schüler des Ammonios Sakkas. Der transzendente unfassbare eine Gott bringt den Logos hervor wie die Vernunft den 3 Willen. Die 3 Schöpfung ist ein ewiger Akt. Der gegenwärtigen sichtbaren Welt ging eine Welt vollkommener Geister voraus. Die menschlichen 3 Seelen sind Geister, die in jener Welt von Gott abfielen und zur 3 Strafe in den 3 Leib eingeschlossen wurden. Entsprechend dem Leib, der Seele und dem 3 Geist des Menschen unterscheidet er den somatischen, psychischen und pneumatischen Sinn der Schrift. Nach Pseudo-Dionysios Areopagita, Schüler des Proklos (Neuplatonismus), ist Gott, von dem alles ausgeht und zu dem alles zurückkehrt, transzendent und namenlos; die von ihm in der Schrift ausgesagten Prädikate wie 3 Sein, 3 Leben, 3 Weisheit sind Emanationen. Die Hierarchie der Engel und der Kirche werden nach dem neuplatonischen 3 Schema von Emanation und Rückkehr gedeutet. Der größte Philosoph unter den Vätern ist Augustinus. Seine Bekenntnisse sind ein eindrucksvolles Zeugnis für den Glauben, der nach Einsicht sucht. Der Neuplatonismus hilft ihm, das Gottesbild zu klären, aber er lässt Fragen offen, auf die nur die biblische Lehre von Sünde und Erlösung antworten kann. Augustinus geht auf alle Themen der P. ein: 3 Erkenntnis, 3 Sprache, 3 Ethik,

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Performativ

3 Ästhetik, 3 Staat, 3 Geschichte. Boëthius übersetzt logische Schriften des Aristoteles und dazugehörige Kommentare. Er entwickelt eine Terminologie für die Klärung trinitarischer und christologischer Fragen. Seine im Gefängnis verfasste Trostschrift fragt nach der Vereinbarkeit des Vorherwissens Gottes mit der menschlichen 3 Freiheit. E Osborne: The emergence of Christian theology, C 1993; C Stead: Philosophy in Christian antiquity, C 1994; H E Droben: Lehrbuch der Patrologie, Fr 1994.

Ricken Per accidens 3 Prädikabilien Perfectio 3 Vollkommenheit Performativ (engl. perform: leisten, ausführen) sind für Austin diejenigen Sprechakte (Sprachhandlungen), durch die nicht eine Information übermittelt, sondern, sofern sie korrekt und unter den entsprechenden Voraussetzungen erfolgen, das Gesagte getan wird; z. B. »ich nehme dich zum Ehemann«, »ich verspreche dir«. Später schrieb Austin jedem Sprechakt einen p.en Aspekt zu. Ein p.er Widerspruch liegt vor, wenn der Inhalt des Gesagten zu dem, was im Sprechakt impliziert ist, im Widerspruch steht, z. B.: »Ich kann keinen vollständigen Satz bilden.« Nach Strawsons p.er 3 Wahrheitstheorie hat »wahr« keine inhaltliche Bedeutung, sondern »dies ist wahr« dient der Bekräftigung und Verbürgung für die Wahrheit einer Aussage. J L Austin: How to do things with words, O 2 1976; J R Searle: Speech acts, C 1969; P F Strawson: Logico-linguistic papers, Lo 1971. – M Schirn (Hg): Sprachhandlung – Existenz – Wahrheit, St 1974.

Schöndorf Performativer Widerspruch 3 Retorsion Peripatetische Schule 3 Aristotelismus Perlokutionär 3 Sprechakt Per se 3 Prädikabilien Person Das lateinische Wort p.a hat seinen Ursprung in der Theatersprache und bedeutete dort soviel wie die Maske, d. h. ein aufgesetztes rollentypisches Gesicht (gr.: prósopon). Im normalen Umgang hatte es mehrere soziale Bedeutungen. Als grammatisch-rhetorischer Hilfsausdruck bezeichnete »P.« die verschiedenen Instanzen einer Rede: den Redenden (erste P.), den Angeredeten (zweite P.), den Beredeten (dritte P.): also ich, du, er. Im politischen Gebrauch bezeichnete man Menschen, insofern sie Träger von Amt und Würden waren, als P.en. Schließlich konnte »P.« auch den nur möglichen Träger einer »P.«, d. h. einer Rolle im Sprachspiel bzw. in der Gesellschaft meinen: den (freien) Menschen, nicht aber den Sklaven, der als Sache (Besitz) betrachtet wurde. Zu einem philosophischen Begriff wurde »P.« auf dem Umweg über die

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Person

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christliche Theologie. Die ersten Konzilien hatten für Gott die abstrakte Formel von »drei P.en« in einem Wesen geprägt, um auszudrücken, dass, wenn die Hl. Schrift vom »Vater« oder vom »Sohn« oder vom »Pneuma« spricht, damit immer Gott selbst gemeint ist. Diese Formel brachte Unklarheit und Streit mit sich. Man fragte sich, was »P.« hier eigentlich bedeute. Das Problem verschärfte sich durch eine weitere Konzilsformel, in der von Jesus Christus gesagt wurde, in seiner »P.« seien Gottheit und Menschheit vereint. Boëthius versuchte nun, diesem Wort eine Bedeutung zuzuordnen, die nicht völlig von der Anwendung auf Menschen gelöst war und doch auf die Gottheit bezogen werden konnte. So entwickelte er den ersten ontologischen P.begriff: »P.a est naturae rationalis individua substantia«, d. h.: »Eine P. ist ein unteilbares, in sich stehendes Sein geistigen Wesens«. Dieser Begriff wurde nun auf die Glaubensaussagen angewendet. Dabei bildete die Anwendung der »geistigen Natur« auf Gott keine Schwierigkeit, wohl aber die der Individualität und Substantialität. Diese durften nicht so verstanden werden, dass sich die Einheit Gottes zugunsten dreier Götter auflöste. Für dieses Problem fand Thomas v Aquin schließlich die Lösung, die göttlichen P.en ganz aus ihren wechselseitigen Beziehungen zu verstehen. Schwieriger war die Anwendung des neuen P.begriffs auf den Gott-Menschen. Was genau machte seine Substantialität und seine Individualität aus? Im Ergebnis verstand man P. als suppositum, d. h. als Letztes, mit sich Identisches, das immer nur in der (grammatisch-logischen) Funktion des Subjekts, niemals der weiteren Bestimmung auftreten dürfe. Nachdem man durch Jahrhunderte den P.begriff fast ausschließlich in der Theologie verwendet hatte, begann man im hohen Mittelalter damit, den so präzisierten Begriff ab und zu wieder auf Menschen zu übertragen, und zwar auf alle Menschen als solche, anders als im normalen römischen Sprachgebrauch. Erst im 17. Jahrhundert allerdings wurde »P.« ein wichtiger philosophischer Begriff. Zunächst im Sinn der Problematisierung durch den Empirismus: In seinem Versuch über den menschlichen Verstand (Bd. II, Kap. 23 §§ 15 ff.) übersetzt J Locke den ontologischen Begriff der Identität der P. in der Zeit ins Psychologische, in die Identität des Selbstbewusstseins, m. a. W. in die Kontinuität der bewussten Zustände eines Menschen. Locke unterscheidet die körperliche Individualität von der psychologischen, die er »p.al identity« nennt. Diese ist nicht notwendig mit jener gegeben. Jemand kann von außen als derselbe wie vor Jahren identifiziert werden, sich aber nicht mehr an frühere Taten als die seinen erinnern oder in diesen »wiedererkennen«. Für eine Verurteilung vor Gericht aber ist genau das notwendig. Diese Betrachtungsweise bringt mit sich, dass das Wort »P.« von einer Bezeichnung für das Ganze eines Menschen sich wandelt zur Bezeichnung von etwas im Menschen bzw. zur Bezeichnung von Menschen, insofern sie effektiv zu bestimmten psychischen Leistungen fähig sind. – Fast gleichzeitig mit Locke fragt sich S Pufendorf, was für ein Sein moralisch-rechtliche Beziehungen

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Person

zwischen P.en hätten. Er antwortet: Sie sind fundiert im natürlichen Vorhandensein von Menschen, die freie Wesen sind. Sie bestehen aus Anerkennung und Achtung. P.en haben also eine natürliche und eine sozial-rechtliche Existenz. Eine P. sein bedeutet: Rechte und Pflichten haben. Kant baut darauf auf, indem er die Selbstzwecklichkeit als das Wesen von P.en erklärt; sie haben nicht nur einen relativen Wert, sondern Würde, d. h. einen absoluten Wert, der unbedingt zu achten ist von jedermann, nicht nur von anderen, sondern auch von einem selbst. Im 20. Jahrhundert kam es zu einer Erneuerung des P.gedankens im sogenannten P.alismus (M Scheler, R Guardini, E Mounier, M Müller usw.). Dass der Mensch P. ist, musste nun gegen feindliche Zeitströmungen in Erinnerung gerufen werden. Gegen den Intellektualismus war die »p.ale« Einheit von Gefühl, Wille und Denken zu verteidigen; gegen den Funktionalismus betonte man die Selbstständigkeit und Selbstzwecklichkeit der P. als eines Freiheitswesens; und gegen den Kollektivismus war an die Individualität zu erinnern, die sich nicht in ein Ganzes aufheben lässt, sondern in interp.alen Beziehungen lebt. Diese Motive bleiben auch heute wichtig. Sie sind bedroht durch Thesen, die die Einheit der P. in Frage stellen. In Frage steht erstens die Identität eines Individuums mit sich selbst im Lauf der Zeit. Die klassische Auffassung sah diese Einheit als etwas Substantielles. Schon Scheler aber sah die P. als Einheitsvollzug der Akte verschiedener Aktklassen und folglich als etwas im Menschen. Nun verlegt man sie aus einem empiristischen Vorurteil auf die Ebene der Eigenschaften, die wechseln, und kommt dann auf die befremdliche Idee, die Einheit einer P. als die Folge von einander überlappenden physischen und psychischen Zuständen zu rekonstruieren (so z. B. D Parfit). In Frage steht zweitens das Verhältnis von individuellem Menschsein und P.alität. Sind alle Menschen immer und grundsätzlich P.en oder sind das nur einige Menschen und auch das nicht immer? M. a. W.: Darf man einen Menschen nur dann »P.« nennen, wenn er aktuell ein die Zeiten überspannendes Selbstbewusstsein hat, oder auch dann, wenn er dies von seinem Wesen her haben kann oder konnte, obwohl er zur Zeit schläft, dement ist oder als Embryo im Mutterleib noch kein Ich-Bewusstsein hat? Diese Alternativen sind von höchster ethischer Bedeutung, da Würde und Recht eines Wesens an seine P.alität geknüpft sind. Sind die Begriffe »P.« und »Mensch« extensionsgleich, so haben alle Menschen, in welchem Zustand sie sich auch befinden mögen, jene Rechte, die man Menschenrechte nennt. Versteht man aber die P.alität als einen bestimmten psychologischen Zustand, dann fallen einige jener Menschen, die des Schutzes durch Rechte am meisten bedürfen, aus dem Status von Rechtsp.en heraus. P.en sind für ihre Entwicklung auf die Achtung durch die soziale Umwelt und durch das Gesetz angewiesen. Aber diese Achtung verleiht den P.status nicht, sondern anerkennt ihn bloß. Und sie bezieht sich nicht auf bestimmte Eigenschaften, sondern auf das Sein und die Freiheit des menschlichen Individuums selbst.

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Pessimismus

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Der innerste Kern einer P. ist der konstitutive Bezug Gottes zu ihr. Deshalb gibt es eine Pflicht zur Selbstachtung. Boëthius: Gegen Eutyches und Nestorius; J Locke: An Essay concerning Human Understanding, Lo 1690; M Scheler: Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik. Hl 1913/16, bes. Abschnitt VI; R Guardini: Welt und P., Wü 1939. – J B Lotz: P. und Freiheit, Fr 1979; R Spaemann: P.en, St 1996; T Kobusch: Die Entdeckung der P., Fr 2 1997; M Brasser (Hg): P., St 1999; B Gillitzer: P.en, Menschen und ihre Identität, St 2001; D Sturma (Hg): P., Pb 2001; G Mohr (Hg): Was ist eine P.?, Bremen 2002; B Niederbacher / E Runggaldier (Hg): Was sind menschliche P.en?, Heusenstamm 2008; M Quante: P., B 2008.

Haeffner Persönlichkeit 3 Person Perspektivismus 3 Relativismus Perzeption 3 Erkenntnis 3 Wahrnehmung Pessimismus Unter P. (lat. pessimum: das Schlechteste) wird eine Weltanschauung oder eine Grundstimmung verstanden, die die Welt durchgängig negativ beurteilt, woraus die Aufforderung zur Weltflucht oder Weltverneinung resultiert. Der philosophische Hauptvertreter des P. ist Schopenhauer, für den die Welt die schlechteste ist, die man sich denken kann. Wäre sie noch ein wenig schlechter, so könnte sie nicht mehr bestehen. Der 3 Optimismus sei eine »ruchlose Denkungsart«, »ein bitterer Hohn über die namenlosen Leiden der Menschheit« (Sämtliche Werke Bd. II, 385) und entspreche nicht der christlichen Lehre, für die Welt und Übel Synonyma seien. Da der Wille das Wesen der Welt sei, könne nur der Verzicht auf jegliches Wollen zur Überwindung der Welt und zur Erlösung führen. Einen P. vertritt später auch Eduard v Hartmann; als Vertreter eines Kulturp. ist Spengler zu nennen. A Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung; E v. Hartmann: Philosophie des Unbewußten, B 1869; O Spengler: Der Untergang des Abendlandes, M 1918 ff. – W Post: Kritische Theorie und metaphysischer P., M 1971; U Horstmann: Das Untier, F 1985; A Dörpinghaus: Mundus pessimus, Wü 1997; M Pauen: P., B 1997.

Schöndorf Petitio principii 3 Fehlschluss Pflanze ist ein unscharfer Sammelbegriff für alles, was im klassischen Stufenbau der Natur zwischen dem Reich der Mineralien und jenem der Tiere als »lebendig, aber unbeweglich« anzusiedeln ist. Biologisch charakterisiert als photo-autotropher Organismus, der seinen Stoffaufbau aus anorganischer Substanz mittels der in besonderen Pigmenten (Chlorophyll) eingefangenen Energie des Sonnenlichts betreibt. Da man auch einen großen Teil der nicht photosynthetisierenden Pilze zu den P.n rechnen kann, und nicht alle mit einem Geißelapparat versehenen grünen Einzeller bloß wegen dieser Bewe-

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Pflicht

gungsfähigkeit schon als Tiere gelten, bleibt als entscheidendes Kriterium das Vorhandensein einer festen Zellwand, die dem P.nkörper wesentliche Wachstumsbeschränkungen bei der Ausbildung einer vielzelligen Gesamtgestalt auferlegt. Während die Formbildung beim 3 Tier in der zunehmenden inneren Differenzierung einer hydraulisch stabilisierten Körper-Ganzheit besteht, baut sich der P.nkörper durch polares Wachstum von den Spross-Enden her additiv aus starren (häufig bald abgestorbenen) zellulären Konstruktionselementen nach außen auf. Diese »offene Gestalt« erklärt den im Vergleich zum Tier geringeren Grad an Individualität, der neben unbegrenztem Wachstum in nahezu beliebiger Teilbarkeit des P.nkörpers besteht. Auffälligstes Kennzeichen der (gegenüber Algen, Pilzen und Moosen) »höheren P.n« ist das an einer Sprossachse ansitzende, in der Form vielfach abwandelbare Blatt, dessen Bedeutung für die pflanzliche Organisation schon von Goethe herausgestellt wurde. Blätter sind nicht nur Organe der Photosynthese und des äußeren Schutzes, sondern auch die Orte für die Bildung ungeschlechtlicher Fortpflanzungszellen (Sporen). Damit sind auch die so genannten »Geschlechtsorgane« der Blüte (Staub- bzw. Fruchtblätter) als Bildungsstätten von Sporen charakterisiert. Die eigentliche geschlechtliche Fortpflanzung vollzieht sich erst mittels einer aus den Sporen keimenden eigenen Generation von (extrem reduzierten) Geschlechtspflänzchen (bei Blütenp.n: Pollenschlauch und Embryosack), so dass für die große Mehrzahl der P.n im Gegensatz zu den Tieren ein obligater Generationswechsel kennzeichnend ist. Auch das Fehlen von Sinnesempfindung erklärt sich aus dem starren P.nbau, da der Verzicht auf Beweglichkeit die Ausbildung eines reizleitenden Nervensystems überflüssig macht. Reizbarkeit auf zellulärer Ebene ist aber sehr wohl vorhanden. 3 Leben 3 Organismus. Goethe: Die Metamorphose der P.n. – W Troll: Allgemeine Botanik, St 3 1959; W Zimmermann: Die Phylogenie der P.n, St 1959; J-M Pelt: Das Leben der P.n, D 1982; K Mägdefrau: Geschichte der Botanik, St 2 1992; P Sitte: Lehrbuch der Botanik für Hochschulen, Hd 35 2002.

Kummer Pflicht / Sollen Der Begriff der P. geht auf die stoische Ethik zurück. Sie unterscheidet zwischen katórthoma und kathêkon. katórthoma (perfectum officium) ist eine 3 Handlung, die aus der Einsicht in deren Richtigkeit geschieht, kathêkon (medium officium) dagegen eine Handlung, für die sich lediglich eine wahrscheinliche Begründung anführen lässt. Wie bei keinem anderen Philosophen steht bei Kant die P. im Mittelpunkt der Moralphilosophie. Der menschliche 3 Wille wird durch die praktische 3 Vernunft nicht hinlänglich bestimmt; er ist vielmehr auch subjektiven Triebfedern unterworfen, die mit dem, was die Vernunft als praktisch notwendig erkennt, nicht immer übereinstimmen. Die 3 Bestimmung des Willens durch die praktische Vernunft ist daher Nötigung. Ein praktisches 3 Prinzip, das 3 objektiv, d. h. für

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Phänomenalismus

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den Willen eines jeden vernünftigen Wesens gilt, nennt Kant praktisches 3 Gesetz, und die Formel, welche das Gesetz ausdrückt, 3 Imperativ. »Alle Imperative werden durch ein S. ausgedrückt und zeigen dadurch das Verhältnis eines objektiven Gesetzes der Vernunft zu einem Willen an, der seiner Beschaffenheit nach dadurch nicht notwendig bestimmt wird (eine Nötigung)« (GMS, AA IV, 413). P. ist die Handlung, zu welcher das Gesetz einen so beschaffenen Willen nötigt; sie ist »die Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz« (400). Eine Handlung ist p.mäßig, wenn sie dem Gesetz entspricht; hier können Neigungen der Bestimmungsgrund des Willens sein; sie geschieht aus P., wenn sie bloß um des Gesetzes willen geschieht. »Der Begriff der P. fordert also an der Handlung objektiv Übereinstimmung mit dem Gesetze, […] subjektiv Achtung fürs Gesetz, als die alleinige Bestimmungsart des Willens durch dasselbe« (KpV, AA V, 81). Kant unterteilt die P.en in Rechts- und Tugendp.en (3 Tugend), und die Tugendp.en in P.en gegen sich selbst und P.en gegen 3 andere. Gesichtspunkt der Unterscheidung ist die Frage, ob für eine P. auch eine äußere Gesetzgebung möglich ist. Das ist bei den Rechtsp.en der Fall, denn das 3 Recht regelt die Beziehungen zwischen 3 Personen, insofern ihre äußeren Handlungen aufeinander Einfluss haben können. Dagegen gehen die Tugendp.en auf einen 3 Zweck, der zugleich P. ist (z. B. die Glückseligkeit der anderen 3 Menschen); sich etwas zum Zweck zu machen kann aber durch keine äußere Gesetzgebung bewirkt werden. P.en können miteinander kollidieren; deshalb ist es notwendig, zwischen prima-facie-P.en und der aktualen oder absoluten P. zu unterscheiden. Die aktuale P. wird erkannt, indem die Gründe für die widerstreitenden primafacie-P.en gegeneinander abgewogen werden. Eine P. besteht unabhängig von einer 3 Entscheidung; eine Verp.ung beruht dagegen auf einer Entscheidung. Unabhängig von jeder Entscheidung habe ich die P., keinem Menschen Unrecht zu tun und Menschen in Not, soweit ich kann, zu helfen. Die P., ein Versprechen zu halten, habe ich dagegen erst, wenn ich ein Versprechen gemacht habe. Indem ich ein Versprechen mache, gehe ich die Verpf.ung ein, das Versprechen zu halten. Cicero: De officiis; I Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Erster Abschnitt; KpV, AA V, 32 f., 81 f.; Metaphysik der Sitten. – W D Ross: The Right and the Good, O 1930.

Ricken Pflichtenkollision 3 Gewissen Phänomen(on) 3 Erscheinung Phänomenalismus oder Phänomenismus wird eine philosophische Richtung genannt, nach der wir nur Erscheinungen (Phänomene) erkennen können, nicht aber die Wirklichkeit an sich selbst. Dabei lassen sich zwei Formen unterscheiden: Nach der einen verweist die Erscheinung auf dasjenige in

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Phänomenologie

Wirklichkeit, was erscheint, auch wenn dies nicht von uns erkannt werden kann (Kant). Die andere Auffassung (J S Mill, Mach, Avenarius) bezieht hierzu keine Stellung oder bestreitet dies. H Kleinpeter: Der P., L 1913; A Sammartino: Il fenomenismo nel suo sviluppo storico, Na 1936; W Stegmüller: Der P. und seine Schwierigkeiten, Da 1969; K Wüstenberg: Die Konsequenz des P., Wü 2004.

Schöndorf Phänomenologie Der Terminus P. wurde unter verschiedenen Bedeutungen im Laufe der Philosophiegeschichte immer schon gebraucht. Zum ersten Mal taucht er im Jahre 1764 bei J H Lambert auf als Titel des 4. Teils seines Neuen Organon und später auch bei Kant und Hegel. Heute bezeichnet er vor allem diejenige philosophische Strömung, die im 20. Jahrhundert in Deutschland durch E Husserl entstanden ist und von seinen Anhängern (vor allem M Scheler, N Hartmann, E Stein, H Conrad-Martius, A Reinech, L Landgrebe) weiter entwickelt wurde. Phänomenologisch orientiert ist auch das Denken Heideggers, so wie das von J-P Sartre und von M Merleau-Ponty. Geleitet von dem Leitspruch »Zu den Sachen selbst!«, will die P. die Wirklichkeit in ihrer voller Reinheit erreichen, ohne sich von Vorurteilen bzw. Idolen aller Art irreleiten zu lassen. Deshalb tritt die P. den Ansprüchen des Empirismus, des Rationalismus, des Idealismus und des Dogmatismus platonischer Prägung entgegen. Aus verschiedenen Gründen erweisen sich alle diese philosophischen Strömungen als unfähig, die Wirklichkeit als solche zu begreifen: der Empirismus, weil seine Kategorien unangemessenen sind, die Dinge nach dem Umfang ihrer vielfältigen Erscheinungsweisen aufzufassen; der Rationalismus, weil er sich aufgrund des abstrakten und mathematisierenden Formalismus seines Vorgehens von der Lebenswelt entfesselt; der Idealismus, weil er prinzipiell ablehnt, sich von der reinen Anschauung leiten zu lassen; der platonische Dogmatismus, weil er die Ideen hypostasiert. Um allen diesen Schwierigkeiten zu entgehen, vertritt die P. eine intuitive Methodologie, die, sich auf das Erlebnis des Bewusstseins stützend, alle möglichen Modalitäten von diesem enthüllen will, um die Gegenstände so erscheinen zu lassen, wie sie sich ergeben. So erweist sich die P. als Wissenschaft des Phänomens, d. h. der Wirklichkeit, wie sie sich zeigt. Es sind die Vorlesungen Brentanos, die den jungen Husserl dazu geführt haben, vom Rationalismus mathematischer Prägung Abschied zu nehmen und sich der Philosophie zu widmen. Im Jahr 1891 erscheint die Philosophie der Arithmetik, eine Untersuchung über die Entstehung und die Bedeutung der Begriffe von Vielheit, Einheit und Anzahl. Diese lassen sich auf den psychologischen Akt zurückführen, den Husserl Inbegriffsvorstellung nennt. In dieser Phase des husserlschen Denkens ist also der psychologische Einfluss noch zweifellos wirksam, auch wenn dabei die Tendenz schon deutlich spürbar ist, die stark anthropologisch geprägte Denkart Brentanos zu überwinden.

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Phänomenologie

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Den Kontrast zwischen der absoluten Notwendigkeit des logischen Apriori und der Faktizität der Erfahrung überwindet Husserl in den Jahren 1891– 1900. Die reine Logik Bolzanos liefert ihm die Instrumente, um sich von den letzten Resten des Positivismus zu befreien und folglich die übersinnliche Wahrheit zu erreichen. Auf diesen Weg macht sich Husserl in den Logischen Untersuchungen (I, Halle 1900), wobei er sich bemüht, die Ansprüche der empirischen Subjektivität mit denen der Objektivität zu harmonieren. Dies gelingt ihm mit dem Rekurs auf die Intentionalitätslehre, die er von Brentano und ferner von der Scholastik übernimmt und zugleich radikal umdeutet (LU II). Die Essenz bzw. das Eidos transzendiert zwar die psychische Sphäre, bildet aber zugleich das objektive Korrelat bzw. den Identitätspol dieser. Objektivität und Subjektivität sind deshalb unvermeidlich aufeinander bezogen. Im Lichte der dynamischen Korrelation von Subjekt und Objekt erweisen sich der Empirismus und der Rationalismus als unangemessen, die Wirklichkeit zu erfassen, und so entsteht das Bedürfnis einer neuen Erkenntnisdimension, die imstande sei, die jeweils einseitige Perspektive des Empirismus und des Rationalismus zu überschreiten. Den Zugang zu dieser Erkenntnisdimension findet Husserl in der transzendentalen P., weil sich durch die transzendentale Reduktion (Epoché), die sie fordert, der Erkenntnisprozess von allen naturalistischen Unreinheiten befreien kann (vgl. HU VI). Durch die Anerkennung der Intentionalität des Bewusstseins erweist sich das Objekt als transzendent diesbezüglich und zugleich als ihm »leibhaft« (Hu III, 334), »in Person« anwesend. Die P. »charakterisiert nicht das sachhaltige Was der Gegenstände der philosophischen Forschung, sondern das Wie dieser […] Der Titel ›P.‹ drückt eine Maxime aus, die also formuliert werden kann: ›zu den Sachen selbst!‹ – entgegen allen freischwebenden Konstruktionen, zufälligen Funden, entgegen der Übernahme von nur scheinbar ausgewiesenen Begriffen, entgegen den Scheinfragen, die sich oft Generationen hindurch als ›Probleme‹ breitmachen« (Heidegger SZ, § 7). Was die P. zeigt, ist deshalb das, was vor allem und gewöhnlich sich nicht zeigt, was also verborgen und gerade deswegen in der Lage ist, den Sinn und das Fundament dessen zu zeigen, was gewöhnlich und vor allem sich zeigt. In diesem Sinne erweist sich die P. als die einzig mögliche Ontologie (ebd. § 7 C). Denn »das Seinsphänomen verlangt die Transphänomenalität des Seins. Das heißt weder, dass sich das Sein hinter den Phänomenen versteckt findet […] noch, dass das Phänomen ein Erscheinen ist, das auf ein besonderes Sein verweist […] Die bisherigen Überlegungen implizieren, dass das Sein des Phänomens, obwohl dem Phänomen koextensiv, der Phänomenalität entgehen muss – nämlich nur insoweit zu existieren, als es sich offenbart – und dass es folglich über die von ihm gewonnene Erkenntnis hinausgeht und sie begründet« (Sartre Das Sein und das Nichts, Einleitung, § 2). E Husserl: Logische Untersuchungen II/1, 5, 18 f., Phänomenologische Psychologie, § 43, HU IX, 216 f.; Erste Philosophie 2, Beilage 31, HU VIII, 496. –

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Phantasie

L Landgrebe: Der Weg der P., 2 1967; Faktizität und Individuation, 1982; H Fein: Genesis und Geltung in E. Husserls P., 1970; F-W v Herrmann: Der Begriff der P. bei Heidegger und Husserl, 1981; A Aguirre: Die P. Husserls im Licht ihrer gegenwärtigen Interpretation und Kritik, 1982; K Held: Heidegger und das Prinzip der P., 1983; Die älteste Idee von Philosophie und ihr Schicksal, 1985; W Marx: Die P. Husserls, 1987; E Ströker: Husserls transzendentale P., 1987.

Ponsetto

Phantasie Das Wort P. bezieht sich, besonders wenn es im Plural verwendet wird, auf gewisse Produkte eines seelischen Vermögens, das auch und vor allem als »P.« (verdeutscht öfter auch: »Einbildungskraft«) bezeichnet wird. Es ist das Vermögen des freien Entwurfs von Formen, Szenen, Geschichten usw. All dies »bildet« ein Mensch nicht aus äußerlich vorliegenden, sondern aus seelischen Materialien. Er tut dies zunächst für sich und in sich hinein, und zwar nicht willkürlich, sondern geführt von tieferen Kräften und Tendenzen. Die Beziehung zwischen der Welt der P. und der Welt des sinnlichen 3 Erlebens und Wahrnehmens gestaltet sich in zwei Weisen: als Gegensatz und als Ergänzung. Der Gegensatz besteht zwischen der je eigenen und stark emotional gebauten Traumwelt und der gemeinsamen Welt des wachen Lebens, in dem man unter dem Diktat des Realitätsprinzips darauf achtet, dass sich die eigene Welt nur wenig von der abhebt, die man mit den anderen Wachen teilt. Die Ergänzung wiederum erfolgt nach zwei Seiten: objektiv und subjektiv. 1. Objektiv: a) Wahrnehmung ohne P. ist nicht fähig, die Ganzheit eines Objekts oder eines Objektbereichs zu erfassen, die durch bloßes Registrieren der einzelnen Impression nicht erreicht wird. b) Leibliche Bewegung braucht nicht nur Energie, sondern auch den Entwurf der Bewegungslinie und damit der je momentanen Kraftausgabe. c) Ebenso wie die Kunst ist die 3 Wissenschaft nur möglich durch die schöpferische P., die ebenso dem Erkennen Flügel verleiht wie sie dem Handelnden Ziele vorauswirft. d) Über das Erkennen und künstlerische Schaffen hinaus geht die religiöse P., die, angestoßen durch bestimmte Erlebnisse auf der Basis des Einheitsstrebens der Seele, versucht, das (jetzt) direkt nicht Fassbare anschaulich und erfühlbar zu machen. 2. Subjektiv: Das seelische Leben, das sich ganz und gar dem Realitätsprinzip unterwürfe, würde verkümmern oder krank werden. Die P.welt des Traums ist die Ergänzung zur Wachwelt. Dort, wie im Tagtraum, lebt man als Teilnehmer von p.rten 3 Geschichten, in denen sich alles um einen dreht. Die Erfindung immer neuer Spiele von Kindern, aber auch Erwachsenen, zeigt, dass die Möglichkeit mindestens ebenso das Milieu des seelischen Lebens ist wie das Wirkliche. Vielleicht muss man sogar sagen, dass die P. weniger die Realitätswahrnehmung ergänzt oder auch bedroht, als dass die P. das Erste ist und die Realitätsprüfung erst das Zweite, das hilft, nicht der Illusion zu verfallen.

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Philosophie

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Bezogen auf sinnliche Erkenntnis unterschied Kant zwischen der empirischen und der transzendentalen Einbildungskraft. Letztere ist eine unbewusste Kunst des Ich, den andrängenden Empfindungen von vornherein eine Ordnung anzubieten, nämlich die Ordnung des Nacheinander bzw. der Gleichzeitigkeit (»Zeit«) und die Ordnung des Nebeneinander (»Raum«). A Schöpf (Hg): P. als anthropologisches Problem, Wü 1981; W Janke: Das wunderbare Vermögen der Einbildungskraft, in: R Heinrich / H Vetter (Hg): Bilder der Philosophie, W 1991, 223–242; C Unger: Die ästhetische P., F 1996; B RänschTrill: Welterkenntnis und Welterschaffung, Bn 1996.

Haeffner Phantasiebild, Phantasma 3 Vorstellung Philanthropie 3 Liebe Philosophie (gr. phileîn: lieben, sophía: Weisheit) bedeutet wörtlich Liebe zur Weisheit im Sinn von Streben nach Weisheit. Dabei ist Weisheit im umfassenden Sinn eines jeglichen Wissens gemeint. P. im strengen Sinn ist nicht irgendeine Weisheitstradition, sondern ein mit Begriffen (nicht Bildern, Erzählungen oder Sinnsprüchen) argumentierendes Vorgehen systematischer Art, das sich ohne jede Bindung an Autorität oder Tradition rein an Vernunftgründen orientiert. Die P. ist also eine Wissenschaft und hat darum auch Fachleute und eine Fachterminologie. Letzteres ist unvermeidlich, auch wenn sich die P. soweit wie möglich der Alltagssprache bedienen soll, da die P. Fragen aufwirft, die sich im normalen Alltag nicht stellen, weshalb die Alltagssprache keine Bezeichnungen dafür hat. Im Gegensatz zu den anderen Einzel- oder Fachwissenschaften ist die P. jedoch eine Universalwissenschaft, da sie sich auf alles erstreckt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie die empirischen Kenntnisse der anderen Wissenschaften mengenmäßig vermehrt, sondern sie stellt die Frage nach dem Ganzen, den Gründen, nach Sinn, Ursprung und Ziel, nach dem Guten. Sie ist Orientierungswissen. Die P. zeigt, dass der Mensch nicht in der Bindung an seine Umwelt und der Suche nach seinem Überleben aufgeht. Sie ist typisch menschlich: Da der Mensch kein Tier ist, kann er fragen, da er nicht Gott ist, muss er fragen. Der Mensch setzt sich durch sein grenzenloses Fragen zu allem ins Verhältnis und zeigt so, dass er 3 Geist ist. Die P. entsteht aus dem Staunen, das über das Zweckmäßige und Nützliche, über die Probleme des Alltags und die Bedürfnisse nach reibungslosem Funktionieren hinaus fragt und am Wissen als solchem interessiert ist. Die P. fragt nicht nach dem konkreten Funktionieren, sondern nach der Geltung und Rechtfertigung dessen, was geschieht, und dessen, was wir tun oder tun wollen. Sie liefert keine Lösungen für konkrete Probleme: dies ist die Aufgabe der anderen Wissenschaften. Darum setzen die philosophischen Fragen die Bereitschaft voraus, über das alltägliche Funktionieren hinauszugehen. Die P. klärt und rechtfertigt das, was in unserem ausdrücklichen Wissen im-

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plizit enthalten ist. Sie reflektiert auf das, was dem Konkreten zugrunde liegt, auf die Gründe, Ziele und Strukturen von allem. Dabei geht es vor allem um die Fälle, wo man unterscheiden muss, aber nicht trennen kann, wie etwa: Nutzen und moralische Bewertung einer Handlung, Individuum und Allgemeines, Leib und Seele, Sein und Werden, Materie und Form, Formulierung und Gehalt, Subjektivität und Objektivität der Erkenntnis. Die P. ist sowohl Analyse als auch Synthese: Analyse als begriffliches Herausarbeiten dessen, was im Konkreten immer miteinander vermischt ist, Synthese als Zusammenfügen und Zusammensehen des Unterschiedlichen in die Einheit und Ganzheit. Die P. fragt nach dem Warum und Wozu und nach dem Was, dem 3 Wesen der Dinge, und zwar nicht unter einem bestimmten Blickwinkel, sondern in der Wirklichkeit als ganzer und darum für den Menschen als Menschen. Durch diese Frage ist die P. wesentlich kritisch, da sie dabei das Wahre und Richtige vom Falschen und das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden sucht. Die P. untersucht die allem anderen voraus liegenden Grundstrukturen der Wirklichkeit und vor allem das Geistige. Letzteres bedeutet beim Menschen die Frage nach seinem Wesen, nach der Erkenntnis, dem Willen, der Freiheit. Ferner ist die wahre P. immer reflexiv: Sie verliert sich nicht einfach in ihre Objekte, sondern bezieht das eigene Subjekt und sein Tun in ihre Überlegungen mit ein. Die P. erörtert diejenigen Fragen, die sich nicht empirisch klären lassen. Wird eine Frage durch Beobachtung, Messung, Test oder andere empirische Methoden geklärt, handelt es sich nicht um P., auch wenn es sich um ein typisch philosophisches Thema handeln sollte. Dies gilt beispielsweise für alle naturwissenschaftlichen Forschungen, die in irgendeiner Weise mit Erkenntnis, Wille oder Freiheit zu tun haben. Da der Mensch ein leibseelisches Wesen ist, bedingen und beeinflussen empirische Faktoren seine Freiheit, sein Erkennen und Wollen. Bis zu welchem Grad diese Bedingungen und Einflüsse empirisch näher erforscht werden können und worin sie bestehen, kann die P. nicht angeben. Hierfür sind die empirischen Wissenschaften kompetent. Aber ihre Forschung ist keine P., so dass der Ausdruck Neurop. widersprüchlich ist. (Vgl.: Rechtsmedizin ist Medizin, aber keine Rechtswissenschaft.) Die P. will argumentativ überzeugen und nicht überreden. Darum nimmt der Philosoph die Einwände der Vertreter anderer Auffassungen ernst. Der Streit der Philosophen und P.n ist keine Schwäche, sondern ein Zeichen des Respekts vor dem anderen. Nur wer die Meinung des anderen achtet, lässt sich auf ein Streitgespräch mit ihm ein. Insofern ist die P. demokratisch: es zählt nicht die Autorität, sondern das Argument, die Vernunft. Außerdem tritt in der P. die Auseinandersetzung mit anderen Positionen an die Stelle des Tests in den empirischen Wissenschaften. Während in anderen Wissenschaften im Normalfall die Grundlagen und Ergebnisse der Vorgänger übernommen werden, um nach weiteren Detailkenntnissen zu forschen, kann und

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Philosophie

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muss die P. immer wieder alles in Frage stellen, da es ihr um die grundlegenden Fragen geht. Kant hat darum gesagt, man könne nicht P., sondern nur p.ren lernen, denn p.ren heiße selber denken. Wo bestimmte Grundpositionen und Methoden allgemein anerkannt werden, hat sich eine philosophische Schulrichtung gebildet. Seit Aristoteles wird die P. in theoretische (Erkenntnis und Sein betreffende) und praktische (das Handeln betreffende) P. eingeteilt. Die Stoiker unterschieden zwischen Physik (im Sinn von Naturwissenschaften und Naturp.), Ethik und Logik. In der Neuzeit setzte sich im Großen und Ganzen die Einteilung Wolffs durch: a) die propädeutische P. (3 Logik); b) die theoretische P. (3 Metaphysik), die unterteilt wird in: die allgemeine Metaphysik (3 Ontologie) und die spezielle Metaphysik, die die 3 Kosmologie (Welt), die 3 Psychologie (Seele) und die natürliche 3 Theologie (Gott) umfasst; c) die praktische oder moralische P. (3 Ethik und 3 Politologie). Im Lauf der Neuzeit entstanden weitere Disziplinen wie 3 Anthropologie, 3 Ästhetik, 3 Erkenntnistheorie, 3 Geschichtsphilosophie, 3 Sozialphilosophie, 3 Sprachphilosophie, 3 Wissenschaftstheorie usw. Kant definiert die P. als Vernunfterkenntnis (nichtempirische Erkenntnis) aus Begriffen. Dies ist ihr Schulbegriff (ihre wissenschaftliche Definition), während sie ihrem Weltbegriff (ihrem eigentlichen Sinn und Zweck) nach die Wissenschaft von den letzten Zwecken der menschlichen Vernunft ist. Ihre drei Fragen lauten: Was kann ich wissen? (Metaphysik) Was soll ich tun? (Moral) Was darf ich hoffen? (Religion) Sie lassen sich zusammenfassen in der Frage: Was ist der Mensch? (Anthropologie). (AA IX 23, 25; vgl. KrV B 866 f., 832 f.) Zur Zeit Kants wird die P. im Gegensatz zur Theologie auch Weltweisheit genannt. Die P. lebt vom Bezug zu ihrer Geschichte (3 P.geschichte), in der sich ihre Themen und Theorien herausbilden und die der ständige Diskussionspartner bleibt. Auch das Verständnis der P. selbst hat sich durch die Geschichte hindurch immer wieder verändert, da die Bestimmung der P. selbst unter die Fragestellungen und Aufgaben der P. fällt und nicht als fraglos vorgegeben betrachtet werden kann. Als besonders strittig erweist sich dabei die Frage, ob und bis zu welchem Grad die P. suchende Bemühung um Wissen ist, oder ob sie Wissen im strengsten Sinn des Wortes ist oder sein sollte, wie viele neuzeitliche Philosophen meinen. Ferner wechseln ihre literarischen Formen: Dialog, Lehre, Summe von Quaestionen, Essay, Traktat, System, Abhandlung von Einzelfragen usf. In der Moderne liegt der Akzent auf dem Wissen bis hin zum Systemdenken, und es ist immer wieder das Bemühen um endgültig gesichertes Wissen zu finden. Descartes, Kant, Husserl, Heidegger und andere wollten die P. auf ein neues und noch radikaleres Fundament stellen, um auf diese Weise die Grundfragen des Menschen zu beantworten. F W J Schelling: Einleitung in die P. – A Anzenbacher: Einführung in die P., W 1981; H Pfeil: Einführung in die P., Ab 5 1983; E Fink: Einleitung in die P.,

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Philosophiegeschichte

Wü 1985; W Strombach: Einführung in die systematische P., Pb 1992; C McGinn: Die Grenzen vernünftigen Fragens, St 1996; G Scherer: Einführung in die P., D 1996; A Pieper (Hg): Philosophische Disziplinen, L 1998, Selber denken, L 1997; P Ehlen: Grundfragen der P., St 2000; W Schneiders: Wieviel P. braucht der Mensch?, M 2000; B Mojsisch (Hg): Die P. in ihren Disziplinen, A 2002; E Fischer (Hg): Die Fragen der P., M 2003.

Schöndorf Philosophie der Offenbarung 3 Deutscher Idealismus Philosophie, patristische 3 Patristische Philosophie Philosophiegeschichte Wie zu jeder Wissenschaft gehört auch zur Philosophie die Geschichte ihrer früheren Fragestellungen und Antworten. Diese beginnt jeweils da, wo die Überlieferung von Lebensweisheiten und Mythen ergänzt oder ersetzt wird durch einen kritischen Stil des Fragens und Forschens, der von einzelnen Denkern verantwortet wird. P. ist einerseits eine Spezialdisziplin der Geschichtswissenschaft. Sie ist andererseits dem je aktuellen Philosophieren selbst mehrfach verbunden: weil man die Gedanken der Alten nur denkend verstehen kann; weil man sie erforscht, um Anregungen und Vorbilder für das eigene Denken zu erhalten oder um sich klar zu werden über die Herkunft der umlaufenden Begriffe, die sich dem eigenen Denken aus seiner geschichtlichen Bedingtheit her aufdrängen und es in seiner Ursprünglichkeit gefährden. P. wird vor allem in zwei Formen betrieben: in doxographischer und in problemgeschichtlicher Perspektive. Die erste Form erforscht und referiert das Leben und das Werk einzelner Autoren. Sie versucht, deren Meinungen (gr. dóxai) in ihrem Zusammenhang nachzuvollziehen, zu würdigen und in verständlicher Weise darzustellen (z. B.: »Die Philosophie Humes«). Objekt dieser Art von P. kann auch eine einzelne Schultradition oder eine Serie aufeinander folgender Denkgebäude sein. Die zweite Form geht von einem aktuellen Problem aus und erforscht, was zu dessen Entfaltung und Lösung schon bisher geäußert worden ist. Nicht selten endet die Darstellung der bisherigen Gedanken in einer Aporie, die der Autor dann zu lösen beansprucht (z. B. »Die Geschichte des Freiheitsproblems«). Im Gefolge von J J Brucker und vor allem G W F Hegel wurde der Anspruch erhoben, die Geschichte der (abendländischen) Philosophie nicht nur in Teilen zu erzählen, sondern im Ganzen zu vergegenwärtigen und zu begreifen als die Stufenfolge der Erkenntnis von Teilwahrheiten bis hin zum aktuellen, fortgeschrittensten Stand der Wahrheitserfassung. Dieser Versuch setzt voraus, dass alle vergangenen »Systeme« um dieselben Fragestellungen herum organisiert waren; d. h. er gewinnt seine Universalität um den Preis der Ausklammerung der Probleme und Autoren, die sich nicht in die »Hauptlinie« eingliedern lassen, wie auch der nicht-europäischen Traditionen der Philosophie.

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Die Idee »der« P. hat heute vom Prinzip her kaum mehr bewusste Vertreter. Doch ist die Macht, mit der das von ihr gezeichnete Geschichtsbild nachwirkt, immer noch sehr groß. L Braun: Geschichte der P., Da 1990; P Kolmer: P. als philosophisches Problem, Fr 1998; A Beelmann: Theoretische P., Bs 2001; E Angehrn: Philosophie und P., Be 2002.

Haeffner Philosophy of mind 3 Leib-Seele-Problem Phonem 3 Sprache Phthorá 3 Hylemorphismus Phylogenese 3 Evolution Physik bedeutet bei Aristoteles den Teil der theoretischen Wissenschaft, der sich mit dem Bewegten beschäftigt. Die Entwicklung der modernen P. (verbunden mit einer konsequenten Absetzung von der Philosophie) beginnt erst mit dem 17. Jahrhundert (J Kepler, G Galilei, I Newton). Seitdem ist die P. eine Wissenschaft, die aufgrund von Experimenten das Verhalten der Natur mit abstrakten, mathematisierten Theorien beschreibt. Diese Theorien entsprechen in einem realistischen Verständnis grundlegenden Naturgesetzen bzw. sie nähern sich ihnen an. Die Abgrenzung von anderen 3 Naturwissenschaften ist theoretisch unscharf und wird pragmatisch gezogen. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich ein geschlossenes mechanistischp.alisches (deterministisches) Weltbild. Seitdem tritt dieses oft mit dem Anspruch auf, die grundlegenden Eigenschaften der Welt vollständig repräsentieren zu können. Mit der Relativitätstheorie und mehr noch mit der Quantentheorie wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der mechanistische und deterministische Charakter der p.alischen Weltbeschreibung wieder aufgebrochen. Die moderne P., deren Forschung oft mit technischen Interessen verbunden ist, gliedert sich in stark spezialisierte Fachbereiche. Es gibt einige grundlegende Theorien, auf denen alle diese Fachbereiche aufbauen: Die Quantentheorie, die Relativitätstheorie, die Quantenfeldtheorie und das Standardmodell der Elementarteilchen, die Thermodynamik. Die Quantentheorie (bzw. Quantenmechanik) beschreibt sehr allgemein die möglichen p.alischen Objekte und ihre Dynamik (Veränderung in der Zeit) und löste im 20. Jahrhundert die Mechanik ab, die in ihr als Spezialfall enthalten ist. Die grundlegenden Elemente der klassischen Mechanik sind Massenpunkte, deren Bewegung von Kräften gelenkt wird. In der Quantenmechanik wird der Zustand eines p.alischen Systems durch einen Zustandsvektor in einem Hilbert-Raum (ein abstrakter p.alischer Raum, dessen Elemente im Allgemeinen keiner anschaulichen p.alischen Beschreibung entsprechen) beschrieben. (Die Wellenfunktion stellt eine äquivalente, für sehr einfache Systeme anschaulichere Beschreibung dar.) Dieser Zustands-

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Physik

vektor entwickelt sich deterministisch in der Zeit. Dem Zustandsvektor entspricht aber in der Regel nicht unmittelbar ein beobachteter Zustand des Systems, sondern eine Vielfalt von möglichen Messergebnissen. Es gibt Vorschriften, die es erlauben, im Fall einer Messung die Wahrscheinlichkeit für ein bestimmtes Messergebnis aus dem Zustandsvektor zu berechnen. Nach der Messung wird das System durch einen neuen Zustandsvektor beschrieben, der mit dem vorherigen nicht kontinuierlich zusammenhängt. Der Zustandsvektor »springt« also in der Messung auf einen neuen Wert. Die Interpretation dieser Theorie ist philosophisch umstritten, weil (zumindest in der Kopenhagener Deutung) dem Vorgang der Beobachtung (Messung) in dieser Theorie ein besonderer Status zugesprochen wird, was in Widerspruch zum p.alischen Ideal der Objektivierung der Beschreibung steht. Weiterhin ist diese Theorie nicht-deterministisch. Die Dekohärenztheorie erklärt, wie die klassische Beschreibung als Näherung aus der quantenmechanischen abgeleitet werden kann. Die Interpretation der Quantentheorie, insbesondere, ob der Realismus in Bezug auf die p.alische Weltbeschreibung relativiert werden muss, ist umstritten. Eine Konsequenz der Quantentheorie ist die Unschärferelation, die besagt, dass einem p.alischen Objekt bestimmte Eigenschaften nicht gleichzeitig exakt zugeordnet werden können. Das gilt z. B. für den Ort und den Impuls eines Teilchens: Je genauer der Ort bestimmt wird, desto unschärfer wird der Impuls und umgekehrt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von komplementären Größen. Die Unschärfe dieser Größen ist im Sinn der Quantentheorie nicht durch den Einfluss des Messvorgangs bedingt, sondern eine prinzipielle Einschränkung der Beschreibung p.alischer Objekte. Die spezielle Relativitätstheorie beschreibt die Struktur der Raum-Zeit, also wie Raum- und Zeitkoordinaten zwischen verschiedenen Bezugssystemen transformiert werden. Sie beschreibt Effekte, die bei sehr großen Geschwindigkeiten (nahe bei der Lichtgeschwindigkeit) in Widerspruch zur Anschauung stehen. Raum und Zeit verschmelzen zur Raum-Zeit. Die allgemeine Relativitätstheorie führt Gravitation auf Wirkungen in der (nichteuklidischen) Geometrie der Raumzeit zurück. Die Raumzeit wird damit in Unterschied zur klassischen P. zu einem eigenständigen p.alischen Objekt, das Eigenschaften trägt. Die Quantenfeldtheorie ist die grundlegende Theorie der Kräfte und Teilchen. Sie kann als Verbindung der Quantentheorie mit der speziellen Relativitätstheorie verstanden werden. Das Standardmodell der Elementarteilchen beschreibt, welche Teilchen existieren, welche Eigenschaften sie haben und wie sie miteinander wechselwirken. Die Wechselwirkungen (bzw. Kräfte) werden in dieser Theorie durch einen Austausch von Bosonen beschrieben, die selbst Teilchen darstellen, neben den Fermionen, die die Materie ausmachen. Das Standardmodell der Elementarteilchen repräsentiert in einer

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Physisch

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sehr symmetrischen und einfachen Form alle Eigenschaften der grundlegenden Teilchen. Die Thermodynamik beschreibt das Verhalten von Systemen mit vielen Teilchen, in denen nur statistische Vorhersagen möglich sind. Sie ist ein grundlegend eigenständiges Element im Aufbau der P., weil die Messtheorie der Quantenmechanik thermodynamisch irreversible Vorgänge voraussetzt. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, der Entropiesatz, besagt, dass die Entropie (die dem Ausmaß der Unkenntnis über den Zustand eines p.alischen Systems entspricht) in abgeschlossenen Systemen nicht abnehmen kann. Die Theorie des deterministischen Chaos, also von Systemen, deren Entwicklung zwar determiniert, aber dennoch unvorhersagbar ist, kann als weiterer grundlegender Forschungszweig gelten. Die Entwicklung der P. ist durch eine immer stärkere Mathematisierung der Theorien geprägt, die damit immer abstrakter werden. Außerdem zeigt sich, dass Programme der Vereinheitlichung von Theorien in der P. besonders erfolgreich sind. Eine grundlegende Rolle spielen Erhaltungssätze (z. B. Erhaltung der Energie), denen abstrakte Symmetrien entsprechen. Besonders die Vereinheitlichung der Beschreibung von Kräften und Teilchen ist weit fortgeschritten. Weitere Fortschritte werden erwartet, wenn es gelingt, die allgemeine Relativitätstheorie und ihre Beschreibung der Gravitationswirkungen in diese Vereinheitlichung mit einzubeziehen. Die P. verwirklicht das Ideal der objektivierenden Naturwissenschaft. Damit und mit ihrer Exaktheit wurde sie zum Vorbild für alle empirischen Wissenschaften. Geist und geistige Eigenschaften werden aus der p.alischen Beschreibung methodisch ausgeklammert. Der P.alismus (3 Reduktionismus) verallgemeinert den Erfolg der P. und behauptet, alles sei auf die p.alische Beschreibung reduzierbar. C F v Weizsäcker: Aufbau der P., M 1985; P A Tipler: P., Hd 2 1998; W Greulich (Hg): Lexikon der P., Hd 1998.

Bauberger Physikalismus 3 Mechanismus 3 Reduktionismus Physis 3 Natur Physisch (von gr. physis: 3 Natur) meint dasjenige, was von Natur ist oder mit ihr zu tun hat, das Natürliche. Der Gebrauch von p. läuft aber nicht durchgehend parallel zu den Bedeutungen von Natur. Der Sinn von p. lässt sich am besten von seinem Gegensatz her bestimmen: (1) Im weitesten Sinne meint p. das Wirkliche im Gegensatz zum Ideellen oder Intentionalen, zum bloß Vorgestellten oder Gedachten. Z. B. p.e Übel im Gegensatz zu moralischen, p.er (konkreter) Körper im Gegensatz zu einem rein mathematischen. (2) In einem verengten Sinn von wirklich im Rahmen des Physikalismus: p. (engl. physical) = physikalisch (engl. ebenfalls physical). (3) p. als das Empirische, das erfahrbare Wirkliche im Gegensatz zum Metap.en, nicht di-

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Platonismus

rekt Erfahrbaren. Z. B. p. kontingent = zufällig, nicht-naturgesetzlich, im Gegensatz zu metap. kontingent = nicht seinsnotwendig (was nicht heißt: unmöglich). (4) In seiner engsten Bedeutung meint p. das zum Leib oder zur Außenerfahrung Gehörige, also das Physiologische und Materielle (auch Psychisches, sofern es primär vom Leib her bestimmt ist, z. B. p.er Schmerz), im Gegensatz zum rein Psychischen, zur Innenerfahrung Gehörigen. Erbrich Physizismus 3 Naturalismus Platonische Liebe 3 Platonismus Platonismus ist das auf den Schriften und der Lehrtätigkeit Platons (427– 347 v. Chr.) beruhende Gedankengebäude. Ausgangspunkt der Philosophie Platons ist die ethische Fragestellung des Sokrates. Weil Sokrates überzeugt war, man könne nur gerecht handeln, wenn man wisse, was das Gerechte ist, versuchte er, die ethischen 3 Begriffe im Gespräch zu klären. Der sokratische 3 Dialog setzt voraus, dass die Definitionsfrage (3 Definition) beantwortet werden kann, und das bedeutet für Platon, dass dem ethischen Begriff eine nur mit der 3 Vernunft wahrnehmbare, ideale und normative, von der mit den 3 Sinnen wahrnehmbaren getrennte (Chorismos) Wirklichkeit, die 3 Idee, entspricht. In dem Ausmaß, als eine 3 Handlung (und jede sichtbare 3 Wirklichkeit) dieser 3 Norm entspricht, hat sie an der Idee teil; als 3 Werte haben die Ideen ihrerseits teil an der Idee des 3 Guten. Das Phänomen des inneren Widerstreits zeigt, dass die menschliche 3 Seele drei Vermögen hat: die sinnliche Begierde, das Affektvermögen und die Vernunft, die aufgrund ihrer Verwandtschaft mit den Ideen unsterblich ist. Nach den Dialogen Menon und Phaidon beruht die 3 Erkenntnis der mathematischen 3 Gesetze und der Ideen auf einer vorgeburtlichen Schau; die Kunst des Gesprächs (3 Dialektik) führt den 3 Menschen dahin, dass er sich an das Geschaute erinnert (Anamnesis). Die Idee ist jedoch nicht nur 3 Gegenstand der Erkenntnis, sondern auch des liebenden 3 Strebens (Eros). Den drei Seelenvermögen entsprechen die drei Stände des idealen 3 Staates, der Stand der Bauern und Handwerker, der Stand der Krieger und der Stand der Philosophen, die den Staat aufgrund ihrer Einsicht in das für alle Gute regieren. Der Timaios entwirft in Form einer Erzählung eine 3 Kosmologie: Der göttliche Handwerker (Demiurg) ordnet die 3 Welt nach einem idealen Vorbild und gibt ihr eine Seele. Platons unmittelbare Nachfolger in der Leitung seiner Schule, der Akademie, sein Neffe Speusipp und Xenokrates, entwickeln auf der Grundlage der ungeschriebenen Lehre Platons über das Eine und die Unbegrenzte Zweiheit eine mathematisierende 3 Metaphysik. Unter Arkesilaos (315–240 v. Chr.) wendet die Akademie sich dem Skeptizismus zu. Der mit Antiochos von Askalon (um 80 v. Chr.) beginnende Mittlere P. kennt drei 3 Prinzipien: den transzendenten einen 3 Gott, die 3 Materie und die Ideen, die er als Gedanken Gottes versteht; damit bereitet er die Hypostasenlehre des 3 Neup.

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Pluralismus

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vor. Die Patristik bedient sich des P. zur Auslegung der christlichen Botschaft. Das Mittelalter kennt Platon vor allem durch ihre Vermittlung; bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts sind in Latein nur Teile des Timaios in der Übersetzung des Calcidius (mit dessen mittelplatonischem Kommentar) zugänglich. 1484 veröffentlicht Marsilio Ficino die erste vollständige lateinische Platonübersetzung. Platonis opera, ed. I Burnet, O 1900–07; Platon; Sämtliche Werke, übersetzt v. F Schleiermacher, neu hg. v. U Wolf, Reinbek 1994; H Dörrie / M Baltes: Der P. in der Antike, St 1987 ff. – W Beierwaltes (Hg): P. in der Philosophie des Mittelalters, Da 1969; H J Krämer: Die Ältere Akademie, in: H Flashar (Hg): Ältere Akademie Aristoteles Peripatos, Bs 1983; J Hankins: Plato in the Italian Renaissance, Lo 1990; T Kobusch / B Mojsisch (Hg): Platon, Da 1996; dies. (Hg): Platon in der abendländischen Geistesgeschichte, Da 1997.

Ricken Pluralismus Der P.begriff (von lat. pluralis: eine 3 Vielheit betreffend) wurde von Wolff zur Charakterisierung der Leibniz’schen Monadenlehre gebildet und in die 3 Philosophie eingeführt. Seine philosophische Karriere begann aber erst, als ihn James aus der 3 Metaphysik Lotzes übernahm und einerseits dem naturwissenschaftlichen 3 Monismus und andererseits dem 3 Idealismus gegenüberstellte. Einschlägig für den von James vertretenen metaphysischen P. ist sein Konzept eines ›Pluralistic Universe‹, das »durch eine unbegrenzte Zahl von ihrerseits begrenzten und permanenter 3 Veränderung unterworfenen 3 Tatsachen, 3 Relationen und 3 Systemen charakterisiert ist, die immer neue Konstellationen eingehen und daher nicht von statischen 3 Kategorien erfasst, sondern nur in perspektivischer Annäherung beschrieben werden können« (Schwöbl). Von dem metaphysischen ist ein epistemischer P. zu unterscheiden, demzufolge es, wie Sandkühler formuliert, »mehr als eine allein richtige 3 Bedeutung der Worte, mehr als eine vernünftige 3 Erkenntnis und 3 Wahrheit, mehr als eine gegenstandsangemessene 3 Methode« gibt, außerdem ein ethischer P., der davon ausgeht, dass es mit dem Ethos des Wohlbefindens und der Gegenseitigkeit, dem Familien- und Institutionen- bzw. Staatsethos »mehrere voneinander funktionell wie genetisch unabhängige und letzte sozialregulative Instanzen im 3 Menschen gibt« (Gehlen). Darüber hinaus wird der P.begriff aber auch als Leitbegriff zur Deutung der Gegenwartssituation herangezogen. In diesem Zusammenhang ist heute von einem P. der 3 Kulturen (kultureller P.), der 3 Religionen und 3 Weltanschauungen (religiös-weltanschaulicher P.), der gesellschaftlichen Gruppen (gesellschaftlicher P.) und Politik bestimmenden Kräften (politischer P.) die Rede. Der P.begriff hat neben seiner faktische Verhältnisse beschreibenden Funktion auch normative 3 Implikationen. Mit ihm ist der Respekt vor den Meinungen, Präferenzen und Verhaltensweisen des Anderen und die 3 Idee der 3 Toleranz verbunden. Der P. wird unterschiedlich bewertet. Dem oft unkritisch

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Politologie

vorgetragenen postmodernistischen ›Lob der Buntheit‹ steht eine kulturkonservative Distanzierung von dem ›anything goes‹ eines ›Beliebigkeitsp.‹ gegenüber. Nach Höffe bedarf es der Begrenzung eines absoluten P., denn »lebensfähig und wünschenswert ist allein ein 3 relativer P., der sich innerhalb grundlegender Gemeinsamkeiten entfaltet.« Gegenüber einem Vernunftp. ist mit Habermas an der »Einheit der 3 Vernunft in der 3 Vielheit ihrer Stimmen« festzuhalten. O Höffe: Art. »P. / Toleranz«, in: Neues Handbuch Theologischer Grundbegriffe, Bd. 4, 218 ff.; H J Sandkühler: Art. »P.«, in: Enzyklopädie Philosophie, 1256 ff.; P Gerlitz / C Schwöbl / A Grözinger: Art. »P.«, in: TRE, Bd. 26, 717 ff.; M Plümacher (Hg): Herausforderung P., F 2000.

Ollig Pneuma 3 Geist Poíesis 3 Praxis Polarität 3 Gegensatz Politik 3 Macht 3 Staat 3 Politologie Politologie / Politische Philosophie (gr. polis, die Stadt als Ort des Zusammenlebens) Politische Philosophie (P.). ist entweder selbst eine Theoriebildung über die Grundlagen des Zusammenlebens von Menschen im Staat oder die kritische Stellungnahme zur Politik (verstanden als sittliches Handeln [Praxis] und technisches Können [Poiesis]). P. beurteilt auch die verschiedenen p. Theorien, wie Anarchismus, Liberalismus, Marxismus, christliche Staatslehre, Faschismus etc. Die P. kann sich einerseits der empirischen Wissenschaften bedienen und andererseits auch sittliche Bewertungen des Staatshandelns aussprechen. Ihre Aufgabe ist es, bestehende Systeme zu rechtfertigen oder zu verwerfen, sie kann aber auch Modelle des »besten Staates« entwerfen und wird dann zur Utopie. Von der P. sind Klugheitslehren über den Umgang mit der Macht zu unterscheiden, bspw. die von N Machiavelli oder B Gracián, welchen aber auch ein aufklärerischer Wert zukommt (J J Rousseau über Machiavelli). Politologie (P-e.) beschäftigt sich als Wissenschaft von der Politik mit dem Funktionieren der politischen Institutionen, den Parteien und dem Staatsvolk. Sie beschreibt und kann Vorschläge machen. Ihr Weg verlief von einer sich von einer P. her bestimmenden, wertorientierten P-e. hin zu einer P-e., welche sich davon abkoppelte und am immanenten Funktionieren interessiert war. Eine solche P-e., die auf das Funktionieren abstellte, betrieb auch keine Geschichte, womit sie es unterließ, sich selbst kritisch zu reflektieren. P-e. muss sich der Wert- und Interessenabhängigkeit einer jeden Wissenschaft bewusst sein. Von der – älteren – Staatswissenschaft unterscheidet sich die – junge – P-e. allerdings dadurch, dass sie nicht mehr auf den Staat fixiert ist, sondern auf sämtliche am politischen Geschehen beteiligte Akteure und die sogenannte Zivilgesellschaft eingeht.

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Positivismus

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Politische Ethik ist ein Teilbereich der 3 Sozialethik und fragt als Strukturenethik nach der sittlichen Qualität bestehender Gesetze, 3 Institutionen und staatlicher Ordnung und entwirft als Akteurenethik Normen für das Herstellen von 3 Gesetzen etc. E Weil: Philosophie der Politik, B 1964; U Steinvorth: Stationen der politischen Theorie, St 1981; O Höffe: Politische Gerechtigkeit, F 1987; V Gerhardt: Der Begriff der Politik, St 1990; W Kymlicka: Contemporary Political Philosophy, O 1991; A Baruzzi: Einführung in die P. der Neuzeit, Da 3 1993; H-M Schönherr-Mann: Postmoderne Theorien des Politischen, M 1996; W Reese-Schäfer: Politische Theorie heute, M 2000.

Brieskorn Polylemma 3 Dilemma Polysyllogismus 3 Schluss Polytheismus 3 Theismus Popularphilosophie 3 Aufklärung Porphyrischer Baum 3 Kategorie Positive Philosophie (Schelling) 3 Deutscher Idealismus Positivismus Der P. (auch »logischer P.«) ist eine spezielle Form und Radikalisierung des Empirismus. Er behauptet die prinzipielle Unerkennbarkeit von unbeobachtbaren physikalischen Objekten. An D Hume anknüpfend entwickelte A Comte diese Position. Naturgesetzliche Ursachen sind demgemäß nicht erkennbar, sondern nur funktionale Zusammenhänge. Bedeutsam wurde der P. als erkenntnistheoretische Grundhaltung der Wiener Schule (R Carnap, O Neurath, H Hahn, M Schlick). Dort wurde der P. (auch Neop.) mit einer sprachphilosophischen Orientierung (»linguistic turn«) verbunden (methodischer P.). Wenn sich Wissenschaft scheinbar mit Inhalten, also mit Objekten der Wirklichkeit beschäftigt, ist das in diesem Verständnis eine (oft zu Missverständnissen führende) Abkürzung für die formal korrekte Sprechweise, die nur auf korrekte Verknüpfungen von Sätzen rekurriert. Dennoch bleibt die empirische Basis erhalten: Die Grundlage der Wissenschaft sind »Protokollsätze«, die sich wie ein Laboratoriumprotokoll auf unmittelbare Sinneswahrnehmungen beziehen. Wissenschaft besteht aus Verknüpfungen der Sätze der Protokollsprache. Die einzige Aufgabe der Philosophie (wie der Logik) ist die Überprüfung, ob diese Verknüpfungen methodisch korrekt durchgeführt werden. Philosophie geht in Wissenschaftstheorie auf. Damit ist eine grundlegende Kritik an jeder metaphysischen Erkenntnis verbunden. Metaphysische Sätze sind in diesem Verständnis weder richtig noch falsch, sondern unsinnig, weil sie den methodischen Regeln nicht genügen, nach denen wissenschaftliche Sätze gebildet werden. Sie beruhen entweder nicht auf Protokollsätzen, oder sie sind grammatikalisch nicht korrekt aufgebaut. Eine Zielvorgabe ist die Vereinheitlichung der Wissenschaft durch

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Postmoderne

eine einheitliche Sprache, die aus der Physik entnommen wird (3 Mechanismus). Der logische und methodische P. ist in seiner strikten Form selbstwidersprüchlich, weil seine Kernthesen selbst nicht empirisch begründet sind bzw. nicht auf Verknüpfungen von Sätzen der Protokollsprache zurückgeführt werden können. Weiterhin zeigte sich in der wissenschaftstheoretischen Forschung, dass eine strikte Trennung zwischen empirischen Erkenntnissen und Theorie nicht durchgeführt werden kann (3 Theorie), womit das Konzept der Protokollsprache widerlegt wurde. Dieses Problem wurde von den Vertretern des Wiener Kreises teilweise anerkannt und führte zu umständlichen Differenzierungen dieser Position. Auch Poppers Kritik, der gemäß wissenschaftliche Aussagen nicht durch Beobachtungen (also auch nicht durch Protokollsätze) logisch bestätigt werden können, führte zwar zu weiteren Differenzierungen des P., drängte seinen Einfluss aber weitgehend zurück. A Comte: Rede über den Geist des P.; R Carnap: Der logische Aufbau der Welt, Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft, in: Erkenntnis II, L 1931, 432–465; V Kraft: Der Wiener Kreis, W 2 1968; H Schnädelbach: Erfahrung, Begründung und Reflexion, F 1971.

Bauberger Possibilien 3 Möglichkeit Posterius 3 A priori/a posteriori Postmoderne ist, wie »Moderne«, zugleich ein Epochen- und ein Stil-Begriff. Das Wort wurde zunächst in der Literaturtheorie verwendet, dann auch in der Architekturkritik. Vor allem durch J F Lyotard (La condition p., 1979) in die philosophische Sprache hinübergewandert, bezeichnet es den Versuch, aus der Sackgasse herauszukommen, in die die »moderne« Verabsolutierung der vergeschichtlichten Vernunft und damit die Etablierung der Zeitgemäßheit als höchsten Maßstabs geführt hat. Abschied nehmen p. denkende Autoren (zu denen auch J Derrida, G Vattimo, R Rorty u. a. gerechnet werden) von der »großen Geschichte« des eurozentrisch-universalistischen Fortschrittsdenkens, besonders des Hegelianismus und Marxismus. Die Sympathie p.r Denker, für die Denker wie F Nietzsche und M Heidegger wichtig sind, gilt dem Nicht-Uniformierbaren und der Pluralität der Vernunftformen, Geschichten und Augenblicke. Sie sind überzeugt, dass unsere heutige Welt, die durch die – z. T. als verheerend beurteilten – Folgen der Moderne geprägt ist, nicht mit deren Mitteln verstanden werden kann. Den Vertretern der P. wird oft pauschal vorgeworfen, sie erhöben die Beliebigkeit zum Prinzip. Das ist ungerecht. Doch ist das Programmwort »p.« kaum mehr als eine Problemanzeige, die, wie schon »die Moderne« selbst, vieldeutig bleibt.

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Postulat

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H Meier: Zur Diagnose der Moderne, M 1990; W Welsch: Unsere p. Moderne, B 5 1997; P Koslowski: Das Ambivalente in/an der P, in: Ambivalenz-Ambiguität-Postmodernität, St 2004, 3–43.

Haeffner Postprädikamente 3 Kategorie Postulat bezeichnet bei Aristoteles (Zweite Analytik, I, 10) einen an sich beweisbaren Satz, den man jedoch ohne Beweis zum Zweck der Argumentation voraussetzt. Euklid stellt seinen »Elementen« neben die Definitionen und Axiome fünf P.e als unbewiesene Voraussetzungen seiner Geometrie voran. Die bereits in der Antike festzustellende Unschärfe von P. setzt sich in einer Vielfalt von Bedeutungen bis in die moderne Wissenschafts- und mathematische Logik fort. In der Kritik der reinen Vernunft führt Kant drei »P.e des empirischen Denkens« an (A 218–235), die angeben, wie ein Begriff mit unserem Erkenntnisvermögen verbunden sein muss, um Begriff von etwas Möglichem oder Wirklichem oder Notwendigem sein zu können. Wichtiger ist seine Lehre von den »P.en der reinen praktischen Vernunft« (KpV, A 238– 241), denen die Aufgabe zufällt, das zu ergänzen, was in der ersten Kritik der spekulativen Vernunft abgesprochen worden war, nämlich die Erkenntnis der »höchsten Zwecke unseres Daseins« (KrV, B 395 Anm.). Ein P. ist für Kant ein theoretischer Satz, der aber nicht beweisbar ist, sondern aufgrund des moralischen Gesetzes anerkannt werden muss. Denn das moralische Gesetz gebietet uns, das »höchste Gut« zu verwirklichen, das aus der Zusammensetzung von Tugend und Glückseligkeit besteht. Da nun der zweite Bestandteil nicht in unserer Macht liegt, sind wir berechtigt, die Bedingungen dafür zu fordern. Diese sind a) die Unsterblichkeit der Seele, b) die Existenz Gottes, c) die Freiheit. Von letzterer aber hat Kant kein eigenes P. geliefert. Denn sie ergibt sich unmittelbar aus dem moralischen Gesetz, das sich uns als »Faktum der Vernunft« (A 56) in unserem Bewusstsein kund tut. Was den epistemischen Stellenwert der P.e betrifft, bringen sie eine »Erweiterung« unserer Erkenntnis mit sich – aber nur »in praktischer Absicht« (A 241 ff.). In der Tat enthält ein P. zwei Aussagen. Erstens, dass wir um die postulierten Objekte nicht wissen. Denn Erkenntnis im eigentlichen Sinne findet nach Kant nur dadurch statt, dass das gemeinte Objekt uns in einer Erfahrung gegeben wird. Zweitens, dass die betreffenden Begriffe wahr sind, weil ihnen die gemeinten Objekte »wirklich zukommen« (A 242). Je nachdem, ob die erste oder die zweite Bedeutung in den Vordergrund rückt, muss man von einem fiktiven Charakter oder aber vom Wahrheitscharakter der postulierten Metaphysik sprechen. Aristoteles: Zweite Analytik; Euklid: Elemente der Geometrie; Kant: KrV, KpV. – Sala: Kants Kritik der praktischen Vernunft, Da 2004.

Sala Potentia ob(o)edientialis 3 Akt/Potenz

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Prädikabilien

Potentiell unendlich 3 Mathematik 3 Unendlichkeit Potenz (Vermögen) 3 Akt/Potenz Prädikabilien 3 Begriffe können ihrem Inhalt nach betrachtet werden (lat. universale directum) oder ihrer Aussagbarkeit nach, was zu reflexen (logischen) Allgemeinbegriffen (lat. universale reflexum) bzw. zweiten Intentionen führt. – Während Aristoteles das bezüglich eines Subjekts Gesagte in (1) nicht umkehrbares Wesentliches: Gattung (gr. génos, lat. genus), (2) umkehrbares Wesentliches: 3 Definition, (3) umkehrbares Unwesentliches: Proprium (gr. ídion, lat. proprium) und (4) nicht umkehrbares Unwesentliches: Akzidens (gr. symbebekós, lat. accidens [logicum]) einteilte, ersetzte Porphyrios in seiner Einteilung alles Aussagbaren (lat. praedicabile) die Definition durch (1) Gattung und (2) artbildenden Unterschied (gr. diaphorá, lat. specifica differentia) und legte so (5) die 3 Art (gr. eîdos, lat. species) fest als das bestimmte Wesen des 3 Individuums. Da er diese »fünf Wörter« als Einführung in Aristoteles’ Kategorienlehre sah, wurden sie später »P.« (Abaelard) und »Anteprädikamente« genannt. Die unklare Unterscheidung zwischen »Aussagen bezüglich eines Subjektbegriffs« und »Aussagen von einem einzelnen 3 Subjekt« und zwischen dem per se (wesentlich) und per accidens (nicht wesentlich) Aussagbaren führte zur Vermischung der logischen P. mit den ontologischen 3 Kategorien, die erst in der neueren logischen Analyse beseitigt werden konnte (3 Universalienproblem). Aristoteles: Topika I,4–5.8, Kategoriai 1–3; Porphyrios: Eisagoge; Abaelard: Glossae super Porphyrium. – P T Geach: Reference and Generality, Ithaca 1962; J Pinborg: Logik und Semantik im Mittelalter, 1972; J Heintz: Subject and Predicables, Den Haag 1973; L Hickman: Modern Theories of Higher Level Predicates, 1980.

Carls Prädikamente 3 Kategorie Prädikat 3 Logik Prädikatsfunktion 3 Logik Praedeterminatio physica 3 Gottes Wirken Praemotio physica 3 Gottes Wirken Präformationstheorie 3 Evolution Pragmatik (gr. prâgma: Handlung) steht bei Morris im Gegensatz zu 3 Syntax und zu 3 Semantik und bezeichnet die Lehre vom Handlungsaspekt der Sprache, vom sprachlichen Handeln oder im weiteren Sinn alles, was mit Handeln zu tun hat, und zwar im Blick auf zweckmäßiges und erfolgreiches Vorgehen. Das Adjektiv pragmatisch bedeutet darum zweckmäßig, geschickt im Vorgehen, am Machbaren orientiert; 3 Transzendentalphilosophie. C Morris: Foundation of the theory of signs, Ch 1938. – H J Schneider: P. als Basis von Semantik und Syntax, F 1975; S C Levinson: Pragmatics, C 1985; D Böhler

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Pragmatismus

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(Hg): Die pragmatische Wende, F 1986; Rekonstruktive P., F 1985; H Stachowiak (Hg): P., HH 1986 ff.; N Rescher: Communicative pragmatism and other philosophical essays on language, Lanham 1998; P Weingartner (Hg): Die Rolle der P. in der Gegenwartsphilosophie, W 1998; J Meibauer: P, Tü 2 2001.

Schöndorf Pragmatismus Klassisch, in der »Pragmatischen Maxime«, ist P. eine umfassende Handlungstheorie, die dreierlei voraussetzen muss: wir handeln immer (1) etwas (2) gegen einen Widerstand (3) kontrolliert vom Sinn. D. h.: (1) es gibt keine erste Handlung ›als solche‹ (wie in allen von der Bewusstseinsphilosophie abhängigen Handlungstheorien), jede ist schon eine nächste Handlung; (2) das Reale wirkt korrektiv (resultiert also nicht aus einer sozialen Übereinkunft wie im Konstruktivismus), im Erkenntnishandeln bringen nur echte Zweifel Gewinn; (3) Sinn, jenseits sowohl des Handlungsgegenstands als auch des Existierenden, besteht aus der Regel, was »unter allen vorstellbaren Umständen« zu tun sei. Da aber nie alle Umstände vorgestellt werden, ist Sinn nie vollständig, sondern immer am Wachsen, so dass er Handeln nur kontrollieren kann, wenn es fehlbare Statthalter der Vollständigkeit gibt in 3 Zeichen, die immer unter dem Zwang stehen, neu richtig interpretiert zu werden. P. drückt sich als Sozialtheorie aus, indem die (diachron und synchron) unendliche Interpretationsgemeinschaft, Peirces »consensus catholicus« der Forscher, als Gesellschafts-Kontinuum gesehen wird, das dann keine »rationale Gesellschaft« (i. S. v. zweckoptimiert) mehr ist, sondern eine unter Sinnkontrolle. Sie funktioniert ähnlich wie Gedanken, im freien Zwang der je besseren Erkenntnis (in metaphysischer Hinsicht nennt Peirce diese Seinsart »Agapasmus«). P. ist nicht praktisch i. S. v. »dem Leben dienende Erkenntnis«. C S Peirce: Pragmatism as a principle and method of right thinking, Albany 1997.

Ehrat Prämissen 3 Schluss Prästabilierte Harmonie 3 Leib-Seele-Problem 3 Monade Praxis ist ein Begriff der Anthropologie und Erkenntnislehre. Aristoteles unterscheidet P. als Handeln, das seinen Sinn bereits in sich selbst trägt (Gesang als Ausdruck der Lebensfreude), von Poiesis, die ihren Wert erst von dem von ihr unterschiedenen Produkt gewinnt. Theorie ist selbst P., sofern gerade sie ihren Zweck in sich selbst hat. Der Begriff 3 Akt der Scholastik kann sowohl den Selbstvollzug des geistbegabten Subjekts (vermittelt durch die Beziehung zu gegenständlichem Seienden) wie die aus ihm erwachsende erkennende und verändernde tätige Stellungnahme umfassen. Kant betont, dass »alles Interesse zuletzt praktisch ist und selbst das der spekulativen Vernunft […] im praktischen Gebrauche allein vollständig ist« (KpV, 219). Doch

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Prinzip

vermag er die Einheit des Subjekts in seinem Erkennen und praktischen sittlichen Wollen nicht begrifflich zu denken. Für Fichte ist »das praktische Vermögen die innigste Wurzel des Ich« (Grundlage des Naturrechts). Hegel weiß: »Das wahre Sein des Menschen ist […] seine Tat; in ihr ist die Individualität wirklich« (Phänomenologie des Geistes). Für Marx ist die gegenständliche »materielle P.« Wesensausdruck des Menschen und deshalb die »wirkliche Basis der Geschichte«; in der Klassengesellschaft ist sie entfremdet. P. als gesellschaftliche »Gesamttätigkeit« vollzieht sich dialektisch und bringt revolutionär eine neue Produktionsweise hervor. Der 3 dialektische Materialismus postuliert gesellschaftliche P. als Wahrheitskriterium der Erkenntnis. Die Zuordnung von gesellschaftlicher gegenständlicher P. und Wirklichkeitserkenntnis durch Marx bereitete eine Auffassung vor, in der gesellschaftlicher Nutzen immer stärker als Wahrheitskriterium angesehen wird. Für den 3 Pragmatismus ist das Wahre wie das Gute eine Sache sozialer P.: Eine Aussage ist wahr, wenn sie zu den übrigen von den Mitgliedern einer Gemeinschaft geglaubten Aussagen passt und diese sich im praktischen Umgang mit der Welt bewähren. Soll die Kategorie P. philosophisch fruchtbar werden, darf sie weder auf gegenständliches Produzieren noch auf faktische (individuelle oder gesellschaftliche) Lebensvollzüge eingeschränkt werden. Gerade für ethische Erkenntnis kann P. als faktisch Gegebenes (einschließlich der ihr immanenten Tendenzen) nicht als Kriterium dienen. Die Akzeptanz des Urteils, dass eine gesellschaftliche P. sich bewähre, hängt auch von den Machtverhältnissen in der Gesellschaft ab. P. bedarf der Rechtfertigung aus einem von ihrem Vollzug unterschiedenen Grund. Dabei muss auf die in der menschlichen LeibGeist-Einheit liegenden Möglichkeitsbedingungen von P. reflektiert werden. So kann die Abhängigkeit des Erkennens von gegebener P. wie auch die Möglichkeit, sich zugleich vom Gegebenen urteilend zu distanzieren und vom eigenen Wesen her Maßstäbe zur Veränderung zu setzen, in ihrer Zuordnung begriffen werden. N. Lobkowicz: Theorie und P., in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft, VI, Fr 1972. – G Bien: Das Theorie-P.-Problem und die politische Philosophie bei Platon und Aristoteles, PhJ 76 (1968/69), 264–314; H Arendt: Vita activa, M 9 1997.

Ehlen Praecisio, Präzisiv 3 Abstraktion Principium exclusi tertii 3 Dritten, Satz vom ausgeschlossenen Principium identitatis indiscernibilium 3 Identität 3 Individuum Prinzip (lat. principium, gr. arché) ist dasjenige, von oder aus dem etwas anderes hervorgeht. Es ist somit ein Erstes, ein Anfang, ein Ursprung. Man kann darum auch sagen, dass alles das ein P. ist, was auf die Frage »woher« antwortet. Klassischerweise werden Seinsp.ien und Denkp.ien unterschieden,

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Prinzip

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wobei beide zusammenfallen können wie beim 3 Satz vom Widerspruch. Thomas v Aquin fordert für P.ien drei Bedingungen: sie dürfen a) weder von anderswoher b) noch auseinander stammen, und c) alles andere muss aus ihnen stammen (In phys. 1, 10, 3). Der Ausdruck P. ist in seiner ursprünglichen Bedeutung umfassender und grundlegender als der Ausdruck 3 Ursache. Darum kann der Ausdruck P. in der christlichen Theologie auch für die innergöttlichen Hervorgänge des Sohnes und des Geistes aus dem Vater (und dem Sohn) in der Dreieinigkeit gebraucht werden. Denn aus einem P. kann, wie bei der Zeugung, auch etwas Gleichartiges und Gleichrangiges hervorgehen, während dies im normalen Sprachgebrauch bei einer Ursache nicht der Fall ist. Hingegen kann man ein P. auch als einen ersten bzw. letzten 3 Grund oder Grundsatz bezeichnen. Wo von einem Ersten oder Grundlegendem im Sinn eines Bestandteils einer Zusammensetzung die Rede ist, handelt es sich um ein Element. Im heutigen Sprachgebrauch wird unter P. normalerweise nicht mehr alles das verstanden, was in der antik-mittelalterlichen Tradition als P. bezeichnet wurde, sondern nur noch ein Grundsatz, aber nicht mehr eine Ursache oder ein sachlicher oder personaler Grund. Denkp.ien sind ein unhintergehbares Erstes und können darum nicht von anderswoher hergeleitet werden. Nach Aristoteles und Thomas v Aquin werden sie bei Kenntnis der Wörter, mit denen sie formuliert sind, unmittelbar durch den »intellectus principiorum«, die (Fähigkeit zur) Einsicht der P.ien, eingesehen (STh I 58, 3 c; 79, 12 c; In eth. 6, 5). P.ien können nicht durch eine Ableitung von anderswoher bewiesen werden, denn sonst wären sie keine P.ien, sondern abgeleitete Sätze. Ein Beweis von P.ien ist also nicht auf förmliche, sondern nur auf indirekte Weise möglich, indem gezeigt wird, dass ihre Leugnung zu unannehmbaren Konsequenzen führt oder gar nicht möglich ist, ohne dass sie bei dieser Leugnung selbst wiederum angewendet werden. Eine spezielle Form von P.ien stellen die 3 Axiome dar. In der klassischen Tradition war bis in die Neuzeit hinein weithin unbestritten, dass unser Wissen auf P.ien aufruht, die das Fundament für alles Weitere darstellen, selbst aber davon unabhängig sind, dass unser Wissen also eine hierarchische Struktur besitzt. Darum kann Descartes in seiner 1. Meditation davon sprechen, dass es genügt, die Fundamente umzustürzen, um den ganzen Bau des Wissens sodann auf eine neue unerschütterliche Grundlage zu stellen. Auch das Systemdenken des Deutschen Idealismus setzt P.ien voraus, von denen alles andere abgeleitet wird. Kant vertritt die Meinung, dass auch unser empirisches und speziell naturwissenschaftliches Wissen auf Grundsätzen des reinen Verstandes beruht, die unumstößliche Geltung besitzen. In der heutigen Natur- und Sozialwissenschaft geht die Tendenz jedoch eher dahin, eine gegenseitige Abhängigkeit der P.ien und der Einzelerkenntnisse anzunehmen. Dies ist aber durchaus damit vereinbar,

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Privation

dass die klassischen erkenntnistheoretischen und metaphysischen P.ien ihren unableitbaren fundamentalen Status behalten. Zu den grundlegendsten philosophischen P.ien werden üblicherweise gerechnet: Der Satz des Widerspruchs, der 3 Satz vom ausgeschlossenen Dritten, das P. vom zureichenden Grund (in einem nicht-deterministischen Verständnis). P. in der Bedeutung von Grundsatz meint in der praktischen, d. h. auf das Handeln und die Moral bezogenen Philosophie eine Grundregel für das Handeln und spielt darum in der Moral eine große Rolle. Für eine deontologische Moral (Pflicht- oder Gesetzesmoral) ist ein moralisches Wollen und Handeln immer von der Art, dass es ganz bestimmten P.ien (Normen, Regeln, Gesetzen) folgt. Kant unterscheidet in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten subjektive und objektive P.ien des Wollens und Handelns. Die subjektiven (willkürlich gewählten) P.ien nennt er Maximen, die objektiven, von der Vernunft gebotenen P.ien heißen Gesetze (AA IV 400, 421). Diese werden uns als Gebote bewusst, die sprachlich als 3 Imperative formuliert werden. Aristoteles: Metaphysik V, 1; T v Aquin: STh I 33, 1; In metaph. V, 1; Duns Scotus: Tractatus de primo principio; G Bruno: De la causa, principio e uno; R Descartes: Principia philosophiae; G Berkeley: A treatise concerning the principles of human knowledge; D Hume: Enquiry concerning the principles of morals; I Kant: KrV B 169–294; Grundlegung; F W J Schelling: Bruno oder über das göttliche und natürliche P. der Dinge. – M Schramm: Die P.ien der Aristotelischen Topik, M 2004; K Peiffer: Die P.ien des Seins in der Erkenntnistheorie, St. Augustin 2005.

Schöndorf Prinzip des Ununterscheidbaren 3 Identität 3 Individuum Prinzip vom zureichenden Grund 3 Grund Prius 3 A priori Privation (gr. stéresis, lat. privatio) bedeutet wörtlich Beraubung (nicht nur im Sinn einer gewaltsamen Wegnahme von Eigentum, sondern im Sinn jeder Tilgung, Reduzierung, Ermangelung oder Minderung von etwas) und ist bei Aristoteles eine der Weisen der Veränderung, nämlich die des Verlustes einer Form oder Eigenschaft. Die P. steht bei Thomas v Aquin als das Nicht-Haben von etwas im Gegensatz zum Haben (lat. habitus) einer bestimmten Form oder Eigenschaft. Ein Mangel im speziellen Sinn liegt dann vor, wenn etwas fehlt, was zur Natur eines bestimmten Seienden oder einer bestimmten Handlung gehört, was also eigentlich hätte vorhanden sein sollen. Die Scholastik nennt diesen Fall eine privatio boni debiti, eine Beraubung oder einen Mangel an einem gesollten Gut. Ein solcher Mangel ist in der Ordnung der Naturdinge ein 3 Übel (malum). Im Fall einer willentlichen Handlung ist ein solcher bewusst herbeigeführter Mangel etwas 3 Böses (malum morale). Nach der klassischen

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Problem

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Auffassung ist eine P. ein Mangel, also nicht eine Zunahme, sondern eine Minderung an Sein und braucht darum keine positive seinshafte Ursache. Die P. hat darum nicht den Urheber alles Seins, Gott, zum Urheber, sondern im Fall der gewollten P. denjenigen Handelnden, der die Verantwortung für diese P. trägt. Aristoteles: Metaph. IV, 2, 1004a; V, 22, 1022 bf.; T v Aquin: In pot. 9, 7, ad 11; STh I–II 73, 2 c; F Suárez: DM 12, 6; 54, 5–27.

Schöndorf Probabiliorismus 3 Moralsystem Probabilismus 3 Moralsystem Problem Ein P. (gr. próblema: Vorgelegtes, Aufgabe) ist eine Fragestellung, die normalerweise nicht gesucht wurde, sondern sich im Lauf einer Untersuchung oder des Handelns von sich her zeigt und sich einerseits aufdrängt, andererseits aber bislang und unter den bisherigen Voraussetzungen und Bedingungen schwer oder gar nicht lösbar zu sein scheint (3 Aporie, 3 Antinomie). Das P. besteht oft auch darin, dass die nahe liegenden Lösungsversuche unerwünschte oder unannehmbare Folgen mit sich bringen. Ein P. kann nur rein theoretischer Art sein: Es wird eine konsistente Erklärung gesucht, die die Ungereimtheiten der bisherigen Theorien oder Erklärungsversuche vermeidet. Es ist aber oft auch praktischer Art: Es stellt sich eine (notwendige) Aufgabe, für die keine (einfache) Lösung in Sicht zu sein scheint. Man weiß nicht, welche Mittel zu dem erstrebten Ziel führen. Klassische philosophische P.e sind z. B. das P. des 3 Übels (3 Theodizee) und das 3 Leib-Seele-P. Ein p.atisches 3 Urteil drückt eine 3 Möglichkeit aus (es kann sein). C McGinn: P.s in philosophy, O 1993; K R Popper: Alles Leben ist P.lösen, M 1994; G Ernst: Das P. des Wissens, Pb 2002; D Davidson: P.s of rationality, O 2004; P Weingartner (Hg): Das P. des Übels in der Welt, F 2005; S Rissi: Descartes und das P. der Philosophie, Bs 2005.

Schöndorf Problematische Urteile 3 Modalität Produktionsverhältnisse 3 Marxismus Produktivkräfte 3 Marxismus Progressismus 3 Fortschritt Progressus in infinitum 3 Fortschritt 3 Regress, unendlicher Proletarier 3 Marxismus Proportion 3 Relation Proportionslehre, eudoxische 3 Zahl Proposition 3 Satz Proprium 3 Eigenschaft 3 Prädikabilien Prosozial 3 Sozial Prosyllogismus 3 Schluss Protokollaussagen 3 Positivismus

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Psychologie

Protozoen 3 Tier Psyche 3 Seele Psychoanalyse 3 Psychologie Psychologie ist die empirische Wissenschaft vom 3 Erleben und 3 Verhalten des Menschen. Sie erforscht deren innere (im Individuum angesiedelte) und äußere (in der Umwelt lokalisierte) Bedingungen, Ursachen und Wirkungen. P. unterscheidet zwischen direkt beobachtbarem Verhalten wie Sprechen, Gehen, Arbeiten, Trinken, Essen und Schlafen einerseits und nicht direkt beobachtbaren Vorgängen und Inhalten des 3 Bewusstseins wie Denken, Fühlen und Wollen andererseits. Wörtlich heißt P. ›Lehre von der Seele‹. Der Begriff 3 Seele (Psyche) ist jedoch in der zeitgenössischen akademischen P. nicht mehr gebräuchlich. Sie verzichtet darauf, Seele als erklärenden Begriff zu benutzen. Gegen die Verwendung des Seelenbegriffs wurden vor allem zwei Argumente angeführt: ein erkenntnistheoretisches, demzufolge die Existenz einer einheitlichen Seele sich empirisch nicht beweisen lässt, und ein physiologisches, nach dem es eine zentrale Steuerungsinstanz, das menschliche Gehirn, gibt. Der Seelenbegriff habe das Prinzip der zentralen Steuerung vorweggenommen. Solange die technischen Voraussetzungen zur Erforschung der Gehirnprozesse fehlten, habe dieser Begriff durchaus seine Berechtigung gehabt. Jetzt werde die Funktion des Seelenbegriffs durch exakte Beschreibungen von Gehirnprozessen und -funktionen abgelöst (Schönpflug 1996). Die Frage nach dem Kern des Seelenproblems bleibt jedoch bestehen. Worauf gründet die Erfahrung der eigenen Identität? Was ist der Ursprung und die Quelle menschlicher Aktivität, Lebendigkeit und Selbstbehauptung? Die zentrale Frage der philosophisch geprägten P. war das 3 Leib-Seele-Problem. In der gegenwärtigen akademischen P. wird es zwar nicht explizit thematisiert, bleibt aber ein aktuelles Problem. Die P. kann durch Deutungen des philosophischen Seelenbegriffs keine Fortschritte erzielen. Als empirische Wissenschaft untersucht sie das Erleben und Verhalten und die Prozesse, die diesem zu Grunde liegen. So erforscht sie eine Fülle von Bewusstseinsphänomenen, die sie nach philosophischer Tradition ›psychisch‹ nennt. Offen bleibt die Frage nach der Zentralinstanz, welche die Einheit der menschlichen Person stiftet. Insofern die P. den Glauben an eine Zentralinstanz aufgegeben hat, ist sie zu einer ›P. ohne Seele‹ geworden. Der Ausdruck Erleben dient in der P. als Sammelbegriff für alle von außen nicht direkt beobachtbaren Vorgänge und Zustände wie Sinnesempfindungen, Körperempfindungen, Wünsche, Bedürfnisse, Wollen, Emotionen, 3 Gefühle, Denken, Meinungen, Überzeugungen und Wissensinhalte. Verhalten ist ein Sammelbegriff für alle objektiv (intersubjektiv) beobachtbaren und registrierbaren Lebensvorgänge, Reaktionen und Aktivitäten eines Organismus, eines Individuums oder einer Gruppe. Seit der so genannten kognitiven Wende im 3 Behaviorismus ist die Unterscheidung zwischen offenem und

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Psychologie

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verdecktem Verhalten gebräuchlich. Offenes Verhalten umfasst alle objektiv beobachtbaren Vorgänge, Äußerungen und registrierbaren physiologischen und neuronalen Prozesse. Der Begriff verdecktes Verhalten bezeichnet Phänomene wie Denken, Fühlen, Wollen und Empfinden, die nur der Selbstbeobachtung direkt zugänglich sind. Diese Phänomene können jedoch aus bestimmten offenen Verhaltensweisen erschlossen werden. Handlungen sind eine Teilmenge menschlichen Verhaltens. Wir verhalten uns immer, aber wir handeln nicht immer. Auch Nichtstun ist eine Art, sich zu verhalten. Zentrale Merkmale einer 3 Handlung sind 3 Intentionalität, Bewusstheit und Kontrollierbarkeit. Einer handelnden Person wird unterstellt, dass sie das, was sie tut oder unterlässt, absichtlich unternimmt und sich dessen, was sie tut oder getan hat, zumindest teilweise bewusst ist. Der Begriff Handlung ist ohne die Idee der Innenperspektive, der Perspektive des erlebenden Subjekts, nicht vollständig. Auch Roboter zeigen koordiniertes, von innen gesteuertes und der Situation angemessenes Verhalten, sie erleben ihr Verhalten aber nicht. P. als Wissenschaft will menschliches Verhalten und Erleben beschreiben und messen, erklären, vorhersagen und als angewandte P. beeinflussen bzw. verändern. Ihr Ziel ist es, allgemein gültige Aussagen und Gesetze zu formulieren. Die Aussagen, die sie über Erleben und Verhalten macht, untermauert sie mit systematischen Beobachtungen und/oder mit Forschungsergebnissen, die sie in kontrollierten Untersuchungen und Experimenten gewinnt. Psychologische Theorien und Erklärungen sollten durch beobachtbare Fakten, die direkt oder indirekt mit menschlichem Erleben und Verhalten verknüpft sind, empirisch gesichert sein. In der P. lassen sich drei Hauptströmungen unterscheiden: Psychoanalyse, Behaviorismus und Humanistische P. S Freud prägte den Begriff Psychoanalyse, der drei abgrenzbare Bereiche bezeichnet: eine Methode zur Erforschung psychischer Vorgänge, eine Theorie des menschlichen Erlebens und Verhaltens und eine Methode zur Behandlung psychischer Störungen. Die Grundaussagen der Psychoanalyse lauten: in unserem Seelenleben ist nichts zufällig und ohne Grund; der Großteil des Seelenlebens ist uns nicht bewusst, wir wissen nichts davon, und doch determiniert er unser Erleben und Verhalten; das Triebleben in uns ist nicht völlig zu bändigen. Der Behaviorismus in seiner extremen Form orientiert sich an den klassischen Naturwissenschaften. Er versteht P. als objektive Wissenschaft, die sich ausschließlich mit dem beobachtbaren Verhalten befasst. Verhaltensauslöser und Verhaltenskonsequenzen in der Umwelt determinieren menschliches und tierisches Verhalten. 1962 wurde die Gesellschaft für Humanistische P. gegründet. Diese Bewegung will das mechanistische und deterministische Menschenbild der Psychoanalyse und des Behaviorismus überwinden und neue Antworten auf die Fragen des Menschen nach Sinn und Lebenserfüllung suchen. Freud habe durch das Studium von Menschen mit psychischen Störungen eine verkrüppelte und kranke P. geschaffen. Der Behaviorismus habe durch Untersuchun-

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Psychologismus

gen von Tieren eine unvollständige P. hervorgebracht, in der das Bewusstsein fehle. Bevorzugte Untersuchungsgegenstände der Humanistischen P. sind Entscheidungsfähigkeit, Kreativität und Selbstverwirklichung. Sie betont ihre Verbundenheit mit der Philosophie, vor allem mit dem Existenzialismus und Humanismus. W und U Schönpflug: P., Weinheim 4 1996; L Bourne / B Ekstrand: Einführung in die P., F 2 1997; P Zimbardo / R Gerrig: P., B 7 1999; H Goller: P., St 1995; Das Rätsel von Körper und Geist, Da Primus 2003.

Goller Psychologismus ist die Auffassung, dass die 3 Psychologie die Grundlage der 3 Philosophie und aller anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen bildet. P. bezieht sich insbesondere auf Logik bzw. auf das richtige Denken und den rechten Gebrauch der Vernunft. Er ist eine Form des 3 Empirismus des 19. Jahrhunderts. Wie wir Menschen faktisch denken und ob wir darin bestimmten Denkgesetzen folgen, ist eine empirische Frage der Psychologie. Die P.kontroverse ist eine Auseinandersetzung über die Auffassung der Logik als empirischer oder normativer Wissenschaft. G Frege argumentierte gegen den P., indem er den Unterschied zwischen dem subjektiven Denkvollzug und dem objektiven Gehalt des Gedankens präzisierte. Die Gesetze der Logik sind demnach nicht psychologische Gesetze des Fürwahrhaltens, sondern Gesetze des Wahrseins. E Husserls Logische Untersuchungen gelten als klassischer Text des Antip. Der P. ist heute weithin überwunden. Die Psychologie zeigt, dass wir in unserem faktischen Denken zum Teil logische Fehler begehen. Die Frage danach, ob eine Denk- und Argumentationsweise korrekt ist oder nicht, ist nicht damit zu beantworten, dass wir Menschen eben so denken. Es ist vielmehr umgekehrt: Wir bemühen uns deshalb um Logik, weil wir nach vorgegebenen Maßstäben außerhalb der Psychologie suchen, um die Korrektheit unseres Denkens zu beurteilen. Nach heutigem Verständnis geht es in der Logik allein um die formale Beziehung, dass bestimmte Sätze aus bestimmten anderen Sätzen rein auf Grund ihrer Form folgen, unabhängig davon, ob uns das psychologisch plausibel erscheint oder nicht. G Frege: Grundlagen der Arithmetik, Hi 1961; E Husserl: Logische Untersuchungen I, 2 1913, 50–191. – H Pfeil: Der P. im englischen Empirismus, Meisenheim 1973.

Goller Psycho-physischer Parallelismus 3 Leib-Seele-Problem Psycho-physische Tätigkeit 3 Leib-Seele-Problem Psychosomatik 3 Leib-Seele-Problem Pyrrhonismus 3 Skepsis Quaestio 3 Scholastik 3 Frage Qualia 3 Qualität 3 Sinnesqualitäten

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Qualität

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Qualität (lat. qualitas, gr. poiótes) ist eine der 3 Kategorien und meint die Beschaffenheit, das Sosein, die Form eines Dings, wobei im Fall des Akzidens (3 Substanz) oder Modus der Q. nicht die Natur oder das Wesen des Dings gemeint ist, sondern eine nicht-wesentliche Bestimmung. Es kann aber auch eine wesentliche Bestimmung oder Form als Q. bezeichnet werden. Oft wird unter Q. auch die gute Q. von etwas verstanden. Auf der Gemeinsamkeit der Q. beruht nach Aristoteles die 3 Ähnlichkeit. Thomas v Aquin nennt die Q. eine Anlage (dispositio) oder Seinsweise (modus) der Substanz. Zu den akzidentellen Q.en rechnet Thomas v Aquin u. a. Habitus und Anlagen. Bei materiellen Dingen basiert die Q. nach ihm auf der 3 Quantität. Für Kant gehört sie zu den mathematischen Kategorien, d. h. zu den Kategorien, ohne die wir uns überhaupt keinen Gegenstand vorstellen können. Kant teilt die Kategoriengruppe der Q. in die drei Kategorien Realität (d. h. nicht Existenz, sondern Sachheit, Gehalt), deren Gegenteil Negation und deren beider Verbindung Limitation ein. Bereits die Antike kennt die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Q.en, die Descartes der Sache nach, terminologisch aber erst Boyle und Locke aufgreifen, wobei die primären Q.en die Quantität meinen, die sekundären Q.en hingegen die Sinnesq.en, also die Q.en im eigentlichen Sinn. Nach Descartes und Locke kommen die primären Q.en objektiv den Dingen selbst zu, während die sekundären Q.en durch die Bewegungen in den Dingen erst in unseren Sinneswahrnehmungen entstehen, also subjektiv sind. Nach Meinung der Idealisten lassen sich die Argumente für die Subjektivität der sekundären Q.en ebenso gut auch auf die primären Q.en anwenden. Im Gegensatz zur Quantität besitzt die Q. nach Kant Grade der Intensität, die bis zum völligen Verschwinden der betreffenden Q. gehen können. Die analytische Philosophie nennt die sekundären oder 3 Sinnesq.en Qualia (Singular: Quale). Die primären Q.en (die Quantität) lassen sich als Ausdehnung und Bewegung exakt raumzeitlich messen, was für die stärkeren oder schwächeren Sinnesq.en nicht möglich ist, weshalb wir Töne und Farben durch Wellenlängen und die Wärme durch die Ausdehnung erwärmter Körper messen sowie die Wärme auf Molekularbewegung zurückführen. Hieraus folgt aber nicht, dass die primären Q.en (die Quantität) den Objekten selbst zukommen, die sekundären aber nicht, denn wir können nur eine Messung zwischen unterschiedlichen sekundären Q.en vornehmen, haben es also bei materiellen Objekten immer mit einer Verbindung von primären und sekundären Q.en zu tun. Aristoteles: Metaph. V, 14; T v Aquin: STh I 28, 2 c; I–II 49, 2 c; ScG IV 63; F Suárez: DM 42. – G Bealer: Quality and concept, O 1982; J Althoff: Warm, kalt, flüssig und fest bei Aristoteles, St 1992; P Kügler: Die Philosophie der primären und sekundären Q.en, Pb 2002.

Schöndorf

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Quantität

Qualitätssprung 3 Dialektischer Materialismus Quantenphysik 3 Physik Quantität (von lat. Quantitas: Größe, Menge) Im weiten Sinne ist Q. eine Eigentümlichkeit vieler Eigenschaften, von denen sich ein Mehr oder Weniger aussagen lässt: kurze oder lange Dauer, geringe oder hohe Geschwindigkeit, schwache oder starke Liebe. Im engen Sinn meint Q. eine teilbare Qualität, nämlich die allen Körpern gemeinsame räumliche und zeitliche Ausdehnung. Die bei einer Teilung ausgedehnter und homogener Dinge entstehenden Teile haben dieselben Eigenschaften wie das zuvor ungeteilte Ganze. Sie sind zudem selbstständig und lassen sich abzählen. Schon Aristoteles unterschied zwischen (stetigen) Größen, die man messen, und (diskreten) Mengen, die man zählen kann (Met. 1020a 14 f.). Die Q. liefert die Grundlage für die messende Beschreibung von Eigenschaften, Zuständen oder Veränderungen. Die Messung beruht auf einem direkten oder indirekten Vergleich der zu messenden empirischen Eigenschaft mit einer geeigneten Einheit. Die Länge lässt sich direkt messen durch Aneinanderreihen von Messlatten, die Masse durch Hinzufügen von Gewichtseinheiten auf einer Waagschale. Man spricht daher auch von additiven Größen im Gegensatz zu intensiven wie der Temperatur. Deren Änderung wird indirekt gemessen durch ihre Wirkung (z. B. Änderung der Länge eines Quecksilberfadens). Selbst psychische Eigenschaften lassen sich indirekt messen. Die Reizschwelle eines Sinnesorgans, z. B. des Gehörs, wird gemessen durch Darbietung jenes akustischen Reizes, der gerade einen noch hörbaren Ton erzeugt; die obere Grenze liegt dort, wo die Tonempfindung schmerzhaft wird. Neben fundamentalen Maßeinheiten für die Messung der Raumdimensionen, der Masse oder der Zeit gibt es viele abgeleitete Einheiten durch Verknüpfung der Fundamentalen, z. B. Masse pro Volumeneinheit (Dichte) oder Weg pro Zeiteinheit (Geschwindigkeit). Neben konventionellen, frei gewählten Maßeinheiten wie dem Urkilogramm in Paris gibt es natürliche Maßeinheiten, die experimentell kein Mehr oder Weniger zulassen, z. B. die elektrische Ladung des Elektrons. Heute sind alle fundamentalen Maßeinheiten auf natürliche zurückgeführt – außer die Einheit für Masse. Akzeptiert man neben Abzählung von Einheiten auch bloße Schätzungen als Messung (z. B. schwach, mäßig, stark), lässt sich fast alles messen und statistisch verarbeiten (vgl. Psychometrie, Soziometrie). Das bedeutet allerdings nicht, dass sich nun alle Qualitäten auf Q.en zurückführen ließen, da alle Q.en immer Größen oder Intensitäten von etwas (einer Qualität) bleiben. Seit Aristoteles ist die Q. in der philosophischen Tradition eine 3 Kategorie. Kant lehnt Q. als ontologische Kategorie im realistischen Sinn ab und sieht in ihr eine apriorische Bedingung unserer Erkenntnis, die messende Erfahrung überhaupt erst möglich macht. In der Logik bedeutet Q. des Begriffs dessen Umfang. Die Q. eines Urteils

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Rational

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ergibt sich aus dem Umfang des Satzsubjekts (alle, einige, einzelne). Dem entsprechen allgemeine, partikuläre und singuläre Urteile. Die quantitativen Aspekte von Sätzen werden in der modernen Logik weiter differenziert und ausgebaut (Quantorenlogik). Aristoteles: Cat. 4, 6; Metaph. 1020a7–34; R Descartes: Principia philosophiae II; I Kant: KrV, transzendentale Analytik (bes. B 102, 202, 207, 211 f.). – L Schäfer: Q., in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe 2, 1146–1154; B Orth: Einführung in die Theorie des Messens, St 1974.

Erbrich Quantor 3 Logik Quaternio terminorum 3 Fehlschluss Quidditas 3 Wesen 3 Bestimmung Quidditas rei sensibilis 3 Abstraktion Ratio 3 Vernunft 3 Verstand Ratiocinium 3 Schluss Rational (lat. ratio: Verstand, Vernunft) bedeutet verständig, vernünftig (Gegensatz irr.: unvernünftig). Im engeren Sinn meint r. das, was Hegel dem Verstand und nicht der Vernunft zuschreibt: was (im Gegensatz zu einer überbegrifflichen Vernunfteinsicht) begrifflich oder mathematisch eindeutig und klar aufweisbar oder beim Handeln zweckr. ist (Zweck-Mittel-R.ität im Gegensatz zur Vernunfteinsicht in Sinnhaftigkeit und ethische Verantwortbarkeit). R.e Zahlen 3 Zahl. G Brüntrup (Hg): The r.ity of theism, Dordrecht 1999; O Muck: R.ität und Weltanschauung, I 1999; O R Scholz: Verstehen und R.ität, F 1999; G Preyer (Hg): The contextualization of r.ity, Pb 2000; G Banse (Hg): R.ität heute, Ms 2002; N Rescher: R.ität, Wissenschaft und Praxis, Wü 2002; K Ameriks (Hg): Konzepte der R.ität, B 2003; D Davidson: Problems of r.ity, O 2004.

Schöndorf Rationalismus (lat. ratio: Vernunft, Verstand) Der Ausdruck Rationalisten (lat. Rationales, engl. Rationalists) scheint eine Wortschöpfung von F Bacon zu sein, der die Empiristen und die Rationalisten als zwei Extrempositionen einander gegenüberstellt, deren Methoden miteinander zu verknüpfen seien (Novum Organum I, Aphor. 95). Kant war der Meinung, er habe mit seiner Verknüpfung von Sinnlichkeit und Denken die Überwindung dieses Gegensatzes geleistet. R. ist die Bezeichnung für diejenige philosophische Strömung des 17. Jahrhunderts, die die These vertritt, dass die grundlegenden Prinzipien und Begriffe des menschlichen Erkennens nicht aus der Erkenntnis der Welt gewonnen werden, sondern ihren Ursprung im menschlichen Geist haben. Kennzeichnend für den R. ist ferner die Privilegierung der geistigen Erkenntnis, die die eigentliche Erkenntnis ausmacht und der gegenüber die sinnliche

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Rationalismus

Erkenntnis minderen Ranges ist. Ferner gibt es das Bemühen, soweit wie möglich Erkenntnisse rein mit den Mitteln der Vernunft aus übergeordneten Prinzipien zu deduzieren. Es trifft jedoch nicht zu, dass die Rationalisten keine empirische Erkenntnis akzeptieren würden. Ein weiteres Kennzeichen des R. ist die Annahme, dass die Grundbegriffe und -prinzipien unseres Denkens und Erkennens nicht den Objekten der Erkenntnis entnommen werden, sondern in unserer Vernunft bereits bereitliegen. Für Descartes sind die Grundbegriffe unseres Denkens an- oder eingeboren (ideae innatae; daher auch die Bezeichnung »Innatismus«). Dies bedeutet für ihn und die ihm folgenden Denker des R., dass nicht alle Erkenntnis von den Sinnen stammt, wie dies die aristotelische Tradition und der Empirismus behaupten, sondern dass es intellektuelle Grundkenntnisse gibt, die uns mit der Vernunft selbst gegeben sind. Als Erkenntnisideal des R. gilt die mathematische Methode, die sich schon in der Antike (Pythagoras, Platon) hoher Wertschätzung erfreute. Vorbild ist die Vorgehensweis Euklids in seiner Geometrie (more geometrico: auf geometrische Weise). Der Begründer des R. der Neuzeit ist Descartes. Für ihn ist die Wahrheit nur für die klaren und deutlichen geistigen Erkenntnisse verbürgt, d. h. für diejenigen Erkenntnisse, die begrifflich oder mathematisch ausgedrückt und in ein mathematisches oder logisches Verhältnis zueinander gesetzt werden können. Sinnlich Erkanntes ist nicht klar und deutlich (clare et distincte; eigentlich: unterschieden), sondern dunkel und verworren (obscure et confuse). Als weitere typische Vertreter des neuzeitlichen R. gelten Spinoza (3 Spinozismus) und Leibniz (3 Monade 3 Identität 3 Grund). Spinoza will in seiner Ethica ordine geometrico demonstrata (Nach geometrischer Ordnung bewiesene Ethik) der Methode der euklidischen Geometrie folgen und leitet alle Lehrsätze von einigen anfänglichen Definitionen und Axiomen ab und führt den Beweis dafür an. Außerdem sollen wir die Dinge unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit (sub specie aeternitatis) sehen, um so zu positiven, aktiven Affekten und zur intellektuellen Gottesliebe (amor Dei intellectualis) als dem wahren Glück zu gelangen. Für Leibniz ist an sich alles begründbar und darum der Verlauf der Welt von vornherein vorgegeben (prästabilierte Harmonie: Monade), da die Vernunft immer das Bessere wählt. Als logischer R. wird die (Lemberg-)Warschauer Schule der 3 Logik bezeichnet (Les´niewski, Łukasiewicz, Tarski u. a.). Kritischer R. heißt die philosophische Richtung von Popper und H Albert: 3 Kritischer R., Fallibilismus oder Falsifikationismus. In einem gewissen Sinn ist jedes philosophische Denkschema eine Art von R., da es eine rationale Konzeption darstellt, die zur Erklärung aller Gegebenheiten dienen soll. Kritisch wird unter R. ein Denken verstanden, das für alles und jedes eine vollständige Erklärung bereithält oder das nur das gelten lässt, was sich in sein vorgefasstes Denk- und Erklärungsschema fügt. Im letzteren Sinn sind 3 Empirismus, 3 Positivismus und 3 Naturalismus oft viel ratio-

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Raum

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nalistischer als der klassische R., da die Vertreter dieser Richtungen dazu tendieren, alles zu leugnen, was sich nicht mit ihren Theorien erklären lässt. P Kondylis: Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen R., St 1981; D Pearce (Hg): Logischer R., F 1988; H-J Engfer: Empirismus versus R.?, Pb 1996; L C Madonna: Christian Wolff und das System des klassischen R., Hi 2001.

Schöndorf Rationalismus, kritischer 3 Kritischer Rationalismus Rationes aeternae 3 Illumination Rationes seminales 3 Augustinismus Raum (gr. chóra, lat. spatium) ist eine homogene Struktur, die das Medium und die Ermöglichung der gleichzeitigen (simultanen) Ausdehnung (Erstreckung) und somit der Koexistenz von Teilen materieller Gebilde ist. Materielle Körper existieren im R. Einer geistigen 3 Seele wird zwar durch ihren Leib ein bestimmter Bereich des R.s zugeordnet. Sie wird dadurch aber nicht verräumlicht, sondern ist in ihrem gesamten Leib ganz anwesend, wenn auch in unterschiedlicher Wirkweise. Der R. ist selbst ausgedehnt und ermöglicht zugleich die Ausdehnung der materiellen Dinge im Nebeneinander und Auseinander. Das Maß dieses Auseinander wird als Entfernung oder Distanz im allgemeinen Sinn bezeichnet. Im engeren Sinn verstehen wir unter Entfernung (Distanz) ein großes Maß des Auseinander verschiedener Objekte, während wir eine kurze, kleine Distanz als räumliche Nähe bezeichnen. Jede Richtung im R. ist grundsätzlich umkehrbar. Der leere R., dessen Existenz in der Philosophie immer wieder umstritten war, heißt Vakuum. Das unmittelbare räumliche Angrenzen (Berührung, Kontakt) wird auch als Kontiguität bezeichnet. Ein Ort ist ein bestimmter Punkt oder eine durch eine zusammenhängende Mehrheit von Punkten gebildete Stelle im R. Das Verhältnis eines Orts zu anderen ist seine Lage. Die Wissenschaft vom R. ist die Geometrie. Der R. ist kontinuierlich, lässt aber zugleich eine immer weitergehende Teilung des Ausgedehnten zu und erstreckt sich in drei Dimensionen (Ausmessungen). In der mathematischen Abstraktion kann die Zahl dieser Dimensionen weiter vermehrt werden. Diesem mehrdimensionalen R. kann allerdings keine Anschauung mehr zugeordnet werden. Insofern der R. exakt messbar und mathematisch berechenbar ist, ist er dem Bereich des Quantitativen zuzurechnen. Die Wahrnehmung des R.s geschieht durch die äußeren Sinne, aber es gibt auch eine räumliche Wahrnehmung durch den inneren Sinn, wenn wir bestimmte innere leibliche Empfindungen (Schmerzen) verspüren, die sich lokalisieren lassen. Die Unterscheidungen im R. (oben, unten, links, rechts …) können nicht rein abstrakt begrifflich vorgenommen werden, sondern erfordern einen Bezugspunkt im R., von dem aus sie sinnlich wahrgenommen werden. Für Aristoteles ist das Wo, also der Ort im R., eine eigene Kategorie. In

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Realismus

der Tradition galt der R. als Konsequenz des Wesens der materiellen Körper. In der Neuzeit wurde dieses Verhältnis umgekehrt und der R. gleichsam als im voraus existierender unendlicher Behälter gedacht, in dem sich die materiellen Körper befinden. Newton nennt den unendlichen R. das grenzenlose gleichförmige Sensorium (Sinnesorgan) Gottes, wo er an allen Stellen ist (Opera IV, 238, 262). Er betont allerdings auch, dass Gott keinen Leib und keine Teile habe. Kant kritisiert Newton, dass er den R. für absolut angesehen habe, und Leibniz, dass er den R. nur als ein Verhältnis aufgefasst habe. Für Kant ist der R. (wie die Zeit) eine Form unserer Anschauung, die nur der Erscheinung zukommt, nicht aber dem 3 Ding an sich. Als solche Form a priori ist die R.anschauung die Basis für die Geometrie und begründet die Notwendigkeit und Allgemeinheit von deren Gesetzen. Seit der Relativitätstheorie wird meist die Auffassung von der Endlichkeit des R.s vertreten, der aber in sich gekrümmt und darum wie eine Kugeloberfläche endlos im Sinn der Grenzenlosigkeit ist. Außerdem gibt es in der heutigen Kosmologie die Tendenz, in die kosmische Evolution des Weltalls vom Urknall bis heute auch die Evolution des R.s einzubeziehen. Aristoteles: Physik IV 1–9; R Descartes: Princ. phil. II 10–17; I Kant: AA II 375– 384; KrV B 37–45; 53–72. – E Husserl: Ding und R.; J Derrida: Cho¯ra, W 1990; G Prauss: R., St 1993; T Kratzert: Die Entdeckung des R.s, A 1998; W V Csech: Die R.lehre Johann Gottlieb Fichtes, F 1999; S Hawking: R. und Zeit, Reinbek 2000; K J Lee: Platons R.begriff, Wü 2000; S Feiner (Hg): R.deutungen, Ms 2001; C Westphal: Von der Philosophie zur Physik der R.zeit, F 2002; S Bauberger: Was ist die Welt?, St 2003; H Holz: R.-Zeit-Kohärenz, Dualismus und Polarität, Ms 2003; A A Vallega: Heidegger and the issue of space, University Park Pa. 2003; J Hattler: Monadischer R., F 2004; H T Dang: Der R. in der Phänomenologie Husserls, B 2005.

Schöndorf Raum, Anschauungsform 3 Transzendentalphilosophie Realismus ist die These, dass wir die Realität (Wirklichkeit) so erkennen, wie sie ist. Damit ist normalerweise auch die Überzeugung verbunden, dass diese Realität uns vorgegeben ist und als solche den Maßstab für die 3 Wahrheit unserer 3 Erkenntnis darstellt. In der Scholastik ist der R. das Gegenteil des 3 Nominalismus und meint die Auffassung, dass wir das 3 Wesen der Dinge erkennen können und nicht nur irgendwelche äußeren Merkmale, anhand derer wir dann unsere Klassifizierungen vornehmen. Dies gilt speziell für den Universalienr., der die These vertritt, dass die Universalien in der Wirklichkeit existieren und nicht nur Produkte unseres Geistes sind. In der Neuzeit wird der R. zur Gegentheorie zum 3 Idealismus. Dies hängt u. a. damit zusammen, dass die ersten Vertreter des Idealismus (Berkeley und dann Fichte als Begründer des 3 Deutschen Idealismus) zur Meinung tendierten, ein nicht aus idealistischen Voraussetzungen hergeleiteter R. müsse not-

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Realismus

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wendigerweise als 3 Dogmatismus und 3 Materialismus aufgefasst werden. Die Gleichsetzung von R. und Materialismus findet sich auch bei manchen Vertretern der analytischen Philosophie. Dahinter steht die cartesische Auffassung (3 Cartesianismus), die nicht-menschliche Realität sei materieller Natur und somit radikal vom Geist verschieden; darum könnten Erkenntnis und Freiheit nicht aus der vorgegebenen Realität erklärt werden, wie dies der R. tue. Die Denker des Deutschen Idealismus wollen aber den R. nicht schlechthin aufheben, sondern in ihre Theorie integrieren und aus ihr heraus begründen. Seit Kant gibt es sodann modifizierte Formen des R. Kant nennt seine eigene Theorie, nach der wir nur die 3 Erscheinung und nicht das 3 Ding an sich erkennen können, einen empirischen R. (KrV A 375, vgl. B 52), der zugleich ein transzendentaler Idealismus ist. Denn die Erscheinung ist kein bloßer Schein, sondern echte objektive Realität, wenn sie uns auch nicht die eigentliche Wirklichkeit erkennen lässt. In der nachkantischen Zeit kommt die Unterscheidung zwischen naivem und kritischem R. auf. Als naiven R. bezeichnet man die Position, unsere alltägliche Erkenntnis sei eine genaue und zutreffende Darstellung der Wirklichkeit. Demgegenüber ist der kritische R. der Meinung, dass wir unsere Erkenntnis zwar einer kritischen Reflexion unterziehen müssen, mit ihrer Hilfe aber sehr wohl die wahre Realität zu erkennen vermögen. Die analytische Philosophie hat als Gegenbegriff zum R. den Terminus Antir. geprägt, mit dem die verschiedenen nichtrealistischen Erkenntnisauffassungen zusammengefasst werden. Für Putnam ist ein externer R. nur von dem für uns unerreichbaren Gottesstandpunkt aus möglich. Darum vertritt er einen internen, später auch pragmatisch genannten R., der immer nur im Rahmen unserer jeweiligen Begriffe gilt, und eine Überprüfung und daraus folgende rationale Akzeptanz unserer Erkenntnis auch immer nur relativ auf diese Begriffe hin zulässt. Eine weitere Auffassung, die sich normalerweise als Gegensatz zum R. versteht, ist der 3 Konstruktivismus, der unser Erkennen als subjektive Konstruktion auffasst. Dass der R. in Frage gestellt wurde, hängt zunächst einmal damit zusammen, dass die philosophische Frage nach der Erkenntnis seit Aristoteles bis heute weitgehend als die Frage nach der Erkenntnis der physikalischen Welt und als die Grundlegung der (Natur-)Wissenschaft verstanden wurde, während alles, was andere Personen betrifft, der praktischen Philosophie zugewiesen wurde. Hätte man bedacht, dass die Erkenntnis anderer Menschen ebenso ursprünglich ist wie die Erkenntnis materieller Objekte, so wäre der R. vermutlich nie bestritten oder auf einen Materialismus reduziert worden. Denn eine nicht-realistische Erkenntnis anderer Personen ist in sich widersprüchlich: eine Person zu erkennen heißt nämlich immer auch, sie als selbstständig existierendes geistiges Wesen in ihrer Würde anzuerkennen. Wird der R. aber nur auf Materielles bezogen, so entsteht die Schwierigkeit, dass

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Realität

die alltägliche Auffassung von den materiellen Dingen und ihre wissenschaftliche Erkenntnis voneinander abweichen und dass sich unsere normale Erkenntnis oft als unzureichend oder falsch erweist. Darum wurde der R. vor allem in der Moderne immer wieder problematisiert. Nun ist aber der R. unserer Alltagserkenntnis zum einen der unvermeidliche Ausgangspunkt allen Philosophierens, so dass jede andere Theorie in Abhebung von ihm gebildet werden muss. Zum anderen muss jede Bestreitung des R. für sich selbst in Anspruch nehmen, eine Aussage über die Realität zu machen, also realistisch zu sein. Die Bestreitung des R. führt also in letzter Instanz zum Selbstwiderspruch. Darum enthalten auch alle idealistischen Positionen ein Moment von R. Die Meinung, die Aktivität und Konstruktivität unserer Erkenntnis stehe einem realistischen Erkennen entgegen, entspringt der irrigen Auffassung, nur ein quasi mechanisches Abbild der Wirklichkeit könne eine realistische Erkenntnis sein. Die These, der R. setze den für uns nicht einnehmbaren Gottesstandpunkt voraus, beruht auf der Verwechslung zwischen einer realistischen objektiven Erkenntnis, die uns sehr wohl möglich ist, wie alle unsere Wissenschaften zeigen, die ohne diese Voraussetzung nicht möglich wären, und einer allumfassenden Erkenntnis, die wir nicht besitzen, weil sie allein Gott zukommt. D O Dahlstrom (Hg): Realism, Wa 1984; J C Doig: In defense of cognitive realism, Lanham 1987; H Putnam: The many faces of realism, LaSalle 1987; Von einem realistischen Standpunkt, Reinbek 1993; E Oeser (Hg): Das R.problem, W 1988; M Devitt: Realism and truth, O 1991; S Blasche (Hg): R. und Antir., F 1992; R Naumann: Das R.problem in der analytischen Philosophie, Fb 1993; H Seidl (Hg): R. als philosophisches Problem, Hi 2000; M Willaschek (Hg): R., Pb 2000.

Schöndorf Realität Der Ausdruck R. entstammt dem lateinischen Wort res, das auf deutsch Sache oder Ding bedeutet und seit dem Spätmittelalter praktisch zu einem Synonym für Seiendes geworden ist (3 Ding). R. (lat. realitas) meint also ursprünglich entweder das Wesen, das Sosein, die »Washeit« (quidditas), Beschaffenheit oder die Sachhaltigkeit, Sachheit, den Gehalt von etwas. In diesem Sinn wird das Wort noch bei Descartes und Kant verwendet, wenn er von der 3 Kategorie der R. spricht. Eine solche R. kann bloß möglich oder gedacht sein. So unterscheidet Descartes in seiner 3. Meditation zwischen einem bloß vorgestellten Gehalt, der »objektiven R.« (realitas obiectiva), und einem wirklich existierenden Gehalt, der »formalen« oder »aktualen R.« (realitas formalis sive actualis). Unter R. wurde ursprünglich jeglicher Gehalt verstanden, während mit (reiner) Vollkommenheit (perfectio bzw. perfectio pura) nur dasjenige gemeint war, was in sich keinerlei Negativität (und Begrenzung) enthält. Spinoza identifiziert R. und Vollkommenheit, so

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dass der Begriff Gottes nicht mehr wie früher als Gesamtheit aller Vollkommenheit, sondern als Gesamtheit aller R. verstanden wird. Darum bezeichnet Kant die Gottesidee als die Idee des allerrealsten Wesens (ens realissimum, omnitudo realitatis), die alle positiven Gehalte in sich enthält. Bei Kant treffen wir aber auch auf die heutige Bedeutung von R., die gleichbedeutend mit 3 Wirklichkeit ist. Dies hängt damit zusammen, dass alles Wirkliche auch einen Sachgehalt besitzen muss, während das, was keinerlei Gehalt besitzt, leer und nichtig ist und kein 3 Sein hat, also unwirklich ist. In diesem Sinn bedeutet »real« soviel wie wirklich oder tatsächlich, während »irreal« das Unwirkliche bezeichnet. Ferner wird »real« oft als Gegenbegriff zu »ideal« gebraucht. In diesem Fall wird unter real das tatsächlich Existierende verstanden, während ideal das meint, was gedacht wird oder dem Bereich dessen angehört, was nicht sinnlich wahrnehmbar ist, sondern nur durch Denken erfasst werden kann, wie dies für die Logik und die Mathematik zutrifft. In dieser Terminologie wird die R. manchmal auf die sinnlich wahrnehmbare Empirie reduziert. Es kann aber auch alles individuell konkret Existierende als real bezeichnet werden, wozu dann auch rein geistige Wesen zählen, während der Bereich des Idealen nur allgemeine Zusammenhänge und Strukturen umfasst. Nicht selten werden beide Bedeutungen miteinander verknüpft und es wird die Meinung vertreten, alles, was nicht (sinnlich wahrnehmbar) konkret existiere, sei ideal und darum auch irreal, d. h. unwirklich. Diese Annahme ist aber unberechtigt, da der Bereich des Idealen nicht einfach eine subjektiv willkürliche Fiktion ist, sondern objektiven Gesetzen unterliegt. Virtuell meint ursprünglich ein Enthaltensein in Bezug auf die Wirkungen (lat. virtus: Kraft) und bedeutet darum in der Scholastik soviel wie implizit, potentiell. Heute wird meist eine durch Computertechnologie erzeugte fiktive Nachbildung als virtuell im Gegensatz zur R. bezeichnet. P Mittelstaedt: Sprache und R. in der modernen Physik, Mannheim 1986; H Putnam: Repräsentation und R., F 1991; G Pohlenz: Phänomenale R. und Erkenntnis, Fr 1994.

Schöndorf Recht (lat. ius, franz. droit; engl. right als subjektives R., law als Gesetz und R.sordnung) versteht man als R.ordnung (»objektives R.«), als Anspruch oder 3 Herrschaft (»subjektives R.«, »ius«), als eine moralische Befugnis, womit man es von der physischen 3 Macht absetzt. »Moralisches R.« ist ein Grundbegriff der praktischen Philosophie und dient dazu, moralisch begründete Ansprüche bzw. Interessen von Individuen zu bezeichnen. 1. Begründung und Notwendigkeit von R.: Menschen benötigen Beziehungen, die Verpflichtungen enthalten. Erfüllt man sie? Eine zu wechselseitigem Vorteil geschlossene Abmachung wird solange eingehalten, wie es der Nutzen gebietet. Auf Vertragstreue kann man nicht zuverlässig bauen. Not-

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wendig zu entrichtende Abgaben werden zudem nicht gezahlt, Vergehen nicht freiwillig gesühnt. Not tut daher eine Ausgliederung innerhalb der menschlichen Gesellschaft, so dass eine Instanz den sich verpflichtenden und verpflichteten Menschen wie eine fremde Gewalt gegenübertritt. Sobald daher Menschen ihre sozialen Verhältnisse unter einer von Menschen gebildeten 3 Gewalt ordnen, sprechen wir im vollen Sinn von R. Es ist ein gradueller Begriff und lässt sich nun definieren als derjenige unverzichtbare Typ an Beziehungen, welche von einer dazu berufenen Instanz entweder selbst erlassen und durchgesetzt oder überwacht werden, so dass in wirksamer Weise für die stabile, verlässliche, berechenbare Zuordnung der Freiheitsräume und Erfüllung der Basisansprüche menschlichen Lebens gesorgt ist. Hiermit ist auch gesagt, dass sich R. nicht nur dem 3 Staat verdankt, es gibt auch Gewohnheitsr., und dass die Erzwingbarkeit durch den Staat kein Wesensmerkmal des R.sbegriffs ist, weshalb auch das 3 Völkerr. R. genannt werden darf. Nimmt man den Satz »ubi societas, ibi ius« ernst, so gab es von Beginn der Gesellschaft an eine solche Instanz. Es treten kulturell-religiöse Akzentsetzungen auf: Ein jüdisches R.sdenken betont den Vertragscharakter, ein protestantisches wird eher den Zwangscharakter des R.s herauskehren, das römisch-katholische die sittliche Verpflichtung betonen und den Zwang als Ergänzung, wenn auch notwendige, einführen. 2. Damit stellen sich unmittelbar zwei Fragen: 1) Welches sind die Beziehungen, die solcherart abgesichert werden müssen, und welche dürfen es nicht? Und wer zieht die Grenze hin zu anderen, nicht so geschützten Beziehungen? 2) Wie stehen diese R.sbeziehungen zu anderen Ordnungen, insbesondere zu der »Moral«? Zu 1) Abzusichern sind jene Beziehungen und nur jene, welche fundamentale Güter menschlichen Lebens schützen, wie die Zuordnung der Freiheitsräume wiederum unter einem Gesetz der Freiheit (Kant), wie der Genuss der in den 3 Menschenr.en eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten, wie die Sicherheit der Bevölkerung und der Schutz des Territoriums. R. ist als Mittel zu diesen Zwecken etwas Gutes, ist aber auch in der Form von Menschenr.en selbst und nur für sich selbst anstrebbar, ist also auch Zweck. Zuständig für die Abgrenzungen ist die Gesamtheit der Betroffenen, vertreten durch ihre Repräsentanten. Zu 2) Die erwähnte Ausdifferenzierung ist strukturell und liefert kein Argument für eine inhaltliche Ablösung der R.sordnung aus einer sittlichen Anbindung. Da es dem R. nicht um sich, sondern nur um die Menschen gehen kann, muss es deren Anliegen berücksichtigen. Das Verhältnis von R. und Moral (3 R.spositivismus) verlangt die vorgängige Klärung, ob man unter »Moral« die gesellschaftlich gültige Sittenordnung (M.1) oder die Moralität im Sinne Kants (M.2) versteht. Das Verhältnis von R. und Moral lässt sich nach der Identitätsthese, der These vom ethischen Minimum oder der Trennungsthese denken. – Die Identitätsthese von R. und M.1 besagt Deckungsgleichheit von R. und Moral; die These scheitert daran, dass das R. Beziehungen regelt, die M.1 unbekannt sind, wie

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Verfahren, und es M.1-Regelungen gibt, an welchen das R. nicht interessiert ist; auch kennt M.1 nicht den organisierten Zwang. Die Deckungsgleichheit von R. und M.2 lässt sich wegen der für M.2 allein zulässigen Triebfeder der Pflicht nicht aufrechterhalten, wohingegen der R.sgehorsam auch andere Triebfedern zulässt. Gleichfalls kennt nur M.2 die Pflichten gegenüber sich selbst, welche nie Gegenstand des R.s sein können. Die These vom ethischen Minimum und der sich nur teilweise überschneidenden Kreise von R. und M.1 berücksichtigt diese Einwände; unterbelichtet ist in dieser These jedoch, dass jegliches Setzen von R. – als Handlung der Menschen – sowie das Leben unter dem R. unter einer sittlichen Anforderung steht. Die Trennungsthese wird letzterem Einwand erst r. nicht ger. Unerträglich unger.es »R.« ist nicht nur sittlich zu verwerfen, sondern auch kein R. mehr, so dass ihm der Gehorsam zu verweigern und 3 Widerstand gegen seine weitere »Geltung« gerechtfertigt ist (Radbruch). Straflosigkeit heißt jedoch nicht immer sittliche Billigung, und sittliche Missbilligung verlangt nicht in allen Umständen r.liche Fixierung. Wer straft, spricht allerdings meist eine moralische Missbilligung aus. Keineswegs muss Moral auch die immer zähere, konservativere Kraft und die R.sordnung die neue Wege gehende sein (was aber der Fall ist im Todesstrafenverbot, Tierschutz, Gesundheitsschutz, Fragen gleichgeschlechtlichen Zusammenlebens). Damit ist dieses Verhältnis von R. und Moral so anzugehen, dass es der relativen Autonomie (3 Naturr.) des R.s Raum gibt, wobei sittliche Abwägungsprozesse für die R.setzung maßgeblich sein müssen, und es im R. des Gesetzgebers und der umsetzenden Organe bleiben muss, Bedingungen für sittliches Leben zu ermöglichen. 3. Neben der 3 Ger.igkeit sind aber auch Werte wie R.ssicherheit zu berücksichtigen, welche es z. B. verbietet, ein geringfügig unger.es Gesetz zu verbessern, oder gebietet, auf R.sdurchsetzung zu verzichten und Missbräuche zu dulden, so dass ein unkontrollierbares Abdrängen in den Untergrund verhindert wird. Solche Abwägungen sind nur dann sittlich, wenn sie nicht jeden Wert als vermittelbar und abwägbar betrachten, sondern gerade jene Werte der Abwägung entziehen, welche für das Zusammenleben fundamental sind, wie den Kern des Menschenr.s- und Bürgerr.sschutzes. Eine R.sordnung enthält zusammen mit geschriebenen R.snormen (rules) meist auch R.sgrundsätze (principles), welche zur Auslegung der R.sordnung heranzuziehen sind (R Dworkin, R Alexy). 4. Die R.sethik beschäftigt sich mit dem gesetzten R., seiner Anwendung, Änderung und Abschaffung. So kann in Gesellschaften ein »Hunger« nach R.snormen auftreten, welche zu Unübersichtlichkeit und damit Ungehorsam und Abwertung des R.s führen; es kann sich eine Gesellschaft aber auch notwendige r.liche Regelungen und ihre Durchsetzung vorenthalten, um z. B. bestimmten Gruppen ihr willkürliches Spiel zu ermöglichen; beides sind Fehlhaltungen, wie es auch die ohne Billigkeit und Barmherzigkeit oder lasch durchgeführte R.sanwendung ist.

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5. Aus dem Zweck des R.s folgt die Verknüpfung mit dem 3 Zwang. R. und Zwang sind jedoch nicht so verbunden, dass eine momentane Unmöglichkeit, größere Teile der R.sordnung durchzusetzen, diese außer Kraft setzte. Das wäre erst bei einer dauernden und umfassenden Unmöglichkeit, R. zur Anwendung zu bringen, der Fall. So stellen dauernde Verstöße gegen das gesetzliche Diebstahlsverbot zwar den Staat bloß, entkräften aber nicht das sittliche Verbot. Erst jetzt wäre es nicht mehr R. Die Befugnis zu zwingen setzt begrifflich R. (»Befugnis«) schon voraus. 6. Geltung und Gültigkeit des R.s sind zu unterscheiden. R. gilt im soziologischen Sinn, wenn diese Ordnung – großenteils – durchsetzbar ist, R. gilt hingegen im normativen Sinn, wenn eine zu diesem R. oder zu dieser R.sordnung höhere Norm die Befolgung verlangt. Eine solche höhere Norm kann erstens der gemeinsame Wille der Adressaten sein, indem sie diesen ihren Willen in einem ausdrücklichen Vertrag (3 Vertragstheorie) oder als Diskursergebnis oder in einem Anerkennungsakt (Hart) ausdrücken, der das vorhandene R. oder das r.spolitisch vorgeschlagene R. bestätigt. Oder zweitens in einer den Menschen vorgegebenen oder seiner Vernunft ein- und mitgegebenen Norm bestehen, welcher das von Menschen gesetzte R. zumindest nicht widersprechen darf. Bloße 3 Gewalt oder Macht ist nicht R. und erzeugt auch keines. Auch wenn der Räuber dem Wanderer physisch überlegen ist, begeht er doch an ihm Unrecht und erwirbt durch den Gewaltakt kein 3 Eigentum an der Beute. 7. Einteilung der R.snormen: Unter dem Aspekt, wie R. zustande kommt, sind das ungesetzte Gewohnheitsr., das 3 Gesetz, die 3 Konvention und das Urteil zu unterscheiden. Drei Relationen bestimmen das R.: Die R.e zwischen den Menschen, die R.e der Menschen gegenüber dem Staat, das R. des Staates gegenüber den Menschen; die R.e zwischen den Staaten und die R.e von Welt-Instanzen gegenüber den Staaten wiederholen die drei Relationen auf strukturell höherer Ebene. Diesen Beziehungen entsprechen die ausgleichende, die verteilende und die legale Gerechtigkeit, bzw. der Gesetzesgehorsam. Achtet man darauf, wie das R. dem Adressaten entgegentritt, so lässt sich das R. in Verbote, Gebote und Erlaubnisse untergliedern (normative Modalitäten). Es ist insofern reflexiv, als es auch selbst regelt, wie R.snormen erlassen, abgeändert und außer Kraft gesetzt werden. Ebenso legt es Verfahren fest, wie sich die R.sordnung Legitimation und Durchsetzung zu verschaffen vermag. 8. R.sträger können nur vernünftige, freie Wesen sein: Die Unzuverlässigkeit, welche das R. ja letztlich überhaupt nötig macht, ist Ausdruck menschlicher Freiheit und fehlt bei festen Verhaltensmustern. In jeder wechselseitigen Beziehung muss zudem der R.sträger auch Pflichten erfüllen können. Es hieße aber eine unerträgliche Asymmetrie schaffen, wenn einem Wesen lediglich R.e ohne Pflichten zukämen. Aus beiden Gründen ist das Tier von Natur aus kein R.sträger, deswegen kann es jedoch ihm gegenüber

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Rechtsphilosophie

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r.lich einklagbare Pflichten geben. Das R.haben ist nicht an das Geltendmachenkönnen von R. geknüpft. R.e stehen auch Säuglingen und Geisteskranken zu. R.sträger und r.lich Verpflichtete können neben den natürlichen auch juristische Personen sein, welche eine reine Schöpfung der R.sordnung sind. G Radbruch: R.sphilosophie; H L A Hart: The Concept of Law, O 1961; R Dworkin: Taking Rights Seriously, C Mass 2 1978. – H Schreiber: Der Begriff der R.spflicht, B 1966; H Henkel: Einführung in die R.sphilosophie, M 2 1977; A Gewirth: Human Rights, Ch 1982; A Kaufmann / W Hassemer (Hg): Einführung in die R.sphilosophie und R.stheorie, Hd 1985; R Alexy: Begriff und Geltung des R.s, Fr 1992; W Kersting: R., Ger.igkeit und demokratische Tugend, F 1997; D von der Pfordten: R.sethik, M 2001; A Brenner (Hg): Tiere beschreiben, Er 2003; P Holländer: Abriss einer R.sphilosophie, B 2003.

Brieskorn Rechtsphilosophie fragt nach Begriff und Begründbarkeit des 3 Rechts, wohingegen die Rechtssoziologie untersucht, wie Recht zustande kommt und wirkt, die Rechtswissenschaft das in der Gesellschaft geltende Recht systematisiert und die Rechtstheorie sich vorwiegend mit dem Funktionieren des Rechts beschäftigt. R. bildete bis ins 18. Jahrhundert einen Teil der Tugendlehre (Nik. Eth., STh) oder der Politischen Philosophie (Platons Politeia, Augustins De civitate Dei). Als eigene Disziplin tritt R. erst seit dem 19. Jahrhundert auf, nachdem die naturrechtliche Einfassung des Rechts und der Verbund mit der Moral problematisiert worden waren. Noch bei Kant steht die Rechtslehre inmitten einer Metaphysik der Sitten, wobei er allerdings schon Recht und Moral in 3 Legalität und Moralität trennt. Hegel erkennt dem Recht zu, verwirklichte Freiheit und Äußerung des objektiven Geistes zu sein. Doch im späteren 19. Jahrhundert betreibt man im Zuge immer stärkerer Ausdifferenzierungen und Lösung althergebrachter Vernetzungen R. in einer immer stärker auf sich selbst gestellten Weise. Themen der R. sind seit den Sophisten und Platon: Gilt das Recht wegen seines Inhalts (Thomas v Aquin; rationalistisches Naturrecht) oder wegen des Willensakts der zuständigen 3 Autorität (Suárez, voluntaristische Richtung) oder auf Grund des Triebs (französischer Materialismus)? Welche Anthropologie ist dem Rechtsdenken und dem Recht zugrunde zu legen, der Mensch als Sozial- oder als Einzelwesen? Welches ist das Verhältnis des vom Menschen gesetzten Rechts zum 3 Naturrecht? Gilt es unmittelbar und setzt es das positive Recht ebenso unmittelbar außer Kraft? Ist das Recht als Überbau von den Produktionsverhältnissen abhängig (Marx) oder setzen diese es voraus? Zu den Themenbereichen Naturrecht und Positivismus, Recht und Moral, normative Geltung und soziologische Gültigkeit treten heutzutage Fragen nach Recht und Sprache, nach der Rechtshermeneutik, der Normlogik und danach, ob und wie man mit Hilfe der neuen elektronischen Mittel gerechtere Lösungen erzielen kann (»Fuzzy-Logic«). Wenn sich auch nach 1945

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Rechtspositivismus

die klassische Naturrechtslehre nicht durchgesetzt hat, so bezeugen doch zahlreiche Versuche in der R. und Rechtstheorie, dass die Frage nach der gerechten Rechtsordnung nicht mit dem Verweis auf die Faktizität gesetzten Rechts verstummt und nicht beantwortet ist; und entweder eine metaphysische Antwort angestrebt oder auf Freiheit und ihre demokratische Fassung (Habermas) oder auf Prinzipien verwiesen wird (Dworkin), an welchen die Rechtsregeln (rules) auf ihre Gerechtigkeit und Vollständigkeit hin zu prüfen sind. H Kelsen: Reine Rechtslehre, W 2 1960; R Dworkin: Law’s Empire 1986; N Luhmann: Das Recht der Gesellschaft, F 1993; A Kaufmann: Über Gerechtigkeit; A Kaufmann / W Hassemer (Hg): Einführung in die R. und Rechtstheorie der Gegenwart, H 6 1994; J Habermas: Faktizität und Geltung, F 4 1994; P Koller (Hg): Aktuelle Fragen politischer Philosophie, W 1997; O Höffe: Vernunft und Recht, F 2 1998; K Seelmann: R., M 2 2001; K Röhl: Allgemeine Rechtslehre, 2 2001; D Horster: R.; E-W Böckenförde: Geschichte der R.- und Staatsphilosophie, Tü 2002; N Horn: Einführung in die Rechtswissenschaft und R., Hei 3 2004.

Brieskorn Rechtspositivismus besagt: 1) 3 Recht ist nur das Recht – beliebigen Inhalts –, was von Menschen formal korrekt gesetzt ist und der 3 Staat durchsetzt; abzulehnen ist 2) ein überpositives, überzeitliches Recht; das 3 Naturrecht enthält Werturteile, die rational nicht begründbar sind; 3) Recht und Moral sind getrennt; was das Recht verbietet, kann in der Moral geboten sein (Tyrannenmord). Moralisch ungerechtes 3 Gesetz bleibt Recht. Die für den R. grundlegende Trennung von Sein und Sollen führte zum normlogischen R., welcher die Struktur von Normen und den Aufbau der Normenwelt untersuchte (H Kelsen), und zum empirischen R., der sich den Rechtstatsachen zuwendet (E Bierling, M Weber). Der R. betont zutreffend, dass 1) die Menschen verbindliche Regelungen benötigen und der Richterspruch 2) den Gesetzeswortlaut nicht missachten dürfe. – Der R. ist unzulänglich: 1) Indem er die grammatisch-logische Auslegung zur einzig richtigen erklärt, verbietet er es dem Richter, mit Epikie zu entscheiden und rechtsschöpferisch tätig zu werden; 2) es gibt unvermeidlich Gesetzeslücken, und der R. sagt nicht, wie sie zu füllen sind; 3) ein Gesetz kann ungerecht sein. Der R. (F Somló, H Kelsen, K Bergbohm) bietet jedoch kein Mittel an, Unrecht abzuwehren oder zu verhindern, außer Kelsens Hinweis, dass es eben Sache eines jeden Menschen sei, die von ihm für gerecht gehaltene Sache zum Gesetz zu machen. K Bergbohm: Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, L 1892; W Maihofer (Hg): Naturrecht oder R.?, Da 1962; N Hoerster (Hg): H Hart, Gö 1971; D MayerMaly (Hg): Das Naturrechtsdenken heute und morgen, B 1983; N Luhmann: Legitimität durch Verfahren, F 1989.

Brieskorn

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Reduktion

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Rechtssoziologie 3 Recht Rechtstheorie 3 Rechtsphilosophie Rechtswissenschaft 3 Recht Reditio completa 3 Reflexion Reductio ad absurdum 3 Widerspruch, Satz vom Reduktion (Epoché) Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch findet der Terminus R. (lat. reducere: zurückführen) seine Anwendung insbesondere in der Mathematik und in der Philosophie. Im Rahmen dieser letzteren kennzeichnet R. zunächst die logische Operation, wodurch ein Syllogismus der zweiten, der dritten und der vierten Figur auf eine der vier modi der ersten zurückgeführt wird. Außerdem taucht R. in der Philosophie auf in dem Ausdruck reductio ad absurdum (gr. apagogé), wobei durch die Hervorhebung des Widerspruchs einer Konsequenz die Falschheit des Grundsatzes gezeigt wird, aus dem sie abgeleitet wird (apagogè eis tò adúnaton des Aristoteles, An. pr., II, 25, 69a, 20 ff.). Eine neue und wichtige Bedeutung gewann die R. in der Philosophie der Gegenwart durch die Phänomenologie. Geleitet von dem Grundsatz »Zu den Sachen selbst!« will die Phänomenologie den Rückgang auf das Sich-selbstZeigende der verschiedenen Realitäten vollziehen. Diesen Rückgang nennt Husserl phänomenologische R. Das Zurückgehen-auf und Vorstoßen-zu den Sachen selbst gehört immer schon mit dem negativen Sich-Enthalten, Ausschalten all dessen, was nicht die »Sache selbst« ist, zusammen. R. ist also nicht so zu verstehen, als handle es sich dabei nur um den Rückgang auf das Ursprüngliche, sondern es ist dabei das In-Klammern-Setzen bzw. die Epoché mitgemeint. Ihrerseits ist Epoché nicht nur das In-Klammern-Setzen, sondern zugleich auch Rückgang-auf. Mit dem Problem der R. auf das Ursprüngliche fängt die Phänomenologie an. Aber solange dieser Anfang nur Anfang bleibt, kann er nicht vollständig in seinem ganzen Umfang begriffen und durchsichtig gemacht werden. Ziel des Rückgangs auf das Ursprüngliche, d. h. Ziel der phänomenologischen R. ist deshalb die Evidenz. Evidenz finden wir, wo Erfahrung in ihrer eigentlichsten Gestalt gegeben ist, d. h. in der reinen Wahrnehmung (Hua III/1, § 39, 87–89). Nun ist der Rückgang auf das rein Wahrgenommene keineswegs Rückgang auf das Einzelne, denn jede Erfahrung enthält ein Mit- und Vorwissen dessen, was dem Erfahrenen selbst zugehört, d. h. jede Erfahrung hat ihren Erfahrungshorizont. Im Rahmen dieses Prozesses spricht Husserl von drei Formen von R., die aber aufeinander angewiesen sind. Die erste nennt er eidetische R.; sie ermöglicht uns, die Abgrenzung der empirischen Wissenschaften mit ihren Zufälligkeiten und Besonderheiten zu überschreiten und »die Wendung in Wesensanschauung (zu) nehmen. So wie das Gegebene der individuellen oder erfahrenden Anschauung ein individueller Gegenstand ist, so (ist) das Gegebene der Wesensanschauung ein reines Wesen« (Hua III/1, 14). Die zweite Form von R. ist

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Reduktionismus

die phänomenologische, die mit Hilfe der Epoché den Weg zur transzendentalen Konstitution erschließt (Hua. III/1, §§ 56–62, 136–149). Die dritte ist eben die transzendentale R., und sie bildet die Krönung des ganzen phänomenologischen Verfahrens. Dadurch findet sich das Bewusstsein von aller naiven Weltvorstellung und Seinsauffassung befreit, und zugleich erfährt es, dass »das ›reine‹ Bewußtsein auch transzendentales Bewußtsein« ist, wie auch »die Operation, durch welche es gewonnen wird, als transzendentale epoché« zu verstehen ist (Hua III/1, 73). Denn in dieser von der transzendentalen R. aufgeschlossenen Dimension ist das Seiende nicht mehr das Gegenständliche, sondern das, worin die Subjektivität sich als konstitutiven Ursprung der Realität immer schon meldet (Hua. VI, §§ 72–73, 261–276). In dem Rückgang auf das Ursprüngliche ist uns doch der Gegenstand gegeben, aber mit einem noch eingewickelten und unentfalteten Seinssinn, d. h. in seinem Horizont. In seinem ursprünglichen Sich-selbst-zeigen schließt also das Seiende immer einen Horizont mit ein und ist auf diesen bezogen. Dieses Bezogen-sein nennt Husserl fungierende Intentionalität des Bewusstseins, die eben durch Reduktion in ihrer vollen Durchsichtigkeit sich entdecken lässt. Wir können also den Gegenstand von seinem Horizont und das Ich vom Objekt nicht trennen. In der von der R. aufgeschlossenen Dimension ist das Seiende nicht mehr das Gegenständliche, sondern das, worin ein Horizont sich immer meldet. Was in der R. in Klammer gesetzt wird (Epoché), ist nicht das Sein des Seienden, sondern nur die natürliche, naive Seinsauffassung. Durch die R. (Epoché) verlieren wir deshalb nichts, sondern gewinnen die Möglichkeit, die Gegenstände in ihrem wahren Sein kennenzulernen. Die phänomenologische R. ist für Husserl die Aufweisung der Ausgangsdimension der Philosophie. Sie ist die Entdeckung der fungierenden Intentionalität als letzte Ursprünglichkeit. E Husserl: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, Hua III/1; Cartesianische Meditationen, IV Med., IV Medit. § 34, Hua I, 105; Phänomenologische Psychologie, Hua IX, 72 ff. – K Held: Phänomenologische Gegenwartsdiagnose bei Husserl und Heidegger, 1982; G Scrimieri: I problemi della riduz. fenomenol. tra M. e E. Husserl. Raccolta di Ricerche 4 (1983), 177–210.

Ponsetto Reduktionismus (lat. reducere: zurückführen) Reduktion (R.) meint die Zurückführung von Begriffen, Gesetzen und Theorien auf andere. Reduktionismus (Rs.) bezeichnet das Programm, durch R.en eine Vereinheitlichung der Wissenschaften mit größtmöglicher begrifflicher und ontologischer Sparsamkeit zu erreichen. Häufig unterscheidet man: (1) Methodologische R.: eine zu reduzierende Theorie T1 wird auf eine reduzierende Theorie T2 zurückgeführt mit dem Ziel, T1 aus T2 ableiten zu können. Die dazu notwendigen Bedingungen lauten:

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Reduktionismus

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a. Verknüpfbarkeit: In T2 nicht enthaltene Begriffe von T1 müssen durch Verknüpfungsregeln verbunden werden. Z. B. werden die Gasgesetze mit Hilfe der kinetischen Gastheorie (Gase als Molekülschwarm) auf die statistische Mechanik zurückgeführt. Die entsprechende Verknüpfungsregel lautet (u. a.): Temperatur entspricht der mittleren kinetischen Energie der Gasmoleküle. b. Ableitbarkeit: Um die Gesetze von T1 aus den Gesetzen von T2 ableiten zu können, müssen meist vereinfachende Annahmen gemacht werden, z. B. keine Wechselwirkung zwischen Gasmolekülen außer Kollisionen zwischen Molekülen, die zudem perfekt elastisch sein sollen. Strenge R.en dieser Art scheinen selten zu gelingen. Deswegen werden die Bedingungen entspannt. Man fordert z. B. nur noch, dass die Beobachtungen in T1 ebenso gut oder gar besser durch T2 erklärt und vorausgesagt werden können. Auf Verknüpfungsregeln kann verzichtet werden. Bsp.: R. von Galileis Fallgesetz und Keplers Planetengesetze auf Newtons Gravitationstheorie; R. der optischen Gesetze auf die elektromagnetische Theorie; R. der Mendel-Genetik auf Molekulargenetik. Reduzierte Theorien werden durch die R. im Grunde überflüssig, werden aber oft als Spezialfälle der reduzierenden Theorien aus praktischen Gründen beibehalten. (2) Ontologische R.: Sie besteht häufig in der R. der Eigenschaften eines realen Ganzen (eines Systems) auf die Eigenschaften der Teile des Systems. So werden die Eigenschaften chemischer Verbindungen auf die Eigenschaften ihrer Moleküle und diese auf jene von Atomen und Elementarteilchen zurückgeführt. Man spricht von der R. der Chemie auf Physik. Auf diese Weise sollen letztlich auch Lebewesen auf Physik reduzierbar sein, ja sogar die Tatsachen des sinnlichen und geistigen Bewusstseins. Die höheren, evolutionär jüngeren Schichten der Wirklichkeit sollen durch die unterste und älteste erklärt werden, was doch möglich sein müsse, da letztlich alles allmählich aus Elementarteilchen entstanden sei. Versuche dieser Art nennt man Rs. Er fordert, dass alle Wissenschaft sich an die naturwissenschaftliche Methode halte, da nur solche Objekte existieren, die sich naturwissenschaftlich (oder noch strenger: physikalisch) erklären lassen (3 Naturalismus). Der Rs. kann aber diese Ausschließlichkeit nicht begründen, denn ein solcher Grund kann schwerlich ausgerechnet mit jener Methode gefunden werden (nämlich der physikalischen), die er ja erst begründen soll. Weltanschaulich führt radikaler Rs. zum Materialismus (alles ist nichts als nur 3 Materie). »Emergenz«, die Entstehung von Neuem aus dem Ganzen als solchem, nicht allein aufgrund der Wechselwirkung zwischen seinen Teilen, soll Rs. akzeptabler machen. Aber noch hat niemand zeigen können (was doch die naturwissenschaftliche Methode fordert), aufgrund welcher 3 Mechanismen Emergenz zustande kommt (vom »Mechanismus« der Symmetriebrechung abgesehen, die allein aber schwerlich alles leisten kann, was der Emergenz aufgebürdet wird).

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Referenz

B Kantischeider (Hg): Materie – Leben – Geist, B 1979; G Vollmer: Was können wir wissen? Bd. 2, St 1986; R Hedrich: Komplexe und fundamentale Strukturen, Mannheim 1990; E Agazzi (Hg): The Problem of Reductionism in Science, Dordrecht 1991; J. Kim (Hg): Emergence or Reduction, B 1992; J Dupree: The Disorder of Things, C (Mass.) 1993; D Charles (Hg): Reductionism and Antireductionism, O 1994; E Scheibe: Die R. physikalischer Theorien, B 1997 ff.

Erbrich Redundanz 3 Wahrheitstheorie Referenz (engl. to refer: sich beziehen) meint eigentlich die Bezugnahme eines 3 Begriffs auf das von ihm bezeichnete Objekt, bedeutet aber üblicherweise das oder die konkreten Objekte, die unter einen Begriff fallen und darum eigentlich R.objekt(e) heißen müssten. Die Gesamtheit der Objekte, auf die ein Begriff referiert, nennt man seinen Umfang oder seine Extension. Der Gegenbegriff zur R. ist die 3 Bedeutung, die den geistigen Sinngehalt des Begriffs meint. Bei Begriffen von empirischen Objekten lässt sich die Referenz im Normalfall anschaulich machen und zeigen, während die Bedeutung durch andere Worte erklärt wird. Die Erklärung von Begriffen, die auf nichts Existierendes referieren, und ihrer Bedeutung ist ein viel erörtertes Problem der analytischen Sprachphilosophie. W Kellerwessel: R.theorien in der analytischen Philosophie, St 1995; R Schantz: Wahrheit, R. und Realismus, B 1996; A Newen: Kontext, R. und Bedeutung, Pb 1996; M Textor (Hg): Neue Theorien der R., Pb 2004; M E Reicher: R., Quantifikation und ontologische Festlegung, Heusenstamm 2005; A Rami (Hg): R. und Realität, Pb 2007.

Schöndorf Reflexbewegung 3 Leben Reflexe Allgemeinbegriffe 3 Prädikabilien Reflexion Die Fähigkeit zur R. im eigentlichen Sinn macht eine spezifische Eigentümlichkeit des Geistes aus. Ein geistiges Wesen kann sein geistiges Tun und den Inhalt dieses Tuns selbst noch einmal zum Objekt machen. Auf diese Weise ist es sich zugleich bewusst, dass es selbst Subjekt dieses Tuns ist. Die R. hängt also mit dem ausdrücklichen 3 Selbstbewusstsein zusammen. Die R. ist gegenüber der Erkenntnis anderer Objekte (die die Scholastik erste Intention oder auch intentio recta, direkte Intention, nannte) sekundär. Darum trägt sie die Bezeichnung R., was wörtlich Rückbeugung bedeutet. Die Scholastik sprach darum bei der R. von einer zweiten Intention oder einer intentio obliqua (indirekte Intention). Die Fähigkeit des Menschen, in seiner Selbsterkenntnis über seine Erkenntnis und sein Tun zu reflektieren, wurde von Thomas v Aquin als reditio completa, wörtlich »vollständige Rückkehr« (zu sich selbst) bezeichnet, da sich der Mensch im Akt ganz und gar auf sich selbst zurückwendet.

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Regel

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Diese R. darf nicht kybernetisch als Rückkopplung missverstanden werden. Denn eine Rückkopplung erzeugt einen neuen Zustand, auch wenn ein gleichartiger Zustand vorher bereits einmal da war, wie dies zumeist bei der Rückkopplung zum Zweck der Erzeugung des Gleichgewichtszustands der Fall ist. Auch darf diese Form der R. nicht als Iteration wie die idea ideae (Idee der Idee) bei Spinoza oder als bloße Metasprache, Metaebene oder dergleichen aufgefasst werden. Denn sie ist nicht die Schaffung einer neuen Ebene, die dann zu beliebig weiteren neuen Ebenen führen könnte, sondern das ausdrückliche Bewusstmachen und -werden des Subjekts und der Tätigkeit eines Erkenntnis- oder Willensaktes. Sie ist also ein wirkliches Zurückkommen auf das, was bereits da war und ist, aber noch nicht ausdrücklich, sondern nur latent bewusst war. Die R. setzt also voraus, dass wir in irgendeiner Form bereits um uns wissen, bevor dieses Wissen ausdrücklich und formulierbar wird: 3 Selbstbewusstsein. Andere Formen der R. auf den Inhalt einer Erkenntnis oder das Objekt eines Wollens bestehen nicht in einer Rückwendung des Subjekts auf sich und seine Tätigkeit, sondern es handelt sich um eine Einordnung des betreffenden Objekts in einen anderen oder weiteren Zusammenhang oder eine andere Perspektive. In diesem Sinn ist jede bewusste 3 Abstraktion eine R. Dass der Mensch jederzeit zu einer R. dieser Art fähig ist, zeigt, dass seine Erkenntnis nicht auf eine einzige subjektive Perspektive oder Umwelt eingegrenzt ist, sondern dass er auf das Sein und die Wirklichkeit als ganze hin geöffnet ist. G Marcel: R. und Intuition, F 1987; B Zehnpfennig: R. und Metar. bei Platon und Fichte, Fr 1987; R Spaemann: R. und Spontaneität, St 2 1990; F-X Putallaz: Le sens de la réflexion chez Thomas d’Aquin, P 1991; W Röd: Erfahrung und R., M 1991; A Arndt: Dialektik und R., HH 1994; H H Holz: Weltentwurf und R., St 2005.

Schöndorf Regel Das Wort R. geht auf den Ausdruck regula zurück, der – zusammen mit dem häufig synonym gebrauchten norma (3 Norm) – die lateinische Entsprechung zum griechischen Wort kanón ist. Ursprünglich bezeichnete das mit dem Verb regere (lenken, leiten, richten) verwandte Wort etwas Gerades, Richtungsweisendes (z. B. eine Leiste oder Latte), das als Werkzeug entweder dazu diente, Artefakte in der richtigen Weise herzustellen, oder dazu, ihre Qualität zu beurteilen. Losgelöst von diesem konkreten handwerklichen Kontext signifiziert es einen Maßstab, den man an eine bestimmte Tätigkeit oder ihr Ergebnis anlegt, wobei der Gegenstand der Bewertung theoretischer oder praktischer Natur sein kann. Geht es um die Zuverlässigkeit der menschlichen Erkenntnis, dann ist die R. ein Richtmaß für die Unterscheidung zwischen Wahrem und Falschem, Wirklichkeit und Täuschung. Lukrez spricht z. B. von den Sinnen als der regula prima in der Erkenntnis. Im Be-

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Regel

reich der praktischen Philosophie ist die R. ein Handlungs- und Beurteilungsmaßstab, mittels dessen z. B. (bei Cicero) das Nützliche vom Guten unterschieden wird. Eine R. ist also ein Maßstab, den man an theoretische und praktische Vollzüge anlegt, um ihre Richtigkeit oder die ihrer Resultate zu sichern, zu bewerten oder zu rechtfertigen. Ohne R., an der man sich orientieren kann, fehlt es ihnen an Sicherheit und Beständigkeit und das richtige Ergebnis bleibt dem Zufall überlassen. R.n sind Instrumente, mittels derer die Vernunft in theoretischer und praktischer Hinsicht eine Ordnung konstituiert. Indem sie etwas zur R. erhebt, schafft sie eine Gleichförmigkeit, die in der unübersehbaren Vielfalt und Kontingenz des Einzelnen und Besonderen (z. B. der Situationen und Umstände des Handelns) Kontinuität gewährleistet. Denn R.n gelten definitionsgemäß niemals nur für einen Fall, sondern für eine Mehrzahl von Fällen. Mit ihnen ist ein Anspruch auf Allgemeingültigkeit verbunden. Eine zentrale Rolle spielt der R.begriff in der Philosophie Kants. Im Kontext seiner theoretischen Philosophie wird das z. B. deutlich an seiner Konzeption der Natur als »Zusammenhang von Erscheinungen nach R.n« (Logik AA X 11). Demnach wird das Mannigfaltige in der Erkenntnis durch eine R. zur Einheit gebracht, die der Verstand in die Natur hineinlegt und damit eine Ordnung schafft, die objektive Erfahrung ermöglicht. Auch in seiner praktischen Philosophie setzt er auf der Ebene der mittleren Abstraktion bzw. Allgemeinheit an und fragt nach dem Richtigen in Form von verallgemeinerbaren Maximen. Dabei handelt es sich um subjektive R.n, an denen sich der Handelnde orientiert, um damit Kontinuität in die Bestimmungsgründe seines Willens zu bringen. Es geht dabei nicht um eine Einheitlichkeit auf der Ebene der konkreten Handlungen, sondern um eine Gleichförmigkeit des Handelns, die dadurch zustande kommt, dass der Handelnde trotz des kontingenten Wandels seiner subjektiven Zwecke auf einer höheren, allgemeineren Stufe Ordnung schafft. In der sprachanalytischen Philosophie spielt der R.begriff ebenfalls eine prominente Rolle, weil er eine Brücke von der Idee einer logisch-semantischen Ordnung (die Sprache als System von R.n) zur konkreten menschlichen Praxis schlägt. Richtungsweisend sind hier die Überlegungen Wittgensteins zum R.folgen, denen zufolge sich der richtige Gebrauch einer R. weder durch die Angabe weiterer R.n (Problem des infiniten Regresses) noch durch private-innere Erlebnisse bestimmen lässt. Sie stehen in enger Verbindung mit dem Privatsprachen-Argument und zeigen, dass es sich beim R.folgen um eine intersubjektiv konstituierte Institution handelt und die richtige Anwendung von R.n deshalb eine gemeinsame Praxis voraussetzt. R Descartes: Regulae ad directionem ingenii; L Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen. – J Rawls: Two Concepts of Rules, in: Philosophical Review 64 (1955); M Black: The Analysis of Rules, in: Models and Metaphors, NY 1962, Rules and Routines, in: Margins of Precision, Lo 1970; H J Heringer: Der R.begriff in der praktischen Semantik, F 1974; A Kemmerling: R. und Geltung im

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Regress, unendlicher

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Licht der Analyse Wittgensteins, in: Rechtstheorie 6 (1975); R Bubner: Was ist eine R.?, in: Handlung, Sprache und Vernunft, F 1976; B Gert: Die moralischen R.n, F 1983; E v Savigny: Der neue Begriff der R., in: Der Mensch als Mitmensch, M 1996.

Trampota Regionale Ontologie 3 Phänomenologie Regress, unendlicher (Fortgang ins Unendliche, R.us/Progressus in infinitum) ist ein Fortschreiten oder Zurückgehen, das an kein Ende gelangt (z. B. Zahlenreihe). Dabei meint R.(us) meist die Rückfrage nach dem Ursprung und Progress(us) ein endloses Fortschreiten. Der u. R. ist nicht wirklich unendlich (infinit, 3 Unendlichkeit), sondern nur der Möglichkeit nach, d. h. endlos (indefinit). Er ist auf der Ebene der grundlegenden Wirklichkeit unmöglich, da er unter der Regel für den je nächsten Schritt steht und nur die Frage verschiebt, statt sie zu beantworten, wie schon Aristoteles bemerkte (3 Letztbegründung). Aristoteles: Anal. Post. 1,3; 1,20 f.; F Suárez: Disp. Met. 29, 1,25–40; R Descartes: Med. III. – H Stekla: Der r.us ad infinitum bei Aristoteles 1970.

Schöndorf Regressus in infinitum 3 Regress, unendlicher Regulative Prinzipien der Erkenntnis 3 Transzendentalphilosophie Rein 3 A priori 3 Transzendentalphilosophie Reines Bewusstsein 3 Phänomenologie Reinkarnation Der um 1850 entstandene Ausdruck R. (Wiederverkörperung) wurde zum Sammelbegriff für die unterschiedlichen Formen des Glaubens an eine Wiedergeburt der 3 Seele zu wiederholten irdischen Existenzen (Seelenwanderung, Metempsychose, Palingenese, Ensomatose). Seit den älteren Upanishaden (um 800 v. Chr.) verbreiten sich R.svorstellungen in den indischen Religionen, während sie in der griechischen Antike nur von einzelnen Gruppen und Denkern (Orphik, Pythagoras, Empedokles, Platon, Plutarch, Plotin, Proklos) vertreten wird, von ihnen in die Gnosis, den Manichäismus und die Kabbala übergeht, der biblischen Überzeugung von der Einmaligkeit der menschlichen Grundentscheidung (Hebr 9, 27) und der Macht der Gnade Gottes aber fremd ist und von Justin, Tertullian und Augustinus – wie später auch von den Hauptströmungen des Islam – abgelehnt wird. Außerhalb der Philosophie haben im 19. und 20. Jahrhundert der Spiritismus (A Kardec), die 3 Theosophie (H P Blavatsky, A Besant), die 3 Anthroposophie (R Steiner) und die 3 Esoterik nach 1970 im Rückgriff auf östliche und platonische Vorstellungen die R. neu ins Gespräch gebracht. Als Argumente für R. werden genannt: Die Erklärung ungleicher Schicksale aus einer (diesseitig wirkenden) universalen Gerechtigkeit (Karmagesetz); die Notwendigkeit der Läuterung und Erlösung, bis die Seele vom

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Relation

Karma sowie von der grob- und feinstofflichen Hülle befreit in – hinduistisch – Brahman bzw. – buddhistisch – im Nirwana aufgehen kann; R. als »Beweis« gegen die materialistische Leugnung der 3 Unsterblichkeit; Erinnerungen an frühere Leben, die spontan (I Stevenson) oder in Hypnose, Rückführungen, Sehererlebnissen und Meditation erfahren werden. Als philosophische Gegenargumente kann man geltend machen: Die angeblichen Erinnerungen können auf Erinnerungstäuschungen (Déjà-vu), Suggestion und u. U. Telepathie beruhen, denn die bisherigen historischen Überprüfungen sind negativ bzw. nicht eindeutig ausgefallen; die Biographie eines Menschen erklärt sich hinreichend ohne R. aus Vererbung, Sozialisation und Selbstsozialisation; die Idee der R. weist jedem Leidenden und Unterdrückten ohne hinreichenden Beweis die Schuld an seinem Schicksal zu und impliziert einen problematischen Leib-Seele-Dualismus. Ein strikter Gegenbeweis ist naturgemäß nicht möglich. H Kochanek (Hg): R. oder Auferstehung?, Fr 1992; P Schmidt-Leukel (Hg): Die Idee der R. in Ost und West, M 1996; H Zander: Geschichte der Seelenwanderung in Europa, Da 1999.

Grom Reize 3 Leben Relation / Beziehung R. oder B. ist eine der grundlegendsten Bestimmungen der Gesamtwirklichkeit, zu der auch das 3 Denken selbst gehört. Denn sie ist nicht nur das, worüber wir nachdenken können, sondern sie ist auch das, was in jedem Denkakt vollzogen wird. Auch die 3 Sprache setzt einerseits vielfältige R.en der Gegenstände untereinander bzw. die R.en zwischen Zeichen und Bezeichnetem voraus, andererseits ist sie selbst ein B.sgefüge der Zeichen. Nur die R. macht den Gedankengang, das Voranschreiten des Denkens möglich. Auch die Gesetze der Natur und der Gesellschaft sind Ausdruck gewisser konstanter B.en. Ohne R.en gäbe es nur isolierte und statische Einzelfakten, aber keinen Zusammenhang, keine 3 Struktur, keine 3 Ordnung, kein 3 Ganzes und keinen 3 Teil. Ohne R. könnte man nicht von 3 Bedingung und Bedingtem, von 3 Ursache und Wirkung reden. Denn alle diese Bestimmungen drücken stets R.en aus. Wo es keine B.en gibt, ist nichts zu verstehen, dort hat das Gegebene keine Bedeutung. Wie ist aber die R. zu bestimmen; wie ist sie in das Gesamt der Wirklichkeit einzuordnen, da ihr kein dinglich-gegenständliches Sein zukommt? Wenn man zur Einsicht gekommen ist, dass im 3 Sein alles sowohl übereinkommt als auch sich unterscheidet und zwar so, dass es zwei verschiedene Weisen sowohl der 3 Einheit oder 3 Identität als auch der Verschiedenheit oder 3 Differenz gibt, die sich als die vollkommenheitsmäßige und als die unvollkommenheitsmäßige Einheit bzw. Verschiedenheit unterscheiden, dann ist die ontologische Grundlage der R. bereits angegeben. R. ist demnach die Einheit der Verschiedenen. Sie drückt die Identität aufgrund des gemein-

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samen Seins solcher Seienden aus, die aufgrund ihrer individuellen eigenen Seinsweise voneinander verschieden sind. Weil das Sein dasjenige ist, worin alles (aber eben auf jeweils verschiedene Weise) übereinkommt, ist Seiendes als solches bezogen: »omne ens est relatum«. Die R. ist also eine transzendentale, dem Seienden als solchem zukommende Vollkommenheit. – Im endlichen Bereich ist die R. freilich immer auch durch Unvollkommenheit gekennzeichnet, und deshalb eine begrenzte Identität von Verschiedenem, durch die sowohl eine relative Isolation der Seienden gegeneinander als auch eine relative Unselbstständigkeit der Seienden an sich begründet ist. Aber nur eine totale Isolation des einen vom anderen, die zugleich eine totale Vernichtung jeder Selbstständigkeit mit sich bringen würde, würde die vollständige Negation jeder Bezogenheit bedeuten. Die in der abendländischen philosophischen Tradition vorherrschende Lehre der R. wurde allerdings (abgesehen von einigen Ausnahmen wie Scotus Eriugena und Nicolaus Cusanus) nicht von den soeben skizzierten eher personalistischen Einsichten, sondern von der Kategorienschrift und den betreffenden Überlegungen im V. Buch der Metaphysik des Aristoteles her gewonnen. Demnach ist die R. eines der der 3 Substanz zukommenden Akzidentien. Sie besagt als solche »Sein-auf-anderes-hin«. Sie ist also im Gegensatz zu dem, was einem Seienden »an sich« zukommt (z. B. das Menschsein dem Hans oder der Anna), etwas, das als solches nicht begriffen werden kann, ohne etwas von ihm Verschiedenes mitbegriffen zu haben (z. B. kann die Vaterschaft von Hans nur in Hinblick auf sein Kind ausgesagt werden). Deshalb braucht man für eine R. mindestens zwei Seiende, nämliche einen Beziehungsträger (»Vater«), von dem kraft eines Beziehungsgrundes (»Zeugung«) eine R. (»Vaterschaft«) zum B.sziel (Sohn, Tochter) besteht. Hinsichtlich der R. bedient man sich einer Unterscheidung, die es für die anderen (aristotelischen) 3 Kategorien nicht gibt. Man redet nämlich von realen R.en, die in der Wirklichkeit, also unabhängig von der denkerischen Tätigkeit des Menschen bestehen; und von den (nur) gedachten R.en, die durch die Verschiedenes miteinander in R. setzende Denktätigkeit des Menschen zustande kommen. Diese Unterscheidung ergibt sich daraus, dass man in der als Akzidens verstandenen R. zwei Aspekte unterscheidet. Sie soll nämlich einerseits als eine reale Bestimmung einer Substanz etwas in dieser tatsächlich Anwesendes sein. Andererseits ist sie ihrem Wesen nach nur »Hingeordnetsein auf anderes«, das auch durch die bloße Denktätigkeit des Menschen gesetzt werden kann. Weil die R. mindestens zwei Glieder hat, kann sie auf dreifache Weise etwas Wirkliches oder ein bloßes Gedankending sein. Es gibt Fälle, in denen die R. von beiden Gliedern her bloß gedacht ist. Zu diesem rechnet z. B. Thomas v Aquin die Selbstidentität oder die Klassifikation der Gedankenkonstruktionen. Andere sind in ihren beiden Gliedern etwas Wirkliches. Das sind alle jene R.en, die mit der Quantität oder Qualität, bzw. aus dem Wirken und Bewirktwerden folgen. Zuweilen ist aber die R. nur in

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Relativ

einem ihrer Glieder etwas Wirkliches, in dem anderen jedoch etwas bloß Gedachtes, dann nämlich, wenn die beiden Glieder verschiedenen Seinsordnungen angehören. Das Standardbeispiel ist die R. von Erkennendem und Erkennbarem. Der Erkennende sollte zum Erkennbaren eine reale R., das Erkennbare zum Erkennenden nur eine gedachte haben. An dieser Auffassung der R. ist folgendes zu beanstanden: (a) Der Begriff der nur gedachten R. ist höchstens als Limesbegriff anwendbar. Wenn man nämlich etwas denkt, das in der Wirklichkeit kein reales Fundament hat, dann denkt man etwas Falsches. (b) Die Annahme einer einerseits realen, andererseits aber bloß gedachten R. zwischen Erkennendem und Erkanntem weist auf einen Mangel an transzendentalem Denken hin. Indem man nämlich etwas als Etwas (als überhaupt Erkennbares) bezeichnet, hat man es schon auf die Erkenntnis des Erkennenden bezogen. (c) Die aus der abstrakten Definition der R. als eines Akzidens (reines »Auf Anderes-hin-Sein«) sich ergebende Auffassung, das Wesen der R. sei desto vollkommener verwirklicht, je weniger Seinsgehalt ihr zukomme, widerspricht der Grundintuition der klassischen Seinsmetaphysik. Weil man sich mit dieser im letzten Punkt formulierten Schwierigkeit konfrontiert sah, wurde in der Spätscholastik die Unterscheidung von prädikamentalen (oder akzidentellen) und transzendentalen (oder das Wesen der Seienden betreffenden) R.en eingeführt. Die in ihr zum Ausdruck kommende richtige Einsicht konnte sich aber nicht auswirken, da man die Wesensrelation auf die R. von 3 Akt und Potenz beschränkt hat. Aristoteles: Kategorien VII; Metaph. V, 15; T v Aquin: STh I q 13 a 7; ScG II 18; De pot q 3 a 3; q 7 a 8–11; F Suárez: Disp. metaph.47; G W F Hegel: Wissenschaft der Logik; A Horváth: Metaphysik der R.en, Gr 1913. – St Breton: L’»esse in« et l’»esse ad« dans la métaphysique de la r., Ro 1951; A Krempel: La doctrine de la r. chez S Thomas, P 1952.

Weissmahr Relationismus 3 Relativismus Relativ ist etwas, sofern es auf anderes bezogen oder von anderem her bestimmt ist. R. dem Begriff nach ist das, was ohne Beziehung zu etwas anderem nicht definiert werden kann, z. B. Vater, Sohn. – R. dem Sein nach ist, was 1. Sein nur in Bezug auf anderes besitzt, z. B. Akzidentien, und 2. dessen Sein eine reale Beziehung begründet (alles endliche Sein). – R. der Geltung nach ist das, was nur bedingterweise, je nach dem eingenommenen Standpunkt, also nicht absolut gilt. Wichtig ist, r. dem Sein nach und r. der Geltung nach auseinanderzuhalten. Je nachdem, ob man den Begriff der 3 Relation als notwendigerweise mit Abhängigkeit verbunden versteht oder nicht, bedeutet r. das von anderem Abhängige oder etwas, das als in sich stehend eine gewisse Absolutheit besitzt, aber zugleich auf etwas bezogen und somit r. im Sinne

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Relativismus

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von »relational« ist. Korr. ist das, was in Wechselbeziehung zum anderen steht. Weissmahr Relativismus wird die These genannt, alles sei relativ, es gebe keine absolute, für alle immer verbindliche Wahrheit oder Moral, sondern es hänge vom jeweiligen Standpunkt ab, was als wahr oder richtig gelte. Dies wird meist mit der individuellen, kulturellen und historischen Verschiedenheit begründet, die keinen übergreifenden Standpunkt zulasse, sondern nur den jeweils verschiedenen Gesichtspunkt (Perspektivismus). Der R. darf nicht mit dem Relationismus verwechselt werden, nach dem alles in Beziehung zueinander steht. Wer den R. als universal gültige These vertritt, widerspricht sich selbst. P Strasser: Wirklichkeitskonstruktion und Rationalität, Fr 1980; H Siegel: Relativism refuted, Dordrecht 1987; H J Wendel: Moderner R., Tü 1990; G Abel: Interpretationswelten, F 1993; D Salehi: Ethischer R., F 2002.

Schöndorf Religion Das Wort »Religio« wird von Cicero aus »relegere« (wieder lesen, sorgfältig beobachten) hergeleitet, weil es den »cultus deorum« bezeichne, später vom Christen Lactantius aus religare (zurückbinden), da in ihm die Rückbindung an den zu verehrenden Gott gemeint sei. Letztere Herleitung übernimmt Augustinus, der von der »vera religio« spricht, der Verehrung für den schon durch die Vernunft erkennbaren wahren Gott, und knüpft so die Verbindung zur Philosophie und dem ihr gemäßen tugendhaften Leben. Im Mittelalter bezeichnet religio die besondere Hingabe an Gott und speziell den Ordensstand, während der Humanismus der Renaissance wieder die philosophisch fundierte »vera religio« des Christentums im Auge hat. Cusanus unterscheidet sie von den völkerspezifischen Riten (»una religio in ritibus diversis«) und sucht so (doch unter dieser Normvorgabe) die Verständigung zwischen Juden, Moslems und Christen (de pace fidei, 1453). Zunächst behält religio die Bedeutung eines vernunftbegründeten Christentums. Erst ab dem 16./17. Jahrhundert wird der Begriff im Plural gebraucht, als das Christentum sich mehr und mehr im Kontext der bekannter werdenden R.en der Völker sehen muss. Was aber ist das den verschiedenen R.en Gemeinsame, ihr Wesen also? Schleiermacher bestimmt es als »Gefühl der Abhängigkeit« in der Ausrichtung auf das »Unendliche«. Bei Hegel wird daraus »die Erhebung zum Unendlichen«, und er sieht deutlich, dass mit dem Schritt zu einem allgemeinen R.sbegriff nur noch über diesen die Vorrangstellung des Christentums zu begründen ist. Seine breit angelegte R.sgeschichte führt ihn zu dem Ergebnis, dass nur das Christentum mit seiner Lehre von Inkarnation und Geistmitteilung dem Begriff des Unendlichen (oder Absoluten) gerecht wird, weil nur dessen Sich-Äußern die Erhebung zu ihm ermöglicht, die als Selbsttranszendenz die Freiheit des Menschen ausmacht. Feuerbach bindet

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Religion

diesen Transzendenzvollzug allein an den Menschen und sieht in den religiösen Vorstellungen nur Projektionen in ein imaginäres Jenseits. Damit prägte er für die reduktionistischen R.stheorien, die im Zuge einer r.skritischer werdenden Aufklärung (3 R.skritik, 3 Atheismus) an Boden gewannen, die entscheidende Formel. Was sie sagt, schien auch methodisch gefordert. Denn war nicht die Reduktion auf überprüfbare Gegebenheiten eine Voraussetzung für die wissenschaftliche Erforschbarkeit des ständig anwachsenden Materials zur R. in all ihren Aspekten? Doch wurde man ihrem Selbstverständnis mit dieser Reduktion noch gerecht und lief nicht vielmehr Gefahr, dasjenige aus den Augen zu verlieren, was es zu erforschen galt? Die Lösung schien darin zu bestehen, sich methodisch auf die empirisch fassbare Seite religiöser Intentionen zu beschränken und die Frage nach deren Referenz offenzulassen. In dieser Unbestimmtheit blieben auch meist die Bezugsgrößen, die der religiösen Intention zugeordnet wurden: etwa das Göttliche, Heilige oder Numinose (z. B. bei R Otto, G v d Leeuw, G Mensching). Begriff man das religiöse Sich-Verhalten als von solchen intentionalen Größen geleitetes Handeln, so ging es darum, dessen funktionalen Wert zu erforschen, der dann etwa in der Stabilisierung der Gemeinschaft (É Durkheim) oder in der Lösung von Triebkonflikten (S Freud, A Mitscherlich) gesehen wurde. An die Stelle der weggefallenen überempirischen Referenz traten allerdings andere, eben empirisch fassbare Gegebenheiten, die gleichsam die religiösen Intentionen »im Rücken« leiteten, so dass deren funktionale Deutung rasch zur genetisch reduktionistischen Erklärung wurde. Aber in letzter Zeit arbeitet gerade die funktionale Interpretation der R. mit einem Begriff, der sich dem reduktionistischen Verständnis widersetzt, nämlich mit dem der »Kontingenz«. Mit ihm soll exakt das bezeichnet werden, worauf sich R. funktional bezieht (N Luhmann, H Lübbe). Dann aber geht es in ihr letztlich um eine Antwort auf die durch keine Erklärung oder Handlung zu tilgende Faktizität, die als solche auch den Rahmen jeder empirischen Reduktion bildet (K Wuchterl). Tod, Leid, begrenztes Glück sind Erfahrungen, in denen sich die Kontingenz des Lebens aufdrängt. R. versucht sie in einem Akt der Transzendenz zu »bewältigen« (Lübbe). Doch hier wird die philosophische Frage nach dem Woraufhin dieses Transzendierens unabweisbar. Denn das Erfassen von Kontingenz (und allen innerkontingenten Zusammenhängen) ist in sie selbst nicht mehr auflösbar und damit ein Akt, der über sie hinausgeht. Er kann sich nur auf das »ganz Andere« richten, auf das in sich Begründete, Nicht-Kontingente. Leer kann diese Referenz nicht sein, sonst wäre die Kontingenz eben doch alles bestimmend und nicht mehr erfassbar. Es zeigt sich, dass dieser Grundgedanke der Metaphysik, den schon Augustinus für seinen Begriff der »vera religio« in Anspruch nimmt, bis heute seinen Erklärungswert behält. R. ist das Bewusstsein von einem Bereich, der unsere kontingente Welt überschreitet und uns zugleich »angeht«, weil er aus sich und um seiner selbst willen »ist« und »gilt«. Damit erhält der R.sbegriff ein normatives Element. R. be-

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Religion

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sitzt den Maßstab ihrer eigenen Beurteilung, ihrer Kritik und Selbstkritik, so dass ihr geschichtlicher Wandel wesentlich aus ihr selbst resultiert und nicht allein auf äußere politische Bedingungen zurückzuführen ist. In ihr geht es um einen von der Welt grundverschiedenen Bereich, der zugleich machtvoll in ihr präsent ist und dem die religiösen Einstellungen gerecht zu werden versuchen. Das Wort Gott oder das Göttliche steht für diesen Bereich. Er ist »wirklich« (im ursprünglichen Sinn), nämlich wirk-mächtig und schlechthin verehrungswürdig, wie er auch alles Verehrungswürdige legitimiert und sanktionierend schützt. Sein Erscheinen erlaubt es zwar, sich Vorstellungen von ihm zu bilden, etwa in Mythen, die von seinem Walten und den ihn selbst diversifizierenden Manifestationen berichten. Doch aus dem Bewusstsein seiner Jenseitigkeit erwächst auch das Bestreben, seine Unanschaulichkeit zu betonen, die, wie in den Hochr.en, mit seiner alle Bestimmungen übergreifenden Einheit konvergiert. Nur über Verneinungen scheint das Denken sich ihm nähern zu können, bis dahin, dass, wie im Buddhismus, auf den Begriff des Göttlichen, ja sogar auf den des jenseitigen Seins verzichtet wird. Auch den monotheistischen R.en ist dieser Verzicht auf positive Aussagen über den einen Gott nicht fremd, so etwa ihrer Mystik und 3 negativen Theologie, die sich auch in den teilweisen Bilderverboten ausspricht. Die Unbeliebigkeit des göttlichen Anspruchs drückt sich im autoritativen Charakter seiner Vermittlung aus. Begründet wird er etwa durch mythisch überlieferte göttliche Selbstkundgaben oder durch an große Stifterpersönlichkeiten ergangene Offenbarungen, die mündlich fortleben oder schriftlich fixiert wurden. Die Sprache der R. ist weitgehend die des urgeschichtlichen Mythos, aber auch der Weisheitslehre und der Prophetie, im Judentum vor allem der Geschichte als Medium für Gottes Wirken in der Welt und im Christentum durch die Lehre von seiner vollen geschichtlichen Präsenz in ihr. Gewöhnlich findet sich der religiöse Mensch in einer durch eine bestimmte R. vorgegebenen Welt- und Daseinsdeutung vor, die ihn zu einer ihr gemäßen Sicht der Dinge anleitet, ebenso zu einem entsprechenden Tun, zu Gebet und rituellem Handeln, aber auch zu einer sittlichen Lebensführung. In ihrer reflektierten Gestalt wird die R. zur Theologie, wie sie besonders im Christentum entwickelt wurde, das, indem es auf seine allgemeine Vermittelbarkeit bedacht war, die Verbindung mit der Vernunftkultur der Philosophie einging, weil ihm die Botschaft vom »Logos« aufgegeben ist, der als Mensch erschien und im Menschen als Geist lebendig ist. Artikel R. in: HWPh, LthK, RGG, TRE; G v d Leeuw: Phänomenologie der R., Tü 1956; G Mensching: Die R., St 1959; N Luhmann; Funktion der R., F 1977; R Schaeffler: Auf dem Weg zu einem philosophischen Begriff der R., in: Handbuch der Fund.Theol I, hg. v. W Kern, Fr 1985; E Feil: Religio I-.IV, Gö 1986 ff.; H Lübbe: R. nach der Aufklärung, Gr 1986; F Wagner: Was ist R.?, Gt 1986; K Wuchterl: Analyse und Kritik der religiösen Vernunft St 1989; D Pollack: Was ist R.?, in: Zeitschrift für R.swissenschaft (3) 1995, 163–190.

Schmidt

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Religionskritik

Religionskritik gibt es schon innerhalb der Religion. So wenden sich die biblischen Propheten gegen den Götterglauben im Namen des einen Gottes mit durchaus rationalen Argumenten (Jes 40, 18 ff.; Bar 6), ebenso wie gegen eine Veräußerlichung des Kultes und anderer Missstände der eigenen Glaubensgemeinschaft (Am 5, 21 ff.). Religionskritische Züge trägt auch das Christentum in seiner Entstehung und seinen Reformbewegungen. Ähnliches ist von den großen Religionen zu sagen: dem Islam, dem Konfuzianismus und Taoismus, wie auch dem Buddhismus, der mit seiner Depotenzierung der Götter des Hinduismus zugleich dessen Reformbewegung ist. Aus solch immanenter R. ist auch die Philosophie erwachsen. Denn die vorsokratische Frage nach dem einen Ursprung (arché) ist auch eine religiöse (vgl. schon Hesiods Göttergenealogie). Sie führt aber im Zuge ihrer philosophischen Entfaltung in eine Auseinandersetzung mit den gängigen Vorstellungen der Religion. Xenophanes kritisiert scharf deren Anthropomorphismus (B 12–16) und kontrastiert ihn mit dem Gedanken eines höchsten, rein geistigen Gottes, der alles »lenkt« (B 23–26). In diesem Sinn versteht auch Platon seine Kritik an der homerischen Götterwelt (Politeia II). Doch lässt die nichtreligiöse Sprache für die erfragte Ursprungswirklichkeit (bei Parmenides: reines »Sein«) es auch zu, sie nicht mehr religiös zu begreifen. Dann richtet sich die Kritik gegen die Religion selbst, so im Atomismus des Demokrit (die Götter sind Produkte der Angst und falscher Deutung der Natur, A 75; später von Lukrez aufgenommen, de rer. nat. VI 49 ff.). Auf das Wesen der Religion zielt auch die sophistische Kritik, etwa bei Kritias (die Religion ist eine Erfindung zur Disziplinierung der Mitmenschen, B 25). Die beschriebene Ambivalenz der R. zeigt sich in der Neuzeit ebenfalls. So steht die aus den Erfahrungen der Konfessionskriege erwachsene, gegen besondere Offenbarungsansprüche gerichtete R. des Deismus im Dienst einer allein auf Vernunft gegründeten Religion. Spinoza verbindet seine scharfe Kritik am Bibelverständnis seiner jüdischen Glaubensgenossen mit der Lehre von der einen göttlichen Substanz als dem allein wahren Gott. Auf christlicher Seite entwickelte sich im Zuge der durch das reformatorische Schriftprinzip begünstigten Exegese eine Bibelkritik, die man als Angriff auf den Glauben überhaupt empfand, obwohl etwa H S Reimarus seine Kritik nur als den befreienden Schritt zu einem vernünftigen religiösen Glauben verstand. Aber gegen diesen erhob D Hume wirkungsvolle metaphysikkritische Einwände. I Kant trug dem Rechnung mit seiner Einschränkung theoretischer Erkenntnismöglichkeiten und einer nur aus der moralischen Gewissheit gewonnenen postulatorischen Begründung der Religion, die, »innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« verbleibend, zugleich an religiösen Vorstellungen und Praxen Kritik übte. J G Fichte knüpfte an Kant an, ging aber über ihn hinaus, und verband seine theoretisch-praktische Gesamtkonzeption des Absoluten mit dem Verdikt dagegen, Gott als Substanz oder als Person aufzufassen. Darüber geriet er in den »Atheismusstreit«, in welchem er sich jedoch als Vertreter

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Religionskritik

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einer vertieften Religiosität verteidigte. Auch C L Reinhold, F W J Schelling und G W F Hegel wehrten sich gegen entsprechende Vorwürfe in diesem Sinn. In Frankreich stand besonders J J Rousseau für eine solche positiv ausgerichtete R. Doch nahm ansonsten im vorrevolutionären Frankreich die R. an Schärfe zu. Von den Enzyklopädisten hielten Voltaire und d’Alembert bei allen Vorbehalten gegenüber der Religion am Deismus fest, ohne ihn allerdings kraftvoll zu stützen. Der späte Diderot bekannte sich jedoch zum Atheismus. Einen solchen vertraten mit Nachdruck La Mettrie (L’homme machine) und von Holbach (Le Système de la nature). Einflussreich war die konsequent atheistische Kritik in dem anonym erschienen Traité des trois imposteurs (Traktat über die drei Betrüger: Moses, Jesus, Mohammed, 1768). In Deutschland gewann die atheistische R. vor allem durch L Feuerbach große Breitenwirkung. Für ihn ist Gott eine Projektion der dem menschlichen Gattungsleben eigenen Unendlichkeit in ein imaginäres Jenseits. K Marx knüpfte an diese Kritik an und verband sie mit seiner Sozialkritik: Jene Projektion sei Instrument der Herrschenden, um die von ihnen Unterdrückten mit dem »Opium« der Jenseitsvertröstung ruhig zu stellen. F Engels integrierte diese Lehre in ein System des Materialismus, zu dem, wie ihm schien, die Naturwissenschaft notwendig führen musste. Zu einer atheistischen R. wertete E Haeckel die darwinsche Evolutionslehre aus. Zeitgleich mit Feuerbach richtete A Schopenhauer seine Lehre vom alles bestimmenden blinden Willen gegen religiöse Jenseitshoffnungen, erkannte aber das Christentum im Sinne einer buddhistisch verstandenen Lehre von der Willensverneinung an. Anknüpfend an ihn und in Absetzung von ihm, richtete F Nietzsche seine Kritik gegen ein den Lebenswillen verneinendes und das Triebleben störendes Christentum und wies damit auf S Freud voraus, der in der Religion nur einen neurotisch infantilen Versuch der Bewältigung innerer Triebkonflikte sehen konnte. Von einem existentiell begründeten Glauben aus führt S Kierkegaard seinen Kampf gegen ein veräußerlichtes Christentum. J-P Sartre erklärte den Existentialismus als atheistisch um der Freiheit willen, weil, wie er meinte, der Gottesglaube sie verhindere (Die Fliegen). Bei A Camus ist (wie bei vielen anderen Kritikern) das Hauptargument gegen die Religion das Theodizeeproblem (Die Pest). Es zwinge den Menschen zu einer heroisch-ethischen Existenz in einer absurden Welt. M Heideggers R. folgt aus seiner Destruktion der klassischen Metaphysik, da er den Glauben unlöslich mit ihr verbunden sieht. Doch sei aus einer neuen Sicht des Seins eine Rede vom 3 Heiligen möglich, die ein »Nennen« Gottes vorbereiten könne. Von der Sprachphilosophie her wurde die religiöse Rede dahingehend kritisiert, dass ihre Sätze weder wahr noch falsch, sondern sinnlos seien (R Carnap, A J Ayer, A Flew). Damit sind die Gedankengänge vorhanden, auf die auch die heutige R. zurückgreift und die sie vielfach kombiniert (J Monod, A Mitscherlich, E Topitsch, H Albert, R Dawkins u. a.). Eine aus der Theologie kommende (D Bonhoeffers Rede vom »religionslosen Christentum« missver-

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Religionsphilosophie

stehend radikalisierende) R. stellt die sogenannte Gott-ist-tot-Theologie dar (J A T Robinson, T J J Altizer u. a.), die von einem atheistischen Humanismus kaum zu unterscheiden ist. Einer philosophischen Auseinandersetzung mit der Kritik an der Religion muss es um deren Vernunftgehalt gehen (3 Gott, 3 Gottesbeweise). Ist dieser erweisbar, ist auch das Recht einer internen Kritik an ihr offensichtlich, weil mit ihrer reflexen Gestalt immer schon gegeben. Aber auch die Bereitschaft wird dann wachsen, von der externen Kritik zu lernen, ebenso die Fähigkeit, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Darüber hinaus wird der Glaube an den alleinigen Gott auch sein kritisches Potential gegen falsche Absolutsetzungen geltend machen können, nicht zuletzt gegen die in der externen R. implizit enthaltenen, so dass »Kritik der Religion« nicht nur als objektiver, sondern auch als subjektiver Genitiv zu verstehen ist. Artikel R. in: HWPh, RGG, TRE, LthK; D Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung, M 1951; A Mitscherlich: Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft, M 1963; J A T Robinson: Gott ist anders, M 1964; H Albert: Traktat über kritische Vernunft, Tü 1968; E Topitsch: Mythos – Philosophie – Politik, F 1969; J Monod: Zufall und Notwendigkeit, M 1973; R Schaeffler: Religion und kritisches Bewusstsein, M 1973; Die Kritik der Religion, in: Handbuch der Fundamentaltheologie I, hg. v. W Kern, Fr 1985; K H Weger (Hg): R. von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Fr 1979; R., Gr 1991; R Dawkins: Der Gotteswahn, B 2007.

Schmidt Religionsphilosophie Die R. entwickelte sich im 18. Jahrhundert aus dem Bemühen, das Wesen und die Wahrheit des religiösen Glaubens aus der Vernunft zu begreifen ohne Rückgriff auf Offenbarungsansprüche und ohne sich die Zuständigkeit mit ihnen zu teilen (wie die traditionelle »Theologia naturalis«). Nach Kant ist Religion moralischer Vernunftglaube, für Schleiermacher »Gefühl des Unendlichen« oder »Anschauen des Universums«, und von Hegel wird sie als »Erhebung zum Unendlichen« bestimmt. Feuerbach sieht in solcher Erhebung nur ein Selbstmissverständnis des Menschen, der sein eigenes unendliches Streben hypostasiert und in ein Jenseits projiziert. Damit ist das Vorbild abgegeben für alle späteren reduktionistischen Theorien über die Religion, die sie entweder aus dem gesellschaftlichen Handeln (Marx, Durkheim), dem (pervertierten) Lebenswillen (Nietzsche), aus Triebkonflikten (Freud) oder evolutionsbiologischen Mechanismen (Dawkins) hervorgehen lassen. Im 20. Jahrhundert entstehen R.n, denen es um die nicht in solcher Art reduzierbare Eigenbedeutung des Religiösen zu tun ist. Ausgehend von einer Beschreibung der »Vielfalt religiöser Erfahrung« deutet W James sie letztlich als Teilnahme an einem göttlichen Leben. Einflussreich war die Wahl des »Heiligen« als Einheitsbegriff für das in der religiösen Erfahrung ursprünglich Erscheinende (R Otto, F Heiler, G Mensching, M Eliade). Für M Scheler bezeichnet dieser Begriff das die Religion konstituierende integrative Werterfassen, und für Heidegger ist das Heilige eine Weise der

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Selbstoffenbarung des Seins. Nach P Tillich ist Religion einfachhin »die Richtung auf das Unbedingte«, und K Rahner sieht die Religion fundiert in dem alle unsere theoretisch-praktischen Vollzüge begleitenden Ausgriff auf das absolute Sein. Jaspers spricht von einem »philosophischen Glauben«, der sich mit der existentiellen Gewissheit von einem letzten »Umgreifenden« einstellt. B Welte entwickelt die Bedeutung des Religiösen aus der Bedrohung durch das »Nichts«, d. h. aus Erfahrungen der Existenzangst und Sinnlosigkeit. Andere setzen, inspiriert von Wittgenstein, bei der Analyse der religiösen Sprache ein (I Dalferth). R Schaeffler strebt in einer Kombination von Transzendentalphilosophie, Religionsphänomenologie, Religionsgeschichte und Sprachphilosophie eine komplexe Würdigung des Religiösen an, deren Mitte ein dialogischer Erfahrungsbegriff ist. J Splett sieht die Dimension des Religiösen in Grunderfahrungen des Menschen (vor allem des Sittlichen und Schönen) so verankert, dass ohne sie das geistige Leben in seinen Grundvollzügen nicht zu verstehen ist. Über deren metaphysische Implikationen findet Splett wieder Anschluss an die klassisch-philosophische Theologie. Letzteres gilt auch für den russischen Philosophen S Frank, der in seinem (ursprünglich auf Deutsch geschriebenen) Buch »Das Unergründliche« eine personale Metaphysik entwickelt, nach welcher Gott als die beanspruchende Nähe seines bleibenden Geheimnisses erfahrbar ist. Eine Verbindung zu Argumenten der klassischen Metaphysik legt auch die neuere Verwendung des Kontingenzbegriffs in der Behandlung der Religionsthematik nahe. »Was ist Religion?« fragt der Soziologe D Pollack und kommt zu dem Ergebnis, dass sich für deren Definition der Begriff der »Kontingenz« besonders eigne: »Das Bezugsproblem besteht, so nehme ich in Übereinstimmung mit vielen anderen Religionstheoretikern an, im Problem der Kontingenz. […] Für die Religion ist sie insofern relevant, als sie die prinzipiell unaufhebbare Ungesichertheit des Daseins thematisiert« (Pollack 184). Den Anstoß dazu gab der Soziologe N Luhmann: Er geht davon aus, dass die Gesellschaft ein reflexives System ist, das als solches darauf ausgerichtet ist, seine Umwelt durch »Reduktion von Komplexität« in eine Ordnung von »Sinn« umzuwandeln (Luhmann, Kap. 1). Weil dieser Prozess aber nie zum Abschluss kommen, die Reduktion nie vollkommen gelingen kann, bleibt für das System das Problem nicht aufhebbarer Kontingenz bestehen. Hat sich nun die Religion »eingespielt« auf dieses Verhältnis von »Unbestimmbarkeit und Bestimmtheit (oder: Transzendenz und Immanenz), gibt es für die Lösung dieses Problems außerhalb der Religion keine funktionalen Äquivalente mehr« (46). Entsprechend wird von Luhmann die nähere Beschreibung und Bestimmung religiöser Inhalte unter der Überschrift »Transformationen der Kontingenz im Sozialsystem der Religion« (182 ff.) vorgenommen. H Lübbe hat diesen Gedanken aufgegriffen, um die Tatsache begreiflich zu machen, dass die Religion durch die Aufklärung nicht zum Verschwinden gebracht wurde, und um die Vermutung zu erhärten, dass ein solches Verschwinden auch für die Zukunft

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Religionsphilosophie

nicht zu erwarten ist. Er geht aus von der »Kennzeichnung der Religion als Kultur des Verhaltens zum Unverfügbaren oder als Kontingenzbewältigungspraxis« (Lübbe, 150). Denn: »In religiöser Lebenspraxis verhalten wir uns zu derjenigen Kontingenz, die sich der Transformation in Handlungssinn prinzipiell widersetzt« (154). Der Glaube konkurriert deshalb nicht mit den Wissenschaften, denn er »bezieht sich vielmehr aufs kontingente Ganze der Voraussetzungen unseres Lebens« (172). Im Anschluss hieran zeigt K Wuchterl, dass »Kontingenzbewältigung« stets der Versuch des Subjekts ist, entweder in theoretischer Weise, durch die Einordnung in Verstehenszusammenhänge, oder auf praktischem Weg durch handelnde Veränderung und Gestaltung, erfahrene Kontingenzen abzubauen. Doch eben dieses Bemühen in Wissenschaft und Technik gerät an Grenzen, da man unvermeidlich auf letzte Faktizitäten stößt, die sich nicht mehr durch solche Einordnung und Gestaltung in Sinnzusammenhänge auflösen lassen. Die Anerkennung der Faktizität ist nun die Voraussetzung für eine religiöse Einstellung. Soll diese zustande kommen, muss allerdings der Blick auf die Kontingenz von einer Offenheit für das »ewig Andere« (Wuchterl, 127) zu ihr begleitet sein. Nur von diesem »ganz Anderen« (127) kann dann eine Sinngebung, welche über die Bewältigungspraxis hinausgeht, erwartet werden. Sie müsste, da sie aus dem Bereich des absolut Unverfügbaren kommt, als »Offenbarung« gelten (127, 241). Erst mit dieser Erwartungshaltung ist nach Wuchterl der (sich bei Luhmann und Lübbe immer noch einstellende) Verdacht einer bloß funktionalen Inanspruchnahme der Religion durch das menschliche Subjekt zur »Bewältigung« der Kontingenz ausgeräumt. R Spaemann macht darauf aufmerksam, dass schon der Gottesbegriff sich solchen Inanspruchnahmen entzieht. »Allerdings ist es richtig, dass der Mensch Gott braucht, aber er braucht ihn gerade als einen solchen, […] der den Menschen seinerseits nicht braucht und dessen schaffende Liebe aus Überfluß, nicht aus Mangel und Ergänzungsbedürftigkeit stammt« (Spaemann, 1972:58). Dieser Gott ist der »ganz Andere«, absolut Nichtkontingente, allein aus sich und um seiner selbst willen existierend, ohne dessen Voraussetzung jede »Bewältigung« der Kontingenz noch in ihr befangen bleibt. Artikel R. in: HWPh, LThK, RGG, TRE; K Rahner: Hörer des Wortes, M 1941; P Tillich: R., St 1962; R Spaemann: Die Frage nach der Bedeutung des Wortes ›Gott‹, in: Intern. kath. Zeitschr. (1) 1972, 54–72; N Luhmann: Funktion der Religion, St 1977; B Welte: R., Fr 1978; R Schaeffler: R., M 1983; H Lübbe: Religion nach der Aufklärung, Gr 1986; K Wuchterl: Analyse und Kritik der religiösen Vernunft, St 1989; S Frank: Das Unergründliche, M 1995; D Pollack: Was ist Religion?, in: Zeitschrift für Religionswissenschaft (3) 1995, 163–190; J Splett: Denken vor Gott, F 1996; F Ricken: R., St 2003.

Schmidt Repraesentatio 3 Vorstellung Republik 3 Demokratie

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Retorsion

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Repugnanz 3 Widerspruch, Satz vom Res 3 Ding Reservatio mentalis 3 Lüge Respekt 3 Gefühl Res publica 3 Staat Restitution 3 Strafe Retorsion (lat. retorquere: den Spieß umdrehen) heißt (1) jene in der klassischen Logik verwendete Argumentationsform, die im »Umdrehen« eines 3 Dilemmas besteht, bzw. (2) der Aufweis eines performativen oder transzendental(pragmatisch)en Widerspruchs. Dieser ist vom formalen zu unterscheiden, der darin besteht, dass in derselben Aussage etwas sowohl behauptet als auch bestritten wird. Ein solcher Satz ist wegen seiner Form, d. h. analytisch falsch. Der performative Widerspruch entsteht dadurch, dass das ausdrücklich Behauptete durch den Vollzug der Behauptung (unbeabsichtigt) bestritten wird. Ein solcher Satz ist stets aufgrund seines Inhalts falsch. – Seine Falschheit ergibt sich aus der doppelten Mitteilungsfunktion der Sprache. Denn durch jede Behauptung teilt der Sprecher hinausgehend über das inhaltlich Behauptete durch den Vollzug seiner Behauptung mit, dass (a) die notwendigen Entstehungsbedingungen und (b) die notwendigen Bedingungen der möglichen Geltung der Behauptung tatsächlich verwirklicht sind. Keine Behauptung kann wahr sein, in der eine oder beide Bedingungen geleugnet werden. (Beispiel für (a): der deutsch gesprochene Satz: Ich kann kein Wort deutsch. – Beispiel für (b): Es gibt überhaupt keine wahre Aussage.) Umgekehrt: alle Aussagen sind notwendigerweise wahr, bzw. durch sich selbst letztbegründet (3 Letztbegründung), die nicht bestritten werden können, ohne einen performativen Widerspruch zu begehen. G Isaye: La justification critique par r., Rev. phil de Louvain 52 (1954); B Weissmahr: Ein Vorschlag zur Theorie der retorsiven Argumentation, in: O Muck (Hg): Sinngestalten, I 1989, 66–77; V Hösle: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie, M 2 1994.

Weissmahr Reue 3 Gewissen Revisionismus 3 Marxismus Revolution 3 Widerstand Rezeptivität 3 Erfahrung Richtigkeit 3 Logik Ruhe 3 Bewegung Sacherklärung 3 Definition Sachlichkeit 3 Objektiv Sachverhalt Ein S. ist eine Kombination von Elementen, die nicht im Denken, sondern in der Ebene der Objekte in ihrer Gesamtheit ein wirkliches

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Satz

oder mögliches 3 Ereignis oder einen Gesetzes- oder Wesenszusammenhang (Wesensverhalt) bilden. Der S. wird sprachlich durch einen (3 Aussage-)Satz ausgedrückt, kann also als wahr oder falsch behauptet werden. Umgekehrt bezieht sich eine 3 Behauptung immer auf einen S. in diesem weitesten Sinn. Vielfach wird S. aber in einem engeren Sinn gleichbedeutend mit 3 Tatsache verwendet und meint ein konkretes, kontingentes Faktum, einen Zustand, der zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort angetroffen wird (oder werden kann). Der S. ist keine atomare Letztgegebenheit, sondern lässt sich ebenso wie der ihm entsprechende Satz in seine verschiedenen Faktoren (3 Kategorien, 3 Substanz/Akzidens) analysieren. A Süßbauer: Intentionalität, S., Noema, Fr 1955; P Welsh (Hg): Fact, value and perception, Durham 1975; K Mulligan (Hg): Speech act and S., Dordrecht 1987; E Tegtmeier: Grundzüge einer kategorialen Ontologie, Fr 1992; O Neumaier (Hg): Satz und S., St. Augustin 2001; H-P Leeb: S.e und Extensionalität in der freien Logik, St. Augustin 2006.

Schöndorf Sakral 3 Heiligkeit Sanktion 3 Strafe Satz ist zunächst einmal ein grammatikalischer Ausdruck und meint jenes sprachliche Gebilde, das nicht nur (als Nomen oder Kombination nominaler Ausdrücke) ein oder mehrere bestimmte Objekte bezeichnet, sondern (als Kombination nominaler und verbaler Ausdrücke) im Normalfall eine aus mehreren Worten bestehende Ganzheit ist, die eine Tatsache oder einen Sachverhalt bezeichnet und eine Sinneinheit darstellt. Dabei kann die Bezugnahme auf die Tatsache oder den Sachverhalt die Form der (bejahenden) 3 Behauptung, der Verneinung, der 3 Frage, der Bitte, des Wunsches oder Befehls und dergleichen annehmen. Der Ausdruck S. kann aber auch in einer spezielleren Bedeutung gebraucht werden und einen wissenschaftlichen Lehrs. (ein Theorem: z. B. der S. des Pythagoras) oder einen Grunds. (3 Prinzip: z. B. der S. vom 3 Widerspruch) meinen. Der Aussages. (3 Aussage) besteht nach der traditionellen, auf Aristoteles zurückgehenden Auffassung aus Subjekt, Kopula und Prädikat (»S ist P«). Frege hat den S. in nur zwei Komponenten aufgeteilt: Das Subjekt wird zum Argument, Kopula samt Prädikat werden zur Funktion, so dass sich für den S. die Formel ergibt: F(a). Für sich genommen ist die Funktion ungesättigt, solange für sie kein Argument eingesetzt wird. Aussagesätze sind wahrheitsfähig, d. h. sie treten im Normalfall in der Form einer Behauptung auf und sind grundsätzlich entweder wahr oder falsch. Für andere S.arten (Frage-, Bitt-, Befehls-, Ausrufesätze und dgl. mehr), die keine Behauptung zum Ausdruck bringen, gilt dies nicht. Der (Aussage-)S. wird auch als Proposition, sein Gehalt (sein Inhalt, seine

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Schein

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3 Bedeutung) als propositionaler Gehalt bezeichnet. Er kann sprachlich auch als Nebens. formuliert werden und wird dann im Deutschen durch »dass« eingeleitet. Dies geschieht vor allem dann, wenn der propositionale Gehalt eines Gedankens, Wunsches o. ä. formuliert werden soll, dem kein existierender 3 Sachverhalt entspricht oder bei dem die Frage offen gelassen werden soll, ob ein entsprechender Sachverhalt existiert. E Seidel: Geschichte und Kritik der wichtigsten S.-Definitionen, J 1935; P Gochet: Esquisse d’une théorie nominaliste de la proposition, P 1972; G Wohlfart: Der spekulative S., B 1981; E Tugendhat / U Wolf: Logisch-semantische Propädeutik, St 1983; B L Müller: Der S., Tü 1985; D Perler (Hg): S.theorien, Da 1990, Der propositionale Wahrheitsbegriff im 14. Jahrhundert, B 1992; J König: Der logische Unterschied theoretischer und praktischer Sätze und seine philosophische Bedeutung, Fr 1994; O Neumaier (Hg): S. und Sachverhalt, St. Augustin 2001; V A Munz: S. und Sinn, A 2005.

Schöndorf Satz, Gödel’scher 3 Beweis 3 Logik 3 Mathematik 3 Menge 3 Vollständigkeit Satz vom ausgeschlossenen Dritten 3 Dritten, Satz vom ausgeschlossenen Scham 3 Gewissen 3 Gefühl Schätzungskraft, -vermögen 3 Instinkt 3 Sinneserkenntnis Schau 3 Anschauung Schein kommt von s.en, was leuchten, strahlen, sich zeigen bedeutet. Während eine 3 Ers.ung der eigentlichen Wirklichkeit entsprechen kann (vgl. 3 Phänomenologie) oder nicht (wie bei Kant, wo die Ers.ung aber dennoch wahr und keineswegs S. ist), ist der S. trügerisch und unwahr und steht darum im Gegensatz zum (wahren) 3 Sein. Denn er erweckt einen falschen Eindruck und gibt vor, etwas anderes zu sein, als er in Wahrheit ist. Wenn die durch den S. erzeugte Täuschung etwas Besseres als die Wirklichkeit vorgibt, handelt es sich um eine Illusion. Wird ein S. bewusst erzeugt, so handelt es sich um eine Fiktion (Erdichtung, Erfindung). Darum wird die Als-ob-Philosophie Vaihingers Fiktionalismus genannt. Bereits in der Antike befasste man sich mit Sinnestäuschungen (Trugwahrnehmungen, Halluzinationen usw.), die etwas vorspiegeln, was nicht der Wirklichkeit entspricht. Solche Täuschungen werden oft als Begründung für die 3 Skepsis angeführt. H Vaihinger: Die Philosophie des als ob, B 1911; R Carnap: S.probleme in der Philosophie; M Theunissen: Sein und S, F 1978; A Halder (Hg): Sein und S. der Religion, D 1983; W Schmidt-Faber: Argument und S.argument, M 1986; M Fick: Der S. der Dinge, Tü 2002; S Schulze Beiering: S. und Wirklichkeit, Ms 2007.

Schöndorf

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Schema

Schema ist zu einem eigentlich philosophischen Terminus erst in Kants »Kritik der reinen Vernunft« geworden, und zwar im Zusammenhang mit dem zentralen Problem der Transzendentalphilosophie. Wenn Kant zu Beginn des »S.tismus der reinen Verstandesbegriffe« (A 137–147) die Frage stellt, »wie reine Verstandesbegriffe auf Erscheinungen überhaupt angewandt werden können«, so wiederholt er eine frühere Frage (A 85), die er durch die »transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe« bereits beantwortet hatte. Das S.tismus-Kapitel ist deshalb ein zeitlich und sachlich anders gelagerter Versuch, das sogenannte »antithetische Problem« des Briefes vom 21. Februar 1772, aus dem die KrV hervorgegangen ist, zu lösen. Kein Wunder deshalb, dass Kant in diesem Kapitel durch das neue Mittel des transzendentalen S.s dieselbe Lösung wie im Deduktionskapitel vorlegt. Das S. ist eine »transzendentale Zeitbestimmung«, die als intelligible Synthesis mit den Kategorien und als Synthesis in der Form a priori der Zeit mit der empirischen Anschauung gleichartig ist. Damit kann es zwischen beiden vermitteln und so als Kriterium für die Anwendung der reinen Verstandesbegriffe auf die Erfahrung dienen. In der scholastischen Tradition aristotelisch-thomistischer Prägung stellt sich das Problem der Anwendung des Begriffs auf das sinnlich Erkannte nicht, weil die Verbindung von Sinn und Verstand bereits im Akt des »intelligere in sensibili« stattfindet, aus dem der Begriff hervorgeht. Dennoch zählt sie unter den fünf inneren Sinnen die »vis cogitativa« (auch »ratio particularis« genannt), die das Individuum unter dem gemeinsamen Wesen erfasst (Thomas v Aquin, In De anima, II, 13) und deshalb in einem gewissen Sinne das »universale in particulari« erkennt. Eine solche Fähigkeit wächst der Sinnlichkeit des Menschen zu, insofern sie unter dem Einfluss des Verstandes steht (Post. Analyt. II, 20). Kant: KrV. – E R Curtius: Das S.tismuskapitel in der KrV, Kantstudien 19 (1914) 338–366.

Sala Schlecht 3 Böse 3 Übel Schluss (gr. syllogismós) ist als »S.(folgerung)« (Inferenz) die Denkform, in der man von Vordersätzen (Prämissen) zu einem S.satz (Nachsatz, Konklusion von lat. conclusio) gelangt aufgrund der Einsicht in die S.kraft (Folgerichtigkeit, Konsequenzbeziehung von lat. consequentia) eines S.es. Die 3 Wahrheit des S.satzes ergibt sich aus der (3 hypothetischen) Wahrheit der Prämissen aufgrund des notwendigen Zusammenhangs der Denkinhalte. Ein S. wird zu einem 3 Beweis, wenn auch die faktische Wahrheit der Prämissen garantiert ist. – Ein logischer S. ist jede auch aus Einzelschlüssen bestehende 3 Deduktion (Ableitung), S. im engeren Sinne ist jedoch die Folgerung eines S.satzes aus einer oder mehreren Prämissen aufgrund einer einfachen S.regel. In einem unmittelbaren S. (lat. illatio) schließt man von einer Prämisse auf einen S.satz, was in der traditionellen 3 Logik im Fall der 3 Gegen-

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Schluss

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sätze, der 3 Modalitäten und der Umkehrung (lat. conversio) von 3 Subjektund Prädikatterm geschieht. Beim mittelbaren S. (lat. ratiocinium) sind mindestens zwei Prämissen erforderlich. Im kategorischen S. kommen nur kategorische, im hypothetischen auch hypothetische 3 Aussagen vor. – In Aristoteles’ Syllogistik wird aus zwei generellen/partikulären Vordersätzen, d. h. einem Ober- und einem Untersatz, ein S.satz abgeleitet. Die Prämissen haben je einen Subjekt- und einen Prädikatbegriff als Termini, von denen einer als (Mittel-)Begriff (lat. terminus medius) in beiden vorkommt, während die beiden anderen zusammen im S.satz auftreten. Ein Syllogismus mit mehr als zwei Vordersätzen ist ein Polysyllogismus. Wenn bei zwei verbundenen Syllogismen der S.satz des einen zugleich Vordersatz des anderen ist, spricht man von einem vorausgehenden Prosyllogismus und einem nachfolgenden Episyllogismus. – Ein hypothetischer S. entsteht durch Verbindung kategorischer Aussagen mit hypothetischen. Ein Epicherem entsteht durch Erweiterung des Vordersatzes mit einer Begründung und ein Enthymem, wenn ein fehlender Vordersatz nur in Gedanken ergänzt wird. Bei konditionalen Aussagen wird von der 3 Bedingung auf das Bedingte (lat. modus ponens) geschlossen, d. h. aus »wenn p, so q« und p folgt q, und aus der Negation des Bedingten auf die negierte Bedingung (lat. modus tollens), d. h. aus »wenn p, so q« und »nicht q« folgt »nicht p«. Der Sorites, der auch ein Trugs. sein kann, kommt als konditionaler Kettens. vor, wenn man von »wenn p dann q« und »wenn q dann r« auf »wenn p dann r« schließt, und als Polysyllogismus, wenn das Prädikat der vorausgehenden Prämisse als Subjekt der folgenden verwendet wird, so dass das Subjekt der ersten und das Prädikat der letzten Prämisse Subjekt und Prädikat des S.satzes sind. Bei der 3 Disjunktion »entweder p oder q« kann aus p auf nicht-q und aus nicht-p auf q geschlossen werden (vgl. 3 Dilemma), bei der Adjunktion »p oder/und q« nur aus nicht-p auf q und bei der verneinten Konjunktion »nicht (p und q)« aus p auf nicht-q. Bei der Subjunktion »wenn p dann q« folgt aus der Falschheit von p jedes beliebige q (lat. ex falso quodlibet) und aus der Wahrheit von q jedes p (Paradoxien der materialen 3 Implikation). In einer Widerlegung wird die Unmöglichkeit einer Aussage erschlossen, da aus ihr etwas Widersprüchliches folgt (reductio ad absurdum, 3 Retorsion). Peirce hat seine Abduktion, d. h. die 3 Methode, die von einem vorliegenden Resultat mithilfe einer spontan gebildeten 3 Regel (3 Hypothese) auf einen Einzelfall der Regel schließt, mit Aristoteles’ Apagoge in Verbindung gebracht und zwischen Deduktion und 3 Induktion situiert. Zum Analogies. vgl. 3 Analogie; zu Newmans Konvergenzs. vgl. 3 Konvergenz. Die Untersuchung der verschiedenen S.- bzw. Ableitungsarten geschieht in Logik und Methodologie. Aristoteles: An. pr.; Topik; Boëthius: De syllogismo hypothetico; Comm. in Arist. de interpretatione; B Bolzano: Wissenschaftslehre, 1837; A Tarski: Einführung in die mathematische Logik und in die Methodologie der Mathematik,

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Schmerz

W 1937; P Boehner: Medieval Logic, Ch 1952; G Gentzen: Untersuchungen über das logische Schließen I–II (1934/5), Da 1969. – J T Clark: Conventional Logic and Modern Logic, Woodstock 1952; W Stegmüller: Das Wahrheitsproblem und die Idee der Semantik, I 1957; I M Bochen´ski: Formale Logik, 1956 §§ 30 f.; G Patzig: Die aristotelische Syllogistik, Gö 1959; D Prawitz: Natural Deduction, Sh 1965; J Etchemendy: The Concept of Logical Consequence, C 1990.

Carls Schlussfolgerung 3 Schluss Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktuellen oder potentiellen Gewebeschädigungen verknüpft ist oder mit Begriffen solcher Schädigungen beschrieben wird (International Association for the Study of Pain). S. hat sowohl sensorische als auch emotionale Züge. Sein Zweck ist es, das Lebewesen vor schädigenden Reizen zu schützen oder dazu zu bewegen, eingetretene Schädigungen zu beseitigen. Tritt S. als Folge einer Gewebeschädigung auf, dann ist er ein Warnsignal bzw. Symptom. Sind die neuronalen Mechanismen der S.verarbeitung selbst betroffen, dann spricht man von ›S.krankheit‹. Akuter S. entsteht durch eine akute Verletzung oder einen Krankheitsprozess und dauert, solange die Schädigung besteht. Chronischer S. ist ein starker andauernder S., der den Schlaf und das normale Leben beeinträchtigt, keine schützende Funktion mehr hat, sondern die Gesundheit und die Funktionstüchtigkeit beeinträchtigt. Das S.empfinden stimmt mit der Art und dem Ausmaß der Gewebeschädigung nur schwach überein. Menschen mit den gleichen Verletzungen können extrem unterschiedliche S.intensität äußern. Viele Patienten mit nachweisbaren Schädigungen äußern keinen S., und solche, die durch chronische S.en schwer behindert sind, haben oft kaum feststellbare Schädigungen. Die Gefühlsaspekte des S.es sind für den Leidenden viel wichtiger als die sensorischen Signale. M Zenz / I Jurna: Lehrbuch der S.therapie, St 2001; C R Chapman / Y Nakamura: A passion of the soul, Conscious Cogn 8 (1999), 391–422.

Goller Scholastik (gr. scholé: Muße, Schule; lat. scholasticus: der Gebildete) ist eine historische Kennzeichnung für theologisch-philosophische Schulen zwischen dem 9./10. und 14./15. Jahrhundert und eine Charakterisierung ihrer schulmäßigen Vorgehensweisen. Im Unterricht an Kathedral-, Kloster-, Stadtschulen und Universitäten wird Wissen erworben und weitergegeben. Man liest Texte der Bibel, der antiken Philosophen und der Kirchenväter und setzt sich mit ihnen auseinander. Aus den Unterrichtsmethoden entwickeln sich unterschiedliche Textgattungen: 1. Im Zusammenhang mit der Lesung (lectio) autoritativer Texte entstehen Glossen und Kommentare. Die Texte werden gegliedert (divisio textus), erläutert (expositio), Einwände und Zweifelsfragen

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Scholastik

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(dubia) werden aufgeworfen und einer Lösung zugeführt. Kommentiert werden die Bibel, die Sentenzen von Petrus Lombardus, die Schriften von Aristoteles, Augustinus, Boëthius, Pseudo-Dionysius, etc. Die bekanntesten Kommentare stammen von Petrus Abaelard, Albertus Magnus, Bonaventura, Thomas v Aquin, Johannes Duns Scotus, Wilhelm von Ockham und Johannes Buridan. 2. Autoritative Texte werden thematisch in Sentenzensammlungen harmonisierend oder kontrovers zusammengestellt. Das bekannteste Sentenzenwerk stammt von Petrus Lombardus. Es bildet bis ins 16. Jahrhundert die Grundlage der Theologenausbildung und wird zigfach kommentiert. 3. Aus der Sentenzenkommentierung entwickeln sich eigenständige Summen, in denen der gesamte Stoff der Theologie systematisch behandelt wird. Einflussreich ist die Summa aurea von William von Auxerre, die Summa Halensis, die auf den Franziskaner Alexander von Hales zurückgeht, und im höchsten Maß die Summa Theologiae des Thomas v Aquin. 4. An den mittelalterlichen Universitäten erreicht die Kunst des Fragenstellens und -beantwortens in den ordentlichen und feierlichen Disputationen ihren Höhepunkt. Diese Praxis schlägt sich literarisch in der quaestio bzw. im Artikel (articulus) nieder: Eine Frage wird gestellt, die mit Ja oder Nein beantwortet werden kann. Es folgen Eingangsargumente pro und contra, die oft auf anerkannte Autoritäten (Hl. Schrift, Kirchenväter) zurückgehen. Anschließend wird eine Lösung der Frage entfaltet. Am Ende folgt die Auseinandersetzung mit den Eingangsargumenten. 5. Kleinere Untersuchungen (opuscula) dienen der Spezialforschung. Daneben gibt es noch andere literarische Gattungen wie Briefe und Dialoge. Formal gesehen ist die S. bestrebt, eine eindeutige, wissenschaftliche Sprache zu entwickeln. Unter Einsatz der Logik werden Begriffe zergliedert, umstrittene Behauptungen auf bekanntere und unumstrittene Behauptungen zurückgeführt, Schlussfolgerungen gezogen. Inhaltlich ist die S. vor allem durch das weltanschauliche Anliegen geprägt, den christlichen Glaubensinhalt zu verstehen und in ein kohärentes Ganzes zu bringen. Die Philosophie dient dazu und wird daher auch im positiven Sinn »Magd der Theologie« (ancilla Theologiae) genannt. Mit dem Gang der Theologie an die Universität gewinnen wissenschaftstheoretische Überlegungen zunehmend an Gewicht. Die S. ist der Patristik verpflichtet und entwickelt sich aus der klassischen römischen Bildung. Augustinus und Boëthius vermitteln den klassischen Lehrplan von Trivium und Quadrivium sowie platonisches, neuplatonisches und aristotelisches Gedankengut. Boëthius’ eigene logische Schriften und seine Übersetzungen von Peri hermeneias und der Kategorien des Aristoteles sowie der Eisagoge von Porphyrios sind für die Entwicklung der Logik in der S. von größter Bedeutung. Über den Einsatz der Philosophie (Dialektik) für die Entfaltung des christlichen Glaubensinhalts streiten sich Dialektiker und Antidialektiker. Die Kontroverse zeigt sich bereits in der Auseinandersetzung um die Prädestinationslehre des Gottschalk. Johannes Scottus Eriugena emp-

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fiehlt zur Lösung des Problems mit vernünftigen Mitteln vorzugehen. Auch im Abendmahlstreit setzt Berengar von Tour auf vernünftige Mittel. Im Kontext dieser Kontroverse ist das Anliegen von Anselm von Canterbury zu sehen: »Glaube, der danach sucht, verstanden zu werden«. Er versucht mit philosophischen Mitteln die Existenz Gottes (3 Gottesbeweis, ontologischer) und die Notwendigkeit der Inkarnation zu beweisen. Im 12. Jahrhundert kommt es erneut zu Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern philosophischen Vorgehens in der Theologie wie Petrus Abaelard (»Sic et non«) und Gilbert von Poitiers und Gegnern wie Bernhard von Clairvaux und Wilhelm von St. Thierry. Von enormer Bedeutung für die Entwicklung der S. ist die Aristotelesrezeption im 13. Jahrhundert Erst jetzt werden alle Werke des Aristoteles bekannt und zugänglich. Die Kirche reagiert zunächst mit Verboten. Ab 1255 werden aber alle aristotelischen Schriften in das Lehrprogramm der Artistenfakultät aufgenommen. Bekannt werden auch die arabischen Philosophen, besonders Avicenna (Ibn Sina), Averroes (Ibn Rusd), der im Mittelalter als der Aristoteleskommentator gilt, und unter den jüdischen Philosophen vor allem Moses Maimonides. Auseinandersetzungen gibt es aufgrund der an Averroes orientierten Aristotelesinterpretation (Averroismus) des Siger von Brabant und Boëthius von Dacien. Die Lehre von der Ewigkeit der Welt und der Einzigkeit des Intellekts wird als unvereinbar mit dem christlichen Glaubensinhalt gesehen. Albertus Magnus und Thomas v Aquin eignen sich die Schriften des Aristoteles an und machen sie für die Theologie fruchtbar. Es kommt zu Auseinandersetzungen zwischen konservativ gesinnten Augustinisten und den von Aristoteles beeinflussten Neuerern. Der Streit gipfelt 1277 in der Verurteilung von 219 Lehrsätzen durch den Pariser Bischof Stephan Tempier. Neben Thomas v Aquin (3 Thomismus) wird der »doctor subtilis« genannte Johannes Duns Scotus zum einflussreichsten Lehrer der S. (3 Skotismus). Als weitere Größen sind Wilhelm von Ockham, der gegen Thomas v Aquin und Scotus einen Nominalismus vertritt, und Johannes Buridan zu nennen. Sie zählen bereits zur Späts. Neuauflagen der S. gibt es in der Barockzeit (3 Suarezianismus) und im 19. Jahrhundert (3 Neus.). M Grabmann: Die Geschichte der scholastischen Methode, Fr 1909 ff.; UeberwegGeyer: Grundriss der Geschichte der Philosophie II, B, 1928; L M de Rijk: La Philosophie au moyen âge. Leiden, 1985; H M Schmidinger: »S.« und »Neus.«, in: E Coreth (Hg): Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts, Gr 1988, Bd. 2, 23–53; R Schönberger: Was ist S.?, Hi 1991; U G Leinsle: Einführung in die scholastische Theologie, Pb 1995; R Heinzmann: Die Philosophie des Mittelalters, St 2 1998; K Jacobi: Kommentare, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie 2004, 88–113.

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Schönheit

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Schönheit Das Wort »schön« kommt von »scheinen« und bedeutet so viel wie leuchten. Das Leuchtende fasziniert und erfreut. So umschreibt die Tradition von Thomas v Aquin bis Wittgenstein das Schöne als das, was glücklich macht, wenn man es sieht oder hört. (Die anderen Sinne kommen hier kaum in Frage.) Zur S. gehört, dass die Teile eines Ganzen in einem Gleichgewicht von Harmonie und Spannung stehen. Ein Seiendes, das zur vollen Entfaltung der Potenzen seines inneren Wesens gekommen ist, ist normalerweise auch schön: z. B. ein Mensch, dessen Körper gut trainiert und dessen Seele ohne Falsch ist. So kann man am Schönen das Wesen ablesen. Albert Magnus nennt die S. deswegen »splendor formae«: das Aufleuchten der Wesensvollkommenheit. Die Unterscheidung zwischen dem Natur- und dem Kunstschönen betrifft die Frage, woher etwas seine S. hat. Die Dinge der Natur sind in der Regel schön. Ihre S. hängt eng zusammen mit ihrer Tauglichkeit; daher kommt es, dass die alten Griechen beides mit dem einem Wort kalón bezeichneten. Doch ist S. noch etwas anderes als Funktionalität. Die S. von Pflanzen und Tieren ist auch ein Selbstwert, keine bloße Funktion der »inclusive fitness« für das Überleben. Neben der 3 Natur kann auch die 3 Kunst Ursprung von Schönem sein. In den alten Kulturen galt das Kunstschöne als »Nachahmung« des Naturschönen; dieses wertete man nicht nur als die erste, sondern auch als die vollkommenste Form des Schönen. Seit der späten Neuzeit kommt das Bewusstsein und der Wille auf, Schöneres oder doch einen ganz anderen Typ des Schönen zu schaffen als dasjenige, der von Natur aus entsteht. Dornig ist die von der 3 Ästhetik behandelte Frage, inwiefern S. als eine 3 objektive Qualität betrachtet werden darf. Die Objektivität der S. ist sicher anders als die der Ausdehnung. Denn S. ist angewiesen auf jemanden, der für sie empfindlich und empfänglich ist. Außerdem können die Urteile über S. oder Nichts. (bis zum Gegenteil, der Hässlichkeit) in vielen Fällen divergieren. Daraus hat man geschlossen, das Urteil »schön« sei ein bloßer Ausdruck subjektiver Empfindung, nicht eine der Sache selbst eigene Qualität. Doch widerspricht dies der Erfahrung: in den weitaus meisten Fällen kommen Menschen in der Bewunderung des Schönen überein, und wenn sie das tun, dann meinen sie nicht ein Gefühl, sondern das Begegnende, das freilich nicht rein rational, sondern auch gefühlsmäßig erfasst wird. Dass S. ein Selbstwert ist, wissen alle, die ihr begegnet sind. Manche drücken das so aus, dass die S. eine Offenbarung des unsinnlichen Göttlichen im Medium unseres Schauens und Hörens sei. Das Scheinen der S. kann aber auch zum Schein werden, wenn man von ihr so geblendet ist, dass man alle anderen Selbstwerte (Wahrheit, Güte) vergisst: Ein schöner Mensch nimmt uns so für sich ein, dass wir ihn spontan auch für gut halten. Deswegen sind im Film die Guten meistens schön. Die S. eines Menschen kann für andere und ihn selbst Glück bedeuten, aber auch zum Fluch werden.

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Schöpfung

M Hauskeller: Was das Schöne sei, M 1994; G Schwering / C Zelle (Hg): Ästhetische Positionen nach Adorno, M 2002; R Esterbauer: Orte des Schönen, Wü 2003; G Paal: Was ist schön?, Wü 2003; U Eco: Geschichte der S., M 2004; G Pöltner: Philosophische Ästhetik, St 2006.

Haeffner Schöpfung bedeutet zum einen das Erschaffene, also die 3 Welt als ganze, zum anderen aber jene besondere Tätigkeit Gottes, deren Ergebnis das Weltall ist. Hier beschäftigen wir uns nur mit dieser zweiten Bedeutung des Wortes. – Weder die griechische noch die indische Philosophie kannte den Begriff der S. Das göttliche Prinzip wurde als Teil des Weltalls aufgefasst, dem höchstens die Funktion des Gestaltenden (des »Demiurgen«) hinsichtlich der als ewig betrachteten Welt zugeschrieben wurde. Der Begriff der S. entstand in der Religion Israels und war das Ergebnis der aus historischen Erfahrungen gewachsenen Einsicht, dass 3 Gott ein einziger und der Welt gegenüber ganz anderer ist. Erst in der hellenistischen Zeit und ohne Zweifel unter dem Einfluss griechischen Denkens entstand die im 2. Buch der Makkabäer ausgedrückte Definition der S., nach der Gott alles »aus dem 3 Nichts« erschaffen hat (vgl. 2. Makk 7, 28). Diese Formulierung der S.stätigkeit Gottes hat schon in der Patristik, vor allem aber in der Scholastik Schule gemacht. Aus ihr ergab sich die allgemein gebräuchliche Definition: S. ist ein Hervorbringen der Welt (oder aller Dinge) aus nichts. In dieser Bestimmung wird die S. als göttliche Tätigkeit nach dem Modell der etwas Neues hervorbringenden menschlichen Tätigkeit dargestellt. Jene unterscheidet sich aber von dieser dadurch, dass sie im Gegensatz zum menschlichen Schaffen keines vorhandenen Stoffes bedarf, sondern das Ergebnis »aus Nichts« hervorbringt. Die Bezeichnung »aus Nichts« würde man missverstehen, wenn man das Nichts als »etwas« betrachtete. Mit ihr soll vielmehr ausgedrückt werden, dass Gott im Unterschied zu den innerweltlichen Seienden in seiner Tätigkeit in keiner Weise von etwas Vorgegebenem abhängig ist. – Die erwähnte traditionelle Definition bestimmt die S. von ihrem (nicht vorhandenen) äußeren Ausgangspunkt her. Man kann aber den Akzent auch darauf legen, dass S. ein Hervorbringen ist, bei dem schlechthin alles, was zum Hervorgebrachten gehört, von Gott herstammt. Dann heißt es: S. ist ein Hervorbringen eines Dings seiner ganzen Wesenheit nach. In diesem Fall wird die schöpferische Tätigkeit Gottes in Hinblick auf ihren Endpunkt bestimmt. Der S. entgeht nichts; alles was besteht, ist ihr Ergebnis. – Man kann auch die erschaffende Tätigkeit Gottes in der Terminologie der Seinsphilosophie ausdrücken: S. ist ein Hervorbringen eines Seienden als Seiendes. Diese Definition kann auch als Zusammenfassung der beiden vorausgehenden gelten. Alle drei erwähnten Definitionen beschreiben die S. nach der Analogie der etwas produzierenden menschlichen Tätigkeit, bestimmen sie also gleichsam

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Schuld

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als ein 3 Wirken »nach außen« (als »actio transiens«). Der so entwickelte S.sbegriff stellt vor allem die 3 Transzendenz Gottes heraus. Die 3 Immanenz Gottes im Geschaffenen kommt in ihm weniger deutlich zum Ausdruck. Will man diesen Aspekt deutlicher zum Vorschein kommen lassen, dann muss man von der sich selbst verwirklichenden Tätigkeit im Bereich des Geschöpflichen ausgehen. Dies muss man aber so tun, dass man dabei jene Momente der immanenten Tätigkeit, die eine Unvollkommenheit bedeuten, von Gott fernhält. Worin besteht nun die Unvollkommenheit der innerweltlichen Selbstentfaltung? Darin, dass sie einer Not, einem Bedürfnis des Geschöpfes entspricht, welches sich aus seiner Endlichkeit ergibt. Man darf demnach die S.stat Gottes als einen Selbstvollzug Gottes auffassen, vorausgesetzt, (1) sie entspringt keiner Notwendigkeit, sie ist ganz frei, und (2) sie bedeutet für Gott keinen Zuwachs an Sein. – Will man also eine Beschreibung der S. vorlegen, in der hinsichtlich der Welt sowohl die Transzendenz als auch die Immanenz Gottes ausgedrückt ist, dann kann gesagt werden: S. ist die in keiner Weise notwendige, nach dem freien Ratschluss Gottes verwirklichte und deshalb nicht unendliche Selbstmitteilung Gottes, durch welche das im Maße seiner Selbstmitteilung von ihm abhängige, zugleich aber auch ihm gegenüber eigenständige Geschöpf seiner ganzen Wirklichkeit nach entsteht. Gott bringt das Geschöpf seiner ganzen Wirklichkeit nach hervor. Zu dieser gehört auch die Dauer des Geschöpfs. Also kommt auch das Weiterbestehen des Geschaffenen von Gott. S. ist also nicht etwas Vergangenes, sondern umfasst die ganze Dauer des Geschöpfs und deshalb redet man von einer »creatio continua«, von einer fortgesetzten S. Wenn man diese unter der Rücksicht ihres Ergebnisses betrachtet, dann spricht man von der »Erhaltung der Welt«. T v Aquin: STh I q 44–46; ScG II 6–10; F Suárez: Disp metaph d 20–21. – A D Sertillanges: L’idée de création et ses retentissements en phil., P 1945; L Dümpelmann: Kreation als ontisch-ontologisches Verhältnis, 1969.

Weissmahr Schuld im eigentlichen Sinn ist nicht zu verwechseln damit, dass man S.en gemacht hat, und auch nicht automatisch damit, dass man an einem Übel s. ist. S. lädt man auf sich, wenn man tut, was man nicht tun darf, oder nicht tut, wozu man verpflichtet ist. Hier gibt es verschiedene Formen: Man spricht von S. in bloß strafrechtlicher Bedeutung; sie kann hier außer Acht bleiben. S. im existentiellen Sinn als Verfehlen der persönlichen Bestimmung, als Zurückbleiben hinter seinen Idealen oder als Verkümmernlassen der eigenen Anlagen ist ein wichtiges Phänomen. Besonders erschütternd ist die tragische S., in der man durch Unwissenheit oder Naivität zum Agenten des Unheils wird (wie Ödipus). Doch liegt das Schwergewicht des S.begriffs im Moralischen. S. entsteht, indem man sich in wichtigen, überschaubaren Dingen und im Bewusstsein einer Alternative gegen das sittliche Gesetz vergeht. (Zu erken-

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Seele

nen, ob dies wirklich der Fall war, ist manchmal nicht leicht; das sog. S.bewusstsein ist dafür keine zuverlässige Quelle). S. im sittlichen Sinne kann im menschlichen Leben eine große Rolle spielen: schon vor der Tat als 3 Möglichkeit, erst recht nach der Tat als Last, die man sich im Selbstvorwurf entgegenhält oder die einem im berechtigten Urteil von anderen aufgeladen wird. Große Energien werden aufgewendet, um S. zu vermeiden, aber auch, um sie zu verbergen bzw. um frei zirkulierende S.vorwürfe durch Lokalisierung zu entschärfen (z. B. durch ordentliche Gerichtsverfahren oder auch durch den Sündenbock-Mechanismus). Eine Form der Entschärfung liegt darin, dass man das Gemeineigentum des moralischen Gesetzes zu privaten Zwecken verbilligt. In der biblischen Tradition heißt dieses Tun »Frevel«; es wird als weit schlimmer eingeschätzt als das einzelne Handeln, durch das man s.ig wird. Überhaupt ist die menschlich entscheidende Frage weniger, ob man sich verfehlt oder nicht, sondern wie man damit nachher umgeht. Dies umso mehr, als der Mensch zwar im Einzelfall nicht s.ig werden muss (weil S. nur durch freie Entscheidung entsteht), aufs Ganze gesehen aber nicht uns.ig durch das Leben kommen wird. Umso wichtiger ist es, dass die Einzelnen zu ihrer S. stehen können, vor sich und z. T. öffentlich. Nur so können sie sich bessern und Sühne leisten. Aber das setzt ein starkes 3 Ich voraus, und zwar ein stärkeres, als es für die Verfehlung nötig war. Diese Stärke kann nur im Klima eines Angebots von 3 Vergebung wachsen. Rache hingegen verfestigt den Widerstand. P Ricoeur: Phänomenologie der S., P 1960; H M Baumgartner (Hg): S. und Verantwortung, Tü 1983; G Haeffner (Hg): S. und S.bewältigung, D 1993; J Eisenburg (Hg): Die Freiheit des Menschen, Rb 1998; S Grätzel: Dasein ohne S., Gö 2004.

Haeffner Scientia media 3 Gottes Eigenschaften Seele Mit S. (gr. psyché, lat. anima) ist ursprünglich das 3 Prinzip des 3 Lebens gemeint. Hierunter darf nicht ein bestimmtes Ding oder Organ verstanden werden, das zusätzlich zum 3 Leib hinzukäme, sondern es handelt sich um die Lebendigkeit und somit auch um die Einheit, Ganzheit und Identität des lebendigen Leibes (3 Organismus), die ihn von allem Leblosen und Unbelebten unterscheidet. Wird die S. wie bei den (Pflanzen und) Tieren als bloßes Lebensprinzip verstanden, so ist sie die wirklichkeitsgebende 3 Form des Lebewesens und als solche notwendig auf dessen Körper bezogen. Eine S. in diesem Sinn kommt allem Lebendigen, also eigentlich auch den Pflanzen zu, auch wenn bei ihnen (zumindest heutzutage) selten von einer S. gesprochen wird. Erst durch die S. wird die Materie des Körpers zum belebten Leib. Darum ist die übliche Gegenüberstellung Leib und S. genau genommen unrichtig, denn nur ein lebendiger, also beseelter Körper ist ein Leib, ein lebloser Körper ist hingegen ein Leichnam oder bei einem Tier ein Kadaver. Der S. als

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Form und Lebensprinzip entspricht also als Materie der (noch) nicht belebte materielle Körper, der erst durch die S. zum lebendigen Leib wird. Bei (Pflanzen und) Tieren besteht eine strikte gegenseitige Zuordnung von S. und Körper, so dass die S. ebenso notwendig auf den Leib angewiesen ist wie dieser auf sie, so dass die lebendige Existenz beider nur solange dauert, als das betreffende Lebewesen tatsächlich lebt. Leben bedeutet Selbststeuerung oder Selbstorganisation. Der hierin enthaltene Ausdruck »selbst« darf nicht im eigentlichen Sinn von Selbstbewusstsein oder Reflexion verstanden werden, sondern meint, dass es sich hierbei um eine von innen gesteuerte Einheit handelt, die alles von sich her lenkt. Diese Einheit, die das bloß Materielle übersteigt, ist für das Leben typisch, und ihr Prinzip heißt in der klassischen Tradition S. Zumeist wird der Ausdruck S. für die menschliche S. verwendet. In diesem Fall meint das Wort S. den innersten Kern und zugleich die Ganzheit unseres 3 Ich. Sinn und Zweck der menschlichen S. besteht nicht nur darin, dem Leben und Überleben des Menschen und der menschlichen Art zu dienen, sondern sie befasst sich mit Fragen und Bereichen, die wesentlich hierüber hinausgehen, wie etwa die Moral, die raum- und zeitübergreifende Wahrheit und die Frage nach dem Göttlichen. Dies zeigt, dass die menschliche S. nicht nur Lebensprinzip, sondern zugleich geistig ist (3 Geist). Als solche ist die S. in ihrem Denken und Wissen auf alles bezogen und darum, wie Aristoteles sagt, gewissermaßen alles (De anima III 8, 431 b). Da sich Wesen und Funktion der geistigen S. nicht darin erschöpfen, das Lebensprinzip des Leibes zu sein, kommt ihr eine relative Eigenständigkeit gegenüber dem Leib zu, weshalb ihr Leben nicht an das Leben des Leibes gekoppelt ist (3 Unsterblichkeit). Darum stellt sich eigentlich erst bei der Geists. das 3 Leib-S.-Problem im vollen Sinn. Die menschliche S. ist als geistige einfach, d. h. sie hat zwar verschiedene Fähigkeiten oder Schichten, aber keine voneinander teilbaren oder gegeneinander isolierbaren Teile, denn Teile gibt es nur bei der Materie. Platon verwendet für die S. das Bild vom Wagenlenker Vernunft und den beiden Pferden Mut und Begierde. Für Aristoteles und die ihm folgende Tradition gibt es die aufeinander aufbauenden Stufen des Vegetativen (Pflanze), des Sensitiven (Tier) und des Rationalen (Mensch), wobei sich die beiden letzteren durch Erkennen und Streben auszeichnen. Der Ausdruck Psyche, der eigentlich S. bedeutet, wird meist dazu benutzt, die S. zu bezeichnen, insoweit sie nicht geistig (Affekte, Emotionen, Fantasie) oder Objekt der Psychologie ist. Kant verwendet in seiner kritischen Philosophie für die S. oft die Bezeichnung Gemüt, um die metaphysischen Konnotationen des Begriffs S. zu vermeiden. Die Scholastik, aber auch Philosophen wie Descartes vertreten die Lehre, dass die S. im Gegensatz zum Leib nicht von den Eltern durch die Zeugung hervorgebracht, sondern unmittelbar von Gott geschaffen wird. Diese Lehre wird klassischerweise Kreatianismus genannt (nicht zu verwechseln mit dem

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Seele

Kreationismus, der die 3 Evolution bestreitet), während die gegenteilige Auffassung, dass die Seele ebenso wie der Leib durch die Zeugung entsteht, als Generatianismus oder Traduzianismus bezeichnet wird. Der Kreatianismus basiert auf der Überzeugung, dass die Weitergabe des Lebens nur rein biologisch möglich ist, während der Geist außerhalb des biologischen Zusammenhangs steht. Diese Theorie hebt zwar die Unmittelbarkeit jedes Menschen zu Gott hervor, aber sie führt zu einem inneren Widerspruch. Denn die menschliche S. ist als Geists. in unteilbarer Einheit zugleich das biologische Lebensprinzip des Menschen. Nun kann man aber nur dann von einer natürlichen Zeugung reden, wenn hieraus ein neues lebendiges Wesen hervorgeht: dieses Lebewesen muss also infolge der Zeugung mit einer S. begabt sein. Wenn also ein Mensch einen Menschen zeugt, so kann die S. aus diesem Vorgang nicht herausgenommen werden, weil es sich sonst um keine echte Zeugung mehr handelt. Man muss also sagen, dass Gott durch den natürlichen Vorgang der menschlichen Zeugung einen neuen Menschen mit einer neuen S. schafft. Die menschliche S. ist als Geists. und zugleich als Form des Leibes das Prinzip der Identität des Menschen. Während des irdischen Lebens bedeutet dies, dass die Identität des Menschen die gesamte Dauer des kontinuierlichen Lebens seines Organismus umfasst, denn sie umfasst die gesamte kontinuierliche Abfolge der selbstgesteuerten Lebensprozesse, die nur möglich ist, wenn sie von ein und demselben durchgängigen Lebensprinzip, also der S., gesteuert wird. Aber auch die Identität desselben Menschen über den Tod hinaus ist nur durch die Weiterexistenz der S. möglich. Dass die S. aber die Identität des Lebewesens ausmacht, heißt natürlich nicht, dass dies nichts mit dem Leib zu tun hätte. Sondern, aristotelisch gesprochen, gibt es eine S., insofern sie Lebensprinzip ist, nur, insoweit und insofern sie S. eines Leibes ist. Wir erkennen eine S. nur anhand ihres Leibes, der ihr Ausdruck und ihre materielle Konkretisierung darstellt, so dass sie irdisch als Lebensprinzip ohne den Leib nicht existieren und wirken kann. Insofern bedeutet die Tatsache, dass die S. metaphysisch unsere Identität gewährleistet, zugleich erkenntnismäßig, dass die Feststellung dieser Identität nur durch die Feststellung der leiblichen Kontinuität möglich ist. Da die S. immateriell ist, nimmt sie keinen Raum ein. Andererseits ist meine S. aber so an den Leib gebunden, dass alles, was im und am Leib geschieht, mir selbst widerfährt, also auch die S. als Form des Leibes betrifft. Darum muss der S. eine spezielle Art von Gegenwart zugeschrieben werden, die mit dem vom Leib eingenommenen Raum identisch ist. Sie ist ganz im ganzen Körper gegenwärtig, also gerade nicht so wie etwas Materielles, von dem immer nur ein Teil an einem bestimmten Ort gegenwärtig ist. Das Zusammenstimmen aller Kräfte des Alls wurde bereits in der Antike verschiedentlich (vor allem bei Platon und der Stoa) durch eine Welts. erklärt. Vor allem seit der Renaissance wurde diese Theorie wieder aufgegriffen. Ihr bedeutendster neuzeitlicher Vertreter war Schelling. In der Frühzeit der Kir-

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Sein

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che kam die Theorie der Trichotomie oder des Trichotomismus auf, die den Geist, die (nichtgeistige) S. und den Leib als drei verschiedene Substanzen versteht. Wegen der damit verbundenen Irrlehren über Christus und die Unsterblichkeit der S. wurde diese Lehre von der Kirche verurteilt. Die Lehre, alle Seienden seien beseelt, wird als Panpsychismus bezeichnet (Leibniz, Spinoza, Whitehead u. a.). Philosophische Richtungen des 19./20. Jahrhunderts, die keine substantielle S. annehmen, sondern nur seelische Tätigkeiten zugestehen, wurden Aktualismus (Gentile) oder Aktualitätstheorie oder -philosophie (W Wundt, Külpe) genannt. Platon: Phaidon; Aristoteles: De anima; T v Aquin: In de anima; F Suárez: De anima. – J C Eccles: Gehirn und S., M 3 1991; G Jüttemann (Hg): Die S. Ihre Geschichte im Abendland, Weinheim 1991; P M Steiner: Psyche bei Platon, Gö 1992; H Granger: Aristotle’s idea of the soul, Dordrecht 1996; I G Kalogerakos: S. und Unsterblichkeit, St 1996; C F Fowler: Descartes on the human soul, Dordrecht 1999; D Frede: Platons »Phaidon«, Da 1999; H Busche: Die S. als System, HH 2001; H-D Klein (Hg): Der Begriff der S. in der Philosophiegeschichte, Wü 2005; B Niederbacher (Hg): Die menschliche S., Heusenstamm 2006.

Schöndorf

Seelenfünklein 3 [115] Seelenwanderung 3 Reinkarnation Seiendes 3 Sein Sein Um die Bedeutung von S. zu bestimmen, muss untersucht werden, auf welche Weise dieses Wort in der Sprache (einschließlich jener Sprachen, in deren indikativen Sätzen das Wort »ist« nicht ausdrücklich vorkommen muss) verwendet wird. Dabei müssen auch seine konjugierten Formen (»ist«, »war«, »wird« usw.), vor allem aber auch die auf Selbstbezüglichkeit hinweisende Redewendung im Zusammenhang mit dem Personalpronomen »ich« (»ich bin«) berücksichtigt werden. Denn genau in diesen Verwendungen des Wortes S. manifestiert sich ein ganz eigenartiges Wissen. Was wird durch dieses Wissen gewusst? Antwort: das, von dem in der abendländischen Philosophie seit Parmenides immer wieder die Rede war und das man seit Aristoteles als das eigentliche Objekt der 3 Metaphysik betrachtete. Er hat es am Anfang des IV. Buches der Metaphysik formuliert: »Es gibt eine Wissenschaft, die das Seiende als Seiendes untersucht und das demselben an sich Zukommende« (Met IV. 1, 100a 21). Die in dieser Tradition stehende Metaphysik wurde deshalb zur S.slehre, zur 3 Ontologie. – Das Eigenartige dieses Wissens besteht zunächst darin, dass S. von allem ausgesagt werden kann. Es gibt nichts, von dem wir nicht auf irgendeine Weise aussagen können, dass es »ist«. Freilich wird dieses »ist« jeweils anders gebraucht. Bereits Aristoteles stellte fest, dass man vom Seienden in vielfacher Bedeutung spricht, wobei er aber hinzufügt, dass diese Bedeutungen miteinander zusammenhängen; d. h. die das S. der Seienden zur Sprache brin-

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Sein

genden Ausdrücke werden stets in Hinblick auf Eines gebraucht: 3 Analogie. – Zu unterscheiden sind: S. als Existenz (»ist« als Existenzbehauptung): Jeder von uns weiß, da wir des Denkens und des (vielfältigen) Erlebens fähige und – was vor allem entscheidend ist – »ich bin« sagen könnende Lebewesen sind, aus eigener Erfahrung, was es bedeutet zu »s.« im Sinn von tatsächlich (wirklich) »existieren«. Von diesem (allerdings niemals restlos artikulierbaren) Wissen müssen wir ausgehen. Es ist letztlich in unserem Selbstbewusstsein begründet. Deshalb ist es einerseits ein sehr bestimmtes und zugleich umfassendes, andererseits aber ein niemals voll objektivierbares Wissen. Ihm ist zu verdanken, dass wir allem, was uns begegnet (den verschiedenen Dingen, deren Eigenschaften und allem, was sich daraus ergibt), und dann (und zwar vor allem) uns selbst S. im Sinne der Existenz zuschreiben können. Wenn es um Abstrakta geht (z. B. Zahlen), dann reden wir zwar üblicherweise nicht davon, dass diese existieren, wohl aber kann gesagt werden, dass es sie gibt, dass sie also »sind«. Dabei übertragen wir jene Grundbestimmung, die wir von uns selbst her auf eine konkrete, jedoch nicht begriffliche Weise kennen, auf entsprechend verminderte oder entleerte Weise objektiviert auf jeweils anderes. Wie weit wir auch in der Entleerung der von uns selbst hergenommenen Seinseinsicht fortzuschreiten vermögen, kann das, was wir mit S. meinen, niemals als keine inhaltliche Bestimmung Aussagendes, als nur »nicht-Nichts« gedacht werden. Das also, was ein Metaphysiker mit dem S. meint (bzw. meinen sollte), ist nicht mit dem zu identifizieren, was S. als nur formale Bestimmung für den Logiker bedeutet. Es ist unmöglich, etwas zu finden, das dem wie auch immer inhaltlich bestimmten S. schlechthin entgegengesetzt werden könnte. S. als Existenz bedeutet also (zumindest für den Metaphysiker) niemals bloß »nicht-Nichtsein«. S. als Prädikation: Eine andere Bedeutung von S. zeigt sich im Urteil, in dem ein Prädikat durch das »ist« der Kopula auf das grammatische Subjekt bezogen wird. Das S. hat hier eine logische Funktion. Es drückt den vom Sprecher gemachten Anspruch auf das Wahrs. der Subjekt-Prädikat-Verknüpfung aus, und deshalb spricht man von »veritativem S.«, das sich von der Bedeutung des S.s als Existenz insofern unterscheidet, als es durch die Tätigkeit des Verstands entsteht. Doch auch hier gibt es etwas Gemeinsames mit dem »ist« als Existenzurteil, da jeder Behauptungssatz durch das »ist« der Kopula seine eigene Wahrheit behauptet. S. als Identitätssetzung von Verschiedenem: Sowohl mit der im weitesten Sinn genommenen Existenzzuschreibung als auch mit der kopulativen Bedeutung des S.s hängt jene für die Metaphysik entscheidend wichtige Bedeutung des Wortes »ist« zusammen, nach der diejenigen, die man mit dem Wort »ist« verbindet, auf eine jeweils genauer zu bestimmende Weise miteinander identifiziert werden. Wenn nämlich das, was die Kopula sprachlich zusammenhält, der Wirklichkeit entspricht, dann muss zwischen den so Zusam-

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mengefügten eine grundsätzliche Einheit bestehen, die (weil es sich hier um eine Identifizierung handelt, die die grundlegende Wirklichkeitsstruktur der so miteinander Geeinten betrifft) zurecht mit dem Ausdruck 3 Identität bezeichnet werden kann. Die Identität, von der hier die Rede ist, meint freilich eine Identität von Verschiedenem, also eine Identität, die die Verschiedenheit der Identifizierten nicht ausschließt, sondern mit ihr zusammen besteht. Diese Identität von Verschiedenem ist letztlich im »ist« der Existenz- bzw. S.szuschreibung begründet, also darin, dass man mit dem Wort »ist« (dessen Grundbedeutung vom jeweils uns eigenen Existieren bekannt ist) tatsächlich alles (auch das Abstrakte und das vom Denken Konstruierte) bezeichnen kann, und zwar so, dass dadurch ein Wissen um die Einheit von Allem zum Ausdruck kommt, ohne die in diesem Allen waltende Verschiedenheit geleugnet zu haben. Die Grundbedeutung von S.: Das im Wissen um unser Ich im Vollzug enthaltene grundsätzliche Wissen um unser S. ist das (eine und im Grunde einzige) 3 Apriori, das wir (als die alles umfassende und in dem Sinn allgemeine, zugleich aber jede individuelle 3 Differenz in sich enthaltende, also inhaltlich bestimmte Form) allem von uns Erkannten auferlegen bzw. unter dem wir alles subsumieren und somit das »An-sich-S.« des erkannten Gegenstands erreichen. Das »erste Analogat« in Bezug auf die verschiedenen Anwendungen des S.s ist demnach das im jeweiligen (und deshalb konkreten) Ich- oder Selbstbewusstsein begründete S.sverständnis (S.swissen). Deshalb ist der »Ort« des S.sverständnisses der (alle unsere Handlungen begleitende »hintergründige«) Vollzug der Reflexivität oder der Selbstpräsenz, d. h. das »Für-sich-S.« unseres eigenen S.s. Denn im Selbstbewusstsein ist jeder von uns für sich selbst gegenwärtig und erfährt damit die Identität von Denken und S. an diesem einen Punkt unmittelbar (auch wenn dieses Wissen immer durch ein Wissen vom Nicht-Ich vermittelt ist). Das, was ich in mir selbst als das allesumfassende Wirkliche erkenne, ist zugleich dasjenige, was ich anderen zuerkenne bzw. in anderem entdecke. – Darin ist auch der Unterschied und der Zusammenhang von S. und Seiendem begründet. Seiendes (lat. ens) ist alles das, was wie auch immer das S. (esse) verwirklicht. Wobei zu bedenken ist, dass S. sowohl in verschiedenen Graden (»S.sgrade«) als auch auf verschiedene Weisen (3 Vielheit) verwirklicht wird. Dasjenige, was der Ausdruck S. bezeichnet, wird freilich nur dann richtig verstanden, wenn man bedenkt, dass es nichts Gegenständiges, nichts in der Weise der Einzelbestimmungen Vorliegendes bedeutet. Es meint vielmehr jenes Unausweichliche, auf anderes nicht Zurückführbare, jede Bedingung Bedingende und deshalb Unbedingte in aller Wirklichkeit, welches wir in allen unseren bewussten Taten und in jeder unserer Aussagen notwendig (allerdings nur implizit) mitbehaupten. S. als solches kann ursprünglich schon deshalb nichts Gegenständliches meinen, weil es das bezeichnet, was allem, was in welcher Weise auch immer ist, zukommt. Das S. ist also das, was

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Selbst

allen Unterscheidungen vorausliegt. Alle die gängigen, anderes ausschließenden Unterscheidungen erweisen sich ihm gegenüber als sekundär, d. h. als Unterscheidungen innerhalb des S.s. Deshalb schließt das S. nicht nur das Wirkliche, sondern auch das (im Sinne der realen Potentialität) Mögliche ein; und auch das, was man im Gegensatz zum S. »Schein« zu nennen pflegt, gehört zum Bereich des S.s. Vor allem aber ist zu beachten, dass nicht nur das, was wir denken, zum S. gehört, sondern das 3 Denken (und überhaupt alles, was dem jeweiligen tätigen Ich als einem letzten 3 Subjekt zukommt) selbst eine Weise des S.s ist. Man kann also S. und Denken nur dann als einander ausschließende Gegensätze auffassen, wenn man S. von vornherein als das bestimmt hat, was dem Denken entgegengesetzt ist, womit man freilich das Denken aus dem S. ausgegliedert und im Grunde ort- und beziehungslos gemacht hat. (Man darf sich aber dann auch nicht wundern, wenn nach einem solchen Verfahren das Denken und das S. niemals zusammengebracht werden können.) – Weil das S. in allem auch vielfältig Bedingten das unbedingte Moment ist, deshalb kann der Ausdruck ipsum esse mit Thomas v Aquin als Name für 3 Gott verwendet, bzw. S. die »Vollkommenheit aller Vollkommenheiten« genannt werden. Zusammengefasst: Seiendes als Seiendes und damit S. als das, was Seiendes zu Seiendem macht, erkennen, bedeutet, es unter jene unbedingt gültige a priori alles umfassende (nicht als Einzelrücksicht zu verstehende) »Bestimmung« zu subsumieren, die wir anlässlich jeder Gegenstandserfahrung in uns selbst als ursprüngliche Identität von Wirklichkeit und Erkenntnis, also als »Bei-sich-S-des S.s« miterfahren. Platon: Sophistes 237a-263c; T v Aquin: De ente et essentia; M Blondel: L’ être et les êtres, 1935; M-D Philippe: L’Être I–II, P 1972; M Heidegger: S. und Zeit, Tü 1967. – A Keller: S oder Existenz? M 1959; J Owens; The doctrine of Being in the Aristotelian Met., Tt 2 1963; J Lotz: Die Identität von Geist und S., R 1972; P Ricoeur: Être, essence et substance chez Platon et Aristotle, P 1982; W N Clarke: The One and the Many, Notre Dame, 2001.

Weissmahr Seinsgrundlage 3 Gedankending 3 Universalienproblem Seinsweisen 3 Kategorie Selbst (gr. autós, autó; lat. ipse, ipsum) hat verschiedene Bedeutungen. a) S. kann einfach nur im emphatischen Sinn eine Hervorhebung eines Subjekts oder Objekts meinen, das unmittelbar als solches und nicht auf indirekte, vermittelte Weise gemeint, betroffen oder wirksam ist. In diesem Sinn ist s. weitgehend gleichbedeutend mit eigen: S.ständigkeit und Eigenständigkeit können synonym gebraucht werden. b) S. kann etwas im Gegensatz zu anderem bezeichnen, vor allem in Zusammensetzungen wie: von s., d. h. von sich aus und nicht durch anderes bewirkt.

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Selbstbewusstsein

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c) Oft bedeutet S. subjektives und personales Sein, das nicht nur existiert und lebt, sondern um sich weiß und über sich entscheidet, also (in der Terminologie des 3 Deutschen Idealismus) nicht nur an sich, sondern für sich ist. In dieser Bedeutung ist S. ein Ausdruck, der erst in der neuzeitlichen Philosophie üblich wird. Der Ausdruck S. ist in der modernen Philosophie nicht streng zu unterscheiden von Termini wie 3 Ich oder 3 Subjekt(ivität). Er wird gerne verwendet, wenn die Reflexivität betont werden soll wie im Fall von S.erkenntnis, S.bewusstsein und S.bestimmung, oder wenn Zusammensetzungen gebildet werden, die sprachlich mit Ich kaum oder nicht möglich sind, wie S.verhältnis, S.erkenntnis, S.bestimmung, S.achtung. Für Locke ist S. ein Synonym für 3 Person. Kant verwendet den Begriff S. nur sporadisch. Erst seit dem Deutschen Idealismus nimmt sein Gebrauch zu. Fichte meint mit dem S. das sich setzende und um sich wissende Ich. Bei Hegel hängt der Begriff des S. mit 3 Geist, Negativität und Subjekt zusammen. Schopenhauer bezeichnet den als Kern der Wirklichkeit verstandenen Willen als unser wahres S., und Nietzsche geht in dieselbe Richtung, indem er den Leib als S. ansieht. Kierkegaard definiert das S. als ein »Verhältnis, das sich zu sich s. verhält«, genauer gesagt, »nicht das Verhältnis, sondern dass das Verhältnis sich zu sich s. verhält« (Ges. W. 24/25, 8). Die in dieser Definition zutage tretende Konzentration des S. auf sein Binnenverhältnis wurde bestimmend für die nachfolgende Existenzphilosophie. P Ricœur: Soi-même comme un autre, P 1990; C Taylor: Sources of the self, Ca 1992; H J Sandkühler (Hg): Ich und S., Bremen 2000; B Waldenfels: Das leibliche S., F 2000; W Beierwaltes: Das wahre S., F 2001; T Kobusch (Hg): S. – Singularität – Subjektivität, A 2002; G Rager: Unser S., Pb 2002; T Vierkant: Is the self real?, Ms 2003; R Kühn: Innere Gewissheit und lebendiges S., Wü 2005; H Joosten: S., Substanz und Subjekt, Wü 2005; H G Frankfurt: Sich s. ernst nehmen, F 2007; D Henrich: Denken und S.sein, F 2007.

Schöndorf Selbstbestimmungsrecht 3 Demokratie Selbstbewegung 3 Leben Selbstbewusstsein kann alltagssprachlich und psychologisch (starkes) Selbstvertrauen meinen. Philosophisch wird darunter das jedem Menschen zukommende Wissen um sich selbst verstanden, dessen ich mir als meines eigenen Inneren in einer Art nach innen gewandten Schau (Introspektion) bewusst bin und das die Selbsterkenntnis zur Folge hat. Der Zugang zum S. ist nur mir selbst möglich und zeichnet die Besonderheit des Standpunkts der ersten Person (3 Ich) aus. Während das 3 Bewusstsein normalerweise allen (höheren) Tieren und dem Menschen zugeschrieben wird, gelten das S. und die aus ihm resultierende Selbsterkenntnis als etwas, was in ausdrücklicher, reflexer Weise nur dem Menschen zukommt (3 Reflexion). Für Augustinus und Descartes ist das S. mit der unbestreitbaren Gewiss-

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Selbstbewusstsein

heit der eigenen Existenz und dem Wissen um das eigene Wesen verbunden und kann darum gegen die Skepsis als unerschütterliches Fundament für alles Wissen dienen. Kant akzeptiert zwar die Gewissheit der eigenen Existenz, bestreitet aber, dass hieraus ein Wissen um die eigene Existenz folgt. Leibniz gibt dem S. die Bezeichnung Apperzeption, die Kant in seinem Begriff der Transzendentalen Apperzeption übernommen hat. Wie Kant in seiner Transzendentalen Deduktion zeigt, ist das S. das notwendige Korrelat des ausdrücklichen reflexen Objektbewusstseins. Für Fichte ist das in der intellektuellen Anschauung gegebene S. der Ausgangspunkt allen Erkennens. Das Ringen um die Erklärung des S.s ist ein zentrales Thema der 3 Transzendentalphilosophie und des 3 Deutschen Idealismus. Ohne S. gäbe es kein freies und verantwortliches Handeln. Das ausdrückliche S. ist zwar nur durch eine nachträgliche Reflexion auf unser Erkennen und Tun möglich; es muss aber bereits vorgängig auf latente, potentielle Weise als begleitendes S. vorhanden sein, da ich nur auf diese Weise wissen kann, dass ich auch schon vor meiner Reflexion das Subjekt all meiner Erkenntnisse und Handlungen war und bin. Allerdings kann das S. nie zu einer vollständigen Objektivierung (3 Gegenstand) meiner selbst führen, da sonst der Subjektcharakter meiner selbst verloren ginge. Auch darum hat das S. eine Sonderstellung unter meinen Erkenntnissen: Ich bin meiner selbst gewisser als aller anderen Objekte, kann mich aber nicht in derselben Weise objektivierend erforschen wie andere Objekte. G W F Hegel: Phänomenologie des Geistes, S. – H Ebeling: Selbsterhaltung und S., Fr 1979; E Tugendhat: S. und Selbstbestimmung, F 1979; D Henrich: Fluchtlinien, F 1982; R F Koch: Fichtes Theorie des S.s, Wü 1989; M Frank: S. und Selbsterkenntnis, St 1991; K Düsing: S.smodelle, M 1997; K Oehler: Subjektivität und S. in der Antike, Wü 1997; C Jäger: Selbstreferenz und S.; Pb 1999; P Krüger: S. im Spiegel der analytischen Philosophie, Aachen 2000; G Mensching (Hg): S. und Person im Mittelalter, Wü 2005; P Stekeler-Weithofer: Philosophie des S.s., F 2005.

Schöndorf Selbsterhaltung 3 Leben Selbsterkenntnis 3 Ich 3 Selbstbewusstsein Selbsthilfe 3 Subsidiarität Selbstliebe 3 Liebe Selbstlosigkeit 3 Liebe Selbstmord 3 Tod Selbstorganisation 3 Leben Selbstreproduktion 3 Leben Selbstsein 3 Existenzphilosophie Selbstverwaltung 3 Demokratie 3 Subsidiarität Selbstwert 3 Gut 3 Wert Selektion 3 Evolution

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Semantik

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Semantik (gr. semaínein: bezeichnen, bedeuten) heißt die Lehre von der 3 Bedeutung der Wörter und Sätze. Der Ausdruck S. scheint erst gegen 1900 aufgekommen zu sein. Sie steht bei Morris im Gegensatz zur Lehre von der richtigen Bildung der Wortformen und der Sätze (3 Syntax) einerseits und der Lehre vom Zusammenhang des Sprechens mit der (Situation der) Handlung (3 Pragmatik) andererseits. Sie spielt in der (analytischen) 3 Sprachphilosophie eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit dem Bemühen, philosophische Fragen nach Möglichkeit durch Bedeutungsanalyse zu klären oder gar als Scheinprobleme zu entlarven. H Sperber: Einführung in die Bedeutungslehre, Bn 1923; K Bühler: Sprachtheorie, J 1934; C Morris: Foundation of the theory of signs, Ch 1938; W Stegmüller: Das Wahrheitsproblem und die Idee der S., W 1957; H E Brekle: S., M 3 1972; J Pinborg: Logik und S. im Mittelalter, St 1972; D Davidson (Hg): Semantics of natural language, Dordrecht 2 1972; F v Kutschera: Einführung in die intensionale S., B 1976; N Chomsky: Studien zu Fragen der S., F 1978; C Weinberger/ O Weinberger: Logik, S., Hermeneutik, M 1979; J A Coffa: The semantic tradition from Kant to Carnap, C 1991; A v Stechow / D Wunderlich (Hg): S., B 1991; V Mayer: Semantischer Holismus, B 1997; E Tugendhat / U Wolf: Logisch-semantische Propädeutik, St 1997; K Buchholz: Sprachspiel und S., M 1998; O K Wiegand: Phänomenologische S., F 2003; M Siebel / M Textor: S. und Ontologie, F 2004.

Schöndorf

Semiotik ist C S Peirces Theorie der Gedanken-in-Zeichen (anders: Saussures Semiologie, Zeichen als positionale Werte in rein differentiellen Systemen). Zeichen entstehen als geordnete dreistellige logische Relation mit Zeichen(-geber) im 1., Objekt im 2. Interpretant und im 3. Korrelat. Korrelate unterscheiden sich im (kategorialen) Wesen: Qualität (als Antwort auf Was?), Opposition oder Widerstand (beantwortet zweistellige Wahrheitsfragen mit ja/nein), Allgemeinheit (Gesetzmäßigkeit). Aus Zeichen-Denken folgt, dass Sein nicht mehr einfach ist, was ›ist‹, nur noch (modalontologisch) so-ist, wahr-ist, notwendig-ist, bis es in die Zeichenrelation eingebunden ist. Daher konstruiert jede Zeichen-Interpretation Allgemeineres (als Regelwissen) oder sie degeneriert (dyadisch) zu Faktenerkenntnis oder (monadisch) Wahrnehmung. Weil Zeichen relational sind, Korrelate sich kategorial unterscheiden, sind sie auch Klassen aller (ihrer logischen Form nach) möglichen Gedanken. Die Ordnung fußt auf 1. der Ordinalität der Korrelate (das 3. enthält das 2. Korrelat, aber nicht umgekehrt) und 2. der unendlichen Interpretierbarkeit eines Zeichens durch Folgezeichen, so dass das Ursprungs- zum 1. Korrelat des interpretierenden Zeichens wird, usf. C Kloesel (Hg): Writings of Charles S. Peirce, Bloomington 1984.

Ehrat Sensibile 3 Sinneserkenntnis 3 Wahrnehmung

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Sensualismus (Sensismus)

Sensualismus (Sensismus) Der S. (franz. sensualisme) intendiert die Ableitung der gesamten 3 Erkenntnis aus der Sinneserfahrung. Ansätze zu einer sensualistischen Argumentation gab es zwar bereits bei Protagoras, Epikur, Demokrit, den S. im eigentlichen Sinne bringt man jedoch in Zusammenhang mit Condillac und der französischen Aufklärungsphilosophie. Vom 3 Empirismus unterscheidet sich der S. dadurch, dass er keine selbstständigen 3 Ideen der inneren 3 Wahrnehmung anerkennt, sondern annimmt, dass alle Ideen der äußeren Wahrnehmung entspringen. Außerdem verzichtet er auf die Annahme 3 subjektiver Vermögen und nimmt an, dass nicht nur die Denkinhalte, sondern auch die Denkfähigkeiten wie das Erinnerungs- und Urteilsvermögen aus Eindrücken der äußeren 3 Sinne entstehen. Übersehen wird vom S., dass das Zusammenfassen, Vergleichen und Verallgemeinern von 3 Vorstellungen bereits die 3 Einheit des 3 Bewusstseins voraussetzt und dass ohne diese auch eine erinnernde Identifikation von Vorstellungen unmöglich ist. Außerdem übersieht er den wesentlichen Unterschied zwischen Ideen und 3 Urteilen. Urteilen lässt sich nämlich nicht auf das Vergleichen von 3 Begriffen zurückführen, sondern ist ein über den Vergleich hinausgehender Akt des Behauptens oder Leugnens. An den S. knüpfen Empirio-Kritizismus und logischer 3 Positivismus an bei ihren Versuchen, wissenschaftliche Sätze auf zugrunde liegende Elementarsätze über Sinneseindrücke zurückzuführen. W Röd: Die Philosophie der Neuzeit II, M 1984.

Ollig Sensualitas 3 Sinnlichkeit Sensus communis 3 Erkenntnisvermögen Setzung (gr. thésis, lat. positio) steht ursprünglich im Gegensatz zu 3 Natur (gr. phy´sis, lat. natura), meint also etwas, was nicht von Natur aus da ist oder geschieht, sondern sich einem Willensakt verdankt. Unter einer S. wird darum eine »These« im weitesten Sinn verstanden: eine als wahr vorgetragene 3 Behauptung oder eine zu irgendeinem Zweck gemachte Annahme (vgl.: »gesetzt den Fall«). Die S. ist die freie Handlung, mit der die Bejahung (Behauptung) einer positiven 3 Aussage oder die Zustimmung zu einer Meinung vollzogen wird, was grammatikalisch durch die Subjekt und Prädikat verbindende Kopula »ist« ausgedrückt wird. Die Ausdrücke Setzen und S. bürgern sich in der Philosophie seit Kant ein. Denn durch die transzendentale Fragestellung wird das Tun des 3 Subjekts zum Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen: Bei Fichte ist die S. des 3 Ich und des Nicht-Ich der ursprüngliche Akt der Freiheit. Durch diese S. wird alles durch und für das Ich erst konstituiert. 3 Deutscher Idealismus, 3 Transzendental, 3 Transzendentalphilosophie. C Baldus: Partitives und distriktives Setzen, HH 1982.

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Sexualität

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Sexualität Biologisch gesehen, scheint das innere Ziel der S. (Geschlechtlichkeit) die Vermehrung zu sein, und zwar so, dass darin ein Austausch von Erbanlagen stattfindet. Grundtatsache ist dabei die kleine Anzahl von großen Eizellen und die riesige Zahl von kleinen Samenzellen. Im Lauf der Evolution bilden sich die festen Gestalten der beiden Geschlechter heraus: Frau und Mann, die tiefgehend verschieden sind. Es stehen entsprechend einander gegenüber: periodische und permanente Ansprechbarkeit auf Reize, Trieb zur Pflege des Kindes und Trieb zur Verbreitung der eigenen Gene usw. Die bio-psychologische Verschiedenheit erfährt in den Kulturen mannigfaltige Überformungen, die diese Verschiedenheit zu akzentuieren versuchen durch die Zuschreibung von gesellschaftlichen Rollen: was Frauen tun dürfen oder müssen und was Aufgabe und Privileg der Männer ist, weit hinausgehend über die Funktionen, die Vermehrung sichern sollen. In anderen Kulturen, wie z. B. der unseren heute, tendiert man eher dazu, die gesellschaftlichen Rollen vom biologischen Unterschied zwischen Frau und Mann abzukoppeln (Gleichheitsgrundsatz). Im Zentrum der gesellschaftlich geregelten S. steht die Ehe, meist als Monogamie, gelegentlich aber auch als Polygamie bzw. Polyandrie. Zur Fortpflanzungsfunktion gehören nicht nur der Trieb zur Begattung, sondern auch alle Triebe, die mit der Sicherung des Nachwuchses zu tun haben: wie der zur stabilen Paarbildung, zur Intimität der Lebensgemeinschaft, zur gegenseitigen Hilfe und Zärtlichkeit, zur Beherrschung des einen durch den anderen und zur Sorge für den Nachwuchs. Diese Aktivitäten können voneinander in gewissem Maß gelöst werden. So treten an die Seite der normalen Heteros. die Homos. und die Selbstbefriedigung, aber auch die weitgehend a-sexuelle Fürsorge durch eine Kinderschwester. Wenn S. unreif ist, insofern sie einseitig und dauerhaft auf Lust um ihrer selbst willen orientiert ist, kann sie Quelle von Neurosen, aber auch von persönlichem Unglück und sogar von typischen Verbrechen werden. – S. ist ein Trieb, dessen Aktivitäten nicht nur natürlich sind, sondern auch durch zahlreiche individuelle Techniken gesteuert werden. Es gibt einerseits die Liebes-Kunst, und andererseits die Mittel zur Sicherung oder zur Reduzierung der Fruchtbarkeit. Diese Techniken können Gefahren mit sich bringen, sind aber, prinzipiell gesehen, ein Wesenszug menschlicher S., ebenso wie deren moralische Ordnung durch Gebote und Verbote. Das Verhältnis zwischen S. und personaler Liebe ist nicht analytisch, sondern synthetisch: das eine kann ohne das andere existieren. Eine erste Vermittlung liegt im Eros, der in das pure Begehren umkippen kann, aber nicht muss. Er setzt eine Beherrschung des Triebs voraus. Mit dem Schwung des Triebs mischt sich hier noch ein anderer, geistiger Schwung: die Tendenz auf eine andere Person um ihrer selbst willen und das Vermögen, über die Ambivalenz des Begehrens zwischen Liebe und Hass hinaus zur Eindeutigkeit eines liebenden Ja zum Anderen zu gelangen.

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Sinn

Centre d’études Laennec: Sexualité humaine, P 1966; M Foucault: S. und Wahrheit, F 1977 ff.; N Luyten (Hg): Wesen und Sinn der Geschlechtlichkeit, Fr 1985; R M Stewart (Hg): Philosophical Perspectives on Sex and Love, O 1995; P Balzer / K P Rippe (Hg): Philosophie und Sex, M 2000; J H Y Fehige: Sexualphilosophie, Ms 2008.

Haeffner Sic et non 3 Dialektik 3 [93] Sicherheit 3 Gewissheit Signal 3 Instinkt 3 Kybernetik 3 Sprachphilosophie Significatio 3 Bedeutung 3 Supposition Silbe 3 Sprache Singularität 3 Kosmologie Sinn leitet sich her vom althochdeutschen »sinnan«, das »reisen« bedeutet (davon »senden«, also zum Reisen veranlassen, sowie »Gesinde«, die Reisebegleitung), aber auch »streben«, »begehren«, »achthaben auf«, daher das Verb »s.en« (transitiv: auf etwas s.en, aber auch intransitiv: s.en, nachdenken) und »(sich) bes.en«. Dieser Grundbedeutung einer intentional ausgerichteten Bewegung entstammen die uns geläufigen Bedeutungsvarianten des Substantivs: (1) Bewegungsrichtung (Uhrzeigers., Richtungss.), (2) Disposition zur inneren Ausrichtung (die S.e, also Tasts. usw., oder übertragen: z. B. S. für Kunst), (3) der intendierte Gehalt (der S. einer Handlung, ihr Ziel). Weil die intentionale Bewegung vom Zielgehalt her verstehbar wird, ist S. auch (4) der Inhalt einer sprachlichen Äußerung (S. des Wortes, des Textes). Schließlich ergibt sich aus der Zuordnung zum Strebe- und Willensvollzug, dass S. (5) die Bedeutung des Werthaften und Zustimmungswürdigen, auch des Maßgebenden (des normativ Ideellen: es soll sein) annimmt (dies ist s.voll, ist gut). Eine qualifiziert philosophische Bedeutung erhält das Wort erst mit dem Aufkommen deutschsprachiger philosophischer Literatur um 1800. J G Fichte nennt »die Bestimmung des Menschen« (so der Titel der Schrift von 1800) auch »S. seines Daseins« (Werke XI, 23). In der Folgezeit wird »S.« ähnlich wie »Wert« oder »Bedeutung« als Begriff für eine Gesamtorientierung des Lebens gebraucht, z. B. bei L Feuerbach (in weltzugewandtem Optimismus) oder bei A Schopenhauer (in weltverneinendem Pessimismus). F Nietzsche stellt mit diesem Wort seine Grundfrage: »Hat denn das Dasein überhaupt einen S.? – jene Frage, die ein paar Jahrhunderte brauchen wird, um auch nur vollständig und in alle ihre Tiefe hinein gehört zu werden« (Werke II, 228). Im späteren 19. Jahrhundert gewinnt der Begriff in den Geisteswissenschaften Bedeutung. »S.« meint hier das, was es in Texten, Überlieferungen, geschichtlichen Situationen zu »verstehen« gilt (so W Dilthey). In dieser Tradition steht die heutige Hermeneutik (H G Gadamer). In der modernen Sprachphilosophie besagt »S.« in etwa: Gehalt sprachlicher Gebilde (G Frege, L Wittgenstein). M Weber führte den Begriff in die Soziologie ein,

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Sinn

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die nach ihm ein deutendes S.verstehen menschlichen Handelns ist (modifiziert aufgenommen und weitergeführt von A Schütz, N Luhmann). In der Psychologie wies V Frankl dem S.begriff eine zentrale Bedeutung zu und gebrauchte ihn als Ausdruck für die geistig motivierende Wertorientierung des Menschen, wobei er die Psychologie aus der Enge eines freudianisch geprägten Menschenbildes bloßer Triebverhaftung befreite. In der Theologie erhob ihn P Tillich zum Schlüsselbegriff einer Systematisierung der Wissenschaften, wobei Religion die Ausrichtung auf »unbedingten S.« ist (Tillich, 44). W Pannenberg verwendet ihn (von Dilthey herkommend) für die Darstellung einer Geschichtstheologie, in welcher der S. der Ereignisse und des menschlichen Lebens sich durch den Blick auf das Ende erhellt. Angesichts des späten Einzuges des S.begriffs in die philosophische Sprache bleibt zu bedenken, dass sein Inhalt auch der Tradition vertraut war. H Kuhn schreibt dazu: »die moderne Frage nach dem ›S.‹ – ein Wort, das erst durch Nietzsche seine uns geläufige Bedeutungsschwere gewonnen hat – ist im Grunde die Frage nach dem Guten, formuliert im Zustand ontologischer Ratlosigkeit« (Kuhn, 672). Durch den Nuancenreichtum seiner sprachlichen Bedeutung eignet sich »S.« als philosophischer Grundbegriff. Seine Explikation ergibt folgende Elemente: S. ist ganz allgemein ein »Gehalt« (1) und als solcher ein »(Sach-)Verhalt« oder Verhältnis, d. h. ein Zusammenhang (2), allerdings nicht ein beliebiger, sondern ein in sich stimmiger (3). Als solcher ist er intelligibel, wird »gehalten« von einem Subjekt (4) und hat zugleich mit dieser theoretischen eine praktische Seite (5), denn das Subjekt ist »gehalten«, seiner Stimmigkeit zu entsprechen. Als »Verhalt« steht er selbst in »Verhältnissen«, d. h. in. Kontexten theoretisch-praktischer Reflexion und Kommunikation (6), aus denen er gewonnen wird und innerhalb derer immer wieder sein Unbedingtheits- oder Letztbezug zum Thema wird (7) (etwa in der Frage: Was ist nun wirklich, letztlich, der S. von X?). S. lässt sich von daher definieren als: theoretisch-praktischer, mehrdimensional kontextueller und reflexiv letztbegründbarer Stimmigkeitsgehalt. Vom benachbarten Begriff »Glück« unterscheidet er sich durch seine Objektivitätsdimension. Dazu nur ein Zitat: »Alles Gelingen ernstlicher Bemühung, alles Lieben und Geliebtwerden, aller Anteil an menschlicher Größe, alle Hingebung an ideelle Ziele oder großes Geschehen zeigt dieselbe eindeutige Richtung der Abhängigkeit: es ist nicht s.voll, weil es beglückt, sondern es beglückt, weil es s.voll ist« (Nicolai Hartmann, 265). Eine weitere Vertiefung des S.begriffes wird von seiner praktischen Seite her gefordert. Denn der S. einer Handlung scheint zunächst in einem außerhalb ihrer liegenden Zweck zu bestehen (Autofahrt zum Arbeitsplatz, extrinsischer S.). Doch als ausschließlicher höbe sich ein solcher S. auf (wenn es nur um Lebens-Mittel geht: worin besteht das Leben selbst?). S. kann es nur zusammen mit Vollzügen geben, die ihren S. in sich selbst tragen (intrinsi-

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Sinneserkenntnis

scher S.). Doch sind von solchem S. erfüllte Erfahrungen (z. B. Kunst- oder Naturerleben, Liebe, Gebet usw.) nicht kontextlos. Sie wirken auf ihre Weise in den Lebenszusammenhang hinein und verstehen sich aus ihm (sie lassen das Leben »überhaupt« als s.voll erscheinen). Allerdings gilt das auch von Erfahrungen der S.widrigkeit (das Leben scheint durch diese allen S. zu verlieren). Eine letzte Rechtfertigung des S.s kann offenbar nur ein letzter Zusammenhang gewähren, der aber dann per se nicht mehr »verfügbar« ist. Diese Ungreifbarkeit des Letzten scheint die Verneinung von allem S. (Nihilismus) möglich und unwiderlegbar zu machen. Aber ist eine totale Verneinung von S. vollziehbar? Sie würde immerhin den S. von Wahrheit voraussetzen wie auch den von Wahrhaftigkeit. Diese Unhintergehbarkeit von S. könnte den am S.mangel Verzweifelnden zu der Einsicht bringen, dass seine Negativ-Erfahrungen stets Positiv-Erfahrungen voraussetzen, die nie ganz verloren gehen können, weil sie dem Leben eigentümlich sind. Wer an Lieblosigkeit leidet, hat Liebe erfahren. Wer sich missachtet fühlt, weiß um seinen Wert. Solche Reflexionen wären ein Weg, wieder Vertrauen in das Leben zu gewinnen und S. in ihm zu finden. Letztlich stützen könnte sich dieses Vertrauen nur auf einen S. rein aus sich und um seiner selbst willen, der allerdings mit keiner endlichen, immer bedingten Größe zu identifizieren wäre. Aber gerade in dieser Transzendenz könnte er unseren S.optionen die immanente Rechtfertigung geben. Artikel S. in: HWPh, EKL, LThK, RGG, SM, TRE; J G Fichte: Werke I–XI, hg. v. I H Fichte, B 1971; F Nietzsche: Werke 1-IV, hg. v. K Schlechta, M 1969; M Weber: Soziologische Grundbegriffe, Tü 1981; N Hartmann: Sinngebung und Sinnerfüllung, in: Kleinere Schriften I, B 1955; P Tillich: Religionsphilosophie, St 1962; W Pannenberg: Wissenschaftstheorie und Theologie, F 1973; R Schaeffler: S., in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, hg. v. H Krings, M 1973; B Grom / J Schmidt: Auf der Suche nach dem S. des Lebens, Fr 1975; V Frankl: Der Wille zum S., Be 1978; M Müller: Der Kompromiß oder vom Uns. und S. menschlichen Lebens, M 1980; J Schmidt: Auf der Suche nach S., in: Der Glaube der Christen, hg. v. E Biser, M 1999.

Schmidt Sinnbild 3 Symbol Sinnesenergien, spezifische 3 Sinnesqualitäten Sinneserkenntnis Die äußere S. wird auch 3 Wahrnehmung genannt. Sie bezieht sich immer nur auf Gegenwärtiges, das entweder durch unmittelbaren Kontakt mit den Sinnesorganen erfasst wird oder durch ein Medium (Licht, Luft) zu den Sinnesorganen gelangt. Die Sinnlichkeit als Fähigkeit zur S. darf nicht mit den Sinnesorganen verwechselt werden, die die Mittel zur Ausübung dieser Fähigkeit sind. Es gibt aber nicht nur die fünf äußeren Sinne, sondern auch den inneren Sinn. Er lässt uns Wärme und Kälte empfinden, nimmt Schmerzen, Unwohlsein und ähnliche innere Empfindungen wahr,

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Sinneserkenntnis

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und ist überhaupt die Fähigkeit, unsere Stimmungen, Gefühle, Affekte, Emotionen usw. zu erfassen. Da es einen fließenden Übergang zwischen der Wahrnehmung eines äußeren Objekts und der Erfahrung eines eigenen Leibeszustandes gibt (z. B. bei einem Juckreiz sowie bei Kälte und Wärme), gibt es in vielen Sprachen ein Wort, das sowohl die Außenwahrnehmung als auch die Sinneserfahrung des eigenen Zustands und die Wahrnehmung der eigenen Gefühle und Stimmungen bedeutet: dt. fühlen, lat. sentire und dessen Äquivalent in den romanischen Sprachen. Die S. gehört wesentlich zum animalischen (tierischen und menschlichen) Leben und wird darum seit Aristoteles in den klassischen Traktaten über die Seele behandelt. Aristoteles weist am Ende seines Werks De anima darauf hin, dass andere äußere Sinne ausfallen können, der Tastsinn jedoch die unentbehrliche Grundlage für alles andere ist. Kant ist der Meinung, dass die S. rein rezeptiver Natur ist und eine ungeordnete Vielfalt sinnlicher Wahrnehmungen aufnimmt und sich dadurch vom Verstand unterscheidet, der spontan ist und das Mannigfaltige ordnet. Aristoteles weist jedoch darauf hin, dass die S. die sinnliche Form (species sensibilis), also bereits etwas Allgemeines aufnimmt, was durch die Gestaltpsychologie bestätigt wird. Außerdem ist die S. nicht rein passiv und rezeptiv, sondern durchaus auch aktiv: es gibt ein sinnliches Aufmerken, das aktiv ist und das wir mit Ausdrücken wie hinschauen, horchen und dgl. bezeichnen. Ferner ist der Tastsinn der Hände normalerweise aktiv tätig. Kant weist dem äußeren Sinn den Raum und dem inneren Sinn die Zeit zu. Dies ist für den inneren Sinn nur teilweise zutreffend, da wir z. B. Schmerzempfindungen normalerweise an einer bestimmten Stelle unseres Leibes und somit an einem bestimmten Ort im Raum haben. Andererseits erfahren wir die äußeren Vorgänge nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich, ohne dass man dies wie Kant als Übertragung aus dem inneren Sinn ins Äußere deuten muss. Die Scholastik kennt die vis aestimativa (Schätzungskraft), die eine spontane und noch nicht verstandesmäßige Einschätzung des Erkannten in seiner Nützlichkeit oder Schädlichkeit vollzieht. Dass es eine derartige Fähigkeit gibt, zeigt sich bei den Tieren. Die Koordination der verschiedenen völlig heterogenen Sinneswahrnehmungen zu einem Ganzen wird von der Scholastik der vis cogitativa (etwa: Einigungskraft, Gestaltungskraft) zugeschrieben. Ohne diese Fähigkeit wären wir nicht imstande, visuelle, taktile, akustische und andere Sinneseindrücke auf ein und dasselbe Objekt zu beziehen und sie zu einer sinnlichen Gesamtwahrnehmung dieses Objekts zu vereinigen. Auch diese Fähigkeit muss zur S. gehören, da wir sie schon bei den Tieren und nicht erst beim Menschen antreffen. Die aristotelische Tradition vertritt die These, der sich auch Kant anschließt, dass alle Erkenntnis mit den Sinnen, also der S. beginnt. In diesem Sinn kann Aristoteles als Empirist bezeichnet werden. Vertreter einer mehr

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Sinnesqualitäten

platonischen Denkweise sowie Descartes und Leibniz nehmen hingegen an, dass es auch Erkenntnisse gibt, die nicht mit S. zusammenhängen. 3 Wahrnehmung. Aristoteles: De anima; T v Aquin: In De anima; F Suárez: De anima; I Kant: KrV, Transzendentale Ästhetik; J L Austin: Sense and sensibilia, O 1962. – J Gredt: Unsere Außenwelt, I 1921; R Guardini: Die Sinne und die religiöse Erkenntnis, Wü 2 1958; A Mues: Die Einheit unserer Sinnenwelt, M 1979; W Bernard: Rezeptivität und Spontaneität der Wahrnehmung bei Aristoteles, Baden-Baden 1988; M Hauskeller (Hg): Die Kunst der Wahrnehmung, Zug 2003; U Steinbrenner: Objektive Wirklichkeit und sinnliche Erfahrung, F 2007.

Schöndorf Sinnesorgane 3 Sinneserkenntnis Sinnesqualitäten (qualia, Plural von lat. quale: wie beschaffen) sind die Eigentümlichkeiten jener Erfahrung, die man erleidet, wenn ein bestimmtes Sinnesorgan des eigenen Körpers durch einen Reiz aktiviert wird, für den es spezialisiert ist. Treffen z. B. Photonen der Wellenlänge von 500 Nanometern (Milliardstel Meter) auf die Zäpfchen der Retina des Auges, nehmen wir eine bestimmte Farbe wahr (Himmelblau), deren Leuchtkraft von der Menge der absorbierten Photonen und somit von der Intensität der Strahlung abhängt. Unterhalb einer minimalen Intensität (Schwellenwert) kommt es zu keiner Farbempfindung. Wird umgekehrt die Intensität zu hoch, weicht sie einem starken Schmerz. Die Augen und andere Sinnesorgane können auch durch unspezifische Einwirkungen gereizt werden. Plötzlicher Druck auf das Auge erzeugt z. B. Lichtblitze. S. wie Farben, Helligkeit, Gerüche, Töne und Geräusche, Wärme und Kälte etc., ebenso andere bewusstseinsartige (mentale) Vorgänge und Zustände wie z. B. Gefühle, Triebe oder Gedanken sind mit physikalischen und physiologischen Vorgängen mehr oder weniger eindeutig korreliert, können aber nicht von ihnen vollständig (unter jeder Rücksicht) verursacht sein oder können m. a. W. nicht auf sie reduziert werden. Mentale Sachverhalte haben nur wenige Eigenschaften mit physischen Sachverhalten gemeinsam; Farbe z. B. erscheint immer als farbige Fläche mit oder ohne deutliche Grenzen (Gestalt), Töne können eine Richtung haben, der Bewegung einer Figur im Sehfeld entspricht eine Bewegung im Außenraum (man spricht von primären S.). Die meisten S. sind aber von völlig anderer Natur als alles, was außerhalb eines Bewusstseins vorkommt und mit physikalischen oder physiologischen Begriffen adäquat beschrieben werden kann (man spricht von sekundären S.). Deshalb kann man einem Blindgeborenen nicht erklären, was »Blau« bedeutet, obwohl man ihm beibringen kann, was elektromagnetische Schwingungen sind. Deswegen können wir trotz aller biologischer Kenntnisse nicht ableiten, ob Bienen oder Meisen bei ihren Reaktionen auf UV überhaupt eine Empfindung haben, und wenn ja, von welcher Art (»Farbe«). Deswegen ver-

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Sinnlichkeit

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stehen wir nicht, warum ich den Schmerz beim Tritt aufs Hühnerauge erst spüre, wenn die dabei ausgelösten nervösen Erregungen ein bestimmtes Zentrum im Gehirn erreicht haben, dann aber nicht dieses Zentrum wehtut, sondern das Hühnerauge. Weil S. nur dem konkreten, einzelnen Träger der Sinnesorgane (dem Subjekt) zugänglich sind, aber keinem Beobachter von außen, nennt man sie subjektiv. Sie sind aber auch objektiv im Sinne von wirklich, nicht aber im Sinne von intersubjektiv prüfbar. Es erscheint ausgeschlossen, dass die subjektiven Eigenschaften des Bewusstseins je werden ausgedrückt werden können durch objektive Begriffe der Naturwissenschaft. Das bedeutet: die naturalistische (physikalistische, materialistische) Welterklärung ist nur durchführbar unter Nicht-Beachtung eines ganzen, jedermann zugänglichen Sektors der Wirklichkeit. W G Lycan: Mind and Cognition, C MA 1990; J Tomberlin (Hg): Philosophical Perspectives, vol. 4, Atascadero 1990; D Rosenthal (Hg): The Nature of Mind, NY 1991.

Erbrich Sinnestäuschung 3 Schein Sinnliche Anschauung 3 Transzendentalphilosophie Sinnlichkeit ist ein Grundbegriff der Anthropologie. Im erkenntnistheoretischen Zusammenhang bedeutet S. (1) die Abhängigkeit des menschlichen Erkennens von der 3 Sinneserkenntnis. Diese Abhängigkeit zeigt sich darüber hinaus in der Tendenz (2), auch abstrakte Erkenntnisse durch Bilder (Metaphern) und Vergleiche (Analogien) zu veranschaulichen, in einem gewissen Grad sinnlich wahrnehmbar zu machen (conversio ad phantasma), oder menschliche Erfahrungen, Befürchtungen und Hoffnungen in sinnlichen Medien (in Formen, Farben und Tönen, in Sprache und Mimik) zum Ausdruck zu bringen (Kunst). Im ethischen Zusammenhang meint S. (3) die leiblich bedingten Bedürfnisse (wie Hunger und Durst), Antriebe (wie Bewegungsdrang, Geschlechtstrieb), Gefühle und Stimmungen (wie bestimmte Formen der Aggressivität, der Angst, der Lust und Unlust, der Abscheu und der Anziehung). Im abwertenden Sinne erscheint S. (4) als unbeherrschte Triebhaftigkeit oder Genussbereitschaft, schlecht gesteuerte Abhängigkeit von Stimmungen und Gefühlen. S. (4) hindert die personale Freiheit in der Verfolgung höherer Ziele wie Pflichterfüllung, Wahrnehmung von Verantwortung oder einfach Selbstbeherrschung. G Böhme: Leibsein als Aufgabe, Zug 2003.

Erbrich

Sittengesetz Das natürliche S. meint das Gesetz des moralischen Wollens und Handelns, das jedem seelisch gesunden erwachsenen Menschen auf

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Sittengesetz

Grund seines Gewissens bewusst ist und dessen Darstellung und Erläuterung Thema der philosophischen Ethik und der Moraltheologie ist. Das S. spielt bei all den Denkern eine wichtige Rolle, die zu der moralphilosophischen Tradition gehören, die die Sittlichkeit auf gesetzmäßige Regeln zurückführt, wie dies in der Stoa oder bei Kant geschieht. Aber auch Thomas v Aquin übernimmt die Tradition des S.es, obwohl er von Aristoteles her die moralische Beurteilung unserer Handlungen danach ausrichtet, ob und inwieweit wir unsere natürlichen Neigungen vernünftig ordnen. Die Konzeption der Moral als S. legt sich dadurch nahe, dass seit ältesten Zeiten die Maßstäbe und Normen für sittlich richtiges Handeln in menschlichen Gemeinschaften und Religionen in der Form von Regeln und Gesetzen gegeben und weitergegeben wurden. Das natürliche S. wurde in der Tradition auch als (sittliches, moralisches) Naturgesetz bezeichnet. Dass es überhaupt ein S. gibt, wird vielfach als evident vorausgesetzt. Der nominalistische (3 Nominalismus) 3 Voluntarismus führt seine Geltung auf den bloßen Willen der gesetzgebenden Autorität, also Gottes, zurück. Dies ist aber nicht damit vereinbar, dass das S. für jedermann in seinem Gewissen einsichtig ist. Ferner könnte bei einer Anwendung dieses Grundsatzes auf menschliche Gesetze nicht mehr zwischen gerechten und ungerechten Gesetzen unterschieden werden. Es gäbe dann auch kein freiwilliges Gutes mehr, das über das vom Gesetz Gebotene hinausgeht. Die Geltung des S.es gründet also darin, dass die Gutheit des Gesollten und die Bosheit des Verbotenen in sich selbst einsichtig ist. Dass wir nicht einfach unsere Willkür, Lust und Laune zur Regel unseres Handelns machen dürfen, hat schon Platon dargelegt. Denn nur durch ein Handeln nach dem S. können wir auf eine einsichtige, vernünftige und in sich konsistente Weise handeln und so unser Ziel, die Glückseligkeit (3 Glück), erreichen. Ein Handeln, das auf Egoismus oder Willkür beruht, ist letzten Endes selbstzerstörerisch, schon deshalb, weil es anderen dieselbe Willkür einräumt. Damit gäbe es aber keine Sicherheit für unser Leben mehr, wie Hobbes in seinen Ausführungen über den Naturzustand darlegt, weshalb selbst eine egoistische Vernunft nicht um ein S. herumkommt. Das S. basiert auf einer höchsten Grundregel, dem (obersten) Moralprinzip. Im Neuen Testament wird die Gottes- und Nächstenliebe als dieses Prinzip bezeichnet. In der Überlieferung nannte man oft die »goldene Regel«: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Kant bezeichnet es als die Aufgabe seiner »Grundlegung«, dieses Moralprinzip aufzusuchen. Es besteht nach seiner Auffassung im 3 kategorischen Imperativ und der mit ihm verknüpften 3 Autonomie. Schopenhauer behauptet zwar, keine Pflichtenlehre liefern zu wollen, stellt aber dennoch ein Moralprinzip auf: Neminem laede, immo omnes, inquantum potes, iuva (Verletze niemanden, sondern hilf allen, soweit du kannst). Als Moralprinzip kann freilich auch ein Prinzip angesehen werden, das nicht als ein S. bezeichnet werden

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Situation

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kann, das die Form einer Regel hat oder aus dem sich Handlungsregeln ableiten lassen. Dies gilt beispielsweise für die verschiedenen Formen des 3 Utilitarismus, dessen oberstes Prinzip der Nutzen ist, der normalerweise oder tatsächlich aus einer Handlung oder einer Regel entspringt. Als heteronome und darum von ihm abgelehnte Moralprinzipien hat Kant die Glückseligkeit, die 3 Vollkommenheit, das moralische Gefühl und den Willen Gottes sowie die Erziehung und die bürgerliche Verfassung genannt (KpV, AA V 40). Die Diskursethik erhebt den unter den Bedingungen der Herrschaftsfreiheit entstehenden vernünftigen Konsens zum Moralprinzip. Die 3 Wertethik erklärt die Einsicht in die sittlichen Werte zur obersten Richtschnur. Für den antiken 3 Hedonismus war die Lust das Prinzip der Moral. Die einzelnen Regeln des S.es ergeben sich aus seinem obersten Prinzip. Darum sind die grundlegenden moralischen Gebote universaler Natur, während ihre detaillierten Konkretionen geschichtlichen und kulturellen Differenzierungen unterliegen können, soweit sie von der entsprechenden anthropologischen, gesellschaftlichen und kulturellen Verfassung abhängen. Hieraus folgt weder ein Moralrelativismus noch eine individuelle Situationsethik, sondern dies ergibt sich daraus, dass die Anwendung des S.es kein mechanischer Formalismus ist, sondern ein praktisches Urteil der am Guten ausgerichteten und von den 3 Tugenden geleiteten Vernunft. Die Verpflichtung des S.es ist, wie vor allem Kant herausgestellt hat, unbedingt. Es hat in jedem Fall den Vorrang vor allen konkurrierenden Überlegungen und Regeln. Es übt aber keinen physischen Zwang aus, sondern wendet sich an den vernünftigen freien Willen. Seine Befolgung führt den Menschen zur eigentlichen Verwirklichung seiner selbst, wie alle großen Denker herausgestellt haben, da das im S. ausgedrückte Gute das wahre und eigentliche Gute des Menschen selbst ist und ihm daher die Entfaltung seiner 3 Freiheit und 3 Würde ermöglicht. Das S. darf nicht, wie Kants Auffassung es nahelegt, rein formal verstanden werden, sondern gründet in der Würde des Menschen, die seine Hinordnung auf Gott beinhaltet, und im Wert der ganzen Schöpfung. Die Befolgung des S.es bedeutet darum das gelebte Ja des Menschen zu seiner eigenen Wirklichkeit und zur Wirklichkeit im Ganzen. T v Aquin: STh I–II 91, 2 c; 97, 1 ad 1; I Kant: Grundlegung. – H Seidl: S. und Freiheit, Weilheim-Bierbronnen 1992; F-J Bormann: Natur als Horizont sittlicher Praxis, St 1999; K Horstmann: Zwischen Natur- und S., Mz 1999; J Timmermann: S. und Freiheit, B 2003.

Schöndorf Sittlichkeit 3 Ethik 3 Moralität Situation / Situationsethik Unter der Situation (S.) werden die konkreten Umstände und Bedingungen verstanden, unter denen sich der Mensch jeweils befindet. Diese S. spielt besonders dann eine wichtige Rolle, wenn es um die Frage geht, wie sich ein Mensch verhalten soll. Aus diesem Grund

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Skepsis

entwickelte sich eine Form der Ethik, die die These vertrat, dass eine auf allgemeinen Normen aufgebaute Ethik nicht die jeweilige S. hinreichend berücksichtigen könne, weshalb eine Situationsethik (Se.) nötig sei, die auf allgemeine Regeln überhaupt verzichte und die Beurteilung der jeweiligen S. zum einzigen Maßstab für das rechte Handeln mache. An dieser Auffassung ist richtig, dass die S. für die ethische Beurteilung wesentlich ist, wie auch die Tradition wusste. Schon Aristoteles wies darauf hin, dass es in der praktischen Philosophie keine so exakte Subsumtion des Einzelnen unter das Allgemeine gibt wie in der Theorie. Auch die Lehre von der Epikie zeigt, dass man um die Wichtigkeit wusste, die konkrete S. zu berücksichtigen. Die Anwendung der ethischen Regeln auf einzelne konkrete Beispiele in der Kasuistik zeigt vielleicht am besten das Für und Wider einer Se. Denn hier zeigt sich, dass die meisten Fälle durch eine vernünftige Anwendung der allgemeinen Regel auf den Einzelfall gelöst werden können, auch wenn es immer Grenzfälle geben mag, deren Beurteilung strittig bleibt. Aber das Vorkommen von Grenzfällen, das es ebenso in der Theorie gibt, ist noch kein Argument gegen allgemeine Klassifizierungen und Typisierungen. Denn wir können als Menschen überhaupt nur rational handeln, wenn wir uns an bestimmten Regeln orientieren und wenn die Fälle, wo diese Orientierung nicht gelingt, die Ausnahme darstellen. Darum ist die Konzeption einer radikalen Se. zum Scheitern verurteilt. Hinzu kommt, dass eine Se. aus der Behauptung entspringt, die Einzelfälle ließen sich nicht systematisieren, und doch wohl oder übel eine derartige Systematisierung versuchen müsste. Die Idee der Se. kommt aus der Existenzphilosophie und hat nach deren Rückgang an Interesse eingebüßt. E Michel: Der Partner Gottes, Hd 1946; D v Hildebrand: Wahre Sittlichkeit und Se., D 1957; A Günthör: Entscheidung gegen das Gesetz, Fr 1969; B Schüller: Die Begründung sittlicher Urteile, D 1973; B Irrgang: Hermeneutische Ethik, Da 2007.

Schöndorf Skepsis / Skeptizismus Skeptizismus ist der Verzicht auf ein 3 Urteil darüber, wie die 3 Dinge an sich sind; der Skeptiker äußert sich lediglich darüber, wie ihm etwas erscheint. Als Begründer der antiken Skepsis (S.) gilt Pyrrhon von Elis (360–270 v. Chr.). Sein Skeptizismus ist praktisch motiviert: Der Verzicht auf das Urteil soll der inneren Ruhe dienen. Die ausführliche Darstellung der pyrrhonischen S. des Sextus Empiricus (um 200 n. Chr.) erscheint 1569 in lateinischer Übersetzung und löst den neuzeitlichen Skeptizismus (Montaigne, Hume) aus. Die Pyrrhoneer entwickeln Argumentationsformen (Tropen), die zur Urteilsenthaltung (epoché) führen sollen. Die natürlichen 3 Gewissheiten sollen dadurch zerstört werden, dass jeder Überzeugung eine andere von derselben Stärke (sthénos) entgegengestellt wird, so dass beide einander aufheben (Isosthenie). Die zweite Richtung der antiken S. ist die durch das sokratische Wahrheitsethos inspirierte Kritik der Akademie am

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Skotismus

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erkenntnistheoretischen Fundamentalismus der Stoa. Sie übernimmt die grundlegende 3 Voraussetzung der stoischen Erkenntnistheorie, dass wir nicht die Dinge, sondern Eindrücke von den Dingen wahrnehmen. Das führt notwendig zu einem Wahrnehmungsskeptizismus: Der Eindruck ist der undurchdringliche Vorhang, der uns von den Dingen, wie sie an sich sind, trennt. Der akademische Skeptizismus wird durch Augustinus widerlegt: Niemand könne daran zweifeln, dass er lebt, sich erinnert, denkt und urteilt. Augustins Argumente werden von Descartes übernommen. Gegen den Pyrrhonismus greifen sie nicht, denn sie machen die Voraussetzung, dass es wahrheitsfähige 3 Aussagen (Propositionen) gibt, die der Pyrrhonismus nicht teilt. Augustins Kritik führt in letzter Konsequenz zum 3 Solipsismus und 3 Idealismus. Eine Widerlegung des Pyrrhonismus muss an das Argument des späten Wittgenstein anknüpfen, dass man zum 3 Zweifeln Gründe braucht, so dass der Zweifel die Gewissheit voraussetzt. Cicero: Lucullus; Diogenes Laertios: Leben und Lehre der Philosophen, IV 28–67; IX 61–116; Sextus Empiricus: Grundriß der pyrrhonischen Skepsis; Augustinus: Contra academicos; M de Montaigne: Apologie de Raimond Sebond (Essays II, 12); D Hume: A Treatise of Human Nature, I iv; L Wittgenstein: Über Gewißheit. – R Popkin: The History of Scepticism from Erasmus to Spinoza, Berkeley (Cal) 1979; B Stroud: The Significance of Philosophical Scepticism, O 1984; W Görler: Älterer Pyrrhonismus, Jüngere Akademie, Antiochos von Askalon, in: H Flashar (Hg): Die hellenistische Philosophie, Bs 1994; F Ricken: Antike Skeptiker, M 1994.

Ricken Skotismus nennt man die theologisch-philosophische Schulbildung in Anschluss an den schottischen Franziskaner Johannes Duns Scotus (1266–1308). Er lehrt in Oxford, Paris und Köln, wo er stirbt. Der S. entwickelt sich bis ins 18. Jahrhundert neben dem 3 Thomismus zu einer der einflussreichsten Schulrichtungen an den theologischen Universitäten. Auch zeitgenössische Philosophen greifen skotistische Ideen auf. Als skotistisch gelten unter anderem folgende Auffassungen: Theologie ist eine praktische Wissenschaft, d. h. ihr Ziel ist das Handeln. Der Wille hat Vorrang vor dem Verstand, mindestens in zweifacher Hinsicht (3 Voluntarismus): (1) Das Glück besteht in einer Tätigkeit des Willens, nicht des Verstands; (2) der Wille ist selbst gegenüber etwas frei, das vom Verstand unter jeder Rücksicht als gut präsentiert wird. Auch angesichts der Schau Gottes kann sich der Mensch gegen Gott entscheiden. Scotus verwirft die Illuminationstheorie und wendet sich gegen die Auffassung, dass der Verstand mittels Spezies (3 Erkenntnis, 3 Abstraktion) die Wirklichkeit erfasse. Vielmehr erfasst der Mensch auch individuelle Gegenstände unmittelbar. Diese erkenntnistheoretische Auffassung geht Hand in Hand mit der Ontologie. Es gibt nach Scotus individuelle Naturen. Sie konstituieren die Besonderheit des jeweiligen Dings. Nicht die Materie ist Indi-

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Sokratik

viduationsprinzip, sondern die Dieshaftigkeit (haecceitas) des jeweiligen Dinges. Scotus hält allgemeine Naturen für real. Der Unterschied zwischen Allgemeinnatur und Individuum ist nur ein formaler. Weiter nimmt Scotus die Univozität des Seinsbegriffs an (3 Analogie) und beweist auf dem Hintergrund dieser Annahme die Existenz Gottes als aktual unendlich Seiendes. R Seeberg: Die Theologie des Johannes Duns Scotus, L 1900; Ueberweg-Geyer: Grundriss der Geschichte der Philosophie II, Berlin 1928; L Honnefelder: Ens inquantum ens, Ms 1979; V Richter: Studien zum literarischen Werk von Johannes Duns Scotus, M 1988; A B Wolter: The philosophical theology of John Duns Scotus, I 1990; G S Rosenkrantz: Haecceity, Dordrecht 1993; R Cross: Duns Scotus, NY 1999.

Niederbacher Skrupel 3 Gewissen Societas completa, naturalis, perfecta 3 Staat Sokratik Das historisch zuverlässigste Bild des Sokrates († 399 v. Chr.) zeichnet Platons Apologie. Die 3 Weisheit des Sokrates besteht darin, dass er, was er nicht weiß, auch nicht zu wissen meint. Er fragt die Menschen nach der Wertordnung, aus der sie leben; die Gesprächspartner 3 meinen, sie wüssten, worauf es im Leben ankommt, und ein solches Leben im 3 Schein ist nicht lebenswert. Sokrates belehrt nicht, sondern er führt zur Einsicht; deshalb vergleicht er seine 3 Methode mit der Kunst der Hebamme (maieutiké: Platon, Theaitet 210b); seine Gegner werfen ihm vor, sein Nichtwissen sei nur gespielt (eironeía: Verstellung; Platon, Staat 337a). Platon (Phaidon 59bc) nennt Antisthenes, Aristipp und Eukleides als Schüler und Freunde des Sokrates. Antisthenes soll gelehrt haben, die 3 Tugend genüge zum 3 Glück und zur Tugend brauche es nichts außer der Charakterstärke des Sokrates (Diog. L. VI 11); die antike Philosophiegeschichtsschreibung sieht darin den Ursprung der stoischen Ethik. Aristipp gilt als Vorläufer Epikurs; er habe bestimmte Lusterfahrungen als das höchste Gut angesehen (Diog. L. II 85). Eukleides scheint das 3 Gute ontologisiert zu haben; es sei Eines und werde mit vielen 3 Namen benannt, bald Einsicht, bald 3 Gott, bald 3 Vernunft (Diog. L. II 106). Vor allem Antisthenes und Aristipp verdeutlichen die sokratischen 3 Werte der 3 Freiheit, Unabhängigkeit und des richtigen Verhältnisses zu sich selbst. Sie zeigen sich bei Antisthenes in der betonten Verachtung gesellschaftlicher 3 Konventionen und bei Aristipp im souveränen Gebrauch der 3 Lust. Aristophanes: Die Wolken; Xenophon, Erinnerungen an Sokrates; Diogenes Laertios: Leben und Lehre der Philosophen, II. – C Kahn: Plato and the Socratic dialogue, C 1996; K Döring: Sokrates, die Sokratiker und die von ihnen begründeten Traditionen, in: H Flashar (Hg): Sophistik, Sokrates, Sokratik, Mathematik, Medizin, Bs 1998.

Ricken

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Solidarismus

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Solidarismus bedeutet die Lehre von der Solidarität (K von Vogelsang, H Pesch sowie G Gundlach als Hauptvertreter). In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts unter Rückgriff auf die politische Romantik (A Müller) entwickelt, lehnt der S. sowohl den Individualismus und Liberalismus ab, insoweit dieser vom Menschen als »Atom« oder »Monade« ausgeht, als auch den Kollektivismus, welcher den Selbststand des Menschen beseitigt und die Verantwortung dem Kollektiv übertragen will. S. weiß sich dem aristotelischen sozialphilosophischen Erbe auch insoweit verpflichtet, als er vom aristotelischen Seinsverständnis ausgehend (Entelechie des Seienden) Sollen mit dem Sein und somit im S. eine Sozialmetaphysik mit einer Sozialethik verbindet. So folgt aus der unabschüttelbaren und unverzichtbaren Bindung der Menschen aneinander auch eine Haftungs- und Sorgepflicht füreinander und für die ganze Gesellschaft. Es wird nie bloß die Sache des einzelnen Menschen verhandelt, nie aber auch ausschließlich die Sache der Gesellschaft. Immer sind beide, das Ich und das Wir, betroffen. Handeln ist auf das 3 Gemeinwohl auszurichten, der S. betont die vermittelnde Rolle des 3 Rechts und den Vorrang der Arbeit vor der Sachgüterausstattung. H Pesch: Lehrbuch der Nationalökonomie I, Fr 4 1924; O v Nell-Breuning: Wirtschaft und Gesellschaft heute, Fr 1956 ff.; G Gundlach: Die Ordnung der menschlichen Gesellschaft, K 1964; F Dirsch: S., M 2005.

Brieskorn Solidarität hat ihren Ort zwischen der strengen Rechtsverpflichtung und dem Handeln aus Mitleid, Barmherzigkeit oder »blinder Liebe«. Kern solidarischer Verpflichtung ist es, den unverschuldet in Not Geratenen zu helfen, wobei das Prinzip der 3 Subsidiarität zu berücksichtigen ist. Die Quelle dieses Sollens liegt in der Einheit und wechselseitigen Verantwortung des Menschengeschlechts für sich selbst. S. äußert sich somit als freiwillig übernommene Hilfeleistung, deren Motiv nicht Mitleid oder Barmherzigkeit, sondern das weltweite »Füreinander-Einstehen-Wollen«, ein wechselseitiges Identifizieren (Baumgartner/Korff) ist, das dem Bewusstsein der Zusammengehörigkeit entspringt. Solidarisches Handeln tritt aber auch in den Formen vorbeugender wechselseitiger Versicherung zur Minderung von Risiken (Feuer, Wasser, Krankheit, Krieg) auf. Die Höhe der solidarischen Leistung oder des Beitrags darf nicht zur Vernachlässigung eigener Lebensnotwendigkeiten oder wichtiger Verpflichtungen führen: »Wenn es in unserer Macht steht, etwas Schreckliches zu verhindern, ohne dass dabei etwas von vergleichbarer moralischer Bedeutung geopfert wird, dann sollten wir es tun«. Im Unterschied zum Altruismus legt S. den Akzent auf die Hilfe und nicht auf die Absicht; beide, Altruismus und S., stellen allerdings die eigenen Interessen zugunsten fremder bis zum genannten Grad zurück. H Jonas: Verantwortung, F 1979; K Bayertz (Hg): S., F 1998; A Baumgartner / W Korff: S., in: W Korff (Hg): Lexikon der Bioethik, Gt 1998, 405–410; O Höf-

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Solipsismus fe: Demokratie in Zeiten der Globalisierung, M 1999; R Zoll: Was ist S. heute? F 2000.

Brieskorn Solipsismus (auch: »theoretischer Egoismus«) ist die vermutlich nie ernsthaft vertretene Auffassung, dass nur ich existiere. Der S. radikalisiert Descartes’ These, dass nur meine eigene Existenz unbezweifelbar ist. Schopenhauer meint, er sei »durch Beweise nimmermehr zu widerlegen« (Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, 2. Buch, § 19). Aber der S. kann den Unterschied von Denken und Sein, Wahrheit und Irrtum u. dgl. m. nicht erklären. B Kast: Die Thematik des »Eigners« in der Philosophie Max Stirners, Bn 1979; J-L Petit: Solipsisme et intersubjectivité, P 1996; S Lalla: S. bei Ludwig Wittgenstein, F 2002; A Birk: Vom Verschwinden des Subjekts, Pb 2006.

Schöndorf Sollen 3 Pflicht Sophisma 3 Fehlschluss Sophistik 3 Vorsokratiker Sorites 3 Schluss Sortal (engl. sort: Sorte, Art, Klasse, Gattung) heißen in der analytischen Philosophie Prädikate, die dazu dienen, ein grammatikalisches Subjekt zu klassifizieren. S.e Prädikate drücken also die allgemeine, zweite 3 Substanz im aristotelischen Sinn aus. Sie sagen, welche Natur, welches Wesen dem Gegenstand zukommt, der im Satz als Subjekt fungiert, zu welcher Art oder Klasse er gehört. Schöndorf Sosein 3 Bestimmung 3 Wesen Souveränität als Begriff der Neuzeit verdankt sich vor allem den Erfahrungen von Bürgerkriegen (Frankreich: J Bodin, England: T Hobbes) und nicht zuerst außenpolitischen Konflikten. S. drückt ein Machtverständnis aus und ist im 3 Völkerrecht eine dauernde, von Wahlen und Erbgang unabhängige Eigenschaft des Staates, die ihm anhaftet, unteilbar, unveräußerlich und unverzichtbar ist. S. beinhaltet nach innen 1) das unbestrittene Gewaltmonopol der Zentralmacht, das sie für ihren Frieden und ihre Sicherheit einzusetzen hat. Sich beiden Aufgaben zu widmen steht 2) in der Verantwortung der Träger der S. Das Gesetz drückt 3) einen Befehl an die unter der souveränen Macht lebenden Menschen aus. Nach außen bedeutet S. Ranggleichheit mit allen anderen souveränen Staaten und somit rechtlicher Schutz vor Unterjochung bzw. Hegemonialisierung. Das S.sdenken sah und sieht sich konfrontiert: 1) mit der Schwierigkeit, diese politische Macht einerseits als höchste Macht und andererseits eben doch als sittlichen und rechtlichen Normen unterworfen zu denken. J Bodin unterstellte den Souverän, eigentlich also den

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Sozial

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Staat, zutreffend dann aber den Herrscher, dem göttlichen und natürlichen Recht, J J Rousseau der volonté générale; 2) mit dem politischen Druck, eine Verfassung und die Gewaltenteilung, föderale und dezentrale Strukturen einzuführen; 3) mit dem Unvermögen, selbst immer weniger für das Gemeinwesen sorgen zu können, sondern anderer S.en dazu zu bedürfen; 4) in Zeiten der Neuorientierung des Völkerrechts und der 3 Menschenrechte Einbußen an »Selbstherrlichkeit« hinnehmen zu müssen, bis zur Möglichkeit einer humanitären Intervention. Volkss. bedeutet, dass das Volk die Staatsform bestimmt und die Staatsgewalt beansprucht. Die Freiheit, einen Staat zu gründen oder nicht, heißt aber auch im Fall der Volkss., sich den dieser Institution aus eigenem Recht zukommenden Ansprüchen zu unterwerfen. Das den Staat konstituierende Volk darf und muss sich daher durch die Verfassung eben diesem einordnen. Zudem führen politische Gründungsakte sittliche Forderungen aus und lösen sie nicht ab. Daher ist auch ein solcher Staat dem 3 Gemeinwohl verpflichtet. J Bodin: Les six livres de la République, 1576; F Suárez: Defensio fidei III (I: Principatus politicus o la soberania popular); T Hobbes: Leviathan, 1651, J J Rousseau: Du contrat social, 1762; J Austin: The Province of Jurisprudence Determined, 1832. – P Tischleder: Ursprung und Träger der Staatsgewalt nach Thomas von Aquin, Mönchen-Gladbach 1923; B de Jouvenel: Sovereignty, C 1957; P King: The Ideology of Order, Lo 1974.

Brieskorn Sozial S. (wie kulturell) hat zwei sehr verschiedene Bedeutungen, die oft vermischt werden, was zu vielen Missverständnissen führt. S. im deskriptiven Sinn ist gleichbedeutend mit »gesellschaftlich« (3 Gesellschaft) und daher wertneutral – im Gegensatz zu »individuell«. »S.e Probleme« sind daher Phänomene, die häufig auftreten und nicht rein individuell erklärbar sind. S. im normativen Sinn verweist auf eine auf das Wohl der Mitmenschen ausgerichtete Einstellung oder Struktur (heute manchmal auch »pros.«). »Uns.« als Verweis auf gesellschaftliche Missstände ist daher nur in der zweiten Bedeutung sinnvoll. All dies gilt auch für Begriffe wie »S.e Frage«, S.politik, S.hilfe usw. H Hoefnagels: Soziologie des S.en, Essen 1966; W Schluchter: Wertfreiheit und Verantwortungsethik, Tü 1971; P L Berger: Einladung zur Soziologie, M 1977.

Müller Sozialethik Unter dem 1868 von A v Oettingen geprägten Begriff versteht man sowohl eine Strukturenethik als auch eine Ethik des Gemeinwesens und des 3 Staates. S. untersucht die gesellschaftliche Dimension menschlichen Handelns, die Verantwortung des Menschen bei der Gründung von Institutionen (Gemeinden, Staaten, Banken, Betrieben, Kliniken etc.), bei ihrer Führung, während der Tätigkeit in ihr und bei ihrer Auflösung. Damit unter-

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Sozialismus

scheidet sich S. von der Individualethik (-moral), da sich diese mit den Pflichten gegen sich selbst, gegenüber einzelnen Individuen, sowie mit dem sozialen Handeln des Ich gegenüber einem Du und Wir befasst. S. versteht sich dabei nicht als bloße Zufügung zur Individualethik oder Fortsetzung, sondern beharrt darauf, dass 1) sittliches Handeln sich nur gerecht beurteilen lässt, wenn die gesellschaftliche Verfassung mitberücksichtigt wird, und dass 2) diese meist institutionelle Verfassung selbst vom Menschen sittlich zu gestalten ist, auch wenn, was H Arendt überspitzt sah, gerade das freie Handeln vieler im wechselseitigen Bezug eine Ebene sozialen Lebens entstehen lässt, welches man trotz seiner Formung im gemeinsamen Schaffen eben nicht mehr ganz konkret jemandem als verantwortlichem Urheber zusprechen kann. Gemeinschaftliches Handeln schafft und erschafft »Anonymes«. Damit aber wird im zu schaffenden sozialen Bereich nur »nachgeahmt«, was grundsätzlich für den Menschen vorgängig gilt, dass »sein Handeln seiner Natur nach auf eine bestimmte Ordnung hin angelegt ist, die nicht in der Macht des einzelnen handelnden Subjekts liegt« (W Schweidler). Die S. hat der Methode »Sehen, Urteilen, Handeln« folgend von den Grundprinzipien, der Personalität, 3 Gerechtigkeit, Solidarität, 3 Subsidiarität und dem Prinzip nachhaltiger, dauerhaft menschendienlicher Entwicklung die verschiedenen Bereichsethiken zu gestalten, darunter die Fragen von Geburt und Sterben aus Sicht der Gesellschaft, die Berufsethik, die Wirtschaftsethik und die politische Ethik, in welcher Fragen des sittlich vertretbaren Kompromisses, des Friedensschlusses, aber auch des Krieges zu behandeln sind. Daraus, dass der Mensch unverrechenbar ist (3 Würde) und im Umgang mit ihm die genannten fünf Prinzipien zu berücksichtigen sind, ergeben sich Forderungen an Abtreibungsgesetzgebungen, Sterbehilfe und Euthanasie, Kompromiss und Friedensschluss. Eine solche S. widersteht dem Sozialeudaimonismus, der lediglich auf die Folgen, etwa die Mehrung des Glücks schaut, und ebenso einem Sozialdarwinismus, welcher die Gesellschaft nicht als sittlich gestaltbare, sondern als den Naturgesetzen ausgeliefert auffasst. R Linhardt: Die Sozialprinzipien des hl. Thomas von Aquin, Fr 1932; H Arendt: Vita activa, St 1960; A F Utz: Die Prinzipien der Gesellschaftslehre, Hd 2 1964; R Bubner: Welche Rationalität bekommt der Gesellschaft?, F 1996; A Anzenbacher: Christliche S., Pb 1998; W Kerber: S., St 1998; W Schweidler: Das Unantastbare, Ms 2001.

Brieskorn Sozialeudaimonismus 3 Sozialethik Sozialismus umgreift im gegenwärtigen Sprachgebrauch so verschiedenartige geistige und gesellschaftliche Bewegungen und einander ausschließende Methoden und Ziele, dass eine allgemeingültige Begriffsbestimmung nicht möglich ist. Die Feststellung, der S. verstehe sich als Alternative zur kapitalistischen Klassengesellschaft und wolle der sozialen Natur des Men-

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Sozialphilosophie

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schen in der gesellschaftlichen Praxis Anerkennung verschaffen, macht den ungefähren Gehalt kenntlich. Die wichtigsten Strömungen des S. müssen anhand ihrer Programme und politischen Aktionen charakterisiert werden. Der Frühs. war ein noch stark moralisch argumentierender Protest gegen die mit der Industriellen Revolution verbundene Ausbeutung der Arbeiter. Ein politisches Handlungskonzept fehlte weitgehend (Saint Simon, Fourier, Owen, Weitling, Heß); besonders in Russland vermischten sich mit sozialistischem Gedankengut auch anarchistische Bestrebungen (Bakunin, Kropotkin). K Marx und F Engels nannten den Frühs. »utopisch«, weil er noch nicht die in der Geschichte wirksamen »Gesetze« kannte (3 Marxismus) und hoffte, die Verbesserung der Lage der Arbeiter im Wesentlichen durch Aufklärung erreichen zu können. Ab etwa 1840 wird (in England) auch das Wort »Kommunismus« verwendet; eine klare Unterscheidung zum S. fehlt zunächst; später wird im Anschluss an K Marx für den S. die Losung ausgegeben: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung«, für den Kommunismus: »… jedem nach seinen Bedürfnissen«. Die bereits im Frühs. wirksame religiöse Motivation lässt nach dem Ersten Weltkrieg einen eigentlichen religiösen S. entstehen. Für die politische Entwicklung bedeutsamer wird in Deutschland der von der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (später: Sozialdemokratische Partei Deutschlands) vertretene S., der bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stark marxistisch geformt ist. Der Revisionismus (Bernstein) führte in Deutschland zum Verzicht auf den revolutionären Umsturz der Eigentums- und Machtverhältnisse, während in Russland die Bolschewisten die Gesellschaft nach dem Muster des von Lenin geformten marxistischen S. revolutionierten. Sozialistische Ideen gewannen nach dem Zweiten Weltkrieg auch in der Dritten Welt an Einfluss (in marxistisch-leninistischer Form in China; teilweise marxistisch in Lateinamerika und Afrika). Im marxistisch beeinflussten S. spielt die materialistische Geschichtsauffassung mit ihren anthropologischen Implikationen (3 Materialismus) zur Begründung der Ziele und Methoden eine Rolle; dagegen versucht der »demokratische« S. eher pragmatisch eine stärkere Gleichheit in der Gesellschaft zu erreichen. T Steinbüchel: Der S. als sittliche Idee, 1921, O v Nell-Breuning: S, in: Wörterbuch der Politik, Fr 1954; F Kool / W Krause (Hg): Die frühen Sozialisten, M 1972; I Fetscher: S., in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft, Fr 1972; C D Kernig: S., Ein Handbuch, St 1979; E Nolte: Marxismus und industrielle Revolution, St 1983; T Meyer: Lexikon des S., K 1986.

Ehlen Sozialphilosophie ist die Philosophie des Sozialen, d. h. der zwischenmenschlichen Beziehungen, Strukturen und Institutionen. Sie lässt sich weitgehend mit Gesellschaftstheorie gleichsetzen, da praktisch alle menschlichen Beziehungen mit der Gesellschaft zu tun haben, während die Philosophie der

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Sozialphilosophie

reinen Zweierbeziehung (Intersubjektivitätstheorie, Dialogphilosophie) normalerweise nicht zur S. gerechnet wird. Zur S. im weiten Sinn kann man als Teilbereiche die politische Philosophie, die 3 Geschichtsphilosophie, die 3 Kulturphilosophie sowie die soziale und politische Ethik (3 Sozialethik) und wohl auch die 3 Rechtsphilosophie rechnen. Außerdem ist die Abgrenzung zu den Sozialwissenschaften und vor allem zur theoretischen 3 Soziologie fließend. Der Ausdruck S. kommt erst im 19. Jahrhundert auf. In der Antike und im Mittelalter gibt es S. eigentlich nur in der Form der politischen Philosophie und der Ethik. In beiden ist bereits eine philosophische Gesellschaftslehre enthalten. Dies betrifft z. B. die Konzeption des Menschen als von vornherein soziales und politisches oder individualistisches Wesen, die Verflechtung der Frage der Lebensführung mit den gesellschaftlichen Erfordernissen und Bedingungen und zu Beginn der Neuzeit die These vom Naturzustand sowie die Erörterungen über das Verhältnis von Staat und Kirche. Zur Thematik der S. gehören ferner die im Lauf der Moderne aus der Moralphilosophie erwachsenden Wirtschaftstheorien und -wissenschaften, vor allem, wenn sie mit allgemeinen gesellschaftstheoretischen Erwägungen verknüpft sind, weshalb auch der 3 Marxismus und der 3 Neomarxismus als S. bezeichnet werden können. Mit Hegel beginnt die Unterscheidung zwischen der bürgerlichen Gesellschaft und dem Staat, die in gewissem Sinn die Voraussetzung für eine S. ist, die nicht mehr einfach mit der politischen Philosophie zusammenfällt. Comte erfindet die Bezeichnung Soziologie und bahnt auf diese Weise den Weg zur späteren Bildung des Ausdrucks S. Simmel verwendet diesen Terminus kurzzeitig, zieht dann aber den Ausdruck philosophische Soziologie vor. Dieses terminologische Schwanken charakterisiert die weitere Geschichte der S., weshalb es schwierig ist, eindeutig zu bestimmen, welche Denker und Denkrichtungen man ihr zurechnet. So gibt es Richtungen der S. innerhalb des 3 Neukantianismus ebenso wie im Geist Hegels oder auf mehr empiristischer Basis. Wichtige Autoren sind seit dem letzten Jahrzehnt vor 1900 u. a. Simmel, Stammler, Stein, Tönnies, auf den die berühmte Unterscheidung von Gemeinschaft und Gesellschaft zurückgeht, und Spann. Im 20. Jahrhundert bemühen sich die Vertreter der 3 Systemtheorie (v. a. Parsons, Luhmann) darum, für die verschiedenen Bereiche und Beziehungen von Gesellschaft und Politik eine systematische Klassifizierung und Zuordnung zu erarbeiten. Eine immer wiederkehrende Frage innerhalb der S. ist, ob und inwieweit es sich bei ihr um eine theoretische Erfassung des sozialen Tatbestands oder um eine normative Theorie handelt bzw. handeln soll. Die Diskussion hierüber fand ihren vielleicht prägnantesten Ausdruck im sogenannten Positivismusstreit zwischen den Vertretern der Kritischen Theorie (Horkheimer, Adorno, Habermas: Neomarxismus) einerseits und denen des Neopositivismus (Topitsch) und des 3 Kritischen Rationalismus (Popper, Albert) auf der anderen Seite in der Mitte des 20. Jahrhunderts.

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Sozialpsychologie

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T W Adorno: Philosophische Elemente einer Theorie der Gesellschaft; J Habermas: Zur Logik der Sozialwissenschaften, F 5 1982; B Wirkus: Deutsche S. in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Da 1996; K Röttgers: S., Essen 1997; B Liebsch (Hg): S., Fr 1999; G Gamm: Hauptwerke der S., St 2001; K Röttgers: Kategorien der S., Magdeburg 2002; H Plessner: Schriften zur Soziologie und S., F 2003; J Heinrichs: Logik des Sozialen, M 2005; N Rescher: Studies in social Philosophy, Heusenstamm 2006; A Brockmöller (Hg): Hundert Jahre Archiv für Rechts- und S., St 2007.

Schöndorf Sozialpsychologie ist eine Teildisziplin der 3 Psychologie, die sich mit der Analyse des individuellen Erlebens, Verhaltens und Handelns in sozialen Kontexten befasst. Sie untersucht, auf welche Weise Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle, Verhalten und Handeln von Individuen durch die reale, vorgestellte oder implizite Anwesenheit anderer beeinflusst werden. Wenn beispielsweise ein Polizist neben uns steht, gehen wir bei Rot nicht über die Straße. Auch wenn wir keinen Polizisten sehen, tun wir das nicht, denn es gehört zu unserer Rolle als Verkehrsteilnehmer, bei Rot nicht über die Straße zu gehen. ›Vorgestellte‹ oder ›implizite‹ Anwesenheit anderer meint, dass diese nicht immer als handlungskontrollierender Einfluss bewusst sein muss (Ulich). Andere Beispiele der Beeinflussung sind: Erziehung, Propaganda, Wählerbeeinflussung, Veränderung der Konsumgewohnheiten; Schaffung, Verstärkung oder Beseitigung von Vorurteilen, Verbesserung von Gruppenleistung sowie die Beeinflussung der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung durch Auswahl und Steuerung der Reize. Bereits 1895 fragte Gustave Le Bon, warum der Mensch sich in Anwesenheit anderer in einer Weise benimmt, wie man es nicht von ihm erwartet. Er war überzeugt, mit der Masse entstehe eine Art ›Massenseele‹. Der soziale Kontext wird in der S. sehr weit gefasst. Er schließt nicht nur die Anwesenheit anderer Individuen ein, ob real, vorgestellt oder symbolisch, sondern auch die Interaktionen zwischen den Individuen, die aktuelle Umgebung, in der diese Interaktionen stattfinden, sowie die ungeschriebenen Regeln und Erwartungen, die bestimmen, wie Menschen sich zueinander verhalten. Soziale Prozesse finden sich nicht nur innerhalb eines Individuums und zwischen Individuen, sondern auch innerhalb und zwischen Gruppen. Typische Fragen der S. sind: Wie beeinflussen sich Individuen gegenseitig und was sind die Bedingungen erfolgreicher Beeinflussung? Wie beurteilen wir unsere Mitmenschen? Welche finden wir sympathisch und welche nicht? Wir beobachten unsere Mitmenschen genau, wir möchten wissen, warum sie sich so verhalten, wie sie es tun, und versuchen, aus ihrem Verhalten Rückschlüsse auf ihre Persönlichkeit zu ziehen (soziale Wahrnehmung). Wie stabil sind einmal gefällte Urteile und wann verändern wir diese? Wie erwerben wir Einstellungen und Vorurteile und wie beeinflussen diese unser Verhalten

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Sozialwissenschaft

und Handeln? Wie lassen sich Einstellungen ändern und Vorurteile beseitigen? Einstellungen und Vorurteile sind komplexe Phänomene, die auf Meinungen, Emotionen und Verhaltensdispositionen beruhen. Was sind Gruppen und wie entstehen sie? Wie verläuft die Interaktion der Gruppenmitglieder untereinander? Wie weit beeinflusst die Gruppe das Verhalten ihrer Mitglieder? Wie verlaufen Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen? Was sind die Bedingungen, die zu blindem Gehorsam führen (Gehorsamkeitsforschung)? Die sozialpsychologische Forschung beinhaltet deskriptive, korrelative und experimentelle Untersuchungen und bedient sich eines breiten Methodenspektrums, das quantitative und qualitative Erhebungsinstrumente umfasst. Wichtige Pioniere der S. sind: Kurt Lewin, Solomon Asch, Muzafer Sherif und Stanley Milgram. G Le Bon: Psychologie des foules, P 1895; D Ulich: Einführung in die Psychologie, St 1993; H W Bierhoff: S., St 2000.

Goller Sozialwissenschaft S. gibt es eigentlich nur im Plural. Sie hat als Materialobjekt die 3 Gesellschaft, die unter verschiedenen formalen Rücksichten behandelt wird, was ein interdisziplinäres Vorgehen erfordert. In einem engeren Sinn umfasst sie v. a. 3 Soziologie, 3 Politologie und Kulturanthropologie (Ethnologie). In einem weiteren Sinn gehören zur S. alle Wissenschaften, die nicht den Natur- und Geistes(Kultur-)wissenschaften zugerechnet werden, wobei die Zuordnung teils umstritten ist (z. B. Sozialpsychologie). In diesem Sinn gehören auch Geographie, Wirtschafts-, Rechts- oder Geschichtswissenschaft zur S. Die Wiederentdeckung der kulturellen Dimension (cultural turn) hat wesentlich zu dieser multidisziplinären Sicht beigetragen. Die S. ist historisch aus der Philosophie (und bedingt der Theologie) hervorgegangen und ein Produkt der Aufklärung. Am Anfang stand die Soziologie. Wesentliche Voraussetzung war, dass man Gesellschaft nicht mehr als gottgewollte oder zumindest naturrechtlich vorgegebene Ordnung verstand, sondern als ein Objekt, das sich empirisch erforschen lässt und das man gestalten kann und darf (ähnlich wie in den Naturwissenschaften). Dazu braucht es s.liche Theorien, wobei v. a. eine reduktionistische und deterministische Sichtweise zu vermeiden sind. Da die meisten s.lichen Themen auch eine qualitative Seite haben (z. B. Armut), muss man sowohl einen theoriefeindlichen Empirismus wie ein empiriefeindliches Theoretisieren vermeiden. Wissenschaftstheoretisch am umstrittensten ist die Frage der »Wertfreiheit« in der S., nämlich inwieweit sie Werturteile und ethisch-moralische Werte ausklammern kann (und soll). Max Weber forderte eine klare Trennung zwischen wissenschaftlich-objektivem Vorgehen, das »wertfrei« sein müsse, und politischem Handeln, das nie »wertfrei« sein könne. Viele andere Autoren halten dies für unmöglich. Andere verlangen von der S. eine klare

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Soziobiologie

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Position, wenn nicht gar Parteilichkeit, da sie andernfalls missbraucht werde. Eine möglichst klare Unterscheidung zwischen Sach- und Werturteilen (Istund Sollensaussagen) ist sicher anstrebenswert, dies ist aber ein Ideal, das bestenfalls annäherungsweise zu erreichen ist. Wesentliche Voraussetzung dafür ist die Offenlegung und rational-argumentative Begründung der gewählten Prämissen, was einen wissenschaftlichen Diskurs erleichtert. Die Begründung der (sozial)ethischen Prämissen und Werturteile ist Aufgabe der 3 Ethik bzw. 3 Sozialethik. M Weber: Politik als Beruf. – E Topitsch (Hg): Logik der Sozialwissenschaften, K 1965; G Myrdal: Objektivität in der Sozialforschung, F 1971; J Habermas: Erkenntnis und Interesse, F 1973; C Geertz: Dichte Beschreibung, F 1987.

Müller Soziobiologie Der Begriff S. geht auf den Zoologen O E Wilson (1975) zurück und bezeichnet ein Programm mit unterschiedlichen ontologischen und epistemologischen Ausgangspositionen zur Erklärung tierischen und menschlichen Verhaltens. Nach Wilson ist die S. »die« Universalwissenschaft, deren Grundlage von einer »neuen Synthese« von Biologie und neodarwinistischer Evolutionstheorie gebildet wird. Indem sie die Erklärungsinhalte v. a. der Sozialwissenschaft reformuliert, beansprucht sie die Erklärung der Gesamtwirklichkeit. Unter der Annahme eines einheitlichen Evolutionsprozesses und der Allgemeingültigkeit genetisch-physiologischer Gesetze bei Mensch und Tier wird tierisches und menschliches Verhalten auf einer Ebene angesiedelt. Evolutorische Entwicklung dient nicht dem Zweck der Art- oder Gruppenerhaltung, sondern der Erhaltung, sowie Verbreitung der eigenen genetischen Information. Soziale Strukturen folgen dem reproduktiven Imperativ und der Maximierung der eigenen genetischen Fitness, wodurch sich spieltheoretische Modelle zur Prognose v. a. menschlichen Verhaltens erstellen lassen. Kooperation und Konkurrenz als Selektionsvorteile lassen sich, in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsgrad, einheitlich erklären, was K Lorenz’ These von der arterhaltenden Selektion zweckdienlich ersetzt. Phänomene wie Geistiges und Kulturelles werden biologisch-reduktionistisch als Epiphänomene der maximierten Genverbreitung gedeutet. Andere soziobiologische Ansätze beschränken sich auf partielle Erklärungsmodelle. Ebenso ausgehend vom »Egoismus der Gene« (R Dawkins), räumen sie eine Differenz zwischen tierischer und humaner S. ein, die mit der Hervorbringung neuer konfliktund konkurrenzkampfreduzierter Qualitäten (Sport, Religion, Kunst) durch den menschlichen Geist begründet wird. E O Wilson: Sociobiology, C (Mass.) 1975; P Koslowski: Evolution und Gesellschaft, Tü 1984; F M Wuketits: Gene, Kultur und Moral, Da 1990; E Voland: Grundriss der S., St 1993; R Dawkins: Das egoistische Gen, Hd 1994; F de Waal: Der gute Affe, W 1997; A Heinrich: S. als kulturrevolutionäres Pro-

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Soziologie gramm, Rb 2001; B Irrgang: Lehrbuch der Evolutionären Erkenntnistheorie, M 2 2001.

Kummer-Kellner Soziologie ist die Wissenschaft von der 3 Gesellschaft. Als Theorie will sie die Gesetze gesellschaftlicher Strukturen und Institutionen erklären. Sie beschäftigt sich nicht mit Einzel-, sondern mit allgemeinen Phänomenen, die häufig auftreten und nicht allein individuell erklärbar sind. In der empirischen Analyse untersucht S. konkrete Gesellschaften wie spezifische Probleme: Ursachen, Wechselwirkungen, längerfristige Tendenzen. Dies impliziert ein theoretisches Vorverständnis und erfordert neben quantitativen meist auch qualitative Methoden, besonders für eine sozio-kulturelle Analyse. Umstritten ist die Rolle von Werturteilen (3 Sozialwissenschaft). Häufig verstand sich S. als normative Wissenschaft. Dies geht auf ihren Begründer Auguste Comte und dessen geschichtsphilosophisches Drei-Stadien-Gesetz zurück: Entwicklung der Menschheit von einer vorwissenschaftlichen, theologischen (Glaube an das Wirken übernatürlicher Wesen) über eine metaphysische bzw. abstrakte hin zu einer wissenschaftlichen bzw. positiven Phase. Diese Stadien gelten für die Entwicklung des Menschen, der Gesellschaft wie der einzelnen Wissenschaften. Comte ist insofern der Begründer eines 3 Positivismus, der in subtilerer Form noch immer einflussreich ist. A Comte: Rede über den Geist des Positivismus. – R Dahrendorf: Homo Sociologicus, K 1965; J Morel: Soziologische Theorie, M 1992; H Esser: S., F 1993; H Joas (Hg): Lehrbuch der S., F 2001.

Müller Später 3 A priori/a posteriori Spatium 3 Raum Species 3 Form 3 Art Species impressa, Species expressa 3 Erkenntnis Species intelligibilis 3 Abstraktion Specifica, Differentia 3 Art Spekulation (lat. speculari: auskundschaften) hat in der Alltagssprache die Bedeutung eines auf Unsicherheit und Wahrscheinlichkeit beruhenden Denkens und Kalkulierens. Philosophisch kann S. ganz allgemein das theoretisch reflektierende im Gegensatz zu dem auf die Praxis oder das alltägliche Leben ausgerichtete Denken meinen. Die in diesem Sinn verstandene S. ist speziell der Philosophie zu eigen, die nicht auf die Vermehrung empirischen und rein objektiven Wissens aus ist, sondern durch die Reflexion zum Wissen über die Voraussetzungen und Implikationen unseres Tuns und Denkens gelangen will und nach der Erkenntnis des Höchsten und des Ganzen der Wirklichkeit strebt. Bei bestimmten Autoren wie etwa Kant hat der Ausdruck S. allerdings oft

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Spiel

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eine negative Bedeutung und meint ein Denken, das sich vom Boden der Anschauung gelöst hat und zu Ergebnissen gelangt, die keine echte Erkenntnis mehr darstellen. Hieran ist richtig, dass sich die S. vor der Gefahr hüten muss, ein nur noch in sich kreisendes Denken zu werden, das Gedankenkonstruktionen aufbaut, die auf keinen hinreichenden Beweisen und Argumenten mehr beruhen. Hieraus folgt aber nicht, dass nur die Anschauung wahre Erkenntnis gewährleistet, denn ohne ein Hinausgehen über die Anschauung wäre nicht einmal die Physik Newtons möglich, die Kant grundsätzlich für richtig hält. In einigen Fällen versteht Kant unter S. jedoch wie die Tradition nur das rein theoretische Denken und Erkennen. Im 3 Deutschen Idealismus wird das Wort S. wieder rehabilitiert. So nennt Hegel seine Methode eine spekulative Logik und spricht vom spekulativen Satz, um damit auszudrücken, dass es sich hierbei um dialektisches Denken handelt, das über die Widersprüche des abstrakten Denkens in Gegensätzen hinausgeht, um das Ganze zu begreifen. I Kant: KrV B 764–766; 797–822; G W F Hegel: Phänomenologie, Vorrede; Enzyklopädie § 82. – W Becker: Selbstbewußtsein und S., Fr 1972; G Wohlfart: Der spekulative Satz, B 1981; S Majetschak: Die Logik des Absoluten, B 1992; H F Fulda (Hg): Skeptizismus und spekulatives Denken in der Philosophie Hegels, St 1996; H Seubert: S. und Subjektivität, HH 2003.

Schöndorf Speziesismus 3 Art Spezifische Sinnesenergien 3 Sinnesqualitäten Spekulative Logik 3 Dialektik Spiel Nach der in den Philosophischen Untersuchungen (66 ff.) vertretenen Meinung des späten Wittgenstein lässt sich für die verschiedenen Bedeutungen des Wortes S. kein gemeinsamer Begriffsgehalt, sondern nur eine »Familienähnlichkeit« (3 Ähnlichkeit) finden. Es scheint aber sehr wohl eine Reihe von Merkmalen zu geben, die mehr oder weniger jedem S. zukommen. Dem S. eignet der Charakter des Nicht-Notwendigen, zumindest in Bezug auf die elementaren Lebensbedürfnisse. In diesem Sinn steht das S. im Gegensatz zum Ernst. Es ist kein bloßes Mittel zu anderen Zwecken, sondern Selbstzweck. Ferner handelt es sich um ein Verhalten nach bestimmten Regeln, die aber als solche nicht notwendig sind. Darum kann man überall da, wo die Verhaltensregeln auch anders sein könnten, wie etwa bei Riten und Ritualen, von einer Art von S. sprechen. Für Huizinga stellt das S. den Ursprung der 3 Kultur dar. Denn alle Formen der Kultur (Riten, Gesten, Bräuche; 3 Kunst jeder Art wie Dichtung, darstellende Kunst, Musik; Sport, Wettkämpfe usw.) können als Formen des S.s betrachtet werden. Dies zeigt sich auch in der Sprache in Ausdrücken wie Schaus., Sings. oder Olympische S.e. Wenn Wettkämpfe als S.e bezeichnet werden, so kommt darin auch zum Ausdruck, dass jedes S. auch ein Moment

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Spieltheorie

des Zufalls enthält. Ein Wettbewerb, der in einem reinen Leistungsvergleich besteht, ist kein S. Die Tatsache, dass das S.en zum Leben des Menschen dazugehört, zeigt, dass das Wesen des Menschen nicht auf die Sorge um sein (Über-)Leben oder auf die Erfüllung einer moralischen Pflicht reduziert werden kann. In allen S.en zeigt sich eine Art von 3 Freiheit oder zumindest einer Vorstufe davon, eines Freiraums, eines S.raums. Darum lässt sich die Variationsbreite von Prozessen als S.(-raum) bezeichnen. R Guardini: Vom Geist der Liturgie, Fr 1918; J Huizinga: Homo ludens, Haarlem 1938; H Rahner: Der s.ende Mensch, Ei 1952; I Heidemann: Der Begriff des S.es und das ästhetische Weltbild in der Philosophie der Gegenwart, B 1968; G Eichler: S. und Arbeit, St 1979; A Aichele: Philosophie als S., B 2000; E Marsal / T Dobashi (Hg): Das S. als Kulturtechnik des ethischen Lernens, Ms 2005.

Schöndorf Spieltheorie ist die systematische Untersuchung der Interaktion rationaler oder beschränkt rationaler, nicht notwendigerweise egoistischer Akteure (Spieler), die jeweils gegebene 3 Ziele verfolgen. Dabei tritt S. sowohl mit deskriptivem wie normativem Anspruch auf: Zum einen soll also die S. das faktische Verhalten von Akteuren beschreiben, denen Rationalität zugeschrieben wird, zum anderen aber auch präskriptiv auszeichnen, was in einer bestimmten Konstellation rationalerweise zu tun wäre. Entscheidend ist die streng formale Modellierung (3 Modell) des jeweiligen Interaktionsproblems: Für jeden Spieler sind alle Aktionsmöglichkeiten (Strategien) anzugeben und für jede Konfiguration von Strategien das von jedem Spieler erzielte Ergebnis (sein Nutzen). Wenn Spieler nicht nur einmalig ihre Strategie wählen, sondern sukzessive Spielzüge wählen können, ist jeweils anzugeben, wie diese möglichen Spielzüge aufeinander folgen, und was die Spieler bei ihren Zügen wissen. Als Begründer der S. können Oskar Morgenstern und John v Neumann mit The Theory of Games and Economic Behavior (1944) gelten. Erst aber mit dem Konzept des Nash-Gleichgewichts (einer Konfiguration von Strategien, bei der kein Spieler einen Anreiz hat, eine alternative Strategie zu wählen, solange die übrigen bei ihrer Strategie bleiben) zusammen mit der Berücksichtigung von gemischten Strategien (in denen verschiedene Strategien mit einer jeweils bestimmten 3 Wahrscheinlichkeit gespielt werden) konnte für eine weite Klasse von Spielen Lösungen gefunden werden. Nicht alle Nash-Gleichgewichte sind jedoch als Lösungen überzeugend, was zu einer Reihe entweder auf dem Nash-Gleichgewicht aufbauender (Verfeinerungen) oder auch alternativer Lösungskonzepte geführt hat. Auch evolutionäre Überlegungen können zur Lösung des Problems der Gleichgewichtsselektion beitragen. Zunächst beschränkte sich die S. auf die Analyse der Interaktion von Spie-

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Spinozismus

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lern, die gegeben ihre rein selbstinteressierten Präferenzen und ihr Wissen jeweils eine für sie optimale Strategie wählen. Eine Vielzahl experimenteller Untersuchungen hat aber gezeigt, dass wirkliche Spieler systematisch anders entscheiden. Heute gibt es deshalb Versuche, 3 Theorien zu entwickeln, die dem experimentellen Befund besser entsprechen und u. a. beschränkte Rationalität, Lernen, Altruismus und Gerechtigkeitsgesichtspunkte (3 Gerechtigkeit) berücksichtigen. F Nash: Equilibrium Points in n-Person Games, in: Proc. of the Natl. Acad. of Sci. 1950 (36) 48–49; J v Neumann / O Morgenstern: S. und wirtschaftliches Verhalten, Wü 1961; J Maynard Smith: Evolution and the Theory of Games, C 1982; D Fudenberg / J Tirole: Game Theory, C 1991; C. Camerer: Behavioral Game Theory, Pr 2003; K Binmore: Fun and Games, O 2 2005.

Gösele Spinozismus Unter S. wird zunächst eine Philosophie verstanden, die der Lehre Spinozas folgt. Damit sind vor allem die beiden ersten, metaphysischen Teile von Spinozas Ethik gemeint, von der Spinoza im Titel sagt, dass sie nach geometrischer Ordnung bewiesen sei. Darum beginnt Spinoza jeden Teil der Ethik mit Definitionen und Axiomen, auf die dann die Lehrsätze samt ihren Beweisen sowie weiteren Anmerkungen und Zusätzen folgen. Es gibt nur eine einzige Substanz, Gott, deren Wesen durch unendlich viele Attribute ausgedrückt wird, von denen uns aber nur Denken und Ausdehnung bekannt sind. Diese Attribute sind gleichsam die verschiedenen Seiten ein und derselben göttlichen Substanz. Aus Gott, der hervorbringenden Natur (natura naturans), geht mit Notwendigkeit die Welt, die hervorgebrachte Natur (natura naturata), hervor. Sie besteht aus den konkreten Ausdrucksweisen (»Modi«), die sich aus den Attributen ergeben. Die fundamentalen Weisen des Denkens sind Verstand und Wille, die der Ausdehnung Bewegung und Ruhe. Die Ordnung der Ideen, wie Spinoza die Modi des Denkens nennt, entspricht der Ordnung der materiellen Dinge, so dass man von einem monistischen Parallelismus sprechen kann (3 Monismus). Die Leib-Seele-Einheit des Menschen besteht darin, dass Leib und Seele einander als Körper und zugehörige Idee entsprechen, ohne dass es zwischen beiden irgendein Aufeinanderwirken gäbe (3 Leib-Seele-Problem). Die Aufgabe des Menschen besteht darin, durch die Einsicht Herr seiner Affekte zu werden und so zur »intellektuellen Gottesliebe« zu gelangen, in der sein Glück besteht. Spinozas Metaphysik ist nicht eindeutig. Sein 3 Pantheismus wurde darum später oft als 3 Atheismus interpretiert und seine gesamte Lehre als 3 Materialismus aufgefasst. Unter S. wird darum oft jede philosophische Richtung verstanden, die eine All-Einheits-Lehre der Natur vertritt. Dabei ist keineswegs gesagt, dass solche meist materialistisch und naturalistisch ausgerichteten philosophischen Richtungen wirklich der Lehre Spinozas entsprechen. Schon zur Zeit Kants und des 3 Deutschen Idealismus hatte sich

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Spiritualismus

eine Interpretation Spinozas eingebürgert, die in ihm den Vertreter einer universalen Erklärung der gesamten Wirklichkeit durch die Natur und ihre Gesetze sah. Vor allem Fichte sah im S., dem er anfänglich selbst angehangen hatte, die abzulehnende Alternative zu einer idealistischen Freiheitsphilosophie. Aber die strenge Systematik Spinozas hat die Denker des Deutschen Idealismus zu ihren Systemen inspiriert und wohl dazu beigetragen, dass bei ihnen trotz aller Betonung der Freiheit die Notwendigkeit eine so große Rolle spielt. J Moreau: Spinoza et le spinozisme, P 3 1986; H Hong: Spinoza und die deutsche Philosophie, Aalen 1989; R Otto: Studien zur Spinozarezeption in Deutschland im 18. Jahrhundert, F 1994.

Schöndorf Spiritualismus (lat. spiritus: Geist). Der im 17. Jahrhundert aufgekommene Ausdruck S. fasst verschiedene philosophische Strömungen zusammen, die alle im Gegensatz zum 3 Materialismus, 3 Naturalismus oder 3 Positivismus von der Wirklichkeit des 3 Geistes oder geistiger Wesen ausgehen. Während monistische Formen des S. die reale Existenz der Materie leugnen und die Materie auf den Geist zurückführen, behaupten dualistische Formen des S. nur den Vorrang des Geistes vor der Materie und seine Substantialität. Nach dem metaphysischen S. bestimmt oder erzeugt der Geist alle Wirklichkeit. Dabei kann es sich (monistisch) um den einen absoluten Geist handeln (so im 3 Deutschen Idealismus) oder (pluralistisch) um eine Mehrheit von Geistwesen, neben denen die Körper kein eigenständiges Sein besitzen (so im 3 Idealismus Berkeleys oder in der Monadenlehre Leibniz’). Nach dem psychologischen S. ist die menschliche 3 Seele Geist. Eine extrem dualistische Form dieses S. stellt die Lehre Descartes’ dar, der Geist (Denken und Freiheit) und Materie (Ausdehnung und mechanische Notwendigkeit) einander unvermittelt entgegensetzte. Im engeren Sinn bezeichnet der S. philosophische Strömungen des 19. und 20. Jahrhunderts in Frankreich (u. a. Bergson, Philosophie de l’esprit), wo existenzphilosophische Überlegungen in den S. eingingen, und in Italien, wo die Neuscholastik großen Einfluss auf den S. ausübte. G L Ward (Hg): Spiritualism, I–II, NY 1990.

Herzgsell Spiritus 3 Geist Spontan / Spontaneität Als spontan (spätlat. spontaneus, von sponte: freiwillig) wird in der Alltagssprache ein Verhalten bezeichnet, das ohne (längere) Überlegung aus einem plötzlichen Impuls heraus oder als unmittelbare Reaktion geschieht. In der mittelalterlichen Philosophie meint Spontaneität (St.) die Freiwil-

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Sprache

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ligkeit und Ungezwungenheit eines Wollens oder Handelns. Diese Bedeutung findet sich auch noch bei Leibniz, der die St. mit der Freiheit in Beziehung setzt. Bei Kant wird unter St. eine Aktivität verstanden, die nicht durch ein bewusstes Wollen hervorgerufen wird, sondern von selbst und (im Wachzustand) immer da ist. Diese St. schreibt Kant dem Verstand (und der Vernunft) zu und unterscheidet ihn dadurch von der Sinnlichkeit, die durch die der St. entgegengesetzte Rezeptivität gekennzeichnet ist. Dies entspricht in Bezug auf den Verstand der Lehre des Aristoteles und Thomas v Aquin vom tätigen Intellekt (intellectus agens), der immer in Tätigkeit ist. (Allerdings kennen Aristoteles und Thomas v Aquin anders als Kant auch den rezeptiven Intellekt.) Denn die vom Verstand vollzogene Begriffsbildung und die Beziehung dieser Begriffe auf die Anschauung ist eine selbsttätige aktive Synthesis (Zusammenfassung von Vielfältigem zur Einheit). Ebenso vollbringt die Einbildungskraft auf ihrer Ebene eine analoge Synthesis, so dass auch ihr St. zukommt. Dieser Gedanke der St. als Selbsttätigkeit wird von den Deutschen Idealisten aufgegriffen und als ursprüngliche Tätigkeit der Freiheit verstanden. W Bernard: Rezeptivität und St. der Wahrnehmung bei Aristoteles, Baden-Baden 1988; A Gunkel: St. und moralische Autonomie, Be 1989; R Spaemann: Reflexion und St., St 2 1990; K Kawamura: St. und Willkür, St 1996.

Schöndorf Sprachanalyse 3 Sprachphilosophie Sprache (gr. lógos, lat. lingua) ist ein System von Ausdrucks- und Verweiszeichen a) im weitesten Sinn als Mittel zur Kommunikation oder Äußerung inneren Denkens, Fühlens oder Erlebens, was auch eine Körpers., eine Gebärdens. oder S. im metaphorischen Sinn sein kann; b) im engeren Sinn als durch Laute und Lautkombinationen geschehende Kommunikation, die sich, soweit sie situationsbezogen ist, auch bei Tieren findet; c) im üblichen, noch spezifischeren Sinn als die dem Menschen eigentümliche S., die begrifflich und nicht mehr situationsgebunden ist, weshalb sie Warum- und Was-Fragen sowie die Formulierung begrifflicher und reflexiver Erkenntnisse ermöglicht und ein Wesensmerkmal des Menschen ausmacht. Darum definiert Aristoteles den Menschen als zôon lógon échon, was man mit S. habendes Lebewesen übersetzen kann, obgleich das gr. Wort lógos auch Wort und Vernunft bedeutet, weshalb die genannte Definition ins Lateinische mit animal rationale übersetzt wurde. Mit dem Wort S. werden normalerweise die verschiedenen konkreten S.n bezeichnet. Es kann damit aber auch die Sprachfähigkeit oder die jeweilige Sprechweise gemeint sein. Unter den konkreten S.n werden normalerweise die Volks- oder Nationals.n verstanden. Daneben gibt es aber auch Fachs.n sowie S.n unterschiedlicher sozialer Niveaus und Gruppen (Jargon, Soziolekt). Eine S. ist, sofern sie nicht künstlich oder formal(isiert) ist, ein ge-

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Sprache

schichtlich entstandenes und in ständiger lebendiger Entwicklung befindliches System von Wörtern und Sätzen, die nach bestimmten Regeln miteinander verbunden werden und Zeichen sind, die für eine bestimmte Bedeutung stehen. Man kann nicht ursprünglich eine Privats. sprechen, sondern sie höchstens nachträglich von seiner Mutters. her bilden. Ebenso kann jede Fachs. letzten Endes nur von der Alltagss. her eingeführt werden und muss auf sie in irgendeiner Weise rückbezogen bleiben. Die Sprachphilosophie unterscheidet ferner zwischen der auf nicht-sprachliche Objekte bezogenen Objekts. und der reflexen, auf die S. selbst bezogenen Metas. Das kleinste Element der S. ist der Laut; insoweit er in einer S. bedeutungsrelevant ist, wird er von der Sprachwissenschaft (Linguistik) als Phonem bezeichnet. Laute verbinden sich zu Silben und Wörtern. Als Bedeutungseinheit wird ein Wort zusammen mit seinen verschiedenen Formen semantisch als Lexem bezeichnet. Es ist der kleinste selbstständige Bedeutungsträger. Wenn ein Wort ein klar identifizierbares Objekt bezeichnet, so ist seine Bedeutung unabhängig vom größeren sprachlichen, situations- und handlungsbezogenen Kontext. Analog ist auch die Bedeutung eines Satzes, der einen eindeutig feststellbaren Sachverhalt bezeichnet, vom weiteren Kontext unabhängig. Je weniger eindeutig jedoch die Bedeutung eines Wortes oder Satzes von sich her ist, umso mehr hängt sie vom größeren Kontext ab (3 Holismus). Während die menschliche Sprachfähigkeit angeboren ist, haben sich die konkreten S.n historisch entwickelt. Die hieraus resultierende Vielzahl von S.n zeigt, dass die S. nicht als bloßes Naturprodukt erklärbar ist, sondern ein Produkt der menschlichen Vernunft ist. Die Möglichkeit der Übersetzung in andere S.n gründet darin, dass das Verstehen nicht den Wortlaut, sondern die Bedeutung betrifft und dass es eine Grundstruktur des menschlichen Denkens gibt, wie die Kategorien zeigen. Dem steht auch nicht entgegen, dass bestimmte sprachliche Nuancierungen, Konnotationen und Assoziationen der verschiedenen Wörter von S. zu S. unterschiedlich sind und nur teilweise in einer Übersetzung ausgedrückt werden können, was die Übersetzung von Poesie schwierig macht. Die menschliche S. hat wie die Tiers. die Funktion, Kommunikation zu stiften, Handlungsanweisungen zu geben, Empfindungen zu äußern. Darüber hinaus ist sie aber im Gegensatz zur Tiers. als Begriffss. nicht an die jeweiligen Umstände gebunden, sondern kann von ihnen abgekoppelt werden und über Zeit und Raum hinweg geistige Inhalte und Informationen darstellen und übermitteln. Darum konnten sich Schriften entwickeln, die je nachdem aus Zeichen für Buchstaben, Silben oder ganze Wörter bestehen und dazu dienen, die S. über die Sprechsituation hinaus dauerhaft zu konservieren und auch anderen zugänglich zu machen. Ferner kann der Mensch ohne S. nicht differenziert denken, auch wenn das Denken nicht auf S. reduziert werden kann, wie das Suchen nach Wörtern oder der Vorgang des Verstehens

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Sprachphilosophie

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zeigen. Auf diese Weise stellt die S. für den Menschen auch das Mittel dar, die Wirklichkeit zu begreifen. Deshalb kann die menschliche S. nicht einfach durch den Rückgriff auf die konkreten Sprechsituationen erklärt werden. Das Erlernen der Mutters. ist deshalb möglich, weil wir die kategoriale Grundstruktur des Denkens besitzen, den sinnlich wahrnehmbaren Handlungskontext erleben, in dem die Wörter verwendet werden, und wissen, wie wir normalerweise unsere inneren Gefühle spontan zum Ausdruck bringen. 3 Sprachphilosophie, 3 Sprechakt. Platon: Kratylos; Augustinus: De magistro; J Locke: An Essay concerning Human Understanding, Book III; J G Fichte: Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der S. (1795), AA I/3; M Heidegger: Vom Wesen der S.; L Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen. – B Liebrucks: S. und Bewußtsein, F 1964 ff.; B Scheer / G Wohlfart (Hg): Dimensionen der S. in der Philosophie des Deutschen Idealismus, Wü 1982; T Kobusch: Sein und S., Lei 1987; A Burri (Hg): S. und Denken, B 1997; C Asmuth: Die Grenzen der S., A 1998; G Abel: S., Zeichen, Interpretation, F 1999; R Zecher: Die S. der S., Wü 1999; R Rehn: S. und Dialektik in der Aristotelischen Philosophie, A 2000; E Coseriu: Geschichte der Sprachphilosophie, Tü 2003.

Schöndorf Sprachphilosophie Die S. ist diejenige philosophische Disziplin, die sich mit dem Wesen der 3 Sprache und ihren Bestandteilen, den Wörtern und Sätzen, ihrer Rolle für den Menschen sowie mit der Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit befasst. Zentrale Themen der S. sind das Verhältnis von Sprache und Denken, das Spezifikum der menschlichen Sprache, die Frage der Bedeutung und die verschiedenen Funktionen der Sprache. Die S. beginnt bereits in der Antike mit Platon, der im Kratylos die Frage erörtert, ob die Bedeutung der Wörter von Natur aus gegeben ist oder durch uns zustande kommt. Sodann betreffen viele Überlegungen von Aristoteles auch die Sprache (z. B. Rhetorik, Logik). Fragen der S. werden auch später immer wieder diskutiert, etwa bei Augustinus. Im Zusammenhang des Nominalismus der spätmittelalterlichen Scholastik werden die verschiedenen 3 Bedeutungen und Bedeutungsebenen der Wörter erörtert (3 Supposition). In der Neuzeit widmet Locke einen eigenen Abschnitt seines Essay der Sprache. Der Begriff S. kommt erst in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts auf, als im Zusammenhang mit der Beschäftigung mit der Vielfalt der Kulturen die neuzeitliche S. aufblüht (Hamann, Herder, Humboldt u. a.). Die dabei nicht selten vertretene These, dass die Sprache maßgeblich für unser Denken sei und dass unser Denken völlig von der Sprache abhänge und geprägt werde, steht im Gegensatz zur vom 3 Bewusstsein ausgehenden Philosophie, die von den Rationalisten (3 Rationalismus) und Empiristen (3 Empirismus) begründet und von Kant und den Idealisten (3 Deutscher Idealismus) weitergeführt wurde, und übt einen entscheidenden Einfluss auf Nietzsche aus.

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Sprachphilosophie

In der Folgezeit widmen sich verschiedene Denker den unterschiedlichen Aspekten der Sprache, die auf verschiedene Weise bezeichnet werden. So nennt Bühler das Sprachzeichen Symbol (Zeichen für etwas), Symptom (Ausdruck von Innerem) und Signal (Appell an den Hörer). Durchgesetzt hat sich aber die Terminologie von Morris, der zwischen 3 Syntax, 3 Semantik und 3 Pragmatik unterscheidet, um die rein innersprachliche Ebene, die Ebene der Bedeutung und den Bereich des Handelns im Zusammenhang mit der Sprache voneinander abzuheben. Um die Jahrhundertwende hin zum 20. Jahrhundert wird die S. einerseits im Zusammenhang mit der Logik (vor allem bei Frege) neu erörtert, wobei die Frage der Formalisierung eine wichtige Rolle spielt. Die entsprechenden Richtungen der S. wollen die Sprache auf eine exakte Formalsprache oder Idealsprache zurückführen. Ein Vorläufer solcher Versuche war in der frühen Neuzeit bereits Leibniz mit seiner Idee einer characteristica universalis, einer Art reiner Formelsprache, gewesen. Auch Wittgenstein hat in seinem Tractatus logico-philosophicus eine ähnliche Tendenz, während er später in seinen Philosophischen Untersuchungen die Alltagssprache als Ursprung allen Sprechens in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt. So lassen sich zwei große Richtungen der analytischen S. voneinander unterscheiden, die formal- oder idealsprachliche und die alltagssprachliche (ordinary language philosophy). Ferner versucht Wittgenstein in seinem Spätwerk, die Sprache als ein intersubjektives Handlungsgeschehen zu begreifen, um auf diese Weise von vornherein eine rein subjektive und bewusstseinsorientierte Konzeption der Sprache zu unterlaufen. Im Wiener Kreis (Carnap) und in der angelsächsischen Philosophie wird versucht, metaphysische Probleme als Sprachprobleme aufzufassen und sprachphilosophisch zu lösen oder als sinnlos zu entlarven. Diese Wendung zur S. im Sinn der philosophischen Sprachanalyse erhielt die Bezeichnung »linguistic turn«. Der von der Linguistik herkommende 3 Strukturalismus stellt eine eigene Richtung der S. dar. Wichtig wurde die von Austin entworfene und von Searle weiterentwickelte Theorie der 3 Sprechakte, bei der die verschiedenen Handlungsaspekte, die bei jedem Sprechen vorkommen, herausgearbeitet und analysiert werden. Innerhalb der analytischen Philosophie kommt es zu einer bis heute andauernden Diskussion über das Verständnis der 3 Bedeutung der Wörter. Frege hatte einen eigenen Bereich des Geistigen angenommen, worin ihm später Popper folgte. Russell will in den Eigennamen (3 Name) nur eine Kurzform von Kennzeichnungen (definite descriptions) sehen. Dem wird entgegengehalten, dass dann für dasselbe Individuum kein möglicher anderer Lebenslauf mehr gedacht werden könnte, da es in diesem Fall durch die Ereignisse, die erst während seines Lebens geschehen, definiert werde. Darum vertritt Kripke für die Eigennamen von Personen und ebenso für die Bezeichnungen der natürlichen Arten die Theorie der starren Designatoren, die einem Individuum von Anfang an (sozusagen durch die Taufe) zugeteilt werden.

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Sprachspiel

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Wittgenstein kritisiert die bei Augustinus und in der Tradition weithin zu findende Beschränkung der sprachphilosophischen Reflexionen auf die begrifflich-informative Funktion der Sprache. Diese Kritik übersieht, dass die Tradition an dem interessiert war, was den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet. Die anderen Funktionen der Sprache finden sich aber auch bei den Tieren. K Bühler: Sprachtheorie, J 1934; C Morris: Foundation of the theory of signs, Ch 1938; J L Austin: How to do things with words, O 2 1976; J R Searle: Speech acts, C 1970. – J Trabant (Hg): Sprache denken. Positionen aktueller S., F 1995; T Borsche (Hg): Klassiker der S., M 1996; A P Martinich (Hg): The philosophy of language, NY 3 1996; T Blume / C Demmerling: Grundprobleme der analytischen S., Pb 1998; P Prechtl: S., St 1999; A Keller: S., Fr 3 2000; W G Lycan: Philosophy of language, Lo 2000; E Coseriu: Geschichte der S., Tü 2003; A Wellmer: S., F 2004.

Schöndorf Sprachspiel ist ein von Wittgenstein in seiner Spätphilosophie in Vorlesungen und dann in den »Philosophischen Untersuchungen« verwendeter Terminus. Er bringt die These zum Ausdruck, dass die 3 Bedeutung der Wörter der Sprache in ihrem Gebrauch liege, der wiederum zu einer bestimmten 3 Lebensform gehöre und insofern als eine Art Spiel, d. h. als ein regelgeleitetes Verhalten innerhalb eines Gesamts einer Tätigkeit aufzufassen sei. In der Postmoderne hat Lyotard den Begriff des S.s wieder aufgegriffen, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass es keine jeden Sprachgebrauch übergreifende Regel gebe. L Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen. – K Wuchterl: Struktur und S. bei Wittgenstein, F 1969; J-F Lyotard: La condition postmoderne, P 1979; H Billing: Wittgensteins S.-Konzeption, Bn 1980; K Buchholz: S. und Semantik, M 1998; W Beermann: Die Radikalisierung der S.-Philosophie, Wü 1999; H J Schneider (Hg): Mit Sprache spielen, B 1999; W Kienzler: Ludwig Wittgensteins »Philosophische Untersuchungen«, Da 2007.

Schöndorf Sprechakt (engl. speech act) ist eine von Austin geprägte Bezeichnung, um das Sprechen als Sprachhandlung zu charakterisieren und zu analysieren (vgl. 3 Pragmatik). Als (explizit) 3 performativ bezeichnet Austin diejenigen S.e, mit denen wir genau das bewirken, was wir inhaltlich sagen, sofern wir die betreffende Sprachhandlung mit der entsprechenden Absicht und den Regeln entsprechend vortragen, z. B.: Ich nehme dich zur Frau, ich verspreche dir, usw. Sodann unterscheidet Austin bei allen S.en zwischen dem lokutionären (propositionalen) Gehalt (der mitgeteilten Information), dem illokutionären Akt (der mit dem S. beabsichtigten Wirkung) und dem perlokutionären

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Staat

Akt (der tatsächlich erfolgenden Wirkung). Searle hat diese Theorie dann noch weiter ausdifferenziert. J L Austin: How to do things with words, O 2 1976; J R Searle: Speech acts, C 1970. – A Keller: Sprachphilosophie, Fr 3 2000.

Schöndorf Staat (lat. status: Stand, Zustand) bezeichnet einmal die institutionell-rechtliche Verfassung einer Gesellschaft (»S. der Athener«); zum anderen versteht man unter S. eine Ausformung der höchsten und stärksten 3 Gewalt über die Bewohner eines genau abgegrenzten Territoriums, so seit dem Beginn der Neuzeit in Europa. Elemente des S.es sind: 1) eine Bevölkerung, die sich selbst ergänzt und unter sich verbunden ist, und selten mit dem S.svolk deckungsgleich; 2) ein bestimmt begrenztes Territorium, wobei S.s- und Nationsgrenzen selten zusammenfallen; auf dem es und für das es 3) eine einzige höchste institutionelle entfaltete Gewalt gibt, welche Regeln erlässt, sie durchsetzt und über sie richterlich entscheidet; dieses Gebilde verwaltet sich 4) rechtlich und politisch selbstständig (3 Souveränität) und ist als solches von anderen S.en anerkannt. Eine darüber hinausgehende inhaltliche Qualifikation, wie Schutz der 3 Menschenrechte, hat sich nicht durchgesetzt. Die Frage der S.sformen, ob Monarchie, Aristokratie oder Demokratie, ist heute weitgehend zugunsten des demokratischen Verfassungss.s beantwortet. Souverän nach innen und nach außen, mit einer Repräsentativverfassung, so stellte sich die verbreiteste Art des S.s seit dem 19. Jahrhundert dar, der Nationals. Als S.szwecke gelten äußere und innere Friedenssicherung, Wohlfahrt und soziale Gerechtigkeit. Nach M Weber lasse sich jedoch über die Zwecke keine Einheit mehr erzielen, so stimme man nur noch im Mittel überein, dem Gewaltmonopol. Wo dies gegeben sei, liege ein S. vor. Im Laufe der Menschheitsentwicklung zeigte sich ausgehend von den Bedürfnissen der Menschen die Notwendigkeit, eine Verwaltungseinheit zu schaffen, die einerseits die gewünschten Tauschgeschäfte erlaubte, andererseits noch regier- und verteidigbar war. Welche Rolle die gemeinsame Gottesverehrung dabei spielte, ist offen. Das Gewaltmonopol wurde nötig und forderte seinerseits Abgrenzung nach außen und Hierarchisierung im Inneren. S. ist seit der Französischen Revolution nicht mehr deckungsgleich mit Gesellschaft (G.). Es wechselten ab 1789 in zehn Jahren die S.sformen – von absolutistischem Königreich zu konstitutioneller Monarchie, Zensusdemokratie, radikaler Demokratie, Elitenherrschaft und Cäsaropapismus – und führten vor, wie auswechselbar die Institution S. bei gleich bleibendem Volk, eben der G. war. Hegel fasste G. als eigenständige Einheit und gab ihr den Namen »Bürgerliche G.«, auf welche der (sittliche) S. als Versöhner der Gegensätze folgt. – G. meint systematisch gesehen eine Vielzahl von Menschen, welche durch Wir-Intentionalität, Erinnerung und immer auch durch Unter- und Überord-

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nungen geeint ist. G. verbindet insofern horizontale Wir-Wirklichkeit mit einer Tiefensicht, die aus sich ändernden Beziehungen zu ihrer Vergangenheit besteht. Die Struktur der G. ist nicht die einer radikalen Gleichheit, sondern der hierarchischen Beziehungen. Sie verklumpt wiederum in engere Kreise und bricht auf in weitere. Raum, Zeit und Wechselwirkungen machen somit G. aus und prägen sie nicht nur. Es kann das 3 Recht, aber auch ein gemeinsam bewahrtes Geheimnis die Funktion des Kitts der G. einnehmen. – Sieht man auf menschliche Vereinigungen, so ist allein die Familie eine natürliche; sie löst sich auf, sobald der Erziehungszweck an den Kindern erfüllt ist. Weitere Vergemeinschaftungen oder Vergesellschaftungen sind künstlich. Diskussionen betreffen das Verhältnis von S. und einzelnem Bewohner: Liberales Denken tritt für das Individuum ein und will den S. auf Aufgaben begrenzen, welche nur er zu erfüllen vermag, wie z. B. die Sicherheit nach außen und den Aufbau der Infrastruktur im Inneren (Straßen, Leuchttürme). Für Hegel ist der S. überhaupt erst die Ermöglichung vollen sittlichen Lebens, so dass es Entfaltung menschlichen Lebens nur in ihm, nicht neben ihm und gegen ihn zu geben vermag. Nach J Rawls hat der S. die Grundrechte und die Chancengleichheit seiner Mitglieder zu sichern, über das sogennante Differenzprinzip aber auch eine Politik zu treiben, welche die Lage der ökonomisch oder kulturell am schlechtesten Gestellten verbessert. Was die Zukunft des S.s betrifft, so muss er 1) die in der Gesellschaft sich bildenden neuen Vertretungen von Anliegen (NGOs) und zivilgesellschaftlichen Elemente ernst nehmen und Zusammenarbeit suchen. Infragegestellt sieht sich 2) der Nationals. dadurch, dass man immer häufiger von einem Bürgerstatus außerhalb des Nationals.s ausgeht, dem Weltbürgerrecht. Bei zunehmender Vernetzung und Abhängigkeit von anderen S.en wird 3) das Gewaltmonopol des S.s auf internationale 3 Institutionen übertragen oder überhaupt eingeschränkt. Die Souveränität verhindert 4) nicht mehr Eingriffe von Seiten Dritter, wenn massiv die Menschenrechte verletzt oder die Fürsorge und Sicherungsaufgabe der s.lichen Organe missachtet und vernachlässigt wird. – Noch fehlt es jedoch 5) an einer einheitlichen Weltautorität, welche den vielen (S.s-) Gewalten eine Gewalt, die mächtiger ist als eine oder mehrere verbündete S.sgewalten, entgegenzusetzen vermag. Weltautorität und Einzels. sind gemäß dem Prinzip der 3 Subsidiarität (E Weil) zu denken. Dass der S. selbst absterbe (K Marx) und es nur noch Verwaltungseinheiten gebe, welche auf Zwangsgewalt verzichten könnten, ist aufgrund der Menschennatur nicht anzunehmen. 3 S.sphilosophie. K Marx: Deutsche Ideologie, 1845 f.; G Jellinek: Allgemeine S.slehre, B 1914; C Schmitt: Der Begriff des Politischen, B 1963; Verfassungsrechtliche Aufsätze, B 3 1985; E Weil: Philosophie der Politik, B 1964; C Meier: Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, F 1983; A Black: Political Thought in Europe 1250–1450, C 1992. – F de Coulanges: Der antike S., 1864; P-L Weinacht: S.,

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Staatsphilosophie B 1968; W Kersting: Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, Da 1994; B Anderson: Die Erfindung der Nation, F 1996; M van Crefeld: Aufstieg und Untergang des S.es, M 1999; W Reinhard: Geschichte der S.sgewalt, M 1999; J Habermas: Die postnationale Konstellation, F 2002.

Brieskorn Staatsphilosophie Sie untersucht Notwendigkeit, Zweck und Grenzen des 3 Staats. Insofern die S. nach der sittlichen Rechtfertigung der Institution Staat und der Handlungen seiner Gründung und Erhaltung fragt, ist S. Teil der Ethik; gegenüber den Staatswissenschaften (Jurisprudenz, Ökonomik, Politikwissenschaft) kann sich die S. als selbstständige Disziplin behaupten, insofern nur sie thematisch untersucht, ob und welche Herrschaft von Menschen über Menschen rechtfertigbar ist. Die Staatstheorie hingegen beschäftigt sich vorrangig mit den Staats- und Regierungsformen und dem Funktionieren der 3 Institutionen innerhalb des Staats. Der Diskurs über den Staat sah und sieht sich wegen der Unsichtbarkeit des Staats auf Bilder verwiesen. Eines der wirkmächtigsten ist das vom Staat als Organismus, mit dem seine Vielgestaltigkeit sich ausdrücken und die Rolle des Hauptes legitimieren ließ. Organismus-Vergleiche kranken jedoch vor allem daran, dass sie weder den Selbststand der »Glieder« (3 Subsidiarität) noch die Rückbindung und Verantwortung des »Hauptes« (3 Autorität) angemessen zum Ausdruck bringen. Das zu erwartende Gegenmodell ist das des Vertrags, welches den Staat als Vertragsgemeinschaft Freier und Gleicher sieht. So wertvoll die kritische Rolle dieser Metapher ist, so schwer vermittelt sie sich in das Leben eines 3 demokratischen Großstaats hinein. Der freiwillige Eintritt in diese Vertragsgemeinschaft ist zudem äußerst selten, meist findet sich der Mensch im Staate vor. Auch bringt das Bild nicht zum Ausdruck, dass der Staat sich aus der Gemeinschaft ableitet, nicht jedoch seine auswärtige und strafende Gewalt den einzelnen Bürgern als einzelnen verdankt. Polemisch, wenn auch nicht ganz ohne Erkenntniswert sind die Metaphern »Leviathan«, »Moloch« oder »Maschine« für den Staat. Bilder eigener Art vom Staat schufen die Utopien (T Morus, T Campanella, C Fourier). Sie halten ihrer Zeit den Spiegel vor, leugnen jedoch das Urverlangen des Menschen nach 3 Eigentum und frei gewähltem Lebensstil. Für Platon hat die »Politeia« der Seele des Menschen zu entsprechen. Die Teile der Seele, der begierdehafte, muthafte und vernünftige Teil, müssen ihre Parallele und Fortsetzung im Stand der Erwerbenden, dem der Wächter und dem der Philosophen haben; und nur wenn der Mensch in Ordnung ist, gelingt auch das staatliche Leben. Aristoteles betont wie Platon die Erziehung der Menschen als Vorbedingung des Polis-Lebens. Die Natur verlangt Aristoteles zufolge nach Vergemeinschaftung der Menschen in Ehe, Familie, Dorf und Dörfergemeinschaft und begnügt sich erst, wenn ein Gebilde geschaffen ist, in welchem sich im Höchstmaß Unabhängigkeit und Selbstbestimmung

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Staatsphilosophie

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vereinen. Diese, Polis genannt, ist Selbstverwaltung der Bürger, die frei und gleich sind. Christliches Staatsdenken entfaltet ab der Spätantike eine prägende Kraft. Es arbeitet mit Dualismen, wie civitas Dei und civitas diaboli, ecclesia und Königreich, Papst und Kaiser, Kirche und Staat. Der Staat gilt als gottgewollt, notwendig und unersetzbar; da er jedoch beständig in der Gefahr ist, sich letztlich zu einem Gott zu machen, bedarf es einer Gegenmacht, der Kirche, um ihn an seine Grenzen und Aufgaben zu erinnern und ihn ggf. zu diesen zurückzuführen. Christliches Staatsdenken entmystifiziert die höchste Gewalt auf Erden, den Staat, und erteilt der Theokratie eine Absage. Thomas v Aquin fasst den Menschen als ein soziales und politisches Lebewesen auf, welches der Polis bzw. civitas zu seiner Selbstverwirklichung bedarf. Für Hobbes verwirklicht sich der einzelne Mensch nicht durch den Staat, sondern sichert und vermehrt durch ihn seine Überlebenschancen. Der Staat verdankt sich bei Hobbes nicht dem Schöpfungs- oder Erlösungsplan, er ist Macht, welcher alle übrigen Machtträger durch Verzicht einen legitimen Raum der Herrschaft über sich eingeräumt haben. Nur so sorgen sie für ihr Überleben. Der Staat muss für Kant Rechtsstaat sein; daher sind sämtliche Freiheitsäußerungen unter einem allgemeinen 3 Gesetz der Freiheit zu vermitteln, dessen Adressaten zugleich Autoren des Gesetzes zu sein hatten. Hegel war der Ansicht, dass der Staat nur dann zu seiner eigentlichen Rolle findet, wenn er auf extreme soziale Erfahrungen und Zerreißproben versöhnend antwortet (dann ist er der sittliche Staat). Schärfster Widerspruch erhob sich gegen den Typus des Nationalstaats von Seiten des Anarchismus (P Proudhon, M Bakunin, P Kropotkin), der allerdings mit seinem Wunschbild einer sich selbst ständig organisierenden Freiheit und spontaner Solidarität die Menschen überfordert und das Ruhe- und Stabilitätsbedürfnis nicht ernst nimmt; zwar anerkennt der Föderalismus (P Proudhon) das Prinzip der 3 Subsidiarität, überschätzt aber die Kraft und Fähigkeit, ständig von unten her das Gemeinwesen zu organisieren und lebendig zu halten. Der 3 Liberalismus (W v Humboldt, F v Hayek, R Nozick) kämpfte nicht gegen den Staat, sondern gegen zu viel Staat. Hier bleibt die Sorge für die Schwächeren der Gesellschaft unberücksichtigt oder vernachlässigt. Die Umständlichkeit demokratischer Verfahren provozierte den Ruf nach dem effektiven und ordnenden Staat (C Schmitt). Der bevormundende paternalistische Wohlfahrtsstaat wies sich zwar einerseits durch Effektivität aus, hielt die Menschen jedoch unmündig und als Beschenkte. S. wird im 21. Jahrhundert den Staat auf der Raum- und Zeitachse denken müssen: die globale Dimension und die intergenerationelle Gerechtigkeit verpflichten. Platon: Der Staat; Die Gesetze; Aristoteles: Politik; T Morus: Utopia, 1516; T Hobbes: Leviathan, 1651; J Locke: Über die Regierung (Second Treatise), 1689; J J Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag, 1762; I Kant: Metaphysik der Sitten, 1797; G W F Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1819; P Proud-

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Stimmung hon: Du principe fédératif, Paris 1863. – H Kuhn: Der Staat, M 1967; E Cassirer: Der Mythus des Staates, F 1988; K Graf Ballestrem / H Ottmann (Hg): Politische Philosophie des 20. Jahrhunderts, M 1990; R Zippelius: Geschichte der Staatsideen, M 8 1991; E-W Böckenförde: Recht, Staat, Freiheit, F 2 1992; H Ottmann: Geschichte der politischen Ideen, M 1998 ff.

Brieskorn Staatswissenschaften 3 Politologie Stalinismus 3 Marxismus Stammbegriffe 3 Kategorie Stärke 3 Intensität Starkmut 3 Tugend Staunen 3 Frage Stetige Ausdehnung 3 Kontinuum 3 Quantität Stimmung / Gestimmtheit Musikinstrumente müssen auf die hervorzubringenden Töne einer Skala »gestimmt« werden, damit ihre »Stimme« rein erklingt. Analog spricht man von S.en der Seele und meint damit ihre variablen emotionalen Verfassungen, wie einem im Ganzen zumute ist: gut oder schlecht (»verstimmt«), gehoben oder gedrückt, weit oder beengt, tatenlustig oder faul. S.en können leicht umkippen. Und doch sind sie grundlegender als einzelne objektbezogene 3 Gefühle. Woher sie kommen, lässt sich oft schwer sagen. In ihnen »färbt« sich das Erleben im Ganzen: Welt und Selbst in einem. Erlebnismöglichkeiten erschließen und verschließen sich vor allem stimmungsmäßig. Auch für das rationale Arbeiten muss man »in S. sein«. Für gemeinsame Unternehmungen ist es oft das Wichtigste, dass die S. »stimmt«. Was das Vergangene betrifft, so erinnert man sich am ehesten an die damalige S., auch wenn die Details der Ereignisse vergessen sind. – In seinen Analysen des sogenannten »ästhetischen Stadiums« der Existenz hat Kierkegaard auf die anthropologische Bedeutung der S.en aufmerksam gemacht. Heidegger (Sein und Zeit, §§ 29.68) betonte, dass die S.en dem Erkennen und Wollen vorausgehen. Sie sind ontologisch fundiert in der »Befindlichkeit«, die zusammen mit dem 3 Verstehen und der Rede die Grundverfassung des menschlichen Da-seins ausmacht. O F Bollnow: Das Wesen der S.en, F 1995; E Döring-Seipel: S. und Körperhaltung, Weinheim 1996; B C Han: Heideggers Herz, M 1996; H Bless: S. und Denken, Be 1997.

Haeffner Stoa 3 Stoizismus Stoff 3 Materie Stoizismus Die Stoa verdankt ihren Namen der Bunten Halle (stoá) an der Agora in Athen, wo Zenon 301/300 v. Chr. zu lehren begann; ihre Wurzeln reichen zurück zum Sokratesschüler Antisthenes (3 Sokratik). Die Einteilung

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Strafe

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in Alte, Mittlere (Panaitios, Poseidonios) und Späte Stoa darf die innere Einheit der Schule nicht übersehen lassen; Entwicklungen betreffen vor allem die 3 Ethik; das 3 Interesse der Späten Stoa (Seneca, Epiktet, Marc Aurel) gilt der Lebensbewältigung. Die drei Disziplinen 3 Logik, 3 Physik und Ethik sind durch den 3 Begriff des Logos miteinander verbunden. Die menschliche 3 Vernunft, mit deren Tätigkeit die Logik sich befasst, ist 3 Teil der göttlichen Vernunft, die das Naturgeschehen bestimmt und der zu entsprechen 3 Ziel des menschlichen 3 Lebens ist. In der Auseinandersetzung mit der 3 Skepsis entwickeln die Stoiker eine 3 Erkenntnistheorie; sie begründen die 3 Semantik und die moderne Aussagenlogik. 3 Prinzipien des Kosmos sind die eigenschaftslose 3 Materie und das »künstlerische Feuer«, der Träger des Logos, das die Materie in unterschiedlichem Grad durchdringt und so die natürlichen 3 Substanzen vom Anorganischen über 3 Pflanzen und 3 Tiere bis zum 3 Menschen hervorbringt. Der Logos ist 3 Gott. Insofern er alles zum Besten lenkt, ist er die Vorsehung und als ausnahmslose kausale Verkettung der 3 Ereignisse miteinander das Schicksal. Die Überzeugung, dass Gott existiert, ist den Menschen angeboren. Alles Lebende strebt nach Selbsterhaltung. Die Befriedigung der natürlichen 3 Triebe wird zum sittlich guten Handeln, wenn der Mensch erkennt, dass er dadurch in Übereinstimmung mit dem Logos ist. Die Stoiker unterscheiden zwischen dem sittlich 3 Guten und den außersittlichen Gütern, die vorgezogen zu werden verdienen, aber dennoch »gleichgültige Dinge« (adiáphora) sind. Nur das ist gut (bonum), was sittlich (honestum) ist. Cicero: De natura deorum, II; De finibus bonorum et malorum, II; Diogenes Laertios: Leben und Lehre der Philosophen, VII; A A Long / D Sedley (Hg): The Hellenistic philosophers [Übersetzung, Text, Anmerkungen], C 1987. – M Forschner: Die Ältere Stoa, in: F Ricken (Hg): Philosophen der Antike II, St 1996, 24–39; G Maurach: Seneca, ebd. 146–168; J P Hershbell: Epiktet, ebd. 184–198; P Hadot: Mark Aurel, ebd. 199–215; K Algra (Hg): The Cambridge history of Hellenistic philosophy, C 1999.

Ricken Strafe (gr. díke, poiné, lat. poena) die vom Staat organisierte Zufügung eines Übels, die post crimen und propter crimen erfolgt, also nach dem Vergehen und seinetwegen. Die S. ist somit – unter dem Gesichtspunkt der Verhütung des Vergehens – ein Zu-spät und beruht auf einer künstlich hergestellten Verbindung von Vergehen und S. 3 Gerechtigkeit tritt im Rahmen der S. dreifach auf: 1) als gerechte Gesetzesbefolgung (»iustitia legalis«); bei ungerechtem 3 Gesetz ist 3 Widerstand zu leisten, für den – ungerechte – S. zu gewärtigen ist; 2) als S.gerechtigkeit (»iustitia poenalis«) und 3) als gerechte Gesetzesbefolgung (»iustitia legalis«) durch die Justiz. Als die auf Rechtsvorschriften beruhende Zufügung eines Übels an einen Menschen für sein Handeln darf die S. nur die äußerste und letzte gerechte Maßnahme am Ende

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Strafe

einer Kette an Reaktionsmöglichkeiten der Gesellschaft auf Regelverletzungen sein. Dabei ist zu fragen, zu welchem Zweck zu s.n ist. Die Überlegungen dazu lassen sich, grob gesprochen, in zwei Gruppen einteilen. Die erste verknüpft mit der S. einen außerhalb ihrer liegenden, wenn auch durch sie erreichbaren Zweck: Sie will s.n, damit ein Zweck erreicht wird. S. soll demnach weitere Vergehen des Täters verhindern oder überhaupt Vergehen vorbeugen (Spezial- und Generalprävention) oder sie soll den Täter zu einem brauchbaren Mitglied der Gesellschaft machen und ihn integrieren (Erziehungsund Besserungss.) oder die Bevölkerung beruhigen und die Macht des Staats zeigen (Symbols.). Hierzu gehörte auch die Sühnes., welche durch die S. eine kosmisch-göttliche Ordnung wiederherzustellen trachtete. Dieser Gruppe ist entgegenzuhalten, dass sie den Täter als Mittel einsetzt, um Sicherheit, Integration oder das Bild eines Furcht einflößenden Staats zu erreichen. Präventionen sind zudem von der Verhältnismäßigkeit und den unverzichtbaren Menschenrechten her zu bestimmen. Die Besserungstheorie ist daraufhin zu befragen, woran bei der Besserung anzusetzen, woraufhin zu bessern, mit welchen Mitteln (im Gefängnis?) die Besserung zu erreichen ist, wann sie erreicht ist und wer sie vornehmen darf. Eine S., die sich von der sogenannten berechtigten Erwartung der Bevölkerung her legitimiert, macht sich von Meinungen, auch Umfragen und Emotionen abhängig. Sie darf niemals das Rückwirkungsverbot verletzen. Dieses untersagt, nach neuen, den Tätern unbekannten Tatbeständen, nicht jedoch auf Grund von universal beachteten, wenn auch nicht kodifizierten Normen zu s.n. Insofern macht dieses Verbot auf den allgemein geteilten Rechtsschatz der Völker aufmerksam. Die zweite Gruppe »liest« Sinn und Zweck, Art und Umfang der S. unmittelbar von der Tat ab und meint, so das oben angesprochene Verknüpfungsproblem lösen zu können. Die zweite Gruppe will also s.n, weil ein Vergehen geschah. Stärkung erfuhr diese Gruppe durch die (christlich-kantische) Position, dass kein Mensch nie bloß und auch nicht vorrangig als Mittel, sondern als Selbstzweck, als Wesen mit 3 Würde zu behandeln sei. Kants Forderung, dass auf Mord hin die Todess. verhängt werden müsse, zeigt, dass Kant von einem typisierten Menschenbild und einer im Leben selten vorkommenden Schuldfähigkeit ausgeht. Es fehlt an einer Vergleichsskala, um in der Handlung des Täters selbst das Maß für die Antwort der Gesellschaft auf das Unrecht zu finden, und dies nicht nur deswegen, weil sich die Handlung innerhalb der vernetzt zu denkenden Gesellschaft nicht isolieren lässt. Kant griff in seiner Verlegenheit nach dem Talionsprinzip, und wenn möglich sollte die Vergeltung sogar äußerlich dem Verbrechen gleichen. Wegen der Würde des Menschen ist festzuhalten, dass die Schuld bei der Tat Grund und Grenze der Bestrafung bilden soll. Andererseits sperrte sich nicht einmal Kant, ein Vertreter der zweiten Gruppe, dagegen, nach der Würdigung des Vergehens klug zusätzlich Zwecke mit der S. zu verbinden. Das S.n verweist ganz allgemein auf die Armut menschlicher Reaktions-

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Streben

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möglichkeit, was sich erst recht bei Genozid oder Massentötungen zeigt. Für die S. steht nur das eine irdische begrenzte Leben zur Verfügung. Erlaubt es das Funktionieren der Gesellschaft, alle Täter ab einer hohen Zahl an Verbrechen einzusperren? S.verfahren suchen zudem die individuelle Schuld festzustellen; da ein Gericht jedoch ein komplexes historisches Geschehen (Bsp.: Balkankrieg) nicht zu erhellen vermag, wird es dem einzelnen Täter schwerlich gerecht. Platon: Gorgias; Protagoras; Aristoteles: Rhetorik I, 10; Nik. Eth. V; I Kant: Metaphysik der Sitten, 1797; A v Feuerbach: Über die S. als Sicherungsmittel, 1798; G W F Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1819. – J Feinberg: The Moral Limits of Criminal Law, NY 1984 ff.; J Hruschka: S. nach logisch-analytischer Methode, B 2 1988; A Eser: Zur Renaissance des Opfers im S.verfahren, in: GS A Kaufmann, hg. v. E Horn, B 1988; H.-H. Jeschek: Große S.familien, in: FS W Middendorf, hg. v. J Kürzinger, Bi 1988, 133 ff.; J-C Wolf: Verhütung oder Vergeltung?, Fr 1992; A Bondolfi: Helfen und S.n, Ms 1997; B Zöller (Hg): Mit S.n leben?, Bs 1997.

Brieskorn Streben / Tendenz S., Ers. oder T. (gr. órexis, lat. appetitus, appetitio, tendentia) ist das innere Aus-Sein auf etwas, der Entwurf eines Woraufhin, d. h. eines 3 Ziels, die zustimmende innere Vorwegnahme einer Veränderung. Das S. ist mehr als die bloße Möglichkeit, aber weniger als die tatsächliche Veränderung, denn es ist die Vorstufe dazu, die anvisierte Antizipation, die naturhafte oder bewusste Bewertung, dass der durch eine bestimmte Veränderung erreichbare künftige Zustand besser ist als der jetzige und ihm darum vorzuziehen ist. Die Scholastik unterscheidet zwischen dem von Natur aus vorhandenen Naturs. (appetitus naturalis) und dem bewussten S. (appetitus elicitus). Das bewusste und vernunftgeleitete S. heißt Wille und ist die Voraussetzung des Handelns. Erkennen und S. sind die beiden inneren Grundvollzüge (scholastisch: operatio immanens, innere Tätigkeit) eines bewussten lebendigen Wesens. Für Aristoteles, die Scholastik und Leibniz kommt das S. allen Seienden zu, während es andere nur den Lebewesen zusprechen (3 Trieb 3 Instinkt). Das geistige S. richtet sich auf die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit und Vollkommenheit und damit subjektiv auf das Glück und objektiv letzten Endes auf Gott, mag dies ausdrücklich bewusst werden oder nicht. Die Verkehrung dieses geistigen S.s nach dem Unendlichen führt zum grenzenlosen S. nach partikulären Gütern wie Macht, Ehre, Lust und dgl. Schopenhauer schreibt dem als Wesen der Welt verstandenen Willen ein end- und zielloses unerfüllbares S. zu. Aristoteles: De anima III 9–11; T v Aquin: STh I 80; I–II 8, 1 c.; A Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. – M Riedenauer: Orexis und Eupraxia,

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Struktur Wü 2000; M Hossenfelder: Der Wille zum Recht und das S. nach Glück, M 2000.

Schöndorf Struktur (lat. structura: Bau, Bauart, Mauerwerk) meint ein gegliedertes Gefüge (sozusagen den Bauplan), eine innere differenzierte 3 Ordnung. Der Ausdruck S. stammt ursprünglich aus der Architektur und bezeichnete das Gefüge eines Baus. Er wurde dann in die Rhetorik übernommen, um das Gefüge der Rede zu charakterisieren. In der Neuzeit kommt dann die Rede von der S. als dem inneren Gefüge zunächst von Maschinen und dann von Organismen auf. Der Ausdruck S. wird sodann auch auf andere Bereiche wie die Sprache und die Ästhetik und generell die Geisteswissenschaften übertragen, um die Gliederung innerer Zusammenhänge zu bezeichnen, und findet sich bei zahlreichen Autoren. Im 19. und 20. Jahrhundert wird S. zu einem häufig gebrauchten Begriff für die Artikulationen (Gliederungen) der verschiedensten Gebilde. Typisch für die Untersuchung von S.en ist, dass sie oft vom Zeitablauf absehen, also die S. nicht diachronisch (durch die Geschichte hindurch), sondern synchronisch (gleichzeitig) darstellen. Der 3 Strukturalismus widmet sich der Untersuchung der S.en in Sprache und Kultur, aber es gibt auch in der Phänomenologie strukturalistische Richtungen (Rombach) und andere philosophische Entwürfe, die der S. eine größere Flexibilität und Radikalität als der 3 Substanz oder dem 3 System zuschreiben und darum in der S. den fundamentaleren ontologischen Begriff sehen. Harald Holz: Allgemeine S.ologie, Essen 1999; C Peres / D Greimann: Wahrheit – Sein – S., Hi 2000; H Rombach: Die Welt als lebendige S., Fr 2003; L B Puntel: S. und Sein, Tü 2006.

Schöndorf Strukturalismus ist eine Richtung innerhalb der Humanwissenschaften, vor allem im französischsprachigen Raum, die sich in ihren Methoden am Vorbild der strukturalen Linguistik von Ferdinand de Saussure orientiert. Für diesen gibt es in je einer 3 Sprache (als der Matrize für sprechend-hörenden Austausch) »nichts als Differenzen«; d. h. jedes ihrer Elemente ist ausschließlich definiert durch seine möglichen Äquivalenz- und Gegensatz-Relationen mit allen anderen Elementen. Innerhalb der Sprachwissenschaft ist dieses Modell am strengsten durchgeführt worden durch Roman Jakobson in der Phonologie, d. h. der Wissenschaft von den verschiedenen Lautsystemen, die den einzelnen Sprachen eigen sind, aber einer gemeinsamen Grundstruktur folgen. An Jakobson inspirierte sich der Ethnologe Claude Lévi-Strauss, der die Regeln des Austauschs in schriftlosen Gesellschaften analog zum Austausch sprachlicher Zeichen deutete: Austausch von Frauen, von Mythen usw., immer auf der Suche nach den zugrunde liegenden unbewussten Symbolisierungssystemen, die letzten Endes, auf die Grundstruktur hin formali-

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Suarezianismus

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siert, sich als dieselben in den »wilden« wie in den »kultivierten« Gesellschaften erweisen. Als weitere Vertreter des S. gelten vor allem der Sozial- und Mentalitätshistoriker Michel Foucault, der Psychoanalytiker Jacques Lacan und der Literaturkritiker Roland Barthes. Noch mehr als Lévi-Strauss verbinden sie mit ihren einzelwissenschaftlichen Fragen und Thesen auch philosophische Aspirationen. Ihre jeweiligen Humanwissenschaften beanspruchen, eine moderne Form der philosophischen Anthropologie zu initiieren, die die Tatsachen des Bewusstseins und der individuellen Selbstbestimmung massiv relativiert zugunsten des untergründigen Spiels von Strukturen, die das Funktionieren von Psyche und Gesellschaft regeln, indem sie ihm die Möglichkeitsräume vorgeben. F de Saussure: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 1916; R Jakobson: Kindersprache, Aphasie und allgemeine Lautgesetze, 1941; C LéviStrauss: Strukturale Anthropologie, P 1958, Mythologica, P 1964 ff.; M Foucault: Die Ordnung der Dinge, 1966, Sexualität und Wahrheit, 1976 ff.; J Lacan: Schriften, 1966; R Barthes: Das semiologische Abenteuer, 1985. – F Dosse: Geschichte des S., P 1991 f.

Haeffner Stufenbeweis 3 Gottesbeweise Suarezianismus (auch Suarezismus) ist die Richtung der Scholastik, die der Lehre des spanischen Jesuiten Suárez folgt, der sich als Aristoteliker und Thomist versteht, aber stark von Scotus und auch (z. B. beim Thema Individuum) nominalistisch beeinflusst ist. Seine Disputationes metaphysicae sind die erste systematische Darstellung der scholastischen Metaphysik. Wichtig wurde auch seine Staats- und Völkerrechtslehre. Ausgangspunkt der Metaphysik ist der objektive Begriff des Seienden. Tendenziell werden die Seinsprinzipien dinglicher interpretiert und Geist und Materie in stärkeren Gegensatz zueinander gesetzt als bei Thomas v Aquin. Die geistige Erkenntnis wird nicht aus der sinnlichen gewonnen, sondern findet zugleich mit ihr statt. F Suárez: Disputationes metaphysicae; De anima; Tractatus de legibus ac Deo legislatore. – H Rommen: Die Staatslehre des Franz Suárez S.J., Mönchengladbach 1926; E Conze: Der Begriff der Metaphysik bei Franciscus Suárez, L 1928; E Lewalter: Spanisch-jesuitische und deutsch-lutherische Metaphysik des 17. Jahrhunderts, HH 1935; J Leiwesmeier: Die Gotteslehre bei Franz Suárez, Pb 1938; C Giacon: Suárez, Brescia 2 1945; S Castellote Cubells: Die Anthropologie des Suárez, Fr 1981; M Bastit: Naissance de la loi moderne, P 1990; J-F Courtine: Suárez et le système de la métaphysique, P 1990; R Darge: Suárez’ transzendentale Seinsauslegung und die Metaphysiktradition, Lei 2004.

Schöndorf

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Subjekt

Subjekt (lat. subiectum, gr. hypokeímenon) meint ursprünglich (ähnlich wie substantia und substratum) dasjenige, was zugrunde liegt. Dies ist sowohl der Rede als auch der Sache nach gemeint. In diesem Sinn wird in anderen europäischen Sprachen mit diesem Terminus (engl. subject, fr. sujet) anders als im Deutschen auch das Thema einer Abhandlung, eines Gesprächs o. ä., also das, worum es geht, bezeichnet. Denn das S. ist dasjenige, worüber etwas ausgesagt, dem etwas zugeschrieben wird, dem etwas zukommt. In diesem Sinn ist das S. eines 3 Satzes dasjenige (der-, diejenige), worüber die Aussage des Prädikats gemacht wird. Was der Sache nach und in der Rede (im Satz) nur S. und kein echtes Prädikat sein kann, weil es nicht von etwas noch Grundlegenderem ausgesagt bzw. nicht etwas noch Grundlegenderem zukommen kann, ist ein konkretes Einzelwesen, eine erste 3 Substanz im Sinn von Aristoteles. (Rein grammatikalisch kann freilich in bestimmten Fällen ein Einzelwesen an der Stelle des Prädikats stehen, etwa: Dieser Mensch hier ist Peter.) Speziell jedes konkrete Tun oder Wirken erfordert in der Wirklichkeit wie in der Rede ein S., das diese Tätigkeit ausübt. Mit Beginn der Neuzeit beginnt die Philosophie nicht mehr mit dem objektiv vorliegenden Sein, sondern mit dem Menschen als dem Erkennenden und Wollenden. Damit wird das S. der geistigen Tätigkeiten zum Ausgangspunkt der philosophischen Reflexion. So erhält der Ausdruck S. im Deutschen nur noch die Bedeutung des S.s der Erkenntnis, des Willens und der Handlung und wird nur noch als Bezeichnung für eine Person gebraucht, insofern sie aktiv tätig oder einer solchen Tätigkeit fähig ist (3 Ich). Auf Grund ihrer Wendung zum S. wird die neuzeitliche Philosophie weitgehend zu einer Philosophie der S.ivität: 3 Cartesianismus, Transzendentalphilosophie, Existenzphilosophie, Phänomenologie. Der späte Heidegger hat diese Fixierung aufs S. kritisiert. In verschiedenen philosophischen Richtungen des 20. Jahrhunderts wie dem 3 Strukturalismus und der 3 Postmoderne wird die Rolle des S.s in Frage gestellt oder bestritten. Der 3 Naturalismus versucht, das menschliche S. auf rein naturgesetzlich erklärbare Prozesse zu reduzieren. P Geyer: Die Entdeckung des modernen S.s., Tü 1997; K Oehler: S.ivität und Selbstbewußtsein in der Antike, Wü 1997; D Henrich: Bewußtes Leben, St 1999; E Arroyabe: S. und S.e, I 2000; R Wiehl: S.ivität und System, F 2000; P V Zima: Theorie des S.s., Tü 2000; D H Heidemann (Hg): Probleme der S.ivität in Geschichte und Gegenwart, St 2002; T Kobusch (Hg): Selbst – Singularität – S.ivität, A 2002; I U Dalferth (Hg): Krisen der S.ivität, Tü 2005.

Schöndorf Subjektiv ist der Gegenbegriff zu 3 objektiv und bedeutet eine Beziehung auf das 3 Subjekt. Das Adjektiv s. kann darum im allgemeinen Sinn den Standpunkt oder die Tätigkeit des menschlichen Erkennens und Tuns im Gegensatz zu dem dem Menschen vorgegebenen An-sich-Sein oder einer sonstigen ob-

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Subjektivismus

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jektiven Vorgegebenheit oder überhaupt im Gegensatz zum Objekt der betreffenden Tätigkeit meinen. Es kann aber auch im individuellen Sinn gemeint sein und entweder nur mich oder jeden einzelnen Menschen in seiner unterschiedlichen Meinung, Handlung oder Perspektive bedeuten. Diese beiden Bedeutungen von s. dürfen nicht miteinander verwechselt werden (was leider nicht selten geschieht). So bezeichnet Kant in seiner 3 Transzendentalphilosophie zwar die Formen unseres Erkennens als s., charakterisiert sie aber zugleich als objektiv, da sie (nach Kants Auffassung) uns allen gleicherweise gemeinsam sind, also nicht individuell s. verschieden sind, sondern alle unsere objektive Erkenntnis prägen. G Hefele: Studien zu einer nicht-s.istischen Theorie des Subjekts, Weinheim 1982; M Großheim (Hg): Rehabilitierung des S.en, Bn 1993; H Aftabruyan: S. und objektiv, Aachen 1998; D Davidson: S., inters., objektiv, F 2004.

Schöndorf Subjektivismus bedeutet eine Haltung oder Theorie, die alles (Wesentliche) auf das 3 Subjekt (allein) zurückführt. Normalerweise wird der Ausdruck S. als kritischer Vorwurf gebraucht. Denn für gewöhnlich ist damit gemeint, dass das Subjekt den (alleinigen) Maßstab für das Erkennen oder Handeln abgibt oder dass es überhaupt nichts Allgemein-Objektives gibt, das von allen Subjekten in gleicher objektiver Weise erkannt wird oder für alle Subjekte in gleicher objektiver Weise gilt. Wer wie der Skeptiker (3 Skepsis) die Geltung jeder Erkenntnis in Zweifel zieht, nimmt notwendigerweise eine Position des S. ein. Dasselbe gilt für den, der in Bezug auf die Moral die Gültigkeit objektiver und allgemein verbindlicher Normen bestreitet. E Jenisch: Die Entfaltung des S., Königsberg 1929; M Farber: Naturalism and subjectivism, NY 1959; T Schwinn: Jenseits von S. und Objektivismus, B 1993.

Schöndorf Subjunktion 3 Logik Subsidiarität (lat. subsidium: Rückhalt, Reserve) ist Zuständigkeitsregel und sozialphilosophisches Prinzip. Ihm zufolge hat der einzelne Mensch bzw. die je kleinere soziale Einheit in sämtlichen Angelegenheiten, welche die kleinere Einheit aus eigenen Kräften wahrnehmen kann, Vorrang vor der je größeren Einheit. Sobald und solange die kleinere Einheit dazu nicht imstande ist, hat die größere ihre Hilfe zur Selbsthilfe beizusteuern, damit die untere Einheit unverzüglich wieder zur Erfüllung der eigenen Kompetenzen fähig wird. Weder darf dabei die obere Einheit die Notlage der unteren ausnützen noch darf die – helfende – größere Einheit sich Kompetenzen auf Kosten der unteren Einheit aneignen. Sowohl die untere wie die obere Einheit werden bei ihrer je spezifischen Aufgabe aus eigenem Recht und nicht stellvertretend tätig. Die S. leitet sich vom suum cuique der 3 Gerechtigkeit her und ist naturrechtlich begründet: Es steht den Menschen zu, in einer

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Subsistenz

subsidiär strukturierten Solidargesellschaft zu leben. Abzulehnen sind daher zentralistische Planwirtschaften, Absolutismus und Paternalismus, sowie fern von den Betroffenen verlaufende, undurchsichtige Entscheidungsprozesse. Die S. wird aber darüber hinaus nicht nur dem Selbstbestimmungsprinzip gerecht, sondern ist auch unter Effizienzgesichtspunkten vorzugswürdig. T v Aquin: ScG, III, 71; STh I, 65, 2; Enzyklika Pius XI.: »Quadragesimo anno« (1931), Nr. 78 ff. – J Senft: Im Prinzip von unten, F 1990; W Ockenfels: Kleine Katholische Soziallehre, Trier 4 1992; O Höffe: Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, M 1999; W Mückl (Hg): S., Pb 1999.

Brieskorn Subsistenz (lat. subsistentia vom Verb subsístere, das ursprünglich stillstehen bedeutet) meint die konkrete selbstständige Existenzweise der ersten Substanz. Das Verb dazu lautet subsistieren. Der Gegensatz dazu ist die Inhärenz (lat. inhaerentia vom Verb inhaerére: anhängen), die das Existieren der Akzidentien meint, die nur unselbstständig an oder in einer oder mehreren Substanzen existieren können. In der göttlichen Dreieinigkeit kommt die konkrete Existenz den drei göttlichen Personen als subsistierenden Relationen zu, während die göttliche Natur als solche nicht subsistiert. In Christus subsistiert die zweite Person der Gottheit, während die göttliche und die menschliche Natur nicht subsistieren. Beide Male kommt die S. den Personen oder der Person zu, während die Natur von der oder den Personen gehabt wird. Nach Thomas v Aquin kommt dem esse (Sein) als solchem keine S. zu (De pot. 1, 1 c), sondern es subsistiert nur in den konkret existierenden Substanzen. Das subsistierende Sein als solches ist Gott (STh I 4, 2 c, ad 3 u. ö.). T v Aquin: STh I 4, 2; 13, 1, ad 2; 29, 2 c; 1 sent. 23, 1, 1 c; F Suárez: DM 31, 1, 2; 34, 4–7.

Schöndorf Substantielle Form 3 Hylemorphismus Substantielle Veränderung 3 Hylemorphismus Substanz / Akzidens S. und A. gelten in der auf Aristoteles zurückgehenden philosophischen Tradition als die konstitutiven Prinzipien des endlichen Seienden, die als solche korrelativ sind. Ihre Bedeutung ergibt sich zunächst aus einer Analyse der nominalen Satzstruktur (in der etwas von Etwas ausgesagt wird), die ergänzt wird durch Beobachtungen dessen, was im Werden geschieht. Das Wort S. ist eine der lateinischen Übersetzungen des griechischen Wortes »ousia« (die andere ist »3 Wesen«) und wird von Aristoteles definiert als das, »was weder von einem [anderen] Subjekt ausgesagt wird, noch in einem [irgendwelchem] Subjekt ist« (vgl. Kat. 5; 2 a 11). In diesem (1.) Sinn ist S. letztes Aussagesubjekt, das wir in unserem Sprechen, genauer: in unseren Urteilen, voraussetzen, von dem unsere Aussagen gelten. Von dieser grundlegenden und eigentlich transzendentallogisch (d. h. durch unser

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Substanz

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vernünftiges Reden) konstituierten Bedeutung von S. her ergibt sich, wenn man das im Urteilen vorausgesetzte Etwas versucht letztendlich zu konkretisieren (und dabei Allgemeines bezeichnende Kollektivbegriffe wie z. B. »Volk« als etwas Nicht-Letztes betrachtet), eine (2.) bei Aristoteles allerdings im Vordergrund stehende und deshalb von ihm als erste bezeichnete Bedeutung von S. als des jeweils konkreten Einzelnen: »bei den S.en im ersten Sinn ist es unbestritten und wahr, dass sie ein Dieses-da bezeichnen« (Kat. 5; 3 b 9 f.). Von diesem her, da das konkrete Einzelne als etwas Letztes und damit als etwas In-sich-Stehendes aufgefasst wird, ergibt sich die (3.) Bedeutung der S., nach der sie das Selbststand Habende und somit das Seinsfundament für alles von ihm Aussagbare und somit der Träger (das Darunterliegende, gr. hypokeímenon) aller ihr zukommenden (ihr anhaftenden oder »inhärierenden«) Bestimmungen (also der Akzidentien) ist. Diese Bestimmung der S. ergibt sich auch aus Überlegungen, die aus der Analyse jener Veränderungen folgen, in denen das, was sich verändert, seine wesentliche Identität bewahrt. Von dieser Auffassung der S. als des Identischen in den Veränderungen leitet sich jene (4) Bedeutung der S. ab (die Aristoteles S. in einem zweiten Sinn nennt), nach der S. als das eigentlich Wesentliche, als das, was etwas zu dem macht, was es ist, bezeichnet wird. Diese Bedeutung der S., nach der sie der durch das Denken zu erfassende Gehalt ist, deckt sich weitgehend mit dem, was bei Platon Idee (und somit Wesen) heißt. In der aristotelischen Scholastik betonte man hinsichtlich der S. vor allem zwei Aspekte: (1) dass sie »subsistit« und ihr somit »Subsistenz«, d. h. das In-sich-Stehen zukommt; und (2) dass sie »substat«, d. h. darunter-steht und somit das ontologische Subjekt der weiteren, und in diesem Sinn »akzidentellen« Bestimmungen ist. – Entsprechend unterschied man hinsichtlich des A. zwei Aspekte: (1) dass sein Wesen in der Unselbstständigkeit besteht, wegen der es auf einen Träger, dem es zukommt, angewiesen ist; und (2) dass es eine das Wesen der S. nicht betreffende Weiterbestimmung der S. ist. Das von Aristoteles herausgearbeitete und von der späteren Substanzmetaphysik übernommene S.-A.-Schema ist durch verschiedene Mängel gekennzeichnet, die sich daraus ergeben, dass Aristoteles die S. vor allem als das eindeutig identifizierbare Dieses-da bestimmt hat. Folgendes ist zu beachten: (a) Es ist irrig zu meinen, die nicht substantiellen Veränderungen beträfen die S. gar nicht. Die S. ist nicht etwas unter den sich verändernden bzw. sich ablösenden Akzidentien unbeweglich Verbleibendes. Jede Veränderung des Seienden, also auch die akzidentelle, ist eine Veränderung der S. selbst. In den akzidentellen Veränderungen verändert sich jedoch die S. nur akzidentell, d. h. so, dass sie ihre (wesentliche) Identität mit sich selbst zugleich bewahrt. Da jede Veränderung die S. berührt, ist die Einteilung der Veränderungen in »substantielle« und »akzidentelle« sowohl zu grob als auch irreführend. Denn die S. kann von den Veränderungen verschieden »tiefgrei-

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Substanz

fend« betroffen werden. Auch ist zu berücksichtigen, dass den verschiedenen Eigenständigkeit habenden Seienden verschiedene »Seinstiefe« zukommt. (b) Substanzsein im Sinne von »Selbststand-Haben« ist im Gegensatz zur aristotelischen Auffassung, nach der »Selbststand« einem Seienden entweder zukommt oder gar nicht zukommt, eine analoge Bestimmung, die im Maße der Seinsmächtigkeit des Seienden größer oder geringer sein kann. Nur das absolute Seiende, das »esse subsistens«, hat Selbststand in einer Weise, dass es auf nichts außer sich selbst angewiesen ist; und nur dem geistigen, dem bewusste Selbstbezüglichkeit besitzenden Seienden kommt Selbststand in vollem Sinne zu. Selbststand ist also nicht etwas, das durch bloße materielle Abgetrenntheit von anderen Seienden konstituiert wird. Dabei ist auch nicht zu vergessen, dass Selbstständigkeit und Bezogensein auf anderes (Substantialität und Relationalität) sich nicht ausschließen, sondern vielmehr bedingen (vgl. 3 Relation). (c) Man kann sich nicht auf die Sinneserfahrung verlassen, wenn es um die Bestimmung dessen geht, was ein Seiendes und damit als eine S. zu betrachten ist. Das wusste freilich auch die S.metaphysik, insofern sie die 3 Einheit der S. durch die Einheit der im Einzelseienden verwirklichten substantiellen Form bestimmt hat. Da sie jedoch die Einheit als Nicht-Verschiedenheit und die Verschiedenheit als Nicht-Einheit gesehen hat, konnte sie sich trotz richtiger metaphysischer Ansätze von der Dingvorstellung nicht befreien. Die sich in der klassischen Metaphysik zeigende Tendenz zur Verdinglichung der S. ist also die Folge dessen, dass sie die Frage der 3 Identität und 3 Differenz unbefriedigend gelöst hat. Aus dem Gesagten folgt keineswegs, dass S. und A. keine seinsmetaphysische Bedeutung hätten. Sie müssen jedoch streng als aufeinander bezogene Momente, also als Seinsprinzipien verstanden werden. Das bedeutet folgendes: (a) Die S.-A.-Struktur ergibt sich aus der Endlichkeit der Seienden. Wo die Selbstidentität der Seienden keine vollkommene Identität ist, dort tritt eine Differenziertheit auf, die Unvollkommenheit bedeutet, die deshalb die Selbstidentität des Seienden von sich selbst entfremdet, auch wenn sie diese niemals ganz beseitigt. Deswegen muss man in jedem endlichen Seienden unterscheiden zwischen Selbstidentität des Seienden, insofern sie Selbstidentität ist (= S.) und insofern sie unvollkommene, veräußerlichte (zu sich selbst in Gegensatz stehende) Selbstidentität ist (= A.). Daraus folgt dann auch, dass das akzidentell Bestimmtsein eines Seienden für dieses in dem Maße an Bedeutung gewinnt, in dem seine Seinsmächtigkeit und damit seine Substantialität abnehmen. Was S. und A. sind, verstehen wir ursprünglich von unserem Ich her, indem wir uns als ein Seiendes erfassen, dem eine solche Selbstidentität zukommt, die in einem gewissen Grade von sich entfremdet existiert und die deshalb nur durch das Nicht-Ich zu sich selbst kommen kann. Von dieser Erfahrung (und nicht von der Wahrnehmung der vereinzelten Dinge)

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Supposition

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ausgehend, können wir dann durch einen Analogieschluss die Substantialität der Lebewesen und schließlich auch im Bereich des Anorganischen erkennen. (b) In welchem Fall muss man von einer S. reden, und in welchem Fall eine Vielheit der S.en annehmen? Da die S. von der Selbstidentität her zu bestimmen ist, haben wir nur an einem Punkt wirkliche Gewissheit: Wir wissen, dass jeder Mensch als selbstbewusste und frei handelnde Person eine von den anderen verschiedene S. ist. Da wir die Lebewesen, vor allem die höheren Tiere, auch als Zentren einer ihnen eigenen Aktivität erleben, betrachten wir sie als Wesen, denen Substantialität zukommt, obwohl im Vergleich zum Menschen nur analog abgestuft. Hinsichtlich des Anorganischen ist es, wenn man die Ergebnisse der Quantenphysik (3 Physik) berücksichtigt, sehr schwierig zu bestimmen, was als eine S. zu betrachten ist. Es ist äußerst fraglich, ob den sogenannten Elementarteilchen Individualität und damit s.hafte Existenz zugeschrieben werden kann. Andererseits muss im konkreten materiellen Weltall die Tendenz und damit auch das Vermögen, substantielles Seiendes hervorzubringen (3 Werden, 3 Evolution), anwesend sein, sonst wären wir als Personen, die unbezweifelbar S.en sind, nicht hier. Aristoteles: Metaph. VII, VIII; T v Aquin: STh q 13, 29; F Suárez: Disp. Met. – J Hessen; Das S.problem in der Philosophie der Neuzeit, B 1932; P Strawson: Individuals, L 1959; H Rombach: S., System, Struktur, I–II, Fr 1965 f.; W. Stegmaier: Der S.begriff der Metaphysik, Tü 1974; M Loux: Substance and attribute, Dordrecht 1978; R Fetz: Whitehead, Fr 1981.

Weissmahr Substrat 3 Suppositum Subvenienz 3 Emergenz Sühne 3 Schuld 3 Strafe Sukzession 3 Zeit Summe 3 Ganzheit Summen 3 Scholastik Sünde 3 Böse 3 Schuld Supervenienz 3 Emergenz Supposition Unter S. (lat. suppositio von supponere: an die Stelle setzen) wird im Spätmittelalter die Art und Weise verstanden, wofür ein Terminus (3 Begriff) im sprachlichen Kontext jeweils steht, wie er gebraucht wird, woraus sich seine jeweilige 3 Bedeutung ergibt. Dabei wurde zunächst zwischen der materialen S. (das Wort als Lautfolge) und formalen S. (als Bedeutungsträger) unterschieden. Bei letzterer gibt es die logische S. (der Begriff als solcher) und die reale S. (das bezeichnete Objekt), für die es je nachdem noch einmal verschiedene Möglichkeiten gibt, ob ein bestimmter (bestimmte S.) oder unbestimmter (unbestimmte S.) einzelner Fall (partikuläre oder diskrete S.), die ganze Klasse (ausnahmslos: absolute S. im Gegensatz zu relativer S.),

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Suppositum

die Mehrheit, der Regelfall (kommune S.) oder dergleichen mit dem betreffenden Wort gemeint ist. Dabei ist die Terminologie nicht immer einheitlich. Die logische S. wird in der heutigen Logik normalerweise das Anführen eines Begriffs im Gegensatz zu seinem Gebrauch (reale S.) genannt. Johannes XXI.: Summulae logicales; W v Ockham: Summa logicae. – P Kunze: Satzwahrheit und sprachliche Verweisung, Fr 1980; C R Hülsen: Zur Semantik anaphorischer Pronomina, Lei 1994; A Keller: Sprachphilosophie, Fr 3 2000.

Schöndorf Suppositum (lat: das Zugrundeliegende, das Untergelegte; Übersetzung der gr. Wörter hypóstasis und hypokeímenon) kann bezeichnen: (1) das logische Subjekt von Aussagen. S. ist dann dasjenige, worüber etwas ausgesagt wird, das selbst aber nicht mehr ausgesagt werden kann. Von Sokrates kann ausgesagt werden, dass er läuft. Aber Sokrates kann nicht mehr als Prädikat in einer Aussage verwendet werden. In der Sprache der modernen Logik könnte man sagen: Das S. fungiert als Individuenkonstante; (2) die 3 Substanz im ersten Sinn, d. h. das selbstständig existierende Einzelding, das unter die Kategorie der Substanz fällt wie dieser bestimmte Mensch Sokrates, dieses bestimmte Pferd Rosinante; (3) manchmal den Träger von Eigenschaften. Wenn Sokrates weiß ist, so ist Sokrates das S. der Eigenschaft, weiß zu sein; (4) manchmal auch das Substrat, der Stoff, welcher der Form oder der Veränderung zugrunde liegt. Aristoteles: Kategorien 2a11–13; Metaph. 1028b33–1029a3; F Suárez: DM 34, Pariser Ausgabe Bd. 26, 1861.

Niederbacher Syllogismus 3 Schluss Symbol im weiteren Verständnis ist ein Sinnbild, das auf etwas anderes verweist und es in seiner Bedeutung kenntlich macht. Das griechische Wort »symbállein« (zusammenfügen) erinnert an ein Erkennungszeichen, das den Inhaber eines in der Vergangenheit erworbenen Anspruchs als rechtmäßig ausweist. In der frühchristlichen Liturgie wird das Glaubensbekenntnis als S. bezeichnet, weil die Zustimmung zu ihm die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft kenntlich macht. Für das platonische Seinsverständnis kann jedes Seiende kraft seiner Teilhabe am Sein als dessen S. angesehen werden. Für den S.begriff wichtig wurde der christliche Glaube an Jesus Christus. Dieser ist als Mensch das S. Gottes, weil Gott in der menschlichen Gestalt Person Jesu uneingeschränkt anwesend ist. Das S. offenbart und verhüllt. Im christlichen Neuplatonismus (Pseudo-Dionysius, Nikolaus von Kues) wird auf dieser Grundlage das S. (Bild) zum wichtigen philosophischen Begriff: Der begrifflich unfassbare Gott ist im S. zu erkennen. In anderer Weise ist der Leib das Realsymbol (Rahner) der menschlichen Seele: Zu ihrem Wesensvollzug gehört, dass sie sich in dem von ihr verschiedenen Leib, ihn in-

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Symbol

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formierend, verleiblicht und sich in ihm ausdrückt. In seinem Ausdruck ist das Wesen des Menschen symbolisch gegenwärtig. Die sinnbildliche Vermittlung des Gemeinten durch das S. setzt eine seinsmäßige Beziehung zwischen diesem und dem Bezeichneten voraus (3 Analogie); die Anwesenheit des S.isierten im S. kann von sehr abgestufter Intensität sein. Das S. weist über sich hinaus, weil es das S.isierte enthält oder an ihm teilhat. Das S. darf mit dem S.isierten nicht schlechthin identifiziert werden; das würde die analoge Beziehung verkennen und das S. zum Fetisch machen (Magie). Würde der seinshafte Anteil des S.s am Sein des S.isierten fehlen oder übersehen werden, wäre es ein bloßes Hinweisschild; von ihm gälte: Es ist »nur ein S.« (Tillich). Als Sinnbild richtet sich das S. nicht nur an den Verstand; sein Verstehen ist ein ganzmenschlicher Akt (Erlebnis). Im Unterschied zum S. wird in der Allegorie eine deutlich gedachte Idee willkürlich an ein Bild geknüpft; während das S. das S.isierte in zunehmend tieferer Weise erschließt (W v Humboldt). Im 20. Jahrhundert hat Cassirer den S.begriff erneut in die Mitte der Philosophie gestellt: Der Mensch erfasst die Wirklichkeit in »s.ischen Formen« (in der Sprache, im Mythos, in der Religion, in der Kunst, im wissenschaftlichen Erkennen), sie ist folglich immer kulturell vermittelt; ihr »Ausdruck« ist Produkt menschlichen »Bildens«. Die s.ische Formung kann sich verschieden weit von der auszudrückenden Gegenstandswelt entfernen: in der mimischen S.isierung bleiben charakteristische Züge erhalten, in der analogischen werden sie umgeformt, in der rein s.ischen wird nur noch die Bedeutung übernommen (das Zeichen hat keine Darstellungsfunktion mehr). Die Formen entspringen der »Energie« seines Geistes. Der Mensch begegnet dieser Konzeption zufolge in der »Welt« der s.ischen Formen nur sich selbst. Das gilt auch für seine religiöse Erfahrung. Ein Bezug auf transzendente Wirklichkeit ist Cassirer zufolge mittels des S.s nicht möglich. Seine S.philosophie gründet nicht in einer Ontologie und kennt infolgedessen keine Seinsanalogie. In zahlreichen Bedeutungsvarianten begegnet der Begriff des S.s in der Logik, in der Semiotik, in der Theologie, in der Religionsphänomenologie, in der Ästhetik (Poesie), in der Psychologie und in der Physik und Mathematik. M Schlesinger: Geschichte des S.s, B 1912; P Tillich: Religionsphilosophie, B 1925; E Cassirer: Philosophie der s.ischen Formen, 1923 ff.; Wesen und Wirkung des S.begriffs, Da 1994; K Rahner: Zur Theologie des S.s, in: Schriften IV, Ei 1960, 275–311; H U v Balthasar: Herrlichkeit, Ei 1961 ff.; G Kurz: Metapher, Allegorie, S., Gö 1993; S L Frank: Die Realität und der Mensch, Fr 2004.

Ehlen Sympathie 3 Liebe Synchronisch 3 Struktur Synderesis 3 Gewissen Synechés 3 Mathematik

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Syntax

Synkategorematisch 3 Begriff Synkretismus 3 Eklektizismus Synonym 3 Analogie Synorganisation 3 Evolution Synsemantisch 3 Begriff Syntax (gr. sy´ntaxis: Zusammenstellung) ist bei Morris (der von Syntaktik spricht) der Gegenbegriff zur 3 Semantik und zur 3 Pragmatik und meint die Lehre von der grammatikalisch und formal richtigen Verbindung der Wörter in der Rede und im Satz oder, allgemeiner gefasst, der 3 Zeichen in einem Zeichensystem. C Morris: Foundation of the theory of signs, Ch 1938; R Carnap: Logische Syntax der Sprache, W 2 1968; J Simon: Philosophie und linguistische Theorie, B 1971; U Blau: Die dreiwertige Logik der Sprache, B 1978; G Grewendorf / F Hamm / W Sternefeld: Sprachliches Wissen, F 1987; N Chomsky: Syntactic structures, The Hague 13 1978; G Grewendorf: Sprache als Organ, F 1995.

Schöndorf Synthese (gr. Sy´nthesis: Zusammensetzung) ist allgemein die Verbindung von Mannigfaltigem oder Gegensätzlichem zu einem Ganzen, zu einer Einheit. In erster Linie steht die S. für eine Methode. Als solche ist sie der 3 Analyse entgegengesetzt und stellt deren notwendige, sachlich vorgängige Ergänzung dar. Nach der Wissenschaftslehre des Aristoteles führt die Analyse wissenschaftlich zu beurteilende Sätze auf die sie beweisenden Prämissen zurück. Die S. hingegen geht von sicheren Wissenschaftsprinzipien (Definitionen, Axiomen usw.) aus und deduziert aus ihnen Lehrsätze. In der aristotelischen Begriffsanalyse wird ein weniger allgemeiner Artbegriff in die in ihnen enthaltenen allgemeineren, höheren Gattungsbegriffe zerlegt, während der umgekehrte Weg der synthetischen Begriffsbildung vom Allgemeineren zum Konkreteren, von den Gattungen zur »korrekten« Definition der Arten führt. In der Tradition des Aristoteles geht auch für Thomas v Aquin und Kant die S. von den Prinzipien zu den Folgen oder vom Einfachen zum Zusammengesetzten – im Unterschied zur Analyse, die vom Bedingten und Begründeten zu den Prinzipien, den Gründen, voranschreitet. Bei Descartes besteht die »ganze Methode« in einer Zergliederung (Analyse) und Wiederzusammensetzung (S.), nämlich in der Reduktion zum Einfachen (der eingeborenen Seins- und Gotteserkenntnis) und der vom Einfachen ausgehenden Deduktion zum Komplexeren (der Materie und ihrer Modi). Nach Leibniz sind durch Analyse die ersten Notionen (Begriffe), einfachen Axiome und ersten Wahrheiten zu erstellen. Mit ihnen lassen sich dann durch S. im Sinne logischer Kombination bekannte Wahrheiten verständlich ausdrücken und neue Wahrheiten in ungeahntem Maße finden.

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System

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Neben einer Methode wird in der Neuzeit die S. auch eine wesentliche Ordnungsleistung des menschlichen Bewusstseins. So beruht für Kant die (synthetische) Einheit des in der sinnlichen Anschauung gegebenen Mannigfaltigen auf synthetischen Leistungen der Einbildungskraft, des Verstandes (mittels der Verstandeskategorien) und letztlich auch des transzendentalen Ichs, d. h. der transzendentalen Einheit des Selbstbewusstseins. Ähnlich liegen für Husserl, der in der S. ebenfalls das wesentliche Kennzeichen des Bewusstseins sieht, der Einheit des Selbstbewusstseins (des Gesamtlebens des Ichs) passive S.n des Wahrnehmungsbewusstseins und des ursprünglichen Zeitbewusstseins voraus. Eine eigene Bedeutung hat die S. in der hegelschen Dialektik, obschon Hegel selber den Ausdruck »S.« dafür nicht gebraucht. Beim dialektischen Gang des Absoluten wird in der S. der Gegensatz von These und Antithese in einer höheren Einheit vermittelt und aufgehoben. Dort, wo der Begriff der S. wegen seiner geistmetaphysischen und bewusstseinsphilosophischen Herkunft vermieden wird, wie in der analytischen Philosophie, treten an seine Stelle Bezeichnungen wie (Selbst-)Organisation, Koordination, Assimilation oder Integration von Elementen, Komponenten, Teilen und Teilsystemen. Umfassend lässt sich S. verstehen als die erkenntnismäßige und logische Verknüpfung von Bewusstseinsinhalten (zu Gegenständen, Sachverhalten oder auch zum Selbstbewusstsein), von Begriffen (zu komplexeren Begriffen oder zu Urteilen) und von (gegensätzlichen) Aussagen (zu komplexeren Aussagen, zu Theorien oder Weltanschauungen). L Oeing-Hanhoff: Analyse/S., in: J Ritter (Hg): Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 1 Sp. 232–248, Da 1971; L R Snyder: The development of cognitive synthesis in I. Kant and E. Husserl, Lewiston 1995.

Herzgsell Synthetisch 3 Analytisch System (gr. sy´stema: Zusammenstellung) findet sich als Begriff bereits bei Platon und Aristoteles sowie in der Stoa als Bezeichnung für eine Gesamtheit, die aus verschiedenen Bestandteilen besteht. In der Neuzeit wird vom Welts. des Weltalls bzw. der kosmologischen Theorien gesprochen. Leibniz bezeichnet die Darstellung seiner Theorien teilweise als S. (Système nouveau). Zu Beginn der Neuzeit wird die Mathematik und speziell die Geometrie Euklids zum Ideal der Wissenschaft und der Philosophie: ein vollständiger deduktiv-notwendiger Zusammenhang des Ganzen, der von einigen wenigen grundlegenden 3 Axiomen her mit logisch exakter und zwingender Beweisführung alle anderen Lehrsätze ableitet. Nunmehr gilt als ein S. im Idealfall ein derartiges zusammenhängendes einheitliches Lehrgebäude, das aus einem Grundprinzip (3 Prinzip) alle übrigen Thesen mit deduktiver Notwendigkeit (3 Deduktion) herleitet. Spinoza hat sein Hauptwerk, die »Ethica

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Systemtheorie

ordine geometrico demonstrata«, genau wie eine geometrische Abhandlung aufgebaut und durchgeführt und damit das Vorbild eines gleichsam perfekten philosophischen S.s geliefert (3 Spinozismus). Spätestens im 3 Deutschen Idealismus wird darum ein S. dieser oder ähnlicher Art, das alles von einem einzigen Prinzip aus deduziert, als Erfordernis jedes echten philosophischen Denkens erachtet, während eine Philosophie, die diese Anforderungen nicht erfüllt und nicht alles aus einem einzigen Ursprung herleitet, als 3 Eklektizismus oder Popularphilosophie kritisiert wird. Der Begriff S. kann aber nach wie vor auch in einem weiteren Sinn jede nach bestimmten Regeln zusammenhängende Vielheit von Elementen bezeichnen. Oft wird unter S. auch ein bewusstes Regelwerk verstanden, das zur methodischen Ordnung dienen oder ein methodisches Vorgehen regeln soll. Gödel hat gezeigt, dass ein mathematisch-logisches S. als solches für sich allein nicht seine Widerspruchsfreiheit garantieren kann (Gödel’scher Satz): 3 Beweis, 3 Logik, 3 Mathematik, 3 Menge, 3 Vollständigkeit. In der 3 S.theorie Luhmanns wird das gesellschaftliche Gesamts. in einzelne Unters.e untergliedert, die die verschiedenen Handlungs- und Lebensbereiche darstellen. Dabei gilt für das gesamte wie für jedes dieser einzelnen S.e, dass dem jeweiligen S. als Korrelat seine Umwelt entspricht. G W Leibniz: Système nouveau de la nature, 1695; E B de Condillac: Traité des systèmes, 1749; J H Lambert: Texte zur Systematologie und zur Theorie der wissenschaftlichen Erkenntnis; F W J Schelling: S. des transzendentalen Idealismus, 1800. – A Diemer (Hg): S. und Klassifikation in Wissenschaft und Dokumentation, Me 1968; D Henrich (Hg): Ist s.atische Philosophie möglich?, Bn 1977; H Rombach: Substanz, S., Struktur, F 1981; J Vuillemin: What are philosophical s.s?, C 1986; A Mues (Hg): Transzendentalphilosophie als S., HH 1989; H-D Klein (Hg): S.e im Denken der Gegenwart, Bn 1993.

Schöndorf Systemtheorie ist ein Zweig der Methodenlehre, der sich seit dem 16. Jahrhundert (Keckermann, Timpler) mit den 3 Systemen des Wissens befasst, d. h. mit Ganzheiten, deren (3 Teil-)Erkenntnisse durch eine einzige 3 Ordnungs3 Struktur zur 3 Einheit werden. Dazu gehören 3 Theorien über Wissenschaftssysteme, die wie die axiomatisch-deduktiven Systeme der 3 Logik und 3 Mathematik Begründungssysteme im Denken sein können oder aufgrund von Beobachtung mithilfe der 3 Induktion durchgeführte Systematisierungen von natürlichen Systemen wie der taxonomischen Ordnung von Lebewesen. Dazu kann das Bemühen von Rationalisten wie Descartes und Transzendentalphilosophen wie Kant, Fichte und Hegel gerechnet werden, die eigene Philosophie als allumfassendes System aus einem einzigen 3 Prinzip abzuleiten, um so dessen Wahrheit und Gewissheit zu garantieren. – In neuerer Zeit entstand eine generelle S., die alle wissenschaftlichen Verfahren

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Szientismus

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und alle Systeme strukturieren soll, z. B. in Verbindung mit 3 Kybernetik (Bertalanffy) oder Politik (Parsons, Luhmann). B Keckermann: Systema logicae tribus libris adornatum, 1600; C Timpler: Metaphysicae Systema methodicum, 1604; L v Bertalanffy: General System Theory, NY 1968; T Parsons: The System of Modern Societies, Englewood Cliffs 1971; N Luhmann: Soziale Systeme, F 1984. – O Ritschl: System und systematische Methode in der Geschichte des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs und der philosophischen Methodologie, Bn 1906; P Tillich: Das System der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden, 1923; H Rombach: Substanz, System, Struktur, M 1965 f.; A Diemer (Hg): System und Klassifikation in Wissenschaft und Dokumentation, Me 1968; J Habermas: Erkenntnis und Interesse, F 1968; G Klir: Facets of Systems Science, NY 1991.

Carls

Szientismus Unter S. (engl. science: Naturwissenschaft, von lat. scientia: Wissen, Wissenschaft; Adjektiv: szientistisch) versteht man eine philosophische Richtung, die nur die naturwissenschaftliche Methode und Erkenntnis gelten lässt. Der Begriff S. wurde vor allem von den Vertretern der Frankfurter Schule (3 Neomarxismus) im sogenannten Positivismusstreit, bei dem es um die sozialwissenschaftlichen Voraussetzungen und Methoden ging, als Kritik am 3 Positivismus und dem 3 Kritischen Rationalismus verwendet. Er kann aber allgemein auf alle philosophischen Theorien angewandt werden, die jede über die naturwissenschaftliche Empirie hinausgehende Methode und somit jede echt philosophische Erkenntnistheorie und Metaphysik ablehnen. 3 Naturalismus, 3 Reduktionismus. T W Adorno: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, 1969; J Passmore: Scientism and its critiques, Lo 1978; T Sorell: Scientism, Lo 1991; M Stenmark: Scientism, Aldershot 2001.

Schöndorf Tao 3 [15] Tapas 3 [5] Tapferkeit 3 Tugend Tathandlung Das Wort ist schon im 17. Jahrhundert belegt in der Bedeutung: durchgeführte Handlung (im Unterschied zur bloßen Absicht). Goethe verwendet es im Sinne von kraftvoll wirksamer Tat (z. B. im »Götz von Berlichingen«, V 4). Als philosophischer Begriff wird er von Fichte eingeführt. Seine Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794) beginnt mit den Worten (§ 1): »Wir haben den absolut-ersten, schlechthin unbedingten Grundsatz alles menschlichen Wissens aufzusuchen […] Er soll diejenige T. ausdrücken, die unter den empirischen Bestimmungen unseres Bewußtseins nicht vorkommt, noch vorkommen kann, sondern vielmehr allem Bewußtsein zum Grunde liegt, und allein es möglich macht«. Allem Bewusstsein liegt nämlich ein letztes Bei-sich-Sein zugrunde, das nicht nur Faktum, nicht

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Tatsache

nur »Tatsache« sein kann, sondern voraussetzungslos unbedingter Vollzug sein muss, eine »Handlung« also, deren »Tat«-Ergebnis mit seiner Hervorbringung identisch ist und deswegen »T.« heißt (§ 1, 6 c). Fichte knüpft mit diesem Begriff an die Philosophie Kants an, sucht aber zugleich deren Dualismus zwischen theoretischer und praktischer Vernunft zu überwinden. Denn die dem moralischen Handeln eigene Unbedingtheitsgewissheit muss ebenso die Letztbegründung des Wissens aus einem in sich stehenden Selbstvollzug sein, dessen Intelligibilität die Moral zugleich von der Fundierung in einem bloßen »Faktum« befreit. »Der unmittelbare Ausdruck der jetzt entwickelten T. wäre folgende Formel: Ich bin schlechthin, d. i. ich bin schlechthin, weil ich bin; und bin schlechthin, was ich bin; beides für das Ich« (§ 1, 10). Fichte hat an diesem Begriff in seinen späteren Schriften festgehalten, auch wenn er die innere Absolutheit der T. deutlicher als das Woraufhin der radikalen Selbsttranszendenz des Ich akzentuiert, aus dem es sich zugleich begründet (vgl. Wissenschaftslehre 1804, XIII. Vortrag). Schelling greift den Begriff »T.« auf, deutet ihn allerdings so, dass Fichte mit ihm nur das sich aus dem Absoluten lösende Selbstsein des Endlichen zum Ausdruck gebracht habe (Philosophie und Religion, Werke I/6, 42). Schiller lehnt sich an Fichte an, indem er mit diesem Begriff die unsere Gegenstandserkenntnis ermöglichende Absolutheit des menschlichen Geistes bezeichnet (Die ästhetische Erziehung des Menschen, Brief XIX). In Frankreich dürfte dem Potential dieses Begriffs am nächsten M Blondel gekommen sein (L’action 1893). Artikel T. in: HWPh, EnzPhW; J G Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre 1794, I, § 1; W Janke: Fichte, B 1970, 69–83: W Class / A K Soller: Kommentar zu Fichtes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, A 2004; R Schäfer: J. G. Fichtes ›Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‹ von 1794, Da 2006, 19–39.

Schmidt Tätigkeit 3 Wirken Tatsache / Faktum Eine T. (engl. matter of fact; fr. fait) oder ein F. ist, wie die Bezeichnung bereits ausdrückt, das Ergebnis eines Tuns oder Wirkens. Insofern drückt der Terminus T. / F. besser als der weithin bedeutungsgleiche Ausdruck 3 Sachverhalt aus, dass einer T. ein Geschehen vorausgeht, als dessen Wirkung sie zu erklären ist. Während man aber auch einen Wesenszusammenhang einen Sachverhalt nennen kann, ist es weniger angebracht, ihn eine T. zu nennen, es sei denn, man will betonen, dass es sich dabei nicht um eine bloße Behauptung, Hypothese oder Konstruktion, sondern um eine wirkliche Gegebenheit handelt, an der nicht zu rütteln ist. Dieser Aspekt des Wortes T. kommt in dem scholastischen Spruch »Contra facta non valet argumentum« (Gegen T.n lässt sich nicht argumentieren) zum Ausdruck. Einer T. ist die Notwendigkeit zu eigen, dass etwas, was geschehen ist, auch von Gott nicht ungeschehen gemacht werden kann. T.n werden in Aussagesätzen

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Tautologie

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zur Sprache gebracht und sind immer konkret. T.n sind kontingent und darum nicht logisch deduzierbar. Leibniz unterscheidet die kontingenten T.nwahrheiten (vérités de fait) von den notwendigen Vernunftwahrheiten (vérités de raison). Ähnlich unterscheidet Hume zwischen T.n (matters of fact) und Ideenbeziehungen (relations of ideas). Kant unterscheidet zu Beginn seiner Transzendentalen Deduktion wie bei einem Prozess zwischen dem »quid iuris« (»Frage über das, was Rechtens ist«) und dem »quid facti« (»die die T. angeht«), also der rechtlichen Würdigung und der Tatbestandsfeststellung (KrV B 116). In Vicos Satz »Verum est factum« (Das Wahre ist das F.) meint factum nicht die Tatsächlichkeit, sondern das von uns Gemachte, Hervorgebrachte. Vico will sagen, dass wir nur das wirklich erkennen können, was wir selbst gemacht haben, weil wir das Wirken der Natur im Gegensatz zu unserem eigenen Tun nicht zu durchschauen vermögen. Das Problem des factum brutum (der nackten, reinen T.) besteht darin, dass wir zwar einerseits soweit wie möglich auf die Fakten zurückgehen müssen, um uns vor Fehlinterpretationen und Vorurteilen zu hüten, dass es aber andererseits ein reines F. nur als Grenzbegriff gibt, da wir ein F. nur insoweit in unserer Erkenntnis verarbeiten können, als wir es verstehen, und das heißt, als wir es in das Gesamt unseres Erkennens und Wissens einfügen können. Faktizität ist ein von Heidegger geprägter Ausdruck, um die nicht herleitbare Kontingenz (Geworfenheit) unserer Existenz auszudrücken. Er wird seitdem auch als Synonym für kontingente Tatsächlichkeit benützt. M Heidegger: Sein und Zeit §§ 12; 29. – N Goodman: T., Fiktion, Voraussage, F 1988; J Habermas: Faktizität und Geltung, F 2 1992; H J Sandkühler (Hg): Theorien, Modelle und T.n, F 1994; M Flügel (Hg): Werte und Fakten, Be 1999; S Neale: Facing facts, O 2001; G Schönrich (Hg): Normativität und Faktizität, Dd 2004; J Benoist (Hg): Propositions et états de choses, P 2006.

Schöndorf Täuschung 3 Irrtum 3 Schein Tautologie (gr. tauto: dasselbe und legein: sagen) im strengen Sinne ist jede generelle 3 Aussage, in welcher der Subjektbegriff inhaltlich und nicht nur der Sache nach dasselbe sagt wie der Prädikatbegriff. Eine T. drückt eine notwendige und formale 3 Gleichheit des Begriffsinhalts im Subjekt mit dem des Prädikats aus und ist deshalb eine analytische Aussage, was gewöhnlich nicht umgekehrt gilt. – T.n im weiteren Sinne sind in der modernen 3 Logik die logischen Gesetze, d. h. solche komplexen Aussagen, die bei jeder beliebigen Wahl der in sie eingehenden Teilaussagen, Begriffe usw. immer den Wahrheitswert wahr ergeben (3 Wahrheitstafeln). – Schließlich kann man abwertend von »tautologisch« sprechen, wenn jemand verschiedene Worte verwendet, um einen verschiedenen Sinn vorzutäuschen. Carls

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Technik

Technik kommt vom gr. Wort téchne, das Kunst(-fertigkeit) bedeutet, und meint ursprünglich jede Art von Methode oder Fertigkeit, um etwas Bestimmtes zu bewerkstelligen. Oft hat das Wort aber in der heutigen Sprache einen spezielleren Sinn und meint die praktische Anwendung naturwissenschaftlicher Erkenntnis mit Hilfe von Maschinen zur Produktion von Gütern oder zur Erreichung anderer Ziele. Der heute oft zu hörende Ausdruck Technologie stammt aus dem Englischen und ist ein Synonym von T. in dieser zweiten Bedeutung. F Bacon vertritt in der frühen Moderne das Programm einer systematischen experimentellen Naturforschung, um sich durch die so erlangten Kenntnisse die Natur dienstbar machen zu können. Für den 3 Marxismus nimmt die T. der Produktion und des Austauschs von Waren eine Schlüsselrolle in der Gesellschaft ein. Von Kapp stammt der Begriff der T.philosophie, in der die T. als Werkzeug des Menschen interpretiert wird. Für Dessauer steht die T. im Dienst des Menschen, und Scheler befasst sich mit ihrer sozialen Dimension. Es melden sich aber auch kritische Stimmen, die auf die durch die T. erfolgende Zerstörung der Natur und Sinnentleerung des menschlichen Lebens hinweisen. Für Heidegger ist die T. eine seinsgeschichtliche Ausprägung des Seinsverständnisses des Menschen, die er »Gestell« nennt, da sie Ausdruck der bemächtigenden Haltung des Menschen gegenüber dem Sein ist. Der Neomarxismus verweist auf die in der T. liegenden Momente der Entfremdung des Menschen. Aber auch andere Denker widmen sich der T.bewertung in der heutigen Gesellschaft und der T.folgenabschätzung, die meist in interdisziplinärer Zusammenarbeit geschieht. Grundsätzlich gilt für die T. dasselbe wie für jedes Mittel und Werkzeug: Sie hat voll und ganz im Dienst der Sache und des Menschen zu stehen und darf ihn nicht unterjochen oder versklaven. Ihre Aufgabe ist es, Wirtschaft und Gesellschaft menschenfreundlicher und menschenwürdiger zu gestalten, ohne dabei die Natur in unverantwortlicher Weise auszubeuten oder soziale, gesundheitliche oder andere Missstände zu verursachen. M Heidegger: Die T. und die Kehre; H Lenk: Zur Sozialphilosophie der T., F 1982; H Lenk / G Ropohl (Hg): T. und Ethik, St 2 1993; H Lenk / M Maring (Hg): T.ethik und Wirtschaftsethik, Opladen 1998; A Gethmann-Siefert (Hg): Philosophie und T., M 2000; C Hubig (Hg): Nachdenken über T., B 2000; T Zoglauer (Hg): T.philosophie, Fr 2002; G Böhme (Hg): Kritische Theorie der T. und der Natur, M 2003; M A Gallee: Bausteine einer abduktiven Wissenschafts- und T.philosophie, Ms 2003; P Fischer: Philosophie der T., M 2004; K Kornwachs (Hg): T. – System – Verantwortung, Ms 2004; G Schiemann: Natur, T., Geist, B 2005; R C Hillerbrand: T., Ökologie und Ethik, Pb 2006; K Gabriel (Hg): T., Globalisierung und Religion, Fr 2008.

Schöndorf

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Teil

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Teil Ein T. (gr. méros) muss korrelativ zu einem Ganzen (G.) im weitesten Sinne (G.heit) verstanden werden, welches aus oft verschiedenartigen T.en besteht und get.t werden kann (T.barkeit). Der oft heterogene T. eines 3 natürlichen oder kulturellen G., z. B. die Hand eines 3 Organismus oder das Leitmotiv einer Symphonie, ist nur T., solange er aktuell im G. ist. Im Gegensatz zu den 3 Eigenschaften und dem 3 Wirken des G. kann er zwar getrennt vom G. existieren, aber hat nur im G. die ihm eigentümliche T.funktion, die beim Wirken des G. vorausgesetzt wird. Die Hand als greifender Körpert. ist abgetrennt vom Organismus nur im abgeleiteten Sinne Hand, wie die Hand einer Skulptur. T.e im weiteren Sinn sind die Elemente und Unterabteilungen einer kollektiven Gesamtheit, z. B. ein Schaf oder die Schafböcke einer Herde, die unt.baren Atome oder Abschnitte eines 3 Kontinuums, z. B. die Punkte, Strecken und Flächen des Raums, und die 3 konkreten 3 Quantitäten einer Stoffgesamtheit, z. B. die Teiche in Bezug auf das Wasser. – Sofern man eine Gattung (3 Menge) als Ganzes auffasst, können auch die zu ihr gehörenden Individuen und 3 Arten (T.klassen) als T.e betrachtet werden. – Mereologie ist ein Logiksystem, in dem im Sinne des 3 Nominalismus (und 3 Atomismus) die logischen Beziehungen eines konkreten Individuums bzw. einer Art (T.klasse) zur Gattung (Gesamtklasse) ersetzt werden durch die transitive Beziehung unt.barer Atome (Elemente) bzw. konkreter T.e (Unterabteilungen, Abschnitte, Quantitäten) zu einer umfassenderen Gesamtheit kollektiver, kontinuierlicher oder stofflicher Beschaffenheit (Les´niewski). S Les´niewski: Podstawy ogólnej teoryi mnogos´ci I, 1916. – R A Eberle: Nominalistic Systems, Dordrecht 1970; N Goodman: Problems and Projects, Indianapolis 1972; B Smith (Hg): Parts and Moments, M 1982; P Simons: Parts, Ox 1987; D K Lewis: Parts of Classes, Ox 1991; D P Henry: Medieval Mereology, Amsterdam 1991.

Carls Teilbarkeit Die T., die reale Trennbarkeit oder nur gedankliche Zerlegbarkeit eines Ganzen (G.) in eine 3 Vielheit von Teilen sein kann, führt zu verschieden Auffassungen, z. B. zur problematischen unendlichen Zerlegbarkeit z. B. eines 3 Kontinuums (Zenons Paradoxien, Kants 3 Antinomien) oder zur Annahme unteilbarer Atome z. B. eines (materiellen) 3 Körpers (Leukipps und Demokrits 3 Atomismus) oder zur Aufteilung der 3 Realität in eine vielfältige teilbare Körperwelt und eine Sphäre unteilbarer 3 Ideen (Platons 3 Dualismus) oder zur Annahme von Ganzheiten als 3 Einheiten, die nicht aufgrund ihrer T. verstanden und nicht auf diese zurückgeführt werden können (Aristoteles 3 Holismus). – Eine Trennbarkeit liegt bei Gesamtheiten kollektiver und stofflicher Beschaffenheit vor, z. B. bei Schafherden und Wasserquantitäten. Wird von einem realen natürlichen oder kulturellen G. ein Teil abgetrennt, hat dies zur Folge, dass das G. entweder nicht mehr ganz ist oder

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Teilhabe

zerstört wird und dass das Abgetrennte seine Teilfunktion verliert. – Eine gedankliche T. liegt bei kontinuierlichen oder mathematischen G., z. B. bei Strecken, Zeitperioden, 3 Mengen oder 3 Zahlen vor und bei ihrer Zerlegung in integrierende Teile, die gleichermaßen beschaffen sind wie das G. Die Zerlegung eines kontinuierlichen G. nach einem festen Maß, z. B. nach dem Urmeter in Paris, ergibt auszählbare Teile. Man erhält proportionale Teile, wenn man immer wieder nach demselben Verhältnis zerlegt, z. B. durch Halbierung. Eine gedankliche T. liegt auch bei der 3 Einteilung der Gattungen (3 Klassen) in 3 Arten (Teilklassen) vor. – Dagegen sollte man bei einem durch Wesensprinzipien wie Materie und Form konstituierten konkreten Einzelnen nicht von T., sondern von Unterscheidbarkeit dieser Wesenst. sprechen. Carls Teilhabe oder Teilnahme, Partizipation (gr. méthexis, lat. participatio) ist ein Grundbegriff der Philosophie Platons. Nach dieser Lehre ist das eigentliche Wesen der Dinge vollkommen in den 3 Ideen verwirklicht, während die sinnlich wahrnehmbaren Dinge nur unvollkommene Abbilder darstellen, die in mehr oder weniger großem Maß etwas von diesen Ideen besitzen, also an ihnen t.n. Der Gedanke der T. gelangt über den Neuplatonismus in das Denken von Augustinus, für den die geschaffenen Dinge in ihrem Sein an den Ideen im göttlichen Verstand t.n. Diese T. geschieht in unterschiedlichen Graden. Diese Auffassung wird auch von Thomas v Aquin übernommen. Für ihn nehmen alle geschaffenen Seienden am göttlichen Sein teil, jedoch nicht in der Weise des 3 Pantheismus, sondern insofern ihnen 3 Gott durch die 3 Schöpfung einen größeren oder geringeren Anteil am 3 Sein gibt und auf diese Weise eine mehr oder weniger große Gottähnlichkeit schenkt. Während Gott mit dem Sein überhaupt identisch ist, haben die Geschöpfe aufgrund der unterschiedlichen T. nur einen jeweils bestimmten und begrenzten Grad an Sein. Das T.verhältnis gilt auch in den Beziehungen zwischen Gattung, Art und Individuum, von denen das jeweils Untergeordnete nicht die ganze Fülle der jeweils übergeordneten Natur verwirklicht. Die T. bedeutet einen Rangunterschied zwischen dem Ursprünglich(er)en und dem, was an ihm nur teilhat, da es das, woran es teilhat, nur in einem unvollkommenen und geringeren Maß verwirklicht und ihm somit nicht gleich, sondern nur ähnlich ist. T. (meist als Partizipation bezeichnet) ist auch ein demokratietheoretischer Terminus und meint die Tatsache oder Forderung, dass alle Betroffenen oder zumindest die daran Interessierten an den sie angehenden politischen Entscheidungen auf unmittelbare oder mittelbare Weise beteiligt sind oder sein sollten. Dahinter steht der Grundgedanke der Demokratie, dass das Volk die Herrschaft über sich selbst ausübt (3 Autonomie). Das Minimum der Möglichkeit dieser Partizipation besteht im Wahlrecht; inwieweit es darüber hinausgehende Möglichkeiten wie Referenden, Volksbegehren, wirtschaftliche Mitbestimmungsrechte u. dgl. m. geben soll, ist umstritten.

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Teleologie

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Platon: Phaidon; Sophistes; T v Aquin: STh I 3, 4 c; 44, 1 c; 75, 5 ad 4; I–II 52, 1 c. – L-B Geiger: La participation dans la philosophie de s. Thomas d’Aquin, P 2 1953; C Fabro: Partecipazione e causalità secondo San Tommaso D’Aquino, To 1960; La nozione metafisica di partecipazione secondo S. Tommaso d’Aquino, To 3 1963; W Weier: Sinn und T., S 1970; R A te Velde: Participation and substantiality in Thomas Aquinas, Lei 1995; M Thomas: Der T.gedanke in den Schriften und Predigten des Nikolaus von Kues, Ms 1996; B Kornelius (Hg): Politische Partizipation in Deutschland, Bn 2004.

Schöndorf Teilnahme 3 Teilhabe Telästhesie 3 Esoterik Telekinese 3 Esoterik Teleologie / Finalität (gr. télos bzw. lat. finis: Ende, Ziel, Zweck; und lógos: Lehre) ist die Lehre von der Zielgerichtetheit von Vorgängen, auch die Eigenschaft von Dingen, die Zwecken dienen (Zweckmäßigkeit) oder Ziele verfolgen (Zielstrebigkeit). 1. Zweckmäßigkeit: Es gibt Dinge, denen man ansieht, dass sie Zwecken dienen. Dazu gehören die technischen Artefakte wie z. B. Werkzeuge. Sie können nicht definiert werden ohne Angabe ihres Zwecks. Ihr Zweck ist es, Mittel zu sein für Zwecke eines Anderen. Sie können zudem nicht durch bloße Mechanismen (»von selbst«) entstehen, d. h. allein aufgrund physikalisch-chemischer Gesetze. Sie setzen darum Einsicht und Absicht eines externen Akteurs voraus. In Grenzfällen kann z. B. ein Archäologe im Zweifel sein, ob ein ausgegrabener Gegenstand zweckmäßig und somit ein technisches Artefakt ist (z. B. im Fall von Geröllgeräten). Sobald er aber realisiert, dass es schwerlich einen geologischen Mechanismus gibt, der einseitig abgeschlagene Gerölle einheitlicher Größe herstellen und auf wenigen Quadratmetern fern von Flüssen versammeln kann, verfliegen seine Zweifel. Obwohl technische Artefakte nicht allein aufgrund physikalisch-chemischer Gesetze entstehen können, gibt es keine Maschinen oder Apparate, deren Funktionieren diesen Gesetzen widerspräche. Nun gibt es auch natürliche Dinge, denen man ansieht, dass sie Zwecken dienen, z. B. der Vogelflügel. Er dient dem Auftrieb, Vortrieb und der Steuerung des Vogelflugs. Lebewesen sind geradezu vollgestopft mit zweckmäßigen Strukturen vom Makroskopischen bis hinunter ins Mikroskopische und Molekulare. Die Grenze zum nicht mehr Zweckmäßigen bilden Makromoleküle (z. B. Enzyme oder die DNA). Die Fülle zweckmäßiger Strukturen im Lebendigen schließt nicht aus, dass es daneben auch nicht-zweckmäßige oder gar unzweckmäßige Strukturen geben kann. Der Zweck dieser zweckmäßigen Strukturen ist nicht mehr der Zweck eines Anderen, sondern dient dem Zweck des Lebewesens als ganzem (seiner Selbstentfaltung und Selbstver-

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Teleologie

mehrung). Auch von den organischen zweckmäßigen Strukturen gilt, dass sie perfekt nach physikalisch-chemischen Gesetzen funktionieren. Auffällig ist nun, dass es unabhängig von Lebewesen im rein anorganischen Bereich der Natur nicht die Spur zweckmäßiger Strukturen gibt. Man kann höchstens von der Tauglichkeit anorganischer Dinge für Zwecke der lebendigen Natur sprechen, z. B. des Wassers als Lösungsmittel. Diese auffällige Grenze legt die Vermutung nahe, dass es im organischen Bereich Ursachen geben muss, in deren Natur es liegt, zweckmäßige Strukturen hervorzubringen, Ursachen, die es so im anorganischen Bereich nicht gibt. Diese Vermutung widerspricht ganz und gar dem neuzeitlichen Dogma, wonach in der Natur alle Prozesse auf physikalisch-chemische Gesetze oder (konkreter) auf 3 Mechanismen zurückgeführt werden müssen, z. B. auf Darwins Mechanismus von 3 Zufall und Selektion. Dieser Mechanismus war und ist in der Evolution tatsächlich wirksam, allerdings nur als Optimierungsmechanismus – Optimierung schon vorhandener zweckmäßiger Strukturen. Wie die technischen zweckmäßigen Strukturen setzt auch die Entstehung der organischen Einsicht und Absicht voraus, was zum sogenannten teleologischen Gottesbeweis führt (design argument, STh I, q2, a3). Dieser Schluss ist im Prinzip richtig, kommt aber vermutlich zu früh. Es muss immanente Quellen der natürlichen T. geben, nämlich 2. Zielstrebigkeit: Wer Pflanzen und Tiere pflegt, spricht spontan und selbstverständlich von Bedürfnissen und Interessen der Pflanzen und Tiere (auch professionelle Biologen tun das in unbedachten Momenten). Lebewesen streben offensichtlich danach, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Ist das Ziel erreicht, hört das Streben auf und wandelt sich zum »Genießen« des erreichten Ziels. Auf dem Weg zum Ziel bedienen sie sich ihrer zweckmäßigen Organe (z. B. Sinnesorgane, Bewegungsorgane); höhere Tiere erfinden sogar Werkzeuge, um schneller oder überhaupt erst zum Ziel zu gelangen. Das Besondere der organischen Zweckmäßigkeit liegt nun darin, dass die Lebewesen ihre makro- und mikroskopischen Werkzeuge zum allergrößten Teil in der Individualentwicklung (Ontogenese) erst herstellen müssen. Es muss eine dem Lebewesen immanente Quelle der Zweckmäßigkeit geben, eine causa finalis, in der Tradition häufig Seele oder Entelechie genannt, eine arteigene, räumlich nicht fixierbare Steuerungsinstanz, die schon vorhandene materielle Werkzeuge und Mechanismen so steuert, dass diese weitere und neue Werkzeuge und Mechanismen hervorbringen, bis schließlich die volle organische Gestalt steht. Die realen Mechanismen sind Wirkursachen (causae efficientes) unter dem Einfluss einer causa finalis. Diese hat den Charakter einer aktiven Potenz, die etwas Reales ist und nicht nur bloße Möglichkeit (3 Natur). Vor allem ist sie keine unspezifische, generelle »Vitalkraft«, wie gewisse Vitalisten sich das vorstellten (sozusagen eine fünfte Kraft neben den vier physikalischen Grundkräften). Denkt man sich die Entelechie als ursprüngliche Ganzheit des Lebewesens, lässt sich die Ontogenese als dessen

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Selbstentfaltung begreifen: Das Selbst, die ursprüngliche, unräumlich gegebene Ganzheit, entfaltet sich in Raum und Zeit hinein, dies im Gegensatz zur Selbstorganisation, in der die Teile das Selbst, das Ganze, organisieren. Was entsteht, ist ein hochkomplexes System, eine nachträgliche Ganzheit, im Gegensatz zu einer Substanz, einer ursprünglichen Ganzheit. Sollte der Gedanke einer ursprünglichen Ganzheit zutreffen, würde es einsichtiger, warum z. B. der reale Unterschied zwischen den Schimpansen und den Menschen trotz aller Gemeinsamkeit so enorm ist, obwohl das Genom beider, die angeblich oberste Steuerinstanz, weitgehend identisch ist. Das Genom ist eben nur ein Werkzeug zum Aufbau weiterer Werkzeuge in der Hand der ursprünglichen Ganzheit, die etwas wirklich Neues ist und nicht nur eine Variante des schon Vorhandenen. Nachträgliche Ganzheiten (Systeme) entstehen schrittweise durch Zusammenbau aus Teilen. Eine ursprüngliche Ganzheit kann nicht durch Zusammensetzung entstehen, sonst wäre sie nicht mehr ursprünglich. Sie muss als Ganzes geschaffen werden. Diese »Schaffung« oder Schöpfung (letztlich durch Gott) ist etwas, was jederzeit abläuft (genau wie die Evolution), und nicht bloß etwas, was in der Vergangenheit geschah. 3. Teleonomie: Die Übertragung menschlichen Strebens und der Wirkungsweise mentaler Ursachen auf die Entwicklung und das Verhalten von Pflanzen und Tieren ohne geistige Einsicht und Fähigkeit zur Selbstbestimmung gilt schon lange als naiv anthropomorph. Wer aber diese Art von Anthropomorphismus ablehnt, fällt meist in einen »Technomorphismus«; er spricht von Mechanismen, Maschinen etc. Ob dieser »objektiver« ist als jener, sei dahingestellt. Die moderne Biologie abstrahiert methodisch von jeder causa finalis. Das ist ihr gutes Recht. Problematisch wird die Sache erst, wenn aus der Abstraktion eine Negation wird. Nimmt man diese ernst und eliminiert man auch radikal jede teleologische Redeweise, lassen sich die Resultate der Biologie kaum mehr vermitteln. Aus diesem Dilemma soll uns die Mechanisierung der Teleologie zur Teleonomie retten. Flugzeugabwehrraketen streben offensichtlich danach, das feindliche Flugzeug trotz aller Ausweichmanöver einzuholen und zu zerstören. Aber das Streben der Raketen ist nur simuliert. Dass es nicht echt ist, wissen wir, weil wir die Rakete gebaut haben. Dass Lebewesen wirklich streben, wissen wir, weil auch wir Lebewesen sind und uns als Strebende erfahren, und zwar bevor wir uns überlegt konkrete Ziele setzen. Simuliertes Streben lässt sich technisch herstellen durch eine Kombination von entsprechenden Sensoren, Regelkreisen (feed backs), Programmen und einer Koppelung von exergonisch (von selbst ablaufenden) mit endergonisch (nur gezwungen) ablaufenden Prozessen. All das gibt es auch in den Organismen in hohem Maß, aber eben nicht nur. In der teleonomischen Perspektive gibt es mindestens noch zwei völlig ungelöste Probleme: Wie entstand das erste Programm (mit einer minimalen Hardware), das nun fortan durch beliebige Ursachen variiert werden kann? Und wie kamen das erste Programm und sein Produkt dazu, sich gegen zerstörerische entropische Ten-

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Theismus

denzen der Umgebung zu behaupten und sich vermehren zu »wollen«? Wenn es nichts will (wie mein Computer), wenn ihm folglich alles gleichgültig ist wie einem Stein, was mit ihm passiert, gibt es keinen Wettbewerb zwischen den zufällig entstandenen Varianten des ursprünglichen Programms. Gibt es aber keinen Wettbewerb, dann auch keine Selektion eines Erfolgreicheren, damit aber auch keine Evolution im herkömmlichen Sinn. 4. T. im anorganischen Bereich: T. ist eine Seinseigenschaft. Es muss sie in allen Bereichen der Wirklichkeit geben. In der Tat gibt es auch im anorganischen Bereich so etwas wie Tendenz oder Streben: Alle Systeme tendieren zu Zuständen geringster freier Energie, soweit ihre Umgebung dies zulässt. Da diese Tendenz unspezifisch ist – die gleiche für alle Systeme vom Atom bis zur Galaxie –, ist es schwierig zu sagen, welche Systeme als ursprüngliche Ganzheiten anzusprechen sind. Aristoteles: Physik II; T v Aquin: ScG III 2–9, 18–24; I Kant: KU § 61–85; N Hartmann: Teleologisches Denken, B 1951. – E Mayr: Evolution und die Vielfalt des Lebens, B 1979; R Löw: Philosophie des Lebendigen, F 1980; E-M Engels: Die T. des Lebendigen, B 1982; W Stegmüller: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und der Analytischen Philosophie I, B 2 1983; R Spaemann / R Löw: Die Frage Wozu?, M 2 1985; A Rosenberg: Structure of Biological Science, C 1985; N Rescher: Current issues in teleology, Lanham 1986; P Erbrich: Zufall, St 1988; H Jonas: Das Prinzip Leben, F 2 1994; J-E Pleines: T., Wü 1994; P Weingartner (Hg): Evolution als Schöpfung?, St 2001.

Erbrich Teleonomie 3 Teleologie Telepathie 3 Esoterik Telephysik 3 Esoterik Telos 3 Ziel Tendenz 3 Streben Term, Terminus 3 Begriff Terminismus 3 Nominalismus Terminologie 3 Methode 3 Wissenschaft Terminus medius 3 Schluss Tertii, Principium exclusi 3 Dritten, Satz vom ausgeschlossenen Tertium non datur 3 Dritten, Satz vom ausgeschlossenen Theismus (gr. theos: Gott) In seiner ursprünglichen und weitesten Bedeutung ist der im 17. Jahrhundert aufgekommene Begriff des T. als Glaube an die Existenz einer göttlichen Instanz dem des 3 Atheismus entgegengesetzt und kann den Monotheismus (Eingottglaube), Polytheismus (Vielgötterglaube) und Pantheismus (Glaube, das All sei Gott) einschließen. Im engeren Sinn hebt sich der T. vom Pantheismus, der göttliche und weltliche Wirklichkeit in eins setzt, insofern deutlich ab, als er Gott personal und transzendent denkt und sich daher für ihn Gott substantiell von der Welt unterscheidet. Im engs-

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Theodizee

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ten Sinn fällt der T. mit dem Monotheismus zusammen und stellt den Glauben an einen persönlichen, weltüberlegenen Schöpfergott dar, der die Welt aus dem Nichts ins Dasein gerufen hat und mit seiner Vorsehung erhält und lenkt. Während es nach dem Monotheismus, wie ihn Judentum, Christentum und Islam vertreten, nur einen Gott gibt und geben kann, glaubt man in polytheistischen Religionen an ein Götterpantheon meist mit einer höchsten Gottheit oder verehrt wie in der Monolatrie (bzw. im Henot.) als Spielart des Polytheismus nur einen der vielen Götter (als Hauptgott). Obwohl der T. anfänglich dasselbe wie der 3 Deismus bedeutete, unterscheidet er sich von ihm nach heutigem Sprachgebrauch durch die Überzeugung, dass Gott die Welt nicht nur erschaffen hat, sondern sie auch erhält und in ihr mitwirkt sowie auf übernatürliche Weise in sie eingreift, sich in ihr offenbart und sie zu einem letzten Ziel führt. J J C Smart / J J Haldane: Atheism and theism, O 1996; A G de la Sienra: The rationality of theism, A 2000.

Herzgsell Theodizee (theós: Gott und díke: Recht, Rechtsstreit) ist ein von Leibniz geprägter Begriff für die Frage nach der Rechtfertigung Gottes – oder genauer: unseres Redens von Gott, angesichts der 3 Übel (3 Leiden, 3 Böses) in der Welt. Sie stellt sich noch nicht einem Polytheismus (wie etwa dem griechischen), in welchem die Götter entsprechend ihrer Unterschiedenheit und ihres Antagonismus auf Welt und Menschen einwirken und im Übrigen selbst dem Schicksal unterworfen sind, sondern erst, allerdings dann sofort, mit dem Begriff einer einzigen, absolut guten, die Welt begründenden göttlichen Macht. Bei Platon taucht das Thema im Zusammenhang seiner religionskritisch gewendeten Reinigung der Gottesvorstellung auf (Politeia 377– 383, auch der Begriff »3 Theologie« wird hier geprägt): »Gott ist gut«, und von ihm kann nichts Schlechtes (Kakón) kommen (379). Das moralisch Schlechte, das Böse, kommt aus dem Menschen. Im Mythos von der Lebenswahl heißt es: »Die Schuld liegt bei dem, der gewählt hat. Gott ist schuldlos« (617e). Wer dem Guten folgt, darf sich auch von dessen göttlicher Macht getragen wissen. Dies hält Sokrates seinen Richtern entgegen (Apol 41c,d). Doch wie kann es zum Bösen kommen? Eine mögliche Antwort ist: durch einen »Aufstand« innerhalb der Seele gegen ihre eigene Ordnung (Politeia 444a–e) oder der Einzelseele gegen das Zusammenleben im Staat (545c–e) oder der Staaten gegeneinander (470b). Doch ist das Böse auch immer »Irrtum« (Menon 77a, ff.), und nicht nur die falsche Lebenswahl wird als Grund genannt, sondern auch ein schicksalhafter, vorweltlicher Sturz (Phaidros 248). Zudem mag die Welt hier und da aus den göttlichen Händen gegeben und sich selbst überlassen werden (Politikos 272 ff.). Doch die Disposition zu allen Übeln ist schon in der Materialität (d. h. der Begrenztheit) des Kosmos enthalten, obwohl er als »das Schönste unter dem Gewordenen« (Timaios

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29a) gleichsam die beste aller möglichen Welten ist. Damit ist in Umrissen die klassische T. entworfen. Die machtvolle göttliche Gutheit als sinnstiftender Maßstab sittlicher Ausrichtung wird festgehalten und zugleich eine Antwort auf die Frage nach dem Woher des mit jener Gutheit vereinbaren faktischen Übels (eher gesucht als eindeutig) gegeben im Sinn einer Mischung schicksalhafter und freiheitsbezogener Momente in dieser Welt. Der Neuplatonismus integriert diese T. in eine umfassende Abstiegs- und Aufstiegsontologie und prägt für das Übel und das Böse den Begriff: »privatio boni«, d. h. Mangel am oder Verneinung des (immer vorgeordneten) Guten. Im monistischen System der Stoa (Gott und Kosmos, Schicksal und Vorsehung, Gesetz der Natur und der Vernunft sind praktisch Synonyme) wird die T. ein besonders dringliches Thema. Viele ihrer Argumente werden in die christliche Literatur übernommen: Das moralische Übel fällt in die Verantwortung des Menschen. Es schlägt auf ihn zurück, macht aber als Gegensatz zum Guten dieses nur deutlicher, und was die physischen Übel betrifft, so müssen sie als Begleiterscheinungen der kosmischen Abläufe gesehen werden. Dem Tugendhaften sind sie Bewährungsprobe, dem Schlechten Strafe und Möglichkeit zur Besserung. Insgesamt dienen sie der Ästhetik des Gesamtkosmos. Epikur hat gegen diese T. einen Einwand erhoben, den uns der Christ Laktanz überliefert: »Der Gott will entweder die Übel abschaffen und kann es nicht, oder er kann und will es nicht, oder er will es nicht und kann es nicht, oder er will und kann. Wenn er will und nicht kann, ist er schwach, was auf Gott nicht zutrifft. Wenn er kann und nicht will, ist er neidisch, was dem Gott gleichermaßen fremd ist. Wenn er weder will noch kann, ist er neidisch und schwach, also auch kein Gott. Wenn er will und kann, was allein dem Gott zukommt, woher stammen dann die Übel und warum schafft er sie nicht ab?« (de ira dei, PL 7, 121). Damit hat Epikur deutlich gemacht, dass der Gottesbegriff an der Einheit von Macht und Gutheit hängt. Das faktische Übel aber scheint ihn aufzulösen. Allerdings setzt diese Auflösung eine Trennbarkeit beider Begriffe voraus, die durchaus fragwürdig ist. Denn das Gute ohne Macht kann nicht letztlich binden. Es verliert diese Kraft, wenn es ein Faktor unter anderen wird. Und eine bloß faktische Macht hat den Entschluss zum Guten, die Freiheit, immer außerhalb ihrer. Gerade ein Zuendedenken beider Begriffe verlangt ihre Einheit, und für die steht der Gottesbegriff. Damit stellt sich zwar erneut die T.frage. Sie ist dann aber nicht mehr mit Epikur im Sinne ihrer Beseitigung zu beantworten. Aus der platonischen Tradition stammt die Einsicht, dass der moralisch Gebundene die faktische Macht in die Schranken weist, indem er sich auf das Gute, die wahre und letztlich bestimmende Macht gründet (Sokrates). Der Christ Boëthius stellt sich (um 523) im Gefängnis die Doppelfrage: »Wenn es Gott gibt, woher kommt das Übel? Doch woher kommt das Gute, wenn es ihn nicht gibt?« (cons. I, 4 p, 100 f.). Er beantwortet die erste Frage mit der zweiten, denn auf diese gibt es für ihn eine klare Antwort: Ohne Gott und seine Macht gibt es

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das Gute nicht. Es aufzugeben ist aber unmöglich, denn das Gewissen lässt dies nicht zu. Damit ist zwar die erste Frage nicht beantwortet. Doch immerhin ist eine Antwort im Sinne der Aufhebung des Gottesbegriffs ausgeschlossen. Und vielleicht genügt das auch. Die großen T.entwürfe tendierten dahin, die erste Frage in der Eindeutigkeit der zweiten zu beantworten. So auch Leibniz. Seine Schrift über die T. (1710, von ihr stammt der Begriff) wurde jedenfalls in diesem Sinn verstanden. Unsere Welt, so Leibniz, muss die beste aller möglichen sein. Denn der gute Schöpfer hat sie aus einer unendlichen Zahl von Möglichkeiten als die beste gewählt und in seiner Macht geschaffen. Ihre Übel folgen aus ihrer Endlichkeit (metaphysisches Übel), aus deren sinnlicher Erfahrung (physisches Übel) und aus der durch die Beziehung des Endlichen auf sich selbst ermöglichten Freiheit für oder gegen das Gute (moralisches Übel). Das Gesamt der Übel soll nun aber auch in seiner Funktion auf das Gute hin möglichst erklärt werden, um jeden Einwand gegen Gott zu entkräften. Und so heißt es: Das Übel gehöre zum Kunstwerk der Welt (147). Es sei nötig zur Kontrasterfahrung (I 12) und natürlich als Strafe (126, 241), ebenso für die Erziehung und für die Bewährung der Guten (I 23, 126, 369). Schließlich sei die Zulassung des Missbrauchs der Freiheit Konsequenz der Erschaffung freier Geschöpfe (I 20–23, 158, Anh. IV 69, 79, 126). Leibniz gerät dabei hier und da in einen rhetorisch überredenden Stil, etwa wenn er ausführt, dass doch im Leben »alles in allem das Gute das Übel übersteigt« (259) oder »daß das Leben für gewöhnlich ganz leidlich zu sein pflegt« (260), denn »im menschlichen Leben gibt es unvergleichlich mehr Gutes als Böses, wie es ja auch unvergleichlich mehr Häuser als Gefängnisse gibt« (148), oder dass man beim Herannahen des Todes das Leben gern nochmals durchleben würde (I 13; Augustinus, Voltaire und Kant waren nicht dieser Meinung), oder angesichts der Größe des Universums (I 19) bestehe immerhin die Möglichkeit, die Übel als eine verschwindende Größe zu denken, als ein »Beinahenichts« (I 19) usw. Es ist diese Art von »argumenta ad hominem«, die seine T. in Misskredit gebracht und Polemiken wie Voltaires Candide oder der Optimismus (1759) provoziert haben. 1791 erschein Kants Schrift Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der T. Eine »Verfechtung der Sache Gottes« in der Art von Leibniz (ähnlich bei H S Reimarus) ist nach Kant nur »die Sache unserer anmaßenden, hiebei aber ihre Schranken verkennenden, Vernunft« (Werke IX, 105). Verteidigungen, die das Böse, »das schlechthin Zweckwidrige«, und das Übel, »das bedingt Zweckwidrige«, sowie die vermeintliche Ungerechtigkeit, »das Mißverhältnis der Verbrechen und Strafen in der Welt« (106 f.), in einen Sinnzusammenhang auflösen, sind allesamt unzureichend. Zudem gilt: wegen der Unmöglichkeit, die göttliche »Kunstweisheit« (115), also Gottes Lenken der Schöpfung mit der menschlichen Freiheit in ein theoretisches System zu bringen, sind alle solchen Versuche a priori zum Scheitern verurteilt. Aber entgegen dem Titel der Schrift verteidigt Kant eine

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Form der T.: »Doch kann man auch der Abfertigung aller Einwände wider die göttliche Weisheit den Namen einer T. nicht versagen, wenn sie ein göttlicher Machtspruch, oder (welches in diesem Falle auf eins hinausläuft) wenn sie ein Ausspruch der selben Vernunft ist, wodurch wir uns den Begriff von Gott als einem moralischen und weisen Wesen notwendig und vor aller Erfahrung machen. Denn da wird Gott durch unsere Vernunft selbst der Ausleger seines durch die Schöpfung verkündeten Willens; und diese Auslegung können wir eine authentische T. nennen« (116). Es ist allein die Stimme des Gewissens, die uns mit dem absolut Guten in seiner göttlichen Macht verbindet, und diese prinzipielle Antwort auf die T.frage ist vereinbar mit der offen bleibenden Frage nach einer letzten Erklärung des Übels und des Bösen in der Welt. Boëthius hat mit seiner Doppelfrage diese prinzipielle Beantwortung bei gleichzeitiger Offenhaltung der T.frage bereits vorgezeichnet. T. ist somit durchaus ein genuin philosophisches Thema. Denn wenn das Gute als einheitlich und unbedingt gedacht wird und als die entscheidende Macht des Wirklichen, auf die sich unser Streben richtet und von der die unbedingte Forderung an uns ergeht, dann stellt sich mit Nachdruck das Problem des Übels, und es stellt sich die Frage nach seinem Woher. Umgekehrt wird mit der Wahrnehmung des Bösen und des Leidens auch der Maßstab des Guten deutlicher sichtbar. Zugleich aber ist das Problem der T. im Prinzip gelöst – nur im Prinzip – nämlich insofern das Gute auf jeden Fall als die alles entscheidende Macht angesehen werden muss. Doch diese prinzipielle Lösung lässt die Frage unbeantwortet, warum in eine Welt, die vom absolut Guten getragen ist, das Übel und das Böse überhaupt, und noch dazu in diesem Übermaß, Eingang finden konnte. Mit dem christlichen Glauben an einen liebenden und barmherzigen Gott musste sich deshalb die T.frage noch verschärfen, und dieser Glaube rief denn auch zunehmende Kritik hervor. Als Beispiele seien nur zwei Zitate angeführt: G Büchner: »Das Leid ist der Fels des Atheismus« (Dantons Tod III, 1) und Stendhal: »Die einzige Entschuldigung Gottes ist, daß er nicht existiert«, ein Wort, um das Nietzsche (Werke II, 1088) diesen Autor beneidet hat. Aber wenn die Ursprungsmacht dieser Welt nicht absolut gut ist, wogegen richtet sich dann der Protest? Er hebt sich auf. Wenn das Universum nur blinde Faktizität ist, dann nimmt sich der Klagende aus wie ein Kind, das den Tisch beschuldigt, an dem es sich gestoßen hat. Aber Klage als Protest will doch wohl mehr sein. Der religiöse Glaube sichert somit dem Menschen die Möglichkeit zur Klage, ja zum Protest. Denn er sagt: Es gibt den Adressaten dafür. Man kann sich klagend, sich empörend an ihn wenden. Doch ist diese religiöse Klage auch bereits vom Vertrauen auf die das Leid und das Böse wendende Macht des Guten umfangen (z. B. im Buch Hiob oder im Psalm 22, den Jesus am Kreuz betet). Eine philosophische Lehre vom unbedingt Guten wird durch den Glauben an diesen Gott bestätigt. Sie kann durch ihn aber auch geläutert und verwandelt werden, indem die Theorie des Guten sich von einer Praxis

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Theologie

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her verstehen lernt, die als Vertrauen persönliche Hingabe ist. In dieser Hingabe ist sie allerdings auch entlastet von der Sorge, ihre Setzung auf das Gute von einem Durchschauen seiner Vereinbarkeit mit der Existenz des Bösen und Leidvollen in der Welt abhängig machen zu müssen. Die Fragen, die aus dieser Sorge kommen, werden zum Schweigen gebracht, aber zu einem Schweigen, das sich in der Macht des Guten geborgen weiß, von der der christliche Glaube sagt, dass sie sich dadurch offenbart und erwiesen hat, dass sie sich vom Leid und vom Bösen hat treffen lassen und es in eben dieser Ohnmacht überwunden hat. Artikel T. in EKL, HWPh, LthK, RGG TRE; G W Leibniz: T., H 1968; H S Reimarus: Die vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion, H 1766; I Kant: Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der T. – F Billicsich: Das Problem des Übels in der Philosophie des Abendlandes, Wien 1936; G Greshake: Der Preis der Liebe, Fr 1982; C F Geyer: Leid und Böses in philosophischen Deutungen, Fr 1983; J Schmidt: Das philosophieimmanente T.problem und seine theologische Radikalisierung, in: Theologie und Philosophie (72) 1997, 247–256; A Kreiner: Gott im Leid, Fr 1997; R Swinburne: Providence and the problem of evil, O 1998; F Hermanni: Das Böse und die T., Gt 2001.

Schmidt Theologie (gr. theología, lat. theologia) bedeutet die Wissenschaft von Gott. Ursprünglich ist T. ein griechischer Ausdruck, der die Rede von Göttern meint und sich in dieser Bedeutung zum ersten Mal in Platons Staat (II, 379 a) findet, wo er die Art und Weise, wie Homer oder Hesiod von den Göttern reden, kritisiert, weil sie ihnen menschliche Fehler und Schwächen zulegen. Später wird das Wort von den Denkern des frühen Christentums aufgegriffen und zur Bezeichnung für das in der Begegnung mit der Philosophie systematisierte Glaubenswissen verwendet. T. kann meinen: a) Die auf der göttlichen Offenbarung beruhende Wissenschaft von Gott. Dies ist normalerweise gemeint, wenn von T. ohne weiteren Zusatz die Rede ist. Diese T. wird auch als übernatürliche oder geoffenbarte T. bezeichnet. Manchmal wird in anderen Sprachen das Wort T. für die systematische T. (vor allem Dogmatik und Fundamentalt., teilweise auch Moralt.), weniger aber für die exegetischen, historischen und praktischen Disziplinen der T. gebraucht. b) Die innerhalb der Philosophie rein auf Vernunftüberlegungen beruhende Gotteslehre. Sie wurde in der Tradition natürliche T. genannt, wird aber auch als philosophische T. oder Gotteslehre bezeichnet. Heutzutage wird sie, vor allem im angelsächsischen Bereich, oft unter der 3 Religionsphilosophie subsumiert. Im romanischen Sprachbereich wird für sie auch die Bezeichnung 3 Theodizee gebraucht. Bei Aristoteles und in der Hochscholastik gehört sie zur 3 Metaphysik. Die Vorordnung der formalen allgemeinen Ontologie vor der inhaltlichen Metaphysik, deren Beginn man bei Duns Scotus

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Theorie

ansetzen kann, führte dazu, dass spätestens bei Wolff die Gotteslehre ebenso wie die Kosmologie und die rationale Psychologie ein eigener Teil der speziellen Metaphysik wurde. Im Mittelalter wurde die Philosophie als ancilla theologiae (Magd der T.) bezeichnet. Sie wurde von Theologen betrieben, im Zusammenhang mit dem T.studium studiert und stand im Dienst der T. Dies bedeutet aber keine falsche Zurechtbiegung der Philosophie zu theologischen Zwecken, denn nur eine recht verstandene und autonome Philosophie kann auch der T. von Nutzen sein. Johannes Paul II. hält aber in Fides et ratio (Nr. 77) den Ausdruck »ancilla theologiae« für keine glückliche Formulierung. 3 Negative T. T v Aquin: STh I 1. – R Vander Gucht / H Vorgrimler (Hg): Bilanz der T. im 20. Jahrhundert, Fr 1969; W Brugger: Summe einer philosophischen Gotteslehre, M 1979; O Muck: Philosophische Gotteslehre, D 1983; B Weissmahr: Philosophische Gotteslehre, St 1983; J Ratzinger: Wesen und Auftrag der T., Ei 1993; J Splett: Gotteserfahrung im Denken, Fr 4 1995; W Pannenberg: T. und Philosophie, Gö 1996; Johannes Paul II.: Fides et ratio, Ro 1998; E Coreth: Gott im philosophischen Denken, St 2001; J Schmidt: Philosophische T., St 2003; R Schaeffler: Philosophisch von Gott reden, Fr 2006.

Schöndorf Theologie, negative 3 Negative Theologie Theorem 3 Satz Theorie Bei Platon und Aristoteles ist T. (gr. theoría: Anschauung, Erkenntnis) ein Ausdruck für die philosophische bzw. wissenschaftliche Erkenntnisweise. Sie ist die höchste Form der Praxis. Alltagssprachlich wird heute T. (meist abwertend) der Praxis entgegengesetzt. In der Wissenschaft bezeichnet T. eine reiche Struktur von Sätzen über ein bestimmtes Gebiet, die untereinander in einem wohlgeordneten Begründungszusammenhang stehen. Eine spezielle Form sind axiomatische T.n. Die Wissenschaftst. hat gezeigt, dass T. und Praxis auch in der empirischen Wissenschaft untrennbar sind. Erkenntnis ist t.geleitet, indem T.n vorgeben, welche Experimente überhaupt durchgeführt werden, wie die Ergebnisse zu interpretieren sind und mit welcher Sprache die Beobachtungen beschrieben werden können. »Theoretische Begriffe« haben ihre wohldefinierte Bedeutung nur innerhalb der jeweiligen T. Analysen zeigen, dass fast alle wissenschaftlichen Begriffe logisch von dieser Art sind. T. wurde im 20. Jahrhundert ein Schlüsselbegriff der 3 Wissenschaftstheorie. K R Popper machte darauf aufmerksam, dass wissenschaftliche Hypothesen, weil sie Allaussagen sind, durch einzelne Beobachtungen nicht bestätigt, sondern nur widerlegt werden können (Falsifikationismus). Daraus leitete er ein Konzept von empirischen Wissenschaften ab, die möglichst gehaltvolle T.n entwerfen, die sich dann experimentellen Widerlegungsversuchen unterwerfen müssen. Die Tatsache, dass Beobachtungen selbst t.ge-

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Theorie

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leitet sind, sowie die wissenschaftliche Praxis stehen aber in Widerspruch zu Poppers Konzept. I Lakatos erweiterte Poppers Vorstellung. T.n sind eingebunden in Forschungsprogramme, die einen harten und unveränderlichen T.kern haben, einen Ring von Hilfshypothesen und eine positive Heuristik, die auf mögliche neue Entdeckungen und Weiterentwicklungen hinweist. T S Kuhn zeigte wissenschaftssoziologisch, dass sich die Ablösung eines Forschungsprogramms durch ein neues manchmal in Form einer wissenschaftlichen Revolution, eines »Paradigmenwechsels«, zwischen verschiedenen Generationen von Forschern vollzieht. Da die Paradigmen untereinander inkommensurabel sind, gibt es keine streng rationalen Gründe für einen solchen Übergang. P Duhem zeigte, dass T.n im Allgemeinen empirisch unterbestimmt sind, dass also ontologisch verschiedene T.n mit denselben Beobachtungen verträglich sein können. W V O Quine ergänzte das durch ein holistisches Konzept von T.n, deren Sätze nicht als Einzelne durch Beobachtungen widerlegt oder bestätigt werden können, weil sie nur innerhalb des Geflechts der Aussagen der T. ihren Sinn haben. Das strukturalistische T.nkonzept (J D Sneed, W Stegmüller) löst das Problem der Bedeutung theoretischer Begriffe auf dem Hintergrund der Betrachtungen von Duhem und Quine durch eine instrumentalistische Auffassung von T.n. Diese sind zunächst nur formale Strukturen von inhaltsleeren Aussagen und gewinnen ihre Bedeutung erst durch die Angabe eines Anwendungsbereichs, auf den sich bestimmte Begriffe der T. beziehen. Die funktionalen Beziehungen zwischen diesen Begriffen entscheiden dann darüber, ob diese Anwendung der T. erfolgreich ist. Die theoretischen Begriffe spielen nur eine Rolle innerhalb des Systems der Berechnungen und Schlüsse der T. Die wissenschaftstheoretischen Analysen zeigen, dass der Geltungsanspruch und Wirklichkeitsbezug von T.n schwierig zu formulieren ist. Ein rein instrumentalistisches Verständnis wie das strukturalistische T.nkonzept löst diese Probleme, steht aber in Spannung zum impliziten Anspruch der Wissenschaft, die Wirklichkeit zu erkennen und zu erklären. Außerdem gibt es vor allem in der Physik das Phänomen der großen unerwarteten Erklärungskraft und Bewährung von strukturell einfachen T.n, das auf eine Intelligibilität der Welt hinweist und damit ein realistisches Verständnis von T.n rechtfertigt. Dieser Realismus bleibt allerdings konkret immer hypothetisch. K R Popper: Objektive Erkenntnis, HH 1993; Lesebuch, Tü 1995; W Stegmüller: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, B 1973; Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, St 7 1986; I Lakatos / A Musgrave (Hg): Kritik und Erkenntnisfortschritt, Bg 1974; T S Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, F 4 1979; J D Sneed: The Logical Structure of Mathematical Physics, Dordrecht 2 1979; I Hacking: Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaften, St 1996; A F Chalmers: Wege der Wissenschaft, B 4 1999.

Bauberger

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Theosophie

Theosophie Der Begriff T. entstand im 3 Neuplatonismus (Porphyrios) und behielt auch später eine Affinität zur neuplatonischen Annahme einer unmittelbaren Erfahrung göttlicher Weisheit bzw. zu 3 Mystik, Symbolik und 3 Esoterik. Von den griechischen Kirchenvätern bis zu den russischen Sophiologen W S Solowjow, N Berdjajew und S N Bulgakow christlich verstanden, bezeichnete der Terminus ab dem 16. Jahrhundert auch magisch-hermetisches Wissen. J Böhme hat seine neuplatonischen, kabbalistischen, alchemistischen und christlich-mystischen Spekulationen als T. bezeichnet und damit F W J Schelling, G W F Hegel u. a. beeinflusst. Seit Gründung der Theosophischen Gesellschaft (1875) durch H P Blavatsky und H S Olscott wird T. zunehmend mit deren esoterischen Lehren verbunden. 1912 begründete R Steiner durch Abspaltung von dieser T. seine 3 Anthroposophie. G Müller: T., in: J Ritter / K Gründer (Hg): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Da 1998, Bd. 10, 1158–1162; U Linse: Theosophische Gesellschaft, in: G Krause / G Müller (Hg): Theologische Realenzyklopädie, B 2002, Bd. 23, 400–409.

Grom Thomismus ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene theologische und philosophische Denkrichtungen, die sich am Werk des Dominikaners Thomas v Aquin (1225–1274) orientieren. Am Ende des 13. Jahrhunderts und im 14. Jahrhundert entwickelt sich ein T. als Reaktion auf die Angriffe und Verurteilungen durch Anhänger des 3 Augustinismus. Das Generalkapitel der Dominikaner stellt sich 1279 hinter Thomas v Aquin und erklärt ihn 1313 zum Ordenslehrer. 1323 wird Thomas v Aquin heilig gesprochen, 1567 in den Rang eines Kirchenlehrers erhoben. Zu einer Blüte des T. kommt es in der Barockzeit. Der Dominikaner Peter Crockaert verwendet die Summa Theologiae als Schulbuch für den Unterricht in Paris. Dies wird bald in Spanien und Italien aufgenommen und durch den Jesuitenorden verbreitet. Es entstehen Kommentare (unter anderem von Cajetan, Sylvester von Ferrara). F Suárez ist stark von Thomas beeinflusst, entwickelt aber eine eigenständige Philosophie, die auch an den 3 Skotismus anknüpft (3 Suarezianismus). Zu einem dritten Aufschwung kommt es 1879 mit der Enzyklika Aeterni Patris, in der Leo XIII. ein Philosophieren auf die Weisheit des Hl. Thomas hin empfiehlt. Der Neuthomismus (3 Neuscholastik) entsteht mit Vertretern wie R Garrigou-Lagrange, J Maritain, P Rousselot, J Maréchal, E Gilson. Neuerdings widmet sich die analytische Philosophie dem Denken von Thomas v Aquin, so dass von einem analytischen T. gesprochen wird (B Davies, A Kenny, N Kretzmann, R McInerny, E Stump). Charakteristisch für den T. ist die durchwegs positive Aufnahme der aristotelischen Schriften sowie ihre Deutung, Weiterentwicklung und Anwendung auf die Theologie. Als inhaltlich herausstechend gelten folgende The-

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Tier

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sen: Theologie ist in erster Linie eine spekulative Wissenschaft. Letztes Ziel menschlichen Lebens ist die Schau Gottes (3 Intellektualismus). Aus dem Begriff Gottes als das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, ist für uns Menschen nicht unmittelbar erfassbar, dass Gott existiert. Wohl aber können wir seine Existenz beweisen, indem wir von Eigenschaften der Welt ausgehen und auf deren Ursache schließen (3 Gottesbeweise). Der eigentlich christliche Glaubensinhalt, wie er im Credo formuliert ist, steht zwar nicht im Widerspruch zum Wissen, lässt sich aber nicht beweisen. Diesen Glaubensinhalt auf rechte Weise für wahr halten zu können, setzt die durch Gott eingegossenen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe voraus. In der Semantik vertritt Thomas v Aquin, dass Wörter nicht nur im selben Sinn (univok) oder sinnverschieden (äquivok), sondern auch analog verwendet werden. Zur Deutung des Verhältnisses von Leib und Seele greift Thomas v Aquin den 3 Hylemorphismus auf: Die Seele ist substantielle Form des konkreten Menschen; die Individualisierung erfolgt durch ihre Verbindung mit dem Stoff. Ueberweg-Geyer: Grundriss der Geschichte der Philosophie II., B 1928; G M Manser: Das Wesen des T., Fri 3 1949; J A Weisheipl: Thomas von Aquin, Gr 1980; O H Pesch: Thomas von Aquin, Mz 2 1989; D W Hudson (Hg): The future of Thomism, Mishawaka 1992; G A MacCool: The neo-Thomists, Milwaukee 1994; W Löffler: Neut., in Metzler-Philosophie-Lexikon, 2 1999; F Kerr: After Aquinas, O 2002; B J Shanley: The Thomist tradition, Dordrecht 2002; J F Knasas: Being and some twentieth-century Thomists, NY 2003.

Niederbacher Tier Leben wird eingeteilt in die fünf Reiche Prokaryoten (Bakterien), Protisten (Einzeller), Pflanzen, Pilze und T.e (Animalia). Insbesondere T.- und Pflanzenreich sind unscharf gegeneinander abgegrenzt, weil zu jedem der folgenden Zugehörigkeitskriterien Ausnahmen existieren: T.e sind heterotrophe vielzellige 3 Organismen (Metazoen), d. h. sie müssen im Gegensatz zu den meist autotrophen 3 Pflanzen (P.) organische Stoffe aufnehmen, da sie diese nicht aus rein anorganischen Stoffen herstellen können (Anmerkung: In der deutschsprachigen Tradition werden auch heterotrophe Einzeller (Protozoen) zu den T.en gezählt); T.e bilden Nerven- und Muskelgewebe aus, die komplexe Signalverarbeitung bzw. freie Beweglichkeit ermöglichen; als Organismus ist das T. durch geschlossene Organsysteme und Kreisläufe mit Zentralorganen (z. B. Gehirn, Herz) eine »geschlossene Gestalt« im Gegensatz zur »offenen Gestalt« der P.; T.e haben anders als P.n keine Zellwände; die biologische 3 Entwicklung des T.s ist wegen seines meist mit Erreichen der Geschlechtsreife endenden Wachstums gegenüber der unendlichen Entwicklung der P. eingeschränkt. Es existieren rund 1,5 Millionen T.arten in je nach Systematik 24 bis 36 Stämmen. Biologisch ist der 3 Mensch (M.) zu den T.en zu zählen; die Philosophie

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Tierschutz

(vor allem 3 Anthropologie) setzt sich daher in der Betrachtung des T.s primär mit dem Wesensunterschied des M.en zum T. auseinander. Die geistige Überlegenheit des M.en bedingt die Annahme einer Sonderstellung gegenüber dem T.; ob diese auf graduellen oder prinzipiellen Unterschieden beruht, ist umstritten. T.e besitzen Organe, die denen entsprechen, welche beim M.en dem bewussten Sinnesleben dienen; ihnen ist daher ein sinnliches, aber kein oder ein nur eingeschränktes geistiges Bewusstsein zuzusprechen. Als Träger des Sinneslebens kann eine T.seele angenommen werden. T.isches 3 Verhalten deutet auf das Erfassen von Bedeutungsgehalten sowie Erlebnisfähigkeit hin und widerlegt so die Vorstellung vom T. als bloßer Reflexmaschine (Automatentheorie). Es wird wesentlich von angeborenen Fähigkeiten und 3 Instinkten bestimmt, geht aber darüber hinaus: T.e weisen Lernfähigkeit und 3 Gedächtnis-Leistungen auf; manche Arten haben einer 3 Sprache ähnliche Methoden der 3 Kommunikation entwickelt. In Ansätzen war es möglich, Affen Zeichen- oder Symbolsprache beizubringen. Eine aktive Entwicklung von Sprachsystemen ist aber nicht beobachtet worden, weshalb T.en Sprachfähigkeit und somit 3 Denken i. A. nicht zugesprochen wird. Kulturgeschichtliche Merkmale für den Übergang vom T. zum M.en sind das Auftreten von ritueller Bestattung und Kunst. Trotz Fehlens adäquater Messmethoden geht man davon aus, dass bei T.en weder Fähigkeit zur Selbstreflexion noch Sollens-Bewusstsein noch davon abhängig Scham-Empfinden vorliegt. Das T. steht dennoch nicht außerhalb der Moral und kann z. B. wegen seiner Leidensfähigkeit Objekt ethischen Handelns sein (3 T.schutz). H Meyer: Der M. und das T., M 1975; H P Schütt: Die Vernunft der T.e, F 1990; B Hölldobler / G Eifler: T. und M., Mz 1993; R Sorabji: Animal Minds and Human Morals, Ithaca (NY) 1993; P Münch: T.e und M.en, Pb 1998; M Linnemann: Brüder, Bestien, Automaten, Er 2000; V Storch / U Welsch: Systematische Zoologie, Hd 6 2004; N A Campbell: Biologie, M 6 2006.

Kummer-Berkemeier Tierschutz Erstmals von M de Montaigne als Grausamkeitsverbot gegenüber Tierexperimenten formuliert. Die v. a. mit J Bentham einsetzende allgemeine Anerkennung tierischer Empfindungs- und Leidensfähigkeit führt 1822 in England zum ersten T.gesetz. Aus der Sicht einer evolutiven Verwandtschaft alles Lebendigen heraus legt das deutsche T.gesetz (1972 bzw. 1998) dem Menschen Verantwortung für das Tier als »Mitgeschöpf« auf. Damit soll Tieren, wohl aufgrund ihres aktiven Strebens nach Selbsterhaltung, ein der menschlichen Autonomie analoges Subjektsein zugewiesen werden, das unserem willkürlichen Verfügen über sie gewisse Grenzen setzt. T. ist somit eine Frage der Gerechtigkeit, jedem »das Seine« zukommen zu lassen. Worin das »Zukommende« angesichts einer nur relativen Autonomie besteht, bleibt freilich Ermessenssache. Weitgehender Konsens ist, dass T.

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Tod

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sich für Wildtiere in Artenschutz und Jagdregulierung, für Nutz- und Labortiere in tiergerechter Haltung sowie schmerzloser Tötung und für Heimtiere in einer am natürlichen Verhalten orientierten Pflege auszulegen hat. U Händel: T., F 1984; J-C Wolf: Tierethik, Fri 1992; H-P Breßler: Ethische Probleme der Mensch-Tier-Beziehung, F 1997; A Flury: Der moralische Status der Tiere, M 1999; W Stansfield: Death of a rat, Amherst 2000; M Bekoff: Das unnötige Leiden der Tiere, Fr 2001; A Brenner (Hg): Tiere beschreiben, Er 2003.

Kummer Tod Der T. ist das irreversible Ende des 3 Lebens eines individuellen 3 Organismus. Als sicherstes Kriterium dafür, dass der T. eingetreten ist, gilt heute, nach dem einmütigen Konsens der Mediziner auf der Erde, der völlige und irreversible Ausfall der Funktionen des Gesamtgehirns. Dieser Ausfall wiederum wird aufgrund von verschiedenen Anzeichen und begleitenden Überlegungen festgestellt. Was ist nun aber, jenseits dieser medizinischen Feststellung, das Wesen des T.s des Menschen? Ist das Ende der funktionellen Interaktion seiner Organe auch schon das schlechthinnige Ende, oder ist es die eine Seite eines Übergangs, und wenn dies, wohin? Und dem zuvor: Wie können wir ein Wissen vom Wesen erlangen, und in welchen Schritten geschieht das? Was als Erstes die Schwelle des T.s überschreitet, ist die Beziehung zu den Ahnen, hinter denen sich 3 Gott als Lebensgrund abzeichnet. Diese hört mit ihrem T. nicht auf, sondern erhält eine Endgültigkeit; unser T. folgt ihrem T. ebenso nach wie unser Leben dem ihren und wie das unserer Kinder dem unseren. Genaueres bleibt offen, doch wird in dieser Sicht der erlebte oder erwartete T. eingeordnet in eine umfassende Weitergabe des Lebens. Er tut weiterhin weh, besonders wenn er z. B. »zu früh« kommt, bedroht aber nicht den Sinn des Lebens. Der zweite Schritt ist die Entdeckung der 3 Transzendenz des 3 Geistes, die in der Metaphysik und in der Mystik gemacht wird. Man fühlt sich dadurch immun gegen die Macht des T.s. Der dritte Schritt besteht darin, dass ein Mensch vor die Alternative gestellt wird, entweder bei einem Verbrechen mitzumachen oder seinen eigenen T. in Kauf zu nehmen. Diese Bedrohung seiner sittlichen Substanz kann der Mensch nur durch die Bereitschaft besiegen, sich töten zu lassen, welche ihrerseits von der Hoffnung auf ein besseres Leben jenseits des T.s zehrt. Voraussetzung dieser drei Schritte ist die natürliche Einstellung, dass es besser ist zu leben als sterben zu müssen und dass uns diese Alternative vor Augen steht. Wenn das Leben als sinnleer erlebt wird, hat man wohl auch keine Energie mehr, auf ein besseres Leben jenseits des T.s zu hoffen. P L Landsberg: Die Erfahrung des T.es, F 1973; F Wiplinger: Der personal verstandene T., Fr 3 1985; G Scherer: Das Problem des T.es in der Philosophie, Da 1979; E Levinas: Gott, der T. und die Zeit, P 1993; F Ulrich: Leben in der Einheit von

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Toleranz Leben und T., Ei 1999; H D Bahr: Den T. denken, M 2002; B N Schumacher: Der T. in der Philosophie der Gegenwart, Da 2004.

Haeffner Token-identity-theory 3 Leib-Seele-Problem Toleranz (lat. tolerare: erdulden) ist sowohl persönliche Einstellung als auch sittliches Prinzip im Umgang mit Andersdenkenden und zugleich Rechtsprinzip. T. gilt nicht nur zwischen Gruppen und dem Staat, sondern auch innerhalb der einzelnen Gruppen. Man kann die religiöse, die politische und staatsrechtliche T. unterscheiden. Im Folgenden geht es zuerst um die beiden ersten. Sie bedeutet Anerkennung der anderen vor allem als Menschenrechtsträger bei bleibender Differenz in der Sache. T. zwingt also nicht zur Aufgabe des Standpunkts, verpflichtet jedoch dazu, ihn auf Klischees, Vorurteile und seine Instrumentalisierbarkeit zu überprüfen. Insofern ist T. weder mit Indifferenz noch mit bloßer Geduld gegenüber Andersdenkenden gleichzusetzen. Die Achtung derer, die eine andere Position vertreten, gründet im Respekt ihres Gewissensentscheids und des Rechts, ihre Position entfalten zu dürfen; zu deren ernsthafter Prüfung will die tolerante Haltung führen. Doch verpflichtet sie nicht, den öffentlichen Einsatz für die Wahrheit aufzugeben, wohl aber verbietet es T., den sozialen 3 Frieden durch Wahrheitsansprüche zu gefährden, außer es würden Grundwerte durch das tolerante Verhalten beeinträchtigt. Es darf keine T. gegenüber den radikalen Feinden der T. geben, falls diese Taten setzen und sich nicht bloß äußern. T., so geübt, wird umso weniger verunsichern, je mehr man die innere Einstellung zur Sache von der zu den Personen, mit denen man sich im Dissens befindet, zu unterscheiden weiß. Es wäre missverständlich zu sagen, man toleriere die andere Ansicht. Die staatsrechtliche T. gilt als ungeschriebener Grundsatz der modernen westlichen Verfassungen. Er verpflichtet den Staat zum Schutz der Bekenntnis-, Religions- und Meinungsfreiheit, erlegt ihm Benachteiligungsverbote auf und hält ihn zu strikter Neutralität gegenüber Weltanschauungen an. Erasmus v Rotterdam: De amabili ecclesiae concordia liber, 1533; G W Leibniz: Irenica cogitata de instauranda ecclesiae concordia, 1683; P Bayle: Commentaire philosophique sur ces paroles de Jésus-Christ: ›Contrains-les-d’entrer‹, 1686; J Locke: Epistola de tolerantia, 1689; J S Mill: Über Freiheit, 1859; H R Guggisberg (Hg): Religiöse T., St 1994; M Walzer: Über T., HH 1998. – D Sternberger: T. als Leidenschaft für die Wahrheit, F 1988; T Rendtorff (Hg): Glaube und T., Gü 1982; R Schenk: Evangelisierung und Religionst., in: Forum Katholische Theologie 8 (1992), 1–17; G Funke (Hg): Akten des 7. Internat. Kant-Kongresses 1990, II, 2, B 1991, 711–19; K Hilpert / J Werbick (Hg): Mit den anderen leben, D 1995; R Forst: T. im Konflikt, F 2003.

Brieskorn Totem, Totemismus 3 Religion

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Tradition

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Tradition bedeutet so viel wie Überlieferung. Damit wird sowohl der Prozess des Überlieferns als auch der Gehalt des Überlieferten bezeichnet. Die Treue zur T. wird als Konservativismus (früher auch Konservatismus), und wenn sie vor allem äußere Formen betrifft, als T.alismus bezeichnet. Als T.alismus wird auch die Lehre bezeichnet, alle Wahrheit und Ethik stamme aus einer göttlichen Uroffenbarung. Die Auffassung, dass das Neue den 3 Fortschritt und darum immer das Bessere darstelle, trägt den Namen Progressismus. Die T. gründet darin, dass der Mensch ein geschichtliches Wesen (3 Geschichte) und in seiner 3 Erkenntnis auf Erinnerung angewiesen ist. Man könnte sie die Lebendigkeit der Geschichte in der Gegenwart nennen. Die verschiedenen Völker, Sprachen, Kulturen und Religionen gründen in ihren jeweiligen T.en. Im Lauf der Zeit erleiden T.en Veränderungen und Uminterpretationen. Sie bedürfen darum der Übersetzung in das Verständnis der Gegenwart. Dies führt zu einer ständigen Dynamik von T. und Erneuerung (Innovation). Wenn eine T. der kritischen Reflexion unterzogen wird (3 Historismus), kann es zu bewussten Korrekturen oder Reformationen kommen, die wieder die Reinheit des Ursprungs herstellen wollen. Revolutionen brechen mit der T. Aber auch wer sich von der T. bewusst absetzt, bleibt von ihr abhängig. Auch die Philosophie lebt aus ihrer T. und der Auseinandersetzung mit ihr. Sie hat sich von Anfang an mit den Meinungen früherer Denker auseinandergesetzt. Philosophische Schulen beruhen auf der T. der Lehren ihrer Gründer und jede Philosophie übernimmt viele Fragestellungen und Fachtermini aus der T. Während man im Mittelalter die T. weiterführte, wollte sich die Moderne radikaler als die T. fragen und sich von ihr lösen, da das Neue besser und richtiger sei. So betont Descartes die Neuheit seines Denkens, obwohl er vieles aus der Scholastik übernimmt und sich gegenüber Autoritäten auf seine Kontinuität mit der T. beruft. Kant meint, die T. liefere nur den Rohstoff für das eigene Denken. Heidegger will hinter die T. bis zu den Vorsokratikern zurück, um wieder die ursprüngliche Radikalität des Fragens zu erreichen. Andererseits hat die 3 Hermeneutik vor allem seit Heidegger und Gadamer darauf hingewiesen, dass unser Denken nie beim Nullpunkt beginnt, sondern immer schon von der T. bedingt und abhängig ist. H-G Gadamer: Wahrheit und Methode, 1960; J Pieper: T. als Herausforderung, M 1963; W Marx: Heidegger und die T., HH 2 1980; J Simon (Hg): Nietzsche und die philosophische T., Wü 1985; D O Dahlstrom (Hg): Hermeneutics and the t., Wa 1988; B Welte: Wahrheit und Geschichtlichkeit, F 1996; T Leinkauf: Schelling als Interpret der philosophischen T., Ms 1998; U J Schneider (Hg): Die Idee der T., HH 1998; J Mejer: Überlieferung der Philosophie im Altertum, Kh 2000; T A Lewis: Freedom and t. in Hegel, Notre Dame (Ind.) 2005; N Fischer (Hg): Heidegger und die christliche T., HH 2007.

Schöndorf Traduzianismus 3 Seele Trägheitssatz 3 Bewegung

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Transzendental

Tragik 3 Existenzphilosophie Trance 3 Esoterik Transformismus 3 Evolution Transsubjektiv 3 Außenwelt Transzendental nennt man die Erkenntnis oder die Methode, die sich mit den apriorischen, notwendigen Bedingungen der Möglichkeit von gegenständlicher Erkenntnis (Erfahrung), von bestimmten Bewusstseinsinhalten, von Verstehen, von argumentativer Rede o. a. befasst, sowie diese Möglichkeitsbedingungen selbst. Die neuzeitliche Bedeutung von »t.« geht auf Kant zurück, der in der KrV (B 25; vgl. A 11 f.) den Ausdruck erläutert: »Ich nenne alle Erkenntnis t., die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, insofern diese a priori möglich sein soll, beschäftigt.« Die t.e Untersuchung oder Frage Kants zielt auf die apriorischen (vorgängigen) Bedingungen der Möglichkeit gegenständlicher Erkenntnis, wie sie im Subjekt gegeben sind. Als solche apriorischen Bedingungen behandelt Kant in der t.en Ästhetik die reinen Anschauungsformen von Raum und Zeit und innerhalb der t.en Logik die reinen Verstandesbegriffe (3 Kategorie) und als oberste Bedingung die t.e Einheit der Apperzeption (das Selbstbewusstsein). Sowohl die Erkenntnis oder Lehre von den apriorischen Erkenntnisbedingungen im Subjekt als auch diese Bedingungen selber, die die Erfahrungserkenntnis und damit auch die Gegenstände der Erkenntnis ermöglichen und konstituieren, heißen bei Kant t. Das T.e »übersteigt« das Empirische, d. h. das durch die Affektion der Sinne Gegebene, in Richtung auf das erkennende Subjekt, während das Transzendente den Bereich möglicher Erfahrung überhaupt übersteigt und so, Kant zufolge, metaphysische Erkenntnis unmöglich macht, da alle Erkenntnis auf (sinnliche, raum-zeitliche) Erfahrung bezogen ist. In Anlehnung an Kant und den Neukantianismus (19./20. Jahrhundert) beschreibt Husserl in »t.er Reduktion« die Noemata (Bewusstseinsinhalte) als Leistungen des t.en Bewusstseins und führt sie auf die t.e Subjektivität bzw. Intersubjektivität zurück. Dabei kennzeichnet das T.e auch die für den Menschen charakteristische Weltoffenheit. Die neothomistische MaréchalSchule (20. Jahrhundert) sucht mit Hilfe der t.en Methode die Metaphysik zu rehabilitieren und das T.e wieder mit dem Metaphysisch-Transzendenten zu verbinden. Nach J Maréchal zeigt eine t.e Deduktion, dass mit der in jedem Urteil enthaltenen Affirmation (Behauptung) das unendliche Sein selbst mitbejaht wird. Für K Rahner ist grundlegende Bedingung der Möglichkeit gegenständlicher endlicher Erkenntnis der Vorgriff auf das absolute unendliche Sein (Gott), das den Grund und Horizont menschlichen Seins und Bewusstseins darstellt. Ebenfalls in kantischer Tradition wird seit Mitte des 20. Jahrhunderts mittels sogenannter »t.er Argumente« versucht, bestimmte Präsuppositionen

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Transzendentalien

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(Voraussetzungen) als notwendig und unhintergehbar auszuweisen, weil es zu ihnen keine sinnvolle Alternative gibt bzw. weil ihre Bestreitung zu einem performativen Selbstwiderspruch (Widerspruch zwischen Inhalt und Vollzug einer Sprachhandlung; 3 Retorsion) führt. So hat P F Strawson im Rahmen einer »deskriptiven Metaphysik« t.-semantisch ein bestimmtes Begriffsschema als eine solche Präsupposition für Erfahrungsurteile über die Welt (besonders über die Einzeldinge), und so haben unabhängig davon K-O Apel und J Habermas t.-pragmatisch bestimmte Regeln und Bedingungen als solche unausweichlichen Präsuppositionen für argumentative Redehandlungen aufzuzeigen versucht. Umstritten ist die Reichweite bzw. der Charakter der Letztbegründung von t.en Argumenten. I Kant: KrV, 1781, 2 1787. – E Schaper / W Vossenkuhl (Hg): Bedingungen der Möglichkeit, St 1984; N Knoepffler: Der Begriff »t.« bei Immanuel Kant, M 1997.

Herzgsell Transzendentale Analytik usw. 3 Transzendentalphilosophie Transzendental(pragmatisch)e Widerlegung 3 Retorsion Transzendentalien Die klassische mittelalterliche Lehre von den T. setzt die aristotelische Ontologie voraus, der zufolge sich alles unter die zehn höchsten Gattungen, die aristotelischen 3 Kategorien, einordnen lässt. T. sind überkategorial, insofern sie durch all diese Kategorien hindurchgehen und sie in diesem Sinn »transzendieren« (übersteigen). Als überkategoriale ontologische Begriffe geben sie die allgemeinsten Seinsbestimmungen an, die jedem Seienden als solchem zukommen. Neben dem Grundbegriff des »Seienden« (ens) selbst gelten als Hauptt. das »Eine« (unum), »Wahre« (verum) und »Gute« (bonum) und bei manchen Autoren auch noch das »Schöne« (pulchrum). Ansätze zur scholastischen T.lehre finden sich vor allem bei Aristoteles und Avicenna. Nach Aristoteles sind die Begriffe »Seiendes« und »Eines« austauschbar (konvertibel), da sich der Begriff des »Einen« auf all das anwenden lässt, auf was auch das Prädikat »Seiend« zutrifft. Avicenna nennt die Begriffe »Ding« (res), »Seiendes«, »Notwendiges« und »Eines« Erstbegriffe (prima), weil sie die erst erkannten und durch sich erfassten sind. Die Hochscholastik (13. Jahrhundert) entwickelte daraus eine eigene Lehre von den T. In seiner »Summa de bono« (1225–28) zählt Philipp der Kanzler das Seiende, Eine, Wahre und Gute zu den allgemeinsten Bestimmungen (communissima). Diese Bestimmungen bzw. Begriffe sind einerseits gemäß ihren »supposita« (»Trägern«) identisch und von daher konvertibel, andererseits gemäß ihrem Bedeutungsgehalt verschieden. Alexander von Hales setzt das Seiende von den übrigen T. ab, indem er das Seiende als »das erste Erkennbare«, das Eine, Wahre und Gute als die ersten Bestimmungen des Seienden auffasst. Den theologischen Aspekt der T. verdeutlicht Albert der Große. Ihm zufolge

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Transzendentalphilosophie

erschließt sich der volle Sinngehalt der T. nur von einem ersten, ausgezeichneten Seienden her, von Gott, der die Ursache von allem Seienden ist. In der Ordnung der T. räumt Thomas v Aquin dem »Seienden« die Priorität ein, weil es sich auf den Seinsakt bezieht. Die übrigen fünf T. drücken jeweils eine allgemeine Seinsweise aus, die noch nicht im Wort »Seiendes« steckt. Jedes Seiende ist in sich selbst ein »Ding« (res), d. h. es besitzt eine Washeit oder Wesenheit, und es ist »Eines«, d. h. es ist ungeteilt. Im Hinblick auf anderes ist es »Etwas« (aliquid), insofern es von anderem abgeteilt ist, und »Wahres« und »Gutes«, insofern es mit dem menschlichen Erkenntnis- und Strebevermögen übereinstimmt. Nur weil alles Seiende am Sein Gottes teilhat, lassen sich von ihm (analog) die T. aussagen. Johannes Duns Scotus kann die Klasse der T. noch erweitern, indem er diese als Begriffe definiert, die keinen übergeordneten Gattungsbegriff mehr haben. Zu den T. gehören für ihn nicht nur die konvertiblen, sondern auch die disjunktiven T., d. h. Begriffspaare wie endlich–unendlich, notwendig–kontingent, wirklich–möglich, sowie die reinen Vollkommenheiten wie z. B. Allmacht, Weisheit, Wille, die z. T. nur Gott zu eigen sind. Auf dem Hintergrund der aristotelischen Ontologie sind T. allgemeinste, irreduzible, konvertible (extensional äquivalente), aber dem Bedeutungsgehalt nach (intensional) verschiedene, überkategoriale Begriffe. Jedes Seiende ist, insofern es ist, eines, wahr (intelligibel), gut und schön. In dem Maße, in dem es am Sein Gottes partizipiert und gerade so positives Eigensein besitzt, ist es Eines, d. h. bildet es eine innere Einheit, die es von anderem unterscheidet und zugleich mit ihm verbindet, und ist es Wahres (Intelligibles), Gutes und Schönes, d. h. ist es für den Menschen erkennbar, liebenswert und bewundernswert. T v Aquin: De ver 1,1; 21,1. – J B Lotz: Die Grundbestimmungen des Seins, I 1988; J J E Gracia (Hg): The transcendentals in the MA; 1992; J A Aertsen: Medieval philosophy and the transcendentals, Lei 1996.

Herzgsell Transzendentalphilosophie 1) Die Bezeichnung T. wählte Kant für die in seiner »Kritik der reinen Vernunft« dargelegte Philosophie, die er auch Kritizismus nennt. Die 3 transzendentale Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der 3 Erkenntnis 3 a priori soll klären, ob Metaphysik möglich ist. Nur wenn sich die Objekte unserer Erkenntnis nach unserem Erkenntnisvermögen richten und nicht umgekehrt (»Kopernikanische Wende«), ist nach Kant apriorische Erkenntnis des Notwendigen und Allgemeinen möglich, was die Voraussetzung jeder Wissenschaft ist. Nach Kants Lehre in der Transzendentalen Ästhetik (hier: Lehre von der Sinnlichkeit) findet eine Affektion unserer rezeptiven Sinnlichkeit durch die Dinge statt, die uns eine Vielfalt anschaulichen Materials liefert, dem wir durch unsere subjektiven Anschauungsformen Raum (äußerer Sinn) und

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Zeit (innerer Sinn, deshalb aber für alle Erkenntnisse gültig) eine Form geben, so dass daraus die Erscheinung wird, während wir das »Ding an sich« selbst, die »intelligible« Welt nicht zu erkennen vermögen. Denn nur die Anschauungsformen Raum und Zeit und die reinen, d. h. nicht empirischen Verstandesbegriffe (= 3 Kategorien) ermöglichen eine notwendige und allgemeine Erkenntnis, die jedoch auf die 3 Erscheinung begrenzt ist und nicht das »Ding an sich«, also die eigentliche grundlegende Wirklichkeit, erreicht. Das unerkennbare Noumenon (gr. das Gedachte) steht im Gegensatz zum Phaenomenon (gr. das Erscheinende) und ist ein Grenzbegriff. Bedingung dafür, dass wir eine wirkliche Erkenntnis besitzen, ist die Anschauung, die uns aber nur in der Sinnlichkeit gegeben ist, da wir keine intellektuelle Anschauung haben. Damit wir sie aber verstehen, muss sie vom Verstand durch seine Begriffe, die in den reinen Verstandesbegriffen (Kategorien) gründen, geordnet werden. Der Verstand ist spontan, d. h. selbsttätig aktiv. Er ist das Vermögen der Begriffe und Grundsätze, die für sich aber keine Erkenntnis liefern, solange sie nicht auf die Anschauung bezogen werden. Den größten Teil der Kritik der reinen Vernunft macht die Transzendentale Logik aus, die sich in die Transzendentale Analytik und die Transzendentale Dialektik aufgliedert. In der Transzendentalen Logik leitet Kant mit Hilfe der Urteilsformen die Kategorien her, begründet ihre Geltung, zeigt ihre Verwiesenheit auf bestimmte Zeitschemata und leitet daraus die Grundsätze unserer Erkenntnis ab. Das entscheidende Argument für die Notwendigkeit und Geltung der Kategorien in der Transzendentalen Deduktion besteht darin, dass das »Ich denke« (die transzendentale Apperzeption) alle unsere Vorstellungen begleiten können muss. Die Beziehung aller Vorstellungen auf das Ich ist eine Synthese (Zusammenfügung, Einheitsstiftung), die nur vom Verstand durch die Kategorien vollzogen werden kann. In der Transzendentalen Dialektik erörtert Kant die reinen Vernunftbegriffe, die er Ideen nennt: die (unsterbliche) Seele, die (Freiheit in der) Welt und Gott. Diese Ideen werden notwendigerweise gedacht, führen aber zu Schwierigkeiten, denn die Argumente für die Unsterblichkeit der Seele seien Paralogismen (3 Fehlschluss), die 3 Gottesbeweise seien nicht schlüssig, und die Bestimmung der Welt als ganzer führe zu 3 Antinomien. Die Ideen seien darum nur regulative Prinzipien der Erkenntnis, insofern sie den Verstandeserkenntnissen Einheit geben. Ihnen gilt jedoch unser eigentliches metaphysisches Interesse, das aber durch die theoretische Vernunft allein nicht befriedigt werden kann. 2) T. im weiteren Sinn ist jede Art von Philosophie, die mit der Frage nach der Geltung und der Reichweite unserer Erkenntnis beginnt. Dies ist bereits bei Descartes der Fall, da er nach derjenigen Erkenntnis sucht, die sich als unbezweifelbar gültig aufweisen lässt. Die Denker des Deutschen Idealismus und ihre Nachfolger setzen nach Kant auf ihre Weise die transzendentale

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Transzendenz

Fragestellung fort, indem sie nach der ursprünglichen Einheit unseres Bewusstseins suchen, aus der sich alle Erkenntnis erklären lässt. J G Fichte versteht seine Wissenschaftslehre als T.; und dies gilt auch für die Vertreter des Neukantianismus sowie für Husserl. Es gilt auch für spätere Philosophen, die sich der von Kant und dem Deutschen Idealismus inaugurierten Tradition verpflichtet wissen. Hierzu gehören der 3 Neukantianismus und bestimmte Richtungen der 3 Phänomenologie. Maréchal will im Ausgang von der T. Kants zu einer thomistischen Metaphysik gelangen. Dieser Ansatz wurde von den Denkern des deutschsprachigen transzendentalen Neuthomismus (3 Neuscholastik) weitergeführt, deren Denken darum ebenfalls eine Form der T. darstellt. Eine andere Weiterführung der T. ist die von Apel und Habermas begründete und von Kuhlmann weitergeführte Transzendentalpragmatik, die mit der auf das Handeln angewandten Methode der T. eine 3 Letztbegründung unseres Denkens und Handelns vornimmt. I Kant: KrV. – W Kuhlmann: Reflexive Letztbegründung, Fr 1985; Harald Holz: Einführung in die T., Da 2 1985; J Kopper: Das transzendentale Denken des Deutschen Idealismus, Da 1989; R Lauth: Transzendentale Entwicklungslinien von Descartes bis zu Marx und Dostojewski, HH 1989; A Mues (Hg): T. als System, HH 1989; G Zöller: Fichte’s transcendental philosophy, C 1998; E Fuchs (Hg): Der transzendentalphilosophische Zugang zur Wirklichkeit, St 2001; W Flach: Die Idee der T., Wü 2002; R Hiltscher (Hg): Perspektiven der T., Fr 2002; R Hiltscher (Hg): Die Vollendung der T. in Kants »Kritik der Urteilskraft«, B 2006; A Lorenz (Hg): T. heute, Wü 2007.

Schöndorf Transzendenz (lat. transzendere: hinübersteigen, überschreiten) Im Gegensatz zur 3 Immanenz bezeichnet die T. das Überschreiten eines Bereichs oder auch das angezielte Transzendente (Jenseitige) selber, insbesondere Gott in seiner Überweltlichkeit. Bei Platon ist die Welt der sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen (als Bedingtes und Begründetes) auf die übersinnliche, intelligible Welt der Ideen (als Grund) hin zu übersteigen und diese auf die jenseits aller Seiendheit liegende höchste Idee des Guten (als letzter Seins- und Erkenntnisgrund von allem). Dementsprechend lehrt der (Neu-)Platonismus eine graduelle T. von der jeweils untergeordneten zur übergeordneten Seinsstufe und eine absolute T. zum absolut Jenseitigen (dem undifferenzierten »Einen«), das den Bereich des Seins und des Denkens völlig übersteigt. Aristoteles hingegen und nach ihm die christliche onto-theologische Tradition kennen keine Seins- und Geistt. des Absoluten, bestimmen sie es doch als vollkommenstes Seiendes (eigentliches Sein) und als sich selbst denkendes Denken (Geist). Wie für Plotin bedeutet für Augustinus die T. auf das Absolute zugleich Selbstüberstieg: um Gott zu berühren, muss sich der (menschliche) Geist selbst transzendieren. In der Scholastik gilt das, was nicht in der materiellen Welt aufgeht, bereits als transzendent, also auch schon die Seele

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und der Geist des Menschen, besonders aber der von der Welt völlig unabhängige und wesenhaft verschiedene, überweltliche, weltschaffende Gott, wobei die spätere christliche Theologie betont, dass Gott zwar in seiner Eigentlichkeit jenseits der Welt existiert, aber entsprechend seiner Immanenz in Verborgenheit auch in der Welt anwesend ist. Für Pseudo-Dionysius Areopagita und vor allem für Nikolaus von Kues übersteigt Gott (als coincidentia oppositorum) auch das Nicht-Widerspruchsprinzip und entzieht sich jedem rationalen Denken. Für Kant, der die menschliche Erkenntnis auf (sinnliche) Erfahrung beschränkt, ist das Transzendente das Unerfahrbare, Unerkennbare. T. kommt neben dem unerkennbaren Ding an sich den drei Vernunftideen (Gott, Welt, Seele) zu, die zwar als regulative Prinzipien (immanent) zur systematischen Einheit des theoretischen Wissens beitragen, aber als Begriffe von (unbedingten) Objekten nicht zur gegenständlich-realen Erkenntnis führen. In seiner positiven Philosophie spricht der späte Schelling dem Absoluten absolute T. zu, da es das Höchste überhaupt, die vollkommene Freiheit, besitzt. Kierkegaard kritisiert an Hegels Immanenzphilosophie, die Bewusstseinsimmanenz alles Wirklichen zu behaupten und daher das Transzendente zu leugnen; mit T. bezeichnet er die von der Immanenz qualitativ radikal verschiedene religiöse Sphäre, die sich nur durch die transzendierende Kraft des Paradoxes und des Glaubenssprungs erreichen lässt. Husserl hält jede Form der T. für immanent, sofern sie sich innerhalb des Ego konstituiert und in die Sinn und Sein konstituierende Sphäre der transzendentalen Subjektivität fällt, und nennt die bewusstseinsimmanente Konstitution der ichfremden Welt »immanente T.« Heidegger versteht unter der T. das den Menschen auszeichnende zeitlich-ekstatische Über-sich-Hinaus-Schreiten, das Überschreiten über alles Seiende. Während die T. jedoch beim frühen Heidegger auf die Welt als die endliche Ganzheit der Seinsmöglichkeiten des Menschen ausgreift, zielt sie bei ihm später in der Erfahrung der Hineingehaltenheit in das Nichts (der Angst) auf das Nichts bzw. auf das Sein. Für Jaspers ist die T. das dem begrifflichen Erkennen verborgene Umgreifende, das das Sein selbst und die Sphäre des Göttlichen ist und sich nur indirekt in »Chiffren« (Bildern, Vorstellungen u. ä.) vergegenwärtigen lässt. Nach Levinas begegnet die absolut ferne T. des Unendlichen konkret nur im Antlitz des Anderen, weshalb sie bei ihm auch die Verantwortung für den Anderen, die Beziehung zum Anderen oder die Andersheit des Anderen bedeutet. Statt einer »T. nach oben« fordert Bloch eine »T. nach vorn« bzw. ein »Transzendieren ohne T.« und visiert damit einen utopischen innergeschichtlichen Vollendungszustand von Mensch, Gesellschaft und Natur, eine absolute Zukunft der Welt, an. Mithin schälen sich vier hauptsächliche Bedeutungen von T. heraus: a) eine metaphysische: T. als der je höhere Seinsbereich oder das schlechthin Jenseitige (Absolute) bzw. das Transzendieren darauf; b) eine erkenntnistheoretische: T. als das Unerfahrbare, Unerkennbare oder Bewusstseinsjenseitige;

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Trieb

c) eine anthropologische: T. als Selbstt. des Menschen auf den Mitmenschen, die Welt, das Sein oder Gott hin; d) eine geschichtliche: T. als innerweltliche absolute Zukunft der Menschheit. L Honnefelder (Hg): T., 1992; W Reese: Weltliche und religiöse T., D 2001; J E Faulcorner (Hg): Transcendence in philosophy and religion, Bloomington 2003.

Herzgsell Trennbarkeit 3 Teilbarkeit Treue 3 Tugend Triaden 3 Neuplatonismus Trichotomie, Trichotomismus 3 Seele Trieb ist ein Begriff wie 3 Bedürfnis, 3 Motiv und 3 Instinkt, der erklären soll, wie Verhalten in Gang gebracht, aufrechterhalten und gesteuert wird und welches Erleben damit einhergeht. T. ist eine aus beobachtetem Verhalten erschlossene Größe, ein so genanntes hypothetisches Konstrukt. In der Motivationspsychologie besteht die Gefahr, diese Größen wie reale Dinge zu behandeln. Der Mensch wird mit T.en ausgestattet, die eine Art Eigendynamik besitzen und wie selbstständige Wesen sein Verhalten von innen her steuern. T.e bauen Spannungen auf und drängen nach befriedigender Entladung. Dieses Denkmodell findet sich bei Sigmund Freud und beim Verhaltensforscher Konrad Lorenz. Beide postulieren z. B. einen Aggressionst., der sich aufstaut und von Zeit zu Zeit auf Entladung drängt. Nicht ausgelebte Aggressionen führen zu gefährlichen Ausbrüchen oder machen psychisch krank, wenn sie nicht durch Sport oder harte Arbeit abreagiert werden. Für diese Hypothese gibt es jedoch keine empirische Bestätigung. Die Vorstellung, dass sich im Organismus periodisch verhaltenswirksame Kräfte entwickeln, passt am ehesten zu körpernahen Bedürfnissen, wie dem Bedürfnis zu atmen, zu trinken, zu essen und zu schlafen. Das Denkmodell eines ›getriebenen‹ Verhaltens lässt sich jedoch schwer auf komplexe Verhaltensweisen anwenden wie z. B. auf das Durcharbeiten eines dicken Lehrbuchs. Man müsste dazu einen ›Leset.‹ postulieren, der sich periodisch aufstaut und auf Entladung drängt. Besser lassen sich derartige Verhaltensweisen nach dem Anreiz-Modell der Motivation erklären. B Weiner: Motivationspsychologie, Weinheim 1994; F Rheinberg: Motivation, St 2002.

Goller Trugschluss 3 Fehlschluss Trugwahrnehmung 3 Schein 3 Vorstellung Tugend Das griechische Wort für T. heißt areté und bezeichnet das Gutsein (die Vortrefflichkeit, Tauglichkeit) eines Gegenstands hinsichtlich seiner spezifischen Funktion, Aufgabe, Leistung oder Fähigkeit (érgon). In diesem Sinn

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Tugend

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sagt Aristoteles, dessen Bestimmung des T.begriffs (Tb.) klassisch geworden ist, über das Auge: »Die areté des Auges macht das Auge und seine Leistung gut, denn durch die areté des Auges sehen wir gut.« (Nik. Eth. II-5 1106a17– 19) Von der funktional-technischen zur spezifisch ethischen Bedeutung des Tb.s führt die Frage, ob es neben den vielfältigen Aufgaben, die ein Mensch ausführen kann (z. B. als Schuster oder Flötenspieler), auch eine charakteristische Fähigkeit des Menschen als Menschen gibt, die für ein glückendes menschliches Leben (eudaimonía) konstitutiv ist. Aristoteles antwortet darauf mit der für den Menschen charakteristischen vernünftigen Lebensweise, die ihn von den Tieren unterscheidet. Demnach ist der Mensch als Mensch gut, wenn sein Vernunftvermögen (lógos) in einer guten Verfassung ist (vgl. Nik. Eth. I-6) und er deshalb seine spezifische Fähigkeit in verschiedenen Lebensbereichen gut realisiert. Die spezifisch menschliche T. ist also die gute Verfassung des Vernunftvermögens. Nun kennt Aristoteles aber zwei verschiedene vernünftige Seelenvermögen im Menschen, die gegenseitig aufeinander bezogen sind: zum einen das Strebevermögen, das zwar nicht selbst Vernunft ist, weil zu ihm auch spontane, unreflektierte Gefühle gehören, aber – wie ein Kind auf seinen Vater – auf die Vernunft hören und auf diese Weise an ihr partizipieren kann, und zum anderen das Erkenntnis- und Reflexionsvermögen, das selbst Vernunft ist und – wie ein Vater dem Kind – dem Strebevermögen Anweisungen gibt. Diesen beiden Formen des Vernünftigen entsprechend gibt es zwei verschiedene Arten von T.en, d. h. zwei verschiedene Verfassungen der Seele, die bewirken, dass der Mensch seine spezifische Aufgabe gut verwirklicht: die T.en des Strebevermögens (die ethischen T.en, Charaktert.en) und die des Erkenntnisvermögens (die dianoetischen T.en, Verstandest.en) (vgl. Nik. Eth. I-13). Durch Erstere (zu ihnen gehören z. B. Tapferkeit, Besonnenheit, Gerechtigkeit, Freigebigkeit, Großzügigkeit, Großgesinntheit) wird ein Zustand des Strebevermögens realisiert, in dem alle Strebungen und Affekte in Übereinstimmung mit der Vernunft sind und so eine vernünftige Handlungsentscheidung ermöglichen, und durch letztere, zu denen die Weisheit (sophía) und die Klugheit (phrónesis) gehören, wird eine Verfassung der Seele erzielt, durch die sie ihre intellektuelle Aufgabe gut verwirklichen kann, die in der Erkenntnis der Wahrheit besteht. Die Charaktert.en können, weil es sich bei ihnen um habituelle Dispositionen (héxeis) emotionaler Art handelt, nicht durch Erkenntnis, sondern nur durch Gewöhnung erworben werden. Wer über diese T.en verfügt, dessen Strebevermögen ist in einer Verfassung, die gewährleistet, dass er auf jede Situation emotional angemessen reagiert, indem er die rechte Mitte (mesótes) zwischen dem Zuviel und Zuwenig trifft. Während Emotionen und Charaktereigenschaften auf den theoretischen Gebrauch der Vernunft, deren T. die Weisheit ist, wenig Einfluss haben, verhält es sich beim Gebrauch der handlungsleitenden praktischen Vernunft ganz anders. Zwar gibt es auch hier einen Vorrang des Intellektuellen in Form der Verstandest. der Klugheit ge-

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Tugend

genüber dem Emotionalen in Form der Charaktert.en, weil letztere keine starren emotionalen Verhaltensmuster sind (Affekte mittlerer Stärke), sondern einen Begriff des guten Lebens (des Richtigen) voraussetzen, an dem ihre Einübung (Askese) und Aktualisierung als Mitte Maß nehmen kann. Aber in der Domäne der praktischen Wahrheit gibt es einen engen Zusammenhang zwischen den ethischen T.en und der Verstandest. der Klugheit, den Aristoteles als gegenseitiges Bedingungsverhältnis beschreibt: keine Charaktert.en. ohne Verstandest., und umgekehrt. Praktische Vernunft und Gefühl bilden beim t.haften Menschen eine Einheit. Die verschiedenen Charaktert.en repräsentieren in unterschiedlichen Bereichen der menschlichen Praxis das Ideal der angemessenen emotionalen Reaktion: die Tapferkeit z. B. im Bereich der Furcht und die Besonnenheit im Bereich der körperlichen Lust (Nahrung, Sexualität). Was im Laufe der Geschichte in verschiedenen T.katalogen als für ein gelingendes Leben unerlässliche Grundhaltung genannt wird, fällt z. T. sehr unterschiedlich aus. Bereits Platon hat aber auf eine Schlüsselfunktion der vier T.en Klugheit, Tapferkeit, Besonnenheit (Mäßigkeit) und Gerechtigkeit hingewiesen. Die christliche Tradition hat diese Lehre aufgenommen (seit Ambrosius werden sie ›Kardinalt.en‹ genannt) und sie um die drei theologischen T.en Glaube, Liebe und Hoffnung erweitert. Außerdem kommt es bei Thomas v Aquin zu einer stärkeren Gewichtung der Gerechtigkeit durch ihre partielle Loslösung von der t.ethischen Leitfrage nach dem glückenden Leben, für die es schon vor ihm (z. B. im 5. Buch der Nik. Eth.) Ansätze gibt. Dieser Primat des Richtigen (der 3 Norm) gegenüber der T. hat in der Moralphilosophie der Moderne zunehmend an Bedeutung gewonnen. Ihre deutlichste Ausprägung findet diese Akzentverschiebung bei Kant, der die T. versteht als »moralische Stärke in Befolgung seiner Pflicht, die niemals zur Gewohnheit werden, sondern immer ganz neu und ursprünglich aus der Denkungsart hervorgehen soll« (Anthropologie AA VII 92) und als »in der festen Gesinnung gegründete Übereinstimmung des Willens mit jeder Pflicht« (MdS AA VI 394). Seine Forderung, man dürfe die T. nicht »blos als Fertigkeit und […] für eine lange, durch Übung erworbene Gewohnheit moralisch-guter Handlungen« (MdS AA VI 383) verstehen, sondern müsse sie als »eine freie Fertigkeit (habitus libertatis)« (MdS AA VI 407) begreifen, impliziert – für sich genommen – noch keine Abweichung vom platonisch-aristotelischen Tb. Eine Akzentverschiebung ist mit dem kantischen Tb. aber deshalb verbunden, weil Kant – seiner Konzeption der Freiheit als Autonomie entsprechend – meint, dass diese Fertigkeit eine aktiv-reflexive Ausrichtung ethisch relevanter Entscheidungen an überlegten und festen Grundsätzen (Maximen) verlangt, die immer weiter geläutert und je neu angeeignet werden. Platon: Protagoras; Menon; Politeia; Aristoteles: Nik. Eth.; T v Aquin: STh I–II, q. 49 ff.; I Kant: Die Metaphysik der Sitten, 2. Teil. – A McIntyre: Der Verlust der T., F 1987; O O’Neill: T. und Gerechtigkeit, B 1996; R Crisp / M Slote

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Typ

520 (Hg): Virtue Ethics, O 1997; K-P Rippe / P Schaber (Hg): T.ethik. St 1997; A W Müller: Was taugt die T.?, St 1998; R Hursthouse: On Virtue Ethics, O 1999; M Rhonheimer: Die Perspektive der Moral, B 2001; A M Esser: Eine Ethik für Endliche, St 2004.

Trampota Tutiorismus 3 Moralsysteme Typ / Typus (gr. ty´pos: Ausprägung, Gestalt, Form) als Begriff der 3 Psychologie (Charakterologie) hat es mit 3 Ähnlichkeiten in Charakter, Temperament, Denken und Handeln innerhalb einer Menschengruppe zu tun, die durch ein t.isches Exemplar repräsentiert werden können, im Gegensatz zu den Gattungs- und Artbegriffen, die Individuen auf eindeutige Weise charakterisieren. Auch andere Wissenschaften wie Geographie, Volkskunde, Botanik usw. beschäftigen sich mit t.ischen Eigenschaften und T.en und die Lehre von der Einteilung ihres Untersuchungsmaterials heißt »T.ologie«, während die philosophische Frage, was T.en eigentlich sind, zur T.ologik gehört. In der 3 Semiotik unterscheidet man zwischen Zeichent.en (Zeichengestalt; engl. t.e), z. B. dem Buchstaben »a«, und den an bestimmten RaumZeit-Stellen vorhandenen, aber voneinander abweichenden und oftmals nur ähnlichen Vorkommnissen (Exemplaren) dieses Zeichens (engl. token). Infolge der Entdeckung der logischen 3 Antinomien hat man T.enunterschiede in die 3 Logik eingeführt, um das sogenannte Komprehensionsprinzip einschränken zu können (3 T.entheorie). Diese T.en können extensionaler Art sein, wenn man Individuen, die nicht 3 Klassen sind, Klassen von Individuen, Klassen von solchen Klassen usw. zu verschiedenen T.en rechnet, oder intensionaler Art, wenn man Individuen, ihre 3 Eigenschaften, ihre 3 Relationen, die Eigenschaften von Eigenschaften, die Eigenschaften von Relationen, die Relationen zwischen Eigenschaften usw. zu verschiedenen T.en gehören lässt. E Seiterich: Die logische Struktur des T.usbegriffs, Fr 1930; C G Hempel / P Oppenheim: Der T.usbegriff im Lichte der neuen Logik, Lei 1936; C G Jung: Psychologische T.en, Z 1950; B Russell: Mathematical Logic as Based on the Theory of T.es (1908), in: Logic and Knowledge, Lo 1956; R Wollheim: Art and Its Objects, NY 1968; C Hutton: Abstraction and Instance, O 1990.

Carls Type-identity-theory 3 Leib-Seele-Problem Typentheorie Die T. von Russell und Whitehead löst mengentheoretische 3 Antinomien dadurch, dass sie eine Hierarchie verschiedener Typen von 3 Mengen oder Klassen unterscheidet, die nicht miteinander vermischt werden dürfen. Auf diese Weise wird vermieden, dass Mengen oder Klassen sich selbst als Elemente enthalten. Wird dieses Verfahren wie bei Tarski zur Vermeidung semantischer Antinomien angewandt, so wird die Selbstbezüglichkeit der 3 Reflexion in einen Übergang von der Objekt- in die Metasprache

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Übel

umgedeutet. Eine Vorform der T. kann man bereits bei Spinoza finden, insofern er die Reflexion als Idee der Idee bezeichnet. A N Whitehead / B Russell: Principia mathematica, C 1910 ff.; R Rheinwald: Semantische Paradoxien, B 1988; M Fitting: Types, tableaus, and Gödel’s God, Doordrecht 2002.

Schöndorf Typus 3 Typ Tyrannis 3 Demokratie Übel Das Übel (lat. malum (physicum), gr. kakón) oder Schlechte kann im formalen Sinn die Schlechtigkeit, Schadhaftigkeit, Fehlerhaftigkeit von etwas bedeuten oder im materialen Sinn das betreffende Objekt selbst. Ein Ü. ist etwas, was nicht sein soll und darum schädlich ist. Wenn es also möglich ist, Ü. festzustellen, was wahrscheinlich niemand ernsthaft bestreitet, so ist damit die These widerlegt, es gebe grundsätzlich keinen Zusammenhang von Sein und Sollen. Der Begriff Ü. ist entweder der Oberbegriff für das physisch und das moralisch Schlechte (= 3 Böses) oder er meint im engeren Sinn nur das physisch Schlechte, also von Natur aus vorhandene und nicht schuldhaft verursachte Defekte. Das Ü. ist eine privatio (3 Privation) boni debiti, ein Fehlen eines gesollten Gutes. Dabei gilt: Bonum ex integra causa, malum ex quolibet defectu (vgl. Thomas v Aquin: STh I–II 18, 4 ad 3): Das Gute erfordert die Erfüllung aller Bedingungen, das Ü. entsteht aus irgendeinem Fehler. Wenn es Ü. im engeren Sinn des Wortes gibt, so muss es auch eine natürliche Norm (Vollkommenheit) geben, denn nur in Bezug auf sie kann etwas erforderlich sein. Es gibt Ü. nur im Hinblick auf einen Zweck, ein Ziel: das Leben, das gute Leben, die Schönheit, das Recht, das sittlich Gute. Alle diese Ziele haben irgendeinen Bezug zu Lebendigem. Von einem Ü. kann also nur die Rede sein, wenn es irgendwie einen Bezug zu Lebendigem gibt. Die Rede von einer Katastrophe, einem Unglück o. ä. hat nur im Blick auf Lebewesen einen Sinn. Kosmische Ereignisse, die keinerlei Bezug zu irgendwelchem Leben haben, als Ü. zu bezeichnen, wäre sinnlos. Rein naturwissenschaftlich und wirkursächlich gesehen, gibt es keine Ü. Leibniz kennt drei Arten des Ü.s: das metaphysische, das physische und das moralische Ü. Dabei versteht er unter dem metaphysischen Ü. die Endlichkeit und Kontingenz des Geschaffenen. Diese ist aber kein Ü., da sie nicht den Mangel an etwas Gesolltem bedeutet. Richtig ist jedoch, dass es Ü. nur im Bereich des Kontingenten geben kann, da das Vollkommene keinen Mangel und somit kein Ü. zulässt. Die Frage nach der »Rechtfertigung« Gottes angesichts des Ü.s heißt seit Leibniz das Problem der 3 Theodizee. T v Aquin: STh I 48 f.; De malo; F Suárez: DM 11. – F Pérez Ruiz: Metafisica del mal, Ma 1982; M McCord Adams (Hg): The problem of evil, O 1990; W Groß: »Ich schaffe Finsternis und Unheil!«, Mz 1992; S A Wawrytko (Hg): The pro-

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Übernatürlich

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blem of evil, A 2000; K Park: Das Schlechte und das Böse, F 2002; P Weingartner (Hg): Das Problem des Ü.s in der Welt, F 2005.

Schöndorf Überbau 3 Marxismus Über-Ich 3 Gewissen 3 Ich Überkategorial 3 Transzendentalien Überlieferung 3 Tradition Übernatürlich (lat. supernaturalis) ist ein theologischer Begriff und steht im Gegensatz zu 3 natürlich. Ü.e Gnadengaben werden dem Menschen von Gott gegeben, ohne dass sie sich bereits aus seiner menschlichen Natur ergeben würden, weshalb er kein Anrecht auf sie hat. Da er aber als geistiges Wesen auf den ihn wesentlich übersteigenden Gott ausgerichtet ist und nur in Gott seine wahre Vollendung finden kann, kann der Mensch ohne die ü.e Gnade Gottes das Ziel seines Lebens nicht erreichen. Unter Supernaturalismus (lat. (Theorie des) Ü.en) wird der Glaube an eine ü.e Wirklichkeit oder die Erklärung durch ü.e Ursachen verstanden. H de Lubac: Le mystère du surnaturel, P 1965; Surnaturel, P 1991; Die Freiheit der Gnade, Einsiedeln 2 2006 f.; G Crosignani: La teoria del naturale e del soprannaturale secondo S. Tommaso d’Aquino, Piacenza 1974.

Schöndorf Übersetzung 3 Sprache Übersinnlich 3 Transzendenz 3 Übernatürlich Überweltlichkeit 3 Transzendenz Überzeugung 3 Gewissheit Ultra-Realismus 3 Skotismus Umfang 3 Begriff Umstände 3 Situation Umwelt 3 Ökologie Umwertung aller Werte 3 Ethik Unabhängige Moral 3 Autonomie Unbedingt 3 Absolut Unbewusst In der Umgangssprache verwenden wir den Begriff U.es, um deutlich zu machen, dass jemand in seinem Verhalten und Handeln von Motiven geleitet wird, die ihm selbst nicht bewusst sind. U.es ist ein zentraler Begriff in der von S Freud begründeten Psychoanalyse. Freud unterschied drei Bewusstseinsqualitäten: Bewusstes, Vorbewusstes und U.es. Bewusstes und Vorbewusstes sind eng miteinander verbunden. Jeder Gedanke und jedes Gefühl, das ins Bewusstsein tritt, war unmittelbar vorher vorbewusst und wird es früher oder später wieder sein. Das Vorbewusste umfasst alles, was ohne Mühe erinnert werden kann. Das U.e dagegen kann nicht willentlich bewusst gemacht werden. Seine Inhalte sind nicht direkt erlebbar, sondern

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Unendlichkeit

äußern sich nur indirekt und zwar maskiert in Form von Fantasien, Träumen, Fehlleistungen und psychischen Störungen. Es sind sexuelle Wünsche und Kindheitserlebnisse, die so beschämend und beängstigend sind, dass sie verdrängt wurden. Freud betrachtete das Seelenleben als Konflikt zwischen drei widerstreitenden Tendenzen in uns: Es, Ich und Über-Ich. Das gesamte Es mit seinen vitalen Triebansprüchen, das alles seelische Leben antreibt, ist unbewusst. Die vorherrschende Bewusstseinsqualität des Ich ist zwar das Bewusste und das Vorbewusste, aber die Abwehrmechanismen, die das Ich einsetzt, um sich gegen inakzeptable Triebansprüche des Es zu wehren, verlaufen ebenso unbewusst wie die Triebansprüche und die sie begleitenden Ängste. Auch Teile des Über-Ich, wie Gebote, Verbote und Wertvorstellungen, die in frühester Kindheit übernommen wurden, sind u. Das U.e ist nach Freud das eigentlich Psychische. Es determiniert unser Erleben und Verhalten. C G Jung prägte den Begriff des kollektiven U.en und unterschied ihn vom Begriff des persönlichen U.en. Das kollektive U.e beruht nicht auf persönlichen Erfahrungen, sondern ist vererbt und allen Menschen gemeinsam. Es bildet das psychische Erbe der Menschheitsgeschichte. Seine Inhalte sind die Archetypen (Urbilder), die das Erleben und Verhalten der Menschen beeinflussen. Für die Hypothesen von Freud und Jung über die Inhalte des U.en gibt es kaum empirische Bestätigungen. In der empirischen Psychologie und der Hirnforschung ist heute die Rede von einer anderen Art des U.en. Das Gehirn führt eine Unmenge von Aktivitäten durch, doch nur ein kleiner Teil, etwa ein Prozent, dieser Aktivitäten wird von Bewusstsein begleitet. Der weitaus größte Teil der Informationsverarbeitung in unserem Gehirn verläuft unbewusst. Insofern sind Erleben und Verhalten immer auch das Ergebnis u.er Prozesse. In der Gedächtnisforschung entdeckte man das Phänomen des Blindsehens (blindsight), eine Art u.e Wahrnehmung. Das prozedurale 3 Gedächtnis und das Priming-Gedächtnis sind Formen u.er Erinnerungen. Amnestische Patienten, die keine Informationen aus dem Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis überführen können, sind durchaus in der Lage, neue motorische Fertigkeiten zu erlernen und auszuüben, ohne sich jemals dessen bewusst zu sein. Priming ist eine Gedächtnisform, bei der u. aufgenommene Information erinnert wird bzw. verhaltenswirksam werden kann. S Freud: Aus den Anfängen der Psychoanalyse, F 1950; D Schacter: Wir sind Erinnerung, HH 2001; C G Jung / A Jaffe: Erinnerungen, Träume und Gedanken von CG Jung, D 2003.

Goller Unendlichkeit ist der Gegenbegriff zur 3 Endlichkeit. Das Unendliche (gr. ápeiron, lat. infinitum) wurde bei einigen Vorsokratikern als das Unbestimmte angesehen, das wegen dieser Unbestimmtheit nicht existieren kann. Es findet sich aber auch die These, nach der das Unendliche der Ursprung von allem ist.

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Unendlichkeit

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Es gibt einerseits das, was immer weiter geht und an kein Ende gelangt (vgl. 3 Regress, unendlicher) und darum keine wirkliche U. ist, sondern nur in einer unvollkommenen Weise unabschließbar und unbegrenzbar bleibt: dies ist die potentielle (Hegel: schlechte) U., die streng genommen als endlos oder indefinit zu bezeichnen ist. Sie steht im Gegensatz zur allumfassenden, vollkommenen und wirklichen, d. h. aktualen (Hegel: wahrhaften) U., dem Infiniten. Die aktuale U. darf nicht als raumzeitliche Erstreckung aufgefasst werden, sondern ist von ihrem Wesen her die alles übergreifende und allem überlegene Vollkommenheit, aus der Raum und Zeit (3 Ewigkeit) überhaupt erst entstammen. Das Wirklichsein als solches ist rein positiv und darum von sich her unendlich (actus de se est infinitus: 3 Akt). Seine Begrenzung geschieht durch ein begrenzendes Prinzip innerhalb des Wirklichen (3 Endlichkeit, 3 Wesen). Bei Duns Scotus, Suárez, Descartes und anderen gilt die U. als diejenige Eigenschaft Gottes, die ihn grundlegend von den geschaffenen Seienden unterscheidet. Die U. wird somit zum Synonym für die Vollkommenheit. Dies ist nicht unproblematisch, da der Begriff der Vollkommenheit qualitativer Natur ist, während der Begriff der U. aus dem quantitativen Denken stammt. Der Gottesbeweis der 3. Meditation von Descartes basiert darauf, dass der Gedanke der göttlichen U. nicht aus uns stammen kann, da wir endlich sind, sondern in Gott seinen Urheber haben muss. Andererseits gibt es seit dem Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit (Cusanus, Bruno) Spekulationen über die U. der Welt. In der Physik Newtons wird die U. von Zeit und Raum angenommen, und in der Mathematik stellt sich die Frage, in welchem Sinn die U. unendlicher Mengen zu verstehen ist. Aristoteles: Metaph. IX 6; XI 10; T v Aquin: STh I 7; F Suárez: DM 28; 30, 2; R Descartes: Med. III; G W F Hegel: Jenenser Logik I C; Enz. §§ 93–95. – E Levinas: Totalité et infini, La Haye 1961; L Sweeney: Infinity in the Presocratics, The Hague 1972, Divine infinity in Greek and medieval thought, NY 1992; D O Dahlstrom (Hg): Infinity, Wa 1981; B Lovell: Das unendliche Weltall, M 1988; C v Campenhausen: Endlichkeit – U., Mz 1993; P Clayton: Gott und U. in der neuzeitlichen Philosophie, Pb 1996; J-M Lardic (Hg): L’infini entre science et religion au XVIIe siècle, P 1999; A Côté: L’infinité divine dans la théologie médiévale, P 2002; F Menegoni (Hg): Das Endliche und das Unendliche in Hegels Denken, St 2004; B Welte: Leiblichkeit, Endlichkeit und U., Fr 2006.

Schöndorf

Unendlicher Regress 3 Regress, unendlicher Unerfahrbarkeit 3 Transzendenz Unglaube 3 Glaube Ungrund 3 Grund Uniformität der Natur 3 Kausalität Unitas 3 Einheit Universale, Universalien 3 Allgemein 3 Begriff

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Universalienproblem

Universalienproblem Das Problem der Universalien hat es mit der Frage nach der Seinsgrundlage der 3 allgemeinen 3 Begriffe (lat. universale, pl. universalia) zu tun, die durch prädikative 3 Abstraktion aus Einzelnem (3 Individuum) gewonnen und sprachlich durch einfache oder komplexe prädikative Phrasen wie »singt«, »ist tapfer«, »ist ein Pferd«, »ist eine gerade Zahl«, »ist eine von Aristoteles’ Schriften« ausgedrückt werden. Solange man die begriffliche Prädikatsfunktion zu wenig beachtete und von den durch Totalabstraktion gewonnenen allgemeinen Termen wie »Pferd«, »gerade Zahl«, »Aristotelesschrift«, »Tapferer«, »Singender« ausging, die auch als sprachliche 3 Subjekte in 3 Sätzen verwendet werden, verblieb die eigentliche Problemlage unklar. Das änderte sich in der neuen 3 Logik durch die Formulierung des sogenannten Komprehensions- bzw. Abstraktionsprinzips, wonach einer prädikativen Phrase ein durch Formalabstraktion gewonnenes und durch singuläre 3 abstrakte Terme ausgedrücktes Etwas entspricht und umgekehrt. Dieses Etwas, welches seinerseits logisches Subjekt in singulären 3 Aussagen sein kann, kann intensional als Begriffsinhalt wie das Singen oder das Pferdsein und extensional als Begriffsumfang wie die 3 Menge bzw. 3 Klasse aller Singenden, aller Pferde oder aller Aristotelesschriften verstanden werden, auf welches das Einzelne irgendwie bezogen gedacht wird. So kommt den einzelnen Tapferen die Tapferkeit zu oder sie exemplifizieren oder repräsentieren die Tapferkeit oder sie sind Elemente in der Klasse der Tapferen usw. Nach dem 3 Nominalismus im weitesten Sinne, der das Abstraktionsprinzip ablehnt, entspricht den Prädikaten und allgemeinen Termen der 3 Sprache nichts Adäquates in der 3 Realität. – Gibt man jedoch zu, dass ihnen zwar ein Begriff (lat. conceptus) im Denken entspricht, der aber keine Seinsgrundlage in der denkunabhängigen Realität hat, sollte man eher von einem Konzeptualismus sprechen. – Ein (Begriffs-)Realismus liegt vor, wenn man eine Seinsgrundlage für die Universalien annimmt, die allgemeinen Termen oder ihnen korrespondierenden Begriffen in der Realität entspricht. – Ein uneingeschränkter Begriffsrealismus postuliert, dass es zu jedem einfachen oder komplexen Prädikatausdruck ein reales Etwas gibt und umgekehrt, während ein eingeschränkter Realismus die Existenz eines abstrakten Etwas nur dann postuliert, falls solche sprachlichen Prädikate gewisse formale Bedingungen erfüllen (3 Typentheorie, 3 Mengenlehre). – Ein extremer Begriffsrealismus rechnet damit, dass das einem Prädikat entsprechende Etwas auf einheitliche und selbstständige Weise, d. h. getrennt vom Einzelnen existiert. Ein gemäßigter Begriffsrealismus nimmt an, dass das einem Prädikat entsprechende und vielen Einzelnen zukommende Etwas vor allem in diesen Einzelnen (lat. in re) existiert, auch wenn es möglicherweise einer 3 Idee 3 Gottes entspricht (lat. ante rem) und im menschlichen Denken im Nachhinein (lat. post rem) als etwas Einheitliches und Selbstständiges aufgefasst wird. Um das Problem zu lösen, wie etwas Einheitliches in vielen Einzelnen sein kann, kann man

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Universalienproblem

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annehmen, dass das, was (lat. id quod) im Einzelnen in unselbstständiger und allgemeiner Weise vorkommt, auf andere Weise (lat. modus quo) im Denken vorhanden ist, nämlich als ein selbstständiges Einzelnes, so dass der abstrahierte Begriff im Denken trotz aller Unterschiede eine Seinsgrundlage in der Realität (lat. fundamentum in re) hat. Die von Boëthius im Anschluss an Porphyrius gestellte Frage, ob das Allgemeine nur im Denken oder selbstständig auf körperliche oder unkörperliche Weise getrennt von den Sinnesdingen oder in ihnen existiert, war schon von Platon in Richtung eines extremen Realismus beantwortet worden, da er neben der durch Sinneserkenntnis zugänglichen Welt eine Sphäre von notwendigen, ewigen und unkörperlichen Ideen annahm, an denen die Sinnesdinge teilhaben und die sie in etwa abbilden. Seinen ursprünglichen uneingeschränkten Realismus zog Platon später in Zweifel, vielleicht unter Einfluss von Aristoteles, der mit seinem Argument des dritten Menschen die Abtrennbarkeit und Selbstständigkeit des Allgemeinen vom Einzelnen bestritt und einen eingeschränkten Realismus vertrat, da er neben dem Vorhandensein des Allgemeinen, z. B. des Sehenkönnens im Einzelnen auch mit dessen »Beraubung« (gr. stéresis, lat. privatio) rechnete, nämlich der Blindheit. – Während der dominierende extreme Begriffsrealismus der Frühscholastik (Wilhelm von Champeaux, Bernhard von Chartres) nur von einigen wenigen nominalistischen Denkern (Roscellinus) in Frage gestellt wurde, entstand teilweise unter aristotelischem Einfluss ein Universalienstreit, in dem neben konzeptualistischen Auffassungen (Abaelard, Ockham) vor allem ein gemäßigter Begriffsrealismus (Albertus Magnus, Thomas v Aquin, Bonaventura, Duns Scotus) vertreten wurde, der gewöhnlich die Auffassung Avicennas übernahm, nach der eine Universalie sowohl als Idee Gottes als auch als 3 Eigenschaft im Einzelnen und als Begriff im Denken vorkommt. Die vor allem in der Neuzeit betonte Auffassung, dass der Grund für die Universalien nicht eine gemeinsame Natur oder ein Seinsfundament in den Einzelnen ist, sondern die Ähnlichkeiten zwischen ihnen, prägte sowohl Hobbes’ Nominalismus wie auch den im Gegensatz zum platonisierenden Realismus der Rationalisten vertretenen 3 Sensualismus der Empiristen. Obwohl Kants transzendentalphilosophischer Konzeptualismus das neuzeitliche Denken beherrschte, wenn auch oft in psychologistisch abgewandelter Form, vertraten Brentano und die phänomenologische Bewegung mehr einen Realismus, der die 3 Intentionalität im Begreifen des im Einzelnen vorhandenen Allgemeinen hervorhebt. Nachdem sich am Anfang des 20. Jahrhunderts der extreme Realismus in der Grundlagenforschung der 3 Mathematik aufgrund der logischen 3 Antinomien als unhaltbar erwiesen hatte (Frege, Cantor, der frühe Russell), entstand ein neuer Universalienstreit zwischen extremen Realisten (Church, Gödel), gemäßigten Realisten (Bochen´ski, Chisholm, Kripke), konzeptualistischen Intuitionisten und Strukturalisten (Brouwer,

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Unmittelbarkeit

Heyting, Lorenzen) und Nominalisten (Quine, Goodman), der viel zur logischen Präzisierung des U.s beitrug. Porphyrios: Eisagoge; Boëthius: In Isagogen Porphyrii Commenta I,10 f.; G Frege: Begriffsschrift, 1879, Die Grundlagen der Arithmetik, 1884. – M H Carré: Realists and Nominalists, Lo 1946; W V O Quine: From a logical point of view, NY 1953, 1–19, 102–129; I M Bochen´ski / A Church / N Goodman: The Problem of Universals, Notre Dame 1959; G Küng: Ontologie und logistische Analyse der Sprache, W 1963; R Carls: Idee und Menge, M 1974; W Stegmüller (Hg): Das U., Da 1978; D M Armstrong: Universals, San Francisco 1989.

Carls Unmittelbarkeit / Vermittlung Unmittelbar (lat. immediatus, directus) ist dasjenige, was keine Mittel und somit keine V. benötigt. Positiv gewendet heißt dies, dass etwas dann unmittelbar ist oder geschieht, wenn es durch sich selbst da ist oder wirkt und nicht durch ein anderes. Oft wird die 3 Anschauung als unmittelbare Erkenntnis angesehen. Für Aristoteles und die Scholastik folgte die Erkenntnis der ersten Prinzipien unmittelbar aus dem Verstehen ihrer Formulierung. Während die klassische Tradition die unmittelbare Erkenntnis erst für die Schau Gottes nach dem Tod annahm und alle irdische Objekterkenntnis als vermittelt ansah, suchten viele Philosophen der Moderne nach einer unmittelbaren Erkenntnis als gewissem Ausgangspunkt für das weitere Wissen. Für Descartes ist dies die Selbsterkenntnis, für die Positivisten die in den Basis- oder Protokollsätzen ausgesagten objektiven Gegebenheiten, für Husserl die durch die Einklammerung (Epoché) erlangte Erkenntnis der Sache selbst. Inzwischen herrscht weithin Übereinstimmung, dass es keine solche unmittelbare Erkenntnis gibt, sondern dass unsere Erkenntnis immer schon von einem bestimmten Vorwissen geprägt ist (3 Hermeneutik, 3 Kategorie). Andere Philosophen waren der Überzeugung, dass nur die Erkenntnis des Ganzen in seiner universalen V.sstruktur die Wahrheit gewährleiste. Vorbild hierfür war in der Moderne Spinoza (3 Spinozismus), dem die Denker des 3 Deutschen Idealismus in dem Bemühen folgten, die V. von allem als ein System notwendiger Zusammenhänge darzustellen. Vor allem Hegels Philosophie kreist durchgängig um das Verhältnis von U. und V. Für Hegel sind U. und V. keine sich ausschließenden Gegensätze, sondern die U. ist selbst Ergebnis der V. und somit vermittelte U., und als solche wiederum Grund der V. Was unter einer Rücksicht unmittelbar ist, kann unter anderer Rücksicht (etwa in Bezug auf seine Entstehung oder auf seine Elemente) durchaus vermittelt sein. Auf einfache Weise lässt sich der Zusammenhang von U. und V. beispielsweise daran zeigen, dass wir die Objekte einerseits als solche und insofern unmittelbar erkennen, dies andererseits aber durch die V. unserer Sinnesorgane, Erkenntnisvermögen, Vorstellungen, Denkschemata und frü-

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Unsterblichkeit

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heren Erfahrungen geschieht. Die V. kann jedoch nicht endlos weitergehen (3 Regress, unendlicher), sondern muss an ein Ziel gelangen, das Selbstzweck ist. J Flamand: L’idée de médiation chez Maurice Blondel, Lv 1969; M A de Oliveira: Subjektivität und V., M 1973; S-H Choi: Vermitteltes und unmittelbares Selbstbewußtsein, F 1991; J O’Donohue: Person als V., Mz 1993; M-L Chung: Die V. des Einzelnen und des Allgemeinen in der praktischen Philosophie Hegels, Rb 1998; T Schwartz: Zwischen U. und V., Ms 2001; S Schick: Vermittelte U., Wü 2006.

Schöndorf Unmöglichkeit 3 Möglichkeit Unschärferelation 3 Physik Unsinn 3 Sinn Unsterblichkeit bedeutet in Bezug auf den Menschen, dass mit dem 3 Tod sein Leben nicht ohne weiteres beendet ist. Diese Überzeugung wird, wenngleich mit sehr verschiedenen Vorstellungen verknüpft, von allen Religionen geteilt. Die philosophische Besinnung versucht diese von den Religionen dargebotene Lehre rational einsichtig zu machen. Dabei ist die Annahme einer gewissen Dualität des einen Menschen (also eine gewisse Unterscheidung von Materiellem und Geistigem, von 3 Leib und 3 Seele; 3 Leib-Seele-Problem) nicht zu vermeiden. Platon vertritt klar die mit Argumenten gestützte Position, dass der Tod die Trennung von Leib und Seele bedeutet. Mit »Seele« ist jenes von der Materialität des Menschen verschiedene, allerdings von ihr nicht schlechthin zu trennende, geistige Moment (3 Geist) gemeint, welches die Identität der Person auch nach ihrem biologischen Tod gewährleisten soll. Wenn wir nun aufweisen wollen, dass die Seele unsterblich ist, dass also ihre Existenz vom biologischen Tod nicht ohne weiteres betroffen sein kann, dann muss gezeigt werden, dass ihr als dem geistigen Prinzip des Menschen eine in sich begründete Eigenständigkeit und Unbedingtheit zukommt. Weil aber das, was ein Seiendes seinem eigentlichen Wesen nach ist, sich in seinen Tätigkeiten manifestiert, müssen wir, um diesen Beweis zu erbringen, die vom Menschen gesetzten Handlungen untersuchen. (1) Der grundlegende, alle seine bewussten Handlungen hintergründig begleitende Vollzug des Menschen ist die Selbstpräsenz, das Für-sich-Selbst(anwesend)-Sein. – Ich (jeder von uns) weiß unbezweifelbar, dass ich (selbst) handle, dass meine Handlung von mir ausgeht, dass ich letztlich ein auf nichts bloß Objekthaftes zurückführbares Subjekt bin. Genauer gesagt: in diesem Wissen ist zum einen impliziert, dass meine Handlungen, insofern sie immer auch Betätigungen meines Leibes (Gehirns) sind, Objekte einer auch von mir selbst anzustellenden Untersuchung sein können. Zum anderen aber impliziert dieses Wissen ein von nichts Gegenständlichem ableitbares Wissen um das »reine« oder »transzendentale« 3 Ich (also um das, was ich

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Unsterblichkeit

letztlich bin), das auf keine Weise mir entgegengesetzt werden kann, das vielmehr die Bedingung der Möglichkeit dessen ist, dass ich zum einen um Gegenstände als solche (als mir entgegengesetzte), zum anderen aber auch um das, was überhaupt nichts Gegenständliches sein kann, nämlich um das 3 Nichts zu wissen vermag, und dem deshalb eine in sich begründete Eigenständigkeit, Substantialität (3 Substanz) zukommt. (2) In den geistigen Handlungen des Menschen zeigt sich eine unbedingte Dimension. – (a) Uns kommt die Fähigkeit zu, zwischen wahrer und falscher Behauptung zu unterscheiden. Der Unterschied, um den es hier geht, ist nicht relativierbar, sondern absolut. Wir sind also des Unbedingten fähig. Ohne diese Fähigkeit wäre begründetes Wissen und jede Wissenschaft unmöglich. – (b) Wir unterscheiden spontan zwischen Handlungen, die sittlich gut und sittlich schlecht (böse) sind. Auch hier geht es um einen nicht relativierbaren, unbedingten Unterschied. Die Fähigkeit zu dieser Unterscheidung setzt ebenfalls voraus, dass uns (obwohl nicht notwendigerweise als ausdrückliches Wissen) eine unbedingte Norm zur Verfügung steht. – (c) Es gibt freie (im vollen Sinne des Wortes selbstgesetzte, letztlich nur auf ihn zurückführbare) Handlungen des Menschen (3 Freiheit), die undenkbar wären, wäre er nicht ein Wesen, dem trotz seiner Endlichkeit Unbedingtheit und Substantialität zukommt. Dass es solche Handlungen gibt, folgt sowohl aus der unter (a) als auch der unter (b) angegebenen Fähigkeit. – Zu (a): Der Unterschied zwischen wahrer und falscher Behauptung setzt voraus, dass die betreffende Unterscheidung nicht Ergebnis mit Naturnotwendigkeit wirkender Prozesse ist. Was naturnotwendig entsteht, ist so, wie es ist, mit dem die Bezeichnung »wahr« oder »falsch« nicht verbunden werden kann. – Zu (b): Die Unterscheidung von sittlich gut und sittlich schlecht (böse) setzt 3 Verantwortung voraus, was aber ohne freie Selbstbestimmung undenkbar ist. Da die menschliche Seele das eigentlich Substantielle im Menschen ist, und da ihre Vollzüge sich in der Dimension des Unbedingten bewegen, muss sie unsterblich sein. Platon: Phaidon; T von Aquin: STh I q 75 f. – J Pieper: Tod und U. M 1968; Q Huonder: Das U.sproblem in der abendländischen Metaphysik, St 1970.

Weissmahr Unteilbarkeit 3 Einfachheit Unterbegriffe 3 Kategorie Unterbewusstsein 3 Unbewusstes Untersatz 3 Schluss Unterscheidung 3 Differenz Unterschied 3 Differenz Unterschiedsschwelle 3 Empfindung Unterwerfungsvertrag 3 Vertragstheorie Untugend 3 Tugend Unum per accidens, per se 3 Hylemorphismus

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Ursache

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Ununterscheidbaren, Prinzip des 3 Identität 3 Individuum Unveränderlichkeit 3 Gottes Eigenschaften Unvernünftig 3 Irrational Unverträglichkeit 3 Gegensatz Urbegriffe, Urbestimmungen des Seins 3 Kategorie Urbild 3 Bild 3 Idee 3 Ursache Urgrund 3 Grund Ursache Eine U. (lat. causa, gr. aitía, aítion, arché) ist ursprünglich ein 3 Grund oder 3 Prinzip, von dem etwas hervorgebracht wird und abhängt. Im engeren Sinn spricht man von U.n im Gegensatz zu Gründen da, wo, wie heute allgemein üblich, Gründe der Erkenntnis zugerechnet werden, U.n jedoch der realen Wirklichkeit. Normalerweise spricht man dann von U., wenn die U. sich von ihrer Wirkung unterscheidet und wenn es sich um eine Verursachung in der Wirklichkeit handelt. Wenn wir von einer U. sprechen, meinen wir außerdem, dass die U. durch ihr Wirken etwas hervorbringt, d. h. dass von der U. aufgrund ihrer Kraft oder Fähigkeit etwas ausgeht, was etwas anderes zur Folge hat, das sich dieser U. verdankt. Dies unterscheidet die U. von der bloßen 3 Bedingung, der kein Wirken zugeschrieben wird. Nach Aristoteles und der Scholastik muss eine Veränderung zum einen von der inneren Konstitution dessen her, was sich verändert, möglich sein. Da eine Veränderung im eigentlichen Sinn bedeutet, dass etwas einerseits identisch bleibt (sonst handelt es sich um Vergehen des Alten und Entstehen von Neuem), sich andererseits aber verändert, muss dasjenige, was sich verändert, aus zwei metaphysischen Komponenten bestehen, von denen die eine bleibt, während die andere wechselt. Diese beiden inneren Seinsprinzipien sind die zwei inneren U.n (die das Verursachte innerlich konstituieren): a) die Materie (Stoff, gr. hy´le) und b) die Form (Gestalt, gr. eîdos oder morphé). Materie und Form sind im Bereich des Empirischen zueinander komplementär und voneinander untrennbar (es gibt keine Form ohne Inhalt und umgekehrt) und müssen dennoch voneinander unterschieden werden. Wir haben es darum mit einer metaphysischen Unterscheidung bzw. Zusammensetzung beider zu tun, die von einer physischen Unterscheidung bzw. Zusammensetzung zu unterscheiden ist, die normalerweise die Trennbarkeit der verschiedenen Elemente bedeutet. Weiterhin ist nach der klassischen aristotelisch-scholastischen Auffassung für eine Veränderung ein Wirkendes notwendig, das diese Veränderung in Gang bringt, und zugleich ein Ziel, auf das hin diese Veränderung geschieht. Diese beiden U.n sind demjenigen, das sich verändert, äußerlich und heißen darum äußere U.n: a) die Wirku. (causa efficiens) und b) die Zielu. (causa finalis; gr. télos: Ziel; daher 3 Teleologie oder Finalität). Auch diese beiden U.n stehen nicht in einem konkurrierenden Gegensatz zueinander, sondern sind komplementär. In der Moderne wird gewöhnlich unter U. nur

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Urteil

noch die Wirku. verstanden. Die Scholastik kennt noch eine weitere U., die aus der platonisch-augustinischen Tradition stammt, die causa exemplaris, die meist mit Exemplaru. übersetzt wird, aber besser mit Vorbildu. oder Urbildu. übersetzt würde. Damit wird auf das Urbild, die in Gottes Verstand gründende Idee verwiesen, nach deren Vorbild die weltlichen Seienden geschaffen sind. Thomas v Aquin unterscheidet ferner Gott als seinsmäßige Erstu. (causa prima) alles Geschaffenen von den innerweltlichen Zweitu.n (causae secundae), wobei beide Arten von Verursachung einander untergeordnet sind und nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Der 3 Okkasionalismus sprach im Zusammenhang mit der leib-seelischen Wechselwirkung oder überhaupt in Bezug auf materielles Wirken von Gelegenheitsu.n, um damit diejenigen Tätigkeiten oder Ereignisse zu bezeichnen, die den Anlass oder die Gelegenheit dafür darstellen, dass Gott diejenige Veränderung bewirkt, die dem Anschein nach von uns Menschen oder durch Naturvorgänge bewirkt wird. 3 Kausalität. Aristoteles: Metaph. V, 2; Albertus Magnus: Liber de causis et processu universitatis a prima causa; T v Aquin: In Metaph. 5, 1; STh II–II 27, 3 c; F Suárez: Disp. Met. 12–27; Liber de causis; G Bruno: De la causa, principio e uno. – P Garin: Le problème de la causalité en Saint Thomas, P 1958; R Sorabji: Necessity, cause and blame, Lo 1980; G Posch (Hg): Kausalität, St 1981; S Nadler (Hg): Causation in early modern philosophy, Pa. 1993; R J Hankinson: Cause and explanation in ancient Greek thought, O 1998; V Carraud: Causa sive ratio, P 2000; R Schnepf: Die Frage nach der U., Gö 2006.

Schöndorf Urteil Als U. kann man entweder die Tätigkeit, den Akt des U.ens oder das Ergebnis dieser Tätigkeit, die getroffene Entscheidung bezeichnen. Dabei müssen der Akt des U.ens und der Inhalt des U.s voneinander unterschieden werden (gegen den 3 Psychologismus). Der Ausdruck U. (lat. iudicium) stammt aus der Rechtssprache, wo es wie bei jedem U. im Bereich des Praktischen (moralisches U.: 3 Ethik, Gewissensu.: 3 Gewissen) um eine Anwendung einer allgemeinen Regel auf einen konkreten Einzelfall geht. Ein praktisches U. ist nie streng deduktiv aus dem allgemeinen Gesetz ableitbar, wie schon Aristoteles feststellte, weshalb eine eigene Fähigkeit nötig ist, um das Allgemeine auf den jeweiligen Einzelfall anzuwenden, die 3 U.skraft. Im Bereich der Erkenntnis wurde der Ausdruck U. zur klassischen Bezeichnung für eine 3 Behauptung. Ein U. kann sich sowohl auf einen allgemeinen Sachverhalt als auch auf einen Einzelfall beziehen. Es wird sprachlich in der Form eines Aussagesatzes (3 Aussage, 3 Satz) formuliert, ist wahr oder falsch und gilt normalerweise als eine Leistung des 3 Verstandes. Thomas v Aquin kennt allerdings auch ein U. der Sinne (De ver. 1, 9). Aristoteles schematisierte das U. auf die Form eines Ist-Satzes (»Sokrates sitzt« wird zu

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Urteil

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»Sokrates ist sitzend«), die es erlaubt, allen U.en die Form »S (Subjekt) ist P (Prädikat)« zuzuschreiben. Dabei wird das »ist«, das sowohl die Verbindung von Subjekt und Prädikat leistet (prädikative Synthese) als auch die Bejahung ausdrückt (veritative Synthese), als Kopula bezeichnet. Frege zieht Kopula und Prädikat zur Funktion zusammen, für die an der Subjektstelle ein bestimmtes Argument einzusetzen ist, so dass sich die Formalisierung F(a) ergibt. In der 3 Logik lassen sich die einfachen U.e in assertorische (Tatsache: es ist so), problematische (Möglichkeit: es kann so sein) und apodiktische (Notwendigkeit: es muss so sein) U.e unterscheiden. Was die Verknüpfung von U.en betrifft, so gibt es einerseits kategorische (keine Verknüpfung: das U. gilt ohne Bedingung, also unbedingt) U.e, andererseits konditionale oder hypothetische (wenn A, dann B), disjunktive (entweder A oder B) und konjunktive (sowohl A als auch B) U.e. Kant unterscheidet in der Einleitung seiner »Kritik der reinen Vernunft« (3 Transzendentalphilosophie) zwischen analytischen und synthetischen U.en. Beim analytischen U. ist das Prädikat im Begriff des Subjekts enthalten, weshalb dieses U. unsere Erkenntnis erläutert, aber nicht erweitert. Beim synthetischen U. ist das Prädikat nicht im Begriff des Subjekts enthalten, weshalb dieses U. unsere Erkenntnis vermehrt und als Erweiterungsu. bezeichnet wird. Die analytischen U.e werden a priori daran erkannt, dass ihr Gegenteil einen Widerspruch bedeutet. Bei den synthetischen U.en lassen sich zwei Formen unterscheiden: Die synthetischen U.e a posteriori werden durch die Erfahrung erkannt, während sich bei den synthetischen U.en a priori die Frage stellt, wie ihre Gültigkeit erkannt werden kann. Sie sind notwendig für die Metaphysik. Dass es solche U.e gibt, steht für Kant fest, da für ihn sowohl die Mathematik als auch die obersten Grundlagen der Naturwissenschaft aus ihnen bestehen. In der Transzendentalen Analytik rekurriert Kant dann auf die U.sformen, um aus ihnen die 3 Kategorien herzuleiten (metaphysische Deduktion). Dabei unterscheidet er die Quantität (allgemeine, besondere und einzelne U.e), die Qualität (bejahende, verneinende und unendliche U.e), die Relation (kategorische, hypothetische und disjunktive U.e) und die Modalität (problematische, assertorische und apodiktische U.e) der U.e (KrV B 95). Während für die aristotelisch-scholastische Tradition das Fällen eines theoretischen U.s eine Angelegenheit unseres Erkenntnisvermögens ohne Mitwirkung des Willens ist, vertritt Descartes in seiner 4. Meditation die These, das theoretische U. sei ein Akt des Willens und somit der unbegrenzten Freiheit. Darum könne man etwas als wahr behaupten, was man nicht klar und deutlich erkannt habe, was zum Irrtum führe. Für Kant ist das U. eine vom Verstand geleistete Synthesis. Der Deutsche Idealismus gründet das theoretische ebenso wie das praktische U. im Urakt der menschlichen Freiheit. Für die These, dass das theoretische U. ein Akt der Freiheit ist, wenn auch normalerweise auf der Grundlage einer vernünftigen Einsicht, spricht

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Urteilskraft

als Erstes die Tatsache, dass das U. im ursprünglichen, juristischen Sinn auf einer förmlichen Gerichtsentscheidung, also auf einem freien Willensakt beruht. Außerdem sprechen hierfür die Möglichkeit der U.senthaltung (3 Phänomenologie, 3 Skepsis) sowie die Notwendigkeit der Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit unserer Erkenntnis. Dieser freie Akt ist zumeist implizit (latent, habituell) und tritt oft nur dann ausdrücklich ins Bewusstsein, wenn ein Mensch vor der Frage steht, sich förmlich für oder gegen eine bestimmte Ansicht zu entscheiden, wie etwa im Zweifelsfall oder vor Gericht. Lotz zeigt zum einen, dass das U. notwendigerweise früher ist als die 3 Frage, da jede Frage bereits ein Wissen voraussetzt. Zum anderen weist er auf, dass die Bejahung des theoretischen U.s mit dem Anspruch auf absolute und universale Geltung geschieht und somit die Absolutheit und Unendlichkeit des im U. behaupteten Seins manifestiert. I Kant: KrV, B 10–18, 95–101, 189–197; E Husserl: U.stheorie. Vorlesung 1905, Dordrecht 2002; M Heidegger: Die Lehre vom U. im Psychologismus, L 1914. – E Lask: Die Lehre vom U., Tü 1912; F Mayer-Hillebrand (Hg): Die Lehre vom richtigen U., Be 1956; J B Lotz: Das U. und das Sein, Pullach 1957; L Erdei: Das U., Budapest 1981; R Haller: U.e und Ereignisse, F 1982; G Nuchelmans: Judgment and proposition from Descartes to Kant, A 1983; M Löffelmann: Das U., Wü 2002.

Schöndorf Urteilskraft oder Urteilsvermögen meint die Fähigkeit zu urteilen. Der Ausdruck U. wird vor allem durch Kant zu einem spezifischen philosophischen Terminus. Die U. liegt für ihn zwischen Verstand und Vernunft und besitzt die Fähigkeit, das Einzelne unter das Allgemeine zu subsumieren sowie praktische Urteile zu fällen. Diese Fähigkeit kann nicht noch einmal auf theoretische Regeln gebracht, sondern nur geübt werden; ihr Fehlen macht eigentlich die Dummheit aus (KrV B 172). Wenn das Allgemeine (die Regel) gegeben ist, so gibt die bestimmende U. das Besondere an, wenn zum Besonderen das Allgemeine gesucht wird, ist die reflektierende U. am Werk. In der »Kritik der U.« unterscheidet Kant zwischen der ästhetischen und der teleologischen U. I Kant: KrV B 169–175, KU. – W Fürst: Praktisch-theologische U., Z 1986; H-F Fulda (Hg): Hegel und die »Kritik der U.«, St 1990; J Rohbeck: Technologische U., F 1993; C Meier-Seethaler: Gefühl und U., M 1997; J Schieren: Anschauende U., D 1998; G Böhme: Kants Kritik der U. in neuer Sicht, F 1999; F Hermenau: U. als politisches Vermögen, Lüneburg 1999; R Enskat (Hg): Erfahrung und U., Wü 2000.

Schöndorf Utile, bonum 3 Gut

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Utilitarismus

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Utilitarismus Der U. ist eine Theorie über die Begründung moralischer Urteile. Das vielfach variierte Grundgerüst besteht aus drei Elementen: (a) dem Konsequenzprinzip: Kriterium für die sittliche Richtigkeit der Handlung sind ausschließlich die Folgen; (b) einer Werttheorie, die angibt, welcher 3 Wert um seiner selbst willen wählenswert ist, und die damit das Kriterium liefert, nach dem die Folgen einer 3 Handlung beurteilt werden; (c) der Summierungs- und Maximierungsthese: ausschließlicher Gesichtspunkt für die Bewertung ist der Gesamt- oder der Durchschnittsnutzen aller von der Handlung Betroffenen. – Der Aktu. fragt unmittelbar nach dem Nutzen der einzelnen Handlung; nach dem Regelu. ist die Handlung sittlich richtig, welche mit den Regeln übereinstimmt, deren allgemeine Befolgung den Nutzen maximieren würde. Der um seiner selbst willen wählenswerte Wert ist die 3 Lust (klassischer U.) oder die Erfüllung der Präferenzen der Betroffenen (Präferenzu.). Bentham bemisst die Maximierung der Lust ausschließlich anhand quantitativer Kriterien; nach Mill gibt es auch qualitative Unterschiede; so verdienen die Freuden, an denen höhere Fähigkeiten beteiligt sind, den Vorzug. Beide begründen ihre Werttheorie naturalistisch: Dass etwas wünschenswert ist, wird dadurch bewiesen, dass die Menschen es tatsächlich wünschen. Gegen den U. sind vor allem drei Einwände vorzubringen: (a) Lust ist nicht, wie der klassische U. annimmt, ein univoker Begriff, der für ein psychisches Erlebnis steht. Was wir erstreben, ist nicht die Lust, sondern das, woran wir Lust haben. (b) Sollen alle Präferenzen berücksichtigt werden, auch die pathologischen, unsozialen und die, in denen wir uns täuschen? (c) Der U. kann die Forderung der 3 Gerechtigkeit nicht begründen. Mit der Summierung des Nutzen ist die Frage noch nicht beantwortet, wie die Nutzensumme verteilt werden soll. J Bentham: An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, 1789; J S Mill: Der U., 1871; H Sidgwick: The Methods of Ethics, Lo 7 1907; R M Hare: Moralisches Denken, 1981; P Singer: Praktische Ethik, St 1994. – J J C Smart / B Williams: Utilitarianism For and Against, C 1973; A Sen / B Williams (Hg): Utilitarianism and Beyond, C 1982; O Höffe (Hg): Einführung in die utilitaristische Ethik, Tü 2 1992; B Gesang (Hg): Gerechtigkeitsu., Pb 1998.

Ricken Utopie 3 Marxismus 3 Staatsphilosophie Vakuum 3 Raum Variable 3 Logik Vegetatives Leben 3 Organismus Verallgemeinerung 3 Abstraktion 3 Allgemein Veränderung ist jeder Wechsel im Zustand von was auch immer, das aber selbst bestehen bleibt; oder das Anderswerden, ohne etwas (völlig) Anderes zu werden. Hinsichtlich der Richtung der V. muss man Entstehen und Ver-

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Verantwortung

gehen unterscheiden, je nachdem, ob die Zustandsänderung als positiv oder negativ eingestuft bzw. empfunden wird. V. ist ein Phänomen, das im Bereich des Endlichen überall auftritt, aber ganz besonders bei allem, was lebt (3 Leben). Nichts Endliches bleibt für immer im selben Zustand, und das Wissen darum zeigt sich für das selbstbewusste Wesen, das der Mensch ist, als das Wissen um die 3 Zeit. Zum grundsätzlichen philosophischen Problem der V.: »Wie kann etwas in Wahrheit und nicht nur dem Schein nach ein anderes werden, ohne sich aufzugeben?« bzw. zu den wichtigsten in der Geschichte der Philosophie vorgeschlagenen Lösungsversuche: 3 Werden. Hier seien nur zwei Unterscheidungen in Bezug auf die V. dargestellt. Man redet in der Scholastik von substantieller V. (3 Substanz), wenn das 3 Wesen der Sache sich verändert, wenn also anstelle einer substantiellen 3 Form eine andere tritt. In diesem Fall sollte die Identität zwischen dem »terminus a quo« und dem »terminus ad quem« die als das letzte Substrat aufgefasste »erste 3 Materie« gewährleisten. Von akzidenteller V. (3 Substanz/Akzidens) spricht man dann, wenn die V. nicht das Wesen des sich Verändernden betrifft. In diesem Fall kann gesagt werden, dass die Substanz der Sache mit sich gleich bleibt und die V. nur irgendwelche zusätzlichen Bestimmungen betrifft. Letztlich ist dies freilich eine abstrakte Betrachtungsweise, denn die akzidentellen Bestimmungen als Bestimmungen der Substanz müssen diese selbst betreffen. Vom Standpunkt einer Seinsmetaphysik muss deshalb jede V. als das 3 Sein der Dinge betreffende gedacht werden, die jeweils analog verwirklicht ist. Weissmahr Verantwortung im moralischen Sinn, und nicht als bloße Zuständigkeit, ist ein vierstelliger Begriff, der deskriptiv und normativ zu lesen ist: 1) Wer ist verantwortlich?, 2) für wen oder für was?, 3) vor wem?, 4) in Bezug auf welche Normen? Zu 1) Es kommen außer zurechnungsfähigen Einzelpersonen auch in einer analogen Weise 3 Institutionen in Frage; zwar haben sie kein Gewissen und sind als solche nicht schuldfähig, doch ist es angesichts der Abhängigkeit und ihrer Einwirkung auf das gesellschaftliche Leben sinnvoll, sie haften zu lassen und analog deshalb auch von ihrer, von überindividueller V. zu sprechen. Zu 2) V. wird für Handlungen und Haltungen, Einstellungen, auch für die Art der Erinnerung getragen. Mit der retrospektiven V. übernimmt der Mensch V. für etwas Vergangenes; seine Tat oder sein Unterlassen sind ihm zurechenbar; und er vermag sich prospektiv V. für ein Projekt oder eine Gruppe, die ihm anvertraut wird, aufzubürden, wobei retrospektive V. nur nach prospektiver V. eintritt. V. lässt sich auch anders einteilen, nämlich in: a) Kausalv.: ich verursache eine Gefährdung von Menschen: dafür bin ich verantwortlich, d. h. ich muss helfen, und auch noch, wenn sich an meine

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Verantwortung

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auslösende Handlung von mir unverschuldete, aber in kausalem Zusammenhang stehende Folgen anschließen; b) Rollenv.: V. wird für die Taten und Unterlassungen getragen, welche in der Übernahme der Rolle, eines Amtes, erfolgt sind; c) Fähigkeitsv.: zur Abhilfe einer Notlage besitzt unter mehreren nur A die notwendige Fähigkeit; er hat die V. zu übernehmen; d) Haftungsv.: ich bin unverschuldet mit anderen zusammen in eine Notlage geraten; diese »stiftet« gegenseitige Verpflichtungen, es werden schon immer bestehende Hilfspflichten aktiviert. Jeder muss sich auf mich verlassen können.: »Hier aus Schwäche versagen ist Sünde gegen Treue und die sonstigen Tugenden, welche die Bewährung in der Situation verlangen (wie Mut, Entschlusskraft, Standhaftigkeit), aber nicht eigentlich gegen V. Strikt ›unverantwortlich‹ handle ich allerdings, wenn ich die Gefährten und das ganze Unternehmen durch einen Akt positiven Leichtsinns gefährde – der mich dann auch allen kausal überlegen macht.« (Jonas, 1979:400) Zu 3) Menschen sind für Menschen, aber nicht vor ihnen verantwortlich, sondern vor Gott, dem Gewissen, in säkularen Variationen der Menschheit, der Geschichte, den Gründern der Gesellschaft; vor der Zukunft, sagen Gesellschaften des Fortschritts, vor den Toten, behaupten Gesellschaften, die sich ihrer Herkunft verpflichtet wissen. Zu 4) Diese Pflicht, wortwörtlich verstanden als »Antwort geben«, kann in Versprechen, Verträgen, Gesetzen und Verfassungen konkreten Ausdruck gefunden haben. Nur wenn sie es hat, kann man berechtigterweise sagen, man sei auf Grund des Versprechens etc. verantwortlich. Alle übernommene und zu tragende V. ist darauf hin zu prüfen, ob der konkrete Ausdruck der V.sübernahme sittlich gerechtfertigt ist und ob sie die verantwortliche Person zu sehr oder zu wenig belastet. Man muss bereit sein, für sein Handeln einen Preis zu bezahlen. Dies tut für M Weber der V.sethiker, wohingegen der Gesinnungsethiker meint, Grundsatztreue dispensiere von der V. für die Folgen, auch dürften diese einfach Gott anheim gegeben werden. Weber hat die beiden zuerst scharf gegeneinander profilierten Typen, den der Gesinnungs- und den der V.sethik, allerdings letztlich als sich ergänzende verstanden. Probleme, welche sich bei der V. stellen, sind: 1) Wieweit darf man die V. für ein Projekt aufteilen? Es wird eventuell stärker für es gesorgt, wenn mehrere verantwortlich zeichnen; ab einer gewissen Zahl an V.strägern kann sich jedoch die V. verflüchtigen und niemand mehr für das Projekt als ganzes und damit überhaupt für es verantwortlich zeichnen. 2) Seit dem 20. Jahrhundert wuchs die Gefahr, die prospektive, aber auch die retrospektive V. in einem Maße auszuweiten, die es erleichterte, V. überhaupt abzulehnen. V. ist deshalb konkret zu fassen und überprüfbar zu machen. 3) K Jaspers schlug vor, erstens von moralischer oder sittlicher Schuld zu

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Vergebung

sprechen; verstieß man dabei gegen 3 Recht, so liegt juristische Schuld vor. Die dritte Schuldform im Sinne Jaspers, die metaphysische Schuld, wird jedem Menschen allein durch seine Existenz zuteil. – Nun hat der Mensch zwar V. für sein Leben zu übernehmen, dieses selbst hat er jedoch vor niemandem zu rechtfertigen. Niemand hat seine Zeit, sein Volk und auch nicht seine Geschichte gewählt, so wie er Ziel und Mittel seiner Handlungen gewählt hat. Indem er jedoch einer Handlungs-, Sprach- und Denkgemeinschaft angehört, zieht er Nutzen in gar nicht aufzählbarer Weise von der Arbeit und der Vorarbeit des eigenen Volks (aber auch aller Völker). Im Sinne der Goldenen Regel ist von hier aus die Verpflichtung vernehmbar und begreifbar, selbst das Beste den Nachkommen zu hinterlassen und auch Schaden auszugleichen und zu verhindern, den das Volk, meist seine Vertreter angerichtet haben (Solidarität). Deshalb sind Kollektivhaftung, die »Teilhabe an der politischen Haftung« (Jaspers) sowie die Kollektivscham, die sämtlich keine persönliche Schuld voraussetzen, und die individuelle Schuld strikt auseinanderzuhalten. Es gibt keine persönliche, individuelle Schuld eines Volks. Aristoteles: Nik. Eth. III, 1, Eudemische Ethik II, 6; K Jaspers: Die Schuldfrage, Hd 1946; H Jonas: Das Prinzip Verantwortung, F 5 1984; M Weber: Politik als Beruf, Tü 5 1985. – P Saladin: V. als Staatsprinzip, St 1984; D Birnbacher: V. für zukünftige Generationen, St 1988; H Arendt: Zur Zeit, M 1989; K-D Henke / H Woller (Hg): Politische Säuberung in Europa, M 1991; K Bayertz (Hg): V., Da 1995; W Lübbe: V. in komplexen kulturellen Prozessen, Fr 1998.

Brieskorn Verbum mentis 3 Abstraktion 3 Erkenntnis 3 Wort Verdienst 3 Ethik Verdrängung 3 Trieb Vererbung 3 Genetik Vergangenheit 3 Zeit Vergebung V. und Verzeihung werden vielfach synonym gebraucht. Während Verzeihen jedoch häufig auf den zwischenmenschlichen Bereich beschränkt bleibt, schließt das Vergeben die tiefere Dimension der göttlichen V. mit ein. Die V. ist der Rache und der Vergeltung entgegengesetzt. Sie sieht das begangene Unrecht (bzw. die Schuld) nach und berücksichtigt es nicht mehr im künftigen Verhalten. V. ist eine freie, nicht einklagbare Gabe. In der christlichen Tradition erscheint V. im Wesentlichen als Tat Gottes. Aus erbarmender Liebe vergibt Gott durch Christus dem Menschen seine sittliche Schuld und Sünde. Dieser göttlichen V. soll der Mensch durch Reue und Umkehr sowie durch die Bereitschaft, den Mitmenschen zu verzeihen, entsprechen. Aus der göttlichen V. geht die Versöhnung Gottes mit der Welt hervor. Versöhnung überwindet Trennung, Feindschaft und Entfremdung und stellt die Gemeinschaft, die Freundschaft und das ursprünglich gute Ver-

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Verhalten

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hältnis wieder her. Göttliche V. und Versöhnung ermöglichen und fordern menschliche V. und Versöhnung. Interkonfessionell strittig ist, ob die göttliche Sündenv. bzw. die Rechtfertigung das bloße Zudecken und Nichtanrechnen oder eine echte Tilgung und Wegnahme der Sünden bedeutet. Philosophisch umstritten ist, ob das zwischenmenschliche Verzeihen in einem (äußeren) Sprechakt (wie etwa Versprechen) oder annäherungsweise in der Überwindung des affektiven Übelnehmens (resentments) und weiterer negativer Gefühle (Trauer, Verachtung usw.) und damit (auch) in der Wiederanerkennung der schuldig gewordenen Person besteht. V. sucht den Schuldigen soweit wie möglich zu verstehen und zu »entschuldigen«, sie macht aber nicht Halt, wenn das Unrecht und die Schuld unbegreiflich und in dem Sinne unentschuldbar bleiben. Christliches Verzeihen zielt auf liebendes Vergessen, das aber letztlich nur Gott selber und bei Gott möglich ist. C Bossmeyer / T Trappe: Verzeihen; Vergeben, in: J Ritter (Hg): Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 11 Sp. 1020–1026, Da 2001.

Herzgsell Vergeltung 3 Strafe Vergottung 3 Mystik Verhalten kann als physische Aktivitäten eines lebenden 3 Organismus bezeichnet werden, die in Abgrenzung zu psychischen Prozessen intersubjektiv sind; aus anatomischer und physiologischer Sicht, als Resultat aus der Fähigkeit von Lebewesen zu Reizaufnahme, Erregungsfortleitung und Erregungsverarbeitung. V.sforschung oder Ethologie, begründet durch Konrad Lorenz (1903–1989) und Nikolaas Tinbergen (1907–1988), untersucht die Formen und Gesetzmäßigkeiten des arttypischen V.s bei 3 Tieren und Menschen als Reaktion auf die Umwelt. Als Gegenentwurf zur klassischen Ethologie ist der 3 Behaviorismus zu nennen. Als angeborene V.sweisen werden V.smuster bezeichnet, die vor aller Erfahrung dem Organismus erbkodiert gegeben sind. Die einfachste Form ist der Reflex, der als angeborenes Programm unter stets gleichen Bedingungen abläuft und in eine bedingte und unbedingte Form unterteilt werden kann. Neben dem Reflex zeigen sich angeborene Handlungsabfolgen auch beim 3 Instinktverhalten. Unter erworbenem V. werden Erfahrung und Lernen verstanden, obgleich Lernen meist als Verschränkung von angeborenem und erworbenem V. zu verstehen ist, unter der Voraussetzung eines Erinnerungsvermögens. Die einfachsten Formen des Lernens können als Konditionierung zusammengefasst werden. Der bedingte Reflex als Form der Konditionierung wurde von I. P. Pawlow (1849–1936) als Vorgang beschrieben, der Bedingungen herstellt, unter denen eine neue Reiz-Reaktions-Verbindung gelernt wer-

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Verifikation

den kann. Als Sonderform des Lernens erforschte Lorenz das Phänomen des durch ihn eingeführten Begriffs der Prägung. Der aktuelle Forschungsstand zum Stichwort V. und V.sforschung zielt auf die Quantifizierung des Anpassungswertes der V.sweisen ab. Die klassische V.sforschung bewertete die Anpassung als einfache Optimierungsleistung. Vor dem Hintergrund eines Systemdenkens hängt jedoch das, was ein Individuum zu seinem Vorteil tun kann, auch davon ab, was andere tun (soziale Interaktion). Die V.sökologie stellt hier die Frage, wozu ein bestimmtes V. dient, d. h. sie fragt nach dem Anpassungswert von V. im Sinne einer Kosten-Nutzen Analyse. Die Dichotomie von angeborenem im Gegensatz zu erworbenem V. kann als derart strenge Unterscheidung nicht weiterhin Maßstab der Überlegungen sein. Überlebensrelevante Informationen werden über Mutation, Neukombination und Selektion im Erbgut gespeichert. Als Fazit kann festgehalten werden, dass V. weder ausschließlich erworben noch völlig angeboren ist. Der Organismus wird weniger als Wesen mit inneren Bedürfnissen und äußeren Verhältnissen betrachtet, sondern vielmehr als »aktives System«, das sich Reizen zuwendet, sie aufnimmt, umformt, koordiniert und verarbeitet und die Resultate in neue Aktivitäten umsetzt, stets einbezogen in eine Ganzheit eines Systems. N Tinbergen: Instinktlehre, B 5 1972; K Lorenz: Vergleichende V.sforschung, M 1982. – J Alcock: V. der Tiere aus evolutionsbiologischer Sicht, St 1996; K Immelmann: Einführung in die V.sforschung, B 4 1996; J R Krebs / N B Davies: Einführung in die V.sökologie, B 3 1996; I Eibl-Eibesfeldt: Grundriß der vergleichenden V.sforschung, M 8 1999; D McFarland: Biologie des V.s, Hd 2 1999.

Kummer-Schlumprecht Verhältnis 3 Relation Verifikation (lat. verus: wahr) ist die Sicherung der 3 Wahrheit oder die Bestätigung des objektiven Wahrscheinlichkeitsgrades einer 3 Aussage (vgl. Bestätigungstheorie; engl. theory of confirmation). Von der direkten V. einer singulären Aussage durch direkte 3 Erfahrung unterscheidet sich die indirekte V. durch Einzelerfahrungen mithilfe logischer Schlüsse. Während in starken V.en die Wahrheit gesichert wird, wird in einer schwachen V. nur der Wahrscheinlichkeitsgrad bestätigt. – Ein V.sproblem ensteht bei Allaussagen der Erfahrungswissenschaften, falls man nur eine Wahrheitssicherung durch 3 Sinneserkenntnis und 3 Logik zulässt (Logischer 3 Positivismus). Zwar rechnet man bisweilen mit einer schwachen V. bei 3 Naturgesetzen, die durch 3 Induktion gewonnen und als 3 Hypothesen für 3 Deduktionen verwendet werden (Mill, Carnap), aber dies wird auch abgelehnt (3 Kritischer Rationalismus). Da Beobachtungen und Experimente gewöhnlich einen Rückgriff auf Naturgesetze voraussetzen, ist in Erfahrungswissenschaften nur ein Feststel-

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Vernunft

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len der Falschheit von wissenschaftlichen Hypothesen durch gegenteilige Erfahrung möglich, wobei das Misslingen von Falsifikation noch nicht V. ist (Popper). J S Mill: A System of Logic, Ratiocinative and Inductive, Lo 1843; R Carnap: Testibility and Meaning, Philos. of Science 3(1936), 419–471; K R Popper: Logik der Forschung, W 1935. – N Goodman: Fact, Fiction and Forecast, C 1955; R Carnap / W Stegmüller: Induktive Logik und Wahrscheinlichkeit, W 1959; C G Hempel: Aspects of Scientific Explanation, NY 1965; W Stegmüller: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie, B 1969 f.; W Lenzen: Theorien der Bestätigung wissenschaftlicher Hypothesen, St 1974.

Carls Vermittlung 3 Unmittelbarkeit Vermögen 3 Akt/Potenz 3 Möglichkeit Verneinung 3 Negation Vernichtung der Welt 3 Schöpfung Vernunft meint im allgemeinsten Sinn dasselbe wie 3 Verstand im weiten Sinn des Wortes, nämlich das obere geistige Erkenntnis- und Strebevermögen des Menschen, das uns zu allgemeingültigen Einsichten befähigt. Während früher das Wort Verstand eher als Übersetzung für lat. intellectus oder gr. noûs (Nus, Nous) gebraucht wurde und das Wort V. die diskursive Ratio (lat. ratio, gr. diánoia) bezeichnete, hat sich spätestens seit Kant die Umkehrung eingebürgert: V. bedeutet nun das höhere und umfassende Vermögen, den Intellekt, während Verstand für das Vermögen des diskursiven Denkens gebraucht wird. Die V. entspricht damit dem klassischen Intellekt, der bei Aristoteles und Thomas v Aquin die Fähigkeit besitzt, das Einleuchten der unbeweisbaren obersten Prinzipien zu erkennen und in diesem Fall eine allem diskursiven Schlussfolgern logisch vorausliegende intuitive Einsichtsfähigkeit besitzt. Seit der Antike bis in die frühe Neuzeit (Descartes) wird die Metapher des natürlichen Lichtes (lumen naturale) für die menschliche V. im Gegensatz zum übernatürlichen Licht des Glaubens, der Gnade und der Offenbarung verwendet. Bei Thomas wird dieses Licht mit dem tätigen Intellekt (intellectus agens) identifiziert. Descartes unterscheidet nicht zwischen Verstand und V., und dasselbe gilt für die meisten neuzeitlichen Denker vor Kant. Das frühneuzeitliche Denken fällt somit weitgehend hinter die Differenzierung der scholastischen Erkenntnislehre zurück. Bei Pascal findet sich jedoch die Unterscheidung zwischen der V. (raison; in kantischer Terminologie wäre dies der Verstand) und dem Herzen, die praktisch der zwischen dem Geist der Geometrie und dem Geist des Feinsinns (finesse) entspricht. Das Herz erkennt die grundlegenden Prinzipien und die Dimensionen des Raums, während die V. diskursiv argumentiert.

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Vernunft

Bei Kant ist die V. das Vermögen der Schlussfolgerungen, des Unbedingten und der Totalität. Den V.begriffen, die Kant Ideen nennt, entspricht keine empirische Anschauung. Somit ist die V. eigentlich das Vermögen für die eigentliche Wirklichkeit, das 3 Ding an sich und für die Einheit unserer gesamten Erkenntnis. Die drei Ideen machen nach Kant unser eigentliches Interesse an der Metaphysik aus. Es sind die Seele und ihre Unsterblichkeit, die Welt samt dem Problem der Freiheit (die mit dem Determinismus unvereinbar zu sein scheint) und Gott. Die theoretische V. hat bei Kant eine eigenartige Zwitterstellung. Einerseits gibt es ohne ihre Ideen keine letzte Einheit unseres Wissens, so dass sie eigentlich die oberste Bedingung der Möglichkeit aller unserer Erkenntnis sein müsste; andererseits soll sie aber zu eigentlicher theoretischer Erkenntnis gar nicht fähig sein. Die hier auftretende Spannung scheint nach einer über Kant hinausgehenden Lösung zu verlangen. Da Freiheit und Sittlichkeit nicht der Erscheinung, sondern dem Ding an sich angehören, vermag die V. bei Kant den Bereich des Praktischen, also der Moral zu erkennen. Seitdem hat es sich eingebürgert, im Zusammenhang mit Freiheit und Moral nicht etwa vom praktischen Verstand, sondern von der praktischen V. zu reden. Die praktische V. erkennt, dass die unbedingte Forderung der Sittlichkeit die Existenz der Freiheit erfordert, und dass es weiter eine Forderung der Gerechtigkeit darstellt, dass die Seele unsterblich ist und Gott am Ende Sittlichkeit und Glückseligkeit miteinander vereint, so dass diejenigen, die durch ihre Sittlichkeit der Glückseligkeit würdig sind, sie auch erlangen. Für Hegel ist die V. dasjenige Vermögen, das nicht bei den abstrakten Entgegensetzungen stehenbleibt, wie dies der Verstand tut, sondern in der 3 Dialektik die Gegensätze aufhebt und miteinander versöhnt. Während für den Verstand die Begriffe fix und starr bleiben, so dass er bis zu Extrempositionen gelangen kann, lässt sie die V. in Bewegung geraten, so dass die Erkenntnis durch die immer weiter fortschreitende gegenseitige Weiterbestimmung im Denkprozess von jeder Stufe auf eine neue und höhere Stufe gelangt, bis schließlich im absoluten Wissen alle Gegensätze im dreifachen Wortsinn von bewahren, negieren und erhöhen aufgehoben sind. 3 Denken 3 Geist. I Kant: KrV; KpV. – D Maienhöfer: Die Stimmen der V., Konstanz 1998; K Buchholz (Hg): Wege zur V., F 1999; I U Dalferth (Hg): V., Kontingenz und Gott, Tü 2000; K Gloy: V. und das Andere der V., Fr 2001; J Nida-Rümelin: Strukturelle Rationalität, St 2001; H Reinalter (Hg): Gibt es Grenzen der V.?, I 2002; U Steinvorth: Was ist V.?, M 2002; A Hutter: Das Interesse der V., HH 2003; K Konhardt: Endlichkeit und V.anspruch, B 2004; U Tietz: V. und Verstehen, B 2004; T Rentsch (Hg): Einheit der V.?, Pb 2005; R Elm (Hg): V. und Freiheit in der Kultur Europas, Fr 2006; A Kern: Quellen des Wissens, F 2006; H Schnädelbach: V., St 2007.

Schöndorf Vernunftbegriff 3 Idee 3 Transzendentalphilosophie

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Verstand

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Vernunftrecht 3 Naturrecht Verpflichtung 3 Ethik 3 Pflicht Verschiedenheit 3 Differenz 3 Individuum Versöhnung 3 Vergebung Verstand Das Wort V. ist ursprünglich ein Verbalsubstantiv und bedeutet das Verstehen, das Verständnis. Dieser Sinn des Wortes V. findet sich noch bei Kant, der sagen kann, dass etwas »im engeren V.e«, d. h. im engeren Verständnis, in der engeren Bedeutung gemeint ist. Auch das lat. Wort intellectus, das engl. Wort understanding und das fr. Wort entendement haben ursprünglich diese Bedeutung. Von hier aus kommt dann die Bedeutung des Vermögens oder der Fähigkeit des Verstehens. Mit V. oder Vernunft ist also nicht ein Organ (wie etwa das Gehirn) gemeint, sondern eine Befähigung des Menschen. a) Die Ausdrücke V., Vernunft und Intellekt können gleichbedeutend verwendet werden und bezeichnen dann das höhere 3 Erkenntnisvermögen des Menschen im Gegensatz zur Sinnlichkeit, die auch den Tieren zukommt. Dieses Vermögen ist die Fähigkeit des allgemeingültigen 3 Denkens und Verstehens, das durch 3 Abstraktion Begriffe und mathematische Größen bildet, die Reflexion ermöglicht und uns zu ausdrücklichen allgemeinen und wissenschaftlichen Erkenntnissen gelangen lässt. Durch dieses Vermögen können wir kritisch denken, umfassende und grundlegende Zusammenhänge einsehen, Einsichten über das Ganze der Wirklichkeit gewinnen und zur ausdrücklichen Erkenntnis der 3 Wahrheit gelangen. b) V., Vernunft und Intellekt entsprechen den gr. Wörtern lógos und noûs sowie den lat. Ausdrücken intellectus und ratio, wobei V. dem Wortsinn nach dem Ausdruck intellectus entspricht, der Einsicht(sfähigkeit) bedeutet und das höhere der beiden oberen Erkenntnisvermögen meinen kann. Der intellectus erkennt nämlich die 3 Prinzipien, auf denen alles andere Wissen aufruht. Das gr. Wort lógos meint alles, wodurch etwas verstehbar wird. Dies sind seitens des Objekts: Wort, Begriff, Sprache, Grund, Argument, Rechenschaft; seitens des Subjekts: die Fähigkeit des Verstehens, also der V. (oder die Vernunft). (Zu gr. noûs 3 Geist.) Ähnliches gilt für das lat. Wort ratio, das zwar nicht Wort, Begriff und Sprache, wohl aber Sinngehalt, Grund, Rechnung und Rechenschaft bedeutet und gleichfalls beim Subjekt den V. (oder die Vernunft) meint. Wenn intellectus mit V. übersetzt wird, so entspricht dem lat. Ausdruck ratio das deutsche Wort 3 Vernunft. Unter Intellekt kann entweder die Vernunft allein oder Vernunft und V. zusammen verstanden werden. c) Heutzutage hat sich der seit Kant übliche Sprachgebrauch durchgesetzt, das höchste Erkenntnisvermögen als Vernunft zu bezeichnen und den V. im Verhältnis dazu als das niedere Vermögen zu betrachten. V. in diesem Sinn ist die Fähigkeit des diskursiven, im schrittweisen Nacheinander vorangehenden

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Verstand

Denkens im Gegensatz zur umfassenden Einsicht, die dann als Intellekt oder Vernunft bezeichnet wird. Im Gegensatz zu den Tieren ist der Mensch zu v.esmäßiger begrifflicher Erkenntnis fähig. Dies ist nach Aristoteles und Thomas v Aquin dadurch zu erklären, dass der (im Wachzustand) immer von sich aus tätige V. (intellectus agens) sich dem sinnlich Erkannten zuwendet (conversio ad phantasma) und im sinnlich wahrnehmbaren Erkenntnisbild (species sensibilis) das geistige Erkenntnisbild (species intelligibilis) der Objekte erkennbar macht, so dass es der rezeptive V. (intellectus possibilis) hieraus zu entnehmen vermag. Denker der platonisch-augustinischen Tradition wie Descartes oder Leibniz haben diese Notwendigkeit bestritten und zumindest die grundlegenden Begriffe und Prinzipien zum Bestand des V.s selbst gerechnet. Für Kant besteht die Tätigkeit des nur spontanen (d. h. von sich aus und nicht willentlich aktiven) und nicht rezeptiven V.s darin, das ungeordnete mannigfaltige Material der sinnlichen Anschauung durch seine Begriffe zu ordnen und dadurch für uns verständlich zu machen. Durch Begriffe, Urteile und Grundsätze erlangt er allgemeine und notwendige und somit wissenschaftliche 3 Erkenntnis (3 a priori, 3 Kategorien). Für Hegel erfasst der V. nur die abstrakte Allgemeinheit und ist auf die Gegensätzlichkeit der Objekte fixiert, statt wie die Vernunft die konkrete Gesamtheit ins Auge zu fassen. Während die Aufklärung einerseits V. und Vernunft zur höchsten Instanz macht, beginnen andererseits auch schon Relativierungen des V.s. Während für Kant V. und Vernunft noch wie in der gesamten Tradition eine überindividuelle allgemeine Instanz in uns sind, finden sich seit der Reflexion auf die kulturelle und sprachliche Verschiedenheit im 18. Jahrhundert bis zur Postmoderne Bestreitungen der universellen Gleichheit des V.s. Seit Schopenhauer und Marx gibt es ferner Tendenzen, den V. als ein Werkzeug oder Produkt anderer Interessen zu interpretieren (3 Ideologie). Aristoteles: De anima 3, 4–8; T v Aquin: In De anima 3, 7–9; STh I 79; 84–88; J Locke: An essay concerning human understanding (dt.: Ein Versuch über den menschlichen V.); G W Leibniz: Nouveaux essais sur l’entendement humain (dt.: Neue Versuche über den menschlichen V.), D Hume: An enquiry concerning human understanding (dt.: Eine Untersuchung über den menschlichen V.); I Kant: KrV, Transzendentale Analytik. – O Hamelin: La théorie de l’intellect d’après Aristote et ses commentateurs, P 1953; K Oehler: Die Lehre vom noetischen und dianoetischen Denken bei Platon und Aristoteles, M 1962; Hans Wagner (Hg): Sinnlichkeit und V. in der deutschen und französischen Philosophie von Descartes bis Hegel, Bn 1976; R A Mall: Der operative Begriff des Geistes, Fr 1984; V Kal: On intuition and discursive reasoning in Aristoteles, Lei 1988; T M Seebohm: Kants Theorie des V.es, Dordrecht 1990; W Schneiders: »Vernunft und V. – Krisen eines Begriffspaares«, in: L Kreimendahl (Hg): Aufklärung und Skepsis, St 1995, 99–220.

Schöndorf Verstandesbegriff 3 Kategorie 3 Transzendentalphilosophie

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Verstehen

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Verstehen hat zunächst dieselbe Bedeutungsbreite wie das lateinische intelligere bzw. wie das englische understanding. Es ist dem Begreifen nahe verwandt. Es enthält die Antwort auf die Frage »Warum?«. Innerhalb der deutschen Tradition der Philosophie ist jedoch der Vorschlag von W Dilthey wichtig geworden, einen engeren Begriff des V.s zu bilden, der dem des Erklärens entgegengesetzt ist. Dilthey wollte so den sogenannten Geisteswissenschaften eine eigene Methode, die 3 Hermeneutik, geben. Sowohl das Erklären wie das V. führen Phänomene auf ihre Gründe zurück. Aber sie tun das in verschiedener Weise. Die Erklärung eines Ereignisses führt dieses auf bestimmte Verlaufsgesetze und auf seine Anfangsbedingungen zurück. Die Erklärung ist vor allem am Platz, wenn – wie im Naturgeschehen – unter den Ursachen der Ereignisse keinerlei Instanzen zu vermuten sind, die vernünftig denkende und wollende Wesen sind. Sind diese Ereignisse aber Handlungen oder Äußerungen von 3 Personen, dann versucht man zunächst, sie zu v.: d. h. ihren 3 Sinn zu erfassen. Die Frage nach dem Warum zielt dann nicht auf die mechanische, sondern auf die finale 3 Kausalität. Erst wenn man die Sätze und Handlungen eines Menschen nicht mehr als sinnvoll v. kann, wird man dazu übergehen, sie zu erklären, z. B. als pathologische Phänomene. Ein Handeln v. heißt, es auf seine leitende Absicht zurückführen. Die Absichten eines Menschen aber beruhen samt seinen Verhaltensweisen in einem Ensemble von Empfindungen, Strebungen und Überzeugungen. Diese Erlebnisganzheit ist etwas für die einzelne Person Charakteristisches, wodurch sich jeder vom anderen unterscheidet. Daraus entsteht die Aufgabe, einander nicht nur in einzelnen Sätzen oder Handlungen, sondern als Personen zu v. Zum Teil aber ist die seelische Struktur des einen Menschen durchaus verwandt mit derjenigen anderer Menschen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, einander in einem gewissen, variablen Ausmaß zu v., indem man vom eigenen Selbstgefühl ausgehend, sich in den anderen oder Fremden, vermittelt durch dessen Äußerungen, so einzufühlen versucht, dass man jene zu v., d. h. nachzuvollziehen vermag. Von diesem Nachvollziehen ist es manchmal nur ein kleiner Schritt zur Rechtfertigung. Denn voll v. kann man nur, was man selbst für wahr und gut hält. So kann der Wille, möglichst alles zu v., an eine Grenze kommen, wo das v.de Subjekt entwurzelt bzw. das Böse verharmlost wird. Einen ganz anderen Begriff des V.s hat M Heidegger gebildet: V. nicht als die 3 Interpretation von Vorhandenem, sondern als das Resultat der praktischen Aneignung der eigenen Handlungs- und Lebensmöglichkeiten, so wie man sagt, dass jemand sein Metier versteht oder sich auf das Leben versteht. W Dilthey: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, B 1910; M Heidegger: Sein und Zeit, Hl 1927, § 32. – M Riedel: V. oder Erklären?, St 1978; G Schurz (Hg): Erklären und V. in der Wissenschaft, M 1988; T Sundermeier: Den Fremden v., Gö 1996; O R Scholz: V. und Rationalität,

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Vertragstheorie(n) F 1999; W Kogge: V. und Fremdheit in der philosophischen Hermeneutik, Hi 2001.

Haeffner Vertragstheorie(n) entstanden, als man an den Bindekräften der Gesellschaft zweifelte und der Natur keine die Herrschaft gründende und legitimierende Kraft mehr zutraute. Die künftigen Bürger selbst schlossen dann nämlich in Gleichheit und frei ein Abkommen (auch Vertrag, 3 Konvention, Konstitution, Verfassung genannt) ab und fassten sich dadurch überhaupt erst als ein Volk (Gesellschaftsvertrag) auf; oder sie legitimierten mit dem Vertrag die notwendige Herrschaft und ordneten darüber hinaus für jeden Teilnehmer verpflichtend die jedem zustehenden Freiheitsräume (Unterwerfungsvertrag). Städte und Republiken hatten sich stets solcher Verträge bedient. Für »die« Gesellschaft ist der Vertrag historisch jedoch nicht nachweisbar; auch lebte der Mensch nie außerhalb von Gesellschaft, immer schon mit den Seinen, meist auch in Familie. Die V. sind darin wertvoll, dass sie Kriterien an die Hand geben, an welchen jede Politik, Verfassung und Regelung zu messen ist: Können wir ihnen unsere Zustimmung erteilen? Ihnen Verbindlichkeit geben? (Kriterium der Bejahbarkeit). Allerdings muss es 1) bereits ein Volk vor der Selbstgründung als Staatsvolk gegeben haben, ebenso die Anerkennung als freie und gleiche Vertragsschließende, so dass der Grundvertrag nie der echte Anfang des Zusammenlebens wie auch nicht die Begründung der Werte sein kann. Er ist keine Letztreferenz. Schon der erste Vertrag zehrt von vorgegebenen Normen, wie der Norm »pacta sunt servanda«. Damit ein Vertrag zustande kommt, ist der Zustand vorausgesetzt, den der Gesellschaftsvertrag erst herbeiführen soll; es ist 2) die Frage, wie die Selbstverpflichtungen haltbar, zuverlässig und dauerhaft werden können. Dazu ist die Unterwerfung unter eine Autorität nötig, die nicht je nach Willkür abgerufen und abgebaut werden kann. Die Schöpfer des Gemeinwesens müssen sich also ihrem eigenen Geschöpf verbindlich unterordnen. Um dieses Moment wäre jene V. zu korrigieren, die sagt, dass jegliche Macht des Gemeinwesens auf den Vertragsschluss und die Vertragsschließenden zurückgehe und von ihnen auch jederzeit zurückgenommen werden könne; es ergibt sich 3) das Dilemma, dass der Vertrag als die beste Ordnung, welche die Volksmitglieder als Kontrahenten für sich wollen, im Grunde die Abänderbarkeit durch die Nachkommen ausschließen muss, denen jedoch, weil frei und gleich, das Recht zur (Neu)Gründung gar nicht verweigert werden kann; wie treten sie in den Vertragszustand ein? 4) Es wäre sinnwidrig, das Kriterium der Bejahbarkeit an jedes einzelne 3 Gesetz anzulegen; im Rahmen der bejahten Ordnung ist ihm Gehorsam geschuldet; 5) Ist die Kündigung des Vertrags rechtfertigbar? Ist ein Austritt aus dem Vertrag vorzusehen? An Bedenken lassen sich gegen die V. erheben: Sie fördern die Vorstellung

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Vielheit

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einer atomisierten Gesellschaft, schwächen die Kräfte sich einzuordnen, können den Eindruck erwecken, dass das Gerechte vom Willen der Einzelnen abhänge. T Hobbes: Leviathan, 1651; S Pufendorf: De iure naturae et gentium, 1672; J Locke: Second Treatise, 1689; J J Rousseau: Du Contrat Social, 1762; I Kant: Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, 1797; J Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1975; J Buchanan: Die Grenzen der Freiheit, Tü 1984. – J Wieser: »Contract«, in Wetzer und Weltes Kirchenlexikon, Bd. 3, Freiburg 1884, Spalten 1042–1044; R Vierhaus (Hg): Herrschaftsverträge, Wahlkapitulationen, Fundamentalgesetze, Gö 1987; P Koller: Neue Theorien des Sozialkontrakts, B 1987; W Kersting: Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, Da 1994; T Scanlon: What We owe to Each Other, C 1999.

Brieskorn Vertrauen 3 Glaube Verworrene Begriffe 3 Rationalismus Verzeihung 3 Vergebung Vielheit ist als solche der 3 Einheit entgegengesetzt. Vieles ist, was auf irgendeine Weise nicht Eines, nicht das Selbe, sondern eben Verschiedenes ist. Doch geht es nur bei der abstrakt betrachteten V. und Einheit um einen kontradiktorischen, sich ausschließenden 3 Gegensatz. In der verwirklichten V. und Einheit als solchen gibt es diesen niemals. Denn die wirklich bestehende V. setzt Einheit stets voraus. Einheitsloses Vieles kann es nicht geben, war die weitgehend allgemeine Überzeugung der Philosophen. Die große Frage war aber, ob es etwas Eines geben kann ohne irgendeine V. In der sowohl von Platon als auch von Aristoteles inspirierten klassischen philosophischen Tradition ging man davon aus, dass V. immer in irgendeiner Art des Nicht-Seins begründet ist und deshalb stets durch irgendwelche Unvollkommenheit zustande kommt. Die thomistische Schule kannte eine zweifache Konstitution der V., nämlich eine, die durch eine Begrenzung des als reine Aktualität betrachteten 3 Seins entsteht und das Resultat dessen ist, dass das Sein als 3 Akt in einem als Potenz fungierenden, auf einen bestimmten Inhalt begrenzten 3 Wesen aufgenommen und somit verwirklicht wird; und eine weitere, die durch die identische Vervielfältigung des auf einen Wesensgehalt schon begrenzten Seins in der quantitativ bestimmten 3 Materie entsteht, wobei in diesem Fall das aktuelle Prinzip das Wesen und das potentielle Prinzip die quantitativ bestimmte Materie ist. Doch V. kann nicht nur durch Unvollkommenheit, nicht nur durch einen mehr oder weniger bestehenden Mangel an verwirklichtem Sein begründet werden. Eine solche Auffassung setzt nämlich eine Univozität (3 Analogie) und damit eine bis zur Inhaltslosigkeit reichende Eindimensionalität des Seins voraus. Sein wäre dann nur die abstrakt verstandene Existenz, das bloße Nicht-Nichtsein. Außerdem widerspricht sie einer vor allem in den persona-

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Vitalismus

listisch ausgerichteten philosophischen Systemen artikulierten menschlichen Grunderfahrung, nach der jene V., die sich in der Verschiedenheit der Menschen als Personen (3 Person) manifestiert, niemals bloß ein Mangel, sondern immer auch eine Vollkommenheit, ein Wert in sich ist. Denn die V. der Menschen als Personen kann unmöglich als nur numerische Wiederholung der identischen Menschennatur in bloß quantitativ verschiedener Materialität gedeutet werden. Es ist deshalb davon auszugehen, dass neben der V., die sich aus der Unvollkommenheit des Seienden ergibt, es noch eine andere Art der V. gibt, die, weil sie durch die jeweils individuell eigene Weise, das gleiche Sein zu verwirklichen, entsteht, die Einheit nicht aus-, sondern einschließt, und die sich, weil sie als reine Vollkommenheit (3 Transzendentalien) zu gelten hat, entsprechend der Seinsmächtigkeit des jeweiligen Seienden zu erkennen gibt. Wenn es nun eine Weise der V. gibt, die als reine, mit dem Sein koextensive, also transzendentale Vollkommenheit zu gelten hat, dann ist diese V. auch im Absoluten, also in Gott gegeben, und das ist genau, was die christliche Lehre von der Dreifaltigkeit behauptet. Zu erwähnen ist hier noch, dass die Einsicht, V. bedeute nicht nur Mangel an Sein, sondern auch Vollkommenheit, auch in der Scholastik nicht ganz unbekannt war. So redet z. B. Thomas v Aquin im Zusammenhang mit der Dreifaltigkeitslehre (STh I q 30 a 3c und Pot. q 9 a 7) von einer nicht unter die Kategorie der Quantität fallenden »transzendentalen« V. (multitudo transcendens), die ebenso reine Vollkommenheit ist als die transzendentale Einheit. Doch diese Einsicht wurde selbst bei ihm nicht systembestimmend. 3 Identität 3 Differenz. Aristoteles: Metaph. I u X; T v Aquin: ScG II 39–45; III 97; De potentia q 3 a 16. – A Brunner: Der Stufenbau der Welt; B Weissmahr: Ontologie St 2 1992, 95– 120.

Weissmahr Virtuell 3 Realität Vis aestimativa 3 Instinkt 3 Sinneserkenntnis Vis cogitativa 3 Schema 3 Sinneserkenntnis Vitalismus ist die über die Gesetze von Physik und Chemie hinausgehende Annahme einer Eigenkausalität des Lebendigen mit dem Anspruch, nur dadurch die organismische Zweckhaftigkeit angemessen zu erklären. In seinen Wurzeln bis auf die Antike (Aristoteles) zurückreichend, wurde er v. a. im 17. und 18. Jahrhundert in der Physiologie (»Lebenskraft«) wie der Morphologie (»Bildungstrieb«) als Reaktion auf die cartesische Maschinentheorie des Lebendigen konzipiert. Im Zug der Entwicklungsmechanik des beginnenden 20. Jahrhunderts verlor der V. zunehmend an naturwissenschaftlichem Einfluss, konnte sich aber in verschiedenen Formen einer Ganzheitstheorie des Organismus philosophisch in gewissem Umfang reetablieren (Neovitalismus). Die Molekularbiologie hat jedoch der Annahme einer als Entwick-

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Völkerrecht

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lungsfaktor wirkenden (unaristotelischen!) »Entelechie« (Driesch) endgültig die Grundlage entzogen. Eine Sonderform ist der Panv., der aus psychistischen bzw. ökologischen Gründen die gesamte Welt als Super-Organismus auffasst. 3 Entwicklung 3 Teleologie. H Driesch: Der V. als Geschichte und als Lehre, L 1905, Philosophie des Organischen, L 4 1928; K Braeunig: Mechanismus und V. in der Biologie des neunzehnten Jahrhunderts, L 1907; E Becher: Einführung in die Philosophie, M 2 1949; T v Uexküll: Der Mensch und die Natur, M 1953; H Rehder: Denkschritte im V., M 1988; J Lovelock: Das Gaia-Prinzip, M 1991.

Kummer Volk 3 Staat Völkerrecht ist das Recht zwischen den Staaten, zwischen 3 Staat und nichtstaatlichen Subjekten des internationalen Rechtsverkehrs (Röm.-Kath. Kirche) und auch das Recht supra- und internationaler 3 Institutionen. Es regelt, wer Subjekt des V.s ist, welche Handlungen zwischen den Staaten geboten, verboten und erlaubt sind, im Einzelnen Kriegführung, Friedensschluss, Gesandtenrecht, Handelsabkommen. Insofern das V. von den Staaten gemeinsam gesetztes Recht ist, deckt es sich nicht mit dem Internationalen Privatrecht oder Internationalen Verwaltungsrecht, welche der einzelne Staat zur Regelung zwischennationaler Rechtsvorgänge in Kraft setzt. F Suárez unterschied in De legibus (1612) »ius intra gentes« (Recht, das allen Völkern gemeinsam ist) und »ius inter gentes« (Recht zwischen den Völkern). Nur letzteres meint das moderne Verständnis von V., auch wenn gerade in diesem Recht versucht wird, gemeinsame Grundlagen in allen nationalen Rechtsordnungen herzustellen, etwa eine allen Rechtsordnungen gemeinsame Basis im Menschenrechtsschutz. Während Thomas v Aquin im V. eine Ableitung aus dem 3 Naturrecht erblickte, sah Suárez in dem V. ein von Menschen erfundenes und sich menschlicher Entscheidung verdankendes Recht, das abänderbar und durch Gewohnheit zu gestalten war. Das V. hatte allerdings naturrechtliche Normen aufgenommen. – An Aufgaben stellen sich dem V.: 1) Das Verhältnis zwischen Staat und Volk bedarf der Klärung. Dem Volk kommt auch ohne Staat ein Selbstbestimmungsrecht zu; aber welche Pflichten obliegen einem Volk im Bürgerkrieg? Soll es ein Durchgriffsrecht vom Staat auf das Volk geben? Haftet das Volk für Staatshandeln (3 Verantwortung)? 2) Problematisch war, dass der Mensch selbst nur indirekt, vermittelt durch den Staat oder in Einzelnormen wie dem Kriegsgefangenenschutz im V. vorkam. Dass der Staat und das Staatenverhältnis im Dienst am konkreten Menschen stehen (3 Würde), setzt sich im V. erst langsam durch. Indem auch das V. dem Menschen dienen soll, besteht ein Vorrang des Menschen vor der Institution Staat. Dieser Vorrang berechtigt dazu, bei massiven innerstaatlichen Menschenrechtsverletzungen seine 3 Souveränität zu missachten und

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Völkerrecht

letztlich auch militärisch vom Ausland aus zu intervenieren, unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebotes (s. u. 7). 3) Der Krieg ist zu ächten; während jedoch die innerstaatliche Befriedung mit der Gewaltmonopolisierung beim Staat einherging (3 Zwang), bleibt das v.liche Gewaltverbot (UN-Satzung Art. 2 Nr. 4) noch ohne dauerhafte und effektive Durchsetzungskraft; deshalb ist für solche Institutionen einzutreten. 4) Zwei Rechtsgebiete harren im 21. Jahrhundert der Entwicklung: das »ius ante bellum« hat das Arsenal kriegsverhütender und vertrauensbildender Maßnahmen zu entwickeln und den Gebrauch dieser Maßnahmen verpflichtend zu machen; das »ius post bellum« den Wiederaufbau, die Wiederherstellung oder die Gründung des Rechtsstaats zu besorgen, nicht zuletzt Polizei- und Gerichtsinstitutionen aufzubauen. 5) Der Menschenrechtsschutz und das Prinzip der internationalen Solidarität sind weiterzuentwickeln. 6) So wichtig regionale Friedensordnungen mit staatsähnlichen Zügen wichtige Schritte zum Weltfrieden sind, dürfen sie dennoch nicht dem allgemeinen V. widersprechen und eine Weiterentwicklung behindern. 7) Die »Humanitäre Intervention« ist zu einem Element zu entwickeln: Unter ihr ist die »Intervention zum Schutz fremder Staatsbürger, die massiv in ihren Menschenrechten bedroht sind« (Seidl-Hohenveldern), zu verstehen, die nicht unter das VII. Kapitel der UN-Charta fällt. Abzulehnen sind die demokratische Intervention, die mit militärischen Mitteln gegen die bestehende Regierung eine demokratische Staatsform einzuführen bezweckt, und auch die subversive Intervention, d. h. der mit nicht-militärischen Mitteln, sondern innenpolitischen Maßnahmen veranlasste und durchgeführte Eingriff. Bedingungen der Rechtmäßigkeit und Erlaubtheit der humanitären Intervention sind: a) Massive Menschenrechtsverletzungen, z. B. Genozid; b) der eigene Staat kann oder will nicht abhelfen; c) es stellt die Intervention mit Waffengewalt das einzige, verwirklichbare Mittel dar, welches die Verletzungen zu stoppen vermag; d) wer eingreift, muss sich verbindlich über die Modalitäten des Eingreifens und des Abzugs Gedanken gemacht und Beschlüsse gefasst haben. Gründe gegen die humanitäre Intervention können folgende sein: 1) Es sei unklar, was »massive Menschenrechtsverletzungen« sind; 2) das Gewaltverbot werde noch weiter durchlöchert und die Souveränität beschädigt; 3) die Gleichheit zwischen den Staaten leide, der eine halte sich für »höherwertig«, dem anderen werde das Prädikat »minderwertig« angeheftet; 4) es werde das Regime nicht beseitigt. W Grewe (Hg): Fontes Historiae Juris Gentium. B 1995; T v Aquin: STh I–II, 90 ff.; F Suárez: De legibus, II, 17–20; H Grotius: De iure belli ac pacis libri tres, 1625. – J Soder: Francisco Suárez und das V., F 1973; R Keohane / J Nye: Power and Interdependence, Boston 1977; O Kimminich: Einführung in das V., M 2 1987; I Seidl-Hohenveldern: V., K 6 1987; K-H Ziegler: V.sgeschichte, M 1994; U Horst (Hg): Francisco de Vitoria, St 1997; M Pape: Humanitäre

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Vollkommenheit

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Intervention, Baden-Baden 1997; O Höffe: Demokratie in Zeiten der Globalisierung M 1999; R Spaemann: Grenzen, St 2001.

Brieskorn Vollkommenheit (Vollendung, Perfektion; gr. teleiótes, lat. perfectio) meint im radikalen, absoluten Sinn die unüberbietbare Höchstform, die in Gott und bei Platon in den Ideen verwirklicht ist und das Maß für alles übrige darstellt sowie Ursprung und Ziel von allem ist. Sodann gibt es die relative V. der jeweiligen Form oder Natur, mit der diejenige Vollendung gemeint ist, die ein Seiendes kraft seiner Natur und der damit gegebenen Vermögen im optimalen Fall zu erreichen vermag. Die V. eines Seienden ist das 3 Ziel seines naturgegebenen 3 Strebens (3 Teleologie). Für Thomas v Aquin ist Gott die perfectio perfectionum (V. der V.en), also die V. schlechthin. Die Spätscholastik unterschied zwischen gemischten und reinen V.en. Unter den reinen V.en wurde all das verstanden, was von sich selbst her keine Einschränkung und somit keine Unv. ausweist. Dies gilt für den 3 Geist und seine spezifischen Vermögen und Tätigkeiten, denn die 3 Materie ist ihrem Wesen nach unvollkommen, da sie weder der Zeit noch dem Raum nach als 3 Einheit und Ganzheit an einer Stelle ganz da ist. Wenn bei den geistigen Tätigkeiten von der zeitlichen Unv. der Diskursivität (des Nacheinander) und den leiblichen Bedingungen (neuronale Voraussetzungen, Angewiesenheit auf Sinneswahrnehmung, sprachliche Formulierbarkeit usw.) abgesehen wird, so werden sie als V.en konzipiert und kommen in überragender Weise Gott zu. Das Streben nach V. wird in der Tradition oft als die Aufgabe eines sittlichen Lebens genannt. Das V.sstreben darf jedoch nicht zum Perfektionismus pervertieren, der meint, man könne und müsse vom Menschen immer ein absolut vollkommenes Verhalten verlangen, und den Menschen in Wahrheit am Idealbild einer »perfekt« funktionierenden Maschine misst. Auch Kant nennt die V. als ein mögliches Kriterium der Sittlichkeit, das er aber (mit nicht sehr überzeugenden Gründen) als Heteronomie ablehnt. Der wahre Grund der Ablehnung besteht wohl darin, dass die Erkenntnis unserer V. über die Erscheinung hinausgeht und uns darum nach Kants Meinung nicht möglich ist. Rousseau, die Theoretiker des 3 Fortschritts und andere Denker der 3 Aufklärung schrieben dem Menschen und dem Menschengeschlecht die Fähigkeit zu, sich immer weiter zu vervollkommnen (Perfektibilität). Aristoteles: Metaph. V 16; T v Aquin: STh I 4, 1–2; 73, 1 c; II–II 184, 2 c; ScG I 28; F Suárez: DM 10, 2, 36. – F G Jünger: Die Perfektion der Technik, F 4 1953; W Hoeres: Der Wille als reine V. nach Duns Scotus, M 1962; J Passmore: Der vollkommene Mensch, St 1975; O Blanchette: The perfection of the universe according to Aquinas, University Park 1992; U Reitemeyer: Perfektibilität gegen Perfektion, Ms 1996. Schöndorf

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Vollständigkeit

Vollständigkeit (engl. completeness) ist die Beschaffenheit einer Gesamtheit, wenn kein 3 Teil fehlt. Aristoteles und besonders Hilbert sahen die V. der 3 Gesetze eines Wissensbereichs als Ziel der 3 Wissenschaft. Das V.sproblem wurde im 19. Jahrhundert aktuell bei rein syntaktisch formalisierten 3 Systemen, nämlich ob solche 3 Kalküle eine bestimmte Wissenschaft wie die Arithmetik genau abbilden können, d. h. ob alle (und möglicherweise nur die) wahren 3 Aussagen bzw. alle semantisch beschriebenen allgemeingültigen Formeln eines Wissensbereichs aus 3 Axiomen abgeleitet (3 Deduktion) werden können. Obwohl Bernays und Post um 1920 die V. der Aussagenlogik und Gödel 1930 die V. der Prädikatenlogik zeigen konnten, bewies Gödel schon 1931, dass formale Systeme, die recht einfache 3 Methoden der 3 Mathematik umfassen, ebenso wie die Prädikatenlogik höherer Ordnung, keine V. besitzen, d. h. nicht mit Hilfe von endlich vielen Axiomen formalisierbar sind (Erstes Unvollständigkeitstheorem). Deshalb kann die Widerspruchsfreiheit eines solchen Systems nicht innerhalb des Systems bewiesen werden (Zweites Unvollständigkeitstheorem). D Hilbert: Grundlagen der Geometrie, L 7 1930; D Hilbert / W Ackermann: Grundzüge der theoretischen Logik, B 1928; K Gödel: Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I, Monatsh. für Math. und Phys. 38(1931) 173–198; D Hilbert / P Bernays: Grundlagen der Mathematik I–II, B 1934; P Bernays: Abhandlungen zur Philosophie der Mathematik, Da 1976. – J v Heijenoort (Hg): From Frege to Gödel, C 1967; M Davis (Hg): The Undecidable, Hewlett 1965.

Carls Voluntarismus (lat. voluntas: Wille) ist eine Bezeichnung für verschiedene Positionen, welche im Gegensatz zum 3 Intellektualismus dem Willen unter einer Rücksicht Vorrang vor dem Intellekt zuschreiben. Einige Positionen seien charakterisiert: Unter ethischem V. kann verstanden werden (1) die Ansicht, moralisch gut sei das, was von allen Menschen oder von Gott gewollt wird; (2) die Ansicht, das Glück des Menschen bestehe in einer Tätigkeit des Willens, z. B. in tugendgemäßem Handeln oder in der Liebe zu Gott; (3) die Ansicht, der Wille sei auch frei gegenüber einem Gegenstand, der unter jeder Rücksicht als gut vorgestellt wird. Doxastischer V. besteht in der These, dass alle oder bestimmte Arten von Überzeugungen, z. B. religiöse, willentlich erwerbbar sind. Eine Variante davon besagt, dass wir uns zwar nicht für einzelne Meinungen, wohl aber für ganze begriffliche Systeme bzw. Theorien entscheiden können (3 Entscheidung). Nach dem metaphysischen V., wie ihn etwa Schopenhauer vertritt, ist die Wirklichkeit letztlich Wille. W v Ockham: In Sent I, 48; J Duns Scotus: In Sent II, 25; In Sent IV, 49,9 und 10; B Pascal: Pensées, Fragment 223; A Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung; W James: The Will to Believe and Other Essays in Popular Philosophy, NY 1903. – W Bernard: Deciding to Believe, in: H Kiefer / M Munitz

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Voraussetzung

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(Hg): Language, Belief, and Metaphysics, Albany 1970; P Helm (Hg): Divine Commands and Morality, Ox 1981.

Niederbacher Voluntarium 3 Verantwortung Voraussetzung ist ein typisch deutscher Ausdruck, für den es in vielen anderen modernen Sprachen kein oder nur ein relativ künstlich wirkendes exaktes Äquivalent gibt, da das vom gr. hypóthesis stammende Wort 3 Hypothese im Allgemeinen eine andere Bedeutung gewonnen hat. Wörtlich ist eine V. eine im Voraus gemachte oder zu machende 3 Setzung, also eine Annahme, die zu einer anderen These logisch (oder auch zeitlich) vorgängig ist. Dies bedeutet, dass V.en zunächst einmal dem Bereich der 3 Logik im weitesten Sinn angehören. Dabei gibt es mehrere Arten von V.en: V.en, die vom Sprecher als freie Annahmen gemacht werden, um zu zeigen, was aus einer solchen Annahme folgt; oder V.en, die erfüllt sein müssen oder sollen, wenn etwas Bestimmtes der Fall sein soll; oder V.en, die die Gewähr dafür bieten, dass eine bestimmte Folge tatsächlich eintritt, deren Eintritt ohne die betreffende(n) V.(en) entweder nicht erfolgt oder ungewiss ist. Das Wort V. ist weitgehend, wenn nicht sogar völlig bedeutungsgleich mit dem Wort (Vor-)Bedingung und lässt dieselben Differenzierungen zu, betont aber stärker die (logische oder zeitliche) Vorgängigkeit. Statt von V. kann auch von Vorbedingung gesprochen werden. Manche Autoren unterscheiden jedoch zwischen Vorbedingungen auf der Ebene der realen Existenz und V.en auf der Ebene der Erkenntnis. Die Philosophie und die anderen Wissenschaften sind im Idealfall um größtmögliche Objektivität bemüht. Diese wird schon bei den Griechen darin gesehen, dass das Wissen v.slos (anhypóthetos) ist. Hierbei muss aber zwischen notwendigen und nicht-notwendigen V.en unterschieden werden. Sachlich notwendige V. für Erkenntnis ist seitens des Subjekts das gesunde und unbehinderte Funktionieren unseres Erkenntnisvermögens. Denkerisch notwendige V.en, die nicht ausdrücklich bewusst und gewusst sein müssen, sind die (ersten) 3 Prinzipien und die (grundlegenden) 3 Kategorien, die ihrerseits v.slos sind, die Anwendung der richtigen Methoden, ferner hinreichende Sprachkenntnisse sowie ein gewisses Vorverständnis der Sache, um die es geht, wie die 3 Hermeneutik gezeigt hat. In der 3 Wissenschaftstheorie ist seit T S Kuhn klar, dass jede Forschung bereits eine theoretische Konzeption voraussetzt, worauf schon Kant hingewiesen hatte (KrV, B XIIf.). Eine absolut v.slose Erkenntnis gibt es nicht. Die Erkenntnis fängt nicht beim Nullpunkt an. Die Forderung nach V.slosigkeit kann darum sinnvollerweise nur meinen, dass unnötige, unbegründete oder willkürliche V.en ausgeschlossen werden müssen, da sie zu einseitigen und unrichtigen Konsequenzen führen und so die Erkenntnis verfälschen.

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Vorsokratiker

J Cohn: V.en und Ziele des Erkennens, L 1908; E Spranger: Der Sinn der V.slosigkeit in den Geisteswissenschaften, Da 1929; T S Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, F 1967; G Radnitzky (Hg): V.en und Grenzen der Wissenschaft, Tü 1981.

Schöndorf Vorbehalt, innerer 3 Lüge Vorbestimmte Harmonie 3 Leib-Seele-Problem 3 Monade Vorbild 3 Ideal 3 Ursache Vordersätze 3 Schluss Vorhanden 3 Dasein Vorherwissen Gottes 3 Gottes Eigenschaften Vorpositive Rechte 3 Naturrecht Vorrational 3 Irrational Vorsehung 3 Gottes Wirken 3 Stoizismus Vorsokratiker Die Antike lässt mit Sokrates einen neuen Abschnitt der Geschichte der Philosophie beginnen. Er habe als Erster die Philosophie »vom Himmel herunter gerufen und sie gezwungen, nach dem 3 Leben, den Sitten und dem 3 Guten und Schlechten zu forschen« (Cicero, Tusculanen V 10). Die moderne Bezeichnung V. hat sich vor allem durch E Zeller und H Diels durchgesetzt. Die philosophische Deutung verdankt Hegel, Nietzsche und Heidegger wertvolle Anstöße. Die V. bilden keine thematische Einheit. Die Wende zum 3 Menschen (3 Ethik, Politik, 3 Religion, 3 Sprache) vollzieht sich bereits mit den Sophisten, die Zeller und Diels noch zu den V. rechnen. Aristoteles’ Bezeichnung »Naturphilosophen« (physikoí) trifft allenfalls eine vorherrschende Fragestellung. Unsere Kenntnis der V. beruht auf antiken Referaten, die größtenteils aus aristotelischer Sicht geschrieben sind, und auf wörtlichen Zitaten (Fragmenten) bei antiken Autoren. Die drei Milesier (6. Jahrhundert) fragen nach dem Ursprung (arché), aus dem alle 3 Dinge entstehen, und sie denken ihn als belebten Stoff (Hylozoismus). Thales übernimmt vom Orient die Lehre, der Ursprung sei das Wasser, und bestätigt sie durch Beobachtungen. Nach Anaximander ist der Ursprung das qualitativ, zeitlich und räumlich Unbestimmt-Unbegrenzte (apeiron), und für Anaximenes sind alle 3 Erscheinungen unterschiedliche Aggregatzustände der Luft. Diogenes Laertios (I 13 f.) unterscheidet von der ionischen (milesischen) eine italische Richtung, die auf Pythagoras (ca.570–490) zurückgeht. Der eigentliche Mensch ist die im 3 Leib eingekerkerte unsterbliche 3 Seele, die sich nach dem 3 Tod zu verantworten hat und in einen anderen Leib eingeht. Die mathematischen Proportionen sind das 3 Wesen der Dinge. Xenophanes stellt dem anthropomorphen Polytheismus die Lehre von dem einen 3 Gott entgegen. Er gilt als Gründer der Schule von Elea. Parmenides von Elea fragt nach dem Wesen des Seienden. Es ist ungeworden, unvergänglich, unteilbar eines, ohne jede Verschiedenheit und in jeder Hinsicht voll-

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Vorstellung

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kommen. Nach den Fragmenten des Heraklit aus Ephesos sind die Dinge eine vom Logos bestimmte 3 Einheit einander widerstrebender Gegensätze (3 Bild des Bogens). Die V. nach Parmenides wollen das 3 Phänomen der 3 Veränderung retten, ohne die 3 Ontologie des Parmenides preiszugeben; einflussreichster Versuch ist die Atomlehre des Demokrit. Aristoteles: Metaph., I; Diogenes Laertios: Leben und Lehre der Philosophen, II; IX; H Diels / W Kranz: Die Fragmente der Vorsokratiker, B 6 1 1951 f.; G S Kirk / J E Raven / M Schofield: The presocratic philosophers, C 2 1983; J Mansfeld: Die V., St 1983. – E Zeller: Die Philosophie der Griechen I. Teil, L 6 1919 f.; G Vlastos: Studies in Greek philosophy, I, Pr 1995; C Rapp: Die V., M 1997; A A Long (Hg): The Cambridge companion to early Greek philosophy, C 1999.

Ricken Vorstellung a) V. ist im Sprachgebrauch von Kant die von Wolff vorgenommene Übersetzung des leibnizschen Terminus Repräsentation (lat. repraesentatio, fr. représentation, wörtl.: Vergegenwärtigung) und des cartesischen Begriffs idea und meint jeglichen (sinnlich-anschaulichen oder geistigen) theoretischen, kognitiven Gehalt des Bewusstseins. Der Ausdruck Repräsentation meint V. und Darstellung zugleich. Wir sprechen bei einer Theateraufführung von einer V., bei der die Darsteller ihre Rollen spielen, indem sie die Personen des Werks darstellen. Repräsentation ist Stellvertretung: Der Repräsentant (Delegierte, Vertreter, Botschafter …) vertritt die Stelle dessen, den er repräsentiert. So ist auch die erkenntnismäßige V. (im Sinn von a) die Stellvertretung des Vorgestellten (des realen Objekts) im Bewusstsein. Die Scholastik nennt die V. species (Erkenntnisbild) und im Fall der geistigen V. verbum mentis, cordis o. ä. (inneres Wort). b) Oft wird V. aber in einem engeren Sinn gebraucht, wie bei Hegel, für den V. nur eine sinnlich-konkrete, imaginative, »anschauliche« V. (Scholastik: phantasma) meint und im Gegensatz zu rein gedachten und begrifflichen Gedankengehalten steht. Zu diesen V.en gehören neben der sinnlichen Wahrnehmung konkret existierender Objekte auch imaginative V.en, die von derselben Art sind, aber kein gegenwärtiges Objekt darstellen: ein Gedächtnisbild (wobei Bild hier und in der Folge immer auch für einen nicht-visuellen Sinneseindruck steht), das eine frühere Wahrnehmung repräsentiert, ein frei erfundenes Phantasiebild, ein Traum und ein Trugbild (Trugwahrnehmung), das uns fälschlicherweise dazu verleitet, es für wahr zu halten, wie etwa eine Sinnestäuschung oder eine Halluzination. Wenn von V. die Rede ist, ist darum immer zu klären, ob dieser Ausdruck im Sinn von a) oder b) gebraucht wird, um Missverständnisse zu vermeiden. Dass sinnliche und geistige V.en voneinander unterschieden sind, hat Descartes in seiner 6. Meditation am Beispiel des Unterschieds eines Tausendecks und eines Zehntausendecks gezeigt. Anschaulich lässt sich der Unterschied nicht feststellen, aber geistig können wir ihn genau angeben: sowohl bei der

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Vorstellung

Definition (Zahl der Ecken und Seiten) als auch (mit entsprechender mathematischer Kenntnis) bei den daraus folgenden Eigenschaften wie der Winkelsumme. Es gibt also geistige V.en. Sie sind etwas Gedankliches, ein Wissen, wie bei einem Begriff und einer Definition. Die meisten Bestreiter der Existenz von geistigen V.en meinen irrigerweise, solche V.en müssten bildhafter Art sein wie die anschaulichen V.en, und stellen dann natürlich fest, dass es keine derartigen geistigen V.en gibt. Aber auch die Existenz von V.en überhaupt (in der Bedeutung a) wird immer wieder bestritten. Dahinter steht die These, dass wir nicht V.en von der Wirklichkeit, sondern diese reale Wirklichkeit selbst erkennen. Seit dem Aufkommen der Bewusstseinsphilosophie zu Beginn der Neuzeit gab es nämlich immer wieder idealistische Konzeptionen, die die These vertraten, wir würden nicht die Welt außer uns, sondern nur unsere eigenen V.en erkennen (so z. B. die These von Schopenhauers Hauptwerk: Die Welt als Wille und V.). Der Grund hierfür liegt darin, dass die These Descartes’, die (zunächst) einzig gewisse Erkenntnis sei die Erkenntnis meiner selbst und meiner V.en, mit der Meinung gleichgesetzt wurde, wir würden überhaupt nur uns selbst und unsere V.en erkennen. (Dies ist eine der Bedeutungen des Ausdrucks Abbildtheorie.) Wenn sich eine Philosophie von Anfang an auf diesen Reflexionsstandpunkt begibt, so kommt sie aus dieser Bezogenheit auf die eigenen V.en (oder die Sprache) nicht mehr heraus (3 Außenwelt), da sie die V.en (oder die Sprache) an die Stelle der wirklichen Objekte setzt. Bei Kant führt die Bezogenheit auf die V.en dazu, dass wir nicht mehr die Wirklichkeit an sich selbst erkennen, sondern nur noch ihre Erscheinung. Beide Male wird die V. zu einem Doppel der realen Wirklichkeit, so dass von der V. kein Weg mehr zur Realität führt. Um dem zu entgehen, behaupten manche Denker der pragmatischen Richtung, es gäbe überhaupt keine V.en, sondern unser Erkennen sei ein unmittelbarer Umgang mit der Wirklichkeit. Aber diese Unmittelbarkeit hebt den Unterschied zwischen Erkennen und Handeln auf. Das Erkennen wäre kein unverfälschtes Haben und Verstehen der Wirklichkeit mehr. Denn jedes Handeln ist gerade kein Sein-Lassen wie die Erkenntnis, sondern eine Veränderung der Wirklichkeit. Die V.en sind nicht eine dinghafte Verdopplung der Welt, sondern das Mittel und die Art und Weise, wie wir die Welt erkennen. Die Frage, ob wir unsere V.en oder die Wirklichkeit erkennen, ist ebenso wenig eine Alternative wie die Frage, ob der Maler ein Bild oder eine Person malt: Das eine geschieht durch das andere. Die V. ist ein »id quo (aliquid cognoscitur)« (ein »etwas, wodurch« etwas erkannt wird) und nicht ein »id quod« (ein »etwas, was« erkannt wird). Nur in der Reflexion, der Phantasie, im Traum und in anderen Täuschungen werden die V.en selbst zu Objekten unserer Erkenntnis. Nur durch V.en lassen sich erklären: 1) Irrtum, Täuschung und Traum; 2) die »Einbildung« (Fantasie und Erinnerung);

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Vorurteil

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3) die Unvollständigkeit jeder Erkenntnis; 4) die Mitteilbarkeit der Erkenntnis: wenn wir über Abwesendes reden, kann dies nur durch die V. der Bedeutung der Wörter verstanden werden. G Pico della Mirandola: De imaginatione. – K Twardowski: Zur Lehre vom Inhalt und Gegenstand der V.en, W 1894; C Knüfer: Grundzüge der Geschichte des Begriffs V. von Wolff bis Kant, Hl 1911; J Schmucker-Hartmann: Der Widerspruch von V. und Gegenstand, Me 1976; S Silvers (Hg): Rerepresentation, Dordrecht 1989; H-U Baumgarten: Kant und Tetens, St 1992.

Schöndorf Vorurteil / Vorverständnis In einer Hinsicht sind Vorurteil (Vu.) und Vorverständnis (Vv.) dasselbe: eine bestimmte Auffassung von einer Sache, bevor sie untersucht worden ist. In anderer Hinsicht werden sie gegensätzlich bewertet: Vu.e sollte man möglichst nicht haben; ein Vv. aber ist etwas Gutes, weil es schon ein gewisses Maß an Verständnis enthält. Vu.e sind Hindernisse für die Erkenntnis der Wahrheit, sei es, dass man sich schon im Besitz derselben wähnt und so gar nicht fragt, – sei es, dass man die aufscheinende Wahrheit, wenn sie nicht den eigenen Vu.en entspricht, gar nicht aufkommen lässt. In diesem Sinn haben die Aufklärungsbewegungen immer einen wichtigen Kampf gegen die Vu.e geführt. Am bekanntesten dabei sind die Attacken von Francis Bacon gegen die Vu.e, die er »Idole« (Götzenbilder) nennt, geworden. – Es gilt, verschiedene Bedeutungen von »Vu.« zu unterscheiden, um dieses berechtigte Ideal mit der Tatsache zu versöhnen, dass wir Menschen eine Fülle von Urteilen hegen, die wir oft selbst nicht übersehen und durchschauen, die aber jedenfalls nicht auf unseren eigenen Untersuchungen beruhen. Diese Tatsache ist fundamental; niemals ist unser Erkenntnisvermögen eine leere Tafel oder ein blanker Spiegel. Sie ist auch nicht nur ein Übel, sondern eine Lebensnotwendigkeit; denn diesen Vu.en entnehmen wir die Fragen und die Begriffe für echte Erkenntnisgewinne. Es ist also weder möglich noch wünschenswert, völlig vu.slos zu leben. Sogar falsche oder schiefe Vormeinungen haben etwas Gutes, wenn sie korrigierbar sind; denn sie umgrenzen immerhin schon die Themen und Interessen für eine mögliche Erkenntnis. Wenn man aber fordert, bestimmte Fragen frei zu untersuchen oder bestimmten Menschen frei zu begegnen, statt sich von Vu.en lenken zu lassen, meint man mit Vu. eine emotional festgehaltene Behauptung, die man gegen eine durchaus angebrachte Überprüfung und gegen eine bessere Erkenntnismöglichkeit schützt. Man schließt sich ab und will sich nicht öffnen. Was das neutrale Vu. zu einem Vu. im schlechten Sinn macht, ist die Weigerung, es gegebenenfalls zu revidieren. Vv. nennt man ein unvollständiges Wissen, das schon Elemente des erstrebten Verstehens enthält; mit ihm ausgestattet macht man sich an das Erkennen. Dieses Vorwissen findet meistens zugleich in drei Formen statt:

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Wahrheit

erstens als die Vertrautheit mit Bestimmungen, die jeden Gegenstand ausmachen (3 Kategorien, ggf. Raum-Zeit-Struktur als Form der 3 Sinnlichkeit); zweitens als das Resultat früherer Erfahrungen oder Studien mit ähnlichen Typen von Gegenständen; drittens als 3 hypothetische Annahmen, die den Wahrnehmungs- und Verständnisversuchen eine mögliche und nicht unwahrscheinliche 3 Interpretation vorgeben. Kein Erkennen ist ein bloßes Hinnehmen. Es kommt nur dadurch zustande, dass der Realität die Form vor-gegeben wird, in der sie sich möglicherweise dann zeigt. H G Gadamer: Wahrheit und Methode, Tü 5 1986; J Habermas: Erkenntnis und Interesse, F 4 1977; A Dorschel: Nachdenken über Vu.e, HH 2001.

Haeffner Wachstum 3 Leben Wahlfreiheit 3 Freiheit Wahrhaftigkeit 3 Lüge 3 Wahrheit Wahrheit (gr. alétheia, lat. veritas) kann in verschiedenen Bedeutungen gebraucht werden: 1) Wenn von W.en im Plural die Rede ist, so sind damit wahre 3 Aussagen (3 Urteil, Proposition) gemeint, so z. B. bei der Unterscheidung zwischen notwendigen und kontingenten W.en oder der Rede von ewigen W.en. 2) Ferner wird W. manchmal im Sinn von allumfassender Erkenntnis gebraucht, was leicht zu Missverständnissen führt, wie etwa bei der Behauptung: Wir können die W. nicht erkennen. 3) In Worten wie »Ich bin die W.« ist die Quelle, Gestalt, Verkörperung der W. gemeint. 4) Schließlich kann W. auch für Wahrhaftigkeit stehen. Die Bedeutungen des Adjektivs wahr (w.; und des Substantivs W.) können folgendermaßen eingeteilt werden, wobei die Einteilung nicht bei allen Autoren gleich ist: a) Grundlegend ist die Unterscheidung in die objektive und die subjektivexistentielle Bedeutung, wobei objektiv w. eine Eigenschaft von etwas ist, während subjektiv oder existentiell w. die Relevanz für das erkennende Subjekt ausdrückt. b) Mit objektiv w. ist meist die theoretische (semantische, materiale, inhaltliche oder noetische) W. gemeint, die auch als Erkenntnis-, Aussage- oder Satz-W. bezeichnet wird und die normale Bedeutung von w. oder W. darstellt. Diese W. kommt Erkenntnissen und ihren sprachlichen Formulierungen zu, deren Inhalt der Wirklichkeit entspricht. c) Im Gegensatz hierzu steht die ontologische oder ontische W., die nicht eine Eigenschaft von Erkenntnissen, sondern von Seienden ist und meint, dass ein Seiendes auf den erkennenden Geist bezogen ist. Dies kann noch einmal in zwei Unterarten aufgeteilt werden. Im scholastischen Satz »omne ens est verum« (jedes Seiende ist w.) ist mit w. die ontologische W. im Sinn

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Wahrheit

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der grundsätzlichen Erkennbarkeit durch den Geist gemeint. Diese W. ist seitens der Wirklichkeit der ermöglichende Grund dafür, dass wir Erkenntnis haben, und gehört zu den 3 Transzendentalien. Heideggers Deutung der W. vom griechischen alétheia her als Unverborgenheit geht in dieselbe Richtung. Als w. im ont(olog)ischen Sinn kann auch bezeichnet werden, was ideal oder echt ist, also dem entspricht, was man eigentlich mit dem betreffenden Begriff meint und was insofern dem Geist entspricht: ein w.er Freund, w.es Gold. d) Sonderfälle der semantischen W. sind: Die analytische W., bei der das Prädikat im Subjekt (in seiner Definition) enthalten ist. Ein Sonderfall der analytischen W. ist die tautologische W., bei der Subjekt und Prädikat inhaltsgleich und deshalb austauschbar sind. Der Ausdruck »logisch w.« sollte nach Möglichkeit vermieden werden, denn er bedeutet in der Scholastik dasselbe wie semantisch w., bei anderen Autoren aber logisch richtig, d. h. logisch korrekt abgeleitet, wobei die Frage nach der semantischen W. offen bleibt. W.sfähig (möglicher Träger der W.), also w. oder falsch im Sinn der semantischen W., ist primär und ursprünglich jede 3 Behauptung in Bezug auf ihre 3 Bedeutung, d. h. ihren propositionalen Gehalt. Dies kann auch bei Aussagen der Fall sein, deren primäre Funktion wie bei einem Wunsch oder einem Befehl nicht darin besteht, eine Information zu übermitteln. In diesem Sinn kann auch ein 3 performativer 3 Sprechakt w. genannt werden, und zwar, wenn er gelingt, sogar notwendigerweise w. Auch ein Beispielsatz kann w. sein, obwohl bei ihm die semantische W. irrelevant ist, weil er nicht der inhaltlichen Information dient, sondern eine Struktur veranschaulichen soll. W. oder falsch ist nicht das Laut- oder Schriftgebilde, sondern die Bedeutung, das Gemeinte. In einem weiteren, sekundären Sinn kann man auch von w.en oder falschen 3 Begriffen sprechen, insofern sie w.e oder falsche Urteile über die Realität suggerieren (man vergleiche etwa den Unterschied zwischen »Freitod«, »Selbstmord« und »Suizid«). Die W. ist das Ziel der Erkenntnis und somit die Eigenschaft richtiger, zutreffender Erkenntnis. Wenn Erkenntnis gelingt, so vermittelt sie uns W., ist sie w. Das Gegenteil ist falsch, irrig oder unw. Während falsch ganz allgemein (also nicht nur im Bereich des Erkennens, sondern auch bei Handlungen und allem regelgeleitetem Geschehen) das Gegenteil von richtig ist und nur dann von irrig die Rede sein kann, wenn zu Unrecht die Meinung besteht, eine Erkenntnis sei w., aber nicht dann, wenn von vornherein klar ist, dass eine Aussage keine W. enthält, wird die präziseste Verneinung von »w.« durch »unw.« zum Ausdruck gebracht. Die klassische Definition für die W. stammt von Thomas v Aquin und lautet: »Veritas est adaequatio intellectus et rei« (Die W. ist die Angleichung/Entsprechung von Intellekt und Sache; STh I, 21, 2). Dies ist keine 3 W.stheorie, sondern eine Definition der W. Aristoteles formuliert dasselbe verbal, wenn er über W. schreibt: »Denn zu behaupten, das Seiende sei nicht

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Wahrheit

oder das Nichtseiende sei, ist falsch. Aber zu behaupten, dass das Seiende sei und das Nichtseiende nicht sei, ist w.« (Metaph. IV, 7; 1011b 26 f.) Adaequare, adaequatio bedeutet im Lateinischen nicht nur Angleichen, Angleichung, sondern auch Übereinstimmung, Entsprechung. Es findet sich auch die Formel »adaequatio intellectus ad rem« (Angleichung des Intellekts an die Sache), die aber gegenüber der oben angeführten Formulierung den Nachteil hat, dass sie nicht auf die ont(olog)ische W. angewandt werden kann. Thomas v Aquin gebraucht auch andere Formulierungen wie »convenientia entis ad intellectum« (Einklang des Seienden mit dem Intellekt) sowie die Termini correspondentia (Entsprechung), concordantia (Übereinstimmung) und conformitas (Gleichförmigkeit). Nach J Hirschberger (473) stammt die Adaequatio-Formel nicht, wie Thomas meint, von Isaac Israeli, sondern von Avicenna. »Intellectus« ist ursprünglich das Verbalsubstantiv zu intelligere (einsehen) und meint den Akt des Einsehens und von daher dann auch die Fähigkeit hierzu. Hier ist mit »intellectus« aber weder die Fähigkeit noch der Akt des Erkennens gemeint, sondern der Gehalt des Erkennens, dasjenige, was ich als gedanklichen Gehalt in einer konkreten Erkenntnis erfasse. Mit dem Ausdruck »res« ist die in der betreffenden Erkenntnis bzw. Aussage gemeinte Wirklichkeit als solche bzw. das betreffende Sein als solches gemeint. Als Übersetzung der Adäquatio-Formel wird auch manchmal der Ausdruck »Übereinstimmung von Satz und Sachverhalt« verwendet. Im vorliegenden Fall ist unter »Sachverhalt« der real bestehende Tatbestand zu verstehen, während mit »Satz« die Bedeutung einer bestimmten Behauptung gemeint ist. Die Formulierung »Satz und Sachverhalt« drückt deutlicher als die Formulierung »intellectus et rei« aus, dass es immer um eine konkrete einzelne Erkenntnis bzw. Aussage geht und nicht um unser Erkenntnisvermögen in seiner Ganzheit. Indirekt kommt freilich schon auch unser Erkenntnisvermögen als ganzes ins Spiel, da sich diese unsere Fähigkeit an die Wirklichkeit anpasst (man könnte sagen »anmisst«), d. h. orientiert, ihr unterwirft, ihr entspricht, wenn wir etwas erkennen. Denn die Wirklichkeit ist das Maß für die W. unserer Erkenntnis. Wenn und insoweit unsere Erkenntnis wirklichkeitsgerecht ist, d. h. der Wirklichkeit entspricht, ist sie w. (3 Realismus). Etwa seit dem 19. Jahrhundert kommen andere Auffassungen von W. auf, da man keine Möglichkeit mehr sieht, die Übereinstimmung von Erkenntnis und Wirklichkeit festzustellen. Außerdem wird man sich dessen bewusst, dass wissenschaftliche 3 Theorien nicht im selben Sinn w. oder falsch sind wie Tatsachenbehauptungen. Um diesem Problem zu entgehen, wird versucht, die W. umzudefinieren oder sich damit zu begnügen, eine irgendwie geartete Rechtfertigung unserer Behauptungen an die Stelle der Forderung nach W. zu setzen. Die W. fordert von uns, sie zu suchen und uns ihr zu unterstellen. Da sich diese Forderung auf die Erkenntnis bezieht, kann sie zwar von der mora-

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Wahrheitskriterium

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lischen Forderung im engeren Sinn unterschieden werden, die sich auf das Handeln bezieht. Aber eigentlich sind beide nur die Ausdifferenzierung derselben ethischen Grundforderung, die Theorie und Praxis umgreift. Die Forderung der W. zeigt, dass nicht nur das Handeln, sondern auch das Erkennen den Anspruch an die Freiheit stellt, vernünftig zu sein. A v Canterbury: De veritate; T v Aquin: De ver; M Heidegger: Vom Wesen der W. – J Hirschberger: Geschichte der Philosophie I, Fr 1979; L B Puntel: Grundlagen einer Theorie der W., B 1990; R J Mayer: De veritate: quid est?, Fri 2002; J Milbank / C Pickstock: Truth in Aquinas, Lo 2001; I Schüssler: La question de la vérité, Ls 2001; R Schantz (Hg): What is truth?, B 2002; B Williams: W. und Wahrhaftigkeit, F 2003; D Davidson / R Rorty: Wozu W.?, F 2005; M Enders (Hg): Die Geschichte des philosophischen Begriffs der W., B 2006; A Keller: Allgemeine Erkenntnistheorie, St 3 2006.

Schöndorf Wahrheitskriterium Unter einem W. wird ein Kriterium, d. h. ein Kennzeichen oder ein Maßstab, also ein formales Erkennungsmittel verstanden, das es uns erlaubt, die Wahrheit einer Aussage zu erkennen oder zu beweisen. Als ein solches W. wird oft die 3 Evidenz bezeichnet, die aber nicht nur psychologisch sein darf, sondern sachlich begründet sein muss. Die unmittelbare Evidenz kommt aber nur wenigen Erkenntnissen zu. Oft kann die Evidenz nur über Schlussfolgerungen vermittelt oder es kann lediglich eine größere oder kleinere 3 Wahrscheinlichkeit erzielt werden. In neuerer Zeit wird oft auch die 3 Kohärenz als ein notwendiges, aber nicht hinreichendes W. genannt. Ein für alle Fälle geltendes und exakt angebbares W. ist prinzipiell unmöglich, denn Kant bemerkt zu Recht (KrV B 83): »Nun würde ein allgemeines Kriterium der Wahrheit dasjenige sein, welches von allen Erkenntnissen, ohne Unterschied ihrer Gegenstände, gültig wäre. Es ist aber klar, dass, da man bei demselben von allem Inhalt der Erkenntnis […] abstrahiert, und Wahrheit gerade diesen Inhalt angeht, es ganz unmöglich und ungereimt sei, nach einem Merkmale der Wahrheit dieses Inhalts der Erkenntnisse zu fragen, und dass also ein hinreichendes, und doch zugleich allgemeines Kennzeichen der Wahrheit unmöglich angegeben werden könne.« 3 Wahrheitstheorie. T Scheffer: Kants Kriterium der Wahrheit, B 1993; B Gesang: Wahrheitskriterien im kritischen Rationalismus, A 1995.

Schöndorf Wahrheitstafeln / Wahrheitswert Wt., womit die aussagenlogischen Junktoren (3 Logik) definiert werden, können dann aufgestellt werden (Post, Wittgenstein), wenn man die uneingeschränkte 3 Geltung des metasprachlichen Bivalenzprinzips »Jede 3 Aussage ist entweder wahr oder falsch« annimmt, welches nicht mit dem Satz des ausgeschlossenen 3 Dritten zu verwechseln ist. Werden zwei Aussagen p und q entweder dem Ww. des Wahren

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Wahrheitstafeln

(W) oder dem des Falschen (F) zugeordnet, ergeben sich 4 mögliche Kombinationen: WW, WF, FW, FF. Außerdem gilt im Falle der (einstelligen) Negation für p bzw. q: Wenn eine Aussage wahr ist, ist die verneinte Aussage falsch, und wenn eine Aussage falsch ist, ist ihre Verneinung wahr. Sobald man p und q mit einem (zweistelligen) Junktor verbindet, ergeben sich 10 mögliche Aussagenverbindungen, von denen die wichtigsten sind: die Konjunktion »p und q«, die nur dann wahr ist, wenn sowohl p wie q wahr sind; die Adjunktion »p oder/und q«, die nur dann falsch ist, wenn sowohl p wie q falsch sind; die Exklusion (Sheffer-Strich) »nicht (p und q)«, die nur dann falsch ist, wenn sowohl p wie q wahr sind; die Rejektion »weder p noch q«, die nur dann wahr ist, wenn sowohl p wie q falsch sind; die Subjunktion (materiale 3 Implikation) »wenn p, dann q«, die nur dann falsch ist, wenn p wahr und q falsch ist; die Bisubjunktion »p genau dann, wenn q« bzw. »wenn p, dann q und wenn q, dann p«, die genau dann wahr ist, wenn p und q beide wahr oder beide falsch sind; die Disjunktion »entweder p oder q«, die genau dann wahr ist, wenn p wahr und q falsch oder wenn p falsch und q wahr ist. p

q nicht p nicht q p und q p oder/ nicht weder p wenn p, wenn q, und q (p und q) noch q dann q dann p

W W

F

F

W

W F

F

W

F W

W

F

F

F

W

W

p

q

p genau dann, wenn q

W

F

F

F

W

W

F

W

W

F

F

W

entweder p oder q

W

W

F

F

W

F

W

F

W

W

W

nicht-p p und und q nicht-q

Tautologie

Kontradiktion

W W

W

F

F

F

W

F

W F

F

W

F

W

W

F

F W

F

W

W

F

W

F

F

W

F

F

F

W

F

F

Mithilfe dieser Wt. können auch die stets wahren 3 Tautologien festgelegt werden, z. B. das Identitätsprinzip »wenn p, dann p«, und die stets falschen kontradiktorischen 3 Gegensätze, z. B. »p und nicht-p«, der durch Verneinung »nicht (p und nicht-p)« zum tautologischen Satz vom 3 Widerspruch wird. Die uneingeschränkte 3 Geltung des Bivalenzprinzips wird vom platonistischen 3 Realismus vertreten, für den alle Aussagen an sich wahr oder falsch sind, unabhängig davon, ob sie jemals gedacht werden oder überhaupt denkbar sind. Jedoch scheinen sowohl die semantischen 3 Antinomien wie die in ihrer Wahrheit und Falschheit unentscheidbaren Aussagen sowie Aussagen

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Wahrheitstheorie

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über zukünftige freie Handlungen eine Einschränkung der Geltung des Bivalenzprinzips zu fordern (3 Intuitionismus). Die daraus folgende Unmöglichkeit, die Negation und Adjunktion generell mit Hilfe der Wt. zu definieren, beschränkt auch die universelle Geltung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten und macht eine andere Definition von Junktoren notwendig. Man kann auch Tafeln mit drei Werten z. B. für Wahr, Falsch und Unentscheidbar aufstellen und Wahrheitstafeln mit mehr als drei und sogar mit unendlich vielen Werten (Łukasiewicz). G Frege: Begriffsschrift, Hl 1879; E L Post: Introduction to a General Theory of Elementary Propositions, Amer. Journ. of Math. 43(1921), 163–185; L Wittgenstein: Tractatus Logico-philosophicus, Lo 1921; J Łukasiewicz: Selected works, A 1970. – F v Kutschera: Elementare Logik, W 1967, Kap. 1.1–2; N Rescher: Many-Valued Logic, NY 1969; M A E Dummet: The Logical Basis of Metaphysics, C 1991.

Carls Wahrheitstheorie W.n sollen den Begriff »Wahrheit« erklären. Sie scheinen zum Teil der Versuch zu sein, die Wahrheit wissenschaftlicher Theorien zu definieren, von denen man wegen ihres erklärenden Charakters nicht so einfach sagen kann, sie träfen auf die Wirklichkeit zu oder nicht. Nach der Redundanz- oder Eliminationstheorie ist »wahr« semantisch nichtssagend und darum überflüssig (redundant) und kann deshalb eliminiert werden. Die Behauptung, eine Aussage sei wahr, füge dieser Aussage keine weitere Information hinzu. Dagegen ist zu sagen: Im Satz »Diese Aussage ist wahr« hat das Wort »wahr« eine semantische Bedeutung, denn diese Aussage könnte auch falsch sein. Nach der performativen W. hat das Wort »wahr« zwar keine Bedeutung, aber eine performative Funktion. Indem ich eine Aussage für wahr erkläre, bekräftige ich sie, verbürge ich mich dafür, vor allem gegenüber einer Bestreitung oder Bezweiflung. Tarski entwarf die semantische W. Der Ausdruck »wahr« gehört in die formalisierte Metasprache, deren Objekt die Objektsprache ist, in der wir über die Welt reden. Tarskis Formeln sind nicht Definitionen, sondern nur Anweisungen für die Bildung wahrer Sätze. Einige davon lauten: Eine wahre Aussage ist eine Aussage, welche besagt, dass die Sachen sich so verhalten, und die Sachen verhalten sich so; »p« ist wahr, wenn p (p = der der Aussage »p« entsprechende wirkliche Sachverhalt). In Reschers Kohärenztheorie meint die als Kriterium und nicht als Definition der Wahrheit verstandene Kohärenz eine gegenseitige Beziehung und Zuordnung, aber keinen deduktiv-notwendigen Zusammenhang. Eine Theorie ist anerkennungsfähig, wenn sie mit der großen Mehrheit der Daten übereinstimmt und deren Zuordnung einsichtig machen kann, auch wenn einige der Daten nicht mit dieser Erklärung in Einklang zu bringen sind.

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Wahrnehmung

Für die auf James und Dewey zurückgehende pragmatische W. ist etwas dann wahr, wenn es uns (gemeint ist wohl: wissenschaftlich, für die Forschung) nützt, hilft, Befriedigung verschafft, im Denken voranbringt. Wahrheiten würden im Lauf von Erfahrungen erzeugt. Für Habermas ist Wahrheit in seiner Konsens- oder Diskurstheorie ein Geltungsanspruch von Aussagen, der in einem theoretischen, herrschaftsfreien Diskurs in der kontrafaktisch antizipierten idealen (= nicht voll erreichbaren, aber zu unterstellenden) Sprechsituation, in der alle Teilnehmer gleichberechtigt sind, nicht auf Grund der Evidenz von Erfahrungen, sondern durch die zwanglose Kraft der Argumente einzulösen ist. Die letzten drei W.n nennen Eigenschaften (wissenschaftlicher) Wahrheit: Was wahr ist, ist kohärent, argumentativ begründbar und führt zu weiteren Erkenntnissen. W Franzen: Die Bedeutung von »wahr« und »Wahrheit«, Fr 1982; G Skirbekk: W.n., F 1977; L B Puntel: W.n in der neueren Philosophie, Da 3 1993; K Gloy: W.n., Tü 2004.

Schöndorf Wahrheitswerte 3 Wahrheitstafeln Wahrnehmung (Apperzeption) ist der Prozess des »Erfahrbarmachens« von Gegenständen und Ereignissen. Die W. ermöglicht dem Organismus, mit Hilfe der Sinnesorgane und des zentralen Nervensystems Informationen über den Zustand und die Veränderung der Außenwelt und des Körperinneren aufzunehmen und zu verarbeiten. Die Außenwelt ist uns durch die fünf Sinne zugänglich: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten. Der Tastsinn wird manchmal auch als Haut- und Muskelsinn bezeichnet. An ihm lassen sich Druck-, Schmerz- und Kälte-/Wärmesinn unterscheiden. Neben diesen fünf klassischen Sinnen gibt es noch den kinästhetischen Sinn (W. der Stellung und Bewegung des Körpers im Raum) und den Gleichgewichtssinn. Was wir wahrnehmen, wird durch die Reize, ihre Bedeutung, unsere momentanen Interessen und Bedürfnisse, unsere Erwartungen und weitere psychologische Faktoren beeinflusst. Der Gesamtprozess der W. umfasst neben der Aufnahme von Informationen aus den Sinnesorganen so unterschiedliche Vorgänge wie Zusammenfügen, Schätzen, Erinnern, Vergleichen und Assoziieren. Durch diese Vorgänge wird aus der Perzeption eine Apperzeption oder Apprehension. Der Ausdruck Perzeption bezeichnet die sinnlich unbewusste, unreflektierte W. von Gegenständen und Ereignissen, der Ausdruck Apperzeption hingegen das bewusste Erfassen und Verarbeiten derselben. Es werden sehr viel weniger W.en apperzipiert, d. h. über die Schwelle des Bewusstseins (Apperzeptionsschwelle) gehoben, als perzipiert. Man unterscheidet deshalb zwischen bewusster und unbewusster W. R Guski: W., St 2000; E B Goldsstein: W.spsychologie, Hd 2002.

Goller

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Wahrscheinlichkeit

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Wahrnehmungsurteil 3 Wahrnehmung Wahrscheinlichkeit wird als Beschaffenheit einer 3 Aussage p im Fall der objektiven W. bezüglich einer 3 Tatsache ausgedrückt durch »es ist (in einem bestimmten Grade) wahrscheinlich, dass p« und im Fall der subjektiven W. bezüglich einer Person a durch »a hält es (in einem bestimmten Grade) für wahrscheinlich, dass p«. – Die Gradskala der mathematisch fixierten objektiven W. ist durch das Verhältnis der für eine Tatsache günstigen zu allen möglichen Fällen bestimmt und erstreckt sich von unmittelbar über 0 % bis zu 100 %, da nur der unmögliche Fall nicht wahrscheinlich ist und eine W. auch dann vorliegt, wenn der gleiche Fall immer eintrifft. Der Grad dieser W. kann apriorisch errechnet wie die W. einer 6 beim Würfeln oder aposteriorisch aufgrund tatsächlicher Fälle statistisch hergeleitet werden, z. B. bei der Bestimmung der statistischen W. der 3 Naturgesetze. – Die Gradskala des subjektiven Fürwahrscheinlichhaltens von p ist dagegen nicht mathematisch festzulegen, da sie auch von subjektiven Willensbeschlüssen abhängt. Bei einer durchweg rationalen Einstellung sollte man p nicht für wahrscheinlich halten, wenn die Gründe für und gegen p gleich stark sind, und man sollte p für im höchsten Grade wahrscheinlich halten, d. h. überzeugt davon sein, wenn alles für und nichts gegen p spricht (3 Gewissheit), und sollte p für im höchsten Grade unwahrscheinlich, d. h. für unmöglich halten, wenn nichts für und alles gegen p spricht. Also ist p in diesem Sinne auch dann wahrscheinlich, wenn alle Gründe ausschließlich für p sprechen; dagegen ist p bloß wahrscheinlich, wenn es auch Gründe gegen p gibt, aber die Gründe für p überwiegen, vgl. 3 Meinen/Meinung. J Bernoulli: Ars Conjectandi, 1713; P S Laplace: A Philosophical Essay on Probabilities, 1795; A de Morgan: Essay on Probabilities, Lo 1838. – R v Mises: W., Statistik und Wahrheit, W 1928; W Kneale: Probability and Induction, O 1949; R Carnap: Logical Foundations of Probability, Ch 1950; R Carnap / R Jeffrey (Hg): Studies in Inductive Logic and Probability I–II, Berkeley 1971.

Carls Warschauer Schule 3 Lemberg-Warschauer Schule [322] Washeit 3 Abstraktion 3 Wesen Wechselwirkung wechselseitige Verursachung. Ein System (von Dingen, Lebewesen, Personen) verändert kausal den Zustand eines anderen, wird aber zugleich von diesem seinerseits kausal beeinflusst, z. B. Kinder und ihre Eltern, Individuen und Gesellschaft, Konsumenten und Produzenten. W.en sind Ausdruck gegenseitiger Abhängigkeiten (Interdependenz). Es gibt bestimmte W.en, die Philosophen und Wissenschaftler seit langem besonders beschäftigen: Anthropologie: W. zwischen physiologischen und mentalen Ereignissen stellen ein Problem dar, da man diese Ereignisse schwerlich zwei selbststän-

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Weisheit

digen und nur sekundär aufeinander wirkenden Trägern (Substanzen) zuordnen kann, ohne die Einheit des Menschen zum Rätsel werden zu lassen (mind-body- bzw. 3 Leib-Seele-Problem). Physik: Die vier Grundkräfte der Natur (3 Kraft) werden heute als W.en zwischen Trägern entsprechender Ladungen aufgefasst. Der fallende Stein wird von der Erde angezogen, die Erde aber auch vom fallenden Stein; die entsprechende Ladung beider ist die träge Masse. Die W. kommt durch den Austausch von Austauschteilchen (Feldquanten, Bosonen) zustande, die als Träger der entsprechenden Kräfte aufgefasst werden (Gluonen für die starke Kraft, Weakonen für die schwache Kraft, Photonen (Lichtteilchen) für die elektromagnetische Kraft und (die noch nicht nachgewiesenen) Gravitonen für die Gravitation). Philosophie: Kant hat die W. zu einer eigenen Kategorie gemacht, die zusammen mit den Kategorien der Kausalität und der Substanz zur Gruppe der Relationen zusammengefasst werden (B 106). Er sieht in der Kategorie der W. die Möglichkeitsbedingung dafür, dass wir das Zugleichsein von Substanzen im Raum erfahren können, was unter der Kategorie der Kausalität nicht möglich sei, da diese ein zeitliches Nacheinander besagt (B 256–262). I Newton: Philosophiae naturalis principia mathematica (drittes Axiom), L 1687; I Kant: KrV B 106, 256–265. – K R Popper / J C Eccles: The self and its brain, B 1977; S Bauberger: Was ist die Welt?, St 2003.

Erbrich Weisheit Der Sinn des Wortes W. (gr. sophía, lat. sapiéntia) variiert im Lauf der Zeiten beträchtlich. In den alten Zeiten dominierte sein objektiver Sinn: W. wurde von Weisen (meist Älteren) gelehrt und von jungen Menschen gelernt. Sie konzentrierte sich in Merksprüchen und Sprichwörtern. In Griechenland waren berühmt die Sieben Weisen; der alte Orient (z. B. in Ägypten, Babylon, Israel) hatte seine W.slehrer. Ihr Gegenstand war vor allem die menschliche Lebensführung in den häufigsten kritischen Situationen, dann auch die Pflichten der Könige bzw. die guten Institutionen des Staats. Die Grundlage dieser W. war die Achtung vor Gott und die Bescheidung auf das Maß. Mit dem Aufkommen der Philosophie bezeichnet W. die höchste und vollkommene Form des Wissens, zu der die Philosophen, d. h. die Liebhaber der W., unterwegs sind. Manche denken, dass dieses Ziel in der Metaphysik erreichbar ist. Andere halten es für ein unerreichbares Ideal. Heute steht der subjektive Sinn des Wortes »W.« im Vordergrund: Weise ist ein Mensch, der gelernt hat, über den Dingen zu stehen, weil er durchschaut hat, wie menschlich-allzumenschlich es überall zugeht. Er hat Werte gefunden, für die es sich zu leben und notfalls zu sterben lohnt, und baut seine Lebensführung konsequent auf diese Einsicht auf. Er kennt seine eigene

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Schwäche und ist deshalb nachsichtig und bescheiden. Er prahlt nicht mit seinem Wissen, sondern erfasst es als ein Geschenk. G v Rad: W. in Israel, Nk 1970; W Oelmüller: Philosophie und W., Pb 1989; J Pieper: Philosophie, Kontemplation, W., Ei 1991; M Giebel: Antike W., St 1995.

Haeffner Welt Um die Vielfalt der Bedeutungen von W. zu ordnen, liegt es nahe, die Geschichte des deutschen Wortes »W.« zu beachten. Die älteste Form (weralt, vgl. englisch: world), die das lateinische saeculum übersetzte, kam vermutlich aus den Bestandteilen wer (Mann, Mensch) und alt (Lebenszeit, Zeitalter) zusammen und bedeutete so viel wie eine menschliche Gemeinschaft (soziale Umwelt) als den primären Umkreis (Sinnhorizont) des Lebens der Einzelnen. Noch heute hat man Ausdrücke wie: Sie fühlte sich von ›aller W. verlassen‹. Wie in der Gemeinschaft hat man seinen Platz auch in einem natürlichen Milieu, letztlich auf der Erde und unter dem Himmel, die zusammengenommen die W. – die umgreifende Wirklichkeit – im höchsten Sinn ausmachen. Analog zur W. in diesem natürlichen Sinn wiederum wurde dann der kosmopolitische Begriff der W. als der alles umfassenden Menschheit gebildet, wie etwa in den Ausdrücken W.geschichte, W.handel, W.verantwortung usw. In allen diesen Bedeutungen ist W. von innen her gesehen: sie ist meine und deine, unsere W. oder eben die W. anderer Menschen und Gruppen. Abgeleitet davon nennt man auch andere Milieus oder Sinnhorizonte »W.« und spricht von der W. des Kinos, der Kunst, der Politik usw. Auch Tiere haben ihre W., die man, um sie von der W. des Menschen abzugrenzen, besser »Umw.« nennen sollte. Während Menschen die Grenzen ihrer W. verschieben können und sich, jedenfalls in einem gewissen Maß, in die W. anderer Menschen versetzen können, sind die W.en der Tiere spezifisch festgelegt und durch Lernen nicht so stark erweiterbar; Einfühlung in andere W.en ist ihnen nicht möglich. In jedem Falle sind w.lose Tiere unmöglich. Und auch ein Mensch ist nicht lebensfähig und verstehbar ohne seine W. – bzw. seine W.en, –, die er »bewohnt«. – Das ist der anthropologische W.begriff. Ein anderer Begriff von W. ergibt sich, wenn man das umgreifende natürliche Ganze – das »All« – im Blick hat, das im Hinblick auf seine Bestandteile und Strukturen betrachtet wird, nicht aber, insofern es Heimat und Lebenshorizont für eventuelle Bewohner ist. Es ist ein kosmologischer Begriff von W., der zu W.bildern gestaltet werden kann. Die alten Griechen nannten kósmos (Schmuck, Ordnung) den Sternenhimmel mit seinem strengen Gefüge, den sie als eine Kugel dachten, die alles andere umfasst: W. als W.kugel. Heute denken sich die Physiker die W. als expandierendes All aus Masse und Energie. »Unsere« W., d. h. »unser« Sonnensystem in seiner Galaxie »in« diesem All passt nicht mehr in die Kategorien der Alten: Es ist weder immer schon gewesen noch auch das stabile Endprodukt einer göttlichen Herstellungsleistung. Kann man es noch W. nennen? Aber immer noch unterschei-

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Weltanschauung

det man die W. von Gott, der ganz anderen Wesens ist als alles im All. Die alten, von der geschlossenen W. ausgehenden Vorstellungen der Transzendenz und des Schöpfers müssen allerdings neu interpretiert werden. Noch mehr gilt dies von dem überlieferten Begriffspaar »w.lich (säkular) – geistlich«: In seinem gesellschaftlichen wie in seinem grundsätzlich wertenden Sinn ist es dahingefallen. Es bleibt höchstens noch der Sinn, wo »w.lich« das alltäglich Profane meint, im Gegensatz zum Religiösen. Obsolet scheint aber auch jener Begriff der W., der ohne weitere Differenzierung »das Seiende im ganzen und überhaupt« nennt, wie etwa in den Formulierungen Schopenhauers (»Die W. als Wille und Vorstellung«) und Nietzsches (»Diese W. ist Wille zur Macht«). Die W. im beschriebenen Sinn, sowohl im anthropologischen wie im kosmologischen Sinn, wurde schlicht als Realität genommen. Anders ist es mit der Rede von W. im Kontext des Idealismus und verwandter Strömungen wie der Phänomenologie und dem Konstruktivismus. Bei Kant ist die W. eine Idee. Das, was eine vollkommene Naturerkenntnis erfassen würde, aber nie erreicht, leuchtet als Idee der Erforschung und Verknüpfung der Erkenntnisse voran. Im Unterschied zu diesem szientistischen Begriff von W. entfalten Husserl und Heidegger einen Begriff der »Lebens«-W. Husserl nennt so das Gesamt der Phänomene, wie es vor der wissenschaftlichen Konstruktion im Alltag gegeben ist. Für den Heidegger von »Sein und Zeit« ist W. der Bedeutungs-Horizont, der den Möglichkeiten für den deutenden Umgang mit den Dingen zugrunde liegt. W. in diesem Sinn »ist« nicht, sondern »w.et«. Heidegger spricht vom W.-Eingang der Dinge und vom W.-Entwurf. Später deutet er dieses »W.en« als das Ge-viert, d. h. als die Bildung eines »Ortes« für die »Dinge« da, wo sich das Gegenüber von Erde und Himmel mit demjenigen zwischen den sterblichen Menschen und Gott kreuzt. M Heidegger: Sein und Zeit, § 14–27, Hl 1927; Die Zeit des W.-Bilds, in: Holzwege, F 1950, 69–104; E Husserl: Die Krisis der europäischen Wissenschaften, Den Haag 1959. – G Brand: Die Lebens-W., B 1970; N Goodman: Weisen der W.erzeugung, 1978; E Fink: W. und Endlichkeit, Wü 1990; S Bauberger: Was ist die W.?, St 2003; C Bermes: ›W.‹ als Thema der Philosophie, HH 2004.

Haeffner Weltalter-Philosophie 3 Deutscher Idealismus (Schelling) Weltanschauung ist die Gesamtauffassung von Wesen und Ursprung, Wert, Sinn und Ziel der 3 Welt und des Menschenlebens (J de Vries). Als Produkt persönlicher Lebenserfahrung enthält W. meistens starke emotionale Komponenten. Sie kann auch mit überpersönlichem Anspruch auftreten und eine wissenschaftliche bzw. philosophische Grundlage für sich reklamieren. Doch sind ihr auch dann die Motive der Selbstbehauptung bestimmter Lebensformen und politischer Machtverhältnisse meist nicht fremd. Zur W.

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Werden

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gehört auch eine Stellungnahme zur Religion. Jedoch ist auch eine religiöse W. von der Religion als Hingabe des Menschen an Gott zu unterscheiden. W Dilthey: W.slehre, B 1931; K Jaspers: Psychologie der W.en, B 1919; O Muck: Rationalität und W., I 1999; J Rohbeck: Philosophie und W., Dresden 1999.

Haeffner Weltbejahung 3 Optimismus Weltbild 3 Weltanschauung Weltbildner 3 Schöpfung Weltflucht 3 Pessimismus Weltoffenheit 3 Optimismus Weltplan 3 Gottes Wirken Weltrecht 3 Völkerrecht Weltregierung 3 Völkerrecht 3 Gottes Wirken Weltseele 3 Seele Weltverneinung 3 Pessimismus Weltvernunft 3 Pantheismus Weltweisheit 3 Philosophie Werden ist jene Weise der 3 Veränderung, in der im Gegensatz zum Vergehen etwas (Neues) entsteht. Es ist unbezweifelbar, dass es in der Welt, zumindest auf der Ebene der Erscheinungen, W. bzw. Entstehen von Neuem gibt. Vor allem erfahren wir W. in uns selbst, indem wir handeln bzw. uns für etwas entscheiden, wodurch etwas verwirklicht wird, was vorher nur als Möglichkeit bestand. Dabei stellt sich die Frage: Gibt es ein W. im ontologischen Sinn, betrifft das W. das Sein der Dinge selbst, gibt es W. von (neuem) Sein oder geht es beim W. um bloßen Schein? Diese Frage stellt sich deshalb, weil die Annahme eines wirklichen W.s, das sich in keiner Weise als nur scheinbares W. interpretieren lässt, für das auf eindeutig klare Begriffe ausgerichtete Denken große Schwierigkeiten bereitet. Man steht nämlich vor einem doppelten Problem: (1) Wie kann W. überhaupt widerspruchslos gedacht werden? Denn von W. kann nur dort die Rede sein, wo etwas einerseits zu einem späteren Zeitpunkt verschieden ist von dem, was es zu einem früheren Zeitpunkt war (wäre es nicht verschieden, so gab es kein W.); und andererseits zum späteren Zeitpunkt von dem, was es zu einem früheren Zeitpunkt war, auch nicht-verschieden sein muss (denn W. kann nicht einfach als totale Ablösung des einen durch etwas anderes aufgefasst werden). Um von W. reden zu können, braucht man Kontinuität und Diskontinuität in einem, also 3 Identität in 3 Differenz, bzw. Differenz in Identität. (2) Woher könnte das beim W. auftretende neue Sein herstammen? Entweder von dem, was schon ist, dann ist es aber nichts Neues, dann gibt es also kein W.; oder von dem, was nicht ist, das ist aber unmöglich, denn aus Nichts kann (nur so) nichts w. Wo es aber nichts wirklich Neues gibt, dort kann man nicht sinnvoll von W. reden. Eine Unterscheidung von klar voneinander abgehobenen

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Rücksichten kann deshalb keine Lösung des Problems bedeuten, weil dadurch die Einheit des sich Verändernden stillschweigend geleugnet wird. Dieses Problem hat als Erster in seiner ganzen Schärfe Parmenides formuliert und deshalb das W. für Schein deklariert. Der zeitlich ihm vorausgehende Heraklit hat das W. und den mit ihm zusammenhängenden Widerspruch als einen Grundzug der Wirklichkeit (des Seins) aufgefasst und damit lieber auf das Ideal der begrifflichen Eindeutigkeit als auf das Verstehen des W.s verzichtet. Die Atomisten als rationalistische Empiristen meinten das W. dadurch erklären zu können, dass sie seine Tatsächlichkeit auf der Ebene des begrenzten Rahmens der Erscheinungen zugaben, es aber von einem übergeordneten Standpunkt her als nicht wirklich bezeichneten. Um dies tun zu können, mussten sie zum einen die Voraussetzung des Parmenides, dass es das Nichtsein nicht gibt, aufgeben und die Existenz des leeren Raums als eines wahrnehmbaren Nichtseins behaupten; und zum anderen mussten sie das unveränderliche und einzige Sein des Parmenides als zerstückelt in eine Vielheit von nicht teilbaren und somit unveränderlichen »Atomen« auffassen, die sich dann im leeren Raum durch bloße Ortsveränderung jeweils anders gruppieren können. W. wurde damit als bloße Ortsveränderung der an sich unwandelbaren Atome gedeutet. Platons Meinung über das W. ist eng verbunden mit seiner Ideenlehre. In der Früh- und Reifezeit ist für ihn das wahre Sein unveränderlich, während der Bereich des sinnlich Wahrnehmbaren sich ständig verändert. In den Spätdialogen wird diese schematisierende Opposition einer Kritik unterzogen. Nach dem »Sophistes« kommt auch dem wahren Sein, insofern es erkanntes und erkennendes Sein ist, Bewegung zu. Von dieser Einsicht ausgehend legt er eine Analyse der Ruhe und Bewegung vor, die die Prinzipien für die Lösung der Problematik des W.s enthalten. Die entscheidenden Feststellungen sind folgende: (a) die Grundbestimmungen (nämlich Sein, Ruhe, Bewegung, Identisch- und Verschiedensein) durchdringen sich gegenseitig, was aber nicht bedeutet, dass alles mit allem auf gleiche Weise verknüpft werden kann. (b) Auch das Nichtseiende ist gewissermaßen, d. h. man darf es nicht als das dem Sein schlechthin Entgegengesetzte auffassen, sondern man muss es als das innerhalb des Seins Verschiedene verstehen (vgl. 248a–259d). Diese Entdeckung der Positivität des Nicht-Seins hat Aristoteles aufgegriffen, der in der Geschichte der Philosophie als derjenige gilt, der das Problem des W.s gelöst hat. Er kam zur Einsicht, dass man von W. nur dann reden kann, wenn das Seiende innerlich differenziert, also nicht nur bestimmt, sondern auch unbestimmt ist. Insofern es bestimmt ist, heißt es bei ihm »das der Verwirklichung nach Seiende« (»energeia on«, »ens actu«) oder 3 Akt, insofern es aber als bestimmbares noch unbestimmt ist, nennt er es »dem Vermögen nach Seiendes« (»dynamei on«, »ens potentia«) oder Potenz. Letzteres ist hinsichtlich dessen, was als voll verwirklichtes Seiendes (als Akt) zu gelten hat, noch ein relatives (weil schon vorhandenes, aber noch weiter bestimm-

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bares) Nichtseiendes. W. ist also eine Verwirklichung, ein Überführt-W. eines potentiell Seienden in den Zustand des aktuell Seienden durch das Wirken einer Wirkursache, welche aber nicht notwendig und deshalb auch nicht immer ein dem potentiell Seienden gegenüber nur anderes Seiendes sein muss, sondern vom Randfall der bloßen Ortsveränderung abgesehen immer auch das Ergebnis der eigenen Tätigkeit des schon bestehenden und insofern eine gewisse Aktualität besitzenden potentiellen Seienden ist. Die berühmte Aussage Hegels am Anfang der »Wissenschaft der Logik«, nach der das W. die Einheit von Sein und Nichts ist (in der Formulierung: »das reine Sein und das reine Nicht ist also dasselbe […] Ihre Wahrheit ist also diese Bewegung des unmittelbaren Verschwindens des Einen in dem Anderen: das W.«), indem sie die Einheit derer behauptet, die als extrem Entgegengesetzte vorgeführt werden, möchte genau das darstellen, was im W. geschieht. Sie versucht nämlich (allerdings in einer ungeheuer allgemeinen, jedoch das konkret Wirkliche anvisierenden Form) genau die Einsicht zur Sprache zu bringen, dass (1) Identität und Differenz sich im Fall des W.s nicht ausschließen, sondern, als extrem gegensätzlich aufeinander bezogene Momente die Dynamik des Wirklichen (des konkreten Seienden) ausdrücken bzw. dass (2) jedes Tätigsein »von sich aus« ein »Mehr« (einen »Zuwachs«, etwas, das »nicht Nichts ist«) hervorbringt. Heraklit, Parmenides: Fragmente der Vorsokratiker, hg. v. Diels-Kranz; Platon: Politeia; Sophistes; Aristoteles: Phys. I 8; H Bergson: Denken und schöpferisches W., Me 1948.

Weissmahr Wert ist a) die Bezeichnung für die gute Qualität (Gutheit, bonitas) von etwas, vor allem dann, wenn sie quantitativ ausgedrückt werden kann. Die quantitative Bestimmung eines W.es bedeutet normalerweise, dass er ein Äquivalent besitzt, mit anderen Worten, dass das betreffende Objekt oder die betreffende Leistung ge- und verkauft werden kann und einen Preis hat. Man kann allerdings auch einen Geldw. für Dinge angeben, für die es kein echtes Äquivalent gibt, da sie einmalig sind, wie z. B. Kunstwerke. Die klassische Philosophie versteht unter dem W. die Äquivalenz, die für ein Gut aufzubringen ist, also vor allem den Geldw. oder den W. einer bestimmten Leistung, die für etwas zu erbringen ist. Die Erörterung des W.es gehört also in den Zusammenhang der 3 Gerechtigkeit. Andere W.e werden in der klassischen Tradition unter dem Titel des 3 Guten (Bonum) erörtert. Kant macht in seiner Grundlegung eine Unterscheidung zwischen einem relativen W., den er Preis nennt und dem inneren, absoluten, unbedingten, unvergleichbaren W., der nur dem Menschen zukommt und den er als 3 Würde bezeichnet (AA IV 434–436). b) In der nachfolgenden Zeit kommt es vor allem im Neukantianismus zu einer Verallgemeinerung des Ausdrucks W. und zur Ausbildung der W.phi-

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losophie. Nun bedeutet W. ganz allgemein einen immateriellen Sinngehalt, der eine Norm, eine Orientierung oder ein Ziel darstellt. W.e in diesem Sinn spielen vor allem in der Pädagogik, der Politik und im öffentlichen Leben eine wichtige Rolle. Denn ohne verbindliche W.e gibt es keine Qualitätsstandards mehr, sondern es herrscht nur noch das Geld und das, was man zählen und quantitativ messen kann. W.e, die für die Staatsordnung als fundamental und unverzichtbar gelten, werden als Grundw.e bezeichnet. Die verschiedenen W.e sind nicht gleichrangig, sondern stehen in einer Rangordnung oder Hierarchie zueinander, die sich aus der Höhe ihres jeweiligen Seinsranges ergibt. Was an sich selbst w.voll ist und kein Äquivalent besitzt, hat einen Selbstw. und nicht nur einen W. für anderes, der mit Nutzen, Nützlichkeit, Nutzw. oder Dienstw. bezeichnet werden kann. Der scholastische Satz »omne ens est bonum« (Jedes Seiende ist gut) besagt, dass jedes Seiende irgendeinen W. hat und keines völlig w.los ist. In der Moderne kommt es zu einer Konzentration auf den W. des Menschen, auf den alle anderen W.e bezogen werden. Im Lauf des 20. Jahrhunderts lässt sich eine Rückbesinnung auf den Eigenw. der lebendigen Natur feststellen (3 Ökologie). Da W.e nicht als empirische Tatsachen festgestellt werden können, sondern mit der praktischen Vernunft zu tun haben, wird dem W. in der W.philosophie infolge ihrer neukantianischen Ausrichtung eine eigene vom Sein verschiedene Sphäre zugeordnet, die als Gelten bezeichnet wird. Dies hängt auch mit der Auffassung zusammen, es sei immer möglich, Beschreibung und W.ung voneinander zu trennen. Dies trifft jedoch nicht zu: so ist beispielsweise die Feststellung, dass etwas unangenehm, unzweckmäßig oder unnötig ist, meist auf rein empirischer Grundlage möglich, bedeutet aber notwendigerweise auch eine W.ung. M Weber hat für die Wissenschaft W.freiheit gefordert. An dieser Forderung ist berechtigt, dass die Wissenschaft von Vorurteilen und partikulären Interessen frei sein soll. Aber auch die Wissenschaft ist den ethischen Normen unterworfen, und die Setzung von Prioritäten bei der Forschung sowie der Vermittlung und der Anwendung wissenschaftlicher Ergebnisse stellt immer auch eine W.ung dar. Ferner ist es vor allem bei den Geisteswissenschaften unmöglich, ohne W.ungen auszukommen, da hier die empirische Feststellung von Gesetzmäßigkeiten nicht ausreicht, sondern eine Interpretation nötig ist. H Drexler: Begegnungen mit der W.ethik, Gö 1978; K-O Apel (Hg): Mythos W.freiheit?, F 1994; G H v Wright: Normen, W.e und Handlungen, F 1994; H Joas: Die Entstehung der W.e, F 1997; C Krijnen (Hg): Sinn, Geltung, W., Wü 1998; M Flügel (Hg): W.e und Fakten, Be 1999; C Bermes (Hg): Person und W., Fr 2000; S P Huntington (Hg): Streit um W.e, HH 2002; J Dewey: Erfahrung, Erkenntnis und W., F 2004; N Rescher: Value matters, F 2004; P Rinderle: W.e im Widerstreit, Fr 2007.

Schöndorf

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Wertethik

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Wertethik / Wertphilosophie Als Begründer der Wp. gilt gemeinhin Lotze, während der Ausbau der Wp. zu einer eigenständigen Disziplin, der Axiologie, das Verdienst von E von Hartmann ist. Lotze geht von folgender Parallelisierung aus: Wenn die 3 Welt der 3 Tatsachen die 3 Geltung der 3 Urteile begründet, dann muss es auch für die Begründung der Überzeugungen, aus denen heraus wir handeln, ein Fundament geben, nämlich die absolut gültig vorgegebenen 3 Werte. Für Rickert, der als klassischer Vertreter der neukantianischen Wp. gelten kann, lassen sich die Werte dadurch auffinden, dass man an die realen Güter der 3 Kultur anknüpft, in denen sie verkörpert sind. Bei dem Versuch einer universalen Gliederung der Werte sind ihm zufolge Güter, die wie 3 Wissenschaft, 3 Kunst, Familie, 3 Recht und 3 Staat Eigenwert besitzen, von solchen zu unterscheiden, denen Wert nur als Mittel zukommt wie Vitalität, 3 Wirtschaft und 3 Technik. Ein Menschenleben, das seine 3 Bedeutung ausschließlich von solchen »Bedingungswerten« erhält, kann »nur in einer ›bedingten‹ Weise als sinn- und wertvoll gelten.« Im Mittelpunkt der Betrachtung müssen daher für Rickert die Eigenwerte stehen, die autonom gewertet werden. Innerhalb der Wp. kommt der We. eine besondere Bedeutung zu. Deren Hauptrichtung, die phänomenologische We., hat in Scheler und Hartmann ihre wichtigsten Vertreter. Ersterer bezieht in seiner materialen We. eine Gegenposition zu Kants Ethikkonzept und kritisiert dessen Formalismus, 3 Subjektivismus, 3 Rationalismus und Universalismus. Zugänglich werden dem 3 Menschen die Werte nach Scheler durch ein intentionales Wertfühlen. Die Werterkenntnis hat also für ihn ihren Ort in der Sphäre des Emotionalen, was aber keinen Nonkognitivismus impliziert; Scheler geht vielmehr davon aus, dass auch die menschliche Emotionalität kognitive 3 Strukturen aufweist. Hartmann unternimmt in Weiterführung von Schelers Überlegungen eine Systematisierung des Reichs »unberührt durch 3 Subjekte« existierender Werte und formuliert explizit: »Werte sind der Seinsweise nach platonische 3 Ideen.« Für Heidegger erweist sich die Beschwörung der Werte als eines metaphysischen Bereichs mit eigener Positivität in einem positivistischen Zeitalter als haltlos, und für Adorno stellt sich das Wertproblem als Verdinglichungsproblem dar, das nur im Kontext der bürgerlichen 3 Gesellschaft aufkommen konnte, sich aber aus der Perspektive einer kritischen Gesellschaftstheorie als »falsch gestellt« erweist. Galt die Beschäftigung mit wertphilosophischen Fragen in der deutschen Gegenwartsphilosophie anders als in der angelsächsischen 3 Philosophie lange Zeit als verpönt, so mehren sich neuerdings die Stimmen derer, die eine philosophische Behandlung des Wertthemas für unverzichtbar halten. Nach Lenk lässt sich dessen Bedeutung daran ermessen, dass der Mensch das 3 Wesen ist, das fähig, aber auch darauf angewiesen ist, Bewertungen vorzunehmen. Werte fungieren ihm zufolge als »Standards, anhand deren Bewertungen, Abschätzungen, Einschätzungen, Gütebeurteilungen, Wertvergleiche,

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Wesen

Vorzugsauswahlen usw. vorgenommen werden«. Sie sind unverzichtbar und fundamental für 3 Personen und Gesellschaften. Charakteristisch für die gegenwärtige We. ist, dass sie anders ansetzt als die klassische We. Auch wenn man den begrifflichen und phänomenologischen Reichtum der Analysen Schelers und Hartmanns nicht in Abrede stellt, so übernimmt man heute doch nicht einfach deren ontologische Prämissen. Grundsätzlich kann man nach v Kutschera zwischen einem Wertrealismus und einem Wertsubjektivismus unterscheiden. Der Wertsubjektivismus geht davon aus, dass die Werte durch unsere Einbildung bzw. unsere Wünsche auf eine gänzlich wertfreie 3 Wirklichkeit projiziert werden. Für den Wertrealismus in seiner starken Variante gibt es hingegen eigenständige Werttatsachen, deren Bestehen die Wirklichkeit ebenso charakterisiert wie das Bestehen natürlicher 3 Tatsachen. Neben einem solchen starken Wertrealismus wird auch ein schwacher ethischer 3 Realismus vertreten, der ohne zu leugnen, dass die subjektunabhängige Wirklichkeit einen Beitrag zur Grundlage der 3 Ethik leistet, davon ausgeht, dass auch »Subjektivitätsleistungen konstitutiv in die der Ethik zugrundeliegenden evaluativen Entitäten eingehen« (Quante). Nach Halbig vermag nur die starke Version des Wertrealismus dem Common Sense gerecht zu werden. Eine Analyse unserer alltäglichen moralischen Praxis ergibt nämlich ihm zufolge: Es gibt moralische Tatsachen, die 1.) unsere Urteile wahr oder falsch machen, 2.) nicht konstituiert sind durch unsere Einstellungen zu ihnen und mithin objektiv sind, 3.) eine normative Dimension besitzen und uns daher gute Gründe an die Hand geben, in einer bestimmten Weise zu handeln und 4.) auch motivational wirksam zu sein. H Lenk: Von Deutungen zu Wertungen, F 1994; H Joas: Die Entstehung der Werte, F 1997; F von Kutschera: Grundlagen der Ethik, B 2 1999; E Bohlken: We., in: Handbuch Ethik, St 2002, 108 ff.; M Quante: Einführung in die Allgemeine Ethik, Da 2003; L Siep: Konkrete Ethik, F 2004; C Halbig: Praktische Gründe und die Realität der Moral, F 2007.

Ollig Wertfreiheit 3 Wissenschaftstheorie Wertfühlen 3 Phänomenologie Wertfühlen, intentionales 3 Wertethik Wertgefühl 3 Gefühl Wertphilosophie 3 Wertethik Werturteil 3 Motiv Wesen Die Frage: »Was ist das?« setzt etwas vorgegebenes Einzelnes voraus und erkundigt sich nach dessen allgemeiner (mit anderem gemeinsamer) und bleibender (sich in den Veränderungen durchhaltender) verstehbarer Bestimmtheit (»Quidditas«, »Washeit«). Letzteres wird von Platon mit dem Wort »ousia« (lat. substantia, später auch essentia: W.) bezeichnet, an dem die jeweiligen Einzelnen teilhaben. W. soll also das »W.tliche« der Sache sein,

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also das, wodurch etwas das ist, was es (eigentlich) ist. Nach Aristoteles, der den Gedanken der Teilhabe verwirft, ist W. im eigentlichsten und somit ersten Sinn (próte ousia, lat. substantia prima) das Selbststand besitzende konkrete Individuum, von dem er die allgemeine und bleibende gedankliche Bestimmtheit als das W. in einem zweiten Sinn (deutera ousia, lat. substantia secunda) unterscheidet (Kategorien 5. 2a 11–15). (3 Substanz/Akzidens). Von diesem für die abendländische Philosophie wirkungsgeschichtlich entscheidenden Ansatz her ergibt sich eine Doppeldeutigkeit des W.sbegriffs. Obwohl für Aristoteles selbst nur das als Individuum und somit als das eigentlich Seiende gelten kann, was selbst eine Tätigkeit auszuüben vermag, also das Lebew., wird diese Einsicht bei denen, die sich auf ihn berufen, vernachlässigt, demzufolge als einzelnes Selbstständiges das betrachtet wird, was als von anderem abgetrenntes Ding existiert bzw. was als solches wahrgenommen, sinnlich erfahren werden kann. Die so entstehende Doppeldeutigkeit des W.sbegriffs ist Ausdruck der Spannung zwischen einer empiristischen Einstellung, für die, was Wirkliches eigentlich ist, vom sinnlich wahrnehmbaren Einzelding her bestimmt wird, und einer rationalistisch-begriffsrealistischen Auffassung, deren Paradigma für Wirkliches das im Denken erfasste Allgemeine ist. Trotz des zunächst empiristischen Ausgangspunkts erringt in dieser sich auf Aristoteles berufenden scholastischen (und lange bis in die Neuzeit sich auswirkenden) Tradition die begrifflich-rationalistische Komponente die Vorherrschaft. Das allgemeine W. wird als das »Eigentliche« verstanden, über das allein Wissenschaft möglich ist. Das Einzelne wird dem Allgemeinen untergeordnet. Die Individualität, die man so darstellt, als entstünde sie nur durch Begrenzung, bedeutet stets Unvollkommenheit. Typisch für diese Denkweise ist die scholastische Frage nach dem »Individuationsprinzip«, die sich danach erkundigt, wie sich aus dem Allgemeinen das Individuelle ergeben kann. Die Vorherrschaft des vom konkret Wirklichen abgelösten Allgemeinen begünstigt auch die (die Wolff’sche Metaphysik und dadurch auch die Metaphysikkonzeption Kants bestimmende) Auffassung, nach der es Sinn hat, von einem »W. an sich« (von einem nicht verwirklichten W.sgehalt, vom W. als reine Möglichkeit) zu sprechen, also von einem Sosein ohne 3 Dasein (von »esse« ohne »existentia«). In dieser Sicht erscheint das W. als auf einen bestimmten und so begrenzten Seinsgehalt eingeengte Möglichkeit der Seinshabe, die sich auf die Weise des etwas aufnehmenden Prinzips (Potenz/Vermögen) zum Sein schlechthin (Existenz) als des vervollkommnenden Prinzips (3 Akt) verhält. Diese Thesen der sogenannten W.smetaphysik haben ihren letzten Grund in der Gleichsetzung des vom begrifflichen Denken konstruierten Modells der Wirklichkeit (in dem die verschiedenen Bestimmungen klar unterschieden werden müssen) mit der Wirklichkeit selbst (in der im Maße der Seinsmächtigkeit der Seienden das seinsmäßig Verschiedene und das seinsmäßig

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Widerspruch, Satz vom

Identische sich gegenseitig durchdringen; 3 Identität 3 Differenz). Der Grundfehler der W.smetaphysik (des sogenannten »Essentialismus«) ist die Nichtbeachtung der 3 Analogie der Seienden im Sein. Denn der Analogie ist zu verdanken – ja sie besteht genau darin –, dass Seiendes letztlich in dem übereinkommt, worin es sich unterscheidet, und sie ist der eigentliche Grund dafür, dass das auf Eindeutigkeit ausgerichtete Verstandesdenken mit der stets analogen Realität nie ganz übereinstimmen kann. Die Vernunft erfasst aber im konkreten 3 Sein jedes Seienden eine Zweipoligkeit: Sein ist nämlich sowohl das jedem Seienden Gemeinsame als auch das jedem Seienden Individuelle. Seiendes ist aufgrund des (allem Seienden gemeinsamen) Seins identisch mit allem anderen und aufgrund des (jedem Seienden individuell zukommenden) Seins verschieden von allem anderen. Wenn man das berücksichtigt, dann ist die Antinomie zwischen der »ersten« und »zweiten« Substanz (dem »individuellen« und dem »allgemeinen« W.) gelöst. Das W. ist demnach das jeweils (nach Maß und Weise) eigene Sein des Seienden. Es ist sowohl das Individuellste als auch das Allgemeinste. Insofern das Sein des Seienden das ihm nach Maß und Weise eigene ist, kommt es nur dem jeweiligen Einzelnen zu, insofern es aber Sein ist, steht das Seiende in der Seinsgemeinschaft mit allem anderen. Damit ist aber dann auch gesagt, dass alle Art- und Gattungsunterschiede (die weithin als W.sunterschiede gelten) für einen seinsmetaphysischen Standpunkt stets relativ sind. Sie drücken zwar wirklich bestehende Unterschiede aus, die aber vom Standpunkt und vom Interesse dessen abhängen, der die Einteilung im konkreten Fall vornimmt. Und jeder hat seine Gründe, warum die Einteilung der Wirklichkeit bei ihm so und nicht anders ausfällt. Platon: Symposion, Phaidon, Parmenides; Aristoteles: Metaph. VII; T v Aquin: De ente et essentia; STh I q 3 a 3–4; ScG I 21–22; II 52; De potentia q 7 a 2; F Suárez: Disput metaph d 31; K Flasch: W. in: Hb. phil. Grundbegriffe, M 1974, 1687–1693.

Weissmahr Wesensbestimmung 3 Definition Wesensbeziehung 3 Relation Wesensschau 3 Phänomenologie Wesensverhalt 3 Sachverhalt Widerlegung 3 Schluss Widerlegung, transzendental(pragmatisch)e 3 Retorsion Widerspruch, performativer 3 Retorsion Widerspruch, Satz vom Dieses Prinzip (auch Kontradiktionsprinzip, Prinzip vom Widerspruch (W.) oder Nichtwiderspruchsprinzip (N.) genannt) gilt klassischerweise als das erste notwendige Prinzip der 3 Erkenntnis und der 3 Metaphysik bzw. des 3 Seins. Manche ordnen ihm noch das Prinzip der 3 Identität vor. Seine klassische Formulierung findet sich bei Aristoteles

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Widerspruch, Satz vom

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(Metaph IV, 3; 1005 b 19 f.): »Es ist unmöglich, dass dasselbe demselben in Bezug auf dasselbe zugleich zukommt und nicht zukommt.« Die Präzisierung »in Bezug auf dasselbe« soll die Weise des Zukommens gegen eine parmenideische Fehlinterpretation absichern und das »zugleich« meint nicht (nur) Gleichzeitigkeit, sondern die radikale Ineinssetzung von Zukommen und Nichtzukommen. Alle indirekten 3 Beweise basieren auf dem N. Sie werden auch als Reductio ad absurdum oder Zurückführung auf das W.sprinzip bezeichnet, da sie aufzeigen, dass das Gegenteil des Bewiesenen eine widersprüchliche und darum absurde Behauptung wäre. Von einem performativen W. (3 Retorsion) spricht man dann, wenn der W. nicht inhaltlicher (logischer, semantischer) Art ist, sondern zwischen dem Inhalt einer Behauptung und den notwendigen Implikationen des Sprechakts dieser Behauptung auftritt, also pragmatischer Art ist, weshalb die Widerlegung dieses W.s auch transzendental(pragmatisch)e Widerlegung genannt wird. Der Terminus Repugnanz (Widerstreit) kann dasselbe bedeuten wie W. Er kann aber auch eine andere Art von 3 Gegensatz oder Unvereinbarkeit (Inkompatibilität) meinen, wie etwa einen konträren Gegensatz (z. B. die Realrepugnanz einander widerstrebender Kräfte). Das N. ist nicht beweisbar, da jeder Beweis bereits seine Geltung voraussetzt. Man kann nur gegen seine Bestreitung 3 transzendental argumentieren: Wenn diese Bestreitung einen Sinn haben soll, so setzt sie das N. bereits voraus. Denn ohne das N. wäre der Unterschied zwischen der Geltung und der Leugnung des N. ebenso hinfällig wie bei jeder anderen Behauptung oder Leugnung. Bezüglich dessen, was wir mit einer Aussage präzise und eindeutig meinen, gilt das N. insofern unumschränkt, als wir nicht etwas in eben derselben Rücksicht zugleich bejahen und verneinen können. Aber meist handelt es sich darum, dass wir eine bestimmte Aussage mit einer anderen, davon verschiedenen, deshalb für unvereinbar halten, weil wir der Meinung sind, dass das Zusammen beider Aussagen einen W. impliziere wie z. B. die gleichzeitige Behauptung von kreisrund und viereckig. Dies setzt jedoch voraus, dass unsere Aussage eindeutige Bestimmungen enthält, bei denen die Implikation eines W.s zwischen zwei verschiedenen Bestimmungen eindeutig feststellbar ist. Wir können aber in unseren Aussagen an eine Grenze der eindeutigen Bestimmung gelangen, wo wir dasselbe direkt oder indirekt bejahen und verneinen, ohne die unterschiedliche Rücksicht, unter der wir dies tun, nochmals begrifflich fassen zu können. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Negation die vorausgehende positive Behauptung nicht aufhebt (was beim W. der Fall ist), sondern bestehen lässt, obwohl sie ihr direkt zu widersprechen scheint, ohne dass es möglich ist, verschiedene Rücksichten anzugeben, die die Negation und die Position voneinander unterscheiden. Beispiele hierfür sind: – Die Paradoxien der Bewegung (Zenon; 3 Kontinuum): Etwas Bewegtes

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Widerstand

ist an einem bestimmten Ort und zugleich noch nicht und nicht mehr dort, ohne dass man dies völlig eindeutig auf zwei verschiedene Rücksichten verteilen könnte. Andernfalls wäre es nämlich nicht bewegt, sondern einen Moment lang unbewegt. Dies gilt analog für alle Fälle eines Kontinuums, das wir deshalb zumeist in unseren Berechnungen in diskrete Teile auflösen, was aber eigentlich einen W. zur Kontinuität bedeutet. – Die (bloße) 3 Möglichkeit, die als solche immer zugleich die Möglichkeit ihres Gegenteils ist. Die Möglichkeit ist nämlich im Gegensatz zur Wirklichkeit nicht eindeutig durchgängig bestimmt. – Aussagen über das Sein als solches sowie über das Absolute und Unendliche, wo Prädikate, die sich bei einzelnen endlichen Seienden ausschließen, miteinander vereinbar sein können, da wir beim Absoluten keine eindeutigen verschiedenen Rücksichten mehr angeben können. Einerseits ist der W. mit dem 3 Sein als solchem unvereinbar, andererseits aber kann er sich eben darum nur dann wirklich zeigen, wenn wir nicht eine Aussage über das Ganze des Seins machen, sondern nur über einen Ausschnitt davon, wie dies bei der überwiegenden Zahl unserer Aussagen der Fall ist. Denn in diesen Fällen bestimmen und präzisieren wir etwas immer auch dadurch, dass wir es gegen anderes abgrenzen und davon unterscheiden, was voraussetzt, dass etwas Bestimmtes gerade dieses und nicht jenes andere ist, dass es also im 3 Gegensatz zu anderem steht. Sobald unsere Aussagen aber über diesen Bereich des Gegensätzlichen hinausgehen und auf das Gesamt von allem ausgreifen, ergibt sich das Problem, dass wir sprachlich weiterhin mit Ausdrücken operieren müssen, denen anderes entgegengesetzt ist, dass wir aber der Sache nach gerade diesen Gegensatz überwinden wollen. Hieraus ergeben sich die verschiedenen Überlegungen, die in der Geschichte der Philosophie bei der Diskussion um die Überwindung des W.s etwa in der coincidentia oppositorum (Zusammenfall der Gegensätze) bei Nikolaus v Kues oder in der 3 Dialektik Hegels aufgetreten sind. 3 Gegensatz; 3 Dritten, Satz vom ausgeschlossenen. Aristoteles: Metaph. IV, 3; 1005b19f; I Kant: KrV B 189–192. – E Berti: La contraddizione, Ro 1977; B Weissmahr: Ontologie, St 1985; J Łukasiewicz: Über den Satz des W. bei Aristoteles, Hi 1993; N Öffenberger (Hg): Beiträge zum Satz vom W. und zur aristotelischen Prädikationstheorie, Hi 2000; G Pasquale: Aristotle and the principle of non-contradiction, St Augustin 2005.

Schöndorf Widerstand (verstanden als politischer W.) fasst diejenigen Handlungen zusammen, welche sich gegen eine ungerechte Staatsgewalt und ihre Träger richten. Sittlich verantworteter W. verlangt zu klären: 1) Ab wann sind W.shandlungen überhaupt angebracht? Ab wann sind Kompromisse nur noch »faul« und duldet die 3 Würde des Menschen kein weiteres Nachgeben? 2) Darf jeder Mensch, nur der Bürger oder nur ein gewählter Vertreter W.

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Widerstand

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leisten? 3) Wie weit darf der W. gehen? Passiver W. führt nur dazu, den Gehorsam zu verweigern, aktiver W. kann bis hin zur äußersten Form gehen, der Tötung der Regierenden (traditionsgemäß Tyrannenmord, Tyrannicid). 4) Ist ein Unterschied zu machen zwischen dem Tyrannus ex defectu tituli (die Macht war illegal errungen) und dem Tyrannus ex parte exercitii (Missbrauch der legal errungenen Macht) oder kommt es auf die Folgen des Handelns an? 5) Gibt es in bestimmten Situationen für bestimmte Personen nicht sogar eine W.spflicht und nicht bloß eine Erlaubnis zum W.? Bedingungen erlaubten aktiven W.s sind: 1) der extreme Missbrauch der politischen Macht, 2) das erfolglose Ausschöpfen sämtlicher rechtlicher Mittel, 3) eine Prognose, welche der W.shandlung Aussicht auf Erfolg gibt, 4) die Verhältnismäßigkeit der Mittel, 5) die verantwortbare Relation zwischen Einsatz, Blutopfer, Sachschäden etc. und dem Gewinn, nämlich der Beseitigung des Regimes/Diktators, und 6) die begründete Erwartung, dass sich die Lage nach dem Sturz des Regimes bessern wird. Ein Rechts- und Gesetzespositivist wird ein W.srecht überhaupt nur dann anerkennen können, wenn es Eingang in die gesetzte Rechtsordnung gefunden habe (Beispiel: Art. 20 IV GG); auch könne Ungehorsam gegenüber gesetztem Recht nur moralischer, nie rechtlicher Natur sein. Der Naturrechtler stützt hingegen das W.srecht auf überpositives Recht. W. ist demnach ein jedem zustehendes Recht – und nicht bloß eine moralische Pflicht oder Erlaubnis –, das bei »unerträglicher Ungerechtigkeit des Gesetzes« (G Radbruch), des Befehls oder der Politik W. erlaubt oder gar auferlegt, dann nämlich, wenn der Erfolg unter sehr geringem eigenen Einsatz zu erwarten ist. Eine besondere Form des W.s und zwar gerade in grundsätzlich rechtsstaatlich geordneten und funktionierenden Gesellschaften stellt der zivile Ungehorsam dar: Es müssen diesem W.sprogramm zufolge zuerst der Rechtsweg, mildere Mittel und auch Ausweichmöglichkeiten erschöpft oder versperrt sein, bevor mit grundsätzlich friedlichen Mitteln gegen ein Gesetz oder eine Politik so protestiert werden darf, dass auch andere Gesetze – als nur das politisch bekämpfte – verletzt werden dürfen (etwa die Straßenverkehrsordnung). Gewalt gegen Leben und Eigentum ist untersagt. Die Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung ist vom Bemühen zu begleiten, das Gespräch mit der Bevölkerung zu suchen. Damit diese bis heute umstrittene Rechtsfigur nicht zur Anwendung kommt, ist das beste Mittel, sie überflüssig zu machen, und dies durch gerechte Politik und gerechte Verfahren. J Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit, F 1979; P Glotz (Hg): Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, F 1983; R Spaemann: Philosophische Essays, St 1983; A Kaufmann: Das W.srecht der kleinen Münze, in: FS I Tammelo, 1984; B Rill / R Scholz (Hg): Der Rechtsstaat und seine Feinde, 1986; T Laker: Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, 1986; G Radbruch: Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, Hd 1990; K Remele: Ziviler Ungehorsam, Ms 1992.

Brieskorn

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Wille

Widerstreit der Pflichten 3 Gewissen Widervernünftig 3 Irrational Wiedererkennen 3 Gedächtnis Wiedergeburt 3 Reinkarnation 3 [1] Wiener Kreis 3 Positivismus 3 [302] Wille W. nennt man entweder das Resultat eines Entschlusses (z. B. »letzter W.«) oder die allem einzelnen Wollen zugrunde liegende Grundkraft bzw. -tendenz eines Wesens. Ohne Wollen gibt es kein Gewolltes, ohne Gewolltes kein Wollen. Erkennen und Wollen sind die zwei Vollzugsmodi des 3 Geistes. In ihrer Wurzel durchdringen sie sich gegenseitig: Nur etwas irgendwie als gut Erkanntes kann gewollt werden; aber schon dieses Erfassen ist geleitet von Interesse (Sympathie). Vorformen des menschlichen Wollens sind Antriebe, Sehnsüchte, Strebungen usw. Aus ihnen bilden sich konkrete Wünsche. Ohne diese Grundlage kommt kein »Wollen« zustande. Bloß zu wünschen aber heißt noch nicht zu wollen; zwischen beiden liegt die Kluft der freien Entscheidung (3 Freiheit), welche meiner Wünsche ich realisiere oder nicht. Wollen, das sich nicht (wenigstens anfänglich) ins Handeln inkarniert, ist noch keines, sondern nur ein Wünschen. Dieses Handeln kann zwei Formen haben: Man verschafft seinem W.n Realität entweder durch das eigene Tun oder durch die Aufforderung an andere, es zu tun. Der W. ist immer jemandes eigener W. Der eigene W. ist dasjenige am Menschen, wodurch sich einer am tiefsten vom anderen unterscheidet. Den Tieren kommt sicher ein Strebe- und Vermeidungsverhalten zu. Man sollte es aber besser nicht W. nennen. A Pfänder: Phänomenologie des Wollens, M 3 1963; K Riesenhuber: Die Transzendenz der Freiheit zum Guten, Pullach 1971; F Waismann: W. und Motiv, St 1983; H Heckhausen (Hg): Jenseits des Rubikon, B 1987; G Seebass: Wollen, F 1993.

Haeffner Willensfreiheit 3 Freiheit Willensstärkung 3 Gewohnheit Wir 3 Gemeinschaft Wirken (gr. ergázesthai, lat. operari, agere, als Substantiv operatio, actio) hat von der Wortbedeutung mit Wirkung (Gegensatz: 3 Ursache), Werk (gr. érgon, lat. opus; Produkt: Ergebnis eines Machens, Herstellens) und Wirklichkeit (gr. enérgeia, lat. actus, actualitas) zu tun, meint also ursprünglich das Herstellen oder Bew. eines Werks, wird aber in der ganz allgemeinen Bedeutung von tun, tätig sein, aktiv sein, Tätigkeit gebraucht. Der Gegenbegriff dazu ist das 3 Leiden (Erleiden) im Sinn der Passivität, Rezeptivität,

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Wirklichkeit

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des Affiziertwerdens (Hinnehmen einer Affektion, d. h. eines Einw.s von anderswoher). Das W. ist ebenso wie das (Er-)Leiden eine der akzidentellen Kategorien des Aristoteles. Die Scholastik unterscheidet zwischen dem W., das ein rein inneres, bewusstseinsimmanentes Geschehen ist (operatio immanens: immanente Tätigkeit), wie dies beim Denken, Erkennen und Streben, Wollen der Fall ist, und einem nach außen (über)gehenden, auf anderes einw.den W., das als operatio transiens (Genitiv transeuntis, daher: transeunte Tätigkeit) bezeichnet wird: Verhalten, Handeln. Im physikalischen Bereich gibt es einen universalen Zusammenhang des W.s, und das Lebendige zeichnet sich durch ein selbstgesteuertes W. aus. Die Grundformen des geistigen W.s sind 3 Denken bzw. Erkennen (3 Erkenntnis) und Wollen (3 Wille) als reine innere Tätigkeit, und zwar nicht im Sinn einer Veränderung, sondern als aktiver, selbstbestimmter, freier und in diesem Sinn lebendiger Vollzug der eigenen Existenz in ihrem Verhältnis zu sich selbst und zu allem anderen. Dass jedes substantiell Seiende wirkt, bedeutet, dass es ein wirkliches Eigensein besitzt, das sich in diesem W. kundgibt. Wäre ein substantiell Seiendes nämlich rein passiv, so hätte es keine Eigenständigkeit und kein Eigensein gegenüber seiner Ursache. Darum kann eine rein passiv aufgefasste Materie in philosophischen Systemen wie dem Idealismus oder dem Konstruktivismus als bloßes Produkt unseres Denkens und Erkennens interpretiert werden. Das W. ist gegenüber dem Sein im Sinn des Existierens, das die grundlegende Verwirklichung (actus primus: erster Akt) darstellt, die zweite Stufe der Verwirklichung, der zweite Akt (actus secundus). Es ist eine Konsequenz des Seins. Das Axiom »agere sequitur esse« (Das Tun folgt aus dem Sein) meint zum einen, dass das Sein dem W. gegenüber vorrangig ist. Zum anderen bedeutet es, dass das W. sich notwendigerweise aus dem Sein ergibt und in seiner Art und Weise von der Weise des Seins abhängt. T v Aquin: STh I 48, 5 c; 76, 4 ad 1; 105, 5 c; I–II 3, 2 c; 57, 4 c; ScG III 69; F Suárez: DM 48. – M Blondel: L’action, P 1893; J B Lotz: Metaphysica operationis humanae, Ro 1958.

Schöndorf Wirklichkeit (gr. enérgeia, lat. actus, actualitas) ist ursprünglich die von Meister Eckhart geprägte Übersetzung des aristotelischen Gegenbegriffs zu 3 Möglichkeit (gr. dy´namis, lat. potentia) und hängt mit Wirken zusammen, da das Wirkliche tätig und an seinem Wirken erkennbar ist (3 Akt/Potenz). Die W. ist grundlegend gegenüber der Möglichkeit. Dies zeigt sich u. a. daran, dass wir die Möglichkeit immer nur als mögliche W. denken und bestimmen können. Die endlichen Seienden besitzen keine vollendete W., weshalb sie nach mehr streben. Nur Gott ist, wie Thomas v Aquin sagt, reine W. (actus purus). Für Hegel ist die W. im Gegensatz zur 3 Realität die Einheit von

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Wirtschaft

Wesen und Existenz, von innen und außen. Darum ist für ihn das Wirkliche vernünftig. Heute ist W. meistens der Gegenbegriff zum bloß Gedachten, zum Schein oder zum Irrtum. Wirklich ist das, was unabhängig von unserem Denken existiert. Die W. zeigt sich im Denken und für das Denken als das ihm gegenüber Andere, Vorgängige, Überlegene und davon Unabhängige. Dies ist eine nachträgliche Charakterisierung, da die W. als das Ursprüngliche nicht durch etwas noch Grundlegenderes definiert werden kann. Die Tatsache, dass wir die W. als Gegenbegriff zum bloß Gedachten bezeichnen können, zeigt, dass wir darum wissen, dass sie unser Bewusstsein und unsere individuelle Existenz übersteigt und einschließt. Wir wissen in unserem Denken, dass die W. gegenüber dem bloß Gedachten »größer« ist, wie Anselm im Gottesbeweis des Proslogions (3 Gottesbeweis, ontologischer) darlegt. Dies übersehen diejenigen Formen des 3 Idealismus, die alle Erkenntnis nur vom Subjekt her ableiten und erklären wollen. Wir denken, um die W. zu erkennen. Darum nennt Thomas v Aquin das 3 Sein und somit die W. das Objekt des menschlichen Verstandes. Die W. ist das Maß unserer Erkenntnis (3 Wahrheit). Kritik an der Erkenntnis ist nur möglich, insofern (ausdrücklich oder nicht) die W. als Maßstab vorausgesetzt wird, da jede solche Kritik auf den Vorwurf hinausläuft, das betreffende Denken stimme nicht mit der W. überein. Darum ist auch die Logik nicht unabhängig von der W. Denn wir ziehen mit ihrer Hilfe Schlussfolgerungen, die uns die Bereiche der W. erkennen lassen, die unserer Erkenntnis nur auf diese vermittelte Weise zugänglich sind. Die W. geht über das sinnlich Wahrnehmbare hinaus und kann nicht auf eine einzige Dimension reduziert werden. Dies wird ersichtlich aus der Vielfalt der Wissenschaften und daraus, dass wir die Frage nach der eigentlichen W. stellen können. Sie ist die Frage nach dem 3 Sein als solchem und das Thema der 3 Metaphysik, die die Gründe und die grundlegenden Strukturen der W. erforscht. F von Kutschera: Die Teile der Philosophie und das Ganze der W., B 1998; H Lenk: Erfassung der W., Wü 2000; H Rott (Hg): Possibility and reality, F 2003; H Beck: Dimensionen der W., F 2004; B Weissmahr: Die W. des Geistes, St 2006.

Schöndorf Wirkung 3 Ursache 3 Wirken Wirtschaft im allgemeinsten Verständnis ist der Bereich menschlichen 3 Lebens, in dem es um die Bereitstellung, Verteilung und Verwendung von Sachgütern und Dienstleistungen zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse geht. Aufgrund der grundlegenden Sozialität des Menschen hat W. dabei immer einen gesellschaftlichen Charakter. W. ist abhängig von 3 Geschichte und 3 Kultur unterschiedlich organisiert, in modernen kapitalistischen 3 Gesellschaften lässt sich W. aber als ein von einer eigenen Sachlogik regiertes

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Wissenschaft

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gesellschaftliches Subsystem verstehen, dominiert von den Strukturprinzipien Markt bzw. Tausch und dem Medium Geld, zu anderen Subsystemen in einem Verhältnis der Interdependenz (z. B. Politik) oder auch der partiellen Überlappung (Haushalte/Familien) stehend und eingebettet auch in die natürliche Umwelt des Menschen. Der Mainstream moderner W.swissenschaften sieht W. darüber hinaus von der Tatsache der Knappheit bestimmt. Zentrale Leistung der W. wäre demnach die möglichst effiziente Zuteilung (Allokation) von Ressourcen zu unterschiedlichen Zielen. W. ist nicht einfach naturwüchsig, sondern teilintendiertes Resultat menschlicher Entscheidungen und damit auch als 3 System (mit tiefgreifendem Einfluss auf die Lebenschancen von Menschen) bewusster Gestaltung überantwortet. Der Raum dieser Verantwortung ist (demokratisch organisierte) Politik. 3 Ökologie 3 Sozialethik 3 Staat. M Weber: W. und Gesellschaft, Tü 5 1976; K Polanyi: Ökonomie und Gesellschaft, F 1979; O von Nell-Breuning: Gerechtigkeit und Freiheit, M 2 1985; N Luhmann: Die W. der Gesellschaft, F 1988; P Samuelson / W Nordhaus: Economics, Boston 18 2005.

Gösele Wirtschaftsethik 3 Sozialethik Wissen 3 Erkenntnis 3 Wissenschaft Wissen der einfachen Einsicht, der Schau 3 Gottes Eigenschaften Wissen, latentes 3 Gedächtnis Wissenschaft (lat. scientia, gr. epistéme) ist in den alten Sprachen dasselbe Wort wie Wissen, meint aber ein systematisches Wissen, das das Resultat methodischer Forschung ist, für das es Fachleute und eine Fachsprache (Terminologie) gibt. Eine W. untersucht ein Objekt oder einen Bereich (scholastisch: Materialobjekt) unter einer bestimmten Rücksicht (scholastisch: Formalobjekt). Der erste W.stheoretiker der Geschichte, Aristoteles, der auch Naturforscher war, fordert für eine W. begründetes Wissen, das auf erste von selbst einleuchtende Axiome zurückführbar ist. Das Verständnis der theoretischen Philosophie als Selbstzweck hat auch die W.en in unserer Kultur geprägt. Trotz der neuzeitlichen Ausrichtung auf die Praxis wird theoretische Grundlagenforschung zunächst um ihrer selbst betrieben, und es gibt nach wie vor W.en ohne (unmittelbaren) praktischen Zweck wie die Geschichte oder die Literaturw.en. Bei den Griechen waren Naturw. und Naturphilosophie noch vereint, während Mathematik, Medizin, Rechtsw. und Theologie seit alters eigenständige W.en waren. In der frühen Neuzeit kommt zur Physik die Chemie hinzu. Die Psychologie war ein Teil der Philosophie, obwohl schon Kant monierte, dass sie eigentlich eine empirische W. sei. Im 18. und 19. Jahrhundert haben sich die aus der Philosophie stammenden Wirtschafts-, Sozial-, Kultur- und Politikw.en und die Psychologie verselbstständigt.

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Wissenschaftstheorie

Die theoretische Philosophie stand immer mit der Naturw. in Beziehung. Für Descartes ist die Philosophie ein Baum, dessen Wurzeln die Metaphysik, dessen Stamm die Physik und dessen Äste Mechanik, Medizin und Moral sind. Descartes’ Philosophie verweist auf Galileis Physik, Kants Philosophie auf Newton. Kant hat die Philosophie als Vernunfterkenntnis aus Begriffen (KrV B 752) definiert und so klar von den anderen W.en unterschieden. Fichte nennt seine Philosophie W.slehre, da er in ihr das Fundament jeglicher W. sieht. Im späten 19. Jahrhundert entsteht die W.sphilosophie oder 3 W.stheorie im heutigen Sinn. Die analytische Philosophie orientiert sich an der Naturw., während sich Hermeneutik und Phänomenologie an den Geschichtsund Kulturw.n ausrichten. Husserls Hinweis auf die Lebenswelt und Wittgensteins Sprachspieltheorie machten darauf aufmerksam, dass die W. nicht unter jeder Rücksicht die bessere Erkenntnis ist, sondern nur in einer ganz bestimmten Perspektive. Zum heutigen W.sverständnis: 3 W.stheorie 3 Theorie. Zur Einteilung der W.en: 3 Geistesw. 3 Humanw. 3 Naturw. 3 Philosophie. Aristoteles: Anal. post.; E Husserl: Die Krisis der europäischen W.en und die transzendentale Phänomenologie, HH 1977. – K Hübner: Kritik der w.lichen Vernunft, 1993; H Heuermann: W.skritik, Tü 2000; H Küng (Hg): W. und Weltethos, M 2001; N Rescher: Rationalität, W. und Praxis, Wü 2002; D de Sauvage: Krise der Philosophie im Zeitalter w.lich-technischer Rationalität, Reinbek 2002; M A Gallee: Bausteine einer abduktiven W.s- und Technikphilosophie, Ms 2003; M Gatzemeier: Zur Philosophie der w.lichen Welt, Wü 2005; K Gloy: Von der Weisheit zur W., Fr 2007.

Schöndorf Wissenschaftsethik 3 Ethik 3 Wissenschaftstheorie Wissenschaftskritik, Wissenschaftssoziologie 3 Wissenschaftstheorie Wissenschaftstheorie Der Begriff W. wurde im 18. Jahrhundert geprägt, in Absetzung vom früheren Begriff der Wissenschaftslehre. Während diese noch stark in der Tradition der 3 Naturphilosophie stand, wollte sich die W. in enger Anlehnung an die naturwissenschaftliche und die mathematischlogische Methode positionieren. Teilweise tritt sie mit dem Anspruch auf, die einzige Form von Philosophie zu sein, da wissenschaftliche Erkenntnis immer in Zusammenhang mit empirischer Wissenschaft stehen muss. W. hat einen methodischen und einen historischen bzw. soziologischen Aspekt. Darüber hinaus beinhaltet sie eine allgemeine Reflexion über Wissenschaft, ihre Funktion und ihre Geltung. W. als Methodenlehre beschäftigt sich mit den Methoden der (meist empirischen) Wissenschaften, meist mit einem normativen und kritischen Anspruch, wenngleich dieser nur in Form einer methodisch korrekten Rekonstruktion von Wissenschaften eingelöst werden kann. Wichtige methodische Prinzipien, neben Trivialitäten wie dem Anspruch eines logisch korrekten

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Wissenschaftstheorie

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Aufbaus von Theorien und der intersubjektiven experimentellen Überprüfbarkeit, sind die Forderungen, dass wissenschaftliche Begriffe operationalisierbar sein müssen (3 Operationalismus), dass Hypothesen falsifizierbar sein müssen und Falsifikationskriterien ausdrücklich angegeben werden müssen (3 Theorie). Für Messgrößen müssen klare Verfahren angegeben werden, wie Messverfahren in Grenzbereichen ihrer Anwendung ineinander übergehen (z. B. verschiedene Verfahren der Längenmessung für sehr kleine und sehr große Abstände) und wie Messfehler erfasst und behandelt werden. In vielen Fällen werden diese Prinzipien in der Wissenschaft flexibel angewandt. Z. B. werden abstrakte Grundlagentheorien in der 3 Physik oft über lange Zeiträume entwickelt, ohne dass Falsifikationskriterien angegeben werden können. Umstritten ist die Forderung, dass Wissenschaft wertfrei sein muss (M Weber). Als methodisches Prinzip ist die Trennung von wissenschaftlichen Aussagen und Werturteilen zwar grundlegend für die Sozialwissenschaften. Die Forschung selbst muss aber in allen Wissenschaften im Lichte möglicher Anwendungen ethisch hinterfragt werden. Der historische bzw. soziologische Aspekt der W. überschneidet sich mit Wissenschaftsgeschichte und -soziologie und reflektiert darüber, wieweit diese zum Verständnis von Wissenschaft beitragen. I Lakatos und T Kuhn sind dieser Linie gefolgt. Die allgemeine Reflexion über Wissenschaft, ihre Funktion und ihre Geltung führt zu sehr unterschiedlichen philosophischen Positionen, z. B. über die Funktion und den Wirklichkeitsbezug von Theorien oder zum Begriff der wissenschaftlichen Erklärung. Weitere grundlegende Positionen sind der 3 Positivismus und der 3 Konstruktivismus. W. als Methodenforschung bewährt sich vor allem im Bereich der Sozialund Humanwissenschaften, wo die Methoden weniger klar sind als z. B. in Biologie und Physik. Ihre Relevanz ist aber oft sehr begrenzt und die Grenzen zwischen Wissenschaft und W. sind fließend. W. als Reflexion über Wissenschaft berührt sich mit Erkenntnistheorie. Sie neigt oft zur Überbetonung der Rolle der empirischen Wissenschaften, die zum Modell von Wissenschaft erhoben werden. E Braun / H Radermacher: Wissenschaftstheoretisches Lexikon, Gr 1978; J Mittelstraß: Enzyklopädie Philosophie und W., Mannheim 1980; J Speck: Handbuch wissenschaftstheoretischer Begriffe, Gö 1980; B v Fraassen: The Scientific Image, O 1980, The Empirical Stance, NH 2002; W Stegmüller: Probleme und Resultate der W. und Analytischen Philosophie, B 2 1983, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, St 8 1987; M Polanyi: Implizites Wissen, F 1985; G Schurz: Erklären und Verstehen in der Naturwissenschaft, M 1990; R Boyd / P Gasper / J D Trout (Hg): The philosophy of science, Massachusetts 1991; U Charpa: Grundprobleme der Wissenschaftsphilosophie, Pb 1996; I Hacking: Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaften, St 1996; H Seiffert: Einführung in die W., M 12 1996; P Janich: Kleine Philosophie der Naturwissenschaften, M 1997; M Curd / J A Cover: Philosophy of Science,

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Wunder

NY 1998; A F Chalmers: Wege der Wissenschaft, B 4 1999; E Kurt: Einführung in die Erkenntnis- und W., St 2 1999; H Poser: W., St 2001.

Bauberger Worterklärung 3 Definition Wunder in einem allgemeinen Sinn (1) ist jedes Ereignis, das Verw.ung erweckt (W. der Natur, der Technik). In einem genaueren, für die Religion bzw. Theologie bedeutsamen Sinn spricht man von göttlichen W.n (2) und meint damit Ereignisse, die wegen ihrer Außergewöhnlichkeit und der von ihnen herbeigeführten Rettung aus Not oder Erfüllung der Sehnsucht nach Heil dem Menschen die persönliche Liebe Gottes zeichenhaft kundtun. Diese Bestimmung des W.s enthält schon eine Interpretation der als W. bezeichneten Ereignisse: sie werden als göttliche Zeichen, d. h. als in besonderer Weise von Gott hervorgebrachte Taten, als dialogisches Handeln Gottes in Bezug auf den Menschen gedeutet. Hier erst stellt sich die philosophische Frage: Wie ist diese Interpretation mit unseren übrigen Erkenntnissen über die Wirklichkeit, vor allem über Gott und die Welt, in Einklang zu bringen? Kann sie vor dem Forum der kritischen Vernunft bestehen, und wenn ja, wie ist das zu zeigen? – Seitdem man die von Gott herstammende Eigenwirklichkeit und -wirksamkeit der Geschöpfe erkannt hatte, machte man sich darüber Gedanken, was eine persönliche Tat Gottes in der Welt, ontologisch gesehen, denn sei. Die lange Zeit allgemein angenommene Begründung der Interpretation gewisser Ereignisse als Taten Gottes ging davon aus, dass Gott in der Welt in zweifacher Weise wirke: gewöhnlich durch die von ihm herstammenden natürlichen Kräfte des Geschöpfes, in besonderen Fällen jedoch unmittelbar, d. h. ohne geschöpfliche Kräfte zu gebrauchen. Nach dieser Auffassung ist das W. ein wahrnehmbares außergewöhnliches Ereignis, das von Gott allein kraft seiner Allmacht außerhalb der natürlichen Ordnung hervorgebracht wird. – Gegen diese Deutung des W.s erheben sich aber zwei wichtige Einwände: 1. Es ist nicht exakt festzustellen, ob etwas außerhalb der natürlichen Ordnung geschehen ist, wenn man nicht die eindeutige Determiniertheit des gesamten Naturgeschehens und unsere erschöpfende Erkenntnis der Naturgesetze voraussetzen kann, was aber offensichtlich nicht der Fall ist. 2. Man stellt Gott auf die gleiche Ebene mit den innerweltlichen Ursachen, d. h. man deutet ihn als Teil der Welt, wenn man annimmt, er würde ohne entsprechende innerweltliche Ursachen etwas in der Welt bewirken. Dies widerspricht der Transzendenz Gottes. Deshalb muss gezeigt werden, dass es auch unter der Voraussetzung, Gott wirke in der Welt stets durch geschöpfliche Ursachen, möglich und unter Umständen sogar geboten ist, gewisse außergewöhnliche Ereignisse als persönliches Handeln Gottes zu deuten. Dazu ist folgendes zu bedenken: 1. Gott und Geschöpf schließen sich als Ursachen der Ereignisse innerhalb der Welt nicht aus (3 Gottes Wirken). Es gilt im Gegenteil: Je intensiver Gott in der Welt handelt, desto mehr erscheint in der Welt die dem

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Würde

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Geschöpf eigene Aktivität; und je mehr Eigenwirksamkeit das Geschöpf entfaltet, desto mehr wird Gott selbst in der Welt aktiv. 2. Von den innerweltlichen Ursachen (und deshalb auch von dem gerade durch sie wirkenden Gott) her ist mehr möglich, als naturwissenschaftlich erkennbar und errechenbar ist. Denn für eine ontologische Betrachtung des geschöpflichen Wirkens ist auch das – von den Naturwissenschaften notwendigerweise vernachlässigte, aber in jedem Seienden im Maße seines Seinsgrades hervortretende – Moment der je größeren Unmittelbarkeit zu Gott von Bedeutung. – Das W. kann man darum beschreiben als ein außergewöhnliches, unser Vorverständnis in Bezug auf das innerweltlich Mögliche sprengendes Ereignis, durch das der transzendente Gott mittels der eigenen, zum Hervorbringen auch von Unvorhergesehenem fähigen Kräfte des Geschöpfes, d. h. weltimmanent wirkend, dem Menschen auf unerwartete Weise innerweltliche Rettung oder irdisches Heil schenkt und somit seine persönliche, auf unbedingtes Heil ausgerichtete Liebe in der Materialität der Welt zeichenhaft zum Ausdruck bringt. Weil zwischen W. und »gewöhnlichem Ereignis« hinsichtlich ihrer ontologischen Struktur kein grundsätzlicher Unterschied besteht, geschieht die Erkenntnis des W.s als solchem dadurch, dass man in der konkreten Situation die auf das Absolute hinweisende dialogische Bedeutung des Ereignisses erkennt. Bei den W.n aus vergangenen Zeiten muss freilich die historische Kritik dazukommen. T v Aquin: ScG III 98–103; G W Leibniz: Discours de métaphysique 6 f. – R Guardini: W. und Zeichen Wü 1959; L Monden: Theologie des W.s, Fr 1961; B Weissmahr: Gottes Wirken in der Welt, F 1973; B Bron: Das W., Gö 1975; A Suhl (Hg): Der W.begriff im Neuen Testament, Da 1980; J Imbach: W., Wü 1995.

Weissmahr Würde schließt den allgemeinen W.begriff und den Rechtsbegriff der Menschenw. (3 Menschenrechte) mit ein. Träger der W. sind alle Lebewesen, die von Menschen abstammen. Dieses Gattungsmerkmal besagt, dass der Mensch gegen nichts eingetauscht und nie bloß als Mittel benutzt werden darf. Er hat keinen Preis und Gegenwert und darf keinem Zweck völlig untergeordnet werden, wohingegen er selbst Mittel auf sich zuordnen und sich selbst Zwecke setzen darf. Er hat, besser: er ist diese W., die er sich nicht verdient und erarbeitet hat. W. verlangt vom Träger der W., sich selbst eine Wertschätzung entgegenzubringen und die Pflichten gegenüber sich selbst wahrzunehmen und der W. nichts überzuordnen. Damit hat W. mit Verantwortung zu tun und ist kein Privileg. Es ist eine Pflicht des Menschen gegen sich selbst, ein Bewusstsein seiner W. als Person aufrechtzuerhalten (Kant MdS A 69). Doch auch wer dieser Pflicht nicht nachkommt, verliert seine W. nicht, er lebt jedoch nicht ihr gemäß. Da meine W. die W. aller ist, ist meine Lebensführung auch vor allen zu rechtfertigen.

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Zahl

Alle Menschen haben Pflichten gegenüber jedem Menschen. Er ist Rechtssubjekt. Unabhängig davon, ob ihm Achtung erwiesen wird oder nicht, ob er und in welcher Gesellschaft er lebt, kommen dem Menschen 3 Rechte zu. Dem 3 Staat obliegt die Pflicht, die W. zu achten, sich bestimmter Eingriffe zu enthalten (Todesstrafenverbot, 3 Strafe) und die Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens zu garantieren. Wenn es sich damit bei der W. um den obersten Wert und Grund handelt, ist sie mangels eines noch einmal höheren Gutes oder Grundes nicht begründbar. Wohl lässt sich die Sinnhaftigkeit, dass dieser Wert und kein anderer an der Spitze steht, aufweisen: So macht unser Sprechen und Handeln von solcher Selbstbestimmung ständig Gebrauch, heben wir den Menschen vom Tier ab, finden wir solche W. in der Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gen 1, 26 f.; Eph 4, 24), für andere Geistesströmungen (Platon, Cicero, Seneca, Epiktet, Pascal, Kant, Hegel, Fichte) in seiner Fähigkeit zur Selbstbestimmung und seiner Teilhabe an der Vernunft grundgelegt. An Aufgaben stellt sich: 1) die W. sachgemäß in die Anwendungsdiskurse einzubringen und 2) zu untersuchen, inwieweit W. nichtmenschlichen Lebewesen oder auch der Natur selbst zukommen soll, und 3) für den Schutz der W. in Wirtschaft, Staat und in den Kulturen einzutreten, ohne ein bestimmtes geschichtliches Modell allgemein verbindlich machen zu wollen. P della Mirandola: De dignitate hominis, 1486; I Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785; C Taylor: Negative Freiheit? F 1992. – E W Böckenförde / R Spaemann (Hg): Menschenrechte und Menschenw., St 1987; W Wolbert: Der Mensch als Mittel und Zweck, M 1987; R Dillon (Hg): Dignity, Character, and Self-Respect, NY 1995; O Höffe: Medizin ohne Ethik? F 2002; A Krebs: Arbeit und Liebe, F 2002.

Brieskorn Yang, Yin 3 [14] Zahl In der Beschäftigung mit Z.en haben sich immer mythologische und symbolische Elemente mit Mathematik verbunden, bis hin zur Z.enmystik. Nachklänge finden sich in der griechischen Philosophie, z. B. in der Rede vom »Einen« bei Platon und Plotin, deutlich noch bei Pythagoras von Samos. Dieser lehrte ein Weltbild, das alles auf Harmonien, das sind analog zur Musik ganzzahlige Verhältnisse, zurückführt. Diese Position kam durch die Entdeckung von inkommensurablen Streckenverhältnissen in Probleme. Z. B. ergibt der Quotient aus der Länge der Diagonale in einem Quadrat und der Seitenlänge kein ganzzahliges Verhältnis. (Dieser Quotient gehört zur Menge der reellen Z.en, nicht zu der der rationalen Z.en, vgl. unten.) Spätere Pythagoräer wurden dem durch geschickte Erweiterungen des Systems (Eudoxische Proportionenlehre) gerecht. Darin zeigt sich eine Beschränkung des Z.begriffs auf die »natürlichen Z.en« (1,2,3, …), die noch lange Zeit aufrechterhalten wurde. Die wichtigste

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Weiterentwicklung im Mittelalter war die vereinfachte Notation unter Einbeziehung der Null, die unter Vermittlung der Araber aus dem indischen Kulturkreis übernommen wurde. Sie erleichterte die Entwicklung von Rechen-Algorithmen. Algorithmen sind klar definierte Verfahren, die mit einer endlichen Z. von Schritten ein bestimmtes Ergebnis erzielen, und spielen in der 3 Informationsverarbeitung eine grundlegende Rolle. Der moderne Z.begriff wird durch einen stufenweisen, konstruktiven Aufbau begründet. Auch ihr Ausgangspunkt ist die 3 Menge der natürlichen Z.en ø={1,2,3, …}. Deren Eigenschaften werden durch die Peano-Axiome festgelegt, die man als formale Fassung der Intuitionen über das Zählen verstehen kann. Diese Axiome sind: (1) 1 ist eine natürliche Z. (2) Jede natürliche Z. hat einen »Nachfolger« (die jeweils nächste Z.). (3) 1 ist selbst nicht Nachfolger einer anderen natürlichen Z. (4) Zwei Z.en, die denselben Nachfolger haben, sind gleich. (5) Wenn M eine Teilmenge von ø ist, die die 1 enthält und für die gezeigt werden kann, dass sie zu jedem ihrer Elemente auch den Nachfolger enthält, dann gilt M = ø. Das letzte Axiom ermöglicht das Verfahren von vollständigen induktiven Schlüssen und Definitionen. Die Addition lässt sich für die natürlichen Z.en induktiv definieren: a+1 ist der Nachfolger von a. Wenn b’ der Nachfolger von b ist, dann ist a+b’ der Nachfolger von (a+b). Entsprechendes gilt für die Multiplikation. Die natürlichen Z.en werden in einem ersten Konstruktionsschritt durch die Null und die negativen Z.en (die den natürlichen Z.en eindeutig zugeordnet sind) zu den ganzen Z.en ergänzt (formal: Äquivalenzklassen in ø2 ). In einem zweiten Schritt werden Bruchz.en durch Z.enpaare (Zähler und Nenner) von ganzen Z.en repräsentiert. Paare, die durch Kürzungsregeln ineinander überführt werden können (z. B. (1,2), (–1,–2), (2,4), …, entsprechend den Brüchen 1/2, –1/–2, 2/4, …) werden jeweils zu einer Äquivalenzklasse zusammengefasst. Die Menge dieser Äquivalenzklassen definiert die rationalen Z.en. Komplizierter ist die Konstruktion der reellen Z.en œ, die z. B. als Äquivalenzklassen von Cauchy-Folgen auf der Menge der rationalen Z.en definiert werden können. Die reellen Z.en repräsentieren kontinuierliche Größen in der Physik (vgl. zum Kontinuum 3 Menge). Durch Z.enpaare (a,b) von reellen Z.en werden die komplexen Z.en definiert, die meist als Summen a+i · b, mit der imaginären Einheit i (für die gilt i2 = –1) geschrieben werden. Die rationalen, die reellen und die komplexen Z.en bilden bezüglich von Addition und Subtraktion (deren Regeln von denen für die natürlichen Z.n definierten abgeleitet werden) jeweils einen »Körper«. Das bedeutet, dass elementare Rechenregeln wie a+b=b+a oder a · (b+c)=a · b+a · c gelten. Für weitere Erweiterungen der Z.en (z. B. Quaternionen) gehen einige dieser Eigenschaften verloren. Die komplexen Z.en bewähren sich in der Funktionentheorie und in vie-

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len physikalischen Zusammenhängen. Für komplexere physikalische Zustände stellt der Begriff von Räumen eine Verallgemeinerung des Z.begriffs dar. Interessante Fragen der Z.entheorie tauchen in Zusammenhang mit Unendlichkeiten und mit dem Kontinuum auf (3 Menge), sowie in der Erforschung der Eigenschaften der Primz.en. Trotz dieser formal klaren Fassung des Z.begriffs verbindet sich dieser auch heute noch mit symbolischen Elementen. Stärker entmythologisierte Fassungen hat diese Dimension in der Proportionslehre in der Ästhetik sowie in Begriffen wie »Weltformel« zur Beschreibung eines grundlegenden Programms der Begründung der Physik. J Heinhold / B Riedmüller: Lineare Algebra und Analytische Geometrie, Teil 1, M 1975; K Meyberg: Algebra, Teil 1, M 2 1980, Algebra, Teil 2, M 1976.

Bauberger Zeichen Ein Z. ist etwas, das für etwas anderes steht und auf dieses verweist. Es ist also, insofern es Z. ist, wesentlich auf etwas anderes bezogen. Diese Beziehung kann die Vermittlung einer Erkenntnis, aber auch die Aufforderung zu einer Handlung sein. Als Z. kommen sowohl Dinge als auch Eigenschaften, Handlungen (vor allem Gesten) und Konstellationen in Frage. Z. lassen sich in natürliche (d. h. von Natur gegebene), geschichtlich gewachsene (wie Sprache, Gesten und die meisten kulturellen Z.) und konventionelle Z. im eigentlichen Sinn (d. h. auf ausdrücklicher Vereinbarung oder Festsetzung beruhende wie z. B. Verkehrsz.) einteilen. Vor allem konventionelle Z. haben meist keinen relevanten individuellen Eigenwert, sondern besitzen ihren ganzen Sinn und Zweck in ihrem Verweis auf anderes. Wahrscheinlich haben viele Z. ursprünglich von sich her einen Verweis auf das von ihnen Bezeichnete getragen, auch wenn bei bestimmten konventionellen Z., wie etwa den lateinischen Schriftz., dieser aus der Natur der Sache stammende Verweis durch die vielen geschichtlichen Veränderungen weitgehend oder ganz verlorengegangen ist. Dieser Verweis besteht entweder in irgendeiner Form von Ähnlichkeit mit dem Bezeichneten oder darin, dass das Z. einen Ausdruck oder eine Wirkung des Bezeichneten darstellt. Die Z.haftigkeit der Wirklichkeit zeigt sich ursprünglich darin, dass etwas sein inneres Wesen nach außen hin kundgibt. So ist der Leib äußeres Z. der Seele, des inneren Menschen. Ohne Z. ist keine Kommunikation über Abwesendes oder Nichtsinnliches möglich. Darum ist eines der wichtigsten Z.systeme die menschliche 3 Sprache und die aus ihr erwachsene Schrift. 3 Semiotik 3 Strukturalismus. C W Morris: Foundations of the theory of signs; C S Peirce: Collected Papers, C 1931 ff.; Phänomen und Logik der Z., F 1983; A Rey: Théories du signe et du sens, Paris 1973; U Eco: Z., F 1977; M Krampen (Hg): Die Welt als Z., B 1981; L Brind’Amour (Hg): Archéologie du signe, Tt 1983; M Bense: Das Universum der Z., Baden-Baden 1983; K Dutz / H J Wulff (Hg): Kommunika-

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Zeit

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tion, Funktion und Z.theorie, Ms 1983; E Runggaldier: Z. und Bezeichnetes, 1985; U Eco / C Marmo (Hg): On the medieval theory of signs, A 1989; J Simon: Philosophie des Z.s, B 1989; T Borsche (Hg): Zur Philosophie des Z.s, B 1992; J Simon: Z. und Interpretation, F 1994; R Keller: Z.theorie, Tü 1995; K Oehlerain: Sachen und Z., F 1995; S Meier-Oeser: Die Spur des Z.s., B 1997; G Abel: Sprache, Z., Interpretation, F 1999; Z. der Wirklichkeit, F 2004; M Fuchs: Z. und Wissen, Ms 1999; A Keller: Sprachphilosophie, Fr 3 2000; W Stegmaier (Hg): Kultur der Z., F 2000; U Wirth (Hg): Die Welt als Z. und Hypothese, F 2000; J Steinbrenner: Z. über Z., Hd 2004.

Schöndorf Zeit ist das Nacheinander des Je-anders: des Ortswechsels, der quantitativen und der qualitativen Veränderung sowie des Entstehens und Verschwindens von Körpern und Lebewesen (darin auch von personenbezogenen Situationen und Entscheidungen). Ohne das »jetzt«, das in sich selbst ein Übergang aus dem »jetzt-noch-nicht« in das »jetzt-nicht-mehr« ist, ist das Je-anders der Zustände unmöglich. So kann das Veränderliche und Vergängliche auch das Z.liche genannt werden. Die Z.lichkeit aber hat als ihren Horizont den Gedanken der 3 Ewigkeit. (Zwischen beide schob das Hochmittelalter das aevum, die Weise des Dauerns der veränderlichen, aber unvergänglichen reinen Geister.) In der Physik des Aristoteles (219b1–2) ist Z. das Abzählbare an einem Vorgang, wenn dieser unter der Rücksicht ›vorher/nachher‹ wahrgenommen wird: z. B. dass er 5 Pulsschläge lang dauerte, dass sein Beginn mit dem Beginn eines anderen Vorgangs zusammenfiel bzw. diesem folgte. Gleichz.igkeit und Aufeinanderfolge (Nacheinander, Sukzession) beziehen sich auf das relative Verhältnis verschiedener Vorgänge oder Ereignisse. Jeder Vorgang kann gedanklich in Teile zerlegt werden, die dann wiederum Vorgänge sind. – Um alle Vorgänge unter ein einheitliches Bezugssystem bringen zu können, hat Newton eine Z. an sich, als gleichförmigen, mathematisierbaren Ablauf von Jetzten, der an keine reale Bewegung gebunden ist, postuliert. Die Idee einer solchen absoluten Z. muss allerdings, um auf Vorgänge beziehbar zu sein, durch gleichförmig-periodische Prozesse repräsentiert werden, die so zu »Uhren« werden. Denn einen Vorgang z.lich zu bestimmen heißt, ihn unter der Idee der Z. an anderen Vorgängen zu messen. Doch bleibt die Interpretation einer periodischen Bewegung (z. B. der Schwingungen des Caesium-Atoms) als Uhr an niemals vollständig beweisbare theoretische Annahmen bezüglich ihrer Gleichförmigkeit gebunden. Dass prinzipiell die lineare Z. selbst nichts für sich Seiendes, sondern das Produkt einer (in gewissen Grenzen) wohlbegründeten Idealisierung ist, legt sich nahe, weil keine Uhr direkt an der Z., sondern nur wieder an Uhren geeicht werden kann. Auf die Grenzen dieser Idealisierung verweisen aber auch die Relativitätstheorie Einsteins (die die Annahme, zwei beliebige Ereignisse seien immer

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Zeit

entweder gleichz.ig oder nicht, nur unter bestimmten Bedingungen gelten lässt) und die Quantenphysik (die die kontinuierliche Teilbarkeit der Z. und deren Richtungssinn problematisiert). Im Alltag bewegen wir uns einerseits unter der Idee der umfassenden Z., andererseits in der Vielheit und qualitativen Verschiedenheit der Z.en. Einerseits kann ohne die Konstruktion eines gemeinsamen Bezugssystems für sehr entfernte Vorgänge sowie für lokal und situativ verschiedene Z.rechnungen keine großflächige soziale Organisation, kein elektronischer Nachrichtenverkehr und kein einheitliches Weltbild bestehen. Andererseits aber leben wir leiblich und seelisch unter dem Gesetz der wechselnden Z.en: Solche Z.en sind Frühling und Winter ebenso wie Jugend und Alter, Fest- und Arbeitstage, gute und schlechte Tage, leere und erfüllte Stunden, bis hin zum seltenen »Augenblick«, in dem die Z. in einer Weise stillzustehen oder sich zu konzentrieren scheint, die an die Ewigkeit denken lässt. Denn die gelebte Z. hat etwas, was die konstruierte Z. des puren Nacheinander nicht hat: das Jetzt (Gegenwart) und damit auch Zukunft und Vergangenheit. Die Dreidimensionalität der Z. aber verweist, wie besonders Augustinus und Husserl gezeigt haben, auf einen Zusammenhang von Z. und 3 Seele. Das vergangene oder das zukünftige Jetzt verweist auf das Jetzt des Aktes, in dem es erinnert bzw. vorweggenommen wird. Ohne die je jetzige Aktualität des Bewusstseins, das sich (im Gedächtnis) in das gesammelt Gewesene behaltend erstreckt und sich dem Kommenden entgegenstreckt, gäbe es keine Präsenz des Vergangenen und des Zukünftigen als solchen, und folglich auch keine Reihung früherer und späterer Z.punkte auf der Z.linie. Dasselbe gilt für das einfache (»jetzige«) Jetzt. Wenn wir »jetzt« sagen (z. B. »Jetzt kommt er«) wird ein Ereignis in Bezug gesetzt zu einem gewissen Gegenwartserlebnis, das Sprecher und Angesprochener teilen. Obwohl dieses seinerseits datiert werden kann (»Jetzt – um 5 Uhr«), erreicht die Datierung nicht sein Wesen; denn einerseits ist der Ausdruck »jetzt« in der Situation auch unmittelbar verständlich, und andererseits hat jedes Verständnis einer objektiven Z.angabe zur Voraussetzung ein Vor-Verständnis von »jetzt« als erlebter und vollzogener 3 Gegenwart. Platon: Timaios; Aristoteles: Physik IV 10–14; Plotin: Enn. III,7; Augustin: Confessiones XI; I Kant: KrV A 30–41, 130–147; H Bergson: Z. und Freiheit, II, P 1889; J M McTaggart: Philosophical studies, Lo 1934, Kap. 5; E Husserl: Zur Phänomenologie des inneren Z.bewußtseins; M Heidegger: Sein und Z., Hl 1927; P Bieri: Z. und Z.erfahrung, F 1972. – H M Baumgartner (Hg): Das Rätsel der Z., Fr 1993; P Burger: Die Einheit der Z. und die Vielheit der Z.en, Wü 1993; M Herzog (Hg): Der Streit um die Z., St 2002; K Gloy: Philosophiegeschichte der Z., Pd 2008.

Haeffner Zeit, Anschauungsform 3 Transzendentalphilosophie Zeitkritik 3 Kulturphilosophie

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Ziel

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Zeitlos 3 Ewigkeit Zelle 3 Leben Zen 3 [23] Zergliederung 3 Analyse Zeugniswissen 3 Glaube Ziel Das Z. (gr. télos, lat. finis) ist das Worum-Willen und Woraufhin und insofern der Endpunkt eines Strebens, einer Handlung und einer Veränderung, soweit sie erstrebt oder auf etwas ausgerichtet ist. Für Aristoteles hat jede Veränderung ein Z., denn es gibt keine Veränderung, keinen Prozess an sich, sondern nur die Veränderung von etwas. Die neuzeitliche Physik hat diese Konzeption aufgegeben, da sich die rein physikalische Bewegung nach Gesetzen vollzieht, die vom Z. unabhängig sind. Ein System kann als Ganzes ein Z. haben, auch wenn seine einzelnen Elemente nicht dieses Z. anstreben (z. B. die Mehrung des allgemeinen Wohlstands als Z. der Marktwirtschaft). Streben und Handeln geschieht immer um eines Z.es willen. Im klassischen Verständnis geschieht jede Tätigkeit um eines Z.es willen: Omne agens agit propter finem (Jedes Handelnde handelt um eines Z.es willen). Es gibt zwei Arten des Z.es: Das Z. als Objekt des Strebens (lat. finis cuius) und das Z. als erstrebter Zustand des Strebenden selbst, der im Sich-Erfreuen am erstrebten Objekt besteht (lat. finis quo). Das Z. kann verfehlt werden. Es ist nicht unbedingt mit dem Ende identisch. So ist z. B. der Tod das Ende des Lebens, aber nicht sein Z., denn das Z. ist immer eine Weise des zumindest subjektiv Besseren, letzten Endes der Vollkommenheit oder Vervollkommnung. Während einem Zweck ein Mittel entspricht, ist einem Z. im heutigen Sprachgebrauch eher ein Weg oder eine Methode zugeordnet. 3 Teleologie 3 Zweck. Aristoteles: Metaph. V 16; Nik. Eth.; M T Cicero: De finibus bonorum et malorum; T v Aquin: STh I 26, 3 ad 2; 101, 1 ad 1; I–II 1. – K Jaspers: Vom Ursprung und Z. der Geschichte, F 1955; R Isak: Evolution ohne Z.?, Fr 1992; R Spaemann / R Löw: Natürliche Z.e, St 2005.

Schöndorf Zielsicherheit, Zielstrebigkeit 3 Teleologie Zirkelschluss 3 Fehlschluss Zivilisation 3 Kultur Zufall bedeutet ganz allgemein, dass ein Geschehen weder nach den üblichen Regeln erklärbar noch auf eine freie Handlung zurückzuführen ist. Dies bedeutet, dass für ein zufälliges Geschehen unter der Rücksicht seiner Zufälligkeit keine Erklärung gegeben werden kann. Dies kann in verschiedener Weise gemeint sein, so dass Z. verschiedene Bedeutungen besitzt: a) Ein Geschehen, das überhaupt keine Ursache besitzt (metaphysischer Z.). Ein Z. in diesem Sinn ist nicht möglich.

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Zwang

b) Ein Geschehen, das nicht geplant, nicht vorhergesehen, nicht beabsichtigt ist. Ein derartiger Z. kann durchaus wirkursächlich erklärt werden, kommt aber durch das Zusammenwirken verschiedener Wirkursachen zustande, deren Zusammentreffen nicht geplant und zumeist auch nicht vorhersehbar war. c) Ein Geschehen, das nicht eindeutig auf Grund der vorliegenden Ursachen vorhersehbar ist, so dass die deterministische Erklärung ausscheidet. In diesem Fall gibt es zwar eine wirkursächliche Erklärung im Allgemeinen, aber keine dafür, dass im Einzelnen hier und jetzt dieses Ereignis eintritt. Dies gilt nach heutiger Auffassung beispielsweise für den radioaktiven Zerfall oder Mutationen, deren Gesamtheit zwar statistischen Gesetzen gehorcht, die im Einzelfall aber nicht vorhersehbar sind. d) In einem weiten Sinn des Wortes kann man alles Kontingente als zufällig bezeichnen: 3 Kontingenz. In dieser Bedeutung ist Z. das kontradiktorische Gegenteil zu 3 Notwendigkeit und die Charakterisierung des Akzidentellen, Unwesentlichen: 3 Substanz/Akzidens 3 Wesen. Den Z. im Sinne von c) zu einem Erklärungsprinzip zu erheben, wie dies in der Evolutionstheorie Mode geworden ist, ist semantisch widersinnig, denn dass etwas in diesem Sinn Z. ist, bedeutet gerade, dass man für sein konkretes Zustandekommen keine Erklärung hat und dass alle herkömmlichen Erklärungen hierfür versagen. Z. in diesem Sinn ist also in Wahrheit keine Erklärung, sondern die Feststellung, dass sich keine gesetzmäßige naturwissenschaftliche Erklärung angeben lässt. J Monod: Le hasard et la nécessité, P 1970; N A Luyten (Hg): Z., Freiheit, Vorsehung, Fr 1975; O Marquard: Apologie des Zufälligen, St 1986; P Erbrich: Z., St 1988; A Ganoczy: Chaos – Z. – Schöpfungsglaube, Mz 1995; K Utz: Philosophie des Z.s, Pb 2005; M Hampe: Die Macht des Z.s, B 2006; K Mainzer: Der kreative Z., M 2007.

Schöndorf Zufällig 3 Kontingenz 3 Zufall Zugleichsein 3 Zeit 3 Gegenwart Zukunft 3 Zeit Zulassen 3 Theodizee Zurechnungsfähigkeit 3 Verantwortung Zurückführung auf das Widerspruchsprinzip 3 Widerspruch, Satz vom Zusammensetzung 3 Einfachheit Zustimmung 3 Gewissheit 3 Setzung Zwang ist die Beeinträchtigung der freien Entscheidung, um gerade dadurch ein Handeln oder eine bestimmte Einstellung zu erreichen. Die Ursache der Beeinträchtigung kann das Handeln einzelner Menschen oder von Institutionen sein, aber auch die nichtmenschliche Natur vermag zu zwingen. Der Z. zielt im Unterschied zur 3 Gewalt nicht auf Schädigung, sondern auf eine

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Zweck

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Handlung oder Denkweise. 3 Macht wiederum erreicht ihr Ziel auch auf behutsamere Weise, etwa durch überzeugende Argumentation. Z. kann unmittelbar auf den Körper des Menschen einwirken, sich aber auch feiner psychologischer Einwirkungen bedienen. Z. verstößt als Nötigung gegen das Selbstbestimmungsrecht und beschädigt meist auch die körperliche Integrität. Erzwungene Handlungen muss und darf sich allerdings der Mensch nicht anrechnen, weder das Gute noch das Böse, das durch Z. zustande kam. Gerechtfertigt ist Z. nur, insoweit er gerade um der beiden Güter, Selbstbestimmung und Integrität, willen als letztes notwendiges Mittel unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit ausgeübt wird: dies ist der Fall, wo die Selbstbestimmung des einen Menschen mit der berechtigten Lebensführung der anderen Menschen (Mitbürger, Mitbewohner, Nachbarn etc.) sich nur durch Z.sandrohung vermitteln oder wo sich der Schutz von Gütern, welche für das Zusammenleben unerlässlich sind, nur durch Z.sandrohung garantieren lässt. Das für 3 Frieden und 3 Gerechtigkeit unerlässliche Gewalt- oder Z.smonopol des 3 Staates bedarf wegen der Selbstbestimmung der Legitimation durch die Gesellschaft; Notwehr- und Notstandsrechte sind wegen der Integrität zu garantieren. Der moderne, plurale und der Freiheit des Menschen dienende Staat bewehrt dabei nur jene 3 Gesetze mit Durchsetzungsz., welche ein lediglich äußeres Verhalten herbeiführen sollen, um so die Grundwerte des Zusammenlebens zu schützen. Er verzichtet auf Gesinnungsz. und will nicht den guten und tugendhaften Menschen erzeugen (3 Toleranz). Behutsam sind Z.smaßnahmen abzuwägen, welche gegen (so die Behauptung) frei gewählte Lebensentwürfe einschreiten (Boxen, Drogeneinnahme, Zurschaustellung des Körpers). Z. ist in diesem Fall gerechtfertigt, wo Selbstgefährdung unmittelbar Drittgefährdungen mit sich bringt oder eine Gesellschaft sich vor sie verletzenden Äußerungen, Gesten und Inszenierungen schützen will, ohne dass eine gewichtige Verletzung der Selbstentfaltung der provozierenden Person festzustellen ist. Ob sich staatlicher Z. auch gegen Z. in der Wirtschaft als Gegenz. richten darf, hängt vom jeweiligen Staatsmodell und Gesellschaftsverständnis ab. T Hobbes: Leviathan 1651; I Kant: Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, 1797; J S Mill: Über die Freiheit, 1859; Gaudium et spes, 1965, Nr. 74. – F Furger: Ethik der Lebensbereiche, Fr 2 1985; O Höffe: Politische Gerechtigkeit, F 1987; D Klimpel: Paternalismus F 2002.

Brieskorn Zwangsgewalt 3 Staat Zweck (gr. skopós, lat. finis, propositum; vgl. 3 Ziel) bedeutet in der heutigen Sprache eine bewusste Zielsetzung (3 Absicht) und wird meist dann verwendet, wenn zu deren Erreichung Zwischenziele notwendig sind, die Mittel genannt werden. Bis zu Schopenhauer einschließlich sprach man auch vom Z.

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Zweifel

des Lebens. Seit Nietzsche hat sich hierfür die Redeweise vom Sinn des Lebens eingebürgert. Kant spricht noch vom Endz. Dies wird im heutigen Sprachgebrauch meist als Sinn oder Ziel bezeichnet. Erhalten hat sich Kants Formulierung, dass der Mensch Selbstz. (Z. an sich selbst) ist, d. h. dass er nicht als Mittel zu einem weiteren Z. dient, weshalb er einen unbedingten Wert besitzt und ihm 3 Würde zukommt. Was sich für einen bestimmten Z. eignet, ist z.mäßig, was sich dafür nicht eignet, unz.mäßig, z.widrig oder im Fall einer Handlung z.los. Z.mäßigkeit und Z.widrigkeit oder Z.losigkeit sind somit gleichbedeutend mit Nutzen oder Nützlichkeit und Nutzlosigkeit. Kant sagt in der Grundlegung, der Satz, wer einen Z. wolle, müsse auch die dazu nötigen Mittel wollen, sei analytisch. Er besagt also einen notwendigen Zusammenhang, der durch einen hypothetischen Imperativ ausgedrückt wird, der ein Vernunftgebot ist, da er nicht meiner Willkür, sondern objektiven Gesetzen unterliegt. Für Aristoteles gibt es Tätigkeiten oder einen Aspekt der Tätigkeiten, der einem anderen Z. dient. Solche Tätigkeiten oder Aspekte nennt er machen (poieîn, poíesis), herstellen, produzieren. Es gibt aber auch Tätigkeiten oder Aspekte davon, die Selbstz. sind und darum tun (práttein, prâxis) genannt werden. Da nicht jede Tätigkeit wieder nur Mittel zu einem anderen Z. sein kann, sind der letzte Z. der Tätigkeiten jene Tätigkeiten, die um ihrer selbst willen getan werden, also Selbstz. (prâxis im eigentlichen Wortsinn) sind. Kant scheint in der Handlungsanalyse seiner ethischen Schriften nur MittelZ.-Beziehungen zu kennen. Der Satz »Der Z. heiligt die Mittel« trifft nur dann zu, wenn die Mittel für sich genommen moralisch erlaubt sind. Unerlaubte und unmoralische Mittel werden hingegen durch keinen noch so ehrbaren Z. geheiligt. Wo nur Quantität und messbare Erfolge zählen, drohen die Würde der Person und der Eigenwert der Dinge total »verz.t«, d. h. den eigenen Z.en geopfert zu werden. 3 Absicht 3 Teleologie 3 Utilitarismus 3 Ziel. I Kant: Grundlegung AA IV 414–419; 427–439; KU §§ 10 f.; 62–68; 75–85; G W F Hegel: Logik, 3. Buch, 2. Abschn., 3. Kap. – N Luhmann: Z.begriff und Systemrationalität, F 1973; M Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, F 1985; W Wolbert: Der Mensch als Mittel und Z., Ms 1987; O-P Obermeier: Z., Funktion, System, Fr 1988; R Langthaler: Kants Ethik als »System der Z.e«, B 1991; R Spaemann: Z.mäßigkeit und menschliches Glück, Bamberg 1994; S Gosepath (Hg): Motive, Gründe, Z.e, F 1999.

Schöndorf Zweckmäßigkeit, Zweckwidrigkeit 3 Teleologie 3 Zweck Zweideutigkeit 3 Lüge Zweifel Der Z. ist eine kognitive Einstellung, die im Gegensatz zur 3 Gewissheit steht und die Wahrheit einer bestimmten Erkenntnis oder die Richtigkeit einer Entscheidung in Frage stellt. Der Z. an jeder Erkenntnismöglichkeit

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Zweifel

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wird 3 Skepsis oder Skeptizismus genannt. Im Alltag sind wir nicht dazu imstande, alles zu bez.n, sondern müssen annehmen, dass wir unsere normalen Lebensbedingungen in irgendeinem Sinn erkennen können. Wir können jedoch bez.n, dass es sich hierbei um eine Erkenntnis handelt, die uns die eigentliche Wirklichkeit selbst zeigt. Auch evidente Erkenntnisse (3 Evidenz) können im Nachhinein als psychologische Täuschung betrachtet und darum bez.t werden, so dass es nichts gibt, was nicht irgendwann bez.t werden kann. Dies zeigt, dass die ausdrückliche menschliche Erkenntnis kein automatisch ablaufender mechanischer Vorgang ist, sondern eine Tätigkeit der freien Vernunft. Im Gegensatz zu den Skeptikern hat Descartes den universalen Z. in seiner ersten Meditation dazu benutzt, um zu einer über jeden auch nur möglichen Z. erhabenen Erkenntnis zu gelangen. Darum wird dieser Z. oft als methodisch bezeichnet. R Descartes: Meditationes de prima philosophia, Med. I. – K Wuttich: Glaube – Z. – Wissen, B 1991; A U Sommer: Die Kunst des Z.ns, M 2005; D Perler: Z. und Gewissheit, F 2006; R Schäfer: Z. und Sein, Wü 2006.

Schöndorf Zweite Intention 3 Reflexion

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Abriss der Geschichte der Philosophie

Geschichte der morgenländischen Philosophie Indien A. Urzeit

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Erste philosophische Regungen im Rigveda (Liedersammlung; 2. Jahrtausend v. Chr.), Einheitstendenz; Frage nach dem Woher der Welt, nach dem unbekannten Gott; die magische Gewalt der Riten als Sinnbild der Weltschöpfung. Die Grundbegriffe der späteren Philosophie in den Brahmanas (Erklärungen der Opferriten): Brahman (der Opferspruch; das magische, selbst die Götter bezwingende Wort; die Macht des rituellen Wissens als Vorstufe der Macht des metaphysischen Wissens; später das Urprinzip des Alls); Atman (Atem, das Selbst); Wiedertod (Wiedergeburt). B. Die Upanishaden (nicht-systematische Textsammlungen; 800–300 v. Chr.) I.

[2]

Die älteren Upanishaden (Geheimlehren; um 800 v. Chr.) Brahman ist das All, und Atman, meine Seele, ist Brahman; was vom Brahman-Atman verschieden ist, ist leidvoll; das künftige Dasein ist abhängig von der sittlichen Tat (Karma); Seelenwanderung (Samsara), die durch gutes oder böses Begehren bestimmt ist; nur das mystische Wissen um Brahman-Atman führt zur Erlösung (= Befreiung vom Samsara); W: Brihadaranyaka-Upanishad; Chandogya-Upanishad.

II. Die jüngeren Upanishaden 3 [9] a) Vers-Upanishaden: über die Wertstufen des Wirklichen; Anwendung dieser Ideen auf den Weg zum Absoluten (Samkhya; Yoga); das Absolute als überweltlicher Gott (neuer Theismus); W: Kathaka-Upanishad; ShvetashvataraUpanischad. b) Prosa-Upanishaden: W: Maitrayaniya-Upanishad (Weiterentwicklung des Samkhya und des Yoga; Gegenüberstellung von Einzelseele oder ElementAtman und Allseele).

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Abriss der Geschichte der Philosophie

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C. Sekten [4]

I.

Der ältere Buddhismus (zwischen den älteren und jüngeren Upanishaden) 3 [10, 11, 20, 23] Siddhartha Gautama (= BUDDHA = der Erwachte, vermutlich 5. Jahrhundert v. Chr.) antimetaphysische, reine Erlösungslehre; gemeinsame Voraussetzungen mit den Upanishaden (Wiedergeburtslehre und Erlösungsstreben); W: Tripitaka (= Dreikorb; älteste umfangreiche Schriftensammlung in Pali; bestehend aus dem Vinayapitaka (Gemeindeordnung), den Suttapitaka (Predigten und Erzählungen, darunter die Digha Nikaya (Sammlung der längeren Lehrreden) und der Abhidhammapitaka (Lehrbücher)).

[5]

II. Der Jainismus Mahavira oder Jaina (großer Held, 599–527 v. Chr.) Reformator der nach ihm benannten Sekte (zur Zeit Buddhas); Erlösungslehre wie im Buddhismus, aber Mehrheit individueller Seelen und primitiv-realistische Auffassung vom Karma als einer feinmateriellen Substanz; starke Betonung des Tapas (der körperlichen Askese).

[6]

D. Das Mahabharata Epos von etwa 100.000 Doppelversen; die philosophischen Texte entstanden etwa 200 v. bis 200 n. Chr; unter ihnen die berühmte Bhagavad Gita (Gesang des Heiligen; poetische Belehrung über Moral und Samkhya-Yoga auf theistischer Grundlage); Mokshadharmaparvan (Abschnitt über die Erlösungslehre; eklektische Stücke verschiedenen Ursprungs über Metaphysik, Ethik, Psychologie und Kosmologie).

[7]

E. Die Systeme in langer Entwicklung entstanden; jedes System umfasst eine große Literatur; erste literarische Fixierung in den Sutras (Aphorismenkomplexe) in den ersten Jahrhunderten n. Chr. I.

[8]

Nyaya-Vaisheshika (Logik und Besonderheit) Tendenz einer sachlich-realistischen Ordnung des Weltbildes; vielfach ohne Zurückführung auf ein transzendentes Prinzip; ausgebildete Kategorienlehre (sechs Kategorien, neun Substanzen, Atomtheorie); Erkenntnistheorie und Logik (Wahrnehmung, Definitionsmethode, Schlusslehre, Sprachphilosophie). Prashastapada (wahrscheinlich 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts n. Chr.). Udayana (10./11. Jahrhundert n. Chr.) W: Nyayakusumanjali (theistische Gotteslehre). Gangesha (12. Jahrhundert n. Chr.).

II. Mimansa (Erörterung) aus einer Ritualwissenschaft hervorgegangenes, mit dem vorigen verwandtes, anti-metaphysisches System; atheistisch; Vielheit ewiger Seelen; Außenweltrealismus; Kategorienlehre; Erkenntnistheorie unter Voraussetzung der absoluten Autorität des ewigen Vedawortes; Sprachphilosophie. Prabhakara (um 700 n. Chr.). Kumarila.

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III. Samkhya und Yoga [9] a) Samkhya: Dualität von ewigem Werden (Prakriti; das schöpferische, sich ewig wandelnde Prinzip der Natur; Physisches und Psychisches sind nur Aspekte) und ewigem Sein (Purusha; der unveränderliche Geist; das einzige Prinzip der Bewusstheit); Erlösung durch die richtige Erkenntnis; die Kausalität besteht in der aktuellen Manifestation eines schon potentiell Vorhandenen; keine selbstständige Logik und Erkenntnistheorie. Ishvarakrishna (vermutlich 4. Jahrhundert n. Chr.) W: Samkhyakarika. b) Yoga: Abweichung vom Samkhya durch den Theismus (Gott als besonderer Purusha). Patanjali (später als 450 n. Chr.) W: Yoga-Sutra. IV. Der spätere Buddhismus (3. Jahrhundert v. Chr. bis 8. Jahrhundert n. Chr.) 3 [4, 20] [10] Alles ist momentan (zusammenhanglose Wirkmomente); alles ist Leiden (Abkehr vom Empirischen); alles ist isoliert (ohne übergeordnete Wesenheit); alles ist leer (substanzlos, nichtig). a) Hinayana (das kleine Fahrzeug) Theravada (= Schule der Ältesten) weitere Ausbildung des Buddhismus in enger Bezugnahme auf die alten Texte des Palikanons, besonders in Burma; Lehre von der Wirklichkeit und Erkennbarkeit der Außenwelt. Sarvastivadins (Anhänger der Lehre, dass alles existiert) Unterscheidungslehre (die Außenwelt ist direkt wahrnehmbar). Vasubandhu (5. Jahrhundert n. Chr.). Schule der Sautrantikas (Anhänger der Sutrantas = Sutras) Unterscheidungslehre (die Außenwelt ist nur erschließbar). b) Mahayana (= das große Fahrzeug; Werke in Sanskrit, aber meist nur in chine- [11] sischer oder tibetanischer Übersetzung erhalten; Leugnung der Außenwelt) Vijnanavada (Lehre von der alleinigen Realität des Geistes) oder Yogacara (Wandel im Yoga) Unterscheidungslehre (die Innenwelt allein ist wirklich). Asanga. Später auch sein Bruder Vasubandhu. Und das Lankavatara-Sutra. Dharmakirti (7. Jahrhundert n. Chr.) Mittler zwischen Vijnanavada und Sautrantikas; W: Nyayabinduprakarana (kurzer Leitfaden der Logik; die äußere Realität ist zwar unerkennbar, bildet aber den wahren Bestandteil der im Übrigen durch Denken konstruierten Vorstellung). Shunyavada (Leerheitslehre) Unterscheidungslehre (Verneinung der Außenund Innenwelt); Ablehnung jeder Meinungsäußerung (alles ist nicht; absolute Leerheit). Nagarjuna (etwa 2. Jahrhundert n. Chr.). V. Vedanta (Ende des Veda: Standpunkt der Upanishadenanhänger) [12] systematische Bearbeitung der auseinanderstrebenden Upanishadlehren unter dem Gipfelbegriff Brahma; von den alten indischen Systemen allein noch lebenskräftig. Badarayana: Brahma-Sutras (von den folgenden Vertretern in verschiedenem Sinn kommentiert). Gaudapada (8. Jahrhundert n. Chr.) strenger Monist. Lehrer von Shamkara stellte das bekannteste und einflussreichste Vedantasystem auf; strenger Monismus. Ramanuja bildet den Monismus in theistischer Richtung (Seele und Gott sind

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nicht identisch, nur ähnlich; Gott und Welt verhalten sich wie Seele und Leib) um. Nimbarka (13. Jahrhundert) Standpunkt der Verschiedenheit (bheda) und Nicht-Verschiedenheit (abheda; Unmöglichkeit unabhängiger Existenz der Welt); von vielen Vishnuiten und Shivaiten übernommen. Madhva (1238–1317) klarer Pluralismus; keine Schöpfung aus nichts, aber alles abhängig vom unabhängigen Gott. Vallabha (1479–1531) reine Nicht-Zweiheit; die Welt gehört der idealen Ordnung an; sie ist die stückweise Sichtbarkeit der einen, absoluten Realität. [13]

VI. Indische Philosophie im 19. und 20. Jahrhundert Ramakrishna Paramahamsa (1836–1886) Mystiker, Vertreter der Bhakti (Gottesliebe). Dessen Schüler Swami Vivekananda (1863–1902). Brahmo Samaj (theistische Bewegung des 19. Jahrhunderts): Ram Mohan Roy (1772–1833). Debendranath Tagore (1817–1905). Dessen Sohn Rabindranath Tagore (1861–1941) Dichter und Religionsphilosoph; Nobelpreisträger für Literatur; W: Sadhana: The Realisation of Life. Sri Aurobindo Ghose (1872–1950) W: The Life Divine.

China [14]

A. Die alten Klassiker (allmählich in den obersten Staatsämtern entstanden) I Ging (Textbuch des Großwahrsagers) die 64 Hexagramme gaben auch Anlass zur naturphilosophischen Ausdeutung; Yin und Yang (zwei einander entgegengesetzte, kosmische Kräfte). Buch der Urkunden (aus der Schangzeit (etwa 1700–1300 v. Chr.) historische Aufzeichnungen; darin das Hung Fan (= die große Regel; eine Aufzählung von Grundbegriffen der Natur- und Staatslehre; Voraussetzung ist eine Wechselwirkung der Natur- und Staatsvorgänge). Tsch’un-tch’iu enthält chronologische Aufzeichnungen. Zuozhuan geht auf amtliche Chroniken zurück. Li Ki beinhaltet Ritualvorschriften.

[15]

B. Taoismus I.

Älterer Taoismus a) LAO-TSE (* 604 v. Chr., nach anderen 480 v. Chr.) W: Tao-te-king (= das Buch von Tao und der Tugend; metaphysisch-religiöse Spekulation über Tao, den Urgrund; Ethik; Staatslehre). b) Liezi (ca. 450 v. Chr.). Zhuangzi (365–290 v. Chr.). Yin Wen zi (360–280 v. Chr.). Han Feizi (280–233 v. Chr.) Staatsphilosophie.

II. Späterer Taoismus (gleitet ganz ins Zauberwesen ab) a) Als Philosophie: alchimistische Geheimlehre. b) Als religiöse Gemeinschaft: krasser Aberglaube.

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C. Konfuzianismus I.

[16]

Alter Konfuzianismus KONFUZIUS (Kung-tse; 551–479 v. Chr.) Quellen seiner Lehre: Lun-yü (Gespräche) und die Chunqiu (Frühlings- und Herbstannalen). Mencius (Mengzi; 370–290 v. Chr.) wissenschaftliche Begründung des Konfuzianismus. Hsün-Tse (298–220 v. Chr.) großer Einfluss auf die konfuzianische Überlieferung.

II. Neukonfuzianismus Hsing-li-Philosophie (Philosophie der menschlichen Natur und der Vernunft) oder Philosophie der Song-Epoche (960–1279 n. Chr.); angeregt durch taoistische und buddhistische Ideen, fügte sie zur Ethik der Alten eine Metaphysik hinzu. a) Begründer: Tschou Tun-I (1017–1073) Grundgedanken des Systems im T’aitchi t’u-schuo (Erklärung zur Skizze des Urprinzips). Tsch’eng Hao (1032–1085) idealistischer Monismus. Und sein Bruder Tsch’eng I (1033–1107) realistischer Dualismus. b) Vollender: Zhu Xi (1130–1200) chinesischer Systematiker; realistischer Dualismus. Lu Tchiu-yuan (1138–1191) monistischer Idealismus. III. Der sogenannte »Höhere« Konfuzianismus K’ang Yu-wei (1858–1927) religiöse Umdeutung des Konfuzianismus. Liang Tch’i-tsch’ao (1873–1929) sozialistisch-republikanische Umdeutung.

[17]

[18]

[19]

D. Mohismus Mozi (etwa 470–391 v. Chr.) gründete die Ethik auf der allgemeinen Menschenliebe; Anknüpfung an den alten Theismus; Betonung der Religion und des logischen Denkens.

[20]

E. Buddhismus 3 [11] I.

Einführung des Buddhismus in der Gestalt des Mahayana (Sutra der 42 Abschnitte)

II. Rege Übersetzertätigkeit aus der buddhistischen Sanskritliteratur (3.–6. Jahrhundert) III. Wichtigere Schulen: Tiantai zong (Schule von Tiantai, Schule des Wissens und der Meditation) W: Saddharma-Pundarika (Sutra der Lotosblume der wunderbaren Lehre). Lü zong: reine Morallehre. Jingtu zong (Schule des reinen Landes, des Paradieses des Amitabha Buddha) Amidismus. Tschen-yen zong (Schule der Zauberformeln; Tantra- oder Mantra-Schule) aus ihr entstand in Tibet der Lamaismus. Chan zong (Dhyana- oder Meditationsschule) gegründet von Bodhidharma (420–528).

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IV. Höhepunkt der Ausbreitung des Buddhismus in China im 6. und 7. Jahrhundert; später Verfolgungen und Verfall. [21] F. Philosophie des Wang Yang-ming (auch Wang Schou-jen; 1472–1528) Philosoph der Ming-Zeit; Idealismus.

Japan [22]

A. Shinto (Weg der Götter) Wurzel der japanischen Kultur; mythische Auffassung Japans, des Kaisers und des Volkes (Ahnenverehrung); Q: Nihonshoki und Kojiki (Geschichtswerke im 8. Jahrhundert n. Chr.).

[23]

B. Übernahme der chinesischen Kultur I. Der Konfuzianismus 3 [16, 17, 20] a) Eigenart: in China Betonung der Kindespflicht; in Japan Betonung der Untertanenpflicht. b) Schulen: größerer Einfluss erst im 17. Jahrhundert. Teishu folgt dem Neukonfuzianismus des Zhu Xi. Oyomei folgt der Schule des Wang Yang-ming. Bedeutendster selbstständiger Vertreter Nakae Toju (1608–1648) Gott ist die Einheit von Ri (Weltseele) und Ki (Weltstoff); Unterscheidung des allgemeinen und speziellen Ich (Ryoki der Himmel in uns). Fukko: Rückkehr zum alten Konfuzianismus.

[24]

II. Der Buddhismus 3 [11, 20] a) Einführung des Buddhismus in Japan in der Form des Mahayana (zwischen 552 und 587); große Verbreitung; Umgestaltung im nationalen Sinn. b) Zen-Buddhismus (Zen = Kontemplation, Meditation) Anschluss an das Lankavatara-Sutra; die Zen-Schulung will den Menschen zum Satori führen, d. i. zu einer blitzartigen, mystischen Erkenntnis des Ich als in seiner Wurzel identisch mit dem Grunde des Seins, so dass der Mensch die Gegenwart im Angesicht der Ewigkeit gestaltet. Moderne Vertreter: Daisetz Teitaro Suzuki (1870–1966). Kitaro 3 [27]. Myoan Eisai (1141–1215) Begründer des Rinzai-shu und der japanischen Tee-Kultur. Eihei Dogen Kigen Zenji (1200–1253) Begründer des Soto-shu.

[25]

C. Bushido (= der Weg des Samurai) Die ritterliche Gesinnung erwächst aus drei Wurzeln: Shinto (Glaube Japans an sich selbst), Konfuzianismus (ethische Beziehungen der Menschen), ZenBuddhismus (Überwindung der Todesfurcht).

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D. Einbruch des abendländischen Geistes (seit 1853) I.

[26]

Ungehemmte Übernahme des westlichen Geistes Englische Philosophie: 3 Utilitarismus, 3 Pragmatismus; soziale, ökonomische, politische Werke; Mill 3 [233], Spencer 3 [234], Darwin 3 [173]. Französische Philosophie: Comte 3 [217], Rousseau 3 [152], Montesquieu 3 [149]. Deutsche Philosophie (seit 1870): Stein 3 [168], Haeckel 3 [173], Herbart 3 [169], Kant 3 [155], Lotze 3 [184], v Hartmann 3 [185], Schopenhauer 3 [167], Hegel 3 [161].

II. Periode wachsender Kritik Verarbeitung aller wesentlichen Richtungen der westlichen Philosophie durch Übersetzungen und Monographien. E. Rückbesinnung

[27]

auf das Wesenseigene unter Verarbeitung der westlichen und östlichen Tradition. Nishida Kitaro (1870–1945) Anschluss an den Zen-Buddhismus; Grundbegriff des »Nichts«, nicht als abstrakte Negation, sondern als Ausdruck der Konzentration alles Konkreten; das Seiende bloß der Schatten des Nichts; Unterscheidung von drei Stufen der Wirklichkeit: die natürliche Welt, die Welt der inneren Erfahrung, die intelligible Welt des Ideals (das Feld des »Nichts«); Geschichtsphilosophie: Entfaltung verschiedener Kulturtypen als Ausdruck des »Nichts«; das Letzte der Wirklichkeit (die Identität des Endlichen und Unendlichen) entzieht sich diskursiv-logischer Erfassung; W: Intelligibility and the Philosophy of Nothingness. Seiichi Hatano (1877–1950) beginnende christliche Religionsphilosophie. Tetsuro Watsuji (1889–1960) Ethik; japanische Geistesgeschichte. Tanabe Hajime (1885–1962) wichtiger Vertreter der Kyoto-Schule; unter dem Einfluss des Amidismus und Protestantismus; Meta-Noetik im ethischen und philosophischen Sinn. Nishitani Keiji (1900–1990) Schüler von Nishida und Tanabe; Religionsphilosophie.

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Geschichte der abendländischen Philosophie Philosophie des Altertums (7. Jahrhundert v. Chr. bis 6. Jahrhundert n. Chr.) [28]

A. Anfänge des philosophischen Denkens die 3 Vorsokratiker, kosmologische Richtung (7.–4. Jahrhundert).

[29]

[30]

I. Untersuchungen über das Sein der Dinge (600–450) a) Die älteren Ionier (7.–5. Jahrhundert): Frage nach dem Woraus der Dinge; physische Abstraktion. Thales von Milet (624–546) das Wasser als Urstoff aller Dinge. Anaximander von Milet (610–547) das Unbestimmte (Apeiron) als Urstoff aller Dinge, die daraus entstehen. Anaximenes von Milet (585–525) alle Dinge entstehen aus (lebendiger) Luft durch Verdichtung und Verdünnung. Diogenes von Apollonia (499–428) die Luft als Urgrund aller Dinge besitzt Verstand (eigentlicher Hylozoismus); von Anaxagoras abhängig 3 [32]. b) Altpythagoreer (6.–4. Jahrhundert): Frage nach dem Was der Dinge; mathematische Abstraktion. Pythagoras von Samos (570–510) ethisch-religiöser Bund zu Kroton in Unteritalien; das Wesen der Dinge ist die Zahl; die Welt ist ein Kosmos; Sphärenharmonie; Seelenwanderung. Philolaos von Kroton (470–399) die Erde dreht sich mit Sonne, Mond und Sternen um das Weltfeuer. Hiketas von Syrakus (400–335) Achsenumdrehung der Erde; bloß scheinbare Bewegung des Himmelsgewölbes (Einfluss auf Kopernikus über Cicero). Bei Platon werden öfter genannt Lysis, Hippasos, Simmias, Cebes, Archytas und Alkmaion (das Gehirn ist Zentralorgan der Sinne). Im 4. Jahrhundert erlischt die Schule; Neubelebung im 1. Jahrhundert 3 [58]. c) Eleaten (6.–5. Jahrhundert): Frage nach dem Sein; metaphysische Abstraktion. Xenophanes von Kolophon in Kleinasien (etwa 570–490) später in Elea in Süditalien; Gott ist das Eine, Unveränderliche und mit der Welt identisch; das Seiende kann nicht werden. PARMENIDES von Elea (540–483) Hauptvertreter der Schule; das Sein ist, das Nichtsein ist nicht; es gibt kein Werden und Vergehen (gegen Heraklit), keine Vielheit (Monismus); die Sinne täuschen; was gedacht wird, ist (Rationalismus). Zenon von Elea (490–430) Beweise gegen die Möglichkeit der Vielheit und Bewegung; die berühmten Antinomien (Vorbereitung der Infinitesimalrechnung). Melissos von Samos (490–430) das Sein ist ewig, unendlich, eins, unbewegt und leidlos.

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II. Untersuchung über das Werden und die Veränderung (etwa 500–370) [31] a) Dynamische Erklärung: innere Prinzipien der Veränderung; qualitative Unterschiede der Elemente. HERAKLIT von Ephesos (etwa 535–475) der »Dunkle«; alles ist in ständigem Fluss (das Kennwort panta rhei stammt nicht von ihm); die Dinge entstehen durch den Gegensatz (der Krieg ist der Vater aller Dinge); Urgrund ist das Feuer; alles Geschehen wird durch ein Weltgesetz, die Weltvernunft (Logos), beherrscht. Kratylos (etwa 5. Jahrhundert) war ein Lehrer Platons. b) Mechanische Erklärung: äußere Prinzipien der Veränderung; quantitativer [32] Unterschied der Elemente. 1. Nicht streng durchgeführter Mechanismus (auch qualitativ verschiedene Elemente). Empedokles von Agrigent auf Sizilien (etwa 483–423) die Substanz ist unveränderlich (gegen Heraklit), aber vielfach (gegen die Eleaten); alles, auch die Seele, entsteht aus den Elementen durch Mischung; Sinneswahrnehmung durch körperliche Ausflüsse. Anaxagoras von Klazomenai in Kleinasien (499–428) unendliche Vielheit von Urstoffen, die in sich gleichartig, aber voneinander qualitativ verschieden sind (Homöomerien); das Prinzip der Veränderung ist die Vernunft (Nous); der Beweis dafür stammt aus der kosmischen Bewegung und Ordnung; mechanische Erklärung der Einzelvorgänge. 2. Strenger, atomistischer Mechanismus (unbegrenzte Vielheit bloß quantitati[33] ver Elemente). Leukipp von Milet (5. Jahrhundert) meist zusammen mit seinem Schüler Demokrit genannt und von ihm kaum unterschieden. Demokrit von Abdera in Thrakien (460–370) unendliche Menge unteilbarer Atome, die nur durch Größe, Gestalt, Lage und Anordnung voneinander verschieden sind; sie sind unveränderlich; es gibt kein Tätigkeitsprinzip außer der Schwere; ihre Bewegung ist ewig; zwischen ihnen ist das (existierende) Leere; die Wahrnehmung entsteht durch materielle Bilder (eidola), die von den Dingen ausgehen; Theorie der Kulturentstehung. III. Skeptische Kritik an den bisherigen Untersuchungen (Sophistik; Verfall der [34] vorsokratischen Philosophie; 450–350) a) Gründe der Skepsis Innere Gründe: Verschiedenheit und Ungenügen der aufgestellten Lehren. Äußere Gründe: Wohlstand nach den Perserkriegen; Athens demokratische Verfassung; Überwuchern der Redekunst. b) Theoretischer Skeptizismus [35] Protagoras von Abdera in Thrakien (etwa 480–410) kommt von Heraklit zum Relativismus und Skeptizismus; die Dinge sind, wie sie jedem erscheinen; alles ist wahr; der Mensch ist das Maß aller Dinge. Gorgias von Leontinoi auf Sizilien (etwa 480–375) kommt von den Eleaten zum Skeptizismus; alles ist falsch; seine drei Thesen lauten: es ist nichts; wenn etwas wäre, wäre es unerkennbar; wenn es erkennbar wäre, wäre es nicht mitteilbar.

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[36] c) Praktischer Skeptizismus (Anwendung der Skepsis auf das moralische und soziale Leben) Hippias von Elis (5. Jahrhundert) das Gesetz ist der Tyrann des Menschen. Polos (5. Jahrhundert) und Thrasymachos von Chalkedon (etwa 459–400) für den Starken ist Recht, was ihm nützt. Kallikles (5. Jahrhundert) jeder besitzt das Recht, seine Begierden durch beliebige Mittel zu befriedigen. [37] B. Klassische Philosophie anthropologische Richtung (etwa 450 v. Chr. bis 200 n. Chr.). I.

Attische Philosophie Begründung der klassischen Philosophie, systematische Periode (450–320). a) Sokratische Philosophie: Einführung der wissenschaftlichen Methode 3 Sokratik. 1. SOKRATES (469–399) negative Methode: Sokratische Ironie, Dialektik, d. i. Überführung der Unwissenheit; positive Methode: Sokratische Induktion als Mittel der Begriffsbildung und Definition; Ziel: Erziehung durch wahre Erkenntnis (Lehrbarkeit der Tugend); Gegenstand: der Mensch als sittliches Wesen; Q: Xenophons Apologie des Sokrates; Platons Dialoge. [38] 2. Die späteren Sokratiker einseitige Fortbildung sokratischer Gedanken; Sokratiker im vollen Sinn sind Platon und Aristoteles; Q: Diogenes Laertius’ Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Dialektische Richtung: Megarische Schule: Euklid von Megara (um 450–380) verbindet die sokratische Ethik mit dem Monismus der Eleaten. Eubulides von Milet (4. Jahrhundert) Erfinder von Fangschlüssen. Stilpon von Megara (um 320). Elisch-Eretrische Schule: Phaidon von Elis (4. Jahrhundert) und Menedemos von Eretria (350–278) dialektische Kritik. [39]

[40]

Ethische Richtung: Ältere Kynische Schule 3 [45, 52, 74]: Antisthenes von Athen (445–365) war Schüler des Gorgias und Sokrates; Nominalismus; Tugend ist gleich Selbstgenügsamkeit; Ablehnung der Kultur. Sein Schüler war Diogenes von Sinope (etwa 400–323) Frauen- und Kindergemeinschaft; Kosmopolitismus; Schamlosigkeit; Abhärtung; viele Legenden. Krates von Theben (spätes 4. Jahrhundert). Kyrenaische Schule: Aristippos von Kyrene (etwa 435–355) war Schüler des Sokrates; Sensualismus; Hedonismus. b) Platonismus (3 Platonismus) Begründung des transzendenten Idealismus: die Ideen über den Dingen. 1. PLATON (427–347) stammt aus vornehmer athenischer Familie; zuerst Dichter; Schüler des Sokrates; mehrere Reisen nach Unteritalien und Sizilien; Gründung der ›Akademie‹ in Athen; W: Dialoge: Jugendschriften (ethische Begriffsbestimmungen, wesentlich sokratisch): Apologie des Sokrates, Kriton, Ion, Protagoras (Lehrbarkeit und Einheit der Tugend), Laches (Tapferkeit),

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Politeia I (Gerechtigkeit), Charmides (Maßhaltung), Euthyphron (Frömmigkeit), Lysis (Freundschaft); Übergangsschriften (Stellungnahme zu öffentlichen Fragen, orphisch-pythagoreische Anschauungen, von der logischen Begriffslehre zur Ideenlehre): Gorgias (Sophistik), Menon (Tugend), Enthydemos, kleiner Hippias, großer Hippias, Kratylos (Sprachphilosophie), Menexenos; Schriften der Reife (ausgestaltete Ideenlehre): Symposion (Eros und Schönheit), Phaidon (Unsterblichkeit), Politeia II–X (Staat), Phaidros (Rhetorik); Altersschriften (logische Bedeutung der Ideenlehre, größerer Realismus der Staatslehre): Theaitetos (Wissen), Parmenides (Einwände gegen die Ideenlehre), Sophistes, Politikos, Philebos (das Gute), Timaios (Naturphilosophie), Kritias, Nomoi (Gesetze), Epinomis (Weisheit). 2. Ältere Akademie (3.–4. Jahrhundert) 3 [50] [41] Persönliche Schüler und erste Schulhäupter; Fortsetzung der pythagoreisierenden Gedanken des älteren Platon; Ideen sind getrennte Zahlen. Speusippos (407–339) seit 347 Schulleiter; Aufhebung des Dualismus von Wissen und Wahrnehmung. Xenokrates (396–314) seit 338 Schulleiter. Polemon († 266) seit 314 Schulleiter; systematische Güterlehre. Herakleides Pontikos (390–322). Krantor († 276). Hermodor. Chion. Eudoxos (410–347). c) Aristotelismus (3 Aristotelismus) [42] Begründung des immanenten Idealismus: die Ideen in den Dingen. 1. ARISTOTELES von Stagira (384–322) war 20 Jahre Schüler Platons; Erzieher Alexanders des Großen; 335 Gründung des ›Peripatos‹ in Athen; W: Logische Schriften: Organon (darin Kategorien, Peri Hermeneias (vom Satz), Erste und Zweite Analytik (vom Schluss), Topik (Wahrscheinlichkeitsschluss), Sophistische Widerlegungen (Trugschlüsse)); zur Metaphysik: die später ›Metaphysik‹ genannten Schriften der ›Ersten Philosophie‹, Peri Kosmou (Über die Welt; pseudo-aristotelisch, vermutlich um 100 n. Chr.); zur Naturphilosophie: Physik, Peri Psyches (Über die Seele); zur Ethik: Nikomachische Ethik, Eudemische Ethik, Politik (Staatslehre). 2. Die älteren Peripatetiker [43] Die Schüler des Aristoteles wenden sich von der Metaphysik ab und positiven Studien sowie einer populären Ethik zu. Theophrastos (371–287) war erster Nachfolger in der Schulleitung 322–288; naturwissenschaftliche Studien; W: Charaktere. Aristoxenos (370–300) schrieb über die Geschichte und Theorie der Musik. Eudemos (370–300). Dikaiarchos (350–285). Demetrios von Phaleron (345– 280). II. Hellenistisch-Römische Philosophie (320 v. Chr.–200 n. Chr.; Niedergang der klassischen Philosophie) a) vorwiegend ethische Richtungen (320–50 v. Chr.) 1. Die Peripatetiker: Fortsetzung fachwissenschaftlicher Studien. Straton (340–268) Physiker. Aristarch von Samos (310–230) heliozentrische Lehre. Kritolaos.

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[44]

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[45] 2. Die Kyniker Bion von Borysthenes (335–245) war Begründer der Diatribe (populäre Form des philosophischen Vortrags); hedonistischer Kynismus. Menippos von Gadara (330–260) Satiren. [46] 3. Stoa (4. Jahrhundert v. Chr.–2. Jahrhundert n. Chr.; 3 Stoizismus) Ältere Stoa (um 300–150) Zenon von Kition (333–264) war Begründer der Stoa um 300; Verbindung kynischer Ethik und heraklitischer Physik. Kleanthes (330–232) war Nachfolger Zenons. Chrysippos von Soli (um 280–207) allseitige Durchbildung des Systems; zweiter Gründer der Stoa. Diogenes von Babylon (240–150). Boëthos von Sidon. [47]

[48]

4.

[49]

b) 1.

[50] 2.

Mittlere Stoa (um 150–50): Preisgabe stoischer Lehren unter dem Einfluss der skeptischen Akademie; Milderung stoischer Härten; Annäherung an platonisch-aristotelische Gedanken. Panaitios von Rhodos (180–110) war Schüler des Diogenes von Babylon; Begriff der humanitas; Verbreitung des Stoizismus in Rom. Poseidonios aus Apameia in Syrien (135–51) war Schüler des Panaitios; Reisen; Schule in Rhodos; unter seinen Schülern waren Cicero und Pompeius; Verbindung des Gegensätzlichen zu Einheit und Harmonie; Vorbereitung des Neuplatonismus; große Nachwirkung. Asklepiodotos (110–40) war Vermittler zu Seneca. Jason von Nysa (1. Jahrhundert). Spätere Stoa (um 50 v. Chr.–180 n. Chr.) 3 [53]. Epikureismus (4. Jahrhundert v. Chr.–4. Jahrhundert n. Chr.; 3 Epikureismus) Epikur von Samos (341–270) unter dem Einfluss der demokritischen und kyrenaischen Philosophie; um 307 Gründung der Schule in Athen. Metrodoros von Lampsakos. Philodemos (110–40). Lucretius Carus (97–55) W: De rerum natura. vorwiegend skeptische Richtungen (320 v. Chr.–200 n. Chr.; 3 Skepsis) Ältere oder pyrrhonische Skepsis: ethischer Skeptizismus. Pyrrhon von Elis (360–270) unter dem Einfluss der demokritischen und kyrenaischen Philosophie;die Dinge sind für uns unerkennbar; Enthaltung von allem Urteil (epoche); voller Gleichmut (Ataraxie) als Ziel der Ethik. Timon von Phleius (320–230). Die Skepsis der Akademie: methodischer Skeptizismus Zweite Akademie (seit 265 v. Chr.): Arkesilaos von Pitane (315–240) bekämpfte jede Meinung, ließ aber eine Begründung des Handelns gelten. Dritte Akademie (seit 150 v. Chr.): Karneades von Kyrene (214–129) es gibt kein Wahrheitskriterium; Theorie der Wahrscheinlichkeit; Kritik der Stoa. Kleitomachos (187–110). Vierte Akademie (seit 110 v. Chr.): Philon von Larissa (Schulhaupt von 110– 86) Rückkehr zum Dogmatismus. Fünfte Akademie (seit 88 v. Chr.): Antiochos von Askalon (120–68) vollendet die Rückkehr zum Dogmatismus. Marcus Terentius Varro (116–27) Eklektiker. Marcus Tullius Cicero (106–43) Eklektiker; Vermittler griechischer Philosophie; W: De re publica; De legibus; Paradoxa Stoicorum; Academica priora; De

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3.

c)

1.

2.

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finibus bonorum et malorum; Tusculanae disputationes; De natura deorum; Cato maior (de senectute); De divinatione; Laelius de amicitia; De officiis; De oratore. Die späteren Skeptiker (um 50 v. Chr.–150 n. Chr.): systematischer Skeptizismus. Anschluss an die Skepsis der Pyrrhoniker und der Akademie. Ainesidemos aus Knossos (schrieb um 50 v. Chr.). Sextus Empiricus (2. Jahrhundert n. Chr.) gilt als Klassiker des Skeptizismus; Lehre: skeptische Argumente gegen den Syllogismus, den Begriff der Ursache, die Gotteslehre, die Vorsehung; das praktische Verhalten soll sich an das allen gemeinsame Leben anschließen; W: Pyrrhonische Hypotyposen (Grundzüge); Gegen die Dogmatiker (Logiker, Physiker, Ethiker); Gegen die Mathematiker (Vertreter der Bildungsfächer). vorwiegender Eklektizismus (um 50 v. Chr. bis 200 n. Chr.; 3 Eklektizismus). Günstige Vorbedingungen sind der Skeptizismus, der alle Systeme für gleich wahrscheinlich hielt; die Vorherrschaft Roms, das nicht auf Theorie, sondern Handeln Wert legte; die Philosophie wird infolge des Wohlstands allgemeines Bildungsgut. Kyniker des Eklektizismus 3 [45, 74]: zurückschauende Tendenz; pseudepigraphische Kynikerbriefe; Annäherung an die Stoa. Dion Chrysostomos (um 40–120) kynischer Prediger; soziales Programm; Gotteslehre; Religiosität; von Poseidonios 3 [47] abhängig. Demetrios. Oinomaos. Demonax. Peregrinos. Proteus. Stoiker des Eklektizismus (= spätere Stoa; 1.–2. Jahrhundert n. Chr.) Cato der Jüngere (95–46 v. Chr.) gilt als stoische Idealgestalt. Seneca (um 1–65 n. Chr.) aus Corduba; beeinflusst von Poseidonios 3 [46]; Lehrer Neros, gibt sich auf dessen Befehl den Tod; sein Briefwechsel mit Paulus ist gefälscht; Lehre: betont die praktische Bedeutung der Philosophie; die theistische Seite des Gottesbegriffs tritt hervor; Nächstenliebe auf Grund der allgemeinen Verwandtschaft der Menschen; W: Naturalium quaestionum libri VII; Dialogorum libri XII (moralisch-religiöse Abhandlungen); Epistolae morales. Gaius Musonius Rufus (1. Jahrhundert n. Chr.). Epiktet (um 50–135) war ein Freigelassener; nach seiner Vertreibung aus Rom war er Schulleiter in Nikopolis in Epirus; Betonung des Religiösen auf der Grundlage der Vernunft; Menschenliebe, Weltbürgertum; Rückgriff auf die altstoische Ethik; W: Vier Bücher »Diatriben« (von seinem Schüler Arrian aufgezeichnet), daraus als Auszug das »Enchiridion« oder »Handbüchlein der Moral«. Marc Aurel (121–180) Kaiser von 161–180; W: Selbstbetrachtungen (der stoische Materialismus wird durchbrochen; der Nous, ein Ausfluss der Gottheit, steht über dem Leib und der materiellen Seele; Verbindung von Religiosität und Ethik). Nach Marc Aurel wird der Stoizismus durch den Neuplatonismus verdrängt. Mit den Stoikern verwandt sind die Sextier: von Quintus Sextius (1. Jahrhundert v. Chr.) begründet (kynisierender und eklektischer Stoizismus) und der Eklektizismus des Potamon.

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3. Epikureer (im 2. Jahrhundert n. Chr.) Diogenes von Oinoanda ist für seine in Stein gehauene Rieseninschrift bekannt. Diogenianos. 4. Peripatetiker: gelehrte Arbeit an den Werken des Aristoteles; Einfluss Stratons. Andronikos von Rhodos (1. Jahrhundert v. Chr.) Sammler, Ordner und kritischer Herausgeber der aristotelischen Schriften. Klaudios Ptolemaios (2. Jahrhundert n. Chr.) Astronom (Ptolemäisches Weltsystem); Geograph. Galenos von Pergamon (129–216) Arzt; nach ihm benannte vierte Schlussfigur. Alexander von Aphrodisias: lehrte 198–211 in Athen; berühmter Kommentator des Aristoteles; Konzeptualist. 5. Der mittlere Platonismus: keine einheitliche Lehre; Vorbereitung des Neuplatonismus. Thrasyllos: Hofastrologe unter Tiberius; nach ihm ist die tetralogische Gruppierung der platonischen Dialoge benannt. Plutarch (45–125) studiert in Athen; Reisen; politische Betätigung; Priester von Delphi; Lehrer und Schriftsteller; W: Biographien; Sammlung Moralia. Theon von Smyrna (unter Hadrian) schrieb eine mathematische Einleitung zu Platon. Gaius (um 100–150) Ableitung der Tugend aus dem Ziel der Gottverähnlichung. Albinos (Wirken etwa um 130–150) war Schüler von Gaius und Lehrer von Galenos; W: Prolog; Didaskalikos (systematische Übersicht über die platonische Lehre). Apuleius (125–170) W: De deo Socratis; De Platone et eius dogmate. Nikostratos (um 160–170) übt Kritik an den aristotelischen Kategorien. Attikos (um 175) orthodoxe Richtung mit stoischem Einschlag. Celsus (2. Jahrhundert) W: Wahres Wort/Wahre Lehre (ist durch die Schrift: Gegen Celsus (um 248) von Origenes zu rekonstruieren (Streitschrift gegen die Christen; Übersteigerung der göttlichen Transzendenz; Dualismus von Gott und Materie)). C. Neuplatonismus Theosophische Richtung (um 250–600; 3 Neuplatonismus).

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I. Vorläufer (um 50 v. Chr.–250 n. Chr.) a) Heidnische Theosophie: Identifizierung der platonischen Ideen mit den pythagoreischen Zahlen und den göttlichen Ideen; Zwischenwesen zwischen Gott und den Menschen; Dualismus von Gott und Materie; mystische Lehren. 1. Neupythagoreer (1. Jahrhundert v. Chr.–2. Jahrhundert n. Chr.): Verbindung altpythagoreischer, platonischer, peripatetischer und stoischer Elemente. Publius Nigidius Figulus (um 100 v. Chr.–45 v. Chr.). Apollonius von Tyana (Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr.) war Wundermann, Zauberer und Theosoph; W: teilweise Rekonstruktion durch das Werk des Philostratos möglich. Nikomachos von Gerasa (2. Jahrhundert n. Chr.). Numenios von Apameia (2. Jahrhundert n. Chr.) vertritt eine Dreigötterlehre (Gott, Demiurg, Welt). 2. Hermetische Literatur: mystische Schriften, benannt nach dem Gott Hermes Trismegistos. 3. Pythagoreisierende Platoniker des mittleren Platonismus 3 [57]

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b) Jüdisch-Alexandrinische Theosophie 1. Vorbereitung: Bekanntwerden der Juden mit orientalischen Mythen während der Babylonischen Gefangenschaft; Sekte der Essäer (Essener) und Therapeuten; Berührung der Diasporajuden, besonders in Alexandrien, mit der griechischen Philosophie; allegorische Auslegung der Heiligen Schrift dient der Harmonisierung mit philosophischen Lehren; wegen der überragenden Heiligkeit Gottes werden Zwischenwesen angenommen. Aristobulos (um 160 v. Chr.) versucht durch Fälschungen die Abhängigkeit der griechischen Philosophen von der Bibel zu erweisen. 2. Philon von Alexandria (»Philon der Jude«, um 15 v. Chr.–40 n. Chr.) Lehre: Verschmelzung von Judaismus, Stoizismus und Platonismus; Transzendenz des unfassbaren Gottes; Präexistenz der (von Gott abhängigen) Materie; Gott wirkt auf die Welt durch dienende Geister, vor allem den Logos als Kraft Gottes, das ist ein persönliches, aber Gott untergeordnetes Wesen, in dem die Ideen sind; die Seele ist eine Idee; asketische Loslösung von Welt und Materie; Gottvereinigung durch Gnade; W: Erläuterungsschriften zum Pentateuch (allegorischer Kommentar zur Genesis; Fragen und Lösungen zur Genesis; historisch-exegetische Darstellung des Pentateuch); Historisch-apologetische Schriften. c) Gnostisch-Manichäische Theosophie 3 [77]

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II. Philosophie des Neuplatonismus Alle antiken Philosophien, besonders die des Platon, werden durch den Gedanken des Stufenbaus in ein großes System zusammengefügt. Emanativer Monismus mit mystisch-religiösem Einschlag (3 Neuplatonismus). a) Begründung des Neuplatonismus Ammonios Sakkas (gestorben um 240) war Alexandriner; zuerst Christ; Lehrer von Plotin, Origenes (Neuplatoniker), Herennios, Longinos, Origenes (Kirchenschriftsteller 3 [79]). b) Metaphysisch-Spekulative Richtung 1. Die Schule des Plotin PLOTIN (205–270) stammt aus Lykopolis in Ägypten; lehrte seit etwa 243 in Rom; zusammen mit Proklos Hauptvertreter des Neuplatonismus; W: Enneaden (von Porphyrios gesammelt und herausgegeben; sechs Gruppen von je neun Abhandlungen: Ethisches Enn I, Kosmologisches Enn II–III, Psychologisches Enn IV, Nous Enn V, das Seiende und das Eine Enn VI). Unmittelbare Schüler Plotins: Amelios Gentilianos (hörte Plotin ab 246) zerlegte den Nous in drei Hypostasen. Porphyrios von Tyros (um 233–300) war seit 263 Plotins Anhänger und Herausgeber dessen Schriften; W: Eisagogé (Einführung zu den Kategorien des Aristoteles; war als Schulbuch jahrhundertelang von größtem Einfluss); Gegen die Christen. 2. Die syrische Schule Jamblichos von Chalkis (245–325) war Schüler des Porphyrios; Lehre: weitere Zerspaltung der Wesensstufen durch triadische Teilung (Einfluss auf die athenische Schule); Einverleibung griechischer und orientalischer Religionsvorstellungen (Einfluss auf die pergamenische Schule); Begründung der schulmäßigen Platonexegese; W: Leben des Pythagoras (als Gegenfigur zu

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Christus); Ermahnung zur Philosophie; Einführung zur Nikomachischen Arithmetik; Theologumena Arithmeticae; De mysteriis Aegyptiorum. Schüler: Theodoros von Asine baut das Triadensystem weiter aus. Sopatros von Apameia (4. Jahrhundert) übt zuerst Einfluss auf Kaiser Konstantin den Großen im Sinne des Polytheismus aus, wird aber später von diesem hingerichtet. Die athenische Schule (im Anschluss an die syrische Schule) Vorgänger des Proklos: Plutarch von Athen (350–431). Syrianos (ab 431 Leiter der Akademie) war Lehrer des Proklos; W: vier Bücher zur Metaphysik des Aristoteles. PROKLOS aus Konstantinopel (412–485) ist der bekannteste Scholastiker des Altertums; hatte großen Einfluss auf Pseudo-Dionysius 3 [86]; Lehre: die Grundzüge des Systems waren durch Plotin, Jamblichos und Syrianos gegeben; Proklos baute alles bis in die Einzelheiten aus; Abschluss der neuplatonischen Entwicklung; W: Kommentare zum platonischen Timaios, zur Politeia, zum Parmenides, zum 1. Alkibiades und Kratylos; In Platonis theologiam; De decem dubitationibus circa providentiam; De providentia et fato; De malorum subsistentia; Institutio theologica. Schüler: Marinos von Neapolis (Mitte des 5. Jahrhunderts). Damaskios (458– 538) begriffliche Deduktionen haben nur Analogiewert; Mystizismus. Simplikios (490–560) war Schüler des Damaskios und Ammonios Hermeiou; W: Aristoteleskommentare zu den Schriften Über den Himmel, Über die Seele, zu den Kategorien, zur Physik; zu Epiktets Enchiridion. 529 n. Chr. Schließung der Schule von Athen, die sich nicht vom Polytheismus trennen konnte, durch Kaiser Justinian. Religiös-Mystische Richtung Pergamenische Schule: die theoretische Seite von der syrischen Schule des Jamblichos übernommen; im Vordergrund stehen die religiös-praktische Verwertung sowie die Pflege geheimnisvoller Einwirkungen auf die übersinnliche Welt (Theurgie); Erhaltung und Wiederherstellung des Polytheismus. Aidesios aus Kappadokien (um 280/290–355) war Schüler des Jamblichos; Begründer der Schule von Pergamon. Maximos von Ephesos (310–372) war Hauptvertreter der Theurgie; er übte großen Einfluss auf Julian aus. Flavius Claudius Julianus (»Julian der Abtrünnige«, 331–363) seit 361 Kaiser; versuchte den jamblichisch gedeuteten Polytheismus wiederherzustellen; W: Reden auf die Göttermutter, auf den König Helios; Kynikerreden; Königsspiegel; Gegen die Christen (Galiläer). Sallustios: W: Über die Götter und die Welt. Eunapios von Sardes (4. Jahrhundert) W: Philosophen- und Sophistenbiographien. Gelehrte Richtung Alexandrinische Schule (5.–7. Jahrhundert) enge persönliche Beziehungen zur athenischen Schule, aber Einfachheit des Systems; Pflege der Fachwissenschaften; Verbindung mit dem Christentum unter Mitwirkung der alexandrinischen Katechetenschule 3 [79]. Hypatia von Alexandria (370–415) war Philosophin; wurde ermordet. Synesios von Kyrene (um 370–414) war Schüler der Hypatia; Bischof von Ptolemais; Verschmelzung von Neuplatonismus und Christentum. Hierokles von

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Alexandria (5. Jahrhundert) christlicher Einschlag. Ammonios Hermeiou (440–520) war Lehrer des Simplikios 3 [69]; W: Kommentare zu Aristoteles. Johannes Philoponos (»Johannes von Alexandria«, 490–570) war später Christ; W: zahlreiche Aristoteleskommentare; aus der christlichen Zeit: de aeternitate mundi; de opificio mundi. Stephanos von Alexandria (7. Jahrhundert) wurde unter Kaiser Herakleios (610–641) nach Konstantinopel berufen; Bindeglied zum Platonismus des christlichen Mittelalters; W: Kommentar zu De interpretatione von Aristoteles. 2. Mit den Alexandrinern mehr oder weniger verwandt Nemesius (gestorben um 400) war Bischof von Emesa; W: De natura hominis [72] (weist auf Poseidonios zurück 3 [47]). Johannes Lydos (490- nach 560) lehrte in Byzanz. 3. Neuplatoniker des lateinischen Westens (um 250–500): Vermittler der antiken [73] Philosophie zum Mittelalter durch Übersetzung und Kommentierung platonischer und aristotelischer Schriften; keine Schule; meist Christen. Chalcidius (4./5. Jahrhundert) W: Kommentar zum platonischen Timaios. Marius Victorinus (4. Jahrhundert) war Lehrer von Augustinus 3 [85]; W: Kommentare zu Aristoteles; De definitionibus. Ambrosius Theodosius Macrobius (395–423) W: Kommentar zu Ciceros Somnium Scipionis (hat großen Einfluss auf das Mittelalter). Favonius Eulogius war Schüler Augustinus; W: Disputatio de somnio Scipionis. Martianus Capella (5./6. Jahrhundert) W: De nuptiis Philologiae et Mercurii (hat Einfluss auf das mittelalterliche Bildungswesen). Boëthius (475/480–524) war Christ; der »letzte Römer und der erste Scholastiker«; neben Augustinus die maßgebende Gestalt des frühen Mittelalters; W: Übersetzung und Kommentierung aristotelischer Schriften, besonders zum Organon, zur porphyrischen Eisagogé, zu Ciceros Topik; eigene Arbeiten zur Logik, Mathematik, Musik; Hauptwerk: De consolatione Philosophiae (eklektischer Platonismus). III. Andere Richtungen des Neuplatonismus Der Neuplatonismus hat fast alle anderen Richtungen verdrängt; es bleiben nur a) die späteren Peripatetiker 3 [56]: Anatolios (gestorben 458) Mathematiker; später Bischof. Themistios (317- nach 388) hauptsächlich in Konstantinopel; W: Reden; Paraphrasen zu Aristoteles. b) die späteren Kyniker 3 [52]: Maximus von Alexandria (gestorben 282) christlicher Kyniker.

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Philosophie des christlichen Altertums und Mittelalters (bis etwa 1450) [75]

A. Patristische Philosophie (bis ins 8. Jahrhundert; 3 Patristische Philosophie). I. a) 1.

2.

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b) 1.

Anfänge (bis etwa 325) vorwiegend Apologetik gegen Heidentum und Gnostizismus. Älteste christliche Urkunden und die Philosophie Evangelien (1. Jahrhundert) Person und Sendung JESU CHRISTI; die Lehre Jesu ist nicht das Ergebnis philosophischer Denkarbeit, sondern Offenbarung des Vaters; Einwirkung auf das philosophische Denken mittelbar durch die Umbildung des religiösen Bewusstseins: sittlicher Monotheismus, innige Verbindung von Sittlichkeit und Religion, überragender Wert der menschlichen Seele, selbständiger Wert des Geistigen und der Person; allgemeine Menschen- und Feindesliebe, Verpflichtung zum Martyrium, Gemeinschaft des Reiches Gottes; das tiefste Wesen des Christentums: die Menschwerdung Gottes, die Berufung zur Kindschaft Gottes und die Erlösung übersteigen die Dimensionen der Philosophie (3 Geheimnis); Übernatürlich. Paulus und Johannes (1. Jahrhundert) Paulus kannte die griechische Philosophie wohl nur, soweit sie Gemeingut der Gebildeten war; Berührung mit der stoischen Philosophie im Gottesbeweis aus der Natur, in der Formulierung der Lehre vom natürlichen Sittengesetz und dem Gewissen. Johannesevangelium verwendet den Logosbegriff der heraklitisch-stoischphilonischen Philosophie bei charakteristisch neuem Inhalt. Christliche Verwendung der Philosophie: zur Verteidigung des Christentums (bis zum 3. Jahrhundert) Die Apologeten des 2. Jahrhunderts kämpfen gegen heidnische Vorurteile und Anklagen. Quadratus von Athen (gestorben 130) Apostelschüler; W: Verteidigungsschrift (um 124, Fragment). Marcianus Aristides von Athen (gestorben um 125) W: Apologie (geistiger Monotheismus). Justinus (»Justin der Märtyrer«, um 100–165) stammt von griechischen Eltern in Palästina; studierte stoische und platonische Philosophie; Lehre: alles Wahre, Vernunftgemäße ist christlich; es stammt vom Logos, der samenartig überall verbreitet, in seiner Fülle aber nur in Christus erschienen ist; Pythagoras und Platon haben aus Moses und den Propheten geschöpft; Ewigkeit der Materie, angeborene Gottesvorstellung, Unsterblichkeit der Seele nur aus Gnade; W: Dialog mit dem Juden Tryphon; größere und kleinere Apologie. Tatian (»Tatian, der Assyrer«, 2. Jahrhundert) war Gegner der griechischen Bildung. Athenagoras von Athen (etwa 133–190) W: Apologie (Vernunftbeweis für den Monotheismus). Theophilus von Antiochien (gestorben um 183) W: Ad Autolycum (Gott hat alles aus nicht Seiendem geschaffen; er wird aus seinen Werken erkannt). Hermias (lebte um 200) W: Verspottung der heidnischen Philosophen. Melito von Sardes (gestorben um 180). Q: Diognetbrief ist anonym verfasst.

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2. Der Gnostizismus und seine Bekämpfung (2.–3. Jahrhundert): erster Versuch [77] einer christlichen Religions- und Geschichtsphilosophie, nicht in der Form des Begriffs, sondern phantastischer Vorstellung (alttestamentliche, christliche, orientalische und hellenistische Elemente); Dualismus von Gott und Materie; Emanation von Mittelwesen und ihre Rückkehr zum Ursprung durch Erlösung. Vertreter der Gnosis: Cerinthus. Saturninus. Cerdon. Marcion. Basilides (um 130). Valentinus (2. Jahrhundert) stellte das umfassendste gnostische System auf. Mani (Manes, um 216–276). Gegner der Gnosis: Irenäus von Lyon (um 135–202) Gott und der Weltschöpfer ist eins, auch die Materie ist durch seinen Willen geworden; Ursprung des Bösen aus dem Missbrauch der menschlichen Freiheit; W: Wider die Häresien. Hippolyt von Rom (um 170–236) war Schüler des Irenäus; W: Philosophumena. 3. Anfänge der lateinischen christlichen Literatur (2.–3. Jahrhundert) [78] Marcus Minucius Felix (2. Jahrhundert) W: Octavius (Dialog, Unvergänglichkeit der Seele, natürliche Gotteserkenntnis aus der Finalität der Natur, Harmonie zwischen Vorausbestimmung und Freiheit). Tertullian (um 150–230) war Jurist; wurde etwa um 190 Christ, seit 213 Anhänger der Sekte der Montanisten; Feindseligkeit gegen heidnische Philosophie, aber dennoch unter dem Einfluss der stoischen Philosophie; Lehre: Schöpfung der Materie durch Gott; Betonung des Gegensatzes zwischen Sittlichkeit und Sinnlichkeit; alle Substanzen sind körperlich, auch Gott und die Seele; sensualistische Erkenntnislehre; Traduzianismus; Unsterblichkeit und Willensfreiheit; Monotheismus; Verteidigung der Religionsfreiheit; W: vormontanistische: Apologeticum; De idolatria; De testimonio animae; De patientia; Ad uxorem; De cultu feminarum; De praescriptione haereticorum; montanistische: De exhortatione castitatis; De monogamia; De pudicitia; De ieiuniis; Adversus Marcionem; De anima. Arnobius der Ältere (gestorben nach 330) die Seele ist körperlich, nicht von Natur aus unsterblich; Polemik gegen die platonische Theorie der Wiedererinnerung; nur der Glaube an Gott ist angeboren; W: Gegen die Heiden. c) Erste Versuche der Systematisierung der christlichen Weltanschauung [79] (3. Jahrhundert): Notwendigkeit einer systematischen Darstellung der Glaubenslehren in den Katechetenschulen, vorab in Alexandrien. 1. Alexandrinische Katechetenschule: in Beziehung zum alexandrinischen Neuplatonismus 3 [71]; sucht die hellenistische Philosophie in den Dienst der christlichen Theologie zu stellen. Pantänus von Alexandria (gestorben etwa 216). Klemens von Alexandria (um 150–215) die Philosophie ist ein Geschenk Gottes durch den Logos, den Erzieher der Heiden zum Christentum; der Glaube soll auf die Stufe des Wissens erhoben werden (christliche Gnosis); Kampf gegen die häretische Gnosis; Weltschöpfung von der Ewigkeit her gedacht; W: Protreptikos; Paedagogus; Stromata. Origenes (185–254) erstes System der christlichen Lehre; synthetisch-deduktive Methode; neuplatonische Elemente; von der allgemeinen christlichen

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Lehre abweichende und später verurteilte Lehren: anfanglose Schöpfung, Präexistenz der Seelen, ihr Verhältnis zum Leib gemäß einer früheren Schuld, Erlösung aller Wesen in der allgemeinen Wiederherstellung (Apokatastasis); W: Peri archon (systematisches Werk); Gegen Celsus (Vernunftgemäßheit und Beweisbarkeit des christlichen Glaubens). Dionysius von Alexandria (»Dionysius der Große«, gestorben um 264) war Schüler des Origenes; schrieb gegen den Atomismus. Gregor der Wundertäter (213–270) W: Über die Seele. Pamphilus von Caesarea (geboren um 309) eröffnete eine theologische Schule in Caesarea; W: Apologie (für Origenes). 2. Im Westen Lactantius (um 250–325) erster systematischer Versuch einer Darstellung des Christentums im Westen; weniger selbständig als Origenes; W: Institutiones divinae; De opificio Dei; De ira Dei (ciceronische Reinheit des Stils). [80]

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II. Volle Entwicklung der patristischen Philosophie (325- etwa 450) tiefere Entfaltung der christlichen Lehren im Kampf gegen innere Feinde. a) Die veränderten Bedingungen des kirchlichen Lebens: Äußere Bedingungen: das Mailänder Edikt Konstantins 313; Aufhören der Verfolgung, öffentliches Ansehen des Christentums. Innere Bedingungen: das Konzil von Nicäa stellt die Grundlagen der christlichen Lehre fest; dogmatische Kämpfe innerhalb der Kirche. b) Die griechischen Kirchenväter des 4. Jahrhunderts: Schule des Origenes, Kampf gegen trinitarische und christologische Irrlehren. 1. Die Häresien (Abweichungen von der allgemeinen Kirchenlehre) meist aristotelisch gerichtet. Arianismus: beeinflusst von der Stoa. Arius (um 260–336) lehrte, dass der Logos, der in Christus erschienen ist, von Gott, dem Vater, geschaffen, also nur ein Gott zweiter Ordnung sei (Subordinatianismus). Eunomius (gestorben um 395) lehrte die vollständige Begreifbarkeit Gottes. Apollinarismus: beeinflusst von der Stoa. Apollinaris von Laodicea (um 315– 390) der Mensch besteht aus Leib, Seele und Geist; der Logos steht in Christus an Stelle des Geistes, hat also nur Leib und Seele, nicht die volle menschliche Natur angenommen. Nestorianismus: Nestorius (386–451) in Christus sind nicht bloß zwei Naturen, sondern auch zwei Personen; der Logos wohnt bloß im Menschen Christus, ist nicht eigentlich Mensch geworden. Monophysitismus: Eutyches (um 378- nach 454) in Christus ist nur eine Person und eine aus Göttlichem und Menschlichem vermischte Natur. 2. Gegner dieser Häresien: philosophisch von Platon und Origenes beeinflusst. Athanasius der Große (um 298–373) W: Rede wider die Heiden; Rede über die Fleischwerdung des Logos (enthält seine Psychologie); Reden wider die Arianer. Basilius der Große (um 330–379) W: Hexaemeron (starke Naturfreudigkeit in den Homilien); Ad adolescentes (für die griechische Bildung). Gregor von Nyssa (um 335–394) Bruder des Basilius; Klare Scheidung von Glaube und Wissen, die Wissenschaft ist die Freundin des Glaubens; metho-

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discher Zweifel; die Materie eine Einheit von an sich immateriellen Qualitäten; Rückkehr aller Wesen zu Gott; W: Große katechetische Rede (System der Theologie); Über die Seele und die Auferstehung; Gegen Eunomius; Gegen das Fatum; Apologeticus de hexaemero; Über die Erschaffung des Menschen; Vita Moysis (Mystik). Kyrillos von Alexandrien (um 375–444) war Hauptvertreter der alexandrinischen Theologie; um ihn kreisen die theologischen Auseinandersetzungen der folgenden Jahrhunderte; W: Schriftkommentare, Briefe und polemische Schriften. Andere Kirchenväter des 4. Jahrhunderts: [83] Makarios Magnes W: Apokritikos (große Apologie). Methodius von Olympos (gestorben um 311) schrieb gegen Origenes und Porphyrios. Eusebius von Caesarea (um 260- etwa 340) ist der »Vater der Kirchengeschichte«; christlicher Platoniker; W: Evangelische Vorbereitung (apologetisch). Makarius von Ägypten (um 300–390) W: Homilien (Mystik, werden ihm zugeschrieben). Die lateinischen Kirchenväter des 4. Jahrhunderts: [84] Vor Augustinus: Hilarius von Poitiers (um 315–367) war Hauptgegner des Arianismus im Westen; W: De fide adversus Arianos (de trinitate). Ambrosius von Mailand (339–397) war an Augustins Bekehrung beteiligt; W: De officiis ministrorum (christliche Sittenlehre im Anschluss an Cicero). Victorinus 3 [73]. AUGUSTINUS (354–430) Höhepunkt der Patristik; größter Einfluss auf das [85] Mittelalter; Augustinus war zuerst Rhetor, Manichäer, Skeptiker; unter dem Einfluss des Neuplatonismus Bekehrung zum Christentum (387); später Bischof von Hippo; Kampf gegen Skeptizismus, Manichäismus, Donatismus (um die Einheit der Kirche), Pelagianismus (um die Allwirksamkeit Gottes und die Notwendigkeit der Gnade); Lehre: 3 Augustinismus; W: vor der Taufe: Contra Academicos (gegen die Skepsis), De beata vita (Glückseligkeit), De ordine (Gut und Böse in der Weltordnung), Soliloquia (das Übersinnliche, Unsterblichkeit), De immortalitate animae (Unsterblichkeit); nach der Taufe: De musica, De quantitate animae (Leib und Seele), De libero arbitrio (Problem des Bösen, Freiheit), De duabus animabus, De magistro, De vera religione (vom Glauben zum Wissen); als Bischof: De trinitate (Dreifaltigkeit), De civitate Dei (Hauptwerk; Vom Gottesstaat; Geschichtsphilosophie und -theologie), Confessiones (Selbstbekenntnisse; Zeitproblem), De fide, spe et caritate (systematische Glaubenslehre), Retractationes (Berichtigungen der eigenen Werke). Prosper Tiro von Aquitanien (um 390–455) war Schüler von Augustinus; W: Liber sententiarum (Abriss der augustinischen Theologie).

III. Ausklang der patristischen Philosophie (um 450–800) Bewahrung des Überkommenen. a) Zeitverhältnisse: Völkerwanderung; Ende des weströmischen Reiches; Eroberungszüge der Sarazenen; Unterbrechung der geistigen Entwicklung; Verlust vieler Schriften; Tendenz zur Bewahrung (Sentenzenliteratur).

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b) Die griechischen Schriftsteller: Synesios von Kyrene 3 [71]. Nemesius 3 [72]. Theodoret (393–460). Aeneas von Gaza (gestorben 518). Zacharias von Mytilene (um 465- nach 536) W: Ammonios (gegen die Ewigkeit der Welt). Johannes Philoponos 3 [71]. Leontius von Byzanz (6. Jahrhundert) verwertet auch aristotelische Begriffe in der Theologie. Dionysius Areopagita (um 500) war vorgeblich Apostelschüler, daher auch Pseudo-Dionysius genannt; Verschmelzung neuplatonischer (Proklus) und christlicher Gedanken; Unterscheidung der positiven und negativen Theologie; bedeutender Einfluss auf Mystik und Scholastik des Mittelalters; W: De divinis nominibus; De coelesti Hierarchia; De mystica theologia. Maximus Confessor (580–662) W: Kommentare zu Pseudo-Dionysius; De anima (Anthropologie). Johannes von Damaskus (650–754) war Sammler und Systematiker; W: Quelle der Erkenntnis (schließt die Patristik ab; mit philosophischer Einleitung: aristotelische Logik und Ontologie mit neuplatonischem Einschlag). c) Die lateinischen Schriftsteller: Claudianus Mamertus (gestorben um 473) W: De statu animae (Immaterialität der Seele). Boëthius 3 [73]. Isidor von Sevilla (um 560–636) Vermittler antiker Bildung in Spanien; W: Etymologiae (Realwörterbuch). Beda Venerabilis (um 673–735) war Vermittler antiker Bildung in England. B. Philosophie des Mittelalters Scholastik (800–1450; 3 Scholastik).

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I. Die Vorscholastik (8.–9. Jahrhundert) a) Karolingische Renaissance: zunächst noch kompilatorisch. Alcuin (735–804) war Berater Karls des Großen; Organisator des Studienwesens im Frankenreich. Hrabanus Maurus (um 780–856) Schöpfer des deutschen Schulwesens. Brun Candidus von Fulda (um 770–845) erster Versuch eines Gottesbeweises im Mittelalter. Paschasius Radbertus. Ratramnus von Corbie (gestorben 868). Godescalc. b) Johannes Scottus Eriugena (um 810–877) aus Irland; begründet das erste große philosophisch-theologische System des Mittelalters; wegen seines scheinbar spiritualistisch-pantheisierenden Charakters und unvorsichtiger, neuplatonischer Formulierungen später oft angefochten; Lehre: umfassender Grundbegriff seines Systems ist die »Natur«; die Existenz Gottes wird aus dem Glauben vorausgesetzt; logische Einteilung der »Natur«, die ungeschaffene und schaffende Natur (Gott als Schöpfer), die geschaffene und schaffende Natur (die in und aus Gott zeitlos hervorgehenden Ideen der geschaffenen Dinge), die geschaffene und nicht schaffende Natur (Erfahrungswelt), die ungeschaffene und nicht schaffende Natur (Gott als Endziel); W: De divisione naturae. Heiricus von Auxerre (um 841–876) war Schüler von Johannes Scottus Eriugena. Remigius von Auxerre (um 841–908) war Schüler von Heiricus.

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II. Die Frühscholastik (11.–12. Jahrhundert) nach dem »dunklen« 10. Jahrhundert Wiederaufleben der Wissenschaften; größere Selbstständigkeit des Fragens. a) Glaube und Wissen 1. Der Dialektikstreit: die »Dialektiker« durchzogen, ähnlich den griechischen Sophisten, das Land; intensive Pflege der Dialektik (Logik); Rationalismus in theologischen Fragen. Vertreter: Anselm von Besate. Berengar von Tours (gestorben 1088). Gegner: Petrus Damiani (1006–1072) Unterordnung der Philosophie unter die Theologie, des Widerspruchsgesetzes unter die göttliche Allmacht. Lanfrank von Bec (1010–1089) nur gegen den Rationalismus der Dialektiker, nicht gegen die Dialektik selbst. 2. ANSELM von Canterbury (1033–1109) Erzbischof; systematischer Denker; Schüler von Lanfrank; sein Motto: Credo ut intelligam (Erhebung des Glaubens zum Wissen); Verwertung der Philosophie für die Theologie ohne Rationalismus; Lehre: das wahre Denken kann dem Glauben nicht widersprechen; Versuch, alle Glaubenswahrheiten auch aus natürlicher Vernunft zu begründen; der Glaube muss jedoch vorangehen; ontologischer Gottesbeweis (im Proslogion); W: Monologium (Gotteslehre); Proslogion; dazu: Liber apologeticus; De veritate; Cur Deus homo?; De libero arbitrio; De concordia praescientiae et praedestinationis. Gegner: Gaunilo (geboren um 1000) W: Liber pro insipiente. b) Das Universalienproblem: im Anschluss an die Eisagogé von Porphyrios 3 [65] und Boëthius 3 [73]. 1. Ultrarealismus: Wilhelm von Champeaux (1070–1121) war Schüler von Johannes Roscelinus; vertrat zuerst einen extremen Begriffsrealismus, den er später, von Petrus Abaelardus genötigt, milderte und schließlich aufgab. Johannes Scottus Eriugena. Anselm von Canterbury. Schule von Chartres. 2. Gegner des Ultrarealismus: Extremer 3 Nominalismus: Johannes Roscelinus (um 1050–1124). Gemäßigter Realismus: Petrus Abaelardus (1079–1142) war Schüler von Roscelinus; einflussreichster Philosoph des 12. Jahrhunderts; logische und theologische Schriften: kritische Analyse der Bewusstseinsinhalte an Hand der Sprache; durch die Methode des Sic et Non (Verwertung von Autoritäten und Gegenautoritäten) und den methodischen Zweifel Begründer der scholastischen Methode; Lehre vom Gewissen. Andere Formen, die schließlich auch zu einem gemäßigten Realismus führen: Adelard von Bath (1080–1160). Walter von Mortagne (1100–1174). Gilbert von Poitiers. Johannes von Salisbury. c) Die Schule von Chartres 1. Naturphilosophische Richtung: in platonischer Gestalt; Harmonisierung mit Aristoteles; Verbindung mit naturwissenschaftlichen Theorien. Bernhard von Chartres (gestorben nach 1124). Thierry von Chartres (um 1085–1155). Wilhelm von Conches (geboren um 1090).

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2. Richtung des Gilbert von Poitiers: Gilbert von Poitiers (um 1080–1155) war Schüler Bernhards von Chartres; Wissenschaftslehre; W: De sex principiis (über die sechs letzten Kategorien). Otto von Freising (etwa 1112–1158) Förderung aristotelischer Studien; W: Chronica (Geschichtsphilosophie). Johannes von Salisbury (um 1125–1180) W: Policraticus (erste große Staatstheorie des Mittelalters); Metalogicus (über den Wert der Logik). Alanus ab Insulis (um 1120–1202) W: Maximae theologicae (Anwendung der axiomatischen Methode auf die Theologie). Nikolaus von Amiens (um 1190) W: De arte catholicae fidei (Glaubenslehre more geometrico). Radulfus Ardens (gestorben um 1200) W: Speculum universale (System der Ethik). 3. Pantheisierende Richtung: Bernhard von Tours (um 1150). Amalrich von Bène (gestorben um 1206) Gott ist die Essenz und Form aller Kreaturen (Zusammenhang mit Johannes Scottus Eriugena). David von Dinant (um 1160–1217) Gott und der Urstoff sind eins. d) Mystik: Streben nach innerer Schau und Erlebnis der religiösen Wahrheit. 1. Bernhard von Clairvaux (1090–1153) Begründer der mittelalterlichen Mystik; Gegner von Petrus Abaelardus und Gilbert von Poitiers; W: De diligendo Deo (Gottesliebe); De gratia et libero arbitrio; De consideratione. 2. Viktoriner: Hugo von Sankt Viktor (1097–1141) bedeutender Theologe; vereinte Wissenschaft und Mystik in einer Person; W: philosophisch: Didascalion (Einleitung in die Philosophie und Theologie); De unione corporis et animae; mystische: De contemplatione; Kommentar zu Pseudo-Dionysos. Richard von Sankt Viktor (1110–1173) fordert gesicherte Beweisführung; Ausgang von der Erfahrung in den Gottesbeweisen, sucht die Geheimnisse diskursiv zu durchdringen; zugleich Theoretiker der Beschauung; W: De trinitate; De gratia contemplationis. e) Sentenzen- und Summenliteratur 1. Sentenzen: ursprünglich Sammlungen von Bibel- und Väterstellen; allmählicher Übergang zu den Summen; das bekannteste Sentenzenbuch ist von Petrus Lombardus (1100–1160) und diente bis ins 16. Jahrhundert als Lehrbuch. 2. Summen: selbständige, systematische Darstellung der Theologie (oder Philosophie) mit breitem Raum für rationale Argumente. Summa philosophiae der Oxforder Schule. Alexander von Hales 3 [105]. Bonaventura 3 [105]. Albertus Magnus 3 [109]. Thomas von Aquin 3 [110]. III. Nicht-Scholastische Philosophie des Mittelalters a) Byzantinische Philosophie vorwiegend Tradition, Paraphrasen und Kommentare zu Aristoteles und Platon. Photios der Große (etwa 820–891). Arethas von Caesarea (um 860- nach 944). Michael Psellos (1017/1018–1078). Michael Ephesios. Nikolaos von Methone (12. Jahrhundert).

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b) Arabische Philosophie: griechischer Prägung, die im Islam fremd blieb, aber [100] auf die Entwicklung der Scholastik einwirkte. 1. Im Orient Al-Kindi (um 800–873) erster arabischer Denker griechischer Richtung. Al-Farabi (um 870–950) vermittelte dem Islam die griechische Logik; Mystiker (Sufi); Verschiedenheit von Wesenheit und Dasein im Geschöpf. AVICENNA (Ibn Sina, 980–1037) überragendes Ansehen im Mittelalter; W: Buch der Genesung (philosopische Enzyklopädie auf aristotelisch-neuplatonischer Grundlage). Alhazen (um 965–1039/1040) Physiologie und Psychologie des Sehens. Al-Ghazali (1058–1111) Mystiker; in der Philosophie Skeptiker; Lehre: zeitliche Schöpfung aus Nichts; Vorsehung; Auferstehung des Leibes; Wundermacht Gottes; Leugnung der geschöpflichen Kausalität; W: Die Neubelebung der Religionswissenschaften; Die Absichten der Philosophen; Die Widersprüche der Philosophen (dagegen Averroës: Destructio destructionis). 2. Im Okzident (Spanien) [101] Avempace (Ibn Baddscha, um 1095–1138) W: Leitung der Einsamen (Erhebung zum geistigen Selbstbewusstsein). Abubacer (Ibn Tufail, 1110–1185) W: Der Lebende, der Sohn des Wachsenden (philosophischer Roman). AVERROËS (Ibn Ruschd, 1126–1198) Richter und Arzt; umfangreiches Kommentarwerk zu Aristoteles, in denen er seine eigene Lehre ausspricht: die Formen liegen keimartig in der Materie; anfanglose Schöpfung aus Nichts; Gott actus purus; kein Pantheismus, aber Panpsychismus; der »tätige« Verstand ist von der Seele verschieden und einer für alle Menschen; erst durch Berührung mit ihm entsteht der potentielle Verstand der Einzelnen, der im Tod wieder in den allgemeinen Verstand (die Intelligenz der Mondsphäre) zurückgenommen wird; Ausgleich mit der Religion durch allegorische Deutung des Koran. c) Jüdische Philosophie des Mittelalters [102] 1. Kabbala: eine emanatistische Geheimlehre; zwischen dem 9. und 14. Jahrhundert schriftlich niedergelegt. 2. Philosophierende Theologen Isaak ben Salomon Israeli (um 845–932) W: Buch der Definitionen; Buch der Elemente. Saadia Gaon (882–942) Begründer der jüdischen Religionsphilosophie; W: Glaubens-und Vernunftgesetze. Solomon ibn Gabirol (1021/1022–1057) Einfluss auf die Scholastik; W: Lebensquelle (neuplatonisch; alle Substanzen außer Gott bestehen aus Materie und Form; Okkasionalismus). Moses Maimonides (1138–1204) großer Einfluss auf die Scholastik; W: Führer der Unschlüssigen (im Ganzen aristotelisch; Schöpfung der Welt aus Nichts; Vorsehung; Willensfreiheit).

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IV. Hochscholastik (13. Jahrhundert) Zeit der großen systematischen Schöpfungen. a) Der Umschwung 1. Ursachen und Umstände Aristotelesübersetzungen: aus dem Arabischen und Griechischen (Wilhelm von Moerbeke, um 1215–1286) vermitteln den ganzen Aristoteles, während bis dahin nur die logischen Schriften im Westen bekannt waren; dazu kommt die Kenntnis der arabischen Kommentare und Schriften. Aristotelesstreit: die arabische Form des Aristoteles und der Neuplatonismus mancher dem Aristoteles fälschlich zugeschriebener Schriften führen zu pantheisierenden Neigungen; Widerstand der kirchlichen Autorität (Aristotelesverbote); der Aristotelismus gelangt erst zum Sieg, nachdem sein Theismus erkannt ist; methodische Scheidung der natürlichen Theologie und der Offenbarungstheologie. Schulbetrieb: Universitäten: seit 1200; Gliederung in vier Fakultäten; die Artistenfakultät enthält das Studium der Philosophie, das jedoch meist von Theologen betrieben wird. Formen des Unterrichts: lectio (Kommentierung) und disputatio. Literarische Formen: die Summen; quaestiones disputatae (zur wissenschaftlichen Vertiefung; Niederschlag der gewöhnlichen Disputationen); quaestiones quodlibetales (Niederschlag der feierlichen Disputationen); opuscula (Abhandlungen). Ausbildung: für die Artisten 6 Jahre (Voraussetzung für die Theologen), für die Theologen 8 Jahre; bis zum Magisterium weitere 8 Jahre Lehrtätigkeit. Einfluss der Bettelorden: Franziskaner; Dominikaner. 2. Erste Versuche einer Synthese Dominicus Gundisalvi (um 1110–1181). Wilhelm von Auvergne (um 1180– 1249). Robert Grosseteste (1170–1253) Kanzler von Oxford; vorwiegend naturwissenschaftlich ausgerichtet; mathematisch unterbaute Lichttheorie und -metaphysik. Q: Summa philosophiae aus der Oxforder Schule. b) Traditionelle, Augustinische Richtung: trotz gründlicher Kenntnis der aristotelischen, arabischen, jüdischen Literatur Festhalten am Augustinismus. 1. Ältere Franziskanerschule Alexander von Hales (um 1185–1245) erste umfassende Benutzung des Aristoteles; im Konfliktfall wird Augustinus vorgezogen; W: Glossa in quattuor lib Sententiarum; Summa fratris Alexandri (nur bedingte Echtheit; zum großen Teil von Johannes von Rupella). Bonaventura (1221–1274) Freund von Thomas von Aquin 3 [110]; Scholastiker und Mystiker; Illuminationstheorie; W: Sentenzenkommentar; Itinerarium mentis ad Deum (mystisches Hauptwerk); Collationes in Hexaemeron; De reductione artium ad theologiam. Walter von Brügge (ca 1225–1307) W: QQ disp (bedeutsame Gewissenslehre). Gilbert von Tournai (um 1200–1284) W: pädagogische Schriften. 2. Ältere Dominikanerschule Peter Tarantaise (Innozenz V., 1225–1276). Richard Fishacre (1200–1248). 3. Mittlere Franziskanerschule (zwischen Bonaventura und Duns Scotus). Der bei Thomas von Aquin und Bonaventura latent gebliebene Gegensatz der traditionellen und neuen Richtung führt zum offenen Kampf.

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Abriss der Geschichte der Philosophie Matthäus von Acquasparta (1237–1302) W: Quaestiones disputatae; De cognitione. Johannes Peckham (um 1220–1292) heftiger Gegner von Thomas von Aquin, besonders dessen Lehre von der Einheit der Wesensform im Menschen; W: De anima. Wilhelm de la Mare 3 [111]. Roger von Marston (1250– 1303). Richard von Middletown (1249–1302). Wilhelm von Ware (Ende des 13. Jahrhunderts) nähern sich dem Aristotelismus in der Erkenntnislehre. Vitalis von Furno (1260–1327) war Gegner Olivis; W: De rerum principio (fälschlicherweise Duns Scotus zugeschrieben). Petrus Johannis Olivi (1248–1298) Lehre von den Wesensteilen der Seele, die durch die Seelenmaterie zusammengehalten werden, so dass die Geistseele den Leib nur mittels der Sinnenseele informiert, wurde vom Konzil von Vienne verurteilt; Primat des Willens; Impetustheorie; W: Quaestiones in secundum librum sententiarum. Heinrich von Gent (1217–1293) die Materie ist nicht bloß potentiell, sondern wirklich; Wesen und Dasein sind nicht real verschieden; Individuation durch Negation; Annahme einer Körperform außer der Seele im Menschen; zur Erkenntnis der vollen Wahrheit ist außer der Abstraktion aus dem Sinnenbild eine (nicht allen zugängliche) Illumination durch das göttliche Urbild notwendig: W: Quodlibeta; Summa theologica (unvollendet). Neue, aristotelische Richtung: Reiner Aristotelismus oder Lateinischer Averroismus. Aufnahme des im Sinne des (lateinischen) Averroes verstandenen Aristoteles ohne jede Ausrichtung am christlichen Dogma. Lehre von der Ewigkeit der Welt, der Bewegung, von der Einheit des Intellekts in allen Menschen und (angeblich) von der »doppelten Wahrheit«. Vertreter: Siger von Brabant (1235–1284) und Boëtius von Dacien (um 1240–1284). Die Synthese mit der christlichen Lehre, getragen vom Dominikanerorden Vorbereitung: ALBERTUS MAGNUS (Albert der Große, um 1200–1280) Philosoph, Theologe und Naturforscher; erste vollständige Darstellung der aristotelischen Philosophie in systematischer Ordnung unter Berücksichtigung der Araber bei gleichzeitiger Umbildung im Sinne der christlichen Lehre; in der Theologie bleibt Albert dem Augustinismus zugetan. Schüler Alberts: Die bei Albert unverbundenen Strömungen des Aristotelismus, Neuplatonismus und Augustinismus werden von verschiedenen Schülern aufgenommen – der Aristotelismus vor allem bei Thomas von Aquin, der Neuplatonismus von Ulrich von Straßburg, der Augustinismus von Hugo Ripelin von Straßburg (um 1200–1268). Vollendung: THOMAS VON AQUIN (um 1225–1274) gilt als der größte Systematiker des Mittelalters; Lehre: 3 Thomismus. W: Aristoteleskommentare; Quaestiones disputatae; Sentenzenkommentar; Opuscula; Summa contra Gentiles (rationale Begründung der Theologie), Summa theologiae (System der Theologie und Philosophie, Hauptwerk).

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Der Kampf um Thomas: Gegner waren aus dem eigenen Orden: Peter Tarantaise 3 [105]. Robert Kilwardby (1215– 1279) verurteilte als Erzbischof von Canterbury thomistische Lehren. aus dem Weltklerus: Stephan Tempier (gestorben 1279) Bischof von Paris: Verurteilung averroistischer Lehren, die indirekt auch thomistische Sätze betrafen. Heinrich von Gent. aus dem Franziskanerorden: Johannes von Peckham 3 [106] erneuerte als Nachfolger Roberts dessen Verurteilung. Wilhelm de la Mare (gestorben 1285) W: Correctorium fratris Thomae. Später Johannes Duns Scotus. Verteidigung: Offizielle Empfehlung des Thomismus durch den Dominikanerorden. Fünf »Correctoria corruptorii fratris Thomae« als Antwort auf Wilhelm de la Mares »Correctorium«. Der Thomismus im 13. und 14. Jahrhundert: Gottfried von Fontaines (1250–1306): Steht dem Thomismus nahe. Die ältere Thomistenschule (um 1300): freie Auffassung im Einzelnen. Dominikaner: darunter Hervaeus Natalis (gestorben um 1323) und Thomas Sutton (gestorben um 1315). Augustiner: ihr Führer war Aegidius Romanus (um 1245–1316). Karmeliter und Zisterzienser im Gefolge von Gottfried von Fontaines. Dante Alighieri (1265–1321) wird von manchen Albert dem Großen nähergestellt. Der Skotismus, vorbereitet durch die mittlere Franziskanerschule 3 [106]. JOHANNES DUNS SCOTUS (1266–1308) »doctor subtilis«; scharfsinniger Kritiker des Thomismus; 3 [121, 143]; Lehre: 3 Skotismus. W: Quaestiones subtilissimae de metaphysicam Aristotelis; Ordinatio (auch Opus Oxoniense genannt, Sentenzenkommentar, Hauptwerk); Reportata Parisiensia; Theoremata (Echtheit von einigen bestritten). Die neuplatonische Richtung Neuplatonische Elemente bei Albertus Magnus (Metaphysik) und Thomas von Aquin (in den letzten Schriften zunehmend). Durchbruch des Neuplatonismus vor allem in Deutschland und im Dominikanerorden: Witelo. Ulrich von Straßburg (1220–1277) Schüler Alberts. Dietrich von Freiberg (1240–1310) Naturforscher (fand die richtige Regenbogentheorie); steht im Anschluss an Proklus und Augustinus. MEISTER ECKHART (1260–1327) Begründer der spekulativen Mystik im Abendland (gedankliche Durchdringung des mystischen Erlebnisses); Kirchliche Verurteilung mehrerer seiner Sätze; Lehre: Dynamische Auffassung des Seins; Verwendung der Paradoxie; Seelenlehre: zunächst thomistisch, darüber hinaus Lehre vom Seelengrund oder Seelenfünklein, in dem die Seele Gott auf bildlose Weise schaut; Gotteslehre: im Ganzen thomistisch, aber starke Betonung der negativen Theologie als Durchbruch zum überbegrifflichen, mystischen Erlebnis des Ureinen; Schöpfung der Welt aus nichts als freie Tat Gottes; die (verurteilte) Lehre von der Ewigkeit der Welt wird ihm mit Unrecht zugeschrieben; die Lehre vom Sein der Geschöpfe (und noch mehr vom Seelenfünklein) grenzt manchmal an Pantheismus; Ziel des Menschen ist die Rück-

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kehr zu Gott in der »Abgeschiedenheit« von aller Kreatur und durch die »Geburt Gottes« in ihm aus Gnade; die Deutung Eckharts muss zwischen dem natürlichen und übernatürlichen Verhältnis der Seele zu Gott unterscheiden; W: Opus tripartitum; Quaestiones; Deutsche Traktate und Predigten (oft unzuverlässige Nachschriften); Rechtfertigungsschrift. Die naturwissenschaftliche Richtung [116] Robert Grosseteste: mathematische Interessen 3 [104]. Albertus Magnus: biologische Interessen (Zoologie und Botanik); Beobachtung 3 [109]. Peter der Pilger von Maricourt: Forderung der experimentalen Methode; W: Epistola de magnete. Roger Bacon (1214–1292) scharfe Kritik der theologischen Methode; sein Plan, eine zusammenfassende Darstellung der Profanwissenschaften zu geben, nur im Fragment ausgeführt; Empirismus mit pragmatistischem Wahrheitsbegriff; innere Erfahrung durch göttliche Erleuchtung; die Mathematik gilt als Grundlage der wissenschaftlichen Bildung; W: Opus maius; Opus minus; Opus tertium. Witelo (1230–1270) W: Perspectiva (Optik). Die Entwicklung der Logik [117] Die Logica vetus: die Logik bis gegen die Mitte des 12. Jahrhunderts auf Grund der Eisagogé des Porphyrios 3 [65], der aristotelischen Schriften »De interpretatione«, »De categoriis« und der Traktate des Boëthius 3 [73]. Die Logica nova: seit Thierry von Chartres 3 [94] auf Grund der übrigen Teile des aristotelischen Organons und »De sex principiis«. Die Logica modernorum (13. Jahrhundert): unter arabischem Einfluss; Vermischung von Logik und Grammatik (»terministische« Logik); Kompendienliteratur der »Summulae«. Petrus Hispanus (Johannes XXI, 1205–1277) W: Summulae logicales (über mehrere Jahrhunderte benutztes Lehrbuch). Sprachlogik: Untersuchung der Beziehungen von Logik und Grammatik (grammatica speculativa). Roger Bacon: W: Summa grammaticae. Thomas von Erfurt: W: De modis significandi (fälschlicherweise Duns Scotus zugeschrieben). Raimundus Lullus (1232–1316) bewegtes Wanderleben; Kampf gegen den Islam und den lateinischen Averroismus; Dichter, Philosoph, Theologe und Mystiker; er erstrebte eine Ars generalis, ein System von obersten Grundbegriffen und Sätzen, aus denen sich durch Kombinationen und mechanische Operationen die einzelnen Wissenschaften ableiten lassen sollten. Letzte literarische Gestalt seiner Ideen war die »Ars magna et ultima«; Lullus ist Vorläufer der Logistik (3 Logik) und der Ars combinatoria von Leibniz 3 [141]. Vorboten einer neuen Zeit: zwischen Duns Scotus und Wilhelm von Ockham; [118] Auflösung der scholastischen Synthese. Jakob von Metz: Kritik an Thomas von Aquin. Durandus von St. Pourçain (1270–1334) scharfer Gegner von Thomas von Aquin; Einschränkung der realen Relationen auf die Kausalrelation; Identität der Seelenvermögen mit der Seelensubstanz und mit den Akten; die Objekte nur Bedingungen der Akte; keine Abbildung der Objekte im Erkennen.

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Petrus Aureolus (1280–1322) Kritiker, besonders an Duns Scotus; konzeptualistischer Nominalismus und Empirismus; Prinzip der Ökonomie: die Erklärungsprinzipien sind möglichst zu beschränken. [119] V. Spätscholastik (14.–15. Jahrhundert) Nominalismus; Zeit des Niedergangs; nach Ockham kamen keine neuen Ideen. a) Ursachen des Niedergangs 1. Äußere Ursachen: französisch-englischer Krieg (1339–1453); die große Pest; das abendländische Schisma: Vermehrung der Universitäten bei Herabminderung der Anforderungen. 2. Innere Ursachen: Mangel an Lehrfreiheit in den Orden; zunehmende Unkenntnis der großen Philosophen der Vergangenheit; Barbarei der Sprache; leere Spitzfindigkeiten. [120] b) Die Via Antiqua: Der Gegensatz zwischen via antiqua und via moderna betrifft die Universalienlehre (3 Universalienproblem). Die via antiqua umfasst die realistisch gerichteten Schulen im Gegensatz zum Nominalismus der via moderna. 1. Die spätere Thomistenschule (gemäßigter Realismus, 3 [110 f.]). Johannes Capreolus (1380–1444) »princeps thomistarum«; W: Libri quattuor Defensionum theologiae divi doctoris Thomae de Aquino. Antonin von Florenz (1389– 1459) Anwendung des Thomismus auf Sozialethik und Volkswirtschaft. Dionysius der Kartäuser (1403–1471) fruchtbarer Schriftsteller; Mystiker. In Paris (wo insbesondere auch Francisco de Vitoria studierte) kommt es zur Verbindung mit der spanischen Scholastik. [121] 2. Die Skotistenschule: Franziskus von Marchia (um 1290–1344) Impetustheorie. Franciscus Mayronis (1280–1327). Walter Burley (Burleigh, ca. 1274 – nach 1343). Petrus Tartaretus (gestorben um 1522) Kommentare zu Scotus. Thomas Bradwardine (1290–1349) Mathematiker; Entdeckung der mathematischen Funktion als Mittel zur Beschreibung physikalischer Abhängigkeitsverhältnisse; lehrt im Gegensatz zu Scotus eine Determinierung des Willens durch Gott (Einfluss auf Wyclif und die Reformation). [122] c) Die Via Moderna: Auflösung der Synthese zwischen Glaube und Wissen 1. WILHELM VON OCKHAM (1285–1347) Franziskaner; Lehre: Konzeptualismus (3 Nominalismus); Kritik des Thomismus und Skotismus; die Intuition als natürliche Form menschlicher Erkenntnis; Gegenstand der Realwissenschaften sind nicht die Dinge (res) selbst, sondern die termini und propositiones in Vertretung der Dinge; Einschränkung der rationalen Psychologie und Theologie; die Glaubensartikel sind weder beweisbar noch Beweisprinzipien; Forderung der Denkfreiheit für die Philosophie; das Sittengesetz (später mit Ausnahme der Liebe Gottes) nur im Willen Gottes begründet; W: Sentenzenkommentar (um 1320); Summa logicae; Kommentare zu Porphyrius und zu logischen und naturphilosophischen Schriften des Aristoteles; theologische, kirchenpolitische und antipäpstliche Schriften. [123] 2. Die nominalistische Schule: Verstärkung der kritischen und skeptischen Tendenzen. Gregor von Rimini (1300–1358). Johannes von Mirecourt (1300–1349) Gott ist Ursache der Sünde. Nikolaus von Autrecourt (1300–1350) der Satz vom

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Widerspruch und die innere Erfahrung sind die einzigen Prinzipien der Erkenntnis; Leugnung der Evidenz des Kausalitätsprinzips; Leugnung der Substanzerkenntnis (außer das Ich); Atomismus und Mechanismus; viele seiner Sätze sind kirchlich verurteilt. Beschäftigung mit den Naturwissenschaften (besonders in Paris und Oxford); teilweise Loslösung von Aristoteles und eigenständige Beobachtung; Vorspiel der quantitativen Methode, aber ohne Messungen. Johannes Buridan (etwa 1300–1358) Logiker und Physiker; Impetustheorie; Anwendung auf die Himmelsmechanik, wodurch die aristotelischen »Sterngeister« überflüssig werden; Einfluss durch Albert von Sachsen auf Leonardo da Vinci (1452–1519), auf Dominico de Soto (1494–1560) und Galilei 3 [133]. Unentscheidbarkeit der Frage, ob der Wille sich unter gleichen Umständen entscheiden könne; sonst gegen den Skeptizismus Ockhams. Nikolaus von Oresme (1330–1382) gilt als der bedeutendste volkswirtschaftliche Denker des 14. Jahrhunderts; bedeutend auch für Mathematik, Physik und Astronomie; Übernahme der Impetustheorie Buridans; Einbeziehung der mathematischen Unendlichkeit; Vorläufer von Kopernikus 3 [133] (durch seine Lehre von der täglichen Bewegung der Erde), von Descartes 3 [138] (durch die Erfindung der Koordinatengeometrie) und von Galilei 3 [133] (durch die Entdeckung der Fallgesetze). Albert von Sachsen (1316–1390) in der Logik Ockhamist. Weiterbildung der Logik (besonders in England). Pierre d’Ailly (1351–1420). Gabriel Biel (1415–1495) Darstellung des Ockhamismus; Einfluss auf Luther 3 [131]. Der spätere Averroismus (bis ins 17. Jahrhundert) Strengere Richtung (mit Einschluss nicht-christlicher Lehren): Johannes von Jandun (1280–1328) Volkssouveränität als einzige Quelle der politischen Macht. Marsilius von Padua (1275–1342) W: Defensor pacis (gegen das Papsttum). Gemäßigtere Richtung (christianisierter Averroismus): Richard FitzRalph (1300–1360) identifiziert den intellectus agens mit Gott. John Baconthorpe (1290–1346). Die Mystik im späten Mittelalter Im Gefolge von Meister Eckhart 3 [115]: Erklärung des Meisters im kirchlichen Sinn; Zurücktreten des Spekulativen. Johannes Tauler (1300–1361) ethisch gerichtete Mystik; Predigten. Heinrich Seuse (um 1295–1366) W: Das Büchlein der Wahrheit; Büchlein der Ewigen Weisheit. »Eine deutsche Theologie« (anonym; 1516 hg. v. Luther). Jan van Ruysbroeck (1293–1381) W: Das Königreich der Liebhaber Gottes; Die Zierde der geistlichen Hochzeit (Hauptwerk); Das Buch von den zwölf Beghinen. Im Gefolge der Viktoriner 3 [97] und Bonaventuras 3 [105]: Job Gerson (1363– 1429) Schüler von d’Ailly; Gegner von van Ruysbroeck; von den Nominalisten fälschlich für ihre Schule in Anspruch genommen; betont dementgegen die Freiheit Gottes in der Schöpfung gegen den platonischen Ultrarealismus; Kritik unberechtigter Methodenübertragung; fordert Krönung der scholastischen durch die mystische Theologie.

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3. Kontroverse über den Erkenntnischarakter der Mystik: Vinzenz von Aggsbach (gestorben 1464) Erhebung zu Gott ohne Erkenntnis. Nikolaus von Kues 3 [135].

Philosophie der Neuzeit [129]

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A. Bis zu Kants Revolution in der Philosophie (1450–1781) I. Zeit des Übergangs (1450–1640) a) Zeitbedingungen 1. Äußere Bedingungen: Entwicklung der Nationalstaaten; Entdeckung neuer Länder und Völker; Buchdruckerkunst. 2. Innere Bedingungen: Humanismus und Renaissance; Reformation und Gegenreformation; Entwicklung der Naturwissenschaften, wachsender Individualismus. b) Fortsetzung der alten Philosophie 1. Spanische Scholastik (nach dem Ursprungsland der Erneuerung des scholastischen Denkens); kritische und selbstständige Beschäftigung mit der scholastischen Tradition; Anwendung auf neue Fragen, besonders der Gesellschaftsund Staatsphilosophie; gepflegtere Sprache. Dominikaner: Peter Crockaert (1465–1514). Dessen Schüler Francisco de Vitoria (1483–1546) Urheber der neuen Bewegung in Salamanca; W: De iure belli (Kriegsrecht). Seine Schüler: Domingo de Soto (1494–1560) und Melchior Cano (1509–1560) W: De locis theologicis (theologische Quellen- und Methodenlehre). Domingo Báñez (1528–1604). Die großen Kommentare zu Thomas von Aquin: zur Summa theologiae (1507–1522) von Tommaso de Vio (Cajetanus, 1469–1534); zur Summa contra Gentiles (1516) von Franciscus de Sylvestris (Ferrariensis, 1474–1528). Jesuiten: »Cursus Conimbricensium« (Coimbra). Franciscus Toletus (1532– 1596) Schüler Sotos. Petrus Fonseca (1528–1599). Gregor von Valencia (1549– 1603). Jacob Ledesma (1519–1575). Gabriel Vázquez (1549–1604). Luis de Molina (1535–1600) 3 Molinismus. Juan de Mariana (1536–1624) Theologe und Historiker; W: De rege et regis institutione (bedingte Erlaubtheit des Tyrannenmords). FRANCISCO SUÁREZ (1548–1617) Theologe und Philosoph; W: Disputationes metaphysicae (erstes systematisches Lehrbuch der scholastischen Metaphysik mit umfassender Verwertung der philosophischen Tradition); Ergänzung durch De anima (Seelenlehre); De legibus (Rechtsphilosophie, Staatsund Völkerrecht) 3 Suarezianismus; Einfluss auf die katholische und protestantische Scholastik und Leibniz 3 [141]. 2. Protestantische Scholastik Martin Luther (1483–1546) vom Nominalismus, Augustinus und der Mystik beeinflusst; schroffe Ablehnung der Philosophie; W: De servo arbitrio (Gott ist der bestimmende Grund alles Geschehens). Philipp Melanchthon (1497–1560) Begründer der protestantischen Scholastik; eklektischer Aristotelismus.

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3. Rückkehr zur antiken Philosophie [132] Platoniker: In Italien: Georgios Gemistos (Plethon, 1355–1452). Basilius Bessarion (1403– 1472). Marsilio Ficino (1433–1499) Seele der Platonischen Akademie in Florenz; Übersetzungen; W: Theologia Platonica. Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494) vermittelt mit Aristoteles. In Deutschland: Johannes Reuchlin (1455–1522) Einfluss der Kabbala. Erasmus von Rotterdam (1466–1536). Ulrich Zwingli (1484–1531) Reformator; W: Sermonis de providentia Dei anamenema (Pantheismus mit stoischen Elementen). Aristoteliker: Ausrichtung an Averroes oder Alexander Aphrodisias. Letzterem folgt Petrus Pomponatius (Pomponazzi, 1462–1525) W: De immortalitate animae (gegen die substantielle Unsterblichkeit). Jacobus Zabarellus (1533– 1589). Stoiker: Justus Lipsius (1547–1606). Epikureer: Laurentius Valla. Petrus Gassendi. Skeptiker (in Verbindung mit stoischer Lebensphilosophie): Michel de Montaigne (1533–1592) W: Essais. Pierre Charron (1541–1603) W: Traite de la sagesse. [133] c) Erste Versuche einer Neugestaltung 1. Humanistische Dialektik: Laurentius Valla (1407–1447) W: Dialecticae disputationes contra Aristotelicos. Petrus Ramus (1515–1572) W: Dialecticae institutiones (rhetorische Dialektik). 2. Naturphilosophie und Naturwissenschaft Naturphilosophie: unmittelbare Hingebung an die Natur; unkritische Verallgemeinerungen; Verschmelzung mit mystisch-religiösen Elementen. In Italien: Gerolamo Cardano (1501–1576). Bernardino Telesio (1509–1588). Franciscus Patricius (1529–1597). Tommaso Campanella. Giordano Bruno. In Deutschland: Theophrastus Paracelsus (1493–1541) innige Verbindung von Natur und Mensch. Johan Baptista van Helmont (1580–1644). Daniel Sennert (1572–1637) Korpuskulartheorie. Joachim Jungius (1587–1657). In Frankreich: Sebastian Basso (1550–1600) W: Philosophia naturalis adversus Aristotelem (erste physikalische Atomistik). Johannes Chrysostomus Magnenus (1590–1679). Petrus Gassendi (1592–1655) W: Syntagma philosophiae Epicurii (versucht das Christentum mit der Atomistik Epikurs zu verbinden). Marin Mersenne (1588–1648) verteidigt die mathematischen Wissenschaften gegen die Skeptiker; Freund von Descartes 3 [138]. Naturwissenschaft: auf dem Experiment und der Mathematik gründend. Nikolaus Kopernikus (1473–1543) Begründer des heliozentrischen Systems. Tycho Brahe (1546–1601). Johannes Kepler (1571–1630) Keplersche Gesetze. Galileo Galilei (1564–1642) exakte Begründung der Naturwissenschaft; Subjektivität der (sekundären) Sinnesqualitäten. [134] 3. Mystische Theosophie Agrippa von Nettesheim (1486–1535) Okkultist und Neuplatoniker. Sebastian Franck (1499–1542) von aller Autorität unabhängige Religiosität. Valentin Weigel (1533–1588) Entwurf einer panentheistischen Mystik. Jakob Böhme (1575–1624) Schuhmacher; Höhepunkt der deutschen Theo-

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sophie; Synthese deutscher Naturphilosophie und reformatorischer Gläubigkeit; Gott als Wille des Ungrundes, der den ewigen Prozess des Werdens einleitet; Gutes und Böses quellen aus dem Ungrund; Ja und Nein sind eins; Einfluss auf Angelus Silesius 3 [141] und Schelling 3 [158]. Metaphysik NIKOLAUS VON KUES (Cusanus, 1401–1464) erster großer deutscher Philosoph der Neuzeit; christlich-scholastische Weltansicht; aber mit Problemen und Programmen, die in die Neuzeit weisen; unter dem Einfluss des Neuplatonismus und der deutschen Mystik; Mittelglied zwischen Eckhart 3 [115] und Leibniz 3 [141]; der Verstand, der nur auf endliche Gegenstände geht, kann von Gott nur ein Nichtwissen haben, die Vernunft hingegen, die die Gegensätze zur Einheit zusammenzuschauen vermag, gewinnt so eine gewisse Erkenntnis des Unendlichen (das eine coincidentia oppositorum oder höhere Einheit der Gegensätze ist) i. e. docta ignorantia (Wissenschaft des Nichtwissens); Anwendung dieser Prinzipien auf die Welt, die als Wirkung Gottes an seiner Unerkennbarkeit teilhat (De coniecturis); W: De docta ignorantia; De coniecturis; De quaerendo Deum; De visione Dei; De possest; De venatione sapientiae. Giordano Bruno (1548–1600) Dichter und Philosoph; das erste durchgeführte pantheistische System der Neuzeit; unter dem Einfluss von Nikolaus von Kues; leidenschaftlich und maßlos; die Natur ist ewig, sie wirkt durch die ihr innewohnende Weisheit, indem sie vom Unvollkommenen zum Vollkommenen fortschreitet, bewirkt sie sich selbst, vielfältig ist ihr Werk, aber einfach ihre Ordnung; das Universum, das aus einer körperlichen und unkörperlichen Substanz besteht, ist eins und unendlich; die sichtbare Welt ist kein Teil des Universums, sie ist beseelt (Schwankungen und Unklarheiten); W: De la causa, principio e uno (metaphysisches Hauptwerk); De l’infinito, universo e mondi; De gli eroici furori (Moralphilosophie); Il triplici minimo et la misura ad trium Speculatiuarum. Rechts- und Staatsphilosophie Niccolò Machiavelli (1469–1527) W: Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio; Il Principe (Primat des Politischen vor dem Sittlichen und Religiösen). Thomas Morus (1478–1535) W: Utopia (Staatsroman; gemäßigter Kommunismus). Jean Bodin (1529–1596) Souveränitätsbegriff. Roberto Francesco Romolo Bellarmino (1542–1621) W: Disputationes de controversiis christianae fidei adversus hujus temporis haereticos; Tractatus de potestate summi pontificis in rebus temporalibus (Kirche und Staat). Richard Hooker (1554– 1600) Naturrecht; anglikanisches Kirchenrecht. Johannes Althusius (1563– 1638) Volkssouveränität. Tommaso Campanella (1568–1639) W: Sonnenstaat. Hugo Grotius (1583–1645) Klassiker des Natur- und Völkerrechts; W: Mare liberum; De jure belli ac pacis. Religionsphilosophie Bodin Naturreligion und Toleranz. Herbert of Cherbury (1583–1648) W: De veritate (System einer rationalistischen Naturreligion). Reform der Wissenschaften Ludovicus Vives (1492–1540) W: De disciplinis libri XII (Wissenschaftskritik); De anima et vita libri tres (empirische Seelenlehre; Assoziationsgesetz).

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Abriss der Geschichte der Philosophie Francis Bacon von Verulam (1561–1626) Programm einer Reform der Wissenschaften, als Ziel der Wissenschaft die Dienstbarmachung der Welt; Trennung von Religion und Wissenschaft; induktive Methode, Ausgang von Beobachtung und Experiment; Bacon vermischt aber noch naturphilosophische und naturwissenschaftliche Anschauungen; dem Programm folgt keine Ausführung; W: De dignitate et augmentis scientiarum; Novum organum scientiarum. Francisco Sánchez (1550–1623) W: Quod nihil scitur (methodischer Zweifel).

II. Descartes und die konstruktiven Systeme des 17. Jahrhunderts [138] a) Bedingungen und Ziele der Periode 1. Bedingungen: Loslösung vom Weltbild der Scholastik; vorbereitet durch die Kritik und Skepsis der nominalistischen Spätscholastik; die Erfolge der Naturwissenschaften als Weg zur Autonomie der Vernunft, ihre mathematische Methode als Vorbild des philosophischen Denkens. 2. Ziele: eine Theorie über den allgemeinen mechanischen Zusammenhang der Natur, über das Verhältnis von Natur und Geist und eine erkenntnistheoretische Grundlegung der neuen Philosophie. b) RENÉ DESCARTES (1596–1650) Begründer der Philosophie der Neuzeit; er lebte nach längerem Militärdienst und Reisen in Holland; 3 Cartesianismus; W: Regulae ad directionem ingenii; Discours de la méthode; Meditationes de prima philosophia; Principia philosophiae; Les Passions de l’âme. Anhänger: Okkasionalisten 3 [142]; Oratorianer; Jansenisten: Antoine Arnauld (1612–1694) und Pierre Nicole (1625–1695) W: La Logique ou l’art de penser (Logik von Port-Royal). Weitere in Frankreich, Holland und Deutschland. Gegner: starker Widerstand der staatlichen und kirchlichen Autorität. Gisbert Voetius (1589–1676). Pierre Daniel Huet (1630–1721). Blaise Pascal (1623–1662) Mathematiker und Mystiker; mathematisches Ideal der Wissenschaft, aber Kritik des theologischen Rationalismus der Cartesianer; W: Pensées sur la religion et autres sujets. Pierre Bayle (1647–1706) Skeptiker; Trennung von Vernunft und Glauben; Autonomie der Vernunftmoral; W: Dictionnaire historique et critique. c) Umbildung des Cartesianismus: ausgehend vom Problem der ausgedehnten [139] und denkenden Substanz (Natur und Geist). 1. Aufhebung der geistigen Substanz: Anschluss an die mechanistische Naturphilosophie Descartes’; allgemeiner Mechanismus und Materialismus. THOMAS HOBBES (1588–1679) Philosophie = Körperlehre; Logik: Begründung des mathematischen Denkens aus nominalistischen Voraussetzungen; Subjektivität der Empfindungsqualitäten, mechanische Ideenassoziation; der Staat ist ein künstlicher, rational konstruierter Körper, seine Prinzipien sind der Erfahrung entnommen (das Streben nach Besitz und Macht sowie die Vernunft, die den gewaltsamen Tod zu vermeiden sucht); im Urzustand Krieg aller gegen alle; Übergang zum Staat durch Vertrag; absolute Staatsgewalt; Recht und Unrecht nur in Beziehung zum Staat; W: Elementa Philosophiae (de corpore; de homine; de cive); Leviathan (Staatslehre); Einfluss nicht weitreichend;

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in England starke idealistische Gegenströmung im Platonismus der Cambridge Schule (Ralph Cudworth, 1617–1688). Aufhebung der materiellen Substanz: im Anschluss an die Bewusstseinsanalyse Lockes. Berkeley 3 [144]. Aufhebung der Dualität der Substanzen: Monistische Lösung: im Anschluss an die Substanzdefinition Descartes’ (ein Ding, das so existiert, dass es zu seiner Existenz keines anderen Dinges bedarf: Pantheismus). BARUCH (Benedictus) DE SPINOZA (1632–1677) 3 Spinozismus; W: Ethica, ordine geometrico demonstrata (streng mathematische Methode mit Definitionen, Axiomen und Lehrsätzen); Einfluss auf Herder, Goethe, Schleiermacher, Schelling, Hegel, den psychophysischen Parallelismus und die rationalistische Bibelkritik. Pluralistische Lösung: Monadologie und prästabilierte Harmonie. GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ (1646–1716) Universalgelehrter, Politiker und Philosoph; Organisation der Wissenschaften durch Begründung und Anregung von Akademien; Streben nach Ausgleich und Versöhnung von Theorie und Praxis; mathematisch-mechanische und organische Naturbetrachtung (Naturwissenschaft und Geschichte, Universalität und Individualität, Glaube und Wissen); 3 Monade, 3 Optimismus, 3 Logik; W: Discours de métaphysique; Système nouveau de la nature et de la communication des substances; Principes de la Nature et de la Grâce fondés en Raison – Monadologie; Nouveaux Essais sur L’entendement humain; Essais de théodicée; De arte combinatoria (Prinzipien der Logik); Einfluss auf Wolff, Bolzano, Teichmüller, Herbart, Lotze. Zeitgenossen von Leibniz: Johann Amos Comenius (1592–1670) bedeutender Pädagoge und Didaktiker. Angelus Silesius (Johannes Scheffler, 1624–1677) Mystiker; W: Cherubinischer Wandersmann oder Geistreiche Sinn- und Schlussreime. Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (1651–1708) W: Medicina Mentis (behandelt die Logik als Erfindungskunst). Samuel Pufendorf (1632–1694) Verdienst um das Natur- und Völkerrecht; W: De iure naturae et gentium libri octo. Christian Thomasius (1655–1728) Vorläufer der Aufklärung; W: Fundamenta iuris naturae et gentium. Giovanni Battista Vico (1668–1744) Programm einer Geschichtsphilosophie und Völkerpsychologie; W: Principi di una scienza nuova d’intorno alla commune natura delle nazioni. Aufhebung der Wechselwirkung der Substanzen: Problem des physischen Zusammenhangs: Okkasionalismus (3 Okkasionalismus) Vorläufer: Basso 3 [133]. Johannes Clauberg (1622–1665). Louis de la Forge (1632–1666). Géraud de Cordemoy (1626–1684). Ausgebildetes System: Arnold Geulincx (1624–1669) W: Ethica. Problem des intentionalen Zusammenhangs: Ontologismus (3 Ontologismus). Nicolas Malebranche (1638–1715) W: De la recherche de la vérité. Die Scholastik im Zeitalter des Cartesianismus Fortsetzung der Schulen: Thomisten: Dominikaner: Johannes a S. Thoma (1589–1644) W: Cursus philosophicus. Antoine Goudin (1639–1695). Unbeschuhte Karmeliten: Antonius

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a Matre Dei (1583–1637) W: Cursus Salmanticensis. Philippus a SS. Trinitate (1589–1671) W: Summa philosophiae. Benediktiner: Kardinal Joseph Sáenz de Aguirre (1630–1699) W: Philosophia Nova-antiqua. Ludwig Babenstuber (1660–1726) W: Philosophia Thomistica Salisburgensis. Skotisten (viele Franziskaner, andere folgen Bonaventura oder Thomas): Lucas Wadding (1588–1657) Begründer der Neublüte des Skotismus. Bartholomaeus Mastrius (1602–1673). Bonaventura Belluti (1600–1676). Johannes Poncius (1603–1673) W: Integer philosophiae cursus ad mentem Scoti. Suarezianer (meist Jesuiten): Cosmo Alamanni (1559–1634) W: Summa philosophiae D. Thomae Aquinatis Doctoris Angelici. Kardinal Juan de Lugo (1583–1660) W: De iustitia et iure. Freier Aristotelismus (einige Jesuiten): Petrus Hurtado de Mendoza (1573– 1634). Rodrigo de Arriaga (1592–1667) W: Cursus philosophicus. Francisco de Oviedo (1602–1651). 2. Lehrstoff: weniger Kommentare (zu Aristoteles, Thomas), mehr systematische Cursus- und Einzeldarstellungen. Zur Geschichte der Philosophie: Bartolomé Pou (Bartholomaeus Povius, 1727–1802). Steinacker. Philippe Couplet (1640– 1693) W: Confucius Sinarum Philosophus. 3. Auseinandersetzung mit dem Cartesianismus und der modernen Naturwissenschaft: Mersenne 3 [133]. Emmanuel Maignan (1601–1676). Honoré Fabri (1607–1688). Kardinal Giovanni Battista Tolomei (1653–1726) W: Philosophia mentis et sensuum. Jean-Baptiste du Hamel (Duhamel, 1624–1706) W: Philosophia vetus et nova ad usum scholae accommodata. III. Die Philosophie der Aufklärung (18. Jahrhundert) [144] Anspruch auf restlose Durchdringung der gesamten Wirklichkeit und Regelung aller Lebensverhältnisse durch bloße Vernunft 3 Aufklärung. a) Die Aufklärung in England und Schottland 1. Empirismus JOHN LOCKE (1632–1704) Begründer der Aufklärung; W: An Essay concerning Human Understanding (es gibt keine angeborenen Ideen; alle Vorstellungen stammen aus der äußeren oder inneren Erfahrung; Nominalismus; Substanz = unbekannter Träger wahrgenommener Eigenschaften; es ist nicht undenkbar, dass Gott der Materie die Fähigkeit des Denkens gebe); Some Thoughts Concerning Education (Ideal des Gentleman); The Reasonableness of Christianity, as Delivered in the Scriptures; A Letter Concerning Toleration (ausgeschlossen werden Atheisten und Katholiken); Two Treatises of Government (der Staat ist zur Wahrung der allgemeinen Freiheit und Gleichheit geschaffen). Weiterbildung Locke’scher Ideen im Sinne des Materialismus: David Hartley (1705–1757) Assoziationspsychologie; fester Zusammenhang der psychischen und physiologischen Prozesse. Joseph Priestley (1733–1804) volle Identität des Psychischen und Physiologischen unter Beibehaltung der Unsterblichkeit der Seele. im Sinne des Spiritualismus: Richard Burthogge (1638–1704). Arthur Collier (1680–1732). George Berkeley (1685–1753) W: A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge (unseren Empfindungen entsprechen keine

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materiellen Gegenstände; diese sind bloße Vorstellungen, die von Gott in geordneter Weise in uns hervorgebracht werden = akosmistischer Idealismus). Hume 3 [147]. Naturwissenschaft und Naturphilosophie Robert Boyle (1627–1691) Begründer der Chemie; atomistische Körpertheorie in Verbindung mit ideologischer Weltanschauung. Isaac Newton (1642–1727) der absolute Raum ist das grenzenlose, gleichartige Sensorium der Gottheit; W: Philosophiae Naturalis Principia Mathematica (Gravitationstheorie; Abschluss der mechanistischen Weltansicht; methodisches Vorbild der Philosophen). Religionsphilosophie: Deismus 3 [137]; Kritik aller positiven Religionen (»Freidenker«) durch die natürliche Vernunftreligion. William Paley (1743– 1805) Vergleich Gottes mit einem Uhrmacher. John Toland (1670–1722) Pantheist. Anthony Collins (1676–1729). Matthew Tindal (1657–1733). Henry St. John Bolingbroke (1678–1751). Moralphilosophie: Locke 3 [144]: Gründung der Sittlichkeit auf Lust und Schmerz als Folgen unserer Handlungen. Richard Cumberland (1631–1718) gut ist, was dem allgemeinen Wohl dient. Anthony Ashley Cooper of Shaftesbury (1671–1713) gut ist, was der Harmonie der Persönlichkeit dient; Begründung aus der inneren Erfahrung; W: Inquiry concerning Virtue (Betrachtung der Tugend unabhängig von der Religion); The Moralists, a Philosophical Rhapsody (künstlerische Betrachtung von Welt und Leben; Identität von Tugend und Schönheit). Anhänger: Joseph Butler (1692–1752). Francis Hutcheson (1694–1746). Einfluss auf Voltaire, Rousseau, die deutsche Klassik und Romantik. Paley 3 [145]: Utilitarismus. Bernard de Mandeville (1670–1733) Prinzip des Egoismus. Samuel Clarke (1675–1729) objektives Moralprinzip; gut ist die Handlung, die ihrem Gegenstand gemäß ist. Ästhetik: Shaftesbury. Henry Home Kames (1696–1782). Edmund Burke (1729–1797). DAVID HUME (1711–1776) Abschluss der Aufklärung in England; Empirismus und Skepsis; Auflösung des Substanz- und Kausalitätsbegriffs; das Ich ein Vorstellungsbündel; alle Handlungen sind durch Dispositionen bestimmt; die Sittlichkeit beruht auf dem angeborenen Wohlwollen; sittlich gut ist das wahrhaft Nützliche; Betonung der moralischen Gefühle; die Religion ist aus den Bedürfnissen des Gemüts hervorgegangen; ihre erste Form ist der Polytheismus; W: A Treatise of Human Nature; An Enquiry concerning Human Understanding; An Enquiry Concerning the Principles of Morals; Essays, Moral and Political; The Natural History of Religion; Dialogues concerning Natural Religion. Weiterbildung: Adam Smith (1723–1790) bedeutender Nationalökonom. Gegner: die schottische Philosophie; um dem Skeptizismus zu entgehen, nahm sie in Analogie zum moralischen Gefühl Humes u. a. ein unmittelbares Beurteilungsvermögen für das Wahre an (Common Sense oder gesunder Menschenverstand). Vorläufer: Claude Buffier (1661–1737) W: Traité des vérités premières. Thomas Reid (1710–1796) W: An Inquiry Into the Human Mind on the Prin-

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ciples of Common Sense. Wirkung auf Jacobi 3 [156]. James Beattie (1735– 1803). Dugald Stewart (1753–1828). Thomas Brown (1778–1820). James Mackintosh (1765–1832). Die Aufklärung in Frankreich Fortschreitende Loslösung von der Macht der historisch gewordenen Institutionen: Religion, Staat, Wissenschaft und Kunst. Vorspiel zur Französischen Revolution. Einführung des englischen Empirismus, vorbereitet durch Bayle 3 [138]. Pierre de Maupertuis (1698–1759) Deismus; Einführung Newtons in Frankreich. Voltaire (François Marie Arouet) (1694–1778) Inbegriff und Führer der französischen Aufklärung; Übergang vom Optimismus zum Pessimismus, vom Indeterminismus zum Determinismus, vom Vernunftwissen zur Skepsis; Festhalten am Gottesglauben aufgrund des sittlichen Gefühls; W: Essai sur l’histoire générale et sur les mœurs et l’esprit des nations; Dictionnaire philosophique portatif. Charles de Montesquieu (1698–1755) verpflanzt die politischen Lehren Englands nach Frankreich; W: De l’esprit des lois. François VI. de La Rochefoucauld (1613–1680). Jean de La Bruyère (1645– 1696) die Eigenliebe als Quelle aller Handlungen; W: Les caractères. Charles Bonnet (1720–1793) W: Essai analytique sur les facultés de l’âme. Luc de Clapiers Vauvenargues (1715–1747) W: Introduction à la connaissance de l’esprit humain. Ausbildung des vollen Materialismus: Julien Offray de La Mettrie (1709– 1751) W: L’Homme-machine. Paul-Henri Thiry d’Holbach (1723–1789) W: System der Natur oder von den Gesetzen der physischen und der moralischen Welt (Hauptwerk des französischen Materialismus und Atheismus). ClaudeAdrien Helvétius (1715–1771) W: De l’esprit. Denis Diderot (1713–1784) Begründer und Leiter der »Encyclopédie«. Étienne Bonnot de Condillac (1715– 1780) konsequenter Sensualismus; Annahme einer immateriellen Seele; W: Traité des sensations. Übergang zum Positivismus: Jean-Baptiste d’Alembert (l717–1783) Mitherausgeber der »Encyclopédie«; W: Discours préliminaire; Essai sur les éléments de philosophie (Umbildung des Materialismus zum Positivismus). Anne Robert Jacques Turgot (1727–1781) bedeutender Wirtschaftsphilosoph. Naturwissenschaft und Naturphilosophie: Bosˇkovic´ 3 [154]; Georges-Louis Le Sage (1724–1803) Versuch einer Erklärung der Gravitation. JEAN-JACQUES ROUSSEAU (1712–1778) Abschluss und Überwindung der französischen Aufklärung; Wahrung der Rechte des Herzens gegenüber dem Verstand; W: Diskurs über die Wissenschaften und Künste; Diskurs über den Ursprung und die Gründe der Ungleichheit unter den Menschen; Vom Gesellschaftsvertrag; Émile oder Über die Erziehung (darin das Glaubensbekenntnis des Savoyischen Vikars). Die Aufklärung in Deutschland (3 Rationalismus) CHRISTIAN WOLFF (1679–1754) Eklektiker; maßgeblich von Leibniz 3 [141] beeinflusst; systematische Durchführung des Rationalismus mit sittlichem Endzweck; bedeutsam für die deutsche philosophische Terminologie; Univer-

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d) 1. 2.

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salgelehrter mit größtem Einfluss auf seine Zeit; W: Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt. Anhänger Wolffs: Georg Bernhard Bilfinger (1693–1750). Johann Christoph Gottsched (1700–1766). Martin Knutzen (1713–1751) Lehrer von Kant 3 [155]. Alexander Gottlieb Baumgarten (1714–1762) Begründer der deutschen Ästhetik. Gegner von Leibniz und Wolff: Christian August Crusius (1715–1775). Leonhard Euler (1707–1783) Mathematiker; Äther- und Raumtheorie. Gottfried Ploucquet (1716–1790) Weiterentwicklung des logischen Kalküls. Johann Heinrich Lambert (1728–1777) Naturforscher und Philosoph; W: Neues Organon; Anlage zur Architektonik. Weitere Verbreitung der Aufklärung: Hermann Samuel Reimarus (1694– 1768) Deist. Moses Mendelssohn (1729–1786). Christoph Martin Wieland (1733–1813). Friedrich der Große (1712–1786) W: Anti-Macchiavell. Christian Garve (1742–1788). Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) W: Die Erziehung des Menschengeschlechts; Laokoon; Hamburgische Dramaturgie. Johannes Nikolaus Tetens (1736–1807): bedeutsam für die Entwicklung der empirischen Psychologie; Unterscheidung von drei Vermögen: Gefühl, Verstand, Wille; W: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwicklung. Johann Georg Sulzer (1720–1779) Psychologie des künstlerischen Schaffens. Johann Bernhard Basedow (1724–1790) Pädagoge. Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827) Überwinder der Aufklärung auf dem Gebiet der Pädagogik; selbständige Umbildung Rousseaus 3 [152]; W: Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts; Wie Gertrud ihre Kinder lehrt. Die Scholastik im Zeitalter der Aufklärung Freier Aristotelismus: Luis de Losada (1681–1748) W: Cursus philosophicus. Ant Mayr (gestorben 1749). Berührung mit der neuzeitlichen Philosophie: Versuch eines Ausgleichs der aristotelischen Metaphysik mit der modernen Naturauffassung (Atomismus vs. Hylemorphismus; mathematische Methode), zum Teil unter Preisgabe scholastischer Lehren. Benediktiner: Ulrich Weiß (1713–1763) W: De emendatione intellectus humani. Berthold Vogl (1706–1771). Franziskaner: Fortunatus von Brestia (1701–1754). Jesuiten: Rugjer Josip Bosˇkovic´ (1711–1787) dynamischer Atomismus; W: Theoria philosophiae naturalis redacta ad unicam legem virium in natura existentium. Sigismund (Sigmund) von Storchenau (1731–1797) W: Institutiones Logicae et Metaphysicae; Philosophie der Religion. Jakob Anton Zallinger zum Thurn (1735–1813) Interpretatio naturae seu Philosophia Newtoniana Methodo exposita. Guillaume-François Berthier (1704–1782). Benedikt Stattler (1728–1797) W: Philosophia methodo scientiis propria explanata; Anti-Kant. Dominikaner: Salvatore Roselli (1722–1785) W: Summa philosophica ad mentem Angelici Doctoris. Andere: Eusebius Amort (1692–1775). Hyacinthe Gerdil (1718–1802).

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Abriss der Geschichte der Philosophie

B. Kant und das Zeitalter des Deutschen Idealismus (1781 bis Mitte des 19. Jahrhunderts) I.

a) 1.

2. 3.

b)

[155]

Der Kritizismus (bzw. die moderne Transzendentalphilosophie) Das transzendentale Subjekt bleibt in der Schwebe zwischen dem Allgemeinmenschlichen und dem Absoluten. IMMANUEL KANT (1724–1804) Bezugspunkt der gesamten neueren Philosophie Auf dem Weg zum Kritizismus: Das Ideal der mathematischen Naturwissenschaft; die Notwendigkeit eines Ausgleichs zwischen dogmatischem Rationalismus (Wolff) und skeptischem Empirismus (Hume); Einflüsse insbesondere der schottischen Moralisten und Rousseaus. Lehre: Kritizismus (3 Transzendentalphilosophie), 3 Ding an sich, Antinomien, 3 Kategorischer Imperativ, 3 Pflicht. Werke: Vorkritische Periode: Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes; Träume eines Geistersehers; De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis. Kritische Periode: Kritik der reinen Vernunft (»Kopernikanische Wende«, 1 1781 bzw. überarbeitet 2 1787); Prolegomena; Grundlegung zur Metaphysik der Sitten; Die metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft; Kritik der praktischen Vernunft; Kritik der Urteilskraft; Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft; Die Metaphysik der Sitten. Erste Aufnahme und Umbildung des Kritizismus: [156] Gottlob Ernst Schulze (Aenesidemus, 1761–1833) Kritik am Begriff der Affektion. Karl Leonhard Reinhold (1757–1823) Versuch, Sinnlichkeit und Verstand aus einem Vorstellungsvermögen abzuleiten. Ähnlich Johann Georg Hamann (1730–1788) erste Metakritik. Salomon Maimon (1753–1800) Kritik am Ding an sich, Ausscheidung der Affektion. Ähnlich: Jakob Sigismund Beck (1761–1840). Christoph Gottfried Bardili (1761–1808) Realidealismus. Friedrich Heinrich Jacobi (1743–1819) Begründer der »Glaubensphilosophie« (unmittelbare Gewissheit von der Realität der Außenwelt und vom Übersinnlichen); These vom Widerspruch in der kantischen Affektionstheorie; nach Jacobi führt das folgerichtige Denken zum Spinozismus, den er jedoch verwirft, da er den Bedürfnissen des Gemütes widerstreite; Vorläufer der 3 Dialogphilosophie. Johann Gottfried Herder (1744–1803) gegen Kants Apriorismus; theistisch umgedeuteter Spinozismus; Begründer der deutschen Geschichtsphilosophie; W: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit; Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft. Herder ist ferner einer der vier Hauptvertreter der »Weimarer Klassik« neben Johann Wolfgang Goethe (1749–1832), Wieland 3 [153] und Friedrich Schiller (1759–1805) W: Über Anmut und Würde; Briefe über ästhetische Erziehung; Über naive und sentimentalische Dichtung.

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[157] II. Pantheistische Weiterbildung der Transzendental-Philosophie Das transzendentale Subjekt wird als das Absolute betrachtet. a) Idealistische Systeme: das Absolute als Vernunft – der sogenannte 3 Deutsche Idealismus (1794–1854). 1. JOHANN GOTTLIEB FICHTE (1762–1814) Primat der praktischen Vernunft; Problematik des Verhältnisses von Ich, Wissen und Absolutem; Lehre: 3 Deutscher Idealismus; W: Versuch einer Kritik aller Offenbarung (im Sinne Kants); Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794; entscheidend für die weitere Entwicklung des Idealismus, dialektische Methode, Lehre vom Ich, von der 3 Tathandlung und der intellektuellen Anschauung); Grundlage des Naturrechts; Das System der Sittenlehre; Die Bestimmung des Menschen; Der geschlossene Handelsstaat; Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung; Die Anweisung zum seligen Leben (mystisches Element). [158] 2. FRIEDRICH WILHELM JOSEPH SCHELLING (1775–1854) Lehre: 3 Deutscher Idealismus; vier Hauptperioden des Schaffens: Periode des Aufstiegs zur Identitätsphilosophie (1794–1800); Herausarbeiten von zwei komplementären Betrachtungsweisen (Natur- und Transzendentalphilosophie), Betonung des künstlerischen Schaffens; W: Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie; Vom Ich als Prinzip der Philosophie; Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kritizismus; Ideen zu einer Philosophie der Natur; Von der Weltseele; Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie; System des transzendentalen Idealismus. Periode der ausgebildeten Identitätsphilosophie (1800–1806): die absolute Vernunft als die totale Indifferenz des Subjekts und Objekts; W: Darstellung meines Systems der Philosophie; Bruno oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge; Über die Methode des akademischen Studiums. Periode der »positiven«, christlichen Philosophie: Philosophie der »Weltalter« (1806–1827), Welt und Geschichte sind aus dem Absoluten nicht ableitbar; W: Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit; Die Weltalter. Periode der Philosophie der Offenbarung (1827–1854): Unterscheidung von »negativer« (logischer) und »positiver« Philosophie; W: Philosophie der Mythologie und der Offenbarung. Einflüsse auf: Hegel 3 [161]. Krause 3 [166]. Schleiermacher 3 [170] (in der [159] früheren Periode). Franz von Baader (1765–1841) Theosoph; wirkte auch wieder auf Schelling zurück; vielfach Anschluss an Böhme 3 [134]; W: Vorlesung über spekulative Dogmatik. Wilhelm von Humboldt (1767–1835) Vertreter der klassischen Humanität; Ziel des Menschen ist die Ausbildung seiner Individualität zu einem harmonischen Kunstwerk; Grenze des Staates an der inneren Entwicklung der Individuen und Nationen; Erkenntnistheorie der Geschichte; Begründer der Sprachphilosophie (die Sprache ist Abbild der Struktur der Volksgeister); Reform des Bildungswesens (humanistisches Gymnasium); W: Über die KawiSprache; Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirklichkeit des Staates zu bestimmen; Über die Aufgaben des Geschichtsschreibers.

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Die Romantiker: [160] Friedrich Hölderlin (1770–1843) philosophischer Dichter; Jugendfreund von Hegel und Schelling; W: Hyperion. Friedrich Schlegel (1772–1829) wechselseitiger Einfluss mit Schelling und auf Hegel; W: Fragmente; Philosophische Vorlesungen von 1804–1806; Vorlesungen über die Philosophie des Lebens. Friedrich von Hardenberg (Novalis, 1772–1801) Dichter; enge Verbindung zu Schlegel; W: Heinrich von Ofterdingen; Fragmente. Andere: Fechner 3 [184]. Friedrich Ast (1778–1841). Lorenz Oken (1779– 1851). Joseph von Görres (1776–1848). Karl Gustav Carus (1789–1869) Psychologe; Kranioskop. Justinus Kerner (1786–1862) Okkultismus. Henrich Steffens (1773–1845). Karl Christian Planck (1819–1880). Constantin Frantz (1817–1891). 3. GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL (1770–1831) Problematik des [161] Verhältnisses von dialektisch-spekulativer Logik und Realphilosophie; Lehre: 3 Deutscher Idealismus. Vorsystematische Zeit (1793–1800): Religiöse, politische und historische Thematik; W: Jugendschriften (erst 1907 hg.). Kritische Schriften und Systementwürfe (1801–1806); W: Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie; Über das Wesen der philosophischen Kritik überhaupt; Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie; Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjektivität; Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts; Logik, Metaphysik, Naturphilosophie. Realphilosophie (1805/06): Versuch eines Systems der Wissenschaft; W: Phänomenologie des Geistes; Wissenschaft der Logik. Letzte Systemkonzeption (1817–1831): W: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften; Grundlinien der Philosophie des Rechts; Berliner Vorlesungen über Religion, Ästhetik, Weltgeschichte, Geschichte der Philosophie (postum nach Hörernachschriften ediert). 4. Hegel’sche Schule [162] Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts: Sogenannter »rechter Flügel«: Auslegung Hegels im Sinne des Theismus und der Orthodoxie: Georg Andreas Gabler (1786–1853). Hermann Friedrich Wilhelm Hinrichs (1794–1861). Carl Friedrich Göschel (1781–1861). Der frühe Bruno Bauer (1809–1882). Sogenannter »linker Flügel« oder die Junghegelianer: Auslegung Hegels im Sinne des Pantheismus: Friedrich Richter (1807–1848). Arnold Rüge (1802– 1880). Der spätere Bruno Bauer. Karl Ludwig Michelet (1801–1893). Vermittelnde Stellung: Johann Karl Wilhelm Vatke (1806–1882). Johann Karl Friedrich Rosenkranz (1805–1879) W: Hegels Leben. Der radikale linke Flügel mündet in den Materialismus 3 [175]. David Friedrich Strauß (1808–1874) W: Das Leben Jesu, Der alte und der neue Glaube. Ludwig Feuerbach (1804–1872) der Ursprung der Religion ist der Egoismus; W: Das Wesen des Christentums; Theogonie. KARL MARX (1818–1883) 3 Marxismus; W: Das Kapital; Das kommunistische Manifest. Friedrich Engels (1820–1895) W: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft;

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Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie; Die Dialektik der Natur (unvollendete Entwürfe). Max Stirner (Kaspar Schmidt, 1806–1856) Lehre vom absoluten Egoismus; W: Der Einzige und sein Eigentum. Weiterer Einfluss bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auf die Religionsphilosophie: Ferdinand Christian Baur (1792–1860) Begründer der (kritisch-theologischen) Tübinger Schule. Ludwig Noack (1819–1885). Rechtsphilosophie: Ferdinand Lassalle (1825–1864). Geschichte der Philosophie: Johann Eduard Erdmann (1805–1892). Kuno Fischer (1824–1907). Albert Schwegler (1819–1857). Karl von Prantl (1820– 1888) W: Geschichte der Logik im Abendland. Ästhetik: Heinrich Gustav Hotho (1802–1873). Karl Reinhold Köstlin (1819– 1894). Max Schasler (1819–1903). Friedrich Theodor Vischer (1807–1887) psychologische Behandlung der Ästhetik. Adolf Zeising (1810–1876) W: Die geistige Deutung des goldenen Schnitts. 5. Gegner Hegels Der Spätidealismus oder spekulative Theismus: Immanuel Hermann Fichte (1796–1879) Sohn von Johann Gottlieb Fichte 3 [157]; Rückkehr zum Theismus; Ausgang von der Erfahrung; W: Grundzüge zum System der Philosophie; System der Ethik; Anthropologie; Psychologie; Theistische Weltanschauung; Der neuere Spiritualismus. Hermann Ulrici (1806–1884) W: Gott und die Natur; Gott und der Mensch. Maximilian Perty (1804–1884) Schriften über Okkultismus; W: Über das Seelenleben der Tiere. Christian Hermann Weisse (1801–1866) engerer Anschluss an Hegel, aber in theistischer, christlicher Richtung und unter Verwertung der Erfahrung; W: System der Ästhetik; Grundzüge der Metaphysik; Philosophische Dogmatik. Rudolf Seydel (1835–1892) W: Religionsphilosophie im Umriss. Karl Friedrich Eusebius Trahndorff (1782–1863). Moritz Carriere (1817–1895) W: Die Kunst im Zusammenhang der Kulturentwickelung und die Ideale der Menschheit. Friedrich Julius Stahl (1802–1861) W: Die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht. Wilhelm Rosenkrantz (1821–1874) W: Die Wissenschaft des Wissens (im Anschluss an Aristoteles und die Scholastik); Die Prinzipien der Theologie; Philosophie der Liebe. Nachwirkung des spekulativen Theismus auf Lotze 3 [184]. Der Semirationalismus: katholische Versuche der Auseinandersetzung mit dem Deutschen Idealismus im 19. Jahrhundert; Unterordnung der christlichen Mysterien unter die Philosophie. Georg Hermes (1775–1831) W: Untersuchung über die innere Wahrheit des Christentums. v Baader 3 [159]. Anton Günther (1783–1863) war Gegner Hegels, obwohl er viel von ihm übernommen hat; W: Vorschule zur speculativen Theologie des positiven Christentums. Jakob Frohschammer (1821–1893) W: Die Phantasie als Grundprinzip des Weltprozesses; Monaden und Weltphantasie. Martin Deutinger (1815–1864) W: Grundlinien einer positiven Philosophie als vorläufiger Versuch einer Zurückführung aller Theile der Philosophie auf christliche Principien. Die Lehren von Hermes, Günther und Frohschammer wurden insgesamt kirchlich verurteilt.

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Abriss der Geschichte der Philosophie

Friedrich Adolf Trendelenburg (1802–1872) Rückkehr zu Aristoteles; organische Weltanschauung; W: Logische Untersuchungen; Naturrecht auf dem Grunde der Ethik; Historische Beiträge zur Philosophie. Einfluss auf Brentano 3 [193], Willmann 3 [274], Teichmüller 3 [184], Eucken 3 [183]. 6. Karl Christian Friedrich Krause (1781–1832) Panentheismus; Zweck der [166] Menschheit ist ein allgemeiner Menschheitsbund; großer Einfluss in Spanien; W: Vorlesungen über die Grundwahrheiten der Wissenschaft; Vorlesungen über das System der Philosophie; Abriss des Systems der Rechtsphilosophie oder des Naturrechts. Anhänger: Heinrich Ahrens (1808–1874) Ausbildung der Rechtsphilosophie. del Rio 3 [255]. b) Voluntarisches System: das Absolute als Wille bzw. Streben. [167] ARTHUR SCHOPENHAUER (1788–1860) anthropologische Deutung der Erkenntnislehre Kants; Lehre: Die Dinge als Erscheinungen sind bloße Vorstellungen; das Ding an sich ist Wille (Streben); der eine Wille objektiviert sich in den empirischen Dingen mittels der (platonisch gedachten) Ideen; die Kunst ist reine Darstellung der Ideen, während die Naturdinge sie nur getrübt verwirklichen; auf den höchsten Stufen der Verwirklichung des Willens tritt das Bewusstsein hervor; die Welt ist die schlechteste der möglichen; der Wille als Begehren ist Entbehren und Leid; die Kunst bringt nur zeitweilige Erhebung darüber; volle Erlösung nur durch die Askese, d. i. die völlige Ertötung des Willens zum Leben (Affinität zum Buddhismus); Fundament der Ethik ist das Mitleid; W: Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde; Die Welt als Wille und Vorstellung; Parerga und Paralipomena. Einfluss auf: Christian Martin Julius Frauenstädt (1813–1879). v Hartmann [168] 3 [185]; Richard Wagner (1813–1883). Der frühe Nietzsche 3 [196] (bei Wagner und Nietzsche das Christentum in der buddhistischen Entstellung Schopenhauers). Heinrich von Stein (1857–1887) W: Die Entstehung der neueren Ästhetik; Vorlesungen über Ästhetik. Julius Friedrich August Bahnsen (1830– 1881). Paul Deussen (1845–1919) W: Elemente der Metaphysik. Leopold Alexander von Schroeder (1851–1920). Ferdinand Tönnies (1855–1936) W: Gemeinschaft und Gesellschaft. III. Anthropologische Weiterbildung der Transzendentalphilosophie [169] Psychologische Deutung des transzendentalen Subjekts (3 Psychologismus). a) Jakob Friedrich Fries (1773–1843) die empirische Psychologie als Grundlagendisziplin der Philosophie; enger Anschluss an Kant; zum Wissen und Glauben tritt die »Ahndung« im religiös-ästhetischen Gefühl hinzu; rein kausale Auffassung der Geschichte; W: Neue oder anthropologische Kritik der Vernunft. Anhänger: Ernst Friedrich Apelt (1812–1859) W: Die Epochen der Geschichte der Menschheit; Metaphysik. Neue Fries’sche Schule 3 [179]. b) Friedrich Eduard Beneke (1798–1854) die Disziplinen der Philosophie sind angewandte empirische Psychologie (Methode ist tatsächlich mehr konstruktiv); individueller Charakter der Sittlichkeit auf der Grundlage des sittlichen Gefühls; Determinismus; W: Grundlegung zur Physik der Sitten; Lehrbuch der Psychologie als Naturwissenschaft; Grundlinien des natürlichen Systems der praktischen Philosophie. c) Schopenhauer 3 [167] in der Erkenntnislehre.

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IV. Realistische Weiterbildung des Kritizismus a) Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768–1834) Ideal-Realismus; Lehre: Die Formen der Sinnlichkeit und des Verstandes sind auch Formen der Realität; Wesen der Religiosität im Gefühl als unmittelbares Bewusstsein der Abhängigkeit von der Gottheit, d. i. von der unendlichen Einheit des Weltganzen; Religion und Wissenschaft sind unabhängig voneinander; die Dogmatik ist bloß Reflexion über das religiöse Gefühl; Ethik der Individualität und der Harmonie von Sinnlichkeit und Geist; W: Über die Religion; Monologen; Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre; Der christliche Glaube (Einfluss auf die protestantische Theologie). Anhänger: Christian August Brandis (1790–1867). Heinrich Ritter (1791– 1869). Beide sind Historiker der Philosophie. b) Johann Friedrich Herbart (1776–1841) auch im Anschluss an Platon und Leibniz 3 [141]; bedeutsam für Psychologie und Pädagogik; Lehre: Philosophie ist die Bearbeitung der Begriffe; die Logik zielt auf Deutlichkeit, die Metaphysik auf Berichtigung, die Ästhetik und Ethik auf Ergänzung durch Wertbestimmungen; philosophische Behandlung der Pädagogik; Theismus; Einfachheit und Unräumlichkeit der Seele; die Dinge bestehen aus einfachen realen Wesen mit je einer Qualität; W: Allgemeine Pädagogik; Allgemeine praktische Philosophie; Lehrbuch der Psychologie; Allgemeine Metaphysik; Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie. Schule: Heymann Steinthal (1823–1899) W: Abriss der Sprachwissenschaft. Hermann Bonitz (1814–1888). Moritz Wilhelm Drobisch (1802–1896). Wilhelm Fridolin Volkmann (1822–1877) W: Lehrbuch der Psychologie (mit historischen Nachweisen). Nicht strenge Herbartianer: Ludwig Adolf Heinrich von Strümpell (1812– 1899) W: Die Einleitung in die Philosophie vom Standpunkt der Geschichte der Philosophie; Pädagogische Pathologie. Theodor Waitz (1821–1864) W: Grundlegung der Psychologie; Anthropologie der Naturvölker. V. Im Gegensatz zu Kant: Rückgang auf Leibniz Bernard Bolzano (1781–1848) Mathematiker und Logiker; Lehre: Erneuerung der Monadologie; Theismus; Trennung von Logik und Psychologie; Lehre von den »Wahrheiten, Vorstellungen, Sätzen an sich«; W: Athanasia; Wissenschaftslehre; Paradoxien des Unendlichen. Einfluss auf Brentano 3 [193] und Husserl 3 [362].

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Abriss der Geschichte der Philosophie Mitte des 19. Jahrhunderts bis Anfang des 20. Jahrhunderts

A. Nachidealistische Philosophie im deutschsprachigen Raum I. a) 1.

2. 3.

b)

1.

2.

[173]

Im Gegensatz zur Transzendentalphilosophie: starker Einfluss der Naturwissenschaften Metaphysischer Gegensatz: Der Materialismus Zusammenhang mit dem radikalen Flügel der Hegel’schen Schule 3 [162]. Der Materialismus als Welterklärung Atomistisch-mechanische Weltauffassung: ausschlaggebende Lehren der Naturwissenschaft, Prinzip der Erhaltung der Energie. Julius Robert von Mayer (1814–1878). James Prescott Joule (1818–1889). v Helmholtz 3 [178]. Mechanische Auffassung des Lebens bei vielen Naturforschern. Emile Heinrich du Bois-Reymond (1818–1896). Rudolf Virchow (1821–1902). Darwins mechanische Entwicklungstheorie: Charles Darwin (1809–1882) 3 Evolution; W: On the origin of species; The descent of Man. Vertreter des mechanistischen Materialismus: Carl Vogt (1817–1895). Jakob Moleschott (1822–1893). Ludwig Büchner (1824–1899) W: Kraft und Stoff (Grundlagenwerk des Materialismus). Vertreter des dialektischen Materialismus (3 Dialektischer Materialismus): Lenin 3 [340]. Georg Klaus (1912–1974). Klaus Zweiling (1900–1968). Gegner des Materialismus (Gegenschriften): Frohschammer 3 [165]. Friedrich Michelis (1815–1886). Stöckl 3 [274]. Friedrich Fabri (1824–1891). Karl Snell (1806–1886). Matthias Jacob Schleiden (1804–1881). Georg von Hertling (1843–1919). Kurd Laßwitz (1848–1910). Lange 3 [178]. Der Materialismus als Soziallehre: 3 Sozialismus und 3 Marxismus. Der Materialismus als »Religion«: 3 Monismus. Eduard Löwenthal (1836–1917). Ernst Haeckel (1834–1919) W: Die Welträthsel. Weitere, teilweise unter Loslösung vom mechanistischen Materialismus: Heinrich Schmidt (1874–1935). Arthur Drews (1865–1935). Gegenschriften: Friedrich Klimke (1878–1924). Johannes Reinke (1849–1931). Bernhard Bavink (1879–1947). Eberhard Dennert (1861–1942). Antimetaphysischer Gegensatz [174] Der 3 Positivismus in Verbindung mit erkenntnistheoretischer Bemühung. Einfluss von Hume 3 [147], Berkeley 3 [144]; wenig Berührung mit dem französischen Positivismus 3 [217]. Reiner Positivismus: Ernst Laas (1837–1885) W: Idealismus und Positivismus. Theobald Ziegler (1846–1918) W: Geschichte der Ethik; Geschichte der Pädagogik; Die geistigen und socialen Strömungen des 19. Jahrhunderts. Friedrich Jodl (1849–1914) W: Kritik des Idealismus; Geschichte der Ethik; Lehrbuch der Psychologie. Eugen Dühring (1833–1921) W: Natürliche Dialektik; Kritische Geschichte der Philosophie; Kursus der Philosophie; Logik und Wissenschaftstheorie. Der Empiriokritizismus: Richard Avenarius (1843–1896) Rückkehr zum [175] naiven Realismus, der jenseits des Gegensatzes von Innen- und Außenwelt steht; Auflösung der Wirklichkeit in Empfindungsinhalte; W: Kritik der reinen

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Erfahrung; Der menschliche Weltbegriff. Ernst Mach (1838–1916) reiner Empirismus; auch die Physik hat es nur mit Empfindungen zu tun; die Naturgesetze sind bloß Abkürzungen für eine Vielheit von Erfahrungen (= Prinzip der Denkökonomie); W: Die Analyse der Empfindungen; Erkenntnis und Irrtum. Wilhelm Ostwald (1853–1932) Begründer der physikalischen Chemie; energetische Weltauffassung: alles Wirkliche besteht aus Energie; W: Vorlesungen über Naturphilosophie; Moderne Naturphilosophie. Theodor Ziehen (1862–1950) ein Teil unserer Empfindungsinhalte geht in das physikalische Weltbild ein (= reduzierte Empfindungen); sie gehen über das individuelle Bewusstsein hinaus; Assoziationspsychologie (Begründung der Psychophysik). 3. Die Immanenzphilosophie: Alle Wirklichkeit besteht als Bewusstseinsinhalt des Ich. Wilhelm Schuppe (1836–1913) Grundriss der Erkenntnistheorie und Logik. 4. Die Philosophie des Als-Ob: Die Erkenntnis besteht aus Fiktionen, deren Zweck die biologische Selbsterhaltung ist (3 Pragmatismus). Hans Vaihinger (1852–1933) Gründer der »Kantgesellschaft« und »Kant-Studien«; W: Die Philosophie des Als-Ob. 5. Der Neo-Positivismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts 3 [302]. II. Wiedererneuerung der Transzendentalphilosophie a) Neukantianismus: Vorherrschen der Erkenntnistheorie; Beibehaltung der mechanischen Naturauffassung. Erich Adickes (1866–1928) Kants Nachlass. 1. Physiologische Richtung (die Sinnesphysiologie als Bestätigung des Kritizismus): Hermann von Helmholtz (1821–1894) Physiker und Physiologe. Friedrich Albert Lange (1828–1875) W: Geschichte des Materialismus. 2. Realistisch-metaphysische Richtung: Otto Liebmann (1840–1912). Johannes Volkelt (1848–1930) W: Ästhetik des Tragischen; Gewißheit und Wahrheit. 3. Realistisch-positivistische Richtung: Alois Riehl (1844–1924) W: Der philosophische Kritizismus. Sein Schüler Richard Hönigswald (1875–1947) ist mehr idealistisch ausgerichtet. 4. Relativistische Umbildung Kants: Georg Simmel (1858–1918) pragmatistische Wahrheitstheorie; historisches Apriori; deskriptive Moralwissenschaft; W: Einleitung in die Moralwissenschaft; Die Probleme der Geschichtsphilosophie; Philosophie des Geldes; Lebensanschauung. 5. Psychologistische Umbildung Kants: Hans Cornelius (1863–1947) W: Transzendentale Systematik. Ernst von Aster (1880–1948). Die Neue Fries’sche Schule (3 [169]): Nelson 3 [304]. Rudolf Otto (1869–1937) W: Das Heilige. Gegner: Ernst Moses Marcus (1856–1928). Alfred Kastil (1874–1950). Fries nahestehend: Theodor Eisenhans (1862–1918) W: Fries und Kant; Lehrbuch der Psychologie. 6. Der Neukantianismus im engeren Sinn (3 Neukantianismus): Marburger Schule (logizistisch-methodologische Richtung): Hermann Cohen (1842–1918) W: System der Philosophie. Paul Natorp (1854–1924) W: Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften; Sozialpädagogik; All-

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gemeine Psychologie; Philosophie, ihr Problem und ihre Probleme. Ernst Cassirer (1874–1945) W: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit; Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Arthur Liebert (1878–1946). Rudolf Stammler (1856–1938) W: Lehrbuch der Rechtsphilosophie; Die Lehre vom richtigen Recht. Hermann Noack (1895–1977) W: Symbol und Existenz der Wissenschaft. [181] Südwestdeutsche Schule (Badener Schule): Werttheoretische Richtung; 3 Wertethik. Wilhelm Windelband (1848–1915) W: Präludien; Die Prinzipien der Logik; Lehrbuch der Geschichte der Philosophie (Problemgeschichte); Einleitung in die Philosophie. Emil Lask (1875–1915). Bruno Bauch (1877–1942) W: Immanuel Kant; Wahrheit, Wert und Wirklichkeit; Die Idee; Grundzüge der Ethik. Heinrich Rickert (1863–1936) W: Der Gegenstand der Erkenntnis; Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung; Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft (methodische Scheidung); Vom System der Werte; Die Philosophie des Lebens; System der Philosophie. Weber 3 [347]. Jonas Cohn (1869–1947) W: Allgemeine Ästhetik; Der Sinn der gegenwärtigen Kultur; Geist der Erziehung. Hugo Münsterberg (1863–1916) W: Grundzüge der Psychologie; Psychologie und Wirtschaftsleben; Grundzüge der Psychotechnik. Julius Ebbinghaus (1885–1981) Rechtsphilosoph. Klaus Reich (1906–1996). [182] 7. Gegen den Neukantianismus: Kritischer Realismus Würzburger Schule (Denk- und Willenspsychologie): Oswald Külpe (1862– 1915) Begründer der Würzburger Schule; W: Einleitung in die Philosophie; Die Realisierung. Karl Marbe (1869–1953). Narziß Ach (1871–1946). Karl Bühler (1879–1963). August Messer (1867–1937) W: Empfindung und Denken; Psychologie; Geschichte der Philosophie; Weltanschauung und Erziehung; Glaube und Wissen. Erich Becher (1882–1929) W: Gehirn und Seele; Naturphilosophie; Die fremddienliche Zweckmäßigkeit der Pflanzengallen; Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften. Gustav Störring (1860–1946) W: Logik. Otto von der Pfordten (1861–1919) W: Konformismus. Theodor Haering (1884–1964) W: Philosophie der Naturwissenschaft. [183] b) Neuidealismus Rudolf Eucken (1846–1926) W: Die Einheit des Geisteslebens in Bewußtsein und Tat der Menschheit; Die Lebensanschauungen der großen Denker; Der Kampf um einen geistigen Lebensinhalt; Mensch und Welt. In Anschluss an Hegel 3 [162]: Adolf Lasson (1832–1917). Georg Lasson (1862–1932) Hegelausgabe mit Einleitungen. Otto Pfleiderer (1839–1908) Religionsphilosophie. Richard Kroner (1884–1974) W: Von Kant bis Hegel. Karl Larenz (1903–1993) Rechtsphilosophie. Günther Holstein (1892–1931). Litt 3 [191]. Horkheimer 3 [342]. Hegelinterpretation: Haering 3 [182]. Johannes Hoffmeister (1907–1955) Kritische Hegelausgabe. Kurt Schilling. Steinbüchel 3 [275]. In Anschluss an Fichte: Johannes Maria Verweyen (1883–1945). Fritz Medicus (1876–1956).

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In Anschluss an Schelling: Otto Braun (geboren 1885). Karl Joel (1864–1934). Zur Interpretation: Horst Fuhrmans. Manfred Schröter (1880–1973). Synthese zwischen Naturwissenschaft und Transzendentalphilosophie Gustav Theodor Fechner (1801–1887) naturphilosophisches System; Allbeseelung der Welt; Begründung der Psychophysik; psychologische Ästhetik; W: Zend-Avesta; Elemente der Psychophysik; Vorschule der Ästhetik. Anhänger: Paul Julius Möbius (1853–1907). Hermann Lotze (1817–1881) Schüler von Weisse 3 [164]; umfassende Synthese unter Einbeziehung der geistig-geschichtlichen Welt; Theismus; Anschluss an die Monadologie von Leibniz 3 [141]; die materielle Welt ist eine Erscheinung von Seelenmonaden; Unterscheidung zwischen dem Seienden und dem Gültigen (Wahrheit und Wert); W: Medizinische Psychologie; Mikrokosmos; Geschichte der Aesthetik in Deutschland; System der Philosophie. Zu Lotze affine Theisten: Gustav Portig (1838–1911) W: Das Weltgesetz des kleinsten Kraftaufwandes. Julius Baumann (1837–1916). Ludwig Busse (1862– 1907) W: Philosophie und Erkenntnistheorie; Geist und Körper, Seele und Leib. Max Wentscher (1862–1942) W: Ethik. Gustav Teichmüller (1832–1888) W: Die wirkliche und die scheinbare Welt. Julius Bergmann (1840–1904) W: Vorlesungen über Metaphysik; System des objektiven Idealismus. Gustav Glogau (1844–1895). Hermann Siebeck (1842–1920) W: Geschichte der Psychologie; Lehrbuch der Religionsphilosophie. Karl Robert Eduard von Hartmann (1842–1906) Die Urwirklichkeit ist das Unbewusste (vgl. Schopenhauer 3 [167]); es besitzt eine Willensseite, der die Existenz der bestmöglichen, aber daseinsunwürdigen Welt zur Last fällt, und einen Intelligenzcharakter, der die ideologische Struktur der Welt bedingt; Ziel der Welt ist die Aufhebung ihrer Existenz (= Erlösung Gottes); Mittel dazu ist der Kulturprozess; W: Philosophie des Unbewußten; Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins; Ästhetik; Das Grundproblem der Erkenntnistheorie; Kategorienlehre; Geschichte der Metaphysik; System der Philosophie. Leopold Ziegler (1881–1958) von v Hartmann ausgehend; Kulturphilosoph; gnostische Auffassung des Christentums; W: Gestaltwandel der Götter; Überlieferung; Menschwerdung; Von Platons Staatheit zum christlichen Staat; Die neue Wissenschaft.

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III. Neuansätze des philosophischen Denkens a) Von den Einzelwissenschaften her 1. Die induktive Metaphysik: Philosophie als Weltanschauungssynthese der Einzelwissenschaften. Wilhelm Wundt (1832–1920) spiritualistischer Idealismus; durchgängiger Parallelismus des Psychischen und Physischen (als Erscheinung); Aktualitätsauffassung des Seelischen; Ausbau der experimentellen Psychologie (erstes Institut in Leipzig); Neubegründung der Völkerpsychologie (Psychologie der Sprache, Religion, Kunst und Sitte); W: Grundzüge der physiologischen Psychologie; Logik; Ethik; System der Philosophie; Völkerpsychologie. Von Wundt philosophisch beeinflusst: Raoul Richter (1871–1912) W: Der Skeptizismus in der Philosophie. Gottlob Friedrich Lipps (1865–1931). Rudolf

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Eisler (1873–1926). Friedrich Paulsen (1846–1908) W: System der Ethik; Immanuel Kant; Einleitung in die Philosophie Erich Adickes. [187] 2. Anschluss an die Psychologie Einfluss auf die Logik: Auffassung der Logik als Normen- und Methodenlehre des Denkens: 3 Psychologismus. Christoph von Sigwart (1830–1904) W: Logik. Benno Erdmann (1851–1921) historische Schriften; W: Logik. Heinrich Maier (1867–1933) W: Psychologie des emotionalen Denkens; Die Syllogistik des Aristoteles; Philosophie der Wirklichkeit. Einfluss auf die Metaphysik: William Stern (1871–1938) Kinderpsychologie; historischer Personalismus. Karl Groos (1861–1946) W: Untersuchungen über den Aufbau der Systeme. Häberlin 3 [383]. Theodor Lipps (1851–1914) Philosophie ist Psychologie; Annahme eines transzendentalen Bewusstseins, dem die Einzelbewusstseine angehören; W: Grundtatsachen des Seelenlebens; Die ethischen Grundfragen; Psychologische Untersuchungen; Ästhetik. Felix Krueger (1874–1948) W: Ist Philosophie ohne Psychologie möglich?; Das Wesen der Gefühle; Der Strukturbegriff in der Psychologie; Zur Psychologie der Gemeinschaft. Ludwig Klages (1872–1956) W: Prinzipien der Charakterologie; Der Geist als Widersacher der Seele; Grundlegung der Wissenschaft vom Ausdruck. Carl Gustav Jung (1875–1961) W: Psychologische Typen; Wirklichkeit der Seele; Psychologie und Religion. Erich Jaensch (1883–1940) Begründung einer philosophischen Anthropologie im Ausgang von der Strukturpsychologie; Entdeckung der eidetischen Phänomene; W: Die Eidetik; Grundformen menschlichen Seins; Wirklichkeit und Wert; Über den Aufbau der Wahrnehmungswelt; Der Gegentypus. Albert Wellek (1904–1972) Ästhetik. [188] Parapsychologie (3 Esoterik): Carl du Prel (1839–1899) W: Entdeckung der Seele; Magie als Naturwissenschaft. Driesch 3 [189]. Albert von SchrenckNotzing (1862–1929). Oesterreich 3 [190]. Anthroposophie und 3 Theosophie: Helena Petrovna Blavatsky (1831–1891) Gründerin der Theosophischen Gesellschaft. Annie Besant (1847–1933). Charles Webster Leadbeater (1847–1934). Steiner 3 [383]. [189] 3. Anschluss an die Naturwissenschaften Hans Driesch (1867–1941) Begründer des 3 Vitalismus der Gegenwart; Unterscheidung einer Ordnungslehre (Aufweis der allgemeinen Struktur des Wirklichen auf dem Boden eines methodischen Solipsismus) und einer Wirklichkeitslehre oder Metaphysik (die durch eine kritische Naturphilosophie des Organischen gewonnen wird); W: Philosophie des Organischen; Ordnungslehre; Leib und Seele; Wirklichkeitslehre; Wissen und Denken; Der Okkultismus; Metaphysik der Natur; Die Maschine und der Organismus. Jakob Johann von Uexküll (1864–1944) Forschung über Umwelt und Innenwelt der Tiere; schuf wesentliche Grundlagen in der Biologie; Unterscheidung von Merkwelt und Wirkwelt. Johannes Reinke (1849–1931) W: Die Welt als Tat. Edgar Dacqué (1878–1945) W: Urwelt, Sage und Menschheit. Pascual Jordan (1902–1980) W: Die Physik des 20. Jahrhunderts. Becher 3 [182]. Dingler 3 [323]. Planck 3 [325]. Weizsäcker 3 [325]. Wenzl 3 [326]. Einstein 3 [326].

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4. Anschluss an die Religionswissenschaft Ernst Troeltsch (1865–1923) religiöses Apriori; eigentliche Gotteserfahrung; W: Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte; Psychologie und Erkenntnistheorie in der Religionswissenschaft; Der Historismus. Traugott Konstantin Oesterreich (1880–1949) W: Die religiöse Erfahrung; Einführung in die Religionspsychologie. Heinrich Scholz (1884–1956) Logistiker; vertritt die Trennung der Logik vom Positivismus; W: Religionsphilosophie; Geschichte der Logik; Metaphysik als strenge Wissenschaft. 5. Anschluss an die Geschichte (3 Historismus) WILHELM DILTHEY (1833–1911) Historiker der Geistesgeschichte; Begründer der Erkenntnistheorie der 3 Geisteswissenschaften; skeptischer Historismus; W: Einleitung in die Geisteswissenschaften; Die Einbildungskraft des Dichters; Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie; Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften; Die Typen der Weltanschauung. Dilthey-Schule: Georg Misch (1878–1965). Max Frischeisen-Köhler (1878– 1923). Eduard Spranger (1882–1963) W: Lebensformen; Theorie des Verstehens. Spengler 3 [345]. Rothacker 3 [383]. Hans Freyer (1887–1969) W: Theorie des objektiven Geistes; Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft. Theodor Litt (1880–1962) W: Individuum und Gemeinschaft; Pädagogik; Wissenschaft, Bildung und Weltanschauung; Geschichte und Leben; Wege und Irrwege geschichtlichen Denkens; Denken und Sein; Mensch und Welt. Herman Nohl (1879–1960) Pädagogik. 6. Anschluss an die Logik und Mathematik (3 [321]) de Morgan 3 [243]. Boole 3 [243]. Ernst Schröder (1841–1902) W: Algebra der Logik. Frege 3 [301]. Peano 3 [318]. Whitehead 3 [328]. Russell 3 [305]. Scholz 3 [190]. Hilbert 3 [317]. Wilhelm Ackermann (1896–1962). Arend Heyting (1898–1980). Paul Bernays (1888–1977). Ferdinand Gonseth (1890–1975). Beth 3 [320]. Feys 3 [276]. Bochen´ski 3 [287]. Lorenzen3 [350]. Gödel 3 [302]. Menne 3 [321]. b) Die Wende zum Objekt 1. Die Brentano-Schule FRANZ BRENTANO (1838–1917) Logiker; Anschluss an Aristoteles und Leibniz 3 [141]; Neubegründung des Theismus; W: Psychologie vom empirischen Standpunkt; Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis; Von der Klassifikation psychischer Phänomene. Schüler: Anton Marty (1847–1914) W: Untersuchungen zur allgemeinen Grammatik und Sprachphilosophie. Oskar Kraus (1874–1942). Emil Utitz (1883–1956). Carl Stumpf (1848–1936) W: Erkenntnislehre; Tonpsychologie. Simon Moser (1901–1988). 2. Die Gegenstandstheorie Alexius Meinong (1853–1921) Lehre von den Gegenständen als solchen, abgesehen vom Dasein oder Nichtsein; W: Psychologisch-ethische Untersuchungen zur Werttheorie; Über Gegenstände höherer Ordnung; Über Annahmen; Stellung der Gegenstandstheorie; Über Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit.

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Schule: Alois Höfler (1853–1922) W: Psychologie. Ferdinand Weinhandl (1896–1973) W: Die Gestaltanalyse; Über das aufschließende Symbol. Die Philosophie als »Grundwissenschaft« Johannes Rehmke (1848–1930) Gegenstand der Philosophie ist das Allgemeinste (wie Bewegung, Raum, Wesen usw.) im Gegebenen überhaupt (das Wirkliches und Nicht-Wirkliches umfasst) und das den je verschiedenen Fachwissenschaften zugrunde liegt; W: Lehrbuch der allgemeinen Psychologie; Philosophie als Grundwissenschaft; Logik oder Philosophie als Wissenslehre. Schüler: Johannes Erich Heyde (1892–1979). Anthropologischer Ansatz, Irrationalismus, Lebensphilosophie (3 Lebensphilosophie) Biologische Richtung FRIEDRICH NIETZSCHE (1844–1900) Lehre vom absoluten Werden; Voluntarismus (Einfluss von Schopenhauer und Wagner); pragmatistisch-biologistische Erkenntnisauffassung; Kulturkritik; heroischer Pessimismus; Ethik: Herrenmoral; schroffe Ablehnung des Christentums, das Nietzsche in der buddhistischen Verfälschung sah (folgt Schopenhauer); tiefgreifender Einfluss, insbesondere auch auf die Künste bis in die Populärkultur hinein; W: Also sprach Zarathustra; Jenseits von Gut und Böse; Der Wille zur Macht (Kompilation durch seine Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche). Erwin Guido Kolbenheyer (1878–1962) Dichter; W: Die Bauhütte. Ernst Krieck (1882–1947) Pädagoge; W: Philosophie der Erziehung; Das Naturrecht der Körperschaften auf Erziehung und Bildung; Erziehungsphilosophie. Geistige Richtung SÖREN KIERKEGAARD (1813–1855) Vorläufer der Existenzphilosophie 3 [371 f.] W: Entweder-Oder; Erbauliche Reden; Philosophische Brocken; Der Begriff Angst; Die Krankheit zum Tode; Einübung im Christentum. Wilhelm Dilthey und seine Schule 3 [191]. Hermann von Keyserling (1880– 1946) W: Buch vom Ursprung. Otto Friedrich Bollnow (1903–1991). Dialektische Theologie Barth 3 [376]. Emil Brunner (1889–1966) W: Erlebnis, Erkenntnis und Glaube; Religionsphilosophie protestantischer Theologie; Gott und Mensch. Friedrich Gogarten (1887–1967) W: Die religiöse Entscheidung; Politische Ethik.

IV. Christliche Philosophie a) Lage zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Verfall der scholastischen Philosophie. 1. Zeitbedingungen: Einfluss der Französischen Revolution auf das kirchliche Leben; Säkularisierung; Unterdrückung der Orden; Staatskirchen. 2. Lehre: Kritische Untersuchungen zur Zeitphilosophie, zur Geschichte der Philosophie und apologetische Werke: Anselm Rixner (1766–1838). Friedrich Windischmann (1811–1861). Jean-Luis de Rozaven (1772–1851). de Maistre 3 [268]. 3. Versuche einer Auseinandersetzung mit der modernen Philosophie – bleibt wegen mangelnder Kenntnis der Scholastik unzulänglich: 3 Tradition; 3 Ontologismus; 3 Rationalismus; Semirationalismus 3 [165].

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b) Wiederaufnahme der Überlieferung 1. In Italien: Vincenco Buzzetti (1777–1824). S und D Sordi 3 [282]. Liberatore 3 [282]. Sanseverino 3 [281]. Taparelli 3 [282]. Tongiorgi 3 [282]. Cornoldi 3 [282]. Lepidi 3 [277]. Zigliara 3 [282]. Rosetti 3 [282]. Palmieri 3 [282]. 2. In Spanien: Balmes y Urpiá 3 [270]. González y Díaz Tuñón 3 [254]. 3. In Frankreich: de Vorges 3 [277]. Frédéric Morin (1823–1874). 4. In Deutschland: Clemens 3 [274]. Werner 3 [267]. Stöckl 3 [274]. Commer 3 [274]. Gutberlet 3 [274]. Josef Kleutgen (1811–1883) programmatischer Rückgriff auf die Philosophie der Vergangenheit; W: Über die alten und die neuen Schulen; Die Theologie der Vorzeit verteidigt; Die Philosophie der Vorzeit verteidigt. c) Kirchliche Stellungnahmen Pius IX. (1792–1878) über die Beziehung von Glaube und Wissen, den Rationalismus und Indifferentismus, den Traditionalismus. Leo XIII. (1810–1903) Enzyklika »Aeterni Patris« über Aufgabe, Quellen und Methode der Philosophie; ihre Beziehung zur Offenbarung; Empfehlung der Philosophie des heiligen Thomas von Aquin; Richtlinien für weiteren Fortschritt. Pius X. (1835–1914) Verwerfung der neuen, rein subjektiven Apologetik und des Modernismus; Enzyklika »Pascendi Dominici gregis«. d) Zentren der christlichen Philosophie Die kirchlichen Hochschulen in Rom: Päpstlich Gregorianische Universität (Jesuiten); Angelicum (Dominikaner); Collegium Internationale Sancti Anselmi (Benediktiner); Athenaeum Antonianum (Franziskaner); Athenaeum Urbanum (Propaganda Fide). Katholische Universitäten in Mailand, Freiburg (Ch), Löwen, Nimwegen, Washington, Ottawa, St. Louis. Institut Catholique in Paris, Institut für scholastische Philosophie in Innsbruck, Instituto Luis Vives in Madrid, Institut für mittelalterliche Studien in Toronto. Diverse Ordenshochschulen und Fakultäten. e) Geschichtliche Erforschung der Scholastik: Denifle 3 [274]. Ehrle 3 [274]. Baeumker 3 [274]. Grabmann 3 [275]. Mandonnet 3 [278]. Longpré 3 [278]. Gilson 3 [278]. de Wulf 3 [278]. Koch 3 [275]. Pelster 3 [275]. Stegmüller3 [275]. Barth 3 [275]. f) Systematische Weiterentwicklung im engeren oder weiteren Anschluss an die Scholastik 1. Darstellungen in den Einzeldisziplinen Metaphysik: Ludwig Baur. Descoqs 3 [278]. Feuling 3 [275]. Siegfried Behn (1884–1970). Simon 3 [275]. v Hertling 3 [173]. Manser 3 [275]. Horváth 3 [288]. Geyser 3 [207]. de Raeymaeker 3 [276]. Krings 3 [289]. Naturphilosophie: Pesch 3 [274]. Joseph Schwertschlager (1853–1924) W: Philosophie der Natur. Vinzenz Rüfner (1899–1976) W: Die Natur und der Mensch in ihr. Albert Mitterer (1887–1966). Julius Seiler. Ethik und Naturrecht: Theodor Meyer: W: Institutiones iuris naturalis. Victor Cathrein (1845–1931) W: Moralphilosophie; Die Einheit des sittlichen Bewußtseins der Menschheit. Mausbach 3 [275]. v Hertling 3 [173]. Steinbüchel

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3 [275]. Michael Wittmann. v Nell-Breuning 3 [290]. Reding 3 [275]. Pieper 3 [275]. Gotteslehre: Réginald Garrigou-Lagrange (1877–1964) W: Gott. Nink 3 [275]. Religionsphilosophie: Georg Wunderle (1881–1950). Steffes 3 [275]. Rahner 3 [280]. Rosenmöller3 [289]. Przywara 3 [275]. Guardini 3 [289]. Kulturphilosophie: Dempf 3 [289]. Pädagogik: Willmann 3 [274]. Franz Xaver Eggersdorfer (1879–1958). Nationalökonomie und Gesellschaftslehre: Pesch 3 [290]. Welty 3 [275]. Geschichtsphilosophie: Sawicki 3 [299]. Alfred Delp (1907–1945) W: Der Mensch und die Geschichte. Peter Wust (1884–1940) W: Dialektik des Geistes; Ungewißheit und Wagnis. Krüger 3 [275]. Geschichte der Philosophie: v Hertling 3 [173]. v Dunin-Borkowski 3 [275]. Dyroff 3 [275]. Klimke 3 [173]. Meyer 3 [275]. Boehner 3 [275]. Gilson 3 [278]. Hirschberger3 [275]. Paul Wilpert (1906–1967). Ästhetik: Gerhard Gietmann. Josef Jungmann (1830–1885). Heinrich Lützeler (1902–1988). Maritain 3 [278]. Kuhn 3 [367]. Lotz 3 [280]. [206] 2. Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften und der empirischen Psychologie Naturwissenschaft: Maritain 3 [278]. Peter Hoenen. Erich Wasmann (1859– 1931). Dessauer 3 [275]. Dolch 3 [275]. Anton Neuhäusler (1919–1997). Wolfgang Büchel (1920–1990). Psychologie: Geyser 3 [207]. Fröbes 3 [275]. Johannes Lindworsky (1875– 1939). Gemelli 3 [283]. Mercier 3 [276]. Rüfner 3 [205]. Otto Most (1904– 1968). 3. Pflege der Erkenntnistheorie [207] Kritischer Realismus: Roland-Gosselin 3 [278]. Novatus Picard. Zamboni 3 [283]. Söhngen 3 [275]. Nink 3 [275]. Josef de Vries (1898–1989) W: Denken und Sein; Grundbegriffe der Scholastik. Maréchal 3 [279]. Brunner 3 [289]. Josef Engert (1882–1964). v Steenberghen 3 [276]. Josef Geyser (1869–1948) W: Lehrbuch der allgemeinen Psychologie; Neue und alte Wege der Philosophie; Allgemeine Philosophie des Seins und der Natur; Grundlegung der Logik; Erkenntnistheorie; Auf dem Kampffelde der Logik; Einige Hauptprobleme der Metaphysik; Das Gesetz der Ursache. [208] 4. Auseinandersetzung mit anderen Richtungen der Philosophie Geschichtlich: Die Arbeiten der Katholischen Universität in Mailand. Olgiati 3 [283]. Hans Urs von Balthasar (1905–1988) W: Apokalypse der deutschen Seele. Systematisch: Mit Kant: Geyser 3 [207]. Jansen 3 [275]. Maréchal 3 [279]. Charles Sentroul: W: Kant und Aristoteles. Lotz 3 [280]. Mit dem Deutschen Idealismus: Nink 3 [275]. Steinbüchel 3 [275]. Henri Niel. Coreth 3 [280]. Henrici 3 [289]. Lakebrink 3 [275]. Möller 3 [275]. Lorenz Bruno Puntel (geboren 1935). Mit der Phänomenologie: Geyser 3 [207]. Mit Hartmann: Guggenberger 3 [275]. Mit der Existenzphilosophie: Delp 3 [205]. Hommes 3 [289]. Kuhn 3 [367].

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Mit der indischen Philosophie: Pierre Johanns (1882–1955) W: Vers le Christ par le Vedanta. George Dandoy: W: The Ontology of the Vedanta. Mit der fernöstlichen Philosophie: Léon Wieger (1856–1933). Henri Bernard: W: Sagesse Chinoise et Philosophie chrétienne. Neuvollzug scholastischer Metaphysik im Licht der modernen Philosophie Przywara 3 [275]. Maréchal 3 [279]. de Finance 3 [278]. Marc 3 [278]. Siewerth 3 [275]. Müller 3 [289]. Rahner 3 [280]. Lotz 3 [280]. Hayen 3 [279]. Nicht-Scholastische Richtungen Christliche Wertphilosophie und Phänomenologie: Stein 3 [365]. v Hildebrand 3 [365]. Hessen 3 [289]. Neue Metaphysik: Spann 3 [344]. Dempf 3 [289]. Wenzl 3 [326]. v Rintelen 3 [385]. Haecker 3 [289]. Wladimir Szylkarski (1884–1960). v Brandenstein 3 [300].

B. Nachidealistische Philosophie im nicht-deutschsprachigen Raum I. a) 1.

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Französischsprachiger Raum: Die Philosophie wird seit Napoleon in allen Schulen gelehrt. Anfänge im 16.–18. Jahrhundert Traditionalismus (3 Tradition 3 Fideismus): Die Lehre der Traditionalisten wird verschiedentlich von der Kirche zurückgewiesen. de Maistre 3 [268]. de Bonald 3 [268]. de Lamennais 3 [268]. Gemäßigter Traditionalismus: Ballanche 3 [277]. Buchez 3 [277]. Bautain 3 [268]. Bonnetty 3 [268]. Traditionalisten außerhalb Frankreichs: Ubaghs 3 [277]. Ventura 3 [277]. Deutinger 3 [165]. Cortes 3 [255]. Rationale Gegenbewegung: Henry Maret (1805–1884) W: Essai sur le Panthéisme; Philosophie et religion. Gratry 3 [268]. Vorläufer des Positivismus 3 [217]: Destutt de Tracy (1754–1836) W: Éléments d’Idéologie. Pierre Jean Cabanis (1757–1808) Sensualist; Agnostiker; W: Rapports du physique et du moral de l’homme. Richtungen Früher Spiritualismus: Maine de Biran 3 [268]. Théodore Simon Jouffroy (1796–1842). André–Marie Ampère (1775–1836) Physiker; W: Essai sur la philosophie des sciences. Spiritualistischer Eklektizismus: Pierre Laromiguière (1756–1837) W: Leçons de philosophie. Pierre-Paul Royer-Collard (1763–1845). Victor Cousin (1792– 1867) W: Cours de l’Histoire de philosophie. Spiritualismus: Preisgabe des Eklektizismus, Rückgang zum Spiritualismus; Pflege der Geschichte der Philosophie Adolphe Franck (1809–1893) Hg. des »Dictionnaire des sciences philosophiques«. Antelme Édouard Chaignet (1819–1901). Charles de Rémusat (1797– 1875). Jean-Barthélemy Hauréau (1812–1896) W: Histoire de la philosophie scolastique. Francisque-Cyrille Bouillier (1813–1899) Geschichte des 3 Cartesianismus. Thomas-Henri Martin (1813–1884). Étienne Vacherot (1809–1897) Endlichkeit der Existenz, Idealität des Vollkommenen; W: La Métaphysique et la Science; Le nouveau Spiritualisme. Sein

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Gegner war Elme-Marie Caro (1826–1887) W: L’Idée de Dieu. Paul Janet (1823–1899) enger Anschluss an Cousin 3 [215]; W: Causes finales; La morale; Psychologie et Metaphysique. Positivismus: Charles Fourier (1772–1837) Gruppensozialismus (Phalangen); W: Traité d’association domestique et agricole; Le nouveau monde industriel. Prosper Victor Considerant (1808–1893). Henry Saint-Simon (1760–1824) Schüler d’Alemberts, Lehrer Comtes; Staatssozialismus; Christentum den sozialen Bedürfnissen untergeordnet; W: Système industriel; Nouveau Christianisme. Saint-Amand Bazard (1791–1832). Barthélemy Prosper Enfantin (1796–1864). Auguste Comte (1798–1857) Begründer des 3 Positivismus; W: Cours de philosophie positive; Discours sur l’Esprit positif; Discours sur l’ensemble du positivisme; Le Système de politique positive; Catechisme positiviste; La Synthèse subjective. Pierre-Joseph Proudhon (1809–1865) Eigentum ist Diebstahl; W: Qu’est-ce que la propriété?; Système des contradictions économiques. Émile Littré (1801–1881) W: Conservation, révolution et positivisme; La Science au point de vue philosophique. Pierre Lafitte (1823–1903) W: Cours de Philosophie première. Emest Renan (1823–1892) W: Dialogues philosophiques; Vie de Jésus. Hippolyte Taine (1828–1893) W: De l’Intelligence. Arthur de Gobineau (1816–1882) W: Essai sur l’inégalité des races. In Verbindung mit dem Evolutionismus: Félix Le Dantec (1869–1917) W: Les limites du connaissable; L’Athéisme; Contre la métaphysique; L’Egoïsme seule base de toute société. Religionsphilosophie: Pierre-Henri Leroux (1779–1871) von Hegel und Saint-Simon abhängig. Jean Reynaud (1806–1863) Reinkarnationslehre. Charles Secrétan (1815–1895) philosophische Auslegung des Christentums; Gott ist alles, was er durch seine Freiheit sein will; W: Philosophie de la liberté. Lequier 3 [268]. Kritizismus Charles Renouvier (1815–1903) die Freiheit als Wurzel des geistigen Lebens; Finitismus; Relativismus; W: Essais de critique générale; La Science de la morale; L’Esquisse d’une classification systématique des doctrines philosophiques; La philosophie analytique de l’Histoire; Nouvelle Monadologie; Dilemmes de la métaphysique pure; Personalisme. Unter dem Einfluss von Renouvier: Louis Prat. Victor Brochard (1848–1907). Lionel Dauriac (1847–1923). Jean-Jacques Gourd (1850–1909). Louis Liard (1846–1917). François Evellin (1835–1910). Antoine-Augustin Cournot (1801–1877) Wahrscheinlichkeitslehre; W: Essai sur les fondements de la connaissance et sur les caractères de la critique philosophique; Traité de l’enchainement des idées fondamentales dans les sciences et dans l’histoire; Materialisme, Vitalisme et Rationalisme. Spiritualistischer Positivismus (spiritualistische Lebensphilosophie): Félix Ravaisson-Mollien (1813–1900) Urheber der Bewegung; W: De l’Habitude; Essai sur la métaphysique d’Aristote. Jules Lachelier (1832–1918) reflexive Methode; W: Fondement de l’induction. Émile Boutroux (1845–1921) Wissenschaftskritik; Theist; W: De la contingence des lois de la Nature; L’Idee

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de loi naturelle; Psychologie du Mysticisme; Science et Religion dans la Philosophie contemporaine. [221] II. Italienischsprachiger Raum Anfänge einer nationalen Philosophie: Vico 3 [141]. Antonio Genovesi (1712– 1769) Phänomenismus. a) Neuscholastik 3 [281 f.] b) Christlicher Spiritualismus: Rosmini-Serbati 3 [269]. c) Ontologismus (3 Ontologismus): Gioberti 3 [269]. Terenzio Mamiani della Rovere (1799–1885) in Verbindung mit dem Idealismus; W: Dell’ontologia e del metodo; Confessioni di un metafisico. Giovanni Battista Bertini (1818– 1876) W: Idea di una filosofia della vita. Francesco Acri (1836–1913) W: Videmus in aenigmate. Francesco Bonatelli (1830–1911) W: Pensiero e conoscenza. d) Sensismus: Gian Domenico Romagnosi (1761–1835) W: Genesi del diritto penale; Introduzione allo Studio del diritto pubblico universale; Che cosa e la mente sana?; Vedute fondamentali sull’arte logica. e) Positivismus: Carlo Cattaneo (1801–1869). Giuseppe Ferrari (1812–1876). Cesare Lombroso (1835–1909) W: Genio e Follia; L’uomo delinquente. Roberto Ardigò (1828–1920) vollständiges System des Positivismus; W: Psicologia come scienza positiva; La morale dei positivisti; La scienza dell’educazione; L’unita della coscienza. [222] f) Kantianismus: Carlo Cantoni (1840–1906) W: Corso elementare di filosofia; Kant. – Gegner des Kantianismus: Pasquale Galluppi (1770–1846) Empirist; W: Saggio filosofico sulla critica della conoscenza; Lezioni di logica e metafisica; Filosofia della volontà. g) Ältere Hegelianer: Augusto Vera (1813–1885). Bertrando Spaventa (1817– 1883) Geschichte der Philosophie; W: Principi di Filosofia. Labriola 3 [340]. h) Neukantianismus: Ferri Masci (1884–1922) W: Pensiero e conoscenza. Erminio Juvaltà (1863–1934) W: Prolegomeni a una morale distinta della metafisica; I limiti del razionalismo etico. Francesco Orestano (1873–1945) W: I valori umani; Nuovi principi; Opere complete. [223] i) Realistischer Spiritualismus: Francesco de Sarlo (1864–1937) W: Il pensiero moderno; Psicologia e filosofia; Introduzione alla filosofia. Guiseppe Tarozzi (1866–1958) kommt vom Positivismus; W: La ricerca filosofica; La libertà umana e la critica del determinismo. Carmelo Ottaviano (1906–1980) Zeitschrift »Sophia«; W: Critica dell’Idealismo; Metafisica dell’essere parziale. j) Kritischer Idealismus (meist mit relativer Transzendenz Gottes): Igino Petrone (1870–1913) W: Lezioni di filosofia del diritto. Giorgio del Vecchio (1878– 1970) führender Rechtsphilosoph; W: Il concetto del diritto; La giustizia; Lezionidi filosofia del diritto; Lo stato. Bernardino Varisco (1850–1933) früher Positivist; W: I massimi problemi; Conosci te stesso; Dall’uomo a Dio. Vincenzo La Via: Zeitschrift »Teoresi«; W: Dall’idealismo al realismo assoluto. Piero Martinetti (1872–1943) W: Introduzione alla metafisica; La libertà. Pantaleo Carabellese (1877–1948) W: Critica del concreto; Il problema teologico come filosofia; L’essere. Giovanni Emanuele Barié (1894–1956) transzendentale

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Abriss der Geschichte der Philosophie Zurückgewinnung des Seins; W: L’io trascendentale. Gallo Galli (1889–1974) konkreter Immanentismus; W: La dialettica della realtà spirituale; L’uno e i molti; Dall’idea dell’essere alla forma della coscienza; Filosofia dello spirito come libertà. Spekulativer Idealismus (in Auseinandersetzung mit Hegel): Pasquale d’Ercole (1831–1917). Benedetto Croce (1886–1952) die Wirklichkeit als Entwicklung des Geistes unter den Formen der Kunst, Philosophie, Wirtschaft, Ethik; W: Filosofia dello Spirito (1: Estetica come scienza dell’espressione e linguistica generale, 2: Logica come scienza del concetto puro, 3: Filosofia della pratica, Economia e Etica, 4: Teoria e storia della storiografia). Giovanni Gentile (1875–1944) von der Hegel’schen Dialektik des objektiven Gedankens zur Dialektik des aktuellen Denkens (Aktualismus) als alleiniger Wirklichkeit und absoluter Freiheit; W: La riforma della dialettica hegeliana; Teoria generale dello spirito come atto puro; I fondamenti della filosofia del diritto; Sistema di logica come teoria del conoscere; Filosofia dell’arte; Genesi e struttura della società. Gaetano Chiavacci (1886–1969) auch unter dem Einfluss Michelstaedters 3 [229]; Philosophie als innere Entscheidung; W: Saggio sulla natura del’uomo; La ragione poetica. Guido Calogero (1904–1986) vom erkenntnistheoretischen Aktualismus zum ethischen Voluntarismus; W: La conclusione della filosofia del conoscere; La scuola dell’uomo; Lezioni di Filosofia; Logo e dialogo. Vito Fazio-Allmayer (1885–1958) W: Il significato della vita. Ugo Spirito (1896– 1979) Abkehr vom Idealismus; Problematismus und Übergang zum Naturalismus; W: Scienza e fil; La vita come ricerca; La vita come arte; Il problematicismo; La vita come amore. Marxismus: Antonio Banfi (1886–1957) Verbindung von kritischem Rationalismus und dialektischem Materialismus; W: La filosofia e la vita spirituale; Principi di una teoria della ragione; Verità ed umanità nella filosofia contemporanea; L’uomo copernicano; Problemi di storiografia; Saggi sul marxismo. Positivismus (Phänomenismus): Cosmo Guastella (1854–1922) Weiterbildung des englischen Empirismus; W: Filosofia della metafisica; Le ragioni del fenomenismo. Vilfredo Pareto (1848–1923) empiristische Soziologie; »Pareto-Kriterium«; W: Trattato di Sociologia generale. Giovanni Marchesini (1868– 1931) Schüler von Ardigò 3 [221]; Vorläufer der Als-Ob-Philosophie Vaihingers 3 [177]; W: Le finzioni del’anima; La finzione nell’educazione, O la pedagogia del »come se«. Annibale Pastore (1868–1956) W: Il problema della causalità, con particolare riguardo alla teoria del metodo sperimentale; La logica del Potenziamento. Relativistischer Skeptizismus: Antonio Aliotta (1881–1964) kam über den Empirismus und Relativismus zu einem fideistischen Spiritualismus; W: La reazione al positivismo; Realismo e idealismo; Il problema di Dio e il nuovo pluralismo; Il sacrificio come significato del mondo. Guiseppe Rensi (1871– 1941) kam über den materialistischen Skeptizismus von einem idealistischen zu einem gewissen spiritualistischen Mystizismus; W: Le antinomie dello spirito; Lineamenti di filosofia scettica; Apologia dell’ateismo; La filosofia dell’assurdo; Testamento filosofico.

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o) Pragmatismus: Giovanni Vailati (1863–1909) folgt Peirce 3 [358]; W: Gli strumenti della conoscenza; Il pragmatismo. Mario Calderoni (1879–1914) W: Métaphysique et positivisme. p) Existenzphilosophie: Carlo Michelstaedter (1887–1910) Vorläufer der italienischen Existenzphilosophie; W: La persuasione e la retorica; Dialogo della salute. Abbagnano 3 [373]. Franco Lombardi (1906–1989) Synthese der Existenzphilosophie mit der italienischen Überlieferung; W: Il mondo degli uomini; Il concetto della libertà. Paci 3 [369]. Grassi 3 [371]. Castelli 3 [293]. Pareyson 3 [294]. III. Englischsprachiger Raum a) Anfänge der Philosophie in Nordamerika: Vorherrschen des praktisch-moralischen, personalistisch-individualistischen Geistes. Mit Ausnahme des absoluten Idealismus, des Cartesianismus, des französischen Spiritualismus und des Existentialismus werden alle europäischen Richtungen der Philosophie in Amerika vertreten. 1. Neu-England-Philosophie: auf der puritanischen Urstufe der amerikanischen Geschichte; Verbindung von Philosophie und Theologie; Einfluss des Platonismus und Empirismus (Locke). Jonathan Edwards (1703–1758) W: The Freedom of the Will; Notes on the Mind; Of Being. Samuel Johnson (1696– 1772) Einfluss von Berkeley; Optimist; W: Elementa philosophica. Cadwallader Colden (1688–1776) Naturphilosophie; W: An Explication of the First Causes of Action in Matter. John Woolman (1720–1772) Mystik; W: Journal. 2. Aufklärung: seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts; unsystematischer Deismus; engste Verbindung mit dem öffentlichen Leben. Benjamin Franklin (1706–1790) Geschäftsmann, Stratege, Staatsmann; Säkularisierung der kalvinistischen Idee der Auserwählung; pragmatischer Relativismus; W: A Dissertation on Liberty and Necessity, Pleasure and Pain. Thomas Jefferson (1743–1826) Verfasser der Erklärung der Menschenrechte. James Madison (1751–1836) W: Memorial and Remonstrance on the Religious Rights of Man. John Taylor (1753–1824) Sozialphilosophie. John Witherspoon (1723–1794) Moralphilosophie. William Ellery Channing (1780–1842) unter dem Einfluss Schleiermachers; Übergang zur Transzendentalphilosophie. Ethan Allen (1737–1789) Deist; W: Reason, the Only Oracle of Man; Essay on the Universal Plenitude of Being. Thomas Paine (1737–1809) materialistischer Freidenker; W: Age of Reason; Common Sense. b) Richtungen der englischsprachigen Philosophie 1. Die Common-Sense-Philosophie: Vorherrschend zwischen 1830 und 1860. William Hamilton (1788–1856) unter dem Einfluss Kants; teilweise Skeptizismus; W: Lectures on Metaphysics and Logic. Henry Longueville Mansel (1820–1871). Henry Calderwood (1830–1897) Abwehr des Darwinismus. John Veitch (1829–1894) Abwehr des Idealismus. 2. Moderner Empirismus (Utilitarismus, Assoziationsphilosophie; Fortsetzung des durch Reid 3 [148] unterbrochenen englischen Empirismus; großer Einfluss auf das praktische Leben). Jeremy Bentham (1748–1832) W: Panopticon; Traité de la Législation Civile et Pénale; Deontology. William Godwin (1756–1836) W: An Enquiry concerning Political Justice. Thomas

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Robert Malthus (1766–1834) W: Essay on the Principle of Population. David Ricardo (1772–1823) W: Principles of Political Economy and Taxation. James Mill (1773–1836) W: Analysis of the Phenomena of the human mind. John Herschel (1792–1871) Astronom; W: Discourse on the Study of Natural Philosophy. William Whewell (1794–1866) W: Philosophy of the inductive Sciences. John Stuart Mill (1806–1873) Vollender des modernen Empirismus; W: A System of Logic, Rationative and Inductive; Utilitarianism; On Liberty. Alexander Bain (1818–1903). Thomas Fowler (1777–1843). George Croom Robertson (1842–1892). James Sully (1842–1923). Henry Sidgwick (1838–1900) W: Methods of Ethics. Carveth Read (1848–1931). [234] 3. Naturalismus (Evolutionismus): vorherrschend zwischen 1860 und 1900 (Anschluss an Darwin 3 [173]). Herbert Spencer (1820–1903) Systematiker der Entwicklungslehre; die mechanistische Entwicklung das oberste Gesetz aller Wirklichkeit; das Wissbare ist Gegenstand der Philosophie, das Unwissbare (Absolute) Gegenstand der Religion; W: A System of Synthetic Philosophy. Thomas Henry Huxley (1825–1895). John Tyndall (1820–1893). James Clerk Maxwell (1831–1879) Physiker. Karl Pearson (1857–1936) Szientismus; W: The Grammar of Science. Francis Galton (1822–1911) Begründer der Eugenik. William Kingdon Clifford (1845–1879). Henry Drummond (1851–1897) einflussreicher Popularphilosoph. Anwendung der Entwicklungslehre auf die Anthropologie und Religionswissenschaft: Eward Burnett Tylor (1832–1917). John William Lubbock (1803– 1865). James George Frazer (1854–1941) W: The Golden Bough. George John Romanes (1848–1894) theistisch modifizierter Darwinismus. Anwendung auf die Ethik: Leslie Stephen (1832–1904) W: The Science of Ethics (1882). Edvard Alexander Westermarck (1862–1939). Anwendung auf die Soziologie: Benjamin Kidd (1858–1916) W: Social Evolution. Samuel Butler (1835–1902). Leonard Trelawny Hobhouse (1864–1929) von Spencer über den Oxforder Idealismus zum Empirismus kommend; W: Development and Purpose. [235] 4. Positivismus: Verpflanzung der Philosophie Comtes 3 [217] nach England. Richard Congreve (1818–1899) Begründer der Bewegung in England. George Henry Lewes (1817–1878). Frederic Harrison (1831–1923). Edward Spencer Beesly (1831–1915) seit 1867 London Positivist Society, mit religiösem Kult; seit dem Ersten Weltkrieg bedeutungslos. [236] 5. Theismus und Religionsphilosophie: Oxford-Bewegung (ca. 1830–1850): Reaktion gegen den Geist der Aufklärung; katholisierende Tendenzen. Edward Bouverie Pusey (1800–1882). Ward 3 [286]. Kardinal John Henry Newman (1801–1890) Haupt der Bewegung; Betonung des gesamtmenschlichen Vollzugs, des Gewissens, der Ideenentwicklung; Hauptfragen: Glauben und Wissen, Gewissen; Unterscheidung von begrifflichem und ›realem‹ Denken; W: An Essay on the Development of Christian Faith; Idea of a University; An Essay in Aid of a Grammar of Assent. James Martineau (1805–1900) Ethischer Idealismus; W: Types of Ethical Theory; A Study of Religion; The seat of Authority in Religion. Max Müller (1823–1900) führender Orientalist. Robert Flint (1838–1900) Geschichts- und Religionsphilosophie.

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6. Neuidealismus: durch den Zustrom deutschen Denkens seit etwa 1860; Höhepunkt um 1900; vollständige Umbildung des englischen Denkens. Vorbereitung: Samuel Taylor Coleridge (1772–1834) spiritualistische Metaphysik; W: Aids to Reflection. Thomas Carlyle (1795–1881) praktischer Idealismus. James Frederick Ferrier (1808–1864) spekulative Metaphysik. James Hutchison Stirling (1820–1909) W: The secret of Hegel. Thomas Hill Green (1836–1882) Abrechnung mit der entgegengesetzten Überlieferung; W: Introductions to Hume; Prolegomena to Ethics. Hegelianismus: Edward Caird (1835–1908) Geschichte der Philosophie; W: The Evolution of Religion. John Caird (1820–1898) Theologie. David George Ritchie (1853–1903) Ethik, Sozialphilosophie. John Henry Muirhead (1855– 1940) Ethik, Politik. John Stuart Mackenzie (1860–1935) Sozialphilosophie, Metaphysik. Richard Burdon Haldane (1857–1928) Staatsmann; W: An Autobiography; The Pathway to Reality; The Reign of Relativity. John Alexander Smith (1863–1939) Aristotelesforscher. William Wallace (1844–1897) W: Prolegomena. Geoffrey Reginald Gilchrist Mure (1893–1979) W: A Study of Hegel’s Logic. Malcolm Knox (1900–1980) W: Hegel’s Philosophy of Right. Spaltungen: Absoluter Idealismus: Francis Herbert Bradley (1846–1924) das Absolute als umfassendes System der sinnlichen Erfahrung; W: Ethical Studies; The principles of Logic; Appearance and Reality. Bernhard Bosanquet (1848–1921) umfassendes System; das wahrhaft Individuelle als das konkrete Allgemeine des Absoluten; W: Logic or the Morphology of Knowledge; The philosophical Theory of the State; The principle of Individuality and value; The Value and Destiny of the Individual; Three lectures on Aesthetic. Harold Henry Joachim (1868–1938) W: The nature of truth; Logical Studies. Personaler Idealismus: John McTaggart (1866–1925) das Absolute als unendlich differenziertes System endlicher, aber zeitloser Personen, die einander in Liebe angehören; W: The Nature of Existence. Andrew Seth Pringle-Pattison (1856–1931) Orientierung an Hegel und Lotze; keine eigentliche Freiheit Gottes; W: Essay in Philosophical Criticism; Hegelianism and Personality; The Idea of God in the Light of recent Philosophy. James Seth (1860–1924) Ethik. William Ritchie Sorley (1855–1935) Ethik und Wertphilosophie. Hastings Rashdall (1858–1924) von Lotze und Berkeley beeinflusst. Mit dem Neuidealismus verwandt: Simon Somerville Laurie (1829–1909) W: Metaphysica Nova et Vetusta. Douglas Fawcett (1866–1960). Ernest Beifort Bax (1854–1926). Reinhold Friedrich Alfred Hoernle (1880–1943). Herbert Wildon Carr (1857–1931). Robin George Collingwood (1889–1943) W: Essay on Philosophical Method; The Idea of Nature; The Idea of History. 7. Älterer Realismus: die meisten Vertreter kommen vom Idealismus; keine einheitliche Richtung. Shadworth Hodgson (1832–1912) Mitbegründer der »Aristotelian Society«; kritischer Empirismus; W: The Metaphysics of Experience. Robert Adamson (1852–1902) Geschichte der Philosophie; kritischer Realismus. George Dawes Hicks (1862–1941) Psychologie und Erkenntnistheorie; kritischer Realismus. Thomas Case (1844–1925) W: Physical Realism. John Cook Wilson (1849–1915) Problematiker und Polemiker. Ross 3 [330]. Richard Ithamar Aaron (1901–1987).

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8. Neurealismus 3 [305 f.]: Seit 1900 bis zur Gegenwart; in England bodenständig; [242] Kampf gegen den Neuidealismus; Vorherrschaft der Erkenntnistheorie; starker Einfluss der Physik und Mathematik; mehr kritisch als spekulativ, teils skeptisch gegen die Metaphysik; im Einzelnen nicht gleichgerichtet. John Laird (1887–1946) empiristischer Realismus; W: Knowledge, Belief and Opinion. Thomas Percy Nunn (1870–1944). Norman Kemp Smith (1872– 1958) Übersetzung und Kommentierung von Kants »Kritik der reinen Vernunft«. William Ernest Johnson (1858–1931) Logiker. 9. Bearbeitung von Einzelgebieten: [243] Logik und Logistik: Augustus de Morgan (1806–1871) W: Formal Logic; Syllabus of a proposed System of Logic. George Boole (1815–1864) ordnet die Logik der Mathematik unter; W: The mathematical Analysis of Logic; An investigation of the Laws of Thought. William Stanley Jevons (1835–1882) ordnete die Mathematik der Logik unter; W: The Theory of Political Economy; The Principles of Science; Studies in Deductive Logic. John Venn (1834–1923) strenge Scheidung von Logik und Mathematik; W: Symbolic Logic. Von diesen abhängig Schröder 3 [192]. Wittgenstein 3 [301]. Ramsey 3 [305]. Lizzie Susan Stebbing (1885–1943) W: A modern Introduction to Logic. William Calvert Kneale (1906–1990) W: Probability and Induction. Sprachanalyse: Zurückführung der philosophischen Probleme auf Sprachprobleme; Anschluss an Moore 3 [306]. Russell 3 [305]. Wittgenstein 3 [301]. Ayer 3 [303]. Ryle 3 [306]. Wisdom 3 [307]. Antipositivistische Strömung: Cyril Edwin Mitchinson Joad (1891–1953) W: A Critique of Logical Positivism. Winston Herbert Frederick Barnes: W: The Philosophical Predicament. Dorothy Mary Emmet (1904–2000) W: The Nature of Metaphysical Thinking. Henry Habberley Price (1899–1984). Herbert Louis Samuel Samuel (1870–1963) Staatsmann und Philosoph. Henry James Paton (1887–1969) Kantforscher. Polanyi 3 [323].

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Naturphilosophie und Naturwissenschaften: Oliver Lodge (1851–1940) Phy- [245] siker; W: My Philosophy. Arthur Stanley Eddington (1882–1944) Astronom; W: The nature of the Physical World; The Expanding Universe; New Pathways in Science; The Relativity Theory of Protons and Electrons; Fundamental Theory. James Jeans (1877–1946) Mathematiker, Physiker, Astronom; die Welt als Werk eines mathematischen Geistes; W: The mysterious Universe; The new Background of Science. John Arthur Thomson (1861–1933) Zoologe; Teleologie; Theismus; W: The System of animate nature; Purpose in Evolution. Herbert Dingle (1890–1978) W: Through Science to Philosophy. Wisdom 3 [307]. John Scott Haldane (1860–1936) Vorläufer des Holismus; Theist; W: The Sciences and Philosophy. Jan Christiaan Smuts (1870–1950) südafrikanischer Staatsmann; Holismus; W: Holism and Evolution. Psychologie und Philosophie: Ward 3 [248]. George Frederick Stout (1860– [246] 1944) Realismus; Theismus; W: Mind and Matter; God and Nature. William McDougall (1871–1938) Anknüpfung an die aristotelische Tradition; W: An Outline of Psychology; An Outline of Abnormal Psychology; An Introduction to Social Psychology; Body and Mind; Religion and the Sciences of Life. Hobhouse 3 [234]. Lloyd Morgan 3 [310]. Alexander Faulkner Shand (1858–1936)

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W: The Foundations of Character. Charles Scott Sherrington (1857–1952). Laurence William Grensted (1884–1964). Frederic Charles Bartlett (1886– 1969). Charles Edward Spearman (1863–1945) W: Psychology down the Ages. Edward Bradford Titchener (1867–1927). Francis Aveling (1875–1941) W: The psychological Approach to Reality; Personality and Will. Frederic William Henry Myers (1843–1901) Gründer der »Society for Psychical Research« (Parapsychologie); W: Phantoms of the Living; Human Personality and its Survival of Bodily Death. Frank Podmore (1856–1910) W: Modern Spiritualism, a History and a Criticism. Ethik: Moore 3 [306]. Prichard 3 [330]. Edgar Frederick Carritt (1876–1964) W: Ethical and Political Thinking. Ross 3 [330]. Horace William Brindley Joseph (1867–1943). Muirhead 3 [237]. Charles Lesley Stevenson (1908–1979) W: Ethics and Language. Alfred Cyril Ewing (1899–1973) W: The Definition of Good. Paton 3 [244]. Toulmin 3 [336]. Prior 3 [337]. 10. Theismus und Religionsphilosophie: Seit 1888 alljährlich die »Gifford Lectures« über die »natürliche Theologie« (in Schottland). James Ward (1843–1925) Psychologie; theistische Monadologie; W: Psychological Principles. Clement Charles Julian Webb (1865–1954) Religionsphilosophie; W: God and Personality. Alfred Edward Taylor (1869–1945) kommt vom Empirismus zu einer theistischen und fideistischen Metaphysik; W: The Problem of Conduct; The Faith of a Moralist; Does God exist? William Temple (1881–1944). Arthur James Balfour (1848–1930) Staatsmann; theistischer Humanismus; W: The foundations of Belief; Theism and Humanism. William Ralph Inge (1860–1954) Führer des Protestantismus; vom Neuplatonismus inspiriert; W: Personal Idealism and Mysticism; Philosophy and Religion; The Philosophy of Plotinus. Burnett Hillman Streeter (1874–1937) Theist; W: Reality, a new Correlation of Science and Religion. William George de Burgh (1866–1943) W: From morality to Religion; The Life of Reason. Austin Farrer (1904–1968) W: Finite and Infinite. v Hügel 3 [271]. George Tyrrell (1861– 1909) führender Modernist; W: Lex credendi. 11. Politische Philosophie: Nationalismus: Alexander Hamilton (1755/1757–1804) sein ökonomischer Nationalismus begünstigt den amerikanischen Kapitalismus. Daniel Raymond (1786–1849) W: Thoughts on political Economy. Demokratie: Richard Hildreth (1807–1865) W: Theory of Morals; Theory of Politics. Francis Lieber (1800–1872). Brownson 3 [271]. Demokratischer Hegelianismus (Schule von St. Louis): Henry Conrad Brokmeyer (1826–1906). William Torrey Harris (1835–1909) »Journal of Speculative Philosophy«. Elisha Mulford (1833–1885) W: The Nation; The Republic of God. Sozial- und Wirtschaftskritik: Henry George (1839–1897) W: Progress and Poverty. Edward Bellamy (1850–1898) utopischer Sozialismus; W: Equality. Laurence Gronlund (1846–1899) W: The Cooperative Commonwealth. 12. Akademische Schulphilosophie: Liberalismus: Priestley 3 [144]. Joseph Buchanan (1785–1829) W: Philosophy of Human Nature. Psychologie: Samuel West: Essays on Liberty and Necessity.

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Philosophie des Geistes (unter dem Einfluss der schottischen Philosophie): Thomas Cogswell Upham (1799–1872) W: Elements of Mental Philosophy. Noah Porter (1811–1892) W: Human Intellect. James McCosh (1811–1894) W: Psychology; Realistic Philosophy; First and Fundamental Truths; The Religious Aspect of Evolution. Moralphilosophie: Francis Wayland (1796–1865) W: Elements of Moral Science. Gerard Manley Hopkins (1844–1889). [251] 13. Transzendentalphilosophie: Christlicher Transzendentalismus: 3 [272]. Liberalistischer Transzendentalismus (eklektisch, individualistisch): Emerson 3 [357]. Amos Bronson Alcott (1799–1888) amerikanischer Pestalozzi. Henry David Thoreau (1817–1862) antinomistischer Idealismus. Herman Melville (1819–1891). Henry James (1811–1882) mystifizierender Spiritualismus; W: Lectures and Miscellanies. 14. Idealismus: Seit etwa 1870 selbständige, keinen anderen Interessen unterwor- [252] fene, mehr systematische Philosophie. Im Übergang von der Theologie zum Idealismus. Im Anschluss an Kant: Laurens Perseus Hickok (1798–1888) W: Moral Science; Empirical Psychology; Rational Cosmology; Humanity Immortal. Charles Edward Garman (1850–1907). George Stuart Fullerton (1859–1925) W: A System of Metaphysics. Personaler Idealismus: George Holmes Howison (1834–1916). George Trumbull Ladd (1842–1921). Borden Parker Bowne (1847–1910) W: Personalism. Ralph Tyler Flewelling (1871–1960). Die Schule von St. Louis 3 [249]. Thomas Davidson (1840–1900). Objektiver Idealismus: Jacob Gould Schurman (1854–1942). James Edwin Creighton (1861–1924) W: Studies in Speculative Philosophy. Dynamischer Idealismus: George Sylvester Morris (1840–1889) W: Philosophy and Christianity. Alfred Lloyd (1865–1927) W: Dynamic Idealism. Absoluter Idealismus: Josiah Royce (1855–1916) systematische Fassung des amerikanischen Idealismus; W: The World and the Individual. Andere Idealisten: Francis Bowen (1811–1890). Gustavus Watts Cunningham (1881–1968). William Ernest Hocking (1873–1966). Henry Davidson Sheldon (1874–1948). 15. Naturalismus und Evolutionsphilosophie; im Gegensatz zur spiritualistischen [253] Transzendentalphilosophie; Einfluss Darwins und Spencers. Naturphilosophie: John Fiske (l842–1901) Ansatz zu einem theistischen Entwicklungssystem im Anschluss an Spencer; W: Outlines of Cosmic Philosophy; The Idea of God affected by modern Knowledge. Francis Ellingwood Abbot (1836–1903) objektiver Relationalismus; W: Scientific Theism. Romantische Naturphilosophie: Anschluss an Goethe und Schelling: John Stallo (1823–1900) W: General Principles of the Philosophy of Nature; The Concepts and Theories of Modern Physics. Paul Carus (1852–1919) W: Monism and Meliorism. Spekulative Biologie: Wright 3 [358]. Alexander Winchell (1824–1891) W: Sketches of Creation; The Doctrine of Evolution. Joseph LeConte (1869–1091) W: Evolution. Jean Louis Agassiz (1807–1873). Edward Drinker Cope (1840–

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1897). Edmund Montgomery (1835–1911) W: Philosophical Problems in the Light of Vital Organization. Evolutionstheologie (Vermittlung zwischen Bibel und Entwicklungslehre): Edward Hitchcock (1793–1864) W: The Religion of Geology. Im Anschluss an Darwin: McCosh 3 [251]. George Frederick Wright (1838–1921). Im Anschluss an Spencer: Minot Judson Savage (1841–1918). James Thompson Bixby (1843–1921). Francis Howe Johnson (1835–1920) W: What is Reality. Genetische Sozialphilosophie: William Graham Sumner (1840–1910) W: The Forgotten Man. Lester Frank Ward (1841–1913) W: Dynamic Sociology; The Psychic Factors of Civilization. James Mark Baldwin (1861–1934) W: Thought and Things; Dictionary of Philosophy and Psychology. Ferner die Schule von Chicago 3 [359]. Pessimistische und naturalistische Geschichtsauffassung: Henry Adams (1838–1918) W: The Education of H. Adams. George Santayana (1863–1952) Pluralismus (Wesenheit, Materie, Wahrheit, Geist); Konflikt zwischen Realismus und Idealismus; W: The Life of Reason; Skepticism and Animal Faith; The Realms of Being. [254] IV. Spanischsprachiger Raum a) Christliche Philosophie (Erneuerung der Tradition): Alvarado 3 [270]. Balmes y Urpiá 3 [270]. José Fernández Cuevas (1816–1864). Ortí y Lara 3 [254]. Comellas y Cluet 3 [284]. Mendive 3 [284]. Urráburu 3 [284]. Ceferino González y Díaz Tuñón (1831–1894) Vorkämpfer der scholastischen Philosophie des 19. Jahrhunderts; W: Estudios sobre la filosofia de Santo Tomás; Philosophia elementaris. b) Traditionalismus: Cortés 3 [270]. Quadrado y Nieto 3 [270]. [255] c) Philosophie des Common Sense: de Eixalá 3 [270]. Dessen Schüler Javier Llorens y Barba (1820–1872) Spiritualismus; drängt auf vollständige Analyse des Bewusstseins; W: Lecciones de Filosofía. Mittelbarer Einfluss auf Menéndez y Pelayo 3 [284]. d) Krausismus (3 [166]): Julián Sanz del Rio (1814–1869) W: Lecciones sobre el sistema de Filosofía Analítica de Krause. Die Bewegung des Krausismus erlischt gegen 1900. [256] e) Fortentwicklungen im 20. Jahrhundert: Izquierdo 3 [284]. Ruibal 3 [295]. Zaragüeta 3 [284]. Gironella 3 [284]. Alonso 3 [284]. Ignatio Casanovas Camprubí (1872–1936) Balmes-Forscher. José Hellín (1883–1973). f) Unter dem Einfluss Ortega y Gassets 3 [369]: Morente 3 [295]. Zubiri 3 [369]. D’Ors y Rovira 3 [295]. g) Andere Richtungen: de Unamuno 3 [397]. Ramiro de Maeztu (1875–1936) Pädagoge; von Kant und Nietzsche zur spanischen Tradition zurückkehrend; W: La crisis del Humanismo; En defensa de la Hispanidad. Marías Aguilera 3 [369]. [257]

V. Russland a) Im Gefolge des Deutschen Idealismus: Nikolaj Strachow (1828–1896) Hegelianer; W: Die Welt als Ganzes; Grundbegriffe der Psychologie und Physio-

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logie. Daniil Michajlovic Vellanskij (1774–1847) Schellingianer; W: Übersicht des Hauptinhaltes der philosophischen Naturerkenntnis. Ivan Ivanovic Davydov (1794–1863) Schellingianer; W: Elemente der Logik. b) Christliche Realisten (3 [273]): Hryhorij Sawowytsch Skoworoda (1722–1794) [258] Ethiker; Mystiker. WLADIMIR SOLOWJOW (1853–1900) einer der bedeutendsten Philosophen Russlands; Philosophie der Alleinheit; Sophia-Lehre; W: Die Krise der westlichen Philosophie; Zwölf Vorlesungen über das Gottmenschentum; La Russie et l’Eglise universelle; Die Rechtfertigung des Guten; Schriften zur Unionsfrage. Philosophisch ausgerichtete Dichter und Schriftsteller: Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821–1881). Lew Nikolajewitsch Tolstoi (1828–1910). Konstantin Nikolajewitsch Leontjew (1831–1891). Wassili Wassiljewitsch Rosanow (1856–1919). Berdjajew 3 [298]. Sergei Nikolajewitsch Bulgakow (1871–1944) theologischer Ausbau der Sophia-Lehre. Losskij 3 [298]. c) Positivisten: Pjotr Lawrowitsch Lawrow (1823–1900) W: Historische Briefe; [259] Aufgaben des Begreifens der Geschichte. Nikolai Konstantinowitsch Michailowski (1842–1904) Soziologe. Nikolai Grot (1852–1899) näherte sich später der Metaphysik. d) Materialisten (3 Dialektischer Materialismus): Michail Alexandrowitsch Bakunin (1814–1876) geschichtsphilosophische Ansätze, später Anarchist und Nihilist. Nikolai Gawrilowitsch Tschernyschewski (1828–1899) Vulgärmaterialist, von Feuerbach und Comte abhängig. Georgi Plechanow 3 [340]. Bogdanow 3 [340]. Lenin 3 [340]. Bucharin 3 [340]. Deborin 3 [340]. Mark Mitin (1901–1986) W: Historischer Materialismus; Dialektischer Materialismus. VI. a) b) c) d)

Andere Länder [260] Schweden: Christopher Jacob Boström (1797–1866) Persönlichkeitsidealismus. Finnland: Kaila 3 [303]. Dänemark: Kierkegaard 3 [197]. Harald Höffding (1843–1931) Positivist. Norwegen: Niels Treschow (1751–1833) individualistische Entwicklungslehre. Marcus Jakob Monrad (1816–1897) Hegelianer. Anathon Aall (1867–1943) Religions- und Philosophiegeschichte. e) Niederlande: Cornelis Opzoomer (1821–1892) Empirismus. Gerardus Johan- [261] nes Petrus Josephus Bolland (1854–1922) Führer der Hegelbewegung. Gerardus Heymans (1857–1930) Kritizismus. Gerardus van der Leeuw (1890– 1950) Religionsphänomenologie; Kritizismus. f) Böhmen: August Smetana (1814–1951) Hegel’sche Naturphilosophie. Tomásˇ Garrigue Masaryk (1850–1937) Verbindung von Positivismus und mystischer Religiosität; W: Modern Man and Religion. g) Polen: Pflege der Katholischen Philosophie an der Katholischen Universität in [262] Lublin: Morawski 3 [287]. Michalski 3 [299]. Positivismus: Jan Baptist Sniadecki (1756–1830). Polnischer Messianismus: Jozef Maria Hoene-Wronski (1776–1853). Phänomenologie: Ingarden 3 [370].

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Lemberg-Warschauer Schule 3 [322]. h) Bulgarien: Begründer und Vermittler westlicher Philosophie: Peter Beron (1798–1871). Ivan Güselev (1844–1916). Nikola Alexiev (1877–1912). Ivan Georgov (1862–1936). Dimitur Blagojev (1856–1924) Begründer des bulgarischen Sozialismus. Dimiter Michaltschev (1880–1966) Rehmke-Schule 3 [195]. i) Ungarn: Karl Böhm (1846–1911) positiver Kritizismus; W: Der Mensch und seine Welt. Zoltán Beöthy (1848–1922) W: Das Tragische. Menyhért Palágyi (1859–1924) die Raumzeit als Urstoff der Dinge. v Brandenstein 3 [300]. j) Mexiko: Oswaldo Robles (1904–1969) W: Introducción a la psicología científica; Filósofos Mexicanos; Símbolo y deseo. José Vasconcelos Calderón (1882– 1959) zuerst Anhänger Bergsons, später Annäherung zur katholischen Philosophie; Ästhetik als Integration des Zerstreuten ins Absolute; W: Metafísica; Estética; Ética; Lógica orgánica. Antonio Caso (1883–1946) Gegner des Positivismus, Lebensphilosophie; W: La filosofía de la intuición; El concepto de la historia universal; Principios de Estética; El acto ideatorio; El peligro del hombre. Gaos 3 [369].

Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart [264] A. Christliche Philosophie: Lage zu Beginn des 19. Jahrhunderts I. Neue Ansätze im 19. Jahrhundert a) Der deutschsprachige Raum 1. Von der Aufklärung zur Romantik: Sebastian Mutschelle (1749–1800). Stattler 3 [154]. Patriz Benedikt Zimmer (1752–1820) Vernunft als Fähigkeit des Vernehmens; später: Innere Offenbarung als Ermöglichung der Vernunft; W: Philosophische Religionslehre. Ildefons Schwarz (1752–1794). Josef Weber (1753–1831). Jakob Salat (1766–1851). Johann Michael Sailer (1781–1832) W: Vernunftlehre für Menschen, wie sie sind; Grundlehren der Religion. [265] 2. Die Tübinger Schule: Johann Sebastian von Drey (1777–1853). Johann Adam Möhler (1796–1838). Franz Anton Staudenmaier (1800–1856) W: Darstellung und Kritik des Hegelschen Systems. Johann Evangelist von Kuhn (1806–1887) W: Jacobi und die Philosophie seiner Zeit. [266] 3. Die Katholisch-Deutsche Romantik v Baader 3 [159]. Schlegel 3 [160]. Görres 3 [160]. Adam Müller (1779–1829). [267] 4. Weitere Denker: Franz Biunde (1806–1866). Johannes Baltzer (1803–1871). Wilhelm Esser (1798–1854). Bolzano 3 [172]. Günther 3 [165]. Jakob Sengler (1799–1878) W: Über das Wesen und die Bedeutung der spekulativen Philosophie und Theologie in der gegenwärtigen Zeit. Johann Heinrich Loewe (1808–1892). Jakob Zukrigl (1807–1876). Peter Franz Knoodt (1811–1889). Carl Werner (1821–1888) geschichtliche Werke. Deutinger 3 [165]. Friedrich Pilgram (1819–1890) W: Controversen mit den Ungläubigen. Frohschammer 3 [165]. Brentano 3 [193]. Herman Schell (1850–1906). Carl Braig (1853– 1923).

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b) Der französischsprachige Raum (Marie) François Pierre Gonthier Maine de Biran (1766–1824) überwindet den anfänglichen Sensualismus: Anerkennung des Ich (Urgewissheit) und seiner Kausalität; Theorie der drei Lebensformen; W: Œuvres (ed. Tisserand); Influence de l’habitude sur la faculté de penser. Die Philosophische Gegenrevolution in Frankreich: Joseph de Maistre (1753– 1821) W: Les Soirées de Saint-Pétersbourg. Louis-Gabriel-Ambroise de Bonald (1754–1840) W: Théorie du pouvoir politique et religieux dans la société civilisée; Législation primitive; Essai analytique sur les lois naturelles de l’ordre social. François-René de Chateaubriand (1768–1848). Félicité-Robert de Lamennais (1782–1854) W: Esquisse de philosophie. Louis-Eugene Bautain (1796–1867) mit Konversion Abkehr vom Rationalismus; W: La Philosophie du Christianisme. Augustin Bonnetty (1798–1879). Lacordaire 3 [277]. Alphonse Gratry (1805–1872) W: Cours de philosophie; La philosophie du Credo. Charles de Montalembert (1810–1870). Jules Lequier (1814–1862) Freiheit als Postulat und zugleich als logische Wahrheit. Léon Ollé-Laprune (1839–1898) unter dem Einfluss Newmans und Renouviers; Lehrer von Blondel; W: De la Certitude morale. Maurice Blondel (1861–1949) Begegnung von Gott und Mensch im Handeln; Große Wirkungsgeschichte durch die »Philosophie der Aktion« W: L’Action; La philosophie et l’esprit chrétien. c) Italien Antonio Rosmini-Serbati (1797–1855) Versuch, die traditionell-christliche Anthropologie mit der modernen Philosophie zu rechtfertigen, führt zu starken Kontroversen; W: Nuovo Saggio sull’origine delle idee; Introduzione alla filosofia; Principi della scienza morale; Teodicea; Teosofia. Vincenzo Gioberti (1801–1852) W: Introduzione allo Studio della filosofia; Protologia. d) Der spanisch-portugiesische Sprachraum Francisco Alvarado (1756–1814) bekannt als El filosofo rancio; selbständige Polemik; W: Cartas criticas. Ramón Martí de Eixalá (1808–1857). Juan Donoso Cortés (1809–1853). Jaime Balmes y Urpiá (1810–1848) Philosophie als Vollzug des ganzen Menschen; Lehre vom »instinto intelectual« und den sogenannten Fundamentalwahrheiten; W: El criterio; Filosofía fundamental. Fernández Guevas (1816–1864). José María Quadrado y Nieto (1819–1896) vielseitiger Politiker und Gelehrter; zuerst Traditionalist; Philosophie des Common Sense (ähnlich der Schottischen Schule, jedoch ohne Abhängigkeit). Llorens y Barba 3 [255]. e) Der angelsächsische Sprachraum 1. England: Newman 3 [236]. Orestes Brownson (1803–1876) im Verdacht des Ontologismus; W: The American Republic. Pusey 3 [236]. Martineau3 [236]. Friedrich von Hügel (1852–1925) Laientheologe; Religionsphilosophie; W: The mystical Element of Religion; Eternal Life; The Reality of God and Religion and Agnosticism. 2. Irland: Peter Coffey (1876–1943) W: The Science of Logic. 3. Nordamerika (Transzendentalisten): Coleridge 3 [237]. Channing 3 [231]. James Marsh (1794–1842). Caleb Sprague Henry (1804–1884). Frederic

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Henry Hedge (1805–1890) W: Reason in Religion; Atheism in Philosophy. Theodore Parker (1810–1860). [273] f) Russland Pjodr Jakovlevic Tschaadajew (1794–1856) Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Katholischer Universalismus; im Auftrag des Zaren für verrückt erklärt und mit Schreibverbot belegt; W: Philosophische Briefe; Apologie eines Wahnsinnigen. Alexej Stepanowitsch Chomjakow (1804–1860) Betonung der nationalen und ostkirchlichen Überlieferung; von Hegel und bessonders Schelling abhängig. Iwan Kiréjewski (1806–1956) Haupt der russischen Slawophilen. Solowjow 3 [258]. Lev Mikailowitsch Lopátin (1855–1920). [274] II. Neuscholastik im 19. und 20. Jahrhundert a) Der deutschsprachige Raum 1. Deutschsprachige Neuscholastik des 19. Jahrhunderts: Kleutgen 3 [201]. Franz Jakob Clemens (1815–1862) W: Giordano Bruno und Nicolaus von Cusa; Die Wahrheit in dem Streit über Philosophie und Theologie. Hermann Ernst Plassmann (1817–1864). Albert Stöckl (1823–1895) W: Die spekulative Lehre vom Menschen; Geschichte der Philosophie des Mittelalters. Tilmann Pesch (1836–1899) W: Die großen Welträtsel. Constantin Gutberlet (1837–1928). Otto Willmann (1839–1920). Heinrich Denifle (1844–1905). Cathrein 3 [205]. Franz Ehrle (1845–1934). Ernst Commer (1847–1928). Clemens Baeumker (1853–1924). [275] 2. Deutschsprachige Neuscholastik des 20. Jahrhunderts: Joseph Mausbach (1861–1931) W: Die katholische Moral und ihre Gegner; Natur- und Völkerrecht. Stanislaus von Dunin-Borkowski (1864–1934). Adolf Dyroff (1866–1963). Joseph Fröbes (1866–1947). Gallus Manser (1866–1950). Geyser 3 [207]. Martin Grabmann (1875–1949) W: Die Geschichte der scholastischen Methode; Mittelalterliches Geistesleben. Bernhard Jansen (1877–1942). Klimke3 [173]. Franz Pelster (1880–1956). Friedrich Dessauer (1881–1963). Paul Simon (1882–1946). Daniel Feuling (1882–1947). Johann Steffes (1883– 1955). Hans Meyer (1884–1966). Joseph Koch (1885–1967). Caspar Nink (1885–1975). Theodor Steinbüchel (1888–1949) W: Das Grundproblem der Hegelschen Philosophie; Der Umbruch des Denkens. Joseph Santeler (1888– 1968). Erich Przywara (1889–1972) W: Analogia entis. Clemens Söhngen (1892–1971). Lorenz Fuetscher (1894–1935). Johannes Hirschberger (1900– 1990) W: Geschichte der Philosophie. Philotheus Boehner (1901–1955). Eberhard Welty (1902–1965). Gerhard Krüger (1902–1972). Friedrich Stegmüller (1902–1981). Gustav Siewerth (1903–1963) W: Das Schicksal der Metaphysik von Thomas zu Heidegger. Alois Guggenberger (1903–1981). Bernhard Lakebrink (1904–1991). Josef Pieper (1904–1997) W: Scholastik; Das Viergespann: Klugheit-Gerechtigkeit-Tapferkeit-Maß. Timotheus Barth (1909–1967). Heimo Dolch (1912–1984). Marcel Reding (1914–1993). Joseph Möller (1916–2007). [276] b) Der französischsprachige Raum 1. Das Löwener Institut: Kardinal Désiré Mercier (1851–1926) Gründer des Löwener Instituts; W: Discours d’ouverture du cours de philosophie de Saint Thomas; Psychologie. Louis de Raeymaeker (1895–1970) W: Introduction à la

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philosophie. Fernand van Steenberghen (1904–1993) W: Dieu caché; Études philosophiques. Désiré Nys (1859–1927). Simon Deploige (1868–1927). Armand Thiéry (1868–1955). Maurice Defourny (1878–1953). Nicolas Balthasar (1882–1959). Albert Dondeyne (1901–1985). Léon Noël (1878– 1953). Fernand Renoirte (1894–1958); Robert Feys (1880–1961). Albert Michotte van den Berck (1881–1965). Weitere Neuscholastiker im 19. Jahrhundert: Jean Baptiste Henri Dominique Lacordaire (1802–1861). Marie-Ange Chastel (1804–1861) W: Les rationalistes et les traditionalistes, ou les écoles philosophiques depuis vingt ans. Gioacchino Ventura di Raulica (1792–1861). Alberto Lepidi (1838–1885) W: Elementa philosophiae christianae. Alois van Weddingen (1841–1890). Domet de Vorges (1829–1910). Pierre Simon Ballanche (1776–1847). Philippe Buchez (1796–1866). Gerhard Casimir Ubaghs (1800–1875). Alexandre Vinet (1797– 1847). Auguste Sabatier (1839–1901). Eugène Ménégoz (1838–1921) Symbolfideismus. Alfred Loisy (1857–1940). Ambroise Gardeil (1859–1931) Gründer der »Revue Thomiste«; W: La structure de l’âme et l’expérience mystique. Lucien Laberthonnière (1860–1932). Pierre Rousselot (1878–1915) W: L’Intellectualisme de saint Thomas. Théodore de Régnon (1831–1893). Weitere Neuscholastiker des 20. Jahrhunderts: Antonin-Dalmace Sertillanges (1863–1948) W: Le sources de la croyance de Dieu; Socialisme et christianisme; Saint Thomas d’Aquin. Jacques Maritain (1882–1973) Primat des Konkreten und der Intuition; Betonung des Menschen als Person; W: Court traité de l’existence et de l’existant; Distinguer pour unir, ou les degrés du savoir; Humanisme integral. Étienne Gilson (1884–1978) Geschichte der Philosophie, Metaphysik; mittelalterliche Philosophie als christliche Philosophie, W: Réalisme thomiste et critique de la connaissance; La Philosophie au moyen âge; L’être et l’essence. André Marc (1892–1961) W: Psychologie reflexive; Dialectique de l’affirmation; Dialectique de l’agir; L’etre et l’esprit. Jean-Marie Le Blond (1899–1973). Pierre Mandonnet (1858–1936). Ephrem Longpré (1890–1965). Maurice de Wulf (1867–1947). Pedro Descoqs (1877–1946). Garrigou-Lagrange 3 [205]. Marie-Dominique Roland-Gosselin (1883–1934). Wahl 3 [372]. Régis Jolivet (1891–1966). Joseph de Finance (1904–2000) W: Cogito Cartésien et réflexion thomiste; Être et Agir; Ethica generalis. Maréchal und die Maréchal-Schule Joseph Maréchal (1878–1944) Verbindung von Thomismus und Transzendentalphilosophie, Urteil als Ort der Seinsbejahung; W: Le point de départ de la métaphysique. Die französischsprachige Maréchal-Schule: Leopold Malevez (1904–1973). Auguste Grégoire (1890–1949) W: Immanence et Transcendance: Questions de Theodicée. Joseph Defever (1899–1964). Gaston Isaye (1903–1984) Methode der Retorsion; Intuition aus der realen Aktivität des Urteilens; W: La justification critique par rétorsion. André Hayen (1906–1988). Jean Javaux (1904–1987). Eduard Dirven (1925–2008) W: De la forme à l’acte. Die deutschsprachige Maréchal-Schule: Weiterentwicklung in Auseinandersetzung mit Heidegger und Hegel; Johannes Baptist Lotz (1903–1992) W: Das Urteil und das Sein; Transzendentale Erfahrung. Karl Rahner (1904–1984) W: Geist in Welt; Hörer des Wortes. Walter Brugger (1904–1990). Emerich

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[281] d) 1.

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e) 1.

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Coreth (1919–2006) W: Metaphysik; Vom Sinn der Freiheit. Béla Weissmahr (1929–2005). Italien Anfänge der Italienischen Neuscholastik: Roselli 3 [154]. Vincenzo Buzetti (1777–1824) Verbreiter des Neuthomismus von Piacenza; W: Institutiones sanae philosophiae. Gaetano Sanseverino (1811–1865) W: Philosophia christiana cum antiqua et nova comparata. Alberto Barberis (1847–1896) Gründer der Zeitschrift »Divus Thomas«. Thomismus: Serafino Sordi (1793–1865). Domenico Sordi (1790–1880). Luigi Taparelli d’Azeglio (1793–1862) W: Saggio teoretico di diritto naturale appoggiato sul fatto. Matteo Liberatore (1810–1892) W: Della conoscenza intellettuale. Carlo Maria Curci (1809–1891) treibende Kraft bei der Gründung der Zeitschrift »La Civiltà Cattolica«. Giovanni Maria Cornoldi (1822–1892) Thomismus als Erkenntnis vom Wahrheitsrang eines Dogmas; W: Die antikatholische Philosophie und die gegenwärtigen Übel der Gesellschaft. Salvator Tongiorgi (1820–1865). Tommaso Maria Zigliara (1838– 1893). Costa Rosetti (1841–1900). Domenico Palmieri (1829–1909). Die spätere Neuscholastik in Italien: Guiseppe Zamboni (1875–1950) Auseinandersetzung mit dem Positivismus; Erweiterung des Erfahrungsbegriffs in den intellektiven Bereich; W: Introduzione al corso di gnoseologia pura. Agostino Gemelli (1878–1959) Gründer der Katholischen Universität Mailand. Francesco Olgiati (1886–1962) Metaphysiker, Rechtsphilosophie; W: I fondamenti della filosofia classica. Gustavo Bontadini (1903–1990) W: Saggio di una metafisica dell’esperienza. Umberto Padovani (1894–1968) W: La filosofia della religione e il problema della vita. Cornelio Fabro (1911–1995) W: Introduzione all’esistenzialismo; Introduzione all’ateismo moderno; Tomismo e pensiero moderno; Introduzione a San Tommaso. Amato Masnovo (1880– 1955). Emilio Chiocchetti (1880–1951). Carlo Mazzantini (1895–1971). Carlo Giacon (1900–1984). Mariano Felice Cordovani (1883–1950). Paolo Dezza (1901–1999). Der spanisch-portugiesische Sprachraum Spanien: Juan Manuel Ortí y Lara (1826–1904) Kritiker des Krausismus. Cefirino González (1831–1894) Wiederbelebung der Scholastik in Spanien; Geschichte der Philosophie; W: Estudios sobre la filosofía de Santo Tomás; Historia de la Filosofía. Marcelino Menéndez y Pelayo (1856–1912) Humanist; W: Historia de los Heterodoxos españoles; Historia de las ideas estéticas en España; Ensayos de crítica filosófica. Antonio Comellas y Cluet (1832–1884) W: Introducción a la filosofía. José Mendive (1836–1906). Juan José Urráburu (1844–1904) Versuch einer Vermittlung von Suárez und Thomas; W: Institutiones philosophicae; Compendium philosophiae scholasticae. Santiago Ramírez (1891–1967). Juan Zaragüeta Bengoechea (1883–1975) Realismus und Idealismus als Vorstufen einer Philosophie des Lebens; W: Filosofía y vida. Alberto Gómez Izquierdo (1870–1930). Juan Roig Gironella (1912–1982). Ignacio Casanovas Camprubí (1872–1936). José Hellín (1883–1973). Adolfo Muñoz Alonso (1915–1974) W: Fundamentos de Filosofía; Persona humana y sociedad.

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2. Portugal: Giacomo Sinibaldi (1856–1928) W: Elementos de Philosophia. Alfredo Pimenta (1882–1951). Leonardo Coimbra (1883–1936). 3. Lateinamerika: José Soriano de Souza (1833–1895) W: Liçoes de filosofía Elementar Racional e Moral. Nemesio González (1866–1929). Jacinto Rios (1842–1892). David Luque (1828–1992). Uladislao Castellano (1834–1900). Francixco Ginebra (1839–1907). Rafael Maria Carrasquilla (1857–1930). Luis Guillermo Martinez Villada (1886–1956). Octavio Nicolás Derisi Lomanto (1907–2002). Enrique Pita (1900–1956). Leonel Franca (1893–1948). Leonardo van Acker (1896–1986). Stanislaus Ladusãns (1912–1993). Clarence Finlayson Elliot (1913–1954). f) Der angelsächsische Sprachraum 1. Großbritannien: William Georg Ward (1912–1882). Thomas Morton Harper (1821–1893) W: The Metaphysics of the School. John Rickaby (1847–1927). Martin Cyril D’Arcy (1888–1976). Frederick Copleston (1907–1994) Philosophiegeschichte. Denis John Hawkins (1906–1964). Eric Lionel Mascall (1905–1993). Illtyd Trethowan (1907–1993). 2. USA: John Augustine Ryan (1869–1945). John McCormick (1874–1943). Henri Renard (1894–1981). Leo Keeler (1890–1937) W: The problem of error from Plato to Kant. Thomas Verner Moore (1877–1969). Rudolf Allers (1883– 1963). Gerald Bernard Phelan (1892–1965). Yves Simon (1903–1961). Anton Pegis (1905–1978). 3. Kanada: Louis-Marie Régis (1904–1988). Bernard Lonergan (1904–1984) Erkenntnistheorie; W: Insight. Vernon Bourke (1907–1998). Charles de Koninck (1934–1965). g) Ost- und Südosteuropa 1. Polen: Piotr Semenenko (1814–1886). Eleonora Zamiecka (1819–1869). Marjan Morawski (1845–1901). Kazimierz Wais (1856–1934) W: Psychologia; Scholastyka i neoscholastyka. Franciszek Gabryl (1866–1914) W: O kategorjach Aristotelesa; Noetyka. Władysław Weryho (1868–1916). Klimke3 [173]. Franciszek Kwiatkowski (1888–1949) W: Die ewige Philosophie. Piotr Chojnacki (1897–1969). Stanisław Adamczyk (1900–1971) W: Allgemeine Metaphysik. Józef Maria Bochen´ski (1902–1995). Jan Salamucha (1903–1944). Kazimierz Kłosak (1911–1982). Tadeusz S´lipko (geboren 1918). Stanisław Kamin´ski (1919–1986). Karol Wojtyła (= Johannes Paul II., 1920– 2005) inspiriert von der Phänomenologie (insb. Scheler); W: Person und Tat. Mieczysław Albert Kra˛piec (1921–2008) wichtigster Vertreter des Existentialthomismus; W: Zur Theorie und Methodologie der Metaphysik. Mieczysław Gogacz (geboren 1926). Władysław Stróz˙ewski (geboren 1933). 2. Ungarn: Ottokár Prohászka (1858–1927). Antal Schütz (1880–1953) W: Energetika és bölcselet; Az Istenbizonyitás logikája. Alexander (Sandor) Horváth (1884–1956) W: La Sintesi scientifica di San Tommaso d’Aquino. 3. Kroatien: Ante Petric´ (1829–1908). Josip Stadler (1843–1918). Stjepan Zimmermann (1884–1963). 4. Slowenien: Anton Mahnicˇ (1850–1920). Alesˇ Usˇenicˇnik (1868–1952) W: Uvod v filozofijo. Eugen Lampe (1874–1918). Janez Janzˇekovicˇ (1901–1988). Anton Trstenjak (1906–1996).

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5. Tschechoslowakei: Eugen Kaderˇávek (1840–1922). Josef Kratochvil (1882– 1940). Dominik Pecka (1895–1981). [289] III. Neue Ansätze im 20. Jahrhundert a) Der deutschsprachige Raum Scheler 3 [364]. Paul Tillich (1886–1965) religiöser Sozialist. Johannes Hessen (1889–1971). Wust 3 [205]. Ebner 3 [374]. Bernhard Rosenmöller (1883– 1974). v Hildebrand 3 [365]. Romano Guardini (1885–1968) W: Der Gegensatz; Welt und Person. Theodor Haecker (1879–1945) W: Wahrheit und Leben; Was ist der Mensch? Alois Dempf (1891–1982). August Brunner (1894–1985). Kuhn 3 [367]. Hans-Eduard Hengstenberg (1904–1998). Jakob Hommes (1898–1966) W: Zwiespältiges Dasein; Der technische Eros. Bochen´ski 3 [287]. Bernhard Welte (1906–1983) Religionsphilosophie; W: Auf der Spur des Ewigen; Im Spielfeld von Endlichkeit und Unendlichkeit. Max Müller (1906– 1994) W: Existenzphilosophie. Hermann Krings (1913–2004) W: Transzendentale Logik. Reinhard Lauth (1919–2007) Transzendentalphilosophie. Wolfgang Kluxen (1922–2007). Richard Schaeffler (* 1926) W: Das Gebet und das Argument; Religionsphilosophie. Robert Spaemann (* 1927) W: Glück und Wohlwollen; Personen; Natürliche Ziele. Peter Henrici (* 1928). Werner Beierwaltes (* 1931) Neuplatonismus. Ferdinand Ulrich (* 1931) W: Homo abyssus. Michael Theunissen (* 1932). Hans Michael Baumgartner (1933–1999). Ludger Honnefelder (* 1936). Jörg Splett (* 1936) Christliche Philosophie als Theoanthropologie; W: Freiheitserfahrung; Mit-Sein. Raúl Fornet-Betancourt (* 1946) Interkulturelle Philosophie. [290] 1. Induktive Metaphysik: Külpe 3 [182]. Becher 3 [182]. Wenzl 3 [326]. 2. Katholische Sozialphilosophie: Heinrich Pesch (1854–1926) W: Liberalismus, Sozialismus und christliche Gesellschaftsordnung. Spann 3 [344]. Gustav Gundlach (1892–1963). Oswald von Nell-Breuning (1890–1991) christliche Soziallehre; maßgeblich beteiligt an der »Enzyklika Quadragesimo Anno«; W: Zur christlichen Staatslehre; Einzelmensch und Gesellschaft; Gesellschaftliche Ordnungssysteme; Gerechtigkeit und Freiheit; Kapitalismus und gerechter Lohn. Johannes Messner (1891–1984). Heinrich Rommen (1897–1967). [291] b) Der französischsprachige Raum Laberthonnière 3 [277]. Jean Baruzi (1881–1953) Psychologie der Mystik. Marcel 3 [372]. Emmanuel Mounier (1905–1950) Personalismus; W: Qu’est-ce que le personnalisme? Stanislas Breton (1912–2005). Jean Ladrière (1921– 2007). Henry 3 [368]. Claude Bruaire (1932–1986). René Girard (* 1923) Religionsphilosophie. Marion 3 [368]. [292]

Philosophie de l’Esprit: Le Roy 3 [388]. Pierre Teilhard de Chardin (1881– 1955) Paläontologie; Gott als Zielpunkt aller sich entfaltender Wirklichkeit; W: Der Mensch im Kosmos. Le Senne 3 [388]. Lavelle 3 [388]. Gaston Fessard (1897–1978) Auseinandersetzung mit Hegel, Marx und Kierkegaard; W: De l’actualité historique. Jean Guitton (1901–1999). Maurice Nédoncelle (1905– 1976). Simone Weil (1909–1943) W: Zeugnis für das Gute.

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c) Italien Enrico Castelli (1900–1977) Nichtreduzierbarkeit des individuellen psychischen Lebens; Analysen zum Problem der Kommunikation; Begründer des »Archivio di Filosofia«; W: Filosofia della vita; Idealismo e solipsismo. Michele Federico Sciacca (1908–1975) Philosophie der Integralität; W: Objektive Innerlichkeit. 1. Christlicher Personalismus: Armando Carlini (1878–1959) kritische Revision des Idealismus; W: Il mito del realismo. Luigi Stefanini (1891–1956) W: Idealismo cristiano; Metafisica della persona. Augusto Guzzo (1894–1986) W: L’io e la ragione; L’uomo. Renato Lazzarini (1891–1975). Luigi Pareyson (1918–1991) W: Estetica, teoria della formatività; Verità e interpretazione; Esistenza e persona. Armando Rigobello (* 1924). 2. Rosminianismus: Giuseppe Morando (1866–1914). Carlo Caviglione (1879– 1969). Giuseppe Bozetti (1878–1956). Dante Morando (1908–1959). d) Der spanisch-portugiesische Sprachraum Ángel María Amor Ruibal (1869–1930) Auseinandersetzung mit Scholastik und moderner Philosophie; Relativität als Grundintuition; W: Los problemas fundamentales de la filosofía y del dogma. Zubiri 3 [369]. Eugenio D’Ors y Rovira (1882–1954) Theorie der »figurativen Intelligenz«; W: La filosofía del hombre que trabaja y que juega; El secreto de la filosofía. Manuel García Morente (1886–1942) W: La filosofía de Kant; Fundamentos de filosofía. Raimon Panikkar (1918–2010) Religionsphilosophie. 1. Argentinien: Miguel Angel Virasero (1900–1966) W: La Libertad, la Existencia y el Ser; Fundamento ontológico de la Religión. Alberto Caturelli (* 1927) W: La filosofía. Philosophie der Befreiung: Arturo Andrés Roig (* 1922). Juan Carlos Scannone (* 1931). Enrique Dussel (* 1934). Dina Picotti (* 1936) Interkulturelle Philosophie. Carlos Cullen (* 1943). Mario Casalla (* 1946). Horacio Victorio Cerutti Guldberg (* 1950). 2. Kolumbien: Cayetano Betancur Campuzano (1910–1982). 3. Mexiko: Antonio Caso Andrade (1883–1946). Calderón 3 [263]. Leopoldo Zea (1912–2004). Philosophie der Befreiung. Agustín Basave Fernández del Valle (* 1923) W: Filosofía del Hombre; Metafísica. 4. Peru: Víctor Andrés Belaúnde (1883–1966) W: La síntesis viviente. Alberto Wagner de Reyna (1915–2006) W: La filosofía en Iberoamérica; Analogía y Evocación. Augusto Salazar Bondy (1925–1974) Philosophie der Befreiung. 5. Uruguay: Juan Llambias de Acevedo (1907–1972). e) Der angelsächsische Sprachraum (3 [301 f.]) 1. Großbritannien Richard Bevan Braithwaite (1900–1990). Hare 3 [330]. Ian Ramsey (1915– 1972). Mitchell 3 [315]. Ninian Smart (1927–2001). 2. Nordamerika Hartshorne 3 [313]. v Buren 3 [315]. MacIntyre 3 [332]. Elizabeth Kraus (* 1929). Dallas High (* 1931). Plantinga 3 [313]. Wolterstorff 3 [315]. Lewis Ford (* 1933). Frederick Ferré (* 1933). Eduardo Mendieta (* 1963) Philosophie der Befreiung.

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f) Ost- und Südosteuropa 1. Russland: Nikolaj Berdjajew (1874–1948) von Dostojewski beeinflusster russischer Existentialismus; Personalismus; Überbewertung der Freiheit, gegen jede Autorität der Intuition, gegen diskursives Denken des Subjekts, gegen Objektivismus; ursprünglich Marxist, später Bekehrung zum östlichen Christentum; vom Sowjetregime 1922 aus Russland ausgewiesen; W: Philosophie des freien Geistes; Von der Bestimmung des Menschen; Essai de metaphysique eschatologique; Der Sinn der Geschichte; Wahrheit und Lüge des Kommunismus. Sergej Bulgakow (1871–1944) von Solowjow beeinflusst; Weiterführung des Sophia-Gedankens; W: Der Mensch und das Menschentier; Das abendlose Licht. Nikolaj Onufrijewitsch Losskij (1870–1965) Personalismus; organischer Real-Idealismus; W: Tipy mirovozzrenij (Weltanschauungstypen). Simon Frank (1877–1950) aus Russland 1922 ausgewiesen; Erkenntnistheorie des lebendigen Wissens; Sein als schöpferisches Leben; W: Das Unergründliche. [299] 2. Polen: Marian Zdziechowski (1861–1938) W: Pesymizm, romantyzm a podstawy chrzes´cijan´stwa. Franciszek Sawicki (1877–1952). Konstanty Michalski (1879–1947). Ingarden 3 [370]. Wojtyła 3 [287]. Andrzej Połtawski (* 1923). Marian Jaworski (* 1926). Tadeusz Styczen´ (* 1931) W: Etyka niezalez˙na. Józef Tischner (1931–2000) sehr einflussreich und umstritten; Entwicklung vom Thomismus zur Phänomenologie; W: Ethik der Solidarität; Der unmögliche Dialog: Christentum und Marxismus in Polen; Das menschliche Drama. Stanisław Kowalczyk (* 1932). Władyslaw Strózewski (* 1933). Michał Heller (* 1936). [300] 3. Ungarn: Ákos Pauler (1876–1933) objektiver Idealismus; W: Bevezetés a filozófiába; Logik. Valéria Dienes (1879–1978). Béla von Brandenstein (1901– 1989) Ideal-realistisches System; gegen Positivismus, Szientismus und Empirismus; W: Bölcseleti alapvetés; Der Aufbau des Seins. 4. Tschechoslowakei: Alois Lang (1869–1957). Emmanuel Rádl (1873–1942). Rudolf Inocenz Maly´ (1889–1965). Frantisˇek Maresˇ (1857–1942) W: Idealism a realism v prˇírodní veˇdeˇ. Vladimír Hoppe (1882–1932) W: Prˇíroda a veˇda; Základy duchovní filozofie. 5. Slowenien: France Veber (1890–1975) W: Uvod v filozofija; Znanost in vera. [298]

[301] B. Analytische Philosophie I.

Vorläufer der Analytischen Philosophie Brentano 3 [193]. Meinong 3 [194]. Bolzano 3 [172]. FRIEDRICH LUDWIG GOTTLOB FREGE (1848–1925) Schöpfer der modernen mathematischen Logik und der modernen Semantik; Mathematik als ein Zweig der Logik (»Logizismus«); Psychologismuskritik; W: Begriffsschrift; Die Grundlagen der Arithmetik; Grundgesetze der Arithmetik; Über Sinn und Bedeutung. LUDWIG WITTGENSTEIN (1889–1951) der Frühere: Philosophie als Therapie; Abbildtheorie der Bedeutung; Sprache der Naturwissenschaften als einzig sinnvolle Wissenschaftssprache; W: Tractatus logico-philosophicus;

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der Spätere: Sprachspiele; Regelbefolgung; Bedeutung liegt im Gebrauch; Beschreiben statt Erklären; W: Philosophische Untersuchungen; Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie; Über Gewissheit; Lectures and Conversations on Aesthetics, Psychology and Religious Belief. a) Wiener Kreis [302] Moritz Schlick (1882–1936) »Gründer« des Wiener Kreises; W: Allgemeine Erkenntnislehre; Fragen der Ethik. Otto Neurath (1882–1946) W: Raum und Zeit in der gegenwärtigen Physik; Wissenschaftliche Weltauffassung, Sozialismus und Logischer Empirismus. Rudolf Carnap (1891–1970) Hauptvertreter des Wiener Kreises; Projekt einer Einheitswissenschaft; Philosophie als »Wissenschaftslogik«; radikale Metaphysikkritik; naturalistische Ontologie; W: Der logische Aufbau der Welt; Die logische Syntax der Sprache; Meaning and Necessity. Herbert Feigl (1902–1988) W: Theorie und Erfahrung in der Physik. Hans Hahn (1879–1934) W: Logik, Mathematik und Naturerkennen. Karl Menger (1902–1985) W: Moral, Wille und Weltgestaltung. Kurt Gödel (1906–1978) Gödel’scher Unvollständigkeitssatz (keine axiomatische Theorie kann ihre Widerspruchsfreiheit beweisen); W: Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme; Consistency of the axiom of choice and of the generalized continuum-hypothesis with the axioms of set theory. Gustav Bergmann (1906–1987) W: The Metaphysics of Logical Positivism; Philosophy of Science; Meaning and Existence; Logic and Reality; Realism; New Foundations of Ontology. Friedrich Waismann (1896–1959) W: Einführung in das mathematische Denken; Lectures on the Philosophy of Mathematics. Philipp Frank (1884–1966). Viktor Kraft (1889–1975) W: Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre; Mathematik, Logik und Erfahrung; Der Wiener Kreis. b) Umfeld des Wiener Kreises [303] Mach 3 [175]. Avenarius 3 [175]. Charles Morris (1903–1979) syntaktische, semantische und pragmatische Funktion der Sprache; Behaviorismus; W: Foundations of the Theory of Signs; Grundlagen der Zeichentheorie. Alfred Jules Ayer (1910–1989) Nonkognitivismus und Emotivismus in der Ethik; W: Logical Positivism; Language, Truth and Logic; Philosophical Essays; The Origins of Pragmatism; Metaphysics and Common Sense; Philosophy in the Twentieth Century. Poincaré 3 [316]. Duhem 3 [387]. Marty 3 [193]. Eino Kaila (1890–1958) W: Der logische Neopositivismus. Hilbert 3 [317]. Alfred Tarski (1902–1983) Logiker; Tarski-Semantik; semantische Definition des Wahrheitsbegriffs, W: Undecidable Theories; Logic, Semantics, Mathematics; Logic, Methodology and Philosophy of Science; The Theory of Models; Ordinal Algebras. Kazimierz Adjukiewicz (1890–1963) Logiker und Wissenschaftsphilosoph; Mitglied der Lemberg-Warschau-Schule 3 [322]; W: Abriss der Logik. c) Zusammenarbeit mit der »Berliner Gesellschaft für empirische Philosophie« [304] Leonard Nelson (1882–1927) W: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie; Über die Grundlagen der Ethik; System der philosophischen Rechtslehre; Mengenlehre. Kurt Grelling (1886–1942) semantische Antinomie (Grellings und Nelsons Paradoxie).

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d) Zeitschrift »Analysis« Hans Reichenbach (1891–1953) Philosophie der Relativitäts- und Quantentheorie; Erkenntnis beruht auf Wahrscheinlichkeitsschlüssen; dreiwertige Logik; W: Elements of Symbolic Logic; Der Aufstieg der wissenschaftlichen Philosophie. Walter Dubislav (1895–1937). Carl Gustav Hempel (1905–1997) topologische Logik; Kritiker des Verifikationsprinzips des Logischen Positivismus; Hempel-Oppenheim-Schema (3 Erklärung); W: Studies in the Logic of Confirmation; Philosophy of Natural Science; Aspects of scientific explanation. [305]

[306]

[307]

II. Analytische Philosophie von den Anfängen bis zur Gegenwart a) Idealsprachliche Richtung der Analytischen Philosophie (3 [301 f.]) Bertrand Russell (1872–1970) logischer Atomismus; das Ideal der exakten Wissenschaften bestimmt die Sprachkritik; Theorie der Kennzeichnung; Ableitung der Mathematik aus der Logik; Russell’sche Antinomie (Klassenantinomie); Ethik; W: Principia Mathematica; The Philosophy of Logical Atomism; The Analysis of Mind; An Inquiry into Meaning and Truth; Human Knowledge. Frank Ramsey (1903–1930) Mathematiker und Philosoph; W: The Foundation of Mathematics and Other Logical Essays. b) Normalsprachliche Richtung der Analytischen Philosophie George Edward Moore (1873–1958) Common-Sense-Philosophie; Ethik; Intuitionismus; »naturalistischer Fehlschluss«; W: Principia Ethica; Ethics; Philosophical Studies; Some Main Problems of Philosophy; Eine Verteidigung des Common Sense. Gilbert Ryle (1900–1976) Kategorien und »Kategorienfehler«; mentale Prädikate sind Dispositionen; W: The Concept of Mind; Dilemmas. John Langshaw Austin (1911–1960) Sprechakttheorie; Handlungsanalyse; Kritik am Phänomenalismus; Deskriptivismus in der Ethik; W: Philosophical Papers; How to do Things with Words; Sense and Sensibilia. Paul Grice (1913–1988) intentionale Theorie der Bedeutung; Analyse des Meinens; konventionale und konversationale Implikatur; W: Studies in the way of words; Aspects of reason. Peter Frederick Strawson (1919–2006) Begriffsanalyse der normalen Sprache; deskriptive und revisionäre Metaphysik; Philosophie der Person und des Geistes; W: Introduction to Logical Theory; Individuals; The Bounds of Sense; Analysis and Metaphysics. John Rogers Searle (* 1932) Theorie der Sprechakte; Leib-Seele-Problem (Gegner des Computervergleichs); Intentionalität, Deskriptivismus in der Ethik; W: Speech Acts; Intentionality; The Rediscovery of the Mind. c) Weiterentwicklung der Analytischen Philosophie Charles Kay Ogden (1889–1957) und Ivor Armstrong Richards (1893–1979) W: The Meaning of Meaning. John Oulton Wisdom (1908–1993) philosophy of mind; W: Other Minds; Philosophy and Psychoanalysis; Philosophy and its Place in Our Culture; Paradox and Discovery; Causationy and the Foundations of Science; Foundations of Inference in Natural Science. Nelson Goodman (1906–1998) Zeichentheorie; Symboltheorie; Pluralismus; interner oder pragmatischer Realismus; Konstruieren von Welt: mathematische Logik; W: Structure of Appearance; Of Mind and Other Matters; Languages of Art; Ways of Worldmaking; Reconceptions in Philosophy and Other Arts and Science.

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Willard Van Orman Quine (1908–2000) Kritik des logischen Positivismus; »kanonische Notation« mit Hilfe der Logik; naturalistische Ontologie; Kritik der Unterscheidung analytisch-synthetisch; Holismus; Übersetzungsunbestimmtheit; W: Mathematical Logic; From a Logical Point of View; Word and Object; Ontological Relativity and Other Essays; Philosophy of Logic; The Roots of Reference. Max Black (1909–1988) Philosophie der Mathematik; Sprachanalyse; Entscheidungs- und Spieltheorie; W: The nature of mathematics; Vagueness; Theories of logical positivism; Language and Philosophy; Problems of Analysis; Models and Metaphors; Making intelligent choices, how useful is decision theory? Georg Henrik von Wright (1916–2003) Erklären versus Verstehen; intentionales Handeln; Normenlogik; W: Deontic Logic; Norm and Action; Explanation and Understanding; Handlung, Norm und Intention; Wittgenstein; The Tree of Knowledge and other Essays; Action, Norms, Values. Gertrude Elizabeth Margaret Anscombe (1919–2001) Handlungsphilosophie; Anschluss an Thomas von Aquin; W: Intention; An Introduction to Wittgenstein’s Tractatus; Causality and Determination; Collected Philosophical Papers. Peter Geach (* 1916) Supposition und Denotation; christliche Moralphilosophie und Gotteslehre; W: Mental Acts; Reference and Generality; Good and Evil; Logic Matters; The Virtues; Providence and Evil; Truth, Love and Immortality. Mario Bunge (* 1919) Szientistischer Materialismus. David Pears (1921–2009) Irrationalismus; Ethik; Philosophy of Mind; W: Motivated Irrationality; Questions in the Philosophy of Mind. Hector-Neri Castañeda (1924–1991) W: Thinking, Language and Experience. Anthony Quinton (* 1925) W: Thoughts and Thinkers. Antony Flew (* 1923) W: Body, Mind, and Death; God and Philosophy; An Introduction to Western Philosophy; Atheistic Humanism. Wilfried Sellars (1912–1989) Empirismuskritik; mögliche Welten; Prozessontologie; Mythos des Gegebenen; Alltagspsychologie als empirische Theorie; W: Empiricism and the Philosophy of Mind; Science and Metaphysics; Pure Pragmatics and Possible Worlds. Arthur Pap (1921–1959) W: Elements of Analytic Philosophy; Analytische Erkenntnistheorie; Semantics and Necessary Truth: An Inquiry into the Foundations of Analytic Philosophy; An Introduction to the Philosophy of Science. Arthur Coleman Danto (* 1924) Ontologie des Kunstwerks; Handlungstheorie und Geschichtsphilosophie; W: The philosophical disenfranchisement of art; Analytic Philosophy of History; Analytic Philosophy of Action; The Transfiguration of the Commonplace; Narration and Knowledge; Connections to the World. Michael Dummett (* 1925) interner (pragmatischer) Realismus; W: Frege, Philosophy of Language; Truth and other enigmas; The Logical Basis of Metaphysics; Origins of Analytical Philosophy; Hilary Putnam (* 1926) Philosophie der Logik, Mathematik und Naturwissenschaften; Leib-Seele-Problem (Funktionalismus, später dagegen); metaphysischer, später interner oder pragmatischer Realismus; soziale Komponente der Referenz; Intentionalität; Grenzen des naturwissenschaftlichen Wissens; Wandelbarkeit der Vernunft; Neopragmatismus; W: Philosophy of Logic; Mathematics, Matter and Method; Meaning and the Moral Sciences; Reason, Truth and History; Representation and Reality; Realism with a Human Face; Words and Life; Enlightenment and Pragmatism; Ethics without Ontology. Edmund Gettier (* 1927) »Gettier-Pro-

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blem« (die für eine wahre Behauptung gegebene Begründung ist unzutreffend) W: Is Justified True Belief Knowledge? Noam Chomsky (* 1928) Generative Transformationsgrammatik; »Universalgrammatik«; Behaviorismuskritik; W: Syntactic Structures; Aspects of the Theory of Syntax; Reflections on language; Knowledge of language. Richard Montague (1930–1971) sprachanalytische Anwendungen der Modallogik; natürliche Sprache als formale Sprache; W: Logical Necessity, Physical Necessity, Ethics, and Quantifiers; Logic; On the Nature of Certain Philosophical Entities; Universal Grammar. Ernst Tugendhat (* 1930) moralische Motive; W: Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie; Probleme der Ethik; Vorlesungen zur Ethik. Donald Davidson (1917–2003) Bedeutungstheorie; Hermeneutik; Handlungstheorie; Kausalität; »anomaler Monismus« (Physikalismus); intersubjektive Wahrheitstheorie; Ereignisontologie; Nominalismus; W: Essays on actions and events; Inquiries into Truth and Interpretation; Subjective, intersubjective, objective. Rorty 3 [360]. Jerrold Jacob Katz (1933–2002) Linguistischer Ansatz; W: Semantic Theory; The Metaphysics of Meaning; Realistic Rationalism. Nozick 3 [338]. Saul Aaron Kripke (* 1941) Modallogik; Semantik der Eigennamen; Essentialismus; W: Naming and Necessity. Eike von Savigny (* 1941) Weiterentwicklung der Sprechakttheorie; regelorientierter Ansatz; W: Die Philosophie der normalen Sprache; Zum Begriff der Sprache. Gareth Evans (1946–1980) W: Varietes of Reference. Robert Brandom (* 1950) Intentionalismus; regelorientierter Ansatz; Pragmatistische Bedeutungstheorie; W: Making it Explicit; Rorty and His Critics; Articulating reasons; Tales of the Mighty Dead. Roderick Chisholm (1916–1999) Primat des Intentionalen; apriorisches Wissen beruht auf Einsicht in notwendige Wahrheit. Patrick Suppes (* 1922). Harry Frankfurt (* 1929) Analyse des Freiheitsbegriffs; »Frankfurt-Fälle«. Joseph Levine (* 1933) Argument der Erklärungslücke. [308]

[309]

III. Analytische Philosophie des Geistes (philosophy of mind) a) Körper-Geist-Dualismus, Substanzdualismus, Kritik der Identitätsthese Swinburne 3 [313]. Kripke 3 [307]. b) Epiphänomenalismus Huxley 3 [234]. Benjamin Libet (1916–2007). Peter Bieri (* 1944). Birnbacher 3 [331]. c) Das Problem der psychophysischen Wechselwirkung Eugene Paul Wigner (1902–1995) Quantenmechanik und Leib-Seele-Problem. Popper 3 [324.]. John Carew Eccles (1903–1997) W: The Self and Its Brain. Roger Penrose (* 1931) Leib-Seele-Problem und Quantentheorie. d) Reduktiver Physikalismus – das Mentale wird auf das Physische zurückgeführt 1. Semantischer Physikalismus: mentale Ausdrücke in physikalischer Sprache Carnap 3 [302]. Ryle 3 [306]. 2. Identitätstheorie: Realismus; Naturalismus Ullin Place (1924–2000). Smart 3 [331]. Feigl 3 [302]. David Armstrong (* 1926).

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3. Funktionalismus: Common Sense-Funktionalismus der Alltagspsychologie und wissenschaftlicher Psychofunktionalismus Putnam 3 [307]. David Lewis (1941–2001) begrifflicher Funktionalismus; reduktiver Materialismus; psychophysische Typen-Identitätstheorie. e) Nichtreduktiver Physikalismus – mentale Eigenschaften in der physischen [310] Welt Ansgar Beckermann (* 1945). f) Token-Identitätstheorie Davidson 3 [307]. g) Supervenienztheorie Jaegwon Kim (* 1934). h) Emergenztheorie Lewes 3 [235]. Samuel Alexander (1859–1938) W: Moral, Order and Progress; Space, Time, Deity. Conwy Lloyd Morgan (1852–1936) Tierpsychologie; Vorbereitung des Behaviorismus; theistisch orientierte Entwicklungsphilosophie; W: Emergent Evolution; Life, Mind, Spirit. Charlie Dunbar Broad (1887– 1971) an der mathematischen Physik orientiert; Philosophie als Begriffsanalyse und Begriffskritik; W: Scientific Thought; The Mind and its place in Nature; Five Types of Ethical Theory. Roger Sperry (1913–1994). Achim Stephan (* 1955). [311] i) Eliminativer Physikalismus oder Materialismus Quine 3 [307]. Rorty 3 [360]. Feyerabend 3 [323]. Patricia Churchland (* 1943) und Paul Churchland (* 1942) Kritik der Alltagspsychologie; Neurobiologie. j) Abstraktionistischer Realismus und Theorie intentionaler Systeme Daniel Dennett (* 1942) Abstrakta; intentionaler Standpunkt. k) Bewusstsein und phänomenale Zustände Thomas Metzinger (* 1958). Martine Nida-Rümelin (* 1957). Tetens 3 [353]. l) Pragmatischer Realismus und Leib-Seele-Problem Lynne Rudder Baker (* 1944). m) Leib-Seele-Problem und Quantenmechanik David Bohm (1917–1992). Paavo Pylkkänen (* 1959). James Cushing (* 1937). [312] n) Weitere Ansätze Jerry Alan Fodor (* 1935) Repräsentationalismusthese; Computationalismusthese; Sprache des Geistes; computationaler Charakter mentaler Prozesse; Verteidiger der Alltagspsychologie. v Kutschera 3 [385]. Thomas Nagel (* 1937) nur eine Wirklichkeit mit mentalem und physischem Aspekt; Deontologie; moralischer Realismus und Intuitionismus; ethischer Pluralismus; W: The Possibility of Altruism; What is it like to be a bat?; The View from Nowhere; Equality and Partiality. Searle 3 [306]. David Braine (* 1940) Kritiker der dualistischen Argumentationsstrategie und der Verdinglichung des Mentalen. McGinn 3 [335]. Fred Dretske (* 1932) informationstheoretischer Ansatz; Naturalisierung von Inhalten. Ruth Millikan (* 1933) teleologischer Ansatz; biologische Funktion von Repräsentationen. David Papineau (* 1947) teleologischer Ansatz; biologische Funktion von Repräsentationen. Tyler

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Burge (* 1946) Anti-Individualismus; knüpft an Putnam an. David Chalmers (* 1966) Eigenschaftsdualismus (gegen Dennett). [313]

[314]

[315]

IV. Analytische Religionsphilosophie a) Gottesbeweise und natürliche (rationale) Theologie Charles Hartshorne (1897–2000) Religionsphilosophie; Prozessmetaphysik; Naturphilosophie; W: The Divine Relativity; Reality as Social Process; Philosophers Speak of God; Whitehead’s Philosophy; Aquinas to Whitehead; Insights and Oversights of Great Thinkers; Omnipotence and Other Theological Mistakes; Wisdom as Moderation; The Zero Fallacy and Other Essays in Neoclassical Metaphysics. Anthony Kenny (* 1931) W: The Five Ways. Alvin Plantinga (* 1932) Calvinist; Anti-Fundationalist; W: Faith and Rationality; God and Other Minds; The Nature of Necessity; God, Freedom, and Evil; Warranted Christian Belief. Hick 3 [314]. Mitchell 3 [315]. William Rowe (* 1931) W: The Cosmological Argument; Philosophy of Religion. Richard Swinburne (* 1934) W: The Concept of Miracle; Faith and Reason; Responsibility and Atonement; Revelation; The Christian God; Simplicity as Evidence of Truth; The Coherence of Theism; The Existence of God; Is there a God?; The Christian God. Peter van Inwagen (* 1942) W: God, Knowledge and Mystery. b) Atheismus John Leslie Mackie (1917–1981) Utilitarismus; Nonkognitivismus; moralischer Externalismus; prima-facie-Rechte; W: Ethics; The Miracle of Theism. Michael Martin (* 1932) W: Atheism. Robin LePoidevin (* 1962) W: Arguing for Atheism. c) Pluralismus der Religionen John Hick (* 1922) W: God has many names; An Interpretation of Religion; The Metapher of God Incarnate; Arguments for the Existence of God; Evil and the God of Love. d) Theodizeeproblem Geach 3 [307]. Robert Merrihew Adams (* 1937) The Virtue of Faith. David Lewis (1941–2001) W: On the Plurality of Worlds. Gerhard Streminger (* 1952) W: Gottes Güte und die Übel der Welt. e) Glaube und Vernunft bzw. Religion und Philosophie (religious epistemology) Basil George Mitchell (* 1917) W: The Philosophy of Religion; The Justification of Religious Belief; Morality: religious and secular. Nicholas Wolterstorff (* 1932) Anti-Fundationalist; W: Reason Within the Bounds of Religion. Louis Pojman (1935–2005) W: Religious Belief and the Will. William Alston (1921– 2009) W: Perceiving God. Plantinga 3 [313]. f) Religiöse Erfahrung und Gebet Wittgenstein 3 [301]. Paul Matthews van Buren (1924–1998) W: The Secular Meaning of the Gospel. Don Cupitt (* 1934) W: Taking Leave of God; The Sea of Faith. Dewi Zephaniah Phillips (1934–2006) W: The Concept of Prayer; Religion without Explanation; Faith After Foundationalism.

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V. Philosophie der Mathematik und Logik 3 [301–304] [316] a) Grundlagendiskussion im 20. Jahrhundert 1. Logizismus Karl Theodor Wilhelm Weierstraß (1815–1897). Leopold Kronecker (1823– 1891) Zahlentheorie; Wahrscheinlichkeitstheorie; Vorläufer des Intuitionismus; beeinflusst Poincaré und Brouwer. Richard Dedekind (1831–1916) Begriff des Zahlkörpers. Henri Poincaré (1854–1912) Logik; Arithmetik; Intuition; Himmelsmechanik. Giuseppe Peano (1858–1932) Axiomensystem für die natürlichen Zahlen; mathematische Logik. Georg Cantor (1845–1918) Begründer der Mengenlehre, aktual unendliche Mannigfaltigkeiten oder Mengen; Platonismus; kritisiert Freges Logiksystem. Ernst Friedrich Ferdinand Zermelo (1871–1953) Kontinuum-Hypothese; axiomatisches System. Jan Łukasiewicz (1878–1956) dreiwertige Logik; Lemberg-Warschau-Schule 3 [322]. Abraham Fraenkel (1891–1965) Mengenlehre, auf Aussagen- und Prädikatenlogik aufbauend; Axiomensystem. Frege 3 [301]. [317] 2. Formalismus David Hilbert (1862–1943) Begründer des Formalismus; mathematische Sätze sind nicht rein analytisch; neue axiomatische Methode; Widerspruchsfreiheit; Metamathematik; 23 (bzw. 24) Grundprobleme der Mathematik; W: Zahlbericht; Grundlagen der Geometrie; The Problems of Mathematics; Grundlagen der Mathematik. Kurt Gödel (1906–1978) Kritik am Formalismus; Gödel-Sätze (Unentscheidbarkeitssatz, Unableitbarkeitssatz); Platonismus; rekursive Funktionen; W: Über formal unentscheidbare Sätze der »Principia Mathematica« und verwandter Systeme. Gentzen 3 [321]. Reuben Goodstein (1912–1985) konstruktiver Formalismus (durch Wittgenstein inspiriert). 3. Intuitionismus Luitzen Egbertus Jan Brouwer (1881–1966) Wesen der Mathematik liegt im Zählen (»Intuition der natürlichen Zahlenreihe«); Topologie; Sprachkritik. Hermann Weyl (1889–1955) eingeschränkter Intiuitionismus; Pragmatismus; Wissenschaft als symbolische Konstruktion. Arend Heyting (1889–1980). Erret Bishop (1928–1983). Oskar Becker (1889–1964) Phänomenologie; Existenzphilosophie. Andrej Kolmogoroff (1903–1987) Heyting’scher Beweiskalkül als Logik der Konstruktionsaufgaben. [318] 4. Operationalismus und Konstruktivismus 3 [350] Dingler 3 [323]. Lorenzen 3 [350]. 5. Strukturalismus Nicolas Bourbaki: Pseudonym für ein 1934 gebildetes Autorenkollektiv junger französischer Mathematiker; Mitglieder der Gruppe waren u. a. André Weil (1906–1998), Claude Chevalley (1909–1984), Jean Dieudonné (1906–1992), Henri Cartan (1904–2008); allgemeine, grundlegende Strukturen; Mengenlehre als mathematische Grundlagendisziplin; streng axiomatisch; Gesamtdarstellung der Mathematik. 6. Strikter Finitismus (»Endlichkeitslehre«: kein aktual Unendliches, konkrete Ausführbarkeit gefordert) Gustaf Järnefelt (1901–1989) Finite Geometrie. Lotfi Asker Zadeh (* 1921) Unschärfe-Überlegungen; exakte Behandlung unexakter Begriffe; Theorie der

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Fuzzy-Mengen. Alexander Yessenin-Volpin (* 1924) Ultra-Intuitionismus. Paul Kustaanheimo (1924–1997) Finite Geometrie. Erwin Engeler (* 1930) Algorithmisches Modell; Konsens über mengentheoretische Sätze. Bernulf Kanitscheider (* 1939) Finite Kosmologie. Jan Mycielski (* 1932) Finite Analysis. Petr Vopènka (* 1935) Alternative Mengenlehre; phänomenologisch; Rekonstruktion von Teilen der Mathematik. b) Pragmatische Aspekte der Mathematik Andrei Andreyevich Markov (1856–1922). Emil Leon Post (1897–1954) Präzisierung des Berechenbarkeitsbegriffs; rekursive Funktionen; ComputerTheorie; »Post-Maschine«. Haskell Brooks Curry (1900–1982) Mathematik als Wissenschaft von Kalkülen; Algorithmen. Alonzo Church (1903–1995) Präzisierungen des intuitiven Begriffs der Berechenbarkeit durch partiell rekursive Funktionen (Church-Theorem); theoretische Computer-Wissenschaft. Jacques Herbrand (1908–1931) rekursive Funktionen. Alan Turing (1912– 1954) Präzisierung des Berechenbarkeitsbegriffs; Computer-Theorie; TuringMaschinen. c) Philosophie der Mathematik am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts Friedrich-Wilhelm Karl Ernst Schröder (1841–1902). Ferdinand Gonseth (1890–1975). Karol Borsuk (1905–1982). Evert Willem Beth (1908–1964). Saunders MacLane (1909–2005) Naturalismus. Dummett 3 [307]. Gian-Carlo Rota (1932–1999) Kritik an der Philosophie der Mathematik. Charles Parsons (* 1933) Verbindung von Platonismus und Nominalismus; Intuitionismus. Michael David Resnik (* 1938) Strukturalismus. Georg Boolos (1940–1996) Kritiker des Logizismus. Donald Anthony Martin (* 1940). Yvon Gauthier (* 1941) Konstruktivismus. Mark Steiner (* 1942) Platonismus. Crispin Wright (* 1942) Platonismus; neuer Logizismus. Bob Hale (* 1945) Platonismus; neuer Logizismus. Hartry Field (* 1946) Nominalismus. Philip Kitcher (* 1947) Naturalismus. Gregory Chaitin (* 1947). John Paul Burgess (* 1948) Nominalismus. Putnam 3 [307]. Lakatos 3 [323]. Neil Tennant (* 1950) neuer Logizismus. Stewart Shapiro (* 1951) Strukturalismus. Chris Freiling (* 1954). C. Logik 3 [303 f., 316 f.] Frege 3 [301]. Russell 3 [305]. Bochen´ski 3 [287]. Beth 3 [320]. Heinrich Scholz (1884–1956). Leo Gabriel (1902–1987) W: Integrale Logik. Gerhard Karl Erich Gentzen (1909–1945). Ladrière 3 [291]. Albert Menne (1923–1990). Jaakko Hintikka (* 1929).

[322]

Lemberg-Warschauer Schule Kazimierz Twardowski (1866–1938). Zygmunt Zawirski (1882–1948). Stanisław Les´niewski (1886–1939). Łukasiewicz 3 [316]. Adjukiewicz 3 [303]. Tadeusz Kotarbin´ski (1896–1981). Tarski 3 [303]. Moredchai Wajsberg (* 1902, nach 1939 verschollen). Jerzy Słupecki (1904–1987). Maria Kokoszyn´ska (1905–1981). Stanisław Jas´kowski (1906–1965). Bolesław Sobocin´ski (1906– 1980). Adolf Lindenbaum (1909–1941). Andrzej Mostowski (1913–1975).

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D. Wissenschaftstheorie I.

[323]

Allgemeine Wissenschaftstheorie (i. d. R. von der Naturwissenschaft her kommend) Hugo Dingler (1881–1954) Schöpfer der Protophysik; pragmatische Erkenntnistheorie; Operationalismus; »methodische Philosophie«; Philosophie der Physik. Gaston Bachelard (1884–1962). Popper 3 [324]. Albert 3 [324]. Michael Polanyi (1891–1976) W: Personal Knowledge: towards a post-critical philosophy. Thomas Samuel Kuhn (1922–1996) »Paradigmenwechsel«; W: The Structure of Scientific Revolutions. Paul Feyerabend (1924–1994) »anything goes«; erkenntnistheoretischer Anarchismus. Imre Lakatos (1922–1974) »Forschungsprogramme«; komplexer Fallibilismus; Mathematik als quasiempirische Wissenschaft. Wolfgang Stegmüller (1923–1991) wissenschaftstheoretischer Strukturalismus. Bas van Fraassen (* 1941) Konstruktiver Empirismus; quantenmechanische Wissenschaftstheorie; W: Studies in Ontology; The Scientific Image. Paul Hoyningen-Huene (* 1946) Methodischer Konstruktivismus. Toulmin 3 [336].

II. Kritischer Rationalismus Karl Raimund Popper (1902–1994) Falsifikationismus; Drei-Welten-Theorie (Physik, Bewusstsein, Geistiges); offene Gesellschaft; Psycho-physischer Interaktionismus; W: Logik der Forschung; The Open Society and its Enemies; Objektive Erkenntnis. Ernst Topitsch (1919–2003) Kritik an Leerformeln; W: Vom Ursprung und Ende der Metaphysik; Erkenntnis und Illusion. Hans Albert (* 1921) Positivismusstreit; »Münchhausen-Trilemma« (jeder Letztbegründungsversuch sei zirkulär, infiniter Regress oder willkürlicher Abbruch); W: Traktat über kritische Vernunft.

[324]

E. Naturphilosophie

[325]

I.

Von der Physik her 3 [302] Max Planck (1858–1947) Quantentheorie; Ontologie; W: Kausalgesetz und Willensfreiheit; Positivismus und reale Außenwelt; Das Weltbild der neuen Physik; Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft. Albert Einstein (1879– 1955) spezielle und allgemeine Relativitätstheorie; W: Über die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie; Mein Weltbild. Max Born (1882–1970) Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Quantenmechanik. Niels Bohr (1885–1962) Atommodell; Bohr’sche Postulate; Kopenhagener Deutung (mit Heisenberg), Komplementarität; W: Atomtheorie und Naturbeschreibung; Atomphysik und menschliche Erkenntnis. Erwin Schrödinger (1887–1961) Schrödinger-Gleichung. Werner Heisenberg (1901–1976) Quantenmechanik; Unbestimmtheits- bzw. Unschärferelation; Platonismus; W: Physik und Philosophie; Der Teil und das Ganze; Quantentheorie und Philosophie. Popper 3 [324]. Hempel 3 [304]. Carl Friedrich von Weizsäcker (* 1912) W: Die Einheit der Natur; Der Garten des Menschlichen; Aufbau der Physik. Ilya Prigogine (1917–2003). John Polkinghorne (* 1930) Religionsphilosophie. v Fraassen 3 [323]. Stephan William Hawking (* 1942) Kosmologie; schwarze Löcher; Urknall-Theorie; W: A brief History of Time; The Nature of Space and Time; The Universe in a Nutshell.

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[326]

II. Von der Biologie her Hans Driesch (1867–1941). Alois Wenzl (1887–1967) W: Das Leib-Seele-Problem; Wissenschaft und Weltanschauung; Metaphysik der Physik von heute; Metaphysik der Biologie von heute; Philosophie der Freiheit. Ludwig von Bertalanffy (1901–1972) Biologie; Systemtheorie. Konrad Lorenz (1903– 1989) Verhaltensbiologie; W: Das sogenannte Böse; Die Rückseite des Spiegels; Vergleichende Verhaltensforschung oder Grundlagen der Ethologie; Der Abbau des Menschlichen. Humberto Romesín Maturana (* 1928) Neurobiologe, Kybernetiker, gilt als einer der Begründer des radikalen Konstruktivismus, distanzierte sich aber davon (2002); Autopoiesis als Grundbegriff der Evolutions- und Zellenbiologie; W: Biology of Cognition; Autopoiesis and Cognition; Der Baum der Erkenntnis; Liebe und Spiel; Was ist Erkennen?; Biologie der Realität. Francisco Varela (1946–2001) »Autopoiese« und Gründung des radikalen Konstruktivismus; bezeichnet sich selbst nicht als Konstruktivist; W: Principles of Biological Autonomy, Autopoiesis and Cognition; The Tree of Knowledge; Thinking About Biology; Invitation aux sciences cognitives; Biology of Cognition. Gerhard Vollmer (* 1943) W: Evolutionäre Erkenntnistheorie.

[327]

III. Umwelt und -schutz Albert Schweitzer (1875–1965) »Ehrfurcht vor dem Leben«; W: Kulturphilosophie. Hans Jonas (1903–1993) Philosophie des Organischen; W: Macht oder Ohnmacht der Subjektivität?; Organismus und Freiheit; Das Prinzip Verantwortung; Technik, Medizin und Ethik; Philosophische Untersuchungen und metaphysische Vermutungen. Gernot Boehme (* 1937) Mathematik, Physik, Ökologie.

[328]

IV. Ontologie Alfred North Whitehead (1861–1947) Prozessontologie; W: The concept of nature; Process and Reality; Science and the Modern World. Nicolai Hartmann (1882–1950) W: Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis; Allgemeine Biologie; Ethik; Zum Problem der Realitätsgegebenheit; Das Problem des geistigen Seins; Zur Grundlegung der Ontologie; Möglichkeit und Wirklichkeit; Der Aufbau der realen Welt; Philosophie der Natur; Teleologisches Denken; Ästhetik. Günther Jacoby (1881–1969) W: Der Pragmatismus; Allgemeine Ontologie der Wirklichkeit. Hans Pichler (1882–1958) W: Zur Logik der Gemeinschaft; Die Logik der Seele; Einführung in die Kategorienlehre. Eduard May (1905–1956). Hermann Wein (1912–1981).

[329]

F. Ethik / Moralphilosophie Patrick Horace Nowell-Smith (1914–2006) W: Ethics; Education in an University. James Opie Urmson (* 1915) Regelutilitarismus; Emotivismus; W: Philosophical Analysis; Aristotle’s Ethics; The Emotive Theory of Ethics. Iris Murdoch (1919–1999) moralischer Realismus; Religionsphilosophie; W: Metaphysics and Ethics; The Nature of Metaphysics; The Sovereignty of Good; Metaphysics as a Guide to Morals.

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683 I.

Abriss der Geschichte der Philosophie Metaethik [330] Moore 3 [306]. Harold Arthur Prichard (1871–1947) ethischer Intuitionismus; moralische Motivation; W: Does Moral Philosophy Rest On a Mistake?; Moral Obligation. William David Ross (1877–1971) Prima-facie-Pflichten; ethischer Pluralismus; ethischer Intuitionismus; Utilitarismuskritik; W: The Right and the Good; Foundations of Ethics. Wittgenstein 3 [301]. Ayer 3 [303]. Charles Leslie Stevenson (1908–1979) Emotivismus; W: The Emotive Meaning of Ethical Terms; Ethics and Language; Facts and Values. Austin 3 [306]. William Frankena (1908–1994) Naturalismus; Kognitivismus; Emotivismus; Beziehung Ethik und Religion; Internalismus der Motive; W: Ethics; Perspectives on Morality. Richard Brandt (1910–1997) W: Hopi Ethics; Ethical Theory. Urmson 3 [329]. Richard Marvin Hare (1919–2002) Präskriptivismus; Nonkognitivismus; Dezisionismus; angewandte Ethik; universalisierbare Wertevidenz; W: The Language of Morals; Freedom and Reason; Practical Inferences; Applications on Moral Philosophy; Moral Thinking. Laurence Jonathan Cohen (1923–2006) Von der Analyse der Sprache der Moral zur normativen Ethik; W: The Dialogue of Reason. Murdoch 3 [329]. Paul Edwards (1923– 2004) W: The Logic of Moral Discourse. Singer 3 [336]. Searle 3 [306]. Georg Meggle (* 1944). Gilbert Harman (* 1938) metaethischer Relativismus; W: The Nature of Morality; Moral Relativism and Moral Objectivity. Rainer Hegselmann (* 1950) W: Normativität und Rationalität. Renford Bambrough (1926–1999) W: Moral Skepticism and Moral Knowledge. Wolf 3 [331]. Michael Andrew Smith (* 1954) W: The Moral Problem.

[331] II. Utilitarismus Richard Brooker Brandt (1910–1997) Glücks- und Regelutilitarismus, Speziesismuskritik; W: Ethical Theory; A Theory of the Good and the Right; Morality, Utilitarianism and Rights. Mackie 3 [314]. John Harsanyi (1920–2000) Präferenzutilitarismus; moralische Bedeutungslosigkeit asozialer Präferenzen. John Jamieson Carswell Smart (* 1920) W: Utilitarianism; Ethics, Persuation and Truth. Peter Singer (* 1946) Sterbehilfe; Abtreibung; Tierschutz; W: Practical Ethics. Dieter Birnbacher (* 1946) Glücksutilitarismus; W: Ökologie und Ethik; Verantwortung für zukünftige Generationen; Tun und Unterlassen. Jean-Claude Wolf (* 1953) W: Sprachanalyse und Ethik; Freiheit; Analytische Moralphilosophie. Utilitarismuskritik Ross 3 [330]. Nagel 3 [312]. Julian Nida-Rümelin (* 1954) Utilitarismuskritik; Rechteethik; angewandte Ethik; W: Kritik des Konsequentialismus; Angewandte Ethik. III. Tugendethik Philippa Ruth Foot (* 1920) universale Tugenden; Höflichkeitsregeln; Externalismus der moralischen Motivation; W: Virtues and Vices and Other Essays in Moral Philosophy; Die Wirklichkeit des Guten. Bernard Arthur Owen Williams (1929–2003) »one thought too many«;Tugendrelativismus; Utilitarismuskritik; W: Utilitarianism; Morality; Probleme des Selbst; Moral Luck; Ethics and the Limits of Philosophy. Alasdair Chalmers MacIntyre (* 1929) Tugendethik; universale Tugenden; Psychoanalyse; W: The Unconscious;

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[332]

Abriss der Geschichte der Philosophie

684

Whose justice? Which rationality?; After Virtue. Martha Nussbaum (* 1947) universale Tugenden; W: The Fragility of Goodness; Love’s Knowledge; The Quality of Life. Terrance McConnell (* 1948) W: Gratitude. Owen Flanagan (* 1949) Vielfalt der Tugenden und des tugendhaften Lebens; W: Varieties of Moral Personality. [333]

IV. Emotivismus Werner David Ferdinand Falk (1906–1991) ethischer Internalismus; W: Ought, Reasons, and Morality. Paul Edwards (1923–2004) W: The Logic of Moral Discourse. V. Nonkognitivismus Simon Blackburn (* 1944) Objektivität als Resultat eigener Einstellungen auf die Welt (Quasirealismus); W: Spreading the Word. VI. Deontologische Ansätze Tugendhat 3 [307]. Charles Fried (* 1935) W: Right and Wrong.

[334]

VII. Moralischer Realismus v Kutschera 3 [385]. Gilbert Harman (* 1938) W: Das Wesen der Moral; Moral Relativism and Moral Objectivity. Derek Parfit (* 1942) Wunschbefriedigung; objektiv Gutes; globale Präferenzen; moralische Motivation; W: Reasons and Persons. David Owen Brink (* 1958) Naturalismus; moralischer Externalismus; W: Moral Realism and the Foundations of Ethics. David McNaughton (* 1946) W: Moral Vision. Mark de Bretton Platts Daley (* 1947) W: Moral Realities.

[335]

VIII. Vertragstheoretische Ansätze Rawls 3 [338]. David Gauthier (* 1932) Eigeninteresse der Vertragspartner; moralische Motivation; W: Morality and Rational Self-Interest; Morals by Agreement. Nozick 3 [338]. IX. Ethischer Pluralismus und ethischer Relativismus Ross 3 [330]. Rorty 3 [360]. Stuart Newton Hampshire (* 1914–2004) W: Morality and Conflict. Robert Arrington (* 1938) konzeptueller Relativismus; Regeln der moralischen Grammatik im Anschluss an Wittgenstein; W: Rationalism, Realism and Relativism. Colin McGinn (* 1950) moralischer Subjektivismus; W: The Subjective View.

[336]

X. Weitere Ansätze a) Universalisierung Marcus George Singer (* 1926) W: Generalization in Ethics. Hare 3 [330]. b) »Good-reason-approach« Kurt Erich Baier (* 1917) W: The Moral Point of View; The Rational and the Moral Order. Stephen Edelston Toulmin (1922–2009) Regelutilitarismus; Kasuistik; Ideengeschichte; Wissenschaftstheorie; W: An Examination of the Place of Reason in Ethics; The Philosophy of Science; The Use of Arguments; The Abuse of Casuistry. c) Ansatz bei den Grundbedürfnissen und subjektives Wohlbefinden David Wiggins (* 1933) W: Needs, Values and Truth.

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685

Abriss der Geschichte der Philosophie

d) Kant-Interpretation Alan Gewirth (1913–2004) W: Reason and Morality. Onora O’Neill (* 1941) W: Towards justice and virtue; Bounds of justice. Otfried Höffe (* 1943) W: Praktische Philosophie; Naturrecht (Vernunftrecht) ohne naturalistischen Fehlschluß; Persönliches Glück und politische Gerechtigkeit; Moral als Preis der Moderne; Wirtschaftsbürger, Staatsbürger, Weltbürger. Christine Marion Korsgaard (* 1952) W: The standpoint of practical reason; Creating the kingdom of ends; The sources of normativity. e) Diskursethik Habermas 3 [342]. Apel 3 [346]. f) Biomedizinische Ethik Birnbacher 3 [331]. Singer 3 [331]. g) Sozialethik 3 [338 f.] Amartya Kumar Sen (* 1933) Ökonom; W: Utilitarianism and beyond; On Ethics and Economics; Ökonomie für den Menschen. XI. Sonstige Spaemann 3 [289]. Ursula Wolf (* 1951) moralische Motivation; W: Das Problem des moralischen Sollens. Kurt Bayertz (* 1948) evolutionäre Ethik; Bioethik; W: GenEthics; Solidarität. Arthur Norman Prior (1914–1969) W: Logic and the Basis of Ethics; Past, Present and Future.

[337]

G. Politische Philosophie

[338]

Michael Oakeshott (1901–1990) Konservativismus. Éric Weil (1904–1977) W: Philosophie politique; Philosophie morale; Problèmes kantiens. Hermann Lübbe (* 1926) Geschichtsphilosophie. André Glucksmann (* 1937). I.

Liberalismus, Universalismus v Hayek 3 [348]. John Rawls (1921–2002) kontrafaktischer Urzustand: »Schleier des Nichtwissens« über die spätere soziale Position; Verbindung formaler und materialer Gerechtigkeitsfragen zu einer universalistischen Theorie liberaler Politik; W: A Theory of Justice; Political Liberalism; The Law of Peoples. Robert Nozick (1938–2002) Minimalstaatstheorie; Pluralismus; kultureller Relativismus; W: Anarchy, State and Utopia; Philosophical Explanations; The examined Life; Socratic Puzzles; Invariances.

II. Kommunitarismus MacIntyre 3 [332]. Amitai Etzioni (* 1929) W: The Active Society; The Spirit of Community; The New Golden Rule; The limits of privacy; From empire to community. Charles Taylor (* 1931) W: Negative Freiheit?; Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung; Wieviel Gemeinschaft braucht die Demokratie?; Die Formen des Religiösen in der Gegenwart. Michael Walzer (* 1935) W: Sphären der Gerechtigkeit; Kritik und Gemeinsinn; Gibt es einen gerechten Krieg?; Lokale Kritik – globale Standards; Erklärte Kriege – Kriegserklärungen.

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Abriss der Geschichte der Philosophie [340]

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III. (Neo-)Marxismus und Kritische Theorie a) Marxismus und Neomarxismus Georgij Plechanow (1856–1918) Begründer des russischen Marxismus; W: Anarchismus und Sozialismus; Zur Frage der Entwicklung der monistischen Geschichtsauffassung; Über die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte. Alexander Bogdanow (1873–1928) »Empiriomonismus« (marxistische Variante des Empiriokritizismus 3 [175]); W: Empiriomonismus. Wladimir Iljitsch Uljanow genannt Lenin (1870–1924) Materie als bewusstseinsunabhängige Realität; Dialektik; Widerspiegelungstheorie der Erkenntnis; Praxis als Wahrheitskriterium; Parteilichkeit der Philosophie; 3 Dialektischer Materialismus; W: Materialismus und Empiriokritizismus; Philosophische Hefte. Nikolai Iwanowitsch Bucharin (1888–1938) »Mechanizist«: rein mechanische Erklärung jeder Bewegung durch Druck und Stoß; W: Die Theorie des historischen Materialismus. Abram Moissejewitsch Deborin (1891–1963) »Dialektiker«; Bewegung ist Selbstbewegung durch innere Widersprüche; seine Philosophie wurde 1931 von Stalin verurteilt; W: Einführung in die Philosophie des dialektischen Materialismus. Josef Stalin (1879–1953) W: Über dialektischen und historischen Materialismus. Karl Kautsky (1854–1938) »orthodoxer« Marxismus: evolutionistische Geschichtsauffassung, historische Notwendigkeit des Sozialismus; W: Ethik und materialistische Geschichtsauffassung. Eduard Bernstein (1850–1932) Revisionismus; Einfluss des Neukantianismus: Sozialismus nicht historisch notwendig, sondern durch Reformen erreichbares sittliches Ziel; W: Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie. Rosa Luxemburg (1871–1919) historisch notwendiges Kommen des Sozialismus durch Revolution; W: Sozialreform oder Revolution. Antonio Labriola (1843–1904) unter dem Einfluss Hegels und Herbarts, schließlich Verbreiter des Marxismus in Italien; W: Della libertà morale; Morale e religione; Del materialismo storico. Antonio Gramsci (1891–1937) gesellschaftliche Praxis als grundlegende Wirklichkeit; Ablehnung des Materialismus sowie des historischen Determinismus; historischer Relativismus; W: Quaderni del carcere. Georg (György) Lukács (1885–1971) marxistische Ethik und Ästhetik; Proletariat ist identisches Subjekt-Objekt der Geschichte; das gesellschaftliche Sein als Totalität; Verdinglichung des Menschen; W: Die Theorie des Romans; Aufsätze zu Taktik und Ethik; Geschichte und Klassenbewußtsein; Der junge Hegel; Die Zerstörung der Vernunft; Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins. Karl Korsch (1886–1961) Marxismus als zugleich theoretische und praktische Kritik der Gesellschaft; W: Marxismus und Philosophie; Karl Marx. Alfred Sohn-Rethel (1899–1990) materialistische Erkenntnistheorie; abstraktes Denken als Folge des abstrakten Warentausches. Lucien Goldmann (1913–1970) genetischer Strukturalismus; dialektische Eruierung des maximal möglichen Bewusstseins einer Klasse aus ihrer historischen Lage; W: Le dieu caché; Marxisme et sciences humaines. Henri Lefebvre (1905–1991) Entfremdung im Alltag; Staatskritik; W: Critique de la vie quotidienne; De L’État. Louis Althusser (1918–1990) strukturalistische Marxinterpretation; Unterscheidung zwischen Marx’ Früh- und Spätwerk; W: Pour Marx; Lire le Capital.

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b)

c)

d)

e)

Abriss der Geschichte der Philosophie Georg Klaus (1912–1974) Erkenntnistheorie; Logik; Kybernetik; Verhältnis von Naturwissenschaften und Philosophie; W: Moderne Logik; Kybernetik in philosophischer Sicht; Spezielle Erkenntnistheorie. Leo Kofler (Stanislaw Warynski; 1907–1995) W: Die Wissenschaft von der Gesellschaft; Perspektiven des revolutionären Humanismus. Alain Badiou (* 1937). Austromarxismus: Einfluss des Neukantianismus [341] Max Adler (1873–1937) Marxismus als positive Sozialwissenschaft; Gesellschaftlichkeit des Menschen als »soziales Apriori«; ethische Begründung des Marxismus; W: Kausalität und Teleologie im Streite um die Wissenschaft; Marxistische Probleme; Lehrbuch der Materialistischen Geschichtsauffassung. Otto Bauer (1881–1938) W: Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie. Rudolf Hilferding (1877–1941) W: Das Finanzkapital. »Praxis«-Gruppe: Gruppe um die Zeitschrift »Praxis« (1964–1975 in Jugoslawien): humanistischer Sozialismus; Mensch als schöpferisches Wesen der Praxis Branko Bosˇnak (1923–1996). Djanko Grlic´ (1923–1984). Milan Kangrga (1923–2008). Danilo Pejovic´ (1928–2007). Gajo Petrovic´ (1927–1993). Rudi Supek (1913–1993). Predrag Vranicki (1922–2002). Kritische Theorie, Frankfurter Schule [342] Max Horkheimer (1895–1973) W: Dialektik der Aufklärung; Zur Kritik der instrumentellen Vernunft; Traditionelle und kritische Theorie. Theodor Wiesengrund Adorno (1903–1969) negative Dialektik; Ästhetik; W: Dialektik der Aufklärung; Philosophie der neuen Musik; Prismen; Dissonanzen; Noten zur Literatur; Minima Moralia; Jargon der Eigentlichkeit; Negative Dialektik. Walter Bendix Schönflies Benjamin (1892–1940) W: Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik; Ursprung des deutschen Trauerspiels; Das PassagenWerk. Herbert Marcuse (1898–1979) kritische Sozialpsychologie; W: Der eindimensionale Mensch; Eros und Kultur (Triebstruktur und Gesellschaft); Die Permanenz der Kunst und Befreiung. Ernst Bloch (1885–1977) utopischer Sozialismus; W: Geist der Utopie; Das Prinzip Hoffnung; Naturrecht und menschliche Würde; Das Materialismusproblem. Jürgen Habermas (* 1929) Theorie des herrschaftsfreien Diskurses; von Apels Transzendentalpragmatik beeinflusst; W: Strukturwandel der Öffentlichkeit; Erkenntnis und Interesse; Theorie des kommunikativen Handelns; Faktizität und Geltung; Die Einbeziehung des Anderen; Die postnationale Konstellation; Wissen und Glauben; Zwischen Naturalismus und Religion. Axel Honneth (* 1949) W: Das Andere der Gerechtigkeit; Kritik der Macht; Kampf um Anerkennung; Umverteilung oder Anerkennung?; Dialektik der Freiheit. Alfred Schmidt (* 1931). Marxismuskritiker [343] Gustav Wetter (1911–1991) W: Der dialektische Materialismus. Leszek Kolakowski (1927–2009) vom Marxisten zum Marxismuskritiker; Berechtigung von Religion und Mythos als Grundlage menschlicher Kultur; W: Hauptströmungen des Marxismus; Religion – If There Is No God.

IV. Politische Theologie und ihre Kritik Carl Schmitt (1888–1985) Freund-Feind-Schema; Souveränität besteht darin, den Ausnahmezustand verhängen zu können; Nähe zum Nationalsozia-

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[344]

Abriss der Geschichte der Philosophie

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lismus (Lebensraum-Theorie); W: Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen; Politische Romantik; Die Diktatur; Politische Theologie; Römischer Katholizismus und politische Form; Verfassungslehre; Der Begriff des Politischen; Staat, Bewegung, Volk; Völkerrechtliche Großraumordnung und Interventionsverbot für raumfremde Mächte; Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum; Theorie des Partisanen; Politische Theologie II. Othmar Spann (1878–1950) Nationalökonom, Soziologe, Philosoph; Vordenker des Austrofaschismus; W: Der wahre Staat; Kategorienlehre; Der Schöpfungsgang des Geistes; Gesellschaftslehre; Geschichtsphilosophie; Erkenne dich selbst; Naturphilosophie. Karl Löwith (1897–1973) stoisch und skeptisch; Geschichtsphilosophie; W: Meaning in history; Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Leo Strauss (1899–1973) W: On tyranny; Liberalism, ancient and modern. Eric Voegelin (1901–1985) gegen »politische Religion«, die eine moderne Gnosis in Form der Säkularisation ist; W: Die politischen Religionen; The New Science of Politics; Order and History; Wissenschaft, Politik und Gnosis; Anamnesis. [345] V. Politische Anthropologie Karl Jaspers (1883–1969) Theorie der Achsenzeit, in der sich die Zivilisation gebildet hat; kritische Existenzphilosophie; W: Psychologie der Weltanschauungen; Die geistige Situation der Zeit; Die Schuldfrage; Vom Ursprung und Ziel der Geschichte; Die Frage der Entmythologisierung; Die Atombombe und die Zukunft des Menschen; Freiheit und Wiedervereinigung; Hoffnung und Sorge. Alexandre Kojève (1902–1968) Hegelinterpretation (das Ende der Geschichte). Plessner 3 [383]. Scheler 3 [364]. Hannah Arendt (1906–1975) Wiedergewinnung der Öffentlichkeit durch eine Handlungstheorie verschiedener Interaktionen (Arbeiten, Herstellen, politisches Handeln) unter Rückgriff auf Aristoteles und Kant; Einflüsse von Jaspers und Heidegger; W: The Origins of Totalitarianism; Vita activa; On Revolution; Macht und Gewalt; Was ist Politik?; Vom Leben des Geistes. [346] VI. Kritischer Rationalismus 3 [324] VII. Sprachpragmatik Karl-Otto Apel (* 1922) Transzendentalpragmatik als Begründungsverfahren universaler Normen; W: Dialog als Methode; Transformation der Philosophie; Sprachpragmatik und Philosophie; Die Erklären-Verstehen-Kontroverse in transzendentalpragmatischer Sicht; Diskurs und Verantwortung; Zur Anwendung der Diskursethik in Politik, Recht und Wissenschaft. Rorty 3 [360]. [347] VIII. Fachwissenschaftliche Theoriebildung a) Soziologie Georges Sorel (1847–1922) Marxist; W: Illusions du progrès; Réflexions sur la violence. Ferdinand Tönnies (1855–1936) Gemeinschaft und Gesellschaft, Voluntarismus. Max Weber (1864–1920) Begründer der qualitativen Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft; Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik; Rechtssoziologie; W: Die »Objektivität« sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis; Die protestantische Ethik und der »Geist« des Kapitalismus; Politik als Beruf. Karl Mannheim (1893–1947)

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Abriss der Geschichte der Philosophie

Wissenssoziologie; W: Ideologie und Utopie; Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus; Freedom, Power and Democratic Planning. Norbert Elias (1897–1990) an Kants Geschichtsphilosophie und Freuds Psychoanalyse orientierte Theorie der Zivilisation als andauernder Prozess; W: Über den Prozeß der Zivilisation. Georges Bataille (1897–1962). Günther Anders (1902–1992) Sozialphilosoph. Raymond Aron (1905–1983). Helmut Schelsky (1912–1984) W: Ortsbestimmung der deutschen Soziologie; Die Soziologen und das Recht. Foucault 3 [356]. Clifford Geertz (1926–2006) Kulturphilosoph; Interpretative Ethnologie. Niklas Luhmann (1927–1998) Systemtheoretiker; gesellschaftliche Prozesse sind selbstgesteuert und selbstbegründet (autopoietisch); Politik ist nur eine Kommunikationsform des Gesamtsystems; W: Soziale Systeme; Die Gesellschaft der Gesellschaft; Die Politik der Gesellschaft. Ralf Gustav Dahrendorf (1929–2009) Kampf- bzw. Konflikttheorie des sozialen Austauschs; W: Class and class conflict in industrial society; Lebenschancen; Die Zukunft des Wohlfahrtsstaats; Auf der Suche nach einer neuen Ordnung; Der Wiederbeginn der Geschichte. Baudrillard 3 [356]. Oskar Negt (* 1934) Grundlagen der Gewerkschaften. b) Politologie [348] Arnold Joseph Toynbee (1889–1975) Universalhistoriker; komparativ-historisch fundierte polyzentrische Zivilisationstheorie; W: A Study of History; Civilisation on Trial; Krieg und Kultur; Die Zukunft des Westens; Menschheit – woher und wohin?; Mankind and mother earth. Isaiah Berlin (1909–1997) wechselseitige Verwiesenheit von Demokratie- und Verfassungsprinzip durch Adaption der Freiheit zu bzw. von etwas; W: Four Essays on Liberty. c) Ökonomie Friedrich August von Hayek (1899–1992) rechtlich eingebundener politischer Individualismus; W: The Road to Serfdom; The political ideal of the rule of law; Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit. v Nell-Breuning 3 [290]. Sen 3 [336]. d) Psychologie Sigmund Freud (1856–1939) Begründer der Psychoanalyse; physiologisierende Dreiteilung der Psyche in Ich-Überich-Es; W: Die Traumdeutung; Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse; Die Zukunft einer Illusion; Das Ich und das Es; Das Unbehagen in der Kultur. Jung 3 [187]. Erich Fromm (1900–1980) Sozialkritiker; W: Die Kunst des Liebens. Michel de Certeau (1925–1986) Soziologie des Alltagslebens; W: L’écriture de l’histoire; L’invention du quotidien; Arts de faire. Burrhus Frederic Skinner (1904–1990) radikaler Behaviorismus. Viktor Frankl (1905–1997) Logotherapie. IX. Rechtsphilosophie [349] Zwischen Menschenrechtsdenken und Rechtspositivismus. Ansätze libertärer, kommunitaristischer oder prozeduraler Rechtsbegründung. Probleme zwischen allgemeinen Menschenrechten und kultureller Vielfalt. Weber 3 [347]. Schmitt 3 [344]. Gustav Radbruch (1878–1949) Trias von Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit; W: Grundzüge einer Rechtsphilosophie; Rechtsphilosophie; Vorschule der Rechtsphilosophie. Hans Kelsen (1881–1973) Rechtspositivismus; W: Hauptprobleme der Staatsrechts-

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Abriss der Geschichte der Philosophie

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lehre; Allgemeine Staatslehre; Staatsform und Weltanschauung; Reine Rechtslehre; Allgemeine Theorie der Normen. Herbert Lionel Adolphus Hart (1907–1992) Recht als Abgrenzung von Befehl und Moral sowie seine Struktur als Verhaltens- und Veränderungsregel; W: Definition and Theory in Jurisprudence; The Concept of Law; Law, Liberty and Morality; Punishment and Responsibility; Essays in Jurisprudence and Philosophy. Norberto Bobbio (1909–2004) liberaler Sozialismus; W: Politica e cultura; Teoria della norma giuridica; Die Zukunft der Demokratie; Menschenrechte und Moderne. Schelsky 3 [347]. Rawls 3 [338]. Walzer 3 [339]. Habermas 3 [342]. Apel 3 [346]. Ronald Dworkin (* 1931) Schüler und Kritiker von Hart; Versuch eines dritten Wegs zwischen Positivismus und Naturrecht; W: Taking Rights Seriously; A Matter of Principle; Law’s Empire; Freedom’s Law; Sovereign Virtue. Luhmann 3 [347]. Robert Alexy (* 1945) Diskurstheorie des Rechts; jedem Urteil muss wenigstens ein allgemeines Prinzip zugrunde liegen; Einflüsse von Habermas; W: Theorie der juristischen Argumentation; Theorie der Grundrechte; Recht, Vernunft, Diskurs; Elemente einer juristischen Begründungslehre. Arthur Kaufmann (1923–2001) W: Rechtsphilosophie. [350]

H. Konstruktivismus I.

[351]

[352]

Erlanger Schule (gegründet 1964 von Wilhelm Kamlah und Paul Lorenzen) Wilhelm Kamlah (1905–1976) Aufbau einer Wissenschaftssprache; gemeinsame Basis für das Sprechen in der Wissenschaft, im Alltag und in der Philosophie; auch Arbeiten zur philosophischen Anthropologie; W: Wissenschaft, Wahrheit, Existenz; Logische Propädeutik; Philosophische Anthropologie; Von der Sprache der Vernunft; Meditatio mortis. Paul Lorenzen (1915–1994) konstruktive Leistung des Subjekts in einer zirkelfreien Wissenschaftssprache (Sprachphilosophie, Logik, operative Mathematik, Metamathematik, Protophysik); W: Einführung in die operative Logik und Mathematik; Formale Logik; Die Entstehung der exakten Wissenschaften; Methodisches Denken; Konstruktive Logik, Ethik und Wissenschaftstheorie; Dialogische Logik; Lehrbuch der konstruktiven Wissenschaftstheorie. Christian Thiel (* 1937) W: Grundlagenkrise und Grundlagenstreit; Erkenntnistheoretische Grundlagen der Mathematik.

II. Entwicklungen aus dem Erlanger Konstruktivismus a) Konstanzer Schule Jürgen Mittelstraß (* 1936) Wissenschaftstheorie; W: Die Rettung der Phänomene; Die Möglichkeit von Wissenschaft; Wissenschaft als Lebensform; Die Häuser des Wissens; Wissen und Grenzen. Friedrich Kambartel (* 1935) praktische Philosophie, Wissenschaftstheorie; W: Was ist und soll Philosophie; Erfahrung und Struktur- Bausteine zu einer Kritik des Empirismus und Formalismus; Wie abhängig ist die Philosophie von der Erfahrung und Geschichte?; Praktische Philosophie und konstruktive Wissenschaftstheorie; Theorie und Begründung. b) Dialogischer Konstruktivismus Kuno Lorenz (* 1932) Entwicklung der dialogischen Logik mit Paul Lorenzen; logische Propädeutik; Handlungstheorie; W: Elemente der Sprachkritik; Iden-

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Abriss der Geschichte der Philosophie

tität und Individuation; Einführung in die philosophische Anthropologie. Dietfried Gerhardus (* 1938) dialogischer und semiotischer Zweig des methodischen Konstruktivismus; W: Schlüssiges Argumentieren. c) Marburger Schule Peter Janich (* 1942) »Methodischer Kulturalismus«; pragmatische Verankerung in der Lebenswelt; rein operative Wissenschaftstheorie ermöglicht Prototheorien für alle Wissenschaftszweige; W: Die Protophysik der Zeit; Entwicklungen der methodischen Philosophie; Logisch-pragmatische Propädeutik; Konstruktivismus und Naturerkenntnis; Was ist Wahrheit?; Das Maß der Dinge; Kultur und Methode. III. Argumentationstheorie Carl Friedrich Gethmann (* 1944) W: Protologik; Theorie des wissenschaftlichen Argumentierens; Logik und Pragmatik; Person und Sinnerfahrung; Philosophie und Technik. Harald Wohlrapp (* 1944) W: Philosophie als Wissenschaft der Reflexion; Argumentieren und Handeln; Wege der Argumentationsforschung. Holm Tetens (* 1948) W: Experimentelle Erfahrung; Geist, Gehirn, Maschine; Philosophisches Argumentieren.

[353]

IV. (Sozial-)Psychologisch Jean Piaget (1896–1980) W: Psychologie der Intelligenz; Das Recht auf Erziehung und Bildung in der modernen Welt; Die relationale Methode in der Psychologie der Wahrnehmung; Mathematische Strukturen und operatorische Strukturen des Denkens. V. Radikaler Konstruktivismus (neurologisch) Ernst von Glasersfeld (* 1917) Bezug zu Piaget (konstruktivistische Psychologie): es gibt keine objektive Realität; W: Wissen, Sprache und Wirklichkeit; The constructions of knowledge; Radikaler Konstruktivismus. Heinz von Foerster (1911–2002) Systemtheorie 2. Ordnung; erkenntnistheoretische Interpretation von operationellen Geschlossenheiten kybernetischer Systeme; W: Wissen und Gewissen; Der Anfang von Himmel und Erde hat keinen Namen. Paul Watzlawick (1921–2007) Kommunikationstheorien; W: Vom Schlechten des Guten; Wie wirklich ist die Wirklichkeit?; Vom Unsinn des Sinns oder vom Sinn des Unsinns; Menschliche Kommunikation; Lösungen; Die erfundene Wirklichkeit. Maturana 3 [326].

[354]

I.

[355]

Strukturalismus Ferdinand de Saussure (1857–1913) Sprachtheoretiker, dessen Methode philosophisch umgesetzt wurde. Claude Lévi-Strauss (1908–2009) Ethnologe und Anthropologe; setzte als Erster den Strukturalismus ein. Émile Benveniste (1902–1976) Kategorien bei Aristoteles sind sprachabhängig. Jacques Lacan (1901–1981) Psychoanalytiker; Das Universum des Subjekts besteht aus dem Imaginären und dem Symbolischen. Althusser 3 [340]. Foucault 3 [356]. Barthes 3 [380]. Algirdas Julien Greimas (1917–1992) Semiotik.

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Abriss der Geschichte der Philosophie [356]

J.

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Postmoderne Jean-François Lyotard (1924–1998) Ästhetik; Gesellschaftskritik; W: Des dispositifs pulsionnels; Das Patchwork der Minderheiten; La condition postmoderne; Le différend; Misère de la philosophie; Analytik des Erhabenen. Michel Foucault (1926–1984) Archäologie der Macht und Genealogie der Humanwissenschaften sowie ihrer Institutionen; W: Histoire de la folie à l’âge classique; Les mots et les choses; L’archéologie du savoir; Ceci n’est pas une pipe; L’ordre du discours; Über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin; Dispositive der Macht. Ferdinand Alquié (1906–1985). Gilles Deleuze (1925–1995) Differenzdenken; Filmtheorie; W: Nietzsche et la philosophie; L’anti-Œdipe; Logique du sens; Rhizom; Mille Plateau; Périclés et Verdi; Différence et répétition; Q’est-ce que la philosophie? Jacques Derrida (1930–2004) Dekonstruktion; politische Fragen; W: De la grammatologie; L’écriture et la différence; La voix et le phénomène; Glas; La vérité et le phénomène; Gesetzeskraft; Politik der Freundschaft. Jean Baudrillard (1929–2007) Soziologe; Kritik an Manipulation und »Verführung«; Simulation; W: Requiem für die Medien; Der symbolische Tausch und der Tod; Simulation und Verführung; Das perfekte Verbrechen; Der unmögliche Tausch; Der Geist des Terrorismus. Paul Virilio (* 1932) Theorie der Geschwindigkeit (»Dromologie«); Medienphilosophie; W: Geschwindigkeit und Politik; L’horizon négatif; Ästhetik des Verschwindens; Krieg und Fernsehen; Die Eroberung des Körpers; Information und Apokalypse. Umberto Eco (* 1932) Semiotik; postmoderne Literaturtheorie; W: Das offene Kunstwerk; Einführung in die Semiotik; Zeichen; Über Spiegel und andere Phänomene; Streit der Interpretationen; Die Grenzen der Interpretation; Die Suche nach der vollkommenen Sprache; Kant und das Schnabeltier. Wolfgang Welsch (* 1946) W: Unsere postmoderne Moderne; Vernunft; Aesthetics and Beyond. Norbert Bolz (* 1953) Kulturkritik; Medientheorie; W: Stop making sense!; Theorie der neuen Medien; Eine kurze Geschichte des Scheins; Philosophie nach ihrem Ende; Die Sinngesellschaft; Die Konformisten des Andersseins; Das konsumistische Manifest. Zygmunt Bauman (* 1925) Gesellschaftskritiker; W: Modernity and the Holocaust; Postmodern ethics; Ansichten der Postmoderne; Flaneure, Spieler und Touristen; Unbehagen in der Postmoderne; Work, consumerism and the new poor; Die neue Ordnung des Politischen. Vilém Flusser (1920–1991) Kommunikologie; Farbentheorie; W: Für eine Philosophie der Fotografie; Bodenlos; Nach der Postmoderne; Lob der Oberflächlichkeit; Kommunikologie; Von der Freiheit des Migranten; Gesten. Gianni Vattimo (* 1936) Technikphilosophie; Religionsphilosophie; Begriff des »schwachen Denkens«; W: La fine della modernità; Das Ende der Moderne; Die transparente Gesellschaft; The adventure of difference; Credere di credere; Die Religion. Rorty 3 [360]. Giorgio Agamben (* 1942) durch ihre Reaktionen auf ihre Gegner droht die Gesellschaft ihre demokratischen Grundlagen selbst zu zerstören; W: Homo Sacer.

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Abriss der Geschichte der Philosophie

K. Pragmatismus und Neopragmatismus

[357]

Entstanden nach 1879 im »Metaphysical Club« um Peirce and James in Cambridge (Massachusetts); Neopragmatismus seit den 1970er Jahren. I.

Vorläufer des Pragmatismus Ralph Waldo Emerson (1803–1882) »Transcendentalism«; Pragmatismus als Element nordamerikanischer Kultur; Demokratieideal (nach Dewey »philosopher of democracy«); W: Nature; The Divinity School Address; Representative Men; The Conduct of Life. Josiah Royce (1855–1916) absoluter Idealismus als Pragmatismus; Idee einer universalen Interpretationsgemeinschaft; Begriff der Loyalität in der Ethik; W: The Religious Aspect of Philosophy; The Spirit of Modern Philosophy; The Philosophy of Loyalty; William James and Other Essays on the Philosophy of Life; The Sources of Religious Insight; The Problem of Christianity; Metaphysics; The World and the Individual (1: The Four Historical Conceptions of Being, 2: Nature, Man, and the Moral Order). a) Mitglieder des »Metaphysical Club« [358] Chauncey Wright (1830–1875) Metaphysik; Psychologie; Evolutionstheorie; W: The Evolution of Self-Consciousness. Justice Oliver Wendell Holmes Jr. (1841–1935) pragmatistische Rechtsphilosophie; antinaturrechtlich; W: The Common Law; The Path of the Law. b) Hauptvertreter des klassischen Pragmatismus im »Metaphysical Club« Charles Sanders Peirce (1839–1914) Semiotik; Entwicklungsphilosophie; Kontinuum; W: The Fixation of Belief; How to make our Ideas clear; Was heißt Pragmatismus?; Kernfragen des Pragmatizismus. William James (1842–1910) empiristischer Pluralismus; pragmatischer Idealismus; Religionspsychologie; W: Principles of Psychology; The Will to Believe; The Varieties of Religious Experience; Pragmatism; A Pluralistic Universe; The Meaning of Truth. c) Pragmatismus im Umkreis der Schule von Chicago [359] John Dewey (1859–1952) Haupt der Schule von Chicago; erster »public philosopher« in den USA; werkzeugliche Auffassung des Denkens (Instrumentalismus); pädagogische und sozialpolitische Ideale; W: The School and Society; Experience and Nature; The Quest of Certainty; A Common Faith; Logic; Problems of Men. George Herbert Mead (1863–1931) Interaktionstheorie; Sozialpsychologie; W: The Philosophy of Present; Mind, Self and Society; The Philosophy of the Act. Addison Webster Moore (1866–1930) W: Pragmatism and its Critics. James Hayden Tufts (1862–1942) W: The Individual and His Relation to Society as Reflected in British Ethics; On Democracy; The Real Business of Living; The Ethics of Cooperation; Education and Training for Social Work; America’s Social Morality. Edward Scribner Ames (1870–1958) pragmatistische Religionsphilosophie; W: The Psychology of Religious Experience; The Divinity of Christ; The Higher Individualism; The New Orthodoxy; Religion; Letters to God and the Devil. Henry Heath Bawden (1871– 1950) W: Principles of Pragmatism. Arthur Fisher Bentley (1870–1957) Psychologie; Behaviorismus; Logik; Ethik; W: Knowing and the Known. Hartshorne 3 [313]. Charles William Morris (1903–1979) Unterscheidung von Syntaktik, Semantik und Pragmatik; W: Six Theories of Mind; Logical Posi-

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tivism, Pragmatism and Scientific Empiricism; Paths of Life; Signs, Language and Behavior; The Open Self; Varieties of Human Value; Signification and Significance; Festival; The Pragmatic Movement in American Philosophy; Writings on the General Theory of Signs; Zeichen Wert Ästhetik; Image; Pragmatische Semiotik und Handlungstheorie. d) Weitere Autoren [360] John Elof Boodin (1869–1950) Cambridge School; W: The New Realism; Truth and Reality; A realistic Universe. Clarence Irving Lewis (1883–1964) W: Symbolic Logic; An Analysis of Knowledge and Valuation; The Ground of the Nature of the Right; Our Social Inheritance; Values and Imperatives. Alfred Sidgwick (1850–1943) Pragmatische Logik; sechs Bücher über Logik; W: The Process of Argument. Ferdinand Canning Scott Schiller (1864–1937) humanistischer Pragmatismus; W: Riddles of the Sphinx; Humanism; Plato or Protagoras?; Problems of Belief; Logic for Use; Formal Logic; Our Human Truths. Ayer 3 [303]. Richard McKay Rorty (1931–2007) Vermittlung von analytischer Philosophie und kontinentaleuropäischer Philosophie; Pluralismus von Theorien und deren lebenspraktischer Nutzen; Neopragmatismus; Liberalismus; Identitätstheorie in der philosophy of mind; W: Philosophy and the Mirror of Nature; Consequences of Pragmatism; Contingency, Irony and Solidarity; Hoffnung statt Erkenntnis; Truth, Politics and »Post-Modernism«; Philosophie und die Zukunft. Putnam 3 [307]. Brandom 3 [307]. Nicholas Rescher (* 1928) Neopragmatismus; Realismus; universalistisch; antirelativistisch; W: The Primacy of Practice; Methodological Pragmatism; A System of Pragmatic Idealism; Communicative Pragmatism and other Philosophical Essays on Language; Realistic Pragmatism; Cognitive Pragmatism; Rationality in Pragmatic Perspective; Realism and Pragmatic Epistemology. Richard Allen Posner (* 1939) pragmatistische Demokratietheorie; W: Law, Pragmatism and Democracy. Nancy Fraser (* 1947) feministische Philosophie und Pragmatismus; Philosophie der Differenz; soziale Gerechtigkeit; W: Unruly Practices: Power, Discourse and Gender in Contemporary Social Theory; Justice Interrupturs. John Patrick Diggins (1935–2009) W: The Promise of Pragmatism. John Henry McDowell (* 1942) zweite Natur; undogmatischer Empirismus; W: Meaning, Knowledge, and Reality. [361] II. Pragmatismus in Deutschland Gehlen 3 [383]. Jürgen von Kempski (1910–1998) W: Charles Sanders Peirce und der Pragmatismus. Max Otto Bense (1910–1990) Semiotik; Ästhetik; W: Semiotik; Das Universum der Zeichen. Elisabeth Walter (* 1922) Semiotik; W: Wörterbuch der Semiotik; Allgemeine Zeichenlehre; Die Eigenrealität der Zeichen. Herbert Stachowiak (1921–2004) Neopragmatismus; Kommunikationstheorie; Kybernetik; W: Denken und Erkennen im Kybernetischen Modell; Allgemeine Modelltheorie; Pragmatik: Handbuch pragmatischen Denkens. Apel 3 [346]. Habermas 3 [342]. Klaus Oehler (* 1928) semiotischer Pragmatismus; Verbindung des Pragmatismus mit der Lebens- und Existenzphilosophie; antike Philosophie; W: Sachen und Zeichen. Helmut Pape (* 1950) For-

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Abriss der Geschichte der Philosophie schung zu den Ursprüngen des Pragmatismus. Hans Joas (* 1948) Pragmatismus und Werte; Pragmatismus und Religion; W: Pragmatismus und Gesellschaftstheorie; Die Kreativität des Handelns; Die Entstehung der Werte; Braucht der Mensch Religion? Mike Sandbothe (* 1961) Pragmatismus in der Gegenwart; Medienphilosophie im Zeitalter des Internet; W: Pragmatische Medienphilosophie. Axel Wüstehube (* 1956) W: Pragmatische Rationalitätstheorien; Rationalität und Hermeneutik.

L. Phänomenologie I.

[362]

Ausgangspunkt der phänomenologischen Bewegung in Deutschland EDMUND HUSSERL (1859–1938) zur Lehre 3 Phänomenologie; W: Philosophie der Arithmetik; Logische Untersuchungen; Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie; Formale und transzendentale Logik; Erfahrung und Urteil; Cartesianische Meditationen; Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie; Gesammelte Werke (Husserliana). Herman Leo van Breda (1911–1974) Husserl-Archiv in Löwen.

II. Phänomenologie, Fundamentalontologie und Existenzphilosophie MARTIN HEIDEGGER (1889–1976) Frage nach dem Sinn von Sein verbunden mit der Frage nach der Zeit; Mensch als »Dasein« ist In-der-Welt-Sein, Existentialien, Sorge, Zeitlichkeit, Technikkritik; Geschichte als zunehmende Seinsvergessenheit, die Seinsgeschick ist; W: Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Skotus; Sein und Zeit; Kant und das Problem der Metaphysik; Brief über den Humanismus; Holzwege; Was heißt Denken?

[363]

III. Werttheoretische Richtung Max Scheler (1874–1928) Wesensphänomenologie in Verbindung mit Lebensphilosophie; auf Wertfühlen basierende materiale Wertethik; einer der Begründer der Wissenssoziologie; phänomenologisch-christlicher Zugang; W: Der Genius des Kriegs und der Deutsche Krieg; Vom Umsturz der Werte; Schriften zur Soziologie und Weltanschauungslehre; Der Mensch im Weltalter des Ausgleichs; Die Stellung des Menschen im Kosmos; Philosophische Weltanschauung. Oswald Spengler (1880–1936) Kultur- und Geschichtsphilosophie; Zwangsläufigkeit des Geschehens; W: Der Untergang des Abendlandes; Der Mensch und die Technik; W: Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik; Vom Ewigen im Menschen; Die Wissensformen und die Gesellschaft; Die Stellung des Menschen im Kosmos.

[364]

IV. Göttinger und Münchener Kreis: ontologische bzw. realistische Richtung Moritz Geiger (1880–1937) W: Die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie; Zugänge zur Ästhetik; Die Wirklichkeit der Wissenschaften und die Metaphysik. Dietrich von Hildebrand (1889–1977) W: Metaphysik der Gemeinschaft; Sittliche Grundhaltungen; Der Sinn philosophischen Fragens und Erkennens. Alexander Pfänder (1870–1941) W: Phänomenologie des Wollens; Einführung in der Psychologie; Logik; Die Seele des Menschen. Adolf Reinach (1883–1917) W: Zur Phänomenologie des Rechts. Hedwig ConradMartius (1888–1966) W: Die erkenntnistheoretischen Grundlagen des Positi-

[365]

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vismus; Metaphysische Gespräche; Realontologie; Ursprung und Aufbau des lebendigen Kosmos; Naturwissenschaftlich-metaphysische Perspektiven; Die Zeit. Hans Lipps (1889–1941) Existenzphilosophie auf sprachphilosophischer Basis; W: Untersuchungen zur Phänomenologie der Erkenntnis; Die Verbindlichkeit der Sprache; Die Wirklichkeit des Menschen. Edith Stein (1891–1942) W: Endliches und ewiges Sein. Wilhelm Schapp (1884–1965). Kurt Stavenhagen (1885–1951). [366]

V. Freiburger Kreis: transzendentalphilosophische bzw. idealistische Richtung Oskar Becker (1889–1964). Otto Friedrich Bollnow (1903–1992). Ludwig Ferdinand Clauss (1892–1974). Eugen Fink (1905–1975) W: Das Problem der Phänomenologie Husserls; Zum Problem der ontologischen Erfahrung; Zur ontologischen Frühgeschichte von Raum, Zeit, Bewegung; Sein, Wahrheit, Welt; Spiel als Weltsymbol. Heidegger 3 [363]. Gerhart Husserl (1893–1973). Fritz Kaufmann (1891–1958). Ludwig Landgrebe (1902–1991). Arnold Metzger (1892–1974). Hans Reiner (1896–1991).

[367]

VI. Weitere phänomenologische Denker des deutschsprachigen Raums, Belgiens und der Niederlande Rudolf Bernet (* 1946). Walter Biemel (* 1918). Rudolf Boehm (* 1927). Franz-Josef Brecht (1899–1982). Lothar Eley (* 1931). Elmar Holenstein (* 1937). Samuel Ijsseling (* 1932). Paul Janssen (* 1934). Iso Kern (* 1937). Löwith 3 [344]. Helmut Kuhn (1899–1991). Wilhelmus Luijpen (1922–1980). Eduard Marbach (* 1943). Werner Marx (1910–1994). Ernst Wolfgang Orth (* 1936). Cornelius van Peursen (* 1920). Otto Pöggeler (* 1928). Bernhard Rang (1935–1999). Heinrich Rombach (1923–2004). Hermann Schmitz (* 1928). Stephan Strasser (1905–1991). Elisabeth Ströker (1928–2000). KarlHeinz Volkmann-Schluck (1914–1981). Alphonse de Waelhens (1911–1981). Bernhard Waldenfels (* 1934). Klaus Held (* 1936). VII. Grenzgänger zu den Humanwissenschaften Frederik Jacobus Johannes Buytendijk (1887–1974). Wilhelm Keller (1909– 1987). Martinus Langeveld (1905–1989). Dieter Wyss (1923–1994).

[368] VIII. Internationale Fortführungen a) Amerika Alfred Schütz (1899–1959) W: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt; Reflections on the Problem of Relevance. Aron Gurwitsch (1901–1973) W: Théorie du champ de la conscience; Studies in Phenomenology and Psychology. Marvin Farber (1901–1980). Herbert Spiegelberg (1904–1990). Dorian Cairns (1901–1973). John Wild (1902–1972). Joseph Kockelmans (* 1923). b) Französischer Sprachraum Gaston Berger (1886–1960) W: Le Cogito dans la philosophie de Husserl. Jean Héring (1890–1966). Alexandre Koyré (1892–1964). Emmanuel Levinas (1906–1995) fundamentalethische Überlegungen unter dem Eindruck des Holocaust; von Heidegger und Husserl stark beeinflusst, zu deren Konzepten oft auch in scharfer Antithese; W: La théorie de l’intuition dans la phénoménologie de Husserl; En découvrant l’existence avec Husserl et Heidegger; Totalité et infini; Autrement qu’être ou au-delà de l’essence. Marcel 3 [372]. Maurice

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c)

d)

d)

e)

Abriss der Geschichte der Philosophie Merleau-Ponty (1908–1961) W: La structure du comportement; Phénoménologie de la perception; Sens et Non-sens; Èloge de la Philosophie; Signes. Ricœur 3 [377]. Sartre 3 [372]. Jean-Luc Marion (* 1946) christliche Philosophie. Michel Henry (1922–2002) christliche Philosophie; W: Incarnation. Jean-François Courtine (* 1944). Italien [369] Luciano Anceschi (1911–1995). Banfi 3 [225]. Bobbio 3 [349]. Remo Cantoni (1914–1978). Paolo Filiasi Carcano (1911–1977). Enzo Paci (1911–1976) W: Principi di una filosofia dell’essere; Diario fenomenologico; Idee per una enciclopedia fenomenologica; Fenomenomologica e dialettica; Il nulla e il problema dell’uomo; Tempo e relazione. Giulio Preti (1911–1972). Sofia Vanni Rovighi (1908–1990). Abbagnano 3 [373]. Spanien José Ortega y Gasset (1883–1955) von der Marburger Schule kommend; Perspektivismus; Philosophie als biologische Vitalfunktion; W: El tema de nuestro tiempo; La rebelión de las masas; Historia como sistema; Dos Prólogos; Betrachtungen über die Technik. Morente 3 [295]. Xavier Zubiri Apalategui (1898–1983) W: Sobre la esencia; Inteligencia sentiente; Inteligencia y logos; El hombre y Dios. José Gaos (1902–1969). Julián Marías Aguilera (1914– 2005) W: El metodo histórico de las generaciones. María Zambrano (1904– 1991). [370] Osteuropäischer Raum Theodor Celms (1893–1989). Roman Ingarden (1893–1970) W: Über die Stellung der Erkenntnistheorie im System der Philosophie; Studia z estetyki; Untersuchungen zur Ontologie der Kunst; Der Streit um die Existenz der Welt. Aurel Kolnai (1900–1973). Gustav Špet (1878–1940). Aleksej Lossev (1870– 1965). Wilhelm Szilasi (1889–1966). Jan Patocˇka (1907–1977). Tischner 3 [299]. Japan Nishida 3 [27]. Nishitani 3 [27]. Tanabe 3 [27]. Shu¯zo¯ Kuki (1888–1941). Sutoni Takahashi (1886–1962).

M. Existenzphilosophie I.

[371]

Existenzphilosophie im deutschen Sprachraum Heidegger 3 [363]. Ludwig Binswanger (1881–1966) Psychoanalyse. Jaspers 3 [345]. Wust 3 [205]. Müller 3 [289]. Welte 3 [289]. Eberhard Grisebach (1880–1945) Verbindung von Pädagogik und Existenzpilosophie. Heinrich Barth (1890–1965) Erscheinung und Wirklichkeit. Ernesto Grassi (1902– 1991) Ohnmacht der rationalen Sprache; W: Vom Vorrang des Logos. Wilhelm Weischedel (1905–1975) Kritik an Skeptizismus und Nihilismus; W: Der Gott der Philosophen.

II. Französischsprachige Existenzphilosophie Jeanne Hersch (1910–2000) Schülerin von Jaspers. Gabriel Marcel (1889– 1973) W: Journal métaphysique; Être et Avoir; Homo Viator; Du Refus à l’Invocation; Le mystère de l’Être. Lavelle 3 [388]. Jean Wahl (1888–1974) Ver-

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[372]

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bindung von Hegel, Kierkegaard und Heidegger; Impulsgeber für den französischen Existenzialismus; W: Études Kierkegaardiennes; Traité de métaphysique; Vers la fin de l’ontologie. Émile Michel Cioran (1911–1995) gebürtiger Rumäne, Nihilismus. Atheistischer Existentialismus in Frankreich: Jean-Paul Sartre (1905–1980) Existenz geht dem Wesen voraus; Mensch ist zur Freiheit verurteilt; W: La transcendance de l’Ego; L’être et le néant; L’existentialisme est un humanisme; Critique de la raison dialectique (1: Théorie des ensembles pratiques, 2: L’intelligibilité de l’histoire); Cahier pour une morale. Simone de Beauvoir (1908–1986) W: Pour une morale de l’ambiguïté; Le deuxième sexe; L’existentialisme et la sagesse des nations. Albert Camus (1913– 1960) die Absurdität der Welt; W: La peste; Le mythe de Sisyphe; L’homme révolté. [373]

III. Italienische Existenzphilosophie Nicola Abbagnano (1901–1990) positive, atheistische Existenzphilosophie; Geschichte der Philosophie; W: La struttura dell’esistenza; Introduzione all’esistenzialismo; Filosofia, religione, scienza; Esistenzialismo positive; Possibilità e libertà. Paci 3 [369]. Lombardi 3 [229]. IV. Spanische Existenzphilosophie Pedro Laín Entralgo (1908–2001). V. Russische Existenzphilosophie: Berdjajew 3 [298]. Leo Schestow (1866–1938; eigentlich: Leo Isaak Schwarzmann).

[374]

N. Dialogphilosophie Martin Buber (1878–1965) W: Ich und Du; Die Schrift; Der utopische Sozialismus; Der Jude und sein Judentum; Das dialogische Prinzip. Franz Rosenzweig (1886–1929) W: Der Stern der Erlösung. Ferdinand Ebner (1882–1931).

[375]

O. Feministische Philosophie Julia Kristeva (* 1941) Poststrukturalistin. Judith Butler (* 1956) dekonstruktivistischer Feminismus. Herta Nagl-Docekal (* 1944).

[376]

P. Hermeneutik Herkunft von Schleiermacher 3 [170] und Dilthey 3 [191]. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem in der Theologie: Karl Barth (1886–1968) W: Römerbrief; Prolegomena zur christlichen Dogmatik; Die kirchliche Dogmatik. Rudolf Bultmann (1884–1976). Adolf von Harnack (1851–1930). Als Thematik in die Philosophie übernommen von Heidegger 3 [363]. I.

Deutschland Hans Georg Gadamer (1900–2002) Bedeutung des historischen Abstands, des Vorurteils und des Verständnishorizonts; W: Wahrheit und Methode.

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Abriss der Geschichte der Philosophie

II. Frankreich Paul Ricœur (1913–2005) W: Philosophie de la volonté (1: Le volontaire et l’involontaire, 2: Finitude et culpabilité; Le conflit des interprétations; Temps et récit; Soi-même comme un autre. Jean Greisch (* 1942).

[377]

III. Italien Emilio Betti (1890–1968) W: Interpretazione della legge e degli atti giuridici; Teoria generale della interpretazione; L’ermeneutica come metodica generale delle scienze dello spirito. Q. Geschichtsphilosophie

[378]

Johan Huizinga (1872–1945). Hans Blumenberg (1920–1996). Reinhart Koselleck (1923–2006). Odo Marquard (* 1928). R. Ästhetik I.

[379]

Neo-/Marxistische Ansätze Benjamin 3 [342]. Horkheimer 3 [342]. Adorno 3 [342]. Marcuse 3 [342].

[380] II. Post-/Strukturalismus/Postmoderne Roland Barthes (1915–1980) Postmoderne, Strukturalismus, marxistische Sicht; W: Mythologies; Système de la mode; L’empire des signes; Le plaisir du texte; Fragments d’un discours amoureux. Lyotard 3 [356]. Gilles Deleuze (1925–1995) W: Proust und die Zeichen; Differenz und Wiederholung; Das Bewegungs-Bild; Das Zeit-Bild. Pierre-Felix Bourdieu (1930–2002) Feld, Habitus und Kapital als soziologische Grundbegriffe; W: Die feinen Unterschiede. Baudrillard 3 [356]. Wolfgang Welsch (* 1946) W: Ästhetisches Denken; Grenzgänge der Ästhetik. III. Medientheorie Herbert Marshall McLuhan (1911–1980) »The medium ist the message«; W: The Gutenberg Galaxy; Understanding Media; The Medium is the Message; The Global Village. Flusser 3 [356].

[381]

[382] IV. Sonstige Suzanne Langer (1895–1985) Kultur und Symbol. Charles Alexander Jencks (* 1939) postmoderne Architektur; W: The Architecture of the Jumping Universe; The Garden of Cosmic Speculation. Peter Sloterdijk (* 1947) W: Kritik der zynischen Vernunft; Medien-Zeit; Die Verachtung der Massen. Slavoj Zˇizˇek (* 1949) W: Mehr-Genießen; Die Pest der Phantasmen; Der zweite Tod der Oper. Franco Volpi (1952–2009). [383]

S. Anthropologie v Uexküll 3 [189]. Scheler 3 [364]. Helmuth Plessner (1892–1985) exzentrische Positionalität des Menschen; W: Die Stufen des Organischen und der Mensch; Die Frage nach der Conditio humana; Anthropologie der Sinne; Mit anderen Augen; Grenzen der Gemeinschaft; Macht und menschliche Natur; Die verspätete Nation; Die Emanzipation der Macht. Heinrich Weinstock (1889– 1960) W: Die Tragödie des Humanismus. Philipp Lersch (1898–1972) W: Der

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Aufbau der Person. August Vetter (1887–1976). Arnold Gehlen (1904–1976) der Mensch als Mängelwesen, Kultur und Institutionen als Kompensation; Auseinandersetzung mit dem klassischen Pragmatismus; W: Theorie der Willensfreiheit; Der Staat und die Philosophie; Der Mensch; Urmensch und Spätkultur. Erich Rothacker (1888–1965) Kulturanthropologie. Michael Landmann (1913–1994) Der Mensch als Schöpfer und Geschöpf der Kultur. Helmut Fahrenbach (* 1928) Anthropologie und Existentialismus. Karl-Siegbert Rehberg (* 1943) knüpft an die Institutionenlehre Gehlens an; Existenzphilosophie. Paul Häberlin (1878–1960) Philosophie des großen Ja. Rudolf Steiner (1861–1925) Anthroposophie. [384]

T. Jüdische Philosophie Buber 3 [374]. Rosenzweig 3 [374]. Gershom Scholem (1897–1982). Jacob Taubes (1923–1987) Apokalyptik und Gnosis. Eugen Rosenstock-Huessy (1888–1972). Will Herberg (1901–1977). Joseph Dov Soloveitchik (1903– 1993). Abraham Jehoshua Heschel (1907–1972). Emil Ludwig Fackenheim (1916–2003). Eliezer Berkowitz (1908–1992). Eugene Borowitz (* 1924). Michael Wyschogrod (* 1928). Yeshayahu (Jeschajahu) Leibowitz (1903–1994). Marwin Fox (1922–1996).

[385]

U. Andere Richtungen I.

[386]

[387]

Deutschland, Österreich Fritz Mauthner (1849–1923). Robert Reininger (1869–1955). Fritz-Joachim von Rintelen (1898–1979) W: Philosophie des lebendigen Geistes in der Krise der Gegenwart. Joachim Ritter (1903–1974) Rehabilitierung der praktischen Philosophie. Dieter Henrich (* 1927) Transzendentalphilosophie. Franz von Kutschera (* 1932) Person als Substanz mit physischen und psychischen Eigenschaften; Welt als bipolares Kontinuum; W: Grundlagen der Ethik; Ästhetik; Jenseits des Materialismus; Philosophie des Geistes. Hans Lenk (* 1935) angewandte Ethik. Herbert Schnädelbach (* 1936). Hans Jörg Sandkühler (* 1940). Rüdiger Bubner (1941–2007). Ludwig Siep (* 1942). Manfred Frank (* 1945) Transzendentalphilosophie. Walther Christoph Zimmerli (* 1945). Günter Abel (* 1947) Interpretation. Martin Seel (* 1954). Vittorio Hösle (* 1960) Idealismus.

II. Frankreich a) Idealismus Octave Hamelin (1856–1907) Anschluss an Renouvier 3 [219]; personaler Idealismus; W: Éléments principaux de la représentation. Jules de Gaultier (1858–1942) Fiktionstheorie; W: La fiction universelle; La Dépendance de la morale et l’indépendance des mœurs; La sensibilité métaphysique. Im Gefolge Hegels: Vacherot 3 [2l6]. Jean Hyppolite (1907–1968) W: Genèse et structure de la Phénomenologie de l’Esprit de Hegel. Kojève 3 [345]. b) Wissenschaftskritik: nicht im Namen des Lebens, sondern als Selbstbesinnung auf das Verfahren der Wissenschaft. Henri Poincaré (1853–1912) Mathematiker; Zurückführung der Grundbegrif-

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fe auf zweckmäßige Übereinkunft; die Tatsachen als Grenzen der freien Konvention; W: La science et l’hypothèse; La Valeur de la Science; Science et méthode. Pierre Duhem (1861–1916) W: La théorie physique, son objet et sa structure; Système du Monde; Histoire des doctrines cosmologiques de Platon à Copernic. Gaston Milhaud (1858–1918) W: Essai sur les conditions et les limites de la certitude logique; Le Rationnel; Le positivisme et le progrès de l’Esprit. Claude Bernard (1813–1878). Marcellin Berthelot (1827–1907) Chemiker. Jean-Marie Duhamel (1797–1872) Mathematiker. Paul Tannery (1843– 1904) Geschichte und Philosophie der Wissenschaften. Louis Couturat (1868– 1914) Logistiker; W: La Logique de Leibniz; Les Principes des Mathématiques. Im Geiste des Kritizismus: Arthur Hannequin (1856–1905) W: Essai critique sur l’hypothèse des atomes dans la science contemporaine. André Darbon. Im Geiste des Positivismus: Abel Rey: W: La Théorie de la Physique chez les Physiciens modernes. Henri Berr (1863–1954). Kritik am Positivismus: Emil Meyerson (1859–1933) metaphysisch realistische Auffassung der Erkenntnis; W: Identité et réalité; De l’Explication dans les sciences; La déduction relativiste; Du cheminement de la pensée. [388] c) Spiritualismus 3 [216] Henri Bergson (1859–1941) Philosophie als Reflexion auf die Gegebenheiten der Intuition; weitreichender Einfluss (3 Lebensphilosophie); W: Les données immédiates de la conscience; Matière et mémoire; L’évolution créatrice; Le rire; L’énergie spirituelle; Durée et Simultanéité; Les deux sources de la morale et de la religion. Baruzi 3 [291]. Jacques Chevalier (1882–1962). Éduard Le Roy (1870–1954) Nachfolger von Bergson; dem Modernismus nahestehend; W: L’exigence idéaliste et le fait de l’évolution; Les origines humaines et l’évolution de l’intelligence; La pensée intuitive; Le problème de Dieu. Vladimir Jankélévitch (1903–1985). Gegner Bergsons: Joseph de Tonquédec (1868–1962). Garrigou-Lagrange 3 [205]. Philosophie des Geistes: Louis Lavelle (1883–1951) ontologische Existenzphilosophie; W: De l’être; De l’acte; Zwei metaphysische Betrachtungen. René Le Senne (1882–1954) Anschluss an Hamelin 3 [386]; Relation als Kern der Wirklichkeit; Wert als über Sein und Gesolltem stehende objektive Realität; W: Le devoir; Introduction à la philosophie; Obstacle et Valeur. Maurice Pradines (1874–1958) Psychologie. [389] d) Positivistischer Spiritualismus 3 [220] Vitalistische Richtung: Alfred Fouillée (1838–1912) Dynamismus; W: Liberté et déterminisme; Psychologie des Idées-forces; L’Évolutionisme des Idées-forces; La morale des Idées-forces. Gabriel Séailles (1852–1921) W: Le génie dans l’art. Charles Dunan (1849–1931) Experimentalidealismus; W: Essais de philosophie générale; Les deux idéalismes. Joseph Pierre Durand (1826–1900). Jean-Marie Guyau (1854–1888) Lebensphilosophie. Paul Souriau (1852– 1926) W: La beauté rationnelle. Jules Lagneau (1851–1894) im Anschluss an Lachelier 3 [220]; W: L’existence de Dieu. Rationalistische Richtung: Léon Brunschvicg (1869–1944) Wissenschaftslehre; [390] W: La modalité du jugement; Les étapes de la philosophie mathématique;

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[391] e) 1.

[392]

2.

[393] f)

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L’expérience humaine et la causalité physique; Les progrès de la conscience dans la philosophie occidentale; De la Connaissance de soi. André Lalande (1867–1963) Wissenschaftslehre; W: Les illusions évolutionnistes; Théories de l’induction et de l’expérimentation; Vocabulaire technique et critique de la philosophie. Edmond Goblot (1858–1935) W: Essai sur la classification des sciences; Traité de logique; Le système des sciences; La barrière et le niveau; La Logique des jugements de valeur. Anwendung auf Moralprobleme: Paul Lapie (1869–1927) W: La logique de la volonté. Dominique Parodi (1870–1955) W: Le problème moral et la pensée contemporaine. Frédéric Rauh (1861–1909) experimentelle Ethik; W: De la méthode dans la psychologie des sentiments; L’expérience morale. Sozialphilosophie Sozialreform: Frédéric Le Play (1806–1882) W: Réforme sociale en France. Henri de Tourville (1842–1903). Edmond Demolin (1852–1907). Paul Bureau (1865–1923) W: La crise morale des temps nouveaux. Sorel 3 [347]. Edgar Morin (* 1921) Imitationstheorie. Gabriel Tarde (1843–1904) Nachahmung als soziales Grundphänomen; W: Les lois de l’imitation; La logique sociale; L’opposition universelle; Les lois sociales. Alfred-Victor Espinas (1844–1922) Organizismus; W: Des sociétés animales. Positivistische Soziologie: im Anschluss an Saint-Simon und Comte 3 [217]. Émile Durkheim (1858–1917) Sozialregeln als Apriori des Einzelnen; W: De la division du travail social; Les règles de la méthode sociologique; Le suicide; Les formes elementaires de la vie religieuse; L’éducation morale. Anhänger Durkheims: Maurice Halbwachs (1877–1945). Leon Duguit (1859– 1928). Gustave Belot (1859–1929). Auf dem Gebiet der Religionssoziologie: Henri Hubert (1872–1927). Marcel Mauss (1872–1950). In der Rechtssoziologie: Paul Fauconnet (1874–1938). Georges Davy (1883–1976). In der Soziologie der Kunst: Charles Lalo (1877–1953). Gegner Durkheims: Gaston Richard (1860–1945) W: La sociologie générale et les lois sociologiques. Célestin Bouglé (1870–1940) W: Les idées égalitaires; Essai sur le régime des castes. Lucien Lévy-Bruhl (1857–1939) Ethnologie im Anschluss an Durkheim; Soziologie der Primitiven; prälogischer Charakter des primitiven Denkens; W: La morale et la science des mœurs; Les fonctions mentales des sociétés inférieures; La mentalité primitive; Le surnaturel et la nature dans la pensée primitive. Kritik an Lévy-Bruhl: Daniel Essertier (1888–1931) W: Les formes inférieures de l’explication. Psychologie: Tendenz zur ganzheitlichen Betrachtung Alfred Binet (1857–1911) W: Les altérations de la personnalité; L’étude expérimentale de l’Intelligence. Frédéric Paulhan (1856–1931) W: L’activité mentale et les éléments de l’esprit. Pierre Janet (1859–1947) W: Automatisme psychologique. Henri Pieron (1881–1964) physiologische Methode. Georges Dumas (1866–1946). Charles Blondel (1876–1939). Henri Delacroix (1873– 1937). Piaget 3 [353]. Théodule Ribot (1839–1916) Begründer der neueren französischen Psychologie; W: L’hérédité psychologique; Les maladies de la mémoire; Des sentiments; L’Imagination créatrice.

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g) Philosophie des Wirkens: Antirationalismus Ollé-Laprune 3 [268]. Blondel 3 [268]. Mounier 3 [291]. h) Theologische Religionsphilosophie Protestantische Religionsphilosophie: Rationalismus; symbolische Auslegung der Glaubenslehren: Vinet 3 [277]. Sabatier 3 [277]. Ménégoz 3 [277]. Modernismus: Loisy 3 [277]. Katholische Religionsphilosophie (neue Wege der Apologetik): Kardinal Victor Augustin Isidore Deschamps (1810–1883). Laberthonnière 3 [277]. i) Existenzialismus (3 Existenzphilosophie) Vorläufer: Pascal 3 [138]. de Biran 3 [268]. Anbahnung von der Phänomenologie her durch Berger 3 [368]. Atheistisch: Sartre 3 [372]. de Beauvoir 3 [372]. Camus 3 [372]. Merleau-Ponty 3 [368]. Theistisch: Marcel 3 [372]. Wahl 3 [372]. Aron 3 [347]. j) sonstige: Pierre Aubenque (* 1929). Bernard-Henri Lévi (* 1948).

[394]

III. Italien Giovanni Reale (* 1931).

[397]

[395]

[396]

IV. Spanien Miguel de Unamuno (1864–1936) bedeutender Schriftsteller; als Philosoph unsystematisch, paradox, skeptisch; Einfluss Kierkegaards; W: Vida de Don Quijote y Sancho; Del sentimiento trágico de la vida en los hombres y en los pueblos; La agonía del cristianismo. José Ferrater-Mora (1912–1991). V. Kolumbien Nicolás Gómez Dávila (1913–1994).

[398]

VI. Japan 3 [370] Ko¯kichi Kano¯ (1865–1942). Watsuji 3 [27]. Hiroto Saigusa (1892–1963). Takashi Ide (1892–1980). Kenju¯ro¯ Yanagida (1893–1983). Kiyoshi Miki (1897– 1945) Marxist. Masaaki Ko¯saka (1900–1969). Hiroshi Nagata (1904–1947). Iwao Ko¯yoma (1905–1993). Osamu Kuno (1910–1999).

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Namensregister

Abaelard 83, 332, 373, 420–421, 526 Ackermann 304 Adorno 84, 326, 346, 453, 572 Albert 41, 257, 385, 410, 453, 512, 526 Albinos 41, 209 Alexander von Aphrodisias 40 Alexy 392 Altizer 411 Ambrosius 519 Ammonios 350 Anaxagoras 44 Anaximander 186, 205, 553 Anaximenes 553 Anderson 304 Andronikos von Rhodos 40, 298 Anselm 15, 187–189, 421, 581 Antiochos 367 Antisthenes 447, 471 Apel 244, 512, 515 Arendt 281, 451 Aristipp 447 Aristoteles 13, 17, 19–21, 24, 26, 38– 42, 47, 53, 57, 63, 76, 83, 100–101, 104, 107, 117–118, 122–124, 126, 132, 134, 139, 142–143, 147–148, 152, 161–162, 167, 172, 174, 176, 178, 187, 193–194, 197, 199, 205, 208– 209, 213–214, 221, 224, 237–238, 243, 249–252, 263, 266, 268, 271– 272, 274, 276, 280, 284, 292, 298, 302, 304, 309, 314, 318–320, 329, 340, 346–347, 351, 362, 364, 372–374, 376–377, 382–383, 386, 388, 396, 402, 404, 415, 418, 420–421, 426, 428, 440, 443, 445, 462, 464, 469, 474, 477, 479–480, 485–486, 492, 502– 503, 512, 515, 518–519, 526–527, 530–531, 540, 543, 546–547, 551, 553, 558, 569, 574–575, 580, 582, 590, 592, 595

Arkesilaos 367 Asch 455 Athanasios 209 Augustinus 48–49, 66, 69, 120, 126, 134, 139, 142, 152, 171, 187, 189, 211, 214, 218, 275, 280, 320, 346, 350, 394, 402, 406–407, 420, 432, 446, 464, 466, 493, 500, 515, 591 Aurel 347, 472 Austin 28, 51, 199, 351, 465–466 Auxerre 420 Avenarius 357 Averroes 41, 421 Avery 159 Avicenna 421, 512, 526, 559 Ayer 410 Bacon 74, 104, 135, 216, 302, 315, 384, 491, 556 Bakunin 452, 470 Báñez 182 Barth 325 Barthes 476 Bauch 247, 327 Baumgarten 43, 48, 310 Baumgartner 300, 448 Becker 304 Belnap 304 Benjamin 326 Bentham 158, 200, 507, 534 Berdjajew 505 Bergbohm 395 Bergson 234, 264, 461 Berkeley 51, 70, 104, 213, 219, 332, 387, 461 Bernays 551 Bernstein 452 Bertalanffy 488 Besant 402 Bierling 395

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Namensregister

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Blavatsky 36, 402, 505 Bloch 85, 326, 516 Blondel 489 Bochen´ski 526 Bodin 449 Boëthius 39, 41, 129, 142, 249, 276, 351–352, 420, 499, 501, 526 Boëthius von Dacien 421 Böhme 192, 505 Bolyai 286 Bolzano 277, 358 Bon 454 Bonaventura 26, 105, 218, 420, 526 Bonhoeffer 410 Boole 236, 276 Boskovich 47 Boyle 382 Brabant 421 Brentano 195, 230, 302, 357–358, 526 Bridgman 342 Brouwer 234, 287, 333, 526 Brucker 363 Bruno 142, 524 Buber 34, 87, 244 Büchner 284, 501 Bühler 465 Bulgakow 505 Bultmann 312 Bunge 46 Buridan 64, 333, 420–421 Burke 43 Cajetan 73, 329, 505 Calcidius 368 Calovius 340 Campanella 95, 469 Camus 131, 410 Cantor 37, 101, 243, 252, 291–292, 526 Capra 319 Capreolus 329 Carnap 27–29, 248, 277, 302, 370, 410, 465, 539 Casper 201 Cassirer 245, 259, 327, 484 Cauchy 588 Champeaux 526 Chartres 526 Cherbury 76 Chisholm 526 Chomsky 239 Chrysipp 347

Chrysostomus 70 Church 65, 526 Churchland 46 Cicero 45, 65, 122–123, 139, 169, 347, 401, 406, 553, 587 Clairvaux 421 Clauberg 340 Cohen 327 Cohn 327 Comte 135, 370, 453, 457 Condillac 435 Condorcet 135 Conrad-Martius 357 Coreth 137, 330 Crick 159 Crockaert 505 d’Alembert 48, 410 Dalferth 412 Damasio 146–147 Damaszenus 350 Darwin 41, 46, 127–128, 495 Davies 505 Dawkins 410–411, 456 de Morgan 236, 276 Demokrit 45–47, 254, 283, 409, 435, 492, 554 Derrida 46, 371 Descartes 49–51, 65–67, 69–70, 77, 90, 92, 95, 104, 115–116, 126, 136–137, 147, 151, 153–154, 171, 187–189, 211, 214, 229, 233, 237, 252, 254, 256, 269–270, 288, 298, 302, 307, 309, 314, 336, 338, 340, 362, 376, 382, 385, 389, 426, 432, 441, 446, 449, 461, 485, 487, 510, 514, 524, 527, 532, 540, 543, 554–555, 583, 596 Dessauer 491 Destutt de Tracy 216 Dewey 563 Diderot 48, 410 Diels 553 Dilthey 33, 118, 154, 202, 204, 232, 264, 302, 437–438, 544 Diogenes Laertios 44, 109, 347, 553 Dionysios Areopagita 190, 324–325, 350 Driesch 143, 548 Droysen 202 du Hamel 340 Duhem 504

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Durkheim 407, 411 Dworkin 392, 395 Ebner 71, 87, 131, 244 Eckhart 325, 345, 580 Ehrenfels 143 Ehrle 49 Einstein 64, 590 Ekman 147 Eliade 411 Empedokles 402 Empiricus 445 Engels 45, 83–84, 86, 284, 410, 452 Epiktet 472, 587 Epikur 109, 435, 447, 499 Erasmus 49 Eriugena 404, 420 Eucken 259 Eudoxos 587 Eukleides 447 Euklid 143, 286, 302, 372, 385, 486 Fechner 103 Ferrara 329 Feuerbach 45, 83, 87, 106, 284, 348, 406, 410–411, 437 Feyerabend 46, 302 Fichte 15, 32, 45, 51, 67, 71, 80–82, 84, 105, 174, 187, 211, 213, 219, 233, 269, 325, 346, 375, 387, 409, 432–433, 435, 437, 461, 487–489, 515, 583, 587 Ficino 368 Finance 330 Fiore 165 Flew 410 Foerster 248 Forschner 139 Foucault 476 Fourier 95, 452, 469 Fraenkel 158, 291 Frank 156, 275, 412 Frankl 438 Frege 27, 29, 54, 141, 236, 276–277, 287, 291, 381, 415, 437, 465, 526, 532 Freud 46, 67, 169, 212, 380, 407, 410– 411, 517, 522–523 Friedrich II. 244 Fromm 170 Fukuyama 165 Gadamer 202, 437, 510

Galilei 64, 86, 92, 121, 302, 319, 364, 398, 583 Garrigou-Lagrange 505 Gassendi 47, 188, 283, 302 Gauß 286 Gaunilo 189 Gehlen 34, 228, 368 Gentile 428 Geulincx 338 Gilson 122, 329, 505 Gioberti 341 Glasersfeld 248 Goclenius 340 Gödel 65, 277, 279, 287, 291–292, 487, 526, 551 Goethe 264, 348, 355, 488 Goldstein 103 Goller 146 Goodman 333, 527 Gottschalk 420 Gracián 369 Gramsci 326 Gregor von Nyssa 324 Grimm 110 Grosseteste 218 Grünewald 156 Guardini 34, 353 Gundlach 157, 448 Guski 103 Habermas 92, 155, 199, 231, 244, 281, 326, 369, 395, 453, 512, 515, 563 Hacking 249 Haeckel 46, 410 Hahn 370 Halbig 573 Haldane 143 Hales 218, 420, 512 Hamann 71, 87, 464 Hamilton 233 Hare 193 Hart 393 Hartmann 99, 124, 242, 341, 357, 438, 572–573 Hartmann, E 354, 572 Hauriou 228 Hayek 470 Hegel 15–16, 18, 30, 43, 45, 71, 73, 80, 82–84, 105–106, 130, 149, 153, 156, 165, 168, 172, 187, 205, 213–214, 219, 228, 231, 233, 238, 247, 259, 269, 295,

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Namensregister

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307, 321, 323–324, 335, 346, 348, 357, 363, 375, 384, 394, 406, 410– 411, 432, 453, 458, 467–468, 470, 486–487, 505, 516, 524, 527, 541, 543, 553–554, 570, 577, 580, 587 Heidegger 31, 33, 41, 51, 71, 73–74, 89–90, 107, 110, 120, 130–131, 137, 156, 192, 201–202, 212, 238, 329– 330, 341, 357–358, 362, 371, 410– 411, 471, 477, 490–491, 510, 516, 544, 553, 558, 567, 572 Heiler 411 Heinrich von Gent 218 Heinroth 227 Heisenberg 285 Helvétius 46, 231 Hemmerle 201 Hempel 118 Heraklit 554, 569 Herder 71, 258, 347, 464 Hesiod 177, 409, 502 Heß 452 Heyting 333, 527 Hieronymus 15 Hilbert 53, 277, 286–287, 364, 551 Hildebrand 71 Hippokrates 126 Hirschberger 559 Hobbes 107, 194, 223, 283, 310, 332, 443, 449, 470, 526 Høffding 333 Höffe 369 Holbach 46, 284, 348, 410 Holzhey 327 Homer 177, 502 Hönigswald 327 Horkheimer 84, 326, 453 Hubble 255 Huizinga 458 Humboldt 346, 464, 470, 484 Hume 86, 104, 173–174, 214, 239–240, 253, 283, 310, 332, 370, 409, 445, 490 Hünermann 201 Husserl 49, 67, 99, 116, 120, 127, 206– 207, 230, 247, 265, 302, 330, 357– 358, 362, 381, 396–397, 486, 511, 515–516, 527, 567, 583, 591 Hutcheson 310 Huxley 18 Huygens 64

Iamblichos 328 Ignatius 171 Isaye 319 Isidor 350 Israeli 559 Izard 146 Jacobi 45, 71, 87, 91, 347–348 Jakob von Venedig 41 Jakobson 475 James 80, 368, 411, 563 Janich 248 Jaspers 73, 107, 130–131, 207, 244, 412, 516, 536–537 Jesus 179 Johannes Paul II. 503 Johannes vom Kreuz 325 Jonas 187 Jung 523 Justin 402 Justinus 350 Kambartl 248 Kamlah 248 Kant 18, 26, 32–33, 36, 39, 43, 48, 51– 52, 58, 69, 71, 75–76, 78, 80–82, 84, 89–91, 93, 95, 104–105, 111, 115, 117, 120, 123–125, 133, 135, 137– 138, 140, 142–143, 149, 165, 167– 169, 172, 174, 176, 187–189, 194– 195, 199, 201, 205, 210–214, 219– 221, 231, 233, 237–240, 244, 246– 247, 254, 259, 264, 266, 269–270, 277, 280–281, 283, 287, 302–303, 307, 310, 315, 319, 321, 329–330, 333, 335–336, 341, 353, 355–357, 360, 362, 372, 374, 376–377, 382–384, 387–391, 394, 401, 409, 411, 416– 417, 426, 432–433, 435, 440, 443– 444, 457–458, 460, 462, 464, 470, 473, 478, 485–487, 489–490, 492, 500, 510–511, 513–516, 519, 526, 532–533, 540–543, 550, 552, 554– 555, 560, 565, 567, 570, 572, 574, 582–583, 586–587, 595 Kapp 491 Kardec 402 Kauffmann 219 Keckermann 487 Kelsen 395 Kenny 505

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Kepler 364, 398 Kettner 155 Kierkegaard 30–31, 34, 107, 130, 410, 432, 471, 516 Klafki 345–346 Klages 153, 264 Klemens 350 Klemens von Alexandrien 177 Korff 448 Krause 348–349 Kretzmann 505 Krijnen 155 Kripke 28, 100, 335, 465, 526 Kritias 45, 409 Kropotkin 452, 470 Krueger 143 Kuhlmann 515 Kuhn 349, 438, 504, 552, 584 Külpe 428 Küng 295 Kutschera 573 La Mettrie 46, 284, 410 Lacan 476 Lactantius 406 Lakatos 504, 584 Laktanz 499 Lambert 357 Landgrebe 357 Laplace 79, 138 Lask 327 Leeuw 407 Lefebvre 326 Leibniz 48, 67, 70, 92, 96, 102, 104, 120, 135, 153, 192, 216, 223, 236, 246, 252, 269, 276, 286–288, 302, 306, 340, 342–343, 368, 385, 387, 428, 433, 441, 461–462, 465, 474, 485–486, 490, 498, 500, 521, 543 Lenin 84–85, 283, 452 Lenk 572 Leo XIII. 329, 505 Les´niewski 385, 492 Lessing 347 Leukipp 283, 492 Lévi 121 Lévi-Strauss 475–476 Levinas 30, 34, 87, 326, 516 Lewin 455 Lewis 304 Lobatschewski 286

Locke 70, 77, 100, 104, 115, 169, 214, 223, 254, 295, 310, 333, 352, 382, 432, 464 Lombardus 420 Lonergan 330 Lorentz 64 Lorenz 102, 248, 456, 517, 538–539 Lorenzen 248, 287, 333, 527 Lotz 330, 533 Lotze 155, 368, 572 Lovelock 319 Loyola 171 Lübbe 251, 407, 412–413 Luhmann 161, 266, 407, 412–413, 438, 453, 487–488 Lukács 106, 326 Łukasiewicz 385, 562 Lukrez 400, 409 Lullus 86, 236, 302 Lumer 156 Luther 41 Lyotard 371, 466 Mach 47, 257, 357 Machiavelli 369 MacIntyre 245 Magnus 420–422 Maimonides 41, 421 Maitland 253 Malebranche 51, 338, 341 Mandeville 158 Marcel 71, 131, 268 Marcuse 326 Mare 49 Maréchal 329–330, 505, 511, 515 Maritain 329, 505 Marx 45, 83–84, 106, 165, 217, 231, 259, 282–284, 375, 394, 410–411, 452, 468, 543 Maturana 249 Maxwell 288 McInerny 505 Meineke 204 Melanchthon 41 Mendel 159, 398 Mensching 407, 411 Merleau-Ponty 357 Metzger 143 Meyer-Abich 143 Milgram 455 Mill 302, 333, 357, 534, 539

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Namensregister

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Mitscherlich 407, 410 Mittelstraß 248 Moleschott 284 Molina 181, 183 Monod 410 Montaigne 445, 507 Montesquieu 203, 295 Moore 195 Morgenstern 459 Morris 373, 434, 465, 485 Morus 95, 469 Mounier 353 Müller 353, 448 Naess 320 Nash 459 Natorp 327 Nell-Breuning 40 Neumann 459 Neurath 370 Newman 290, 418 Newton 64, 142, 224, 252, 256, 285– 288, 302, 315, 319, 364, 387, 398, 458, 524, 583, 590 Nietzsche 44, 46, 107, 137, 140, 153, 169, 232, 234, 259, 264, 371, 410– 411, 432, 437, 464, 501, 553, 567, 595 Nikolaus von Kues 15, 30, 147, 190, 244, 252, 325, 404, 406, 483, 516, 524, 577 Nozick 95, 470 Ockham 321, 333, 420–421, 526 Oettingen 450 Olscott 505 Oppenheim 118 Origenes 350 Otto 201, 407, 411 Owen 452 Panaitios 472 Pannenberg 438 Paracelsus 36 Parfit 353 Parmenides 47, 98, 129, 147, 151, 178, 298, 340, 409, 428, 553–554, 569 Parsons 199, 453, 488 Pascal 49, 70, 302, 540, 587 Paulus 72, 311, 324 Pawlow 42, 538 Peano 236, 276, 588

Peckham 49 Peirce 222, 374, 418, 434 Pesch 448 Petrus Lombardus 49 Philipp der Kanzler 512 Philon 350 Pieper 71, 169, 330 Planck 255 Platon 14, 41, 44, 57, 67, 73, 76, 83, 86, 120, 133–134, 136, 142, 152, 161, 167, 172, 178, 180, 187, 194, 212–213, 241–242, 268, 272, 274, 276–277, 280, 285, 301–302, 312, 318, 324, 328, 340, 346–347, 367–368, 385, 394, 402, 409, 426–427, 443, 447, 464, 469, 480, 486, 492–493, 498, 502–503, 515, 519, 526, 528, 546, 550, 569, 573, 587 Plechanow 84 Plessner 34 Plotin 41, 129, 151–152, 178–179, 187, 209, 214, 311, 324, 328, 347, 350, 402, 515, 587 Plutarch 402 Poitiers 421 Pollack 412 Pomponazzi 41 Popper 131, 241, 257, 302, 371, 385, 453, 465, 503–504, 540 Porphyrios 41, 209, 237, 276, 328, 373, 420, 505, 526 Poseidonios 209, 472 Post 551, 560 Proklos 324–325, 328, 350, 402 Protagoras 435 Proudhon 470 Proust 264 Przywara 325 Pseudo-Dionysius 420, 483, 516 Pufendorf 352 Putnam 100, 388 Pyrrhon 445 Pythagoras 385, 402, 553, 587 Quante 573 Quine 28, 46, 205, 333, 504, 527 Radbruch 392, 578 Rahner 128, 151, 330, 412, 483, 511 Ramsey 277 Ranke 162

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Namensregister

Rawls 125, 170, 274, 468 Reichenbach 222 Reid 233 Reimarus 76, 409, 500 Reinach 71 Reinech 357 Reinhold 410 Rescher 243, 562 Rickert 202, 247, 259, 327, 572 Ricœur 33, 162 Riemann 286 Robinson 411 Rohracher 103 Rombach 475 Rorty 46, 371 Roscellinus 332, 526 Rosenzweig 87, 244 Rousseau 76, 92, 167, 259, 318, 369, 410, 450, 550 Rousselot 505 Russell 27, 29, 37, 73, 75, 99, 222, 236, 276–277, 291, 465, 520, 526 Ryle 28, 269 Sandel 245 Sandkühler 368 Sartre 30, 46, 57, 107, 131, 357–358, 410 Saussure 434, 475 Scanlon 125 Schaeffler 412 Schaff 326 Scheler 34, 49, 124, 195, 201, 231, 234, 275, 353, 357, 411, 491, 572–573 Schelling 15, 32, 45, 71, 80–82, 84, 142, 187, 192, 213, 319, 346–347, 410, 427, 489, 505, 516 Schiller 43, 489 Schlegel 264 Schleiermacher 67, 71, 133, 201, 406, 411 Schlick 370 Schmidt-Atzert 145 Schmitt 107, 470 Schnädelbach 155–156 Schönpflug 379 Schopenhauer 43, 51, 67, 79, 121, 135– 136, 140, 192, 234, 264, 269, 275, 343, 348, 354, 410, 432, 437, 443, 449, 474, 543, 551, 555, 567, 594 Schröder 236, 276

Schuppe 219 Schütz 438 Schweidler 451 Schwöbl 368 Scotus 122, 221, 321, 420–421, 446– 447, 476, 503, 513, 524, 526 Searle 465, 467 Seidl-Hohenveldern 549 Sellars 333 Seneca 65, 169, 189, 472, 587 Seuse 325 Shaftesbury 310 Shannon 226 Sherif 455 Sidgwick 233 Siger von Brabant 41 Sigwardt 333 Šik 326 Simmel 259, 264, 453 Simon 452 Skinner 62 Smith 158, 231 Smuts 143 Sneed 504 Sokrates 38, 44, 133, 136, 172, 179, 186, 228, 367, 447, 498–499, 553 Solowjow 275, 505 Somló 395 Spaemann 187, 315, 413 Spann 143, 453 Spengler 354 Speusipp 367 Spinoza 45, 50, 70, 79, 85, 192, 205, 219, 250, 269, 284, 303, 306, 314, 335, 347–348, 385, 389, 400, 409, 428, 460–461, 486, 521, 527 Splett 201, 412 Stammler 327, 453 Stebbing 27 Steenberghen 329 Stegmüller 241, 504 Stein 71, 357, 453 Steiner 35–36, 320, 402, 505 Stelzenberger 169 Stendhal 501 Stevenson 403 Stewart 233 Strawson 28, 351, 512 Stump 505 Suárez 17, 122, 145, 168, 336, 394, 476, 505, 524, 548

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Swinburne 187 Sylvester von Ferrara 505 Tarski 37, 277, 385, 520, 562 Tauler 325 Taylor 245 Teilhard de Chardin 129, 160 Tempier 421 Tertullian 15, 402 Thales 553 Theophrast 40, 250 Thiel 248 Thierry 421 Thomas von Aquin 13, 17, 19–20, 25, 39, 41, 49, 58, 65, 69, 73, 90, 107, 153, 157–158, 161, 169, 172, 176, 187– 188, 194, 223, 237, 244, 251, 268, 272, 281, 309, 314, 320–321, 325, 329– 330, 335, 352, 376–377, 382, 394, 399, 404, 417, 420–422, 431, 443, 462, 470, 476, 479, 485, 493, 505–506, 513, 519, 521, 526, 531, 540, 543, 547–548, 550, 558–559, 580–581 Tillich 201, 412, 438, 484 Timpler 487 Tinbergen 538 Toland 346 Tönnies 156, 453 Topitsch 410, 453 Tour 421 Troeltsch 204 Turgot 135 Turing 65, 226

Vico 490 Voegelin 320 Vogelsang 448 Vogt 284 Volkelt 143 Voltaire 76, 164, 343, 410, 500 Vries 567 Walzer 245 Watson 62, 159 Weber 203, 228, 266, 281, 395, 437, 455, 467, 536, 571, 584 Weber, E H 103 Weil 468 Weitling 452 Wellek 143 Welte 201, 412 Wertheimer 143 Whitehead 236, 276, 428, 520 Wiener 261 Wilson 41, 456 Windelband 118, 201, 259, 327 Wittgenstein 19, 27–29, 55, 215, 263, 270, 302, 401, 412, 422, 437, 446, 458, 465–466, 560, 583 Wolff 48, 187, 310, 340, 362, 368, 503, 554, 574 Wuchterl 407, 413 Wundt 302, 333, 428 Wust 131 Xenokrates 367 Xenophanes 346, 409, 553 Xenophon 187

Ulich 454 Vaihinger 416 Varela 249 Vattimo 371

Zeller 553 Zenon 251–252, 347, 471, 492, 576 Zermelo 291 Zimmerli 223

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Philosophiegeschichtliches Namensverzeichnis (Die Zahlen bezeichnen Randnummern)

Normalerweise wird nur der Haupteintrag angegeben. Partikel wie »von« oder »de« werden nicht berücksichtigt. Aall 260 Aaron 241 Abaelardus 93 Abbagnano 373 Abbot 253 Abel 385 Abubacer 101 Acevedo 296 Ach 182 Acker 285 Ackermann 192 Acquasparta 106 Acri 221 Adamczyk 287 Adams, H. 253 Adams, R. M. 314 Adamson 241 Adelard 93 Adickes 178 Adjukiewicz 303 Adler 341 Adorno 342 Aegidius Romanus 112 Aeneas 86 Aenesidemus 156 Agamben 356 Agassiz 253 Aggsbach 128 Agrippa v. Nettesheim 134 Aguilera 369 Aguirre 143 Ahrens 166 Aidesios 70 Ailly 125 Ainesidemos 51

Alamanni 143 Alanus 95 Albert 324 Albert der Grosse 109 Albert v. Sachsen 124 Albertus Magnus 109 Albinos 57 Alcott 251 Alcuin 88 Alembert 151 Alexander 310 Alexander v. Aphrodisias 56 Alexander v. Hales 105 Alexandria, M. v. 74 Alexandria, Ph. v. 61 Alexiev 262 Alexy 349 Alhazen 100 Alighieri 112 Aliotta 227 Alkmaion 29 Allen 231 Allers 286 Alquié 356 Alston 315 Althusius 136 Althusser 340 Alvarado 270 Al-Farabi 100 Al-Ghazali 100 Al-Kindi 100 Amalrich 96 Ambrosius 84 Amelios Gentilianos 65 Ames 359

Amiens 95 Ammonios Hermeiou 71 Ammonios Sakkas 63 Amor Ruibal 295 Amort 154 Ampère 214 Anatolios 74 Anaxagoras 32 Anaximander 28 Anaximenes 28 Anceschi 369 Anders 347 Andrade 296 Andronikos 56 Angelus Silesius 141 Anscombe 307 Anselm 91 Anselm v. Besate 90 Antiochos 50 Antisthenes 39 Antonin v. Florenz 120 Antonius a Matre Dei 143 Apel 346 Apelt 169 Aphrodisias 56 Apollinaris 81 Apollonia 28 Apollonius v. Tyana 58 Apuleius 57 Aquin 110 Archytas 29 Arcy 286 Ardens 95 Ardigò 221 Arendt 345

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Philosophiegeschichtliches Namensverzeichnis Areopagita 86 Arethas 99 Aristarch 44 Aristides 76 Aristippos 39 Aristobulos 60 Aristoteles 42 Aristoxenos 43 Arius 81 Arkesilaos 50 Armstrong 309 Arnauld 138 Arnobius der Ältere 78 Aron 347 Arouet 149 Arriaga 143 Arrington 335 Asanga 11 Asklepiodotos 47 Ast 160 Aster 179 Athanasius 82 Athen 67 Athenagoras 76 Attikos 57 Aubenque 396 Augustinus 85 Aurel 53 Aureolus 118 Aurobindo 13 Austin 306 Autrecourt 123 Aveling 246 Avempace 101 Avenarius 175 Averroës 101 Avicenna 100 Ayer 303 Azeglio 282 Baader 159 Babenstuber 143 Babylon 46 Bachelard 323 Bacon, F. 137 Bacon, R. 116 Baconthorpe 126 Badarayana 12 Baddscha 101 Badiou 340 Baeumker 274

Bahnsen 168 Baier 336 Bain 233 Baker 311 Bakunin 259 Baldwin 253 Balfour 248 Ballanche 277 Balmes y Urpiá 270 Balthasar H. U. v. 208 Balthasar, N. 276 Baltzer 267 Bambrough 330 Banfi 225 Báñez 129 Barberis 281 Bardili 156 Barié 223 Barnes 244 Barth, H. 371 Barth, K. 376 Barth, T. 275 Barthes 380 Bartlett 246 Baruzi 291 Basave Fernández d. V. 296 Basedow 153 Basilides 77 Basilius 82 Basso 133 Bataille 347 Bauch 181 Baudrillard 356 Bauer, B. 162 Bauer, O. 341 Bauman 356 Baumann 184 Baumgarten 153 Baumgartner 289 Baur, F. C. 163 Baur, L. 205 Bautain 268 Bavink 173 Bawden 359 Bax 240 Bayertz 337 Bayle 138 Bazard 217 Beattie 148 Beauvoir 372

714 Becher 182 Beck 156 Becker 317 Beckermann 310 Beda 87 Beesly 235 Behn 205 Beierwaltes 289 Belaúnde 296 Bellamy 249 Bellarmino 136 Belluti 143 Belot 392 Beneke 169 Bengoechea 284 Benjamin 342 Bense 361 Bentham 233 Bentley 359 Benveniste 355 Beöthy 262 Berck 276 Berdjajew 298 Berengar 90 Berger 368 Bergmann, J. 184 Bergmann, G. 302 Bergson 388 Berkeley 144 Berkowitz 384 Berlin 348 Bernard, H. 208 Bernard, C. 387 Bernays 192 Bernet 367 Bernhard v. Chartres 94 Bernhard v. Clairvaux 97 Bernhard v. Tours 96 Bernstein 340 Beron 262 Berr 387 Bertalanffy 326 Berthelot 387 Berthier 154 Bertini 221 Besant 188 Besate 90 Bessarion 132 Betancur Campuzano 296 Beth 320

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715 Betti 377 Bhagavad Gita 6 Biel 125 Biemel 367 Bieri 308 Bilfinger 153 Binet 393 Binswanger 371 Bion 45 Biran 268 Birnbacher 331 Bishop 317 Biunde 267 Bixby 253 Black 307 Blackburn 333 Blagojev 262 Blavatsky 188 Bloch 342 Blond 278 Blondel, C. 393 Blondel, M. 268 Blumenberg 378 Bobbio 349 Bochen´ski 287 Bodhidharma 20 Bodin 137 Boehm 367 Boehme 327 Boehner 275 Boëthius 73 Boëthos 46 Boëtius v. Dacien 108 Bogdanow 340 Bohm 311 Böhm 262 Böhme 134 Bohr 325 Bois-Reymond 173 Bolingbroke 145 Bolland 261 Bollnow 197, 366 Bolz 356 Bolzano 172 Bonald 268 Bonatelli 221 Bonaventura 105 Bondy 296 Bonitz 171 Bonnet 149 Bonnetty 268

Philosophiegeschichtliches Namensverzeichnis Bontadini 283 Boodin 360 Boole 243 Boolos 320 Born 325 Borowitz 384 Borsuk 320 Bosanquet 238 Boškovic´ 154 Bošnak 341 Boström 260 Bouglé 392 Bouillier 216 Bourbaki 318 Bourdieu 380 Bourke 286 Boutroux 220 Bowen 252 Bowne 252 Boyle 145 Bozetti 294 Brabant 108 Bradley 238 Bradwardine 121 Brahe 133 Brahmanas 1 Brahmo Samaj 13 Braig 267 Braine 312 Braithwaite 297 Brandenstein 300 Brandis 170 Brandom 307 Brandt 331 Braun 183 Brecht 367 Breda 362 Brentano 193 Brestia 154 Breton 291 Brink 334 Broad 310 Brochard 219 Brokmeyer 249 Brouwer 317 Brown 148 Brownson 271 Bruaire 291 Brügge 105 Brugger 280 Brun Candidus 88

Brunner, A. 289 Brunner, E. 198 Bruno 135 Brunschvicg 390 Bruyère 149 Buber 374 Bubner 385 Buchanan 250 Bucharin 340 Büchel 206 Buchez 277 Büchner 173 Buddha 4 Buffier 148 Bühler 182 Bulgakow 298 Bultmann 376 Bunge 307 Bureau 391 Buren 315 Burge 312 Burgess 320 Burgh 248 Buridan 124 Burke 146 Burley (Burleigh) 121 Burthogge 144 Bushido 25 Busse 184 Butler, Joseph 146 Butler, Judith 375 Butler, S. 234 Buytendijk 367 Buzetti 281 Buzzetti 201 Cabanis 213 Caird 237 Cairns 368 Cajetanus 129 Calderón 263 Calderoni 228 Calderwood 232 Calogero 224 Campanella 136 Camprubí 256 Campuzano 296 Camus 372 Candidus 88 Cano 129 Cantoni, C. 222

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Philosophiegeschichtliches Namensverzeichnis Cantoni, R. 369 Cantor 316 Capella 73 Capreolus 120 Carabellese 223 Carcano 369 Cardano 133 Carlini 294 Carlyle 237 Carnap 302 Caro 216 Carr 240 Carrasquilla 285 Carriere 164 Carritt 247 Cartan 318 Carus, K. G. 160 Carus, P. 253 Casalla 296 Casanovas Camprubí 256 Case 241 Caso 263 Caso Andrade 296 Cassirer 180 Castañeda 307 Castellano 285 Castelli 293 Cathrein 205 Cato der Jüngere 53 Cattaneo 221 Caturelli 296 Caviglione 294 Cebes 29 Celms 370 Celsus 57 Cerdon 77 Cerinthus 77 Certeau 348 Cerutti Guldberg 296 Chaignet 216 Chaitin 320 Chalcidius 73 Chalmers 312 Champeaux 92 Chan zong 20 Channing 231 Chardin, T. de 292 Charron 132 Chartres, B. v. 94 Chartres, Th. v. 94

Chastel 277 Chateaubriand 268 Cherbury 137 Chevalier 388 Chevalley 318 Chiavacci 224 Chiocchetti 283 Chion 41 Chisholm 307 Christus 75 Chojnacki 287 Chomjakow 273 Chomsky 307 Chrysippos 46 Chrysostomos, D. 52 Church 319 Churchland, Patr. 311 Churchland, Paul 311 Cicero 50 Cioran 372 Clairvaux 97 Clarke 146 Clauberg 142 Claudianus Mamertus 87 Clauss 366 Clemens 274 Clifford 234 Cluet 284 Coffey 272 Cohen, H. 180 Cohen, L. J. 330 Cohn 181 Coimbra 285 Colden 230 Coleridge 237 Collier 144 Collingwood 240 Collins 145 Comellas y Cluet 284 Comenius 141 Commer 274 Comte 217 Conches 94 Condillac 150 Confessor 86 Congreve 235 Conimbricenses 130 Conrad-Martius 365 Considerant 217 Conte 253

716 Cooper 146 Cope 253 Copleston 286 Cordemoy 142 Cordovani 283 Coreth 280 Cornelius 179 Cornoldi 282 Cortés 270 Couplet 143 Cournot 219 Courtine 368 Cousin 215 Couturat 387 Creighton 252 Croce 224 Crockaert 129 Crusius 153 Cudworth 139 Cuevas 254 Cullen 296 Cumberland 146 Cunningham 252 Cupitt 315 Curci 282 Curry 319 Cusanus 135 Cushing 311 Dacien 108 Dacqué 189 Dahrendorf 347 Daley 334 Damaskios 69 Damaskus 86 Damiani 90 Dandoy 208 Dante Alighieri 112 Dantec 217 Danto 307 Darbon 387 Darwin 173 Dauriac 219 David v. Dinant 96 Davidson, D. 307 Davidson, Th. 252 Dávila 398 Davy 392 Davydov 257 Deborin 340 Dedekind 316

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717 Defever 279 Defourny 276 Delacroix 393 Deleuze 356, 380 Delp 205 Demetrios 43 Demokrit 33 Demolin 391 Demonax 52 Dempf 289 Denifle 274 Dennert 173 Dennett 311 Deploige 276 Derisi Lomanto 285 Derrida 356 Descartes 138 Deschamps 395 Descoqs 278 Dessauer 275 Destutt de Tracy 213 Deussen 168 Deutinger 165 Dewey 359 Dezza 283 Dharmakirti 11 Díaz Tuñón 254 Diderot 150 Dienes 300 Dietrich v. Freiberg 114 Dieudonné 318 Diggins 360 Dikaiarchos 43 Dilthey 191 Dinant 96 Dingle 245 Dingler 323 Diogenes v. Apollonia 28 Diogenes v. Babylon 46 Diogenes v. Oinoanda 55 Diogenes v. Sinope 39 Diogenianos 55 Dion Chrysostomos 52 Dionysius 79 Dionysius Areopagita 86 Dionysius der Kartäuser 120 Dirven 279 Dogen Kigen 24 Dolch 275 Dondeyne 276

Philosophiegeschichtliches Namensverzeichnis Donoso Cortés 270 Dostojewski 258 Dretske 312 Drews 173 Drey 265 Driesch 189 Drobisch 171 Drummond 234 Dubislav 304 Duguit 392 Duhamel, J.-B. 143 Duhamel, J.-M. 387 Duhem 387 Dühring 174 Dumas 393 Dummett 307 Dunan 389 Dunin-Borkowski 275 Duns Scotus 113 Durand 389 Durandus v. St. P. 118 Durkheim 392 Dussel 296 Dworkin 349 Dyroff 275 Ebbinghaus 181 Ebner 374 Eccles 308 Eckhart 115 Eco 356 Eddington 245 Edwards, J. 230 Edwards, P. 330 Eggersdorfer 205 Ehrle 274 Einstein 325 Eisenhans 179 Eisai 24 Eisler 186 Elea 30 Eleaten 30 Eley 367 Elias 347 Elliot 285 Emerson 357 Emmet 244 Empedokles 32 Empiricus 51 Enfantin 217 Engeler 318

Engels 162 Engert 207 Entralgo 373 Ephesios 99 Epiktet 53 Epikur 48 Erasmus 132 Ercole 224 Erdmann, B. 187 Erdmann, J. E. 163 Erfurt 117 Eriugena 89 Espinas 391 Esser 267 Essertier 392 Etzioni 339 Eubulides 38 Eucken 183 Eudemos 43 Eudoxos 41 Euklid 38 Euler 153 Eulogius 73 Eunapios 70 Eunomius 81 Eusebius 83 Eutyches 81 Evans 307 Evellin 219 Ewing 247 Fabri, F. 173 Fabri, H. 143 Fabro 283 Fackenheim 384 Fahrenbach 383 Falk 333 Farber 368 Farrer 248 Fauconnet 392 Favonius Eulogius 73 Fawcett 240 Fazio-Allmayer 224 Fechner 184 Feigl 302 Felix 78 Fernández del Valle 296 Ferrari 221 Ferrater-Mora 397 Ferré 297 Ferrier 237

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Philosophiegeschichtliches Namensverzeichnis Fessard 292 Feuerbach 162 Feuling 275 Feyerabend 323 Feys 276 Fichte, I. H. 164 Fichte, J. G. 157 Ficino 132 Field 320 Finance 278 Fink 366 Fischer 163 Fishacre 105 Fiske 253 FitzRalph 126 Flanagan 332 Flew 307 Flewelling 252 Flint 236 Florenz 120 Flusser 356 Fodor 312 Foerster 354 Fonseca 130 Fontaines 112 Foot 332 Ford 297 Forge 142 Fornet-Betancourt 289 Fortunatus v. Brestia 154 Foucault 356 Fouillée 389 Fourier 217 Fowler 233 Fox 384 Fraassen 323 Fraenkel 316 Franca 285 Franciscus Mayronis 121 Franck, A. 216 Franck, S. 134 Frank, M. 385 Frank, Ph. 302 Frank, S. 298 Frankena 330 Frankfurt 307 Frankl 348 Franklin 231 Frantz 160 Franziskus v. Marchia 121

Fraser 360 Frauenstädt 168 Frazer 234 Frege 301 Freiberg 114 Freiling 320 Freising 95 Freud 348 Freyer 191 Fried 333 Friedrich der Große 153 Fries 169 Frischeisen-Köhler 191 Fröbes 275 Frohschammer 165 Fromm 348 Fuetscher 275 Fuhrmans 183 Fukko 23 Fullerton 252 Gabirol 102 Gabler 162 Gabriel 321 Gabriel Biel 125 Gabryl 287 Gadamer 376 Gaius 57 Gaius Musonius Rufus 53 Galenos 56 Galilei 133 Galli 223 Galluppi 222 Galton 234 Gangesha 7 Gaon 102 Gaos 369 García Morente 295 Gardeil 277 Garman 252 Garrigou-Lagrange 205 Garve 153 Gassendi 132, 133 Gaudapada 12 Gaultier 386 Gaunilo 91 Gautama 4 Gauthier, D. 335 Gauthier, Y. 320 Geach 307

718 Geertz 347 Gehlen 383 Geiger 365 Gemelli 283 Gemistos 132 Genovesi 221 Gent 107 Gentile 224 Gentilianos 65 Gentzen 321 George 249 Georgov 262 Gerdil 154 Gerhardus 352 Gerson 128 Gethmann 353 Gettier 307 Geulincx 142 Gewirth 336 Geyser 207 Giacon 283 Gietmann 205 Gilbert v. Poitiers 95 Gilbert v. Tournai 105 Gilson 278 Ginebra 285 Gioberti 269 Girard 291 Glasersfeld 354 Glogau 184 Glucksmann 338 Gobineau 217 Goblot 390 Gödel 317 Godescalc 88 Godwin 233 Goethe 156 Gogacz 287 Gogarten 198 Goldmann 340 Gómez Dávila 398 Gómez Izquierdo 284 Gonseth 192 González, C. 284 González, N. 285 González y Díaz Tuñón 254 Goodman 307 Goodstein 317 Gorgias 35 Görres 160

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719 Göschel 162 Gottfried v. Fontaines 112 Gottsched 153 Goudin 143 Gourd 219 Grabmann 275 Gramsci 340 Grassi 371 Gratry 268 Green 237 Grégoire 279 Gregor der Wundertäter 79 Gregor v. Nyssa 82 Gregor v. Rimini 123 Gregor v. Valencia 130 Greimas 355 Greisch 377 Grelling 304 Grensted 246 Grice 306 Grisebach 371 Grlic´ 341 Gronlund 249 Groos 187 Grot 259 Grotius 136 Guardini 289 Guastella 226 Guevas 270 Guggenberger 275 Guitton 292 Guldberg 296 Gundlach 290 Günther 165 Gurwitsch 368 Güselev 262 Gutberlet 274 Guyau 389 Guzzo 294 Häberlin 383 Habermas 342 Haeckel 173 Haecker 289 Haering 182 Hahn 302 Halbwachs 392 Haldane, J. S. 245 Haldane, R. B. 237

Philosophiegeschichtliches Namensverzeichnis Hale 320 Hales 105 Hamann 156 Hamel 143 Hamelin 386 Hamilton, A. 249 Hamilton, W. 232 Hampshire 335 Han Feizi 15 Hannequin 387 Hardenberg 160 Hare 330 Harman, G. 330 Harnack 376 Harper 286 Harris 249 Harsanyi 331 Hart 349 Hartley 144 Hartmann, E. v. 185 Hartmann, N. 328 Hartshorne 313 Hatano 27 Hauréau 216 Hawking 325 Hawkins 286 Hayek 348 Hayen 279 Hedge 272 Hegel 161 Hegselmann 330 Heidegger 363 Heinrich Seuse 127 Heinrich v. Gent 107 Heiricus 89 Heisenberg 325 Held 367 Heller 299 Hellín 256 Helmholtz 178 Helmont 133 Helvétius 150 Hempel 304 Hengstenberg 289 Henrich 385 Henrici 289 Henry, C. S. 272 Henry, M. 368 Herakleides Pontikos 41 Heraklit 31 Herbart 171

Herberg 384 Herbert of Cherbury 137 Herbrand 319 Herder 156 Héring 368 Hermeiou 71 Hermes 165 Hermias 76 Hermodor 41 Hersch 372 Herschel 233 Hertling 173 Hervaeus Natalis 112 Heschel 384 Hessen 289 Heyde 195 Heymans 261 Heyting 192 Hick 314 Hickok 252 Hicks 241 Hierokles 71 High 297 Hiketas 29 Hilarius 84 Hilbert 317 Hildebrand 365 Hildreth 249 Hilferding 341 Hinayana 10 Hinrichs 162 Hintikka 321 Hippasos 29 Hippias 36 Hippolyt 77 Hirschberger 275 Hispanus 117 Hitchcock 253 Hobbes 139 Hobhouse 234 Hocking 252 Hodgson 241 Hoenen 206 Hoene-Wronski 262 Hoernle 240 Höffding 260 Höffe 336 Hoffmeister 183 Höfler 194 Holbach 150 Hölderlin 160

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Philosophiegeschichtliches Namensverzeichnis Holenstein 367 Holmes Jr. 358 Holstein 183 Hommes 289 Hönigswald 178 Honnefelder 289 Honneth 342 Hooker 136 Hopkins 250 Hoppe 300 Horkheimer 342 Horváth 288 Hösle 385 Hotho 163 Howison 252 Hoyningen-Huene 323 Hrabanus Maurus 88 Hsing-li-Philosophie 17 Hsün-Tse 16 Hubert 392 Huet 138 Hügel 271 Hugo Ripelin 109 Hugo v. Sankt Viktor 97 Huizinga 378 Humboldt 159 Hume 147 Hung Fan 14 Hurtado de Mendoza 143 Husserl, E. 362 Husserl, G. 366 Hutcheson 146 Huxley 234 Hypatia 71 Hyppolite 386 I Ging 14 Ibn Baddscha 101 Ibn Gabirol 102 Ibn Ruschd 101 Ibn Sina 100 Ibn Tufail 101 Ide 398 Ijsseling 367 Ingarden 370 Inge 248 Innozenz V. 105 Inwagen 313 Irenäus 77 Isaak ben Sal. Israeli 102

Isaye 279 Ishvarakrishna 9 Isidor v. Sevilla 87 Israeli 102 Izquierdo 284 Jacobi 156 Jacoby 328 Jaensch 187 Jaina 5 Jakob v. Metz 118 Jamblichos 66 James, H. 251 James, W. 358 Jandun 126 Janet, Paul 216 Janet, Pierre 393 Janich 352 Jankélévitch 388 Jansen 275 Janssen 367 Janzˇekovicˇ 288 Järnefelt 318 Jason 47 Jaspers 345 Javaux 279 Jaworski 299 Jas´kowski 322 Jeans 245 Jefferson 231 Jencks 382 Jesus Christus 75 Jevons 243 Jingtu zong 20 Joachim 238 Joad 244 Joas 361 Jodl 174 Joel 183 Johannes 75 Johannes a S. Thoma 143 Johannes Buridan 124 Johannes Capreolus 120 Johannes Duns Scotus 113 Johannes Lydos 72 Johannes Paul II. 287 Johannes Peckham 106 Johannes Philoponos 71 Johannes Roscelinus 93

720 Johannes Scottus Eriug. 89 Johannes v. Damaskus 86 Johannes v. Jandun 126 Johannes v. Mirecourt 123 Johannes v. Rupella 105 Johannes v. Salisbury 95 Johannes XXI. 117 Johanns 208 John Baconthorpe 126 Johnson, F. H. 253 Johnson, S. 230 Johnson, W. E. 242 Jolivet 278 Jonas 327 Jordan 189 Joseph 247 Jouffroy 214 Joule 173 Julianus 70 Jung 187 Jungius 133 Jungmann 205 Justinus 76 Juvaltà 222 Kabbala 102 Kaderˇávek 288 Kaila 303 Kallikles 36 Kambartel 351 Kames 146 Kamin´ski 287 Kamlah 350 Kangrga 341 Kanitscheider 318 Kant 155 Kano¯ 398 Karneades 50 Kartäuser 120 Kastil 179 Katz 307 Kaufmann, A. 349 Kaufmann, F. 366 Kautsky 340 Keeler 286 Keller 367 Kelsen 349 Kemp Smith 242 Kempski 361

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721 Kenny 313 Kepler 133 Kern 367 Kerner 160 Keyserling 197 Kidd 234 Kierkegaard 197 Kilwardby 111 Kim 310 Kiréjewski 273 Kitcher 320 Kition 46 Klages 187 Klaus 340 Kleanthes 46 Kleitomachos 50 Klemens 79 Kleutgen 201 Klimke 173 Kluxen 289 Kneale 243 Knoodt 267 Knox 237 Knutzen 153 Koch 275 Kockelmans 368 Kofler 340 Kojève 345 Kojiki 22 Kokoszyn´ska 322 Kolakowski 343 Kolbenheyer 196 Kolmogoroff 317 Kolnai 370 Konfuzius 16 Koninck 286 Kopernikus 133 Korsch 340 Korsgaard 336 Koselleck 378 Köstlin 163 Kotarbin´ski 322 Kowalczyk 299 Koyré 368 Kraft 302 Krantor 41 Krates 39 Kratochvil 288 Kratylos 31 Kraus 193, 297 Krause 166

Philosophiegeschichtliches Namensverzeichnis Krieck 196 Krings 289 Kripke 307 Kristeva 375 Kritolaos 44 Kronecker 316 Kroner 183 Krueger 187 Krüger 275 Kra˛piec 287 Kues 135 Kuhn, H. 367 Kuhn, J. E. v. 265 Kuhn, T. S. 323 Kuki 370 Külpe 182 Kumarila 8 Kung-tse 16 Kuno 398 Kustaanheimo 318 Kutschera 385 Kwiatkowski 287 Kyniker 45 Kyrillos 82 K’ang Yu-wei 18 Kłosak 287 Ko¯saka 398 Ko¯yoma 398 La Bruyère 149 La Mettrie 150 La Rochefoucauld 149 La Via 223 Laas 174 Laberthonnière 277 Labriola 340 Lacan 355 Lachelier 220 Lacordaire 277 Lactantius 79 Ladd 252 Ladrière 291 Ladusãns 285 Lafitte 217 Lagneau 389 Laín Entralgo 373 Laird 242 Lakatos 323 Lakebrink 275 Lalande 390 Lalo 392

Lambert 153 Lamennais 268 Lampe 288 Landgrebe 366 Landmann 383 Lanfrank 90 Lang 300 Lange 178 Langer 382 Langeveld 367 Lankavatara-Sutra 11 Lao-Tse 15 Lapie 390 Larenz 183 Larissa 50 Laromiguière 215 Lask 181 Lassalle 163 Lasson, A. 183 Lasson, G. 183 Laßwitz 173 Laurie 240 Lauth 289 Lavelle 388 Lawrow 259 Lazzarini 294 Le Blond 278 Le Dantec 217 Le Play 391 Le Roy 388 Le Sage 151 Le Senne 388 Leadbeater 188 LeConte 253 Ledesma 130 Leeuw 261 Lefebvre 340 Leibniz 141 Leibowitz 384 Lenin 340 Lenk 385 Leo XIII. 202 Leontius 86 Leontjew 258 Lepidi 277 LePoidevin 314 Lequier 268 Leroux 218 Lersch 383 Lessing 153 Leukipp 33

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Philosophiegeschichtliches Namensverzeichnis Lévi 396 Lévi-Strauss 355 Levinas 368 Levine 307 Lévy-Bruhl 392 Lewes 235 Lewis, C. I. 360 Lewis, D. 309 Les´niewski 322 Li Ki 14 Liang Tch’i-tsch’ao 18 Liard 219 Liberatore 282 Libet 308 Lieber 249 Liebert 180 Liebmann 178 Liezi 15 Lindenbaum 322 Lindworsky 206 Lipps, G. F. 186 Lipps, H. 365 Lipps, Th. 187 Lipsius 132 Litt 191 Littré 217 Llambias de Acevedo 296 Llorens y Barba 255 Lloyd 252 Locke 144 Lodge 245 Loewe 267 Loisy 277 Lomanto 285 Lombardi 229 Lombardus 98 Lombroso 221 Lonergan 286 Longpré 278 Lopátin 273 Lorenz, Konrad 326 Lorenz, Kuno 352 Lorenzen 350 Losada 154 Lossev 370 Losskij 298 Lotz 280 Lotze 184 Löwenthal 173 Löwith 344 Lu Tchiu-yuan 17

Lü zong 20 Lübbe 338 Lubbock 234 Lucretius 48 Lugo 143 Luhmann 347 Luijpen 367 Lukács 340 Łukasiewicz 316 Lullus 117 Luque 285 Luther 131 Lützeler 205 Luxemburg 340 Lydos 72 Lyotard 356 Lysis 29 Mach 175 Machiavelli 136 MacIntyre 332 Mackenzie 237 Mackie 314 Mackintosh 148 MacLane 320 Macrobius 73 Madhva 12 Maeztu 256 Magnenus 133 Magnes 83 Mahabharata 6 Mahavira 5 Mahayana 11 Mahnicˇ 288 Maier 187 Maignan 143 Maimon 156 Maimonides 102 Maine de Biran 268 Maistre 268 Makarios Magnes 83 Makarius 83 Malebranche 142 Malevez 279 Malthus 233 Maly´ 300 Mamertus 87 Mandeville 146 Mandonnet 278 Manes 77 Mani 77

722 Mannheim 347 Mansel 232 Manser 275 Marbach 367 Marbe 182 Marc 278 Marc Aurel 53 Marcel 372 Marchesini 226 Marchia 121 Marcianus Aristides 76 Marcion 77 Marcus 179 Marcuse 342 Mare 111 Maréchal 279 Mareš 300 Maret 212 Mariana 130 Marías Aguilera 369 Maricourt 116 Marinos 69 Marion 368 Maritain 278 Marius Victorinus 73 Markov 319 Marquard 378 Marsh 272 Marsilius v. Padua 126 Marston 106 Martí de Eixalá 270 Martianus Capella 73 Martin, D. A. 320 Martin, M. 314 Martin, Th.-H. 216 Martineau 236 Martinetti 223 Martínez Villada 285 Marty 193 Marx, K. 162 Marx, W. 367 Masaryk 261 Mascall 286 Masci 222 Masnovo 283 Mastrius 143 Matre Dei, a 143 Matthäus v. Acquasp. 106 Maturana 326 Maupertuis 149

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723 Maurus 88 Mausbach 275 Mauss 392 Mauthner 385 Maximos 70 Maximus Confessor 86 Maximus v. Alexandria 74 Maxwell 234 May 328 Mayer 173 Mayr 154 Mayronis 121 Mazzantini 283 McConnell 332 McCormick 286 McCosh 250 McDougall 246 McDowell 360 McGinn 335 McLuhan 381 McNaughton 334 McTaggart 239 Mead 359 Medicus 183 Meggle 330 Meinong 194 Meister Eckhart 115 Melanchthon 131 Melissos 30 Melito 76 Melville 251 Mencius 16 Mendelssohn 153 Mendieta 297 Mendive 284 Mendoza 143 Menedemos 38 Ménégoz 277 Menéndez y Pelayo 284 Menger 302 Mengzi 16 Menippos 45 Menne 321 Mercier 276 Merleau-Ponty 368 Mersenne 133 Messer 182 Messner 290 Methodius 83 Methone 99

Philosophiegeschichtliches Namensverzeichnis Metrodoros 48 Mettrie 150 Metz 118 Metzger 366 Metzinger 311 Meyer, H. 275 Meyer, Th. 205 Meyerson 387 Michael Ephesios 99 Michael Psellos 99 Michailowski 259 Michalski 299 Michaltschev 262 Michelet 162 Michelis 173 Michelstaedter 229 Middletown 106 Miki 398 Milhaud 387 Mill 233 Millikan 312 Mimansa 8 Minucius Felix 78 Mirandola 132 Mirecourt 123 Misch 191 Mitchell 315 Mitin 259 Mittelstraß 351 Mitterer 205 Möbius 184 Mohan Roy 13 Möhler 265 Mokshadharmaparvan 6 Moleschott 173 Molina 130 Möller 275 Monrad 260 Montague 307 Montaigne 132 Montalembert 268 Montesquieu 149 Montgomery 253 Moore, A. W. 359 Moore, G. E. 306 Moore, Th. V. 286 Morando 294 Morawski 287 Morente 295 Morgan, A. de 243 Morgan, C. L. 310

Morin, E. 391 Morin, F. 201 Morris, Ch. W. 359 Morris, G. S. 252 Mortagne 93 Morus 136 Moser 193 Moses Maimonides 102 Most 206 Mostowski 322 Mounier 291 Mozi 19 Muirhead 237 Mulford 249 Müller, A. 266 Müller, M. (1823–1900) 236 Müller, M. (1906–1994) 289 Münsterberg 181 Muñoz Alonso 284 Murdoch 329 Mure 237 Musonius Rufus 53 Mutschelle 264 Mycielski 318 Myers 246 Nagarjuna 11 Nagata 398 Nagel 312 Nagl-Docekal 375 Nakae Toju 23 Natalis 112 Natorp 180 Nédoncelle 292 Negt 347 Nell-Breuning 290 Nelson 304 Nemesius 72 Nestorius 81 Nettesheim 134 Neuhäusler 206 Neurath 302 Newman 236 Newton 145 Nicole 138 Nida-Rümelin, J. 331 Nida-Rümelin, M. 311 Niel 208 Nietzsche 196

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Philosophiegeschichtliches Namensverzeichnis Nigidius Figulus 58 Nihonshoki 22 Nikolaos v. Methone 99 Nikolaus v. Amiens 95 Nikolaus v. Autrecourt 123 Nikolaus v. Kues 135 Nikolaus v. Oresme 124 Nikomachos 58 Nikostratos 57 Nimbarka 12 Nink 275 Nishida 27 Nishitani 27 Noack, H. 180 Noack, L. 163 Noël 276 Nohl 191 Novalis 160 Nowell-Smith 329 Nozick 338 Numenios 58 Nunn 242 Nussbaum 332 Nyaya-Vaisheshika 7 Nys 276 Nyssa 82 O’Neill 336 Oakeshott 338 Ockham 122 Oehler 361 Oesterreich 190 Ogden 307 Oinoanda 55 Oinomaos 52 Oken 160 Olgiati 283 Olivi 106 Ollé-Laprune 268 Opzoomer 261 Oresme 124 Orestano 222 Origenes 79 Ors y Rovira 295 Ortega y Gasset 369 Orth 367 Ortí y Lara 284 Ostwald 175 Ottaviano 223 Otto 179

Otto v. Freising 95 Oviedo 143 Oyomei 23 Paci 369 Padovani 283 Padua 126 Paine 231 Palágyi 262 Paley 145 Palmieri 282 Pamphilus 79 Panaitios 47 Panikkar 295 Pantänus 79 Pap 307 Pape 361 Papineau 312 Paracelsus 133 Pareto 226 Pareyson 294 Parfit 334 Parker 272 Parmenides 30 Parodi 390 Parsons 320 Pascal 138 Paschasius Radbertus 88 Pastore 226 Patanjali 9 Paton 244 Patocˇka 370 Patricius 133 Pauler 300 Paulhan 393 Paulsen 186 Paulus 75 Peano 316 Pears 307 Pearson 234 Pecka 288 Peckham 106 Pegis 286 Peirce 358 Pejovic´ 341 Pelster 275 Penrose 308 Peregrinos 52 Peregrinus 116 Perty 164 Pesch, H. 290

724 Pesch, T. 274 Pestalozzi 153 Peter Tarantaise 105 Peter v. Maricourt 116 Petric´ 288 Petrone 223 Petrovic´ 341 Petrus Abaelardus 93 Petrus Aureolus 118 Petrus Damiani 90 Petrus Hispanus 117 Petrus Johannis Olivi 106 Petrus Lombardus 98 Petrus Peregrinus 116 Petrus Ramus 133 Petrus Tartaretus 121 Peursen 367 Pfänder 365 Pfleiderer 183 Pfordten, v. d. 182 Phaidon 38 Phelan 286 Philippus a SS. Trinit. 143 Phillips 315 Philodemos 48 Philolaos 29 Philon v. Alexandria 61 Philon v. Larissa 50 Philoponos 71 Photios 99 Piaget 353 Picard 207 Pichler 328 Pico della Mirandola 132 Picotti 296 Pieper 275 Pieron 393 Pierre d’Ailly 125 Pilgram 267 Pimenta 285 Pita 285 Pius IX. 202 Pius X. 202 Place 309 Planck, K. Ch. 160 Planck, M. 325 Plantinga 313 Plassmann 274 Platon 40

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725 Play 391 Plechanow 340 Plessner 383 Plethon 132 Plotin 64 Ploucquet 153 Plutarch 57 Plutarch v. Athen 67 Podmore 246 Pöggeler 367 Poidevin 314 Poincaré 387 Poitiers 95 Pojman 315 Polanyi 323 Polemon 41 Polkinghorne 325 Polos 36 Pomponatius (Pomponazzi) 132 Poncius 143 Pontikos 41 Popper 324 Porphyrios 65 Porter 250 Portig 184 Poseidonios 47 Posner 360 Post 319 Potamon 54 Pou 143 Povius 143 Połtawski 299 Prabhakara 8 Pradines 388 Prantl 163 Prashastapada 7 Prat 219 Prel 188 Preti 369 Price 244 Prichard 330 Priestley 144 Prigogine 325 Pringle-Pattison 239 Prior 337 Prohászka 288 Proklos 68 Prosper 85 Protagoras 35 Proteus 52

Philosophiegeschichtliches Namensverzeichnis Proudhon 217 Przywara 275 Psellos 99 Ptolemaios 56 Publius Nigidius Figulus 58 Pufendorf 141 Puntel 208 Pusey 236 Putnam 307 Pylkkänen 311 Pyrrhon 49 Pythagoras 29 Quadrado y Nieto 270 Quadratus 76 Quine 307 Quinton 307 Quintus Sextius 54 Radbertus 88 Radbruch 349 Rádl 300 Radulfus Ardens 95 Raeymaeker 276 Rahner 280 Raimundus Lullus 117 Ram Mohan Roy 13 Ramakrishna 13 Ramanuja 12 Ramírez 284 Ramsey, F. 305 Ramsey, I. 297 Ramus 133 Rang 367 Rashdall 239 Ratramnus 88 Rauh 390 Raulica 277 Ravaisson-Mollien 220 Rawls 338 Raymond 249 Read 233 Reale 397 Reding 275 Régis 286 Régnon 277 Rehberg 383 Rehmke 195 Reich 181 Reichenbach 304

Reid 148 Reimarus 153 Reinach 365 Reiner 366 Reinhold 156 Reininger 385 Reinke 189 Remigius 89 Rémusat 216 Renan 217 Renard 286 Renoirte 276 Renouvier 219 Rensi 227 Rescher 360 Resnik 320 Reuchlin 132 Rey 387 Reyna 296 Reynaud 218 Ribot 393 Ricardo 233 Richard 392 Richard Fishacre 105 Richard FitzRalph 126 Richard v. Middletown 106 Richard v. Sankt Viktor 97 Richards 307 Richter, F. 162 Richter, R. 186 Rickaby 286 Rickert 181 Ricœur 377 Riehl 178 Rigobello 294 Rigveda 1 Rimini 123 Rintelen 385 Rinzai-shu 24 Rios 285 Ripelin 109 Ritchie 237 Ritter, H. 170 Ritter, J. 385 Rixner 199 Robert Kilwardby 111 Robertson 233 Robles 263 Rochefoucauld 149

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Philosophiegeschichtliches Namensverzeichnis Roger Bacon 116 Roger v. Marston 106 Roig 296 Roig Gironella 284 Roland-Gosselin 278 Romagnosi 221 Romanes 234 Romanus 112 Rombach 367 Rommen 290 Rorty 360 Rosanow 258 Roscelinus 93 Roselli 154 Rosenkrantz 164 Rosenkranz 162 Rosenmöller 289 Rosenstock-Huessy 384 Rosenzweig 374 Rosetti 282 Rosmini-Serbati 269 Ross 330 Rota 320 Rothacker 383 Rousseau 152 Rousselot 277 Rovere 221 Rovighi 369 Rowe 313 Roy, R. M. 13 Roy, É. Le 388 Royce, 357 Royer-Collard 215 Rozaven 199 Rüfner 205 Rufus 53 Rüge 162 Ruibal 295 Rupella 105 Ruschd 101 Russell 305 Ruysbroeck 127 Ryan 286 Ryle 306 Saadia Gaon 102 Sabatier 277 Sachsen 124 Sáenz de Aguirre 143 Sage 151 Saigusa 398

Sailer 264 Saint-Simon 217 Sakkas 63 Salamucha 287 Salat 264 Salazar Bondy 296 Salisbury 95 Sallustios 70 Salomon Israeli, I. ben 102 Samaj 13 Samkhya 9 Samuel 244 Saint Pourçain 118 Sánchez 137 Sancto Thoma, a 143 Sandbothe 361 Sandkühler 385 Sankt Viktor, H. v. 97 Sankt Viktor, R. v. 97 Sanseverino 281 Santayana 253 Santeler 275 Sanz del Rio 255 Sarlo 223 Sartre 372 Sarvastivadins 10 Saturninus 77 Saussure 355 Sautrantikas 10 Savage 253 Savigny 307 Sawicki 299 Scannone 296 Schaeffler 289 Schapp 365 Schasler 163 Scheffler 141 Scheler 364 Schell 267 Schelling 158 Schelsky 347 Schestow 373 Schiller, Ferd. C. S. 360 Schiller, Fr. 156 Schilling 183 Schlegel 160 Schleiden 173 Schleiermacher 170 Schlick 302 Schmidt, A. 342

726 Schmidt, H. 173 Schmidt, K. 162 Schmitt 344 Schmitz 367 Schnädelbach 385 Scholem 384 Scholz 190 Schopenhauer 167 Schou-jen 21 Schrenck-Notzing 188 Schröder, E. 192 Schröder, F.-W. K. E. 320 Schrödinger 325 Schroeder 168 Schröter 183 Schulze 156 Schuppe 176 Schurman 252 Schütz, Alfred 368 Schütz, Antal 288 Schwarz 264 Schwarzmann 373 Schwegler 163 Schweitzer 327 Schwertschlager 205 Sciacca 293 Scottus Eriugena 89 Scotus 113 Séailles 389 Searle 306 Secrétan 218 Seel 385 Seiler 205 Sellars 307 Semenenko 287 Sen 336 Seneca 53 Sengler 267 Senne 388 Sennert 133 Sentroul 208 Sertillanges 278 Seth 239 Seuse 127 Sevilla 87 Sextus Empiricus 51 Seydel 164 Shaftesbury 146 Shamkara 12 Shand 246 Shapiro 320

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727 Sheldon 252 Sherrington 246 Shinto 22 Shunyavada 11 Siddhartha Gautama 4 Sidgwick, A. 360 Sidgwick, H. 233 Siebeck 184 Siep 385 Siewerth 275 Siger v. Brabant 108 Sigwart 187 Silesius 141 Simmel 178 Simmias 29 Simon, P. 275 Simon, Y. 286 Simplikios 69 Sina 100 Singer, M. G. 336 Singer, P. 331 Sinibaldi 285 Sinope 39 Skinner 348 Skoworoda 258 S´lipko 287 Sloterdijk 382 Smart, J. J. C. 331 Smart, N. 297 Smetana 261 Smith, A. 147 Smith, J. A. 237 Smith, M. A. 330 Smith, N. Kemp 242 Smuts 245 Snell 173 Sniadecki 262 Sobocin´ski 322 Sohn-Rethel 340 Söhngen 275 Sokrates 37 Soloveitchik 384 Solowjow 258 Sopatros 66 Sordi 282 Sorel 347 Soriano de Souza 285 Sorley 239 Soto 129 Soto-shu 24 Souriau 389

Philosophiegeschichtliches Namensverzeichnis Souza 285 Spaemann 289 Spann 344 Spaventa 222 Spearman 246 Spencer 234 Spengler 364 Sperry 310 Špet 370 Speusippos 41 Spiegelberg 368 Spinoza 140 Spirito 224 Splett 289 Spranger 191 Sri Aurobindo 13 Stachowiak 361 Stadler 288 Stahl 164 Stalin 340 Stallo 253 Stammler 180 Stattler 154 Staudenmaier 265 Stavenhagen 365 Stebbing 243 Steenberghen 276 Stefanini 294 Steffens 160 Steffes 275 Stegmüller, F. 275 Stegmüller, W. 323 Stein, E. 365 Stein, H. v. 168 Steinacker 143 Steinbüchel 275 Steiner, M. 320 Steiner, R. 383 Steinthal 171 Stephan 310 Stephan Tempier 111 Stephanos 71 Stephen 234 Stern 187 Stevenson 330 Stewart 148 Stilpon 38 Stirner 162 Stöckl 274 Storchenau 154 Störring 182

Stout 246 Strachow 257 Straßburg 114 Strasser 367 Straton 44 Strauß, D. F. 162 Strauß, L. 344 Strawson 306 Streeter 248 Streminger 314 Ströker 367 Stróz˙ewski 287 Strümpell 171 Stumpf 193 Styczen´ 299 Suárez 130 Sully 233 Sulzer 153 Sumner 253 Supek 341 Suppes 307 Sutton 112 Suzuki 24 Swinburne 313 Sylvestris 129 Synesios 71 Syrianos 67 Szilasi 370 Szylkarski 210 Słupecki 322 Tagore, D. 13 Tagore, R. 13 Taine 217 Takahashi 370 Tanabe 27 Tannery 387 Taoismus 15 Taparelli d’Azeglio 282 Tarantaise 105 Tarde 391 Tarozzi 223 Tarski 303 Tartaretus 121 Tatian 76 Taubes 384 Tauler 127 Taylor, A. E. 248 Taylor, Ch. 339 Taylor, J. 231 Teichmüller 184

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Philosophiegeschichtliches Namensverzeichnis Teilhard de Chardin 292 Teishu 23 Telesio 133 Tempier 111 Temple 248 Tennant 320 Tertullian 78 Tetens, H. 353 Tetens, J. N. 153 Thales 28 Themistios 74 Theodoret 86 Theodoros 66 Theon 57 Theophilus 76 Theophrastos 43 Theravada 10 Theunissen 289 Thiel 350 Thierry v. Chartres 94 Thiéry 276 Thomas Bradwardine 121 Thomas Sutton 112 Thomas v. Aquin 110 Thomas v. Erfurt 117 Thomasius 141 Thomson 245 Thoreau 251 Thrasyllos 57 Thrasymachos 36 Tiantai zong 20 Tillich 289 Timon 49 Tindal 145 Tischner 299 Titchener 246 Toland 145 Toletus 130 Tolomei 143 Tolstoi 258 Tongiorgi 282 Tönnies 347 Tonquédec 388 Topitsch 324 Toulmin 336 Tournai 105 Tours 96 Tourville 391 Toynbee 348 Tracy 213

Trahndorff 164 Trendelenburg 165 Treschow 260 Trethowan 286 Trinitate, Ph. a SS. 143 Troeltsch 190 Trstenjak 288 Tschaadajew 273 Tschen-yen zong 20 Tschernyschewski 259 Tschirnhaus 141 Tschou Tun-I 17 Tsch’eng Hao 17 Tsch’eng I 17 Tsch’un-tch’iu 14 Tufail 101 Tufts 359 Tugendhat 307 Tuñón 254 Turgot 151 Turing 319 Twardowski 322 Tyana 58 Tylor 234 Tyndall 234 Tyrrell 248 T’ai-tchi t’u-schuo 17 Ubaghs 277 Udayana 7 Uexküll 189 Uljanow 340 Ulrich 289 Ulrich v. Straßburg 114 Ulrici 164 Unamuno 397 Upanishaden 2, 3 Upham 250 Urmson 329 Urpiá 270 Urráburu 284 Ušenicˇnik 288 Utitz 193 Vacherot 216 Vaihinger 177 Vailati 228 Valencia 130 Valentinus 77 Valla 133 Vallabha 12

728 Vanni Rovighi 369 Varela 326 Varisco 223 Varro 50 Vasconcelos Calderón 263 Vasubandhu 10, 11 Vatke 162 Vattimo 356 Vauvenargues 149 Vázquez 130 Veber 300 Vecchio 223 Vedanta 12 Veitch 232 Vellanskij 257 Venn 243 Ventura di Raulica 277 Vera 222 Verulam 137 Verweyen 183 Vetter 383 Via 223 via antiqua 120 via moderna 120, 122 Vico 141 Victorinus 73 Vijnanavada 11 Vinet 277 Vinzenz v. Aggsbach 128 Vio 129 Virasero 296 Virchow 173 Virilio 356 Vischer 163 Vitalis v. Furno 106 Vitoria 129 Vivekananda 13 Vives 137 Voegelin 344 Voetius 138 Vogl 154 Vogt 173 Volkelt 178 Volkmann 171 Volkmann-Schluck 367 Vollmer 326 Volpi 382 Voltaire 149 Vopènka 318 Vorges 277

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729 Vranicki 341 Vries 207 Wadding 143 Waelhens 367 Wagner 168 Wagner de Reyna 296 Wahl 372 Wais 287 Waismann 302 Waitz 171 Wajsberg 322 Waldenfels 367 Wallace 237 Walter 361 Walter Burley 121 Walter v. Brügge 105 Walter v. Mortagne 93 Walzer 339 Wang Schou-jen 21 Wang Yang-ming 21, 23 Ward, J. 248 Ward, L. F. 253 Ward, W. G. 286 Ware 106 Warynski 340 Wasmann 206 Watsuji 27 Watzlawick 354 Wayland 250 Webb 248 Weber, J. 264 Weber, M. 347 Weddingen 277 Weierstraß 316 Weigel 134 Weil, A. 318 Weil, É. 338 Weil, S. 292 Wein 328 Weinhandl 194 Weinstock 383 Weischedel 371 Weiß 154 Weisse 164 Weissmahr 280 Weizsäcker 325 Wellek 187 Welsch 356, 380

Philosophiegeschichtliches Namensverzeichnis Welte 289 Welty 275 Wentscher 184 Wenzl 326 Werner 267 Weryho 287 West 250 Westermarck 234 Wetter 343 Weyl 317 Whewell 233 Whitehead 328 Wieger 208 Wieland 153 Wiggins 336 Wigner 308 Wild 368 Wilhelm de la Mare 111 Wilhelm v. Champeaux 92 Wilhelm v. Conches 94 Wilhelm v. Ockham 122 Wilhelm v. Ware 106 Williams 332 Willmann 274 Wilpert 205 Wilson 241 Winchell 253 Windelband 181 Windischmann 199 Wisdom 307 Witelo 116 Witherspoon 231 Wittgenstein 301 Wittmann 205 Wohlrapp 353 Wojtyła 287 Wolf, J.-C. 331 Wolf, U. 337 Wolff 153 Wolterstorff 315 Woolman 230 Wright, Ch. 358 Wright, Cr. 320 Wright, G. F. 253 Wright, G. H. v. 307 Wulf 278 Wunderle 205 Wundertäter 79

Wundt 186 Wust 205 Wüstehube 361 Wyschogrod 384 Wyss 367 Xenokrates 41 Xenophanes 30 Yanagida 398 Yang-ming 21, 23 Yessenin-Volpin 318 Yin Wen zi 15 Yoga 9 Yu-wei 18 Zabarellus 132 Zacharias 86 Zadeh 318 Zallinger zum Thurn 154 Zamboni 283 Zambrano 369 Zamiecka 287 Zaragüeta Bengoechea 284 Zawirski 322 Zdziechowski 299 Zea 296 Zeising 163 Zenon v. Elea 30 Zenon v. Kition 46 Zermelo 316 Zhu Xi 17 Zhuangzi 15 Ziegler, L. 185 Ziegler, Th. 174 Ziehen 175 Zigliara 282 Zimmer 264 Zimmerli 385 Zimmermann 288 Zˇizˇek 382 Zubiri 369 Zukrigl 267 Zuozhuan 14 Zweiling 173 Zwingli 132

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