Westdeutsche und italienische Historiker als Intellektuelle?: Ihr Umgang mit Nationalsozialismus und Faschismus in den Massenmedien (1943/45-1960) 9783666370229, 9783525370223, 9783647370224


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German Pages [376] Year 2012

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Westdeutsche und italienische Historiker als Intellektuelle?: Ihr Umgang mit Nationalsozialismus und Faschismus in den Massenmedien (1943/45-1960)
 9783666370229, 9783525370223, 9783647370224

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© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Gunilla Budde, Dieter Gosewinkel, Jürgen Kocka, Paul Nolte, Alexander Nützenadel, Hans-Peter Ullmann

Frühere Herausgeber Helmut Berding und Hans-Ulrich Wehler (1972–2011)

Band 206

Vandenhoeck & Ruprecht © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Marcel vom Lehn

Westdeutsche und italienische Historiker als Intellektuelle? Ihr Umgang mit Nationalsozialismus und Faschismus in den Massenmedien (1943/45–1960)

Vandenhoeck & Ruprecht © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein, der FAZIT-STIFTUNG sowie der Freien Universität Berlin.

Mit 1 Tabelle Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-37022-3 ISBN 978-3-647-37022-4 (E-Book) Umschlagabbildung: Benedetto Croce © Herbert List / Agentur Focus. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. – Printed in Germany. Satz: textformart, Göttingen Druck und Bindung: e Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 I. Die Bedingungen für öffentliches Engagement . . . . . . . . . . . . . 27 1. Die Geschichtswissenschaft zwischen Professionalisierung und gesellschaftlicher Verantwortung seit dem 19. Jahrhundert . . . . 27 2. Zwanzig Lebensläufe – Die Historiker und die öffentliche Praxis in den Massenmedien nach der Zäsur 1943/45 . . . . . . . . 40 3. Medienbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 II. Wissenschaftler als Intellektuelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1. Nationalgeschichte in der Öffentlichkeit – Historische Sinnstiftung nach der Zäsur in Westdeutschland . . . 134 1.1 Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches und das drohende Ende der nationalen Kontinuität . . . . . . . . . 134 1.2 Der Kalte Krieg und die Abgrenzung vom Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1.3 Der Sinn der Nationalgeschichte nach der staatlichen Teilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 1.4 Der Generationswechsel als Antrieb für einen veränderten Umgang mit der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Nationalgeschichte in der Öffentlichkeit – Historische Sinnstiftung nach der Zäsur in Italien . . . . . . . . . . 220 2.1 Italien zwischen alliierter Befreiung und deutscher Besatzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2.2 Der Beginn des Kalten Krieges und das Ende der antifaschistischen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 2.3 Die Eskalation des ideologischen Gegensatzes und die Herausforderung des Neofaschismus . . . . . . . . . . . . . 250 2.4 Die normative Abgrenzung vom Faschismus und die Erschütterung der kommunistischen Alternative . . . . . . 271 3. Die Technik der Vermittlung – Argumentationsstrategien gegenüber einem nichtfachlichen Publikum . . . . . . . . . . . . . 288 5 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

III. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 1. Die Historiker in den Massenmedien – ein Beispiel für den »Strukturwandel der Öffentlichkeit« . . . . . . . . . . . . . . . 309 2. Historiker in der öffentlichen Auseinandersetzung um Erinnerung in den Nachkriegsgesellschaften – Wissenschaftspopularisierung oder Aushandlungsprozess in der Wissensgesellschaft? . . . . . . . 317 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 1. Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 2. Gedruckte Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 1. Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 2. Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367

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Einleitung Studien, die sich mit der Geschichte der Geschichtswissenschaft und dem kollektiven Gedächtnis von Gesellschaften beschäftigen, haben in den letzten Jahren merklich zugenommen. Das gilt vor allem für Deutschland,1 während in Italien zumal der Historiographie nach 1945 bislang deutlich weniger Aufmerksamkeit gewidmet worden ist.2 Wozu kann eine weitere Dissertation in diesem Themenfeld nützlich sein? Das Hauptaugenmerk der Forschung richtete sich bislang vor allem separat auf die Geschichte der Historiographie selbst und die Erinnerungskultur von Gesellschaften als ganzer. In diesem Projekt soll indes eine Verbindung dieser beiden Bereiche an einer aussagekräftigen Schnittstelle versucht werden: dem Spannungsverhältnis zwischen der akademischen Tätigkeit und der öffentlichen Praxis der Historiker, mithin ihrem Versuch, über die Massenmedien (Tages- und Wochenzeitungen, Rundfunk) ein großes, nichtfachliches Publikum zu erreichen. Die vorliegende Studie beschränkt sich nicht auf eine einzige Erinnerungskultur, sie untersucht vielmehr die öffentliche Praxis der Historiker anhand eines westdeutsch-italienischen Vergleichs. In den letzten Jahren haben in der deutschen Forschung vergleichende Untersuchungen, die verschiedene Nationen berücksichtigen, zweifellos zugenommen. Als Beispiel hierfür mag Sebastian Conrads Studie über westdeutsche und japanische Historiker nach dem Zweiten Weltkrieg genannt werden, ebenso Christoph Cornelißens Analyse verschiedener Erinnerungskulturen in West- und Ostmitteleuropa (wobei letztere weniger ein Vergleich sind, eher eine Sammlung von Studien über unterschiedliche Kulturen). Dennoch lässt sich sagen, dass Studien dieses Typs noch viel zu selten verfolgt werden, bietet doch der historische Vergleich für die Forschung auch auf diesem Gebiet vielerlei Vorteile.3 In erster Linie dient er der Absicht, bestimmte 1 Eine Auflistung von Literatur zu diesem Thema kann selbstverständlich nur eine Auswahl darstellen. Vgl. etwa Cornelißen, Ritter; Etzemüller; Eckel, Rothfels; Conrad; Schulze, Geschichtswissenschaft; Assmann, Geschichtsvergessenheit; Jarausch, Gedächtnis; ­Cornelißen, Erinnerungskulturen. Es wird auf den Begriff der Erinnerungskultur zurückgegriffen, weil er als allgemeine Kategorie weitgehend alle Formen der bewussten Erinnerung an histo­ rische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse umfasst. Vgl. hierzu Cornelißen, Was heißt Erinnerungskultur?, S. 555. Vgl. ferner Jarausch, Meistererzählung, S. 14 f. 2 Vgl. Di Rienzo, Un dopoguerra; Focardi, La guerra; Bosworth, Italian; Zunino, La repubblica; Rusconi. 3 Vgl. Conrad; Cornelißen, Erinnerungskulturen; Nützenadel, Zeitgeschichte als Problem; Esch. Ähnlichkeiten zwischen Deutschland und Italien, vor allem in der neuesten Geschichte, sind des Öfteren diskutiert und auch hinterfragt werden. An dieser Stelle kann auf das Thema allerdings nicht näher eingegangen werden. Vgl. z. B. Dipper, Deutschland.

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historische Abläufe in verschiedenen Ländern auf ihre Unterschiede und Ähnlichkeiten hin zu untersuchen. Erst durch diese Gegenüberstellung werden viele Entwicklungen überhaupt in ihrer jeweiligen Bedeutung erkennbar und machen eine tiefer gehende Analyse der Ursachen und Verläufe historischer Phänomene möglich.4 Deutschland und Italien bieten sich aufgrund etlicher historischer Ähnlichkeiten für einen Vergleich besonders an. Selbstverständlich bedeutet Ver­ gleichen aber auch in diesem konkreten Fall nicht Gleichsetzen. Je intensiver man sich mit beiden Ländern beschäftigt, desto stärker stechen im Detail die Unterschiede hervor. Für westdeutsche und italienische Historiker existierten 1945 keine identischen Bedingungen: Die verbrecherische Intensität des Nationalsozialismus war viel größer als die des Faschismus. Zudem lässt sich in Italien die durch staatlichen Zusammenbruch und Kriegsniederlage bedingte Zäsur der Nationalgeschichte anders als in Deutschland nur bedingt mit dem Jahr 1945 datieren. Der Zusammenbruch des faschistischen Systems am 25. Juli 1943 und der bald beginnende Kampf der Resistenza gegen deutsche Besatzungstruppen wie deren italienische faschistische Verbündete bedeuteten eher einen Umbruchszeitraum zwischen 1943 und 1945. Vor allem aber entwickelte sich die politische Kultur Italiens nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges anders als in Deutschland. Während der Kalte Krieg im deutschen Fall zur Zweiteilung des Landes entlang der Systemgrenze führte und die Parteienlandschaft in beiden deutschen Staaten eigenartig polarisierte, entwickelte sich in Italien eine starke Kommunistische Partei mit Massenbasis, die bald die Opposition dominierte. Dort wurde also der Gegensatz zwischen dem westlich-demokratischen und dem östlich-kommunistischen Modell direkt innerhalb einer Gesellschaft ausgetragen und konnte nicht, wie im deutschen Fall, in die SBZ/DDR externa­ lisiert werden. Dennoch sind in Deutschland wie Italien mit dem 8. Mai 1945 beziehungsweise 8. September 1943 zwei Daten vorhanden, die für den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung stehen. In beiden Ländern gab es die Erfahrung einer rechtsgerichteten Diktatur, des Weltkrieges und die Belastung durch die langjährige Zustimmung weiter Bevölkerungsteile zu dem nationalsozialistischen und faschistischen Regime. Beide Länder hatten im 19.  und frühen 20.  Jahrhundert eine im Verhältnis zu anderen westlichen Staaten »verspätete« Natio­ nalstaatsbildung unter der Regie autoritär geprägter Regierungen erfahren, die gewissermaßen »von oben« und mit Anwendung von Gewalt durchgeführt wurde. In beiden Ländern (Italien und Bundesrepublik) wurde nach dem Zusammenbruch durch eine westliche Besatzung ein westliches, demokratisches, marktwirtschaftlich ausgerichtetes Gesellschaftsmodell eingeführt. Das faschistische beziehungsweise nationalsozialistische System war in den Nachfolgestaaten diskreditiert, und die als Erfolgswege interpretierten nationalstaatlichen Ent­w icklungen standen – in Deutschland mehr, in Italien weniger – zur 4 Vgl. Haupt; Kaelble.

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Disposition. Insofern bedeutete die Zäsur von 1943/45 beziehungsweise 1945 für beide Länder einen tiefen Einschnitt und lässt einen Vergleich als sinnvoll erscheinen. Der Vergleich beschränkt sich im deutschen Fall weitgehend auf die westdeutsche Seite. Selbstredend ist die Entwicklung der Bundesrepublik ohne die DDR nicht zu verstehen, und diese soll im Folgenden keineswegs ausgeblendet werden. Es entwickelten sich nicht zwei völlig getrennte Staaten und Gesellschaften, sondern ökonomische und kulturelle Zusammenhänge bestanden fort, und in ihrer Abgrenzung voneinander blieben Westdeutschland und die DDR nach dem Zweiten Weltkrieg aufeinander bezogen.5 Jedoch ist der ostdeutsche Staat unter dem Aspekt der Erinnerungskultur kein gleichwertiger Untersuchungsgegenstand, da von einer Öffentlichkeit als Teil einer pluralistischen Gesellschaft wie in Westdeutschland und Italien nicht gesprochen werden kann. In dieser Studie soll daher die öffentliche Praxis von DDR-Historikern nur insofern Berücksichtigung finden, als sie in Wechselwirkung oder Auseinander­ setzung mit ihren westdeutschen Kontrahenten stand und somit die Bedingungen für öffentliche Einmischung von Geschichtswissenschaftlern in der Bundesrepublik genauer zu erklären hilft. Die massenmediale Praxis von Historikern nach dem Zweiten Weltkrieg war bisher kaum Gegenstand der Forschung. Zumindest gilt für weitgehend alle Studien der neueren Historiographiegeschichte, dass kaum unterschieden wurde, an welches Publikum sich Historiker mit ihren Texten richteten. Ob sie sich an den kleinen Kreis ihrer Fachkollegen oder an eine ungleich größere Gruppe von Zeitungslesern und Rundfunkteilnehmern wandten, ist aber keine marginale Frage. Zwar konnten Historiker auch durch ihre wissenschaftlichen Werke Einfluss gewinnen, wenn sie beispielsweise in Ausnahmen hohe Verkaufs­zahlen erreichten oder von maßgeblichen gesellschaftlichen Eliten rezipiert wurden.6 Beides jedoch waren allenfalls Nebenprodukte ihrer akade­mischen Tätigkeit. Erst die Frage, ob und wie Historiker versuchten, über die Massenmedien ein breites Publikum anzusprechen, lässt eine Aussage darüber zu, inwieweit die Geschichtswissenschaftler außerhalb ihrer Disziplin gezielt Einfluss auf die Erinnerungskultur ihrer Gesellschaft gewinnen wollten. Die Forschung zur Geschichte der Geschichtswissenschaft ist in Italien insgesamt noch nicht so weit fortgeschritten wie in Deutschland. Dort liegen zu Historikern nach dem Zweiten Weltkrieg vorwiegend Erinnerungen und Hommagen von Schülern und Weggefährten vor, aber kaum kritische Biographien.7 Auch andere Werke waren oft von einem auffälligen politischen oder wissenschaftspolitischen Impetus gefärbt und daher unausgewogen.8 Eine Ausnahme 5 Vgl. hierzu beispielsweise Kleßmann, Verflechtung; ders., Staatsgründung. 6 Das traf beispielsweise auf Heinrich von Treitschke oder Benedetto Croce zu. 7 Vgl. beispielsweise Romeo; Albanese; Cristiani; Vigezzi; Miccoli; Detti, Ernesto Ragionieri e la storiografia. 8 Vgl. zum Beispiel Di Rienzo, Un dopoguerra.

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stellt hingegen das von dem US-amerikanischen Historiker Charles Killinger geschriebene Buch über Gaetano Salvemini dar.9 Ein Grund für dieses Problem mag die gesellschaftliche Spaltung aus der Zeit des Kalten Krieges sein: einerseits eine tief verwurzelte katholische Tradition mit der Anwesenheit des Vatikans und die gleichzeitige Existenz der größten kommunistischen Partei des Westens. Historiographie diente und dient in Italien nach wie vor der Legitimation von bestimmten aktuellen politischen Grundanschauungen. So vermischte sich oft die kritische Behandlung des Faschismus mit der Bekräftigung einer unkritischen Haltung zur hergebrachten Tradition der Resistenza und des antifaschistischem Konsenses. Umgekehrt ging eine berechtigte Kritik des Resistenza-Mythos häufig mit einer Relativierung der faschistischen Vergangenheit einher.10 Selbst wenn seit den neunziger Jahren diese Dichotomie zumindest in der Wissenschaft einer differenzierteren Betrachtung gewichen ist, hat der gespaltene Blick auf die faschistische Vergangenheit doch keineswegs nachgelassen. Im Gegensatz zu Deutschland herrscht in Italien auch mehr als sechzig Jahre nach dem Kriegsende keine weitgehende Einigkeit über die Bewertung der faschistischen Diktatur. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gab es neben der vorherrschenden antifaschistischen Erinnerungskultur immer eine Opposition ehemaliger Faschisten, die kontinuierlich politische Bedeutung im Parlament besaßen und auch langfristig nicht in die antifaschistische Haltung der Mehrheit integriert werden konnten. Den ehemaligen Faschisten und solchen, die sich politisch rechts ver­ orteten, ging es nicht nur um eine Amnestie oder ihre Wiedereingliederung in den Nachkriegsstaat. Es ging ihnen auch stets um die Anerkennung politischer Ziele und Werte aus den Jahren 1922–1943, selbst der Repubblica Sociale Italiana ­1943–1945. Diese »revisionistische« Sicht hat sogar Auftrieb erhalten, zunächst im Anschluss an die Forschungen Renzo De Felices, speziell aber durch den Zusammenbruch des hergebrachten, aus dem antifaschistischen Widerstand hervorgegangenen Parteiensystems 1992. Das Erstarken der ex-faschistischen Alleanza Nazionale, seit 1994 mehrfach Partner in Regierungskoalitionen, hat den Ruf nach einer memoria condivisa immer lauter werden lassen und auch auf Kräfte jenseits des traditionell rechten Lagers übergegriffen. Dahinter steht die Idee, ein nationaler Konsens sei nur zu erreichen, wenn die Werte und Taten der so genannten ragazzi di Salò, also der Anhänger der unter Federführung der deutschen Besatzungsmacht errichteten faschistischen Republik, die 1943–1945 in einem blutigen Bürgerkrieg die Resistenza bekämpfte, als weitgehend gleichberechtigt anerkannt würden. Dieser Sichtweise muss auch Eugenio Di Rienzos Werk Un dopoguerra storiogafico zugerechnet werden.11 Di Rienzo beabsichtigte eine Untersuchung der italienischen Nachkriegshistoriographie; 9 Vgl. Killinger. 10 Vgl. Focardi, La guerra, S. 42–76; Petersen, S. 550–572; Nützenadel, Zeitgeschichts­forschung, S. 17 f. 11 Vgl. Di Rienzo, Un dopoguerra.

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tatsächlich ist aber sein Buch einseitig auf den wegen seiner Beteiligung am faschistischen System nach 1945 aus der Geschichtswissenschaft weitgehend ausgeschlossenen Gioacchino Volpe zentriert. Die regimenahe Vergangenheit et­ licher weiterer einflussreicher Nachkriegshistoriker wird thematisiert; das Ziel von Di Rienzos Studie ist es aber, daraus eine Rehabilitierung Volpes abzuleiten. Gegen solche Forderungen nach einer moralischen und historischen Rehabilitierung ehemaliger Faschisten mobilisiert sich indes gleichzeitig seit den neunziger Jahren ein entschlossener Widerstand von Kräften, die sich in der Tradition des Antifaschismus verorten: Die Werte derer, die für die Freiheit und Unabhängigkeit des Landes gekämpft hätten, dürften nicht auf die gleiche Stufe mit denen gestellt werden, die sich für Diktatur und Faschismus entschieden hätten.12 In der Bundesrepublik setzte dagegen eine kritische Aufarbeitung der Nachkriegshistoriographie früher ein. Eine erste Gesamtdarstellung war Winfried Schulzes 1989 erschienene Studie über die Konsolidierung der Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg.13 In den letzten Jahren entstanden verstärkt Untersuchungen, die sich der Thematik unter neuen Gesichtspunkten zugewandt haben. Das betrifft beispielsweise die Analyse von Diskursen oder Netzwerken, welche der Forschung interessante, neue Perspektiven eröffnet hat. Exemplarisch sind etwa Nicolas Bergs Studie über den Umgang der Historiker mit dem Holocaust oder die Monographien Thomas Etzemüllers und Jan Eike Dunkhases über die Durchsetzung der Sozialgeschichte am Beispiel Werner Conzes zu nennen.14 Ferner haben biographische Darstellungen einzelner wichtiger Fachvertreter dazu beitragen, neue Erkenntnisse über die Vergangenheit der eigenen Wissenschaft zu gewinnen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie nicht als herkömmliche Betrachtung eines »Helden« gedacht, sondern in Anlehnung an Ulrich Herberts Werner-Best-Biographie15 als eine Untersuchung verfasst wurden, durch welche die fachliche und intellektuelle Entwicklung repräsentativer Wissenschaftler im 20. Jahrhundert nachvollzogen werden kann. Die Biographie Gerhard Ritters von Christoph Cornelißen oder diejenige Hans Rothfels’ von Jan Eckel16 mögen da als – wenn auch unterschiedliche – Beispiele dienen. Eckels Studie hatte in diesem Zusammenhang einen interessanten Ansatz, da sie nicht als vollständige Lebensbeschreibung konzipiert war, sondern den Schwerpunkt auf Rothfels’ wissenschaftlich-intellektuelle Entwicklung legte, diese jedoch unter den Bedingungen seines Lebenslaufs erörterte. Auf diesen Forschungsstand kann die vorliegende Studie aufbauen. Ihre Stoßrichtung ist aber eine andere: Es geht darum, wie die Geschichtswissenschaftler sich zwischen fachlicher und massenmedialer Praxis positionierten 12 Vgl. Focardi, La guerra, S. 56–91. 13 Vgl. Schulze, Geschichtswissenschaft. 14 Vgl. Berg, Holocaust; Etzemüller; Dunkhase. 15 Herbert. 16 Vgl. Cornelißen, Ritter; Eckel, Rothfels. Siehe ferner auch Mühle.

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oder um die Frage zuzuspitzen: Waren Historiker nach dem Zweiten Weltkrieg Intellektuelle und öffentliche Experten? Oder waren sie eher spezialisierte Wissenschaftler und stille Gelehrte? Forderten sie ihr Publikum auf, aus den Erfahrungen der Zäsur bestimmte politische und moralische Konsequenzen zu ziehen? Akzentuierten sie ihre Ergebnisse gegenüber einer größeren Öffentlichkeit anders als in ihrem wissenschaftlichen Werk, verschwiegen sie bestimmte Aspekte oder fügten sie andere hinzu? Eine Perspektive, die ausschließlich auf die Diskurse gerichtet bleibt, reicht zur Beantwortung dieser Frage jedoch nicht aus. Zwar lassen sich Texte vergleichen, die sich an ein rein akademisches und solche, die sich an ein Laienpublikum richten. Durch die Einbeziehung der Personen hinter den Texten aber werden zusätzliche Betrachtungsmöglichkeiten erschlossen, die Aufmerksamkeit verdienen: Weshalb fühlten sich Historiker berufen, einem breiten Publikum Deutungsangebote zur jüngsten Vergangenheit zu machen, und welche unterschiedlichen Intensitäten lassen sich dabei zwischen ihnen feststellen? Wie erhielten Historiker Zugang zu Massenmedien, und welche Wechselwirkungen zwischen ihrer außerfachlichen und ihrer fachlichen Tätigkeit sind erkennbar? Zudem soll die öffentliche Praxis der Historiker in den Massenmedien nicht losgelöst von der allgemeinen öffentlichen Debatte über die Vergangenheit betrachtet, sondern vielmehr innerhalb dieser generellen Diskussion in den Medien verortet werden: Waren Historiker mit ihren Interpretationen Vorreiter einer neuen gesellschaftlichen Sicht auf die Geschichte, oder vollzogen sie eher Entwicklungen nach, die von anderen öffentlichen Akteuren angestoßen wurden? In diesem Kontext stellt sich ferner die Frage, ob Historiker nach der Zäsur von 1943/45 im Umgang mit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung Traditionen aus der Zeit vor den Diktaturen fortsetzten oder ob vielmehr ein Umbruch festzustellen ist, der sich als Teil  der demokratisch-pluralistischen Neuorientierung beider Länder nach 1945 im Rahmen einer sich modernisierenden und verwestlichenden Gesellschaftsordnung begreifen lässt. Blieben deutsche Historiker die von Fritz Ringer so genannten »Mandarine«, die in der Selbstüberzeugung, objektive Erkenntnis erzielen zu können, sich im Kaiserreich staatsnah, in der demokratischen Weimarer Republik aber mehrheitlich staatskritisch verhalten hatten?17 Waren italienische Geschichtswissenschaftler hingegen aus einer ganz anderen Tradition heraus viel weniger staatszentriert und engagierten sich darum eher für unterschiedliche Parteien und soziale Interessengruppen?18 Die vorliegende Studie schließt bei der Untersuchung dieser Thematik an die seit einigen Jahren wieder verstärkte historische Intellektuellenforschung an. Zu der Frage, was einen Intellektuellen eigentlich ausmacht, gab und gibt es eine Vielzahl an Interpretationen. Grundsätzlich werden in dieser Arbeit Intel17 Vgl. Ringer. Siehe besonders S. 16–22. 18 Vgl. beispielsweise Collini; Charle; Hübinger, Gelehrte; ders., Intellektuelle; Gilcher-Holtey, Zwischen den Fronten; Kroll; Giesen.

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lektuelle jedoch nicht soziologisch oder subjektiv-moralisch definiert, sondern auf der Grundlage ihrer öffentlichen Praxis. Ein Intellektueller wird nicht dadurch zum Intellektuellen, dass er einer bestimmten Bildungsschicht angehört und einen entsprechenden Beruf ausübt,19 auch nicht dadurch, dass sein Verhalten als ethisch richtig oder oppositionell gegen Macht und Unterdrückung gerichtet bewertet wird. Im Anschluss an die Forschung Stefan Collinis wird unter einem Intellektuellen eine Person gesehen, die über »kulturelle Autorität« verfügt und diese nutzt, um eine Öffentlichkeit anzusprechen, die größer ist als die, die sich aufgrund ihrer berufsspezifischen Arbeit ergibt. Collini definiert »kulturelle Autorität« durch vier Merkmale: Erstens erfüllt die betreffende Person kulturelle Aufgaben, die nicht nur technischer oder instrumenteller Natur sind; zweitens erreicht sie ein überfachliches Publikum; drittens bringt sie allgemein interessierende Themen zur Sprache; viertens verfügt sie über eine besondere Reputation, sich zu bestimmten Fragen pointiert äußern zu können. Diese Punkte sind insgesamt vage, und eine Kategorisierung wird immer von der Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls abhängen. Sie grenzen die Möglichkeiten einer Kategorisierung jedoch ein und machen deutlich, wie ein Intellektueller entgegen vielfacher Annahmen nicht definiert werden sollte: Ein Intellektueller ist kein Außenseiter, denn in diesem Fall könnte er weder die Zugänge noch die Positionen erreichen, die für eine öffentliche Praxis im vorne genannten Ausmaße nötig sind. Vor allem ist ein Intellektueller auch nicht »unabhängig«, jedenfalls nicht unabhängiger als andere Akteure innerhalb bestimmter sozialer Strukturen. Diese Erkenntnis bedeutet, dass auch ein akademischer Historiker vom Prinzip als ein Intellektueller gelten kann. Die Tatsache, dass er Beschäftigter einer öffentlichen Einrichtung und nicht etwa ein freier Publizist, Künstler oder Schriftsteller ist, steht dem nicht entgegen. Mit Recht verweist Collini darauf, dass ein Professor im Zweifelsfall sogar über eine größere Unabhängigkeit verfügen kann als ein »unabhängiger« Publizist, der in größerem Maße auf die Gunst des Publikums angewiesen ist oder auf das, was die Verleger und Besitzer der Medien, in denen er zu Worte kommen möchte, für diese Gunst des Publikums halten. Ein Universitätshistoriker kann also zu einem Intellektuellen werden, aber nicht jede Form öffentlicher Praxis ist unter diese Definition zu zählen. In der Forschung wurde zwar verschiedentlich die außerfachliche Einmischung von Wissenschaftlern untersucht, doch eine klare Kategorisierung fehlt zumeist, oftmals überlappen sich verschiedene Definitionen auch.20 Keine besondere Aussagekraft hat etwa der Begriff des public historian, da dieser nur einen öffentlichkeitswirksamen Geschichtswissenschaftler beschreibt, aber offen lässt, ob es sich um einen Intellektuellen oder doch vielmehr einen Experten handelt. 19 Von Beyme definierte Intellektuelle etwa synonym mit »Intelligenz«. Vgl. von Beyme, Sp. 187–197. 20 Klaus Ries definiert beispielsweise den politischen Professor nahezu ebenso wie Collini den Intellektuellen. Vgl. hierzu Ries, besonders S. 50; Collini, S. 45–52.

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In seiner klassischen (französischen) Form ist ein Intellektueller eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, die sich zu einer großen Bandbreite allgemein interessierender Fragen äußert. Er ist, um mit M. Rainer Lepsius zu sprechen, »formal inkompetent«, denn er ergreift das Wort zu Themen, die bisweilen keinerlei Bezug zu seinem eigentlichen Fachgebiet besitzen. Er muss sich gegenüber der Öffentlichkeit für diese Einmischung rechtfertigen, da es professionalisierte Konkurrenten gibt. Ebenso muss er Kritik aus der eigenen Profession begegnen, die sein Engagement jenseits seiner fachlichen Kompetenz womöglich missbilligt. Der Begriff des allgemeinen Intellektuellen erscheint in diesem Zusammenhang sinnvoller als politischer Professor oder Gelehrtenpolitiker, da eine öffentliche Praxis nicht zwingend politischer Natur sein muss, um gesellschaftliche Relevanz zu erzeugen.21 Wie aber ist ein Historiker zu fassen, der sich nicht in allerlei Themen einmischt, sondern dessen öffentliche Praxis explizit auf seiner fachlichen Autorität beruht? Ist er als Intellektueller oder als öffentlich präsenter Experte zu kategorisieren? Michel Foucault hat in diesem Zusammenhang den Begriff des spezifischen Intellektuellen im Unterschied zum allgemeinen Intellektuellen geprägt. Hierunter ist eine Art Professionalisierung des Intellektuellen zu verstehen: Er äußert sich nicht allgemein, sondern grundsätzlich nur im Rahmen seiner fachlichen Kompetenz. Ausgehend von dieser Kompetenz formuliert er jedoch im Gegensatz zu dem Experten politische oder moralische Forderungen an die Gesellschaft. Für Foucault war der Atomphysiker J. R ­ obert Oppenheimer der erste spezifische Intellektuelle, weil er sich mittels seines Fachwissens in die allgemeine Debatte eingebracht habe, allerdings mit dem bewussten und offenen Zweck, der nuklearen Rüstung entgegenzutreten. Es ist genau diese Form öffentlicher Praxis, die den spezifischen Intellektuellen ausmacht: Nicht, dass er atomare Rüstung kritisiert oder befürwortet, ist entscheidend. Von seinem fachgebundenen Standort aus versucht er, dem gesellschaftlichen Diskurs eine bewusste Wendung zu geben. Durch diese Gebundenheit an sein Fachgebiet unterscheidet er sich vom allgemeinen Intellektuellen. Hierin hebt er sich jedoch auch maßgeblich vom öffentlichen Experten ab. Während der Experte seine Interpretation nur zur Verfügung stellt, quasi als Mittel für Zwecke, die andere bestimmen, verfolgt der spezifische Intellektuelle mit seiner Einmischung nicht nur einen eigenen Zweck, sondern artikuliert ihn zudem gegenüber seinem Publikum. Durch diese Absicht und diesen Schritt begibt er sich über sein Fachgebiet hinaus in den Bereich ethischer Fragen und wird damit vom Gelehrten oder Experten zum spezifischen Intellektuellen.22 Die vorliegende Arbeit möchte Foucaults Ansatz aufgreifen und prüfen, inwieweit das Konzept des spezifischen Intellektuellen geeignet ist, öffentliche 21 Vgl. Collini. S.  48–50; Lepsius, S.  75–91. Hinzu kommt, dass besonders der Begriff des Gelehrtenpolitikers spezifisch an den deutschen Kontext des Wilhelminismus gebunden scheint und sich daher als allgemeine Beschreibung öffentlicher Praxis nicht eignet. 22 Vgl. Foucault. Vgl. zur Interpretation Foucaults besonders Collini, S. 45–52.

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Praxis von Historikern in zwei verschiedenen Nationalkulturen der Zeitgeschichte zu definieren.23 Eine breite öffentliche Aufmerksamkeit für Geschichtswissenschaft mag auf den ersten Blick nicht selbstverständlich erscheinen, denn die Historiographie ist im Gegensatz zu technischen oder naturwissenschaftlichen Disziplinen weniger geeignet, praxisorientierte Ergebnisse zu produzieren. Tatsächlich aber hat die Öffentlichkeit […] einen kaum zu befriedigenden Bedarf an Informationen über historische Zusammenhänge, ist sich dessen allerdings nicht immer mit gleicher Intensität bewußt. Sie benötigt diese Informationen zu unterschiedlichen Zwecken; dazu gehört zum Beispiel, daß die Geschichtswissenschaft Voraussetzungen für aktuelle Entscheidungen klären und in Prozessen, deren Ausgang offen, deren Verlauf aber durch zurückliegende Ereignisse und Zustände vielfach beeinflußt ist, Perspektiven aufzeigen kann; dazu gehört, daß Geschichte, indem sie Kontinuitäten und Kontinuitätsbrüche bewußt macht, zur Sicherung von individueller und kollektiver Identität beitragen kann; dazu gehört aber auch, daß sie im permanent gewordenen Fortschritt das Gewesene nicht einfach entwertet und damit das Neue von einem ihm selbst nicht immanenten Werthorizont her überprüfbar macht.24

Eine Gesellschaft hat also nicht nur einen Bedarf an unmittelbar brauch­ baren Informationen, sondern auch an historischer Sinnstiftung.25 Dieser gesellschaftliche Bedarf beeinflusste die moderne Historiographie seit ihrem Entstehen, und folglich konzentrierte sich die Arbeit der Historiker von Anfang 23 Im Anschluss an diese Überlegungen Foucaults hat die französische Forschung sich wieder verstärkt der Analyse von Intellektuellen zugewandt. Aber auch in Deutschland ist diese Idee mittlerweile aufgegriffen worden. Zu nennen sind etwa die Arbeiten Ingrid Gilcher-Holteys, die für den Typus des spezifischen Intellektuellen den Begriff des Eingreifenden Denkens ins Spiel gebracht hat, eine Wendung Bertolt Brechts, der mit seiner Form der öffentlichen Praxis die Interpretation Foucaults bereits zu einem Großteil vorweggenommen habe. Vgl. Gilcher-Holtey, Theater. Siehe ferner dies., Eingreifendes Denken. Des weiteren bezieht sich auch Gangolf Hübinger auf diesen Ansatz, wobei er seinen Schwerpunkt auf die öffentliche Praxis von Wissenschaftlern gelegt hat. Hübinger sieht dabei als zentrales Merkmal des spezifischen Intellektuellen, für den er den Begriff des Gelehrten-Intellektuellen vorschlägt, die Kritik: Bewusst stellt sich der Gelehrte demnach in das Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik. Kritik ist aber keine Kategorie, welche die Unterscheidung zwischen einem allgemeinen und einem spezifischen Intellektuellen ermöglicht. Zudem stellt sich die Frage nach der Definition von Kritik. Wird Kritik als politische Kritik am herrschenden System aufgefasst, wird sie nur auf einen Teil öffentlich agierender Wissenschaftler angewandt, ohne diejenigen zu berücksichtigen, die sich affirmativ in den Diskurs einmischen. So droht die Gefahr einer subjektiv-moralischen Definition des Intellektuellen. Vgl. Hübinger, Gelehrte, S. 13–23. 24 Hardtwig, Geschichtskultur, S.  8. Allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass historische Sinnstiftung nicht nur durch die Geschichtsschreibung herbeigeführt wird, sondern auch etliche andere Faktoren wie beispielsweise Kunst, Literatur, Medien, Währungen, Flaggen. Vgl. hierzu Berger, Contemporary Issues, S. 631 f. 25 Vgl. Ash, S. 8; Jarausch, Meistererzählung, S. 17–22; Middell.

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an nicht allein auf ihre wissenschaftlichen Aufgaben. Immer wieder wurden sie von außen mit dem Anspruch konfrontiert, sich nicht in den berüchtigten »Elfenbeinturm« zurückzuziehen, sondern aktiv zum gesellschaftlichen Diskurs beizutragen. Gleichzeitig gab es auch unter den Geschichtswissenschaftlern etliche, die diesen Anspruch an sich selbst erhoben und es zur Pflicht der akademischen Geschichte erklärten, als Volkserzieher zu wirken. Dies galt besonders für Deutschland und Italien seit der Phase der Nationalstaatsbildung im 19. Jahrhundert. Diese Volkserziehung sollte aus zeitgenössischer Sicht Bildung des Einzelnen zu historischem Bewusstsein sein, die für das Verständnis der Gegenwart als unabdingbar angesehen wurde; überdies sollte sie die heterogene Bevölkerung der neugebildeten Staaten zu dem Gefühl erziehen, eine einheitliche Nation zu sein und sich als solche zu empfinden.26 In diesem Sinne waren Historiker von Beginn an einem Spannungsverhältnis ausgesetzt, das sich im Verlaufe der Entwicklung immer weiter intensivierte: Auf der einen Seite gab es die Anforderungen der zunehmenden Professionalisierung der Wissenschaft, die eine wachsende Konzentration auf Lehre und Forschung erforderlich machte; auf der anderen Seite indes riss das Bedürfnis nach außerfachlichem öffentlichem Engagement wie auch die Nachfrage nach diesem keineswegs ab. Wie intensiv ein breites Publikum der öffentlichen Praxis der Historiker Aufmerksamkeit schenkte, unterlag allerdings wechselnden Konjunkturen. Für die deutsche wie die italienische Geschichte war die Erfahrung von Niederlage und Zusammenbruch durch den Zweiten Weltkrieg, also die Zäsur von 1945 respektive 1943/45, ein besonders markantes Beispiel, an dem das Angebot an und die Nachfrage nach historischer Sinnstiftung deutlich wurde. Sie bedeutete einen tiefen Einschnitt in die bis dahin als Erfolgswege gepriesene nationalgeschichtliche Entwicklung. Beide Gesellschaften schwankten in der Folge zwischen dem Bedürfnis nach Erklärung und Aufarbeitung sowie dem Vergessen und Verdrängen des Erlebten. Den Bezugspunkt dieser Arbeit bildet daher die Frage, wie Geschichtswissenschaftler beider Länder nach 1943/45 im Spannungsverhältnis zwischen fachlicher und massenmedialer Praxis versuchten, einer breiteren nichtakademischen Öffentlichkeit Antworten auf den Charakter und die Ursachen dieser Zäsur zu geben, das heißt in erster Linie die nationalsozialistische und faschistische Vergangenheit einzuordnen, aber auch die langfristige nationale Entwicklung neu zu interpretieren. In der hier vorliegenden Untersuchung wurden zwei in gewisser Hinsicht repräsentative Samples von jeweils zehn westdeutschen und italienischen Historikern ausgesucht. Um diese Samples zu erstellen, musste die vorliegende Studie allerdings mehreren Problemen begegnen. Historiker durften nicht durch eine systematische Auswertung der wichtigsten Zeitungen und Rundfunkanstalten, in denen sie sich zur Zäsur zu Wort meldeten, ausgewählt werden. Dies hätte die Gefahr eines Ringschlusses mit sich gebracht, nämlich von vornherein nur solche Fachvertreter in Betracht zu ziehen, die an massenmedialer Praxis ein 26 Vgl. M. Angelini, S. 99–101; Raphael, Kulturnation, S. 244.

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besonderes Interesse hatten, und somit ein schiefes Bild des außerfachlichen Engagements der Geschichtswissenschaftler zu erhalten. Vielmehr musste es das vorrangige Ziel sein, diejenigen Historiker als repräsentativ auszuwählen, die im untersuchten Zeitraum von 1943/45 bis 1960 innerhalb der Geschichtswissenschaft die maßgeblichen Führungspositionen einnahmen. Die hier getroffene Auswahl ist daher keinesfalls als eine Rangordnung zu verstehen, welche die »bedeutendsten« Historiker oder diejenigen mit der größten Nachwirkung benennen möchte. Das Kriterium der wissenschaftlichen Führungsposition mag am ehesten ein ausgewogenes Abbild der westdeutschen und italienischen Geschichtswissenschaft zeichnen; es schließt diejenigen aus, die womöglich nur von einer breiteren Öffentlichkeit als einflussreiche Historiker wahrgenommen wurden, innerhalb der Disziplin aber kein vergleichbares Ansehen besaßen, und berücksichtigt gleichfalls solche Wissenschaftler, die aufgrund ihrer fachlichen Geltung auch die Möglichkeit besaßen, Zugänge zu Massenmedien zu erhalten. Allerdings existierten in Westdeutschland und Italien verschiedene Wissenschaftsstrukturen und unterschiedliche historiographische Strömungen. Um wissenschaftliche Führungspositionen zu definieren, kann daher ein Vergleich keine identischen Kategorien für beide Länder verwenden. Stattdessen müssen die Samples für die jeweilige Seite unterschiedlich begründet werden. In Westdeutschland gab es etwa weithin anerkannte historiographische Institutionen, die neben liberal- und nationalkonservativen protestantischen Historikern auch wichtige Vertreter der katholischen Strömung einbanden.27 Für die Bundesrepublik konnten daher diejenigen Historiker als repräsentativ ausgewählt werden, die in diesen offiziellen Einrichtungen der Geschichtswissenschaft während des untersuchten Zeitraums Leitungsfunktionen ausübten. In Italien hingegen waren die Bedingungen komplexer, denn die ideolo­gische Spaltung der Nachkriegsgesellschaft wirkte sich massiv auf die Geschichtswissenschaft aus. Im Gegensatz zur Bundesrepublik gab es keinen gemeinsamen Historikerverband. Auch andere Institutionen, die wie die Historische Zeitschrift im westdeutschen Fall eine herausragende Bedeutung für die gesamte Disziplin besaßen, fanden in Italien keine gleichwertige Entsprechung. Vielmehr bildete vor allem die marxistische Strömung ihre eigenen Institute und Organe heraus, die parallel zu den traditionellen Einrichtungen existierten. Der Professionalisierungsgrad der italienischen Historiker, der ohnehin vor der Zäsur niedriger gewesen war als in Deutschland, blieb deshalb auch nach 1943/45 geringer als nördlich der Alpen. In der Bundesrepublik galt als Historiker nur, wer die universitäre Ausbildung durchlaufen hatte und eine Funktion in Universitäten oder akademischen Forschungseinrichtungen ausübte. Erfolgreiche nichtakademische Autoren, die zu historischen Themen publiziert hatten, erhielten im Nachhinein allenfalls in anderen Wissenschaftsdisziplinen 27 Die marxistische Strömung erlangte dagegen in der Bundesrepublik keinerlei Bedeutung und setzte sich ausschließlich in der DDR durch, weswegen sie für diese Untersuchung nur als Bezugspunkt zu den westdeutschen Historikern eine Rolle spielt.

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akademische Weihen. Historische Sachbücher von Journalisten wurden in den Fachorganen nicht rezensiert. Darin unterschied sich die deutsche Geschichtswissenschaft von jüngeren Fachrichtungen wie der Soziologie28 und von anderen Historiographien des Auslandes, nicht nur Italiens, sondern auch der USA oder Großbritanniens.29 In Italien hatte es zwar ebenfalls eine Professiona­ lisierung der Wissenschaft mit Konzentration auf Forschung und Lehre gegeben. Es war nicht mehr möglich, wie im 19. Jahrhundert gleichzeitig Journalist oder Politiker und Historiker zu sein. Jedoch schloss sich die Geschichtswissenschaft in Italien nicht nach außen ab und betrachtete auch solche Personen als Teil der Wissenschaftsgemeinde, die hauptberuflich Journalisten oder Politiker waren und nur bisweilen historische Werke verfassten. Man akzeptierte überdies viele öffentliche Akteure als Teil der Wissenschaft, die Geschichte niemals studiert hatten. In Italien konnte sich die Auswahl daher nicht auf diejenigen Historiker beschränken, die Leitungsfunktionen in offiziellen geschichtswissenschaftlichen Institutionen bekleideten, da diese faktisch nur für einen Teil der Historiographie repräsentativ waren. Einerseits mussten die führenden Vertreter der Parallelinstitutionen der marxistischen und katholischen Geschichtswissenschaft berücksichtigt werden, auch wenn diese Einrichtungen sich nicht ausschließlich als geschichtswissenschaftlich begriffen. Darüber hinaus wäre jedes Sample unzureichend, das die maßgeblichen historischen Publizisten ausklammerte, die als bedeutende Historiker in Wissenschaft und Gesellschaft anerkannt waren. Eklatantes Beispiel war hierfür sicherlich Benedetto Croce, der als historischer Publizist nicht nur von der Fachwelt als Vorbild anerkannt wurde, sondern außerdem ein maßgebliches Forschungsinstitut schuf, an welchem er den angesehensten akademischen Professor (Federico Chabod) als Direktor einsetzte. Die Probleme, die diese Auswahlkategorien im italienischen Fall mit sich bringen, sollen an dieser Stelle nicht verschwiegen werden: Auch wenn die wissenschaftliche Leistung der ausgesuchten Historiker zumindest in wichtigen Strömungen der Historiographie unbestritten war, wurden Personen in das italienische Sample aufgenommen, die nicht nur die Möglichkeit zu außer­ fachlicher öffentlicher Praxis besaßen, sondern deren Engagement in den Massenmedien für sie konstitutiv war. Dadurch wurde für bestimmte italienische Historiker bereits vorweggenommen, dass sie sich in breite öffentliche Debatten einmischten. Diese gewisse Vorwegnahme wird allerdings hingenommen, um ein realistisches Abbild der italienischen Geschichtswissenschaft in der Nachkriegszeit zu zeichnen und somit diesen in vielerlei Hinsicht sinnvollen Vergleich der Bundesrepublik und Italiens zu ermöglichen. Der Untersuchungszeitraum wurde auf die Jahre 1943/45–1960 begrenzt: Nach 1960 gab es mit der Fischer-Kontroverse beziehungsweise der revisionis­ 28 In den fünfziger Jahren hatte die Soziologie noch den Status eines »Ergänzungsfachs« und wurde erst um 1960 ein vollwertiger Diplomstudiengang. Vgl. Nolte, S. 253. 29 Vgl. Bösch, Nationalsozialismus und die deutsche Public History, S. 10 f.

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tischen Faschismus-Interpretation Renzo De Felices wichtige Veränderungen in beiden Historiographien. Ferner kam es in der Bundesrepublik wie in Italien in den sechziger Jahren durch den Ausbau der Universitäten zu einem strukturellen Umbau des gesamten Hochschulwesens. Ginge man mit der Untersuchung über 1960 hinaus, hätte dies eine andere Auswahl von Historikern in einem veränderten Umfeld erforderlich gemacht. Die bedeutsamste Institution der deutschen, zunehmend nur noch der westdeutschen Geschichtswissenschaft, war nach dem Krieg der 1948 gegründete Verband der Historiker Deutschlands. Entsprechend wurden in dieser Untersuchung die Vorsitzenden dieses Verbandes bis 1960, Gerhard Ritter, Hermann Aubin und Hans Rothfels, berücksichtigt. Bei den weiteren Vertretern des westdeutschen Samples handelt es sich um Franz Schnabel (Präsident der Histo­ rischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und Repräsentant der deutschen katholischen Historiographie), Hermann Heimpel (Direktor des Max-Planck-Instituts für Geschichte), Ludwig Dehio, Theodor Schieder (Herausgeber der Historischen Zeitschrift, ersterer entwickelte sich zusehends zu einem Vertreter der katholischen Richtung), Werner Conze (Gründer des Arbeitskreises für Sozialgeschichte), Karl Dietrich Erdmann (Heraus­ geber der Zeitschrift Geschichte in Wissenschaft und Unterricht). Als letzter Repräsentant wurde zudem auch Friedrich Meinecke ausgewählt, der zwar nach 1945 kein wichtiges wissenschaftliches Amt mehr bekleidete, aber national wie international als Doyen der deutschen Historiographie galt und daher in diese Untersuchung mit einbezogen werden soll.30 Auf die Berücksichtigung westdeutscher Publizisten, die sich wie Sebastian Haffner intensiv mit historischen Themen beschäftigten, wurde dagegen bewusst verzichtet, da sie im Gegensatz zur Situation in Italien von der Geschichtswissenschaft der Bundesrepublik nicht als Teil der eigenen »Zunft« anerkannt wurden. Einen umfassenden Historikerverband gab es in Italien nach Kriegsende, wie bereits erwähnt, nicht. Auch wenn sie nicht die gleiche Bedeutung besaß wie die Historische Zeitschrift in der Bundesrepublik war die Fachzeitschrift Rivista ­Storica Italiana eine traditionelle Institution der italienischen Geschichtswissenschaft. Als bedeutende Mitglieder ihres Herausgebergremiums wurden daher Federico Chabod (zusätzlich ab 1955 Präsident des Weltverbandes Comité International des Sciences Historiques) sowie Ernesto Sestan ausgewählt, die als Repräsentanten der traditionellen liberalen Historiographie angesehen werden können, sowie der Marxist Delio Cantimori. Letzterer war der einzige »linke« Historiker in einer so herausgehobenen wissenschaftlichen Position, die er allerdings bereits vor seiner Wendung zum Kommunismus erhalten hatte, als er noch ein aktiver Faschist gewesen war. 30 Es wird dagegen etwa Karl Dietrich Bracher nicht einbezogen, der zwar mit seiner Untersuchung des Scheiterns der Weimarer Republik einen maßgeblichen und dauerhaften Forschungsbeitrag leistete, aber in den fünfziger Jahren noch keine führende oder für eine Strömung repräsentative Rolle innerhalb der Geschichtswissenschaft spielte.

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Für Vertreter nicht traditioneller Fachausrichtung war es anfangs schwierig, höhere Positionen in wissenschaftlichen Institutionen einzunehmen. Eine sinnvolle Auswahl musste diese spezifischen Aspekte berücksichtigen und daher auch solche Geschichtswissenschaftler mit einbeziehen, die noch nicht in Führungspositionen der klassischen Institutionen vorgerückt waren, aber dennoch als repräsentativ für wichtige Richtungen der italienischen Geschichtswissenschaft angesehen werden können. Die folgenden Organe und Institutionen, die von marxistischer oder katholischer Seite gegründet wurden, waren (ab­gesehen von Studi Storici) nicht ausschließlich der Geschichtsforschung vorbehalten, sondern widmeten sich teilweise noch anderen wissenschaftlichen oder kulturellen Fragen. Allerdings räumten sie der historischen Forschung weiten Raum ein und wurden von Historikern geleitet. Insofern kann davon gesprochen werden, dass sie für die jeweilige historiographische Strömung eine maßgebliche Bedeutung ausübten. Für die marxistische Historiographie wurden Ernesto Ragionieri (Mit­ begründer der Fachzeitschrift Studi Storici) und Gastone Manacorda (als Direktor des marxistischen Organs Società) sowie Armando Saitta (als Heraus­geber der marxistischen Zeitschrift Movimento Operaio) ausgewählt; als Repräsen­ tanten der katholischen Geschichtswissenschaft ferner Mario Bendiscioli (Mitglied des Direktoriums des Istituto nazionale per la storia del movimento di liberazione)  sowie Ettore Passerin d’Entrèves (Herausgeber der katholischen Fachzeitschrift Quaderni di cultura e storia sociale) ausgesucht. Zudem gehören zwei weitere Historiker dem Sample an, die keine offiziellen Leitungsfunktionen in wissenschaftlichen Einrichtungen ausübten, aber dennoch aufgrund ihrer seit Jahrzehnten anerkannten nationalen und internationalen wissenschaftlichen Reputation Berücksichtigung finden müssen. Dabei handelt es sich um Gaetano Salvemini (antifaschistischer Remigrant und ehemaliger HarvardDozent) sowie Benedetto Croce. Zwar stellte Croce einen Sonderfall dar, weil er keine akademische Ausbildung durchlaufen hatte und somit eigentlich kein professioneller Geschichtswissenschaftler war. Jedoch schuf Croce mit dem Istituto italiano per gli studi storici in Neapel eine der wichtigsten historischen Institutionen Italiens nach dem Krieg, war überdies Herausgeber einer eigenen philosophischen Zeitschrift (Quaderni della Critica), in welcher er sich häufig mit geschichtlichen Fragen beschäftigte, und mit seinen historischen Inter­ pretationen und Methoden über lange Zeit in der italienischen Historiographie so dominierend gewesen war, dass sich jede befürwortende oder kritische historische Sichtweise mit seinen Thesen auseinandersetzen musste. Insofern wäre jede Untersuchung lückenhaft, die sich mit italienischer Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte und Croce überginge.31 31 Rosario Romeo wurde trotz seines bedeutenden Werkes über das Risorgimento in Sizilien nicht berücksichtigt, da er noch keine Führungsposition innerhalb der italienischen Geschichtswissenschaft der fünfziger Jahre ausübte. Ebenso unberücksichtigt blieb auf italienischer Seite Gioacchino Volpe. Zwar war Volpe nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblicher

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Die vorliegende Arbeit gliedert sich in zwei Bereiche: Im ersten Teil werden die strukturellen Bedingungen für das Engagement der Historiker in einer breiten Öffentlichkeit untersucht. Öffentlichkeit wird in diesem Zusammenhang als ein »Kommunikationsfeld« definiert, das mit den Massenmedien zwar nicht identisch ist, von diesen aber weitgehend überformt wird.32 Wer in einer modernen Gesellschaft, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland und Italien – wenn teilweise auch in unterschiedlicher Aus­ prägung  – entwickelt war, ein breites Publikum ansprechen wollte, war auf Zugang zu diesen Massenmedien angewiesen. Im Bereich der Geschichte und Erinnerungskultur einer Gesellschaft gab und gibt es allerdings stets unterschiedliche Akteure, die innerhalb dieses Kommunikationsfeldes Öffentlichkeit agieren. Nur ein Teil dieser Akteure sind Historiker. Sie konnten nicht (mehr) die gesamten Erwartungen bedienen, welche die Gesellschaft mit Geschichte und Erinnerung verband oder vielmehr die Bedürfnisse, von denen Medien­ verantwortliche glaubten, dass sie in der Gesellschaft vorhanden seien. Das mag auch an der Art der wissenschaftlichen Darstellung liegen, die nicht oder weniger stark auf bestimmte Neigungen des Publikum eingehen konnte (beispielsweise Emotionalisierung, Moralisierung, Personalisierung) und daher durch andere Akteure (Sachbuchautoren, Publizisten, Romanciers, Filmemacher) angesprochen wurde.33 Öffentlichkeit ist als Begriff eine Vereinfachung. Die Forschung ist sich ­einig, dass nirgends die Öffentlichkeit existiert, sondern allenfalls verschiedene Teilöffentlichkeiten, die sich bisweilen überlappen, manchmal aber unabhängig voneinander vorhanden sind.34 Auch die wissenschaftliche Fachöffentlichkeit stellt eine, gleichwohl winzige, Teilöffentlichkeit dar. Was den westdeutschen Fall anbelangt, war die Öffentlichkeit in den fünfziger Jahren allerdings im Gegensatz zu heute nur gering pluralisiert,35 während sich in Italien die ideolo­ gischen Gräben der Gesellschaft auch in politisch stärker getrennten Teilöffentlichkeiten manifestierten.36 In dieser Untersuchung geht es in erster Linie um die Teilöffentlichkeit, die von sogenannten Prestige-Medien bedient wurde, also von den Kulturprogrammen des Rundfunks und den als seriös anerkannten Tages- und Wochenzeitungen. Vertreter der neofaschistischen Strömung. Eine Repräsentativität lässt sich aber nicht überzeugend begründen, da er mehr als jeder andere Historiker aus der Zeit des Ventennio von seinen Kollegen als prominenter Faschist ausgegrenzt und von seinen früheren Leitungsfunktionen entbunden wurde. Allerdings stellt Volpe eine wichtige Bezugsperson für die hier untersuchten Historiker dar. 32 Vgl. Neidhardt, Einleitung Öffentlichkeit, S. 7–13. 33 Vgl. Hardtwig, Einleitung Geschichte für Leser, S. 11–32. Wie weit sich diese wissenschaftliche Darstellung bereits in den Publikationen des hier untersuchten Zeitraums ausprägte, soll in Kapitel II.3 näher analysiert werden. 34 Vgl. hierzu etwa Führer. 35 Vgl. von Hodenberg, S. 19. 36 Vgl. W. Schieder, Angst, S. 171.

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Die Prestige-Medien haben im Unterschied zu den Populär-Medien drei statt einen Adressaten: die politischen und wirtschaftlichen Eliten, die Journalisten im In- und Ausland sowie die Masse ihrer Leser, die keiner der beiden Kategorien angehören. Der Einfluß der Prestige-Medien auf die Masse der Bevölkerung beruht vor allem auf ihrer Position innerhalb des Mediensystems. Indem sie Themen und Gesichtspunkte der Berichterstattung bestimmen, erreichen sie ein Publikum, das weit über den Kreis ihrer eigenen Leser hinausreicht. Dadurch vergrößert sich die Reichweite ihrer Berichterstattung, was ihre rein quantitative Bedeutung verstärkt. Und sie erreichen dadurch auch ein Publikum, das aus politischen Gründen oder anderen Motiven die Blätter selbst meidet, was ihre qualitative Bedeutung erhöht.37

Im italienischen Fall ist der Begriff der Prestige-Medien aufgrund des »Omni­ busprinzips«38 problematisch, allerdings lässt sich innerhalb der Zeitungen differenzieren, da sich die für das italienische Pressewesen so typische dritte Kulturseite gezielt an elitäre Leserschichten richtete.39 Bevor allerdings die massenmediale Praxis der Historiker nach 1943/45 untersucht werden kann, muss zunächst ein genauer Blick auf die Entwicklung der Geschichtswissenschaften seit dem 19. Jahrhundert und ihre Position im Spannungsfeld zwischen akademischer Professionalisierung und dem Anspruch auf gesellschaftliche Leitfunktion geworfen werden (Kapitel I.1). Die vorliegende Untersuchung bezieht sich dabei auf einige Werke, die sich bereits mit der öffentlichen Praxis von Wissenschaftlern vor 1945 beschäftigt haben. Zu nennen sind beispielsweise die Arbeiten von Klaus Ries über die politischen Profes­ soren des Vormärz,40 Rüdiger vom Bruchs Untersuchungen zu den Historikern im Kaiserreich41 und Gangolf Hübingers Aufsätze über Wissenschaftler als Intellektuelle.42 Auch bezüglich Italiens wurde außerfachliche öffentliche Praxis von Historikern in bestimmten Fällen beleuchtet. Besonders erwähnenswert ist etwa die Studie von Rossella Martina zum Engagement Benedetto Croces in den Massenmedien zwischen Erstem Weltkrieg und der offenen Machtübernahme des Faschismus 1925.43 Warum Historiker sich in die breite öffentliche Debatte einmischten oder dies unterließen, lässt sich nicht ohne einen Blick auf ihre Biographien be­ greifen. Deshalb müssen die Lebensläufe, auch vor 1943/45, berücksichtigt werden, um das Handeln der betreffenden Personen in ihrer Entwicklung nachzuvollziehen. Diese Arbeit profitiert dabei von den Forschungen der letzten Jahre, speziell den Biographien und Aufsätzen zu etlichen Einzelpersonen. Freilich wird dabei keine Wiedergabe ausführlicher Lebensbeschreibung angestrebt, 37 Kepplinger, S. 223. 38 Gemeint ist, dass italienische Zeitungen weitgehend versuchten, ausnahmslos alle Leserschichten anzusprechen. 39 Vgl. Murialdi, S. 126. 40 Vgl. Ries. 41 Vgl. vom Bruch, Wissenschaft. 42 Vgl. Hübinger, Gelehrte; ders., Intellektuelle. 43 Vgl. Martina.

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sondern vielmehr versucht, die massenmediale Praxis der Historiker in den jeweiligen Kontext ihrer persönlichen Entwicklung und Lebenssituation einzubetten. So sollen Motive, Zwänge und Möglichkeiten fassbar gemacht werden, unter denen sich Wissenschaftler für oder gegen eine Einmischung in die breite gesellschaftliche Debatte entschieden (Kapitel I.2). In einem dritten Kapitel (Kapitel I.3) wird die Perspektive gewechselt und das Augenmerk auf die maßgeblichen Medien gelegt, in denen Historiker in der Bundesrepublik und Italien nach der Zäsur das Wort erhielten. Es wird gefragt, unter welchen Bedingungen Medienzugänge und -bindungen von Historikern tatsächlich zustande kamen und wie sie sich ausprägten. Einen Sonderfall stellt in beiden Ländern die Zeit unmittelbar nach Kriegsende dar, da sich der danach beobachtbare Zeitungsmarkt noch nicht konstituiert hatte. In Deutschland sind das die Jahre 1945 bis zur Währungsreform 1948, als Kulturzeitschriften erschwinglich waren und eine große Nachfrage nach politisch-kultureller Deutung bestand. Im Falle Italiens entstand in den Jahren 1943 bis 1946, also der Zeit des Krieges und der alliierten Besatzung, ein ähnliches Phänomen. Die Medien waren stark reglementiert, und die Parteipresse besaß eine Bedeutung, die sie später verlor. Für die Anfangsjahre werden daher Kulturzeitschriften und Parteiorgane in die Betrachtung einbezogen, für die späteren Jahre wegen ihrer Auflagenstärke nur noch die Unità.44 Zur Geschichte der Medien liegen sowohl für Deutschland wie Italien einschlägige Standardwerke vor. Hierbei an erster Stelle zu nennen sind für den Rundfunk die Überblickswerke von Konrad Dussel45 und Franco Monteleone46 sowie zur Presse von Jürgen Wilke47 und Giorgio De Luna.48 Daneben sind in den letzten Jahren weitere Untersuchungen durchgeführt worden, die es speziell im deutschen Fall erleichtern, die Bedingungen der Medienöffentlichkeit in der Rekonstruktionsphase nach dem Krieg zu erfassen. Das gilt sowohl für die eher strukturell angelegte Studie Christina von Hodenbergs49 wie die sich mehr an den journalistischen Akteuren orientierende Aufsatzsammlung von Lutz Hachmeister und Friedemann Siering.50 Der zweite Teil  dieser Studie beschäftigt sich mit der konkreten inhaltlichen Praxis der Historiker. Den Bezugspunkt bildet dabei die Erfahrung von Nieder­lage und Zusammenbruch 1943/45. Neuere Untersuchungen haben hierzu gezeigt, dass Nationalsozialismus wie Faschismus in der westdeutschen und italienischen Historiographie nach 1945 zunächst nicht als Bruch der Nationalgeschichte, sondern als etwas Fremdes dargestellt wurden, das dem »wahren Charakter« des Volkes nicht entsprochen habe. In beiden Ländern wurde 44 Vgl. Wilke, Leitmedien, S. 302–329; De Luna. 45 Vgl. Dussel. 46 Vgl. Monteleone. 47 Vgl. Wilke, Mediengeschichte. 48 Vgl. De Luna. 49 Vgl. von Hodenberg. 50 Vgl. Hachmeister, Journalisten.

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eine Tragik der Geschichte unterstellt, welche die Frage nach der Verantwortung für das Geschehene weithin zurückdrängte. Passend dazu rechnete man Schuld einem kleinen Teil von Funktionsträgern zu. Die Mehrheit der Bevölkerung galt in dieser Sichtweise als Opfer von Verführung und als im Kern un­ belastet. Aus schmerzlicher Erfahrung habe man gelernt, eine Rückkehr der Diktaturen sei undenkbar. Intensiver als in der Bundesrepublik versuchten dabei italienische Historiker, die Nachkriegsgesellschaft in die Tradition des Widerstandes gegen die Diktaturen zu stellen.51 In den ersten beiden Kapiteln (Kapitel II.1 und II.2) werden die Beiträge westdeutscher und italienischer Historiker in Presse und Rundfunk untersucht. Inwieweit richteten sie in den Massenmedien moralische und politische Forderungen an ihr Publikum, traten also als Intellektuelle in Erscheinung? Welche Themen wurden in den Massenmedien besonders betont, welche gegenüber den wissenschaftlichen Texten eher vereinfacht und welche vernachlässigt? Vor allem was den deutschen Fall anbelangt, kann auf die einschlägige Literatur zurückgegriffen werden, die sich in den letzten Jahren mit der Frage beschäftigt hat, wie Geschichtswissenschaftler sich mit der Zäsur von 1945 und ihrer ­eigenen Vergangenheit im Nationalsozialismus auseinandergesetzt hat. Für Italien kann die Frage der unterschiedlichen Akzentuierung von Themenschwerpunkten in Massenmedien und Fachöffentlichkeit dagegen nur in geringerem Umfang eine Rolle spielen, weil italienische Historiker sich im untersuchten Zeitraum viel weniger als ihre westdeutschen Kollegen mit der unmittelbaren Vergangenheit wissenschaftlich auseinander gesetzt haben. In dieser chrono­ logischen Darstellung wird zum Ende der jeweiligen Teilabschnitte ein kurzes Fazit gezogen, das aufzeigt, welche neuen Erkenntnisse sich aus dem Blick auf die massenmediale Praxis der Historiker ergeben. Im Anschluss daran (Kapitel II.3) soll es um das Wie der öffentlichen Praxis gehen. Benutzten Historiker spezifische Argumentationsstrategien, um ein Laien­publikum zu erreichen, sprachen sie gar unterschiedliche Zielgruppen in verschiedener Art und Weise an oder übertrugen sie schlicht ihren wissenschaftlichen Stil auf die nicht-fachgebundenen Medien? Dieses Kapitel orientiert sich methodisch an den Erörterungen Wolfgang Hardtwigs und Friedhelm Neidhardts zum Verhältnis von Wissenschaft und Massenmedien.52 In einem letzten Abschnitt werden die an das breite Publikum gerichteten Interpretationen der Historiker im größeren Zusammenhang des gesellschaft­ lichen Diskurses nach 1943/45 verortet: Zum einen soll herausgearbeitet werden, welche Rückschlüsse die Formen öffentlicher Praxis von Historikern auf die jeweilige Öffentlichkeitsstruktur in Westdeutschland und Italien zulassen. Wie wirkten sich unterschiedliche Professionalisierungsgrade in den Historiographien beider Ländern aus, wie wurden die Grenzen zwischen Wissen51 Vgl. z. B. Berger, Writing; Petersen, S. 550–552. 52 Vgl. Hardtwig, Geschichtskultur, S. 7; ders., Einleitung Geschichte für Leser, S. 21–30; Neidhardt, Einleitung Öffentlichkeit, S. 18 f.

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schaft und Massenmedien gezogen, und bedingten sie einen unterschiedlichen »Strukturwandel der Öffentlichkeit« (Kapitel III.1)? Zum anderen geht es um die Frage, ob sich ein besonderer Einfluss der wissenschaftlichen Historie auf das Geschichtsbild ihrer Gesellschaften ermitteln lässt. Inwieweit war dabei die massenmediale Praxis von Historikern eine Popularisierung von Wissenschaft und inwiefern lassen sich Rückwirkungen der öffentlichen Debatte auf ihre wissenschaftliche und außerfachliche Praxis feststellen (Kapitel III.2)? Was die Medien betrifft, wurden die Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Bundesrepublik53 und in Italien diejenigen der RAI systematisch auf Beiträge der hier relevanten Historiker untersucht. Dabei ist festzuhalten, dass die erschlossenen Quellen keinesfalls vollständig sind. Gerade aus den frühen Jahren direkt nach dem Zweiten Weltkrieg sind kaum Sendeaufnahmen überliefert, da aus Geldmangel jedes Tonband so häufig wie möglich genutzt werden musste und daher überspielt wurde. Bis etwa 1950 gibt es daher auf westdeutscher wie italienischer Seite bis auf ganz wenige Ausnahmen keine nachweisbaren Auftritte von Historikern im Rundfunk. Auch später wurden Aufnahmen häufig nicht archiviert, denn bis in die sechziger Jahre hinein galt Radio als ein Live-Medium, das nicht dokumentiert zu werden brauchte.54 In den Archiven der deutschen Rundfunkanstalten lassen sich bisweilen neben Mitschnitten Manuskripte von Vorträgen finden, aber auch diese sind nicht vollständig. Bisweilen konnten über Honorarabrechnungen oder Hinweise in den Nachlässen der Historiker Rückschlüsse auf Rundfunkbeiträge gezogen werden, allerdings sind in diesen Fällen darüber hinaus keine Informationen über die Sendeinhalte mehr zu bekommen. Grundsätzlich ist das Quellenmaterial in der Bundesrepublik umfassender als in Italien; einerseits hatte das Radio über einen weiten Zeitraum für Historiker im Besonderen, aber auch generell, südlich der Alpen noch nicht die gleiche Bedeutung wie in der Bundesrepublik, andererseits gab es in Westdeutschland mehrere verschiedene Rundfunkanstalten, bei denen Historiker mitarbeiteten und wo Quellen gesammelt werden konnten. Bei der Auswahl der Presseartikel von Historikern wurde vor allem den Hinweisen in Bibliographien und Nachlässen der Historiker gefolgt und der Schwerpunkt auf die auflagenstarken Tages- und Wochenzeitungen der Prestige-Medien gelegt. Diese waren als öffentliche Quellen praktisch durchweg einsehbar; das gleiche galt für die Artikel aus Kultur- und Parteizeitschriften. Ebenso öffentlich zugänglich waren auch die wissenschaftlichen Werke der 53 Das Quellenmaterial unterschied sich dabei erheblich. Es wurden daher nur Ton- und Wortarchive derjenigen Sendeanstalten besucht, die einen gewissen Umfang an Historikerbeiträgen besaßen: Historisches Archiv des SWF Baden-Baden, Hörfunkarchiv des SWR Mainz, Historisches Archiv des SDR Stuttgart, Schallarchiv des SDR Stuttgart, Histo­ risches Archiv des BR München, Archiv des RIAS Berlin, DRA Wiesbaden. Manuskripte von Heimpels Vorträgen im NDR wurden im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft Berlin eingesehen. 54 Zur schwierigen Quellenlage im Rundfunk siehe etwa Dussel, S. 49.

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Historiker, die für den Vergleich ihrer Aussagen gegenüber einem Fachpublikum sowie in der breiteren Öffentlichkeit herangezogen werden konnten. Des weiteren wurden die Nachlässe der Geschichtswissenschaftler selbst herangezogen. Ihre Auswertung war erforderlich, um Kontakte und Verhandlungen mit Medien nachzuweisen und bisweilen mehr über die Motive ihrer außerfach­ lichen öffentlichen Praxis zu erfahren. Zudem trugen ihre privat gegenüber Kollegen und anderen Personen geäußerten Einschätzungen der Zäsur ebenso wie ihre wissenschaftlichen Arbeiten dazu bei, die Schwerpunkte und Akzentsetzungen ihrer öffentlichen Aussagen besser einzuschätzen. Insgesamt konnten bei 17 der zwanzig untersuchten Historiker Nachlässe ausgewertet werden. Im Falle Gastone Manacordas und Hermann Heimpels waren mit den Protokollen der kommunistischen Parteigremien sowie des Max-Planck-Instituts für Geschichte zumindest Teilnachlässe einsehbar, wohingegen die Hauptnachlässe im Istituto Fondazione Gramsci sowie der Staats- und Universitäts­bibliothek Göttingen leider bis auf weiteres für die Forschung gesperrt sind. Einzig der Zugang zum Nachlass Benedettos Croces im Istituto italiano per gli studi storici in Neapel wurde vollständig verweigert. Allerdings ist zu Croce umfangreiches Quellenmaterial publiziert worden, sodass dieses Manko am ehesten zu verschmerzen war. Im italienischen Fall wurden darüber hinaus zu den Historikern Ragionieri, Passerin, Saitta und Bendiscioli Interviews mit Schülern und An­gehörigen geführt, um Informationen über die besagten Personen zu erlangen, zu denen Biographien nicht vorliegen.

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I. Die Bedingungen für öffentliches Engagement

1. Die Geschichtswissenschaft zwischen Professionalisierung und gesellschaftlicher Verantwortung seit dem 19. Jahrhundert Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts herrschte die Ansicht vor, die europäischen Nationen habe es in ihrem Kern schon immer gegeben und durch die Gründung von Nationalstaaten sei diese verborgene Identität nur offen zur Geltung gekommen. In der allgemeinen Wahrnehmung ist diese Vorstellung bis in die Gegenwart lebendig geblieben, doch in der historischen Forschung hat sich seit dem linguistic turn die Überzeugung durchgesetzt, dass Nationen erst im 19. Jahrhundert von Menschen konstruiert worden sind.1 Gemeinsame Geschichtsbilder waren ein unverzichtbarer Aspekt zur Legitimation dieser nationalen Konstruktionen, denn durch sie ließen sich die Nationsbildungen in ferne Vergangenheiten zurückprojizieren und die vielfältigen historischen Ereignisse und Entwicklungen in eine Kontinuität mit der Gegenwart stellen.2 Sie dienten somit der Sinnstiftung und Selbstverständigung einer Gesellschaft, indem sie die soziale Integration förderten und gleichzeitig zur Abgrenzung von konkurrierenden gesellschaftlichen und politischen Gruppen beitrugen.3 Künstler und Gelehrte – und dabei an führender Stelle Historiker – spielten eine bedeutende Rolle in diesem Prozess.4 In Deutschland und Italien bemühten sie sich, seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts zur Erziehung breiter Bevölkerungsschichten im Sinne einer nationalen Kultur beizutragen.5 Schon vor den Nationalstaatsgründungen hatten beispielsweise Georg Gottfried Gervinus im deutschen und Francesco De Sanctis im italienischen Fall mit ihrer fach­lichen Autorität als Literaturhistoriker einen Kanon klassischer Texte erstellt, der maßgeblich für die jeweilige Nationalkultur sein und den Entstehungs­prozess

1 Vgl. Giesen, S. 154–168; Wehler, S. 163 f. Siehe auch die grundlegenden Arbeiten von Hobsbawm, Das Erfinden von Traditionen, sowie Nora, Les lieux des mémoire. 2 Vgl. Assmann, Arbeit, S. 44–58; Thamer, S. 227–229. 3 Vgl. Thamer, S. 227. 4 Vgl. Berger, Contemporary issues, S. 632; Raphael, Kulturnation, S. 243. 5 Vgl. ebd., S.  244. Die nationale Kultur war ursprünglich das Projekt einer schmalen Elite und wurde die erfolgreiche Alternative zu religiösen oder regionalen Traditionen, die durch die sozialen, ökonomischen und geistigen Umwälzungen infolge von Aufklärung, Säkularisierung und der Französischen Revolution erschüttert worden waren. Vgl. hierzu Wehler, S. 164–167.

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der deutschen und italienischen Nation widerspiegeln sollte.6 Die moderne Historiographie befand sich also von Anfang an in einem Spannungsverhältnis. Einerseits kam es – in Deutschland viel früher, in Italien später – zu einer Professionalisierung, die auf eine wissenschaftlich-kritische Beschäftigung mit der Vergangenheit anstelle eines Geschichtenerzählens zum Zwecke der moralischen Erbauung und Belehrung abzielte.7 Andererseits aber war die Geschichtswissenschaft von Beginn an eng mit aktuellen gesellschaftspolitischen Zielen wie der Konstruktion eines nationalen Bewusstseins verknüpft.8 Auf diese Problematik soll im Folgenden näher eingegangen werden. Im deutschen Fall muss zunächst ein Blick auf die besondere Rolle geworfen werden, die Universitätsprofessoren in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts zukam. Seit der Epoche der Französischen Revolution empfanden sich deutsche Professoren grundsätzlich nicht mehr nur als Staatsdiener, sondern auch als verantwortungsbewusste Bürger. Sie entwickelten Ideen, die in der politischen Öffentlichkeit Wirkung entfalteten und setzten eine politisch-soziale Bewegung in Gang, die den Strukturwandel von einer ständisch-repräsentativen zu einer bürgerlichen Öffentlichkeit mit vorantrieb.9 Eine wichtige Ursache dieses außerordentlichen Einflusses der Professoren in der deutschen Öffentlichkeit lag in der Entstehung des Bildungsbürgertums begründet. Im 19. Jahrhundert hatte diese soziale Schicht, deren Lebenslage und Lebenschancen von ihrem Besitz an Bildungspatenten abhing, eine maßgebliche Bedeutung in einer spezifischen historischen Zwischenphase errungen: Die ständische Gesellschaft erodierte bereits, aber die moderne arbeitsteilige Gesellschaft hatte sich noch nicht durchgesetzt.10 Aufgrund dieser Konstellation kam den Professoren als herausragenden Vertretern des Bildungsbürgertums, und hierbei in erster Linie den Geschichtswissenschaftlern, seit 1830 eine Schlüsselstellung in der politischen Deutungskultur zu. Nach den tiefen sozialen Umbrüchen im Zuge der Französischen Revolution, die zumal im Bildungsbürgertum ein großes Bedürfnis nach Selbstvergewisserung und einer neuen Identität hervorgerufen hatten, vermochten sie durch historische Sinnstiftung Antworten zu geben. Die Bedingungen für publizistisches Engagement waren darüber hinaus besonders günstig, denn das Verlagswesen blüte auf und immer mehr Zeitungen und Zeitschriften entstanden. Die öffentlich aktiven Historiker sahen sich nicht nur als eine Leistungs-, sondern auch eine Wertelite, die der übrigen Bevölkerung moralische und politische Normen verkündete.11 6 Vgl. M. Angelini, S. 99; Raphael, Kulturnation, S. 249–251. Der Erfolg dieser »Hochkultur« war aber begrenzt und sie konnte nicht mit den internationalen Unterhaltungsstücken mithalten. Siehe hierzu ebd., S. 251. 7 Vgl. Hardtwig, Geschichtskultur, S. 7. 8 Vgl. Ries, S. 49–53. 9 Vgl. Hübinger, Gelehrte, S. 9 f.; Ries, S. 49–55. Der Anteil von Professoren an der sozialen Modernisierung war in Deutschland größer als in anderen Ländern. Siehe ebd. 10 Vgl. Conze, Einleitung, S. 26. 11 Vgl. ebd., S. 11; Hübinger, Historiker, S. 59 f.; Schwabe, Rahmenbedingungen, S. 16; Wehler, S. 165–168.

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Der Protest der »Göttinger Sieben« gegen staatliche Willkür 1837 markierte dabei einen wichtigen Anfangspunkt. Erstmals traten in Aufsehen erregender Weise Historiker (Friedrich Christoph Dahlmann und Georg Gottfried Gervinus) als Intellektuelle in Erscheinung.12 Ein solches Engagement intensivierte sich in der Folgezeit. In den Krisenjahren vor und während der März­ revolution betätigten sich Professoren als politische Publizisten. Sie gaben sogar selbst Zeitungen heraus oder übernahmen deren Redaktion. Professoren waren gleichzeitig Wissenschaftler, Journalisten und Politiker. Ihr Engagement war aber nie ausschließlich von politischen Zielen und Idealismus geleitet, sondern diente immer auch materiellen Interessen: Gerade in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts reichte ein Professorengehalt für eine Familiengründung nicht aus. Die Amtsträger mussten sich daher auch nach zusätzlichen Einnahme­ quellen umschauen.13 Bis mindestens zur Revolution von 1848/49 konnten deutsche Professoren als Intellektuelle in der Regel als progressive Vertreter der konstitutionellen Be­ wegung gelten. Allerdings waren sie bis auf wenige Ausnahmen keine Revolutionäre. Ihr Protest richtete sich gegen Rechtsverstöße und zielte auf Reformen. Sie wünschten überwiegend keine Umwälzung des Staatswesens, von dem sie abhängig waren und als dessen Elite sie sich betrachteten. Seit 1830 traten sie daher nicht nur als Intellektuelle, sondern auch als staatliche Experten in Erscheinung, etwa in öffentlichen Gremien, für Verwaltungen sowie ferner innerhalb der Kirchen.14 Ihre Wissenschaft wollten sie durch offizielle staat­liche Zeugnisse und ein institutionalisiertes Ausbildungssystem stabilisieren, um sich gegen andere Interessengruppen abzugrenzen. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein hatten etliche deutsche Historiker, zum Beispiel Theodor Mommsen, Geschichte nicht studiert. Doch seit 1850 wurden Promotion und Habilitation unbedingte Voraussetzungen für die Universitätskarriere.15 Eine demokratische Mitbestimmung aller Volksschichten erschien vielen Professoren als eine Bedrohung ihrer privilegierten gesellschaftlichen Stellung, und das Aufkommen von Arbeiterbewegung und Industrialisierung führte die Universitätslehrer immer näher an den konservativen Obrigkeitsstaat heran.16 Diese Staatsorientierung war symptomatisch für das gesamte deutsche Bildungsbürgertum.17 Wie Fritz Ringer pointiert ausführte, verknüpften die Professoren ihre herausgehobene soziale Position mit dem Staat, indem sie behaupteten, dieser Staat sei weder für die Interessen eines Herrschers noch der Bevölkerung da, sondern gewinne seine Berechtigung allein durch sein Ein­ treten für geistige Erkenntnis und kulturelle Werte. Da diese Werte unter der 12 Vgl. Ries, S. 14–26. 13 Vgl. Hübinger, Journalist, S. 99; McClelland, S. 37–47. 14 Vgl. ebd., S. 47–52. 15 Vgl. Hardtwig, Geschichtskultur, S. 17; Kocka, Muster, S. 52. 16 Vgl. Ringer, S. 117–119. 17 Vgl. Kocka, Muster, S. 50.

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Obhut der von Ringer so genannten »Mandarine«, der Universitätsprofessoren, standen, legte diese Selbstdefinition den Eindruck nahe, der Staat sei in erster Linie für die Wissenschaft und ihrer Vertreter da.18 Gerade in den Jahren vor der Reichseinigung konnten Historiker mit ihrer außerfachlichen öffentlichen Praxis einen enormen Einfluss auf die gesellschaftlichen Eliten und darüber hinaus auf die breitere Bevölkerung ausüben,19 und auch noch zu Beginn des Kaiserreichs spielten prominente Historiker wie Theodor Mommsen und Heinrich von Treitschke eine bedeutende Rolle in Presse und Politik.20 Generell aber verlagerte sich schon seit der gescheiterten Revolution von 1848 das Bestreben der Historiker, Politik unmittelbar zu gestalten, auf die Rolle, sich in der Öffentlichkeit zu grundsätzlichen Fragen der Nation und ihrer Zukunft zu äußern.21 Dieser Trend setzte sich nach der Reichseinigung fort, und zu seiner Entwicklung trug eine sich intensivierende Professionalisierung von Wissenschaft, Politik und Medien bei, die ein gleichzeitiges Engagement in diesen unterschiedlichen Sphären immer schwieriger machte. Die Historiker nahmen in ihrer Mehrheit für sich in Anspruch, das überparteiliche Staatsinteresse zu verkörpern.22 Sie hielten es für neutral und un­ politisch, parteipolitisches Engagement bis auf wenige Ausnahmen abzulehnen, sich aber gleichzeitig an eine monarchische Beamtenregierung zu binden. Den Beamten fühlten sie sich in Berufsethos und Ausbildung eng verbunden. Daher akzeptierten sie beispielsweise eigenmächtige Eingriffe der Ministerialbürokratie gegenüber den Universitäten, wehrten sich aber vehement gegen Hochschulreformpläne der Parteien. Gustav Radbruch sprach in diesem Zusammenhang später von einer »Lebenslüge des Obrigkeitsstaates«.23 Die Inanspruchnahme von »Objektivität« zeigte sich im deutschen Fall auch daran, dass Historiker – oder Professoren im Allgemeinen – als Gebildete gelten wollten und nicht als Intellektuelle. Den Begriff »Intellektueller« betrachteten sie als ein Schimpfwort, da er Parteinahme für bestimmte Partikularinteressen implizierte.24 Der Ausgleich von Interessenkonflikten durch Kompromisse blieb ihnen mehrheitlich fremd, vielmehr wollten sie, dass sich eine als wahr erkannte politische Idee allgemein durchsetze.25 Sie fürchteten, Konflikte könnten den Staat destabilisie-

18 Vgl. Ringer, S. 17–21. 19 Vgl. Podiumsdiskussion Nipperdey, S. 235; Sdvižkov, S. 95. 20 Vgl. Hübinger, Gelehrte, S. 83–90. 21 Vgl. Schmidt, Einführung Gelehrtenpolitik, S. 12. 22 Vgl. Schwabe, Rahmenbedingungen, S. 22. 23 Vgl. vom Bruch, Wissenschaft, S. 117 und 360–362. Für das Zitat siehe Radbruch, S. 289. 24 Vgl. Hübinger, Einleitung. S. 7; Jansen, S. 72 f. Der Erfolg des Begriffs Gebildeter verdankte sich aber auch seiner sozialen Funktion. Er integrierte Angehörige aus verschiedenen sozialen Schichten, die sich als Elite von anderen Klassen abgrenzen konnten. Vgl. hierzu Charle, S. 72. 25 Vgl. ebd., S. 106.

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ren und in seiner wichtigsten Aufgabe behindern, sich gegen seine äußeren Gegner und Konkurrenten durchzusetzen.26 Die Machtausübung der Gelehrten sollte daher indirekt erfolgen, indem sie der Gesellschaft den richtigen Weg aufzeigten und die Regierungen diesen Weg anschließend in die Tat umsetzten. Dass der Gelehrte, zumal durch geschichtswissenschaftliche Arbeit, auf die politische Kultur und damit auch das poli­ tische Leben einwirken könne, gehörte zum Selbstverständnis der Historiker im 19. Jahrhundert. Dieser Anspruch auf Führung wurde nicht aufgegeben, unabhängig von den tatsächlichen Wirkungsmöglichkeiten.27 »Geist und Macht« sollten auf Grundlage einer nationalen Bildung ein Bündnis eingehen, das in der Vorstellung vieler Gebildeter zu einer konfliktfreien und harmonischen Fortentwicklung des Staates führen würde.28 Diese Abgrenzung der Wissenschaft zu anderen Bereichen wie Politik und Medien hatte in Italien kein entsprechendes Pendant. Vor der nationalen Einigung gab es südlich der Alpen praktisch auch keine Geschichtswissenschaft, die besondere Rechte für sich hätte einfordern können, sondern allenfalls einzelne Persönlichkeiten, die sich mit Geschichte beschäftigten.29 Ausbildungs- oder Forschungsstrukturen für Geschichte kamen kaum vor, und ebenso wenig existierte eine tatsächliche Unterscheidung zu anderen Disziplinen wie Philosophie, Literatur- oder Kunstgeschichte. Soweit man überhaupt von Historikern sprechen konnte, handelte es sich um Kleriker oder Aristokraten. Die italienischen Historiker waren folglich meist keine Universitätsgelehrten, sondern oftmals politische Aktivisten mit ganz unterschiedlichen Lebensläufen, die sich an Revolutionen gegen die reaktionäre Politik der italienischen Einzelstaaten und für die nationale Einigung an führender Stelle beteiligten und sich ihre geschichtlichen Kenntnisse oft im Privatstudium angeeignet hatten. Eine enge Verknüpfung zwischen Historikern und dem Staat wie in Deutschland konnte sich folglich nicht entwickeln. Nur im Königreich Piemont-Sardinien standen die Historiker dem Hof oder der Regierung nahe, hatten meist jedoch eine juristische oder literarisch-rhetorische Ausbildung erhalten.30 Überspitzt könnte man sagen, dass Historiker in Deutschland Professoren waren, die nebenbei Politik betrieben, in Italien hingegen Politiker, die sich nebenher auch mit Geschichte beschäftigten. Als hervorstechendes Beispiel hierfür kann Cesare Balbo gelten, ein Jurist aus einer piemontesischen Adelsfamilie, der zeitweise Botschafter Piemont-­ Sardiniens in Spanien gewesen war. Balbo musste sich nach seiner Beteiligung an der Revolution von 1821 aus der Politik zurückziehen und widmete sich in26 Vgl. Giesen, S. 223–228. 27 Vgl. Schmidt, Einführung Gelehrtenpolitik, S. 12–15; Jansen, S. 86 f.; vom Bruch, Historiker, S. 140. 28 Vgl. Sdvižkov, S. 78 f. 29 Vgl. Hroch, S. 217. 30 Vgl. Moretti, Universitätssystem, S. 375–377; Diaz, S. VI–XIII.

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folgedessen der Geschichtsschreibung. Er wurde zu einem der wichtigsten historischen Gelehrten seiner Zeit, kehrte allerdings während der Revolution 1848 in die Politik zurück und wurde bis zu ihrem Sturz im Juli 1848 Minister­ präsident der konstitutionellen Regierung von Piemont-Sardinien.31 Auch Carlo Cattaneo, der als einer der wichtigsten Historiker seiner Zeit galt, entstammte keinen Wissenschaftsstrukturen, sondern war in erster Linie ein politischer Publizist.32 Erst seit 1859 wurden im Prozess der staatlichen Einigung vielerorts Lehrstühle für Geschichte eingerichtet. Bis 1890 professionalisierte sich die Histo­ riographie in Italien, und allmählich entwickelten sich dort wie in Deutschland Spezialisierung und wissenschaftliche Produktivität zu Zulassungsvoraussetzungen für den Beruf des Historikers. Allerdings war diese Professionalisierung nicht so stark wie nördlich der Alpen. Vielfach fand wissenschaftliche Tätigkeit auch nach 1860 außerhalb der Universitäten statt.33 Gleichzeitig bekleideten Historiker nach der Professionalisierung ihrer Wissenschaft weiterhin politische Ämter. Drei der bedeutendsten italienischen Historiker, Francesco De Sanctis, Michele Amari und Pasquale Villari, wurden sogar für kurze Zeit Erziehungsminister.34 Zu einer engen Bindung der Historiker an die Ministerialbürokratie kam es dagegen nicht, da deren soziales Ansehen im Gegensatz zu Deutschland gering war und die hohen Staatsbeamten kein besonderes Standesbewusstsein entwickelten.35 Die italienische Bürokratie war eine unbeständige Organisation, in der sich – ganz anders als in Deutschland – die wechselnden parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse widerspiegelten. Die professionisti, die Vertreter der freien Berufe, vor allem die Anwälte, waren es, die in Italien die eigentliche Funktionselite stellten.36 Zu einer Haltung, Kultur und Politik als zwei getrennte Bereiche zu erachten, kam es in Italien nicht. Südlich der Alpen hatten Gelehrte keine Hemmungen, die Macht auch selbst auszuüben.37 Sie grenzten ihre Wissenschaft weniger als in Deutschland nach außen ab und beanspruchten keine bestimmte Rolle als Wissenschaftler innerhalb des Staatswesens. Diese Entwicklung stand in Zusammenhang mit der jeweiligen Bedeutung 31 Vgl. Diaz, S. 205. 32 Vgl. Moretti, Universitätssystem, S. 377. 33 Vgl. ebd., S. 378–389. Die Rivista Storica Italiana wurde als Organ der sich langsam professionalisierenden Historiographie 1884 gegründet. Sie sollte die im Vergleich zu Deutschland, Frankreich und Großbritannien rückständige Institutionalisierung der italienischen Geschichtswissenschaft vorantreiben. Schon seit Mitte der 1850er Jahre gab es den ­Archivio Storico Italiano, der mit seiner gemäßigt liberalen Geschichtsdeutung zum Risorgimento beitrug. Vgl. Tortarolo, S. 83–91. Nationale Institutionen der italienischen Historiographie wie die Giunta Centrale per gli studi storici, das Istituto storico italiano per il medioevo oder das Istituto storico italiano per l’età moderna e contemporanea wurden erst unter dem Faschismus eingerichtet. Vgl. Schiera, S. 153. 34 Vgl. Muscetta, S. 49; Diaz, S. 540, 671; Moretti, Villari. S. 155. 35 Vgl. Dipper, Nachbarn, S. 8. 36 Vgl. Meriggi, S. 153 f. 37 Vgl. De Bernardi, S. 307.

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des Bildungsbürgertums in ihrem nationalen Kontext. Obwohl die Gründung des Königreichs Italien im Jahr 1861 und des Deutschen Kaiserreichs 1871 fast zur gleichen Zeit erfolgten, war der Prozess der Nationsbildung in Deutschland zum Zeitpunkt der staatlichen Einigung schon weiter fortgeschritten gewesen als in Italien. Nördlich der Alpen hatte es mit dem Deutschen Bund einen lockeren Zusammenschluss der Einzelstaaten und vorbereitende Einrichtungen wie den Zollverein gegeben. Dagegen war Italien teilweise für lange Zeit von fremden Mächten regiert worden. Während in Deutschland trotz des preußischen Übergewichts die Integration der unterschiedlichen Landesteile durch einen traditionell verankerten Föderalismus gelöst wurde, übertrug man in Italien auf das gesamte Land das System des piemontesischen Zentralstaates. Zwischen Nord- und Süditalien kam in der Folge niemals eine wirkliche Einheit zustande. Gerade im Süden wurde die Autorität des neuen Staates nur in Folge eines jahrelangen, grausam geführten Bürgerkrieges gegen eine teilweise ablehnende Bevölkerung durchgesetzt. Eine zentrale Gemeinsamkeit in ganz Italien war zwar der katholische Glaube, aber ausgerechnet die katholische Kirche als Institution stand dem neuen italienischen Königreich feindlich gegenüber.38 Innerhalb dieser schwachen staatlichen Strukturen übte die isolierte bildungsbürgerliche italienische Elite die Herrschaft über eine Gesellschaft weitgehend direkt aus, die im Vergleich zu Deutschland arm, rückständig und weitgehend unpolitisch war. In Deutschland hingegen beruhte die besondere gesellschaftliche Rolle des Bildungsbürgertums auf seiner engen Bindung an einen starken Staat.39 Auch nach der nationalen Einigung besaß die Geschichte in Deutschland als Legitimationsmittel des neugegründeten Reiches einen hohen Stellenwert und war überdies als Bildungsmacht im Bürgertum hoch angesehen.40 Die Bedeutung der Historiographie färbte auf andere Disziplinen ab, die sich nicht zuletzt als Historische Rechtswissenschaft, Historische Schule der Nationalökonomie oder Philosophiegeschichte konstituierten.41 Ihr beträchtliches Sozialprestige ebnete den Historikern einen privilegierten Medienzugang und trug zu der führenden Position bei, die sie unter publizistisch aktiven Wissenschaftlern im Bismarckreich einnahmen.42 Allenfalls die Nationalökonomen konnten mit der öffent­ lichen Bedeutung der Historiker konkurrieren.43 Zum Ende des Jahrhunderts hin gewann allerdings in Deutschland das Wirtschaftsbürgertum immer mehr an Bedeutung. Es entstanden Interessenverbände und auch die ersten Massenparteien.44 Eine bislang bildungsbürgerlich geprägte Öffentlichkeit wurde allmählich von einer Massenöffentlichkeit ab­ 38 Vgl. Osterhammel, S. 591–593. 39 Vgl. Meriggi, S. 163–165; De Bernardi, S. 301 f. 40 Vgl. vom Bruch, Gelehrtenpolitik, S. 98 f. 41 Vgl. ders., Historiker, S. 119–122. 42 Vgl. Jansen, S. 11. 43 Vgl. vom Bruch, Historiker, S. 117–119. 44 Vgl. Meriggi, S. 158–160; Conze, Einleitung, S. 26.

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gelöst. In einer immer differenzierteren Medienlandschaft dominierten Wissenschaftler bald die öffentliche Meinung nicht mehr wie noch in der ersten Jahrhunderthälfte.45 Hermann Oncken brachte die Sichtweise vieler Kollegen auf den Punkt, als er zwischen einer parteilichen, ungenauen und daher gefährlichen Tagespresse und einer gehobenen, volkserzieherischen Publizistik unterschied, in der sich die Gelehrten vornehmlich äußerten und an ein bildungsbürgerliches Publikum richteten.46 Die Einflusschancen dieser öffentlichen Praxis waren insgesamt nicht allzu hoch, doch gab es durchaus Erfolge wie die Ablehnung der Volksschulvorlage durch den Reichstag 1892 nach massiven Protesten der Professoren. Bedeutung besaß die Gelehrtenpublizistik auch bei den Flottenkampagnen Ende des 19. Jahrhunderts, den Plänen zur Aufrüstung der Kriegsmarine. Allerdings war dies kein originäres Ziel der Professoren, sondern der kaiserlichen Regierung gewesen, welche die öffentliche Kampagne weitgehend steuerte. Die Regierung machte sich das traditionell hohe Ansehen der Professoren und die Erinnerung an ihre einstmalige politische Bedeutung im Vormärz zur Einwirkung auf das Bürgertum zunutze. Wissenschaftler dienten daher als Multiplikatoren von Absichten, die andere bestimmt hatten.47 Ein besonderes Geschick entwickelte dabei Reichskanzler Bernhard von Bülow, indem er den Professoren das Gefühl vermittelte, sie nicht als Dienerin der Politik zu missbrauchen, sondern ihnen exklusive Zugänge zur Macht zu gewähren und die Verantwortung mit ihnen zu teilen.48 Die Historiker hatten die Geschichtswissenschaft überwiegend als ein natio­ nales, gleichwohl objektives Fach betrachtet, das zur Formulierung ethischer und politischer Zielvorgaben beitragen könne.49 Tatsächlich sicherten sie im Kaiserreich gemeinsam mit anderen öffentlichen Akteuren Zielvorgaben jedoch nur noch ab und beeinflussten sie mehr oder minder, aber sie formulierten keine eigenen politischen Ideen mehr.50 Die Geschichtswissenschaftler empfanden sich als Ratgeber, die den politisch Verantwortlichen Ratschläge erteilten oder im Nachhinein Entscheidungen der Regierung, zumal in der Außen­politik, durch öffentliche Publizistik Legitimation und Durchschlagskraft verliehen. Dagegen war es nicht ihr Bestreben, eine öffentliche Kontrollfunktion gegenüber den politischen Entscheidungen der Regierung wahrzunehmen, der sie im Gegensatz zu der als gefühlsgeleitet angesehenen öffentlichen Meinung a priori eine überparteiliche und damit höhere Einsicht in das Wohl des Staates zuschrieben.51 Allerdings waren es gerade die öffentlich aktiven Professoren, die 45 Vgl. Langewiesche, S. 11–12. Allerdings hatten schon vor dem Strukturwandel der Öffentlichkeit populärhistorische Darstellungen deutlich höhere Verkaufszahlen erzielt als die Werke der Universitätshistoriker. Vgl. Hardtwig, Einleitung Geschichte für Leser, S. 15. 46 Vgl. vom Bruch, Wissenschaft, S. 227. 47 Vgl. ebd., S. 62–77. 48 Vgl. ebd., S. 99–101. 49 Vgl. ebd., S. 382. 50 Vgl. ebd., S. 250 f. 51 Vgl. ebd., S. 202, 231 f.

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sich angesichts der Eskalation der deutsch-britischen Beziehungen während des Burenkrieges an die Spitze der national erregten öffentlichen Agitation stellten.52 Engagierten sich Historiker in gesellschaftlichen Verbänden und Vereinigungen, so etwa der vielgelesene Dietrich Schäfer im Alldeutschen Verband, wurde dies ebenfalls nicht als Parteinahme, sondern als eine parteipolitisch neutrale Stellungnahme für die nationale Sache empfunden. Auch Schäfer war jedoch niemals ein Vordenker, sondern nur ein erfolgreicher Vermittler der jeweiligen Verbandspolitik. Statt als Vertreter der Wissenschaft selbst Themen zu setzen, wurden die Historiker nach 1900 immer mehr zu Repräsentanten von Interessengruppen, obwohl sie sich ungebrochen als neutral und überparteilich empfanden. Die Professoren blieben, wie Gustav Radbruch 1926 im Rückblick feststellte, eher Geführte als Führer, die sie ihrem Selbstverständnis nach sein wollten.53 Im Ersten Weltkrieg trat der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der öffentlichen Praxis der Historiker besonders eklatant zutage: Das publizistische Engagement der Professoren erreichte einen Höhepunkt, als ihre Kriegsschriften in Auflagen von Hunderttausenden gedruckt wurden, und führte gleichzeitig zu einem gesellschaftlichen Autoritätsverlust.54 Nur zu Beginn zeigten die Bildungseliten eine Einmütigkeit, die sich etwa in dem im Oktober 1914 veröffentlichten Aufruf »An die Kulturwelt« durch 93 prominente Künstler und Wissenschaftler manifestierte, welche gegenüber der Weltöffentlichkeit die deutsche Position verteidigen wollten. Schon 1915 aber zerbrach diese Einigkeit angesichts der Kriegszielfrage.55 Die Professoren konnten nicht begreifen, dass der Krieg die gesellschaftlichen Gegensätze zeitweise nur überdeckte, indes keineswegs aufheben konnte.56 Dieses Harmoniebedürfnis war allerdings keine Eigenart der Historiker, sondern unter deutschen Wissenschaftlern insgesamt weit verbreitet, so etwa auch unter Soziologen, für die konfliktfreie Gesellschaftsutopien eine erhebliche Relevanz besaßen.57 Der universitäre Führungsanspruch wurde zwar noch deutlich verkündet, aber dennoch wurden die öffentlich aktiven Professoren fast ganz für konkrete politische und ökonomische Interessen vereinnahmt, die nicht mehr zu überbrückende politische Frontenbildungen bewirkten.58 Als von Bülows Nachfolger als Reichs52 Vgl. ebd., S. 245. 53 Vgl. ebd., S. 206–213. 54 Vgl. Jansen, S. 107, 125. 55 Vgl. Hübinger, Journalist, S. 106. 56 Vgl. Ringer, S. 176 f. 57 Vgl. Nolte, S. 25–27; Käsler, S. 200 f. Nur wenige bildeten hierbei eine Ausnahme, zum Beispiel Max Weber, der die Ansicht ablehnte, dass Weltanschauungen wissenschaftlich beweisbar seien und daher auch keine allgemeine Gültigkeit beanspruchen könnten. Daher unterstützte er die parlamentarische Demokratie und sah in der Bürokratie nicht die ideale politische Führungsschicht Deutschlands. Vgl. hierzu W. Mommsen, S. 39–52. 58 Vgl. vom Bruch, Wissenschaft, S. 99. Dabei erreichten etliche Historiker mit ihren politischen Essays und über Zeitschriften eine Öffentlichkeit, die weit über ihr wissenschaftliches Fachpublikum hinausreichte. Vgl. hierzu Cornelißen, Politische Historiker, S. 124–125.

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kanzler, Theobald von Bethmann Hollweg, die Gelehrten nicht mehr hofierte, sondern von ihnen eine aktive kulturpolitische Erziehungsaufgabe tatsächlich einforderte, waren diese dazu nicht bereit oder in der Lage.59 Auch in Italien nahm die Bedeutung des Wirtschaftsbürgertums zum Ende des 19. Jahrhunderts hin zu, und es entwickelten sich Massenorganisationen.60 Spätestens seit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts 1913 zerbrach die Herrschaft der kleinen bildungsbürgerlichen Honoratiorenelite, die bis dahin das Land dominiert hatte.61 Dank einer niedrigeren Professionalisierung und weniger strikter Grenzen setzten italienische Historiker jedoch nicht nur ihre direkte politische Betätigung als Abgeordnete in Parlament und Senat fort, sondern hatten häufig eine intensive außerfachliche öffentliche Praxis, wobei sie sich nicht nur zu historischen, sondern ebenso zu Gegenwartsfragen äußerten und in die aktuellen politischen Auseinandersetzungen einmischten. Diese Form der öffentlichen Praxis gewann allerdings erst zum Ende des 19. Jahrhunderts an Bedeutung, da die bis dato noch kleine und provinzielle italienische Presselandschaft sich professionalisierte und zum Niveau der west- und mitteleuropäischen Länder aufschloss.62 Pasquale Villari war für den medial enga­ gierten Historiker ein herausragendes Beispiel.63 Aber auch nach der Jahrhundertwende blieb für viele wichtige italienische Historiker die Einmischung in die politische Tagespublizistik selbstverständlich, so für Gioacchino Volpe64 oder Gaetano Salvemini, der in seiner öffentlichen Praxis niemals zwischen wissenschaftlichem und politischem Engagement trennte.65 Eine italienische Besonderheit, die diese massenmediale Praxis von Historikern unterstützte, war die terza pagina, die dritte Zeitungsseite, die Beiträgen von Vertretern aus Kultur und Wissenschaft vorbehalten war. Erstmals wurde dieses Konzept am 11. Dezember 1901 im Giornale d’Italia angewandt und bald darauf von nahezu allen Tageszeitungen kopiert. Die Presse schmückte sich auf diese Weise mit prominenten Intellektuellen, die sie möglichst eng an das eigene Organ zu binden versuchte. Gleichzeitig profitierten die Autoren, besonders die Schriftsteller, von diesem Arrangement, da es auch noch um 1900 in Italien kaum einen Massenmarkt für Literatur gab, die Künstler also von ihrem Werk allein meistens nicht leben konnten.66 Das Spezifische an der terza pagina war allerdings, dass die Intellektuellen, die sich dort äußerten, dies meist nicht in ihrer Eigenschaft als Künstler oder Wissenschaftler taten. Zwar verdankten sie dieser Eigenschaft ihre Prominenz und ihren Medienzugang, aber sie schrieben oftmals journalistisch zu Gegenwartsthemen: Sie stellten ihre literarischen 59 Vgl. ebd., S. 102 f. 60 Vgl. Meriggi, S. 158–160; Conze, Einleitung, S. 26. 61 Vgl. De Bernardi, S. 287. 62 Vgl. Murialdi, S. 77–96. 63 Vgl. Moretti, Villari, S. 161, 268 f. 64 Vgl. Di Rienzo, La storia, S. 140–143. 65 Vgl. Killinger, S. 2. 66 Vgl. Pomilio, S. 7–10; Ajello, Storia, S. 100–102.

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Fähigkeiten in den Dienst der ideologischen Ziele der jeweiligen Zeitung. Je bedeutender die Unterschrift unter einem Beitrag war, umso mehr hoffte man, durch einen solchen Artikel Einfluss auf die öffentliche Meinung zu gewinnen.67 Benedetto Croce war der populärste Autor auf diesen terze pagine, und sein Erfolg ist nur durch die enorme Entwicklung des italienischen Meinungsjournalismus seit etwa 1900 zu erklären.68 Gleichzeitig gab es indessen ebenso den Typus des »puren« Gelehrten wie ihn etwa Carlo Cipolla verkörperte, der sich als einer der wichtigsten Historiker des geeinten Italiens fast ausschließlich auf seine wissenschaftliche Arbeit konzentrierte.69 Auch in Italien bedeutete der Erste Weltkrieg eine Intensivierung der öffentlichen Praxis der Historiker als Intellektuelle. In Tageszeitungen und neu­ gegründeten Zeitschriften engagierten sie sich für eine Propaganda,70 die von einer entschlossenen Minderheit, darunter vielen Künstlern und Schriftstellern, für eine Kriegsbeteiligung Italiens betrieben wurde. Manche erhofften sich von diesem Kriegseintritt die Festigung der brüchigen nationalen Einheit, andere hingegen – wie Salvemini – den Sturz der obrigkeitlichen Systeme in Deutschland und Russland und die Rückkehr kampferprobter, politisierter Massen von der Front, die eine soziale Revolution in Italien durchsetzen könnten.71 Für die Weimarer Republik als eine Parteiendemokratie war es kein stabilisierendes Element, dass Historiker auch nach 1918 mehrheitlich für das »Vaterland« eintreten wollten, aber nicht für irgendwelche Parteien. Nur eine Minderheit engagierte sich parteipolitisch, direkte Wechsel in die Politik gab es nicht. Wie im Kaiserreich äußerten sich Historiker vor allem in bildungsbürgerlichen Kulturzeitschriften, bisweilen auch in der Tagespresse und im neugeschaffenen Rundfunk. Die enge Zusammenarbeit mit den bürokratischen Eliten konnte unter den neuen demokratischen Regierungen nicht mehr in der Intensität gepflegt werden wie vor 1918. Freilich waren die Professoren durch ihre Ablehnung des neuen demokratischen Systems weder neutral noch unpolitisch. Viele machten die Hochschulen zu Hochburgen der antidemokratischen Rechten und gerierten sich als patriotische Gegenelite. Sie lehnten die moderne Massengesellschaft als Krise schlicht ab, ignorierten unumkehrbare soziale und ökonomische Strukturänderungen und machten als Ursache einen Verfall von Kultur und Sitten aus. Nur eine Minderheit um Friedrich Meinecke engagierte sich für die links­ liberale DDP und die Anerkennung der Republik durch die Bevölkerung.72 Die Professionalisierung der deutschen Geschichtswissenschaft setzte sich auch in der Weimarer Republik fort. Ein Erfolgsautor wie Emil Ludwig wäre in Italien womöglich nicht derart ausgegrenzt und als unwissenschaftlich be67 Vgl. Gisotti, S. 101 f. 68 Vgl. Martina, S. 8. 69 Vgl. Diaz, S. 1115. 70 Vgl. M. Angelini, S. 101. 71 Vgl. Gipper, S. 169 f. 72 Vgl. Ringer, S. 188–203; Sontheimer, S. 217 f.; Faulenbach, Selbstverständnis, S. 187.

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trachtet worden wie von den deutschen Historikern. Die Ausgrenzung Ludwigs als Nichtwissenschaftler hatte allerdings nicht nur methodische Gründe. Vielmehr war sie überdies ein Mittel, um ihn als Republikbefürworter politisch zu bekämpfen.73 Durch die junge Wissenschaft der Soziologie erwuchs der Historiographie in den zwanziger Jahren keine Konkurrenz auf dem Gebiet der nationalen Sinnstiftung, obwohl politische Vertreter sie für geeigneter hielten als die meist republikfeindlichen Historiker.74 Stattdessen nahmen Geschichtswissenschaftler wie im Kaiserreich neben den Nationalökonomen in der Öffentlichkeit eine führende Rolle ein. Sie verdammten das Weimarer System in schärfsten Tönen, aber sie hatten keine alternativen Konzepte, die sie an seine Stelle setzen konnten. Vielmehr riefen sie in ihrer öffentlichen Praxis geradezu nach einer anderen Kraft, welche die angeblich korrupten Zustände beende und eine neue Gemeinschaftsordnung mit Hilfe eines starken Staats erschaffe.75 Ohne darauf konkret abzuzielen, wurden in der breiten Öffentlichkeit engagierte Historiker somit Wegbereiter der nationalsozialistischen Machtübernahme. Es waren nur wenige, die versuchten, sich wie Meinecke öffentlich Hitlers Sieg entgegenzustemmen. Vielmehr beteiligten sich deutsche Historiker an Ergebenheitsadressen an den »Führer« und gaben sich anfangs der Illusion hin, die NSDAP werde den Professoren eine leitende Rolle bei der Volkserziehung zuweisen.76 Etliche Fachvertreter setzten daher auch unter dem Regime ihre massenmediale Praxis fort und legitimierten mit Beiträgen in den gleichgeschalteten Zeitungen die nationalsozialistische Politik.77 Jedoch war im Nationalsozialismus weniger die Publizistik von Wissenschaftlern gefragt als ihre Fähigkeit zur Politikberatung.78 Die Entwicklung hin zur Anwendungsorientierung von Wissenschaft beschleunigte sich dadurch und reduzierte die öffentliche Bedeutung eines »un-praktischen« Faches wie Geschichte, das längst keine Leitwissenschaft mehr darstellte.79 Gerade diese Anforderungen führten aber dazu, dass sich Historiker verstärkt und selbständig staatlichen Stellen als Experten zur Verfügung stellten, um ihren gesellschaftlichen und politischen Einfluss zu erhalten. Geschichtswissenschaft­liche Resultate und Analysen wurden direkt oder indirekt für die nationalsozialistische Bevölkerungs-, Siedlungs- und Deportationspolitik genutzt.80 In ihrem elitären Selbstverständnis hatten sich die Professoren ursprünglich dezidiert 73 Vgl. Ullrich, S. 45 f. Ullrich meint, Ludwig sei tatsächlich unwissenschaftlich gewesen, da seine Darstellungen irrational gewesen seien und er seine eigenen Ansichten in die Geschichte zurückprojiziert habe. Siehe ebd., S.  48–50. Allerdings waren solche Verhaltens­ weisen auch unter den Werken akademischer Historiker verbreitet. 74 Vgl. Schmidt, Einführung Gelehrtenpolitik, S. 35. 75 Vgl. Ringer, S. 205–207. 76 Vgl. Schwabe, Rahmenbedingungen, S. 14 f. 77 Vgl. Schönwälder, S. 142–148. 78 Vgl. Knigge-Tesche, Einleitung Berater, S. 6. 79 Vgl. Faulenbach, Tendenzen, S. 26; Szöllosi-Janze, S. 97–99. 80 Vgl. ebd., S. 42.

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nicht als Experten oder Spezialisten gesehen. Dass Max Weber den Gelehrten zu einem Fachmenschen reduzierte, wurde von der Mehrzahl seiner Kollegen scharf abgelehnt.81 Es waren auch weniger die noch im Kaiserreich geprägten Historiker, die sich als unabhängige Gelehrte betrachteten, als die jüngeren Fachvertreter, deren Karrieren im Nationalsozialismus begonnen hatten, die sich der Politik als Fachleute andienten. Der »Generalplan Ost« stellte in diesem Zusammenhang einen Höhepunkt dar.82 Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs arbeiteten Historiker immer enger mit den deutschen Besatzungsverwaltungen im Ausland zusammen und beteiligten sich dabei an der Organisation von Vertreibungen und Ermordungen. Auch wenn die Verbrechen speziell in den besetzten Ostgebieten nicht in erster Linie von den Wissenschaftlern, sondern den Eliten von Partei, Wehrmacht und Wirtschaft gelenkt wurden, war es keineswegs so, dass Wissenschaftler sich politischen Vorgaben einfach unterwarfen oder sich ihnen opportunistisch anpassten, sondern mit ihren Expertisen die oftmals leeren Begriffe der nationalsozialistischen Weltanschauung mit Inhalt füllten. Etliche wurden dadurch »Mitdenker, Begleiter oder Nachplaner« der Vernichtung.83 Abgesehen von einigen prominenten Ausnahmen wie Benedetto Croce, ­Gaetano Salvemini, Ernesto Rossi, Nello Rosselli oder Leone Ginzburg unterstützten wie in Deutschland ebenso in Italien die meisten Historiker das faschistische Regime. Damit unterschieden sie sich nicht von anderen Wissenschaftlern oder Künstlern.84 Es gab zwar eine rege Beteiligung von Professoren an Croces antifaschistischem Manifest 1925, allerdings näherten sich die meisten Unterzeichner schon wenig später dem Regime wieder an.85 Auch gegen die Einführung der antisemitischen Rassengesetze gab es kaum Proteste.86 Unter dem Faschismus war die terza pagina der gleichgeschalteten Presse die Verbindung zwischen den Intellektuellen und dem Regime.87 Sie sollte den Wissenschaftlern und Künstlern das Gefühl vermitteln, dass die faschistische Regierung an ihnen und ihren Ansichten interessiert sei.88 Die Historiker versuchten dadurch in den zwanziger und dreißiger Jahren, ihr Publikum zu erweitern, und der Zeitungsartikel wurde anstelle des wissenschaftlichen Aufsatzes zum vorherrschenden Mittel der Wissensverbreitung.89 Gezielt sprach der Faschismus Exponenten der Hochkultur an und gewann den berühmten Philosophen Giovanni Gentile. Dieser wiederum band die Mehrheit der nationalliberalen 81 Vgl. Jansen, S. 51–53. 82 Vgl. Mühle, S. 337–380. 83 Vgl. Raphael, Ordnungsdenken S. 21–38; Schönwälder, S. 139. 84 Vgl. Belardelli, S. VII. 85 Vgl. ebd., S. 11–15. 86 Vgl. ebd., S. 66. 87 Vgl. Murialdi, S. 152. 88 Vgl. Ajello, Storia, S. 116. 89 Vgl. M. Angelini, S. 101. De Felice schätzt allerdings die Massenwirkung der Historiker als gering ein. Siehe hierzu De Felice, Intellettuali, S. 191.

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sowie konservativen Intellektuellen und sogar Oppositionelle an faschistische Prestigeprojekte wie die Enciclopedia Italiana.90 Keine Parteifunktionäre, sondern anerkannte Gelehrte wie Gentile oder der Historiker Giaocchino Volpe übten zumindest zu Beginn der faschistischen Epoche die führende Rolle in der Wissenschaft aus.91 Als Gentile in seiner Eigenschaft als Erziehungsminister 1931 von allen Universitätsdozenten einen Treueid auf den Faschismus verlangte, verweigerten sich von 1231 Ordinarien nur zwölf. Ein einziger Professor, der Historiker Lionello Venturi, emigrierte.92 Eine strenge Kontrolle der Historiographie war weder in Italien noch in Deutschland erforderlich, da viele Geschichtswissenschaftler von sich aus et­ liche faschistische und nationalsozialistische Orientierungen teilten.93 Manche, wie Carlo Morandi oder Delio Cantimori, verfassten auch häufig Beiträge für die faschistischen Kulturzeitschriften. Morandi arbeitete sogar die Programme für den Geschichts- und Geographieunterricht der Mittelschulen aus.94 Volpe, der sich an maßgeblicher Stelle für den Faschismus engagierte, schrieb überdies für das Parteiorgan Popolo d’Italia.95 Wie im nationalsozialistischen Deutschland waren aber ebenso im faschistischen Italien Historiker als Intellektuelle langfristig nicht mehr gefragt – auch nicht als faschistische Intellektuelle mit einem eigenständigen Urteil, wie Volpe erfahren musste, als er 1929 politisch kaltgestellt wurde.96 Hingegen gab es weder vor noch während des Faschismus in Italien eine mit der deutschen Situation vergleichbare Entwicklung zum Expertentum, dem südlich der Alpen generell eine geringere Bedeutung zukam als in Deutschland.97

2. Zwanzig Lebensläufe – Die Historiker und die öffentliche Praxis in den Massenmedien nach der Zäsur 1943/45 In diesem Kapitel werden die untersuchten Personen biographisch vorgestellt. Anhand der Literatur wird auch auf ihre Lebensläufe vor Ende des Zweiten Weltkrieges eingegangen, welche die spätere Entwicklung der Historiker erst erklärbar machen. Für alle zwanzig Kurzbiographien hat der Verfasser dabei 90 Vgl. Raphael, Kulturnation, S. 264 f. 91 Vgl. De Felice, Intellettuali, S. 191 f. Auch der Historiker Francesco Ercole wurde in den dreißiger Jahren italienischer Erziehungsminister. Vgl. Di Rienzo, La storia, S. 507. 92 Vgl. Dogliani, Il fascismo, S. 193. 93 Vgl. Belardelli, S. 16. 94 Vgl. De Felice, storici, S. 593–605. 95 Vgl. Di Rienzo, La storia, S. 322 f. Volpe war zeitweise auch Abgeordneter im faschistischen Parlament. Siehe ebd., S. 345 f. 96 Vgl. ebd., S. 397. Volpe galt als prominentester faschistischer Historiker und war für den PNF 1924–1929 Parlamentsabgeordneter gewesen. Vgl. hierzu Turi, Sorvegliare, S. 304. 97 Vgl. Dipper, Nachbarn, S. 23.

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die gleichen Kategorien ausgewählt. Der Schwerpunkt liegt auf ihrer außerfach­ lichen öffentlichen Praxis: Es wurde geprüft, ob, seit wann und in welchem Maße Historiker sich in den Massenmedien (Tages- und Wochenzeitungen sowie dem Rundfunk) zu Wort meldeten und ob sie sich dabei nur zu historischen Themen oder auch zu aktuell politischen und gesellschaftlichen Problemen äußerten. Ebenso von Belang war die Frage, ob und inwieweit sich Historiker politisch in Parteien, staatlichen Gremien oder Verbänden engagierten. Zur besseren Einordnung dieses Engagements fand allerdings nicht nur Berücksichtigung, ob diese Mitarbeit von Historikern öffentlich erfolgte, sondern sie womöglich auch nichtöffentliche Expertisen, beispielsweise für die Bürokratie, erarbeiteten. Gleichfalls wurden zur Einschätzung der öffentlichen Praxis von Historikern Beiträge in Kulturzeitschriften einbezogen, die weder den Fach­ organen noch den Massenmedien zuzurechnen sind. Wie schon erwähnt, wird keine umfassende biographische Darstellung angestrebt. Eine wichtige Motivation dieser Untersuchung ist es aber, außerfachliche öffentliche Praxis nicht als etwas Losgelöstes zu betrachten, das neben der wissenschaftlichen Hauptarbeit Erwähnung findet, sondern dieses öffentliche Engagement gezielt in den Kontext der wissenschaftlichen Karriere und persönlichen Lebenssituation der Geschichtswissenschaftler zu stellen. Hinweise auf Eltern und Konfession wurden etwa nur insofern berücksichtigt, als sie helfen können, die Personen unter dem genannten Gesichtspunkt besser einzuordnen. Für den italienischen Fall ist es etwa wenig aussagekräftig, auf die katholische Taufe aller Historiker hinzuweisen, wohingegen es im deutschen Fall bedeutsam sein konnte, ob der jeweilige Wissenschaftler im Sinne des pro­testantisch dominierten Bismarckreiches geprägt worden war, oder aus der Tradition der im Kulturkampf als Reichsfeinde verfolgten Katholiken stammte. Ferner waren Historiker jüdischer Abstammung unter der nationalsozialistischen Herrschaft im Gegensatz zu ihren nichtjüdischen Kollegen unmittelbar Repression und Verfolgung ausgesetzt. Herkunft, akademische Karriere und politischsoziale Ereignisse, welche die Historiker individuell und generationsspezifisch geprägt haben, sollen also insoweit einbezogen werden, dass an exemplarischen Punkten Wechselwirkungen zwischen wissenschaftlicher und massenmedialer Praxis deutlich werden. Friedrich Meinecke98 kam am 30.  Oktober 1862 in Salzwedel in der Altmark zur Welt. Sein Vater bekleidete dort das Amt des Postmeisters und gehörte daher zu den Honoratioren des Provinzstädtchens. Die Familie war pietistisch, und es herrschte ein konservativer Geist mit unbedingter Treue zu Preußen und zur Monarchie. Wegen einer Verfehlung wurde der Vater jedoch nach Berlin strafversetzt, und Meinecke wohnte seitdem in den beengten Verhältnissen des 98 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus verschiedenen Werken, insbesondere Meineke; Meinecke, Akademischer Lehrer, S. 16–30; Knudsen, S. 49–65; Weber, S. 373 f.

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Arbeiterviertels Friedrichshain. Seit 1881 studierte er in Berlin und Bonn und promovierte 1886 bei Reinhold Koser mit einer Arbeit über den Jülicher Erb­ folgestreit. Zunächst traute sich Meinecke wegen eines Stotterleidens keine wissenschaftliche Karriere zu. Stattdessen schlug er eine Archivlaufbahn ein und arbeitete 1887–1901 im Preußischen Staatsarchiv. Allerdings publizierte er nebenbei eigene Studien, und durch seine Habilitation 1896 über Generalfeldmarschall Boyen bei Heinrich von Sybel erarbeitete er sich einen ausgezeichneten Ruf in der Fachwelt. Im gleichen Jahr wurde er bereits alleiniger Herausgeber der HZ und hatte damit eine der wichtigsten Funktionen der Geschichtswissenschaft inne. 1901 folgte schließlich überdies der Ruf als Ordinarius an die Universität Straßburg. Aus seinen Schriften trat die Grundüberzeugung hervor, dass die Einheit von Geist und Macht unabdingbar für die preußische Staatlichkeit sei. Diese Ansicht beherzigte er nach Veröffentlichung seines Werkes Weltbürgertum und Nationalstaat (1908)99 auch für sich selbst. Der große wissenschaftliche Durchbruch, der ihm mit dieser Arbeit beschieden war und ihn zu einem bedeutenden Vertreter der Ideengeschichte machte, rief die öffentliche Reputation hervor, die ihm den Weg zu einem respektierten politischen Publizisten ebnete. Seit 1911 schrieb er für nicht-akademische Zeitungen und Zeitschriften Leitartikel, Kommentare und Essays zur Zeitgeschichte, aber ebenfalls zum politischen Tagesgeschehen. Bis zu seinem Tod sollten es über 160 Beiträge dieser Art werden. Er unterstützte 1911/12 den liberalen Kandidaten Gerhard von Schulze-Gaevernitz bei dessen erfolgreicher Kandidatur für den Reichstag und nahm 1912 als Delegierter am Parteitag der Nationalliberalen teil. Vergeblich setzte er sich für die Öffnung seiner Partei gegenüber den Sozialdemokraten ein, die er im Gegensatz zum politischen Katholizismus grundsätzlich als Bündnispartner der Liberalen in Erwägung ziehen wollte. Es war sein Sprachfehler, der ihn nach eigener Aussage hemmte, sich noch stärker in die Politik einzumischen. Insofern engagierte er sich gegen den Trend, dass Professoren immer weniger direkte Politik betrieben. Gegen den Strom richtete er ferner seine Interessensgebiete aus: Statt Weltpolitik standen innen- und parteipolitische Fragen bei ihm im Vordergrund. Allerdings hatte er in Freiburg, wohin er 1906 gewechselt war, für seine außerfachliche öffentliche Praxis gute Bedingungen. Die Parteibildung war dort im Reichsvergleich noch unterdurchschnittlich ausgeprägt, so dass sich eine Art Refugium der traditionellen Honoratiorenpolitik erhalten hatte. Trotzdem und wohl auch, weil sich seine politischen Ziele meist nicht als mehrheitsfähig erwiesen, zweifelte er bald am Sinn der Gelehrtenpolitik im Zeitalter der modernen Massenparteien, die soziale Interessen verträten und bei denen der Einfluss Einzelner nur noch marginal sei. 1914 folgte Meinecke einem Ruf an die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, die das Zentrum deutscher Gelehrtenpolitik war. Den Kriegseintritt Deutschlands unterstützte er zunächst. Nachdem er aber durch seine engen 99 Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat.

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politischen Kontakte genauere Informationen über die deutsche Diplomatie vor 1914 erhalten hatte, sah er die Rolle des eigenen Landes kritischer. Meinecke hatte dabei neben seinem publizistischen Engagement auch informell einen gewissen politischen Einfluss: Reichskanzler Bethmann Hollweg lud ihn mehrfach zu persönlichen Beratungen ein und erwog, Meinecke zum Kultusminister zu ernennen. Prinz Max von Baden erhob die Mittwochabend-Gesellschaft, einen exklusiven politischen Club, dem Meinecke angehörte, sogar zu seinem privaten Staatsrat. 1918 konstatierte Meinecke jedoch resigniert, dass es der Geschichtswissenschaft nicht mehr gelinge, einen nennenswerten Einfluss auf das historischpolitische Bewusstsein der Nation auszuüben. Einerseits entstehe eine differenzierte Fachwissenschaft, die mit speziellen Fragestellungen nicht mehr zur politischen Allgemeinbildung beitragen könne, und andererseits eine politisierte Öffentlichkeit, die nach simplen Erklärungen greife. Er war empört über viele seiner Kollegen, die sich für unpolitisch oder antipolitisch hielten und aus Ignoranz für einfache politische Formeln und Aufrufe einspannen ließen. Die Professorenschaft führe nicht mehr, klagte Meinecke, vielmehr werde sie selbst durch den Zeitgeist geleitet. Dennoch setzte er sein öffentliches Engagement ungebremst fort. Zunächst nur ein Vernunftrepublikaner, trat er bald entschieden für die Demokratie ein. Er war einer der Mitgründer der linksliberalen DDP und schuf den Weimarer Kreis, eine Vereinigung republiktreuer Hochschullehrer, für die aber nicht viele Kollegen als Mitglieder zu gewinnen waren.100 Bis zum Schluss versuchte er, in den Massenmedien die Demokratie zu verteidigen. Noch am 26. Februar 1933 lehnte er in einem Zeitungsartikel die Machtübertragung an Adolf Hitler ab und forderte, dass nicht nur die Arbeiterschaft, sondern auch das Bürgertum bei der Wahl jede faschistische Diktatur oder scheinlegale Beseitigung der Verfassung verhindern müsse. Die Deutsche Staatspartei übernahm Teile aus Meineckes politischen Erklärungen in ihren Flugblättern. Er wurde schon 1927/28 emeritiert, hielt in den Jahren danach indes noch immer zahlreiche Lehrveranstaltungen ab. 1934 zwangen ihn die National­ sozialisten, die Historische Reichskommission zu verlassen und 1935 auch die Herausgeberschaft der HZ niederzulegen. In diesen Jahren begann er sich als Epigone der Zeit Goethes, Rankes und Treitschkes zu fühlen, als noch die Einheit von Wissenschaft und Politik bestanden habe. Er ließ sich nicht mit dem Nationalsozialismus ein, aber seine Oppositionshaltung war auch begrenzt. So hatte er herzlichen Umgang mit nationalsozialistisch gesinnten Historikern wie Karl Alexander von Müller oder Heinrich Ritter von Srbik, erfreute sich an militärischen Siegen, und obgleich er selbst viele jüdische Schüler gehabt hatte, zeigte sich in seinen Ansichten bisweilen ein kultureller Antisemitismus. 1936 erhielt er in Harvard die Ehrendoktorwürde, nutzte die Gelegenheit aber nicht, um im Exil zu bleiben. Alle seine Publikationen wurden in Deutsch100 Insgesamt engagierten sich in Meineckes Weimarer Kreis nur 50 von 2400 Hochschul­ lehrern. Vgl. hierzu Hübinger, Gelehrte, S. 242.

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land zugelassen (1936 erschien beispielsweise sein Werk Die Entstehung des Historismus)101 und 1942 ehrte ihn die HZ mit einem Sonderband. Nach Kriegsende begann er wieder an der Berliner Hochschule zu lehren, und gerne hätten die ostdeutschen Funktionsträger ihn als Aushängeschild gehalten. Dazu aber wollte Meinecke sich nicht hergeben. Stattdessen verließ er die immer deutlicher kommunistisch beherrschte Lehrstätte und beteiligte sich führend an der Gründung der Freien Universität in den Westsektoren 1948, deren erster Rektor er auch wurde. Vergeblich bemühte er sich dort, Emigranten nach Deutschland zurückzuholen. Seine Deutsche Katastrophe102 von 1945/46 setzte sich als eines der ersten deutschen Werke mit dem Nationalsozialismus auseinander. Noch mehr als in Deutschland selbst galt er nach 1945 im Ausland als Galionsfigur deutscher Geschichtswissenschaft. Trotz seines hohen Alters und seines nach wie vor vorhandenen wissenschaftlichen Engagements mischte er sich in Kulturzeitschriften und Tageszeitungen bisweilen noch in die öffentliche Debatte ein. Es war sein Ziel, nach dem Einschnitt von 1945, seinen Landsleuten bei Verständnis und Bewältigung ihrer Vergangenheit zu helfen und dabei Wege aus der Krise aufzuzeigen.103 In einem Beitrag zum Jubiläum des Österreichischen Staatsarchivs am 13. September 1949 formulierte er dabei klar den volkspädagogischen Anspruch des Historikers: Es gehe darum, den Massen den rechten Weg zu weisen, die dazu neigten, heute zu verbrennen, was sie gestern noch angebetet hätten.104 Meinecke wurde 1951 erneut emeritiert und starb am 6. Februar 1954. Hermann Aubin105 wurde am 23. Dezember 1885 in der nordböhmischen Stadt Reichenberg in der Habsburgermonarchie geboren. Sein Vater, Leiter einer Teppich­fabrik, war aus Berlin zugezogen und Nachfahre französischer Protestanten. Seine Mutter entstammte dagegen dem Patriziat seiner Geburtsstadt. Aubin wuchs in großem Wohlstand auf, und da seine Eltern internationale Geschäftskontakte hatten, konnte er frühzeitig zu Sprachaufenthalten nach England und Frankreich reisen. Als Protestant gehörte er in Böhmen einer winzigen Minderheit an, viel wichtiger war jedoch seine nationale Zugehörigkeit. Die tschechischen Arbeiter wurden in seiner Familie verachtet, und Aubin ging bewusst 1905 zum Studium ins Deutsche Reich, um nicht mit Tschechen in Berührung zu kommen. Er besuchte Veranstaltungen an den Universitäten München, Freiburg und Bonn und promovierte 1910 bei Georg von Below mit einer Arbeit über die Verwaltung des Fürstbistums Paderborn im Mittelalter. Anschließend strebte er eine akademische Karriere an und erhielt durch 101 Meinecke, Die Entstehung des Historismus. 102 Ders., Katastrophe. 103 Interview mit dem Historiker Geheimrat Friedrich Meinecke, 3.10.1945, in: DRA Wies­ baden, Archivnummer F820919. 104 GPStA, VI. HA, Nl Meinecke 248. 105 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus Mühle; Haar.

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Vermittlung seines Doktorvaters eine Anstellung bei der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde in Bonn. 1914 reichte er dort bei Aloys Schulte seine H ­ abilitation ein. Mit Kriegsbeginn wurde er als österreichischer Reserveoffizier zur k.u.k.Armee eingezogen, bald zum Hauptmann der Artillerie befördert sowie mehrfach wegen Tapferkeit ausgezeichnet. Die Friedensbedingungen von Versailles mit ihren Gebietsverlusten, speziell der Integration seiner Heimat in den neuen tschechoslowakischen Staat, empfand er als großes Unrecht, und die Novemberrevolution erschien ihm als ein Werk von Juden und Drückebergern. Andererseits hielt er die Einführung der Demokratie letztlich für unvermeidlich. Als Konsequenz der politischen Veränderungen nahm er im November 1919 die deutsche Staatsbürgerschaft an und lehrte in Bonn als Privatdozent. Da er sich davon seinen gewohnten Lebensstil mit Hausangestellten nicht finanzieren konnte, war er auf die Unterstützung seiner Familie angewiesen. Rasch gelang es ihm jedoch, die Errichtung eines Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande zu erwirken, zu dessen Leiter man ihn ernannte. Hieran zeigte sich bereits, dass Aubin eher ein Wissenschaftsorganisator als ein Forscher war, der kaum größere Werke verfasste, aber selbst zahlreiche kleinere Beiträge für Fachzeitschriften schrieb und die akademische Arbeit anderer Historiker gestaltete. 1922 wurde er in Bonn außerordentlicher Professor und 1925 auf das Ordinariat in Gießen berufen. Interessanterweise zog man Aubin aus politischen Gründen vor, da er als demokratisch galt. Faktisch mischte er sich indes kaum in der außer­fachlichen Öffentlichkeit ein und enthielt sich weitgehend politischer Stellungnahmen. Das mochte zum Teil  der Tatsache geschuldet sein, dass Aubin sich als Mediävist mit Themen beschäftigte, die keinen unmittelbaren Gegenwartsbezug hatten, lag aber auch an seiner Schwerpunktsetzung im Spannungsverhältnis von wissenschaftlicher und außerfachlicher öffentlicher Praxis. Zwar hielt er nach der Niederlage von 1918 außerwissenschaftliches Engagement für notwendig, um seinen Vorstellungen einer nationalen Politik Geltung zu verschaffen. Jedoch war dies selten publizistische Praxis. Vielmehr sah er sich berufen und verpflichtet, mit wissenschaftlichen Gutachten und Expertisen auf die Neuordnung des Reiches Einfluss zu nehmen. In der Folgezeit ging es mit seiner Karriere voran: 1927 wurde er nach dem Tode von Belows alleiniger Herausgeber der VSWG und 1929 an die Universität Breslau berufen. 1930 nahm er die Gelegenheit wahr, in Kairo zu lehren. Er blieb drei Jahre in Ägypten, kehrte dann indes zurück, weil er es für unabdingbar hielt, in Deutschland zu arbeiten. Während sein Bruder, der Wirtschaftshistoriker Gustav Aubin, sich gegen den Nationalsozialismus engagierte, zeigte Hermann Aubin keine deutlich anti-nationalsozialistische Haltung. Vielmehr begrüßte er sogar die Gleichschaltung der Länder. Parteigenosse wurde er nicht und beteiligte sich nicht an antisemitischen Aktionen, setzte sich aber auch kaum für verfolgte jüdische Kollegen ein. Er stand dem Geschehen weitgehend gleichgültig gegenüber. Aubin fühlte sich allerdings bedroht, als bekannt wurde, dass seine Frau einen jüdischen Urgroßvater gehabt hatte. Zwar 45 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

hatte dies für ihn keine konkreten Konsequenzen, aber nun wollte er seine Konformität besonders unter Beweis stellen, trat in NS-Parteiorganisationen ein und ließ seinen Nachnamen Deutsch aussprechen. Als Professor in Breslau verlagerte er seinen Arbeitsschwerpunkt von der Geschichte der Rheinlande auf die Ostforschung. Bewusst und freiwillig entschied er sich weiterhin, seinen zivilen Beitrag für den Krieg im Osten zu leisten, da er selbst militärisch nicht mehr einsetzbar war. Vor allem die Annexionen Österreichs und des Sudetenlandes begeisterten ihn, aber ebenso der Überfall auf Polen. Um die NOFG, deren stellvertretender Vorsitzender er wurde, zu konsolidieren und auszubauen, bot er der Besatzungsverwaltung nach der Eroberung Polens poli­ tikberatende Expertisen an. Gleichwohl wollten die NS-Instanzen keine unabhängige Rolle der Historiker akzeptieren, vielmehr eigneten sie sich deren Kompetenzen an. Für Aubin gehörten handwerklich saubere Wissenschaft und politische Wirkung im Dienste des Nationalsozialismus zusammen. Insofern glaubte er nie, sich willfährig dem System auszuliefern. Obwohl er mit seinen Versuchen der Einflussnahme durch Expertentätigkeit wenig Erfolg hatte und seine Mitarbeiter nach und nach zum Militär eingezogen wurden, ließ er in seinem E ­ ifer, die Politiker unterstützen zu wollen, nicht nach. Zweifellos befürwortete A ­ ubin auch Schieders Polendenkschrift, in der die Vertreibungen von Polen und »Entjudung«106 der Städte vorgeschlagen worden waren. Noch bis zum Schluss hielt er Vorträge vor Soldaten, Angehörigen der Besatzungsverwaltungen und deutschen Volksgruppen. Diese Tätigkeit nahm er sehr ernst. Ende 1944 zog man ihm zum Volkssturm ein. Er wurde verwundet und deshalb am 17.  Februar 1945 aus dem von sowjetischen Truppen schon eingekesselten Breslau ausgeflogen. Aubin kehrte nach Freiburg zurück und erlebte dort das Kriegsende. Sein wissenschaftliches Betätigungsfeld, die Ostforschung, war weggebrochen. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, musste er Schülern Nachhilfe geben und unternahm Hamsterfahrten aufs Land. Durch Vermittlung seines Freundes Siegfried A. Kaehler erhielt er jedoch bald eine Vertretungsprofessur in Göttingen. Als ihn im April 1946 ein Ruf aus Hamburg ereilte, griff er sofort zu. Er galt als unbelastet, weil es ihm gelang, glaubhaft zu machen, im Nationalsozialismus nur wissenschaftliche Arbeit geleistet und sich nicht politisch engagiert zu haben. 1954 wurde Aubin emeritiert. Er zog sich damit aber keineswegs aus der Wissenschaft zurück. Seit 1953 (bis 1958) hatte er neben etlichen anderen Ämtern den Vorsitz des Historikerverbandes inne und hielt seit 1955 als Honorarpro­ fessor in Freiburg wieder Veranstaltungen ab (noch bis 1963). Beginnend mit dem Jahrgang 1950/51 gab er auch wieder die VSWG heraus, 1959–1964 wurde er als Nachfolger Schnabels Präsident der Historischen Kommission der Baye106 Aufzeichnung über Siedlungs- und Volkstumsfragen in den wieder gewonnenen Ost­ provinzen. Erster Entwurf von Theodor Schieder, in: Ebbinghaus, S. 90.

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rischen Akademie der Wissenschaften. Zudem fungierte er seit 1953 als Sachverständiger in einer von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zur Neugliederung des Bundesgebietes unter Vorsitz des ehemaligen Reichskanzlers Hans Luther, deren Arbeit allerdings bis 1956 wirkungslos im Sande verlief. Daneben verfasste er etliche weitere Gutachten zu Nordrhein-Westfalen, der deutsch-niederländischen Grenzziehung usw. Es gelang Aubin ferner, das Herder-Institut in Nachfolge der NOFG als neues Institut der Ostforschung zu gründen. Wiederum betonte er, Wissenschaft habe nur zu forschen und keine politischen Ziele aufzustellen. Gleichzeitig glaubte er jedoch, es sei die Pflicht der Ostforschung, gerade im Kalten Krieg ihre Ergebnisse der Politik zur Verfügung zu stellen. Er befürwortete daher, dass Mitarbeiter des Herder-Instituts mit Gutachten und Redemanuskripten Ministerien und Politikern zuarbeiteten, solange er dies als Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse und nicht als Politisierung empfand. Dagegen lehnte er es ab, für das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen eine politische Nachrichtensammlung zu betreiben, da dies keine Aufgabe für ein wissenschaftliches Institut sei. Er glaubte nicht an Voraussetzungslosigkeit, war aber überzeugt von der eigenen Fähigkeit zur Objektivität. Außerdem fühlte er sich durch Gespräche mit Politikern und Ministerialbeamten in dem Glauben bestärkt, einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Probleme des deutschen Volkes zu leisten. Es entsprach zwar dem Zeitgeist, dass er Deutschland als Opfer des Nationalsozialismus empfand. Im Gegensatz zu etlichen anderen Historikern spürte er aber auch keine Veranlassung, die nationalsozialistische Vergangenheit auf­ zuarbeiten. Ebenso unterzog er seine persönliche NS-Vergangenheit keiner kritischen Reflexion. Obwohl Aubin nach 1945 den Zenit seiner wissenschaft­ lichen Karriere erreichte, schrieb er allenfalls in den letzten Jahren als Ordinarius in Hamburg in der dortigen Presse zu allgemeinen Themen, im Wesentlichen nur zu der Vertreibung der Deutschen. Am 11. März 1969 starb er in Freiburg. Franz Schnabel107 kam am 18.  Dezember 1887 in Mannheim als Sohn eines evange­lischen Kaufmanns und einer katholischen Mutter zu Welt. Er selbst wurde katholisch getauft. 1906 schrieb er sich an der Universität Heidelberg ein, die er nur für ein Semester in Berlin verließ. Zwar entschied er sich für den wissenschaftlichen Weg, aber als Vorbilder wählte er Hermann Oncken, Max Lenz und Erich Marcks, die am ehesten für eine Verbindung von Wissenschaft und Leben standen. Oncken, der die Aufgabe des Historikers darin sah, der Nation auf Grundlage historischer Bildung politische Orientierungshilfe zu leisten, war dabei Schnabels wichtigster Lehrer, bei dem er 1910 auch über den politischen Katholizismus in Deutschland während der Revolution von 1848 promo107 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus verschiedenen Werken, insbesondere Hertfelder; Steinbach; Rehm, Franz Schnabel – eine andere Geschichte; Gradmann; Blanck; Weber, S. 527.

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vierte. Hier lag die Basis für Schnabels eigenes Selbstverständnis als politischer Erzieher: Ob man Politik oder Historie betreibe, sei nur eine Frage von Charakter und Temperament. Der Historiker habe nicht den starken Willen des Politikers und wäge mehr ab, müsse aber seinen Dienst an der Öffentlichkeit wahrnehmen. Seine wissenschaftliche Position war Schnabel dabei viel wichtiger als seine Konfession. Dennoch wurde er benachteiligt, da in der von Protestanten dominierten Historiographie Katholiken oft im Verdacht standen, zu Objektivität und Fortschrittlichkeit nicht fähig zu sein. Nach seiner Promotion arbeitete Schnabel zunächst im Schuldienst und publizierte nebenbei. Anfangs war er vom Militärdienst freigestellt, wurde aber im April 1915 doch eingezogen und diente als einfacher Soldat (Landsturmmann) an der Westfront. Zum Ende des Krieges hin erlitt er eine Verwundung. Seit 1919 arbeitete er wieder als Lehrer in Karlsruhe, habilitierte sich 1920 bei Hermann Wätjen und erhielt 1922 einen Ruf für den geschichtswissenschaft­ lichen Lehrstuhl an der TH Karlsruhe. Es war Oncken, der ihn überzeugt hatte, die Schule aufzugeben und es an der Universität zu versuchen. Die TH Karlsruhe galt dabei für Geschichte nicht als erste Adresse. Historie diente dort dazu, Ingenieursstudenten eine breite Bildung zu vermitteln, war jedoch keineswegs beliebt. Schnabel gelang es indes, durch seinen herausragenden Vortragsstil die Hörerzahl zu vervielfachen. Es kamen sogar Menschen von außerhalb der Hochschule, um ihn zu hören. In den zwanziger Jahren begann er auch sein zentrales historiographisches Werk, die mehrbändige Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert,108 sein Hauptforschungsgebiet. Abgesehen von seinem Doktorvater Oncken verfügte Schnabel aber über keine Förderer in der Wissenschaft, und das genügte nicht, um zu einem prestigeträchtigeren Lehrstuhl zu wechseln. Seine Außenseiterposition wurde besonders darin deutlich, dass man seine Werke nicht etwa kritisierte, sondern schlicht ignorierte. Wie viele andere Gebildete empfand Schnabel nach 1918 das Gefühl einer allgemeinen Kulturkrise. Allerdings stellte er in seinen Arbeiten nicht West­europa und Deutschland gegeneinander, sondern bekannte sich rasch zur Demo­k ratie. Volkssouveränität war ihm das legitime Resultat der Industriellen Revolution und des Weltkriegserlebnisses. Insofern erschien ihm die Demokratie auch nicht als von außen aufgezwungen, sondern als Folge einer ganz und gar deutschen Entwicklung. Besonders am Ende der zwanziger Jahre sprach er häufig vor einem nicht-akademischen Publikum in den Berufs- und Volksbildungs­ einrichtungen zahlreicher Städte. Er lehnte es dabei zwar ab, als Historiker handlungsleitende Empfehlungen für die Gegenwart zu präparieren, Folgerungen müsse der Politiker ziehen. Ein gesellschaftlicher Minimalkonsens sollte sich nach seiner Meinung aber auf die Werte »nationaler Staat«, »geistige Freiheit« und »Besitz an sittlichen Gütern« stützen.109

108 Schnabel, Deutsche Geschichte. 109 Vgl. Hertfelder, S. 306.

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Nach dem Staatsstreich Franz von Papens in Preußen 1932 begann Schnabel, sich intensiv in den Massenmedien zu engagieren, verteidigte Rechtsstaat und Föderalismus in etlichen Zeitungen und Zeitschriften. Wie er später selbst berichtete, sprach er bereits in der Weimarer Republik im Rundfunk. Zwar wählte er (1932/33) das Zentrum, Mitglied aber war er nur (1927–1933) in der Pan­ europa-Bewegung Richard Coudenhove-Kalergis. In einer verstärkten europäischen Zusammenarbeit sah er ein Bollwerk gegen den Bolschewismus, von dem er bis 1932 glaubte, er sei die eigentliche Bedrohung der Demokratie. Sein Eintreten für Europa unterschied ihn laut seinem Biograph Thomas Hert­felder noch mehr von seinen Kollegen als seine Parteinahme für die Republik. Er war darüber hinaus alles andere als ein typischer deutscher Bildungsbürger und Gelehrter in der ersten Hälfte des 20.  Jahrhunderts. So heiratete er nicht, engagierte sich kaum in Vereinen oder Verbänden, gab keine Gesellschaften und pflegte keinen aufwendigen Lebensstil. Schnabel gehörte allerdings Meineckes Kreis verfassungstreuer Hochschullehrer an und wurde wegen seiner politischen Haltung auch als Autor eines erfolgreichen Schulbuches ausgewählt. In erster Linie schrieb er für gebildete Laien und erst dann für die Fachkollegen. Das Land Preußen kaufte seine SteinBiographie110 und ließ sie zu Tausenden unter Gymnasiasten verteilt. Während Schnabel selbst sich dadurch geehrt fühlte, warfen ihm andere, vor allem Ritter, vor, ein halboffiziöses Werk geschrieben zu haben. Ritter sah in Schnabel einen begabten Darsteller, aber keinen bedeutenden Wissenschaftler. Angesichts des Nationalsozialismus erklärte Ritter jedoch allen Streit zwischen Schnabel und ihm für beendet. Mit Anbruch der NS-Herrschaft befand sich Schnabel als Außenseiter im Fach, Katholik und Demokrat dreifach im Nachteil. Er war einer von ganz wenigen Historikern, die von den Nationalsozialisten entlassen wurden, obwohl sie keine Juden waren (1936). Der letzte Band seines Hauptwerkes Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert durfte nicht mehr erscheinen. Schnabel machte inhaltlich kaum, sprachlich aber durchaus Zugeständnisse an die neuen Machthaber. Imperialistisch oder gar rassistisch und antisemitisch äußerte er sich gleichwohl nicht. Wie die allermeisten begrüßte er jedoch die Annexion Österreichs. Er musste bis 1945 keine Not leiden, da er offiziell emeritiert wurde und also seine Pension erhielt. Daneben aber intensivierte er seine Mitarbeit bei den Medien sogar noch, indem er kontinuierlich Artikel in großen Tageszeitungen wie der Frankfurter Zeitung, der Kölnischen Zeitung oder auch Zeitschriften wie Hochland oder Neue Rundschau schrieb. Er porträtierte dort historische Persönlichkeiten oder verfasste Aufsätze zur Universitätsgeschichte, die sich fern der aktuellen politischen Fragen bewegten.111 Zeitweise erwog er, ins Ausland zu gehen, blieb aber letztlich doch in Deutschland und pflegte jahrelang 110 Schnabel, Freiherr vom Stein. 111 Wie er die Kontakte herstellte, ist unbekannt, denn es sind kaum Quellen erhalten ge­ blieben.

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seine schwerkranke Mutter. Zum Kriegsende hin sollte er noch zum Militär ein­ gezogen werden, allerdings gelang es ihm durch Fürsprache des ihm bekannten ehemaligen Generals Bernhard Schwertfeger, dies zu verhindern. Rasch nach Kriegsende beantragte er seine Wiedereinsetzung als Professor an der TH Karlsruhe, der umgehend stattgegeben wurde.112 Noch mehr als vor der Zäsur sah er den Historiker als Erzieher und Menschenbildner gefordert. Nur eine Jugend, die über Geschichtskenntnis verfüge, so meinte er, könne die Zukunft meistern. Trotz seiner Abneigung gegen öffentliche Ämter übernahm er am 5. September 1945 die Funktion eines Landesdirektors für Kultur in Nordbaden. Seine bekannteste Tat wurde eine Rede vor den Bürgermeistern der Region, bei der er die Entlassung aller Lehrer verlangte, die Parteimitglied gewesen seien. Er griff auch den Lehrkörper der Universität Heidelberg an, was ihn eine Berufung an den dortigen Lehrstuhl kostete und zu seinem Rücktritt als Landesdirektor am 1. November 1947 führte. Nach seinem Wechsel an die Universität München publizierte er kaum noch wissenschaftlich, sondern konzentrierte sich auf seine Lehre und die Betreuung seiner Studenten. Bisweilen kamen 1.200 Hörer in seine Vorlesungen, und seine wöchentliche Sprechstunde dauerte tatsächlich acht Stunden. Erst jetzt stieß Schnabel in die führende Riege der Historiker auf und wurde 1951 Präsident der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (bis 1959). Daneben legte er eine umfangreiche Mitarbeit bei Zeitungen und Rundfunk an den Tag. Schnabel ging es darum, Verständnis und Zustimmung für den neuen demokratischen Staat zu schaffen und Traditionen in den Vordergrund zu rücken, die dem neuen Staatswesen entsprachen, zumal die liberale Entwicklung im 19. Jahrhundert. Dieses 19. Jahrhundert blieb dabei das Zentrum seiner Betrachtungen, da für Schnabel alle aktuellen Probleme und Entwicklungslinien von dort ihren Ausgang genommen hatten. Es ging ihm nicht um eine Analyse des Nationalsozialismus, sondern vor allem darum, welche Konsequenzen aus der Katastrophe zu ziehen seien. Am 15. März 1947 schrieb er in der Süddeutschen, es sei die Aufgabe der akademischen Lehrer, vor allem der Neuzeithistoriker, Nationalökonomen und Juristen, der Jugend die Grundlagen und den Sinn des Staates zu vermitteln, da diese dereinst die geistige Führung des Volkes innehätten und auch dem Volk vermitteln müssten, dass man Entscheidungen aus Einsicht und nicht aus großen Gefühlen heraus treffen müsse, damit sich nicht wieder eine Katastrophe entwickele.113 Da er im Nationalsozialismus von der Universität ausgeschlossen war, durfte er in München den Zeitpunkt seiner Emeritierung (1962) selbst bestimmen. Jedoch blieb er der Lehre bis zum Schluss verbunden und nahm noch wenige Tage vor seinem Tod seine letzte Doktorprüfung ab. Er starb am 25. Februar 1966.

112 Brief des Ministeriums des Kultus und Unterrichts an Schnabel über die Zurücknahme seiner Emeritierung rückwirkend zum 1.8.1945. Abschrift, 15.10.1945, in: Nl Schnabel 7c. 113 Vgl. Schnabel, Ueber die Vorbildung.

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Gerhard Ritter114 wurde am 6. April 1888 in Sooden an der Werra geboren und entstammte einer traditionsreichen evangelischen Pfarrersfamilie. Er wuchs in einer sehr ländlich geprägten Umgebung auf, in der seine Familie den anderen Menschen als Vorbild zu dienen hatte. Man war preußisch und treu zum Königshaus gesinnt. 1901–1906 besuchte er das Evangelisch-Stiftische Gymnasium in Gütersloh, eine Eliteschule für Kinder streng protestantischer Familien. Anschließend studierte er in Leipzig, Heidelberg und Berlin. 1911 promovierte er mit einer Arbeit über die preußischen Konservativen zur Zeit Bismarcks bei Hermann Oncken, der für das Konzept des Historikers als nationaler Erzieher stand und den Ritter laut seinem Biographen Christoph Cornelißen wie einen Abgott verehrte. Noch vor seinem Hochschulabschluss versuchte Ritter selbst Artikel in großen Zeitungen unterzubringen, wobei er mehr als sein Doktorvater in seinen Schriften wertete. Er war dabei konservativ, aber nicht völkisch gesinnt. Eigentlich strebte er nach einer akademischen Laufbahn, aber aus wirtschaftlichen Gründen legte Ritter die Staatsexamen für die Schullaufbahn ab. 1914 wies man ihm eine Lehrerstelle in Magdeburg zu. Tatsächlich empfand er Freude an seiner pädagogischen Arbeit mit Schülern. Laut Cornelißen übertrug er diesen Impetus später auf die ganze Nation und legte die Haltung des preußischen Oberlehrers niemals ab. Bei Kriegsausbruch meldete er sich nicht freiwillig, zeigte sich jedoch erfreut, als er 1915 seine Einberufung erhielt. Er wurde im Laufe des Krieges zum Leutnant befördert und mehrfach verwundet. Die Niederlage traf ihn schwer, und die Annahme des Versailler Vertrages erschien ihm als das Ende der deutschen Geschichte nach tausend Jahren. Zwar wollte er den Kaiser nicht zurück, aber das politische System der Monarchie erhalten. Daher betätigte er sich für die in den Jahren nach 1918 republikfeindlich gesinnte DNVP als Wahlkämpfer. In seinen Reden bestritt er jede deutsche Kriegsschuld. Auf keinen Fall sollte die eigene nationale Vergangenheit in Frage gestellt werden, um die Fundamente des Bismarckreiches nicht zu zerstören. Seinen beruflichen Schwerpunkt legte Ritter aber weiter auf die von ihm angestrebte akademische Karriere. Dabei profitierte er von dem engen Verhältnis zu seinem einflussreichen Doktorvater Oncken, der auch Ritters 1920 abgeschlossene Habilitation betreute. Ritter wurde im Anschluss Privatdozent in Heidelberg und schließlich 1924 als Ordinarius nach Hamburg berufen. Bereits 1927 wechselte er nach Freiburg, da diese Universität einen besseren Ruf genoss. Ihn beschäftigte eine große Bandbreite an Themen, die die gesamte Neuzeit umfasste. Seine wichtigsten Werke aus dieser Zeit waren die Biographien L ­ uthers (1925)115 und des Freiherrn vom Stein (1931).116 Seine Vortragstätigkeit für die DNVP beendete er dagegen schon 1923 wieder und verlegte sich lieber auf ein akademisch gebildetes Publikum wie es der Tradition deutscher 114 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus verschiedenen Werken, insbesondere Cornelißen, Ritter; Schwabe, Change, S. 83–86. 115 Ritter, Luther. 116 Ders., Stein.

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Gelehrtenpolitik entsprach. Mit Meineckes Schule setzte er sich zudem intensiv auseinander und warf ihr vor, nicht mit der notwendigen Anschaulichkeit zu schildern, die er als erforderliches Stilmittel des politischen Historikers für eine »populäre« Darstellung für nötig erachtete und selbst zu erfüllen glaubte. Er orientierte sich im Laufe der zwanziger Jahre etwas mehr zur politischen Mitte hin, wollte indes nicht an Meineckes Kreis verfassungstreuer Hochschullehrer teilnehmen. Eher fühlte er sich der rechtsliberalen DVP nahe, der er aller­ dings nur kurzzeitig als Mitglied angehörte. Mehr als der Parlamentarismus sagten ihm die Präsidialregimes Brünings und von Papens zu, da er fürchtete, zuviel Demokratie könne zur Diktatur radikalisierter Massen führen. An seinen eigenen Einflussmöglichkeiten auf die öffentliche Meinung zweifelte er dabei nicht. Im Februar 1933 plante er etwa ein Buch zu schreiben, das den Weg zur Gründung einer nationalen Partei der Mitte öffnen sollte. Auch wenn niemand derzeit auf Historiker höre, meinte er, werde das Volk bald von Nazis und anderen Agitatoren genug haben; dann werde der Moment folgen, an dem die Geschichtswissenschaftler auf ihre Aufgabe vorbereitet sein müssten. Der Nationalsozialismus widerte Ritter an, aber auch er forderte die politische Re­v ision des Weimarer Systems, ohne zu sagen, wo deren Grenzen sein sollten. Mit seinen publizistischen Aktionen gegen die Massengesellschaft trug er zur Zerstörung jener Basis mit bei, die er als notwendig für die Verantwortung des Einzelnen erachtete. Er warnte vor politischen Abenteuern, goss jedoch mit seinen Forderungen nach Gleichberechtigung Deutschlands Öl ins Feuer. Als die NSDAP im März 1933 die Wahlen gewann, soll Ritter geweint haben. Er beteiligte sich nicht an dem Aufruf vieler deutscher Professoren zugunsten des neuen Systems im Dezember 1933 und war unter den neuen Machthabern nicht wohlgelitten. Jedoch erst nach einem Disput mit einem nationalsozialistischen Historiker auf dem Internationalen Historikerkongress in Zürich 1938 erhielt er keine Rufe anderer Universitäten mehr und wurde auch nicht mehr um Gutachten gefragt. Obwohl er selbst nicht frei von antisemitischen Ressentiments war, setzte er sich vielfach für verfolgte jüdische Kollegen ein. Allerdings lobte er die neue Außenpolitik, zum Beispiel den »Anschluss«. Seine Biographie Friedrichs des Großen117 sah er als Ablehnung des Nationalsozialismus. Tatsächlich enthielt sie entsprechende Aussagen, gleichfalls aber Vieles, das man als Loblied auf das neue Regime verstehen konnte und auch so verstand. Das Gleiche galt für Machtstaat und Utopie (1940),118 wenngleich dieses Buch kritisches Potential entfaltete und unter anderem bei den Geschwistern Scholl Wirkung hinterließ. Im Zweiten Weltkrieg hielt Ritter einerseits Propagandareden vor deutschen Soldaten, obwohl er von Verbrechen wusste. Andererseits engagierte er sich führend in der Bekennenden Kirche Badens, hatte Kontakte zu Dietrich Bonhoeffer, Ludwig Beck, Carl Goerdeler und verfasste Denkschriften für die Zeit nach dem Krieg. Damit beging Ritter im Nationalsozialismus Hoch117 Ders., Friedrich der Große. 118 Ders., Machtstaat und Utopie.

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verrat und riskierte sein Leben. Allerdings war er weder in die Attentatspläne des 20. Juli involviert noch wusste er überhaupt davon, obwohl er das später behauptete. Wegen seiner Verbindungen zu Goerdeler wurde er am 2. November 1944 dennoch von der Gestapo verhaftet und ins KZ gebracht. Goerdeler sagte aber zu Ritters Gunsten aus und kurz darauf zerstörte ein Luftangriff Ritters Untersuchungsakten. Während Mitgefangene wie Bonhoeffer noch in den letzten Kriegstagen ermordet wurden, kam Ritter frei. Nach seiner Rückkehr nach Freiburg beteiligte er sich maßgeblich am Wiederaufbau der Universität. Er war dort auch für die Entnazifizierung mitverantwortlich und entschied, wie die meisten seiner Kollegen, in Zweifelsfällen immer zugunsten der Delinquenten. Scharfe Kritik übte er mitunter eher an der französischen Besatzungsmacht, die er für Missstände verantwortlich machte. Der Besatzung selbst galt Ritter daher bald als Nationalist. Seine Versuche, politische Organisationen zu gründen, wurden dementsprechend verboten. Ritter hatte auf die Bildung einer neuen Elite und ein korporatives, ständisches System abgezielt, das den Einfluss von Massenparteien begrenze. Spätestens nachdem Konrad Adenauer seine politische Durchsetzungsfähigkeit unter Beweis gestellt hatte, sympathisierte er immer mehr mit der CDU. Allerdings trat er dieser Partei nie bei und empfand sich auch nicht als konservativ, sondern als liberal, wobei er jedoch klar zwischen Liberalismus und Demokratie unterschied. Seine Reformationsforschung, auf die er sich im Nationalsozialismus teilweise zurückgezogen hatte, vernachlässigte er nun bewusst, um sich der aktuellen Vergangenheit zu widmen. Es war ihm als Konsequenz der Zäsur von 1945 wichtiger, seinem Volk als politischer Publizist statt als wissenschaftlicher Historiker zu dienen. Am 10.  September 1946 schrieb er Meinecke etwa, nie zuvor habe er so klar die nationalpolitische Aufgabe des Historikers gesehen. Man müsse ohne starren Konservatismus zu einem Neuanfang helfen, andererseits aber die Kontinuität des Geschichtsdenkens sichern, damit kein katastro­phaler Abbruch der Traditionen stattfinde und nicht das völlige Chaos politischer und moralischer Verzweiflung einbreche. Kaum ein anderer Geschichtswissenschaftler, so meinte er selbst, habe für die Erziehung des Volkes eine solche moralische Grundlage nach dem Nationalsozialismus wie er.119 Ritter war nach dem Zweiten Weltkrieg schon außerhalb der Disziplingrenzen bekannt und verfasste Beiträge für nicht fachgebundene Medien. Daneben wurde er seit Ende 1945 auch politischer Berater der Leitung der EKD und übte einige Jahre Einfluss in der Kirchenpolitik aus, wobei er dieses Engagement 1951 einstellte, da er mit seinen Ideen nicht mehr durchdrang. Insgesamt ging die Intensivierung von Ritters öffentlicher Praxis außerhalb der Disziplin mit seinem Aufstieg an die Spitze der deutschen Geschichtswissenschaft einher. Er organisierte maßgeblich die Gründung des neuen Historikerverbandes am 12. Oktober 1948 und wurde 1949 dessen erster Vorsitzender. Im 119 Siehe etwa Brief Ritters an Wilhelm Röpke, 10.11.1945 in: Ritter, Ein politischer Historiker, S. 404 f.

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Zuge dieses Karriereschubes schrieb er in erheblicher Zahl Artikel zu zeithistorischen Themen in großen Tageszeitungen oder sprach dazu im Rundfunk, vor allem bis Mitte der fünfziger Jahre. Auf geradezu egozentrische Weise maß er seinen öffentlichen Stellungnahmen eine erhebliche Bedeutung zu.120 Dabei stellte die öffentliche Praxis in den Massenmedien für ihn überdies einen erklecklichen Nebenverdienst dar. Geradezu »erschüttert« vor Freude war er, als der FAZ-Heraus­geber Paul Sethe ihm beispielsweise anbot, einen zu langen Artikel in zwei Teilen zu bringen und auch mit doppeltem Honorar zu entlohnen.121 Vor allem unmittelbar nach dem Krieg schrieb Ritter viele Artikel auch, weil er Geld brauchte. Im Mai 1949 bat er etwa die evangelische Kulturzeitschrift Zeitwende um die Veröffentlichung eines seiner Aufsätze, da er die Hochzeit seines Sohnes finanzieren müsse und daher »reichlich short of money« sei. In diesem Brief beklagte er sich sogar, dass er deswegen gar nicht im notwendigen Maße zu seiner eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit komme.122 Überdies nahm er gerne Anfragen zu privaten Vorträgen, etwa vor Industrie- und Handelskammern, an, da er hierdurch noch mehr Geld verdienen konnte als in den Medien.123 Daneben verkauften sich auch seine Bücher außerordentlich gut, besonders im hier interessierenden Zeitraum 1945–1960.124 Als Folge seiner wissenschaft­ lichen Reputation war er ferner von staatlicher Seite als Experte und Gutachter gefragt. Indes dürfen diese kommerziellen Motive nicht zu hoch eingeschätzt werden. In erster Linie ging es Ritter um seinen grund­sätzlichen Einfluss auf die öffentliche Meinung. Für seine wirklich wichtigen Projekte, etwa die Goer­ deler-Biographie,125 an der er 1953/54 intensiv arbeitete, verzichtete er meist auch auf einträgliche Angebote großer Tageszeitungen.126 Honorare waren für ihn außerdem nicht nur Geld, sondern Bestätigung seiner Bedeutung und Leistung. So hielt er es für unter seiner Würde, selbst Honorar­forderungen zu stellen, war jedoch empört, wenn Angebote unter seinen Er­wartungen blieben.127 120 Ritter reagierte empört und unwillig, wenn seine Beiträge gekürzt werden sollten. 1958 verlangte er von der Hannoverschen Allgemeinen, ihm einen Artikel lieber zurückzuschicken als ihn zu kürzen. Siehe hierzu Brief Ritters an die Hannoversche Allgemeine Zeitung, 11.12.1958, in: BArch, Nl Ritter 370. Siehe auch Brief Ritters an das Sonntagsblatt, 3.8 1948, in: BArch, Nl Ritter 361. 121 Brief Ritters an Sethe, 18.3.1954, in: BArch, Nl Ritter 342. 122 Brief Ritters an die Zeitwende, 21.5.1949, in: BArch, Nl Ritter 362. 123 Siehe etwa Brief Hellmuth Herkers, Hauptgeschäftsführer der Niederrheinischen Industrie- und Handelskammer, an Ritter, 30.7.1953, in: BArch, Nl Ritter 365. 124 Lt. Cornelißen setzte Ritter in diesen fünfzehn Jahren insgesamt 150.000 Exemplare seiner Bücher ab. Vgl. Cornelißen, Ritter, S. 624 f. Zudem wurde er auch im Ausland bekannt und seine Werke wurden in etliche Sprachen übersetzt. 125 Ritter, Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung. 126 Siehe etwa Brief Ritters an die Welt am Sonntag, 8.10.1953, in: BArch, Nl Ritter 366. 127 Am 3.4.1950 warf er etwa der Hannoverschen Allgemeinen vor, ein Honorar von unter 100,- DM sei ihm zuvor für einen Artikel noch niemals zugemutet worden. Siehe hierzu BArch, Nl Ritter 363. Zur grundsätzlichen Ablehnung Ritters von Honorarforderungen siehe seinen Brief an Universitas vom 10.7.1946, in: BArch, Nl Ritter 359.

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Seit 1956 machte sich bei Ritter immer stärker ein Augenleiden bemerkbar, weswegen er seine Tätigkeit reduzieren musste und sich auf die wissenschaft­ lichen Hauptwerke konzentrierte, die er noch schreiben wollte.128 Dabei handelte es sich in erster Linie um die Fortsetzungsbände seines 1954 erschienenen Buches Staatskunst und Kriegshandwerk129 zum Problem des Militarismus. Ritter wurde 1956 emeritiert, saß seit 1955 aber im Beirat des Weltverbandes CISH und war 1962–1965 sogar CISH-Vizepräsident. Dort empfand er sich nicht nur als Historiker, sondern nicht zuletzt auch als Kämpfer für die Politik der Westintegration und gegen die Anerkennung der DDR. Ritter starb am 1. Juli 1967. Ludwig Dehio130 wurde am 25. August 1888 in Königsberg geboren. Sein Vater, der Kunsthistoriker Georg Dehio, gehörte zur Elite des wilhelminischen Bürgertums. Im Jahr 1892 siedelte die Familie nach Straßburg über, wo Dehio 1906 sein Abitur ablegte und anschließend auch studierte. Nach Ableistung seines Militärdienstes schrieb er eine Doktorarbeit über Papst Innozenz IV. und England, die er 1913 bei Harry Bresslau einreichte. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde er eingezogen. Nach seiner Be­ förderung zum Leutnant und Kompanieführer erlitt er im Mai 1915 eine schwere Verwundung. Anschließend war er nur noch bedingt einsatzfähig und diente hinter der Front als Gerichts- und dann als Gasschutzoffizier. In Briefen schrieb er allerdings voller Euphorie über seine Kriegserfahrungen. Noch 1946 beurteilte er seine Erlebnisse im Ersten Weltkrieg überwiegend positiv. Dehio war in dieser Zeit kompromisslos patriotisch, teils nationalistisch und seine Siegeszuversicht unbedingt. Er sympathisierte mit der Vaterlandspartei, die unnachgiebig den »Siegfrieden« proklamierte. Die Niederlage 1918 und auch die Vertreibung seiner Familie aus Straßburg bedeuteten für ihn ein einschneidendes Erlebnis. Er selbst entschied sich nach dem Krieg für den Archivdienst und nicht für eine Gelehrtenkarriere, einmal aus finanziellen Gründen und auch weil seine Gesundheit beeinträchtigt war. Im April 1920 legte er das Archivexamen ab und erhielt 1921 eine Anstellung am Geheimen Staatsarchiv Berlin. Nebenbei betätigte er sich als Dozent am Institut für Archivwissenschaft und geschichts­ wissenschaftliche Fortbildung. Wie er selbst rückblickend zugab, gehörte er zu den Gegnern der Weimarer Republik, fühlte sich eher den Rechtsparteien zugeneigt. 1926/27 war er kurzzeitig Mitglied der DNVP. Im März 1932 unterzeichnete er den Wahlaufruf für Hindenburg als Reichspräsident in der Vossischen Zeitung, der von zahlreichen Historikern unterstützt wurde.

128 Siehe etwa Brief Ritters an die Rheinpfalz, 22.2.1957, in: BArch, Nl Ritter 369. 129 Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk. 130 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus verschiedenen Werken, insbesondere Berghahn; Beckers, S. 14–21.

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1933 ernannte man Dehio noch zum Leiter des Brandenburg-Preußischen Hausarchivs der Hohenzollern und im März des gleichen Jahres erfolgte seine Wahl in die Historische Reichskommission. Kurz danach endete seine Karriere allerdings abrupt, denn Dehio wurde durch die NS-Gesetzgebung als »Mischling zweiten Grades«, also sogenannter »Vierteljude«, eingestuft. Es galten nicht so starke Einschränkungen wie bei anderen »Nichtariern«, aber »Vierteljuden« durften nicht Beamte, Rechtsanwälte oder Journalisten werden (und auch keinen Parteigliederungen beitreten). Des Weiteren konnte Dehio nicht mehr ­publizieren und die HZ wies seine Aufsätze zurück. Es folgte der Ausschluss aus der Historischen Reichskommission, und auch seine Lehrtätigkeit am Institut für Archivwissenschaft musste er aufgeben. Dass er trotz seines intensiven Nationalgefühls durch die »Arierparagraphen« des Nationalsozialismus ausgegrenzt wurde, traf ihn schwer. Er meinte, sein Nationalgefühl könne man ihm nicht nehmen, fragte aber seine Freunde und Bekannten, ob sie ihn weiterhin als Deutschen anerkennten. Dabei hatte Dehio dem Nationalsozialismus ursprünglich nicht feindlich gegenüber gestanden. Noch im Mai 1933 hatte er er verhaltene Zustimmung zum neuen Regime geäußert und sich von ihm den Wiederaufstieg Deutschlands erhofft. Da er nicht öffentlich auftreten durfte, hielt er historisch-philosophische Privatvorträge und unterhielt lockere Beziehungen zur Bekennenden Kirche. 1943 wurde das Hohenzollernarchiv bei einem Bombenangriff zerstört und Dehio in anderen Archiven eingesetzt, 1945 schließlich nach Marburg abgeordnet. Das Kriegsende begrüßte er als Befreiung. Erst nach dem Krieg, im Alter von fast sechzig Jahren, erlangte Dehio Bedeu­ tung in der Geschichtswissenschaft. Bereits im August 1946 war er Leiter des Marburger Staatsarchivs geworden und blieb es bis zu seiner Pensionierung 1954. Dort gründete und leitete er auch die Marburger Archivschule. Im Januar 1946 wurde er auf Meineckes Empfehlung hin zudem der neue Herausgeber der HZ und behielt dieses Amt bis 1957, als er aus gesundheitlichen Gründen verzichtete. Seit 1946 gehörte er ferner als ordentliches Mitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften an und wurde 1950, offensichtlich auf Betreiben von Bundespräsident Theodor Heuss, in den Beirat des IfZ berufen. Maßgeblich für seinen wissenschaftlichen Erfolg war nicht zuletzt sein Werk Gleichgewicht oder Hegemonie,131 das im Jahr 1948 erschien. Schon im Wintersemester 1945/46 lehrte er auch an der Universität Marburg und erreichte im September 1946 die Ernennung zum Honorarprofessor.132 Er beschäftigte sich in seinen Vorlesungen mit europäischer Geschichte seit 1494, die sich regen Zuspruchs bei den Studenten erfreuten (1946 über zweihundert131 Dehio, Gleichgewicht oder Hegemonie. 132 Dehio war der einzige Vertreter des westdeutschen Samples, der sich niemals habilitierte. Durch die Ernennung zum Honorarprofessor am 30.9.1946 erhielt er gleichzeitig auch die universitäre Lehrerlaubnis. Für diesen Hinweis danke ich Herrn Helmut Klingelhöfer vom Staatsarchiv Marburg.

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fünfzig in einer Vorlesung). Dehio behandelte keine Details, sondern große ­Linien in der gesamten Geschichte der Neuzeit. Ordinarius wurde er allerdings nie. Zwar hätte er gern einen Lehrstuhl gehabt, doch als man ihm denjenigen Wilhelm Mommsens anbot, lehnte er ab. Vor allem wollte er nicht als »nicht­ arischer Konjunkturritter«133 gelten. Direkt nach dem Krieg engagierte Dehio sich noch nicht außerhalb des Wissenschaftsbetriebes. Als Meinecke ihn am 21. Juli 1947 in einem Brief aufforderte, die gesellschaftliche Verantwortung in verschiedenen Medien stärker wahrzunehmen, unterstrich sich der Marburger Professor bezeichnenderweise nur die genannte akademische Zeitschrift. Dennoch spielte Meinecke, zu dem Dehio ein enges Verhältnis pflegte und dem er häufig schrieb, auch eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Dehios öffentlicher Praxis. Mehrfach drängte Meinecke ihn, seine Ansichten einem größeren Publikum zu vermitteln.134 Seit Beginn der fünfziger Jahre schrieb Dehio dann häufiger in Tageszeitungen und sprach im Rundfunk. Er sah die geistige Persönlichkeit bedroht und forderte deshalb eine Geschichtswissenschaft mit politischem Engagement. Täglich rechnete er mit dem Ausbruch des Dritten Weltkrieges, eines Endkampfs gegen das Übel des Kommunismus. Statt den Nationalstaat wollte der Marburger Professor in erster Linie das westliche Abendland verteidigen. Antrieb seiner öffentlichen Praxis in den Massenmedien war dabei von Anfang an ein religiöser Drang. Schon 1946 meinte er in einem Brief an Meinecke, Geschichte müsse von nun an als Buß- und Erfahrungspredigt geschrieben werden.135 Allerdings steigerte er sich in diese religiöse Vorstellung hinein. Sein dauerhaftes Warnen vor der kommunistischen Bedrohung empfand er bald als eine Mission Gottes. Ende Juni 1956 wandte er sich in seinem Tagebuch direkt an Gott: »[…] wie soll ich jetzt sein, mein Gott? Missio? Soll ich mich verbrauchen in der immer verwirrteren westdt. Tagespolitik, die unablässig absteigt?«136 Am 10. November 1958 diskutierte er an gleicher Stelle sein eigenes Martyrium, sprach von seinem Weg in Tod und Unsterblichkeit, wenn die Sowjetunion sich in der Politik durchsetze.137 Gerade dieses Gefühl, einer gött­lichen Berufung zu folgen, führte dazu, dass Dehio seine öffentliche Praxis in den Massenmedien beibehielt und zeitweise intensivierte, obgleich er immer pessimistischer in die Zukunft sah. In den Jahren nach der Zäsur näherte Dehio sich dem Katholizismus an und konvertierte noch im Alter von siebzig Jahren. Nach schwerer Krankheit starb er am 24. November 1963. 133 Vgl. Beckers, S. 20. 134 Am 8.12.1949 empfahl er Dehio etwa, seine Vorträge an den Monat zu schicken, der viel gelesen werde, setzte sich auch bei Verlagen für ihn ein. Siehe GPStA, VI. HA, Nl Meinecke 187 bzw. 209. 135 Brief Dehios an Meinecke, 17.10.1946, in: GPStA, VI. HA, Nl Meinecke 209. 136 StA Marburg, Nl Dehio 340 C, Kasten C7. 137 Ebd.

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Hans Rothfels138 wurde am 12.  April 1891 als Sohn eines Justizrates in Kassel geboren. Obwohl sein Vater ein repräsentatives Amt in der Synagoge ausübte, erzog er seine Kinder nicht im jüdischen Glauben. Hans Rothfels selbst, der 1910 zum Protestantismus konvertierte, machte 1909 Abitur und studierte anschließend in Freiburg, München und Berlin. Sein wichtigster Lehrer war Meinecke. 1914 meldete er sich bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs freiwillig. Er wurde zum Leutnant befördert, aber kurz darauf schwer verletzt; ein Bein musste amputiert werden. Er litt sehr darunter, nicht mehr kriegstauglich zu sein. Die Niederlage von 1918 und der Zusammenbruch der Monarchie waren für ihn eine Katastrophe unerhörten Ausmaßes und er suchte in der Folge nach dem Sinn der deutschen Geschichte. Zwar kam er bald zu der Überzeugung, der Untergang der Monarchie habe erfolgen müssen, da diese hinter den Notwendigkeiten der historischen Entwicklung zurückgeblieben sei. Die Einführung der Demokratie empfand er jedoch als geschichtslose und willkürliche Manipulation. Es erschütterte ihn, wie Interessen von innen und außen den Staat umher stoßen konnten. 1918 promovierte er auf Meineckes Rat hin bei Hermann Oncken über Carl von Clausewitz. Diese Arbeit sollte ihm die Möglichkeit geben, sich weiterhin für Deutschland einzusetzen, da es militärisch nicht mehr möglich war. Er erhielt in der Folge eine Stelle im Reichsarchiv Potsdam und beteiligte sich an der Kriegsschuldforschung, einem »Weltkrieg der Dokumente«139, den Deutschland, Frankreich und Großbritannien gegeneinander austrugen. Zudem lag ein Schwerpunkt von Rothfels’ wissenschaftlicher Arbeit auf der Bismarck-Forschung. 1923 habilitierte er sich bei Meinecke und wurde nach einiger Lehrerfahrung in Berlin drei Jahre später als Professor für Neuere Geschichte nach Königsberg berufen. Alle diese frühen akademischen Zugänge verdankte er seinem Mentor Meinecke. Es kam aber bisweilen zu erheblichen politisch motivierten Streitigkeiten zwischen beiden, denn Rothfels war ein Gegner der Republik und äußerte sich abfällig über demokratisch gesinnte Kollegen. Die Atmosphäre an der Universität Königsberg war politisch aufgeheizt, da Ostpreußen keine direkte Verbindung zum übrigen Deutschen Reich mehr hatte und dort die Forderungen nach einer Revision des Versailler Vertrages zugunsten einer Neuordnung Osteuropas unter deutscher Hegemonie besonders laut wurden. Auch Rothfels beschränkte sich nicht darauf, sich mit Deutschlands Rolle in Osteuropa nur in akademischen Arbeiten zu befassen. Empfand er es anfangs noch als unangenehm, vor einem nicht-akademischen Publikum, vor rechten, teils antisemitischen Republikgegnern zu sprechen, fand er sich bald immer öfter dazu bereit. Immer schärfer kritisierte er auch die Versailler Verträge und seine Rede zu Ehren des Freiherrn vom Stein am Verfassungstag 1931 138 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus verschiedenen Werken, insbesondere Eckel, Rothfels; Weber, S. 488. 139 Vgl. Eckel, Rothfels, S. 40.

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war ein explizites Gegenprogramm zu dem Versuch, mit Stein eine demokratische deutsche Tradition zu begründen. Zu seinen Studenten hatte Rothfels ein sehr enges Verhältnis. Mit ihnen traf er sich privat und holte etliche 1931 auch aus einem Polizeikordon, nachdem sie sich an einer gewaltsamen Demonstration gegen den Versailler Vertrag beteiligt hatten. Dass Geschichtswissenschaft eine nationalpolitisch relevante Tätigkeit sei, war für Rothfels selbstverständlich. Aber er engagierte sich deswegen nicht als politischer Publizist oder in Parteien. Seine Meinungen artikulierte er, abgesehen von seinen demokratiefeindlichen Reden, fast nur in historiographischen Texten. Er machte sich also nicht die politischen Ziele der Rechtsintellektuellen zu eigen, sondern  – so formuliert es sein Biograph Jan Eckel – reproduzierte deren Denkfiguren in der Geschichtswissenschaft: Wie der Staatsrechtler Carl Schmitt, der Philosoph Martin Heidegger oder der Soziologe Hans Freyer lieferte Rothfels damit eine disziplinäre Version des rechten Ideenamalgams. Bezeichnenderweise gab es nach dem 30.  Januar 1933 keinerlei inhaltliche Kritik an Rothfels. Der Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 war für ihn jedoch ein tiefer Einschnitt, denn er stellte seine persönliche Existenz, aber auch seine Staats- und Geschichtsauffassung in Frage. Er glaubte schließlich an den willens- und leistungsmäßigen, freilich nicht den blutsmäßigen Deutschen. Dabei stimmte er dem Nationalsozialismus doch in vielem zu, sogar dem kulturellen Antisemitismus, aber nicht dem rassistischen. 1934 wurde er dann als »Volljude« emeritiert und musste nach Berlin umziehen. Er erhielt wenig Unterstützung im Fach, nur Ritter war bereit, sich öffentlich für ihn einzusetzen. Eine Zeitlang bemühte er sich, seine Forschungen privat fortzusetzen und veröffentlichte eine Studie über den preußischen Staatsmann Theodor von Schön (1937)140. 1936 verlor Rothfels indes all seine akademischen Mitgliedschaften, und 1938 erfolgte für alle »Juden« das Verbot der Archivbenutzung. In der Pogrom­nacht wurde er verhaftet, kam jedoch durch Glück wieder frei. Nahezu in letzter Minute erhielt er im Sommer 1939 ein Forschungsstipendium am St. John’s College in Oxford und wanderte mit seiner Familie nach England aus, wo er nach Kriegsbeginn 1940 als feindlicher Ausländer interniert wurde. Bald darauf bot man ihm aber eine Gastprofessur an der Brown University Providence in Rhode Island an und er siedelte in die USA über. Dort lehrte er bis 1946 und wechselte anschließend zur Universität Chicago. Auch nahm er die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an. Erst 1949 kehrte er für eine mehrmonatige Reise nach Deutschland zurück und folgte 1951 schließlich einem Ruf an die Universität Tübingen. Laut Eckel war er in den USA niemals heimisch geworden. Noch in den USA hatte er mit seinem Buch über den deutschen Widerstand versucht, sich für eine Rehabi­ litierung weiter Teile der deutschen Bevölkerung gegen den Vorwurf der mas140 Rothfels, Theodor von Schön.

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senhaften Zustimmung zum Nationalsozialismus einzusetzen.141 In der frühen Bundesrepublik gehörte er rasch zu den dominierenden Vertretern der Geschichtswissenschaft. Er bekleidete wesentliche Leitungsfunktionen, so war er 1958–1962 Vorsitzender des Historikerverbandes und seit 1953 Herausgeber der VfZ. 1959 wurde er emeritiert, vertrat sich in Tübingen aber noch einige Semester selbst. Seine historiographischen Projekte waren stets sehr politiknah. Die Vertreibungsdokumentation (deren Wissenschaftlicher Kommission er angehörte) wurde vom Vertriebenenministerium geleitet. Mit der vom Außenministerium betreuten Aktenedition zur auswärtigen Politik (hier war er seit 1959 Haupt­ herausgeber) meinte er, ein kleines Stück NATO-Politik zu betreiben. Ferner etablierte er sich im IfZ-Beirat als Bindeglied zu dem mit politischen Vertretern besetzten Kuratorium. Dabei galt Rothfels als eigentlicher Leiter des IfZ, das nicht nur wissenschaftlich arbeiten, sondern überdies demokratische Erziehungsarbeit leisten wollte.142 Auch die deutsche Teilnahme am Internationalen Historikerkongress in Stockholm 1960 bereitete er in enger Abstimmung mit politischen Stellen vor. Wie schon 1933 bei der deutsch-polnischen Auseinandersetzung in Warschau sah Rothfels den Gelehrtenaustausch 1960 als Fortführung politischer Konflikte an. Die enge Bindung an die Regierungs­ politik entsprach dem Bild einer staatstragenden Wissenschaft, wie Rothfels sie konzipierte. Durch seine Reputation und Stellung in der Wissenschaft, aber auch als moralische Instanz als »Jude« und Remigrant, besaß er etliche Möglichkeiten zur öffentlichen Praxis in den Massenmedien. Mitunter nutzte er diese Gelegenheiten, schrieb für Zeitungen und sprach im Rundfunk. Insgesamt nahm sich seine außerwissenschaftliche Tätigkeit allerdings keineswegs so umfangreich aus wie diejenige Ritters oder Heimpels. Rothfels wollte, wie schon in der Weimarer Republik, wirken, indem er aktuell wichtige Themen in der Geschichtswissenschaft verarbeitete. Durch außerfachliche öffentliche Praxis ein breites Publikum anzusprechen, beabsichtigte er kaum. Vielmehr neigte er dazu, enge Kontakte zu wichtigen Medienverantwortlichen wie beispielsweise Marion Gräfin Dönhoff, Herbert Bahlinger oder Karl Silex zu pflegen, welche die von ihm verfochtenen Ansichten auf ihre Weise der Öffentlichkeit vermitteln konnten. Gräfin Dönhoff etwa schrieb Rothfels im September 1954, niemand kämpfe in Deutschland so sehr gegen rechte Ressentiments wie er. Wenn sie zu resignieren beginne, nehme sie sich ihn zum Vorbild.143 Tagesspiegel-Chefredakteur Silex hielt kritische Leserbriefe zur deutsch-belgischen Historikererklärung zurück, um zunächst Rothfels’ Stellungnahme zu 141 Ders., The German Opposition to Hitler. In deutscher Übersetzung: Die deutsche Opposition gegen Hitler. 142 Prägend für die westdeutsche Historiographie war auch Rothfels’ Definition der Zeit­ geschichte als Epoche der Mitlebenden, die er mit dem Jahr 1917 ansetzte. Siehe hierzu Rothfels, Zeitgeschichte. 143 Brief Gräfin Dönhoffs an Rothfels, 18.9.1954, in: BArch, Nl Rothfels 158.

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hören.144 An einer mittelbaren öffentlichen Praxis orientierte Rothfels sich auch in der Wissenschaftspolitik. So hielt er etwa den Kieler Ordinarius Michael Freund für einen schlechten Historiker, der Richtigkeit der Wirkung opfere. Aus diesem Grund ließ er Freund auch nicht in den VfZ schreiben. Gerade diese oberflächliche Darstellung erschien Rothfels aber insofern als ein Vorteil, da Freund keine nazistische Tendenz verfolge. Damit erschien er ihm als ein guter Vermittler von Grundwerten, die Rothfels selbst teilte, und deshalb übte er als VfZ-Herausgeber keine wissenschaftliche Kritik an Freund.145 Rothfels besaß noch über das Jahr 1960 hinaus Einfluss in der Geschichtswissenschaft und starb am 22. Juni 1976. Hermann Heimpel146 wurde am 19. September 1901 in München als Sohn eines leitenden Bahnbeamten in eine protestantische Familie geboren. Am Ersten Weltkrieg nahm er nicht mehr teil, aber noch vor seinem Abitur trat er im Mai 1919 in ein bayerisches Freikorps ein, das sich am Kampf gegen die linke Räterepublik beteiligte.147 Nach dem Ende der Unruhen studierte er in München und Freiburg mittelalterliche Geschichte, promovierte 1926 über das Gewerbe der Stadt Regensburg im 15. Jahrhundert bei Georg von Below, bei welchem er sich schon ein Jahr später auch habilitierte. Anschließend erhielt er eine Stelle als Wissenschaftlicher Assistent bei Ritter in Freiburg und wurde 1931 ebendort Professor für mittelalterliche Geschichte. In seinen Studienjahren hatte Heimpel Kontakte zu völkischen Kreisen gehabt und war sogar Zeuge von Hitlers Putschversuch im Bürgerbräukeller am 8. November 1923 gewesen. Allerdings konzentrierte er sich in der Folgezeit auf seine wissenschaftlichen, nicht die politischen Ambitionen. Dabei wollte er in seiner Forschung das spezifisch Deutsche in der Geschichte analysieren, wenngleich er sich nicht von völkischer Mittelalterbegeisterung mitreißen ließ. Schon in den zwanziger Jahren betrachtete er eine patriotische Gesinnung und Gegenwartsbezüge bei seinen historischen Untersuchungen als sinnvolle Erweiterung des Geschichtsbewusstseins. Zwar setzte er sich gemeinsam mit Ritter 1933 für einen entlassenen jüdischen Kollegen ein, grundsätzlich aber begrüßte er die Machtübernahme der Nationalsozialisten als Einigung der Nation und verlieh dieser Ansicht auch in seinen Vorlesungen Ausdruck. Der NSDAP trat er allerdings nicht bei. Dies verwundert weniger, wenn man bedenkt, dass Heimpel schon vor der NS-Machtübernahme Professor und damit beruflich 144 Brief Silex’ an Rothfels, 20.5.1958, in: BArch, Nl Rothfels 2. Die Leserbriefe, die sich gegen die Anerkennung deutscher Kriegsverbrechen in Belgien im Ersten Weltkrieg wandten, wurden nicht abgedruckt. 145 Brief Rothfels’ an George O. Kent am 16.1.1957, in: BArch, Nl Rothfels 1.  146 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus verschiedenen Werken, insbesondere Weber, S. 221 f.; Boockmann, S. 10–33; Schulin, Heimpel, S. 26–40. Einige persönliche Daten entstammen zudem dem Fragebogen des Kuratoriums zur Neufestsetzung des Besoldungsdienstalters, 16.10.1959, in: MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 15. 147 Lt. Boockmann war sein Freikorpseinsatz aber marginal. Vgl. hierzu Boockmann, S. 10.

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etabliert war. Er war dadurch weniger als jüngere Kollegen auf politische Protektion angewiesen. Bei seinem Wechsel zur Universität Leipzig 1934 profitierte er von der antisemitisch motivierten Entlassung seines Vorgängers Siegmund Hellmann. Hellmann war einer von Heimpels Lehrern an der Universität München ge­wesen. Beide standen auch in Kontakt miteinander, der aber im Laufe der dreißiger Jahre abbrach (Hellmann starb 1942 im KZ Theresienstadt). Im August 1939 wurde Heimpel zur Wehrmacht eingezogen. Er erreichte rasch die Beförderung zum Leutnant und erlitt im Krieg gegen Frankreich eine Verwundung. Daraufhin entließ man ihn wieder ins Zivilleben. 1941 erhielt er einen Ruf nach Straßburg an eine sogenannte Reichsuniversität, die im Gegensatz zu den traditionellen Hochschulen auf einen kämpferischen deutschen Charakter verpflichtet war. Nach seiner Flucht vor dem alliierten Vormarsch lehrte er noch 1944/45 in Göttingen, wohin er nach dem Krieg 1946 offiziell berufen wurde. Schon vor der Zäsur hatte Heimpel sich außerwissenschaftlich eingemischt, sowohl durch seinen Freikorpseinsatz als auch im Nationalsozialismus, den er in seiner wissenschaftlichen Arbeit zumindest teilweise bejaht hatte. In den Massenmedien verfasste er allerdings nur wenige Beiträge. Er war jedoch auch erst kurz vor der Einführung der Diktatur in eine nennenswerte akademische Position gekommen, die einen solchen Zugang gefördert hätte. Ferner war er Mediävist und so in der Regel von allgemein interessierenden, aktuellen Themen entfernt. Noch vor Kriegsende stellte er sich aber die Frage, wie es zum Zusammenbruch hatte kommen können, und begann seine Jugend literarisch aufzuarbeiten.148 In der nach 1945 eingetretenen Krise der Nationalidee und des geschicht­ lichen Bewusstseins wollte er an die räumliche und zeitliche Einheit des Landes durch seine Nationalgeschichte erinnern. Eine Beschäftigung mit dem Mittel­a lter und dem langfristigen Erbe der Nation erschien ihm unmöglich, solange die Zäsur von 1945 die Gesellschaft von ihrer Geschichte abtrennte. Exemplarisch meinte er etwa am 28.  Januar 1958 in einem NDR-Rundfunkvortrag: »Was aber ist dann der Sinn einer deutschen Geschichte, zu der Auschwitz und Belsen jetzt genau so und genau so unwiderruflich gehört, wie Aachen und Wittenberg?«149 Dass man die nationalsozialistische Vergangenheit nicht aus der deutschen Geschichte ausschließen könne, war seine feste Überzeugung, die er auch einer breiteren Öffentlichkeit vermitteln wollte. Man müsse dem Volk ein klares, richtiges Geschichtsbild aus der neuen Erfahrung geben. Nur durch dieses Bewusstsein seiner eigenen Vergangenheit und damit seiner Selbst könne eine neuerliche Katastrophe verhindert werden.150 Zudem plante Heimpel eine 148 Heimpel, Die halbe Violine. 149 MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 47, S. 472. 150 Heimpel, Alle Bildung nützt nichts; ders., Nicht bequem machen. Die Frage nach dem Sinn der Geschichte erörterte Heimpel auch in längeren akademischen Schriften. Siehe etwa Heimpel, Kapitulation vor der Geschichte?

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reformierte Gesamtdarstellung deutscher Geschichte, die er aber nur in Vor­ lesungen skizzierte und niemals fertig stellte. Auch bei Heimpel stellte die wissenschaftliche Etablierung die Grundlage seiner späteren medialen Möglichkeiten dar. Nach dem Krieg galt er als einer der wichtigsten westdeutschen Historiker, war Mitgründer des Historiker­ verbandes und 1950 einer der acht Historiker, die diesen deutschen Verband beim Internationalen Kongress in Paris vertraten. 1955 wurde das MPI für Geschichte als Institution um ihn als Direktor herum erdacht und zwei Jahre später eröffnet. In einem privaten Brief erwähnte er, dass der FAZ-Mitgründer und stellvertretende Vorsitzende der Wirtschaftspolitischen Gesellschaft, Otto Klepper, ihn dabei unterstützt habe, seine Ideen in eine breitere Öffentlichkeit zu tragen,151 was Heimpel besonders im Verlaufe der fünfziger Jahre mit zu­nehmendem Engagement tat. Zwar betonte er spätestens seit seinem Amts­ antritt als MPI-Direktor immer wieder, dass er seine außerwissenschaftliche Praxis zurückfahren wolle, da das Institut seine eigentliche Herzensangelegenheit sei. Tatsächlich lehnte er seitdem häufiger öffentliche Reden ab und verzichtete auch darauf, für die SPD ein Bundestagsmandat zu übernehmen.152 Heimpel war zwischenzeitlich sogar als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten im Gespräch, zeigte daran aber kein Interesse.153 Die Zahl seiner Artikel und Rundfunkvorträge nahm allerdings sogar noch zu, obgleich auch hier die Nachfrage seine Möglichkeiten und sein Interesse deutlich überstieg. Nicht zu vergessen ist ferner, dass für Heimpel mediales Engagement obendrein einen enormen finanziellen Zugewinn bedeutete. Für die Übertragung seiner Vortragsreihe zur deutschen Geschichte 1957/58 kassierte er vom NDR beispielsweise die beeindruckende Summe von 11.000,– DM. Dies war ein nicht zu unterschätzender Anreiz, wenn man bedenkt, dass in diesen Jahren die meisten Bundesbürger ein monatliches Durchschnittseinkommen zwischen 151 Brief Heimpels an Ulrich von Pufendorf, Wirtschaftspolitische Gesellschaft von 1947, 15.5.1957 anlässlich des Todes von Otto Klepper, in: MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 19. Kleppers Wirtschaftspolitische Gesellschaft diente dazu, führende Personen aus Industrie, Handwerk und Landwirtschaft mit den Eliten aus Politik, Medien, Kirchen und Wissenschaft in Kontakt zu bringen. Vgl. hierzu Siering, S. 50. 152 Nach Gesprächen mit Carlo Schmid hatte Heimpel erwogen, auf das Angebot des sozial­ demokratischen Bundestagsabgeordneten Adolf Arndt einzugehen, dessen Wahlkreis Hersfeld zu übernehmen. Am 13.2.1957 lehnte Heimpel dies aber doch ab, da er sich auf seine Tätigkeit an Universität und MPI konzentrieren müsse. Siehe MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 18. 153 Heimpel versicherte in einem Brief vom 4.2.1958 dem Amtsinhaber Theodor Heuss, dass er mit den Spekulationen über seine Kandidatur nichts zu tun habe. Siehe MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 16. In einem Zeit-Artikel vom 12.9.1958 wurde Heimpel noch als möglicher Kandidat genannt und am 6.2.1958 hatte die FAZ über Heimpels Befähigung als Präsident gemeint: »Er ist als Historiker nicht etwa bloß der Vergangenheit zugewandt; er nimmt vielmehr, wie man weiß, ein leidenschaftliches Interesse an Gegenwart und Zukunft der gespaltenen Nation, wiewohl diese Leidenschaft geistig diszipliniert in Erscheinung tritt.«

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400,– und 600,– DM erhielten. Auch im Vergleich zu Heimpels eigenem Jahreseinkommen von 32.000,– DM nimmt sich sein Medienverdienst beachtlich aus.154 Damit soll keineswegs behauptet werden, dass der Göttinger Professor sich in erster Linie aus kommerziellen Interessen öffentlich eingemischt habe. Vor allem ging es ihm um eine neue Sicht auf die deutsche Geschichte und um gesellschaftliche Aufmerksamkeit für dieses Problem. Für niedersächsische Volkshochschulen hielt er sogar kostenlose Veranstaltungen ab. Jedoch war er sich seines »Wertes« durchaus bewusst und entschied sich vor allem für gutbezahlte Vorträge und Artikel in breitenwirksamen Medien. Beispielhaft war seine verärgerte Antwort auf die Bitte einer Volkshochschule, die ihm als Honorar für eine Veranstaltung 50,- DM anbieten wollte: Er war bereit, unentgeltlich zu sprechen, aber sicherlich nicht für einen derart geringen Lohn.155 Heimpel wurde 1966 emeritiert, widmete sich indes weiterhin der Forschung und veröffentlichte noch im hohen Alter eine auf eigene Quellenrecherche gestützte Arbeit.156 Er starb am 23. Dezember 1988. Theodor Schieder157 wurde am 11.  April 1908 im bayerischen Oettingen ge­ boren. Sein Vater war Notar und entstammte einer Familie evangelischer Pfarrer und Juristen. Seit 1926 studierte Schieder in Berlin und München und promovierte 1933 bei Karl Alexander von Müller über die deutsche Fortschrittspartei in Bayern. Großen Einfluss hatte auf ihn allerdings Rothfels. Schieder empfand seine Gegenwart als eine Zeit der allgemeinen Krise, während derer sich soziale Bande auflösten. Den politischen Ausdruck dieser Krise sah er in der Weimarer Republik und hoffte auf eine aus dem Volk kommende kulturelle Erneuerung, wobei er das Volk dem Staat entgegensetzte. In einem Rundbrief der deutschakademischen Gilden, in denen Schieder sich engagierte, kritisierte er 1930 den Nationalsozialismus gerade deswegen, weil er durch parlamentarische Mittel an die Macht kommen wollte, hielt allerdings auch seinen Rassismus für einen reinen Mythos und seine Ideologie für ausschließlich negativ. In der Demokratie sah Schieder ebenfalls eine Massenbewegung und lehnte sie ab. Er befürwortete stattdessen einen von der Mittelklasse dominierten Machtstaat. 154 Zu Heimpels Gehalt siehe Briefe Heimpels an den Kurator der Georg-August-Univer­sität Göttingen, 30.1.1959 bzw. 12.7.1960, in: MPG-Archiv, III. Abt, ZA 38, Nr. 15. Heimpel erhielt demnach 1957 und 1958 als Direktor des MPI ein Jahressalär von 8.000,– DM und als Ordinarius monatlich 2 011,– DM (1961). Damit war Heimpel ein absoluter Spitzenverdiener, selbst 1960 verdienten nur acht Prozent aller Bundesbürger mehr als 800,– DM pro Monat. Vgl. hierzu Noelle, 1958–1964, S. 10. 155 Brief Heimpels an Karl-Heinz Kreter, Volkshochschule Alfeld, in: MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 18. 156 Heimpel, Die Vener. 157 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus verschiedenen Werken, insbesondere Weber, S. 509; Düwell, S. 233–236; Rüsen, S. 362–365, 373–379; Mühle, S. 376; Kröger, S. 106.

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Nach seiner Promotion ging er wegen Rothfels an die Universität Königsberg, wo er sich 1940 bei Kurt von Raumer habilitierte. Er passte sich dem neuen System immer mehr an und trat 1937 der NSDAP bei. Bei einer Studienfahrt nach Estland fielen ihm jüdische Emigranten negativ auf, und er bewertete die »rassische Zusammensetzung«158 der Bevölkerung. Am 7.  Oktober 1939 verfasste er im Rahmen der Ostforschung die berüchtigte Polen-Denkschrift, in der die Vertreibung der polnischen und jüdischen Bevölkerung erwogen wurde.159 Auch später noch fertigte er nationalitätenstatistische Expertisen für das NS-System an, für die sich der Reichskommissar der Ukraine, Erich Koch, sogar persönlich bei Schieder bedankte. Wegen seiner labilen Gesundheit wurde Schieder nicht zum Kriegsdienst eingezogen und erhielt 1942 den Ruf für eine Professur in Königsberg. Dort lehrte er bis 1944, als er vor der Ankunft der sowjetischen Truppen fliehen musste. Nach dem Krieg und dem Wegfall der Ostgebiete war Schieders akademische Position zunächst weitgehend zerstört, und er musste ein Entnazifizierungs­ verfahren durchlaufen. Indes erhielt er bereits 1948 den Ruf der Universität Köln, wo er von da ab fast dreißig Jahre lang den Lehrstuhl bekleiden sollte. Er ersetzte als Konsequenz der Zäsur den Begriff Volk durch Nation. Nation blieb dabei für ihn der zentrale Bezugspunkt, allerdings konzentrierte er sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit nicht mehr nur auf Deutschland und erweiterte sein Themenfeld um Punkte wie technischen Fortschritt, Massendemokratie, sozialen Wandel, Parteien und Verfassungsentwicklung.160 Obwohl Schieder im Verlauf der fünfziger Jahre in die erste Reihe der Historiker vordrang, übte er keine auffällige öffentliche Praxis außerhalb der Disziplin. Eine Bitte des Bertelsmann-Verlages, eine populärwissenschaftliche Geschichte Deutschlands zu schreiben, lehnte er mit der Begründung ab, er kenne seinen Stil zu genau, um zu wissen, dass seine Stärken nicht in einer allgemeinverständlichen Darstellung lägen.161 Zwar ließ er sich bisweilen für Rundfunkvorträge gewinnen und wandte sich aus eigener Initiative 1952 an die FAZ,162 um mit einem Artikel seinen Doktorvater von Müller zu würdigen, welcher seit 1945 wegen seiner NS-Vergangenheit aus dem Wissenschaftsbetrieb weitgehend ausgeschlossen war.163 Grundsätzlich wollte er aber seine wissenschaftlichen Ergebnisse und Ansichten nicht vereinfachen, um sie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nachdem etwa die FAZ-Journalistin Margret Boveri die von ihm herausgegebene Dokumentation der Vertreibung verrissen hatte, weil der Band mit einem kritischen Apparat in wissenschaftlicher Form erschien und daher

158 Vgl. ebd., S. 106. 159 Zu Schieders Polendenkschrift 1939 vgl. Ebbinghaus. 160 Siehe beispielsweise T. Schieder, Staat und Gesellschaft. 161 Brief T. Schieders an den Bertelsmann-Verlag, 22.12.1955, in: BArch, Nl Schieder 203. 162 Brief T. Schieders an die FAZ, 26.11.1952, in: BArch, Nl Schieder 1244. 163 T. Schieder, Karl Alexander von Müller.

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nach Boveris Meinung große Leserschichten abschreckte, antwortete ihr Schieder am 9. Februar 1961: Glauben Sie nicht, dass es ebenso legitim ist, ein menschliches Dokument unter dem Gesichtspunkt wissenschaftlicher Kritik zu veröffentlichen wie es in der Absicht, auf breitere Leserschichten zu wirken, in einer Taschenbuchreihe herauszubringen?164

1957 wurde Schieder als Nachfolger Dehios Herausgeber der HZ. Schon seit 1953 leitete er die Herausgabe die Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, die vom Bundesministerium für Vertriebene in Auftrag gegeben worden war.165 1967–1972 war er überdies Vorsitzender des Verbandes der Historiker Deutschlands und seit 1964 bis zu seinem Tod auch Präsident der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Einige seiner wichtigsten Werke verfasste er erst nach 1960.166 Er wurde 1976 emeritiert und starb am 8. Oktober 1984. Karl Dietrich Erdmann167 wurde am 29. April 1910 in Mülheim am Rhein geboren. Wie die Mehrheit seines 1914 zu Köln eingemeindeten Heimatortes war er Protestant. Sein Vater fungierte als Prokurist bei Felten & Guillaume, dem größten örtlichen Arbeitgeber. Köln war zur Zeit von Erdmanns Jugend geprägt von britischer Besatzung, rheinländischem Separatismus und hoher Arbeits­ losigkeit. Seit 1928 studierte er zuerst in Köln und dann in Marburg. Dort wurde er Schüler des zu dieser Zeit republikanisch gesinnten Professors Wilhelm Mommsen und hatte überdies Kontakte zu dem Reformpädagogen und späteren sozialdemokratischen Widerstandskämpfer Adolf Reichwein. Er war Mitglied eines von Reichwein beeinflussten Studentenbundes und hatte von diesem auch ein Gutachten für ein DAAD-Stipendium erhalten. Bereits vor 1933 schrieb Erdmann für eine studentische Kulturzeitschrift und betonte hier unter anderem noch das gemeinsame christliche und antike Erbe der im Ersten Weltkrieg gefallenen Deutschen, Engländer, Franzosen und Belgier. 1933 legte er seine Promotion (über die Sozialphilosophie Jean-Jacques Rousseaus) und das Staatsexamen ab und ging als Stipendiat des DAAD nach Paris, wo er bereits 1930/31 auf eigene Kosten ein Semester verbracht hatte.

164 UA Heidelberg, Nl Conze, Rep. 101/162. Auch als Schieder mit Rothfels über ein öffentliches Vorgehen gegen die Polemik der Vertriebenenverbände diskutierte, schlug er am 1.7.1957 nur Stellungnahmen in den VfZ, aber nicht in außerfachlichen Zeitschriften vor. Siehe BArch, Nl Rothfels 1.  165 Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Dokumentation der Vertreibung. 166 Schieder, T. Das deutsche Kaiserreich als Nationalstaat; ders., Geschichte als Wissenschaft; ders., Friedrich der Große. 167 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus verschiedenen Werken, insbesondere Kröger; Weber, S. 133.

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Erdmann berichtete von dort jedoch nicht nur pflichtgemäß beim inzwischen gleichgeschalteten DAAD über sein Gastland; er verfasste aus eigener Initiative auch weitere Schriften, unter anderem einen Rundbrief an die Austauschstudenten. Gerade dieser Rundbrief war eine Anleitung für seine Kommilitonen, wie sie sich in Diskussionen mit Franzosen zu verhalten hätten, um bewusste Deutsche zu werden. Es ging Erdmann darum, den Einfluss deutscher Emigranten in Paris zu bekämpfen und er gab den Mitstudenten Tipps, wie die »zügellose«168 Parlaments- und Pressefreiheit in Frankreich zu kritisieren, die Verfolgung von Juden und Andersdenkenden in Deutschland dagegen zu verharmlosen sei. Dies tat er, obwohl von den Verfolgungen Menschen seines persönlichen Umfeldes betroffen waren, wie Reichwein oder der Marburger Sprachwissenschaftler Hermann Jacobsohn, der 1933 Selbstmord beging. Sein Bericht für den DAAD erschien im Oktober 1934 sogar als Broschüre für andere Studenten. Erdmann bezeichnete darin die Berichte über Konzen­ trationslager und Judenverfolgungen in Deutschland als Zerrbild. Damit ging er deutlich weiter als er es hätte tun müssen. Aus eigenem Antrieb wollte er Kommilitonen auf NS-Linie bringen und das deutsche Exil bekämpfen. Und sicherlich erfüllte sein DAAD-Bericht nicht nur die Mindestanforderungen der neuen Zeit, sonst hätte man ihn kaum für eine Veröffentlichung ausgewählt. Erdmann trat nicht in die NSDAP ein (allerdings in einige NS-Organisationen) und beendete 1936 sein Referendariat. Seine darauffolgende Tätigkeit als Lehrer einer Mädchenschule stellte ihn nicht zufrieden, und er suchte nach besseren Berufsaussichten. Sein Wunsch, sich zu habilitieren, scheiterte aber. Sein größtes Problem war, dass seine künftige Frau über keinen Ariernachweis verfügte, da ihr Großvater aus dem Elsass stammte und seine Geburts- und Tauf­ urkunde nicht vorlag. Eine Heirat bedeutete nach den NS-Rassengesetzen auto­ matisch den Verlust seiner Lehrerstellung. Tatsächlich musste Erdmann den Schuldienst im Oktober 1938 verlassen. Nach seiner eigenen Darstellung hing dies mit einer negativen politischen Beurteilung aufgrund seiner oppositionellen christlichen Haltung zusammen. Tatsächlich war der christliche Glaube eine Konstante in Erdmanns Leben, die er auch 1933–1945 mutig vertrat. Dies widersprach indes keineswegs seinen zahlreichen Übereinstimmungen mit dem nationalsozialistischen System. 1942 wurde Erdmanns ideologische Haltung von der NSDAP positiv bewertet. Wegen der Unsicherheit seiner beruflichen Zukunft ging er 1938 auf die Gelegenheit ein, an dem Schulbuchprojekt Das Erbe der Ahnen mitzuarbeiten. Es gibt die Ansicht, der Schulbuchverlag könnte ohne Erdmanns Wissen im Nachhinein rassistische Passagen eingefügt haben, doch wie seine Biographen Kröger und Thimme darlegen, ist die Glaubhaftigkeit dieser Vermutung ohne Belang: Der Lehrplan Geschichte sah 1938 bereits eine NS-orientierte, rassistische Betrachtung der jüngsten Geschichte (Erdmann behandelte die Zeit bis 168 Vgl. Kröger, S. 34.

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zum »Anschluss« Österreichs) zwingend vor. Insofern stellte sich der K ­ ölner Historiker in jedem Fall auf den Boden der nationalsozialistischen Ideologie. Damit passte er sich mehr an als die meisten seiner Kollegen: Er befürwortete nicht nur die außenpolitischen Ziele, er argumentierte sogar rassistisch und antisemitisch. Wirkung entfaltete das Buch allerdings nicht, da die Parteiamtliche Prüfungskommission es letztlich ablehnte. Ihr war die Darstellung des Nationalsozialismus nicht positiv genug. Erdmann arbeitete kurzzeitig in der Privatwirtschaft, erhielt aber zu Beginn des Zweiten Weltkriegs seinen Einberufunsgbefehl. In der Wehrmacht machte er Karriere und wurde mehrfach ausgezeichnet. Seit 1943 war er sogar Major und für die Offiziersausbildung verantwortlich. Die »arische« Abstammung seiner Frau konnte unterdessen festgestellt und er wieder für den Schuldienst zugelassen werden. Nach dem Krieg stellte er sich im Entnazifizierungsverfahren geschickt als Opfer des Systems dar und bat um eine Anstellung an der Universität. Bereits am 12.  September 1945 wurde er tatsächlich Assistent am Historischen Seminar Köln und habilitierte sich 1947 bei Peter Rassow. 1951 wurde er außerplan­mäßiger Professor in Köln und zwei Jahre später als Ordinarius nach Kiel berufen. Durch Studienaufenthalte im westlichen Ausland nach 1945 änderte er zunehmend seine politische Wertorientierung, bejahte westeuro­ päische Traditionen und die demokratische Staatsform. Als starke Zentral­ gewalt und politische Institution behielt der Staat an sich aber für ihn eine maßgebliche Bedeutung. Den Schwerpunkt seiner Arbeit bildete die Geschichte des 20.  Jahrhunderts, 1959 verfasste er hierzu für den Gebhardt auch ein Standardwerk.169 Er machte innerhalb der Wissenschaft rasch Karriere, war Gründer und Mitherausgeber der Zeitschrift GWU, 1950–1952 Generalsekretär der deutschen UNESCO-Kommission und später auch Vorsitzender des Deutschen Bildungsrates. Dem folgte bei ihm überdies eine sich intensivierende öffentliche Praxis außerhalb der Fachorgane, die aber erst mit dem Ende der fünfziger Jahre einsetzte, als er in die erste Reihe der Geschichtswissenschaftler aufrückte. Im Gegensatz zu vielen anderen Historikern sprach er oft über sein Verhältnis zum Nationalsozialismus, wobei er sich als Gegner und Opfer des Systems gerierte. Ferner kritisierte er in der Nachkriegszeit öffentlich seine Kollegen wegen ihrer Anbiederung in der NS-Zeit. Er warf vielen vor, in der Entnazifizierungsphase sich und anderen vorgemacht zu haben, sie wären nicht in das System involviert gewesen. Das traf aber auch auf ihn selbst zu. 1962–1967 amtierte er als Vorsitzender des Historikerverbandes und 1975– 1980 sogar als Präsident des Weltverbandes CISH. Noch bis ins hohe Alter setzte er seine wissenschaftliche Tätigkeit fort.170 1978 wurde er emeritiert und starb am 23. Juni 1990 in Kiel.

169 Erdmann, Gebhardt. 170 Siehe beispielsweise ders., Die Ökumene der Historiker.

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Werner Conze171 wurde am 31. Dezember 1910 in Neuhaus an der Elbe als Sohn eines protestantischen Richters geboren. 1929 begann er sein Studium in Leipzig. In dieser Zeit gehörte er der bündischen Jugendbewegung an, wobei er sich politischer Aktionen aber enthielt. In dieser Jugendbewegung lernte er noch 1929 Theodor Schieder kennen, mit dem ihn eine jahrzehntelange Freundschaft verbinden sollte. 1931 wechselte Conze nach Königsberg, wo er bald mit der Ostforschung und ihrem »Grenzkampf« gegen in erster Linie polnische Historiker in Be­ rührung kam. Mehrfach nahm er an Exkursionen zu deutschen Minderheiten in den Nachbarländern teil. Diese Ausflüge wurden oft von Rothfels geleitet, zu dem Conze ein sehr enges Verhältnis aufbaute, und bei dem er als dessen letzter Doktorand 1934 über eine deutsche Sprachinsel im Baltikum promovierte. In Königsberg lernte er daneben den Soziologen Gunther Ipsen kennen, einen Verfechter der Lebensraumideologie, bei dem sich Conze 1940 in Wien habilitierte. Wenn er auch nicht so drastisch formulierte wie Ipsen, nahm in Conzes Schriften die Bezugnahme auf die nationalsozialistische Ideologie im Laufe der Jahre zu. Gleichzeitig ordnete er sich persönlich loyal in das neue System ein. Am 5. Mai 1937 trat er der NSDAP bei, seit dem 10. Mai 1933 gehörte er allerdings schon der SA an, zuletzt als Rottenführer (Obergefreiter).172 In akademischen Zeitschriftenartikeln 1938/39 äußerte er sich zudem eindeutig anti­ semitisch. Kurz vor Kriegsausbruch wurde er als Unteroffizier zur Wehrmacht eingezogen. Er kümmerte sich daneben weiter um seine wissenschaftliche Karriere und wurde schließlich 1944 als Professor auf Lebenszeit an die von den Nationalsozialisten gegründete Reichsuniversität Posen berufen. Wahrnehmen konnte er seine Tätigkeit dort kaum, denn er blieb weitgehend an der Front stationiert. Trotz Verwundung war er von seinem Dasein als Soldat begeistert. Im Verlaufe des Krieges wurde er zum Hauptmann befördert und sechsmal ausgezeichnet.173 Später berichtete Conze, er habe 1943 erstmals von Massenmorden an Juden erfahren. Allerdings erschütterte dies seine Treue zum System nicht. Auch das Attentat des 20. Juli empfand er, wie er Jahre später einräumte, als Verrat. Obwohl er im August 1944 erneut schwere Verwundungen erlitt und nicht mehr einsatzfähig war, bemühte er sich vergeblich in den letzten Kriegsmonaten um seine militärische Weiterverwendung. Beim Ende der Kämpfe geriet er kurzzeitig in sowjetische Kriegsgefangenschaft, wurde als Invalide aber nach wenigen Wochen wieder freigelassen. Er kehrte nach Niedersachsen zu seiner Familie zurück und stand im Jahre 1945 völlig mittellos da. Um seine Familie zu ernähren, gab er in den Jahren nach dem Krieg Russischunterricht, hielt Volkshochschulvorträge oder verfasste Beiträge für Konver­ sationslexika. Aus materieller Not heraus schrieb er 1947–1949 für die Deutsche Bauernzeitung, was im Grunde Conzes erste Form außerfachlicher öffent­ 171 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus Dunkhase. 172 Aus Conzes Entnazifizierungsentscheidung, in: UA Heidelberg, Nl Conze 101/106. 173 Aus Conzes Soldbuch, in: UA Heidelberg, Nl Conze 101/106.

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licher Praxis darstellte. Gleichzeitig versuchte er aber seinen Kontakt zur Wissenschaft nicht abreißen zu lassen und übernahm im Sommersemester 1946 an der Universität Göttingen einen unbesoldeten Lehrauftrag. Auch erneuerte er den Kontakt zu Rothfels, der ihn mit Lebensmittelpaketen unterstützte. Am 4. August 1949 erhielt Conze im Zuge seines Entnazifizierungsverfahrens schließlich seinen »Persilschein«.174 Anfang der fünfziger Jahre ging es beruflich für Conze wieder aufwärts. Durch die Vermittlung seines Freundes Schieder konnte er im Sommersemester 1951 den Lehrstuhl Kurt von Raumers in Münster vertreten und wurde im Anschluss Diätendozent an der westfälischen Universität. Seine Arbeitsschwerpunkte verlagerte er von Osteuropa auf die westliche Welt und konzentrierte sich besonders auf die neueste Geschichte seit dem Ersten Weltkrieg. Nach seiner Ernennung zum außerordentlichen Professor für Neuere sowie Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1955 konnte er zwei Jahre später durch seinen Ruf an die Universität Heidelberg seine Konditionen enorm verbessern. An der Ruperto Carola hatte er ein eigenes Institut für moderne Sozialgeschichte. Gleichzeitig gründete er den Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte und wurde damit zu einem der Väter dieser neuen Forschungsrichtung in der Bundes­ republik. Dadurch rückte er in die erste Reihe der westdeutschen Historiker auf. Aus dem Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte ging auch seine wichtigste wissenschaftliche Leistung, die von ihm mit herausgegebenen Geschichtlichen Grundbegriffe,175 hervor. Ab Ende der fünfziger Jahre begann er diese Stellung auch verstärkt dafür zu nutzen, sich außerhalb der Wissenschaft zu engagieren. Bereits in einem Aufsatz über Friedrich Naumann 1949 hatte er die Ziele und das Versagen des Bürgertums vor dem Ersten Weltkrieg analysiert. Unpolitisch wollte er als Konsequenz daraus gerade nicht sein. Dabei war Conze bewusst, dass das Hauptproblem des Bürgertums nicht darin bestanden hatte, dass es unpolitisch gewesen war, sondern in den zwanzig Jahren zuvor eben eine spezifische Art der Politisierung entwickelt hatte. Die entscheidende politische Aufgabe blieb für ihn stets die deutsche Frage. Schon 1956 sprach er vor dem sechsten Bundesparteitag der CDU, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch recht unbekannt war. Diese Gelegenheit verdankte er Adenauer selbst. Der Bundeskanzler hatte wohl über seinen Sohn Paul, der in Münster studierte, von Conze gehört, und wollte unbedingt einen evangelischen Historiker gewinnen, der mit einer klaren Haltung spreche. Zur Wiedervereinigung redete Conze sogar bei der Feierstunde zum 17. Juni 1959 im Bundestag und 1968 vor dem Evangelischen Arbeitskreis der CDU/CSU. Allerdings hatte er auch keine Berührungsängste gegenüber der SPD und betrachtete Adenauers Deutschlandpolitik zunehmend distanziert. Er trat der CDU formell nie bei und war 1964 auch Mitglied einer wissenschaft174 UA Heidelberg, Nl Conze 101/106. 175 Brunner, Erwähnung finden muss daneben seine kurze Gesamtdarstellung deutscher Geschichte. Siehe hierzu Conze, Die Deutsche Nation.

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lichen Kommission beim SPD-Bundesvorstand. An der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien war er lebhaft interessiert, nahm seit 1952 teil und fungierte 1957–1962 als deren Vorsitzender. Er engagierte sich nach seinem wissenschaftlichen Aufstieg aber nicht nur in politischen Gremien, sondern mischte sich ab Ende der fünfziger Jahre immer stärker in allgemeine öffentliche Diskussionen ein, schrieb in Zeitungen und hielt Vorträge im Rundfunk. 1972–1976 amtierte er als Vorsitzender des Historikerverbandes und wurde 1979 emeritiert. Er starb am 28. April 1986. Benedetto Croce176 wurde am 25. Februar 1866 in Pescasseroli in den Abruzzen als Sohn eines Großgrundbesitzers geboren. Seine Familie stammte allerdings aus Neapel, wo der junge Benedetto aufwuchs und bis zu seinem Tod lebte. Schon während seiner Grundschulzeit erhielt Croce nebenbei Privatunterricht und war auch später nie wirklich darauf angewiesen, seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen. Jedoch erlitt er noch in jungen Jahren einen schweren Schicksalsschlag, als seine gesamte Familie bei einem Erdbeben am 28. Juli 1883 auf der Insel Ischia ums Leben kam. Zu seinem Vormund wurde daraufhin der Cousin seines Vaters, Silvio Spaventa, einer der bedeutendsten liberalen Politiker Italiens. Durch diesen und Silvios Bruder Bertrando Spaventa, einen Philo­ sophen, kam Croce erstmals mit dem rechtshegelianisch-liberalen, der Tradition des Risorgimento verpflichteten gesellschaftlichen Milieu in Berührung, das für sein Denken ein Leben lang Bedeutung hatte. In diesem sozialen Umfeld übte die deutsche Kultur einen erheblichen Einfluss aus, vor allem der deutsche Idealismus: Geschichte galt als Ausdruck des objektiven Geistes, der sich in einem dialektischen Prozess zu sich selbst entwickele. Diesen objektiven Geist zu erkennen sollte demnach das Ziel jedes Geschichtsstudiums sein. Croce schrieb sich als junger Mann zwar für Jura an der römischen Uni­ versität La Sapienza ein, besuchte aber kaum Veranstaltungen. Er verließ die Universität endgültig, als Professoren seine philosophischen Ideen zurückwiesen. Statt dessen widmete er sich dem Privatstudium der Schriften des marxistischen Philosophen Antonio Labriola und reiste zur Vertiefung seiner Bildung durch Europa. 1902 veröffentlichte er sein Werk Estetica come scienza dell’espressione  e linguistica generale,177 mit dem er nicht nur das ästhetische Denken Italiens veränderte, sondern auch seinen internationalen Ruhm begründete. Mit Giovanni Gentile, einem weiteren Schüler Spaventas, gab Croce seit 1903 La Critica heraus. Diese Zeitschrift sollte in das politische und litera­ rische Leben eingreifen und zu einem humanistischen, einigen Italien, das gleichzeitig unabhängig und in Europa eingebunden sein sollte, beitragen. La Critica hatte dabei für Croces öffentliche Wirkung eine größere Bedeutung als 176 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus verschiedenen Werken, insbesondere Thiemeyer, S. 406–424; Giammattei, S. XV; Martina; Albanese. 177 Croce, Estetica.

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sein politisches Engagement in Neapel oder im Senat von Rom, dem er seit 1910 angehörte. Zwar wollte er direkte politische Aussagen in seiner Zeitschrift vermeiden; sie sollte ihm aber ein Mittel der Bildung sein, um die Einheit des Gelehrten und des Bürgers zu kreieren. Obwohl Croce wie viele Gelehrte auf Journalisten herabschaute, nutzte er ab 1903 gerne die großen Tageszeitungen. Sein wichtigstes Organ war bis zu dessen Gleichschaltung im Faschismus der Giornale d’Italia. Diesen Zugang verdankte Croce seinem persönlichen Kontakt zu Giornale-Herausgeber Alberto ­Bergamini. Daneben schrieb er aber auch in etlichen anderen großen Blättern wie La Stampa oder Il Mattino. Croce war einer der ersten, der die Bedeutung der Massenpresse erahnte und auf moderne Weise zu nutzen verstand. In bislang nicht da gewesener Form gelang es ihm, im ersten Viertel des 20. Jahr­ hunderts eine kulturelle Hegemonie in Italien zu erringen. Mit Artikeln zu aktuellen politischen und kulturellen Themen erreichte er ein viel größeres Publikum als er es mit einem Buch oder seiner eigenen Zeitschrift La Critica vermochte. Aufgrund seines polemischen Stils konnte er darauf zählen, dass seine Ansichten in anderen wichtigen Zeitungen diskutiert wurden und sich so sein Ruhm und auch seine gesellschaftliche Macht stetig vergrößerten. Obwohl er 1­ 927–1943 in großen Blättern nicht publizieren durfte, veröffentlichte er Zeit seines Lebens etwa fünfhundert Artikel in Tageszeitungen, den letzten zwei Wochen vor seinem Tod. Er benutzte gewandt einen modernen journalistischen Stil, passte frühere Texte durch leichte Veränderungen geschickt immer wieder der aktuellen Situation an, ohne plump zu fälschen. Bisweilen formulierte er sogar Interviewfragen an sich selbst und ließ Mitarbeiter Bücher über sich schreiben, die er vor der Veröffentlichung eigenhändig redigierte. Trotz seiner Forderung, strikt zwischen Politik und Kultur zu trennen, war letztlich nie klar, ob in den Zeitungsartikeln der Gelehrte Croce oder der politisch engagierte Croce zu Worte kam. Nach dem Ersten Weltkrieg war er kurzzeitig, von Juni 1920 bis Juni 1921, Erziehungsminister in der Regierung Giolitti, konnte seine politischen Ideen dort aber nicht umsetzen. Den aufkommenden Faschismus betrachtete er als ein Instrument, um in der Krise der Nachkriegsjahre einen politischen Neuanfang durchsetzen zu können. Insgesamt deckte sich seine Haltung zu Beginn der Regierungsübernahme Mussolinis weitgehend mit derjenigen der meisten Angehörigen der liberal-konservativen Elite. Am 5. Juni 1923 hatte er in einem privaten Brief gar gemeint, nach der Degeneration des Liberalismus 1919–1923 könne eine zeitweise Aufhebung der Freiheit sinnvoll sein. Also unterstützte er als Politiker den Faschismus, während er diesen als Philosoph stets ablehnte. Der Faschismus war für ihn eine inhaltsleere Bewegung und er hielt die Männer der Kultur (also unter anderem sich selbst) für berufen, die Gesellschaft zu führen. Die Bedeutung, die die massenmediale Praxis für Croce einnahm, ermisst sich gerade daran, dass er nicht einmal nach dem Mord an dem sozialdemokratischen Generalsekretär Giacomo Matteotti seinen Glauben an die Liberalisierung des Faschismus aufgab, sondern erst angesichts der Unterdrückung der 72 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Pressefreiheit zum Antifaschisten wurde. Als Konsequenz gab er am 18.  April 1925 bekannt, erstmals einer Partei beizutreten, dem PLI. Kurz darauf, am 1. Mai 1925, folgte sein Protest gegen das von seinem ehemaligen Weggefährten Gentile initiierte Manifest der faschistischen Intellektuellen. Diese erst später Antifaschistisches Manifest genannte Deklaration Croces wurde von über zweihundert Persönlichkeiten, in der Mehrheit Wissenschaftlern, unterzeichnet. Die faschistischen Blätter wollten dieses »Manifest Croces« kritisieren und druckten es daher häufig ab. Dadurch wurde es erst recht bekannt, auf Croce fokussiert und Croce in die Rolle des prominenten Regimegegners geradezu hineingedrängt. Über den gesamten Zeitraum des faschistischen Systems griffen ihn offizielle Blätter an und machten seine Ansichten dadurch publik, etwa seine Ablehnung des Konkordats 1929 und seinen Protest gegen die antisemitischen Rassengesetze 1938. Das sorgte für internationale Aufmerksamkeit, die ihn nicht nur schützte, nachdem Faschisten 1926 sein Haus verwüstet hatten, sondern ihm unter der Diktatur auch einen gewissen Freiraum gab. Seine Geschichtsbücher wurden daher gleichfalls im Faschismus mit Auflagen von bis zu 30.000 Stück gedruckt und La Critica erschien weiterhin für etwa 3.000 Abonnenten.178 Croces Geschichte Europas179 war zwar inhaltlich ein Werk über das 19. Jahrhundert und endete vor Beginn des Ersten Weltkrieges. Indes war das Buch auch ein Gegenentwurf zum Faschismus, mit der Kernaussage, dass Geschichte im Grunde nichts anderes sei als die Geschichte der Freiheit. Zwar bestand die Vergangenheit für Croce aus unzähligen Ereignissen und Entwicklungen. Bedeutung als Geschichte aber hatten für ihn nur diejenigen Momente, in denen die Freiheit sich durchgesetzt habe. Als freiheitsfeindlich definierte er hin­gegen Katholizismus, Absolutismus und Kommunismus, aber auch die D ­ emokratie.180 Nach dem Fall des Faschismus schrieb Croce zwar am 13. November 1943 in sein Tagebuch, er sei ein einfacher Gelehrter, der sich nur einmische, weil es Italien an Politikern mangele.181 Gleichwohl konzentrierte er sich ab diesem Zeitpunkt mehr als je zuvor auf sein direktes öffentliches Engagement und verzichtete fast gänzlich auf seine wissenschaftlichen Studien. Eine universitäre Stellung kam für ihn dabei gar nicht in Frage. Ende Dezember 1943 zeigte er sich sogar irritiert, dass viele Menschen ihn aufforderten, einen Lehrstuhl an einer Hochschule zu übernehmen, denn durch seine Bücher habe er 178 Vgl. Jannazzo, S. 18. 179 Croce, Storia d’Europa. 180 Ders., La storia come pensiero e come azione. Croces Begriff der Storia Contemporanea hatte daher auch nichts mit dem Rothfelsschen Begriff der Zeitgeschichte gemein. Vielmehr ging es darum, inwieweit Geschichte als Legitimation der Gegenwart dienen konnte und unter dieser Fragestellung konnte jede Geschichte auch Storia Contemporanea sein. Mit der liberalen Tradition Italiens hatte sich Croce nach der faschistischen Machtübernahme zuvor schon auseinandergesetzt. Siehe ders., Storia d’Italia dal 1871 al 1915. 181 Eintrag vom 13.11.1943, in: Ders., Scritti I, S. 199 f.

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schließlich einen Lehrstuhl mitten in Italien. Dadurch, so war er sich sicher, erreiche er zweifellos viel mehr Menschen als es in einem Hörsaal möglich sei.182 Dieser Einstellung folgend äußerte er sich häufig und regelmäßig zu historischen und politischen Fragen in der Tagespresse und bisweilen auch im Rundfunk. Am 30. Juli 1944 schrieb er zur öffentlichen Rolle des Wissenschaftlers, mancher habe im Faschismus auf falsche Ratschläge gehört und sei der Idee er­ legen, Gelehrte müssten sich mit Politik nicht beschäftigen. Zwar stünden Philosophie, Geschichte, Poesie usw. über dem praktischen Leben, aber der Denker sei dennoch Teil der Gesellschaft, ohne die er weder schreiben noch denken könne.183 Als Negativbeispiel erwähnte er an anderer Stelle einen Florentiner Professor: Als Croce diesen angesichts der faschistischen Bluttaten 1925 nach den Geschehnissen in Florenz gefragt habe, habe dieser von den politischen Ereignissen nichts gewusst und nur von der Zusammenarbeit an der Univer­ sität gesprochen.184 Croce übernahm 1943 sogar den Vorsitz der wieder erstandenen Liberalen Partei und übte diese Funktion bis zu seinem Rücktritt am 30. November 1947 aus.185 Gerade in der Zeit unmittelbar nach dem 8. September 1943 spielte er eine führende Rolle bei den Verhandlungen mit dem König und den Alliierten über die Zukunft Italiens. Am 6. April 1944 war er maßgeblich an der Bildung der ersten Regierung der antifaschistischen Parteien beteiligt und bekleidete für einige Monate den Posten eines Ministers ohne Geschäftsbereich.186 Das Amt des Ministerpräsidenten lehnte er hingegen ab, ebenso wie später den Vorschlag, Staatspräsident zu werden. In sein Tagebuch notierte er, er könne in diesem Amt nichts erreichen und wolle auch sein Ansehen als Gelehrter nicht aufs Spiel setzen.187 Zwar widmete er sich nach seinem Ausscheiden aus der ersten politischen Reihe wieder der Wissenschaft. Am 16. Februar 1947 weihte er etwa in Neapel das Istituto italiano per gli studi storici ein, bald eines der Zen­ tren der italienischen Geschichtswissenschaft, dessen Sitz ein Teil seines eigenen Palazzo Filomarino wurde.188 Seine indirekte politische Einflussnahme189 und seine umfassende publizistische Praxis aber behielt er bis zum Ende bei. Er starb am 20. November 1952. 182 Eintrag vom 28./29.12.1943, in: Croce, Scritti I, S. 218 f. 183 Vgl. Croce, La »superiorità« ai partiti, in: Ders., Scritti II, S. 37–43. Der Text erschien am 30.7.1944 im Risorgmento liberale. 184 Vgl. ders., Indirizzi di una nuova cultura. Intervista, in: Ebd., S. 195–200. 185 Vgl. ders., Discorso di congedo dalla presidenza del Partito Liberale Italiano, in: Ebd., S. 431–441. 186 Vgl. ders., Un documento: Dichiarazione letta alla giunta esecutiva del Congresso di Bari il 6 aprile 1944, in: Ders., Scritti I, S. 75–78 bzw. Eintrag vom 24.4.1944, in: Ebd., S. 296. 187 Eintrag vom 24.6.1946, in: Ders., Taccuini VI, S. 47. 188 Vgl. Jannazzo, S. 12. Die Finanzierung gelang mit Hilfe des Bankiers Raffaele Mattioli und verschiedener Geldinstitute. Siehe ebd. 189 Croce mischte sich aber auch weiterhin in die Politik des PLI ein. Siehe etwa Tagebucheintrag vom 22.2.1948, in: Ebd., S. 181.

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Gaetano Salvemini190 wurde am 8. September 1873 in armen Verhältnissen in der Kleinstadt Molfetta im süditalienischen Apulien geboren. In seiner Kindheit litt er oft Hunger. Sein Vater war ein Carabiniere und arbeitete nebenbei noch als Teilzeitlehrer. Im Einigungskrieg hatte er für Garibaldi gekämpft und stand für die radikaldemokratische Tradition. Seine Mutter vertrat ebenfalls eine linke politische Haltung. Hingegen war sein Onkel Priester, der ihn in das Seminar mitnahm und in Latein unterrichtete. Im Herbst 1890 bot sich Salvemini eine große Gelegenheit, nämlich ein Stipendium für ein Studium in Florenz. Den größten Einfluss übte dort sein akademischer Lehrer Pasquale Villari auf ihn aus, der es als Aufgabe des Historiker erachtete, moralische Urteile zu fällen und sich aktiv in politische und soziale Fragen einzumischen. Salvemini nahm sich das zum Vorbild, wenngleich er inhaltlich ganz andere Ansichten vertrat als Villari. Noch während seines Studiums wurde er Mitglied der Sozialistischen Partei (wenn auch kein Marxist), gab seit 1893 Volkshochschulkurse und hielt Vorträge bei Gewerkschaften. Ebenso beteiligte er sich an Demonstrationen gegen die Regierung Francesco Crispis. 1895 reichte er seine Abschlussarbeit über soziale Konflikte im Florenz des 13.  Jahrhunderts ein. Das Mittelalter bildete einen Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit, aber er beschäftigte sich gleichfalls mit neueren Themen wie dem Risorgimento und der Französischen Revolution.191 Die Arbeitsaussichten in der Forschung waren allerdings schlecht, und er betätigte sich daher zunächst als Lehrer an verschiedenen Schulen. Gleichzeitig schrieb er – wegen seines Status als Staatsbediensteter unter Pseudonym – für den Avanti! sowie andere sozialistische Blätter und fiel dabei durch seine dezidierten politischen Forderungen auf. Die Parteizeitschrift Critica sociale wurde sogar verboten, nachdem Salvemini das brutale Vorgehen der Armee gegen Demonstranten in einem Artikel angegriffen hatte. 1901 erhielt er schließlich die Professur für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Messina, deren niedriges akademisches Niveau ihm aber missfiel. Ein angestrebter Wechsel gelang vorerst nicht, denn Salvemini galt als zu politisch. In Messina ereilte ihn 1908 schließlich ein schwerer Schicksalsschlag, als bei einem Erdbeben seine Frau und alle seine fünf Kinder starben. Er verlor mit der Katastrophe auch seine Arbeit, ging nach Florenz zurück und litt unter psychischen Problemen. Um sich abzulenken, intensivierte er seine öffent­ liche Praxis in den Massenmedien und schrieb immer mehr allgemeinpolitische Artikel; bis 1913 waren es schon zweihundertzwanzig Beiträge. Er agitierte als politischer Redner und sammelte Beweise für Wahlbetrug und Einschüchterung von Gegnern durch die Regierung Giovanni Giolittis in Süditalien, obwohl er selbst massiv bedroht wurde. Berühmtheit erlangte sein Aufsatz Il ­Ministro della mala vita [Die Regierung der Unterwelt – d. Vf.] über Giolitti in der Flo190 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus Killinger. 191 Salvemini, Magnati  e poplani; ders., Il pensiero religioso  e politico-sociale di Giuseppe Mazzini; ders.: La rivoluzione francese.

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rentiner Zeitschrift La Voce. Die demokratischen Parteien boten ihm daraufhin sogar einen Wahlkreis an, aber nach internen Streitigkeiten lehnte er diese ­Offerte ab. Er beendete auch Freundschaften, wenn Menschen eine für ihn nicht akzeptable politische Haltung einnahmen, denn persönliche und politische Dinge gehörten für ihn zusammen. 1910 wurde er schließlich trotz seines politischen Engagements an die Universität Pisa berufen. Aus der aktiven Politik hielt er sich inzwischen mehr zurück, weil er seine Ideen nicht durchsetzen konnte. Zum endgültigen Bruch mit dem Partito Socialista Italiano kam es 1911, weil die Partei nicht gegen den italienischen Kolonialkrieg in Libyen protestierte. Mit Hilfe von Croce und anderen prominenten Süditalienern gründete er daraufhin seine eigene Zeitung, L’Unità, die erstmals im Dezember 1911 erschien. Sie existierte bis 1920, und in dieser Zeit war Salvemini ihr Herausgeber, Verwalter und ihre intellektuelle Kraft. Er bemühte sich um eine einfache Sprache, um auch Arbeiter und Bauern zu erreichen, doch ihre Auflage überstieg niemals 1.200 Exemplare. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges engagierte er sich für eine Betei­ligung Italiens an der Seite der Entente, um so der Demokratie in Europa zum Durchbruch zu verhelfen. Als Italien tatsächlich den Mittelmächten den Krieg erklärte, meldete er sich freiwillig, obwohl er wegen einer Lungenkrankheit eigentlich untauglich war. Bald zum Leutnant ernannt kam er an die Front, erkrankte dort nach feindlichen Angriffen und einer Cholera-Epidemie schwer und war nicht mehr einsatzfähig. 1916 kehrte er deshalb nach Florenz zurück, arbeitete wieder publizistisch und erhielt dort 1917 den Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Geschichte. 1919 bewarb er sich im Wahlkampf in seiner Heimatstadt Molfetta. Obwohl seine Anhänger von Gefolgsleuten Giolittis eingeschüchtert, geschlagen und verhaftet wurden, konnte er in die Abgeordnetenkammer in Rom einziehen. Da er dort mit Sozialisten und Katholiken nicht kooperieren wollte, blieb er ein parlamentarischer Außenseiter. Er bekämpfte in dieser Zeit Mussolini in Parlament und Medien, der ihn wegen einer Kränkung sogar zum Duell aufforderte, worauf Salvemini sich aber nicht einließ. Bei der Neuwahl 1921 verzichtete Salvemini, erschöpft durch die Doppelbelastung als Professor in Florenz und Abgeordneter in Rom, auf eine erneute Kandidatur. Er stellte 1920 auch L’Unità ein, nachdem er jahrelang wöchentlich drei Artikel geschrieben hatte. Sein Ziel, die neue italienische Führungselite zu prägen, war ihm nicht gelungen. Obwohl er die langfristige Bedrohung durch den Faschismus nicht gleich erfasste, nahm er frühzeitig an Treffen einer antifaschistischen Gruppe um seinen Schüler Nello Rosselli und seinen Freund Ernesto Rossi teil und avancierte rasch zu deren Führungsfigur. Nach dem Mord am sozialdemokratischen Generalsekretär Matteotti trat Salvemini demonstrativ in dessen Partei ein. Er wurde von Faschisten bedroht und kurzzeitig verhaftet. Besonders das Verbot der Pressefreiheit überzeugte Salvemini, dass der Faschismus alle Freiheiten gefährdete. Seine Anhänger brachten auf seine Forderung hin die Untergrundzeitschrift Non mollare [Nicht aufgeben  – d. Vf.] heraus, die von Salveminis 76 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Schriften dominiert war. Der Historiker aus Apulien unterzeichnete auch das Antifaschistische Manifest Croces. Nachdem die Macher von Non mollare verraten worden waren, erfolgte am 8. Juni 1925 seine erneut Inhaftierung, und zwei seiner Anhänger wurden zu Tode geprügelt. Angesichts dieser Gefahr floh Salvemini mit Hilfe seines Studenten Federico Chabod aus Italien. Er ging nach England und schaffte es bald, mit Vorträgen und Artikeln seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Vor allem wollte er die öffentliche Meinung in Großbritannien und den USA gegen das faschistische Italien aufrütteln und wurde allmählich zum intellektuellen Führer und Gewissen der Exil-Opposition. Nach der Befreiung Carlo Rossellis, des Bruders seines Schülers Nello, aus faschistischer Haft, gründete er mit diesem die Organisation GL, die einen dritten Weg jenseits von Faschismus und Marxismus anstrebte. 1933 übersiedelte Salvemini dauerhaft in die USA und übernahm einen Lehrstuhl an der Harvard-Universität. Bald galt er in den Vereinigten Staaten als bedeutendste Autorität für italienische Politik und Geschichte. Zwar gewann er dort Freunde und nahm 1939 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an, aber kulturell und politisch blieb er weiterhin nur an Italien interessiert. Sein Engagement in den Massenmedien war enorm ausgeprägt, und er beschäftigte sich wissenschaftlich nicht mehr mit dem Mittelalter oder dem Risorgimento, sondern nur noch mit dem Faschismus. Bis 1945 schrieb er insgesamt fünfhundert Zeitungsartikel. Über die Diktatur in seinem Heimatland verfasste er auch seine wichtigsten historiographischen Arbeiten.192 Die Mehrheit der Italo-Amerikaner betrachtete den Faschismus zu seiner Enttäuschung jedoch mit Stolz. Er überwarf sich bald allerdings mit den meisten Antifaschisten und hatte daher keinen Zugang zu den italienischsprachigen Massenblättern der USA. Ebenso war er sich über die politische Vorgehensweise mit den Rossellis nicht mehr einig, blieb mit ihnen aber befreundet. Es war ein schwerer Schlag für ihn, als sie 1937 im Auftrag des italienischen Geheimdienstes ermordet wurden. In seinem Buch Historian and Scientist193 schrieb er über wissenschaftliche und öffentliche Praxis. Jeder Historiker, so Salvemini, habe Voreingenommenheiten, aber er müsse diese Voreingenommenheiten offen bekennen. Historische Interpretation erfordere ethische Urteile, und diese rechtfertigten auch den politischen Gebrauch der Ideen durch den Gelehrten. Sein Biograph Charles Killinger zieht das Fazit, Salvemini habe niemals zwischen Wissenschaft und politischer Tätigkeit getrennt. Seit Florenz 1944 befreit war, forderten alte Weggefährten ihn auf zurückzukehren. 1947 kam er erstmals für Gastvorträge wieder nach Italien. Im Jahr darauf wurde er in Harvard emeritiert und nahm 1949 einen Ruf an die Universität Florenz an, wobei er wegen seines hohen Alters seine Lehrtätigkeit 1951 192 Ders., The fascist dictatorship; ders., Mussolini diplomate; ders., Under the axe of fascism. 193 Ders., Historian and scientist.

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wieder beendete. Jedoch schrieb er weiterhin einen Zeitungsartikel pro Woche, vor allem für den liberalen Mondo und den sozialdemokratischen Ponte. Bis zum Schluss verfolgte er Ziele für einen dritten politischen Weg zwischen Kommunisten und Christdemokraten und stellte hierzu 1953 auch ein neues Programm auf. Zwar erhielt Salvemini viel mehr Anfragen für Artikel als er schreiben konnte,194 dennoch fühlte er sich ohne eigenes Organ machtlos.195 So stand lange Zeit das Projekt im Raum, eine eigene Wochenzeitung zu gründen, deren Herausgeber Salvemini werden sollte. Erstmals diskutierte er diese Idee am 12.7.1946 mit Rossi. Sie nahm zeitweise konkrete Formen an, als Salvemini den Finanzbedarf eruierte und sich bereit erklärte, auch Werbegelder anzunehmen, wenn die Geldgeber keinen Einfluss auf die redaktionelle Gestaltung er­ hielten.196 Noch zu Beginn der fünfziger Jahre tauschte er sich in Briefen mit Weggefährten über dieses Thema aus, aber letztlich wurde die Idee der eigenen Zeitung nie verwirklicht.197 Seit 1956 ließ Salveminis öffentliche Praxis dann stark nach, da er bereits erkrankt war und sein Gedächtnis immer schlechter funktionierte.198 Er verstarb am 7. September 1957. Ernesto Sestan199 wurde am 2.  November 1898 als Sohn eines kleinen habs­ burgischen Beamten in Trient geboren. Als Staatsbürger Österreich-Ungarns diente er im Ersten Weltkrieg bei den Kaiserschützen als Unteroffizier. Politisch war er aber ein Irredentist (ein Befürworter der Vereinigung aller italienisch besiedelten Gebiete in einem Nationalstaat), und somit empfand er die Niederlage des Habsburgerreichs persönlich als Sieg. Allerdings lehnte er nationa­listische Forderungen nach Eingliederung auch nichtitalienischsprachiger Gebiete wie Südtirols ab. Hierbei orientierte er sich an den Forderungen seines Lehrers Salvemini. Seit 1918 studierte er bei diesem streitbaren Professor in Florenz und schrieb bei ihm 1922 seine Abschlussarbeit über mittelalterliche Kommunen in der Toskana. Im Faschismus wurde Sestan allerdings Schüler des regimetreuen Historikers Volpe und beschäftigte sich stärker mit neuen und zeitgeschichtlichen Themen. Mit Volpes Hilfe erhielt Sestan 1939 am Istituto storico italiano per l’età ­moderna e contemporanea den Posten des Redakteurs der RSI und in Vertretung seines 194 1947 bat er Rossi, seinen Besuch in Italien nicht zu veröffentlichen, da er keine Interviews geben und keine Artikel schreiben wolle. Brief Salveminis an Rossi, 17.7.1947, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 74. 195 Brief Salveminis an Rossi, 26.6.1948, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 74. 196 Brief Salveminis an Rossi, 17.10.1948, in: Ebd. 197 Brief Salveminis an Rossi, 2.5.1951, in: Ebd. 198 Brief Salveminis an Rossi, 12.2.1956, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 75. 199 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus verschiedenen Werken, insbesondere Soldani, Sestan, S. 92; Fubini, S. 196–198; La Penna; Cardini, S. 51–61; Rosa; Turi, Uno storico, S. 119–145; Liermann, Porträt, S. 37; Killinger, S. 176.

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Mentors fungierte er auch als der tatsächliche Leiter dieser histo­rischen Fachzeitschrift. 1933 trat er dem PNF bei und arbeitete als Redakteur der Enciclopedia Italiana sowie Sekretär der von Mussolini neugeschaffenen Accademia d’Italia. Auf seine wissenschaftliche Arbeit blieb dies nicht ohne Auswirkungen: Volpe empfahl Sestan bei einer Stellenbesetzung als faschistisch beeinflusst. So schrieb der junge Historiker im Dizionario di politica des PNF zu dem Stichwort Europa, dieses sei die weltweit überlegene Zivilisation, wofür auch rassische Gründe ausschlaggebend seien. Ebenso war er von der Errichtung eines italienischen Imperiums Mitte der dreißiger Jahre begeistert. Regelmäßig engagierte sich Sestan während des Faschismus überdies bei der Kulturzeitschrift Leonardo. Seine Tätigkeit dort wollte er im Nachhinein als in erster Linie wissenschaftlich verstanden wissen: Mit Leonardo-Herausgeber Luigi Russo, der zu dieser Zeit Gentile nahe stand, habe er über Politik niemals geredet. Folgerichtig hielt er sich nach 1945 auch stärker von solchen außerwissenschaftlichen Aktivitäten fern, obwohl Russo mit Belfagor nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Zeitschrift herausbrachte und Sestan zur Mitarbeit drängte. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat Sestan zunächst als Experte in Erscheinung. Dabei setzte er sich im Comitato giuliano während des italienisch-jugoslawischen Grenzkonflikts für den Verbleib des Goriziano, Triests und Istriens bei Italien ein. 1948 schrieb er im Auftrag der Verfassungsgebenden Versammlung einen Aufsatz über die Frankfurter Nationalversammlung 1848 und ihr Verfassungsprojekt.200 Ziel sollte es sein, historische Beispiele für das neue italienische Grundgesetz aufzuzeigen. Sehr kurz war er überdies Mitglied im PLI, verließ diesen nach eigener Aussage aber wieder, da Arbeiterinteressen dort nicht beachtet worden seien.201 Laut Riccardo Fubini hätten Sestan zeitlebens die »reinen« Gelehrten missfallen.202 Er selbst betätigte sich jedoch durchaus kaum in den Massenmedien. Eher sah er sich als einen Historiker, der von politischen Fragen angetrieben werde, aber nicht seine Arbeit mit aktueller Politik oder Propaganda vermenge. Forschung und praktisches Engagement gehörten für ihn nicht zusammen. Nach dem Faschismus legte er seinen geschichtlichen Schwerpunkt wieder verstärkt weg von zeitgenössischen Fragestellungen auf das Mittelalter. Zu dieser Zeitepoche schrieb er auch seine wichtigsten histo­ rischen Werke.203 1948 erhielt Sestan einen Lehrstuhl für Mittlere und Neue Geschichte in ­Cagliari, gewann aber kurz darauf den Concours für die Eliteuniversität Scuola Normale Superiore, wo er seit 1949 den Lehrstuhl für Geschichte bekleidete. Diesen Posten verdankte er unter anderem der Unterstützung Cantimoris. Bis 1958 blieb er an der Normale und verließ sie aufgrund seiner Verpflichtungen in Florenz, wohin er bereits 1954 als Professor berufen worden war. Ferner war 200 Sestan, La costituente di Francoforte. 201 Vgl. ders., Memorie, S. 285. 202 Vgl. Fubini, S. 198. 203 Sestan, Stato e nazione nell’Alto Medioevo; ders., Italia medievale.

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er seit 1948 zunächst Redakteur und nach Carlo Morandis Tod 1950 auch Mitglied im Herausgebergremium der RSI. Sestan wurde 1969 emeritiert und starb am 19. Januar 1985. Federico Chabod204 wurde am 23.  Februar 1901 in Aosta als Sohn eines Notars aus alteingesessener Familie geboren. 1919 schrieb er sich an der Univer­ sität Turin ein, wo er als Lieblingsschüler des führenden Historikers Pietro Egidi galt. Nach seinem Hochschulabschluss mit einer Arbeit zu Niccolò Machiavelli schlug Chabod eine akademische Laufbahn ein und arbeitete 1924/25 am Istituto di studi superiori205 in Florenz unter Salvemini. Zwar war Chabod von Salvemini als Persönlichkeit beeindruckt, wurde wissenschaftlich jedoch kaum von ihm beeinflusst. Wichtiger für ihn waren Croce, aber auch Meinecke, bei dem er zwei Semester in Berlin studierte. In diesem Auslandsjahr betätigte er sich auch als Korrespondent für La Stampa. Interessanterweise hatte all dies langfristig aber keine Wirkung auf Chabods öffentliche Praxis. Im völligen Gegensatz zu Croce, Salvemini oder Meinecke zeigte er später kaum Interesse, sich in der Presse zu äußern. Er teilte ebenso wenig Meineckes und Salveminis Auffassung eines Zusammenhangs von Politik und Moral. Unter der Diktatur half er zwar dem akut bedrohten Salvemini 1925 bei dessen Flucht über die französische Grenze, aber es ist Renzo De Felice wohl zuzustimmen, dass dies wenig über Chabods politische Haltung aussagte. Chabod achtete den Antifaschisten Salvemini wegen seiner wissenschaftlichen Verdienste ebenso wie er 1954 den Faschisten Volpe wegen dessen wissenschaftlicher Verdienste würdigte. Wenn er sich im Faschismus auch politisch nicht sonderlich exponierte, trat er jedoch 1933 der Partei bei und beteiligte sich mit zwei Beiträgen am Dizionario di politica des PNF. Nach seiner obligatorischen Schultätigkeit wechselte er 1930 zur von Volpe geleiteten Scuola di storia moderna. Hier verfasste er auch eines seiner wichtigsten Werke, über Mailand zur Zeit Karls V.206 Im Anschluss wurde er 1935 auf einen Lehrstuhl der Universität Perugia berufen und erhielt 1938 die Pro­fessur für Mittlere und Neuere Geschichte in Mailand. Er begrüßte etliche Maßnahmen des Regimes, vor allem die Eroberung Äthiopiens. Erst als Mussolini beabsichtigte, das Aostatal zu italienisieren, ging er auf Distanz zum Faschismus.207 Die Jahre 1944–1946 waren indessen eine besondere Phase in Chabods Leben, denn im Gegensatz zur Zeit davor wie danach widmete er sich aktiv der 204 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus verschiedenen Werken, insbesondere Soave; Sestan, Chabod, S. 3–6; Tessitore, S. 313; De Felice, storici, S. 580–591; Venturi; Sasso, Chabod. 205 Das Istituto di studi superiori war eine höhere Bildungsanstalt außerhalb des Universitätssystems nach Vorbild der französischen Grandes Ecoles. Siehe hierzu Porciani, S. 471. 206 Chabod, Lo stato di Milano. 207 Das Aostatal war der einzige Teil des ehemaligen Savoyen, der bei der italienischen Staatsgründung 1861 nicht an Frankreich abgetreten werden musste. Die Bewohner sprachen daher weitgehend französisch oder einen frankoprovenzalischen Dialekt.

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Politik. Sergio Soave meint, Chabod habe sich während des Zweiten Weltkriegs gegen den Faschismus entschieden, weniger wegen des Kriegseintrittes selbst als wegen Italiens internationaler Positionierung im Krieg. Er wollte, dass seine Heimatregion autonom bleibe, gleichzeitig aber war er ein entschlossener Gegner aller Bestrebungen, das Tal von Italien zu trennen. Seit 1944 fuhr er immer öfter ins Aostatal und schloss sich dort dem illegalen PdA und den Partisanen an. Gegenüber anderen Partisanengruppen und alliierten Offizieren versuchte er seine politische Position durchzusetzen. Militärische Kenntnisse besaß er nicht, da er als Erstgeborener einer Witwe keinen Wehrdienst hatte leisten müssen. Dennoch stieg er bald zum Führer der Resistenza im Aostatal auf. Laut Soave waren die Anerkennung der Autonomie durch den CLNAI und die Regierung Ivanoe Bonomis unzweifelhaft sein Verdienst. Nach einer schweren militärischen Niederlage der Partisanen musste er mit den übrigen Widerstandskämpfern im Herbst 1944 nach Frankreich fliehen. Entgegen seinem Willen ließen die französischen Behörden ihn als Gegner ihrer Annexionspolitik auch nicht mehr ins Aostatal zurück. Erst am 8. Mai 1945 konnte er heimkehren. Dort wurde er zunächst Vizepräfekt seiner Heimatregion und mit großen Problemen konfrontiert, da von Frankreich unterstützte Separatisten vehement ein Referendum über die Loslösung von Italien verlangten. Es kam zu Unruhen. Chabod verhandelte in Rom über einen weitgehenden Autonomiestatus für die Region und wurde am 10. Januar 1946 sogar zum Präsidenten des Aostatales gewählt. Allerdings berichtete er einem Freund, dass er unter der politischen Arbeit, vor allem unter ungerechten Angriffen auf seine Person, sehr leide, und sich deshalb seine Gelehrtentätigkeit zurückwünsche. Am 26. März 1946 eskalierte die Lage, als demonstrierende Separatisten die Präfektur in Aosta stürmten, Chabods Büro verwüsteten und ihn persönlich bedrohten. Das führte allerdings dazu, dass sich Sympathisanten von den Separatisten distanzierten. Diese konnten sich langfristig nicht durchsetzen und das Aostatal blieb letztlich autonomer Bestandteil Italiens. Am 10.  Dezember 1946 zog sich Chabod zugunsten einer Professur in Rom aus der Politik zurück. In den folgenden Jahren nahm er etliche bedeutende Positionen der italienischen Historiographie ein und wurde in den fünfziger Jahren zu dem wohl führenden Geschichtswissenschaftler seines Landes. Croce berief ihn als Direktor an das von diesem neu gegründete Istituto italiano per gli studi storici in ­Neapel208 und Chabod sorgte in der Folge für das Wiedererscheinen der RSI, der er ab 1948 als Mitherausgeber angehörte und die er bis 1958 als verantwortlicher Leiter führte. Italien vertrat er zudem im internationalen Bureau des CISH und wurde auf dem X. Internationalen Historikerkongress in Rom 1955 auch zum Präsidenten des Weltverbandes gewählt. Mit seinem Buch über die Außen­ politik nach der nationalen Einigung schuf er einen Klassiker der italienischen 208 Vgl. Jannazzo, S. 26. Dieses Amt übte Chabod bis zu seinem Tod aus, lehrte daneben aber auch weiterhin in Rom.

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Historiographie.209 Außerhalb der Fachöffentlichkeit aber mischte sich Chabod fast niemals ein. Symptomatisch war vielleicht das Urteil des Rechtshistorikers Edoardo Ruffini, der Chabod am 24. Mai 1955 als einen der »reinen« Gelehrten bezeichnete, von denen es nicht mehr viele gebe.210 Chabod starb im Alter von 59 Jahren am 14. Juli 1960 nach schwerer Krankheit. Mario Bendiscioli211 wurde am 8. Januar 1903 in Passirano bei Brescia als zehntes Kind eines Ingenieurs geboren. 1921 trat er mit gerade einmal 18 Jahren dem katholischen Partito Popolare Italiano bei. Noch im gleichen Jahr immatrikulierte er sich an der Universität Pavia und reichte dort 1925 bei Ettore Rota seine Abschlussarbeit über den Mailänder Erzbischof Carlo Borromeo ein. Trotz des sich verfestigenden faschistischen Systems war seine Sozialisation dabei fast ausschließlich von der katholischen Kirche und deren Laienorganisationen geprägt. So nahm er viele Jahre lang an den Veranstaltungen der Ordensgemeinschaft der Oratorianer in Brescia teil und wurde vor allem durch einen seiner dortigen Lehrer, Pater Giulio Bevilacqua, beeinflusst. Bendiscioli bewunderte Bevilacqua für dessen kritische Haltung zum Faschismus, die im Gegensatz zur offiziellen Kirchenpolitik stand. Die Lateranverträge sah er selbst skeptisch und glaubte nicht an die Möglichkeit, den Faschismus zu christianisieren. Ferner engagierte sich Bendiscioli bei der FUCI und der Bewegung katholischer Hochschulabsolventen. Seit 1926 unterrichtete er an verschiedenen Gymnasien, seit 1933 in Mailand. Schon seit 1928 betätigte er sich zudem als Berater des katholischen Verlagshauses Morcelliana und unterbrach seine Arbeit in den dreißiger Jahren für ein Jurastudium, welches er 1935 abschloss. Durch zahlreiche private Studienaufenthalte in Berlin, Wien, München, Salzburg, Maria Laach und Paris bildete er sich nebenbei kontinuierlich fort und beschäftigte sich mit Religionsgeschichte. Seit 1939 war er auch Privatdozent für Geschichte des Christentums an der staatlichen Universität Mailand. Zeitweise erwog Bendiscioli, Italien wegen des Faschismus zu verlassen. In seiner wissenschaftlichen Arbeit wurde er allerdings nicht behindert, obwohl einer seiner Forschungsschwerpunkte auf der deutschen Geschichte lag. Seine Studie La Germania religiosa nel Terzo Reich (1936)212, die erste Untersuchung des Nationalsozialismus durch einen Nichtdeutschen, in der er unter anderem 209 Chabod, Storia della politica estera italiana. 210 Brief Ruffinis an Chabod, 24.5.1955, in: Istituto storico italiano per l’età moderna e contemporanea. Fondo Federico Chabod. III, 127. 211 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus verschiedenen Werken, insbesondere Marcocchi; Signori, S.  85–90; Interview Giuliani; Mario Bendiscioli, in: Anni, S.  47 f.; Lombardi; Bendiscioli, Kulturkampf, S.  3; ders., Germania religiosa 1977, S. 7 f.; ders., Appunti, S. 55 f. Einige Informationen entstammen zudem dem Questionario del Comitato di studio dei problemi dell’Università Italiana (15.1.1959), in: Archivio dell’Università degli Studi di Pavia, Fondo Mario Bendiscioli. Fascicolo ohne Namen. 212 Bendiscioli, La Germania religiosa 1936.

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Totalitarismus und Rassismus scharf kritisierte, konnte ohne Schwierigkeiten gedruckt werden. Wie er selbst später berichtete, dankte ihm Mussolini sogar für ein ihm zugeschicktes Exemplar. Eine englische Version des Buches213 vernichteten die Behörden 1939 allerdings nach deutscher Intervention. In diesen Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg begann Bendiscioli außerdem, an illegalen Treffen der katholischen Opposition teilzunehmen und war in Brescia Ver­ bindungsmann zum PdA. Zudem schrieb er seit den dreißiger Jahren auch für katholische Zeitungen und Zeitschriften. In mehreren Artikeln verurteilte er den Antisemitismus und machte im Gegensatz zu manchen anderen katho­ lischen Autoren keinen Unterschied zwischen einem biologistischen Antisemitismus und einer religiös begründeten Verdammung des Judentums. In der katholischen Zeitung L’Italia nahm er überdies am 3. Juni 1938 eindeutig Stellung gegen die Einführung der Rassengesetze in Italien. Am 6.  Januar 1944 wurde er als Oppositioneller zum ersten Mal verhaftet und am 24. Oktober 1944 ein weiteres Mal. Er hatte dabei Glück, dass seine Frau rechtzeitig belastende Dokumente vernichten konnte. Auch profitierte er von seinen guten Deutschkenntnissen, bei denen er in den Verhören ohne Dolmetscher direkt mit den Vernehmenden sprechen konnte. Glaubhaft präsentierte er sich als unpolitischer Gelehrter, der nur zufällig am falschen Ort gewesen sei.214 Nach der Befreiung war Bendiscioli zunächst wieder Lehrer für Geschichte und Philosophie in Mailand und lehrte nebenbei erneut an der Universität. 1951–1959 leitete er die Archive des INSMLI und 1953 nahm auch seine akademische Karriere Fahrt auf. Er erhielt einen Lehrstuhl an der pädagogischen Hochschule in Salerno und wurde 1958 zum Ordinarius für Neue Geschichte nach Pavia berufen. In den Jahren 1945/46 schrieb er dazu des Öfteren für das Parteiorgan der DC, Il Popolo. Diese Partei sorgte auch für seine Ernennung zum Schulkommissar des lombardischen CLN und weiterhin avancierte Bendiscioli zum Mitglied der Schulreformkommission in Rom. Als Kommissar der Resistenza war er eigentlich für die Säuberungen an der Universität Mailand zuständig, musste aber mit ansehen, wie kompromittierte Wissenschaftler schnell in die DC eintraten, dort wichtige Funktionen übernahmen und sich so der Unter­suchung entzogen. Enttäuscht schränkte er seine außerakademischen ­Engagements wieder ein. Auch wenn er Mitte der fünfziger Jahre noch einmal erwog, für den Popolo zu schreiben, sowie ab und an Artikel für das Lokalblatt Giornale di Brescia verfasste, lag es im Grunde nicht in seiner Absicht, ein größeres Publikum direkt anzusprechen. Viel eher richteten sich seine Texte an Experten. Wichtig war ihm vor allem sein Engagement für eine gute Schulbildung; hierfür setzte er sich in Fachzeitschriften, als Autor von Schulbüchern und auch als Teilnehmer von 213 Ders., Nazism versus Christianity. 214 Zeitzeugengespräch mit Prof. Giorgio Bendiscioli, dem Neffen Mario Bendisciolis, am 26.6.2008. Möglicherweise halfen Bendiscioli auch Angehörige der faschistischen Sicherheitskräfte, die sich gegenüber der Zeit nach der absehbaren Niederlage absichern wollten.

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Schulbuchkonferenzen zur Vereinheitlichung des Geschichtsbildes in Europa ein. 1946–1951 übernahm er die Rolle des Mitherausgebers der katholischen Kulturzeitschrift Humanitas, einer Gründung seines vatikankritischen Lehrers Padre Bevilacqua, ferner fungierte er als Herausgeber der Fachzeitschrift Scuola e Vita und sprach im Rahmen des Bildungsprogramms im Rundfunk. Journalisten, die über Geschichte schrieben, ärgerten ihn zumeist, da sie seiner Ansicht nach nicht die Menschen in die Lage versetzten, komplizierte Sachverhalte zu begreifen, sondern stattdessen zu sehr vereinfachten, um die jeweiligen Inhalte zu popularisieren.215 Dass viele kompromittierte Faschisten in der DC wichtige Positionen einnahmen, war einer der Gründe, wieso Bendiscioli kein Mitglied der Christ­ demokraten wurde. In seinem Häftlingstagebuch, das er kurz nach der Befreiung 1945 verfasste, aber erst 1975 veröffentlichte, distanzierte er sich von der katholischen Partei, die mehr die Interessen der kirchlichen Institutionen als das Bekenntnis vertrete. Trotz dieser gewissen Distanz war Bendisciolis Verhältnis zur DC dennoch intensiv. Er verfügte über enge Kontakte zu wichtigen Politikern, die er aus der gemeinsamen Zeit im katholischen Widerstand kannte und mit denen er bisweilen in vertrautem Briefwechsel stand.216 Obgleich der Lehrstuhl in Salerno, den er in den fünfziger Jahren bekleidete, noch keine herausragende Position in der italienischen Historiographie darstellte, war er einer der wichtigsten Vertreter der katholischen Geschichtswissenschaft und wurde folgerichtig auch häufig mit offiziellen Aufträgen betraut, etwa ein Buch über die Resistenza zu schreiben oder als Beiträger in dem offiziellen Festband zum Widerstand.217 1972 zog er sich aus der Universitätsarbeit zurück und starb am 7. Juli 1998. Delio Cantimori218 wurde am 30. August 1904 als Sohn eines überzeugten Republikaners, der als Lehrer, Journalist und Autor arbeitete, in Ravenna geboren. Seine Jugend war geprägt von Auseinandersetzungen zwischen Republikanern, Sozialisten und Faschisten. Hierin liegen Ursachen für Cantimoris Hinwendung zum Faschismus, den er als Revolution von oben betrachtete. Er inten­ sivierte dieses Engagement für das neue politische System, als er im Herbst 1924 215 Zeitzeugengespräch mit Giorgio Bendiscioli am 26.06.2008 und Bendisciolis Schüler, Prof. Xenio Luigi Toscani, am 20.05.2008; Mario Bendiscioli, in: Anni, S. 47 f. 216 Siehe etwa Brief Bendisciolis an Ministerpräsident Amintore Fanfani, 31.1.1954, oder an Verteidigungsminister Paolo Emilio Taviani, 26.5.1955, in: Archivio dell’Università degli Studi di Pavia, Fondo Mario Bendiscioli. Fascicolo »Resistenza, corrisp. e ritagli giornali«. 217 Brief des Erziehungsministers Giuseppe Ermini an Bendiscioli, 1.5.1955, in: Archivio dell’Università degli Studi di Pavia, Fondo Mario Bendiscioli. Fascicolo »Resistenza, corrisp. e ritagli giornali« und Siro Castrucci, Democrazia Cristiana – Direzione Centrale – Ufficio Attività Culturale, an Bendiscioli, 6.10.1954, in: Archivio dell’Università degli Studi di Pavia, Fondo Mario Bendiscioli. Fascicolo ohne Namen. 218 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus verschiedenen Werken, insbesondere Miccoli; D’Elia; Vittoria, Pci.

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an die Scuola Normale Superiore kam. An dieser Eliteuniversität beeinflusste ihn nachhaltig Giuseppe Saitta, ein Faschist vom antiklerikalen Flügel der Partei, der überdies die Zeitschrift Vita Nova mitbegründet hatte. Dort arbeitete Cantimori seit 1927 mehrere Jahre lang eifrig mit, anschließend schrieb er auch für die Kulturzeitschrift Leonardo (1926 trat er dem PNF bei). Sein Studium schloss er 1928 mit einer Arbeit über Ulrich von Hutten ab, deren Betreuer unter anderem Gentile war. Seit 1929 lehrte er an verschiedenen Gymnasien, immatrikulierte sich gleichzeitig in Pisa für deutsche Literatur und machte dort 1931 einen weiteren Abschluss. Seine Tätigkeit an den Schulen unterbrach er immer wieder für Forschungsreisen, vor allem nach Deutschland. Im Oktober 1934 wurde er A ­ ssistent am Istituto italiano di studi germanici in Rom und 1936 auch Privatdozent, seit 1937 mit einem Lehrauftrag für Geschichte des Christentums. 1939 folgte ein wichtiger Karriereschritt durch seinen ersten universitären Lehrstuhl in Messina, doch schon ein Jahr später wurde er als Professor an die Normale berufen. In den Jahren 1943/44 war er sogar der faktische Leiter der Eliteschule. Während des Faschismus entstanden seine wichtigsten wissenschaftlichen Werke zu Häretikern in der Renaissance und Utopisten im Zusammenhang der Französischen Revolution.219 Cantimoris historiographischer Werdegang ist umstritten.220 Er gilt als ein wichtiger Vermittler deutscher Kultur nach Italien und vereinte darüber hinaus deutsche und italienische Geistesströmungen. Laut Nicola D’Elia war seine Hinwendung zu Deutschland in der Zwischenkriegszeit (die Zeit seines Lebens anhielt) fundamental für seine akademischen wie politischen Ansichten. Beeinflusst wurde er an erster Stelle von Max Webers Idee der Trennung von wissenschaftlicher Arbeit und Tagespolitik, Cantimori verfocht aber keine absolute Identifizierung mit einem Rankeschen Objektivismus, der alles re­lativ betrachte. Er vertrat die Überzeugung, 1914 sei die alte liberale und bürger­ liche Welt endgültig untergegangen und mit ihr auch die Demokratie und der Reformsozialismus. Wie viele Angehörige seiner Generation glaubte er daher, in einem Zeitalter politischer Revolutionen zu leben, im Zuge derer es in unterschiedlichen Ländern verschiedene gesellschaftliche Experimente gebe. Das könnte Cantimoris Zustimmung zum Faschismus erklären. In den dreißiger Jahren war er von der nuova civiltà des Faschismus und ihrer antibürgerlichen Haltung begeistert. Unter diesen Voraussetzungen bezweifelt D’Elia auch Roberto Perticis These, die Annäherung Italiens an NS-Deutschland und den Antikommunismus hätten Cantimoris Abwendung vom Faschismus beschleunigt. Vielmehr lasse sich laut D’Elia seit dem politischen Bündnis zwischen Hitler und Mussolini 1936 eine stärkere Hinwendung Cantimoris zum

219 Cantimori, Eretici italiani; ders., Utopisti e riformatori italiani. 220 Zu den im Folgenden aufgeführten konträren Meinungen siehe Pertici; Sasso, Cantimori; Turi, Il fascismo.

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national­sozialistischen Deutschland feststellen. Der Historiker aus Ravenna inter­pretierte und bewunderte den Nationalsozialismus als eine antiindividualistische Demokratie. D’Elia verneint auch Adriano Prosperis These, Cantimori habe als Folge seiner Forschungen zu den Häretikern Toleranz und religiöse Freiheit als Werte ins Zentrum seiner Werke gerückt, was ab Mitte der dreißiger Jahre seine Distanzierung vom Faschismus herbeigeführt habe. Unter Toleranz verstand ­Cantimori, der nicht die liberalen, sondern die totalitären Staaten für fortschrittlich hielt, nicht individuelle Rechte, sondern vielmehr die Gleichheit der Güter. Einfluss auf Cantimoris politische Wandlung hatte allerdings sicherlich die Heirat mit der kommunistischen Aktivistin Emma Mezzamonti 1935. Jedoch hatte er seine Ansichten bei seiner Hochzeit noch nicht geändert, ansonsten hätte Mezzamonti nicht einen hohen Führer des PCI wie Emilio Sereni um Erlaubnis für die Eheschließung bitten müssen. Auch nach Einführung der Rassengesetze 1938 beteiligte Cantimori sich an Regime-Projekten wie dem Dizionario di Politica oder der Zeitschrift Civiltà Fascista. Noch 1944 arbeitete er an einer Geschichte der NSDAP. Sicher ist sein Gesinnungswechsel zum Marxismus daher eigentlich nur für die Zeit nach der Befreiung mit seiner Bejahung der Strategie Palmiro Togliattis. Cantimori trat 1948 der Kommunistischen Partei bei, was eine Vertiefung seiner politischen Entwicklung nach Kriegsende darstellte, nachdem er sich der politischen Linken immer mehr angenähert hatte. Allerdings sah er seine politische Aktivität darin, auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung zu arbeiten. Dies war für ihn ein Mittel der kulturellen Erneuerung im Zuge einer breit gefassten sozialistischen Veränderung der italienischen Gesellschaft. In diesem Zusammenhang sind auch seine Beiträge für die marxistischen Zeitschriften Società, Rinascita und Risorgimento zu sehen. Hier propagierte er methodisch die Abwendung von der idealistischen Historiographie Croces, deren schematische Gegenüberstellung von Denksystemen der komplexen und lebendigen Wirklichkeit nicht gerecht würde. Er glaubte indes nicht, dass die marxistische Methode die einzig richtige sei, noch dass man ein für alle Mal die richtige Methode gewinnen könne. Zudem verlangte er im Gegensatz zur Partei, dass gerade kommunistische Verlage auch reaktionäre Bücher herausbringen müssten, damit die Leser Kenntnis ­davon erlangten. Erläuterungen könne man solchen Büchern voranstellen (das tat er selbst mit Vorworten häufig). Politische Aktivität im eigentlichen Sinne, wie sie im Rahmen seiner Parteimitgliedschaft gefordert wurde, verweigerte er fast völlig.221 Allerdings war Cantimori auch nicht auf die Unterstützung der Partei angewiesen, da er im traditionellen Wissenschaftssystem fest etabliert war. Seit 1948 hatte er beispielsweise die Position eines Mitherausgebers der RSI inne. Auch seinen Parteiaustritt im Zusammenhang mit dem Verhalten des PCI bei 221 Sitzungen der Partei und von angehörigen Institutionen sagte Cantimori etwa mit Hinweis auf seinen schlechten Gesundheitszustand regelmäßig ab. Vgl. Vittoria, Pci, S. 782 f.

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der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands durch sowjetische Truppen praktizierte er im Stillen, ohne Öffentlichkeit. Im Gegensatz zu Manacorda glaubte er nicht, dass man von innen heraus in der Kommunistischen Partei noch etwas bewirken könne. Schon am 28. März 1956 hatte er in einem persönlichen Brief die Fehler seines Lebens aufgezählt und dort an erster Stelle seinen Glauben genannt, etwas von Politik zu verstehen, und anschließend konkret sein Enga­ gement für Faschismus und Kommunismus. An anderer Stelle meinte er, wenn man Forscher sei und Politik betreiben wolle, also etwas sein wolle, was man nicht sei, dann mache man es nur schlecht. Cantimori schrieb folgerichtig nicht für Massenblätter. Nur für eine kurze Zeit beteiligte er sich an der Kulturseite des Florentiner Nuovo Corriere. Weil dort ebenso wie in seinen Artikeln für die marxistischen Fachzeitschriften die behandelten Themen stets ohne einen erkennbaren Bezug zur Gegenwart blieben, war es nicht inkonsequent, wenn er nach dem Parteiaustritt meinte, er würde weiterhin für Società schreiben, falls das möglich sei.222 Von nun an wollte er nur noch ein privater Gelehrter sein und wies auch das Angebot der Sozialistischen Partei zurück, zu ihr überzutreten. Cantimori starb am 13. September 1966 bei einem Unfall in seinem Haus in Florenz. Ettore Passerin d’Entrèves223 wurde am 26.  Dezember 1914 in Turin als Sohn eines Grafen aus dem Aostatal geboren. Seine Familie galt als die traditionell bedeutendste der kleinen Alpenregion und hatte dort auch ursprünglich die Lehnsherrschaft ausgeübt. Zeit seines Lebens blieb er dieser französisch­ sprachigen Region stark verbunden. 1932 immatrikulierte er sich an der Universität Turin im Fach Jura und reichte 1936 bei Gioele Solari seine Abschluss­arbeit über den Historiker und Politiker Cesare Balbo ein. Es ist bezeichnend für den geringeren Grad an Professionalisierung in der italienischen Historiographie, dass ein Juraabsolvent wie Passerin, der niemals Geschichte studiert hatte, später dennoch in diesem Fach Ordinarius werden konnte. Zunächst wurde er jedoch Lehrer und dann Direktor des Gymnasiums in Aosta. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges erfolgte seine Einberufung zum Militär und wie alle Hochschulabsolventen wurde er sogleich Offizier. Nach dem staatlichen Zusammenbruch am 8.9.1943 desertierte er und schloss sich im Aostatal der Resistenza an. Im Zuge der schweren Niederlage der Partisanen im November 1944 floh er vor den deutschen Truppen in die Schweiz. Nach Kriegsende konnte er zurückkehren und setzte sich im Aostatal 1945/46 gemeinsam mit Chabod und seinem Onkel Alessandro Passerin d’Entrèves, einem Dozenten für Rechtsphilosophie, für den Verbleib seiner Heimat bei Italien und gegen die Separatisten ein. Schon während des Krieges hatte er be222 Zu weiteren Beiträgen Cantimoris für diese Zeitschrift kam es allerdings nicht. 223 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus Traniello bzw. zu P ­ asserins Tätigkeit als Lehrer in Aosta siehe auch Archivio Passerin Châtillon, periodo partigianato e internamento in Svizzera.

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gonnen, für italienischsprachige Zeitungen im Schweizer Exil wie Il Dovere und Popolo di Libertà aus Bellinzona zu schreiben. Dieses Engagement setzte er nach der Befreiung bei Blättern im Aostatal fort. Im September 1945 berichtete er seiner Frau von Beiträgen für verschiedene kleinere Zeitungen und auch einem Vorstellungsgespräch bei der Kulturzeitschrift Comunità in Mailand, bei der Passerin in den vierziger Jahren als Mitarbeiter fungierte.224 Zudem wurde er als Angehöriger der Resistenza 1945/46 selbst Herausgeber der Zeitung La Voix des Valdotains. Diese Zeitung La Voix bezeichnete Passerin in einem Brief an seine Frau selbst als schlecht, aber dennoch als etwas, das im Kampf für den Verbleib seiner Heimat bei Italien nützlich sein könne.225 Es waren allerdings nicht ausschließlich patriotische Gründe, die Passerins öffentliche Praxis außerhalb der Fachorgane nach 1945 begründeten. Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg geriet er in finanzielle Schwierigkeiten, als sein Vater 1947 starb und hohe Hypotheken auf dem Familienbesitz lasteten. Gleichwohl wollte er seinen kostspieligen Lebensstil aufrechterhalten. Hierin lag ein Motiv für sein mediales Engagement, das ihm zusätzliche Einkünfte bescherte.226 Kurzfristig engagierte er sich nach Kriegsende auch im Partito della Sinistra Cristiana, stellte das aber bald wieder ein. Ein wichtiger Grund war, dass der Vatikan dieses Projekt einer christlichen Linken ablehnte, da alle katholischen Kräfte lieber unter dem Dach einer einzigen Partei gebündelt werden sollten.227 Dieser gemeinsamen Kraft, der DC, stand Passerin indessen ablehnend gegenüber. Anfangs hoffte er noch, dass sich dort die linken Kräfte um Amintore Fanfani durchsetzen würden, sah sich darin jedoch schnell enttäuscht.228 Am 29. Juli 1948 meinte er in einem Brief an Ragionieri, die DC sei eine Schande. Für die Volksfront aber wollte er sich ebenso wenig begeistern, denn diese bestehe auch nur aus Konservativen mit revolutionärer Tradition, keinesfalls aber aus wirklichen Revolutionären.229 Freilich war Passerin auch ein gläubiger Christ, was dem Marxismus wohl entgegenstand. Er band sich fortan an keine Partei mehr (außer an eine regionale Gruppierung im Aostatal in seinem letzten Lebensjahrzehnt). 224 Brief Passerins an seine Frau Vittoria, 7.9.1945, in: Archivio Passerin Châtillon, Corrispondenza Maggio 1945–1946. 225 Brief Passerins an seine Frau Vittoria, 4.9.1945, in: Archivio Passerin Châtillon, Corrispondenza Maggio 1945–1946. Am 12.9.1945 schrieb er seiner Frau, La Voix werde es nicht mehr lange geben, er überlege daher, was er anschließend tun könne. Siehe ebd. 226 Zeitzeugengespräch mit Claudia Passerin d’Entrèves, 10.6.2008. 227 Vgl. Casula, S.  181–188; Zeitzeugengespräch mit Passerins Schüler, Prof. Mario Rosa, 19.6.2008. Offensichtlich war die linke christliche Partei aber im Aostatal auch nicht erfolgreich. Am 10.10.1945 musste Passerin der Parteileitung mitteilen, dass man in Aosta keine eigene Sektion gründen könne, da es nur insgesamt drei Mitglieder gebe, von denen einer oft nicht anwesend sei. Siehe Archivio Passerin Châtillon, Lettere circolari e mozioni del Partito della Sinistra Cristiana – 1945. Eine Massenbasis besaß der Partito della Sinistra Cristiana allenfalls in Mittelitalien. Vgl. Casula, S. 191. 228 Zeitzeugengespräch mit Claudia Passerin d’Entrèves, 10.6.2008. 229 Fondo Ernesto Ragionieri, No. 1500.

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Die Enttäuschung über die politische Entwicklung, aber ebenfalls sein einsetzender beruflicher Erfolg ließen Passerin weniger Gewicht auf seine außer­ fachliche öffentliche Praxis legen. Nachdem er bereits seit 1946 in Florenz eine Stelle als Geschichts- und Philosophielehrer an einem Gymnasium erhalten hatte (seine Ehefrau entstammte dem Florentiner Adelsgeschlecht der T­orrigiani), wurde er 1948 zunächst Privatdozent und kurz danach auch Lehrbeauftragter für Geschichte des Risorgimento an der Universität Pisa als Nachfolger Walter Maturis. Geschichte des Risorgimento war zu dieser Zeit noch der modernste Fachbereich, denn den ersten Lehrstuhl für Storia Contemporanea erhielt erst 1950 in Florenz Giovanni Spadolini. Allerdings gab Passerin sein öffentliches Engagement nicht vollständig auf. Er mischte sich in kulturpolitische Debatten ein, schrieb für die katholische Kulturzeitschrift Studium, aber auch für Belfagor und den sozialdemokratischen Ponte. Ebenso lieferte er et­ liche Beiträge für das Bildungsprogramm des Rundfunks. 1952 gründete er mit einer Gruppe weiterer katholischer Gelehrter seine eigene Fachzeitschrift Quaderni di cultura e storia sociale, die er zwei Jahre später jedoch wegen finan­zieller Schwierigkeiten wieder einstellen musste. 1956 erhielt Passerin schließlich einen Ruf als Professor für Geschichte des Risorgimento an die Universität Pisa. Das Risorgimento war neben der Geschichte religiöser Bewegungen sein Hauptforschungsgebiet, in dem er unter anderem auch ein Werk über Camillo Cavour verfasste.230 Dabei entwickelte er sich zu einer Art Bindeglied zwischen der katholischen Historikerschaft und den übrigen Kollegen und wurde 1961 als Professor für Neue Geschichte an die Università Cattolica in Mailand berufen, wo er auch Storia Contemporanea unterrichtete. 1965 ging er als Professor nach Turin und lehrte dort bis 1985.231 Passerin d’Entrèves starb am 2. März 1990. Gastone Manacorda232 wurde am 10.  Mai 1916 in Rom als Sohn eines Uni­ versitätsdozenten für italienische Literatur geboren. Sein Vater, ein Demokrat, Mitglied der Sozialistischen Partei sowie überzeugter Pazifist, starb jedoch bereits 1920. Während seine Mutter daher als Italienischlehrerin arbeiten musste, um den Lebensunterhalt zu verdienen, war Manacorda mit seinen Brüdern in einem katholischen Kolleg untergebracht. Er schrieb sich nach der Schule für Jura ein und machte 1938 seinen Abschluss. Geschichte hingegen studierte Manacorda nie. An der Universität kam er, der sich Mitte der dreißiger Jahre noch über den Äthiopienfeldzug begeistert hatte, indessen mit jungen Menschen in Kontakt, die antifaschistisch gesinnt waren und später seine Weggefährten in der Kommunistischen Partei werden sollten. Anschließend erhielt er eine Anstellung als 230 Passerin d’Entrèves, L’ultima battaglia. 231 Noch in diesem Jahr verfasste er seine letzte große Arbeit. Siehe ders., Guerra e riforme. 232 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus Vittoria, profilo; dies., Pci, S. 845; Natoli, S. 659; Procacci, S. 5.

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Gymnasiallehrer. 1942 zog man ihn zum Militär ein und er diente als Leutnant beim Armeekorps in Treviso. Nach dem 8. September 1943 wurde die Stadt von den Deutschen besetzt und das Korps löste sich auf. Manacorda ging heimlich nach Rom und nahm dort Kontakt zur Untergrundorganisation des PCI auf, wo er als Mitglied der politisch-militärischen Führung der Kommunistischen Partei für die zentralen Bezirke der Hauptstadt an der Resistenza teilnahm. Nach dem Krieg wurde er von den italienischen Streitkräften als partigiano combattente mit dem Dienstgrad eines Hauptmanns anerkannt und wegen seiner Verdienste ausgezeichnet. Er hatte begonnen, sich für Geschichte zu interessieren, weil er nach einer Antwort darauf suchte, was der Faschismus eigentlich gewesen war und wie es zu ihm habe kommen können. Diese Überlegungen intensivierten seine Hinwendung zum Kommunismus. Große Bedeutung besaß für ihn in diesem Zusammenhang die Begegnung mit Cantimori, den er 1942 kennen lernte. Cantimori war nicht Manacordas wissenschaftlicher Betreuer und es bestand zwischen beiden auch keine akademische Beziehung. Beeindruckt durch ­Cantimoris Persönlichkeit nannte Manacorda diesen jedoch später stets seinen Maestro. Manacordas Biographin Albertina Vittoria meint, dass beide ihre politischen Interessen und ihre Überzeugungen als Untersuchungsgegenstand betrachteten, aber zwischen politischer und wissenschaftlicher Praxis getrennt hätten. Allerdings wurde Manacorda zwar methodisch-wissenschaftlich von Cantimori beeinflusst, aber nicht hinsichtlich seiner außerfachlichen öffent­ lichen Praxis, denn Manacorda war gerade jemand, der im Unterschied zu Cantimori Artikel für die Massenmedien der Partei schrieb und sich somit auch propagandistisch in den Dienst des Kommunismus stellte. Direkt politisch engagierte er sich indessen nur in der Zeit unmittelbar nach der Befreiung, hielt sich dafür aber nicht für berufen und beteiligte sich fortan nur noch an der kulturellen Arbeit der Partei. Er gab die Collana del marxismo heraus und übernahm in den zwei Jahren ihres Bestehens 1945/46 ferner die Herausgabe der Zeitschrift La cultura sovietica. Regelmäßig beteiligte er sich an den Publikationen der Partei, sowohl dem Massenblatt L’Unità als auch bei den Kulturzeitschriften Rinascita, Calendario del Popolo, Vie nuove oder La voce della scuola. Seit 1949 leitete er Società, dem Konzept nach eine marxistische Spezialzeitschrift, die sich mit grundlegenden Fragen von Wissenschaft und Kultur beschäftigen und nicht in den Tageskampf einmischen sollte. Manacorda war überzeugt von Antonio Gramscis These, dass man für die Machtübernahme der Kommunistischen Partei und die gesellschaftliche Umwälzung in einem fortentwickelten Land wie Italien zunächst die kulturelle Hegemonie gewinnen müsse. Eine besondere Bedeutung kam demnach der Haltung der Intellektuellen zu und diese Intellektuellen für die kommunistische Sache ein­ zunehmen, darin sah er den Sinn seiner Kulturarbeit. Seine Stellung als Società-Herausgeber musste er allerdings 1956 auf­geben, nachdem er intern die Haltung der Parteiführung beim sowjetischen Einmarsch in Ungarn kritisiert hatte. Manacorda machte seine oppositionelle An90 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

sicht im Gegensatz zu vielen seiner Genossen indessen nicht öffentlich und blieb Mitglied der Kommunistischen Partei. Er schrieb Cantimori, er habe zwar keiner­lei Illusionen über das Funktionieren moderner Massenparteien, die auf Einheit und Disziplin beruhten. Der Einzelne habe indes die Möglichkeit, von Fall zu Fall Widerstand zu leisten. Nach einer Änderung der parteipolitischen Ausrichtung wurde er 1959 erneut mit dem Leitungsposten einer neuen Zeitschrift betraut: Studi Storici, die gegenüber Società aber ausschließlich geschichtswissenschaftlich ausgerichtet war. Diese intensive öffentliche Praxis in den Massenmedien resultierte jedoch nicht nur aus Manacordas persönlicher Grundhaltung, sondern ergab sich auch aus seiner konkreten Lebenssituation. Zwar ist er als einer der Pioniere der Arbeitergeschichtsschreibung in Italien anzusehen, dennoch erlangte er eine klassische akademische Position nicht vor dem Jahr 1955, als er nach der Veröffentlichung seiner Studien zu den Kongressen der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert233 mit Unterstützung Cantimoris und mit Erlaubnis Chabods eine Privatdozentur an der Universität La Sapienza in Rom erhielt. Dies bedeutete zwar eine Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistung, allerdings konnte er dadurch noch keineswegs seinen Lebensunterhalt bestreiten. Insofern war er auf seine Tätigkeiten im Rahmen der Partei materiell angewiesen, die ihm sein Auskommen sicherten. Unverändert lag der Schwerpunkt seiner Tätigkeit auf den Zeitschriften und Instituten (Biblioteca Feltrinelli, Fonda­ zione Gramsci) des PCI, dessen zentraler Kulturkommission er ebenfalls angehörte. Erst 1968 wurde er auf einen Ordinarienlehrstuhl in Catania berufen. 1978 wechselte er an die Sapienza und lehrte dort bis zum Jahr 1992. Manacorda starb am 27. April 2001. Armando Saitta234 wurde am 15. März 1919 in Sant’Angelo di Brolo bei Messina geboren. Sein Vater, ein kleiner lokaler Unternehmer, starb früh, und die Familie war deshalb in großen finanziellen Schwierigkeiten. Saitta gelang es im Folgenden gleichwohl, mehrere Schulklassen zu überspringen und kam schon mit sechzehneinhalb Jahren an die Eliteschule Scuola Normale Superiore. Zu seinen dortigen Lehrern gehörten Luigi Russo und Carlo Morandi. Großen Einfluss gewann auf ihn allerdings Cantimori, mit dem er seit 1938 in Kontakt stand und der ab 1940 auch an der Normale lehrte. Aufgrund einer Krankheit ver­zögerte sich Saittas Abschlussprüfung bis zum Jahr 1941, die er unter anderem bei Morandi ablegte. Anschließend wurde er stellvertretender Rektor der Lehrer­bildungsanstalt für Grundschullehrer in San Miniato. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Saitta zunächst bis 1949 an Studien zu französischen Verfassungen als Teil eines Expertenprojekts für die Verfassungsgebende Versammlung in Rom. Sestan, der ebenfalls an dem Projekt be233 Manacorda, Il movimento operaio 1953. 234 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus verschiedenen Werken, insbesondere Simoncelli, Premessa; ders., Origine di un’amicizia.

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teiligt war, förderte diese Arbeit und unterstützte Saittas Forschungsreise nach Frankreich, das auch in Zukunft ein Hauptforschungsgebiet des sizilianischen Historikers darstellen sollte. Des weiteren beschäftigte Saitta sich mit dem Jakobinismus in Italien und verfasste über dessen Exponenten Filippo Buonarroti 1950 eine seiner wichtigsten wissenschaftlichen Arbeiten.235 1955 schrieb er zudem ein erfolgreiches Schulbuch für italienische Geschichte.236 Seit 1950 war er ferner Sekretär des Istituto storico italiano per l’età moderna e ­contemporanea in Rom, ging kurz darauf als Dozent für italienische Sprache an die Univer­ sität Granada in Spanien und wurde 1954 schließlich als Professor für Neue Geschichte nach Pisa berufen. Daneben engagierte sich Saitta auch politisch, war seit 1944 im PdA aktiv, wandte sich nach dessen Scheitern aber dem Marxismus zu. Er übernahm eine Leitungsaufgabe in der italienisch-sowjetischen Freundschaftsorganisation ­Associazione Italia-Urss und gab seit 1953 die marxistische Zeitschrift Movimento operaio heraus, ohne allerdings jemals der Kommunistischen Partei beizutreten. Saitta war dadurch nicht verpflichtet, für die Parteiorgane zu schreiben. Tatsächlich hatte er so gut wie kein Interesse, sich in den Massenmedien zu engagieren.237 In einem Brief an Sestan wies er 1948 sogar mit gewissen Stolz darauf hin, dass aus seinen wissenschaftlichen Schriften seine politische Einstellung nicht erkennbar sei.238 1956 brach er in Folge der sowjetischen Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes jedoch mit dem politischen Marxismus.239 Er gab die Leitung von ­Movimento operaio auf und verließ die Associazione Italia-Urss. Dieser Bruch aber war ebenfalls kein Schritt, den Saitta öffentlich vollzog. So war er nicht bereit eine Berufung an eine andere Universität anzunehmen, die als politische Demonstration zugunsten des Antikommunismus hätte gewertet werden können.240 Dem Marxismus als wissenschaftlicher Methode blieb Saitta gleichwohl treu. 1962 gründete er seine eigene Fachzeitschrift Critica storica. Seine Ansicht von dem Ideal politisch unbeeinflusster Wissenschaft hatte er nicht ge­ ändert. 1960 betonte er zufrieden, dass anhand seiner neuesten Untersuchung ersichtlich werde, dass er als Autor auf keinen politischen Standpunkt festzu­ legen sei.241 1971 wurde Saitta als Professor an die Universität La Sapienza nach Rom berufen, wo er seit 1973 auch dem Istituto storico italiano per l’età moderna e contemporanea vorstand. Er starb am 25. Mai 1991 in Rom.242 235 Saitta, Filippo Buonarroti. 236 Ders., Il cammino umano. 237 Zeitzeugengespräch mit Saittas Schüler, Prof. Paolo Simoncelli, 12.11.2007. 238 Brief Saittas an Sestan, 12.5.1948, in: Istituto storico italiano per l’età moderna e contemporanea, Fondo Armando Saitta. 239 Zeitzeugengespräch mit Armando Saittas Sohn, Prof. Paolo Saitta, 28.11.2007. 240 Brief Saittas an Cantimori, 16.11.1956, in: Fondo Cantimori, SNS, Lettere Saitta  a Can­ timori. 241 Brief Saittas an Sestan, 26.11.1960, in: Fondo Sestan, SNS, Carteggio Saitta. 242 Vgl. Simoncelli, Premessa, S. 11.

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Ernesto Ragionieri243 wurde am 10. Juni 1926 in Sesto Fiorentino, einem Vorort von Florenz, als Sohn des örtlichen Apothekers geboren. Dort verbrachte Ragionieri den Großteil seines Lebens. Mit Kriegsende begann er sein Studium an der Universität von Florenz und schrieb bei Morandi 1949 seine Abschlussarbeit über das historiographische Konzept der Weltgeschichte. Daneben besaß auch Cantimori in den Anfangsjahren wissenschaftlichen Einfluss auf Ragionieri. Der junge Historiker war überzeugt, man könne den Faschismus nur begreifen, wenn man das Jahrhundert studiere, das ihm vorausging. So beschäftigte er sich mit der nationalen Einigung und ihren Grenzen auf politischer, kultureller, wirtschaft­ licher und sozialer Ebene, um die Strukturen des liberalen Italiens zu erfassen. Schon in frühesten Jahren ging Ragionieris wissenschaftliche Arbeit mit außer­fachlicher öffentlicher Praxis einher, denn er verdankte es der Vermittlung seines Doktorvaters Morandi, dass er seit 1946 für einige Jahre eine Stelle als Sekretär bei der neuen Kulturzeitschrift Belfagor erhielt.244 Nach seinem Abschluss verblieb Ragionieri an der Florentiner Universität als Assistent Salveminis, von dem er wissenschaftlich-methodisch aber fast nichts übernahm. Er kritisierte sogar öffentlich Salveminis Jugendschriften, hatte allerdings eine größere Ähnlichkeit mit seinem Vorgesetzten, was die Intensität seiner Mit­ arbeit bei den Massenmedien anbelangte. Ragionieri führte während des Studiums viele Diskussionen mit politischen Aktivisten in seiner Heimatstadt und näherte sich immer stärker der poli­ tischen Linken an.245 1948 betonte er etwa in einer Rezension, dass die Wahrheit des Gelehrten darin bestehe, mit den Genossen auf der Straße zu fühlen und zu leben, denn eine Kulturperson könne sich der Gesellschaft nicht entziehen, in der sie lebe. Bei den Parlamentswahlen 1948 engagierte er sich für die Volksfront und wurde regelmäßiger Mitarbeiter linksorientierter Medien. Trotzdem war er in dieser Zeit der Kommunistischen Partei gegenüber noch skeptisch, schrieb etwa in einem privaten Brief 1949, die Kommunisten seien intolerant, und in Gesprächen wiederholten sie nur das, was ohnehin jedermann bereits wisse.246 Über seine journalistische Tätigkeit intensivierte er allerdings seit 1950 seine Kontakte zum PCI, vor allem zu dessen Kulturkommission. Seine Hinwendung zur Politik wurde dabei nicht zuletzt von den Arbeitskämpfen und dem Eingreifen der Polizei gegen Streikende in seinem Heimatort Sesto Fiorentino beeinflusst. Am 10.6.1951 kandidierte er erfolgreich als Unabhängiger auf einer Liste des PCI bei den Kommunalwahlen in Florenz und trat kurz darauf der Partei schließlich auch bei. 243 Das Folgende beruht auf der Grundlage von Informationen aus verschiedenen Werken, insbesondere Detti, Ragionieri profilo; Soldani, sguardo, S. 83; Santomassimo, storio­g rafia, S. 39–54; Turi, Politica, S. 126–136; Gozzini, La storia, S. 189–192; Capetta, S. ­X XVII–XXIX. 244 Morandi empfahl ihm, sich mit seiner Empfehlung direkt an Belfagor-Herausgeber Russo zu wenden. Brief Morandis an Ragionieri, 25.7.1946, in: Fondo Ernesto Ragionieri, No. 1397. 245 Zeitzeugengespräch mit der Witwe Ernesto Ragionieris, Pina Ragionieri, und seinem Sohn, Rodolfo Ragionieri, 20.06.2008. 246 Brief Ragionieris an Giampiero Carocci, 7.2.1949, in: Fondo Ernesto Ragionieri, No. 2207.

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Ragionieri hielt es von Anfang an für notwendig diesen neuen politischen Standpunkt durch eine intensive öffentliche Praxis zu vertreten. Schon am 14. November 1950 hatte er dem Historiker Giuliano Procacci geschrieben, der ebenfalls dem PCI beigetreten war, eine solche Mitgliedschaft bedeute nicht nur eine Veränderung der eigenen wissenschaftlichen Position, sondern auch der Stellung als Intellektueller in der Gesellschaft: Man müsse akzeptieren, dass man zu einem anderen Publikum spreche und eine verständliche Sprache hierfür finden. Für seine akademische Arbeit sah er hierin keine Gefahr. So rechtfertigte er sich 1951 gegenüber seinem Freund Giampiero Carocci, sein politisches Engagement schade seiner akademischen Arbeit keineswegs, vielmehr führe es dazu, insgesamt entschlossener und präziser auch in seinen wissenschaftlichen Schriften zu werden. Keinerlei Verständnis hatte er für die Haltung von Vertretern der traditionellen Historiographie wie Walter Maturi, der Ragionieri geraten hatte, sich von der Politik fernzuhalten, da der Gelehrte über diesen Dingen zu stehen habe. Da, so Ragionieri, seien ihm die Katholiken mit einem konträren politischen Standpunkt wie Passerin d’Entrèves viel lieber.247 Wenn an Ragionieris politischer Überzeugung auch nicht zu zweifeln ist, waren für die hohe Intensität seiner außerfachlichen öffentlichen Praxis nicht zuletzt materielle Gründe ausschlaggebend. Er verdiente als wissenschaftlicher Angestellter der Universität nicht genug Geld, um davon sich und seine Familie zu ernähren.248 Seine Position war überdies schwach, da sein Doktorvater Morandi 1950 überraschend gestorben war und ihm keine Unterstützung mehr bieten konnte. Verschärfend kam freilich Ragionieris offenes politisches Engagement für den PCI hinzu. 1951 beklagte er, man habe ihm einen fast Achtzigjährigen bei der Vergabe einer Privatdozentur vorgezogen und auch sein Vater warnte ihn 1952 in einem persönlichen Brief vergeblich vor den Folgen seiner politischen Aktivität.249 Seinem Freund Carocci schrieb Ragionieri, er sei darauf angewiesen, für den Nuovo Corriere zu arbeiten, dennoch könne er sich die Heirat mit seiner Verlobten nicht leisten.250 Am 2. März 1951 kündigte er gegenüber Cantimori zwar an, er gebe das Artikelschreiben auf, damit er endlich zu seiner wissenschaftlichen Arbeit komme.251 Schon wenige Wochen später musste Ragionieri Carocci jedoch eingestehen, dass der Geldmangel ihn 247 Brief Ragionieris an Carocci, 10.2.1952, in: Fondo Ernesto Ragionieri, No. 2266. 248 1951 erhielt er als Assistente Straordinario laut seiner Ernennungsurkunde ein Monatsgehalt von 5.000 Lire. Siehe Fondo Ernesto Ragionieri, Contenitore 38. Die monatlichen durchschnittlichen Ausgaben einer Familie in Mittelitalien lagen 1953 allerdings bei 68.101 Lire. Vgl. hierzu Di Michele, S. 456. 249 Brief Ragionieris an Carocci, 2.4.1951, in: Fondo Ernesto Ragionieri, No. 2255 bzw. Brief Rodolfos an Ernesto Ragionieri, 1952 (?), in: Fondo Ernesto Ragionieri, No. 1616. 250 Brief Ragionieris an Carocci, 26.4.1950, in: Fondo Ernesto Ragionieri, No. 2226. 251 Brief Ragionieris an Cantimori, 2.3.1951, in: Fondo Cantimori, SNS, Lettere Ragionieri a Cantimori. Am 6.3.1951 schrieb er an Carocci, es bedeute einen erheblichen finanziellen Einschnitt, aber sein Buch über die Geschichte Sesto Fiorentinos zeige ihm, wie viel Zeit er mit Rezensionen verschwendet habe. Siehe Fondo Ernesto Ragionieri, No. 2252.

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gezwungen habe, erneut mehrere Aufsätze für die Tageszeitung zu verfassen.252 Der Historiker aus Sesto Fiorentino beschäftigte sich in dieser Zeit mit seinem ersten wichtigen wissenschaftlichen Werk, einer exemplarischen Lokalgeschichte seines Heimatortes bis zur Machtübernahme der Faschisten.253 Zwar war er seit 1956 Mitherausgeber der Resistenza-Fachzeitschrift Il Movimento di liberazione in Italia254 und 1959 einer der Gründer der historischen Fachzeitschrift Studi Storici, aber erst 1969 wurde Ragionieri zum Professor ernannt. Innerhalb der Wissenschaftsstrukturen der Partei hatte er hingegen viel rascher eine einflussreiche Stellung inne. In den fünfziger Jahren wurde er zu einem der Organisatoren der Geschichtsforschung in der kommunistischen Kulturpolitik. Für die Partei engagierte er sich beim Massenblatt L’Unità, der Wochenzeitung Il Contemporaneo, dem Istituto Gramsci und dem Verlag Editori Riuniti. Mit Stolz empfand er sich als Parteihistoriker und untersuchte vor allem die Geschichte der Arbeiterbewegung, unter anderem auch die deutsche.255 An der politischen Linie des PCI zweifelte er nicht, selbst nicht nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstands durch sowjetische Streitkräfte. Wie sich seine Witwe Pina Ragionieri erinnerte, hielt er diese Ereignisse für tragisch, aber das sowjetische Eingreifen dennoch für notwendig. Im Gegensatz zur Situation bei der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 sei er zwölf Jahre zuvor noch bereit gewesen, eine Entscheidung der Parteiführung grundsätzlich als gegeben und endgültig hinzunehmen.256 Seit 1963 war er zudem Mitglied im Zentralkomitee des PCI und schrieb auch die offizielle Partei­ geschichte.257 Abgeordneter oder gar Berufspolitiker zu werden, lehnte er dagegen stets ab; für ihn war die Geschichtswissenschaft das Hauptfeld, auf dem er im Sinne der Partei und als Antifaschist tätig sein wollte.258 Ragionieri verstarb plötzlich am 29. Juni 1975 an einem Herzanfall. Vergleicht man die hier vorgestellten Biographien miteinander, bemerkt man, dass die Gruppe der italienischen Historiker deutlich heterogener war als die westdeutsche, sowohl was soziale Herkunft, Generationszugehörigkeit, beruf­ lichen Werdegang als auch politische Haltungen anbelangt. Die westdeutschen Fachvertreter stammten aus dem Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum. Es gab unter ihnen zwar soziale Unterschiede, aber auch wenn Meinecke oder Ritter als Söhne eines Postbeamten und eines Pfarrers im Vergleich zu Aubin (Fabrikant), Conze (Richter) und Dehio (Universitätsprofessor) aus einfacheren Verhältnissen kamen, waren sie dennoch Angehö252 Brief Ragionieris an Carocci, 29.3.1951, in: Fondo Ernesto Ragionieri, No. 2254. 253 Ragionieri, Sesto Fiorentino. 254 Diese Funktion übte er bis 1962 aus. Seit 1967 war er darüber hinaus bis zu seinem Tod im Vorstand des INSMLI. Vgl. Collotti, Il lavoro, S. 14. 255 Ders., Socialdemocrazia tedesca e socialisti italiani. 256 Zeitzeugengespräche mit Pina und Rodolfo Ragionieri, 20.06.2008. 257 Ragionieri, Palmiro Togliatti. 258 Zeitzeugengespräche mit Pina und Rodolfo Ragionieri, 20.06.2008.

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rige von Provinzhonoratioren. Ebenso entstammten in Italien die meisten Geschichtswissenschaftler dem Bürgertum, zumal dem Bildungsbürgertum. Auch hier waren mehrere Väter Honoratioren ihrer kleinen Heimatgemeinden (Chabod, Cantimori, Ragionieri). Allerdings gab es in Italien keine solchen sozialen Begrenzungen nach oben oder unten wie in Deutschland. Zu den prominenten Historikern gehörten zwei Oberschichtsangehörige wie Croce und Passerin ebenso wie Salvemini und Saitta, die im rückständigen Süden des Landes unter schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen aufwuchsen und ihre Karrierechancen allein staatlichen Stipendien verdankten. Altersmäßig sind die zunächst führenden westdeutschen Historiker der fünfziger Jahre (Aubin, Schnabel, Ritter, Dehio, Rothfels) der 1880–1895 geborenen »wilhelminischen Generation«259 zuzurechnen. Sie erhielten ihre soziale Prägung noch im Kaiserreich und erreichten wichtige Karriereziele bereits vor Machtübernahme der Nationalsozialisten. Heimpel kann ebenfalls unter diesem Aspekt noch hinzugezählt werden, wogegen die jüngeren Vertreter Conze, Erdmann und Schieder sich nach 1945 (wieder) etablieren mussten und erst zum Ende des untersuchten Zeitraums tatsächlich in die erste Reihe der Historiker aufrückten. In Italien waren es dagegen Angehörige einer jüngeren Generation, die in den unterschiedlichen Strömungen der Wissenschaft nach 1943/45 dominierten. Zumeist kamen sie nach 1900 zur Welt, teilweise aber erst während und nach dem Ersten Weltkrieg. Vor allem fällt ferner auf, dass abgesehen von Croce und Salvemini die italienischen Historiker berufliche und teils auch soziale Prägungen nicht mehr in Zeiten vor dem Beginn der Diktatur erfahren hatten. Entweder begann ihre wissenschaftliche Ausbildung und Karriere während des Faschismus (Sestan, Chabod, Cantimori, Bendiscioli) oder aber sie waren noch Kinder, als Mussolini seine Herrschaft errichtete. (Passerin, Manacorda, Saitta, Ragionieri). Westdeutsche Historiker machten ihre Karriere ausschließlich in den Institutionen der Historiographie. Sie wurden im allgemeinen erst Ordinarien und erhielten später leitende Positionen im Verband oder den wichtigen Fachzeitschriften. Einige (Meinecke, Dehio, Rothfels) arbeiteten anfangs auch im Archivdienst. In Italien traf ein solcher Werdegang über die universitäre Laufbahn nur auf einen Teil  der Historiker zu (Salvemini, Sestan, Chabod, Cantimori). Andere erlangten dagegen erst Bedeutung in den parallelen Einrichtungen der katholischen (Passerin, Bendiscioli) oder marxistischen (Manacorda, Saitta, Ragionieri) Strömung und erreichten teilweise erst sehr viel später Ordinarienlehrstühle an den Universitäten. Mit Croce, aber ebenfalls Manacorda und Passerin, gab es sogar drei bedeutende Vertreter der Disziplin, die Geschichte nicht studiert hatten. Im westdeutschen Fall wurden etliche führende Historiker der Zeit nach 1945 durch den Nationalsozialismus in ihrer Karriereentwicklung gehemmt, sodass sie erst in der Bundesrepublik den Zenit ihrer Laufbahn erreichten (Rit259 Vgl. Cornelißen, Historikergenerationen, S. 140.

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ter, Schnabel,260 Rothfels, Dehio), als sie bereits um die sechzig Jahre alt waren. Hingegen erlangten die meisten anderen westdeutschen und italienischen Historiker eine Spitzenstellung im Fach in ihren Vierzigern. Das galt einerseits für Meinecke (und in gewisser Weise Aubin), die schon vor 1933 in die erste Reihe aufgerückt waren. Das galt aber auch für die Jüngeren wie Conze, Schieder und Erdmann sowie im italienischen Fall für Chabod, Sestan, Cantimori, Passerin oder Bendiscioli, die in diesem Alter nach 1945 führende Positionen einnahmen. Innerhalb der marxistischen Einrichtungen der italienischen Historiographie erklommen manche sogar noch früher, vor ihrem vierzigsten Geburtstag, dominante Stellungen (Manacorda, Saitta, Ragionieri). Unter der Diktatur war das Verhalten der italienischen Historiker gleichfalls heterogener als das ihrer westdeutschen Kollegen. Teilweise passten sie sich an, wurden Parteimitglieder und arbeiteten bei Publikationen des Regimes mit (Chabod, Cantimori, Sestan), teils aber gehörten sie der Opposition an (Croce, Bendiscioli) oder gingen in die Emigration, um den Faschismus zu bekämpfen (Salvemini). Jedoch war solch eine interne Opposition gegen das Regime, wie sie Croce und Bendiscioli in nicht offiziell kontrollierten Publikationen äußerten, im nationalsozialistischen Deutschland nicht möglich. Dort passten sich viele Historiker ebenfalls an (Aubin, Heimpel, Schieder, Conze, Erdmann), wobei sie sich teilweise (Aubin, Schieder), im Gegensatz zu Italien, auch für politische Projekte in den besetzten Ländern zu Verfügung stellten. Andere, besonders die älteren bereits beruflich weitgehend saturierten Wissenschaftler (Meinecke, Ritter, Schnabel), hielten mehr Distanz zum Regime, begrüßten aber auch bestimmte Aspekte des Nationalsozialismus, zumal in der Außenpolitik. Unter den deutschen Historikern beteiligte sich nur Ritter an der Opposition, wobei diese keine wirkliche Beteiligung am Widerstand mit einschloss, wenngleich der Freiburger Historiker mit seinem mutigen Verhalten sein Leben riskierte. In Italien hingegen war die Mehrheit der Geschichtswissenschaftler nach 1943 im politischen oder militärischen Widerstand zu finden, wobei sich dieser Widerstand allerdings in erster Linie nicht gegen den Faschismus an sich, sondern die deutschen Besatzer richtete. Daher schloss er auch Personen wie Chabod mit ein, die dem Regime vorher nicht feindlich gegenüber gestanden hatten.261 Eine offensichtliche Gemeinsamkeit, die zum Abschluss Erwähnung finden muss, ist, dass es sich bei den führenden Historikern beider Samples ausschließlich um Männer handelte. Unabhängig von allen oben aufgeführten Faktoren, die aus einer verschieden stark professionalisierten Wissenschaft unter politisch unterschiedlichen Bedingungen resultierten, galt, dass Frauen der Zugang zur Geschichtswissenschaft, zumal zu den Führungspositionen, nach dem Zweiten Weltkrieg noch lange verwehrt blieb. 260 Schnabel wurde zudem Opfer seiner katholischen Konfession und seines Eintretens für die Weimarer Republik, wobei letzteres den Grundstein für seine große Anerkennung nach dem Zweiten Weltkrieg legte. 261 Zu diesem grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Widerstand in Deutschland und Italien vgl. auch Liermann, Vergangenheitsaufarbeitung, S. 7.

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Tabellarische Übersicht Name

Lebensdaten, Geburtsort und Konfession

Akademische Genealogie

Friedrich Meinecke

* 30.10.1862 Salzwedel/ Altmark, † 6.2.1954, protestant.

Reinhold Koser, Heinrich von Sybel

Hermann Aubin

* 23.12.1885 Reichenberg/ Böhmen, † 11.3.1969, protestant.

Georg von Below, Aloys Schulte

Franz Schnabel

* 18.12.1887 Mannheim, † 25.2.1966, kath.

Hermann Oncken, Hermann Wätjen

Gerhard Ritter

* 6.4.1888 Sooden an der Werra, † 1.7.1967, protestant.

Hermann Oncken

Ludwig Dehio

* 25.8.1888 Königsberg, † 24.11.1963, protestant., 1958 zum Kath. konvertiert

Harry Bresslau, Friedrich Meinecke

Hans Rothfels

* 12.4.1891 Kassel, † 22.6.1976, jüdisch, 1910 zum Protestant. konvertiert

Friedrich Meinecke, Hermann Oncken

Hermann Heimpel

* 19.9.1901 München, † 23.12.1988, protestant.

Georg von Below

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Forschungs­ schwerpunkte

Wichtigste Werke

Wichtige Funktionen innerhalb der Geschichts­ wissenschaft

Ideengeschichte, Geschichtsphilosophie

Weltbürgertum und Nationalstaat (1908), Die Entstehung des Historismus (1936), Die deutsche Katastrophe (1946)

1896–1935 Herausgeber der HZ, 1948–1951 Rektor der FU

Ostforschung, Regionalgeschichte

verfasste im Wesentlichen nur kleinere eigene Beiträge

1927–1967 Herausgeber der VSWG, 1933–1945 stellv. Vorsitzender der NOFG, 1953–1958 Vorsitzender des VHD

Geschichte des 19. Jahrhunderts

Deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts (1929–1937), Freiherr vom Stein (1931)

1951–1959 Präs. der Hist. Kommission bei der Bayer. Akademie der Wissenschaften

Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, politische Geschichte, Geschichte Preußens und der Reformation

Luther (1925), Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung (1954), Staatskunst und Kriegshandwerk (1954–1968)

1949–1953 Vorsitzender des VHD, 1962–1965 Vize­präsident des CISH

Europäische Geschichte der Neuzeit

Gleichgewicht oder Hegemonie (1948)

1946–1954 Leiter des Marburger Staatsarchivs, 1946–1957 Herausgeber der HZ

Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, Bismarck-Forschung, Ostforschung

Theodor von Schön (1937), Die deutsche Opposition gegen Hitler (1949), Zeitgeschichte als Aufgabe (1953)

1958–1962 Vorsitzender des VHD, 1953–1976 Herausgeber der VfZ

Geschichte des Mittelalters, Neuinterpretation der deutschen Geschichte

Kapitulation vor der Geschichte? (1956), Die Vener von Gmünd und Straßburg (1982)

1956–1971 Direktor des MPI für Geschichte

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Name

Lebensdaten, Geburtsort und Konfession

Akademische Genealogie

Theodor Schieder

* 11.4.1908 Oettingen/ Bayern, † 8.10.1984, protestant.

Hans Rothfels, Karl Alexander von Müller, Kurt von Raumer

Karl Dietrich Erdmann

* 29.4.1910 Mülheim (heute Köln), † 23.6.1990, protestant.

Wilhelm Mommsen, Peter Rassow

Werner Conze

* 31.12.1910 Neuhaus an der Elbe, † 28.4.1986, protestant.

Hans Rothfels, Gunther Ipsen

Benedetto Croce

* 25.2.1866 Pescasseroli, † 20.11.1952, kath.

Silvio Spaventa

Gaetano Salvemini

* 8.9.1873 Molfetta/ Apulien, † 7.9.1957, kath.

Pasquale Villari

Ernesto Sestan

* 2.11.1898 Trient, † 19.1.1985, kath.

Gaetano Salvemini, Gioacchino Volpe

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Forschungs­ schwerpunkte

Wichtigste Werke

Wichtige Funktionen innerhalb der Geschichts­ wissenschaft

Verfassungs- und Parteiengeschichte, Geschichte von Demokratie und sozialem Wandel, Ostforschung

Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit (1958), Das dt. Kaiserreich als Nationalstaat (1961), Friedrich der Große (1983)

1957–1984 Herausgeber der HZ, 1967–1972 Vorsitzender des VHD

Geschichte des 20. Jahrhunderts, Historiographiegeschichte

Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 4. Die Zeit der Weltkriege (1959), Die Ökumene der Historiker (1987)

1950–1990 Herausgeber der GWU, 1962–1967 Vorsitzender des VHD, 1975–1980 Präsident des CISH

Sozialgeschichte, Zeit­ geschichte, Ostforschung

Die deutsche Nation (1963), Geschichtliche Grundbegriffe (1972–97)

1957–1986 Vorsitzender des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte, 1972–1976 Vorsitzender des VHD

Geschichtsphilosophie, Neueste Geschichte Italiens und Europas

Storia d’Italia dal 1871 al 1915 (1928), Storia d’Europa nel secolo decimonono (1932), La storia come pensiero e come azione (1938)

1947–1952 Präsident des Istituto italiano per gli studi storici

Geschichte des Faschismus, Geschichte des Mittelalters und Geschichtstheorie

The fascist dictatorship in Italy (1927), Under the axe of fascism (1936), Historian and Scientist (1939)

1933–1948 Prof. in Harvard

Geschichte des Mittel­ alters, Verfassungs­ geschichte

La costituente di Francoforte (1948), Stato e nazione nell’Alto medioevo (1952), Italia medievale (1966)

1948–1950 Redakteur und 1950–1985 Mit­ herausgeber der RSI

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Name

Lebensdaten, Geburtsort und Konfession

Akademische Genealogie

Federico Chabod

* 23.2.1901 Aosta, † 14.7.1960, kath.

Benedetto Croce, Friedrich Meinecke, Gioacchino Volpe

Mario Bendiscioli

* 8.1.1903 Passirano/ Brescia, † 7.7.1998, kath.

Ettore Rota, Giulio Bevilacqua

Delio Cantimori

* 30.8.1903 Ravenna, † 13.9.1966, kath.

Giovanni Gentile, Giuseppe Saitta

Ettore Passerin d’Entrèves

* 26.12.1914 Turin, † 2.3.1990, kath.

Gioele Solari

Gastone Manacorda

* 10.5.1916 Rom, † 27.4.2001, kath.

Delio Cantimori

Armando Saitta

*15.3.1919 Sant’Angelo di Brolo/Messina, † 25.5.1991, kath.

Luigi Russo, Carlo Morandi

Ernesto Ragionieri

* 10.6.1926 Sesto Fiorentino, † 29.6.1975, kath.

Carlo Morandi, Delio Cantimori

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Forschungs­ schwerpunkte

Wichtigste Werke

Wichtige Funktionen innerhalb der Geschichts­ wissenschaft

Geschichte der Renaissance und des vereinten Italiens

Lo stato di Milano nell’impero di Carlo V (1934), Storia della politica estera italiana dal 1870 al 1896 (1951)

1947–1960 Direktor des Istituto italiano per gli studi storici, 1948–1960 Mitherausgeber der RSI, 1955–1960 Präsident des CISH

Geschichte des Christentums und Zeitgeschichte Deutschlands

La Germania religiosa nel Terzo Reich (1936)

1951–1959 Direktor des INSMLI

Geschichte des Christentums zur Zeit der Renaissance, Geschichte der Utopisten zur Zeit der Frz. Revolution

Utopisti e riformatori italiani (1939), Eretici italiani del Cinquecento (1943)

1948–1966 Mitheraus­ geber der RSI

Geschichte des Risorgimento, Geschichte religiöser Bewegungen und deutsche Geschichte

L’ultima battaglia di Camillo Cavour (1956), Guerra e riforme (1985)

1952–1954 Herausgeber der Quaderni di cultura e storia sociale

Geschichte der Arbeiterbewegung und des Sozialismus

Il movimento operaio italiano attraverso i suoi congressi (1953)

1949–1956 Herausgeber von Società, 1959–1966 Herausgeber von Studi Storici

Geschichte des italienischen Jakobinismus, französische Geschichte

Filippo Buonarroti (1950/51), Il cammino umano (1955)

1953–1956 Herausgeber von Movimento Operaio, 1962 Gründer von Critica storica, 1973–1991 Präsident des Istituto storico italiano per l’età moderna e contemporanea

Italienische Geschichte seit der nationalen Einigung, Geschichte der Arbeiterbewegung Deutschlands und Italiens

Sesto Fiorentino (1953), Socialdemocrazia tedesca e socialisti italiani (1961), Palmiro Togliatti (1966)

1959 Mitgründer von Studi Storici, 1956–1962 Mitherausgeber von Il movimento di liberazione in Italia

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3. Medienbindungen In diesem Kapitel wird die Sichtweise gewechselt und der Fokus auf die Medien gelegt, in denen sich Historiker nach dem Zweiten Weltkrieg zu Wort meldeten. Es sollen dabei keineswegs alle Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunkanstalten berücksichtigt werden, für die Geschichtswissenschaftler zwischen 1943/45–1960 Beiträge geliefert haben, sondern exemplarisch solche, zu denen Historiker eine Bindung aufbauten und mit denen sie über einen gewissen Zeitraum zusammenarbeiteten. Dadurch soll erfasst werden, unter welchen strukturellen Bedingungen öffentliche Praxis von Historikern in den Massenmedien nach der Zäsur möglich war und andererseits auch, wie sich diese öffentliche Praxis konkret ausprägte. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Radio in Deutschland als Konsequenz der nationalsozialistischen Pressepolitik bereits ein eingeführtes und weit verbreitetes Medium.262 Selbst im Januar 1946 besaßen laut Umfrage 42 Prozent aller Haushalte ein Rundfunkgerät und 56 Prozent aller Personen hörten regelmäßig Radio. 1951 waren es schon 80 Prozent aller Erwachsenen, die Radio hörten und 1956 sogar 93 Prozent.263 Das Radio avancierte zweifellos zum dominierenden Medium in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre und besaß weitgehenden Einfluss auf die Freizeitgestaltung eines Großteils der Bevölkerung.264 Der Rundfunk war dabei in Westdeutschland seit 1945 dezentral organisiert. Nach dem Vorbild der britischen BBC hatten die Alliierten als Organisationsstruktur gegen den Willen der meisten deutschen Politiker vom Staat unabhängige, öffentliche Körperschaften durchgesetzt. Es gab folglich mehrere regionale Sender, die sich an den neugeschaffenen Bundesländern bzw. den alliierten Besatzungszonen orientierten und am 5. August 1950 lose in der ARD miteinander verbanden. Langfristig wurde diese Staatsunabhängigkeit indes dadurch aufgeweicht, dass die Rundfunkräte immer mehr nach dem Parteien- bzw. Regionalproporz der beteiligten Bundesländer besetzt wurden. Dies gab den Länderregierungen größere Einflussmöglichkeiten, doch in den fünfziger Jahren hatte dieser Proporz allenfalls die Leitungen, jedoch noch nicht die Redakteursebene erreicht. Ferner führte der Föderalismus zu einer Begrenzung staatlicher Eingriffe, da politische Begehrlichkeiten von verschiedenen Seiten sich zu einem Teil  neu­ tralisierten. Gerade die Versuche von Bundeskanzler Adenauer, die Medien der Kontrolle der Regierung zu unterstellen, sorgten für eine Zusammenarbeit der Sender gegen solche Interventionsversuche, die letztlich auch scheiterten.265 262 Der nationalsozialistischen Propaganda war es gelungen, durch ein massenattraktives Programm und eine erhebliche Verbilligung der Gerätepreise breite Bevölkerungsschichten für den Rundfunk zu erschließen. Vgl. Dussel, S. 102 f. 263 Vgl. Kiefer, S. 428 f. 264 Vgl. Dussel, S. 54. 265 Vgl. ebd. S. 190–200; von Hodenberg, S. 93–95.

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Die Kulturverantwortlichen der neuen Rundfunkanstalten nach 1945 entstammten dem gleichen bildungsbürgerlichen Hintergrund wie die Wissenschaftler, die in ihren Sendungen zu Worte kamen. Beide Seiten teilten gewisse Grundansichten über die Gesellschaft und besuchten die gleichen Lesungen, Vorträge oder Tagungen, bei denen man miteinander ins Gespräch kam. Wie Monika Boll in ihrer Untersuchung über Soziologen bereits schrieb, wurde so ein Stück bürgerlicher Öffentlichkeit in das Radio überführt.266 Infolge der strukturellen Gegebenheiten des westdeutschen Rundfunks meldeten Wissenschaftler sich häufig in denjenigen Rundfunkanstalten zu Wort, deren Sendegebiet ihre jeweilige Universität angehörte. Allerdings kam es zu beachtlichen Überlagerungen, wenn ein Sender besonders gute Chancen zur öffentlichen Praxis ermöglichte. Die beste Gelegenheit bot nach dem Zweitem Weltkrieg dank des Engagements seines Kulturabteilungsleiters Herbert Bahlinger der SWF. Bei keinem anderen Sender traten Historiker so überregional verteilt und so häufig auf. Unter der Ägide Bahlingers, der selbst Geschichte studiert hatte, entwickelte sich die Wissenschaftssendung Aula zu einem Forum der Historiographie im Radio. Die Aula lief sonntags von 11 Uhr bis 11.30 Uhr und damit auf einem recht guten Sendeplatz. Dort erhielten die Professoren Spielraum, sich über ihr eigentliches Themengebiet hinaus zu äußern und Bahlinger legte Wert auf eine lebendige, nicht strikt akademische Darstellung des Stoffes. Damit beabsichtigte er, kontinuierlich Wissen aufzubauen, um den Horizont der Hörer zu erweitern.267 Für den SWF versuchte Bahlinger die bedeutendsten Gelehrten zu gewinnen.268 Schieder etwa hielt dank Bahlinger seine ersten Rundfunkvorträge im SWF und keineswegs im NWDR. Schieder selbst empfahl seine Freunde Conze und Erdmann 1959 als Vortragende an Bahlinger weiter.269 Conze lieferte dann 1960 tatsächlich einen Beitrag für die Aula.270 Daneben sprachen Persönlichkeiten wie Dehio oder Schnabel in Bahlingers Sendung überproportional im Vergleich zu den Rundfunkanstalten ihrer Heimatbundesländer. Insgesamt lässt sich sagen, dass Bahlinger zumindest zeitweise zu allen zehn hier untersuchten 266 Vgl. Boll, S. 8. Sowohl für Soziologen wie Historiker galt, das sich zwischen einzelnen Kulturredakteuren und Wissenschaftlern persönliche Freundschaften entwickelten, auf denen eine enge Zusammenarbeit basierte. 267 Vgl. Mörtl, S. 13–18. Bahlinger war der einzige Kulturverantwortliche im westdeutschen Rundfunk nach 1945, der über Medienerfahrungen verfügte. Er hatte bereits zur Zeit der Weimarer Republik beim Radio gearbeitet. Vgl. Boll, S. 15. Der Sonntag als einziger wirklich arbeitsfreier Tag der fünfziger Jahre brachte die höchsten Einschaltquoten und hatte daher auch die längste Sendezeit von bis zu 18 Stunden. Vgl. hierzu Dussel, S. 55. 268 Das galt nicht nur für Geschichtswissenschaftler. Die Bedeutung Bahlingers für die mediale Präsenz von Soziologen, insbesondere für Arnold Gehlen, hat Monika Boll bereits dargestellt. Vgl. hierzu ebd., S. 175. 269 Briefe T. Schieders an Bahlinger, 24.11.1959 bzw. 23.2.1959, in: BArch, Nl Schieder 72. 270 Conze, Nationalstaat – Weltrevolution – Welteinheit (1). Gesendet am 6.3.1960 in der Aula, in: Hörfunkarchiv des SWR Mainz, Nr. WO059822 sowie ders., Nationalstaat – Weltrevolution – Welteinheit (2). Gesendet am 13.3.1960 in der Aula, in: Ebd., Nr. WO059824.

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westdeutschen Historikern Kontakte pflegte und mindestens acht von ihnen zwischen 1945 und 1960 in der Aula auch zu Wort kamen271 (obwohl nur Ritter und Rothfels im Sendegebiet lehrten). Bahlinger war dabei ausgesprochen rührig, unterbrach Dienstreisen und fuhr extra zu den Historikern nach Hause, um sie zur Mitarbeit zu überreden. Auf diese Weise gewann er Dehio für den SWF, auch Heimpel. Nachdem Rothfels einmal eine Teilnahme an einer Rundfunkdiskussion abgesagt hatte, reiste Bahlinger sogar vergeblich nach Tübingen, um ihn umzustimmen. Die engste berufliche Zusammenarbeit verband Bahlinger unter den Geschichtswissenschaftlern allerdings mit Ritter. Dabei spielte es sicherlich eine Rolle, dass Ritter in Freiburg und damit an einer Universität des Sendegebietes lehrte. Wichtiger war jedoch, dass Bahlinger ein genauer Kenner, ja ein Bewunderer von Ritters wissenschaftlichem Opus war. Dieser Haltung verlieh er des Öfteren Ausdruck. Als er zu Ritters siebzigstem Geburtstag Schieder als Laudator im Radio gewann, meinte er zu dem Festredner: Ich darf Ihnen nunmehr gestehen, daß ich seit vielen, vielen Jahren eine große persönliche Zuneigung zu der historischen Optik Ritters habe. Die Entschiedenheit, mit der er die moralischen Energien der großen Persönlichkeiten aufsucht […], dieser ungebrochene Glaube an die Größe trotz des Anblicks tragischen Untergangs, ist etwas, das ich in gewissem Sinne als Trost und Zuspruch für den eigenen Lebensweg empfinde.272

Diese Wertschätzung bestand über den gesamten Untersuchungszeitraum. Bahlinger kannte den Wissenschaftler Ritter aus seiner Zeit als Bibliothekar in der Heeresbücherei während des Zweiten Weltkriegs und als die Aula beschlossene Sache war, bestand für Bahlinger kein Zweifel, dass er Ritter als ersten Redner der Sendereihe auswählen würde.273 Noch am 9. November 1960, als Ritters öf271 Dabei handelt es sich um Ritter, Rothfels, Heimpel, Schnabel, Meinecke, Schieder, Conze, Dehio. Mit Erdmann kam unmittelbar auf Schieders Empfehlung wohl keine Zusammenarbeit zustande, allerdings hatte Bahlinger zu dem Kieler Professor bereits 1956 über den Hannoveraner Landesbischof Hanns Lilje selbst Kontakt aufgenommen und offensichtlich kam es auch zu einer Sendung von Erdmanns Vortrag bei der Journalistentagung in Loccum. Hierzu existieren allerdings keinerlei Aufzeichnungen mehr. Brief der Kanzlei des Landesbischofs Lilje an Erdmann, 8.8.1956, bzw. Brief Bahlingers an Erdmann, 24.8.1956, in: BArch, Nl Erdmann 104. An Aubin schrieb Bahlinger mit der Bitte um einen Beitrag am 28.8.1958, allerdings gibt es keine Aufzeichnungen darüber, ob ein Beitrag des Hamburger Emeritus gesendet wurde. Siehe BArch, Nl Aubin 22. Die Möglichkeit der Gefälligkeitsaufnahmen, bei denen eine Aufnahme am nächstgelegenen Sender des Wohnortes eines Historikers gemacht und dieses Band dann zum SWF geschickt werden konnte, erleichterte das bundesweite Engagement Bahlingers. 272 Brief Bahlingers an T. Schieder, 3.4.1958, in: BArch, Nl Schieder 72. 273 Vgl. Boll, S. 117. Ritter hatte auf Bitten Bahlingers auch schon vor Sendebeginn der Aula im SWF einen Vortrag über Martin Luther gehalten. Siehe hierzu Briefe Bahlingers an Ritter, 26.9.1946 und 6.1.1947 bzw. Ritters an Bahlinger, 15.11.1946 und 12.12.1946, in: BArch, Nl Ritter 360.

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fentliche Praxis in Folge seines Alters und speziell seines Augenleidens, das ihm das Lesen und Schreiben zu einer Last machte, nachgelassen hatte, versicherte ihm Bahlinger, der SWF würde es stets als Auszeichnung empfinden, wenn er in seinem Programm das Wort ergreife.274 Bei Ritter und Bahlinger traf in besonderer Weise ein starkes »Angebot« an volkspädagogischem Engagement auf eine spezifische »Nachfrage« nach eben diesem. Dieser Art von Belehrung standen in den Jahren nach dem Krieg keine Überlegungen zu Einschaltquoten entgegen, da Fernsehen noch keine Bedeutung besaß und zu Beginn meist auch nur ein einziges Radioprogramm empfangen werden konnte. Im Gegensatz zur Presse bestand überdies keine Abhängigkeit von Werbeeinnahmen. Die Aula war eines jener Kulturprogramme, die ausgestrahlt wurden, um ein gebildetes Laienpublikum anzusprechen. Nach Schätzungen handelte es sich dabei allenfalls um ein bis vier Prozent aller Radiohörer. Dieser vergleichbar kleine Anteil war dennoch ein potentielles Publikum von einigen Hundert­ tausend Menschen und darüber hinaus handelte es sich dabei um so genannte Multiplikatoren (andere Wissenschaftler, Geistliche, Lehrer usw.), also Menschen, von denen man annahm, dass sie ihr erfahrenes Wissen unter anderen Schichten verbreiteten, die selbst das Kulturprogramm nicht verfolgten.275 Trotz seiner besonderen Nähe zu Ritter, der am häufigsten, nämlich insgesamt achtzehnmal im SWF sprach, wurde Bahlinger auch selbst initiativ, um dessen innerwissenschaftlichen Kontrahenten Dehio einige Male die Gelegenheit zu geben, sich in der Aula zu äußern. Der Marburger Historiker zeigte sich in einem Brief an Bahlinger beglückt, für seine Ansichten einen Verbündeten gefunden zu haben, der außerdem einen so großen Einfluss auf die öffentliche Meinung besitze. Bahlinger versicherte Dehio, er stimme in jeder Nuance seines Vortrages mit ihm überein und meine, durch Dehios Mund »die zugrunde­ liegende Wahrheit der Ereignisse« selbst vernehmen zu können.276 Der SWF-Abteilungsleiter war selbst ein Fachmann für die Inhalte, die in seinem Kulturprogramm vermittelt wurden. Oft nahm er in seinen Briefen ausführlich zu den behandelten historischen Fragen Stellung, so beispielsweise am 26.  Juni 1950, als er Ritter für sein Eintreten zugunsten der Verschwörer des 20. Juli dankte. Bahlinger berichtete von privaten Diskussionen, in denen er immer wieder gegen die leider verbreitete Meinung ankämpfe, bei diesen Männern habe es sich um Verräter gehandelt.277 In einem internen Grundsatzpapier 274 Brief Bahlingers an Ritter, 9.11.1960, in: BArch, Nl Ritter 371. 275 Vgl. Boll, S. 51; von Hodenberg, S. 95. 276 Brief Bahlingers an Dehio, 31.5.1954, in: StA Marburg, Nl Dehio 340 C, Kasten C 15. 277 BArch, Nl Ritter 363. Am 3.7.1956 schrieb Bahlinger, er sei 1935–1937 mit dem Oberst im Generalstab Hans Otfried von Linstow befreundet gewesen und habe später auch mit anderen Generalstabsoffizieren gesprochen. Siehe BArch, Nl Ritter 368. von Linstow war Stabschef des Kommandanten der deutschen Besatzungstruppen in Frankreich, Heinrich von Stülpnagels, und leitete die Aktionen des 20. Juli in Paris. Er wurde am 30.8.1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet. Siehe von Schramm, S. 80–117 bzw. Eich, S. 559.

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schrieb er, die Aula habe den pädagogischen Auftrag zu einem demokratischen Staatsbewusstsein zu erziehen.278 Eine eindeutige Abgrenzung von NS-Apologie war ihm besonders wichtig. Hierzu hielt er Ritter für geeignet, hatte er doch schon unter dem Nationalsozialismus aus Ritters Schriften eine Ablehnung des Regimes herausgelesen.279 Besonders seine Interpretation des Widerstandes als Aufstand des Gewissens, Anknüpfung an die deutsche Tradition und Vorbild des aktuellen Staates konnte Ritter etliche Male im SWF vertreten. Bahlinger unterstützte ihn kulant, indem er ihm gleich mehrere Sendungen zur Verfügung stellte, wenn Ritter einmal wieder zu ausführlich formuliert hatte280 oder die Termine 1954 zum Beispiel so legte, dass sie mit der Veröffentlichung seines Goerdeler einhergingen und somit eine gute Werbung für sein Buch darstellten.281 Abgesehen von den genannten Grundfragen (vor allem der Abgrenzung vom Nationalsozialismus) war Bahlinger aber in erster Linie ein Rundfunkverantwortlicher und kein Historiker. Tatsächlich diskutierte er gerne über die von den Historikern aufgeworfenen Themen, übte allerdings niemals Kritik an ihren Ansichten, sondern versicherte seinen Vortragenden stets seine Übereinstimmung. Selbstverständlich waren Ritters und Dehios Interpretationen nicht in jeder Hinsicht inkompatibel, unterschieden sich jedoch teilweise erheblich.282 Bahlinger nutzte also seine historische Bildung nicht im Wesentlichen, um eine eigene Position zu entwickeln, sondern um im Gespräch mit den Historikern zu bleiben, ihnen vermutlich auch ein Stück weit zu schmeicheln, um sie an den SWF zu binden.283 Der Kulturabteilungsleiter und ebenso sein Intendant Friedrich Bischoff hatten nämlich die Absicht, sich nicht nur inhaltlich von der Diktatur abzugrenzen, sondern auch in der Art der Vermittlung. Es sollte nicht eine nationalsozialistische durch eine demokratische Propaganda ersetzt werden, vielmehr sollten nun unterschiedliche, auch gegensätzliche Meinungen, im Programm Platz finden.284 278 Vgl. Boll, S. 119. 279 Das deutete er jedenfalls Ritter gegenüber in einem Brief vom 25.10.1947 an. Siehe dazu BArch, Nl Ritter 360. 280 Telegramm Bahlingers an Ritter, ohne Datum (Ende Oktober oder Anfang November 1947), in: BArch, Nl Ritter 360. 281 Brief Bahlingers an Ritter, 22.10.1954, in: BArch, Nl Ritter 367. 282 Hierauf soll weiter unten genauer eingegangen werden. 283 Auch Schieder, der ab Ende der fünfziger Jahre eine recht intensive Zusammenarbeit mit Bahlinger pflegte, diskutierte in Briefen oft politisch-historische Ansichten mit dem Rundfunkmann und schrieb diesem einmal, er freue sich besonders, dass Bahlinger verständnisvoll analysiere und Schieders Radiobeiträge nicht einfach formal abhandele. Dadurch sei ein Kontakt entstanden, den er nicht mehr missen möge. Siehe hierzu Brief T. Schieders an Bahlinger, 28.1.960. BArch, Nl Schieder 72. 284 Zur programmatischen Ausrichtung der Aula vergleiche etwa die einleitenden Worte vor der ersten Sendung am 14.9.1947: Ritter, Untersuchung über das Verhältnis von Universität und öffentlichem Leben. Manuskript. Gesendet am 14.9.1947, in: Historisches Archiv des SWF Baden-Baden, Hörfunk-Manuskript-Sammlung. Zu Bahlingers Intention siehe auch die Personeninformation der SWF Pressedienst Information, 20.9.1953. Nr. 39.

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Diese aktiven Versuche, eine neue Debattenkultur in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft zu etablieren, hat bereits Nina Verheyen anhand ihrer Untersuchungen unter anderem zum Internationalen Frühschoppen für die fünfziger Jahre dargestellt. Das Publikum sollte im Unterschied zur Rundfunktradition der Jahre vor 1945 lernen, dass es nicht schlicht eine Wahrheit gab, die mitgeteilt wurde, sondern verschiedene Zugänge und Perspektiven zu einem Thema möglich waren. Ja, es sollte ertragen, dass unterschiedliche Meinungen nebeneinander stehen blieben, ohne dass entschieden wurde, welche die richtige sei.285 Diese Gemeinsamkeit mit den Diskussionssendungen galt in der Aula freilich nur begrenzt. Zwar sprachen hier Wissenschaftler, die differierende Meinungen vertraten, jedoch kam in einer Sendung immer nur ein Gelehrter zu Wort und vermittelte seine Ansichten frontal im prinzipiellen Stil einer Universitätsvorlesung, worauf der Sendetitel schließlich auch hindeutete. Darüber hinaus verliefen die eher seltenen Diskussionssendungen mit Geschichtswissenschaftlern nicht so modern wie der von Verheyen beschriebene Internationale Frühschoppen, bei dem die Diskussionsteilnehmer unabgesprochen ihre Meinungen vertraten und miteinander stritten, sondern genauso wie schon in der Weimarer Republik üblich: Die Diskussion war nicht ungeplant und es gab unter der Moderation eines Journalisten keine für den Hörer unerwarteten Wendungen. Im Gegenteil, die Marschroute der Konversation wurde, wenn nicht Wort für Wort, so doch in detaillierten Vorgesprächen, genau abgesteckt. Überraschungen gab es keine. Dies hing unter anderem damit zusammen, dass Historiker an ihre Beiträge einen wissenschaftlichen Anspruch knüpften und mehr als Journalisten in einer Gesprächsrunde ihre Worte und Ansichten genau abwägen wollten. Besonders Ritter maß den eigenen öffentlichen Aussagen, wie oben schon angedeutet, ein besonders hohes Gewicht zu. So bestand er 1950 vor einer Rundfunkdiskussion im SDR über den Versailler Vertrag darauf, Teilnehmer und Gesprächsverlauf genau festzulegen, denn er befürchtete, dieses heikle Thema könnte ansonsten zu Spannungen im deutschfranzösischen Verhältnis führen.286 Aber auch bei einer Radiodiskussion im WDR zum Rapallo-Vertrag, an welchem Schieder neun Jahre später teilnahm, wurde der Ablauf der Argumente ziemlich genau vorherbestimmt.287 Außer im SWF gab es auch im NDR und im BR eine beachtenswerte Zahl an Beiträgen von Geschichtswissenschaftlern, bei den übrigen kleineren Sendeanstalten kamen solche Vorträge nur vereinzelt vor und lassen keine Erkenntnisse über eine besondere Bindung der Historiker zu diesen Institutionen zu. 285 Vgl. Verheyen, S. 341 f., 352. 286 Brief Ritters an den SDR, 20.12.1949, in: BArch, Nl Ritter 362. Das Gespräch fand am 26.3.1950 statt. Auch eine Diskussionssendung im SWF zu den »Wandlungen im deutschen Geschichtsbild« am 2.2.1955 wurde vorher zwischen Ritter, Theodor Eschenburg und Gerhard Tellenbach abgesprochen. Siehe Brief Bahlingers an Ritter, 20.11.1954, sowie Antwort Ritters, 25.11.1954, in: Historisches Archiv des SWF Baden-Baden, P01393. Zur Diskussionspraxis im Rundfunk der Weimarer Republik siehe Dussel, S. 60 f. 287 Brief des WDR an T. Schieder, 20.2.1959, in: BArch, Nl Schieder 72.

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Bei NDR und BR konzentrierten sich diese Beiträge allerdings stark auf die ansässigen »Prominenten«: Hermann Heimpel und Franz Schnabel. Heimpel wie Schnabel äußerten sich dabei hauptsächlich im Rahmen von großen Vortragsreihen am Ende der fünfziger Jahre, die für einen Zeitraum von mehreren Monaten konzipiert waren.288 Allenfalls Heimpel besaß unter den übrigen Historikern einen engen persönlichen Kontakt zum NDR, der mit dem Ritters beim SWF zu vergleichen wäre. Sein Ansprechpartner bei der nördlichen Funkanstalt war der Journalist Jürgen Eggebrecht, sogar ein Duzfreund Heimpels. Der ausnehmend gute Zugang Heimpels zum NDR äußerte sich auch darin, dass Intendant Werner Hilpert auf Eggebrechts Empfehlung Heimpels Vortragsreihe zur »Deutschen Geschichte« 1957/58  – mit immerhin 11.000,- DM honoriert  – grundsätzlich akzeptierte, noch bevor er das Manuskript vollständig gelesen hatte.289 Auch im Nachhinein stellte es kein Problem dar, dass Heimpel sich weigerte, auf Vorschlag der Redaktion irgendwelche sprachlichen Änderungen an seinem Text vorzunehmen.290 Grund für dieses Entgegenkommen war zweifelsohne Heimpels enormer Bekanntheitsgrad. Ende der fünfziger Jahre war er sogar als Bundespräsident im Gespräch und überdies bei anderen Rundfunksendern, noch mehr bei Zeitungen und Zeitschriften und zudem als Festredner, präsent, wenngleich er seit 1956 wegen seiner Tätigkeit beim MPI viele Anfragen ablehnte. Von seinen Reden erwartete man sich eine große Wirkung: Darum wurde seine Vortragsreihe auch 1958 an den RIAS weitergegeben, der mit einem gegen Störsender immunen UKW-Sender Heimpels Interpretation der deutschen Geschichte in die DDR funkte.291 1960 ließ sich Heimpel als Berater für eine wissenschaftliche Sendereihe des NDR verpflichten. Dort war man über seine Tätigkeit hoch erfreut und versuchte ihn daraufhin – vergeblich – selbst noch einmal als Beiträger zu gewinnen.292 Immerhin betätigte sich Heimpel als Vermittler und ermöglichte dem jüngeren Kollegen Erdmann einen gut dotierten Vortrag im Rahmen dieser Reihe, der Anfang 1961 ausgestrahlt wurde.293 Zu fachlichen Diskussionen, wie zwischen Bahlinger und den Historikern seiner Sendung, kam es beim NDR mit 288 Heimpel 1957/58 zur »Deutschen Geschichte« und Schnabel 1957 zu »Der Weg aus dem 19. in das 20. Jahrhundert« sowie 1959/60 zu »Die letzten hundert Jahre«. 289 Brief des NDR an Heimpel, 5.7.1957, in: MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 20–21. Das joviale Verhältnis der beiden äußerte sich unter anderem darin, dass Heimpel Eggebrecht am 22.2.1958 aufforderte, seinem Mitarbeiter Christian Gneuss doch einmal »kurz unter die Arme zu greifen«, da dieser mit der Titelgestaltung wohl überfordert sei. Siehe ebd. Eggebrecht leitete die Abteilung Kulturelles Wort beim NDR Hannover. Vgl. zu Eggebrecht von Hodenberg, S. 285. 290 Brief Heimpels an den NDR, 30.7.1957, in: MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 19. 291 Brief des RIAS an Heimpel, 25.2.1958, in: MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 21. 292 Briefe des NDR an Heimpel, 16.12.1959, 2.5.1960 und 31.10.1960, in: MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 26–27. 293 Brief Heimpels an Erdmann, 9.6.1960, sowie Erdmanns Antwort, 15.6.1960, und Brief des NDR an Erdmann, 24.6.1960, in: MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 26.

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Heimpel aber nicht. Allerdings war Jürgen Eggebrecht auch kein Historiker294 und letztlich die Zusammenarbeit nicht so stark wie beim SWF auf zwei Akteure beschränkt. Heimpel hatte im Rahmen seiner Projekte oftmals Briefwechsel mit anderen Redakteuren. Die Zahl der Historikerbeiträge im Rundfunk nahm im Verlauf des Untersuchungszeitraumes deutlich zu. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als in der Phase direkt nach dem Krieg Kapazitäten erst wieder hergestellt werden mussten (auch ist die Quellenlage, wie eingangs erläutert, schlecht). Viele Historiker waren noch mit ihrer beruflichen Konsolidierung beschäftigt. Zum Ende der fünfziger Jahre etablierten die jüngeren, im Nationalsozialismus belasteten Fachvertreter (Schieder, Conze), sich hingegen wieder endgültig in der Zunft und rückten überdies in das erste Glied auf. Zudem sorgte der Ausbau der Rundfunkanstalten für neue Möglichkeiten. In Italien hatte der Rundfunk eine weit geringere Bedeutung für die öffentliche Praxis von Historikern als in Westdeutschland. Hierfür sind mehrere Gründe zu nennen: Das Radio wurde während des Faschismus nicht schon zu einem solchen Massenmedium wie in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus. Es gab keinen preiswerten italienischen »Volksempfänger«, 1942 lag die Zahl der Radioabonnenten noch unter zwei Millionen und damit im europäischen Maßstab recht weit hinten. Die Versuche des Regimes, ein günstiges Gerät auf den Markt zu bringen, scheiterten weitgehend, auch weil die Unternehmen daran kein besonderes Interesse zeigten. Radiohörer waren in Italien vor allem die städtischen Ober- und Mittelschichten im Norden und Zentrum des Landes. Nach dem Sturz des Faschismus und der fortschreitenden Befreiung von der deutschen Besatzungsherrschaft erhielt der italienische Rundfunk am 26. Oktober 1944 erstmals den Namen RAI. In dieser Zeit des Übergangs war der Rundfunk gegenüber der Regierung insgesamt noch recht autonom. Aber schon im August 1946 wurde der liberal-katholische Direktor der RAI, der Historiker Arturo Carlo Jemolo, durch den Christdemokraten Giuseppe Spataro ersetzt, der für die Kontinuität mit der alten Bürokratie stand. Von nun an gewann die DC immer stärkeren Einfluss auf das Medium und ernannte die wichtigsten Funktionäre. Die offizielle parlamentarische Kontrolle blieb weitgehend Makulatur. Als Teil  des für den italienischen Nachkriegsstaat bald so typischen Proporzsystems war der Rundfunk somit ein fester Bestandteil im Machtbereich der Regierungspartei. Gleichzeitig unterschätzten die laizistischen Koalitionspartner, aber auch der PCI, die Relevanz des neuartigen Mediums. Von linken Intellektuellen wurde der Rundfunk lange sogar verachtet. Durch den Wirtschaftsaufschwung in den Jahren nach dem Krieg erhöhte sich der Wirkungsgrad des Radios aber umso schneller: die Zahl der Radioabonnenten verdoppelte sich. In den fünfziger Jahren folgte dann ein rascher technischer Aufholprozess des italienischen Rundfunks gegenüber West294 Der 1898 geborene Jurist Jürgen Eggebrecht hatte im Zweiten Weltkrieg für den Kriegs­ verwaltungsrat des Oberkommandos der Wehrmacht gearbeitet.

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deutschland: Die Sendeanlagen der RAI wurden mit Mitteln des Marshallplans systematisch ausgebaut, bald gab es schon drei Programme, die allerdings noch nicht sofort flächendeckend empfangbar waren. 1953 hatten vermutlich 41,1 Prozent aller Familien Radiozugang und 1955 stellte die RAI fest, dass mittlerweile 80 Prozent aller Personen über zwölf Jahren jeden Tag Radio hörten und selbst diejenigen, die zu Hause kein Gerät besaßen, dies durchschnittlich mindestens zweimal wöchentlich bei Freunden oder in öffentlichen Einrichtungen taten. Die Einführung von drei Programmen entsprach laut Untersuchungen dem Bildungsstand der Bevölkerung: Von 48,5 Millionen Italienern waren demnach 13 Millionen mehr oder minder Analphabeten, 7,5 Millionen Alphabeten ohne Schulabschluss, 25 Millionen hatten die Volksschule abgeschlossen, 2,5 Millionen die Mittelschule und 0,5 Millionen waren Absolventen höherer Bildungsanstalten. Grundsätzlich lag damit der Anteil der Gebildeten, die mit einem anspruchsvollen Programm erreicht werden konnten, bei gut einem Prozent und war somit der Situation in der Bundesrepublik in etwa vergleichbar. Allerdings richtete sich die öffentliche Praxis italienischer Historiker weniger eindeutig an eine solche Elite wie die ihrer westdeutschen Kollegen in den sogenannten Nachtprogrammen. Nach dem Vorbild der BBC war nämlich das italienische Kulturprogramm selbst dreigegliedert: in ein breites, grundlegendes aus allgemein humanistischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sicht; eines für Hörer mit vertieftem Wissen zu Kenntnissen, die man sich durch persönliche Initiative nur schwierig aneignen konnte und ein drittes für den engen Kreis »intellektueller« Hörer. Zur ersten Kategorie gehörte die Reihe Classe Unica, deren Vorträge der Rundfunk auch in kleinen, handlichen Heften herausgab, um die neuen Interessenten nicht zu verschrecken. Das Erziehungsministerium empfahl die Anwendung dieser Hefte in den Centri di lettura zum Zwecke der Volksbildung.295 Es waren hauptsächlich solche volkspädagogischen Sendungen des Dritten Programms, in welchen Historiker auftraten. Hier sollte also im Gegensatz zu den Kulturprogrammen der Bundesrepublik gezielt ein Laienpublikum ohne spezielle Vorkenntnisse angesprochen werden. Bisweilen fanden die Vorträge vor einer repräsentativ ausgewählten Zuhörerschaft statt, die dem Professor vorher eingereichte Fragen stellen durfte. Schwierige Fachbegriffe wurden bewusst vermieden.296 Folglich handelte es sich bei Vorträgen in diesem Rahmen um sehr allgemeine Darstellungen, etwa der Französischen Revolution oder des Risorgimento, bei der eher Grundwissen über die Ereignisse als neue Inter295 Vgl. Monteleone. Auch für den deutschen Rundfunk war das »dritte« Kulturprogramm der BBC Vorbild und sollte gerade nach dem einsetzenden Siegeszug des Fernsehens gebildete Zielgruppen ansprechen. Allerdings wurde in Westdeutschland erst ab Ende der fünfziger Jahre damit experimentiert und das Konzept setzte sich nicht vor den Sechzigern wirklich durch. Vgl. Dussel, S. 214–216. 296 Vgl. hierzu beispielsweise Passerins Vorträge über die Französische Revolution 1957, in: Archivio Passerin Châtillon, Corrispondenza 1957.

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pretationen und Forschungskontroversen vermittelt wurden. In Italien stellten Radioauftritte dabei eine für die Vortragenden besonders lohnenswerte Form des öffentlichen Engagements dar, weil beachtliche Honorare gezahlt wurden, ganz im Gegensatz zu vielen Zeitungen und Zeitschriften, die wenig, verspätet oder manchmal auch gar nicht zahlten.297 Bei der Auswahl der Geschichtswissenschaftler in Italien kam ihrer Reputation und institutionellen Stellung innerhalb des Faches indes nicht die gleiche Bedeutung zu wie in Westdeutschland. Viel wichtiger war die politische Ausrichtung, was angesichts der Dominanz der DC in der RAI kaum verwundert. Es waren in Italien also viel stärker als in Westdeutschland strukturelle Bedingungen und nicht persönliche Beziehungen, die entschieden, welcher Historiker die Möglichkeit bekam, sich im Rundfunk zu äußern. Jedoch entsprangen diese Strukturen weniger einer medieneigenen Logik als vielmehr der politischen Situation der Nachkriegsgesellschaft. Diese Politisierung ging nicht soweit, dass Historiker in völliger Übereinstimmung mit der aktuellen Parteipolitik hätten stehen müssen, aber eine grundsätzliche politisch-katholische Grundhaltung besaß ein nicht zu unterschätzendes Gewicht. Nur so ist erklärbar, dass auf Bendiscioli und einen eher linkskatholisch orientierten Vertreter wie Passerin d’Entrèves im Sample der Untersuchungspersonen die mit Abstand meisten Rundfunkauftritte entfielen, obgleich beide in den Printmedien keine auffällige öffentliche Praxis verfolgten.298 Radiovorträge von Historikern anderer politischer Couleur kamen hingegen nur vereinzelt vor, eine Tendenz, die sicherlich auch dadurch verstärkt wurde, dass die traditionellen Professoren ohnehin kaum versuchten, ein breiteres Publikum anzusprechen. Zwischen Chabod und der RAI kam trotz einiger Verhandlungen beispielsweise keine dauerhafte Zusammenarbeit zustande. Zwar wurde er am 9. Februar 1953 von Seiten des Radios gebeten, für das dritte Programm die Reihe Osservatore storico zu betreuen. Chabod erwartete in diesem Zusammenhang, einem durchschnittlich vorgebildeten Publikum neueste Ergebnisse und Probleme der Forschung zu vermitteln. Stattdessen sollte er als Verantwortlicher der Sendereihe eine aktuelle Chronik redigieren, die nur geringen Bezug zur historischen Wissenschaft haben würde. Dies lehnte er entschieden ab.299 Wenn Reden Croces im Radio gesendet wurden,

297 Häufig kam es zu Beschwerden, weil Zeitungen und Zeitschriften nicht oder nur verspätet Honorare auszahlten. Siehe etwa Salveminis Klagen gegenüber dem Mondo am 18.6.1951 und 19.2.1954, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 74 bzw. 75. Das gleiche gilt für eine seltene Zusammenarbeit Saittas mit dem Nuovo Corriere. Brief Saittas an Ragionieri, 1.1.1953, in: Fondo Ernesto Ragionieri, No. 1732. 298 Bendiscioli war seit 1964 sogar als Berater für RAI-Sendungen tätig. Siehe Interview Giu­ liani, S. 55 f. Auch der geschasste Jemolo, der ein liberaler Katholik und später auch Berater von Papst Paul VI. war, konnte sich auffallend oft in der RAI äußern. 299 Brief Chabods an die RAI, 12.2.1953, in: Istituto storico italiano per l’età moderna e contemporanea, Fondo Federico Chabod, III, 217.

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dann meist nicht in seiner Eigenschaft als Historiker, sondern als Senator oder Parteipolitiker.300 Aus naheliegenden Gründen finden sich auch marxistische Vortragende kaum in den Aufzeichnungen aus dem Untersuchungszeitraum. Eine Ausnahme bildete allerdings Cantimori, dessen wissenschaftlicher Position wohl eine gewisse Aufmerksamkeit nicht versagt werden konnte. Abgesehen von seiner Mitgliedschaft in der KP stellten sich jedoch, wie oben angeführt, bei dem Historiker aus der Romagna auch kaum Fragen politischer Sensibilität, da er in der Öffentlichkeit niemals Stellungnahmen zu aktuellen historisch-politischen Fragen abgab. Über einen Beitrag zu Antonio Labriola für den Giornale Radio zeigte man sich denn 1953 bei der RAI geradezu begeistert; er sei exzellent, man werde nicht ein Komma ändern.301 Später betreute Cantimori auch die Reihe Rassegna di Storia Moderna. Als diese Kompetenz an einen anderen Gelehrten überging, dankte Cesare Lupo, Direktor des Terzo Programma der RAI, Can­ timori persönlich für dessen hervorragende Arbeit.302 Aber wenn auch katholische Historiker in der RAI häufiger Gelegenheit zu Vorträgen erhielten, bedeutete dies keineswegs, dass sie ihre Sicht auf die Z ­ äsur dort äußern konnten. Im Gegensatz zu Deutschland wurde die Zeit des Faschismus im Radio vielmehr komplett ignoriert. In Sendungen über das Risorgimento oder die italienische Einigung wurden keine kritischen Sichtweisen als Konsequenz der jüngsten Ereignisse oder ein Ausblick auf die weitere historische Entwicklung diskutiert. Fast schon skurrile Ausmaße nahm diese Tabuisierung in einer Vortragsreihe Passerins zur Entstehung der demokratischen Freiheiten an, die den Zeitraum vom Mittelalter bis zur Gegenwart umfasste. Obwohl diese Themensetzung an sich als eine Konsequenz aus der Zäsur anzusehen war, unterbrach Passerin seine weitläufigen Darstellungen mit dem Jahr 1922 und setzte die Reihe beim nächsten Abschnitt ganz selbstverständlich mit der Nachkriegszeit fort. Sogar der Begriff fascismo kam im gesamten Text nicht ein einziges Mal vor.303 Die Presselandschaft war naturgemäß in beiden Ländern komplexer und vielschichtiger als der Rundfunk. In den Jahren unmittelbar nach dem Krieg be­ saßen in Deutschland Kulturzeitschriften eine früher und später nie da gewesene Bedeutung mit hohen Auflagenziffern. Das Pressewesen hatte sich noch 300 Etwa Croces Rede vor dem CLN-Kongress am 29.1.1944, in: Croce, Scritti I, S.  239–242 oder seine Senatsrede vom 24.7.1947, in: Discoteca dello Stato, Benedetto Croce. 301 Brief A. Piccone Stellas, RAI, Giornale Radio, an Cantimori, 1.10.1953, in: Fondo Cantimori, SNS, Lettere RAI a Cantimori. 302 Brief Cesare Lupos an Cantimori, 18.12.1959, in: Ebd. In der Discoteca dello Stato finden sich hierzu einige Nachweise über Sendungen. 303 Vgl. Passerin d’Entrèves, Come nascono. Zum Abbruch 1922 siehe ebd., S. 45. Erst mehrere Jahre später wurde die Zäsur im Radio angesprochen, so etwa 1963 in einem Festbeitrag Bendisciolis zur Resistenza: Il 25 aprile 1945 in prospettiva storica, gesendet am 25.4.1963 im Giornale Radio der RAI.

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nicht konsolidiert, alte Blätter waren verboten und neue von der Lizenz und Papierzuteilung der Besatzungsmächte abhängig. Auch gab es praktisch keine überregionalen Medien, da die Nachrichtenwege zusammengebrochen waren oder aufgrund der Zonengrenzen nur schwer Kontakt über größere Entfernungen hergestellt werden konnte. Lokalen Zeitungen, vor allem in Universitätsstädten, kam daher ebenfalls ein besonderer Rang zu. Erst mit der Währungsreform, die das Geld wieder stabil und die Zeitschriften teuer machte, nahm dieser Boom ein Ende und die meisten der Experimente verschwanden oder wurden zu Randerscheinungen bestimmter intellektueller Zielgruppen.304 Interessanterweise beteiligten sich in Deutschland Historiker nicht in hohem Maße an den Debatten in den Kulturzeitschriften.305 Der unmittelbaren Frage nach dem Umgang mit dem Nationalsozialismus kam dort eine zentrale Bedeutung zu und nur wenige Geschichtswissenschaftler konnten als NS-Gegner gelten und deshalb überzeugend für einen Neubeginn sprechen. Viele hatten zudem ihre Posten verloren, sei es durch Flucht oder Entnazifizierungsmaßnahmen. Zwar erlangte Meinecke nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Systems Glaubwürdigkeit als Deuter. Aber mit seinen nun über achtzig Jahren war er zu alt und zu gebrechlich, um sich noch regelmäßig in derartige Diskussionen einzumischen. Die meisten Artikelwünsche lehnte er daher ab. Die Vielfalt des Presseangebots und die schwierigen Kommunikationswege führten dazu, dass sich die öffentliche Praxis der nicht allzu vielen Histo­riker, die in die Debatten um die Ursachen des Zusammenbruchs involviert waren, dann auch in dieser Anfangszeit auf viele verschiedene Kulturzeitschriften verteilte. Die einzigen Fachvertreter des Untersuchungssamples, die engere Bindungen zu einer bestimmten Zeitschrift pflegten und dort etliche Male das Wort ergriffen, waren Ritter in der Gegenwart und Heimpel in der Sammlung. Ritter kannte den Gegenwart-Herausgeber Benno Reifenberg306 persönlich und versuchte ihn unmittelbar nach dem Krieg – vergeblich – für sein Projekt einer überparteilichen Vereinigung zu gewinnen.307 Auch hatte Ritter durch Empfehlung seinem Schüler, dem späteren Kieler Professor Michael Freund, direkt nach dem Krieg eine Anstellung bei der Gegenwart verschafft.308 Wenn ­R itter in den Anfangsjahren zwar bei einer Reihe weiterer Kulturzeitschriften recht gefragt war, stieß er mit seinem Wunsch nach Zugang zu allgemeinen 304 In diesen Jahren erreichten einzelne Kulturzeitschriften Auflagen von bis zu 75.000 Exemplaren, wobei diese noch höher hätten sein können, da aus Papiermangel nicht alle Abonnementwünsche erfüllt werden konnten. Nach der Währungsreform brach der Absatz drastisch ein, viele Projekte mussten eingestellt werden und selbst erfolgreiche Periodika wie die Frankfurter Hefte oder Der Monat setzten keine 10.000 Stück mehr ab. Vgl. Wilke, Leitmedien, S. 308. 305 Zur Sprachlosigkeit der Historiker in den Kulturzeitschriften siehe auch Rabinbach. 306 Reifenberg gehörte zum Kreis der 1943 verbotenen Frankfurter Zeitung. Vgl. Koszyk, Presse unter alliierter Besatzung, S. 54. 307 Brief Ritters an Reifenberg, 26.2.1946, in: BArch, Nl Ritter 359. 308 Brief Freunds an Ritter, 31.10.1947, in: BArch, Nl Ritter 330.

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Medien mitunter noch auf Ablehnung. Des Öfteren geriet er ferner in Konflikt mit der französischen Zensur und wich, bisweilen unter Pseudonym, auf Schweizer Zeitungen aus.309 Auch seine ersten Bemühungen um eine Würdigung Carl Goerdelers und des deutschen Widerstands waren nicht überaus erfolgreich. Gerne hätte Ritter etwa einen entsprechenden Artikel in der Welt (damals noch das Informationsblatt der britischen Besatzungszone) untergebracht, für welche dieser aber viel zu lang geraten war. Anschließend bot er sie den Kulturzeitschriften Deutsche Rundschau und Die Wandlung an, welche allerdings wegen kommunistischer Angriffe auf die Männer des 20. Juli nicht wagten, Ritters Abhandlung zu drucken. Letztlich profitierte Ritter in dieser Zeit besonders von seinen Kon­takten zu ehemaligen Schülern, die als Journalisten tätig waren. Einer von diesen, der NWDR-Redakteur Peter von Zahn, ließ zum Beispiel die Abhandlung des Freiburger Historikers über Goerdeler im Dezember 1946 in den Nordwestdeutschen Heften, einer Zeitschrift des NWDR, drucken.310 Überdies konnte Ritter die Ost-Berliner Presse in dieser Zeit auch offensiv angehen, weil ein weiterer seiner Schüler für die Neue Zeit, das CDU-Organ in der SBZ, arbeitete und es Ritter so ermöglichte, am 19. Dezember 1946 dort ebenfalls einen Artikel über Goerdeler unterzubringen.311 Heimpel war seinerseits mit dem Sammlung-Herausgeber Hermann Nohl, einem Philosophen und Pädagogen der Universität Göttingen, bekannt. Im Gegensatz zu Ritter behielt Heimpel sein Engagement bei dieser Kulturzeitschrift lange bei, schrieb bis 1955 quasi jedes Jahr ein oder zwei Aufsätze. In einer Würdigung zu Nohls achtzigstem Geburtstag in der FAZ am 7. Oktober 1959 lobte Heimpel, dieser habe nach 1945 mit einer Hilfskasse notleidende Dozenten unterstützt, ohne nach ihrem Verhalten im Nationalsozialismus zu fragen.312 Vielleicht war Heimpel Nohl dankbar, weil er auch nach seiner eigenen NS-Ver­ gangenheit nicht gefragt hatte. Die Jahre 1948/49 waren nicht nur ein Einschnitt, weil sie durch die Währungsreform ein Ende der Blütezeit für die Kulturzeitschriften bedeuteten. 309 Aus einem Brief Ritters vom 15.6.1947 an die Schweizer Monatshefte geht hervor, dass er den dort veröffentlichten Aufsatz über das Geschichtsbild in der NS-Zeit auch der Universitas und dem SWF angeboten hatte, die beide aus für Ritter undurchschaubaren Gründen wieder zurückgezogen hätten. Bahlinger hatte sich am 15.11.1946 für Ritters Manuskript über das Geschichtsbild im Nationalsozialismus interessiert, ihn aber aufgefordert es frühzeitig einzuschicken, da es von der Zensur geprüft werden müsse. Siehe BArch, Nl Ritter 360. 310 Briefe Ritters an v. Zahn, 16.11.1946 und 16.1.1947, in: BArch, Nl Ritter 328. Brief Rudolf Pechels, Deutsche Rundschau, an Ritter, 7.9.1946, in BArch, Nl Ritter 359; Brief Dolf Sternbergers, Die Wandlung, an Ritter, 4.10.1946, in: BArch, Nl Ritter 360. Vgl. ferner Brief Ritters an v. Zahn, 15.10.1946, in: Ritter, Ein politischer Historiker, S. 420. v. Zahn berichtete Ritter am 9.3.1946, man habe im Hamburger Rundfunk eine Geschichtsauffassung durchgesetzt, die »akkurat« derjenigen Ritters entspreche. Siehe BArch, Nl Ritter 327. 311 Brief der Neuen Zeit, an Ritter, 29.4.1946, in: BArch, Nl Ritter 359. 312 Vgl. Heimpel, Gelebte Philosophie, in: FAZ, 7.10.1959.

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Das allmähliche Ende der alliierten Zensur und die zunehmende Selbständigkeit der sich bald in der Bundesrepublik Deutschland auch staatlich konstituierenden Westzonen sorgten für eine Konsolidierung des westdeutschen Presse­ wesens. Zwar erhielten die Altverleger aus der Zeit vor 1945 wieder das Recht, Publikationen auf den Markt zu bringen, aber es dominierte insgesamt die von den Alliierten autorisierte und mittlerweile etablierte Lizenzpresse.313 Historiker hörten zwar nicht auf, für politisch-kulturelle Zeitschriften zu schreiben, jedoch ließ sich eine große gebildete Leserschaft nur noch über die Feuilletons der bürger­lichen Presse ansprechen. Die Bedingungen für journalistische Mitarbeit besserten sich dort. Zwar endete die Expansion des westdeutschen Zeitungsmarktes Mitte der fünfziger Jahre und es setzte ein Konzentrationsprozess ein; Umfang und Anzahl der Beiträge in den einzelnen Blättern nahm aber seit Beginn dieses Jahrzehnts stetig zu.314 Die 1949 gegründete FAZ knüpfte bewusst an die Tradition der 1943 ver­ botenen Frankfurter Zeitung an, welche im Nationalsozialismus eine begrenzt autonome Rolle hatte spielen können. Ausgehend von einer zunächst noch kleinen Auflage entwickelte sich die FAZ zu einem großen Erfolg. Entscheidend war dabei weniger, dass sie ihre Verkaufszahlen erheblich steigern konnte, als dass sie vielmehr zu einem der wenigen Leitmedien der neuen Bundesrepublik aufstieg. Die FAZ war das einzige wirklich überregionale Organ der seriösen Presse und konnte schnell auch gegenüber anderen Blättern eine Meinungsführerschaft gewinnen, die oft zitiert wurde.315 Diese herausgehobene Stellung besaß die FAZ nicht nur in allgemeinen politischen Fragen, sondern sie galt ebenso für die öffentliche Praxis von Histo­ rikern. In keiner anderen Zeitung äußerten sich Geschichtswissenschaftler so häufig316 Eine besondere Hochzeit bedeuteten dabei die Jahre 1950–1955 unter dem Herausgeber Paul Sethe, der für die öffentliche Praxis der Historiker bei der Presse eine ähnliche Schlüsselfunktion einnahm wie Bahlinger im Rundfunk. Der promovierte Historiker Sethe hatte im Nationalsozialismus für die Frankfurter Zeitung gearbeitet und war einer der Gründer der FAZ. Daneben hatte er selbst mehrere Bücher zur deutschen und allgemeinen Geschichte verfasst. Sethes Rolle für die neue Debattenkultur erscheint dabei noch inter­ 313 Vgl. W. Schütz, S. 110–115. Allerdings stellte die FAZ eine erfolgreiche Neugründung nach Aufhebung der Lizenzpflicht 1949 dar. 314 Dieses Wachstum endete erst in den siebziger Jahren. Vgl. Wilke, Überblick, S. 20. 315 Die Auflage der FAZ begann 1949 sehr niedrig, 1953 waren es täglich 100.000 Exemplare und ab 1959 sogar 200.000. Wichtiger war aber, dass die FAZ überdurchschnittlich von Gebildeten, Führungskräften und Meinungsmachern, also von Multiplikatoren gelesen wurde. Vgl. ders., Leitmedien, S. 311. Eine vergleichbare Funktion als Leitmedium hatte allenfalls die Wochenzeitung Der Spiegel. Es war ein bedeutendes publizistisches Organ gegen die Adenauer-Regierung und so überrascht es nicht, dass Historiker hier fast nie ­veröffentlichten. 316 Im Untersuchungszeitraum finden sich mindestens 23 Beiträge, die sich auch auf sieben Historiker des Samples verteilen, was die Zahlen bei den übrigen Blättern deutlich übersteigt.

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essanter als diejenige Bahlingers, weil er selbst einen eigenen politisch-historischen Standpunkt entwickelte. Diesen verfocht Sethe auch öffentlich in der FAZ, was letztlich dazu führte, dass er die Zeitung 1955 verlassen musste.317 Dennoch gab er während seiner Zeit als Herausgeber Personen mit abweichenden Ansichten die Gelegenheit, sich in der FAZ zu äußern. Zu diesen Autoren zählten Ritter und Dehio, mit denen er desgleichen kontrovers über die politische Lage diskutierte.318 Ähnlich wie Bahlinger war Sethe in besonderem Maße Ritter zugeneigt und gab ihm häufig die Gelegenheit, seine Anschauungen in der FAZ zu vertreten. Ein wesentlicher Faktor mag gewesen sein, dass Ritter nicht nur als Verbandsvorsitzender in dieser Zeit die Rolle des wichtigsten westdeutschen Historikers einnahm, sondern einen Bekanntheitsgrad unter der Leserschaft der FAZ besaß, weil sich seine Werke außerordentlich gut verkauften.319 Sethe kam Ritter nicht nur häufig entgegen und ermöglichte ihm, der notorisch zu lange Texte schrieb, bisweilen Artikelfolgen, um alle seine Gedanken unterzubringen.320 Vielmehr gab er Ritter mit der FAZ ein Mittel in die Hand, um sich nach Angriffen auf seine Person mit seinen Gegnern öffentlich auseinander zu setzen. Die eigentliche enge Zusammenarbeit zwischen Sethe und Ritter hatte derweil begonnen, als Sethe dem Historiker am 2. Februar 1951 die Möglichkeit zu einer ungekürzten Erwiderung auf einen Artikel des Publizisten Otto ­Roegele im Rheinischen Merkur gegeben hatte. Roegele hatte Ritter dort eine nationalistische Geschichtssicht vorgeworfen, und der Rheinische Merkur sich geweigert, eine Gegendarstellung abzudrucken.321 Ritter sah sich als Opfer einer Pressekampagne von Süddeutscher Zeitung, Münchner Abendzeitung und Rheinischem Merkur während des Streits um die IfZ-Leitung und war Sethe insofern besonders dankbar, da er sich ohne eigenes Publikationsorgan wehrlos öffent­ lichen Angriffen ausgesetzt fühlte.322 317 Vgl. Koszyk, Presse und Pressekonzentration, S. 448. 318 Sethe etwa hielt Adenauers Außenpolitik im Gegensatz zu Ritter für amerikahörig, speziell im Zusammenhang mit den Stalin-Noten. Auch glaubte er an eine tendenziöse Berichterstattung in der deutschen Presse, weil die meisten Zeitungen mit US-amerikanischen Krediten finanziert gewesen seien. Siehe Brief Sethes an Ritter, 22.3.1952, in: BArch, Nl Ritter 339. Ebenso kritisierte Sethe am 27.3.1952 Dehios bedingungslose Unterstützung der Westorientierung als einseitig, denn politisch-diplomatisch sei der Westen längst der eigentliche Aggressor. Siehe StA Marburg, Nl Dehio 340, C Kasten C12. Dehio empfand seinerseits den Sieg der CDU/CSU bei den Bundestagswahlen 1953 als einen Erfolg auch gegen Sethe. Siehe Tagebucheintrag vom 7.9.1953, in: StA Marburg, Nl Dehio 340 C, Kasten C7. 319 Vgl. Cornelißen, Ritter, S. 624 f. 320 Brief Sethes an Ritter, 16.3.1954, in: BArch, Nl Ritter 342. 321 Brief Ritters an Sethe, 5.1.1951, in: BArch, Nl Ritter 364. Ritter hatte dem Rheinischen ­Merkur am 10.1.1951 eine Erwiderung auf die »Kampfschrift« Roegeles geschickt und die Erwartung geäußert, dass der Aufsatz binnen 14 Tagen gedruckt werde, was aber nicht geschah. Siehe ebd. 322 Siehe Brief Ritters an Dehio vom 10.1.1950, in: StA Marburg, Nl Dehio 340 C, Kasten C15.

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Von nun an bevorzugte Ritter auch seinerseits die FAZ, bewertete sie 1953 praktisch als beste Zeitung überhaupt, da sie »turmhoch« über der Qualität der Auslandspresse stehe.323 Fast schon begeistert war Ritter über die Werbung Sethes für seine Goerdeler-Biographie. So schrieb er im März 1954 an seinen Verlag Oldenbourg, der FAZ-Herausgeber habe seinen Artikel über den Militarismus »groß aufgemacht, mit einem Portrait von mir […]. Herr Sethe war bereit, bei dieser Gelegenheit auf das bevorstehende Erscheinen des Buches hinzuweisen, was mir sehr nützlich scheint.«324 Umso enttäuschender empfand es der Freiburger Professor, als er von Sethes Aufgabe bei der FAZ erfahren musste. Er wollte »[…] die Gelegenheit benutzen, um Ihnen meinen aufrichtigen Dank dafür zu sagen, daß Sie sich für mein literarisches Lebenswerk so entschieden eingesetzt und meinen Ideen durch Ihre Zeitung geholfen haben, in weitere Kreis zu dringen.«325 Ritter blieb in der Folgezeit eher Sethe als der FAZ treu. Sethe war in­zwischen zur Welt gewechselt und unterstützte Ritter weiterhin, etwa indem er diesem dort am 3. November 1956 den Verriss eines Buches der Journalistin Margret Boveri über den deutschen Widerstand ermöglichte.326 Die Zusammenarbeit zwischen Sethe und Ritter besaß in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre jedoch nicht mehr die gleiche Intensität wie in den Jahren zuvor. Einerseits ließ Ritters Schaffenskraft nach, andererseits war Sethes Stellung bei der Welt zudem nicht mehr so einflussreich wie ehemals bei der FAZ.327 Sethe pflegte allerdings auch Kontakt zu Dehio und drängte jenen, dass seine Ansichten nicht auf die akademische Öffentlichkeit beschränkt bleiben dürften. Hiermit schlug er quasi in die gleiche Kerbe wie vorher schon Dehios Freund und Mentor Meinecke. So meinte er grundsätzlich im November 1952, das breite Publikum werde von der Historiographie vernachlässigt. Er schlug Dehio daher vor, seine Texte aus der HZ in der FAZ abdrucken zu lassen. Es würde den Historiker sicherlich schmerzen, so der Journalist, dass diese Texte für die Tageszeitung gekürzt und in mehrere Fortsetzungen zerlegt werden müssten. 323 Brief Ritters an die FAZ, 30.9.1953, in: BArch, Nl Ritter 366. 324 Brief Ritters an den Oldenbourg-Verlag, 25.3.1954, in: BArch, Nl Ritter 366. 325 Brief Ritters an Sethe, 17.10.1955, in: BArch, Nl Ritter 344. 326 Brief Sethes an Ritter, 13.11.1956, in: BArch, Nl Ritter 346. Ritter war empört, dass Boveris Werk von FAZ-Herausgeber Karl Korn in einer Besprechung ausdrücklich gelobt worden war. Er hatte in dem Manuskript seines Artikels vom 3.11.1956 sogar gegen die Frankfurter Zeitung polemisiert, was Sethe vor der Veröffentlichung allerdings entfernte. Siehe hierzu Briefe Ritters an Sethe, 24.10. und 5.11.1956, in: BArch, Nl Ritter 368. 327 Jedenfalls gab es keine weiteren Welt-Artikel Ritters mehr, und als er am 8.10.1960 wegen der Kritik am Verhalten der westdeutschen Historiker auf dem Internationalen Kongress in Stockholm vom Chefredakteur der Hamburger Zeitung die Gelegenheit zu einer Gegendarstellung verlangte, wurde ihm diese nicht gewährt. Ritter konnte nur einen Leserbrief veröffentlichen. Siehe Brief Ritters an die Welt, 18.10.1960, in: BArch, Nl Ritter 371.

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Aber Sie würden uns helfen, die Ergebnisse der Forschung über unsere jüngste Vergangenheit in weitere Kreise zu tragen. Diese Notwendigkeit beschäftigt mich seit Jahrzehnten […]. Mir wurde dabei deutlich, welch eine Kluft besteht zwischen der sich immer mehr verfeinernden Forschung und der breiten Schicht der Gebildeten, eine Kluft, von der ich glaube, daß sie zu Rottecks und noch zu Treitschkes Zeiten doch weit geringer war […]. Ich habe mir oft den Kopf zerbrochen, wie das zu ändern sei. Wahrscheinlich ist es unmöglich, weil Spezialisierung auf der einen und hastige Oberflächenbildung auf der anderen Seite zu sehr zu unserer Zeit gehören, als daß man erwarten dürfte, hier für ein einziges Wissensgebiet plötzlich ein verbreitertes Interesse zu fordern.328

Bei Dehio stieß Sethe mit diesen Äußerungen mittlerweile auf offene Ohren. Bereits einen Tag später antwortete der Marburger Professor, auch er sehe eine Kluft zwischen öffentlicher Meinung und Geschichtswissenschaft, zwischen denen er das Band wieder fester knüpfen wolle. In diesem Zusammenhang kam es bald zu persönlichen Treffen zwischen beiden, bei welchen über diese Fragen diskutiert wurde.329 Diese Übereinstimmung bedeutete aber keinen grenzenlosen Medienzugang für Dehio. So lehnte Sethe am 10. Dezember 1952 Dehios Bitte, sich zur aktuellen Politik der Bonner Regierung äußern zu dürfen, aus prinzipiellen Erwägungen ab: Über unmittelbar politische Fragen schrieben in der FAZ nur die Redakteure und keine Autoren von außen.330 Insgesamt bot die FAZ aber auch nach Sethes Weggang eine zentrale Möglichkeit für die öffentliche Praxis von Historikern. Heimpel veröffentlichte etwa nicht weniger Artikel in der Zeitung als Ritter, allerdings folgten diese zeitlich versetzt vor allem in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre, da Heimpel ent­ gegen seiner eigenen Einschätzung und seinen in der Tat zahlreichen Absagen sein mediales Engagement eher noch ausbaute. Heimpel pflegte engeren Kontakt zu dem FAZ-Herausgeber Karl Korn. Diesem versicherte er im Februar 1959 etwa sein Vertrauen angesichts der »bewährten Redaktionstätigkeit«331 bei der FAZ und vermittelte am 15.  Juli 1960 bei Korn auf Bitten Schieders auch einen Hinweis auf den Jubiläumsband der HZ in der FAZ, da Schieder 328 Brief Sethes an Dehio, 12.11.1952, in: StA Marburg, Nl Dehio 340 C, Kasten C15. 329 Ebd. 330 StA Marburg, Nl Dehio 340 C, Kasten C15. Dehio erwog sogar einmal, eine eigene Tages- oder Wochenzeitung zu gründen, die die Gefahren des Bolschewismus aufzeige. Allerdings verfolgte er dies nicht ernsthaft weiter. Siehe Brief Dehios an den Leser Rudolf ­Arnold, 23.4.1956, in: StA Marburg, Nl Dehio 340 C, Kasten C6. 331 Brief Heimpels an Korn, 3.2.1959, in: MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 24. So viel Lob äußerte Heimpel durchaus nicht häufig, mitunter war er recht ungehalten ob der Art, wie seine Ansichten in der Presse wiedergegeben wurden, Am 2.9.1959 schrieb Heimpel beispielsweise eine scharfe Kritik an die dpa, da sie über das MPI falsch berichtet habe, obwohl er langsam und diktierend erklärt habe. In Zukunft werde er nur noch schriftlich ausgearbeitete Informationen an die dpa weitergeben. »Wenn Vertreter der Presse nicht imstande sind, Informationen richtig aufzunehmen und richtig weiterzugeben, muß man eben die Pressearbeit selbst übernehmen.« Siehe MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 25.

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selbst keinen Kontakt dorthin hatte und seine erfolglosen Werbeversuche in der Presse zuvor gegenüber Heimpel beklagt hatte.332 Im Gegensatz zur FAZ blieb die Süddeutsche Zeitung trotz ihres Anspruchs und ihrer hohen Auflagenzahl in erster Linie eine bayerische Regional­zeitung.333 Dies äußerte sich auch in der öffentlichen Praxis der Historiker, denn es war der Münchner Ordinarius Schnabel, der fast über den gesamten Untersuchungszeitraum eine intensive Zusammenarbeit mit dieser Zeitung pflegte. Diese Kooperation hatte bereits im März 1947 begonnen, kurz vor Schnabels Umzug nach München. Die besonders intensive Wertschätzung, die man Schnabel bei der Süddeutschen entgegenbrachte, erschließt sich exemplarisch aus einer Einleitung zu einem Aufsatz Schnabels über die Leistung des Astronomen Nikolaus Kopernikus vom 6. Juni 1952. Dort wurde Schnabel als Gelehrter von führendem Rang vorgestellt und sein Artikel »[…] ein Beispiel für die Meisterschaft des Historikers, der vorbildlich die geistes- und kulturgeschichtlichen Zusammenhänge des technischen Zeitalters erschlossen hat«,334 genannt. Die anderen Historiker hatten hingegen kaum Kontakt zur Süddeutschen, besonders das Verhältnis zu Ritter war vorbelastet, nachdem er sich als Opfer einer Münchner Medienkampagne gefühlt hatte. 1950 bat die Süddeutsche ­R itter zwar von sich aus um die Abdruckgenehmigung eines seiner Welt-Artikel. Ritter wollte das aber nur gestatten, wenn damit nicht eine erneute Kontroverse ausgelöst und er wiederum als Militarist angeprangert werden würde.335 Daraufhin kam keine Zusammenarbeit zustande. Für eine kurze Zeit hatte auch die Neue Zeitung eine gewisse Bedeutung für die massenmediale Praxis der Historiker. In den allermeisten Fällen war es aber allein Ritter, der sich dort zu Wort meldete. Anfangs hatte sich die Neue ­Zeitung nicht sonderlich für Ritters Beiträge interessiert und im Juli 1946 seinen Vorschlag, einen Artikel zu Goerdeler zu bringen, lapidar und ohne Begründung abgelehnt.336 Seit 1948/49, also als Ritter offiziell eine führende Stellung in der Geschichtswissenschaft einnahm und allgemein bekannter wurde, bat ihn das 332 MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 26. Offenbar hatte Heimpel auch gute Kontakte zur Süddeutschen Zeitung, denn er bat auch dort am 15.7.1960, den HZ-Bericht zu bringen. Siehe ebd. Ferner hatte die Süddeutsche von sich aus Heimpel am 5.3.1959 angeboten, Werbung für sein Buch Die halbe Violine zu machen, das sich in München schlecht verkaufe. Heimpel lehnte aber ab: Er habe sich damit abgefunden, dass sein Buch in Norddeutschland erfolgreicher laufe. Siehe Brief Heimpels an die Süddeutsche Zeitung, 6.3.1959, in: MPGArchiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 25. 333 Vgl. Wilke, Leitmedien, S. 312. 334 Schnabel, Kopernikus. 335 Brief der Süddeutschen Zeitung an Ritter, 29.3.1950, sowie Antwort Ritters, 4.4.1950, in: BArch, Nl Ritter 363. Erst Jahre später war der Gegensatz etwas abgekühlt. Ritter schrieb in der Süddeutschen dann auch einmal einen Artikel über den Internationalen Historikerkongress in Rom und beantwortete Fragen des Süddeutsche-Redakteurs Immanuel Birnbaum über neue Bücher zu den Entwicklungen vor 1933. Siehe Ritter, Begegnung der ­Nationen bzw. Brief Birnbaums an Ritter, 20.7.1955, in: BArch, Nl Ritter 344. 336 Brief der Neuen Zeitung an Ritter, 18.2.1946, in: BArch, Nl Ritter 359.

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offizielle Blatt der US-amerikanischen Besatzungszone dann aber selbst um Beiträge, die der Professor auch lieferte. Gleichwohl zeigte Ritter sich mit der Arbeit und Berichterstattung der Neuen Zeitung mehrfach unzufrieden. So warf er ihr wiederholt vor, sie habe seine Äußerungen entstellt wiedergegeben, unter anderem seine Rede vor dem Historikertag 1949 in München.337 Mit seiner zunehmenden Bindung an die FAZ beendete Ritter seine Mitarbeit bei der Neuen Zeitung. Eine Rolle spielten zudem sicherlich die sinkenden Verkaufszahlen dieses Blattes, welches 1953 eingestellt werden musste.338 Ferner bat die dpa hauptsächlich Ritter um Stellungnahmen. Dies stand ganz offenkundig in Zusammenhang mit seiner führenden institutionellen Stellung. Die ersten Anfragen kamen 1950, also nach seiner Etablierung als Verbands­ vorsitzender und wurden bisweilen an eine erhebliche Zahl von Regional- und Lokalzeitungen verkauft. Diese Kooperation endete jedoch wieder 1953, als Ritter seine öffentliche Praxis reduzierte, um sich stärker auf seine GoerdelerBiographie zu konzentrieren.339 Die letzte Zeitung, die in einem beachtlichen Rahmen ein Medium für Historiker darstellte, war die Hamburger Welt. 1949– 1951 äußerten sich hier Aubin als örtlicher Ordinarius, der sich aber seit den fünfziger Jahren wieder fast ausschließlich auf die Fachmedien und seine Gutachtertätigkeit verlagerte, sowie wiederum mehrfach Ritter und Heimpel.340 Eine vergleichbare mediale Übergangsphase wie die von 1945–1948 in Deutschland stellten in Italien die Jahre 1943–1946, also der Zeitraum der allmählichen Befreiung von der deutschen Herrschaft und der kurzen alliierten Besatzung, dar. Indes waren es hier nicht die Kulturzeitschriften, die eine so überragende Stellung einnahmen, sondern die Parteiblätter, die durch die alliierte Kontrollbehörde am 4. März 1944 erlaubt wurden.341 Eine Sonderrolle kam dabei Croce zu. Es lässt sich kaum davon sprechen, dass er Medienzugänge erhielt, vielmehr schuf er in der unmittelbaren Nachkriegszeit als wichtiger Politiker und Vorsitzender der Liberalen Partei solche Medien sogar selbst und bestimmte ihren Kurs mit. Zum Beispiel empfing Croce im März 1944 mehrfach Verantwortliche des Parteiorgans La Libertà, um mit ihnen die allgemeine Linie in der politischen Auseinandersetzung fest337 Brief Ritters an Dehio, 21.9.1949, in: BArch, Nl Ritter 362. Siehe auch Brief Ritters an die Neue Zeitung, 2.12.1950, in: BArch, Nl Ritter 363. 338 Am 12.9.1953 stellte die Neue Zeitung ihr Erscheinen ein. Vgl. Koszyk, Presse unter alliierter Besatzung. S. 40. 339 Erste Anfrage der dpa am 27.6.1950, in: BArch, Nl Ritter 363. Zu Ritters Prioritätensetzung auf das Goerdeler-Buch siehe Brief vom 22.12.1953 an die Deutsche Verlagsanstalt, in: BArch, Nl Ritter 366. 340 Die Welt wurde am 17.9.1953 an den Springer-Verlag verkauft, allerdings behielt sie ihr ursprünglich liberales Profil zunächst bei. Erst seit Ende der fünfziger Jahre schlug sie einen rechtskonservativen Kurs ein und viele Journalisten verließen daraufhin die Zeitung. Vgl. Wilke, Leitmedien, S. 310. 341 Vgl. De Luna, S. 176. Die alliierte Besatungszeit endete am 1.1.1946, allerdings blieb die Pressezensur noch bis zum 31.5.1946 in Kraft. Siehe ebd., S. 221.

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zulegen.342 Hier oder in dem zweiten Parteiblatt Risorgimento liberale konnte er seine Ansichten und Gegendarstellungen zu politischen Angriffen auf seine Person jederzeit veröffentlichen. Dies waren in jener Zeit durchaus probate Mittel, die über die Information einiger Parteimitglieder hinausgingen. So hatte etwa der Risorgimento liberale direkt nach dem Krieg einen täglichen Absatz von 100.000 Exemplaren.343 Gleichzeitig konnte Croce auch bei der Gründung der Informationszeitung für Neapel, Il Risorgimento, seinen Einfluss geltend machen, sodass der von ihm vorgeschlagene Journalist Floriano Del Secolo durch die Alliierten zum Herausgeber ernannt wurde.344 Nach der Erlaubnis politischer Tageszeitungen in Neapel durch die Alliierten organisierte Croce mit den Parteifreunden die Gründung des Giornale, der zwar liberal, aber von der Partei unabhängig sein sollte, um sich gegen die zu erwartende kommunistische Konkurrenz behaupten und ein eigenes Publikum erschließen zu können.345 Auch Salvemini beteiligte sich von den USA aus 1943–1945 mit Beiträgen an einem Parteiorgan. Zahlreiche seiner Artikel erschienen in Italia libera, die dem nach dem Zweiten Weltkrieg politisch rasch gescheiterten PdA angehörte, und sich unter anderem an Salveminis Ideen orientierte. Italia libera zirkulierte in den deutsch besetzten Gebieten im Untergrund und durfte in den von den Alliierten befreiten Regionen offiziell erscheinen. Jedoch lag ihre Auflage mit wohl etwa 20.000 Exemplaren deutlich niedriger als die Zeitungen, auf welche Croce zurückgreifen konnte.346 Als einziger weiterer Historiker des Samples arbeitete auch Bendiscioli in der Zeit unmittelbar nach dem Krieg für die Parteipresse. Wenngleich sein Engagement mit dem Croces an Einfluss und Intensität nicht zu vergleichen ist, schrieb er 1945/46 regelmäßig für den Popolo, das Organ der DC. Auch in Italien konsolidierte sich in den Jahren seit 1946 das Pressewesen wieder. Viel stärker als in Westdeutschland konnten die Altverleger in ihre früheren Positionen zurückkehren und etliche Zeitungen, die vor und in der Zeit des Faschismus bestanden hatten, durften wieder erscheinen. Gefördert wurde diese Entwicklung zunächst durch die Alliierten, dann durch die Regierung Alcide De Gasperi, die dem Übergewicht linker, aus den CLN hervorgegan342 Vgl. Croce, Taccuini V, S. 46, 52. 343 Vgl. De Luna, S. 182. Croce verfügte auch über gute Kontakte zu angelsächsischen Journalisten und konnte in den Jahren nach dem Zusammenbruch des Faschismus Beiträge in maßgeblichen Blättern wie der New York Times oder dem Manchester Guardian unter­ bringen. Siehe etwa Eintrag vom 12.11.1943, in: Croce, Scritti I, S. 185, 214, 301. 344 Vgl. De Luna, S. 175. Zwar hatte der Risorgimento eine Auflage von sogar 200.000 Exemplaren, allerdings missfiel Croce, dass diese Tageszeitung politisch neutral sein musste. Er versuchte bei den US-amerikanischen Besatzungsbehörden mehr Spielraum für Del Secolo zu erreichen. Siehe Tagebucheintrag vom 24.5.1944, in: Croce, Scritti I, S. 311. 345 Eintrag vom 13.8.1944, in: Croce, Taccuini di guerra, S.  198. In dieser Zeit vor der Be­ freiung der nördlichen Landesteile hatten die Zeitungen in Süditalien eine besondere Bedeutung, die später nicht mehr gegeben war. 346 Vgl. De Luna, S. 101–108.

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gener Zeitungen begegnen wollten.347 Für einige Jahre bemühte man sich, die Wandlung gegenüber der Zeit des Faschismus durch den Zusatz des Begriffes »neu« besonders zu betonen. So hießen die traditionellen Tageszeitungen La Stampa und Il Corriere della Sera nun etwa La Nuova Stampa und Il Nuovo Corriere della Sera. Im Verlaufe der fünfziger Jahre wurde dies aber wieder fallengelassen. In diesen großen Zeitungen schrieben die Historiker des Samples kaum. Geschichtliche Beiträge dort entstammten zumeist der Feder historischer Publizisten, also bei La Stampa etwa Luigi Salvatorelli oder beim Corriere della Sera Giovanni Spadolini,348 die sich für eine Konzentration auf die journalistische Tätigkeit entschieden hatten, während die etablierten Ordinarien der traditionellen Historiographie, wie oben erklärt, sich weitgehend der öffentlichen Praxis in den Massenmedien enthielten. Der Nuovo Corriere della Sera bemühte sich dabei durchaus um die Mitarbeit des öffentlichkeitsaktiven Professors Salvemini, als dieser noch in den USA weilte. 1948 suchte ihn der New Yorker Korrespondent auf und schlug vor, er könne historische Artikel in der Mai­länder Zeitung verfassen, obschon er politisch nicht mit ihr übereinstimme. Salvemini lehnte aber jede Kooperation ab, da auch ein historischer Artikel eine gewisse Solidarität mit dem Blatt ausdrücke, in dem dieser erscheine.349 Der einzige Historiker, der eine intensive Zusammenarbeit mit einer tra­ ditionellen Zeitung, nämlich dem römischen Messaggero, pflegte, war bezeichnenderweise Croce, eben kein klassischer Akademiker. Croce schrieb ab 1947, also etwa ab dem Zeitpunkt, seit dem er durch die Parteiorgane und parteinahen Blätter kein Massenpublikum mehr erreichen konnte, bis zu seinem Tode monatlich mehrere Artikel für den Messaggero. Ihn verband eine lange Freundschaft mit dem Herausgeber des Blattes, Mario Missiroli. Während der Säuberungen nach Kriegsende hatte sich Croce für diesen eingesetzt. Missiroli, ein ursprünglicher Gegner Mussolinis, war belastet, da er sich nach einigen Jahren mit dem Faschismus arrangiert und 1938 sogar die antisemitischen Rassengesetze öffentlich befürwortet hatte. Croce hielt Missiroli aber vor allem zugute, dass dieser stets loyal zu seinen alten Freunden (also wohl auch zu Croce selbst) gestanden und als einziger Journalist im Faschismus den von Croce verehrten Giolitti nach dessen Tod gewürdigt hatte.350 Die einzige Parteizeitung, die ihre Bedeutung nicht verlor, war die Unità, das Organ der Kommunistischen Partei. Rasch konnte dieses sogar eine Hege347 Zum Niedergang der Parteipresse trug außerdem bei, dass sich diese Blätter untereinander bekämpften und daher unsachlicher erschienen als die Informationszeitungen. Vgl. De Luna, S. 180–198. 348 Spadolini hatte zwar an der Universität Florenz einen Lehrstuhl für Storia Contemporanea inne, zweifellos aber lag das Hauptgewicht seines Schaffens auf seiner journalistischen Tätigkeit. So war er nicht nur Mitarbeiter mehrerer Zeitungen, sondern seit 1955 sogar Herausgeber des Resto del Carlino (Bologna). 349 Brief Salveminis an Ernesto Rossi, 26.11.1948, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 74. 350 Tagebucheintrag vom 25.7.1944, in: Croce, Taccuini V, S.  157. Vgl. auch Martina, S.  18; ­Zunino, La repubblica, S. 538–540.

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monie im linken politischen Lager erringen.351 Hier waren es die Parteihistoriker, die zu Worte kamen und den Anspruch erhoben, sich mit neuen Themen, Fragestellungen und Methoden der italienischen Geschichte zu nähern. Dabei konnten Historiker und Journalisten zwar im Einzelnen selbst entscheiden, welche Artikel sie schreiben und veröffentlichen wollten; die große Linie wurde aber in der für die terza pagina zuständigen Kulturkommission der Partei beschlossen, an deren Sitzungen bisweilen auch Generalsekretär Palmiro Togliatti teilnahm.352 Manacorda arbeitete bereits seit 1945 und besonders 1948/49 sehr häufig bei dieser Zeitung mit, bevor er sich wieder stärker seinen akademischen Zielen widmete. Ragionieri hingegen war direkt nach dem Krieg noch sehr jung und hatte keine bedeutende Stellung in der Partei inne. Erst seit 1958 kam es zu einer engen Kooperation zwischen ihm und der Unità. Dies wurde auch bedingt durch das Ende des parteinahen Florentiner Nuovo Corriere, dem Ragionieri jahrelang als fester Mitarbeiter angehört hatte. Der Nuovo Corriere war zwar eigentlich nur ein Lokalblatt und eines von etlichen Begleitprojekten des kommunistischen Mediensystems.353 Gerade seine Kulturseiten avancierten allerdings unter dem Herausgeber Romano Bilenchi354 zu einem Anziehungspunkt für viele linke Intellektuelle. Bilenchi hatte sich eine gewisse Unabhängigkeit in seiner redaktionellen Tätigkeit bewahrt und zeigte eine besondere Aufgeschlossenheit gegenüber potentiellen jungen Talenten.355 So hatte Ragionieri selbst Zugang zur Zeitung erhalten und sich dann zu einem regelmäßigen Mitarbeiter entwickelt. Seit 1954 war er es, der dem wenig öffentlichkeitsaktiven Cantimori seinerseits regelmäßige Beiträge im Nuovo Corriere vermittelte,356 welche Bilenchi mit geradezu devoter Ergebenheit annahm.357 Am 7. August 1956 wurde die 351 Nach Schätzungen lag der normale Absatz der Unità bei täglich ca. 200.000–250.000 Exemplaren, an Feiertagen konnte aber mehr als eine Million erreicht werden. Vgl. hierzu De Luna, S. 241. 352 Siehe etwa Fondazione Istituto Gramsci, Relazione sul lavoro svolto nel mese di febbraio 1948 della Commissione per il lavoro culturale, 0181/0147–0152. Vgl. auch Ajello, Intellettuali, S. 141. 353 So berichtete Saitta, dass der Nuovo Corriere in Rom nicht zu bekommen sei. Siehe Brief Saittas an Ragionieri, 15.12.1949, in: Fondo Ernesto Ragionieri, No. 1722. 354 Bilenchi hatte während des Faschismus an verschiedenen Zeitschriften mitgewirkt, sich aber 1943 der Resistenza und dem PCI angeschlossen. 355 Bilenchi konnte die Auflage auf über 50.000 Exemplare steigern und den Nuovo Corriere zur wichtigsten linken Zeitung der Toskana machen, in der bisweilen auch katholische Autoren schrieben. Vgl. A. Angelini, S. 13–16. 356 Siehe etwa Brief Ragionieris an Cantimori, 16.8.1955, in: Fondo Cantimori, SNS, ­Lettere Ragionieri  a Cantimori. Auch für eine Rezension Saittas trat Ragionieri als Vermittler auf, siehe hierzu Brief Saittas an Ragionieri, 1.1.1953, in: Fondo Ernesto Ragionieri, No. 1732. 357 Siehe etwa Briefe Bilenchis vom 11.8. und 4.10.1955, in: Fondo Cantimori, SNS, Lettere Il Nuovo Corriere  a Cantimori. Für die Partei war Cantimori ein wichtiges Aushängeschild und es wurde viel Aufhebens um seine Mitarbeit gemacht. Valentino Gerratana von der kommunistischen Wochenzeitung Il Contemporaneo meinte in mehreren Schreiben,

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Zeitung allerdings trotz ihrer Erfolge eingestellt, da der PCI-Führung die kritische Berichterstattung über die Entstalinisierung und die blutige Niederschlagung des Arbeiteraufstandes in Posen missfiel.358 Die Presselandschaft in Italien entsprach insgesamt der starken politischen Lagerbildung in der Gesellschaft. Wohingegen im linken Spektrum die Unità immer dominierender wurde, verzichtete die DC bald auf eine unmittelbare Einflussnahme durch ihre eigenen Parteizeitungen. Vielmehr gelang es ihr indirekt, weite Teile der gedruckten Medien zu kontrollieren. Im Gegensatz zu Westdeutschland gab es in Italien nämlich kaum unabhängige Verlage. Meistens waren diese im Besitz von Großunternehmen, die den überwiegenden Teil  ihres Umsatzes in anderen Wirtschaftszweigen erzielten, oder es handelte sich um Tochtergesellschaften öffentlicher Körperschaften. Über diese öffentlichen Körperschaften konnte die DC aufgrund ihrer politischen Vormachtstellung die Auswahl der leitenden Redakteure der zugehörigen Zeitungen maßgeblich mitbestimmen. Die Unternehmen waren obendrein aus naheliegenden Gründen eher der DC als den Kommunisten zugeneigt und unterstützten eine Pressepolitik, welche die Regierungsparteien zumindest nicht bekämpfte.359 Katholische Historiker schrieben allerdings zumeist weiterhin in dezidiert katholischen Organen oder Kulturzeitschriften. Gründe hierfür sind, neben einer in den fünfziger Jahren noch nicht sehr ausgeprägten katholischen Historiographie, dass die Tagespresse eine viel stärkere Orientierung auf aktuelle Fragen mit sich brachte, als etwa die oben angesprochenen Bildungsprogramme des Rundfunks. Für katholische Historiker bestand überdies nicht eine solche Veranlassung, ein breites Publikum bei politischen Themen anzusprechen wie für kommunistische: Einerseits musste den katholischen Ideen nicht zum Durchbruch verholfen werden, da die DC bereits an der Macht war und von vielen Seiten, zumal den kirchlichen Institutionen, agitatorische Unterstützung erhielt. Andererseits wurde eine regierungsfreundliche und antimarxistische Haltung ohnehin bereits von den traditionellen historischen Publizisten vertreten. Eine Sonderstellung hingegen nahm die Wochenzeitung Il Mondo ein. Sie, ein Projekt des linksliberalen Journalisten Mario Pannunzio, erreichte zwar niemals eine Auflage, die über 20.000 Exemplare hinaus ging. Allerdings war der Mondo in der gesamten Medienlandschaft wohl die einzige Zeitung, die keinem der beiden großen politischen Lager zugerechnet werden konnte und Raum für die Propagierung eines laizistischen dritten Weges zwischen dem politischen Katholizismus und dem Kommunismus bot.360 Die Finanzierung Cantimoris Beiträge hätten stets Priorität vor allen anderen; sie seien wie Kanonen, wohingegen die übrigen Autoren nur mit Gewehren schießen könnten. Siehe Briefe Gerratanas vom 18.2. und 5.5.1954, in: Fondo Cantimori, SNS, Lettere Il Contemporaneo a Cantimori. 358 Offiziell wurden als Begründung für die Einstellung jedoch finanzielle Schwierigkeiten angegeben. Vgl. A. Angelini, S. 25 f. 359 Vgl. De Luna, S. 233–238. 360 Vgl. ebd., S. 249.

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eines solchen Vorhabens erwies sich indes als äußerst problematisch. Häufig hatte der Mondo Zahlungsschwierigkeiten und konnte nur mit Mühe vor der Insolvenz bewahrt werden.361 Besonders unter Künstlern und Intellektuellen erfreute sich das Blatt jedoch großer Beliebtheit, und nicht zufälligerweise waren es Salvemini und Croce, die in regelmäßiger und häufiger Mitarbeit der Wochenzeitung Pannunzios verbunden waren. Für Salvemini bedeutete der Mondo eine ideale Form, in Italien seine Ansichten zu historischen und politischen Themen zu verbreiten. Er verfügte dabei über unmittelbaren Kontakt zu Mondo-Herausgeber Pannunzio, der ihm aufgrund der gemeinsamen antifaschistischen Vergangenheit lange bekannt war. Darüber hinaus pflegte er auch deshalb eine besonders intensive Beziehung zu dieser Zeitung, da sein langjähriger Freund Ernesto Rossi dort als Mitarbeiter beschäftigt war.362 Anfangs hatte sich der Exilant allerdings gegenüber dem Mondo noch recht skeptisch gezeigt. Ihm missfiel, dass er nicht nur antikommunistisch, sondern überdies antisozialistisch ausgerichtet war. Die Zeitung, mutmaßte Salvemini, sei ein Hafen für alle möglichen Personen, nicht nur für Rossi, sondern auch für Croce und für manche ehemaligen Faschisten. Doch Rossis Bindung an die Zeitung gab für ihn den entscheidenden Ausschlag: »Wenn Du mitarbeitest, arbeite ich auch mit.«363 Salvemini avancierte rasch zu einem wichtigen Beiträger des Mondo, wo er bisweilen im Zwei-Wochen-Rhythmus Artikel veröffentlichte.364 Besonders dankbar war Pannunzio für Texte, in denen Salvemini sich mit der faschis­ tischen Vergangenheit beschäftigte und heikle Themen aufgriff.365 Explizit forderte er Salvemini auf, mehr zu solchen Fragen wie dem Mord an den Rosselli-Brüdern zu schreiben, um speziell die Jugend aufzuklären, die über diese Verbrechen nahezu gänzlich uninformiert sei. Gleichzeitig gehe es freilich auch darum, die Alten an das zu erinnern, was sie gerne vergessen wollten.366 Die Bedeutung Salveminis ermisst sich zudem daran, dass der Mondo-Beiträger Giacomo Antonini dort nicht mehr publizieren durfte, nachdem Salvemini seinet­ 361 Siehe etwa Brief Pannunzios an Salvemini, 29.6.1951, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 104. 362 Ernesto Rossi war ein Antifaschist, der zur Zeit des Regimes viele Jahre im Gefängnis und in der Verbannung zugebracht hatte. Nach seiner Befreiung war er eine Art Verbindungsmann Salveminis zu den italienischen Medien, speziell als dieser noch in den USA lebte. Salvemini reichte seine Aufsätze stets an Rossi weiter, der diese dann wahlweise im Mondo, im Ponte oder anderen Blättern platzieren sollte. Siehe beispielsweise Briefe Salveminis an Rossi, 16.7.1949 und 19.2.1954, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 74. 363 Siehe Briefe Salveminis an Ernesto Rossi, 12.4. bzw. 9.5.1949, in: Ebd. 364 Siehe etwa Brief Pannunzios an Salvemini, 24.6.1950, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 104. 365 So lobte Pannunzio am 12.4.1950 etwa Salveminis Beitrag über die Rolle Bonomis bei der faschistischen Machtübernahme und am 21.3.1951 seine Polemik gegen den Herausgeber des Corriere della Sera, Guglielmo Emanuel. Siehe ISRT Fondo Salvemini, Scatola 104. 366 Brief Pannunzios an Salvemini, 29.6.1951, in: Ebd.

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wegen bei Pannunzio interveniert hatte.367 1952 versuchte der Herausgeber schließlich, den ehemaligen Florentiner Professor noch enger an sich zu binden und als festen Mitarbeiter der Wochenzeitung nach Rom zu holen: Er wünsche sich als Redakteur nämlich einen »echten Spaßverderber«: Diese Aufgabe könne nur Salvemini erfüllen, denn die jungen Leute seien leider allesamt Konformisten.368 Salvemini konnte gleichfalls nicht unumschränkt im Mondo zu Wort kommen. Seine harschen Attacken auf die kleinen laizistischen Parteien etwa, die seiner Ansicht nach die DC unterstützten, ohne irgendwelche Gegenleistungen zu verlangen, wurden von Pannunzio wie Rossi abgelehnt und nicht gedruckt.369 Diese Entscheidung führte zu erheblichen Auseinandersetzungen,370 aber letztlich zu keinerlei Einschränkungen seiner Mitarbeit. Allerdings weitete Salvemini seit 1954 seine Tätigkeit beim sozialdemokratischen Ponte deutlich aus, dessen Herausgeber Piero Calamandrei er ebenso wie Rossi und Pannunzio aus der Zeit der antifaschistischen Opposition kannte. Croce hingegen war keineswegs wie Salvemini auf den Zugang zum Mondo angewiesen, er hatte mit den Quaderni della Critica ein eigenes Organ für seine unmittelbaren Anhänger und auch nach dem weitgehenden Niedergang der Parteipresse wurden ihm Türen zu den großen Tageszeitungen gerne geöffnet. Croce war allerdings von Pannunzio persönlich aufgesucht und um seine Mitarbeit gebeten worden.371 So nutzte Croce den Mondo daher manchmal zur Veröffentlichung seiner dezidiert historisch-politischen Ansichten, oft hingegen zum Abdruck eher allgemeiner philosophischer Texte, die teils Vorträgen in seinem eigenen Institut in Neapel entnommen waren. Um aufzuzeigen, wie die öffentliche Praxis von Historikern in den Massen­ medien möglich wurde, werden an dieser Stelle die wichtigsten Erkenntnisse der vorangegangenen Kapitel zusammengefasst. Dabei soll auch deutlich werden, welche Ähnlichkeiten und Unterschiede sich zwischen Westdeutschland und Italien feststellen lassen. In Italien hatte sich schon seit dem 19. Jahrhundert die nationale Wissenschaftskultur und das Verhältnis von Geschichtswissen367 Brief Pannunzios an Salvemini, 3.12.1949, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 104. Salvemini hielt Antonini für einen der Verräter der Rossellis. Pannunzio konnte diese Vorwürfe nicht endgültig klären, beendete dennoch die Zusammenarbeit mit Antonini, da kein Schaden auf seine Zeitung fallen sollte. Siehe Brief Pannunzios an Salvemini, 22.5.1951, in: Ebd. 368 Brief Pannunzios an Salvemini, 13.2.1952, in: Ebd. Salvemini nahm dieses Angebot indes nicht an. 369 Der Mondo hielt es für das kleinere Übel, die Politik der laizistischen Parteien zu unterstützen, um so eine Koalition der DC mit den Neofaschisten zu verhindern. Siehe Brief Pannunzios an Salvemini, 13.3.1953, in: Ebd. 370 Siehe Brief Salveminis an Rossi, 17.8.1953, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 75 371 So notierte es Croce in sein Tagebuch am 26.12.1948, in: Croce, Taccuini VI, S. 242. Pannunzio und Croce standen miteinander in Kontakt, da sie gemeinsam 1943 den PLI gegründet hatten. Pannunzio war darüber hinaus 1943–1947 auch führender Mitarbeiter beim Parteiblatt Risorgimento liberale gewesen.

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schaft und Massenmedien anders entwickelt als in Deutschland. Diese Unterschiede wurden nach dem Zweiten Weltkrieg durch die ideologische Spaltung der italienischen Medienlandschaft weiter verstärkt. Ein Leitmedium für Historiker, wie mit der FAZ in der Bundesrepublik, kristallisierte sich nicht heraus. Geschichtswissenschaftler waren vielmehr für eine längere oder kürzere Periode in einer regelrechten journalistischen Mitarbeit an eine Zeitung gebunden, die ihrer politischen Grundhaltung entsprach, und für welche sie dann in regelmäßigen Abständen Beiträge ablieferten. Das erklärt überdies, wieso sich in Italien weniger Briefwechsel zwischen Medien und Historikern finden lassen als in Westdeutschland, denn es musste selten offiziell ein Artikel angefragt werden. Durch den höheren Professionalisierungsgrad der westdeutschen Historiographie konnte die außerfachliche öffentliche Praxis in der Bundesrepublik nach 1945 hingegen oftmals nur sporadisch und neben der wissenschaftlichen Arbeit erfolgen. Die Historiker verfassten daher allenfalls ab und an zu bestimmten Anlässen oder aufgrund einer spezifischen Anfrage Beiträge für die Massenmedien. Diese punktuelle Kooperation kam in erster Linie durch persönliche Kontakte zwischen oftmals historisch vorgebildeten Medienverantwortlichen und Historikern zustande. Dadurch traten die Fachvertreter meist nur in ihrer Funktion als Wissenschaftler in der Öffentlichkeit in Erscheinung.372 Dass dies bereits als Selbstverständlichkeit angesehen wurde, zeigte symptomatisch das Schicksal von Dehios Vorstoß, sich nicht von einem historischen Thema ausgehend, sondern direkt zu aktuellen politischen Themen in der FAZ äußern zu wollen. Ausgerechnet Sethe, der zuvor die abnehmende Öffentlichkeitswirksamkeit der Geschichtswissenschaft beklagt und auf positive Vorbilder in der Kaiserzeit verwiesen hatte, lehnte dies aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Im Gegensatz zur westdeutschen Lage stand bei italienischen Vertretern gleichwohl nicht in Frage, dass sie sich in ihren Zeitungen auch  – bisweilen in Leitartikeln – zu politischen Gegenwartsfragen äußern durften.373 In beiden Ländern führte die Zäsur bei etlichen Historikern (Ritter, ­Schnabel, Croce, Salvemini) zu einer Intensivierung ihrer massenmedialen Praxis gegenüber der Zeit vor den Diktaturen, da sie sich aufgerufen fühlten, einer nationalen Krise entgegenzuwirken. Allerdings vermengten sich besonders in den ersten Nachkriegsjahren bisweilen volkserzieherisch-politische und persönlich-materielle Interessen, da eine Reihe Geschichtswissenschaftler vor allem in den Jahren direkt nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Honorare ihrer Medientätigkeit angewiesen waren. Dies war jedoch ein verstärkendes Moment und kein Hauptbeweggrund. Bemerkenswert ist, wie wenig die soziale Her372 Das soll freilich nicht bedeuten, dass es in der Bundesrepublik den Typ des historischen Publizisten nicht gegeben hätte. Beispielhaft sei hier der Ritter-Schüler Michael Freund erwähnt, der nicht zur ersten Reihe der Geschichtswissenschaftler gehörte, aber dennoch häufiger als die Großordinarien in den Medien zu Worte kam. 373 Leitartikel schrieben neben Croce bisweilen auch Salvemini im Mondo, Manacorda in der Unità und Ragionieri im Nuovo Corriere.

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kunft der Historiker in der Bundesrepublik, genauso wie in Italien, Einfluss auf die spätere Ausgestaltung ihrer öffentlichen Praxis hatte. Der Großgrundbesitzerspross Croce hatte ein ähnliches öffentliches Engagement wie Salvemini als Sohn armer Landbewohner, der preußische Protestant Ritter ebenso wie der badisch-pfälzische Katholik Schnabel. Generationszugehörigkeit und Karriereentwicklung spielten hingegen bei der Ausprägung der massenmedialen Praxis der Historiker eine nicht unwesentliche Rolle – in Italien in größerem Maße als in der Bundesrepublik. Südlich der Alpen gab es aufgrund der niedrigeren Professionalisierung eine stärkere Rollenverteilung zwischen Ordinarien einerseits, die sich nur ihrer akademischen Arbeit widmeten, und solchen Historikern, die ein reges Interesse an öffentlicher Praxis in den Massenmedien hatten, deswegen direkt in den Journalismus wechselten und dennoch anerkannte Mitglieder der Historiographie blieben. Dieser Trend verstärkte sich nach 1943/45 dadurch, dass die Altersgenossen Chabod, Sestan und Cantimori, die Lehrstühle bekleideten, ihre akademischen und politischen Prägungen im Wesentlichen im Faschismus erfahren hatten. Ihre Hinwendung zur öffentlichen Praxis in den Massenmedien wurde durch die Diktatur nicht gefördert. Zwar arbeiteten sie bisweilen an Zeitschriften des Regimes mit, doch unabhängige Intellektuelle waren, wie das Beispiel Volpes gezeigt hatte, im Faschismus nicht gefragt. Eine gewisse Ausnahme bildete in dieser Altersgruppe Bendiscioli, der seine Bildung aber hauptsächlich durch katholische Einrichtungen erfahren und sich vom Faschismus ferngehalten hatte. Eine akademische Karriere war ihm unter der Diktatur weitgehend verwehrt geblieben. Die medial besonders engagierten Vertreter gehörten dagegen entweder einer älteren (Croce, Salvemini) oder jüngeren Generation (Manacorda, Ragionieri) an. Sie hatten ein größeres Bedürfnis und auch eine größere Legitimation, sich mit der Frage der unmittelbaren Vergangenheit zu beschäftigen, da sie schon vorher für andere Werte eingetreten waren oder sich in jungem Alter auf der Suche nach einer neuen Entwicklung befanden. Eine Ausnahme war Saitta, der obgleich jung und Marxist, fast gar nicht zu außerfachlichen Medien beitrug. Bei ihm machte sich als einzigem die akademische Prägung stärker bemerkbar als die generationsspezifische beziehungsweise politische: Ausgebildet an der Eliteuniversität Scuola Normale Superiore orientierte er sich zuvorderst am traditionellen Wissenschaftsbetrieb und nicht an der Kommunistischen Partei. Er verzichtete auf die Parteimitgliedschaft und die öffentliche Propagierung seiner politischen Standpunkte und erreichte rasch schon in den fünfziger Jahren die Professur. Für Ragionieri und Manacorda hingegen stellte die intensive öffentliche Praxis in den Massenmedien einen Teil ihrer Überzeugung und parteipolitischen Pflichten dar und gab ihnen ferner die Möglichkeit, in der kommunistischen Teilöffentlichkeit ihrer Benachteiligung durch die offizielle Wissenschaft entgegenzuwirken. Zumindest am Anfang steuerte diese massenmediale Praxis zudem einen notwendigen Bestandteil ihres Lebensunterhaltes bei. Eine ähnliche Bedeutung wie die Parteipresse für die kommunistischen Historiker besaß für die katholischen Geschichtswissenschaftler der 130 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Rundfunk, der als Instrument in der Hand der regierenden Christdemokraten ihnen die Möglichkeit zu außerfachlicher öffentlicher Praxis gewährte. Allerdings sahen katholische Historiker eine publizistische Propagierung ihrer Thesen nicht in dem gleichen Maße als verpflichtend an wie viele marxistische Kollegen. Zudem war eine historische Beschäftigung mit der jüngsten Vergangenheit in der katholischen Sphäre auch viel weniger erwünscht: Eine Auseinandersetzung mit der Zäsur 1943/45 im Rundfunk blieb im gesamten untersuchten Zeitraum unmöglich. Die höhere Professionalisierung und die einheitlichere politische Verfasstheit der Bundesrepublik führten hingegen dazu, dass bei westdeutschen Historikern die wissenschaftliche Reputation und akademische Funktion eine wichtigere Rolle für den Medienzugang spielte als in Italien. Die Bedeutung der Generationszugehörigkeit wurde dadurch gemindert. Jüngere Wissenschaftler wie Erdmann, Conze und Schieder äußerten sich im untersuchten Zeitraum weniger, da sie sich nach dem Nationalsozialismus erst (wieder) beruflich etablieren mussten. Undenkbar wäre auch eine Persönlichkeit wie Croce gewesen, die nicht nur als historischer Publizist erfolgreich war, sondern von der Fachwelt als gleichberechtigt oder sogar Vorbild anerkannt worden wäre und darüber hinaus aus einer Privatinitiative ein maßgebliches Forschungsinstitut geschaffen hätte. Das Vorbild der akademischen Betreuer war im Hinblick auf die eigene Positionierung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Öffentlichkeit insgesamt eher gering. Pasquale Villari beeinflusste zwar Salvemini in seinem Verhalten zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, Salvemini selbst aber weder seinen Schüler Sestan noch wirkte in dieser Hinsicht Cantimori auf Manacorda oder Ragionieri. In der Bundesrepublik fühlten sich zwar alle Historiker des Samples aufgerufen, nicht nur Wissenschaft zu betreiben, sondern der Historie eine besondere gesellschaftlich-politische Verantwortung zuzubilligen. Allerdings spielte das Vorbild der akademischen Betreuer (Meinecke für Rothfels und später Dehio, Oncken für Schnabel und Ritter, v. Below für Heimpel und Aubin) nur eine grundsätzliche Rolle, führte inhaltlich teilweise in ganz andere Richtungen und prägte sich bei den einzelnen Persönlichkeiten unterschiedlich aus. Während Ritter oder Schnabel, später Heimpel und Dehio darin tendenziell eher den Versuch einer direkten öffentlichen Einflussnahme in Form von Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften oder Vorträgen im Rundfunk sahen, verstanden Rothfels und Aubin darunter in erster Linie eine enge Abstimmung mit den politischen Stellen oder eine indirekte Beeinflussung der öffentlichen Debatte. Was die Frage der Debattenkultur anbelangt, scheint aber nur auf den ersten Blick die Bereitschaft, unterschiedlichen Meinungen Raum zu geben, in Westdeutschland größer gewesen zu sein. Tatsächlich muss berücksichtigt werden, dass die Bandbreite der Standpunkte in Italien viel weiter reichte als gegenüber der homogener gestalteten deutschen »Zunft«. Die Unterschiede zwischen Historikern wie Ritter und Dehio oder Schnabel waren nicht so tiefgreifend wie zwischen marxistischen und liberalen Historikern in Italien. Unterschiedliche 131 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Meinungen konnten also in beiden Ländern in ein und demselben Medium entwickelt werden. Diese Unterschiede durften indes einen gewissen Grad nicht überschreiten. Schwer vorstellbar wäre es etwa gewesen, ein marxistischer Historiker hätte im SWF oder der FAZ seine Ansichten verbreiten können. Ebenso gab es in Italien eine gewisse Spannweite, etwa konnten sich die verfeindeten Croce und Salvemini beide im Mondo äußern, nicht aber in dezidiert katho­ lischen oder kommunistischen Organen.374 Im Laufe des Untersuchungszeitraums nahm die öffentliche Praxis westdeutscher Historiker kontinuierlich zu. Sie erhielten mit dem wirtschaftlichen Wiederaufstieg der Bundesrepublik wachsende Möglichkeiten, denn Rundfunkanstalten wurden ausgebaut und Zeitungen nahmen an Umfang zu. Ein Nachlassen des Geschichtsinteresses war nicht erkennbar. Bis etwa 1955 dominierte Ritter eindeutig unter den massenmedial aktiven Historikern, obgleich sich bisweilen Kollegen wie Dehio, Rothfels oder Schnabel (letzterer nur in der unmittelbaren Phase nach dem Krieg) in die öffentliche Debatte einmischten. Ab Mitte der fünfziger Jahre ist ein fließender Übergang feststellbar, da jüngere Vertreter der Disziplin wie Heimpel, Conze und Schieder häufiger in Rundfunk und Presse in Erscheinung traten. Auch in Italien nahmen die Kapazitäten in Radio und Zeitungen zu, und die Beiträge von Historikern stiegen an. Allerdings spiegelte sich dieser Prozess nicht so deutlich in dem Sample der repräsentativen Geschichtswissenschaftler wider wie im westdeutschen Fall. Besonders nach 1955 ließ ihre öffentliche Praxis in den Massenmedien sogar nach, da in den wichtigsten Zeitungen historische Publizisten häufig zu Worte kamen, die zwar als Teil des Faches galten, aber nicht unbedingt zur führenden Reihe der Historiker gehörten. Croce und Salvemini starben noch vor 1960, und die marxistischen Historiker Manacorda und Ragionieri mussten sich aus politischen Gründen nach der Ungarn-Krise in der breiten Öffentlichkeit zurückhalten.

374 Auch bei anderen Medien gab es solche Übergänge. Der Linkskatholik Passerin d’Entrèves etwa konnte im DC-dominierten Rundfunk sprechen, aber auch in der laizistischen Zeitschrift Belfagor oder dem sozialdemokratischen Ponte zu Wort kommen, allerdings nicht in marxistischen Organen.

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II. Wissenschaftler als Intellektuelle Im folgenden Abschnitt soll es einmal darum gehen, mit welchen Formen öffentlicher Praxis Historiker sich an ein außerfachliches Publikum wandten. Wie kann man diese Typen öffentlicher Praxis definieren, als Experten, Intellektuelle oder Gelehrte? Selbstverständlich sind diese Begriffe nur Annäherungen. Kein öffentlicher Akteur war über einen Zeitraum von 15 Jahren ausschließlich als Gelehrter aktiv oder unentwegt als Intellektueller in der Öffentlichkeit präsent. Eine Typisierung bedeutet automatisch auch immer eine Vereinfachung. Jedoch können auf diese Weise verschiedene Formen des Umgangs mit dem Spannungsverhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit erkennbar werden. Es soll im folgenden Abschnitt aber nicht nur um die Form der öffentlichen Praxis gehen. Im Zentrum steht vielmehr die kulturgeschichtliche Frage, welchen Beitrag zur Sinnstiftung Historiker nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für ihre Gesellschaften leisten konnten. Welche konkreten Inhalte vermittelten sie im Umgang mit der Zäsur 1943/45, und wie ist diese Praxis in die gesamtgesellschaftliche Debatte einzuordnen? Was war der Stellenwert ihres öffentlichen Engagements, und was war das Spezifische an der öffentlichen Praxis der Historiker im Gegensatz zu anderen Akteuren? Viele Historiker empfanden die Zäsur von 1943/45, die Niederlage und den Zusammenbruch des Nationalstaates, als eine Katastrophe. In dieser besonderen Situation sahen sie sich aufgerufen, durch öffentliche Praxis außerhalb der Fachwissenschaft ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen. Solche, die hier als Intellektuelle definiert werden, präsentierten nicht nur Expertisen und wissenschaftliche Analysen, sondern stellten als Konsequenz aus der Zäsurerfahrung politische und moralische Forderungen. Diese Konsequenzen gewannen sie einerseits aus ihren historischen Interpretationen, andererseits aber begrenzte die Einsicht in die Notwendigkeit bestimmter Konsequenzen wiederum ihre historischen Urteile. Es kann also von einer Wechselwirkung gesprochen werden. Die Folgerungen, welche die Geschichtswissenschaftler aus der Zäsur 1943/45 ableiteten, bilden somit den Angelpunkt der Untersuchung, aus der sich die Stellungnahmen erklären lassen, die sie gegenüber einer nichtfachlichen Öffentlichkeit akzentuierten. Dabei werden besonders drei verschiedene Kategorien von öffentlichen Beiträgen berücksichtigt, die mit den jeweiligen Konsequenzen korrespondierten, welche die Historiker aus der Erfahrung der Niederlage ziehen zu müssen glaubten: die Frage nach den Ursachen der nationalsozialistischen Diktatur, nach Deutschen und Italienern als Tätern und Opfern sowie nach Zustimmung und Widerstand der Bevölkerung unter den Regimes. Es wird dabei keine vollständige Wiedergabe dessen angestrebt, was Historiker zur Zäsur gesagt haben: Im Zentrum stehen ihre Äußerungen in nichtfach133 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

lichen Medien, vor allem den Massenmedien. Diese Aussagen werden kontrastiert und erläutert anhand ihrer Veröffentlichungen in fachwissenschaftlichen Medien oder den kleinen Teilöffentlichkeiten der Kulturzeitschriften. Es ist schwierig, in diesem Zusammenhang zu bestimmen, welche Wirkung Historiker mit ihrer öffentlichen Praxis auf Leser und Zuhörer ausübten, doch ist das ein generelles Problem jeder Rezeptionsforschung. Rezipienten können nicht gezwungen werden, Medienangebote so wahrzunehmen, wie sie beabsichtigt wurden, aber sie haben kaum Chancen, andere Angebote zu konsumieren.1 Es kann nicht geklärt werden, aufgrund welcher Einflüsse ein bestimmter Rezipient eine Meinung gewinnt, festigt oder ändert. Es kann allerdings festgestellt werden, wie sich das Bild der öffentlichen Meinung wandelt oder festigt. Die öffentliche Meinung ist dabei nicht als die Gesamtheit aller Meinungen der Individuen zu verstehen, sondern diejenige Meinung, die sich im Kommunikationsraum Öffentlichkeit, hier vornehmlich der Medienöffentlichkeit, durchsetzt.2 Davon zu unterscheiden ist die verbreitete Meinung, die sich vor allem durch Meinungsumfragen feststellen lässt. Diese verbreitete Meinung soll an einigen exemplarischen Stellen der Untersuchung mitberücksichtigt werden, um das aus der öffentlichen Meinung gewonnene Bild der gesellschaftlichen Erinnerungskultur zu ergänzen oder zu relativieren.

1. Nationalgeschichte in der Öffentlichkeit – Historische Sinnstiftung nach der Zäsur in Westdeutschland 1.1 Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches und das drohende Ende der nationalen Kontinuität In der alliierten Besatzungszeit gab es einen deutlichen Widerspruch zwischen der öffentlichen Meinung und der verbreiteten Meinung in Deutschland. Aus Umfragen in der US-amerikanischen Zone ging beispielsweise hervor, dass eine Mehrheit den Nationalsozialismus auch im Nachhinein nicht ablehnen wollte, sondern für eine gute Idee hielt, die nur schlecht umgesetzt worden sei.3 37 Prozent der Deutschen wollten laut einer anderen repräsentativen Umfrage vom Dezember 1952, ungeachtet der spätestens durch die Nürnberger Prozesse allgemein bekannten Massenvernichtungen, keine Juden im Land haben, und 43 Prozent hielten nach einer Befragung vom August 1949 sogar eine Bestrafung von Antisemitismus für überflüssig.4 Allerdings gab es aufgrund der alliierten Pressezensur keine Möglichkeit mehr, solche Ansichten in 1 Vgl. Dussel, S. 16. 2 Vgl. Wuggenig, S. 24–26. 3 Vgl. Schildt, Moderne Zeiten, S. 317. 4 Vgl. Noelle, 1947/55, S. 128–131.

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der Öffentlichkeit zu vertreten. Vielmehr verurteilten journalistische Beiträge, die sich beispielsweise mit den Nürnberger Prozessen auseinander setzten, das untergegangene System und machten häufig einen negativen deutschen Na­ tionalcharakter für die nationalsozialistischen Massenmorde verantwortlich.5 Gleichzeitig erschienen etliche Bücher auf dem Markt, welche die Ursachen von Nationalsozialismus und Zusammenbruch in einer grundsätzlichen Fehlentwicklung deutscher Geschichte sahen. Am bekanntesten war sicherlich Irrweg einer Nation (1945) des kommunistischen Widerstandskämpfers und späteren DDR-Funktionärs Alexander Abusch. Dieses, aber auch Bücher wie So kam es. Der deutsche Irrweg von Bismarck bis Hitler (1946) von Fritz Harzendorf oder Von Luther bis Hitler. Ein wichtiger Abriß deutscher Geschichte (1946) von Wolfram von Hanstein waren dabei keineswegs erfolglos, sondern verkauften sich nicht zuletzt dank alliierter Förderung mehrere zehntausendmal.6 Die Wirkung solcher Fundamentalkritik auf die öffentliche Meinung musste besonders die protestantischen Historiker beunruhigen, welche seit der Reichs­ einigung in ihrer selbst gewählten Eigenschaft als Volkserzieher die Kontinuität der nationalen Geschichte gepredigt hatten. Für sie war Geschichte die Wissenschaft vom Nationalstaat, das heißt Geschichts- und Nationalbewusstsein wurden in einem engen Bezug zueinander verstanden.7 Einer der ersten Historiker, der unmittelbar nach dem Krieg versuchte, sich angesichts dieser Voraussetzungen als spezifischer Intellektueller der jüngsten Vergangenheit zu stellen, war Gerhard Ritter. Wichtiger als alle Ursachenforschung galt ihm als Konsequenz der Zäsur, dem deutschen Volk trotz des völligen staatlichen Zusammenbruchs ein selbstbewusstes Bild der eigenen Geschichte zu erhalten. Gerade die nationale Unsicherheit habe in Deutschland zur Übersteigerung des Nationalismus geführt.8 So forderte er, das bisherige Geschichtsbild in bestimmten Punkten zu reformieren, aber grundsätzlich eine positive Identifikation mit der nationalen Vergangenheit beizubehalten:9 Aber wenn die Volksgemeinschaft aus der Gemeinschaft geschichtlicher Erinnerungen zusammenwächst, und wenn überhaupt das politische Selbstbewußtsein eines Volkes im Bewußtsein von seiner Geschichte besteht, dann ist klar, wie unendlich viel auf die Gemeinsamkeit des nationalen Geschichtsbewußtseins ankommt.10

Eine positive Identifikation mit der eigenen Geschichte war für Ritter also keineswegs eine rein wissenschaftliche Aufgabe, sondern die notwendige Voraussetzung für das Gelingen jedes neuen Staatswesens. Statt der nationalistischen Überheblichkeit der Vergangenheit redete er einem »gesunden National­ 5 Vgl. Pöttker, S. 649. Diese Fundamentalkritik an deutscher Geschichte hatte 1945 bereits der britische Historiker A. J. P. Taylor formuliert. Siehe Taylor. 6 Vgl. Solchany, S. 375. 7 Vgl. Fellner, S. 214 f. 8 Vgl. Ritter, Europa, S. 56. 9 Vgl. Berg, Holocaust, S. 105–111; Cornelißen, Ritter, S. 529. 10 Ritter, Fälschung, S. 11.

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bewusstsein«11 das Wort, das die neue Basis der deutschen Nachkriegsgesellschaft bilden sollte. Hierbei seien direkt nach dem Zusammenbruch leider viele Fehler gemacht worden: Nach der maßlosen Selbstüberschätzung deutschen Wesens wird uns eine ebenso maßlose Selbstkritik von allen Seiten aufgedrängt […].«12 [Man habe] »viel hysterisches Geschrei der Übereifrigen, der Besserwisser und neunmalklugen Konjunkturritter [erlebt]. Nichts hat das Aufkommen einer heimlich verbissenen, trotzigen Geschichtslegende der Nationalisten und Unbelehrbaren mehr begünstigt als diese Bußpredigten der Unberufenen.13

Den Freiburger Historiker leitete nicht nur ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein, sondern ebenso ein Gefühl politischer Verantwortung, aus dem heraus er einer breiten Öffentlichkeit ein geschlossenes nationales Geschichtsbild über die Zäsur von 1945 zu erhalten versuchte. Er war sich des Unterschieds zwischen öffentlicher und verbreiteter Meinung sehr bewusst. Eine Verdammung deutscher Geschichte hielt er darum nicht nur inhaltlich für falsch, sondern auch für didaktisch unsinnig. Die Jugend und somit die Zukunft des Landes werde eine kritische Betrachtung der Vergangenheit nämlich nur dann akzeptieren, wenn sie klischeemäßige Vergröberungen vermeide und nicht die deutsche Geschichte als ganzes verurteile.14 Ritter glaubte nicht nur, dass zu einer vernünftigen und »ruhig-sachlichen«15 Darstellung der jüngsten Vergangenheit nur die akademischen Historiker in der Lage seien. Er war darüber hinaus überzeugt, dass es zur Bildung nationa­ listischer Legenden nach 1945 erst gar nicht gekommen wäre, hätten die Alliierten »persönlich unbedingt glaubwürdige, unbestechliche historisch und publizistisch geschulte Männer, die das Ohr der Nation besaßen, an die Originaldokumente der jüngsten Geschichte« gelassen.16 Vermutlich dachte er dabei an sich selbst.17 In der Tat dominierten in den Kulturzeitschriften, die von den verschiedenen Besatzungsmächten in großer Zahl lizensiert wurden, keineswegs Geschichtswissenschaftler bei der Analyse nach den Ursachen der Zäsur. Häufiger meldeten sich Schriftsteller und Publizisten zu Wort.18 Ritter war aller­dings bestrebt, seine Ideen eines neuen deutschen Geschichtsbildes in die Öffentlichkeit zu tragen. Diese Überlegungen brachte er 1947 in einem Artikel 11 Ders., Der neue Geschichtsunterricht, S. 457. 12 Ders., Das deutsche Geschichtsbild. 13 Ders., Ist das deutsche Volk politisch »unreif«? 14 Vgl. ders., Der neue Geschichtsunterricht, S. 456. Zu Ritters Ablehnung ausländischer Vorwürfe vgl. auch Cornelißen, Ritter, S. 411 f. 15 Ritter, Ist das deutsche Volk politisch »unreif«? 16 Ebd. 17 Ritter beanspruchte für sich grundsätzlich eine größere Weitsicht des Geschichtswissenschaftlers gegenüber dem irregeleiteten Volk. Diese Selbsteinschätzung teilten etliche seiner Kollegen. Vgl. hierzu Conrad, S. 147–150, 215. 18 Vgl. Schulze, Geschichtswissenschaft, S. 29.

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in Die Sammlung zur Sprache, in dem er neue Grundzüge für den Geschichtsunterricht vorstellte, die er zusammen mit den Historikern Hans Herzfeld, Gerhard Tellenbach, Joseph Vogt, Clemens Bauer und dem Oberstudiendirektor Max Breithaupt als Vertreter des höheren Schulwesens erarbeitet hatte.19 In diesem Vorschlag für neue Rahmenrichtlinien ging es nicht um die Behandlung des Nationalsozialismus selbst, sondern im Wesentlichen um die Zeit bis 1918 und damit auch darum, wie nach der Zäsur mit den deutschen Traditionen umzugehen sei und inwieweit diese Traditionen Ursachen des Nationalsozialismus darstellten. Dabei waren die Interpretationen in diesem Text noch eher defensiv, das heißt Ritter und seine Kollegen erörterten nicht, worin die lang- oder kurzfristigen Ursachen des Nationalsozialismus bestanden hätten, sondern versuchten, auf scharfe Kritik an deutschen Traditionen differenziert einzugehen und sie zumindest teilweise zu entkräften. Ritter konnte die Kritik angesichts ihrer publizistischen Dominanz nicht einfach wegwischen, er musste sich mit ihr auseinander setzen und sie ein Stück weit berücksichtigen. Das Scheitern der Revolution von 1848 wurde daher in dem Richtlinienvorschlag als ein Faktor betrachtet, der den Untertanengeist in Deutschland gefördert habe. Die Autoren sprachen vom »halb barbarischen«20 preußischen Militärstaat und lehnten eine Verherrlichung Friedrichs II. und Bismarcks ab. Allerdings betonten Ritter und die übrigen Autoren, dass diese beiden neben Martin Luther am häufigsten angegriffenen Gestalten der deutschen Geschichte entgegen den Vorwürfen wie auch der Selbstdarstellung der nationalsozialistischen Propaganda gerade keine Vorläufer Hitlers gewesen seien. Friedrich und Bismarck galten in dem Richtlinienvorschlag vielmehr als Verfechter einer nüchternen Staatsräson im Gegensatz zu dem Fanatiker Hitler. Ganz im Sinne der neuen politischen Lage unter der alliierten Besatzung war indessen die Abschlussforderung des Entwurfs, dass der Geschichtsunterricht dazu dienen möge, die Jugend zu einem friedlichen und demokratischen Natio­ nalbewusstsein im Sinne einer europäischen Einigung zu erziehen. Die Deutschen sollten sich in eine höhere Völkergemeinschaft und dauerhafte Friedensordnung integrieren.21 Indes schätzte Ritter die Erfolgsaussichten, Menschen zu einer grundsätzlich friedlichen Haltung erziehen zu können, im Gegensatz zu diesen öffentlichen Vorschlägen recht skeptisch ein. Vielmehr war er davon überzeugt, dass in der Geschichte eine »Dämonie der Macht« bestehe, also der Macht- und Geltungsdrang der Menschen immer größer sei als ihre Fähigkeit zur vernünftigen Erwägung. 1947 schrieb er hierzu an seinen Bruder Hellmut, es sei ihm schlicht unmöglich, 19 Vgl. Ritter, Der neue Geschichtsunterricht. 20 Ebd., S. 456. 21 Ebd., S. 442–462. Neben einigen Schwerpunktverlagerungen, so einer stärkeren Beachtung der Entwicklung von Demokratisierung, Industrialisierung und Massengesellschaft, wurde auch eine unpolemische Auseinandersetzung mit dem Marxismus gefordert.

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[…] im Sinne der naiven amerikanischen Ideologie an die Möglichkeit zu glauben, durch Schulerziehung und öffentliche Aufklärung die Dämonie der Macht zu bannen und die Menschen zu friedlichen Lämmern zu erziehen, indem man sie mit Hilfe demokratischer Staatsform an Freiheit und Selbstbestimmung gewöhnt und sich einbildet, mit Hilfe demokratischer Staatsform eine sichere Schranke gegen neue Aus­ brüche dämonischen Ehrgeizes der Machthaber errichten zu können. Dieser Irrtum ist auch durch die amerikanische Geschichte vielfach widerlegt.22

Trotzdem wollte er sich für das Ziel einer Erziehung zu Demokratie und Frieden in der Öffentlichkeit einsetzen. Seinem Bruder schrieb er allerdings, dass er von einem gemeinsamen Europa eine baldige Gleichberechtigung seines Landes erwartete, denn »keine Bereitschaft ist vorhanden zu einer Anerkennung der dauernden Versklavung des deutschen Volkes und zu würdeloser Selbstpreisgabe der ganzen deutschen Vergangenheit an überhebliche Kritiker des Auslands«.23 Wie etliche andere Historiker sah er in einer zu starken Demokratisierung eine Bedrohung, da die »Massen« politisch unreif seien. Im Gegenteil, für Ritter waren die radikalsten Demokraten auch immer die radikalsten Nationalisten. Demokratie sollte weniger einer breiten Partizipation aller Bevölkerungsschichten an der Macht als einer erfolgreichen Elitenbildung dienen, die verhindere, dass der freiheitliche Rechtsstaat wie in der Weimarer Republik durch schwer lenkbare Massenparteien zerstört werde.24 In einem Artikel über das NS-Geschichtsbild in der Deutschen Rundschau sprach Ritter 1947 die preußischen Traditionen von dem Vorwurf der Verantwortung für den Nationalsozialismus sogar größtenteils frei: Trotz der Entwicklung des preußischen Militarismus stammten die zentralen Thesen der NS-Ideologie, nämlich Alldeutschtum, Antisemitismus und »Raumpolitik«, aus Österreich und Böhmen. Durch Hitler hätten solche Ideen nur das »preußische Schwert« in die Hand bekommen.25 Für Ritter (und andere Historiker) war nicht entscheidend, die deutsche Schuld zu erörtern, sondern angesichts von staatlichem Zusammenbruch und drohender Teilung mit einem geschlossenen Geschichtsbild die nationale Integrität zu erhalten.26 Um ein solches geschlossenes Geschichtsbild zu retten, wollte Ritter jedoch nicht nur die Traditionen des kleindeutschen Staates schützen, sondern auch eine Brücke der Kontinuität über die Zeit von 1933–1945 errichten.27 Diese Brücke sah er vor allem im Widerstand, zumal in den Aktionen der militärischen Opposition des 20. Juli und besonders in den Aktivitäten seines persönlichen Freundes Carl Goerdeler. Dabei ging es ihm zunächst konkret darum, eine allgemeine Anerkennung des 22 Brief Ritters an Hellmuth Ritter, 30.5.1947, in: Ders., Ein politischer Historiker, S. 427. 23 Ebd., S. 431. 24 Vgl. Cornelißen, Ritter, S. 416–419; Schulze, Geschichtswissenschaft, S. 28 f.; Eckel, Rothfels, S. 310. 25 Ritter, Fälschung, S. 18 f. 26 Vgl. Conrad, S. 133–135. 27 Vgl. ebd., S. 182–186; Cornelißen, Ritter, S. 549.

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Widerstands durchzusetzen, der in den ersten Nachkriegsjahren von weiten Teilen der Bevölkerung als Verrat abgelehnt wurde. So publizierte er Dokumente der Angehörigen von Opfern des 20. Juli, die deren patriotische und verantwortungsbewusste Haltung untermauern sollten.28 Entgegen den Wertungen anderer Historiker, auch Conzes und Schieders,29 bezeichnete er nicht nur den deutschen Zusammenbruch als Katastrophe, sondern die gesamte Zeit der nationalsozialistischen Diktatur. So sprach er etwa in der Erstsendung der Aula am 14.  September 1947 von »der grossen geistigen Katastrophe von 1933« und der »Kulturkatastrophe von 1933 bis 1945«.30 Allerdings zeichnete sich bei ihm die Tendenz ab, den »Massen« die Verantwortung an der Entwicklung zuzuschreiben, die Eliten jedoch von Schuld freizu­sprechen.31 Eine derart kulturpessimistische Haltung zum Thema »Massengesellschaft« war unter den Kultureliten konservativer wie linker Provenienz nach dem Zweiten Weltkrieg weit verbreitet gewesen. Viele Beiträge der Kulturzeitschriften und Feuilletons reproduzierten Thesen, wie sie vor allem der spanische Philosoph José Ortega y Gasset in seinem erstmals 1930 erschienen Buch Der Aufstand der Massen verfochten hatte. Ortega avancierte in den fünfziger Jahren zum meistgelesenen Philosophen in der Bundesrepublik. Sein brillanter rhetorischer Stil hatte beim Publikum mehr Erfolg als die Werke von Wilhelm Röpke oder Alexander Rüstow, die ähnliche Thesen vertraten. Ortega hatte die europäische Kultur als durch das Individuum geprägt interpretiert, welches den »Geist« hervorbringe. Durch den Anbruch der Massengesellschaft sei diese Kultur aber in eine Krise geraten, da die Massen abhängig von Reizbarkeiten und Leidenschaften seien und stets in der Gefahr stünden, von einem machiavellistischen Machtmenschen verführt zu werden. Die »Vermassung« verursachte demnach die Einebnung und Vernichtung der Persönlichkeit des Einzelnen und dessen Entfremdung. Ein Ende der Eliten wurde befürchtet und mit Schrecken gesehen. Unbedingt galt es daher, die Massen von inhaltlichen politischen Entscheidungen fernzuhalten.32 Diese negative Sicht auf die Massengesellschaft sollte ab Anfang der fünfziger Jahre allerdings auf Widerstand durch die Soziologie stoßen. Auch konservative Fachvertreter wie Arnold Gehlen und Helmut Schelsky hielten es für verfehlt, in 28 Das Regierungsprogramm vom 20. Juli, S. 11–14; Ein Abschiedswort Dr. Goerdelers. 29 Vgl. Berg, Holocaust, S. 65 f. Conze meinte mit dem Begriff Katastrophe die Härte der Besatzungsherrschaft und Schieder unterschied zwischen den »Ereignissen von 1933« und der »Katastrophe von 1945«. Siehe ebd. 30 Ritter, Untersuchung über das Verhältnis von Universität und öffentlichem Leben. Manuskript. Gesendet am 14.9.1947, in: Historisches Archiv des SWF Baden-Baden, HörfunkManuskript-Sammlung. Auch Meinecke definierte in Die deutsche Katastrophe nicht, was er genau unter dem Begriff »Katastrophe« verstand. Offensichtlich meinte er damit nicht nur den Zusammenbruch 1945, denn zu Beginn seines Werkes bezeichnete er auch das Jahr 1933 als »allergrößtes Unglück«. Siehe Meinecke, Katastrophe, S. 6–8. 31 Vgl. Conrad, S. 171 f. 32 Vgl. Schildt, Moderne Zeiten, S. 325–332; Nolte, S. 306; Lenk, S. 642 f.; Laurien, S. 227 f.

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der Massengesellschaft ausschließlich eine Gefahr zu sehen, weil sich gerade in ihr ganz neue Gemeinschaften und Netzwerke bilden könnten, die eine nie zuvor dagewesene Subjektivität ermöglichten. Diese Fortschrittsbejahung, die forderte, dass Konservative die Modernisierung der Gesellschaft nicht ablehnten, sondern sich an ihre Spitze stellten, gewann seitdem immer mehr an Einfluss.33 Ritter übernahm allerdings Ortegas Thesen in seiner massenmedialen Praxis und hielt an ihnen fest. Durch sie konnte er dem Nationalsozialismus seine spezifisch deutsche Konnotation nehmen und ordnete ihn als eine allgemeine Folge negativer moderner Entwicklungen ein, zu denen auch der Kommunismus gehörte.34 In einer kritischen Rezension der Bismarck-Biographie von Erich Eyck35 fügte Ritter den Nationalsozialismus etwa in die Tradition der linken Jakobiner der Französischen Revolution (dem Anbeginn des Massenzeitalters) ein, während er Bismarck aus dieser Vorgeschichte ganz ausnahm und hingegen dem absolutistischen französischen Staatsmann Richelieu zuordnete.36 Dies betonte er besonders in seinem Buch Europa und die deutsche Frage, das auszugsweise am 15.  Januar 1950 in der Welt am Sonntag wieder­ gegeben wurde: Das System ›totalitärer‹ Diktaturen als solches ist keine spezifisch deutsche Erscheinung, zu deren Erklärung die Betrachtung deutscher Geschichte ausreichte. Es stellt sich vielmehr als ein radikaler Umschlag von demokratischer zu autoritärer Staatsverfassung dar. Die Möglichkeit zu solchem Umschlag ist überall da gegeben, wo nach Zerbrechen aller historischen Autoritäten die unmittelbare Volksherrschaft vom ›Aufstand der Massen‹ her versucht wird, ohne Aufgliederung dieser Massen durch föderative und korporative Organe oder durch die Tradition alter politischer Eliteschichten. Es kommt dann nur darauf an, daß in politischen Krisenzeiten irgendein politischer Aktivist auf der Bühne erscheint, dem es gelingt, durch Agitation oder durch aufsehenerregende Taten zum Volksmann großen Stils zu werden. Eine solche Lage war in Deutschland erst nach dem ersten Weltkrieg gegeben, und insofern war das Hitlertum im Rahmen deutscher Geschichte ebenso etwas grundsätzlich Neues und trat es ebenso unerwartet in Erscheinung wie der Faschismus in Italien oder der Bolschewismus in Rußland.37 33 Vgl. Nolte, S. 288. Progressive Soziologen wie René König lehnten die Tradition der kultur­ kritischen Rhetorik von den »Massen« dagegen generell ab. Siehe ebd., S.  311. Vgl. auch Schildt, Moderne Zeiten, S.  345–348, 448. Lt. Schildt markierte Peter Hofstätters Werk Gruppendynamik. Kritik der Massenpsychologie 1957 das Ende der Entgegensetzung von Elite und Massen. Vgl. Schildt, Ende der Ideologien? S. 633 f. 34 Vgl. Berg, Holocaust, S. 117. 35 Eyck. 36 Vgl. Ritter, Bismarck in liberaler Sicht. Ritter war über Eycks Buch so echauffiert wie später über dasjenige Wheeler-Bennetts, weil er es für gut geschrieben hielt und daher eine öffentliche Wirkung befürchtete, die er für ganz falsch hielt. Siehe ebd. Vgl. zu Ritters Thesen über die Ursachen des Nationalsozialismus auch Conrad, S.  64 f.; Cornelißen, Ritter, S. 410. 37 Ritter, Die Hitler den Weg bahnten. Diese Passage hatte Ritter seinem Buch Europa und die deutsche Frage entnommen. Siehe ders., Europa, S. 194.

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Ritter betrachtete das »Dritte Reich« in erster Linie als ein Massenphänomen. Folglich konstruierte er in einem Artikel in der Gegenwart einen scharfen Gegensatz zwischen den gesellschaftlichen Eliten und den Nationalsozialisten, die er als ungebildete und ineffiziente Fanatiker charakterisierte: »[…] denn wirklich studiert hatte ja keiner dieser Propagandisten, auch wenn er zeitweise Universitäten besucht und dort seine Rolle als politischer Lärmmacher gespielt hatte«.38 Dagegen habe er selbst bei seiner NS-kritischen Lehrtätigkeit immer wieder Unterstützung durch Professorenkollegen, Universitätsrektoren und Ministerialräte erfahren: »[…] der scheinbar so straffe, geschlossene Bau des Nazireiches wies einen tiefen inneren Riß auf, der die politische Exekutive manchmal lähmte oder doch ihr Handeln verzögerte: den Riß zwischen staatlichen Behörden und Parteistellen.«39 Trotz aller Verdammung der »Massen« sprach Ritter die Bevölkerung von jeder bösen Absicht frei. Sie habe den Krieg nicht gewollt. Zwar sei es einfältig gewesen, Hitlers Friedensbeteuerungen zu glauben, das aber hätten die meisten Deutschen bis 1938 ehrlich getan.40 Der Freiburger Historiker setzte sich jedoch nicht mit der Frage auseinander, wie der Krieg in dieser Intensität führbar war, wenn ihn im Grunde die Eliten und auch die Massen ablehnten. Als wahren Grund dafür, wieso viele Menschen die NSDAP gewählt hatten, nannte Ritter eine kurzfristige Ursache, nämlich Hitlers Versprechen, alle politischen und sozialen Gegensätze durch eine neue »Volksgemeinschaft« zu überwinden. Schon in der Zwischenkriegszeit hatte diese Idee der »Volks­ gemeinschaft« Kultureliten weithin als ein Mittel gegolten, den Gefahren der »Vermassung« zu begegnen.41 Auch nach 1945 blieb die »Volksgemeinschaft« Ritters gesellschaftliche Idealvorstellung, weswegen er sich unmittelbar nach dem Krieg vergeblich für ein korporatives Staatssystem und eine parteiübergreifende Herrschaft sozialer Eliten eingesetzt hatte. In einem Artikel für die Deutschen Rundschau sah er das Problem der NS-Volksgemeinschaft nur darin, dass die Nationalsozialisten die neue Gemeinschaft nicht auf Freiwilligkeit, sondern auf Terror und Zwang errichtet hätten. Die Möglichkeit einer solchen gegensatzlosen Gemeinschaft stellte er dagegen nicht in Frage.42 Die »Volksgemeinschaft« war für ihn kein nationalsozialistisches Konzept, sondern eine freiheitliche deutsche Tradition. Der deutsche Liberalismus habe 38 Ders., Der deutsche Professor, S. 25. 39 Ebd. Passend hierzu schrieb Ritter dem ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Karl Geiler, Deutschland müsse künftig föderativ aufgebaut sein, denn dies sei die einzige Möglichkeit, eine erneute »totalitäre Massendemokratie« wie im Nationalsozialismus zu verhindern. Brief Ritters an Karl Geiler, 24.11.1947, in: Ders., Ein politischer Historiker in seinen Briefen. S. 443. 40 Vgl. ders., Die Hitler den Weg bahnten. Auch in seinem Vorwort zur Dokumentation von Hitlers Tischgesprächen bescheinigte Ritter der Bevölkerung vor allem einen fehlgeleiteten Idealismus. Vgl. Cornelißen, Ritter, S. 544. 41 Vgl. Schildt, Moderne Zeiten, S. 342 f. 42 Vgl. Ritter, Fälschung, S. 11.

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Freiheit anders als in Frankreich oder England eben nicht als die Rechte und Ansprüche des Einzelnen, sondern als die freiwillige Hingabe an die Gemeinschaft aufgefasst.43 François Furet hat die »Volksgemeinschaft« dagegen als faschistisches Konzept bezeichnet, das neben der Diktatur des Proletariats den zweiten großen politischen Mythos des 20. Jahrhunderts darstelle.44 Sie war die soziale Utopie von einer harmonischen Gesellschaft, welche die Unzufriedenheit und das Krisenbewusstsein in der jeweiligen Gegenwart verschärfte, da die soziale Wirklichkeit dieser Utopie nicht entsprach.45 Mit einer solchen Vorstellung einer strikten Konsensgesellschaft stimmte Ritter jedoch mit einer weit verbreiteten Haltung in der deutschen Bevölkerung überein, die etwa in der Öffentlichkeit keinen Streit wünschte und sogar eine Einschränkung der Pressefreiheit dahingehend befürwortete, dass über wichtige Fragen der Außenpolitik nicht diskutiert und politische Korruptionsfälle nicht thematisiert werden sollten.46 Solche konsensorientierten Gesellschaftsideen waren nicht spezifisch deutsch, aber sie hatten durch Hegels Lehre, wonach der Staat den bestimmten Zweck habe, für Konsens und Allgemeinwohl zu sorgen, eine besondere deutsche Tradition. Alle Partikularinteressen waren dem untergeordnet, wohingegen man in westlichen Demokratien beim Individuum ansetzte und statt Konsens prinzipiell Wertekonkurrenz und Toleranz betonte.47 Tatsächlich besaß die Volksgemeinschaftsidee auch nach 1945 eine große Beharrungskraft. Noch Ende der fünfziger Jahre und damit nach der Erfahrung des »Wirtschaftswunders« glaubten laut Umfrage zwanzig Prozent der Westdeutschen, dass es den Arbeitern in der NS-Volksgemeinschaft besser gegangen sei als in der Gegenwart.48 Unter den westdeutschen Historikern stand Ritter mit seinen Ansichten nicht allein. Eine grundsätzliche Alternative zum hergebrachten Geschichtsbild empfanden die meisten Historiker als Bedrohung des Staatswesens und lehnten daher die liberale Interpretation von 1848 durch Veit Valentin ebenso einhellig ab wie die kritische Bilanz des Kaiserreichs durch Johannes Ziekursch oder die »Entpreußungsforderungen« des Katholiken Alfred von Martin.49 Darüber hin43 Vgl. ders., Der Sinn des deutschen Liberalismus. Vgl. auch Cornelißen, Ritter, S. 406. Zur Beliebt­heit der im Nationalsozialismus propagierten »Volksgemeinschaft« bei Eliten und Bevölkerung auch über 1945 hinaus vgl. Frei, Hitlers Eliten, S. 303 f. 44 Vgl. Furet, S. 219. 45 Vgl. Nolte, S. 394. 46 Vgl. von Hodenberg, S. 189. 47 Vgl. ebd., S. 61 f. 48 Vgl. Schildt, Moderne Zeiten, S. 312. Laut Paul Noltes Untersuchung trat erst in den sechziger Jahren endgültig eine Lösung von den utopischen Gemeinschaftsideen ein. Vgl. hierzu Nolte, S. 401–403. 49 Vgl. Schulze, Geschichtswissenschaft, S. 211–217. Noch bis in die fünfziger Jahre hielt sich eine Konfliktlinie zwischen den nationalkonservativ-protestantischen und konservativ-­ katholischen Historikern über die Bewertung der jüngeren Geschichte. Siehe ebd., S. ­217–220.

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aus kamen marxistische Ansätze für sie nicht in Betracht, und die politische Situation in der SBZ tat ihr übriges, um die prinzipielle Verdammung des Marxismus zu festigen. Schon bald nach Ende des Krieges gab es für Historiker, die nicht bereit waren, sich im Sinne der marxistisch-leninistischen Ideologie zu betätigen, in der SBZ kaum noch Arbeitschancen. Immer mehr von ihnen gingen nach Westdeutschland, einige wenige passten sich dem neuen System an.50 In den Jahren unmittelbar nach Kriegsende setzte die sowjetische Politik allerdings noch nicht auf den Aufbau eines sozialistischen ostdeutschen Staates, sondern wollte einen Einfluss auf Gesamtdeutschland erhalten. Insofern ging es als Konsequenz aus der Zäsur nicht um die unmittelbare Einführung des Sozialismus in der SBZ, sondern zunächst um die »Vollendung der bürgerlichen Revolution«, die durch das Scheitern 1848 und den kleindeutschen Nationalstaat von 1871 aufgehalten worden sei. Zwar riss der Kontakt zwischen west- und ostdeutscher Historiographie nicht völlig ab, bisweilen nahmen DDR-Historiker an den gemeinsamen Historikertagen teil, und auch der gemeinsame Verband existierte offiziell noch bis 1958. Eine gesamtdeutsche Diskussion gab es jedoch fast nicht mehr, und es wurden unterschiedliche Institutionen und Publika­ tionsorgane gegründet.51 Eine von Ritters Thesen abweichende Interpretation der Zäsur stammte von Friedrich Meinecke. Der Doyen der Geschichtswissenschaft war der andere wichtige Historiker, der direkt nach dem Zweiten Weltkrieg als spezifischer Intellektueller in der Öffentlichkeit auftrat. Mit seinem Buch Die deutsche Katastrophe wollte er der Bevölkerung eine umfassende Darstellung liefern, welche die Zäsur von 1945 erklären und von dieser Erkenntnis aus einen gesellschaftlichen Neuanfang vermitteln sollte. Die Deutsche Katastrophe war dabei eher ein Essay als eine historische Untersuchung, die Meinecke ohne Quellenzugang direkt nach Kriegsende niedergeschrieben hatte. Sie erschien in etlichen Auf­ lagen, die wegen Papiermangels die große Nachfrage in den ersten Jahren nach 1945 indes nicht decken konnten. Zentrale Aussagen des Buches wurden aber in Regionalzeitungen und Kulturzeitschriften reproduziert. Genauer und ausführlicher war die Interpretation der Zäsur dabei in solchen Beiträgen, die abgedruckte Ausschnitte des Buches darstellten. Diese erschienen allerdings nicht in den Tageszeitungen, sondern in den Kulturzeitschriften oder wurden im Hörfunk verlesen. Sie richteten sich dabei gezielter an ein gebildetes Publikum. Mit den Kulturzeitschriften sprach Meinecke seine bevorzugte Leserschaft an, denn trotz seiner Volkspädagogik gegenüber einem breiten Publikum schon in den Jahrzehnten vor der Zäsur glaubte er, dass die Zukunft Deutschlands letztendlich nur von einer kleinen Elite von etwa zwei- oder dreitausend Menschen abhängen würde. Von dieser Idee ausgehend, hielt er zunächst auch keine westliche, sondern eine nicht näher definierte spezifisch deutsche Form der

50 Vgl. Sabrow, Diktat, S. 40–43. 51 Vgl. ebd., S. 38–40, 256–257.

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Demokratie für den Ausweg aus der Katastrophe von Niederlage und Zusammenbruch.52 Diese elitäre Perspektive war Meineckes idealistischer Geschichtsinterpretation geschuldet, wie sie auch in der Deutschen Katastrophe hervorstach. ­Meinecke deutete den Nationalsozialismus darin als einen kulturellen Tiefpunkt, der das Ende eines langen Verfallsprozesses dargestellt habe.53 Begonnen hatte dieser Niedergang für ihn bereits nach der Zeit des deutschen Idealismus zu Anfang des 19. Jahrhunderts, deren Inbegriff und Höhepunkt er im Werk Goethes verkörpert sah. Der entscheidende Schritt zur Überwindung des Nationalsozialismus und zum Wiederaufstieg Deutschlands aus der Krise war für ihn daher eine Rückbesinnung auf deutsche Kulturwerte. Diese sollten die Deutschen wieder auf das »sittliche Niveau« ihrer Vorväter hinaufführen. Das verband er in der Deutschen Katastrophe mit der konkreten und auch oft be­lächelten Idee, dass sich Bildungsbürger im ganzen Land zu regelrechten »Goethe­gemeinden« zusammenschließen und in quasi-religiösen Ritualen deutsche Literatur und Musik zelebrieren sollten, um das verlorengegangene »Bündnis aus Geist und Macht« wiederherzustellen.54 Obwohl sich »Goethegemeinden« nicht durchsetzten, war der Bezug auf deutsche Klassiker, zumal Goethe, in den Jahren unmittelbar nach Kriegsende im Bildungsbürgertum weit verbreitet. Die deutsche Bildungstradition versprach, ein Anker in der Geschichte zu sein, der nicht in Frage gestellt werden musste, und etliche literarische, kulturelle und historische Zeitschriften brachten Artikel und Aufsätze zu Deutschlands berühmtestem Dichter heraus. Geschichtsverständnis, politische Selbstdeutung und Zukunftshoffnungen verschwammen dabei bis zur Unkenntlichkeit.55 Die Kulturemphase der bildungsbürgerlichen Eliten, die gleichzeitig ein Klagen über den kulturellen Verfall in den modernen Zeiten darstellte, war kein neues Phänomen, sondern eine seit der Jahrhundertwende gepflegte Tradition. Die Katastrophe von Nieder­lage und Zusammenbruch des Nationalstaates potenzierte diese Denkweise, die in vielen Artikeln der direkt nach dem Krieg so zahlreich entstehenden Kulturzeitschriften verbreitet vorherrschte. Insofern war es folgerichtig, dass der Nationalsozialismus im Nachhinein als Kulturbruch empfunden wurde und eine Rückbesinnung auf die traditionelle Kultur ein Gegengewicht markieren sollte. Allerdings wurde in der Debatte in den Kulturzeitschriften eher de­k lamiert als reflektiert. Wie Meinecke es mit den »Goethegemeinden« exemplarisch auf 52 Vgl. Parteien und Demokratie. Meineckes elitäres Sozialbild wurde im Times Literary Supple­ment beanstandet. Er schrieb daraufhin selbstkritisch an seinen Freund, den britischen Politiker und Historiker George Peabody Gooch, die Times habe nicht unrecht, aber als Deutscher schüttele man das Gerüst des autoritären Staates nicht so leicht ab, das dem Volk seit dem Mittelalter eingeimpft worden sei. Siehe Brief Meineckes an Gooch, 15.4.1947, in: GPStA, VI. HA, Nl Meinecke 191. 53 Vgl. Berg, Holocaust, S. 72–75. 54 Parteien und Demokratie. Siehe auch Meinecke, Katastrophe, S. 158 f. 55 Vgl. Berg, Holocaust, S. 81 f.

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den Punkt brachte, sollte Kultur nicht eine Anregung für eine Auseinandersetzung über eine demokratisch-freiheitliche Gesellschaftsstruktur sein, sondern mittels ritueller Verehrung Trost spenden.56 Etliche Angehörige nationalkonservativ-protestantischer Eliten gingen indessen noch weiter und zeigten sich deutlich apologetischer und unkritischer als Meinecke. Sie ignorierten nicht nur, welchen Beitrag die Kultureliten selbst zum Nationalsozialismus geleistet hatten,57 sondern legten vielfach auch mittels einer derart überhöhten deutschen Kultur ein ausgesprochenes Überlegenheitsgefühl an den Tag: Wenn schon keine politische Dominanz mehr möglich war, wünschten sie sich zumindest die Hegemonie deutscher Kultur, die der westlichen Zivilisation als über­ legen erachtet wurde.58 Eine derartige Rechtfertigung betrieb Meinecke freilich nicht. Er sah im Nationalsozialismus zwar nicht nur ein rein deutsches Phänomen, wollte sich im Gegensatz zu Ritter aber in erster Linie auf die deutsche Verantwortung für das Geschehen konzentrieren. Seit der Goethezeit, hieß es in einem 1946 im SWF verlesenen Kapitel, habe eine »[…] Störung des seelischen Gleichgewichts zwischen den rationalen und den irrationalen Kräften« eingesetzt.59 Das Prinzip, dass alles, was möglich sei, auch gemacht werde, ja, sogar sittlich gerechtfertigt sei, wenn es dem eigenen Volk nütze, habe sich von da an durchgesetzt. Zwar habe es diese Einstellung auch bei anderen Völkern ge­geben, indes sei nirgends die Entwicklung so schlimm gewesen wie im Nationalsozialismus. Dieses Phänomen bezeichnete Meinecke mit der Wortschöpfung »Massenmachiavellismus«.60 In diesen Niedergang bezog er zudem das Scheitern der Revolution von 1848 ein, deren Gelingen Deutschland nicht so stark von der westlichen Entwicklung abgekoppelt hätte. Wenngleich er nicht einer Verdammung aller deutschen Traditionen das Wort reden wollte, verschonte er auch Bismarck nicht. Unbestritten sei zwar seine Reichsgründung ein Akt historischer Größe gewesen, doch habe er dem Militarismus zu viel Spielraum gegeben.61 Ausdrücklich gab er dem Bürgertum eine besondere Schuld an der Ent56 Vgl. Boll, S. 34. 57 Vgl. Raphael, Kulturnation, S. 273. 58 Vgl. Schildt, Ende der Ideologien? S. 632. 59 Meinecke, Die deutsche Katastrophe. Manuskript. Gesendet am 4.12.1946, in: Historisches Archiv des SWF Baden-Baden, Hörfunk-Manuskript-Sammlung. 60 Ebd. 61 Ebd. In der Deutschen Katastrophe nannte Meinecke auch europäische Wurzeln des Nationalsozialismus wie ein allgemeines Streben nach Massenglück infolge der enormen Bevölkerungszuwächse im 19.  Jahrhundert und des Rohstoffmangels als Konsequenz der Industrialisierung. Als kurzfristige Ursachen nannte er den Versailler Vertrag, die hohe Arbeitslosigkeit nach 1929 und die »Judenfrage«. Siehe Meinecke, Katastrophe, S. 9–14, 88 f. Unter der »Störung des seelischen Gleichgewichts zwischen rationalen und irrationalen Kräften« verstand Meinecke die Entstehung eines ideell leeren Fachmenschentums durch die Verdrängung der Religion aus der Mitte der Gesellschaft. Die Schuld des Bürgertums hierbei und bei der Ausbildung von Nationalismus und Revisionismus sei dabei größer gewesen als diejenige der Arbeiterklasse. Siehe ebd., S. 51–61.

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wicklung zum Nationalsozialismus, da es sich dem Militarismus und auch dem nationalistischen Alldeutschtum immer stärker zugewandt habe.62 Wie Mei­ necke in einer im Auftrag des Berliner Magistrats zum Jubiläum der Revolution von 1848 verfassten Säkularbetrachtung63 näher ausführte, sei Deutschland im 19.  Jahrhundert an seiner historischen Aufgabe gescheitert, die nationale Einheit und einen Gemeinschaftsstaat zu errichten, der alle Volksschichten mit einbeziehe. So habe zumal durch die von Preußen herbeigeführte Einigung der Obrigkeitsstaat fortbestehen können, und »das Dritte Reich war ja nur eine Afterform desselben […]«.64 Nun gelte es, endlich den 1848 gescheiterten Versuch zu vollenden, einen demokratischen Staat aufzubauen.65 Diese These einer Verspätung der deutschen Geschichte, deren Ausdruck auch der Nationalsozialismus und damit die Zäsur von 1945 gewesen sei, teilten etliche andere Historiker. Bei aller Kulturemphase verdammte Meinecke das Massenzeitalter also im Gegensatz zu Ritter nicht. Vielmehr hielt er das Streben der Massen, an materiellem Reichtum und politischer Gestaltung beteiligt zu werden, für zutiefst berechtigt. Der Obrigkeitsstaat war für ihn gerade kein Bollwerk gegen die Gefahren der modernen Diktatur gewesen. Während für Ritter der Nationalsozialismus ein Ausdruck der modernen Massengesellschaft, also eine neuartige Entwicklung war, bedeutete das Regime für Meinecke hingegen ein Überbleibsel des vormodernen autoritären Staates, der sich im 20.  Jahrhundert in Deutschland nur noch habe durchsetzen können, weil er nicht durch eine ausreichende freiheitliche Gesinnung überwunden worden sei.66 In Die Sammlung erschien im März 1946 aus der Deutschen Katastrophe das Kapitel Militarismus und Hitlerismus, in dem Meinecke die Traditionen des Obrig­keitsstaates näher erläuterte und im preußischen Militarismus die wichtigste langfristige Ursache der Katastrophe erachtete, in der sich der Kultur­ verfall geäußert habe. Krieg sei immer mehr als ein Selbstzweck angesehen worden. Den Offizieren des Generalstabes der Weimarer Republik wollte Meinecke dabei keine niederen Motive unterstellen, hohes Pflichtgefühl und echte Vaterlandsliebe habe sie geleitet, doch seien sie nur Techniker des Krieges gewesen, denen das Verständnis für das geschichtliche Ganze gefehlt habe. Für eine Ausnahme hielt Meinecke nur den ihm befreundeten General Wilhelm Groener, der durch kluge Politik gemeinsam mit Reichskanzler Heinrich Brüning eine Machtübernahme Hitlers hätte verhindern können. Beide seien aber entlassen worden, bevor sie ihr Werk hätten vollenden können. Die Entlastung der Offiziere war keine Ausnahme. Generell sprach Meinecke im Zusammenhang mit 62 Vgl. ebd., S. 36–40. 63 Vgl. Meinecke, 1848. 64 Ebd., S. 12. 65 Vgl. ebd., S. 29. 66 Vgl. Meinecke, Betrachtung über das Jahr 1848. Manuskript. Gesendet am 29.3.1948, in: Historisches Archiv des SWF Baden-Baden, Hörfunk-Manuskript-Sammlung.

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dem Nationalsozialismus weniger von Schuld als von Tragik. Oftmals benutzten Historiker die Begriffe »Tragik«, »Schicksal«, »Verhängnis« und »Katastrophe«, was die Frage nach Schuld sowie nach Tätern und Opfern verwischte. Im Grunde konnten sich alle als Opfer fühlen.67 So hielt Meinecke zwar die demokratische Weimarer Republik für die einzige vernünftige politische Option nach dem Ersten Weltkrieg: »Jede andere Methode drohte über kurz oder lang zu einem Kriege, und jeder Krieg wieder, wie es denn auch geschehen ist, zu einer Katastrophe für Deutschland zu führen.«68 Die Jugend sei aber weder materiell noch ideell in dieser Republik satt ge­worden. Viele »wertvolle« junge Menschen seien daher von Hitler verführt worden.69 An diesem Abschnitt wurde auch deutlich, dass Meinecke trotz der intensiven Auseinandersetzung mit Ursachen, die noch aus dem 19. Jahrhundert herrührten, letztlich dem Zufall bei den Ereignissen eine große Rolle beimaß.70 Dieser Widerspruch entstand, weil Meinecke nicht die gesamten Geschehnisse der zwölfjährigen nationalsozialistischen Herrschaft in den Kontext der Entwicklung stellte, sondern im Wesentlichen nur den tatsächlichen Moment der Machtübernahme Anfang 1933. Ausführlich erwog er die Ereignisse, die zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler geführt hatten, und so konnte eine besondere Schuld auf den Reichspräsidenten Hindenburg und einige unglückliche Ereignisse fallen, die nur vom Handeln weniger Personen abhingen. Mit dem Moment, an dem Hitler allerdings tatsächlich an die Spitze der Regierungsgewalt berufen worden war, hielt Meinecke den Fortgang der Ereignisse indes für weitgehend determiniert. Er fragte nicht, wieso das Regime sich über lange Jahre einer weitgehenden Zustimmung erfreute und welche gesellschaftliche Basis auch Krieg und Völkermord ermöglicht hatten. Hierfür hätte er Anknüpfungspunkte in seiner ausgiebigen Darstellung der langfristigen Ursachen finden können. Detailliert schilderte er stattdessen die Möglichkeiten des Kontroll- und Unterdrückungsapparates. Dieser blieb dabei etwas Abstraktes: Das Volk war ihm ausgeliefert, aber dass große Teile des Volkes nötig waren, um diesen Apparat funktionsfähig zu machen, thematisierte er nicht. Ritter und Meinecke waren sich bewusst, dass man es mit einer durch lange Zustimmung zum Nationalsozialismus belasteten Bevölkerung zu tun hatte, mit der kein Aufbau eines neuen freiheitlichen Staatswesens erreicht werden konnte, wenn man sie für ihre Vergangenheit verdammte. Die Grundhaltung, 67 Vgl. Assmann, Geschichtsvergessenheit, S. 100. Zumal Schieder sprach im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Ostpolitik von Tragik, also eben bei jenen Aspekten, bei denen er selbst mitschuldig geworden war. Vgl. hierzu Dunkhase, S. 171. 68 Meinecke, Militarismus, S. 347. 69 Ebd. Die Vorstellung, die Mehrheit der Deutschen sei Opfer von Verführung durch eine kleine Bande von Verbrechern geworden, war nach dem Zweiten Weltkrieg weit verbreitet. Vgl. Berg, Holocaust, S. 53; Conrad, S. 178. 70 Vgl. z. B. Meinecke, Katastrophe, S. 92–104. Allerdings war für Meinecke die Erkenntnis, es habe sich bei Hitlers Machtübernahme auch um einen Zufall gehandelt, ein Anknüpfungspunkt, um nicht die deutsche Entwicklung für gänzlich verfehlt halten zu müssen.

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ehemalige Mitläufer nicht zu verurteilen, sondern nur diejenigen an der Übernahme von Verantwortung zu hindern, die auch nach 1945 noch eine Gefahr darstellen konnten, weil sie sich von ihrer nationalsozialistischen Gesinnung nicht lösen wollten, leitete Ritter gleichfalls bei seiner Aufgabe im Entnazifizierungsausschuss der Universität Freiburg. Dieses Verhalten war symptomatisch für den deutschen Umgang mit der Vergangenheit. Ein »Recht auf den politischen Irrtum«, wie Eugen Kogon es 1947 formuliert hatte, konnte jeder NSTäter oder -Mitläufer für sich beanspruchen. Er musste sich nur in der Gegenwart normativ vom Nationalsozialismus abgrenzen und in das neue politische System integrieren. Dies galt im übrigen für West- wie Ostdeutschland, man konnte den neuen Staat nicht gegen die alten Bevölkerungen gründen, nur mit ihnen.71 Das bedeutete aber nicht, dass Ritter die NS-Vergangenheit seiner Kollegen auch intern völlig vergaß. Zu einem bitteren Briefwechsel kam es etwa mit Hermann Heimpel, der sich 1946 darüber empörte, dass Ritter seine NS-Vergangenheit thematisierte: »Und heute bringen Sie es fertig, mich in so lieb­loser Weise an mein Wirken im ›Schatten Heideggers‹ zu erinnern.«72 Bei M ­ einecke war mehr als bei Ritter erkennbar, dass er in den Beiträgen, die er gezielt für Tageszeitungen verfasste, eine Belehrungsabsicht gegenüber einer noch immer von NS-Ideologie beeinflussten Leserschaft verfolgte. Hier stand nicht eine genaue Analyse der Ursachen des Nationalsozialismus im Vordergrund, die in der Deutschen Katastrophe breiten Raum einnahm, sondern es ging um die un­ mittelbaren Lehren und Konsequenzen, welche die deutsche Gesellschaft aus der Zäsur ziehen sollte. Meineckes Artikel waren also aktueller und politischer als das Essay selbst. Einem Freund schrieb er Ende 1945: »Viel Sorge macht mir die Mentalität der aus dem Kriege in die Hörsäle jetzt flutenden akademischen Jugend, – das braune Gift sitzt immer noch in den Köpfen, die das eigene Denken längst verlernt, auch meist nie gelernt haben.«73 Ihnen musste er den Bruch mit dem System erleichtern, und nur mit diesen Menschen konnte ein Neu­ aufbau nach dem Kriege bewerkstelligt werden. Da sie nicht zur kulturellen Elite gehörten, mussten sie ihm auch stärker durch die NS-Ideologie belastet erscheinen. So stellte Meinecke mit seinem ersten Zeitungsartikel nach dem Krieg, veröffentlicht am 16. Juni 1945 in der Münchner Zeitung, einerseits klar, dass das

71 Vgl. Frei, Hitlers Eliten, S. 309–312. 72 Brief Heimpels an Ritter, 16.1.1946, in: BArch, Nl Ritter 490. Ritter antwortete, er erkenne weiterhin Heimpels wissenschaftliche Leistungen an, trotz seiner den Nationalsozialismus verherrlichenden Schriften aus dem Jahr 1933. Siehe Brief Ritters an Heimpel, ohne Datum, ebendort. Für den Kollegen Wilhelm Mommsen mochte Ritter sich nicht einsetzen. Zwar sei Mommsen nur ein Mitläufer gewesen, aber als Historiker wiege dessen Schuld schwerer, da er als Erzieher der Nation versagt habe. Siehe Gutachten Ritters zu Wilhelm Mommsen, 30.12.1946, in: BArch, Nl Ritter 328. 73 Brief Meineckes an Wilhelm Steffens, 22.11.1945, in: Meinecke, Briefwechsel, S. 240.

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nationalsozialistische Deutschland seine Verantwortung nicht in irgendeiner Weise auf andere abwälzen dürfe. Hitler habe den Krieg gewollt und mut­ willig das Münchner Abkommen gebrochen. Darin betonte Meinecke zumal die schlimmen Folgen für Deutschland, denn obwohl nach der Niederlage von ­Stalingrad jedes Weiterkämpfen sinnlos geworden sei, habe Hitler den Kampf bis zum bitteren Ende fortgesetzt. Andererseits nahm er die Deutschen indes gegen Vorwürfe eines fehlenden Widerstands in Schutz. Der Terror des NS-Regimes sei unglaublich und einmalig, die Kraft der Propaganda lähmend ge­wesen. Trotz dieses allseitigen Terrors schrieb er aber, eher rhetorischen Mitteln als einer argumentativen Logik folgend, hätten die Menschen von der verbrecherischen Tiefe des Systems nichts geahnt. Vielmehr seien sie brave Seelen gewesen, die einem pervertierten Idealismus verfallen seien. Allerdings wollte er die Geschehnisse auch nicht einfach abhaken. Nach 1933 habe es zweifellos viele Konjunkturritter gegeben, und es bleibe eine Schande, dass nur ein verlorener Krieg den Bann der Partei habe brechen können.74 Die Einsicht in die Schuld des NS-Regimes und den Bruch mit der Vergangenheit suchte Meinecke weiter zu erleichtern, indem er in der Allgemeinen Zeitung den Nationalsozialismus aus der deutschen Nation und Tradition ausgrenzte: Die Nationalsozialisten seien keine nationale Bewegung gewesen, sondern eine Bande von Demagogen, die das Volk unterdrückt und verführt habe. Gerade der Kampf bis zum bitteren Ende sei kein Heroismus gewesen, sondern »wilde Gewissenlosigkeit in der Ausblutung der letzten Kräfte des blutenden Volkes«.75 Auch sprach er dem System jeglichen ideologischen Gehalt ab, indem er das völkische Deutschtum und den Rassismus zu reinen Mitteln des Machterhaltes erklärte, welcher der eigentliche Zweck der im Grunde nihilistischen NSDAP gewesen sei: Nur wer sich klargemacht hat, dass dem Zeitalter der äußeren Fremdherrschaft das Zeitalter einer i n n e r e n Fremdherrschaft, einer im tieferen Sinne u n deutschen Herrschaft im Dritten Reich vorangegangen ist und überwunden werden muß, findet den rechten Weg zur Lösung des Problems.76

Man müsse daher mit den Siegern zusammenarbeiten, um die Folgen der Ereignisse zu überwinden. Aus dieser notwendigen Zweckgemeinschaft könne dann 74 Vgl. Meinecke, Zur Selbstbesinnung. Dass Meinecke die Deutschen gegen den auslän­ dischen Vorwurf verteidigte, sie hätten keinen Widerstand gegen die nationalsozialistische Regierung geleistet, war allerdings nicht nur eine Argumentationsstrategie in der öffent­ lichen Auseinandersetzung. In einem Brief an seinen Freund Gustav Mayer schrieb er etwa: »Möge jeder Ausländer, der jetzt das ganze deutsche Volk für schuldig erklärt, sich doch die Gewissensfrage vorlegen, ob auch er den Mut zum Martyrium und zur Zerstörung seiner Familie in solcher Lage aufgebracht haben würde!« Brief Meineckes an Gustav Mayer, 25.6.1946, in: Meinecke, Briefwechsel, S. 253. 75 Meinecke, Zusammenarbeit. Der Artikel erschien mit geringen Änderungen unter dem ­Titel »Sieger und Besiegte« am 9.11.1945 auch im Neuen Hannoverschen Kurier. 76 Ebd.

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ein echtes Verständnis entstehen. Dabei würden die Alliierten auch ein­sehen, dass viele Deutsche innerlich den Nationalsozialismus abgelehnt hätten.77 Teils im Gegensatz zur Deutschen Katastrophe konzentrierte er sich also darauf, den Nationalsozialismus aus der deutschen Entwicklung hinauszuinterpretieren und das Nationalbewusstsein für einen Bruch mit dem System und eine Zusammenarbeit mit den Alliierten in Anspruch zu nehmen. So überrascht es nicht, dass Meinecke in seinen Artikeln gegenüber einer breiten Öffentlichkeit die Frage deutscher Verbrechen neben der grundsätzlichen Schuld am Krieg nicht behandelte. In der Deutschen Katastrophe dagegen wurde diese Frage zumindest mehrfach angerissen. So unterstrich der Nestor der deutschen Geschichtswissenschaft, der Feldzug im Osten sei ein Vernichtungskrieg und damit etwas qualitativ anderes als im Westen gewesen. In erster Linie beschäftigte sich Meinecke hierbei aber nicht mit den Opfern, sondern wollte die in Deutschland verbreitete Vorstellung widerlegen, der Ostkrieg könnte eine Berechtigung als antikommunistische Verteidigung gehabt haben; dies sei nur ein Vorwand gewesen, und schließlich habe erst dieser Krieg die Sowjetunion so stark gemacht, dass sie halb Europa habe besetzen können. Meinecke sah im Vernichtungskrieg auch nichts spezifisch Deutsches, sondern spezifisch Osteuropäisches, das sich ebenso in den Vertreibungen der Deutschen ausdrücke, die als Rache auf deutsche Verbrechen aufzufassen seien.78 Noch deutlicher wurde diese Nichtbeachtung der Opfer im Zusammenhang mit dem Holocaust,79 sprach Meinecke doch von der abendländischen Kultur, die in den Konzen­ trationslagern gestorben sei und nicht von den dort ermordeten Menschen.80 77 Vgl. ebd. In der Deutschen Katastrophe forderte Meinecke zum Verständnis für ehemalige Parteigenossen auf, die der NSDAP meist aus Furcht beigetreten seien. Auch gegenüber belasteten Kollegen war Meinecke nachsichtig, wenn er glaubte, dass sie sich nach 1945 von ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit zu trennen bereit seien. Diese Haltung führte auch zu einem Disput mit dem kommunistischen Professor Alfred Meusel, der am 11.10.1947 ein unterstützendes Gutachten Meineckes für den Historiker Walther Kienast bei einer Stellenbewerbung an der Berliner Universität zurückwies. Während Meinecke Kienast zubilligte, er habe sich zunächst aus Idealismus der NSDAP angeschlossen und sei der Partei innerlich fern geblieben, hielt Meusel es für nicht entschuldbar, dass ein Historiker die Situation 1933 nicht erkannt habe und der NSDAP beigetreten sei. Meusel wies darauf hin, dass er selbst, obschon Kriegsfreiwilliger des Ersten Weltkriegs und kein Jude, 1933 Deutschland verlassen hatte. Brief Meusels an Meinecke, 11.10.1947, in: GPStA, VI. HA, Nl Meinecke 28. 78 Vgl. Meinecke, Katastrophe, S. 111–120. 79 Der Begriff Holocaust wird im Folgenden als Bezeichnung für den Massenmord an der jüdischen Bevölkerung Europas während des Nationalsozialismus gebraucht. Holocaust ist allerdings kein zeitgenössischer Begriff und setzte sich erst im Verlaufe der sechziger Jahre durch. Vgl. Berg, Holocaust, S. 178. 80 Vgl. ebd., S. 82. Obwohl Meinecke in der Weimarer Republik im Gegensatz zu vielen Kollegen etliche jüdische Schüler betreut hatte, stachen auch bei ihm in der Deutschen Katastrophe antisemitische Ressentiments hervor: »Zu denen, die den Becher der ihnen zugefallenen Macht gar zu rasch und zu gierig an den Mund führten, gehörten auch viele Juden.« Siehe Meinecke, Katastrophe, S. 53.

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Ebenso ignorierte Ritter weitgehend die Opfer von Kriegführung und Massenvernichtung im Nationalsozialismus.81 Zwar nannte er unter den Verbrechen des Systems auch die Versklavung fremder Völker, aber seine Betrachtung blieb weitgehend selbstreferentiell im nationalen Sinne: Opfer waren in aller erster Linie die Deutschen, also alle jene, die »in soldatischer Tapferkeit ihr Blut haben vergießen, ja ihr Leben opfern müssen für eine Sache, von der sie wußten oder irgendwann erkannten, daß sie eine ganz verruchte Sache war«. Folgerichtig hielt er den »Mißbrauch« preußischer Werte für das »größte aller Verbrechen des Nazitums«.82 Dieser hatte die Werte schließlich schwer belastet und bedrohte nun die Kontinuität des deutschen Geschichtsbildes als der für Ritter notwendigen Grundlage der Gesellschaft. Eine Thematisierung der NS-Verbrechen, die zudem auch noch die Opfer in den Mittelpunkt rückte und sie nicht nur als eine Ursache für deutsches Leid betrachtete, war in den Jahren nach dem Krieg äußerst selten. Eine Ausnahme bildete Wolfgang Staudtes Film Die Mörder sind unter uns (1946), der Geisel­ erschießungen in der Sowjetunion in das Zentrum seiner Handlung rückte und für eine juristische Verfolgung der Täter plädierte. Allerdings war dieser Film eher als Teil  der alliierten Umerziehungspolitik als einer originär deutschen Aufarbeitung anzusehen.83 Wie Nicolas Berg festgestellt hat, waren die Grenzen des Verbrechensdiskurses nach 1945 schnell erreicht: Die Beweispflicht lag bei demjenigen, der eine Mittäterschaft oder Mitwisserschaft behauptete, und nicht bei dem, der sie dementierte.84 Franz Schnabel behandelte in seiner massenmedialen Praxis nach 1945 den Nationalsozialismus praktisch überhaupt nicht. Am 15. Juli 1949 lehnte er gegenüber Ritter auch die Gründung des späteren Instituts für Zeitgeschichte ab, da man noch nicht genug Abstand zu der jüngsten Geschichte gewonnen habe und diese noch unmittelbare Konsequenzen für die Menschen entfalte.85 Dennoch spielte der Umgang mit der Zäsur für Schnabel eine große Rolle. In diesem Zusammenhang agierte auch er, zumal in den Jahren unmittelbar nach 1945, als spezifischer Intellektueller in den Massenmedien. Anders als Ritter betonte er bislang vernachlassigte liberale Traditionen, um die Akzeptanz der Demokratie in der Bevölkerung zu fördern. Geradezu programmatisch schrieb er in einem Zeitungsartikel, dass die Beschäftigung mit Geschichte nicht nur dem Vorwissen des eigenen Daseins diene, sondern zunächst einmal eine Ausein­ andersetzung mit Werten sei.86 Ein zentraler Punkt war für den Spezialisten des 19. Jahrhunderts dabei die Revolution von 1848, an die es wieder anzuknüpfen 81 Vgl. Berg, Holocaust, S. 128. 82 Ritter, Fälschung, S. 18 f. 83 Vgl. Hoffmann, S. 158. 84 Vgl. Berg, Holocaust, S. 51. 85 Vgl. ebd., S. 214 f. 86 Vgl. Schnabel, Versenkung in die Vergangenheit, in: Hessische Nachrichten, 19.8.1949, zitiert nach GPStA, VI. HA, Nl Meinecke 254.

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gelte. Als der Präsident des Landesbezirks Baden, Heinrich Köhler, Schnabel anbot, dessen Rede beim Festakt »Baden und das Jahr 1848« am 15. Januar 1948 so weit wie möglich zu verbreiten und durch die Landesverwaltung drucken zu lassen, lehnte Schnabel das ab. Er plante eine ganze Reihe von Vorträgen zu dem Thema und erhoffte sich davon eine größere öffentliche Wirkung als von einer einzigen Broschüre.87 In der Süddeutschen schrieb er schon 1947: Nach den Erlebnissen, die wir gehabt haben, sind wir weit davon entfernt, die Macht des Wissens zu überschätzen: Politik ist sicherlich keine exakte Wissenschaft, aber über Wesen und Zweck des Staates sollte man nachgedacht haben und unterrichtet sein. Da der Rechtsstaat nirgends mehr im öffentlichen Bewußtsein lebte, ist er unverteidigt preisgegeben worden […].88

In einem weiteren Artikel in der Süddeutschen, der eher eine Belehrung über die Staatsform der Demokratie als eine historische Darstellung war, fügte er ein Jahr später als Quintessenz an: So haben wir allen Grund uns darüber klar zu werden, daß das Jahr 1848 eine ­Epoche der deutschen Geschichte eröffnet hat, die noch nicht ausgelebt ist. Daher sollten wir den Anlaß nutzen, um in unseren Schulen und anderen Bildungsanstalten den bis heute fortwirkenden politischen und geistigen Ertrag jenes Jahres von neuem fruchtbar zu machen.89

Demokratische, liberale und nationale Elemente seien die Basis der »atlan­ tischen« Völker, und auf sie solle sich der Geschichtsunterricht im Wesentlichen konzentrieren, denn das Ziel des einheitlichen nationalen Verfassungsstaates sei noch immer nicht erreicht.90 So sehr Schnabel auch solche westlichen Werte unterstrich, so bedeutete für ihn, ebenso wie für Ritter oder Meinecke, ein freiheitliches Staatswesen in erster Linie aber nicht Gleichheit, sondern Chancengleichheit zur Heranbildung einer neuen Elite.91 Folgerichtig forderte er als Konsequenz der Diktatur und des Weltkrieges, dass der Staat wieder, wie im liberalen Zeitalter, grundsätzlich dem Recht zu dienen habe und nicht der allgemeinen Wohlfahrt. Sei Wohlfahrt nämlich das oberste Gebot, stünde dem staatlichen Eroberungsdrang nichts mehr entgegen. »Indem der Nutzen zu einer Quelle des Rechts gemacht wurde, sind der Willkür und der Gewalttat die Tore geöffnet worden.«92 Diese Werteverschiebung benannte Schnabel implizit als die entscheidende Ursache der Entwicklung, die letztlich zum Nationalsozialismus geführt habe. In der Süddeutschen deutete er dabei aber nur an, dass der Grund für diese Werteverschiebung für ihn im Abfall von der Religion lag. Er 87 Brief Köhlers an Schnabel, 4.2.1948 und Schnabels Antwort, 25.2.1948, in: Nl Schnabel 3. 88 Schnabel, Vorbildung. 89 Ders., 1848–1948. 90 Ebd. 91 Vgl. ders., Vorbildung 92 Ebd.

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kritisierte, dass »Vernunft und Geist des Menschen zu einem Sekret des Leib­ lichen oder darwinistisch zur sekundären Bildung eines späten Entwicklungsstadiums erklärt« wurden. Solcher Materialismus habe letztlich Würde und Eigen­wert des Menschen vernichtet.93 In Hochland, in dem sich Schnabel an ein katholisches, gebildetes Teilpublikum wandte, wurde er in seiner Analyse deutlicher. Zwar sprach er wie Meinecke und noch mehr als dieser davon, dass man zum Aufbau der Nachkriegsgesellschaft an erster Stelle Bildung und Wissenschaft brauche, um die Menschen wieder zu den geistigen Höhen hinaufzuführen, die sie im liberalen Zeitalter einst erreicht hätten und die sie nun nach dem Rückzug auf die niedersten Instinkte fast allesamt verschüttet hätten. Doch die Wissenschaft allein könne den Menschen nicht retten; es brauche auch die christliche Religion: So wissen wir, daß die Beschäftigung mit der Wissenschaft nicht genügt, um den Menschen frei zu machen; sie muß innerlich verbunden werden mit anderen Kräften, die aus der christlichen Liebesidee gespeist sind […]. Und es war die große Illusion des deutschen Neuhumanismus, daß er meinte, der Mensch könne sich aus eigener Kraft, durch den Umgang mit dem Geistigen zur reinen Menschlichkeit empor­ läutern.94

Aus dieser Perspektive heraus sah Schnabel im Gegensatz zu vielen anderen öffentlichen Akteuren in den Deutschen nicht nur Opfer des Nationalsozialismus, sondern auch Schuldige aufgrund ihres Materialismus: Wenn indes die Menschen im Zeitalter Hitlers noch so wie im Zeitalter Cromwells an Gott und den leibhaftigen Teufel geglaubt hätten, dann hätten sie die zwölf Jahre nicht mit solcher Stumpfheit über sich ergehen lassen; die Polizei wäre dann auch nicht mehr in der Lage gewesen, bei den Ausbrüchen einer verzweifelten Masse die ›Ordnung wiederherzustellen‹, und das System hätte versagt, noch bevor die Städte vollends zerstört waren. Und wenn die Menschen zugleich auch noch denken gelernt hätten, wäre überdies vieles anders gekommen.95

Daher überrascht es auch nicht, dass Schnabel Meineckes Wertung kritisierte, es habe sich bei der NS-Machtübernahme letztlich um einen tragischen Zufall gehandelt. Es war für den Mannheimer Historiker eben kein Zufall, weil er sich nicht nur auf den Moment des Regierungswechsels 1933 beschränkte, sondern das Phänomen der Diktatur und der Zustimmung breiter Massen zu ihr in den Blick nahm.96 Während so dezidierte Kritik an der eigenen Bevölkerung unter Historikern selten vorkam – und Schnabel sie auch nur in einer Kulturzeitschrift und nicht einer Tageszeitung äußerte –, war die Forderung nach einer Rückkehr zum Glauben in der Publizistik weit verbreitet. In der Entfernung von 93 Ebd. 94 Ders., Was sollen wir jetzt tun? S. 396. 95 Ebd., S. 400. 96 Vgl. ders., Urteil.

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Gott, der Entchristlichung der Gesellschaft, sahen viele Autoren die eigentliche Wurzel des Übels. Die »Massen« wurden sich demnach der geistigen Leere nach dem Verlust von Religion schmerzhaft bewusst und suchten in einer Welt ohne Werte und Autoritäten verzweifelt nach Ersatzreligionen und idolisierten weltliche Größen (wie den Nationalsozialismus) in einer Art und Weise, wie es zuvor nur der göttlichen Sphäre zugekommen sei.97 Alle drei in der unmittelbaren Anfangszeit nach dem Zweiten Weltkrieg in der breiten westdeutschen Öffentlichkeit aktiven Historiker engagierten sich als spezifische Intellektuelle. Sie wollten ihrem Publikum nicht nur eine Erklärung für die Vergangenheit vermitteln, sondern leiteten aus ihren Thesen auch die ihrer Ansicht nach notwendigen politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen aus der Zäsur ab. Ritter und Meinecke forderten eine Rückbesinnung auf deutsche Werte und Traditionen, wobei durch die Auswertung der Zeitungs­ beiträge gezeigt werden konnte, dass Meinecke zwischen den Zielpublika stärker differenzierte. Während der Berliner Professor in seiner akademischen Arbeit eine grundsätzliche kulturelle Bekehrung anmahnte, stellte er in der Tagespublizistik konkretere Forderungen wie eine Abgrenzung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den alliierten Siegermächten in den Mittelpunkt. Ritter und Meinecke ging es darum, ein geschlossenes Geschichtsbild zu erhalten, das im öffentlichen Bewusstsein zu einem Gefühl nationaler Kontinuität beitrage. Dies erschien ihnen erforderlich, weil die Geschichtswissenschaft sich in starker Verbindung mit dem Nationalstaat entwickelt hatte und sie folglich ein positives Geschichtsbild für eine notwendige Voraussetzung des staatlichen Wiederaufstiegs nach dem Zusammenbruch 1945 hielten. Der Blick auf die außerfachliche öffentliche Praxis erhellt jedoch noch einen weiteren Grund: Nicht zuletzt galt ihnen ein positives Geschichtsbild auch als Mittel gegen einen Rückfall in den Nationalismus. Ritter und Meinecke (letzterer in seinen Tageszeitungsbeiträgen) wollten sozusagen das nationale Thema besetzen, um es nicht dem Nationalsozialismus oder einem Neonazismus zu überlassen. Vor allem Ritter knüpfte dabei an die Traditionen des kleindeutschen Nationalstaates an, zu denen der Widerstand eine Brücke bilden sollte. Den Nationalsozialismus externalisierte er dagegen teilweise als ein Phänomen der modernen Massengesellschaft aus der deutschen Entwicklung. Meinecke sah die Vorgeschichte des Nationalsozialismus speziell im Bismarckreich kritischer als Ritter, relativierte seine Kritik aber gleichzeitig wieder. Es konnte gezeigt werden, dass Meinecke sich bei der Erklärung der NSHerrschaft auf den Moment der Machtübernahme im Januar 1933 beschränkte und damit dem Zufall eine übermäßige Rolle zubilligte. Zudem verzichtete er in den Tageszeitungen gegenüber einem größeren Publikum auf traditions­ kritische Aspekte. Sowohl Ritters wie Meineckes Kulturpessimismus als auch 97 Vgl. Solchany, S. 382–384. Siehe beispielsweise auch Ritter, Das deutsche Geschichtsbild.

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die von Ritter nicht reflektierte Idee der Konsensgesellschaft waren zeittypisch und wurden ebenso von etlichen anderen öffentlichen Akteuren des liberalen, liberal- oder nationalkonservativen Spektrums verfochten. Als zukunftsweisender sollten sich dagegen die Forderungen Schnabels erweisen. Der katholische Professor sah im Gegensatz zu Ritter und Meinecke stärker in westlichen Werten wie Demokratie und Liberalismus notwendige Konsequenzen der Zäsur, für die er sich in den Massenmedien einsetzte. Ein geschlossenes Geschichtsbild war für ihn nicht minder wichtig, aber es sollte sich nicht mehr an den klassischen Interpretationen und Schwerpunkten, sondern anderen Traditionen wie der Revolution von 1848 oder der liberal- und ver­ fassungsstaatlichen Entwicklung des 19.  Jahrhunderts orientieren. Aufgrund dieser Basis verlangte er allerdings auch eine Rückbesinnung auf den Rechtsanstelle des Wohlfahrtsstaates, der die Tore zur imperialistischen Politik ge­ öffnet habe. Da Ritter und Meinecke vor allem die Deutschen als Opfer des National­ sozialismus interpretierten, fiel der Fokus ihrer Darstellung nicht auf die massenhafte Zustimmung zum Regime und die nichtdeutschen Opfer. Dass aber auch Schnabel nur in einer katholischen Kulturzeitschrift die große Zustimmung zum Regime anschnitt, macht deutlich, dass die Historiker prinzipiell dem breiten Publikum keine Vorwürfe wegen seines Verhaltens im »Dritten Reich« machen wollten. Vielmehr ging es darum, wie das Augenmerk auf die Beiträge in den allgemeinen Medien verrät, die Masse der Mitläufer in das Nachkriegssystem zu integrieren und für eine Distanzierung vom Nationalsozialismus zu gewinnen, die weite Teile der Bevölkerung noch keineswegs vollzogen hatten. Diese Volkserziehung, besonders die von Ritter für die Universitätshistoriker beanspruchte alleinige Sachkompetenz für die historische Einordnung der Gegenwart, stand allerdings in Kontrast zur Realität der Öffentlichkeit, in der nicht Historiker, sondern andere Publizisten stärker d ­ ominierten. 1.2 Der Kalte Krieg und die Abgrenzung vom Nationalsozialismus Der Beginn des Kalten Krieges veränderte ab 1947 den öffentlichen Diskurs rasch. Statt Innenschau und allgemeiner Kulturkritik wurden Artikel auch in den Kulturzeitschriften immer häufiger, die sich mit ganz konkreten politischen Fragen beschäftigten.98 Die Schriftsteller der Gruppe 47 versammelten sich zum Beispiel mit dem Ziel, einen entschieden politischen Anspruch von Literatur zu vertreten und sahen im Kriegsende die Chance zu einem radikalen Neuanfang. Ihre Ideen von einem Deutschland als Mittler zwischen Ost und West orientierten sich allerdings eher an den eigenen Wunschvorstellungen als am politisch Machbaren und waren daher auf die Dauer weniger relevant als 98 Vgl. Laurien, S. 221.

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die Ansichten der führenden Historiker, die für eine Westintegration und einen entschiedenen Antikommunismus eintraten.99 So lehnten Meinecke und Ritter es ab, sich an den Forderungen ihres Kollegen Ulrich Noack nach einer deutschen Neutralität zu beteiligen.100 Ein Beispiel, dass sich diese Gesinnung auch in der öffentlichen Praxis der Historiker niederschlug, war Meineckes Aufsatz im Kurier vom 31. Dezember 1949, ein Text, den der Historiker zuvor schon Radio Paris zur Verfügung gestellt hatte. Meinecke forderte, die deutsch-französische Freundschaft und mit ihr ein einiges Europa müssten so bald als möglich geschaffen werden. Die Begründung war aber nicht mehr nur, einen Krieg zwischen Deutschland und Frankreich für die Zukunft zu verhindern, sondern auch den »Ansturm vom Osten«.101 Bezeichnend war indes, dass Hermann Aubin sich in der außerfachlichen Öffentlichkeit wieder zu Wort meldete. Der einstige Zuträger der NS-Ostpolitik hatte sich der Teilnahme an der Debatte über Ursachen und Verantwortung für die Zäsur enthalten. In internen Gesprächen bezeichnete er die Kritik in Meineckes Deutscher Katastrophe als ganz überzogen und räsonierte unverändert über die Notwendigkeiten des deutschen »Lebensraumes«.102 Aubin engagierte sich erst in dem Moment wieder publizistisch, als es opportun schien, deutsche Ansprüche anzumelden. Am 23. Juni 1949 verurteilte er in der Welt die Vertreibungen von Deutschen sowie die Annexion der Ostgebiete. Über die Ursachen der Vertreibungen, nämlich die nationalsozialistischen Verbrechen, verlor er indes kein Wort. Stattdessen verstieg er sich zu der Klage, den Ostgebieten stünde ein wirtschaftlicher Niedergang bevor, weil Polen nicht fähig seien, die Territorien so zu kultivieren wie Deutsche. Den Westalliierten warf er darüber hinaus vor, ihre Zustimmung zur Abtrennung der Ostgebiete habe letztlich nur den Bolschewismus gefördert. Dass Aubin derartige Äußerungen in einer Zeitung machen konnte, die immerhin als das Organ der britischen Besatzungsmacht gegründet worden war, zeigte mehr als deutlich, dass sich die Vorzeichen ge­ändert hatten. Nicht mehr die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Ver­ 99 Vgl. Pape, S. 298–300. 100 Briefe Meineckes und Ritters an Noack, 15.8. bzw. 11.7.1949, in: GPStA, VI. HA, Nl Meinecke 171 bzw. BArch, Nl Ritter 334. Noack war ein führender Vertreter des Nauheimer Kreises, der für eine neutrale Stellung der Bundesrepublik zwischen NATO und Ostblock eintrat. Vgl. Conrad, S. 351. Ritter und Meinecke hielten Noacks Ideen für illusionär, auch wenn Ritter in seinem Vortrag vor dem Münchner Historikertag 1949 erklärte, dass kein Stand die deutsche Einheit so brauche wie die Historiker, da es ohne den Osten keine deutsche Geschichte mehr gebe. Siehe Ritter, Gegenwärtige Lage, S. 10. 101 Meinecke, Ein ernstes Wort. In seinem Artikel gab Meinecke Ressentiments in Deutschland und Frankreich gleichermaßen die Schuld, warum bislang die Zusammenarbeit so wenige Fortschritte gemacht habe. In einem privaten Brief aber zeigte er sich überzeugt, dass hauptsächlich das französische Misstrauen eine positive Entwicklung verhindere. Siehe hierzu Brief Meineckes an den US-Historiker Koppel S. Pinson, 23.9.1949, in: GPStA, VI. HA, Nl Meinecke 198. 102 Vgl. Mühle, S. 144 f.

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gangenheit stand im Zentrum, sondern die Integration der West­zonen in das westliche Bündnis angesichts des ausgebrochenen Kalten Krieges.103 So weit wie Aubin ging Ritter nicht, aber er und auch Meinecke relativierten in einer Öffentlichkeit, in der nicht mehr so viel Selbstkritik gefragt schien, ihre Vorschläge zur Geschichtsrevision, die sie noch 1946/47 erhoben hatten.104 In Ritters Vortrag vor dem Münchner Historikertag am 12. September 1949 ließ sich nicht übersehen, dass er zentrale Traditionen wieder stärker in den Vordergrund stellte. Hatte er 1947 in dem Rahmenrichtlinienvorschlag Friedrich II. und Bismarck noch kritisiert und nur vor dem Vorwurf, Hitlers Vorläufer gewesen zu sein, in Schutz genommen, sollten nun diese »wahrhaft großen Staatsmänner […] keine geringe Rolle spielen. Denn es bessert ein Volk nicht, sondern verdirbt es, wenn es die Freude an seiner eigenen Geschichte und damit das Selbstvertrauen verliert«.105 Gerade an Ritters häufiger massenmedialer Praxis, auf die im Folgenden ausführlich eingegangen werden soll, ließ sich die veränderte Situation ablesen. Immer offener forderte er Konsequenzen, die sich seines Erachtens aus der Geschichte für die deutsche Gegenwart ergaben. Zwar betonte Ritter, Deutschland dürfe nicht vergessen, dass es für seine schwierige Lage selbst verantwortlich sei, und müsse daher zunächst den eigenen Nationalismus überwinden, bevor es anderen Ländern Vorwürfe mache.106 Um diese Überwindung des deutschen Nationalismus zu erreichen, hielt er es jedoch für unabdingbar, dass die Siegermächte die Deutschen wieder selbständig handeln ließen. Deshalb forderte er nicht nur die Rückgabe der von den Alliierten beschlagnahmten historischen Quellen aus nationalsozialistischer Zeit,107 sondern auch ein Ende der alliierten Prozesse gegen deutsche Kriegs- und NS-Verbrecher, die er als besondere Form ausländischer Gängelung empfand. Ritter sprach in der Presse die »sogenannten Kriegsverbrecherprozesse« im Zusammenhang mit einer angeblichen Besatzungswillkür an.108 Damit war er Teil einer breiten Kampagne, die zur Entlastung deutscher Eliten führen sollte und in der die Kirchen eine Vorreiterrolle einnahmen. In seiner Eigenschaft als Berater der evangelischen Kirchenleitung forderte er am 20. Januar 1949 den Rat der EKD auf, sich nach japanischem Vorbild beim Obersten Gerichtshof der USA für die im Gefängnis Landsberg ein103 Vgl. Aubin, Wir können nicht mehr schweigen. Schon am 4.1.1949 hatte Aubin in einer Rezension von Dehios Gleichgewicht oder Hegemonie vor allem gelobt, dass die »Katastrophe« in erster Linie auf nichtdeutsche Ursachen zurückzuführen sei. Siehe ders., Erdball. 104 Vgl. Schulze, Geschichtswissenschaft, S. 58–64. 105 Ritter, Gegenwärtige Lage, S. 20. 106 Vgl. ders., Ist das deutsche Volk politisch »unreif«? 107 Ritter setzte sich intensiv öffentlich wie auch gegenüber den Behörden für die Gründung des Instituts für Zeitgeschichte ein, das sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit wissenschaftlich auseinandersetzen sollte. Vgl. hierzu etwa ders., Flüsterparole und Denkschrift für das Bundesinnenministerium vom 1.10.1949, in: Ders., Ein politischer Historiker, S. 456–459. 108 Ders., Ist das deutsche Volk politisch »unreif«?

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sitzenden deutschen Häftlinge einzusetzen. Er selbst versuchte über den ihm befreundeten US-amerikanischen Historiker Roland Bainton, Einfluss auf die Haltung der amerikanischen Kirchen in dieser Frage zu gewinnen.109 Norbert Frei hat diese »Vergangenheitspolitik« für den westdeutschen Fall ausführlich untersucht und mit Recht auf den breiten gesellschaftlichen Unwillen verwiesen, die eigene Schuld an den Verbrechen anzuerkennen.110 Das ließ sich unmittelbar am Verhalten der politischen Parteien ablesen. Nicht nur Adenauers Regierungskoalition thematisierte die NS-Verbrechen nicht, um Westintegration und Wiederbewaffnung nicht zu gefährden, sondern auch die übrigen politischen Kräfte, nicht zuletzt die SPD, waren sich bewusst, dass eine Rechtfertigung der alliierten Urteile gegen Kriegsverbrecher enorme Stimmenverluste nach sich ziehen würde.111 Während man die Opfer der NS-Herrschaft kaum beachtete, engagierten sich die wichtigen gesellschaftlichen Kräfte daher für die knapp 1800 Personen, die als Haupttäter zu dieser Zeit in alliierten Gefängnissen einsaßen.112 Es ging indes in erster Linie nicht um die Inhaftierten an sich, die weniger als ein Prozent aller Angeklagten bei der juristischen Aufarbeitung des National­ sozialismus ausmachten, als vielmehr darum, dass es sich bei ihnen mehrheitlich um Angehörige gesellschaftlicher Eliten handelte, deren Verurteilung als symbolische Verdammung ganz Deutschlands begriffen wurde. Der Fall Ernst von Weizsäckers war dabei exemplarisch. Dass offensichtliche Mörder wie der frühere Leiter der Einsatzgruppe D, Otto Ohlendorf, oder der ehemalige Chef des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes, Oswald Pohl, hingerichtet werden sollten, wurde bald hingenommen. Völlig inakzeptabel erschien hingegen eine Verurteilung des ehemaligen Außenamtsstaatssekretärs Weizsäcker, der als eine Galionsfigur der ehemaligen Eliten gelten konnte. Für seine Freilassung setzten sich nicht nur Konservative, sondern auch liberale Publizisten wieetwa Marion Gräfin Dönhoff in der Zeit ein. Ferner wollte das Deutsche Büro für Friedensfragen, das eine neue deutsche Außenpolitik vorbereitete, seine Versuche nicht dadurch delegitimiert sehen, dass das alte Auswärtige Amt durch die Verurteilung eines so wichtigen Beamten wie Weizsäcker beschädigt würde.113 109 Vgl. Cornelißen, Ritter, S. 413. Nur ganz vereinzelt gab es Kritik an dieser Haltung, etwa von dem Politikwissenschaftler Ludwig Bergstraesser, der am 6.11.1948 den Kirchen angesichts des Protests zugunsten der Kriegsverbrecher ihr Schweigen im Nationalsozialismus vorwarf. Hingegen verfolgten prominente evangelische Bischöfe wie Theophil Wurm, Otto Dibelius oder Hanns Lilje eine unnachgiebige Haltung zur Freilassung zumal der verurteilten Wehrmachtsoffiziere. Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 138–159. 110 Vgl. ebd. 111 Vgl. ebd., S. 400 f. 112 Vgl. ebd., S. 20. 113 Vgl. ebd., 174–180, 215–217. Weizsäcker wurde 1949 zu sieben Jahren Haft verurteilt, kam aber nach Protesten bereits Mitte Oktober 1950 wieder frei. Siehe ebd., S. 200. In seinem Leitartikel »Und Landsberg« in der FAZ vom 16.8.1950 sagte Sethe sogar wörtlich, das deutsche Volk habe begriffen, dass durch die Verurteilung vieler Industrieller, Offiziere und hoher Beamter die führenden Schichten als Verbrecher gebrandmarkt seien

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Die Trennlinie war damit klar gezogen. Für die Verbrechen sollten nur die unmittelbaren Mörder Schuld tragen, die weitgehend den Unterschichten zu entstammen hatten. Bürgerliche Schreibtisch- und Gesinnungstäter waren wie die Soldaten davon ausgenommen.114 Es kann nicht überraschen, dass sich vor allem Ritter für diese Art von Vergangenheitspolitik engagierte, hatte er doch schon in seiner Schrift über den deutschen Professor im »Dritten Reich« eine solche Trennung zwischen un­ gebildeten Nazis auf der einen und anständigen Eliten in Wissenschaft und Verwaltung auf der anderen Seite suggeriert. Wie Aleida Assmann treffend erläutert hat, war diese Sichtweise Ausdruck einer Schamkultur, die nach dem Kriegsende weit verbreitet war. Als eigentlichen Skandal empfand man nicht die Verbrechen an sich (Schuldkultur), sondern dass diese Verbrechen an das Licht der Öffentlichkeit kamen und dadurch Ausländer Deutsche bezichtigen und ver­ urteilen konnten.115 Ritter entwickelte einen besonderen Eifer dem entgegen­ zuwirken. Durch das Deutsche Büro für Friedensfragen hatte er den Auftrag erhalten, eine Broschüre mit dem Titel Europa und die deutsche Frage zu verfassen, die er 1948 zu einem ganzen Buch ausbaute, um die »Verzerrungen« der deutschen Geschichte durch ausländische Autoren abzuwehren. »Hier ist jede Zeile mit einer ebenso fiebernden Erregung wie sorgsamen Überlegung geschrieben im Gefühl einer grossen Verantwortung.«116 Schon im Vorwort dieser Schrift hatte der Professor aus Freiburg dem Ausland die Schuld daran gegeben, dass der deutsche Lebens- und Arbeitswille gelähmt sei, da es Deutschland nur mit Misstrauen und Vorwürfen begegne. Dies wollte er durch seinen historischen Abriss richtigstellen.117 Ritter erkundigte sich unmittelbar am 11.  Juni 1948, ob seine Schrift denn auch den gewünschten politischen Absichten von Staats­ sekretär Fritz Eberhard, des Leiters des Büros für Friedensfragen, entspreche.118 Nach einiger Zeit war er jedoch tief enttäuscht, da sein Werk in der Presse kaum besprochen wurde und folglich keinen besonderen Absatz fand.119 Aller­ dings gelang es Ritter in den folgenden Jahren, immer wieder in den Massenmedien wesentliche Aussagen aus Europa und die deutsche Frage zu verbreiten. Und auch indirekt wurden seine Thesen durchaus aufgegriffen. Als FAZ-Heraus­geber Sethe etwa am 29.  Januar 1951 schrieb, es hätte zwar eine kleine Gruppe von Deutschen im Nationalsozialismus Verbrechen begangen, aber »tägliche Selbstanklagen und wilde Reuebekundungen« würden nicht weiterhelfen, da so kein Volk leben könne, schien er den bewunderten Freiburger und die Alliierten das Selbstgefühl der Deutschen verwunden wollten. Dies aber sei nicht hinnehmbar, wenn die Bundesrepublik einen Wehrbeitrag im westlichen Bündnis leisten solle. Vgl. hierzu Siering, S. 72. 114 Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 247. 115 Vgl. Assmann, Geschichtsvergessenheit, S. 86–92. 116 Brief Ritters an Meinecke, 8.6.1948, in: GPStA, VI. HA, Nl Meinecke 38. 117 Vgl. Ritter, Europa, S. 7. 118 Brief Ritters an das Deutsche Büro für Friedensfragen, 11.6.1948, in: BArch, Nl Ritter 361. 119 Brief Ritters an Benno Reifenberg, 22.2.1949, in: BArch, Nl Ritter 362.

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Historiker geradewegs zu zitieren.120 Allerdings wurden die Thesen aus Europa und die deutsche Frage, die eigentlich eine Rechtfertigung gegenüber dem Ausland darstellen sollten, nur von deutscher Seite positiv aufgegriffen und im Ausland kritisch bewertet.121 Eine von Ritter angestrebte Übersetzung ins Englische kam niemals zustande.122 Jedoch war nicht nur die westdeutsche Seite an einer juristischen Auf­ arbeitung der NS-Verbrechen kaum noch interessiert. Die junge Bundesrepublik sollte in der Strategie der westlichen Siegermächte im Kalten Krieg in erster Linie nicht ein besiegter Feindstaat, sondern ein neuer Verbündeter gegen den kommunistischen Osten sein. Als eine Art faktische Gegenleistung kamen so die meisten von den Alliierten als Kriegs- und NS-Verbrecher verurteilten Personen bis Mitte des Jahrzehnts wieder frei.123 Durch ihre Integration in das west­liche Staatensystem fiel auch der äußere Druck auf Westdeutschland, sich mit der belastenden Vergangenheit zu beschäftigen, immer mehr weg.124 Waren im Jahr 1950 noch immerhin 2500 Ermittlungsverfahren wegen Straftaten im »Dritten Reich« eröffnet worden, war diese Zahl bis 1954 auf nur noch 183 zusammen­ geschrumpft, während in derselben Zeit zehntausende Ver­fahren im Zusammenhang mit kommunistischer Betätigung eröffnet wurden, darunter wegen geringfügiger Vergehen wie der Organisation von Ferienreisen in die DDR.125 Ritters Forderung vom 6. Januar 1949, dass es kein Misstrauen innerhalb des westlichen Lagers mehr geben dürfe, zu dem er die westdeutschen Besatzungszonen schon selbstverständlich hinzuzählte, »im Angesicht des uns alle bedrohenden Kolosses im Osten«,126 brachte die veränderte Kräftelage auf den Punkt. Für einen endlich positiven Ansatz hielt er die neue Integrationspolitik im Kontext des Marshallplans. Von klugen Menschen in Deutschland, die »eine gesunde öffentliche Meinung steuern«, versprach er sich einen Rückgang »üble[r] Mißtöne«, wie dem verbreiteten Gefühl einer zu Unrecht geschmähten deutschen Vergangenheit und eines generellen Misstrauens gegen die Besatzungsmächte.127 Ritter hielt das Gefühl nationaler Kränkung durch Missachtung und alliierte Unterdrückung nach dem Ersten Weltkrieg für eine der Ursachen des Erfolgs des Nationalsozialismus.128 Auch deshalb reagierte er sensibel auf aus120 Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 218 f. 121 Vgl. Berg, Holocaust, S. 129 f. 122 Vgl. Cornelißen, Ritter, S. 491. Der britische Historiker Geoffrey Barraclough, ein scharfer Kritiker von Ritters Thesen, hatte die Publikation in Großbritannien verhindert. Siehe ebd. 123 Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 20–22. Die personelle Kontinuität im Justizwesen war über 1945 hinaus besonders hoch. Richter und Staatsanwälte hegten kein Interesse an einer Verfolgung von nationalsozialistischen Verbrechen und wurden durch die Amnestie­ politik von Bundesregierung und Alliierten darin bestärkt. Siehe ebd., S. 123 f. 124 Vgl. Assmann, Geschichtsvergessenheit, S. 45. 125 Vgl. Schildt, Modernisierung im Wiederaufbau, S. 18 f. 126 Ritter, Ist das deutsche Volk politisch »unreif«? 127 Ebd. 128 Vgl. Cornelißen, Ritter, S. 528 f.

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ländische Vorwürfe und Eingriffe, da er fürchtete, diese könnten den Staat wie die Weimarer Republik erneut destabilisieren. Um Misstrauen in der westdeutschen Bevölkerung entgegenzuwirken und ein antikommunistisches westliches Bündnis inklusive der Bundesrepublik zu unterstützen, wollte Ritter die Alliierten denn auch nicht zu polemisch kritisieren. So lehnte er Ende 1949 das Angebot der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung ab, darüber zu schreiben, welche alliierten Fehlentscheidungen während und nach dem Krieg mitgeholfen hätten, Renazifizierung und Renationalisierung voranzutreiben.129 In diesen Entscheidungen Ritters schien seine Ansicht durch, die öffentliche Meinung für einen gefährlichen irrationalen Faktor zu halten, der mit Geschick gelenkt werden müsse.130 Aubin hingegen plagten derartige Skrupel nicht. In der Welt legte er in einem Artikel über den Verkauf hessischer Soldaten während des Absolutismus zum Abschluss General Eisenhower nahe, Westdeutschland erst die Souveränität zu gewähren und als gleichberechtigten Partner zu behandeln, bevor die USA einen Beitritt zur NATO erwarten könnten.131 Grundsätzlich ging das neue westdeutsche »Selbstbewusstsein« in der Tat weiter, als es sich Ritter, der bei aller Ablehnung ausländischer Einmischungen eine ehrliche Überwindung des nationalsozialistischen Gedankenguts anstrebte, wünschen konnte. Es bestand das Problem, dass nach dem Abbruch der Entnazifizierung und der neuen Position Westdeutschlands als potentiellem Verbündeten der Westmächte wieder diejenigen offen in der Gesellschaft auftraten, die nicht nur früher Nationalsozialisten gewesen waren, sondern auch in der Gegenwart wieder den Nationalsozialismus rechtfertigten. Antisemitismus war nicht nur weithin verbreitet, sondern nahm 1948–1952 sogar noch zu. Nach der Gründung der Bundesrepublik erzielten rechtsextreme Parteien Erfolge bei Landtagswahlen.132 Laut Umfragen hielten 1952 32 Prozent der Westdeutschen Hitler für einen »vorzüglichen Staatsführer« beziehungsweise den »größten Staatsmann des 20.  Jahrhunderts«. Eine relative Mehrheit verneinte die Alleinschuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg.133 Der aus dem Exil zurückgekehrte Rothfels warnte sein Publikum daher davor, aufzurechnen und den Nationalsozialismus für abgegolten zu halten: Es wird zu leicht heute gerettet und zu vieles vergessen, was der Reinigung bedarf. Die Männer der deutschen Opposition würden vermutlich die ersten gewesen sein zu fordern, daß man sich die Buchführung nicht zu einfach mache mit Hinweis auf die Sünden der anderen.134 129 Brief der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung an Ritter, 21.9.1949, und Antwort Ritters vom 15.11.1949, in: BArch, Nl Ritter 362. 130 Vgl. Cornelißen, Ritter, S. 429. 131 Vgl. Aubin, Hessen. 132 Vgl. Bergmann, S. 300 f. 133 Vgl. Noelle, 1947/55, S. 136; dies., 1958–1964, S. 241. 134 Rothfels, Zum Gedächtnis der Opposition im Dritten Reich. Gesendet am 20.7.1951, in: Historisches Archiv des SWF Baden-Baden, Hörfunk-Manuskript-Sammlung.

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Es blieb jedoch nicht nur bei Stimmungen, sondern es kam auch zu skandalösen Handlungen. Als 1952 ein von den Alliierten verurteilter Kriegsverbrecher aus der Haft floh, verweigerte die westdeutsche Polizei die Amtshilfe bei dessen Auffindung. Ein Sozialdemokrat, der den Mörder von vier kanadischen Piloten den Behörden meldete, wurde von der eigenen Partei seiner Ämter enthoben und der entkommene Sträfling im Spiegel mit Sympathie porträtiert.135 Ritter wollte keine Annäherung an diese apologetische Stimmung und stellte dies auch gegenüber seinem Verlag dar, der ihn offenbar aus kommerziellen Gründen gebeten hatte, in der Neuauflage seiner Friedrich-Biographie auf nachträglich eingefügte kritische Anmerkungen zum Nationalsozialismus zu verzichten: Alles, was Sie schreiben, zeigt mir, daß Sie zwar nicht auf ein nationalsozialistisches Leserpublikum rechnen, aber auf jene Leute, die vom Ressentiment gegen die Besatzungsmächte, gegen die Juden usw. leben und darin einen neuen Nationalismus entwickeln. Ich möchte gar keinen Zweifel darüber lassen, daß ich mir diese Leute nicht als Leser wünsche, sondern nur solche, die bereit sind, aus der Geschichte auch etwas zu lernen, und die sich nicht von vornherein dagegen verstocken durch Hinweis auf ›die anderen‹.136

Bei allem Antikommunismus trat Ritter solchen Ansichten entgegen, die den nationalsozialistischen Krieg im Osten im Nachhinein als gerechtfertigt an­ sehen wollten: »Es war nicht ein Kampf zum Schutz Europas (der hätte Deutschland eine große Mission verschafft), sondern zur Beherrschung des ganzen Kontinents, zur Begründung einer Gewaltherrschaft der ›germanischen Rasse‹.«137 Ritter machte dezidiert klar, dass es sich um einen Vernichtungskrieg handelte, den Hitler schon von Anfang an beabsichtigt hatte. Um seine Leserschaft zu überzeugen, beließ Ritter es aber nicht bei dieser moralischen Kategorie. Den Überfall auf die Sowjetunion nannte er gerade deshalb ein Verbrechen, weil er den kommunistischen Staat dadurch erst herausgefordert und durch ein erzwungenes Bündnis mit den Westmächten gestärkt habe. Er hat den russischen Koloß, den der Ausgang des ersten Weltkrieges weit nach Osten vertrieben hatte, dessen wirtschaftliches und politisches Schwergewicht sich immer mehr nach Asien zu verlegen schien, durch blutige Stöße aus seiner Deckung herausgeholt und zum Gegenstoß gezwungen – so lange, bis die Pranken des größeren Bären ganz Südosteuropa und halb Deutschland umklammerten.138

135 Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 228 bzw. 284 f. Der Sozialdemokrat wurde dagegen im Spiegel am 8.10.1952 als »Verräter« gebrandmarkt. Vgl. hierzu Hachmeister, Nachrichtenmagazin, S. 117. 136 Brief Ritters an den Verlag Quelle und Mayer, 28.8.1953, in: Ritter, Ein politischer Historiker, S. 503. 137 Ders., Hitlers Ueberfall. 138 Ebd.

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Damit erschienen die Deutschen als eigentliches Opfer von Hitlers Krieg, da sie jetzt der sowjetischen Bedrohung und Herrschaft ausgeliefert worden ­waren.139 Diese Deutung teilten viele andere Historiker: Das eigentlich Schlimme waren nicht die Verbrechen der Nationalsozialisten, sondern ihre Niederlage von 1945 und die Konsequenzen für die deutsche Machtposition.140 Allerdings darf dieser Versuch einer normativen Abgrenzung nicht unterschätzt werden. Schließlich ist es nicht nur als Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern anzusehen, wenn Ritter den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg in erster Linie aufgrund der schädlichen Folgen für Deutschland verdammte, denn er musste ver­ suchen, das Publikum in einer öffentlichen Debatte zu erreichen, in der im Zuge von Antikommunismus und Koreakrieg eine kaum gehemmte Apologie vorherrschte. Auch in den Prestige-Medien, etwa der nationalkonservativen Christ und Welt, wurde Deutschland nämlich dafür gefeiert, dass es im Zweiten Weltkrieg Europa heroisch vor dem Kommunismus bewahrt habe.141 Selbst unter den Historikern war eine Abgrenzung gegen den Ostkrieg nicht selbstverständlich. Aubin ging etwa mit der wieder konstituierten Ostforschung weiter als vom Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen gewünscht, für die er als Präsident des Herder-Instituts maßgeblich an Publikationen beteiligt war, die Veränderungen in den ehemaligen Ostgebieten seit der Kriegsniederlage dokumentieren und in der Bevölkerung verbreiten sollten: Intern empfahl Aubin, nicht nur über die Gebiete innerhalb der Grenzen von 1937, sondern ebenso alle übrigen ehemals deutsch besiedelten Gebiete weiter zu arbeiten, um bei einer Änderung der politischen Lage für Gebietsansprüche gerüstet zu sein.142 Ein brennendes Thema, bei dem sich die Frage nach der gesellschaftlichen Abgrenzung zum Nationalsozialismus besonders stellte, war der Widerstand. Ritter fürchtete das Aufkommen einer neuen Dolchstoßlegende und wollte unter allen Umständen das Andenken der Widerstandskämpfer in der breiten Öffentlichkeit gegen den Vorwurf des Verrats verteidigen. Der Freiburger Historiker unterstrich, dass spätestens seit März 1944 jedem Stabsoffizier in der militärischen Führung klar gewesen sei, dass der Zweite Weltkrieg nicht mehr gewonnen werden konnte. Dabei war er bemüht, dem Gros der Militärs, die bis zum bitteren Ende weitergekämpft hatten, keine Vorwürfe zu machen: Viele hätten aus soldatischer Dienstpflicht keine Gegenwehr geleistet, andere aus 139 Vgl. ebd. Immer wieder traten Historiker der durch die Konfrontation des Kalten Krieges offenbar verbreiteten Ansicht entgegen, Hitler habe mit seinem Ostkrieg doch Recht gehabt. So betonte auch Conze in einer seiner ersten Auftritte als spezifischer Intellektueller, nämlich als Redner vor dem CDU-Bundesparteitag am 27.4.1956 in Stuttgart, Hitler habe sich durch den Überfall auf die UdSSR zum unfreiwilligen Helfer der sowjetischen Expansion gemacht. Siehe Conze, Grundlagen und Ziele der sowjetischen Politik, in: UA Heidelberg, Nl Conze, Rep. 101/93. 140 Vgl. Conrad, S. 83 f. 141 Vgl. Hurrelbrink, S. 79. 142 Vgl. Mühle, S. 423–426.

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Furcht vor einer neuen Dolchstoßlegende. Aber die Männer des 20.  Juli hätten diese Bedenken überwunden, denn sie hätten ihren Entschluss schon lange vor der Erkenntnis der deutschen Niederlage getroffen. Allan W. Dulles143 und Hans Rothfels hatten demnach in ihren Untersuchungen bewiesen, daß die Widerstandsbewegung des 20.  Juli nichts zu tun hatte mit irgendwelchem Opportunismus der Militaristen, der bürgerlich-adeligen Oberschichten oder mit persönlichem Geltungsdrang; daß sie in echten, sittlich-religiösen Überzeugungen wurzelte. Diese Männer wollten den Sturz Hitlers längst, ehe sein militärischer Niedergang offenkundig war. Sie bekämpften ihn schon auf dem Höhepunkt seines Aufstieges zur Macht.144

Um die skeptische Leserschaft zu überzeugen, betonte Ritter in einem Artikel zum fünften Jahrestag des gescheiterten Attentats nicht nur die moralischen Motive, sondern gleichfalls die politischen Chancen des Anschlags: Auch wenn der Krieg verloren gewesen sei, hätte man bei einer Kapitulation 1944 die deutschen Ostgebiete noch retten können, die Roosevelt schließlich erst auf der JaltaKonferenz im Februar 1945 der Sowjetunion und Polen zugesichert habe.145 Wie berechtigt Ritters Furcht vor einer Dolchstoßlegende war, zeigte sich daran, dass nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung den Widerstand negativ beurteilte, sondern auch in den Prestige-Medien die Attentäter des 20. Juli bisweilen als gefährliche Verräter gezeichnet wurden. So konnte etwa ein ehema­ liger SS-Offizier am 23. März 1950 im Spiegel Stauffenberg als einen politischen Wirrkopf bezeichnen, dessen Anschlag, wäre er erfolgreich gewesen, den sowjetischen Vormarsch nicht nur zur Elbe, sondern zum Rhein zur Folge gehabt hätte.146 Ritter ordnete in dieser Phase fast alles dem Bestreben unter, das Ansehen des Widerstandes zu heben. Mehrfach betonte er deshalb, dass es sich bei den Männern des 20. Juli nicht um eine kleine Offiziersclique gehandelt habe, wie die NS-Propaganda oder ausländische Vorurteile Glauben machen wollten, sondern um eine große Zahl führender Staatsmänner Deutschlands von Monarchisten bis zu Sozialdemokraten.147 Es war nicht nur ein Problem, dass der Widerstand nicht so umfassend und breit gewesen war, wie Ritter und besonders Rothfels ihn in Die deutsche ­Opposition gegen Hitler darstellten. Hinzu kam, dass die politischen Ziele der meisten Anhänger der bürgerlichen und militärischen Opposition nicht mit der parlamentarischen Demokratie vereinbar waren und daher sich als Wegbereiter und Kontinuitätslinie zur Bundesrepublik nur bedingt eigneten.148 So war es naheliegend, dass Ritter in den massenmedialen Darstellungen in erster 143 Dulles. 144 Ritter, Flüsterparole 145 Vgl. ders., Der Sinn des 20. Juli. 146 Vgl. Hachmeister, Nachrichtenmagazin, S. 108 f. 147 Vgl. Ritter, Sabotageakt. 148 Vgl. Kwiet, S. 188 f.

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­Linie die moralischen und nicht die politischen Motive der Widerstandskämpfer hervorhob und die Teilnahme von Demokraten wie SPD-Politikern und Gewerkschaftern herausstrich.149 Er ging publizistisch auch in die Offensive und machte dem Publikum im SWF 1950 Vorwürfe: »Kann man immer noch nicht begreifen, dass es einen wahren und echten Patriotismus ausserhalb der braunen Marschkolonnen gab – ja, dass die wahre Vaterlandsliebe gerade darin bestand, das Hitlertum mit allen seinen Kräften zu bekämpfen?« Nichts als ein Verbrechen am eigenen Volk sei es nämlich gewesen, den seit Stalingrad aussichtslosen Krieg trotz der besiegelten Niederlage weiterzuführen.150 Ritter versuchte, dem Kampf gegen das apologetische Schrifttum mehr Reichweite zu verleihen. Am 2. Oktober 1951 vermittelte er eine Bitte des Leiters des Instituts für politische Wissenschaft, Otto Heinrich von der Gablentz, an die Gegenwart weiter. Es ging um das Buch Massenmord im Weltgeschehen, das politisch gefährlich sei, da es die NS-Verbrechen relativiere, indem es sie in eine Reihe mit anderen historischern Massakern stelle und diese anderen dabei hervorhebe. Die Machart sei pseudowissenschaftlich. Von der Gablentz hatte den Historikerverband um eine wissenschaftliche Kritik hieran gebeten; Ritter hielt das aber nicht für öffentlichkeitswirksam genug. Uns scheint indessen, daß eine solche Kritik im Rahmen einer wissenschaftlichen Zeitschrift politisch völlig unwirksam wäre und daß eine viel gelesene Zeitschrift wie die Ihre viel besser berufen wäre, sich mit dem Buch kritisch zu beschäftigen. Ich erlaube mir daher, die Anregung des Herrn von der Gablentz an Sie weiterzugeben.151

Zumindest konnte Ritter darauf vertrauen, dass rechte Polemik in der Presse oft nicht gedruckt wurde. Am 11. Juli 1951 sandte ihm die Rhein-Neckar-Zeitung, die einen dpa-Beitrag Ritters übernommen hatte, den Leserbrief eines solchen Nazis mit dem Ratschlag, Ritter könne sich gegen Vorwürfe dieser Personen besser wappnen, wenn er diese genau kenne. Ritter sandte den Brief aber wieder zurück. Es sei sinnlos, mit Fanatikern zu diskutieren. »Man kann nicht mehr tun als demjenigen Teil der Deutschen, der bereit ist, auf sachliche Argumente zu hören, sachliche Einsichten zu vermitteln und zur Verfügung zu stel149 Der Widerstand wurde auch von anderen öffentlichen Akteuren in erster Linie nicht als demokratische Keimzelle, sondern als moralisches Fundament der Bundesrepublik dar­ gestellt. Vgl. Eckel, Rothfels, S. 295; Cornelißen, Ritter, S. 549. 150 Ritter, Deutscher Widerstand. Zum Gedächtnis des 20.  Juli 1944. Manuskript. Gesendet am 20.7.1950, in: Historisches Archiv des SWF Baden-Baden, Hörfunk-ManuskriptSammlung. Ritter sagte in diesem Vortrag ferner: »Ob dem Attentat, wenn es glückte, wirklich ein echter Bürgerkrieg gefolgt wäre, erscheint mir keineswegs so sicher, wie es gewöhnlich behauptet wird.« An solchen Formulierungen, die eigentlich seine Argumentation eines sinnvollen und erfolgversprechenden Widerstands unterstützen sollten, wird deutlich, dass Ritter sich klar war, wie groß die Zustimmung zum Regime auch noch in der aussichtslosen Lage 1944 gewesen war. Siehe ebd. 151 Brief Ritters an Die Gegenwart, 2.10.1951, in: BArch, Nl Ritter 365. Bei dem angezeigten Buch handelte es sich um Ludwig.

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len. Glücklicherweise scheint dies im ganzen doch die Mehrheit zu sein.«152 Ritter hatte dabei das Problem, dass ihm speziell von der katholischen Publizistik wegen seiner Verteidigung der preußischen Traditionen selbst immer wieder Nationalismus vorgeworfen wurde, etwa im Zusammenhang mit der in der Tat ungeschickten, da weitgehend kommentarlosen Veröffentlichung von Hitlers Tischgesprächen.153 Die Stimmungslage zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus war dabei keineswegs so positiv wie der Freiburger Historiker sie beschrieb. Vierzig Prozent der Westdeutschen bewerteten den 20. Juli 1944 Anfang der fünfziger Jahre als positiv, jedoch auch dreißig Prozent als negativ.154 Fast ein Viertel machte »Sabotage«, also den Widerstand, sogar als wesentlichen Grund für die Kriegsniederlage aus.155 Wie Fritz Klein in seinen Erinnerungen schrieb, wurde der Widerstand selbst bei Gedenkveranstaltungen für die Verschwörer des 20. Juli nicht gefeiert, sondern gegenüber einer feindseligen oder verlegenen Stimmung in der Öffentlichkeit gerechtfertigt.156 Zum lautstarken Fürsprecher dieser Apologeten machte sich die rechtsextreme SRP, die bei den niedersächsischen Landtagswahlen im Mai 1951 elf Prozent der Stimmen erhalten hatte. Die SRP, die sich in der Nachfolge der NSDAP sah, agitierte gegen die »Eidbrecher« des 20. Juli und warf ihnen Volksverrat vor. Ihr prominentester Vertreter, Generalmajor a.D. Otto Ernst Remer – am 20. Juli 1944 als Kommandant des Wachbataillons die entscheidende Figur bei der Niederschlagung des Putschversuchs in Berlin  – drohte den überlebenden Widerständlern sogar mit Konsequenzen, sollte seine Partei an die Macht kommen. Es waren diese Zustände, welche die Politik auf den Plan riefen und mit dafür sorgten, dass Historiker wie Ritter neben den Angehörigen der getöteten Widerstandskämpfer nicht mehr einsame Rufer blieben. Besonders Bundesinnenminister Robert Lehr (CDU) engagierte sich dafür, dass der Widerstand offiziell anerkannt wurde. Lehr, der selbst dem Widerstand angehört hatte, reichte Privatklage gegen Remer ein, und es folgte eine formelle Anklage durch den Braunschweiger Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Im nachfolgenden Prozess wurde Remer 1952 verurteilt, und die Widerständler des 20. Juli wurden durch das Landgericht Braunschweig juristisch rehabilitiert. Sie seien keine Vaterlandsverräter gewesen, urteilte das Gericht, sondern hätten aus selbstlosem Verantwortungsbewusstsein heraus gehandelt. Diese Ansicht widersprach zwar der Mehrheitsmeinung der Bevölkerung, zog aber etliche symbolische Anerkennungen des Widerstands von offi­ 152 Brief an die Rhein-Neckar-Zeitung, 19.7.1951, in: BArch, Nl Ritter 364. 153 Hannah Arendt warf Ritter und dem IfZ etwa im Monat eine Verherrlichung Hitlers vor. Vgl. Berg, Holocaust, S. 334. Die Lage war verschärft worden, weil der Verlag ohne Ritters Wissen Teile der Tischgespräche in der Illustrierten Quick publiziert hatte. Vgl. Schulze, Geschichtswissenschaft, S. 239–241. 154 Vgl. Schildt, Moderne Zeiten, S. 318. Je höher die Schulbildung, desto größer war allerdings die Zustimmung zu dem gescheiterten Attentat auf Hitler. Siehe ebd. 155 Vgl. Noelle, 1947/55, S. 137. 156 Vgl. Klein, S. 270 f.

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zieller Seite nach sich. Bundespräsident Heuss verteidigte in einem offenen Brief am 20. Juli 1952 den 1945 hingerichteten Sozialdemokraten Julius Leber gegen Anfeindungen von rechts, und erstmals wurde im Bendlerblock, dem Ort, an dem Stauffenberg mit drei weiteren Verschwörern erschossen worden war, eine Gedenkveranstaltung abgehalten. Außerdem brachte die Bundeszentrale für Heimat­dienst eine repräsentative Sonderausgabe ihrer Wochenzeitung Das Parlament mit dem Titel Die Wahrheit über den 20. Juli 1944 heraus.157 Dies bedeutete nicht das Ende der Apologie des Nationalsozialismus, aber eine Wende in der Entwicklung der öffentlichen Meinung. Ehemalige Nazis, gleich wie schwer ihre Verbrechen waren, konnten in die Gesellschaft unbehelligt zurückkehren, wenn sie deren Regeln akzeptierten. Die normative Abgrenzung galt allen jenen, die sich nicht von nationalsozialistischem Gedankengut lösen wollten wie Remer oder der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Hedler (Deutsche Partei).158 Diese Linie hatte das Landgericht Braunschweig vorgegeben, als es in seinem Urteil gegen Remer den Worten des Generalstaatsanwaltes Bauer folgte, es gehe nicht darum, diejenigen anzuklagen, die sich nicht dem Widerstand angeschlossen hätten, sondern diejenigen, die ihn im Nachhinein aus unbelehrbarem Trotz verleumdeten.159 Das war eine weitgehende normative Abgrenzung, da zu diesem Zeitpunkt nur 23 Prozent der Bundesbürger für ein SRP-Verbot waren, aber eine Mehrheit für ein Verbot der KPD.160 Noch drei Jahre später kam ein von Bundesinnenministerium und Kultusministerkonferenz in Auftrag gegebenes Gutachten zu dem Schluss, es fehle der Bevölkerung an geschichtlicher Orientierung. In der verbreiteten Meinung sei keine Übereinstimmung bei der Beurteilung von Nationalsozialismus und Widerstand erzielt worden. Viele Bürger hätten daher ein gebrochenes Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland.161 Etliche Historiker versuchten in dieser Phase, den Veröffentlichungen der Rechtsradikalen entgegenzuwirken, benutzten dabei jedoch vor allem die Fachorgane. Heimpel forderte am 9. Dezember 1952 Erdmann und Rothfels auf, in GWU und VfZ gegen die wiedererstandene nationalistische Literatur vorzugehen. Dies bildete selbst aber keinen Schwerpunkt von Heimpels eigener öffent­ licher Praxis. Er empfahl eine Rezension in den Fachorganen, da er vor allem um die Reputation der Geschichtswissenschaft besorgt war. »Wir sollten als 157 Vgl. Assmann, Geschichtsvergessenheit, S. 199 f. Die SRP wurde am 22.10.1952 durch das Bundesverfassungsgericht verboten. Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 359. 158 Vgl. ebd., S. 23 f. Hedler hatte in öffentlichen Reden und Interviews eine Rechtfertigung des Holocausts angedeutet und Widerstandskämpfer als Vaterlandsverräter bezeichnet. Er wurde 1951 in einem Berufungsverfahren zu einer Haftstrafe verurteilt und aufgrund des starken politischen Drucks auch von seiner eigenen Partei ausgeschlossen. Siehe ebd., S. 308–324. 159 Vgl. ebd., S. 349. 160 Vgl. Schildt, Moderne Zeiten, S. 318. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung veröffentlichte das Ergebnis zur SRP-Umfrage nicht. Siehe ebd. 161 Vgl. Fröhlich, S. 110.

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deutsche Historiker wegen des Auslandes, aber gewiß nicht nur deswegen, uns ganz klar von Dingen distanzieren, die zeigen, daß Verleger schon wieder auf Verbitterung und Unbelehrbarkeit weiter Käuferkreise rechnen dürfen.«162 Gerade Erdmann drängte er zum Handeln, weil zwei kürzlich erschienene nationalistische Machwerke zur deutschen Geschichte unter Pseudonym in einem wissenschaftlichen Verlag erschienen waren und daher »energisch abgestochen werden« sollten.163 Das IfZ diente ferner Rothfels, einer Apologie des Nationalsozialismus durch wissenschaftliche Aufklärung entgegenzuwirken. Am 9. Februar 1953 forderte er seinen Schweizer Kollegen Walther Hofer auf, gegen den nationalistischen Artikel des ehemaligen Presseattachés der deutschen Botschaft im Merkur »scharf ins Zeug« zu gehen. Solchen »schleichenden Formen der Legendenbildung« müsse sofort entgegengetreten werden.164 Diese Haltung, den Nationalsozialismus als Ideologie und seine unverbesserlichen Verfechter auszugrenzen, hingegen alle ehemaligen Nazis, die bereit waren, diese Ideologie aufzugeben, vorwurfslos zu integrieren, zeichnete sich ebenso in der Arbeitstätigkeit der Historiker ab. Karl Dietrich Erdmann entließ beispielsweise einen seiner Mitarbeiter, weil dieser trotz mehrfacher Belehrungen auch 1956 antisemitische Äußerungen nicht unterlassen wollte.165 Aubin bescheinigte hingegen seinem früheren Breslauer Kollegen Ernst Birke in einer Empfehlung für eine Stellenbesetzung am 11. April 1959, dieser sei im Nationalsozialismus »ohne menschlichen Makel« geblieben, obwohl es sich bei Birke um ein ehemaliges SS-Mitglied handelte.166 Birke aber betrieb keine nationalsozialistische Propaganda mehr. Angesichts des Kalten Krieges und der sich verfestigenden deutschen Spaltung entschieden sich die führenden Historiker der Bundesrepublik für die Westbindung und bekannten sich in der Öffentlichkeit zu einem strikten Antikommunismus. Während Meinecke mit der Forderung nach einer deutsch-französischen Freundschaft allerdings eher das Schwergewicht auf einen historischen Kurswechsel in der deutschen Außenpolitik legte, ging es Ritter und Aubin stärker um die Einforderung von Gegenleistungen durch die Alliierten, nämlich die Rückgabe der staatlichen Souveränität. Darunter verstand vor allem Ritter ein sofortiges Ende aller ausländischen Vorwürfe gegen Deutschland und konkret die Einstellung aller NS- und Kriegsverbrecherprozesse. Eine Aufarbeitung deutscher Schuld, gar im juristischen Sinne, brandmarkte er als nationale Demütigung, welche die Stabilität des westdeutschen Staates und seine Integration in das westliche Bündnis nur gefährden könne. Diese Ansicht war in 162 Brief Heimpels an Erdmann, 9.12.1952, in: BArch, Nl Erdmann 317. 163 Ebd. Siehe auch Brief Heimpels an Rothfels, 9.12.1952, in: BArch, Nl Rothfels 46. 164 Brief Rothfels’ an Walther Hofer, 9.2.1953, in: Ebd. Rothfels ließ in den VfZ in diesen Jahren immer wieder vor apologetischen Publikationen warnen. Vgl. Graml, S. 149. 165 Vgl. Schulze, Vorwort, S. 10. Siehe hierzu auch Aktennotiz Erdmanns vom 15.3.1956, in: BArch, Nl Erdmann 104. 166 Brief Aubins an Walther Hubatsch, 11.4.1959, in: BArch, Nl Aubin 3.

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der Öffentlichkeit der Bundesrepublik weitgehender Konsens. Wie die hier unternommene Rückbindung der öffentlichen Praxis von Historikern an die allgemeine Debatte zeigt, verfocht Ritter in ihr insgesamt sogar eine moderate, progressive Haltung. Er schwamm nicht auf einer Welle der Apologie mit, welche die Gesellschaft nach Ende der Entnazifizierung und der eingeschränkten Souveränität der neuen Bundesrepublik erfasste. Klar grenzte er sich gegen den Nationalsozialismus ab und wollte von der Apologie auch nicht kommerziell profitieren. Anders als Rothfels oder Heimpel, die eine Verherrlichung des »Dritten Reiches« nur in den Fachmedien bekämpften, versuchte Ritter, einer derartigen Apologie gezielt in den Massenmedien entgegenzutreten. Sogar auf einem Höhepunkt des Kalten Krieges wandte er sich gegen die populäre Sichtweise, den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion im Nachhinein als antikommunistische Tat zu rechtfertigen. Damit unterschied er sich von der Mehrheit anderer öffentlicher Akteure, auch anderer Historiker wie Aubin. Aubin unterließ indes in der Öffentlichkeit jegliche Thematisierung deutscher Verantwortung, verlangte vielmehr die Rückgabe der deutschen Ostgebiete. Der Hamburger Professor klagte die Westalliierten für ihr Bündnis mit der Sowjetunion während des Zweiten Weltkrieges sogar an, ohne zu erörtern, dass ein Verzicht auf dieses Bündnis womöglich Hitlers Erfolg ermöglicht hätte. Ritter und Rothfels hatten gegenüber einer öffentlichen Meinung, in der solche Ansichten weite Verbreitung fanden und ehemalige Nazis sich wieder vorbehaltlos äußerten, einen schweren Stand, als sie versuchten, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu rechtfertigen. Sie forderten die Anerkennung der Attentäter des 20. Juli als Patrioten und moralische Vorbilder für die westdeutsche Gesellschaft. Besonders die moralische Bedeutung der Widerständler kehrten sie hervor, einmal weil es galt, sie gegen Vorwürfe des Landesverrats zu schützen, aber ebenfalls, weil sie als politische Wegbereiter der Bundesrepublik mit ihren zumeist undemokratischen Plänen nicht taugten. Zumal Ritter und Rothfels waren Vorreiter der gesellschaftlichen Anerkennung dieses konservativen Widerstands, auch wenn sich die Durchsetzung eines positiven Widerstandsbildes letztlich mehr Politik und Justiz als ihrer öffentlichen Praxis in den Massenmedien verdankte. 1.3 Der Sinn der Nationalgeschichte nach der staatlichen Teilung Nach Gründung der Bundesrepublik kristallisierten sich die Integration in die westliche Staatengemeinschaft und eine Sicherung gegen den kommunistischen Ostblock als zentrale Themen westdeutscher Außenpolitik heraus. Beide Ziele waren unter den führenden Historikern unumstritten. Sie wollten zur historischen Legitimation des neuen westdeutschen Staates und damit seiner Stabi­ lisierung beitragen. Die Historiker hatten es dabei mit vielen anderen öffent­ lichen Akteuren zu tun, die sich der Erinnerungskultur widmeten, aber im Feld der Wissenschaften blieben sie zunächst die Einzigen, die sich tatsächlich mit 169 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

der Zäsur von 1945 auseinander setzten. Die Darstellungen der Soziologen gegenüber einer breiten Öffentlichkeit zielten in den fünfziger Jahren dagegen weitgehend auf das Grundsätzliche und Umfassende.167 Es ging ihnen darum, die moderne Gesellschaft zu erklären, eine wirkliche Auseinandersetzung mit Zäsur und Nationalsozialismus hingegen führten sie nicht. Allerdings hatten die Historiker unterschiedliche Konzepte, welche histo­ rische Sinnstiftung dem neuen Staat zugrunde gelegt werden sollte. Viele hielten wie Ritter eine Kontinuität der Nationalgeschichte für zwingend erforderlich. Diese Frage nach historischer Kontinuität stellte sich zu Beginn der fünfziger Jahre beispielsweise in der Debatte über den Aufbau der Bundeswehr, für den sich Ritter sowohl als spezifischer Intellektueller wie als Experte einsetzte. Schon früh war er von der Notwendigkeit einer westdeutschen Wiederbewaffnung überzeugt gewesen168 und hielt sie nicht nur als Schutz gegen den Ostblock für erforderlich, sondern, um auch innerhalb des Westens Einfluss auf poli­tische Entscheidungen gewinnen zu können. Zunächst plädierte er jedoch nur bei internen Gesprächen für neue Streitkräfte, so gegenüber Gustav Heinemann während einer Tagung der Evangelischen Akademie in Bad Boll.169 Der Freiburger Historiker war ein strikter Gegner von Heinemanns Neutra­ litätsplänen.170 Allerdings lehnte er am 21.  Februar 1952 eine Bitte des Tagesspiegel-Chefredakteurs Erik Reger ab, auch in der Öffentlichkeit für die Wiederaufrüstung einzutreten.171 Ebenso zog er einen Tag später einen Leserbrief an Christ und Welt zu diesem Thema wieder zurück,172 denn er fürchtete, seine Kritik könnte in der Öffentlichkeit als Parteinahme gegen die Wiedervereinigung verstanden werden. Zudem wollte er sich als Vorsitzender des Historikerverbandes nicht zu stark gegen die DDR exponieren, um westlichen Historikern den Zugang zu den ostdeutschen Archiven offen zu halten und eine Mitgliedschaft ostdeutscher Geschichtswissenschaftler im Verband nicht zu gefährden.173 Ritter trat des-

167 Vgl. Boll, S. 169–171. 168 Siehe Brief Ritters an seine Cousine, 22.12.1950, in: Ritter, Ein politischer Historiker, S. 471 f. 169 Brief Ritters an Erik Reger, 21.2.1952, in: BArch, Nl Ritter 365. Ritter warf Heinemann in einem persönlichen Brief vom 15.1.1952 vor, der Verzicht auf eine westliche Rüstung gegenüber der UdSSR sei wie die Apeasementpolitik gegenüber Hitler. Siehe Brief Ritters an Heinemann, 15.1.1952, in: Ritter: Ein politischer Historiker, S. 482. 170 Brief Ritters an Friedrich Delekat, 14.3.1952, in: Ebd., S. 488. Gerade die Ostvertriebenen, so Ritter, würden alles daran setzen, die Polen ihrerseits wieder aus Schlesien zu vertreiben. Siehe ebd. Als die für die Westbindung eintretende CDU/CSU bei den zweiten Bundestagswahlen am 6.9.1953 einen klaren Wahlsieg errang, schrieb Ritter begeistert an seinen Schüler Richard Nürnberger, dies sei der größte politische Fortschritt in Deutschland seit 1919. Siehe Brief Ritters an Nürnberger, 11.9.1953, in: Ebd., S. 504. 171 Brief Ritters an Erik Reger, 21.2.1952, in: BArch, Nl Ritter 365. 172 Brief Ritters an Christ und Welt, 22.2.1952, in: Ebd. 173 Ebd.

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halb zunächst nicht explizit in den Massenmedien für eine Wiederbewaffnung ein, sondern versuchte vielmehr, diese implizit zu fördern, indem er in etlichen Artikeln beharrlich dem Vorwurf eines gefährlichen deutschen Militarismus entgegentrat. Schon am 3.1.1950 legte er in einem Welt-Artikel dar, dass Militarismus nicht etwa mit soldatischer Gesinnung zu verwechseln sei. Wer von solcher Haltung verächtlich spricht, der verleugnet nicht nur eine der ältesten und schönsten Traditionen der Menschheitsgeschichte, sondern verkennt auch, daß ohne die Tugenden der Tapferkeit, der selbstlosen Dienstbereitschaft und des Ehrgefühls keine politische Gemeinschaft als sittliche Gemeinschaft, ja kein Staatswesen von Dauer errichtet werden kann.174

Militarismus hingegen sei es, wenn die Politik nur noch als Fortsetzung des Krieges empfunden werde, also eine Pervertierung des Soldatentums genauso wie der Nationalismus eine Pervertierung des Nationalgefühls sei.175 Die Welt am Sonntag hatte diesen Artikel zunächst nicht abdrucken wollen, wohl auch wegen der zu diesem Zeitpunkt ablehnenden öffentlichen Meinung zur Wiederbewaffnung. Die Publikation aber kam doch noch zustande, nachdem Ritter mehrfach interveniert und den Beitrag als eine Maßnahme gegen die Aktivitäten der rechtsextremen SRP bezeichnet hatte.176 In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre trat indes ein Wandel im öffentlichen Umgang mit der militärischen Vergangenheit ein. Seit 1952 konnten Kriegserinnerungen in ästhetisierter Form in der Öffentlichkeit dargestellt werden, etwa durch den Volkstrauertag, aber auch in Filmen und Büchern. Eine besondere Beliebtheit entwickelten Illustriertenromane. In ihnen wurde immer wieder das Bild des »unpolitischen« einfachen Soldaten reproduziert, der die Nazis ablehnt und in einem erzwungenen Kampf gegen unzivilisierte Feinde im Osten vermeintlich unvergängliche Werte wie Treue, Ehre, Pflichtgefühl, Opferbereitschaft und Kameradschaft pflegt. Laut Habbo Knoch waren diese Romane erfolgreich, weil sie Kriegserlebnisse durch ihre Entwirklichung sagbar machten. Viele ehemalige Wehrmachtssoldaten lasen diese Fortsetzungsgeschichten und fühlten sich durch sie rehabilitiert und als Opfer anerkannt. Allerdings wurden auf diese Weise auch soldatische Überlieferungen in der gesellschaftlichen ­Debatte reetabliert.177 174 Ritter, Was ist Militarismus? 175 Vgl. ebd. 176 Ritter an die Welt am Sonntag, 26.8.1950, in: BArch, Nl Ritter 362. Anfang der fünfziger Jahre begrüßte nur eine kleine Minderheit die Wiederbewaffnung. Vgl. Schildt, Moderne Zeiten, S. 322. 177 Vgl. Knoch, S. 207–221; von Wrochem, S. 117 f. An der Produktion dieses Bildes vom un­ politischen, ehrbaren Soldaten beteiligte sich auch Conze. 1953 verfasste er eine Geschichte der Infanteriedivision, der er selbst im Zweiten Weltkrieg als Offizier angehört hatte. Dort rechtfertigte er seine Kameraden damit, sie seien von Hitler missbraucht worden, hätten aber gleichzeitig gegen einen Feind gekämpft, der heute wie damals eine Bedrohung für die Freiheit sei. Vgl. hierzu Dunkhase, S. 188.

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Das verschaffte überdies der Wiederbewaffnung mehr Zustimmung.178 Nach diesem Stimmungswechsel trat Ritter in der FAZ deutlicher für den Aufbau der Bundeswehr ein: Deutschland habe in zwei Weltkriegen den Militarismus gründlich verlernt; für Machtpolitik wolle niemand mehr sein Blut vergießen, aber für die Freiheit gegen eine erneute totalitäre Zwangsherrschaft. Diese These nutzte Ritter außerdem, um neben der Wiederbewaffnung ebenso implizit für die Souveränität der Bundesrepublik zu plädieren. International setzte sich laut Ritter langsam die Erkenntnis durch, dass nur solche Autoritäten gegen Nationalismus und Militarismus erfolgreich wirken könnten, denen man auch reale Erfolge gönne.179 In dieser Ansicht fühlte er sich zumal durch den Sieg von Adenauers Regierungskoalition bei den Bundestagswahlen 1953 bestätigt.180 In einem Gutachten für die Dienststelle Blank, den Vorläufer des Bundesverteidigungsministeriums, schrieb er 1954, eine unpolitische Armee sei keine Gefahr, sondern gerade eine Notwendigkeit. In der Weimarer Republik sei die Armee dagegen nicht unpolitisch gewesen, sondern sehr wohl politisch in einem antidemokratischen Sinne. Allerdings war es laut Ritter letztlich nicht die Armee, die die Republik habe scheitern lassen, sondern ein politisch unfähiger Soldat, den das Volk zum Präsidenten gewählt habe.181 Diese Haltung wiederholte er auch öffentlich in einem Rundfunkvortrag ein Jahr später.182 Beispielhaft dafür, wie der Freiburger Historiker der Wiederbewaffnung historischen Sinn zu geben versuchte, waren zwei Rezensionen ausländischer Bücher zur deutschen Militärgeschichte, die Ritter 1955 besprach: Nemesis der Macht des englischen Historikers John Wheeler-Bennett und The politics of the 178 Im August 1953 sprachen sich 39 % der repräsentativ Befragten für die Wiederaufrüstung und 32 % dagegen aus. Vgl. Noelle, 1947/55, S. 175. Heinemanns Gesamtdeutsche Volkspartei war bei den Bundestagswahlen 1953 mit nur 1,2 % bedeutungslos geblieben. Vgl. Schildt, Modernisierung im Wiederaufbau, S. 18. 179 Vgl. Ritter, Der deutsche Militarismus. Der Artikel beruhte auf Ritters Vortrag vor dem Bremer Historikertag 1953 und wurde in der HZ 177 (1954) veröffentlicht. Einige Monate später kritisierte Ritter noch deutlicher, dass die Umerziehungspolitik der USA in Deutschland nur schädlich gewesen sei, denn die deutsche Erneuerung hätte nur durch einen selbstgefassten deutschen Entschluss erfolgreich sein können. Vgl. ders., Goerdelers Außenpolitik. 180 Vgl. Cornelißen, Ritter, S. 423 f. 181 Brief Ritters an Ministerialdirigent Eberhard Barth, Bundeskanzleramt, 18.1.1954, in: BArch, Nl Ritter 344. Vgl. zu dem Gutachten auch Cornelißen, Ritter, S. 430 f. Zum Thema Wiederbewaffnung und Ostpolitik im Allgemeinen stand Ritter auch in Kontakt mit verschiedenen Regierungspolitikern. Unter anderem wurde er von dem stellvertretenden Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Eugen Gerstenmaier (CDU), um eine Empfehlung zur Frage der Oder-Neiße-Linie gebeten. Ritter schrieb Gerstenmaier am 19.4.1952, man könne die Grenze nicht anerkennen, denn das würde zu große Probleme bei den Vertriebenen hervorrufen. Man könnte sich aber aufrichtig verpflichten, auf jede Gewalt zu verzichten, denn niemand könne einen weiteren Eroberungskrieg gegen Russland wollen. Brief Ritters an Eugen Gerstenmaier, 19.4.1952, in: BArch, Nl Ritter 339. 182 Vgl. Ritter, Die Problematik des Militarismus, 9.1.1955, in: Schallarchiv des SDR, KW 7669/I–III.

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prussian army 1640–1945 seines US-amerikanischen Kollegen Gordon A. Craig. Indes wählte Ritter für die Rezension nicht etwa die HZ oder ein anderes Fachorgan, sondern die FAZ und die Zeit, denn »[…] was hier interessiert, ist weniger die fachliche Leistung als die politische Grundhaltung des Buches.«183 Und genau darum ging es Ritter vor allem, nämlich die politische Wirkung dieser Werke. Daher lobte er Craigs Buch, das einen verhängnisvollen Weg des preußischen Militärstaates zum Nationalsozialismus gerade nicht in den Mittelpunkt rückte, ebenso wie er Wheeler-Bennetts Buch verriss, weil es genau diesen Vorwurf eines spezifisch deutschen Militarismus erhob. Ritter hielt das Buch des englischen Geschichtswissenschaftlers sogar für ein »politisches Unglück«184, weil es brillant geschrieben sei und somit gute Chancen auf Erfolg und eine mehr als kurzfristige Wirkung habe. In geradezu grotesker Konsequenz ließ Ritter im Verlaufe seines Artikels die Frage der geschichtswissenschaftlichen Ansichten Wheeler-Bennetts immer stärker außer Acht und identifizierte dessen Werk über das deutsche Militär zwischen 1918–1945 mit den Handlungen und Interessen der britischen Regierung: Aber kein Engländer soll uns heute einreden, wir hätten nach 1918 besser getan, im Gefühl einer wohlverdienten Niederlage politisch einfach zu resignieren – und damit jene Politik einer Eindämmung der französischen Hegemonie zu sabotieren, an der die Briten damals selbst so stark interessiert waren […]. Die Frage bleibt: welche politische Wirkung sich der Autor von diesem Buch verspricht? Will er seine Landsleute, und vielleicht auch die Franzosen, erneut vor dem deutschen ›Militarismus‹ warnen […]? […] Und was erwartet er (und sein deutscher Verleger) von der Uebersetzung ins Deutsche? […] Auch Herrn Wheeler-Bennett kann es nicht verborgen geblieben sein, welche gewaltigen, vorläufig gar nicht abzuschätzenden Schwierigkeiten die deutsche Bundesregierung damit hat und haben wird, den gewaltsam unterdrückten Wehrwillen der Deutschen wieder zu erwecken. Liegt es etwa im Interesse Englands, den Widerwillen der jungen Deutschen gegen alles Militärische dadurch zu verstärken, daß man dem Offizierskorps der Hitlerzeit schlechthin – wie es in diesem Buch mehrfach geschieht – die Ehre abspricht und obendrein diesen Ehrverlust als verdiente Strafe ›ehrgeizigen Strebens‹ hinstellt?185

Es war das Paradigma der Schamkultur, welches sich in Ritters Worten abzeichnete, das er aber auch selbst befürchtete: Ausländer sollten nicht über Deutsche urteilen. Wenn sie dies indessen taten, drohte die nationalistische Reaktion eines Volkes, das sich in seiner Ehre gekränkt sah. Ebenso wie Ritter ging es auch Rothfels um eine Einbindung der Bundesrepublik in das westliche System, als er sich nach seiner Rückkehr aus der Emigration in die öffentliche Debatte einmischte. Rothfels hatte erkannt, dass deutsche Machtpolitik überholt und eine Anlehnung der Bundesrepublik an den Westen unumgänglich war. Durch eine kohärente Vorgeschichte wollte er diese 183 Ders., Amerika und Preußen. 184 Ders., Nemesis der Macht? 185 Ebd.

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Entwicklung unterstützen.186 Anders als Ritter trat Rothfels aber seltener als spezifischer Intellektueller in Erscheinung, sondern vielmehr als öffentlicher Experte, denn er verzichtete meistens darauf, seine historischen Analysen in der Öffentlichkeit direkt mit politischen Forderungen und Wertungen zu verbinden. Als Remigrant brachte er keine neuen Perspektiven in die Debatte ein, sondern bestätigte genau diejenigen Traditionen, die viele seiner in Deutschland gebliebenen Kollegen erhalten wollten. Deutschtum und Nationalsozialismus waren für ihn Gegensätze und der Widerstand eine breite Bewegung, die alle Klassen umfasst habe. Wie Ritter identifizierte er also die Nation mit dem Widerstand und versuchte dadurch eine Brücke über die Zeit von 1933–1945 zum kleindeutschen Nationalstaat und den deutschen Traditionen zu schlagen. Sein Buch über den deutschen Widerstand, zuerst auf Englisch in den Vereinigten Staaten verfasst, sollte Deutschland in der US-amerikanischen Öffentlichkeit rechtfertigen, hatte aber eigentlich nur in der Bundesrepublik Erfolg.187 Rothfels und Ritter setzten den Schwerpunkt ihrer massenmedialen Praxis auf die Opposition im »Dritten Reich«, denn obwohl in der öffentlichen Meinung nazistische Positionen immer mehr verdrängt wurden, hatte sich eine positive Bewertung des Widerstands keineswegs durchgesetzt. Ehemalige hohe Wehrmachtskommandeure wie der 1953 aus der Haft entlassene Generalfeldmarschall Erich von Manstein veröffentlichten in diesen Jahren ihre Memoiren, in denen sie das soldatische Sterben und den unbedingten Gehorsam unabhängig von den politischen Bedingungen glorifizierten. Der Widerstand wurde verdammt. Bisweilen waren diese Bücher sehr erfolgreich, die Erinnerungen des Jagdfliegers Adolf Galland verkauften sich etwa zwei Millionen Mal.188 Um die positive Propagierung des 20. Juli in der Öffentlichkeit zu fördern, überwand Ritter sogar seine Abneigung gegen das Kino. Am 26. Januar 1955 hatte er eine Bitte der Rheinischen Post, sich zu dem Film Canaris zu äußern, noch mit der lapidaren Begründung abgelehnt, er könne das nicht beurteilen und gehe ohnehin nur sehr selten ins Kino.189 Gegenüber seinem Verlag meinte er ferner, er sei grundsätzlich gegen eine Verfilmung, da es ein so heikles Themas vergröbere und entstelle.190 Als aber die Witwe von Generaloberst Friedrich Fromm versuchte, per einstweiliger Verfügung die Darstellung ihres Mannes in dem Film Der 20. Juli zu verhindern, verfasste Ritter auf Bitten des Herzog Filmverleih ein wissenschaftliches Gutachten. Darin bestätigte er, dass die filmische Interpretation Fromms historisch korrekt gewesen sei. Der Antrag auf einstweilige Verfügung wurde daraufhin abgewiesen und der Film konnte wie vorgesehen gezeigt 186 Vgl. Eckel, Rothfels, S. 306 f.; Ders., Geschichte, S. 37. 187 Vgl. Berg, Holocaust, S. 146–162. Sogar das Auswärtige Amt lobte 1951, dass Rothfels Aufgaben deutscher Politik mit seiner Publikation wahrgenommen habe. Siehe ebd., S. 171 f. Das Buch verkaufte sich in der Bundesrepublik 200.000 Mal. Vgl. hierzu Cornelißen, Hans Rothfels, S. 108. 188 Vgl. von Wrochem, S. 122 f. 189 Brief Ritters an die Rheinische Post, 26.1.1955, in: BArch, Nl Ritter 367. 190 Brief Ritters an die Deutsche Verlags-Anstalt, 22.4.1955, in: Ebd.

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werden.191 Obwohl Ritter nicht wollte, dass seine Gutachtertätigkeit in der Öffentlichkeit breitgetreten würde und er auch Verständnis für die Vorbehalte bei den Angehörigen der Opfer des 20. Juli hatte, stellte er fest, dass »sich meine Befürchtungen gegenüber der Verfilmung solcher Dinge nicht bestätigt« haben.192 Es war wohl kein Zufall, dass Rothfels und Ritter aufrgund der zunehmenden Bedeutung Westdeutschlands im Zuge des Kalten Krieges den Widerstand sogar so überhöhten, dass sie ihm eine klügere Politik und größere historische Weitsicht bescheinigten als den alliierten Siegermächten selbst. So lag für Rothfels die wichtigste Bedeutung der deutschen Opposition nicht in ihrem Versuch, Deutschland zu retten, sondern mit ihrer Tat alle Völker vom Totalitarismus zu befreien: Das Prinzip des Nationalstaats, dessen »grauenhafte[…] Übersteigerung und dämonische[…] Zuspitzung«193 das »Dritte Reich« gewesen sei, habe sich bereits vor 1933 überlebt gehabt. Überstaatliche Gewissensfragen wie Freiheit oder Kommunismus hätten bereits angefangen sich Bahn zu brechen. Den deutschen Widerstand ordnete Rothfels nicht nur in diese Entwicklung ein, sondern bescheinigte ihm eine Art Pionierfunktion:194 Es war ihr [der deutschen Opposition – d. Vf.] Besonderes, dass sie sich nicht gegen fremde Bedrückung von aussen, sondern gegen eigene von innen zu erheben hatte. So mussten sich Kreise von typischer staatlicher Loyalität von allem absagen, was konventioneller Weise nationale Disziplin genannt zu werden pflegt – bis zum bittersten Dilemma im Kriege hin. Die Menschen, die diese Konsequenz zogen, taten das nicht unter dem Zwang einer von Menschen gemachten Ideologie oder eines sozialrevolutionären Ziels, sondern aus Gewissensnot und in einem Gefühl europäischer Verantwortung. […] So wurde diese Bewegung zur Vorhut in einer Front gegen dämonische Anmassung und das Totalitäre aller Formen und Farben – einer Front des Menschlichen gegen das Unmenschliche, die eine sehr aktuelle Front unserer Tage ist.195 191 Brief Ritters an den Herzog Filmverleih, 20.6.1955, und dessen Antwort vom 23.6.1955, in: Ebd. 192 Brief Ritters an die Deutsche Verlags-Anstalt, 20.6.1955, in: Ebd. Der Film wurde 1956 mit dem deutschen Filmpreis ausgezeichnet, da er zur Förderung der Demokratie beitrage. Auch die Kritiken waren mehrheitlich positiv. Allerdings war die Reaktion des Publikum deutlich negativer. Jugendliche verstanden die Zusammenhänge oftmals nicht, da in den Schulen das Thema Widerstand nicht behandelt wurde. Vgl. hierzu Assmann, Geschichtsvergessenheit, S. 201. 193 Rothfels, Zur Krise des Nationalstaates. Manuskript. Gesendet am 11.5.1952, in: Historisches Archiv des SDR Stuttgart. 194 Vgl. Eckel, Rothfels, S. 294. Diese Vorreiterfunktion des Widerstands hatte Rothfels in seinem Widerstandsbuch 1948 allenfalls angedeutet. Vgl. Rothfels, Die deutsche Opposition, S. 187. 195 Ebd. Für Rothfels war 1848–1917 eine spezifische Epoche der nationalen Idee, die mit der Oktoberrevolution in Russland und dem Eingreifen der USA im Ersten Weltkrieg geendet habe. Der Nationalsozialismus war demnach nur eine nationalistische Verspätung innerhalb des übernationalen Kalten Krieges zwischen Ost und West, den der Widerstand schon erkannt gehabt habe. Vgl. Eckel, Rothfels, S. 304 f. Allerdings war es widersprüchlich, dass der Nationalsozialismus einerseits eine Verspätung aus der nationalen Epoche 1848–1917 war, zu der auch Bismarck gehörte, andererseits aber laut Rothfels der Nationalsozialismus gerade durch eine Epoche von Bismarck getrennt sein sollte.

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Auch Ritter gab in seiner Biographie Goerdelers der Versuchung nach, den Kalten Krieg in die Zeit vor 1945 zurückzuprojizieren. Hatte er einige Jahre zuvor noch Verständnis dafür geäußert, dass die Alliierten mit dem nationalsozialistischen Regime keine Verhandlungen führen wollten und seit Beginn 1943 die bedingungslose Kapitulation verlangten, warf er ihnen gerade dies in einem in der FAZ veröffentlichten Auszug des Goerdeler am 24. Juli 1954 vor. Anstatt konkrete Verhandlungszusagen an den Widerstand zu machen, hätten Washington und London den Widerstand mit der Forderung nach der bedingungslosen Kapitulation nur geschwächt, da die NS-Gegner schließlich Deutschland nicht den Siegern hätten ausliefern können. Sollte er [der Widerstand – d. Vf.] sich etwa blindlings, auf Gnade und Ungnade, den Alliierten in die Arme werfen, auf jede Gefahr hin, auch auf die eines inneren Chaos, das ihnen den Sieg erleichterte? Er hätte gewissermaßen den Portier gespielt, der den Kriegsgegnern Deutschlands die Türen aufriß mit der Aufforderung sich nach Belieben zu bedienen.196

Schon während des Zweiten Weltkrieges, so Ritter weiter, hätten sich die USA und Großbritannien mit einem von Goerdeler geführten Deutschland gegen die Sowjetunion als eigentlichen Feind verbünden sollen. »Goerdeler konnte nicht ahnen, wie völlig man damals in Washington das Wesen bolschewistischer Machtpolitik verkannte und wie eng, wie gefährlich eng die angelsächsische Politik sich bereits an ihren russischen Alliierten gebunden hatte.«197 Ritter widersprach damit seiner eigenen These, die Männer des 20. Juli hätten allein aus Gewissensgründen Hitlers Regime abgelehnt und nicht versucht, nur angesichts der Niederlage zu putschen. Es war eigenartig, wie unvermindert deutsche Historiker trotz ihres Eintretens gegen NS-Apologie an ihrem kulturellen Über­legenheitsgefühl festhielten,198 ohne zu reflektieren, dass ausgerechnet Deutschland im Nationalsozialismus den schärfsten Bruch mit Kultur und Zivilisation zu verantworten hatte. Ritter bekräftigte zwar, dass der Nationalsozialismus den sowjetischen Vormarsch erst herbeigeführt hatte, sah darin aber zumal einen »Rückschlag des Slawentums«199 gegen all die Kulturarbeit, die Deutsche in Jahrhunderten im Osten geleistet hätten. Diese »Kulturarbeit« sei Deutschlands europäische Mission gewesen und endgültig gescheitert, wenn man sich nun mit den Gegebenheiten abfinde.200

196 Ritter, Goerdelers Außenpolitik. 197 Ebd. Rothfels hatte schon in seinem Widerstandsbuch den Alliierten vorgeworfen, sie hätten durch Forderung nach bedingungsloser Kapitulation und die verweigerte Unterstützung des deutschen Widerstands der NS-Propaganda zugearbeitet. Vgl. Cornelißen, Ritter, S. 559 f.; Eckel, Rothfels, S. 248. 198 Vgl. Conrad, S. 82–84. 199 Ritter, Rede zur Tagung des Kuratoriums Unteilbares Deutschland im RIAS, 22.11.1956, in: Deutschlandradio Kultur, Archiv des RIAS Berlin, Archivnummer Z097447. 200 Vgl. ebd.

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Den westdeutschen Staat hielt Ritter mittlerweile für gefeiter gegen einen totalitären Umsturz als die politischen Vorbilder USA und Großbritannien, eben weil man sich bei seiner Konstituierung an den Ideen des Widerstandes orientiert habe. An eine »Weisheit des Volkes«201 zu glauben erklärte er nun auch öffentlich zu einem angelsächsischen Aberglauben, welcher der sicheren geographischen Lage und damit undramatischen Geschichte der USA und Großbritanniens entsprungen sei. Der Nationalsozialismus habe sich schließlich aus der egalitären Demokratie heraus entwickelt. »Keine der großen Parteien der Weimarer Republik war imstande gewesen, diese Katastrophe zu verhindern […].«202 Etliche Schutzmaßnahmen, die der Parlamentarische Rat als Lehre aus der Schwäche der ersten Republik in das Grundgesetz eingebaut hatte, sah Ritter schon bei Goerdelers Plänen für ein Deutschland nach einem erfolgreichen Umsturz angelegt.203 Während Ritter in seiner Biographie auch Kritik an Goerdeler geübt hatte, verzichtete er in seinen massenmedialen Beiträgen fast völlig darauf.204 Im Unterschied zu Rothfels verstand Ritter unter dem deutschen Widerstand ausschließlich den 20. Juli 1944, keinesfalls aber kommunistische Gruppen. Am 13. Oktober 1953 warnte er die Bundeszentrale für Heimatdienst, das Buch Der lautlose Aufstand von Günther Weisenborn zu unterstützen. Weisenborn sei Mitglied der Roten Kapelle, einer »üblen kommunistischen SabotageOrganisation« gewesen. Leider seien Rudolf Pechel und Ricarda Huch bereits auf Weisenborn »hereingefallen« und hätten sein Buch positiv rezensiert.205 Wer Nachrichten an den Feind übermittelt oder zum Überlaufen aufgefordert hatte, war für Ritter kein lobenswerter Widerstandskämpfer, sondern ein Vaterlandsverräter.206 Für einen »politischen Unglücksfall« hatte er daher 1949 schon Carl Zuckmayers erfolgreiches Theaterstück Des Teufels General gehalten.207 201 Ritter, Goerdelers Pläne für Deutschland. 202 Ebd. 203 Vgl. ebd. Vgl. auch Cornelißen, Ritter, S. 550. 204 Vgl. Cornelißen, Hans Rothfels, S. 118. Ritter kritisierte in der Biographie etwa, Goerdeler habe wie die meisten Deutschen 1933 die Dämonie des Nationalsozialismus nicht erfasst und teilweise mit ihm übereingestimmt. Ferner habe Goerdelers Ablehnung eines Attentats auf Hitler die Begrenztheit seines politischen Denkens aufgezeigt. Siehe hierzu Ritter, Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, S. 61 bzw. 409. 205 Brief Ritters an Carl Christoph Schweitzer, Bundeszentrale für Heimatdienst, 13.10.1953, in: BArch, Nl Ritter 366. Diese Anzeige entbehrte nicht einer gewissen Ironie, denn Weisenborn war gleichzeitig auch Drehbuchautor des Films Der 20. Juli, dessen Vorführung Ritter mit seinem Gutachten unterstützte. 206 Vgl. Conrad, S. 184. In seiner Goerdeler-Biographie erklärte er sogar die Verurteilung und Hinrichtung der Mitglieder der Roten Kapelle im Nationalsozialismus wegen Landesverrats für gerechtfertigt. Vgl. Ritter, Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, S. 103 f. 207 Carl Zuckmayers Drama wurde im Theater der frühen Nachkriegszeit sehr häufig gespielt und 1955 von dem Regisseur Helmut Käutner mit Curd Jürgens in der Hauptrolle auch verfilmt. Vgl. hierzu Hoffmann, S. 151.

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In Zuckmayers Drama manipulierte ein Widerstandskämpfer deutsche Kampfflugzeuge, so dass sie im Einsatz mit ihren Piloten abstürzten. Ritter fürchtete, diese Darstellung sei Wasser auf die Mühlen all derer, die in den Angehörigen des Widerstands Saboteure witterten, welche Hitlers »Endsieg« vereitelt hätten. Lobenswert erschien Ritter deshalb nur der unmittelbare Versuch, das nationalsozialistische Regime zu stürzen, er unterschied also dezidiert zwischen Hoch- und Landesverrat. Diese Haltung hatte schon das Urteil im Remer-Prozess angedeutet, und sie wurde gleichfalls vom Bundesgerichtshof gepflegt. Allerdings war diese Unterscheidung höchst problematisch, denn sie erklärte faktisch nur den Widerstand von Eliten für legitim, die über die Möglichkeiten zu einem Staatsstreich verfügten, kriminalisierte aber all diejenigen, die sich als Einzelne dem System widersetzten, ohne Aussicht auf dessen Beseitigung zu haben.208 Dass etwa der Schriftsteller Alfred Andersch in seiner autobiographischen Erzählung Kirschen der Freiheit (1952) seine Desertion mit dem 20. Juli verglich, wurde vielfach als Anmaßung und illegitimer Verrat empfunden.209 Dieser Stimmung zollte auch Rothels Rechnung, indem er anders als in seinem Buch über den Widerstand in seinen massenmedialen Beiträgen beispielsweise nicht die Widerstandsgruppe um Hans Oster würdigte, die versucht hatte, durch die Weitergabe von Informationen an die Alliierten das Kriegsende zu beschleunigen.210 Der HZ-Herausgeber Dehio unterschied sich in seiner Interpretation der Zäsur grundlegend von den anderen führenden Historikern. Weder wollte er preußische Traditionen retten noch setzte er sich intensiv mit der Frage des Widerstands auseinander, denn es ging ihm gerade nicht darum, die historische Kontinuität zu erhalten, sondern mit ihr zu brechen. Bereits in der HZ hatte er eine entsprechend kritischere Linie umsetzen wollen, sich damit aber gegen den Drang zur »Normalität«, nicht zuletzt des Verlages, nicht durchsetzen können.211 Der Gegensatz der Geschichtsinterpretationen Dehios und vor allem Ritters hatte sich zuerst innerhalb der »Zunft« gezeigt und drang im Laufe des Jahres 1952 auch in die breite Öffentlichkeit. Um das Konzept hinter Dehios Interpretation zu begreifen, muss etwas weiter ausgeholt werden. Vor dem Marburger Historikertag 1951 hatte er eine Rede über Deutschland in der Zeit der Weltkriege gehalten, die auf seinem Werk Gleichgewicht oder Hegemonie basierte. Nach Dehios Deutung der neuzeitlichen Geschichte kam es in unregelmäßigen Abständen zu einem Versuch der stärks208 Noch 1961 lehnte der Bundesgerichtshof den Entschädigungsantrag eines Mannes, der im Zweiten Weltkrieg den Kriegsdienst verweigert hatte und dafür ins Gefängnis gekommen war, mit der Begründung ab, dies sei kein Akt gewesen, die NS-Herrschaft zu beenden. Vgl. Fröhlich, S. 112–114. 209 Vgl. Boll, S. 101 f. 210 Vgl. Rothfels, Die deutsche Opposition, S. 100 f. 211 Vgl. Schulze, Geschichtswissenschaft, S. 92–104. Dehio hatte in dem nicht gedruckten Vorwort davon gesprochen, Deutschland sei von außen befreit worden und auch die HZ habe unverkennbar Spuren des Nationalsozialismus aufgewiesen. Siehe ebd., S. 101.

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ten Kontinentalmacht, die Vorherrschaft über ganz Europa zu gewinnen. Diese Absicht aber musste nach seiner Analyse grundsätzlich immer zum Konflikt mit der wichtigsten Seemacht führen und folgerichtig auch zur Niederlage der herausfordernden Kontinentalmacht, die dem gleichzeitigen Kampf zu Lande und zu Wasser nicht gewachsen gewesen sei. So sei letztlich Spanien unter Philipp II. ebenso wie später Frankreich unter Ludwig XIV. und Napoleon an England gescheitert. Um 1900 sei Preußen zur größten Macht auf dem europäischen Festland aufgestiegen und in die gleiche Konfliktsituation mit England geraten. »Wir und nur wir bedrohten die zentralen Lebensnerven der englischen Weltmacht.«212 Obgleich diesem Konzept etwas Deterministisches anhaftete, musste ein solcher Satz den Widerspruch all derer hervorrufen, die an die Traditionen des Bismarckschen Nationalstaates wieder anknüpfen wollten, denn es gab Deutschland die Hauptschuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Damit nahm Dehio nicht nur Fritz Fischers These vorweg,213 sondern behauptete auch eine gewisse Kontinuität von Deutschlands Rolle in beiden Weltkriegen. Nach dem gescheiterten deutschen Hegemonialversuch habe sich 1918 die Lage nämlich nicht mehr wie im Falle Spaniens und Frankreichs beruhigt, denn das europäische Mächtesystem habe aufgrund des Auftretens neuer Kräfte wie der USA nicht mehr funktioniert. Noch aber hätten die Vereinigten Staaten das Konzept einer von ihnen geführten friedlichen Völkergemeinschaft nicht verwirklichen können.214 Deutschland hatte daher nach Analyse des Marburger Historikers die Kraft zu einem zweiten Hegemonieversuch besessen. Die Deutschen hätten sich nicht eingestehen wollen, dass sie nicht über die Ressourcen für eine solche Weltmacht verfügt hätten, sondern die Schuld angeblichen Verrätern im Inland angelastet. Dehio benannte interessanterweise bei seinen Darlegungen keine Akteure, sondern es waren stets Ideen, die sich Bahn brachen: Nur daß bei uns, dem anderen Rhythmus unserer Geschichte entsprechend, der natio­nale Aktivismus restaurative Züge annahm, nicht revolutionäre. Aber er verschmähte deswegen die revolutionäre Methodik nicht, wie überhaupt kein Mittel: Idealismus verband sich mit Verbrechen, und der nihilistische Wille zur Macht bereitete sich vor, gewissenlos die abendländische Ethik zu zersprengen.215

Er orientierte sich damit an Meineckes Ideengeschichte, aber auch an der in den fünfziger Jahren verbreiteten Haltung, keine konkreten Verantwortlichen für die jüngste Vergangenheit zu benennen. Ferner benutzte Dehio reichlich irra­ 212 Dehio, Der deutsche Kampf. 213 Fritz Fischer schrieb später, er verdanke Dehios bahnbrechenden Studien, dass er sich näher mit den Kriegszielen vor dem Ersten Weltkrieg beschäftigt habe. Siehe hierzu Brief Fischers an Dehio, 11.4.1960, in: StA Marburg, Nl Dehio 340 C Kasten C9. 214 Vgl. Dehio, Der deutsche Kampf. 215 Dehio, Wiederaufstieg.

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tionale Attribute: Deutschland war »vital« und »vollsaftig«, Frankreich »greise« und Russland ein »rätselhaftes Schicksalsland«216. Innerhalb der Nationen differenzierte er nicht. Nach 1919 belasteten Deutschland laut Dehio die nationale Deklassierung durch die Niederlage und die soziale Auflösung der Gesellschaft. Der Nationalismus verschmolz in sich die suggestive preußisch-deutsche Machttradition, aber losgelöst von ihrem soziologischen Mutterboden, mit revolutionär-formloser Gewaltsamkeit zu der neuen faschistischen Dynamik, in die von jenseits der Grenzen nun auch die völkische Irredenta als ein glühender Zustrom volkstümlicher Leidenschaften einmündete, wie sie sich in dem preußisch-deutschen Obrigkeitsstaate nicht hatten entwickeln können.217

Kurz nachdem Dehios Marburger Historikertagsrede in der HZ erschienen war, publizierte Ritter im Tagesspiegel und der auflagenstarken Christ und Welt die Einigung deutscher und französischer Historiker über strittige Fragen der gemeinsamen Vergangenheit. Ritter nahm für diesen Erfolg in Anspruch, dass er immerhin »bedeutsamer ist als manche gutgemeinte Rede im Straßburger Europahaus«.218 Im Gegensatz zu internen Auseinandersetzungen stellte er Beratungen der Historiker und die Zusammenarbeit mit der franzö­ sischen Besatzungsmacht in seinen Artikeln an ein breites Publikum als harmonisch und zielgerichtet dar.219 Die Unterschiede zu Dehios Thesen waren offensichtlich, hatte Ritter in der binationalen Erklärung schließlich den Passus durchgesetzt, es gebe keinerlei Beweise dafür, »im Jahre 1914 irgendeiner Regierung oder einem Volk den bewußten Willen zu einem europäischen Kriege zuzuschreiben.«220 Die Weltkriege standen damit nicht in einer Kontinuität, was die Traditionen vor dem Nationalsozialismus unbelastet halten sollten. Ritter versuchte, die Wirkung von Dehios Thesen so gering wie möglich zu halten, indem er sie einfach ignorierte. Ritters Schüler Richard Nürnberger weigerte sich offenbar in diesem Zusammenhang auch, seine auf dem Marburger Historikertag gehaltene Erwiderung auf Dehios Vortrag in der HZ abdrucken zu lassen. Dieser Versuch, Dehio zu isolieren, war aber erfolglos. Nicht nur wurde Dehios Aufsatz von ausländischen Fachorganen positiv rezensiert, er fand kurz darauf überdies den Weg in die Massenpublikation. Einerseits wurde er von der 216 Ebd. 217 Ebd. 218 Ritter, Kleine Grenzberichtigungen; ders., Einigung der Geschichtslehrer. Ritter versuchte auch die französische Öffentlichkeit direkt zu erreichen und veröffentlichte am 6.8.1952 einen Artikel in Le Monde über die Einordnung des Liedtextes »Deutschland über alles«. Siehe hierzu Brief Ritters an den französischen Historiker Paul Dèhem, 29.8.1952, in: BArch, Nl Ritter 339. Zu Christ und Welt vgl. Weiß, Journalisten, S. 266. 219 Zu diesen Konflikten vgl. Cornelißen, Ritter, S. 389–399. 220 Ritter, Deutsch-Französische Vereinbarung, S. 293. Der GWU-Artikel stellte die Einigung ausführlicher dar und erschien praktisch zeitgleich mit den Veröffentlichungen in der Presse. Vgl. ebd., S. 288–299.

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Bundeszentrale für Heimatdienst vervielfältigt und seit September 1952 erschien er auszugsweise als Serie in der FAZ.221 Dehio interpretierte den Zweiten Weltkrieg also als Teil  eines Jahrhunderte langen Ringens um die Hegemonie in Europa, bei dem es sich um den definitiv letzten Versuch Deutschlands und auch Europas gehandelt habe, die Vor­herrschaft zu erreichen, da es nur noch ein Weltsystem mit dem amerikanisch-sowjetischen Gegensatz gebe. Deshalb erschienen ihm alle Versuche seiner Kollegen, an die historische Tradition Friedrichs II. und Bismarcks anzuknüpfen, nutzlos, da das Zeitalter souveräner Staaten unwiederbringlich verloren sei.222 Dadurch, dass er 1945 als scharfe Zäsur deutete, hielt er den Nationalsozialismus für singulär und nicht wiederholbar. Zwar betonte er, es dürfe deswegen kein Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen werden, denn »…die Voraussetzung zu jeder schöpferischen Reaktion Deutschlands auf die Epoche der Weltkriege ist die rücksichtslose Erkenntnis unserer furchtbaren Rolle in ihr […]«223. Allerdings war es folgerichtig, dass er sich kaum mit dem »Dritten Reich« selbst beschäftigte. Er maß dem nationalsozialistischen Regime zwar einen einzigartigen Schrecken, aber keinen ideologischen Gehalt bei. Vielmehr sah er in ihm einen Nihilismus, der sich revolutionärer Mittel bedient habe. Auf Rassismus und Antisemitismus ging er nicht ein.224 Auch wenn Dehio sich in seiner historischen Interpretation von seinen Kollegen unterschied, war er sich in den Konsequenzen doch mit ihnen einig. Kompromissloser noch als sie trat er als spezifischer Intellektueller für Westintegration und Antikommunismus ein und projizierte dabei wie Ritter und Rothfels den Kalten Krieg in die Vergangenheit zurück.225 Es ging ihm allerdings nicht um eine Übereinkunft von Nationalstaaten, sondern deren Überwindung durch ein überstaatliches Abendland aus Nordamerika und Westeuropa.226 So hielt er den deutschen Hegemonialversuch nicht nur wegen der enormen Vernichtung von Menschenleben und der Zerstörung von Kulturwerten für den schrecklichsten, sondern auch, weil Deutschland im Gegensatz zu Spanien einst mit der Gegenreformation oder Frankreich mit der Revolution anderen Völkern keine übernationale Idee zur Integration habe anbieten können.227 In einer Artikel­ serie, beruhend auf dem Meinecke-Sonderheft der HZ, welche drei Monate 221 Vgl. Beckers, S. 48–50. 222 Brief Dehios an Meinecke, 3.4.1951, in: GPStA, VI. HA, Nl Meinecke 209. 223 Dehio, Deutschland. 224 Vgl. ebd. 225 Vgl. Conrad, S. 82–84. 226 Brief Dehios an Meinecke, September 1950, in: GPStA, VI. HA, Nl Meinecke 209. In den Darstellungen protestantischer Autoren war das Abendlandkonzept oft eine Verschleierung für ein ungebrochenes deutsches Überlegenheitsgefühl. Es machte aber besonders die katholische Publizistik aus, dass in ihrer Abendland-Vorstellung Deutschland keinen privilegierten Platz einnahm, sondern ein supranationales christliches Gebilde geschaffen werden sollte. Vgl. Schildt, Moderne Zeiten, S. 333 f. 227 Vgl. Dehio, Deutschland.

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später in der FAZ erschien, erläuterte Dehio, worin seiner Meinung nach ein erfolgreiches Angebot des deutschen Vormachtstrebens an andere Völker hätte bestehen sollen: Deutschland sollte »Bollwerk des Abendlandes gegen östliche Barbarei« sein.228 Es steckt in ihnen [gemeint ist der übernationale Sinn des Hegemonialstrebens  – d. Vf.] vielmehr eine eigene Kraft, die losgelöst aus der hybriden Egozentrik von damals mitwirken mag bei dem Ringen um ein neues Abendland, eines tiefer verwurzelten und weiter ausgebreiteten. Denn das allerdings ist ja nun die tröstliche Seite unserer unharmonischen Geschichte: sie gewährt mehr als die in sich geschlossene Geschichte glücklicherer Völker die Chance zu neuem Beginn.229

Die Ablehnung von Adenauers Westorientierung durch die Neutralisten hielt er nicht nur für falsch, sondern vermutete in seinen Tagebüchern auf geradezu groteske Weise, es handele sich bei etlichen Personen des öffentlichen Lebens um sowjetische Agenten. Dabei verdächtigte er nicht nur Verfechter der Neutralitätspolitik wie Noack und Heinemann,230 sondern selbst den französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle.231 Dehios harscher Antikommunismus hing offensichtlich auch mit seinen persönlichen Erfahrungen im Nationalsozialismus zusammen. Immer wieder stellte er in seinen privaten Aufzeichnungen Vergleiche her und fürchtete sichtlich, die Ereignisse von 1933–1945 könnten sich, diesmal von sowjetischer Seite her, wiederholen. In seinen Tagebüchern meinte er etwa, eine Abkehr von einer harten antikommunistischen Linie ähnele dem Ausscheren Deutschlands aus der Gemeinschaft des Abendlandes 1933; einen möglichen Wahlsieg der SPD bezeichnete er als »Machtergreifung«.232 Für hauptschuldig hielt er, nun im Einklang mit seinen Standesgenossen der »Zunft«, zumal die »Massen«. Am 3. April 1951 schrieb er an seinen Mentor Meinecke: Aber immer wieder wollen unsere Massen mit ihren unverdauten Ressentiments aus ihr [der Koalition mit den angelsächsischen Mächten  – d. Vf.] ausbrechen und unheimliche Parallelen zu den Stimmungsabläufen der Weimarer Zeit zeichnen sich ab. 228 Dehio, Wir hatten keinen »Auftrag von Gott«. 229 Ebd. 230 Tagebucheintrag vom 10.4.1950, in: StA Marburg, Nl Dehio 340 C, Kasten C7. 231 Tagebucheintrag vom 6.3.1950, in: StA Marburg Nl Dehio 340 C, Kasten C9. In regel­ mäßigen Abständen notierte Dehio in sein Tagebuch derartige Verschwörungsszenarien. So glaubte er am 15.5.1952 klar zu sehen, dass die SPD mit der Sowjetunion zusammen­ arbeite. Siehe StA Marburg, Nl Dehio 340 C, Kasten C7. 232 Tagebucheintrag vom 3.11.1950, in: StA Marburg, Nl Dehio 340 C, Kasten C7 bzw. Brief Dehios an Meinecke, 20.8.1951, in: GPStA, VI. HA, Nl Meinecke 209. Folgerichtig hielt er den Wahlsieg der CDU/CSU für einen außerordentlichen Triumph zur Rettung des Abendlandes. Siehe Tagebucheintrag vom 7.9.1953, in: StA Marburg, Nl Dehio 340 C, Kasten C7. Vorwürfe, dass die SPD eine demokratisch nicht zuverlässige Partei und westdeutsche Streiks von der DDR gesteuert seien, erhob Dehio einige Jahre später auch in der Fachzeitschrift Aussenpolitik. Siehe Dehio, 1933–1958, S. 500 f.

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Wiederum eine famose Zeit für Demagogen. Schumacher ist der Nachfolger von Hugenberg und Hitler und segelt im Winde der allgemeinen Unzufriedenheit.233

Für ein religiös begründetes Abendland war er zudem bereit auf die deutsche Einheit zu verzichten,234 was er zur Mitte der fünfziger Jahre hin, als die Frage der tatsächlichen Westintegration immer aktueller wurde, auch gegenüber einer breiten Öffentlichkeit explizit vertrat. In einem Rundfunkvortrag im SWF 1954 bezeichnete er das deutsche Streben nach Wiedervereinigung und sogar der Wiedereingliederung des Saarlandes als egoistische Sonderinteressen, die zurückzustellen seien, um das westliche Bündnis nicht zu gefährden. Jede andere Entscheidung drohe entweder den Krieg mit der Sowjetunion oder im Gegenteil ein deutsch-sowjetisches Zusammengehen herbeizuführen. Kurz, aber drastisch erinnerte er seine Hörer daran, wer die deutsche Teilung eigentlich herbeigeführt habe: Speziell in Deutschland wird solche realistische Auffassung des Weltdualismus erschwert durch unser Verlangen nach Wiedervereinigung, durch unsere apologetische Neigung, die Genesis der deutschen Zweiteilung zu vernebeln, die Schuld der kommunistischen Unfreiheit in der Sowjetzone tunlichst den amerikanischen Befreiern von der nazistischen Unfreiheit aufzubürden und die überwiegende eigene Schuld zu verdrängen, die gegeben ist mit der frevelhaften Entfesselung eines Weltkrieges und seiner verbrecherischen Durchführung.235

Ein solcher Vorwurf war in der Öffentlichkeit eine große Ausnahme und widersprach auch vollkommen der gesellschaftlichen Stimmung. Die FAZ schrieb exemplarisch zum zehnten Jahrestag des 8.  Mai 1945, berauschte Sieger hätten seinerzeit an Deutschland Rache genommen und das Land gedemütigt.236 Noch 1958 hielten über zwei Drittel der Bundesbürger die Siegermächte für die Schuldigen an der deutschen Teilung.237 Zu einer regelrechten Auseinander­ setzung über Dehios Ablehnung einer Wiedervereinigungspolitik kam es mit Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein. Augstein warf dem Marburger Historiker am 1.  Februar 1956 vor, im Gegensatz zu seinen hervorragenden historischen Analysen seien seine Versuche, aus der Geschichte Erkenntnisse für die aktuelle Tagespolitik abzuleiten, »hölzern und ohne verbindliche Kraft«.238 Der 233 Brief Dehios an Meinecke, 3.4.1951, in: GPStA, VI. HA, Nl Meinecke 209. 234 In einem Tagebucheintrag von 1955 schrieb er sogar, er selbst sei kein Deutscher mehr, sondern nur noch ein Abendländer. Siehe StA Marburg, Nl Dehio 340 C, Kasten C7. 235 Dehio, Europa versucht, sich neu zu formieren. Gesendet am 8.8.1954 in der Aula, in: Hörfunkarchiv des SWR Mainz, Nr. WO061815. Am 19.12.1955 forderte Dehio Sethe in einem privaten Brief auf, in seinen Leitartikeln einmal auf die Bedrohung durch die Sowjetunion und nicht nur die verlockenden Angebote zur deutschen Einheit einzugehen. Siehe Brief Dehios an Paul Sethe, 19.12.1955, in: StA Marburg, Nl Dehio 340 C, Kasten C9. 236 Vgl. Hurrelbrink, S. 86–88. 237 Vgl. Noelle, 1958–1964, S. 484. 238 Daniel, Jens (Rudolf Augsteins Pseudonym), Dehio und wir, in: Der Spiegel, 1.2.1956.

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Journalist kritisierte, Dehio setze das Abendland mit der NATO und die Wiedervereinigung mit der Schwächung der Solidarität im westlichen Lager gleich. Dabei übertrieb Augstein Dehios Bedeutung sogar erheblich, als er meinte, »daß der geachtete Mann für eine ganze Schule Bonner Politiker repräsentativ steht.«239 Diese Kritik stand im Zusammenhang einer Bewusstseinsänderung in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre, die nach einer gewissen Entspannung im Ost-West-Konflikt und allmählichen Stabilisierung der Bundesrepublik nicht mehr nur im Kommunismus, sondern auch im Konformismusdruck unter der Ägide des Antikommunismus eine Bedrohung erkannte.240 Sie konnte aber auch auf einen weithin bekundeten Willen zur Wiedervereinigung bauen, der durch Parteien, Gewerkschaften und vor allem das Kuratorium Unteilbares Deutschland organisiert wurde, unter anderem mit großen Inszenierungen wie Mahnfeuern, Fackelläufen, der Errichtung von Einheitsdenkmälern, der Rezitation patriotischer Gedichte an Schulen usw.241 Dehio widersprach Augstein dennoch in einem Brief, der ebenfalls im Spiegel veröffentlicht wurde. Augsteins Forderungen seien verständlich, jedoch ganz unrealistisch. Ich höre Ihnen mit voller Sympathie zu und gebe mir echte Mühe, Ihnen beizu­ pflichten: Aber ich vermag es nicht. […] Ich sehe nur deutlich ein Rußland, das sich triumphierend seinem bekannten Weltziel mit immer größeren Schritten, wenn auch mit wechselnder Taktik nähert […].242

Angesichts dieser Bedrohungslage könne es keine unabhängige deutsche Politik mehr geben.243 Im Gegensatz zu den anderen in den Massenmedien aktiven Professoren konnte sich Heimpel nicht auf sein positives Beispiel im »Dritten Reich« be­ rufen. Am 8. November 1955 schrieb er in einem FAZ-Artikel, Gelehrte wie er könnten nicht mehr mit der Sicherheit eines Einklangs von Wissenschaft und Überzeugung auf die Jugend wirken. Das erzieherische Beispiel unserer durch das Dritte Reich so oder so verbrauchten Generation kann […] nur durch Ehrlichkeit, durch Wissen des eigenen Lebensirrtums von gestern und des möglichen Lebensirrtums von morgen bestehen, in dem Sich­ einbeziehen in die zeitgeschichtliche Erkenntnis.«244

Dennoch war gerade er ein spezifischer Intellektueller par excellence. Wie Ritter fürchtete er, durch ein fehlendes Nationalbewusstsein könne besonders die Jugend anfällig für neonazistische Ideen werden. Insofern nannte er die Schaffung eines geschlossenen Geschichtsbildes auch nicht eine vorrangig wissenschaft­ 239 Ebd. 240 Vgl. Schildt, Ende der Ideologien? S. 632 f. 241 Vgl. Wolfrum, Geschichte, S. 82 f. 242 Dehio, Dehios Antwort, in: Der Spiegel, 22.2.1956. 243 Vgl. ebd. 244 Heimpel, Probleme und Problematik der Hochschulreform.

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liche, sondern eine politische Aufgabe.245 In einer Rede in seiner Eigenschaft als Rektor der Universität Göttingen, die am 18. Juli 1953 in der Welt abgedruckt wurde, betonte er dieses Ziel: Es seien einerseits alle beschönigenden Darstellungen deutscher Geschichte abzulehnen, die nun wieder vermehrt im Umlauf seien und in der vom Wirtschaftswunder erfassten Nation die Tendenz zu Verdrängung und Selbstgerechtigkeit verstärkten. Andererseits solle man beim Blick auf die Vergangenheit auch nicht in Selbstmitleid versinken und sich nur auf die Nationalfehler der Deutschen konzentrieren.246 Ein geschlossenes Geschichtsbild war für Heimpel daher ebenso wie für Ritter und Rothfels die zentrale öffentliche Aufgabe, welche die Historiographie nach 1945 erfüllen sollte. Im Gegensatz zu Ritter und Rothfels aber glaubte er nicht, dass der Widerstand eine Brücke darstellen konnte, über die sich eine Kontinuität der nationalen Geschichte wiederherstellen ließe.247 Stattdessen hielt er es für die dringendste Aufgabe, das Bewusstsein für die deutsche Einheit zu erhalten und die Wiedervereinigung nach besten Kräften anzustreben. Sehr aktiv engagierte er sich deshalb Mitte der fünfziger Jahre als Redner für das Kuratorium Unteilbares Deutschland.248 Bei einer in den Medien mehrfach wiedergegebenen Rede zum Tag der deutschen Einheit in Braunschweig 1955 warnte er seine Landsleute davor, das Zusammengehörigkeitsgefühl ihrer Nation als selbstverständlich zu betrachten. So wie einst die Niederlande, Belgien und die Schweiz vom Deutschen Reich abgebröckelt seien und sich unumkehrbar zu eigenen Nationen entwickelt hätten, könnten sich in Zukunft auch West- und Ostdeutschland eigenständig entwickeln. Allerdings könne man die Einheit nicht bedingunslos wollen. Eine Wiedervereinigung unter kommunistischen Vorzeichen lehnte er ab und befürwortete die Westintegration der Bundesrepublik und die Wiederbewaffnung. Jeden Versuch, die verlorenen Gebiete mit Gewalt zurückzuholen, wies er jedoch ebenfalls zurück. Kriege seien nicht mehr isoliert zu führen und könnten angesichts des technischen Fortschritts die Zerstörung der gesamten menschlichen Zivilisation bedeuten.249 Er rief jedoch dazu auf, im Osten nicht nur den Feind, sondern auch den möglichen Partner zu sehen.250 Kontinuierlich sondierte er deshalb Möglichkeiten, die Teilung

245 Vgl. ders., Wandlungen des deutschen Geschichtsbildes. Gesendet am 22.8.1954 in der Aula, in: Hörfunkarchiv des SWR Mainz, Nr. WO 061845. 246 Vgl. ders., Alle Bildung nützt nichts. 247 Heimpel schrieb Ritter, durch dessen Goerdeler-Biographie seien ihm eher die Grenzen als die Vorzüge dieses von der Opposition als Reichskanzler vorgesehenen Mannes aufgefallen. Der Widerstand habe scheitern müssen, um Größe zu erlangen. Siehe Brief Heimpels an Ritter, 18.3.1955, in: BArch, Nl Ritter 490. 248 Das Kuratorium Unteilbares Deutschlands war 1954 von Politikern verschiedener Parteien sowie Vertretern aus Wirtschaft und gesellschaftlichem Leben gegründet worden, um den Kampf für die deutsche Einheit im Bewusstsein wach zu halten. 249 Vgl. ders., Nicht bequem machen. 250 Vgl. ders., Alle Bildung nützt nichts.

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Deutschlands zu mildern, und nahm deshalb immer wieder Einladungen zu Vorträgen in der DDR an.251 Die west- und ostdeutsche Geschichtswissenschaft blieben in den fünfziger Jahren ebenso wie andere Bereiche des staatlich geteilten Deutschlands aufeinander bezogen. Für die DDR-Historiker wandelte sich der Westen dabei vom Prüfstein der Überlegenheit des Marxismus-Leninismus zum sinnstiftenden Feindbild.252 Dabei ging es nicht nur um unterschiedliche Deutungen der Zäsur, sondern um die Aneignung der gesamten deutschen Geschichte durch den jeweiligen Teilstaat in einem »geschichtspolitischen Nahkampf«.253 Dieses Verhältnis war jedoch asymmetrisch. Die westlichen Historiker setzten sich in der breiten Öffentlichkeit nicht direkt mit der DDR-Historiographie und schon gar nicht mit ihren Vertretern auseinander. Die Ablehnung war zweifellos aus methodischer Perspektive grundsätzlich, da die traditionellen Historiker den Marxismus als Analyseinstrument ablehnten. Eine viel entscheidendere Bedeutung aber kam der politischen Komponente zu: Die östliche Geschichtswissenschaft stellte für westliche Historiker nichts als Propaganda für das östliche System dar, das man nur als Resultat der sowjetischen Besatzung empfand.254 Sowenig man politische Verhandlungen mit der DDR für sinnvoll hielt, anstatt direkt mit Moskau zu sprechen, genauso hielt man auch eine eingehende Beschäftigung mit der marxistischen DDR-Historiographie für überflüssig.255 Ritter schrieb in einem Brief exemplarisch, es könne im Umgang mit den DDR-Historikern nicht angehen, »…daß man sich auf irgendeine der vielen Albernheiten einläßt, welche diese Leute vorbringen, wohl aber so, daß man grundsätzlich die marxistische Verzerrung der historischen Wirklichkeit bekämpft«.256 Der Zustimmung des Großteils der Bevölkerung zu dieser Ansicht nicht nur in Westdeutschland konnten sich die Historiker der Bundesrepublik sicher sein. Die KPD hatte 1949 zwar noch den Sprung in den ersten deutschen Bundestag geschafft, doch verlor sie in den folgenden Jahren fast jeden Rückhalt in der westdeutschen Bevölkerung. Nach der Berlinblockade schadeten ihr der Koreakrieg und die Niederschlagung des Aufstands vom 17. Juni 1953; zahlreiche Flüchtlinge aus der DDR verstärkten zudem den westdeutschen Antikommunismus.257 Die Überlagerung der wissenschaftlichen Gegensätze durch die politischen lässt sich im deutsch-deutschen Fall durch den langjährigen wissenschaft­lichen 251 Vgl. Kowalczuk, S. 260. 252 Vgl. Sabrow, Diktat, S. 280. 253 Vgl. Assmann, Geschichtsvergessenheit, S. 13. 254 Beispielhaft für diese Haltung ist Ritters Brief an Percy Ernst Schramm, 11.5.1953, in: BArch, Nl Ritter 340. 255 Ritter bezeichnete die DDR-Historiker am 27.7.1954 in einem Brief an Aubin als »Gesinnungslumpen«. Siehe BArch, Nl Ritter 342. Schieder sprach von den Historikern aus dem Osten als »wissenschaftlichen Nullen«, die aber politisch gefährlich seien. Siehe Brief T. Schieders an Ritter, 26.4.1954, in: Ebd. 256 Brief Ritters an T. Schieder, 21.4.1954, in: Ritter, Ein politischer Historiker, S. 507. 257 Vgl. Major, S. 3–8.

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Kontakt Ritters zu Cantimori besonders gut erkennen. Ganz im Gegensatz zu den DDR-Historikern arbeitete Ritter mit Cantimori kollegial zusammen, ungeachtet der Tatsache, dass dieser als einer der Vorzeigewissenschaftler der Kommunistischen Partei Italiens galt. Ritter kannte Cantimori schon aus der Zeit vor 1945 (als Cantimori noch Faschist war), war sich aber über dessen politischen Gesinnungswandel durchaus im Klaren. Trotzdem bezeichnete er Cantimori gegenüber anderen deutschen Historikern als seinen Freund und verdankte ihm Zugänge zum italienischen Büchermarkt. Cantimori schrieb sogar das Vorwort zur italienischen Ausgabe von Ritters Goerdeler-Buch (auch wenn Ritter dieses Vorwort inhaltlich kritisierte).258 Das west-ostdeutsche Kräfteverhältnis war den DDR-Historikern bewusst. Sie befanden sich in der Defensive, politisch, aber auch fachlich, denn sie wollten eine neue Form der Geschichtswissenschaft in der gesamtdeutschen Öffentlichkeit gegen die etablierte durchsetzen, wurden dabei allerdings zumeist von den Westvertretern nicht als Wissenschaftler akzeptiert. Um sich also Gehör zu verschaffen, lag es für sie nahe, die traditionelle und bald nur noch in Westdeutschland zu praktizierende Historiographie und bisweilen auch ihre Vertreter öffentlich zu attackieren. Insofern waren die marxistischen DDR-Historiker allgemeine Intellektuelle, die nicht nur von ihrem Fachgebiet ausgehende, sondern darüber hinaus von historischen Fragestellungen losgelöste politische Forderungen in der Öffentlichkeit formulierten. Dieses Verhalten war systembedingt, da Parteihistoriker keine reinen Gelehrten oder Experten sein konnten, sondern es schlicht zu ihren parteipolitischen Pflichten gehörte, die Linie der Partei und die ideologische Überzeugung gegenüber einer breiten Öffentlichkeit zu propagieren. Die Leitlinien der historischen Interpretation stellten dabei indes nicht die Historiker selbst auf, sondern die führenden Funktionäre der Partei. Im Selbstverständnis der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft war dies allerdings kein Widerspruch. Die historische Entwicklung erschien als grundsätzlich determiniert und die richtige Analyse des geschichtlichen Standorts konnte somit auch die richtige und erfolgreiche politische Umsetzung der eigenen Ziele ermöglichen. Es wurde also nicht eine politische Dominanz über die Wissenschaft hingenommen, sondern eine Dominanz der Politik innerhalb der Wissenschaft vorausgesetzt. Geschichtswissenschaft­liche Auseinandersetzungen mussten somit immer als politische Auseinandersetzungen begriffen werden. Insofern konnte von einem wirklichen Meinungspluralismus keine Rede sein, da Parteilichkeit und Homogenität Grundlage des sozialistischen Geschichtsbildes waren.259 Das bedeutete aber nicht, dass über 258 Siehe beispielsweise Brief Cantimoris an Ritter, 17.5.1958, und Antwort Ritters, 20.5.1958, in: BArch, Nl Ritter 347 sowie Brief Ritters an Cantimori, 24.11.1960, in: BArch, Nl 350. Allerdings nahm auch Cantimori die DDR-Historiker nicht ernst. Er lobte öffentlich Ritters wissenschaftliche Leistungen, während er die kommunistischen Kollegen aus Ostdeutschland komplett ignorierte. Siehe hierzu Cantimori, Storia. 259 Vgl. Sabrow, Diktat, S. 30–40, 228 f.

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das genaue Vorgehen gegenüber den Westhistorikern innerhalb der DDR-Geschichtswissenschaft Einigkeit bestanden hätte. An dem Bremer Historikertag 1953 hatten Historiker aus dem Oststaat etwa erstmals teilgenommen. Anschließend verfasste das DDR-Fachorgan ZfG eine scharfe Abrechnung mit dieser Tagung und schickte sie allen Teilnehmern. Alfred Meusel, zu diesem Zeitpunkt noch der führende Historiker der DDR, wandte sich intern indes gegen solche Attacken, da sie nur die Türen zum Westen zuschlügen. Die Westhistoriker, so Meusel, fälschten nicht bewusst, sondern bemühten sich auf Grundlage einer falschen Ideologie um die Wahrheit. Man könne sie von ihren Fehlern nicht überzeugen, wenn man sie mit Vorwürfen überschütte.260 Trotz aller politischen Unterschiede benutzten ostdeutsche Historiker ähnliche Paradigmen wie ihre westdeutschen Pendants: Das Problem einer weitläufigen Zustimmung der Bevölkerung zum Nationalsozialismus wurde verdrängt und der Widerstand in das Zentrum der Darstellungen gerückt. Dies war auch kaum anders möglich, da der Nationalsozialismus von der Komintern als faschistisches System und damit aggressivste Ausprägung der kapitalistischen Herrschaft definiert worden war. Eine solche Klassenherrschaft konnte ihrer inneren Logik nach nur die Diktatur einer kleinen Minderheit sein. Etwaige Zustimmungsbekundungen der Mehrheit galten daher als das Ergebnis einer erfolgreichen Manipulation durch die herrschende Propaganda, keinesfalls aber als eine ehrliche Zustimmung durch breite Massen der Bevölkerung. Da in der DDR die kapitalistische Wirtschaftsordnung beseitigt worden war, empfand sich der ostdeutsche Staat als prinzipiell antifaschistisch und definierte sich von einem Nachfolgestaat der Täter zu einem unschuldigen Opfer des US-Imperialismus und damit neuer »faschistischer« Gewalt um. Staatschef Walter Ulbricht sagte offen, es sei nicht entscheidend, ob jemand früher Parteigenosse gewesen sei, sondern ob er nun gegen die NATO eintrete.261 Der Antifaschismus avancierte also wie in Italien auch in der DDR zu einem Gründungsmythos.262 Statt des 20. Juli 1944 wurde der kommunistische Widerstand besonders thematisiert und verherrlicht. Juden galten hingegen allenfalls als nebensächliche Opfer. Ihre Vernichtung konnte in der DDR kaum behandelt werden.263 Eine solche Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern war in der bundesrepublikanischen Gesellschaft Anfang der fünfziger Jahre ebenso Usus und konnte auf allgemeine Zustimmung rechnen. Man wollte sich nur da erinnern, wo Deutsche zu Opfern geworden waren. Die Opfer deutscher Verbrechen blie260 Vgl. ebd., S. 261–263. 261 Vgl. Herf, S. 200–203. 262 Vgl. François, S. 17. 263 Das änderte sich auch bis 1989 nicht. Der Versuch des jüdischen Amateurhistorikers Hel­mut Eschwege, in der DDR eine Dokumentation der Judenverfolgung zu publizieren, wurde in den fünfziger Jahren unterdrückt. Exemplarisch für die Hierarchie der NSOpfer in der DDR war der Bestsellerroman Nackt unter Wölfen (1958) des ehemaligen KZ-Häftlings Bruno Apitz. Vgl. hierzu Goschler, S. 140–142. Vgl. auch Flacke, Dunkel, S. 183–187.

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ben weitgehend ausgeblendet. Denkmäler, die in den fünfziger Jahren errichtet wurden, gedachten fast alle der deutschen Teilung und der Vertriebenen.264 Das ehemalige KZ Dachau diente hingegen bezeichnenderweise als Flüchtlingsheim.265 Bundesfinanzminister Fritz Schäffer brüstete sich am 23. Mai 1952 in einer Rundfunkansprache sogar, dass er für seine Ablehnung einer entschlossenen Wiedergutmachung gegenüber den NS-Opfern Tausende zustimmende Leserbriefe erhalten habe. Dafür sei er bereit hinzunehmen, dass er im Ausland als Antisemit diffamiert werde.266 Auch Rothfels hatte in seinem Widerstandsbuch behauptet, dass sich der Antisemitismus keiner breiten Zustimmung erfreut habe.267 Wenn er von Konzentrationslagern sprach, ging es ihm um die deutschen Opfer.268 Diese Inter­ pretation war insofern bemerkenswert, als Rothfels den Nationalsozialismus nicht, wie andere Kollegen, als nihilistisches System des puren Machterhalts definierte, sondern als eine Ideologie, deren zentrales Ziel der Rassismus mit planvoller Vernichtung und Ausbeutung als minderwertig angesehener Völker gewesen sei.269 Im persönlichen Umgang agierte Rothfels dabei durchaus anders. Nach den Erinnerungen seines Schülers Wolfram Fischer war der Tübinger Historiker bestrebt, seine Doktoranden und Studenten über deutsche Schuld zu belehren.270 Ferner beurteilte er Kollegen danach, wie sie ihm gegenüber mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit umgingen.271 Einem Bekannten riet er am 20. November 1951 sogar, nicht nach Deutschland zurückzukehren, denn das Wiederaufleben des Nationalsozialismus sei stärker als man es 1949 habe vermuten können.272 Es ist aber nur scheinbar überraschend, dass er diese Verbrechen lediglich am Rande abhandelte, denn eine Konzentration auf die Verbrechen hätte Rothfels’ und Ritters Ziel, ein geschlossenes Geschichtsbild zu erhalten, zum Scheitern verurteilt. Bezeichnend war dabei Ritters Reaktion auf die Bitte des Sonntagsblattes, sich einmal in einem streng wissenschaftlichen Artikel mit dem Massenmord an den Juden zu beschäftigen, der in Deutschland verdrängt werde: »Dazu fehlt mir jetzt beim besten Willen die Zeit, obwohl ich diese Art von Aufsätzen selbst für dringlich halte.«273 Die Anfrage des Sonntagsblattes wurde am 22. August 1954 gestellt, also gerade in der Phase, als der Freiburger Historiker sich darauf konzentrierte, den Widerstand im öffent­lichen An­ sehen zu stärken und durch die Widerlegung des Militarismus-Vorwurfs die 264 Vgl. Wolfrum, Suche, S. 191. 265 Vgl. Assmann, Geschichtsvergessenheit, S. 206. 266 Vgl. ebd., S. 56 f. 267 Vgl. Eckel, Rothfels, S. 245–247. 268 Vgl. Berg, Holocaust, S. 164. 269 Vgl. Rothfels, Krieg und Menschlichkeit. 270 Vgl. Interview mit Wolfram Fischer, S. 101. 271 Vgl. Eckel, Rothfels, S. 283 f. 272 Vgl. Walter, S. 95. 273 Brief des Sonntagsblattes an Ritter, 22.8.1954, in: BArch, Nl Ritter 366.

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Argumente der Wiederbewaffnungsgegner zu entkräften. Eine Beschäftigung mit deutschen Verbrechen lief dieser Absicht zuwider. Außerdem musste es darum gehen, die Menschen überhaupt für eine kritische Distanzierung vom Nationalsozialismus zu gewinnen. Dies war am ehesten zu erreichen, wenn sie nicht für Verbrechen angeklagt wurden und gleichzeitig eine positive Identifikation mit dem Widerstand geschaffen wurde, die auch als Vorbild für die als richtig erachtete Haltung in der Auseinandersetzung des Kalten Krieges dienen konnte. Da Heimpel nicht an die Rettung der nationalen Kontinuität mithilfe des Widerstands glaubte, kam er auf die von Deutschen begangenen Verbrechen häufiger als seine Kollegen zu sprechen. Wenn er auch betonte, dass nichts die Deutschen von ihren Schandtaten freisprechen könne, ging es ihm bei dieser Erkenntnis nicht in erster Linie um Gerechtigkeit gegenüber den Opfern und schon gar nicht um eine juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Die Einsicht in die eigenen Verbrechen sollte vielmehr ein notwendiges Übel sein, durch das die Epoche von 1933–1945 wieder in die deutsche Geschichte integriert werden könne. Am 22. September 1954 mahnte er in einer von der FAZ abgedruckten Rede seine Zuhörer beispielsweise, »daß wir eine ungeheuerliche Uebertreibung nationaler Ansprüche in uns noch verarbeiten müssen und daß uns diese Besinnung nicht durch die Feststellung fremden Unrechts abgenommen werden kann.«274 Wörtlich erwähnte Heimpel sogar Auschwitz, allerdings betrachtete er den Holocaust dabei nicht als ein singuläres Verbrechen. Er setzte es mit Konzentrationslagern wie Bergen-Belsen und weitgehend sogar mit den Vertreibungen von Deutschen durch die Sowjetunion, Polen und die Tschechoslowakei nach 1945 gleich.275 Es war nicht nur ein theologisches Denkmuster, wie Nicolas Berg meint, welches Heimpel Buße und Gedächtnis als die richtigen Wege zur Erlösung erscheinen ließ.276 Es war keine gewollte Überleitung zu einer Schuldkultur, für die die Beschäftigung mit den Opfern das entscheidende Ziel gewesen wäre. Die Anerkennung der deutschen Verbrechen sollte nämlich nicht zuletzt das Recht geben, ausländische Vorwürfe gegen den Umgang mit diesen Verbrechen zurückzuweisen.277 Heimpel hielt sogar Verurteilte des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses für Opfer: Die Todesurteile gegen Männer wie Göring, Ribbentrop, Kaltenbrunner, Frank, Streicher, Sauckel, Rosenberg wurden vom deutschen Volk innerlich hingenommen als der Bergrutsch einer freilich keinem Menschen und keiner irdischen Macht zu­ 274 Heimpel, Synthese. 275 Für den Unterschied zwischen Konzentrationslagern auf dem Reichsgebiet und den Vernichtungslagern im besetzten Osteuropa gab es in den fünfziger Jahren fast noch kein Bewusstsein. Vgl. Berg, Holocaust, S. 49. 276 Vgl. ebd., S.  249 f. Der Gebrauch christlicher Sühne- und Sündensprache war im Umgang mit dem Nationalsozialismus in den fünfziger Jahren verbreitet. Siehe ebd., S.  56, 209–212. 277 Vgl. Heimpel, Erst zehn Jahre ist es her.

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stehend, aber von den Führern Deutschlands jedenfalls seit 1943 herausgeforderten Rache der Welt, einer Rache, die wie Lawinen und Bergstürze über Gerechte wie Ungerechte kam.278

Schon in seinem Aufsatz über den Tod für das Vaterland hatte Heimpel die NSOpfer, darunter auch die Ermordeten des Holocausts, unterschiedslos in einer Aufzählung mit angeblich zu Unrecht verurteilten NS-Verbrechern und gefallenen Soldaten genannt.279 Solche Sichtweisen bedurften kaum einer Erklärung, da die westdeutsche Gesellschaft der fünfziger Jahre von den Kriegsopfern in erheblichem Maße bestimmt wurde. Mehrere Millionen Menschen waren als Soldaten oder Zivilisten im Krieg oder anschließend bei den Vertreibungen ums Leben gekommen. 1950 lebten in der Bundesrepublik noch über zwei Millionen Kriegsbeschädigte beider Weltkriege und 1952 erhielten 2,84 Millionen weitere Menschen eine Hinterbliebenenrente. Bis Mitte des Jahrzehnts vermutete man noch immer über eine Million Kriegsgefangene in der Sowjetunion.280 Zwei Millionen Besucher sahen in den fünfziger Jahren in ganz Deutschland eine Wanderausstellung über deutsche Kriegsgefangene. So überrascht es nicht, dass noch bis in die siebziger Jahre die Ikonographie der Kriegsgefangenen diejenige der Holocaust-Opfer überdeckte.281 Eine Änderung von Heimpels grundsätzlicher Haltung aufgrund der Judenvernichtung282 lässt sich folglich für die fünfziger Jahre noch nicht konsta­tieren. Am 9. August 1956 hatte ihn Walther Peter Fuchs, Geschichtsprofessor an der TH Karlsruhe, aufgefordert, sich als Leiter des neugeschaffenen MPI einmal intensiv mit dem Holocaust zu beschäftigen. Heimpel wollte sich dazu nur in einem persönlichen Gespräch mit Fuchs äußern, über das es keine Aufzeichnungen gibt. Allerdings wurde der Holocaust kein Forschungsfeld in Heimpels neuer Einrichtung.283 Man könnte zugespitzt sagen, dass Heimpel zwar deutsche Taten verurteilte, aber keine deutschen Täter. Dies war eine Haltung, die in der westdeutschen Öffentlichkeit Anfang und Mitte der fünfziger Jahre fast uneingeschränkt do278 Manuskript zur Vortragsreihe »Deutsche Geschichte«, in: MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 47. S. 470. 279 Vgl. Heimpel, Über den Tod für das Vaterland, S. 5 f. 280 Vgl. Schildt, Moderne Zeiten, S. 64. Bei den Opferzahlen bezieht sich Schildt auf Angaben des Statistischen Bundesamtes. Demnach starben 3,8 Millionen Wehrmachtsangehörige im Krieg und in alliierten Gefangenenlagern, eine halbe Million Zivilisten bei Luftkrieg und Erdkämpfen, eine weitere Million durch Flucht und Vertreibung sowie 200.000 jüdische Deutsche sowie 100.000 weitere deutsche Staatsangehörige als Opfer politischer und weltanschaulicher Verfolgung durch nationalsozialistische Massenmorde. Siehe ebd. 281 Vgl. E. Schütz, Lageropfern, S. 193. 282 Vgl. Berg, Holocaust, S.  246. Dies soll nicht bestreiten, dass die reflexiven Arbeiten von Heimpel und anderen ein Schritt gewesen sind, der ein späteres Sprechen über den Völkermord in der westdeutschen Gesellschaft mit ermöglichte. Siehe ebd., S. 269. 283 Brief Walther Peter Fuchs’ an Heimpel, 9.8.1956, inklusive Heimpels Aktenvermerk über ein stattgefundenes persönliches Gespräch, in: MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 16.

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minierte.284 Dazu trug auch die Darstellung des 20. Juli bei. Sie förderte immer mehr den Eindruck, es habe sich bei dem Attentat um einen Akt der deutschen Streitkräfte an sich gehandelt. Das leistete der sich verstärkenden Vorstellung einer »sauberen« Wehrmacht Vorschub, die im Gegensatz zu »den National­ sozialisten« gestanden habe und schuf somit nicht zuletzt eine Tradition, an die bei der neugeschaffenen Bundeswehr angeknüpft werden konnte.285 Das Bild eines »normalen« Krieges der Wehrmacht im Gegensatz zu den Verbrechen der SS hatte sich schon in der Diskussion um die Freilassung deutscher Kriegsverbrecher aus alliierter Haft angebahnt, als nahezu alle Akteure in der westdeutschen Öffentlichkeit die Trennung zwischen angeblich zu Unrecht verurteilten Soldaten und »wirklichen« Nazis penetrant wiederholt hatten.286 Der Glaube, deutsche Soldaten hätten keine Verbrechen begangen, war fast unbestritten. Bei einer Umfrage im Herbst 1953 meinten gerade sechs Prozent der Befragten, Wehrmachtsangehörige hätten sich in den besetzten Ländern etwas zu Schulden kommen lassen, wogegen 81 Prozent glaubten, man können ihnen keine oder nur in Einzelfällen Vorwürfe machen.287 Beispielhaft für die Wirkung dieses Mythos waren große Filmerfolge wie die Trilogie 08/15 (1954/1955).288 In der DDR wurde das Bild der »sauberen« Wehrmacht nicht minder gepflegt. Dort galt der Zweite Weltkrieg zwar als verbrecherisch, aber nicht der gemeine Soldat.289 Die führenden Historiker hoben sich von dieser Haltung kaum ab.290 In einem Beitrag für die Zeit trennte auch Rothfels konsequent zwischen Nazis und einer »sauberen« Wehrmacht.291 Er fügte sich damit in den allgemeinen Diskurs ein, niemandem im Nachhinein Vorwürfe zu machen, indem er das Verhalten der Soldaten, die keinen Widerstand geleistet hatten, entschuldigte: Für die Truppe im ganzen war das [der Gang in den Widerstand – d. Vf.] kein möglicher Ausweg. Sie konnte wohl unter einsichtiger Führung Grausamkeiten aus­ weichen, etwa in der Frage des Kommissarbefehls, sie konnte im einzelnen Menschlichkeit üben, so schwer das unter den Bedingungen des Partisanenkrieges sein mochte […] Im ganzen aber blieb für den im Kampf stehenden Offizier und Soldaten nur das Gebot entsagungsvoller und opferreicher Pflichterfüllung, insbesondere für die schwer bedrängte Front im Osten. Begreiflich genug, daß man sich nach Möglichkeit abwandte von dem, was man nicht umhin konnte zu sehen, und nur der Aufgabe des Tages und der Stunde lebte.292

284 Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 305. 285 Vgl. Hoffmann, S. 159 f.; Conrad, S. 187. 286 Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 305. 287 Vgl. Schildt, Moderne Zeiten, S. 318. 288 Vgl. Hoffmann, S. 156–158. 289 Vgl. E. Schütz, Heimsuchung, S. 261 f. 290 Vgl. Conrad, S. 186. 291 Vgl. Rothfels, Krieg und Menschlichkeit. 292 Ebd.

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Gleichfalls klagte Heimpel die Alliierten an, ebenso wie 1918 auch nach 1945 deutsche Soldaten zu Unrecht moralisch diskriminiert zu haben. Um zu untermauern, wie haltlos diese Vorwürfe seien, bediente er sich in seiner Argumentation der aktuellen politischen Mächtekonstellation: Ein Deutscher sei seit 1957 Oberbefehlshaber der NATO-Landstreitkräfte in Mitteleuropa. Er suggerierte damit, dass eine solche Position unmöglich gewesen wäre, wären deutsche Soldaten tatsächlich Verbrecher gewesen.293 Heimpel hielt den Deutschen zugute, dass sie keinen Krieg gewollt hätten und kam daher zu der grotesken Einschätzung, beim Zweiten Weltkrieg habe es sich im Gegensatz zum Freiheitskrieg 1813 und zum Ersten Weltkrieg nur um einen, wenngleich riesigen, Kabinettskrieg gehandelt.294 Ferner billigte er an anderer Stelle nicht nur den Attentätern des 20. Juli zu, in der Tradition Preußens zu stehen, sondern ebenso allen anderen, deren Treue zum nationalsozialistischen Regime er damit entschuldigte, dass sie einem verhassten Kriegsherrn Gehorsam geleistet hätten.295 Hitler war denn auch der einzige wirkliche Täter, auf den Heimpel die Verantwortung reduzierte und den er entsprechend dämonisierte: So sprach er von dem »Geheimnis« seines Erfolges, nämlich »schärfste technische Intelligenz, eiserner Wille, Unterschätzung ihm fremder Menschen und Völker […]«296. Diese Dämonisierung und Konzentration aller Schuld auf Hitler war in der westdeutschen Gesellschaft weit verbreitet. Sie ist als eine Umkehrung seiner Verherrlichung vor dem 8. Mai 1945 und Fortsetzung des propagandistischen Bildes von Hitler als dem allmächtigen Diktator zu sehen. Die Totalitarismustheorie stützte diese Sichtweise. Sie ordnete die katastrophale Entwicklung der deutschen Geschichte in übergeordnete Zusammenhänge ein und relativierte sie durch die Gleichsetzung mit dem Stalinismus.297 Durch die Betonung der totalitären Zustände im »Dritten Reich«, ließ sich das Problem der sozialen Mechanismen umschiffen, die dieses System möglich gemacht hatten.298 Alle Herrschaftsgewalt lag nach dieser Lesart bei einer einzigen Person oder sehr wenigen Führungsfiguren, wogegen alle anderen Institutionen, auch die NSDAP, nur Werkzeuge in ihren Händen waren. Das historische Standardwerk Die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs (1954) von Walther Hofer reduzierte sogar die Kriegsursache allein auf Hitlers kranke Persönlichkeit.299 Dieses Bild wurde 293 Manuskript zur Vortragsreihe »Deutsche Geschichte«, in: MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 47, S. 388 f. Gemeint war General Hans Speidel, der ehemalige Stabschef Erwin Rommels, der nach dem Zweiten Weltkrieg im Beirat des Instituts für Zeitgeschichte saß und militärischer Sachverständiger der Bundesregierung war. Vgl. hierzu Conrad, S. 234. 294 Heimpel, Wandlungen des deutschen Geschichtsbildes. Gesendet am 22.8.1954 in der Aula, in: Hörfunkarchiv des SWR Mainz, Nr. WO 061845. 295 Vgl. Heimpel, Alle Bildung nützt nichts. 296 Heimpel, Erst zehn Jahre ist es her. Auch etliche andere westdeutsche Historiker zeich­ neten Hitler als einen Dämon in Menschengestalt. Vgl. Berg, Holocaust, S. 506 f. 297 Vgl. Conrad, S. 160–173. 298 Vgl. Kwiet, S. 191. 299 Vgl. Conrad, S. 188.

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nicht nur von einigen westdeutschen Historikern vertreten, sondern auch von einem populärgeschichtlichen Erfolgsautor wie Golo Mann oder nicht zuletzt als Verteidigungsstrategie der angeklagten NS-Verbrecher und Mitläufer.300 Wie weitgehend diese Fixierung auf Hitler ging, zeigte sich an Dehio. Er hatte in seiner Analyse weitgehend mit langfristigen Strukturen argumentiert und gerade einen Bruch mit den nationalen Traditionen postuliert. Dennoch dämonisierte er mehr als andere Historiker Hitler mit religiöser Metaphorik und konzentrierte die Schuld bei dem Diktator: Er ist der leibliche Dämon des extremen Hegemonialkampfes; ja, nach menschlichem Ermessen die Voraussetzung seines letzten Aufflammens. Ist es doch nicht vorstellbar, wie ohne ein satanisches Genie Deutschland sich noch einmal zu so schwindelnder Höhe hätte erheben sollen […]. Nachtwandlerisch stieg er auf zwischen Abgründen auf Pfaden, die kein anderer zu finden wüsste […].301

Ebenso zeigte sich in der Trivialliteratur das Bild Hitlers als übermensch­ lichem Ungeheuer. Im Münchner Massenblatt Revue brachte der Autor T ­ homas Orr 1952 eine Serie unter dem Titel Das war Hitler. Die erste Hitler-Biographie nach 1945 heraus, die ebenfalls dieses Paradigma widerspiegelte: Der National­ sozialismus wurde weitgehend auf Hitlers Suggestivwirkung projiziert. Niemand habe Diktatur und Weltkrieg vorhersehen können und die Deutschen seien zu Opfern geworden.302 Auch in der DDR personifizierte man den Nationalsozialismus als »Hitlerfaschismus«.303 Wer konkret für was verantwortlich gewesen war, wollte kaum jemand benennen.304 Rothfels publizierte zwar auf fachwissenschaftlicher Ebene in den VfZ den so genannten Gerstein-Bericht über die Vergasungen, kommentierte aber, es hätten nur sehr wenige von diesen Verbrechen gewusst und unterschied strikt zwischen Deutschen und Nationalsozialisten.305 Als Wissenschaftsorga­ nisator förderte er solche Studien, die den Nationalsozialismus unter dem Aspekt einer »inneren Besatzung« untersuchten oder auf Hitler und den Repressionsapparat des Regimes reduzierten.306 Dem rhetorisch versierten Heim300 Vgl. H. Mommsen, S. 102–104. 301 Dehio, Deutschland. 302 Vgl. Schulte, S. 31–34. Allerdings war die Hitlerfixierung kein rein deutsches Phänomen wie Frank Bösch belegt. Auch in US-Fernsehdokumentationen wurde der Diktator in das Zentrum gerückt. Das ergab sich sowohl aus der audiovisuellen Quellenüberlieferung als auch aus der medialen Faszination an Hitler, welche die Kriegspropaganda geschaffen hatte. Siehe hierzu Bösch, Der Nationalsozialismus im Dokumentarfilm, S. 54. Auch der britische Historiker Alan Bullock vertrat die These des allmächtigen Diktators in seiner erfolgreichen Hitler-Biographie und gab ihr damit erhebliche Unterstützung. Siehe H. Mommsen, S. 102–104. 303 Vgl. Assmann, Geschichtsvergessenheit, S. 163. 304 Vgl. Bude, S.  100 f. Eine Ausnahme, die nüchtern Verbrechen untersuchte, war Eugen ­Kogons Der SS-Staat. Siehe ebd. und Kogon. 305 Vgl. Berg, Holocaust, S. 337. 306 Vgl. Conrad, S. 179.

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pel fiel es schwer, den Massenmord überhaupt in Worte zu fassen. So sagte er im NDR, es habe eine »kulturelle und physische Daseinsminderung«307 der Slawen und Juden stattgefunden. Zwar sei dies nun unwiderruflicher Teil der nationalen Geschichte, doch beeilte er sich in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass nur sehr wenige Menschen von der Vernichtung überhaupt etwas gewusst hätten.308 Die jüdischen Historiker Joseph Wulf und Léon Poliakov, die seit 1956 mehrere wissenschaftliche Dokumentationen über den Holocaust vorlegten, blieben weitgehend unbeachtet und wurden von der Geschichtswissenschaft, speziell dem IfZ, nicht anerkannt.309 Das galt auch für den britischen Historiker Gerald Reitlinger, dessen Werk The final solution über die Judenvernichtung vom IfZ nicht als wissenschaftliche Abhandlung betrachtet wurde.310 Die Behauptung, niemand habe vom Holocaust geahnt, bekam dagegen einen geradezu offiziellen Status. Im Klett-Schulgeschichtsbuch von 1956 hieß es, die Bevölkerung habe den Juden geholfen und höchstens hundert Personen hätten von den Massenmorden gewusst.311 Auch Historiker, die sich wie Heimpel, Rothfels oder Dehio ab den fünfziger Jahren verstärkt in die öffentliche Debatte einmischten, taten dies als spezifische Intellektuelle. Durch die Einordnung der Presse- und Rundfunkbeiträge der Historiker konnte sichtbar gemacht werden, dass es für alle Fachvertreter ein bedeutsamer Aspekt war, Einfluss auf die öffentliche Meinung zu gewinnen. Dies galt umso mehr, als die historischen Betrachtungen im Rahmen der Diskussion um politische Grundsatzfragen wie Westintegration und Wiederbewaffnung standen. Ritter forderte daher die Wiederbewaffnung explizit erst dann, als sich die Haltung zu diesem Thema in der öffentlichen und verbreiteten Meinung bereits signifikant gewandelt hatte. Zuvor hatte er nur indirekt versucht, diesen Wandel durch eine intensive Publizistik gegen den Vorwurf eines spezifisch deutschen Militarismus zu fördern. Die Bundestagswahl von 1953 war ihm aber ein Symbol der neuen Stabilität des Staates und neben die Absicht, durch ein positives Geschichtsbild den Rückfall in nationalistische Ressentiments zu vermeiden, trat zur Mitte des Jahrzehnts hin bei ihm verstärkt die Intention, mit der eigenen öffentlichen Praxis die Wiedergewinnung der vollständigen staatlichen Souveränität zu unterstützen, zu welcher der Aufbau der 307 Manuskript zur Vortragsreihe »Deutsche Geschichte«, in: MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 47. S. 236 f., siehe auch S. 263. 308 Ebd. 309 Vgl. Goschler, S. 138 f.; Berg, Holocaust, S. 218; ders., S. 121–127. 310 Vgl. Berg, Holocaust, S. 285–288. Das IfZ betonte, es gehe nicht um eine »Bewältigung« der Vergangenheit, sondern um Forschung. Dieser Anspruch wissenschaftlicher Objektivität diente allerdings auch dazu, die Werke ausländischer Autoren als voreingenommen abzulehnen. Vgl. ebd., S. 276 f. Der Objektivitätsanspruch war ferner ein Mittel, um sich vom Nationalsozialismus abzugrenzen, der diesen Objektivitätsanspruch bekämpft hatte. Vgl. Schulze, Geschichtswissenschaft, S. 201–203. 311 Vgl. Stern, S. 729.

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Bundeswehr und die militärische Integration in das westliche Bündnis gehörten. Daher reagierte er überempfindlich auf das Buch des britischen Historikers Wheeler-Bennett, weil es dieser Absicht entgegenwirkte. Auch Rothfels interpretierte den Widerstand nicht mehr nur als Brücke des »guten« Deutschlands über die Zäsur des Nationalsozialismus hinweg, sondern gleichfalls als Vorstufe und Legitimation für die aktuelle politische Entscheidung für die Westintegration im Sinne eines kontinuierlichen Antitotalitarismus. Beide Historiker verfochten innerhalb der breiten Öffentlichkeit ein uneingeschränkt positives Widerstandsbild. Zumal Ritter verzichtete in seinen massenmedialen Beiträgen auf jegliche Kritik an Goerdeler, die er in seiner Biographie durchaus geübt hatte. Der Freiburger Historiker erklärte ausschließlich den konservativen Widerstand für legitim und versuchte sogar, missliebige Bücher über Sabotageaktionen im Zweiten Weltkrieg zu verhindern. Gerade weil in der breiten Öffentlichkeit das Bild des Widerstands als Verrat und der Widerständler als Mitschuldige an der Niederlage nicht überwunden war, wollte R ­ itter sich besonders deutlich von allen Personen und Gruppen distanzieren, die offensichtlich mit den Kriegsgegnern zusammengearbeitet und die Rüstung sabotiert hatten oder vom Dienst desertiert waren. Heimpel sah die nationale Kontinuität noch stärker als seine Kollegen nicht nur durch die Zäsur, sondern auch durch die staatliche Teilung bedroht. Deshalb engagierte er sich in der Öffentlichkeit intensiver für die deutsche Einheit und die Aufrechterhaltung von Kontakten in die DDR. Ihm ging es indes ebenfalls um ein geschlossenes Geschichtsbild, dessen Fehlen für ihn unter anderem die Gefahr eines Rückfalls in den Nationalismus mit sich bringen konnte. Allerdings glaubte er im Gegensatz zu Ritter und Rothfels nicht, dass der Widerstand die Zäsur überdecken könne. Er externalisierte den Nationalsozialismus nicht, aber er setzte sich auch nicht intensiv mit ihm auseinander. Vielmehr versuchte er, durch eine grundsätzliche Anerkennung von Schuld in der Öffentlichkeit das Thema zu »bewältigen« und ausländischen Vorwürfen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Er erwähnte die nichtdeutschen Opfer, jedoch ging es letztlich weder ihm noch Ritter oder Rothfels und schon gar nicht Aubin darum, den Opfern, zuallererst des Holocausts, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die öffentliche Praxis der Historiker sollte vielmehr den Tätern und Mitläufern ihre Vergangenheit erträglicher machen und ihre Integration in das neue Staatswesens ebenso wie ihre Anerkennung der politischen Grundsatzentscheidungen herbeiführen, welche die Historiker unterstützten. Hierzu passte die weitgehende Konzentration aller Schuld auf einen dämonisierten Diktator. In alle dem unterschieden sich die Historiker nicht von nahezu allen anderen öffentlichen Akteuren. Selbst Dehio erinnerte selten an deutsche Verantwortung für die Zäsur. Dabei musste gerade er auf die Bewahrung eines positiven und geschlossenen Geschichtsbildes keinerlei Rücksicht nehmen, da er einen Bruch mit der Nationalgeschichte propagierte. Noch stärker als seine Kollegen setzte sich Dehio für die Einbindung der Bundesrepublik in das westliche Bündnis als Konsequenz aus der Zäsur ein: Westdeutschland sollte aber nicht ein Staat 196 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

unter gleichen sein, sondern in einem größeren Abendland aufgehen, das Schutz sowohl vor dem Kommunismus als auch vor einer etwaigen Rückkehr des deutschen Nationalismus bieten sollte. Diesem Ziel wollte der Marburger Historiker womöglich nicht schaden, indem er zu sehr die Selbstgerechtigkeit kritisierte, die in der westdeutschen Öffentlichkeit im Hinblick auf die jüngste Vergangenheit weitgehend vorherrschte. 1.4 Der Generationswechsel als Antrieb für einen veränderten Umgang mit der Vergangenheit Am 5.  Mai 1955 traten die Pariser Verträge in Kraft, die der Bundesrepublik Deutschland die staatliche Souveränität unter Vorbehalt einbrachten. Teil des Vertragswerkes war zudem der Beitritt zur NATO, der die Westintegration des neuen Staates besiegelte. Es war also eine neue politische Situation, als nur einen Monat später Ritter als erster Historiker die Gelegenheit erhielt, zum Nationalfeiertag am 17. Juni 1955 vor dem Deutschen Bundestag zu sprechen.312 Als Redner zu einer Gedenkstunde, die faktisch ein staatliches Symbol darstellte, war es offensichtlich Ritters Wunsch, die verschiedenen, sich teils widersprechenden öffentlichen Geschichtsbilder so zu fokussieren, dass sie für die Bundesrepublik Deutschland integrative Wirkung entfalten konnten.313 Geradezu im Gegensatz zu seinen Publikationen schwenkte er etwa auf eine gemeinhin übliche Linie der Dämonisierung Hitlers ein, den er quasi zum Fremdkörper und Alleinschuldigen zugleich erklärte. Der patriotische Wille der Menschen sei von einem gewissenlosen Abenteurer missbraucht worden, der keine Verwurzelung in der deutschen Kulturgeschichte gehabt habe. Hingegen übte er keine Kritik an den »Massen« als notorischem Unsicherheitsfaktor der modernen Gesellschaft. Das Volk behandelte er vielmehr als Opfer, das von einer Diktatur unterdrückt worden sei. Kritischer als er dies in seinen Zeitungsartikeln getan hatte, akzentuierte er auch seine Thesen zu den Ursachen des Nationalsozialismus. Das deutsche Nationalbewusstsein habe von Anfang an gefährlich militante Züge aufgewiesen, da Deutschland sich aufgrund seiner Mittellage in Kriegen seine Einheit habe erkämpfen müssen. Die militärischen Erfolge und der wirtschaftliche Aufstieg hätten dann zu einer anhaltenden Selbstüberschätzung geführt. Ritter ließ allerdings auch bei dieser differenzierten Darstellung keinen Zweifel, dass er den Nationalsozialismus gerade nicht als Folge der deutschen Tradition erklären wollte. Das totalitäre System sei entgegen seinem 312 Seit 1954 gedachte der Deutsche Bundestag mit einer Feierstunde den Ereignissen des 17. Juni 1953 in der DDR. Die erste Gedenkrede hielt der Bundestagsabgeordnete Franz Böhm (CDU). In den folgenden Jahren wurden neben Politikern des Öfteren auch prominente Wissenschaftler wie Ritter eingeladen, vor dem Parlament zu sprechen. Vgl. Gallus. 313 Vgl. Schiller.

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Selbstbild keine Vollendung, sondern gerade ein Abbruch dieser Traditionen gewesen.314 Zudem beklagte der Historiker, dass die Zäsur nicht nur die völkische Begeisterung, sondern auch den Patriotismus zerstört habe. Das Verhältnis der Deutschen zu ihrer politischen Geschichte sei vernichtet und ihr politisches Selbstbewusstsein daher unsicher geworden.315 Die Deutschen wüssten längst, dass sie mit Herrenvolkdenken, Gewaltverherrlichung und Autoritätshörigkeit brechen müssten; man müsse es ihnen nicht ständig vorhalten. Dies sei gerade kein Neonazismus. Vielmehr drohe Gefahr, wenn ein Volk in Europas Mitte ohne Hoffnung und Selbstvertrauen lebe. Dabei machte er auch klar, wie er sich den Patriotismus der Zukunft nicht vorstellte: Es sollte nicht nach den Ideen der »Machthaber von Pankow«316 gehen, die in Wahrheit eine Bolschewisierung ganz Deutschlands planten. Ausdrücklich verglich er den Aufstand des 17. Juni 1953 mit dem 20. Juli 1944 und nannte beide Ereignisse tieftragische und gescheiterte Versuche, die Freiheit zu retten. Auch wenn er selbst sein Leben dem russischen Sieg verdanke, wolle man den 8. Mai 1945 nicht wie die DDR als einen Tag der Befreiung feiern. Stattdessen brauche man einen sozial gerechten Volksstaat, der anziehend auf die Menschen in der DDR wirke, sowie ein erneutes Bekenntnis zum Vaterland, aus dem eine breite Bewegung für die deutsche Einheit in Freiheit hervorgehe. Implizit rechtfertigte Ritter auch als Schutz gegen die DDR die westdeutsche Wiederbewaffnung, indem er betonte, die Bundesrepublik müsse Verantwortung übernehmen, wenn sie wieder als Subjekt in der internationalen Politik auftreten wolle. Einen Rückzug auf das private Lebensglück dürfe es nicht geben, denn Freiheit sei nun einmal ein kostbares Gut, für das es sich auch zu sterben lohne.317 Diese Rede Ritters war insofern für das erste Jahrzehnt nach dem Kriegsende exemplarisch, als sie alle drei Selbstentlastungsmechanismen enthielt, die Aleida Assmann für den Umgang der westdeutschen Gesellschaft mit dem Nationalsozialismus identifiziert hat: das Schweigen über die Verbrechen, denn man verdrängte nicht, sondern war sich bewusst, worüber man nicht sprechen wollte; das Opfersyndrom, denn man trennte scharf zwischen schuldigem Regime und dem Volk, das sich als Opfer sah und weswegen man andere nicht als Opfer anerkannte; der Antikommunismus, denn die Bundesrepublik (wie auch die DDR) externalisierten die eigene Vergangenheit, indem sie den Nationalsozialismus mit dem jeweils anderen System gleichsetzten.318 Durch diesen expliziten Antikommunismus galt Ritter in der DDR endgültig als diskreditiert. Leo Stern schrieb, der Freiburger Historiker habe einen Absturz zum Barden des wieder erstarkenden deutschen Militarismus vollzogen. In der offiziellen 314 Vgl. Ritter, Freiheit, die ich meine. 315 Vgl. Cornelißen, Ritter, S. 426 f. 316 Ritter, Freiheit, die ich meine. 317 Vgl. ebd. 318 Vgl. Assmann, Geschichtsvergessenheit, S. 140–142.

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Berliner Zeitung wurde ihm Beteiligung am »Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften« vorgeworfen.319 Allerdings kam es paradoxerweise in Folge der Westintegration der Bundesrepublik kurzzeitig zu verstärkten Kontakten zwischen Historikern beider deutscher Staaten. Nach Nikita Chruschtschows Zwei-Staaten-Erklärung auf der Genfer Gipfelkonferenz im Juli 1955, die den Verzicht auf die politisch-sozialen Änderungen in der DDR zugunsten einer Wiedervereinigung ablehnte, entwickelte sich in der DDR der politische Wille, die nichtpolitischen und somit auch wissenschaftlichen Beziehungen zum Westen zu verbessern. Historiker sollten daher wieder mehr Kontakt zu den Kollegen suchen.320 Nach dem Ulmer Historikertag 1956 lobte die ZfG sogar Heimpels Eröffnungsvortrag und setzte sich konstruktiv mit der Tagung auseinander.321 Der Göttinger Historiker wurde vom Deutschen Institut für Zeitgeschichte der DDR am 2. Oktober 1956 sogar gebeten, diesen Vortrag abdrucken zu dürfen.322 Im Gegensatz zu Ritter und Aubin galt Heimpel unter anderem wegen seiner DDR-Kontakte in der Öffentlichkeit bisweilen als politisch »links«.323 Dass die deutsch-deutschen Historikergespräche kurz darauf dennoch scheiterten, lag nicht nur an dem sow­ jetischen Politikwechsel nach dem Ungarn-Aufstand, sondern war notwendig der Situation in der DDR geschuldet. Wie Martin Sabrow zurecht sagt, konnte die DDR-Geschichtswissenschaft nicht glaubwürdig als brauchbares Instrument der politischen Legitimationsbedürfnisse in der sozialistischen Diktatur taugen, wenn sie sich tatsächlich ungeschützt der Kritik durch konkurrierende Deutungskonzepte aussetzte.324 Der Trierer Historikertag im September 1958 bedeutete schließlich die endgültige Spaltung der deutschen Geschichtswissenschaft, als die Organisatoren den DDR-Historikern Leo Stern, Ernst Engelberg und Max Steinmetz wegen der Unterdrückung der Lernfreiheit und Verfolgung Andersdenkender keine Redeerlaubnis erteilten. Daraufhin reiste die gesamte DDR-Delegation unter Protest 319 Vgl. Cornelißen, Ritter, S. 639 f. 320 Vgl. Kowalczuk, S. 260. 321 Vgl. Sabrow, Diktat, S. 265 f. 322 Brief des Deutschen Instituts für Zeitgeschichte an Hermann Heimpel, 2.10.1956, in: MPGArchiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 16. Heimpel lehnte dieses Ansinnen freilich ab: »Bei allem Bestreben nach einer Überbrückung der unkorrigierten Grenze wäre es augenblicklich für mich schwer vertretbar, an einer so auffallenden Stelle Ihrer Zeitschrift zu erscheinen […] Dies würde im gegenwärtigen Augenblick umso merkwürdiger erscheinen, als mein ­U lmer Vortrag in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte, also immerhin bei der westlichen Parallelinstitution erscheint.« Siehe ebd. 323 Am 15.8.1958 rechtfertigte sich Heimpel in einem Brief an den Leiter der Schule für Innere Führung der Bundeswehr, Helmut Ibach, denn »man kommt ja leider in Deutschland, wenn man nicht ganz vollkommen konform ist, in einen roten Ruf«. Siehe MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 20. Am 17.7.1959 musste er sogar eine dpa-Meldung dementieren, er habe sich für die Anerkennung der DDR eingesetzt. Siehe Aktennotiz Heimpels, in: MPGArchiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 15. 324 Vgl. Sabrow, Diktat, S. 266 f.

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ab.325 Die Westhistoriker wollten lieber eine Spaltung mit einem klaren Schnitt, als womöglich einen massenhaften Eintritt von Marxisten in den Westverband. Faktisch war die Spaltung aber schon vor dem Trierer Historikertag vollendet gewesen, da am 18. März 1958 die Deutsche Historikergesellschaft als Verband der DDR-Geschichtswissenschaftler gegründet worden war und Doppel­ mitgliedschaften untersagt wurden.326 Ritter wie Rothfels erhoben auch in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre den Anspruch der Geschichtswissenschaft, im Gegensatz zu anderen öffent­ lichen Akteuren fundierte Urteile über die Vergangenheit fällen zu können. Zumal Ritter mischte sich mehrfach ein, wenn Nichthistoriker seiner Meinung nach schiefe Bilder der Vergangenheit produzierten. Ein Fall, der ihm besonders unangenehm aufstieß, war die Kritik der Journalistin Margret Boveri an Goerdeler, den sie in einem Buch über den Widerstand als reaktionär beschrieben hatte. Gegen die Autorin, die mit ihren »sensationellen«327 Thesen wohl einen Massenerfolg erzielen werde, nahm Ritter für sich einen überlegenen wissenschaftlichen Standpunkt in Anspruch. In seiner Darstellung ließ es der Freiburger Historiker insgesamt an Selbstgerechtigkeit nicht fehlen, aus der sicherlich auch ein gerüttelt Maß Frustration über den Erfolg Boveris sprach: »Heute, nachdem selbst eine so ungewöhnlich begabte Journalistin wie Margret Boveri sich als unfähig erweist, zu unparteilicher Sachlichkeit und Gerechtigkeit, sehe ich, daß ich meine Leserschaft überschätzt habe.«328 Es missfiel dem Freiburger Historiker, dass die Mehrzahl der Menschen sich offenbar an der populären Geschichtsliteratur orientierte: Nicht aus gelehrten Geschichtswerken, die ausführlich sein müssen, um gut und hilfreich zu sein, sondern aus den Schlagworten der Tagespresse und der Tagespublizistik entsteht ja gemeinhin dasjenige Geschichtsbild, von dem jedermann redet und an das jedermann glaubt. Das geht meistens sehr schnell vor sich. Der wissenschaftliche ­Historiker, der viel Zeit zum sammeln und prüfen seiner Quellen braucht […] kommt mit seinen Einsichten regelmäßig zu spät, er wird ungern gehört, wenn er der öffent­ lichen Meinung widerspricht und dringt nur selten noch durch. So wird die öffent­ liche Meinung in aller Welt in erschreckendem Umfang durch halbwahre, schiefe oder völlig legendäre Geschichtsbilder bestimmt. Und es ist gar nicht auszudenken, was dadurch an politischem Schaden angerichtet wird.329

Rothfels mahnte ebenso, bei der Thematisierung von Zeitgeschichte bestehe die Gefahr von Kurzschluss und Eilfertigkeit: »Man braucht nur eine belie­ bige ­illustrierte Zeitschrift aufzuschlagen, um dessen peinlich gewiss zu wer­ 325 Vgl. Kowalczuk, S. 275 f. 326 Vgl. Sabrow, Diktat, S. 269–280. 327 Ritter, Wie leicht wird Zeitgeschichte zum Ärgernis. 328 Ebd. 329 Ritter, Die historischen Wissenschaften und die praktische Politik (2). Gesendet am 12.10.1958 in der Aula, in: Hörfunkarchiv des SWR Mainz, Nr. WO038403.

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den.«330  Kämen aber solche Ideen auf, etwa die Behauptung, Hitlers Außenpolitik sei ein erfolgversprechender Ansatz zur Schaffung einer konstruktiven europäischen Ordnung gewesen, ließe sich das durch einfaches Sachwissen widerlegen.331 Diese Aussagen waren deutlicher als sie schienen, denn sie widerprachen durchaus nicht nur der Populärliteratur. Schließlich war es der Vorsitzende des Historikerverbandes, Hermann Aubin, der in seinen wissenschaftlichen Schriften die nationalsozialistische Ost- und Volkstumspolitik in positive deutsche Bemühungen zur Lösung der osteuropäischen Nationalitätenprobleme einordnen wollte. In einem vom Bundesverteidigungsministerium 1957 herausgegebenen Handbuch meinte er, Hitler habe diese begrüßenswerten Ansätze erst dadurch zunichte gemacht, dass er mit der Sowjetunion den Nichtangriffspakt ab­ geschlossen und ganz Osteuropa Deutschland direkt habe einverleiben wollen.332 Wenn auch vieles ausgeblendet oder umgedeutet wurde: Von einer Gleichgültigkeit der westdeutschen Gesellschaft gegenüber der jüngsten Vergangenheit konnte nicht gesprochen werden. Zwar wurde die nationalsozialistische Vergangenheit in privaten Gesprächen weitgehend beschwiegen. Gerade zum Ende der fünfziger Jahre kam es jedoch mit aufsehenerregenden Ereignissen wie dem Ulmer Einsatzgruppenprozess, der Einrichtung der Zentralstelle für Kriegs­ verbrechen in Ludwigsburg und nicht zuletzt dem Generationswechsel mit einer kritischeren Medienberichterstattung zu einer verstärkten gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Geschichte. Der Fortschritt der elektronischen Massenmedien, zumal des Fernsehens, führte nicht zu einer Entpolitisierung, sondern zu einem wachsenden politischen Interesse. Politische Printmedien legten in den Auflagen kräftig zu, und selbst Boulevardblätter wie Bild beschäftigten sich erstmals mit politischen Themen.333 Diese Entwicklung konnte auch für den öffentlichen Umgang mit Zeitgeschichte nicht folgenlos bleiben. Für ein generell hohes Interesse der fünfziger Jahre an der jüngsten Geschichte sprechen überdies die Buchverkäufe. Laut der 1962 erstmals ver­öffentlichten Spiegel-Bestsellerliste war das zwischen 1945 und 1962 am häufigsten verkaufte Taschenbuch Das Tagebuch der Anne Frank mit 805.000 Exemplaren. Unter den Top Ten der Bestsellerliste befand sich allerdings noch ein Buch, das offenbar eine ganz andere Leserschaft für die Zeitgeschichte begeistern konnte, nämlich das den Nationalsozialismus verherrlichende Kriegstagebuch Trotzdem des ehemaligen Fliegeridols Hans-Ulrich Rudel, welches sich 450.000 Mal verkaufte.334 330 Rothfels, Die Zeit, die dem Historiker zu nahe liegt. Gesendet am 15.3.1959 in der Aula, in: Hörfunkarchiv des SWR Mainz, Nr. WO062719. 331 Vgl. ebd. 332 Vgl. Mühle, S. 605. 333 Vgl. von Hodenberg, S. 96; von Miquel, S. 207; Garbe, S. 707. 334 Vgl. Goschler, S. 130. Beide Bücher erschienen erstmals 1950. Dabei soll nicht vergessen werden zu erwähnen, dass der Erfolg des Tagebuchs der Anne Frank sich auch darauf zurückführen lässt, dass in der überarbeiteten Version die Elemente jüdischer Identität und deutscher Schuld zugunsten einer universalistischen Botschaft zurückgesetzt worden waren. Siehe ebd., S. 137.

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Um 1960, zumal im Zusammenhang mit der Fischer-Kontroverse, hielten Verlage zeitgeschichtliche Untersuchungen inzwischen für so erfolgversprechend, dass sie mitunter Professoren baten, ihnen Doktoranden zu nennen, deren Arbeiten sie publizieren dürften.335 Obwohl sich verharmlosende Darstellungen des Nationalsozialismus weithin der Beliebtheit erfreuten, gab es dennoch gegenüber dem Anfang des Jahrzehnts eine Verschiebung der verbreiteten Meinung hin zu einer kritischeren Sicht der Vergangenheit, für die Historiker in der Öffentlichkeit eingetreten waren: Die Zahl derer, die Deutschland für alleinschuldig am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hielten, stieg von Beginn bis Ende der fünfziger Jahre von einem Drittel auf die Hälfte der Bevölkerung. Gleichzeitig sank die Zahl derer, die keine Juden in Deutschland haben wollten und den Nationalsozialismus für eine gute Idee ansahen, die schlecht umgesetzt worden sei. Die Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie nahm zu, während die Erinnerung an eine angeblich bessere Vergangenheit vor dem Krieg mit dem »Wirtschaftswunder« immer mehr verblasste.336 Diese Entwicklung spiegelte allerdings weniger einen Ein­ stellungswandel wider als die Veränderung der Gesellschaftsstruktur durch die junge Generation, die in der Bundesrepublik und nicht mehr im Nationalsozialismus sozialisiert worden war.337 Dennoch beklagten viele Historiker in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre ein gesellschaftliches Desinteresse an Geschichte, dem sie in ihrer massen­ medialen Praxis mit Aufrufen für eine historische Besinnung entgegenwirken wollten.338 Tatsächlich kritisierten sie weniger eine Gleichgültigkeit gegenüber Geschichte als einen falschen Umgangs mit ihr. Die Formen gesellschaftlicher »Geschichtsversessenheit« deckten sich nicht mit den Vorstellungen der führenden Historiker. Nach ihrem Willen sollte einerseits nicht zu viel Kritik an der nationalen Tradition, andererseits jedoch ein klarer Bruch mit dem Nationalsozialismus erfolgen. Viele wehrten sich, wenn Geschichte in einer Weise umgedichtet wurde, die ehemalige Nationalsozialisten verharmloste oder aus dem Kontext ihrer Verbrechen heraus interpretierte, wie es Ende des Jahrzehnts in populären Illustrierten wie Quick und Stern geschah.339 Die Bemühungen der Historiker, den Widerstand zu rechtfertigen, setzten sich in der öffentlichen Meinung dank der Unterstützung von Politik oder Filmen immer mehr durch, aber in der verbreiteten Meinung wirkte sich das auch 1960 nur teilweise aus. Zwar glaubten mittlerweile nur noch 15 Prozent der repräsen­ tativ Befragten, der Widerstand habe die deutsche Niederlage im Zweiten Weltkrieg verschuldet, indes lehnten gleichzeitig vierzig Prozent es ab, öffentliche 335 Vgl. Blaschke, S. 244 f. 336 Vgl. Schildt, Moderne Zeiten, S. 319 f. 337 Vgl. Bergmann, S. 296. 338 Zum Beispiel Ritter, Die historischen Wissenschaften und die praktische Politik (2). Gesendet am 12.10.1958 in der Aula, in: Hörfunkarchiv des SWR Mainz, Nr. WO038403. 339 Vgl. von Hodenberg, S. 191 f.

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Einrichtungen nach Widerstandskämpfern zu benennen; nur 25 Prozent waren dafür.340 Zumal die Vertriebenverbände neigten ferner dazu, das an Deutschen begangene Leid gegen die NS-Verbrechen aufzurechnen. Die in der Aufarbeitung dieser Vertreibungen engagierten Historiker, sowohl Rothfels als auch Schieder als Leiter der Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mittel­ europa, nahmen hierbei eine moderate und daher umstrittene Haltung ein.341 Mit Erschrecken musste Rothfels zur Kenntnis nehmen, dass die Vertriebenenverbände eine strafrechtliche Verfolgung von »Verzichtlern« und eine völkerrechtliche Anerkennung des Münchner Abkommens verlangten.342 Obschon Rothfels erwog, in der Öffentlichkeit mit härteren Bandagen gegen die Vertriebenenlobby vorzugehen,343 machte er in seiner öffentlichen Praxis auch Zugeständnisse. Zwar forderte er, die großen sozialen Veränderungen nicht zu ignorieren, die seit den Vertreibungen in den ehemaligen deutschen Ostgebieten stattgefunden hätten.344 In einem Beitrag für die Zeit setzte er allerdings die Opfer des Holocaust und der NS-Vernichtungspolitik mit den bei den Vertreibungen Getöteten oder Umgekommenen gleich, wenngleich nicht wie Heimpel mit gefallenen Soldaten oder verurteilten NS-Tätern.345 Schon am 25.  August 1958 hatte Rothfels gegenüber Schieder, der ein schärferes Vorgehen gegen die Polemik der Vertriebenenverbände in den VfZ gefordert hatte, resigniert gemeint, alles habe »inzwischen ein solches politisches Gewicht angenommen, daß ich nicht recht sehe, wie wir mit unseren Waffen da noch hineinlangen.«346 Gegen den Willen des Bundesministeriums der Vertriebenen und der Vertriebenenverbände wollte Schieder auch die Ursachen der Vertreibungen in der Dokumentation behandeln. Damit konnte er sich allerdings nicht durchsetzen.347 340 Diese Einschätzung war allerdings eine Bildungsfrage. Unter den Abiturienten begrüßte eine relative Mehrheit von 42 % die Benennung von öffentlichen Einrichtungen nach Wider­standsaktivisten. Vgl. hierzu Noelle, 1958–1964, S. 235. 341 Brief T. Schieders an Margret Boveri, 9.2.1961, in: UA Heidelberg, Nl Conze, Rep. 101/162. Allerdings übte Rothfels hierbei Einfluss auf Schieder aus, die Schuld des nationalsozialistischen Deutschlands stärker zu betonen, beispielsweise im Fall der Tschechoslowakei. Siehe hierzu Briefwechsel T. Schieder/Rothfels im September 1957, in: BArch, Nl Rothfels 1. 342 Brief Rothfels’ an Ministerialrat Ludwig Landsberg, Arbeits- und Sozialministerium Nordrhein-Westfalen, in: Ebd. 343 Brief Rothfels’ an T. Schieder, 10.5.1958, in: Ebd. Rothfels hielt sich deshalb auch von ­Aubins Herder-Institut fern, das eine apologetische Sicht auf die deutschen Verbrechen in Osteuropa pflegte. Vgl. Eckel, Rothfels, S. 316. 344 Rothfels, Deutschland und der europäische Osten. Die Nationsidee in westlicher und östlicher Sicht. Gesendet am 24.5.1960, in: Historisches Archiv des BR München, Produk­ tionsnummer AU 30663. 345 Vgl. Rothfels, Krieg und Menschlichkeit. 346 Brief Rothfels’ an T. Schieder, 25.8.1958, in: BArch, Nl Schieder 1246. 347 Die Dokumentation mit Erlebnisberichten der Vertreibungen war durch das Bundes­ ministerium seit 1951 organisiert worden und sollte eine Grundlage für deutsche Gebietsansprüche bei künftigen Friedensverhandlungen bilden. Eine historische Einordnung, wie

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Den Forderungen der Vertriebenenverbände widersprach auch Dehio in einem Rundfunkvortrag 1959, als er die Vertreibungen als »rächende Wiedergutmachung unermesslichen Leidens« bezeichnete und hinzufügte, die Annexion deutscher Ostgebiete war »auch Sicherung gegen einen neuen deutschen Angriff. Sicherung konnte nur Russland gewähren«.348 Aus seinen Medienbeiträgen wurde implizit deutlich, dass Dehio in der Integration ins »Abendland« nicht nur einen Schutz gegen den Kommunismus, sondern auch vor einem deutschen Rückfall in den Nationalsozialismus sah. Gegen derartige Gefahren eines Neonazismus versuchte sich der Marburger Historiker zu engagieren. Am 1. Mai 1960 beteiligte er sich an einem Treffen, an dem unter anderem die beiden Bundestagsabgeordneten Berthold Martin (CDU) und Karl Theodor Freiherr zu Guttenberg (CSU) teilnahmen. Diese Abgeordneten und der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hermann Höcherl, wollten Vorschläge diskutieren, wie in der Gesellschaft ein positives Staatsbewusstsein geschaffen werden könne. Man kam zu dem Ergebnis, dass die Katastrophe von 1945 unbewältigt sei und sich ein Staatsbewusstsein auch nicht künstlich herbeiführen lasse. In einem Aktenvermerk zu der Zusammenkunft hieß es: Der Versuch einer solchen ›Bewältigung‹ durch eine reeducative Konfrontation mit dieser Vergangenheit könnte das Trauma noch vertiefen oder gar zu einer militanten Reaktion führen. Die bestehenden Meinungsumfragen sagen deutlich, daß aus Anlaß einer Situationsverschiebung auf politischem oder wirtschaftlichem Gebiete ein rechtsradikaler Bergrutsch keineswegs ausgeschlossen ist. (Noch heute 30 % Antisemiten; noch heute 50 % überzeugt, daß die Deutschen das ›leistungsfähigste Volk‹ der Erde seien.) Die genannten Faktoren der ›inneren Unstabilität‹ der Bundesrepublik und der ›unbewältigten Vergangenheit‹ sind geeignet, die Bundesrepublik als einen fragwürdigen Bündnispartner erscheinen zu lassen, selbst wenn dies angesichts einer klaren Haltung der jeweiligen Regierung im Augenblick unberechtigt er­ scheinen mag.349

Zur Lösung wollten die Teilnehmer einen »braintrust« bilden, der im Auftrag der CDU/CSU regelmäßig zusammentreten sollte.350 Dehio stimmte also mit seinen Gesprächspartnern überein, dass eine öffentliche Diskussion der rechtsradikalen Tendenzen gerade gefährlich wäre und zu unterlassen habe. Aus ähnlichem Grund hatte er schon einmal eine Bitte des Merkur um einen Beitrag abgelehnt, da er befürchtete, kontraproduktiv zu wirken: sie Schieder in Übereinstimmung mit Rothfels betrieb, war politisch nicht erwünscht, und der geplante Band, der die nationalsozialistischen Ursachen der Vertreibungen darstellen sollte, wurde folglich nicht publiziert. Vgl. Eckel, Rothfels, S. 357–359. 348 Dehio, Die neuen Forschungen über die Sowjetisierung Ost- und Mitteleuropas (1). Gesendet am 5.7.1959 in der Aula, in: Hörfunkarchiv des SWR Mainz, Nr. WO046851. 349 Aktenvermerk über das Treffen von Prof. Hofstätter, Hamburg; Prof. Dehio, Marburg; Herr Neumann vom Allensbacher Institut; Dr. Aloys Goergen, München; Dr. Martin MdB und Freiherr zu Guttenberg, MdB in Bad Godesberg (1.5.1960), in: StA Marburg, Nl Dehio 340 C, Kasten C9. 350 Vgl. ebd.

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Meine Diagnose ist so pessimistisch, daß sie leicht meine Freunde entmutigen, meine Feinde ermutigen möchte. Insbesondere in Deutschland sind die freiheitlichen Überzeugungen so schwächlich, daß sie den Anblick der Wahrheit kaum ertrügen, der echte Überzeugungen zu letztem Einsatze entflammte.351

Den öffentlichen Umgang mit Geschichte hielt auch Heimpel für gestört, obgleich er erkannte, es sei noch nie so viel über Geschichte geschrieben worden wie Ende der fünfziger Jahre. Geschichte müsse, meinte Heimpel mit seiner eigenen Wortschöpfung, als »Vergangenheitsbewältigung« dienen.352 Ein wichtiger Versuch eines solchen »vergangenheitsbewältigenden« Geschichtsbildes war Heimpels Vortragsreihe an der Universität Göttingen 1957/58, die vom NDR komplett übertragen wurde. Sie enthielt eine reformierte Gesamtschau der deutschen Geschichte und sollte die Grundlage einer neuen Nationalgeschichte bilden, die Heimpel plante, aber niemals fertig stellte.353 Theodor Adorno hatte schon frühzeitig zu diesem Begriff »Vergangenheitsbewältigung« angemerkt, dass es dabei weniger darum gehe, das Vergangene zu verarbeiten als einen Schlussstrich zu ziehen.354 Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass auch Heimpels Absicht – konsequent zu Ende gedacht – zu einem Schlussstrich führte, wenngleich er unentwegt die historische Besinnung forderte. Er benutzte den Begriff der Schuld und meinte ein abstraktes Eingeständnis, das die historische Kontinuität der Nation trotz des Nationalsozialismus wieder­ herstellen sollte. Während die Historiker einerseits ihre Bemühungen fortsetzten, einem ausgeprägten Nationalismus entgegenzutreten, fürchteten sie auf der anderen Seite eine zu selbstkritische Entwicklung der öffentlichen Meinung. Der Blick auf frühere Epochen sollte in ihren Augen nicht nur durch ein »Guckloch 1933« möglich sein.355 Für ein geschlossenes deutsches Geschichtsbild war es un­ erlässlich, dass wesentliche deutsche Traditionen der Epoche vor 1933 erhalten bleiben und auch in der Zeit des »Dritten Reiches« identifiziert werden konnten. Das Ziel eines solchen Geschichtsbildes aber war zum Scheitern verurteilt, wenn eine Analyse der Vergangenheit die breite Zustimmung weiter Bevölkerungsteile zum Nationalsozialismus nicht allein mit Täuschung und Terror begründete, die breite Beteiligung an den Verbrechen und der Ausgrenzung von Juden und anderen Opfern eingehend untersuchte und auch langfristige Ur­sachen des totalitären Systems in der deutschen Geschichte erkannte. Genau dies war allerdings die Entwicklung der öffentlichen historischen Debatte, die Ende der fünfziger Jahre ihren Anfang nahm und mit der Fischer-Kontroverse 1961 ihren ersten Höhepunkt erreichte. 351 Dehio an den Merkur, 13.3.1956, in: StA Marburg, Nl Dehio 340 C, Kasten C9. 352 Vgl. Heimpel, Der Versuch mit der Vergangenheit zu leben. Vgl. zu dem Begriff »Vergangenheitsbewältigung« auch Berg, Holocaust, S. 241. 353 Vgl. Schulin, Heimpel, S. 9–14. 354 Vgl. Cornelißen, Nationale Erinnerungskulturen, S. 15. 355 Vgl. Assmann, Geschichtsvergessenheit, S. 228.

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Der Generationswechsel hatte in diesem Prozess eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Es zeigte sich, dass vor allem in der jüngeren Generation viele die althergebrachte Vorstellung von Patriotismus, wie die älteren Historiker sie verstanden, nicht mehr teilten. Ein Wandel hergebrachter Normen war in den fünfziger Jahren vielfältig erkennbar und machte sich auch daran deutlich, dass Philosophie und Theologie ihre gesellschaftsprägende Bedeutung und universelle Deutungskompetenz immer mehr verloren. Dieser Bedeutungsverlust von Philosophie, Religion und Kirche war die Voraussetzung für die Werteänderung im folgenden Jahrzehnt sowie für Jugendkultur und weltliche Selbstbestimmungs- und Freiheitswerte.356 Ritter war dies bewusst. Schon auf dem Evangelischen Studententag 1954 in Heidelberg hatte sein Publikum nicht mehr hören wollen, dass Gott mit den Deutschen besondere Pläne habe.357 Der Freiburger Historiker beabsichtigte gegenzusteuern und hielt das auch für die Aufgabe des verantwortungsvollen Journalisten. Am 7. November 1955 kritisierte er die Redaktion der Rheinischen Post für einen Beitrag, der das Wohlergehen der Individuen anstelle des traditionellen Staatszwecks zum Sinn des demo­ kratischen Staates erklärte. Solche Ansichten, meinte Ritter, seien gefährlich, denn sie führten direkt in die Anarchie und machten die westliche Welt wehrlos gegen den Totalitarismus: »Echte Gemeinschaft ist nur da, wo man sich auch für das Ganze einzusetzen bereit ist. Die Freiheit ist nicht kostenlos zu haben.«358 Noch intensiver empfand Aubin, der gegenüber seinen Studenten nicht nur von der Notwendigkeit eines Nationalgefühls, sondern sogar des Nationa­lismus sprach, diese Distanz zu dem Lebensgefühl der jüngeren Generation. Gegenüber Meineckes Witwe klagte er, mit seinem Bemühen, die Lebenskräfte im Volk lebendig zu halten, stoße er auf keinerlei Resonanz mehr.359 Westdeutsche Historiker fürchteten, ohne nationales Bewusstsein sei der Staat der Bedrohung des Ostblocks schutzlos ausgeliefert. Hierzu trug bei, dass die DDR Ende der fünfziger Jahre ihre publizistischen Angriffe gegen die Bundesrepublik intensivierte. Beispielhaft war dafür etwa ein Zeitungsartikel Engelbergs vom 9. Oktober 1958 im Neuen Deutschland. In dem »Psychologische Kriegführung gegen Meinungsfreiheit« überschriebenen Beitrag warf Engelberg westdeutschen Historikern Diensteifrigkeit gegenüber der »Bonner NATO-Politik« vor. Engelberg stand im Gegensatz zu Meusel für eine klare Frontstellung gegen Westdeutschland. Da sich die Spaltung zwischen beiden 356 Vgl. Faulstich, Teufel, S.  32. Dabei soll nicht vergessen werden, dass die Teilnahme an christlichen Bräuchen wie Gottesdienst, Taufe und kirchlicher Eheschließung, aber ebenso an Alltagsritualen wie dem Tischgebet, in den fünfziger Jahren konstant hoch war. Gleichzeitig veränderten sich Lebensstile und Normen im Zuge der Amerikanisierung. Auch nahmen konfessionelle Mischehen zu und die Mehrheit der Gläubigen interessierte sich nicht mehr für kirchliche Forderungen nach der Bekenntnisschule. Vgl. hierzu Kleßmann, Kontinuitäten, S. 403–408 bzw. Gabriel, S. 427–430. 357 Vgl. Berg, Holocaust, S. 237. 358 Brief Ritters an die Rheinische Post, 7.11.1955, in: BArch, Nl Ritter 344. 359 Vgl. Mühle, S. 148 f.

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deutschen Staaten immer mehr verfestigte und auch der Historikerverband endgültig auseinandergebrochen war, konnte Engelberg Ende der fünfziger Jahre in internen Machtkämpfen der DDR-Historiker letztlich eine führende Rolle erringen.360 Die Angriffe Engelbergs und anderer ostdeutscher Historiker waren aber nicht nur dem Konflikt innerhalb der Geschichtswissenschaft geschuldet, sondern Teil einer breiten Propagandaaktion der DDR, mit der westdeutsche Eliten diskreditiert und mit ihrer NS-Vergangenheit konfrontiert werden sollten. Einen zentralen Faktor stellte dabei die Blutrichter-Broschüre dar, mit der nach und nach Tausend westdeutschen Juristen verbrecherische Urteile im Nationalsozialismus vorgeworfen wurden. Ebenso wenig wie die westdeutschen Historiker waren Politiker und Juristen daran interessiert, konkreten Beschuldigungen nachzugehen. Dieses Desinteresse wurde dadurch verstärkt, dass eine Aufdeckung der NS-Vergangenheit westdeutscher Juristen offensichtlich der Agitation des ostdeutschen Staates dienen sollte. Der Generationswechsel bedingte jedoch zumindest in einem Teil der westdeutschen Gesellschaft einen Einstellungswandel. Die »45er«-Generation, die sich ab 1957 in gesellschaftlichen Führungspositionen durchzusetzen begann, betrachtete die Massenöffentlichkeit nicht mehr als eine Bedrohung der »Persönlichkeit«, sondern als ein Forum der Kommunikation und eine Kontrollinstanz.361 Dies sorgte auch für eine kritischere Haltung gegenüber den NS-Verbrechen. Hierzu trugen verschiedene Ereignisse bei. Einen Wendepunkt stellte zum Beispiel der französische Dokumentarfilm Nacht und Nebel dar, der am 18. April 1957 erstmals in der Bundesrepublik ausgestrahlt wurde und in enger Zusammenarbeit mit französischen Historikern die Deportationen und die Konzentrationslager behandelte. Westdeutsche Historiker hatten das zugehörige Buch nicht aufgegriffen, und die Bundesregierung hatte über diplomatische Kanäle erfolgreich verhindert, dass die Dokumentation bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt wurde. Allerdings sorgte eine von der SPD angestrengte Fragestunde im Bundestag für politischen Druck, woraufhin sich letztlich die von den bürgerlichen Parteien dominierten Rundfunkräte, die Freiwillige Selbstkontrolle und die Bundeszentrale für Heimatdienst für die Ausstrahlung des Films auch in Westdeutschland einsetzten. Dies bedeutete eine erste öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema noch vor dem Ulmer Einsatzgruppenprozess.362 Vor allem aber dieser Gerichtsprozess gegen Verantwortliche für Massenerschießungen während des Zweiten Weltkrieges lenkte den Fokus auf Taten, für die wenigstens ein beachtlicher Teil der deutschen Bevölkerung Interesse zeigte. Im August 1958 sprach sich in einer Umfrage etwa eine Mehrheit 360 Vgl. Sabrow, Diktat, S.  246–250. Engelberg wurde auch Präsident des 1958 gegründeten DDR-Verbandes Deutsche Historikergesellschaft. Siehe ebd., S. 96. Zitate nach MPG-­ Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 15. 361 Vgl. von Hodenberg, S. 43. 362 Vgl. Bösch, Der Nationalsozialismus im Dokumentarfilm, S. 55 f.

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von 54 Prozent für eine Bestrafung von Kriegsverbrechern aus, nur ein Drittel plädierte für einen Schlussstrich.363 So kam es zu einer verstärkten öffentlichen Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass zahlreiche NS-Verbrechen ungesühnt geblieben waren und die Täter ungestraft in Ämtern und Funktionen saßen. Ein wichtiger Aspekt neben der Gründung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg war dabei die 1959 von jungen SDS-Studenten gegen den Widerstand der Universitätsleitungen durchgesetzte Wanderausstellung Ungesühnte Nazijustiz, die unerwartet die Unterstützung von Generalbundesanwalt Max Güde fand.364 Das Problem der Täter, die niemals vor Gericht gestellt worden waren, ging auch in die Populärkultur ein. Kritische Unterhaltungsfilme wie Rosen für den Staatsanwalt (1959) oder Kirmes (1960) kamen in die Kinos und fanden ein beachtliches Publikum.365 In einer sensibilisierten Öffentlichkeit musste Bundesvertriebenenminister Theodor Oberländer am 3. Mai 1960 zurücktreten, nachdem aus der DDR der Vorwurf kam, er sei an Ermordungen von Juden in Polen beteiligt gewesen. Der Vorfall konnte nie völlig geklärt werden.366 Das ging führenden westdeutschen Historikern zu weit. Im Gegensatz zu einer sich verändernden Gesellschaft erhielten sie sich ein auffallendes Verständnis für deutsche Täter und Mitläufer. Rothfels als Vorsitzender des Historikerverbandes verteidigte Oberländer öffentlich, auch weil dieser zu ihm persönlich immer loyal gewesen war.367 Heimpel hatte bereits in seiner NDRVortragsreihe den von Hitler als Nachfolger eingesetzten Reichspräsidenten Karl Dönitz für die Art gelobt, wie er 1945 viele deutsche Soldaten vor dem Zugriff der Roten Armee gerettet habe, und kritisierte gleichfalls die Alliierten dafür, dass ein Mann wie Dönitz »in entehrender Form gefangengesetzt worden« sei.368 Als er am 4. Juni 1960 in der FAZ seinen Göttinger Kollegen Siegfried A. Kaehler zu dessen 75. Geburtstag würdigte, schrieb er sicher nicht über einen überzeugten Nationalsozialisten. Doch hatte es etwas Skurriles, als Heimpel meinte, Kaehler sei dem Nationalsozialismus »ohne Kompromiß abgeneigt« 363 Vgl. Noelle, 1958–1964, S. 221. 364 Vgl. von Miquel, S. 199–212. Zunächst hatte die SPD die Organisatoren der Ausstellung sogar aus der Partei ausgeschlossen, da die gezeigten Archivalien aus der DDR stammten. Generalbundesanwalt Güde zeigte sich aber von der Echtheit überzeugt und widersprach auch der Behauptung, Juristen hätten im Nationalsozialismus mit schweren Repressalien rechnen müssen, falls sie keine harten Urteile gefällt hätten. Siehe ebd., S. 210–212. 365 Vgl. Assmann, Geschichtsvergessenheit, S. 224. 366 Vgl. Frei, Hitlers Eliten, S. 332. 367 Vgl. Eckel, Rothfels, S. 285. 368 Manuskript zur Vortragsreihe »Deutsche Geschichte«, in: MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 47, S. 467. Diese Interpretation konnte weithin auf Zustimmung rechnen. So bewerteten in einer Allensbach-Umfrage von 1952 46 Prozent der repräsentativ Befragten Karl Dönitz im Nachhinein als gut und nur sieben Prozent als schlecht. Vgl. Noelle, 1947/55, S. 135.

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gewesen, da Kaehler immerhin Parteigenosse gewesen war, was Heimpel freilich überging.369 Auch Schieder, der sich seit Ende der fünfziger Jahre als öffentlicher Experte zu Wort meldete, sah eine Gefahr darin, dass nationale Traditionen und die Kontinuität des Geschichtsbildes durch zuviel Kritik bedroht werden könnten. Dass »die deutsche Geschichte mit ihren gewaltigen Anstrengungen, ihren großen Leistungen und ihren Verirrungen wie ein Spuk weggeblasen« würde, sollte nicht geschehen.370 So war es nicht überraschend, dass auch er das Opfer­paradigma für die Deutschen anwenden wollte. Den Nationalsozia­ lismus hielt der Kölner Historiker für eine Kurzschlussreaktion auf wirtschaftliche Krise, politische Depression und gesellschaftliche Verarmung in Deutschland. Das Regime habe imperialistische Formen aus anderen Kontinenten auf Europa übertragen, wo unter den Völkern ein verletzliches Bewusstsein gleichen Ranges ausgeprägt gewesen sei. Schieder machte also keinen qualitativen Unterschied zwischen dem Kolonialismus und der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Bedenklich an seiner Argumentation war vor allem, dass er implizit nahe legte, der besondere Fehler des Nationalsozialismus habe nicht in Entrechtung und Völkermord bestanden, sondern darin, diese Methoden an europäischen statt an nichteuropäischen Völkern angewandt zu haben.371 So war es nur folgerichtig, dass er den Nationalsozialismus für einen machtstaatlichen Nihilismus ohne originären Gehalt hielt, wie er in einem Exposé zur Südtirolfrage ausführte.372 Die Definition des Nationalsozialismus als eines nach Europa übertragenen Kolonialismus ermöglichte es Schieder, Millionen NS-Anhänger zu Getäuschten des Regimes zu erklären. Diese hätten sich vom Nationalsozialismus die Durchsetzung ihres nationalen Selbstbestimmungsrechtes erhofft. Tatsächlich aber sei gerade das niemals das Ziel Hitlers und der SS-Führer gewesen, sondern die Schaffung eines Imperiums mit einem deutschen Herrenvolk im Zentrum.373 Dass es für Schieder kaum Täter gab, wurde besonders bei seinem Vortrag zum Jubiläum der HZ im SWF 1959 deutlich. Dort würdigte er den von den Nationalsozialisten als Herausgeber der HZ eingesetzten Karl Alexander von Müller, seinen eigenen Doktorvater, in einer Reihe mit allen anderen Leitern der Zeitschrift, sogar mit Meinecke. Schieder ignorierte dabei, dass 369 Vgl. Heimpel, Ein deutscher Historiker. Vgl. auch Eckel, Rothfels, S. 196 f. 370 T. Schieder, Ein Jahrhundert deutscher Geschichte im Spiegel der historischen Zeitschrift. Gesendet am 28.6.1959 in der Aula, in: Hörfunkarchiv des SWR Mainz, Nr. WO046745. 371 Vgl. T. Schieder, Imperialismus in alter und neuer Sicht. Gesendet am 28.2.1960 in der Aula, in: Ebd., Nr. WO059465. Wie Ritter sah auch er die entscheidende Folge der Zäsur in der Machtausbreitung der Sowjetunion nach Mitteleuropa. Siehe ebd. 372 Brief T. Schieders an Otto E. Schüddekopf, Internationales Schulbuchinstitut, 16.3.1959, in: BArch, Nl Schieder 440. 373 Vgl. T. Schieder, Der Imperialismus im Zeitalter der neuen Massenbewegungen. Teil III. Gesendet am 27.1.1961, in: Historisches Archiv des SWF Baden-Baden, Hörfunk-Manuskript-Sammlung. Vgl. auch Eckel, Rothfels, S. 318 f.

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von Müller 1945 auf alliierte Entscheidung hin wegen seiner NS-Nähe entlassen worden war und billigte der HZ sogar zu, sie habe sich im »Dritten Reich« von Propaganda weitgehend ferngehalten.374 Diese Form von Apologie ging über die seiner Kollegen hinaus. Ritter beispielsweise hielt den früheren HZ-Herausgeber für einen Nazi und charakterlosen Menschen.375 Ritter fürchtete allerdings auch angesichts der zunehmenden Kritik an der jüngsten Vergangenheit um das positive deutsche Geschichtsbild und setzte sich in den Massenmedien noch einmal mit einem »Geschichtsliteraten« ausein­ ander, als er 1960 Golo Manns Band zur Propyläen-Weltgeschichte in Christ und Welt rezensierte. Manns Darstellung der deutschen Geschichte war ihm zu negativ. Erst hatte er sich gegen diese Besprechung jedoch gesträubt, da er Mann nicht als Historiker anerkannte. Doch der Chefredakteur dieser größten westdeutschen Wochenzeitung, Giselher Wirsing, hatte Ritter dazu gedrängt, da die Propyläen-Weltgeschichte mit ihren Interpretationen für das Denken gebildeter Kreise maßgeblich sei. Ritter kritisierte in seinem Artikel, dass Mann die Geschichte Deutschlands im 19.  Jahrhundert »eher mit Skepsis als mit innerer Teilnahme, letztlich als bloßes Schauspiel«376 betrachte. Bei aller Subjektivität historischer Urteile gebe es doch einen »Kernbestand historischer Tatsachen und eindeutig ermittelter Zusammenhänge«. Ritter monierte, dass es gerade die Aufgabe einer Universaldarstellung sei, dieses Grundwissen zu vermitteln, um den allzu schnell vergessenden Menschen die richtigen Traditionen mitzugeben.377 Ritter hatte ein Jahr zuvor Mann bereits in einem persönlichen Brief gedrängt, bei seinen historischen Darstellungen stärker auf deren öffentliche Wirkung zu achten. Wie Mann Bismarck analysiere sei brillant und enthalte viel Wahres, sei aber dennoch nicht eigentlich richtig, denn: »Darf man die [gemeint ist die deutsche Geschichte – d. Vf.] den Deutschen nun so stark verdunkeln? Sollten sie nicht auch irgendwie Freude an ihrer Geschichte behalten dürfen?«378 Es war kein Zufall, dass ausgerechnet in dieser Phase Hellmuth Plessners 1935 erschienenes Buch Die verspätete Nation, das die deutsche Geschichte als negativen Sonderweg im Unterschied zu westlichen »Normalwegen« deutete, neu aufgelegt wurde.379 Wiederum unterschied sich Dehio von der Linie seiner Kollegen. War seine These einer zum Nationalsozialismus hinführenden Kontinuität in Gleich­ 374 Vgl. T. Schieder, Ein Jahrhundert deutscher Geschichte im Spiegel der historischen Zeitschrift. Gesendet am 28.6.1959 in der Aula, in: Hörfunkarchiv des SWR Mainz, Nr. WO04 6745. Trotz dieser Beschönigung hatte Schieder gegenüber von Müller ein schlechtes Gewissen, da sein Doktorvater auch über die nur angedeutete Kritik an der HZ im Nationalsozialismus empört war. Siehe Brief T. Schieders an Heimpel, 9.7.1958, in: MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 23. 375 Brief Ritters an Dehio, 25.4.1946, in: StA Marburg, Nl Dehio 340 C, Kasten C15. 376 Ritter, Historischer Impressionismus. 377 Ebd. 378 Brief Ritters an Golo Mann, 9.4.1959, in: Ders., Ein politischer Historiker, S. 535. 379 Vgl. Cornelißen, Historismus, S. 105–107.

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gewicht oder Hegemonie noch unpräzise gewesen, verurteilte er in der mittlerweile gegenüber nationaler Selbstkritik aufgeschlosseneren Öffentlichkeit preußisch-deutsche Traditionen. Am 5. November 1960 skizzierte er in einem öffentlichen Gespräch des BR drei Punkte des preußischen Erfolgsrezepts, nämlich autoritäre Führung, überdimensionierte Rüstung und außenpolitische Expansion zur Ablenkung von inneren Krisen, die dem Nationalsozialismus den Boden bereitet hätten. Wie Friedrich II. 1740 oder 1756 habe Bismarck 1866 die preußische Alternative befolgt, die allen anderen europäischen Staaten fremd gewesen sei: Wachsen oder Untergehen. Deshalb habe Bismarck auch keine Mittel gescheut und durch Herausdrängung Österreichs eine deutsche Einigung durch eine deutsche Teilung erkauft. Letztlich habe sich ein neudeutschfaschistisches Jakobinertum mit der altpreußischen Richtung vereint und die preußische Dynamik so vervielfacht, ohne seine Methoden zu ändern. Um die Katastrophe zu bewältigen, könne diese nationale Entwicklung weder im Guten noch im Bösen fortgeführt werden.380 Schon 1955 hatte er in der HZ in einer Rezension des zweiten Bandes von Staatskunst und Kriegshandwerk Ritter für die Ansicht kritisiert, Friedrich II. wegen des Erfolgs seiner Abenteuer positiv zu bewerten. Gerade diese erfolgreichen Abenteuer hätten Fernwirkungen in der deutschen Geschichte entfaltet.381 Es kam intern sogar zu einer erregten Diskussion mit Schieder. Ritter sprach von Verranntheit und typischer Tendenzhistorie bei seinem Marburger Kollegen. Die FAZ kommentierte Dehio hingegen wohlwollend, und dieser erlaubte der Bundeszentrale für Heimatdienst auch eine Publikation seines Vortrages. Als die Bundeszentrale auf Druck von Bundesinnenminister Gerhard Schröder, der die Erinnerung an Preußen fördern wollte, die Veröffentlichung von Dehios Vortrag verschleppte, setzte sich Schieder allerdings dort für Dehio ein. Zwar lehnte er Dehios Thesen ab, hielt es aber nicht für hinnehmbar, dass wissenschaftliche Darlegungen amtlichen Stellen zur Prüfung vorgelegt werden sollten. Er drohte sogar, selbst der Bundeszentrale keine eigenen Schriften mehr für die Veröffentlichung zur Verfügung zu stellen. Daraufhin konnte Dehios Text publiziert werden.382 Ab Ende der fünfziger Jahre mischte sich Conze erstmals mit einigen längeren Beiträgen als spezifischer Intellektueller in die öffentliche Debatte zum Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ein. Gerade an Conzes Interpretationen lässt sich die Ambivalenz des Umgangs mit der NS-Vergangenheit um das Jahr 1960 exemplarisch ablesen. Einerseits berücksichtigte er stärker als seine Kollegen zuvor in seiner außerfachlichen öffentlichen Praxis die Kritik an deutschen Traditionen und die Verbrechen. Andererseits ging es auch ihm grundsätzlich um ein geschlossenes deutsches Geschichts380 »Ist die deutsche Geschichte zu Ende?« Eine Historiker-Diskussion über unsere nationalstaatliche Vergangenheit. Gesendet am 5.11.1960, in: Historisches Archiv des BR München, Produktionsnummer PR48402. 381 Vgl. Cornelißen, Ritter. S. 585. 382 Vgl. ebd., S. 584; Beckers, S. 54 f.

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bild, das durch einen kritischen Rückblick auf die nationale Vergangenheit gewonnen werden sollte, die Verbrechen daher nicht in den Mittelpunkt stellen konnte.383Aufschlussreich ist der Vergleich einer Vortragsreihe Conzes für den BR am Jahresbeginn 1961 und eines Rundfunkvortrags von Erdmann im NDR am 6. März 1961, die also fast parallel gesendet wurden und beide die NS-Vergangenheit zum Gegenstand hatten. Der Kieler Historiker orientierte sich dabei im Gegensatz zu Conze stärker an der in den fünfziger Jahren konzipierten Sichtweise auf die Zeit von 1933–1945. So verneinte er etwa langfristige nationale Ursachen: Mit Recht wird von Seiten der Wissenschaft immer wieder davor gewarnt, die deutsche Vergangenheit in dem Sinne nach Vorläufern zu durchstöbern, daß schließlich der Nationalsozialismus als eine ideengeschichtliche Mixtur dasteht, an der etwa ihren Anteil haben: der Antisemitismus und die völkische Romantik Ernst Moritz Arndts, das deutsche Sendungsbewußtsein Fichtes, die metaphysische Staatsüber­ höhung Hegels, der Rankesche Primat der Außenpolitik, die Realpolitik Bismarcks, der Imperialismus der Alldeutschen, Nietzsches Wille zur Macht und […] luthe­ rischer und preußischer Obrigkeitsgehorsam. Das geht nicht.384

Man dürfe die deutsche Geistesgeschichte nicht für tabu erklären, aber auch viele nationalistische Autoren der zwanziger Jahre hätten sich mit Abscheu von Hitler abgewandt.385 Für Erdmann waren allenfalls kurzfristige Ursachen entscheidend: Man kann es vereinfachend so formulieren, dass die verschiedenen miteinander ringenden Gruppen nicht wie Regierung und Opposition ihre Auseinandersetzung auf der Basis des gleichen Staatsverständnis führten, sondern dass unter vier verschiedenen Fahnen vier verschiedene Staats- und Gesellschaftsauffassungen einen unversöhnlichen Kampf miteinander führten […]. Nachdem die Parteien der Großen Koalition sich nicht imstande gezeigt hatten in den aus der Wirtschaftskrise sich ergebenden sozialpolitischen Fragen einen staatspolitischen Kompromiß zu finden, entstand ein gesetzgeberisches Vakuum. In diesem Vakuum gelangten zunächst die präsidial-autoritären Momente der Weimarer Verfassung zum Zuge, um dann den Nationalsozialisten das Feld zu räumen.386

Erdmann konzentrierte sich nur auf den Moment der Machtübernahme der Nationalsozialisten, nicht auf die spätere Zustimmung zum Regime. Das System war für ihn eine »Herrschaft des extremen Nihilismus«, gegen den sich schließlich ein breit gefächerter gesellschaftlicher Widerstand formiert habe.387 383 Vgl. Conze, Nationalstaat – Weltrevolution – Welteinheit (2). Gesendet am 13.3.1960 in der Aula, in: Hörfunkarchiv des SWR Mainz, Nr. WO059824. 384 Vortrag zitiert nach Erdmann, Das Dritte Reich, S. 410. 385 Vgl. ebd. 386 Ebd., S. 414. 387 Ebd., S. 417.

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Conze hingegen leistete eine kritischere und differenziertere Betrachtung der jüngsten deutschen Vergangenheit als Erdmann, wollte diese Kritik andererseits gleichwohl relativieren. Für ein langfristiges Grundproblem deutscher Geschichte hielt Conze etwa, dass das Ziel, einen einheitlichen und freien deutschen Nationalstaat zu schaffen, im 19. Jahrhundert verfehlt worden war. Statt durch die Revolution von 1848 wurde es unter preußischer Führung gewaltsam erzwungen. Die Kriegserfolge unter Bismarck hätten zu einer Überbewertung des militärischen Aspekts und der enorme Wirtschaftsaufschwung zu einem irrationalen Überlegenheitsgefühl geführt. Nur noch die nationalistische Rechte galt demnach als wirklich national und erwies sich in der Weimarer Republik als gefährlicher als die Kommunisten, weil sie Unterstützung aus Heer, Politik und Wirtschaft erhielt und auf lange Sicht mehr Wähler gewinnen konnte. Verständlich war, dass Conze diese Ursachen nicht als deterministisch für die Machtübernahme Hitlers ansehen wollte, allerdings stellte er eine gewagte Rechnung auf, als er meinte, das Wahlergebnis von 33 Prozent für die NSDAP bei den letzten freien Reichstagswahlen am 6. November 1932 bedeute, dass zwei Drittel der Deutschen 1933 Gegner der Nationalsozialisten gewesen seien und auch das zustimmende Drittel in vielem nicht hinter dem Wahlprogramm der NSDAP gestanden habe.388 Mit dieser Interpretation schränkte er die Bedeutung der von ihm zuvor ausführlich erörterten Ursachen stark ein. Er folgte also keineswegs Ritters Analyse einer Massenbewegung, die den Regierungsantritt der Nationalsozialisten erzwungen habe, sondern meinte an anderer Stelle, Hitler sei ohne Not zum Reichskanzler ernannt worden.389 Auch an der Frage der Verbrechen und der Zustimmung zum Regime zeigte sich bei Conze das Schema der kritischen Auseinandersetzung und deren gleichzeitiger Relativierung. Als Folge […] musste nach Hitlers Willen die bodenständige Bevölkerung an vielen Stellen Mittel- und Osteuropas durch Aus- und Umsiedlung, Assimilierung und Ausrottung zurechtgeknetet, durch Verweigerung qualifizierter Schulbildung auf einem so tiefen Niveau gehalten werden, dass die Durchdringung des weiten Raumes durch das zur Herrschaft berufene Volk angeblich höherer Rasse gewährleistet sein sollte […] Es war dies [die Eroberung – d. Vf.] nicht der eigentliche Zweck, sondern stand für Hitler im Dienst seiner Wahnidee, die ihm der Schlüssel zur Weltgeschichte und der Antrieb seines perversen Sendungsbewusstseins war, nämlich des Antisemitismus mit dem Gebot des Entscheidungskampfes gegen das sogenannte, angeblich die Freiheit der Menschheit bedrohende Weltjudentum. Die Ausbreitung der deutschen 388 Vgl. Conze, Hauptprobleme des Nationalsozialismus (3): Wirkung und Nachwirkung des Dritten Reiches. Gesendet am 15.2.1961, in: Historisches Archiv des BR München, Produktionsnummer FR13001/01–02. Die Vortragstexte wurden teils wörtlich übernommen in ders., Die Deutsche Nation. 389 Vgl. ders., Nationalstaat  – Weltrevolution  – Welteinheit (2). Gesendet am 13.3.1960 in der Aula, in: Hörfunkarchiv des SWR Mainz, Nr. WO059824. In diesem Vortrag nannte Conze auch den »verletzenden Friedensvertrag« von Versailles und die Weltwirtschaftskrise als kurzfristige Ursachen. Siehe ebd.

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Macht sollte der Beginn für den kommenden Endkampf zwischen den Ariern – Begriff, den ich hier nicht zu erklären brauche, der völlig absurd ist – zwischen Ariern und Juden auf der Erde sein […] Endlösung ist daher für ihn die der Absicht nach vollständige Ausrottung der Juden auf der ganzen Erde. Soweit Hitlers Macht reichte und die Zeit noch zur Verfügung stand, ist diese Endlösung tatsächlich durch teuf­ lische Methoden zustande gekommen. Über fünf Millionen Tote, deren Massenmord im technischen Schnellverfahren nur deswegen befohlen wurde, weil sie dem jüdischen Volk angehörten oder von ihm abstammten, waren Hitlers größter Erfolg zu einer Zeit, als der Krieg für Deutschland, das in seinem Fieber zum Instrument Hitlers geworden war, längst verloren war.390

Conze unterschied sich eindeutig von den übrigen Historikern darin, dass er den Holocaust in diesem Vortrag als zentrales Ziel des Nationalsozialismus definierte. Dieses Verbrechen war für ihn auch einzigartig, denn während Stalin oder Robespierre viele Einzelne hätten ermorden lassen, sei es Hitler um die Auslöschung einer ganzen »Rasse« gegangen. Man meint Conzes Stimme stocken zu hören, als er bei seinem Rundfunkvortrag am 1. Februar 1961 die Vernichtung der europäischen Juden ansprach, um dies sofort wieder mit den Worten abzubrechen: »Es bedarf keiner weiteren Schilderung dieses grausigen Geschehens«.391 So deutlich Conze auch das Verbrechen benannte, sticht indes ins Auge, dass er die Verantwortung in seiner Darlegung, ganz dem Paradigma der Dämonisierung verpflichtet, auf Hitler konzentrierte. Zwar habe der Diktator seine Ziele in Mein Kampf genau beschrieben und mit einer »grausigen Konsequenz« in die Tat umgesetzt. Die Deutschen aber hätten diese verstiegenen Forderungen nicht kritisch gelesen oder nicht ernst genommen.392 In seiner wissenschaftlichen Tätigkeit thematisierte Conze den Holocaust hingegen nahezu gar nicht.393 Dass er und auch Erdmann die Judenvernichtung dennoch als erste der »Grundtatsachen« des Nationalsozialismus erwähnten, zeigt, dass sich spätestens nach der Entführung Adolf Eichmanns die öffent­liche Wahrnehmung verändert hatte. Allerdings ging Erdmann im Folgenden auf die Verbrechen nicht mehr ein. Vielmehr benannte er als Opfer des Systems ausführlich die vertriebenen und auf der Flucht ermordeten Deutschen.394 Conze 390 Ebd. Das ist insofern bemerkenswert, als Conze in wissenschaftlichen Vorträgen Juden in Ostmitteleuropa, wie schon in seinen Schriften vor 1945, im Wesentlichen als Störfaktoren geschildert hatte. Vgl. hierzu Dunkhase, S. 241 f. 391 Conze, Hauptprobleme des Nationalsozialismus (2): Ideologie und Wirklichkeit der Politik Hitlers. Gesendet am 1.2.1961, in: Historisches Archiv des BR München, Produktionsnummer FR12951. 392 Ders., Nationalstaat – Weltrevolution – Welteinheit (2). Gesendet am 13.3.1960 in der Aula, in: Hörfunkarchiv des SWR Mainz, Nr. WO059824. 393 Vgl. Dunkhase, S. 235–256. 394 Vortrag zitiert nach Erdmann, Das Dritte Reich, S.  405–408. Auch im Handbuch der deutschen Geschichte hatte Erdmann den Holocaust nicht an zentraler Stelle erwähnt und auch in eine Reihe mit der Bombardierung Dresdens gestellt. Siehe hierzu Erdmann, Gebhardt, S. 311.

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ging es vor allem darum, Verständnis für die Deutschen zu wecken, die dem »Dritten Reich« zugestimmt hatten: Die Nahziele hätten sich inhaltlich nicht von denen der anderen Parteien unterschieden und ihretwegen sei die NSDAP gewählt worden: die Vereinigung aller Deutschen in einem Nationalstaat. Deshalb seien die Annexionen Österreichs und des Sudetenlandes gerechtfertigt gewesen, aber mit der Errichtung des »Protektorates Böhmen und Mähren« sei Hitler darüber hinausgegangen und habe sein eigentliches Ziel angestrebt, nämlich ein rassistisch umgestaltetes Imperium. Der Rassismus jedoch habe die Menschen nicht überzeugt, sondern die anfänglichen außen­politischen Erfolge und die Arbeitsbeschaffung. Conze ging nicht mehr so weit wie einst Meinecke direkt nach dem Zweiten Weltkrieg, der von Deutschland als dem ersten nationalsozialistisch besetzten Land gesprochen hatte. Zwar sei die Macht der Nazis auf Terror gegründet worden und ihre Entschlossenheit zur Herrschaft auf den mangelnden Widerstandswillen der übrigen Parteien gestoßen. Aber die Realität habe weder einem NS-besetzten Land noch einer neunundneunzigprozentigen Zustimmung entsprochen. Sowohl Gläubige als auch unberührte Gegner seien Minderheiten gewesen, die Mehrheit hingegen dazwischen wie der Sumpf in der Französischen Revolution. Conze gestand allerdings zu, dass die Gläubigen durchaus eine bedeutende Minderheit gewesen waren. Das Gefühl, dass Auflehnung sinnlos sei, war für den Heidelberger Professor eine der negativen Nachwirkungen der Diktatur. Es habe zu einem Leben mit der Lüge, zu Opportunismus und Durchlavieren in einer moralfreien Gesellschaft geführt: Dazu gehörte auch, und nicht zuletzt, dass am Unrecht und am Frevel soweit wie möglich vorbei gelebt wurde. Es war am besten, davon möglichst wenig zu wissen, damit das Gewissen nicht belastet und die Verstrickung in das Verhängnis nicht unerträglich wurde. Im übrigen sahen die meisten in der Anspannung des Krieges nur das sie unmittelbar Betreffende.395

Conze kritisierte und relativierte die Kritik auch wieder. Rhetorisch fragte er, wer in all dem Leid des Krieges noch die Kraft hätte haben können, an andere zu denken.396 In Conzes Darstellung waren die Deutschen im Nationalsozialismus von einem »Fieber« ergriffen, nicht Verantwortliche, allenfalls Opfer von Täuschung und Wahnvorstellungen. Er erklärte nicht, wieso Krieg und Vernichtung bis zum Schluss funktionierten, wenn nur wenige dies gewollt hätten. Es gab in der öffentlichen Auseinandersetzung indes Akteure, die bereit waren, hier schärfere Kritik zu üben. Der Journalist Albert Wucher, der für die Süddeutsche Zeitung des Öfteren zu historischen Themen schrieb, hatte sich in einer Artikelserie zwischen dem 9. November und 7. Dezember 1960 ausführ395 Conze, Hauptprobleme des Nationalsozialismus (3): Wirkung und Nachwirkung des Dritten Reiches. Gesendet am 15.2.1961, in: Historisches Archiv des BR München, Produktions­ nummer FR13001/01–02. 396 Vgl. ebd.

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lich mit der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden beschäftigt. Wuchers Aufsätze wurden durch die Verhaftung Eichmanns ausgelöst und veranlassten ihn zu der Erkenntnis, dass der Holocaust nicht das Verbrechen eines einzigen Mannes, sondern eines ganzen Systems gewesen war, an dem viele teilgenommen hatten. Namentlich führte er nicht nur etliche Verantwortliche der SS aus der zweiten Reihe auf, sondern auch die Mittäter aus der zivilen Bürokratie. In gewisser Weise war das eine Pionierleistung, die mit der bisherigen Darstellung der Ereignisse brach. Die Forschung hatte sich bis dato, wie dargelegt, kaum mit der Judenverfolgung beschäftigt. Wolfgang Schefflers Judenverfolgung im Dritten Reich war 1960 die erste wissenschaftliche Monographie zu diesem Thema.397 Golo Mann hatte den Holocaust zwar in seiner Deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts 1958 eingebunden und erhielt auch Lob von liberalkonservativer Presse und Historikern wie Schieder oder Erdmann, galt aber der Zunft dennoch nicht als Wissenschaftler.398 In diesem Kontext stand ferner der schwedische Dokumentarfilm Mein Kampf des deutschen Emigranten Erwin Leiser, der 1960 in der Bundesrepublik ausgestrahlt wurde. Leiser verzichtete auf pädagogische Hinweise, zeigte allerdings in bis zu diesem Zeitpunkt unbekannten Maße Gewaltakte gegen Polen und Juden sowie die öffentliche Begeisterung vieler Deutscher für das nationalsozialistische System. Nicht nur die Rezensenten der großen Tageszeitungen äußerten ihre Erschütterung, auch bei vielen Zuschauern hinterließ der Film offenbar großen Eindruck, denn der Begleitband erreichte die Spiegel-Bestsellerliste.399 Die Berichte zu Eichmann oder dem ehemaligen Kommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß, wider­legten die verbreitete Sichtweise, bei den NS-Tätern habe es sich um wenige kriminelle »Bestien« gehandelt. Die Mörder erwiesen sich vielmehr als durchschnittliche Kleinbürger.400 Eine Thematisierung von Zustimmung und Verbrechen, die aber gleich­ zeitig wie bei Conze auch eine Relativierung einschloss, entsprach insgesamt jedoch eher dem Zeitgeist als eine schonungslose Behandlung der Zusammenhänge. Dies lässt sich etwa an dem Erfolg der Fernsehdokumentation Das Dritte Reich ablesen, die einen Meilenstein der öffentlichen Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus darstellte und 1960/61 als eine Koproduktion von WDR und SDR ausgestrahlt wurde. In dieser Serie, die überragende Einschaltquoten mit bis zu 15 Millionen Zuschauern und eine überwiegend positive Resonanz 397 Vgl. Schulte, S. 37–39. 398 Vgl. Lahme, S. 385–387. Über Mann meinte Ritter, er sei kein Fachhistoriker, sondern ein Mittelding zwischen Literat und Wissenschaftler, der nur essayistisch schreiben könne. Siehe Brief Ritters an Giselher Wirsing, 29.4.1960, in: BArch, Nl Ritter 370. 399 Vgl. Bösch, Der Nationalsozialismus im Dokumentarfilm, S. 56–58. In den sechziger Jahren begann auch das westdeutsche Fernsehen Dokumentationen zum Nationalsozialismus zu produzieren, die differenziert nach Ursachen fragten und nicht mehr alle Verantwortung auf Hitler projizierten. Solche Filme entstanden auch in Zusammenarbeit mit dem IfZ. Siehe ebd., S. 61. 400 Vgl. Assmann, Geschichtsvergessenheit, S. 217 f.

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bei Publikum und Kritikern erfuhr, wurden die Deutschen moralisch entlastet, die deutschen Opfer betont und die breite Zustimmung zur Diktatur relativiert. Dieses Ergebnis mag vielleicht insofern nicht überraschen, als an der Produktion von Das Dritte Reich mit Waldemar Besson ein weiterer Rothfels-Schüler und aufstrebender Vertreter der Fachwissenschaft als Berater maßgeblich beteiligt gewesen war.401 Allerdings muss hierbei immer berücksichtigt werden, dass Conze wie Besson nicht zu irgendeinem Publikum sprachen, sondern zu symbolischen und teilweise eben auch tatsächlichen Tätern, in welchem Ausmaß auch immer. Ihre Lösung vom Nationalsozialismus wollte der Heidelberger Professor befördern, gerade in einer Zeit nach erneuten antisemitischen Übergriffen, zum Beispiel den Hakenkreuzschmierereien an der Kölner Synagoge.402 Allerdings versuchte Conze nicht, verbreitete rechtsradikale Tendenzen kritisch in der Öffentlichkeit zu reflektieren, sondern betonte deren Marginalität und sah die notwenige Konsequenz aus dem Nationalsozialismus weniger in der Bekämpfung des Neonazismus als in einem konsequenten Antikommunismus. Die Stabilität der Bundesrepublik zu betonen, war Conze ein besonderes Anliegen. So mahnte er etwa Anfang 1960 einen Bekannten, in der Öffentlichkeit nicht die Parallelen, sondern vor allem die Unterschiede zwischen der Weimarer Republik und der zweiten deutschen Demokratie herauszustreichen.403 Als Quintessenz seines BR-Vortrages stellte er demonstrativ fest, dass der Nationalsozialismus endgültig vorbei sei, die Deutschen mit ihm abgeschlossen hätten und er niemals wiederkehren könne. Die zwei Drittel der Wähler gegen Hitler von 1933, jedoch auch das Drittel »hoffender Nationalsozialisten«404 von 1933 seien 1939, aber auf jeden Fall vor 1945 müde und zum Teil ablehnend geworden. Ohne dies wäre die freiwillige Entnazifizierung der Deutschen nie möglich geworden, die von außen erzwungene Entnazifizierung hätte das nicht bewerkstelligen können.405 Schon bei seinem ersten großen öffentlichen Auftritt, der Rede zum Tag der deutschen Einheit im Bundestag am 17.6.1959, hatte Conze betont, dass die Deutschen aus ihrer Geschichte gelernt hätten: Wir haben alle furchtbaren Frevel kennengelernt, die aus dem Wahn gewaltsamer Bekehrung, Einschmelzung, Säuberung und Ausrottung folgen; sei es im Namen der Religion, der Nation oder der Rasse. Es gilt nicht nur, mit allem Ernst anzuerkennen, was in der Vergangenheit um solcher Wahnvorstellung willen gesündigt worden ist, sondern ihr überall dort entgegenzuwirken, wo sie sich noch regt. Wenn wir uns in 401 Vgl. Bösch, Der Nationalsozialismus im Dokumentarfilm, S. 63–68. 402 Vgl. Conze, Hauptprobleme des Nationalsozialismus (3): Wirkung und Nachwirkung des Dritten Reiches. Gesendet am 15.2.1961, in: Historisches Archiv des BR München, Produktionsnummer FR13001/01–02. 403 Brief Conzes an Werner Rietz, 14.1.1960, in: UA Heidelberg, Nl Conze, Rep. 101/141. 404 Conze, Hauptprobleme des Nationalsozialismus (3): Wirkung und Nachwirkung des Dritten Reiches. Gesendet am 15.2.1961, in: Historisches Archiv des BR München, Produktions­ nummer FR13001/01–02. 405 Vgl. ebd.

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einem solchen Geiste der bolschewistischen Zwangsideologie entgegenstellen, dann kann dies nur in einem durchaus praktisch tätigen Sinne geschehen.406

Das kommunistische System der DDR stellte Conze historisch in eine revolu­ tionäre Traditionslinie, an der Deutschland seit 1800 gelitten habe und in welche er auch die NS-Machtübernahme 1933 als »zur Katastrophe hinführende[…] nationale[…] Revolution« einreihte. Solche Ideen seien allerdings nicht mehr zeitgemäß und hätten keine Zukunft. Freilich rief er nicht zu einem aggressiven Vorgehen gegen den Osten auf: »Die deutsche Frage ist unlösbar, solange der Kalte Krieg andauert.« Deutschland wolle daher keine Lösung auf Kosten des Westens oder der UdSSR, sondern Entspannung.407 Dass der Neonazismus dennoch aktuell war, erklärte Conze kurzerhand zur Schuld der Kommunisten, die dem gleichen »Fieber« anhingen wie die Nationalsozialisten selbst: Missgünstige sind daran interessiert, ihn [den Neonazismus – d. Vf.] zu entdecken, gebrannte Menschen haben Angst vor diesem Gespenst, vor allem aber wird er gerne verwandt als eingeschleuste Parole kommunistischer Experten im Nervenkrieg zur Animierung trojanischer Esel. Selbstverständlich gibt es noch heute Nationalsozialisten unter uns, aber nicht unter 40 oder 50 Jahren. Geringe Ausnahmen in der Jugend haben jeweils besondere individuelle Gründe.408

Mit dieser Meinung konnte er auf breite Zustimmung beim Hörer hoffen. Im Januar 1960 glaubten schließlich laut Umfragen 32 Prozent der Westdeutschen, hinter der Serie von Hakenkreuzschmierereien 1959/60 steckten kommunistische Provokateure, die dem Ansehen Deutschlands in der Welt schaden wollten; nur zwölf Prozent glaubten an ein Wiederaufleben des Nationalsozialismus.409 Folgerichtig hielten Anfang der sechziger Jahre die meisten Westdeutschen die DDR für schlimmer als den Nationalsozialismus.410 Zur Mitte des Jahrzehnts unterschied sich die außerfachliche öffentliche ­Praxis der Historiker inhaltlich kaum von den vorherrschenden Ansichten der öffentlichen Debatte, wie sie von anderen Publizisten oder generell in der Presse, in 406 Ebd., S. 1079. 407 Vgl. Dunkhase, S. 194. Siehe zudem Conze, Nerven behalten, S. 1076. Der Text erschien in Auszügen auch in der FAZ. Siehe hierzu ders., Die Zeit. Für diese Rede wurde Conze am 5.7.1959 in der Leipziger Volkszeitung angegriffen und ihm Unterstützung von Adenauers Atomkriegspolitik vorgeworfen. Das war haltlos, weil er erst kurz zuvor mit zehn anderen Heidelberger Professoren in einem Telegramm gegen Adenauers Atomkurs protestiert hatte. Vgl. Dunkhase, S. 310 f. 408 Conze, Hauptprobleme des Nationalsozialismus (3): Wirkung und Nachwirkung des Dritten Reiches. Gesendet am 15.2.1961, in: Historisches Archiv des BR München, Produk­ tionsnummer FR13001/01–02. 409 Vgl. Noelle, 1958–1964, S. 219–231. 410 Vgl. Wolfrum, Suche, S. 188.

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Filmen oder Büchern zum Tragen kamen. Die führenden Vertreter der Disziplin wollten besonders in der breiten Öffentlichkeit ein positives Geschichtsbild vermitteln und nicht zuviel Kritik üben, um ein selbstbewusstes Nationalgefühl zu fördern, das gegen nationalistische Rückfälle immun sei und sich in der Auseinandersetzung des Kalten Krieges bewähre. Ritter, Heimpel und Rothfels unterstützten mit ihrer wissenschaftlichen Autorität beispielsweise öffentlich die Behauptung von der »sauberen« Wehrmacht. Der Blick auf die massenmediale Praxis zeigte, dass sich dieser Trend gegenüber einem größeren Laienpublikum noch klarer äußerte als innerhalb der Disziplin. Besonders bei Heimpels Verteidigung deutscher Soldaten gegen den Vorwurf einer verbrecherischen Kriegführung wurde deutlich, wie abstrakt seine öffentlichen Erörterungen deutscher Schuld blieben und keine konkrete Rolle spielten, als es unter anderem galt, durch eine positive Traditionsbildung zur Legitimation der neuen Bundeswehr beizutragen. Ritter warb ebenso in seiner Bundestagsrede 1955 für nationale Einheit und Wiederbewaffnung und veränderte dafür sogar Inhalte seiner eigenen historischen Thesen. So unterließ er etwa – wohl um die breite Zuhörerschaft nicht zu verschrecken – jegliche Kritik an der Gefahr der »Massen« und dämonisierte dagegen dem Zeitgeist entsprechend Hitler stärker als in seinen übrigen wissenschaftlichen und massenmedialen Schriften. Ab Ende der fünfziger Jahre führte der Generationswechsel zu einer kri­ tischeren Betrachtung deutscher Geschichte, vor allem durch die jüngeren Teile der Gesellschaft. Die meisten führenden Historiker fühlten sich dadurch in ihrer volkspädagogischen Absicht von zwei Seiten gefährdet. Einerseits ging es weiterhin darum, der Apologie des Nationalsozialismus entgegenzutreten, die sich noch häufig zutrug und sich etwa auch an der Politik der Vertriebenenverbände und der Tatsache zeigte, dass Rothfels und Schieder in ihrer offiziellen Darstellung der Vertreibungen die Ursachen dieser Taten, nämlich den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg, nicht thematisieren konnten. Andererseits aber ging den Geschichtswissenschaftlern die kritische Haltung zu weit, die sich ab Ende der fünfziger Jahre in Teilen der westdeutschen Gesellschaft an der eigenen Vergangenheit breit machte. Sie drohte das geschlossene nationale Geschichtsbild und damit in ihren Augen die staatliche Stabilität zu beschädigen, nicht zuletzt weil die zunehmende DDR-Propaganda versuchte, diese Situation für ihre Zwecke auszunutzen. Dabei hat der Blick auf die öffentliche Praxis der Historiker deutlich gemacht, dass man nicht der Gefahr erliegen darf, ihre Einschätzungen zu übernehmen. Immer öfter beklagten sie zwar in den Massenmedien einen Verlust an Geschichte und forderten eine historische Besinnung, aber eigentlich waren es nur ihre eigenen Sichtweisen, die an Einfluss verloren. In der Gesellschaft insgesamt nahm das Interesse an Geschichte tatsächlich nicht ab, sondern zu. Dehio bildete unter den Repräsentanten der westdeutschen Geschichtswissenschaft eine Ausnahme. Es besorgte ihn nicht, dass das nationale Geschichtsbild immer mehr in Frage gestellt wurde. Vielmehr verschärfte er parallel zu der Verschiebung des gesamten öffentlichen Meinungsbildes auch seine Kritik zumal an den preußisch-kleindeutschen Traditionen. In der Folge kam es zu Aus219 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

einandersetzungen mit Ritter, die in die außerfachliche Öffentlichkeit übergriffen. Allerdings war auch Dehio darauf bedacht, nicht durch unachtsame Beiträge in den außerfachlichen Medien einen schädlichen Einfluss in der Öffentlichkeit auszuüben. Er fürchtete die Gefahren des Neonazismus, aber engagierte sich dagegen nur in internen Zirkeln. In der Öffentlichkeit wollte er dieses Thema hingegen bewusst beschweigen, da er von einer öffentlichen Diskussion des Neonazismus nur ein Aufstacheln nationalistischer Ressentiments erwartete. Insofern waren sich alle Vertreter des Samples, auch Dehio, ähnlich. Dies leitet zu einem erwähnenswerten Resultat über. Die Historiker sahen in der öffentlichen Meinung einen gefährlichen Faktor, den kluge Volkserzieher geschickt zu lenken hätten. Die richtige Wirkung zu erzielen, war daher die wichtigste Grundlage ihrer Entscheidung, ob und wie sie ihre historisch-politischen Thesen an ein breites Publikum richteten. Die Vorstellung einer Öffentlichkeit, die nicht als gefährliches Übel, sondern als kritische Instanz empfunden wurde, gewann ab Ende der fünfziger Jahre zwar in Folge des Generationswechsels in der Gesellschaft an Boden,411 blieb den Historikern aber fremd. Es hätte auch einen Bruch mit der Tradition bedeutet, gegenüber der Gesellschaft als Verfechter des übergeordneten Staatsinteresses aufzutreten. Allerdings führte die enge Orientierung der Historiker an der öffentlichen Meinung auch dazu, dass die sich dort entwickelnde kritischere Haltung zur nationalen Vergangenheit auf ihre eigenen Darstellungen zurückwirkte. Ein Beispiel hierfür war Conzes Rundfunkvortrag von 1961. Der Heidelberger Professor war dem alten Paradigma des geschlossenen Geschichtsbildes zwar verpflichtet und verteidigte noch immer das Konzept der Volksgemeinschaft. Jedoch zeigte sich der Einfluss des gewandelten Klimas in der öffentlichen Meinung deutlich in Themensetzungen seines Vortrages – etwa der Zustimmung breiter Massen zum Regime und der Bedeutung des Antisemitismus für die NS-Ideologie – selbst wenn er versuchte, diese Aspekte zu relativieren.

2. Nationalgeschichte in der Öffentlichkeit – Historische Sinnstiftung nach der Zäsur in Italien 2.1 Italien zwischen alliierter Befreiung und deutscher Besatzung Nach dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung am 8.  September 1943 durch die Flucht des Königs und seiner Regierung in den Machtbereich der Alliierten und die Besetzung des größten Teils Italiens durch deutsche Truppen, bildeten sich im freien Süditalien, aber auch im Untergrund des Nordens und des Zentrums antifaschistische Parteien, die sich in einem gemeinsamen Befreiungskomitee, dem CLN, zusammenfanden. Diese waren der PCI, der unter 411 Vgl. von Hodenberg, S. 293–348.

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der faschistischen Diktatur am weitesten seine Strukturen hatte erhalten können; der sozialistische PSIUP; der PdA, der eine Verbindung von Liberalismus und Sozialismus anstrebte; die katholische DC und Croces PLI, die einst führende Partei des vorfaschistischen Italiens. Während unter den Partisanen, die im Laufe des Jahres 1944 an Bedeutung gewannen, Kommunisten und Azionisti klar dominierten, hatten bei der Regierungsbildung und den Verhandlungen mit den Alliierten zunächst noch Croce und andere Vertreter des alten liberalen Italiens eine wichtige Position inne.412 Diese komplizierte politische Situation führte dazu, dass sich – anders als in der Bundesrepublik – die italienische Gesellschaft deutlicher in einzelne Gruppen aufspaltete, die im Zweiten Weltkrieg unterschiedliche Erfahrungen gemacht hatten und teils einander entgegen gesetzte Erinnerungen entwickelten: Veteranen der faschistischen Kriege, Partisanen unterschiedlichster politischer Orientierung, die faschistischen Anhänger der Repubblica Sociale Italiana, Kriegs­ gefangene in deutscher wie alliierter Gewalt, daneben Opfer der politischen und rassistischen Deportationen, Opfer der nationalsozialistischen und faschistischen Massaker, zivile Opfer von Kriegshandlungen, Opfer von jugoslawischen Massakern und Vertreibungen in Istrien und Dalmatien. Es gab also nicht nur eine faschistische und eine antifaschistische Erinnerung, sondern diese beiden Bereiche waren in sich noch einmal vielfältig gebrochen. In der öffent­lichen Meinung Nachkriegsitaliens setzte sich jedoch eine Erinnerung durch, die vom siegreichen Antifaschismus geprägt war.413 Croces Bedeutung bei der Ausformung dieser öffentlichen Meinung ist dabei kaum zu überschätzen. Deshalb soll im Folgenden auf seine öffentliche Praxis ausführlich eingegangen werden. Benedetto Croce war der Inbegriff des allgemeinen Intellektuellen, auch wenn er die Bezeichnung intellettuale für sich stets ablehnte und sich immer nur als studioso (Gelehrter) bezeichnen wollte.414 Zwar ging er von diesem Selbstverständnis des Gelehrten aus, aber wie schon in der Zeit vor der faschistischen Diktatur mischte er sich in Debatten weit jenseits historischer Fragen ein und betätigte sich nach 1943 wieder politisch, wie oben aufgezeigt an führender Stelle. Die Entwicklung des italienischen Einheitsstaates nach dem Risorgimento stand für Croce nach der faschistischen Erfahrung nicht in Frage. Genau dort wollte er nach dem Ende der Diktatur wieder anknüpfen.415 Insofern ging 412 Vgl. Ginsborg, S.  11–13. Die Azionisti bestanden im Wesentlichen aus Angehörigen der gesellschaftlichen Intelligenz. Bei den Wahlen nach der Befreiung zeigte sich, dass sie in der Bevölkerung praktisch keinen Rückhalt besaßen und die Partei löste sich auf. Vgl. De Bernardi, S. 457. 413 Vgl. Focardi, La guerra, S. 3 f. 414 Vgl. z. B. Croce, Moralità. Als studioso bezeichnet er sich selbst in zahlreichen Tagebucheinträgen. 415 Als positive Traditionen benannte er in einem Artikel für den Giornale d’Italia am 10.8.1943, also noch vor Verabschiedung des Waffenstillstands, Demokratie, Laizismus, Humanismus und die reichhaltige italienische Kultur. Vgl. ders., La libertà innanzi tutto e sopra tutto, in: Ders., Scritti I, S. 109–112.

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es ihm darum, den Faschismus als ein aufgezwungenes Intermezzo, eine parentese, zu schildern, die keine spezifisch italienischen Wurzeln habe, sondern ein weltweites Phänomen dargestellt und leider mehr oder minder zufällig Italien getroffen habe. Diese Interpretation entsprang zunächst einem politischen Kalkül. Natürlich wusste Croce um die langjährige Zustimmung, derer sich das Regime in breitesten Bevölkerungskreisen erfreut hatte. Seine Publizistik sollte in erster Linie zu einer bewussten gesellschaftlichen Abgrenzung vom Faschismus führen. In diesem Tenor war auch der von ihm verfasste Aufruf an die Nation vom 10. Oktober 1943 formuliert, mit welchem er Freiwillige zum Kampf an der Seite der Alliierten werben wollte. Er behauptete in diesem Manifest, die Italiener hätten das Achsenbündnis von Anfang an abgelehnt und könnten nun endlich auf der von ihnen gewünschten Seite mit den Westmächten für die Freiheit kämpfen. Die Faschisten wurden indessen als Verräter und Kollaborateure mit den Deutschen aus der Nation ausgegrenzt.416 Dies war unmittelbar einsichtig, da schließlich noch weite Teile Italiens unter der Herrschaft deutscher Truppen und des faschistischen Marionettenstaates standen, der Faschismus also noch eine real existierende Gefahr darstellte. In den unmittelbaren Zielen, nämlich die Bevölkerung zum Kampf gegen die faschistische Republik zu mobilisieren und nicht zuletzt die Position Italiens gegenüber den Alliierten zu verbessern, bestand Einigkeit unter allen antifaschistischen Kräften. So behauptete auch der vom König als Ministerpräsident eingesetzte Marschall Pietro Badoglio, das Bündnis mit Deutschland sei »weder gewollt noch gefühlt« worden und ebenso sprach KP-Chef Palmiro Togliatti von einer törichten und unheilvollen A ­ llianz.417 Croces Versuch, Truppen zum Kampf für ein antifaschistisches Italien zu sammeln, führte aber zu keinem Ergebnis. An einem tatsächlichen militärischen Beitrag Italiens waren die Alliierten nicht interessiert und Croces Aufruf war überdies nicht sonderlich erfolgreich. Nur wenige Freiwillige meldeten sich in Süditalien zum Kampf gegen die deutschen Besatzer.418 Croces Publizistik hatte aber noch ein zweites Ziel. Es galt, die Masse der ehemaligen Faschisten und Mitläufer nicht anzuklagen, sondern in das neue System zu integrieren. Bereits kurz nach dem Waffenstillstand hatte Croce einem britischen Offizier erklärt, dass ein nationaler Wiederaufbau nun einmal nicht möglich sei, wenn eine »reine« Minderheit eine durch Partizipation belastete Mehrheit verdamme.419 So sprach er sich auch in einer seiner ersten öffent­ 416 Vgl. ders., Manifesto per la chiamata dei volontari affisso in Napoli il 10 ottobre 1943, in: Ebd., S. 11–14. 417 Vgl. Focardi, La guerra, S. 4 f. 418 Vgl. Pavone, S. 193. 419 Vgl. Eintrag vom 9.11.1943, in: Ebd., S. 195 f. 1944 schrieb er verärgert in sein Tagebuch, zwanzig Jahre lang hätte sich im Faschismus niemand für ihn interessiert; nun sei er 78 Jahre alt und alle möglichen Menschen belästigten ihn mit ihren Problemen und hielten ihn für allmächtig. Eintrag vom 27.2.1944, in: Ebd., S. 257.

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lichen Stellungnahmen nach dem Sturz Mussolinis, einem als Broschüre Anfang 1944 veröffentlichten Text, der sich vornehmlich an Mitglieder der Liberalen Partei richtete, gegen Säuberungen aus. Es sollte keine Verurteilung nach moralischen Maßstäben geben und allenfalls die Hauptschuldigen, zumal solche, die noch eine aktuelle Gefahr darstellen könnten, sollten bestraft werden.420 In einer Rede vor Anhängern im römischen Teatro Eliseo, die in den liberalen Zeitungen vervielfältigt wurde, reduzierte er diese tatsächlich Schuldigen, die Faschisten, denn auch auf eine kleine Gruppe: eine Verbrecherbande, die sich des Staates bemächtigt habe und die Italiener gegen ihren Willen unter die Diktatur und in den Zweiten Weltkrieg gezwungen habe. Er ging sogar soweit, den Faschismus mit den Hyksos zu vergleichen, jener altertümlichen Völkergruppe, die wie aus dem Nichts in Ägypten eingefallen und ebenso mysteriös wieder verschwunden war. Der Faschismus war insofern über die Italiener gekommen, er hatte die Gesellschaft weder nachhaltig beeinflusst noch sich jemals einer tiefgehenden Zustimmung erfreut. Im Gegenteil, es habe viel Widerstand gegen das System gegeben und nun vergössen die Partisanen ihr Blut für die Freiheit der Menschheit.421 Wie problematisch diese bewusste Ausgrenzung des Faschismus aus der italienischen Nation war, zeigte sich an gewagten Konstruktionen des Philo­sophen auf dem ersten Kongress des CLN in Neapel am 20. Dezember 1943. Dort beklagte er, das Schlimmste in den vergangenen zwanzig Jahren seien die vielen Lügen gewesen, die man unter dem Faschismus habe ertragen müssen, die nicht nur die Parteifunktionäre, sondern auch die Massen gebrüllt hätten. Dann allerdings sei endlich ein Ende gemacht worden und die Italiener hätten voller Freude darüber gejubelt, dass die Zeit der Lügen mit dem Untergang des Faschismus endlich vorbei gewesen sei. Bezeichnend ist, dass die jubelnden Massen des Faschismus von Croce abwertend folle genannt wurden, die Massen, die sich hingegen über dessen Untergang freuten, gl’italiani. Somit wurden die Zustimmenden aus der Nation ausgegrenzt, die Ablehnenden aber waren die Nation selbst, ohne Rücksicht auf die Tatsache, dass es sich dabei symbolisch wie vermutlich auch tatsächlich um die gleichen Menschen gehandelt haben mochte.422 Die Resistenza erklärten Croce und die politischen und intellektuellen Verfechter des Antifaschismus zum entscheidenden Kampf Italiens, die in Wirklichkeit eher ein italienischer Bürgerkrieg als ein Befreiungskrieg gegen die deutschen Besatzer war. Doch die neue politische und intellektuelle Elite Italiens war Protagonistin dieses Widerstandes gegen den Faschismus und zog aus ihm überdies die Legitimation zur Führung des Landes.

420 Vgl. Croce, Intorno ai criteri dell’epurazione, in: Ders., Scritti I, S. 50–52. 421 Vgl. Rede vom 21.9.1944, abgedruckt tags darauf in Risorgimento liberale und Giornale, zitiert nach ders., L’Italia nella vita internazionale, in: Ders., Scritti II, S. 87–102. 422 Vgl. ders., Per il Congresso dei Comitati di Liberazione dell’Italia meridionale, in: Ders., Scritti I, S. 40 f.

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Um politisch möglichst reibungslos wieder an die nationale Entwicklung vor 1922 anknüpfen zu können, ging es Croce darum, für Italien einen möglichst günstigen Friedensschluss zu erwirken. Deshalb bemühte er sich, die faschistische Vergangenheit herunterzuspielen, die Resistenza in den Vordergrund zu stellen und Italien vom ehemaligen Achsenverbündeten Deutschland möglichst weit abzusetzen. Auch wenn Texte, in denen Croce diese Forderungen aufstellte, bisweilen in Italien nachgedruckt wurden, waren sie zuallererst an die Politiker und die öffentliche Meinung der Siegermächte gerichtet, so an prominenter Stelle etwa in der New York Times, der Times und dem ­Manchester Guardian.423 Croce wollte aufzeigen, dass Italien nun »geimpft« sei gegen jede weitere Form des Faschismus, für den auch die Siegermächte anfällig gewesen seien.424 Es kann somit nicht überraschen, dass Croce Italiener allenfalls als Opfer einer faschistischen Diktatur und einer verfehlten alliierten Politik zeichnete und nicht als Täter. Als Kabinettsmitglied intervenierte er 1944 sogar bei Ministerpräsident Badoglio gegen dessen Absicht, den Opfern italienischer Angriffskriege Reparationen anzubieten. Dies sei unnötig, so der Historiker, denn für Verbrechen italienischer Soldaten im Ausland gebe es keinerlei Beweise.425 Mit einer solchen Mythenbildung stieß Croce auf Zustimmung, denn es war prinzipielles Bestreben der Regierung der nationalen Einheit, einen Straf­frieden der Alliierten möglichst zu vermeiden. Croce selbst griff häufig auf den Vergleich des Faschismus mit dem Nationalsozialismus zurück. Dies erfüllte im Grunde zwei Zwecke. Er wertete nicht nur das Mussolini-Regime ab, sondern relativierte dieses auch, da der Vergleich mit dem Nationalsozialismus dabei half, den Faschismus als eine geradezu witzige Abart des viel schrecklicheren deutschen Totalitarismus darzustellen. Während der Nationalsozialismus eine schwere Krise und logische Folge einer verfehlten Entwicklung der deutschen Geschichte gewesen sei, sollte dies für den Faschismus im italienischen Fall nicht gelten.426 In Croces massenmedialer Praxis war er nicht nur ohne Tradition und Tiefenwirkung, sondern folgerichtig ohne jeden ideologischen Gehalt. So bestritt er, der Faschismus sei eine rechtsradikale Bewegung gewesen. Vielmehr habe es sich um 423 Ein Artikel in der New York Times erschien am 28.11.1943, vgl. ders., Il fascismo come pericolo mondiale, in: Ebd., S. 15–23; in der Times am 3.5.1944, vgl. ders., L’intervista del Principe di Piemonte, in: Ebd., S. 78–80; im Manchester Guardian am 11.9.1945, vgl. ders., Pace punitiva o pace costruttiva, in: Ders., Scritti II, S. 249–251. 424 Vgl. ders., Appello ai popoli delle nazioni alleate, in: Ders., Scritti I, S. 48 f. Der Text erschien am 20.12.1943 in der Londoner Zeitung New Chronicle. Siehe auch ders., L’Italia nella vita internazionale, in: Ders., Scritti II, S. 101. 425 Vgl. Eintrag vom 23.5.1944, in: Ders., Scritti I, S. 310; Rede im Teatro Eliseo am 21.9.1944, zitiert nach ders., L’Italia nella vita internazionale, in: Ders., Scritti II, S. 88–93. 426 Vgl. ders., Il dissidio spirituale della Germania con l’Europa. Confessione di un’italiano »germanofilo« che non riesce a scoprire in sé stesso per questa parte cosa alcuna di cui deb­ba ravvedersi, in: Ders., Scritti I, S. 141–159. Der Text wurde Ende 1943 geschrieben und erschien 1944 als Broschüre.

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eine karnevaleske Herrschaft gehandelt,427 die alle möglichen, selbst bolschewistische Methoden angewandt habe.428 Insofern war es nur konsequent, dass sich Croce auch nicht mit dem Faschismus und der Geschichte 1922–1943 selbst beschäftigte und am 2. Dezember 1943 in sein Tagebuch schrieb, er habe zu Mussolini nichts mehr zu sagen, denn für ihn sei der Diktator praktisch schon tot.429 Auch diese Sichtweise war enorm anschlussfähig. In zahlreichen größeren und kleineren Zeitungen wurde immer wieder der Vergleich mit NS-Deutschland gezogen, der folgerichtig zu einem weitgehenden Freispruch Italiens führte.430 Zudem wurde diese Sichtweise von den wesentlichen politischen Strömungen, also den Christdemokraten und Kommunisten, übernommen. Togliatti und der Vorsitzende der Christdemokraten, Alcide De Gasperi, orientierten sich bei ihrer Definition von Faschismus und Nationalsozialismus an Croce.431 Am prägnantesten zeigte sich dieses Geschichtsbild in dem populären Begriff Nazifascismo, der die italienischen Faschisten der nationalsozialistischen deutschen Besatzungsmacht anfügte.432 Dem cattivo tedesco, der in den besetzten Gebieten brutale Verbrechen beging, wurde dagegen der bravo italiano gegenübergestellt, der trotz eigenen Leidens sich mit der lokalen Zivilbevölkerung verbrüdert und sie gegen den deutschen Verbündeten beschützt habe. Solche Erzählungen hatten einen wahren Kern, da viele Italiener tatsächlich Verfolgte gerettet hatten, er ignorierte jedoch die von italienischen Truppen verübten Kriegsverbrechen an Zivilisten und Partisanen, vor allem in Jugoslawien.433 Die Geschichtspolitik der königlichen Regierung entmythologisierte somit den faschistischen Staat, verharmloste aber gleichzeitig die massenhafte Zustimmung und seinen verbrecherischen Charakter.434 Obwohl die Leiden Italiens unter der verbrecherischen deutschen Besatzung oft thematisiert wurden, hatten auch spätere italienische Regierungen kein wirkliches Interesse an Prozessen gegen deutsche Täter. Sie fürchteten einen Boomerang-Effekt, das heißt als Konsequenz Auslieferungsanträge der von Italien im Zweiten Weltkrieg besetzten Länder gegen italienische Kriegsverbrecher.435 427 Vgl. ders., Misticismo politico tedesco, in: Ders., Scritti II, S. 16–23. Der Text wurde auch in La Critica, fascicoli V–VI (1944) veröffentlicht; ders., La mancanza della destra tra i presenti partiti politici italiani, in: Ebd., S. 209. Dieser Text erschien am 4.3.1945 im Risorgimento liberale. Zu diesem Thema schrieb er noch weitere Artikel, die hier nicht alle aufgeführt werden. 428 Vgl. ders., La gioventù italiana, in: Ders., Scritti I, S. 46. Der Text erschien am 11.3.1944 in La Libertà. 429 Vgl. Eintrag vom 2.12.1943, in: Ebd., S. 205. 430 Vgl. Focardi, La guerra, S. 10 f. 431 Vgl. ders., Unsitte, S. 111–115. 432 Vgl. Azzaro, S. 346 f. 433 Vgl. Focardi, La guerra, S. 9 f. 434 Vgl. ders., Unsitte, S. 119. 435 Vgl. ders., Kalkül, S. 547–552. Zudem waren christdemokratische Regierungen an guten Beziehungen zur Bundesrepublik interessiert und entließen verurteilte Täter deshalb sogar heimlich nach Deutschland. Siehe ebd.

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Um weiterhin Italiens Position bei den Friedensverhandlungen zu verbessern, betonte Croce die langfristige Interessensübereinstimmung zwischen Italien und den Alliierten. So behauptete er, die Italiener hätten das Münchner Abkommen und ebenso die faschistischen Kriege, besonders denjenigen gegen Frankreich, als Schande empfunden.436 Die Soldaten hätten nur widerwillig in den faschistischen Kriegen gekämpft, und das Volk hätte sogar auf die Niederlage des eigenen Vaterlandes gehofft.437 Tatsächlich hatten viele Italiener 1940 den Krieg begrüßt und mit einem raschen Sieg gerechnet.438 Deshalb widersprach der Sohn des Königs, Umberto Principe di Piemonte, Croce öffentlich: Sein Vater habe den Westmächten den Krieg erklären müssen, weil das italienische Volk diesen seinerzeit gefordert habe. Dieser Versuch, Vittorio Emanuele III. zu rechtfertigen, lief Croces Absicht, die Italiener als Antifaschisten mit fundierter Nähe zu den Westmächten darzustellen, freilich zuwider. Es folgte eine öffentliche Auseinandersetzung in der angloamerikanischen Presse. Allerdings hatte der Kronprinz die allgemeine Zustimmung der Bevölkerung zum Krieg damit begründet, es habe keinen Protest in Öffentlichkeit und Parlament gegeben. Somit machte er es seinem Kontrahenten leicht, und Croce konnte diese Ansicht mit Hinweis auf Sondertribunale für Oppositionelle und das von Mussolini selbst ausgewählte Scheinparlament leicht als lachhaft darstellen.439 Croces Positionen waren aber nicht ausschließlich dem politischen Kalkül geschuldet. Sie passten darüber hinaus problemlos in seine idealistische Ver­ gangenheitssicht: Da Geschichte Ausdruck eines objektiven Geistes war und dieser sich für Croce in der »Religion der Freiheit« manifestierte, befand sich die liberale Entwicklung Italiens seit dem Risorgimento im Einklang mit diesem objektiven Geist und damit dem sinnvollen Fortgang der Dinge. Der Faschismus hingegen stand dem diametral entgegen. Er richtete sich gegen die Freiheit und konnte somit nicht Ausdruck des objektiven Geistes sein, war also nicht Teil der wirklichen Geschichte, sondern bloßes Ereignis. In diesem Denkschema hatte es folglich keinen Sinn, den Faschismus näher zu analysieren, da er ohne historischen Wert war und a priori auch keine langfristigen Ursachen haben konnte, da die geschichtliche Entwicklung grundsätzlich eine Geschichte der und zur

436 Vgl. Rede vor dem CLN-Kongress am 28.1.1944, zitiert nach Croce, La libertà italiana nella libertà del mondo, in: Ders., Scritti I, S. 54–62. Der Text wurde auch als Broschüre und in mehreren Zeitungen veröffentlicht. 437 Vgl. Rede vom 21.9.1944, zitiert nach ders., L’Italia nella vita internazionale, in: Ders., Scritti II, S. 91. 438 Vgl. Focardi, La guerra, S. 11 f. 439 Vgl. Croce, L’intervista del Principe di Piemonte, in: Ders., Scritti I, S.  78–80. Schon am 1.5.1944 hatte Croce den ihm befreundeten Reuters-Korrespondenten Cecil Sprigge gefragt, ob er Croces Antwort auf die Äußerungen des Kronprinzen veröffentlichen würde und Sprigge hatte sofort zugestimmt. Vgl. hierzu Eintrag vom 1.5.1944, in: Ebd., S. 301.

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Freiheit sein musste. Auf diesem Weg stellte der Faschismus lediglich eine vorübergehende Krankheit von Moral und Intellekt dar.440 Nur kurzfristige Gründe hatten folglich die Machtübernahme der Schwarzhemden 1922 ermöglichen können, und sogar ein Hauptschuldiger war zu benennen, nämlich der König. Dieser war laut Croce nicht nur mitschuldig, sondern Vittorio Emanuele III. lastete er sogar noch mehr Schuld an als Mussolini selbst. Der König, so Croce in einem am 14. Dezember 1943 gesendeten Rundfunkbeitrag, in welchem er erstmals öffentlich die Abdankung des Monarchen verlangte, sei nämlich hervorragend ausgebildet gewesen und habe ein freies und ziviles Italien regiert. Hingegen sei Mussolini nur ein ignoranter, armer Teufel von geringer Intelligenz gewesen, der sich an seinen demagogischen Erfolgen berauscht habe.441 Es war nicht nur einfach, die Schuld auf einen unfähigen Monarchen an der Spitze abzuwälzen, aus dieser Interpretation sprach überdies Croces elitäres Gesellschaftsbild. Geschichte wurde für ihn stets von oben nach unten gemacht und nicht umgekehrt. Deshalb war das Fehlverhalten einzelner verantwort­ licher Staatsmänner in seiner Analyse auch so entscheidend. Dass die Massen den Fortgang der Entwicklung bestimmten, erschien ihm lächerlich, denn sogar der Kommunismus sei schließlich nicht von Proletariern, sondern von Gelehrten, Industriellen und Politikern erfunden worden.442 Folgerichtig war es daher, dass Croce auch die Königsherrschaft in Italien unbedingt erhalten wollte. Nur ein Repräsentant des Systems hatte versagt, die konstitutionelle Monarchie als Institution aber erschien ihm als Fortführung der positiven Traditionen und Symbol der nationalen Einheit seit 1861.443 Immer wieder betonte er, beispielsweise in seiner programmatischen Rede im Teatro Eliseo, dass nicht nur der Faschismus keine italienischen Wurzeln habe, sondern auch das Risorgimento von jedem Nationalismus oder gar Imperialismus unbefleckt gewesen sei. Diese Ideologien seien vielmehr erst zu Beginn des Jahrhunderts aus dem Ausland nach Italien übergeschwappt.444 Aus dieser Perspektive heraus zielte Croce aber ganz im Gegensatz zu den deutschen Historikern und den Kommunisten nicht auf eine Gesellschaft, die als Folge des Geschehens ihre inneren Gegensätze überwinde und zu einer wie auch immer gearteten harmonischen Sozialordnung gelange. Ganz in der Tradition des klassischen Intellektuellen und des Liberalen mit Freude an der ­Polemik waren für ihn Parteien- und Interessenkonflikte nicht nur unvermeid440 Vgl. Thiemeyer, S. 415–423. Siehe auch Croce, Chi è fascista?, in: Ders., Scritti II, S. 51. Der Text wurde am 28.10.1944 im Risorgimento liberale abgedruckt. 441 Vgl. ders., Risposta al maresciallo Badoglio, in: Ders., Scritti I, S. 35. Dieser Text wurde am 14.12.1943 durch Radio Neapel verlesen. Siehe Eintrag vom 14.12.1943, in: Ebd., S. 211. 442 Vgl. ders., Considerazioni sul problema morale dei nostri tempi, in: Ders., Scritti II, S. ­135–138. Dieser Text erschien in der ersten Ausgabe der Quaderni della Critica 1945. 443 Vgl. ders., I »Re costituzionali«, in: Ders., Scritti I, S. 68 f. Der Text erschien am 30.3.1944 in La Libertà. 444 Vgl. ders., L’Italia nella vita internazionale, in: Ders., Scritti II, S. 100.

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bar, sondern darüber hinaus sinnvoll und notwendig im Sinne einer Aushandlung von gesellschaftlichen Konflikten. Sie sollten eben nur friedlich in einem geregelten Rahmen und nicht gewaltsam ausgetragen werden. Diese Haltung, die ungeachtet seines elitären Gesellschaftsbildes auch seiner Philosophie von der »Religion der Freiheit« entsprang, verfocht Croce bereits in seinen Broschüren, die in der Zeit kurz vor und nach dem Fall des Regimes 1943 in Italien kursierten:445 Es seien gerade nicht die autoritären Regimes, welche die Ordnung erhielten, sondern vielmehr diese destabilisierten und schlussendlich zu Revolutionen führten.446 Folgerichtig pochte er auf die Ansicht, das liberale System sei nach dem Ersten Weltkrieg nicht gescheitert, weil es zu freiheitlich gewesen sei, sondern vielmehr, weil niemand mehr bereit gewesen sei, die Freiheit gegen ihre Feinde zu verteidigen.447 Es war keineswegs so, dass philosophische Grundannahmen Croces wie die »Religion der Freiheit« von einer breiten Gesellschaft erfasst worden wären. Dennoch erfreuten sich seine Thesen eines großen Erfolges, boten sie doch einer belasteten Gesellschaft eine einfache Option, sich nicht dem Umgang mit einer problematischen Vergangenheit stellen zu müssen, wenn im Grunde die ganze Nation bis auf wenige Verbrecher unbelastet und unschuldig war. Der besondere Einfluss Croces auf die öffentliche Meinung ergab sich also nicht nur aus seiner prominenten Stellung als anerkannter Gelehrter und seinen privilegierten Medienzugängen, sondern eben auch aus der Anschlussfähigkeit seiner Analysen für weite Bevölkerungsteile.448 Croce spielte eine so dominierende Rolle bei der Interpretation der Zäsur von 1943/45, dass, wer auch immer eine alternative Sichtweise in der Öffentlichkeit zur Geltung bringen wollte, sich mit seinen Meinungen auseinander setzen musste. Die einflussreichste Gegnerschaft zu Croces Thesen entwickelten die Kommunisten. Dabei waren es in erster Linie aber nicht Parteihistoriker, welche die Interpretationen des Doyens aus Neapel kritisierten, sondern die Politiker, namentlich der Parteivorsitzende Togliatti selbst, der Croce bereits 1944 in der neugegründeten Zeitschrift Rinascita scharf und auch persönlich angriff. Wie in der SED wurde dies im PCI nicht als Einmischung in die Arbeit der Geschichtswissenschaftler empfunden. Hinzu kam, dass es sich bei Croce nicht in erster Linie um einen Historiker mit anderer Deutung der Vergangenheit han445 Vgl. Broschüre vom 10.2.1943, in: Ders., Movimento liberale  e partiti politici, in: Ders., Scritti I, S. 88 f. Croce billigte dabei ausdrücklich auch dem Kommunismus das Recht zu, mit der gleichen Legitimation wie der Liberalismus am politischen Wettstreit zu partizipieren. Vgl. ders., La libertà innanzi tutto e sopra tutto, in: Ebd., S. 112. Der Text erschien am 10.8.1943 im Giornale d’Italia. 446 Vgl. Rede vor dem CLN-Kongress am 28.1.1944, in: Ders., La libertà italiana nella libertà del mondo, in: Ebd., S. 62. Der Text wurde auch als Broschüre und in mehreren Zeitungen veröffentlicht. 447 Der Artikel erschien am 23.2.1945 im Risorgimento liberale und Giornale, zitiert nach ders., Libertà e forza, in Ders., Scritti II, S. 156. 448 Vgl. Thiemeyer, S. 424–428.

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delte, sondern zuallererst um einen wichtigen politischen Gegner der kommunistischen Partei. Der Vorwurf, der von Togliatti aufgebracht und in der Folge vielfach von anderen kommunistischen Intellektuellen wiederholt wurde, lautete, Croce sei kein wirklicher Antifaschist gewesen, sondern eine Art Feigenblatt des Regimes, das letztlich sogar systemstabilisierend gewirkt habe. Man hielt ihm seinen Antikommunismus vor, für den er als Gegenleistung begrenzte Freiräume in der Diktatur erhalten habe. In erster Linie ging es aber nicht um Croces persön­ liches Verhalten im Faschismus, sondern seine philosophische Lehre, den Crocianesimo, dem Togliatti und andere vorwarfen, als geistiger Wegbereiter des Faschismus gedient und zur Erziehung bürgerlicher Konformisten beigetragen zu haben.449 Croce empörte diese Darstellung. In sein Tagebuch notierte er, es sei eine verlogene, verleumderische und bösartige Beleidigung, da für diese Leute, die ohne jedes Pflicht- und Ehrgefühl sind und sich um nichts kümmern als das politische Spiel, solche Dinge nichts anderes sind als ein gutes politisches Mittel, um zu versuchen, die Gegner zu diskreditieren.450

Er wehrte sich gegen diese Anschuldigung im Juni 1944 sowohl im Kabinett als auch publizistisch in Libertà.451 Nach dieser öffentlichen und internen Auseinandersetzung erklärte sich Togliatti schließlich bereit, eine Klarstellung in ­Rinascita abzudrucken. Croce stellte das offenbar zufrieden und er schrieb in seinen Taccuini, er wolle nicht, dass ein Schatten auf sein Verhalten während des Faschismus falle.452 War dies sein Ziel, so war er damit jedoch nicht erfolgreich, denn die Vorwürfe von kommunistischer Seite hörten keineswegs auf. Croce schrieb dazu am 15.  September 1945 im Risorgimento liberale, der Vorwurf, er sei ein Faschist gewesen, sei ein Spiel, das bereits die Faschisten selbst praktiziert hätten.453 Auch Manacorda beteiligte sich einige Jahre später an der intellektuellen Abgrenzung der marxistischen Intellektuellen vom Crocianesimo. 1948 wies der Partei­historiker beispielsweise in der Unità Croces Kritik zurück, der Marxismus sei nur eine unwissenschaftliche Ideologie,454 und vermeldete ein Jahr später, »Sektierer« wie Croce seien mit ihrem Versuch gescheitert, den in faschistischer Haft gestorbenen ersten Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Italiens, Antonio Gramsci, als intellektuelles Vorbild zu isolieren.455 Allerdings war der kommunistische Umgang mit der Vergangenheit nicht ohne Ähnlichkeiten zu demjenigen Croces. Ebenso wie Croce war man auch im PCI der Meinung, mit einigen Zehntausend Antifaschisten nicht den Wiederaufbau 449 Vgl. Zunino, La repubblica, S. 415–420. 450 Eintrag vom 21.6.1944, in: Croce, Taccuini V, S. 123 f. 451 Vgl. Eintrag vom 22.6.1944, in: Ebd., S. 124–126. 452 Vgl. Eintrag vom 29.6.1944, in: Ebd., S. 134. 453 Vgl. ders., Durezza della politica, in: Ders., Scritti II, S. 182. 454 Vgl. Manacorda, Il regno dell’uomo. 455 Vgl. ders., Diffusione di Gramsci.

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Italiens leisten zu können. Die kommunistische Ideologie sollte vielmehr die Anschlussmöglichkeit für weite Teile der Bevölkerung, vor allem der Jugend, bereitstellen.456 Die Kommunisten hatten maßgeblich zur Resistenza beigetragen, aber eine Machtausübung wie in den ostmitteleuropäischen Staaten unter dem Schutz sowjetischer Truppen war in Italien nicht möglich. Die britischen und US-amerikanischen Streitkräfte hatten nach ihrem Einmarsch in Norditalien die sofortige Entwaffnung aller Partisanen durchgesetzt, um eine kommunistische Revolte von vornherein zu verhindern. Das gewaltsame Eingreifen Großbritanniens gegen die kommunistischen Widerstandskämpfer in Griechenland ließ darüber hinaus keinen Zweifel an der Entschlossenheit der westlichen Alliierten zu.457 Es waren aber nicht nur äußere Faktoren, die zu einer Integration des PCI in das parlamentarische italienische Parteiensystem beitrugen. Wie Thomas Kroll dargestellt hat, entwickelte sich in Italien eine spezifische Form des »kommunistischen Glaubens«,458 der sich etwa von dem in Frankreich deutlich unterschied. Während in Frankreich eine sakramentale Glaubensrichtung entstand, die den Kommunismus als in der Sowjetunion erfüllt, indes in Frankreich auf absehbare Zeit als nicht durchsetzbar betrachtete, entwickelte sich in Italien ein utopischer Glaube, der eine umfassende Umstrukturierung der italienischen Gesellschaft aus eigener Kraft anstrebte. Schon der frühe Kreis von Kommunisten um den ersten Vorsitzenden Gramsci war davon überzeugt gewesen, das Proletariat könne nur ein kollektives Bewusstsein entwickeln, wenn ihm humanistische und bürgerliche Kultur vermittelt werde. Nach Gramsci war die geschichtliche Entwicklung zum Kommunismus nicht determiniert, sondern musste gezielt durch eine Veränderung des ideologischen Überbaus herbeigeführt werden, wobei den Intellektuellen eine fundamentale Rolle zukomme. Während in Frankreich und anderen Ländern die KP-Führungen nach und nach proletarisiert wurden, behielten in Italien unverändert die Intellektuellen wichtige Führungspositionen inne. Eine solche Kontinuität personifizierte zumal Togliatti, der die Partei stets in erster Linie als ein Erziehungsinstrument begriff. Dadurch prägte sich auch die öffentliche Praxis der Intellektuellen nach 1945 in Italien originär aus.459 Während sich etwa in Frankreich kommunis­ tische Wissenschaftler oder Künstler in eine abgeschottete Gegengesellschaft integrierten, freiwillig dem Proletariat unterordneten und Volkserziehung für eine Anmaßung hielten,460 nahmen kommunistische Intellektuelle in Italien für sich gerade eine Führungsrolle bei der Schaffung der sozialistischen Gesell456 Vgl. Zunino, La Repubblica, S. 414–426. 457 Vgl. Ginsborg, S. 46–48. 458 Vgl. Kroll, S. 360. 459 Vgl. ebd., S. 360–381. Da in Italien bereits eine faschistische Diktatur herrschte, konnte sich keine bolschewistische Kaderpartei entwickeln, wodurch der italienische Kommunismus sich auch nicht entsprechend der sowjetischen Orthodoxie entwickelte. Siehe ebd., S. 391–413. 460 Vgl. ebd., S. 198 f.

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schaft in Anspruch.461 Dies wurde dadurch noch verstärkt, dass viele kommunistische Intellektuelle in der Resistenza selbst Führungsaufgaben in Partisaneneinheiten oder bei den Untergrundzeitungen übernommen hatten.462 Manacorda war einer dieser ehemaligen Widerstandsaktivisten, die in den Jahren direkt nach dem Umbruch in die kommunistische Kulturarbeit involviert waren. Er schrieb regelmäßig für das massenmediale Organ der KP par excellence, die Unità. Die Themen seiner Artikel waren dabei von den für die Partei aktuellen politischen Streitfragen dominiert, die Manacorda aufgriff und dann unter historischer Perspektive beleuchtete. Interessanterweise machte es dabei keinen Unterschied, ob Manacorda auf der terza pagina seine Beiträge verfasste oder Leitartikel auf Seite eins der Unità schrieb – stets ging er von seinen Kompetenzbereichen Geschichte und Bildung aus und äußerte sich somit als spezifischer Intellektueller. Allerdings stand in seinen Zeitungsartikeln weniger die geschichtliche Analyse der italienischen Vergangenheit im Mittelpunkt, sondern die Diskussion der Frage, welche Konsequenzen aus der Zäsurerfahrung zu ziehen seien. Die erste Gelegenheit dazu erhielt der römische Geschichtswissenschaftler in der Unità noch vor der Befreiung, als er am 28. Januar 1945 angesichts der andauernden deutschen Besatzungsherrschaft in Norditalien über die Arbeiterzeitung L’Operaio von 1848 schrieb, die seinerzeit gefordert hatte, zunächst einmal gemeinsam die Deutschen aus dem Land zu jagen und erst dann die Frage nach der inneren Neuordnung zu stellen. Obgleich Manacorda hier den Gegenwartsbezug nicht wörtlich herstellte, war er doch für jeden Leser augenscheinlich. Sein Text diente der Propagierung und historischen Rechtfertigung der Parteilinie seit der svolta di Salerno, mit welcher der Vorsitzende Togliatti den Eintritt in die königliche Regierung und den gemeinsamen Kampf der antifaschistischen Parteien beschritten hatte. Der polemischste öffentliche Streit zwischen Historikern entwickelte sich aber nicht zwischen Croce und einem Parteihistoriker wie Manacorda, sondern bezeichnenderweise einem anderen allgemeinen Intellektuellen: Gaetano Salvemini.463 Salvemini war wohl der schärfste Kritiker Croces neben den Kommunisten, obwohl der Emigrant in Harvard in seinen grundsätzlichen politischen Ansichten nicht so weit von Croce entfernt war wie die marxistischen Wissenschaftler. Auf diesen öffentlichen Disput soll im Folgenden eingegangen werden, da Ähnlichkeiten und Unterschiede im Umgang mit der Zäsur bei diesen beiden wichtigen Akteuren in der italienischen Öffentlichkeit nach dem Fall des Faschismus besonders deutlich hervorstechen. Im Gegensatz zu den 461 Vgl. ebd., S. 360. 462 Vgl. ebd., S. 423 f. 463 Meist äußerte sich Salvemini zur faschistischen Vergangenheit und den Konsequenzen, die er hieraus für notwendig erachtete. Des Öfteren aber nahm er auch zu Themen Stellung, die nichts mit seiner Eigenschaft als Historiker zu tun hatten. So setzte sich Salvemini u. a. sogar für bedrohte Pflanzenarten ein. Vgl. Salvemini, Un bosco in pericolo.

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Kommunisten warf Salvemini Croce in erster Linie nicht sein philosophisches Gedankengebäude oder sein Verhalten während des Faschismus vor, sondern seine politische Rolle direkt nach dessen Fall, die er als verhängnisvoll einschätzte, da Croce es versäumt habe, im Sinne italienischer Interessen Forderungen an die Alliierten zu stellen, als dies wegen des tobenden Krieges noch möglich gewesen sei. Vor allem aber verzieh er Croce nicht, dass dieser in die Regierung des Königs eingetreten war, obwohl nach Ansicht Salveminis eine gute Gelegenheit bestanden habe, auch diesen 1944 zur Abdankung zu zwingen.464 Er unterstellte Croce sogar, durch seine Zusammenarbeit mit dem König und der britischen Besatzung die jahrzehntelange Arbeit zahlreicher Antifaschisten zerstört zu haben und rückte den Kollegen aus Neapel mit etlichen Vergleichen (»Neuer Marsch auf Rom«) in die Nähe des Faschismus.465 Am 12. Dezember 1944 schrieb er an seinen Freund Ernesto Rossi, er hasse Croce, da er in der Stunde der Not seine persönlichen Interessen als Großgrundbesitzer, der den gesellschaftlichen Status quo erhalten wolle, über diejenigen des Vaterlandes gestellt habe.466 Diese Abneigung war allerdings gegenseitig. Am 7. Juni 1945 sprach Croce Salvemini etwa in der Zeitung Città libera und seinen Quaderni della Critica die Qualifikation als Historiker ab und bestritt ihm auch das Recht, sich als US-Staatsangehöriger in italienische Angelegenheiten einzumischen.467 Diese Ausgrenzung Salveminis als Emigrant entsprach durchaus einer verbreiteten Ansicht vieler Italiener über die Antifaschisten, die das Land unter dem Regime hatten verlassen müssen, und wurde später von Seiten der Rechten gegen Salvemini wiederholt vorgebracht.468 Dieser rechtfertigte sich daraufhin am 1. August 1945 in Italia libera, er sei ebenso wie der Philosoph Croce Mitglied einer universalen Gelehrtenrepublik und habe daher das Recht, sich zu allen Themen zu äußern. Croce habe auch in Wahrheit nichts dagegen, dass US-Amerikaner sich zu Italien äußerten, aber er habe etwas dagegen, wenn sie seine Meinung nicht teilten.469 Mit dieser scharfen Replik lag der Emigrant aus Harvard zweifelsohne nicht ganz falsch, indes hatte er selbst zuvor Croces Angriffe mit der Äußerung provoziert, er sei keinesfalls ein italienischer Exilant in den USA, sondern ein US-amerikanischer Staatsbürger, der sich allenfalls 464 Vgl. Salvemini, I »liberali« italiani, in: Opere VII, S.  561–563. Der Text erschien am 1.8.1944 in Italia libera. 465 Z. B. ders., Prigionieri di guerra, in: Ebd., S. 546–548. Der Artikel erschien am 1.6.1944 in Italia libera. Vgl. auch ders. u. La Piana, Benedetto Croce e i segreti degli dei, in: Ebd., S. 564–570, Zitat S. 568. Der Text erschien am 16.8.1944 in Italia libera. 466 Brief Salveminis an Ernesto Rossi, 12.12.1944, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 74. 467 Vgl. Croce, Commento a una deprecazione e a una sentenza del Prof. Salvemini, in: Ders., Scritti II, S. 258 f. 468 Diese Vorwürfe kamen nicht nur von Seiten des Neofaschismus, sondern auch von sogenannten moderati, die den Faschismus nicht verteidigten, sich aber auch nicht mit dem Antifaschismus identifizieren wollten. Den Exilanten wurde unterstellt, sie hätten unter guten und sicheren Bedingungen im Ausland gelebt, während das Volk unter Regime und Krieg gelitten habe. Vgl. Baldassini, S. 190 f. 469 Vgl. Salvemini, Caltagirone e Pescasseroli, in: Opere VII, S. 696–698.

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für die US-Italienpolitik interessiere, aber nicht in die italienische Politik einzumischen gedenke. Tatsächlich jedoch beschäftigte sich Salvemini neben seiner Kritik an der alliierten Politik gegenüber seinem Herkunftsland fast ausschließlich mit inneritalienischen Fragen. Zwar beurteilte Salvemini etliche politische Zustände in Italien durchaus ähnlich wie sein Gegner.470 Es bestanden aber grundlegende Unterschiede. Während Croce bereit war, gemeinsam mit der DC, die sich nach Kriegsende rasch als die Massenpartei des bürgerlich-konservativen Lagers erwies, eine Machtübernahme des PCI zu verhindern, wollte Salvemini als Konsequenz aus Krieg und Faschismus, dass sich eine demokratische terza forza [dritte Kraft – d. Vf.] in Italien durchsetze: eine antibolschewistische, undogmatische Linke.471 Die Abgrenzung vom Faschismus bedeutete für Salvemini darüber hinaus nicht nur eine Entfernung der unmittelbar Schuldigen wie der faschistischen Funktionäre und des Königs, sondern zudem die Reform etlicher Strukturen, die er als Voraussetzung des Faschismus betrachtete. Dazu gehörten für ihn die Auflösung des Großgrundbesitzes und die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien.472 Im August 1944 entwarf er hierfür sogar ein Konzept für einen demokratischen Sozialismus, das er an das Exekutivkomitee des kurzlebigen Partito Socialista Rivoluzionario Italiano sandte und welches drei Monate danach in den USA auch publiziert wurde.473 Aus der Benennung konkreter Schuldiger wie des Königs, Badoglios, des Vatikans oder auch der Großunternehmer Giovanni Agnelli und Alberto P ­ irelli474 ergab sich, dass Salvemini die breite Bevölkerung von einer Verantwortung für den Faschismus ausnahm. So meinte er etwa im März 1944 in einem gemein­ samen Appell mit anderen italienischstämmigen Antifaschisten an die US470 Beide waren zum Beispiel für die Wiedereinsetzung der alten Verfassung aus vorfaschistischer Zeit anstatt einer Neuausarbeitung und sahen auch den schnellen Zerfall des PdA aufgrund unüberbrückbarer innerer Zwistigkeiten voraus. Siehe hierzu Brief Salveminis an Ernesto Rossi, 12.12.1944, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 74 bzw. Brief an Leo ­Valiani, 10.8.1946, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 73. 471 Vgl. beispielsweise Salvemini, Per una concentrazione repubblicana-socialista in Italia, in: Opere VII, S. 603–630. Der Text erschien im November 1944 als Sonderausgabe der Zeitschrift Controcorrente. Am 11.6.1946 schrieb er an Valiani, »[…] die Wähler sind in zwei praktisch gleichgroße Teile gespalten, von denen quasi jeweils die Hälfte aus erklärten Monarchisten und verschleierten Monarchisten sowie aus guten, aber dummen Sozialisten und intelligenten, aber kriminellen Kommunisten besteht.« Siehe ISRT Fondo Salvemini, Scatola 126. 472 Vgl. ders., A due amici in Svizzera, in: Opere VII, S. 650. Der Artikel erschien am 16.3.1945 in Italia libera. 473 Vgl. ders., Per una concentrazione repubblicana-socialista in Italia, in: Ebd., S. 603–630. Der Partito Socialista Rivoluzionario Italiano wurde im Januar 1944 in Neapel gegründet und existierte knapp zwei Jahre. Vgl. Alosco, S. 151 f. 474 Zu den Unternehmern vgl. Salvemini, Che cosa è un »liberale« italiano nel 1946, in: Opere VI, S. 366 f. An anderer Stelle bezeichnete er auch die italienischen Adligen als weitgehend faschistisch. Vgl. ders., Firenze, in: Opere VII, S. 574. Der Text erschien am 16.9.1944 in Italia libera.

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Regierung, nach dem Mord an dem sozialdemokratischen Generalsekretär Matteotti seien fast alle Italiener gegen das Regime gewesen, aber vom König verraten worden.475 Der politische Charakter solcher öffentlicher Erklärungen darf freilich nicht unterschätzt werden. Besonders energisch reagierte Salvemini etwa in einem Zeitungsartikel auf den britischen Außenminister Sir Anthony Eden, der zuvor die italienische Nation als ganzes für die faschistischen Kriege verantwortlich gemacht hatte. Das italienische Volk, so Salvemini am 1. Januar 1945 in Italia libera, sei genauso wenig für die faschistischen Kriege verantwortlich wie das englische Volk für die Außenpolitik Edens, der 1935 das Flotten­ abkommen mit Hitler geschlossen und Mussolini in Äthiopien und Albanien freie Hand gelassen habe.476 Als erste und wichtigste Konsequenz erschien ihm jedoch die Einführung der Republik. Wie Croce war Salvemini zwar der Meinung, dass Italien bereits vor 1922 Erfahrungen mit demokratischen Rechten wie Presse- und Versammlungsfreiheit sowie schließlich dem allgemeinen Wahlrecht gemacht habe. Allerdings leitete er daraus keine positive Bewertung des politischen Systems im liberal-monarchischen Italien ab, denn alle demokratischen Rechte seien von den dominierenden Liberalen nur zugestanden worden, wenn die unteren Bevölkerungsschichten sie gewaltsam erzwungen hätten.477 In einer römischen Zeitschrift beklagte Salvemini 1946, Liberalismus habe schon um 1900 in Italien ganz Verschiedenes bedeuten können und unter anderem auch die reaktionären konservativen Kräfte bezeichnet, die sich gegen Demokraten und Sozialisten hätten an der Macht halten wollen. Nach den Wahlen 1919 hätten diese vorgeblich liberalen Kräfte erkannt, dass sie keine Mehrheiten mehr erringen konnten und daher versucht, den Faschismus gegen die politischen Gegner zu in­strumentalisieren. Dadurch seien sie zu Mitläufern der Diktatur geworden.478 Im Gegensatz zu Croce sah Salvemini eine besondere Schuld des Kleinbürgertums, das die politische Führung in allen Parteien Italiens stets innegehabt habe und auch für alles Unglück der italienischen Entwicklung ver475 Vgl. ders., La protesta degli antifascisti in America, in: Opere VII, S. 506 f. Der Artikel erschien am 16.3.1944 in Italia libera. 476 Vgl. ders., Governi e popoli, in: Opere VII, S. 635 f. 477 Vgl. ders., La democrazia in Italia, in: Opere VII, S. 672 f. Der Artikel wurde am 16.5.1945 in Italia libera veröffentlicht. Vgl. auch ders., Che cosa è un »liberale« italiano nel 1946, in: Opere VI, S. 381. 478 Vgl. ebd., S. 353–360. Der Artikel erschien laut Werkausgabe in einer nicht identifizierten römischen Zeitschrift unter dem Titel »Libertà e niente altro nella concezione di Benedetto Croce«, beruhte allerdings auf dem zitierten Text »Che cosa è un ›liberale‹ italiano nel 1946«, der als Beitrag Salveminis in dem Buch Benedetto Croce, herausgegeben von Salvemini gemeinsam mit Giuseppe Antonio Borgese, Nicolò Chiaromonte, Giorgio La ­Piana und Enzo Tagliacozzo 1946 in Boston erschien. Die Verschärfung des Streits lässt sich auch daran ablesen, dass Croce nach und nach Organe mit immer größerer Reichweite für seine Artikel gegen Salvemini benutzte: zunächst seine Quaderni della Critica, dann die liberale Parteipresse und am 13.12.1946 sogar die Nuova Stampa, vgl. hierzu Croce, Una nuova conversazione col prof. Salvemini, in: Ders., Scritti II, S. 330–333.

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antwortlich zeichne, vor allem den Faschismus, den Salvemini – und darin ähnelte er Croce wiederum  – in erster Linie als eine moralische Krankheit bezeichnete.479 Die Freiheit, so der Historiker aus Apulien, sei 1922 nicht beseitigt worden, weil es kein demokratisches Bewusstsein gegeben habe, sondern weil den herrschenden Gruppen gerade dieses demokratische Bewusstsein zu stark geworden sei.480 Es ging ihm also nicht nur um die Person Vittorio Emanuele III., dessen Schuld auch für Croce außer Frage stand, sondern darum, die Monarchie als solche in ihrer Eigenschaft als demokratiehemmende Institution zu beseitigen. Verrat sei jede Zusammenarbeit mit dem König und seinem Ministerpräsidenten Badoglio auch deshalb, weil die Erhaltung der Monarchie Ziel britischer Politik sei, als dessen Einflusssphäre Italien gelte und die mittels eines schwachen und prestigelosen Königs ihre Interessen dort durchzusetzen gedenke.481 Um dies zu verhindern, forderte Salvemini zwei seiner engen Gefolgsleute im März 1945 sogar auf, nach dem Zusammenbruch der deutschen Besatzungsherrschaft in Mailand die Republik auszurufen und die Generäle des Königs dort, wenn nötig, mit Gewalt zu bekämpfen.482 Wenn Salvemini zweifellos die Eliten für die Hauptschuldigen des Faschismus hielt, war er sich der breiten Unterstützung, die das System jahrelang genossen hatte, doch bewusst. In einem Brief an Leo Valiani schrieb er, Mussolini habe sich besonders zur Zeit des Äthiopienkrieges und des Münchner Abkommens auch in den mittleren und unteren Schichten erheblicher Popularität erfreut und hätte er den Krieg gewonnen, dann hätten ihn viele für einen großen Mann gehalten.483 In öffentlichen Äußerungen verschwieg er diese Ansicht aber. In etlichen Artikeln, zum Beispiel einem Appell an die US-Regierung vom 16. März 1944, versuchte er, eine Änderung der alliierten Politik herbeizuführen, die das monarchische System unterstützte.484 Letztlich war er damit jedoch völlig erfolglos. Im Juni 1945 antwortete er auf ein Hilfegesuch des Comitato Giuliano, das um seine Intervention bei der US-Regierung zugunsten italienischer Opfer von Repressalien der jugoslawischen Besatzungstruppen in der Teilregion Venezia Giulia bat, er verfüge bedauerlicherweise über keinerlei Einfluss bei offiziellen Stellen, da er sich 479 Brief Salveminis an Leo Valiani, September oder Oktober 1954, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 126. 480 Vgl. Salvemini, La democrazia in Italia, in: Opere VII, S. 673; ders., Che cosa è un »liberale« italiano nel 1946, in: Opere VI, S. 381. 481 Vgl. ders., Allearsi al re significa tradire il popolo. Lettera ad un amico, in: Opere VII, S. 438 f. Der Text wurde im September 1943 in Controcorrente publiziert. Vgl. auch ders., Mettete gli italiani alla prova! In: Ebd., S. 472–476. Dieser Beitrag erschien am 1.1.1944 in Italia libera. 482 Vgl. ders., A due amici in Svizzera, in: Ebd., S. 650. Bei den beiden Freunden handelte es sich um Ernesto Rossi und Egidio Reale. Diese Idee blieb allerdings folgenlos. 483 Brief Salveminis an Leo Valiani, 10.8.1946, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 73. 484 Vgl. Salvemini, La protesta degli antifascisti in America, in: Opere VII, S. 504–508. Der Artikel erschien am 16.3.1944 in Italia libera.

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nicht zum Werkzeug der britischen und US-amerikanischen Diplomatie habe m ­ achen lassen.485 Seit dem Sommer 1944 hatte es unmittelbar nach der Befreiung von Ge­bieten in Zentralitalien durch die Alliierten massenhafte Racheaktionen von Partisanen gegen die Angehörigen des faschistischen Regimes gegeben. Diese Rache resultierte aus dem grausam geführten Bürgerkrieg zwischen Faschisten und Antifaschisten im deutschen Besatzungsgebiet und erschreckte vor allem die Angehörigen des bürgerlichen Lagers. Nicht nur Croce, auch andere Historiker versuchten in der Folge, die gewaltsame epurazione einzudämmen und auf eine Versöhnung und Integration der faschistischen Täter und Mitläufer hinzuwirken. Dies wurde für die Befriedung und den Wiederaufbau des Landes für notwendig erachtet, und außerdem fürchtete man, dass die Säuberungen vor allem die Position des linken Lagers stärken würden. Allerdings hatte auch der PCI schnell kein Interesse mehr an einer intensiven Säuberung. Der linken Massenpartei ging es ebenso um eine Integration der Regimeanhänger; in großer Zahl nahm sie sogar ehemalige Mitglieder des PNF auf.486 Eine Ausnahme war hingegen Salvemini, der die Säuberungen keineswegs eindämmen wollte. Vielmehr bezeichnete er die Arbeit der offiziellen Säuberungskommission unter Graf Carlo Sforza im September 1944 in Italia libera als »Geschwätz« im Gegensatz zu dem Vorgehen der Partisanen487 und forderte einige Monate später, die Entfaschisierung der Kirchenhierarchie dürfe nicht dem Vatikan überlassen bleiben, da in diesem Fall keine Säuberung stattfinden würde.488 Der Emigrant hatte deutlich radikalere Ansichten, was den Umgang mit den Faschisten anging als seine in Italien verbliebenen Landsleute. In einem Brief an seinen Freund Rossi hielt er es etwa für einen Skandal, dass man sich in Italien über die Tötung von 230 italienischen Priestern durch Jugoslawien empöre. Wenn diese Priester die faschistische Sache vertreten hätten, dann seien sie zu Recht um­ gebracht worden.489

485 Vgl. ders., Aiutati che Dio ti aiuta, in: Ebd., S. 675. Der Artikel wurde am 1.6.1945 in Italia libera veröffentlicht. Der Comitato Giuliano sollte sich für einen Verbleib ostitalienischer Gebiete wie dem umstrittenen Istrien und der von jugoslawischen Truppen besetzten Teilregion Venezia Giulia einsetzen. Vgl. Focardi, Unsitte, S. 17. Sestan schrieb ein Gutachten für den Comitato Giuliano, indem er die jugoslawischen Vorwürfe und Ansprüche teilweise zurückwies, andererseits jedoch auch die faschistischen Unterdrückungen der Slawen erörterte und für den Fall einer Rückgabe der Region an Italien eine weitgehende Autonomie für die slowenischen und kroatischen Minderheiten forderte. Vgl. hierzu ­Sestan, Le argomentazioni, S. 178–197. Sestan arbeitete seine Überlegungen 1947 zu einem Buch über die umstrittene Region aus. Vgl. hierzu ders., Venezia Giulia, insbesondere S. 120–124. 486 Vgl. Woller, Abrechnung, S. 163–206. 487 Salvemini, Firenze, in: Opere VII, S. 577. Der Artikel erschien am 16.9.1944. 488 Vgl. ders. u. La Piana, Un’idea »peregrina« (secondo Don Sturzo), in: Ebd., S. 663–666. Der Text erschien in Italia libera. 489 Brief Salveminis an Ernesto Rossi, 27.7.1946, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 74.

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Ähnlich sahen es die Partisanen im Norden. Sie hatten keinerlei Vertrauen in die Säuberungspraxis der königlichen Regierung und der Alliierten, die diese Regierung stützten. Auch aus diesem Grund wollten sie die Deutschen vor dem Eintreffen der britischen und US-amerikanischen Truppen vertreiben, um mit den Faschisten abzurechnen. Prominentestes Beispiel war dabei Mussolini, den die Partisanen sofort töteten, anstatt ihn, wie verlangt, an die Alliierten auszuliefern. Die Vergeltung der Partisanen war nicht systematisch organisiert worden, sondern entsprang dem spontanen Rachebedürfnis einzelner Personen und Gruppen und richtete sich gegen zahlreiche echte und vermeintliche Faschisten. Mit dem Kriegsende hörten diese Abrechnungen aber nicht wie in Frankreich oder Belgien auf, sondern dauerten noch bis zum Jahresende 1945 an, während die Alliierten die Ordnung nicht völlig wiederherstellen konnten. Es ist davon auszugehen, dass mindestens 12.000 Menschen bei den Vergeltungsaktionen getötet wurden.490 An diesem Ausmaß der wilden Säuberungen erkennt man, wie repressiv der Faschismus im Gegensatz zu allen Verniedlichungen in ­Croces massenmedialer Praxis tatsächlich gewesen war.491 Vor allem in Süditalien stießen diese Säuberungen auf Ablehnung, und die nostalgische Protestpartei L’Uomo Qualunque, die sich gegen antifaschistische Maßnahmen einsetzte, erzielte zeitweise große Erfolge.492 Etliche öffentliche Akteure versuchten unter dem Eindruck der Racheakte, ein Zeichen der Versöhnung und Vergebung auszusenden, darunter nicht zuletzt die neorealis­ tischen Filmemacher. In Werken wie Caccia tragica oder Riso amaro wurde nicht nur ein italienisches Volk gezeichnet, das sich fast komplett im Widerstand engagiert habe, sondern auch die Faschisten wurden als Opfer widriger Umstände entschuldigt.493 Eine solche Haltung kam auch eher den Ansichten des katholischen Historikers Mario Bendiscioli entgegen. Bendiscioli hatte, wie bereits dargestellt, schon der antifaschistischen Opposition im Ventennio angehört. Er hielt Vergebung für den richtigen Weg, um mit den Tätern und Mitläufern umzugehen. Nur so könne der Wiederaufbau gelingen und der Kreislauf der Rache durchbrochen werden. Dieser Gedanke stand im Zusammenhang mit seiner grundsätzlichen Forderung nach Rückbesinnung auf christliche Werte als die notwendige und einzige hilfreiche Konsequenz, die aus der Erfahrung von Faschismus und Niederlage zu ziehen sei. Dafür setzte sich Bendiscioli als spezifischer Intellektueller ein, indem er beim christdemokratischen Parteiblatt Il Popolo von seiner Tätigkeit als Lehrer und vor allem Verantwortlicher des CLN ausgehend auf die epurazione in den Schulen zu sprechen kam. Obwohl er es nur indirekt thematisierte, distanzierte er sich darin sowohl von den gewalt490 Vgl. Woller, Abrechnung, S. 253–276. 491 Vgl. Klinkhammer, Staatliche Repression, S. 157. 492 Der Parteivorsitzende Guglielmo Giannini meinte 1945, alle Italiener seien durch den Faschismus kompromittiert und deshalb habe auch niemand das Recht, die anderen zu bestrafen. Vgl. Baldassini, S. 155 f. 493 Vgl. Ben-Ghiat.

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samen Formen der Säuberung als auch von einer Mentalität, die Vergangenheit einfach abzuhaken und zur Tagesordnung überzugehen. Bendiscioli befürwortete dagegen, alle jene auszusieben, die im Faschismus einen nationalistischen Geist unter den Schülern gefördert hätten. Gemäß seiner Forderung nach Vergebung als Grundlage für den Wiederaufbau wollte er niemandem das Recht zur Bekehrung absprechen. Allerdings machte er zugleich deutlich, dass er darunter mehr als nur einen formalen Gesinnungswechsel verstand, wie er ihn durch den Eintritt vieler ehemaliger Faschisten in die DC beobachten konnte, die ihre Vergangenheit schlicht beiseite schoben: Die innere Bekehrung, so Bendiscioli, habe in Demut und Anerkennung der eigenen Vergangenheit zu erfolgen. Allerdings stand Säuberung für ihn nicht an erster Stelle, sondern die Aufrechterhaltung des Unterrichts.494 In der Regierungskoalition setzte sich die Ansicht rasch durch, dass es gelte, das Land zu befrieden und eine weitgehende Integration der Faschisten in die neue Gesellschaft zu erreichen. Dafür war sie allerdings bereit, nahezu jegliche juristische Aufarbeitung der Diktatur einzustellen. Am 22. Juni 1946 erließ ­Togliatti in seiner Funktion als Justizminister in Übereinstimmung mit den anderen Regierungsparteien eine generelle Amnestie, die praktisch umfassend und sogar für die Folterer des faschistischen Regimes galt.495 Diese Amnestie kam gegen den Widerstand vieler ehemaliger Partisanenführer zustande.496 Sie fand mittlerweile aber viel Zustimmung, denn nach den Vergeltungen war der Rachedurst bei den meisten, die nicht selbst unmittelbar Opfer des Faschismus geworden waren, gestillt.497 Ebenso wie in der Bundesrepublik Deutschland empfanden sich etliche italie­ nische Historiker während und nach dem Zäsurzeitraum 1943–1945 als Volks­ erzieher. Interessanterweise galt das auch für Historiker des PCI, da sich die Kommunistische Partei Italiens im Gegensatz zur ihren Schwesterorganisatio­ nen nicht proletarisierte, sondern von Intellektuellen geführt wurde. Anders als in der Bundesrepublik traten die italienischen Historiker aber nicht mehrheitlich als spezifische Intellektuelle in der Öffentlichkeit in Erscheinung, sondern die Spannweite öffentlicher Praxis war breiter gefächert. Sie reichte von fachorientierten Universitätsgelehrten wie Chabod, Cantimori und Sestan, die sich unabhängig von ihrer politischen Gesinnung nicht oder kaum außerhalb der Fachorgane engagierten, bis zu allgemeinen Intellektuellen wie Croce und Salvemini. Croce füllte in der besonderen Kriegssituation 1943–1945 zudem eine wichtige politische Rolle aus, wobei seine Forderung nach einer politischen Kontinuität des liberal-monarchischen Italiens von vor 1922 im Zeitalter der Massenparteien nicht erfolgreich war und auch seine philosophischen Grund494 Vgl. Bendiscioli, Per il riordinamento della Scuola Media. 495 Vgl. Ginsborg, S. 107. 496 Vgl. Azzaro, S. 149 f. 497 Vgl. Woller, Abrechnung, S. 305 f.

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annahmen von einer breiten Bevölkerung nicht rezipiert wurden. Allerdings prägten seine historischen Interpretationen der Zäsur nachhaltig den antifaschistischen Konsens, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der öffentlichen Meinung, wenngleich viel weniger in der verbreiteten Meinung Italiens, durchsetzte. Seine Externalisierung des Faschismus aus der nationalen Entwicklung und gleichzeitige Relativierung durch ständigen Vergleich mit dem Nationalsozialismus war enorm anschlussfähig und wurde vor allem angesichts des Krieges gegen die deutsche Besatzungsmacht und den faschistischen Marionettenstaat von wesentlichen anderen politischen Kräften geteilt. Nach der Befreiung setzten sich Croce und auch ein katholischer Historiker wie Bendiscioli allerdings für eine rasche Versöhnung mit den zahlreichen Mitläufern des untergegangenen Regimes ein, um die Säuberungen zu beenden, die gewaltsam eskalierten und deren Instrumentalisierung durch die politische Linke sie fürchteten. Dagegen waren es letztlich nur wenige Vertreter des Widerstands, darunter der Exilant Salvemini, die eine energische Verfolgung der Faschisten verlangten, während die Kommunisten aus politischen Gründen bald eine weitgehende Amnestie unterstützten und durchsetzten. Die ideologische Lagerbildung in der italienischen Gesellschaft sorgte auch für politischen Disput unter den Historikern. Während Croce eine Wiederanknüpfung an das liberale Italien für die richtige Konsequenz aus der Zäsur hielt, setzte sich Salvemini für eine sozialdemokratische, Manacorda für die kommunistische und Bendiscioli für die christdemokratische Option ein. Die Perspektive auf dieses außerfachliche Engagement zeigt, dass öffentlicher Streit viel weniger als im deutschen Kontext als Übel angesehen wurde. Croce betonte eigens die Notwendigkeit der friedlichen öffentlichen Auseinandersetzung zur Aushandlung von Interessenkonflikten und hob ausdrücklich hervor, dass autoritäre Strukturen die Staaten gerade nicht sicherten, sondern vielmehr destabilisierten. Trotz aller Polemik fällt ferner durch den Vergleich beider Länder auf, in wie vielen Punkten die Historiker der unterschiedlichen politisch-ideologischen Lager in ihrer historischen Bewertung der Zäsur übereinstimmten. Wie in der Bundesrepublik galt der Widerstand sowohl Croce als Salvemini als Brücke zur nationalen Vergangenheit. Noch viel stärker als in Deutschland diente der Widerstand auch der Legitimation des Nachkriegssystems. Die Resistenza wurde in ihrer Bedeutung überbewertet und wie in Westdeutschland die eigenen Landsleute in erster Linie als Opfer, zunächst eines ungewollten faschistischen Regimes, dann einer verfehlten alliierten Politik betrachtet. Croce und Salvemini versuchten dabei beide, die öffentliche Meinung in den alliierten Siegerstaaten zugunsten einer anderen Italienpolitik zu beeinflussen, blieben damit aber erfolglos. Die Schuld wurde in den Massenmedien allenfalls wenigen Verbrechern gegeben, auch wenn Salvemini nicht nur die unmittelbaren Angehörigen des Regimes bestrafen, sondern überdies Institutionen wie die Monarchie als profaschistische Einrichtung beseitigen wollte. Diese Interpretationen sollten wohl bewusst der Integration der breiten Massen in die demokratische Republik dienen, denn wie der Vergleich öffentlicher und privater Aussagen 239 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

deutlich gemacht hat, zeigten Croce und Salvemini in ihren nichtöffentlichen Selbstzeugnissen durchaus Einsicht in die Tatsache einer breiten Zustimmung, die das Regime erfahren hatte. Unfreiwillig schien diese Erkenntnis in manchen Reden Croces sogar durch. 2.2 Der Beginn des Kalten Krieges und das Ende der antifaschistischen Einheit Die Befreiung Italiens von der deutschen Besatzungsherrschaft und das Ende des Zweiten Weltkriegs beendeten auch den fast zweijährigen Zäsurzeitraum, der in Italien mit dem 25. Juli 1943 begonnen hatte. Die bald darauf folgende Abschaffung der Monarchie durch das Referendum am 2. Juni 1946 erfüllte eine der zentralen Forderungen der Linken, darunter Salveminis, wenngleich dieser von der Knappheit des Ergebnisses enttäuscht war.498 Croce hingegen musste die drohende Spaltung der Liberalen Partei verhindern, für die das Referendum bereits eine Zerreißprobe bedeutet hatte und Fragen der Verfassungsdiskussion rückten für ihn in den Vordergrund. Dabei kam es auch zu einer Verschiebung bei der Betrachtung des Faschismus. Hatte Croce bis zur Befreiung die italienische Diktatur vor allem mit dem Nationalsozialismus verglichen, diente sie nun als Bezugsgröße zum Kommunismus. Die Absicht veränderte sich damit nicht: Erneut ging es darum, die feindliche Ideologie mit dem untergegangenen Regime in Verbindung zu bringen, zum Beispiel als Croce im Juni 1945 im Risorgimento liberale meinte, die Kommunisten seien zwar Antifaschisten, doch sie bedienten sich faschistischer Methoden.499 Gleichfalls war es weiterhin das Ziel, den Faschismus zu verharmlosen, ihn diesmal jedoch als lustige Abart des sow­ jetischen Bolschewismus zu betrachten.500 Diese politische Auseinandersetzung mit dem Kommunismus ließ sich dabei bisweilen schwer mit der Intention vereinbaren, die massenhafte Zustimmung im Ventennio zu bestreiten. So gab Croce im März 1947 der rechtsgerichteten römischen Zeitung Il Tempo ein Interview, in welchem er der kommunistischen These widersprach, der Faschismus sei eine Klassenherrschaft gewesen. Er wollte keine Vereinnahmung des Widerstands durch die Arbeiterparteien und wies daher darauf hin, dass die Arbeiter von der Möglichkeit eines Streiks bis fast zum Schluss keinen Gebrauch gemacht und Mussolini lange bejubelt hätten.501 498 Zwei Monate vor dem Referendum hatte er noch mit einer Zustimmung von 75 % für die Republik gerechnet. Brief Salveminis an Ernesto Rossi, 22.4.1946, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 74. 499 Vgl. Croce, Forza e violenza, in: Ders., Scritti II, S. 159 f. Der Text erschien am 10.6.1945 in Risorgimento liberale. 500 Vgl. ders., Russia ed Europa, in: Ebd., S. 180. Dieser Artikel erschien u. a. am 23.8.1945 in der Zeitschrift Città libera. 501 Vgl. ders., Conversazione sul ceto medio, in: Ebd., S.  346 f. Das Interview erschien am 2. und 4.3.1947.

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In der Debatte über eine neue italienische Verfassung hingegen blieb Croce seinem Konzept treu, dass der italienische Nationalstaat bis 1922 ein Erfolg gewesen sei, an den die Gesellschaft jetzt wieder anknüpfen solle. In diesem Zusammenhang widersprach er am 27. September 1945 in der Consulta – einer Art Vorparlament, in dem die Vertreter der Parteien und gesellschaftlichen Organisationen saßen – Ministerpräsident Ferruccio Parris Bemerkung, Italien sei vor dem Faschismus keine Demokratie gewesen; vielmehr habe es sich bei dem liberalen Italien um eines der demokratischsten Länder Europas gehandelt.502 Da die alte Verfassung für Croce nicht mangelhaft, sondern nur 1922 nicht mehr beachtet worden war, verlangte er auch anderthalb Jahre später in der Verfassungsgebenden Versammlung, sie solle nicht geändert, sondern weitgehend wieder in Kraft gesetzt werden.503 Croces Ziel, durch publizistisches Engagement in ausländischen Zeitungen einen Friedensvertrag mit herbeizuführen, der Italien als vollberechtigten Alliierten anerkenne, seine territoriale Integrität erhalte und ebenso seine Kolonien, war nicht erreichbar.504 Angesichts des vorgelegten Vertrages, der unter anderem einen Verzicht auf alle Kolonien und Gebietsabtretungen an Jugoslawien vorsah, griff er die Alliierten am 3.  November 1945 in einem Artikel scharf an, der in mehreren italienischen Zeitungen abgedruckt wurde, allerdings nicht mehr im westlichen Ausland, wo er offensichtlich auch nicht die gewünschte Wirkung zu erzielen vermochte. Die Alliierten, so schrieb Croce, hätten alle ihre Versprechen aus der Kriegszeit gebrochen und lebten ihren ungehemmten Imperialismus gegen Italien aus. Paradigmatisch machte er hierfür den Einfluss der Massengesellschaft als negative Entwicklung in den westlichen Ländern verantwortlich. Der Wille des Pöbels habe in den USA und Großbritannien über die Vernunft und Staatskunst triumphiert.505 Croce wusste zwar, dass eine Umsetzung des Friedensvertrages unvermeidlich sein würde, forderte aber bis zum Schluss vergeblich, Italien müsse zumindest die formale Ratifizierung verweigern.506 Salvemini hielt die alliierte Politik ebenfalls für imperialistisch, da sie das italienische Selbstbestimmungsrecht missachte und verlangte seinesgleichen eine Ablehnung des Friedensvertrages. Jedoch betonte er, anders als Croce, dass Italien keinerlei Rechte an den Kolonien habe. Es gehe nicht darum, was Italien brauche, denn die Bevölkerungen der bisherigen Kolonien benötigten sicher502 Vgl. ders., Rievocazione dell’Italia libera e democratica, in: Ebd., S. 191. 503 Vgl. Rede vor der Assemblea Costituente am 11.3.1947, zitiert nach ders., In disegno di una nuova costituzione dello stato italiano, in: Ebd., S. 355. 504 So hatte er es programmatisch in der Rede im Teatro Eliseo dargelegt. Vgl. ders., L’Italia nella vita internazionale, in: Ebd., S. 94–97. 505 Vgl. ders., La »Curée« delle nazioni sul corpo dell’Italia, in: Ebd., S. 253–255. Der Text erschien in Risorgimento, Risorgimento liberale und anderen Zeitungen. 506 Vgl. ders., Contro l’approvazione del dettato di pace, in: Ebd., S. 390 f. Diese Rede im Senat wurde am 24.7.1947 auch im Rundfunk übertragen. Vgl. ders., Contro l’approvazione del dettato di pace, in: Discoteca dello Stato, Benedetto Croce.

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lich auch keine italienische Herrschaft.507 Weiterhin riet er davon ab, ein Italien in den Grenzen von 1939 zu fordern, da dies Gebiete slawischer Minderheiten einschließe, die im Faschismus unterdrückt worden seien und ein Recht auf nationale Selbstbestimmung hätten. Ebenso müsse argumentiert werden, wenn es um den Verbleib der umstrittenen Region West-Istrien gehe, da dort eine geschlossene italienische Bevölkerung wohne, die ebenfalls ein Selbstbestimmungsrecht habe.508 Während Croce seine Linie einer Bagatellisierung der italienischen Besatzungsherrschaft im Zweiten Weltkrieg und den Kolonien fortsetzte, sprach Salvemini sogar die Verbrechen General Rodolfo Grazianis 1929/30 in der Cyrenaika und den Giftgaseinsatz Marschall Badoglios in Äthiopien als Begründung für einen Bruch mit jeglichem Imperialismus an. Bei der Frage nach den Konsequenzen, die sich für die italienische Politik aus der Zäsur ergaben, bemühte sich der Historiker aus Molfetta in der Öffentlichkeit um eine differenzierte Betrachtung. Exemplarisch hierfür war seine in Italia libera publizierte Antwort auf das Schreiben des Comitato Giuliano. Dort formulierte er eines seiner zentralen Ziele, nämlich die Schaffung eines friedlichen und föderalen Europas. Italien, so Salvemini, müsse ehrlich und endgültig auf Revancheakte und Angriffskriege verzichten, sich stattdessen langfristig immer wieder für die eigenen Rechte im europäischen Rahmen einsetzen, denn zur europäischen Lösung gebe es überhaupt keine Alternative. Seine Politiker sollten nicht mit der Rückkehr von Faschismus oder Nationalismus als Folge von Gebietsverlusten drohen, denn würde das italienische Volk tatsächlich nach der Erfahrung des Ventennio sich dieses zurückwünschen, dann sei es nicht nur moralisch wertlos: Ein solches Vorgehen sei auch unsinnig, denn es würde mächtigere Nationen nicht beeindrucken und den Verfechtern einer friedlichen europäischen Re­gelung vermitteln, dass Italien nur aus Schwäche zu einer Friedensordnung bereit sei.509 Insbesondere, dass er italienische Kriegsverbrechen in den Kolonien ansprach, war bemerkenswert, da diese Tatsache in der Öffentlichkeit von maßgeblichen Akteuren bis in die Gegenwart geleugnet wurde.510 Wie bei der Frage von Widerstand und Zustimmung unter der Diktatur, reduzierte er gleichwohl die Schuld an den Verbrechen auf wenige Führungsfiguren: Nicht viele italie507 Vgl. Salvemini, La protesta degli antifascisti in America, in: Opere VII, S.  507 f.; ders., Trieste e gli stalinisti, in: Ebd., S. 641 f. Dieser Artikel erschien am 16.2.1945 in Italia libera. 508 Vgl. ders., Aiutati che Dio ti aiuta, in: Ebd., S. 677–680. 509 Vgl. ders., La protesta degli antifascisti in America, in: Opere VII, S. 507 f.; ders., Trieste e gli stalinisti, in: Ebd., S. 639–642. 510 Vgl. Klinkhammer, Kriegserinnerung, S.  335. Besonders die Kolonialpolitik wurde weithin positiv gesehen. Die Eroberung Äthiopiens erschien in der italienischen Öffentlichkeit häufig als eine friedliche Übereinkunft zwischen Angehörigen beider Völker und auch in späteren Schulbüchern wurde der Kolonialismus als Maßnahme gegen Arbeitslosigkeit und zur Ressourcenbeteiligung der italienischen Wirtschaft positiv interpretiert. Vgl. hierzu Baldassini, S. 116–126.

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nische Soldaten hatten Kriegsverbrechen begangen, sondern General Graziani hatte Kriegsverbrechen begangen. Die Italiener erschienen mehrheitlich wieder als Opfer. Nachdem sie erst einem verhassten faschistischen Regime ausgeliefert gewesen seien, hätten die Alliierten ihre Versprechen gebrochen und verfolgten nun eine kühle Interessenpolitik, welche die Rechte Italiens mit Füßen trete.511 Es darf aber wie im westdeutschen Fall nicht übersehen werden, dass Salvemini sich an eine Öffentlichkeit wandte, in der Mitläufer und Täter vorherrschten, deren normative Abgrenzung vom untergegangenen System erreicht werden sollte. Es war insofern nicht überraschend, wenn der Emigrant seine Leser nicht anklagte. Wie weitgehend Salveminis Verurteilung italienischer Kriegsverbrechen in der öffentlichen Debatte unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges war, zeigt der Vergleich mit der Haltung Croces. In den Begründungen beider Historiker stießen Scham- und Schuldparadigma aufeinander. In seiner Rede vor der Costituente am 24. Juli 1947, in der er die Ablehnung des Friedensvertrages forderte, klagte Croce, dass Fremde Italien öffentlich anprangerten. Der Stolz und die Würde der ganzen Nation seien gedemütigt, wenn Verantwort­liche des faschistischen Krieges von den Alliierten vor Gericht gestellt und verurteilt würden. Keinerlei Rechtsgrundlage sah Croce für ein derartiges Vorgehen, da im Krieg jegliches Recht grundsätzlich schweige. Daraus folgte, dass nun erst recht keinerlei Dichotomie zwischen Tätern und Regimegegnern mehr be­ stehen sollte: Den Zweiten Weltkrieg hätten alle verloren, auch die Antifaschisten, denn sie seien als Italiener für das Schicksal der Nation mitverantwortlich. Entgegen seinem eigentlichen Argumentationsmuster, Italien von Deutschland abzugrenzen und in die Liste der westlichen Staaten einzureihen, sprach er hier auch ausdrücklich von den Generälen der besiegten Völker.512 Salvemini hin­ gegen trat in einem Beitrag für Controcorrente 1947 unverändert für die Bestrafung Schuldiger ein: Wo viele verantwortlich seien, könne die Konsequenz nicht lauten, dass niemand verantwortlich sei – wo viele verantwortlich seien, trage jeder einzelne die Verantwortung für seinen Teil.513 Croce aber setzte sich mit seiner Haltung, im Grunde alle freizusprechen, in der Öffentlichkeit durch. Das zeigte sich zumal bei der Frage des Holocausts: Das italienische Volk habe die von den Deutschen angeordneten antisemitischen Verfolgungen gemildert und viele Juden vor dem Tod gerettet.514 Er sah keine Notwendigkeit, die italienische Beteiligung an der Vernichtung zu thema­ tisieren. In einem Vorwort zu einer Buchveröffentlichung 1946 meinte er sogar, Juden hätten kein Recht darauf, sich als privilegierte Opfergruppe zu betrachten und sollten endlich die Separation aufgeben, die sie seit Jahrhunderten

511 Vgl. Salvemini, Aiutati che Dio ti aiuta, in: Opere VII, S. 680 bzw. S. 680, Fußnote 72. 512 Vgl. Croce, Contro l’approvazione del dettato di pace, in: Ders., Scritti II, S. 386–388. 513 Vgl. Salvemini, Gli italiani sono fatti così. 514 Vgl. Croce, La »Curée« delle nazioni sul corpo dell’Italia, in: Ders., Scritti II, S. 254.

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gegenüber der übrigen italienischen Bevölkerung pflegten.515 In der Frage des Anti­semitismus gab Croce eine allgemeine Richtung vor, welche Italien möglichst weit von Deutschland absetzte und die Judenverfolgungen als eine von den Deutschen erzwungene Maßnahme interpretierte, die fast die gesamte ita­ lienische Bevölkerung abgelehnt habe. Diese These erfuhr ihre besondere Bestätigung durch ein Buch Eucardio Momiglianos, eines antifaschistischen Juristen jüdischer Abstammung, der dem italienischen Volk ein vorbildliches Verhalten gegenüber den jüdischen Landsleuten bescheinigte. Diese Ansicht wurde in der Presse einhellig aufgenommen und bestätigt. Sie ignorierte dabei, dass es zwar keinen italienischen Holocaust gegeben hatte, die Rassengesetze aber 1938 aus eigenem Antrieb in Italien eingeführt und von vielen begrüßt worden waren.516 Das Ende der Allparteienkoalition im Mai 1947 bedeutete auch einen Bruch in der massenmedialen Praxis der kommunistischen Intellektuellen. Wurde der politische Gegner zur Zeit der gemeinsamen Regierung noch vorsichtig angegriffen, war dies zwei Jahre später schon völlig verändert.517 Nach der Verdrängung des PCI aus der Regierung und angesichts des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen linke Demonstranten518 vor den Richtungswahlen des 18.  April 1948 waren Manacordas Vorwürfe gegen die Christdemokraten indessen ganz unzweideutig. Nachdem Sicherheitskräfte mehrfach auf Demonstranten geschossen hatten, setzte er den christdemokratischen Innenminister Mario Scelba und Ministerpräsident De Gasperi in eine lange Traditionslinie »bürgerlicher« Repressionsmaßnahmen.519 Beginnend mit dem Schießbefehl des nachmaligen Konstrukteurs der italienischen Einigung, Camillo Cavour, gegenüber Demonstranten 1858 in Genua über das Massaker der Armee unter König Umberto I. an Protestierenden 1898 in Mailand und der Toten in Folge des Schießbefehls des faschistischen Generals Mario Roatta nach dem 25. Juli 1943 interpretierte er auch die aktuelle italienische Regierung als eine bürger­ liche Herrschaft, die sich nur mit Gewalt an der Macht zu halten wisse. Den Fall Roattas unterschied er von den übrigen allein durch die faschistische Rhetorik seines Befehls, aber nicht inhaltlich. Zum Abschluss wies Manacorda in seinem Text zur Klarheit darauf hin, dass weder Umberto I. noch General Roatta gut geendet seien.520 Die Sicht des bravo italiano galt für die gemeinen Soldaten, nicht für die hohen Offiziere. Die Linksparteien versuchten Generäle wie Roatta nach 1945 juristisch zur Rechenschaft zu ziehen. Zwar wurde letztlich keiner der 515 Vgl. ders., Per un libro su problemi attuali, in: Ebd., S. 313. Dieses Vorwort schrieb Croce in Merzagora. Croce erhielt laut seiner eigenen Anmerkung auf diese Äußerung hin von jüdischer Seite viele Protestbriefe, erklärte jedoch, dass er bei seiner Meinung bleibe, ohne den Streit fortzusetzen. Siehe ebd. 516 Vgl. Focardi, Unsitte, S. 120–122. 517 Vgl. Manacorda, Interpellanza alla consulta. 518 Vgl. Ginsborg, S. 130 f. 519 Vgl. Manacorda, Gli antenati dell’on. Scelba. 520 Vgl. ebd. König Umberto I. wurde 1900 durch ein anarchistisches Attentat getötet, General Roatta floh 1945 vor seiner juristischen Verfolgung ins spanische Exil.

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Angeklagten von italienischen Gerichten verurteilt, die Debatte darüber führte allerdings zu einer weitgehenden moralischen Diskreditierung der militärischen Führer. Hauptgrund für diese Diskreditierung war jedoch die Ansicht, die Generäle seien unfähig gewesen, da sie die Truppen nicht vor den Deutschen hätten schützen können. Um Ihre Verantwortung für Kriegsverbrechen ging es dagegen kaum. Nach den Vertreibungen von Italienern aus Istrien und spätestens seit der Besetzung Triests und der Region Venezia Giulia durch jugoslawische Truppen wollten auch die Kommunisten mindestens aus Rücksicht gegenüber einer breiten Empörung in der Öffentlichkeit nicht mehr ernsthaft italienische Täter belangen.521 Dem Nürnberger Tribunal vergleichbare alliierte Prozesse gegen hochrangige faschistische Funktionäre gab es ebenfalls nicht, was sicher an erster Stelle dazu beitrug, dem Mythos der anständigen italienischen Soldaten, die keinem Zivilisten etwas zu Leide getan hätten, zum Durchbruch zu verhelfen.522 Manacordas Artikel vom 29.  Januar 1948 kann insofern als exemplarisch gelten, da er den Faschismus nicht als einen spezifschen Abschnitt der ita­ lienischen Geschichte, sondern nur als eine besonders repressive Form »bürgerlicher« Herrschaft deutete. Dies war keineswegs nur der aktuellen politischen Propaganda geschuldet, sondern entsprach der kommunistischen Interpretation der jüngsten Vergangenheit, die Manacorda teilte und auch an anderer Stelle gegenüber einem kleineren Fachpublikum, etwa in Società, expliziter ausführte. Dort schrieb er 1947 folgerichtig, der Faschismus sei keinesfalls eine nationale Bewegung gewesen, sondern vielmehr ein Instrument des Großbürgertums, um zu seinen Zwecken die Mittelschichten gegen das Proletariat zu benutzen.523 In der Dichotomie zwischen fortschrittlichem Proletariat und reaktionärer Bourgeoisie war eigentlich kein Platz für eine rechtsradikale Massenbewegung, doch das Konstrukt, die Massen seien im Sinne der Bourgeoisie manipuliert worden, half diesen Widerspruch zu überwinden.524 Der Faschismus hatte nach dieser Lesart also langfristige nationale Ursachen, gleichwohl wurde ihm aber jede Bedeutung als eigenständiges Phänomen abgesprochen. Er war eher ein Zufallsprodukt des Klassenkampfes und konnte, wie Pier Giorgio Zunino meint, daher bei allen grundsätzlichen theoretischen Unterschieden in der öffentlichen Praxis der Kommunisten in gewisser Weise durchaus als parentese erscheinen. Togliatti erklärte denn auch wie Croce, der Faschismus habe in der italienischen Gesellschaft keine Wurzeln geschlagen, die Faschisten seien nur eine Verbrecherbande gewesen, die zeitweise die Regie521 Vgl. Focardi, La guerra, S. 15–18. 522 Vgl. Klinkhammer, Stragi naziste, S. 25–27. 523 Vgl. Manacorda, Rec. su Rinaldo Rigola, S.  566. Società sollte nach dem Willen seiner Gründer sowohl Croces parentese-Theorie wie die Interpretation, die italienische Geschichte habe notwendigerweise in den Faschismus gemündet, bekämpfen. Vgl. hierzu ders., Così eravamo, S. 249. 524 Vgl. Zunino, La Repubblica, S. 395–399.

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rung in ihre Hand bekommen habe. Diese Sichtweise verzichtete aber auf eine plausible Begründung, wieso es nach Jahrzehnten sozialistischer Aufklärung im faschistischen Italien nur wenige Tausend Oppositionelle, dafür aber Millionen Unterstützer und Sympathisanten des Regimes gegeben hatte.525 Stattdessen wurde nicht der Faschismus selbst Untersuchungsgegenstand, sondern der Widerstand gegen den Faschismus. In einem Leitartikel der Unità am 28. März 1946 sah Manacorda in der Resistenza den entscheidenden Strukturwandel seit der italienischen Einigung, da im Zuge des antifaschistischen und antideutschen Befreiungskampfes erstmals die Massen in die italienische Geschichte eingetreten seien.526 Dies spitzte er in einem Interview am 10. August 1947 noch einmal zu, indem er betonte, es sei keine bloße Rhetorik, die Resistenza als neues Risorgimento zu bezeichnen, sondern die historische Realität.527 Schon 1943 hatte Luigi Salvatorelli den Faschismus als Antirisorgimento bezeichnet, was die Resistenza als Gegenbewegung und damit als Teil der nationalen Tradition erscheinen ließ.528 Sie knüpfte an die Thesen Gramscis an, dass im Risorgimento die Nationalstaatsgründung aufgrund einer ausgebliebenen Agrarrevolution unvollendet geblieben sei.529 Gerade diese Neubetrachtung der italienischen Geschichte aus kommunistischer Perspektive wollte Manacorda so weit wie möglich verbreiten. In zahl­ reichen Rezensionen versuchte er daher in der Unità, den vielen Untersuchungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung neue Leserschichten zu öffnen. Ein Höhepunkt dieser Kampagne zur Neubewertung der Vergangenheit als Folge der Zäsur stellten dabei die Feierlichkeiten zum Jubiläum der Revolution von 1848 dar. Diese Feierlichkeiten waren auch gerade ein Gegensatz zur crocianischen Geschichtssicht, da Croce dem Kommunistischen Manifest keinerlei Bedeutung für die Revolution 1848 in Italien beimaß und in einer großen Tageszeitung alle Festivitäten zum Jubiläum ablehnte, da die Kommunisten sie nur für ihre eigenen Zwecke missbrauchen würden.530 Tatsächlich hatte die Kommunistische Partei, zumal nach dem erzwungenen Ausscheiden aus der Regierung, die Berichterstattung der Unità zu diesem Ereignis eingehend geplant. Die für die terze pagine der PCI-Organe zuständige Commissione per il lavoro culturale (später Commissione Culturale) war Treffpunkt der journalistischen Mitarbeiter mit unter anderem Togliatti und dem 525 Vgl. Zunino, La Repubblica, S 410–423. 526 Vgl. Manacorda, Aprire la scuola al popolo. 527 Vgl. Le celebrazioni del 1848. 528 Diesen Begriff benutzte Salvatorelli in seinem 1943 erschienen Werk Pensiero e Azione del Risorgimento. Vgl. Azzaro, S. 345. 529 Vgl. W. Schieder, Faschismus, S. 138. 530 Vgl. Croce, La celebrazione centenaria del quarantotto e le falsificazioni storiche, in: Ders., Scritti II, S. 422–424. Der Text erschien am 6.11.1947 in der Gazzetta del Popolo. Lt. Tagebucheintrag vom 12.11.1947 hatte der Herausgeber der Gazzetta del Popolo Croce um den Artikel gebeten und jener diesen noch einmal überarbeitet, um »schärfer und schneidender« zu formulieren. Vgl. ders., Taccuini VI, S. 165.

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obersten PCI-Kulturverantwortlichen Emilio Sereni.531 Manacorda war auch hier eingespannt und plädierte öffentlich für die Einbindung aller PCI-Unterorganisationen in die Feierlichkeiten und die Produktion eines eigenen Films, um die Massen zu mobilisieren.532 Anders als im Falle der gegnerischen Politiker und im Gegensatz zur Situation im gespaltenen Deutschland, ging es Manacorda aber nicht darum, die traditionellen Historiker in der Öffentlichkeit persönlich zu attackieren, vielmehr erkannte er ihre Verdienste sogar ausdrücklich an. Es fehle jedoch eine wirklich tiefgründige Interpretation der ökonomischsozialen Struktur des Landes und der herrschenden politischen, militärischen und kulturellen Szene. Und hierbei sah er keine Anknüpfungspunkte in der klassischen Diplomatiegeschichte, sondern stattdessen bei Gramsci und der sow­jetischen Geschichtswissenschaft.533 Trotz der gesellschaftlichen Spaltung in im Wesentlichen zwei große ideo­ logische Lager mit Anbeginn des Kalten Krieges gab es keine vergleichbare massenmediale Praxis von Historikern auf der katholischen Seite. Tatsächlich war die DC im Gegensatz zur Kommunistischen Partei an historischen Studien eher desinteressiert.534 Nur in der unmittelbaren Zeit nach Kriegsende äußerte sich Bendiscioli noch im Popolo, vor allem zur Jugendpolitik. Ihr widmete er auch die beiden Leitartikel, die er Mitte 1945 für die Parteizeitung verfasste. Er kritisierte, dass alte Parteiführer versuchten, Energie und Begeisterungsfähigkeit der Jugend, die durch eine vielfache Teilnahme an der Resistenza besonders groß sei, für die eigenen partiellen Interessen zu instrumentalisieren. Statt dessen appellierte er an die Jugend, sich für die ganze Gemeinschaft einzusetzen und dies als Rebellion gegen die überkommenen egoistischen Strukturen zu begreifen.535 Schon zwei Monate später zeigte er sich indes enttäuscht, dass die Jugend sich kaum von den anderen Generationen unterscheide und es den meisten in ihr ebenfalls nur um die eigenen Vorteile und nicht den gemeinsamen Wiederaufbau gehe.536 Diese beiden Artikel wurden zwar an bevorzugter Stelle publiziert und richteten sich in erster Linie wohl – wenn auch ungenannt – gegen den PCI, der mit einer besonderen Kampagne die Jugend für sich gewinnen wollte,537 doch deutete sich schon an, dass Bendisciolis überparteiliche Ideen in der DC kaum mehrheitsfähig waren. Beide Male hatte die Redaktion des Parteiorgans Bendisciolis Aufsätzen auch eine Erklärung vorgeschaltet, dass man die Ausführungen des Professors für interessant halte, aber in etlichen Punkten nicht teile. 531 Vgl. Fondazione Istituto Gramsci, Relazione sul lavoro svolto nel mese di febbraio 1948 della Commissione per il lavoro culturale, 0181/0147–0152. 532 Vgl. Le celebrazioni del 1848. 533 Vgl. Manacorda, Una nuova visione del Risorgimento italiano. 534 Vgl. Podiumsdiskussion über das Verhältnis von Geschichte und Politik in der Kultur Italiens und Deutschlands, Beitrag von Cinzio Violante. 535 Vgl. Bendiscoli, I giovani nella politica. 536 Vgl. ders., Dare e avere. 537 Vgl. Ajello, Intellettuali, S. 27.

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Zwar wurde Bendisciolis Mitarbeit nicht unterbunden, im Gegenteil gab es später sogar den Versuch, ihn dazu zu überreden, seine Tätigkeit für den Popolo wieder aufzunehmen.538 Jedoch verfasste der Historiker nach Anfang 1946 kaum noch Artikel für das Parteiorgan und konzentrierte sich mit seinen Veröffentlichungen auf die katholischen Zeitschriften Humanitas und Scuola  e Vita, denen er auch führend vorstand. Damit erreichte er kein Massenpublikum mehr. Diese Kulturzeitschriften kamen indes seinem elitären Bildungsverständnis eher entgegen, das Vereinfachung ablehnte und sich lieber an ein vorgebildetes Publikum wandte.539 Im Gegensatz zur Massenpresse beschäftigte er sich, wenngleich zunächst nur im Zusammenhang mit Schulfragen, hier überdies mit dem Faschismus selbst. So äußerte er sich etwa zum Thema Widerstand und Zustimmung im Gegensatz zu Croce und viel kritischer als dies in der breiten Öffentlichkeit üblich war: Nicht eine kleine Verbrecherbande habe das Land regiert, sondern viele hätten mitgemacht oder sich aus persönlichen Interessen im System angepasst. Zuerst habe die Nation einen schrecklichen Krieg woanders geführt, bevor dieser dann auf sie selbst zurückgefallen sei. Diese allgemeine Anklage war in der Tat kaum massenkompatibel. Allerdings betonte Bendiscioli auch im Rahmen der Spezialzeitschrift, dass es ihm nicht darum gehe, die Menschen moralisch zu verurteilen, sondern die richtigen Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen.540 Ettore Passerin versuchte sich in der Zeit des Umbruchs und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, im Gegensatz zu Bendiscioli, erst als allgemeiner Intellektueller, um den Verbleib des Aostatales bei Italien sichern. Hierfür betrieb er, wie schon erwähnt, eine eigene Zeitung, in der er publizistisch die Separatisten bekämpfte und den Autonomiekurs Federico Chabods unterstützte.541 Dieses Engagement war jedoch lokal begrenzt und keine öffentliche Praxis im Sinne einer Partizipation an Massenmedien. Diese standen Passerin auch nicht offen, da seine Ansichten mit keinem der beiden großen politischen Lager kompatibel waren. Er hätte also nicht für die Parteiblätter schreiben können oder wollen, noch galt er zu diesem Zeitpunkt als ein prominenter Gelehrter, mit dessen Namen eine traditionelle Zeitung sich hätte schmücken können. So lieferte er in den folgenden Jahren Beiträge für die kleinen Teilöffentlichkeiten der Fach- und Kulturzeitschriften. Passerin hielt eine Besinnung auf christliche Werte für die notwendige Konsequenz aus der Erfahrung des Faschismus. Gleichzeitig sollte dieses Chris538 M. R. Cimmaghi, Redaktion des Popolo, an Bendiscioli, 20.1.1955, in: Archivio dell’Uni­ versità degli Studi di Pavia, Fondo Mario Bendiscioli, Fascicolo ohne Namen. 539 Bendiscioli kritisierte etwa, dass im Faschismus zu viele Personen höhere Schulabschlüsse erreicht hätten, Schulprüfungen sollten im neuen Italien stattdessen wieder der Bestenauslese dienen. Vgl. Bendiscioli, La selezione. Den meisten Menschen sprach er die Fähigkeit ab, sich politische Urteile bilden zu können, sie folgten eher ihren Gefühlen und irrationalen Leidenschaften. Vgl. ders., Appunti per un diario di carcere, S. 55 f. 540 Vgl. ders., La nuova realtà politica, S. 1–4. 541 Vgl. beispielsweise Passerin d’Entrèves, [ohne Titel], in: La voix des Valdotains, 10.11.1945.

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tentum im Gegensatz zur Politik der DC jedoch mit einer sozialistisch ausgerichteten Politik verfolgt werden. Die direkte Auseinandersetzung mit dem Faschismus spielte in seinen Schriften allerdings keine Hauptrolle und tauchte in seinen Texten nur in der unmittelbaren Nachkriegszeit und allenfalls am Rande auf. Bei der Frage nach der Unterstützung für das Regime etwa sah er im Gegensatz zu Croce eine vielfache Zustimmung, die er aber vor allem dem Bürgertum anlastete (wobei er Croce selbst allerdings von dem Vorwurf Salveminis und anderer ausnahm, ein Kryptofaschist gewesen zu sein).542 Entgegen Croce nahm er auch langfristige Ursachen des Faschismus an, so die aus der Romantik stammende Vorstellung, es gebe auserwählte Völker und den Zentralismus im italienischen Einheitsstaat als die Diktatur förderndes Element.543 Daher forderte er, energischer politische Konsequenzen zu ziehen und nicht etwa den zentralistischen Obrigkeitsstaat aus der Zeit vor 1945 fortzusetzen: Wenn man die Demokratie will, dann muss man sie auch umsetzen. Ansonsten wäre es ehrlicher, den autoritären Stil offen zu leben und das Volk zu den strengen und militärischen Tugenden des ruhigen Gehorsams und der unbeugsamen Disziplin zu erziehen.544

Auch nach Kriegsende blieben die Presseartikel italienischer Historiker zur Zäsur stark daran orientiert, eine politische Wirkung auf ein breites außerfach­ liches Publikum auszuüben. Croce verglich den Faschismus immer weniger mit dem Nationalsozialismus und dafür mit dem Kommunismus als der neuen feindlichen Ideologie. Manacorda als kommunistischer Parteihistoriker hingegen setzte Beiträge zur faschistischen Vergangenheit für politische Angriffe auf die christdemokratische Regierung ein. Der Faschismus war für Manacorda der Vergleichsmaßstab für die Nachkriegssituation, in der angeblich noch immer die gleichen sozialen Kräfte die Bevölkerung unterdrückten wie vor 1943/45. Dadurch aber wurde der Faschismus selbst kaum Gegenstand von Analysen, die in der breiten Öffentlichkeit vermittelt wurden. Vielmehr galt das untergegangene Regime nur als besonders repressive Form einer seit dem 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart fortdauernden bürgerlichen Klassenherrschaft. Besondere Aufmerksamkeit kam hingegen eher dem Widerstand gegen den Faschismus zu, indem sich erstmals die von marxistischen Historikern wie Manacorda positiv gedeuteten »Massen« als Subjekt der italienischen Geschichte erwiesen hätten. Dadurch wertete auch er grundsätzlich den Widerstand als Brücke zur nationalen Geschichte über den Faschismus hinweg, wenngleich er an andere Traditionen der Epoche vor 1922 anknüpfen wollte als Croce. Mit ihren konkreten politischen Absichten blieben die Geschichtswissenschaftler allerdings weitgehend erfolglos. Croce und Salvemini konnten sich mit ihrem Einsatz für eine Ablehnung des Friedensvertrages und die Wiederein­ 542 Vgl. ders., Croce come Marx. 543 Vgl. ders., Le due strade delle autonomie. 544 Ebd.

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setzung der vorfaschistischen Verfassung ebenso wenig durchsetzen wie Mana­ cordas Publizistik nicht zu einem Wahlsieg der Volksfront beizutragen vermochte. Allenfalls erwies sich Salveminis Eintreten für ein vereinigtes und föderales Europa als eine zukunftsweisende Idee. Größer hingegen war der Einfluss der Historiker auf die öffentliche Meinung zur faschistischen Vergangenheit. Hier stimmten sie überdies in vielen Punkten überein. Alle öffentlich aktiven Historiker förderten etwa das Bild einer »sau­ beren« italienischen Armee im Zweiten Weltkrieg, in der allenfalls Offiziere, aber keineswegs die gewöhnlichen Soldaten Verbrechen begangen hätten. Nur Salvemini sprach in seinen Beiträgen auch italienische Kriegsverbrechen an und forderte die Bestrafung der Schuldigen. Obwohl er unter diesen Schuldigen lediglich die kommandierenden Generäle verstand, war dieses Engagement unter seinen Kollegen einzigartig und ebenso erfolglos. Niemals wurden italienische Offiziere wegen Kriegsverbrechen verurteilt und gleichfalls setzte sich die Erkenntnis, dass auch Italiener im Krieg systematische Verbrechen begangen hatten, in der Öffentlichkeit nicht durch. Als maßgeblich erwiesen sich hingegen erneut Croces Thesen, wonach italienische Truppen sich nichts hätten zu schulden kommen lassen. Ebenso erschienen bei marxistischen Historikern italie­ nische Soldaten vor allem als Opfer. Die Perspektive auf die öffentliche Praxis der Historiker und der Vergleich beider Länder macht deutlich, dass man bestrebt war der breiten Gesellschaft keine Vorwürfe zu machen. Bendiscioli sprach Tabuthemen wie die massenhafte Zustimmung zum Regime und die italienische Beteiligung an Ver­brechen zwar an, allerdings nicht in den Massenmedien, sondern nur in einer kleinen katholisch geprägten Teilöffentlichkeit, in welcher er keine Massenwirkung erzeugen konnte. Die Parallele zum Verhalten Schnabels ist offensichtlich. Grundsätzlich spiegelte sich die politische Bedeutung des Katholizismus in der öffentlichen Praxis katholischer Historiker nicht wider. Wichtige Vertreter dieser Strömung wie Bendiscioli oder Passerin zogen sich bald enttäuscht wieder aus den außerfachlichen Medien zurück. Der politische Katholizismus hatte eine große Spannweite, und katholisch orientierte Historiker fanden in der DC nicht so leicht eine Heimat wie marxistische Kollegen im PCI und seinem Umfeld. Gleichfalls war, wie vorn erwähnt, ihre außerfachliche öffentliche Praxis schon allein aufgrund anderer kirchlicher Agitationsmittel weniger nach­ gefragt als in der Kommunistischen Partei, die in Italien durch ein besonderes Engagement von Intellektuellen geprägt war. 2.3 Die Eskalation des ideologischen Gegensatzes und die Herausforderung des Neofaschismus Die Wahlen vom 18. April 1948 bedeuteten einen großen Sieg für die DC, die nun mit absoluter Mehrheit regieren konnte, während die Volksfront aus Kommunisten und Sozialisten trotz der Unterstützung eines Großteils der Intellek250 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

tuellen abgeschlagen eine Niederlage erlitt. Diese Niederlage traf das linke Lager völlig überraschend und führte zu dem intensiven Versuch, deren Ursachen zu analysieren und langfristig konzipierte Pläne zu entwickeln, die politische Mehrheit in der italienischen Gesellschaft zu erringen.545 Hierfür betonten Kommunisten und Sozialisten die Resistenza-Tradition immer stärker und versuchten sie für sich zu vereinnahmen. Es sei entgegen der Ansicht der liberalen und konservativen Antifaschisten eben nicht nur um die Befreiung von der Besatzung und der faschistischen Diktatur gegangen, sondern auch um eine Strukturänderung der Gesellschaft. Exemplarisch schrieb der Sozialist Riccardo Lombardi am 24. April 1949 im Avanti!, die Resistenza sei keine Vollendung, sondern lediglich eine Etappe auf dem Weg zur Befreiung Italiens von denjenigen gesellschaftlichen Kräften gewesen, die seit der nationalen Einigung über den Staat herrschten und zeitweise im Faschismus ihr Instrument gefunden hätten.546 Insofern war es folgerichtig, dass kommunistische Intellektuelle unter der Aufarbeitung des Faschismus vor allem die Bekämpfung jener Kräfte verstanden, die ihrer Überzeugung nach »hinter« diesem Phänomen standen (unter anderem die Kirche als Institution) sowie diejenigen, welche quasi als Ersatz des Faschismus zum Instrument der Herrschaft und sozialen Manipulation geworden seien (die katholische Massenpartei). In diesem Sinne attackierte Manacorda nach der Wahlniederlage 1948 die katholische Kirche und ihre Versuche, sich mit Hilfe der DC als nationale Kraft zu präsentieren, obschon sie seit dem Risorgimento stets als entschiedener Gegner der italienischen Einigung aufgetreten sei.547 Eine dankbare Vorlage für seine publizistischen Spitzen war hierbei die Entscheidung der Regierung, den 20. September (Jahrestag der Besetzung des Kirchenstaates durch italienische Truppen 1870, die zur Vereinigung Roms mit Italien geführt hatte) als Feiertag durch den 11. Februar (den Jahrestag des Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und dem faschistischen Italien 1929), zu ersetzen. So fragte Manacorda in der Unità ironisch, ob man das Denkmal der Freiheitskämpfer von 1870 zerschlagen und durch ein Monument für Mussolini ersetzen wolle. Grundsätzlich war der Faschismus für Manacorda weiterhin die Bezugsgröße, in deren Tradition er die aktuelle Regierung stellte.548 So sprach er der DC die demokratische Legitimation ab, in der er ihre Regierungsübernahme als »Fronde« bezeichnete, wobei die katholischen Politiker von der Fronde der Faschisten gelernt hätten.549 545 Vgl. Kroll, S. 450 f. 546 Vgl. Focardi, La guerra, S. 24 f. 547 Vgl. Manacorda, Pellegrino Rossi; ders., Il retaggio di Mazzini. 548 Vgl. ders., Abolito il XX settembre. In einem späteren Artikel in Società betonte Manacorda, Pius XI. habe den antifaschistischen katholischen Partito Popolare fallen lassen und sich mit dem Faschismus arrangiert, da dieser ihm alles gegeben habe, was er sich von einer klerikalen Regierung nur habe wünschen können. Vgl. ders., Rec. su Giorgio Candeloro, S. 317. 549 Vgl. ders., È uscita »Rinascita«.

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Croce dagegen begrüßte den Wahlsieg der DC, da er in einer kommunistischen Herrschaft das größere Übel gesehen hätte. Im Zuge dieses Antikommunismus wandelte Croce nach Beginn des Kalten Krieges in den Massenmedien seine harsche Haltung gegenüber den Westmächten. So bejahte er als wichtige Etappe italienischer Außenpolitik am 23. März 1949 im Giornale den Beitritt zur NATO und stellte ihn in die Tradition des Risorgimento.550 Den Faschismus verurteilte er zwar weiterhin, stärker war er indes an einer nationalen Versöhnung interessiert. Dabei ging er sogar soweit, dass er 1950 im Mondo forderte, man solle auch aus dem Faschismus das Gute herausziehen, da Geschichte nun einmal die Entwicklung all dessen sei, was die Menschheit an Positivem zustande gebracht habe. Damit sprach er dem Faschismus keineswegs einen Gehalt zu, sondern sah dieses Positive darin begründet, dass der Faschismus sich Gegner geschaffen und diese diszipliniert habe, sich von keinerlei Idyllen mehr verführen zu lassen. Auch aktuell, so Croce, gebe es noch vielerlei faschistische Verhaltensmuster, die in der Gesellschaft auszurotten seien.551 Zu diesen Verhaltensmustern gehörten für ihn zuerst der Kommunismus, denn in ihm lebten die Gewohnheit der Diktatur und der Freiheitsverzicht des Faschismus fort.552 Durch George Orwells Buch 1984, das er am 8. Oktober 1949 für den Mondo besprach, hatte er sich im Vergleich der Totalitarismen ohne ideologischen Kern bestätigt gefunden. Faschismus und Kommunismus dienten demnach nicht einer Revolution oder Idee, sondern der Macht um ihrer Selbst willen. Allerdings vergaß Croce auch in diesem Zusammenhang nicht, auf den harmloseren, komischen Charakter des Faschismus gegenüber dem Kommunismus oder Nationalsozialismus hinzuweisen.553 Die ideologische Auseinandersetzung zwischen den Lagern erreichte in dieser Phase einen Höhepunkt. Am 28. Juni-1. Juli 1949 exkommunizierte die Kirche die Kommunisten – eine Maßnahme, die sie gegen Faschisten und Rassisten niemals angewandt hatte.554 Nicht nur Kommunisten, auch linksliberale Intellektuelle wie Luigi Russo hielten den italienischen Nachkriegsstaat für eine Fortsetzung des Faschismus. Bisweilen wurde De Gasperi mit Hitler ver­ glichen.555 Diese Sichtweise wurde von der Entwicklung genährt, dass nach weitgehender Amnestie und Beginn des Kalten Krieges Ende der vierziger Jahre der Neofaschismus im Windschatten des Antikommunismus eine Renaissance erfuhr. Tatsächlich war die häufige öffentliche Betonung, dass der Faschismus ohne Rückhalt in der Bevölkerung gewesen sei und keinerlei Zukunft habe, ob nun von Crocianern, terzaforzisti oder den marxistischen Intellektuellen geäußert – wobei letztere ganz speziell für sich in Anspruch nahmen 550 Vgl. Croce, Per il Patto Atlantico, in: Ders., Terze pagine sparse II, S. 275. 551 Vgl. ders., L’obiezione. Der Artikel ist der Abdruck eines Textes Croces aus seinem eigenen Institut. 552 Vgl. ders., Una storia d’Italia. 553 Vgl. ders., La città del dio ateo. 554 Vgl. Ajello, Intellettuali, S. 214. 555 Vgl. ebd., S. 180 f.; Zunino, La repubblica, S. 436 f.

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für die »Volksmassen« zu sprechen – auch ein Ankämpfen gegen diese neofaschistischen Strömungen in der italienischen Gesellschaft. Die Memoirenliteratur ehemaliger Regimeprominenter verkaufte sich gut, desgleichen erzielten offen neofaschistische Massenblätter wie Rivolta ideale eine Auflage von 150.000 Exemplaren. Die Neofaschisten griffen gerade den schwachen Punkt der antifaschistischen Erinnerung an, dass nämlich der Faschismus nicht das Werk einer kleinen Minderheit gewesen war, sondern das System und zeitweise auch der Krieg sich einer breiten Zustimmung erfreut hatten. Das war freilich nicht als Vorwurf gemeint, sondern sollte die Rechtmäßigkeit des Faschismus untermauern, der ein Versuch gewesen sei, Italien gegen die Vorherrschaft der westlichen Großmächte an den weltweiten Ressourcen zu beteiligen. Wie in Deutschland kamen in den Jahren seit 1948 fast alle wegen Kriegsverbrechen oder Straftaten unter der Diktatur einsitzenden Häftlinge wieder frei, darunter auch die teils zum Tode verurteilten Hauptschuldigen, wie der Befehlshaber der Streitkräfte der faschistischen Repubblica Sociale Italiana, Rodolfo Graziani, oder der ehemalige Botschafter in Deutschland, Filippo Anfuso.556 Ihre Integration ging dabei sehr weit. De Gasperis politischer Ziehsohn Giulio Andreotti umarmte Graziani öffentlich und ließ keinen Zweifel daran, dass er eine intensive Auf­ arbeitung des Faschismus für eine schädliche Idee hielt.557 Wie in Westdeutschland gingen die ehemaligen Faschisten in die Offensive. Ihnen genügten Straffreiheit und Integration in die Gesellschaft nicht. Sie wollten auch eine völlige Rehabilitierung, ja Durchsetzung ihres Geschichtsbildes. Gioacchino Volpe forderte beispielsweise, es dürften nicht alle Leistungen und Anstrengungen des Faschismus einfach über Bord geworfen werden.558 Solche Ansichten vertraten die ehemaligen Faschisten indes nicht nur in ihren Medien, sie besaßen mit dem MSI, einer offen neofaschistischen Partei, zudem eine Vertretung im Parlament. Ihre Behauptung war, dass die Faschisten der Re­pubblica Sociale Italiana die deutsche Rache nach dem Seitenwechsel des Königs abgemildert, die Antifaschisten durch die Resistenza hingegen einen Bürgerkrieg angefacht hätten, ohne dafür als Preis einen günstigen Friedensschluss mit den Alliierten erzielen zu können. Exemplarisch behauptete dies etwa Graziani, der spätere Ehrenvorsitzende des MSI, in seinen 1948 erschienen Memoiren mit dem bezeichnenden Titel Ho difeso la Patria [Ich habe das Vaterland verteidigt – d. Vf.], die zu einem Bestseller avancierten. Völlig außen vor blieb in diesen Schilderungen, dass die Faschisten ab 1943 maßgeblich selbst Massaker an der italienischen Bevölkerung verübt hatten und dabei teilweise noch grausamer vorgegangen waren als die deutschen Besatzer selbst. Darüber hinaus strengten die Neofaschisten sogar zahlreiche Prozesse gegen prominente An556 Vgl. Focardi, La guerra, S. 19–29. 557 Vgl. Bosworth, Film, S. 108 f. 558 Vgl. Baldassini, S. 168 f. Volpe avancierte zu einem der prominentesten Autoren der neo­ faschistischen Presse. Vgl. Di Rienzo, La storia, S. 656.

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tifaschisten an. Zwar erreichten sie keine Verurteilungen, aber es war bezeichnend für die Stimmung um 1950, dass es überhaupt möglich war, führende Widerstandskämpfer wie Giorgio Amendola oder den späteren Staatspräsidenten Sandro Pertini auf die Anklagebank zu setzen.559 Wie in Westdeutschland führte die Absicht, niemandem seine Vergangenheit unter der Diktatur zum Vorwurf zu machen, dazu, die ganze Verantwortung auf den einen Führer zu reduzieren, gegen den in einem totalitären System kein Widerstand möglich gewesen sei. Croce schrieb in einem Zeitungs­artikel vom 3.  Juni 1950 exemplarisch, die Italiener hätten Mussolini falsch eingeschätzt und seinen wahren Charakter zu spät bemerkt, als die Diktatur schon installiert gewesen sei.560 Im Gegensatz zum Diskurs in der Bundesrepublik führte diese Reduktion jedoch nicht zu einer Dämonisierung des Diktators, sondern in der Belletristik setzte sich vielmehr eine Tendenz durch, ein gutmütiges Bild des früheren »Duce« zu zeichnen.561 Salvemini versuchte sich dieser Entwicklung entgegenzustemmen und kritisierte im März 1951 die Neuauflage einer Mussolini-Biographie des populärgeschichtlichen deutschen Autors Emil Ludwig durch den Mondadori-Verlag, die Salvemini als eine Verherr­lichung des ehemaligen Diktators ansah. Die Partisanen, so erinnerte er, hätten Mussolini als deutschen Soldaten verkleidet entdeckt, mit Devisen und Edelsteinen in seiner Kleidung; selbst Nero habe es verstanden, würdiger zu sterben.562 Allerdings entzog sich auch Salvemini dem Trend nicht, Mussolini als eine Art Witzfigur zu zeichnen. In einem Mondo-Artikel behauptete er, der Diktator habe sich mit seinen Fremdsprachenkenntnissen gebrüstet und deshalb oft Hitlers Monologen zugestimmt, weil er in seiner Überheblichkeit sich und anderen nicht habe eingestehen wollen, dass er Deutsch gar nicht wirklich verstehe und einen Dolmetscher benötigt hätte.563 Salvemini ging es darum, Mussolini durch derart entlarvende Darstellungen zu entmythologisieren. Jedoch widersetzte er sich dem Trend der Verharmlosung damit in Wahrheit nicht, sondern ver559 Vgl. Focardi, La guerra, S. 19–29. Siehe auch Graziani. Ein Anzeichen für die apolo­getische Stimmung mag auch gewesen sein, dass Sestans Beitrag über die Repubblica Sociale Ita­ liana in der Enciclopedia Italiana 1949 nicht abgedruckt wurde, weil seine Urteile als zu hart empfunden wurden. Vgl. hierzu Turi: Il mecenate, S. 253. Siehe auch Sestan, La Re­ pubblica Sociale Italiana (1948), in: Ebd., S. 255–268. 560 Vgl. Croce, Una storia d’Italia. 561 Vor allem der einflussreiche Publizist Indro Montanelli prägte ein Bild Mussolinis, das den Diktator als im Grunde lächerlichen und harmlosen Schauspieler zeigte, der mit seinen Posen das Volk nur getäuscht habe. Montanelli verdrehte die Vergangenheit sogar soweit, dass er behauptete, Mussolini habe niemanden umbringen lassen und Oppositionelle allenfalls in Urlaub geschickt. Diese Deutungen erfreuten sich bei den Bevölkerungsteilen großer Beliebtheit, die dem Antifaschismus fernstanden. Vgl. hierzu Campi, S. 115–117; Baldassini, S. 190 f. 562 Vgl. Salvemini, Ludwig  e Mussolini, in: Opere VIII, S.  274–281. Der Text erschien im Ponte. 563 Vgl. ders., Mussolini poliglotta, in: Opere VI, S. 386–397. Der Text wurde am 25.8.1951 veröffentlicht.

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stärkte ihn. Ob man den ehemaligen Diktator nostalgisch verklärt als gutmütig beschrieb oder als lächerlich: beides nahm ihm die Grausamkeit, die sich mit seiner Person tatsächlich verbunden hatte.564 Salvemini wurde in dieser Phase zu einem wichtigen öffentlichen Akteur, der sich nach seiner Rückkehr aus dem Exil vielfältig und intensiv einmischte, um dem neofaschistischen Trend zu begegnen. Zunächst sah er keine Gefahr, dass es zu einer Regierungsbeteiligung der Neofaschisten kommen könne, da dies die Christdemokraten aus Rücksicht auf die USA nicht wagen würden. Daher war er empört ob der Politik der laizistischen Parteien, maßgeblich der Sozialdemokraten und Republikaner. Ihre Koalition mit der DC sei vertretbar, so Salvemini, aber sie hätten dafür inhaltliche Forderungen durchsetzen müssen.565 Die größte Bedrohung durch einen neuen Faschismus sah Salvemini nicht in organisierten rechtsradikalen Parteien, sondern in dem mangelnden demokratischen Bewusstsein in Italien und dem Fortbestehen faschistischer Ideologie. Auch hieran erkennt man, dass er sich entgegen seiner öffentlichen Praxis in den Massenmedien durchaus bewusst war, dass nicht nur einige Angehörige der Eliten faschistisch kompromittiert waren. Am 6. August 1949 zeigte er sich etwa fassungslos, dass ein ehemaliger Regimegegner wie Mario Vinciguerra eine Ausweitung der Polizeibefugnisse, unter anderem kein Recht auf Aussageverweigerung für Verdächtige, verlangte. Dies, so Salvemini im Mondo, sei eine Fortsetzung von SS-Methoden. Demokratie bedeute nicht nur, alle vier Jahre ein Blatt Papier in eine Urne zu werfen, sondern vor allem persönliche Rechte des Einzelnen gegenüber dem Staat. Gerade dies müsse nach der faschistischen Erfahrung jeder begreifen.566 Eine entscheidende Ursache für dieses Fortbestehen der faschistischen Strukturen sah Salvemini in der Entscheidung der Regierung Ivanoe Bonomis 1944, den aus der Resistenza hervorgegangenen Staat zum Rechtsnachfolger des Faschismus zu erklären. Die faschistische Gesetzgebung bestehe dadurch fort und sei mittlerweile mit allerhand unsinnigen und unrealistischen Zusätzen versehen worden. Darüber hinaus stünden die alten Funktionäre des faschistischen Kultusministeriums Minculpop noch an der Spitze des Rundfunks oder seien verantwortlich für die Theaterzensur. Die laizistischen Parteien müssten klare Verbesserungen einfordern, damit nicht auf Dauer die Freiheit in Italien nur ein Provisorium darstelle. In diesem Artikel des Mondo griff er ausnahmsweise nicht nur bestimmte Verantwortliche, sondern zumindest indirekt die breite Gesellschaft als Ganzes an: Jedes Fußballspiel errege mehr Aufmerksamkeit als die noch intakten faschistischen Methoden zur Volksverdummung.567 Einige Jahre später zog er im Mondo das Fazit, die laizistischen Parteien hätten mit ihrer opportunistischen und verwirrenden Politik darin versagt, die Jugend 564 Vgl. Focardi, Unsitte, S. 117–119. 565 Brief Salveminis an Ernesto Rossi, 23.4.1948, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 74. 566 Vgl. Salvemini, La polizia nella legge. 567 Vgl. ders., La censura.

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für den Antifaschismus zu gewinnen. Stattdessen hätten sich viele den Christdemokraten, Kommunisten und leider sogar den Neofaschisten zugewandt.568 Mit dieser Ansicht drang er kaum durch und erhielt auch von vielen terzaforzisti wie Rossi Widerspruch, die glaubten, die laizistischen Parteien könnten durch ihre Politik durchaus den Einfluss des Neofaschismus begrenzen. Salvemini zeigte sich wegen der Erfolglosigkeit seiner Argumente resigniert und schrieb am 10. August 1948 an Rossi, er sei es leid, dass niemand seine Ideen von einer wirklichen Politik der dritten Kraft hören wolle und sie in der Öffentlichkeit allenfalls aufgegriffen würden, um sie bewusst zu verfälschen.569 Allerdings übte Salvemini mit seiner Publizistik im Mondo durchaus Einfluss auf Angehörige der Intelligenz aus. Dies ließ ihm eine besondere Bedeutung in der öffentlichen Debatte zukommen, die durch sein geringes politisches Gewicht keineswegs erklärbar war. Mit seinen politischen Ideen einer dritten Kraft blieb Salvemini weitgehend erfolglos, nur eine ganz schmale Basis gab es in Italien für eine linke laizistische Politik, die sich von den Kommunisten fernhielt. Zudem verringerte sich dieses Potential weiter, weil Salvemini sich im Gegensatz zu anderen Intellektuellen aus dem Umfeld des Mondo nicht bereit zeigte, die von den laizistischen Parteien geübte Zusammenarbeit mit der DC gegen eine Machtübernahme des PCI zu unterstützen. Allerdings waren Salveminis Versuche, direkte politische Wirkung zu erzielen, auch vor 1943/45 nicht sehr erfolgreich gewesen. Schon im Exil in den USA hatte er sich stets nur gemäß seiner Überzeugungen äußern wollen und dadurch mit der Mehrheit der übrigen antifaschistischen italienischen Emigranten überworfen.570 Trotzdem besaß er mit seinen Beiträgen Gewicht in demjenigen Teil der Gesellschaft, der sich politisch links, aber dennoch keinem Lager zugehörig fühlte. Hier konnten genau die Bevölkerungsschichten angesprochen werden, die man, wie sich unten noch genauer zeigen wird, zur Gewinnung einer parlamentarischen Mehrheit benötigte. Insofern verwundert es nicht, dass Salvemini als Publizist eine maßgebliche Figur in der italienischen Öffentlichkeit darstellte. Dies zeigte sich schon daran, dass er nicht etwa ignoriert wurde, sondern Repräsentanten ganz verschiedener gesellschaftlicher Strömungen, nicht nur Croce, sondern auch der 568 Vgl. ders., Partigiani  e fuorusciti, in: Opere VI, S.  426–429. Der Artikel erschien am 6.12.1952. Vgl. auch ders., La pelle di zigrino. 569 Brief Salveminis an Ernesto Rossi, 10.8.1948, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 74. 570 So schrieb er etwa am 2.10.1943 an New Yorks Bürgermeister Fiorello La Guardia, er werde nur öffentlich den Aufruf an die Italiener zum Widerstand gegen die Deutschen unterstützen, wenn er die Möglichkeit bekomme, die Politik Roosevelts und Churchills zu kritisieren. Siehe ISRT Fondo Salvemini, Scatola 120. Auch in Italien war er bei seinen Gesinnungsgenossen nicht unumstritten. Leo Valiani schrieb etwa am 25.2.1945 an Rossi und andere, man stimme mit Salvemini in vielem überein, aber er sei eben US-amerikanischer Bürger und könne daher viele Dinge kritisieren, die man selbst als besiegte Italiener einfach hinzunehmen habe, wie zum Beispiel den bedingungslosen Waffenstillstand. Man empfinde nicht nur ihn als Maestro, sondern ebenso Croce und Gramsci. Siehe ISRT Fondo Salvemini, Scatola 126.

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kommunistische Parteichef Togliatti und der prominente faschistische Historiker Volpe, mit ihm polemische Auseinandersetzungen in Zeitungen und Zeitschriften führten. Mit Togliatti folgte eine öffentliche Auseinandersetzung, nachdem Salvemini am 31.  Januar 1950 in der Kulturzeitschrift Belfagor dem KP-Chef vorgeworfen hatte, gemeinsam mit Croce und Sforza das Land bedingungslos dem britischen Imperialismus preisgegeben zu haben. Togliatti reagierte am 24. Februar 1950 mit einem offenen Brief an den Herausgeber von Belfagor, Luigi Russo. Er betonte darin die politische Bedeutungslosigkeit der terzaforzisti, hielt es aber für notwendig, Salveminis Vorwürfe nicht unkommentiert zu lassen. Für den kommunistischen Parteiführer spielte dabei die langfristige Strategie der gesellschaftlichen Veränderung und Machtübernahme eine Rolle, die den Intellektuellen eine bedeutende Rolle zuwies. Entscheidend war dabei in erster Linie nicht, die Intellektuellen als kommunistische Propagandisten zu gewinnen, sondern nach Gramsci die Erziehung und Bildung des Volkes als Wert an sich. Durch sie sollte das Proletariat in die Lage versetzt werden, die kulturelle Hegemonie als Voraussetzung für den soziostrukturellen Wandel der Gesellschaft zu erringen. Deshalb versuchte der PCI die von ihm als »progressiv« eingeschätzten Intellektuellen in diesen Erziehungsprozess einzubinden, auch wenn sie keine Marxisten waren oder sein wollten.571 Diese Vorstellung hatte sich unter den PCI-Verantwortlichen in Folge der klaren Wahlniederlage vom 18. April 1948 intensiviert, denn eine »kulturelle Unterlegenheit« weiter Bevölkerungsteile konnte als Rechtfertigung dafür dienen, warum so viele Italiener, die eigentlich Zielgruppe der Kommunistischen Partei waren, stattdessen für deren Gegner gestimmt hatten.572 Togliatti rechtfertigte sich in seinem offenen Brief, man habe seit spätestens 1939 mit allen politischen Kräften zusammengearbeitet, um Mussolini zu stürzen und das Land wieder aufzubauen, auch mit den Monarchisten. Von Emigranten wie Salvemini haben man keinen Beitrag hierzu erhalten, sondern nur Spott und Unverständnis. Togliatti warf Salvemini vor, er urteile nicht als Historiker, sondern als Politiker. Diese Kritik ähnelte derjenigen Croces und dies blieb Salvemini nicht verborgen. Am 10. März 1950 reagierte er in Belfagor, Togliatti spreche ihm wie Croce nur deshalb die Befähigung als Geschichtswissenschaftler ab, weil ihm seine Meinung missfalle. Es sei durchaus richtig gewesen, im Kampf gegen den Faschismus mit allen Parteien zu kooperieren. Aber es sei nicht verständlich, wieso Togliatti nach dem Sturz des Faschismus und entgegen dem Willen der meisten kommunistischen Parteimitglieder 1944 die Zusammenarbeit mit dem König erzwungen habe.573 571 Vgl. Kroll, S. 439. 572 Vgl. ebd., S. 467 f. 573 Vgl. Salvemini, Il »re di maggio« nel gennaio 1944, in: Opere VIII, S. 322–324. Zum Beitrag Togliattis siehe ebd., S. 317–319, zum Beitrag Salveminis ebd., S. 319–324. Der Artikel erschien am 31.1.1950 in Belfagor.

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Salveminis öffentliche Polemik mit Volpe war hingegen Teil  einer großen Auseinandersetzung des nach Florenz zurückgekehrten Professors über die Bewertung der faschistischen Vergangenheit. Am 16.  Juni 1951 sprach er im Mondo in diesem Zusammenhang erstmals über den Mord an den RosselliBrüdern und betonte, die Mörder seien Faschisten gewesen, auch wenn faschistische Journalisten und andere Vertreter des untergegangenen Regimes immer wieder versucht hätten, Antifaschisten diese Tat anzuhängen. Die Verantwortlichen für diese faschistische Propaganda nannte er in seinem Artikel namentlich, darunter den aktuellen Herausgeber der Neapolitaner Tageszeitung Il Mattino, Giovanni Ansaldo. Vor allem aber richtete sich Salveminis Artikel gegen Volpe: Volpe unterstelle nach wie vor, Faschisten seien nicht die Mörder der Rossellis gewesen. Gerade, dass Volpe nicht offen lüge, sondern mit Andeutungen Zweifel am Antifaschismus nähre, sei das Verwerfliche: »Die üble Verleumdung ist tausendmal besser als die zuckersüße Unterstellung, die suggeriert, dass am Ende an der Verleumdung vielleicht doch ein Körnchen Wahrheit sein könnte […].«574 In weiteren Artikeln rekonstruierte Salvemini im Mondo die Ermittlungen gegen den faschistischen Geheimdienst im Zusammenhang mit dem Mord an den Rossellis und prangerte am 30. Juni 1951 den Freispruch gegen die mutmaßlichen Mörder an. Dieser Skandal sei nur möglich geworden, weil die Schwurgerichte noch immer nach faschistischer Regel aus zwei Berufsrichtern und fünf Geschworenen zusammengesetzt seien, wobei diese Geschworenen die Richter überstimmen dürften. Wer angesichts von solchen Vorkommnissen schweige, mache sich zum Komplizen des Geschehens. Es sei ungeheuerlich, wenn durch die Entscheidung des Gerichts moralische Zweifel auf die Opfer fielen.575 Sowohl Volpe als auch der ebenfalls angegriffene Filippo Anfuso setzten sich im Juli 1951 im Tempo zur Wehr, indem sie Salvemini vorwarfen, dass er Italien anklage.576 Im Tempo kam die apologetische Stimmung zu Wort, die nicht direkt neofaschistisch war, aber doch mit Nostalgie auf vermeintliche italienische Heldentaten im Zweiten Weltkrieg und den früheren Großmachtstatus zurückblickte. Die Leser der Zeitung stammten vor allem aus dem Bürgertum des Südens, unter denen ein strikter Antikommunismus ebenso en vogue war wie eine Ablehnung der im öffentlichen Diskurs vorherrschenden anti­ faschistischen Rhetorik.577 Salvemini reagierte im Mondo, er komme gar nicht auf die Idee, Leute wie Mussolini oder Anfuso mit Italien gleichzusetzen. Diese Faschisten seien vielmehr Verbrecher und ein Patriotismus, wie ihn Anfuso an den Tag lege, sei sehr häufig der letzte Rückzugsort des Schurken. Anfuso, so 574 Ders., L’affare Rosselli congiura. 575 Vgl. ders., L’affare Rosselli giustizia. Salvemini nannte in der Artikelfolge alle Personen namentlich, die er für schuldig an den Morden hielt. 576 Vgl. Volpe; Anfuso. In der rechten Publizistik war es ein häufiges Paradigma, den Exilanten vorzuwerfen, sie hätten sich gegen das Vaterland gestellt und an der italienischen Niederlage erfreut. Vgl. Baldassini, S. 190. 577 Vgl. Focardi, La guerra, S. 21.

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Salvemini, wolle ihn wegen Verleumdung verklagen; vor einigen Jahren hätte er allerdings noch versucht, ihn umbringen zu lassen.578 Als Volpe im Tempo ­Croces Schiedsspruch forderte, ob ein herausragender Historiker wie er selbst wirklich so tief gefallen sei wie Salvemini es behaupte, antwortete der Professor aus Florenz im Mondo: Prof. Volpe war der beste Historiker seiner (und meiner) Generation, als er Questioni fundamentali und Eresie nel Medioevo schrieb. Er war auch ein Ehrenmann. Er hörte auf ein Ehrenmann und ein Historiker zu sein, der Respekt verdient, als er der Vertraute Mussolinis wurde und, neben anderen Schweinereien, jene Storia del movimento fascista herausbrachte, derentwegen er sich zu Recht als Vertrauter Musso­ linis rühmen kann, aber nicht als Historiker und weniger denn je als Ehrenmann.579

Wie sich in seiner Verteidigung des liberalen Italiens als einer  – wenn auch mangelhaften  – Demokratie schon angedeutet hatte, sah Salvemini im April 1952 im Ponte vor allem kurzfristige Ursachen für den Faschismus als entscheidend an: Es möge zwar viele Entwicklungen gegeben haben, die das Entstehen des Faschismus begünstigt hätten, doch zu einer schlagkräftigen Gruppe hätten diese Rechtsradikalen erst werden können, als sie 1920/21 unter den Regierungen Giolittis und Bonomis von Militär und Polizei ausgerüstet und gefördert worden seien, und weil die doktrinäre Politik der Sozialisten ihnen viele Unzufriedene in diesen Jahren zugetrieben habe.580 Wie auch viele westdeutsche Historiker legte Salvemini den Schwerpunkt letztlich auf unmittelbare Gründe, die zum Faschismus geführt hätten, weil er sich nur auf den tatsächlichen Moment der Machtübernahme konzentrierte und die langjährige Zustimmung zum System nicht wirklich thematisierte, indem er Opposition für technisch unmöglich erklärte. Die ständigen faschistischen Gewaltaktionen hätten bis 1926 jede Opposition zerbrochen und im Anschluss als unmittelbare Drohung weiter bestanden.581 Gerade in den Zeiten, in welchen sich der Neofaschismus im Aufwind befand, wollte er in erster Linie zwei wesentliche Punkte vermitteln: dass die Faschisten niemals die Mehrheit der Italiener hinter sich gehabt hätten und die Antifaschisten keine Vaterlandsverräter gewesen seien.582 Ohne dies explizit zu erwähnen, benutzte er dabei indes das gleiche Totalitarismusparadigma wie die westdeutschen Historiker, um fehlenden Widerstand unter der Diktatur zu rechtfertigen: Eine unbewaffnete Opposition habe im Ventennio zwar immer bestanden, aber eine Revolution sei in einem modernen Land technisch nicht möglich, höchstens ein Militärputsch oder ein Machtkampf innerhalb der herrschenden Eliten. Den 578 Vgl. Salvemini, L’affare Rosselli Volpe. 579 Salvemini, Volpe, Anfuso & C. 580 Vgl. ders., I manutengoli del fascismo, in: Opere VI, S. 412–417. 581 Vgl. ebd., S. 412 f. 582 Noch 1958 meinten bei einer repräsentativen Umfrage 26,6 % der Italiener, der Faschismus sei durch internen Verrat gestürzt worden. Vgl. Gozzini, L’antifascismo, S. 85 f.

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bewaffneten Kampf gegen das Regime hätten die Antifaschisten mit dem Spanischen Bürgerkrieg wieder aufgenommen. Dies sei kein Vaterlandsverrat gewesen, sondern Teil einer globalen Auseinandersetzung zwischen Faschismus und Antifaschismus. Der Faschismus war demnach kein spezifisch italienisches, sondern ein weltweites Phänomen, wie sich an den faschistischen Bewegungen in zahlreichen Ländern erkennen lasse. Mit dem Spanischen Bürgerkrieg, der nur Deutschland geholfen habe, nahm die allgemeine Zustimmung zum System laut Salvemini in Italien allerdings ab. »Die rassistische Kampagne ekelte das Volk an, in dessen Venen das Blut aller Rassen Europas und des Mittelmeeres fließt.«583 Salvemini sah keinen qualitativen Unterschied zwischen der Resistenza und dem antifaschistischen Widerstand bis 1943, behauptete sogar eine lange Tradition der Resistenza, die schon vor dem Faschismus als Widerstand gegen Nationalismus und Imperialismus bestanden habe. Eine Verteidigung gegen Vorwürfe der Sabotage zugunsten des Feindes, jedoch gleichfalls ein Eingeständnis der eigenen Erfolglosigkeit, war schließlich seine Feststellung, dass nicht die Aktivitäten der Antifaschisten, sondern die vielen Niederlagen in einem selbst begonnenen Krieg zum Zusammenbruch des Regimes geführt hätten.584 Die Resistenza bedeutete wie für die Kommunisten auch für Salvemini einen entscheidenden Wendepunkt, da hierbei erstmals die Bauern als Akteure in die italienische Geschichte eingetreten und die Italiener dadurch endlich ein Jahrhundert nach dem Risorgimento zu einer Nation geworden seien.585 Salvemini sang geradezu ein Loblied auf Italien und überhöhte die Bedeutung des italie­ nischen Widerstands fast ins Uferlose: Die Regierungen Englands und Frankreichs waren von keinem anderen Prinzip geleitet als der Rache gegenüber dem italienischen Volk, die es sich bequem machten, indem sie den Namen ›Italien‹ dieser mussolinischen und königlichen Regierung gaben, zu der sie lange im besten Verhältnis gestanden hatten […]. Es waren die Partisanen, welche die englischen und amerikanischen Militärführer in Italien zwangen, den großen italienischen Beitrag zum Sieg anzuerkennen. Es waren die römischen Abenteuer und bisweilen übermenschlichen Schmerzen der Partisanen, die die Herzen in England, in Amerika, in Frankreich bewegten. Es waren die Zeugnisse italienischer Großzügigkeit, die Kriegsgefangene von ihrer Rettung in Italien in Tausende Häuser brachten, welche es den Regierungen der Siegerländer unmöglich machten, zügellose Rache zu üben.586

Diese Argumentation akzentuierte er Anfang der fünfziger Jahre stärker im Hinblick auf die Frage nach den Verbrechen, die von Italienern begangen ­worden waren und knüpfte an das Paradigma an, den Faschismus durch den 583 Salvemini, Partigiani e fuorusciti, in: Ebd., S. 425–432. 584 Vgl. ebd., S. 425–436. 585 Vgl. ebd., S. 429 f. 586 Ebd., S. 436.

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Vergleich mit dem Nationalsozialismus zu verharmlosen. Am 10. März 1951 rezensierte er im Mondo eine Edition von Briefen eines jungen, im Zweiten Weltkrieg gefallenen italienischen Soldaten. Exemplarisch machte er an ihm fest, dass dem Italiener als solchem die Menschlichkeit wie eine zweite Haut sei. Trotz aller Deformierungen durch den Faschismus habe es in Italien nicht wie in Deutschland Vernichtungslager gegeben. Salvemini zitierte in diesem Zusammenhang den französischen Schriftsteller Romain Rolland mit den Worten, dass die Italiener das humanste Volk der Erde seien. Zahlreiche Bauern hätten selbstlos und unter Einsatz ihres Lebens Flüchtlinge und entlaufene Kriegs­ gefangene versteckt; ganz im Gegensatz zu den Südtirolern, welche 1943 die desertierten italienischen Soldaten an das faschistische Regime ausgeliefert hätten. Dieses Regime reduzierte er auf die Herrschaft einer Verbrecherclique: »Sie hatten versprochen, das undisziplinierte Volk unter eine Herrschaft von Helden zu stellen und errichteten nichts anderes als die militärische und zivile Herrschaft der größten Schweine, Diebe und Versager, die man in diesem Volk finden konnte […].«587 Insoweit entsprach seine öffentliche Praxis auch derjenigen Croces und der westdeutschen Historiker im Hinblick auf den National­ sozialismus. Anfang der fünfziger Jahre ergriff Salveminis wissenschaftlicher Assistent Ernesto Ragionieri erstmals regelmäßig im Nuovo Corriere das Wort und dies zumeist in der Eigenschaft eines spezifischen Intellektuellen. Im Gegensatz zu Manacorda schlüpfte Ragionieri öffentlich allerdings mitunter auch in die Rolle des allgemeinen Intellektuellen. Dieser Fall war meistens dann gegeben, wenn er Leitartikel auf Seite eins des Nuovo Corriere verfasste, denn anders als Manacorda in seinen Seite-eins-Beiträgen ging er dort nicht von seiner Fachkompetenz als Historiker aus. Häufig nahm er in diesen Kommentaren zur aktuellen politischen Lage ohne Bezug zur Vergangenheit Stellung.588 Dabei hielt Ragionieri als spezifischer Intellektueller jede Trennung von Geschichtswissenschaft und Politik für falsch und kritisierte in der Kulturkommission des PCI deswegen seinen Kollegen Armando Saitta, der für einen völlig anderen Umgang mit der Öffentlichkeit stand: Zum Beispiel führt das Vorwort Saittas […] durch eine crocianische Formulierung den Antikommunismus in die Zeitschrift Movimento Operaio ein. Charakteristisch ist, wie Saitta auf der Trennung von Politik und historischer Forschung besteht. Für die Leser und Mitarbeiter von Movimento Operaio bedeutet die Anmerkung Saittas ein Element der Verwirrung.589 587 Ders., Una traccia. 588 In seinem ersten Leitartikel prangerte er im Zusammenhang mit der Kommunalwahl 1951, bei der er selbst seine politische Laufbahn auf einer Liste des PCI begann, die Einmischung der Bischöfe an. An anderer Stelle warf er den USA eine imperialistische Politik vor. Vgl. hierzu Ragionieri, Chiarificazione und Il libro bianco. 589 Fondazione Istituto Gramsci, Riunioni della Commissione Culturale Nazionale 1954 + ritagli stampa, Interventi della riunione della Commissione Culturale Nazionale (20./ 21.11.1954).

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Auch Manacorda sah sich in der Kulturkommission mehrfach der Kritik ausgesetzt, die von ihm geleitete Zeitschrift Società sei zu wissenschaftlich und widme sich zu wenig der aktuellen Politik und der ideologischen Belehrung.590 Jedoch beharrte der Parteihistoriker auf dem Standpunkt, dass Società als wissenschaftliche Zeitschrift Autonomie beanspruchen und nicht politischen Zielen dienen solle. Im Gegensatz zu Saitta ging es ihm damit aber keineswegs um eine grundsätzliche Freiheit der Wissenschaft von der Partei. Vielmehr glaubte Manacorda, dass Società den langfristigen Plänen des PCI, die kulturelle Vorherrschaft zu erringen, besser dienen könne, wenn dort keine Propaganda verbreitet würde: Als Kulturproduzenten wollen wir erstens jene, die bereits Kommunisten sind, drängen, bestimmte Themenfelder und generell den Marxismus und Leninismus anzunehmen, wenn sie diese Position noch nicht erreicht haben, und zweitens alle anderen erreichen, vor allem diese anderen, und sie dort abholen, wo sie sind, das heißt in allen Bereichen der laizistischen und demokratischen Kultur […].591

Leider, so Manacorda, leisteten Kommunisten oftmals der Propaganda des Gegners Vorschub, die behaupte, Kommunisten suchten für ihre Allianzen nur »nützliche Idioten«. Man müsse Wissenschaftlern, die man für Bündnisse gewinnen wolle, auch Raum für ihre eigenen Meinungen geben, selbst wenn man nicht mit ihnen übereinstimme.592 Dass sich Manacorda überhaupt verteidigen musste, erstaunt, da er es in Società an der Klarheit seines politischen Standpunktes durchaus nicht hatte fehlen lassen. So hatte er sogar einen Vorschlag der UNESCO abgelehnt, zur Sicherung des Friedens in gemeinsamen Historikerkongressen eine einvernehmliche historische Betrachtung der jüngsten Kriege zu vereinbaren. Dies, so Manacorda, würde die Vorstellung fördern, Kriege entstünden durch Hass, Missverständnisse und Unwissen der Völker voneinander. Es seien aber nicht die Völker, die Kriege führten, sondern Regierungen und bestimmte soziale Gruppen mit handfesten Interessen. Die geforderte Universalgeschichte diene nur dem Versuch, das Nationalbewusstsein zu zerstören: Damit wollten in Italien und Frankreich die Bourgeoisien ihren Anschluss an den US-amerikanischen Imperialismus rechtfertigen.593 Obgleich nicht mehr in den Massenmedien, so äußerte sich Manacorda weiterhin in der von ihm geleiteten Società zur Zäsur. Ab 1950 hatte er sich aus der Tagespublizistik zurückgezogen, um sich verstärkt seinen wissenschaft­ lichen Projekten zu widmen, etwa der Geschichte der Arbeiterkongresse in 590 Vgl. Fondazione Istituto Gramsci, Riunione Commissione Culturale, Interventi e conclusioni, Roma, 3 aprile 1952, Intervento di Manacorda. 591 Fondazione Istituto Gramsci, Verbali Riunioni Vari e ritagli stampi 1953, Interventi alla Commissione Culturale Nazionale PCI, novembre 1953. 592 Vgl. ebd. 593 Vgl. Manacorda, La storia e la pace, S. 666–669.

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Italien. In seinen Fachzeitschriftenbeiträgen beschäftigte er sich daneben stärker mit der Frage, wie es zum Faschismus hatte kommen können und der Geschichte Italiens zwischen 1922 und 1945. Seine Analysen waren allerdings nicht originell, sondern folgten auch in diesem Medium der grundsätzlichen Linie der Partei: Die Masse der italienischen Soldaten wollte demnach die faschistischen Angriffskriege nicht und wurde Opfer der herrschenden Klasse, die sich 1943 als unfähig herausgestellt habe, die Verantwortung für ihren Pakt mit den Schwarzhemden zu übernehmen.594 Eine Mitschuld an der Machtübernahme der Faschisten Anfang der zwanziger Jahre war dieser Argumentation zufolge ferner nicht nur den liberalkonservativen Regierungen, vor allem Bonomi, anzulasten, die glaubten, den Faschismus gegen die Arbeiterschaft benutzen zu können, sondern ebenso den Mehrheitssozialisten unter ­Filippo Turati, die 1921–1924 einen rigiden Antibolschewismus statt eines Bündnisses mit den Kommunisten gegen die Faschisten betrieben hätten. Wirkliche Kenntnis der Lage gestand Manacorda nur den von den Faschisten er­mordeten Oppositionellen Giacomo Matteotti, Giovanni Amendola und Piero Gobetti zu.595 Ebenso versuchte Ragionieri in seiner massenmedialen Praxis gezielt dem aktuellen Neofaschismus entgegenzutreten und hierfür in erster Linie Kenntnisse über die faschistische Vergangenheit zu vermitteln. Die italienische Historiographie hatte sich bis dahin kaum mit dem Faschismus beschäftigt. Allenfalls die Resistenza wurde Gegenstand wissenschaftlicher Darstellungen.596 Quellen zur jüngsten Vergangenheit waren selten zugänglich und daher kam Zeitzeugen eine maßgebliche Rolle zu. Dies führte allerdings dazu, dass in erster Linie frühere Vertraute Mussolinis über den Diktator, ehemalige Generäle über das Militär oder die alten Funktionäre der Repubblica Sociale Italiana über die faschistische Republik schrieben.597 Zur italienischen Geschichte im 20. Jahrhundert verfassten Historiker allenfalls einige Überblickswerke, die das Regime zwar verdammten, aber kaum in Bezug zur italienischen Geschichte setzten.598 In diesem Zusammenhang begrüßte Ragionieri am 25.  Juni 1950 die Wiederauflage von Salvatorellis Buch Pensiero  e azione nel Risorgimento ita­liano als beachtenswertes Werk des Antifaschismus, welches nach seiner Erstauflage 1943/44 für viele Menschen wichtig gewesen sei und sich von dem übrigen konformistischen Schrifttum unterschieden habe. Leider erreiche historische Fachliteratur jedoch insgesamt nur einen kleinen Bruchteil der Gesellschaft.599 Darum konzentrierte sich Ragionieri in der Folge auch auf die Schulpolitik und forderte in zahlreichen Artikeln die Behandlung der unmittelbaren 594 Vgl. ders., Rec. su Giaime Pintor, S. 177. 595 Vgl. ders., Rec. su Filippo Turati, S. 489. 596 Vgl. z. B. Battaglia. 597 Vgl. Baldassini, S. 143 f. 598 Vgl. Tranfaglia, S. 28. Ein Beispiel hierfür war Salvatorelli. 599 Vgl. Ragionieri, Rileggendo un libro.

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Vergangenheit im Geschichtsunterricht. Tatsächlich endete bis dato der Unterrichtsstoff in italienischen Schulklassen mit dem Jahr 1918.600 In dieser fehlenden Beschäftigung mit der jüngsten Vergangenheit sah Ragionieri einen wesentlichen Grund für die überdurchschnittliche Verbreitung des Neofaschismus gerade unter Jugendlichen. So betonte er, speziell die Kinder aus dem Kleinbürgertum, das laut marxistischer Lesart als die von der herrschenden reaktionären Klasse manipulierte Massenbasis des Faschismus galt, seien rechtsradikal indoktriniert, da sie zersetzenden Berichten der anti­ kommunistischen Presse ausgesetzt seien und in der Schule immer noch mit den alten faschistischen Schulbüchern lernten, in denen lediglich der Zeitraum nach 1918 gestrichen worden sei. Aus eigener Lehrerfahrung wisse er, dass viele junge Menschen mit dem Faschismus besondere Leistungen wie die Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe verbänden. Nichts dagegen wüssten gerade die Schüler aus dem Kleinbürgertum über Antifaschisten wie Matteotti, Gramsci und die Rosselli-Brüder und nichts über die Resistenza. Ragionieri forderte, es müsse im Schulunterricht schließlich nur gelehrt werden, worüber unter allen Fachleuten Einigkeit bestehe, dass der Faschismus eine reaktionäre Klassen­diktatur gewesen sei. Unter dieser »Einigkeit der Fachleute« verstand der Historiker aus Sesto Fiorentino also eine Interpretation im Sinne des PCI, über die zweifelsohne keine Einigkeit unter den Fachleuten bestand.601 Die Behauptung einer solchen Einigkeit ermöglichte Ragionieri aber einen Rückschluss auf die Motive der italienischen Regierung: Wenn diese trotz der einheitlichen wissenschaftlichen Bewertung des Faschismus die Behandlung der aktuellen Zeitgeschichte in den Schulen verhindere, lehne sie eben nicht nur eine marxistische Darstellung ab, sondern jede Form liberaler Bildung in den Schulen. Vielmehr strebe sie lediglich die Rettung ihrer Klassenherrschaft an. In diesem Zusammenhang griff Ragionieri ausdrücklich Croces Standpunkt an, die Storia Contemporanea in den Schulen nicht einzuführen.602 Gleich­zeitig verteidigte er seine Haltung auch gegenüber linken Kritikern, die eben wegen dieser behaupteten Klassenherrschaft im Nachkriegsitalien den Faschismus 600 Vgl. Cajani, S. 271. 601 Vgl. Ragionieri, Perché non si insegna la storia contemporanea?; ders., Perché si deve ­richiedere l’insegnamento della storia contemporanea? Die Interpretation des Faschismus als Bewegung des Kleinbürgertums war weit verbreitet, auch bei Nichtmarxisten wie beispielsweise Salvatorelli. Vgl. hierzu Baldassini, S. 21. Die Interpretation des Faschismus als Klassenherrschaft war zudem unter marxistischen Historikern unumstritten und ließ sich etwa in dem von Saitta verfassten Schulbuch für Gymnasien ablesen. Dort konnte Saitta den Faschismus selbst zwar nicht darstellen, bezeichnete die Machtübernahme Mussolinis 1922 jedoch als Ausdruck einer Krise der herrschenden Klasse, die sich durch die Oktoberrevolution bedroht und des Faschismus als Instrument bedient habe. Vgl. Saitta, Il cammino umano, S. 904–906. 602 Vgl. Ragionieri, Perché non si insegna la storia contemporanea?; ders., Perché si deve ­richiedere l’insegnamento della storia contemporanea?

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lieber nicht in den Schulen behandelt sehen wollten, da dies zu einer Verherr­ lichung statt Aufklärung über die Diktatur führen würde. Ein Vertreter dieser etwas resignierten Ansicht war beispielsweise sein akademischer Vorgesetzter Salvemini. So lehnte jener 1952 den Vorschlag Ernesto Rossis ab, ein Schulbuch über die Geschichte des Faschismus zu schreiben: Wie solle er verschweigen, dass Pius XI. der Komplize Mussolinis gewesen sei, und wie könne sein Nachfolger Pius XII. diese Erkenntnis in Schulbüchern zulassen?603 Am 6. Oktober 1953 engagierte sich Salvemini sogar in einem offenen Brief an Mondo-Herausgeber Pannunzio gegen den Zeitgeschichtsunterricht. Man könne Lehrern mit keinen noch so detaillierten Rahmenrichtlinien vorschreiben, was sie zu lehren hätten. Daher sei es besser, die Kinder von Propaganda fernzuhalten bis sie selbst denken und sich für solche Themen interessieren könnten. »Die jüngste Geschichte ist zu sehr durch Leidenschaften auf­ gewühlt und könnte deshalb die Jugend vergiften.«604 Tatsächlich konnte Ragionieri diese Meinung aber nicht gelten lassen, wenn er von einer Überlegenheit der kommunistischen Interpretation ausging, wonach die Massen nur manipuliert und nie tiefgehend vom Faschismus überzeugt gewesen seien. Ragionieri legte hier den Finger in die Wunde: Man könne nicht ständig eine Diskussion und Neubetrachtung der italienischen Geschichte fordern und dann kein Vertrauen darauf haben, dass sich die eigene Ansicht in der Diskussion auch durchsetze. Das Problem der herrschenden Klasse sei doch gerade, dass sie keine überzeugende Erklärung des Faschismus habe und deshalb das Thema nicht behandeln wolle.605 Besonders interessant war in diesem Zusammenhang, dass Ragionieri diese Ansichten zunächst gegenüber einem, wenn auch regional begrenzten, Massenpublikum im Nuovo Corriere publizierte und erst anschließend gegenüber einer kleinen Spezialöffentlichkeit in der Zeitschrift Società.606 Ragionieri blieb dem Thema Schulunterricht in seiner massenmedialen Praxis auch weiterhin verbunden und kritisierte im Folgenden die zaghaften Pläne der Regierung, die neueste Geschichte doch mit in den Unterricht aufzunehmen. Dabei war er bemüht aufzuzeigen, dass große Teile der Bevölkerung an 603 Brief Salveminis an Ernesto Rossi, 2.10.1952, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 74. 604 Salvemini, La storia nelle scuole. 605 Vgl. Ragionieri, Perché non si insegna la storia contemporanea?; ders., Perché si deve richiedere l’insegnamento della storia contemporanea? Es blieb ein Dilemma, dass nach kommunistischer Lesart einerseits die meisten Menschen keine überzeugten Faschisten gewesen sein durften, aber dennoch der breite Konsens, den die Diktatur lange erfahren hatte, nach 1945 nachwirkte. Manacorda schrieb 1955 darüber, dass der Faschismus sehr wohl tief in die italienische Kultur eingedrungen sei. Diese faschistischen Einflüsse würden noch immer in den Schulen vermittelt. Gleichzeitig aber wollte er auch niemanden außer den üblichen Schuldigen (Kapitalisten, Regierung) belasten und betonte sogleich, die meisten Lehrer seien selbstverständlich auch im Faschismus Antifaschisten gewesen und wer heute noch faschistisches Gedankengut an Schüler weitergebe, tue das im All­ gemeinen unbewusst. Vgl. Manacorda, Dieci anni dopo, S. 553. 606 Vgl. Ragionieri, I manuali di storia, S. 325–337 und La storia contemporanea, S. 670–675.

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einer ernsthaften und kritischen Auseinandersetzung mit dem Faschismus interessiert seien, nicht nur die Kommunisten. Als Beispiel nannte er ein weiteres Buch Salvatorellis, Storia del fascismo, das sich eher an breite Leserschichten statt an Experten wende. Es sei ein gutes Mittel gegen die Memoirenliteratur und die Rehabilitationsversuche der alten faschistischen Funktionäre. Wenngleich er die Arbeit des Stampa-Mitarbeiters grundsätzlich lobte, kritisierte Ragionieri jedoch, ganz der Parteilinie verpflichtet, Salvatorelli habe nicht von den antifaschistischen Volksmassen gesprochen, die sich spätestens seit 1936 in Italien formiert hätten.607 Die DC wehrte sich indes dagegen, dass die Linke immer stärker versuchte, die Resistenza für sich zu vereinnahmen und als politisches Mittel gegen die Christdemokraten einzusetzen. Allerdings waren diese Versuche der Christdemokraten defensiv; sie begründeten keine wirklich eigene Resistenza-Tradition. In ihren Wahlkampagnen bezogen sie sich auch viel eher auf katholische Überlieferungen als den Widerstand, denn der Antifaschismus war für sie mit dem Fall des faschistischen Regimes beendet. Eine kritische Betrachtung des Faschismus war kein Ziel der DC, vielmehr sollte eine für möglichst alle Italiener akzeptable Form der nationalen Erinnerung praktiziert werden. Sogar Verteidigungsminister Paolo Emilio Taviani, ein ehemaliger Partisan, zu dem Bendiscioli enge Kontakte pflegte, machte im öffentlichen Gedenken keinen Unterschied zwischen den umgekommenen Widerstandskämpfern und den Gefallenen der faschistischen Kriege.608 Im von den Christdemokraten kontrollierten Radio wurden Jahrestage wie die Gründung der Republik oder der Ermordung Matteottis bisweilen ignoriert, was zu empörten Protesten des PCI im Parlament führte.609 Es verwundert nicht, dass auch katholische Historiker die Distanz der DC zu den Resistenza-Feierlichkeiten der Linken teilten. In einem Artikel in Huma­ nitas schrieb Bendiscioli 1950, es sei zwar richtig, wenn die terzaforzisti das Übel anprangerten, dass frühere Vertreter der faschistischen Republik in ihre alten Positionen zurückkehrten und öffentlich die Resistenza verleumdeten. Doch der Protest dagegen werde von den Kommunisten für ihre politischen Zwecke vereinnahmt und ausgenutzt. Dabei könnten antifaschistische Katho­ liken nicht mitmachen. Bendiscioli stellte hierzu unumwunden fest, es gebe seit der Befreiung keinerlei Gemeinsamkeiten unter den Antifaschisten mehr, denn im Gegensatz zur Linken wolle man keine sozioökonomischen Umwälzungen. So sei die Resistenza, schrieb der Historiker aus Brescia in seinem Fazit, doppelt in der Krise: Einerseits gebe es Streit unter den ehemaligen Widerstands607 Vgl. ders., Storia del fascismo. 608 Vgl. Focardi, La guerra, S. 25–31. Auch in katholischen Zeitschriften, die dem Klerus nahe standen, wurde in erster Linie eine pacificazione der Erinnerung betont, also die Integration der ehemaligen Faschisten, ohne ihnen Vorwürfe zu machen. Statt der Resistenza wurde die Kirche als Symbol der nationalen Kontinuität über Diktatur, Krieg und staat­ lichen Zusammenbruch hinweg dargestellt. Vgl. Margotti, S. 171–175. 609 Vgl. Monteleone, S. 237 f.

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kämpfern und andererseits aufgrund der Racheexzesse nach dem Zweiten Weltkrieg gegen den Befreiungskampf in der öffentlichen Meinung ein Misstrauen, das viele Menschen für den journalistischen Neofaschismus empfänglich mache.610 Schon im Jahr zuvor hatte Bendiscioli in Humanitas der linken These von der Resistenza als zweitem Risorgimento widersprochen: Diese Behauptung würde von Kommunisten und Sozialisten erhoben, um ihre Forderung nach gesellschaftlichem Umbau zu legitimieren. Tatsächlich bestünden zwischen beiden historischen Phänomenen jedoch in erster Linie Unterschiede. Divergenzen gebe es vor allem auch zwischen dem Antifaschismus von 1922–1943 und der Resistenza. Genau in diesem Zusammenhang stellte Bendiscioli im Gegensatz zur vorherrschenden öffentlichen Meinung überdies den Mythos des Faschismus als Herrschaft einer kleinen Gruppe bloß und thematisierte die langjährige Zustimmung, derer sich das Regime erfreut hatte: Die Resistenza habe sich nämlich in erster Linie nicht gegen das faschistische System, sondern die deutsche Besatzung gerichtet und an ihr hätten viele Gruppen teilgenommen, die – wie etwa die Monarchisten – bis 1943 bestimmt nicht als Antifaschisten zu bezeichnen gewesen wären.611 Bendiscioli geriet mit dieser Ansicht bald in die Kritik seiner marxistischen Kollegen. Am 3. Juli 1953 hatte Ragionieri im Nuovo Corriere ausgerechnet den noch wenige Monate zuvor von ihm gelobten Salvatorelli angegriffen, nachdem dessen Buch Venticinque anni di storia (1920–1945) vom Erziehungsministerium unter Lehrern und Schülern der Abschlussklassen verteilt worden war. Das Werk sei ohne Wettbewerb ausgewählt worden und nichts weiter als eine tendenziöse Chronik. Zwar sei Salvatorelli zweifelsohne ein seriöser Historiker, aber er sei auch ein Regierungspropagandist und dieses Buch habe er in letzterer Eigenschaft verfasst. Die Zeit von 1920–1945 sei nicht als Geschichte Italiens, sondern nur des Faschismus geschrieben worden, mit angeblichen politischen Erfolgen und ohne besondere Berücksichtigung des Widerstands.612 Ragionieri fragte rhetorisch, ob die Christdemokraten zu eigenen Zwecken eine Sichtweise etablieren wollten, die für alle Leser akzeptabel sei, selbst für die Feinde der Demokratie. Nichts anderes als die Verfassung könne jedoch die Basis für jede Diskussion sein.613 In Società machte der Parteihistoriker für die Auswahl von Salvatorellis Buch durch das Ministerium indirekt Bendiscioli mitverantwortlich, weil dieser als einziger Historiker das Buch gelobt habe, das sich aus Aufsätzen Salvatorellis in Scuola e Vita zusammensetze.614 Angesichts der offiziellen Relativierung des Faschismus glaubte Salvemini mittlerweile nicht mehr, dass die USA eine faschistische Entwicklung in Italien 610 Vgl. Bendiscioli, Il convegno »Resistenza  e cultura italiana« di Venezia, in: Ders., Storia Contemporanea, S. 63–72. Der Artikel erschien 1950 in Humanitas. 611 Vgl. ders., Esiste un »Secondo Risorgimento?«, in: Ebd., S. 39–47. Der Text erschien 1949 in Humanitas. 612 Vgl. Ragionieri, Un volume di Salvatorelli 613 Vgl. ders., La Democrazia Cristiana. 614 Vgl. ders., La storia contemporanea, S. 673 f.

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verhindern würden, vielmehr dass sie ein moderat faschistisches, antikommunistisches Regime nach Vorbild des portugiesischen Diktators Antonio Salazar begrüßen würden. Dabei habe der Faschismus entgegen aller Legenden Italien nicht vor dem Kommunismus gerettet: Vielmehr habe Mussolini den Kommunismus noch unterstützt, als 1919 die Gefahr einer Revolution bestanden habe und ihn erst bekämpft, als diese Gefahr faktisch längst vorüber gewesen sei. Salvemini verhöhnte dabei auch den Vorsitzenden der Azione Cattolica, Luigi Gedda, für seine Erinnerung an antifaschistische Märtyrer, denn in Wahrheit sei die Azione Cattolica ein durch Papst Pius XI. geschaffenes profaschistisches Instrument gewesen, um den antifaschistischen katholischen Partito Popolare Italiano von innen heraus zu zerstören. Während De Gasperi noch Demokratie predige, versuchten solche papsttreuen Kräfte wie die Azione Cattolica im Verbund mit Monarchisten und Neofaschisten bereits in kleinen Schritten wiederum einen rechtsgerichteten Umsturz. Eine Kooperation mit dem PCI lehnte Salvemini gleichwohl ab, denn beide großen Lager seien totalitär.615 Er wurde stattdessen nicht müde, die wehrhafte Demokratie zu fordern: Eine Partei oder eine Koalition demokratischer Parteien, die die Regierung stellen, und einer totalitären Opposition erlauben würden, mit demokratischen Mitteln an die Macht zu kommen, wäre die perfekteste Ansammlung von Idioten, die je existiert hätte.616

Letztlich war diese Mobilisierung der öffentlichen Meinung gegen eine Einbindung der neofaschistischen Kräfte aber erfolgreich. Obgleich der Wunsch der Neofaschisten nach Anerkennung ihrer Werte und die christdemokratische Intention zur Aussöhnung Berührungspunkte aufwiesen sowie etliche Kräfte, allen voran der Vatikan, auf eine Einigung mit Monarchisten und Neofaschisten drängten, zog die DC wie auch die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland Anfang der fünfziger Jahre einen Trennungsstrich zu denjenigen Kräften, die sich offen zum Faschismus bekannten und nichts aus der Vergangenheit lernen wollten, wie es Ministerpräsident De Gasperi schon in einer Rede zum Jahrestag der Befreiung am 25. April 1951 formuliert hatte. Der Antifaschismus wurde nicht zugunsten des Antikommunismus als Grundkonsens aufgegeben.617 Diese christdemokratische Grundhaltung liest sich beispielhaft auch in einem Kommentar Bendisciolis in der Regionalzeitung Giornale di Brescia zum Jahrestag der Befreiung 1952: Zwar versuchten die Neofaschisten die Resistenza durch Betonung ihrer Schattenseiten zu delegitimieren. Jedoch könne trotz mancher Ungerechtigkeiten der Partisanen der grundsätzlich humane und nationale Charakter des Widerstandes nicht untergraben werden. Noble Menschen hätten sich für die Freiheit des Vaterlandes aufgeopfert. Die Befreiungs615 Vgl. Salvemini, Tiriamo l’oroscopo, in: Opere VIII, S. 908 f. Der Artikel wurde im November 1952 im Ponte veröffentlicht. 616 Ders., Italia scombinata. 617 Vgl. Focardi, La guerra, S. 31 f.

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komitees seien in der Krise zur legitimen Regierung geworden, die Unterstützung in allen Bevölkerungsschichten gefunden habe. Diese Unterstützung sei neben dem alliierten Vormarsch und dem Hass auf die deutschen Besatzer und die Faschisten der Repubblica Sociale Italiana die Basis des Erfolges der Resistenza gewesen.618 Die politische Abgrenzung gegenüber den Neofaschisten bedeutete allerdings noch keine eindeutig normative Scheidelinie gegenüber dem Faschismus. Diese Frage wurde bis Mitte der fünfziger Jahre Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen. Die Parlamentswahlen 1948 hatten trotz intensiven Engagements der meisten italienischen Intellektuellen für die Volksfront zu einer eindeutigen Niederlage des linken Lagers geführt. Allerdings sorgte diese Enttäuschung keineswegs dafür, dass die marxistischen Kräfte an Gramscis These von der Bedeutung der kulturellen Hegemonie für die politische Machtübernahme zu zweifeln begannen. Vielmehr verstärkten sie gerade noch ihre Bemühungen um die kulturellen Eliten und die Beeinflussung der historisch-politischen Debatte. Dabei gab es unter ihnen erhebliche Differenzen, ob und in welcher Form sie sich mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit in den Dienst der Partei zu stellen hätten. Ragionieri und Saitta nahmen die Extrempositionen ein, da jener zwischen Historiographie und Politik keinen Unterschied machen, dieser jedoch in seiner geschichtswissenschaftlichen Arbeit allenfalls thematisch, keinesfalls aber inhaltlich einen ideologischen Standpunkt erkennen lassen wollte. Manacorda glaubte hingegen, dass ein Fernhalten von tagespolitischer Polemik in den Fachzeitschriften letztlich den langfristigen Zielen der Partei besser diene, wogegen Cantimori sich jeglicher politischer und publizistischer Tätigkeit verweigerte. Diese hier untersuchten individuellen Standpunkte beweisen, dass freie Entscheidungen über die Art und Weise des politischen und medialen Engagements im PCI ganz im Gegensatz zu der von der kommunistischen Partei beherrschten DDR möglich waren. Die in den Massenmedien aktiven Parteihistoriker versuchten nach der Wahlniederlage des PCI im Sinne einer generell neu ausgerichteten propagandistischen Linie, die Resistenza für die eigene politische Ideologie stärker zu vereinnahmen. Dabei ging es weniger um die tatsächliche historische Bedeutung des Widerstands gegen das faschistische Regime als um dessen Interpretation als Abschnitt in einem jahrzehntelangen Kampf des Volkes gegen die bürgerliche Klassenherrschaft, der sich nun gegen die Christdemokraten richte. Ragionieri warf der Regierung vor, ihre Weigerung, den Zeitgeschichteunterricht in den Schulen einzuführen, diene nur ihrem eigenen Machterhalt. Allerdings ging es auch ihm weniger um eine Aufarbeitung des Faschismus als vielmehr des Widerstandes dagegen. Auch in Manacordas massenmedialer Publizistik nahm der Faschismus selbst keinen wichtigen Platz ein und wurde durch häufige Gleichsetzungen mit der aktuellen Regierung verharmlost. In ihren wissen618 Vgl. Bendiscioli, La Resistenza in prospettiva storica.

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schaftlichen Arbeiten setzten sich Manacorda und Ragionieri dagegen differenzierter mit den Ursachen des Regimes auseinander, blieben dabei aber innerhalb der grundsätzlichen Definition des Faschismus als bürgerlicher Klassenherrschaft. Croce argumentierte in der öffentlichen Auseinandersetzung spiegelbildlich zu den Kommunisten, wobei für ihn die Fortsetzung des Faschismus nicht in der politischen Hegemonie der DC, sondern dem Einfluss der Kommunistischen Partei bestand. Ebenso wenig wie die politischen Kontrahenten beschäftigte er sich mit der Geschichte des faschistischen Italiens. Neben einer Konzentration der jüngsten Geschichte auf den Widerstand kam es wie in der Bundesrepublik häufig zu einer Reduktion der Diktatur auf den Diktator selbst. Allerdings wurde Mussolini anders als Hitler nicht dämonisiert, sondern in der öffentlichen Debatte entweder als gutmütig dargestellt oder von Antifaschisten wie Croce und Salvemini lächerlich gemacht. Beides diente letztlich gewollt oder ungewollt der Verharmlosung des Faschismus. Tatsächlich spiegelte aber die intensive Inszenierung der Resistenza durch die Linke oder die Marginalisierung des Faschismus die Realität der italienischen Öffentlichkeit kaum wider. Ein gewichtiger Teil der Gesellschaft neigte neofaschistischen Strömungen zu oder stand der antifaschistisch dominierten öffentlichen Meinung skeptisch bis distanziert gegenüber. Es bildeten sich Gegenöffentlichkeiten, in denen neofaschistische Medien hohe Verkaufszahlen erzielten. Apologetische Bücher hatten Massenerfolg. Salvemini identifizierte anders als die Kommunisten diese faschistischen Strömungen nicht mit der Regierung, sah im Neofaschismus weniger eine parteipolitische Gefahr als im Fortbestehen faschistischer Gewohnheiten, Gesetze und der Kontinuität faschistischer Eliten in der Nachkriegszeit. Mit Beginn der fünfziger Jahre befürchtete aber auch er die Gefahr eines antidemokratischen Umsturzes rechter Kräfte und bemühte sich in seiner massenmedialen Praxis um eine intensive Auseinandersetzung mit Repräsentanten des untergegangenen Regimes. Gegen Prominente wie den Historiker Volpe ging er öffentlich scharf vor und verlangte bisweilen ihre juristische Verfolgung. Allerdings versuchte Salvemini, der breiten Bevölkerung keine Vorwürfe zu machen, sondern sie in den antifaschistischen Konsens zu integrieren. Dadurch unterstützte er Legendenbildungen, etwa dass in Italien der Rassismus niemals auf fruchtbaren Boden gefallen sei, die Massen nur irregeleitet gewesen seien und selbstlos Feinden des Regimes geholfen hätten. Wie Ritter und Rothfels im westdeutschen Kontext den Nationalsozialismus, externalisierte er den Faschismus als italienische Version eines weltweiten totalitären Phänomens und verteidigte den Widerstand, den er manchmal geradezu verherrlichte, gegen den verbreiteten Vorwurf des Verrats und der Sabotage. Der Rechtfertigung des weitgehend auf eine kleine Gruppe von isolierten Emigranten wie ihn selbst beschränkten Widerstands gegen das Regime vor dem 25. Juli 1943 diente zweifellos auch seine Gleichsetzung dieses Widerstands mit der ungleich populäreren Resistenza gegen die deutsche Besatzung nach dem 8. September 1943. Schließlich kam es zu einer von den Linken immer wieder geforderten Abgrenzung der Christdemokraten von den Neofaschisten. Wie groß der Anteil 270 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

der massenmedialen Praxis von Historikern daran gewesen sein mag, lässt sich freilich schwer bestimmen. Der Trennungsstrich zum Neofaschismus fand allerdings ihren Ausdruck in dem medialen Engagement Bendisciolis. Wie andere Resistenza-Vertreter, die nicht der Linken angehörten, hielt Bendiscioli Distanz zu den Forderungen und Veranstaltungen der ehemaligen marxistischen Kampfgenossen, denn er wollte sich nicht für die Strategie der Volksfront benutzen lassen. Gleichwohl verteidigte er die Tradition des Widerstands gegen die Verleumdungen der Neofaschisten. Kritischere Thesen, dass etwa ein erheblicher qualitativer Unterschied zwischen dem Antifaschismus vor und nach 1943 bestand und etliche Resistenza-Angehörige vor dem 8.  September 1943 alles andere als Regimegegner gewesen waren, äußerte er dagegen nur in den Fachmedien. 2.4 Die normative Abgrenzung vom Faschismus und die Erschütterung der kommunistischen Alternative Der Tod Stalins bedeutete für viele Kommunisten ein erschütterndes und gerade für die Jüngeren nahezu unvorstellbares Ereignis.619 Selbstverständlich beteiligten sich auch die Parteihistoriker an Elogen für den sowjetischen Diktator. Ragionieri nannte Stalin im Nuovo Corriere eine der größten Persönlichkeiten der letzten Jahrhunderte. Jeder Schritt seines Denkens und Handelns sei erstrangig gewesen und habe den Kampf für Demokratie und Freiheit auf der ganzen Welt verbessert. Ein besonders wichtiger Beitrag sei seine Definition des Faschismus als der offenen terroristischen Herrschaft des reaktionärsten, chauvinistischsten und imperialistischsten Teils des Finanzkapitals gewesen. Wie nichts Anderes habe dies die Wende im Kampf gegen die faschistischen Diktaturen markiert. Von hier seien die kommunistischen Parteien ausgegangen und hätten die Opposition gegen den Faschismus wiederbelebt.620 Manacorda nannte Stalin in Società die größte Persönlichkeit der Zeitgeschichte, die nicht nur die Gesetze der ökonomischen Entwicklung erkannt habe, sondern ein Werk hinterlasse, das für ganze Generationen Inspiration zur Auseinander­ setzung gebe. In diesem Loblied Manacordas wurde erneut die Bedeutung des crocianesimo für die italienische Kultur deutlich, denn der PCI-Historiker betonte, Stalin habe auch die Grundlagen für eine Kritik Croces geschaffen. Dessen Anhänger sollten sich nun inhaltlich mit Stalin beschäftigen, anstatt nur immer den gleichen Antikommunismus zu wiederholen.621 Das politische Tauwetter, welches nach Stalins Tod international einsetzte, ebenso wie die restriktive Politik der christdemokratischen Regierung, brachte eindringlicher als zuvor die Frage der Zusammenarbeit der terzaforzisti mit den 619 Vgl. Ajello, Intellettuali, S. 303 f. 620 Vgl. Ragionieri, Giuseppe Stalin. 621 Vgl. Manacorda, Umanesimo di Stalin, S. 1–11.

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Kommunisten bei Protestaktionen gegen Einschränkungen der Freiheit auf.622 Noch immer bestanden zahlreiche Gesetze aus der faschistischen Zeit fort und auch das Verfassungsgericht, das die Vereinbarkeit der Gesetzeslage mit der demokratischen Verfassung überprüfen sollte, war immer noch nicht konstituiert worden. Ein erster wichtiger Anlass für die Zusammenarbeit der Regierungsgegner war die von ihren linken Widersachern so genannte legge truffa [Betrugsgesetz  – d. Vf.], eine Wahlrechtsänderung, durch welche dem Parteienbündnis mit der absoluten Mehrheit zwei Drittel aller Stimmen in der Abgeordnetenkammer garantiert werden sollten. Dadurch hätte die DC trotz Koalition mit anderen Kräften im Parlament die alleinige absolute Mehrheit erhalten können.623 Die besondere Bedeutung der terzaforzisti zeigte sich bei den Wahlen 1953. Im Protest gegen die legge truffa verließen die prominenten Anti­ faschisten Ferruccio Parri und Piero Calamandrei die laizistischen Parteien und gründeten die Bewegung Unità Popolare. Diese konnte bei der Parlamentswahl am 7. Juni 1953 zwar nur 0,5 Prozent der Stimmen erreichen, verhinderte damit aber knapp die absolute Mehrheit der von der DC geführten Koalition. Damit scheiterte die legge truffa und De Gasperi musste in der Folge sein Amt als Ministerpräsident niederlegen.624 Salvemini geriet in der Folge mit den Mondo-Verantwortlichen in Streit, da er deren Unterstützung für die laizistischen Parteien nicht mehr mittragen wollte. Er empfand die Gefahr eines Rückfalls in den Faschismus als akut und konnte in der Politik der kleinen Koalitionspartner der DC keine antifaschistische Praxis erkennen. Am 17. August 1953 schrieb er an Rossi, in Italien würden noch immer Menschen ohne Rechtsschutz inhaftiert. Gerade an solchen Fragen entscheide sich aber, ob man noch immer faktisch unter dem Faschismus lebe oder in einer Demokratie. Die USA seien gewiss kein perfektes Land und es geschehe dort viel Unrecht, aber in den USA gebe es stets Menschen, die gegen Unrecht aufstünden. In Italien dagegen protestiere in vielen Fällen niemand. Mit seinem Brief an Rossi brachte er auch die Urmotivation seiner öffentlichen Praxis auf den Punkt. Diese war für Salvemini nicht seine Eigenschaft als wissenschaftlicher Experte oder als Politiker, sondern geradezu ein Manifest des allgemeinen Intellektuellen. Gesinnungsethik galt ihm mehr als Verant­ wortungsethik: Wir haben zweifellos Italien nicht vor Mussolini gerettet, als wir uns weigerten, uns den Mitläufern anzuschließen. Aber wir haben unsere Seelen gerettet und das bedeutete viel. Und ich glaube wir haben einiges getan, dem Faschismus das Grab zu schaufeln. Und wenn die Sforza, die Pacciardi, die Saragat und die anderen Luder gleicher Art auch etwas getan hätten, um ihre Seelen zu retten, nachdem der Mann der Vor­ 622 Vgl. Ajello, Intellettuali, S. 275–278. 623 Vgl. Ginsborg, S. 168. Das Verfassungsgericht wurde erst 1956 offiziell eingerichtet. Vgl. De Bernardi, S. 478. 624 Dies manifestierte allerdings auch die dauerhaft instabilen Regierungsverhältnisse in Italien und die besondere Bedeutung der Neofaschisten. Vgl. ebd., S. 169.

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sehung zu seinen Ahnen geschickt wurde, hätten weder Du noch ich heute eine solche Pflicht, unsere Seelen ein weiteres Mal zu retten.625

Deshalb wollte Salvemini nicht mit den Kommunisten paktieren, aber ver­ hindern, dass die Regierung jene und damit die Hälfte der Bevölkerung ihrer Freiheit beraube.626 Einen Knackpunkt, bei dem schließlich Kommunisten, Sozialisten und das Gros der terzaforzisti, auch Salvemini, gemeinsam protestierten, war ein Justizfall, der den Umgang mit der faschistischen Vergangenheit auf die Tagesordnung setzte. Der kommunistische Drehbuchautor Renzo Renzi hatte in der parteinahen Kinofachzeitschrift Cinema Nuova ein Filmprojekt vorgestellt, das sich kritisch mit dem faschistischen Angriffskrieg gegen Griechenland und der anschließenden Besatzung des Landes durch italienische Truppen auseinander setzen wollte. Renzi und der Herausgeber von Cinema Nuova, Guido Aristarco, wurden daraufhin wegen Verunglimpfung der Streitkräfte am 10. September 1953 verhaftet und vor ein Militärtribunal gestellt. Dieses verurteilte beide zu Haftstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt wurden.627 Das Urteil erfolgte aufgrund eines Paragraphen des faschistischen Straf­ gesetzbuches von 1941, das noch immer in Kraft war, aber der demokratischen Verfassung offensichtlich nicht entsprach. Während des Verfahrens kam es zu einer Soldarisierung von Teilen der öffentlichen Meinung mit den Angeklagten.628 Am 22.  September 1953, als die beiden Beschuldigten in der Festung Peschiera einsaßen, veröffentlichte der Mondo einen Aufruf gegen diesen Skandal. Der Überfall auf Griechenland 1940 wurde darin unumwunden als brutaler Angriffskrieg bezeichnet. Als Schuldige galten dem Aufruf allerdings ausschließlich die Funktionäre der faschistischen Diktatur und wegen seiner Unfähigkeit das militärische Oberkommando. Als Opfer hingegen wurde nicht die griechische Bevölkerung ausgemacht, sondern die italienischen Soldaten, die trotz ihrer Bereitschaft zur Aufopferung durch mangelnde Ausrüstung und falsche Führung sehr gelitten hätten: Der Justizfall sei der heuchlerische Versuch, die Verurteilung einer der beschämendsten Seiten der faschistischen Dummheit zu verhindern und die Ehre des italienischen Heeres mit einigen un625 Brief Salveminis an Rossi, 17.8.1953, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 75. Randolfo Pac­ ciardi war Vorsitzender des Partito Repubblicano Italiano und Giuseppe Saragat Vorsitzender des Partito Socialista Democratico Italiano, also von zweien der durch Salvemini kritisierten laizistischen Partner der Regierungskoalition. Als »Mann der Vorsehung« hatte Papst Pius XI. Mussolini bezeichnet, nachdem dieser 1931 den Katholizismus zur Staatsreligion erhoben und den Religionsunterricht an den Schulen eingeführt hatte. Vgl. De Bernardi, S. 396. Salvemini benutzte oftmals ironisch diesen Ausdruck, wenn er über den ehemaligen Diktator schrieb. 626 Vgl. Salvemini, Niente leggi nuove, in: Opere VIII, S. 878 f. Der Text erschien im Dezember 1954 im Ponte. 627 Vgl. Ajello, Intellettuali, S. 300 f. Bei beiden wurde das Militärstrafrecht angewandt, da es sich bei ihnen um Reservisten handelte. Renzi wurde zu sieben Monaten und drei Tagen, Aristarco zu sechs Monaten Freiheitsentzug verurteilt. 628 Vgl. Focardi, La guerra, S. 35 f.

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fähigen Personen gleichzusetzen, die in einem unglücklichen historischen Moment dessen Leitung inne gehabt hätten. Ein ziviles Land schicke die Verantwortlichen für eine Niederlage ins Gefängnis und nicht diejenigen, die sie nicht vergessen könnten. Schlussendlich verurteilte das Manifest weniger den Überfall auf Griechenland als die Niederlage in diesem Krieg. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich die Unterzeichner an ein Publikum wandten, für das schon eine straffreie Kritik an der faschistischen Kriegführung keine Selbstverständlichkeit war. Diesen Aufruf unterzeichneten nicht nur klassische Vertreter der nichtkommunistischen Linken wie Salvemini, Norberto Bobbio, Arturo Carlo Jemolo, Piero Calamandrei, Ferruccio Parri, sondern auch etliche Vertreter des liberalen Spektrums, so Luigi Salvatorelli, Giuseppe Laterza oder Salveminis Schüler Ernesto Sestan sowie die Stars des italienischen Kinos Roberto Rossellini, Federico Fellini und Vittorio Gassman.629 Ebenfalls protestierten die Kommunisten gegen die Behandlung der beiden Filmexperten, so beispielsweise Manacorda gemeinsam mit seinem Mitherausgeber Carlo Muscetta in Società. Beide griffen die Regierung wesentlich härter an als der Mondo-Aufruf: Die Christdemokraten versuchten wie alle Reaktionäre, die Wahrheit zu verhindern. Gleichwohl könne man nicht alle Menschen einsperren, die die Wahrheit sagten. »Es besteht kein Zweifel, dass ein Antifaschismus, sei er auch nur vage, bereits kultureller Besitz der überwiegenden Mehrheit der Italiener geworden ist.«630 Ihre Wünsche gaben die Verfasser als Realität aus: Nur im Tempo könnten die alten faschistischen Ansichten noch bestehen, doch die Verhaftung Renzis und Aristarcos schlage auf die Verantwortlichen zurück, da das Volk die Bestrafung der Verantwortlichen für den Faschismus fordere. Eine Kapitulation von Politikern wie auf dem Aventin sei nicht mehr möglich, da ihm der Antifaschismus von Millionen Menschen entgegenstünde. Die Demokratie müsse durchgesetzt werden und die verfassungsmäßigen Rechte für ausnahmslos jeden gelten.631 Von der bürgerlichen Presse – nicht aber dem Corriere della Sera – war der Prozess gegen Renzi und Aristarco hingegen befürwortet worden.632 Wie in der Bundesrepublik spielten für die Abgrenzung des Diskurses gegenüber offen faschistischen Ansichten Gerichtsprozesse eine wesentliche Rolle. Eine besondere Bedeutung kam dabei dem Verfahren gegen den neofaschis629 Il codice di peschiera. 630 Manacorda u. Muscetta, Lettera ad Aristarco, S. 491. Trotz aller Proteste wurde der Film über den italienischen Überfall auf Griechenland allerdings niemals gedreht. Vgl. hierzu Bosworth, Film, S. 109. 631 Vgl. ebd., S. 491–494. Zum Begriff des Aventin: Angesichts des faschistischen Terrors weigerten sich die Oppositionsparteien 1924, das Parlamentsgebäude zu betreten und zogen demonstrativ – in Anspielung auf den mythischen Auszug der Plebejer im Kampf gegen die Patrizier in der römischen Sage – auf den Hügel Aventin, um so gewaltfreien Protest zu üben. Dies hatte allerdings keinen Erfolg und die Parteien wurden wenig später aufgelöst. Vgl. De Bernardi, S. 393. 632 Vgl. Ajello, Intellettuali, S. 301.

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tischen Journalisten Antonino Trizzino zu. Trizzino hatte in seinem 1952 erschienen Buch Navi  e poltrone der Marineführung im Zweiten Weltkrieg Vaterlandsverrat zugunsten Großbritanniens vorgeworfen. Daraufhin strengte Verteidigungsminister Randolfo Pacciardi vom liberalen Partito Repubblicano Italiano, gemeinsam mit einigen Admirälen einen Prozess gegen Trizzino an, da die Zentrumsparteien gerade den Vorwurf des Verrats im Zusammenhang mit dem Widerstand nicht hinnehmen wollten.633 Der Prozess Ende 1953 sorgte für eine öffentliche Debatte, an der sich auch Salvemini mit zwei Artikeln im Mondo beteiligte. Er prangerte dort an, dass ein rassistischer Befürworter des untergegangenen Regimes wie Trizzino angeb­ lichen Verrätern und Saboteuren die Schuld an der Niederlage im Zweiten Weltkrieg zuschreibe. Salvemini widerlegte detailliert diese Behauptungen mit dem Hinweis auf die hoffnungslose militärische Unterlegenheit Italiens gegenüber Großbritannien. Mussolini habe sich aber für einen Strategen gehalten und den Krieg trotzdem begonnen; die hohen Offiziere seien ihm gefolgt, weil es ihnen um ihre Karrieren gegangen sei. Salvemini brandmarkte, dass Trizzino offiziellen Zugang zum Marinearchiv erhalten habe, während die Regierung jede Untersuchung der Niederlagen in den faschistischen Kriegen verhindere.634 In erster Instanz wurde Trizzino am 5. Dezember 1953 wegen Verunglimpfung der Streitkräfte, also ironischerweise derselben Straftat wie Renzi und Aristarco, zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und sein Buch beschlagnahmt. Zwar hob das Berufungsgericht dieses Urteil wieder auf, die politische Wirkung blieb indes bestehen. Wie in der Bundesrepublik war klar, dass es Konsequenzen haben würde, offen faschistische Positionen zu vertreten.635 Salvemini engagierte sich auch in der Zeit danach maßgeblich dafür, zur Verdrängung faschistischer Positionen aus dem öffentlichen Leben beizutragen. Wenngleich er im Gegensatz zu Ragionieri die Behandlung des Faschismus in den Schulen ablehnte, hielt er es für einen Skandal, dass ein Jugend­ geschichtsbuch Volpes noch immer in unteren Schulklassen benutzt wurde. Am 16. Februar 1954 schrieb er im Mondo, dadurch würde die Jugend korrumpiert und ihr ein verzerrtes Bild der Vergangenheit vermittelt, welches faschistische Morde verschweige oder indirekt rechtfertige und die Opfer des Zweiten Weltkrieges ignoriere.636 Er wollte Ursache und Wirkung zurechtrücken: Die Faschisten zettelten den Krieg an und brachten Italien so in eine verheerende Lage. Anschließend war es das Verdienst der Exilanten und vor allem der Partisanen, sicher aber nicht der Anhänger der Repubblica Sociale Italiana, dass die 633 Vgl. Focardi, La guerra, S. 34 f. 634 Vgl. Salvemini, Ammiragli »traditori«? 635 Vgl. Focardi, La guerra, S.  35. Die Gemeinsamkeit der antifaschistischen Parteien von Kommunisten bis Katholiken zeigte sich auch in der Unterstützung von Ferruccio Parri, der einen Zivilprozess gegen neofaschistische Journalisten führte, welche ihm vorgeworfen hatten, in deutscher Gefangenschaft Kameraden verraten zu haben. Parri klagte im April 1955 erfolgreich eine Entschädigungszahlung ein. Siehe ebd., S. 35 f. 636 Vgl. Salvemini, Da Romolo a Mussolini.

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Bedingungen wenigstens etwas besser geworden seien als im deutschen Fall. Mit Volpe verurteilte Salvemini schließlich alle Nationalisten, die die Friedensbedingungen lautstark verdammten, ohne deren Ursachen zu berücksichtigen: Jede Diskussion ist nutzlos. Der Alte [Volpe – d. Vf.] war immer ein Nationalist (und der Nationalismus führte ihn zum Faschismus). Hätte Mussolini den Krieg gewonnen, hätte es der faschistische Nationalist ganz natürlich gefunden, wenn Mussolini Savoyen, Südfrankreich, Korsika, Tunesien, Algerien, Marokko, Ägypten, den Sudan und einiges dazu besetzt hätte. Da Mussolini aber verloren hat, erwartet der Nationalist-Faschist, dass die Sieger alle Annexionen und Vereinigungen des mystischen Körpers [Italiens – d. Vf.] bis zum kleinen Zeh des linken Fußes respektieren.637

Im Zuge dieser Entwicklung war Salvemini mit einem Abstand von zehn Jahren nach Kriegsende erstmals bereit, ein gewisses Verständnis für die britische Politik aufzubringen. Er wollte auch hier eine klare Grenze zur Polemik des rechtsradikalen Spektrums gegen die westlichen Siegermächte ziehen. Zwar hielt er seine Kritik an einer Politik der Schwächung Italiens grundsätzlich aufrecht, betonte nun aber, dass Italien Großbritannien in der Stunde seiner existenziellen Bedrohung angegriffen habe. Es sei schwer gewesen, in einer solchen Notlage zwischen einem Regime und einem Volk zu differenzieren und Salvemini war überdies bereit, die Frage des italienischen Widerstands öffentlich etwas nüchterner und weniger enthusiastisch zu betrachten: […] im Fall Italiens, während des Zweiten Weltkriegs, handelte es sich um ein Volk, dass – letztendlich – seiner Regierung drei Jahre lange gehorchte, gleichgültig ob nun aus gutem oder schlechtem Willen. Nicht vergessen werden darf, dass die antifaschistische und antideutsche Stimmung des italienischen Volkes nicht vor dem Sommer 1943 auszubrechen und die Partisanenbewegung nicht vor dem Winter 1944 effizient zu werden begann, während ihr seit 1941 die jugoslawische Partisanenbewegung, die russische Partisanenbewegung vorausging; und es ist natürlich, dass die anglo­ amerikanischen Hilfen lieber denjenigen Partisanen gegeben wurden, die sich in den Jahren zuvor bereits bewiesen hatten.638

Zudem habe das Verhalten des Königs zwischen dem Fall des Faschismus und dem Waffenstillstand am 8. September 1943 das Vorurteil verstärkt, Italien betreibe ein doppeltes Spiel. Wir dürfen nicht vergessen, wie Mussolini und Vittorio Emanuele III. die Verlierer behandelt hätten, wenn sie die Sieger gewesen wären […]. Und letztlich dürfen wir nicht vergessen, dass zwischen Sommer 1940 und Sommer 1941 Churchill die einzige mannhafte Stimme in Europa war, welche die Pflicht bekräftigte sich gegen Hitler zu wehren, zu wehren, zu wehren. Wer diese Stimme in diesem Jahr begriff, kann ihr die engherzige Politik verzeihen, die sie 1943 bis 1945 gegenüber Italien betrieb.639 637 Ebd. 638 Ders., Il termine »autonomi«. 639 Ebd.

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Inzwischen habe die Labour-Regierung darüber hinaus viele Aspekte der britischen Politik behutsam verändert.640 Gleichzeitig blieb Salvemini entschlossen, sich nicht von den Kommunisten vereinnahmen zu lassen.641 Am 17. Mai 1955 lehnte er eine Aufforderung Togliattis ab, sich dem PCI anzuschließen. Der Parteivorsitzende hatte ihn öffentlich gewarnt länger abzuwägen, während andere bereits die Diktatur errichteten. Der Professor aus Florenz entgegnete, Togliatti »lädt mich ein, eine Diktatur zu akzeptieren, um eine andere zu verhindern, das heißt mich ins Meer zu stürzen aus Angst mich zu ertränken […]«.642 Wohlwollend blieb er dagegen innerhalb des geschichtswissenschaftlichen Kontextes. So lobte er am 9. März 1954 im Mondo die Arbeit seines früheren Assistenten Ragionieri über die Geschichte Sesto Fiorentinos, da sie jenseits jeder Klassenstereotypen ein realistisches Bild der faschistischen Machtübernahme zeichne. Das Volk, so könne man an dieser lokalen Untersuchung erkennen, habe die Diktatur nicht gewollt und der König hätte Mussolini nicht zum Minister­ präsidenten ernennen müssen.643 Allerdings fand sich Salvemini zur Verteidigung eines führenden Kommunisten, nämlich des Gewerkschaftsvorsitzenden Giuseppe Di Vittorio, am 15. November 1955 im Mondo bereit. Entscheidend war dabei, dass bei einer öffentlichen Diffamierung Di Vittorios auch Carlo und Nello Rossellis verleumdet worden waren. Der Polizeipräsident von Florenz hatte eine Wandzeitung erlaubt, welche Di Vittorio des Mordes an den Brüdern beschuldigte. Es konnte daher nicht überraschen, dass Salvemini mit gleicher polemischer Härte zurückschlug: Ich stelle dem verehrten Herrn Polizeipräsidenten folgende respektvolle Frage: wenn ihn die Kommunisten um Erlaubnis für eine Wandzeitung gebeten hätten, in der behauptet worden wäre, dass Cesare Battisti von einem Scharfrichter gehenkt worden sei, der Alcide De Gasperi heiße, oder dass Minister Scelba kein Mädchen anfassen könne, ohne es zu schwängern, hätte der obenerwähnte verehrteste Herr Polizeipräsident seine Genehmigung hierfür gegeben? […] Ich frage ferner den verehrtesten Herrn Polizeipräsidenten von Florenz und diejenigen, die über ihm stehen: gesetzt den Fall, der obenerwähnte Polizeipräsident gebe nicht seine Erlaubnis für eine Wandzeitung, die Pius XII. beschuldige, er sei von Hitler bezahlt worden, als er noch Nuntius in München war, kann derselbe Polizeipräsident dann eine Wandzeitung erlauben, in der Di Vittorio beschuldigt wird, der Auftraggeber eines ­Mordes zu sein? 644 640 Vgl. ebd. 641 Vgl. ders., Discutere o bastonare. 642 Ders., Complesso pontificale. Bereits am 6.1.1955 beklagte sich Salvemini in einem Brief darüber, dass die Kommunisten seine Unterschrift für einen Aufruf gegen neofaschistische Tendenzen in der Öffentlichkeit als Zustimmung zum Kommunismus propagierten. Siehe Brief an Ernesto Rossi, 6.1.1955, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 75. 643 Vgl. Salvemini, I socialisti di Sesto. 644 Ders., Un manifesto (Lettera al direttore). Salvemini war empört, dass kein anderer Ver­ treter der Linken bereit gewesen war, gegen diesen Skandal öffentlich das Wort zu ergreifen. Siehe ebd. Cesare Battisti war ein italienischer Offizier im Ersten Weltkrieg, der aus

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Auffällig ist, dass trotz derartiger scharfer Auseinandersetzungen zwischen den ideologischen Lagern italienische Historiker verschiedenster politischer Couleur untereinander ein deutlich stärkeres Bewusstsein ihrer Zusammengehörigkeit besaßen als etwa west- und ostdeutsche Geschichtswissenschaftler. Ausnahmen, wie etwa die öffentlichen Konflikte Salveminis mit dem unvermindert überzeugten Faschisten Volpe oder mit Croce, bestätigen dabei die Regel. Ein entscheidender Grund hierbei war sicher die gemeinsame Sozialisation der Historiker durch die gleichen Lehrer oder Institutionen. Ragionieri und Saitta etwa waren Schüler des Ordinarius Carlo Morandi, der sich unter den Schülern Volpes einst am engsten mit dem faschistischen Regime eingelassen hatte.645 Sestan befürchtete zwar, dass ihm bei einer Lehrstuhlbesetzung 1950 in Florenz Cantimori vorgezogen werde, weil er Mitglied des PCI sei. Er wollte dies aber hinnehmen, da Cantimori an der Universität alle nichtwissenschaft­ lichen Themen stets außen vor gelassen habe. Um die besondere Kollegialität mit Cantimori zu betonen, nannte er diesen in einem privaten Brief an Chabod sogar einen amico.646 Fast die gesamte junge Generation von Wissenschaftlern, die nach 1945 begann, sich in der Kommunistischen Partei zu engagieren, war ursprünglich von Croces Ideen ausgegangen und hatte in ihnen die erste Alternative zum Faschismus erkannt.647 Die gemeinsame Sozialisation beschränkte sich nicht nur auf die akademische Ausbildung, sondern kennzeichnete viele kommunistische Intellektuelle in Italien, die anders als in der DDR den bürgerlichen Eliten entstammten.648 Man sah häufig in den Kontrahenten erst den Historiker und nicht den politischen Gegner. Cantimori würdigte beispielsweise antimarxistische Fachvertreter wie Chabod oder Croce und sparte gleichfalls nicht mit Kritik an seinen Genossen in der Geschichtswissenschaft.649 Wichtiger als der politische Gegensatz war im italienischen Umfeld also die Einschätzung der jeweiligen wissenschaftlichen Leistung. Damit war der Historiker aus der Romagna kein Einzelfall. Trotz aller Auseinandersetzungen dem zu dieser Zeit noch habsburgischen Trentino stammte und daher eigentlich Staatsbürger Österreich-Ungarns war. Battisti wurde 1916 von österreichischen Truppen gefangen genommen und wegen Landesverrats von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. 645 Ragionieri schrieb seinem Freund Carocci, die Beziehung zu seinem Doktorvater sei sehr eng gewesen. Brief vom 10.4.1950, in: Fondo Ernesto Ragionieri, No. 2224. 646 Brief Sestans an Chabod, 1.5.1950, in: Istituto storico italiano per l’età moderna  e contemporanea, Fondo Federico Chabod. III, 234. Sestan ließ das Wiedererscheinen der RSI nicht nur in traditionellen bürgerlichen Zeitungen wie Giornale d’Italia anzeigen, sondern ebenso selbstverständlich über Manacorda auch in der Unità. Brief vom 13.3.1948 an Chabod, in: Fondo Sestan, SNS, Carteggio Chabod. Möglicherweise hatten gemeinsame Erfahrungen während der deutschen Besatzung dieses Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt. So schrieb Sestan in seiner Autobiographie, Manacorda habe ihm 1944 in Rom Untergrundschriften der Resistenza anvertraut. Vgl. hierzu Sestan, Memorie, S. 272. 647 Vgl. Ajello, Intellettuali, S. 194. 648 Vgl. Kroll, S. 358. 649 Vgl. Pro e contra, S. 320–335.

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würdigte Manacorda Croce in Società und bezeichnete den Tod des Philo­ sophen als Schlag für die Weltkultur. In Italien habe eine Zeitlang ausnahmslos jeder Croce als seinen Maestro empfunden.650 Ungeachtet seines politischen Antikommunismus hatte Croce an seinem eigenen Geschichtsinstitut in Neapel hauptsächlich Stipendiaten aufgenommen, die Kommunisten, Sozialisten oder zumindest Sympathisanten des linken Lagers waren.651 Sogar Salvemini erhob keine Vorwürfe gegen Historiker, die sich im Faschismus angepasst hatten. Er selbst, so schrieb er seinem früheren Schüler Sestan kurz nach dem Krieg, sei kein Held, nur weil er ins Exil gegangen sei. Vielmehr sei er einfach der Notwendigkeit zu überleben gefolgt. Heldentum könne man nur denjenigen bescheinigen, die für ihren Antifaschismus Gefängnis und Verbannung in Kauf genommen oder als Partisanen gekämpft hätten. Ich glaube nicht, dass man das Recht hat, diejenigen zu verurteilen, die ein normales Leben lebten ohne sich zu kompromittieren, die vielleicht sogar den Organisationen beitraten und Schwüre ablegten, um für ihre Familien zu sorgen. Man muss streng mit sich selbst sein; man hat nicht das Recht, Helden aus der Haut anderer Leute zu machen. Die einzigen Personen, mit denen ich keine Nachsicht habe, sind diejenigen, die ohne Notwendigkeit und nur zum persönlichen Vorteil, wie Volpe und Gentile, sich nach vorne stürzten und Dinge taten, zu denen niemand sie verpflichtet hatte.652

So machte er weder Sestan noch Morandi Vorwürfe und setzte sich sogar für Cantimori als geeigneten Nachfolger für den Lehrstuhl Morandis in Florenz ein.653 Insgesamt gilt, dass je weniger sich die Historiker als Intellektuelle an eine breitere Öffentlichkeit wandten und auf ihr Fach konzentrierte Gelehrte blieben, sie umso mehr bereit waren, auch andere Historiker mit extremen politischen Positionen als Kollegen zu empfinden. Diese Kollegialität galt beispielsweise für Sestan und Chabod gegenüber ihrem einstigen Lehrer Volpe und ungeachtet ihrer ebenfalls bestehenden Bewunderung für Salvemini. Sestan sprach in privaten Briefen zu Chabod sogar aus, dass Volpe kein Mitläufer oder – wie von Salvemini angedeutet – ein karriereorientierter Opportunist gewesen sei, sondern ein überzeugter Faschist.654 In der wissenschaftlichen Öffentlichkeit aber beteiligten sich Sestan und Chabod an Würdigungen Volpes und kritisierten ihn nie. Chabod verteidigte in einem Brief an Ernesto Rossi eine Initiative zur Ehrung Volpes anlässlich dessen achtzigsten Geburtstages, die Rossi schockiert hatte. Im Gegensatz zu Rossi (und Salvemini) wollte Chabod sehr wohl 650 Vgl. Manacorda, La morte di Benedetto Croce, S. 589 f. 651 Vgl. Ajello, Intellettuali, S. 274 f. 652 Brief Salvemini an Sestan, 23.6.1947, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 124. 653 Brief Salveminis an Carlo Morandi, 30.8.1946, in: ISRT Fondo Salvemini, Scatola 74 und Brief Ragionieris an Cantimori, 29.4.1950, in: Fondo Cantimori, SNS, Lettere Ragionieri a Cantimori. 654 Brief Sestans an Chabod, 12.1.1951, in: Istituto storico italiano per l’età moderna e contemporanea, Fondo Federico Chabod, III, 234.

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­zwischen dem Geschichtswissenschaftler Volpe und dessen politischen Ansichten trennen: Klar und präzise ist die Natur dieser Initiative, die nach altem und jedem bekannten Brauch beabsichtigt, den wissenschaftlichen Beitrag zu würdigen, den Volpe für die Geschichtswissenschaft in Italien geleistet hat und den niemand leugnen kann, ohne die Wahrheit zu beleidigen: jene Wahrheit in der Wissenschaft, die auch ein Wert der Freiheit ist und die wir – zumindest wir – schützen müssen.655

In einer Würdigung des Sansoni-Verlages sprach Sestan 1958 nur von Volpes Toleranz gegenüber seinen Schülern sowie seinen außergewöhnlichen Fähig­ keiten als Wissenschaftler und Lehrer. Keine Erwähnung fand hingegen die Tatsache, dass Volpe ein Faschist und Antisemit war, der seine Einstellungen auch 1958 nicht revidiert hatte. Vielmehr versuchte Sestan Volpe sogar implizit zu rechtfertigen, indem er meinte, Volpes Nationalismus sei stets etwas ganz Persönliches und anders als derjenige seiner Zeitgenossen gewesen.656 Noch deutlicher wurde die Bereitschaft, zwischen dem Fachkollegen und seinen politischen Ansichten zu trennen, bei Saitta, der lange Jahre ein »Weggefährte« des PCI gewesen und auch nach seiner Lösung vom politischen Marxismus dem Marxismus als wissenschaftlicher Methode treu geblieben war. Er nannte 1959 in Belfagor die Forderung, auf eine Ehrung Volpes wegen dessen faschistischer Vergangenheit zu verzichten, einen demokratischen Konformismus, der nicht besser sei als sein klerikales oder gar faschistisches Pendant. Eine Festschrift sei […] nicht nur zulässig, sondern angebracht, solange dessen Gegenstand der ›Gelehrte‹ Gioacchino Volpe ist, oder besser gesagt ein Historiker, der in vielerlei Hinsicht nicht frei von engen Grenzen und nicht weniger von schwerer Schuld ist, der aber jedenfalls unsere historische Kultur nachhaltig geprägt hat und der einer ganzen Generation von Historikern seinen Stempel aufgedrückt hat, die heute zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt ist.657

Trotz scharfer politischer Auseinandersetzungen kam es zur Mitte der fünfziger Jahre allmählich zu einer Annäherung unter den antifaschistischen Parteien. Die DC setzte nach dem Scheitern der legge truffa wieder verstärkt auf den Resistenza-Mythos als Mittel der Konsensbildung in der Bevölkerung.658 In diesem Kontext stand das 1955 erschienene Buch Il Secondo Risorgimento659, das von der Regierung kofinanziert worden war und in welchem teils prominente Historiker, unter anderem Salvatorelli, eine Art offizielle Interpretation der 655 Brief Chabods an Rossi, 30.9.1954, in: Fondo Sestan, SNS, Lettere Carteggio Chabod. Chabod wurde auch in kommunistischen Medien wegen seiner Würdigung Volpes scharf angegriffen. Vgl. Di Rienzo, La storia, S. 671–673. 656 Vgl. Sestan, Gioacchino Volpe, S. 14 f. 657 Saitta, Rec. a Studi storici, S. 283 f. 658 Vgl. Focardi, La guerra, S. 33. 659 Il Secondo Risorgimento.

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Resistenza zum zehnten Jahrestag der Befreiung lieferten. Auffällig war natürlich, dass bereits im Titel die eigentlich von der Linken aufgebrachte Sichtweise des Widerstands als zweiter nationaler Einigung übernommen wurde. Schon unter De Gasperi hatte die DC begonnen, ebenfalls von der Resistenza als ­Risorgimento zu sprechen, um diese plakative Formel nicht der Linken zu überlassen.660 Diese Übernahme war für die Christdemokraten vertretbar, da bei der nationalen Einigung 1861 nicht nur die Arbeiterbewegung, sondern auch der politische Katholizismus nicht in den bürgerlichen Staat integriert worden war. Also stellte die Interpretation der Resistenza als zweites Risorgimento inhaltlich keine Annäherung an die von kommunistischer Seite geforderten strukturellen Änderungen als Vollendung des Risorgimento dar, sondern bedeutete die Erfüllung der nationalen Einigung durch Integration der katholischen Massen und die politische Führung durch ihre Partei.661 Bendiscioli vollzog diesen Wandel mit, da er sich an dem Festband beteiligte, nachdem er zwei Jahre zuvor die Deutung der Resistenza als zweites Risorgimento noch abgelehnt hatte. Anders als in Westdeutschland konnte der Widerstand in Italien also nicht nur als moralische, sondern überdies als politische Legitimation dienen, da das Parteien­ bündnis der Resistenza auch das System des italienischen Nachkriegsstaates dominierte.662 Ragionieri kritisierte am 24. Mai 1955 im Nuovo Corriere, tatsächlich sei das Buch Il Secondo Risorgimento eine Bekräftigung von Croces parentese-Theorie, da die übrige Geschichte des italienischen Nationalstaats als konfliktfrei und homogen dargestellt würde. Der Volkscharakter, der die Resistenza schon vor 1943 ausgezeichnet habe, werde indes geleugnet.663 In die gleiche Kerbe schlug in Società auch Manacorda, der noch deutlicher in diesem Fachorgan von Geschichtsfälschung sprach. Das Buch diene nicht dem Antifaschismus, sondern dem Antikommunismus.664 Als besonders negatives Beispiel nannte er den Beitrag Bendisciolis: »Bendiscioli hat sich zur offensten Vulgarität herabgelassen, mit dieser und ähnlichen Behauptungen kompromittiert er die gesamte Ernsthaftigkeit seiner Studien.«665 Zum Abschluss zitierte Manacorda Salvemini, dass man nämlich von einem Historiker zwar keine Objektivität erwarten könne, aber wenigstens ein Minimum an Ehrlichkeit.666 660 Vgl. Focardi, La guerra, S. 26. 661 Vgl. W. Schieder, Faschismus, S. 138. 662 Vgl. Rapone, S. 222–225. Bendiscioli unterstützte diese Interpretation der Resistenza als Eintritt der katholischen Massen in die italienische Geschichte auch im Popolo 1955. Die unfähigen alten Eliten des liberalen und dann faschistischen Italiens seien in Politik und Wirtschaft durch eine neue (christdemokratische) Führung ersetzt worden. Viel Positives sei daraus hervorgegangen, nämlich neue demokratische Institutionen, erweiterte Verfassungsrechte und eine kritische öffentliche Meinung. Siehe Bendiscioli, Il travaglio. 663 Vgl. Ragionieri, Lettere sulla Resistenza. 664 Vgl. Manacorda, Dieci anni dopo, S. 556 f. 665 Ebd., S. 558. 666 Vgl. ebd.

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Bendiscioli hatte in seinem Aufsatz die Ansicht vertreten hatte, der PCI habe nur aus taktischen Gründen Demokratie, Parteienpluralismus und ein repräsentatives Wahlsystem akzeptiert. Nach Ansicht des katholischen Historikers habe die kommunistische Partei weiterhin versucht, durch vorgeblich unabhängige, tatsächlich aber von ihr kontrollierte gesellschaftliche Organisationen und eine Infiltration der staatlichen Behörden durch ihre Mitglieder die völlige politische Kontrolle zu erreichen.667 Die Politik der DC und auch des Vatikans hatte Bendiscioli in dem Festband hingegen demonstrativ verteidigt. Seine Bilanz der Entwicklung war positiv, selbst wenn er im Hinblick auf die Elitenkontinuität seit dem Faschismus ganz vorsichtige Distanz durchscheinen ließ.668 Bendiscioli nahm hin, dass er sich in bestimmten Medien nicht kritisch mit der faschistischen Vergangenheit beschäftigen konnte. Dies galt, wie oben erläutert, für den Rundfunk, aber auch für die katholische Zeitung L’Italia, in der Bendiscioli am 21.  Januar 1955 einen Artikel über die Geschichte der Konkordate veröffentlichte, jedoch diejenigen mit dem faschistischen Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland nur sehr kurz und kommentarlos abhandelte.669 Insgesamt standen die Feierlichkeiten zum zehnten Jahrestag der Befreiung von der deutschen Besatzung trotz aller Polemik im Zeichen der Wiederannäherung der antifaschistischen Kräfte und gleichzeitigen Ausgrenzung der Rechtsextremen. Mit Giovanni Gronchi hielt ein wichtiger Vertreter des katholischen Antifaschismus die offizielle Rede im Parlament und auch er sprach von der Resistenza als zweitem Risorgimento, die im Gegensatz zur Einigungs­ bewegung des 19. Jahrhunderts eine viel größere Zustimmung unter den Massen der Bevölkerung erfahren habe. Gronchi erhielt Applaus von allen Abgeordneten, einschließlich der Kommunisten, während die Neofaschisten der feierlichen Sitzung bewusst fern blieben. Einstimmig wurde die Publikation der Rede beschlossen und Gronchi am nachfolgenden Tag zum Staatspräsidenten gewählt. Diese Verherrlichung des gemeinsamen Widerstands überdeckte gleichermaßen die einstige Unterstützung der bürgerlichen Kräfte für das Regime und ebenso die politische Bedeutungslosigkeit der Linken unter dem Faschismus. Jede Alternativerinnerung an die Resistenza wurde in der Folge aus der öffentlichen Meinung verdrängt.670 Dies war gerade deshalb bemerkenswert, da in der verbreiteten Meinung faschistische Positionen eine größere Rolle spielten als das profaschistische politische Lager, das bei Wahlen in den fünfziger Jahren insgesamt auf etwa zehn Prozent der Stimmen kam:671 Laut einer repräsentativen Umfrage 1958 hielten 32,3 Prozent der Italiener den Faschismus auch im Nachhinein für eine gute Sache und weitere 26,6 Prozent meinten, er wäre 667 Vgl. Bendiscioli, La Resistenza, Gli aspetti politici, S. 295–320. 668 Vgl. ebd., S. 335–361. 669 Vgl. Bendiscioli, I concordati. 670 Vgl. Focardi, La guerra, S. 36–40; W. Schieder, Angst, S. 184. 671 Der MSI erhielt bei den Parlamentswahlen 1953 und 1958 5,8 % bzw. 4,8 % der gültigen Stimmen und die ebenfalls profaschistischen Monarchisten des Partito Nazionale Monarchico 6,9 % bzw. 4,9 %. Vgl. hierzu Ginsborg, S. 988.

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gut gewesen, wenn er nicht in den Zweiten Weltkrieg eingetreten wäre. Nur 27,5 Prozent waren hingegen überzeugt, dass der Faschismus Italien in den Ruin gestürzt habe.672 Für die marxistischen Historiker bedeutete das Jahr 1956 einen wichtigen Einschnitt in ihrer politischen und öffentlichen Praxis. Zunächst das Bekanntwerden der sogenannten Geheimrede Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU sowie im Anschluss daran der Arbeiteraufstand in Posen und vor allem die Niederschlagung des Volksaufstandes in Ungarn durch sowjetische Streitkräfte, erschütterten das linke Lager. Die Sozialisten kündigten die Volksfront auf und näherten sich dem Regierungslager an.673 Der Glaube vieler Wissenschaftler, Künstler oder Schriftsteller an die Sowjetunion als sozialistisches Mutterland wurde nachhaltig erschüttert. Die Kommunistische Partei hatte ihnen als einzige wirklich antifaschistische, weil strukturverändernde Kraft gegolten. Dies hatten auch die Parteihistoriker in ihrer öffentlichen Praxis immer wieder betont. Die Krise des kommunistischen Projekts, wie sie nun an den Ereignissen in Osteuropa deutlich wurde, stellte auch das Fundament ihres öffentlichen und akademischen Umgangs mit dem Umbruch 1943/45 in Frage. Beispielhaft für viele andere Parteiintellektuelle war das Agieren Manacordas in dieser Krise. In Società äußerte er seinen Unmut darüber, dass Chruschtschows Rede in der Sowjetunion nicht verbreitet werden dürfe. Auch kritisierte er die Mythologisierung Stalins, wobei er indes nicht erwähnte, dass er zu dieser Mythologisierung selbst durchaus beigetragen hatte.674 In einer Sitzung der Kulturkommission des PCI am 15./16. November 1956, also während der Ereignisse in Ungarn, forderte Manacorda darüber hinaus mehr kulturelle Autonomie innerhalb der italienischen Partei. Den bürgerlichen Historikern der Croce-Schule wollte er etwas Erfolgreiches entgegensetzen. Das hielt Manacorda aber nur für möglich, wenn die schematischen Darstellungen der Parteiführung aufgebrochen würden: Die kommunistischen Historiker produzierten viel zu wenige Texte und mieden etliche Themen, weil sie fürchteten, Fehler zu begehen.675 Wie vielen anderen Parteiintellektuellen missfiel Manacorda besonders, dass die Parteiführung wortgetreu die sowjetische Interpretation der Ereignisse in Polen und Ungarn als vom Ausland gesteuerter Konterrevolutionen übernahm. In der Kulturkommission fragte er rhetorisch: Aber ich, Genossen, möchte jeden von Euch fragen, ob diese Arbeiter der ungarischen Fabriken, die trotz Kälte, Hunger und Gewalt bis heute den politischen Generalstreik aufrechterhalten, als im Dienst der Reaktion betrachtet werden können, wenn auch nur unbewusst. Genossen, ich sehe mich nicht dazu in der Lage […].676 672 Vgl. Gozzini, L’antifascismo, S. 85 f. 673 Vgl. Ajello, Intellettuali, S. 360–397. 674 Vgl. Manacorda, Necessità di una storia, S. 568–577. 675 Interventi alla riunione della Commissione Culturale del Pci (15–16 novembre 1956), veröffentlicht in: Vittoria, Ricordi, S. 1026–1038. 676 Ebd., S. 1033 f. Vgl. zur allgemeinen Situation auch Kroll, S. 494 f.

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Die Parteiintellektuellen blieben mit ihrem Protest im PCI allerdings weit­ gehend allein. Das Gros der Genossen unterstützte die Linie Togliattis und hatte keinerlei Ambitionen sich mit den ungarischen Arbeitern zu verbrüdern. Gerade die Gefahr, dass in Ungarn nicht der Sozialismus reformiert, sondern die sozialistische Regierung beseitigt werden könnte, wollten auch die Parteiintellektuellen nicht fördern. Des weiteren sahen sich die Linken außen- wie innenpolitisch einer Welle des Antikommunismus ausgesetzt. In der Suezkrise versuchten Großbritannien und Frankreich offenbar die Schwäche des Ostblocks auszunutzen und in Paris wie auch in Rom kam es zu Überfällen bewaffneter Gruppen auf die kommunistischen Parteizentralen. Dies festigte die Solidarität unter den Kommunisten. Wie Thomas Kroll in seiner Untersuchung über kommunistische Intellektuelle in Westeuropa aufgezeigt hat, bestärkte die Abrechnung mit Stalin in Italien im Gegensatz zu anderen Ländern sogar den Glauben an den eigenen, nationalen Weg zum Sozialismus. Die sowjetische Krise intensivierte darüber hinaus die Einbindung des PCI in das demokratische System, weil nach der Einsicht in die Schrecknisse der sowjetischen Entwicklung, eine sozialistische Umformung der italienischen Gesellschaft auf Grundlage einer freiheitlichen und breiten Zustimmung der Bevölkerung für richtig und notwendig erachtet wurde. Es war letztlich nur eine kleine Minderheit, die die Kommunistische Partei infolge der Geschehnisse tatsächlich verließ.677 In dieser Situation war auch Manacordas Verhalten exemplarisch. In der Kulturkommission erklärte er, er verstehe nach einem Grundsatzartikel des Parteivorsitzenden die Notwendigkeit der sowjetischen Intervention als einer realistischen politischen Entscheidung angesichts der internationalen Mächtekonstellation, um Chaos und Bürgerkrieg zu vermeiden. Allerdings klatsche er dem Eingreifen keinen Beifall, denn es sei durch eine falsche Politik der Sowjetunion und der ungarischen Parteiführung ausgelöst worden. Mit der Generallinie des PCI, also dem nationalem Weg zum Sozialismus und dem demokratischem Kampf, sei er vollauf einverstanden. Zum Schluss seines Beitrages missbilligte Manacorda ausdrücklich, dass sich einige Genossen von der Partei distanzierten; er hingegen vertrete Kritik und Debatte innerhalb des PCI.678 Auffällig ist, dass sich unter den Ausgetretenen Cantimori und in gewisser Weise auch Saitta befanden, obschon letzterer kein offizielles Parteimitglied war, aber ein »Weggefährte«, der wichtige Ämter in parteinahen Institutionen ausgeübt hatte und diese nun niederlegte. Es waren also die beiden Gelehrten unter den marxistischen Historikern, die der Partei den Rücken kehrten und die 677 Vgl. ebd., S. 490–500. Die Solidarität unter dem Druck des Antikommunismus reichte in gewissen Teilen auch noch zu denen, die mit dem politischen Marxismus brachen. Saitta legte zwar seine Funktionen in parteinahen Organisationen nieder, schrieb indes an Cantimori, er wolle in jeder Hinsicht vermeiden, dass seine Entscheidung Wasser auf die Mühlen des politischen Gegners bedeute. Siehe Brief Saittas an Cantimori, 16.11.1956, in: Fondo Cantimori, SNS, Lettere Saitta a Cantimori. 678 Interventi alla riunione della Commissione Culturale del Pci (15–16 novembre 1956), in: Vittoria, Ricordi, S. 1034–1037.

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beiden Intellektuellen Manacorda und Ragionieri, die trotz allem Mitglieder des PCI blieben. Zu dieser unterschiedlichen Entscheidung mag ein ganzes Bündel von Gründen beigetragen haben. Ein wichtiges Motiv war sicherlich, dass für Ragionieri und Manacorda der Kommunismus stärker eine Konsequenz war, die sie aus der faschistischen Erfahrung gezogen hatten. Sie wollten auf diese Weise die Zäsur von 1943/45 erklären und durch die sozialistische Umstrukturierung der italienischen Gesellschaft überwinden. Dafür hatten sie sich im Gegensatz zu Cantimori und Saitta auch und nicht zuletzt mit ihrer massenmedialen Praxis seit 1945 eingesetzt. Eine Fortführung dieses Engagements außerhalb der Partei mag für sie schwer vorstellbar gewesen sein. Für Cantimori und Saitta war darüber hinaus der Bruch mit dem PCI nicht mit existenziellen Fragen verbunden, da sie ja bereits über Ordinarienlehrstühle verfügten und ihr Auskommen somit gesichert war. Für Manacorda und Ragionieri bedeutete 1956 dennoch zunächst eine Unterbrechung ihrer massenmedialen Praxis. Ersterer wurde nach seiner internen Kritik am Verhalten der Parteiführung in der Ungarnkrise zwar nicht aus­ gestoßen, aber erst einmal kaltgestellt. Ragionieri hingegen verlor mit dem wegen unliebsamer Meinungen eingestellten Nuovo Corriere sein zentrales Veröffentlichungsorgan. Er meinte später in einem Brief, das unvergessliche Jahr 1956 habe alle reifer und erwachsener gemacht.679 Das wollte er mit einer neuen marxistischen historischen Zeitschrift, Studi Storici, an deren Gründung er maßgeblich beteiligt war, seit 1959 auch in der Wissenschaft umsetzen.680 1958 nahm er seine regelmäßige Tätigkeit als Tagespublizist wieder auf, diesmal als Mitarbeiter im landesweiten Organ Unità. Ragionieri äußerte sich allerdings als einziger Historiker des Samples noch Ende der fünfziger Jahre regelmäßig in den Massenmedien. Die Gelehrten, wie Chabod, Sestan, Cantimori und Saitta, blieben ihrer Distanz zur Presse weitgehend treu und beschäftigten sich in ihren seltenen Beiträgen nicht mit der Zäsur und der faschistischen Vergangenheit. Mit Salveminis Tod verstummte zudem die Stimme der politisch aktiven terzaforzisti. Mit der Krise des Kommunismus beschäftigte Ragionieri sich nur am Rande. So schrieb er etwa am 26. Februar 1959, es blieben bei Stalin zwar noch offene Fragen, doch sei der sowjetische Führer zweifelsohne eine große Persönlichkeit gewesen.681 Wesentliches Thema seines publizistischen Engagements blieb hingegen die Auseinandersetzung mit dem Faschismus. Seine Inhalte änderten sich dabei nicht, erfuhren teils aber eine stärkere Akzentuierung. Weiterhin forderte er wie seine Partei, es müssten nicht nur die liberalen Institutionen Italiens verteidigt, sondern auch die sozialen Bedingungen verändert werden.682 Am 28.  September 1958 warf er in der Unità den Westmächten vor, ihre Zu­ 679 Brief Ragionieris an Corrado Vivanti, 21.7.1958, in: Fondo Ernesto Ragionieri, No. 2756. 680 Vgl. Detti, Ernesto Ragionieri. Un profilo, S. 30. 681 Vgl. Ragionieri, Enciclopedia socialista. 682 Vgl. ders., La formazione di Rodolfo Morandi.

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stimmung zum Münchner Abkommen sei einst ein Akt des Antikommunismus gewesen. Sie hätten Hitlers Krieg im Osten gewollt, um die Arbeiterbewegung zu zerschlagen. Aus dem gleichen Grund hätten sie Mussolini auch in Äthiopien und im Spanischen Bürgerkrieg gewähren lassen. Obgleich diese Ansicht auf der Linie der marxistischen Faschismusinterpretation lag, zeichnete sich hierin eine gewisse Rückprojektion der aktuellen Konfliktlage des Kalten Krieges in die dreißiger Jahre ab.683 Die Durchsetzung des Antifaschismus in der öffentlichen Meinung kam ­Ragionieris Forderungen entgegen. Nach der Lösung der Aktionseinheit der beiden linken Massenparteien wurde eine Öffnung der DC nach links immer wahrscheinlicher, zumal 1960 der letzte Versuch des rechten Flügels der Christdemokraten, flankiert vom Vatikan und dem Unternehmerverband Confindustria, eine Regierung mit den Neofaschisten zu bilden, gescheitert war. Fernando Tambroni, der mit Hilfe des MSI zum Ministerpräsidenten gewählt worden war, musste nach teilweise gewaltsamen Massenprotesten im ganzen Land am 19.  Juli 1960 zurücktreten. Noch 1960 erweiterte das Erziehungsministerium, wie unter anderem von Ragionieri jahrelang gefordert, den Geschichtsunterricht in den weiterführenden Schulen bis zur Gründung der Republik 1946. Die Resistenza bildete dabei einen Schwerpunkt und erfreute sich immer mehr Interesse, gerade bei jungen Menschen.684 In Italien aber gab es nicht wie in der Bundesrepublik um das Jahr 1960 einen Umbruch bei den gesellschaftlichen Eliten durch einen Generationenwechsel. Vielmehr dominierten die Akteure der Resistenza bis zum Ende des Jahrhunderts die Debatten über die nationale Erinnerung.685 Die Neofaschisten wurden in eine Subkultur mit eigenen Vereinen, Zeitschriften und Verlagen abgedrängt, die jahrzehntelang von Nostalgie und dem Gedenken an Mussolini lebte und sich fremd im eigenen Land fühlte.686 Auch aus dem Ausland erfolgte kein starker Druck auf die italienische Gesellschaft, sich mit den Verbrechen des Faschismus auseinander zu setzen. Nie wurden Italiener im Nachhinein außerhalb Italiens wegen Verbrechen im Faschismus angeprangert oder gar angeklagt.687 Innerhalb der Geschichtswissenschaft wurde eine Kontroverse von außen in die italienische Historiographie hereingetragen, als der britische Historiker Dennis Mack Smith mit seinem Werk Storia d’Italia dal 1861 al 1958 (1959) das Risorgimento als Geschichte des Nationalismus schrieb, dessen fast logischer Endpunkt der Faschismus gewesen sei. Für diese Kontinuitätsbehauptung wurde er von rechten und liberalkonservativen italienischen Historikern scharf kritisiert, von den Kommunisten hingegen 683 Vgl. ders., Come Chamberlain. 684 Vgl. Focardi, La guerra, S. 40–43. 685 Vgl. Cornelißen, Erinnerungskulturen, S. 23. 686 Vgl. Campi, S. 118–120. 687 Vgl. Woller, Rohstoff, S. 75. Die Westalliierten fürchteten anders als im deutschen Fall nach 1945 nicht, dass Italien noch einmal zu einer militärischen Bedrohung werden könnte. Vgl. Pombeni, S. 59.

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gelobt.688 Allerdings sahen die marxistischen Historiker darin eine Bestätigung ihrer These von der andauernden Repression des bürgerlichen Staates und beschäftigten sich nicht näher mit der Erforschung des Faschismus. Der Faschismus wurde vielmehr ausgeblendet und aus der nationalen Kontinuität herausgedrängt. Mit der Resistenza erschien es möglich, eine Brücke der Kontinuität zur italienischen Geschichte vor 1922 zu schlagen, was eine Fortentwicklung des Risorgimento bedeutet habe. Insbesondere an den offiziellen Feierlichkeiten zum hundertjährigen Bestehen des Staates 1961 sollte sich diese Interpretation noch deutlicher zeigen: Das Risorgimento, die beiden Weltkriege und die Resistenza wurden als eine sinnvolle Entwicklungslinie der italienischen Geschichte aufgezeigt.689 In der Mitte der fünfziger Jahre führte die Auseinandersetzung um den Umgang mit der faschistischen Vergangenheit zu einer verstärkten normativen Distanzierung der antifaschistischen Kräfte vom Neofaschismus. Diese Entwicklung war umkämpft und wurde zeitweise von den aktuellen ideologischen Auseinandersetzungen überlagert. Beispielhaft war der Einsatz zahlreicher Intellektueller über das eigentliche marxistische Lager hinaus – darunter neben Manacorda auch Salvemini – für zwei aufgrund nach wie vor gültiger faschistischer Gesetze angeklagter kommunistischer Filmemacher. Salvemini begleitete diese Entwicklung publizistisch gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit und schreckte dabei vor Polemik gegen die Behörden nicht zurück. In erster Linie richteten sich seine Artikel aber gegen die alten und neuen Faschisten selbst. Besonders bestrebt war er, darauf aufmerksam zu machen, dass die Schuld an dem auch von ihm scharf kritisierten Friedensvertrag und der alliierten Politik gegenüber Italien nicht den Antifaschisten, sondern den Faschisten und dem von ihnen begonnenen und verlorenen Weltkrieg anzulasten war. Offenbar um sich nicht mit der Kritik der Neofaschisten gemein zu machen, verteidigte S­ alvemini Mitte des Jahrzehnts erstmals die Position der alliierten Siegermächte im Zusammenhang mit der Kapitulation und Kriegssituation in Italien 1943–1945. Wie in der Bundesrepublik spielten allerdings Gerichtsprozesse eine maßgeb­ lichere Rolle bei der allmählichen gesellschaftlichen Abgrenzung von offen neofaschistischen Ansichten als das Engagement der Historiker. Die starke Orientierung italienischer Historiker auf die politische Wirkung ihrer öffentlichen Praxis wurde ebenfalls an Bendiscioli deutlich. Schon zuvor hatte er kritische Ansätze zur jüngsten Geschichte nur in Fachmedien vertreten und verzichtete im Laufe der fünfziger Jahre bewusst auf vergleichbare Kritik in katholischen Massenmedien. In dem offiziellen Werk zum Widerstand passte er sich sogar der offiziellen Lesart an, wonach auch die katholische Seite die Resistenza als ein zweites Risorgimento interpretierte. Dieser zunächst nur von den

688 Vgl. Berger, Contemporary issues, S. 645. 689 Vgl. Dogliani, Constructing Memory, S. 25–27.

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Kommunisten verfochtenen Idee war Bendiscioli wenige Jahre zuvor in einem Fachorgan noch entgegengetreten. Es konnte durch den Vergleich gezeigt werden, dass trotz der heftigen Polemik untereinander und ihrer relativ geringen Professionalisierung sich die italienischen Historiker auch im Laufe der fünfziger Jahre ein Zusammengehörigkeitsgefühl erhielten, das zumindest stärker ausgeprägt war als zwischen Geschichtswissenschaftlern der Bundesrepublik und der DDR. Selten bestritt man bei politischen Auseinandersetzungen die wissenschaftliche Befähigung der Kontrahenten, sondern rief sie vielmehr auf, im Sinne ihrer wissenschaftlichen Leistungen auf ideologische Polemik zu verzichten. Das Gemeinschaftsgefühl zeigte sich am intensivsten bei denjenigen Vertretern der Disziplin, die sich nicht als Intellektuelle in die Öffentlichkeit einmischten. Sie ehrten unterschiedliche Historiker als Gelehrte ungeachtet ihrer völlig konträren politischen Standpunkte. Ab Mitte der fünfziger Jahre lässt sich unter den Historikern des Samples kaum noch außerfachliche öffentliche Praxis feststellen, da mit Croce und Salvemini die beiden aktivsten allgemeinen Intellektuellen starben und die Parteihistoriker, die auch nach den Ereignissen von 1956 im Gegensatz zu Cantimori und Saitta der Partei treu blieben, ihre Publikationsmöglichkeiten in den Massenmedien zunächst verloren. Die »reinen« Gelehrten Chabod, Sestan, ­Cantimori und Saitta änderten ihre Haltungen nicht und konzentrierten sich weitgehend ausschließlich auf die geschichtswissenschaftliche Fachöffentlichkeit.

3. Die Technik der Vermittlung – Argumentationsstrategien gegenüber einem nichtfachlichen Publikum Die Professionalisierung im 19. Jahrhundert hatte zur Folge, dass sich die Historiographie langsam von der Rhetorik und der Kunst des Geschichtenerzählens aus moralisch-didaktischen Zwecken entfernte. Wolfgang Hardtwig verweist darauf, dass es für den wissenschaftlichen Historiker immer weniger als opportun galt, dem Leser Handlungsorte anschaulich zu machen, Zeitkonstellationen zuzuspitzen oder die Rolle des auktorialen Erzählers einzunehmen, der den Leser rhetorisch leitet, über moralische Fragen aufklärt und sarkastisch oder polemisch kommentiert. Die Entwicklung der Geschichtswissenschaft ging tendenziell vielmehr dahin, Ereignisse und Prozesse so sorgfältig wie möglich in ihre Bedingungen einzuordnen, Zusammenhänge komplex zu rekonstruieren und Emotionalisierungen weitgehend zu vermeiden. Allerdings brach die Beziehung der Historiographie zur Kunst des Geschichtenerzählens niemals völlig ab. Um über den eng begrenzten Kreis der Geschichtswissenschaft hinaus wirken zu können, mussten Historiker weiterhin versuchen, die moralisch-politische Re288 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

flexion anzuregen und an die intellektuell-ästhetische Genussbereitschaft des Lesers zu appellieren.690 In diesem Kapitel soll es daher um die Frage gehen, ob Historiker in ihren Beiträgen für ein außerfachliches Publikum spezifische Argumentationsstrategien einsetzten, die von ihren fachwissenschaftlichen Darstellungen abwichen. Die so gewonnenen Erkenntnisse können Aufschluss darüber geben, wie stark Historiker auch in ihren massenmedialen Veröffent­ lichungen den Kategorien ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit verpflichtet blieben, inwiefern sich also die Professionalisierung auf ihre Publizistik auswirkte oder inwieweit sie in einer breiten Öffentlichkeit nicht als Historiker, sondern als engagierte Bürger auftraten.691 Den Bezugspunkt für die massenmediale Praxis bilden dabei die wissenschaftlichen Texte der Historiker. Dabei werden »wissenschaftliche Texte« in dieser Untersuchung ausschließlich dadurch definiert, dass sie in Fachorganen erschienen oder von der Fachwelt als wissenschaftlich rezipiert wurden. Diese Fachtexte können allerdings meistens nur allgemein als Referenz dienen, da die Zäsur von 1943/45 im untersuchten Zeitraum für etliche der westdeutschen und nahezu alle italienischen Historiker nicht Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Arbeiten war. Die Analyse der Argumentationsstrategien in der außerfachlichen Öffentlichkeit soll auf drei verschiedenen Ebenen erfolgen. Erstens geht es um die Frage, welche Selbstdarstellung Historiker gegenüber einem breiteren Publikum pflegten: Beriefen sie sich auf ihre wissenschaftliche Kompetenz oder versuchten sie ihre Interpretationen und Thesen anderweitig zu vermitteln? Zweitens wird untersucht, ob in den Texten für die außerfachlichen Leser und Hörer auf Emotionalisierungen und vorn erwähnte Formen des Geschichtenerzählens zurückgegriffen wurde und welche Unterschiede sich dabei eventuell zu den akademischen Veröffentlichungen der Geschichtswissenschaftler feststellen lassen. Zum Abschluss soll noch kurz darauf eingegangen werden, wie Historiker sich der Massenmedien für den öffentlichen Disput bedienten. 1) In Italien waren Beiträge von Historikern in den Massenmedien viel häufiger als in der Bundesrepublik Teil der aktuellen ideologischen Auseinandersetzung und enthielten daher oftmals ganz konkrete politische Forderungen. Abdrucke wissenschaftlicher Arbeiten in den Medien gab es im Gegensatz zu Westdeutschland kaum. Die häufig an bestimmte Zeitungen und Zeitschriften gebundenen italienischen Historiker konzipierten ihre Artikel gezielt für diese Organe. Sie traten deshalb in erster Linie in der breiten Öffentlichkeit nicht in ihrer Eigenschaft als Wissenschaftler auf, sondern als engagierte Bürger, und ihre Texte zielten viel häufiger als in der Bundesrepublik auf den Gebrauch historischer Thesen für die politische Tagesauseinandersetzung. Croce 690 Vgl. Hardtwig, Geschichtskultur, S. 7; ders., Einleitung Geschichte für Leser. S. 21–30. 691 In diesem Kapitel soll es dagegen nicht darum gehen, welchen literarischen Kategorien historiographische Darstellungen unterliegen und inwieweit Sprache grundsätzlich das Denken von Historikern determiniert. Vgl. hierzu White.

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und ­Salvemini waren als allgemeine Intellektuelle und somit prominente Einzelpersönlichkeiten hierfür prägnante Beispiele. Aber dies galt auch für Ragionieri und Manacorda. Beide gingen zwar als spezifische Intellektuelle in der Mehrzahl ihrer Artikel von ihren historischen Themenschwerpunkten aus und begegneten ihrem Publikum durchaus mit einer belehrenden Attitüde. Eine solche Haltung stützte sich allerdings mehr auf ihre Rolle als marxistische Aktivisten denn auf ihre Funktion als Historiker. Dies lässt sich beispielhaft an Ragionieris Artikelstruktur in den Tageszeitungen erkennen, die meistens dem gleichen Muster folgte: Der Gegenstand des Aufsatzes wurde diskutiert und dann dafür gelobt oder kritisiert, dass er dem marxistischen Blickwinkel entsprach oder eben nicht. Am Ende des Aufsatzes folgte schließlich die Forderung, die Dinge im Sinne des Marxismus fortzuführen oder zu ändern.692 Ragionieri war allerdings bestrebt, seine Thesen nicht nur als Forderungen der eigenen Partei, sondern als Ausdruck eines breiten gesellschaftlichen Konsenses darzustellen. Von der »kommunistischen zur katholischen und von der sozialistischen zur linksliberalen« Strömung waren sich beispielsweise laut eines seiner Artikel die meisten Pädagogen in ihrer Ablehnung der offiziellen Schulpolitik einig.693 Manacorda bemühte sich darüber hinaus, den Leser argumentativ an die Hand zu nehmen (»[…] ein Urteil, dass wir im Wesentlichen auch heute zu dem unsrigen machen können […]«), um ihm die gewünschten Werte zu vermitteln und griff zudem auf didaktische Einschübe zurück (»Wir haben bereits klar geantwortet […]«, »Noch einmal«).694 Gerade nach dem Bruch der Koalition und der Eskalation der Auseinandersetzung vor den Wahlen des 18.4.1948 nutzte er historische Bezüge für Angriffe gegen den christdemokratischen Innenminister Scelba, den »Verachtung für menschliches Leben und kalter Wille, das Blut des Volkes zu vergießen«695 auszeichne. Solche Attacken verband Manacorda mit kaum verklausulierten Drohungen angesichts der vermeintlichen Vorläufer Scelbas im liberalen und faschistischen Italien: »Weder Umberto I. noch General Roatta sind gut geendet. Mit dem Feuer spielt man nicht.«696 Auch Croce belehrte, ohne sich direkt auf seine wissenschaftliche Reputation zu berufen. Häufig stellte er Fragen, um sie dem Leser anschließend selbst zu beantworten.697 Indes bemühte er sich in den Massenmedien bisweilen auch durch 692 Ragionieri variierte aber seine Strategien bisweilen, um dem Leser seine Inhalte zu vermitteln. Manchmal stand die eigentliche Forderung oder das eigentliche Anliegen seines Artikels am Beginn, manchmal versuchte er zunächst das Interesse des Lesers zu wecken, indem er die Kernaussage seines Aufsatzes erst mit der Zeit entfaltete. Siehe z. B. Ragionieri, Il mito di Giolitti. 693 Ders., La Resistenza. 694 Manacorda, Il movimento operaio 1963, S. 354. 695 Ders., Gli antenati dell’on. Scelba. 696 Ebd. 697 Vgl. Croce, Chi è fascista?, in: Ders., Scritti II, S. 48–52; ders., Forza e violenza, in: Ebd., S.  158–163. Die Artikel wurden am 28.10.1944 bzw. 10.6.1945 im Risorgimento liberale ­publiziert.

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indirekte Mittel, den Leser selbst zu der von ihm gewünschten Erkenntnis kommen zu lassen, etwa durch in den Text eingestreute Anekdoten. So schrieb er am 23.8.1945 in Città libera, um den Faschismus zu relativieren: Ein sehr gelehrter und intelligenter österreichischer Ökonom, der mich um das Jahr 1930 besuchte, gerade von einer Forschungsreise aus Russland zurückgekehrt war und nun die Situation Italiens untersuchte, brachte mir gegenüber sein Erstaunen darüber zum Ausdruck, dass er hier Einrichtungen, Methoden und Gebräuche des russischen Bolschewismus sah; jedoch (fügte er nach einer Pause und einem Lächeln an) gibt es einen Unterschied: nämlich, dass jene dort ideologische Fanatiker und Ihre Italiener Gauner sind.698

Croce setzte also ausländische Vorurteile über die italienische Mentalität zur Relativierung italienischer Schuld an Faschismus und Krieg ein. Dies war in diesem Fall besonders interessant, da der genannte Artikel auch in ausländischen Zeitungen reproduziert wurde.699 Ein anderes Mal benutzte er im ­Risorgimento liberale den Trick, den Vorläufer seiner kommunistischen Gegner (Gramsci) zu loben, um die aktuellen PCI-Politiker in dessen Licht umso schlechter erscheinen zu lassen. Durch diese Taktik stellte er sich selbst als tolerant und überparteilich dar, weil er dem bedeutenden politischen Gegner sogar teilweise zustimmte, der freilich als tote historische Gestalt nicht mehr gefährlich werden konnte.700 Salvemini schrieb seine Artikel hingegen seltener aus einer gehobenen und belehrenden Position heraus, sondern häufig so, als würde er sich mit anderen Personen auf Augenhöhe unterhalten (»Jawohl, meine Herr­schaften«)701. Seine Rede über die Rossellis im Palazzo Vecchio in Florenz begann er mit einer typischen Form des Geschichtenerzählens, nämlich der Beschreibung des Handlungsortes: »Es war einer jener hellen florentini­schen Wintertage, an denen der Himmel kristallklar erscheint und man quasi von Florenz aus die Blätter an den Olivenhainen von Fiesole zählen kann.«702 Oft benutzte er rhetorische Fragen, die dem Leser die ganze Tragweite des Problems erschließen sollten: »Müssen wir hinnehmen, dass, was unter dem faschistischen Regime hassenswert war, unter der postfaschistischen Regierung bewundernswert ist?«703 Ebenso setzten Ragionieri und Manacorda rhetorische Fragen ein. Da sie aber offenbar ganz sicher gehen wollten, dass die Leser auch wirklich das intendierte Wert­urteil übernähmen, gaben sie bisweilen einige Sätze später doch die passende Antwort auf diese Fragen.704 698 Ders., Russia ed Europa, in: Ebd., S. 180. 699 Vgl. ebd. 700 Vgl. ders., Lettere di Antonio Gramsci, in: Ebd., S. 396–399. 701 Salvemini, Gli italiani sono fatti così. 702 Ders., Carlo  e Nello Rosselli, in: Opere VIII, S.  723. Der Text erschien im Mai 1951 im Ponte. 703 Ders., La polizia nella legge. 704 Vgl. Ragionieri, Chiarificazione.

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Wie bereits gesehen, konnten westdeutsche Historiker in den Massen­medien nicht als allgemeine Intellektuelle auftreten. Sie äußerten sich als Experten oder spezifische Intellektuelle, das heißt in ihrer Eigenschaft als Wissenschaftler. Ihre massenmedialen Texte waren oftmals gar nicht für das Publikum von Tageszeitungen oder Rundfunk konzipiert worden, sondern stellten lediglich Auszüge aus ihren fachwissenschaftlichen Publikationen dar. In der Art der Darstellung ließ sich also kein Unterschied bemerken, allenfalls in der Themensetzung durch die Auswahl bestimmter Textstellen. Die Bedeutung der Professionalisierung westdeutscher Historiker lässt sich auch daran erkennen, dass im westdeutschen Rundfunk der fünfziger Jahre eine besondere Eignung für das Medium weniger wichtig war als wissenschaftliche Reputation. Zwar galt Hermann Heimpel als ein herausragender Rhetoriker,705 und seine Vorträge wurden häufig gesendet, doch seine Kollegen wurden trotz Sprachfehlers (Ludwig Dehio) oder ihres mühevollen Sprechstils (Gerhard Ritter) nicht weniger oft um Beiträge gebeten. Allerdings war es keineswegs nur so, dass die Historiker der Bundesrepublik schlicht ihre akademischen Publikationen in die Massenmedien überführten. Nicht selten formulierten auch sie Aufsätze, die ausschließlich für ein Massenpublikum bestimmt waren. Interessanterweise beriefen sich etliche westdeutsche Historiker in ihren massenmedialen Beiträgen wie in Italien dabei nicht auf einen überlegenen wissenschaftlichen Standpunkt. Meinecke belehrte seine Leser zwar, versuchte aber gleichwohl eine Identifikation mit dem Publikum herzustellen, indem er in seinem ersten Zeitungsartikel nach dem Krieg betonte, er sei ebenso wie viele Leser in einer Notlage und seine Familie zerstreut. Offenbar hielt er es für notwendig, sich dafür zu rechtfertigen, dass er in einer von den Alliierten lizensierten Zeitung publizierte. So legte er Wert auf den Hinweis, dass er aus eigenem Antrieb schreibe und keine von den Behörden bestellte Arbeit abliefere.706 Mehrfach griff er Ansichten auf, die er für allgemein verbreitet hielt (»Hören wir zuerst einmal, was viele unter uns, die es nicht verstehen, die Dinge zu Ende zu denken, heute sagen […].«), um diese Vorurteile anschließend zu widerlegen.707 Die politischen Konsequenzen aus der historischen Situation sprach er unmissverständlich und deutlich an: »Jetzt endlich ist der geschichtliche Augenblick gekommen, da eine gründliche deutsch-franzö­sische Verständigung möglich und nicht nur möglich, sondern dringend notwendig ge­worden ist […].«708 Noch intensiver ging Heimpel auf seine Leser und Hörer ein. Er wandte sich direkt an sie: »Ich hoffe nun, Ihnen nicht etwas Nichtiges aufzudrängen.«709 Wie 705 Vgl. Berg, Holocaust, S. 243. 706 Vgl. Meinecke, Zur Selbstbesinnung. Auch die Redaktion der Münchner Zeitung erklärte in einem redaktionellen Einschub vor dem Artikel, man stimme in etlichen Punkten mit Meinecke nicht überein, drucke seinen Text aber dennoch. 707 Ders., Sieger und Besiegte. 708 Ders., Ein ernstes Wort. 709 Heimpel, Der Versuch mit der Vergangenheit zu leben.

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Meinecke versuchte er, den Hörer argumentativ mitzunehmen, indem er zunächst vermeintlich gängige Vorurteile aufgriff und dann widerlegte: Warum immer wieder Revisionen unseres Geschichtsbildes fordern, mögen kon­ servativ gestimmte Hörer sagen […]. Ist es nicht geradezu charakterlos und würdelos, jeder politischen Wendung mit einer Geschichtsrevision nachzufolgen, die deutsche Geschichte gewissermaßen so zu zeichnen wie eine wilde Fieberkurve?710

Etwas später gab er auf diesen Vorwurf selbst die Antwort: Die Tatsachen sind eben nicht fest. Die Toten verändern sich ganz wirklich. Es hat einmal jemand im Jahre 1933 auf die Frage, ob er seine […] historischen Vor­lesungen nicht ändern solle, […] scherzhaft gesagt: Karl der Große hat sich nicht verändert. Nun, Karl der Große verändert sich aber doch. An das Beispiel Karl der Große knüpfen sich, um nur ein Beispiel aus unserer Zeit anzufügen, Probleme der Europapolitik, an die fürher niemand gedacht hätte.711

Er sprach auch dann von einem »Wir«, wenn er die Verantwortung der Gesellschaft am Aufkommen des Nationalsozialismus kritisierte, und schloss sich somit in die Mahnungen mit ein: »Gewohnt, daß es bei Regierungen mit rechten Dingen zugehe, nicht sklavisch, aber obrigkeitlich fühlend, hörten wir nur halb hin, sahen manches nicht, und manches hätten wir sehen können.«712 Im Gegensatz zu Meinecke und Heimpel griff Schnabel in seinen Texten keine Meinungen des Publikums auf. Während Heimpel den Kniff benutzte, seine wichtigsten Thesen einem »Historiker des kommenden Jahrhunderts« in den Mund zu legen,713 verkündete sie Schnabel dem Publikum von einer erhobenen Warte aus, ohne sich dabei auf seine wissenschaftliche Stellung zu berufen: »Unser Volk und zumal unsere Gebildeten wissen über vieles Bescheid, was ihren Großvätern noch unbekannt oder auch gleichgültig war. Aber über die wesentlichen Grundfragen der Wahrheit herrscht eine erstaunliche Unkenntnis.«714 Immer wieder vereinnahmte er sein Publikum für seine Ansichten, indem er von »wir«, »uns« und den gemeinsamen »Großvätern« sprach.715 Ein deutlicher Unterschied hierzu waren die Beiträge von Ritter und Aubin, die im Gegensatz zu ihren akademischen Schriften gegenüber dem nicht­ fachlichen Publikum gerade die Wissenschaftlichkeit ihrer Ausführungen betonten. »Sachkenner«, schrieb beispielsweise Aubin in der Welt, hätten aus historischer, ökonomischer und juristischer Sicht das Unrecht und die nega­tiven Folgen der Vertreibungen erwiesen und könnten dies durch »Tabellen, Karten, 710 Ders., Wandlungen des deutschen Geschichtsbildes. Gesendet am 22.8.1954 in der Aula, in: Hörfunkarchiv des SWR Mainz, Nr. WO 061845. 711 Ebd. 712 Ders., Erst zehn Jahre ist es her. 713 Ebd. 714 Schnabel, Ueber die Vorbildung. Dieser Artikel war die Zusammenfassung einer Vortragsreihe Schnabels an der Münchner Universität. 715 Ders., 1848–1948.

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Diagramme« untermauern. Die von polnischer Seite aufgebrachten Gegenmeinungen waren dagegen nur ein »Propagandafeldzug« oder »Schlagwort«.716 Auch Ritter wies in seinen Rezensionen nachdrücklich darauf hin, wenn der besprochene Autor nicht Teil  der »Zunft« war. Erich Eycks Bismarck-Biographie konnte demnach nur dem Laien objektiv erscheinen, war aber eine »Parteischrift« eines »historischen Schriftstellers«, der als »öffentlicher Ankläger« »nicht ganz aufrichtig« und mit »nörgelnde[r] Kleinmeisterei« urteile.717 Golo Mann zeige ferner einen »Relativismus der Auffassung«, alles sei bei ihm »von außen her betrachtet, eher mit Skepsis als mit innerer Teilnahme«.718 Vor allem nahm Ritter für sich die Legitimation in Anspruch, als Wissenschaftler im Gegensatz zur Mehrheit seiner Landsleute stets die »politische Urteilskraft«719 besessen zu haben den Nationalsozialismus zu durchschauen: Wer als akademischer Lehrer der neueren Historie in den vergangenen zwölf Jahren auf dem Katheder stand und immer wieder sich bemühte, seine Hörer zu selbständigem politischen Nachdenken zu bringen, den konnte oft die verzweifelte Empfindung packen: zuletzt ist doch alles in den Wind geredet – der Wahninnn selbst berauscht die Menge, und hoffnungslos rollt der Wagen des Schicksals dem Abgrund zu.720

In Italien betonten dagegen marxistische Historiker ihren wissenschaftlichen Standpunkt gerade nicht in ihren Zeitungsartikeln, da politische Streitschriften von Historikern als Intellektuellen im Gegensatz zur Bundesrepublik an­erkannt waren, sondern in ihren Monographien und Fachzeitschriftenaufsätzen. Zwar galten die Marxisten im Gegensatz zur Situation im geteilten Deutschland grundsätzlich als Teil  der Historikergemeinde. Dennoch wurden auch sie in der politischen Auseinandersetzung mit dem Vorwurf der kommunistischen Parteipropaganda konfrontiert, gegen den sie sich zur Wehr setzen wollten. ­Ragionieri ordnete sein Buch über Sesto Fiorentino beispielsweise in seinem Vorwort den Arbeiten nichtmarxistischer Kollegen wie Sestan und Salvemini zu und verteidigte die marxistische Historiographie mit ihren Leistungen auf dem Gebiet der Lokalgeschichte, die eine empirische Grundlage für eine neue Konstruktion der Nationalgeschichte böten.721 Dieser marxistischen Geschichtswissenschaft »mit Diskriminierungen und vorgefassten Vorurteilen zu begegnen, wird nichts anderes als die Objektivität der Forschung stören und ihrer Entwicklung nicht helfen, deren Förderung die Pflicht eines jeden Einzelnen entsprechend seiner Fähigkeiten ist.«722 Auch Manacorda unterstrich die Wissen716 Aubin, Wir können nicht mehr schweigen. 717 Ritter, Bismarck in liberaler Sicht. 718 Ders., Historischer Impressionismus. 719 Ders., Geschichte als Bildungsmacht, S. 17. 720 Ebd., S. 15–17. 721 Vgl. Ragionieri, Un comune socialista, S. 7–12. 722 Ebd., S. 12 f.

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schaftlichkeit seiner Arbeiten, nicht nur um die marxistische Historiographie vor dem Vorwurf politischer Propaganda in Schutz zu nehmen, sondern um diese Strömung gleichzeitig als die progressivste Form der Geschichtswissenschaft darzustellen. In seinem Buch über die Arbeiterkongresse im 19. Jahrhundert distanzierte er sich etwa von journalistischen Arbeiten ohne wissenschaftlichen Wert, die oft »altes Flickwerk aus Zeitungsausschnitten, abgeschmeckt mit soziologischer Soße« seien.723 2) Um der Frage nachzugehen, inwieweit Historiker in ihren Darstellungen auf Emotionalisierungen zurückgriffen, orientiert sich dieser Abschnitt neben den zu Beginn des Kapitels erörterten Aspekten an den Überlegungen Friedhelm Neidhardts zur öffentlichen Kommunikation. Neidhardt verweist darauf, dass Überzeugungsstrategien in den Massenmedien anderen Gesetzen folgen als in einer akademischen Teilöffentlichkeit. »Die Bezugsgruppe der Sprecher ist nicht eine Versammlung von Experten, sondern ein heterogenes Publikum von Laien. Unter diesen Bedingungen folgen die Argumentationen öffentlicher Kommunikation eher den Gesetzen der Rhetorik als denen der Logik.«724 Man braucht angesichts einer Vielzahl von Reizen, die auf das Publikum wirken, starke Betroffenheitssuggestionen und drastische Differenzierungsbehauptungen, um wahrgenommen zu werden. Das geschieht durch linguistische Auf­ladungen, zum Beispiel Übertreibungen. Bevorzugt wird, was neu und überraschend ist. Das kognitive Begründungsschema Ursache/Wirkung wird häufig mit dem moralischen Schema von gut und böse aufgeladen.725 Legt man diese Ansätze einer Betrachtung der Zeitungsartikel und Rundfunkreden der Historiker zugrunde, wiesen Rothfels’ massenmediale Artikel am ehesten Formen einer wissenschaftlich professionalisierten Entwicklung auf und verzichteten meist auf die Verwendung gefühlsbetonter Redefiguren. Seine Texte waren nicht auf die Unterhaltung des Publikums ausgelegt und erforderten eine erhebliche Konzentration beim Lesen und Zuhören. Häufig benutzte er unpersönliche Ausdrücke und bisweilen verschachtelte Satzkon­ struktionen: Was für unser Thema dabei interessiert, ist die klare Zurückweisung eines Denkens in Kategorien und starren Fronten […] und es ist namentlich die freimütige Anerkenntnis einer historisch-politischen Lehre, die aus der Tatsache des innerdeutschen Kampfes gegen Hitler abgeleitet wird, bzw. die Anerkenntnis einer verhängnisvollen Kurzsichtigkeit, deren die alliierte Politik gegenüber der deutschen Opposition vor 1945 in ihren Traditionen (auch noch für Jahre danach) geziehen wird.726 723 Manacorda, Il movimento operaio 1963, S. 47. 724 Vgl. Neidhardt, Einleitung Öffentlichkeit, S. 18. 725 Vgl. ebd., S. 18 f. 726 Rothfels, Zum Gedächtnis der Opposition im Dritten Reich. Gesendet am 20.7.1951, in: Historisches Archiv des SWF Baden-Baden, Hörfunk-Manuskript-Sammlung. Siehe auch ders., Die Zeit, die dem Historiker zu nahe liegt. Gesendet am 15.3.1959 in der Aula, in: Hörfunkarchiv des SWR Mainz, Nr. WO062719.

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Nur selten benutzte er moralisierende Begriffe und nannte etwa den Widerstand eine »Front gegen dämonische Anmassung« oder eine »Front des Menschlichen gegen das Unmenschliche«.727 Auffällig ist jedoch, dass die Mehrzahl der Historiker beider Länder sich in ihrer massenmedialen Praxis keineswegs auf eine komplizierte Fach­sprache beschränkte und durchaus auf Emotionalisierungen zurückgriff, um das Publikum zu erreichen. Drastische Gegenüberstellungen waren Mittel, derer sich nahezu alle Historiker bedienten. Heimpel machte zum Beispiel in einem FAZArtikel mit einer schlagenden Formulierung deutlich, warum alte Verherr­ lichungen des Krieges längst ihre Gültigkeit verloren hätten: »Wir können nicht mehr von dem Gotte singen, der Eisen wachsen ließ. Gott hat Uran wachsen lassen.«728 Ritter benutzte energische und klare Adjektive, mit denen er am 20.  April 1955 der Deutlichkeit seines Urteils in der Rezension von WheelerBennetts Buch über das deutsche Militär Ausdruck verleihen wollte. So wurde er »grausam enttäuscht« von Wheeler, der sich »geradezu boshaft« über die deutsche Armee geäußert habe oder »in grotesker Weise« übertreibe.729 In dem von ihm gelobten Buch des US-amerikanischen Historikers Craig hingegen hob Ritter die »fruchtbare Zusammenarbeit« und »gegenseitige Bereicherung« hervor. Dieser Autor bemühe sich zu »verstehen«.730 In seinen Formulierungen ließ sich eine deutliche Gegenüberstellung von »Deutschen« und »Nazis« erkennen. Deutsche waren »Söhne, Väter, Brüder und Gatten«, die ihr Leben für eine »verruchte Sache« opfern mussten. Die Verbrechen blieben dagegen den »Naziführern« vorbehalten, bei denen es sich nur um »Streber und Aktivisten« handelte, die das »Andenken preußischer Geschichte mit Blut und Grauen besudelt« hätten.731 Ebenso stellte Croce auch in seinen Formulierungen »Italiener« und »Faschisten« gegeneinander, wobei Faschisten auf Verbrecher am Rande der Gesellschaft reduziert wurden (»[…] Abenteurer, Ungehobelte, Unfähige und solche ohne Skrupel, die höchste Ränge bekleideten, […] wo sie nach Gutdünken rauben konnten […]«)732 Die Ideologen des Regimes, die sich als faschistische Mystiker geriert hatten, waren im Gegensatz zu den normalen Menschen »hässliche Halunken oder Spitzbubengesichter«.733 Gleichfalls wählte Ragionieri klare Formulierungen (»prinzipiell unannehmbar und extrem gefährlich«), um zwischen falschen und richtigen Entscheidungen zu differen727 Ders., Zur Krise des Nationalstaates. Manuskript. Gesendet am 11.5.1952, in: Historisches Archiv des SDR Stuttgart. 728 Heimpel, Nicht bequem machen. 729 Ritter, Nemesis der Macht? 730 Ders., Amerika und Preußen. 731 Ders., Fälschung, S. 19 f. 732 Croce, L’Italia nella vita internazionale, in: Ders., Scritti II, S. 92. Die Zitate entstammen Croces Rede im Teatro Eliseo, die am 22.9.1944 im Risorgimento liberale und Giornale abgedruckt wurde. 733 Ders., Misticismo politico tedesco, in: Ders., Scritti II, S. 21. Der Text wurde in La Critica, fascicoli V–VI (1944) veröffentlicht.

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zieren.734 Indes wurde dem Historiker aus Florenz trotz seiner langjährigen Erfahrung mit journalistischer Arbeit ein zu akademischer Stil vorgeworfen. So empfahl Parteifunktionär Sereni etwa am 25.  Februar 1956, Ragionieri solle eine geplante Rezension lieber in einer Fachzeitschrift und nicht in der Wochenzeitung Contemporaneo veröffentlichen, denn letzteres überlasse man besser einem Autor, der bei Texten für ein breiteres Publikum geübter sei.735 Emotionalisierungen in den medialen Beiträgen der Historiker waren aber nicht in jedem Fall Ausdruck einer besonderen Zielgruppenorientierung. Etliche Fachvertreter benutzten nämlich auch in ihren Aufsätzen für wissenschaftliche Zeitschriften und in ihren Monographien Techniken, die eher der Kunst des Geschichtenerzählens als der professionalisierten wissenschaftlichen Darstellung entstammten. Gerade bei den westdeutschen Historikern war die Grenze zwischen wissenschaftlicher und außerfachlicher Darstellung kaum feststellbar. Dies wurde besonders bei Dehio deutlich, dessen Zeitungsartikel nahezu immer Auszüge seiner akademischen Arbeiten waren. Dehios Sprache war geradezu bildhaft-irrational. So sagte er in seinem grundlegenden Buch Gleichgewicht oder Hegemonie, in Mittel- und Osteuropa sammelten sich »Krankheitsstoffe« an, was überdies an dem »östlichen knetbaren Menschentum« liege. Gegen diese Gefahr aus dem russischen Osten hätten sich allerdings »Abwehrkräfte des deutschen Volkskörpers« entwickelt.736 Aubin variierte zwischen sachlicher Darstellung und Emotionalisierung, aber die Grenze zwischen beiden argumentativen Formen verlief nicht zwischen seinen fachlichen und außerfachlichen Beiträgen, sondern hing vom Inhalt ab: In den Massenmedien wie den wissenschaftlichen Aufsätzen emotionalisierte Aubin dann, wenn er über deutsches Leid und Verbrechen an Deutschen sprach. In einem Vortrag vor dem Verband der Geschichtslehrer Deutschlands erschienen ihm die Vertreibungen aus den deutschen Ostgebieten etwa wie »Erzählungen des Alten Testaments aus einer undenkbar fernen und barbarischen Zeit«.737 Während er ferner in der Welt zustimmend aus einem rezensierten Buch die Vertreibungen als »Tatbestand eines gigantischen Kollektivverbrechens gegen die Menschlichkeit« zitierte,738 bemühte er sich die Problematik der nationalsozialistischen Schrecken durch besonders sachliche Formulierungen zu umgehen. Der IX. Internationale Historikerkongress, an dem 1950 einzelne deutsche Vertreter erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder teilnehmen durften, war für ihn eine »ernste Arbeitstagung«, welche die Zusammenarbeit der Forscher aus verschiedenen Nationen wiederherstellte, nachdem die historische Wissenschaft »trotz Krieg und Notzeit erheblich fortgeschritten ist«.739 Auch in seiner Rede vor den 734 Vgl. Ragionieri, La Resistenza. 735 Brief Emilio Serenis an Ragionieri, 25.2.1956, in: Fondo Ernesto Ragionieri, No. 1815. 736 Vgl. Dehio, Gleichgewicht oder Hegemonie, Zitate S. 216, 218, 221. 737 Aubin, Die Deutschen in der Geschichte des Ostens, S. 766. Der Text erschien erstmals in der Ausgabe 9 (1956) von GWU. 738 Ders., Wir können nicht mehr schweigen. 739 Ders., Erkundung der Geschichte.

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Geschichtslehrern tauchten Konzentrationslager und Vergasungen nur als polnischer Vorwurf an die Deutschen auf.740 Geradezu bizarr war, wie Aubin in der Welt den Holocaust ignorierte, als er den jüdischen Historiker Richard Koebner, der 1933 aus Deutschland geflohen war, ohne weitere Erklärung als »R. Koebner (Jerusalem, früher Breslau)«741 einführte. Bei Ritter war dagegen bis zu einem gewissen Grad eine unterschied­liche Strategie zwischen wissenschaftlicher und massenmedialer Darstellung erkennbar. In der Goerdeler-Biographie formulierte er vorsichtiger als in seinen Zeitungsartikeln: »Vielleicht bringt uns die Betrachtung seiner [Goerdelers – d. Vf.] ersten Aussage über Mitverschworene […] auf den richtigen Weg.«742 In dem Vorabdruck in der FAZ, den Ritter für die Veröffentlichung in der Tageszeitung überarbeitet hatte, äußerte er dagegen nur klare Urteile und schrieb mit einer Attitüde, die keinen Widerspruch zu dulden schien (»Niemand in Deutschland wäre damals im Ernst bereit gewesen, für die Restauration dieses alten Parteiwesens auch nur einen Finger zu rühren.«).743 In etlichen Fällen wurde allerdings deutlich, dass Ritter sich der Eigenlogik der Massenmedien kaum bewusst war. In seiner Rezension von Wheeler-Bennetts Buch über den Militarismus lobte der Freiburger Historiker den englischen Kollegen fast die gesamte erste Spalte seines Artikels, um erst dann auf sein eigentlich vernichtendes negatives Urteil zu sprechen zu kommen.744 Zu dem Skandal um die Veröffentlichung von Hitlers Tischgesprächen trug ferner bei, dass Ritter sich geweigert hatte, Hitlers Ausführungen einen fortlaufenden Kommentar beizufügen. Das mochte von einem wissenschaftlichen Standpunkt her verständlich sein, war aber kaum geeignet einem breiten Publikum, das Ritters Vorkenntnisse nicht hatte und zu einem großen Teil wenige Jahre zuvor Hitler noch begeistert unterstützt hatte, ein Bild von den geschichtlichen Zusammenhängen zu vermitteln. Ritter hielt es jedoch für Propaganda, offensichtlich politisch unmündige Menschen in ihrem Verständnis leiten zu wollen.745 Auch mochte er nicht akzeptieren, dass die Medien nicht nur als sein Sprachrohr fungierten, sondern entsprechend ihren Bedürfnissen seine Artikel beispielsweise kürzten oder änderten. Emotionalisierungen benutzte Ritter gleichfalls in massenmedialer und wissenschaftlicher Öffentlichkeitssphäre. Zwar schrieb er in der Goerdeler-Biographie, er wolle eine »kritisch-nüchterne« Distanz zu seinem Thema bewahren und keine »Heiligenvita« schreiben,746 dennoch führte seine Darstellung bei allen kritischen Ansätzen letztlich doch zu einer Überhöhung seines »Helden«, die 740 Vgl. ders., Die Deutschen in der Geschichte des Ostens, S. 766. 741 Ders., Erkundung der Geschichte. Noch 1961 sprach Aubin von Koebner, als wäre dieser freiwillig nach Jerusalem gewechselt. Vgl. Mühle, S. 143. 742 Ritter, Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, S. 414. 743 Ders., Goerdelers Pläne für Deutschland. 744 Vgl. ders., Nemesis der Macht? 745 Brief Ritters an den Beirat des Deutschen Instituts für Geschichte der Nationalsozialistischen Zeit, 22.10.1951, in: Ders., Ein politischer Historiker, S. 477 f. 746 Ders., Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, S. 14.

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in einer moralisch-religiösen Aufladung gipfelte:747 »Wem die Weltgeschichte als ein beständiges Ringen mit dem Bösen, Gottes mit dem Satan erscheint, der kann auf keinen einzigen Kämpfer für die Sache des Guten, am wenigsten auf die echten Idealisten verzichten.« Erst wenn man angesichts der Aussichtslosigkeit resigniere, »[…] hat der Satan sein Spiel endgültig gewonnen«.748 Nur Heimpel ließ zumindest in seinen abgedruckten Reden erkennen, dass er vor wissenschaftlichen Hörern viel sachlicher und weniger emotional auftrat als gegenüber dem nichtfachlichen Publikum.749 Eine spezifische Zielgruppenansprache war dagegen bei westdeutschen Historikern allenfalls dann erkennbar, wenn sie sich in speziellen Zeitschriften an eine konfessionelle Teilöffentlichkeit wandten. Stärker als in ihren übrigen Texten griffen sie in diesen Publikationen auf religiöse Wendungen zurück. Folgerichtig sprach Schnabel in Hochland von der »Pflicht vor Gott«, dem »übersinnlichen Ursprung« des Menschen und »daß in den Händen der Ruchlosen die Wissenschaft eine furchtbare Geißel werden kann«.750 Genauso benutzte Ritter in der evangelischen Wochenzeitung Sonntagsblatt religiöse Argumentationen: »Jawohl: der menschliche Wille ist unfrei, ist unheimlich verstrickt in die Mächte des Bösen […]«. Die Kultur war ihm nur »dünner Firnis«, hinter dem sich die »natürliche Bestalität des Menschen« verberge.751 Dennoch gebe es die »Gotteskindschaft des Menschengeschlechts«, weshalb aus der Religion Zuversicht und Hoffnung zu ziehen seien, anstatt in Nationalismus oder Selbstverzweiflung zu verfallen.752 Bei italienischen Geschichtswissenschaftlern war dagegen eine besondere Zielgruppenorientierung offensichtlicher, da sie aufgrund der ideologischen Aufgliederung der Presselandschaft von vornherein stärker bestimmte Lager ansprachen. Ragionieris Artikeln im Nuovo Corriere merkte man grundsätzlich an, dass er seine Leser nicht überzeugen musste, die marxistische Weltsicht sowie die Politik des PCI und der Sowjetunion für grundsätzlich richtig zu halten, die »Reaktion« hingegen abzulehnen. So amüsierte er seine Leser mit dem Hinweis, dass es noch Menschen gebe, »[…] die wirklich glauben, dass die sowjetischen Völker eine Revolution gemacht haben, um eine imperialistische Großmacht wiederherzustellen, die sie selbst unterdrückt.«753 Ähnlich war ein Aufsatz Bendisciolis auf die Leserschaft einer dezidiert katholischen Zeitschrift wie Scuola  e Vita zugeschnitten, in welcher er forderte, »christ­liches Bewusstsein«754 müsse in der Schule des neuen Italien einen entscheidenden Einfluss erhalten. Als Ausgangspunkt seiner Reformvorschläge erinnerte Bendiscioli die Leser zudem an ihre Verfehlungen während des Faschismus und 747 Vgl. ebd., S. 434. 748 Ebd., S. 438. 749 Vgl. Heimpel, Der Versuch mit der Vergangenheit zu leben. 750 Vgl. Schnabel, Was sollen wir jetzt tun? Zitate S. 385, 386, 396. 751 Ritter, Das deutsche Geschichtsbild. 752 Ebd. 753 Ragionieri, Rivoluzione e grande potenza. 754 Bendiscioli, La nuova realtà politica, S. 3.

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brachte auch seine Kritik deutlicher zum Ausdruck: »Zu viele haben um des ruhigen Lebens Willen gesündigt […].«755 Besonders die kommunistischen italienischen Historiker waren um stilis­ tische Unterschiede zwischen wissenschaftlicher und außerfachlicher öffentlicher Praxis bemüht. Manacorda schrieb in seinen Beiträgen für marxistische Fachzeitschriften und besonders in seiner Monographie über die Arbeiterkongresse weniger polemisch als in den Zeitungsartikeln. Auch Ragionieris Darstellungsform in seinem Buch über Sesto Fiorentino war sachlicher und unemotionaler als seine Zeitungsartikel, wenngleich er die Interpretationen des kommunistischen Parteifunktionärs Arturo Colombi zitierte756 oder auf einschlägige Stereotypen des Klassenkampfparadigmas zurückgriff.757 Salvemini verfasste zwar nach 1945 keine wissenschaftlichen Arbeiten mehr, aber in einer Rezension von Ragionieris Buch über Sesto Fiorentino im Mondo wählte er bei allem Lob und aller Kritik eine sachliche Sprache und verzichtete auffallend auf die sonst von ihm reichlich gebrauchten Emotionalisierungen. So hielt er das Werk seines ehemaligen Assistenten für eine »solide dokumentierte und geschickt konstruierte Monographie«.758 Geradezu ein Meister darin, seine Äußerungen dem jeweiligen Publikum anzupassen, war Croce. Auffällig war dabei, dass er sich gerade in den als Fach­ zeitschrift gedachten, von ihm selbst herausgegebenen Quaderni della Critica häufig polemischer und ironischer äußerte als in seinen Tageszeitungsartikeln. Das kann jedoch nur auf den ersten Blick überraschen. In den Quaderni della Critica richtete er sich an »sein« treues Publikum von wenigen Tausend Personen, die ihm auch während des Faschismus mit ihrem Abonnement die Treue gehalten hatten. Hier musste er keine besonderen Techniken der Überzeugung anwenden, um auf Zustimmung rechnen zu können. Schon in der ersten Ausgabe der Quaderni verhöhnte er beispielsweise den Marxismus als irrationales Märchen, bei dem […] die Massen mysteriöse und phänomenale Kräfte sind, die in sich eine versteckte unwiderstehliche Weisheit und Fähigkeit besitzen, denen man ergeben zuhören oder die man abhorchen muss, um gehorsam die Antwort entgegenzunehmen wie bei der antiken Sibylle.759

In Aufsätzen, die ein größeres Publikum ansprechen sollten, argumentierte Croce hingegen vorsichtiger. Auch hier benutzte er wie in den Quaderni della Critica gerne lange Zitate und ironisierte indirekt gegnerische Standpunkte, in755 Ebd., S. 1. 756 Vgl. Ragionieri, Un comune socialista, S. 189–191. Colombi war Gewerkschafter und Parlamentsabgeordneter nach dem Zweiten Weltkrieg und leitete zudem die Landwirtschaftskommission des PCI. 757 Vgl. ebd., S. 202. 758 Salvemini, I socialisti di Sesto. 759 Croce, Considerazioni sul problema morale dei nostri tempi, in: Ders., Scritti II, S. 135–154, Zitat S. 135. Der Text erschien in der ersten Ausgabe der Quaderni della Critica 1945.

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dem er sie überspitzte. Über die Verfechter der Republik schrieb er etwa, sie folgten ihrem »Apostel Mazzini« und glaubten, der Tyrann habe »sich eingenistet im Herzensgrunde jedes Königs, eben aufgrund seiner Eigenschaft ein König zu sein«.760 Es fällt auf, dass italienische Historiker die Ironie als ein Stilmittel gerne und häufig einsetzten, ihre westdeutschen Kollegen dagegen praktisch gar nicht. Besonders Salvemini gab sich in seinen Texten häufig ironisch, auch gegenüber sich selbst. So nannte er sich und seine Anhänger, weil sie für einen demokratischen nichtkommunistischen Sozialismus eintraten, »melancholische Irre«, »die letzten Abkömmlinge eines berühmten Stammes, der schnell erlischt«.761 Über Mussolini schrieb er fast ausschließlich mit ironischen Formulierungen, indem er ihn in einer Häufung propagandistischer Formeln des untergegangenen Regimes meist als den »Mann der Vorsehung, der immer recht hatte« bezeichnete:762 Mussolini sagt, er brauche keine Opposition, denn eine Opposition schaffe er in seinem Innersten. Bestimmt hätte sich der amerikanische Präsident Hoover gerne seines Konkurrenten Roosevelt 1932 entledigt, indem er sich nach seinem Geschmack auch eine Opposition in seinem Innersten geschaffen hätte.763

Auch Manacorda parodierte die militante Sprache des untergegangenen Regimes, um zu unterstreichen, dass man genauso wie im Faschismus notwendige Finanzen auftreiben könne, aber anders einsetzen müsse: »Man muss die Schlacht um die Schule schlagen und die Mittel für diese Schlacht finden, wie man sie auch für die imperialistischen Kriege gefunden hat.«764 Deutsche Historiker sprachen hingegen nicht den Humor ihres Publikums an. Allenfalls Heimpel streute Anekdoten ein, die aber nicht ironisch waren, sondern eher unterhalten und zum Schmunzeln bringen sollten. So berichtete er in seinem NDR-Rundfunkvortrag über die Situation bei der Münchner Konferenz 1938: »Die Münchner Buben befragt, wer ihnen am besten von den großen Vier gefallen habe, sagten: der Tschamberlein und der Daladier.« Den Aussprachefehler hatte er absichtlich als Witz eingefügt.765 Moralisierungen und Erzeugung von Pathos waren dagegen bei Historikern beiderseits der Alpen anzutreffen. Schnabel fragte etwa seine Leser: »Worin aber bestehen Recht und Gerechtigkeit? Wie wenige Menschen machen sich hierüber Gedanken!« In der Vorgeschichte des Nationalsozialismus war »dem Recht gleichfalls der Lebens760 Ders., I »Re costituzionali«, in: Ders., Scritti I, S. 65. Der Text erschien am 30.3.1944 in La Libertà. 761 Salvemini, La pelle di zigrino. 762 Ders., La polizia nella legge. 763 Ders., Ludwig  e Mussolini, in: Opere VIII, S.  275. Der Text erschien im März 1951 im Ponte. 764 Manacorda, Aprire la scuola al popolo. 765 Manuskript zur Vortragsreihe »Deutsche Geschichte«, in: MPG-Archiv, III. Abt., ZA 38, Nr. 47. S. 451.

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atem ausgeblasen worden […].«766 Wie Ritter sprach Heimpel moralisch, wenn er den Widerstand thematisierte. In seinem Text über den Tod für das Vaterland schrieb er: »Wer gibt den Rednern das Amt zur Rede? Wo waren sie, wo war dieser und jener, als gestorben und gelitten und gar mit dem Blute Zeugnis abgelegt wurde? Wer half den Geschwistern Scholl, und wer hat sie allein gelassen?«767 Ebenso benutzte Salvemini Moralisierungen und Pathos, niemals aber Ironie, wie im Zusammenhang mit Mussolini, wenn er über den Widerstand sprach. Um die offenbar US-amerikanisch finanzierte Propaganda anzuprangern, welche die Kommunisten des Mordes an Carlo und Nello Rosselli bezichtigte, übernahm er den Part des Anwalts der moralischen Interessen der USA, […] denn ich liebe die Vereinigten Staaten als mein zweites Vaterland, wo ich viele Jahre gewesen bin und immer mit einer Großzügigkeit Aufnahme fand, die ich stets achten werde, und es tut mir im Herzen weh zu sehen, wie dieses Land durch italienische Söldner mit amerikanischem Geld diskreditiert wird.768

Um die verstorbene Mutter der Rossellis, Amelia Rosselli, zu würdigen, erfand Salvemini sogar ihr religiöses Nachleben: In einem Artikel im Ponte wusste er zu berichten, wie Amelia Rosselli nach ihrem Tode vor dem Paradies um Einlass bitte und sie ein Engel nach ihren Verdiensten frage: Nun musste Amelia antworten: ›Ich hatte drei Söhne und ich erzog sie, die Gerechtigkeit und die Freiheit zu lieben, und dafür, dass sie die Gerechtigkeit und die Freiheit geliebt haben, starb einer im Krieg und zwei wurden ermordet.‹ Der Engel kniete vor ihr nieder, küsste ihre kleinen Hände und öffnete ihr die Tore zur ewigen Ruhe.769

Croce verwandte Moralisierungen vor allem dann, wenn er nicht nur die eigenen Anhänger und Sympathisanten, sondern die gesamte Nation ansprechen wollte, besonders in der Phase 1943–1945. So sollten patriotische Gefühle zur Mobilisierung gegen die deutsche Besatzungsmacht und den faschistischen Marionettenstaat geweckt werden. In seinem Appell an die Italiener in den deutsch besetzten Gebieten sprach Croce seine Leser direkt an und beschrieb in gefühlsgeladenen Worten die Zerstörungen durch die Okkupanten: Bedenkt: aus Rache, mit Absicht und in vollem Bewusstsein der Tat ist das gesamte wertvolle Große Archiv von Neapel mit Benzin übergossen und in Brand gesetzt worden […], auf Befehl eines kleinen deutschen Offiziers, der, als man ihn rechtzeitig ermahnte, welchen einzigartigen Wert diese Dokumente für die Gelehrten der ge­ samten Welt besaßen, erklärte, er wisse ganz genau um die Bedeutung dessen, was er zerstöre.770 766 Schnabel, Ueber die Vorbildung. 767 Heimpel, Über den Tod für das Vaterland, S. 5. 768 Salvemini, Un manifesto (Lettera al direttore). 769 Ders., Amelia Rosselli, in: Opere VIII, S. 734. Der Text erschien im Januar 1955 im Ponte. 770 Croce, Parole agli italiani delle terre invase, in: Ders., Scritti I, S. 37 f. Dieser Aufruf wurde am 11.12.1943 durch Radio Palermo ausgestrahlt und auch als Broschüre in Umlauf gebracht. Siehe ebd.

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Die Deutschen wurden eindeutig klassifiziert (»[…] Maschinen, zu denen die Deutschen geworden sind, auf pedantische Weise wieder barbarisch geworden, sodass sie ihren barbarischen Vorfahren ähneln […] «).771 Dem gegenüber stellte er die im Antifaschismus vereinten Italiener dar (»Und als der Faschismus fiel, gab es in Italien eine Explosion der Freude […].«).772 Für Dehio, Schnabel, Ritter, Heimpel, aber auch Croce war es selbstverständlich, übergreifende Kräfte, die nicht mehr ableitbar waren, in ihren wissenschaftlichen wie außerfachlichen Texten für historische Prozesse verantwortlich zu machen. Bei Schnabel wurde »einleuchtend wie im geschichtlichen Leben […] Freiheit und Notwendigkeit, Schuld und Schicksal ineinandergreifen«773 oder »Viele seiner edelsten Söhne mußte Deutschland zudem von sich stoßen […]«.774. Anschaulich präsentierte auch Heimpel seine Grundannahme, die Geschichte sei eine Art Akteurin, die den Menschen in bestimmten Zeiten Auf­ gaben stelle: »Aber nun hebt noch einmal die Geschichte den warnenden Finger und stellt uns zwei Fragen.« Oder ebenso: »Leidenschaft und Geduld, Geduld und Leidenschaft, beide in der Spannung unserer Seele zu vereinigen, ist die Aufgabe, die uns die Geschichte gestellt hat.«775 In Dehios blumiger Sprache nahm der Bezug auf übergeordnete Kräfte sogar eine religiös-manichäische Form an: Erst dank der Selbstzerfleischung der weißen Völker im letzten europäischen Hegemonialkampfe stiegen die russischen Chancen in einer Fieberkurve empor, denn das Abendland war einfach während des Kampfes selbst unfähig seinen Außenbereich zu schützen gegen Beelzebub, so lange es dessen Hilfe gegen den deutschen Satan bedurfte, der seinen Innenbereich bedrohte.776

Croce begründete die »Religion der Freiheit« als Grundlage seines Geschichtsbildes ebenfalls mit irrationalen Wendungen: Sie [gemeint ist die Freiheit – d. Vf.] ist der einzige und ewige Leitstern durch das stürmische Meer des Lebens und nur sie schafft die neuen Dinge, die neuen Ideen, die neuen Einstellungen, die neuen Einrichtungen, die neuen Lebensformen; die Wege der Freiheit muss die Welt, die nicht sterben kann und nicht sterben will, immer wieder neu beginnen, trotz der unterschiedlichen und abgeneigten Worte, die einige oder viele Menschen munkeln und die das Gesetz der Welt nicht ändern können.777 771 Ebd. 772 Ebd. 773 Schnabel, 1848–1948. 774 Ders., Die Revolution von 1848 und die deutsche Geschichte, S. 195. Der Artikel erschien in: Die Schule, Monatsschrift für geistige Ordnung 3/4 (1948). 775 Heimpel, Wandlungen des deutschen Geschichtsbildes. Gesendet am 22.8.1954 in der Aula, in: Hörfunkarchiv des SWR Mainz, Nr. WO 061845. 776 Dehio, Die neuen Forschungen über die Sowjetisierung Ost- und Mitteleuropas (1). Ge­ sendet am 5.7.1959 in der Aula, in: Hörfunkarchiv des SWR Mainz, Nr. WO046851. 777 Croce, Considerazioni sul problema morale dei nostri tempi, in: Ders., Scritti II, S. 149 f. Der Text erschien in der ersten Ausgabe der Quaderni della Critica 1945.

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3) Zuletzt soll noch auf die Form der öffentlichen Auseinandersetzung von Historikern eingegangen werden. Generell ist es ein Phänomen der Auseinandersetzung in den Massenmedien, dass die Kommunikation im Grunde nicht zwischen den beiden Kontrahenten des Disputs stattfindet, sondern sich beide eigentlich an das Publikum richten, obwohl sie sich formal gegenseitig ansprechen. Eine solche Konstellation führt meistens dazu, dass der Streit ohne erkennbare Verständigungsabsicht geführt wird. Der Gegner wird angegriffen, diskreditiert, und Fragen werden allenfalls rhetorisch formuliert. Dieser Effekt ist umso stärker, je weniger die Auseinandersetzung überhaupt dazu dienen kann, ein neutrales oder sogar gegnerisches Publikum für sich zu gewinnen, sondern allein der Agitation gegenüber den eigenen Anhängern dient.778 Genau diese Bedingungen waren aber die Voraussetzung für die öffentlichen Polemiken zwischen Historikern. Das lässt sich exemplarisch an der Auseinandersetzung zwischen Croce und Salvemini erkennen. Croce äußerte sich über seinen Gegner fast nur in seinen Quaderni della Critica und den Zeitungen, die der Liberalen Partei nahestanden. Folglich war es nahe liegend, dass die Texte ausschließlich dem Ziel dienten, den Kontrahenten bloßzustellen. So bezeichnete er Salvemini als einen gefühlsgeleiteten Menschen, der zu einem vernünftigen Urteil nicht fähig sei, geschweige denn zu einem politisch sinnvollen. Um die politische Dummheit des Gegners offenbar zu machen, schrieb er am 26. Juli 1945 im Risorgimento liberale: Was Badoglio betrifft, hätte auch ein kleines Kind begriffen, dass wir, nachdem wir mit der Entfernung des Königs den wichtigsten Punkt erreicht hatten, nicht übertreiben und auch noch die Entfernung Badoglios hätten fordern können, bei dem es sich um denjenigen handelte, in den Churchill und die Alliierten ihr Vertrauen setzten.779

Angesichts der großen Probleme in Italien solle Salvemini die Jugend nicht mit den »Erzeugnissen seines geistigen Chaos belasten«.780 Im Gegensatz zu seiner üblichen Praxis pochte Croce im Zuge dieses Streites auch auf seine wissenschaftliche Überlegenheit gegenüber Salvemini, einem »Gelegenheits­ historiker«, dessen Schriften »arrogant im Ton, banal im Inhalt«781 seien und der »völlig unfähig ist, ein philosophisches Konzept zu erstellen und zu begründen […]«.782 Die gleiche Absicht der Diskreditierung verfolgte freilich auch Salve­mini. Über Croce schrieb er in den Organen der antifaschistischen Exilan­ten. Dort hatte er bereits freimütig eingestanden, dass er Croces Philosophie nicht ver778 Vgl. Neidhardt, Einleitung Öffentlichkeit, S. 23 f. 779 Croce, Come narra e giudica i fatti il prof. Salvemini, in: Ders., Scritti II, S. 260. 780 Ders., Sulla capacità di giudizio politico e morale del prof. Salvemini, in: Ebd., S. 262 f. Der Text erschien am 4.8.1945 u. a. im Risorgimento liberale, Zitate siehe S. 263. 781 Ders., Il prof. Salvemini, in: Ebd., S.  259. Der Text erschien in der zweiten Ausgabe der Quaderni della Critica 1945. 782 Ders., Una nuova conversazione col prof. Salvemini, in: Ebd., S.  330. Dieser Artikel erschien am 13.12.1946 in der Nuova Stampa.

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stehe. »Was die Philosophie Croces anbelangt, habe ich es ähnlich wie Giustino Fortunato nie geschafft, sie zu begreifen, und gemeinsam mit Giustino Fortunato habe ich mich dessen auch niemals geschämt.«783 Das tat für ihn aber nichts zur Sache: »Croce kann nicht den Leuten den Mund verbieten, indem er verkündet, dass nur diejenigen, die dem intimen Kreis angehören, in welchem Croce wie ein großartiger Stern brilliert, verstehen, was er sagt.«784 Vielmehr unterstellte er Croce, er sei gewiss ein bedeutender Gelehrter, habe sich aber mit der Politik eine Herausforderung gesucht, der er nicht gewachsen sei.785 Salvemini setzte hierbei Ironie ein, um sein Recht zu betonen, sich zu italienischen Fragen zu äußern: »Deshalb behalte ich mir das Recht vor zu italienischen Fragen Dinge sagen zu können, die es verdienen gesagt zu werden, ohne dabei unfehlbar zu werden wie Benedetto Croce oder wie der Papst.«786 Er lasse sich mit dem »Knüppel« seiner fehlenden italienischen Staatsbürgerschaft nicht den Mund verbieten, denn sein »Kopf eines apulischen Bauern« sei härter als jeder Knüppel und Croces polemisches Verhalten gereiche weder seiner Intelligenz noch seiner moralischen Integrität zur Ehre. Croce und Salvemini war als erfahrenen Personen des öffentlichen Lebens bewusst, dass sie zur Agitation nicht auf alle Vorwürfe des Gegners einzugehen brauchten, sondern für ihre eigenen Angriffe nur Vorlagen heraussuchten.787 Die gleiche Souveränität erkannte man bei Ritter dagegen nicht, als er sich in der FAZ gegen Angriffe der katholischen Presse zur Wehr setzte. Ritter hatte sich für diese publizistische Auseinandersetzung sozusagen professionelle Hilfe geholt, indem er das Manuskript von seinem Schüler Michael Freund, von dessen journalistischem Ansehen vorn bereits die Rede war, redigieren ließ.788 Allerdings wirkte Ritters Darstellung letztlich doch unsouverän, da er zwar darauf pochte, im Namen der westdeutschen Geschichtswissenschaft zu sprechen und dem Rheinischer Merkur-Autor Otto Roegele jede Bedeutung absprach, sich aber gleichzeitig ausführlich mit allen Vorwürfen Roegeles auseinander setzte und mit den eigenen Verdiensten in der Opposition gegen den Nationalsozialismus zu verteidigen suchte: »Schließlich war es ja wohl kein Zufall, daß mein Weg […] vor dem Volksgerichtshof geendet hat.«789 Zwar hatte es Ritter schwerer als Croce oder Salvemini, da die FAZ zur Information ihrer Leser Roegeles Beitrag aus dem Rheinischen Merkur auf der gleichen Seite wie Ritters Artikel komplett abgedruckt hatte. Dennoch hätte Ritter beim FAZ-Publikum in einer Polemik gegen den Publizisten eines dezidiert katholischen Organs wie des Rheinischen Merkur wohl leicht auf Zustimmung rechnen können. Noch 783 Salvemini, Prigionieri di guerra, in: Opere VII. S. 547. Der Artikel erschien am 1.6.1944 in Italia libera. 784 Ders. u. G. La Piana, Benedetto Croce e i segreti degli dei, in: Opere VII, S. 564. 785 Vgl. ebd., S. 564 f. Der Text erschien am 16.8.1944 in Italia libera. 786 Salvemini, Caltagirone e Pescasseroli, in: Opere VII, S. 697. 787 Ebd., S. 697 f. Der Text erschien am 1.8.1954 in Italia libera. 788 Brief Michael Freunds an Ritter, 13.1.1951, in: BArch, Nl Ritter 337. 789 Ritter, Nationalismus und Vaterlandsliebe.

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ungeschickter mag dabei anmuten, dass Ritter in seinem Text lamentierte (»Aber auch die bitterste Erfahrung soll mich nicht irre machen […].«) oder sich selbst Lob als ein »deutsche[r] Patriot« aussprach, der sich auf das »leere Intrigenspiel« seiner Gegner einlassen müsse.790 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass italienische Geschichtswissenschaftler in den journalistischen Betrieb intensiver einbezogen waren als ihre Kollegen in der Bundesrepublik und politische Publizistik von Wissenschaftlern in Italien selbstverständlicher und bei Medien und Publikum akzeptierter waren. Da sie sich in Publikationen mit einem bestimmten politischen Standpunkt innerhalb einer ideologisch stark gespaltenen Gesellschaft in die tagesaktuelle Auseinandersetzung einmischten, waren sie sich der verschiedenen Zielgruppen, die sie zu erreichen suchten, eher bewusst als die westdeutschen Fachvertreter. Dieser Unterschied wurde zudem durch den verschiedenen Umgang mit öffentlichen Konflikten in den Massenmedien augenfällig. Hierzu kam, dass sich italienische Historiker bis 1960 selten in akademischen Texten mit der unmittelbaren Vergangenheit beschäftigten, die besonderen Anlass für polemische Darstellungen bot. Vielmehr wurde die jüngste Geschichte in der massenmedialen Publizistik diskutiert, die stärker politisiert war als in der Bundesrepublik. Allerdings verzichteten italienische Historiker gleichwohl in ihren fachlichen Veröffentlichungen bisweilen nicht auf Emotionalisierungen (Croce). Von einer Auswirkung der in Italien ohnehin geringeren Professionalisierung auf die massenmediale Publizistik der Historiker kann daher kaum gesprochen werden. Bei westdeutschen Historikern kamen unterschiedliche Argumentationsstrategien zwischen fachlichen und nichtfachlichen Artikeln oder eine spezifische Zielgruppenorientierung nur selten vor. Eine stärkere Professionalisierung als in Italien war insofern evident, als die Texte der Historiker nicht tagesaktuell politisch sein durften und als wissenschaftlich anerkannt sein mussten. Die Beiträge westdeutscher Historiker in Zeitungen und Hörfunk waren daher oft Abdrucke oder Versionen ihrer wissenschaftlichen Schriften. Allerdings könnte man sagen, dass »wissenschaftlich«, überspitzt formuliert, in der Bundesrepublik in erster Linie ein notwendiges Etikett war, das westdeutschen Historikern den Medienzugang ermöglichte. Zwar ist die Historiographie zweifellos eine Disziplin, in der eine standardisierte Fachsprache kaum denkbar ist. Indes benutzten westdeutsche Historiker (abgesehen von Ironie) in ihren wissenschaftlichen Publikationen zahlreiche Formen der Emotionalisierung oder Stilmittel des Geschichtenerzählens wie Anekdoten, moralische Schlussfolgerungen oder den Bezug auf übermenschliche Akteure (die Geschichte, das Schicksal), wie sie auch in ihren eigenen oder den massenmedialen Beiträgen der italienischen Kollegen Verwendung fanden. Die Wissenschaftssprache in den fünfziger Jahren wies also einen vergleichsweise geringen Grad an Professionalisierung auf. 790 Ebd.

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Von einer weitgehend entemotionalisierten und nicht-narrativen Darstellungsweise, wie sie unter Historikern später als problematische Entwicklung der Professionalisierung umstritten sein sollte,791 waren die Mitglieder der westdeutschen »Zunft« nach dem Zweiten Weltkrieg noch weit entfernt. So berief sich folgerichtig auch nur ein Teil der westdeutschen Historiker gegenüber dem Publikum auf seine Rolle als Wissenschaftler (Ritter, Aubin, Rothfels). Die übrigen westdeutschen wie italienischen Fachvertreter bemühten sich, ihre Leser oder Hörer durch andere Mittel zu gewinnen, indem sie sie etwa ohne Bezug auf ihre wissenschaftliche Reputation belehrten (Meinecke, Schnabel, Croce, Ragionieri, Manacorda) oder versuchten, sich auf eine Art Gespräch auf Augenhöhe mit ihren Lesern und Hörern zu begeben (Heimpel, Salvemini).

791 Vgl. z. B. Kocka, Theorie und Erzählung.

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III. Resümee

1. Die Historiker in den Massenmedien – ein Beispiel für den »Strukturwandel der Öffentlichkeit« Diese Studie ging von der Prämisse aus, dass die italienische Geschichtswissenschaft einen niedrigeren Grad an Professionalisierung aufwies als die westdeutsche. Daher wurden Historiker beider Länder nach unterschiedlichen Kategorien ausgewählt, um ein repräsentatives Abbild ihrer jeweiligen Disziplin bieten zu können. Aber nicht nur die Historiographie, sondern auch die Massenmedien waren in Italien weniger stark professionalisiert und die Grenzen zwischen beiden Sphären durchlässiger als in Westdeutschland.1 Im Gegensatz zur Bundesrepublik konnte man in Italien von der Geschichtswissenschaft in den Journalismus oder die Politik wechseln, ohne die Zugehörigkeit zum eigenen Fach aufzugeben. Die hier vorgenommene empirische Untersuchung hat davon ausgehend gezeigt, dass trotz der andersgearteten Bedingungen führende Historiker in beiden Ländern sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Intellektuelle in die breite gesellschaftliche Diskussion um die Vergangenheit einmischten, allerdings sich die Typen dieser öffentlichen Praxis in Westdeutschland und Italien verschieden ausprägten. Unterschiedliche Bedingungen für außerfachliche öffentliche Praxis in beiden Ländern hatten sich bereits vor 1943/45 entwickelt, wurden allerdings durch die politische Lage nach der Zäsur intensiviert. Einerseits prägte sich in Italien ein scharfer ideologischer Gegensatz zwischen einer westlich orientierten Regierung und einer starken kommunistischen Opposition aus. Die vielfach journalistisch tätigen italienischen Historiker setzten sich dabei publizistisch für die von ihnen bevorzugte Partei ein und gerieten des Öfteren untereinander in politischen Streit. Aber eben diese Streitkultur verband auch wieder über alle Parteigegensätze hinweg.2 Andererseits entwickelte sich in der Bundesrepublik die öffentliche Meinung viel homogener, zumal im Sinne eines strikten Antikommunismus. Die gleichzeitige Bezugnahme auf und Abgrenzung gegen die DDR förderte unter westdeutschen Fachvertretern die spezifisch deutsche Tradition, sich mit einem als überparteilich empfundenen Staatsinteresse zu identifizieren. 1 Wobei aber zu sagen ist, dass auch in Westdeutschland die Professionalisierung von Journalisten im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen wie beispielsweise Ärzten, Juristen usw. ein eher informeller Prozess war, da die Meinungsfreiheit eine strikte Zulassungsbeschränkung nicht erlaubte. Vgl. hierzu Requate, Der Journalist, S. 151–154. 2 Vgl. W. Schieder, Faschismus, S. 137.

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Diese Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass nach dem Zweiten Weltkrieg unter Historikern in Italien die Debattenkultur stärker ausgeprägt war als in der Bundesrepublik. Dies mag auf den ersten Blick überraschen, schließlich äußerten sich die italienischen Geschichtswissenschaftler fast nur in denjenigen Massenmedien, die ihrem jeweiligen politischen Lager zuzurechnen waren. Es entwickelte sich nicht wie in der Bundesrepublik mit der FAZ ein Leitmedium, und im Rundfunk blieb eine Beschäftigung mit der Zäsur 1943/45 lange unmöglich. Indes muss berücksichtigt werden, dass die Bandbreite der Standpunkte in Italien viel weiter war als in der homogener gestalteten deutschen »Zunft«. Die Unterschiede zwischen Historikern wie Ritter und Dehio oder Schnabel waren nicht so tiefgreifend wie zwischen marxistischen und liberalen Historikern in Italien. Unterschiedliche Meinungen konnten also in beiden Ländern in ein und demselben Medium entwickelt werden. So kamen die verfeindeten Croce und Salvemini beide im Mondo zu Wort, nicht aber in dezidiert katholischen oder kommunistischen Organen. Ebenso durften die Unterschiede in Westdeutschland einen gewissen Grad nicht überschreiten. Schwer vorstellbar wäre es gewesen, ein marxistischer Historiker hätte im SWF oder in der FAZ seine Ansichten verbreitet. Allerdings sahen westdeutsche Historiker im Gegensatz zu ihren italienischen Pendants öffentlich ausgetragenen innenpolitischen Streit als eine Bedrohung für die Stabilität des Staates an. Ein besonderes Bemühen, keine Unstimmigkeiten in der breiten Öffentlichkeit aufkommen zu lassen, zeigte sich daran, dass Historiker ihre Rundfunkdiskussionen im Vorfeld genau absprachen, um unerwartete Gesprächsentwicklungen auszuschließen. Symptomatisch war auch Ritters Bemühen, Dehios konträre historische Thesen durch ­Ignorieren in der öffentlichen Diskussion zu marginalisieren. Noch deut­licher wird die unterschiedliche Debattenkultur nördlich und südlich der Alpen, wenn der ostdeutsche Sonderfall mit einbezogen wird. Da sie öffentlichen Streit nicht als eine Gefahr ansahen, empfanden sich selbst marxistische und antimarxistische italienische Historiker trotz tiefer politischer Gräben zumeist als Teil einer gemeinsamen Wissenschaft. Zwischen west- und ostdeutschen Historikern war dies weitgehend undenkbar, da die politische Spaltung die wissenschaftlichen Fragen überdeckte. In der Bundesrepublik galten die DDR-Historiker vor allem als Propagandisten der sowjetischen Besatzungsmacht und damit als Verräter an der deutschen Sache, in Italien dagegen war das Ansehen der Kommunisten als den wichtigsten Akteuren der nationalen Widerstandsbewegung ein ganz anderes. Zu dem unterschiedlichen Umgang untereinander trug ferner bei, dass in Italien kommunistische Historiker oftmals gemeinsam mit ihren nichtkommunistischen Kollegen akademisch sozialisiert worden waren. Kaum einer der späteren ostdeutschen Historiker dagegen entstammte der traditionellen Geschichtswissenschaft aus den Jahren vor 1933. Alfred Meusel war Volkswirtschaftler, Jürgen Kuczynski und Ernst Engelberg hatten sich wie viele DDR-Historiker der ersten Generation niemals habilitiert.3 3 Vgl. Kowalczuk, S. 62 f., 181–183.

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Eine schwächer ausgeprägte Debattenkultur und eine stärkere Staatsorientierung bei westdeutschen Historikern bedeuteten aber keineswegs, dass sich die Historiker der Bundesrepublik nicht auch als Intellektuelle in die breiten öffentlichen Diskussionen eingemischt hätten. Dies wird durch den Vergleich mit ihren italienischen Kollegen erkennbar. Als Folge der Zäsur von 1943/45 fühlten sich die meisten Repräsentanten der Historiographien in beiden Ländern gegenüber einer außerfachlichen Öffentlichkeit als Sinnstifter gefordert. Sie setzten ihr schon vor der Zeit der Diktaturen begonnenes publizistisches Engagement fort (Ritter, Schnabel, Meinecke, Croce, Salvemini) oder begannen nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals eine Zusammenarbeit mit den Massenmedien (Dehio, Heimpel, Conze, Schieder, Erdmann, Manacorda, Ragionieri, Ben­discioli, Passerin). Die Intensität dieser öffentlichen Praxis in den Massen­ medien variierte jedoch individuell zwischen den einzelnen Historikern. Gerade in der unmittelbaren Nachkriegszeit spielten neben volkserzieherisch-politischen auch materielle Interessen für die außerfachliche öffentliche Praxis eine verstärkende, wenngleich nicht entscheidende Rolle. Obwohl Historiker nördlich und südlich der Alpen als Intellektuelle in Erscheinung traten, prägten sich die Typen ihrer öffentlichen Praxis in Presse und Rundfunk verschieden aus, da die Grenzen zwischen Geschichtswissenschaft und Massenmedien in beiden Ländern unterschiedlich gezogen waren. Westdeutsche Historiker äußerten sich gegenüber einem breiten Publikum ausschließlich als öffentliche Experten oder als spezifische Intellektuelle. Somit traten sie als Fachleute – als professionalisierte öffentliche Historiker – und nicht mehr als engagierte Bürger (allgemeine Intellektuelle) in der Öffentlichkeit in Erscheinung. Diese Entwicklung beruhte einerseits auf dem vergleichsweise hohen Professionalisierungsgrad der westdeutschen Geschichtswissenschaft. Da in Westdeutschland Historiker das akademische System nicht verlassen konnten, ohne die Zugehörigkeit zur »Zunft« zu verlieren, konnte ihre massenmediale Praxis nur neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit stattfinden. Ferner bedeutete wissenschaftliches Expertentum für die Historiker der Bundesrepublik symbolisches Kapital. Sie nahmen teilweise für sich in Anspruch, dass sie sich aufgrund ihrer Ausbildung am besten in historische Zusammenhänge »einfühlen« könnten.4 Die Behauptung, als Wissenschaftler mehr von Geschichte zu verstehen als andere und sich von diesen anderen scharf abzugrenzen, war dabei auch ein Mittel, ihre Deutungskompetenz in der Gesellschaft durchzusetzen. So diente dieses etwa als Instrument, um missliebige historische Interpretationen, zum Beispiel von Emigranten oder jüdischen Historikern, von vornherein auszuschließen. Andererseits wurde die Entwicklung zum Expertentum dadurch weiter verschärft, dass der Professionalisierung der Geschichtswissenschaft eine Pro­ fessionalisierung der Medien gegenüberstand. Die Medien behielten sich selbst 4 Allerdings konnten sie nicht wirklich erklären, worin diese Fähigkeit des »Einfühlens« genau bestand. Vgl. Conrad, S. 243–246.

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in stärkerem Maße als in Italien ein Monopol auf die Meinungsbildung vor. Sie gaben Historikern auf ihren Wunsch oder zu Themen, von deren allgemeinem Interesse sie überzeugt waren, als historischen Fachleuten das Wort. Wissenschaftliche Reputation spielte dabei eine wichtige Rolle für den Medienzugang. Die Verantwortlichen der Prestige-Medien waren oftmals selbst historisch vorgebildet und hatten genaue Kenntnis der wissenschaftlichen Leistungen und Werke der Historiker, die für ihre Zeitungen und Rundfunksendungen Beiträge verfassten. Jüngere Wissenschaftler wie Erdmann, Conze und Schieder äußerten sich im untersuchten Zeitraum darum weniger, weil sie sich nach dem Nationalsozialismus erst wieder in der Wissenschaft beruflich etablieren mussten, um öffentliche Praxis in den Massenmedien üben zu können. Eine solche Problematik gab es in Italien nicht, da nach dem Sturz des Faschismus fast keine Säuberungen an den Universitäten durchgeführt wurden. Die westdeutschen Historiker konnten zwar in ihren historischen Darstellungen in den Massenmedien, von ihrem Expertentum ausgehend, als spezifische Intellektuelle moralische oder politische Forderungen stellen, aber sie konnten sich nicht mehr wie noch im 19. Jahrhundert per se zu politischen oder anderen außerfachlichen Themen äußern. Dass ein grundsätzlicher Verzicht der Wissenschaftler auf politische Stellungnahmen ohne Bezug zu ihrer Fachkompetenz nach 1945 bereits als Selbstverständlichkeit erachtet wurde, zeigte Dehios Versuch, über aktuelle politische Themen in der FAZ schreiben zu wollen. Gerade der Herausgeber Paul Sethe, der zuvor die abnehmende Öffentlichkeitswirksamkeit der Geschichtswissenschaft kritisiert hatte und zu dem Dehio durchaus engen Kontakt pflegte, lehnte dies aus Prinzip ab, da politische Kommentare den Zeitungsjournalisten allein vorbehalten seien. Die Entwicklung zum Expertentum in der Bundesrepublik wurde weiterhin durch den im Nationalsozialismus forcierten Prozess, von der Wissenschaft konkrete, anwendungsorientierte Arbeit zu verlangen, gefördert. Dies zeigte sich in einer häufigen Gutachtertätigkeit westdeutscher Historiker nach 1945, zum Beispiel bei Ritter für den Aufbau der Bundeswehr, bei Aubin in der Föderalismuskommission oder auch später bei den Historikern des IfZ bei den NS-Prozessen. Expertentum und Spezialisierung brachten indes die Gefahr mit sich, in der Öffentlichkeit keine dominierende Rolle bei den großen Fragen geschicht­licher Deutung zu spielen. In einer sich ausdifferenzierenden Massenöffentlichkeit mussten Historiker mit einer steigenden Zahl anderer öffentlicher Akteure konkurrieren. Diese Zahl war umso größer, je strenger die Grenzen zu Nichtwissenschaftlern gezogen wurden. Dies mag die Klagen westdeutscher Historiker über ihren geringen Einfluss auf die öffentliche Meinung zu einem Teil erklären, die in Italien so keine Entsprechung hatten. Dass alle hier untersuchten Personen des Samples zumindest zeitweise als spezifische Intellektuelle oder öffentliche Experten in Erscheinung traten, zeigt, dass die westdeutsche Öffentlichkeitsstruktur die massenmediale Praxis der Historiker zwar auf diese beiden Typen öffentlicher Praxis einschränkte, diese Typen des außerfachlichen Engagements von Wissenschaftlern andererseits aber förderte und nachfragte. 312 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Diese mediale Nachfrage traf nach der Zäsur von 1945 wiederum auf ein entsprechendes Angebot der westdeutschen Historiker. Zumal die Entscheidung, sich als spezifische Intellektuelle in der Öffentlichkeit einzumischen, fußte dabei auf der Tradition des deutschen Historikers als nationalem Erzieher. Westdeutsche Historiker zweifelten auch nach 1945 nicht an ihrem gesellschaft­lichen Führungsanspruch, wenngleich sie sich nicht mehr wie in der ersten Hälfte des 19.  Jahrhundert direkt politisch engagierten, sondern durch historischpolitische Standortbestimmung politischen Entscheidungen den Weg weisen wollten. Eine solche Tradition der Volkserziehung prägte ebenso die italienischen Historiker. Sie hatten gleichfalls keine Zweifel an ihrer Aufgabe, die öffentliche Meinung zu prägen, und mischten sich direkter in die politischen Auseinandersetzungen ein. Dies galt gerade auch für die Marxisten, die im Gegensatz zu den Intellektuellen der nichtitalienischen Schwesterparteien einen Auftrag zur Volkserziehung beanspruchten. In Italien verlangten Journalisten im Gegensatz zur Bundesrepublik jedoch in geringerem Maße ein Monopol auf politische Meinungsbildung. Sie suchten zur Auflagenstärkung gerade Wissenschaftler, die sich als allgemeine Intellektuelle äußerten. Die Grenzen zwischen Geschichtswissenschaft und Massenmedien waren durchlässiger und beide Sphären geringer professionalisiert als in Westdeutschland. Da die Zeitungen sich mit prominenten Wissenschaftlern als Beiträgern schmücken wollten, waren diese oft in regelrechten Mitarbeitsverhältnissen an eine bestimmte Publikation gebunden. Es stand nicht in Frage, dass sich diese Historiker als Mitarbeiter bei ihren Zeitungen – bisweilen in Leitartikeln – zu politischen Gegenwartsfragen äußern durften, für die sie keine besondere Kompetenz als Historiker beanspruchen konnten. Tatsächlich richteten italienische Historiker in signifikant stärkerem Maße als ihre westdeutschen Kollegen politische und moralische Forderungen ohne Bezug zu historischen Fragestellungen an ihrer Leser. In Italien erhielt sich als Konsequenz der Durchlässigkeit zwischen Geschichtswissenschaft und Massenmedien eine größere Bandbreite an Öffentlichkeitstypen vom »reinen« Gelehrten, der sich nicht außerhalb der fachwissen­ schaftlichen Organe äußerte, bis zum allgemeinen Intellektuellen oder sogar hauptberuflichen Publizisten, die sich alle als Teil einer gemeinsamen Wissenschaft verstanden. Historiker konnten also ihre Form der öffentlichen Praxis individueller wählen als in der Bundesrepublik. Offensichtlich konzentrierten sich in Italien Ordinarien, die fest im Universitätssystem verankert waren, weitgehend nur auf die Fachöffentlichkeit. Es war nicht notwendig, fachöffentliche und massenmediale Praxis wie in der Bundesrepublik miteinander zu verbinden, da man mit einem Wechsel in die Medien die Geschichtswissenschaft nicht verließ. Wer sich für eine Konzentration auf die akademische Tätigkeit entschied, hatte meist auch kein Interesse, sich gegenüber einem breiteren Laienpublikum zu äußern. Dies galt für Chabod und Sestan ebenso wie für die Marxisten Cantimori und Saitta. Wer hingegen ein breites Publikum erreichen wollte, betätigte sich hauptsächlich journalistisch. Solche allgemeinen Intellektuellen 313 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

waren meist Prominente (Croce, Salvemini), an denen das Publikum als Person interessiert war; aber auch an zunächst nur lokal bekannten Fachvertretern wie Ragionieri und Passerin lässt sich erkennen, dass sie sich zu allgemeinen Themen jenseits ihrer Fachkompetenz in den Medien äußern konnten, wenn sie das beabsichtigten. Historiker waren in Italien also nicht auf Expertentum beschränkt, und es hatte vor 1945 nicht eine derartige Entwicklung hin zur Anwendungsorientierung gegeben wie in Deutschland. Hinzu kam, dass Chabod, Sestan und Cantimori einer Generation entstammten, die ihre akademische Prägung während des Faschismus erfahren hatte. Trotz unterschiedlich intensiver Beteiligung an Medien des Regimes wurde ihre Entwicklung zu Intellektuellen dadurch gehemmt. Allerdings gab es auch in Italien Historiker, die sich meistens als spezifische Intellektuelle äußerten. Das galt zum Beispiel weitgehend für Manacorda und Ragionieri. Die kommunistische Presse wollte zwar Wissenschaftler, welche die politische Linie der Partei propagierten. Im Gegensatz zur SED, welche die DDR beherrschte, war der PCI aber nicht in der Lage, dies durchzusetzen. Die italienische Partei musste um Historiker und ihr öffentliches Engagement werben. Sie musste hinnehmen, dass diese sich nur bedingt den politischen Zielen unterordneten – besonders Manacorda ging bei seinen Beiträgen meistens von seiner Fachkompetenz als Historiker aus – oder, wie in dem Fall des Prominenten Cantimori, einfach jegliche öffentliche Betätigung im Sinne der Partei verweigerten. Als spezifischer Intellektueller äußerte sich ferner Bendiscioli, der von seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgehend auf aktuelle Themen Bezug nahm, sich aber bald hauptsächlich auf katholisch geprägte Fachzeitschriften beschränkte. Trotz der Dominanz des politischen Katholizismus im Nachkriegsitalien gab es keine besonders starke außerfachliche öffentliche Praxis katholisch orientierter Historiker. Einmal war der politische Katholizismus heterogen, was man schon an den unterschiedlichen Standpunkten Passerins und Bendisciolis erkennt; außerdem verfügte die Kirche über zahlreiche Mittel zur öffentlichen Agitation, sodass – anders als bei einer geschichtsorientierten Ideologie wie dem Marxismus – kein besonderer Druck auf Historikern lastete, sich für diese Interessen öffentlich einzusetzen. Zudem unterstützten ohnehin viele laizistisch orientierte Historiker-Publizisten in den Massenmedien die grundsätzliche Linie der DC. Wissenschaftliche Reputation hatte für die Medienbindung in Italien nicht die gleiche Bedeutung wie in der Bundesrepublik, da die jeweiligen Medien vor allem Fachvertretern der eigenen politischen Richtung das Wort erteilen wollten. Selbst junge Historiker wie Ragionieri erhielten dadurch rasch Medienzugänge. Allerdings blockierte die massenmediale Praxis der Parteihistoriker über die fünfziger Jahre hinaus ihre Karrieren innerhalb des traditionellen Wissenschaftssystems. Bei Croce war die wissenschaftliche Reputation sogar eine Folge seiner außerfachlichen öffentlichen Praxis. Die soziale Herkunft hatte auf das Medienverhalten in beiden Ländern keinen Einfluss, obgleich italienische His314 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

toriker unterschiedlicheren gesellschaftlichen Schichten entstammten als ihre westdeutschen Kollegen. Auch das Vorbild der Doktorväter ließ sich nur auf einer allgemeinen Ebene feststellen. Der Unterschied zwischen beiden Wissenschaftskulturen zeigte sich überdies daran, dass in Westdeutschland Beiträge von Historikern häufig unveränderte Ausschnitte aus fachwissenschaftlichen Aufsätzen waren, in Italien hingegen Texte fast immer extra für die Massenmedien formuliert wurden. Allerdings war der formale Unterschied hierbei größer als der tatsächliche. Die Professionalisierung der Wissenschaftssprache war auch in Westdeutschland gering. Emotionalisierungen und rhetorische Mittel des Geschichtenerzählens wurden in der wissenschaftlichen Praxis häufig und kaum weniger eingesetzt als in den Texten, die westdeutsche und italienische Historiker gezielt für eine außerfachliche Öffentlichkeit verfassten. Ferner wurde nicht beanstandet, wenn politische und moralische Forderungen in wissenschaftliche Texte oder historische Erörterungen in den Massenmedien eingebunden wurden. »Wissenschaftlichkeit« war daher im westdeutschen Fall bis zu einem gewissen Grad ein Etikett, das durch eine bereits vorgenommene Publikation in einem wissenschaftlichen Organ oder Verlag oder die unbestrittene fachliche Autorität des Verfassers gewährleistet wurde. Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass ein unterschiedlicher Professionalisierungsgrad in Geschichtswissenschaft und Massenmedien sowie verschieden durchlässige Grenzen zwischen beiden Sphären zu unterschiedlichen Formen außerfachlicher öffentlicher Praxis von Historikern in beiden Ländern führten. Der hier vorgenommene Vergleich macht deutlich, dass von führenden westdeutschen Historikern eine öffentliche Praxis außerhalb ihrer Disziplin erwartet wurde, sie aber zumindest formal auf ihre Rolle als Wissenschaftler eingeschränkt blieben. Sie konnten in ihren Beiträgen an die Emotionen ihrer Leser appellieren und politisch-moralische Forderungen erheben, doch musste dies im Rahmen ihrer Fachkompetenz zu einem historischen Thema erfolgen. Italienische Historiker äußerten sich dagegen kaum als Experten, sondern in viel stärkerem Maße als allgemeine Intellektuelle. Als regelrechte Mitarbeiter von Zeitungen und Zeitschriften waren sie befugt, sich zu aktuellen und politischen Themen zu äußern, ohne sich auf ihre Rolle als Wissenschaftler und ihre fachliche Reputation berufen zu müssen. Diese Ergebnisse lassen jedoch nicht nur einen Rückschluss auf die öffentliche Praxis von Historikern zu, sondern auch auf die Öffentlichkeitsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland und Italien insgesamt. Von einem »Normalweg« für die Entwicklung von Wissenschaft und Öffentlichkeit kann nicht gesprochen werden, vielmehr wurden die Grenzen zwischen beiden Sphären nördlich und südlich der Alpen in unterschiedlicher Weise abgesteckt. Jürgen Habermas vermutete einst, es sei eine grundsätzliche Eigenschaft des Strukturwandels der Öffentlichkeit, dass sich im Zuge der Legalisierung einer politisch fungierenden Öffentlichkeit die Medien professionalisierten und die Ge­ 315 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

sinnungspresse in diesem Kontext zu einer kommerziellen Geschäftspresse entwickele.5 Jörg Requate hat mit einem Vergleich der Öffentlichkeitsstruktur in den USA und Frankreich im 19. Jahrhundert gezeigt, dass die Massenpresse in beiden Ländern gleichzeitig aufkam, aber nur in den USA sich ein überparteilicher Investigativjournalismus entwickelte, wohingegen die französischen Presseorgane weiterhin bestimmten politisch-ideologischen Richtungen verhaftet blieben.6 Etwas ähnliches gilt für Italien und Westdeutschland. Zwar setzte die Professionalisierung von Geschichtswissenschaft und Massenmedien in Deutschland früher ein als in Italien, doch war dies nicht Ausdruck einer allgemeinen Entwicklung, die in Italien in der gleichen Intensität zu einem späteren Zeitpunkt nachvollzogen wurde. Vielmehr blieben die Medien in Italien – noch verstärkt durch die ideologische Lagerbildung nach dem Zweiten Weltkrieg – deutlicher als in Westdeutschland politischen Gesinnungen verhaftet, in denen neben Journalisten auch nichtprofessionalisierte Autoren (wie zum Beispiel die Historiker) journalistische Tätigkeiten ausüben konnten. Die Entwicklung war nicht in Deutschland fortschrittlicher und in Italien rückständiger. Vielmehr wird deutlich, dass Professionalisierung sich über lange Zeiträume in unterschiedlichen Graden entwickeln und zur Herausbildung national eigenartiger Öffentlichkeitsstrukturen beitragen kann. Dieser Prozess setzte sich auch nach dem in dieser Arbeit untersuchten Zeitraum fort. Nach 1960 nahm in Westdeutschland die Abgrenzung der Massenmedien gegenüber der Wissenschaft weiter zu. Wichtige Journalisten wie Sethe und Bahlinger hatten sich noch zumal als politische Publizisten und nicht als Akteure eines Mediensystems empfunden, das von Politik getrennt ist. Seit den achtziger Jahren verstanden sich deutsche Journalisten in erster Linie aber nicht mehr als Erzieher, sondern als Vermittler.7 Speziell das Fernsehen entwickelte ganz eigene Formen der Darstellung, die Geschichte nicht nur visuell, sondern überdies emotional aufbereiteten.8 Geschichtswissenschaft und Massen­medien blieben dadurch weiterhin von einander getrennte Bereiche. In Italien hingegen bestand die Durchlässigkeit fort. Prominentestes Beispiel mag dabei Giovanni Spadolini gewesen sein, der als erster Professor für Storia Contemporanea in Italien lange Jahre als Chefredakteur bei Tageszeitungen tätig war und Anfang der achtziger Jahre sogar Ministerpräsident des Landes wurde.

5 Vgl. Habermas, S. 278 f. 6 Vgl. Requate, Öffentlichkeit, S. 17–23. 7 Vgl. Schönbach, S. 158. 8 Vgl. Hardtwig, Einleitung Geschichte für Leser, S. 11.

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2. Historiker in der öffentlichen Auseinandersetzung um Erinnerung in den Nachkriegsgesellschaften – Wissenschaftspopularisierung oder Aushandlungsprozess in der Wissensgesellschaft? Besonders häufig mischten sich in beiden Ländern die Historiker in die gesellschaftliche Debatte ein, die als Gegner des Nationalsozialismus und Faschismus und damit als moralisch unbelastet galten. Aus dieser Opposition gegen die untergegangenen Regimes leiteten sie die Legitimation ab, bei der Gestaltung der Nachkriegsgesellschaften mitzureden. Dies waren im italienischen Fall vor allem Croce und Salvemini sowie die jungen Marxisten Manacorda und Ragionieri; in Westdeutschland Meinecke, Ritter, Schnabel, die rassistisch Verfolgten Rothfels und Dehio oder eine Ausnahme wie Heimpel, der sich in öffentlichen Stellungnahmen zu seiner Vergangenheit im Nationalsozialismus bekannte und daraus Konsequenzen ziehen wollte. Die Nachfrage nach öffentlicher Praxis der Historiker außerhalb der Fachorgane war im gesamten Zeitraum in beiden Ländern hoch und nahm durch den Ausbau der Kapazitäten in Presse und Rundfunk bis 1960 kontinuierlich zu. Sie überstieg fast immer die Möglichkeiten der umworbenen Geschichtswissenschaftler, sich in den Massenmedien zu äußern. Die Besetzung und Teilung Deutschlands machte ein simples politisches Anknüpfen an die Zeit vor 1933 unmöglich. Die westdeutschen Historiker unterstützten daher als Konsequenz aus der Zäsur den Aufbau des neuen Weststaates, auch wenn sie der parlamentarischen Demokratie mit Skepsis gegenüberstanden (Ritter), eigentlich ein übernationales System befürworteten (Dehio) oder insgeheim auf eine neue deutsche Großmachtrolle spekulierten (Aubin). Sie begrüßten die politische Westbindung und hielten sich von allen Plänen der Neutralisten fern, die aufgrund des Kalten Krieges keine Aussicht auf Erfolg hatten. Westdeutsche Historiker waren also nicht unpolitischer als ihre italienischen Pendants, aber es gab unter ihnen über prinzipielle Fragen keinen Dissens. Die grundsätzliche Zustimmung zur Linie der Bundesregierung verband sie ebenso wie der Antikommunismus, wenngleich sie in ihren Medienbeiträgen unterschiedliche Schwerpunkte setzten (Ritter für Wiederaufrüstung, Heimpel für die deutsche Einheit, Dehio für eine starke Westbindung oder Schnabel unmittelbar nach dem Krieg für Demokratie und einen liberalen Verfassungsstaat). Zudem wurden ihre politischen Forderungen entsprechend ihrer Rolle als spezifische Intellektuelle in historische Betrachtungen eingebunden. In Italien war die Reaktion der Historiker auf die Zäsur hingegen wesentlich komplexer. Die alliierte Besatzungszeit dauerte nur kurz, und der Fortbestand des Staates stand nicht in Frage. Allerdings bildete sich ein neues politisches System heraus, und dieses fand keineswegs die Zustimmung aller Geschichtswissenschaftler. Die kommunistischen Parteihistoriker Manacorda und Ragionieri lehnten es als Klassenherrschaft ab, während Bendiscioli es als Demokratie mit einer 317 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

neuen katholisch geprägten Elite und Croce in erster Linie als antikommunistische Regierung begrüßten. Salvemini betrachtete Regierung wie Opposition als totalitär gesinnt und trat daher für eine dritte Kraft zwischen den Lagern ein. Obwohl der politische Einfluss dieser dritten Kraft marginal blieb, wurde Salvemini von anderen öffentlichen Akteuren ernst genommen, da die terzaforzisti für die Rolle als Zünglein an der Waage in Frage kamen und besonders die Kommunisten dem Einfluss auf die Intellektuellen wegen der Lehren Gramscis eine große Bedeutung beimaßen. Die übrigen Vertreter des Samples beschäftigten sich sowohl wissenschaftlich als auch in einer breiten Öffentlichkeit kaum mit der jüngsten Geschichte und ihren Folgen. Beide Länder befanden sich nach staatlichem Zusammenbruch und Niederlage in einer vergleichbaren Lage, und in der öffentlichen wie verbreiteten Meinung entwickelten sich ähnliche Grundansichten über die jüngste Vergangenheit. In Westdeutschland wie Italien hatten sich große Teile der Bevölkerung noch keineswegs von den untergegangenen Diktaturen distanziert, die über lange Jahre in der Lage gewesen waren, einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu erzeugen. Diese Einsicht leitet zu einem zentralen Ergebnis dieser Studie über: Die wissenschaftliche Arbeit, vor allem aber die massenmediale Praxis der Historiker, stand in einem engen Wechselverhältnis zu dieser öffentlichen Meinung, zumal sich Fachvertreter beider Ländern aufgrund einer spezifischen nationalen Tradition als Volkserzieher empfanden. Und bei allen politischen Differenzen leitete die überwiegende Mehrheit der Historiker beider Länder bei den prinzipiellen Fragen des Umgangs mit der Zäsur eine ähnliche Absicht, nämlich zur normativen Abgrenzung ihrer Gesellschaften von Nationalsozialismus und Faschismus beizutragen, die Masse der ehemaligen Mitläufer zu integrieren und dadurch die neuen demokratischen Staaten zu stabilisieren (auch wenn sie diese, wie die italienischen Marxisten, nur als Übergangsphase in die sozialistische Gesellschaft betrachteten). Dies erklärt, wieso sich westdeutsche und italienische Historiker, die sich sowohl in der Art der öffentlichen Praxis als auch in ihren politischen Zielen stark voneinander unterschieden, beim Umgang mit der Zäsur 1943/45 in ihren Schwerpunktsetzungen und historischen Deutungen ähnelten: Der unter dem Vorwurf des Verrats stehende Widerstand gegen die Diktaturen wurde überbetont und verherrlicht. Belastende Aspekte wie die massenhafte Zustimmung weiter Bevölkerungskreise zu Nationalsozialismus und Faschismus und die Beteiligung an Verbrechen wurden dagegen margina­ lisiert oder beschwiegen, um nicht durch Vorwürfe oder Anklagen in den Gesellschaften eine Abneigung gegen die Nachkriegssysteme zu fördern.9 9 Dass der Wunsch nach Beeinflussung der öffentlichen Meinung eine wichtige Ursache dieser transnationalen Ähnlichkeiten war, zeigt sich auch daran, dass westdeutsche und italie­ nische Historiker untereinander kaum persönliche Kontakte hatten und die Einstellungen von Historikern des anderen Landes nur in einem geringen Maße wahrnahmen. Das galt umso mehr für ihre jeweilige öffentliche Praxis in den Massenmedien. Allenfalls Ritter und Cantimori sowie Croce und Meinecke korrespondierten miteinander.

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Volkserziehung – das hat diese Untersuchung gezeigt – war also keine einseitige Popularisierung von »unabhängig« gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnissen gegenüber einer ausschließlich rezipierenden Gesellschaft.10 Historiker betrieben niemals Forschung im Elfenbeinturm, denn sie wurden nicht anders als ihre Mitlebenden durch generationelle Erfahrungen geprägt. Als Zeithistoriker betraf sie die Geschichte, über die sie schrieben, persönlich. Sie waren nicht nur Zeithistoriker, sondern auch Zeitgenossen und bis zu einem gewissen Grad Zeitzeugen. Der Glaube an eine notwendige Kontinuität des kleindeutschen Staates, des italienischen Einheitsstaates oder die Interpretation der Geschichte als Klassenkampf waren Prämissen, die sie ihren Darstellungen der Zäsur zugrunde legten. Vor allem aber hatte die öffentliche Meinung – oder zumindest das Bild, das sich Historiker von dieser öffentlichen Meinung machten – Rückwirkungen auf ihre Forschungsschwerpunkte und Interpretationen. Wenn Historiker sich mit der Aufarbeitung von Nationalsozialismus und Faschismus wissenschaftlich beschäftigten, versuchten sie generell, ihre Thesen auch außerhalb der Fachöffentlichkeit zu verbreiten. Eine wesentliche Debatte, mit der die normative Abgrenzung von Nationalsozialismus und Faschismus ausgefochten wurde, war in beiden Staaten der Streit über den Widerstand. In der Bundesrepublik verteidigten vor allem Ritter und Rothfels die Widerstandskämpfer, welche die meisten Deutschen in den Nachkriegsjahren noch für Verräter hielten oder denen sie sogar die Schuld an der Niederlage anlasteten. Ebenso identifizierten in Italien sowohl die Marxisten als auch Salvemini oder Croce die Nation mit dem Widerstand, als dies von beachtlichen Teilen der Bevölkerung abgelehnt wurde und sich die italienischen Regierungsparteien aus Gründen der politischen Opportunität (Integration der ehemaligen Faschisten, Antikommunismus) kaum zur Resistenza bekannten. Westdeutsche wie italienische Historiker übertrieben Umfang und Intensität dieses Widerstands in der Öffentlichkeit sowie seine moralische Legitimation. Zumal bei Ritter war erkennbar, dass er in den Massenmedien im Gegensatz zu seinen wissenschaftlichen Darstellungen Differenzierungen und Kritik an den Beteiligten des 20. Juli vermied. Eine positive Bewertung des Widerstands gegen die Regimes setzte sich indes im Verlauf der fünfziger Jahre in der öffentlichen Meinung mehr und mehr durch. Historiker waren dabei Vorreiter, auch wenn der Erfolg sich letztendlich weniger ihrer massenmedialen Praxis als eher der symbolischen Unterstützung führender Politiker und einiger maßgeblicher Gerichtsprozesse verdankte. Anders als in der Bundesrepublik wurde die Resistenza in Italien zum Gründungsmythos der Republik, denn die maßgeblichen Parteien waren aus dem antifaschistischen Widerstand hervorgegangen. Ein Bekenntnis zur Resistenza war ein Akt der Selbstbehauptung, auch für die DC, die das Thema Widerstand nicht dem linken Lager überlassen wollte. Der Antifaschismus der Nachkriegs10 Vgl. Vogel, S. 650 f. Vgl. auch Nikolow; Felt, S. 248–267.

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zeit diente also nicht nur, wie François Furet meint,11 als eine Legitimationsgrundlage der Kommunisten. Er endete weder 1945 noch Anfang der fünfziger Jahre, sondern war auch in den folgenden Jahren ein mühevoller Prozess der italienischen Gesellschaft. Dies galt zwar grundsätzlich genauso für Westdeutschland, aber die normative Abgrenzung vom Faschismus erwies sich südlich der Alpen als eine schwierigere Entscheidung als in der Bundesrepublik, da in Italien der Kommunismus stärker Teil der eigenen Gesellschaft war und die Christdemokraten mit diesem ohne sichere Mehrheit in einer direkten Aus­ einandersetzung standen. Der Widerstand sollte nach dem Willen vieler Historiker (Ritter, Rothfels, Croce, Salvemini, Manacorda, Ragionieri) darüber hinaus eine Brücke zur Geschichte vor den Diktaturen bilden. Im Widerstand machte man die »wahren« Vertreter der Nation aus. Diese Sichtweise besaß in Italien mehr Einfluss als in Westdeutschland. Die Resistenza wurde als zweites Risorgimento gedeutet, durch das sich die italienische Nation von einem fremden Unterdrücker befreit habe. Eigentlich entstammte diese Idee dem linken politischen Lager, wurde aber Mitte der fünfziger Jahre von den Christdemokraten übernommen. Die meisten Historiker beider Staaten propagierten trotz der Abgrenzung von Nationalsozialismus und Faschismus keinen Bruch mit der nationalen Geschichte, sondern schlossen beide diktatorischen Systeme vielmehr aus der nationalen Entwicklung aus. Den protestantischen Historikern Westdeutschlands ging es darum, die Kontinuität des kleindeutschen Nationalstaates zu erhalten. Eine negative Sicht auf die Vergangenheit vor 1945 erschien ihnen als eine Gefahr, die den Staat destabilisieren könnte. Dass sie die Kontinuität des nationalen Geschichtsbildes erhalten wollten, trug dazu bei, langfristige deutsche Ursachen des Nationalsozialismus auszuschließen. Stattdessen wurde die Machtübernahme der Nationalsozialisten der Verführbarkeit einer desintegrierten Massengesellschaft angelastet (Ritter) oder teilweise dem Zufall zugeschrieben und als Tragik entschuldigt (Meinecke). Meinecke verzichtete gerade in den Massenmedien anders als in der Deutschen Katastrophe auf eine kritische Reflexion deutscher Traditionen. Grundsätzlich galt das Volk als wehrlos einem gigantischen Terror- und Repressionsapparat unterworfen. Dieser Rekurs auf übergeordnete Entwicklungen (Massenzeitalter, Totalitarismus) konnte an kulturpessimistische Haltungen im deutschen Bildungsbürgertum vor 1933 anknüpfen und wurde auch von zahlreichen anderen öffentlichen Akteuren, zuvorderst den Soziologen vertreten, wodurch sich eine genauere Analyse nationaler Ursachen der Diktatur erübrigte. Zudem entsprach er dem antitotalitären Konsens, der sich im Gegensatz zu Italien in der westdeutschen Gesellschaft nach 1945 entwickelte und Nationalsozialismus und Kommunismus gleichsetzte. Dies relativierte nicht nur die deutschen Ursachen der Zäsur, sondern ermöglichte gerade nationalkonservativen Protestanten (wie Ritter) eine Identifikation mit dem 11 Vgl. Furet, S. 209 f.

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neuen demokratischen Staat und der zuvor abgelehnten westlichen Welt. Der demokratische Antitotalitarismus ersetzte also den vor 1945 gepflegten antidemokratischen Nationalismus.12 Die Verteidigung deutscher Traditionen diente überdies dazu, Pauschalurteile über die gesamte deutsche Geschichte der Neuzeit abzuwehren, die in den Jahren der alliierten Besatzung eine Konjunktur erlebten. Unabhängig von den öffentlichen Stellungnahmen der Historiker war solchen Verdammungen indes keine lange Erfolgsdauer vergönnt, da sich auf die vollständige Ablehnung jeglicher Vergangenheit kein Staatswesen gründen ließ. Das lässt sich schon daran erkennen, dass auch in der DDR solche Versuche rasch ad acta gelegt wurden. Es wurde stattdessen im Osten Deutschlands der Versuch unternommen, neue Traditionen in der nationalen Geschichte zu finden, auf die eine positive Interpretation der Vergangenheit gegründet werden konnte. Einen ähnlichen Versuch unternahm Schnabel. Er wollte ebenfalls die Kontinuität der nationalen Geschichte erhalten, diese aber als Konsequenz aus der Zäsur auf andere als die hergebrachten Traditionen stützen, nämlich die demokratische und liberale Bewegung des 19. Jahrhunderts, die Revolution von 1848 und nicht zuletzt die Weimarer Republik. In Italien stand besonders Croce für eine ungebrochene Linie des italienischen Einheitsstaates von 1861. Seine parentese-Theorie, die ein uneingeschränktes Anknüpfen an den vorfaschistischen Staat ermöglichen sollte, setzte sich in weiten Teilen der öffentlichen Meinung rasch durch und wurde zudem von politischen Parteien und der Presse übernommen. Sie ermöglichte einen Schlussstrich unter die jüngste Vergangenheit. Auch Salvemini argumentierte weitgehend auf der Basis der parentese-Idee, da er langfristige Ursachen des Faschismus nicht für entscheidend hielt und diesen als italienische Version eines weltweiten Phänomens interpretierte. Die marxistischen Historiker deuteten wie in der DDR den Faschismus als Teil  der bürgerlichen Herrschaft und sahen dementsprechend langfristige Ursachen, die aber nicht spezifisch italienisch, sondern nach ihrer Auffassung Folge der kapitalistischen Gesellschaftsordnung waren. Auch sie wollten die nationale Kontinuität erhalten, indem sie sich auf neue Traditionen in der italienischen Geschichte, zumal die Arbeiter­ bewegung, konzentrierten. Für eine ganz andersartige Geschichtsinterpretation, mit der er sich von allen übrigen westdeutschen und italienischen Historikern unterschied, stand hin­gegen Dehio, weil er bewusst mit jeglicher nationaler Kontinuität brechen wollte. Die Epoche der europäischen Nationalstaaten war für ihn mit der Zäsur 1945 beendet, und er forderte als Konsequenz, dass Westdeutschland in einem christlichen Abendland aufgehe. Diese Anschauung stand der vorherrschenden Meinung in der »Zunft« entgegen, und es kam in der wissenschaft­lichen und später auch außerfachlichen Öffentlichkeit zu Streit mit Fachkollegen, aber ebenso mit anderen öffentlichen Akteuren (Augstein), weil ein Verzicht 12 Vgl. Solchany, S. 377, 391.

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auf die nationale Kontinuität einen Verzicht auf die Wiedervereinigung bedeutete. Letztlich nahmen diese Auseinandersetzungen aber keine besondere politische Qualität an, da Dehio mit seinem rigiden Antikommunismus nahtlos an Adenauers Westintegrationspolitik anschloss. Da er keine nationale Kontinuität verfocht, konnte Dehio zwar langfristige deutsche Ursachen anprangern. Diese Frage spielte für ihn allerdings keine entscheidende Rolle, da der Nationalsozialismus in seinem Gedankengebäude keine einzigartige Entwicklung, sondern Teil eines strukturellen Hegemonialkampfes europäischer Großmächte war. Was der nationalen Kontinuität entgegenstand, nämlich die freiwillige massenhafte Zustimmung weiter Bevölkerungsteile zur Diktatur und die Verbrechen, blendeten die Historiker der Bundesrepublik und Italiens weitgehend aus. Dass die Historiker durch ihre massenmediale Praxis Einfluss auf die öffent­ liche Meinung gewinnen wollten, verstärkte diese Blindstellen noch. Es erschien ihnen naheliegend, dem Gros der Menschen, welche die Diktaturen lange befürwortet hatten, keine Vorwürfe zu machen, um einen Beitrag zu ihrer Integration in den neuen Staat zu leisten. So unterstützten sie in der Öffentlichkeit die Legende der »sauberen Wehrmacht« oder einer von Kriegsverbrechen unbelasteten italienischen Armee. Westdeutsche Historiker (Rothfels, Heimpel) verliehen der Behauptung wissenschaftliches Gewicht, kaum jemand sei an den Verbrechen beteiligt gewesen oder habe von Massenvernichtungen gewusst. Ritter engagierte sich sogar für die Freilassung verurteilter Kriegsverbrecher, da er ihre Bestrafung, wie fast die gesamte öffentliche Meinung Westdeutschlands, als eine nationale Demütigung empfand. Auch in Italien wurden Verbrechen und massenhafte Zustimmung kaum thematisiert. Croces Publizistik war darüber hinaus noch viel stärker als bei Historikern in der Bundesrepublik politischen Zielen unterworfen, da er selbst ein wichtiger Nachkriegspolitiker war und mit den Alliierten verhandelte. Allerdings waren Croces Versuche, durch Artikel in großen US-amerikanischen und britischen Tageszeitungen Einfluss auf die öffentliche Meinung der westlichen Siegerstaaten zu gewinnen, ebenso vergeblich wie die dem gleichen Ziel dienenden Buchveröffentlichungen Salveminis sowie der westdeutschen Fachvertreter Ritter und Rothfels. Eine massenhafte Zustimmung zum Faschismus konnten auch marxistische Historiker nicht eingestehen, da die Kommunistische Internationale den Faschismus als offene Diktatur des Finanzkapitals definiert hatte. Damit jedoch war kaum in Einklang zu bringen, dass große Teile der italienischen Arbeiterklasse das faschistische System lange Zeit begrüßt hatten. Diese Zustimmung konnte daher nur als Folge von Täuschung gelten. Schuld wurde auch südlich der Alpen auf eine kleine Gruppe reduziert. Aber nur in Italien ging dieser Prozess mit einer Verharmlosung einher, den vor allem ein häufiger Vergleich des Faschismus mit dem Nationalsozialismus ermöglichte. Exemplarisch zeigte sich dies am Umgang mit Hitler und Mussolini. Während man Hitler in der Bundes­republik dämonisierte, wurde Mussolini entweder als gutmütig oder erbärmlich geschildert. Croce prägte diese Sichtweise maßgeblich, allerdings trug 322 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Salvemini ebenfalls zu ihrer Entwicklung bei. Die Verharmlosung diente in gewisser Weise der inneren Befriedung, nachdem die wilden Abrechnungen der Partisanen mit den Faschisten nach Kriegsende Tausende Tote gefordert hatten. Verbrechen und Zustimmung wurden, wenn überhaupt, nur in einer ab­ strakten Weise angesprochen, die keine Verantwortlichen nannte (Heimpel), oder schien unfreiwillig in bestimmten öffentlichen Aussagen der Historiker durch (Croce). Dass Salvemini in seinen Beiträgen die Verbrechen an besetzten Völkern deutlich ansprach, war bemerkenswert, wenn er sie gleichwohl wenigen Verantwortlichen anlastete. Jedoch fand er mit diesen Mahnungen kein Gehör.13 Diese Positionen der Historiker sind der Forschung in weiten Teilen bereits durch die Analyse ihrer wissenschaftlichen Werke bekannt. Was lässt sich darüber hinaus aus der hier durchgeführten Untersuchung ihrer Beiträge für Presse und Runkfunk lernen? Die massenmediale Praxis der Geschichtswissenschaftler hatte insgesamt ambivalente Folgen. Die Historiker propagierten zeitweise unpopuläre Themen wie den Widerstand, weil dies ihren volkserzieherischen Zielen entsprach, nämlich zur normativen Abgrenzung von den Diktaturen und zur Stabilisierung der Nachkriegsstaaten beizutragen, gleich ob man diese grundsätzlich bejahte, als geringeres Übel oder wie die Marxisten als eine Etappe in der Entwicklung zur sozialistischen Gesellschaft begriff. Diese Ziele waren im untersuchten Zeitraum keineswegs Selbstverständlichkeiten, wie man nicht nur an der Apologie zahlreicher anderer Akteure der westdeutschen und italienischen Öffentlichkeit, sondern auch an den Beiträgen Aubins erkennen konnte. Die Historiker wollten mit ihrer massenmedialen Praxis die öffentliche Meinung beeinflussen, und dies hatte unvermeidlich Rückwirkungen auf ihre Forschungsschwerpunkte und Deutungen. Es war also keine Überraschung, dass sie trotz ihres wissenschaftlichen Anspruchs mit ihrer Sicht auf die Vergangenheit ihrer Zeit meistens nicht voraus sein konnten. Zwar hätte wohl kein Historiker vor Ende der fünfziger Jahre mit einer kritischen Aufarbeitung der massenhaften Zustimmung zu den diktatorischen Systemen oder der Verbrechen auf ein aufnahmebereites Publikum rechnen können. Diese Aspekte ermöglichten im Gegensatz zum Thema Widerstand auch keine positive Identifikation mit der eigenen Vergangenheit. Aber Historiker waren als Wissenschaftler in der Regel vom Publikumserfolg materiell nicht abhängig. Obwohl sie als Angehörige staatlich finanzierter Universitäten oder vergleichbarer subventionierter Einrichtungen weniger als Journalisten, Publizisten oder Politiker auf die Zustimmung eines breiten Publikums angewiesen waren, richteten sich die Historiker freiwillig danach aus, um Einfluss innerhalb des Kommunikationsraums Öffentlichkeit ausüben zu können. Der Wunsch, die Stabilität des Staates und die Integration der ehemaligen Systemanhänger nicht zu gefährden, förderte bei 13 Bis in die Gegenwart erhielten Massaker der italienischen Besatzungsmacht keinen Platz in der öffentlichen Erinnerung im Gegensatz zu an Italienern verübten Verbrechen wie in Marzabotto oder den Ardeatinischen Höhlen. Vgl. Klinkhammer, Stragi naziste, S. 25–27.

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etlichen von ihnen die Haltung, diese historischen Fragen nicht zu behandeln oder zu marginalisieren. Gerade in der westdeutschen Konsens­gesellschaft vermieden Historiker oft eine zu starke Positionierung gegen die öffentliche und verbreitete Meinung. Ritter forderte die Wiederbewaffnung erst, als sich das Meinungsklima für den Aufbau der Bundeswehr wandelte. Vorher hatte er nur versucht, mit der Zurückweisung des Militarismus-Vorwurfs diesem Gesinnungswandel den Boden zu bereiten. Dehio kritisierte erst zum Ende der fünfziger Jahre hin in einer breiten Öffentlichkeit preußische Traditionen, als sich die Aufnahmebereitschaft für einen kritischeren Blick auf die nationale Vergangenheit in der westdeutschen Gesellschaft verstärkte.14 Noch einmal: Historiker verschwiegen Themen nicht aus einer taktischen Haltung heraus, ihre gesellschaftspolitischen Prämissen ergaben sich aus ihren Lebenszusammenhängen. Aber ihr Wunsch, die öffentliche Meinung zu be­einflussen, verstärkte ihren Unwillen, über Verbrechen und massenhafte Zustimmung in den Diktaturen zu sprechen, selbst wenn sie zu deren Auf­ arbeitung aufgefordert wurden oder sich der Bedeutung des Gegenstandes zumindest teilweise bewusst waren. Es ist einerseits berechtigt, kritisch die Kosten dieses Beschweigens herauszustellen und darauf hinzuweisen, dass Historiker eine besondere Pflicht besaßen, gegen die teilweise Ausblendung der unmittelbaren Vergangenheit anzugehen. Diesem Anspruch, was die Verbrechen, zumal den Holocaust angeht, genügten sie nicht.15 Es war aber nicht nur das in der Forschung angesprochene Entsetzen und die Überforderung, die westdeutsche Historiker anfangs dazu brachte, mit struktureller Apologetik auf den Holocaust zu reagieren.16 Es ist vielmehr nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Histo­riker mit einer gesellschaftlichen Realität konfrontiert sahen, in der Kontinuitäten über die Zäsur von 1943/45 überwogen – nicht nur bei den zahlreichen Eliten, sondern ebenso in vielen Grundhaltungen der Bevölkerung. Der Befürchtung der Historiker, durch eine zu selbstkritische Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit die Nachkriegsdemokratien zu beschädigen und zu einer Destabilisierung ihrer Staaten beizutragen, ist daher eine gewisse Berechtigung nicht abzusprechen. Ihre außerfachliche öffentliche Praxis richtete sich schließlich bis Ende der fünfziger Jahre nicht an eine Gesellschaft, welche die Diktaturen nicht mehr bewusst erfahren hatte, sondern an eine breite Masse, die – wie sie teilweise auch selbst – Mitläufer oder sogar Täter gewesen war. Sie sahen nicht die Erfolgsgeschichte des demokratischen Westeuropas voraus, viel eher stand ihnen, bewusst oder unbewusst, das Scheitern der demokratischen Systeme nach dem Ersten Weltkrieg vor Augen. Es war insofern bis zu einem gewissen Grad verständlich, wenn Historiker wie Ritter oder Croce für 14 Einen wirklichen Durchbruch erzielte diese Kritik erst mit den Thesen Fritz Fischers zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs, die Dehio aber in dieser Intensität nicht mittragen wollte. Vgl. hierzu Beckers, S. 81. 15 Vgl. Berg, Holocaust, S. 9. 16 Vgl. ebd., S. 54.

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das Aufkommen von Nationalsozialismus und Faschismus nicht einen Mangel an Demokratie in ihren Gesellschaften verantwortlich machten, sondern gerade in dieser Demokratie eine potentielle Gefahr sahen, die extremistische Parteien an die Macht bringen könnte. Der hartnäckige Widerstand Ritters, Croces oder Salveminis gegen eine als nationale Demütigung empfundene alliierte Politik gegenüber den besiegten Staaten muss vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen nach dem Ersten Weltkrieg gesehen werden, als rechtsextreme Bewegungen von einer Stimmung nationaler Missachtung durch die westlichen Mächte profitierten. Sie wollten das nationale Thema nicht den Nationalisten überlassen. In Italien kam als erschwerender Punkt hinzu, dass Ressentiments der ehemaligen Regimeanhänger in der ideologischen Auseinandersetzung dem jeweiligen innenpolitischen Gegner hätten nützlich werden können. Auch in der Bundesrepublik sahen Historiker, wie etliche andere öffentliche Akteure, in einer öffentlichen Aufarbeitung der NS-Verbrechen einen Erfolg der DDR-Propaganda, was sie als Schwächung im Kalten Krieg empfanden. Westdeutsche und italienische Historiker fürchteten also nicht nur, mit bestimmten Themensetzungen auf keine Resonanz beim Publikum zu stoßen, sondern dem Ziel der normativen Abgrenzung von der Diktaturen und der Stabilität der Nachkriegssysteme sogar zu schaden. Wie stark diese Rückwirkung der öffentlichen Meinung war, ließ sich auch am Umgang Schnabels oder Bendisciolis mit Verbrechen und Zustimmung zu den Diktaturen erkennen. Obwohl sie als katholische Historiker nicht die hergebrachten Traditionslinien verteidigten und nicht wie die Marxisten ein positives Bild der »Massen« vertraten, behandelten sie die tabuisierten Aspekte der Geschichte nur in kleineren Spezialöffentlichkeiten. Das eklatanteste Beispiel war allerdings Dehio, der sich in internen Zirkeln, aber bewusst nicht in der Öffentlichkeit gegen den Neonazismus engagieren wollte, da er hiervon eine kontraproduktive, nationalistische Wirkung befürchtete. Dass insbesondere die westdeutschen Historiker ihre Einstellung nach dem Generationswechsel und einer kritischeren Haltung der Gesellschaft zur nationalsozialistischen Vergangenheit Ende der fünfziger Jahre nicht mehr änderten, vielmehr in dieser Kritik wie in der NS-Apologie eine Gefahr für die Stabilität des Staates erblickten und fehlendes Geschichtsbewusstsein beklagten, macht allerdings deutlich, dass ihre Interpretationen zwar aus ihrer eigenen Erfahrung heraus verstehbar, aber nicht zukunftsweisend waren. Das Konzept der Konsensgesellschaft, in der öffentlicher Streit vermieden und die öffent­liche Meinung möglichst im Sinne der offiziellen Politik gelenkt werden sollte, blieb ihre Leitidee. Die Sichtweise einer Öffentlichkeit als kritischer und damit den demokratischen Staat stärkenden und belebenden Instanz, wie sie sich in den sechziger Jahren mehr und mehr durchsetzen sollte, wurde von ihnen nicht nachvollzogen. An Conzes Überblicksdarstellung zu Beginn des Jahres 1961 ließ sich jedoch die Rückwirkung dieser veränderten öffentlichen Debatte auf die Geschichtswissenschaft erkennen. Der Holocaust konnte nicht mehr beiseite geschoben und musste als ein zentraler Aspekt der NS-Ideologie zumindest benannt werden. Allerdings ging es auch Conze darum, im Wesentlichen die 325 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Kontinuität der deutschen Geschichte zu retten und ihre Brüche zu rela­tivieren. Es blieb daher einer jüngeren Generation von Historikern seit den sechziger Jahren vorbehalten, sich ausgeblendeten Teilen der nationalsozialistischen Vergangenheit zuzuwenden, mit denen sich die westdeutsche Gesellschaft nach dem generationellen Umbruch ab 1957 beschäftigte. Allerdings waren es auch nach 1960 weniger Historiker, die im Umgang mit der Zäsur einen Wandel der gesellschaftlichen Erinnerung anstießen, sondern vielmehr verschiedene Interessengruppen, Zeitzeugen, Publizisten oder Politiker.17 In Italien setzte ein solcher Wandel erst viel später ein. Zwar waren es Historiker um De Felice, die sich erstmals mit der Massenbasis beschäftigten, die den faschistischen Staat viele Jahre lang getragen hatte. Allerdings fand diese Auseinandersetzung sozusagen »von rechts« statt, das heißt massenhafte Zustimmung wurde nicht als kritischer Vorwurf an die Gesellschaft der Jahre 1922– 1945 gerichtet, sondern diente der teilweisen Rechtfertigung, zumindest jedoch Relativierung der Diktatur. Der schon von Croce aufgebrachte ständige Vergleich mit dem Nationalsozialismus wurde im Sinne des Revisionismus weiter instrumentalisiert.18 Der Hinweis auf die schwereren Verbrechen Deutschlands war zweifellos begründet, aber er blockierte auch jede Aufarbeitung italienischer Verbrechen während des Faschismus. Von der antifaschistischen öffentlichen Meinung wurde die Massenbasis des Regimes geleugnet, weil unter ihrer Anerkennung eine Zustimmung zu De Felices Revisionismus und eine Abwertung des Antifaschismus verstanden wurde. Die Fronten der Auseinandersetzung um die Vergangenheit verhärteten sich, führten aber letztlich in beiden Lagern zu einer Beschönigung: Die Antifaschisten rechtfertigten die Geschichte damit, dass 1922–1945 kaum jemand Faschist gewesen sei; die Postfaschisten hingegen behaupteten im Gegenteil, fast jeder sei Faschist gewesen, weswegen die Diktatur auch nicht habe schlimm sein können.19 Neben der Tatsache, dass Verbrechen dort niemals wie in der Bundesrepublik Deutschland in öffentlichen Prozessen thematisiert wurden und es keinen Aufklärungsdruck des Auslandes gab, sorgte die Verharmlosung des Systems dafür, dass die normative Abgrenzung vom Faschismus dauerhaft beschränkt blieb. Daher war es viel leichter, sich bis zu einem gewissen Grad zum Faschismus zu bekennen, weil dies zwar ein Bekenntnis zum autoritären System, aber nicht zu Massenverbrechen mit einschloss. Selbst wenn in Italien mit De Felice tatsächlich ein Historiker in Teilen der öffentlichen und verbreiteten Meinung eine Änderung im Sinne einer revisionistischen Faschismuserinnerung hervorrief, darf seine Bedeutung nicht überschätzt werden. Die Relevanz seiner Thesen war stärker ihrer Nutzung durch andere öffentliche Akteure als seiner eigenen Überzeugungskraft zu verdanken.20 17 Vgl. François, S. 19–21. 18 Vgl. Focardi, Unsitte, S. 131. 19 Vgl. ebd., S. 130. 20 Vgl. Santomassimo, De Felice, S. 419. Vgl. auch Isnenghi, S. 993–999.

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Dass Historiker sich vor und nach 1945 trotz ihres Selbstbildes kaum von der Vergangenheitssicht ihrer Zeitgenossen unterschieden, war ein strukturelles Problem, das nicht zuletzt ihrem Bedürfnis nach Lenkung der öffent­ lichen Meinung geschuldet war. Trotzdem waren Historiker nicht einfach nur eine Gruppe von öffentlichen Akteuren, die eine bestimmte Deutung der Vergangenheit durchsetzen wollten und sich dabei nicht von anderen Handelnden wie Journalisten oder Politikern unterschieden. In der Bundesrepublik wurden sie von Politik, Justiz und Prestige-Medien als Experten anerkannt und erhielten dadurch einen privilegierten Zugang bei der öffentlichen Betrachtung von historischen Zusammenhängen, den sie durch Gutachten ebenso nutzten wie durch Presseartikel und Hörfunkbeiträge. Obwohl sie oftmals nicht Vorreiter bei neuen historischen Themensetzungen und Deutungsverschiebungen waren, reagierten sie langfristig darauf und produzierten größtenteils das Wissen, das sich aus den neuen Fragenstellungen ergab. In Italien war ihre Rolle dagegen nicht so trennscharf definiert. Die fließenden Übergänge zwischen Medien und Geschichtswissenschaft und die politisierte Gesellschaft sorgten dafür, dass Historiker, Politiker und Journalisten sich weniger klar voneinander unterschieden. Dadurch kam italienischen Geschichtswissenschaftlern zeitweise eine stärkere Position in der öffentlichen Debatte zu (zumal Croce). Die öffentliche Praxis von Historikern in den Massenmedien weist also ein zwiespältiges Ergebnis auf. Historiker nahmen als Intellektuelle ihre gesellschaftliche Verantwortung wahr und leisteten einen Beitrag zur Überwindung von Nationalsozialismus und Faschismus. Zumal deutsche Historiker brachen damit mit der republikfeindlichen Haltung, die die Historiographie der Weimarer Republik ausgezeichnet hatte. Dieses Engagement war aber in erster Linie nicht an den Erfordernissen ihrer Wissenschaft, sondern an der Wirkung auf ein breites öffentliches Publikum ausgerichtet. Diese Orientierung brachte Kosten mit sich, denn die außerfachliche öffentliche Praxis der Historiker verstärkte die Einseitigkeit ihrer Forschungsschwerpunkte und nahm ihnen die Möglichkeit, historische Interpretationen jenseits des allgemeinen Diskurses zu entwickeln. Der Wunsch, ein Wiedererstarken von nationalsozialistischen und faschistischen Tendenzen zu vermeiden und die demokratischen Staatswesen nach 1943/45 zu stabilisieren, trug zur Verzögerung der Beschäftigung mit etlichen Aspekten dieser rechtsextremen Diktaturen bei. Die meisten westdeutschen und italienischen Historiker, so kann das Fazit dieser Studie lauten, erwiesen sich in der Nachkriegszeit in dieser Hinsicht stärker als Intellektuelle denn als professionalisierte Wissenschaftler.

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Dank Dieses Buch ist eine leicht gekürzte Version meiner im August 2010 beim Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin eingereichten Dissertation. Für das Gelingen dieser Arbeit möchte ich zunächst meinem Betreuer Professor Jürgen Kocka danken, der mich mit kritischen Hinweisen und vielen fruchtbaren Anregungen während meiner Promotion entscheidend unterstützt hat. Weiterhin danke ich Professor Oliver Janz für seine Bereitschaft, das Zweitgutachten zu übernehmen und den »Kritischen Studien« für die Aufnahme meiner Doktorarbeit in ihre Reihe. Finanziert wurde meine Arbeit durch ein Promotionsstipendium der Nachwuchsförderung des Landes Berlin (NaFöG) und ein Abschlussstipendium der gemeinnützigen Fazit-Stiftung, die auch einen großzügigen Zuschuss bei der Bewältigung der Druckkosten gewährte. Bei den Druckkosten wurde ich zudem durch die Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften und das Berliner Kolleg für Vergleichende Geschichte Europas unterstützt. Der Deutsche Akademische Austauschdienst förderte ferner mit mehreren Aufstockungsstipendien meine Archivreisen nach Italien. Zu Dank verpflichtet bin ich Claudia Passerin d’Entrèves, die mir die Einsicht in das Privatarchiv ihrer Familie erlaubte, und ebenso Prof. Giorgio Bendiscioli, welcher mir den Zugang zu dem bis dahin nicht erschlossenen Archiv seines Onkels ermöglichte. Für die Hilfe beim Zugang zu weiteren Archiven und die Vermittlung von Zeitzeugengesprächen danke ich außerdem Prof. Paolo Simoncelli, Sara Pollastri und Dr. Enrico Faini. Besonders großen Dank schulde ich Frau Dr. Anna Caliento vom Istituto storico italiano per l’età moderna e contemporanea für viele Gespräche, die mir biographische Einsichten zu den von mir untersuchten Historikern erschlossen, sowie für ihre unermüdliche Hilfe bei der Entzifferung von Handschriften. Ferner danke ich Jana Behrendt vom Historischen Archiv des Südwestfunks Baden-Baden sowie Mirco Bianchi vom Istituto storico italiano della Resistenza in Toscana für die besonders freundliche Hilfe bei der Arbeit in ihren Archiven. Abschließend danken möchte ich gerne Jan Eike Dunkhase, Melanie ­Hanold, Heike Robrahn und Veronika Zink, die meine Texte mit mir diskutiert und mich bei der Fertigstellung meiner Arbeit unterstützt haben.

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Abkürzungen AFK AfS ARD

Archiv für Kulturgeschichte Archiv für Sozialgeschichte Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland BArch Bundesarchiv Koblenz BBC British Broadcasting Company BR Bayerischer Rundfunk CDU Christlich-Demokratische Union Deutschlands CISH Comité International des Sciences Historiques CLN Comitato di Liberazione Nazionale CLNAI Comitato di Liberazione Nazionale in Alta Italia CSU Christlich-Soziale Union DC Democrazia Cristiana DDP Deutsche Demokratische Partei DNVP Deutschnationale Volkspartei dpa Deutsche Presseagentur DRA Deutsches Rundfunkarchiv DVP Deutsche Volkspartei EKD Evangelische Kirche in Deutschland FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FUCI Federazione Universitaria Cattolica Italiana GG Geschichte und Gesellschaft GL Giustizia e Libertà GPStA Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin GWU Geschichte in Wissenschaft und Unterricht HZ Historische Zeitschrift IfZ Institut für Zeitgeschichte INSMLI Istituto nazionale per la storia del movimento di liberazione ISRT Istituto storico italiano della Resistenza in Toscana Florenz JMH Journal of Modern History KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion MPG Archiv der Max-Planck-Gesellschaft Berlin MPI Max-Planck-Institut MSI Movimento Sociale Italiano NDR Norddeutscher Rundfunk NOFG Nordostdeutsche Forschungsgemeinschaft NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei PCI Partito Comunista Italiano PdA Partito d’Azione PLI Partito Liberale Italiano PNF Partito Nazionale Fascista

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PSIUP Partito Socialista Italiano di Unità Proletaria RAI Radiotelevisione Italiana RIAS Rundfunk im Amerikanischen Sektor Berlin RSI Rivista Storica Italiana SBZ Sowjetische Besatzungszone SDR Süddeutscher Rundfunk SDS Sozialistischer Deutscher Studentenbund SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SNS Archivio della Scuola Normale Superiore SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SRP Sozialistische Reichspartei StA Staatsarchiv Marburg SWF Südwestfunk UA Universitätsarchiv Heidelberg VfZ Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte VHD Verband der Historiker Deutschlands VSWG Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte WDR Westdeutscher Rundfunk ZfG Zeitschrift für Geschichtswissenschaft

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Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Ungedruckte Quellen Bundesarchiv Koblenz Nachlass Gerhard Ritter Nachlass Hans Rothfels Nachlass Hermann Aubin Nachlass Theodor Schieder Nachlass Karl Dietrich Erdmann Staatsarchiv Marburg Nachlass Ludwig Dehio Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin Nachlass Friedrich Meinecke Universitätsarchiv Heidelberg Nachlass Werner Conze Archiv der Max-Planck-Gesellschaft Berlin Teilnachlass Hermann Heimpel Reiss-Engelhorn-Museum Mannheim Nachlass Franz Schnabel Istituto storico italiano della Resistenza in Toscana Florenz Nachlass Gaetano Salvemini Istituto storico italiano per l’età moderna e contemporanea Rom Nachlass Federico Chabod Nachlass Armando Saitta

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Archivio dell’Università di Pavia Nachlass Mario Bendiscioli Archivio della Scuola Normale Superiore Pisa Nachlass Delio Cantimori Nachlass Ernesto Sestan Biblioteca Ernesto Ragionieri Sesto Fiorentino Nachlass Ernesto Ragionieri Archivio Ettore Passerin d’Entrèves Châtillon Nachlass Ettore Passerin d’Entrèves Fondazione Istituto Gramsci Rom Teilnachlass Gastone Manacorda Historisches Archiv des Südwestfunks Baden-Baden Hörfunk-Manuskript-Sammlung Historisches Archiv des Süddeutschen Rundfunks Stuttgart Manuskripte Hans Rothfels Manuskripte Hermann Heimpel Schallarchiv des Süddeutschen Rundfunks Stuttgart Schallaufnahmen Gerhard Ritter Historisches Archiv des Bayerischen Rundfunks München Schallaufnahmen Hans Rothfels Schallaufnahmen Werner Conze Deutschlandradio Kultur, Archiv des RIAS Berlin Schallaufnahmen Gerhard Ritter Schallaufnahmen Hans Rothfels Schallaufnahmen Hermann Heimpel

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Deutsches Rundfunkarchiv Wiesbaden Schallaufnahmen Friedrich Meinecke Hörfunkarchiv des Südwestrundfunks Mainz Schallaufnahmen Werner Conze Schallaufnahmen Hermann Heimpel Schallaufnahmen Ludwig Dehio Schallaufnahmen Gerhard Ritter Schallaufnahmen Hans Rothfels Schallaufnahmen Theodor Schieder Discoteca dello Stato Rom Schallaufnahmen Benedetto Croce Radiotelevisione Italiana – Direzione Rai Teche Schallaufnahmen Mario Bendiscioli Mündliche Auskünfte zu einzelnen Historikern verdanke ich folgenden Damen und Herren Prof. Giorgio Bendiscioli, Pavia Claudia Passerin d’Entrèves, Châtillon Pina Ragionieri, Florenz Prof. Rodolfo Ragionieri, Florenz Prof. Mario Rosa, Pisa Prof. Paolo Saitta, Rom Prof. Paolo Simoncelli, Rom Prof. Xenio Luigi Toscani, Brescia

2. Gedruckte Quellen und Literatur 1848. Eine Säkularbetrachtung von Friedrich Meinecke, Berlin 1948. Ein Abschiedswort Dr. Goerdelers, in: Neue Zeit, 19.12.1946. Ajello, N., Intellettuali e Pci 1944–1958, Roma 1979. – Storia della terza pagina, in: Nord e Sud, Bd. 32, agosto 1962, S. 100–123. Albanese, C., Un uomo di nome Benedetto. La vita di Croce nei suoi aspetti privati e poco noti, Napoli 2001. Alosco, A. u. a. (Hg.), Cento anni di socialismo a Napoli. 1892–1992, Napoli 1992. Anfuso, F., Contestazoni a Salvemini per l’assassinio di Rosselli, in: Il Tempo, 11.7.1951. Angelini, A. (Hg.), Il Nuovo Corriere (1945–1956), Urbino 1986. Angelini, M. u. M. Carattieri, Introduzione, in: Storiografia, Rivista annuale di ­storia, Jg. 9, 2005, S. 99–101.

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Register

1. Personenregister Abusch, Alexander  135 Adenauer, Konrad  53, 70, 104, 117 f., 172, 182, 218, 322 Adenauer, Paul  70 Adorno, Theodor  205 Agnelli, Giovanni  233 Amari, Michele  32 Amendola, Giorgio  254 Amendola, Giovanni  263 Andersch, Alfred  178 Andreotti, Giulio  253 Anfuso, Filippo  253, 258 Ansaldo, Giovanni  258 Antonini, Giacomo  127 f. Apitz, Bruno  188 Arendt, Hannah  166 Aristarco, Guido  273–275 Arndt, Adolf  63 Arndt, Ernst Moritz  212 Arnold, Rudolf  120 Assmann, Aleida  159, 298 Aubin, Gustav  45 Aubin, Hermann  19, 44–47, 95–98, 106, 122, 131, 156 f., 161, 163, 168 f., 186, 196, 199, 201, 203, 206, 293, 297 f., 307, 312, 317, 323 Augstein, Rudolf  183 f., 321 Baden, Prinz Max von  43 Badoglio, Pietro  222, 224, 227, 233, 235, 242, 304 Bahlinger, Herbert  60, 111, 116–118, 316 Bainton, Roland  15 Balbo, Cesare  31, 87 Barraclough, Geoffrey  160 Barth, Eberhard  172 Battisti, Cesare  277 f.

Bauer, Clemens  137 Bauer, Fritz  166 f. Beck, Ludwig  52 Below, Georg von  44 f., 61, 98, 131 Bendiscioli, Giorgio  83 f. Bendiscioli, Mario  20, 26, 82–85, 96 f., 102, 113, 115, 123, 130, 237–239, 247 f., 250, 266–268, 271, 281 f., 288, 299, 311, 314, 318, 325 Berg, Nicolas  11, 151, 190 Bergamini, Alberto  72 Bergstraesser, Ludwig  158 Besson, Waldemar  217 Best, Werner  11 Bethmann Hollweg, Theobald von  36, 43 Bevilacqua, Giulio  82, 84, 102 Bilenchi, Romano  125 Birke, Ernst  168 Birnbaum, Immanuel  121 Bischoff, Friedrich  108 Bismarck, Otto Fürst von  51, 58, 99, 137, 140, 145, 157, 175, 181, 210–213, 294 Bobbio, Norberto  274 Böhm, Franz  197 Boll, Monika  105 Bonhoeffer, Dietrich  52 f. Bonomi, Ivanoe  81, 127, 255, 259, 263 Borgese, Giuseppe Antonio  234 Borromeo, Carlo  82 Boveri, Margret  65 f., 119, 200, 203 Boyen, Hermann von  42 Bracher, Karl Dietrich  19 Brecht, Bertolt  15 Breithaupt, Max  137 Bresslau, Harry  55, 98 Bruch, Rüdiger vom  22

361 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Brüning, Heinrich  52, 146 Bullock, Alan  194 Buonarroti, Filippo  92, 103 Bülow, Bernhard von  34 f. Calamandrei, Piero  128, 272, 274 Cantimori, Delio  19, 40, 79, 84–87, 90 f., 93 f., 96 f., 102, 114, 125 f., 130 f., 187 f., 238, 269, 278 f., 284 f., 288, 313 f., 318 Carocci, Giampiero  93–95, 278 Castrucci, Siro  84 Cattaneo, Carlo  32 Cavour, Camillo  89, 103, 244 Chabod, Federico  18 f., 77, 80–82, 87, 91, 96 f., 102, 113, 130, 238, 248, ­278–280, 285, 288, 313 f. Chamberlain, Neville  301 Chiaromonte, Nicolò  234 Chruschtschow, Nikita  199, 283 Churchill, Sir Winston  256, 276, 304 Cimmaghi, Mario Roberto  248 Cipolla, Carlo  37 Clausewitz, Carl von  58 Collini, Stefan  13 Colombi, Arturo  300 Conze, Werner  11, 19, 69–71, 95–97, 100, 105 f., 111, 131 f., 139, 163, 171, 211–218, 220, 311 f., 325 Cornelißen, Christoph  7, 11, 51, 54 Coudenhove-Kalergi, Richard  49 Craig, Gordon A.  173, 296 Crispi, Francesco  75 Croce, Benedetto  9, 18, 20, 22, 26, 37, 39, 71–74, 76 f., 80 f., 86, 96 f., 100, 102, 113 f., 122–124, 127–132, ­221–229, 231–246, 248–250, 252, 254, 256 f., 259, 261, 264, 270 f., 278 f., 281, 283, 288–291, 296, 300, 302–307, 310 f., 314, 317–327 Cromwell, Oliver  153 Dahlmann, Friedrich Christoph  29 Daladier, Édouard  301 De Felice, Renzo  10, 19, 39, 80, 326 De Gasperi, Alcide  123, 225, 244, 252 f., 268, 272, 277, 281 Dèhem, Paul  180

Dehio, Ludwig  19, 55–57, 66, 95–98, 105–108, 118–120, 122, 129, 131 f., 157, 178–184, 194–196, 204 f., 210 f., 219 f., 292, 297, 303, 310–312, 317, 321 f., 324 f. Delekat, Friedrich  170 D’Elia, Nicola  85 f. Del Secolo, Floriano  101, 123 De Luna, Giorgio  23 De Sanctis, Francesco  27, 32 Dibelius, Otto  158 Di Rienzo, Eugenio  10 f. Di Vittorio, Giuseppe  277 Dönhoff, Marion Gräfin  60, 158 Dönitz, Karl  208 Dulles, Allan W.  164 Dunkhase, Jan Eike  11 Dussel, Konrad  23 Eberhard, Fritz  159 Eckel, Jan  11, 59 Eden, Sir Anthony  234 Eggebrecht, Jürgen  110 f. Egidi, Pietro  80 Eichmann, Adolf  214, 216 Emanuel, Guglielmo  127 Engelberg, Ernst  199, 206 f., 310 Ercole, Francesco  40 Erdmann, Karl Dietrich  19, 66–68, 96 f., 100, 105 f., 110, 167 f., 212–214, 216, 311 f. Ermini, Giuseppe  84 Eschenburg, Theodor  109 Eschwege, Helmut  188 Etzemüller, Thomas  11 Eyck, Erich  140, 294 Fanfani, Amintore  84, 88 Fellini, Federico  274 Fichte, Johann Gottlieb  212 Fischer, Fritz  179, 324 Fischer, Wolfram  189 Fortunato, Giustino  305 Foucault, Michel  14 f. Frank, Anne  201 Frank, Hans  190 Frei, Norbert  158

362 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Freund, Michael  61, 115, 129, 305 Freyer, Hans  59 Friedrich II. (der Große), König von Preußen  52, 137, 157, 181, 211 Fromm, Friedrich  174 Fubini, Riccardo  79 Fuchs, Walther Peter  191 Furet, François  142, 320 Gablentz, Otto Heinrich von  165 Galland, Adolf  174 Garibaldi, Giuseppe  75 Gassman, Vittorio  274 Gaulle, Charle de  182 Gedda, Luigi  268 Gehlen, Arnold  105, 139 Geiler, Karl  141 Gentile, Giovanni  39 f., 71, 73, 79, 85, 102, 279 Gerratana, Valentino  125 f. Gerstenmaier, Eugen  172 Gervinus, Georg Gottfried  27, 29 Giannini, Guglielmo  237 Ginzburg, Leone  39 Gneuss, Christian  110 Gobetti, Piero  263 Goerdeler, Carl  52 f., 116, 121 f., 138, 176 f., 185, 187, 196, 200, 298 Goergen, Aloys  204 Goethe, Johann Wolfgang von  43, 144 f. Giolitti, Giovanni  72, 75 f., 124, 259 Gooch, George Peabody  144 Göring, Hermann  190 Gramsci, Antonio  90, 229 f., 246 f., 256 f., 264, 269, 291, 318 Graziani, Rodolfo  242 f., 253 Groener, Wilhelm  146 Gronchi, Giovanni  282 Güde, Max  208 Guttenberg, Karl Theodor Freiherr zu  204 Habermas, Jürgen  315 Hachmeister, Lutz  23 Haffner, Sebastian  19 Hanstein, Wolfram von  135 Hardtwig, Wolfgang  24, 288

Harzendorf, Fritz  135 Hedler, Wolfgang  167 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich  142, 212 Heidegger, Martin  59, 148 Heimpel, Hermann  19, 25 f., 60–64, ­96–98, 106, 110 f., 115 f., 120–122, 131 f., 148, 167–169, 184 f., 190 f., 193, 195 f., 199, 203, 205, 208–210, 219, 292 f., 296, 299, 301–303, 307, 311, 317, 322 f. Heinemann, Gustav  170, 172, 182 Hellmann, Siegmund  62 Herbert, Ulrich  11 Herkers, Hellmuth  54 Hertfelder, Thomas  49 Herzfeld, Hans  137 Heuss, Theodor  56, 63, 167 Hilpert, Werner  110 Hindenburg, Paul von  55, 147 Hitler, Adolf  38, 43, 61, 85, 137 f., 140 f., 146 f., 149, 153, 157, 161–166, 169–171, 176–178, 183, 193 f., 197, 201, 208 f., 212–217, 219, 234, 252, 270, 277, 286, 295, 298, 322 Höcherl, Hermann  204 Hodenberg, Christina von  23 Hofer, Walther  168, 193 Hofstätter, Peter R.  140, 204 Höß, Rudolf  216 Hubatsch, Walther  168 Hübinger, Gangolf  15, 22 Huch, Ricarda  177 Hutten Ulrich von  85 Ibach, Helmut  199 Innozenz IV., Papst  55 Ipsen, Gunther  69, 100 Jacobsohn, Hermann  67 Jemolo, Arturo Carlo  111, 113, 274 Jürgens, Curd  177 Kaehler, Siegfried A.  46, 208 f. Kaltenbrunner, Ernst  190 Karl der Große, Römischer Kaiser und König des Fränkischen Reiches  293

363 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 80 Käutner, Helmut  177 Kienast, Walther  150 Killinger, Charles  10, 77 Klein, Fritz  166 Klepper, Otto  63 Knoch, Habbo  171 Koch, Erich  65 Koebner, Richard  298 Kogon, Eugen  148, 194 Köhler, Heinrich  152 König, René  140 Kopernikus, Nikolaus  121 Korn, Karl  119 f. Koser, Reinhold  42, 98 Kreter, Karl-Heinz  64 Kröger, Martin  67 Kroll, Thomas  230, 284 Kuczynski, Jürgen  310 Labriola, Antonio  71, 114 La Guardia, Fiorello  256 Landsberg, Ludwig  203 La Piana, Giorgio  234 Laterza, Giuseppe  274 Leber, Julius  167 Lehr, Robert  166 Leiser, Erwin  216 Lenz, Max  47 Lepsius, Mario Rainer  14 Lilje, Hanns  106, 158 Linstow, Hans Otfried von  107 Lombardi, Riccardo  251 Ludwig XIV., König von Frankreich  179 Ludwig, Emil  37 f., 254 Lupo, Cesare  114 Luther, Hans  47 Luther, Martin  51, 106, 137 Machiavelli, Niccolò  80 Manacorda, Gastone  20, 26, 87, ­89–91, 96 f., 102, 125, 129–132, 229, 231, 239, 244–247, 249, 251, 261–263, 265, ­269–271, 274, 278 f., 281, 283–285, 287, 290 f., 294, 300 f., 307, 311, 314, 317, 320

Manstein, Erich von  174 Marcks, Erich  47 Martin, Alfred von  142 Martin, Berthold  204 Martina, Rossella  22 Matteotti, Giacomo  72, 76, 234, 263, 266 Mattioli, Raffaele  74 Maturi, Walter  89, 94 Mayer, Gustav  149 Mazzini, Giuseppe  301 Meinecke, Friedrich  19, 37 f., 41–44, 49, 52 f., 56–58, 80, 95–98, 102, 106, 115, 119, 131, 139, 143–150, 152–157, 159, 168, 179, 181–183, 206, 209, 215, 292 f., 307, 311, 317 f., 320 Meusel, Alfred  150, 188, 206, 310 Mezzamonti, Emma  86 Missiroli, Mario  124 Momigliano, Eucardio  244 Mommsen, Theodor  29 f. Mommsen, Wilhelm  57, 66, 100, 148 Monteleone, Franco  23 Montanelli, Indro  254 Morandi, Carlo  40, 80, 91, 93 f., 102, 278 f. Muscetta, Carlo  274 Müller, Karl Alexander von  43, 64 f., 100, 209 f. Mussolini, Benito  72, 76, 79 f., 83, 85, 96, 124, 223 f., 226 f., 234 f., 237, 240, 251, 254, 257–260, 263–265, 268, 270, 272 f., 275–277, 286, 301 f., 322 Napoleon I., Kaiser der Franzosen  179 Neidhardt, Friedhelm  24, 295 Nero, römischer Kaiser  254 Neumann, Erich Peter  204 Nietzsche, Friedrich  212 Noack, Ulrich  156, 182 Nohl, Hermann  116 Nürnberger, Richard  170, 180 Oberländer, Theodor  208 Ohlendorf, Otto  158 Oncken, Hermann  34, 47 f., 51, 58, 98, 131

364 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Oppenheimer, J. Robert  14 Orr, Thomas  194 Ortega y Gasset, José  139 f. Orwell, George  252 Oster, Hans  178 Pacciardi, Randolfo  272, 275 Pannunzio, Mario  126–128, 265 Papen, Franz von  49, 52 Parri, Ferruccio  241, 272, 274 f. Passerin d’Entrèves, Alessandro  87 Passerin d’Entrèves, Claudia  88 Passerin d’Entrèves, Ettore  20, 26, ­87–89, 94, 96 f., 102, 112–114, 132, 248, 250, 311, 314 Passerin d’Entrèves, Vittoria  88 Paul VI., Papst  113 Pechel, Rudolf  116, 177 Pertici, Roberto  85 Pertini, Sandro  254 Philipp II., König von Spanien  179 Pinson, Koppel Shub  156 Pirelli, Alberto  233 Pius XI., Papst  251, 265, 268, 273 Pius XII., Papst  265, 277 Plessner, Hellmuth  210 Pohl, Oswald  158 Poliakov, Léon  195 Procacci, Giuliano  94 Prosperi, Adriano  86 Pufendorf, Ulrich von  63 Radbruch, Gustav  30, 35 Ragionieri, Ernesto  20, 26, 88, 93–97, 102, 113, 125, 129–132, 261, ­263–265, 267, 270 f., 275, 278 f., 281, 285 f., 290 f., 294, 296 f., 299 f., 311, 314, 317, 320 Ragionieri, Pina  93, 95 Ragionieri, Rodolfo  93, 95 Ragionieri, Rodolfo (Vater Ernestos)  94 Ranke, Leopold von  43, 85, 212 Rassow, Peter  68, 100 Raumer, Kurt von  65, 70, 100 Reale, Egidio  235 Reger, Erik  170 Reichwein, Adolf  66 Reifenberg, Benno  115, 159

Reitlinger, Gerald  195 Remer, Otto Ernst  166 f., 178 Renzi, Renzo  273–275 Requate, Jörg  316 Ribbentrop, Joachim von  190 Richelieu, Armand-Jean du Plessis, Kardinal 140 Ries, Klaus  13, 22 Rietz, Werner  217 Ringer, Fritz  12, 29 f. Ritter, Gerhard  11, 19, 49, 51–55, 5­ 9–61, 95–98, 106–110, 115 f., ­118–122, ­129–132, 135–138, 140–143, ­145–148, 151 f., 154–157, 159–178, 180 f., ­184–187, 189, 195–200, 206, ­209–211, 213, 216, 219 f., 270, 292–294, 296, 298 f., 302 f., 305–307, 310–312, ­317–320, 322, 324 f. Roatta, Mario  244, 290 Robespierre, Maximilien de  214 Roegele, Otto  118, 305 Rolland, Romain  261 Romeo, Rosario  20 Rommel, Erwin  193 Roosevelt, Franklin Delano  164, 256, 301 Röpke, Wilhelm  53, 139 Rosenberg, Alfred  190 Rosselli, Amelia  302 Rosselli, Carlo  77, 128, 258, 264, 277, 291, 302 Rosselli, Nello  39, 76 f., 128, 258, 264, 277, 291, 302 Rossellini, Roberto  274 Rossi, Ernesto  39, 76, 78, 124, 127 f., 232 f., 235 f., 240, 255 f., 265, 272 f., 277, 279 f. Rothfels, Hans  11, 19, 58–61, 64–66, 69 f., 73, 96–98, 100, 106, 131 f., 138, 161, 164, 167–169, 173–177, 181, 185, 189, 192, 194–196, 200, 203 f., 208, 217, 219, 270, 295, 307, 317, 319 f., 322 Rotteck, Karl von  120 Rousseau, Jean-Jacques  66 Rudel, Hans-Ulrich  201 Ruffini, Edoardo  82 Russo, Luigi  79, 91, 93, 102, 252, 257

365 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Rüstow, Alexander  139 Sabrow, Martin  199 Saitta, Armando  20, 26, 91 f., 96 f., 102, 113, 125, 130, 261 f., 264, 269, 278, 280, 284 f., 288, 313 Saitta, Giuseppe  85, 102 Saitta, Paolo  92 Salazar, António de Oliveira  268 Salvatorelli, Luigi  124, 246, 263 f., 266 f., 274, 280 Salvemini, Gaetano  10, 20, 36 f., 39, ­75–78, 80, 93, 96 f., 100, 113, 123 f., 127–132, 231–236, 238–243, 249 f., 254–261, 265, 267 f., 270, 272–279, 285, 287 f., 290 f., 294, 300–302, 304 f., 307, 310 f., 314, 317–323, 325 Saragat, Giuseppe  272 f. Sauckel, Fritz  190 Scelba, Mario  244, 277, 290 Schäfer, Dietrich  35 Schäffer, Fritz  189 Scheffler, Wolfgang  216 Schelsky, Helmut  139 Schieder, Theodor  19, 46, 64–66, 69 f., 96 f., 100, 105 f., 108 f., 111, 120, 131 f., 139, 147, 186, 203 f., 209–211, 216, 219, 311 f. Schmid, Carlo  63 Schmitt, Carl  59 Schnabel, Franz  19, 46–50, 96–98, 105 f., 110, 121, 129–132, 151–153, 155, 250, 293, 299, 301, 303, 307, 310 f., 317, 321, 325 Scholl, Hans  52, 302 Scholl, Sophie  52, 302 Schön, Heinrich Theodor von  59 Schramm, Percy Ernst  186 Schröder, Gerhard  211 Schüddekopf, Otto-Ernst  209 Schulte, Aloys  45, 98 Schulze, Winfried  11 Schulze-Gaevernitz, Gerhard von  42 Schumacher, Kurt  183 Schweitzer, Carl Christoph  177 Schwerfeger, Bernhard  50 Sereni, Emilio  86, 247, 297

Sestan, Ernesto  19, 78–80, 91 f., 96 f., 100, 130 f., 236, 238, 254, 274, ­278–280, 285, 294, 313 f. Sethe, Paul  54, 117–120, 129, 159, 183, 312, 316 Sforza, Carlo Graf  236, 257, 272 Siering, Friedemann  23 Silex, Karl  60 f. Simoncelli, Paolo  92 Smith, Dennis Mack  286 Soave, Sergio  81 Solari, Gioele  87, 102 Spadolini, Giovanni  89, 124, 316 Spataro, Giuseppe  111 Spaventa, Bertrando  71 Spaventa, Silvio  71, 100 Speidel, Hans  193 Sprigge, Cecil  226 Srbik, Heinrich Ritter von  43 Stalin, Josef Wissarionowitsch  118, 271, 283–285 Staudte, Wolfgang  151 Stauffenberg, Claus Schenk Graf von  164, 167 Stein, Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum  51, 58 f. Steinmetz, Max  199 Stern, Leo  198 f. Sternberger, Dolf  116 Streicher, Julius  190 Stülpnagel, Carl-Heinrich von  107 Sybel, Heinrich von  42, 98 Tagliacozzo, Enzo  234 Tambroni, Fernando  286 Taviani, Paolo Emilio  84, 266 Tellenbach, Gerhard  109, 137 Thimme, Roland  67 Togliatti, Palmiro  86, 222, 225, ­228–231, 238, 245 f., 257, 277, 284 Toscani, Xenio Luigi  84 Treitschke, Heinrich von  9, 30, 43, 120 Trizzino, Antonino  275 Turati, Filippo  263 Ulbricht, Walter  188 Umberto I., König von Italien  244, 290

366 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Umberto, Principe di Piemonte, als Umberto II. König von Italien  226 Valentin, Veit  142 Valiani, Leo  233, 235, 256 Verheyen, Nina  109 Villari, Pasquale  32, 36, 75, 100, 131 Vittoria, Albertina  90 Vittorio Emanuele III., König von Italien  227, 235, 276 Venturi, Lionello  40 Vinciguerra, Mario  255 Vivanti, Corrado  285 Vogt, Joseph  137 Volpe, Gioacchino  11, 20 f., 36, 40, ­78–80, 100, 102, 130, 253, 257–259, 270, 275 f., 278–280

Wätjen, Hermann  48, 98 Weber, Max  35, 39, 85 Weisenborn, Günther  177 Weizsäcker, Ernst Heinrich Freiherr von  158 Wheeler-Bennett, John  140, 172 f., 196, 296, 298 Wilke, Jürgen  23 Wirsing, Giselher  210, 216 Wucher, Albert  215 Wulf, Joseph  195 Wurm, Theophil  158 Zahn, Peter von  116 Ziekursch, Johannes  142 Zuckmayer, Carl  177 f. Zunino, Pier Giorgio  245

2. Sachregister 08/15 (Film)  192 Abendland  57, 150, 179, 181–184, 197, 204, 303, 321 Accademia d’Italia  79 Alldeutscher Verein  35 Allgemeine Zeitung  149 Alliierte Besatzung  23, 104, 117, 122 f., 134 f., 137, 154, 168, 191, 221, 230, 236 f., 292, 317, 321 Amnestie  10, 160, 238 f., 252 Antifaschismus  10 f., 20, 73 f., 76, 80, 89, 95, 127 f., 188, 220–223, 226, 229, 231–233, 236 f., 239 f., 242–244, 246, 248 f., 251, 253 f., 256, 258–260, ­263–272, 274–276, 279–283, 286 f., 302–304, 310, 318–320, 323, 326 –– Antifaschistisches Manifest  39, 73, 77 –– Säuberungen  83, 124, 223, 236–239, 312 Antikommunismus  85, 92, 150, 156, 161–163, 168 f., 181 f., 184, 186, 198, 217, 252, 258, 261, 268, 271, 279, 281, 284, 286, 309, 317, 319, 322

Antisemitismus  39, 41, 43, 45, 49, 52, 59, 65, 83, 124, 134, 138, 150, 161, 168, 181, 188 f., 212 f., 217, 220, 243 f., 280 Arbeiterbewegung  29, 91, 95, 103, 246, 281, 286, 321 Arbeitsgemeinschaft der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland  25, 104 Arbeitskreis für moderne Sozial­ geschichte  19, 70, 101 Archivio Storico Italiano  32 Argumentationsstrategien  24, 149, 288–307 Associazione Italia-Urss  92 Aula, Die (Hörfunksendung)  105–109, 139 Aussenpolitik (Zeitschrift)  182 Avanti!  75, 251 Axel-Springer-Verlag 122 Azione Cattolica  268 Bayerischer Rundfunk  25, 109, 211 f., 217 Bekennende Kirche  52, 56 Belfagor  79, 89, 93, 132, 257, 280 Berliner Zeitung  199

367 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Bertelsmann 65 Biblioteca Feltrinelli  91 Bild (Zeitung)  201 Bildungsbürgertum  28 f., 33 f., 36 f., 49, 96, 105, 144, 320 Bolschewismus  49, 120, 140, 156, 176, 198, 218, 225, 230, 240, 291 British Broadcasting Company  104, 112 Bundesrepublik Deutschland –– Auswärtiges Amt  60, 158, 163, 174 –– Bundesinnenministerium  157, 166 f., 211 –– Bundesministerium für gesamt­ deutsche Fragen  47, 163 –– Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte  60, 66, 203, 208 –– Bundesverteidigungsministerium  172, 201 –– Deutscher Bundestag  63, 70, 118, 167, 172, 186, 195, 197, 204, 207, 217, 219 –– Souveränität  168, 172, 181, 195, 197 Bundeszentrale für Heimatdienst  167, 177, 181, 207, 211 Caccia tragica (Film)  237 Calendario del Popolo (Zeitschrift)  90 Canaris (Film)  174 Christ und Welt  163, 170, 180, 210 Cinema Nuova (Zeitschrift)  273 Città libera (Zeitung)  232, 240, 291 Civiltà Fascista (Zeitschrift)  86 Collana del marxismo (Publikationsreihe) 90 Comitato di Liberazione Nazionale  81, 83, 114, 123, 220, 223, 226, 228, 237 Commissione Culturale des PCI 91, 93, 125, 246, 261 f., 283 f. Comité International des Sciences Historiques  19, 55, 68, 81, 99, 101, 103 Comunità (Zeitschrift)  88 Confindustria 286 Contemporaneo, Il  95, 125, 297 Controcorrente (Zeitschrift)  233, 235, 243

Corriere della Sera, Il, 124, 127, 274 Critica sociale (Zeitschrift)  75 Critica storica  92, 103 Cultura sovietica, La (Zeitschrift)  90 Dämonisierung  175, 177, 193 f., 196 f., 214, 219, 254, 270, 296, 322 Das Dritte Reich (Fernsehdokumen­ tation) 216 Debattenkultur  109, 117, 131, 310 f. Der  20. Juli (Film)  174, 177 Deutsche Bauernzeitung  69 Deutsche Demokratische Republik –– Aufstand des  17. Juni  70, 186, 197 f., 217 –– Blutrichter-Broschüre 207 –– Geschichtswissenschaft  9, 143, ­186–188, 198–200, 206 f., 269, 278, 288, 310, 314, 321 Deutsche Presseagentur  120, 122, 165, 199 Deutscher Akademischer Austauschdienst  66 f. Deutscher Bildungsrat  68 Deutscher Bund  33 Deutsche Rundschau  116, 138, 141 Deutsches Büro für Friedensfragen  158 f. Deutsches Kaiserreich  12, 22, 30, 33 f., 37–39, 96, 129, 142 Deutsche Teilung  8, 62, 70, 138, 168 f., 183, 185 f., 189, 196, 206 f., 247, 294 Die Mörder sind unter uns (Film)  151 Dizionario di Politica  79 f., 86 Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa  60, 65 f., 203 Dovere, Il (Zeitung)  88 Editori Riuniti  95 Elite  9, 22, 27–30, 32 f., 35–39, 53, 55, 63, 72, 76, 79, 85, 91, 112, 130, 138–145, 148, 152, 157–159, 178, 223, 227 f., 235, 248, 255, 259, 269 f., 278, 281f, 286, 318, 324 Emotionalisierung  21, 288 f., 295–300, 306 f., 315 f.

368 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Enciclopedia Italiana  40, 79, 254 Entnazifizierung  53, 65, 68, 70, 115, 148, 161, 169, 217 Erinnerungskultur  7, 9 f., 21, 169, 171, 221, 253, 266, 282, 286, 317, 323, 326 Experte  12–14, 29, 38 f., 41, 45 f., 54, 65, 79, 83, 91, 133, 170, 174, 187, 218, 266, 272, 292, 295, 311 f., 314 f., 327 Fachkompetenz  14, 155, 261, 289, ­311–315 Faschismus –– Apologie  254, 258, 270, 323 f. –– Bevölkerung als Opfer  24, 133, 224, 235, 237–239, 243, 250, 258, 263, 273, 275 –– Hoch- und Landesverrat  259 f., 270, 275, 278, 318 –– Ideologie  224, 227, 252, 255, 296 –– Kolonien  76, 80, 89, 241 f., 286 –– Machtübernahme  22, 73, 95, 127, 227, 259, 264, 277 –– Manifest der faschistischen Intellektuellen 73 –– Parentese  222, 245, 281, 321 –– Rassengesetze  39, 73, 83, 124, 244 –– Repubblica Sociale Italiana  10, 221, 253 f., 263, 269, 275 –– Sturz des Faschismus (25.7.1943)  8, 111, 223, 240, 257, 270, 312 Faschismusinterpretation De Felices  10, 19, 326 Federazione Universitaria Cattolica Italiana 82 Fischer-Kontroverse  18, 179, 202, 205, 324 Föderalismus  33, 49, 104, 140 f., 242, 250, 312 Frankfurter Allgemeine Zeitung  54, 63, 65, 116–122, 129, 132, 158 f., 172 f., 181–184, 190, 208, 211, 218, 296, 298, 305, 310, 312 Frankfurter Hefte  115 Frankfurter Zeitung  49, 115, 117 Französische Revolution  27 f., 75, 85, 103, 112, 140, 215

Gazzetta del Popolo, La  246 Gebildete  30 f., 48 f., 107, 112, 117, 120, 143, 153, 248, 293 Gegenwart, Die (Zeitschrift)  115, 141, 165 Geist und Macht  31, 42, 144 Gelehrte  12, 14 f., 27, 31 f., 34, 36 f., 39 f., 42, 52, 55, 60, 72–74, 77, 79, 81–83, 87, 89, 93 f., 105, 109, 114, 121, 133, 184, 187, 221, 228, 232, 248, 279, 284 f., 288, 302, 305, 313 Generationswechsel  197, 201 f., 206 f., 219 f., 286, 325 f. Genfer Gipfelkonferenz  199 Gerstein-Bericht 194 Geschichte in Wissenschaft und Unterricht  19, 68, 101, 167, 180, 297 Geschichtsbild  25, 62, 84, 109, 116, 135 f., 138, 142, 151, 154 f., 184 f., 187, 189, 195–197, 200, 205, 209 f., 219 f., 225, 293, 320 Giornale, Zeitung  123, 223, 228, 252, 296 Giornale di Brescia  83, 268 Giornale d’Italia  36, 72, 221, 228, 278 Giustizia e Libertà  77 Göttinger Sieben  29 Gruppe  47 155 Hannoversche Allgemeine Zeitung  54, 161 Herder-Institut  47, 163, 203 Historikertag –– Bremen (1953)  172, 188 –– Marburg (1951)  178–180 –– München (1949)  122, 156 f. –– Trier (1958)  199 f. –– Ulm (1956)  199 Historiographie –– Geschichte der Geschichtswissenschaft  7, 9–11 –– Ideengeschichte  42, 99, 179, 212 –– katholische  17–20, 48, 84, 89, 94, 96, 113 f., 125 f., 130 f., 142, 155, 237, 239, 247 f., 250, 266, 282, 314, 325 –– liberale  17, 19, 32, 131, 216, 274, 286, 310

369 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

–– marxistische  17–20, 86 f., 90, 92, 96 f., 114, 130–132, 138, 143, 186 f., 200, 229, 231, 249–252, 264, 267, 269, 271, 280, 283–287, 290, 294 f., 299 f., 310, 313 f., 317–319, 321–323, 325 –– Ostforschung  46 f., 65, 69, 99, 101, 163 –– Sozialgeschichte  11, 70, 101 –– Zeitgeschichte  42, 60, 73, 78, 89, 101, 103, 124, 184, 200–202, 264 f., 269, 271, 316 Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften  19, 46 f., 50, 56, 66, 99 Historische Reichskommission  43, 56 Historische Sinnstiftung  15 f., 27 f., 38, 133 f., 170, 220, 311 Historische Zeitschrift  19, 42–44, 56, 66, 99, 101, 119–121, 172 f., 178, 180 f., 209–211 Hochland  49, 153, 299 Humanitas (Zeitschrift)  84, 248, 267 Institut für Zeitgeschichte  56, 60, 118, 151, 157, 166, 168, 193, 195, 216, 312 Institut für politische Wissenschaft  165 Intellektuelle  12–15, 24, 29 f., 36 f., 39 f., 59, 90, 94, 111, 125, 127, 130, 133, 227, 229–231, 238, 244, 250–252, 256 f., 269, 278 f., 283–285, 288, 294, 309, 311, 313 f., 318, 327 –– allgemeine Intellektuelle  14 f., 187, 221, 231, 238, 248, 261, 272, 288, 290, 292, 311, 313, 315 –– Gelehrten-Intellektueller 15 –– Gelehrtenpolitik  14, 42, 52 –– historische Publizisten  19–21, 34, 74, 76, 124, 126, 129, 131 f., 155, 254, 305, 313 f., 323, 326 –– Honorare  25, 29, 54 f., 63, 69, 88, 91, 94, 110, 113, 129, 311 –– politischer Professor  14, 22 –– spezifische Intellektuelle  14 f., 135, 143, 151, 154, 163, 170, 174, 181, 184, 195, 211, 231, 237 f., 260 f., 289 f., 292, 311–314, 317 Intelligenz  13, 221, 256

Internationale Historikerkongresse –– Paris (1950)  63, 297 –– Rom (1955)  80, 121 –– Stockholm (1960)  60, 119 –– Zürich (1938)  52 Istituto Fondazione Gramsci  26, 91, 95 Istituto italiano per gli studi storici  18, 20, 26, 74, 81, 101, 103, 128, 131, 252, 279 Istituto nazionale per la storia del movimento di liberazione  20, 83, 95, 103 Istituto storico italiano per l’età moderna e contemporanea  32, 78, 92, 103 Italia, L’ (Zeitung)  83, 282 Italia libera, L’ (Zeitung)  123, 232–236, 242, 305 Italienische Republik –– Comitato Giuliano  79, 235 f., 242 –– Friedensvertrag  224, 226, 241, 243, 249, 253, 276, 287 –– legge truffa  272, 280 –– Terza forza  78, 126, 233, 252, 256 f., 266, 271–273, 285, 318 –– Verfassungsgebende Versammlung  79, 91, 241, 243 –– Volksfront  88, 93, 250, 269, 271, 283 Jakobinismus  92, 103, 140, 211 Journalismus  18, 22 f., 29, 36 f., 56, 65, 72, 84, 93, 106, 109 f., 116 f., 119 f., 122–126, 129 f., 135, 140, 184, 200, 206, 215, 246, 258, 267, 275 f., 295, 297, 305 f., 309, 312 f., 316, 323, 327 Kalter Krieg  8, 10, 47, 155, 157, 160, 163, 168 f., 175 f., 181, 190, 218 f., 240, 247, 252, 286, 317, 325 Kirche –– evangelische  29, 52 f., 56, 63, 157 f., 206 –– katholische  10, 29, 33, 63, 82, 84, 126, 157 f., 206, 236, 250 f., 266, 314 Kirmes (Film)  208 Klassenkampf  188, 240, 245, 249, 263– 265, 269 f., 300, 317, 319, 322

370 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Kölnische Zeitung  49 Kommission für Geschichte des Parla­ mentarismus und der politischen Parteien 71 Konkordat  73, 82, 251, 282 Kriegsverbrecherprozesse  134 f., 157 f., 162, 168, 190, 192, 201, 207 f., 225, 245, 250, 253, 312, 322 Kulturelle Hegemonie  72, 90, 269, 318 Kulturpessimismus  139, 154, 320 Kuratorium Unteilbares Deutschland  176, 184 f. Kurier, Der  156 Leipziger Volkszeitung  218 Leonardo (Zeitschrift)  79, 85 Libertà, La (Zeitung)  122, 225, 227, 229, 301 Literaturgeschichte  27, 31 Manchester Guardian  123, 224 Märzrevolution  29 f., 32, 47, 79, 137, 142 f., 145 f., 151 f., 155, 213, 246, 321 Masse  8, 33, 36 f., 39, 42, 44, 52 f., 64 f., 88, 91, 137–141, 145 f., 153–155, 182, 188, 197 200, 213, 219 f., 223, 227, 233, 236, 238–241, 245–253, 264–266, 270, 281, 286, 300, 318, 320, 322, 324–326 Mattino, Il  72, 258 Max-Planck-Institut für Geschichte  19, 63 f., 99, 110, 120, 191 Mein Kampf (Film)  216 memoria condivisa  10 Merkur (Zeitschrift)  168, 204 f. Messaggero, Il  124 Militarismus  55, 119, 121, 138, 145 f., 164, 171–173, 189, 195, 198, 298, 324 Ministerialbürokratie  30, 32, 35, 37, 41, 47 Moderati 232 Monat, Der (Zeitschrift)  57, 115, 166 Mondadori (Verlag)  254 Monde, Le  180 Mondo, Il  78, 113, 126–129, 132, 252, 254–256, 258 f., 261, 265, 272–275, 300, 310 Morcelliana (Verlag)  82

Movimento di liberazione in Italia, La (Zeitschrift)  95, 103 Movimento Operaio (Zeitschrift)  20, 92, 103, 261 Multiplikatoren  34, 107, 117 Münchner Abkommen  149, 203, 226, 235, 286, 301 Münchner Abendzeitung  118 Münchner Zeitung  148, 292 Nacht und Nebel (Film)  207 Nationale Kontinuität  27, 53, 134–138, 151, 154, 164, 170, 178–180, 185, 190, 196, 205, 209 f., 238, 266, 270, 282, 286 f., 319–322, 326 Nationalismus  53, 55, 78, 135 f., 138, 145 f., 154, 157, 162, 166–168, ­171–173, 175, 180, 195–197, 205 f., 212 f., 219 f., 227, 238, 242, 260, 276, 280, 286, 299, 321, 325 Nationalökonomie  33, 38, 50 Nationalsozialismus –– Apologie  108, 145, 162 f., 165–169, 176, 183, 203, 210, 219, 324 f. –– Bevölkerung als Opfer  24, 47, 68, 133, 147, 151, 153, 155, 163, 171, ­188–191, 194, 197 f., 209, 214–217, 296 –– Generalplan Ost  39 –– Hoch-und Landesverrat  52 f., 69, 107, 139, 163 f., 166 f., 169, 177–179, 196, 318 f. –– Holocaust  11, 69, 150, 167, 189–196, 203, 214, 216, 243 f., 298, 324 f. –– Ideologie  64, 67–69, 138, 148 f., 168, 181, 189, 220, 249, 252, 325 –– Machtübernahme  38, 43, 59, 61, 96, 139, 146 f., 150, 153 f., 177, 182, 205, 212 f., 217 f., 320 –– Rassismus  49, 59, 65, 67 f., 83, 149, 162, 181, 189, 213–215, 217, 317 Nationalstaatsbildung  8, 16, 27 f., 31–33, 37, 78, 135, 143, 215, 246 NATO 60, 156, 161, 184, 188, 193, 197, 206, 252 Nauheimer Kreis  156 New Chronicle (Zeitung)  224

371 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Neofaschismus  21, 128, 232, 250, ­252–256, 258 f., 263 f., 267–271, ­273–276, 278, 282, 286 f. Neonazismus  61, 154, 159, 165, 174, 184, 198, 204, 217 f., 220, 325 Neue Rundschau  49 Neuer Hannoverscher Kurier  149 Neues Deutschland  206 Neue Zeit (Zeitung)  116 Neue Zeitung  121 f. Neutralität  156, 170, 182, 304 New York Times, The  123, 224 Non mollare (Zeitschrift)  76 Norddeutscher Rundfunk  25, 62 f., 110 f., 195, 205, 208, 212, 301 Nordostdeutsche Forschungsgemeinschaft  46 f., 99 Nordwestdeutsche Hefte  116 Nordwestdeutscher Rundfunk  105, 116 Nuovo Corriere  87, 94, 113, 124 f., 129, 261, 265, 267, 281, 285, 299 Objektivität  12, 30, 34, 47 f., 71, 85, 195, 226, 281, 294 Obrigkeitsstaat  29 f., 37, 146, 180, 212, 249, 293 Öffentlichkeit –– Leitmedium  117, 129, 310 –– Öffentlichkeit als Kontrollinstanz  34, 207, 220, 325 –– öffentliche Meinung  34, 37, 52, 54, 77, 107, 120, 134 f., 160 f., 167, 169, 171, 174, 195, 200, 202, 205, 219–221, 224, 228, 239, 250, 267 f., 270, 273, 282, 286, 309, 312 f., 318 f., 321–327 –– Prestige-Medien  21 f., 163 f., 312, 327 –– Strukturwandel der Öffentlichkeit  22, 28, 34, 309, 315 –– terza pagina  23, 36, 39, 125, 231 –– verbreitete Meinung  134, 136, 166 f., 195, 202, 239, 282, 324, 326 –– Zugänge zu Medien  12, 17, 21, 23, 33, 36, 62, 72, 77, 104–132, 228, 306, 312, 327 Oldenbourg (Verlag)  119 Paneuropa-Bewegung 49

Parteien –– Alleanza Nazionale  10 –– Christlich-Demokratische Union Deutschlands  53, 70, 116, 118, 163, 166, 170, 172, 183, 197, 204 –– Christlich-Soziale Union  70, 118, 170, 182, 204 –– Democrazia Cristiana  78, 83 f., 88, 111, 113, 123, 126, 128 f., 131, 133, 221, 225, 233, 237–239, 244, 247, 249–252, 255 f., 266–272, 274, 280–282, 286, 290, 314, 320 –– Deutsche Demokratische Partei  37, 43 –– Deutsche Partei  167 –– Deutsche Staatspartei  43 –– Deutsche Volkspartei  52 –– Deutschnationale Volkspartei  51, 55 –– Gesamtdeutsche Volkspartei  172 –– Kommunistische Partei der Sowjetunion 283 –– Kommunistische Partei Deutschlands  167, 186 –– L’Uomo Qualunque  237 –– Movimento Sociale Italiano  10, 253, 282, 286 –– Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei  38 f., 45 f., 50, 52, 56, 61, 65, 67–69, 86, 141, 149 f., 166, 188, 193, 209, 213, 215 –– Partito Comunista Italiano  8, 10, 26, 86 f., 90–95, 111, 114, 124–126, 187, 220, 222, 228–231, 233, 236, 238, 244, 246 f., 249 f., 256 f., 261 f., 264, ­266–271, 277 f., 280, 282–285, 291, 294, 299 f., 314 f., 317 f. –– Partito d’Azione  81, 83, 92, 123, 221, 233 –– Partito della Sinistra Cristiana  88 –– Partito Liberale Italiano  73 f., 79, 122 f., 128, 221, 234, 240 –– Partito Nazionale Fascista  40, 79 f., 85, 236 –– Partito Nationale Monarchico  268, 282 –– Partito Popolare Italiano  82, 251, 268 –– Partito Repubblicano Italiano  273

372 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

–– Partito Socialista Democratico Italiano 273 –– Partito Socialista Italiano  75 f., 84, 259, 263 –– Partito Socialista Italiano di Unità Proletaria  87, 221, 250 f., 267, 273, 279, 283 –– Partito Socialista Rivoluzionario Italiano 233 –– Sozialdemokratische Partei Deutschlands  42, 63, 66, 70 f., 158, 162, 164 f., 167, 182, 207 f. –– Sozialistische Einheitspartei Deutschlands  187, 228, 269, 314 –– Sozialistische Reichspartei  166 f., 171 –– Unità Popolare  272 –– Zentrum 49 Philosophie  20, 31, 33, 39, 56, 59, 71 f., 83, 87, 89, 99, 101, 116, 128, 139, 206, 223, 228 f., 232, 238, 279, 304 f. Polendenkschrift  46, 65 Ponte, Il  78, 89, 127 f., 133, 254, 259, 269, 274, 291, 301 f. Popolo, Il  83, 123, 237, 247 f., 281 Popolo di Libertà (Zeitung)  88 Popolo d’Italia  40 Populäre Geschichtsliteratur  34, 52, 65, 167, 194, 200 f., 210, 216, 254, 266 Professionalisierung  14, 16–18, 22, 24, 27 f., 30, 32, 36 f., 87, 97, 129–131, 288 f., 292, 295, 297, 306 f., 309–311, 313, 315 f., 327 Professionisti 32 Public Historian  13 Quaderni della critica, La Critica  20, 71–73, 128, 225, 228, 232, 235, 296, 300, 303 f. Quaderni di cultura e storia sociale  20, 89, 103 Quick (Zeitschrift)  166, 202 Radiotelevisione Italiana  25, 111–114, 241, 255, 266, 282 –– Classe Unica (Hörfunkreihe) 112 –– Giornale Radio (Hörfunksendung)  114

–– Osservatore storico (Hörfunk­ sendung) 113 –– Rassegna di storia moderna (Hörfunkreihe) 114 Rapallo-Vertrag 109 »Religion der Freiheit«  226, 228, 303 Resistenza  8, 10, 81, 83 f., 87 f., 90, 95, 114, 125, 223 f., 230 f., 239, 246 f., 251, 253, 255, 260, 263 f., 266 f., 269–271, 278, 281 f., 286 f., 319 f. Resto del Carlino (Zeitung)  124 Revue (Zeitschrift)  194 Rheinische Post  174, 206 Rheinischer Merkur  118, 305 Rhein-Neckar-Zeitung  165 f. Rheinpfalz (Zeitung)  55 Rinascita (Zeitschrift)  86, 90, 228 f. Riso amaro (Film)  237 Risorgimento  20, 32, 71, 75, 77, 89, 103, 112, 114, 221, 226 f., 246, 251 f., 260, 267, 281 f., 286 f., 320 Risorgimento (Zeitschrift des PCI)  86 Risorgimento (Zeitung in Neapel)  123, 241 Risorgimento liberale (Zeitung)  74, 123, 128, 223, 225, 227–229, 240 f., 290 f., 296, 304 Rivista Storica Italiana  19, 32, 78, 81, 86, 101, 103, 278 Rivolta ideale (Zeitschrift)  253 Rosen für den Staatsanwalt (Film)  208 Rundfunk im Amerikanischen Sektor  25, 110, 176 Sammlung, Die (Zeitschrift)  115 f., 137, 146 Sansoni (Verlag)  280 Schamkultur  159, 173, 243 Schuldkultur  159, 190, 243 Schule, Die (Zeitschrift)  303 Schweizer Monatshefte  116 Scuola e Vita (Zeitschrift)  84, 248, 267, 299 Società (Zeitschrift)  20, 86 f., 90 f., 103, 245, 251, 262, 265, 267, 271, 274, 279, 281, 283 Sonntagsblatt  54, 189, 299

373 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

Sozialistischer Deutscher Studentenbund 208 Soziologie  18, 35, 38, 59, 69, 105, 139 f., 170, 290, 320 Spanischer Bürgerkrieg  260, 286 Spiegel, Der  117, 162, 164, 183 f., 201, 216, 236 Staatsarchiv Marburg  56, 99 Stampa, La  72, 80, 124, 234, 266, 304 Stern (Zeitschrift)  202 Studi Storici  20, 91, 95, 103 f., 285 Studium (Zeitschrift)  89 Süddeutscher Rundfunk  25, 109, 172, 175, 216, 296 Süddeutsche Zeitung  50, 118, 121, 152, 215 Südwestfunk  25, 105–111, 116, 132, 139, 145 f., 161, 165, 183, 209, 295, 310 Tagesspiegel  60, 170, 180 Tempo, Il  240, 258 f., 274 Theologie  190, 206 Times, The  144, 224 Totalitarismus  83, 86, 140 f., 172, 175, 193, 197, 205 f., 252, 254, 259, 268, 270, 318, 320 UNESCO  68, 262 Ungarn-Aufstand  87, 91 f., 95, 132, 199, 283–285 Ungesühnte Nazijustiz (Ausstellung)  208 Unità, L’ (Zeitschrift des PCI)  23, 90, 95, 124–126, 130, 229, 231, 246, 251, 278, 285 Unità, L’ (Zeitschrift Salveminis)  76 Universitas (Zeitschrift)  54, 116 Ursachen der Diktaturen  16, 115, 133, 135–137, 140 f., 145–148, 152, 156 f., 160, 193, 197, 205, 212 f., 216, 226 f., 245, 249, 259, 270, 320–322 Verband der Historiker Deutschlands  17, 19, 46, 53, 60, 63, 68, 71, 96, 99, 101, 118, 122, 143, 165, 170, 200 f., 207 f. Verbrechen während der Diktaturen  8, 39, 52, 61, 127, 147, 149–151, 156–160,

162 f., 165, 167 f., 179, 183, 188–194, 198, 201–203, 205, 207 f., 211–214, 216, 219, 223–225, 228, 242 f., 245, 248, 250, 253, 258, 260 f., 286, 296 f., 318, 322–326 Vergangenheitsbewältigung 205 Versailler Vertrag  45, 51, 58 f., 109, 145, 214 Vertreibungen  39, 46 f., 65, 150, 156, 170, 190 f., 203–205, 219, 221, 245, 293, 297 Vie nuove (Zeitschrift)  90 Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte  60 f., 66, 99, 167 f., 194, 199, 203 Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte  45 f., 99 Vita Nova (Zeitschrift)  85 Voce, La  76 Voce della scuola, La  90 Voix des Valdotains, La  88, 248 Volkserziehung  16, 27, 34, 36, 38, 44, 48, 50 f., 53, 107 f., 112, 129, 135, 137 f., 143, 155, 216, 219 f., 230, 238, 257, 311, 313, 316, 318 f., 323 Volksgemeinschaft  135, 141 f., 220 Vossische Zeitung  55 Wandlung, Die (Zeitschrift)  116 Weimarer Republik  12, 19, 37 f., 49, 52, 55, 60, 64, 98, 105, 109 f., 138, 146 f., 151, 161, 172, 177, 182, 321, 327 Weimarer Kreis  43, 49, 52 Welt, Die (Zeitung)  116, 119, 121 f., 156, 161, 171, 185, 293, 297 f. Welt am Sonntag  54, 140, 171 Weltkrieg, Erster  22, 35, 37, 42, 44 f., 48, 51, 55, 58, 61, 66, 70, 72 f., 76, 78, 96, 140, 147, 150, 160, 162, 175, 179, 193, 228, 277, 287, 324 f. –– Dolchstoßlegende  163 f. –– Niederlage Deutschlands  45, 51, 55, 58, 173, 179 f. Weltkrieg, Zweiter –– deutsche Besatzung  8, 10, 39, 46, 90, 97, 107, 111, 123, 190, 192, 215, 220, 222 f., 225, 231, 235 f., 239 f., 251, 253, 267, 269, 271, 278, 282, 302

374 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224

–– Niederlage Deutschlands und Italiens  8, 16, 23, 62, 84, 87, 115, 133–136, 138 f., 144, 154, 163–166, 176, 196, 202, 220, 226, 237, 274 f., 319 Westdeutscher Rundfunk  105, 109, 216 Westintegration  8, 55, 156–161, ­168–170, 173, 181, 183, 185, 195–197, 199, 243, 309, 317, 321 f. Widerstand im NS 59, 66, 97, 99, 108, 116, 119, 133, 135, 139, 149, 154, ­163–167, 169, 174–178, 185, 188–190, 192, 196, 200, 202 f., 212, 215, 296, 302, 318–320, 323 Wiederbewaffnung  158, 170–172, 185, 190, 195, 198, 219, 317, 324 Wirtschaftsbürgertum  33, 36, 95 Wirtschaftspolitische Gesellschaft  63 Wissenschaftler  11, 13, 15, 22 f., 29, ­32–36, 39, 41, 49, 73 f., 79 f., 83, 105, 107, 109, 129, 133, 187, 197, 216, 230, 262, 278, 280, 289, 294, 307, 311–315, 323, 327

Wissenschaftliche Reputation  20, 54, 60, 113, 131, 167, 290, 292, 307, 312, 314 f. Wissenschaftspopularisierung  25, 39, 47, 84, 317, 319 Zeit, Die (Zeitung)  63, 158, 173, 192, 203 Zeitschrift für Geschichtswissenschaft  188, 199 Zeitwende (Zeitschrift)  54 Zentrale Stelle der Landesjustiz­ verwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen  201, 208 Zollverein 33 Zustimmung zu den Diktaturen  8, 46, 56, 59 f., 65, 67–69, 72, 79 f., 85, 133, 147, 153, 155, 165, 177, 188 f., 205, 212 f., 215–217, 220, 222 f., 225 f., 240, 242, 248–250, 253, 259 f., 267, 318, 322–326

375 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370223 — ISBN E-Book: 9783647370224