Werkstätte der Erinnerung: Montecassino und die Gestaltung der langobardischen Vergangenheit 9783205159995, 3702904530, 3486648454, 9783205778233


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Werkstätte der Erinnerung: Montecassino und die Gestaltung der langobardischen Vergangenheit
 9783205159995, 3702904530, 3486648454, 9783205778233

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Werkstätte der Erinnerung

Mitteilungen des Instituts fïir Österreichische Geschichtsforschung Ergänzungsband 39

R. Oldenbourg Verlag Wien München

Walter Pohl

Werkstätte der Erinnerung Montecassino und die Gestaltung der langobardischen Vergangenheit

R. Oldenbourg Verlag Wien München 2001

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Pohl Walter: Werkstätte der Erinnerung : Montecassino und die Gestaltung der langobardischen Vergangenheit / Walter Pohl. - Wien ; München : Oldenbourg, 2001 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung : Ergänzungsband ; 39) Zugl.: Wien, Univ., Habil.-Schr., 2000 ISBN 3-7029-0453-0 ISBN 3-486-64845-4

© 2001 R. Oldenbourg Verlag Ges. m. b. H „ Wien Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Herstellung: Grasl Druck & Neue Medien, A-2540 Bad Vöslau Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf ISBN 3-7029-0453-0 Oldenbourg Wien ISBN 3-486-64845-4 Oldenbourg München

Inhalt

I.

Vorwort

7

Einleitung

9

II. Ein langobardisches Geschichtsbuch: Der Vaticanus latinus 5001 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

Einleitung Beschreibung der Handschrift Datierung und Aufbau Gebrauch und Bedeutung Geschichtsschreibung in schwieriger Zeit: Die Chronik Erchemperts und ihr Umfeld Historiographische Bruchstücke vom Ende des 9. Jahrhunderts Gedichte im Kontext Die Besitzungen des Poto Die Chronik von Salerno: Aufbau und Kontext Die Chronik von Salerno und die Cassineser Kompilation

III. Mönchsregel und scriptiuncula 1. 2. 3. 4. 5. 6.

14 18 21 24 33 42 45 53 55 67

histórica: Der Casinensis 175

Einleitung Beschreibung der Handschrift Die sogenannte „Chronica Sancti Benedicti Casinensis" Die Papst- und Herrscherverzeichnisse Die Chronik der Fürsten von Capua Zwischenergebnisse

77 82 85 95 103 106

IV. Lex et Origo: Der Cavensis 4 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Einleitung Beschreibung der Handschrift Origo gentis: Gesetz und Geschichte Die Origo im Rechtsbuch des Lupus: Der Codex von Modena Überlegungen zum Gebrauch der illuminierten Leges-Handschriften . Historiographische und andere Texte: Ein Dossier aus Montecassino. . Anlage und zeitgeschichtlicher Kontext der Leges-Handschrift von Cava

108 113 117 122 130 137 143

V.

Text, Gedächtnis und die Behauptung der Identität 1. Montecassino im Exil: Schreiben zur Selbstbehauptung 2. Die Selbstdarstellung Montecassinos vom späten 9. bis zum frühen 11. Jahrhundert

152 162

Anhang 1. Schlüsseltexte zum Selbstverständnis Montecassinos Konversion und Tod Karlmanns Die Konversion des Ratchis und der Tasia; Gründung von Plumbariola Stiftungen Gisulfs II. und Scaunipergas Arichis II. und die Gründung von S. Sophia in Benevent Calculus principum Beneventanorum Benevent von Aio bis Atenulf I. (890-900) 2. Weitere wichtige Texte Angeblicher Briefwechsel Karls des Großen mit dem Kaiser in Konstantinopel Das Besitzverzeichnis des Poto Glossar zu den Langobardengesetzen 3. Die zweite süditalienische Leges-Handschrift: Der Matritensis 413 . . . 4. Graphiken Übersicht über die Handschriften Geneaologie der beiden Dauferius-Familien Karte Süditalien zur Langobardenzeit

180 180 183 185 186 188 190 196 196 197 199 209 210 211 212 213

Verzeichnis der Abbildungen

214

Abkürzungsverzeichnis Quellen Literatur

227 229 234

Handschriftenregister

262

Register

263

Vorwort Diese Arbeit wurde am 10. Mai 2 0 0 0 als Habilitationsschrift für Historische Hilfswissenschaften an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien eingereicht, um meine Venia für Geschichte des Mittelalters zu erweitern. Zu danken ist den Mitgliedern der Kommission, vor allem den beiden Gutachtern, Herwig Wolfram und Peter Johanek. Die Arbeit knüpft an eine lange Tradition hilfswissenschaftlicher Arbeiten aus dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung an, dem ich mich als Mitglied verbunden fühle. Seinem Direktor (und meinem akademischen Lehrer), Herwig Wolfram, gebührt vielfacher Dank, nicht zuletzt für die Aufnahme des Buches in eine Publikationsreihe des Instituts. Am Institut für Österreichische Geschichtsforschung fand ich auch zahlreiche interessierte Gesprächspartner, denen ich für vielerlei Anregungen und Korrekturen danken möchte, darunter Karl Brunner, Othmar Hageneder, Werner Maleczek, Andrea Sommerlechner und Winfried Stelzer. Im besonderen aber bin ich Meta Niederkorn und Herwig Weigl für ihre Hilfe zu Dank verpflichtet. Dank gebührt auch der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, deren Mitarbeiter ich bin, für die Unterstützung und Ermutigung meiner Forschungsarbeit. Die seit Anfang 1998 bestehende Forschungsstelle für Geschichte des Mittelalters, deren Leitung mir übertragen wurde, bot außergewöhnlich günstige Voraussetzungen für meine wissenschaftliche Arbeit, nicht zuletzt durch das Umfeld engagierter, vor allem jüngerer Historiker. Ohne meine Schüler und Mitarbeiter Helmut Reimitz, Max Diesenberger und Richard Corradini hätte diese Arbeit nicht geschrieben werden können; auch Karl Giesriegl, Peter Erhart und Andrea Pennacchi sowie Erich Reiter haben viel dazu beigetragen. Sehr wertvoll war die Hilfe von Dagmar Giesriegl, die unter anderem die Graphiken zeichnete. Die Unterstützung von Susanne Grunsky, Kristin Stejskal und Doris Resch-Kofranek sowie das Verständnis meiner übrigen Mitarbeiter hat ebenfalls die Arbeit sehr gefördert. Dank gebührt der Österreichischen Akademie der Wissenschaften auch für die Stipendien, die zwei längere Forschungsaufenthalte in Rom ermöglichten, sowie dem Österreichischen Historischen Institut in Rom, wo im ich besonderen Otto Kresten, Eva-Maria Czerny (f) und Andrea Sommerlechner zu Dank verpflichtet bin; für die Betreuung bei einer weiteren Rom-Reise danke ich Andrea Sommer-Matis. In der Bibliotheca Apostolica Vaticana fand ich in Christine Grafinger eine sehr hilfsbereite Kollegin. Danken möchte ich auch den Archiven von Montecassino (im besonderen dem Hüter seiner Schätze, Don Faustino Avagliano), Cava de' Tirreni (im besonderen Padre Rudesindo Coppola), den Kapitulararchiven von Modena und Vercelli sowie der Biblioteca Nacional in Madrid. Schließlich gilt mein Dank zahlreichen Kollegen im In- und Ausland, deren Rat und Hilfe ich im Laufe meiner Arbeit in Anspruch nahm, darunter Claudio Azzara, Andrea Berto, Annalisa Bracciotti, Thomas S. Brown, Lidia Capo,

8

Vorwort

Guglielmo Cavallo, Kate Cooper, Paolo Delogu, Flavia De Rubeis, Albrecht Diem, Germana Gandino, Patrick J. Geary, Stefano Gasparri, Hubert Houben, Mayke de Jong, Andreas Kiesewetter, Conrad Leyser, Vito Lore, Graham Loud, Rosamond McKitterick, Christoph Meyer, Paul Meyvaert, Thomas F. X. Noble, Laura Pani, Charles Radding, Barbara Rosenwein, Piergiuseppe Scardigli, Stefan Schima, Patricia Skinner, Kurt Smolak, Chris Wickham und Klaus Zelzer. Viele der in der Arbeit entwickelten Gedanken und Forschungsinteressen entstanden im Gespräch mit Brigitte Resl; an die Zusammenarbeit mit ihr denke ich gerne zurück. Wien, im Februar 2001

Walter Po hl

I. Einleitung Die folgende Untersuchung beschäftigt sich mit dem Netz der Querbezüge zwischen drei Sammelhandschriften: dem unter Abt Johannes I. von Montecassino (914934) angelegten Regelcodex (Cas. 175), der in Cava de' Tirreni aufbewahrten Handschrift der langobardischen Leges (Cav. 4), die knapp nach 1000 abgeschlossen wurde, und einer historiographischen Handschrift (Vat. lat. 5001), die um 1300 in Salerno kopiert wurde und deren Vorlage in der 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts ebenfalls in Salerno entstanden ist; letztere ist der einzige Textzeuge für Erchempert und das Chronicon Salernitanum. Auf den ersten Blick repräsentieren diese Handschriften ganz verschiedene Genres - einen Regelcodex, ein Gesetzbuch und ein Geschichtskompendium. Deshalb sind sie meist auch getrennt voneinander untersucht worden.1 Doch sind die drei Handschriften durch eine Anzahl kürzerer Texte miteinander eng verbunden, die in zwei oder alle drei von ihnen aufgenommen wurden. Das Problem ist deshalb komplex, weil sich keine der Handschriften direkt als Vorlage der anderen nachweisen läßt, die jeweilige Auswahl und Anordnung der Texte ganz unterschiedlich ist und öfters spezifische Akzente gesetzt werden. Methodisch ist diese Aufgabe aus mehreren Gründen besonders reizvoll. Zunächst geht es dabei um die grundsätzliche Frage des Reichtums oder der Knappheit der schriftlichen Aufzeichnungen im Dreieck zwischen Montecassino, Salerno und Benevent vom Ende des 9. bis zum Beginn des 11. Jahrhunderts und um das Problem der Uberlieferungs-Chancen. 2 Sind die uns erhaltenen Handschriften nur ein Bruchteil ursprünglich vorhandener ähnlicher Aufzeichnungen, oder bestehen zwischen ihnen so direkte Bezüge, daß nicht mit einer Mehrzahl weiterer Varianten gerechnet werden muß? Systematisch und textkritisch untersucht wurde diese Frage bisher nur an den drei Fassungen eines Glossars langobardischer Rechtsausdrücke, das in den Handschriften aus Cava und dem Vatikan sowie im Codex Matritensis 413 aus dem 11. Jahrhundert enthalten ist. Der Editor, Albano Leoni, ging von einer Anzahl verlorener Fassungen aus, die teils bereits dem 7. bis früheren 9. Jahrhundert angehörten. 3 Solche Vorformen kommen allerdings für die meisten anderen Texte nicht in Frage, weil sie zumeist erst im Lauf des 9. oder 10. Jahrhun' Querverbindungen wurden, soweit das damals möglich war, während der Vorbereitung der Monumenta-Editionen hergestellt; siehe besonders Pertz, in: Archiv 5; Bethmann, Geschichtsschreibung. Viele Aspekte der drei Handschriften behandelt Cilento, Italia méridionale longobarda. 2 Z u m Begriff Esch, Überlieferungs-Chance. Grundlegend zur Frage der frühmittelalterlichen Schriftlichkeit McKitterick, T h e Carolingians and the Written Word. Siehe auch Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter, ed. Keller-Grubmüller-Staubach. Ausführlicher zur forschungsgeschichtlichen Einordnung dieser Studie: Pohl, History in fragments; vgl. Reimitz, Geschichtsbuch; Corradini, Die Wiener Handschrift Cvp 430*. 1 Albano Leoni, Tre glossari, bes. 28 f.

10

Einleitung

derts entstanden sind. Notwendig ist daher ein systematischer Vergleich aller Texte, der erst die Beziehungen zwischen den Handschriften insgesamt klären kann. Auch ist der Aufbau der Handschriften genau zu untersuchen. Dazu werden hier einige Studien vorgelegt. Die Untersuchung überschreitet auf geradezu paradigmatische Weise die „typologie des sources" und die Unterscheidung der Textsorten. Das betrifft nicht nur die untersuchten kleineren Texte selbst, sondern die Handschriften insgesamt. Es ist kein Zufall, daß ähnliche Zusammenstellungen von Texten sich in je einer Legeshandschrift, einem monastischen Codex (Benedikt-Regel mit Kommentar Hildemars von Corbie) und einem liber quarundam historiarum, wie ihn der Kopist um 1300 nannte, finden. Was in die repräsentative Regel-Handschrift oder in den ebenso aufwendig gestalteten LegesCodex kopiert wurde, waren keine Nebensächlichkeiten. Die drei Handschriften belegen, daß die in ihnen enthaltenen Texte immer wieder gebraucht wurden und für die Identität der Benutzer offensichtlich zentrale Bedeutung hatten. Sie geben daher Auskunft darüber, wie sich das Interesse an der Vergangenheit veränderte und diese immer wieder neu gestaltet wurde.4 Anhand des Vaticanus latinus 5001 läßt sich ein Jahrtausend wechselnden Interesses an der langobardischen Vergangenheit verfolgen, von rekonstruierbaren Vorlagen bis zu zahlreichen späteren Randvermerken. Nur Urkunden enthalten die hier untersuchten Handschriften so gut wie nicht; die Verschränkung von Chronik und Urkunde wurde erst seit etwa 1100 für die Beschäftigung mit der Vergangenheit in den Klöstern Süditaliens charakteristisch, etwa in der Chronik von Montecassino des Leo Marsicanus.5 Der Vergleich der drei Handschriften ergibt einen losen Kanon von Texten, die in den Zentralräumen der süditalienischen Langobarden im 10. Jahrhundert von Bedeutung waren und es vielfach weit über die Langobardenzeit hinaus blieben. Sie erklärten und legitimierten den Ursprung der weltlichen und kirchlichen Institutionen des Raumes. Sie zeigen auch, wie Gelehrte im Kloster Montecassino die weltliche Geschichte ihres Raumes sammelten und verarbeiteten.6 Viele dieser Texte waren recht kurz und entstanden aus Einschüben in Fürstenlisten, andere wurden aus chronikalischen Informationen verknappt und als Nachträge oder Randnotizen eingetragen. In manchen Handschriften kommen Texte gleichen Inhalts, oft sogar in identischer Formulierung, mehrfach vor, und zwar innerhalb wie außerhalb größerer Chroniken, zum Beispiel des Chronicon Salernitanum. Einige der kurzen Texte wurden im 12. Jahrhundert in die großen Chroniken von Montecassino, S. Vincenzo al Volturno oder S. Sophia übernommen. Gemeinsam ist allen diesen Texten, daß sie die Beziehungen der Klöster zu ihrem politischen Umfeld behandeln. Manche dieser Texte behandeln Fragen, die für das Selbstverständnis der Klöster Süditaliens, ihre Rangordnung und ihren Umgang miteinander grundlegend waren; andere thematisieren das Konfliktfeld zwischen Franken, Rom und Byzanz, in das die süditalienischen Langobardenreiche hineingestellt waren. Die Stiftungen Gisulfs II. von Benevent und seiner Frau Scauniperga für Montecassino sowie die Gründung von S. Sophia in Benevent und seine Unterstellung unter Montecassino durch Arichis II. waren Schlüsseltexte für die Position Montecassinos im lango4 Grundlegend Geary, Phantoms of Remembrance; Assmann, Kulturelles Gedächtnis; FentressWickham, Social Memory; vgl. Koselleck, Vergangene Zukunft. Siehe auch Nichols, Introduction. 5 Siehe Hoffmann, Chronik und Urkunde, und zahlreiche weitere seiner Arbeiten. 6 Vgl. Remensnyder, Remembering Kings Past.

Einleitung

11

bardischen Fürstentum von Benevent. Die Berichte von den Konversionen von Ratchis und Karlmann repräsentierten Montecassino als Kloster der Könige. Zudem wurde durch Verwechslung von Karlomannus und Karlomagnus der Ausgangspunkt für zahlreiche Legenden vom Aufenthalt Karls des Großen im Kloster geschaffen. Auffallend ist die Bedeutung Karls des Großen, in einer seltsamen und charakteristischen Ambivalenz zwischen Bewunderung und Distanz. Ein erfundener Briefwechsel zwischen Karl dem Großen und dem Kaiser in Konstantinopel verhöhnte, ganz im Sinn des Reichsklosters Montecassino, den Monopolanspruch des östlichen Kaisertums. Dazu kamen die Legenden um den vorbildlichen Gelehrten Paulus Diaconus und seine widersprüchliche Beziehung zu Karl dem Großen. Zentral für das politische Gedächtnis Montecassinos im 9. Jahrhundert war unter anderem die Expedition Ludwigs II. von 867/71. Mehrfach niedergeschrieben wurden zum Beispiel der Teilungsvertrag zwischen Benevent und Salerno von 849 oder die Chronologie der rasch wechselnden Herren von Benevent am Ende des 9. Jahrhunderts. Immer wieder erscheinen auch Epitaphien bedeutender Persönlichkeiten. Der Schwerpunkt der langobardenzeitlichen Ursprünge, die man seit dem Ende des 9. Jahrhunderts in der süditalienischen Überlieferung zu bewahren suchte, liegt zwischen Mitte des 8. und Mitte des 9. Jahrhunderts, grob gesprochen von der Zeit des Ratchis und Gisulfs II. von Benevent bis zum Teilungsvertrag von 849. Auffallend ist, was alles nicht in derselben Weise hervorgehoben wurde. Erwähnt, aber nicht so intensiv behandelt, wie man erwarten würde, werden die beiden Gründungen von Montecassino im 6. und im 8. Jahrhundert, ebenso wie die beiden Zerstörungen durch Langobarden und Sarazenen (883). Für letztere mag ausschlaggebend sein, daß man das traurige Ereignis am Ende des 9. Jahrhunderts wohl lieber vergessen wollte; sonst hätte der Zeitgenosse Erchempert, der wenige Jahre danach schrieb, es nicht in nur einem einzigen Satz abgetan. Diese Haltung beeinflußte möglicherweise auch zukünftige Generationen. Während man in San Vincenzo al Volturno im 12. Jahrhundert mit der Historia decollatorum nungentorum monachorum7, die in das Chronicon Vultumense aufgenommen wurde, den Versuch unternahm, mit der Zerstörung durch die Sarazenen die Verehrung von 900 Märtyrern zu begründen, machte Montecassino nicht einmal aus dem von den Sarazenen umgebrachten Abt Bertharius einen Heiligen; seine Verehrung kam erst in der Barockzeit in Schwung.8 Dabei gab es durchaus Bedarf an wundertätigen Reliquien. Sowohl im Codex von Cava als auch in der Regelhandschrift von Montecassino findet sich die seltsame Nachricht, wie der wenig heiligmäßige Fürst Landenulf von Capua 993 bei einer Rebellion ermordet und nackt auf der Piazza liegengelassen wird. Die Mönche von Montecassino unter Führung des machtpolitisch ambitionierten Abtes Manso entwenden den Leichnam und bestatten ihn heimlich; daraufhin geschehen an seinem Grab Wunder. Ein Bertharius hätte einen würdigeren Heiligen abgegeben, aber dazu versuchten unsere Handschriften nicht beizutragen. Insgesamt bildete, das zeigt die Untersuchung der Uberlieferung, das langobardische Süditalien im 9. und 10. Jahrhundert trotz der politischen Aufsplitterung einen gemeinsamen Traditionsraum. Das läßt sich schon daran ablesen, daß die im Umfeld von Montecassino am Ende des 9. Jahrhunderts angelegte Sammlung in Salerno überliefert ist und einiges Material aus Benevent enthält. Ähnliche Bezüge lassen sich ja im 12. Jahr7 Chronicon Vulturnense, ed. Federici 1, 3 4 7 - 3 7 6 . " Dazu Avagliano, Il culto di San Bertario.

12

Einleitung

hundert zwischen den Chroniken der durchaus rivalisierenden Klöster Montecassino, San Vincenzo und S. Sophia feststellen. Innerhalb dieses gemeinsamen Vorrats an Memoria gab es freilich Nuancen, nicht nur zwischen den Klöstern, sondern auch innerhalb der verschiedenen Gemeinschaften, wo sich die Orientierung und damit die Bedeutung einzelner Texte ändern konnte. Es war Montecassino, das für die Nachwelt das Bild jener Zeit prägte. Das wurde nicht zuletzt dadurch erleichtert, daß von Montecassino ein ganzes Netz von Zentren der Schriftlichkeit ausging, die jeweils in engem Kontakt zu den Fürstenhöfen standen: S. Sophia in Benevent, S. Benedetto in Salerno, und, seit dem 10. Jahrhundert, S. Benedetto in Capua. So wurde Montecassino für das langobardische Süditalien zur Werkstätte des Gedächtnisses. Wie immer waren es spezifische Umstände und spezifische Menschen, denen es zu verdanken ist, daß unsere Texte so aufgeschrieben wurden, wie sie - mittelbar oder unmittelbar - erhalten sind. Zur Untersuchung dieser Verschriftlichung der Erinnerung, die immer ein außergewöhnlicher Schritt war, will die vorliegende Untersuchung beitragen. Bemerkungen zur Einrichtung der Texte Diese Arbeit bietet keine Voll-Edition der in den Handschriften überlieferten Texte. Zur Verdeutlichung des Befundes wurden eine Reihe von Texten oder Teilen von Texten transkribiert (siehe vor allem im Anhang). Diese Aufgabe war nicht unproblematisch. Hartmut Hoffmann hat das Dilemma einer Edition mittellateinischer Texte aus Montecassino skizziert. Soll man „die unklassischen, .schlechten' Lesarten" bevorzugen, „weil sie als unklassische den Geruch der Authentizität zu verbreiten scheinen"? Oder soll man „die klassische, die womöglich einem puristischen Verschlimmbesserer zu verdanken ist", wählen?9 Dieses philologische Problem ist hier kaum zu lösen. Dabei war das Latein des Leo Marsicanus, mit dem Hoffmann vor allem zu tun hatte, gegenüber dem Latein der hier vorgestellten Texte dem klassischen Gebrauch um vieles näher. Wenn ein Vermerk des frühen 11. Jahrhunderts (Cava 4, fol. 1 r) lautet: Istud. Codices habet quaterniones XXXIII folia CCLXV, ist man versucht, korrigierend einzugreifen. Doch eine Emendation verbietet sich, weil der Sprachgebrauch dieses Schreibers dadurch erhellt wird und eine Verschreibung nicht in Frage kommt. Für das Ziel der vorliegenden Untersuchung war es in der Regel nötig, die Version der Handschrift zu übernehmen, auch wo sie grammatikalisch oder orthographisch stark vulgarisiert ist. Zum ersten entspricht das eben dem allgemeinen Sprach- und Schriftgebrauch des Frühmittelalters in Italien. Zum zweiten aber galt die Aufmerksamkeit gerade dem Prozeß des Abschreibens, und hier gehören Varianten und ,Fehler' zum Befund. Die (wiederholte) Niederschrift war Gegenstand der Untersuchung, nicht die Rekonstruktion eines hypothetischen Urtextes, den es (wie die Untersuchung zeigen soll) in vielen Fällen nicht gegeben hat, oder der ohnehin gut bekannt ist (wie die von Paulus Diaconus oder aus dem Liber Pontificalis übernommenen Texte). Nur offensichtliche Schreibfehler wurden emendiert und im Apparat ausgewiesen. Für Zitate im Fließtext wurden die MGH-Ausgaben von Pertz, Waitz und Bluhme verwendet. Die Quellentexte im Anhang und die längeren, freigestellten Zitate wurden jeweils kollationiert und im Buchstabenbestand der Handschrift wiedergegeben.10 ' Hoffmann, Stilistische Tradition 31. 10 Außer bei Eigennamen (mit Ausnahme des häufigen Beneventum) werden u und v nach dem Lautwert wiedergegeben. Eigennamen und Nomina sacra sind groß geschrieben, die Interpunktion ist

Einleitung

13

Ein wenig anders stellte sich das Problem beim Vaticanus lat. 5001, der viele Texte über zumindest zwei Rezensionsstufen übernommen hat, wobei die Beneventana des 10. Jahrhunderts für einen Schreiber um 1300 offenbar schon gewisse Probleme der Lesbarkeit bereitete. Der Schreibstand ist im wesentlichen der spätmittelalterliche des italienischen Südens. Zudem haben zwei gleichzeitige Korrektoren massiv und wenig kohärent (und keineswegs immer korrekt) in Schreibung und Grammatik eingegriffen und unter anderem zahllose Kasus-Endungen korrigiert. Dadurch ergeben sich gleich mehrere Varianten aus dem überlieferten Text: die Lesart des jeweiligen Korrektors; die - manchmal noch lesbare oder rekonstruierbare — radierte oder getilgte Variante des Kopisten, sowie gelegentlich ein nachvollziehbarer und nicht korrigierter Abschreibfehler, der z. B. aus einer mißverstandenen Ligatur der Beneventana zu erklären ist. Diesem Problem sah sich vor allem Ulla Westerbergh bei ihrer Edition des Chronicon Salernitanum gegenüber; sie entschied sich in der Regel für die radierte Variante und schied die Korrektur aus." Zuweilen wählte sie aus jeweils nicht näher erläuterten Gründen statt den zwei aus dem Codex erschließbaren Lesarten eine dritte. Hier werden wo nötig paläographische Abschriften des Handschriftenbestandes geboten. Nach der Edition Westerberghs zitiert wurden Zitate im Fließtext, sofern es dabei nur um den Inhalt ging.

modern. In runden Klammern werden Kürzungen in Eigennamen, auffällige oder unsichere Kürzungen aufgelöst; eckige Klammern enthalten unsichere Lesungen oder Ergänzungen des Herausgebers; spitze Klammern zeigen längere Korrekturen auf Rasur, Einfügungen oder Ergänzungen in der Handschrift an. " Zur Begründung siehe Westerbergh (ed.), Chronicon Salernitanum XXIII. Auch Lidia Capo, die eine zweisprachige lateinisch-italienische Edition des Chronicon Salernitanum für die Fondazione Lorenzo Valla vorbereitet, beabsichtigt laut freundlicher Mitteilung, sich im wesentlichen an den von Ulla Westerbergh erstellten Text zu halten.

II. Ein langobardisches Geschichtsbuch: Der Vaticanus latinus 5001 1. Einleitung Um 1080, in der Zeit, als die Partei Papst Gregors VII. mit den Anhängern Kaiser Heinrichs IV. um die Kontrolle des Reiches, Italiens und der Kirche rang, entstand auch Streit zwischen den Erzbischöfen von Benevent und Salerno um die Diözesangrenzen. Das war nicht ungewöhnlich, da zur Zeit des sogenannten Investiturstreits eine Reihe regionaler Konflikte ausbrachen und alte Rechte und Besitzungen in Frage gestellt wurden. Immerhin gelang es dem päpstlichen Delegaten, Abt Desiderius von Montecassino, ein förmliches Verfahren einzuleiten, um die aufgebrochenen Grenzfragen zu klären, worüber er auch eine Urkunde ausstellte. Eine Abschrift hat sich im sogenannten Codex Patetta, dem „kleinen Chartular von Salerno", aus dem 12. Jahrhundert erhalten.1 Sowohl Erzbischof Alfanus I. von Salerno (1058-1085) als auch sein Mitbruder Roffrit von Benevent (1076-1107) beanspruchten die beiden Castra Forino und Serino. Unter den Schriftstücken, die im Verlauf der Verhandlung präsentiert wurden, befand sich auch eine Handschrift, die Alfanus von Salerno vorlegte: Ostendit etiam pactum, quod princeps Beneventanus et princeps Salernitanus inter se de finibus composuerunt, sicut in istoria Langobardorum scriptum est, ubi legitur, utfinissit, ubi dicitur Ad Peregrinos, inter principatum Beneventanum et Salernitanum, ubi sunt viginti miliaria ex una parte et viginti miliaria ex alia. Der Vertrag, auf den Alfanus sich berief, war bereits über zwei Jahrhunderte alt und im Jahr 849 zwischen den Principes Radelchis von Benevent und Siconulf von Salerno geschlossen worden, als sie den beneventanischen Prinzipat nach langem Krieg untereinander aufteilten. In diesem Pactum heißt es: Inter Beneventum et Salernum sitfinis in loco qui dicitur ad Peregrinos ubi ex antiquo viginti miliaria sunt per partes} Auch der Verweis auf eine istoria Langobardorum ist korrekt. Dieser Passus findet sich nämlich auch in dem 974 verfaßten Chronicon Salernitanum; der Wortlaut ist fast der gleiche, nur heißt es am Schluß des Satzes: ubi est ex utraque parte viginti miliaria?

1 Vat., Fondo Patetta, Ms. Lat. (olim n. 1), fol. 21v-23r; Italia Pontificia 8, 29, 353. Handschriftenbeschreibung im Anhang von Hoffmann, Abtslisten 347—352; Edition der Urkunde ebd. 352—354. Die Urkunde ist nicht näher datierbar, außer zwischen den Beginn von Roffrits Pontifikat 1076 und den Tod des Alfanus sowie die Papstwahl des Desiderius (1085); zum Hintergrund siehe Taviani-Carozzi, Principauté 2, 993—995; Cowdrey, The Age of Abbot Desiderius 62 f. Alfanus war zuvor kurze Zeit Mönch in Montecassino gewesen, siehe ebd. 22. Zu Alfanus auch Palmieri, Duchi e vescovi 93. 2 Radelgisi et Siginulfi Divisio Ducatus Beneventi 10, ed. Bluhme 222; überliefert in Vat. lat. 5001, fol. I45v. 3 Chronicon Salernitanum 84, ed. Westerbergh 86; ebenfalls überliefert in Vat. lat. 5001, fol. 47v.

Einleitung

15

Tatsächlich scheint die Urkunde den Text nach der etwas präziseren Formulierung der Chronik zu zitieren und noch weiter zu verdeutlichen: viginti miliaria ex unaparte et viginti miliaria ex alia. Der Fall würde eine weitere Erörterung verdienen, die hier nicht geboten werden kann. Festzuhalten ist, daß hier eine Chronik vor Gericht als Beweisstück diente; ferner, daß ein Vertrag über Herrschaftsgrenzen aus der Langobardenzeit fast ein Vierteljahrtausend später in einem Streit über Diözesangrenzen von Belang war. Nebenbei fällt die leise historische Ironie auf, daß die herangezogene Chronik ausführlich erzählt, wie gerade zur Zeit jenes Vertrages ein gewisser Rofrit aus Benevent einen Abt Alfanus aus Salerno durch eine Intrige in den Tod trieb.4 Wichtig fur uns ist der Hinweis auf den Gebrauch einer Handschrift, die zwar nicht erhalten blieb, von der jedoch eine Abschrift aus den Jahren um 1300 existiert: der in Salerno geschriebene Codex Vaticanus latinus 5001. Diese Handschrift bietet nicht nur die einzige erhaltene Uberlieferung des Chronicon Salernitanum (fol. 3r-104r), sondern auch den vollständigen Text des Vertrages von 849 (fol. I43v-l47v). Den Vertrag hätte übrigens auch Desiderius von Montecassino in seiner Bibliothek finden können, und zwar sogar in einer besonders ehrwürdigen Handschrift, in die Abt Johannes I. (914-934) die Regel des heiligen Benedikt mitsamt Kommentar hatte kopieren lassen. Unter den unterschiedlichen Texten, die zur Zeit der Anlage dieses Codex 175 von Montecassino am Schluß beigefugt wurden, stand auch der Vertrag zwischen Radelchis und Siconulf.5 Als man sich während des turbulenten Pontifikates von Papst Bonifaz VIII. in Salerno daranmachte, das Chronicon Salernitanum und eine Reihe weiterer Texte zu kopieren, stellte man die Bemerkung voran (fol. lr): In nomine Domini et Salvatoris [nostrijesu Christi injcipit [li]ber quarundam ystoriarum dominorum et diversarum guerrarum regni Ytalie, prout inventumfuit in quodam antiquo libro scripto litterarum Longobardaru(m). Cuius libriprincipium non continebatur, et propter hoc sicut incipiebat predictus liber suas y[sto]rias recitare, ita et nos incepimus in praesenti libro ipsius ystorie scribere et continuare. Dieser Liber quarundam ystoriarum war es wohl, den auch Erzbischof Alfanus im Archiv seiner Kathedrale gefunden hatte. Die Bedeutung des Codex kann kaum überschätzt werden. Zurecht bemerkt Taviani-Carozzi: „L'historiographie lombarde de l'Italie méridionale postérieure à Paul Diacre doit à ce manuscrit du XlVe siècle de nous être parvenue". 6 Das gilt nicht nur für das Chronicon Salernitanum, sondern auch für die Chronik Erchemperts vom Ende des 9. Jahrhunderts, für die der Vaticanus latinus 5001 ebenfalls die einzige Uberlieferung bietet. Doch zumeist hat das Interesse fiir die große Historiographie die Aufmerksamkeit von den zahlreichen weiteren, sehr heterogenen Texten abgelenkt, die ebenfalls in der Handschrift enthalten sind. Darunter befinden sich unter anderem: -

Katalog der Langobardenkönige und der Könige Italiens bis Otto III. (lr-2r) Katalog der Fürsten von Benevent von Zotto bis Radelchis II. (2r-3r) Drei Grabinschriften des 9. Jahrhunderts (104r-105r)

4 5 6

Chronicon Salernitanum 66-71, ed. Westerbergh 63-70. Cod. Cas. 175, S. 581ff.Vgl. Kap. III. Taviani-Carozzi, Principauté 1, LXV.

16

-

Ein langobardisches Geschichtsbuch: Der Vaticanus latinus 5001

Ein Widmungsgedicht für Erchemperts Ystoriola (105r-105v) Die Continuatio Casinensis des Paulus Diaconus (105v— 106v) Ein Papstbrief an einen Gesandten (131v) Ein Vertrag Sicards von Benevent mit Neapel von 836 (132r-137r) Die Besitzliste eines gewissen Poto (137r-138r) Ein Gedicht eines Arderich auf einen Rofrit (138r-139r) Ein Glossar langobardischer Rechtsausdrücke (139r-l40v) Eine Variante der sogenannten „fränkischen Völkertafel" (l40v) Eine kurze Ubersicht über die fränkischen Leges und ihre Gesetzgeber (I40v) Eine chronologische Berechnung aus dem Jahr 832 (I40v-l4lr) Eine Chronik von 892 bis 897 (I4lr-l43v) Der Teilungsvertrag zwischen Radelchis und Siconulf von 849 (l43v—I47v) Das Fragment eines Gedichts auf Landulf I. von Capua-Benevent (I47v) Ein Papstkatalog bis auf Bonifaz VIII. (I48r-I56v) Eine Kaiserliste bis auf Friedrich II. (157r-l62v)

Dazu kommen noch eine Reihe von Gedichten, Briefen und anderen Texten, die innerhalb einer der beiden großen Chroniken ganz oder teilweise zitiert werden. Gemeinsam mit den beiden größeren Geschichtswerken kopierte man um 1300 also eine Reihe von vier- bis fünfhundert Jahre alten Texten, die - so sollte man meinen - zum großen Teil jede Aktualität verloren hatten, wie etwa die Besitzliste des Poto oder die Grabinschriften des 9. Jahrhunderts. Freilich ist der Gebrauchswert der Texte uns nicht immer einsichtig. Die Gedichte konnten vielleicht Erzbischof Alfanus von Salerno als Vorbild dienen, der selbst zahlreiche Verse verfaßte.7 Die Randnotizen der Annotatoren des 14. Jahrhunderts (siehe Kap. II. 4) zeigen immerhin, daß Dinge für die Benützer der Anjou-Zeit von Interesse waren, deren Nutzen heute nicht mehr unmittelbar einleuchtet. Die Auffassung von historia im Salerno des frühen 14. Jahrhunderts unterschied sich offenbar von der unseren. Die moderne Forschung trennte im Sinn der „typologie des sources" lange klar zwischen verschiedenen Quellenkategorien und hob Verträge, Glossare, Besitzlisten oder Gedichte von der Historiographie ab. Funktionale Quellen unterscheidet man in der Regel von der intentional aufgefaßten Geschichtsschreibung. Innerhalb der im engeren Sinn historiographischen Texte versucht man wiederum den Autor zu erfassen und erschließt die Bedeutung des Textes von seiner Persönlichkeit und Intention her. Vielfach wurde dann noch versucht, dem Geschichtsschreiber mit den wertenden Kategorien überkommener Literaturkritik zu Leibe zu rücken und mittelalterliche Autoren nach Originalität, Lateinkenntnissen, Fabulierlust, Tendenz, Tatsachentreue oder logischem Aufbau des Werkes zu beurteilen. Nichts von alledem plagte die Kopisten und Benützer unserer Handschrift im Salerno des 14. Jahrhunderts. Sie kümmerten sich nicht darum, Textsorten zu unterscheiden oder zu ordnen, Autoren hervorzuheben oder auch nur die einzelnen Texte durch Überschriften oder zumindest Abstände voneinander abzuheben. Nicht einmal die üblichen roten, über zwei Zeilen gezogenen Lombarden, die an vielen Stellen sogar einzelne Absätze eines längeren Textes markieren, stehen überall dort, wo ein völlig anderer Text beginnt. Erst eine viel spätere Hand schrieb an den oberen Rand der ersten rectoSeite, auf der Erchemperts Chronik steht (sie beginnt ohne besondere Überschrift mit7

I carmi di Alfano, ed. Lentini—Avagliano; vgl. Lentini, Medioevo letterario Cassinese 207—306.

Einleitung

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ten auf fol. 106v), den Namen Erchempert und unterstrich ihn an der entsprechenden Stelle im Text, wo Erchempert sich selbst nennt. Die Benützer des 14. Jahrhunderts waren daran interessiert, möglichst vielfältiges und umfassendes Material über die Langobardenzeit zugänglich zu machen. Dabei trennten sie nicht zwischen historiographischen und nicht-historiographischen Texten. Das entspricht der ,culture historique' des späteren Mittelalters: „In historiographischen Sammelhandschriften (...) finden sich zahllose, in ihrer Gestalt variierende, kaum je mit Autornamen versehene historische Notate, Exzerpte, Kurztraktate, Herrscherkataloge, Tabellen, graphische Lehrschemata und andere Ubersichten, die in signifikanter Kombination miteinander zur Ergänzung und Erschließung der umfangreichen chronikalischen Texte dienten." 8 Der Vaticanus 5001 entsprach, ähnlich den „Flores temporum , durchaus den historiographischen Interessen der Zeit, in der er kopiert wurde, wobei die Bandbreite der aufgenommenen Texte noch größer ist. Aus der folgenden Untersuchung ergibt sich freilich, daß seine Zusammenstellung wohl nicht ein Werk des 13./14. Jahrhunderts war, sondern im wesentlichen auf Arbeiten aus dem 9./10. Jahrhundert beruhte. Für den methodischen Fortschritt der modernen Geschichtswissenschaft war es sicherlich zunächst nötig, eine ,typologie des sources' einzuführen. Auch die Frage nach dem Autor hat manche Erkenntnisse gebracht. Von Erchempert wissen wir ausschließlich aus seinem in dieser Handschrift überlieferten Werk. Huguette Taviani-Carozzi hat ihm, seinem Horizont und seinen Vorlieben ein ausführliches Kapitel ihres eindrucksvollen Werkes über das Fürstentum Salerno gewidmet. Ebenso hat sie vorgeschlagen, den anonymen Autor des Chronicon Salernitanum mit dem Abt von S. Benedetto di Salerno, Radoald, zu identifizieren.9 Doch wurde noch kaum versucht, die beiden 'großen Historiker der „Langobardia minore" 10 wieder zurück in denjenigen Kontext zu stellen, in dem sie das ganze Mittelalter hindurch überliefert, gelesen, gebraucht und kommentiert wurden. Zwar sind im Lauf der Zeit manche der einzelnen Texte bearbeitet oder gedruckt worden: Ulla Westerbergh edierte und kommentierte Gedichte, die innerhalb und außerhalb der Chroniken stehen; Nicola Cilento untersuchte mehrfach einzelne Aspekte der Handschrift; und Albano Leoni gab die drei Fassungen des Glossars heraus und analysierte seine Überlieferung. 11 Daß die Chroniken und die anderen Texte einander ergänzten, ergibt sich schon aus dem Beispiel, das am Anfang zitiert wurde. Erzbischof Alfanus von Salerno konnte sich aus dem Chronicon Salernitanum kurz über den Vertrag von 849 zwischen Benevent und Salerno informieren. Doch in derselben Handschrift stand weiter hinten der Volltext des Vertrages. Die einstige Bedeutung des Codex ergab sich also daraus, daß er wesentliche Ereignisse und Weichenstellungen der Vergangenheit relativ leicht zu erschließen half. In diesem Kapitel soll daher der Inhalt des Codex als Ganzes betrachtet werden. Dabei ist zunächst zu untersuchen, wie und warum die darin enthaltenen Texte zusammengetragen wurden. Die Bedeutung des Vertrages von 849 für diejenigen, die in späteren 8 Mierau-Sander-Berke-Studt, Studien 11. Zur „culture historique" Guenée, Histoire et culture historique, bes. 300 ff. Vgl. auch Nichols, Introduction. 9 Taviani-Carozzi, Principauté 1, 8 1 - 9 1 . 10 Z u m Begriff Falkenhausen, Untersuchungen; Houben, Longobardia e longobardi nell'Italia minore 177 f. Streng genommen bezeichnet der Terminus, laut freundlicher Mitteilung von Evangelos Chrysos (Athen), nur den byzantinischen oder byzantinisch beanspruchten Teil der Langobardia (ähnlich wie bei Scythia oder Asia minor). " Westerbergh, Poetry; Cilento, Italia meridionale longobarda; Albano Leoni, Tre glossari.

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J a h r h u n d e r t e n d i e H a n d s c h r i f t b e n ü t z t e n , ist leicht n a c h z u w e i s e n . B e i a n d e r e n T e x t e n ist w e d e r d i e B e d e u t u n g f ü r d i e N a c h w e l t n o c h d e r Z u s a m m e n h a n g u n t e r e i n a n d e r u n m i t t e l b a r e i n s i c h t i g . M a n c h e s i n d n i c h t leicht z u d a t i e r e n u n d z u z u o r d n e n . A l l e r d i n g s läßt sich ein N e t z v o n Q u e r b e z ü g e n r e k o n s t r u i e r e n , d i e h e l f e n , d i e U m s t ä n d e z u erfassen, unter d e n e n die ursprüngliche S a m m l u n g angelegt wurde. D a b e i ergibt sich, d a ß d i e m e i s t e n T e x t e w o h l a m E n d e d e s 9 . J a h r h u n d e r t s z u s a m m e n g e t r a g e n w u r d e n , als d i e M ö n c h e v o n M o n t e c a s s i n o n a c h d e m S a r a z e n e n s t u r m i m Exil in T e a n o n a h e C a p u a w a ren, w o 8 9 6 ein Teil ihres A r c h i v e s v e r b r a n n t e .

2. Beschreibung der Handschrift B i b l i o t h e c a A p o s t o l i c a V a t i c a n a , lat. 5 0 0 1 Pergament, 1 6 2 fol.; dazu neuzeitlich je ein leeres Pergamentblatt vor- u n d n a c h g e b u n d e n , ein Papierblatt n a c h g e b u n d e n . F o r m a t des Buchblocks: 2 4 , 5 X 18,5 Lagen: 1* + 19 I V 1 " + ( I V - 1 ) ' " + 1 + 1 + l 162 + 1* (Pergament) + 1* (Papier)' 2 Foliierung: neuzeitlich; ältere in der M i t t e oben, statt fol. 5 3 irrtümlich 5 4 , ab d a falsch; neuere rechts oben (hier verwendet). R e k l a m a n t e n von H a n d des Schreibers unten a u f fol. 8v, I6v, 40v. S c h r i f t r a u m : 18 bis 1 8 , 5 X 12 bis 12,5, d u r c h g e h e n d 2 8 Langzeilen, m i t Randlinierung. Von mehreren H ä n d e n in einem Z u g in gotischer Buchschrift des späteren X I I I . J h . s geschrieben; erst gegen E n d e häufigere H a n d w e c h s e l (z. B . fol. I 4 6 v 1. 19: H a n d w e c h s e l mitten in der Zeile; fol. I 4 7 r o b e n : eine dritte H a n d ) . Westerbergh unterscheidet in ihrer E d i t i o n des C h r o n i c o n Salernitanum, X X , 2 H ä n d e . Zahlreiche Randvermerke, die i m letzten Drittel deutlich a b n e h m e n (mindestens sechs H ä n d e des 14. Jh.s, eine des 15., zwei des 16.; siehe K a p . II. 4). Keine R u b r i k e n , Incipit- oder Explicit-Vermerke m i t A u s n a h m e von fol. lr, l 4 8 r , 157r. Initialen: meist rote L o m b a r d e n , ein- bis dreizeilig, recht unregelmäßig gesetzt; teils durch P u n k t u n g verziert; sonstige Verzierungen der Initialen durch geometrische M u s t e r nur a u f fol. lr, 157r. Gelegentliche Unterstreichungen i m Text in schwarz, von späterer H a n d . A m R a n d , meist von H a n d D , gelegentlich H ä n d e m i t hinweisendem Charakter, selten Vogelk ö p f e oder andere spielerisch angebrachte H e r v o r h e b u n g e n (z. B . fol. 13r). E i n b a n d : rotbraunes M a r r o q u i n - L e d e r m i t G o l d p r ä g u n g , a u f d e m B u c h r ü c k e n W a p p e n des Papstes G r e g o r X V I . ( 1 8 3 1 - 4 6 ) . Geschichte: Geschrieben in Salerno u m 1 3 0 0 , während des Pontifikates von B o n i f a z V I I I . , dessen Pontifikatsjahre in der Papstliste a u f fol. 1 5 6 r nachgetragen sind. 1 4 4 7 weiterhin in Salerno, wie aus d e m Vermerk a u f fol. 9r hervorgeht: anno 1447

non est Salernum

munitis-

12 1 - 8 (8v Rekl. unten Mitte exore), 9 - 1 6 (16v unten Mitte Rekl. finibus), 17-24, 2 5 - 3 2 (ganze Lage am Rand ca. 4 x 1,5 cm nach Beschriftung abgerissen), 33—40 (Beschädigung am Rand setzt sich in leicht wechselnder Form bis fol. 94 fort; unten rechts 40v Rekl. fertur), 41-48, 49-56, 57-64, 65-72, 7 3 - 8 0 , 8 1 - 8 8 , 89-96, 97-104, 105-112, 113-120, 121-128, 129-136, 137-144, 145-152, 153-159 (160 war ursrpünglich das letzte Blatt dieses Quaternios, ist aber nun mit den letzten beiden Blättern und einem hinzugefügten leeren Pergamentblatt neuzeitlich zu einem Binio gebunden). Vermutlich bildeten 161-162 einst ein Doppelblatt, doch 162 ist beschädigt und restauriert, wodurch der ursprüngliche Zusammenhang nicht mehr sicher ist.

Beschreibung der Handschrift

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sima. 1560 im Besitz des Rechtsgelehrten M a r i n o Freccia, der davon eine Abschrift auf Papier anfertigte (Vat. lat. 5000), d a n n unter G e r o n i m o Seripando, Erzbischof von Salerno seit 1554, wieder im Kathedralarchiv von Salerno, wo er u. a. von Gian Battista Bolvito benützt wurde. 1 3 1626 laut d e m ersten Editor Erchemperts, A n t o n i o Caracciolo, der sich der Abschrift Freccias bediente, war das prototypon in cod. membranaceo scriptum e Tabulano Salernitane Ecclesiae sublatum (...), uti audivimus, et trans Alpes evectum.u Spätestens im 18. Jahrh u n d e r t ist die Handschrift in der Bibliotheca Apostolica Vaticana nachgewiesen, vgl. Inventarium m a n u s c r i p t o r u m Lat. Bibl. Vatic. vol. VI. D o r t belegen die beiden Vermerke: „dato ai Francesi", „recuperato", d a ß der Codex 1797 vorübergehend nach Frankreich gebracht wurde. 1 5 Literatur: Pertz, in: Archiv 5, 1 3 1 - 3 3 ; B e t h m a n n , Geschichtsschreibung 3 7 1 - 7 6 ; Waitz, M G H rer. Lang. 2 3 2 - 3 4 ; Dolezalek Bd. 2; Rep. Fontium 3 (Rom 1970) 179; Westerbergh (ed.), C h r o nicon Salernitanum XIX ff.; Cilento, La tradizione 7 3 - 1 0 2 ; ders., M a r i n o Freccia 3 0 0 ff.; S a n d m a n n , Herrscherverzeichnisse 13; Taviani-Carozzi, Principauté 1, LX-LXV. Inhalt 1 r Prolog: In nomine Domini et Salvatoris nostri Jesu Christi incipit liber quarundam etc.

ystoriarum

lr—2r Catalogus regum Italiae (von Alboin bis O t t o III.) Inc.: Anno ab incarnacione Domini quingentésimo septuagésimo quarto incepit regnum Ed. Waitz, M G H rer. Lang. 4 9 1 - 9 3 ; Westerbergh, C h r o n i c o n Salernitanum 1 f.

Ytalie

2 r - 2 v Catalogusprincipum Beneventanorum (von Z o t t o bis Radelchis II.) Inc.: Anno ab incarnacione Domini quingentésimo sexagésimo octavo, principes ceperuntprincipan in principatu Beneventi Ed. Waitz, M G H rer. Lang. 4 9 3 f.; Westerbergh, C h r o n i c o n Salernitanum 2f. 3 r - 1 0 4 r Chronicon Salernitanum Inc.: Residente in apostolica sede Zach aria papa Ed. Westerbergh, C h r o n i c o n Salernitanum 3 - 1 8 4 . 104r 11. 18—104v: Epitaph der Dauferanda 1 6 (siehe Abb. 1) Inc.: Nobilis a veteriproavorum femina stirpe Ed. Muratori 2, 2, 281; Pertz, M G H SS 3, 560; Strecker, M G H Poetae Latini 5, 346; Westerbergh, Poetry 30 f.; Russo Mailler, Il senso 113. 104v 11. 7 - 1 6 : Epitaph auf Adelferi Inc.: Clausus in hoc tumulo iuvenis quiescit humatus Ed. Muratori 2, 2, 281; Pertz, M G H SS 3, 560; Strecker, M G H Poetae Latini 5, 346; Westerbergh, Poetry 31 f.; Russo Mailler, Il senso 115104v. 1. 1 7 - E n d e : Epitaph auf Rofrit Inc.: Bardorum fulsit magno de germine Rofrit Ed. Muratori 2, 2, 281; Pertz, M G H SS 3, 560; Strecker, M G H Poetae Latini 5, 34; Westerbergh, Poetry 32 f.; Russo Mailler, Il senso 1 1 0 - 1 2 . 1 0 5 r l . l - 1 0 5 v l . 14: W i d m u n g s g e d i c h t der Historiola Erchemperts " Cilento, La tradizione 99 f. 14 Antiqui chronologi quatuor, ed. Caracciolo 18. Vgl. Cilento, La tradizione 101. 15 Vgl. Weber, Verbringung; Grafinger, Transport. "' Westerbergh: Dauferada.

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Inc.: Christicola culpis huiusproposce tonantem Ed. Pertz, M G H SS 3, 560 f.; Strecker, M G H Poetae Latini 5,413; Westerbergh, Poetry 8-10. 105v-106v Pauli Diaconi Continuatio Casinensis Inc. Liutprandv rex sextus decimui18, cum per XXXII annos felicius regnarci in Italia Ed. Waitz, M G H rer. Lang. 198-200. 106v—13 lv Erchempert, Historia Langobardorum Beneventanorum Inc.: Langobardorum Seriem, egressum situmque regni, hoc est Ed. Waitz, M G H rer. Lang. 234-264. 13lv— 132r Romanipontificis incerti epistola adquendam Constantinopolae agentem Inc.: Quotiens de urbe regia ad nos aliquis venit Ed. Muratori 2, 2, 283. 132r-137r Sicardi principis pactio cum Neapolitanibus Inc.: De hostibus et scamaris qui per nostrosfinesin vestris transire voluerint Ed. Pertz, M G H LL 4, 216-21. 137r-137v Recordatio Potonis Inc.: Recordationem factam a me, ego Poto, de curtis et rebus substancie mee Ed. Muratori 2, 2, 283. 138r-139r Ardericus, Gedicht auf Rofrit Inc.: O Comes exceboperjungens culmine Rofrit Ed. Pertz, M G H SS 3, 469 f.; Westerbergh, Poetry, 45-73. 139r-140v Glossarium legis Langobardorum Inc.: Astalin. decepcio. fraus. Ed. Bluhme, M G H LL 4, 652-657 („Glossarium Caverne"); Albano Leoni, Tre glossari. I40v Genealogia gentium (siehe Abb. 2) Inc.: Tresfiieruntfratres, ex quibusgentesXIII Ed. Pertz, M G H SS 8, 314; Goffart, The Frankish Table of Nations. 140v De legibus Francorum Inc.: Capitula legis saliche, que constituit dominus Karolus imperator 140v—141r Calculus principum Beneventi Inc.: A Xotonè"'' primo duce Beneventi usque adXV" annum Siconis Ed. Muratori 1, 1, 301; Waitz, M G H rer. Lang. 495. I 4 l r - l 4 3 v Chronica Annorum 891-897 Ursus filiuspraedicti Aionis puer decennis sedit annum unum Ed. Peregrini, in: Muratori 2, 1, 279-281 („Fragmentum Historiae Langobardorum incerti auctoris, sedpatria Beneventani"); Waitz, M G H rer. Lang., 495-497 („Catalogus regum Langobardorum etducum Beneventanorum - Continuatio codicis Vaticani"). I43v-147v Radelgisi et Siginulfi divisio ducatus Beneventani Inc.: Ego Radelgisusprinceps concedo tibi Siconolfoprincipi Ed. Bluhme, M G H LL 4, 221-225.

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Cod.: Liutpran, das d ist radiert, das « v o n Korrektor 2 auf Rasur nachgetragen. " Waitz: vicesimus sextus, Cod.: XVI. Das vi von Korr. 2 auf Rasur nachgetragen. Tatsächlich ist Liutprand in der Königsliste auf fol. lv der sechzehnte König. " Waitz: Zotone.

Datierung und Aufbau

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l47v Gedicht auf Landulf I. von Capua-Benevent20 (siehe Abb. 3) Inc.: Eiafratres, decantemus carmina dulcissima Ed. Muratori 2, 2, 286; Pertz, MGH SS 3, 470. I47v Schlußvermerk des Schreibers, in Zierschrift mit gebogenen oder verschlungenen Ober- und Unterlängen, die beiden Initialen mit rotem Zierstrich: Sicut navigator desiderai adportum venire, ita scriptor desiderai librum finire. I48r-156v Catalogaspontificum (von Christus bis Bonifaz VIII.) Inc. (Rubrik): Incipitprologus sive cronica omnium pontificum et imperatorum Romanorum 157r-162r Catalogus imperatorum (von Augustus bis Friedrich II.) Inc. (Rubrik): Incipit series imperatorum. In primis de Octaviano

3. Datierung und Aufbau Der Liber quarundam historiarum aus Salerno ist kein einheitliches Kompendium. Er ist eine Sammlung von Texten, die immer wieder überarbeitet, ergänzt, abgeschrieben und wohl auch gekürzt wurde. Insgesamt enthält er Spuren des Gebrauchs langobardischer Geschichte aus einem Jahrtausend, etwa von Paulus Diaconus bis Muratori. Der Versuch liegt nahe, darin die einzelnen Zeitschichten aufzuspüren. Bis auf die an den Schluß gestellten Verzeichnisse der Kaiser und Päpste ist keiner der Texte in der Handschrift jünger als c. 1000; läßt man noch die anfängliche Königsliste außer Betracht, so ist das Jahr 974, als das Chronicon Salernitanum verfaßt wurde, tatsächlich der terminus ante quem für alle übrigen Texte. Es spricht also alles dafür, daß der Vaticanus latinus 5001, wie es der Prolog behauptet, von einer einzigen, in Beneventana geschriebenen Vorlage aus dem 10. Jahrhundert kopiert wurde. Hinzugefügt wurde nur die Chronica Pontificum et Imperatorum am Schluß, die für die Datierung der Anlage der Handschrift wichtig ist.21 Auf der letzten Seite davor (fol. I47v) steht das poetische Explicit des Schreibers, ein Buch zu beenden sei wie ein Schiff in den Hafen zu steuern: Sicut navigator desiderat ad portum venire, ita scriptor desiderat librum finire. Ein ganz ähnlicher Schreibervermerk findet sich in einer Handschrift, die unter Abt Atenulf (1011-1022) in Montecassino geschrieben wurde: Sicut qui navigat desiderat portum, ita scriptor novissimum versum.22 Zwar ist das eine recht häufige Metapher, doch könnte man folgern, daß das Explicit des Vat. lat. 5001 schon in der, oder den, Vorlagen gestanden war (siehe Abb. 3). Die Papst- und Kaiserliste beginnt auf einer neuen Seite und mit neuer Hand, selbst der Rubrikator und der Korrektor wechseln; am Beginn steht ein neuer Prolog: Incipit prologus, sive cronica omnium pontificum et imperatorum Romanorum. Die Vorlage dafür war unter Friedrich II. und Honorius III. entstanden, wie im Prolog be20 Bethmann, Geschichtsschreibung 3 7 2 : „ein kurzes Loblied auf Landulf, dessen Ende zu fehlen scheint". Landulf I. war seit 9 0 1 gemeinsam mit dem Vater, seit 9 1 0 gemeinsam mit seinem Bruder Princeps, hatte 9 0 9 in Konstantinopel den Patricius-Titel erhalten und regierte bis 9 4 3 ; zur Identifikation auch Cilento, La cronaca 160—164; Taviani-Carozzi, Principauté 1, LXIV, Anm. 109. 21 Z u m Genre der Chronica Pontificum et Imperatorum unter Friedrich II. siehe Sommerlechner, Stupor Mundi 3 4 ff. 22 Casinensis 5, fol. 2 6 8 , geschrieben von einem Iohannes subdiaconus; vgl. Lowe, T h e Beneventan Script 3 2 8 f.

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merkt wird (fol. I48r): Et ab Octaviano Augusto qui eins tempore imperavit pertingens usque ad Honorium tercius papam et ad Fredericum qui nunc ad imperium sublimavit?l Die Papstliste, die als Vorlage diente, war weitergeführt worden, oder wurde beim Abschreiben auf den neuesten Stand gebracht. Die Ergänzungen seit Honorius III. sind aber in einem Zug mit der älteren Liste eingetragen worden. Eine Aktualisierung der Kaiserliste war um 1300 in Salerno wohl weniger naheliegend, nicht einmal die Regierungszeit Friedrichs II. wurde nachgetragen, obwohl der größere Teil der Seite freiblieb. In der Regel wird die Anlage der Handschrift nach dem letzten Eintrag in der Papstliste auf 1303 datiert. Dieses Datum ist freilich ein terminus ante quem. Die beiden Listen sind nicht erst nachträglich beigeheftet worden. Paläographisch läßt sich kein größerer Zeitsprung ausmachen, obwohl andere Korrektoren und Schreiber am Werk gewesen sein dürften. Der Hauptteil endet mitten in einer Lage, und die übriggebliebenen fünf Blätter (148-152) dürften nicht lange leer gelassen worden sein. Die letzte Seite dieser Lage zeigt keine Abnützungsspuren, die daraufhindeuten würden, daß sie längere Zeit die letzte Seite eines Codex war. Die Randnotizen setzen Papst- und Kaiserliste als selbstverständlichen Teil der Handschrift voraus, wie ein Vermerk des Annotators D auf fol. 8r zeigt: de hoc Karulo abes in cronica summorum pontificum et imperatorum; agepenultima carta. Da der Platz für die Papst- und Kaiserliste auf der freigebliebenen Lage nicht ausreichte, wurden ein Quaternio, dem ein Blatt fehlt, und dann nochmals drei Einzelblätter dazugebunden. Kopiert wurden beide Listen während des Pontifikates von Bonifaz VIII. (1295-1303), dessen Dauer nachgetragen wurde; also war die Abschrift vor 1303 beendet. Kaum möglich ist die Datierung von Taviani-Carozzi auf nach 1331.24 Diese stützt sich auf eine Marginalie auf fol. 32r, wo auf die Ereignisse in Frankreich um Philipp VI. und den Grafen Robert II. von Artois Bezug genommen wird.25 In dem Annotator sieht Taviani-Carozzi einen der beiden Redaktoren der Handschrift. Der paläographische Befund stützt diese Auffassung nicht. Die Marginalie stammt vom Annotator D, der einige Jahrzehnte nach der Anlage der Handschrift tätig war (siehe Kap. II. 4). 26 Seine Randbemerkungen sind ganz augenfällig diejenigen eines späteren Benützers, der Querverweise, zusätzliche Informationen und Wertungen anbringt; von seinem Gebrauch der Handschrift wird in Abschnitt 4 noch die Rede sein. Dieser Annotator war Kleriker an der Kathedrale von Salerno (siehe Kap. II. 4); die Handschrift war also vermutlich dort entstanden. Die Anlage der Handschrift fällt in eine politisch recht unruhige Zeit, als nach der Sizilischen Vesper von 1282 Anjou und Aragonesen unter starker päpstlicher Beteiligung bis zum Frieden von Caltabellotta von 1302 um das regnum Siciliae kämpften.27 23 Die Kaiserkrönung Friedrichs II. durch Honorius III. stellte für den damals verbreiteten Typ der Chronica Pontificum et Imperatorum den chronologischen Bezugspunkt zwischen Papst- und Kaiserliste dar; siehe Sommerlechner, Stupor Mundi 36. 2< Taviani-Carozzi, Principauté 1, LXI. 25 Vgl. Cilento, La tradizione 93f.; siehe Kap. II. 4. 26 Cilento, La tradizione 91 f., sieht in ihm „una persona che visse ai primi del '300 nell'Italia meridionale". Doch muß er die Marginalie auf fol. 32r einige Zeit nach 1332, wahrscheinlich erst nach 1346 geschrieben haben. 27 Kiesewetter, Anfänge; ders., Itinerar; ders., Zweistaatenproblem; Galasso, Il regno 8 1 - 1 0 3 ; Dunbabin, Charles I of Anjou.

Datierung u n d Aufbau

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Seit 1272 war Salerno Apanage des angevinischen Thronfolgers, Karl (II.) von Salerno, der den Titel Princeps Salernitanus erhielt. 28 „Karl I. hatte somit das langobardische Fürstentum Salerno, das von den Normannen mediatisiert worden war, wiederhergestellt." 29 Der Erzbischof von Salerno, der Abt von Cava und andere kirchliche Würdenträger wurden damit für viele Besitzungen dem Princeps von Salerno lehenspflichtig. Sämtliche im Prinzipat von Salerno ausgestellten Notariatsinstrumente wurden von nun an nicht nur nach Regierungsjahren des Königs, sondern auch nach Prinzipatsjahren Karls von Salerno datiert. 30 Damit könnte ein gewisses Interesse an der Zeit der langobardischen Principes von Salerno erwacht sein. Wie ein Vermerk des Annotators D auf fol. 143r zeigt, betrachtete man die Handschrift Mitte des 14. Jahrhunderts als opus cronicarum principum, als Chronik der Fürsten von Salerno. Allerdings ergibt sich aus dem Itinerar Karls II., daß er sich vor wie nach seiner Königskrönung (1289) kaum in Salerno aufgehalten hat. Sein Herrschaftsmittelpunkt war Neapel, Salerno spielte als Residenz keine Rolle. Nur einmal, im November 1301, ist ein kurzer Besuch Karls in Salerno nachweisbar; doch selbst da blieb seine Kanzlei in Neapel. 31 Hof oder Kanzlei Karls von Salerno spielten also bei der Anlage des Vat. lat. 5001 keine Rolle. Auch für die Kirche von Salerno war die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert eine recht turbulente Zeit. 32 Nach dem langen und recht erfolgreichen Pontifikat des Erzbischofs Cesario di Alagno (1225-1263) kam es nach dem Sturz der Staufer alsbald zu einer zwölfjährigen Sedisvakanz (Ende 1273-1286). Erzbischof Filippo (1286-1298) versuchte eine Reorganisation der Salernitaner Kirche, stieß aber auf zahlreiche Widerstände, die in seiner Vorladung vor Bonifaz VIII. im März 1296 gipfelten. 33 Z u m Nachfolger wurde dann Guglielmo di Godonio, der Kanzler Roberts von Kalabrien, gewählt, ein gebürtiger Provenzale. Doch der Elekt wurde jahrelang durch den Krieg in Sizilien aufgehalten, in dem er die päpstliche Sache vertrat, worauf es in Salerno schließlich zu quamplures excessus contra Salernitanum electum kam. 34 Erst im Juni 1304 konnte Guglielmo ordiniert werden und starb im folgenden Jahr. Das Interesse für die langobardische Vergangenheit, für die Geschichte des Prinzipats und der Kirche von Salerno ist in all diesen Schwierigkeiten durchaus erklärbar. Ein Princeps von Salerno, der die Stadt nur einmal kurz besuchte, und ein Bischof-Elekt, der jahrelang wegen Abwesenheit nicht ordiniert werden konnte, wobei beide aber die Ressourcen ihrer vernachlässigten Residenz nutzten: Wahrscheinlich erklärt dieser Kontext, warum gebildete Kleriker an der Kathedrale von Salerno nach historischen Argumenten suchten, um die Rolle Salernos als Fürstenstadt und kirchliches Zentrum zu unterstreichen. Vielleicht sah man im Besuch Karls II. im November 1301 (seinem einzigen in Salerno) eine Gelegenheit, ihm die Bedeutung der Stadt deutlich zu machen, und der Liber Historiarum wurde zu diesem Anlaß kopiert.

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" Nitschke, Karl II. 188 ff. Kiesewetter, Anfänge 38. 30 Kiesewetter, Anfänge 38 f. 31 Kiesewetter, Itinerar, bes. 94 u n d 231. 32 Crisci, Il cammino 3 0 3 - 3 1 9 . 33 Les registres de Boniface VIII., ed. Digard 1572. 34 Crisci, Il cammino 317. 29

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4. Gebrauch und Bedeutung Die Uberlieferungschance für langobardische Historiographie in Süditalien war offenbar gering.35 Von den über hundert erhaltenen Handschriften der Historia Langobardorum des Paulus Diaconus stammt keine nachweisbar aus Süditalien, obwohl in Montecassino und anderswo aus dem Mittelalter Existenz und Benützung solcher Handschriften vielfach bezeugt sind.36 Für Erchempert und das Chronicon Salemitanum ist der Vaticanus 5001 die einzige mittelalterliche Überlieferung. Die Kopie der Salernitaner Handschrift, die Leo Marsicanus um 1100 in Montecassino benützte, ist verloren (siehe Kap. II. 10). In oder aus Montecassino haben sich historiographische Texte aus der Langobardenzeit nur insoweit erhalten, als sie in Handschriften mit Texten anderer Art überliefert sind (u. a. im Casinensis 175 und dem Cavensis 4, siehe Kap. III und IV). Das ist insofern überraschend, als Montecassino aus dem 11. Jahrhundert eine der wichtigsten Handschriften der Decem Libri Historiarum Gregors von Tours besitzt.37 Bis ins 12. Jahrhundert sind vielfache Spuren des Gebrauchs der Langobardengeschichte des Paulus Diaconus, aber auch Erchemperts erhalten.38 Die Diskussion muß im Kontext der Überlieferung süditalienischer Handschriften überhaupt geführt werden, die ja in den Arbeiten der Schule Lowes hervorragend dokumentiert ist.39 Überraschend ist etwa auch der Mangel an sicher zuordenbaren Handschriften aus der weltberühmten medizinischen Schule von Salerno des 11. und 12. Jahrhunderts.40 Als Erklärung für Handschriftenverlust wurde in diesem Fall vorgeschlagen, daß es sich um wenig repräsentative Gebrauchshandschriften drehte, die leichter verloren gingen.41 Zudem hat sich gezeigt, daß in Salerno während dieser Zeit nicht nur in Beneventana, sondern auch in karolingischer Minuskel geschrieben wurde, was die Zuordnung der Handschriften erschwert.42 Das war auch anderswo in Süditalien der Fall, unter anderem in Montecassino.43 Wie weit das auf historiographische Codices zutreffen kann, ist noch nicht geklärt; eine Neuuntersuchung der handschriftlichen Überlieferung der Historia Langobardorum des Paulus könnte das Bild vielleicht modifizieren.44 Bei den nur im Vat. lat. 5001 erhaltenen Chroniken des Erchempert und von Salerno fällt diese Erklärung allerdings aus. Man könnte aus der spärlichen Überlieferung schließen, daß das Interesse an der langobardischen Vergangenheit im Spätmittelalter eben beschränkt war, sodaß die früh- und hochmittelalterlichen Handschriften verloren gingen. Doch die zahlreichen Spuren spätmittelalterlichen Gebrauchs im Vaticanus widersprechen deutlich einer solchen Schlußfolgerung. Vielleicht war es umgekehrt der Allg. vgl. Esch, Überlieferungs-Chance; Neddermeyer, Von der Handschrift zum gedruckten Buch. Pohl, Paulus Diaconus 395 ff.; McKitterick, Paul the Deacon and the Franks. Vgl. Pani, Aspetti della tradizione. Siehe Kap. V. 2. Ein früher Beleg findet sich im Cod. Cavensis 2 (fol. 69r): Inguanez, Catalogi n. 2, S. 3; lt. Mitteilung von Flavia De Rubeis ein Nachtrag (1. Hälfte 9. Jh). 37 Montecassino, Archivio della Badia 275, saec. XI; Bruno Krusch reihte sie als A 1 ein: M G H SS rer. Merov. 1, XXIII. 38 Pohl, Paulus Diaconus 3 9 6 - 3 9 9 . " Lowe, The Beneventan Script; Brown, A second new list III-IV; Bibliografia dei manoscritti in scrittura beneventana (BMB). 40 Grundlegend Kristeller, Studi. 41 Zur Diskussion Vitolo, Tra Cava e Salerno 232. 42 Tristano, Scrittura beneventana e scrittura carolina; Galante, Necrologio. 43 Tristano, Scrittura beneventana e scrittura carolina lOOff.; siehe Kap. IV. 1. 44 Vgl. Chiesa, Caratteristiche della trasmissione. 35

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häufige Gebrauch, der zum Handschriftenverlust führte. Aus dem 14. bis 16. Jahrhundert lassen sich zumindest 10 Hände unterscheiden, die im Vat. lat. 5001 Randnotizen anbrachten. Diese teils ausführlichen und besonders im ersten Drittel des Codex sehr häufigen Marginalien geben Auskunft über das Interesse spätmittelalterlicher und humanistischer Gelehrter an der langobardischen Vergangenheit.45 Kursorisch behandelt wurden diese Randnotizen bereits von Cilento und Taviani-Carozzi, die dabei jedoch einigen Irrtümern unterlagen.46 Zur Abfassungszeit waren zumindest zwei Korrektoren tätig, die in der Regel auf Rasur, gelegentlich aber auch, mit Verweisungszeichen zu den entsprechenden Textpassagen, am Rand korrigierten. Ihre Korrekturen sind in Textualis gehalten und entsprechen auch im Duktus etwa der Schrift des Haupttextes. Ein dritte etwa gleichzeitige Hand (Annotator A) brachte ebenfalls Korrekturen im Text an, fügte aber in deutlicher Buchschrift mit recht langen Oberlängen auch Notizen und Erklärungen am Rand an. Die ausführlichste davon findet sich bereits zur beneventanischen Fürstenliste auf fol. 2v, wo zu Radelchis einige zusätzliche Informationen gegeben werden, u. a. daß er 840 zur Herrschaft kam und unter ihm die Stadt Capua verlegt wurde:47 et tunc Capuana civitas de novo costructa < est >48 iusta pontem quo nunc est. Später findet sich nochmals eine Datierung des ersten Jahres von Radelchis, nämlich auf fol. 50r. Dort fügt Hand A zu einer Stelle des Chronieon Salernitanum, wo ein Ereignis aus dem ersten Jahr des Radelchis genau per indictionem ingredientem terciam per kalendas Septembris anno primo principis Radelchisi datiert wird,49 hinzu: et anno ab incarnacione domini nostri [IesuJ Christi DCCC quat[ra]gesimo. Der Annotator gebraucht hier den in Süditalien bis in die Anjou-Zeit verbreiteten Jahresbeginn mit den Kaienden des September, zugleich mit dem Beginn der Indiktion. Nach unserem Kalender ist also der September 839 gemeint. Dieses Datum übertrug er dann, nicht ganz korrekt, als Herrschaftsbeginn des Radelchis in die Fürstenliste. Zu Otto I. (fol. 2r) ergänzte er hingegen Informationen, die er nicht aus dem Codex selbst hatte; in der Zeile: iste fiiit primus inperator theotonicus, und links am Rand quis Oddo magnificus. Während die Karolinger im spätmittelalterlichen Süditalien als „gallische" Herrscher galten, sah man die Kaiser seit Otto I. als „teutonische" Imperatoren. 50

43 Allgemein zur Arbeitsweise der Annotatoren, vor allem des 14. Jahrhunderts, Guenée, Histoire et culture historique 232 f. 46 Cilento, La tradizione 92f.; Taviani-Carozzi, Principauté 1, LXI; beide transkribieren einzelne Vermerke des Schreibers D. Wie oben bereits bemerkt, ordnete Taviani-Carozzi die Hand D irrtümlich einem Korrektor zu. Abgesehen von den beiden Korrektoren zählt sie fünf Hände (in Wirklichkeit sind es mindestens doppelt soviele), darunter schon die des 18. Jahrhunderts, die Verweise auf die MuratoriEditionen anbrachte und die sie, wenig einleuchtend, Muratori selbst zuschreibt. Schwierigkeiten in der Lesung machte beiden Autoren der Anfang der meisten Randvermerke, ein Kapital-N, das öfters wie ein H aussieht, und danach ein o, ohne Kürzungsstrich. Cilento (93) transkribiert „notitia", Taviani-Carozzi, ohne weitere Erläuterung, „Ho". Doch geht aus einzelnen Fällen, wo das Wort ausgeschrieben ist (z. B. auf fol. 31r), deutlich hervor, daß es „nota' heißen soll, was dem allgemeinen Brauch bei Marginalien jener Zeit entspricht (vgl. etwa Guenée, Histoire et culture historique 232) und auch grammatikalisch sinnvoll ist (oft geht der Satz mit einem Akkusativ weiter). Westerbergh (ed.), Chronieon Salernitanum XX—XXIII, unterscheidet fünf Korrektoren. 47 Dazu vgl. Cilento, Origini 97flf. 48 Cod.: über der Zeile nachgetragen. 49 Chronieon Salernitanum 90, ed. Westerbergh 90. 50 Siehe unten in diesem Abschnitt.

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Drei weitere, etwas spätere Hände (B, C, D) lassen sich in eine eindeutige Reihenfolge bringen. 51 Doch dürften sie nicht lange nacheinander am Manuskript gearbeitet haben. Vor allem die Schrift von Annotator B und D ist sehr ähnlich, mitsamt manchen Eigenheiten (z. B. gelegentlich Majuskel-./? im Wortinneren), auch wenn B mit dünnerer Feder und anderer Tinte schreibt. 52 Das Interesse von B (dessen Marginalien wesentlich seltener sind) und D an den historischen Ereignissen und der Geschichte von Salerno ist ebenfalls ähnlich. Denkbar wäre auch, daß es sich um denselben Schreiber handelte, der den Codex mehrmals durcharbeitete. Annotator C bringt dagegen vor allem geographische Erläuterungen an. Dabei legt er eine gewisse Pedanterie an den Tag. Er gibt nicht nur Informationen zu norditalienischen Städten (Pavia, Ravenna, Ferrara, Cividale etc.), sondern auch zu solchen in Süditalien. Sogar das Kloster Montecassino lokalisiert er: quodest in Monte Casino super Sanctum Germanum in Terra Laborio (fol. 5r). Man könnte denken, daß einer der Kleriker französischer Herkunft interessiert an solchen für einen Einheimischen kaum nötigen Erklärungen war. Andererseits wäre einem Ortsfremden San Germano oder die Terra di Lavoro wohl noch weniger vertraut gewesen als Montecassino. Beim Ortsnamen Trinius 53 versagte die Ortskenntnis des Annotators: hunc nescio locum nisi loqui velit de Castro Atini quod est in partibus Ulis. Diese Bemerkung deutet darauf hin, daß sie für einen anderen gedacht war, für den Schreiber C geographische Informationen beisteuern sollte. Möglicherweise war dieser Adressat derjenige, der mit Hand D zahllose Marginalien eintrug und zweifellos der interessanteste der nachweisbaren Benützer war. Er ist auch jener, dessen Einträge durch den bereits erwähnten längeren Exkurs zu König Philipp VI. von Frankreich und Robert von Artois (1287-1342) frühestens in die 1340er Jahre zu datieren sind. Zur arabischen Eroberung Siziliens, die das Chronicon Salernitanum mit der Rache eines gewissen Eufimius erklärt, dem der byzantinische Statthalter die Frau entführt hatte, vermerkt Hand D (fol. 32r): Hic attente nota quantum debent principes et reges asstinere, minus debent* offendere subiectos, et quod ipsi offensi non numquamprocurant eis excidia, sicudapparuit in Grimoletprincipe de quo superius abetur:b Sic et nonnumquam procurant quod aliiprincipes sub eorum ductu veniant ad patriam occupandam, sicud hic Eufimius fecit. Sic Joa(n)nes de Procida offensus per Gallicos accessit ad Petru(m) regem Aragonum, quem introdwcit in Sicilia(m). Sic comes Atrapate(n)sis offensus per regem Ph(ilipp)u(m) Fra(n)cor(um) accessit ad regem A(n)glie, quem sepisime introduxit in regnum Fra(n)cie, et multa fecit mala et bella gessit cum rege Fra(n)coru(m). Sic evenit tempore

' Cod.: debete. b Cod.: die Sätze sind jeweils durch C-förmige Trennungszeichen abgesetzt. 51 7r: C setzt B fort; 31v: Notiz von B de santo Iannario martire, quod est Beneventi, fortgesetzt von C mit Hinweis auf die Januarius-Verehrung in Neapel; 107v u n d 115v: C setzt A fort; 33v: C schreibt u m eine Korrektur von Korr. 2 herum; 7r, 84v: D setzt C fort; 7v, 8r: D überschreibt an einer Stelle einen schon bestehenden Eintrag von C; 36r: D u m r a h m t einen Vermerk von C u n d setzt ihn fort; 39r: D schreibt an den inneren Rand, was er sonst nicht tut, rechts stehen schon drei Zeilen von C u n d ein Wort von Korr. 2; ähnlich 29r, 31r: D innen, C außen; 24v: D setzt B fort; 9r: E setzt D fort; 39r: E wahrscheinlich nach C, sehr knapp darüber; 4 l v : D umschreibt Korr. 1. " An einer Stelle setzt D sogar den von B unvollendet gelassenen Satz fort (24v): Nota deAgerentia et eius, ab hier D : casstru ac dissposictione (etc.). " Chronicon Salernitanum 51, ed. Westerbergh 52: Karl der Große schlägt sein Lager auf dem Zug gegen Benevent in locum qui Trinius dicitur auf (fol. 29r).

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Radechisprincipis Beneventani, qui quosdam nobiles de Beneve(n)to absque causa expulit et illi Robert wurde 1332 aus Frankreich verbannt, nachdem seine Klage gegen seine Tante Mahaut, die Erbin der Grafschaft Artois, abgewiesen worden war, und trat in den Dienst des Königs von England. 54 Das wiederum bot Philipp VI. 1337 den Anlaß zur Konfiskation englischer Besitzungen, die schließlich den Krieg unvermeidlich machte. Wenn es heißt, multa fecit mala et bella gessit, so setzt das den Ausbruch des Krieges und mehrere Feldzüge bereits voraus, kann also kaum vor 1340, vielleicht auch erst nach der französischen Niederlage bei Crecy (1346) geschrieben worden sein. Diese Datierung ist auch paläographisch plausibel. Das ergibt vor allem der Vergleich mit dem Liber confratrum des Doms von Salerno, in den vom 11. bis zum 16. Jahrhundert zahlreiche datierte Einträge aufgenommen wurden. Auf dieser Grundlage hat Maria Galante die Schriftentwicklung in Salerno untersucht. 55 Die halbkursive Schrift von Annotator D entspricht einer im 14. Jahrhundert recht häufigen Form, einer Cancelleresca mit starkem Einfluß der Buchschrift, charakterisiert durch „la sostanziale separazione delle lettere tra loro e la mancanza di legamenti strettamente corsivi". 56 Das d ist meist unzial, teils mit abgeflachtem Schaft; s und f haben in der Regel deutliche Unterlängen; b und /zeigen gerade Schäfte ohne Schleifen. Zusätzlich neigt Annotator D zu Umrahmungen und Schnörkeln und hat einige sprachliche Eigenheiten, z. B. die Verdoppelung des s vor Konsonanten (isste, desscribii). Leider geht Mitte des H . J a h r hunderts im Liber confratrum die Zahl der Einträge gegenüber dem Anfang des Jahrhunderts stark zurück, sodaß die Suche nach der Hand des Annotators D wenig aussichtsreich erscheint. Annotator D merkt mehrfach Parallelen aus der jüngeren Geschichte an. Das zweite Beispiel auf fol. 32r ist die Legende von Johannes von Procida, mit der die Sizilische Vesper erklärt wurde. 57 Die Procida-Legende wird schon zuvor einmal als Vergleich zum Verhältnis zwischen Paulus Diaconus und der Tochter des Königs Desiderius, Adelperga, herangezogen (fol. 9r). 58 Eine zeitgenössische Parallele leitet ein Randvermerk von H a n d D auch aus der Konfrontation zwischen Grimoald III. und Karl dem Großen ab: Nota59 (...) exibenda alienigenis per reges regionum cum eos volunt ut decet, honorare, que optime fecit rex Robertus in per[sona] domini Dyeci60 de Larat, cum ipsum de Catalonia portavit in suum regnum Sicilie. ' Cod.: Seite abgeschnitten. M Zeller, Philippe VI et Robert d'Artois; Favier, La guerre de Cent ans; Contamine, La guerre de Cent ans. " Galante, Necrologio. x Galante, Necrologio 89: „In effetti si tratta di esempi a metà tra la gotica e la minuscola notarile che andava assumendo atteggiamenti propri della cancelleresca." Zur Schriftentwicklung vgl. allg. Casamassima, Tradizione corsiva e tradizione libraria; Gumbert, Die Utrechter Kartäuser 199-279; Schneider, Paläographie 57 fF., mit Lit. 57 Sanesi, Giovanni di Procida; Tramontana, Cronaca e mito; Kiesewetter, Zweistaatenproblem 248. " Reete, sic dominus Ioannes de Procida venit ad Constantiam consortem Petri regis Aragonum, mortuo Manfredo rege Sicilie, cuius ipsa Constancia filia fuerat, et idem Manßredius suum secretum consiliarium eundem dominum Ioannem abuit, sicut Desiderius hunc Paulum. " Ed. bei Cilento, La tradizione 92, Anm. 50; vgl. Caggese, Roberto d'Angiò 40. Cilento liest statt „nota" „notitia , s. o. 60 Cilento: Dyecj. Es handelt sich um Diego della Ratta und eine Anspielung auf die Ereignisse von 1305.

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Öfters werden in ähnlicher Weise die Texte des Codex zum Anlaß historischer und allgemeinmenschlicher Reflexionen genommen, bis hin zur Bemerkung über die Gemahlin eines Nannigo, die sich den Avancen des Fürsten verweigert: Nota bonam uxorem erga virum suum.61 Einiges läßt sich aus den Randvermerken über die politische Einstellung ihres Verfassers ableiten. Besonderes Interesse findet der ins Chronicon Salernitanum aufgenommene Brief Kaiser Ludwigs II. an den Kaiser in Konstantinopel. 62 Das Problem des Kaisertums und des Verhältnisses zwischen den Kaisern des Ostens und des Westens scheint als aktuell empfunden worden zu sein. Immerhin war eine Kusine des Anjou-Königs Robert von Sizilien-Neapel (1299-1343), Katharina von Courtenay, Titularkaiserin von Konstantinopel, und dieser Titel hatte in den Verhandlungen um Sizilien unter Bonifaz VIII. eine Rolle gespielt.63 Hic osstendit quod non sine rationibus transstulit Imperium [de Grejcis in German[os et]64 Galicos (63r), eine Bemerkung, die für das 14. Jahrhundert naheliegt und nochmals wiederholt wird: Nota quod iusste Greci perdiderunt imperium, et traslatum fuit in gentem Gallicam (63v). Die karolingischen Kaiser gelten als Gallier (im hier kommentierten Text ist von Franken die Rede), nur einmal heißen sie auch im Randvermerk Franken: Nota quod ex Francis iusste imperatores processerunt (63v). Im Kontext der Zeit kann diese Bemerkung einen französischen Anspruch auf das westliche Kaisertum nahelegen, aber auch an das Lateinische Kaiserreich in Konstantinopel erinnern. Die Marginalie Nota bonos et electos christianos fuisse Gallos (63v) läßt eine durchaus franzosenfreundliche Haltung vermuten. Dennoch, fast wehmütig hebt der Kommentar zum Aufenthalt Papst Stephans II. im Frankenreich hervor: Nota hic et per plura verba sapientia, quantam obedientiam abuerunt reges Francorum summis pontificibus, et cum qua reverentia Pipinus rex papam Stephanum in suum venientem regnum reconlexit (fol. 4v). Einem Zeitgenossen der avignonesischen Päpste Mitte des 14. Jahrhunderts mochte das tatsächlich bemerkenswert erscheinen. Vermerkt wird zudem das Recht der Päpste auf Einsetzung des Kaisers: defendit summum pontificem aberepotesstatem faciendi cesares (fol. 63r). In diesem Zusammenhang steht auch eine knappe staatsrechtliche Aufstellung über die Arten der Herrschererhebung: per pontificum summorum inuncionem solum, per electionem (durch populus oder Senat); per militum acclamationem; afeminis; aliis modis (fol. 63r).65 Noch stärker als das Interesse am „gallischen" Kaisertum ist die lokalpatriotische Beschäftigung mit Salerno, weswegen es sich bei Hand D kaum um einen Franzosen gehandelt hat. Teils übernehmen die Randvermerke aus dem Text die Kritik an rivalisierenden Städten, vor allem an der infidelissima civitas Neapel (66r), ebenso wie an Palermo, berüchtigt als receptaculum Saracenorum (66v), oder an den nefandissimi Amalfitani{\QAt). Vor allem aber hebt Hand D alles hervor, was die Bedeutung Salernos in der Vergangenheit unterstreicht. Arichis II. befestigt Salerno gegen einen möglichen Angriff Karls des Großen: elegit Salernum in quo se salvaret ab imperio Gallorum (9r). Einen politischen Unterton hat auch der Vermerk auf fol. 57r: conlige bene hic quodprincipatus 61 Chronicon Salernitanum 65, ed. Westerbergh 62 f.; Vat. lat. 5001, fol. 34r. Die Stelle ist außerdem durch eine Zierleiste hervorgehoben. 62 Vat. lat. 5001, fol. 60r-67v; Chronicon Salernitanum 107, ed. Westerbergh 107-121. Siehe Kap. II. 10. 63 Kiesewetter, Zweistaatenproblem 269. 64 Cod.: Pergament eingeschnitten. 65 Vgl. allgemein Pennington, Henry VII and Robert of Naples; ders., The Prince and the Law.

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Salernitanus erat per electionem. Von einem Wahlfürstentum des Princeps von Salerno konnte unter den Anjou natürlich keine Rede sein. Viele Vermerke betreffen auch Kirchen und Reliquien. Angemerkt wird etwa, welche Märtyrer in S. Giovanni Battista liegen (fol. 54v), hervorgehoben (und im Text unterstrichen) wird die Translation des Hl. Apostels Matthäus aus Lukanien nach Salerno unter Gisulf I.66 Darüber war der Annotator D bereits aus einer Chronik im Archiv des Doms San Matteo informiert, wo die Matthäus-Reliquien noch heute verehrt werden: exstat sollempnis cronica in archivio eiusdem eclesie conprovata (96r), wo auch Wunderberichte und eine Schenkung Gisulfs verzeichnet waren. Zweifellos war der Autor dieser Zeilen Kleriker der Kathedrale von Salerno, eiusdem eclesie, die er selbstverständlich voraussetzt, obwohl sie im Text der Chronik gar nicht genannt ist. Er besaß auch einige Ortskenntnisse im Raum von Salerno, wie etwa der folgende Vermerk zu einer Geschichte des Abtes Alfanus zeigt (36v): et husque in hodiernum diem aliqui appellant locum illum vulgariter La Furca d'Alfano. Der Annotator D merkte nicht nur an, was ihn am Text des Liber historiarum interessierte. Er brachte auch systematisch Querverweise auf andere Stellen in der Handschrift an: ut infra in XIII car[ta], ein zutreffender Verweis von fol. 8r auf fol. 21 r; et de eadem vide per isstum infra in IX carta, et vide unde dicitur Salernum (von fol. 9r auf fol. 17v, wo ausfuhrlich von Salerno die Rede ist), et de issto Arichiprincipe, qui eam ampliavit, ut infra in hoc volumine carta LXXXXVIIII. Geht man dem Verweis nach, stößt man auf die angekündigte Stelle in der Chronik Erchemperts auf fol. 107r, also tatsächlich 98 Folia weiter. An einigen Stellen enthalten Anmerkungen am Fuß der Seite ganze Listen von Verweisen, wie auf fol. 47v, wo im Chronicon Salernitanum die Teilung des Fürstentums Benevent 849 zwischen Benevent und Salerno ausgeführt wird: Nota hic a quo tempore Salernitani principatum optinuerunt. Et supra in principio huius faciei collige divisionem factam inter principatum Salernitanum et Beneventanum. Et quis fueritprimus Salernitanieprinceps, vide supra VIII" carta cap. dum talia. Et quis princeps civitatem ipsam ampliavit, vide supra XXXVIIII* carta. Et quijuerunt Uli qui primo tractarunt quod dicta civitas aberet dignitatem principatus, vide ut supra VI carta (...) Das ist nur der Beginn einer Liste von Verweisen auf andere Stellen zur Geschichte Salernos, die noch am unteren Blattrand von fol. 48r fortgeführt wird. Verwiesen wird unter anderem auf den Text des in der Chronik auszugsweise zitierten Teilungsvertrages zwischen Radelchis von Benevent und Siconulf von Salerno auf fol. 143-147. Dort wiederum heißt es zunächst: Hic husque ad finem huius operis cronicarum principum, quod durat per quatuor cartas, ponuntur capitula pacis et federum initorum inter Radelgisium principem Beneventanum et Sikonoljum principem Salernitanum (I43v). Tatsächlich endet nach vier Folia der Hauptabschnitt des Codex, den also auch Annotator D als abgeschlossenes opus chronicarum betrachtete, an das die Papst- und Kaiser-„Chronik" nur angefügt war. Dann bezieht sich der Kommentator auf die Schilderung des Vertragsab-

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Zu Chronicon Salernitanum 165, ed. Westerbergh 170, wo der Chronist ankündigt:

Sedquodmi-

racula et signa et quomodo fuit repertus, omnimodis nunc omictimus pandere; postmodum Deo tuente fidelibus innotescimus atque huicystorie annexere facimus (fol. 96r). Vgl. Romoaldi Annales a. 954, ed. Arndt 399: Anno Domini 954 corpus beati Mathei apostoli et evangeliste de Pestana civitate Bride in Salernum transktum est, principante tunc in eadem civitate Gisulpho.

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schlusses im Chronicon Salernitanum: et divisionem predictorum principatuum fecit quidam Beneventanus nomine ( . . . ) - der Name fehlt, gemeint ist ein Beneventaner namens Toto, der den Grenzverlauf aushandelte.67 Es folgt der direkte Verweis auf die Chronik: uthec omnia abessupra in hoc opere in carta (...) Die Zahl fehlt, doch ist Platz dafür freigelassen. Abschließend folgt noch ein Hinweis auf die Absätze 9 und 10 des Vertrages, fol. 144v-r, mit den Grenzbestimmungen: et depredicta divisione et que fiierunt facti fines inter ip[s]os, vide ut infra in IX0 et X" pacto. Diese und ähnliche Verweislisten erlauben einige Einblicke in die Arbeitsweise und die Interessen des Annotators D. Die Texterschließungsmittel, die er einsetzte, sind im Spätmittelalter sehr verbereitet zur besseren Benutzbarkeit von Handschriften eingesetzt worden.68 Zunächst arbeitete er die Handschrift durch und hob durch Unterstreichungen, vor allem aber durch Randvermerke hervor, was ihn interessierte. Das waren vor allem die Geschichte von Salerno und die Spuren, die sein langobardisches Fürstentum hinterlassen hatte. Die Personen und Ereignisse im einzelnen waren dabei nur von untergeordneter Bedeutung; vor allem ging es um grundlegende Fragen, die das Verhältnis Salernos zu anderen Städten, die Ursprünge seiner Institutionen sowie die Entwicklung seiner Kirchen und seiner Bauten betrafen. In einem weiteren Arbeitsgang dürften die längeren Verweislisten angelegt worden sein. Dabei schrieb der Annotator aus dem Gedächtnis in einem Zug die Dinge nieder, auf die es ihm ankam, und ließ zunächst Platz für die Zahlen der cartae, der Blätter, sowie allenfalls für Namen, die ihm nicht einfielen. Die Folia wurden nicht von vorne durchnumeriert, sondern jeweils von der Stelle des Verweises vor- und zurückgezählt, eine durchaus übliche Art der spätmittelalterlichen Organisation des Wissens.69 Eine durchgehende Blattzählung im Codex bestand also noch nicht; davon ist heute auch keine Spur mehr erhalten. Dennoch waren Blattzahl und Reihenfolge, rechnet man die Verweise nach, genauso wie heute, die Handschrift bestand Mitte des 14. Jahrhunderts also schon in ihrer heutigen Gestalt. Gelegentlich verweist Annotator D auch auf Werke außerhalb der Handschrift. Darunter ist die schon erwähnte cronica im Archiv der Kathedrale, die Wunderberichte von den Reliquien des Apostels Matthäus enthielt. Am Ende des Chronicon Salernitanum bezieht er sich auch auf Chroniken, die das weitere Schicksal der Fürsten von Salerno erzählen: Quis fuerit finis horum praedictorum principum Germanorum, ac Gysulfi benignissimi principis, in hoc volumine non abes, sed in aliis cronicis lacius require7° Ein Werk zur Geschichte der Langobarden kannte er allerdings offenbar nicht: Die Historia Langobardomm des Paulus Diaconus. Das ergibt sich nicht nur aus seinen Randbemerkungen zur Paulus-Legende auf fol. 8r und zu seinen Werken auf 21v. Auch die langobardische Herkunftssage erfuhr er erst aus der Anekdote des Chronicon Salernitanum über einen gewissen Rampho, der seinem Fürsten die Tapferkeit der Vorväter vor Augen hält, die den Vandalen den Tribut verweigerten.71 Dabei steht der Vermerk: Nota li-

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Chronicon Salernitanum 83, ed. Westerbergh 85; Vat. lat. 5001, fol. 47r. " Guenee, Histoire et culture historique 235 f.; Melville, Geschichtskompendien, bes. 94ff.; G u m bert, Die Utrechter Kartäuser 289 ff.; Meyer, O r d o rerum; Mierau-Sander-Berke-Studt, Studien. " Green, Medieval Listening and Reading 113 ff. Ich danke Meta Niederkorn für den Hinweis auf dieses Werk. 70 Z u Chronicon Salernitanum 183, ed. Westerbergh 184. Der Verweis könnte u. a. auf Romoaldi Annales a. 1076, ed. Arndt, 407f., zutreffen. 71 Chronicon Salernitanum 39, ed. Westerbergh 41; Vat. lat. 5001, fol. 23v; vgl. Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 1, 7 - 8 , ed. Bethmann-Waitz 52. Vgl. auch Kap. IV. 3.

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ber[ta]tis huius Ramphonis conscilium, et quod Longobardi proprium reliquerunt patriam, ut Guandalis non praestarent tributa. An dieser Stelle hätte er sicher auf Paulus verwiesen, hätte er dessen Werk gekannt. Denkbar wäre, daß der Annotator D plante, selbst eine Chronik Salernos zu verfassen und sich das Material aus dem Vaticanus 5001 dazu bereits vorbereitete. Wahrscheinlicher wirkt es aber, daß er den Gebrauch der Handschrift erleichtern wollte, die auf diese Weise zu einem Nachschlagewerk zur frühen Geschichte Salernos wurde. Dazu trugen auch die geographischen Erläuterungen von Annotator C bei. D a ß die Handschrift tatsächlich benützt wurde und dabei teils auch die Randvermerke aufmerksam gelesen wurden, zeigen weitere Hände, die vereinzelt weitere Marginalien anbrachten. Annotator E, in kleiner, säuberlicher Buchschrift des 14. Jahrhunderts, hebt unter einer elegant geschwungenen zeigenden H a n d mit spitzem Finger die Translation der Bartholomäus-Reliquien hervor: hic scribitur quoniam corpus beati Bartholomei ductusfiiit Beneventum (fol. 39r). Seine klassische Bildung zeigt Annotator E, an eine längere Marginalie von H a n d D über Salerno anschließend: De qua Lucanus libro /' radensque Salerni culta siler (fol. 9r). 72 Z u m Teilungsvertrag zwischen Benevent und Salerno (fol. I46r) trägt E einen fehlenden Textteil nach: quales vos quesieritis a parte mea et de rusticis tres persone. Er m u ß Zugang zu einer anderen Uberlieferung des Vertrages gehabt und diesen genau verglichen haben; vielleicht hatte man auch die Vorlage noch aufgehoben. In der Fassung des Casinensis 175 ist diese Passage enthalten (S. 584). Zwei verschiedene Hände (F1, F2) brachten etwa zeitgleich mit der Niederschrift an der Papst- und Kaiserliste am Schluß der Handschrift Korrekturen und Ergänzungen am Rand an. Sie verglichen die beiden Kataloge mit anderen Listen und notierten am Rand, wo ein Papst oder Kaiser fehlten, z. B.: Hic deficit quidam impera[tor] nomine Marcus Aurelianus Anton[inus] (fol. 158r). F l vermerkte zudem in der Papstliste zu Silvester II.: Nota hic cuius tempore completus est millenarius ab incarnacione Domini nostri Iesu Christi (fol. 154r). F2 ergänzt dort, wo die Vorlage ursprünglich abbrach, nämlich bei Honorius III., die in der Kaiserliste bei Friedrich II. zuletzt verzeichnete Kaiserkrönung: iste Honorius coronavit Fredericum, qui erat rex Siciliae, in inperatorem Romanum, in Basilica Sancti Petri (fol. 155r). Einer Hand des 15. Jahrhunderts (G) verdanken wir die zeitkritische Bemerkung: Anno 1447 non est Salernum munitissima (fol. 9r). 73 Vermutlich dieselbe H a n d kommentierte die Verwechslung von Karlmann, der sich nach Montecassino zurückgezogen hatte, und Karl dem Großen. Auch Annotator D hatte getreu dem Text vermerkt: moritur Karolus et sepelitur in Monte Casincr, G setzte dazu: ostenditur sepultura in Aquisgrani (fol. 21 r). Während aus dem 15. Jahrhundert nur durch vereinzelte Marginalien eine gewisse Beschäftigung mit der Handschrift bezeugt ist, löste sie im 16. Jahrhundert wieder großes Interesse aus. Das zeigt sich vor allem an zahlreichen Abschriften, die auf Papier angefertigt wurden. Die Beschäftigung der Gelehrten des 16. Jahrhunderts mit dem Vaticanus lat. 5001 ist recht gut erforscht. Ulla Westerbergh beschrieb in der Einleitung zu ihrer Edition des Chronicon Salernitanum die frühneuzeitlichen Abschriften und fertigte ein Stemma an. 74 Nicola Cilento untersuchte den Gebrauch, den der Jurist Ma-

72

Vgl. Cilento, La tradizione 92. Lukan in Montecassino: Inguanez, Catalogi 37. Vgl. Cilento, La tradizione 91, A n m . 49. Von derselben H a n d z. B. auf fol. 106v zum Beginn Erchemperts: Longobardi unde veniunt. 74 Westerbergh (ed.), Chronicon Salernitanum XXIV-XXIX. 73

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Ein langobardisches Geschichtsbuch: Der Vaticanus latinus 5 0 0 1

rino Freccia (1503-1566) vom Vaticanus lat. 5001 machte.75 Dieser schrieb im Oktober 1560 die gesamte Handschrift ab, wie das Explicit der Kopie, des heutigen Codex Vat. lat. 5000, erklärt: Exemplata est hec historia Eremperti fideliter et cum omni qua potuit correctione in hac dulcissima Stabiense urbe, Die 16 Octobris 1560 mercordi. Deo gratias. Freccia hielt also die ganze Chronik für das Werk Erchemperts. Seine Transkription ist im allgemeinen sehr zuverlässig, auch die heute teils schwer leserlichen Stellen von fol. lr hat er richtig wiedergegeben. Freccias Interesse als Professor für Feudalrecht an der Universität Neapel galt der Verfassungsgeschichte Süditaliens. In seinem Buch De subfeudis baronum et investituris feudorum, etc.76 verarbeitete er in den Kapiteln De antiquo statu Regni, Regibus, Principibus, Ducibus ac Comitibus eiusdem und De Provinciis et Civitatibus Regni zahlreiche Informationen aus der Handschrift. Eine weitere berühmte Handschrift langobardisch-süditalischer Provenienz ist ebenfalls durch Freccias Hände gegangen, nämlich der in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts in Bari entstandene Codex der langobardischen Leges, der nun in Madrid liegt.77 Das zeigt der Besitzvermerk auf fol. lr: Leges Lombarde, Marini Frecze, 1534 xv xbris, sowie der Hinweis auf fol. 2, wonach Freccia die Handschrift in Ravello erworben hatte und neu binden ließ. Schließlich verkaufte er sie um acht Dublonen an den Spanier Diego Colmenares.78 Im Vaticanus lat. 5001 läßt sich die Beschäftigung der Gelehrten mit der Handschrift an zumindest zwei Händen des 16. Jahrhunderts ablesen, die Korrekturen und Randnotizen einfügten. Freccia selbst (Hand H) hob nur an einzelnen Stellen Wichtiges hervor, etwa trug er den Namen Erchempertzm oberen Rand der Seite ein, wo der Chronist sich selbst nennt (fol. 107r). Eine zweite Hand (J) zog vor allem ältere verblaßte Randnotizen teils in Form von Nachzeichnung älterer Schriften, teils in Humanistenschrift nach; für ihn waren die im 14. Jahrhundert angebrachten Erklärungen zu Orten und Herrschernamen also durchaus brauchbar. Zum Unterschied von den Annotatoren des 14. Jahrhunderts waren für ihn die Frankenkönige aber Germanen, wie aus einem Randvermerk hervorgeht. Zur Geschichte von Karlmanns Rückzug ins Kloster merkte er an: Karolus magnus et Pipinus rex Francorum fuerunt Germani {fol. 5r). Das beruht auf einem Mißverständnis. Der Text der Chronik von Salerno erzählt, wie der Langobardenkönig Aistulf den im Kloster lebenden Karlmann aus Montecassino holt und zu dessen Bruder Pippin III. schickt, doch: minime valuit sui germani christianissimi Pipini regis Francorum in hoc firmissimum cor inclinare. Dazu schrieb Hand D: Karolus Magnus et Pipinus rex Francorum fiierunt germani, sie waren Brüder, was Hand J nachzog, jedoch nicht mehr als „Brüder", sondern als „Germanen/Deutsche" verstand (fol. 5r). Wo der Text vom Tod Karlmanns (hier ja mit Karl dem Großen verwechselt) in einem Kloster in Francia schreibt, setzt Hand J daher an den Rand: in Germania. Inzwischen war ja die „ Germania' des Tacitus wiedergefunden worden, und die Identifikation der Franken als Germanen war wieder aktuell.79 Diese Hand (des Annotators J, nach der

75

Cilento, Marino Freccia.

Gedruckt in Neapel 1554, in deutscher Übersetzung in Frankfurt 1 5 7 5 . Vgl. Cilento, Marino Freccia 3 0 9 . 77 Madrid, Biblioteca Nacional 4 1 3 . Zur Neudatierung der Handschrift: Cavallo, Per l'origine. Vgl. auch Cilento, Marino Freccia 2 9 0 . Siehe Kap. IV. 5 und Anhang. 7" Vermerk auf fol. 1 r: Diego de Colmenares, Carro ocho doblones. 7 ' Pohl, Germanen 5 9 - 6 4 . 76

Geschichtsschreibung in schwieriger Zeit: Die C h r o n i k Erchemperts u n d ihr Umfeld

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hier aufgestellten Zählung) identifizierte Cilento mit dem Kopisten, der eine weitere Abschrift des Vaticanus lat. 5001 herstellte, nämlich den Vat. lat. 11564.80 Von nun an riß die Beschäftigung mit der Handschrift nicht mehr ab, die Reihe der modernen Editoren begann: Caracciolo, Muratori, Pellegrini, Pertz, Waitz, Westerbergh und andere. Teils findet man die Spuren ihrer Arbeit auch im Codex; etwa hat eine zeitgenössische Hand zu jedem Text die Band- und Seitenzahl der Muratori-Ausgabe angemerkt. Die eingehenden Studien Christine Grafingers über die Ausleihe der vatikanischen Handschriften zwischen 1563 und 1700 ergibt leider keinen Hinweis auf mögliche Benutzer.81 Zumindest 1626 war sie auch noch nicht im Vatikan (siehe Kap. II. 2). Doch unter den etwa 500 Handschriften, die 1797 aufgrund des Artikels 8 des Waffenstillstandes von Bologna nach Frankreich gebracht wurden, befand sich auch der Vat. lat. 5001.82 Da die Auswahl aufgrund der Gutachten prominenter Gelehrter, etwa Niebuhrs, getroffen wurde, ist daran besonderes Interesse an der Handschrift abzulesen. Selten hat das fortwährende Interesse an Texten der frühmittelalterlichen Historiographie an einer einzigen Handschrift so ausführliche Spuren hinterlassen und kann so gut dokumentiert werden. Nur in der Normannenzeit scheint das Interesse an der langobardischen Vergangenheit in Salerno zurückgegangen zu sein. Nach zwei weiteren Brüchen in der Herrschaftsgeschichte Süditaliens, der Machtübernahme der Staufer und der Anjou, erhielt die langobardische „Gründerzeit" wieder mehr Aufmerksamkeit. In ihr konnte man ,einheimische' Herren entdecken, die trotz aller Spaltungen den fränkischen, byzantinischen und sarazenischen Angriffen letztlich getrotzt hatten. Das war in gewisser Weise paradox, weil ja Erchempert gerade betont hatte, in seiner Zeit gäbe es nil dignum ac laudabile zu berichten, non triumphum sed perniciemP Dennoch suchten spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Gelehrte gerade hier die Wurzeln vieler Institutionen: Fürstentümer und Grenzen, Besitzungen und Städte, Kirchen und Klöster, Reliquien und Pilgerstätten. Der offene Charakter der Materialsammlung im Vaticanus 5001 scheint dazu herausgefordert zu haben, Ergänzungen, Erklärungen und Hervorhebungen an den Rand zu schreiben, wodurch manche Spuren des vielfältigen Interesses an der Handschrift für uns erhalten geblieben sind.

5. Geschichtsschreibung in schwieriger Zeit: Die Chronik Erchemperts und ihr Umfeld Die ystoriola, die Erchempert schrieb und die bis 889 reicht, nimmt im Vaticanus lat. 5001 die Folia 106v-131v ein. Erchempert ist (neben Arderich von Benevent, der sich in seinem Gedicht nennt) der einzige Autor, der uns aus den zahlreichen Texten der Handschrift entgegentritt:84 80

Cilento, Marino Freccia 93, Anm. 53. Grafinger, Ausleihe. 82 Siehe Kap. II. 2 (Vermerk „dato ai Francesi"). Allgemein Grafinger, Transport. 83 Erchempert 1, ed. Waitz 235; Vat. lat. 5001, fol. 107r. 84 Vat. lat. 5001, fol. 107r; Erchempert, ed. Waitz 234 f. Z u m Leben Erchemperts siehe zuletzt ausführlich Taviani-Carozzi, Principauté 1, 43—51; sowie Manitius, Geschichte 1, 709 f.; Poupardin, Études 1, 5—7; Bianchi, Da Paolo Diacono all'Anonimo Salernitano; Falco, Erchemperto; Meyvaert, Erchempert; Wattenbach-Levison-Löwe 4, 4 3 7 - 3 9 ; Oldoni, Erchemperto. Lidia Capo, Rom, bereitet laut freundlicher Mitteilung eine lateinisch-italienische Ausgabe der Historiola für die Fondazione Lorenzo Valla vor. 81

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Ultimo autem compulsus1 a compluribus ego Erche(m)perth, quasi ab ortu\praecipueque ab Adelgisoi, insigni sagacique viro, ystoriolam' condere Longobardo(rum) B(i)n(e)ve(n)tif degentium, de quibus quia his diebus nildignum ac laudabile repperitur, quodveraci valeatstilo exarari, idcirco non regemerfi tantum eorum setexcidium, nonfelicitatem set miseriam, non triumphumh setperniciem, non quemamodumprofecerint set qualiter defecerint\ non quomodo alios superaverint set quomodo superati ab aliis ac devictifiierint, ex intimo corde ducens alta suspiria, adposteritatis exemplum succincto licet et inertiprosequar calamoK Hac quoque flagitacione devictus, non tantum ea que oculis, set magis que auribusv ausi narrare mefateor, imitatus ex parte dumtaxat Marci Luceque evangelistarum preconia}, qui auditum potius quam visu" evangelia descripserunt. Auch wenn keinerlei Rubrik den Autor der Chronik verrät oder zumindest ihren Beginn vom Vorhergehenden absetzt, fiel schon mittelalterlichen Benutzern der Name ins Auge, sodaß Leo Marsicanus im 11. ebenso wie Marino Freccia im 16. Jahrhundert Erchempert als Autor des gesamten Liber Historiarum betrachteten. 85 Diese Vorstellung hat jedoch in der modernen Forschung keine Rolle mehr gespielt. Leo Marsicanus gibt einige, allerdings teils zweifelhafte Nachrichten über das Leben Erchemperts. Er soll von seinem Vater Adelgarius, quidam nobilis, in Teano als Oblate, docilis ingenii puer, dem Kloster übergeben worden sein.86 Chronologisch geht sich das nicht aus. Daß Leo widersprüchliche Informationen über Erchempert besaß, geht aus den wiederholten Korrekturen in der Handschrift hervor: Zunächst schrieb er domnus Herchempertus quidam grammaticus, dann wurde quidam durch monachus atque ersetzt, schließlich alles gestrichen.87 Naheliegender ist eine Identifikation mit dem Erchempert, der zweimal Schenkungen an Montecassino bezeugt, einmal im Juni 877 in Salerno als Erhemperto testis, und einmal im Mai 884 in Benevent als Erchempertus notarius,88 Daß Erchempert zuerst

' Cod.: von Korr. 2 über der Zeile: sum. b Cod.: Erchempert - ort» von späterer Hand unterstrichen. ' Cod.: u auf Rasur nachgetragen. d Cod.: Algelguo. ' Waitz: hystoriolam. ' Cod.: bnuetimit Kürzungsstrich über n und e, ¿auf Rasur nachgetragen. ' Cod.: regem mit Kürzungsstrich über dem m, von Korr. nachgetragen. Waitz: regnum (vgl. 235 Anm. a). h Cod.: triumplum. ' Cod.: ce von Korr. 2 über der Zeile nachgetragen. ' Cod.: calomo. 1 Cod.: u von Korr. 2 über der Zeile nachgetragen. ' Cod.: auf Rasur nachgetragen; Waitz: preconiis. " Cod.: nach Wort Rasur; Waitz: auditus. " Cod.: nach Wort Rasur; Waitz: visus. 85 Siehe Kap. II. 3 und II. 10. " Chronica monasterii Casinensis A, 1, 47, ed. Hoffmann 124 f. Klewitz, Petrus Diaconus, hatte die These aufgestellt, daß „erst Petrus den Capuaner grammaticus in die Gemeinschaft der Cassineser Mönche aufgenommen" hatte (449). Dem widersprach zu Recht Meyvaert, Erchempert, mit Verweis auf die Erchempert-Chronik selbst; vgl. Wattenbach-Levison-Löwe 4, 437 f. mit Anm. 219. Siehe ebd. zur Unmöglichkeit, daß der Oblate mit dem Historiker Erchempert identisch ist, zumal die Chronik des Leo Marsicanus die Oblation erst unter Abt Ragemprand (889/90 bis 899, vgl. Hoffmann, Abtslisten 268) einordnet. ' 7 Chronica monasterii Casinensis 1, 9, ed. Hoffmann 37. " Cuozzo/Martin, Documents 34, 168; 36, 172; ChLA 2a ser. U l i , n. 9.

Geschichtsschreibung in schwieriger Zeit: Die Chronik Erchemperts und ihr Umfeld

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als Zeuge und dann als Notar sein Kloster bei Rechtsgeschäften vertrat und daher viel unterwegs war, paßt zu den Erlebnissen, die er in seiner Chronik von sich selbst erzählt. 881 wurde er von den Neapolitanern gefangen und verlor dabei all seine Besitztümer.89 886, als man unter Abt Angelarius nach der Zerstörung durch die Sarazenen den Wiederaufbau von Montecassino versuchte, geriet Erchempert in die Gefangenschaft byzantinischer Streifscharen, die wiederum die Mönche ausplünderten.90 Selbst eine ehrenvolle Mission, die der Abt Angelarius Erchempert anvertraute, nämlich eine Gesandtschaft nach Rom zu Papst Stephan V. im Jahr 887, brachte zwar den Mönchen den erhofften Erfolg, Erchempert selbst aber eine weitere Enttäuschung (fol. 127v-128r): In diebus Ulis quando Atenolfus gastaldatus regendi iura adeptus est, omnia queque Benedictas infra urbem Capuanam possedit, fratribus exulantibus auferri praecepit. Qua de re missus ab Angelario venerabili abbate ego ipse vestigia apostolorum, adii Stephanum summum pontificem, postulaturuspro rebus nostris ablatis; a quo et benedicionema fratribus detuli et Privilegium nostri cenobii, et supradicto viro litterash exortatoriasc attuli. Dominicaiis res ablata reddita est, me autem ex toto subtracta; in proximo etiam cellam mihi ab abbate traditam, concepto dolore, vi abstulit Die düstere Rhetorik des Prologs ist schon aus Erchemperts persönlichen Erlebnissen verständlich und spiegelt auch die Erfahrungen der Mönchsgemeinschaft von Montecassino insgesamt. Die Zerstörung des Klosters durch sarazenische Raubscharen im Jahr 883 war sicherlich ein traumatisches Erlebnis gewesen; Erchempert geht darauf nur in einem pauschalen Satz ein.92 Danach waren die Mönche im Exil in Teano auf den Schutz der Comites von Capua angewiesen. Doch um die Macht im Gebiet von Capua, das sich längst der Kontrolle der Principes entzogen hatte, tobten gerade damals heftige Kämpfe, die Erchempert recht eingehend wiedergibt. Die fruchtbare Terra di Lavoro war leichte Beute von allerlei Scharen von Bewaffneten verschiedenster Herkunft, die wenig Achtung vor Mönchen hatten. Selbst von Bischof Landulf von Capua meint Erchempert, er hätte oft gesagt, wenn er nur einen Mönch sehe, sei ihm schon der nächste Tag verdorben: Quotiens monachum visu cemo, Semper mihifutura die, auspicio tristia subministratP

' Waitz: benedictionem. b Cod.: licteras. ' Waitz: exhortatorias. 89 Erchempert 44, ed. Waitz 254: Qua etiam vice memoratus Pandonulfiis denuo super Pilanum castrum cum Neapolitibus improvise irruens, fraude cepit, ab eis qui interius morabantur traditum; ubi et ego captus sum et omnibus bonis a pueritia acquisitis exutus. Ipse pedester ante equorum capita usque ad urbem Capuanam exul evectus sum, decimo Kal. Septembris anno Domini 881. 90 Erchempert 61, ed. Waitz 259: A quo reversi dum Capuam repeteremus, a Graecis capti exutique sumus et exequitati; abLttisque equis et spoliis et ministris cunctis, homines argento redempti sunt; equos recollegimus V. Ego autem solus cumpraeceptorepedestre remansi; a Capuanis delati sumus in urbem, inde Neapolim pertranseuntes nichilqueproficientes, infructuosi remeavimus Capuam. Dehinc triaplaustra onerata victualiis multisque opulentiis iuxta Anglenam, quo prius capti sumus nos, apprehensa et depraedata sunt. " Erchempert 69, ed. Waitz 261.

'" Erchempert 44, ed. Waitz 251: A quibus (scil. Saracenis) etiam sanctissimi Benedicti coenobia decentissima, toto orbe veneranda, et sancti Vincentii martiris monasterium igne exusta sunt. Zum „enigma of the absence of the narrative of the destruction of Montecassino from the Ystoriola": Citarella, The political chaos 179. " Erchempert 31, ed. Waitz 246.

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Schreiben war eine der Strategien zur Bewältigung dieser schwierigen Zeit, und so entstand auch Erchemperts Geschichtswerk. Tatsächlich scheint er vor allem, wie er im Prolog bemerkt, niedergeschrieben zu haben, was er aus Erzählungen von zeitgenössischen Ereignissen wußte. Schriftliche Vorlagen sind zumeist nicht nachzuweisen. Zu Beginn faßt er die Geschichte Benevents von Arichis II. bis zum Regierungsantritt des Adelchis (854) zusammen (cc. 1-20). Damit schließt er an die kurze Continuatio Casinensis an, die im Codex davor steht und eine knappe Ubersicht über die letzten Jahrzehnte des langobardischen Königreiches gibt.94 Im übrigen konzentriert sich das Werk Erchemperts auf die Ereignisse in und um Capua, den engeren Gesichtskreis der exilierten Mönche. Das Werk schließt mit Ereignissen des Winters 888/89, die genau datiert werden.95 Für abgeschlossen hielt Erchempert das Werk nicht, wie der letzte Satz deutlich zeigt: Cum autem uterque se iunxerit ad pactum vel ad bellandum, quod deinceps egerint, presentí opusculo inseram. Ebenso wie bei der Historia Langobardorum des Paulus Diaconus ist verschiedentlich angenommen worden, der Autor sei vor Vollendung seines Werkes verstorben. Gerade aus dem Jahr 889/90 ist in Montecassino eine Originalurkunde mit einer Schenkung eines Priesters Ermepertus aus Capua erhalten, der auf dem Krankenbett entfremdetes Klostergut zurückerstattete.96 Doch sprechen der abweichende Name, die Priesterwürde und der fehlende Hinweis auf die Zugehörigkeit zur Klostergemeinschaft dagegen, in ihm den Autor der Chronik zu sehen. Vermutlich von Erchempert ist noch ein weiteres, offenbar später entstandenes Werk erhalten, nämlich eine Redaktion eines Martyrologiums, mit dem Vermerk: ab Erchenperto monacho monasterii sancti Benedicti de castro Casino editi sunt?1 Wie schon das plötzliche Ende der Historiola zeigt, dürfte Erchempert die letzten Abschnitte fortlaufend verfaßt haben. Einen klaren Standpunkt, eine politische Intention aus dem Werk herauszulesen, ist beim raschen Wechsel der politischen Konstellationen schwierig. Je näher man dem Abfassungszeitpunkt kommt, desto mehr scheinen sich die Urteile des Autors zu verschieben. Dennoch hat zuletzt Taviani-Carozzi versucht, eine eindeutige politische Position Erchemperts zu entdecken: „La nostalgie de l'unité, l'attachement aux heritiers legitimes de Radelchis ont veritablement decide Erchempert ä prendre la plume." 98 Ihrer Meinung nach schrieb er für die Principes von Benevent, vor allem Aio (885-891). Das Ende Aios, der seine Hoffnungen verkörperte, 1,4 Pauli Continuatio Casinensis, ed. Waitz 198-200; Vat. lat. 5001, fol. 105v-106v. Vgl. TavianiCarozzi, Principauté 1, 45. " Erchempert 81-82, ed. Waitz 264: Kämpfe zwischen Byzantinern und Sarazenen um Sizilien {Haec itaque gesta sunt anno Domini 888, mense Octubr.) und zwischen Guido von Spoleto und Berengar (Hoc etiam anno revertens Guido ad Italiam, quo principare cupit set optinere nequivit, in Italia iuxta civitatem Brecianam cum Berengario et ipso duce conflixit; in quo nimirum conflicto utriusque partis acies crudeliter caesa est; spolia autem caesorum a Berengario recollecta sunt; pacti sunt tarnen ad invicem usque in epyphania, qui celebrantur VIII Ydus Ianuar). 96 Cuozzo—Martin, Documents, 39, 174-176. ChLA 2a ser. LUI, n. 13. 97 Ed. von Westerbergh, Poetry 74—87, nach dem Codex Matritensis 19 (wo sich auf fol. 48r der Vermerk findet), und dem Casinensis 439 (ohne Hinweis auf Erchempert). Siehe auch dies., The so-called Martyrologium Erchemperti. Der Codex wurde im 12. Jahrhundert geschrieben, aber die Vorlage stammt offenbar vom Anfang des 10. Jhs., da der enthaltene Computus um diese Zeit endet, und zwar mit dem Vermerk: anni Domini sunt in praesenti DCCCCIIII (fol. 75). Siehe Knust, in: Archiv 8, 769; Poupardin, Études 1, 6. Vgl. Wattenbach-Levison-Löwe 4, 438, Anm. 220. Westerbergh ist (ebenso wie Falco, Erchemperto 267, Anm. 3; anders: Poupardin, wie oben) allerdings vorsichtig, was die Autorschaft des Erchempert betrifft. Eindeutiger die Zuschreibung bei Oldoni, Erchemperto 68. " Taviani-Carozzi, Principauté 1, 60.

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ging ihm so zu Herzen, daß er sein Werk abbrach: „S'il a survécu à ces événements, Erchempert ne pouvait avoir le coeur de les mettre par écrit".99 Die Frage der Intention der Historiola hängt mit dem Widmungsgedicht auf fol. 105 zusammen, das sich vermutlich auf Erchemperts Werk bezieht.100 Als Adressat ist Aio, Princeps von Benevent von 885-891, genannt: Vir bone, dulcis, amans, mitis, serenissime princeps, Armis, Aio', Dei auxiliovepotens! Hanc quant misit iners cape, deprecor, ystoriolam; Perlege cuncta libens, addita corde tege, Hanc quia adhuc insontem lacérantb quique supersunt. Et rodunt fantis famina vera crebro. Dieses Gedicht, so nehmen Westerbergh und Taviani-Carozzi an, ist daher auf die Jahre zwischen 889, wo Erchemperts Ystoriola endet, und Aios Tod 890 zu datieren101 und bezieht sich auf die Abwesenheit des Fürsten zu einem Kriegszug gegen die Byzantiner und seine erfolgreiche Rückkehr nach Benevent. Diese Erklärung stößt freilich auf gewisse Schwierigkeiten. Aio wird in der Ystoriola meist wenig schmeichelhaft behandelt. Das mag bei Erchemperts düsterer Sicht seiner Zeit verständlich wirken; der Princeps hätte dem ihm gewidmeten Werk etwa entnehmen können: Aio autem princeps Beneventi et anteprincipatum etposteapartim imbecillis partim roboreus extitit.102 Verlockend wäre es, den Wegfall eines Kürzungsstriches während der 400jährigen Überlieferung anzunehmen, um den ebenfalls sinnvollen Vers Armis, animo, Dei auxiliove potens zu erhalten.103 Dann könnte man darüber nachdenken, ob das Gedicht nicht einen anderen Adressaten hatte. Doch würde dadurch das Versmaß gestört.104 Aber vielleicht läßt sich eine andere Erklärung fxir die Widersprüche zwischen Chronik und Widmungsgedicht finden. Hervorgehoben wird im Widmungsgedicht, daß die aurea Capua nun nicht mehr ohne Fürsten sei, während Benevent, „das aufgeblasen war, von Richtern verlassen oder Hochmütigen unterworfen, verwüstet von zahllosen Feinden, seufzt"; erst der Adressat des Gedichtes bringt neuen Glanz (w. 17-25): Aurea nam Capua sine principe desiit esse; Ticinumc geminum, heu, viduata manensA, Iudicibus tumuit sive subiecta superbis; ' Cod.: aio (ohne Kapitale). b Westerbergh: lacérant insontem. c Cod.: Licinum. d Cod.: manes. 99 Taviani-Carozzi, Principauté 1, 53. j0° Westerbergh, Poetry 8 - 2 9 . Vgl. auch Taviani-Carozzi, Principauté 1, 5 1 - 5 3 . 101 Westerbergh, Poetry 15: .After Aio's return to Benevento and after the victory of the Arabs over the Byzantines in October 888, but before Aio's death in the autumn of 890"; Taviani-Carozzi, Principauté 1, 53: „entre 8 8 9 et 891"; sie datiert den Tod Aios ins Jahr 891. Zur Datierung siehe Kap. II. 6. 102 Erchempert 54, ed. Waitz 257. Westerbergh, Poetry 17, zieht den vorsichtigen Schluß über Erchemperts Haltung zu den Principes von Benevent: „He cannot sing their praises, since they have not performed any brilliant achievements, which he could have related, but he finds no reason for rebuking them." 103 Die Schreiber des Vat. lat. 5001 setzten nur einen kurzen Strich über das i, z. B. fol. I40v. 1.6. 104 Ich danke Kurt Smolak, W i e n , für sein Urteil in dieser Frage.

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Ein langobardisches Geschichtsbuch: Der Vaticanus latinus 5001

Hostibus innumeris hinc spoliata gemit. Sentibus et ramnis tabefactaque tota fatiscit, Civibus exuta atque referta feris. Lux redita ecce nova, altorem cum suscipit, Uli, Te quoque magnanimum gaudet adessepatrem. Gemmea nunc iterum exultans urbs cantibus odas, Principe sub tanto euge canendo boat. Die Beschreibung der Begeisterung über den Fürsten zieht sich noch über zahlreiche Verse. Westerbergh und Taviani-Carozzi nehmen an, daß mit dem Ticinum geminum im zweiten Vers Benevent, als .zweites Pavia', gemeint ist.105 Konnte es wirklich Aios Rückkehr nach dem Feldzug von 888 sein, die im Gedicht gefeiert wurde? Zwar hatte der Princeps zunächst Bari besetzt, doch wurde er dort von seinen Verbündeten (darunter Atenulf von Capua) im Stich gelassen und von den Byzantinern belagert.106 Erchempert erwähnt die Schwierigkeiten, erzählt die Geschichte aber nicht fertig. Der 922 in Montecassino im Casinensis 175 eingetragene Zusatz zum Chronicon comitum Capuae berichtet jedoch: eadem ebdomada Aio princeps cum quodam patricio Constantinopolitano ex utraque parte certatim pugnantes, adpostremum ille patricius victor effectus est}01 Aios Unternehmen ist also letztlich gescheitert. Seine Bemühungen brachten insgesamt wenig, was den Uberschwang des Gedichtes rechtfertigen würde. Sicherlich ist solche Rhetorik bei einem Widmungsgedicht gefordert, doch würde man dann auch ein wenig davon am Ende der Historiola erwarten. Als Klage über die zahlreichen Feinde und Zwistigkeiten, die Capua und Benevent heimgesucht hatten, verbunden mit der Hoffnung, der Fürst werde sie beenden, würde das Gedicht im übrigen zum Geschichtswerk passen. Die aurea Capua litt unter Neapolitanern, Sarazenen, Griechen, den Banden des Guaiferius prefectus harenarum, und den miteinander verfeindeten Nachkommen Landos I.108 Der Teil von Erchemperts Ystoriola, der sich mit dem Unheil in Capua beschäftigt, beginnt programmatisch in Kapitel 21 mit der schrecklichen Prophezeiung bei der Geburt des künftigen Bischofs Landulf von Capua, die sich aus Erchemperts Sicht bewahrheitet hat: Quod ille in extasi mentis licetpredixerit, nos quoquepropriis intuiti sumus optutibus, qui innumerabiles insontes homines illius facto conspeximuspro ignegladiis corruisse (...) Huius enim actio finisque exitus in subsequentipropalabitur. Dieser Landulf ist für Erchempert die Verkörperung des Bösen. Sein Tod im Jahr 879 wird im 40. Kapitel berichtet, doch nun geht die von ihm gesäte Zwietracht auf; ab hier werden die unaufhörlichen Kriege seiner Neffen und Großneffen in vielen Details geschildert. Benevent kommt dabei meist nur insoweit vor, als es für

' Cod.: rediit. 105 Diese Deutung stößt auf die sprachliche Schwierigkeit, viduata auf Ticinum zu beziehen. Westerbergh belegt aber mit einigen Vergleichsbeispielen, daß auch Ticinum geminum als Stadt feminin gedacht werden konnte: Westerbergh, Poetry 12. Ahnlich Taviani-Carozzi, Principauté 1, 53: „La ville d'or, Capoue, sans prince, a cessé d'être,/La seconde Pavie, hélas, reste veuve." 106 Erchempert 76, 80, ed. Wàitz 263 f. 107 Cas. 175, S. 590. Catalogus comitum Capuae, ed. Wàitz 499; ed. Cilento, La cronaca 128. Zu den Ereignissen Gay, L'Italie méridionale 144. Vgl. Kap. III. 5. "" Cilento, Capua e Montecassino. Zu Neapel als Feindbild bei Erchempert und anderen Autoren: Granier, Neapolitains et Lombards.

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Capua von Belang ist.'09 Freilich waren die herrschenden Familien der beiden Städte durch Heiratsbündnisse und Allianzen vielfach verflochten. Immerhin äußerte Erchempert auch zu den Herrschaftswechseln in Benevent deutlich seine politische Meinung. Adelchis (854-878) war für ihn ein, trotz mancher Mißerfolge, insignis sagaxque vir, wie es bereits im 1. Kapitel heißt. Dieser Adelchis wurde 878 von einer Gruppe von Verschwörern ermordet, die zum Großteil seiner Familie angehörten; unter ihnen behauptete sich sein Neffe Gaideris. Der Schwiegersohn des Adelchis, Dauferius, konnte seine Ansprüche nicht durchsetzen und mußte nach Neapel ins Exil gehen.110 Ihn nannte Erchempert einen zizaniorum sator, einen Unheilsstifter.111 Sein Sohn war jener Presbyter Dauferius, der in der Mönchsgemeinschaft von Montecassino Rivale Erchemperts war und von diesem wenig freundlich dargestellt wird. Gaideris ging zunächst ein Bündnis mit Lando III. von Capua (882-885) ein, das durch eine Ehe gefestigt werden sollte, wandte sich aber dann dessen verfeindetem Cousin Pandenulf (879—882) zu, worauf Lando ihn gefangensetzte; nun wurde Radelchis II. Princeps von Benevent und heiratete seinerseits eine Cousine Landos. Radelchis griff bald darauf gemeinsam mit seinem Bruder Aio zugunsten Landos in Capua ein, worauf Pandenulf vertrieben wurde. 112 Unter Radelchis finden wir im Mai 884 Erchempert in Benevent, wie er als Notar eine Schenkung an Montecassino bezeugt.113 Doch schon Anfang 885 wurde Radelchis aus Benevent vertrieben und durch Aio ersetzt.114 Aio nun schenkte im Mai 885 Besitz eines gewissen Poto an Montecassino, der zu den Verschwörern gegen Adelchis gehörte.115 Es handelt sich um eine der ältesten Originalurkunden, die sich im Archiv von Montecassino erhalten haben, ein recht repräsentatives Stück. 116 Darin schenkt Aio per rogum Ladelchis dilecti germani nostri, tibi

Criscio medico nostro atque preposito ad parte monasterii Sancti Benedicti quod situm est Monte

Casino, den Besitz Potos im Gebiet von Alfano und Telese, pro quo ipse Poto in

anima domini Adelchis principis dilectissimi genitori nostro consiliatus fiiit eumque

interfe-

109 Wie Taviani-Carozzi, Principauté 1, 40, zur umgekehrten Meinung kommt („La dynastie des Gastaids de Capoue [ . . . ] est presentée presque exclusivement dans ses liens avec Bénévent"), ist nicht nachvollziehbar. Zur Tendenz Erchemperts auch Falco, Erchemperto 2 6 2 - 2 9 2 ; Cilento, I cronisti della Longobardia Minore 4 0 - 6 5 , bes. 51-56, der meint: „II suo racconto sembra proteso all'esaltazione finale del trionfo di Atenolfo sui Napoletani ( . . . ) nella battaglia dell'888 a S. Carzio sulle rive del Clanio (...), restituendo dignità e fierezza alla sua gente"; differenzierter: Oldoni, Erchemperto. 1,0 Erchempert 39, ed. Waitz 249 f. Erchempert 71, ed. Waitz 261. 1,2 Erchempert 49, ed. Waitz 255 f. 113 Cuozzo-Martin, Documents 36, 172. " 4 Erchempert 48, ed. Waitz 255. m Aula 3, caps. XII, n. 21; ed. Cuozzo-Martin, Documents 37, 173 f. 1,6 ChLA 2a ser. LUI n. 11; Cuozzo-Martin, Documents 37, 173 f.; Di Meo, Annali 5, 10 f., zweifelte aus inhaltlichen Gründen an der Echtheit der Urkunde, da der soeben vertriebene Bruder Radelchis als Intervenient auftritt, was aber eine Verlesung für Ladelchis ist. Lecisotti, Le Relazioni 208 f., hält an der Echtheit der Urkunde fest. Ausführlich siehe Voigt, Beiträge 61, n. 80, mit Schriftprobe 1 im Anhang des Buches; vgl. ebd. 14 f. Seine diplomatische Untersuchung läßt keine Verdachtsgründe einer Fälschung erkennen. Zur Intitulatio ( C o n c e s s i m u s nos vir gloriosissimi^ Aio Dei previdentia Langobardorum gentisprinceps etc.) siehe ebd. 33, zur Per rogum-Formel 35. Zur Fassung des Chronicon S. Sophiae ( A 2 ) siehe Bertolini, I documenti, n. 126 (876), 131 (881), oder Voigt, Beiträge, n. 68 (876, Name fehlt), 74, 75 (881). Der Notar Petrus war häufig für S. Sophia tätig: Bertolini, I documenti, n. 128, 129, 131, 135-137 = Voigt, Beiträge, n. 71, 72, 74, 75, 78, 81 (889). In der älteren Literatur zitiert wird überall der Druck bei Gattola, Accessiones 1 , 4 1 (etwa bei Voigt und HofFmann, wie oben). Eine Edition findet sich auch bei Leccisotti, Le relazioni 210; vgl. auch HofFmann, Abtslisten 262 f.

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cit, et legibus ómnibus eius rebus etfacultatibus nostre evenitpotestati. Criscius war als praepositus des Montecassino unterstellten Nonnenklosters von S. Sophia zugleich der Vertrauensmann Montecassinos in Benevent, und als Hofarzt eine einflußreiche Persönlichkeit.117 Poto wird in der Urkunde filius Pozzonis118 genannt; vielleicht war er der Sohn desjenigen Poto, der im Teilungsvertrag von 849 als neposáts Radelchis I. bezeugt ist.119 Die Erwerbung der Güter Potos ist auch in der Chronik von Montecassino erwähnt, die Leo Marsicanus am Beginn des 12. Jahrhunderts verfaßte. Hier ist allerdings Radelchis II. der Schenker und Criscius der Intervenient: Per hos etiam dies Radelchis princeps Beneventanus rogatus a Criscio preposito sánete Sophie per preeeptum concessit huic monasterio totam omnino substantiam Potonis cuiusdam nobilis. Wieder eine andere Fassung findet sich in der zweiten Redaktion (CDMS) der Chronik; diese spricht stattdessen von Adelchis princeps und enthält den Zusatz: Idem quoque prepositus alio precepto adquisivit ab Aione principe cuncta, que Poto gastaldeus filius supradicti Potonis possidere videbatur in pertinentiis Alphanis et Telesinis, ad opus videlicet et utilitatem monasterii huius}2" Die Interpretation dieses widersprüchlichen Befundes macht zunächst Schwierigkeiten. Gab es eine (im Aio-Diplom nicht erwähnte) Vorurkunde, und wenn, war sie von Adelchis oder von Radelchis ausgestellt?121 Da es sich um konfiszierten Besitz eines der Verschwörer gegen Adelchis handelt, ist die erste Variante so gut wie auszuschließen. Daß bereits Radelchis aus dem Besitz der Mörder seines Vaters Güter geschenkt hatte, ist gut vorstellbar. Jedenfalls bedachte Aio das Kloster derart mit nicht unbedeutenden Besitzungen (siehe auch Kap. II. 8), kurz nachdem es 883 von den Sarazenen verwüstet worden war. Nicht unwahrscheinlich, daß Erchempert ebenso wie im Mai des Jahres zuvor zur Ausstellung der Urkunde wieder nach Benevent gekommen war. Wenige Monate nach dem Regierungsantritt Aios ist es am ehesten vorstellbar, daß Erchempert gewisse Hoffnungen in den neuen Fürsten setzte, der sich seinem Kloster gegenüber großzügig erwies. Ein Eingreifen Aios in Capua, ebenso wie bereits an der Seite des Radelchis im Jahr 882, war nun für die Mönche, die in Teano im direkten Machtbereich von Capua vor den Sarazenen eine stets prekäre Zuflucht gefunden hatten, umso wichtiger geworden. Ein panegyrisches Widmungsgedicht konnte zu diesem Zeitpunkt ebenso angebracht erscheinen wie ein Geschichtswerk, das ein düsteres Panorama der Zustände malte. Vielleicht hat Erchempert damals eine erste, etwas kürzere Version der Historiola fertiggestellt. Sie müßte mit der überlieferten Fassung ungefähr bis Kapitel 57 über einen neapolitanischen Überfall auf Capua in der Fastenzeit 885 übereinstimmen, eventuell ergänzt durch ein später weggelassenenes Ende, in dem Aios Herrschaftsantritt hervorgehoben wurde. Damit hätte sich ein relativ regelmäßiger Aufbau der Chronik ergeben.

117 Criscius erscheint auch in den Annales Beneventani in der Fassung des Chronicon S. Sophiae zweimal als Praepositus von S. Sofia, vgl. Bettolini, Gli Annales Beneventani 117. ' " So die Edition der ChLA 2a ser. LUI n. 11 (zur Schreibung mit zwei ti-Ligaturen ebd. S. 71); die Edition von Cuozzo-Martin, Documents 37, 173, hat Poto filius Poti/tionis. " ' Radelgisi et Siginulfi divisio ducatus Beneventani, ed. Bluhme 2 2 1 - 2 2 5 . Die betreffende Bestimm u n g steht im Vat. lat. 5001 auf fol. I47v; siehe Kap. II. 8. 120 Chronica monasterii Casinensis I, 39 (A fol. 119v), ed. H o f f m a n n 108; vgl. die Erwähnung im Register des Petrus Diaconus: H a r t m u t H o f f m a n n , Chronik und Urkunde 113, n. 200B, 2 0 0 C . 121 H o f f m a n n (in der Edition der Chronik, A n m . zu 1, 39) n i m m t an, die erste Schenkung müsse schon vor 878 (Tod Adelchis') geschehen sein, 885 dann die zweite Schenkung durch Aio. Für Radelchis spricht, bei längerem Überlieferungsgang, schon die Lectio difficilior.

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Auch wenn die Kapitelzählung erst in den modernen Editionen eingeführt wurde, läßt sich der Aufbau daran ungefähr ablesen: Die ersten 20 Kapitel behandeln die Ereignisse bis zum Regierungsantritt von Aios Vater Adelchis, von Kapitel 21 bis 40 wird vor allem das Unheil Capuas unter Bischof Landulf geschildert, Kapitel 41 bis 60 hätten von dessen Tod bis etwa zum Regierungsantritt Aios gereicht. In der mirakelhaften Schilderung von der Rettung Capuas vor dem Angriff der Neapolitaner im Kapitel 57 klingt bereits ein gehobener Ton an. In der heutigen Fassung ist die sarazenische Plünderung Montecassinos in Kapitel 44 zu früh, in Kapitel 61 drei Jahre zu spät und ebenso lakonisch erwähnt wie die Machtübernahme Aios, die in einer Nebenbemerkung drei Jahre zu früh steht (Kapitel 48). 122 Beides wurde vielleicht in später weggelassenen Schlußkapiteln von 885 ausgeführt. Auch das an dieser Stelle ganz unmotivierte Urteil über Aios Herrschaft in Kapitel 54 (partim imbecillis partim roboreus extitit) wirkt wie ein Nachtrag. Eine Aio gewidmete Erstfassung vom Frühjahr 885 anzunehmen, wäre eine Möglichkeit, den krassen Widerspruch zwischen dem heute überlieferten Text der Chronik und dem überschwenglichen Widmungsgedicht zu erklären. Die Enttäuschung über den meist erfolglos agierenden Aio kam freilich rasch und wird in den nach 885 geschriebenen Kapiteln deutlich spürbar. Allmählich schiebt sich darin ein anderer Fürst in den Vordergrund: Atenulf I., der sich in der zweiten Hälfte der 880er Jahre schrittweise in Capua durchsetzte. Auch er wird zunächst als grausamer und habgieriger Charakter gezeichnet, nicht zuletzt wegen der Beschlagnahme von Besitzungen von Montecassino, weswegen Erchempert selbst zum Papst reisen mußte; das päpstliche Schreiben erwirkte zwar die Rückgabe des Klosterbesitzes, nicht aber von Erchemperts eigener cella.m Nach den Siegen Atenulfs gegen die Neapolitaner und der Beseitigung des räuberischen Guaiferius, und nicht zuletzt nach seinem Privileg für Montecassino im Jahr 888 (siehe Kap. V. 1), änderte sich jedoch Erchemperts Meinung, und plötzlich sah er unter Atenulfs Herrschaft ein Zeitalter des Friedens heraufdämmern: Factumque gaudium magnum, pax et securitas; coeperunt preesse qui subesse soliti erant, et qui per trecentos et eo amplius annos imperaverant legibus preesse coeperunt his qui cum Saracenis vicerantper aliquos soles. Tunc coepit cohors Bardorum triumphans regnare super eos, quos Semper armis subegerant.UA Atenulf ist der einzige Zeitgenosse Erchemperts, der eine solche Huldigung erhält; sie ist ganz im Sinn der Gegenüberstellung der viduata mit der exultans urbs im Widmungsgedicht. Atenulf von Capua, den Erchempert anfangs wenig freundlich behandelt hatte, verkörperte also die Friedenshoffnung gegen Ende von Erchemperts Werk. 125 In den letzten Kapiteln Erchemperts ist dieser Stimmungsumschwung spürbar. Aio erhält in der Chronik keine vergleichbare panegyrische Passage. Wäre Aio noch gegen Ende seines Lebens die große H o f f n u n g des Chronisten gewesen, könnte man in der Tradition des Paulus Diaconus eine Klage über seinen Tod oder einen rühmenden Rückblick erwarten. Aios Tod bleibt am Ubergang zwischen der Erchempert-Chronik und ihrer Continuatio aber überhaupt unerwähnt. Vielleicht hatte Erchempert deswegen so unvermittelt die Arbeit an seiner Chronik eingestellt, weil er eine für Atenulf günstigere Überarbeitung plante. Das Widmungsgedicht für Aio konnte ebenfalls leicht für einen neuen Empfänger umgeschrieben werden. Doch das geschah

122 123 124

Z u m ungeordneten Aufbau der Chronik in ihrer heutigen Form: Oldoni, Erchemperto. Erchempert 69, ed. Waitz 261. Erchempert 74, ed. Waitz 262. Cilento, La cronaca 127 f., setzt den Beginn der Herrschaft Atenulfs in Capua auf Januar 887.

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offenbar nicht mehr, und die Chronik blieb unvollendet. Deshalb steht das Gedicht nicht am Beginn des Werkes, wie man erwarten würde, sondern in der Handschrift weit entfernt von der zugehörigen Ystoriola. Nach dem Ende von Erchemperts Werk gingen die intensiven historiographischen Bemühungen im Umkreis der Exilgemeinschaft in Teano weiter, wie die Fortsetzung Erchemperts, die Zusätze zur Fürstenliste und die Aktualisierung der Berechnung von 832 belegen (siehe Kap. II. 6). Im Vaticanus 5001 stehen noch eine Reihe undatierter, doch etwa zur selben Zeit entstandener Texte, die im folgenden zu untersuchen sind (siehe Kap. II. 7). Die Zusammenhänge sind deshalb nicht leicht zu rekonstruieren, weil diese Texte in der Handschrift verstreut stehen und teils schwer datierbar sind. Manche der Texte sind von Waitz in den Scriptores rerum Langobardicarum ediert worden, allerdings in verändertem Kontext, sodaß weder die Zusammenhänge in der Handschrift noch die gemeinsame Zeitebene der Abfassung für den Leser nachvollziehbar sind.

6. Historiographische Bruchstücke vom Ende des 9. Jahrhunderts Erchemperts Historiola wurde in Montecassino nicht direkt fortgesetzt. Stattdessen wurden knappe, teils skizzenhafte Notizen angelegt, wie sie im Vaticanus lat. 5001 an mehreren Stellen überliefert sind, aber auch in andere Handschriften Eingang gefunden haben. Zum Teil dreht es sich um aktuelle Zusätze zu fortlaufend geführten Fürstenlisten. Eine davon ist der Katalog beneventanischer Fürsten, der auf die am Anfang des Vaticanus stehende Königsliste von Alboin bis auf Otto III. folgt. Diese Liste (fol. 2r2v) beginnt mit Zotto und endet mit den wechselhaften Ereignissen der 890er Jahre:126 Aio frater eiusdem Radelchis annos VI. Ursus filiuspredicti Aionis, annos I. Postea dominati fiierunt* inb principatu Beneventi, annos IUI", Sabbaticius stratigo et Georgiuspatricius Greci, qui tunc in temporepreherant in Apulia pro parte imperatorisc Constantinopolis. Guido marchisisA tenuitposteaprefatum principatum annum I, menses VIII. Radelchis princeps sedit annum I. Der Rest der Seite - 13 Zeilen - bleibt frei. Die Liste endet also mit der kurzen zweiten Regierungszeit Radelchis II. in den Jahren 897-899; allerdings wird hier nur ein Regierungsjahr angegeben, während sich in den später fortgesetzten Listen die Angabe sedit annos II et medium findet.127 Ulla Westerbergh hat beide Listen als Prolog zum Chronicon Salernitanum ediert,128 was wenig für sich hat, da die erste drei Jahrzehnte nach dessen Abfassung, die zweite sieben Jahrzehnte vorher endet. Der Zeithorizont am Ende des 9. Jahrhunderts erscheint noch einmal viel weiter hinten in der Handschrift, auf fol. I40v-l4lr. Hier steht zunächst eine chronologische ' Cod.: rutit über der Zeile nachgetragen. b Cod.: in über der Zeile nachgetragen. c

Cod.: inperatoris.

d

Cod.: marchisis mit kommaförmigem Kürzungszeichen über h. Catalogus regum Langobardorum et ducum Beneventanorum, ed. Waitz 490-495. Siehe An-

126

hang. 127 128

Chronica Sancti Benedicti Casinensis, ed. Waitz 488, aus Cod. Cas. 175. Chronicon Salernitanum, ed. Westerbergh 1-3.

Historiographische Bruchstücke vom Ende des 9. Jahrhunderts

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Berechnung, die im 15. Jahr Sicos, 832, angestellt wurde, sie beginnt: A Xotone primo duce Beneventi usque adXVm annum Siconis sunt anni CCLXXII.m Berechnet wird auch die seit dem heiligen Benedikt, seit Papst Gregor I. und den beiden Duces Gisulf I. und Gisulf II. vergangene Zeit.130 Unmittelbar danach steht, mit einer roten Initiale abgehoben, ein kurzer Text: Ursusfiliuspredicti Aionis puer decennis sedit annum unum. Cuius tempore Sybaticius stratigos, cum valida manu G(r)ecor(um), venit Beneventum tercio Ydus Julii, obseditque eam usque XV. Kai. Novembri, diem, quo benigne paciscens, in ea ipse ingressus est, eodem die completis CCCXXX annis, et aliquot menses, a Zoto primo Beneventi, quibus Langobardiprimatum tenere Beneventaneprovincie.m Der Text stellt also einen direkten Bezug zur Berechnung von 832 her; der Einzug der Byzantiner in Benevent hätte demnach 58 Jahre nach dem 15. Jahr Sicos stattgefunden. Das entspricht ziemlich genau der Summe der in der Fürstenliste am Beginn des Codex angegebenen Regierungszeiten und ungefähr der heute gebräuchlichen Datierung (832891).132 Wie zeitnahe der Text niedergeschrieben wurde, wird daraus deutlich, daß man die byzantinische Eroberung Benevents offenbar zunächst als Epochenjahr verstand und ausrechnete, daß die Langobarden seit Zotto insgesamt 330 Jahre über Benevent geherrscht hatten. Dieser Satz macht nur Sinn, wenn er vor 895 erstmals niedergeschrieben wurde, als noch nicht absehbar war, wie kurz die griechische Herrschaft dauern würde. Beide Texte, die Berechnung der Jahre seit Zotto und die Nachricht über die byzantinische Eroberung Benevents, sind auch in den beiden anderen Handschriften überliefert (siehe Anhang). Im Vatican us schließt unmittelbar auf den oben zitierten Text eine kurze Chronik der Jahre 892-897 an (fol. I 4 l r - l 4 3 v ) . Doch ist die Chronik kaum, wie Waitz das tat, als Continuatio der Fürstenliste aufzufassen. Denn die Continuatio greift noch einmal auf die Zeit vor der byzantinischen Eroberung zurück, wobei sie mit einer Rückblende auf die häufigen Heuschreckenplagen unter Gaideris, Radelchis II. und Aio beginnt. Es handelt sich eindeutig um eine Fortsetzung der Chronik Erchemperts, was nur die Anordnung in der Handschrift verdeckt, wo zwischen dem Ende der Erchempert-Chronik und der Continuatio zehn Blätter liegen. Auf fol. 131 v endet Erchempert mit dem Verweis auf eine geplante Fortsetzung: Cum autem uterque se iunxerit adpactum vel ad bellandum, quod deinceps egerint, praesenti opusculo inseram. Dabei geht es um den Konflikt zwischen Wido II. von Spoleto und Berengar. „Mais cette phrase clôt définitivement l'Ystoriola", meint Taviani-Carozzi.133 Hat Erchempert dennoch selbst diese Fortsetzung geschrieben? Auffällig ist, daß die Continuatio \iel mehr auf Naturgewalten und Vorzeichen eingeht, als Erchempert das in 1M

Catalogus regum Langobardorum et ducum Beneventanorum, ed. Waitz 495. Siehe Anhang. Catalogus regum Langobardorum et ducum Beneventanorum, ed. Waitz 495. Dieselbe Liste steht auch im Cod. Cas. 175 und im Cod. Cav. 4. 131 Catalogus regum Langobardorum et ducum Beneventanorum, ed. Waitz 495, nimmt diese Passage noch als einen Teil der Berechnung, die er wiederum direkt an die Fürstenliste anschließt, und läßt die Chronik als Continuatio codicis Vaticani erst mit dem nächsten Satz beginnen: Prius tarnen quam ista contigerent (...). Dieser Satz bezieht sich aber eindeutig auf den vorigen; zudem widerspricht die Aufteilung in der Monumenta-Ausgabe deutlich der in der Handschrift gegebenen Anordnung. Siehe auch Anhang. 132 Zur Datierung siehe unten in diesem Abschnitt. Zur Eroberung durch die Byzantiner: Gay, L'Italie méridionale 147f. (Oktober 891); Falkenhausen, Untersuchungen 23f.; Kreutz, Before the Normans 65 (891), ebd. 209 (892). 133 Taviani-Carozzi, Principauté 1, 39. 130

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seiner Historióla tut. Die ,biblische' Heuschreckenplage zu Beginn setzt bereits einen Akzent. Wo Erchempert durch präzise, manchmal entrüstet beschriebene menschliche Niedertracht und Schwäche den düsteren Grundton seines Textes prägt, malt die Fortsetzung schlechte Vorzeichen aus. Erchemperts Ankündigung am Ende seiner Historióla wird nur zum Teil eingelöst. Von Wido und Berengar ist gleich am Beginn der Continuatio wieder die Rede, wenn auch nur kurz: Eo autem tempore Guido, qui cum Berengario Foruiulense dúo civilia egerat bella, rex erat Italiae, qui tune aufiigerat in partes Spoletii; qui postpaululum vomitum sanguinis ab hac luce subtractus est.'34 Der Hinweis Ursus, filiuspraedicti Aionis könnte sich auf Erchemperts Werk beziehen. Doch da in den anderen beiden Handschriften die Nachricht von der byzantinischen Eroberung Benevents auf eine Fürstenliste folgt, wird man den Verweis auf Aio auch hier eher darauf beziehen. Aus der vergleichenden Untersuchung der Uberlieferungen ergibt sich, daß der Text aus einer fortlaufend geführten Fürstenliste stammt (siehe Anhang). Die Continuatio endet mit einer Passage, in der die Restitution Radelchis' II. in Benevent durch die Witwe Widos und Schwester des Radelchis, Kaiserin Ageltruda, im Jahr 897 beschrieben ist (fol. I43v 1. 12): Postea vero prefata imperatrix anno uno et octo mensibus expletis, postquam Grecia Benevento fuerant expulsi, in eadem ingressa est pridie Kai Aprilis, et paulo post longe superius nominatum Radelchis fratrem suum Beneventano prineipatu restituit, qui fere duodeeim annis ab eofiieratexpulsus,135 Eine ähnliche Passage findet sich in den anderen Handschriften im Kontext der Fürstenliste, aber auch in späteren Chroniken, etwa im Chronicon Sanctae Sophiae (siehe Anhang). 136 Wenn Erchempert sich zuletzt recht wenig mit den politischen Verhältnissen in Benevent befaßt hatte, so nahm man nun in Montecassino Notiz von den raschen Umschwüngen der Lage, da jetzt überregionale Mächte in die Machtkämpfe um den Prinzipat hineingezogen wurden und damit die delikate Machtbalance der ganzen Region auf dem Spiel stand. Aus der detaillierten relativen Chronologie, die hier geboten wird, ergibt sich folgender Ablauf der Ereignisse.137 Er stimmt im wesentlichen mit der vom Anfang des 12. Jahrhunderts überlieferten Redaktion der Annales Beneventani überein, wenn man berücksichtigt, daß in Süditalien der Jahresanfang auf den 1. September fiel, parallel mit der Indiktionszählung (in Klammer in römischen Zahlen die Indiktion und das Jahresdatum nach zeitgenössischer Berechnung):138

" Cod.: Gr, folgender Buchstabenbestand unsicher; vgl. die Stelle der Chronica S. Benedicti Casinensis, ed. Waitz 488: ... postquam Greci Benevento fiierant expulsi. 134 Vat. lat. 5001, fol. 141 r; Catalogus regum Langobardorum et d u e u m Beneventanorum, ed. Waitz 495. 135 Z u r W i r k u n g vgl. HofFmann, Chronik u n d Urkunde 197 f. Der letzte Satz wörtlich wie Chronica S. Benedicti Casinensis 4 8 8 = Liste der Duces Beneventi aus Cod. Cas. 175. Datierung (31. März 897): H a r t m a n n , Geschichte Italiens 3, 2, 154. i3C Catalogus Beneventanus Sanctae Sophiae, ex cod. Vat. lat. 4939, fol. 23r, ed. Bertolini 160 f. 137 Ubersicht und Zusammenhänge: Dümmler, Geschichte des Ostfränkischen Reiches 2, 363 ff.; H a r t m a n n , Geschichte Italiens 3, 2, 1 4 0 - 1 7 0 . Bertolini, Gli Annales Beneventani, bes. 117f. Die Annalen sind in drei nach 1100 angelegten (und teils weitergeführten) Handschriften überliefert, darunter im Vat. lat. 4939, dem Chronicon Sanctae Sophiae. Doch müssen sie, wie Bertolini beobachtet, auf eine gemeinsame Vorlage zurückgehen.

Gedichte im Kontext

Okt. 890 (IX; 891) Juli 891 (IX) 18. 10. 891 (X; 892) 7. 8. 895 (XIII/XIV) 31. 3. 897 (XV) Aug. 897 (XV/I) 139 899/900 (III)

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Tod Aios; sein Sohn Ursus folgt im Prinzipat Beginn der Belagerung von Benevent durch die Byzantiner unter Symbatikios Die Byzantiner ziehen in Benevent ein Ende der byzantinischen Herrschaft, Einzug Widos IV. von Spoleto Einzug Ageltrudas in Benevent Wiedereinsetzung Radelchis' II., Abzug Ageltrudas Vertreibung des Radelchis und Machtergreifung Atenulfs

Die 14. Indiktion, die für den Einzug Widos in Spoleto in einigen Varianten angegeben wird, begann erst am 1. 9. 895. Aber erstens beruht die Berechnung des Tagesdatums (7. August) auf der oben angegebenen Dauer der byzantinischen Besatzung. Zweitens ist die Indiktion nur schlecht überliefert: Im Vaticanus fehlt sie, im Cavensis ist sie mit in die verschrieben, und im Casinensis, der überhaupt die Datierungen zum Teil verwechselt, über der Zeile nachgetragen. Ähnlich steht es mit dem Datum für die Rückkehr des Radelchis: Die 1. Indiktion, und das Jahr 898, begannen im September 897; kurz vorher, im August, war Radelchis wiedereingesetzt worden. 140 Der Sturz des Radelchis (gegen Ende 899 oder eher zu Beginn 900) fällt nach der süditalienischen Zählung auf alle Fälle in die 3. Indiktion und das Jahr 900. 141 Letztlich konnten sich weder die Byzantiner noch die ins Ringen um das Kaisertum verstrickten Widonen in Benevent behaupten. Das gelang erst Atenulf I. von Capua ab 900. 1 4 2 Doch dieses Datum erscheint in der Fürstenliste und der Chronik von 892-897 im Vaticanus nicht mehr, zum Unterschied von den anderen beiden Handschriften (und natürlich dem Chronicon Salernitanum sowie den Annales Beneventant). Die Fürstenliste auf fol. 2v endet nach dem ersten Jahr des Radelchis (898), die Chronik von 8 9 2 - 8 9 7 mit seiner Wiedereinsetzung 897. Zu dieser Zeit, jedenfalls vor 900, wurde ein Dossier angelegt, aus dem vermutlich die meisten Texte im Vaticanus lat. 5001 stammen. Im folgenden sollen einige dieser Texte danach untersucht werden, ob ihre Bedeutung aus diesem Zusammenhang erklärbar wird.

7. Gedichte im Kontext Nach dem Chronicon Salernitanum stehen in der Handschrift drei in Versen abgefaßte Grabinschriften für Rofrit, Adelferi und Dauferanda, die ohne Rubriken und in fortlaufendem Textfluß mit dem nachfolgengenden Widmungsgedicht Erchemperts ein einziges Gedicht zu ergeben scheinen; nur zwischen der ersten und zweiten Gedenkinschrift markiert eine rote, einzeilige Lombarde einen Neuanfang. Pertz hatte sie noch im Verbund des Chronicon Salernitanum ediert.' 43 Die drei Gedichte sind inzwischen eingehend untersucht worden. Wie Ulla Westerbergh ausführlich begründet hat, handelte es sich um jenen Rofrit, der einer der mächtigsten Männer am Hof von Benevent in der erAnnales Beneventani: 898, 1. Indiktion. Das stimmt mit der Datierung der Original-Urkunde aus Benevent ChLA ser. 2, LUI, n. 16, überein (erstes Regierungsjahr des Radelchis, erste Indiktion = Juni 898). "" Cilento, La cronaca 152-154. 142 Vgl. Gay, L'Italie meridionale 150 f. 143 Ed. Pertz 560 f. Siehe Abb. 1. ,J9

,« + 1»» + III5"2 + l564 + 1 ,M + III"" + IIP'" + 1* (Papier) Foliierung: neuzeitlich, rechts oben; darunter Paginierung von Inguanez, vor 18 8 0 4 3 (die hier gebraucht wird). Kustoden in der Mitte unten, mit pyramidenförmigem Muster aus roten Strichen hervorgehoben, I—XXXVI, nach Quaternionen gezählt, die aber nicht immer den tatsächlichen Lagen entsprechen. Schriftraum: 22,5 X 16,5, durchgehend 27 Zeilen in zwei Spalten. Die Blindlinierung auf der Haarseite entspricht dem alten cassinesischen Stil.44 Von mehreren Händen in Beneventana geschrieben. N u r stellenweise zahlreiche Randvermerke der Abfassungszeit, besonders S. 5 5 7 - 5 6 2 . Auf S. 563 in freier Spalte eine Urkunde von 1224 nachgetragen. Rote Rubriken. Initialen, meist Majuskel, teilweise koloriert, viele dekoriert und in unterschiedlicher Größe (genaue Liste bei Orofino, I codici 54-56; Abb.: tav. XXII-XXIII und fig. 5 - 7 , S. 213-217). Ganzseitige Miniatur auf S. 2 (Abt Johannes und der Heilige Benedikt mit der Handschrift, Abb. in Orofino, I codici tav. XX), fast ganzseitige Miniatur mit thronendem Christus in O-Initiale und Engeln unter dem Incipit auf S. 3 (Abb. in Orofino, I codici tav. XXI; und in Cavallo [ed.], I luoghi 21). Einband: braunes Leder mit Pflanzenornamenten, 20. Jahrhundert. In einem alten Einband fanden sich Fragmente der Institutionen Justinians aus dem 10./11. Jahrhundert. 4 5 Geschichte: Unter Abt Johannes I. (915-934), wahrscheinlich ca. 922, in der Mönchsgemeinschaft von Montecassino im Exil in San Benedetto in Capua geschrieben. Bei der Rückübersiedlung noch im 10. Jahrhundert nach Montecassino mitgenommen, seither im Besitz der Abtei. Besitzvermerk des 16. Jahrhunderts unten auf Seite 3: Iste Uber est Sacri Monasterii Casinensis N. 698, darunter, ebenso wie auf den beiden Vorsatzblättern, diverse Archiwermerke des 19./20. Jahrhunderts. Literatur: Pertz in Archiv 5, 134f.; Bethmann, Geschichtsschreibung 3 8 9 - 3 9 5 ; Inguanez, Codicum Casinensium Manuscriptorum Catalogus, Bd. 1, 2 5 8 - 2 6 0 ; Traube, Textgeschichte; Lowe, Scriptura Beneventana. Tafel XXXIX, mit Kommentar; Lowe-Brown, T h e Beneventan Script 1, 69; 343 f.; 2, 74; Leccisotti, A proposito di antiche consuetudini cassi-

42 Z u einem anderen Befund kam Orofino, I codici 52, bei den letzten Lagen: IV580 + (II + l) v, °. Das entspricht zwar der Zählung der Kustoden (XXXVII befindet sich auf S. 580), aber nicht der tatsächlichen Bindung. 43 Vgl. Cilento, La cronaca 112 Anm. 37. 44 Dazu Busonero etc., Un sistema di rigatura 214 (mit A n m . 8 und 11). Dabei wurden vier D o p pelblätter auf einmal auf der Haarseite liniert. Im 11. Jahrhundert setzte sich in Montecassino die Linierung auf der Fleischseite durch. Vgl. Tristano, Caratteristiche tecnico-formali 82 ff. 45 Iustiniani Institutiones, ed. Krüger, XX (Sigle C).

Beschreibung der Handschrift

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nesi 330 ff.; Semmler, Überlieferung der monastischen Gesetzgebung 346-360; Hafner, Basiliuskommentar 37 f.; Cilento, Marino Freccia 292; Cilento, Cronaca 110-115; C C M 1, 504; Zelzer, Zur Stellung 218ff.; Belting, Studien zur benevantanischen Malerei 133-135; Orofino, Considerazioni 142-150; Pratesi, La ,Cronica Sancti Benedicti Casinensis' 3 4 0 345; Sandmann, Herrscherverzeichnisse 13; Citarella, The Ninth Century Treasure 84 E; Bertelli, La situazione 690-692; Giulia Orofino, in: Cavallo (ed.), I luoghi della memoria scritta 20f.; Orofino, I codici decorati 1, 52-57 (mit weiterer Lit).; Orofino, I codici decorati 2, 1, 11; Mordek, Bibliotheca 270-272; Busonero etc., Un sistema di rigatura 214; Valentino Pace, in: I Fiori e' Frutti santi 175 f.; ders., in: Il Futuro dei Longobardi 1, 223 f.; BMB 1, 135f.; 2, 174-176; 3,218; 4, 189f., 5, 210f. Inhalt: S. 2 Widmungsbild: Iohannes Abbas mit dem Hl. Benedikt 3-506 Hildemar, Expositio Regulae S. Benedicti Rubrik: + INCIPIT PROLOGUS REGULE SANCTI BENEDICTI M O N A C H O R U M Inc.: Praecepta magistri. Et inclina aurem cordis tui, et ammonitionem piipatris libenter excipe Ed. Pauli Warnefridi diaconi in s. regulam commentarium (Bibliotheca Casinensis 4, Montecassino 1880); andere Fassung des Hildemar-Kommentars: ed. P. Rupert Niedermüller (Regensburg/New York/Cincinnati 1880). 506-510 Capitulare monasticum III46 Rubrik: Incipit cap. Ludouuihi imperatoris cum ceteris Inc.: Anno incarnationis Domini nostri Iesu Christi DCCCXVII, imperii vero gloriosissimiprincipis Ludouuichi IUI, VI idus Iulii, cum in domo Aquisgrani palatii qu$ Lateranis dicunt, abbates cum quampluribus una suis residissent Ed. M G H Capit. 1, Nr. 170, 344-348; Albers, Consuetudines 115-144; Hallinger, CCM 1, 515-535. 511-517 Brief des Abtes Theodemar von Montecassino Rubrik: Incipit Epistola Pauli Diaconi ad Carolum regem Inc.: Propagatori ac defensori Christiane religionis, Domino Karolo Christi potentia regum sapientissimo, Theodemar Ed. M G H EE 4, 510-514; Albers, Consuetudines 50-64; Hallinger, C C M 1, 137-145. 517 Brief Papst Gregors I. über die Abtwahl Rubrik: Epistola Gregorii pape ad Castorium episcopum Ariminensem. Ut abbas in monasterium non per episcopum autper quemlibet exterum ordinetur... Inc.: Luminosus abbas monasterii sanctorum Andree et Thome Ed. Norberg, Sancti Gregorii Magni Registrum Epistolarum 5, 49, C C SL 140, Bd. 1, 342 f. 518-526 Memoriale qualiter Rubrik: Ordo qualiter agendum sit monachis in monasteriis constitutis et sub regula beati patris Benedicti degentibus Inc.: Nocturnis horis cum ad opus divinum de lectulo surrexerit frater Ed. Albers, Consuetudines 59-68; vgl. 26-37; Hallinger, CCM 1, 229-238. 526—532 Ordo Casinensis II dictus ordo officii Rubriken: Quomodo per annum ieiunandum sit; Item de reliquis ieiuniis (527); Item de reliquis fesitivitatibus (528) Inc.: Quattuor tempora, quattuor sunt legitima ieiunia in anno Ed. Albers, Consuetudines 214-216; 19-23; Hallinger, CCM 1, 113-123. 46

In der älteren Literatur meist auf 817 datiert; Mordek, Bibliotheca 271, datiert auf „a. 8 1 8 / 1 9 (?)".

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532-534 De temporibus ieiunii Inc.: Ieiuniorum quattuor sunt tempora Ed. Albers, Consuetudines 217 f. 534-555 Chronica S. Benedirti Casinensis Rubrik: Annorum supputatio de monasterio sanctissimi Benedirti Inc. : Quidam ex nostri scire volentes quot anni essent a tempore sancti Benedirtipatris usque nunc Ed. Pellegrino, in: Muratori 2, 1, 264 ff; Pertz, MGH SS 3, 222 ff; Waitz, MGH rer. Lang. 468-488 (Edition bis zur S. 562 der Handschrift). 556 Papstkatalog Rubrik: Apostolici viri Inc.: Petrus apostolus sedit in Antiochiae cathedra episcopali annos V Ed. Waitz, wie oben. 559 Kaiserkatalog Rubrik: Imperatores Romani Inc.: Augustus regnavit an. LVI 561 Königskatalog Rubrik: Reges Langobardorum Inc.: Alboin reg. an. III m. VI 561 Calculus Principum Beneventanorum Inc.: A Zottone primo duce Beneventi usque ad quintum decimum annum Siconis 561 Fürstenliste Rubrik: Duces Beneventi Inc.: Zotto sedit an. XX 563 Nachtrag zur Fürstenliste Inc.: Arechis sedit an. XXVIIII m. VI alles ed. Waitz, 480-488. 563 Urkunde aus dem Jahr 1224 Inc.: Anno dominice incarnationis M CCXXIIII mense Apreli 564 Spalte A frei 564 Spalte B Epistolae spuriae duae Inc.: Augustus Imp. patricio Karolo sai. mando Ed. Cilento, Un falso documento. 565-576 Perikopenverzeichnis Rubriken: Ordo qualiterponendi sunt codices, et legendi in sancta Romana ecclesia; Incipiunt tituli evangeliorum de toto pene circulo anni in diebus dominicis, feriis, et sanctorum nataliciis (566) Inc.: In primis ad nocturnum in septuagesimaponendus est Eptaticus 576-578 Catalogus comitum Capuae Inc.: Landolfus senior tenuit Capuam veterem annis XXV mensibus IUI etfecit civitatem nobam in Monte Trifisco Ed. Pellegrino, in: Muratori 2, 272; Pertz, MGH SS 3, 205; Cilento, La cronaca 121-134. 579-580 Hilderich, Epitaphium Pauli diaconi Rubrik: Epytaphyum Pauli diaconi Inc.: Perspicua clarum nimium/Cum fama per aevum Ed. Bethmann-Waitz, MGH rer. Lang. 23 f.; Dümmler, MGH Poetae latini 1, 85; Neff Gedichte 150-156.

Die sogenannte „Chronica Sancti Benedicti Casinensis"

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580 Nachtrag (11. Jh.?) - Miracula s. Benedicti in Turri Inc.: In curte iusta sanctum 581-586 Radelgisi et Siginulfi divisio ducatus Beneventani Inc.: Ego Radelgisusprinceps concedo tibi Siconolfoprincipifirmissimampacem Ed. Bluhme, M G H LL 4, 221-225. 587 Ordo Casinensis secundus dictus ordo officii Rubrik: Ordo qualiter agatur in parasceben Inc.: Expleta sexta legatur Passio secundum Marcum Ed. Hallinger, C C M 1, 117f.; vgl. Kelly, Abbot Desiderius and two liturgical chants ofMontecassino 407-411. 588-589 Epitaph des Abtes Aligern Rubrik: Epitaphium domini Aligerni abbati Inc.: Hicpater egregius Aligernuspausat humatus Ed. Strecker, M G H Poetae latini 5, 2, 334. 589 Probationes pennae 590 Nachträge zum Catalogus comitum Capuae für die Jahre 903 bis 922 Inc.: Quarto anno principatus domni Atenolfi gloriosi principis, mense Iunio, sexta indictione, facta est maxima strages Christianorum a Sarracenis adfluvium Traiectum Ed. Pertz, M G H SS 3, 206; Cilento 128-130.

3. Die sogenannte „Chronica Sancti Benedicti Casinensis" Auf den Hauptteil der Handschrift, der Fragen der Regel behandelt, folgt von S. 534 bis 562 jene Zusammenstellung recht unterschiedlicher Texte, die Waitz als „Chronica Sancti Benedicti Casinensis" ediert hat. 47 Unter diesem Namen wird sie auch weiterhin in der Literatur behandelt, auch wenn Pratesi „piuttosto dei Chronica" im Plural statt „della Chronica" sprechen wollte. 48 Poupardin sah darin eine Kompilation des Abtes Johannes aus unterschiedlichen Vorlagen. 49 Falco und Cilento gingen von drei verschiedenen Autoren aus,50 Paolo Bettolini von zwei." Leo Marsicanus beruft sich im Widmungsbrief der Chronica monasterii Casinensis an Abt Oderisius I. von Montecassino auf eine Chronica Iohannis abbatis als seine Quelle: Mox itaque recensitis Ulis ipsis scriptiunculis quae de hac eadem materia hoc illacque dispersa repperam, etpraecipue chronica Iohannis abbatis quiprimus in Capua nova monasterium nostrum construxit.n Petrus Diaconus, in seinem Liber de viris illustribus, schreibt wenig später, daß Johannes de destructione et renovatione Casinensis coenobii necnon de Ismaelitorum incursione sowie de persecutionibus eiusdem coenobii et de miraculis in ibifactis chronicum succinctam sed valde necessariam loco descripsitP Das kann sich nur auf den schon damals als einheitliche 47 Ed. Waitz 468-488. Dazu Poupardin, Études 1, 1-26; Falco, Albori d'Europa 247-51; Wattenbach-Levison-Löwe 4, 436 f. 48 Pratesi, La ,Chronica Sancti Benedicti Casinensis'. 49 Poupardin, Études 1, 4. 50 Falco, Due secoli 248; Cilento, La cronaca 107 (oder ein Autor, der zu verschiedenen Zeiten schrieb). Die Frage nach dem Autor kann allenfalls stilistisch untersucht werden und ist beim Charakter der Kompilation wenig ergiebig. 51 Bertolini, 1 Langobardi di Benevento 55 mit Anm. 2 („due frammenti di cronache", mit irrtümlicher Angabe der alten Signatur Gas. 353). 52 Chronica monasterii Casinensis, ed. Hoffmann 7. 53 Petrus Diaconus, Liber de viris illustribus, ed. Migne, PL 173, col. 1023 f.

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Chronik aufgefaßten historiographischen Teil des Casinensis 175 beziehen, und kaum auf eine „Cronaca dell'abate Giovanni, che deve considerarsi perduta" 54 oder bloß auf das Chronicon comitum Capuae Der Beginn des historiographischen Abschnitts schließt in Zeile 5 der rechten Spalte von Seite 534 direkt an den vorhergehenden Text über die Fastenzeiten an. Zwar ist ein Neuansatz festzustellen, doch Schrift und Anlage der Handschrift bleiben gleich. Seite 534 entspricht der Verso-Seite des ersten Blattes der 35. Lage, die man kaum begonnen hätte, wenn die Fortsetzung nicht von vornherein geplant gewesen wäre. Auch der Lagenwechsel zwischen 548 und 549 bildet im Text keine Zäsur. Allerdings endet hier die Serie der Quaternionen, es beginnt die Abfolge von Ternionen und Einzelblättern, die gegen Ende der Handschrift immer improvisierter wirkt. Ein deutlicher inhaltlicher und kodikologischer Einschnitt ist erst mit dem Ende der 36. Lage auf Seite 562 festzustellen. Inhaltlich enthalten die Seiten von 534 bis 562 eine Reihe historischer und chronologischer Texte, die für die Mönchsgemeinschaft von grundlegendem Interesse waren. 56 Dieses Interesse wird, nicht ungewöhnlich für monastische Schriften der Zeit, auch mehrfach direkt angesprochen. Schon der erste Text, eine kurze chronologische Berechnung, beginnt mit: Quidam ex nostris scire volentes quot anni essent a tempore sanctissimi Benedictipatris usque nunc, nos quoque amore ducti quantum potuimus sub calculandi estimatione collegimus (S. 534). „Einige von den unseren" spricht als Publikum deutlich die Klostergemeinschaft von Montecassino an. Doch hatten die Autoren auch einen anderen Adressatenkreis im Auge: SP1 forte nosse cupis, quis lectorfiiturus eris, quam ob causam Beneventanoru(m) regionem Saraceni< ... >58 dominassent, occasio videlicet exstitit talis (S. 539). Auf recht ungewöhnliche Weise wird hier der zukünftige Leser angesprochen, dem Informationen über die politischen Probleme der Abfassungszeit gegeben werden sollen. Auf Seite 553 wird wiederum direkt auf die Bedürfnisse des Lesers eingegangen: Libet breviter, ut ex maiorum dictis reppertum est, me dixissea sufficiat. Nunc vero cursim iterandum est huius nostre cronice succinctio, ut lectorfacile agnoscere queat, qu$ tempora vel quis princeps huius patriq extitit velpastor loci istius quo deguit, et ex brevi memorabilique calculo langa qui velit extendqt pagina, et narrator existat dolorum temporal Es folgt eine vergleichende tabellarische Aufstellung der Chronologie der Äbte Principes, die tatsächlich ein facile agnoscere des chronologischen Gerüsts erlaubt. Gebrauchswert der Aufzeichnungen steht also im Vordergrund. Allerdings folgt die ordnung der einzelnen Bausteine keinem sichtbaren Plan, sondern wurde wohl ad vorgenommen. Eine Ubersicht soll das im folgenden verdeutlichen.

J 54

und Der Anhoc

Waitz: med ixisse.

Pratesi, La ,Chronica Sancti Benedicti Casinensis' 339; Pratesi meint, die chronica m ü ß t e von den scriptiunculi „nettamente" unterschieden werden, doch klingt die Formulierung Leos eher so, als wäre die Chronik des Johannes, et praecipue, eben die wichtigste dieser kleinen Schriften. In diesem Sinn auch Chronica monasterii Casinensis, ed. H o f f m a n n 7, A n m . 19. Zur Diskussion vgl. auch Klewitz, Petrus Diaconus 423; Brechter, Frühgeschichte 277. " Cilento, La cronaca 114. M Allg. Falco, D u e secoli 247 f. 57 Cod.: große Initiale: Majuskel-Süber drei Zeilen, grün u n d gelb in rotem Rand. " Cod.: ursprünglich Saracenorum, E n d u n g nachträglich radiert bis auf den ersten Schaft des o, Lücke bleibt. " Ed. Waitz 480.

Die sogenannte „Chronica Sancti Benedicti Casinensis"

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534 (Waitz 468) Der Text beginnt mit der Rubrik: Annorum supputatid'" de monasterio sanctissimi Benedicti. Es folgt mit großer, über drei Zeilen gehender kolorierter Majuskel-Initiale der bereits zitierte Satz Quidam ex nostris scire volentes (...), und dann eine Angabe der Jahre vom heiligen Benedikt, ab anno incarnationis Domini quingentésimo vicésimo, anno sub Iustiniand'1 inperatore, bis Petronax, dem Abt der Wiederbesiedlung von Montecassino am Beginn des 8. Jahrhunderts, nämlich 181 Jahre. Dann wird die Berechnung, supputatio, bis zur Gegenwart des Verfassers fortgeführt: Et a Petronace abbate usque nunc annum domini Berthari abbatis, qui est Deo prpule in cenobio" tertius decimus pastor, dinumerantur circiter anni < >63, quod est annus dominicq incarnationis^. Diese Berechnung geht also auf die Zeit des Abtes Bertharius zurück, dessen Amtszeit von 856 bis 883 dauerte.65 Die Zahlen fehlen und fehlten wohl bereits in der Vorlage, da der Schreiber am Schluß der Zeile für das Inkarnationsjahr keinen Platz mehr ließ; das -onis ist sogar ans Ende der nächsten Zeile gestellt, um Platz zu sparen, direkt danach folgt das Komma mit den beiden Punkten darüber, das den Schluß eines Satzes oder eines Abschnittes markiert. 534-536 (Waitz 4 6 8 ^ 6 9 ) In der Edition von Waitz stehen auch die folgenden Abschnitte unter der Überschrift Annorum supputatio ..., was inhaltlich keinen Sinn ergibt, da die eigentliche Berechnung nur wenige Zeilen lang ist. Das gibt immerhin die Anordnung in der Handschrift wieder, in der das Folgende keine neue Rubrik erhält. Allerdings kann der erste Satz, Paululum aliquid et de Langobardorum gente, quomodo in Italiam properarit, commemorandum est, durchaus als Uberschrift aufgefaßt werden. Hier wird zunächst ein wörtlicher Auszug aus der Langobardengeschichte des Paulus Diaconus geboten, der von der Einladung des Narses, der damals in Neapel residierte, an die Langobarden in Pannonien handelt.66 Es folgt ein ganz kurzer Uberblick über die Geschichte der Langobarden im Süden, von denen immerhin behauptet wird, sie hätten die Neapolitaner zum Christentum bekehrt (Neapolites adfidem Christi perducti). Daß die Neapolitaner länger als andere in Süditalien Heiden waren, ist ein Topos, der sich auch in der Apparitio S. Michaelis findet.67 Doch Zwietracht und die Teilung des Prinzipats zwischen Benevent und Salerno hätten den Sarazenen Raum gegeben. Daraufhin mußten die Langobarden Kaiser Ludwig II. zu Hilfe rufen, cum gente in ihre patria zu kommen, um sie vor den Sarazenen zu bewahren. Die Erzählung schließt mit einer Uberleitung zum nächsten Abschnitt: qui beniens hoc decretum suae reliquid patriae.

60 Waitz transkribiert hier und auch sonst die 8-förmige ¿/-Ligatur mit gestürztem t fiir das assibilierte fals -ci (supputacio)\ hier wird, mit BischofF, Paläographie 149, die Lesung ti vorgezogen.

" Cod.: Iustini, dann Rasur und Lücke. 2 Buchstaben, am Ende der Zeile das 62 Waitz: coenobio.

a, in der neuen Zeile no.

" Cod.: Lücke von ca. 5 Buchstaben. 64 Cod.: onii ist ans Ende der darauffolgenden Zeile neben der letzten Uberschrift geschrieben; die Jahreszahl fehlt, es wäre aber auch kein Platz, sie einzufügen. " Hoffmann, Abtslisten 257—261. Allgemein zu Bertharius Falco, Due secoli 2 3 2 f. " Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 2, 5, ed. Bethmann-Waitz 7 5 . Z u m historischen Kontext Pohl, Premesse e conseguenze. 67 D e apparitione Sancti Michaelis 3, ed. Waitz 543; vgl. Otranto, Per una metodologia. Den Hinweis verdanke ich Maximilian Diesenberger, Wien.

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536-538 (Waitz 469-471) Es folgt eine Überschrift derselben Ordnung wie weiter oben die Annorum supputatio, und danach eine mehr als zwei Zeilen hohe kolorierte Majuskel-Initiale. Diese Rubrik ist in der Edition von Waitz nicht angemessen wiedergegeben, der sie als Beginn des laufenden Textes behandelt: Constitutio promotionis exercitus observationis partibus Beneventi, sub indictioneXV. Es folgt der gesamte Text des Kapitulars, mit dem Ludwig II. zu Jahresbeginn 866 die beneventanische Expedition vorbereitete.68 Die Constitutio enthält außerordentlich detaillierte Bestimmungen über die Pflichten zur Heeresfolge, über die Aufteilung der Gebiete, in denen bestimmte Missi das Aufgebot bekanntmachen sollten, und über die Marschroute und den Zeitplan. Danach sollten das italische und das tuszische Heer am 25. März (866) in Lucera zusammentreffen. Warum dieser Text in Montecassino kopiert wurde, leuchtet zunächst nicht ein. Doch waren dort sicher jene Bestimmungen von Belang, die den marschierenden Truppen das Plündern verboten und sie aufforderten, alles Lebensnotwendige zu kaufen; schwerwiegende Verstöße gegen die Disziplin, zumal in der Fastenzeit, sollten mit der Todesstrafe geahndet werden (c. 8 11). Als generale edictum erwähnt noch Leo Marsicanus dieses Kapitular.69 Es muß noch in der Zeit von Ludwigs Zug in Montecassino erstmals abgeschrieben worden sein und so auch Eingang in den Casinensis 175 gefunden haben. Dieser Eindruck wird vom folgenden Abschnitt verstärkt. 538 f. (Waitz 471) An das Kapitular schließt ohne Zeilenwechsel ganz am Ende der Seite 538 eine kurze zeitgenössische Beschreibung von Ludwigs Aufenthalt in Süditalien in den Jahren 866/6770 an: His igiturprelibatis et hac lege sancita, dictus domnus imperator Hludouuicus augustus cum uxore sua pariter gloriosa Angelberga augusta Beneventdx properantes, Iunio mense ad monasterium veniunt sanctissimi Benedicti patris. Dieser Besuch in Montecassino im Juni 866 und der glanzvolle Empfang durch Abt Bertharius wird ausführlich beschrieben,72 wobei das Kaiserpaar sich erkenntlich zeigte, aliquid ibidem sancto et Bened i c t conferens munere. Der Bericht endet mit der erfolgreichen Rückkehr des Kaisers nach Benevent im August 867, wo im Beisein des Abtes Bertharius in S. Sophia ein Oratorium zu Ehren des heiligen Benedikt eingeweiht wurde.74 Damit endet, auf S. 539, der von einem Zeitgenossen wohl noch gegen Ende 867 zusammengestellte Abschnitt über " Constitutio de expeditione Beneventana, ed. Boretius-Krause n. 218; ed. Azzara-Moro, n. 45, 210. Vgl. Gay, L'Italie méridionale 67f., mit (in der Forschung allgemein rezipierter) Datierung auf 866; zur Datierung an den Jahresbeginn 866 auch BM2 1, 1198; anders Seneca, L'avventura 101 f. (867). Vgl. auch Bougard, La cour. " Chronica monasterii Casinensis 1,36, ed. Hoffmann 98. 70 Dazu BM2 1, 1198a; Gay, L'Italie méridionale 72; Hartmann, Geschichte Italiens 3, 2, 265 ff.; Falco, Due secoli 234; Seneca, L'avventura ; Cilento, La cronaca 143 f., mit Quellenangaben und weiterer Literatur; Cilento, Le incursioni 180; Houben, Il saccheggio 498; Fabiani, La terra di San Benedetto 31 f. 71 Cod.: Benemerito. 72 BM 2 1,1198c. Vgl. Chronica monasterii Casinensis 1, 36, ed. Hoffmann 99. Auf den 21. Februar 867 datiert ist die große, teils verfälschte Besitzbestätigung im Registrum Petri Diaconi, fol. 46, n. 105 (Hoffmann, Chronik und Urkunde 104), BM2 1, 1237. Aus dieser Zeit stammt möglicherweise auch eine allerdings nur durch eine kurze Notiz überlieferte, undatierte Steuerbefreiung Ludwigs für Montecassino, ediert bei Cuozzo—Martin, Documents 166 f., n. 33. 73 Cod.: dicto nachgetragen mit Auslassungszeichen nach munere. 74 Dazu Falco, Due secoli 234; Pratesi, La .Chronica Sancti Benedicti Casinensis' 334 (mit Datierung auf 868).

Die sogenannte „Chronica Sancii Benedicti Casinensis"

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die Expedition Ludwigs II. Vermutlich ist das auch das Datum, das in der Annorum supputatio zu Beginn fehlt. Die weiteren Ereignisse im Zug von Ludwigs Aufenthalt in Süditalien, darunter die Eroberung von Bari im Februar 871, 75 werden hier nicht mehr behandelt. Diesen Text hat Leo Marsicanus größtenteils wörtlich in die Chronica monasterii Casinensis übernommen.76 539-550 (Waitz 471-478) Mit einer drei Zeilen hohen, kolorierten und mit Fadenranken verzierten MajuskelInitiale, und den oben zitierten Worten Si nosse cupis etc., beginnt nun ein längerer Abschnitt, der eine Chronik der Jahre von 839 bis ca. 863 enthält.77 Wie schon die Einführung ausdrückt, handelt es sich eigentlich um eine Geschichte der Heimsuchungen durch die Sarazenen. Dabei werden vor allem die Schäden und Gefahren geschildert, die Montecassino direkt oder indirekt durch die Sarazenen zu erdulden hatte. Der beschriebene Zeitraum wird auch von Erchempert in den Kapiteln 13-33 seiner Chronik abgedeckt, der kaum eine direkte Abhängigkeit von der zeitnäheren Schilderung im Casinensis 175 erkennen läßt, doch teils die gleichen Informationen bringt. Das könnte man als Hinweis auf die Benützung einer gemeinsamen Quelle deuten; wahrscheinlicher ist es aber, daß Erchempert diese Chronik zwar kannte, aber bei der Abfassung seiner Historióla nicht direkt vorliegen hatte. An mehreren Stellen hat eine andere Hand zwischen den Spalten Vermerke angebracht, die Textpassagen hervorheben, z. B. auf S. 540: Quomodo Sarraceni ecclesiam beati Petri apostoli depredati sunt, et celias beati Benedicti igne cremaverunt. Auch die Liste der vom Princeps Siconulf für Geschenke an die spanischen Sarazenen, pro Spanis tribuendum, aus Montecassino verschleppten Schätze hebt der Annotator hervor.78 Es geht allerdings nicht durchgehend um die Heimsuchungen durch die Sarazenen. Auf S. 544 etwa wird von der Neugründung Capuas am Pons Casulinus, dem heutigen Ort der Stadt, durch Lando I. berichtet.79 Es folgt ein zu diesem Anlaß verfaßtes Gedicht, das mit roter Tinte geschrieben ist:80 Quae primum senio marcebat tempore longo etc. Die Chronik endet mit der Übernahme der Herrschaft über Capua durch den Bischof Landulf im Jahr 863.81 Danach wird noch als letztes ein Uberfall auf San Vincenzo durch die Sarazenen Seodans/Sawdans, des Emirs von Bari, geschildert, von dem man sich um 3000 Solidi freikaufen mußte.82 Zur Fastenzeit hielten sich damals gerade auch Mönche aus Montecassino unter Führung des Abtes Bertharius in San Vincenzo auf. Dieses Ereignis dürfte in den Februar 862 oder 863 fallen.83 Der Bericht darüber findet sich leicht Vgl. Seneca, L'avventura 122f.; Cilento, Le incursioni 180. Chronica monasterii Casinensis 1, 36, ed. Hoffmann 99 f. 77 Dazu (mit Datierung 8 3 9 - 8 6 7 , wie sie auch Waitz 478 gibt) Cilento, I cronisti 49 f. ™ Cod. Cas. 175, S. 542; Chronica S. Benedicti Casinensis, ed. Waitz 473. Vgl. Citarella-Willard, The Ninth-Century Treasure. 79 Capua wurde im 9. Jahrhundert zunächst unter dem Namen Sicopolis auf dem Möns Trifiscus neu gegründet und dann nach einem Brand im Jahr 856 an den heutigen Ort, den ehemaligen Hafen von Capua am Pons Casilinus, verlegt: Cilento, Le origini 97ff.; Palmieri, Duchi e vescovi 86f. Chronica s. Benedicti Casinensis, ed. Waitz 474. " Vgl. Erchempert 30, ed. Waitz 245. Zur Chronologie Taviani-Carozzi, Principauté 1, 55. " Cod. Cas. 175, S. 550; Chronica S. Benedicti Casinensis, ed. Waitz 478; vgl. Erchempert 29, ed. Waitz 245; Chronica monasterii Casinensis 1, 35, ed. Hoffmann 94f. 83 Waitz datiert den Überfall auf San Vincenzo in der Edition Erchemperts auf 860 (?), in der Chronica S. Benedicti Casinensis auf 867. Gay, L'Italie méridionale 66 f., stellt ihn zu 858/59; Seneca, L'avventura 91 f., datiert um 858; Falco, Due secoli 234, um 860; Cilento, Capua 355, auf 861; Musca, 75

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überarbeitet auch bei Leo Marsicanus. 84 Auch diese Chronik gehört zu dem 867 zusammengestellten Dossier und sollte wohl die Gründe für den Hilferuf an Kaiser Ludwig zusammenfassen. Auf der letzten Seite dieses Abschnittes finden sich zwei Randbemerkungen, die etwa gleichzeitig mit der Anlage der Handschrift angebracht worden sind. Am linken Rand steht zum Beginn des Berichts vom Uberfall durch Seodan ein Datum: hoc factum est tertio annoprincipatus domni Radelgarii, ind. XV (S. 550). Die Datierung ist in sich stimmig und ergibt das Jahr 852, ist aber sicherlich falsch. In die 15. Indiktion (September 866 - August 867) fällt freilich das letzte oben im zeitgenössischen Bericht vom Zug Ludwigs geschilderte Ereignis, die Weihe des Oratoriums in S. Sophia im August 867. Der Annotator der 920er Jahre könnte diese Indiktionsangabe also in seiner Vorlage gefunden und mißverstanden haben. Zwischen den Spalten wurde von anderer H a n d zur Nachricht von der Herrschaftsübernahme Bischof Landulfs in Capua (wenn auch fälschlich) eine Regierungszeit von zwölf Jahren 85 und dann fortlaufend eine Liste der Gastalden-Comites von Capua nachgetragen, die bis zum Ende der Regierungszeit Atenulfs I. im Jahr 910 reicht. Sie stimmt mit der viel ausführlicheren Chronica comitum Capuae in derselben Handschrift 8 6 teils wörtlich überein und ist auch von derselben Hand geschrieben (siehe Kap. III. 4). Einige Abweichungen gibt es trotzdem, zum Beispiel wird im Randvermerk für den Sturz Landenulfs, zusätzlich zur Chronik, durchaus zutreffend die 5. Indiktion, 887, angegeben. In diesem Annotator hat Pellegrino den Abt Johannes selbst gesehen, was seither zustimmend zitiert wird, aber kaum verifizierbar ist.87 D a ß der über 867 hinausreichende Teil der Fürstenliste hier am Rand und nicht im Text steht, zeigt sehr gut, daß der Text der Vorlage zunächst ohne redaktionelle Änderungen kopiert und erst dann vom Annotator ergänzt wurde, wo er es für nötig hielt. Es ist denkbar, daß zu diesem Zeitpunkt das Chronicon comitum Capuae, aus dem die Informationen stammen, noch gar nicht der Handschrift einverleibt war. 5 5 0 - 5 5 2 (Waitz 478 f.) In der rechten Spalte der Seite 550 beginnt, von derselben H a n d geschrieben, aber doch deutlich abgehoben, ein neuer Abschnitt mit der Rubrik: Cronica de monasterio sanctissimi Benedicti, und einer großen, über drei Zeilen gehenden Initiale (unziales D). Hier wird eine Kurzfassung aus dem Bericht der Historia Langobardorum des Paulus Diaconus von der Gründung Montecassinos geboten. 88 Von den beiden Gedichten, die Paulus an dieser Stelle einfügt, stehen hier, nach der Rubrik: In laude sancti Benedicti versus Pauli Diaconi, nur einige Verse, mit dem Hinweis: Hec alibi requirantur suo in loco. Das ist vielleicht ein Verweis auf eine Handschrift der Langobardengeschichte, vielleicht aber auch auf eine Sammlung der Gedichte des Diakons, denn hier wird auch ein Vers

L'emirato di Bari 63 ff. ca. 861; ebenso Houben, Il saccheggio 503 f.; Citarella, T h e political chaos, auf 861/62; Fabiani, La terra di San Benedetto 1, 30, auf 862; ebenso Kreutz, Before the Normans 38; Chronicon monasterii Casinensis, ed. H o f f m a n n 94, auf 8 6 1 - 8 6 5 . Bertharius war 856 Abt geworden, vgl. H o f f m a n n , Abtslisten 257. M Chronica monasterii Casinensis 1, 35, ed. H o f f m a n n 95 f. " Landulf II. von Capua war von 8 5 1 - 8 7 9 Bischof, von 8 6 3 - 8 7 9 auch Comes von Capua - siehe Palmieri, Duchi e vescovi 84; Cilento, Le origini. " Cod. Cas. 175, S. 576f.; ed. Pertz 205 f. Vgl. Cilento, La cronaca 1 2 1 - 1 3 4 u. 155. 87 Historia principum Langobardorum 3, ed. Pellegrino 113; Bethmann, Geschichtsschreibung 393; Chronica S. Benedicti Casinensis, ed. Waitz 478, Anm. 2; Cilento, La cronaca 114. "" Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 1, 26, ed. Bethmann—Waitz 6 3 ff.

Die sogenannte „Chronica Sancti Benedicti Casinensis"

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zitiert, der in der Version der Langobardengeschichte fehlt.89 Eingefügt ist die Nachricht, daß das Kloster später Eublogimonopolis, id est Benedicti civitas genannt wurde.90 Ein weiterer in der Historia fehlender Vers ex Marcipoetae ist hier ebenfalls mit dem Verweis requirantur alibi ergänzt.91 Direkt angeschlossen ist das Kapitel der Historia Langobardorum, in dem die Zerstörung von Montecassino durch die Langobarden geschildert wird.92 552 f. (Waitz 479 f.) Die Auszüge aus der Langobardengeschichte des Paulus setzen sich unter der Rubrik Exordium de monasterio almi Benedicti patris mit einer zweizeiligen kolorierten UnzialInitiale fort. In der Überleitung wird der recht nüchterne Paulus-Text mit der etwas gewundenen Formulierung Ut Deus omnipotens electorum monachorum sub beati Benedicti institutionem augeret numerus, principium occasionis extitit, ergänzt. Dann folgt einer der für die Cassineser Handschriften des 9. und 10. Jahrhunderts grundlegenden Textbausteine. Er wird eingeleitet von dem Paulus-Bericht von der Eroberung von Sora, Arpino und Arce durch Gisulf I. (689-706) im Jahr 702, wozu hier noch Atino ergänzt wird.93 Direkt angeschlossen ist ein Bericht von zwei Schenkungen: Cuius uxor, Scaunip(er)ga nomine, in urbe Casinatiu(m) in idolorum templo beati apostolorum principis Petri honore beatqque scilicet glorios^ Semper virginis Marie necnon et Michahelis argangeli altaria statuens, igonas et ministeria vel ceteris ac optimis muneribus illustrans, et devota mente succedue memoranda reliquid. In eiusdem vero urbis arcem quo Mello dicitur, ubi decenter beati corpus Benedicti humatum est, isdem Gisulfiis armipotens dux cum conscendisset, tum divino tactus amore, beato patri Benedicto cuncta in circuitu montana etplaniora conferens, et fixis donariis posteris habenda imperpetuum concessit. Sed propter hostium irruptionem marchas tantum ad incolarum tutamina dimisit; cqterum ob laborum suffragia exercendum vicinis precepit, tarn in seminibus quam messium tempora monachis oboedituros?A Die Stifter sind freilich Gisulf II. und Scauniperga, nicht der zu Beginn erwähnte Gisulf I.95 Damit wird immerhin eine Periode von zwei Generationen übersprungen, von den Eroberungen Gisulfs I. im Jahr 702 bis zu den Stiftungen Gisulfs II. (742—751) und seiner Frau.96 Die Nachricht über die beiden Stiftungen wurde dann fast wörtlich von Leo Marsicanus in die Chronica monasterii Casinensis übernommen, wobei auf die " Perfice cuncta, precor, per eum quem Semper amasti/ Dulcis amandepater, perfice cuncta precor. Cod. Cas. 175, S. 551; Chronica S. Benedicti Casinensis, ed. Waitz 478; vgl. Bethmann, Geschichtsschreibung 329 f. Bei diesem Vers fehlt freilich ein Vermerk requirantur alibi oder ähnlich. 90 Eigentlich Eulogimenopolis; nicht nur der Name ist griechischer Herkunft, auch die im Casinensis 175 durchgehende Schreibung mit b deutet auf eine zeitgenössische griechische Aussprache. " Caeca prophanatas coleret dum turba figurasi Et manibus factos crederei esse deos. Cod. Cas. 175, S. 551; Chronica S. Benedicti Casinensis, ed. Waitz 479; vgl. Bethmann, Geschichtsschreibung 331 f. '" Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 4, 17, ed. Bethmann—Waitz 122. 93 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 6, 27, ed. Bethmann—Waitz 174. Vgl. Grégoire, Aspetti istituzionali 195; Hirsch, Il ducato 48 f. 94 Cod. Cas. 175, S. 553; Chronica S. Benedicti Casinensis, ed. Waitz 480. Vgl. Pratesi, La .Chronica Sancti Benedicti Casinensis' 337 („il malaccorta copista finisce con il creare confusione tra i due personaggi"). Siehe die Gegenüberstellung mit den Parallelstellen im Anhang. " Über Gisulf II., den Enkel Gisulfs I., und Scauniperga Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 6, 55, ed. Bethmann-Waitz 184, der allerdings nicht von den beiden Stiftungen berichtet. 96 Gasparri, I duchi 41 f; Hirsch, Il ducato 7 2 - 7 6 .

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Nachricht von der Stiftung Gisulfs eine lange Grenzbeschreibung folgt.97 Dort freilich ist der Irrtum berichtigt, und es ist von Gisulfiis iunior die Rede, die Eroberungen Gisulfs I. werden übergangen. Woher die Nachricht in den Casinensis 175 gekommen ist, kann nur vermutet werden. Wenn eine Urkunde Gisulfs II. als Vorlage diente, so wäre die Verwendung des Begriffs marcha bemerkenswert, der fast gleichzeitig in einer Verordnung des Königs Ratchis erstmals in Italien bezeugt ist.98 Die ausführliche Grenzbeschreibung bei Leo Marsicanus ist aber kaum aus einer Originalurkunde der Mitte des 8. Jahrhunderts übernommen, sondern entspringt wohl späterer Sorge um die „terra di San Benedetto". Gerade unter Abt Johannes, im Jahr 928, erhielt Montecassino von Landulf I. und Atenulf II. eine Besitzbestätigung, deren Grenzbeschreibung detaillierter war als in allen bisherigen Urkunden. 99 553-555 (Waitz 480 f.), siehe Abb. 4 und 5. In der rechten Spalte der Seite beginnt ohne Rubrik, aber mit Neuansatz die Uberleitung von dem, was ex maiorum dictis reppertum est, zum folgenden Abschnitt.100 Angekündigt wird eine succinctio der Chronik, um rasch für jedes Jahr den princeps huius patriae und den pastor loci istius, also von Montecassino, herauszufinden. Es folgt die Rubrik: Incipit cronica Langobardorum seu monachorum de monasterio sanctissimi Benedicta Darin werden zunächst in zwei parallelen Kolumnen die Duces/Principes von Benevent und die Äbte von Montecassino Jahr für Jahr nebeneinander aufgeführt. Die Spalte der Fürsten ist rot, die der Äbte schwarz geschrieben. Zum Jahr des Amtsantritts steht jeweils der Name, darunter in jeder Zeile um eins ansteigend die Ordnungszahl des Amts- bzw. Regierungsjahres. Das erlaubt es, die beiden Zählungen auf einen Blick zu koordinieren. Allerdings werden die Monate nicht berücksichtigt, was insgesamt einige Verzerrung ergeben kann.101 Die Edition bei Waitz gibt diese Anordnung nur verkürzt wieder. Dort, wo in der Edition Zahlen in der Zeile nebeneinandergeschrieben stehen oder gar mit Bindestrich abgekürzt werden, stehen in der Handschrift die Zahlen immer in der Kolumne untereinander. Eine Angabe des Jahres, oder auch nur der Indiktion, fehlt. Es handelt sich um die älteste überlieferte Abtliste von Montecassino.102 Sie beginnt mit Petronax und dem Dux Gregorius (732-739/40). 103 Über Petronax steht noch der Name Cyprianus. Allerdings wurde er erst nachträglich in den Zeilenabstand zwischen der Rubrik und dem Namen des Petronax hinzugefügt, links davon bleibt der Platz in der Reihe der Duces frei. Rechts, wo zwei weitere Kolumnen anschließen, wird dieser Abstand dann ausgefüllt; auch stammt der Nachtrag von derselben Hand, was vermuten läßt, daß er noch während des Schreibens erfolgte. Dieser Cyprianus als Abt kommt in allen anderen Abtlisten nicht mehr vor. Nur Leo Marsicanus erwähnt, daß zur Zeit des 57 Chronica monasterii Casinensis 1, 5, ed. Hoffmann 28 und 25. Vgl. Caspar, Karolingerurkunden 69; Falco, Lineamenti 76. " Ratchis 13; Pohl, Frontiers. " Montecassino, Archivio della Badia X, 36; Registrum Petri Diaconi, n. 205 (Hoffmann, Chronik und Urkunde 114); Gattola, Accessiones 1, 45 f.; Poupardin, Institutions 95, n. 84; Fabiani, La terra di San Benedetto 1, 41-43; vgl. Chronicon monasterii Casinensis 1, 54, ed. Hoffmann 139. 100 Zitat siehe oben, Abschnitt 1. 101 Hoffmann, Abtslisten 241. Zur Chronologie der Fürsten von Benevent vgl. auch Bertolini, Studi. ,02 Hoffmann, Abtslisten 224 f. 103 Gasparri, Duchi 41.

Die sogenannte „Chronica Sancti Benedicci Casinensis"

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Petronax in eodem monasterio Cyprianus presbyter et monachus ymnum sancti Benedicti composuit,104 Hoffmann vermutet, daß es sich um den „Abt" einer Gruppe von Mönchen und Einsiedlern gehandelt haben mag, die schon vor Petronax in Montecassino lebten.105 Für den Zeitpunkt der offiziellen, päpstlich mit der Einsetzung des Petronax sanktionierten Wiederbesiedlung ist die Abtliste des Casinensis 175 freilich irreführend. Folgt man der Aufstellung, so müßte Petronax Abt geworden sein, als Gregor sein Amt als Dux von Benevent antrat. In Wirklichkeit fand die Neugründung mindestens zwölf Jahre vorher statt, auch wenn sich das Jahr nicht genau rekonstruieren läßt. HofFmann möchte sie, entsprechend dem Eintrag in den Ostertafeln des Casinensis 641 vom Beginn des 9. Jahrhunderts, am ehesten auf 718 setzen. Die eingehende Studie von Paolo Bertolini, die freilich weder die zwanzig Jahre zuvor erschienene Arbeit von Hartmut Hoffmann noch die Abtliste des Casinensis 175 zur Kenntnis nimmt, ergibt das Jahr 720.106 Der Fehler in der Ubereinstimmung zwischen Duces und Äbten wird im weiteren Verlauf der Liste dadurch ausgeglichen, daß den Duces viel zu lange Regierungszeiten zugeschrieben werden: Godescalc sechs statt zwei bis drei Jahre, Gisulf II. siebzehn statt neun, und Liutprand acht statt sechs Jahre.107 In der Summe stimmt daher, wenn man von der Datierung Hoffmanns ausgeht, die Zeit vom Amtsantritt des Petronax bis zu dem ziemlich genau datierbaren Wechsel von Abt Theodemar zu Gisulf Ende 796/Anfang 797 mit insgesamt 78 Jahren recht genau.108 Die Abtliste beruhte also wohl auf recht genauen Aufzeichnungen; die darin angegebenen Zahlen stimmen mit den meisten anderen überlieferten Abtlisten gut überein.109 Dagegen muß die Liste der Duces vor Arichis II. recht beliebig an die Abtliste angepaßt worden sein. Ihre Zahlen stimmen mit denen im wenige Seiten später in der Handschrift stehenden Fürstenkatalog (561— 563) erst ab Arichis II., von Verschreibungen abgesehen, ungefähr überein.110 Im Lauf des 9. Jahrhunderts verschieben sich die beiden Reihen wieder gegeneinander durch sich summierende kleine Fehler; der Punkt der größten Ubereinstimmung liegt um 800, vielleicht weil da eine Vorlage entstanden war. Aus der Crónica Langobardorum seu monachorum, die Gisulf I. noch nicht enthält, ist auch erklärbar, daß im zuvor stehenden Exordium Gisulf I. und Gisulf II. als eine Person aufgefaßt wurden. Diese Beobachtungen sind deswegen von Bedeutung, weil sie den Schluß nahelegen, daß die folgenden Herrscher- und Papstlisten nicht ursprünglicher Teil des um 870 angelegten Dossiers waren. 920 hatte man offenbar bessere Informationen über die Duces des 8. Jahrhunderts zur Verfügung als 867. Gegen Ende der Liste, auf Seite 555, wird die zunehmende Komplexität der politischen Verhältnisse in Süditalien ab Mitte des 9. Jahrhunderts auch graphisch ausgedrückt (siehe Abb. 5). Mit der Teilung des Prinzipats zwischen Benevent und Salerno, der divisio terre, wie ein rubrizierter Zusatz erklärt, im Jahr 849 beginnen zwei parallele Kolumnen, beide in Rot, die am Fuß der Seite als ben und sal, jeweils mit KürzungsChronica monasterii Casinensis 1, 7, ed. HofFmann 33. HofFmann, Abtslisten 242. 106 Bertolini, I Langobardi di Benevento 74 f. 107 Regierungszeiten nach Gasparri, Duchi 41 -A4. HofFmann, Abtslisten 245. "" Siehe die vergleichende Edition bei HofFmann, Abtslisten 235. Gravierende Unterschiede in den Jahresangaben: Gregorius: 7/3; Godescalc: 6/3; GisulFII. 17/ Fehlt; Arichis II. 30/29-6. ,M

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strich, markiert werden. Zugleich fängt daneben eine blaue Kolumne für die Sarac(eni) an. In ihrer ersten Zeile steht Reges Saracenorum; Calfon de Barym. Die ganze Kolumne ist von anderer, aber gleichzeitiger Hand in den Raum zwischen den Principes und den Äbten nachgetragen. Im rechten Teil der Seite ist es aber die erste Hand, die alle, inzwischen fünf Kolumnen fortsetzt, auch die der Saraceni. Hier kommt eine weitere, rote, Kolumne dazu, die Fran(ci). Sie beginnt ungefähr in der Mitte der Spalte, fast gleichauf mit dem Beginn der Kolumnen für Salerno und die Sarazenen in der linken Spalte, mit Hluduuicus imp(erator). Sein erstes Jahr ist (in der Edition falsch angeordnet) zugleich das achte des Adelchis (861/62) 111 , das zweite des Guaiferius (862/63) 112 und das neunte des Abtes Bertharius (864/65, nach der Berechnung Hoffmanns 113 ). Das kann sich nicht auf die Kaiserkrönung Ludwigs beziehen, die schon 850 stattgefunden hatte. Eher soll es, wenn auch nicht korrekt, den Beginn des Zuges von 866/71 anzeigen. Neben Ludwigs drittem bis fünftem Jahr steht ein schwer lesbarer, da nachträglich mit Tinte übermalter oder verwischter Zusatz, den Waitz als capiens omnis civitas < ...> Sarac. gelesen hat. Beim fünften Jahr Ludwigs steht der Zusatz et menses II, und daneben endet mit Seodans 17. Jahr die Spalte der Sarazenen. Das ist sicherlich ein Hinweis auf die Eroberung von Bari; Ludwig II. nahm Bari im Februar 871 ein, womit auch die Regierung Sawdan/Seodans endete.114 Zwei Jahre später, mit dem 7. Jahr (in der Edition fälschlich schon im sechsten), enden auch die Eintragungen der Franci. Im Herbst 871 war Ludwig nach Oberitalien zurückgekehrt; 872/73 kam er nochmals für etwa ein Jahr nach Capua und versuchte vergeblich einen Angriff auf Benevent; im Herbst 873 gab er diesen letzten Versuch eines Eingreifens in Süditalien auf, tatsächlich im siebenten Jahr seit seiner Ankunft. 115 Gestorben ist Ludwig erst im Jahr 875. Der Rest der Kolumnen geht noch weiter bis an den Fuß der Seite, zum 18. Jahr des Adelchis von Benevent (871/72), 116 dem 12. des Guaiferius (ca. 872/73) und dem 19. des Bertharius (ca. 874/75). Die Eroberung von Bari und der endgültige Abzug Ludwigs sind bereits vorher jeweils durch das Aufhören der entsprechenden Kolumnen ausgedrückt. Die Kolumne der Saraceni und Franci ist offenbar einigermaßen mit der Abtliste übereingestimmt, die wiederum gegenüber den langobardischen Fürsten um einige Jahre verrutscht ist. Die Regierungszeit Seodans beginnt oben am Anfang der Spalte, die Ludwigs orientiert sich, sachlich durchaus angemessen, an ihr. Jedenfalls ist Herbst 873, die Abwendung Ludwigs von Süditalien, der terminus post quem für den Schluß der Liste. Wahrscheinlich wurde sie schon 867 angelegt und dann noch einige Jahre lang, im wesentlichen nur durch Fortschreiben der Ordnungszahlen, ergänzt.

'" Nach Ausweis der, allerdings erst in den großen Chartular-Chroniken nach 1100 überlieferten Urkunden, stand Adelchis im August 861 im achten Jahr, im Juni 862 bereits im neunten: Poupardin, Les institutions 83, n. 50 f. " 2 Die Usurpation des Guaiferius fällt in den Sommer 861: Schipa, Storia del principato 39. Vgl. Kreutz, Before the Normans 209. 113 H o f f m a n n , Abtslisten 257. Siehe auch Andreas Bergomatis 14, ed. Waitz 226; Chronicon Salernitanum 108, ed. Westerbergh 121; B ö h m e r - M ü h l b a c h e r 1, 1212e; Gay, L'Italie méridionale 97; H a r t m a n n , Geschichte Italiens 3, 2, 288f.; Musca, L'emirato di Bari 109 ff. (zur Datierung 109 A n m . 49). Erchempert 35f., ed. Waitz 248; vgl. Annales Bertiniani a. 873, ed. Waitz 123; H a r t m a n n , Geschichte Italiens 3, 2, 2 9 4 - 2 9 7 ; Seneca, L'avventura 134; Cilento, Le incursioni 180 f. " ' Die letzten datierten Urkunden des Adelchis sind aus dem 25. Jahr, Februar u n d Mai 878, überliefert (Poupardin, Les institutions 84f., n. 54, nach dem Chronicon Vulturnense, und n. 55, nach dem Chronicon S. Sophiae, dort allerdings ins 15. Jahr datiert).

Die Papst- u n d Herrscherverzeichnisse

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Die Vermerke auf der letzten Seite der tabellarischen Aufstellung lassen den Zusammenhang zu den vorhergehenden Texten erkennen. Nicht nur in der Tabelle, wo (von Hand 2) die Emire von Bari aufgelistet sind, sondern auch an anderen Stellen weisen Zusätze (von Hand 1) auf die sarazenische Bedrohung hin: Saraceni zwischen dem siebenten und dem achten Jahr Radelchis I. von Benevent (ca. 846)" 7 ; und in derselben Zeile bei der Abtliste: Saraceni inAquino, also ganz in der Nähe von Montecassino. Drei Jahre zuvor, zum siebenten Jahr des Abtes Bassacius, wird auf ein ebenfalls weiter oben (S. 542) geschildertes und sogar durch einen Randvermerk hervorgehobenes Ereignis verwiesen: Siconolfus tulit aurum de monasterio. Beide Zusätze wurden eingetragen, bevor Hand 2 die Kolumne mit den Sarazenenherrschern anlegte, deren Zahlenreihe den Vermerken ausweicht. Es spricht viel dafür, daß diese tabellarische Ubersicht im Zusammenhang mit der ganzen Materialsammlung der sogenannten Chronica Sancti Benedicti Casinensis steht und diese zugleich beschloß.

4. Die Papst- und Herrscherverzeichnisse Auf die Cronica Langobardorum seu monachorum de monasterio sanctissimi Benedicti folgen weitere Listen, die Waitz als Teil der Chronica sancti Benedicti Casinensis ediert hat. Dementsprechend sind diese Verzeichnisse in der Literatur als Teil der Chronik aufgefaßt worden.118 Typologisch scheint der Zusammenhang naheliegend. Dennoch sprechen mehrere Argumente dagegen. Erstens enden alle Texte bis hierher mit dem Aufenthalt Ludwigs II. in Süditalien 867-871 (oder knapp danach, wie die Tabellen am Schluß). Die Kataloge ab S. 556 hingegen werden alle (bis auf das Verzeichnis der Langobardenkönige, das 774 endet) bis in die Zeit fortgesetzt, als der Casinensis 175 geschrieben wurde. Man könnte meinen, daß eben die aus der gleichen Sammlung der 870er Jahre übernommenen Listen jeweils weitergeführt wurden, aber dafür läßt sich kein Anzeichen erkennen (etwa ein Neuansatz in der Liste oder eine Häufung von Zusätzen in der Zeit vor 870). Zweitens beginnen die Kataloge jeweils auf einer neuen Seite, und die graphische Anordnung des Textes ist anders als zuvor. Bisher schlössen ausführliche Rubriken mitten in der Spalte direkt ans Ende des vorhergehenden Abschnitts an, dann folgte der neue Text, meist mit einer großen Majuskel-Initiale. Diese graphische Anordnung ist im Rest der Handschrift nicht mehr zu finden. Die Kataloge beginnen, bis auf den letzten der Duces Beneventani, alle auf einer neuen Seite, auch wenn dazu auf der Seite vorher Platz freibleibt (wie bei der Papstliste) oder am Schluß gedrängt geschrieben werden muß (wie bei der Kaiserliste). Zu Beginn steht jeweils ein knapper Titel (Apostolici viri; Imperatores Romani etc.). Zwischen den Reges Langobardorum und den Duces ist der auch aus dem Vaticanus lat. 5001 und dem Cavensis 4 bekannte Calculus principum Beneventanorum eingefügt, der kaum aus der Regelhandschrift von ca. 870 stammt (siehe unten im Anhang). Überdies stimmen die Regierungszeiten der Duces von Benevent in der Liste auf S. 562 nicht mit denen in der Ubersicht auf S. 553f. überein.115 Insgesamt spricht einiges dafür, daß die Handschrift aus der Zeit des Abtes Bertharius, die bis S. 555 als Vorlage diente, nur bis zur Übersicht über die Äbte und Fürsten reichte. Diese Übersicht, die dem Leser die rasche chronoloPoupardin, Les institutions 82, n. 4 6 : 7. Jahr, Oktober 8 4 5 . "" Z. B. S a n d m a n n , Herrscherverzeichnisse 35. " ' Allerdings ist gerade dieser Abschnitt der Fürstenliste auf Rasur nachgetragen.

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gische Orientierung, das facile agnoscere erlauben sollte, konnte durchaus bewußt an den Schluß der Regelhandschrift von 867 gestellt worden sein. Die Kopisten aus der Zeit des Abtes Johannes hatten an dieser Stelle noch sieben Seiten einer Lage zur Verfugung. Sie entschlossen sich offenbar, nicht die komplizierte tabellarische Ubersicht fortzusetzen, sondern stattdessen aus anderer Quelle eine Mehrzahl von Katalogen anzufügen. Eine Abtliste war allerdings nicht mehr darunter. „Es scheint, daß Herrscherverzeichnisse, waren sie einmal geschaffen, immer von neuem zu Eingriffen, Ergänzungen, Fortsetzungen angeregt haben und somit gleichsam lebendig geblieben und nicht erstarrt sind. Sie riefen offensichtlich das Bedürfnis zur Aktualisierung hervor (...), und darum sind die einzelnen Uberlieferungen in gewissem Sinn als,Gebrauchstexte' zu verstehen, deren Aktualität bald überholt war."120 Diese Beobachtung von Mechthild Sandmann trifft auf die Verzeichnisse des Casinensis 175 sicherlich zu. In die Verzeichnisse wurde in den Jahren der Abfassung eingegriffen, mehrere Hände fertigten Randvermerke an, die Listen wurden teils auch fortgesetzt; und dennoch hatten sie nach kurzem ihre Aktualität eingebüßt und blieben danach auf dem Stand der Zeit des Abtes Johannes. Die Liste der Apostolici viri (S. 556-58, Waitz 481-484) beginnt mit Petrus;121 ein direkter Zusammenhang mit der Papstliste des Vaticanus lat. 5001 ist nicht erkennbar.122 Die ersten beiden Seiten des Papstverzeichnisses folgen bis auf geringe Abweichungen der Papstreihe des Liber Pontificalis und sind fortlaufend geschrieben, mit einigen Randvermerken auf der zweiten Seite, die in der Edition von Waitz wiedergegeben sind. Bei diesen geht es vor allem um Dinge, die Montecassino betrafen. Zu Johannes II. (533-535; nicht wie in der Edition zu Bonifaz II.) findet sich der Zusatz: Huius tempore beatus Benedictus claruit.m Zu Johannes VI. (701-705) steht ganz zutreffend: Tempore istius fuit Gisulfdttx Beneven ti, während die Wiederbesiedlung von Montecassino sicherlich zu spät bei Zacharias (741-752) vermerkt wird: Iste restauravit monasterium sancti Benedicti. Auf Seite 558 häufen sich dann die Zusätze.124 Die fortlaufend angelegte Liste endet mit Johannes X. (914-928), ohne Pontifikatsjahre; ein späterer Zusatz von der Hand des Schreibers der Chronik der Fürsten von Capua, der die Spalte bis ans Ende fortsetzt, vermerkt dessen ruhmloses Ende: archiepiscopus Rabennatis eclesie, invitatus a primatibus Romane urbis, contra instituta canonum agens, Romane eclesie invasor factus, prefu.it in ea annos sedecim; quibus expletis, ab Ulis occulto Dei iudicio, tarnen iusto, vivus depositus est(S. 558, Waitz 484). Am Beginn der nächsten Spalte hat wieder eine andere Hand in großer, etwas ungelenker Schrift mit breiter Feder hinzugefügt: Leo papa sedit mensesX. Stephanuspapa sedit. Der Platz für die Pontifikatsjahre Stephans VII. (Januar 120

Sandmann, Herrscherverzeichnisse 32.

Petrus apostolus sedit in Antiochiae cathedra episcopali annos V Hic Petrus ingressus in urbe Roma, sedit in cathedra episcopali an. XXV. 121 122

Diese beginnt aufVat. lat. 5001, fol. I48r mit: Dominus noster Iesus Christus, primus et summus

pontifex, sedit in hoc mundo annis XXXII et mensibus tribus. 123 Cod. Cas. 175, S. 557; Chronica S. Benedicti Casinensis, ed. Waitz 482. Der Vermerk steht zwischen den Zeilen, ist aber durch ein Kreuz am linken Rand deutlich Johannes zugeordnet.

124 Zu Sergius II. (844-847): Sub isto Sergio depredaverunt Saraceni ecclesiam sancti Petri. Zu Leo IV. (847-855): Iste Leo fecit castellum sancti Petri et renovabit ecclesiam sancte Marie et ecclesiam sanctorum

quattuor Coronatorum. Zu Hadrian III. (884-885): IsteAdrianus cecavit Georgium de Abentinum et Mariam superistanam nudam per totam Romam fusticavit. Das in der weiblichen Form seltene Wort superistana gibt Niermeyer, Mediae Latinitatis Lexicon Minus (Ndr. der 3. Aufl. 1997) 1006 mit „sacristine" wieder und zitiert dazu als einzigen diesen Beleg.

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929 bis Februar 931) 125 ist offen geblieben. Darunter sind ungefähr 15 Zeilen in der Spalte mit Tinte so unkenntlich gemacht, daß der Inhalt nicht mehr zu erschließen ist. Waitz vermutete, daß sie „non ad hanc pontificum Seriem pertinere videntur". 126 Doch wäre in den turbulenten Ereignissen der Papstgeschichte jener Zeit auch ein weiterer Kommentar ähnlich dem zu Johannes X. gut vorstellbar. 127 Es folgen auf S. 5 5 9 - 5 6 0 (Waitz 484^186) die Imperatores Romani von Augustus bis Konstantin Porphyrogennetos. Auf Seite 560 hat in der ersten Spalte ein Korrektor, vermutlich derselbe, von dem der Zusatz zu Papst Johannes X. stammt, teils auf Rasur, teils zwischen den Zeilen Ergänzungen angefügt und manchmal die blassere Tinte nachgezogen. Die zweite Spalte, ab Leo (Leontios, 695-698) ist dann ganz von dieser H a n d geschrieben. Gegen Ende werden die Zeilen immer gedrängter, um mit dem Platz auszukommen; es ist deutlich, daß dabei eine bestehende Liste abgeschrieben wurde. Ein Bezug zu Süditalien wird nur in einem (falsch datierten) Randvermerk zu Leon IV. ( 7 7 5 780) hergestellt: Iste Leo imperabat Romanis, quando Carolus rex Beneventum venit. Cuius tempore Grimoaldus princeps erat Beneventi. Konstantin (Porphyrogennetos), mit dem die Liste (ohne Regierungsjahre) endet, ist ebenso durch ein Kreuz vor seinem Namen ausgezeichnet wie Konstantin der Große und Justinian I. An anderen Stellen der Handschrift wird mit einem solchen Kreuz auf einen Randvermerk verwiesen. Bei Konstantin würde man mit einem Hinweis auf die Durchsetzung des Christentums rechnen, bei Justinian könnte wie oben in der Papstliste stehen: Huius tempore beatus Benedictus claruit. Doch sind die Zusätze nicht ausgeführt, was besonders bei der Notiz zum Zeitgenossen Konstantin Porphyrogennetos schade ist. Wertvoll ist die Beobachtung, daß die Randnotizen nicht spontan von einem späteren Benützer angebracht wurden, sondern bereits beim Schreiben vorgesehen und in einem mehrstufigen Arbeitsablauf eingetragen wurden. Kaum sollten bloß die Randvermerke einer Vorlage übernommen werden; Konstantin Porphyrogennetos war erst wenige Jahre, seit 913, an der Regierung. Im Jahr 915 war Abt Johannes selbst als Gesandter der Principes von Capua-Benevent in Konstantinopel gewesen;128 er kannte den Kaiser also persönlich. Die Reges Longobardorum sind auf den Großteil der ersten Spalte auf Seite 561 beschränkt (Waitz 486f.). Sandmann hat diesen Königskatalog als Nummer III in ihre Übersicht der langobardisch-italischen Herrscherverzeichnisse aufgenommen. 1 2 9 Er reicht nur von Alboin bis Desiderius. Das ist eher ungewöhnlich; die meisten italischen Herrscherverzeichnisse seit dem 9. Jahrhundert leiten nach Desiderius gleich zu Karl dem Großen und den fränkischen Königen Italiens über. 130 Das ist auch bei den anderen beiden Handschriften der Fall. Im Vaticanus 5001 geht die Königsliste auf fol. l r - l v von Alboin bis zu O t t o III. Das Herrscherverzeichnis des Cavensis 4, fol. 171v-176r, reicht von Alboin bis Heinrich IL, wobei nach Desiderius ein Rückgriff auf Pippin II.

Papstregesten, ed. Z i m m e r m a n n 3 7 ^ i 0 . Grotefend, Taschenbuch der Zeitrechnung, zählt ihn als Stephan VIII. und datiert die Einsetzung auf Dezember 928; die Zählung schwankt seit Stephan II ./III. im 8. Jahrhundert (ich danke Stefan Schima für Auskunft zu dieser Frage). I2 ' Chronica S. Benedicti Casinensis, ed. Waitz 484, A n m . d. 127 Vgl. Z i m m e r m a n n , Das dunkle Jahrhundert 74 f. '2* Falkenhausen, Montecassino e Bisanzio 75l2 '' Sandmann, Herrscherverzeichnisse 13. 1,0 Sandmann, Herrscherverzeichnisse 55.

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(Pipinus senior rex), ebenso wie Karl Martell als rex geführt, eingeschaltet wird.131 Das ist deswegen interessant, da die Kaiserliste des Casinensis 175 ebenfalls nicht mit den Frankenherrschern, sondern mit den byzantinischen Kaisern weitergeführt wird, während etwa die Kaiserliste am Ende des Vaticanus lat. 5001 (157r-l62r) von Leon IV. (775780) und Konstantin VI. (780-790; 790-797) direkt auf Karl den Großen übergeht.132 Eine Liste der fränkischen Herrscher Italiens bzw. der Kaiser des Westens fehlt im Casinensis 175. Aus der Sicht der Jahre um 920 in Süditalien ist das freilich nicht überraschend, während zur Zeit Ludwigs II., als die Vorlage der Regelhandschrift zusammengestellt wurde, ein Katalog der Karolingerkönige viel naheliegender gewesen wäre. Einige Elemente verknüpfen dennoch den Königskatalog im Casinensis 175 mit den anderen beiden hier untersuchten Handschriften. Die auffälligste Parallele betrifft einen ungewöhnlichen Zusatz zum sonst wenig hervorgetretenen König Adaloald (616— 626), dem Sohn König Agilulfs und der Theodelinde:133 Adepaldus crinitus regnavit annosX. Isteprimus calciavit osam Particam.134 Diese Formulierung findet sich ganz ähnlich im Vaticanus lat. 5001 (fol. lr): Adebaldus crinutus anni X; iste primum calciavit osam Particam.^ Woher diese Information kommt, ist ungewiß, doch setzt sie eine gemeinsame Quelle voraus.136 Im Herrscherverzeichnis des Cavensis findet sich dieser Zusatz nicht; hier heißt es einfach (fol. 171v): Adaloaldfilius eius regnavit anni decem. Als crinitus wird sonst in allen drei Handschriften noch Authari bezeichnet. Bei Langobardenkönigen ist diese Bezeichnung sehr ungewöhnlich; üblicherweise galten die Merowingerkönige als reges crinitiP1 Ein weiteres Merkmal, das allen drei Katalogen gemeinsam ist, betrifft die Regierungszeit Ansprands, des Vaters Liutprands, der 712 wenige Monate lang regierte; die meisten Verzeichnisse geben dafür drei Monate an.138 Cas. 175 und Vat. lat. 5001 haben stattdessen drei Monate und fünf Tage, Cav. 4 vier Monate und fünf Tage. Auch hier ist eine gemeinsame Quelle anzunehmen. Im übrigen unterscheiden sich die angegebenen Regierungszeiten zum Teil durch Verschreibungen, ohne daß daraus eindeutige Abhängigkeitsverhältnisse rekonstruiert werden könnten. Durch einige charakteristische Fehler ergibt sich aber eine Verwandtschaft der drei Handschriften.139 Dabei hängen der Casinensis und der Vaticanus enger miteinander zusammen als der Cavensis, der einige zusätzliche Verschreibungen aufweist.140 Am unteren Ende der Seite, mit einem Kreuz als Verweisungszeichen dem König Ratchis zugeordnet, steht ein längerer Vermerk, vermutlich von Hand des Schreibers, der durch Verwischen mit Tinte schwerer lesbar ist, aber nicht wie der Zusatz zum Papstkatalog dadurch gänzlich getilgt ist: Zum Teil ediert von Pertz, M G H SS 3, 216; vgl. Bluhme, in: Archiv 5, 255 f.; ders., Geschichtsschreibung 359; Sandmann, Herrscherverzeichnisse 13f. (Nr. IV, 2). 152 Ahnlich auch das Herrscherverzeichnis der Leges-Handschrift in Modena, Biblioteca capitolare O.I.2, fol. 7v-8r (Kaiser von Augustus bis zu Ludwig dem Frommen). Zur Handschrift siehe unten Kap. IV. 4. " 3 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 4, 41, ed. Bethmann-Waitz 133 f. 134 Cod. Cas. 175, S. 562; Chronica S. Benedicti Casinensis, ed. Waitz 486. 135 Chronicon Salernitanum, ed. Westerbergh 1. 13i Zur Bedeutung der Stelle siehe Pohl, Telling the difference 44. 137 Gregor von Tours, Decem libri historiarum II, 9, ed. Krusch-Levison 1,1, 57. 138 Catalogus regum Langobardorum et Italicorum Lombardus, ed. Waitz 508 f. und 522. 139 Z. B. für Cleph fünf (bzw. sechs im Cav.) Jahre statt wie sonst meist 1 Jahr, 6 Monate. '40 Z. B. ftir Authari 2 Jahre 9 Monate statt 9 Jahre; fiir Rodoald 16 Jahre, 4 Monate, 6 Tage statt 4 Jahre, 6 Monate (die 16 Jahre sind versehentlich vom darüberstehenden Rothari übernommen).

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Ruchis' rex Langobardorum, dimisso regno, ad beati Benedicti limina cum sua uxore Tasia et Rottruda filia, utrique° monachico abitu induti. Iste hic in Casino, illa in Blombarolia vitam finierunt. Et istius temporibus Carolus magnus regno dimisso et monachus factus hic habitabit, et postea in Francia legatus pro rei publice a papa missus, ibi vitam finivit; sed a fratre Pipino rege corpus eius in locello aureo misso atque in Monte Casino directo, ibi quiescit. Auch dieser Text verweist auf ähnliche Vermerke oder Passagen in den anderen beiden Handschriften, wenn auch an anderer Stelle (siehe unten im Anhang). Ahnliches gilt für den am unteren Rand der Seite direkt an die Königsliste anschließenden Textbaustein: A Zottone primo duce Beneventi usque ad quintum decimum annum Siconis sunt anni CCLXXII etc. Es handelt sich um die Berechnung der Jahre seit dem ersten Dux von Benevent, Zotto, und dem heiligen Benedikt, die 832 angestellt wurde. Die 272 Jahre entsprechen ungefähr der Zeitdauer, die die Addition der Regierungszeiten in der folgenden Fürstenliste ergibt, wenn man für die fehlenden Zahlen diejenigen des Vaticanus 5001 emendiert. Der Calculus aus 832 steht auch im Vat. lat. 5001 auf fol. I40v-l4lr. 1 4 1 Waitz hat ihn als Bestandteil der Königsliste ediert, zu der er, trotz der fehlenden Rubrik, natürlich nicht mehr gehört.142 Ein Satz des Calculus, der im Vaticanus und in der Version des Chronicon S. Sophiae steht, fehlt im Casinensis, weswegen er als Vorlage für die beiden anderen Handschriften nicht in Frage kommt. 143 Unter der Überschrift Duces Beneventi, zum Unterschied von den bisherigen Rubriken in Capitalis actuaria gehalten, aber nicht auf einer neuen Seite, folgt nun die eigentliche Fürstenliste ab Zotto. Zunächst fällt auf, daß hier nicht wie in der Fürstenliste des Vaticanus von Principes, sondern mit dem alten Titel von Duces die Rede ist; der Cavensis spricht präziser von Duces und Principes. Keine der vier Fürstenlisten in den drei Handschriften stimmt in Regierungsjahren und Zusätzen ganz miteinander überein, doch sind die Querverbindungen deutlich.144 Die zweite Seite der Fürstenliste ist wieder von Korrekturen und Zusätzen geprägt und eine der interessantesten der Handschrift (siehe Abb. 6). Am Beginn der linken Spalte ist der Abschnitt von Grimoald II. bis vor Arichis II. ebenso wie bei der Kaiserliste und von derselben Hand (der des Chronicon comitum Capuae) auf Rasur nachgetragen, wobei die Zeilen wesentlich gedrängter angeordnet sind als im Rest des Textes. Dann schließt wieder der Hauptschreiber an, der von Arichis II. bis zu Ursus am Ende der Spalte schreibt; dieser Teil endet mit: Ursus, filius predicti Aionis, puer decennis, sedit anno I. Die zweite Spalte auf S. 562 ist nicht mehr nach Fürsten geordnet, sondern fortlaufend geschrieben. Auch hier findet sich ein aus den anderen Handschriften wohlbekannter Text, die Nachricht über die byzantinische Eroberung Benevents und die Rückgewinnung durch Wido von Spoleto: Cuius tempore Sybbaticius stratigos cum valida manu

' Cod.: das Prädikat fehlt. b Waitz: uterque. Ebenso: Cilento, Un falso documento 218, Anm. 22. "" Catalogus regum Langobardorum et ducum Beneventanorum, ed. Waitz 495, und Chronica S. Benedicti Casinensis, ed. Waitz 487, ohne Querverweis. Siehe oben Kap. II. 6 und den Anhang. ,42 Danach auch Sandmann, Herrscherverzeichnisse 13. 143 Siehe unten im Anhang. 144 Cod. Cas. 175, S. 561-562; Cod. Cas. 175, S. 480-482; Cod. Cav. 4, fol. 176r-181v; Vat. lat. 5001, fol. 2r-2v. Siehe unten im Anhang.

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Grecorum venit Beneventum tertio Idus Iulii.145 Dennoch bietet dieser Abschnitt einige Schwierigkeiten. Erstens ist er schlecht lesbar, weil mehrere Passagen durch die bereits mehrfach beobachteten Tintenflecken verwischt sind. Fast unleserlich geworden sind gerade jene Zeilen, in denen von Wido von Spoleto und von Ageltruda die Rede ist, allerdings nicht so großflächig wie am Ende des Papstkatalogs, sondern auf die Zeile mit dem Namen beschränkt (siehe unten im Anhang). Einige kleinere, offenbar weniger gezielt verteilte und möglicherweise zufällige Tintenflecken erschweren die Lektüre der folgenden Passagen. Die Datierungen der letzten Principes von Benevent im Casinensis sind auf seltsame Weise durcheinandergekommen; das zeigt der Vergleich mit den anderen Fassungen (zur Datierung siehe oben Kap. II. 6; vgl. unten im Anhang): Postea vero [Uuido marchio anno // et mensibus octo expletis, postquam Greci Benevento fiierant expulsi, in eadem ingressa estpridie Kai. Aprilis < XIIII indictione > . Doch ein Jahr und acht Monate dauerte die Regierungszeit Widos in Benevent, zum Beispiel in der Fassung des Chronicon S. Sophiae. Post hoc Guido marchense introivit in Beneventum sedit annum I menses VIII. Der Einzug am 31. März wiederum bezieht sich auf Ageltruda, wie schon die weibliche Form ingressa est zeigt; richtig heißt es im Vaticanus: Postea vero praefata imperatrix anno uno et octo mensibus expletis, postquam Greci Benevento fiierant expulsi, in eadem ingressa est pridie Kai. Aprilis. Die 14. Indiktion dauerte vom September 895 bis zum August 896. Wido hatte die Byzantiner im August 895, also gerade noch in der 13. Indiktion, zum Abzug gezwungen; Ageltruda zog am 31.3. 897, bereits in der 15. Indiktion, ein. Die Regierungsdauer Radelchis' II. von zwei Jahren und sechs Monaten stimmt wohl, auch wenn die Zahl der Monate durch einen Tintenfleck unlesbar geworden ist. Für Atenulf gibt der Casinensis an: Dominus Atenolfus Benevento sedit annos II menses [...], indictioneXIII. In den anderen Handschriften finden sich dafür entweder die Angabe ,ein Jahr' (die sich auf seine Alleinregierung vor der Erhebung seines Sohnes Landulf [I.] als Mitregenten im Jahr 901 bezieht), oder zehn Jahre.146 Die zwei Jahre und (unlesbaren) Monate sind also wohl von Radelchis übernommen. Ebenso werden Atenulfs zehn Jahre auf seine Söhne verschoben, was schon der Singular sedit anzeigt: Domnus Landolfus et domnus Atenolfus, frater eius, filii supradicti Atenolfi, sedit annos X. Landulf I. regierte in Wirklichkeit nach dem Tod des Vaters von 910 bis 943, also lange nach der Anlage des Casinensis 175; Atenulf II. starb wenige Jahre zuvor. Doch das Jahr 910 war tatsächlich die 13. Indiktion, die schon oben zur Regierungszeit Atenulfs I. angegeben wird.147 Der Befund wird dadurch kompliziert, daß die letzten Zeilen, ab Domnus Atenolfus, von anderer Hand stammen. Der Schluß liegt nahe, daß dieser Eintrag im Casinensis von einer Liste abgeschrieben wurde, die den Namen des Fürsten, die Regierungsdauer und die Indiktion in Ko-

' Cod.: Großteil einer Zeile (ca. 20 Zeichen) von Tintenfleck verdeckt; Waitz: Liudo marchio. 145 Chronica S. Benedicti Casinensis, ed. Waitz 488, siehe unten im Anhang. Wattenbach-LevisonLöwe436, Anm. 215, nahmen noch an, die Chronica Annorum 890-97 des Vat. lat. 5001 wäre von diesem Teil des Casinensis abgeleitet. 146 Zur Chronologie Atenulfs und seiner Söhne Cilento, La cronaca 152—163, vgl. ebd. 127. 147 Zum Vergleich der Texte siehe unten im Anhang.

Die Papst- u n d Herrscherverzeichnisse

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lumnen nebeneinander enthielt. Diese Beobachtung wird dadurch bekräftigt, daß im Cavensis 4 ein Datum gerade in die Gegenrichtung ,verrutscht' ist; hier heißt es: Postea Uuido marchio Beneventum ingressus in die XJIII, tenuit eam annis duobus, mensibus VI. Hier wird die Regierungszeit des Radelchis also nicht seinem Nachfolger Atenulf, sondern seinem Vorgänger Wido zugeordnet. Allerdings übernimmt der Cavensis diese Information nicht direkt aus einem tabellarischen Fürstenverzeichnis, sondern nur indirekt, sonst wäre die Verlesung von in die für indictione nicht passiert. In Montecassino wurde also im 10. Jahrhundert eine fortlaufende Fürstenliste geführt, die (in ähnlicher Weise wie die Crónica Langobardorum seu monachorum unserer Handschrift, aber nicht in einzelne Jahre aufgegliedert) tabellarisch angelegt war. Allerdings hatte diese Liste kleine Mängel: Erstens war sie nicht sehr übersichtlich angelegt, sodaß sich zwei Kopisten unabhängig voneinander beim Abschreiben in der Zeile irren konnten. Zweitens wurde sie auch nicht immer unmittelbar ergänzt. Die Hand von ca. 920, die den Text von der byzantinischen Eroberung bis zur Regierung Atenulfs eintrug, fand offenbar weder die Regierungszeit des etwa zehn Jahre zuvor verstorbenen Atenulf vor (sonst wäre nicht irrtümlich die des Radelchis II. eingetragen worden), noch die Namen der seit 910 regierenden (bzw. schon vorher mitregierenden) Söhne Atenulfs. Diese trug im Casinensis erst die Ergänzungshand von 929/30 ein, die inzwischen auch die Regierungszeit Atenulfs als Princeps vorfand und sie irrtümlich auf seine Nachfolger (oder vielleicht die gemeinsame Regierung mit dem Vater) bezog. Immerhin erlauben diese Beobachtungen eine wichtige Schlußfolgerung zum Verhältnis zwischen unseren drei Handschriften: Die Fürstenlisten dieser Handschriften sind nicht voneinander, sondern mittelbar oder unmittelbar von der tabellarischen Liste übernommen. Von der (mehr oder weniger) laufenden Aufzeichnung der Regierungszeiten wurden immer wieder in wichtigen Handschriften ,Sicherheitskopien' angelegt. Das gesamte untere Ende der Seite nimmt ein gedrängt geschriebener Zusatz von etwa gleichzeitiger Hand ein, der mit einem Einfügungszeichen - in diesem Fall nicht ein Kreuz, sondern das Chi Rho, das Christussymbol - auf Arichis II. verweist. Derselbe Zusatz wurde auf der zunächst freigebliebenen nächsten Seite 563 von wenig späterer Hand nochmals wesentlich sauberer und lesbarer nachgetragen:148 Arechis sedit an. XXVIIII, m. VI. Iste primus appellatus est princeps, etfecit dúo palada, unum in Benevento et alium in Salerno. Et, ut refert Archemp(er)tusgrammaticus in historia quam de Langobardo(mm) gente compusuita, quia iste iam supradictus Arechis infra mqnia Beneventi templum Domino opulentissimum ac decentissimum condidit, quod Greco vocabulo ATHAN CZ2 i.scan< da> nan. "" Bracciotti, Origo gentis Langobardorum 111 liest hier Fuld, Waitz 3 suld. " Z. B. aus Fredegar 3, 11, ed. Krusch 95; oder dem Liber Historiae Francorum 7, ed. Krusch 248 f. Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 1, 21, ed. Bethmann-Waitz 60. " Merkel, Das Bairische Volksrecht 5 9 6 - 6 0 4 . ' 2 Mordek, Gesetzgeber 1046 (mit Lit.). Zu Lupus: Noble, Lupus of Ferneres. Zum Text: Siems, Textbearbeitung. " Cartulaire de l'abbaye de Cysoing n. 1; Krahwinkler, Friaul 2 6 1 - 2 6 6 ; McKitterick, The Carolingians and the Written Word 245 ff.; La Rocca, The dead and their gifts. M Zur Diskussion, wie die Handschrift nach Modena kam, Bonacini, Le leggi germaniche 43. Naheliegend wäre, dabei eine Rolle des Bischofs Guido von Modena anzunehmen, der seit 952 als Erzkanzler

Die Origo im Rechtsbuch des Lupus: der Codex von M o d e n a (O. I. 2)

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In der Handschrift von Modena finden sich u. a. folgende Texte: Auszüge aus den Etymologien Isidors von Sevilla (2r—4r; lOv—1 lr), darunter der in juristischen Handschriften öfters aufgenommene Arbor consanguinitatis (4v) - Ein kurzes Exzerpt aus dem Capitulare Olonnense über die Entfremdung von Kirchenvermögen, unter der Rubrik In lege Romana (4r) - die Origo gentis Langobardorum, ergänzt durch langobardische Königslisten (5v-7v) - eine Kaiserliste von Augustus bis auf Ludwig den Frommen (7v— 8r) - Prologe der Lex Baiuvariorum und der Lex Salica (9r-10r) - zwei Widmungsgedichte des Lupus von Ferrières an Eberhard von Friaul (10r-10v) - Ammonitio iudicis iudicandr. Exzerpte aus der Bibel über gerechtes Richten ( l l r ) . Dann folgen, jeweils von Gesetzgeberbildern eingeleitet, die verschiedenen Leges: - die Lex Salica (io\. 12r-29v) - die Lex Ripuaria (fol. 30r-4lv) - die Concordia des Langobardenrechtes (fol. 42r-107v) - die Lex Alamannorum (fol. 108r— 125r) - die Lex Baiuvariorum (fol. 125r-152r) (die einzige ohne Gesetzgeberbild). -

Ab fol. 152r schließen, eingeleitet von der Miniatur Karls des Großen und Pippins von Italien, Capitularía an. Das Rechtsbuch des Lupus umfaßt als letztes vier Capitularía von 829 und endet auf fol. 203v. Es folgen zwei Capitularía Ludwigs II. von 865 (203v205r). Die letzte Lage (206r-215v) wird von einem Kalendar und komputistischen Tabellen und Texten eingenommen. Seit Merkel ist die Handschrift aus Modena viel zitiert und bearbeitet worden. Großes Interesse fand sie vor allem bei Kunsthistorikern, aber auch Rechtshistorikern wegen der bemerkenswerten bildlichen Darstellungen frühmittelalterlicher Gesetzgeber.95 Was Aufbau und Anlage des Codex betrifft, verließ man sich jedoch zumeist auf die Ergebnisse Merkels. Vor einiger Zeit erschien eine sachkundige und ausführliche Handschriftenbeschreibung im Kapitularien-Handbuch von Hubert Mordek. 96 Eine Wiederholung seiner genauen Angaben erübrigt sich hier. Stattdessen sollen einige Fragen aufgeworfen werden, die zeigen, daß eine weitere hilfswissenschaftliche Beschäftigung mit der Handschrift nicht ganz überflüssig ist.97 Was die Datierung betrifft, so war schon vor Merkel aufgefallen, daß in der letzten Lage ein Kalendarium mit komputistischen Texten steht, darunter Jahrestabellen, die mit 991 beginnen (fol. 21 lv), was höchstwahrscheinlich das Jahr bezeichnet, in dem dieser Text niedergeschrieben wurde. In der Literatur findet sich daher zumeist das Datum „991", „kurz vor 991", oder „vor 991". 98 Tatsächlich bekräftigt ein bisher nicht anim Regnum Italiae fungierte, bald darauf auch Abt von Nonantola wurde, von wo er fast alle Handschriften nach Modena abtransportieren ließ (Tiraboschi, Storia dell'Augusta Badia 1, 92 f.). Doch scheinen die paläographischen Beobachtungen von Fornasari, Collectio canonum Mutinensium 251, zu ergeben, daß die Handschrift bereits Ende des 9. Jahrhunderts in Modena war; siehe unten in diesem Abschnitt. " Siehe zuletzt Mordek, Gesetzgeber. " Mordek, Bibliotheca 2 5 6 - 2 6 8 . Weitere Hs.-Beschreibungen: Merkel, Das Bairische Volksrecht 596—604; Krusch, Lex Baiuvariorum 110—113; Russo, Leggi longobarde 36 f. u n d 45—47; Bracciotti, Origo gentis Langobardorum 57—64; Francesca Santoni, in: Il futuro dei Longobardi 1, 184. 97 Ich plane auf das Rechtsbuch des Lupus und die Handschriften aus Gotha und Modena in einer späteren Publikation zurückzukommen. " Merkel, Das Bairische Volksrecht 596; Bluhme, M G H LL 4, XLI; Krusch, Lex Baiuvariorum 110; Sandmann, Herrscherverzeichnisse 12 f.; Russo, Leggi longobarde 4 2 f. (Mitte des 10. Jahrhunderts); Mordek, Bibliotheca 256 („10. Jh. Ende - ca. 991").

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Lex et origo: Der Cavensis 4

geführtes Argument die Datierung des Kalendariums ans Ende des 10. Jahrhunderts: Auf fol. 207v, im Monatsblatt April des Kalendariums, ist unter den Heiligengedenktagen nämlich von anderer Hand nachgetragen: sancti Adelb(e)rti episcopi et martiris. Dieser Zusatz wurde sicherlich bald nach dem Tod des heiligen Adalbert von Prag angefertigt und ist damit der späteste datierbare Eintrag der ganzen Handschrift. Adalbert hatte am 23. April 997 das Martyrium erlitten;99 Otto III. erfuhr davon noch im selben Jahr und ließ daraufhin in Rom Loblieder singen und die Verehrung des Bekenners propagieren. Die Frage ist nur, ob das Kalendarium für die Datierung der gesamten Handschrift ausschlaggebend ist.100 Genauere kodikologische Untersuchungen dazu fehlen bisher. In ähnlicher Weise stellt sich eine zweite Frage, die in der Literatur meist nur am Rande angesprochen wird, jedoch fiLir diese Untersuchung von zentraler Bedeutung ist. Ist die Origo gentis Langobardorum, die auf der ersten Lage steht, tatsächlich ein Teil der ursprünglichen Handschrift? Und wenn ja, ist anzunehmen, daß sie auch zum Rechtsbuch des Lupus von Ferneres gehörte? Die Frage wurde selten eingehend erörtert, aber meist unterschiedlich beantwortet, bis in die jüngsten Beiträge. Russo meinte, die erste ebenso wie die letzte Lage seien „estranei alla compilazione", auch wenn es paläographische Gemeinsamkeiten gebe.101 Für Bonacini ist die Origo jedoch ein „necessario completamento della legge".102 Mordek geht davon aus, daß nicht die Origo, sondern erst die darauffolgende Kaiserliste Teil der Lupus-Sammlung war: „Nicht von ungefähr dürfte das Werk mit einer Kaiserliste von den Römern (Oktavian) bis zur Gegenwart (Ludwig dem Frommen) einsetzen, so deutlich an die römische Tradition des fränkischen Kaisertums erinnernd."103 Dafiir gibt es ein starkes Argument, da sich eine ähnliche Kaiserliste auch im Codex Gothanus findet, der ja ebenfalls auf das Rechtsbuch des Lupus zurückgeht, und zwar an derselben Stelle vor den Prologen der Lex Baiuvariorum und der Lex Salica.m Das kann kein Zufall sein. Italienische Sammelhandschriften rechtlichen und historischen Inhalts beginnen öfters mit Kaiserkatalogen (wie ja auch der Vat. lat. 5001). 105 Beim Aufbau der Handschrift von Modena gerät man mit der Annahme, die Vorlage habe mit der Kaiserliste begonnen, allerdings in Schwierigkeiten. Denn davor ist weder inhaltlich noch in der Anlage ein Bruch zu bemerken. Die Kaiserliste schließt direkt an die langobardische Königsliste an, mit der die Origo-Fassung von Modena endet, und zwar mit postea regnavit Karolus annis XL. In der derzeitigen Form der Handschrift gehören beide Herrscherlisten, die langobardische und die römisch-fränkische, zusammen. Sie sind fortlaufend in einer Lage geschrieben; die zweite Liste setzt mitten auf fol. 7v ein. Die sieben Zeilen, die zwischen Origo und Kaiserliste freigelassen wurden, sind offensichtlich für Nachträge gedacht gewesen, ebenso wie die neun Zeilen, die am Ende der Kaiserliste nach Ludwig dem Frommen bis zur Ende der Seite freiblieben. Beide Räume wurden bis auf eine Ausnahme, die gleich zu erwähnen ist, nicht zu diesem Zweck genutzt. " Vgl. Thietmar, Chronik IV, 28 (mit dem Tagesdatum). ,M Borst, Kalenderreform 116 f. und 521, betrachtet den Kalender in der Handschrift als „völlig isoliert"(521). 101 Russo, Leggi longobarde 37. 102 Bonacini, Le leggi 41 f. 103 Mordek, Bibliotheca 256. ,M Mordek, Bibliotheca 134 f. 105 Vgl. Sandmann, Herrscherverzeichnisse.

Die Origo im Rechtsbuch des Lupus: der Codex von Modena (O. I. 2)

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Die Kaiserliste steht, wie schon bemerkt, gegen Ende der ersten Lage (fol. 7v— 8r). Die Versoseite von fol. 8 ist frei. Mit der nächsten Lage aber setzen die eigentlichen Legestexte mit dem Prolog der Lex Baiuvariorum ein, wobei das erste Wort MOYSES in Kapitale mit Kolorierung hervorgehoben ist. Noch in derselben Lage folgen die Prologe der Lex Salica (fol. 9v-10r) und die Widmungsgedichte des Lupus (fol. lOr-lOv); dann beginnt die von diesem redigierte Fassung der Lex Salica (auf fol. 1 lv die Miniatur der vier salischen Gesetzgeber, fol. 12r der Text). Erst viel später steht die Lex Baiuvariorum (fol. 125r-152r). Schon die Anordnung der Lagen spricht also dagegen, daß bei der Handschrift die Kaiserliste als Beginn betrachtet wurde. 106 Ein noch stärkeres Argument sind jedoch die Kustoden, die am Fuß der ersten Seite jeder Lage angebracht sind. 107 Sie beginnen mit der jetzigen zweiten Lage auf fol. 9r mit /, was bedeutet, daß zur Zeit der Numerierung die Handschrift mit dieser Lage begann: also mit dem Prolog zum Bayerngesetz. Eine Rechtshandschrift mit MOYSES einsetzen zu lassen, war sicherlich für einen mittelalterlichen Autor durchaus naheliegend. Die Kustoden führen uns auch durch alle Lagen bis zum Ende des ursprünglichen Lupus-Werkes, das auf fol. 203v mit der Episcoporum ad Hludovicum imperatorem relatio von 829 endet. 108 Das ist nach der durchlaufenden Zählung der Kustoden die 25. Lage, die mit fol. 196 beginnt. Seit dem Ende der 7. Lage ist auch die jeweilige letzte Seite jeder Lage mit Kustoden markiert, die daher auf fol. 60v mit /beginnen. Sie erscheinen durchgehend bis XV auf fol. 171 v. Gegen Ende der Lupus-Sammlung und im folgenden Abschnitt stimmen allerdings die Kustoden mit der tatsächlichen Folge der Lagen nicht mehr ganz überein. Auf fol. 196r, wo nach der ersten Zählung die 25. Lage einsetzt, ist stattdessen XXX zu lesen. Das könnte als Verschreibung angesehen werden; in welcher Eile der Schreiber die Kustoden hier eintrug, ist daran zu sehen, daß er über das fehlende untere Eck der Seite hinaus mit dem dritten X auf die darunterliegende Seite kam. 109 Dieser Fehler setzte sich offenbar fort, denn auf fol. 208r, im Kalendarium, steht die dieser Reihenfolge entsprechende Zahl XXXILU0 Merkel nahm an, daß nur ein Teil der Kustoden von einer Hand aus der Zeit der Niederschrift stammte, nämlich I-VI am Beginn und dann die Zählung am Schluß der Lagen, während die Fortsetzung am Lagenbeginn im 14. Jahrhundert nachgetragen wäre.111 Dieser Befund läßt sich an der Handschrift kaum nachvollziehen. Aus diesen Beobachtungen scheint sich zu ergeben, daß zum Zeitpunkt, als die Kustoden eingetragen wurden, die Handschrift die jetzige erste Lage noch nicht umfaßte, jedoch das Kalendarium schon dazugebunden war. Allerdings spricht einiges gegen eine fortlaufende Anlage der Handschrift, bei der das Kalendarium als letztes eingetragen wurde. Die letzten Lagen mit den Kapitularientexten sind teils unvollständig oder Einzelblätter, sodaß man den Eindruck hat, es würden noch Pergamentreste verwendet, um

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Schon für Krusch, Lex Baiuvariorum 111, hob ab fol. 9 „die eigentliche Rechtshs. an". Mordek, Bibliotheca 256 hat diese Kustoden in seiner Handschriftenbeschreibung - übrigens nicht vollständig - zwar erwähnt, aber daraus keine Schlußfolgerungen gezogen. Mordek, Bibliotheca 266; vgl. Krusch, Lex Baiuvariorum 112. 109 Die Zählung der Endkustoden ist hier nicht mehr zuverlässig; nachdem sie zweimal fehlen (fol. 179v und 187v), setzt diese Reihe mit XXIIIIauf fol. 195v wieder ein, was der Reihe der Anfangskustoden entspricht (fol. 188r), worauf fol. 203v XVIIII folgt, was wieder stimmt. Aus dieser Verwechslung der beiden Zahlenfolgen ergibt sich, daß die Durchnumerierung beider Reihen gleichzeitig erfolgte. 1.0 Merkel, Das Bairische Volksrecht 597, las hier XXVI. 1.1 Merkel, Das Baierische Volksrecht 596 f. 107

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das Werk vollenden zu können. Das war es wohl auch, was den Schreiber der Kustoden zu seinen Irrtümern veranlaßte. Das Kalendarium dagegen beginnt wieder mit einer neuen Lage, und manches deutet darauf hin, daß es unabhängig vom Rest der Handschrift entstand. Ein Neuansatz beim Kalendarium ist auch bei der Schrift festzustellen. Das bedeutet aber, daß das bekannte Datum des Kalendariums — Anlage 991, letzter Eintrag 997 - nicht als Datierungskriterium für die Abschrift des Liber legum dienen kann. Möglich wäre, daß das Kalendarium bereits existierte, als die Abschrift begann, und am Schluß beigeheftet wurde. Paläographische Betrachtungen sprechen aber eher dafür, daß die Haupthandschrift älter war. Zuletzt wurde sie mehrfach in die 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts datiert, wie es im übrigen schon Bluhme annahm. 112 Das hat vor allem Fornasari aus dem Vergleich mit anderen Handschriften aus Modena geschlossen.113 Das Kalendarium wäre dann erst später dazugebunden worden. Inhaltlich wäre das naheliegend. Die Sammlung des Lupus endet auf fol. 203v; hier schließen zwei Capitularía Ludwigs II. von 865 an (203v-205r). 114 Sie wurden wohl kurz nach dem Tod Eberhards von Friaul (864/66), als Unruoch die Handschrift des Lupus geerbt hatte, in diese eingetragen. Die Leges-Handschrift von Modena ist also eine Kopie der bald nach Eberhards Tod um zwei aktuelle Capitularía ergänzten Lupus-Handschrift. Paläographisch ist die Handschrift allerdings nicht leicht zu datieren.115 Der Hauptteil, der Liber legum, beginnt mit einer recht sauber geschriebenen karolingischen Minuskel, die man ins 9. Jahrhundert, nach den Kriterien von Petrucci allenfalls in die Zeit von 870-970/80 datieren würde." 6 Ungefähr ab fol. 52r setzt sich allmählich ein unruhigerer, viel gedrängterer, teils eckigerer Duktus durch, der an Ligaturen reicher ist. Kennzeichnend ist das fast achterförmige, über die Zeile gezogene e, das oft mit dem folgenden Buchstaben verbunden ist; i in Ligatur mit t ist unter die Zeile gezogen." 7 Gut denkbar wäre, daß das Skriptorium der nahen Abtei von Nonantola dabei eine Rolle spielte und bei einigen Formen noch Anklänge des Nonantola-Typs vorkommen. 118 Al-

" 2 Bluhme, M G H LL 4, XLI („recentiores manus suppleverunt"). Fornasari, Collectio canonum Mutinensium 251, stellt fest, daß „l'estensore di un altro codice capitolare, contenente una nota collezione canonica (O.I.12), si identifica con la m a n o che ha scritto le note marginali nel manoscritto O . I . 4 del secolo IX e con la scrittura del manoscritto O . I . 2 del secolo IX". Die Handschrift Modena, Biblioteca Capitolare O.I.4, enthält neben Pseudo-Isidorischen Dekretalen auch Episkopalakten des Bischofs Leodoin von Modena (871-892): Russo, Leggi romane 26; Fornasari, Collectio canonum Mutinensium 251. Skeptisch dazu Bonacini, Le leggi 36 mit A n m . 2 (mit Datierung in die 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts); zustimmend Bracciotti, Origo gentis Langobardorum 59 (Datierung auf die 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts); vorsichtig zuletzt Santoni, in: I! futuro dei Longobardi 1, 184 (das Kalendar „aggiunto da mani più recenti"). 114 Ed. Boretius, M G H . Capit. 2, 93; Mordek, Bibliotheca 1104, n. 216 und 217; Russo, Leggi longobarde 39 f. (hier als Akten des Konzils von Pavia 855 identifiziert); Bonacini, Le leggi germaniche 56; Bracciotti, Origo gentis Langobardorum 60 f. " 5 Ich danke Meta Niederkorn, Wien, herzlich für ihren Rat. Vgl. dazu die Datierungskriterien bei Petrucci, Istruzioni 1118 f. Ich danke Flavia De Rubeis, Rom/Venedig, für ihre Hinweise. " 7 Z u I-longa und ft-Ligatur siehe Lowe, Studia Palaeographica. " s Vgl. Palma, Alle origini del ,tipo di Nonantola'; er führt diesen Typ auf Handschriften in ProtoBeneventana zurück, die Anselm in der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts aus Montecassino mitbrachte. Im Lauf des 9. Jahrhunderts verloren sich die Besonderhaiten des Skriptoriums von Nonantola freilich recht rasch. Vgl. auch Lowe, Studia Palaeographica, bes. 39—46; Gaudenzi, Sulla scrittura longobarda; Cencetti, Lineamenti (1954) 123f.; ders., Scriptoria 206; Battelli, Lezioni di Paleografia 119ff. (mit teils überholten Deutungen); Palma, Nonantola e il sud; Bracciotti, Origo gentis Langobardorum 59f. 113

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lerdings findet sich das cc-a nur mehr in ganz vereinzelten Fällen; es herrscht Minuskel-« mit kurzem, aufrechtem Schaft vor. Die Schrift der letzten Lagen entspricht dann weitgehend derjenigen in den auf das Kalendarium folgenden komputistischen Texten und sieht nicht über 100 Jahre älter aus. Ein deutlicher Übergang im Haupttext liegt bei fol. 52; in der folgenden Lage beginnt auch die zusätzliche Kustodenzählung. Das ist allerdings innerhalb einer Lage und mitten im Text der Leges Langobardorum, und die Schrift des Rubrikators ist auch zuvor schon ähnlich; ein Zeitsprung ist also nicht anzunehmen. Insgesamt wird die Datierung dadurch erschwert, daß die Schriftunterschiede sogar innerhalb mancher Lagen beachtlich sind. 1 1 9 Selbst dieselbe H a n d verwendet öfters mehrere Buchstabenformen, etwa bei g (Unterlänge offen oder geschlossen) oder d (gerader oder gebogener Schaft). Eine paläographische Neuuntersuchung im Kontext der Skriptorien von M o d e n a und Nonantola, die hier nicht geleistet werden kann, wäre wünschenswert. Die Schrift der 1. Lage entspricht weitgehend der, die auch in den ersten Lagen des Rechtshandbuches anzutreffen ist — eine sauber geschriebene karolingische Minuskel, bei der die Ligaturen et, st, ri, ti, ae und et gebräuchlich sind, wobei letzteres in der ersten Lage nur für die Konjunktion et, nicht aber wie in späteren Lagen auch als E n d u n g oder im Wortinneren gebraucht wird. Diese et-Ligatur mit dem gestürzten t verwendete übrigens auch derjenige Schreiber, der im Kalendarium den Todestag Adalberts von Prag nachtrug, während der ursprüngliche Schreiber et ausschrieb. Der Schreiber der Origo verwendete die ae-Ligatur für die Genetiv-Endung, während in der Gesetzessammlung regelmäßig e-caudata steht (was aber in anderen Teilen der ersten Lage ebenso der Fall ist). D i e -orum-Kürzung am Wortende zeigt jene Form, die nach Petrucci für die Zeit zwischen 8 7 0 und 9 7 0 / 9 8 0 charakteristisch ist. 120 Diese erste Lage, in der die Isidor-Exzerpte, die Origo gentis und die Kaiserliste enthalten sind, ist die einzige, die keine Kustoden aufweist. Sie wurde zum Zeitpunkt der Bindung, oder Neubindung, u m 9 9 1 , offenbar zunächst weggelassen oder vergessen. D a ß sie erst später geschrieben wurde, ist paläographisch unwahrscheinlich. Wann diese Lage dazugebunden wurde, kann allerdings nur vermutet werden. Spätestens war das der Fall, als das jetzige fol. 1 vorgebunden wurde, das aus einer großformatigeren Neumenhandschrift des 12. Jahrhunderts stammt; 1 2 1 das Blatt wurde um die erste Lage herumgeheftet, wo die Zeilenanfänge zwischen fol. 8 und fol. 9 zu sehen sind, und dann zurechtgeschnitten. Ein Blatt der Neumenhandschrift diente nach d e m gleichen Verfahren als Nachsatzblatt und wurde vor der letzten Lage abgeschnitten. Das geschah wohl im Spätmittelalter. Allerdings ist es sehr wahrscheinlich, daß zu diesem Zeitpunkt die 1. Lage schon lange den Beginn des Codex bildete. Denn der G r u n d für die teilweise Neubindung war es, daß das erste Blatt der Lage fehlte. Das verbleibende fol. 8 ist nun ein Einzelblatt; das alte fol. 1 wurde nicht abgeschnitten, sondern ging im L a u f der Zeit verloren. Darauf stand einst der Anfang des Isidor-Textes aus Buch 9, Kapitel 5. N i m m t man an, daß er ursprünglich beim Beginn des Kapitels De adfinitatibus et gradibus einsetzte, so dürfte er, nach der Länge des Textes zu schließen, am Beginn von fol. l v be-

Wie Merkel, Das Baierische Volksrecht 597, zur Auffassung kam, es sei „der ganze Codex von Einer und derselben starken und regelmäßigen Hand geschrieben", ist nicht erkennbar. 120 Petrucci, Istruzioni 1119. 131 Zu vergleichbaren Neumen-Fragmenten im Archivio di Stato in Modena: Martinelli, I frammenti musicali.

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gönnen haben. Was auf fol. lr stand, läßt sich nicht mehr rekonstruieren; vielleicht war es ein Bild. Sicher bildete die erste Lage im Spätmittelalter schon lange den Beginn der Handschrift. Der zweite Grund, warum die Überlieferung der ersten Lage schwer ganz getrennt von der restlichen Handschrift angenommen werden kann, ist inhaltlicher Natur. Durch den Vergleich mit der Handschrift von Gotha ergibt sich, daß die Kaiserliste in einer gemeinsamen Vorlage gestanden sein muß, wahrscheinlich an ebendieser Stelle vor dem Prolog der bayerischen Lex im Rechtsbuch des Lupus. Vielleicht hatte man bei der Anlage der Abschrift zunächst geplant, auf die erste Lage zu verzichten oder sie an anderer Stelle einzuordnen, sie aber letztlich doch wieder vorne dazugebunden. Unklar ist, was das für die anderen Texte in derselben Lage, vor allem für die Origo gentis bedeutet. Stand all dies ebenfalls bereits in der Sammlung des Lupus, oder wurde es bei der Abschrift aus anderer Quelle ergänzt? Die Isidor-Exzerpte der ersten Lage fehlen im Codex Gothanus. Russo stellt sie in den Kontext der Kathedralschule von Modena, wo eine Handschrift der Etymologien vom Anfang des 9. Jahrhunderts erhalten ist.122 Doch findet sich in der zweiten Lage ein weiterer Auszug aus den Etymologien (10v-l lr), der hier unmittelbar auf die Widmungsgedichte des Lupus an Eberhard von Friaul folgt (10r-10v). Auch diese genauso wie die folgende Bibelstellen-Auswahl Ammonitio iudicis iudicandiíéAzn in der Gothaer Fassung. Das bedeutet, daß in dieser in jedem Fall einige kleinere Texte ausgelassen wurden, sogar die Widmungsgedichte; Gotha I 84 bietet von der Sammlung des Lupus an dieser Stelle tatsächlich nur die Leges und Kapitularien. Die Handschrift aus Modena ist „eine ältere, vor allem bessere Überlieferung als der viele Sammlungen ineinandermischende Codex Gothanus". 123 Ebenso könnten im Gothaer Codex auch die einleitenden Isidor-Passagen ausgelassen worden sein. Von dem folgenden kurzen Text, einem Auszug aus dem Capitulare Olonnense von 825,124 ist eher anzunehmen, daß er einen hervorgehobenen Zusatz des Kopisten aus aktuellem Anlaß darstellt, da ein vollständigerer Text des Kapitulars später im Hauptteil folgt.125 Die Bestimmungen darüber, daß die Entfremdung von Kirchenvermögen durch einen rector ecclesiae von seinem Nachfolger widerrufen werden könne, lag wohl mehr im Interesse der geistlichen Kopisten als in dem des Lupus und seines Auftraggebers Eberhard. Ein aktueller Zusatz muß auch der unten auf fol. 8r stehende Satz Testes boni sunt quorum et fides et opinio probatur sein, der an die auf Isidor aufbauenden Fragen und Antworten auf fol. 1 0 v - l l r anzuschließen scheint.126 In beiden Texten kann man Spuren der Rechtsschule von Modena und Nonantola sehen.127 Wie stand es nun mit der Origo gentis Langobardorumi Auch zu ihr existiert ein Parallel-Text in der Gothaer Sammlung, allerdings in der stark veränderten Fassung der sogenannten Historia Langobardorum Codicis Gothani, die außerhalb des Kontex-

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Modena, Bibliotheca Capitolare O.I.17; Russo, L'insegnamento. Mordek, Gesetzgeber 1038. ,24 Cap. Olonnense ecclesiasticum primum, ed. Boretius, n. 163, 327, 27-31; vgl. Mordek, Bibliotheca Capitularium 257. 125 Mod. O.I.2, fol. 178r-179r; Goth. I 84, 407ra-407va. Vgl. Russo, Leges Romanae 26 und 73, der darin ein „esercizio scolastico" sieht. Er unterstreicht die Bedeutung des Auszugs, da es sich um eine römisch-rechtliche Bestimmung dreht. 126 Diese schließen mit dem Satz duo vero sunt genera testium etc. Vgl. schon Merkel, Das Baierische Volksrecht 598. 127 Russo, L'insegnamento. 123

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tes der nachweisbaren Lupus-Sammlung steht, nämlich in Teil 3 der Handschrift nach der Lex Romana Visigothorum,128 Der Zeithorizont der vor 810 verfaßten Langobardengeschichte des Codex Gothanus liegt nur wenig vor dem Ende der Kaiserliste in der Lupus-Kompilation. An das Ende der Origo mit Perctarit schließt hier zunächst die Herrscherliste und Genealogie aus dem Prolog Rothans an; es folgt eine Liste der Langobardenkönige ab Perctarit. Das letzte Datum dieser Herrscherliste ist der Tod Karls des Großen (814). Der Nachfolger, der ja schon bekannt sein mußte, wird nicht mehr genannt. Stattdessen folgt die Kaiserliste, in der nun Ludwig der Fromme, ohne Regierungsdauer, der letzte ist. Diese Liste steht sowohl im Modenensis als auch im Gothanus und stammt sicher aus der Fassung des Lupus. Wäre die Herrscherliste der Origo gentis darüber hinausgegangen, hätte man das beim Abschreiben kaum ausgelassen. Obwohl am Ende viel Platz freigelassen ist, wurde die Liste nicht fortgeführt, bis auf einen rätselhaften Zusatz. Am rechten Rand stehen von anderer Hand die Worte: filius natus est. Im Zusammenhang mit Ludwig dem Frommen kann sich das nur auf Karl den Kahlen beziehen, der am 13. Juni 823 geboren wurde.129 Das war noch vor der Zeit, als Lupus an seiner Sammlung arbeitete, die als letzte Stücke Kapitularien von 829 und 832 enthielt. 130 Wurde hier wohl ein Zusatz aus einer Vorlage von anderer Hand in die Kopie nachgetragen? Der Gothanus enthält an dieser Stelle (fol. I48r) stattdessen den Zusatz obito eo zum Tod Ludwigs des Frommen. Wie auch immer, daß die erste Lage aus einer anderen Handschrift stammte und erst nach dem Ende des 10. Jahrhunderts dem Codex aus Modena vorgebunden wurde, ist aus chronologischen und inhaltlichen Gründen wenig wahrscheinlich; es würde bedeuten, daß man 2 0 0 oder mehr Jahre später zufällig zwei aus der Zeit Ludwigs des Frommen stammende Kompilationen zusammenband, deren chronologischer Zusammenhang gar nicht mehr erkennbar war. Vieles spricht also dafür, daß auch die Origo gentis Langobardorum in der Sammlung von Modena auf die Tätigkeit des Lupus zurückgeht. Lupus scheint historiographische Abrisse, Prologe und ähnliches in einem eigenen Dossier gesammelt zu haben. Der Zusammenhang dieses Dossiers zu den Leges Langobardorum ist nur mehr indirekt, doch ergänzt es das Gesetzbuch insgesamt in wohlüberlegter Weise. Gerade daß Lupus die Origo nicht einfach in der vorgefundenen Reihenfolge aus einer Leges-Handsschrift übernahm, sondern bewußt auswählte, zeigt die Bedeutung, die er ihr beimaß. Historische Abrisse oder Herrscherkataloge zu den anderen Leges, etwa denen der Bayern oder Alemannen, fehlen in seiner Sammlung. Diese Hervorhebung der langobardischen Vergangenheit entsprach sicherlich den Interessen des Adressaten, des fränkischen Markgrafen von Friaul. Es liegt aber auch daran, daß Lupus eben die Prologe der Leges zusammenstellte und die Origo ebenso wie Paulus Diaconus als erweiterten Prolog zum Langobardengesetz betrachtet haben muß. Er kombinierte sie ja auch mit der Königsliste aus dem Prolog Rotharis. Es ist deshalb wahrscheinlich, daß Lupus die Origo in einer Leges-Handschrift gefunden hatte.

121 Gotha, Forschungs- und Landesbibliothek I 8 4 , fol. 3 3 6 v b - 3 3 8 v a ; vgl. Mordek, Bibliotheca Capitularium 141. 129 Nelson, Charles che Bald 7 5 . 130 Die Anlage des Leges-Kompendiums wird meist auf die Jahre 829—832 datiert: Bluhme, M G H L L 4, X L I I ; Bonacini, Le leggi 4 0 ; Mordek, Gesetzgeber 1048, stellt allerdings fest, daß diese Eingrenzung auf einem argumentum e silentio beruht und nimmt eine Abfassungszeit zwischen 8 2 9 und 8 4 0 an.

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5. Überlegungen zum Gebrauch der illuminierten Leges-Handschriften Noch eine dritte Leges-Handschrift soll zum Vergleich herangezogen werden. Es handelt sich um den Codex Madrid, Biblioteca Nacional, Ms. 413.131 Geschrieben wurde er in Bari in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts, wie Guglielmo Cavallo gezeigt hat.132 Die Handschrift entstand also unter byzantinischer Herrschaft, was aber schon deswegen nicht überrascht, da sogar Fragmente einer griechischen Ubersetzung der Langobardengesetze erhalten sind.133 Es wäre immerhin möglich, einen Bezug zu Montecassino herzustellen. Das älteste Bendiktinerkloster der Stadt, das 978/79 gegründete San Benedetto, war vor ca. 1071 längere Zeit abhängig von Montecassino.134 Die Rolle des Skriptoriums von San Benedetto di Bari ist freilich umstritten. Cavallo vermutete hier am Beginn des 11. Jahrhunderts die Entstehung des Bari-Typs.135 Petrucci schätzte die Rolle des erzbischöflichen Skriptoriums aufgrund der daraus erhaltenen Urkunden wesentlich höher ein.136 Die beiden Ansätze müssen sich nicht unbedingt widersprechen. Die jüngere Forschung neigt überhaupt dazu, die Rolle der Klöster in der Schriftlichkeit der Zeit geringer als früher einzuschätzen.137 Doch wie die vorliegende Untersuchung zeigt, sollte dieses Argument nicht verallgemeinert werden. Uber den Verbleib der Handschrift im Mittelalter läßt sich nichts feststellen. 1534 war der Matritensis ebenso wie später der Vaticanus lat. 5001 im Besitz des Marino Freccia, der ihn dann um acht Dublonen an den Spanier Diego de Colmenares verkaufte.138 Der Codex enthält die Origo gentis Langobardorum (fol. lv—4v), es folgen von fol. 5r— 167r die vollständigen Leges Langobardorum von Rothari bis Aistulf, mit Gesetzgeberbildern von Rothari, Ratchis und Aistulf. Dann kommt auf fol. 157r das Bild des Arechis dux, das aber die Capitularía des Adelchis einleitet. Der Irrtum ist dadurch erklärbar, daß im Prolog des Adelchis von 866 sein Name fehlt, aber die Verdienste des Arichis II. als Gesetzgeber hervorgehoben werden: Ducatum tune Beneventi gubernabat Arechis dux per omnia catholieus atque magnificus; qui imitator existens maiorum suae gentis reliquias rexit nobiliter et honorifice, et sequens vestigia regum quaedam capitula in suis decretis sollerter corrigen seu statuere curavit ad salvationem et iustitiam suae patriae pertinentia, quae utilia nempe sunt et inserta in edicti corpore retinentur. Schließlich folgt von fol. I61r bis 162v ein Glossar des Langobardenrechtes, das Bluhme als Glossarium Matritense ediert hat.139 Die drei Handschriften, in denen gemeinsam mit den Leges die Origo gentis Langobardorum enthalten ist, weisen also interessante Parallelen und Unterschiede auf. Alle drei sind repräsentative Handschriften, in denen Porträts der Gesetzgeber enthalten

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Siehe die Handschriftenbeschreibung im Anhang; Bluhme, M G H LL 4, XXV1I-XIX; Pertz, in: Archiv 7, 770-772; Azzara-Gasparri, Le leggi XXXVI; vgl. Magistrale, La cultura grafica 432-434. 132 Cavallo, Per l'origine. 133 Paris BN grec. 1384; Bluhme, M G H LL 4, XLIII ff. ,34 Bloch, Monte Cassino 2, 740; Houben, I Benedittini in città 277: „probabilmente da un anno non ben determinato tra il 1012 e il 1059 fino al 1071 circa". 135 Cavallo, Struttura e articolazione 352—362. 136 Petrucci, Note ed ipotesi. Zur Diskussion Vitolo, Gli studi di Paleografia 20 f.; siehe auch Magistrale, Cultura grafica 4 2 5 ^ 3 5 . 137 Vitolo, Gli studi di Paleografia 18ff. Siehe auch Kap. V. 2. 138 Siehe die Handschriftenbeschreibung im Anhang. 139 Ed. Bluhme, M G H LL 4, 651 f.

Überlegungen zum Gebrauch der illuminierten Leges-Handschriften

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sind.140 Sowohl die Origo als auch die Gesetzgeberbilder fehlen in allen anderen Handschriften; dieser Zusammenhang kann kein Zufall sein. Alle drei setzen (wie einige andere Handschriften der Langobardengesetze auch) die langobardischen Königsgesetze mit karolingischen und/oder beneventanischen Kapitularien fort. Sie enthalten daneben weiteres Material, das bei der Rechtsprechung von Nutzen sein mochte: die Glossare im Cavensis und im Matritensis, die Isidor-Exzerpte und andere Leges im Codex von Modena. Schließlich stammen sie alle drei in ihrer heutigen Form aus der Zeit um 1000. Allerdings ist die Modena-Handschrift damals wohl nur, gemeinsam mit einem Kalendar, neu gebunden worden; ihr Hauptteil stammt möglicherweise bereits aus dem 9. Jahrhundert (siehe Kap. IV. 4). Dieser Befund läßt sich unterschiedlich deuten. Albano Leoni hat bei den Handschriften von Cava und Madrid ihre ideologische Bedeutung hervorgehoben.141 Nicht nur die Porträts und die Origo gentis Langobardorum, auch das Glossar sollten seiner Meinung nach vor allem die langobardische Identität hervorstreichen. Daß eine repräsentative Handschrift mit Herrscherbildern weniger pragmatische, sondern vor allem legitimierende Funktion haben kann, scheint naheliegend. Dennoch stößt diese Erklärung auf mehrere Schwierigkeiten. Keine der drei Handschriften stammt, so scheint es, von einem langobardischen Fürstenhof. Die Handschrift von Modena (die Albano Leoni nicht berücksichtigte) wurde von einem fränkischen Gelehrten mit monastischem Hintergrund für einen hohen karolingischen Amtsträger zusammengestellt und später für den Bischof von Modena kopiert. Die von Madrid stammt, was Albano Leoni noch nicht wußte, aus dem byzantinischen Bari. Der Cavensis wurde, wie im folgenden gezeigt werden soll, in Montecassino angelegt und auch später in Klosterbibliotheken aufbewahrt. Vermutlich wurden die meisten der insgesamt 16 erhaltenen illuminierten Leges-Handschriften in kirchlichen Zentren produziert, wie vor einiger Zeit in einer Dissertation aus Yale argumentiert wurde.142 Dementsprechend heben die Gesetzgeberporträts in den drei hier untersuchten Handschriften nicht eine bestimmte Herrscherreihe hervor, die zur Legitimation eines regierenden Fürsten dienen hätte können, sondern haben einen meist recht heterogenen Charakter. Der Cavensis enthält nicht nur Bilder langobardischer Fürsten, sondern auch von Johannes, dem Dux von Neapel, sowie von den fränkischen Herrschern Italiens von Karl dem Großen (das heute fehlt) bis Lothar. Der Modenensis bietet eine „umfassende, multinationale Bildgalerie frühmittelalterlicher Gesetzgeber" und ordnet auch den fränkischen, alemannischen und bayerischen Gesetzen eigene Gesetzgeberporträts zu; besonders eindrucksvoll ist die große Zahl der Köpfe beim Alemannengesetz.143 Nur der Matritensis beschränkt sich auf langobardische Könige bzw. Principes; der letzte, der aufgenommen wurde, Arichis II., war zum Zeitpunkt der Anlage der Handschrift schon fast ein Vierteljahrtausend tot. Das Bildprogramm des Modenensis ist sicherlich karolingisch, das der beiden süditalienischen Handschriften scheint, wie Hubert Mordek vermutet, nachkarolingisch zu sein.144 Sind die offiziösen Leges-Handschriften langobardischer Herrscher, in denen diese sich stolz in eine Tradition langobardischer Gesetzgeber stellen ließen, alle verloren ge,4°

Mordek, Gesetzgeberbilder. "" Albano Leoni, Vitalità. 142 Gontrum, The Illuminated Manuscripts of the Leges Barbarorum. 145 Mordek, Gesetzgeber, bes. 1036. 144 Mordek, Gesetzgeber 1036 f. mit Anm. 151.

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gangen, während periphere Kopien sich erhalten haben? Die Annahme, daß es am langobardischen Königshof Prachtexemplare der Leges gab, die Porträts der Gesetzgeber, vielleicht auch die Origo gentis enthielten, wäre verlockend. Paulus Diaconus hätte eine Abschrift davon nach Benevent gebracht; eine andere blieb in Pavia, wo Lupus sie benützte. Doch eine so einfach klingende Erklärung schafft mehr Probleme als sie löst. Eine Serie von Gesetzgeberporträts als Gliederungsprinzip einer Leges-Handschrift machte erst ab Mitte des 8. Jahrhunderts Sinn, als Liutprand, Ratchis und Aistulf ihre Gesetze erlassen hatten. Dann müßte man aber erklären, warum die Königsliste der Origo im 7. Jahrhundert abbricht. Oder war es gerade dort, wo die Legitimität langobardischer Gesetzgebung auf Grund der politischen Verhältnisse fragwürdig geworden war, notwendig, Kontinuität und Breite des gesetzlichen Rahmens zu betonen? Wer immer in Montecassino oder seinem Umfeld kurz nach 1000 eine Gesetzeshandschrift anlegen ließ, tat sicherlich gut daran, in Bild und Text der mythischen Urmutter Gambara und den Langobardenkönigen genauso Reverenz zu erweisen wie den Principes von Benevent, den Duces von Neapel und den fränkischen Königen und Kaisern. Gerade dieses umfassende Bildprogramm erlaubte es, die ridicula fabula von der Namengebung der Langobarden darzustellen und ihr zugleich die Spitze zu nehmen. Schon Paulus Diaconus hatte die heidnische Sage ja zugleich kanonisiert und entschärft; heidnisch-langobardische Ideologie stand in keinem der beiden Fälle dahinter, aber durchaus ein Stück hartnäckig bewahrter langobardischer Identität. Daß Lupus von Ferneres in einer Handschrift die Vielfalt der Gesetze bezeugte, deren fortgesetzte Geltung ein karolingischer Kaiser garantierte, versteht sich von selbst. Auch der Kaiser in Konstantinopel, oder sein Amtsträger, konnte am Höhepunkt byzantinischer Macht im Süden Italiens'45 daran interessiert sein, die legitime Herrschaft über die Langobardia zu unterstreichen. Denkbar wäre, daß man in Süditalien die Sammlung des Lupus zum Vorbild nahm, die früheste erhaltene Handschrift, in der die Origo nebst den Gesetzgeberbildern nachweisbar ist. Immerhin ist ein reger Handschriftenaustausch zwischen Nonantola und Montecassino im 8./9. Jahrhundert belegt.146 Stilistisch ist eine solche Hypothese allerdings kaum zu begründen. 147 Auch inhaltlich spricht manches dagegen. Erstens sind die Bilder, dem Umfang der Sammlung entsprechend, bei den beiden süditalienischen Handschriften ganz andere. Auch läßt sich aus Verschreibungen einiges über die Vorlagen der beiden süditalienischen Handschriften feststellen. In Unziale, wie die beiden ältesten erhaltenen Leges-Handschriften, 148 oder in karolingischer Minuskel, wie der Modenensis, waren sie kaum geschrieben. Die Untersuchung der Handschrift von Madrid zeigt, daß eher mit nach 1000 teils schon schwer lesbar gewordenen Vorlagen zu rechnen ist.149 Mehrfach hat es den Anschein, daß sich ganze Ketten von Verschreibungen rekonstruieren lassen, die auf eine Reihe von Vorlagen deuten. Das soll die folgende Auswahl belegen. 145

Gay, L'Italie méridionale 1 f.; Kreutz, Before the Normans 150. '•" Lo Monaco, Per una storia delle relazioni. "" Mordek, Gesetzgeber. 14 ' St. Gallen, Stiftsbibliothek 730, u n d Vercelli, Biblioteca capitolare 188. Siehe Bluhme, M G H LL 4, Taf. 1 u n d 2. "" Zur Schriftentwicklung, der Entstehung der Beneventana u n d möglichen Schriften der Vorlagen u. a. Cencetti, Postilla; ders., Lineamenti 125 ff.; ders., Paleografia latina 96f.; Palma, Nonantola e il sud; Magistrale, Cultura grafica; Cavallo, Struttura e articolazione.

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* fol. 2v Statt: etpostea possiderunt Aldonus, Anthaib et Bainaib seu et Burgundaib steht hier: et postea possiderunt Aldonus, Anthabus et Bainaib bet Burgat[ha]/bus. Mehrere Schritte von Verschreibungen sind notwendig, um diese Formen zu erklären, etwa das sinnlose bet. Vielleicht stand in einer Vorlage ff/statt seu (ebenso wie unten auf fol. 6v), und das v wurde durch b ersetzt (Betazismus), oder es wurde ein hochgezogener erster Schaft des v als b verlesen. Die beiden «¿-Endungen kommen vielleicht daher, daß ein vorkarolingisches End-p (wie in der Fassung des Modenensis fol. 5v: Anthaip) mit offenem, nach rechts gebogenem Bogen als «i-Kürzung mißverstanden wurde; im nächsten Schritt wurde aus der Endung -pus wieder-bus. In Burgathabus muß ein « als offenes a (in cc-Form) gelesen worden sein. * fol. 3r Quam (i.e. Walderada) odio habens tradidit eam Garipald in uxoremßlio'50 regis Heruloru(m). Tertiam uxorem habuit nomen Esilinga. Dadurch wird Garipald zum Sohn des Herulerkönigs (statt Silinga, die durch Zäsur und Initiale von diesem Satzteil getrennt ist). Statt nomen Esilinga stand in der Vorlage wohl nomine Silinga, indistinkt geschrieben. * fol. 4r Ortare caepit Longinum praefectum Rosemunda, ut occideret Hilmichis. Die Aufforderung zum Mord an Helmichis wird hier auf Rosamunde übertragen. In der Vorlage muß -m- und -s-Kürzung verwechselbar gewesen sein. * fol. 5r ...et rupit civitatem Suhel castra Romanorum ... statt civitates vel castra Romanorum. Wieder muß durch indistinkte Schreibung das s zum w/gezogen worden sein, dann die vermeintlich richtige Akkusativ-Form civitatem ergänzt, und Suel hyperkorrekt mit h geschrieben. * fol. 6v Mammo, filius ut bet Fitbora statt Mammo filius Ustbora. Mehrere Abschriften sind notwendig, um diesen Fehler zu erklären, am ehesten mehrere gestrichene Fehlversuche, deren Streichung vom nächsten Kopisten übersehen wurde. Die vielleicht auch schon gesprengte rt-Ligatur in Ustbora hat ein Kopist nicht mehr verstanden und als it gelesen. Mehrere Vorlagen, in denen Fehler akkumuliert wurden, dürften auch bei den Kapitularien des Arichis und des Adelchis anzunehmen sein. Sowohl im Matritensis als auch im Cavensis ist deren Uberlieferung lückenhaft. Nach dem Porträt des Arichis k o m m t im Matritensis gleich der Prolog des Adelchis (866), wie oben schon erwähnt. Gemeinsame Vorlage des Cavensis u n d des Matritensis ist also die Beneventaner Rezension des Adelchis von 866. Daraus fehlen im Matritensis die Capitula des Arichis, wie wohl schon in der Vorlage, da sonst kaum irrtümlich das Gesetzgeberbild des Arichis den Capitula des Adelchis vorangestellt worden wäre. Im Cavensis fehlt hingegen der Prolog des Adelchis. Die Uberlieferungsgeschichte der Leges ist in diesem Sinn noch kaum systematisch untersucht worden. Bluhme hat für seine Edition kein Stemma der Handschriften erstellt, u n d die Edition von Beyerle beruht nicht auf wesentlichen neuen H a n d schriftenstudien. D a ß sich zahlreiche verlorene Vorlagen erschließen lassen, ist anzuIn den anderen Fassungen steht filia. Silinga war Tochter des Eruierkönigs.

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nehmen. Auch kann man davon ausgehen, daß die drei durch die Gesetzgeberporträts und die Aufnahme der Origo vergleichbaren Handschriften sonst keine enge textuelle Verwandtschaft aufweisen, sodaß eine gemeinsame Vorlage kaum in Frage kommt. Sowohl im Cavensis (167v-171v) und als auch im Matritensis (fol. I60r-l61v) finden sich Glossare langobardischer Rechtsausdrücke, ebenso wie im Vaticanus lat. 5001 (fol. 139r-l40v). 151 Daß man langobardische Begriffe, die teils in die lateinische Rechtssprache übergegangen, teils auch aus dem Gebrauch geraten waren, glossierte, scheint verständlich.152 Naheliegend wäre die Annahme, daß das Glossar aus einem Uberlieferungszusammenhang süditalienischer Leges-Handschriften stammt und von dort in den Vaticanus (bzw. seine Vorlagen) gelangte. Allerdings ist die Fassung des Vaticanus mit der des Cavensis wesentlich enger verwandt als mit der Handschrift aus Madrid, wie die Untersuchungen von Albano Leoni ergeben haben.153 Von den 44 Lemmata, die mehreren der drei Fassungen gemeinsam sind, stimmen 37 in den Codices aus Cava und im Vatikan überein. Die gemeinsame Vorlage dieser beiden Fassungen datiert er ins 9. Jahrhundert, während die Vorstufe aller drei Versionen bis ins 7. Jahrhundert zurückgehen soll.154 Sowohl im Vaticanus als auch im Cavensis finden sich einige Begriffe, die samt Erklärungen direkt aus der Historia Langobardorum des Paulus Diaconus geschöpft sind. Darunter sind scala, id estpatera sowie fara,155 Besonders interessant sind drei Einträge aus der langobardischen Namenssage, die beim Verständnis der Origo gentis hilfreich sein konnten. Unter Odan liest man: id est quem adiecta littera Godan dixerunt; ipse est qui apudRomanos Mercurius dicitur.156 Paulus hat freilich noch Uuotan,li7 was in der gemeinsamen Vorlage der beiden Glossare (oder in der Paulus-Handschrift, die dazu verwendet wurde?) weggefallen ist. Aufgenommen ist auch Frea, bei Paulus die Frau Wodans. Sie bereitete jedoch Probleme, da der Name zugleich ein Rechtswort war. Im Vaticanus ist der Platz für die Glosse freigelassen, im Cavensis wird das Wort, ganz dem Sprachgebrauch der Leges entsprechend, mit idestpuella, qui in alterius mundium est, erklärt.158 Glossiert wurde, nach der Erklärung des Paulus, auch der Langobardenname selbst. Allerdings ist in beiden Glossaren die Erklärung durcheinandergekommen. Im Vaticanus steht zusammengeschrieben langelongam, in der nächsten Zeile folgt in der linken Spalte, die die glossierten Ausdrücke enthält, die Gleichung uart barbam, rechts

151

Zu weiteren Glossaren, etwa im Vat. lat. 1468 oder im Cas. 90, siehe Albano Leoni, Tre glossari

34 f. 152

Zur langobardischen Begrifflichkeit der Leges zuletzt ausfuhrlich Princi Braccini, Termini germanici; sehr brauchbar ist das neue Glossar langobardischer Begriffe bei Francovich Onesti, Vestigia longobarde. 153 Albano Leoni, Tre glossari, bes. 17-20. 154 Albano Leoni, Tre glossari 28 f. 155 Die scala ist die Schädelschale, die Alboin zum Verhängnis wird: Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 1, 27, ed. Bethmann-Waitz 69; Francovich Onesti, Vestigia longobarde 115. Zu fara hat Paulus, ebd. 2, 9, ed. Bethmann-Waitz 78, die Erklärung generatio vel linea, der Vaticanus glossiert mit genealogia, generatio, und der Cavensis hat: id est parentela. Auch in Rothari 177, ed. Bluhme 41, kommt der Begriff vor, aber ohne Erklärung. Vgl. Francovich Onesti, Vestigia longobarde 76. 156 So der Cavensis, fast wortgleich mit der Formulierung des Paulus (Historia Langobardorum 1, 9, ed. Bethmann-Waitz 53), und der im Vaticanus. Vgl. Francovich Onesti, Vestigia longobarde 170. 157 Wotan sane, quem adiecta littera Godan dixerunt, ipse est qui apud Romanos Mercurius dicitur. Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 1, 9, ed. Bethmann-Waitz 53. 158 Vgl. Liutprand 94, ed. Bluhme 101; Francovich Onesti, Vestigia longobarde 83.

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steht die Glosse: id est longam barbam. Ähnliche Verschreibungen finden sich übrigens bereits in Handschriften der Historia Langobardomm, etwa im Vaticanus lat. 4917, der wohl im 11. Jahrhundert in Rom entstand.159 Der Cavensis bietet eine verstümmelte Version: Lang— id est longam tiard. In einer (wohl indirekten) Vorlage muß einst (frühestens um 800) gestanden sein: lang— id est longam, bart— id est barbam (bei Paulus stehen die beiden Worte als Objekt zu signißcat im Akkusativ), Langobardi- id est longam barbam}60 Mehrere mißverständliche oder verstümmelte Abschriften waren wohl nötig, um zu den beiden überlieferten Fassungen zu kommen. Albano Leoni hält die Glossare für „un'emanazione degli ambienti e dell'amministrazione longobardi beneventani".161 Ihren praktischen Nutzen hält er für gering, da im Gesetzestext, manchmal schon im Inhaltsverzeichnis ohnehin meist lateinische Erklärungen für die langobardischen Termini angegeben werden.162 Doch wurden sie dadurch keineswegs überflüssig. Sie konnten etwa zu Schulzwecken sehr brauchbar sein. Zudem erleichterte die alphabetische Anordnung das Auffinden eines Begriffes. Freilich sind nur die Glossare des Cavensis und des Vaticanus (im wesentlichen) alphabetisch geordnet, während das des Matritensis keine nachvollziehbare Reihenfolge aufweist. Auffällig ist ferner, daß neben langobardischen Rechtsausdrücken jeweils auch andere Begriffe aufgenommen sind.163 Im Vaticanus ist das etwa die Erklärung Uncie III — tercia pars-, im Cavensis Amittat — id est perdat oder Interemtus — id est occisur, und im Matritensis Addat - id est adiungat. Manche der Benutzer der Glossare scheinen mit klassischem Latein gewisse Schwierigkeiten gehabt zu haben. Im Cavensis findet sich sogar sepe - id est cotidie et Semper. So wenig die Auswahl solcher Begriffe manchmal einleuchtet: die Tatsache, daß sie überhaupt aufgenommen wurden, spricht eher gegen eine rein ideologische Funktion der Glossare. Ohnehin sind gerade im Matritensis nicht selten die langobardischen Rechtsbegriffe im Leges-Text weggefallen; öfters fehlen dazu auch die Erklärungen.164 Die Auswahl im Glossar und diejenige im Text, oder gar im Inhaltsverzeichnis, stimmen jedoch nicht überein, spiegeln also keine bewußte Selektion bei der Anlage der Handschrift wieder. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man die Interlinearglossen im Matritensis zum Vergleich heranzieht, was auch Albano Leoni nicht getan hat. Die zahlreichen Glossen der Handschrift sind nämlich mit großem Aufwand wieder radiert worden. Es scheint, daß sie von mindestens zwei verschiedenen Händen stammen. Einige wenige Glossen sind trotz Rasur noch rekonstruierbar. Darüber hinaus läßt sich deutlich erkennen, welche Begriffe oder Worte glossiert wurden. Zwei Bemerkungen lassen sich leicht machen: Zum ersten wurden neben schwierigen Rechtsausdrücken auch lateinische Worte, oft sogar der Alltagssprache, glossiert. Zum zweiten werden dieselben Worte immer wieder glossiert, auch mehrfach auf derselben Seite. Einige Beispiele sollen das verdeutlichen:

159

Bethmann-Waitz, MGH SS rer. Lang. 29 (Handschrift A2); fol. 6r: Nam iuxta eorum linguam

langongam bard barbam significai. 160

Vgl. Francovich Onesti, Vestigia longobarde 6 0 , zu bard und den häufigen Verschreibungen des

Wortes. Albano Leoni, Tre glossari 3 1 . Albano Leoni, Vitalità. Lateinische Erklärungen im Inhaltsverzeichnis des Cod. Vercellensis 188: z. B . cc. 2 6 , 171, 2 7 7 , 2 8 5 . Im Vaticanus lat. 5 3 5 9 fehlen die meisten dieser Erklärungen. Vgl. Bluhme, M G H L L 4 , 3 ff. 162

163

Siehe Anhang.

164

So etwa in c. 201, wo zu osto animo die Erklärung id est volontariae fehlt.

136

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fol. 16v, c. 5 Nicht radierte Randglosse (wie sie sonst kaum vorkommt) scamaras: Id (est) fiirtum. fol. 18r, c. 14 Interlinearglosse über ingenuus: Id (est) nobile. fol. 24, c. 78 165 Uber excepto vermutlich Id (est) absq(ue)\ dasselbe auf derselben Seite nochmals in c. 79. fol. 31r, c. 149 Uber sub estimationem vermutlich Id (est) co(n)side[rationem]. fol. 32v, c. 158 Über uncias quattuor steht wohl: Id (est) ter[ciapar]s, obwohl auch im Text folgt: quodest tertia pars. Glossar des Vaticanus ist dieser Eintrag ebenfalls aufgenommen. fol. 35v, Im c. 175 Uber launegildsteht Id (est) [m]eritu(m). fol. 39v, c. 187 Uber tamquam (nicht radiert): Id (est) simile. fol. c. 188 Über9v,ideo steht, ebenso wie, soweit erkennbar in allen weiteren Fällen, p(ro)ind(e). Einige der hier aufgenommenen Glossen, etwa die zu scamaras oder zu launegild, entsprechen dem üblichen Bestand der Glossare. Andere, wie die zu ingenuus, ersetzen immerhin ein selteneres lateinisches Wort durch das häufigere, das auch im Italienischen gebräuchlich blieb. Weniger einleuchtend ist die Beharrlichkeit, mit der excepto oder ideo glossiert wurden. Man könnte in den Glossen des Matritensis also eine Arbeit von Schülern vermuten, die man später mit großem Aufwand aus dem Codex wieder entfernte. Deutlich wird immerhin, daß fern von der Rechtsschule von Pavia,166 und mit weit weniger professionellen Methoden, die Leges Langobardorum glossiert wurden und Interesse daran bestand, ihren altertümlichen Wortlaut verständlich zu machen. Wann und warum die Glossen dann wieder radiert wurden, läßt sich nicht feststellen. Vielleicht erschien schon mittelalterlichen Benutzern die Glossierung wenig zweckmäßig, oder vielleicht sollte im 16. Jahrhundert der repräsentative Charakter der Handschrift wiederhergestellt werden. Insgesamt ergibt der Vergleich der drei Leges-Handschriften, in denen die Origo gentis Langobardorum enthalten ist, einen interessanten und etwas widersprüchlichen Befund. Der Text der Origo, den sie bieten, ist relativ ähnlich. Doch gehen sie im übrigen unterschiedlich damit um. Die beiden süditalienischen Handschriften stellen die Origo vor die Leges, der Modenensis in ein eigenes Dossier. Der Cavensis setzt davor noch die fränkische Völkertafel, sozusagen eine Origo gentium vor die Origo gentis. Der Matritensis enthält nur die bei Perctarit abgebrochene Königsliste der Origo, der Modenensis setzt sie (nach dem Insert der Königsliste des Rothari-Prologes) fort, während der Cavensis an anderer Stelle eine vollständige Königsliste bietet. Alle drei sind repräsentative Handschriften mit einer eindrucksvollen Serie von Gesetzgeberporträts, die aber weder stilistisch noch in ihrer Auswahl miteinander direkt zusammenhängen. Alle drei " 5 Nach der Zählung des Matritensis c. 79, da c. 78 fehlt; im Inhaltsverzeichnis als c. 80 gezählt. Dazu siehe zuletzt Meyer, Strafrecht, mit weiterer Lit. Vgl. auch Wickham, Lawyer's time.

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bieten Hilfsmittel an, um die Arbeit mit dem Langobardengesetz zu erleichtern. Beim Modenensis ist das die Concordia, eine systematische Fassung, deren über die LegesSammlung des Lupus hinausreichender Einfluß umstritten ist.'67 Im Cavensis finden sich in den Gesetzen der späteren Könige regelmäßig am Rand Verweise auf das entsprechende Gesetz Rotharis.168 Im Cavensis und im Matritensis stehen überdies Glossare der Rechtsausdrücke, die aber aus recht unterschiedlichen Überlieferungssträngen stammen. Enger verwandt sind die beiden Fassungen des Cavensis und des Vaticanus. Auch sie sind nicht direkt voneinander ableitbar, doch ihre gemeinsame Quelle ist durch die Aufnahme von Begriffen aus der Historia Langobardorum des Paulus Diaconus auf nach ca. 790 datierbar. Relativ ähnlich ist in allen drei Handschriften der Text der Origo gentis Langobardorum, ebenso wie derjenige der Leges (abgesehen von ihrer Neuordnung in der Concordia des Lupus). Kodifikation und Modifikation waren also eng miteinander verflochten.169 Die Varianten setzen dennoch teils mehrere Vorstufen voraus, die Fassungen sind nicht voneinander ableitbar. Es bleibt die Schlußfolgerung, daß die Uberlieferung der Leges wohl komplex war und die erhaltenen Handschriften die geringen Uberreste einer ursprünglich großen Anzahl von Codices sind, die kaum in ein übersichtliches Stemma zu bringen sein werden.

6. Historiographische und andere Texte: Ein Dossier aus Montecassino Die Verknüpfung zwischen Gesetzbuch und Geschichtsschreibung, die von Leges und Origo vorgegeben war, kennzeichnet die gesamte Anlage des Cavensis 4. Nach den Leges der Langobardenkönige folgt ein längerer historiographischer Abschnitt, dann erst kommen die Kapitularien der Fürsten von Benevent und der karolingischen Könige und Kaiser. Trotz der zeitweise in Unordnung geratenen Reihenfolge der Lagen der Handschrift deutet nichts daraufhin, daß die ursprüngliche Reihenfolge ganz anders gewesen sein könnte. Denkbar ist, daß nach den Kapitularien noch weitere Texte folgten, da am Schluß die letzten Blätter der Kapitularien verlorengegangen sind; es ist aber unwahrscheinlich, da der fehlende Teil des letzten Kapitulars wohl gerade den verlorenen Teil der letzten Lage füllte.170 Die historischen Informationen, die aus der Leges-Überlieferung stammen, waren zum Zeitpunkt der Anlage des Cavensis immerhin über 300 Jahre alt. Die Königsliste im Prolog geht bis zum ersten Gesetzgeber Rothari; die Origo gentis, in der Fassung des Cavensis, endet mit Perctarit. Das Bedürfnis, die Königsliste fortzusetzen und durch einen Katalog der Fürsten von Benevent, aber auch der Dynastie von Capua zu ergänzen, war naheliegend. Nicht bei allen Texten in der Handschrift läßt sich ihre Bedeutung für die historische Legitimation oder für die Interpretation der Gesetzestexte sogleich deuten, etwa bei den erfundenen Briefen Karls des Großen und des Kaisers aus Byzanz (siehe Anhang). Doch sogar diese Briefe helfen in satirischer Weise zu erklären, warum fränkisch"' Vgl. zuletzt Siems, Textbearbeitung. Zur Diskussion zusammenfassend Meyer, Strafrecht 376 f. "* Zur Bedeutung der Glossen für die Entwicklung der systematischen Rechtssammlungen seit dem 11. Jahrhundert Meyer, Auf der Suche 378 fE; zur Lombarda Casinensis ebd. 352; siehe auch Kap. IV. 7. "" Vgl. Pohl, Paulus Diaconus. 170 Zum Verlust von wahrscheinlich drei Blättern bei der am Schluß stehenden Constitutio Romana siehe Mordek, Bibliotheca 110.

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römische, nicht aber byzantinische Kaisergesetze in die Sammlung aufgenommen wurden. Fast alle der zwischen den Leges und den Kapitularien aufgenommenen Texte stammen nachweislich aus dem Fundus von Montecassino, den wir schon bei den beiden anderen Handschriften, dem Vaticanus lat. 5001 und dem Casinensis 175, kennengelernt haben. Wie dort, sticht auch hier der improvisierte Charakter der Kompilation hervor, die zum Unterschied von der klar strukturierten und von den Gesetzgeberporträts markierten Anlage der Gesetzes-Abschnitte keine stringente Abfolge erkennen läßt. Folgende längere und kürzere Texte finden sich außer den Gesetzen und Kapitularien in der Handschrift: fol. lv: Genealogia gentium, eine Variante der „fränkischen Völkertafel":171 Mulitis rex tres filios habuit, quorum nomina hec sunt, Armen, Tingus, Ostius. Singuli genuerunt quatferna]* generationes: Arme< n> b genuit Gothos, Guandalos, Brigidos, Saxones. Tingus genuit Tuscos, et Langobardos, Burgondionesc, Baioari < os>d. Hosti(us) genuit Romanos, Brittones, Francos, et Alamannos. Die Völkertafel ist, nach der detaillierten Studie von Walter Goffart, um 520 im ostgotischen Italien oder in Konstantinopel entstanden und etwa zwei Jahrhunderte später im Frankenreich rezipiert und ergänzt worden, von wo sie unter anderem wieder nach Italien kam.172 Sie beruht auf einer Aktualisierung der einst von Tacitus und in einer etwas anderen Fassung von Plinius aufgezeichneten Mannus-Sage, mit der die Herkunft der Germanen erklärt worden war.173 Die Cavenser Fassung der Liste ist praktisch wortgleich mit derjenigen des Casinensis 384, einem patristischen Florilegium aus dem frühen 10. Jahrhundert. 174 Dort wird der Text in der Rubrik Hieronymus in Chronicis zugeschrieben. Gemeinsam ist beiden Handschriften, daß nur hier statt den Thüringern die Tuszier als Verwandte der Langobarden angeführt werden, was in Italien naheliegend war. Der Stammvater-König ist statt Alaneus (oder ähnlich, wie in den anderen Fassungen) als Mulius wiedergegeben, was von Mannus ähnlich weit entfernt ist. Auch zählen sie nur zwölf statt wie die meisten anderen Handschriften dreizehn Völker auf. Eine andere Fassung der Völkertafel findet sich im Vaticanus lat. 5001, fol. 140v: Tres" fuerunt fratres, ex quibus gentes XIII. Primus1 Ermeni(us) genuit Butes, Gualangutos, Guandalos, Gepidos, Saxones. Ingo genuit Burgundiones, Turingos, Langobardos, Baioeros. Escio Romanos, Brictones, Francos, Alamannos. (Siehe Abb. 2). ' Cod.: auf abgerissenem Rand; C D C : quaternas. b Cod.: Loch im Pergament, Ansatz des n deutlich sichtbar. e Cod.: ¿von derselben Hand über der Zeile geschrieben. Goffart: Burgundiones. i Cod.: Loch im Pergament, Ansätze von os deutlich sichtbar. C D C : io(s?). ' Cod.: Initiale 7"rot und über zwei Zeilen, R in Kapitale. ' Cod.: Kapitale P ebenso wie I(ngo) und E(scio) mit rotem Zierstrich, aber in der Zeile fortlaufend geschrieben. ,7 ' Ed. Pertz 314; Müllenhoff 323-328; Codex Diplomations Cavensis (CDC); und mit ausfuhrlicher Untersuchung Goffart, The Frankish Table of Nations. 172 Goffart, The Frankish Table of Nations 162. 17J Tacitus, Germania 2, nach dem Ingävonen, Herminonen und Istävonen auf die drei Söhne des Mannus zurückgingen. Plinius, Historia naturalis 4, 99, allerdings ohne Nennung des Mannus und mit fünf statt drei genera der Germanen. Vgl. Pohl, Germanen 56. 174 Montecassino, Archivio della Badia 384; Dold, Zur ältesten Handschrift 45f.; Goffart, The Frankish Table of Nations 140 und 145 ff. (Edition).

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Klar ist, daß (bei allen durch das mehrfache Abschreiben erklärbaren Verballhornungen der Namen im Vaticanus) die beiden Varianten nicht direkt voneinander ableitbar sind. Die Variante im Vaticanus ist eher mit derjenigen in Paris, BN lat. 4628A (Lex Salica und Kapitularien) aus dem 10. Jahrhundert verwandt und hat auch Gemeinsamkeiten mit St. Gallen, Stiftsbibliothek 732 aus dem 1. Drittel des 9. Jahrhunderts (u. a. Lex Alamannorum) — Goffarts „transalpine group".175 In diesen beiden Handschriften steht die Völkertafel in einer Sammlung kurzer chronologischer, historiographischer und anderer Texte, die den Leges beigefügt ist, ähnlich wie im Cavensis. Daß diese Fassung der Völkertafel vielleicht aus dem Bereich karolingerzeitlicher Leges-Sammlungen nach Montecassino kam, ergibt sich aus der kurzen Übersicht über die Gesetzgeber der Lex Salica, der Lex Ripuaria und der Lex Baiuvariorum, die im Vaticanus auf fol. I40v unmittelbar anschließt. Sie muß aus einem ähnlichen Bedürfnis heraus entstanden sein wie die Zusammenstellung der Prologe und die Gesetzgeberbilder der Lupus-Sammlung. Aus dem Überlieferungskontext der Leges stammt im Vaticanus ja auch das vorher stehende Glossar. Die Fassung des Cavensis, und des Casinensis 384, hingegen stammen aus Goffarts ,Italian group'.176 In ihr ist der Cavensis die einzige Leges-Handschrift; die übrigen enthalten patristische und komputistische Texte sowie Exzerpte Isidors. Daß die Völkertafel aus einer Leges-Handschrift in den Cavensis kam, kann also nicht vorausgesetzt werden. Auch der Vaticanus lat. 5001 kommt nicht als Quelle in Frage, obwohl dort die Völkertafel gleich nach einem Leges-GIossar steht, wie es auch im Cavensis vorkommt. Diese Parallelität drückt immerhin ein gemeinsames Interesse und die Verfügbarkeit der einst wohl weit verbreiteten Völkertafel aus. Als Vorlage des Cavensis kann sehr gut die Fassung im Casinensis 384 gedient haben. 167r—167v Epistolae spuriae duae (siehe Anhang) Die beiden Briefe, die dem Kaiser in Konstantinopel und Karl dem Großen zugeschrieben werden, finden sich in allen drei Handschriften, und nur in diesen (siehe Anhang).177 Sie stellen ein starkes Argument dafür dar, daß auch der Cavensis aus Montecassino, oder dem dorthin orientierten Textraum, stammt. Allenfalls wäre eine Übernahme aus Salerno möglich, wo die Briefe um 974 in den Liber Historiarum kopiert wurden. 167v—17 lv Glossarium legum Langobardorum (siehe Kap. IV. 5 und Anhang) 171v-176r Catalogus regum Langobardorum (siehe Abb. 11, 12) Das Herrscherverzeichnis des Cavensis ist eng verwandt mit dem des Vaticanus lat. 5001 und dem des Casinensis 175. Waitz hatte es als Catalogus regum Langobardorum et Ducum Beneventanorum in den beiden Fassungen aus Cava und aus dem Vatikan ediert,178 während er den Königskatalog des Casinensis unabhängig davon als Teil der Chronica Sancti Benedicti Casinensis herausgab.179 Das ist insofern verständlich, als letz-

Goffart, Table of Nations 135 ff.; 145 ff. Mordek, Bibliotheca 4 8 8 f f . Goffart, Table of Nations 149; dazu gehört auch Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Reichenau C C X X I X , aus Italien (vielleicht der Gegend von Chieti) vom Anfang des 9. Jahrhunderts; ebd. 141 f.; diese Fassung kommt aber wegen zahlreicher Eigenheiten als Vorlage nicht in Frage. 177 Vgl. Cilento, Un documento falso, mit Edition. Zu späteren Kopien in Handschriften in Montecassino: Tosti, Storia della Badia 105 f. , 7 ' Ed. Waitz 4 9 0 - 4 9 5 . , 7 ' Ed. Waitz 486f.; siehe Kap. III. 4. 175

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terer mit Desiderius abbricht, während der Katalog am Beginn des Vaticanus (fol. l r 2r) bis zu Otto III., aber ohne Regierungszeit, weitergeführt wurde, und der im Cavensis noch bis zum Beginn der Herrschaft Heinrichs II. geht (siehe Kap. IV. 1). Manche Besonderheiten bei der Liste der Langobardenkönige vor 774 sind in allen drei Handschriften anzutreffen, etwa die sonst unübliche Qualifizierung Autharis als (rex) crinitus (siehe Kap. III. 4). Nach 774 greifen sowohl der Cavensis als auch der Vaticanus bis auf Pipinus senior rex (Pippin II.) zurück. Beide machen Karls des Großen Sohn, den italischen König Pippin, zum Imperator. Die weiteren Kataloge laufen zunächst weitgehend parallel, sind aber so knapp gehalten, daß keine markanten Gemeinsamkeiten mehr auffallen. Allerdings beginnen die beiden Listen mit Hugo (926—947) auseinanderzuklaffen; ihn nennt der Vaticanus rex, während ihn der Cavensis zum Imperator macht. Bei Lothar (947-950) und Berengar II. (950-964) fehlt im Cavensis das Datum, und Otto I. nennt der Vaticanus Octo imperator augustus, der Cavensis Domnus Otto imperator. Bei Otto II. ergänzt der Cavensis, hervorgehoben in roter Schrift: Hoc tumulatus est Römern). Wenig wahrscheinlich ist es daher, daß die Liste des Cavensis von jener abgeschrieben wurde, die in Salerno um 974 aus Cassineser Vorlage in den Liber Historiarum übernommen und noch bis um 1000 fortgesetzt wurde. Sie stammte sicherlich von der in Montecassino verbliebenen Vorlage des Vaticanus, deren Königskatalog wohl am Beginn des 10. Jahrhunderts endete. Zum Unterschied von allen anderen Katalogen ist der des Cavensis überdies durch längere Passagen aus der Langobardengeschichte des Paulus Diaconus ergänzt und zu einer Chronik ausgebaut. 176r—178r Catalogus principum Beneventi Auch diese Fürstenliste hat Waitz gemeinsam mit der des Vaticanus (fol. 2r-2v) und getrennt von der des Casinensis herausgegeben.180 In diesem Fall ist das unangebracht, da das Verzeichnis des Cavensis mehr Gemeinsamkeiten mit der Fassung der Regelhandschrift Cas. 175 aufweist. Im Vaticanus fehlen alle im folgenden erwähnten Zusätze. Etwa wird zum Dux Aio ergänzt: Aio filius istius Arechis annus I menses V. Iste pugnavit cum Sclavis adAufidum, et interfecerunt illumper ingenium.ls[ Der Zusatz zu Romoald über den Zug des Kaisers Konstans II. steht einzig im Casinensis, während nur der Cavensis bei Gisulf I. anfügt: Iste devastavit Roma(m) et Sora et Yrpinum etcepitArci. Diese Passage kommt an einer anderen Stelle im Casinensis vor (S. 552), nämlich als Einleitung zum Bericht von der Stiftung Gisulfs II., wo es heißt: Gisolfus quoque, Beneventanoru(m) dux, Soram, Romanoru(m) civitatem182, Arpina(m), Atinen, atque vero Arci pari modo oppida cepit. Sie kommt ursprünglich aus der Langobardengeschichte des Paulus Diaconus (6, 27): Hac denique aetate Gisulfiis Beneventanorum ductor Suram Romanorum civitatem, Hirpinum atque Arcim pari modo oppida cepit. Der Casinensis hatte Atino hinzugefügt, was der Cavensis nicht übernimmt; er beruht direkt auf Paulus. Doch verschreibt er Romanorum civitatem als Romam. Allerdings kommt der Text in der Fassung des Casinensis nochmals ausführlicher als Nachtrag auf fol. 177v-178r: Gisolfiis quoque, Beneventanorum dux, Soram, Romanorum civitatem, Arpinam, Atinen, atque vero Arci pari modo oppida cepit. Es folgt die gesamte Schilderung der Chronica S. Benedicti Casi-

Ed. Waitz 4 9 3 ^ 9 5 , 487 f. Cod. Cav. 4, fol. 176r. Der Zusatz ist wortgleich mit dem Casinensis 175, der Cavensis gibt zusätzlich die Information, daß Aio der Sohn des Arichis I. war.

"2 Cod.: civitate.

Historiographische und andere Texte: Ein Dossier aus Montecassino

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nensisvon den Stiftungen Gisulfs und Scaunipergas.183 Diese Nachricht gehört zu den Schlüsseltexten der Mönchsgemeinschaft von Montecassino und war nur hier von Belang. Ebenso fast wortgleich mit dem Casinensis oder seiner Vorlage, aber etwas unterschieden von der Fassung des Vaticanus, ist die Stelle von der Eroberung Benevents durch die Byzantiner unter Symbatikios (fol. 177v—176r; siehe Kap. II. 6 und im Anhang). 178r-181v Chronicon comitum Capuae Die Problematik dieser Chronik wurde bereits in Kapitel III. 4 diskutiert. Die Fassung des Cavensis stimmt nur bis kurz nach 900 mit dem Casinensis überein. Die Fürstenliste des 10. Jahrhunderts stammt zum Großteil aus anderer Quelle. Gemeinsam mit dem Casinensis ist allerdings jener Text, der in der Regelhandschrift als später Nachtrag steht und von der Ermordung des Landenulf von Capua im Jahr 993 handelt (fol. 180v):184 Iste Landenolfiis princeps interfectus est a Capuani ad sanctum Marcellu(m), feria quinta paschq. Cuius corpus nudus reliquerunt in platea. Monachos de sancto Benedicto cenobium rapuerunt corpus eius, et sepelierunt eum ante secretarium. Per idem tempus ostendit Dominus Deus mirabilia super eum. Quidam claudus ad sepulcrum eius veniens, obnixeque Christum deprecans per intercessione domni Landenolfi principis et martyris, qui sine causa occisus est a suis, cuius corpus illic requiescet, ei sanitatem retderet. Qui statim super eodem sepulchrum soporatus, totam quievit noctem. Mane autem facto, sanus surrexit. Deo gratias referens acsi de ullo devilitate membrorum numquam habuisset. Der Cassineser Abt Manso185 war 985 auf Initiative von Landenulfs politisch höchst aktiver Mutter Aloara, der Witwe des Pandulf Eisenkopf, eingesetzt worden und stand in den Parteiungen jener Jahre auf der Seite des Fürstenpaares.186 Als in den Machtkämpfen in Capua der Princeps Landenulf ermordet wurde, sorgte Manso dafür, daß er im Kloster des Heiligen Benedikt, eher demjenigen in Montecassino, wohin die Mönche unter Abt Aligern ca. 950 zurückgekehrt waren,187 vor dem Secretarium begraben wurde.188 Bald wurde Landenulf, wie der Text beweist, zum Märtyrer stilisiert, an dessen Grab sich Wunder ereigneten. Doch im November 996 wurde Manso selbst von seinen Gegnern in Capua gefangengenommen und geblendet, worauf er die Abtwürde zurücklegen mußte.189 Die Stelle ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß der Cavensis 4 in Montecassino entstanden sein dürfte. Zumindest muß die Vorlage seines historiographischen Kompendiums bis 995 in Montecassino gewesen sein. Anderswo konnte die Geschichte vom Mirakel des Märtyrers Landenulf kaum Sinn machen als unter den Mönchen des Hl. Chronica S. Benedicti Casinensis, ed. Waitz 479f. (siehe Anhang). " 4 Chronica comitum Capuae, ed. Waitz 500; Cilento, La cronaca 131 f. Zum historischen Kontext ebd. 171 f. 185 Hoffmann, Abtslisten 2 9 5 - 3 0 0 . 186 Cilento, La cronaca 171 f. 187 Seit sich der Sitz der Mönchsgemeinschaft des Heiligen Benedikt wieder in Montecassino befand, war das Benedikts-Kloster in Capua ein cassinesisches Priorat; siehe Bloch, Monte Cassino 1, 235 f. Die Nachricht bezieht sich daher eher nicht auf S. Benedetto in Capua, sondern auf das Mutterkloster. 188 Zum secretarium, einem an die Apsis angebauten Schatzhaus, in der von Desiderius errichteten Basilika siehe Chronica monasterii Casinensis 3, 26, ed. Hoffmann 395. Annales Casinates a. 996, ed. Pertz 172; Hoffmann, Abtslisten 299.

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Benedikt. Außerhalb der Mönchsgemeinschaft, in Capua, wo inzwischen Gegner Landenulfs unter Führung seines Bruders Laidulf an die Macht gekommen waren (siehe Kap. IV. 7), hätte man kaum derartiges in eine Handschrift eingetragen. Die nachgetragene Fassung im Casinensis ist etwas ausfuhrlicher und mehr rhetorisch stilisiert; der Ausruf mint res! leitet den eigentlichen Wunderbericht ein. Der Text wurde wohl noch unter Manso eingetragen. Die Verehrung Landenulfs hatte, wie zu erwarten, keine große Zukunft; die Chronik des Leo Marsicanus weiß nichts mehr davon. Für den Zeitgenossen, der etwa zehn Jahre später die Geschichte in den Cavensis übertrug, war sie aber noch von Interesse. Ob er sie direkt aus dem Zusatz im Cas. 175 abschrieb oder aus einer anderen, verlorenen Fassung der Chronik von Capua übernahm, ist unsicher. Doch beweist die Passage über Landenulfs Tod, daß die cassinesische Färbung der historiographischen Teile des Gesetzbuches von Cava sich nicht auf die fernere Vergangenheit beschränkt, sondern sich bis fast in die Zeit der Anlage des Cavensis 4 erstreckt. Insgesamt ergeben sich in dem relativ kurzen historiographischen Abschnitt zahlreiche textuelle Gemeinsamkeiten des Cavensis mit dem Casinensis 175. Neben der Chronik von Capua sind es unter anderem der Bericht über die Stiftungen des Dux Gisulf, die erfundenen Briefe zwischen Karl dem Großen und dem Kaiser in Konstantinopel, der Abriß über die Herrschaftsabfolge in Benevent vor 900 und deutliche Parallelen in der Fürstenliste. Dazu kommt die Version der fränkischen Völkertafel, die fast wortgleich mit der Fassung des Casinensis 384 ist. Die Kompilation kleinerer Chroniken und anderer Texte, die auf den Text der Leges folgt, stammt also sicherlich aus Montecassino. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß der Cavensis in Montecassino, oder allenfalls in San Benedetto in Capua,190 geschrieben wurde. In Montecassino ist kurz darauf, im Verzeichnis der Bücher, die Abt Theobald (1022-1035) abschreiben ließ, ein Edictum regum bezeugt, das gleich nach der Historia Langobardorum aufgezählt wird (in der überarbeiteten CDMS-Version ist deutlicher von Edictum legis Langobardorum die Rede).191 Das bezeugt jedenfalls, daß man die Langobardengesetze in Montecassino besaß. Merkel und Bethmann hatten deshalb angenommen, daß es sich beim Cavensis überhaupt um die unter Theobald angelegte Handschrift handelte.192 Paläographisch wäre der Codex zu dieser Zeit wohl schon etwas altmodisch geschrieben. Vor allem aber wäre das inhaltlich unpassend. Theobald verdankte seine Einsetzung als Abt der Intervention Kaiser Heinrichs II. im Jahr 1022; sein Vorgänger Atenulf floh vor dem kaiserlichen Heer und erlitt auf der Reise nach Konstantinopel Schiffbruch. 193 Montecassino erfreute sich daher bis zu Theobalds Tod 1024 bester Beziehungen zum Kaiser, der dem Kloster ein Evangeliar schenkte und zahlreiche Urkunden zu seinen Gunsten ausstellte.194 Kaum hätte man unter Theobald noch so 1,0

Nach einer Nachricht des Leo Marsicanus (Chronica monasterii Casinensis 2, 3, ed. Hoffmann 173) bestand zur Zeit des Abtes Aligern (950—985) in San Benedetto in Capua ein wenn auch bescheidenes Skriptorium, da Aligern apud Capuanum vero monasterium (...) campanas atque codices aliquot efecisset. "' Chronica monasterii Casinensis 2, 53, ed. Hoffmann 266. Die Historia Langobardorum ist wohl die des Paulus (wofür die unmittelbar davor genannte Historia Romanorum spricht), möglicherweise aber auch eine Handschrift mit der Erchempert-Chronik. Vgl. Inguanez, Catalogi n. 8, S. 5. " 2 Bethmann, Geschichtsschreibung 396, mit Verweis auf Merkel. Chronica monasterii Casinensis 2, 39-2, 42, ed. Hoffmann 242-247; Bloch, Monte Cassino 1, 15-19. " 4 Ausführlich zum Evangeliar, dem Cod. Vat. Ottob. lat. 74, Bloch, Monte Cassino 1, 19ff. Urkunden: DD.H.II. 465 (1022), 482 (1023), 508 (1024). In der Urkunde für Capua (D.H.II. 483) wird Montecassino wie San Vincenzo al Volturno ausdrücklich als abbatia imperialis hervorgehoben.

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sehr für Arduin und gegen Heinrich II. Partei ergriffen wie am Schluß der Königsliste des Cavensis. Vielleicht gehörte der Cavensis zu jenen Büchern, die Abt Atenulf auf seiner Flucht 1022 mitnahm? 195 In diesem Fall müßte Atenulf die Handschrift vor seiner Einschiffung in Otranto in Apulien zurückgelassen haben, sonst würde der Cavensis heute auf dem Meeresgrund liegen. Das könnte erklären, wie der Cavensis nach Apulien kam, ist aber durch nichts zu belegen.

7. Anlage und zeitgeschichtlicher Kontext der Leges-Handschrift von Cava Warum wurde in Montecassino um 1000 eine repräsentative Leges-Handschrift geschrieben? Die regelmäßige Folge der Gesetzgeber-Porträts spricht dafür, daß die Anlage des Cavensis 4 von Anfang an ungefähr so geplant war wie er, abgesehen von den Verlusten vor Ende des 18. Jahrhunderts, heute aussieht. Freilich wirkt die Reihenfolge zunächst nicht ganz einleuchtend. Nach dem Hauptteil der Leges folgen ab fol. 167r vermischte Texte, darunter das Glossar und die Fürstenlisten und Chroniken. Auf fol. 182r beginnen mit einer neuen Lage und dem Bild des Princeps Arichis II. die beneventanischen Kapitularien, gefolgt von Verträgen mit Neapel und drei kürzeren juristischen Texten. Auf fol. 198r folgen, wiederum auf neuer Lage, die Kapitularien der Karolinger; hier stand einst das nun fehlende Porträt Karls des Großen. Es hat also den Anschein, daß diese drei Teile parallel, aber zunächst unabhängig voneinander niedergeschrieben wurden. Wo nach Abschluß der Abschrift noch Platz blieb, wurden weitere Texte kopiert. Die langobardischen Königsgesetze enden auf dem zweiten Blatt eines Quaternios. Danach ist ein deutlicher Neuansatz von anderer Hand festzustellen. Die Texte, die man für diese leeren Seiten fand, nahmen aber soviel Platz in Anspruch, daß noch ein weiterer Quaternio dafür verwendet wurde. Nach den beneventanischen Kapitularien, die ebenfalls bald nach dem Beginn einer neuen Lage enden, begnügte man sich damit, diesen Quaternio zu füllen. Dann wurde das ganze zusammengebunden. Da keine besonderen Abnützungsspuren am Beginn oder Ende der Teile feststellbar sind, wird das wohl gleich passiert sein. Diese Beobachtung hilft, den Stellenwert der historiographischen und anderen Texte im Rahmen des Codex zu verstehen. Ahnlich wie beim Casinensis 175, waren sie nicht unbedingt Teil des ursprünglichen Konzepts. Sobald man aber beschlossen hatte, freigebliebenen Platz mit ihnen zu füllen, wuchs dieses Vorhaben rasch über den zur Verfügung stehenden Raum hinaus, und neue Lagen wurden angeheftet. Die historiographischen Texte am Ende des Leges-Teils wurden daher wohl erst nach den Gesetzes-Teilen kompiliert. Nur mehr vermutet werden kann, wie der Beginn der Handschrift aussehen sollte. Der erste Quaternio beginnt, heute auf fol. 2r, mit dem Bild Gambaras und ihrer Söhne

" 5 Chronica monasterii Casinensis 2, 39 (CDMS), ed. Hoffmann 243: Inter cetera autem, que hinc

asportavit prefatus abbas sive in libris sive in ornamentis (...). Daß Atenulf Handschriften mitnahm, könnte ein Grund fur die sonst schwer verständliche maxima paupertas an Codices sein, die laut Chronik (2, 53, ed. Hoffmann 2 6 5 ) der Grund fiir die Neuanlage vieler wichtiger Handschriften unter Theobald war. Die Liste gibt ja wohl wieder, was ergänzt werden mußte, also würde man annehmen, daß unter Theobald eine Leges-Handschrift fehlte. Leider simmt diese Liste sonst gar nicht mit der Bücherliste aus Casalrotto von 1263 überein, sodaß es sich beim Bücherschatz des apulischen Höhlenklosters kaum um das zurückgelassene Fluchtgut Atenulfs handeln kann.

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und leitet die Origo gentis Langobardorum ein. Vorgebunden ist ein einzelnes, nur im oberen Drittel erhaltenes und neuzeitlich ergänztes Pergamentblatt. Auf der Verso-Seite findet sich, von gleichzeitiger Hand, die Genealogia gentium. Anschließend steht von anderer, aber ebenfalls etwa gleichzeitiger Hand und mit Neuansatz der oben zitierte Vermerk über die Anzahl der Blätter (siehe Kap. IV. 1). Auf der recht verblaßten Recto-Seite steht eine wenig beachtete, unausgeführte Zeichnung. Rechts ist deutlich eine Figur sichtbar, die eine Handschrift hält. In der Mitte läßt sich eine thronende, bartlose Figur ausmachen, die sich der Handschrift zuwendet. Links stehen zwei weitere Figuren eng nebeneinander in Umarmung. 196 Die Skizze ist nicht koloriert; vielleicht war es ein Entwurf für ein dann nicht weiter ausgeführtes Bild, das ähnlich wie im Casinensis 175 oder später in Handschriften des Desiderius-Skriptoriums die Überreichung der Handschrift an einen Heiligen oder Auftraggeber darstellen sollte. Allerdings nimmt die Zeichnung nur das obere Drittel einer Seite ein, der Rest ist ja verloren. Bluhme hielt dieses Blatt für später vorgebunden und hat es bei seiner Folien-Zählung nicht berücksichtigt.197 Doch deutet wenig daraufhin, daß es nicht Teil des ursprünglichen Codex war. Die Schrift der Völkergenealogie ist jedenfalls gleichzeitig, und die — stilistisch verwandte - GambaraSzene auf fol. 2r ist nicht besonders abgenützt. In den ersten Lagen der Handschrift sind einige Blätter freigeblieben. Auf fol. 15v endet das Inhaltsverzeichnis der Leges mit Explicit capitula. Incipit testum legis, quam domnus Rothari tempore suo instituit. Darunter steht, über die Blindlinierung gemalt, das Gesetzgeberbild Rotharis. Das ist das vorletzte Blatt des zweiten Quaternios; das letzte Blatt, fol. 16, ist (bis auf zwei kleine Skizzen auf 16v, eine P-Initiale und unten eine stehende Figur) leergeblieben. Leer ist auch die erste Recto-Seite der nächsten Lage, bei der die Blindlinierung fehlt (erst später begann man hier eine Urkunde von 1130 einzutragen, brach aber nach zwei Zeilen wieder ab). Erst auf der Verso-Seite (fol. 17v) beginnt der Text der Leges, und zwar ohne Rubrik oder Incipit. Warum zwischen dem Incipit auf 15v und dem tatsächlichen Beginn des Textes auf fol. 17v soviel Platz blieb, ist unklar. Vermutlich sollte das Bild Rotharis am Beginn dieser Lage stehen und wurde dann irrtümlich in die erste Lage gezeichnet. Es hat den Anschein, daß die ersten beiden Lagen, jeweils von mehreren Schreibern, gleichzeitig geschrieben wurden und die Koordination nicht ganz klappte. Zweifellos ist der Cavensis 4 in einem großen Skriptorium entstanden. Die Anlage der Handschrift fällt in eine politisch turbulente Zeit, in deren Wechselfälle auch Montecassino wiederholt verstrickt war. In den historiographischen Teilen des Codex wird das immer wieder, wenn auch nur schlaglichtartig, deutlich. Abt Manso (985-993), Verwandter und Protege der Aloara, der Witwe des Princeps Pandulf Eisenkopf, war, wie Leo Marsicanus hervorhebt, non autem omnium huius loci monachorum consensu, auf fürstlichen Druck zum Abt eingesetzt worden, worauf viele der vornehmsten und besten Brüder das Kloster verließen.198 Die oppositionellen Mönche, soweit sie nicht nach Jerusalem pilgerten, wurden vor allem von Markgraf Hugo von Tuszien im

Siehe Rotili, La miniatura 66, mit Abb. 26, der die Szene für „indecifrabile" hält, aber sie stilistisch der Gambara-Szene auf fol. 2r (siehe ebd. Abb. 27) zuordnet. " 7 Bluhme, M G H LL 4, XXXI; dagegen, „fatta la più diligente osservazione", Caietano d'Aragonia, Codex Diplomaticus Cavensis 3, Appendix 2.

"8 Chronica monasterii Casinensis 2, 12, ed. HofFmann 190: Undefactum est, ut nonnulli de prioribus et meliorìbus huius monasterii fratribus, potius hinc egredi quam manere sub ilio eligerent.

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Exil unterstützt. 199 Manso scheint die Abtei vor allem als Machtbasis genützt zu haben: „Sous son vêtement monastique, Manson n'est qu'un seigneur féodale, ambitieux et rapace", so urteilte Jules Gay.200 In der Vita des Heiligen Nilus wird er als mächtiger Mann mit aristokratischem Lebensstil geschildert, der bei Lautenmusik diniert, während Nilus in der Kirche betet.201 Doch dann starb Aloara, und bald darauf wurde am 20. April 993 in Capua Mansos Schutzherr, der Princeps Landenulf ermordet (siehe Kap. IV. 6). Die Mönche von Montecassino bargen seinen angeblich nackt auf dem Marktplatz zurückgelassenen Leichnam und bestatteten ihn, wie sowohl im Casinensis 175 als auch im Cavensis ausfuhrlich berichtet wird.202 Die Capuaner machten, nach einigen Unruhen, Landenulfs Bruder Laidulf zum Princeps; Markgraf Hugo von Tuszien, auch er kein Freund Mansos, bestrafte die Mörder.203 Dennoch versuchte man sich zunächst zu arrangieren. Hugo soll an Montecassino zwei silberne Kronen gestiftet haben,204 und Laidulf leistete Abt Manso einen Sicherheitseid und schenkte am 10. Dezember 994 Besitz im Gebiet von Aquino an Montecassino.205 Dennoch gingen die Konflikte weiter, und auch Abt Manso gehörte zu den Opfern; er wurde am 14. November 996 in Capua gefangen und geblendet.206 Darüber findet sich in der Chronik von Capua im Cavensis eigenartigerweise nichts. Manso mußte zurücktreten; und nach dem kurzen Abbatiat des Asketen Johannes II., der ebenfalls die Würde zurücklegte, wurde Johannes III. (997/98-1010) zum Abt gewählt.207 Er hatte zu den Gegnern Mansos gehört, die ins Exil gegangen waren, und hatte sich während Mansos Amtszeit im Heiligen Land, im Sinai-Kloster und am Berg Athos aufgehalten.208 In die Zeit Johannes' III. fällt höchstwahrscheinlich die Anlage des Cavensis. Kurz darauf, am 25. Mai 998, bestätigte Otto III. in Rom auf Bitten des Abtes der Abtei Montecassino alle Besitzungen und Rechte; die Urkunde hat sich als Original in Montecassino erhalten.209 Sie ist, wie Bloch betont, durch die systematische Anordnung der Besitzungen ein Meilenstein in der Klostergeschichte jener Zeit: „The privilege of Otto III is, therefore, the first ,modern' itemized confirmation issued to Montecassino, truly a

Chronica monasterii Casinensis 2,12, ed. Hoffmann 190. Gay, L'Italie méridionale 384; ähnlich Cilento, Le origini 37; Houben, Potere politico 197; zu Manso Hoffmann, Abtslisten 295-300. 201 Vita S. Nili iunioris, bes. 84f., ed. Migne, PL 120, 16-165, bes. 141-143. Vgl. Falco, Sui cattivi abbati 76-78; Bloch, Monte Cassino 10-12; Falkenhausen, Montecassino e Bisanzio 77. 202 Chronicon comitum Capuae, ed. Cilento, La cronaca 130 f.; Chronica monasterii Casinensis 2, 10, ed. Hoffmann 188. Als Datum geben beide quinta feria sancii paschç o. ä. an; da Ostern auf den 16. April fiel, ist die Datierung von Uhlirz, Jahrbücher Ottos III. 290, auf den 27. April falsch. 20ä Chronicon comitum Capuae, ed. Cilento, La cronaca 132 (Kommentar und Datierung auf Juni 993: ebd., 173); Cod. Cav. fol. 181r. 2< " Chronica monasterii Casinensis 2, 12 (nur in CDMS), ed. Hoffmann 190. 205 Chronica monasterii Casinensis 2, 14, ed. Hoffmann 194; Registrum Petri Diaconi fol. 105v und 255. Poupardin, Institutions 125 f., n. 166, 167; Bloch, Monte Cassino 204f.; Hoffmann, Abtslisten 297; Fabiani, La terra di San Benedetto 1, 58; Loud, The Age of Robert Guiscard 27. 206 Chronica monasterii Casinensis 2, 16, ed. Hoffmann 198. Vgl. Petrus Damiani, Ep. 157, ed. Reindel 79 ff. Bloch, Monte Cassino 1, 235 f. Siehe Kap. IV. 6. 207 Hoffmann, Abtslisten 300 ff; Fabiani, La terra di San Benedetto 1, 61. 208 Chronica monasterii Casinensis 2, 22, ed. Hoffmann 206 f. Bloch, Monte Cassino 11 f. Zu Johannes III. auf dem Athos: Falkenhausen, Montecassino e Bisanzio 77 f. 209 D.O.III.'291; Böhmer-Uhlirz 1280. Chronica monasterii Casinensis 2, 22, ed. Hoffmann 207 (prçceptum confirmationis totius abbatif ... aureo sigillo bullatum); Fabiani, La terra di San Benedetto 1, 200

60.

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landmark in the history of the abbey."210 Wie es schon frühere Kaiser getan hatten, suchte Otto III. die beiden Reichsklöster Montecassino und San Vincenzo, und darüber hinaus auch S. Sophia in Benevent, als Stützpunkte im unruhigen Süditalien zu stärken.211 Im folgenden Winter kam der Kaiser selbst nach Süditalien, hielt sich möglicherweise auch kurz in Montecassino auf; allerdings berichtet davon erst die CDMS-Rezension der Chronik von Montecassino, wonach Otto der Abtei zwei silberne Kronen gestiftet habe.212 Nachweisbar ist der Kaiser am 20. Februar in Capua, von wo aus er bald nach Benevent und zum Heiligtum des Erzengels Michael auf den Monte Gargano weiterzog.213 Noch im März kehrte Otto nach Rom zurück, da Papst Gregor V. gestorben war.214 Auf der Rückreise forderte der Kaiser in Benevent die Herausgabe der Reliquien des Apostels Bartholomäus für seine Stiftung zu Ehren Adalberts auf der Tiberinsel. Die Beneventaner aber täuschten ihn und gaben ihm stattdessen die ehrwürdigen Uberreste des Paulinus von Nola.215 Mit den vertauschten Reliquien begann eine Serie von Konflikten Ottos III. und seiner Beauftragten mit süditalienischen Mächten, die im letzten Abschnitt des Chronicon comitum Capuae aus sehr zeitnaher Perspektive berichtet werden.216 Im Juni/Juli 999 griff der Kaiser Benevent an.217 Der Princeps Pandulf II. unterwarf sich; als Geisel stellte er seinen Sohn Atenulf, der später Abt von Montecassino werden sollte.218 Gegen Capua sandte Otto seinen Jugendfreund Ademar, der aus Capua stammte, und setzte ihn zum Princeps von Capua ein.219 Die Chronologie von Ademars Unternehmungen ist nicht ganz präzise. Zuerst wandte er sich, mit Unterstützung Laidulfs, gegen Neapel und erhielt dort Geiseln. Nach kurzer Zeit kehrte er zurück und nahm den Dux und den Magister militum gefangen. Schließlich machte er Laidulf mit einer Anzahl vornehmer Capuaner selbst zum Gefangenen und setze ihn ab. Die Gefangenen wurden nördlich der Alpen in Gewahrsam gehalten. Am 11. März 1000 übernahm Ademar die Herrschaft über Capua.220 Er konnte sich allerdings nur vier Monate halten.221 Damit endet das Chronicon comitum Capuae. Die meisten dieser Ereignisse sind hauptsächlich aus Cassineser Quellen bekannt. Die Rolle Montecassinos in diesen Ereignissen bleibt dennoch im Dunkeln. Vom Ein210 Bloch, Monte Cassino 2, 769. Zur politischen Sprache O t t o s III. u n d ihrem Ausdruck in seinen Urkunden siehe jüngst Gandino, Ruolo dei linguaggi. 2 " Uhlirz, Jahrbücher Ottos III. 289: „Diesen Bestrebungen (i.e. des Papsttums) gegenüber haben sich die ottonischen Kaiser hauptsächlich auf die Klöster zu stützen gesucht u n d vor allem Montecassino, das über einen geschlossenen, geradezu fürstlichen Besitz gebot, mit reichen Schenkungen bedacht." Ahnlich Tabacco, Montecassino e l'Impero 38. 212 Chronica monasterii Casinensis 2, 22 ( C D M S ) , ed. H o f f m a n n 207. 2.3 Böhmer-Uhlirz 1302a; 1303; Uhlirz, Jahrbücher Ottos III. 2 9 1 - 2 9 3 ; Gay, L'Italie méridionale 372. 2.4 Zur Chronologie Uhlirz, Jahrbücher O t t o s III. 5 3 4 - 5 3 7 . 215 Chronica monasterii Casinensis 2, 24, ed. H o f f m a n n 208. Uhlirz, Jahrbücher Ottos III. 293; Palmieri, Duchi, principi e vescovi 94. 2.6 Cod. Cav. 181v. 2.7 Böhmer-Uhlirz 1322c; 1323e; Kreutz, Before the Normans 124. 218 Chronica monasterii Casinensis 2, 29, ed. H o f f m a n n 220. Gay, L'Italie méridionale, 372f.; Hartmann, Geschichte Italiens 4, 2, 124f.; Bloch, M o n t e Cassino 1, 15. 2 " Ademar trug bereits am 15. Oktober 999 diesen Titel, siehe D.O.III. 333. Zu Ademar siehe Cilento, La cronaca 174; ders., Ademario 2 6 6 f. 220 Chronica monasterii Casinensis 2, 24, ed. H o f f m a n n 208 f. (mit Datierung auf März 999). Böhmer-Uhlirz 1350b; Uhlirz, Jahrbücher Ottos III. 303 f. 221 Gay, L'Italie méridionale 372.

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greifen des Kaisers in Gaeta profitierte das Kloster, zumindest falls die bei Petrus Diaconus wiedergegebene Urkunde vom 12. Nov. (999?) über die Restitution eines von den Duces von Gaeta vorenthaltenen Besitzes im Kern echt ist.222 Ademars Regierung in Capua dürfte hingegen in Montecassino bald auf wenig Sympathie gestoßen sein. Das läßt schon der Bericht von seinen Geiselnahmen im Chronicon comitum Capuae vermuten. Nicht nur der spätere Abt Atenulf, sondern wohl manche weitere Verwandte der Mönche waren davon betroffen. Ein Zusatz in der Chronik des Leo Marsicanus berichtet zudem, wie Ademar einen alten Gegner Montecassinos, den Gastalden von Aquino, Adenulf Summucula, stärkte, indem er ihn nach anfänglichem Konflikt zum Comes ernannte: confestim Uli prqceptum de universo Aquinensi dominio fecit, eumque de cetero non gastaldeum sed comitem ab omnibus appellari prqcepit. Hic igiturprimus comes, et hocprimum prqceptum Aquinensium fuit,223 Ademars Nachfolger Landulf V. hingegen schreibt Petrus Diaconus zu, er habe Montecassino alle Rechte an der Grafschaft Aquino, comitatum Aquinensem toturn exintegro, zugestanden.224 Auch wenn das sicher eine Konstruktion des Petrus ist, Landulf V. hat in der Memoria des Klosters einen besseren Eindruck hinterlassen. Im Cavensis allerdings kommt er nicht mehr vor. Da die maßgebenden Personen in der Klostergemeinschaft des Heiligen Benedikt meist aus der Aristokratie der umliegenden Fürstentümer stammten, trafen hier wohl auch unterschiedliche Interessengruppen aufeinander; sie stimmten immerhin meist in der Verteidigung der Rechte des Klosters überein. Die politische Position des Abtes Manso hatte unter den Mönchen von Montecassino auch Gegner. Dennoch ist in beiden Fassungen des Berichtes von der Ermordung Landenulfs die Haltung klar. Auch im Cavensis heißt es, daß ipsi Capuani occiderunt suum principem cum gladiis etfiistibus, sicut Iudei Dominum; und kurz darauf ist von der Freude Laidulfs die Rede, als er von der Ermordung des Bruders hörte.225 Die Distanz gegenüber Laidulf ist spürbar. Unter Abt Johannes III. wurde rasch die Intervention Ottos III. das beherrschende politische Thema, und auch das spiegelt sich deutlich im Chronicon comitum Capuae. Es ist anzunehmen, daß wie öfters die Intervention des Kaisers im Reichskloster Montecassino zunächst einige Erwartungen auslöste. Immerhin hatte bereits Hugo in Ottos Auftrag die Mörder Landenulfs bestraft. Schneller als in anderen Fällen schlugen diese Erwartungen offenbar in Enttäuschung um. Das zeigt sich wiederum an der klaren Stellungnahme für Arduin und gegen Heinrich II. im letzten Eintrag der Königsliste des Cavensis (fol. 175v—176r). Arduin war bereits einer der Hauptgegner Ottos III. gewesen, und sein Auftreten polarisierte seit dem Mord an Bischof Petrus von Vercelli jahrelang die Öffentlichkeit in Italien.226 Der Verfasser jenes Zusatzes zur Königsliste zog dennoch die Herrschaft des Bischofsmörders in Norditalien weiteren Restaurationsversuchen der Kaisermacht vor. Das mag 1004/05 in Süditalien eine verbreitete Meinung gewesen sein, nicht zuletzt in Capua, wo man im Jahr 1000 den Beauftragten des Kaisers verjagt hatte. 222 D.O.III 337, mit Diskussion der „gewichtigen Bedenken" gegen die Urkunde, „einen Ausweg bietet nur die Annahme, daß D. 337 ausserhalb der Kanzlei ( . . . ) verfasst sei". Böhmer-Uhlirz 1334, mit Diskussion der Datierung und Argumenten für 999. 223 Chronica monasterii Casinensis 2, 24, ed. Hoffmann 209 f. 22< Chronica monasterii Casinensis 2, 15 (CDMS), ed. Hoffmann 195. Es handelt sich sicherlich um eine Fälschung des Petrus: Bloch, Monte Cassino 3, 880. 225 Chronicon comitum Capuae, ed. Cilento, La cronaca 132 f.; Cod. Cav. fol. 18 lr. 226 Arnaldi, Arduino; Althoff, Otto III. 159. Vgl. auch Gandino, Orizzonti politici 24 ff.

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Dennoch, die Entscheidung zur Anlage einer repräsentativen Leges-Handschrift fiel vermutlich bereits vorher, als Otto III. noch lebte. Die kodikologische Untersuchung hat gezeigt, daß die historiographischen Texte nach den langobardischen Königsgesetzen wohl zuletzt eingetragen wurden. Die Aufnahme der Kapitularien fränkischer Herrscher ist vor diesem Hintergrund leichter verständlich. Auffällig ist auch, daß der recht antifränkische Prolog des Adelchis fehlt. Als repräsentatives Kompendium der relevanten Rechtsnormen und einiger kurzer historischer Abrisse konnte die Handschrift für einen Fürsten fremder Herkunft sehr wertvoll sein, ähnlich wie das Rechtsbuch des Lupus für Eberhard von Friaul oder der Matritensis im byzantinischen Bari. Vielleicht war die Handschrift ursprünglich als Geschenk für Ademar gedacht, den in einem fernen Land aufgewachsenen und mit Gesetz und Geschichte seiner Heimat wenig vertrauten Fürsten von Capua. Daß Ademar auch Neapel besetzt hatte, könnte das etwas unmotiviert wirkende Gesetzgeberbild des Johannes Consul et Dux erklären. Doch die „teutonische" Herrschaft machte sich gründlich unbeliebt und brach dann rasch zusammen. Statt einem repräsentativen Widmungsbild steht seither am Anfang der Handschrift nur eine unausgeführte Skizze. Die Handschrift blieb offenbar, wo sie entstanden war: in Klosterbibliotheken. Was auch immer der genaue Kontext war, in dem die Anlage des Cavensis begonnen wurde - ein Besuch Ottos III., die Herrschaftsübernahme durch Ademar, oder doch eine spätere Konstellation - Montecassino konnte die Leges Langobardorum gut brauchen. Das beweist ein Besitzstreit um Güter im Territorium von Aquino. Der Streit mit Dauferius, dem Comes von Traetto, wurde im Jahr 1014 bei einem Placitum vor dem Fürsten von Capua und anderen Notablen verhandelt.227 Im Original erhalten ist die Urkunde, die Dauferius darüber an Montecassino ausstellte und wo er auf die strittigen Rechte verzichtet.228 Dauferius wies Urkunden der Päpste Johannes VIII. und Johannes X. vor, während der Vertreter Montecassinos Besitzbestätigungen Karls des Großen sowie Hugos und Lothars II. vorlegte. Bei der in Teilen transumierten Urkunde Karls des Großen handelt es sich um eine im Register des Petrus Diaconus überlieferte Fälschung.229 Sie ist Teil eines Fälschungskomplexes, der unter Verwendung des echten Diploms D. Kar.I. 158 angefertigt wurde;230 die Urkunden lagen Leo Marsicanus bereits vor, weshalb Mühlbacher die Fälschung ins 11. Jahrhundert datiert. 23 ' Das Placitum von 1014 kannte Mühlbacher nicht; es wirft neues Licht auf die Datierung der Fälschungen. Die Grenzbeschreibung in der 1014 vorgelegten Urkunde D. Kar.I. 242 geht auf die Besitzbestätigung Landulfs I. und Atenulfs II. von 928 zurück, die im Original erhalten ist.232 Von dort wurde sie ins Diplom der Könige Hugo und Lothar II. übernommen, die zweite Urkunde, die beim Placitum von 1014 vorgelegt wurde.233 227 Montecassino, Archivio della Badia LXVI, 7; Codex Diplomaticus Cajetanus 1, 80, S. 244-252. Vgl. Chronica monasterii Casinensis 2, 35, ed. Hoffmann 234 f. 228 Montecassino, Archivio della Badia X, 14; Leccisotti, Regesti 2, 38; Codex Diplomaticus Cajetanus 1,252 (1014 Juli). 229 Es handelte sich um D.Kar. I 242 (787 April 24), Registrum Petri Diaconi 107 (Hoffmann, Chronik und Urkunde 104f.). 230 D. Kar.I. 158 (787 März 28), Registrum Petri Diaconi 108 (Hoffmann, Chronik und Urkunde 105). 231 D. Kar.I., S. 339 f. 232 Montecassino, Archivio della Badia X, 36; ed. Gattola, Accessiones 45f.; Registrum Petri Diaconi 205 (Hoffmann, Chronik und Urkunde 114); Poupardin, Les institutions 95, n. 84. Siehe Kap. III. 233 D. Hugo/Lothar 66 (943 Mai 15), Registrum Petri Diaconi 115 (Hoffmann, Chronik und Urkunde 105).

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Der Iudex Petrus von Capua entschied 1014 fair Montecassino, und zwar tarn ex Romanis legibus quam ex Langobardis,234 unter Berufung auf römisches wie auf langobardisches Recht -pro eo quodcontinet in lege Langobardorum in capitulo, que constituerat Liuprando rex, ut cuicumque decessoribus illorum datum erat stabili ordine devere permanere, sicut illut quod illi dederat et in ante dederat qualiter ibidem contineret. Et in lege nobelle Iustiniani (etc.).235 Diese Passage verweist auf die Bestimmungen von Liutprand 78, wo die Frist zur Ersitzung von Königsgut (publicum) von 30 auf 60 Jahre hinaufgesetzt wird. Zwischen der Urkunde Karls des Großen von 798 und derjenigen Johannes' VIII. waren mehr als 60 Jahre vergangen. Es ist gut möglich, daß die Diplome Karls des Großen im Verlauf dieses Besitzstreites gefälscht wurden. Denn zum Nachweis von Montecassinos älteren Rechten war es nötig, gegenüber der Urkunde Johannes' VIII. (872-882), die Dauferius vorwies, mindestens 60 Jahre zurückzugehen. Damit kam man genau in die Zeit Karls des Großen. Im Register des Petrus Diaconus ist auch eine Urkunde Ottos III. in derselben Sache erhalten, der bei einem Placitum in Gaeta für Montecassino und gegen Marinus, den Dux von Gaeta, entschieden haben soll.236 Trotz einiger schwerwiegender diplomatischer Einwände wird sie in der Regel als echt betrachtet; dagegen spricht aber, daß sie beim Placitum von 1014 nicht erwähnt wurde. Der Capuaner iudex und notarius Petrus beruft sich bei der Urteilsbegründung 1014 auf langobardisches Recht, was wohl der Argumentation der Vertreter Montecassinos entsprach.237 Interessant, wenn auch durchaus folgerichtig ist es, daß der Comes Dauferius (da der Besitz vom Dux von Gaeta verliehen wurde) Römisches Recht bekennt und mit Papsturkunden argumentiert, während Montecassino sich auf die Lex Langobardorum stützt und Königsurkunden vorlegt.238 Der Landbesitz der Abtei unterstand langobardischem Recht; ausdrücklich betont die Urkunde der Principes Landulf I. und Atenulf II. von Capua-Benevent im Jahr 917, die Besitzungen sollten sub potestate prefati monasterii in perpetuum secundum institutionem Langobardorum legis stehen.239 Auch eine Schenkung von Mai 1004 erfolgte iuxta legem nostram Langobardam,240 Ein langobardischer Liber Legum war also in Montecassino durchaus vonnöten. Fabiani mag recht haben, daß Montecassino vermutlich keine eigene Rechtsschule besaß.241 Eine solche befand sich eher in Capua und anderen Zentren der Rechtsprechung, 234

Chronica monasterii Casinensis 2, 35, ed. Hoffmann 235. " Codex Diplomaticus Cajetanus 1, 80, S. 244-252. Zur Bedeutung und zur Diskussion ausfuhrlich Fabiani, La terra di San Benedetto 1, 237 ff. 236 D.O.III. 337 (999 Nov. 12); Codex Diplomaticus Cajetanus 1, 81, S. 150f. (mit Datierung auf 982). Manaresi, Placiti 2, n. 250 f.; Bougard, La justice 404, n. 70. Fabiani, La terra di San Benedetto 1, 314 f. 237 Zur Rolle des iudex/notarius Martin, Le juge; Delogu, La giustizia 283 f. 238 Auch Farfa berief sich in einem römischen Placitum von 998 unter anderem auf langobardisches Recht: Manaresi, Placiti 2, 236; Bougard, La justice 45. Allgemein zur Rolle des Römischen Rechtes im frühmittelalterlichen Italien u. a.: Radding, T h e Origins; Wickham, Early Medieval Italy 118; Reynolds, Gratian's Decretum; Russo, Leges Romanae; ders., .Lege Romana vivere'; Santini, Il sapere. Zuletzt: Nicolaj, Ambiti di copia; Radding-Ciaralli, T h e Corpus Iuris Civilis, mit unterschiedlichen Datierungen. 235 Montecassino, Archivio della Badia X, 14; Gattola, Accessiones 47; Leccisotti, Regesti 2, 38; Fabiani, La Terra di San Benedetto 1, 235. Vgl. ebd. 2 1 8 - 2 4 4 für das „persistere tenace nella signoria cassinese del diritto longobardo" (231) bis ins 13. Jahrhundert. 240 Montecassino, Archivio della Badia LXXXVIII, fase. II, 22; Fabiani, La terra di San Benedetto 1, 236. 241 Fabiani, La terra di San Benedetto 1, 324. 2

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um Leute wie den Iudex Petrus auszubilden.242 Immerhin ist in Montecassino eine wichtige frühe Handschrift der systematischen Lombarda erhalten, sodaß in der Diskussion immer wieder die Vermutung auftaucht, daß die systematische Lombarda des 11. Jahrhunderts in Montecassino entstanden sein könnte. 243 Fragmente aus Einbänden, u. a. des Cas. 175, stammen aus einer Handschrift der Institutionen Justinians aus dem 10./ 11. Jahrundert. 244 Der recht enge Zusammenhang mit kirchenrechtlichen Sammlungen wie der „vermutlich in den Jahren 1 0 1 4 - 1 0 2 3 in Süd- oder Mittelitalien" entstandenen Collectio V libromm, die starke Einschläge weltlicher Normen enthält, zeigt, daß die Entwicklung der Leges Langobardorum gerade in Süditalien nicht auf weltliche Rechtsschulen beschränkt blieb. 245 Es fällt allerdings auf, daß in Italien im 9. bis 11. Jahrhundert Leges-Handschriften recht selten in klösterlichen Bibliothekskatalogen erwähnt werden. 246 Die Hypothese, daß der Cavensis in Montecassino geschrieben wurde, scheint nicht ganz in dieses Bild zu passen. Doch haben die fürstlichen und städtischen Richter des 10. und 11. Jahrhunderts ohnehin kaum mit illuminierten Handschriften wie dem Cavensis gearbeitet; eher hatten sie wohl handlichere Exemplare zur Verfügung.247 Das muß nicht heißen, daß die illuminierten Leges-Handschriften reine Repräsentationsobjekte waren. Das Widmungsgedicht der Lupus-Sammlung wendet sich ausdrücklich an Eberhard als Richter, der cunctas legum conoscere causas/ arbiter et clarus vult omnibus ipse videri.m Und die systematischen, wenn auch unauffällig angebrachten Querverweise im Cavensis sollten zweifellos seine Benützbarkeit verbessern. Die illuminierten Codices unterstrichen darüber hinaus, wie Mordek aus seiner ausführlichen Untersuchung ableitet, bildlich die Autorität der Gesetzessammlung und appellierten an die Gerechtigkeit des Richters. 249 In Klöstern und Kirchen, die weniger als Richter denn als Streitparteien mit den Leges zu tun hatten, war dieser Gestus durchaus angebracht, sei es, daß die Handschrift einem Fürsten und Richter gewidmet war, sei es, daß man sie selbst zur demonstrativen Vorlage, zur ostensio, bei einem Placitum verwendete.

Noch die um 1 2 1 0 / 1 5 entstandene Glosse des Karolus de Tocco enthält mehrfach Verweise auf Meyer, A u f der Suche 3 4 5 f. mit Anm. 11. 243 Cod. Cas. 3 2 8 , Ende des 11. oder eher erst im 12. Jahrhundert entstanden: Bluhme, M G H L L 4, C - C I I ; Merkel, Geschichte des Langobardenrechts 2 2 f . ; Radding, T h e Origins 128 (zur Datierung ins 12. Jh.); Meyer, Auf der Suche 3 5 2 , 3 8 6 . Für den Ursprung der Lombarda in Montecassino u. a. Novati, II compilatore; Leicht, Glosse; zur Diskussion Meyer, Strafrecht 3 7 7 mit Anm. 132. Süditalienische Ursprünge sind auch für die sog. Walcausina in Diskussion, an deren Neuedition Charles Radding arbeitet (vgl. Radding, Origins 116f.). 242

die

iudices Capuani:

Iustiniani Institutiones, ed. Krüger, X X (Sigle C). Ed. Fornasari, Collectio canonum in V libris. Meyer, A u f der Suche 3 7 1 ; Reynolds, T h e South Italian Canon Law Collection. 244 245

246 Bougard, La justice 4 6 mit Anm. 95; neben Bobbio Mitte des 9. Jahrhunderts ist Montecassino unter Theobald das einzige Beispiel, das Bougard nach eingehender Untersuchung anführen konnte; unter Abt Desiderius ist keine Leges-Handschrift mehr bezeugt, vgl. Fabiani, La terra di San Benedetto 1, 3 2 5 . Ähnlich dürftig sieht Bougards Befund für die Bistümer des Regnum Italiae aus. Freilich sind zumindest an den Bischofskirchen von Modena, Ivrea und Vercelli noch heute Leges-Handschriften vorhanden; und in Montecassino gab es im 15. J h . davon ein Dutzend - Inguanez, Catalogi 3 5 f.

Wickham, Lawyer's time. ' Cod. Mod. O . I. 2, fol. 10; ed. Strecker, M G H Poetae 1059; Mordek, Gesetzgeber 1 0 3 8 ff.; Wormald, T h e Making o f English Law 3 2 f. Bougard, La justice 4 7 , meint: „II ne fait pas de doute que l'ouvrage était conçu pour servir Evrard dans l'administration de son duché, et après lui son fils Unruoch." 249 Mordek, Gesetzgeber 1051 f. 247 24

Anlage u n d zeitgeschichtlicher Kontext der Leges-Handschrift von Cava

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Die These, daß der Cavensis aus Montecassino stammt, widerspricht auch ein wenig der jüngst vorherrschenden Forschungsmeinung, daß die Rolle Montecassinos in der Kultur des langobardischen Süditalien nicht so bedeutsam war wie lange angenommen. 250 Tatsächlich ist die Rolle der Bischofskirchen, der Fürstenhöfe und der Städte in der Produktion von Schriftgut lange unterschätzt worden. 251 Montecassino war um 1000 nicht das beherrschende kulturelle Zentrum, von wo aus der Rest Süditaliens mit erlesenen Handschriften versorgt wurde. Doch die Rolle der hier diskutierten Codices aus Montecassino, des Cavensis ebenso wie des Casinensis 175 sowie der Sammlung von ca. 900, die sich aus dem Vat. lat. 5001 rekonstruieren läßt, war bescheidener und zugleich präziser. In diesen Handschriften thematisierte Montecassino sein, häufig prekäres, Verhältnis zur Außenwelt, formulierte seine Ansprüche und schuf sich Instrumente, mit denen solche Ansprüche zu begründen und eventuell durchzusetzen waren. Die drei Handschriften, oder zumindest Teile davon, verkörperten sozusagen das politische Gedächtnis der Abtei. Sie entwarfen eine in ferner Vergangenheit begründete politische Kultur, die Montecassino den latenten und oft auch offenen Gewaltverhältnissen in seiner Umwelt entgegenzusetzen versuchte. Die ehrwürdige Geschichte des Klosters inmitten der zahlreichen, letztlich überstandenen Anfechtungen, die im Vaticanus geschildert ist; das regelgemäße Leben in der Mönchsgemeinschaft, das der Casinensis festlegt; und die durch die lange Reihe der Gesetzgeber garantierte Iustitia, wie sie der Cavensis propagiert - das waren drei wesentliche Fundamente, auf denen Existenz und Prosperität Montecassinos begründet waren. Die kleineren Texte, die in allen drei Handschriften versammelt sind, konnten Informationen und Argumentationshilfe gegenüber der Außenwelt geben. Dieser Kontext soll im Schlußkapitel nochmals näher betrachtet werden.

"" Zusammenfassend Vitolo, Gli studi di Paleografia 1 7 f f ; siehe auch Leonardi, La cultura cassinese; Cavallo, Aspetti della produzione libraria. 2 " Vgl. z. B. Petrucci-Romeo, Scrittura e alfabetismo; Galante, Un necrologio; Magistrale, Notariato.

V. Text, Gedächtnis und die Behauptung der Identität 1. Montecassino im Exil: Schreiben zur Selbstbehauptung Aus der Untersuchung der drei Codices, des Vat. lat. 5001, des Casinensis 175 und des Cavensis 4, ergeben sich zumindest drei weitere, verlorene Handschriften, die ihnen als Vorlagen dienen konnten und die bis zu einem gewissen Grad rekonstruiert werden können, auch wo sie sich von den Abschriften in ihrer Zusammenstellung unterscheiden (siehe Graphik im Anhang). Die erste ist jene Regelhandschrift, die 867, mit Nachträgen in den folgenden Jahren, in Montecassino angelegt wurde. Sie enthielt den Text der Regel, den Kommentar Hildemars mitsamt dem Capitulare monasticum Ludwigs des Frommen, dem Theodemar-Brief und einigen Consuetudines. Darüber hinaus stand darin jene Sammlung chronikalischer Aufzeichnungen, die Waitz als „ Chronica Sancti Benedicti Casinensis" ediert hat, allerdings nur der Teil bis einschließlich der tabellarischen Übersicht über die Äbte von Montecassino und die Fürsten von Benevent.1 Die anderen beiden Handschriften waren Vorlagen des Vat. lat. 5001, wovon die eine kurz vor 900 in der Klostergemeinschaft: von Montecassino in Teano angelegt wurde, die andere gemeinsam mit dem Chronicon Salernitanum ca. 974 im BenediktKloster in Salerno. Eine Kopie dieser Kompilation, einschließlich des Chronicon Salernitanum, lag um 1100 in Montecassino Leo Marsicanus und Petrus Diaconus vor.2 Die Salernitaner Handschrift selbst ist im späteren 11. Jahrhundert beim Grenzstreit zwischen den Diözesen Salerno und Benevent in Salerno bezeugt.3 Diese Handschrift wiederum entsprach jenem antiquo libro scripto litterarum longobardarum, den der Prolog zum Vaticanus lat. 5001 als Vorlage erwähnt (fol. lr). Aus ihr wurde kurz vor oder um 1300 direkt oder allenfalls über eine Zwischenstufe der Großteil des Vaticanus lat. 5001 (fol. 1— 147) kopiert, wobei am Schluß noch ein aktualisierter Papst- und ein Kaiserkatalog hinzugefügt wurden (siehe Graphik 1). Im einzelnen ist der Umfang der Vorgängerhandschrift von ca. 900 nur ungefähr nach inhaltlichen Kriterien zu rekonstruieren. Auch wenn die Handschrift Vat. lat. 5001 als Uber quarundamystoriarum angelegt ist, enthält sie ebenso zahlreiche nicht-historiographische Texte. Diese Zusammenstellung von kleineren Texten ist höchstwahrscheinlich nicht das Ergebnis einer späteren Kompilation (zum Beispiel um 974), sondern ge-

1

Cod. Cas. 175, S. 1-555; ed. Waitz 468-481. Siehe Kap. II. 10 und Hoffmann, Chronicon monasterii Casinensis XIII f., mit weiterer Literatur. Zur Verwendung einer Erchempert-Handschrift im 11. und 12. Jahrhundert in Montecassino siehe schon Bethmann, Geschichtsschreibung 372-375, der annimmt, daß der Vat. iat. 5001 von einer unter Desiderius angefertigten Kopie abgeschrieben wurde, die auch das Chronicon Salernitanum enthielt. 5 Hoffmann, Abtslisten 347-354. Siehe Kap. II. 1. 2

Montecassino im Exil: Schreiben zur Selbstbehauptung

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hört im Kern bereits in die Zeitschicht kurz vor 900. Das läßt sich nicht nur an der Häufung von Texten aus dieser Zeit belegen, sondern auch an der Art, wie diese Texte untereinander vielfach verknüpft sind. Bestimmte Namen kommen immer wieder vor, etwa der Rofrits in zwei Epitaphien, einem Lobgedicht, der Chronik Erchemperts und der Unterschriftenliste des Vertrages von 849 (sowie im Chronicoti Salernitanurri), oder der Potos in den Bestimmungen dieses Vertrages und in seinem Güterverzeichnis. Der Brennpunkt dieses Beziehungsgeflechtes liegt in Capua und Teano, wo die aus ihrem Kloster vertriebene Mönchsgemeinschaft von Montecassino in einer teils feindlichen Umwelt ums Überleben rang. Diese Sammlung zeigt zugleich, wie sehr sich in wenigen Jahren die politische Umwelt des Klosters geändert hatte. Die Hoffnungsträger der späten neunziger Jahre waren gerade jene Kreise, die Erchempert in seinem Werk öfters scharf kritisiert hatte. Die Umwertung Atenulfs I. von Capua hatte Erchempert noch selbst in den letzten Kapiteln vorgenommen. Nun war auch die Rofrit-Gruppe aus Benevent, die vor 900 im Exil in Capua war, interessant geworden, und man schrieb Lobgedichte auf sie ab. Wie weit Erchempert selbst dabei noch eine Rolle spielte, wissen wir nicht; vielleicht waren nun Leute wie der Diakon Dauferius, der vielleicht aus Rofrits Verwandtschaft kam, und der Grammatiker Maio4 maßgeblich. Doch scheint es, daß die Materialsammlung bald ins Stocken kam und eine Ergänzung und Fortsetzung von Erchemperts Werk, die er selbst geplant hatte, nicht über das Fragment einer Chronik von 892 bis 897 hinauskam. Nicht unwahrscheinlich ist, daß auch manche Teile des Chronicon Salernitanum aus dieser Kompilation stammen. Das Kernstück dieser Handschrift vom Ende des 9. Jahrhunderts war das Werk Erchemperts, fortgesetzt durch eine Chronik der Jahre 892-897 und ergänzt durch eine Liste der Principes von Benevent bis 898 sowie durch eine chronologische Berechnung, die aus dem Jahr 832 stammte, aber auf den Stand von 892 hochgerechnet wurde. Dazu kamen das Widmungsgedicht Erchemperts, weitere Gedichte und Nachrufe auf Rofrit, Dauferanda und Adelferi, eventuell die ins Chronicon Salernitanum übernommenen Gedichte auf Arichis II. und seine Söhne Romoald und Grimoald. Sicherlich aus dieser Handschrift stammt die Besitzliste Potos, die wohl im Zusammenhang mit den Schenkungen aus Potos Besitz gegen Ende des 9. Jahrhunderts kopiert wurde (siehe Kap. II. 8). Teil des Kompendiums waren das (mit dem Cavensis verwandte) Glossar der langobardischen Rechtsausdrücke, eine kleine Gruppe 'fränkischer' Quellen (der Brief Ludwigs II. an Kaiser Basileios, der erfundene Briefwechsel Karls des Großen mit dem Kaiser in Konstantinopel, die Völkertafel und die kurze Liste der fränkischen Leges) sowie weitere Herrscherverzeichnisse. In Frage kommen noch die beiden Vertragstexte Sicards mit Neapel und zwischen Radelchis und Siconulf, obwohl es möglich ist, daß erst der Chronist von Salerno, der die Verträge nach eigener Angabe in Salerno gesehen hatte, sie in den Anhang seiner Handschrift übernahm. Das Gedicht auf Landulf I. von CapuaBenevent (fol. I47v) wurde möglicherweise noch in Montecassino nachgetragen. Aus Montecassino stammt vermutlich auch der erste Teil der langobardisch-fränkischen Königsliste (fol. lr-2r), die weitgehend mit der des Cavensis übereinstimmt, allerdings nur bis König Hugo (926—947), wo der Vaticanus abzuweichen beginnt. Viele von diesen Texten waren im langobardischen Süditalien recht verbreitet und wurden seit dem 10. Jahrhundert auch in andere Handschriften übernommen, vor allem innerhalb des 4 Zu Maio: Chronica monasterii Casinensis 1, 4 8 , ed. Hoffmann 127; siehe unten in diesem Abschnitt.

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Text, Gedächtnis und die Behauptung der Identität

,textuellen Raumes' von Montecassino, also in seinen Dependenzen oder in anderen Benediktsklöstern wie in Salerno. Leider fehlen aus dieser Zeit entsprechende Handschriften aus San Vincenzo, wo es wohl Ahnliches gab. Ab 1100, als manche der alten Texte durch die Konflikte und die geschärften Wahrnehmungen seit dem Investiturstreit neue Aktualität erlangten, gelangten einige auch in die großen Chroniken von S. Sophia in Benevent und San Vincenzo al Volturno. Nur im Skriptorium von Montecassino ist aber zu belegen, daß derartige Texte gesammelt und immer wieder in unterschiedlichen Kombinationen abgeschrieben wurden. Für die Mönchsgemeinschaft von Montecassino hatte die intensive Sammlungstätigkeit um 900 auch einen wirtschaftlichen Sinn. Im Herbst 883 war Montecassino von sarazenischen Plünderern zerstört worden, und die Mönche zogen sich nach Teano zurück.5 Doch hier wurde das Kloster von einer weiteren Katastrophe betroffen, einem Brand, der wohl im Jahr 896 einen Großteil des Archivs vernichtete: Huins abbatis (i.e. Ragemprandus) septimo anno indictione XIIII"', monasterium quo in Teano fratres degere cqperent, occulto Dei iudicio ab igne crematum est cum omnibus opibus suis, ubi etiam et regula quam beatus Benedictus manu sua conscripserat, necnon et sacci in quibus iussu Dei cqlitus eidem patri Benedicto escq delate sunt, insuper etplurima huius cqnobii munimina, plurima quoque prqcepta donationum, a singulis imperatoribus, ducibus, atqueprincipibus, eidem monasterio collata, incensa sunt.6 Die Chronik von Montecassino gibt einen einzigartigen Bericht darüber, wie in den folgenden Jahren versucht wurde, die Memoria des Klosters zu rekonstruieren. In der Zeit des Abtes Johannes (914-934), so wird berichtet, diskutierte man eines Abends, woher das Kloster die Besitzungen von Casa Gentiana erhalten hatte.7 Quidam Maio presbyter atque grammaticus, homo senex atque veracissimus, hoc exinde se nosse certo certius affirmabat, heißt es dann; er konnte die verschiedenen Privilegien aus dem Gedächtnis aufzählen, und auch einige weitere Güter, die in ihnen genannt waren. Dann erklärte er: omnia ego legi, et in aliis membranis ego renovavi ex iussione domni Angelarii abbatis. Maio hatte also im Auftrag des Abtes die Privilegien „erneuert". Wahrscheinlich hatte man die Verwüstung des Klosters durch die Sarazenen zum Anlaß genommen, Urkundenkopien herzustellen.8 Zugleich werden hier die Brandfolgen thematisiert, und die Geschichte in der Chronik des Leo Marsicanus zieht einen komplexeren Prozeß von Urkundenerneuerung zusammen. Von den drei Urkunden zu Casa Gentiana, die Maio als verbrannt nannte, sind diejenigen von Gisulf II. und Arichis II. tatsächlich nicht erhalten; eine Fälschung auf Grimoald III. findet sich im Register des Petrus Diaconus, obwohl dieser ja nach der zitierten Geschichte ebenso wie wir annehmen mußte, daß die Originale verbrannt waren.9 Gerade bei alltäglichen Rechtsgeschäften wie Landleihe fällt auf, daß aus

' Erchempert 4 4 , ed. Waitz 2 5 1 ; Hoffmann, Abtslisten 2 6 1 ; vgl. auch Fabiani, La terra di San Benedetto 1 , 3 4 f. ' Chronica monasterii Casinensis 1, 4 8 , ed. Hoffmann 1 2 6 f. Zur Datierung Hoffmann, Abtslisten 2 6 7 . Vgl. auch Bertelli, Situazione dell'arte 6 9 1 . Kurze Hinweise auf die fortgesetzte Tätigkeit des Skriptoriums von Montecassino bei Cavallo, Libri scritti 7 6 1 ; vgl. auch Leonardi, La cultura cassinese. 7 Casa Gentiana: Bloch, Monte Cassino 2, 7 4 9 - 7 5 5 . 8 Angelarius starb bereits Ende 8 8 9 , also vor dem Brand von 8 9 6 , was Leo Marsicanus verwirrte. Hoffmann, Abtslisten 2 6 6 f., nimmt daher an, daß „Maio seine Kopien natürlich vor der Zerstörung des Archivs angefertigt haben" muß, und faßt das „renovare" als reine Kopiertätigkeit auf. ' Registrum Petri Diaconi n. 183 (Sept. 7 8 8 ) ; vgl. Hoffmann, Chronik und Urkunde 111 und 174.

Montecassino im Exil: Schreiben zur Selbstbehauptung

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dem 9. Jahrhundert fast nichts mehr da ist, während aus dem 10. Jahrhundert noch einiges erhalten ist.10 Man würde sich wundern, wenn nach dem Brand von 896 nicht versucht worden wäre, das Verlorene zum Teil zu ersetzen, und tatsächlich kennen wir ja noch eine Menge kopial überlieferter Urkunden - und einige wenige Originale - aus der Zeit vor 896." Nicht alles mag verbrannt sein, vieles wurde wohl rekonstruiert, und in manchen Fälle nützte man sicherlich die Lage, um zweifelhafte Ansprüche unter Hinweis auf Verlorenes durchzusetzen.12 Ein Großteil der Urkundenüberlieferung der Langobardenzeit aus Süditalien stammt aus solchen, meist mehrfachen, Erneuerungen von munimina, die verloren oder aus anderen Gründen erneuernswert waren.13 Allerdings macht die Maio-Geschichte nicht den Eindruck, als wäre man dabei so systematisch vorgegangen wie später ein Petrus Diaconus oder Johannes von Volturno. Bei vielen Besitzungen mag das um 900 wenig aktuell gewesen sein; die Terra di San Benedetto hatten nach den sarazenischen Plünderungen und den übrigen Kämpfen der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts große Bevölkerungsverluste erlitten, auch wenn deren Ausmaß umstritten ist.14 Abgesichert wurde die Rekonstruktion des Urkundenschatzes durch eine Reihe von Urkunden, in denen dem Kloster pauschal die bisher erhaltenen Schenkungen und Privilegien bestätigt wurden, wohl nicht zuletzt diejenigen, die durch die Tätigkeit des grammaticus Maio erneuert worden waren. Solche Bestätigungen erhielt man schon nach der Vertreibung durch die Sarazenen ab Ende der achtziger Jahre, etwa, wie Erchempert kurz vor Ende seiner Chronik berichtet, ca. 888 von Atenulfl.: (Atenolfus) monachos beati Benedicti pro rebus perditis iurare compulit, quibus cessum fuerat ab omnibus retro principibus cunctisque augustis Gallicis, sacramentum per se nulli homini dandum, nisiper scariones; se autem in huiusmodi negotio sapientiorem acpotiorem ostendensprioribus}'' Die Urkunde hilft zu verstehen, warum Atenulf, se sapientiorem ac potiorem ostendens prioribus, gegen 10 Citarella-Willard, The Ninth-Century Treasure 75. " Siehe die Liste bei Gallo, I diplomi 58f. Vgl. auch Cuozzo-Martin, Documents. 12 Vgl. Geary, Phantoms of Remembrance 82 und 115 ff. " Dazu, vor allem zum Problem der großen „Klosterchroniken" des 12. Jahrhunderts mit ihren Urkundenkopien, siehe künftig Resl, Vom Nutzen des Abschreibens. Vgl. auch Bertolini, I documenti trascritti. Allgemein siehe das grundlegende Werk von Geary, Phantoms of Remembrance. 11 Fabiani, La terra di San Benedetto l , 50, sieht die Lage wesentlich düsterer als Citarella-Willard, The Ninth-Century Treasure 77 f. Die Einschätzung Fabianis beruht vor allem auf der Darstellung der Chronica monasterii Casinensis 2, 1, ed. Hoffmann 166, in der die Verödung der Ländereien des Klosters aber wohl rhetorisch überhöht wird; Citarella-Willard orientieren sich an der Urkundenüberlieferung und heben hervor, daß Montecassino selbst in den schlechtesten Zeiten des 9. und 10. Jahrhunderts über beträchtliche Einkünfte verfugt haben muß. San Vincenzo bewältigte die Krise nach der sarazenischen Zerstörung unter anderem dadurch, daß Besitz auf 29 Jahre gegen Einmalzahlungen und jährliche Rente ausgegeben wurde - Figliuolo, La struttura patrimoniale 114. Das führte längerfristig zu Problemen mit der Entfremdung dieses Besitzes, aber zunächst zu beträchtlichen Einnahmen. 15 Erchempert 78, ed. Waitz 263. Scario wird von Niermeyer, Lexicon Latinitatis Medii Aevi 943f., der dazu diese Belegstelle zitiert, mit „mandataire" wiedergegeben. In derselben Bedeutung, nämlich als zur Eidleistung über Besitzungen Berechtigte, verwendet den Begriff das Chronicon Vulturnense, fol. I46v, ed. Federici2,20 f., n. 79 (Urkunde des RadelchisII. für San Vincenzo, 899 August); Poupardin, Institutions n. 70, 89 f. Das Wort ist weder in den Leges Langobardorum noch in den Kapitularien für Italien belegt. Bei Aistulf 20 ist allerdings ein ovescario als Funktionär genannt. Poupardin, Les institutions 23—30, behandelt unter den Amtleuten den scario nicht. Taviani-Carozzi, Principauté 1, 596 f., sieht in den scariones wohl zutreffend Laien, die kirchliche Institutionen vor Gericht vertreten. Wie Taviani-Carozzi allerdings zur Auffassung kommt, daß Erchempert 78 „considère comme un coup de force contre les moines du Mont Cassin", daß Atenulf von ihnen verlangt, ihre Besitzrechte von scariones beschwören zu lassen, ist schwer verständlich.

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Ende der Historióla Erchemperts plötzlich vom Bedrücker des Klosters zum Beschützer geworden ist (siehe Kap. II. 5). Schon damals argumentierte Montecassino mit der Vernichtung der Urkunden beim Sarazenenüberfall auf das Kloster 883, ein zu jener Zeit immer wieder gerne gebrauchtes Argument.16 Ab ómnibus retroprincipibus cunctisque augustis Gallicis-, das ist kein geringer Anspruch. Aus dieser Blankovollmacht konnte man den Auftrag herauslesen, vorhandene Urkunden zu „erneuern" und verlorene Urkunden wiederherzustellen, in membranis renovare, wie es unter anderem Maio getan hat. Montecassino kam um 900 nicht nur bei Atenulf I. um Besitzbestätigungen und Privilegien ein. Heute sind diese Urkundentexte fast ausschließlich im Register des Petrus Diaconus erhalten.17 Das ist insofern auffällig, als aus dieser Zeit mehrere Originalurkunden im Archiv von Montecassino erhalten sind, die weniger weitreichende Angelegenheiten betreffen. Doch lag das wohl an der Arbeitsweise des Petrus Diaconus; keine der in seinem Register enthaltenen Fürstenurkunden aus dem 8.—10. Jahrhundert ist noch im Original erhalten, bzw. ist umgekehrt keines der erhaltenen Stücke im Register aufgenommen.18 Die Poto-Urkunde des Aio ist vermutlich gerade deshalb noch vorhanden, weil diese Besitzungen nie an Montecassino kamen und für Petrus Diaconus nicht von Interesse waren (siehe Kap. II. 8). Immerhin kann Erchempert als unabhängiger Textzeuge dafür dienen, daß gegen 900 tatsächlich pauschale Besitzbestätigungen ausgestellt wurden. Nach der Atenulf-Urkunde von ca. 888 folgt eine Besitzbestätigung aus dem Jahr 892, ausgestellt vom byzantinischen Patricius Symbatikios,19 der damals in Benevent herrschte; es handelt sich um den ersten Nachweis des Thema Langobardia, für die byzantinische Verwaltung in Italien ein bedeutender Einschnitt.20 Fast wortgleich damit ist eine Besitzbestätigung für San Vincenzo durch seinen Nachfolger Georgios, die Johannes von Volturno in das Chronicon Vulturnense aufnahm.21 Dann folgt, nach dem Brand, eine auffallende Häufung von Urkunden: im August 897 22 und im August 16 Noch die Bestätigung, die Landulf I. 934 ausstellte, erwähnt in der Narratio, daß durch den Sarazenenüberfall plurima monimina eiusdem monasterii Dei iudicio igne cremata sunt Montecassino, Archivio della Badia X, 19, Poupardin, Institutions n. 86, 144 f. 17 Als Originale erhalten sind im Archiv von Montecassino in jener Zeit u. a. zwei Urkunden Atenulfs über die Gründung einer Kapelle in Capua vom April 901 (Montecassino, Arch. XII, 2; Poupardin, Institutions n. 72, 91) und für das Kloster S. Maria in Cingla vom Juni 902 (Montecassino, Arch. X, 43; Poupardin, Institutions n. 74, 91; Leccisotti, Regesti 2, n. 43, 51; Bloch, Monte Cassino 1, 244); vgl. auch die Aufstellung in Gallo, I diplomi 58. 1! Das geht aus der Liste bei Gallo, I diplomi 58 f., hervor; er fuhrt vor 1000 immerhin 38 originale Fürstenurkunden für Montecassino an, denen 18 im Register des Petrus Diaconus aufgenommene gegenüberstehen. Zu Petrus siehe Caspar, Petrus Diaconus; Mancone, II Registrum Petri Diaconi; Hoffmann, Chronik und Urkunde. " Registrum Petri Diaconi fol. 64v, 136 (Hoffmann, Chronik und Urkunde 106); vgl. Chronica monasterii Casinensis 1, 49, ed. Hoffmann 128 ff.; Bloch, Monte Cassino 1, 6; Falkenhausen, Il documento greco. 20 Falkenhausen, Untersuchungen 22. 21 Chronicon Vulturnense, ed. Federici 2, 2 1 - 2 3 , n. 80. Vgl. Bloch, Monte Cassino 1, 6, der die Textgleichheit auf den Sekretär der Byzantiner zurückfuhrt. Man könnte auch die nachweisbare Benützung der Cassineser Unterlagen durch Johannes von Volturno dafür verantwortlich machen, vgl. Hoffmann, Das Chronicon Vulturnense. Falkenhausen, I rapporti 144 f., stellt allerdings zu Recht fest, daß es sich um „privilegi di routine" handelte, nicht um Verleihung neuen Besitzes, was eine Fälschung durch Petrus Diaconus und Johannes von Volturno, nach dem Ende der byzantinischen Herrschaft in Süditalien, wenig zweckmäßig erscheinen ließe. Siehe auch Figliuolo, La struttura patrimoniale 111. 22 Registrum Petri Diaconi fol. 126r, 310 (Hoffmann, Chronik und Urkunde 122); Voigt, Beiträge n. 86, 62; Gallo, I diplomi 19.

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900 23 Guaimar I. von Salerno, im März 899 Papst Johannes IX. (s. u.), und im Mai 902 nochmals Atenulf I. von Capua, der inzwischen auch Princeps von Benevent geworden war.24 Leo Marsicanus charakterisiert die letztere Urkunde mit den Worten: adquisivit etiam et a prefato Atenulfo iam principe preceptum confirmationis omnium oblationum seu concessionum ac possessionum huius monasterii propter icl vel maxime, quod etprius in hoc loco a Saracenis, denuo vero apud Teanum munimina huius cenobii igne consumpta essentP Wenn man der vielumstrittenen Sammlung des Petrus Diaconus kritischer begegnen wollte als sich die vorwiegende Forschungsmeinung eingependelt hat, könnte man die Authentizität all dieser Urkunden auch in Frage stellen. Daß ähnliche Stücke für San Vincenzo ausgestellt wurden, mag als Nachweis der Glaubwürdigkeit verstanden werden.26 Doch kann das zuweilen auch damit zusammenhängen, daß Johannes von Volturno bei der Abfassung seiner Chronik Vorlagen aus Montecassino verwendete.27 Immerhin, daß die beim Sarazenenüberfall und dem Brand verlorenen älteren Urkunden eine Häufung von Besitzbestätigungen zur Folge hatten, paßt gut zusammen und läßt vermuten, daß damals tatsächlich derartige Urkunden ausgestellt wurden, was ja auch Erchempert bestätigt. Geht man nach der heutigen Überlieferungslage, brachte die Papsturkunde von 899 allerdings wenig Neues gegenüber den beiden Privilegien Nikolaus' I. (859)28 und Johannes' VIII. (882).29 Es geht darin um eine Exemtion, oder zumindest päpstliche Schutzverleihung, wie sie für die 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts mehrfach überliefert sind.30 In der Forschung werden beide Urkunden, oder zumindest die zweite, meist als echt betrachtet. 3 ' Doch schon Paul Kehr hatte die Problematik der Uberlieferung diskutiert. Beide Privilegien sind in Abschriften des 11. Jahrhunderts auf Vorder- und Rückseite eines Pergamentblattes erhalten.32 Im Nikolaus-Privileg ist als Abt Bassacius genannt, der nach Leo Marsicanus aber schon 856 oder 857 gestorben war. Kehr erklärte 23 Registrum Petri Diaconi fol. 189v, 204 (Hofifmann, Chronik und Urkunde 114); Voigt, Beiträge n. 89, 62; Gallo, I diplomi 19. 24 Registrum Petri Diaconi fol. 89r, 202 (Hoffmann, Chronik und Urkunde 114); Poupardin, Institutions 91, n. 73; Voigt, Beiträge 66, n. 122; Hoffmann, Abtslisten 265 f.; Bloch, Monte Cassino 1, 244. " Chronica monasterii Casinensis 1, 51, ed. Hoffmann 131. 26 Z u m Beispiel von Radelchis II., 899 August (Chronicon Vulturnense, ed. Federici, 2, 20 f., n. 79): concedere, ut quicquid usque in illum diem per offerciones, aufper precepta a partepalacii velpossessiones, seu per alia munimina legalia, seu per obligacionem, vel per definitas causas possidere visifiierint, (...) possedermi. 27 Hoffmann, Das Chronicon Vulturnense 181 f. Zur Zuverlässigkeit der Chronik vgl. auch Wickham, Monastic lands. 2! Registrum Petri Diaconi 4 (Hoffmann, Chronik und Urkunde 98); Italia pontificia 8, 125, Nr. 33; JL 2858. 2 ' Registrum Petri Diaconi 5 (Hoffmann, Chronik und Urkunde 98); vgl. Chronica monasterii Casinensis 1, 32, ed. Hoffmann, 86 ff.; Italia pontificia 1, 126, n. 37; JE 3381. J0 Zur Problematik der Exemtion und der „traditio Romana" vgl. u. a. Appelt, Die Anfänge des päpstlichen Schutzes 101-111 (103: Formular Nikolaus' I. und Johannes' VIII.); Anton, Studien zu den Klosterprivilegien der Päpste; zur Angemessenheit des Exemtions-Begriffes Boshof-Wolter, Rechtsgeschichtlich-diplomatische Studien zu frühmittelalterlichen Papsturkunden, bes. Boshof, Traditio Romana 2 f. 31 So zum Beispiel von Fabiani, La terra di San Benedetto 1, 32f., mit Anm. 19: „Nonostante la mancanza degli originali, è ritenuto sicuro il fondamente d'ambedue le bolle", mit Verweis auf Leccisotti, Alcune osservazioni sulle giurisdizioni cassinesi. Auch Bloch, Monte Cassino 2, 633 ff, geht von der Echtheit der Urkunden aus. 32 Montecassino, Archivio della Badia VII, 6.

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das zum Problem der Chronologie der Äbte von Montecassino. 33 Doch Hoffmanns gründliche Untersuchung ergab mit großer Wahrscheinlichkeit den 17. März 856 als Todestag des Bassacius.14 Da Nikolaus erst im Frühjahr 858 Papst wurde, sind wohl grundlegende Zweifel an der ersten Urkunde erlaubt. 35 Kehr hatte die Echtheit der Urkunde durch ihre Textgleichheit mit der Bestätigung Johannes' VIII. bewiesen gesehen: „Essendo il testo in tutto identico alla conferma di Giovanni Vili, non offre nè difficoltà nè dubbi." 36 Umgekehrt könnte man daraus ableiten, daß auch diese Bestätigung von 882 nicht über alle Zweifel erhaben ist. Erchempert zeichnet für jene Jahre ein düsteres Bild der Beziehungen Montecassinos zu den Päpsten. Zwar berichtet er (c. 47) von einer Gesandtschaft des Abtes Bertharius von Montecassino (856-883) gemeinsam mit Bischof Leo von Teano zu Johannes VIII., die wohl 879 stattfand. Es ging darum, die Ordinierung des Landonulf, Bruder des Fürsten Pandenulf, zum Bischof von Capua zu verhindern. 37 Doch die Mission war vergebens, prevalens tarnen voluntas pontificis, Landonulfiim episcopum ordinavit. Pandenulf zeigte sich angeblich erkenntlich, indem er im Namen des Papstes Urkunden ausstellen und Münzen schlagen ließ. Die Verwüstung der ganzen Gegend durch die Sarazenen, die in der Zerstörung des Klosters 883 gipfelte, führt Erchempert direkt auf diese Entscheidung des Papstes zurück; Bertharius hatte dem Papst gedroht, daß er mit dieser Entscheidung ein Feuer entfachen würde, das bis zu ihm schlagen würde. 38 Vom Aufenthalt Johannes' VIII. in Capua im Winter 879/80 berichtet Erchempert nur, daß omnes Langobardi hostiliter illum adeunt:39 Das ist sicher übertrieben, aber die Politik des Papstes in Süditalien geriet tatsächlich in Schwierigkeiten. Im Konflikt zwischen Capua und Gaeta sicherte Johannes VIII. das umstrittene Gebiet von Traetto zuerst den Capuanern und dann doch wieder Gaeta zu.40 Dabei wurden offenbar Ansprüche Montecassinos übergangen. Zumindest spielte eine Urkunde Johannes' VIII. für Docibilis I. von Gaeta über Besitzungen, auf die auch Montecassino Anspruch erhob, noch im Jahr 1014 bei einem Placitum eine Rolle, als sich der Comes Dauferius von Traetto gegen Montecassino darauf berief (vgl. Kap. IV. 8).41

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Kehr, Le Bolle Pontificie 2 3 - 2 6 . H o f f m a n n , Abtslisten 2 5 6 f. 35 Diese Feststellung machte bereits Falco, D u e Secoli 544, allerdings ohne ein Urteil abzugeben. In der jüngeren italienischen Forschung geht m a n meist davon aus, daß das Stück von 859 gefälscht, das von 882 aber echt ist: Picasso, La sede apostólica 2 0 1 - 2 1 3 . Ahnlich H o f f m a n n , Abtslisten 258. 36 Kehr, Le Bolle Pontificie 25. 37 Erchemperts Geschichte ist fast wortgleich übernommen in Leos Chronica monasterii Casinensis 1, 40, ed. H o f f m a n n 110, allerdings an ganz anderer Stelle als die Nachricht, Bertharius habe von Johan34

nes VIII. ein Privilegium

de omnímoda

huius monasterii

libertate empfangen (I, 32). Zum Hintergrund

H a r t m a n n , Italien 3, 2, 87 f.; Cilento, La cronaca 147 f. 38 Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Johannes VIII. u n d Bertharius ergeben sich schon aus dem Brief des Papstes an den Abt von 872/73, in dem er ihn in scharfer Form abkanzelt (Italia pontificia 8, 125 f., nr. 35). Auch Picasso, La sede apostólica 211, gibt den Konflikten zwischen Johannes VIII. und Montecassino einigen Raum, doch schließt er: „Non si rovesciarono tuttavia le posizioni, le alleanze di fondo". D a f ü r ist freilich die Urkunde von 882 der einzige Beleg. 3 ' Erchempert 47, ed. Waitz 255; vgl. den etwas freundlicheren Bericht in der Chronica comitum Capuae, ed. Cilento, La cronaca 125 f.: advenit Capuam ut discordes adconcordiam revocaret. Der Aufenthalt des Papstes in Capua fällt in den Herbst u n d Winter 879/880, vgl. Italia pontificia 8, 203 f. 40 Skinner, Family Power 33. 41 Codex Diplomaticus Cajetanus 1, n. 80, 2 4 4 - 2 5 2 . Nach dem Transumpt ist die Urkunde Johannes' VIII. allerdings am 12. Juni der 5. Indiktion ausgestellt, das wäre 872; der Pontifikat des Johannes

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Daß Johannes VIII. Montecassino völlig eximierte, davon weiß der Zeitgenosse Erchempert nichts. Dabei soll das, wie Giorgio Falco betont, ein Wendepunkt in der Geschichte des Klosters gewesen sein.42 Die fragliche Urkunde für Montecassino ist auf Mai 882 datiert. Außer einem Brief an die Bischöfe Leo von Teano und Landulf von Capua im Februar 882 43 ist es das einzige erhaltene Stück während des Aufenthaltes Johannes' VIII. in Norditalien, das nicht norditalienische Kirchen betrifft.44 Wollte man im 11. Jahrhundert in Montecassino eine Papsturkunde des 9. Jahrhunderts fälschen, war Johannes VIII. als Aussteller naheliegend. Denn hier ist in einer Handschrift des 11. Jahrhunderts, dem einzigen erhaltenen Textzeugen, das Briefregister dieses Papstes überliefert.45 Daß der Papst für Montecassino eine Urkunde ausstellte, ist durchaus möglich; ob der überlieferte Inhalt tatsächlich der Kritik standhält, ist zumindest zweifelhaft. Sicherlich gefälscht ist die Urkunde des Papstes Zacharias für Montecassino zu 748, die ebenfalls in einer Kopie des 11. Jahrhunderts überliefert ist; doch da eine Bleibulle dieses Papstes in Montecassino erhalten geblieben ist, kann man davon ausgehen, daß es ursprünglich eine authentische Zacharias-Urkunde gegeben hat.46 Erchempert berichtet auch, daß er von einer Gesandtschaft bei Stephan V. im Jahr 887 ein Privilegium nostri cenobii heimbrachte.47 Es drehte sich dabei möglicherweise nur um die Bestätigung des von Atenulfentfremdeten Besitzes, den Anlaß zur Mission Erchemperts; dennoch ist es auffällig, daß sich von diesem Privileg keine Spur in der Cassineser Uberlieferung erhalten hat.48 Sowohl überlieferungsgeschichtlich als auch diplomatisch anders verhält es sich bei der Urkunde Johannes' IX. von März 899. 49 Sie ist nicht als Einzelkopie des 11. Jahrhunderts erhalten, doch findet sich ein Fragment im Codex Casinensis 216 vom Ende des 11. Jahrhunderts. Der Volltext steht im Register des Petrus Diaconus. „An der Echt-

dauerte von Dezember 872 bis 882. Docibilis I. von Gaeta regierte von 867 bis 906 (vgl. Skinner, Family Power 27ff.). Italia Pontificia 8, 82, n. 5 datiert auf 8 7 3 - 8 7 5 ; Fabiani, La terra di San Benedetto 1, 314 f., a u f 8 8 1 ; Skinner, Familiy Power 28, auf „the late seventies". Denkbar wäre eine Verschreibung der Indiktion in der Kopie. Die Beziehungen Johannes' VIII. zu Docibilis sind widersprüchlich; er galt als päpstlicher Verbündeter (so auch im Chronicon monasterii Casinensis 1, 43), doch kam es vorübergehend zum Bruch, als Docibilis sarazenische Hilfstruppen einsetzte; vgl. Registrum Johannis VIII. n. 37, 39, 230, ed. Caspar-Laehr, 3 6 - 3 8 , 204f., Z u m Kontext Citarella, T h e politicai chaos 170. 42 Falco, Due secoli 238 f.; er hat freilich Schwierigkeiten, den plötzlichen Stimmungsumschwung in der Beziehung zwischen Papst und Abt zu erklären. Ebenso n i m m t Citarella, T h e politicai chaos 172, eine plötzliche Versöhnung zwischen Papst und Abt an, wofür wiederum nur die Urkunde als Belegstück dient. Einen Markstein in der Entwicklung des Klosters sieht auch Picasso, La sede apostolica 213: „Con la bolla del 22 maggio dell'882 si ebbe in realtà il primo vero documento sicuro in favore della giurisdizione cassinese." 43 JE 3371; vgl. Registrum Johannis Vili., ed. Caspar-Laehr, n. 300. Das Jahr 882 verbrachte Johannes VIII. zum Großteil in der Gegend von Ravenna. 44 JE 3371 (Brief an die Bischöfe von Teano u n d Capua). 45 Caspar, Studien 85 f., über die Handschrift Registra Vaticana t. I saec. XI; Lohrmann, Das Register Papst Johannes VIII. 46 JE 2281; Italia pontificia 8, 122, n. +22 (vgl.+23, +24, +25); zur Bleibulle Tosti, Storia della Badia di Montecassino 81 ff.; siehe auch Kehr, Le Bolle Pontificie 13; H o f f m a n n , Abtslisten 247. 47 Erchempert 69, ed. Waitz 261. 4 " Die Chronica monasterii Casinensis 1, 47, ed. H o f f m a n n 125, übernimmt den Bericht Erchemperts (und verdeutlicht ihn in der CDMS-Fassung); Petrus Diaconus bringt keine Urkunde dieses Papstes, vgl. H o f f m a n n , Chronik u n d Urkunde 149. 49 Registrum Petri Diaconi fol. 4v-5r, 6 ( H o f f m a n n , Chronik und Urkunde 98); vgl. Chronica monasterii Casinensis 1, 46, ed. H o f f m a n n 122ff.; 1, 24, ebd. 6 9 f f ; Papsturkunden, ed. Z i m m e r m a n n n. 9, 1 8 - 2 0 (899 März). Vgl. Kehr, Le Bolle Pontificie 26.

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heit besteht kein Zweifel", urteilt Zimmermann. 50 Es handelt sich um „die Musterurkunde, deren Text von allen anderen Privilegien übernommen wird".51 Die Urkunde folgt weitgehend der Formel 86 des Liber Diurnus?2 Die meisten darin enthaltenen Bestimmungen kommen auch in den beiden älteren Stücken sowie in der gefälschten Urkunde des Papstes Zacharias bereits vor, wenn auch anders formuliert. Heißt es 899, daß das Kloster nullius alterius qcclesie iurisdictionibus submittitur, so enthielten die Vorurkunden den Passus nullius ecclesie cuiuslibet episcoporum dicionibus (...) submittatur. Die allgemeine Besitzbestätigung ist 899 deutlicher als in den früheren Urkunden in der Formel sancimus atque decernimus, ut loca (...) necnon et alias locorum possessionis, que a regibus ac ducibus vel castaldeis et a ceteris Christianis in eodem sancto loco largita atque oblata sunt aut in postmodum illic concessa fuerint, firma stabilitate ipsius prephati monasterii existenda ac in perpetua permanenda statuimus gefaßt. Im über die Diurnus-Formel hinausgehenden Teil sind einige weitere konkrete Bestimmungen gegen Rechte des Bischofs eingeführt, die teils nicht in den Urkunden von 859 und 882 vorkommen: Kleriker, Priester, Diakone oder Subdiakone jeder Diözese dürfen cum rebus suis ins Kloster eintreten, ohne daß ihr Bischof sie daran hindern sollte. Das mag etwa im Interesse des Cassineser Diakons Dauferius gewesen sein (von dem man wiederum weiß, daß er schon 887 als Gesandter zu Papst Stephan V. gegangen war53). Mönche und Nonnen standen unter der Jurisdiktion des Abtes absque secularipotestate etprohibitione cuiuslibet episcopi. Die Abwehr der bischöflichen Ansprüche wurde für mittelalterliche Klöster häufig zum Problem.54 Hans-Henning Kortüm hat freilich mit guten Gründen in Teilen der Urkunde, unter anderem den Passagen über den ungehinderten Eintritt ins Kloster, Interpolationen des Petrus Diaconus vermutet. 55 Barbara Rosenwein hat sich jüngst überhaupt skeptisch zu päpstlichen Immunitätsverleihungen vor dem Privileg Johannes' XI. für Cluny geäußert.56 Immerhin, nach den Erfahrungen mit den Bischöfen aus der Familie der Comites von Capua war es für Montecassino 899 wohl naheliegend, den bischöflichen Einfluß zurückzudrängen und sich dabei einer möglichst engmaschigen Kasuistik zu bedienen, die über die in weiten Strecken sehr allgemeine Rhetorik des Diurnus-Formulars hinausging. Das Privileg würde, anders als das Johannes' VIII., also durchaus in den Kontext der Ausstellungszeit passen. Freilich bewegen sich alle diese Überlegungen in einem hypothetischen Raum, denn die ältesten in Montecassino erhaltenen originalen Papsturkunden stammen von Leo IX.,57 und etwa aus derselben Zeit sind auch die frühesten Kopien älterer Papstprivilegien erhalten. In den zwanziger Jahren des 11. Jahrhunderts gab der Streit um S. Sophia in Be-

"'" Papsturkunden, ed. Zimmermann 19. " Kortüm, Zur päpstlichen Urkundensprache 240, 681 und 241 f., mit weiterer Literatur. 52 Papsturkunden, ed. Zimmermann 19; zur Formel 86 Boshof-Wolter, Rechtsgeschichtlich-diplomatische Studien zu frühen Papsturkunden 3; Kortüm, Zur päpstlichen Urkundensprache 241. " Erchempert 65, ed. Waitz 260; Italia pontificia 8, 204, n. 15. 54 Vgl. z. B. Tabacco, Vescovi e monasteri; Capitani, Immunità vescovili; Palmieri, Duchi e vescovi. Zur Immunität für San Vincenzo Vitolo, San Vincenzo al Volturno e i vescovi 129 f.; er datiert, mit erheblichen Zweifeln an den im Chronicon Vulturnense überlieferten Papsturkunden, die Exemtion auf vor 944. 55 Kortüm, Zur päpstlichen Urkundensprache 242 f. 56 Rosenwein, Cluny's immunities; dies., Negotiating Space 163, zu Papsturkunden, ed. Zimmermann n. 464 und 465. 57 Kehr, Le Bolle Pontificie 11.

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nevent den Anlaß zu Fälschungen;58 auch ein ganzer Komplex von päpstlichen und kaiserlichen Besitzbestätigungen, die im Register des Petrus Diaconus enthalten sind, wurde auf diese Zeit gefälscht.59 Die Urkunde von 899 kennen wir aus dem fragmentarischen Eintrag vom Ende des 11. Jahrhunderts und aus dem Register des Petrus Diaconus aus dem 12. Jahrhundert. Daß das Formular des Liber Diurnuswerwendet wurde, kann nicht unbedingt als Echtheitskriterium gelten, denn der war auch späteren (Ver)fälschern bekannt.60 Wahrscheinlich fand die Serie der teils wiederholten und teils konkretisierten Privilegien des 9. und 10. Jahrhunderts61 erst im 11. und 12. Jahrhundert, nicht zuletzt durch Petrus Diaconus, ihre endgültige Form. Immerhin erwähnt noch nicht einmal Leo Marsicanus die Urkunde von 859. Auf der anderen Seite ist kaum anzunehmen, daß Montecassino in der schwierigen Lage am Ende des 9. Jahrhunderts nicht auch päpstliche Privilegien suchte. Die Gelegenheit, unter dem Verweis auf alte Rechte und verlorene Urkunden neue Privilegien zu erwerben, war zweifelsohne günstig.62 Diejenige Handschrift, in der Erchemperts Chronik gemeinsam mit den kleineren Texten damals niedergeschrieben wurde, war jedoch nicht dazu gedacht, eine chronologische Ubersicht über die Rechte Montecassinos im Kontext seiner Geschichte zu bieten. Das unterscheidet sie ebenso wie die beiden anderen hier behandelten Handschriften grundlegend von den großen Klosterchroniken, oder Chartular-Chroniken, der Zeit um 1100. Das Chronicon monasterii Casinensis in den Fassungen des Leo Marsicanus und des Petrus Diaconus (und in Zusammenhang damit, das Registrum Petri Diaconi) in Montecassino, das Chronicon Vulturnense in San Vincenzo al Volturno oder das Chronicon Sanctae Sophiae in Benevent stellen Urkundenabschriften oder Verweise auf Urkunden in einen chronologischen Rahmen, der mehr oder weniger ausführliche chronikalische Nachrichten bietet.63 Ähnlich hatte das bereits Gregor von Catino bei der Arbeit am Regestum Farfense gemacht.64 Bis ins 11. Jahrhundert schrieb man in Süditalien Urkunden in der Regel auf einzelne Pergamentblätter ab, wie sie noch verschiedentlich er" Z. B. Papsturkunden, ed. Zimmermann n. 110 (Agapit II., 9 4 6 - 9 4 9 ) ; n. 533, 1013-1015. Vgl. Caspar, Petrus Diaconus 15; Bertolini, I documenti 13. " Papsturkunden, ed. Zimmermann n. 535 bis 537, 1017-1022 (alle im Jahr 1022); Caspar, Petrus Diaconus 108ff.; Hoffmann, Abtslisten 3 0 6 f f ; M G H DD.H.II. 531 und 532 (ebenfalls 1022). 10 Ich verdanke Brigitte Resi grundlegende Überlegungen zur Uberlieferungsproblematik. Die Frage ist der Papstdiplomatik seit längerem bekannt und wird meist zumindest durch Kautionsformeln in der Einleitung angesprochen, etwa bei Boshof-Wolter, Studien 2. " Siehe Italia pontificia 8, 128, n. 44; 130, n. 49, n. 51, n. 52; 131, n. 53, n. 54; 132, n. 56. 62 Allgemein vgl. Pitz, Erschleichung. 63 Chronica monasterii Casinensis, ed. Hoffmann; Chronicon Vulturnense, ed. Federici (eine Neuedition dieser wichtigen Quelle, des Vat. Barb. lat. 2724, wäre wünschenswert). Die Edition des Chronicon S. Sophiae (Vat. lat. 4939) durch Jean-Marie Martin soll abgeschlossen sein, war mir aber noch nicht zugänglich; vgl. Martin, Quelques réflexions. Einer Edition bedarf unbedingt das Registrum Petri Diaconi. Grundlegend zur Chronik des Leo Marsicanus und zum ganzen Komplex der ,Chartular-Chroniken' sind noch immer die zahlreichen Arbeiten von Hoffmann. Siehe künftig auch Resi, Vom Nutzen des Abschreibens. Montecassino: Caspar, Petrus Diaconus; Klewitz, Petrus Diaconus; Smidt, Über den Verfasser; ders., Urgestalt; Mancone, II Registrum Petri Diaconi; Cowdrey, The Age of Abbot Desiderius; Hoffmann, Das Kalendar des Leo Marsicanus; Meyvaert, The Autograph of Peter the Deacon; Hoffmann, Chronik und Urkunde; ders., Studien; Newton, Leo Marsicanus; S. Sophia: Bertolini, I documenti trascritti; San Vincenzo: Monticolo, I manoscritti; Hoffmann, Das Chronicon Vulturnense; San Vincenzo al Volturno — dal Chronicon alla storia, ed. de Benedittis; San Vincenzo al Volturno, ed. Marazzi; Wickham, Monastic lands. Allg. siehe auch Guyotjeannin, Les cartulaires. 64 Zielinski, Studien; ders., Gregor; Kölzer, Codex libertatis. Vgl. auch Brühl, Langobardische Königsurkunden.

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halten sind (etwa die beiden oben erwähnten Papsturkunden von Nikolaus I. und Johannes VIII.). Kopialbücher oder andere Formen der Zusammenstellung von Rechtstiteln (wie die Traditionsbücher im karolingerzeitlichen Bayern) gab es offenbar nicht. Auch die Aufnahme einzelner Urkunden in wichtige Handschriften eines Klosters, um sie zu sichern oder präsent zu halten, ist bei den untersuchten Handschriften nicht (bzw. erst im 12./13. Jahrhundert) vorgekommen. In Codices sammelte man allerlei andere Informationen, bis hin zur Besitzliste des Poto, doch Urkunden waren nicht dabei. Allenfalls nahm man, wie in den beiden Zusätzen zur Fürstenliste des Casinensis 175, kurze Notizen über bedeutende Stiftungen auf, wie die des Gisulf II. oder die Gründung von S. Sophia (siehe Anhang). Es ist allerings durchaus möglich, daß nach den Verlusten vor 900 bereits knappe Aufzeichnungen dieser Art über weitere wichtige Urkunden angelegt wurden, die das Kloster besessen hatte. Die oben zitierte Geschichte über Maio impliziert eigentlich, daß seine Erinnerungen noch in irgendeiner Weise schriftlich festgehalten wurden. Auf diese Quelle könnten sich später die Chronik des Leo Marsicanus ebenso wie die Fälschungen des Petrus Diaconus gestützt haben. Im Vat. lat. 5001 fehlt (zum Unterschied vom Casinensis 175) sogar die Abtliste, nach der eine solche Aufstellung von Rechten und Besitzungen strukturiert hätte werden können. Dennoch wird die Geschichte des beneventanischen Prinzipats und seines Zerfalls aus der Perspektive der Klostergemeinschaft und ihrer durchaus kurzfristigen weltlichen Interessen gesehen. Die Sammlung von 900 macht den Eindruck eines Dossiers, das dazu diente, Informationen über die Mächte und Personengruppen zu sammeln, mit denen man es zu tun hatte, und Argumentationshilfe in allen möglichen Situationen und für alle möglichen Verhandlungspartner zu gewinnen. Dieses Dossier muß bald nach dem Brand von 896 angelegt worden sein, der einen Großteil des Archivs vernichtete und der eine intensive renovatio der klösterlichen Memoria zur Folge hatte. Nicht nur die Privilegien und Schenkungen wurden so weit wie möglich wiederhergestellt und durch eine Serie von Pauschalbestätigungen abgesichert sowie durch neue Rechte ergänzt. Auch ein Corpus im weitesten Sinn historischer Informationen wurde zusammengetragen. Daran läßt sich freilich auch ablesen, daß keineswegs alle schriftlichen Aufzeichnungen durch den Brand vernichtet worden waren; nicht nur Erchemperts Chronik blieb erhalten. Auch die Vorlage des Casinensis, die Regelhandschrift aus der Zeit Ludwigs II., muß ebenso wie vieles weitere den Brand überdauert haben, auch wenn die regula, quam beatus Benedictus manu sua conscripserat, in Flammen aufging. 65 Die Bedrohung der Memoria des Klosters durch die zweimalige Zerstörung vieler Archivbestände löste intensive, wenn auch nicht immer ganz geordnete Bemühungen um eine Erneuerung der schriftlichen Aufzeichnungen aus.

2. Die Selbstdarstellung Montecassinos vom späten 9. bis zum frühen 11. Jahrhundert Die Geschichte Montecassinos im früheren Mittelalter, etwa zwischen Benedikt im 6. Jahrhundert und Desiderius im 11. Jahrhundert, war außerordentlich wechselhaft. 66 Die Mutterabtei der Benediktiner wurde zweimal zerstört und für lange Jahrzehnte Chronica monasterii Casinensis 1, 48, ed. Hoffmann 126 f. Überblick: Penco, Storia del monachesimo 131-140. Desiderius: Cowdrey, The Age of Desiderius; Newton, The scriptorium; und die Bände von L'età del abate Desiderio. 65

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mehr oder weniger aufgegeben, einmal gegen Ende des 6. Jahrhunderts infolge der Langobardenangriffe und einmal 883 nach der Plünderung durch sarazenische Scharen.67 Zwischen der ersten und der zweiten Zerstörung lag die Zeit von der Mitte des 8. bis in die ersten Jahrzehnte des 9. Jahrhunderts, die zumindest rückblickend als Blütezeit erschien. Die Stiftung Gisulfs II. von 745 schuf die Grundlage eines zusammenhängenden Landbesitzes in den Tälern des Liri und des Garigliano, der terra Sancti Benedicti,68 Bei vielen der bedeutendsten Klöster der Halbinsel verliefen die Rhythmen ähnlich, etwa bei Farfa oder bei San Vincenzo al Volturno.69 In der Karolingerzeit stiegen sie zu „monastischen Städten" auf, die der Großzügigkeit regionaler Fürsten, aber auch der Kaiser weite Besitzungen, eine eindrucksvolle Architektur und eine reiche Ausstattung verdankten.70 Eulogimenopolis, so nannten die Cassineser stolz ihre Klosterburg, die Stadt des Heiligen Benedikt.71 Als im Lauf des 9. Jahrhunderts die politische Stabilität verlorenging und die Macht des Schwertes auf immer mehr rivalisierende Gruppen aufgeteilt wurde, erregten diese Güter Begehrlichkeiten, denen die stolze Stellung der großen Abteien schließlich zum Opfer fiel. Am Ende des 9. Jahrhunderts war die alte Herrlichkeit zum großen Teil Vergangenheit. Montecassino besaß jedoch immer noch das Potential, diese Vergangenheit zu bewahren, zu verarbeiten und auf dieser Grundlage weiterhin eine außergewöhnliche Stellung zu beanspruchen. Selbstbewußtsein und Selbstdarstellung im Kloster des heiligen Benedikt orientierten sich am alten Glanz. Dieser Suggestion vermochten sich auch Gegner und Kritiker nicht immer zu entziehen. Gegen 1000 klagte der Heilige Nilus zwar über den verweltlichten Lebensstil des Abtes Manso, verbrachte aber dennoch Jahre als Asket in der Umgebung des Klosters.72 Die vorliegende Studie sollte zeigen, wie das kulturelle Gedächtnis Montecassinos vom 9. bis an den Beginn des 11. Jahrhunderts schriftlich gepflegt und genutzt wurde.73 Natürlich ging die soziale Erinnerung des Klosters über die hier diskutierten Uberlieferungslinien hinaus. Die klösterliche Memoria in dem Sinn, wie es die Schule Karl Schmids, und andere, in zahlreichen Studien erforscht haben, spielte ebenso eine Rolle.74 Auch in Montecassino wurde die Memoria von Mitgliedern der Gemeinschaft, von Gönnern und Förderern gepflegt, wie sich an den Ne67 Montecassino dalla prima alla seconda distruzione, ed. Avagliano; Citarella, T h e Politicai Chaos; Dell'Omo, A proposito dell'esilio romano.

" Chronica Sancti Benedicti Casinensis 2 1 , ed. Waitz 4 7 9 f.; siehe unten in diesem Abschnitt und im Anhang. Zur Bedeutung der Stiftung Fabiani, La terra di San Benedetto 1, 2 0 f. Der Name terra Sancti Benedicti für das Kerngebiet der Klosterländereien ist seit Ende des 10. Jahrhunderts bezeugt: Fabiani, La terra di San Benedetto 1, 2 2 . " Feiten, Zur Geschichte; Penco, Storia del monachesimo 1 4 1 - 1 6 0 ; Una grande abbazia, ed. Avagliano; vgl. auch Costambeys, T h e transmission o f tradition; Erhart-de Jong, Il monachesimo. 70 San Vincenzo al Volturno - Dal Chronicon alla storia; San Vincenzo, ed. Delogu-Hodges—Mitchell; Hodges, Light in the Dark Ages; vgl. dazu aber Balzaretti, San Vincenzo al Volturno. In San Vincenzo al Volturno haben die Ausgrabungen der neunziger Jahre des 2 0 . Jahrhunderts außerordentlich eindrucksvolle Zeugnisse von Reichtum und Größe des karolingerzeitlichen Klosters ans Licht gebracht: „Abbot Joshuas city", so nennt Hodges das Kloster am Beginn des 9. Jahrhunderts (77—117). 71 Chronica Sancti Benedicti Casinesis, ed. Waitz 4 7 6 ; 4 7 9 . Vgl. Chronica monasterii Casinensis 1, 3 3 , ed. Hoffmann 9 0 . 72 Vita S. Nili iunioris, bes. 8 4 f „ P G 120, 1 6 - 1 6 5 , bes. 1 4 1 - 1 4 3 . Vgl. Kap. IV. 7. 73 Grundlegend dazu: Geary, Phantoms o f Remembrance, bes. 115—133. 71 Siehe z. B. Schmid, Gebetsgedenken; Die Klostergemeinschaft von Fulda, ed. Schmid; Oexle, Memorialüberlieferung; Freise, Grundformen der Memoria; Memoria, ed. Schmid-Wollasch; Althoff, Amicitiae und Pacta.

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krologien ablesen läßt.75 Die Mönche von Montecassino beherrschten viele Strategien, damit sich ein begüterter Laie als ,Nachbar des heiligen Benedikt' fühlen konnte. 76 Nicht nur Fürstenurkunden, sondern auch eine große Zahl von abschriftlich oder zum geringeren Teil auch im Original erhaltenen Urkunden anderer Stifter bezeugen den Erfolg der Bemühungen um wirtschaftliche und rechtliche Absicherung.77 Das recht hohe Niveau der pragmatischen Schriftlichkeit in den Zentren Süditaliens begünstigte die verbreitete Verschriftung solcher Rechtsakte.78 Pierre Toubert hat für Italien von der „floraison de I'acte" seit den späteren Jahrzehnten des 10. Jahrhunderts gesprochen.79 Doch die reichen Archive von Montecassino, von Cava de'Tirreni (wo die Urkundenbestände bis weit vor die Gründung des Klosters, in die Zeit um 800, zurückreichen),80 oder von Salerno81 zeigen, daß die Schriftlichkeit in Alltagsgeschäften schon zuvor recht kontinuierlich gepflegt wurde.82 Die außergewöhnliche Besitzliste des Poto im Vat. lat. 5001 (siehe Kap. II. 8) gibt einen wichtigen Hinweis darauf, daß sie über die Klöster hinaus bis weit in die weltliche Führungsschicht reichte.83 Wer 50 curtes in ganz Süditalien besaß, gehörte natürlich zu den Spitzen der Gesellschaft (Poto stammte wohl aus der Familie des Princeps Radelchis). Doch kann die Liste kein isoliertes Dokument der Schriftlichkeit gewesen sein. Sie setzt etwa voraus, daß auch die erwähnten munimina, die Besitztitel, mit weiteren Angaben über die betreffenden Besitzungen vorhanden waren.84 Das 10. Jahrhundert hat nicht den Ruf, ein Zeitalter der Bildung und Schriftlichkeit zu sein,85 sondern eher ein „secolo di ferro", wie es der Titel einer Settimana di Studio in Spoleto vor einiger Zeit formulierte, 86 oder gar ein „dunkles Jahrhundert". 87 In Süditalien, im Verbreitungsgebiet der Beneventana, läßt sich das Ausmaß der Schriftlichkeit, oder was davon übriggeblieben ist, jedoch durch die systematischen Forschungen von Lowe, und seiner Schule, recht gut quantifizieren.88 Guglielmo Cavallo ist auf dieser Grundlage zu einem überraschend eindeutigen Ergebnis gekommen: Von den sicher datierten überlieferten Handschriften in Beneventana sind 22 aus dem 9. und 69 aus dem 10. Jahrhundert erhalten.89 Dabei mag die von sarazenischen und anderen Brandschat-

75

Inguanez, Frammenti; Inguanez, Necrologi. Vgl. Rosenwein, To Be a Neighbor of St Peter. Vgl. Geary, Land, language and memory. Vgl. Poupardin, Institutions; Hoffmann, Chronik und Urkunde; Cuozzo-Martin, Documents; Fabiani, La terra di San Benedetto; Bloch, Monte Cassino. 71 Petrucci-Romeo, Scrittura e alfabetismo (über Salerno im 9. Jahrhundert). Allg. siehe Pragmatische Schriftlichkeit; vgl. New Approaches (mit Bibliographie). " Toubert, Les structures 304. 80 Siehe die Bände des Codex Diplomaticus Cavensis, ed. Morcaldi; sowie ChLA 2' ser. LII und 76

77

LIII. 81

Balducci, L'archivio diocesano di Salerno; Petrucci-Romeo, Scrittura e alfabetismo; Vitolo, Tra Cava e Salerno; Taviani-Carozzi, La principauté 1, XXXIV—XL. 82 Vgl. auch Mitchell, Literacy displayed; Figliuolo, La struttura patrimoniale 105. 83 Allgemein: McKitterick, The Carolingians and the Written Word. 84 Hec omnia superscripte curti, quando vobis oportune fuerit, inquirite ipsa munimina, et invenietis ibidem quodvobis necesse fueritfacere (Vat. lat. 5001, fol. 137v; siehe Kap. II. 8 sowie Anhang). 85 Allgemein siehe Fichtenau, Lebensordnungen 380 f.; Clanchy, From Memory to Written Record

If. 86

II secolo di ferro. Zimmermann, Das dunkle Jahrhundert. 88 Lowe, The Beneventan Script; ders., Scriptura Beneventana. " Cavallo, Libri scritti. 87

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zungen eingeschränkte Überlieferungs-Chance90 für karolingerzeitliches Schriftgut mitspielen. Dennoch ist die Zeit, in der die Mönche von Montecassino nach der sarazenischen Zerstörung im Exil in Teano und Capua lebten und erst allmählich wieder in ihr Stammkloster übersiedeln konnten, kein dunkles Jahrhundert, was die schriftliche Uberlieferung betrifft. Die politischen Rahmenbedingungen blieben freilich schwierig. Die Chronik von ca. 867, die bereits in der Vorlage der großen Regelhandschrift des Abtes Johannes (Cas. 175) stand, konnte den Beginn der Schwierigkeiten recht klar auf den Bruch zwischen Benevent und Salerno datieren, der bald nach 840 eingetreten war.91 Seither waren auch die sarazenischen Söldner und Herrschaftszentren zum Problem geworden.92 Schutz des Klosters vor Feinden war nun ein zentrales Anliegen. Doch die potentiellen Beschützer und Verbündeten wechselten rasch und konnten oft unversehens zu Bedrückern werden. In der Zeit Karls des Großen hatte Montecassino sich insgesamt recht geschickt zwischen der karolingischen Seite und den Fürsten von Benevent behauptet, besser als San Vincenzo, wo die politische Orientierung einige Zeit lang zu inneren Konflikten führte.93 In der Divisio des Prinzipats zwischen Benevent und Salerno von 849 hatten Montecassino und San Vincenzo ihre Sonderstellung als kaiserliche Abteien, die sub defensione Kaiser Lothars und seines Sohnes Ludwig II. standen, gegenüber beiden Fürstentümern festgeschrieben.94 Das ist wohl einer der Gründe dafür, daß der Vertrag in mehreren wichtigen Cassineser Handschriften der Zeit überliefert wurde.95 Doch dann kam neben Benevent und Salerno Capua ins Spiel, Neapel wurde bedrohlich, viel mehr noch die Sarazenen, die Macht der Byzantiner wurde wieder spürbar, und gelegentlich trat ein Kaiser aus dem Norden oder ein Herzog von Spoleto, gerufen oder nicht, mit bewaffneter Macht im Lande auf.96 Die Päpste nutzten diese Konstellationen durchaus auch im Eigeninteresse. Ein selbstbewußter Abt wie Bertharius riskierte, in den ständigen Renversements des alliances plötzlich alleine zu stehen. Das geschah wohl auch, bevor die Sarazenen 883 angriffen und sich nicht mehr, wie schon öfters zuvor, mit einem Teil der Beute zufriedengaben. Das Exil im direkten Machtbereich der Familie Landulfs des Älteren, der Gastalden-Comites und meist auch Bischöfe von Capua, bedeutete zwar einen gewissen Schutz vor herumstreifenden Plünderern.97 Aber es setzte die Gemeinschaft des heiligen Benedikt zunächst den Wirrnissen und Bruderkriegen um die Macht in Capua aus.98 Und dann, als sich Atenulf I. durchgesetzt und im Jahr 900 zum Princeps von Benevent aufgeschwungen hatte, drohte Montecassino zum Hausund Hofkloster seiner Familie zu werden. Abt Johannes I., der Auftraggeber des Casinensis 175, dürfte diesen Tendenzen recht weitgehend nachgegeben haben und ließ seine Mönche von Teano direkt nach Capua übersiedeln (siehe Kap. III. 1). Erst während der Vgl. Esch, Überlieferungs-Chance. " Chronica Sancti Benedicti Casinensis, ed. Waitz 4 7 1 , 4 8 0 f. 92 Cilento, Le incursioni; Musca, L'emirato di Bari; Citarella, T h e political chaos; Hartmann, Geschichte Italiens 3, 1, 2 0 7 - 2 2 1 . " Bertolini, Carlomagno e Benevento 6 1 6 f f . ; Penco, Storia del monachesimo 155; Houben, Karl der Große und die Absetzung des Abtes Potho; West, Charlemagne's involvement 3 5 0 - 3 6 1 ; Erhart-de Jong, II monachesimo; Costambeys, T h e transmission o f tradition. 94 95 96 97 9*

Vgl. Fabiani, La terra di San Benedetto 1, 2 9 . Radelgisi et Siginulfi divisio ducatus Beneventani, ed. Bluhme 2 2 1 - 2 2 5 ; hier: c. 4, 2 2 2 . Vgl. Falco, Due secoli; Montecassino dalla prima alla seconda destruzione, ed. Avagliano. Cilento, Capua e Montecassino. Vgl. Cilento, Le origini.

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langen Amtszeit von Aligern (950-985)" ging man an die Wiederbesiedlung von Montecassino. Der neue Aufschwung der Gemeinschaft, der ein Jahrhundert später in der Blütezeit der Abtei unter Desiderius gipfelte, bedeutete, daß sich Montecassino letztlich behauptet hatte. Die reiche Kultur des Gedächtnisses, über die das Kloster verfügte, schuf dazu wichtige Voraussetzungen. Die Handschriften, die in dieser Arbeit besprochen wurden, halfen dabei, im Zeichen des heiligen Benedikt als Gemeinschaft zu überdauern. Daß Texte Identitäten entwarfen und bewahren halfen, ist in der jüngeren Forschung in vielerlei Zusammenhängen betont worden.100 Herkunftssagen, origines gentium, wie die der Langobarden, sanktionierten die Ursprünge eines Volkes und leiteten davon die Legitimität seiner Herrschaft bzw. seiner Herrscher, aber auch seiner Lebensordnungen ab.101 Darüber hinaus definierte Historiographie die abstrakte Begrifflichkeit überregionaler Verbände - Völker, Reiche, der res publica Christiana - fortwährend neu, auch wenn sich dabei zum Teil die Akzente nur unmerklich verschoben.102 Eine jüngere Studie über süditalienische Geschichtsschreiber der Normannenzeit - Amatus von Montecassino, Wilhelm von Apulien und andere - geht davon aus, daß „each of these authors made history and bestowed it on a people that did not have one before".103 Wie am Beispiel des Liber Pontificalis Ecclesiae Ravennatis des Agnellus gezeigt wurde, half Geschichtsschreibung auch kommunale Identitäten zu bewahren, hielt eine große Vergangenheit fest, die einer recht mittelmäßigen Gegenwart zu entgleiten drohte.104 Die Entstehung von Rechtsgewohnheiten und Rechtsaufzeichnungen wurde an mythische Ursprünge rückgebunden. 105 Auch Klöster verankerten sich durch Gründungssagen in der Frühgeschichte einer größeren politischen oder ethnischen Gemeinschaft. 106 Monastische und ethnische Identität, spirituelle und weltliche Ursprünge waren gerade im 9. bis 11. Jahrhundert keineswegs ein Gegensatz, wenn sie auch in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander standen. In Montecassino, und der textuellen Gemeinschaft, dessen Zentrum das Kloster des heiligen Benedikt war, ist das Verhältnis zwischen Text und Identität allerdings nicht einfach zu bestimmen. Monastische, soziale, ethnische und politische Identitäten verschränkten sich in den Texten des 9. und 10. Jahrhunderts. Die ältere Forschung hat in den Werken Erchemperts oder des Chronisten von Salerno auf recht vordergründige und wohl zeitgenössisch beeinflußte Weise den langobardischen Patriotismus hervorgehoben.107 So " Hoffmann, Abtslisten 283-297. '00 Grundlegend Assmann, Das kulturelle Gedächtnis; siehe auch Fentress-Wickham, Social Memory; Geary, Phantoms of Remembrance; Pohl, Memory; Vom Nutzen des Schreibens, ed. Pohl-Herold. 101 Reynolds, Origines gentium; Wolfram, Origo et religio; Cingolani, Le storie dei Longobardi; Pohl, Tradition. 102 Pohl, Der Gebrauch der Vergangenheit. Vgl. Reimitz, Ein fränkisches Geschichtsbuch. 103 Wolf, Making History 4; siehe aber die einschränkenden Beobachtungen von Loud, The gens Normannorum, der betont, daß das Konzept der gens Normannorum nicht bloß retrospektive Fiktion der Historiographie war (bes. 116). Vgl. auch Shopkow, History and Community; Brown, The political use of the past. 104 Pizarro, Writing Ravenna, bes. 191 f. los Dilcher, Mythischer Ursprung; ders., Zeitbewußtsein. 106 Remensnyder, Remembering Kings Past; Geary, Phantoms of Remembrance 115 ff.; ders., Land, language and memory. 107 „Leidenschaftliche Überzeugung als Langobarde": Wattenbach-Levison-Löwe 4,438; Falco, Erchemperto, bes. 286 („coscienza nazionale, odio contro gli stranieri") und 291 f.; Cilento, La cronaca 108 (Erchempert ist „assai fiero della sua nazione longobarda").

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schematisch war Erchemperts recht idiosynkratisches Weltbild nicht (siehe Kap. II. 5). Ressentiments gegen Fremde und Feinde sind in den süditalienischen Quellen der Zeit freilich immer wieder zu finden.108 Einigen Haß hegte man gegen die Sarazenen. Doch selbst sie sind zum Teil sehr differenziert gezeichnet. Im Chronicon Saiemitanum wird ausführlich geschildert, wie Sagdan/Sawdan von Bari nach seiner Gefangennahme im Jahr 871 geradezu zum Vertrauten des Princeps Adelchis wird, bis dieser ihn sogar um Rat fragt, wie er den lästigen Kaiser Ludwig II. loswerden soll.109 Gleich darauf warnt ein edler Sarazene aus Nordafrika Guaiferius von Salerno vor einem Sarazenenangriff.110 Dann folgt freilich wieder ein drastisches Heidenstereotyp in der Geschichte vom Sarazenenfürsten Abdila, der aufdem Altar einer Kirche thront und dort christliche Jungfrauen vergewaltigt, bis als Strafe des Himmels die Wand auf ihn herabstürzt.1" Der Chronist von 867 bezeichnet Sawdan ironisch als benefactor noster, das ist zwar gar nicht schmeichelhaft gemeint, zeigt aber doch, wieviele Register man in der Schilderung der Sarazenen zu ziehen wußte.112 Vielfach richteten sich die stärksten Emotionen gegen Nachbarn, wie im Fall Erchemperts gegen die Neapolitaner, was ja aus der Ethnopsychologie bekannt ist." 3 Solche Urteile konnten aber ebenso rasch umschlagen, wenn die Feindschaft überwunden war. Das gilt ebenso für die Fürsten der Nachbarschaft; wenige Gestalten sind bei Erchempert so negativ gezeichnet wie Bischof Landulf von Capua, und das kann man kaum mit Fremdenhaß und langobardischem Patriotismus erklären. Der Chronist von Salerno thematisiert am Fall des Princeps Sico eingehend die Frage, ob man Auswärtige, exteri oder proseliti, an die Herrschaft kommen lassen könne.114 Immer wieder erwähnt er die Vorurteile der Beneventaner gegen den Aufstieg des exterus homo Sico, der als Emigrant aus Spoleto ins Land gekommen war. Doch die Erzählung macht deutlich, daß Sico der Held dieser Fabel ist, der sich schließlich gegen murmur und invidia seiner Gegner durchsetzen kann. Die Chronisten des heiligen Benedikt erzählten und urteilten vor allem aus der Sicht ihres Klosters; wer es achtete und seinen Besitz mehrte, war auch und gerade als Fremder willkommen, so wie Kaiser Ludwig II. im Jahr 867. Den Schutz der abbatia imperialis bei fernen Kaisern zu suchen, war ein politisches Prinzip Montecassinos, das in seinen Texten vielfach untermauert wurde, bis hin zu den Scherzbriefen zwischen Karl dem Großen und dem Kaiser in Konstantinopel (siehe Anhang). Dieses Interesse widersprach einer linearen, an eindeutigen ethnischen und politischen Zugehörigkeiten orientierten Geschichtsdarstellung. Ebenso wie bei Paulus Diaconus treten daher immer wieder Widersprüche in der Erzählung auf, die mit narrativen Mitteln oder expliziten Erörterungen bewältigt werden müssen.115 Wenn die Brüche im Aufbau der Erzählung nicht mehr verarbeitet werden können, dann reißt sie ab. So geschah es wohl bei Erchempert, als die Hinwendung zu Atenulf I. die bisherige Anlage der Historiola obsolet machte, vielleicht

Allgemein siehe: Meyvaert, Raynaldus; vgl. Pohl, Telling the difference. Chronicon Saiemitanum 108f., ed. Westerbergh 121 f. 110 Chronicon Saiemitanum 110f., ed. Westerbergh 122f. ' " Chronicon Saiemitanum 112, ed. Westerbergh 124ff. " 2 Chronica Sancti Benedicti Casinensis 19, ed. Waitz 478; siehe Kapitel III. 3. " J Dazu ausfuhrlich Granier, Napolitains et Lombards. 114 Chronicon Saiemitanum 4 2 - 4 7 ; 53, ed. Westerbergh 4 2 - 4 9 ; 53. 115 Pohl, Paulus Diaconus. los

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auch beim Chronisten von Salerno, als Pandulf Eisenkopf in der Stadt einzog (siehe Kap. II. 9). Dennoch transportierten und formten die gelehrten Mönche von Montecassino, oder von San Benedetto di Salerno, vor allem langobardische Identität. Langobarde zu sein, war in der süditalienischen Umwelt des 9. bis 11. Jahrhunderts nicht ganz selbstverständlich. Sprachlich hoben sich die Langobarden kaum vom Rest der Bevölkerung ab; allenfalls war eine Erinnerung an die Lingua todesca, quam olim Longobardi loquebantur, zurückgeblieben.116 Um die langobardischen Rechtsausdrücke zu verstehen, mußten Glossare angelegt werden, wie sie der Vat. lat. 5001, der Cavensis 4 und auch der Matritensis 143 enthalten (siehe Kapitel IV. 5 und Anhang).117 Sie demonstrieren durch Lükken und Schreibfehler zugleich, daß die Sprache fremd geworden war. Die Namengebung hingegen orientierte sich weiter an germanischen Vorbildern,118 wenn auch in schriftlicher Form meist mit lateinischem Suffix wiedergegeben (z. B. Gisolfus, Sicardus, Guaiferius); Erchempert gebraucht für sich selbst kein Suffix.119 Nomen et gens deckten sich nicht völlig, aber hingen weiterhin zusammen.120 Das Langobardenrecht wurde in Montecassino noch bis ins 13. Jahrhundert und darüber hinaus gebraucht.121 Ob die benediktinische Historiographie im Umfeld Montecassinos helfen kann, barbarische Mentalitäten zu erschließen, kann diskutiert werden.122 Manche Erzählungen des Chronicon Salernitanum machen einen recht archaischen Eindruck. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte von der greisen Mutter des Atenulf I. von Capua, die auf die Nachricht, ihr Sohn sei nun auch Princeps von Benevent geworden, erschrickt und zornig wird: Valde sese exterruit, atque sine sermone morula stetit, et quasi in extasi verba effudit:, Ubi sunt illi sullimissimi Beneventani?' Cepitque nominare Beneventanorum genealogia. Illa vero, que debuerat de filio obanter permanere, mesta est et de suo stegmate condolebat, quia ad hoc venerant, ut ab extero dominarentur.™ Statt sich über das hohe Amt zu freuen, das ihr Sohn erreicht hat, beginnt die Mutter, die Genealogie der beneventanischen Fürsten aufzusagen und zu beklagen, daß kein Edlerer, sondern nur der Sproß einer auswärtigen Gastaldenfamilie nun die höchste Würde in Benevent erreicht hat. Vermutlich ist die Geschichte aus den Zeitumständen zu erklären, in denen das Chronicon Salernitanum geschrieben wurde: Rivale der Principes von Salerno war in jenen Jahren der Urenkel Atenulfs, Pandulf Eisenkopf, und die Fürstenfamilie von Salerno mag mit solchen Geschichten auf ihre überlegene Nobilität gepocht haben. Vielleicht antworten bereits die im Vaticanus lat. 5001 enthaltenen Preisgedichte auf die Rofrit-Familie (mit dem Hinweis auf das königliche Blut Dauferandas) indirekt auch auf die Kritik an der Chronicon Salernitanum 3 8 , ed. Westerbergh 3 8 ; Vat. lat. 5 0 0 1 , fol. 22r. Vgl. Bruckner, Die Sprache der Langobarden; Scardigli, Goti e Longobardi; ders., Langobarden - Sprachliches. 117

Ed. Bluhme 652—657. Vgl. van der Rhee, Die germanischen Wörter.

"" Siehe Francovich Onesti, Vestigia longobarde 169 ff., mit einer Liste germanischer Namensbestandteile. Erchempert 1, ed. Waitz 2 3 4 . ' 20 Vgl. Nomen et gens, ed. Ebling-Jarnut-Kampers; Nomen et gens, ed. Geuenich-Haubrichs-Jarnut; Arcamone, Die langobardischen Personennamen. 121 Ausfuhrlich dazu Fabiani, La terra di San Benedetto 1, 3 2 4 ff. 122 Ein Versuch, aus lateinisch-kirchlicher Quelle, nämlich Gregor von Tours, barbarische Mentalitäten abzuleiten: Scheibelreiter, Die barbarische Gesellschaft. Ein ähnlicher Versuch wäre für die Langobardia minor denkbar, hätte aber beachtliche Schwierigkeiten, das Barbarische herauszuarbeiten und zu definieren. 123 Chronicon Salernitanum 154, ed. Westerbergh 162.

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mangelnden Nobilität Atenulfs, dessen Mutter eine Nichte Rofrits war.124 Freilich, genealogisches Denken und dessen mündliche Pflege reichen weit über ,barbarische' Gesellschaften hinaus in die europäische Geschichte hinein. Das Geschichtsbild, das die hier untersuchten Handschriften vermitteln, ist für uns dadurch etwas irreführend, daß die Langobardengeschichte des Paulus Diaconus nicht mit überliefert ist. Bethmann hatte noch angenommen, daß die Continuatio Casinesis und Erchempert ursprünglich in einer Handschrift der Historia Langobardorum überliefert worden waren, die erst in einer späten Abschrift durch das Chronicon Salernitanum ersetzt wurde.125 Daß Erchempert Paulus gebrauchte und fortsetzte, ist allerdings kein zureichender Grund für diese Annahme. Handschriften des Paulus müssen in Süditalien zumindest bis zum 12. Jahrhundert verbreitet gewesen sein; es gibt bis hin zu den großen Chroniken des frühen 12. Jahrhunderts kaum ein Werk, das Paulus nicht verwendet und/oder nennt. 126 Nachweisbar ist die Verwendung des Paulus zuerst in der 867 kompilierten Chronica Sancti Benedicti Casinensis (im Casinensis 175; siehe Kap. III. 3). Der Chronist von Salerno zitiert wiederholt längere Passagen aus der Langobardengeschichte, die er zur Beschreibung ganz anderer Ereignisse verwendet (siehe Kap. II. 9). Auch die Leges-Handschrift von Cava ergänzt die Fürstenlisten mit längeren Auszügen aus der Historia Langobardorum (siehe Kap. IV. 6). Unter Abt Theobald ist im 11. Jahrhundert in Montecassino ebenfalls eine Historia Langobardorum bezeugt.127 Vermutlich sind die damals benutzten Handschriften deswegen nicht mehr erhalten, weil sie zuviel benützt, zerlesen oder entwendet wurden, und nicht weil man das Interesse daran verloren hatte. Rosamond McKitterick dürfte allerdings recht haben, daß die über 100 heute erhaltenen Handschriften der Langobardengeschichte aus norditalienischer Überlieferung stammen; „Monte Cassino itself (...) would appear to have played no role in the dissemination of the Historia Langobardorum even if the text were known there in the ninth Century".128 Paulus Diaconus wurde nicht nur als Geschichtsschreiber geschätzt und viel gebraucht. Der im Casinensis 175 überlieferte Regelkommentar des Hildemar wurde Paulus zugeschrieben, ebenso der Brief der Abtes Theodemar an Karl den Großen in derselben Handschrift (siehe Kap. III. 1). Als Dichter der Gedenkverse auf Arichis II. und seinen Sohn Romoald präsentiert ihn das Chronicon Salernitanum,129 Dort findet sich auch 124 Der Chronist von Salerno drückt diese Kritik auch im Kapitel zuvor aus, als Atenulf um die Hand der Tochter Guaimars I. von Salerno anhält, doch die Mutter, Itta, aus der Familie der Widonen stammend, antwortet: Ego sum ex regali stegmate orta, et cum subdito meo consanguinitatem annecto? Chronicon Salernitanum 153, ed. Westerbergh 160. Zu den Gedichten siehe Kap. II. 7. 125 Bethmann, Geschichtsschreibung 3 7 2 - 3 7 5 . ,2 ' Knappe Ubersicht in: Pohl, Paulus Diaconus 395-399. Siehe auch Oldoni, Paolo Diacono; Taviani-Carozzi, Le souvenir. 127 Chronica monasterii Casinensis 2, 53, ed. Hoffmann 266. Vgl. Becker, Catalogi n. 47. 128 McKitterick, Paul the Deacon and the Franks 335. Die Beobachtung von Westerbergh (ed.), Chronicon Salernitanum 199—202, daß der benützte Paulus-Text keiner der bekannten Handschriftenfamilien leicht zuzuordnen ist, unterstützt diese These. Eine Neuuntersuchung der handschriftlichen Überlieferung ist nötig; vgl. die Bemerkungen und vereinzelten Neudatierungen bei Pohl, Paulus Diaconus 388—405; McKitterick, Paul the Deacon and the Franks 334-337; Chiesa, Caratteristiche; besonders aber die Studien von Laura Pani, die vor allem Friaul als Zentrum der Uberlieferung hervorheben: Pani, Codici Friulani; dies., Elementi insulari; dies., Scriptoria friulani; dies., Aspetti. Im Manuskript konnte ich durch die Großzügigkeit der Autorin den Aufsatz Un'altro codice Friulano dtV? Historia Langobardorum ora conservato a Madrid einsehen, dessen Veröffentlichungsort mir noch nicht bekannt ist. 129 Chronicon Salernitanum 21 f., ed. Westerbergh 24-27.

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die ausfuhrlichste Wiedergabe der Legenden, die sich um Paulus Diaconus gebildet hatten und in denen er als Figur des beneventanischen Widerstandes gegen die Karolingerherrschaft gezeichnet wird, der dennoch hohes Ansehen bei Karl dem Großen genießt.130 Paulus war ebensosehr ein karolingischer wie ein langobardischer Gelehrter, und am Ende seines Lebens ebenso am Hof Karls des Großen wie in Montecassino geschätzt und vertraut. Die beiden Seiten seiner Karriere sollten nicht zusehr als Widersprüche gesehen werden.131 Von Paulus stammte das meiste, was man seit dem 9. Jahrhundert noch über die Zeit vor ca. 750 wußte. Doch gab es für die langobardische Herkunftssage und die erste Zeit des italischen Königreiches noch eine davon unabhängige Quelle, nämlich die Origo gentis Langobardorum. Sie ist in beiden heute noch erhaltenen süditalienischen Handschriften der Leges, dem Cavensis 4 und dem Matritensis 413, überliefert (siehe Kap. IV. 3-5). Von den übrigen Codices des Langobardenrechtes ist das nur mehr bei dem aus Modena der Fall.132 Die Legende, wie die Langobarden zu ihrem Namen kamen, war in Süditalien im 9. und 10. Jahrhundert offenbar bekannt. Das Chronicon Salemitanum erzählt die Geschichte eines gewissen Rampho, Gastalde von Conza, der sich im Heer des Princeps Grimoald IV. Stolesayz dagegen wendet, den Franken Tribut zu zahlen: „ Talia minime, domine mi, peragamus; meliusque multo estpugnando mori quam hic infelicius vivere. Numquid non plane, mi princeps, legisti, quomodo propriis edibus patres nostri liqueruntpropter vectigalia, que Guandalis ab eis exposcebant?"™ Der traditionsbewußte Recke stirbt wenig später im Kampf gegen die Franken; vielleicht hat der Chronist also sein großtönendes Langobardentum ein wenig ironisch gesehen. Der Salernitaner Chronist kannte die langobardische Namensage sicherlich aus der Langobardengeschichte des Paulus Diaconus, hat aber Formulierungen gebraucht, die nur aus der Origo gentis Langobardorum stammen können.134 Die Erzählung setzt voraus, daß die langobardische Herkunftssage auch über den Kreis der literarisch Gebildeten hinaus bekannt war. So weit wie möglich aus Paulus geschöpft ist auch, was die Cassineser Handschriften über die Geschichte des Klosters und des Dukats von Benevent vor 744 enthalten. Der in allen drei Handschriften erhaltene Calculus principum Beneventanorum (siehe Anhang) verschränkt die beneventanische mit der benediktinischen Origo und reduziert sie zugleich auf ihr chronologisches Gerüst: Zotto, der erste Dux des 6. Jahrhunderts, vor ihm aber schon Benedikt; Papst Gregor der Große, der, was unerwähnt bleibt, die von den Langobarden vertriebenen Mönche in Rom ansiedelte; die beiden Duces namens Gisulf in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts, von denen der erste als Eroberer, der zweite als Stifter erinnert wurde. Es überrascht, daß Petronax, der Gründerabt der Wie1,0 Chronicon Salernitanum 9 f., ed. Westerbergh 1 0 - 1 5 . Vgl. Taviani-Carozzi, Le Souvenir. Siehe Kap. II. 9. ,3' Siehe auch Pohl, Paolo Diacono. Der Vorschlag von McKitterick, Paul the Deacon and the Franks, daß Paulus seine Langobardengeschichte nicht für ein beneventanisches Publikum, sondern für den karolingischen Rex Langobardorum schrieb, verdient eingehende Diskussion, auch wenn die Frage wohl unentscheidbar bleiben wird. Der Text ist jedenfalls so abgefaßt, daß sowohl ein fränkisch-italisches als auch ein beneventanisch-langobardisches Publikum sich darin wiederfinden konnte, was seinen großen Erfolg erklären hilft: Pohl, Paulus Diaconus. 132 Modena, Biblioteca Capitolare, O.I.2. Vgl. auch Bracciotti, Origo gentis Langobardorum. Siehe Kap. III. 4. lää Chronicon Salernitanum 39, ed. Westerbergh 4 0 f. 134 Ed. Westerbergh 2 4 2 f.

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derbesiedlung, fehlt. Doch über seine Zeitstellung bestanden seit dem 9. Jahrhundert sehr unterschiedliche Vorstellungen, die teils viel zu spät angesetzt waren. Noch einen Grund mag es geben, warum zum Unterschied von Farfa und San Vincenzo die (Wieder-) Gründung des 8. Jahrhunderts wenig in den Vordergrund gerückt wurde: Sie erfolgte erst nach der Gründung von San Vincenzo al Volturno, und das Chronicon Vulturnense arbeitet diese Reihenfolge recht deutlich heraus. Die Schlüsseltexte für das Selbstverständnis der Abtei des heiligen Benedikt (siehe Anhang) betonten andere Elemente, um einen Vorrang zu beanspruchen. Den Grundstein für die Besitzungen Montecassinos und damit seinen Aufstieg legte Dux Gisulf II., dessen Schenkung in bewußt pauschaler Weise wiedergegeben wird: divino tactus amore, beato patri Benedicto cuncta in circuitu montana etplaniora conferens, et fixis donariis posteris habenda in perpetuum concessit.m Seine Gemahlin Scauniperga, Stifterin von Plumbariola/Piumarola, wurde als Modell der weiblichen Gönnerin skizziert. Nicht viel später, 760, gründete Arichis II. in Benevent die - heute noch gut erhaltene - langobardische Hagia Sophia, Kirche und Kloster von S. Sophia. Das Vorbild Konstantinopels wird in den meisten Einträgen, bis hin zu Leo Marsicanus,136 durch die griechische Wiedergabe des Namens ausgedrückt. Doch wesentlich aus der Sicht Montecassinos war vor allem eines: daß Arichis das dort gegründete Nonnenkloster sub iure beati Benedicti in perpetuum tradiditpermanendum (siehe Anhang). Damit war ein Streit angesprochen, der seinen Höhepunkt in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts erreichte, aber bereits in der ersten Hälfte des 10. aktuell war.137 Die anderen beiden Schlüsseltexte über das 8. Jahrhundert betreffen nicht fürstliche Stiftungen, sondern königliche Konversionen. Binnen kurzer Zeit zogen sich sowohl der Frankenkönig Karlmann, der Bruder Pippins III., als auch der Langobardenkönig Ratchis als Mönche nach Montecassino zurück.138 Daß es sich um mehr oder weniger erzwungenes Exil handelte, wird schon daran deutlich, daß beide Könige nach wenigen Jahren versuchten, ins politische Spiel zurückzukehren; beide vergeblich. In der Erinnerung von Montecassino wird aus dem Rückzug ins Kloster verständlicherweise ein Akt persönlicher Frömmigkeit, um den sich bald Legenden rankten, vor allem im Fall Karlmanns, dessen Grab man im Kloster verehrte.139 Ein weiteres kam hinzu. Die Verschreibung/Verwechslung Karlomannus=Karlomagnus machte aus Karl dem Großen ebenfalls einen Mönch in Montecassino. In einigen Handschriften wurde die Identifikation, bei allen genealogischen und chronologischen Schwierigkeiten, durchgehalten. Aber selbst wo sie wieder aufgehoben wurde und wie in der Chronik von Salerno Karlomagnus/Kad135 Chronica Sancti Benedicti Casinensis 21, ed. Waitz479f. (nach der Fassung des Casinensis 175). Selbst Petrus Diaconus hatte bei der Urkunde Gisulfs II. (datiert auf 745) Schwierigkeiten: Mancone n. 172, mit Verweis auf die (gefälschte) Urkunde des Papstes Zacharias (ebd. 2); Hoffmann, Chronik und Urkunde 110. Vgl. Chronica monasterii Casinensis 1, 5, ed. Hoffmann 25; die Informationen des Leo Marsicanus beschränkten sich im wesentlichen auf die seit dem Casinensis 175 wiederholt abgeschriebene Textpassage (siehe Anhang). Zu Gisulf II. siehe Hirsch, II ducato di Benevento 72-76. 136 Chronica monasterii Casinensis 1, 9, ed. Hoffmann 37. Vgl. das Faksimile von fol. 99v des Clm 4623 in Hoffmann, Stilistische Tradition 32. 1,7 Bereits 943 wurde eine Restitutionsurkunde fiir S. Sophia von Landulf I. und Atenulf II. erwirkt: Montecassino, Archivio della Badia X, 21; Poupardin, Institutions 97, n. 90; vgl. Registrum Petri Diaconi 207 (Hoffmann, Chronik und Urkunde 114). Siehe Bloch, Monte Cassino 1, 264-272. 138 Vgl. Krüger, Königskonversionen; de Jong, Monastic prisoners. 139 Bei der Öffnung des Benedikt-Grabes 1484 fand man das Grab Karlmanns zu Füßen von Benedikt und Scholastica: Tangl, Die Sendung 37.

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mann von Karolus r«c/Karl dem Großen unterschieden wurde, blieben die paradigmatischen Legenden von der Demut des Imperators an seinem Lebensabend in Montecassino erhalten. Noch die Annotatoren des 14. Jahrhunderts waren uneins, ob Karl der Große in Montecassino oder in Aachen begraben lag (siehe Kap. II. 4). Karl der Große ist eine Figur, an der sich die süditalienische Imagination, und die Cassineser Geschichtsschreibung, immer wieder abgearbeitet hat.' 40 Kein langobardischer Fürst ist so plastisch ausgemalt worden. Entstanden ist ein Bild in den verschiedensten Schattierungen: der kompromißlose Kriegsherr und Bedrücker; der gnädige und edle Sieger; der ferne Herrscher, der sich überlisten oder überreden läßt; der Bewunderer des Glanzes und der Kultur des beneventanischen Fürstentums; der Förderer des Paulus Diaconus, der ihm sogar wiederholte Mordanschläge verzeiht; der Reformer des benediktinischen Mönchtums; und schließlich, wie schon ausgeführt, der demütige Mönch in Montecassino. In den Legenden des Chronicon Salernitanum, aber auch in knappen Bemerkungen an anderer Stelle wird die Ambivalenz der Beziehung zum abendländischen Kaiser deutlich. Besonders beliebt war in Montecassino der in alle Handschriften kopierte kleine Briefwechsel zwischen Karl und dem ungenannten Kaiser in Konstantinopel, in dem der Anspruch der Byzantiner auf das alleinige Kaisertum mit offenen Spott beantwortet wird; als Gegengeschenk für 100.000 Goldstücke übersendet Karl hundert Hunde (siehe Kap. II. 9 und Anhang). Der Brief ist im Grunde die scherzhafte Variante zu dem langen und gewunden historisch argumentierenden Brief Ludwigs II. an den Basileus, der ebenfalls einen Vorrang des Kaisers in Konstantinopel zurückweist. Als Reichskloster, das seine Sonderstellung nicht zuletzt dem kaiserlichen Schutz verdankte, mußte Montecassino großes Interesse daran haben, die Legitimität des westlichen Kaisertums mit fundierten Argumenten ebenso wie mit drastischen Scherzen zu unterstreichen. Die Stilisierung Karls des Großen verweist auf ein grundlegendes Problem, mit dem Montecassino, mehr oder weniger bewußt, konfrontiert war: die karolingische Herausforderung. Solange sie die Möglichkeiten dazu hatten, versuchten die Karolinger, das monastische ebenso wie das politische Leben in Süditalien ins karolingische Europa zu integrieren. Man sollte diese Konfrontation freilich nicht schematisch als Gegensatz fränkischer zu langobardischen Lebensordnungen verstehen. Die Karolingerherrschaft in Italien bediente sich sowohl politisch als auch kulturell der gewachsenen langobardischen Strukturen und übernahm manches davon in die karolingische Reichskultur.141 Auf den Sog des vorübergehend übermächtigen karolingischen Europa reagierte der Süden mit einer Mischung von Anpassung und Widerstand, Aneignung und Nachlässigkeit. Am deutlichsten wird das in der Kernfrage des monastischen Lebens, nämlich der Regel, wie sie im Casinensis 175 geschrieben stand (siehe Kap. III. 1). Noch mehr als in

140 In den von Amy Remensnyder untersuchten hochmittelalterlichen monastischen Überlieferungen Südfrankreichs ist Karl der Große die dominierende Figur. Siehe die gegliederte Ubersicht im Index 348. "" Zur Bedeutung der langobardischen Elemente in der karolingischen Reichskultur sowie der langobardischen Kontinuität in Italien siehe nun die beiden Katalogbände II futuro dei Longobardi, im besonderen die Einleitung des 2. Bandes von Bertelli-Brogiolo sowie die Beiträge von Gasparri, Il passaggio; De Rubeis, La scrittura epigrafica; Cavallo, Libri e lettura; de Jong-Erhart, Monachesimo; und Mitchell, L'arte nell'Italia longobarda. Zur Diskussion siehe auch Vitolo, Gli studi di paleografìa. Er gibt einen Überblick über die Tendenz der italienischen Forschung in den letzten Jahrzehnten, den karolingischen Kultureinfluß in Süditalien eher gering einzuschätzen.

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allen Benediktinerklöstern war die Regula Benedicti in Montecassino ein unantastbarer Text, ein Text der Identität. Das angebliche Autograph Benedikts war, nach dem Bericht des Leo Marsicanus, beim Brand 896 vernichtet worden.142 Doch der Kommentar, den man dazustellte, stammte von Hildemar von Corbie, einem fränkischen Reformer, und war aus Norditalien nach Montecassino gelangt: „ein Handbuch des monastischen Lebens im 9. Jahrhundert".143 Die erste Abschrift davon in Montecassino ist anläßlich des Aufenthaltes von Kaiser Ludwig II. im Jahr 866/67 nachweisbar. Die Anpassung an die Reform, die aus dem Norden kam, ging mit Aneignung Hand in Hand. Als Verfasser des Kommentars galt bald Paulus Diaconus, Mönch von Montecassino und zugleich Gelehrter von europäischem Rang, der am Hof Karls des Großen hoch geschätzt worden war. Ihm zugeschrieben wurde auch der Brief im Anhang des Kommentars, den Abt Theodemar an Karl den Großen gerichtet hatte, und der zumindest retrospektiv den Platz Montecassinos als Wiege des benediktinischen Mönchtums und legitimer Quell der Regelinterpretation unterstreichen sollte. Zugleich bekundete das Capitulare monasticum Ludwigs des Frommen die Bereitschaft Montecassinos, die strengen Standards der karolingischen Klosterreform zu respektieren. Das so entstandene karolingisch-cassinesische monastische Handbuch wurde unter dem Namen des Paulus Diaconus wieder nach Norditalien exportiert, wo es in einer Handschrift aus Bobbio überliefert ist (siehe Kap. III. 1). Ludwigs Aufenthalt und Sarazenenkrieg in den Jahren nach 867 markierte das vorübergehende Aufflackern der Hoffnung auf eine Restauration der karolingischen Ordnung in Süditalien, bei der die kaiserliche Macht die Fürsten des Südens vor ihren äußeren Feinden, Sarazenen und Griechen, bewahren und das Kloster Montecassino im Bedarfsfall darüber hinaus noch vor den Fürsten schützen sollte. Der ausfuhrliche Bericht über Ludwigs erstes Jahr zwischen Montecassino und Benevent und das vollständig kopierte Capitulare Ludwigs mit den Anweisungen zur Mobilmachung im Casinensis 175 (Kap. III. 3), aber auch der Brief Ludwigs an den Kaiser in Konstantinopel im Chronicon Salernitanum (Kap. II. 9) sind sozusagen erkaltete Bruchstücke der bald enttäuschten Hoffnung in den Karolinger unter Abt Bertharius in Montecassino. Doch das Thema der Herren aus dem Norden blieb, über Wido von Spoleto bis zu den Ottonen, aktuell genug, daß man auch bei späteren Abschriften auf die mit den Karolingern gemachten Erfahrungen zurückkam. Dasselbe gilt für die Herrscherverzeichnisse. Die Version des Casinensis 175 ist die einzige, die nach Desiderius abbricht, ohne seine fränkischen Nachfolger zu erwähnen, und die auch bei den Kaisern der byzantinischen Linie folgt (Kap. III.4). Für die Epoche um 920 war das eine naheliegende Option. In der Vorlage der Zeit Ludwigs II. standen diese Kataloge noch nicht. Im Cavensis ebenso wie im Vaticanus, mit seinen beiden erschließbaren Vorstufen um 900 und um 974, wurde die langobardische Könisliste mit den Karolingern, und später den Ottonen, fortgesetzt. Recht unerwartet mag es einem vorkommen, daß die Leges-Handschrift aus Cava, die wenige Jahre nach 1000 innerhalb der Textgemeinschaft von Montecassino entstand, einen ausführlichen Teil mit Kapitularien der Karolinger enthält (siehe Kap. IV). Sie beginnt mit den Leges in der üblichen Abfolge vom Edictus Rothari bis zu den Gesetzen Aistulfs, worauf das Glossar der langobardischen Rechtsausdrücke folgt. Dazwischen hat sich bereits der Scherz-Brief Karls des Großen mit dem Gruß der hundert 142 143

Chronica monasterii Casinensis 1, 48, ed. Hoffmann 126. Semmler, Beschlüsse 81.

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Hunde geschoben. Dann folgt ein historiographischer Abschnitt mit Herrscherverzeichnissen und kleinen Chroniken bis zu den, ebenso wie die Leges, einheitlich mit dem Bild des Gesetzgebers gestalteten Kapitularien, zuerst des Arichis und des Adelchis von Benevent, und dann der Karolinger von Karl dem Großen bis Lothar. In Norditalien war es seit dem 9. Jahrhundert üblich, die langobardischen Leges mit italischen Kapitularien fortzusetzen, allerdings in der Regel im Verbund mit anderen Leges aus dem fränkischen Bereich.144 Im Cavensis kam dabei eine eigenartige Kompromißlösung heraus, die langobardische Leges, beneventanische und karolingische Kapitularien zwar in der Handschrift voneinander absetzte, aber dennoch symbolisch und formal als Teile eines gemeinsamen Rechtsraumes behandelte, was durch die Gesetzgeberporträts unterstrichen wurde.145 Diesem Rechtsraum angegliedert wurde sogar Neapel, mit eigenem Gesetzgeberbild des Ioannes Consul et Dux als Aussteller der Urkunde, in der er den Friedensvertrag mit Capua-Benevent sanktioniert.146 An solchen Verträgen zwischen den Mächten Süditaliens hatten die Kompilatoren in Montecassino und seinem textuellen Umfeld großes, wenn auch unsystematisches Interesse. Insgesamt sind drei Verträge der langobardischen Fürsten von Benevent mit Neapel aus drei verschiedenen Jahrhunderten überliefert. Im Cavensis (fol. 190v-196v) ist das neben der Pactio des Johannes aus dem 10. Jahrhundert die sogenannte Consuetudo Leburiae, die wohl schon aus dem 8. Jahrhundert stammt;147 im Vaticanus steht die Pactio Sicardi aus dem 9. Jahrhundert (fol. 132r-137v), auf die auch im Chronicon Salernitanum verwiesen wird.148 Dazu kommt die mehrfach überlieferte Divisio zwischen Benevent und Salerno im Jahr 849.149 Verlockend wäre die Annahme, daß es irgendwo eine Sammlung solcher Verträge gab, aus der diese Beispiele jeweils kopiert wurden. Doch deutet der Hinweis des Chronisten von Salerno, er habe die Divisio principatus und den Sicard-Vertrag im Palast von Salerno gesehen (Kap. II. 10),150 eher darauf, daß einzelne Vertragstexte (ebenso wie die Epitaphien) jeweils von ad hoc zugänglichen Vorlagen in die Handschriften abgeschrieben wurden. Insgesamt wurden in Montecassino (oder den von ihm abhängigen Klöstern) sehr vielfältige Texte wiederholt abgeschrieben. Dabei waren immer wieder Schlüsseltexte über die Zeit des Aufbaus im 8. Jahrhundert. Es fällt auf, daß aus dem 9. und 10. Jahrhundert kaum mehr solche Texte niedergeschrieben wurden, die für die Identitätsstiftung innerhalb der Mönchsgemeinschaft, oder deren Vermittlung nach außen, zentral waren. Vielleicht trug dazu der „floating gap" der Erinnerung bei, der zwischen den fernen Ursprüngen und der Jetztzeit entsteht, und in dem die jüngere Vergangenheit allmählich verschwindet.151 Doch auch in der jeweiligen Gegenwart wurden kaum .Texte der Identität' angesiedelt. In gewisser Weise definierte sich die Selbstwahrnehmung, das

144 Z. B. in den Handschriften Ivrea, Biblioteca Capitolare, XXXIV; Paris, Bibliothèque Nationale, Lat. 4613; Modena, Biblioteca Capitolare, O.I.2 (vgl. Kap. IV. 4). 145 Vgl. Mordek, Gesetzgeber. Cod. Cav. 4, fol. 196v; siehe Kap. IV. 5. 147 Ed. Bluhme, M G H LL 4, 213ff.; vgl. Goffart, Barbarians and Romans, 189-204. Sicardi principis pactio cum Neapolitanis in quinquennium facta, ed. Bluhme 216ff.; Chronicon Salernitanum 64, ed. Westerbergh 62; Vat. lat. 5001, fol. 33v-34r. Siehe Kap. II. 10. Radelgisi et Siginulfi divisio ducatus Beneventani, ed. Bluhme 221—225, nach Vat. lat. 5001, fol. I43v-147v; Cas. 175, S. 581-86; vgl. Chronicon Salernitanum 84b, ed. Westerbergh 86. 150 Chronicon Salernitanum 84b, ed. Westerbergh 86. 1,1 Dazu Assmann, Das kulturelle Gedächtnis 4 8 - 5 6 .

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,Wir-Gefiihl' der Mönche lange Zeit durch die Konfrontation mit den Sarazenen, den geistlichen Kampf gegen eine durchaus weltliche heidnische Heimsuchung. Schon in der Chronik von 876 steht dieser Aspekt im Mittelpunkt. Dennoch wurde das zentrale Ereignis dieser Auseinandersetzung so gut wie übergangen: Die Zerstörung des Klosters durch die Sarazenen im Jahr 883 und das Martyrium des Abtes Bertharius.152 Erchempert erwähnt den Sarazenenüberfall nur mit einem einzigen Satz, und das erst im Zusammenhang mit dem begonnenen Wiederaufbau.153 San Vincenzo hatte mit der Hystoria decollatorum nungentorum monachorum huius monasterii seinen angeblich 900 von den Sarazenen hingemetzelten Mönchen, allerdings auch erst aus zeitlicher Distanz, ein Denkmal gesetzt.154 In Montecassino wurde der Märtyrerabt Bertharius offenbar erst in der Neuzeit verehrt.155 Das Schweigen der Zeitgenossen lag vielleicht an dem Schock, den das Ereignis ausgelöst hatte. Der Schutz des heiligen Benedikt war vom Kloster abgezogen worden. Doch ist ein solches Ergebnis nicht selbstverständlich. Die Gnade des Martyriums, die immer wieder christlichen Gemeinschaften ein auf Dauer genutztes symbolisches Kapital gab, blieb ungenützt. Lieber orientierte man sich weiterhin an dem locellum aureum, in dem einst die sterblichen Überreste Karlmanns aus dem Frankenreich zur Bestattung nach Montecassino überstellt worden waren, oder dachte an die igonas, die Scauniperga gestiftet hatte. Die Burg, arx, des heiligen Benedikt, die „gesegnete Stadt" Eulogimenopolis, war aus der Pracht und Herrlichkeit der Karolingerzeit unsanft erwacht. Abt Bertharius hatte sich, wie die unter ihm angelegte Chronik von 876 zeigt, in der hohen Politik zu Hause gefühlt, sich auf würdige Repräsentation verstanden und sich zu allen Zeiten als Mehrer der Güter und Pertinenzen des heiligen Benedikt bewährt. Die Anwesenheit Kaiser Ludwigs verstand er zu nützen, um mit großem Gepränge ein Oratorium des heiligen Benedikt in S. Sophia in Benevent einzuweihen, dessen Bau sein Vorgänger Bassacius begonnen hatte.156 Die Schätze, die der Princeps Siconulf dem heiligen Benedikt genommen hatte und die in der Chronik aufgezählt werden, geben einen Eindruck vom Reichtum des Klosters vor dem Sarazenenüberfall: insgesamt 27.000 Goldsolidi, Gefäße im Gewicht von 130 Pfund Gold und 365 Pfund Silber, sowie zahlreiche kostbare liturgische Geräte und seidene Gewänder.157 Und das kann nur ein Teil gewesen sein. Bertharius, der die geraubten Gegenstände nach drei Jahrzehnten nochmals auflisten ließ, mag auf späte Kompensation gehofft haben. Doch die Zeit des Uberflusses war vorbei. Auch Erchempert mußte das feststellen und scheut sich nicht, den Verlust seines wenig regelgemäßen Privatbesitzes, von ómnibus bonis a pueritia acquisitis, in seiner Historióla heftig zu beklagen.158 Die spirituelle Kraft, aus den Rückschlägen und Verfolgungen der Mönchsgemeinschaft Hoffnung und Ansehen zu schöpfen, besaß Montecassino damals nicht. Sicherlich wurden in der Zeit auch erbauliche Texte niedergeschrieben und überliefert. Doch Z u m Ereignis vgl. Fabiani, La terra di San Benedetto 1, 3 4 f. Siehe Kap. II. 5 und III. 3 . Erchempert 6 1 , ed. Waitz 2 5 9 . 154 Chronicon Vulturnense, ed. Federici 1, 3 4 7 - 3 7 6 ; San Vincenzo al Volturno - dal Chronicon alla storia 2 9 5 - 3 2 0 . Avagliano, Il culto di San Bertario. 1,6 Chronica Sancti Benedicti Casinesis 4, ed. Waitz 4 7 1 . Siehe Kap. III. 3. 157 Chronica Sancti Benedicti Casinesis 7, ed. Waitz 4 7 3 . Vgl. Cittarella-Willard, T h e Ninth-Century Treasure, bes. 8 3 - 1 0 0 ; Loud, T h e Age o f Robert Guiscard 50. Erchempert 4 4 , ed. Waitz 2 5 4 . 1,2

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im Umgang mit der politischen Umwelt spielte derartiges kaum eine Rolle. In den drei hier untersuchten Handschriften werden kaum Beispiele heiligmäßigen Lebens verzeichnet. Die Chronik von 876 berichtete immerhin noch gelegentlich Wunder, die der heilige Benedikt für die Gemeinschaft gewirkt hatte, wo es etwa um die Errettung vor der Dürre ging.159 Bei Erchempert ist derartiges kaum mehr zu finden. Der Regelcodex des Abtes Johannes ist sicher ein Monument monastischer Identität, doch findet sich darin wenig, was die Gegenwart dazu beigetragen hätte. Wunderberichte, Erzählungen vorbildlichen Verhaltens von Mönchen oder Beispiele für die Bedeutung des heiligen Benedikt für das Kloster finden sich in jener Zeit kaum mehr in den Handschriften. Nur der Tod Landenulfs 993 und das darauffolgende Wunder wurden beachtet, im Casinensis 175 nachgetragen sowie in den Cavensis aufgenommen (siehe Kap. IV. 6). Und gerade da ging es um ein recht durchsichtiges politisches Manöver eines Machtpolitikers auf dem Abtstuhl. Nicht nur in das historiographische Dossier um 900 und in die LegesHandschrift um 1000, auch in den repräsentativen Regel-Codex wurden Texte aufgenommen, die sich auf Montecassinos Beziehung zur politischen Umwelt konzentrierten: das politische Gedächtnis der Abtei. Dabei schweifte der Blick immer wieder in bessere Zeiten zurück. Monastische Identität und Gemeinschaftsbewußtsein Montecassinos war im 10. Jahrhundert auf die fernere Vergangenheit gegründet. Die meisten der in die Handschriften aufgenommenen kleinen Texte waren also Gebrauchstexte. Verträge und Glossare konnten den rechtlichen Umgang mit der Außenwelt erleichtern oder den richtigen Rat an die Herrschenden ermöglichen. Epitaphien und panegyrische Verse erinnerten nicht nur an bestimmte Personen, sondern konnten auch als Vorlage dazu dienen, bei Bedarf neue zu verfassen. Manche der recht drastischen Geschichten und Anekdoten eigneten sich dazu, an vornehme Laien weitererzählt zu werden, wenn diese im Kloster zu Gast waren und man abends zusammensaß.160 Bei solchen Gelegenheiten können auch die falschen Briefe Karls des Großen und des Kaisers in Konstantinopel für die Unterhaltung von Nutzen gewesen sein (siehe Anhang). Die praktische Bedeutung von Papst- und Herrscherverzeichnissen, und manchen Einschüben darin, für den Kontakt mit der Außenwelt ist naheliegend. Am reichsten ist die Cassineser Materialsammlung, was die Historiographie des 9. und 10. Jahrhunderts betrifft. Doch war das eine Geschichtsschreibung in Fragmenten, eine ,kleine Historiographie'. In ständigen Brüchen und Neuansätzen wurden Serien von Ereignissen aufgebaut und wieder ausgeblendet.161 Nichts wurde ,fertig', nicht einmal die beiden größeren Chroniken Erchemperts und des Chronisten von Salerno. Letzterer war der erste, der eine Synthese und eine einheitliche Erzählperspektive fand; vielleicht nicht zufällig am Rande der textuellen Welt von Montecassino, im Benedikt-Kloster in Salerno. Schon der historiographische Anhang der Regelhandschrifit von ca. 867 bestand aus einer Montage von Fragmenten, die in mehrfachen Rückblenden die wesentlichen Informationen zur Gegenwart und Vergangenheit der Abtei des heiligen Benedikt zusammenfügte. Erchempert schloß nicht daran an, sondern orientierte sich am Werk des Paulus Diaconus und seiner Fortsetzung. Nach ihm wurden nur mehr Bruch-

Chronica Sancti Benedicti Casinesis 6, ed. Waitz 472. Vgl. dazu, nach dem Casus Sancti Galli Ekkehards, de Jong, The cloister as frontier. "' Ahnlich unfertig wirkt das Chronicon Novaliciense aus der Mitte des 11. Jahrhunderts, ed. Alessio, Cronaca di Novalesa; vgl. Geary, Phantoms of Remembrance 115. Ähnliche Befunde für Südfrankreich: Bisson, Unheroed pasts. 140

Die Selbstdarstellung Montecassinos vom späten 9. bis zum frühen 11. Jahrhundert

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stücke produziert, so auch für die Chronik von Capua, die sich im Casinensis 175 findet (siehe Kap. III. 4). Das ist auffällig; immerhin wurden zugleich nördlich der Alpen selbst recht disparate Nachrichten durch konsequente Einordnung in ein annalistisches Schema in eine lineare Perspektive gebracht. Aus ,postmoderner' Sicht ist eine solche ,dezentrierte' Historiographie bemerkenswert.' 62 Methodisch ist dieser Charakter einer offenen Materialsammlung interessant.163 Er erlaubt Einblicke in die historiographische Werkstatt der Mönche von Montecassino. Die meisten Texte orientierten sich an der Chronologie der Fürsten; viele davon waren als Einschübe, Zusätze oder Nachträge in Fürsten- oder anderen Herrscherkatalogen entstanden. Als Modell mochte unter anderem der Liber Pontificalis dienen. Für die Zeit um 900 ist die mehrfache Benutzung einer Handschrift nachweisbar, in der in drei Kolumnen nebeneinander der Name des Fürsten, seine Regierungsdauer und die Indiktion des Herrschaftswechsels standen (die dann mehrfach beim Abschreiben falsch zugeordnet wurden; siehe Kap. III. 4). Dazu wurden wohl zum Teil knappe Zusätze eingetragen. Anno-Domini-Datierungen waren zwar natürlich bekannt, aber offenbar unüblich. Erchempert verwendet sie in der Regel nicht für die Eckpunkte des politischen Geschehens, das er schildert (außer ganz am Schluß, bei den Ereignissen der Abfassungszeit), sondern nur für die beiden Schlüsselereignisse seines persönlichen Lebens: die Gefangennahme durch die Neapolitaner im August 881 und die Ausplünderung durch die Byzantiner im August 886.164 In seiner Chronik ist die Geschichte sozusagen traumatisch strukturiert. Freilich mußte die Orientierung an den Fürstenlisten zu chronologischer Verwirrung fuhren. Bis zur Teilung des beneventanischen Prinzipats 849 konnte man sich relativ einfach orientieren, wie die Übersicht im Casinensis 175 zeigt:165 Einer Kolumne mit den Äbten stand eine mit den Fürsten von Benevent gegenüber. Auch das konnte zu Verwechslungen führen (etwa zwischen Gisulf I. und Gisulf II. im Chronicon Sancti Benedict,i Casinensis166), doch setzte es eine klare Zuordnung voraus. Die Ubersicht des Casinensis zeigt sehr gut, wie sich die Dinge ab Mitte des 9. Jahrhunderts komplizierten; die Kolumnen vervielfältigten sich: Salerno, Sarazenen, Franken kamen dazu. Später mußte man vor allem mit Capua rechnen, auch byzantinische Statthalter spielten eine Rolle. Es ist kein Wunder, daß der komplizierteste Teil der beneventanischen Fürstenliste, von 892 bis 900, als einander in wenigen Jahren mehrere Mitglieder der Beneventaner Dynastie, Byzantiner, Spoletiner und schließlich Capuaner in der Herrschaft über Benevent abwechselten, in alle Handschriften kopiert wurde. Für Montecassino waren diese Herrschaftswechsel gar nicht gleichgültig; von fast allen dieser Fürsten erwarb man (oder allenfalls, konstruierte man nachträglich) weitreichende Privilegien und Besitzbestätigungen (siehe Kap. V. 1). Eine einheitliches, lineares Geschichtsbild war in dieser Weise kaum zu gewinnen. Immerhin stellte in dieser Vielfalt herrschaftlicher Konstellationen die Langobardengeschichte des Paulus Diaconus ein durchaus taugliches Vorbild dar. Auch er hatte darin, aus seiner widersprüchlichen Lebenserfahrung zwischen CiviVgl. etwa Spiegel, History, historicism and the social logic of the text; Veyne, Foucault; vgl. Pohl, Paulus Diaconus 382f.; ders., History in fragments. 163 In manchem erinnern sie an die spätmittelalterlichen Flores temporum; siehe Mierau-SanderBerke-Studt, Studien. 164 Erchempert 44 und 61, ed. Waitz 254 und 259. Chronica Sancti Benedicti Casinesis 22, ed. Waitz 480 f. Siehe Kap. III. 3. 166 Chronica Sancti Benedicti Casinesis 21, ed. Waitz 479 f.

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dale, Pavia, Aachen, Benevent und Montecassino heraus, sehr unterschiedliche Blickwinkel und chronologische Abläufe harmonisiert, selbst wenn als Überleitung zwischen den wechselnden Erzählperspektiven oft nur circa haec tempora und ähnliches dienen konnte. 167 Eine solche Harmonisierung gelang in Montecassino in jener Zeit allerdings nicht. Ebensowenig wurde ein geschlossenes, als solches dann weiter verbreitetes und verarbeitetes Kompendium angelegt. Stattdessen wurden die hier untersuchten Texte in immer wechselnden Zusammenstellungen kopiert, zitiert, nachgetragen oder überarbeitet. Manchmal hat man den Eindruck, daß von bestimmten Textsorten - Epitaphien, Verträge - jeweils nur einer oder wenige, dafür aber immer wieder verschiedene, aufgenommen wurden. Das mag unter anderem daran liegen, daß es keinen Anlaß gab, alles Wesentliche in eine einzige Handschrift aufzunehmen. Es war wohl gerade die relativ reiche und alltägliche Schriftlichkeit, die es überflüssig machte, eine übersichtlich verknappte Darstellung der eigenen Geschichte zu geben und in einer Handschrift aufzubewahren. Montecassino besaß viele Handschriften, und andere gab es anderswo in dem textuellen Archipel, der sich an Montecassino orientierte, in den Dependenzen S. Sophia in Benevent und (als man wieder ins Stammkloster übersiedelt war) S. Benedetto in Capua, in S. Benedetto in Salerno, und auch im ständig rivalisierenden und doch so nahen San Vincenzo al Volturno. Schreiben in Montecassino fand im 9. und 10. Jahrhundert nicht in einer kargen Randzone der Schriftlichkeit statt, sondern in einer entwickelten Schriftkultur. Der Autor des Chronicon Novaliciense mußte Mitte des 11. Jahrhunderts einen aus dreißig etwa zehn Zentimeter breiten Pergamentstückchen zusammengenähten Rotulus benutzen. 168 Selbst wenn gelegentlich die Sarazenen die vaccas monasterii davontrieben,169 scheint es in Montecassino keinen gravierenden Mangel an Pergament gegeben zu haben. Daß es wesentlich mehr ähnlicher Texte gegeben haben muß, sieht man schon daran, daß manche Texte in den drei Handschriften in mehreren Fassungen überliefert sind: die fränkische Völkertafel, das Glossar oder der Vertrag von 849.170 Es läßt sich auch an den großen Chroniken der Zeit um und nach 1100 zeigen, die viele von den bekannten, aber auch allerlei sonst nicht überlieferte Nachrichten aus dem 9. und 10. Jahrhundert bringen.171 Selbst wenn man voraussetzt, daß manches davon spätere Zutat ist, wird deutlich, daß Leo Marsicanus oder Johannes von San Vincenzo auf eine reiche schriftliche Uberlieferung zurückgreifen konnten. Manche heute verlorene Handschrift des 9. bis 10. Jahrhunderts läßt sich als Vorlage erschließen. Erst die Zeitgenossen des Investiturstreites waren es also, die aus der widersprüchlichen Vergangenheit von Montecassino, aber auch von S. Sophia und San Vincenzo, eine einheitliche Geschichte formten.

167 Pohl, Paulus Diaconus; ders., Paolo Diacono. Zum Gebrauch der chronologischen Formulierungen des Paulus in der späteren Cassineser Historiographie, etwa bei Leo Marsicanus, siehe Hoffmann, Stilistische Tradition 35. 168 Geary, Phantoms of Remembrance 115; ähnlich ging es zur selben Zeit Gottschalk von Benediktbeuren, siehe ebd. 116 f. Chronica Sancti Benedicti Casinesis 19, ed. Waitz 478. 170 Siehe Kap. III. 10; IV. 5; IV. 6 sowie im Anhang. 171 Chronica monasterii Casinensis, ed. Hoffmann; Chronicon Vulturnense, ed. Federici; Chronicon S. Sophiae, ed. Martin (im Druck). Siehe oben in diesem Abschnitt.

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Die kleineren Texte, die in den hier behandelten Handschriften Aufnahme fanden, repräsentieren also keine geschlossene Auswahl von ,Texten der Identität' Montecassinos. Eher stellen sie eine jeweils zufällige Selektion von zur Zeit der Anlage einer Handschrift gerade naheliegenden oder wichtigen Texten dar. Sie wurden immerhin in drei sehr wichtige und repräsentative Codices eingetragen. Die Regelhandschrift, die Abt Johannes anlegen ließ, aber auch der Leges-Codex von Cava mit ihrem eindrucksvollen Bildprogramm waren wohl Handschriften, die ebenso zur Repräsentation wie zum Gebrauch gedacht waren. Zumindest die Regelhandschrift lag sozusagen am Schreibtisch des Abtes. Die Texte, die darin kopiert wurden, geben kein abgeschlossenes Programm einer cassinesischen Identität wieder. Aber sie verraten viel von den Bemühungen, dem Kloster und seinen Mönchen in einer schwierigen Zeit Orientierung zu geben.

Anhang 1. Schlüsseltexte zum Selbstverständnis von Montecassino im 9. und 10. Jahrhundert A n m e r k u n g : D i e Texte des Vat. lat. 5 0 0 1 , des C a s . 175 u n d des Cav. 4 sowie des Vat. lat. 4 9 3 9 ( C h r o n i c o n S. Sophiae) sind hier aus den Handschriften transkribiert. D i e übrigen Texte sind aus der jeweils angegebenen Edition zitiert. Konversion u n d T o d K a r l m a n n s Ursprung des Textes: (A) Liber Pontificalis 93 (Zacharias) 21, ed. Duchesne 4 3 3 Huius temporibus Carolomannus, filius Caroli Francorum regis, praesentis vite relinquens gloriam atque potestatem terrenam, ad beatum Petrum apostolorum principem devotus cum aliquantis suis advenit fidelibus, seseque eidem Dei contulit apostolo atque in spiritali habitu fore spondens permansurum, clericatus iugum ab eodem sanctissimo suscepit pontifice. (Et inter alia multa dona obtulit beato Petro apostolo, ante confessionem, arcum argenteum maiorem, pens. lib. LXX.). Et post aliquantum temporis ad beati Benedicti quod Aquinensium finibus situm est profectus est monasterium, in quo et suam finiri vitam iure professus est iurando. (B) Liber Pontificalis 94 (Stephan II.) 30, ed. Duchesne 4 4 8 f. Interea nefandissimus Aistulfus Carolomannum, fratrem benignissimi Pippini regis, a monasterio beati Benedicti, in quo devote per evolutum temporis spatium monachice degebat, diabolicis eum suasionibus suadens, Franciae provinciam ad obiciendum atque adversandum causae redemptionis sancte Dei ecclesiae reipublice Romanorum direxit. D u m q u e illuc coniunxisset, nitebatur omnino et vehementius decertabat sanctae Dei ecclesiae causas subvertere, iuxta quod a praefato nec dicendo Aistulfo tyranno fuerat directus. Sed propitiante D o mino minime valuit sui germani christianissimi Pippini regis Francorum in hoc firmissimum cor inclinare; potius autem conperta nequissimi Aistulfi versutia, tota se virtute isdem excellentissimus Pippinus Francorum rex professus est decertari pro causa sanctae Dei ecclesiae, sicut pridem iamfato beatissimo spoponderat pontifici. Tunc pari Consilio hisdem sanctissimus papa cum denominato Francorum rege Consilio inito, iuxta id quod praefatus Carolomannus D e o se devoverat monachicam degere vitam, in monasterio eum illuc Franciam collocaverunt, ubi et post aliquantos dies divina vocatione de hac luce migravit. Vorkommen in den Handschriften: 1. Vat. lat. 5001, fbl. 105v, Pauli Diaconi Continuatio Casinensis, ed. Waitz, M G H SS rer. Lang. 1 9 8 - 2 0 0 (A) Post hunc, Ratchis regnavit annos IV et menses IX. Huius temporibus Carlomagn(us), filius Karli regis Francor(um), pro amore celestis regni terrenum relinquens regnum, Roma(m)

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adiit, et a Zacharia papa monachus factus est. Et post aliquantum temporis ad beati B(e)n(e)dicti, quod Aq(ui)ne(n)siu(m) finibus situm" est, profectus est monasterium. fol. 106v (B) Cum enim supradictus papa in Gallia(m) degeret, Astulfus Karlomagn(um), germanum Pipini, quem superius monachum memoratus sum, ad Gallia(m) misit adversar part b reipuplice. Qui retentus illuc a fratre, vitam finivit. Cuius corpus in locello aureo gemmato ab eodem germano cum aliis muneribus ad beati B(e)n(e)dicti monasterium in Casino remissum c. 2. Cas. 175, S. 561, Zusatz zum Verzeichnis der Langobardenkönige, ed. Cilento, Un documento falso 218. A. 22. Unten auf der Seite 561 später unvollständig getilgter Zusatz mit + zu Ratchis, der zuerst von dessen Konversion berichtet und dann fortfährt: Et istius temporibus Carolus magnus regno dimisso et monachus factus hic habitabat. Et postea in Francia legatus pro rei publice a papa missus, ibi vitam finivit. Sed a fratre Pipino rege corpus eius in locello aureo misso atque in Monte Casino directo, ibi quiescit. 3. Vat. lat. 5001, fol. 3r; 5r, Chronicon Salernitanum c. 1 (A), 5 (B), ed. Westerbergh 3 (A); 6 f. (B) (A) Residente in apostolica sede Zacharia papa (...), Karolusd magnus, filius Karoli Francor(um) regis, presentis vite relinquens gloriam atque potestatem terrenam, ad beatum Petru(m) apostolorum principem devotus cum aliquantis suis advenit fidelibus, seseque eidem Dei tulit* apostolo, atque in spirituali habitu se fore spondens permansurum, clericatus iugum ab eodem sanctissimo suscepit pontificef. Et inter alia multa dona optulit beato Petro apostolo, et ante confessionem eius arcum argenteum maiorem pene 8 librum h septuaginta. Et post aliquantum temporis ad beati Benedicti ', qud ' Aq(ui)nensiu(m) finibus situm est, perfectus est11 monachus, in quo et sanctam finire vitam iure professus est iurando. (B) Interea rex Aystulfus Kar' ma m fr" benignissimi Pipini regis a monasterio beati B(e)n(e)dicti, in quo devote" per evolutum temporis spacium monachice degebat,

' Cod.: scitum. b Cod.: korr. auf Rasur. c Cod.: vom Korr. über der Zeile nachgetragen. d Cod.: rote Initiale. ' Cod.: auf Rasur korrigiert; Westerbergh: contulit. ' Cod.: am Rand von Annotator A ergänzt: Zacharia. e Westerbergh: pens. h Cod.: Endung auf Rasur nachgetragen. Westerbergh: libras. ' Cod.: Auslassungszeichen im Text, Korr. monasteriu von Annotator A am Rand. Darüber von C: zu Aquino civitas antiqua. Darüber von D, mit geschwungener Umrahmung: Nota de finibus Aquine(n)sib(tts). ' Cod.: das o von quod und, mit Auslassungszeichen auf der Zeile, das in von Annotator A über der Zeile nachgetragen. Westerbergh: ad beati Benedicti, quod Aquinensium finibus situm est. k Cod.: Auslassungszeichen; von Korr. 2 mit dünner Feder über der Zeile nachgetragen: et factus est. 1 Cod.: Endung o auf Rasur nachgetragen, das «auf o ausgebessert; Westerbergh: Karolum. m Cod.: Das o auf Rasur nachgetragen, Kürzungsstrich über dem n radiert, die Unterlänge des g nachgezogen. Westerbergh: magnum. " Cod.: fr, dann Rasur von zwei Buchstaben, das i mit Kürzungsstrich von Korr. 2 nachgetragen. Westerbe rgh/yramm ° Cod.: e auf Rasur.

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dyaboIis a b suasionibus suadens, c Francie provinciam, obiciendum atque adversandum caus d redemptionis sancte Dei ecclesie, rei puplice direxit. Dumque illuc coniunxisset, nitebatur omnino et vehementer® decertabat sancte Dei ecclesie causas subvertere, iusta quod a praefato Aystulfo regef fuerat directus. Sed propiciante Domino, minime valuit sui germani, christianissimi Pipini regis Francor(um) 8 , in hoc firmissimum cor inclinare. Pocius autem conperta h Aystulfi regi' versucia, tota virtute idem' Pipin(us) rex profexus est decertare, ut sicut pridem iam fato spoponderat pontifici. Tunc pari Consilio k papa cum denominato rege Consilio inito, iusta id quod praefatus Karl' magnus Deo se voverat monachicam degeret"1 vitam, et in monasterium eum illuc " Francia(m) collocaverit 0 , ubi et post aliquantos dies divina vocacione de hac luce migravit. 4. Cav. 4, fol. 173r-174v, Zusatz zum Verzeichnis der Langobardenkönige, ed. Pertz, M G H SS 3, 216; Caietano d'Aragonia, Codex Diplomaticus Cavensis 3, Appendix 227 f. (A) fol. 173r-173v Post hunc, Rachis regnavit anni quattuor, mense novem. Huius temporibus Corlomannus p , filius Carli regis Francorum, pro amore cflestis regni terrenum relinqufns regnum, Roma(m) habiit, et a Zacharia papa monachus factus est. Et post aliquantum temporis ad beati Benedicti cenobii, quod in Castrum Casinu(m) Aquinensium finibus situm est, profectus est monasterium. (B) fol. 174v Cum enim supradictus q papa Gallia(m) degeret, Aistolfus 1 Carlomannu(m), germanum Pipini, quem superius monachum memoratus est, ad Gallias misit adversarem partem rei publice. Qui retentus illuc a fratre, vitam finivit. Cuius corpus in locello aureo gemmato 5 ad beati Benedicti monasterium' in Casino remissus est. Spätere Uberlieferungen: Chronica Monasterii Casinensis 1, 7, ed. Hoffmann 30 f.; 33. (A) Per idem tempus Karolus magnus filius Karoli regis Francorum amore cflestis regni regno relinquens, Romam ad beatum Petrum apostolum cum aliquot suis fidelibus devotus advenit, * Cod.: «über der Zeile von Korr. 1 nachgetragen. b Cod.: Durchstreichung von Korr. 2 mit Punkten darunter getilgt. c Cod.: über der Zeile nachgetragen von Korr. 2, fehlt bei Westerbergh. d Cod.: auf Rasur von Korr. 2 nachgetragen; Westerbergh: causam. ' Cod.: danach Rasur. ' Westerbergh: regi. 8 Cod.: dazu Randnotiz von D, nachgetragen von neuzeitl. Hand: Karolus magnus et Pipin(us) rex Fra(n)coru(m) fiteruntgermani (vgl. Kap. II. 4). h Cod.: ram-Kürzung; Westerbergh: comperta. ' Cod.: s nachgetragen; Westerbergh: regi. ' Westerbergh: isdem. 1 Cod.: auf Rasur von hisdem nachgetragen von Korr. 2, Westerbergh: hisdem. ' Cod.: das u(s) auf Rasur nachgetragen, vorher wohl o, Westerbergh: Karlomagnus (aber: Lücke zwischen den beiden Worten war intendiert). ™ Cod.: zunächst deger mit Kürzungsstrich, e über dem rvon Korr. 2 nachgetragen. Westerbergh: degere. " Cod.: nachgetragen von Korr. 2 über der Zeile, fehlt bei Westerbergh. 0 Westerbergh: collocaverunt. ' Ed.: Carlomannus. q Cod.: «j-Kürzung auf Rasur nachgetragen. ' Über dem o «-Haken. ' Cod.: radierter Buchstabe nach dem o. ' Cod.: aus monasterio durch Uberschreibung korrigiert.

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seseque eidem apostolo tradidit. Quem prefatus papa Zacharias clericum faciens, post aliquot dies huc eum ad beati Benedicti monasterium, Domino cum cfteris sub regulari magisterio serviturum cum omnibus suis divitiis transmisit (...) (B) Postmodum vero ab Aistolfo Langobardorum rege pro quibusdam rei public? su? utilitatibus ad fratrem suum Pipinum regem in Franciam ira rogatus, ibidem defunctus est. Cuius corpus idem frater eius rex Pipinus in locello aureo atque gemmato positum, cum multis altris muneribus huc ad suum monasterium remittere studuit. Kommentar: Karlmann war im Jahr 747 abgetreten; seine gescheiterte Rückkehr ins Frankenreich fällt in den März/April 754. Der Liber Pontificalis berichtet darüber ganz aus der Sicht des Papstes (und Pippins III.). Die Continuatio läßt diese negative Wertung der Mission Karlmanns weg. In der Continuatio wird zudem der Satz hinzugefügt, daß Karlmann in locello aureo gemmato nach Montecassino überführt und hier bestattet worden sei. Zumindest in der Fassung des Vaticanus lat. 5001 ist auch die Gleichsetzung mit Karlomagnus bereits vollzogen. Dieser Verwechslung folgt auch der Vermerk zur Fürstenliste im Casinensis 175. Das Chronicon Salernitanum nennt Karlmann zwar ebenfalls Karolus magnus, unterscheidet ihn aber von Karl dem Großen, der nur als Karolus rex bezeichnet wird; freilich wird dann auch von dessen Konversion und Leben als Mönch in Montecassino berichtet (siehe Kap. II. 9). Die Fassung des Cavensis 4 hingegen nennt Karlmann richtig Carlomannus, während Leo Marsicanus Karolus magnus hat. Das Chronicon Salernitanum greift in seiner Schilderung wieder direkt auf den Liber Pontificalis zurück. Hier fehlt auch die Nachricht der Continuatio von der Überführung und Bestattung der Leiche Karlmanns in Montecassino, die in Salerno auch nicht von Belang war. Sowohl der Casinensis als auch der Cavensis, ebenso wie Leo Marsicanus, gehen dagegen auf die Fassung der Continuatio zurück, die nur verkürzt bzw. in Kleinigkeiten abgeändert wird. Lit.: Tangl, Sendung; Krüger, Königskonversionen; Noble, Republic of St Peter 66 f.; 82. Die Konversion des Ratchis und der Tasia; Gründung von Plumbariola Ursprung des Textes: Liber Pontificalis 93 (Zacharias) 21, ed. Duchesne 433 f. Ipsis itaque temporibus Ratchis Langobardorum rex ad capiendam civitatem Perusinam, sicut cetera Pentapoleos oppida, vehementi profectus est cum indignatione; quam et circumdans fortiter expugnabat. Hoc audiens sanctissimus papa, continuo spe divina fretus, assumptis aliquantis ex suo clero optimatibus, quantotius ad eandem perrexit civitatem; impensisque eidem regi plurimis muneribus atque oppido eum deprecans, opitulante Domino, ab obsessione ipsius civitatis eum amovit. Cui et salutifera praedicans, Deo auctore, valuit animum eius spiritali studio inclinare. Et post aliquantos dies isdem Ratchis rex, relinquens regalem dignitatem, devote cum uxore et filiis ad beati Petri principis apostolorum coniunxit limina, acceptaque a praelato sanctissimo papa oratione clericusque effectus, monachico indutus est habitu cum uxore et filiis. Vorkommen in den Handschriften: 1. Vat. lat. 5001, fol. 106r, Pauli Diaconi Continuatio Casinensis, ed. Waitz, M G H SS rer. Lang. 199. (...) Non multum post idem Ratchis, divino instinctu regalem relinquens dignitatem, devote cum uxore et filiis ad beati Petri principis apostolorum pervenit limina clericusque effectus est, monastico indutus est scemate cum uxore et filiis. Et ille quidem cum filiis ad beati

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B(e)n(e)dicti cenobium profectus est, ubi sub artissima vite districtione vitam finivit. Uxor vero eius Tasia nomine cum Rattruda prole sua similiter mutato habito, ex propriis sumptibus monasterium puellare3 in Plumbariola struxerunt b , multisque dota c opibus, ibique sub magna districtione vitam ducentes, diem clauseruntd extremum. 2. Cas. 175, S. 561, Zusatz zur Liste der Langobardenkönige (wie oben I. 2; unten auf S. 561 später unvollständig getilgter Zusatz mit + zu Ratchis), ed. Cilento, Oriente e occidente 218 Anm. 22. Ille ad beati Benedicti limina cum sua uxore Tasia et [Rottruda] filia utrique c monachico abi[to in]duti. Iste hie in Casino, ilia in Blombarolia vitam finierunt. 3. Cav. 4, fol. 173v, Zusatz zum Verzeichnis der Langobardenkönige, ed. Pertz, M G H SS 3, 216; ed. Caietano d'Aragonia, C D C 3, Appendix 227; als Variante berücksichtigt in Pauli Diaconi Continuatio Casinensis, ed. Waitz, M G H SS rer. Lang. 199. Non multo post idem Rachis, divino instinctu regalem relinquensf dignitatem, devote cum uxore et filiis ad beati Petri principis apostolorum coniunxit limina, clericusque efFfctus, cum monachico indutus est scemate, cum uxore et filiis ad beati Benedicti cenobium profectus est, ubi sub artissima vite districtionem vitam finivit. Uxor vero eius Tasia nomine cum Rattruda prole sua, similiter mutato habito, ex propriis sumptibus monasterium puellarum in Plumbariola struxerunt, multisque dotatum opibus, ibique sub magna districtione vitam ducentes, diem clauseruntd extremum. Spätere Überlieferungen: Chronica Monasterii Casinensis 1, 8, ed. Hoffmann 33 f. His quoque diebus Ratchis rex Langobardorum ad capiendum Perusinam urbem cum valido exercitu pergens eam undique fortiter expugnabat. Ad quem predictus papa Zacharias profectus (...) Cuius idem rex monitionum sollicite reminsicens, non multopost divino afflatus instinctu, relinquens regalem dignitatem et gloriam, cum iam per annos quinque et sex menses regnasset, Romam unacum uxore et filia ad beati Petri apostolorum principis limina devotus advenit, ibique a pr^fato apostolic^ sedis presule Zacharia comam attonsus, et clericus factus, monachico etiam habitu simul cum uxore et filia est indutus. Moxque ad hoc monasterium beati Benedicti perveniens, et sub regulari magisterio instituendum se tradens ibidem vitf finem sortitus est. (...) Uxor vero illius nomine Tasia, et filia Rattruda, concedente prffato abbate, monasterium puellarum non longe a Casino, in loco qui Plumbariola vocatur, propriis sumptibus extruerunt, multisque ditatum opibus, ibi sub magna cautela et districtione regulari vitam agentes, ultimum diem clauserunt. Kommentar: Die Abdankung des Ratchis geschah nach der Aufgabe der Belagerung von Perugia im Juni 749; im Juli wurde sein Bruder Aistulf zum König der Langobarden gekrönt. Der Liber Pontificalis enthält nur die Passage bis monachico indutus est scemate cum uxore et filiis, ohne daß der Aufenthalt in Montecassino erwähnt wird. Das ist eine Zutat der Continuatio, die von den beiden anderen Handschriften übernommen wird. Dafür berichtet die Vita Stephans II.

' Waitz: puellarum (ohne Anm.). b Cod.: die cum/con-Kürzung von Hand des Korr. über der Zeile eingefügt; Waitz: struxerunt. ' Cod.: das rt mit Kürzungsstrich auf Rasur vom Korr. eingefügt; Waitz: dotatum. d Cod.: clauxerunt. ' Cilento: uterque. ' Cod.: relingufns. Cod. d' Aragonia: relinquaens. 8 Cod.: claserunt.

Schlüsseltexte zum Selbstverständnis von Montecassino im 9. und 10. Jahrhundert

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(Liber Pontificalis 94, c. 48) von seinem Versuch der Rückkehr an die Macht nach dem Tod Aistulfs, der wiederum in den Cassineser Quellen ausgelassen wird. Lit.: Krüger, Königskonversionen; Noble, Republic of St Peter 57; Pohl, Frontiers; De Jong, Monastic prisoners. Stiftungen Gisulfs II. und Scaunipergas Vorlage des ersten Teils: Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 6, 27, ed. BethmannWaitz 174. Hac denique aetate Gisulfus Beneventanorum ductor Suram Romanorum civitatem, Hirpinum atque Arcim pari modo oppida cepit. Qui Gisulfus tempore Iohannis papae cum omni sua virtute Campaniam venit, incendia et depraedationes faciens, multos captivorum cepit et usque in locum qui Horrea dicitur castrametatus est, nullusque ei resistere potuit. Ad hunc pontifex missis sacerdotibus cum apostolicis donariis, universos captivos de eorum manibus redimit ipsumque ducem cum suo exercitu ad propria repedare fecit. 1. Cas. 175, S. 552f., Chronica Sancti Benedicti Casinensis, ed. Waitz, M G H SS rer. Lang. 479 f. Gisolfus quoque Beneventanor(um) nostrorum dux Suram, Romanoru(m) civitatem, Arpina(m), Atinen atque Arce(m), pari modo oppida, cfpit. Qui Gisulfus tempore Iohannis papae sua omni cum virtute Ca(m)pania(m) venit, incendia et depredationes faciens, multos c£pit captivos. Et usque in locum, qui Horrea dicitur", perveniens, castrametatus est, nullusque ei resistere potuit. Ad hunc pontifex missis sacerdotibus cum apostolicis donariis, universos captivos de eorum manibus redemit, ipsumque ducem suo cum exercitu ad propria repedare fecit. Cuius uxor, Scaunip(er)ga nomine, in urbe Casinatiu(m) in idolorum tempio beati apostolorum principis Petri honore beataeque scilicet glorios^ semper virginis Marie necnon et Michahelis argangeli altaria statuens, igonas et ministeria vel ceteris ac optimis muneribus illustrans, et devota mente succedue memoranda reliquid. In eiusdem vero urbis arcem, quo Mello dicitur, ubi decenter beati corpus Benedicti humatum est, isdem Gisulfus armipotens dux cum conscendisset, tum divino tactus amore, beato patri Benedicto cuncta in circuitu montana et planiora conferens, et fixis donariis posteris habenda imperpetuum concessit. Sed propter hostium irruptionem marchas tantum ad incolarum tutamina dimisit; cfterum ob laborum suffragia exercendum vicinis precepit, tarn in seminibus, quam messium tempora monachis oboedituros. 2. Cav. 4, fol. 177v-178r, Catalogus principum Beneventi, ed. Waitz, M G H SS rer. Lang. 4 9 3 ^ 9 5 ; Caietano d'Aragonia, C D C 3, Appendix 230 f. Gisolfus b quoque Beneventanoru(m) dux Soram, Romanoru(m) civitate, Arpina(m), Atinem atque vero Arci, 0 pari modo oppida cepit. Qui idem Gisolfus tempore Ioh(ann)i papa sua omni cum virtute Ca(m)pania(m) venit, incendia et depredationem faciens, multos cepit captivos. Et usque in locum, qui Orrea dicitur, perveniens, castrametatus est, nullusque ei resistere potuit. Ad hunc pontifex missis sacerdotibus cum apostolicis donariis, universos captivos de eorum manibus redemit, ipsum quoque ducem suo cum exercitu ad propria repedare fecit. Cuius uxor, Scanip(er)ga nomine, in urbe Casinatiu(m) in idolorum tempio beati apostolorum principis Petri honore altaria statuens, igonas et ministeria vel ceteris hac optimis muneribus illustrans, et devota mente succedue d memoranda reliquid. In eiusdem vero ar' Cod.: eigentlich dicìt (Kürzungszeichen fehlt). b Cod.: Schmuckinitiale zweizeilig, in rot mit blauer und goldener Füllung ausgeführt. c d

Cod.: Soram (...) Arpinam (...) atque vero Arci rot geschrieben. Cod.: succedine.

Anhang

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cem, quo Mello dicitur, ubi decenter beati corpus Benedicti umatum est, hisdem Gisolfus armipotens dux cum conscendisset, tunc divino tactus amore beati patri3 Benedicti in circuitu montana planiora conferens, et fixis donariis posteris habenda in perpetuum concessit. Sed propter hostium irrutionem marcas tantum ad incolarum contamine dimisit; ceterum ob laborum suffragia exercendum vicinis precepit, tarn in seminibus, quam messuum tempora monachis obediturus. Spätere Überlieferung: Chronica Monasterii Casinensis 1, 5, ed. Hoffmann 25 und 28. Gisulfus ( . . . ) in hanc arcem Casini, que tunc Mello vocabatur ascendisset, atque iuxta corpus sanctissimi patris Benedicti tarn religiose fratres qui tunc ibi manebant in Dei servitio vivere repperisset, divino compunctus instinctu cuncta in circuitu tarn campestria quam eidem patri Benedicto in scriptis contulit, firmisque donariis inperpetuum eadem posteris habenda concessit. ( . . . ) Uxor etiam eiusdem ducis Scauniperga nomine, templum idolorum quod antiquitus in Casino castro constructum fuerat, in beati Petri apostoli honorem convertens, yconas ibi et estera ecclesia officiis congrua ministeria in posterorum memoriam devotissima contulit. Vgl. Chronicon Vulturnense, ed. Federici 1, 349 f. Kommentar: Die 867 oder kurz darauf geschriebene sogenannte „Chronica Sancti Benedicti Casinensis" (siehe Kapitel III. 3) nimmt die Nachricht des Paulus Diaconus über die Eroberungen Gisulfs I. im Jahr 702 als Ausgangspunkt für einen Bericht über die Stiftungen seines Enkels Gisulf II. (742—751) und seiner Gemahlin Scauniperga. Dieser Abschnitt fehlt im Vaticanus, dafür ist er in einem Zusatz zur beneventanischen Fürstenliste im Cavensis praktisch wörtlich übernommen. Nur die nähere Beschreibung der von Scauniperga gestifteten Ikonen im Casinensis 175, beataeque scilicetgloriosae Semper viginis Mariae neenon et Michahelis argangeli, fehlt im Cavensis; siehe Kap. III. 3. Arichis II. und die Gründung von S. Sophia in Benevent Vorkommen in den Handschriften: 1. Vat. lat. 5001, fol. 107v, Erchempert c. 3, ed. Waitz, M G H SS rer. Lang. 235 f. Nanctus itaque hanc occasionem, et ut ita dicam Francor(um) territus metub, inter Lucania(m) et Nuceria(m) urbem munitissimam ac praecelsam0 in modum tutissimi castri idem Arichis opere mirifico d e que civitasf, que propter mare conticuum, quod salum appellatur, et ob rivum qui dicitur Lirin (us), ex duobus corruetis6 Sal(er)nu(m) appellatumh ' esset scilicet futurum praesidium prineipibus superadvenintek exercitu B(e)n(e)ven' Cod.: petri. Cod.: Cod.: i Cod.: ' Cod.: ' Cod.: 8 Cod.: h Cod.: b c

1

«aufRasur. Korr. 2 darüber he nachgetragen, nach p mit Verweiszeichen eingefügt. auf Rasur von Korr. 1. von Korr. 1 am Rand durch Verweiszeichen hinzugefügt. über der Zeile von Korr. 1 nachgetragen. s von Korr. 1 auf Rasur nachgetragen. tum von Korr. 1 auf Rasur nachgetragen.

Waitz: idem.

' Cod.: von Korr. 1 am Rand ergänzt. k Cod.: von Korr. 1 auf Rasur nachgetragen. Waitz: superadventante.

Schlüsseltexte zum Selbstverständnis von Montecassino im 9. und 10. Jahrhundert

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tu(m). Infra B(e)n(e)venti autem meniaa templum Domino opulentissimum ac decentissimum condidit, quod Greco vocabulo Agian Sophianb, id est sanctam sapientiam, nominavit, dotatumque amplissimis praediis et variis opibus sanctimonialec coenobium statu d , idque sub iure beati B(e)n(e)dicti in perpetuum tradidit permanendum. Pari eciam modo in territorio e Deo amabili viro ecclesiam in honorem Domini Salvatoris construxit, et monasterium puellariumf instituit, atque diccioni sanctissimi Vincentii martiris subdidit. 2. Cas. 175, S. 562, Zusatz zur beneventanischen Fürstenliste, am unteren Ende der Seite (zu: Arechis s. an. XXV1III m. VI. Iste primus appellatur princeps, et fecit duo palatia, unum in Benevento, et alium in Salerno, et Sanctam Sofiam edificavit in Benevento.) Profert Erchempertus grammaticus in histori quam de Langobardorum gente composuit, quia iste iam supradictus Arichis infra menia Beneventi templum Domino opulentissimum ac decentissimum condidit, quod Greco vocabulo A r H A N CQHAN, id est sanctam sapientiam, nominavit, ditataque eam amplissimis prediis [et varis opjibus, sanctimonialium cenobium statuens, idque sub iure beati Benedicti tradidit in perpetuum permanendum. Pari quam modo in territorio Alifano praedictus Deo amabilis vir ecclesiam in honore Domini Salvatoris construxit, puellare cenobium instituit, atque dicioni sanctissimi Vincenti martiris subdidit. 3. Cas. 175, S. 563, Nachtrag zur beneventanischen Fürstenliste, auf der folgenden Seite. Ed. Waitz. M G H SS rer. Lang. 488. Arechis sedit an. XXVIIII, m. VI. Iste primus appellatus est princeps, et fecit duo palatia, unum in Benevento et alium in Salerno. Et, ut refert Archempertus grammaticus in historia quam de Langobardoru(m) gente composuit, quia iste iam supradictus Arechis infra mfnia Beneventi templum Domino opulentissimum ac decentissimum condidit, quod Greco vocabulo A r H A N CQ4>HAN, id est sanctam sapientiam, nominavit; ditatumque amplissimis prediis et variis opibus, sanctimonialium cenobium statuens, idque sub iure beati Benedicti tradidit in perpetuum permanendum. Pari etiam modo in territorio Alifano predictus Deo amabilis vir ecclesiam in honore domini Salvatoris construxit, puellare cenobium instituit, atque dicioni sanctissimi Vincentii martyris subdidit. Spätere Überlieferung: Chronica Monasterii Casinensis 1, 9, ed. Hoffmann 37. De isto Arichis, ita refert domnus Herchempertus