Werke in historisch-kritischen Ausgaben. Die Frau des Weisen: Historisch-kritische Ausgabe 9783110455892, 9783110450460

Betrayal of trust – one of Schnitzler’s recurrent motifs – was dealt with until the end of the Hapsburg monarchy by mean

198 90 19MB

German Pages 311 [312] Year 2016

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Table of contents :
Inhalt
Vorbemerkung
1. Handschriften
Umschlag U
Deckblatt Db
Entwurfsskizze E
Skizze S
Handschrift HA1
[Selbstkritik vom 30. 10.1895]
Handschrift HA2
2. Drucktext
2.1 Herausgebereingriffe
3. Kommentar
4. Anhang
4.1 Der Weise (Dramenstoff)
4.2 Siglenverzeichnis
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Werke in historisch-kritischen Ausgaben. Die Frau des Weisen: Historisch-kritische Ausgabe
 9783110455892, 9783110450460

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Arthur Schnitzler Die Frau des Weisen

Arthur Schnitzler Werke in historisch-kritischen Ausgaben

Herausgegeben von Konstanze Fliedl

Arthur Schnitzler

Die Frau des Weisen Historisch-kritische Ausgabe Herausgegeben von Konstanze Fliedl und Evelyne Polt-Heinzl unter Mitarbeit von Anna Lindner, Martin Anton Müller und Isabella Schwentner

De Gruyter

Diese Ausgabe entstand im Rahmen des vom österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) finanzierten Projektes „Arthur Schnitzler – Kritische Edition (Frühwerk) II“ (P 27138). Für die Abdruckgenehmigungen ist der Cambridge University Library, dem Deutschen Literaturarchiv Marbach und dem Arthur-Schnitzler-Archiv/Freiburg zu danken.

ISBN 978-3-11-045046-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-045589-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-045541-0

Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalogue record for this book has been applied for at the Library of Congress.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Einbandgestaltung: Martin Zech, Bremen Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

1. Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Umschlag U . . . . . . . . . . Deckblatt Db . . . . . . . . . Entwurfsskizze E . . . . . . . Skizze S . . . . . . . . . . . . Handschrift HA1 . . . . . . . . [Selbstkritik vom 30. 10. 1895] Handschrift HA2 . . . . . . . .

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14 16 18 20 26 202 204

2. Drucktext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.1 Herausgebereingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Kommentar

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4. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4.1 Der Weise (Dramenstoff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

301 305

V

VI

Vorbemerkung

Vorbemerkung Entstehungsgeschichte Die handschriftlichen Entstehungsstufen von Arthur Schnitzlers Erzählung Die Frau des Weisen befinden sich in seinem Nachlass an der Cambridge University Library.1 Die erste Entwurfsskizze (E) stammt aus dem Jahr 1894; sie trägt noch die Überschrift „Ein Weiser“. Unter diesem Stichwort findet sich der Handlungskern auch in einem ebenfalls in Cambridge erhaltenen undatierten Notizbuch, in dem Schnitzler Stoffideen notierte: Ein Weiser. Er bes. die Frau s. Kostgebers als Gymnas.– Der Weise komt, schließt d Thür. – Nach Jahren begegn. der Frau, die nichts weiss.2 Den Titel Der Weise trägt auch ein Dramenentwurf (s. Anhang, S. 303), der von Schnitzler mit „Anfang 90er Jahre“ datiert wurde und also offenbar vor dem Beginn der Arbeit an der Erzählung entstand. Die Texte sind verbunden durch die Figur des ‚weisen‘ Ehemanns, der seiner Frau erotischen Spielraum zugesteht. Mit dem Arbeitstitel „Ein Weiser“ bezeichnete Schnitzler aber auch noch alle Textstufen der narrativen Ausformung des Motivs; der endgültige Titel, Die Frau des Weisen, taucht erst im Zusammenhang mit der Drucklegung auf. Im Jahr 1894 findet sich in Schnitzlers Tagebuch noch kein konkreter Hinweis auf die Erzählung. Eine erste Schreibphase lässt sich erst für die Monate Juni bis September 1895 belegen. Am 25. 6. 1895 notierte er: „Schrieb am ‚Weisen‘; neulich ‚Empfindsame‘. Sind Historietten, nach denen ich große Sehnsucht habe.–“ (Tb II,144)3 Vom 15. 7. bis zum 10. 8. hielt sich Schnitzler im Salzkammergut auf, wo er die Arbeit fortsetzte. Am 19. 7. teilte er seiner Freundin Marie Reinhard brieflich mit: „[…] nach diesen Zeilen soll die kleine Historiette, die ich in Wien begonnen habe (die zweite), hervorgenomen und vielleicht beendet werden“;4 am nächsten Tag hielt er auch im Tagebuch fest: „Vorm. ‚Weise‘ gearbeitet“ (20. 7. 1895, Tb II,147). Wieder einen 1 2 3

4

CUL, A 149. – Zur Geschichte von Schnitzlers Nachlass vgl. LG-HKA, S. 1. CUL, A 193,2, S. [21]. Der Empfindsame ist eine zu Lebzeiten Schnitzlers unveröffentlicht gebliebene ‚Burleske‘ (ES I,255–261). – Der Gattungsbegriff ‚Historiette‘ wird von Schnitzler sehr unspezifisch und vielfach synonym mit ‚Novellette‘ verwendet; angedeutet ist damit lediglich ein ‚anekdotischer‘ Handlungskern. – Auch zwischen ‚Novellette‘ und ‚Novelle‘ wird offenbar nur aufgrund des Umfangs unterschieden. Unveröffentlichter Brief an Marie Reinhard v. 19. 7. 1895, DLA, A:Schnitzler, NZ85.1.1675/9 (Mappe 438).

1

Vorbemerkung

Tag später schrieb er: „Die ‚Historiette‘ wird länger als ich dachte, aber heute dürft ich doch fertig werden.“5 Am 25. 7. war der Abschluss scheinbar gelungen: „Meine Historiette ist beendet“.6 Schon am 3. 8. zeigte sich Schnitzler aber mit dem entstandenen Text unzufrieden: „Sah die Historiette ‚Weiser‘ durch, fand, dass ich das Sujet von einem falschen Standpunkt aus gesehn und eine drin verborgne Idee fiel mir auf. –“ (Tb II,148) Ähnlich heißt es in einem Brief an Marie Reinhard: „Ich habe meine Historiette durchgesehen und die Entdeckg gemacht, daß sie großentheils neu zu schreiben, zum mindesten in eine andre Beleuchtung zu rücken ist. Wenn ich sie dir vorlesen werde, werde ich dir die frühere Fassung andeuten, und du wirst dich wundern, wie man anfangs als Autor auf eine Idee, die in einer Geschichte liegt, die man selbst schreibt, gar nicht kommt.“7 Am 24. 9. 1895 verzeichnete Schnitzler die Weiterarbeit: „‚Der Weise‘ durchgenommen“ (Tb II,154). Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich dabei um die erste überlieferte Abschrift (HA1)8, die Schnitzler inzwischen von einer Schreibkraft hatte erstellen lassen; in dieses Manuskript trug er Korrekturen und Ergänzungen ein und überarbeitete das Ende. Diese erste Textstufe erzählt ausführlich von dem einstigen Gymnasialjahr des Ich-Erzählers im Haus eines Professors in einer ungenannten Kleinstadt (während E die Erzählung eine „Genfer Geschichte“ nennt und S von einer „kl. französi. St“ spricht [S 1,5]). Die Figuren des Gastgebers und seiner (noch namenlosen) Gattin sind eingehend geschildert, ebenso die Panik des jungen Mannes, als die erotische Abschiedsszene zwischen ihm und der Frau des Professors, von ihr unbemerkt, vom Ehemann beobachtet worden ist. Gerahmt ist diese Erinnerung von der Gegenwartshandlung in einem ebenfalls ungenannten Kurort; hier kommt es nach sieben Jahren zu einer Wiederbegegnung mit der inzwischen Mutter gewordenen jungen Frau, die, wie dem Ich-Erzähler klar wird, von der seinerzeitigen Entdeckung durch ihren Mann nie erfahren hat. Gegenüber der ersten Textschicht von HA1 betonen die handschriftlichen Überarbeitungen des Endes nun vor allem, dass die Frau, die vom stillen „Verzeihen“ ihres Mannes „umhüllt“ ist (HA1 89 passim), für den Erzähler alle sexuelle Anziehungskraft verliert. Offenbar war es diese Fassung, die Schnitzler am 30. 10. 1895 Marie Reinhard vorlas; trotz der vorgenommenen Änderungen blieb es bei einem negativen Fazit: „Nov. ‚Der Weise‘ vorgelesen. Mißlungen.“ (Tb II,159) Eine längere selbstkritische Notiz vom selben Tag benennt verschiedene Schwächen, darunter die folgende: „[…] die Idee, welche transparent sein sollte, ist am Schluss erst da, wie ein vbengalisches Zündholz, das man verspätet anzündet. –“ ([Selbstkritik], S. 202f.) Am 5. 12. 1895 kam es zum zweiten Schreibansatz: „‚Weisen‘ neu begonnen.“ (Tb II,163) Auch diese Textstufe liegt in einer Abschrift vor (HA2), von derselben Hand

5 6

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An Marie Reinhard, 21. 7. 1895 (Br I,270). Unveröffentlichter Brief an Marie Reinhard v. 25. 7. 1895, DLA, A:Schnitzler, NZ85.1.1675/12 (Mappe 438). An Marie Reinhard, 4. 8. 1895 (Br I,274). Im betreffenden Nachlass-Konvolut (s. S. 4f.) liegt HA1 nach HA2, offensichtlich in der stillschweigenden Annahme, das längere Manuskript sei die spätere Ausarbeitung; in der Tat ist die zweite Textstufe, die der Druckfassung erheblich näher steht, gegenüber der ersten gekürzt.

2

Vorbemerkung

wie die erste.9 Wiederum ergänzte und überarbeite Schnitzler den erstellten Text, der entschieden gestrafft worden war. Die Frau des Professors hatte den Namen „Friederike“ erhalten, die erinnerte Episode ist – unter anderem um die ausführliche Darstellung der Verfolgungsängste des Gymnasiasten – gekürzt; die Rahmenerzählung konzentriert sich von Anfang an auf das ‚Unheimliche‘, das Friederike durch das Stillschweigen ihres Mannes für den Ich-Erzähler erhält. Die Überarbeitungsschicht rückt anfangs den Erinnerungsprozess selbst ins Zentrum und bemüht sich gegen Ende um eine deutlichere Motivierung von Friederikes Verhalten. – Diese Version las Schnitzler am 15. 12. 1895 wiederum Marie Reinhard vor (vgl. Tb II,163); ein Kommentar zur Qualität fehlt diesmal. Die dritte Schreibphase begann erst ein Dreivierteljahr später: „‚Weisen‘ zum 3. Mal begonnen.–“ (24. 9. 1896, Tb II,219) Dazwischen lag Schnitzlers Skandinavienreise im Sommer 1896, die ihn unter anderem in den dänischen Badeort Skodsborg in der Nähe von Kopenhagen führte, wo er sich gemeinsam mit den Freunden Paul Goldmann und Richard Beer-Hofmann und dessen späterer Frau Paula Lissy vom 2. bis zum 21. 8. 1896 aufhielt. Am 7. 8. unternahm man von hier aus eine „Segelfahrt nach Hven, schwed. Insel; […] Leuchtthurm; kleines Mädel mit Loch im Strumpf.–“ (Tb II,207)10 Im Unterschied zu HA1 und HA2 verlegt die dritte Textstufe nun die Gegenwartshandlung in einen – ungenannt bleibenden – dänischen Badeort; neu eingeführt wird auch die Beschreibung einer Segelfahrt zur nahen Insel.11 Sehr viel eingehender geraten die Landschafts- und Stimmungsschilderungen der Gegenwartshandlung; die Erinnerungen an das Gymnasialjahr und an dessen erregenden Abschluss werden nicht mehr in einem kontinuierlichen Rückblick präsentiert, sondern sind an verschiedenen Stellen in die Erzählgegenwart eingelassen. Eine handschriftliche Überlieferung dieser letzten Version, welche die Druckvorlage bildete, existiert nicht. Schon vor dem Sommer hatte Hermann Bahr, der Mitherausgeber der Wiener Wochenzeitschrift Die Zeit, Schnitzler um einen Beitrag gebeten; im Herbst stellte ihm Schnitzler offensichtlich die neue Arbeit in Aussicht, und Bahr mahnte die Abgabe in den folgenden Wochen immer wieder ein.12 Dennoch verzögerte sich die Fertigstellung; erst am 14. 12. 1896 las Schnitzler Felix Salten die Novelle vor, „die gut gefiel“ (Tb II,229). Aber noch am 21. 12. musste Bahr auf die Ablieferung des Manuskriptes dringen;13 am 23. 12. schrieb er schließlich an Schnitzler: „[…] möchte 9

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Ob diese Abschriften nach einer Handschrift Schnitzlers oder nach Diktat erstellt wurden, lässt sich nicht mehr eruieren. Zur Vorgeschichte dieser Reise vgl. RBH-Bw 91–94. – Auch Richard Beer-Hofmann hat die Segelfahrt nach Hven in seinem autobiographischen Erinnerungsbuch Paula (posthum 1949) literarisch festgehalten; vgl. R. B.-H.: Paula. Ein Fragment. Hrsg. u. mit einem Nachwort v. Sören Eberhardt. Paderborn: Igel Verlag 1994 (Werke 6), S. 154–160. Zur topographischen Genauigkeit der Novelle hinsichtlich der Lokalitäten von Skodsborg bzw. Hven vgl. Ernst-Ullrich Pinkert: „Das ganze Leben wird Stoff.“ – Spurensuche in Arthur Schnitzlers Dänemark. In: Text & Kontext 26 (2004), H. 1, S. 89–103 und ders.: Arthur Schnitzlers Dänemark. Impulse, Begegnungen, Resonanz, Intertextualität. Wien: Praesens Verlag 2015 (Wechselbeziehungen Österreich – Norden [WÖN] 12), S. 35–40. Vgl. Hermanns Bahrs unveröffentlichte Briefe an Schnitzler v. 18. 6., 2. 9., 8. 10., 5. u. 11. 11. und 16. 12. 1896 (CUL, B5b, Briefe 38, 40, 43, 45–47). Brief Hermann Bahrs an Schnitzler v. 21. 12. 1896 (CUL, B5b, Brief 49).

3

Vorbemerkung

ich Dir nur geschwind sagen, daß ich die ‚Frau des Weisen‘ gestern abends sofort gelesen und von ihr eine wirklich schöne und reine Wirkung gehabt habe. Nun kann ich Dir erst recht danken, daß Du mir ein so theueres Geschenk für die ‚Zeit‘ gegeben hast. Sie ist schon in der Druckerei, Montag [28. 12.] hast Du die Correctur, an ihr kannst Du noch ganz nach Laune ändern.“14

Handschriftliches Material Die nachgelassenen Handschriften zur Novelle Die Frau des Weisen befinden sich an der Cambridge University Library (CUL) in einer mit rotem Farbstift als „149.“ bezeichneten Mappe. Der Umschlag (U) aus gelblich-grauem Kartonpapier, gefaltet im Format 20,1 × 25,7 cm, trägt von Schnitzlers Hand mit Bleistift die Aufschrift „Die Frau des Weisen. (Frühere Fassungen) 94 u 95.–“ Unter den Besitzstempel der CUL wurde von fremder Hand „Schnitzler“ und die Archivsignatur „A 149“ gesetzt. Der Umschlag enthält: A 149: Deckblatt, undat. (= Db) A 149,1: Entwurfsskizze (1 Bl.), dat. „94“ (= E) A 149,2: Skizze (3 Bl.), undat. (= S) A 149,3: [Selbstkritik] (1 Bl.), dat. „30/10 95.“ Abschrift von fremder Hand mit hs. Korrekturen Schnitzlers (10 Bl. [= 40 S.], gefaltet und geheftet), undat. (= HA2) Abschrift von fremder Hand mit hs. Korrekturen Schnitzlers (25 Bl. [= 100 S.], gefaltet und geheftet), undat. (= HA1) Beschreibstoff von Db, E, S und [Selbstkritik] ist das von Schnitzler meistens verwendete glatte, etwas eingebräunte und zugeschnittene Papier; Schnittspuren sind jeweils an zwei Kanten sichtbar. Das Format variiert zwischen 16,9–17,1 × 20,9–21,1 cm. Diese sechs Blätter sind einseitig beschrieben, E mit schwarzer Tinte, alle anderen mit Bleistift. Jedes Blatt trägt den Besitzstempel der CUL; auf Db, E, [Selbstkritik] und dem ersten Blatt von S sind außerdem die betreffenden Archivsignaturen verzeichnet. Die drei Blätter von S haben mittig einen Längsbug, der einen Seitenspiegel mit zwei Spalten entstehen lässt. Die beiden Texthandschriften HA1 und HA2 liegen in Heftform vor. Auf je zwei Blättern finden sich die Signaturen (HA1 1 u. 93; HA2 1 u. 35), mehrere Seiten tragen den Besitzstempel von CUL (HA1 1, 3, 39, 93 u. 97; HA2 1, 23, 35 u. 37). Beide Hefte bestehen aus Blättern mit Maßen von ca. 33,9 × 21 cm, die wohl per Hand aus Bogen von 33,9 × 42 cm geschnitten und in der Mitte gefaltet wurden; die Schnittspuren sind jeweils an der unteren Kante der Blätter sichtbar. Durch eine weitere Faltung wurde in beiden Heften ein Satzspiegel mit zwei Kolumnen angelegt. In beiden Heften befindet sich jeweils in der äußeren Spalte eine Abschrift von fremder Hand, in schwarzer Tinte und Kurrentschrift; sie wird in der Transkription in normaler Schrift14

Brief Hermann Bahrs an Schnitzler v. 23. 12. 1896 (CUL, B5b, Brief 50).

4

Vorbemerkung

stärke dargestellt. Schnitzlers mit Bleistift vorgenommene Korrekturen, Streichungen und Ergänzungen sowie die Überarbeitung ganzer Passagen auf der jeweils freigelassenen Seitenhälfte werden in fetter Schriftstärke wiedergegeben. In beiden Heften sind die letzten Seiten unbeschrieben; sie werden nicht abgebildet. Das Heft HA1 wurde aus 25 Blättern zusammengelegt, die im Mittelfalz mit doppeltem, rotweißem Bindfaden geheftet sind, sodass 100 Heftseiten entstanden. Die beschriebenen Heftseiten sind von 1–85 paginiert; das dürfte sehr zügig vorgenommen worden sein, da die nicht getrocknete Tinte häufig auf der gegenüberliegenden Seite einen spiegelverkehrten Abdruck hinterließ. Die Heftseiten 10, 12, 14, 16 und 30 sind nicht beschrieben; nach HA1 93 folgen sieben leere Seiten, die letzte davon ist zugleich die Rückseite des Heftes. Für das Heft HA2 wurden zehn Blätter verwendet, im Falz mit doppelt geführtem, hellbraunem Bindfaden geheftet. Da der Bugfalz nicht ganz mittig liegt, ist die Kantenbreite der ersten 20 der 40 Heftseiten etwas geringer (16,8 × 21 cm) als die der zweiten Hefthälfte (17,1 × 21 cm). Paginiert sind jeweils die rechten Heft-Seiten, von 2–18. Nach HA2 35 (pag. „18“) folgen fünf leere Seiten, die letzte davon ist zugleich die Rückseite des Heftes.

Zu Schnitzlers Handschrift Die Schwierigkeiten bei der Entzifferung der Textträger von Schnitzlers Hand sowie dessen Überarbeitungen und Ergänzungen von HA1 und HA2 sind dieselben wie die in den bisherigen Bänden der Werke in historisch-kritischen Ausgaben15 beschriebenen. Schnitzlers Schrift verschleift nicht nur Wortendungen, auch einzelne Buchstaben verlieren ihre distinkten Merkmale, die sie von anderen, im Kurrentschriftsystem ähnlichen Graphen unterscheiden (wie „e“ und „n“, „l“ und „t“ oder „s“ und „h“). Dazu kommt die Ununterscheidbarkeit von Groß- und Kleinbuchstaben, etwa „D“/„d“ und „H“/„h“, sowie das häufige Fehlen von Diakritika. Erschwert wird die Entzifferung auch durch das Schreibgerät: Schnitzler benutzte meist weiche Bleistifte, wodurch – auch mit der Alterung der Manuskriptblätter – die Schriftkonturen verwischen. Die Differenz zwischen distinkten und indistinkten, gleichwohl erkennbar intendierten Graphen oder Graphenfolgen wird in der Transkription durch die Verwendung von schwarzer bzw. grauer Schriftfarbe veranschaulicht. Bei grau gesetzten Einheiten handelt es sich also nicht um editorische Ergänzungen, sondern um Auflösungen indistinkter graphischer Spuren unterschiedlicher Ausprägung. Im Vergleich mit dem Faksimile lässt sich die ‚Erschließung‘ der betreffenden Schriftzeichen überprüfen.

15

Vgl. LG-HKA 2f., St-HKA 5.

5

Vorbemerkung

Zur Umschrift – Textträger von Schnitzlers Hand: xxx

Durch Lateinschrift hervorgehobene Einheiten werden kursiviert.

xxx

Aus indistinkten Graphen erschlossene Zeichen oder Zeichenfolgen erscheinen in grauer Schriftfarbe.

xxx

Streichungen werden typographisch wiedergegeben.

xxxxxx

Überschriebene Graphe und Graphenfolgen werden durchgestrichen und vor der sie ersetzenden Variante hochgestellt.

xxx

xxxxx Ergänzungen und Varianten ober- oder unterhalb der Zeile werden in kleinerem Schriftgrad gesetzt. ?xxx?

Fragliche Entzifferungen werden durch hochgestellte Fragezeichen gekennzeichnet.

[???]

Unentziffertes wird durch Fragezeichen in eckigen Klammern markiert.

[xxx]

Eintragungen von fremder Hand werden in eckige Klammern gestellt.

– Abschriften: Als erste Textschicht wird die Schreiberhandschrift in Normalschrift und nach den oben beschriebenen Transkriptions-Regeln dargestellt; Schnitzlers Korrekturen und Ergänzungen sind in fetter Schriftstärke wiedergegeben.

Druckgeschichte Am 2. 1. 1897 erschien der erste Teil von Die Frau des Weisen in der Nummer 118 der Zeit, was Schnitzler allerdings erst drei Tage später im Tagebuch erwähnte (Tb II,232). Die Fortsetzung folgte am 9. 1., der Schluss am 16. 1.16 Die Reaktionen waren positiv, die Rezensenten lobten vor allem Schnitzlers Sprache.17 Zum Zeitpunkt des Erstdrucks war die Ausgabe des Textes in einem Sammelband bereits geplant. Nach Schnitzlers schriftstellerischem Durchbruch mit der BurgtheaterPremiere der Liebelei am 9. 10. 1895 – also zur Zeit der Arbeit an HA1 – versprach sich sein Verleger Samuel Fischer viel von einem „Novellenbuch“, für das zunächst der

16

17

Die in CUL, A 255,1 erhaltenen drei Hefte mit dem Erstdruck enthalten keine Annotationen von Schnitzler; auf die oberen Ränder der Titelblätter schrieb er jeweils lediglich mit Rotstift „Frau des Weisen“ und unterstrich die Titelangabe im darunterliegenden Inhaltsverzeichnis. Vgl. Emil Schaeffer: Arthur Schnitzler. Eine Studie. In: Die Gesellschaft, Jg. 13 (1897), H. 4, S. 22–33, hier: S. 32; Hermann Ubell: Arthur Schnitzler. In: Tagespost [Graz], Nr. 242 (1. 9. 1897), S. 1f., hier: S. 1. – Zu Hugo von Hofmannsthals enthusiastischer Reaktion vgl. seinen Brief v. 16. 1. 1897 (HvH-Bw 77).

6

Vorbemerkung

Titel „Abschied“ ins Auge gefasst wurde.18 Am 24. 8. 1896 – Schnitzler hielt sich auf der Rückreise von Dänemark in Berlin auf – kam es zu einer vorläufigen Abmachung (vgl. Tb II,212). Was die betreffende Auswahl anbelangte, war Schnitzler noch unschlüssig; als Die Frau des Weisen in der Zeit erschienen war, fragte Fischer nochmals an.19 Nach zwei weiteren Zeitschriftenveröffentlichungen in der zweiten Jahreshälfte 1897 (Der Ehrentag, Die Toten schweigen) entschloss sich Schnitzler zu einer endgültigen Auswahl. Sie umfasste neben dem titelgebenden Text Die Frau des Weisen folgende Erzählungen: Blumen – Erstdruck: Neue Revue (Wien), Jg. 5 (1894), Nr. 33, S. 151–157; Ein Abschied – Erstdruck: Neue Deutsche Rundschau, Jg. 7 (1896), H. 2, S. 115–124; Der Ehrentag – Erstdruck: Die Romanwelt, Jg. 5 (1897), H. 16, S. 507–516; Die Toten schweigen – Erstdruck: Cosmopolis, Bd. 8, No. 22 (Oktober 1897), S. 193–211. Fischer bestätigte den Erhalt der Druckvorlage der fünf Texte am 9. 2. 1898;20 anschließend wurde mit der Drucklegung begonnen. Der Untertitel nannte die Gattungsbezeichnung ‚Novelletten‘. Die Texte wurden folgendermaßen gereiht: Die Frau des Weisen (S. 1–36), Ein Abschied (S. 37–71), Der Ehrentag (S. 73–112), Blumen (S. 113–133), Die Toten schweigen (S. 135–170). Für die Umschlaggestaltung war zunächst Thomas Theodor Heine vorgesehen, der Fischer aber am 1. 4. 1898 wegen vertraglicher Verpflichtungen absagte;21 statt einer Titel-Illustration wurde daher der gelbe Standard-Umschlag der Fischer-Bücher verwendet (Abb. 1). In dieser Form erschien die Sammlung schließlich am 3. 5. 1898 (vgl. Tb II,284; 4. 5. 1898). Der Titel „Abschied“ (oder: „Abschiede“) wäre den Texten dabei einigermaßen gerecht geworden; in der Tat sind sie durch stilistische und motivische Parallelen eng verbunden. Zudem hatte die Absicht, die Texte gesammelt zu publizieren, wohl schon direkte Auswirkungen auf die Genese der beiden zuletzt entstandenen Erzählungen Der Ehrentag und Die Toten schweigen. Noch 1898 erschien die 2. Auflage (das 2. Tausend), die offenbar im selben Herstellungsdurchgang wie die erste gedruckt worden war.22 Der Absatz des Bandes war zunächst befriedigend.23 Für die 3. Auflage von 1901 übernahm Fischers Lektor 18 19 20 21 22

23

Vgl. den Brief S. Fischers an Schnitzler v. 9. 5. 1896 (Fischer-Bw 58f.). Vgl. den unveröffentlichten Brief S. Fischers an Schnitzler v. 3. 2. 1897 (CUL, B 121a). Vgl. den unveröffentlichten Brief S. Fischers an Schnitzler v. 9. 2. 1898 (CUL, B 121a). Der Brief Th. Th. Heines an Fischer ist dessen Brief an Schnitzler v. 13. 4. 1898 beigelegt (CUL,B 121a). Vgl. den unveröffentlichten Brief S. Fischers an Schnitzler v. 9. 2. 1898 (CUL, B 121a): „Bei Prosaarbeiten will ich immer gleich zwei Auflagen drucken“. Die – vielfach positiven – im Erscheinungsjahr veröffentlichten Rezensionen: [O. V.]: [O. T.]. In: Berliner Börsen-Courier, No. 317 (10. 7. 1898), S. 3; [O. V.]: Die Frau des Weisen. In: Fremden-Blatt, Nr. 130 (12. 5. 1898), S. 26f.; Hans Benzmann: Arthur Schnitzler. In: Nord und Süd, Bd. 86 (1898), H. 257, S. 177–191; Anton Bettelheim: Deutsche Bücher. In: Cosmopolis, Bd. 11 (1898), No. 31, S. 267–281, hier: S. 272–278; Walther W. Blum: Feige Charaktere. In: Zeit und Geist, Jg. 2 (1898), Nr. 11, Sp. 377–380; Arthur Eloesser: Neue deutsche Bücher. In: Neue Deutsche Rundschau, Jg. 9 (1898), H. 8, S. 814–825, hier: S. 818f.; W. Fred: Von Wiener Dichtern. In: Das Magazin für Litteratur, Jg. 67 (1898), Nr. 33, Sp. 772–777, hier: Sp. 775f.; Albert Geiger: Neue deutsche Novellistik. In: Die Nation, Jg. 16 (1898), Nr. 8, S. 111–113; G. S. [= Gustav Schönaich]: Bücher. In: Wiener Rundschau,

7

Vorbemerkung

Abb. 1: Umschlag der 1. Auflage (1898)

Abb. 2: Umschlag der 3. Auflage (1901)

Moritz Heimann die Revision und äußerte sich vernichtend: „Nichts, nichts vom Dichter, das muß bei all seiner Liebenswürdigkeit doch gesagt werden. Diese Sachen langsam zu lesen, ist eine Tortur ohne gleichen. Welche Sprachverhunzung, welche Mattheit und welche Alte-Cocottensentimentalität!“ ([Sommer 1901], Fischer-Bw 321) Diese dritte Auflage wurde mit einer farbigen Umschlagzeichnung des Malers und Graphikers Adolf Münzer versehen, welche die ‚Frau des Weisen‘, Friederike, und den Ich-Erzähler auf der Rückfahrt von der Insel zeigt (Abb. 2). 1909 lag die Auflage bei 8000 Exemplaren. 1912 wurden die Texte einzeln und in der Entstehungschronologie in die Gesammelten Werke aufgenommen. Schnitzler Jg. 4 (1898), Nr. 16, S. 638f.; Heinrich Hart: Neues vom Büchertisch. In: Velhagen & Klasings Monatshefte, Jg. 12 (1898), H. 11, S. 602–606, hier: 602–604; Kurt Holm: Die Frau des Weisen. Novelletten von Arthur Schnitzler. In: Die Gesellschaft, Jg. 14 (1898), H. 11, S. 781–783; A. K.: Arthur Schnitzler: Die Frau des Weisen. In: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 215 (5. 8. 1898), Morgenblatt, S. 2; Rudolph Lothar: Briefe an eine Dame. In: Die Wage, Jg. 1 (1898), Nr. 26, S. 439f.; M. zur Megede: Neuestes vom Büchermarkt. In: Über Land und Meer, Jg. 40, Bd. 81 (1898/99), Nr. 45, S. 729f., hier: S. 729; st–g. [= Julian Sternberg]: [O. T.]. In: Illustrirtes Wiener Extrablatt, Nr. 145 (27. 5. 1898), S. 5; Hermann Ubell: Arthur Schnitzler. In: Die Zeit, Bd. 17, Nr. 211 (15. 10. 1898), S. 41f.; Alexander von Weilen: Neue Erzählungen. In: Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Nr. 221 (30. 9. 1898), S. 1–4, hier: S. 3; Z. V. [= Zinaida Vengerova]: Arthur Schnitzler. Die Frau des Weisen. In: Vestnik Evropy [St. Petersburg], Jg. 33, H. 9 (1. 9. 1898), S. 423–428.

8

Vorbemerkung

hatte sie zuvor durchgesehen und urteilte selbstkritisch über Die Frau des Weisen: „Wie mit dem Silberstift24, das möchte schon stimmen, insbesondere für das Landschaftliche. Das Problem nicht ohne Tiefe, aber in der Ausführung mangelt es daran, was einigermassen durch Pathos ersetzt wird. Die Lösung ist daher nicht überzeugend.“25 Bei schleppendem Absatz der Novellensammlung kündigte Fischer erst wieder 1921 eine Neuauflage an;26 mit dieser Ausgabe von 1922 wurde das 9. Tausend erreicht. Vor diesem Hintergrund kam Schnitzler, dessen Einnahmen durch die Hyperinflation gefährdet waren, ein Angebot Ernst Reclams zupass, neben Liebelei auch einen Novellenband in Reclams Universal-Bibliothek erscheinen zu lassen (vgl. Tb VIII,92; 26. 10. 1923). Nach verschiedenen Einigungsversuchen mit Samuel Fischer27 kam ein Kompromiss zustande: Liebelei wurde nicht freigegeben, der Reclam-Band, der 1924 erschien, enthielt neben der Frau des Weisen auch die Erzählungen Die dreifache Warnung und Der blinde Geronimo und sein Bruder. Schnitzler wurde von Reclam vertraglich verpflichtet,28 den Text zu revidieren, was er offenbar sehr ungern tat: „Las notgedrungen für das Reclambüchel Correctur meiner alten Nov. ‚Frau des Weisen‘ mit ziemlichem Widerstand.–“ (22. 3. 1924, Tb VIII,137) Daher ist ihm offenbar auch ein sinnentstellender Fehler (D 205) entgangen. Ob die – geringfügigen – Änderungen (vgl. den Apparat des Drucktexts) von Schnitzler stammen oder auf das Lektorat des Reclam-Verlags zurückgehen, lässt sich nicht ermitteln. Zu Lebzeiten des Autors erschien der Sammelband bei S. Fischer noch im 10. und 11. Tausend (1926); die Ausgabe letzter Hand bildet die Edition der Texte im Rahmen der Gesammelten Schriften von 1928 (s. S. 10).

Drucktext Der hier edierte Drucktext D folgt dem Erstdruck der Erzählung in der Zeitschrift Die Zeit: ED (Erstdruck): Die Frau des Weisen. Erzählung von Arthur Schnitzler. In: Die Zeit. Wiener Wochenschrift, Bd. 10, Nr. 118 (2. 1. 1897), S. 15–16; Nr. 119 (9. 1. 1897), S. 31–32; Nr. 120 (16. 1. 1897), S. 47–48.

24

25

26 27

28

Schnitzler zitiert hier aus Alfred Kerrs Besprechung zur Uraufführung von Der einsame Weg: „Schnitzler zeichnet [Reize] köstlich mit dem Silberstift, als ein Künstler von seltener Hand.“ Alfred Kerr: Der einsame Weg. In: Die neue Rundschau, Jg. 1 (1904), H. 4, S. 504–508, hier: S. 506. Schnitzler fasste im Tagebuch die Rezension zusammen: „sehr günstig, mich doch an empfdl. Stellen treffend. –“ (27. 3. 1904, Tb III,65) Arthur Schnitzler: Selbstkritik anlässlich der Korrektur der Gesammelten Werke. Unveröffentlichtes Typoskript (ASA, N I, Mappe 20, Bl. 8). Brief S. Fischers an Schnitzler v. 4. 6. 1921 (Fischer-Bw 129). Vgl. die unveröffentlichten Briefe S. Fischers an Schnitzler v. 28. 11. 1923 u. 30. 1. 1924 (CUL, B 121e) und die unveröffentlichten Briefe Ernst Reclams an Schnitzler v. 23. u. 29. 1. 1924 (CUL, B 710). Vgl. den Vertrag v. 10. 4. 1924 (Reclam-Archiv, Nr. 6458). – Für die Zustimmung zur Einsichtnahme danken wir dem Reclam-Verlag sehr herzlich.

9

Vorbemerkung

Die Fortsetzungen in Heft 119 und 120 sind durch die Paratexte „(Fortsetzung folgt.)“, „(Fortsetzung.)“, „(Schluss folgt.)“ und „(Schluss.)“ angekündigt bzw. eingeleitet. Die Einschnitte im Text, welche sich aus dem Fortsetzungsdruck ergeben, wurden, obwohl das inhaltlich naheläge, von den späteren Drucken nicht als Abschnittsgrenzen gewertet. Daher werden sie im Fließtext von D nicht übernommen. Vermerke im Marginalienbereich, „(Fortsetzung)“ bzw. „(Schluss.)“, weisen aber auf die Sonderstellung der Absatzwechsel hin. Als Marginalien werden zudem Seitenund Spaltenzahlen von ED sowie die Seitenzahlen von EA angegeben: markiert in D die Stelle eines Spalten- bzw. Seitenwechsels im Erstdruck. markiert in D die Stelle eines Seitenwechsels in der Erstausgabe. Die drei Textteile des Zeitschriftendrucks beginnen jeweils mit einer über zwei Zeilen reichenden Initiale; diese wurde in der Wiedergabe durch einen Absatzeinzug ersetzt.

Apparat Der lemmatisierte Einzelstellenapparat im Fußnotenbereich verzeichnet die Abweichungen von ED zu EA und GW/GW1922/GS sowie DdW: EA (Erstausgabe): in: Arthur Schnitzler: Die Frau des Weisen. Novelletten. Berlin: S. Fischer 1898, S. 1–36. GW (Gesammelte Werke): in: Arthur Schnitzler: Gesammelte Werke in zwei Abteilungen. [7 Bde.] Berlin: S. Fischer 1912. Erste Abteilung: Erzählende Schriften. 3 Bde. Bd. 1: Novellen, S. 152–172.29 GW ist – mit zwei Ausnahmen – satzident mit: GW1922: in: Arthur Schnitzler: Gesammelte Werke in zwei Abteilungen. [9 Bde.] Berlin: S. Fischer 1922. Erste Abteilung: Erzählende Schriften. 4 Bde. Bd. 1: Novellen, S. 152–172. und GS (Gesammelte Schriften): in: Arthur Schnitzler: Gesammelte Schriften. Sterben und andere Novellen. Berlin: S. Fischer 1928, S. 152–172. 29

Im Inhaltsverzeichnis von GW, GW1922 und GS ist dem Titel das Jahr der Fertigstellung „(1896)“ nachgestellt.

10

Vorbemerkung

Die beiden Ausnahmen sind im Apparat verzeichnet. Sämtliche Abweichungen von D, die in GW und GW1922 bzw. GS gleich lauten, werden nur mit der Sigle GW versehen. DdW: in: Arthur Schnitzler: Die dreifache Warnung. Novellen. Mit einem Nachwort von Oswald Brüll. Leipzig: Philipp Reclam jun. [1924] (Reclams Universal-Bibliothek 6458), S. 3–26. EA weist gegenüber ED zahlreiche orthographische Texteingriffe auf. In den meisten Fällen gehen sie auf die unterschiedlichen amtlichen Regelungen zurück, die an den Erscheinungsorten Wien und Berlin galten. Dabei wurden die entsprechenden Korrekturen in EA aber nicht durchwegs systematisch vorgenommen. So ist etwa die „th“-Schreibung bei „Thüre“ erhalten geblieben, da das „h“ die Länge des folgenden Vokals ankündigt. „Leuchtthurm“ hätte wegen des folgenden kurzen Vokals „-turm“ geschrieben werden müssen; das ist an den betreffenden vier Stellen nur zweimal (D 366 und 447) erfolgt. Die Textgestalt von GW sollte die verschiedenen Textvorlagen des S. Fischer Verlags vereinheitlichen. Die betreffenden Eingriffe folgten den Regeln, die in Konrad Dudens Rechtschreibung der Buchdruckereien deutscher Sprache gegeben wurden; dieser sogenannte Buchdruckerduden, zwei Jahre nach der II. Orthographischen Konferenz (1903; in erweiterter Auflage 1907) erschienen, führte in Fällen, in denen die Rechtschreibreform unterschiedliche Schreibweisen zuließ, die von Verlagen zu verwendende Schreibweise an. Folgende regelhaft zu fassende Eingriffe werden daher nicht in den Apparat aufgenommen: in EA: – die Schreibung der Konjugationsformen von „geben“ mit „ie“ („giebt“); – die Getrenntschreibung der Wiederholungszahlwörter „[mit] einem Mal[e]“ (statt ED: „[mit] einemmal[e]“), ebenso: „[das] erste Mal“, „[das] letzte Mal“ und „[ein] paar Mal“; – die durchgehende Großschreibung der Personal- und Possessivpronomina der 2. Person Singular (Ausnahmen: D 371 [du] und D 571 [du, dich]); in EA und den folgenden Drucken: – ED verwendete die in Österreich bis zur II. Orthographischen Konferenz 1901 in Schulen verbindlich gelehrte Heyse’sche s-Schreibung, die ein „ß“ nach langen Vokalen und Diphthongen, „ss“ nach kurzen Vokalen vorsieht. Ab EA orientierten sich die Drucke an der Adelung’schen Schreibung, die vor Konsonanten („wußte“), am Wortende („daß“) und vor Wortfugen („Ungewißheit“) kein „ss“ erlaubte; – sofern sich Fremdwörter deutsch aussprechen lassen, wurde „c“ als „k“-Laut mit „k“ wiedergegeben („Sekunde“); nur der Grenzfall „Coupé“ ist in EA beibehalten, während GW hier „Kupee“ setzte; – Konjugationsformen der Verben „gehen“, „hängen“, „fangen“ und „empfangen“, in ED mit „ie“ gebildet („gieng“), wurden ab EA durchwegs mit „i“ geschrieben;

11

Vorbemerkung

– Digraphe für die Großschreibung des u-Umlautes („Ue“) wurden durch „Ü“ ersetzt; – „zuhause“ und „nachhause“ wurden einheitlich „zu Hause“ und „nach Hause“ geschrieben; – bei der Zusammenziehung von Präpositionen und darauffolgendem „das“ entfiel das Auslassungszeichen (ED: „auf’s“ f EA: „aufs“); in GW/GW1922/GS: – anstelle der doppelten Trenn- und Bindestriche der Frakturtype („=“) wurden im Antiquasatz einfache („–“) verwendet; in GW und den folgenden Drucken: – der endgültige Wechsel von „th“ zu „t“ in Wörtern deutscher Herkunft; – die Ersetzung von „-giltig“ durch „-gültig“; – Abschnittstrennungen, die in ED und EA durch einen 1,7 cm langen horizontalen Strich dargestellt wurden, sind in GW/GW1922 und GS durch eine Initiale nach einer Leerzeile, in DdW mit zentriertem Stern markiert; in DdW: – der in Fraktur gesetzte Band nahm wieder doppelte Trenn- und Bindestriche auf. Die Liste der Herausgebereingriffe (S. 295) verzeichnet Emendationen bei offensichtlichen Druck- und Setzfehlern in ED, etwa fehlende, falsch verwendete oder vertauschte Satz- und Anführungszeichen. Sind dieselben Fehler von späteren Drucken übernommen worden, werden sie im Apparat nicht ausgewiesen, ebensowenig wie neu hinzugekommene unzweideutige Satz- oder Druckversehen. Von den Setzern uneinheitlich gestaltete Wortabstände werden in der Regel nicht berücksichtigt.

Kommentar Der Einzelstellenkommentar enthält kulturgeschichtliche und biographische Hinweise sowie Erklärungen zu Austriazismen, mundartlichen und veralteten oder fremdsprachigen Ausdrücken. Kommentare zu den handschriftlich überlieferten Texten befinden sich im Fußnotenbereich der Transkription selbst; sie dienen nicht zuletzt der Plausibilisierung der Entzifferung. Kommt eine erläuterte Stelle der Handschriften auch im Drucktext vor, wird auf den Kommentar zu D mit entsprechender Zeilenangabe verwiesen.

12

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1. Handschriften

13

U

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14

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U

[ 149. ]

Die Frau des Weisen (Frühere Fassungen) 94 u 95.–

[Schnitzler]

5

[A 149]

1

mit rotem Farbstift geschrieben.

15

Db

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Db

Die Frau des Weisen (Frühere Fassungen)

[A 149]

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E

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E

1

94

Genfer Geschichte.

„Ein Weiser“,

Gymnasiast; liebt die Frau seines Kosthgebers.– Der koṈt nach Haus, schließt die Thür. 5

Nur der Knabe sah ihn wiedersehen nach Jahren – Nun, was sagte ihr Mann? – Er? – Ah, ich dachte . . . .

[A 149,1]

1 2

3 8

Mit Bleistift geschrieben. Genfer: In Genf – um 1890 die zweitgrößte Stadt der Schweiz mit über 50.000 Einwohnern – war das Collège cantonal die einzige Schule, die mit der Matura und damit der Universitätszulassung beendet wurde. Von 666 Schülern (1890) kam gut ein Fünftel aus dem Ausland. Kosthgebers: Kostgeber: gewährt Unterkunft und Verpflegung. Mit Bleistift geschrieben.

19

S1

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S1

Ein Weiser. bin schon einig Tage; un

Ich treffe ihn im Park.– Eben hat er

Ich koṈe hier an, sitze Promenade . – Gewühl.

was sonderbares erlebt ! –

Eine junge Frau an mir vorbei –

Reue? Wozu eigentlich – 5

ich erkeṉ sie gleich, obwohl ich sie sei

War vor 7 Jahr in einer kl. französi. St

7 Jahr nicht gesehen – Un verfo sie

lebte in Pension bei verschied – zu Schluss

mit d Blick, u diese ganze merkw

bei einem Professor der dtsch Sprache. – Eine jun Frau . – Mütterlich betreut. Gluck

Gesicht fallt mir ein . . Die Geschichte .

Ehe . . Ich war zu Hause : : Da naht der Abschie . 10

5

Viel zu lernen – . Endlich fertig . – d

Sie koṈt zurück – u seieht mich . . . Gespräch. –

war ?e? Freitag – a Samst ab soll ich abreisen . . . . . da bin ich in m ZiṈer, Koffer, Handtasche . . Die jun Frau . . . Also nun gehe Sie wirklich . . . . Sie streicht 15

mir die Wang Es war ein Kuss der als mutterlich begann . . aber das es d k Mutte w, u ich k Kind . . . ?wenn? sich unsre Lippen off . . Ku – Plötzlich öffnet sich die Thür – es erschei

20

[A 149,2]

der Kopf d Mann . . Geräuschlos schließt sie sich . .

6

7 13

Pension: hier: Einmietung in einem Privathaushalt. Professor: s. Kommentar, D 176. Handtasche: hier: kleine Reisetasche.

21

10

S2

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S2

Ich bin entsetzt . . ich fin k Wort . . Sie lächelt . . . aber im selb Moment . . gibt sie . . ?W?k kusst mich ?von? Stirn rasch u geht – Ich sprech ke Wort – Im 5

(Warten –

Zim allein . . der Koffer. Bleib ei Stunde – . Abds geh ich auf die Bahn, allein . . – Was muss es da für Scenen gegeben haben . . Ich dachtfragt nicht

10

?

Heute?, ich bin 24 Stunden entfernt.

Nun – Doktor . . – heute sah ich sie mit ihr zehn Bub, noch imer sehr hübsch. – Unbefangen . . Wie gehts . . Eine Neugier, w 15

geschehen, ich trau mich nicht! – Plötzlich sie – Denk Sie noch ?jem? an ?uns? Abschied . . . – Erin Sie sich, w ich davon gestür . . Es w seh ?dumm? . . . [???] ?mei?

er kam erst ein Stund spat nac Haus . .

20

– Ich hab ein sehr dum Gesic gem

23

S3

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24

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S3

. . er hat nichts gesagt........

5

Ein Waeiser . . .

– Mir ist eine sonderbar

Die Frauen ertrag es nicht, ohne versäu

Geschichte passiert. –

zu leben – u wär es nur e Viertel-

Heu

stunde . . ich reise ab. –

habe gestern Frau . .

Gestern bin ich hier angekoṈen un



Du hast vergessen, ?ein Ja vorher?

Vom Fenster aus sah ich ein Frau . .

5

die Curliste nachzusehn. – —

Gestern bisass ich auf ein Bank im

?

Der letzte Pensio?-

Cursalopark; . da gingeht e Fr mit ein

när!

Bub an d Han vorbei . . Ich glaubt sie zu erkeṉen . . ab sie sahen mich nicht . . . Es war Fried Und ein

10

Geschichte, die ich fast vergessensich ereignet, . . . .

Plötzlich kam sie wie an mir vorb . . u sieht mich – wi erken – ich stehe auf . . Ich hatte Angst m ihr zu reden . . . . Dass ich ihr Gluc ?

15

zerstort?, kan ich nicht ?denk? – —

Ich will ihr schon sagen: Er ha ?Sie? gesehen . . sink ihr zu Füßen – – da geht sie weg – u ich war gleic froh, dass . . Aber ich bin weggereist.

7

8f.

Curliste: Verzeichnis der Bade- und Kurgäste eines Ortes, das zur öffentlichen Einsicht auflag. ? Pensio?när: zur Pension wohnender Gast, s. Erläuterung zu S 1, Sp. 1,6.

25

20

HA1 1

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1.

Kiosk

Das Orchester im Reiche des Curparks

Baden spielte eine Ouver゠ türe von Cherubini, und viele Menschen spazierten

Ich sass auf einer Bank und betrachtete mir die

in den beiden Alleen hin und her. Auch dDie Bän゠

vielen Menschen, die in 5

den breiten Alleen hin und herspazierten. Am Abend vorher war ich angekoṈen;

alle

ke, die da die da stand゠ den, waren alle be゠ setzt; ich selbst saß auf

10

nahe

?u?

einer der letzten, nah

hatte so das angenehme

dem Ausgang. des Parkes .

Gefühl des Alleinseins mitten

Ich schaute mir die Leute

unter der Menge

an, plauderte ab und zu

ich kaṉte noch niemanden und

10

5

(

mit einer paar Bekannten,

)

15

[A 149,3]

1a 2

3

3f.

4

26

Kiosk: s. Kommentar, D 12. Reiche: wohl gemeint: Reichenau an der Rax, beliebter Luftkurort, ca. 80 km südlich von Wien. Baden: beliebter Kurort mit Schwefelquellen, ca. 25 km südlich von Wien. Ouvertüre: Instrumentalmusikstück zur Eröffnung von Bühnenwerken oder Konzertprogrammen. Cherubini: Luigi Cherubini (1760–1842), italienischer Komponist.

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HA1 2

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28

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HA1 2

2

ten, die neben mir steh゠ hen blieben und dann wie゠ .

der weiter gingen ; Dann 5

hörte ich wieder der Mu゠ sik zu. Die Ouvertüre war zu Ende; nun war nur das Geräusch von den Menschenstimmen, von

10

den Schritten auf dem Kies, von dem Knistern der Klei゠ der zu vernehmen. Und dann begannen die Gei゠ gen und Flöten wieder, wiegendem

15

und in reizendem Ryth゠ mus schwirrte und

29

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3

sang ein Straußischer Walzer vom Kiosk zu mir herüber. Während noch die ersten Takte

5

klangen, ging sehr lang゠ sam eine junge Frau an mir vorüber, die einen Knaben an der Hand führte. Sie sah mich nicht. Ich er゠

10

kannte sie gleich, obwohl ich sie seit sieben Jahren nicht gesehen und seit recht langer Zeit kaum mehr an sie gedacht hatte.

15

Beinahe wäre ich aufge゠

2f.

Straußischer Walzer: Die Wiener Musikerfamilie Strauss, vor allem Johann Strauss Vater (1804–1849) und Johann Strauss Sohn (1825–1899), Komponist des Walzers „An der schönen blauen Donau“, prägte die zeitgenössische populäre Musik.

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HA1 4

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4

standen, ihr nach, sie be゠ grüßen; aber ich ließ es lieber sein, wollte sie 5

nicht im Gedränge das er゠ ste Mal wieder sprechen. Es

Und nun, wie sie vorüber war,

es

Jetzt wunderte mich, dass mich

mich bei ihrem Anblick nicht eine stärkere Erregung erfasst

ein wenig erschrocken war. 10

gespürtfühlt hatte.

Erst wie sie unter den Spaziergängern verschwun゠ den, verspürte ich eine

Denn jenes

ein fernes Erlebnis

leichte Erregung und die ganze Geschichte von da゠

ganz deutlich ein 15

das mir

mals fiel mir wieder ein,

33

5

HA1 5

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5 dieas

einmal

Sie war mir durch län゠ zu seiner Zeit und noch

wie ein

gere Zeit wie ein sehr

lange danach

seltsames Erlebnis zuge

damals

erschienen war

und alles, was ich vor sieben Jahren durchfühlt hatte, stieg

5

Und wie lange hatte ich

zählte 5

kommen vorgekommen

Ich war damals kaum

schon nicht mehr daran

ech

s iebzehn Jahre und machte meine letzte Gymnasial

letztes Gymnasialjahr hatte

classe durch. Dieses Jahr

ich nämlich in einer kleinen

nach dem

Stadt verbracht, und lebte

in welche mich meiner Eltern geschickt hatten, hatten mich

da im Hause eines Pro゠ fessors der französischen

hingeschickt, damit

lebte.

Sprache, wo ich mich sehr

Wider mein eignes

wohl fühlte. Ich bewohnte

Erwarten fühlte ich mich 15

10

wo ich

verbrachte ich auf Wunsche 10

zurückgedacht! Mein

dort sehr behaglich

12f.

34

Professors: s. Kommentar, D 176.

15

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HA1 6

6 Von meinem KZiṈer aus hatte ich die Aussicht in den Haus gGarten, der hizu dem Hause gehörte 5

dort ein Kabinet, von dem aus man in den Gar゠ ten sehen konnte. Es war eine liebe kleine Stadt., Reinliche stille Straßen, brave

10

traute weiße Häuser, und

wo jebeinahe jedes Haus seinen zierlichen

kleinen Garten hatte; von meinem ZiṈer saus hatte

das Gymnasium stand mit゠ ich den Blick in den unsern. ten in einenm Parke mit hohen schönen Bäumen,. dDie Lehrer waren nicht streng, 15

und mein Leben im Hause des Professors so behaglich gemütlich als möglich. Er hatte eine Frau. An ihrem Gang al゠

5

Kabinet: Kabinett: kleiner Raum, Nebenzimmer.

37

5

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7

lein hätte ich sie überall wieder

in der Welt erkannt – erkeṉen müssen.

die mit dem Knaben an mir vorübergegangen war,

5

ohne mich zu sehen, sie war es gewesen. – Sie war brünett, hatte lä゠ chelnde blaue Augen, einen merkwürdig lei゠

10

sen Schritt, so dass sie im゠ mer neben einem war, ohne dass man ihr Kom゠ men bemerkt hatte. Ich das

Mich behandelte sie wie

befand mich als Kind im Hause und wie ein

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15

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8. Sie

damals

Kind. – und war eben vieruzwanzig Jahre alt. – – – Ich erinnerte mich 5

plötzlich an alles so deut゠ lich. Wenn wir beim Früh゠ stück saßen, hatte sie nur

gewohnlich

immer weißes

ein Morgenkleid an, in sah

dem sie ausschaute wie 10

ein junges Mädchen. Ich erinnere mich auch, dass da

sie des Morgens immer die Haare in Zöpfen trug; und da sah sie

sie

als wär sie

da sah sie aus wie neun゠ 15

zehn. Sie pflegte nun ihrem Mann und mir

8

Morgenkleid: Morgenmantel, Morgenrock.

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9

den Kaffee einzuschen゠ ken, und manchmal strich sie auch die Buttersem゠ mel für mich auf, was

5

mich ein bischen stolz mach゠ te, ja ich weiß es noch ganz genau, nur stolz, weiter gar nichts. Manch゠ Meistens mal kam ich früher an

10

den Tisch, als der Professor, fragte sie mich manchmal

und da pflegte sie mich zu fra゠ gen: „Was hat man denn heute Nacht schönes ge゠ träumt?“ – Aber ich hatte nie etwas geträumt, und weṉ ich ihr das gestand,

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10 antworten

und wenn ich sagte: Nichts, Frau . . . . ich nannte sie nur immer bei ihrem Familiennamen . . . so lä゠ und

5

war

chelte sie, aber ich bin damals ganz überzeugt, dass sie sich gar auch nichts dabei dachte, denn sie lächelte auch, wenn ich zufäll Mittag

10

aus der Schule nach Hause kam und sah mich dabei gar nicht an, und ich glau゠ denn

be wohl, dass sie ihren Mann

und sie lächelte ihren Maṉ nicht anders anlächelte,, weṉ

wie sie ihn beim Mittag゠

Die gegenüberliegende linke Heftseite HA1 10 ist unbeschrieben.

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11

essen fragte, ob er sich in der Schule mit den Bu゠ viel

ben sehr geärgert. Er hatte sich übrigens nie

5

geärgert; er war so mild, ich mußte ihn später

mir im Gedächtnis im゠ i

mer vorstellen, wie

wenn er eine sogenann゠

10

segnende te Bewegung mit beiden Händen machte und freund゠ lich mit dem Kopf nickte. Ich weiß ganz gewiss, nie

dass er nur diese soge゠ segnende nannte Geberde hatte –

Die gegenüberliegende linke Heftseite HA1 12 ist unbeschrieben.

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12

das freundliche Kopf゠ aber

nicken war allerdings seine Eigenheit, und das es stand diesem schönen Kopf

5

mit dem blonden schlichten Haar, das leicht in’s Graue zu spielen begann, sehr gut. – Mir gefiel an dem Ich bewunderte übrigens

damals

an dem Professor hauptsachlich

10

Sprechweise, die die Ac゠

fremdlandi

den leicht französischen Ac゠ 5

Professor am besten seine

cente des geborenen Fran゠

?den?

im weṉ er deutsch cent,,, sprach der seinem Deutsch

zosen verrieth; er sprach aber zu hause sehr we゠

;

noch iṈer anhaftete . Er war

nig und; manchmal nahm

ein sehr stiller Mensch, der ?nic?

auch zu Hause nicht viel

10

sprach

Die gegenüberliegende linke Heftseite HA1 14 ist unbeschrieben.

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13

er schon während des schwarzen Kaffees ein゠ Buch

nen Brief zur Hand und begann darin zu lesen.

5

Im Winter ging er Abend

Abends ging er meist mit seiner Frau spazieren; ich verließ selten mit nen

ihm zugleich das Haus; aber wenn ich später her゠

10

um

vorbummelte, begegnete ihnen

ich ihm zuweilen und da vermuth wunderte ich die

mich, wie schweigsam sie beiden nebeneinander her゠ beig einhergingen. Ich

Die gegenüberliegende linke Heftseite HA1 16 ist unbeschrieben.

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14

bin ihnen sogar einmal eine große Strecke nach゠ gegangen, da sind sie 5

Arm in Arm spaziert und haben die ganze Zeit lang kein Wort gewechselt. . . . Wie das Frühjahr kam, waren wir Nachmittags

10

und später auch abends viel im Gärtchen hinter dem Hause. Da saßen er lackirten

und sie auf weißen Ses゠ seln vor einem weißen er 15

Tisch; Er sah Schularbeiten

53

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15

durch und sie stickte immerfort an einer Tischdecke; ich sehe das Muster heute noch vor

5

mir. Ich ging gewöhn゠ lich mit meinenm Buche auf und ab

,

in der Hand lesend hin und her , es leise meine Aufgaben memorirend.

war das meine Art zu lernen. Sie sah mich fast

10

an ihr

nie an, wenn ich vorüber゠ ging; aber oft war mir, ?

?

füh folgte mir ihr

als spürte ich ihren Blick mir folgen

hinter mir, wenn ich vor゠ über war. – Wenn ich mich ein wenig ausruhen wollte,

54

15

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55

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16

setzte ich mich zu ihnen, und da plauderte sie wohl auch mit mir; frag゠ 5

te mich, was man mir von Hause schriebe, wieas es meinen Eltern und mei゠ machten

nen Schwestern gienge, ob ich mich auf die Univer 10

sität freute, erkun゠ digte sich nach meinen zukünftigen

Zukunftsplänen

während von meinen Zukunftsplänen – und wenn ich ihr antwor゠ erzählte

tete, mußte sie wieder 15

stickte sie weiter und

immer lächelnte. Und der

57

HA1 21

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17

Professor nickte und war mit meinen Zukunfts゠ p

Plänen sehr einverstanden –

obwohl ich im Laufe der

5

die

Monate mindestens zehn verschiedensten

aller

verschiedeneste vorbrachte: Ich glaube nicht, dass es Gleichgiltigkeit war, – wenn er mir nie wider゠

10

sprach: er sah vielleicht nur ein, dass alle Pläne an sich etwas seherr gleich giltiges sind und das Leben schließ゠ lich mit uns macht, was

58

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es will. – Das Jahr ging so hin und die Prüfung nahte. Es war bestimmt, 5

dass ich den Tag nachher ab゠ das Examen

reisen sollte – aber die Prüfung machte mir vor゠ läufig mehr Sorge als der

drohende Abschied von demn lieben Leuten. 10

Professor und seiner Frau.

An den

ich

Ich dachte kaum daran, war sehr fleißig und lebte vollkommen in meinemn Studiumen. Und eines Abends an einem schwülen Juli abend

heim 15

kam ich nach Hause, – ein

61

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19

schwülen Juliabend – und meine

hatte

bestanden

die Prüfung war vorbei. Ich hatte sie sehr gut be゠ standen und war sehr

5

froh. Ich erinnere mich noch: wie ich vom Gym゠ nasium durch die ruhi゠ gen Straßen nach hause ging, und es mir so ganz

10

unbegreiflich war, dass nun wirklich dieser er゠ sehnte und gefürchtete Tag vorbei sein sollte, und wie es mir vorkam, als wenn ich aus einem

62

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20

dumpfen Traum erwacht. Und erst wie ich durch’s Hausthor schritt, fiel mir 5

ein–: heute ist es die letz゠

dass nun die letzte Nacht

te Nacht, die du in die゠

meines hiesigen Aufent-

ser Stadt verbringst; und

haltes heranbrichtäche . .

das machte mich ein wenig

melancholisch traurig

traurig. – Das Abendessen 10

wurde im Garten einge゠ nommen, und es war heute festlicher als sonst. Aber ich war sehr abgespannt, und die Torte, die zum Nach゠

15

tisch kam, wollte mir kaum schmecken. Von dem Mosel゠

16–HA1 25,2

Moselwein: Qualitätswein aus dem Anbaugebiet entlang der Mosel.

65

HA1 25

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21

wein aber trank ich drei ganze Gläser, die mir die junge Frau einschenkte, und der Professor stieß

5

mit mir an und sagte: einer fröhlicken

Auf eine fröhliche Stu゠ .

denentenzeit , – Uund die jun゠ ge Frau rührte auch mit ihrem Glas an das

10

sprach kein Wort dazu

meine und sagte nichts. Wir wollten heute länger im Garten bleiben; aber plötzlich kam ein arger Regen und wir mußten

66

15

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HA1 25

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22

aufstehen und hineingehen in’s Haus. Ich war so müde, dass ich froh darüber war, wunschte 5

sagte gute Nacht und ging auf mein Zimmer. Ich legte mich gleich nieder; – mor゠ gen mußte gepackt wer゠ den, ich hatte noch gar nicht

10

daran gedacht. Ich schlief vortrefflich, und als ich aufwachte, stand der Kaffee

auf dem Sessel

meinem

auf dem Tisch in meinem Ka゠ ZiṈer neben dem Bette binet – wie es sonst an 15

Sonntagen üblich gewesen

69

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23 Da

war. Und jetzt fiel mir ein, was für eine lange Reihe von Sonntagen mir nun bevorstünde; und wäh゠

5

ich erhob mich sehr ver

rend ich aufstand, früh゠

gnügt aus dem Bette,

stückte, meinen Koffer

frühstückte gut gelaunt

packte, war ich unbeschreib゠

5

und war noch sorecht lustig, lich lustig: Mein Fen゠ schon anfing

ster hatte ich geöffnet, und

während ich den Koffer

10

ich sah unten im Garten,

packte. zu packen.

mit dem Rücken gegen mich, die junge Frau auf einer Bank

und auch den Professor si゠ anfangs

neben ihr der Professor,

tzen, was mich aber wunderte. Ich hatte ganz

3

Bette,: Punktförmige Verschmutzung über dem Komma.

70

15

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24

vergessen, dass ja auch er jetzt Ferien hatte. Und plotzlich

einmal, sie mußte mich 5

mir war es, als müßte leisen

gehört haben, wie ich zum

sie meinen Tritt

Fenster trat, wandte sich

gehört haben. –

die junge Frau nach mir um, sah herauf und neig゠ te grüßend den Kopf. 10

Ich that dasselbe und hüte゠ te mich, laut Guten Tag zu sagen – ich wollte nicht,

15

was

dass der Professor sich

es merkete. Ich blieb

umdreht. – [?]Und noch ein

nun am Fenster stehen,

paar mal wandte sie

und wieder

73

5

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25

sich nach mir um, und da lächelten wir beide, jetzt

aber beim letzten Mal wurden ihre Züge plötz゠

5

lich ernst, und in ihren Augen war ein Ausdruck, der mir ganz neu erschien – sie sah mich lang an; und ich spürte irgend

10

was, das mir die fro゠ he Stimmung stören woll゠ mit einem Mal

te, und plötzlich wußte ich, dass ich nun diese liebe junge Frau verlassen,

74

15

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26

dass ich sie vielleicht nie wiedersehen sollte – und ich wußte auch, dass viel

das eigentlich so trauriger als

5

bis

war, wie ich es jetzt noch gar nicht geahnt. – Und sSie wandte den Kopf wieder weg, ich ging in’s Zimmer zurück und weiter

packte wieder, aber viel langsamer, und wie ich vom Fußboden aus, wo ich meine Sachen zusam゠

Die gegenüberliegende linke Heftseite HA1 30 ist unbeschrieben.

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10

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27

menkramte, in’s Freie hinausschaute und nur den stillen blauen Him゠ 5

mel sehen konnte, da kam mit einem Mal eine unendliche Wehmuth über mich, und ich hatte diesen stillen Himmel,

10

diesen Garten, dieses klei゠ ne Zimmer und, die junge Frau und auch den freund゠ lichen Professor so gerne,

15

dass ich am liebsten wie゠

noch ein Jahr, nein, fur

der geblieben wäre –

immer

und die Empfindg hatte, von einem Himmel scheiden zu müssen

79

HA1 33

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28

und gestern meine Prüfung nicht bestanden hätte. – Der Mittag kam, aßen

5

alle zusaṈ

wir speisten im Garten, im Speisezimmer

wo es zu dieser Zeit als im Freien

kühler war. Es wurde von meiner Abreise gespro゠ chen, die für neun Uhr

10

Abend festgesetzt war. Der Professor forderte mich auf, bald zu schrei゠ in

ben. Ich versuchte ein meine

paar Worten der Dankbar゠

80

15

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29 auszudrücken

keit zu sagen; aber sie kamen schüchtern und un゠ geschickt heraus. Die jun゠ 5

ge Frau sagte: wWir wer゠ den sSie auf die Bahn be゠ gleiten. Ich wehrte ab, nein; – und es waurde nichts mehr darüber zuge゠

10

spreochen. – Ich stand sehr vom Tische

beklommen auf, um noch die letzten Zurüstungen zu

zur Reise

besorgen und erklärte, dass ich um fünf in den 15

Garten, – zum letzten

12f.

Zurüstungen zu besorgen: Vorbereitungen zu treffen.

83

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30

Mal in den Garten kom゠ men wollte. Der Pro゠ erhob sich zu gleicher Zeit

fessor machte sich auf

mit mir

den Weg in’s Gymna゠

5

sium, wo die Schlusscon゠ ferenz abgehalten wer゠ den sollte. Die junge

5

blieb allein im Speise

Frau sagte ihm Adieu

zimmer und nickte,

und blieb sitzen. Ich

uns beiden Adieu zu, ohne

ging in mein Kabinet,

einen anzusehen.

und wie ich eintrat, kam

10

es mir ganz fremd vor. Der Tisch war kahl, die Bücher, die sonst dort

84

15

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31

gelegen, waren schon verpackt. Der Schrank stand offen und war 5

ganz leer. Auf derm

Boden

Bank lag mein Koffer, der geöffnet war; auf dem Divan meine kleine Handtasche. Ich setzte mich 10

auf’s Bett, ließ die Arme hängen und schaute vor mich hin. Es war ganz still und schwül. Ich schloss die Augen und da

15

erschien mir mein Zim゠ mer, so wie es noch ge゠

8 9

Divan: s. Kommentar, D 289. Handtasche: hier: kleine Reisetasche.

87

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stern ausgeschaut. Und meine Gedanken began゠ nen zu schweben und zu flattern. Es war

5

vergessen, dass ich heute Abend fort sollte. Ich wohnte wieder da, für nichts sollte

lang!, und die kommen゠ sich in meinem Leben ändern.

den Tage lagen vor mir

10

wie die verschwunde゠ nen. – Plötzlich verspür゠ te ich einen Rucken, mein Kopf war mir anuf die Brust herabgesunken,

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15

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33 ich glaubte

und mir war, als dass wär’ ich während des Lernens eingeschlummert wäre, 5

und müßte nur rasch wieder zum Buch zurück. Da schlug ich die Augen

10

traurige

auf – und sah den leeren

die Unordnung rings

Tisch und den halb offe゠

um mich, und

nen Koffer und lächelte

mir war, als ware

so trübselig, als wäre

ich aus einem sehr schönen

eben der holdeste Traum

Traum erwacht.

davongeflogen. – In diesem Augen゠ 15

blicke öffnete sich die

91

5

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34

Thüre und die junge Frau trat ein. Sie nick゠ mich

sah

an

te mir ganz ernst zu und ich stand rasch auf,

5

eigentlich sehr erschro゠ cken. Sie lehnte sich an den Tisch und stützte beide Hände nach rück゠ wärts auf dessen Kante.

10

Ganz leise sagte sie „Al゠ so heute.“ – Ich nickte nur, da sie auf den Boden

Korb schaute. Ich erin゠ nere mich, dass ich in

9f.

rückwärts: s. Kommentar, D 267.

92

15

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35

diesem Augenblicke sagen wollte: „Wollen

Möchten

Sie nicht Platz nehmen, 5

gnädige Frau . . . . “ aber zugleich bemerkte, dass auf dem Divan meine Handtasche lag. Ich machte zwei Schritte hin, um

10

dieselbe zu entfernen – aber ich ließ es wieder sein, und blieb in der Mitte des Zimmers ste゠ hen; und wie ich mein

15

Auge auf die junge Frau

95

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36

richtete, sah ich nur, da sie jetzt sie zwischen mir und dem offenen Fenster stand, dieen scharfen Umrisse

5

Gesichts

ihres Profils, und ihresr Büste. Busens. – Ich wagte kaum zu athmen. Plötzlich ließ sie die Tischkante los, sie

wandte sich zu mir, trat

10

ganz nahe vor mich hin, immer noch mit dem ern゠ sten Ausdruck, legte ihre beiden Hände ganz leise auf leicht

meine Haare und ließ

96

15

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HA1 42

37 dann

sie gleich langsam über meine Wange herunter゠ gleiten. Ich rührte mich nicht; 5

aber ich spürte, dass mein Athem schneller ging. Mit einem Mal waren ihre Lip゠ pen auf den meinen, heiß, ,

und

.

feucht . schlürfend ; Uund ihre 10

Hände umspannten mein Gesicht so fest, dass es mir fast weh’ that. Dann um゠ schlang sie meinen Hals, –

und ich, weiß nicht, ob 15

sie es war, die hindräng゠

99

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38

te, oder ob ich nur vor Erregung hinsank – ich der

lehnte plötzlich in einer Divanecke, die Reiseta゠

5

sche kollerte herunter . . . . die junge Frau hatte die Arme noch immer um mei゠ nen Hals geschlungen und sank jetzt vor mir auf

10

die Kniee, so dass sie mei゠ ne Lippen wieder an die ihren herabzog. Anfangs hauchte sie mich nur an, dann aber küsste sie mich wieder, als wenn

6

kollerte: kollern (süddt.): kullern.

100

15

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39

sie mich ersticken woll゠ te. Ich mußte, nur um den Athem nicht zu ver゠ 5

lieren, mich eine Weile nach rückwärts lehnen; und schaute zur Decke, halb toll vor Glutück und in einer unbestimmten

10

Angst – sie nahm und Glück; sie nahm nun meine beiden Hände grub

und verbarg ihr Gesicht darin. In diesem Momen゠ vor Schreck

te – ich glaubte starr zu 15

werden – öffnete sich

103

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40

leise die Thür, die nur angelehnt war und der des

Kopf eines Mannes er゠ erscheint eint

sch ien. Ich wollte auf゠

5

der

schreien, aber jeder Laut blieb mir in der Kehle nur

stecken. – Es war eine Se゠ kunde;. – Das Antlitz des Proffessors hatte den milden

10

Ausdruck wie immer – nicht

ich konnte wohl sehen, ob sich etwas darin verän゠ dert hatte – denn der Kopf verschwand mit einer solchen Raschheit, und die Thüre lehnte wieder wie fruhe

104

15

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41

räthselhaften Geschwindigkeit

wie früher, dass ich fast

in demselben Moment, ohne ganz

? ?

h an eine Hallucination

hätte glauben dürfen. 40 – 41

5

dass ich mir zumr Bewußt ganzen Besiṉung hätte koṈen können. In dem Augenblick

5

da er verschwunden war

aber wollte ich mich auch schon erheben, riss meine Hände unter den reibefreiteen Ich will mich erheben, befreie Ich

? ?

u

Jetzt wollte ich mich un゠

erheben; – zog

ter dem Antlitz der jun゠

Hände unter

gen Frau hervorziehen,

meine Hände, die unsich unter

die natürlich nichts gese゠ 10

riss meine

noch iṈer in

den auf denen das GesichtKopf

hen haben konnte, wollte sprechen, begann eben

10

eben

der jungen Frau noch geruhte, will

ihren Namen hervorzu゠

und wollte sprechen,

stoßen – da springt sie

stießoße eben mühselig ihren Namen hervor – – da springt sie

107

15

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42

selbst mit einem Mal plötzlich auf, todtenbleich im Gesicht, flüstert mir ganz gebieterisch

gebietend „Pst“ zu – „Schweig“ . –

steht eine Sekunde da, als

5

müßte sie lauschen – und dann, ohne mich auch nur mehr anzusehen, schleicht sie hastig auf den Zehen゠ spitzen zur Thür, und –

10

nachdem sie durch die schma゠ le Ritze hinausgeblickt, gleitet sie davon – und läßt mich allei da, – auf dem Divan, ganz

108

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43

vernichtet, zitternd, al゠ lein, muthlos, der Verzweif゠

verzweifelnd.

lung nahe. – Ich wartete. 5

Ich wartete auf sie . – oder auf ihn – oder auf irgend einen andern, [?] der nun hereinkommen würde, mich beim Kra゠

10

gen zu nehmen und die Treppen hinunterzuwer゠ aber

fen. – Nniemand kam. Plötzlich

Plötzlich fiel mir ein, dass sich ja vielleicht eben auf dem Gange oder bei ihr zwischen ihm und ihr.

2

111

Gange: s. Kommentar, D 308.

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44

irgend etwas entsetz゠ geschehen

liches abspielen koönnte, eilte

und ich will zur Thüre . . . hin –

blieb aber sofort wieder

5

stehen – denn ich wagte mich einfach nicht auf den Gang hinaus. Jetzt Ich schlich ich mich zum Fenster; da sah ich, wie das Stu゠

10

benmädchen eben eifrig irgend ein Körbchen auf den Tisch im Garten das !

stellte , was mich beru゠ mich

higte.– Noch immer kam

112

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45 zu mir

es

niemand. Ich begriff nicht. etwas

Jetzt fiel mir aber garnz schauerliches ein: wenn 5

er einfach – um die Poli゠ zei weggeschickt hätte, was er ja sehr wohl koṉte,

und mich einsperren ließ; denn ich hatte ja etwas sträfliches begangen . . . . 10

Oder er hatte nur sie auf

er vielleicht sie davon

ihr Zimmer ge

gejagt, und sie war

, rasch

?nun?

ihre Sachen packen – und wollte

dann sollte sie mit mir aus dem Hause . . . . Ja,

115

auf ihrem Zimmer .

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mit mir – und was dann? . . . . Welche Ver゠ antwortung? . . . Ich konn゠ te doch mit sechzehn Jahren

5

keine geschiedene Frau heirathen!

Und meine Eltern, oh Gott, meine Eltern . . . . Wie ich jetzt meine Hände, auf Lippen

denen eben noch ihre Mund geruht, verzweifelt an meine Stirne presste, umquoll mich wieder der ganze Duft, den sie

5

Jahren: Textverlust am Blattrand.

116

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zurückgelassen hatte – kam

und nun hatte ich einen beinahe

Moment, wo ich wünschte, 5

– der Professor sollte uns zusammen davonja゠ gen . . . – Aber es kam niemand. Es war qual゠ voll. Im Hause war es

10

vollkommen still, ich hatte keine Ahnung, was geschehen war, was geschehen sollte;. Wieder blickte ich in den Garten.

119

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48

Niemand zu sehen. Doch. Jetzt kommt der Briefträger, ich sehe, wie die Glocke am Gartenthor zieht er anläutet, höre das

5

Klingeln; das Stuben゠ mädchen eilt über den Kiesweg, öffnen – der Bote gibt ihr die Briefe; sie eilt wieder in’s Haus;

10

– er aber wartet noch. Ah, ich verstehe: es ist ein ?g?eingeschriebener der

Brief darunter; Herr oder Frau müßen das

120

15

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49

Recepisse unterschreiben. Eine ungeheuere Furcht überfällt mich in diesem 5

Moment. Ich ahne schon, wie das Mädchen heraus゠ stürzten wird und rufe: Unsere gnädige Frau ist ermordet . . . . . Es vergeht

10

eine Weile, – ah, ge゠ wiss ist die Thür ver゠ schlossen . . . . nein – nein – hier ist das Mädchen wieder, sie ist ganz ver゠

2

Recepisse: Quittung, Empfangsbestätigung.

123

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gnügt und übergibt dem Briefträger das Recepiss

einen Zettel.

Recepisse. – Nein, . . . . . es kann nichts geschehen

5

was

sein . . . . . Nun aber, wo thun

sollte ich eigentlich hin? Was war über mich be゠ schlossen worden? . . . . War゠ um martert man mich in dieser unerhörten Weise? . . . . Wird er mich etwa fordern lassen? . . . . Und es kam mir höchst

9 13

War゠: Textverlust am Blattrand. fordern lassen: hier: zum Duell fordern.

124

10

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51

seltsam vor, dass sich ein Professor der franzö゠ sischen Sprache einen sei゠ 5

ner besten Schüler todtschie゠ ßen sollte . . . . Ja, worauf wartete ich eigentlich

10

da? . . . Und nun sah ich

Mein Blick fiel

wieder den halb offenen

auf

Koffer da stehen, und ich beschloss für alle Fälle, den zu schließen. Ich that es – und kaum war das geschehen, als es leise

127

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52

an die Thür klopfte. Ich glaubte vor Schreck zu゠ sammenzusinken. Es klopf゠ te nochmals. Endlich sagte

5

Es war

ich: herein. Ein Polizist. Nein,; im ersten Moment hatte ich die Uniform ver゠ der

wechselt. Es war der Stadt゠ träger, den ich bereits

10

Vormittags bestellt hatte, damit er meine Gegenstän゠ Gepäck Sachen de auf die Bahn brächte . . Er nahm meinen Koffer und meine Reisetasche

9f.

Stadtträger: konzessionierter Dienstmann.

128

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53

und sah mich, wie mir vorkam, etwas mitlei゠ dig an . . . . . . Ich fragte leidlicher 5

mit freundlicher Fassung: Wie lang ist’s noch bis zum Zug? – Oh, da haben der der geht.

junge Herr noch Zeit . . . . um acht Uhr . . . . und jetzt ist’s 10

noch nicht fünf . . . . . Noch nicht fünf . . . .

also

noch drei Stunden, wenn ich lebend weg kam, fi Stun゠ den . . . . ja drei Stunden, wenn ich überhaupt 15

ich lebend wegkam, fiel mir

131

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54

plötzlich ein . . . . Der Trä゠ ger entfernte sich. „Leise“, flüsterte ich ihm zu . . . . Er mußte die Thür weit öff゠

5

nen, um Koffer und Tasche hinauszuschaffen . . . . Ich hinaus

sah auf den Gang. Er war und alles war ,

leer , still . . . . nichts, nie゠ mand zu sehn . . . . Ich schloss wie

schweren

10

die Thüre, und hörte den

Ich lauschte, bis die Schritte Träger über die Treppe

5

des Trägers unten auf

hinuntergehen, . . . . – er

der Treppe vers ver

verließ das Haus durch

schwu iṈer leiser wurden

einen rückwärtigen Aus゠

und endlich verschwun ver ?den?

kluangen, daṉ schloss

132

15

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55

gang, von da war es nahe

5

ich die Thüre und

zur Bahn – und jetzt

trat in mein

war’s

ZiṈer zurück.

völlig laut゠

los im Haus.– Und mein Zimmer, wie sah das jetzt aus . . . .

das sah jetzt aus

beinah’ wie eine Zelle . . . Wie lange war es denn ei゠ 10

gentlich seit dem fürchter゠ lichen Moment, in dem „unse゠ re Schuld“ entdeckt w uorde . . . . en – Minuten? Stunden? mehr

ich fand mich gar nicht zu゠ recht. Es wäre doch einfach 15

Ich hätte weinen mögen

ihre Pflicht gewesen, mich

135

5

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Handschriften

56

wieder zu verständigen.

5

10

Ich begann zornig zu

Ich begann ihr und ihm

werden. Ich zürnte ihr –

zu zürnen . . . . Ich hatte

und ihm. Warum

die Empfindung in ein

kam den Niemand?

Unglück gerissen und hilf゠

5

Ich konnte es nicht begreifen, los darin gelassen worden Man hatte mich Mir

zu sein. Ja warum kam

war, als hätte man

Niemand? – Hatte ich über゠

mich in ein Unglück

haupt die Verpflichtung

gerissen und ließe mich

sie zu warten? . . . . . Es

ohne Hilfe da. Worauf

war ja einfach nicht aus゠

wartete ich deṉ noch? War ich dazu verpflichtet?

10

zu ertragen. Fort, fort von hier

zuhalten. Man wußte ja, wo ich zu finden war, sein würde –

auch wenn ich nicht hier blieb.

136

15

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57

Man wußte ja, wann der Zug abging. Ich mußte doch nicht hier, in diesem leeren 5

Zimmer wie ein Angeklag゠ si

ter warten – das war ja

er hätte ja längst zu mir

Marter, absichtliche Quä゠

koṈen können . weṉ

war

was

lerei? Warum ist er in dem Augenblick

nicht einfach im Momente, da 10

wo er uns sah, hereinge゠

absichtlich so mich hier

gen? Es wäre ja wahrhaf゠

warten zu lassen; er quälte mich absichtlich,

tig edler gewesen. – Und

gewiss.

entschlossen, nahm ich Hut und Rock, verliess das Zimmer,

15

das war Marter, ohne gleichen; er quälte mich

entdeckte

stürzt und hatte uns erschla゠

15

er was wollte. Aber

Rock: hier: Herrenjacke.

139

5

HA1 63

Handschriften

58

schloß die Thüre – äußerst leise hinter mir, lief die Hintertreppe auf den Fuß゠ schlich mich durchs

spitzen hinunter, und

5

Hausthor hinaus und daṉ schlich mich an der Mauer des Hauses um die Ecke in die nächste Gasse und fort, fort, drurch andere Gassen, bis zum Bahnhof .; –

10

hatte ich

Noch zwei Stunden waren bis zum Abgang des Zu゠ ges. – Ich ertrug das ruhige Warten nicht, begab mich auf die Land゠ straße hinaus, an de゠

140

15

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141

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142

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59

ren Seite eine schattige Allee sich hinzog und in einer Art von Rausch, zu 5

welchem jetzt die Gefühle der Angst und eines all゠ mählig erwachenden Stol゠ zes durcheinanderwir゠ belten, rannte ich fast bis

10

zum nächsten Dorfe und dann wieder zurück . . . Eine halbe Stunde

15

Ich hatte ge Ich hatte

vor Abgang des Zuges war

mir fest eingebildet, dass

ich am Bahnhof. Nniemand

ich jetzt ihn – oder sie vor

war da, nicht er, nicht sie.

dem Bahnhof da fin den müßte. Aber

143

5

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Handschriften

60

Plötzlich kam mir ein neu゠ un

er beruhigender Gedanke: er

Er wartet den Moment meiner Abreise des Abgangs ab, um mich

5

vor dem versammelten Reisepublicum zu insul゠ tiren. . . . . iIch stand, bis ich den Zug vomn weiten pfei゠ fen hörte, unten, beim

10

Eingang zum Bahnhof, um gleich zu sehen, wenn jemand käme. – Es kam niemand; auf den Perron

ich eilte hinaus, der Zug fuhr ein, ich stieg in ein

7f.

13a

insultiren: veraltet nach (frz.) insulter: beleidigen. Perron: (frz.) Bahnsteig, Plattform.

144

15

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61

Coupé, und stellte mich vor’s Fenster, um den Perron noch im Auge zu 5

behalten. – Nach fünf Minu゠ ten ging der Zug ab . . . .

ich war gerettet.

u

Und jetzt empfand ich es

doch wie eine leichte Krän゠ kung – dass sie mich ru゠ 10

hig hatte davonfahren las゠ fuhr

sen, und es fiel mir so

durch den Sinn

unbestimmt ein, dass ich nun auch schon eine Erfah゠ rung gemacht, und dass 15

ich von nun an verstän゠

2

Coupé: s. Kommentar, D 314.

147

traurige

HA1 67

Handschriften

62 nisvoll

seufzen nicken

dig mitreden durfte, wenn von der man von der Treulosigkeit der Weiber spräche . . . . . . Ich

5

nemlich

Allerdings fand ich, dass sie an mir treulos ge゠ handelt . . . . . Ich war allein im Coupé und streckte mich

10

bald der Länge nach auf die Ledersitze hin. Bald schlummerte ich ein – die Aufregung hatte mich unsäglich müde gemacht. Es war kein ruhiger Schlaf. Beinahe in jeder Station

148

15

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149

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63

schreckten mich die Geräu゠ sche auf; – in einer lief ein Telegrafenbeamter 5

den Zug entlang mit einer Depesche für einen Reisen゠ den – als ich den Mann, sein Blatt in der Hand hoch゠ haltend und vorbeieilen

10

sah, meinte ich bestimmt, es sei ein Telegramm für mich, ohne recht zu wissen, was da eigentlich drin stehen könnte. Dunkel

15

schwirrte mir auch vor,

4

6

Telegrafenbeamter: Bediensteter einer Telegrafenanstalt. Die seit Mitte des 19. Jahrhunderts zur Fernübermittlung von Signalen ausgebauten Telegrafenleitungen verliefen häufig entlang von Eisenbahnlinien. Depesche: Eilbotschaft, häufig Synonym für Telegramm.

151

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Handschriften

64 es könnte

am Ende ein Verhaftungs゠ssein

befehl, obwohl ich hätte be゠ denken können, dass die Gerichte nicht an den Ver゠

5

folgten selbst zu telegra゠ firen pflegen. – Die Nacht verging und Nun,; am Morgen lag ich in den Armen mei゠ ner Eltern, und ihr Empfang

10

am Bahnhof ließ mich schon vermuthen, dass hieher noch nicht, wie ich ge゠ fürchtet, die Kunde von meiner That gedrungen war . . . . Im Gegentheil:

2f.

12 13

Verhaftsbefehl: auch Verhaftungsbefehl: veraltet für „Haftbefehl“. hieher: veraltet für „hierher“. Bleistiftstrich wohl nicht als Streichung zu verstehen.

152

15

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154

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HA1 70

65 beglückwünschte

man gratulirte mirch herzlich unter vielen Küssen zu der begut bestandenen meiner Prüfung, an die ich 5

beinahe ganz vergessen hatte. – Jetzt kamen allerdings freilich noch ein paar Tage, die ich in gelinder Aufregung hinbrachte; vor allem anfangs sogar

10

nahm ich die Zeitung an゠ innerem

fangs stets mit einem Be゠ ben zur Hand, denn noch immer fürchtete ich, dass das Drama ohne meine An゠ 15

wesenheit einen blutigen

4f.

an die ich [...] vergessen hatte: veraltete Konstruktion mit Präposition.

155

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Handschriften

66

Ausgang hätte nehmen können, – dann flößte das Erscheinen des mir aAuch der Briefträ゠ flößte mir

gers in der ersten Woche

5

jedesmal

einen leisen Schrecken ein, aber er brachte weder meinen Eltern noch mir irgend eine Zeile aus der kleinen Stadt und

10

ich mußte endlich glau゠ ben, dass sich die ganze Sache zwischen den Gatten in aller Stille weiter゠ gespielt und dass der unglückliche Mann ihr

156

15

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157

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158

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67

verziehen und sie mich rasch vergessen hatte. – Es kam für mich, als die 5

Gefahr verschwunden war, noch eine nicht allzulange Zeit der Reue . . . . ich dachte zuweilen daran, was sie, was er um

10

meinetwillen gelitten haben mochten; – und sehr

ich kam mir zuweilen schuld゠ beladen, hauptsächlich aber ziemlich interessant vor. 15

. . . . Auch alles das ging vorüber, bald, sehr bald;

159

und

HA1 73

Handschriften

68

die Studentenzeit be゠ gann, das Leben war da, und noch im Winter war

5

Jahre lang hatte ich kaum

war jenes Erlebnis so

mehr daran gedacht

gut wie vergessen, –

Hier, im Curpark, auf

es war seit Jahren das

der Bank, war es seit

erste Mal, dass ich die

Jahren das erste Mal

ganze Geschichte in al゠

Heute erst In solcher Deut- ler Deutlichkeit wieder heute

lichkeit wie jetzt, ?wahrend?

an mir vorbeigezogen

Noch immer spielte

jungen

schönen Frau mich daran

das Orchester den Strauß゠

gemahnt, war jenes Erlebnis mir seit

10

war. –

wo das Wiedersehen der

10

5

vielen

schen Walzer; plötzlich sieben

Jahren nicht vorbeigezog mehr in mir aufgetaucht.

160

hörte ich ihn wieder,

15

Handschriften

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162

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HA1 74

69

mir war, als hätte ich sehr

schon lange vor mich hin゠ geträumt, ich glaube, 5

dass ich sogar die Augen geschlossen hatte. – Und die Leute spazierten wieder

noch iṈer

an mir vorbei und ich hörte wieder die Stim゠

wirren

der Menschen 10

men und das Knistern der Schritte auf dem Kies. Und dan kommt auch sie

kommt,

sie,

wieder zurück, mit dem

15

führt das Kind an

Kind – und jetzt sieht

der Hand; sie sieht

sie mich – und erkennt

mich an, ich merke ihren Augen an, dass allmälig

sie mich erkennt

7a

163

allmälig: auch „allmählig“: veraltet für „allmählich“.

5

HA1 75

Handschriften

70 mich, und ich stehe auf. trete g

un d gehe ihr paar ihr Schritte entgegen. Und jetzt

wie sie, den Kopf ganz

5

leicht zum Grusse nei゠ mit ihrem Lächeln

gend, mir lächelnd in’s

ganz wie vor sieben Jahren

schaut

Gesicht sieht, esist mir gerade

nicht anders, als wären von einand e

wir gestern aus

r

10

Guten Tag

gegangen . . . . Sie hier, sage

gnädige Frau? rief ich ich – Sie sind hier? – blickt

aus . . . . Sie schaute mich wie

ein bischen prüfend an spr sagte

und sagte dann: Sie ha゠ ben sich eigentlich gar

164

15

Handschriften

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HA1 76

71

nicht verändert. Ich will etwas erwidern, finde nicht gleich die rechten 5

Worte, spreche etwas

Ja gnädige Frau . das ist

von sieben Jahren, ein

eine lange Zeit, dass

Doktor werden, indessen

wir einander nicht

Sie

gesehen haben . . . .

schüttelt sie immerfort leicht den Kopf und sagt:

wiederholt

verändert 10

Gar nicht, nicht im min゠ Jetzt

ich

desten. Ich frage sie, seit wann

wie lange sie schon da ist, wie lange sie hier bleiben wirdll, wie es ihr immer 15

ergangen ist – selbst im゠

und wundere mich eigentlich selbst,

167

5

HA1 77

Handschriften

72 dass ich nicht lieber gleich von jenem letzten Tage

5

mer erstaunt, dass rede, über den dessen Süßigkeit wir beide davon nicht Schauer eben alle so lebendig .– uUnd sie ant゠ an mir vorübergezogen ruhig wortet, dass sie erst sind –

5

gestern gekommen ist, sechs Wochen hier bleiben wird und dass es ihr immer sehr gut gegan゠ gen . . . . Und das da,

10

setzte

sagte sine ganz unver゠ hinzu

mittelt, ist mein Bub, und, indem sie sich zu dem Kleinen her゠ abbeugte –: Gib dem[?] Herrn Doktor die Hand. Sie sind ja gewiss schon lange Doktor, nicht wahr?

168

15

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169

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170

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HA1 78

73 ganz verwirrt

Ich

war

b verlegen und

schüttelte dem Kleinen die Hand wie einem 5

alten Freund, so dass er sein hübsches Gesicht beinahe zum weinen ver゠ zieht. Sie thun ihm ja weh, lachte sie, und ich

10

lasse seine Hand los . . . . Und nunSo stehen wir schwei゠ gend da, und schauen einander an – um ihre Lippen zuckt es leicht

15

spöttisch . . . Ja . . . . ja, saget

171

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Handschriften

74

sie und nickt mit dem Kopf . . . . . Endlich entschlie゠ einer

ße ich mich zu der Fra゠ ge: Wie geht es dem

5

. . . dem . . . dem Herrn Professor? – Mein Mann N. Z.

Dem geht es

befindet sich ausgezeich゠ net – oh Herr Doktor, ich sage Ihnen, seit der Bub

10

da auf die Welt gekom゠ men ist, fehlt – seinem Glück nichts mehr . . . . ein

Er ist jetzt geradezu ist er

ganz anders, ein

ein heiterer Mensch ge゠ worden . . . . Eine innere iṈer

N. Z.

1

N. Z.: Abkürzung für „Neue Zeile“.

172

15

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174

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HA1 80

75

heftige Neugier kamoṈt über mich. – Es lagiegt mir schon auf der Zunge: „Was 5

hat es denn damals gege゠ ben?“ Aber ich traute mich wage nicht in dieser Weise zu fragen. Ich wollte aAllmäh゠ will ich

lig dahin gelangen, wuß゠

weiss

nur 10

te aber nicht wie . . . . Plötz゠ fängt

wieder an

ganz harmlos

lich sagte sie: Das war aber nicht

recht hübsch von Ihnen, da゠ mals, sSo auf und davon zu ?

N. Z.

. . Was . . ? (N. Z.)

uns?

gehen, ohne mir Adieu 15

zu sagen . . . . Ich erschrack

erschrecke Ich sehe sie

an, beinahe erschrocken, ob sie vielleicht spaßt,

175

5

HA1 81

Handschriften

76 ob sie – am Ende vergessen

5

hat –, ob sie absichtlich

förmlich und wußte

nichts davon wissen

nichts darauf zu er゠

will – und erwidr

widern . . . . „Aber Sie

nichts.

haben eigentlich Recht

5

gehabt . . . . setzte sie im゠ ganz ernst

mer fort – unvermu゠

nur

thet fort – . . . . und sieht

Was will sie, frage ich mich. Dann erhebt

vor sich hin,. dann wie

sie Aber gleich erhebt sie

zu mi[??]r aufschauend. mir gar

wieder den Blick und 10

Aber dass Sie nicht einmal

sagt: Dass Sie mir

nicht

mich gesehen haben, hab’ ich

einmal

gar nicht geschrieben haben, nicht ein Wort, das hab ich eigentlich

10

recht sonderbar gefund゠ den. – Ich war so befan゠ gen . . . . . „Gnädige Frau, wenn ich gewusst hätte . . . wenn ich . . . .“ Sie unter゠

176

15

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177

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Handschriften

178

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HA1 82

77

bricht mich: Nun, das macht ja nichts – und

einen

in dem sie mich ?auf ?

wieder hat sie mich mit 5

einen

einem Blick angeschaut,

beinahe innigen

der beinahe innig war:

Blick auf mir ruhen

e

„ Es ist doch schön, dass man

läßt:

einander

sich wiederfindet. Und Sie bleiben ja noch einige Zeit 10

Bei diesem [?]Blick, bei

hier? . . . . .“ In diesem

durch

diesen Worten strömt

Moment strömte es mit

mich

wunderbarer

eine wunderbare

in mein Herz. Mir warist,

Wärme durch mein

als läge ein Versprechen

mehr als eine Frage

darin 15

5

mehr als ein Wunsch,

in diesen Worten, auf

als läge

die ich sozusagen ein ge゠

179

10

HA1 83

Handschriften

78

wisses Anrecht hatte.

und ich sehe ein wunder

Gewiss, antwor゠

bares verspätetes Aben

5

Abenteuer wie schön sie ist,

tet ich, und nehme bei゠

noch schöner und bin

nahe mechanisch die Hand,

bin und, wie ich ihre

die sie mir zum Abschied

Hand ergreife, die sie mir

entgegenstreckt. Da wer゠

entgegenstreckt, drücke

den wir ja noch oft mit

ich sie heftig ?wied?

einander plaudern kön゠

und

nen, sagte sie, und be゠

heftig wie sie mir 10

5

10

hält meine Hand in der

nun zum Abschied die Hand entgegenstreckt, ergreif ich sie mit Heftigkeit, und

Ich kaṉ noch iṈer nichts reden

ihren. Und wWir schauen einand

will etwas sehr glühend

uns wieder ein paar Se゠

glühendes erwidern

kunden an, und ich spü゠ doch endlich

re, dass ich etwas sa゠ gen möchte – aber plötz゠ müßte

180

15

Handschriften

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HA1 84

79

lich entzieht sie mir die ihr Kind

Hand, sagt Adieu und

den Knaben wieder bei

wendet sich zum Gehen.

der Hand nehmend

und 5

Ich bleibe stehen, sehe ihr nach, wie sie drei vier Schritte langlsam mit dem Knaben nach vorwärts Ich

macht. Unterdessen grei゠ 10

fe ich mir an den Kopf deṉ damals

– Ja, was ist da ge゠ scheh’n? – Hat er ihr so

Warum hab ich sie deṉ jetzt

vollkommen verziehen, dass nicht gefragt? Das muss

15

sie mir nichts mehr nach゠

ich ja vor allem

trägt? – Oder ist sie

erfahren!

fort von ihm? . . . . Ist

183

5

HA1 85

Handschriften

80

er einer von den Ehemännern? – Das möchte ich ja erfahren . . . . irgend etwas

5

damals

muß ja geschehen sein.

Und wie

Da kehrt sie plötz゠

Und wie ich ihr eben nach will,

lich wieder um, scheint sehr erfreut, dass ich so regungs゠ los da stehen geblieben bin

10

sagt spricht

wendet sich

?w?

ie

zu mir und r uft mir zu, in einem Ton, als wären wir wahrhaftig erst gestern geschieden, so warm, so vertraut . . . . Erinnern Sie sich niocht? – Und wie

184

15

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185

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186

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HA1 86

81

sie meinen Blicken an゠ merkt, dass ich mich sehr gut erinnere, setzt sie kindisch 5

hinzu – : – Wie dumm das damals gewesen ist! war . . . . . Sie macht eine Pause.– jJetzt endlich, werde ich es erfahren. Sie fährt fort: Wissen Sie, warum ich damals so davongestürzt bin i

Ich hatte damals geglaubt,

Schritte auf dem Gang zu hö゠ N. Z. 10

ren . . . . Es war nichts [?]. Wie? Nichts? Es war

Nun . . . ? sagt sie lächelnd

niemand auf dem Gang.

N. Z.

Ich will schon antworten, ....

will irgend was sehr duṈes sagen, wahrscheinlich dass sie sich geirrt hat

15

.....

: Sie irren sich, gnädige Frau – Aber schon ?sagt fährt?spricht sie fort. weiter Denken Sie sich:

Er ist erst eine Stunde spä゠

5a

Verschmutzung des Papiers.

187

HA1 87

Handschriften

82

ter nach hause gekommen . . . . .“ Wie, rufe ich im höchsten Erstaunen aus; wie?! eine Stunde . . später –?

sie aber reicht mir noch゠

5

mals die Hand, lächelt ?

beinah? zartlich

mir – beinahe glücklich – zu und flüstert mehr mir zu ei

als s ie’s spricht: Morgen!

Morgen wollen wir

sie

weiter plaudern – jetzt



muss ich nac weṉs Ihnen 5

und

Sie nimmt den Kna゠

10

ben bei der Hand und

recht ist. Damit

rasch

verschwindet nun eilig

geht

eilt mit ihm rasch durch die Allee und ve ent-

in der Allee unter denie übrigen Spazierganger.

fernt sich mit ihm durch

Ich aber blieb stehen, war bleibe

die Allee und

erstarrt . . . . Also das war’s

188

15

Handschriften

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83 Sie

weiß er gar nicht! sie nie r

hat e s nur gewußt!– Er hat es ihr nie gesagt, 5

dass er uns gesehen, wie sie zu meinen Füßen ge゠ legen ist – er hat sich da゠ mals von der Thür wieder

10

davon geschlichen und ist

erst nach einer Stunde

n?a?och ein Mal zurückge゠

koṈen

kehrt und hat ihr nichts ge゠ sagt–! Und er hat die ganzen Jahre Zeit an ihrer Seite weiter gelebt, , ohne sich mit ei゠ 15

nem Worte zu verra゠

191

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Handschriften

84

then; er hat ihr ver゠ ziehen und sie hat es .

nicht gewusst ! . . . . Und wie ich sie jetzt

wieder

auf einen Moment

5

dort, in einer andern Allee auftauchen saeh, zusaṈen

kaṉ

bebe ich leise und wußte selbst

weiss

mir’s anfangs nicht warum? erklären

warum sie mir mit einem Allmählig aber wird Male so sonderbar, so es mir klar: dieses 5

diese Frau ist fu mich

milde Verzeihen, von

verloren. fremd er-

selbst

dem sie nichts wußte

scheint. Allmälig erst

umhüllte sie

wird es mir klar:

wie ein Schleier, den

ich

10

Ich fühle, dass sie für mich sie selbst nicht fühlt; verloren ist, dass [?]sie ?mein?

10

war meinem Verlangen

?g?

aufgehört hat für mich

192

15

Handschriften

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HA1 90

85 ein Weib zu sein, das ich verlangen kaṉ, dass

und dann auf ein Mal

[?]

sie kein schönes begehrens

ist mir diese schöne Frau

werthe Weib für mich

mit einem Mal unheim゠ 5

dass sie

lich geworden. Und ich

ist und es nie wied

fühlte, so oft ich ihr begeg゠

für mich werden kaṉ. Sie ist keine schöne u begehrtens

nete nen würde, müßte

dass ein Etwas etwas

eine rasende Lust über

werthe Frau mehr für mich:

mich kommen, diesen Schlei゠ 10

er zu zerreißen

5

un [?]dass sie etwas sie ist mir unheimlich

unheimliches und wie ein Gespenst.

fremdes für mich

10

geworden ist[?]. Zuerst weiss ichnicht, nicht Zuerst begreif ich nicht recht,recht, was plötzlich zwischen uns gekoṈen . . . gekoṈen

mir und ihr ist, das uns als weṉ sie ein Gespe eine Gesp

so völlig von einander trennt: Plötzlich erkeṉ

195

15

HA1 91

Handschriften

ich es: dieses milde Vor unserem ersten

Verzeihen, von dem

Kusse hätte ich ihr alles

sie selbst nichts weiss,

sagen müßen; sonst

umhüllt sie, wie ein 5

wäre ich immer meinen

Schleier, den sie selbst

Schauer nicht los gewor゠

nicht fühlt, den aber

den.

Aber

ich imer sehe . und eEs

Und darum bin ich

gespenstisches

gleitet etwas um sie

abgereist.

wie ein Schleier, den

Verzeihen um sie von? seit so langer Zeit welches?

und 10

5

das

sie selbst nicht fühlt, den

welchem sie umhüllt, wird

10

nur

ich aber iṈer sehen muss

und von dem sie nichts

und den ich nicht vor dem

weiss; dieses Schicksal,

ich nicht zerreissen

das sie erlebt, hat,

ich denr mich schauern ?

ohne es zu ahnen. –

dort?

macht . . . Es ist dieses[?] milde Sie kann den wird nie erfa und dessen das

196

15

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197

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Handschriften

198

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vor ihr

mich schauern machent,. der es kennt Es Weṉ ich noch einmal mit ihr würde es mich drängen

zusaṈenträfe, müßte ich, 5

um meinen Schauer los zu werden, das Geheimnis, zerreißen ...

Und

Sie weiss nicht, dass ich ?

er?

mit diese dem Blick, der 10

jetzt auf ihr ruht und den sie von drüben so lächelnd erwidert, auf iṈer

erkeṉ

Abschied von ihr nehme – kaṉ

15

aber ich fühl es mit ein

aber ich könnte ihr nicht

Mal, dass ich ihr nie wied

wieder begegnen; ?deṉ??keinst?

begegnen darf . .

mich schauernt unter vor

199

HA1 93

Handschriften

diesem mildem Verzeihen, schweigend

das sie umhüllt, ohne dass sie es weiss, vor diesem Schicksal, das sie iṈer 5

sie erlebt, imerfort ohne es zu ahnen. –

(?daru? ?fah? ich weg … deṉ

[A 149,3]

200

Handschriften

HA1 93

201

[Selbstkritik]

Handschriften

202

Handschriften

[Selbstkritik]

Nachdem ichs M. vorgelesen. – 30/10 95.

Mislungen. – Schlecht componirt. – Falsche Perspektive. Die Idee, welche transparent sein sollte, ist am Schluss erst da, wie ein vbengalisches Zündholz, 5

das man verspätet anzündet. – Das Erlebnis des jungen Burschen ist als etwas lustiges gegeben, aber der Humor ist fadenscheinig und vermag nichts zu bedeuten . – Der Anfang ist von besondrer Langweilig keit, der Schluss, ist in einem insbesondre das Gespräch

10

zwischen ihm und ihr ist trocken.

[A 149,3]

1

4

M.: Marie Reinhard (1871–1899), Schnitzlers Partnerin von 1894 bis zu ihrem Tod. bengalisches Zündholz: ein meist größeres Streichholz, mit besonders heller, relativ lange brennender bunter Flamme, das als pyrotechnisches Spielzeug, aber auch als Lichtquelle benutzt werden kann.

203

HA2 1

Handschriften

Heute früh erst bin ich hier angekommen und will gleich wieder fort. Mir ist, als wäre mir etwas unheimliches begeg゠

5

net. Dass ich Frau Friederike noch einmal sehen würde, hab’ ich nicht geahnt. In die kleine Stadt, die ihre Hei゠ mat ist, konnte mich kaum ein Zufall bringen; – und nun tritt sie mir hier entgegen

[149,3]

204

10

Handschriften

HA2 1

205

HA2 2

Handschriften

206

Handschriften

HA2 2

– das erste Mal seit der seltsamen Stunde, die sieben Jahre hinter mir liegt. Ich

N. Zeile.

habe sie im Curgarten ge゠ 5

sehen, mittags, während die Musik spielte, unter vie゠ len Spaziergängern, und ha゠ be sie gleich wieder erkannt, hat

so wenig hatte sie sich ver゠ 10

ändert. Sie führte einen kleinen Jungen von vier

15

sie

Aber während die beiden w Gewuhle der Leute langsam für mich verschwand, flog in mir in mir

die Erinnrg ?jener?ferner Tage auf,

5

besondre und ein paar seltsame ferne

oder fünf Jahren an der Hand,

Stun und Tage und ?d?Dinge zeigten

ging an mir vorüber und

sich wieder . ferne Tage

sah mich nicht. Ich war froh

erschienen mir ferne

darüber; denn ich zitterte

Tage in mir auf.

1

N. Zeile: Abkürzung für „Neue Zeile“.

207

10

HA2 3

Handschriften

2

5

ihr erster Anblick

zuckte so heftig zusaṈen

hatte mich

beim erstenr Anblick, als

war ich so heftig bewegt, als

wäre das damals ein sehr

müßte ich mich an ein sehr

bedeutendes Erlebnis ge゠

riefe sie mir die Erinnerung

wesen. erinnere

ihr

eines sehr bedeutenden Erlebnisses

5

Und während sie

zurück.

mit dem Knaben weiter ging und, auf eine Zeit

Aber in mir filog mit einem

unter den anderen Leuten

Male die Erinnerg ferner Tage

in entelegenenrn Alleen ver゠

10

die Frieder

10

auf, und während sie wiedermit dem

schwand, und die Musik

mit dem kleinen Knab

mit dem Knaben unter den andr

im Kiosk fort spielte, flog

Leuten verschwand, dachte ich

alles hastig in mir auf; –

[?] ain der Allee unter de andren

Tage, Tage und Dinge von

Leuten versch für mich verschwaunden 15

war im Gewühl der ?g?Leute [?]

für mich verschwand, taucheten

die vergan

13

208

Kiosk: s. Kommentar, D 12.

15

Handschriften

HA2 3

209

HA2 4

Handschriften

210

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HA2 4

Plötzlich sah ich sieUnd ich sah wieder,

früher.

Die kleine Stadt mein

zeigte sich, in der ich je゠ ein ganzes Jahr, das letzte mein Gymnasi nes letztes Gymnasialjahr 5

verbracht hatte, mit ihren ich sah

stillen weißen Straßen; das freundliche Haus, in dem und

ich gewohnt, das Gärtchen mit d+emn grün lackirten 10

Sesseln und Tischen; – und

über all dem lag sah

?mude?

einen Stück blassblauen Him゠ liegen

mels, als wenn das gera゠ de nur zu diesem Winkel hätte

Erde gehörte hätte;. – uUnd 15

auch die Menschen erschie゠

211

HA2 5

Handschriften

3.

Es waren gleichmäßige lächelnde Tage, Ich An all das dachte ich zurück wie All

etwas Ich hatte es in der Erinnrg nicht Stu

wie ein Leben sondern wie ein stilles Bild, 5

so still und so ruhig hing es

nen mir wieder,: meine Lehrer, meine Kameraden; und der Professor, bei dem ich gewohnt, graubärtig

5

von em Ansehn.

, mit schlichtem grauen Haar und mild , und seine Frau : –

Friederike. Und wie an et゠ was sehr fernes und rüh゠ ich

rendes erinnerte ich mich an das gemächliche Studiren

an jene gleichmäßigen, lä゠

Nachmitta im geräumig ZiṈer,

chelnden Tage mit derm flei゠ ßigen Arbeiten in meinem ge゠

an den

mit der Aussicht ins freieden

10

10

Garten .

räumigen Zimmer, mit den

mein Studiren

Spaziergängen auf die Landstraße hinaus gegen

4

212

15

Professor: s. Kommentar, D 176.

Handschriften

HA2 5

213

HA2 6

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214

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HA2 6

das nächste Dorf, mit den heiteren Gesprächen zwischen n

meinem Wirthen und mir über Studium und Zukunfts゠ 5

pläne und Heimat und El゠ tern. Dann mußte ich an den Sommermorgen am Tage nach der Prüfung denken; – wire ich zur Abreise rü゠

10

stete, und über alles so froh war, was nun kommen sollte: Ferien, Universität, und das freie, große Leben.– Aber all das zog

215

HA2 7

Handschriften

4

an mir vorbei wie etwas blasses und verträumtes;

?an?

eine Stunde aber glühte heftig

in mir so lebhaft in mirmeiner

lebhaft in meiner Erinne゠

auf, als lebte ich Erinne

wieder ganz nahe schien,–

von neuem wie etwas gegenwärtig durchlebte. – Alles um mich herum

die Stunde vor meiner Ab゠ die durchlebte ich aufs neue

reise . Da saß ich allein

wie

Ich sass allein auf dem kahlgeraumt Zimmer,; die Koffer waren auf

auf meinem kahlgeräumten

10

Zimmer und wunderte mich,

die Bahn geschafft, verschwand 10

5

rung auf, dass sie mir

Gedachtnis auf, dass ich sie 5

nur eine Stunde glühte so

dass ich die beiden Menschen,

Ich sass das war die Stunde vor mein Abreise

mit denen ich ein volles Jahr

Und ich sass wieder auf meinem

gelebt und die ich liebge゠

kahlgeräumten Zimmer,

wonnen hatte, so unbeküm゠

Und wieder wie damals sass ich auf meinem kahlgeraum ZiṈer

216

15

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HA2 7

217

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HA2 8

(selbe Zeile)

mert verlassen konnte. Denn Jjetzt erst, nach

letztenm Händedrüuckene und Dank, kam leicht und eher 5

schmeichelnd deie Wehmut des Abschieds über mich. Noch einmal ließ ich mei゠ ne Blicke durch das gan゠ ze Zimmer schweifen,

10

noch einmal und lang schau゠ te ich durch das offene Fen゠ ster in’s Freie hinaus, über das zarte Laub des Gärt゠ chens zu den weißen Wol゠

219

HA2 9

Handschriften

5.

ken, die regungslos am Himmel standen. Jetzt erst dachte ich und verstand es zu gleich: Hieher kommst du Neue Zeile

5

wohl nie wieder. Da öffne゠ te sich die Thür. Die junge Frau trat herein. Ich stand rasch auf, ein wenig er゠ trat näher, und

schrocken. Sie lehnte sich

10

an den Tisch, stützte beide Hände nach rückwärts auf dessen Kante und sah mich ernst an. Ganz leise sagte sie: Also heute. – Ich nickte nur und fühlte

5 12

220

Hieher: veraltet für „hierher“. rückwärts: s. Kommentar, D 267.

15

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HA2 9

221

HA2 10

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222

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HA2 10

mit einem Mal

plötzlich sehr tief, wie es

traurig das eigentlich war., dass ich auf immer fort sollte. Sie schaute eine Weile zu Boden und schwieg. Dann 5

erhob sie den Kopf und kam

trat näher auf mich zu. Sie legte beide Hände ganz leicht auf meine Haare und ließ sie langsam über meine 10

Wangen heruntergleiten. Dabei sah sie mich mit ei゠ ruhte ihr Blick sehr und

ner Innigkeit an, die

innig auf mir; sie

ich nicht an ihr kannte und schüttelte den Kopf mit 15

einem schmerzlichen Aus゠

223

HA2 11

Handschriften

6. irgend

druck, als könnte sie et゠ was nicht fassen. In mir regte sich ein Gefühl des Glücks darüber, dass sie so

5

ergriffen war. Mit einem Mal spürte ich ihre Lippen auf den meinen, heiß und feucht, mit beiden Armen ang

umschloss sie mich und, als

10

wenn sie mich niederge゠ drückt hätte, sank ich in die Ecke des Divans; sie aber, noch immer die Arme um meinen Hals geschlungen,

6 13

einem: Textverlust am Blattrand. Divans: s. Kommentar, D 289.

224

15

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HA2 11

225

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226

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HA2 12

lag vor mir auf den und zog

Knieen, so dass sie meine Lippen wieder anzu dieen ihren herab. herabzog. Mir wollten die 5

Sinne vergehen; – ich ver゠ stand mit einem Mal, dass diese schöne junge Frau mich liebte und dass ich sie ganz gewiss immer ge゠

10

liebt hatte, ohne es zu ah゠ nen. Sie küsste mich wie゠ der als wenn sie mich er゠ sticken wollte. Um den Athem nicht zu verlieren,

15

mußte ich mich eine Weile

227

seit dem

vom ersten Tage an

HA2 13

Handschriften

7.

zurücklehnen und schaute Sie

zur Decke. Da nahm sie meine beiden Hände und vergrub ihr Gesicht darin.

5

Der Duft von ihren Haaren stieg zu mir auf – ich war berauscht. Ich flüsterte ihren Namen, ich staunte, wie wun゠ derschön er war.– In die゠

10

sem Augenblick – ich glaub゠ te starr vor Schreck zu wer゠ den, öffnete sich die [?]leise die Thür, die nur angelehnt war – und Friederikens Mann

228

15

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HA2 13

229

HA2 14

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230

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HA2 14

steht da. Ich will aufschrei゠ en – aber ich bringe keinen Laut hervor. Ich starre ihm in’s Gesicht – ich kann nicht 5

merken, ob sich in seinem Ausdrucke irgendwas ver゠ ändert – denn mit einer fast unbegreiflichen Ge゠ schwindigkeit ist er wieder

10

verschwunden und die Thür geschlossen. Ich will mich er゠ heben, meine Hände befreien, auf denen noch immer Friede゠ rikens Antlitz ruht, will

231

HA2 15

Handschriften

8

sprechen – ßo stoße eben mühselig wieder ihren Na゠ men hervor – da springt sie selbst mit einem Mal

5

auf, todtenbleich, flüstert mir gebieterisch zu: Schweig, und steht eine Sekunde regungslos da, das Gesicht andt

der Thür zugewendet, als

10

müßte sie lauschen. Dann öffnet sie die Thür und blickt durch die Spalte hinaus. Ich stehe athemlos. Dann öff゠ net sie ganz, nimmt mich bei der Hand und flüstert:

232

15

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HA2 15

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234

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HA2 16

Geh . . . . geh . . . . rasch – Sie schiebt mich hinaus, ich schlü=eiche kurzen

pfe rasch über den Gang bis zur Stiege, da war ich 5

wende ich mich noch einmal nach ihr . ist

um,. sSie steht an der Thür stehen geblieben und deutet mir nochmals, mit einer unsäglichen Angst in den Mienen – rasch 10

zu fliehen.– Und ich stürze davon . . . . . Das alles sah ich so lebhaft vor mir, dass die

Was diesem Augenblick folgte, er

Und zugleich ?fan?wacht ich wied ?mich?

und, wie erwache ind Park

von der Empfindung des

mitt unt d Menschengedr . von d Klange d Mus ?ein? – ?

daṉ? ?wird?mit dies Augenbli des Davonstürz vielleicht

die Erin wied

3 9

Gang: s. Kommentar, D 308. in den Mienen: s. Kommentar, D 309.

235

5

HA2 17

Handschriften

9.

gegenwärtigenn auf einige Augenblicke verloren

ganz versunken war und nun

ich mich plötzlich wie erwacht

5

mitten im

erwachend in dem Park unter dem Menschengetriebe und von den Klängen der Musik umrauscht fand. Undeutlich und auch

10

an

wieder nur wie aus verwirrtene Träumen erinnerte ich mich an die Stunden und Tage, die jenem Abschied gefolgt waren; – wie durch die schwülen Straß

en

ich zum Bahnhof geeilt,

236

15

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HA2 17

237

HA2 18

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238

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HA2 18

wie gequält ich die Nacht im Coupé mich hin und herge;wälzt; wie ich noch die nächsten Wochen zu Hause in stiller steter 5

Unruhe verbracht und in heftiger Erregung Nachrichten aus der kleinen Stadt er゠

Anfangs . .

wartet. Aber als ich von dort

Ich malt mir Trag . .

nichts zu hören bekam, beru=, hatte beruhigt 10

higte ich mich allmählig und gelangte zur Überzeugung,

tröstete mich

dass sich zwischen den Ehe゠ leuten alles im Stillen ab゠ Aber ich ?hörte wieder?

gespielt, dass sie bereut 15

und dass er verziehen

2 10

Coupé: s. Kommentar, D 314. allmählig: auch „allmälig“: veraltet für „allmählich“.

239

5

HA2 19

Handschriften

10. hatte. Erst später, als ich in neuen Erlebnissen jenes knabenhafte Abenteuer bes゠ ser verstehen lernte, kam

5

zuweilen eine seltsame Sehnsucht nach jener Frau über mich, – wie der Schmerz dass

darüb über, eine wunderbare Verheißung, die sich nicht er゠

10

füllt hatte. (Selbe Zeile)

geschehen

So war es gekoṈen, dass ich sie nicht völlig ver゠

,.

gessen konnte . Und nun, da ich sie wieder erblickt hatte, schien es mir bei゠

240

15

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HA2 19

241

HA2 20

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242

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HA2 20

nahe, als wäre sie nur zu mir, für mich hieher゠ gekommen, als böte sich von neuem

ein Glück noch einmal mir 5

an, das ich einmal ver゠ einmal

Ich war beinah glück – ich

säumt hatte.

erwartete sie mit ?Fröh? –

war

Ich blieb auf mei゠

deṉ die Eriṉe hatt mich wie

Platz geblieben da r

ne m Bank sitzen, bis ich dachte, Friederike würde

müßte

wußte, dass sie noch ein゠ 10

mal an mir vorbeikommen.

Und in der That

bald

würde. Bald sah ich sie mit dem kleinen Jungen am Ende der Allee wieder erschei゠ nen und langsam unter 15

allen denr anderen Men゠

im Zuge Spaziergänger

243

5

HA2 21

Handschriften

11

schen sich mir nähern. Ich gehabt

hatte Zeit, unbefangen zu werden, und in dem Augen゠ eben

blicke, als sie neben mir wieder an meiner Bank vorbei wollte

[?] war, erhob ich mich und

5

zog

zog grüßendte den Hut. Sie schaute mir er゠ staunt in’s Gesicht. Sind Sie es wirklich? fragte sie.

dann, freudig überrascht.

10

Ich habe Sie gleich er゠ kannt, sagte ich und reichte

N.Z.

ihr die Hand. Sie haben sich eigentlich auch gar nicht verändert, entgegnete sie.

4

N.Z.: Abkürzung für „Neue Zeile“.

244

15

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HA2 21

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246

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HA2 22

Ich lächelte . . . . Sie゠ ben Jahre! sagte ich – Sie nickte. Sieben Jahre . . . . ?A?In ihren Blicken 5

leuchtete die Erinnerung auf. Wir schwiegen bei゠ de. Sie war sehr schoön. Plötz゠ lich kam ein Lächeln über

10

ihr Antlitz, sie wandte sich zu dem kleinen Knaben und sagte zu ihm. Gib dem Herrn die Hand . . . . . – Der Klei゠ ne reichte sie mir, schaute

15

mich aber dabei nicht an.

247

HA2 23

Handschriften

12.

Das ist mein Sohn, sagte sie.; . . . . und gleich setz゠ te sie hinzu. Es ist doch schön, dass man einander wieder

5

begegnet im Leben, – ich hab’s nicht gedacht., dass

je

ich Sie wieder sehen würde.–,

Wie ist es Ihnen denn

(Wir schwiegen – ich wollte sie nich gleich fragen:

immer gegangen, gnä゠ dige Frau, fragte ich.

10

Oh, recht gut . . . . Und Selbe Zeile

Ihnen? . . . Oh Gott, was werden mir

5

Sie nun alles erzählen müssen fuhr Sie sind natürlich schon längst Doctor, nicht wahr? Wissen Sie . . . . setzte ich weiss ja gar nicht was ich irgend eine sie beifort, ohne meine Ant゠ Sie zuerst fragen soll.

Sie sprach hastig

248

15

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HA2 23

249

HA2 24

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250

Handschriften

HA2 24

wort abzuwarten – das

Ich verstan sie nicht

war gar nicht lieb von Ih-

– wie koṈt es, das

nen, so gar nichts mehr von

sie nicht –

sich hören zu lassen . . . . blickte 5

Ich schaute sie über゠ ascht an. Nun ja . . . . . man hat .

Ihnen doch nichts böses gethan ?! – schaute

Sie blickte vor sich hin . . . . 10

Haben Sie wirklich erwartet . . . . . dass ich . . . . Am liebsten haätte ich sie gleich um alles gefragt, aber ich fand die rechten Worte nicht

15

gleich. [?]

251

HA2 25

Handschriften

13.

Gewiss hab’ ich erwar゠ tet . . . . . Und warum haben Sie’s denn nicht gethan? – Ja wie konnte ich

5

denn . . . . Ich hatte ja keine Ahnung, ich wußte nicht . . . . Sie unterbrach mich;: Oh Gott, ich bin ja so froh, dass ich Sie wiedersehe! –

10

Das erste Mal seit so vie゠ len Jahren komme ich aus meinem Winkel in die Welt hinaus – und gleich begegne ich [?]– Ihnen – ist das nicht wie eine gute

8

Bleistiftstrich wohl nicht als Streichung zu verstehen.

252

15

Handschriften

HA2 25

253

HA2 26

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254

Handschriften

HA2 26

Vorbedeutung? – wurde ich

konnte

Nun Ich war ungeduldig.

Ich verstand es nicht verstehen,

. . . . Und damals, gnädige

dass sie von dem, was mir das

fragte ich

wichtigste schien, nicht selbst zu

Frau – damals. . . Wwollen Sie 5

sprechen anfing.

mir nicht erzählen, was noch

. . nachher

geschehen ist.

5

Sie sah mich mit lachen゠ den Augen an. Wie bin ich damals 10

noch oft

erschrocken! sagte sie. Sie

Ich hab oft in . . den Jahren

müßen mich ja für ganz ver゠

drüber nachgedacht, was

rückt gehalten haben; nicht

Sie ?nac?wohl von mir denken

wahr? – Aber was ist in

mochten. – Nicht sich damals

diesen paar Sekunden nicht

so eigentlich wohl vorgestellt

Es ist mir noch oft eingefallen, was

haben mögen, wie ich mich

wie

15

Sie sich so über mich eigentlich haben

255

10

HA2 27

Handschriften

dass es

von mir war.

14.

denken müssen . . Laune, nicht wahr? . . Plötzliche Gewissensbisqualen.?

5

Aber nein, es war nicht das.

alles durch meinen Kopf ge゠

Ich will mich nicht besser machen

fahren. Ich will mich nicht

als ich bin

besser machen als ich bin . . . . nein. – An dem Tag, [?]wo Sie

5

. . . uns

auf immer von mir fort sollten, hab ich wirklich plötzlich geglaubt, ich könnt’ es kann’s nicht ertragen. – Sie haben’s ja nicht ver゠

10

standen. Ich weiß. Oh ja . . . . . aber sagen Sie mir doch, was ist ei゠ gentlich . . . . geschehen – ?

. . nachher .

Wie, haben Sie’s

Also hören Sie, warum ich Sie

so plötzlich . . gebeten habe, zu gehn . . denn nicht bemerkt, wie nein

10

Es war nicht das Gewissen – eEs plotzlicher

war ein Schreck, Sieine unglaubliche Angst – Sie müssen mir’s

256

15

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HA2 27

257

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Handschriften

258

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HA2 28

?Wie?

Und als ich sSie so plötzlich wegfort-

5

ja angesehen haben . .

schickte, war es nicht das Gewissen

furchtbar ich erschrocken

das sich regte – oh nein. Es war

bin? Mir war nämlich,

eine plötzlichenS[???]Angst, die mich über-

denken Sie, als wenn ich

fiel, – und ?ei? Es hatten mich

Schritte auf den Corridors

nur plötzlich eine Angst überfallen –

gehört hätte.

den mir war,

Ihnen war . . . . als wenn

und in meiner Aufregung war

mir,

Sie . . . . Ja . . . . denken Sie. Und 10

ich glaubte natürlich, er wäre es . . . . Nun . . . .nunund . . . . ? Es war nichts. Ich hatte mich getäuscht. Niemand

15

war auf dem Gang gewe゠ sen. Erst eine Stunde, nach゠

5

Corridors: Korridor: Wohnungsflur.

259

5

HA2 29

Handschriften

15.

dem Sie schon fort waren, . . . . man

ist er nach Hause gekommen. Eine Stunde nachher? Ja, oder noch später.

5

Sie sind schon längst auf und davon gewesen . . . . . . Sie sah mich mit einem Lä゠ cheln an, das beinahe zärt゠ lich war. Ich aber konnte we゠

10

der mit Worten noch mit Mienen entgegnen. Einen Augenblick lang war ich nahe daran gewesen, ihr alles zu sagen; – erEs war zu sagen . Er war es wirk゠ mir schon auf den Lippen damals

gelegen:: Sie haben sich nicht getäuscht – es wa

3

es wa: Beschädigter Teil umgeknickt (siehe Folgeseite).

260

15

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HA2 30

lich . . . . es war Ihr Mann –, Friederike aber noch im selben Augen゠ blicke hatte ich gefühlt,

wurde mir das ganze klar, –

wie unsinnig das wäre, 5

und ich schwieg. ,

Was haben Sie denn ? .

fragte sie ? Nichts, erwiderte ich . . . . Ich bin so froh, Sie wie゠ 10

derzusehen . . . . . Aber ich war es nicht; ich fühlte wohl, dass ich’s mit einem Mal nicht mehr war.

15

Sie schüttelte lächelnd

263

HA2 31

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16.

den Kopf; ich merkte, dass sie den Ton meiner Worte nicht recht begriff. Sie reichte mir die Hand. Ich

5

muß jetzt mit dem Kleinen zu Tisch . . . . Heut Abend wollen wir weiterplaudern, ja? Sie kommen doch wie゠ der zur Musik hieher?

10

Ich nickte. Die Freude hat Sie ganz stumm gemacht, fuhr sie fort. Also auf Wieder゠ sehen heute Abend . . . . . Komm’, sagte sie zu dem

264

15

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Kleinen . . . . damit nahm sie ihn bei der Hand, ent゠ fernte sich mit ihm durch die Allee und verschwand sie nachdem sie mirsich noch ein5

bald unter den anderen

mal nach mir umgewandt,

Spaziergängern. Ich aber blieb stehen wie gebannt: Also sie weiß es gar nicht, dachte ich. Sie hat es nie ge゠ 10

wusst! Er hat es ihr nie ge゠ sagt, dass er gesie gese゠ hen, wie sie zu meinen Füßen gelegen ist – er hat sich damals von der Thür

267

HA2 33

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17.

wieder davongeschlichen und ist erst nach einer Stunde zurückgekommen und hat ihrs nichts gesagt!

5

Und er hat die ganzen Jah゠ re an ihrer Seite weiter゠ gelebt, ohne sich mit einem Worte zu verrathen – er hat ihr verziehen und sie

10

hat es nicht gewusst! I

Und wie ich sie jetzt

dort, in einer anderen Allee auftauchen sah, bebte ich zu゠ sammen und fühlte, dass

268

15

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HA2 34

sie mit einem Mal auf゠ hatte

gehört hat, für mich ein Weib zu sein, das ich verlan゠ nach dem ich mich sehne, ge und dass sie es nie 5

mehr werden kann. Ich verstand es ja anfangs ;

selbst nicht recht . eEtwas ge゠ spenstisches schien mir plötz゠ lich um sie zu gleiten – 10

wie ein Schleier, den sie nicht fühlte, den ich aber immer und immer sehen müßte

hat

mußte. Und sie ahnte es

[?]

geahnt

nicht, dass ich mit meinem 15

Blicke, der eben auf ihr

271

diesem

HA2 35

Handschriften

18

ge ruhte, und den sie von drü゠ ben so verheißend erwiderte, auf immer Abschied von ihr nahm – aber ich habe

5

es in diesem Augenblicke tief erkannt, dass ich ihr ;.

nie wieder begegnen darf ; – mich m

,

Mich schaudert vor ihr .

denn mMich schaudert vor

10

diesem milden Verzeihen, das sie schweigend umhüllt, ohne dass sie es weiß; – vor diesem stummen Schicksal, das sie seit vie゠ [A 149,3]

len Jahren erlebt, ohne es zu ahnen.

272

15

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HA2 35

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2. Drucktext

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1

xzDie Frau des Weisen.

2

Erzählung von Arthur Schnitzler. zHier werde ich lange bleiben. Ueber diesem Orte zwischen Meer und Wald liegt eine schwermüthige Langeweile, die mir wohlthut. Alles ist still und unbewegt. Nur die weißen Wolken treiben langsam; aber der Wind streicht so hoch über Wellen und Wipfel hin, dass das Meer und die Bäume nicht rauschen. Hier ist tiefe Einsamkeit, denn man fühlt sie immer; auch wenn man unter den vielen Leuten ist, im Hotel, auf der Promenade. Die Curkapelle spielt meist melancholische schwedische und dänische Lieder, aber auch ihre lustigen Stücke klingen müd und gedämp. Wenn die Musikanten fertig sind, steigen sie schweigend über die Stufen aus dem Kiosk herab und verschwinden mit ihren Instrumenten langsam und traurig in den Alleen. Dies schreibe ich auf ein Blatt, während ich mich in einem Boote längs des Ufers hinrudern lasse. zDas Ufer ist mild und grün. Einfache Landhäuser mit Gärten; in den Gärten gleich am Wasser Bänke; hinter den Häusern die schmale, weiße Straße, jenseits der Straße der Wald. Der dehnt sich ins Land, weit, leicht ansteigend, und dort, wo er auört, steht die Sonne. Auf der schmalen und langgestreckten gelben Insel drüben liegt ihr Abendglanz. Der Ruderer sagt, man kann in zwei Stunden dort sein. Ich möchte wohl einmal hin. Aber hier ist man seltsam festgehalten; immer bin ich im nächsten Umkreis des kleinen Orts; am liebsten gleich am Ufer oder auf meiner Terrasse.

3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24

Ich liege unter den Buchen. Der schwere Nachmittag drückt die Zweige nieder; ab und zu hör’ ich nahe Schritte von Menschen, die über den Waldweg kommen; aber ich kann sie nicht sehen, denn ich rühre mich nicht, und meine Augen tauchen in die Höhe. Ich höre auch das helle Lachen von Kindern, aber die große Stille um mich trinkt alles Geräusch rasch auf, und ist es zkaum eine Secunde lang verklungen, xso scheint es längst vorbei. Wenn ich die Augen schließe und gleich wieder öffne, so erwache ich wie aus einer langen Nacht. So entgleite ich mir selbst und verschwebe wie ein Stück Natur in die große Ruhe um mich.

25 26 27 28 29 30 31 32 33

1 2 4 10 15

Die Frau des Weisen.] DIE FRAU DES WEISEN GW D i e F r a u d e s We i s e n DdW Erzählung von Arthur Schnitzler.] fehlt EA GW DdW schwermüthige] schwermütige EA müd] müd’ DdW hinrudern] hin rudern GW

277

ED 15,2 – EA [1]

EA [3]

EA 4

EA 5 ED 16,1

Drucktext

Mit der schönen Ruhe ist es aus. Nicht im Ruderboot und nicht unter den Buchen wird sie wiederkommen. Alles scheint mit einem゠ male verändert. Die Melodien der Kapelle klingen sehr heiß und lustig; die Leute, die an einem vorbeigehen, reden viel; die Kinder lachen und schreien. Sogar das liebe Meer, das so schweigend schien, schlägt nachts lärmend an das Ufer. Das Leben ist wieder laut für mich geworden. Nie war ich so leicht vom Hause abgereist; ich hatte nichts Unvollendetes zurückgelassen. Ich hatte mein Doctorat gemacht; eine künstlerische Illusion, die mich eine Jugend hindurch begleitet, hatte ich endgiltig begraben, und Fräulein Jenny war die Gattin eines Uhrmachers geworden. So hatte ich das seltene zGlück gehabt, eine Reise anzutreten, ohne eine Geliebte zuhause zu lassen und ohne eine Illusion mitzunehmen. In der Empfindung eines abgeschlossenen Lebensabschnittes hatte ich mich sicher und wohl gefühlt. Und nun ist alles wieder aus; — denn Frau Friederike ist da.

34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48

Spät abends auf meiner Terrasse; ich hab’ ein Licht auf meinen Tisch gestellt und schreibe. Es ist die Zeit, über alles ins Klare zu kommen. Ich zeichne mir das Gespräch auf, das erste mit ihr nach sieben Jahren, das erste nach jener Stunde. . . . . Es war am Strand, um die Mittagszeit. Ich saß auf einer Bank. Zuweilen giengen Leute an mir vorüber. Eine Frau mit einem kleinen Jungen stand auf der Landungsbrücke, zu weit, als dass ich die Gesichtszüge hätte ausnehmen können. Sie war mir übrigens durchaus nicht aufgefallen; ich wusste nur, dass sie schon lange dort gestanden war, als sie endlich die Brücke verließ und mir immer näher kam. Sie führte den Knaben an der Hand. Nun sah ich, dass sie jung und schlank war. Das Gesicht zkam mir bekannt vor. Sie war noch zehn Schritte von mir; da erhob ich mich rasch und gieng ihr ent゠ gegen. Sie hatte gelächelt, und ich wusste, wer sie war. „Ja, ich bin es,“ sagte sie und reichte mir die Hand. „Ich habe Sie gleich erkannt,“ sagte ich. „Ich hoffe, das ist nicht zu schwer gewesen,“ erwiderte sie. „Und Sie haben sich eigentlich auch gar nicht verändert.“ „Sieben Jahre“ . . . . . sagte ich. Sie nickte. „Sieben Jahre.“ . . . . . Wir schwiegen beide. Sie war sehr schön. Jetzt glitt ein Lächeln über ihr Gesicht, sie wandte sich zu dem Jungen, den sie noch

49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70

35f. 50 52 58 67 68

einemmale] einem Male GW DdW Klare] klare DdW Stunde. . . . .] Stunde . . . . EA Stunde . . . GW DdW gestanden war] gestanden hatte DdW Jahre“ . . . . .] Jahre . . .“ GW DdW Jahre.“ . . . . .] Jahre . . .“ GW DdW

278

EA 6

EA 7

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immer an der Hand hielt und sagte zu ihm: „Gib dem Herrn die Hand.“ Der Kleine reichte sie mir, schaute mich aber dabei nicht an. „Das ist mein Sohn,“ sagte sie. Es ist ein hübscher brauner Bub mit hellen Augen. „Es ist doch schön, dass man einander wieder begegnet im Leben,“ begann sie, „ich hätte nicht gedacht . . . .“ „Es ist auch sonderbar,“ sagte ich. z„Warum?“ fragte sie, indem sie mir lächelnd und das erstemal ganz voll in die Augen sah. „Es ist Sommer . . . . alle Leute reisen, nicht wahr?“ Jetzt lag mir die Frage nach ihrem Mann auf den Lippen; aber ich vermochte es nicht, sie auszusprechen. „Wie lang werden Sie hier bleiben?“ fragte ich. „Vierzehn Tage. Dann treffe ich mit meinem Manne in Kopen゠ hagen zusammen.“ Ich sah sie mit einem raschen Blick an; der ihre antwortete unbefangen: „Wundert Dich das vielleicht?“ Ich fühlte mich unsicher, unruhig beinahe. Wie etwas Unbegreif゠ liches erschien es mir plötzlich, dass man Dinge so völlig vergessen kann. Denn nun merkte ich erst: an jene Stunde vor sieben Jahren hatte ich seit lange so wenig gedacht, als wäre sie nie erlebt worden. „Sie werden mir aber viel erzählen müssen,“ begann sie aufs neue, „sehr, sehr viel. Gewiss sind Sie schon lange Doctor?“ „Nicht so lange — seit einem Monat.“ „Sie haben aber noch immer Ihr Kindergesicht,“ zsagte sie. „Ihr Schnurrbart sieht aus, als wenn er aufgeklebt wäre.“ Vom Hotel her, überlaut, tönte die Glocke, die zum Essen rief. „Adieu,“ sagte sie jetzt, als hätte sie nur darauf gewartet. „Können wir nicht zusammen gehen?“ fragte ich. „Ich speise mit dem Buben auf meinem Zimmer, ich bin nicht gern unter so vielen Menschen.“ „Wann sehen wir uns denn wieder?“ Sie wies lächelnd mit den Augen auf die kleine Strandprome゠ nade. „Hier muss man einander doch immer begegnen,“ sagte sie — und als sie merkte, dass ich von ihrer Antwort unangenehm berührt

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hielt] hielt, GW DdW sagte zu ihm] sagte EA GW DdW ist] war GW DdW gedacht . . . .] gedacht . . . GW DdW erstemal] erste Mal DdW Sommer . . . .] Sommer . . . GW DdW lang] lange EA GW DdW hier bleiben] hierbleiben DdW Dich] dich GW DdW uns denn] uns EA GW DdW

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war, setzte sie hinzu: „Besonders, wenn man Lust dazu hat. — Auf Wiedersehen.“ Sie reichte mir die Hand, und ohne sich noch einmal umzusehen, entfernte sie sich. Der kleine Junge blickte aber noch einmal nach mir zurück. Ich bin den ganzen Nachmittag und den ganzen Abend auf der Promenade hin゠ und hergegangen, und sie ist nicht gekommen. Am xEnde ist sie schon wieder fort? Ich düre eigentlich nicht darüber staunen. zEin Tag ist vergangen, ohne dass ich sie gesehen. Den ganzen Vormittag hat es geregnet, und außer mir war fast niemand auf der Promenade. Ein paarmal bin ich an dem Haus vorbei, in dem sie wohnt; ich weiß aber nicht, welche ihre Fenster sind. Nachmittags ließ der Regen nach, und ich machte einen langen Spaziergang auf der Straße längs des Meeres bis zum nächsten Orte. Es war trüb und schwül. Auf dem Wege habe ich an nichts anderes denken können als an jene ferne Zeit. Alles habe ich deutlich wieder vor mir gesehen. Das freundliche Haus, in dem ich gewohnt, und das Gärtchen mit den grünlackierten Stühlen und Tischen. Und die kleine Stadt mit ihren stillen weißen Straßen. Und die fernen, im Nebel verschwimmenden Hügel. Und über all’ dem lag ein Stück blassblauer Himmel, der so dazugehörte, als wenn er auf der ganzen Welt nur dort so blass und blau gewesen wäre. Auch die Menschen von damals sah ich alle wieder; meine Mitschüler, meine Lehrer, auch Friederikens Mann. Ich sah ihn anders, als er mir in jenem letzten Augenblick erschienen war; — ich sah ihn mit dem milden, etwas müden Ausdruck im Gesicht, wie er nach der Schule auf der zStraße an uns Knaben freundlich grüßend vorüberzuschreiten pflegte und wie er bei Tische zwischen Friederike und mir, meist schweigend, gesessen; ich sah ihn, wie ich ihn o von meinem Fenster aus erblickt hatte: im Garten vor dem grünlackierten Tisch, die Arbeiten von uns Schülern corrigierend. Und ich erinnerte mich, wie Friederike in den Garten gekommen, ihm den Nachmittagkaffee

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hin゠ und hergegangen] hin und her gegangen GW DdW Abschnittstrennung eingefügt EA GW DdW

wohnt;] wohnt, DdW welche] welches GW DdW Nachmittags] Nachmittag GW DdW jene ferne] jene EA GW DdW all’] all GW DdW dazugehörte] dazu gehörte DdW pflegte] pflegte, EA GW DdW gesessen] saß GW DdW gekommen] gekommen war GW DdW Nachmittagkaffee] Nachmittagskaffee EA GW DdW

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ED 16,2

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gebracht und dabei zu meinem Fenster hinaufgeschaut, lächelnd, mit einem Blicke, den ich damals nicht verstanden . . . bis zu jener letzten Stunde. — Jetzt weiß ich auch, dass ich mich o an all’ das erinnert habe. Aber nicht wie an etwas Lebendiges, sondern wie an ein Bild, das still und friedlich an einer Wand zuhause hängt.

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Wir sind heute am Strand nebeneinander gesessen und haben miteinander gesprochen wie Fremde. Der Bub spielte zu unseren Füßen mit Sand und Steinen. Es war nicht, als wenn irgendetwas auf uns lastete: wie Menschen, die einander nichts bedeuten und die der Zufall des Badelebens auf zkurze Zeit zusammengeführt, haben wir miteinander geplaudert; über das Wetter, über die Gegend, über die Leute, auch über Musik und über ein paar neue Bücher. Während ich neben ihr saß, empfand ich es nicht unangenehm; als sie aber auf゠ stand und fortgieng, war es mir mit einemmal unerträglich. Ich hätte ihr nachrufen mögen: Lass mir doch etwas da; aber sie hätte es nicht einmal verstanden. Und wenn ich’s überlege, was dure ich anderes erwarten? Dass sie mir bei unserer ersten Begegnung so freundlich entgegengekommen, war offenbar nur in der Ueberraschung begründet; vielleicht auch in dem frohen Gefühl, an einem fremden Orte einen alten Bekannten wiederzufinden. Nun aber hat sie Zeit gehabt, sich an alles zu erinnern wie ich; und was sie auf immer vergessen zu haben hoe, ist mächtig wieder aufgetaucht. Ich kann es ja gar nicht ermessen, was sie um meinetwillen hat erdulden müssen und was sie vielleicht heute noch leiden muss. Dass sie mit ihm zusammengeblieben ist, seh’ ich wohl; und dass sie sich wieder ver゠ söhnt haben, dafür ist der vierjährige Junge ein lebendiges Zeugnis; — aber man kann sich versöhnen, ohne zu verzeihen, und man kann ver゠ zeihen, zohne zu vergessen. — — Ich sollte fort; es wäre besser für uns beide. In einer seltsamen wehmüthigen Schönheit steigt jenes ganze Jahr vor mir auf, und ich durchlebe alles auf ’s neue. Einzelheiten fallen mir wieder ein. Ich erinnere mich an den Herbstmorgen, an

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hinaufgeschaut] hinaufgeschaut hatte GW DdW all’] all GW DdW irgendetwas] irgend etwas EA GW DdW bedeuten] bedeuten, EA GW DdW ich’s] ichs EA müssen] müssen, EA GW DdW heute noch] noch heute EA GW DdW fort;] fort, EA GW DdW seltsamen] seltsamen, EA GW DdW wehmüthigen] wehmütigen EA an den Herbstmorgen] des Herbstmorgens GW DdW

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dem ich, von meinem Vater begleitet, in der kleinen Stadt ankam, wo ich das letzte Gymnasialjahr zubringen sollte. Ich sehe das Schul゠ gebäude deutlich wieder vor mir, mitten in dem Park mit seinen hohen Bäumen. Ich erinnere mich an mein ruhiges Arbeiten in dem schönen geräumigen Zimmer; an die freundlichen Gespräche über meine Zukun, die ich bei Tisch mit dem Professor führte, und denen Frie゠ derike lächelnd lauschte; an die Spaziergänge mit Collegen auf die Landstraße hinaus bis zum nächsten Dorf; und alle Nichtigkeiten er゠ greifen mich so tief, als wenn sie meine ganze Jugend zu bedeuten hätten. Wahrscheinlich würden alle diese Tage im tiefen Schatten des Vergessens liegen, wenn nicht von jener letzten Stunde ein geheimnis゠ voller Glanz auf sie zurückfiele. Und das merkwürdigste ist: seit Frie゠ derike in meiner Nähe weilt, scheinen mir jene Tage sogar näher als die vom heurigen Mai, zin welchen ich das Fräulein liebte, das im Juni den Uhrmacher geheiratet hat. xAls ich heute frühmorgens an mein Fenster trat und auf die große Terrasse hinunterblickte, sah ich sie mit ihrem Buben an einem der Tische sitzen; sie waren die ersten Frühstücksgäste. Ihr Tisch war gerade unter meinem Fenster, und ich rief ihr einen guten Morgen zu. Sie schaute auf. „So früh schon wach?“ sagte sie. „Wollen Sie nicht zu uns kommen?“ In der nächsten Minute saß ich an ihrem Tisch. Es war ein wunderbarer Morgen, kühl und sonnig. Wir plauderten wieder über so gleichgiltige Dinge als das letztemal, und doch war alles anders. Hinter unseren Worten glühte die Erinnerung. Wir giengen in den Wald. Da fieng sie an, von sich zu sprechen und von ihrem Heim. „Bei uns ist alles noch gerade so wie damals,“ sagte sie, „nur unser Garten ist schöner geworden; mein Mann verwendet jetzt sehr viel Sorgfalt auf ihn, seit wir den Buben haben. Im nächsten Jahr bekommen wir sogar ein Glashaus.“ Sie plauderte weiter. „Seit zwei Jahren gibt es ein eater bei uns, den ganzen Winter bis zumzPalmsonntag wird gespielt. Ich gehe zwei゠, dreimal in der Woche hinein, meistens mit meiner Mutter, der macht es großes Vergnügen.“

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Zimmer;] Zimmer, EA GW DdW führte,] führte GW DdW meine ganze] meine GW DdW merkwürdigste] Merkwürdigste EA GW DdW in welchen] da GW DdW sie] Friederike GW DdW gerade] grade EA GW DdW als] wie DdW an,] an EA gerade so] geradeso GW DdW jetzt sehr] jetzt EA GW DdW bis zum] bis EA GW DdW

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ED 31,2 : (Fortsetzung.)

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„Ich auch eater!“ rief der Kleine, den Friederike an der Hand führte. „Freilich, du auch. Sonntag nachmittag,“ wandte sie sich er゠ klärend an mich, „spielen sie nämlich manchmal Stücke für die Kinder; da geh’ ich mit dem Buben hin. Aber ich amüsiere mich auch sehr gut dabei.“ Von mir musste ich ihr mancherlei erzählen. Nach meinem Be゠ ruf und anderen ernsten Dingen fragte sie wenig; sie wollte vielmehr wissen, wie ich meine freie Zeit verbrächte, und ließ sich gern über die geselligen Vergnügungen der großen Stadt berichten. Die ganze Unterhaltung floss heiter fort; mit keinem Wort wurde jene gemeinschaliche Erinnerung angedeutet — und doch war xsie ihr gewiss ununterbrochen so gegenwärtig wie mir. Stundenlang spazierten wir herum, und ich fühlte mich beinahe glücklich. Manchmal gieng der Kleine zwischen uns beiden, und da begegneten sich unsere Hände über seinen Locken. Aber wir thaten beide, als wenn zwir es nicht bemerkten, und redeten unbefangen weiter. Als ich wieder allein war, verflog mir die gute Stimmung bald. Denn plötzlich fühlte ich wieder, dass ich nichts von Friederike wusste. Es war mir unbegreiflich, dass mich diese Ungewissheit nicht während unseres ganzen Gespräches gequält hatte, und es kam mir sonderbar vor, dass Friederike selbst nicht das Bedürfnis gehabt, davon zu sprechen. Denn selbst wenn ich annehmen wollte, dass zwischen ihr und ihrem Manne seit Jahren jener Stunden nicht mehr gedacht worden war — sie selbst konnte sie doch nicht vergessen haben. Irgend etwas Ernstes musste damals meinem stummen Abschied ge゠ folgt sein — wie hat sie es vermocht, nicht davon zu reden? Hat sie vielleicht erwartet, dass ich selbst beginne? Was hat mich davon zurückgehalten? Dieselbe Scheu vielleicht, die ihr eine Frage verbot? Fürchten wir uns beide, daran zu rühren? — Das ist wohl möglich. Und doch muss es endlich geschehen; denn bis dahin bleibt etwas zwischen uns, was uns trennt. Und dass uns etwas trennt, peinigt mich mehr als alles andere.

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der Kleine] die Kleine DdW nachmittag,“] Nachmittag,“ EA nachmittag“, GW DdW geh’] gehe EA GW DdW bemerkten,] bemerkten EA redeten] redeten ganz GW DdW Gespräches] Gesprächs EA GW DdW gequält hatte,] gequält GW DdW gehabt] gehabt hatte GW DdW Stunden] Stunde EA GW DdW

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ED 32,1

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zNachmittag bin ich im Walde herumgeschlendert, dieselben Wege wie morgens mit ihr. Es war in mir eine Sehnsucht wie nach einer unendlich Geliebten. Am späten Abend gieng ich an ihrem Haus vor゠ bei, nachdem ich sie vergebens überall gesucht. Sie stand am Fenster. Ich rief hinauf, wie sie heute früh zu mir: „Kommen Sie nicht herunter?“ Sie sagte, kühl, wie mir vorkam: „Ich bin müd. Gute Nacht.“ — und schloss das Fenster. In der Erinnerung erscheint mir Friederike in zwei verschiedenen Gestalten. Meist seh’ ich sie als eine blasse, sane Frau, die, mit einem weißen Morgenkleid angethan, im Garten sitzt, wie eine Mutter zu mir ist und mir die Wangen streichelt. Hätte ich nur diese hier wiedergetroffen, so wäre meine Ruhe gewiss nicht gestört worden, und ich läge nachmittags unter den schattigen Buchen wie in den ersten Tagen meines Hierseins. Aber auch als eine völlig andere erscheint sie mir, wie ich sie doch nur einmal gesehen; und das war in der letzten Stunde, die ich in der kleinen Stadt verbrachte. Es war der Tag, an dem ich mein Abiturientenzeugnis be゠ kommen hatte. Wie alle Tage hatte ich zmit dem Professor und seiner Frau zu Mittag gespeist und, da ich nicht zur Bahn begleitet werden wollte, hatten wir einander gleich beim Aufstehen vom Tische Adieu gesagt. Ich empfand durchaus keine Rührung. Erst wie ich in meinem kahlgeräumten Zimmer auf dem Bette saß, den gepackten Koffer zu meinen Füßen, und zu dem weit offenen Fenster hinaus über das zarte Laub des Gärtchens zu den weißen Wolken sah, die regungslos über den Hügeln standen, kam leicht, beinahe schmeichelnd, die Wehmuth des Abschiedes über mich. Plötzlich öffnete sich die ür. Friederike trat herein. Ich erhob mich rasch. Sie trat näher, lehnte sich an den Tisch, stützte beide Hände nach rückwärts auf dessen Kante und sah mich ernst an. Ganz leise sagte sie: „Also heute?“ Ich nickte nur und fühlte das erstemal sehr tief, wie traurig es eigentlich war, dass ich von hier fort musste. Sie schaute eine Weile zu Boden und schwieg. Dann erhob sie den Kopf und kam näher auf mich zu. Sie legte beide Hände ganz leicht auf meine Haare, wie sie es ja schon früher o gethan, aber ich wusste in diesem Moment, dass es etwas anderes bedeutete als sonst. Dann ließ sie ihre Hände langsam über meine Wangen heruntergleiten, und zihr Blick ruhte mit unendlicher Innigkeit auf mir. Sie schüttelte den Kopf mit einem schmerzlichen Ausdruck,

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müd] müd’ EA DdW Nacht.] Nacht GW DdW worden,] worden EA GW DdW gespeist] gespeist, EA GW DdW Wehmuth] Wehmut EA

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als könnte sie irgend etwas nicht fassen. „Musst du denn schon heute weg?“ fragte sie leise. — „Ja,“ sagte ich. — „Auf immer?“ rief sie aus. — „Nein,“ antwortete ich. — „Oh, ja,“ sagte sie mit schmerz゠ lichem Zucken der Lippen, „es ist auf immer. Wenn du uns auch ein゠ mal besuchen wirst . . . in zwei oder drei Jahren — heute gehst du doch für immer von uns fort.“ — Sie sagte das mit einer Zärtlich゠ keit, die gar nichts Mütterliches mehr hatte. Mich durchschauerte es. Und plötzlich küsste sie mich. Zuerst dachte ich mir: das hat sie ja nie gethan. Aber als ihre Lippen sich von den meinen gar nicht lösen wollten, verstand ich, was dieser Kuss zu bedeuten hatte. Ich war verwirrt und glücklich; ich hätte weinen mögen. Sie hatte die Arme um meinen Hals geschlungen, ich sank, als wenn sie mich hingedrängt hätte, in die Ecke des Divans; Friederike lag mir zu Füßen auf den Knien und zog meinen Mund zu dem ihren herab. Dann nahm sie meine beiden Hände und vergrub ihr Gesicht darin. Ich flüsterte ihren Namen und staunte, wie schön er war. Der Du von ihren Haaren stieg zu mir auf; ich athmete ihn mit zEntzücken ein . . . In diesem Augenblicke — ich glaubte vor Schrecken starr zu werden — öffnet sich leise die ür, die nur angelehnt war, und Friederikens Mann steht da. Ich will aufschreien, bringe aber keinen Laut hervor. Ich starre ihm ins Gesicht — ich kann nicht sehen, ob sich irgendwas in seinem Ausdruck verändert — denn noch im selben Augenblicke ist er wieder verschwunden und die üre geschlossen. Ich will mich erheben, xmeine Hände befreien, auf denen noch immer Friederikens Antlitz ruht, will sprechen, stoße mühsam wieder ihren Namen hervor — da springt sie selbst mit einemmale auf — todtenbleich — flüstert mir beinahe gebieterisch zu: „Schweig!“ und steht eine Secunde lang regungslos da, das Gesicht der üre zugewandt, als wolle sie lauschen. Dann öffnet sie leicht und blickt durch die Spalte hinaus. Ich stehe athemlos. Jetzt öffnet sie ganz, nimmt mich bei der Hand und flüstert: „Geh’, geh’, rasch.“ Sie schiebt mich hinaus — ich schleiche rasch über den

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Ja,“] Ja“, EA GW aus. —] aus. EA DdW aus, GW Nein,“] Nein“, GW Oh,] Oh EA O GW DdW Mütterliches] mütterliches GW Mütterliches GW1922 GS ich mir] ich EA ich nur GW DdW Knien] Knieen EA athmete] atmete EA irgendwas] irgend etwas DdW Augenblicke] Augenblick EA GW DdW üre] ür EA Tür GW DdW einemmale] einem Male GW DdW todtenbleich] totenbleich EA GW DdW athemlos] atemlos EA Geh’, geh’] Geh, geh GW DdW

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EA 20

ED 32,2

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kleinen Gang bis zur Stiege, dann wende ich mich noch einmal um — und sehe sie an der üre stehen, mit unsäglicher Angst in den Mienen, und mit einer heigen Handbewegung, die mir andeutet: fort! fort! Und ich stürze davon. zAn das, was zunächst geschah, denke ich wie an einen tollen Traum. Ich bin zum Bahnhof geeilt, von tödtlicher Angst ge゠ peinigt. Ich bin die Nacht durchgefahren und habe mich im Coupé schlaflos herumgewälzt. Ich bin zuhause angekommen, habe er゠ wartet, dass meine Eltern schon von allem unterrichtet seien und bin beinahe erstaunt gewesen, als sie mich mit Freundlichkeit und Freude empfiengen. Dann habe ich noch tagelang in heiger Erregung hinge゠ bracht, auf irgend etwas Schreckliches gefasst; und jedes Klingeln an der üre, jeder Brief machte mich zittern. Endlich kam eine Nachricht, die mich beruhigte: es war eine Karte von einem Schulkameraden, der in der kleinen Stadt zuhause war, und der mir harmlose Neuig゠ keiten und lustige Grüße sandte. Also, es war nichts Entsetzliches ge゠ schehen, zum mindesten war es zu keinem öffentlichen Scandal ge゠ kommen. Ich dure glauben, dass sich zwischen Mann und Frau alles im stillen abgespielt, dass er ihr verziehen, dass sie bereut habe. Trotzdem lebte dieses erste Abenteuer in meiner Erinnerung anfangs als etwas Trauriges, beinahe Düsteres fort, und ich erschien mir wie einer, der ohne Schuld den Frieden eines Hauses vernichtet zhat. Allmählich verschwand diese Empfindung, und später erst, als ich in neuen Erlebnissen jene kurze Stunde besser und tiefer verstehen lernte, kam zuweilen eine seltsame Sehnsucht nach Friederike über mich — wie der Schmerz darüber, dass eine wunderbare Verheißung sich nicht erfüllt hätte. Aber auch diese Sehnsucht gieng vorüber, und so war es geschehen, dass ich die junge Frau beinahe völlig vergessen hatte. — Nun aber ist mit einemmal alles wieder da, was jenes Geschehnis damals zum Erlebnis machte; und alles ist heiger als damals, denn ich liebe Friederike.

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Heute scheint mir alles so klar, was mir noch in den letzten Tagen räthselha gewesen ist. Wir sind spät abends am Strand ge゠ sessen, wir zwei allein; der Junge war schon zu Bette gebracht. Ich hatte sie am Vormittag gebeten, zu kommen; ganz harmlos; nur von der nächtlichen Schönheit des Meeres hatte ich gesprochen, und wie wunderbar es wäre, wenn alles ganz still ringsum, am Ufer zu sein und in die große Dunkelheit hinauszublicken. Sie hatte nichts gesagt,

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tödtlicher] tödlicher EA GW DdW habe] hatte GW DdW jene kurze] jene GW DdW räthselha] rätselha EA

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aber ich wusste, zdass sie kommen würde. Und nun sind wir am Strand gesessen, beinahe schweigend, unsere Hände ineinander ge゠ schlungen, und ich fühlte, dass Friederike mir gehören musste, wenn ich wollte. Wozu über das Vergangene reden, dachte ich — und ich wusste, dass s i e von unserem ersten Wiedersehen an so gedacht. Sind wir denn noch dieselben, die wir damals waren? Wir sind so leicht, so frei; die Erinnerungen flattern hoch über uns, wie ferne Sommer゠ vögel. Vielleicht hat sie noch manches Andere erlebt während der sieben Jahre, wie ich; — was geht es mich an? Jetzt sind wir Menschen von heute und streben zu einander. Sie war gestern vielleicht eine Un゠ glückliche, vielleicht eine Leichtsinnige; heute sitzt sie schweigend neben mir am Meer und hält meine Hand und sehnt sich, in meinen Armen zu sein. Langsam begleitete ich sie die wenigen Schritte bis zu ihrem Hause. Lange schwarze Schatten warfen die Bäume längs der Straße. „Wir wollen morgen früh eine Fahrt im Segelboot machen,“ sagte ich. „Ja,“ erwiderte sie. „Ich werde an der Brücke warten, um sieben Uhr . . .“ z„Wohin?“ fragte sie. „Zu der Insel drüben . . . . wo der Leuchtthurm steht, sehen Sie ihn?“ „O ja, das rothe Licht. Ist es weit?“ „Eine Stunde; — wir können sehr bald zurück sein.“ „Gute Nacht,“ sagte sie und trat in die Hausflur. Ich gieng. — — In ein paar Tagen wirst du mich vielleicht wieder vergessen haben, dachte ich, aber morgen ist ein schöner Tag. xIch war früher auf der Brücke als sie. Das kleine Boot war゠ tete; der alte Jansen hatte die Segel schon aufgespannt und rauchte, am Steuer sitzend, seine Pfeife. Ich sprang zu ihm hinein und ließ mich von den Wellen schaukeln. Ich schlüre die Minuten der Erwartung ein wie einen Morgentrunk. Die Straße, auf die ich meinen Blick gerichtet hatte, war noch ganz menschenleer. Nach einer Viertelstunde erschien Friederike. Schon von weitem sah ich sie, es schien mir, als gienge sie rascher als sonst: als sie die Brücke betrat,

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wenn] wann EA GW DdW Andere] andere EA GW DdW zu einander] zueinander DdW Ja,“] Ja“, GW Uhr . . .] Uhr . . GW drüben . . . .] drüben . . . EA GW DdW Leuchtthurm] Leuchtturm EA rothe] rote EA Nacht,“] Nacht“, GW Segel schon] Segel EA GW DdW

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ED 47,2 : (Schluss.)

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erhob ich mich; jetzt erst konnte sie mich sehen und grüßte mich mit einem Lächeln. Endlich war sie am Ende der Brücke, ich reichte ihr die Hand und half ihr zins Boot. Jansen machte das Tau los und unser Schiff glitt davon. Wir saßen eng beieinander; sie hieng sich in meinen Arm. Sie war ganz weiß gekleidet und sah aus wie ein achtzehn゠ jähriges Mädchen. „Was gibt’s auf dieser Insel zu sehen?“ fragte sie. Ich musste lächeln. Sie erröthete und sagte: „Der Leuchtthurm jedenfalls?“ „Vielleicht auch die Kirche,“ setzte ich hinzu. „Fragen Sie doch den Mann . . .“ Sie wies auf Jansen. Ich fragte ihn. „Wie alt ist die Kirche auf der Insel?“ Aber er verstand kein Wort deutsch; und so konnten wir uns nach diesem Versuch noch einsamer miteinander fühlen als früher. „Dort drüben,“ sagte sie und wies mit den Augen hin — „ist das auch eine Insel?“ „Nein,“ antwortete ich, „das ist Schweden selbst, das Festland.“ „Das wär’ noch schöner,“ sagte sie. „Ja,“ erwiderte ich — „aber dort müsste man bleiben können . . . lang . . . immer —“ zWenn sie mir jetzt gesagt hätte: Komm’, wir wollen zusammen in ein anderes Land und wollen nie wieder zurück — ich wäre darauf eingegangen. Wie wir so auf dem Boote hinglitten, von der reinsten Lu umspielt, den hellen Himmel über uns und um uns das glitzernde Wasser, da schien es mir eine festliche Fahrt, wir selbst ein königliches Paar, und alle früheren Bedingungen unseres Daseins abgefallen. Bald konnten wir die kleinen Häuser auf der Insel unterscheiden; die weiße Kirche auf dem Hügel, der sich, allmählich ansteigend, der ganzen Insel entlang hinzog, bot sich in schärferen Umrissen dar. Unser Boot flog geradewegs der Insel entgegen. In unserer Nähe zeigten sich kleine Fischerkähne; einige, an denen die Ruder eingezogen waren, trieben lässig auf dem Wasser hin. Friederike hatte den Blick meist auf die Insel gerichtet; aber sie s c h a u t e nicht. In weniger als einer Stunde fuhren wir in den Hafen ein, der rings von einer

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Brücke,] Brücke; DdW los] los, GW DdW gibt’s] gibts GW erröthete] errötete EA Kirche,“] Kirche“, GW hinzu] dazu GW DdW wär’] wär GW schöner,“] schöner“, GW Komm’] Komm EA GW DdW reinsten] reinen EA GW DdW der Insel] dem Ufer GW DdW

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hölzernen Brücke umschlossen war, so dass man sich in einem kleinen Teich vermeinen konnte. Ein paar Kinder standen auf der Brücke. Wir stiegen aus und giengen langsam ans Ufer; die zKinder hinter uns; aber die verloren sich bald. Das ganze Dorf lag vor uns, es bestand aus höchstens zwanzig Häusern, die rings verstreut waren. Wir sanken fast in den dünnen braunen Sand ein, den das Wasser hier angeschwemmt hat. Auf einem sonnbeglänzten freien Platz, der bis ans Meer hinunter゠ reichte, hiengen Netze, zum Trocknen ausgebreitet; ein paar Weiber saßen vor den Hausthüren und flickten Netze. Nach hundert Schritten waren wir ganz allein. Wir waren auf einen schmalen Weg gerathen, der uns von den Häusern fort dem Ende der Insel zuführte, wo der Leuchtthurm stand. Zu unserer Linken, durch ärmliches Ackerland, das immer schmäler wurde, von uns getrennt, lag das Meer; zu unserer Rechten stieg der Hügel an, auf dessen Kamm wir den Weg zur Kirche laufen sahen, die in unserem Rücken lag. Ueber all’ dem lag schwer die Sonne und das Schweigen. — Friederike und ich hatten die ganze Zeit über nichts gesprochen. Ich fühlte auch kein Verlangen darnach; mir war unendlich wohl, so mit ihr in der großen Stille hin゠ zuwandeln. Aber sie begann zu sprechen. „Heute vor acht Tagen,“ sagte sie . . . . x„Nun —?“ z„Da hab’ ich noch nichts gewusst . . . noch nicht einmal, wo゠ hin ich reisen werde.“ Ich antwortete nichts. „Ah, ist’s da schön,“ rief sie aus und ergriff meine Hand. Ich fühlte mich zu ihr hingezogen; am liebsten hätte ich sie in meine Arme geschlossen und auf die Augen geküsst. „Ja?“ fragte ich leise. Sie schwieg und wurde eher ernst. Wir waren bis zu dem Häuschen gekommen, das an den Leucht゠ thurm angebaut war; hier endete der Weg; wir mussten umkehren.

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446f.

uns,] uns; EA GW DdW dünnen] dünnen, EA GW DdW sonnbeglänzten] sonnenbeglänzten EA gerathen] geraten EA Rücken lag] Rücken war GW DdW all’] all EA GW DdW darnach] danach DdW Tagen,“] Tagen“, GW Tagen . . .“ DdW sie . . . .] sie . . . EA GW sie. DdW „Nun] Nun EA hab’] hab GW gewusst . . .] gewußt . . . . EA Leuchtthurm] Leuchtturm EA

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ED 48,1 EA 28

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Ein schmaler Feldweg führte ziemlich steil den Hügel hinan. Ich zögerte. „Kommen Sie,“ sagte sie. Wie wir jetzt giengen, hatten wir die Kirche im Auge. Ihr näherten wir uns. Es war sehr warm. Ich legte meinen Arm um Friederikens Hals; sie musste ganz nahe bei mir bleiben, wenn sie nicht abgleiten wollte. Ich berührte mit der Hand ihre heißen Wangen. „Warum haben wir eigentlich die ganze Zeit nichts von Ihnen gehört,“ fragte sie plötzlich — z„ich wenigstens,“ setzte sie hinzu, indem sie zu mir aufschaute. „Warum,“ wiederholte ich befremdet. „Nun ja!“ „Wie konnte ich denn?“ „O d a r u m,“ sagte sie. „Waren Sie denn verletzt?“ Ich war zu sehr erstaunt, um etwas erwidern zu können. „Nun, was haben Sie sich eigentlich gedacht?“ „Was ich mir —“ „Ja — — oder erinnern Sie sich gar nicht mehr?“ „Gewiss, erinnere ich mich. Warum sprechen Sie jetzt davon?“ „Ich wollte Sie schon lange fragen,“ sagte sie. „So sprechen Sie,“ erwiderte ich tief bewegt. „Sie haben es für eine Laune gehalten“ — „o gewiss!“ setzte sie lebha hinzu, als sie merkte, dass ich etwas entgegnen wollte — „aber ich sage Ihnen, es war keine. Ich habe mehr gelitten in jenem Jahre, als ein Mensch weiß.“ „In welchem?“ „Nun . . . als Sie bei uns . . . Warum zfragen Sie das? — Anfangs habe ich mir selbst . . . Aber warum erzähle ich Ihnen das?“ Ich fasste heig ihren Arm. „Erzählen Sie . . . ich bitte Sie . . . ich habe Sie ja lieb.“ „Und ich dich,“ rief sie plötzlich aus; nahm meine beiden Hände und küsste sie — „immer — immer.“ „Ich bitte dich, erzähle mir weiter,“ sagte ich; „und alles, alles . . .“ Sie sprach, während wir langsam den Feldweg in der Sonne weiterschritten.

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458 461 466 467 468

Sie,“] Sie“, GW gehört,“] gehört?“ EA GW DdW wenigstens,“] wenigstens“, EA Warum,“] Warum“, GW d a r u m,“] d a r u m“, GW erinnere ich] ich erinnere EA GW DdW fragen,“] fragen“, GW Sie,“] Sie“, GW

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„Anfangs habe ich mir selbst gesagt: er ist ein Kind . . . wie eine Mutter habe ich ihn gern. Aber je näher die Stunde kam, um die Sie abreisen sollten . . .“ Sie unterbrach sich eine Weile, dann sprach sie weiter: „Und endlich war die Stunde da. — Ich habe nicht zu dir wollen — ich weiß nicht, was mich hinaufgetrieben hat. Und wie ich schon bei dir war, hab’ ich dich auch nicht küssen wollen — aber . . .“ „Weiter, weiter,“ sagte ich. „Und dann hab’ ich dir plötzlich gesagt, dass zdu gehen sollst — du hast wohl gemeint, das ganze war eine Komödie, nicht wahr?“ „Ich verstehe dich nicht.“ „Das habe ich die ganze Zeit gedacht. Ich habe dir sogar schreiben wollen . . . Aber wozu? . . . Also . . . der Grund, dass ich dich weggeschickt habe, war . . . Ich hatte mit einemmal Angst be゠ kommen.“ „Das weiß ich.“ „Wenn du das weißt — warum hab’ ich nie wieder von dir gehört?“ rief sie lebha aus. „Warum hast du Angst bekommen?“ fragte ich, allmählich verstehend. „Weil ich glaubte, es wäre jemand in der Nähe.“ „Du glaubtest? Wie ist das?“ „Ich meinte, Schritte auf dem Gang zu hören. Das war’s. Schritte! Ich dachte, er wär’ es . . . Da hat mich die Furcht gepackt — denn es wäre entsetzlich gewesen, wenn er — oh, ich will gar nicht daran denken. — Aber niemand war da — niemand. Erst spät am Abend ist er nachhause gekommen, du warst längst, längst fort.“ — Während sie das erzählte, fühlte ich, wie irgend etwas in meinem Innern erstarrte. Und als sie zgeendet hatte, schaute ich sie an, als müsste ich sie fragen: Wer bist du? — Ich wandte mich unwillkürlich nach dem Hafen, wo ich die Segel unseres Bootes glänzen sah, und dachte: Wie lange, wie unendlich lange ist es her, dass wir

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hab’] hab GW hab’] hab GW ganze] Ganze DdW wollen . . .] wollen . . . . EA war . . .] war . . GW einemmal] einem Male GW DdW hab’] hab GW ist] kam GW DdW meinte,] meinte EA GW DdW war’s] wars GW er] e r GW DdW wär’] wär GW oh] o GW und] und ich EA GW DdW

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auf diese Insel gekommen sind? Denn ich bin mit einer Frau hier gelandet, die ich geliebt habe, und jetzt geht eine Fremde an meiner Seite. Es war mir unmöglich, auch nur ein Wort zu sprechen. Sie merkte es kaum; sie hatte sich in meinen Arm gehängt und hielt es wohl für zärtliches Schweigen. Ich dachte an i h n. Er hat es ihr also nie gesagt! Sie weiß es nicht, sie hat es nie gewusst, dass er xsie zu meinen Füßen liegen sah. Er hat sich damals von der ür wieder davongeschlichen und ist erst später . . . stundenlang später zu゠ rückgekommen, und hat ihr nichts gesagt! Und er hat die ganzen Jahre an ihrer Seite weiter gelebt, ohne sich mit einem Worte zu verrathen: — Er hat ihr verziehen — und sie hat es nicht gewusst! Wir waren in der Nähe der Kirche angelangt; kaum zehn Schritte von uns lag sie. Hier bog ein steiler Weg ab, der in wenigen Minuten ins Dorf führen musste. Ich schlug ihn ein. Sie folgte mir. z„Gib mir die Hand,“ sagte sie; „ich gleite aus.“ Ich reichte sie ihr, ohne mich umzuwenden. „Was hast du denn?“ fragte sie. Ich konnte nichts antworten und drückte ihr nur heig die Hand, was sie zu beruhigen schien. Dann sagte ich, nur um etwas zu reden: „Es ist schade, wir hätten die Kirche besichtigen können.“ — Sie lachte: „An der sind wir ja vorüber, ohne es zu merken!“ „Wollen Sie zurück?“ fragte ich. „O nein, ich freue mich, bald wieder im Boot zu sitzen. Einmal möchte ich mit Ihnen allein so eine Segelpartie machen, ohne diesen Mann.“ „Ich verstehe mich nicht auf Segeln.“ „O,“ sagte sie und hielt inne, als wäre ihr plötzlich ’was eingefallen, was sie doch nicht sagen wollte. — Ich fragte nicht. Bald waren wir auf der Brücke. Das Boot lag bereit. Die Kinder waren wieder da, die uns beim Kommen begrüßt hatten. Sie sahen uns mit großen blauen Augen an. Wir segelten ab. Das Meer war ruhiger geworden; wenn man die Augen schloss, merkte man kaum, dass man sich in Bewegung befand. „Zu meinen Füßen sollen Sie liegen,“ sagte Friederike, und ich streckte mich am Boden des Kahnes aus, legte meinen Kopf auf den Schoß zFriederikens. Es war mir recht, dass ich ihr nicht ins Gesicht sehen musste. Sie sprach, und mir war, als klänge es aus

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später . . .] später . . . . GW zurückgekommen,] zurückgekommen EA GW DdW weiter gelebt] weitergelebt EA GW DdW verrathen: —] verraten! EA GW DdW von] vor EA GW DdW sie;] sie, EA GW DdW O] Oh DdW ’was] etwas GW DdW am] auf dem DdW

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ED 48,2

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weiter Ferne. Ich verstand alles und konnte doch zugleich meine Ge゠ danken weiter denken. Mich schauerte vor ihr. „Heute Abend fahren wir zusammen auf ’s Meer hinaus,“ sagte sie. Etwas Gespenstisches schien mir um sie zu gleiten. „Heut’ Abend auf ’s Meer,“ wiederholte sie langsam, „auf einem Ruderboot. Rudern kannst du doch?“ „Ja,“ sagte ich. Mich schauerte vor dem tiefen Verzeihen, das sie schweigend umhüllte, ohne dass sie es wusste. Sie sprach weiter. „Wir werden uns ins Meer hinaustreiben lassen — und werden allein sein. — — Warum redest du nicht?“ fragte sie. „Ich bin glücklich,“ sagte ich. Mir schauerte vor dem stummen Schicksal, das sie seit so vielen Jahren erlebt, ohne es zu ahnen. Wir glitten hin. Einen Augenblick fuhr es mir durch den Sinn: Sag’ es ihr. Nimm dieses Unheimliche von ihr; zdann wird sie wieder ein Weib sein für dich wie andere, und du wirst sie begehren. Aber ich dure es nicht. — Wir legten an. Ich sprang aus dem Boot; half ihr beim Aussteigen. „Der Bub wird sich schon nach mir sehnen. Ich muss rasch gehen. Lassen Sie mich jetzt allein.“ Es war lebha am Strand; ich merkte, dass wir von einigen Leuten beobachtet wurden. „Und heute Abend,“ sagte sie, „um neun bin ich . . . aber was hast du denn?“ „Ich bin sehr glücklich,“ sagte ich. „Heute Abend,“ sagte sie, „um 9 Uhr bin ich hier am Strand, bin ich bei dir. — Auf Wiedersehen!“ Und sie eilte davon.

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581

Mich schauerte] Mich schauderte EA GW Mir schauerte DdW Abend] abend DdW Heut’ Abend] Heut Abend GW Heut abend DdW Ja,“] Ja“, GW Mich schauerte] Mich schauderte GW Mir schauerte DdW sein. — —] sein. — GW DdW Sag’] Sag GW nicht] nicht sagen DdW Abend] abend DdW ich . . .] ich . . GW1922 GS aber] Aber, DdW Abend] abend DdW 9] neun EA GW DdW

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„Auf Wiedersehen!“ sagte auch ich, und blieb stehen. — Aber ich werde sie nie wiedersehen. Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich schon weit fort — weiter mit jeder Secunde; ich schreibe sie in einem Coupé des Eisen゠ bahnzuges, der vor einer Stunde von Kopenhagen abgefahren ist. Eben ist es neun. Jetzt steht sie am Strande und wartet zauf mich. Wenn ich die Augen schließe, seh’ ich die Gestalt vor mir. Aber es ist nicht eine Frau, die dort am Ufer im Halbdunkel hin゠ und her゠ wandelt — ein Schatten gleitet auf und ab.

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584 590 591f.

ich,] ich EA GW DdW seh’] sehe EA GW DdW hin゠ und herwandelt] hin und her wandelt GW DdW

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2.1 Herausgebereingriffe Die Vorlage für den edierten Text D ist der Zeitschriftendruck ED, dessen uneinheitliche – und von der heutigen Schreibung in vielen Details abweichende – orthographische Textgestalt unberührt bleibt. Eingegriffen wurde bei offenkundigen Setzfehlern. Da in ED Kommata vor den schließenden Anführungszeichen direkter Rede stehen, wurde die einzige hiervon abweichende Stelle ebenfalls normalisiert (D 361). Die Abstände im Artikel „d i e“ (D 17) wurden unter Heranziehung von EA sowie GW und weil die Spationierung der betreffenden Zeile sowie die Position am Zeilenende dies nahelegen, als Setzfehler und nicht als Sperrung gewertet. In folgenden Fällen wurde gegenüber der Textgestalt von EA eingegriffen:

17 75 99 361 401

die] d i e Leben,“] Leben, zusammen gehen] zusammengehen machen,“] machen“, hätte:] hätte;

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3. Kommentar Die Positionsangaben beziehen sich auf die Zeilennummerierung des Drucktextes D. 9f.

schwedische und dänische Lieder: Im Versuch einer nationalen Abgrenzung von der verbreiteten europäischen Tonsatzkunst wurden im 19. Jahrhundert in Skandinavien – oft mittels Rückgriff auf Volkslieder – Kompositionen geschaffen, für die Robert Schumann 1844 den Ausdruck „Nordischer Ton“ prägte. Die Leittonarmut, ein steter Wechsel zwischen Dur und Moll sowie weitere Stilmittel erlaubten einen länderübergreifenden, identitätsbildenden Wiedererkennungswert der Musik. 12

Kiosk: hier: ein nach mehreren Seiten offener, freistehender Pavillon in einer Grünanlage. 42

künstlerische Illusion: gemeint ist: die Hoffnung auf eine Laufbahn als Künstler hat sich als Illusion erwiesen. 176

Professor: hier der Berufstitel für einen Gymnasiallehrer, wie er bis heute in Österreich gebräuchlich ist, in Deutschland aber nur bis 1918 vom Gesetz vorgegeben war. 177

Collegen: Kollege, hier: Klassenkamerad. 202

Palmsonntag: Mit dem Palmsonntag beginnt die Karwoche; an diesem Tag endet traditionell die Winter-Theatersaison. 256

Abiturientenzeugnis: veraltet für „Abiturzeugnis“. In Österreich war „Reifeprüfungszeugnis“ geläufig. 267

rückwärts: (öst.) auch: hinten. 289

Divans: Divan: alte Schreibweise für: Diwan, Liegesofa. 297

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308

Gang: (öst., süddt.) Hausflur. 309

in den Mienen: (öst.) veralteter Pluralgebrauch von „Miene“, Gesichtsausdruck. 314

Coupé: (frz.) (Eisenbahn-)Abteil. 370

die Hausflur: veraltet für „der Hausflur“. 397

Schweden: Durch die implizite Aussage, dass die Insel zu Schweden gehört, wie auch durch die geographische Nähe zu Kopenhagen (D 588) lässt sich die beschriebene Insel als Hven im Öresund identifizieren, die Schnitzler am 7. 8. 1896 besuchte. Entsprechend ist der Schauplatz der Erzählung an der Küste nördlich der dänischen Hauptstadt anzusiedeln.

298

Anhang

Der Weise

4. Anhang

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Der Weise

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Der Weise

4.1. Der Weise (Dramenstoff) Unter der Überschrift Der Weise – dem Arbeitstitel der Erzählung Die Frau des Weisen (s. S. 1) – ist in Schnitzlers Nachlass auch ein auf „Anfang 90er Jahre“ datierter Dramenentwurf erhalten, offenbar die erste Behandlung des Motivs vom ‚weisen‘ Ehemann. Die betreffende Idee findet sich bereits in dem undatierten Notizbuch, in dem Schnitzler Stoffeinfälle bis etwa zur Jahrhundertwende aufzeichnete, und zwar als erste Eintragung auf derselben Seite wie der Handlungsentwurf zu Die Frau des Weisen (s. S. 1): Kleiner Comöd, der in die Stadt komt, wo einstg Geliebte verheiratet. Sie verächtend; er wüthend; Mann höhnt ihn: Sie waren fur sie, was jene Grisette für mich.–1 Auf diese Notiz folgen weitere Eintragungen, die auf das Jahr 1893 datiert werden können (vgl. EV 217f.); das stützt die Annahme, dass die Aufzeichnung zum Dramenstoff vor der Entwurfsskizze zur Erzählung (1894) entstanden ist. Erhalten sind ein Handlungsentwurf und ein längeres Szenario; in einer normalisierten Fassung wurden beide Texte im Nachlassband Entworfenes und Verworfenes (EV 162f.) veröffentlicht. Handschriftliche Textzeugen existieren nicht mehr; Textträger sind drei Typoskripte, die sich in den Mappen mit „Dramatischen Plänen“ in Schnitzlers Nachlass am Deutschen Literaturarchiv in Marbach befinden2: 1) Mappe 4, Typoskript, 5 Blätter, Papier im Format 17 × 20,5 cm, einseitig beschrieben und ms. paginiert; Wasserschaden an der linken Texthälfte (ohne Textverluste); S. 1: Entwurfsskizze, S. 2–5: Handlungsszenario; hs. Korrekturen Schnitzlers in Lateinschrift mit Bleistift. Dieses Typoskript bildet die Vorlage für die folgende Wiedergabe. Blattwechsel sind durch das Zeichen markiert, die Blattzahl wird als Marginalie angegeben. Die Trennung zwischen Entwurfsskizze und Handlungsszenario wird durch Einfügung einer Leerzeile verdeutlicht. Eingriffe von Schnitzlers Hand sind kursiv dargestellt und werden mit Angabe der Zeilennummern im Fußnotenbereich verzeichnet. Herausgebereingriffe wurden lediglich am maschinschriftlichen Text vorgenommen und sind im Anschluss an die Textwiedergabe ausgewiesen.

1 2

CUL, A 193,3, S. [21]. DLA, A:Schnitzler, NZ85.1.4, Dramatische Pläne (4 Mappen).

301

Der Weise

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2) Mappe 5, Typoskript, 3 Blätter, Papier im Format 21,5 × 28 cm, einseitig beschrieben und ms. paginiert; vier Tippfehlerkorrekturen von fremder Hand mit Kugelschreiber. 3) Mappe 6, Durchschlag von 2), im selben Format, dieselben Tippfehlerkorrekturen von fremder Hand mit Kugelschreiber. Der Titel ist hier mit Großbuchstaben geschrieben, die Datierung fehlt. Die Entwurfsskizze wurde mit Trennstrich vom Handlungsszenario abgetrennt. Umlaute wurden als Digraphe realisiert, was auf die Verwendung einer englischen Schreibmaschine deutet. Schnitzlers handschriftliche Korrekturen zu 1) sind eingearbeitet. Weitere Textabweichungen bestehen nicht, daher wurde auf die Wiedergabe von 2) und 3) verzichtet.

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xAnfang 90er Jahre

1

Der Weise.

2

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11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37

1

Ein kleiner Komödiant war einmal eine Nacht hindurch der Geliebte einer grossen Schauspielerin, kommt ein paar Jahre später in die Stadt, wo sie verheiratet lebt. Sie behandelt ihn mit Verachtung. Er ist wütend, kann sich endlich nicht anders vor sich selbst helfen, als indem er dem Gatten sagt: Ich war der Geliebte Ihrer Frau. Der lacht ihn aus. Er zeigt ihm eine kleine Grisette, die einmal seine Geliebte war. Glauben Sie, meine Frau wäre auf die eifersüchtig? Der Komödiant will es der ganzen Welt erzählen. Nicht notwendig, ich werde es selbst tun. |:Er ersticht den Komödianten?:| xErnst hat Albine geheiratet, die früher Schauspielerin war. Der I. Akt spielt auf einer Soirée bei Ernst. Gespräche zwischen Gästen, die das Haus charakterisieren. Ein Komödiant tritt auf, der vor Kurzem hierher engagiert worden ist, mit einem seiner Verehrer |:komische Figur; junger Mensch, der zum eater gehen will:|. Er spricht von seinen Eroberungen, macht Andeutungen, dass auch hier eine Person sei, die ihm einmal nahe stand. Der komische Verehrer rät auf einige. Z.B. auf eine eingeladene Gräfin etc. Albine kommt. Oberflächliches Gespräch mit dem Komödianten, der Anspielungen macht auf die Zeit, in der sie mit einander engagiert waren. Die Frau erwidert harmlos. Wie er etwas zudringlicher wird, ihr heiss die Hand küsst, wehrt sie wehrt sie energisch ab |:wischt die Hand ab.:| Der Komödiant ist sehr erbittert. Ernst im Gespräch mit einer kleinen Schauspielerin seines eaters, die einmal seine Geliebte war, und die xer bittet, ihn nun doch in Ruhe zu lassen. Sie hat Verhältnisse genug. Die Beziehung zu seiner Frau ist eine sehr schöne. Gemeinsame geistige Interessen. Im II. Akt Besuche bei Albine. Als letzter erscheint der Komödiant, gesteht der Frau seine Liebe. Er wird ordinär. Er sagt ihr: Was liegt dir denn dran? Früher warst du ja auch meine Geliebte. Erinnerung an das kleine Haus in jener Provinzstadt, wo sie ihn besucht hat. Sie sagt ihm: Ich habe dich nie geliebt; auch damals nicht. Du bedeutest gar nichts für mich. Ich erzähle es der ganzen Welt, dass du meine Maitresse warst! Sie lacht. Meine Vergangenheit ist sehr bewegt gewesen, das weiss die ganze Stadt. Ich werde es deinem Mann erzählen, mit allen Details. Wer sagt dir, dass er es nicht weiss? Wenn ich’s ihm selbst erzähle, wird es ihm doch unangenehm sein. Jetzt kommt der Verehrer des Komödianten. Vor ihm tut xder Kerl sehr vertraulich. Er wird im Kaffeehaus herumschwätzen. 1 12 21

Anfang 90er Jahre] hs. ergänzt auf ] hs. korrigiert aus: in energisch] ms. korrigiert aus: engergisch

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Der Weise

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Ernst kommt, mit ihm ein junger Mensch, der verzweifelt, weil ihn seine Frau während seiner achtmonatlichen Reise betrogen hat. Das Entsetzliche: sie liebt ihn noch. So bleib’ eben mit ihr zusammen. Das wird so fürchterlich überschätzt, das ruiniert Existenzen, das ändert Lebensläufe – lächerliche Verlogenheit! Besser, dass Ernst das nur von einem Bekannten erzählt. Der Komödiant findet, dass das sehr gesunde Ansichten sind und empfiehlt sich. Die kleine Schauspielerin, die noch immer das Haus besucht, wird höflich gebeten, nicht mehr zu kommen. Warum soll man sein Lebtag an dieser Kette schleppen? III. Akt. Besuch bei Albine. Eine Freundin. Mein Mann sagt mir, es sei ein Skandal, wie dieser Komödiant von Ihnen spricht. Ueberall erzählt er, Sie seien seine Geliebte gewesen. Ihr Mann soll ihn züchtigen. Der Komödiant kommt. Fassungslos. Er muss sie wieder haben, er betet sie an. Er wird ihren Mann provozieren. xEr fleht sie um Verzeihung an, sie jagt ihn davon. Ernst erscheint. Der Komödiant sagt ihm: Ich war der Geliebte Ihrer Frau. Was schreien Sie denn so? Sie tun ja, als wenn Sie der Einzige gewesen wären. Zu seiner Frau: Es scheint, du hast vergessen, diesen Herrn zu bezahlen. (Der Stoff reicht nur fur einen Einakter.)

41 44 54 56

ändert] hs. korrigiert aus: än ert das] hs. korrigiert aus: ihr Einzige] hs. eingesetzt über: Erste (Der Stoff reicht nur fur einen Einakter.)] hs. ergänzt

Herausgebereingriffe

10

den] dem

10/11

Leerzeile eingefügt

21 46 47 48

ab.:|] ab. man sein] mansein sei ein] seinein von] von

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Siglenverzeichnis

4.2 Siglenverzeichnis Ausgaben DdW

EA ED

GS GW

GW1922

Die Frau des Weisen. In: Arthur Schnitzler: Die dreifache Warnung. Novellen. Mit einem Nachw. von Oswald Brüll. Leipzig: Philipp Reclam jun. [1924] (Reclams Universal-Bibliothek 6458), S. 3–26. Die Frau des Weisen. In: Arthur Schnitzler: Die Frau des Weisen. Novelletten. Berlin: S. Fischer 1898, S. 1–36. Die Frau des Weisen. Erzählung von Arthur Schnitzler. In: Die Zeit. Wiener Wochenschrift, Bd. 10, Nr. 118 (2. 1. 1897), S. 15–16; Nr. 119 (9. 1. 1897), S. 31–32; Nr. 120 (16. 1. 1897), S. 47–48. Die Frau des Weisen. In: Arthur Schnitzler: Gesammelte Schriften. Sterben und andere Novellen. Berlin: S. Fischer 1928, S. 152–172. Die Frau des Weisen. In: Arthur Schnitzler: Gesammelte Werke in zwei Abteilungen. [7 Bde.] Berlin: S. Fischer 1912. Erste Abteilung: Erzählende Schriften. 3 Bde. Bd. 1, S. 152–172. Die Frau des Weisen. In: Arthur Schnitzler: Gesammelte Werke in zwei Abteilungen. [9 Bde.] Berlin: S. Fischer 1922. Erste Abteilung: Erzählende Schriften. 4 Bde. Bd. 1, S. 152–172.

Edierte Texte D Db E HA1, HA2 S U

Drucktext (Grundlage: ED) Deckblatt (CUL, A 149) Entwurfsskizze (CUL, A 149,1) Abschriften von fremder Hand mit hs. Korrekturen Schnitzlers (CUL, A 149,3) Skizze (CUL, A 149,2) Umschlag (CUL, A 149)

Zitierte Literatur Br I ES I EV

Arthur Schnitzler: Briefe 1875–1912. Hrsg. v. Therese Nickl u. Heinrich Schnitzler. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1981. Arthur Schnitzler: Die Erzählenden Schriften. Erster Band. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1961. Arthur Schnitzler: Entworfenes und Verworfenes. Aus dem Nachlaß. Hrsg. v. Reinhard Urbach. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1977.

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Siglenverzeichnis

Anhang

Fischer-Bw Samuel Fischer u. Hedwig Fischer: Briefwechsel mit Autoren. Hrsg. v. Dierk Rodewald u. Corinna Fiedler. Mit einer Einführung v. Bernhard Zeller. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1989. HvH-Bw Hugo von Hofmannsthal u. Arthur Schnitzler: Briefwechsel. Hrsg. v. Therese Nickl u. Heinrich Schnitzler. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1964. LG-HKA Arthur Schnitzler: Lieutenant Gustl. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. v. Konstanze Fliedl. Berlin, New York: De Gruyter 2011. RBH-Bw Arthur Schnitzler u. Richard Beer-Hofmann: Briefwechsel 1891–1931. Hrsg. v. Konstanze Fliedl. Wien, Zürich: Europa-Verlag 1992. Tb II Arthur Schnitzler: Tagebuch 1893–1902. Unter Mitwirkung von Peter Michael Braunwarth, Konstanze Fliedl, Susanne Pertlik u. Reinhard Urbach hrsg. v. der Kommission für literarische Gebrauchsformen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Obmann: Werner Welzig. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1989. Tb III Arthur Schnitzler: Tagebuch 1903–1908. Unter Mitwirkung von Peter Michael Braunwarth, Susanne Pertlik u. Reinhard Urbach hrsg. v. der Kommission für literarische Gebrauchsformen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Obmann: Werner Welzig. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1991. Tb VIII Arthur Schnitzler: Tagebuch 1923–1926. Unter Mitwirkung von Peter Michael Braunwarth, Susanne Pertlik u. Reinhard Urbach hrsg. v. der Kommission für literarische Gebrauchsformen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Obmann: Werner Welzig. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1995. St-HKA Arthur Schnitzler: Sterben. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. v. Gerhard Hubmann. Berlin, Boston: De Gruyter 2012 (Arthur Schnitzler. Werke in historisch-kritischen Ausgaben).

Institutionen ASA CUL DLA

Arthur-Schnitzler-Archiv, Freiburg i. Br. Cambridge University Library Deutsches Literaturarchiv, Marbach a. N.

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