Werke: Band 1 Romane 9783110845747, 9783110077001


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German Pages 515 [528] Year 1979

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Table of contents :
Der Politische Maul-Affe
Die Politische Colica
Der Politische Stock-Fisch
Nachwort des Herausgebers
Inhalt des ersten Bandes
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Werke: Band 1 Romane
 9783110845747, 9783110077001

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RIEMER, WERKE I

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AUSGABEN D E U T S C H E R LITERATUR D E S XV. BIS XVIII. J A H R H U N D E R T S

unter Mitwirkung von Käthe Kahlenberg herausgegeben von Hans-Gert Roloff

WALTER D E G R U Y T E R · B E R L I N · N E W Y O R K 1979

J O H A N N E S RIEMER WERKE

herausgegeben von

H E L M U T KRAUSE

ERSTER BAND ROMANE

WALTER D E G R U Y T E R · B E R L I N · N E W Y O R K 1979

CIP-Knrztitelaufnabme

der Deutschen

Bibliothek

Riemer, Johannes: [Sammlung] Werke / Johannes Riemer. Hrsg. von Helmut Krause. — Berlin, New York : de Gruyter. Bd. 1. Romane. - 1979. (Ausgaben deutscher Literatur des XV. [fünfzehnten] bis XVIII. [achtzehnten] Jahrhunderts) ISBN 3-11-007700-0

©

Copyright 1979 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp. Printed in Germany — Alle Rechte des Nachdrucks einschließlich des Rechts der Herstellung von Photokopien — auch auszugszweise, vorbehalten. Satz und Druck: Walter de Gruyter 8c Co., Berlin 30 Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin 61

D E R POLITISCHE MAUL-AFFE

/

MIT ALLERHAND SCHEINKLUGER E I N F A L T DER EHRSUCHTIGEN W E L T / AUS MANCHERLEY NÄRRISCHEN / IED O C H WAHRHAFFTIGEN / B E G E B E N HEITEN ZUSAMMEN GESUCHT / UND VERNUNFFTIGEN G E M U T H E R N ZUR V E R W U N D E R U N G UND BELUSTIGUNG VORGESTELLET VON CLEMENTE E P H O R O

ALBILITHANO

L E I P Z I G / BEY J O H A N N F R I T Z S C H E N , IM JAHR /

1679.

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Bedeutung des Kupfer-Blats. E S lieget / mit V e r l o b / ein grober Esel hier Und hat mit lauter Affen In stoltzer Ruh zu schaffen / Er meint / ARCADien verwundre seine Zier. Drumb strecket er den Kopf hochmüthig auff gen Himmel. Er heist B R U T A L I O : Und ist gar grob und roh; Mit solcher Gravitit / gleichwie der beste Schimmel / Der etwa auf der Bahn die schönsten Schulen macht: Das macht / er hat mit Affen Nur blosser Ding zu schaffen. So wird ein Narre auch von Klugen ausgelacht / Wann er die Nase hoch biß an die Fenster traget; Und ist doch in der Zunfft Der Esels-Unvernunfft / So / daß die Einfalt Ihn stets in der Klugheit schlaget. Der Weise wundert sich / so ofte er ihn schaut. Und sieht / daß es dem Narren Noch fehlt an einem Sparren. Und doch wohl findet sich ein Maulaff in der Haut Der ihm von hinten nein mit einer Brillen siehet; Ob gleich die Affen-Zunfft Und Esels=Unvernunfft Gleichwie das Distelkraut ihm an der Stirne blühet.

Denen

Dreyen Ertznarren / wie auch

Denen Dreyen Klügsten Leuten der gantzen Welt /

Meinen PATRONen und grossen Gönnern.

Mächtige Herren /

Durchdringende Beförderer / W o hatte ich mit meinem P o l i t i s c h e n M a u l = A f f e n hinkommen sollen; da er vielleicht angenehmer seyn können / als bey Euch. Denn ich mag ja eure höchste Thorheit oder den SUPERLATIVUM eurer ( ) : ( ü f ) Klugheit in Betrachtung nehmen / so wil entweder eine Amtsbrüderschaft oder wohl gar eine genaue Verschwagerung die Künheit meiner gethanen Zuschrift entschuldigen. Denn ich sehe / daß alle Maulaffen / so viel derselben in diesem Buche versamlet / sich euren Thören nahen / und vor denenselben ein vermischtes Ansehen erbettlen / womit sie die vernünfftigen Menschen zu (): (3V) betrugen / sich aber dadurch in Ehre und Ansehen zu setzen / suchen. E. N a r r h e i t e n wißen selbst / wieviel Clienten alle Morgen dero Thore besetzen / und auff dero Ein- und Ausgange Acht haben / von denenselben zuerlernen / was zu Beförderung ihres Staats dienen möge. E . K l u g h e i t e n aber beklagen sich ja oft über die Anzahl der Thoren / welche sich in aller U n b e s c h e i - ( j : (/V)denheit zu denen selbigen nothigen / damit Sie Ihnen nur eine Geberde absehen mögen / wodurch Sie ihre Narrheit verstellen / und in der Welt vor kluge angesehen werden mögen. Warum hatte ich nun solche MONSTRA, welche aus Thorheit und Scheinklugheit gebohren / Euch / als deroselben Eltern / nicht zuschreiben sollen? Jedoch mit der Bedingung / daß E . K l u g h e i t e n diese (): (4V) Art Unmenschen nicht so wol beyzumessen: dieweil stündlich zugeschehen pfleget / daß die Kinder denen Eltern immer eher in der U n vollkommenheit / als im guten nachschlagen / und daß manch Gold= Sohnichen zwar des Vaters rothen Barth und krumme Beine; doch aber der Mutter Sinnichen habe. Weswegen denn E. K l u g h e i t e n sich um so viel eher zu Frieden ( ) : ( v r ) geben können / wann Sie in ihrer Zucht so unglücklich gewesen / daß ihre Maulaffen von aussen nur den Schein einer Klugheit / inwendig aber mit lauter Narrheit erfüllet seyn. So bitte ich auch / dieses mir zuverzeihen / daß E. K l u g h e i t e n ich die E r t z = N a r r e n in der Zuschrifft vorgesetzet. Denn dazu hat mich zweyerley bewogen: erstlich weil die Klugheit aus der (): (5V) Thorheit zum Theil erlernet wird / indem ein iedweder kluger Mann sich an der Narren Narrheit spiegeln / und seine Vernunfft aus der Thorheit Gegenschein erkennen muß. Zum andern / weil ich sehe / daß die heutige Manier der Affenhafftigen Welt nach lauter Unordnung ringet / und geschehen lasset / daß

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Politischer Maul-Affe

in manchen C O L L E G I O die vernünfftigen und klugen von Einfalti-(_): (vf) gen und Thoren sich müssen regieren lassen / wodurch hoher Haupter Staat augenscheinlich geschwächt und in unheilbaren Schaden gesetzet wird. Derohalben bitte ich nochmals / mir beydes Zuschrifft und L O C A T I O N hochgeneigt zu verzeihen. Das Buch aber mit der geringsten Zuneigung auffzunehmen / und etwas genauer zubeschauen. Alldieweil ich verhoffe / daß ( ) : ( 6 v ) darinnen E. Narrheiten / und Klugheiten verborgene Verwandschaft vor allen Politischen Nachkommen / deutlich genug entdecket ist. Geschrieben zu CORAZO. am I.JANUAR.

J. J.

1680.

von E. Narrheiten / wie auch E. Klugheiten Verwunderer / CLEMENS

EPHORUS

ALBILITHANUS.

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Vielgünstiger Leser!

H i e r ubergebe ich dir ein kurtzweilig Buch zulesen / in welchen ich lauter P o l i t i s c h e M a u l a f f e n deiner vernünfftigen CENSUR vorlege. W o durch ich denn nichts anders verstehe als H o f f a r t i g e u n d d a b e y E i n f a l t i g e L e u t e / w e l c h e m e h r w o l l e n v o n s i c h g e b e n / als S i e v e r s t e h e n / u n d h o h e r g e h a l t e n s e y n / als S i e v e r d i e n e n . Dergleichen Leute leider! numehr in alle Stande gedrungen / von welchen die meisten Verwirrungen und Z e r r ü t - ( ) : (T')tung guter Ordnungen herkommen. Ich nenne sie Affen / weil Sie von der Natur so verschmähet worden / daß sie kaum vier Loth Gehirne / (ich meine Verstand /) im Kopffe haben / und nichts aus ihrer eigenen Erfindung zur Schuldigkeit ihres Beruffs CONTRIBUiren können. Oder auch mit anderer Leute Kalbe pflügen / und wie Papst JULII II. Affe mit der armen erhaschten Katze ihrem Fuße / die gebratenen Castaneen aus dem Feuer scharren. Ich nenne sie ferner M a u l a f f e n / alldieweilen solch Volck sonst nichts mehr weiß / als nur { ) : (8 r ) mit dem Maule sich groß zumachen / und seine Thorheiten erhebet: alle andere Geschickligkeit aber leichtsinnig vernichtet. So habe ich auch mit Fleiß den Titul P o l i t i s c h zugeleget. Denn hiedurch hoffe ich Sie zu beehren: indem ein ieder / er lebe in was Stande er will / seine sonderliche POLITICA und STATISTICA haben will: und ohne dem klug gethan ist / wann man die Leute heist / nicht was Sie seyn / sondern was Sie seyn wollen. Kein Mensch ist mehr vergnüget mit seinem Stande / und niemand ist in Ehren zu sättigen: so gar / daß auch der allergeringste Mann (): (8") suchet seinen Titul steigend zu machen. Kein PRAECEPTOR, der denen Kindern lesen und VOCABEL lernet / ist mehr zu finden / sondern lauter Hoffmeister / und INFORMATIONS-Rathe. Es ist zubetauren / daß mancher Bürgemeister nicht bey seinem geehrten Amt und Titul ruhig sitzen kan / sondern mit Verkleinerung dieser schonen Würde / wohl gar ein niedrig Aemtgen bey Hofe bittet; dadurch nichts mehr zu suchen / als daß er nur noch über etwa einen oder zwey andere klügere Leute gehen möge. Nur / da ich itzo dieses schreibe / kommt von einem guten Freunde ein Brieff / welcher mir {): (9r) Nachricht giebet / daß bey ihm die Stadtknechte nicht mehr mit dem altdeutschen Amtsnamen H ä s c h e r zu frieden seyn; sondern H a n d g r e i f l i c h e A n w a l t e wollen geheissen werden. Ich geschweige / daß unzählich viel Leute nichts als grosse Dinge nachzuäffen suchen / und sich dadurch allen Gerechten und vernünftigen Leuten bloß

Politischer Maul-Affe

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geben. Wer kan nun der Welt Thorheit sich immer lassen in die Augen schlagen / daß man nicht einmal auf einer Studir=werckstatt dererselben etzliche aufzeichnen solte? Hoffe dannenhero nicht / daß hiedurch jemanden / ( ) : ( 9 V ) er sey auch / wer er wolle / die Galle sey rege gemacht worden. Denn ich habe das Vertrauen zu iedweden ehrlichen / rechtschaffenen Manne / dem etwa dieses mein Buch in die Hände kommen mochte / daß er doch mein ungebunden Gemuth zum wenigsten daraus erkennen wird / wann ich / allen ehrlichen Gewissenhafftigen und recht Priesterlichen Geistlichen zu Hülffe / und derer Apostolisches Leben von dem Mischmasch etzlicher Ungeistlicher Geistlichen zu sondern / mich nicht gescheuet die Unthaten etlicher junger / mit Vorsatz weltlicher und fast liederlicher Prie-( / ): (70 r )ster / auch nicht zuverschweigen. Wie ich denn auch versichert bin / daß keinem redlichen Manne durch das gantze Werckgen mit einem Worte zu nahe getreten; es müsse denn mancher sich IN CONSCIENTIA MALAE CAUSAE in einer H i s t o r i e getroffen fühlen / die er

selber begangen hatte / den ich alsdenn bitten müste / des TACITI Eingang zu seinen ANNALIBUS ZU lesen. Solte aber iemand mich deswegen in Geheim anfeinden; den kan ich traun nicht vor kluger halten / als die Volcker / welche des SILENI Esel darumb den Leib auffgeschnitten / weil er aus einer Pfützen gesoffen / worin- ( ) : (7Cf)nen Sie des Monden Gegenschein gesehen. Denn sie stunden in den Gedancken / es habe der arme Esel / nachdem der wahre Mond am Himmel sich unter dicke Wolcken verkrochen / den Mond in der Pfütze mit eingesoffen: deshalben Sie den verlohrnen Mond / in des Esels Wanste wieder suchten. Will mir darumb iemand zu Halse / daß ich sein abgeschmackt FACTUM erzahlet / der verschaffe so viel / daß ers nicht gethan habe: so darff er alsdenn auff dem Titul nicht mit umb den Esel herumb tantzen. Derowegen wird der Hochgeehrte und rein AFFECTiONirte ( ) : ( l l r ) Leser mich dennoch in guten Gedancken behalten / und diesem Buche / welches ich kurtz vor der Messe / so zu sagen / in Eil übereinander ausgeschüttet / dennoch seine Gemüths Augen ein wenig gönnen. Denn ich bin der gewissen Meinung / daß ob es gleich lacherlich zuseyn scheinet / es dennoch seinen Nutzen unvermercket bringen werde. Was sonst darinnen zu schwach / und nicht nach der Würde des CURIOSEN Lesers gerathen / das sol nechste Oster*Messe / wann uns G O T T Gesundheit und Frieden verleyhen wird in dem K u r t z w e i l i g e n R e d n e r / ( ) : ( l l v ) und in der P o l i t i s c h e n C o l i c a verbessert werden. Womit ich den günstigen Leser zu bestandigen Glück / und mich zu dessen beharrender Gewogenheit befehle. E r l e b e / u n d u r t h e i l e m i t V e r n u n f f t .

(1)

CAP.

I.

PHILURT und TAMIRO, zwene junge Pursche / hatten lieber in ihren sechzehnden als dreysigsten Jahre Weiber genommen. O b sie nun wol in BRABAND ZU Mecheln sich auff einer bekanten Schule auffhielten / und daselbst in Studiren sich wol zuerbauen von ihren Eltern gehalten wurden. Dennoch fügte sichs / daß Sie beyde wider ihren Beruff in die Liebe verwickelt wurden / und PHILURT sich unter andern in eines Kauffmans Tochter verliebte: TAMIRO aber hing sich an EVLINDEN, deren Vater Stadt= CANTOR wie auch VOCAL MUSICUS b e y der O b e r = P f a r r k i r c h e u n d sonst

ein wachsamer Hüter seiner Tochter Ehren war. PHILURT hatte sich nur auff die Franckfurter Meße zu freuen / denn dahin muste seiner un(2)zeitigen Liebste Vater allezeit reysen; und sonsten durffte er sich nicht vor dem Lieblosen Schwieger=Vater blicken lassen. Jener aber gieng nur deswegen in die Kirche / damit er horete / welchen Tag Leichen zu begraben abgekündiget wurden. Wann nun dieser arme CANTOR in Regen und Schnee bey denen Begrabnüssen mit auffgesperreten Munde sich es Blutsauer werden ließ / liebte indeß seine Tochter zu Hause ihren SECUNDANER (denn in PRIMA CLASSE saß er noch nicht) und zwar fein hinter dem warmen Ofen / stackte ihm gebratene Castaneen ins Maul / und spendirte ihre vier Groschen / welche sie kaum in fünff Wochen mit dem Kleppel= Küssen erworben / auff einmahl zur Kanne Wein. Doch gieng es nicht allezeit ohne Schrecken ab. Einsmals wurde ein Raths=Herr begraben / und da EVLINDEN Vater vor der Thür ein REPUTiRÜch Lied singen solte / hatte der gute Mann sein Gesang=Buch zu Hause vergessen; daher er genothiget / alsobald nach Hause zulauffen / selbiges zu holen. Diese beyde Liebhaber hinter dem Ofen wurden offt von dem knarrenden Fenster=Laden erschrecket / wie vielmehr von dem anklopfen-(3)den Vater. EVLINDE wurde auff dem Tische des Gesang=Buches und dadurch des Vaters Willen gewar / und wüste in dieser geschwinden Bestürtzung nicht / ob sie dem Vater das Gesang=Buch zur Uber=Thür heraus stecken solte; oder aber ob sie es wol wagen dürffte / daß der Vater in Eyl sich nicht in der Ofen=Holle umbsehen / sondern das verlangte Buch alsobald von Tische wegnehmen und fortlauffen werde. D o c h da sie fast an die Hauß=Thür kam / und itzt auffmachen wolte / R E S O L V i R t e sie sich anders / und lieff eyligst zurücke / nam das Gesang=Buch und wurff es hinter den grossen Kleider=Kasten

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Johannes

Riemer

welcher im Hause stund. Sie machte dem zornigen Vater auff und entschuldigte sich alsobald / Sie hatte sein Gesang=Buch unversehens hinter den Kasten geworffen / da sie gleich itzo seinen Sontages-Mantel wollen beylegen.

CAP. II. N U n wüste sie wohl / daß der Vater / welcher die Kleider überaus schonete / ihr nicht hinter den Kasten zu kriechen anmuthen würde / denn Sie hatte ihr Daffent=Rockgen noch nicht ausgezogen. Der (4) gedultige Mann legte seinen Mantel ab / und kroch selber unter den Kasten. Man kunte nun nichts mehr von Ihm sehen / als eine Spanne lang Stiefeln / die er an hatte / so sprang der liebhabende Lehrling aus der Holle hervor / und suchte die Thür / küste auch noch einmal EVLINDEN, welche bey dem Kasten stund / und dem Vater wieder vorhelffen solte. Doch schien die Sache noch etwas gefährlicher / in dem EVLINDEN Mutter gleich die Gasse herauff kommt / und den Schüler aus dem Hause springen siehet. Indem sich nun der Vater verkroch / stund die Tochter ohn gefahr an der Thür / und siehet die Mutter kommen. Daher muste sie ja muthmassen / es werde die Mutter ihren unreiffen Liebhaber gesehen haben / und bey dem Vater nachfragen / wer dieser gewesen? Darumb beugete sie alsobald bey dem Vater vor; und damit der Betrug desto scheinbarer wurde / fieng sie laut an zu reden: „Gehet immer hin / der Vater wird gleich kommen." Man hatte geschworen / es ware ein Schüler aus dem Trauer=Hause abgeschicket gewesen / welcher den Vater zur Leiche ruffen sollen. „ A c h ! " krechzete der arme Mann unter dem ( 5 ) Kasten / „Sagt doch / sie mochten mir verzeihen / ich will augenblicklich kommen." Die Mutter hatte den Fuß nur ins Hauß gesetzet / und kunte kaum erwarten / zu fragen / wer doch dieser Frembde Gast gewesen / der so plötzlich Abschied genommen. Aber da fand Sie einen schlechten PROSPECT an ihren voll Staub und Kanckergespinne klebenden Manne / welcher Sie nicht zur Rede kommen ließ / sondern Sie alsobald anhielte / Ihn abzukehren / denn Sie hatten itzo schon einen Boten von der Leiche her geschicket / welcher Ihn abholen sollen. „ D r u m " / antwortete die betrogene Mutter / „ich wolte ja sagen / was der Kerl gewolt hatte / den ich aus unserm Hause über drey und mehr Stuffen springen sehen." Der Staubichte Begrabniß MUSICANTE versetzte: „Ihr kont dencken / Sie werden gleich zum letzten mal lauten / und ist noch nicht vor der Thür gesungen / Sie müssen freylich eilen." Damit nun EVLINDE in ihrer unzeitigen Liebe ja recht glücklich war / fügte sichs / daß eben der Begrabnis-Bitter nach dem CANTOR zusehen abgeordnet war. Dem schrie er aber über die (6) gantze Gasse entgegen: „Ihr werdet ja nicht alle nach mir lauffen / itzo komme ich j a . "

Politischer Maul-Affe

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CAP. III. B l ß hieher gieng es noch wohl zu mit EVLINDEN Liebes-Handel; alleine / etwa eine Stunde drauff begunte sich das Wetter zu andern. Der liebe Vater kam von dem Begräbnis aus dem hefftigen Regen-Wetter wieder nach Hause / und kroch nach der Holle / des Vorhabens / seine naße Strümpffe und Schu in der Rohre wieder abzutreigen. D a hatte nun MÖNS. TAMIRO in voriger Angst / seine OFFICIA CICERONIS, (wiewol etzliche davor halten / es sey die GRAMMATICA gewesen) fallen und liegen lassen. Noch schlimmer war / daß er seinen Namen und Vaterland darein geschrieben /. und unter denselben ein groß Hertz mit Sege und Pfeilen durchschossen gemahlet; und in dasselbe mitten hinnein ein groß E , welches der Sorgenvolle Vater auff EVLINDE deutete. Das ärgste aber / und welches dem Vater die Meinung wahr machte / hatte er zu seinen und EVLINDE U n glück das CONCEPT eines Brieffes in d i e - ( 7 ) s e n Buche liegen / woraus Vater und Mutter in der gantz geheimten Sache klare Nachricht erlangten. Der Brief lautete also: Allerschönste unter den Schonen / wie Sie denn ist / und ich auff meine Seele nicht anders sagen kan; Stul-Schreibers Ennichen schmincke sich auch / wie sie wolle. Liebstes Kind / wie ich denn niemahls von ihr lassen werde / auch nicht kan und will. Wie ich denn itzo thu. Es ist mir von Hertzen leid / daß mein HOSPES eben gestern Wein gelesen / da ihr Herr Vater den Kannengieser am Schloßberge hinnaus gesungen. Daß ich also nicht zu ihr kommen können / wie gerne ich auch gekommen ware. Der Weinberg war verschlossen / und über die Wand kunte ich auch nicht steigen. Tausendmal wündschte ich ihr eine Weintraube / dieweil ihr anmuthiges Sprachloch / das ist / der holdselige Mund mir offt süsser als Must gewesen. Nicht so viel Beere haben wir gesamlet / als ich an Sie gedacht. Ich kunte gantz nicht frolich seyn / auch nicht eßen. Meine HOSPITA fragte mich auch / warum ( 8 ) ich so betrübt ware. Sie vexirte mich auch mit Ihr / Jungfer Evlindgen. Es gefiel mir trefflich wol. Aber ich bat / Sie mochte es doch bey sich behalten. Welches Sie auch wol thun wird. Ich verhoffe auch / Sie wird es Niemand sagen. Indeß wird Mir die Zeit lang / in dem wir nun in vier Tagen nicht beysammen gewesen. Aber was daucht Ihr von dem Sontage? Der liebe Tag / wann er doch schon da ware. Seyn das nicht ehrliche Leute gewesen / welche die Früh-Metten verordnet haben. Es muß der Herr Vater gleich nechsten Sontag das lange Lied singen / das der Herr SUPERINTEND gemacht / wann es gleich sonst Niemanden gefallt / so ist es uns doch der Lange wegen angenehm. Da können wir wohl auff anderthalbe Stunde beysammen seyn. Ach ich kans nicht erwarten. Ade / Ο Tausend-Schatzgen. Ich bin verliebt und Sie

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Jobannes

Riemer

bleibe mir treu / und rede ja nicht mehr mit dem PRAEFECTUS im Singe C h o r e : Denn ehe zwey Jahre ins Land gehen / hoffe ichs auch zu werden. Sie lebe noch mehr wohl. Ich bleibe ihr Knecht / so lange das Wasser (9) naß ist. Itzo laß ich mir ein neu Kleid machen. TAMIRO.

CAP. IV. Ö E r auff dem GOttes=Acker durch eilff Lieder abgemattete Vater betrübte sich über diesen Brieff: D o c h machte ihm auch die List der Jugend / so darinne stack / mildiglich zu lachen. Er stund bey sich an / ob er ihn seinem Weibe weisen / und alsobald gegen die Tochter mit Zorn verfahren; oder ob er diesen bergen / und biß auff den Sontag / wann er seiner Tochter unnothigen Besucher ertappet / alsdenn auslassen wolte. Doch hatte der schwache Mann den Zügel zu seinem Zorne fahren lassen / und rennete auff diesen tollen Pferde gerade auff das arme Magdgen loß / als welches gleich eine Anrichte=Schüssel voll gesaltzene Hecht auff den Tisch trug / und in Schrecken dieselben verschüttete. D a gieng das Feuer erst recht an / in dem das auff der Erden liegende Abend=Brodt dem erzürneten Vater in die Eydams=Funcken bließ. Auff Seiten der Tochter hulff kein klaglich (10) thun. Der Vater beliebte so lange seine Rache in Ohrfeigen zufinden / welche er der subtilen Braut nach dem Dutzent zuzahlete. Diese aber schmertzten alle ihre Maul=Daschen mitten in der Empfangniß nicht so sehr / als nur allein diese Beysorge / es mochte der Liebste dieses ihr TRACTEMENT erfahren / und Sie hernach müsse sich deshalben vor Ihm schämen. Unter wahrender Straffe ließ sich der Vater vernehmen / er wolte diesem Jungen / welchen Sie nachlieff / bey dem CONRECTOR einen Schilling bestellen / und hernach lassen ins Schul=CARCER werffen. Die geangstete EVLINDE fiel dem auffgebrachten Vater zu Fusse und bat mit Thranen wieder dieses Vorhaben so lange / biß endlich die Mutter diesen Handel beydes Theils auff diese CONDITION vergliche: Der Vater solte die Sache nicht an den CONRECTOR gelangen lassen. EVLINDE aber müsse auff denen Knien versprechen mit TAMIRO nimmermehr zu reden / noch an Ihn zu schreiben. U n d hiemit war das Hauß ruhig. D a s beste war / daß sie keine Magd hatten / denn sonst ware der Vertrag nicht verschwiegen blieben.

(11)

CAP. V.

TAMIRO indeß erfreuete sich / wann er an den Sontag gedachte / und hatte gerne mit dem Metten Prediger coRREsroNDiret / daß er zu dem langen

Politischer Maul-Affe

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Liede / auch eine feine lange Predigt gethan hatte. Alleine dieses letzte bestund mehr in wündschen als Hoffen. Wahrender Zeit hatte der CANTOR seine Sontagliche Metten VICES dem Küster aufgetragen / damit er umb selbige Zeit zu Hause seyn könte / seinen heimlichen Eydam zufangen / und denselben hernach mit einem Nachdrücklichen Verweiß wieder nach Hause zu schicken. Das Vorhaben war gut / wann es nur gelungen ware. Sonnabends schickte der Küster zu dem CANTOR und ließ fragen / ob er Morgen in der Metten noch vor den Herrn CANTOR auffwarten solte. O b nun zwar der Herr CANTOR, als welcher diese Frage deswegen ungerne sähe / weil Sie von seiner Tochter gehöret / gegen den Boten / überlaut vernehmen ließ; nein / er würde nunmehr die Metten selbst abwarten / nachmals aber dennoch den fragenden Küster-Jungen zurücke rieff / und in ein O h r sagte / es würde aller Dinges bey ihrer A b r e - ( / 2 ) d e mit der morgenden Auffwartung verbleiben; so geschähe doch / daß die Falle unzeitig zu fiel. EVLINDE wüste ihrem Elende keinen Rath zu finden / in dem TAMIRO des Morgens unausbleiblich kommen ware / wenn Sie nicht durch diese List solches hintertrieben. Sie hatte sich etwa umb acht Uhr schlaffen geleget; und da Sie ohngefähr eine Stunde im Bette gelegen / stellete Sie sich / als würde Sie mit einem Schlagfluß überfallen. Denn sie wüste wol / daß kein Schlag»Wasser im Hause vorhanden / und daß in der Nacht an keinem Orte / ausser der Stad=Apotheck / in welcher TAMIRO sein HOSPITIUM hatte / etwas zubekommen. Nun hatte ihr TAMIRO einstmahls schon erzahlet / wie er mit dem PROVISOR oder ältesten Apothecker Gesellen nachtlich in einem Bette schlieffe. Und dieses eben machte EVLINDEN desto behertzter / denn Sie hoffte / es würde TAMIRO durch seinen Schlaffgesellen / welcher des Nachts die Schlüssel zur Apotheck allezeit bey sich hatte / ohne Zweiffei ermuntert / und ihrer Unbaßligkeit kundig werden / nachdem die Mutter zuvor durch vieles ruffen und anklopfen vor der Apothecke würde Lärmen gemacht haben: Und so müste als-(13)denn TAMIRO seinen angesetzten Zuspruch unter der Metten verschieben / und dürffte dem auffpassenden Schwieger=Vater nicht in die Hände kommen. Es gieng richtig an.

CAP. V I . Ö E n n ob wohl TAMIRO sich bey Zeite zu Bette geleget / nur damit Er die Metten nicht verschlaffen mochte / wurde er doch durch den auffstehenden PROVISOR aufgewecket / welcher ihm auch / nachdem er die Frau CANTorin abgefertiget / EVLINDENS Unbaßligkeit eröffnet. Mit einem Wort / TAMIRO kam nicht / ob gleich der Herr CANTOR anderthalbe Stunden am Fenster nach ihn gesehen. EVLINDENS Schlagfluß verlohr sich so plötzlich / daß Sie wieder nach Mittage in die Kirche gehen kunte. TAMIRO stellete sich allezeit

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Jobannes

Riemer

ihrem Stule gegen über / und ist leicht zu dencken / was diese nichthorende Zuhörer aus der Predigt müssen behalten haben / deren eins in blinder Hoffnung / das andere in Furcht und Sorgen schwebete. Von dem Gewissen will ich nicht sagen / als welches auff ungleichen Wegen niemals gutes Muths seyn kan.

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CAP.

VII.

EVLINDE wurd so scharf inacht genommen / daß sie aus der Kirche an keinen O r t / ja nicht einmahl ans Fenster gehen durffte. Alleine was hat Weiber-List nicht zuwege gebracht? Sie sinnete unter der Predigt hin und her auf Mittel / TAMIRO einen Brief zu zubringen / wüste aber nicht durch wem / weil in ihren Hause gar kein Bedienter war. Einen Zottlichen Budelhund hatten Sie / welcher um den Halß lang Haar wie ein Lowe hatte; von dem fiel ihr ein Versuch ein. Sie entschloß sich geschwind TAMIRO durch diesen Hund einen Brieff zuzubringen / wie wohl Sie besorgt war / wie TAMIRO den unvernünftigen Boten zuwissen bekommen würde. Alleine dieser Kummer legte sich bald. Dann da EVLINDE eben diesesmahl aus der Kirche gieng / begegnete Ihr TAMIRO im engen Schuster Gaßgen / den redete Sie ohne vermercken anderer Leute also an: „Schatzgen / viel neues: morgen empfanget unter meines Hundes Halßbande einen Brief." TAMIRO war auf diese kurtze Zeitung bestürzt / und kaum früh Montags aufgestanden / (15) so gieng er hin / und kauffte sich auf der Garküchen eine Wurst / den Hund desto eher an sich zulocken. EVLINDEN Hauß war nicht weit von der Schule / und also zu dieser Hundepost gar beqvem. TAMIRO stund in der Schulthür / und ruffte / und wieß ihm die Wurst / muste sich aber zum erstenmal sehr bemühen / ehe ihm der bellende Bote seinen Brief abgab. Nach Verlesung des Briefes / schrieb TAMIRO eine Antwort / welche zu über bringen Budel ebenmäßig gebraucht wurde. Das nützlichste war / daß dieser Bote kein Geld nam / sondern sich den Weg diesesmal mit einem Stücke von des Apotheckers Jahrküchen / welches TAMIRO noch von gestern in dem Schiebsacke hatte / bezahlen ließ. Dieser Briefwechsel nun wird zwischen den beyden Verliebten so lange getrieben / biß sich entlich Budel die Manier annahm / und wann er TAMIRO von ferne sähe / alsbald von seinem Herrn weg auf diesen zulief / und ihm den Halß hinreckete / gleich als hätte er Ihm einen Brief zu übergeben.

Politischer Maul-Affe

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CAP. VIII.

N U n müssen wir auch zurücke gehen / und sehen / was PHILURT macht. Der stehet dort hinter einem Stoß Engelischen Tuche / im Gewölbe / und wartet seiner AMALIA (SO hieß des Kauffmans Tochter) mit groster Vergnügung auf. Vor Schu= und Ermelbänder wie auch Handschuch und Schnuptücher durffte er wenig Geld ausgeben / denn darinnen wurd Er von AMALIA stets frey gehalten. Und hatte sich der Ladendiener geweigert dergleichen herzugeben / so hatte ihm AMALIA, als welche die Aufsicht über den Wein im Keller hatte / auch das tagliche Schlaff=Trünckgen nicht mitgetheilet. PHILURT inzwischen hatte noch eher einen Zutritt zu seiner AMALIA als T A M I R O ZU EVLINDEN. U n d d i e s e s d a h e r / d i e w e i l d e s K a u f -

mans Gewölbe am Marckte / und nicht in der Bereiter Gaße am Hause gelegen. Unter des war er doch niemahls recht sicher / ausser wann Herr JUDAEUS, (so will ich den Kaufman nennen) auff der Messe war. Nur eins zusagen: Der Kaufman war nur von der Leipziger Messe kommen / und hatte viel Gut mitgebracht / welches E r den folgenden (17) Tag auszupacken vorgab. AMALIA ließ durch ihre Magd / die in dergleichen Fällen nach Wundsch zugebrauchen war / PHILURTEN des Vaters Vorhaben erofnen / dieser säumete sich nicht unverzüglich zu erscheinen / ob er gleich die Schule darüber verschlagen muste. E r saß nunmehr bey der AMALIA, und das Glück verliehe Ihm einen sonderbahren RESPECT. Der Vater hatte ihm nur gestern durch die ORDINÄR-Post anderthalben Thaler / ein QVARTAL PRIVAT-Geld geschicket / worüber sich der arme Vater / ehe er so viel mit seinem Schusterkneifte erworben / wohl manchmal in Finger geschnitten. Hievon muste alsobald ein Pfund Confeckt / und eine Kanne Spanischer Wein bezahlet werden. Die Magd fodert ihr acht Groschen Trinckgeld / so er ihr auff unterschiedliche Posten versprochen; so war das Schulgeld biß auf sechs Groschen alle. Unten in der Wohn=Stube im Hause wurd dieser Schmauß gehalten. Denen verliebten schmeckte es so wol / daß sie einander das Confeckt aus dem Maulgen assen. Die Magd gab Drittemann / und bemühete sich Posten zumachen / vor die Freyheit / daß sie mit in die Zucker-Schüssel (18) greiffen durffte. Kurtz zu sagen: Sie waren alle drey vergnüget. Ohn gefähr begunte Jemand hefftig vor der Haußthür anzuklopffen. Die kluge Magd / als welche des Herrn Kloppe schon kennete und mitten im Truncke war / zog geschwind den Krug vom Maule / und sprach: „au weh! Das ist der H e r r . " AMALIA rennete geschwind nach der Stuben=Thür und sähe durch das Visir den Vater mit dem Kopffe über die Hauß=Thür gucken; und noch starcker anpochen. Die kehrte sich mit kläglichen Geberden umb und bekräfftigete der Magd Worte. Mein lebetage habe ich auff einer Gasterey nicht so geschwinde auffheben gesehen als hier. Was solte nun der Angstvolle

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PHILURT thun? Entgehen kunte er nicht / denn die Hauß-Thür war der Stube gantz nahe gegen über / daß der vor der Thür stehende Vater allen Ein= und Ausgang gar genaue inachtnehmen kunte. Die Magd sprung in Schrecken zum Stuben-Fenster hinnaus in H o f f ; Der folgte PHILURT nach / und lieff vor Angst auffs Secret sich zuverbergen. Denn aus dem Hoffe kunte er auch nicht entlauffen / die weil des Vaters Augen in gerader Linie auch die Hofthür bestreichen kunten.

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CAP.

IX.

AMALIA indeß gieng mit gefasten Muthe nach der Haußthür / selbige dem Vater zuerofnen; und scheuete sein anschnautzen gar nicht / weil Sie desselben von ihm als Stieff*Vater gar wol gewohnet. Ich wüste nicht / warumb der Mann so eilete / und mit pochen so hart anhielte. Aber er war nicht darum zuverdencken; Denn er hatte in seinen Laden keinen Abtritt; und war ihm so Noth / daß er vor der Thür schon den Hosen Senckel geloset / und gerade zu auff das Secret lauffen wolte. Kein Mensch wüste hier PHILURTS Gefahr besser als AMALIA; Vor Schrecken wüste Sie nicht / was Sie thun solte. Sie gab der gantzen Sache verlohren / und lieff nur nach ihrer Kammer / sich vor des besagten Vaters Grim zuverschliessen / in der Verzweifflung / es mochte nun PHILURT gehen / wie es wolle. Der belastete Vater hatte seinen Bauch fast biß ans Secret getragen / er fand aber in seinen Vermögen kein beqveme Schnuptuch / darumb eilete er zurücke dergleichen anzuschaffen. Auff dem Wege kamen die Trompeter in seinen Hosen hauffig an / welche des Herren (20) gantz nahe Ankunfft verkündigten. Nun hatte er in der Stuben über dem Spiegel ein solches Behältnis / worinnen er dergleichen Handgerathe / zur niederländischen Reinigung verwahrete / da lieff er hin ein par solche Handgranaten zu holen. PHILURT auf dem Secret gedachte / seine Gefahr war nun vorbey; Die Magd aber / welche des Herrn Vornehmen über ihren Aufwaschen genauer beobachtete / sorgte / es werde nun erst recht angehen. Sie hatte sich nach dem Schrecken etwas erholet / und daher war sie Vermögender einen Betrug auszuführen. Sie lieff selber zu PHILURT auffs Secret / und verkettelte sich / des Absehens / wann der Herr nun käme / und merckte Sie an dem Orte / es würde Ihn ja die natürliche Schamhafftigkeit zurücke ziehen / und PHiLURten dadurch ein wenig Raum gegeben werden / zu entspringen und auff dem Boden zuverstecken. Der Dreckschwangere Herr JUDAEUS kam aus höchster Noth in voller CURRIR auffs Secret zugelaufen / hatte in beyden Händen Papir / und vermeinete nun der ängstlichen Bürde loß zu werden. Er ruffte mit grosser Ungedult / wer im

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Secret wäre. „Herr / ich b i n s " ; (21) sagte die Magd. Wolte der sonst reinliche Mann das bedrohete Ungewitter auff seinem Grund und Boden vermeiden / muste er in den Holtzstall fliehen / und seine Nothdurfft in die Segespane ausladen.

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X.

E R setzte zwey grosse Scheid Holtz vor die Thür / damit die Magd Ihn ja in seiner unauffschieblichen Verrichtung nicht über den Halß kommen und verhindern möchte. Diese Schamhaftigkeit war vor die drey Bedrengeten gar gut / denn nunmehr konte PHILURT ohne Sorgen aus dem Hause kommen. Er war nun auch glücklich davon / und die tausendlistige Magd verzog nicht langer ihrer Jungfer die froliche Post zu bringen / wie nemlich PHILURT durch ihren Betrug des übelriechenden Arrests entkommen. Wer war froher als AMALIA? Indem sie nun in der Jungfer Kammer beyde den gütigen Ausgang ihrer Noth genugsam belachten / ruffte der Herr überlaut und im Zorn AMALIA und die Magd. Wie hefftig Sie beyde erschracken / kann ich nicht beschreiben; Denn Sie vermeineten / es würde Herr JUDAEUS, nachdem er nunmehr seines peinli-(22)chen Stulganges loß ware / hinter den Betrug kommen seyn. Jedoch gehorsameten Sie beyde und kamen. Es hatte aber der Vater seiner Tochter nichts mehr zubefehlen / als daß Sie das Merrettich-Fleisch warmen / und um eilff Uhr in Laden schicken solte. Der Magd sagte er heimlich ins O h r / daß Sie die Wachtel / welche sich im Stalle gefangen / auff der Schippe alsobald zu denen andern ihres gleichen / in die Mist-Grube versamlen solte. Beyderley dieser Dienst ließe sich ja noch vor eine solche abgewendete Gefahr erfüllen. Gleichwie nun die gröste Gefahr / wenn sie überstanden / uns gleichwol belustiget / wann wir daran gedencken: Also kunte AMALIA den Possen nicht aus denen Gedancken loß werden. W o sie gieng und stund / lachte Sie darüber; Und damit Ihr die Umstände desto besser bekant blieben / schickte Sie die Magd gegen Abend zu PHILURT, und ließ Ihn schon bitten / er mochte doch den gefahrlichen und dennoch glücklichen Schmauß in ein Liedgen abfassen / auch ihren Stiefvater darinnen etwas durchziehen. PHILURT erkennete diesen Gehorsam vor seine Schuldigkeit / und war umb so viel desto williger / (23) weil er gleich anfieng die Poesi zu lernen. Er versprach folgenden Tag das verlangete Liedgen frühe umb fünff Uhr zwischen den Fensterladen zu stecken; bat aber die Magd dabey / sie mochte ja fein frühe auffstehen / damit es nicht in frembde Hände gerathen mochte. Die Magd trug diese Zeitung AMALIA ZU. PHILURT indeß dichtete diese Verse:

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1. M E i n Schatzgen / wie war dir zu Muthe Da du dich in die Kammer schlost / Und eure Magd / die Schweitzer=Stute / Auff deinen Vater war erbost / Als Er Sie durch des Glockgens Macht Hat um 6. Schlucke Wein gebracht. 2. Pim pim! au weh! sprach Sie / der Vater Klingt. Giest den Necktar nur in Hof / Der Tausendelementsche Kater Verderbet mir den guten Sof. Herr PHILURT, kommt / verlast den Schmauß Und springt mit mir zum Fenster rauß. 3.

Ich seh' / mein Kind / noch ihre Rothe / Die auff den Wangen brache aus / Ich armer Hundsf- im Secrete Gedachte / warestu nur naus: Zumahl da ihr Herr Vater kam Und in die Hand die Hosen nam. 4.

Doch ihre Ursel kam geschwinde Und rettete mich aus der Noth. Der Herre scheute dis Gesinde Und trug den zehn Pfundschweren Koht Auff Seegespäne in den Stall / Das war ein Possenvoller Fall. 5.

Er rügelte noch wol die Thüre Mit mehr als vier fünff Scheiten zu. Daß sich fein alles mit M a n i e r e Verbergen kont in einem nu. Acht Groschen und zwo Kannen Wein Soll auch nun Ursels Trinck-Geld seyn.

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6.

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Indessen lieben wir noch weiter / Ich sie / sie mich nach aller Lust. Uns trennt kein alter Barenheuter / Wenn er gleich in die Hosen hust. I c h laß Sie n i c h t . So soll es seyn. Sie b l e i b t / der H e n c k e r hol m i c h / mein.

Dieses Gedichte kam A M A L I A ZU treuen Händen: und wann Sie sich einmal belustigen wolte / zöge Sie solches aus dem Busen und sang oder laß es. Doch war Sie nicht glückseliger als E V L I N D E . Denn ob Sie wohl bißher in höchster Geheim mit P H I L U R T mündlich coRREsroNDiren können; so wurde dennoch das Glück dieser vertrauten Zusammenkunfft müde. Herr J U D A E U S fieng an recht karg zu werden / weil der Scheffel Korn in zwey Marcktagen etwa vier Groschen gestiegen / und schaffte einen Laden» Diener ab / dem succEDiRte der fast ausgestandene Junge. An des Jungens Stat aber muste sich A M A L I A vor mit ins Gewölbe über einen Kohlen= Topff setzen / und ihr Brodt mit Auffsicht verdienen helfen.

CAP. X I . W E r war übler dran / als diese beyden Liebhaber? A M A L I A gieng früh um sechse mit dem Vater vor / in Laden / und um (26) selbige Zeit / des Abends / wieder nach Hause. Denn keinem Menschen trauete er weiter / als seine Augen sahen. Ein gantzer Monat war verflossen / A M A L I A und P H I L U R T hatten einander nicht gesprochen / sondern mit selten untermengeten Blicken / nur durch die Magd / wiewohl ohne Vergnügung / mit einander geredet. P H I L U R T hoffte von A M A L I A ein Mittel zu mündlichen Gesprach; A M A L I A erwartete dieses von P H I L U R T . Aber beyde vergebens / dieweil auch die Nacht ihnen nicht dazu forderlich seyn kunte. Das Hauß hatte keine Hinterthür / und an der ORDINÄR Thür war ein blind Schloß / davon zog der Vater alle Abend selbst den Schlüssel ab; Und frühe kunte Niemand weder aus noch ein / biß er selber den Paß wieder eröffnet. Sonst hatte P H I L U R T seine A M A L I A des Nachts besuchen können. Hier war die Liebe theuer / und hitzig genug; und die Magd wurd mit ihren Tröstungen auff beyden Seiten erst recht angenehme. Unter andern schlug sie ein Mittel vor / wie P H I L U R T alle Nacht mit A M A L I A zwar reden / ob gleich nicht zu ihr kommen konte. Auff die Gasse gieng ein KellerLoch / durch welches die Liebhabenden ( 2 7 ) sich unterreden kunten / und

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ware endlich die Gelegenheit gut genug gewesen / wann nur nicht das eiserne Gegatter vor dem Kellerloche zwischen denen Verliebten allezeit eine verdrüßliche Scheidewand gewesen wäre. Zudem entstund ihnen auch eine Furcht dabey / es möchten die Nachtwächter / welche fast alle Stunden ihrer Hut nach / bey dem Hause vorüber giengen / und wen sie antraffen / seines Thuns halber befragten / auch diesen Aufwarter zur rede setzen / was er in der Nacht so nahe bey diesen Hause / welches Herr JUDAEUS der Wächter Aufsicht sonderlich befohlen / zu schaffen hatte. Daher kunte auch dieser Vorschlag nicht wol zu Wercke gerichtet werden. Zu Glück / oder vielmehr Unglück / hatte ein Calendermacher / welcher allernechst an diesen Hause wohnete / den Tag zuvor die Treppe herunter den Halß gestürtzet / und weil er zumal bey seinem Leben immer in tieffen Gedancken gieng / war die gantze Nachbarschafft umso vielmehr besorget / es werde ein so böses Ende so viel verursachen / daß des CalenderSchreibers unruhiger Geist auf der Gasse irre gehen / und die Leute bethören werde.

CAP. XII. Q V A E NON AUDET AMOR? PHILURT ließ sich solche Sorgen z u r H ü l f e

dienen. Und weil der Calenderschreiber / bey seinem Leben / stets in langen Mantel und hohen spitzen Hute gegangen / befließ er sich auf solchen HABIT, und ließ AMALIA wissen / daß er Ihr des Abends vor dem Kellerloche in Gestalt des Calendermachers Geistes zusprechen wolte. Das gute Magdgen kunte mit ihren Verstände die Gefahr des Vornehmens nicht erreichen / denn Sie war noch nicht vollkommene vierzehn Jahr alt / sondern ließ es geschehen / wann sie nur mit PHILURT reden konte. Unterdeß was PHILURT besorgte / das geschähe auch. Er gieng des Abends um zehn Uhr vor AMALIA Thür; Diese hatte über die halbe Stunde schon an dem Kellerloche aufgepast. Dort stund ihr Geist nicht anders / als wann es der Calendermacher selber ware. Es fügte sich / daß zwo Magde mit Laternen kamen / welche ihre Herren von einer Gasterey nach Hause holen wolten. PHILURT, dessen Kopf allerhand leichtfertige Fintgen zuerdencken / nicht ungeschickt war / gedachte / ( 2 9 ) er müsse einmal ein Exempel STATuiren / damit die Leute durch diese Gasse zugehen / ins künfftige abgeschreckt würden. Die zwo vorbeygehenden Magde redeten gleich von dem verstorbenen Calendermacher / und da die eine sagte / wie Sie gehöret / daß der Calendermacher irre gienge / wischte dieser Fleischerne Geist hinter denen zwey armen Sacken drein / und ob sie gleich schrien / ergriff er doch eine bey dem Kragen / knipp und druckte Sie braun und blau. Er aber machte sich so geschwind auf die Seite und nach Hause / daß das elende halb todtgedruckte Mensch zu denen in der Gasse aufgeruffenen

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Leuten / so ihr mit Licht zu Hülfe kamen / sagte: Der Geist ware vor ihren Augen verschwunden.

CAP. XIII. D i e s e r Handel brach des folgenden Tages in der gantzen Stadt aus / daß sich niemand gelüsten ließ / so bald es finster worden / durch die Bereuter Gasse zu gehen / weder die / so darinnen wohneten / einigen Menschen des Abends auszuschicken. Es war so weit erschollen / und durch Nachsagen / wie zugeschehen pflegt / in der Leute Maulern (30) vergrossert worden / daß die Prediger / sonderlich die jenigen / welche ihren Balbirer / Schneider / Schuster und Kinder=Muhme den meisten Glauben geben / mit dergleichen Zeitungen manche Stunde auf der Cantzel verderbeten / und sonderlich darauf eifferten / daß der Calenderschreiber ware mit CEREMONIEN begraben worden. Ein Ww, (der günstige Leser verstehe nicht etwa Wolweiser / sondern wenigweiser) Rath / welcher ohne dem seine C O N S I L I A mehrentheils auf der Pfarre schmiedete / ware fast bewogen worden / den halbverfaulten ohne Zweiffei seligen Mann durch den Hencker wieder aus der Erden graben und auf den Schind*Anger werfen zulassen / wann des Verstorbenen Freunde nicht dem Ober=Pfarr die Hebräische Bibel / und in des Raths F I S C U M zweyhundert Gülden verehret hatten. Der A M A L I A Magd aber / welche diesen Geist hatte helffen anziehen / wurde darum so berühmet / und von ihren Herrn werth gehalten / weil Sie sich vor dem Gespenste so gar nicht entsetzte. Denen Nachtwächtern hingegen begunte auch ein Schauer anzukommen / indem Sie / die dritte Nacht drauf / den vermeinten Geist eben an dem ( 3 1 ) Orte / wo die Magd gedrucket worden / mit leiblichen Augen allezugleich sahen. „Nein nein" / sagte der Wach=Meister / der die Laterne trug / „wir kommen dir nicht. Es seynd der Sauren." Und giengen dieses und folgende mahl die Bereuter oder Gespenst Gasse vorbey / und so offte biß sie es endlich nicht mehr achteten / sondern vor eine immerwihrende Gewohnheit hielten / den verliebten Geist alda stehen sehen. Es ware auch wol dieses Blendwerg verschwiegen blieben / und hatte der verliebten Zusammenkunfft noch offte befordert; wann P H I L U R T nur selber in seiner eigenen Sache hatte verschwiegen seyn können. Es gieng Ihm wie dem C A N D A U L O , welcher nimmermehr ware zum Hahnrey worden / wann er nicht gegen andere Manner seines Weibes verborgene Schönheit so hoch gerühmet und dadurch die selbigen mit unausleschlicher Brunst sich zum Unglück angezündet hatte. P H I L U R T sündigte / wie Q . C U R I U S und kunte den gestiffteten Betrug nicht verschweigen / so muste er jenem auch in der Straffe ähnlich werden.

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CAP. X I V . D i e sechzehnjährige Jünglinge sassen (32) ehemalß bey dem Biere / und hatten etwa einen Trunck über den Durst gethan. Da musten nun / wie bey der frechen unbedachtsamen Jugend offt zugeschehen pfleget / alle Unthaten über die Zunge springen / und erzahlte dieser / wie er seinem Vater durch einen Nachschlüssel bey das Geld kommen ware. Jener / wie er an unterschiedlichen Orthen die Hasen / Singe Vogel / Bündel Dalcklichte / und dergleichen / in der Stadt von den Fenstern weg gestohlen. Ein ander rühmte sich / wie er seinem Vormunde die Würste von zwey Schweinen aus dem Schorsteine gestohlen und es denen Treschern Schuld gegeben. Aber einer sagte / daß er im Winter / an denen Kaufladen / die großen Schlösser voll Urin lasse / daß dieselben zusammen gefroren / des Morgens mit Kolen müsten aufgedauet werden / da er denn von ferne stehend seine Lust daran sehe. Wieder ein ander erzahlete / wie er aus seines Nachbars Keller / durch Hülffe eines Tellers voll Nagel geschlagen / und auf eine Stange genietet / über dreyssig Schock Borster Aepffel gezogen. Und was dergleichen Ubelthaten mehr waren. Nun hatte P H I L U R T das seine gerne auch darzu gege-(33)ben / wann er nicht die Wichtigkeit seines durchdringenden Betruges gescheuet. Alleine / ob er gleich seinen schädlichen Possen nicht öffentlich erzahlete / so gedachte er doch desselben in Vertrauen gegen seinen guten Freund / MIRMOD, der ihm denn zuvor einen scharffen Schwur thun muste / daß ers keinen Menschen weiter vertrauen wolte.

CAP. X V . A l i e i n e wie bestandig die Freundschafft; so war auch die Verschwiegenheit. Die lustige Pursche geriethen denselbigen Abend noch in ein Handgemenge / daß es auf vielen Seiten blutige Kopffe und blaue Augen gab. Zu überflüßigen Unglück gerieth M I R M O D unter P H I L U R T S Gegentheil / und lagen diese beyde über einander / und P H I L U R T oben. Diß verdroß den MIRMOD, daß er also bald drohete / die vertrauete Heimlichkeit auszuschwatzen. P H I L U R T führte M I R M O D auff die Seite / und vermahnete Ihn zur Verschwiegenheit / und brachte es durch gute Wort und Vorhaltung des geleisteten Schwurs so weit / daß M I R M O D sich mit einem neuen Schwüre zum Stillschweigen verband. Gleichwohl grollte (34) bey M I R M O D noch immer der Schimpff / daß er von P H I L U R T ZU Boden und so hefftig geschlagen worden. Wer solte nun wohl dencken / daß M I R M O D ein solch Mittel ersinnen können / dadurch er P H I L U R T S Geist-Sache in

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der gantzen Stadt bekant machen / und dennoch keinen Menschen / Kraft seines Schwures / ein Wort davon sagen dürffen?

CAP. XVI. Ö E r listige Hund gieng des folgenden Tages hin in den Strassen=Keller / wo die Nachtwächter / ehe Sie auff die Wacht zogen / erst pflegten eine Kanne Bier zu trincken. Er hatte ein groß Lateinisch Buch mit sich genommen / das legte er auff des Wirths Tisch / satzte sich dabey mitten unter die Stundenrüffer und laß darinne. Der eine Wächter / redete ihn an / was er in dem Wirthshause zulesen hatte: da pflegte man ja zu trincken; dem antwortete MIRMOD: „Ihr wunderlicher Mensch / der Durst hat mich zwar hieher genothiget / alleine meine Begierden wollen mich nicht von Buche weglassen / in dem ich itzo gleich ü - ( 3 5 ) b e r einer MATERIE bin / welche nicht mit aller Welt Gute zubezahlen." „Je / Herr / was ists denn?" fuhr der Wächter fort. Es war zwar des CALEPINI LEXICON, alleine er gab es doch vor ein Buch aus / so Holland nie gesehen hatte; „und gleich itzo" / sprach er / „lese ich die Kunst darinnen / wie man kan Geister versprechen und Gespanster bannen kan / daß sie müssen sagen / was sie haben wollen."

Cap. XVII. W A S vor eine Begierde unter denen Wächtern entstund / solche Kunst zu wissen / ist nicht zu sagen / dieweil sie sich ihrer bißherigen Furcht vor des Calendermachers Geiste auff einmal erinnerten. Sie baten ingesammt / ihnen ein wenig Nachricht davon zu geben. Er erbot sich einen unter Ihnen die Kunst zulernen / weil man dergleichen Wissenschafften nicht so gemein machte. Dagegen solten sie ihm versprechen / daß Sie / wann er etwa sich auff der Gasse lustig machte / ihn niemahls wolten einführen / und beystecken. Der CONTRACT war beyderseits richtig. MIRMOD führte (36) einen von den Wächtern / welchen sie vor den klügsten hielten / bey Seite / und sagte zu ihm: „Wann ihr ein Gespinste sehet / es mag seyn wo / oder wann es will / so sprecht nur diese drey W o r t e : NIMRI, CASPI, DIRI, alsdenn springet / so geschwinde ihr kont / auff dasselbe zu / so wird das SPECTRUM alsbald reden / und sagen / wer / oder von wannen es ist." Er versicherte die einfaltigen Leute dabey / daß es PROBIRT sey / und gieng davon. Da fingen Sie nun an / als bald sich zubereden / wie sie an des

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Calender-Schreibers Geiste die erste PROBE thun wolten. Nun hatte die Glocke zehne geschlagen / da sie zum erstenmal umgehen musten. PHILURT stund abermahl dort in seinen Geist-Mantel / vor dem Kellerloche und hielt Gespräche mit AMALIA. Nun sähe er wol die Wache von oben an kommen; er meinete aber sie würden ihrer gewohnlichen Furcht nach auff der andern Seite der Gasse vorbey gehen. Alleine die nahete sich so lange biß der neue Künstler mit allen Krafften zuschreyen begunte „NIMRI, CASPI, DIRI", und mit allen seinen Gesellen in voller FURIE auff das Gespenste loß sprung. Die Kunst war p r o - ( J 7 ) b a t . Der Geist wurde gefangen. , , B ° t s Stern; das muß ein stattlich Buch seyn / worinne solche fertige Künste stehn." So redeten die Wächter untereinander / und nenneten ihren Anführer / den Geistbanner biß an den Tag seines Todes.

CAP. XVIII. N i e m a l s habe ich einen nachtlich gefangenen in langen Mantel sehen zu Rath«Hause ins Gefangniß führen / als hier. Wiewohl ihm das Glück seine Hand auch in Unglück bot. Er war von der Wache auf den Marckt und nun fast vor das Rathhauß gebracht / kam ein Rittmeister / dessen Diener von der Wache kurtz zuvor war beygestecket worden / auff dem Pferde daher gesprenget. Der Verdruß war umb so viel grosser / weil er den Diener nach Weine geschicket / worauff er mit einer lustigen COMPAGNIE ZU Hause / langer als eine Stunde gewartet. Die Begierde vergrosserte sich bey dem ohne dem muthigen Rittmeister / ie naher er an die Scharwacht hinzu kam. Und da er des Gefangenen Langmantels gewar wurd / vermeinte er nicht (38) anders / als Sie hatten gar einen unschuldigen Priester / welcher von einer Kind-Taufe nach Hause gehen wollen / unbarmhertzig angegriffen / und gefangen genommen. Daher rennete Er zwischen Mitleiden und Zorn in die bewehrte Schar hinnein / daß Sie sich / wie Staub zerschlugen; PHiLURten machte dieses Schrecken lustig / Er nahm sein dabey wahr und entriß / ungeacht er den Trauer=Mantel / den er dem Apothecker abgeborget / muste im Stiche lassen und solchen hernach mit einen Jahr INFORMATION Gelde bezahlen. Jedoch hatte er lieber die Haare von Kopffe gegeben / als eine besorgliche grosse Straffe / in seinen auffrührischen Verbrechen über sich ergehen lassen. Es war dem armen Tropffen wohl zu gönnen / daß er davon kam: Denn er ware in die groste Ungelegenheit gefallen. Deswegen danckte er G O t t / und vermeinte sich nun besser in acht zunehmen; Alleine so vorsichtig als er gehen wolte: so unglücklich war er.

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CAP. XIX.

E S ließ sich numehr die Zeit seines Abzuges von der Schule ansetzen und bestimmen / so muste er ja seinen verliebten Begierden nach allerley Wege suchen / sich mit AMALIA vor seinen Abschied / wiewol in Ehren / recht zuergetzen. Zwar bot Ihm das gutige Glück die gute Gelegenheit an die Hand / daß AMALIA auf Geheiß des Vaters mit dem Gartner vor das Thor in ihren Garten gehen / und die Artschochen wieder den Frost bedecken lassen muste. Weil nun PHILURT solches bald verkundschaffte / hatte Sie gar einen getreuen Geferten an ihm. Sie erlustirten sich ein bar Stunden gar wol / und in dem PHILURT sein VALET nach des Vaters Briefe Ihr anmeldete / war AMALIA leicht Zugewinnen / keine Gelegenheit zur CONFERENS auszuschlagen. Bevorab da sich die bevorstehende Nacht angab / welche Sie beyde mit einer zwey biß dreystündigen Zusammenkunfft unterhalten wolte. Es hatte der Ober Bürgemeister denselben Tag seiner Tochter Hochzeit auszurichten / und dazu viel frembde Leute gebeten / vor welche er unter andern auch (40) bey Herr JUDAEUS ein par LOGIAMENTER bestellet. Das Mägdgen war so nachdencklich / daß sie dachte / es dürffte der Vater auf den Abend die Thür nicht versperren / noch den Schlüssel abziehen / damit die frembden einqvartirten frey aus und eingehen konten. Es ergieng auch also. PHILURT ließ sich selbigen Abend auff diese Manier bestellen: solte nur umb eilf Uhr an die Hauß=Thür kommen / dieselbe auffklincken / und nur gerade / auff der AMALIA bewuste Kammer zugehen / Sie wolte die Thür gleichsfalls unverschlossen anlehnen / da er sie denn alleine in dem Bette finden würde. Und da k0nte er sich zu ihr setzen und ohne Sorgen biß umb zwey und drey Uhr mit allen Vergnügen bey Ihr seyn. Doch solte er ja nicht etwa ein Poltern oder Geräusche machen / damit der schlafflose Vater vielleichte nicht zum Auffstehen bewogen werde. PHILURT gieng in vollen Verlangen nach Hause / und damit er desto behutsamer in seinen Vorhaben erscheinen möchte / zerschnitt er also bald seinen Alltages Hut / und machte sich Filß-Schu / in welchen er in der Nacht zu seinen Liebgen schlieche. Er kam glücklich in der AMALIA Kammer biß vors Bette; (41) denn die Gelegenheit des Hauses war ihm auffs genaueste bekant. Nun hatte der AMALIA Magd noch denselbigen Abend unvermuthet vor das frembde Gesinde ihre Cammer hergeben und sich diese Nacht zu ihrer Jungfer legen müssen. Dazu hatte sie auch das kleine Kind mit samt der Wiege zugleich mitnehmen und zu sich vors Bette setzen müssen. Da stund nun PHILURT vor dem Bette im Stockfinstern; Die Magd und AMALIA schlieffen feste. Da er nun horete daß ihrer zwey im Bette lagen und schnaubeten / auch mitten in den Gedancken unversehens an die Wiege stieß / daß das Kind ein wenig zu meckern anfieng; erschrack er mehr / als wann ihm

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einer einen Degen durch die Ribben gejaget hätte. Dann er gedachte er hatte in der Liebe und Finsterniß sich verirret und ware in des Wirths oder des Vaters Cammer kommen / da dieser mit seinem Weib und Kinde so sanffte der Ruhe pflegte.

CAP. X X . W i e geschwinde kehrete er umb / und eilete aus der Cammer / nicht anders als ein Mart von Hüner-Hause / und s u c h - ( 4 2 ) t e der AMALIA Cammer. Unterwehrenden suchen aber kam er vor des Schwieger=Vaters Kammer. Weil nun der AMALIA Mutter etwa vor der Stunde zu ihrer Schwester Kindesnothen aus dem Schlaf war geruffen worden / hatte Sie in eilen die Kammer=Thür nicht hinter sich zugeschlossen. Hiedurch vermeinte PHILURT dieses sey die verlangte Kammer / weil dieselbe der Abrede nach offen stünde. Er gieng getrost hinnein / und seine Meinung bestarckte dieses: Daß er nur eine Person im Bette schnauben horete. Nun gedachte er das gesuchte recht gefunden zu haben / ob es gleich der in Bette liegende / und gefürchtete Herr JUDAEUS war. Vor Freuden entschloß er auch bey sich AMALIA einen Schertz zu erweisen. E r ließ seinen anhabenden Reut-Rock fallen / und legte sich gerades Weges zu seiner vermeinten AMALIA ins Bette / und sagte: „Allerliebstes Engelgen; ist mir der Weg nicht sauer worden. Sie gedencke doch nur; ich hatte mich verirret / und war in des alten Hundsf. ihres Stieff-Vaters Kammer gantz nahe ans Bette kommen. Biß ich endlich an die W i e - ( 4 3 ) g e stieß / und den Irthum merckte. H a ! Wie zog ich mich zurücke. Numehr aber bin ich froh / daß ich Sie mit vollen Freuden um barmen k a n . " Mit diesen Worten nahm er auch die Unrechte AMALIA, nehmlich der AMALIA Stief=Vater selbst in die Arme. Dieser umschloß PHiLURten wieder mit seinen Armen und Beinen / daß er sich nicht regen kunte / und schriehe alsobald hefftig nach Li echte. AMALIA, die ohne dem nicht feste schlieff / sondern nur mit halbgeschlossenen Augen ihres bestellten Gastes erwartete / war alsobald munter. Sie eilete aus dem Bette nach dem Feuerzeige / und überbrachte dem ruffenden Vater ein angezündet Liecht. Da sie nun vermeinete einen Dieb helffen zu fangen / sähe sie die Liebe zwischen dem Stieff-Vater und ihren PHILURT, welche einander so umbschlossen / daß sie wie ein unförmlicher Klotz aus dem .Bette auff die Erde fielen.

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Verschwiegenheit bringen wolte. Denn er besorgte / PHILURT werde / wo nicht noch diese Nacht / doch folgendes Tages den gantzen Handel ausschwatzen.

CAP. XXIII. N O t h und Schimpff lehrte den guten Mann gedultig seyn. Er rieff seine Stieff=Tochter / und gab ihr zuverstehen / daß ihn der Zorn übereilet / und daß ihr übles TRACTEMENT ihm sehr leid sey. Er bat sie gantz beweglich / sich PHILURTS Gemüth in diesen Stück zu bemächtigen / damit er / was vorgegangen / nicht nachsagen mochte; hingegen wolte er ihm alles verzeihen / und an alle Beleidigung nicht mehr gedencken. Und damit er PHILURTS Verschwiegenheit desto versicherter seyn mochte / verlangte er mit Ihm in der Frühe selber zu reden. AMALIA nahm solches vaterliche Begehren an / und schickte noch vor Tage ihre Magd zu PHILURT, ließ ihm des Vaters Gemüth erofnen / und zu solchen Absehen in Person nothigen. PHILURT hielte diese Worte vor keine B r ü - ( 4 7 ) c k e / denn er trauete sich nicht darauff zugehen. Die Magd brachte diese Antwort zurficke: MONSIEUR PHILURT ließe sich gar schön bedancken / daß der Herr Schwieger-Vater ihm den Nasen=Knip verzeihen wolle. Er wolte solches auf der Städte mit Danck erkennen und Ihm hinwieder vergessen / wie er von Ihm in den knöchern Armen / gleichwie von einem Baren / ware gedrücket worden. E r wolte auch nechst diesen verschwiegen seyn und ihn versichern / daß die RECONTREE kein Mensche erfahren solte; AHeine daß er Personlich in seinen Hause / IN LOCO QVASI DELICTI dis Begehren anhören solte / stünde ihm nicht an. Sie wolten doch wol gute Freunde seyn / wann Sie gleich nicht zusammen kamen.

Cap. XXIV. PHILURT war um der Verweigerung nicht zuverdencken; Denn ich hatte selbst gedacht / Herr JUDAEUS wolte PHILURT ins Garn locken. O b dieser nun gleich noch einmahl auff der AMALIA Wort zuerscheinen versichert wurde / wolte sich dennoch der s c h l a u e F u c h s nicht einfinden. Er blieb {48) auf seinem Kopffe; Er wolte nicht kommen / und wann er ihm seine Kutsche schickte. Weiter ließ sich PHILURT nicht ein: und Herr JUDAEUS muste sich an den blossen Worten vergnügen lassen. Hiemit wurd ihm bange / und kam ihm sehr schwer an / eine dichtige Lügen zuerdencken / womit er die zerfetzte Nase bey denen Leuten entschuldigen wolle. Gerne

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hltte ers der Katze Schuld gegeben / wenn diese nicht so gar spitze Zihne gehabt hatte. Er dachte hin und her; kunte aber keine rechte Ursache zu der sichtbaren Wunde erfinden. Endlich halff ihm sein einjährig Kind aus der Noth / von dem er vorgab / es hatte unter gepflogenen Schertz ihn so hefftig mit den spitzen Zanen in die Nase gebissen. So weit ließe sichs endlich hören / in dem das unmündige Kind sich nicht verantworten kunte. O b nun wohl dem geplagten Kauffmanne die zerschwollene Nase vor dem Kopffe stund / wie ein ausgebackener Pfankuche / daß er wol Ursache gehabt / nicht aus zugehen; Dennoch konte ihn der Geitz nicht im Hause behalten. Er brauchte zum Behuff das kalte Wetter und stackte auff der Gasse die Nase in den Muf / daß ein ieder meinete / er müsse (49) dieselbe vor der Kalte verbergen. Er hörte / daß auf dem Viehmarckte / vor dem Thore / Schweine ankommen waren. Dieselben muste er nothwendig besehen / ob er vielleicht überhaubt einen guten Kauff treffen könte. Denn es stund alles seinem Handel an / wann es nur PROFITABEL war. E r spatzirte gleich hinter der Stadt-Mauer / (wiewohl nicht ohne Gedancken /) hin / so kam PHILURT ohngefehr Ihm entgegen. Dieser faste sich ein Hertz / weil er ohne des in acht Tagen fortzöge / und vermeinte Freund und Feindschaft mit ihm zu wagen / und solte es auch zur Faust kommen. Herr JUDAEUS aber ließ sich von PHILURTS Degen / den er als ein junger UNiVERSitat-CANDiDAT zum erstenmahle anhatte / fürchtend machen. Sie sprachen einander freundlich zu / mit solchen COMPLIMENTEN, als wären Sie Brüder / welche einander in zehn Jahren nicht gesehen hatten. Da giengs an ein Hinde drücken / wie zu Lintz auff dem Viehmarckte / wann die frembden Fleischhauer zusammen kommen. Einer bat den andern umb Verzeihung / und waren alle beyde gehorsame schuldige Diener. Herr JUDAEUS URGiRte mündlich die Verschwie-(50) genheit / welche PHILURT gar gerne mit einer hohen Betheurung nochmals versprach / vorgebende / daß er ohne dem nunmehr in acht Tagen auf die hohe Schule ziehen werde. Da fieng JUDAEUS nun erst an / den bevorstehenden Studenten recht zu ehren. O b er aber ihn gleich auff den Abend zu sich zu Gaste bat / wolte PHILURT doch nicht trauen / sondern bedanckte sich. In ein ander Wirthshauß aber mit Ihm zu gehen / wolte er zu gelegener Zeit nicht wegern. Der Kauffmann ließ sich dieses allezeitiges Belieben gefallen / und hielt bey PHILURT an / nur noch vor seinem VALET Abschied bey Ihm zunehmen / und das Ihm zugedachte geringe Andencken nicht zuverschmahen. Er bedanckte sich aber nochmals / ob er gleich hatte dencken können / es hatte ihm Hr. JUDAEUS zum Andencken eine Auskleidung gewiedmet. Wiewol er nicht Ursache hatte / sonderlich darumb sich zu bemühen. Denn es hatte seine AMALIA die vergangene Nacht schon die beste Englische Serge / Knopffe / Band und Unterfutter in dös Vaters Gewölbe vor ihren PHILURT zu einem Kleide ausgenommen /

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die Verlobte Magd / welche er schwanger zurück gelaßen / und die eben auf des Probsts Kindtauffen diese P R O M O T I O N genoßen hatte / mit vollen Fruchten zu dem neuen Herren PASTOR, als ihren Liebsten / aufs Dorf kam / mit welcher er bey Nacht sich davon machen und mit nicht (56) geringer Schmach seines Beförderers aus dem Lande lauffen muste.

CAP. XXVII. E i n anderer guter Kerl must nachsehen welcher mit dem erbarn Herrn P E T E R O zugleich um den Dienst angehalten; und / ob er gleich wol studiret und ein zwölfjähriger A C A D E M I C U S war / nichts anders bey dem Probst zur Antwort empfing / alß dieser P E T E R U S ware ein ansehnlicher Kerl / und konte das COMPENDIUM H U T T E R I AD UNGVEM auswendig: Er müste nothwendig hiezu befordert werden. Nun freuete sich zwar der gute C O M P E T I T O R gar nicht / über dieser allgemeinen Schande und Ergernis / doch gleichwol damit der aufgeblasene Probst eine kleine C O R R E C T I O N seines Eigensinnes finden mochte / machte er ein Lied / und schickte es an Herr Johannes / einen Pfarr / welcher des Ober Pfarres und Probsts INSPECTION mit I N C O R P O R I R E T war. Es lautete also: 1.

K.Omt /

(57)

C O N F R A T R E S , helfft mir lachen Und ein lächerliches Lied / Uber die Befördrung machen / Dadurch ihr ein neues Glied Sehet itzt in euren Orden. Futtersack ist Pfarrherr worden.

2. Schaut der Ober«Closter O V A E S T E R Nimt sich diese Korcke raus / Schickt den stinckenden Sylvester Ohne Probe Predigt naus / Auf des Landes Cantzelstuffen / Da Ihn doch kein Mensch beruffen. 3. Priester müssen gar nicht lauffen Und PER G E N I T I V U M sehn /

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Wie Sie sich zu Heerd und Hauffen Unter arme Schaffe drehn. Wer nicht durch die Thür geht forder / Bleibt ein Mietling und ein Mörder.

4. Traun! es ist gar schlecht bestellet / Wann euer kluger SENIOR Selbst in tausend Schwachheit fallet / Und wird ein berühmter Thor. W e h ! wan Dorfer tolle Hirten Müssen stets bey sich bewirthen.

5. Futtersack hat nicht viel Blatter In GERHARDO

umgewand.

Doch ein SENIOREN Vetter Dringet ins Gelobte Land / Wann er sich nur will beqvemen / Und des Bischoffs Muhme nehmen. 6. Herr PETERUS kennt die Biebel Kaum nur auf dem Titulblat. Aber die Bier«vollen Kübel Besser er durchlesen hat / Daß / wann dieses hies studiren K6nt er balde Doctoriren.

7. Wann der Fleiß stack in den Kannen / Traun! so war er ein Student / Und bey Apotheckers Annen G a r ein

SUPERINTENDENT.

Aber: ο der Berenhauter Daugt so kaum zum Glockenlauter. 8. Das heist ja recht / vor die Schweine Werfen diese edle Perln.

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verließ er das Bette / stund auf / und schrieb einen allgemeinen Befehlig / dadurch er alle ihm untergebene Land Pfarrer (63) anhielte / daß Sie von Stund an dem Kirchner / welcher APOSTOLUS dieser MISSIV war / die CONCEPTE von nechst abgelegter Predigt aus antworteten. Denn er gedachte also gewiß durch Erkantnis der Hand / hinter den Meister des PASQVILLES zukommen. Alleine / wie gehorsam auch die guten Leute dieser Verordnung waren / so vermochte man dennoch nicht den Thater daraus zuerfahren: Dieser aber saß und hatte seine innerliche Lust über dem grossen und dennoch vergeblichen Bemühen. Dieweil man nun auf keinerley Weise hinter eine Nachricht von dem klugen Autor des PASQVILLES kommen kunte / so wurd endlich der Schluß gemacht / man solte dieselbe gantze Dorfschafft / wo Herr Johannes Pfarr / und das PASQVILL gefunden war / auf den Gerichts=Platz unter die Linde beruffen / und solte so wol der Schultze alß Pfarr bey der Versandung sich mit einen gravitätischen Eiffer hören lassen / und wol Achtung geben / ob auch einer von denen anwesenden Bauren errothen möchte: Den man alßdenn fragen und zur Aussage auf sein Gewissen anhalten konte.

(64)

CAP.

XXX.

N U n ist derjenige recht unglückselig / welcher durch die Schamhafftigkeit der Bauren sich in seiner Beschimpfung will geholffen wissen. Die berufne Gemeine erschien; Sie hatten sich aber meistentheils in des Gemeinde Beckers Hause zuvor in Brandteweine so voll gesoffen / daß Sie glüheten wie die rothen Zinßhane. Etzliche handelten auf der Nase und in gantzen Gesichte gar mit Rubinen; welches Sie aber mit einer hitzigen Leber und feurigen Geblüte bey dem Herr Pfarr andachtig entschuldigten. Ο wie schwer war allda der Bauren schamhafftige Rothe zuerkennen. Lachens genug hörte und sähe man / denn die Blutschelme waren eben so alber nicht / alß etwa die INQVIRENTEN gedachten. Und hiemit hatte die Hitze bey dem Herr Probste ein Ende.

CAP. XXXI. D A m i t ich aber nun auf PHILURT und TAMIRO wieder zurück komme / so hatten diese beyde indeß den Tag ihrer Abreise / auf die Universität erlebet. Wiewol Sie zwar in Geheim davon zogen und gar nicht (65) viel wesens von dem Abschied machten. Denn sie waren ziemliche Studenten=postgen

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schuldig. Der Schuster / der Schneider / der Rathsbierschencke / die Wäscherin / und sonst andere treuhertzige CREDITORES, welche dem Bruder STUDIUM bar Geld geliehen / waren alle wachsam / auf ihrer beyden Schuldner Abschied ein Auge zu haben. Jedoch waren sie durch PHILURT so sicher gemacht / daß gesamte Schuldforderer vermeinten / das VALET würde erst in vier wochen angehen. Unter diesen CREDITORIBUS war sonderlich ein alter ehrlicher einfaltiger Mann / welcher sein Brodt mit Aepfel und andern Obst-Verkauf des Tages über auf dem Marckte in Hitze und Frost zu Heller und Pfennigen erwerben muste / Nahmens PARCECULIA. Dieser hatte PHILURT auf klagliches Bitten und Vertröstung seines bald kommenden Wechsels zwölf Rthal. nach und nach Stückweise geliehen. Und eben da PHILURT mit seinen Geferten den Abschied hinter der Thür genommen / und numehr schon vor die Stadt auf das nechste Dorf kommen; begegnete ihnen zu rechter Zeit / der alte PARCECULIA gleich / da er einen Schiebkarn voller Qvetztschken auf dem (66) Dorfe geholet / welcher sprach: „ E y Herr Philurt / ich dencke nicht / daß ihr etwa werdet davon ziehen und mich nicht bezahlen." PHILURT versetzte: „ E y bildet Euch doch das nicht ein / ich werde so undanckbar nicht seyn: ihr solt ehrlich bezahlet werden / wann ich in viertzehen Tagen wiederkomme." Der alte Simple Obstkramer merckte / daß seine Bezahlung auf einer CONDITION der Wiederkunfft bestehen solte / welche aber sein Schuldman bey vorhabenden Betrug eben so wenig erfüllen mochte. Vermeinte daher / weil er in seinen alten Hertzen richtig und viel auf seinen ehrlichen Nahmen hielte / es würde der Junge Student auch die Art an sich haben. Drunge derowegen nur auf eine OBLIGATION, mit diesen Worten: Er solte Ihm nur ein beschriebens mit seinen ehrlichen Nahmen darüber geben. PHILURT wüste / daß der gute alte Man nicht lesen kunte / war derowegen bald dazu RESOLVIRET, und versprach mit ihm ins Dorf zugehen / und bey dem Schulmeister eine Handschrifft zuschreiben: Bat auch dabey Ihn nicht etwa (67) vor dem Schulmeister zu schimpfen / und von der Schuld zu sagen / vielweniger Ihm die OBLIGATION ZU weisen. PARCECULIA versprach solches / und ließ seinen Schiebekarn unter TAMIRO seinen Schutze vor dem Dorfe stehen / gieng mit hin / und brachte seinem Schuldmanne Feder / Dinte und Papier vor sechs Pfennige zuwege. Inzwischen besinnete sich PHILURT, wie er die OBLIGATION einrichten wolte. Gleich wie Ihm aber in Schelmstücken niemals was ermangelte / so fehlete es auch hier nicht. E r satzte sich hin und schrieb: Uber das ist zwischen Uns und Euch eine grosse Klufft befestiget / daß / die da wollen von Uns zu Euch hinabfahren / mögen nicht; auch ihr nicht von dannen zu uns herüber kommen MARCI a m 16. C a p . ν. 2 6 .

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digen Sache mit dem Maule gegen die Frau zuwehren. Hieß die Frau unter andern die Magd eine Hure / so wurde Sie von derselben eine Ehebrecherin genennet. Und ist nicht ohne / es schienen diese TiTULAturen etwas glaublich. Denn die Magd trüge meistentheils Hembden / darinnen Studenten Nahmen stunden / und an ihren Bette hatte die Frau manch schönes bar Schlaffhosen hangen sehen. Die Frau aber hatte einen alten Mann / welcher als ein EMERITUS seine meisten Dienste schon gethan / und den guten Willen vor die That leistete. Daher denn das unbediente Weib / daferne sich etwa eine beqveme COMPAGNIE im Gasthofe zu ihrer guten Gelegenheit einfand / den Alten so sorgfaltig zu warnen w u - ( 7 J ) s t e / er mochte doch ja zu Bette gehen / damit er nicht etwa gestossen würde; eben als wann Sie ihm das Leben noch so lange gefristet wissen wolte; da doch die Vernarrung nur dahin gieng / wie sie den alten aus dem Wege bringen und das groste Hindernüß frembder Liebe abschaffen mochte.

CAP. XXXIV. iNzwischen hielt die Uneinigkeit zwischen Frau und Magd hart an. Und gleich wie in gemein die Zungen der Weiber Schwerder seyn: also waren auch hier Worte viel schmertzhaffter alß die tiefsten Wunden zu empfinden. Unter andern Schmachreden nun / war auch das Wort M a u l A f f e zuvernehmen / welches die Magd von ihrer Frauen verschlucken muste. Dieses Wort nun ward von der gantzen Gast=Gesellschafft / welche durch eine Kutsche voll Studenten von Antwerpen in selbiger Stunde war verstärcket worden / der massen belachet / biß es endlichen gar in eine weitlaufftige Erwegung von der COMPAGNIE gezogen wurde. Jeder war bemühet des lächerlichen Worts Ursprung zu erkundigen; kunte aber von Niemanden (74) recht erklaret werden / biß endlichen die Fr. Wirthin selbst / alß Urheber des belachten Nahmens fast daher wieder besanfftiget war / dieweil man über den gesprochenen Maulaffen so gar grosses Gelachter geführet. Oder ob sie vielleicht darüber wieder Muths worden / nach dem der Tisch von Gasten so starck besetzet / und eine Hoffnung zu gegenwartigen Gewinst sich sehen lassen. Sie war nicht blöde auf Beruf der Gaste sich vor den Tisch zu stellen und das W o r t : Maulaffen / ihrer Meinung nach zuerklaren: Indem sie sagte / dieses Wort habe bey ihr keinen andern Verstand / als den / wann iemand in einer Sache politisch und klug sich bezeigen wolle / und sey doch so alber / und einfältig / daß wann man gleich mit einem solchen Menschen wegen seines Verstandmangels Barmhertzigkeit haben wolte / man dennoch über dem Zorne / so aus des einfaltigen Menschens Hoffarth entstanden / nicht

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dazu gelangen konte. Mit kurtzen / sie meinete so viel / ein Maulaffe sey nichts anders alß ein einfaltiger und dennoch hocheingebildeter Mensch.

(75)

CAP. X X X V .

D i ese Beschreibung eines Maulaffens an sich selbst liesse sich endlich noch wol / nachdem sie von einem Weibe geschehen / anhören: zumalen sie auf den gegenwartigen Zustand gerichtet / und auf die Magd gemacht war / welche in denen Gedancken stunde / als ware sie viel schöner als die Wirthin / und daß daher die Frembden ankommende Gaste sich eher in sie verliebten / alß in die Frau. ITEM daß sie besser Essen konte kochen / ja die gantze Haußhaltung besser verstünde / als die Frau. Welches denn aus nachfolgender Historie destomehr bestarcket wird. Denn alß ihre Frau wenig Monat darauf mit Todte abgieng / wurde sie / die Magd in einer Nacht so klug / daß sie sich Gedancken machte / es würde der Verwitbete Herre sie gar gewiß heyrathen / weil Sie ihm etzliche mal im Bade auf dem Rücken waschen / auch im Bette / wenn er Schweißpulver eingenommen / abdrucknen müssen. Sie entzog sich derhalben aller anderer Magde CONVERSATION, und legte ein gut Stück ihres Lohnes an Bander zukauffen / und die Ermel damit zubinden. Und damit auch (76) die Hände durch Waschen und Scheuren nicht noch grober gemacht würden / verlohnete sie alten Weibern dergleichen Arbeit. Nun stelle ich dahin / ob sie dem Herrn in seinen Witberstande etwa zuweilen / wann er aus dem Weinkeller kommen / das Bette warmen müssen; und deswegen zu dieser Hoffnung des Ehestandes behertzter worden. Hiemit nun verfloß fast ein halbes Jahr / da der Herr noch von keiner Anwerbung gegen Sie gedencken wolte. Solche Zeit wurd der guten Magd zu lang / da zu dem auch sich eine Rede in der Stadt erhub / alß wolte / der Witber / ihr Herr eines Jubilirs Tochter heyrathen. Der gute Herr war kaum auf den Abend nach Hause kommen / so wüste die Magd von des Jubilires Tochter zu reden / wie sie nemlich keine Haußhaltung verstünde / wie sie sich mit andern Kerln herumloffelte. ITEM, Sie naschte heimlich und liebte den Trunck. Sie trage an ieden Arme ein Fontinell und rieche ihr übel auß dem Munde / und hatte gar einen Bruch. Nun lasse ich das letzte an seinen Ort gestellet seyn / und mag es endlich nicht disputiren: sondern will nur dieses sagen / daß der Herr noch an solche Heyrath ( 7 7 ) nicht gedacht / oder da er ja was im Sinne gehabt hatte / durch solche übele RECOMMENDATION in einen ziemlichen Eckel wider des Jubilirers Tochter ware gebracht worden. Dieweil nun aber bey der guten Magd die Gedult zu warten sich vom Tage zu Tage verlohr / auch die Gefahr / es möchte sich der Herr etwa einmal beym Trunck wo anders

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lung befreyet. Der Lohn dieses Betruges aber war / daß die arme Hure in Ge-(#0)stalt voriges Gespenstes auf einen Esel gesetzet / und durch die Stadt herum gepaucket wurde.

CAP. XXXVI. D i e s e r Ursprung nun der Maulaffen gab alsobald Anfangs / und vor diesem Falle des Gespenstes / der Reisenden C O M P A G N I E durch Hulffe der Wirthin genügsame Ursache dem Worte Maulaffen ferner nachzudencken. Und iemehr sie demselben nachdachten / ie tieffer sie sich in solche Betrachtung einliessen. N u n war ein alter C A N D I D A T U S JURIS mit über Tische / welcher aus diesen Scoptischen Titul die jenigen gerne gerissen hatte / welche von Natur SIMPLE und einhirnige einfältige Leute seyn / ohne Hoffarth und Einbildung. Daher er denn sagte / diejenigen waren nur rechte Maulaffen zu nennen / welche am Verstände schwach / und der Einbildung nach die klügsten seyn wolten. Und darinnen eben bestünde die gröste Narrheit der Welt. Was wegen denn solche / zum Unterscheid der von Natur Einfaltigen und zugleich Demüthigen / mit einen Zusatz: P o l i t i s c h e M a u l a f f e n / konten genennet werden.

(81)

CAP. XXXVII.

S o l c h e Benahmung war der gantzen Gesellschafft so angenehme / daß sie allerseits in diesen Beysatz willigten / und alle hoffartige Narren P o l i t i s c h e M a u l a f f e n nenneten. I N PRAXI gab ihnen die erste Gelegenheit CZIVA, ein Ungrischer junger Edelmann / welcher sich alsobald / da sie sich zu Tische satzten / unerfordert zum TRENCHiren anbot. Alldieweil sie aber auf der Reise der Frantzosen Gewohnheit nachlebeten / und ieder vor sich selbst zugrief und abschnitte / wohin ihn sein APPETIT wiese / so war das kühne Anbieten des Naseweisen Edelmannichens umsonst: iedoch nicht gantz vergebens. Denn den folgenden Tag war der Stadthauptmann zubegraben / und denen Leich=lNTERESSiRten nach dem Begräbnis eine Trauermahlzeit zu geben. Nachdem man nun an der Haupt=Taffel beym Begräbnis gerne einen Edelmann zum Vorschneider gehabt hatte / so kam dieser erste Maulaffe gar zu gelegener Zeit. Der Wirth im Hause gedachte sich bey denen vornehmen Leidtragenden gar wol zu RECOMMENDiRen / wann er diesen sich selbst aufwerffenden TRENCHican-(82)ten / zumal im Nothfall / vorschlagen würde. Er verzog nicht in das Trauerhauß zugehen /

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und die Sache so weit zubringen / daß der von CZIVA alsobald durch einen Trauer-Marschall abgeholet wurde. Und also ließ er sich über die Gasse zur Trauermahlzeit hinfuhren. Hinter ihm an ließ er zwey Bediente folgen / deren einer ihm einen Trauermantel / und silbern Stab / der andre aber einen gantzen Arm voll TRENCHIER-Messer nachtrug. Alß er nun ins Gemach unter allerhand Hoffligkeit geführet wurde / sahen aller anwesende Gaste Augen nicht so wol auf die Person / alß auf die Menge der Messer / mit höchster Verwunderung erwartende / was allda vor gantz neue und noch nie gesehene Ceremonien beym TRENCHiren vorgehen würden.

CAP. XXXVIII. D i e Gaste waren numehr zur Taffei gesetzet / und der TRENCHICANT aufgeführet / welcher itzo die vorgetragenen TRACTEMENTE angreiffen / und vorlegen solte. O b nun gleich die Taffei zum Uberfluß bestellet / ja fast dreyfach mit Voressen versehen war; dennoch aber grief der unbesonnene (83) ANATOMICUS, alß er im Auftritt alsobald einen grossen Becher mit Weine umgestossen / zu erst nach denen Krebsen / deren groste er ieglichen erst auf zwey Stücken schnitte / auf die Teller legte und mit JohannesbeerSaffte begoß / welcher sonst von dem Speisemeister zum Rehebraten gewidmet war. Hiernechst grief er nach denen Schmerlen / welche / Gebrauch nach / in ein gar zierlich SERVIETTE, oder Handtuch eingeschlagen waren. Diese schüttete er alsbald aus in die Schüssel und schnitte das weise Handtuch in so viel Stücke / alß er Personen an der Taffei zu bedienen hatte / und legte einem ieden seine PORTION Schmerlen auf ein Stück SERVIET, und übergab es. Die Pasteten waren allesamt in gebackene übersilberte Gehäuse eingefast / die nam er endlich auch vor / loste die Decke ab / und angstete sich über die Massen / dieselbe in zwolff gleiche Stücke zu theilen / daß er eher ein solch Stücke Spünde=Bret hatte zerschneiten können / als das Steinhart gebackene liebe Brodt. Und nunmehr grief er zu denen CONFECTUREN: die waren nun alle auf erhohete Stellungen versetzet / welche gar prachtig mit schwartzen Flohre beknüpffet (84) waren. Diese legte er gleicher Gestalt also vor / daß er auf einem iedweden Teller ein Stück abgeschnittenen Flohr mit PRAESENtirte. Und weil man endlich gar besorgte / er mochte die Schüsseln / Leuchter und Tischtücher auch zerschneiden / und denen Trauergasten mit nach Hause geben / so bemühete man sich / unter einem hofflichen Schein / mit Vorwand / er habe sich allzu sehr bemühet / ihn an die Beytaffel zu bringen / und fernerer Bedienung zu überheben.

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CAP. X X X I X . U N t e r dessen hatten nun PHILURT und TAMIRO genug von ihrer Wirthin zuerlernen / welche Sie in Erkantnis der Maulaffen immermehr unterrichtet. Sie hatte auch erfahren / wie der Ungrische von Adel MÖNS. CZIVA in TRENCHiren bestanden hatte. Diesen brauchte sie zum neuen Exempel / versatzte gar artig / alß Sie um fernere Beschreibung der Maulaffen von TAMIRO gebeten wurde: hatten sie doch selber einen Maulaffen in ihrer COMPAGNIE, der sich gestern bey dem Trauer=CoNvivio des TRENCHirens unterstanden / welches er noch am wenigsten gelernet hatte. Sie bliebe {85) hierdurch auf vormalß gegebener Beschreibung der Maulaffen / daß es Narren waren / welche über Hoffarth und Großthun sonst nichts gelernet hatten. Wiewol nun das schwache Weib Ursache gehabt hatte / bey jungen klugen Studenten sich wol in Achtzunehmen / damit Sie nicht in ihrer Maulaffen=Lehre gestrauchelt hatte / so begieng Sie aber solche Fehler / daß Sie selbst von gesamter Gesellschafft vor einen politischen Maulaffen / wiewol noch zur Zeit / in Geheim / muste gehalten werden. Sie gedachte / es konte der Staat einer Wirthin keines wegen Ruhm erlangen / wann Sie nicht ihre Gaste mit Wildpret TRACTiRte. Nun war zwar der Gasthof vor diesen in gar gutem Beruf gewesen / und pflegten auch die vornehmsten Leute darinnen einzukehren. Alleine / nach dem der alte Wirth darinnen gestorben / und Sie die Wirthin / wiederum einen Deckel allseitiger Liebe von nothen hatte / und daher / weil kein sonderliches Gedränge um sie war / den ersten den liebsten / nemlich einen einfaltigen Tropf zum Manne / genommen / damit sie in denen Wegen voriger Wollust ja nicht etwa gehindert wurde / war dadurch der Gasthof {86) in Abnehmen und verschmälerten CREDIT gerathen: und doch gleichwol wolte das Weib durch Betrug eines geheimbden Staats ihre RENOMEE fort setzen. Oben in der Hohe vor dem Fenster nach dem Marckte zu hatte Sie etzliche mit Hew ausgestopfete Hasenbalge hengen / daß alle vorbey gehende nicht anders dachten / es muste in diesem Gasthofe lauter Wildpret gespeiset werden.

CAP. X L . Hierinnen nun war der guten Wirthin nicht wol zu Muthe: indem die Gaste einen gebratenen Hasen zum Frühstücke verlangeten. O b [. . .] Sie nun wol vorgab die Unmügligkeit ihnen zu willfahren / dieweil der Graf von LIVERRE, welchen Sie künfftigen Abend zubegasten / hatte so viel Hasen bestellen lassen / dazu Sie die vor dem Fenster hangenden noth-

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wendiger brauchte. Jedoch fiel ihr mitten in der Entschuldigung eine List ein / wie Sie dennoch denen Studenten einen Hasen braten lassen wolte / ob sie gleich keinen hatte. Sie verschloß sich alsbald in einen Stall / vertröstete aber zuvor die Gaste / auf den Abend einen Hasen (87) zu speisen / und ergrief eine junge Ziege / zog ihr die Haut ab und richtete dieselbe in Gestalt eines Hasens zu. Und damit derselbe Braten Hasen Glauben finden mochte / nehete sie gar mühsam an statt der Ziegenfüsse zwey Hasenläuffte an: es ware auch die Ziege vor Wildpret PASSiret worden / woferne sie nur auch dem inwendig weissen Ziegen-Fleische eine braunliche Farbe hatte einstreichen können. Aber / so wurde die Maulaffin erdappet: Das Bruder=STUDIUM war ihr zu klug / welches gar feine DEMONSTRATIONES an dem Braten zu thun / und dem Hasen recht auf die Nahte zu greiffen wüste. Damit verbarg sich die Wirthin: Die Gast= COMPAGNIE trieb ihre Kurtzweile biß in die Nacht mit dem Staats* TRACTEMENT ; und gaben dem Gasthofe einen andern Namen: welcher biß auf den heutigen Tag T r o t z = W i l d p r e t heist. Andere wolten ihn gerne nennen / das W i r t h s h a u ß z u m H a s e n = H u r k i n d e : Andere: D e r G a s t h o f z u m Z i e g e n = F u s s e : Wiederumb andere: D e n H o f z u m S c h n e i d e r = M o r d . Vielleicht weil eine Ziege darinnen ermordet.

CAP. XLI.

(88)

U N t e r d e ß gab dieser Spaß doch fernere Ursache nach mehr Maulaffen zu fragen; TAMIRO sonderlich und PHILURT, giengen in diesen Gedancken zu Bette. In der Ruhe gedachten Sie auch zurücke / nacher Mecheln / wie es doch allda stehen müsse. Und indem sie sich ihren nothdürfftigen Zustande zu Sinne zogen / gerieth sonderlich PHILURT auff den Vorschlag: Sie wolten in ihren sorglichen Zustande ein Jahr lang auf INQVISITION der Politischen Maul=Affen / und so weit sie kommen konten / die Welt untersuchen / wie vielerley Arten sie doch derselben zusammen bringen konten.

TAMIRO

war

mit

seiner

RESOLUTION

geschwind

fertig

/ und

willigte alsobald in solchen Vorsatz. Sie verbunden sich beyde / unter einem Deckebette / nicht nachzulassen / biß Sie dergleichen Schein» Politische Staats*Narren nach mancherley Art angetroffen hatten. Was vor eine Freude unter diesen Vorhaben in ihnen erwuchs / steht nicht zu beschreiben; weil auch die Sorge des Geld=mangels in solchen Vornehmen sie nicht hinderte. Denn beyde wurden (89) schlüssig / sich keinerley Mittel der Nahrung zuschamen; Sie wolten vor denen Thüren CANTiren / denen Leuten den Planeten lesen / im Falle / Pülverlein von Krafftmehle machen / und denen Bauren verkauffen / solche dem Viehe einzugeben /

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daß es nicht behexet werde. Item Sie wolten Wündschel=Ruthen schneiden und denen einfaltigen Leuten verkauffen: auch bißweilen wol eine Zeche im Wirthshause anschreiben lassen / und durch geheimbden Abschied vor der Sonnen Aufgang bezahlen. In Summa / es war ihnen gar nicht leid / mit allerhand Studenten=List durch die Welt zukommen. Alleine darein ergaben Sie sich absonderlich / daß Sie beyde auch Politische Maul=Affen seyn müsten. Jedoch nur auf eine Zeit / und so lange / biß Sie ihre Reise vollendet / und die mancherley Arten der Maul=Affen erkennet hatten. Ihr lustiges Vorhaben ließ Sie wenig schlaffen. Sie stunden noch vor Tage wieder auf / und machten zu dem kurtzweiligen Leben einen guten Anfang. Sie belustigten sich von Morgen an / wieder über den REFORMIRten Hasen: Und so lange TAMIRO in der Küche ein warm Bier zurichtete / dichtete PHILURT nachfolgende Satze darauf.

{90)

1. Holla! her! die Teller klappen. Brüder / nahet Euch der Kost / Wer den Hasen will ertappen. Der versäume nur die Post. Besser ists ja / Wildpret speisen / Alß mit leeren Bauche reisen. 2.

Zwar ich irre mich gar sehre; Denn es ist ein Ziegen=Geist. Schneider / tretet ins Gewehre / W o man solche Braten speist / Und beschützt mit Scher und Schild Eur gebraten Sinnebild. 3. Traun! die Wirthin ist getroffen Selbst mit einem Hasen=Schrot / Weil Sie last auf Hasen hoffen Bey dem spaten Abendbrodt. Da Sie doch nur nechst dem Trunck Giebet einen Hasen=Sprung. 4. Zwar die Thiere seynd einander Dennoch nah genug verwand /

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Wie ein Frosch und Salamander / Und wem die Natur bekandt / Der wird iederzeit gestehn / Daß Sie auf vier Fussen gehn. 5. Ziegen hüpffen / Hasen springen: Beyde fressen grünes Kraut. Diese fanget man in Schlingen / Jenen gerbet man die Haut. Ziegen meckern: Hasen schreyn. Sölten Sie nicht Schwager seyn? 6. Doch ein Lang O h r schmecket besser / Alß ein solches Schneider-Reh. Das Belieben wird viel grösser / Wann ich in der Küche steh / W o ein wahres Wildpret liegt / Und der Wirth mich nicht betrügt. 7. War der Possen doch verdrehet / Und die Wirthin nicht so plump Daß Sie hatte angenehet Ziegenfüß an Hasen=Rump. A c h ! so flickt das lose Weib Hasenfuß an Ziegen Leib. 8.

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Dadurch hat die Hapgens=Mutter Sich nur lauter Spott erweckt. Sie betauret Speck und Butter / So Sie in den Bock gesteckt. Weil ihr des Priapus Sohn Traget kaum das Bratenlohn.

Dieses Lied nun wurd von PHILURT zugleich aus der Schreibetaffel auch abgesungen / wodurch die noch in denen Betten liegenden aufgewecket / und dermassen zu lachen beweget wurden / daß Sie alle mit hellem

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Schreyen die Betten verliessen / und in die Stube gelauffen kamen / die besungene Kurtzweile erst recht zubelachen. O b nun wol alle Anwesenden den lustigen PHILURT gerne langer umb sich gehabt hatten; so muste aber dieser dennoch mit seinem Geferten sich auf den Weg machen. Denn die Mittel hatten sich nunmehr dünne gemacht / daß weder er noch TAMIRO vor eine Nacht im Gasthofe zubezahlen hatten. Derohalben nahmen Sie beyde von der COMPAGNIE Abschied / und traten ihre Vorhandene Reise nunmehr als Politische Maulaffen an. Nun musten die armen Gesellen freylich zu Fusse durch die Welt gehen; Alleine / damit ihr Staat nicht verächtlich schiene / gaben Sie bey dem Abschiede vor: Sie hatten auf nechsten Dorfe / bey dem Priester / ihren V e t - ( 9 3 ) t e r / eine Kutsche stehen / welche ihrer erwartete sonst wolten Sie wol in der Gesellschafft mit durchs Reich gehen. Und also PASSiRten sie fort.

CAP. XLII. A u f dem Wege nun überlegten Sie / mit was Manir die Politischen Maulaffen erfahren / und in was vor Ordnung Sie dieselben zu Papier bringen wolten. J a / ob sie solche nach dem Lauf der Reise und wie Sie der Zeit nach vorfallen mochten: oder aber / ob Sie dieselben nach denen Standen der Leute in eine Ordnung abfassen wolten. Worauf Sie sich denn in dem letzteren verglichen / und alsobald in die nechste Dorff=Schencke einkehreten / alda auf alle Stünde ihre LOCOS COMMUNES einrichteten / und die Titul umschrieben. Anfangs aber ereignete sich unter ihnen eine fast streitige Frage: O b sie dann auch in ihren LOCIS COMMUNIBUS einen Titul vor den Geistlichen Stand machen müsten. TAMIRO fragte dieses; PHILURT aber wolte daran zweiffein / und sagte dannenhero: es gehe ja im Geistlichen Stande alles demüthig zu / und hatte er noch keinen solchen Ordens-Mann (94) gesehen / welcher sich über sein Vermögen etwas zugeeignet. Nun war der gute PHILURT an einem Lutherischen Orte erzogen / und noch nicht unter Münche und Pfaffen kommen / daß er also freylich von Baals- und der Pfaffen insolentz wenig wüste. Hierinnen hielten Sie einander ziemlichen Obstatt / und wolte sich noch gar kein Ende der Streitigkeit hervor thun: biß endlich ein Reuter vor dem Fenster vorbey sprengete / und durch allerhand schöne Schulen mit seinem Pferde / sie an das Fenster lockete / worüber Sie der DISPUTATION vergassen. Der Reuter hatte ein Kollet an / rothe Hosen / eine blaue Binde um den Leib / einen grauen Hut mit rotlichen Bande auf dem Kopfe / einen Silbernen langen Degen an der Seiten: iedoch aber schwartze Strümpffe an / und einen weissen glatten Uberschlag um. PHILURT und TAMIRO verwunderten

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sich über die possirliche Auskleidung / und fragten den Bauer / bey welchem Sie eingekehret waren / um des Reuters Herkommen / und wer er ware. „ A c h ! " antwortete der Bauer: „es ist unser Pfarrherr: er ist spatziren gewesen." Wie geschwind lief PHILURT ü - ( 9 5 ) b e r das Politische Maulaffen Register / und schrieb alsobald einen Titul ein / worunter auch dieser Art Politische Maulaffen zu setzen waren. Nach diesem fuhr er fort / bey dem Baure nach des thorichten Catholischen Pfaffens Wandel zu fragen / und wie er sich dann bey seinem Kirchendienste bezeigete. „Gar w o l " / antwortete der Bauer / „er ist uns trefflich scharff: Nur noch gestern hat er ihrer vier in Bann gesteckt." Der Bauer meinete / der Bann ware etwa ein Gefängnis. TAMIRO versetzte: daß solche Straffe dem Bischoffe zukomme. „ J a " / sagte der Bauer / „er hat eines Cardinais geheimbdes Hurenkind bey sich / welches er erziehet / da darf er thun / was er will." TAMIRO fuhr fort (denn er besann sich nicht / daß die Catholischen Priester keine Weiber haben) was er denn vor eine Frau hätte? Der Bauer sagte etwas hohnisch: „Der Herr muß gewiß noch nicht weit auskommen seyn; dieweil er nicht weiß / daß unsere Priester keine Weiber haben." PHILURT hielt weiter an: wie er aber seine Haußhaltung bestellete? Das {96) beantwortete der Bauer: „ E y ! an Haußhalterinnen fehlet es Ihm gar nicht / er hat iederzeit schone rothe junge Weibsbilder zur Haußhaltung bey sich gehabt: alleine ich halte davor / er muß sich auch mit diesen nicht vertragen können. Denn es bleibet niemalß eine über drey Virtel Jahr bey Ihm. Was Uns anlanget / so thut er uns zu Verdruße / was er nur immer kan. Vergangenes Jahr ließ sich nur einer in der Gemeine verlauten / daß er so lange predigte: da fienge er den folgenden Sontag drauf an / allezeit vierdtehalb Stunden zu predigen / daß wir uns endlich mit Essen und Trincken versorgen / wann wir in die Kirche giengen / ja endlich gar in dem Frühjahre zum Theil aus der Kirche bleiben musten. Damit Er uns aber wieder in die Kirche brachte / trat er einst auf die Cantzel / und sagte / daß er nun ins künfftige allezeit nur eine halbe Stunde predigen wolte / wir mochten nur alle wieder zusammen uns einstellen / und das Mittagsbrod aus der Kirche lassen. Sontags drauf / da die gantze Gemeine Ihn nun wieder hören ( 9 7 ) wolte / in Meinung / daß er seinem Versprechen nach nur eine halbe Stunde predigen würde / gieng er / da er auf die Cantzel steigen solte / mitten durch die Kirche zur Thür hinnaus / schloß die Kirchthür hinter sich zu / versperrete uns in der Kirche / und trat auf eine Leiter / welche er zwischen zwene Pfeiler an ein Kirch=Fenster setzen lassen / und predigte uns einen gantzen Tag zum Fenster hinnein / daß wir schier darüber verhungert wären."

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PHILURT und TAMIRO erstarreten fiber diese Nachricht. Sie hatten beyde alle Hände voll zu thun / in dem Sie alles gerne in ihr Reise-Buch eingetragen hätten / was der Bauer von dem wunderlichen Pfaffen erzählete. „Wir musten uns" / fuhr der Bauer fort / „endlich bereden / daß wir zwar ihn hören müssen. Wir stelleten allezeit zehn Bauer=Knechte mit Gewehr an die Kirch=Thür / damit uns nicht dergleichen Possen ferner wiederfahre. Damit wir / wann er uns zu lange predigte / aus der Kirche gehen kon(9#)ten. Wie wir denn auch einmahl / alle mit Weib und Kind heraus wichen: daß er keinen Zuhörer mehr hatte als den Schulmeister; welcher aber endlich / da der Pater ohne Hinderniß fort predigte / zu Ihm auff die Cantzel gieng / ihm den Kirchen=Schlussel zustellete / und sagte: Herr / ihr werdet wol die Thuren recht zu schliessen / wann ihr fertig seyd." Wer wolte nun nicht lachen über dem erzählen dieses Bauren? PHILURT und TAMIRO waren über diesen Historien fast außer sich selbst gesetzet / und wurden mehr und mehr entzündet / den tollen Pfaffen zu erkennen. Weswegen Sie denn beschlossen seinet wegen bevorstehende Nacht auf selbigen Dorfe zu überbleiben / und den morgenden Tag in die Predigt zugehen / damit Sie dieses Wunderthier leiblich sehen mochten. Indessen wurde der Abend mit lauter Historien von dem tollen Hirten / welche der Bauer erzählte / zugebracht. Des Morgens nun gedachten PHILURT und TAMIRO, Sie wolten sich heimlich in die Capelle schleichen / wann der PATER schon auff die Cantzel wäre. Denn Sie besorgten / wann er Sie ansichtig würde / er mochte mit seinen lächer-(99) liehen Gewohnheiten zurücke halten / daß Sie nichts neues von Ihm mit nach Hause nehmen konten. Derohalben verwarteten Sie zu Hause eine gute weile / biß Sie fast keinen Menschen mehr sehen nach der Capelle gehen / in Meinung / Sie wolten den PRAEDICANTEN gewiß auff der Cantzel antreffen. Alleine da Sie auff dem Wege nunmehr nach der Capelle begriffen waren / musten Sie durch ein klein Gesträuche auff vierzig biß funffzig Schritte gehen / denn die Capelle lag im Grunde / an Berge in einen liechten Hain: Da erhub sich eine erschreckliche Stimme: „ D a ß Euch der Hencker hole / bleibt zurücke / oder ich will" / 2C. Sie erschracken beyde von Hertzen / und sahen / daß es der PATER war / den Sie hören wolten. Denn er stund unter einem Eichbaume / auff welchem er einen Meisen=Kasten auffgestellet (denn er war ein trefflicher Liebhaber des Vogelstellens) dieweil nun eine Meise gleich auff demselben Gipfel herumb spatzirte / auff welchen der Meissen=Kasten gestellet war / verdroß es den PATER, daß diese beyde Frembde eben daher kamen / indem er besorgte / der Vogel würde von i h - ( 7 0 0 ) n e n verjaget werden. Der erschrockene PHILURT mit seinem TAMIRO wichen zurücke / und wurden dabey gewar / daß der Kirchner

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von der Capelle herkam / diesen geistlichen Vogelsteller zuruffen / weil die gantze versamlete Gemeine auff ihn wartete. Alleine der gute Kerl wurd noch viel hefftiger angelassen / als die beyden Maulaffen=Fänger. Jedoch befahl er dabey / sie solten nur noch eine Messe singen / er konte unmüglich abkommen: Die Meise ware ja so nahe an Kasten / daß sie nicht naher seyn konte. Der Cüster muste der Antwort zu frieden seyn. Er gieng hin / und ABSOLViRte auff Befehl noch eine Messe. Indessen gieng die Meise durch / wie sehr sich auch der listige Pater darüber erzürnete. Mitler weile muste er dennoch den Zorn vergessen / bevor da P H I L U R T und T A M I R O sich zu Ihm naheten / aus blosser c u R i o s i t a t / ungeacht er sie hefftig angeschnautzet / nur zu sehen / was er doch zu DiscuRRiren pflegte. Der Pater fragte sie / wer sie wären? Sie gestunden gar bald ihren Zustand / und sagten: Studenten / dabey auch T A M I R O in die Ficken griff sein Stammbuch herauszuziehen / und dem Herrn Pater zur Einschrifft zu übergeben. A l l - ( 7 0 / ) die weil aber solch Stam=Buch zu unterst in dem Schiebsack stack / muste er denselben gantz ausleeren / damit er konte zum Stambuche kommen. Da er nun unter andern auch einen Puffert mit heraus zog / welcher in Brabant gemacht war / verliebte sich der Herr Pater also bald darein / und wurd gar nicht roth T A M I R O darumb anzusprechen : ja endlich bey vermerckter Schwierigkeit der Beschenckung Ihm ein Thaler davor zubieten. Der Geld=bedürfftige T A M I R O schlug endlich loß / und nam nechst dem Thaler zugleich mit seinen Geferten von dem Herrn Pater Abschied. Dieser stackte mit grossen Freuden sein erkaufftes Gewehr in den Ermel / den Meisen=Kasten aber unter die weite Pfaffen» Kappe / und nahete sich damit in die Capelle.

CAP. XLIV. E R gieng durchs Volck weg gerade zu auf die Cantzel / und fieng an zu predigen. Der Eingang war fertig und nunmehr kniete er nieder zum Gebet; aber an statt dessen zöge er seinen Puffert hervor / denselben in niederbücken zubesehen / wüste aber nicht / daß das Gewehr scharff geladen (102) war: Dieweil er nun etzliche mal probirte / ob [. . .] der Stein auch gut und das Gefiedre starck genug / erschreckete er durch einen heftigen Schuß sich und seine Zuhörer / daß sie lieber alle aus der Capelle gelauffen waren. Er stund zwar geschwinde auf / und entschuldigte sich gegen die Gemeine / daß ers nicht gewust / daß der Qvarck geladen ware / und daß er erfahren hatte / ob sein Geld wol angeleget ware oder nicht. Alleine welcher Hencker hieß dem ungeistlichen Pfaffen / Meisenkasten und Pufferte mit auf die Cantzel nehmen ? Unter diesen hielte er aber doch

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seine Predigt fort / welche über eine halbe Stunde nicht wehrete / worinnen er erschrecklich zu toben wüste / daß er verschienenen Sontag nicht wäre zu dem Versühn=Schmause wegen geendigter Wallfahrt bey einem Bruder gebeten worden. CAP. XLV. N A c h geendigter Predigt wartete ein gesattelt Pferd vor der Capelle mit Pistolen / und einer roten Satteldecke. Das Pferd hielt ein Junge in gelber LIVREE mit rothen Bande: darauf satzte sich der Herr PATER und ritte wie ein Bereuter / nach sei-(/03)nem Filial zu. Als er ans Dorf kam / losete er die Pistolen; denn er war gewohnet also dem Schulmeister ein Zeichen zugeben / damit er zusammen schlagen ließ. Das Pferd band er so lange an einen bey der Kirchenthür gantz nahe stehenden wilden Birnbaum an / gieng in die Kirche / und erwartete nicht / biß die Gemeine zusammen kam / sondern fieng alsobald seinen Kirchen Dienst an / ob er gleich keinen Zuhörer hatte. Denn er eilete wieder nach Hause / mit seinem Puffert die Probe zuschiessen. Es kam endlich zur Predigt / daß der andre Eingang gemacht war / siehe / da streiffte das an der Kirchthür stehende Pferd den Zaum ab / und tummelte sich hefftig auf dem Kirchhofe herumb. Die Unverstandigen Bauren / weil Sie von ihren wilden Prediger nicht besser unterrichtet waren / wüsten zu selbiger Zeit keinen Unterscheid zu machen / ob Sie in der Capelle / oder in der Schencke waren / sondern fiengen an überlaut zu schreyen: „Herr / Herr / eur Pferd ist loß"; Wie unbedachtsam der Zuruf war / so und noch unvernünfftiger geschähe die Antwort / Krafft welcher der Catholische PRAEDICANT alle Zuhörer hinauß (104) lauffen / und sein unbendiges Pferd wieder fangen hieß. Gleich wie nun das menschliche Hertz zum Laster iederzeit gehorsamer als zum guten: also bliebe auff des Predigers Zumuthen kein einiger in der Capelle / ausser etzliche alte Weiber / welche man forder tragen muste. Keine Stunde langete zu / bevor sie den muthigen Hengst wieder erhaschten. Indessen hielte der Prediger so lange mit predigen inne / und wechselte sonst allerhand Reden mit denen übrigen / welche in der Kirche blieben waren / so sich aber auf der Cantzel durchaus nicht geziemeten. Denn er fragte offters: „haben sie es wieder?" ITEM, er erzahlete / daß er sein Zaumloses Pferd zu Franckfurt auff der Messe gekaufft / daß es ihm auff die 80. Rthal. kostete / daß ers mit grosser Mühe kaum so weit zugeritten hätte / und was dergleichen Trostreiche Sprüche mehr waren. Endlich fügete sichs nun / daß der Heimbürgel das freye Pferd bey denen Ohren erdappete / und so lange hielt / biß einer mit dem Zaume herzu spränge / und Ihm die Stangen wieder anlegte. Da dieses der possirliche

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Pfaff horete / war er geschwind auch h e r - ( 1 0 5 ) a u s / zäumete das Pferd selbst auf / und befahl dem Schmiede das R o ß so lange zu halten / biß er den Capelldienst beschliessen und wieder aufsitzen wurde. Darauf gieng er wieder hinein in die Gemeine / und an statt / daß er nun die Erklärung seines Texts ablegen solte / sagte er mit wenigen: die Zeit ware nunmehr verflossen / und die Sonne allbereit in Mittage / er wolte beschliessen und es auf eine andere Zeit schon wieder einbringen. Ließ darauf einen kleinen Schlußvers absingen / und damit den Gottesdienst beschliessen. Ο thorichter Hirte und verführte Schafe / welche in dem leidigen Papstthum bey solcher Gotteslästerlichen Unart nimmermehr auß der Irre können gerissen werden.

CAP. XLVI. I C h / alß ein teutscher Lutheraner / ließ mich diesen spottischen Gottesdienst sehr argern und verdriessen: alleine weil die dabey vorlauffende Acten gar zu seltzam und ungewöhnlich / muste ich dennoch darüber l a c h e n . S o w a r a u c h PHILURT u n d TAMIRO d i e b e y d e n STUDIOSI,

nicht

ferne davon / welche mir alsobald anmerckten / daß ich ein frembder / {106) und anderer Religion ware. Wie sie sich denn nach und nach zu mir naheten / und ich ihnen wol abmercken kunte / daß Sie gerne mit mir geredet hatten. Derowegen erzeigte ich mich gegen Sie gar freundlich / biß sichs fügte / daß wir naher an einander kamen / und letzlichen gar mit einander bekand wurden / und auf der Reise in eine Gesellschafft traten. Wir belachten den ungearteten Priester / und verwunderten uns von Hertzen / daß dergleichen ärgerliche Bezeigungen nicht vor den Bischoff kamen / da doch derselbe nur etwa eine Stunde davon seinen H o f hielte. D e r Bauer aber / welcher uns auf ein Gerüchte Kloße und geräuchert Schweinefleisch mit nach Hause bat / berichtete uns / daß der Bischoff alles am besten wisse / aber er dürffte den Pfaffen darum nicht zur Rede setzen / weil dieser Jenen in Clostergarten mit des Müntz=meisters Frau in Unreinigkeit angetroffen. Daher er ungestrafft lebte und dürffte thun / was er wolte. Anderes Theils / so wäre auch der Bischoff geitzig / und gewohnt vor ein schlechtes Geschenck / vor einen Caphan / Ganß / Hasen / oder ein halb Schock Lampreten / trefflich durch die Finger zu sehen.

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Ö A ß nun der Bauer in diesen allen sich der Wahrheit gemäß verhielte / kunten wir daher schliessen. Denn da wir unter solcher Erzählung in sein Hauß kamen / funden wir einen andern Pfaffen sitzend / welcher von nechsten Dorffe unserm Wirthe wahrender Predigt zugesprochen und ihn als einen Boten zu dem Bischoffe gebrauchen wolte. Denn es war Unser Bauer / welcher seinen Worten nach gar ein erbarer Mann schiene / Ihme dem Pfaffen in dergleichen Geschifften mehr bedienet gewesen. Der Pfaffe an sich selber schiene gar ein kluger Kopff zu seyn. Denn er dichtete EX TEMPORE zu dem PRAESENT, welches er dem Bischoffe übermachte / eine so artige INSCRIPTION, daß man einen gar hurtigen Kopff daraus schliessen muste. D e r Pfaffe klagte Uns ohne Scheu / mit unterlaufenden Zorn / daß er vor diesen aus dem Papstthumb entlauffen / und in Frießland geheyrathet; und nachdem er nun seine Frau mit auf diese Pfarre gebracht und selbige ihrer Landes=Art nach grosse Kase machte / von welchen mancher einen Ducaten und drüber koste; {108) so ließ ihm der Bischoff einen Brieff über den andern schreiben / darinnen er ihm einen solchen Kase abforderte; so er alsdann zum Geschencke und zwar mit seinem grossen Schaden überlassen müsse. D o c h gleichwol / damit er Ihn nicht gar erzürnete / hatte er sich RESOLViRet / ihme einen halben zu schicken / welchen auch hiemit Gefatter BLASIUS (SO hieß der Bauer / unser Wirth) Ihm hinnein in die Stadt bringen solte. Hier nechst gab er einen Brieff dabey / worinnen er sich entschuldigte / daß er ihm nur einen halben Kase schickte / dieses Inhalts: M I T T O TIBI L U N A M D

SOLEM Ο

NON MITTERE POSSUM,

N O N CADIT IN NOSTRUM FORMA ROTUNDA POLUM.

Wer Latein verstund / der muste über den klugen Vers lachen. Unser Bauer inzwischen erbot sich den halben Kase samt dem Brieffe nach Tische dem Bischoffe zu überbringen / bat aber / der Herr PATER oder Pfaffe mochte doch zuvor zum Essen bey Ihm bleiben und Uns helffen Gesellschafft leisten / er wolte einen schönen grossen Hecht zu seinen ORDINAR-Gerichten absieden lassen. Der Herr PATER schiene etwas liederlich zu (109) seyn; und dannenhero war er gar leicht zu halten. E r verwilligte zu bleiben und einmal mit jungen Studenten lustig zu seyn. E r nam aber Uns zuvor bey den Händen / führte Uns auff die Seite und bat / wir möchten doch das / was ihm vorhin in Zorn entfahren ja nicht etwa eröfnen / und ausbringen / daß ( e r ) eine Frießländische Frau zur Ehe habe. Denn er hatte dieselbe bißher vor seine Schwester ausgegeben / welche er / um Sie in der Religion zu unterrichten bey sich hatte / und

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sein Haußwesen zugleich durch Sie bestellete. Denn ohne Frau konte er / gleich wie andere seine CONFRATRES, durchaus nicht leben. Nun wolte er lieber eine gewisse / als immer frembde und allerhand Fleisches=Lust bediente umb sich haben. Ja er hatte auch mit diesem seinem Weibe allbereit fünff Kinder gezeuget / welche er alle fünf bey sich hatte / mit Vorgeben / als waren es theils Findlinge und weggesetzte; theils auch als unmündige von seinen aus Frießland Befreunden / Ihm zur Erziehung geschicket.

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W i r waren geschwind ihm alle Verschwiegenheit zu versprechen; wodurch ( 1 1 0 ) wir Ihm so treuhertzig machten / daß er immer mehr und mehr loß gieng / und Uns die Sünden seiner coNFRATERNiTat entdeckte. Nun war ich ohn gefehr an diesen O r t und in diese COMPAGNIE kommen / dieweil ich nie gesonnen gewesen aus meinen Vaterlande mich ferne zu machen / wann meines Hn. Vätern Knecht uns nicht die zwey besten Pferde davon geritten; diesem ritte ich also nach und suchte Ihn an diesem entlegenen Orte / vermittelst dessen ich dann zu dieser Gesellschafft kam. Ich vermerckte an PHILURT und TAMIRO, daß sie zwar junge Leute waren / und also im JUDICIO bißweilen zu hitzig: alleine ihre sinnreichen Handel und überaus lustige DISCURSE steckten mich gleichsam wie eine Seuche an / daß ich nichts mehr wündschte / als durch die halbe Welt mit ihnen zu reisen. Und da Sie beyde mir dieses abmerckten / bezeigten Sie sich in ihrer Lustigkeit immer annehmlicher. Ich hatte zwar bey unserm Stadthalter mir nur vor acht Tagen vor 6000. Thal, ein Ehren=Amt gekaufft und so viel erworben / daß ich über die DOCTORES gehen durffte / nachdem ich den Titul: INSPECTOR der PRAECEDENS Streite bekommen. Alleine ich war durch (ill) PHILURTS Lustigkeit so eingenommen / daß ich bey mir beschlossen / lieber die 6000. Thl. als die froliche Gesellschafft zuentrathen. Ich war der einige Sohn meines Vaters / dessen Vermögen in Antwerpen sich auf 80000. Thal, belief. Derowegen ich dann mein Vornehmen fortsetzte und unsere Abreise zu beschleinigen anhielte. Es halff dieses dazu / daß ich die drey Jahr über / da ich auff der UmvERSiTat gewesen gar ein weniges / und über viertausend Thal, nicht verthan. Daher ich gedachte / mein Vater werde umb so viel weniger ungütig seyn / wann ich / ob gleich ohne vorher gegangenen CONSENS eine Reise vornehme. Satzte mich demnach alsobald hin / und schriebe einen Brieff an denselben: Wie ich nemlich von denen weggerittenen Pferden keine Nachricht erhalten / mich aber dennoch deswegen den Weg nicht reuen ließe / weil mir eine solche Gelegenheit in Italien zu reisen auffgestanden / dergleichen

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mir / wer weiß / die Zeit meiner Tage vielleicht nicht wiederkommen dürffte. Hofte derohalben / mein Herr Vater werde mir umb so viel behülfflicher seyn / und bey ehister Post einen Wechselbrieff auff 1000. Thal, nach (112) R o m übermachen. Solte sich dabey nicht besorgen / daß etwa das Geld übel werde angewendet seyn: immassen ich eine Geselschaft angetroffen / von welcher ich so viel begreiffen würde / daß ich von einem iedweden vor einen rechtschaffenen Kerl gehalten werden müsse. Gleichwie ich nun damals in meinen noch jungen Jahren nicht verstund wozu das Geld dienet / vielweniger / was ein junger Mensch vor Gesellschafft suchen müsse / wann er Tugend lernen wolte: also war mir auch nicht zu viel meinen Vater mit allerhand Lobsprüchen meines Vorhabens zu PERSVADiren / daß er in solche meine Reise desto mehr willigte.

CAP. XLIX. W E r war froher als PHILURT und TAMIRO, da sich SYLVANISSUS (also will ich mich auf ein INTERIM nennen) mit zur Reyse RESOLVIRTE? D e n n wie ich hernach im Außgange erfuhr / so hatten die armen Teuffei keinen Groschen in ihrem Vermögen durch z u k o m m e n : Hingegen aber Hofnung genug meiner Pfennige zu gemessen. Unterdessen nun fuhr der lustige PATER fort / und erzahlte ferner / wie es zuweilen in ihren K l o - ( 1 1 3 ) s t e r n herzugehen pflege. Wir lachten theils darüber: theils aber fiengen wir allerhand an Ihn zu fragen / ob Sie sich dann nicht der Gottlichen Heimsuchung fürchteten / und glaubeten / daß ein allsichtiges Auge zugegen / welches solche Sünde sehr und zu rechter Zeit zur Verantwortung bringen werde. Alleine wir empfingen eine solche Antwort / daß wir lieber mit Gelde unsere Vermahnung wieder zurücke gekaufft hatten. Denn er warf uns gleich vor / daß er zwar gestehen müsse / es giengen viel und grausame Sünden bey ihnen in Clostern für: Alleine wir solten uns doch nicht aller Heiligkeit rühmen / es pflege bey uns nicht viel besser herzugehen. O b wir nun gleich / Schuldigkeit nach / ihm so viel müglich widersprachen; dennoch wolte er seiner Rede immer mehr und mehr gewiß seyn. E r fiel endlich gar auf augenscheinlichen Beweiß / und nothigte Uns nur eine halbe Stunde von dannen mit Ihm auf die Grentzen unserer Religions* Genossen zu reuten. E r wolte hiezu uns auch selbst Pferde verschaffen. D a ich nun Lust dazu hatte / war PHILURT und TAMIRO auch leicht zu gewinnen. W i r satzten Uns auf / und nahmen kein ferneres B e d e n - ( 1 1 4 ) cken Ihm zu folgen / wo er uns hinführte. Nun führete PATER Pickling (so hieß der Pfaff) solche angenehme DISCURSE auf dem Wege / daß ich davor

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hielte / es müsse über den Nahmen nichts Catholisches in Ihm stecken. Denn er gedachte ausdrücklich / es stünde ihre / der Catholischen / Lehre auf einen so gar unfesten Grunde / daß er vorlangst schon zu unserm Glauben getreten ware / wann er sich nicht vor Armuth und Verachtung theils unserer Priester fürchtete / welche sich zu kümmerlich behelffen müsten / daß mancher unter denselbigen sich zugleich mit Handarbeit forthelffen müsse.

CAP. L . E s war gleich mitten in der Erndte. Daher ich dafür halte / daß zu solchen Absehen der spottische Gast uns desto mehr nothigte / mit Ihm diesen Umbritt zu thun. Denn da wiese er uns einen alten ehrlichen feinen ansehnlichen Priester bey dem Geladenen Fuder / ohne Cappen in Hembde hergehen / und helffen einführen. U b e r ein Feld weges davon stund ein anderer und muste aus Nothdurfft seine Garben selbst binden / daß ihm der Schweiß keinen druckenen ( I i i ) Faden am Leibe ließ. Von dannen ritten wir hinter einen Dorffe weg / allwo er uns vom Pferde über eine Wand sehen hieß / da wir denn gewahr wurden über 30. Klafftern zerschnittenes und gantz klein gespaltenes H o l t z / welche selbiger einwohnender Geistlicher MANU PROPRIA TRENCHiret hatte. W i r Hessen die Pferde kaum etzliche Schritte fortgehen / da erblickten wir den AUTOREM des gespaltenen Holtzes dort unter einer Schuppe auf der Schneidebanck sitzend / und zwey alte Wagen Rader / einen Pflug / wie auch einen neuen Kasekorb in der Mache habend. N u n war es gleich des Sonnabends nach Mittage: Ο wie fragte der Catholische Geferte / wer doch vor diesen Wagner auf morgende Predigt studirete. Wir antworteten vor Ihn / und entschuldigten die Handarbeit / so gut wir konten. Alleine unserer Gegenpart EPIPHONEMA w a r : gebet ihr euren Predigern zulänglichen Unterhalt / so dürfften Sie sich mit solcher Hand-Püffeley gar nicht hinbringen. E r betheurete dazu / daß eben dieser Lutherische Prediger alle sein Feld in Eigen / Pflügen / Düngen und dergleichen / selbst mit eigener Hand bestellete / und alle Arbeit daran ver-(116)richtete / welche sonst dem Knechte zukomme.

CAP. L I . W o bliebe hier der wahre Spruch: W e r d a l e h r e t / k a n k e i n e r a n d e r n A r b e i t w a r t e n . Nach diesen nun führete er uns allernechst auf ein ander D o r f zu / allwo er uns weisen wolte / wie nemlich ein anderer

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sich ans Brandtewein-sauffen dermassen gewöhnet / daß er auch denselben nicht so lange / als er etwa in der Kirche ware / entrathen könne. Wir gelangten in diesen DiscuRsen zu Egodritz / so hieß das Dorf / an / und ließen uns als Frembden die Kirche erofnen. Wozu dann der Kirchner ein Trinckgeld zu verdienen gar nicht faul war. Diesen nun hatten wir nichts von seinem Pfarrherrn gefraget / wann er nicht unter andern Kirchen Raritäten uns auch einen Stuel gewiesen / welcher um und um mit Papir dichte verkleistert war / daß niemand weder oben noch unten hinein sehen konte. Wir musten freylich fragen / wem doch dieser possirliche Stul zustehe? Wir vermeinten nicht anders / er gehere etwa einem Buchbinder zu / weil wir lauter Pappe (117) daran zusehen hatten. Alleine der Schulmeister lehrete uns gantz ein anders. Denn er betheurete / daß der Pfarr des Branteweins keine Stunde entrathen könne / wo er nicht mit Hand / Kopf und Fuß zittern wolte. Da er nun deswegen die Brandtwein Bulle mit in die Kirchen genommen / hatten sich die Bauren also daran geärgert / daß sie ihn bey dem Bischoffe verklaget hatten. O b nun gleich der Bischoff INQVISITION wider Ihn angeordnet und daß der Pfarr in der Kirche sich des Brandteweines gebrauchet / Zeugnis genug erhalten; so hatte er Ihm dennoch nicht zu Leibe kommen können / dieweil er / der Pfarr / den MEDICUM bestochen / daß er Ihm ein Zeugnis gegeben / es sey Schlagwasser gewesen / welches er wegen vielfaltig bedrohender Zufalle nothwendig biß DATO gebrauchen müste. Damit nun solches die Bauren nicht ferner gewahr wurden / habe er also mit Papir sich im Stule unsichtbar gemachet: Da wir nun uns in etwas entsetzten und solches zu glauben fast schwierig erwiesen / zöge der unbesonnene CUSTOS ein Gefäß zum Zeugnis aus dem Stule hervor / worinnen noch ein Vorrath solcher nassen und zugleich brennenden (118) Wahre vorhanden. Wir schämeten uns; PATER Pickling aber unser Geferte freuete sich dermassen über diesen Beweißthum / daß er das Lachen ferner nicht verbeissen kunte.

CAP. L H . N U n musten wir uns immer / so viel müglich / bemühen alle diese schimpfliche Dinge zu entschuldigen / und nur auf Papstliche EXCESSE ZU dichten / welche wir dem beweibten Münche / unserm Widersacher / vorwerfen kunten. Unter andern wolte mir nach langen Wortwechsel nichts mehr einfallen / alß die weltliche Gewalt des Papstes / welcher er sich von allen Zeiten an / auch mit Feuer und Schwerd angemasset. Alleine ich erweckte auch durch diesen Einwand eine neue hochstschimpffliche DEMONSTRATION wider uns. Denn obwol PATER Pickling gleich in Bereit-

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schafft stund mit entblosten Haupte und dargebotener Hand von uns Abschied zunehmen / dennoch / da er diese OBJECTION von mir horete / bereitete er sich wieder aufzusitzen / und ferner noch an einem eintzigen Ort mit zu traben. Denn er versetzte / es würden die Unsrige Geistlichen es (119) auch nicht besser machen / wann Sie nur zu solcher Politischen Gewalt gelangen könten. Wir gelangten in solchen DISPUTATIONIBUS nach Z I B A ( e i n e m grossen) und einer kleinen Stadt nicht unähnlichen Dorffe. Der P A T E R führte uns gleich gerade zu an die Kirche / alwo eben bey unserer Ankunfft das Fest Bartholomai mit einer Predigt gefeyret wurde. Wir verwunderten uns / daß / obgleich der Prediger auf der Cantzel stund / dennoch die meisten Bauren musten vor der Kirche stehen / und an der Kirchthür zuhören. Da hingegen inwendig die Kirche leer und nirgends recht besetzt war. Wir erkundigten Uns dieser Unart / und bekamen ley der zur Antwort: es pflege ihr Pfarr iederzeit in Predigten die Leute mit Nahmen zu nennen / und wen er von der Cantzel ins Gesichte bekäme / zu höhnen: Wen er aber nicht ansichtig würde / der bliebe mit Frieden. „ J a " / fieng ein anderer Bauer an / „Worte giengen wol hin; Wann er uns nur nicht auch mit Schlagen bedrauete. Vor acht Tagen / als er die Predigt beschlossen / und schon die Dreppe halb von der Cantzel gestiegen / trat er wieder hinauff / hieß (120) mit der Orgel still schweigen / und fieng an: Liebe Pfarrkinder / es giebet Ochsen / Flegel / und Rilpen in unserer Gemeine / welche unter der Predigt immerfort waschen / und wenig Acht haben. Ich warne aber dieselbigen hiemit. Sie stehen ab / oder ich werde ein ander Mittel ergreiffen."

CAP.

LIII.

D i e s e s hatte der Bauer kaum ausgeredet / fieng der Prediger von der Cantzel an / und ruffte: „Schulmeister / gebt mir doch den bewusten Packel oder Prügel her." Dieser war zu seinem Gehorsam gar nicht langsam. Als nun der Priester den Prügel in Händen hatte / stiege er gar behende von der Cantzel / gieng auff den Chor / wo etwa ein par Zuhörer etliche Wort mit einander mochten geredet haben / und prügelte erbärmlich zu; Kein Scheltwort war zufinden / welches er nicht gleich mit ausgosse. In dieser Reihe nun saß ein ziemlich alter Bauer / welcher sein Gefatter war: bey demselben fuhr er also fort: „Und ihr Fat=ter Hanß seyd eb-en so ein al-ter Fle-gel." (121) Jedwede Sylbe wurde von einem Schlage begleitet. Und damit hatte er seine RESOLUTION, SO er acht Tage vorher / wiewol verdecket / versprochen / würcklich erfüllet. Er nam seinen Weg wieder nach der Cantzel zu / trat auff / und fuhr in seiner Erklärung fort / eben / als wann ihm nichts drumb ware.

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CAP. LIV. W i r hatten hiemit genug / und verlangeten nicht langer in des kurtzweiligen PATRIS seiner vexirlichen Gesellschafft zu seyn. Wiewol wir zwar als junge Leute dieses alles nicht achteten. Denn wann wir nur Geld gehabt hätten / es hatte gleich dieser Pfarr wol gar Besen binden mögen. Der Catholische Priester nam Abschied von uns / und verließ nochmals so viel Redens zurücke / mit Bitte: Wir mochten Ihme doch schreiben / woferne wir Ihm eine zureichende Pfarr=stelle verschaffen konten / so wolle er gleich den wunderlichen und mit Fuchsbalgen gefütterten Ordens= Rock ausziehen / und ein eyfrig=Lutherischer Prediger werden. Er gedachte dabey / wo dieses von statten gienge / wie er seinen Bischoff und (122) andere seiner Geistligkeit INSPECTORES auslachen wolte / daß Sie bey ihrer scharffen Auffsicht nun so viel Jahre her nicht erkennen mögen / daß er sein heimliches Weib unter dem PRAETEXT einer Haußhalterin bey sich gehabt und unterschiedliche Kinder mit ihr gezeuget. Nun kunten wir ihm zwar hierinnen nichts gewisses verheissen; aber doch versprachen wir bey vorfallender Gelegenheit unser Vermögen / bey Ihm die Hoffnung nur zu unterhalten. Und damit ritte er fort. Dieweil nun unsere Pferde auch mit zurück gehen musten: Der Abend aber sich allbereit von ferne mercken liesse / wurden wir genothiget in selbigen Dorffe / Patzfont hieß es / zu übernachten. Dort stunden wir im Dorffe unter der Linden / und D E L i B E R i R t e n nicht anders / als wenn wir Heimbürgel waren / welche die Gemeine zusammen ruffen solten. Gleich aber fand sich eine Gesellschafft der Bauren zu Uns / welche von unserer Ankunfft / und wer wir waren / gerne Nachricht gehabt hatten. Wir kamen ihnen aber mit unsern Fragen zuvor: und war das erste / wo wir eine Nacht über Qvartier erlangen konten. Indem wir aber so Unterredung pflegten / kamen (123) drey von ferne feinscheinende Nymphen / in aller Erbarkeit von der Kirchen hergegangen. Rote Unter=Röcke / schwartze Daffent Leibröckgen / und gelbe Hauben mit Bande auf den Kopffen / war ihre Kleidung. Es ist leicht zu dencken / daß wir also fort nach dieser drey GRATIEN Herkommen fragten. Da wir nun Nachricht erhielten / daß Sie des Predigers Tochter waren / berieff uns TAMIRO alsbald auff die Seiten. Und wie er sonst seinen Erfindungen nach sehr lustig war; so fehlete auch hierinnen nichts einen artigen Vorschlag zu thun. Er gedachte / wir wolten alle drey noch vor Abend dem Priester zu sprechen und Gelegenheit suchen bey Ihm über Nacht zu bleiben: so hitten wir nicht von Nöthen viel Geld auszugeben. Und damit dessen Frau / welche wegen Neid und Geitzes in bösen Beruff war / uns recht gerne sehen möchte: wolte TAMIRO vorgeben eine zu heyrathen.

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CAP. L V . Ö E r Anschlag war darum sehr gut / weil er sich so gar leicht PRAcnciRen ließ. Wir funden uns auf der Pfarre ein / und den Herrn PASTOR auch zu Hause. Denn (124) er hatte einen geheimbden Weg zwischen denen Garten auß der Kirchen nach Hause zu kommen. Da nun gleich das Weib unsere Ankunfft mit eben so hellen Blicken nicht beleuchtete; dennoch aber waren wir gutes Muthes / und vergnügten uns daran / daß das Frauenzimmer unsern guten Abend mit tiefen Verneigen / und freundlichen Minen bedanckte. Der Geistliche Herr Haußwirth ließ sich nunmehr auch von uns sehen. Er gab uns die Hand und bezeugte durch ein Handdrückendes Empfangen / daß er uns gerne sehe. Er nothigte uns abzulegen / und über Nacht zu bleiben. Womit er uns auch w nig erschreckte; dieweil wir sparsam zu seyn Ursache genug hatten. Mit einem Worte waren wir alle Dreye gehalten. Wir hiengen das halbe Pfund Eisen an den Nagel: Denn das waren alle unsre Mobilien / und gebrauchten uns unsere Beqvemligkeit.

CAP. L V I . U N t e r dessen waren die treuhertzigen Mägdgen so geschafftig / uns gutes zuthun / daß wir gedachten / sie müsten alle dreye Marthe heißen. Uber Tische sassen wir in ( 1 2 5 ) einer bunten Reyhe / und ieder unter uns hatte an seiner Jungfer Nachbarin einen steten Vorleger / und einen fleissigen Antreiber zum Essen. Nechst diesen waren wir lustig / und nachdem wir lange genug an Tische gesessen und überflüssig geredet hatten / giengen wir zu Bette. Ehe wir nun noch einschlieffen / trieb uns die Lust zu einem Gespräche / das jenige / was etwa über Tische vorgegangen / in Betten zu wiederholen. Ein ieder erzahlete / was er mit seiner Jungfer geredet und was jene zu ihm gesagt hatte. Unterdessen hatte sich die Mutter an die Cammerthür geschlichen aus Begierden zu hören / was doch ihre drey Gaste unter einander DISCURRIREN würden; und damit sie auch am besten hinter ihren Zustand kommen mochte. Da wurde Sie nun / wiewol durch undeutliche Worte / verstandiget / daß wir zum Theil wenig zum besten hatten / auch sonst noch keine Studenten waren. Denn wir unterredeten uns / obgleich mit unlauten Worten / wie wir etwa auf Morgen unsern Weg zu suchen und einzurichten hatten. Wir mochten auch wol auf die guten Magdgen etwas hohnisch gewesen / und über ihre Landes-Einfalt gelachet haben. Und hie-(/26)mit nun war die Charte falsch. Denn was die Fr. Pfarrin gehöret / das hatte Sie ihrem Herrn noch selbigen Abend beygebracht. Deswegen aber schlieffen wir gar wol. Denn da wüsten wir

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noch nicht / daß wir waren behorchet worden. Des Morgens stunden wir auf / und gedachten nach Geniessung eines Frühstückes numehr wieder fort zu gehen. In welcher Hoffnung wir dann fast in die zwo Stunden verharreten. Ich inzwischen mehr aus langer Weile / alß Nohtdurfft suchte den O r t / wo man sich etwa in Geheim Abends und Morgends Lufft zum Hertzen zu machen pfleget. Indem ich nun fast in allen Winckeln umbsuche / höre ich hinter einer einfachen Bretwand ein hartes Wort=Gefechte / und zwar / wie ich aus der Rede erkandte / von unserm Geistlichen Herrn Haußwirth und seinem Weibe / vorführen. Sie bestund feste darauf / es ware Betrug hinter uns; wir waren nicht / wovor wir uns ausgaben. Wir waren durchaus keine Studenten / sondern nur verlauffene Vaganten. Weil Sie nun mit dieser Meinung so gar lange anhielte / sagte endlich der Herr im Z o r n e : „ I h r K i n - ( 1 2 7 ) d i s c h e s Weib / wie ihrs verstehet / ich muß solche Dinge besser wissen als ihr. Ich verstehe mich auf die Visiognomi / und kan einem alsobald an Augen ansehen / ob er gelehrt oder nicht: Die Kerl sehen alle drey so tiefsinnig aus wie Metaphysici. Und damit ihr nicht fernere Ursache habt mir Widerpart zuhalten / sehet / so will ich gleich einen aus ihren Mittel nothigen / daß er eine Predigt über morgen vor mich ablegen soll; da solt ihr alsdenn sehen / daß ich in meiner Kunst gewiß / und daß die ehrlichen Kerl alle drey Gelehrte / ihr aber in eurer Meinung betrogen s e y d . "

CAP. LVII. N i c h t lange hierauf kam uns endlich der Herr Haußwirth zu Gesichte / und da er mit Augen sähe / daß wir die Haare schon aufgebunden und die Reut-Rocke anhatten / erkühnete er sich / TAMIRO eine Predigt aufzutragen / mit Bitte: wir mochten doch so lange bey Ihm bleiben / biß übermorgen die Predigt abgeleget / und alßdenn / so wolte er (128) uns kurtz nach dem Mittags=brodte willigst hinziehen lassen. Nun hatten wir zwar aus Blödigkeit unsers elenden Zustandes Anfangs gar keine Ohren dazu; Alleine er kam bey dem Vortrage mit einem Nossels=Glase Brandtewein angestochen / welchen wir aus DESPERATION ziemlich auf den Kam bissen / daß wir halb berauscht / endlich willigten noch die beyden Tage über Stand zuhalten. Der Predigt-Tag kam herbey / und der junge Prediger hatte sich nunmehr drein ergeben / die Cantzel zu betreten / er mochte nun in der Predigt behengen bleiben / oder nicht. Der Pfarrherr selbst hatte auch eine Predigt studiret: und dannenhero schickte er den neuen PRAEDICANTEN nur aufs Filial. Und damit gieng die Reise fort / nach dem eingepfarrten Dorffe zu. Wie wir anlangeten / funden wir die gantze

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Gemeine auf dem Kirchhofe versammlet / davon uns unterschiedene fragten / ob nicht ihr Herr bald nachkäme. Nach gegebenen Bescheid giengen Sie mit uns in die Kirche und wurd alsobald darauf der Gottesdienst angefangen. Zuvor nun / ehe wir aus unsern Qvartir ausgiengen / hatte der geistliche Herr PRINCIPAL seinem VICARIO von allen CERE-{129} MONIEN Nachricht gegeben. J a / weil er auch vor der Predigt die gewohnliche COLLECTE absingen muste / so hatte I h m der PASTOR IN MARGINE

des Collecten=Buches alles dabey geschrieben / wie er stehen und wann er sich umkehren müste / und letzlich den Summarischen Bescheid mit auf den Weg gegeben: er hatte alles auf dem Rande des Buches geschrieben / wie er im Singen sich verhalten müste. Darauf hatte sich der zaghaffte junge ORATOR verlassen / in Meinung / es sey ihm vorgeschrieben / was er singen solle und nicht wie er in Singen stehen / und wo er das Gesichte hinkehren müste. Weil nun der Priester dem SuBSTiTuten zur Nachricht auf den Rand geschrieben: H i e r m u ß s i c h d e r H e r r u m k e h r e n ; so trat dieser an den O r t / wo sonst gebräuchlich die Collecten abzusingen / fieng an aus lauter Ernst und mit voller Stimme zusingen: „Hier muß sich der Herr umbkehren / alleluja!" Trostliche W o r t ! Der Schulmeister k a m m i t d e m RESPONSORIO in solche CONFUSION, daß er auf

die unbekante INTONADE, wiewol nicht eben gar ungereimt / antwortete: „ D a thut mein Großgünsti- { 1 3 0 ) ger Herr gar recht daran / alleluja." Wie herrlich wurd die Gemeine durch diese Gesänge erbauet? Hiemit kam es zur Predigt: TAMIRO ließ sich nicht wenig düncken / alß der grosse viertehalb Ellen lange CUSTOS hinter Ihm her nach der Cantzel zugienge. Dem Gange nach / schiene es / alß wann er schon lange in Amte gewesen wäre. Denn er war mehr als zu kühne. Alleine mit was Angst und Noth er den Eingang hermachte / erfuhren wir am besten / die wir vor Angst und brüheiser Rothe im Gesichte uns nicht aufrichten dorften. Gleich wol kam es doch noch endlich zum Gebet / da man sich niederbücket / und ausser der Zuhörer Anschauen seine Andacht verrichtet. Da wir nun meineten / es würde sich der Geistreiche Herr TAMIRO nach gesprochenen Gebet / wieder aufrichten / und die Predigt nun erst recht anfangen / siehe so hatte er den Prediger-Rock ausgezogen / und auf der Cantzel liegen lassen; Er aber war gantz in Geheim die Cantzeltreppe / welche allernechst an die Kirchenthür stieße / hinterwerths herunter gekrochen und vor Angst davon gegangen.

(131)

CAP.

LVIII.

W i r indessen mit der gantzen Gemeine warteten mit wachsenden Hoffen / zweiffeiten auch nicht / es werde unser Prediger nun auffstehen. Denn

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die Ermel vom Priester=Rocke lagen eben noch so in der POSITUR eines knienden über die Cantzel herüber / als wie Sie Anfangs gelegen / da seine Arme noch darinnen Stacken. Alleine das lange Harren verursachte endlich bey allen Zuhörern den Argwohn einer zugezogenen Ohnmacht / daß wir alle zusammen nach der Cantzel zugiengen / in willens den entzuckten wieder auffzufrischen; Aber wir funden nichts als den leeren Rock. Denn der PRAEDICANT war wie eine kluge Schlange davon gewischt / welche ihre leere Haut hatte liegen lassen. Und hiemit war dem Sontage sein Recht boßhafftig verderbet. Eine halbe Stunde von Dorffe traffen wir den Maulaffen in einem Holtzgen an / und waren in lautern Ernst übel mit Ihm zu frieden / daß er sich über sein Vermögen unterstanden / ein so wichtig Werck über sich zunehmen / welches er mit sein und unser aller Schande nicht hatte hinnaus führen können. (132) Noch mehr aber erzürneten wir uns über ihn / wann wir an die Mittags Mahlzeit gedachten / welche wir noch mit allem RESPECT auff der Pfarre hatten einnehmen können. Denn als wir frühe aus dem Hause giengen / sahen wir schon zwey Endten / einen Schweine-Braten / und eine schone grosse KalbsLeber / auffs niedlichste gespickt / am Spiesse stecken und braten. Der ehrliche alte Teutsche hatte auch in die Stadt geschicket / und etwas Landwein holen lassen. Fehlte also an nichts / als daß wir nur mit REPUTATION unsers Predigers nach Hause kommen waren. Ich absonderlich hatte mit der mittelsten Jungfer Tochter mich schon so weit bekant gemacht / daß ich die Hoffnung hatte einen Ring / so Sie bey ihrer Pathen bekommen / und ein grosses Schnuptuch mit auf den Weg zu erhalten. Alleine es war mir beydes so gewiß / wie ein Wind von guten Lenden in Schnuptuche. Wiewol uns aller Verdruß nichts hulff. Wir musten PER PEDES fortsegeln und unser voriges Qvartir mit sammt denen dreyen Rothrockgen im Stiche lassen. Wir kamen in ein klein Stadtgen / welches Pürstekam hieß / und seine eigene Freyheit hatte. Darinnen wolten wir (133) Uns Mittags einlassen und etwas speisen. Da schiene es traun / als wann die VENUS selbst unsere Gefertin war / weil wir iederzeit durch Vermittlung des Weibes Volcks Gelegenheit funden / essen und trincken umb sonst zu haben.

CAP. LIX. W i r hatten das Glück / daß wir einen Bürgemeister zum Wirthe funden. Denn er hatte den Rathskeller jahrlich umb neun Gülden gepachtet. Das Städtgen an sich selbst war sehr klein / und also mochten ohne zweifei wenig ACCIDENTIEN einlauffen. Aussen vorm Thore funden wir einen armen Mann stehen / welcher dem Edelmanne die Schoten hütete. Denn

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es hatte unter andern einer von Adel ein Ritter=Gut gar nahe an dem Städtgen; Derselbe war Raths=Cämmerer. Der Stadtschreiber hatte ein Schurtze=Fell vor / und langete den Maurern Leim und Steine zu / da das eingefallene Gefängnis / die Tasche genandt / wieder gebauet wurde. Also lebete der Bürgemeister gleichwol unter allen am reputirlichsten. Denn er war ein Bierschencke / welcher mit lauter Kopffbrechenden Rechnungen zuthun / (134) wann er von denen Gasten bezahlet nehmen / und die Zechstriche zusammen zahlen muste. Jedennoch aber befunden wir so viel / daß die Frau Herre war.

CAP. L X . W i r liessen uns gegen diese arme kleine Stadtner fürwar keine Sauen düncken / indem wir gewahr wurden / daß / da wir den Fuß in die Stadt setzten / ein ieder in die Fenster fiel und an die Thür trat / uns zu sehen. Wie wir denn auch ziemlich von damalig neuer Mode begleitet wurden / dabey wir gewiß waren / daß die guten Leute meistentheils solche enge Rocke und mancherley bund Band noch nicht auff einmal beysammen gesehen hatten. Wir giengen gerades weges auff den Rathsweiler zu. Denn irre gehen konten wir nicht / weil die gantze Stadt nur eine Gasse hat. Wobey Uns auch das ausgestackte Schenckzeichen versicherte / welches ein schwartzer Kochtopff war / worauff mit Kreyde allerhand CONFUSE Striche geschmieret waren. Hiebey stunden wir ein wenig stille und fragten / warumb Sie denn die Kinder den Topff mit Kreyde also beschmieren lassen. (135) Der Herr Bürgemeister / welchen wir Anfangs vor den Haußknecht ansahen / fieng also bald an / wir solten mit denen Worten

i n n e h a l t e n / w i r k o n t e n l e i c h t e i n CRIMES LEDE MARIATUS b e -

g e h e n / ( o b d e r g u t e M a n n e i n CRIMEN LAESAE MAJESTATIS m e i n e t e ) d e n n

dieses hatte er selbst als regierender Bürgemeister MANU PROPRIA geschrieben. Und das solten wir wissen / daß / ob gleich die Stadt das PRiviLEGien Kofent zu schencken hatte; Dennoch die Bürger alle ihre Topffen auf dem Rathhause / gegen Erlegung funffzehn Pfennige von ihm oder seinem COLLEGIUM, welcher im Regiment gleich ware / müsten siGNiren / und iNSCRiBiren / wie auch bezeichnen und cONFiRMiren lassen. Und würde morgen eben dergleichen ACTUM vorgehen / dabey er den Vortrag haben würde. Er verdrehete hierauff den Topf auf der Stange / und wieß uns ein par gebrechliche Wort / sagende: „aber wie gefalt Euch das?" Weil wir nun selbige nicht lesen kunten / musten wir nothwendig darumb fragen; „Das will ich Euch gleich sagen" / antwortete er; „ACTUS UT S U P R A . "

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CAP. LXI.

W i r griffen den Maulaffen mit Händen / hatten auch gerne im Discurs angehalten / wann nicht eine halb alte Frau / welche im Gesichte einem Beißbar gar ahnlich sähe / mit ungemeiner Beredtsamkeit ware daher kommen / und mit faulen Worten die alte Weißheit also angefahren hatte: „Ihr alter Narre / mit euren Narrenpossen / was haltet ihr die Herren auf: führt Sie lieber herein und tragt ihnen Bier auf." Der angebotene RESPECT konte uns fürwar nicht mißfallen: weswegen wir uns denn auch zu schnellen Gehorsam gar bald verstunden / ob wir gleich hertzlich wündschten / daß wir bey unserm Eintritt nur so viel zu befehlen gehabt hatten / daß unsere Pferde mochten eingestallet werden. Aber so / wann wir die Stacken an die Wand lehneten / so war unsere gantze EQVIPPAGE mit Futter und Mahl versorget. Dennoch folgeten wir willigst dem Herrn Bürgemeister nach. Ein besonderer Ruhm war bey dem allgemeinen Statwesen / daß der Rathskeller / oder daß ich den vorneh- {737)mern Titul des Hauses setze / daß das Rathhauß zwey Stuben hatte: eine vor die Bier Gaste; die andere aber vor einem Ε. E . sitzenden Wolweisen Rath. Da nun die Frau Raths=Schenckin und Bürgemeisterin die Tieffe unserer Reverentze gegen eine hinter der Thür stehende Tochter vermerckte / war sie so ehrerbietig / daß Sie uns als Erbar=aussehenden Gasten die RathsStube zu unserm Abtritt erofnete: worinnen es aber sehr wunderlich zustund; indem diese Rathsstube eher einem Treidel alß einer Audientz=Stuben ahnlich sah. Sechs alte Stiefelschaffte hiengen über dem Dreh=Stule / worauf der Bürgemeister zu sitzen pflegte / welche uns der Herr Bürgemeister vor lederne Eimer angab / so das PUBLICO, wie er es hieß / nur neulich hatte machen lassen. Uber dem Fenster hieng eine blaue Schürtze an einen Peitschenstock gebunden; dieses / sagte er / ware der Stadt ihre beschworne Bürger=Fahne. Auf der Erden zur lincken Hand lagen etzliche Haufgen Korn / Hafer und ander Getreidig / welches Ε. E . Rath etzlichen Bürgern zur Auspfändung biß auf Abgabe ihrer Gefalle hatte wegnehmen lassen. Nun das war uns am allerlacherlichsten / (138) daß Sie unter andern auch einem Bürger zwey Schwein=Ferckel / wie auch einem andern eine Ganß und drey Hüner zum Pfände genommen / welche gleichfals in der Raths=Stube ihren Arrest halten musten. Ein ieder kan sich leicht einbilden / daß wir wündschten lieber in der besten Apothecken unser Bier außzutrincken / als in diesem allgemeinen Viehstalle. In der Holle hiengen etzliche Schmier=Eimer: zur rechten Hand an den Wanden hungen allerhand Kleider / Schauben / Strümpffe: ein Bettuch von unangenehmen Blicken: Hembden / zwey Bade=Schürtzen. Auf dem Simse stund ein Topff mit gekochten Rindfleische / welches auch nunmehr auf ein halb Jahr zu Pfände gegen eine noch nicht abgegebene Anlage gestanden.

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CAP.

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LXII.

E N d l i c h wurden wir auch zwo Laternen ansichtig / wobey zweene grosse grausame schwartzdornene Prügel stunden. Unsere CuRiosrrat ließ uns da nicht vorbey sehen / sondern nöthigte uns auch darnach zu fragen: Darauf wir von dem Herrn Bürgemeister verständiget wurden / daß solche (139) zwo Laternen Ihm und seinem Herrn Collegen zustandig waren. Denn eine gesamte Bürgerschafft hätte Ihnen / weil die Besoldung ohne dem nicht allzustarck ware / das ACCIDENS dabey gegönnet / daß Sie des Nachts die Stunden abrufften: Wiewol Sie zwar diese Aemter niemals in ihren Titulen zu führen pflegten / ob sie gleich sonst setzen könten: B ü r g e m e i s t e r u n d S t u n d e n r u f f e r n d a s e l b s t . So liessen Sie es aber doch bey dem ersten Titul bewenden. „NAM A REMOTIORI FIT DIANOMINATIA": wie er sagte. Cap.

LXIII.

Ö A m i t ich nun auf des Herrn Bürgemeisters Töchter komme; so wunderte uns / daß die Frau Bürgemeisterin / welche zuvor mit RESPECTE uns recht geängstet / so lange von uns blieb; biß Sie uns endlich durch unvermuthete Gegenwart allen Wunder benahm. Denn da kam Sie in ihren besten Schmucke angezogen: einen schönen grünen Tuchrock / mit einem feinen schwartzen ledern Gürtel aufgeschürtzet / daran eine zierliche Scheide und Messer herunter h i e n - ( / 4 0 ) g e . Ingleichen hatte sie ein erbar schwartz Mieder mit versilberten Schnürhacken an; eine Haube mit Füttern und in der Hand ein roth ausgenehet Schnuptuch. Kurtz darauff wurden wir auch einer Tochter inne / welche ohngefehr uns eine frische Kanne Bier aufftrug. Dieweil wir nun sahen / daß auch diese unsert wegen sich in das Geschmeide hatte werffen müssen: als wolte uns zu stehen / diese Ehrerbietung mit einem COMPLIMENT gegen die Jungfer zuvergelten. TAMIRO stund auff / nam dieselbige bey der Hand / und nothigte sie bey Uns niederzusetzen. PHILURT und ich griffen auch zu / und zwar mit solchen scheinbaren Begierden / als wenn wir uns um dieses saure Bier reissen wolten. Das gute Mensch / welches (Politischer Weise zu reden) noch nicht viel u n t e r d i e L e u t e kommen war / wurd von der beystehenden Mutter / auf allerhand Arten erinnert ihre Blödigkeit fahren zu laßen / und hingegen zu beliebter Willfartigkeit angemahnet zu seyn. Sie satzte sich endlich zwischen mich und Philurt. Und weil nun iedweder von seiner Seiten zu / PARTES bey der Jungfer suchte / war die Mutter der( H / ) m a ß e n erfreuet / daß sie endlich genöthiget war / uns den gantzen Rest ihrer Töchter vorzuführen. Doch kam uns frembde vor / daß sie

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sagte: wann Sie nur wüste / wie Sie mit dieser Tochter bey uns dran wäre; Sie wolte alsdenn die andern auch lassen zu uns kommen. O b die gute Frau etwa meinete unsere Studenten*AFFECTION würde auf ein Verlöbnis hinaus lauffen. D o c h hätten wir so nicht gedacht / wann Sie auf die Frage: o b Sie noch mehr Töchter hatte / nicht geantwortet: daß Sie noch viere zu dieser habe. Worauf wir / nach Art der Studenten so begierig wurden / daß einieder unter uns suchte / von dieser / welche L e n i c h e n hieß sich loß zumachen / in Meinung / es wäre die älteste; nachdem die Frau Mutter nur kurtz zuvor in Discurse sich übereilet / und beyläufftig gestanden / daß Sie acht und zwantzig Jahr alt wäre. U n d läst man dieses bey einer Jungfer vor ein ehrlich Alter passiren. Alleine / gleichwie die Begierden der Menschen bey allen Veränderungen blind / und nicht ohne G e f a h r : also wurde auch diese probirte Meinung der Alten an uns erfüllet? Wir gratulirten (142) unter andern der Frau Bürgemeisterin / wegen ihrer so ansehnlichen Familie / und rühmten ihr Weibliches Vermögen / daß Sie so gar reichlich die Welt vermehret hätte: schertzten auch zugleich mit ihr aus der alten Meinung der Weiber; D a ß Sie nemlich ihren Ehlichen G e h o r sam sehr gerne müste beobachtet haben; weil sie lauter solche feine Mägdgen hervor gebracht. Das Alter machte die gute Frau etwas schamroth / und merckte Sie auch gar wol / wohin dieser Schertz zielete. Gleichwol aber / damit Sie ihre gepflogene Massigkeit weiland in der Liebe SALVIRTE, sagte Sie / wiewol zu schlechten Vortheil ihrer T o c h t e r : Was es denn wol wäre fünff Töchter auf einander haben / wann man von einer iedweden Geburt an biß zu der folgenden allezeit fünff J a h r / wie Sie gethan / wartete?

CAP. LXIV. W l r Hessen dieses an seinem O r t gestellet bleiben / gedachten auch nicht wieder daran / als biß es Gelegenheit gab den CALCULUM über der Jungfer Töchter Alter zu (143) ziehen. Indeß nun kamen die übrigen Viere in ihren Fest=Habit angezogen. Wir liessen uns die Reyhe herumb die Hände geben / und eilete ein ieder wiederumb zu Lenichen / welche zu erst unsere Gesellschafft angetreten. Denn wir wurden von Stunden gewahr / daß Lenichen von acht und zwantzig Jahren / so wir vor die Aelteste hielten / die Jüngste war. N u n weiß ich nicht / was vor Anlaß uns auf den Discurs / ins gemein von der Jungfern Alter / führte. D i e aller älteste / welche wir bey andern / so gleiches Nahmens mit ihr seyn / nicht mit ihren rechten Nahmen / sondern Rabintzgen heissen wollen / fieng an und sagte / daß mit Jungen Mägdgen keine rechte heilsame Haußhaltung zubestellen: dieweil Sie noch nicht in denenselben Vortheilen so erfahren /

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wie eine recht manbare Jungfer: Ihr Alter habe die beste Maß zu heyrathen. Wer hatte nun nicht fragen sollen / wie alt Sie ware. Sie antwortete uns gar zart / mit dreysig Jahren; Sie wüste aber nicht / daß uns die Mutter zuvor gutwillig gestanden / daß Lenichen die jüngste acht und zwantzig Jahr alt sey / und daß Sie die Mutter / allezeit / mit einer iedweden Tochter biß zu der andern (144) Geburt fünff Jahr gewartet. Wie geschwind fiengen wir an in Gedancken zu rechnen. Mochten uns aber nicht umb die Verbesserung der Zahlen bekümmern. Genug daß wir bey uns an Fingern abz a h l t e n / daß Rabintzgen / laut ihrer Mutter gegebenen Maßstabes / zum wenigsten 48. Jahr alt seyn muste. Klug genug / woferne der Verstand aus denen Jahren zubeweisen.

CAP.

LXV.

W i r merckten sehr wol / daß die Mutter gar gute INCLINATION hatte das acht und viertzig Jahrige Rabintzgen an Mann zu bringen. Denn darumb gefielen auch allerhand Discurse von ihren Vermögen. Sie erzahlete / daß zwar ins Gemein ihre Tochter mit der Zeit ein gut Stück Brodt von ihren Eltern zuerwarten; Es ware aber dennoch die älteste vor allen denen andern wol und am besten begütert. Wir wüsten erst nicht / was Sie vor Güter meinete. Biß Sie endlich fragte: „Rabintze / wie viel hastu Schaffe?" „ F ü n f f e " : antwortete die Tochter. Die Mutter setzte alsobald hinzu: „und zwey werden diesen Früh=Jahr noch lammen. A c h ! " fuhr die Frau (145) Bürgemeisterin in Geheim fort gegen U n s : „Rabintze ist mein bestes Kind / da wird kein ehrlicher Kerl mit betrogen werden / sie versteht die Haußhaltung über alle die Massen. Sie hat auch schone Wolle / einen gantzen Kornsack voll / fast in die 12. Pfund: und hat ferner auch neun alte Thaler / sie konten nicht schöner seyn: ITEM zweene gantz neue Taffentrocke / einen schwartzen zu Ehren; und einen blauen / den sie / wann Sie einst zu Ehren schreitet / den andern Hochzeit Tag soll anziehen. Wie wird dermaleins einer schmuntzeln / wem Sie das Glück zuführen wird?"

Cap.

LXVI.

E S fehlte ein kleines / so waren wir mit der Frau Bürgemeisterin ihren Töchtern gar tieff in die Schrifft kommen; Alldieweil wir nun nicht so / wie die wolberedte Frau verlangete / uns auff eine vergnügliche Antwort einlassen kunten / alß wurde Sie endlich genothiget / vorigen EXCESS der mütterlichen AFFECTION gegen Uns in einen Zorn zuverwandeln. Sie nahm

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Gelegenheit uns die Tochter zu entziehen / unter dem PRAETEXT, scharffer Zucht / mit ausdrucklichen W o r - ( / 4 6 ) t e n : es stehe Jungfern gar nicht wohl an / daß Sie sich mit frembden Kerln da hinter den Tisch setzten; ingleichen konte Sie / als Mutter / auch solches nicht zugeben / wann Sie nicht zuvor erst wisse / woran Sie ware. TAMIRO war ein loser Gast / und sonst wohl gewohnet / sich in alle Leute zuschicken. Er gab uns mit Augenwincken zuverstehen / daß er etwas in Sinne habe. E r stellete sich alsbald gegenzornig / unter dem Schein / als wann die Liebe ihn solche Galle auspresse. Er nennete Sie mit Vorsatz im Zorne / Fr. Mutter / und sagte: Sie müsse wissen / daß die Eheleute von dem Glück zusammen getrieben würden / und daß / wann zwey junge Leute einander einmal liebgewonnen / kein Vater und keine Mutter solche Liebe hindern konten. E r Hesse nicht von Rabintzgen / und solte er Sie eher heimlich entführen.

CAP. LXVII. D E r falsche Eiffer gefiel der alten Thorin so wol / daß Sie vor Freuden das Lachen nicht bergen kunte. Sie sagte dabey: MÖNS. TAMIRO solte doch nicht alsobald sich erzürnen: Sie hatte es so nicht gemeinet / es wäre ihm ja nichts versaget. Rabintzgen muste (147) sich alsbald zu ihm setzen / und in allen zu willen seyn / ausser woran sich die Leute etwa argern konten. Die vermeinte Schwieger-=Mutter hielte sich nicht langer in unserer Gesellschafft auf; sondern lief von Stunden an auf die Gassen / ihre Tochter als eine Braut auszutragen / ja ungeacht weder TAMIRO noch einem unter uns dergleichen in Sinn kommen / so wolte sie doch geschwind zur Sache schreiten / (weil Sie vielleicht vor diesen nicht einmal von Studenten war aufgesetzet worden) und gleich selbigen Tag noch ein Verlöbnis anstellen. Dem Pfarr / ihrem Vetter und Beichtvater / waren die BONA NOVA schon angekündiget / und der Beystand auf der Braut Seiten angetragen. Dieser kam alsobald und legte seine GRATULATION ab. Der Rathstag wurd auf selbigen Termin aufgeschoben / und kamen etzliche Mitglieder Ε . E . Raths welche alle in Mantel ihre Glückswündsche ablegeten. Ich sage / in Mantel. Denn sie hatten nur einen einigen; und wenn der erste GRATULIRET hatte / so gieng er wieder hinaus und legte den Mantel ab / damit der folgende solchen umhangen und seinen Verlöbnis-Wundsch auch in erbarer Gestalt vortragen kunte.

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Jobannes CAP.

Riemer LXVIII.

W A S zu thun? Der beste Nutz von allen diesen Maulaffen war eine Verwunderung über ihre Einfalt; an unserer Seiten aber eine Lehre / daß bey solcher Art Leuten in dergleichen Dingen sichs nicht schertzen last. In des waren wir in einer kleinen Angst: keiner wolte auf sich nehmen denen Leuten die Wahrheit zu erofnen / und TAMIRO, welcher durch ein einig Wort die Ursache dieser Noth war / fieng an blöde zu werden / da es ihm sonst an Hertz und Muth niemals ermangelt. Endlich traten wir zusammen / uns in Geheim zu bereden / wie wir doch endlich der Paucken ein Loch machen wolten. Da war nun der letzte Schluß den Abschied hinter der Thür nehmen. Nachdem uns nun der Paß / wegen des Zuschickens zum Verlöbnis=Schmause durch hin und wiedergehende Leute / noch in etwas verhauen war / suchte TAMIRO Anlaß der Frau Schwieger=Mutter seinen Mißfallen über der geschwinden Außrichtung zu verstehen zugeben / mit Bitte / solches doch ein baar Tage aufzuschieben; gab auch eine feine Ursache mit an: er wolte seinem Vater / welcher etwa zehn Mei-(/49)len von dannen wohnend wäre / es zu vor wissen lassen / und mit dazu einladen.

D i e OCCUPATE S c h w i e g e r m u t t e r

EXCIPIRTE,

die

Fische waren schon gekaufft / und zwo Hüner abgeschnitten / es mochte immer in Gottes Nahmen fortgehen. Sie wolte seinem Herrn Vater doch wol noch einen Schmauß geben / wenn er zu ihr käme. TAMIRO schützte Kindlichen Gehorsam vor. „ E y " / sagte die angstliche Schwiegermutter / „Weiß doch mein Mann / der Braut Vater / auch noch nichts davon. Er soll auch nicht dabey seyn. Gegen 3. Uhr nachmittage will ich ihm ein Bißgen Essen in Kober stecken / und will ihn ins Holtz schicken. Denn wenn er beym Verlöbnis ist / so saufft er sich nur voll; daher er sich denn nachmalß ungebührlich halt / und Schande einleget."

CAP.

L X I X .

W E i l nun das wundersame Weib gantz und gar auff keinen andern Weg zu bringen / so musten wir uns endlich entschliessen / wo wir nicht in Geheim konten / mit G e - ( / 5 0 ) w a l t und öffentlich zu der Stadt hinnaus= und fortzulauffen. Gleichwohl besorgten wir / der obgleich kleinstadtische Bürgemeister möchte unter seinen Bürgern gute Freunde finden / welche uns zu Pferde nacheileten und einen Schimpff beweisen konten. Derowegen RESOLViRten wir Uns einen Spatziergang vorzugeben / vors Thor / weil die Gegend so lustig wäre; in unsern Gedancken aber auf nimmermehr wiederkommen. „Gar recht" / versetzte die Frau Bürgemeisterin / „Herr Sohn /

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er nehme sein Rabintzgen bey der Hand / und spatziere immer ein bißgen mit ihr in der Stadt herumb und vors T h o r . " Damit war uns nicht gedienet / daß wir einen Hüter mitnehmen / und einen geschwinden Ansager unsers violenten Abschiedes bey Uns haben solten. Gleichwol aber kunten wir keine Ursache ersinnen / wie wir das junge Narrichen von 48 Jahren zurücke halten können. Das einfaltige alte Weib runge nach Schimpff / zu welchen wir gar keine / TAMIRO aber die wenigste Ursache gegeben. Das Mensch muste mit uns gehen. Die alte aber / so nothig Sie auch zu thun hatte / trat in die ( 1 5 1 ) Rathshauß=Thür und sähe uns mit lauter Lachen und Freuden nach. Nun hatten wir gerne von ihr Abschied genommen / und das ausgesoffene Bier bezahlet. Aber keines von beyden kunte ohne besorgliche Vermerckung unsers Vorhabens erfüllet werden. Wir spatzirten in GOttes Namen fort / und kunten geschehen lassen / daß Rabintzgen zwischen uns inne gieng. Wir DiscuRRiRten gar wenig: nur daß uns zuweilen Lachen und Mitleiden eine CONFUSION im Gesichte machten. Wer uns begegnete / blieb stehen und zeigte von Rücken zu / welcher unter uns Bürgemeisters Rabintzgen ihr Liebster ware. Wir giengen aus Schamhafftigkeit etwas geschwinde / und wündschten / daß es Winter gewesen / und wir Muffe gehabt hatten / daß wir die Gesichter darein verbergen können / damit uns niemand sehen und erkennen mögen. Wir gelangten gar schnelle vors T h o r / und wurden eines unfern davon gelegenen Holtzgens inne / welches uns in unsern Gedancken gar bequeme zum Abschiede schiene.

(152)

CAP.

L X X .

XAMIRO, gleich wie er etwas Schuld hatte an allen diesen Verdrüßligkeiten / und dieselben durch unzeitigen Schertz angefangen / ermangelte auch nicht denselben kurtzweilig zu beschliessen. Man kunte von der Höhe in ein ofnes weites Feld sehen / wo die Landstrasse durchgieng / darinnen sähe TAMIRO sehr weit / weit von unserm Stande einen Mistwagen gefahren kommen / über welchen er sich von aussen stellete / als sey ihm eine grosse Freude darüber entstanden / mit Vorgeben / es ware seines Vaters Karrete / und glaubte er gewiß / er würde zu allen Glück ankommen und dem Verlöbnis über sein und unser Vermuthen beywohnen. Dazu wündschte er sein Perspectiv an der Hand zu haben / die durchdringenden Freuden in seinen erkandten Vater desto eher dadurch zu ersehen. Sagte dabey ausdrücklich / daß er sein Perspectiv in der Braut Hause auf dem Sims liegend vergessen. Er wiederholte diesen Wundsch des Perspectivs gar offt / in Meinung / es würde die Braut solches heraus zu holen sich antragen. Alleine mit ihrer Hofligkeit war es in den 48.

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J a h - ( 7 ^ J ) r e n noch nicht so weit kommen / daß Sie sich zu solcher Muhe vor ihrem Bräutgam erklärete. Biß endlich TAMIRO mit verneurten Freuden / iedoch alles aus Schein / bekräftigte und nunmehr versicherte / daß der noch weit entfernte Mistkarn seines Vaters Kutschen wäre. Bate derowegen Rabintzgen / sie mochte doch hinein gehen und einen schwartzen Rock an Statt des Rothen anlegen / denn sein Herr Vater ware der rothen Farbe überaus feind: wozu sich Rabintzgen alsobald beqvemete / mit fertigen Fussen die Ankunfft ihres Herrn Schwieger=Vaters nach Hause zu bringen / und so dann auch einen schwartzen Rock anzuziehen. Und damit waren wir der Verlobnis=Angst loß. In Gedancken wundschten wir den guten Leuten alles Gutes / lerneten aber aus ihren unsinnigen Bezeugen / daß der Maulaffe sonderlich in kleinen Städten die vornehmsten zu belecken pflege.

CAP.

LXXI.

W A S nun auf den Abend aus dem Schmause worden / und wie er abgelaufen / das lasse ich dem günstigen Leser ihm selbst einbilden / wann er des seltzamen W e i - ( . W ) b e s unbefugtes Vornehmen besser / als es hier beschrieben / überlegen wird. Genug daß wir davon waren; da verzogen wir zwar nicht lange in DELIBERATION, sondern wir nahmen die Füsse zu Rathe / und beredeten uns in Fortgehen / wo wir uns nun hinwenden wolten. Denn die Sorge begleitete uns von Schritt zu Schritt / es mochten der Bürger etzliche die Pflüge ausspannen / und uns reitend einholen / da wir denn nechst dem zornigen Schwieger=Vater auch einen ungnadigen Richter würden gefunden haben.

Cap.

LXXII.

Ö E r Abend ließ sich nach und nach immer naher mercken / nach dem die Sonne etwa noch zwo Stunden über der Erde zu leuchten hatte. Wir wendeten uns qverfeld ein und gelangten in der halben Stunden an ein Forwerg / in welchen niemand mehr zu finden war als ein Verwalter / samt seinen untergebenen Gesinde / und ein Fischer / welcher den allda vorbey gehenden Fischreichen Fluß zu hegen und zu fischen hatte. Diesen Fischer / weil wir ihn eben auf dem Wasser antraffen / baten wir / ob er ( I i i ) uns nicht umb ein Trinckgeld überführen wolte. Die Begierde und Nothdurfft zum Gelde beforderten bey dem Fischer schnellen Gehorsam. Wir satzten uns ein und fuhren glücklich über den ziemlich breiten Fluß.

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Und damit Hessen wir unsere Sorgen der übelgerathenen Verlöbnis vor dem Ufer selbiges Wassers zurücke / und fingen nunmehr mit erleichterten Gemüthe zu belachen (an) / was verflossenen Tag über vorgegangen war.

CAP. LXXIII. A L S wir nun die gewohnliche Strasse bey dem Forwerge vorbey giengen / erhub sich ein grausam Hunde=Gebelle / davon der Verwalter bewogen wurd heraus vors T h o r zu treten / und zu fragen / wo wir hinnaus gedächten. Da wir nun Ihm mit kurtzweiliger Antwort iedoch freundlich begegneten / ließ er sich endlich gar herauß: wir mochten bey Ihm einsprechen / und mit geringer Wirthschafft vorlieb nehmen / weil ohne dem die Nacht vorhanden / und wir an einem unbekanten Orthe uns nicht wohl zu rechte finden wurden. D e r H r . Verwalter schiene ein feiner nasser Bruder zu seyn / (156) iedoch aber denen Studenten nicht ungeneigt. Und dennoch nothigte er uns mehr darumb / sich eine COMPAGNIE zu schaffen als etwa aus Christlichen Mitleiden gegen uns ein gutes Werck sehen zu lassen. Seine Stimme war sehr grob und fast unter BASsmässig / wie die haupttäglichen Schwelger zu haben pflegen. Sein Gesichte war küpfrich gewesen; Denn die Rothe fieng nun an aus grosser Hitze gantz blau zu werden. Die Nase war fast keiner Nase mehr gleich / sondern einen Wallenburgischen Nosselskrüglein ahnlich / an welchen allerhand weiße gelbe und braune Corallichen mit eingebrandt seyn. Mit wenigen zu sagen: Die Nase war wie ein gantz unförmlicher Klump kleiner Näsgen / welcher ihm ungefähr war ins Gesichte geworffen worden. So viel Geschwulsten und blaue Hügel hatte Bier und Brandte=Wein heraus getrieben. Wir folgten aber doch diesem Geschwister=Kinde des BACHI nach und ließen uns in ein gemauert Stübgen führen / darvon die Fenster heraus auff das Wasser giengen. Anfangs dachten wir / es wäre die K ü c h e : Denn der Toback-Schmauch hatte alles Aschenschwartz gemacht. Auf der Erden gien-(i.57)gen wir in der Toback-Asche gantz tieff / als wann etwa Sand geführet wäre / die Stube mit Ziegeln zu pflastern. Vom Haußrathe / Büchern / Rechnungs=Acten und dergleichen sahen wir nichts als ein groß Glaß von 4. Kannen / und ein ander groß holtzern Gefäß / da wol sechs mal so viel hinein gieng. Hinter dem Ofen lagen die Stücken von zerbrochenen Tobacks=Pfeiffen so hoch / als bey dem Tischer die Hobelspäne.

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CAP. LXXIV. W i r hatten unsere Hüte noch nicht auffgehangen und abgelegt; so war das grosse Glaß schon eingeschencket / welches der Nollbruder unserm PHILURT gantz zu brachte / und auff einen Ansatz aussoff. PHILURT versetzte mit seinem Unvermögen / und bat mit Bescheid thun umb A u f f schub. Bey Uns war mehr Kummer umb die Küche als umb den Keller / denn wir hatten aufs wenigste drey Meilen marchiret / Hessen auch unser Verlangen an den versoffenen Wirth gar deutlich gelangen. Er tröstete gar wol / ließ auch endlich gesottene Eyer / ein Milch-Muß / eine Bier-kalte Schale und gekochte Pflaumen auff den Tisch tragen: Daraus (158) die weichen Eyer unser beste Gerüchte waren. Was uns aber in Essen mangelte / das ersetzte der durstige Wirth mit vielfaltigen Anregen zum Trincken. Wann nur in unserm Vermögen gewesen wäre / Kuhsoffe zu vertragen. Jedoch brachte er es so weit bey uns / daß ein ieglicher / wie wol mit grosser N o t h das vier Kannen Glaß zum Willkommen austrunck. Er angstete Uns mit anhaltenden Trincken biß ins Bette. Und zu letzt brachte er noch einen Kannen-Stutz voll Brandtewein vors Bette / womit er uns auch den Rest vollends gab / daß uns allhand die Gedancken vergiengen. Das Bier hatte über seine hefftige Starcke auch die Tugend / daß es über die Masse laxirte / und weiß ich nicht / ob PHILURT bey Tische etwa auch über die gekochten Pflaumen kommen war. Denn alß wir nun so von allen Sinnen gesoffen / ohne Verstand einschlieffen / fügte sichs / daß zu Mitternacht uns das Krimmen im Leibe allzugleich aufweckte. Die Kopffe schmertzten von Hitze des Brandteweines / und die Leiber von übermassig genossenen jungen Biere. Die Angst war unaussprechlich / und keiner unter uns besann sich / w o wir waren. Auf keinem (159) Fusse kunten wir stehen / alle Gliedmassen waren schwach und zittern / und die Natur foderte uns dennoch aufzustehen. Denn das junge Bier war an dem nechsten Fenster durch zuschlagen. Ich stund auf in der Finsterniß und ließ mich die Wand an die Kammerthür leiten. Fand auch letzlichen eine Treppen / auf welcher ich herunter steigen und im Hofe meiner Natur gehorsamen wolte. Alleine da ich die Treppen bestiege / und in A u f f - und Niederheben der Füsse dem unbendigen Füllen im Leibe Lufft machte / rissen die Zügel / und die gelinde Geburt ward mitten auff die Treppen befordert.

Cap. LXXV. U n t e r d e s s e n suchte ich wieder unsere Schlaff=Kammer / allwo ich vermerckte / daß TAMIRO auch aufgestanden / und in gleicher Nothdurfft mit

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mir lebete. Er schiene etwas glücklicher zu seyn in einem Abtritt zu finden / alß ich. Denn wie schmertzlich er sich auch über seinem Rausche befände / so lachte er doch über mich / daß ich den Nachtstul nicht finden können wie er / da er doch mitten in der Kammer gestanden. Er lachte ferner auch darüber / daß ein Schloß und (160) Schlüssel an dem Nachtstule ware / mit Verwunderung / warumb man doch im Hause (mit des Apostels Pauli Freyheit zu reden) den Treck verschliesse. Wir beyde legten uns wiederumb zu Bette und befunden uns etwas besser als zuvor / schlummerten auch in denen Gedancken wieder ein. Ich absonderlich aber gedachte / so bald der Himmel grauen werde / wolte ich auffstehen / und durch Vermittlung einer Magd die Unreinigkeit von der Treppen ohne aller Leute Vermercken wiederumb wegnehmen. Alleine die Gedancken waren zu zeitlich / und derselben Würckung zu spät. Da wir wieder eingeschlaffen waren / kommt der Herr des Forwerges / ein reicher / und stoltzer von Adel / welcher in der Kleider=Hoffarth und sonderlich in allerhand kostbaren Peltzwerck zu tragen ersoffen war / so / daß er mit dem frühesten im Forwerge ohne unser Vermercken angelanget. Nun war Ihm endlich nicht entgegen gewesen / wie wir nachmalß erfuhren / daß wir drey als Fremde diese Nacht auf seinem Forwerge waren beherberget worden: Massen er denn auch / so bald er in der Frühe hinkommen / und von anwesenden gehöret / seinen grossen mit Zobeln gefütter-(/6/)ten Schlafpeltz alsobald angezogen / nur damit / wann wir würden auffstehen / Ihn so wol als seine Herrligkeit auch zugleich aus diesen schonen Schlaffpeltze erkennen mochten. Ich besonders hatte mir wol vorgenommen bewuster Ursache willen auff der Treppe noch vor dem Morgenroth aufzustehen; alleine der Termin war verschlaffen / und die Sonne schon aufgegangen. Wir erwachten alle drey zugleiche / und verwunderten uns / was vor vielfaltiges Auf= und Niedergehen der Treppen im Hause entstünde. Ich besonne mich nicht alsbald auf die bestulgangelte Treppen / denn mein gantzer Kopff hatte alle Kammern des Gehirnes mit Bierwust erfüllet. Biß sich endlich ein Donner und Hagel=Gefluche nach einander auf der Treppen erhub / und mich nur ein wenig der vorgegangenen Leibs=Entledigung erinnerte.

CAP. LXXVI. E,Rstlich zwar war ich auf den Juncker sehr zornig / daß er um eines elenden dünnen Drecks willen so viel grausame Flüche ausschüttete; aber wie ich hernach aufstund / und durch die Kammerthür horete / (162) daß er seinen schonen kostbaren Zobeln=Schlaffpeltz hinter sich her die Stiegen hinnunter durch den Qvarck geschleppet / daß ihm der Morast wider die Füsse biß in die Kniekehlen geschlagen / und noch dazu seine

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Perlfarbene Strümpffe gantz verderbet / ich geschweige den Stanck / den er eingefressen: da kunte ich ihn endlich nicht verdencken. Mir wolte fast eine Furcht ankommen / als mochte der bedreckte Juncker ein bar Pferdebengel zu Hülffe nehmen / und mich als PERFUMANten / oder beym Hencker alle drey zum Hause nausleuchten. Jedoch legte sich nach vielen Fluchen der Zorn / und der J u n c k e r endlich gar zu Bette / weil er vergangene Nacht nicht gar viel geschlaffen. U n d da wurd mir nun das Hertz etwas leichter. Man siehet / wie es bißweilen gehet / wann ein geringerer grosser Herrn Maul=Affe werden / und in solchen Ihm unnothigen Kleidungen ein Hoffpolitisches Ansehen suchen will. Zu dem / was war ihm der Schlaffpeltz selbige Nacht nutze an? Zumal es im Hundes-Tagen und eine solche Hitze war / daß man kaum das Hembde / ich geschweige einen gleichsam brennenden Peltz / auff der Haut leiden kunte.

(163)

CAP. LXXVII.

i N d e s s e n zeichnete ich diesen Kleidermaulaffen in unser Register / und war froh / daß nur im Hause der Streit und das Wort=Donner=Wetter sich geleget. Unter diesen kam iemand gar sanffte vor unsere Schlaff=Kammer / und pochte gantz mählich an: darauff stund TAMIRO mit mir auff / und legten wir beyde unsere Kleider an / aufn Fall der N o t h uns desto eher auff etwas zu RESOLViren. PHILURT vermahneten wir dergleichen zu t h u n : aber es war Ihm elender gegangen als mir. D e n n dort läge er in einem Senff biß unter die A r m ; und das gantze Bette war verderbet. W o l / traun! war uns nicht zu M u t h e : D o c h aber musten wir der Begebenheit / und des thorichten Anblickes von Hertzen lachen. Indes CONTINUiRte das anklopffen. Wir musten endlich auch fragen / wer da ware / und vernahmen / es sey die Magd aus dem Hause / sie solte der Jungefrau Verwalterin nur etwas holen. Wir beyde angezogene kunten endlich geschehen lassen daß die Magd in die Cammer gieng / und das / was Sie begehrete / heraus nehme. Derowegen m u - ( / 6 4 ) s t e PHILURT noch im Bette liegen bleiben. Wir eröffneten der Magd die Cammer-Thür / welche mit Anwundsch eines guten Morgens gerade auff TAMIRO seinen gebrauchten Nachtstul zugieng. Auff die Frage / was Sie da thun wolte / bekamen wir zur A n t w o r t : Sie solte ihrer Frau weiß Gerathe und andere weiße Spitzenbutz langen; Sie wurde gleich itzo auffseyn / und mit ihrem Herrn auff eine Hochzeit fahren.

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CAP. LXXVIII. D A lerneten wir nun erst / daß wirs alle drey (PROPRIE geredet / aber IMPROPRIE verstanden) verschissen hatten: Ich auf die Treppen / PHILURT ins Bette / und TAMIRO ins weisse Geräthe. Denn sein Nachtstul mit dem Schlosse / war der Frau Verwalterin ihre Reiselade gewesen / worein sie das schönste weisse Zeig / welches Sie den Tag zuvor zur Hochzeit zugerichtet / in Vorrath eingeleget / was das vor ein garstiger Zustand in der Lade war / das konte mit einen Gemahlde besser / als mit noch so viel Worten gewiesen werden. Die Magd lief wie eine Stute / die mit Sporn geritten wird die {165) Stiegen hinnunter und brachte der reisefertigen Frau die übelriechende Post. Und gleichwie der Zorn / welcher aus einer verderbten Lust entstehet / offt der allergroste ist: so fehlete es fürwar nicht an Feuer und Schwerd im Munde / bey einer aufgebrachten Wirthin. Es war uns nur dafür bange / das Weib würde gar rasend werden: Denn die Unsinnigkeit ließ sich schon ziemlich aus denen Worten abmercken. Unten im Hause hieß sie uns Hundsf—r: wenn Sie aber bey der Kammer vorüber gieng / so waren wir Scheißflegel. Zwar denen INJURIEN hatten wir leicht abhelffen können / wann wir nur nicht besorget / der Juncker mochte etwa mit dem Zobel=Peltze wieder rege gemacht werden. Daher verschmertzten wir alle Schmähung / wündschten nur aus dem Forwerge zu seyn; und unsere Gegenpart eine halbe Stunde davon Antwort zu geben. Der Verwalter / welcher des Abends zuvor mit uns allen Brüders c h a f t getruncken / kam endlich auch noch zu uns / aber mit lauter Lachen. Er kunte sich über der dreyfachen Unreinligkeit so ergetzen / als wann er mit einer Laden voll Ambra ware beschencket worden. Bate uns noch dazu / wir mochten (166) Ihm doch nicht beymessen die jenigen Scheltwort / welche sein erzürnetes Weib ausgeschüttet: es sey sich an der Weiber keiffen und kruntzen niemals zu kehren. Eine bose Frau sey nur wie ein Hund an der Kette: Bellen sey ihr bestes. Er betheurete gar / wann Ihm gleich Jemand hundert Ducaten verehrte / sie solten ihm so lieb nicht seyn: als diese cOLLEGiALische Dreckerey.

Cap. LXXIX. I c h kunte es nicht lassen / ich muste Ihn fragen / warumb er sich doch an solchen Sauereyen so sehr belustigen kunte. Er antwortete in lautern Ernst und Eiffer: worinne man doch einem Edelmann konte ahnlicher werden / als wann man seine Gaste also besauffe / daß Sie in die äusserste Nohtdurfft fallen müsten.

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CAP. LXXX. D A kam es raus. Unser neuer Bruder war der Mäulauffe eines brutalen Edelmannes / der den Unterscheid zwischen sich und einen Bürger nur bloß in Söffe zufinden vermeinet. Denn insgemeine hin kunte er so nicht reden: alldieweil ich sonst bey (167) vielen von Adel bekandt gewesen / welche aber sich lange so bestialisch nicht erwiesen. Mit einem W o r t : Unser Wirth war eine Saue / oder ein Wiedehopfe. Dieses erkennete man an seinen Federn: jenes aber an denen Porsten / die er auf dem Kopffe hatte. Denn ich zweifle / ob er sich in einen Qvartal einmal gekammet. An seinem Rocke hatte er keinen einigen Knopff mehr: alle Knopfflocher waren ausgerissen. Die Vordertheile des Rocks sahen aus wie Sie mit Bleche beschlagen waren / von Deste des beygegossenen Bieres. Im Gesichte und an Händen klebte Ihm so [. . .] viel Mist / man hatte ein Krautland mit düngen mögen. Ein Hembde hatte er an / welches der Erde an Schwärtze nichts zuvor gab. An Füssen trüge er nichts als verkehrte Leinwandstrümpffe / und hinten niedergetretene Schu. Des Morgens / da er zu uns kam / konte er keine Hand stille halten / welches aller Ertzsäuffer Eigenschafft ist / biß er endlich durch ein Nossel Brandtewein die Adern wieder gefüllet hatte.

(168)

Cap. LXXXI.

G L e i c h w o l zöge die Frau gar nett und reinlich auff. Und zwar noch weit erbarer / da der Edelman zugegen war / als vor dessen Ankunfft: ob sie etwa ihr Rechnungs=Register in des Junckers Cammer selbst vorlegen / und ihn darinnen blättern lassen müsse. Unterdessen gieng das Gemurre unten im Hoffe wieder an. Darumb schliche sich unser Herr Bruder mit der blaue Nase / gantz mahlig davon / damit das bose Weib ja nicht merckte / daß er uns eine Morgen VISITE gegeben hatte / und uns den Rücken hielte. Denn er forchte sich sonderlich vor dem Weibe: aldieweil dasselbe / ihn gleichsam mit ihrer Jugend und feinen Gestalt ernehrete. Die Magd sagte uns in Vertrauen / der Edelman hatte ihn langst seinen Abschied gegeben / wann ers nicht der Frauen wegen immer noch aufgeschoben. Endlich plumpte die andre Magd gar ein / und schwatzte aus / daß die Fr. Verwalterin in ihrer Jungferschaft des Edelmannes Liebe Getreue ware gewesen: und daß Sie von dem Verwalter / als eine Geschwächte / wissentlich sey geheyrathet worden / gegen das Versprechen / der Juncker (169) wolle ihn niemals Verstössen / sondern stets auf seinem Forberge als einen Verwalter ernehren.

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CAP. LXXXII. W A S solten wir nun unterdessen thun? Wir dorfften von dem Principal uns kein freundlich Angesicht einbilden / weniger von der Frau Verwalterin. Von dem Herrn Bruder Verwalter aber nichts mehr / als wiederumb einen Bauch voll Blehung und einen Kopf voller Schmertzen. Derowegen muste sich PHILURT geschwinde anziehen. Wir resolvirten uns kurtz / und nahmen Abschied / wie vorigen Tag bey Jungfer Rabintzgen. Und damit uns ja niemand sehen mochte / erwehlten wir die Thür hinter dem Brauhause zum Ausgange. Denn da kunte kein Mensch aus dem Hofe hinsehen. Und damit waren wir wiederumb davon. Auf dem Wege begegneten uns allerhand Gedancken / von unserm künfftigen Zustande / wie wir doch etwa unsere Reise in Prüfung der Politischen Maulaffen ferner anstellen wolten. Ein schöner ausgebreiteter Baum lockete uns in seinen Schatten zusetzen / nachdem die Sonne schon (170) etwas hoch gestiegen war. Da sassen wir etwa eine halbe Stunde und rechneten mit dem Beutel. Ich und TAMIRO hatten unsere Rechnung schon geschlossen. Denn es gieng nunmehr in die vierdte Woche / daß keiner einen Pfennig mehr in seiner Hand oder in seinem Beutel gehabt hatte. Unser Reise Compan aber war noch in etwas bey Mitteln. Wir machten uns zurechte wiederumb auffzustehen / und fort zugehen. Da wir aber von ferne einen Mann daher auff uns zukommen sahen / willigten wir untereinander / so lange noch zu sitzen / biß der Reisende bey Uns vorbey ware. Da er nun naher bey Uns kam / erkanten wir an seinen schwartzen Federn / daß er ein geistlicher Vogel sey. Sein eigen Bekäntnis versicherte Uns nachmahls auch in solcher Meinung.

Cap. LXXXIII. N u η schiene der Mann gantz melancholisch / er redete nicht anders / als wann ihm die Lunge zusammen geschrumpfeit ware. Er seuffzete dabey / und wolte uns fast selbst seinen Wehmuth zuverstehen geben. Ich war CURIOS und fragte / ob er ein Anliegen hätte? Er gestund alles öffentlich / und sag-(/77)te: „ J a ! " beschwerte sich dabey / daß ihm der Weg sauer ankäme / denn er solte itzo nachmittags vor dem CONSISTORIO erscheinen / wohin er c m r e t wäre. Ich fragte nach der Ursache: „Ich weiß keine Ursache" / sagte er / „als daß ich vergangenen Winter nach der Früh= Predigt biß weilen meine Frau auff dem Schlitten gefahren; und daß ich mir selber meine Besoldung in etwas verstärcket und etzliche Zinsen der Kirche dazugeschlagen. Doch habe ich mir gestern durch meinen Cüster sagen lassen / als hätte er von seiner Frauen Bruder / welcher CON-

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SISTORIAL-Bothe ist / in Geheim gehöret / daß ich nicht deswegen ciTiret / sondern darumb: Es waren vergangene Woche etzliche ACADEMische gute Freunde bey mir / denen ich eine Ehre erweisen muste. Und weil ich in Ermanglung anders Silber-Geschirres Ihnen eine Gesundheit aus dem alten Kelche / den ich in meiner Verwahrung habe / zugebracht / so soll mir das Ding so auffgerücket werden / als wann ich eine grosse Sünde wider mein Amt begangen; Alleine / wann Sie mich darumb zur Rede setzen / so will {172) ich gleich sagen / daß ACADEMische gute Freunde bey mir gewesen / die ich ja ohne Bezeugung einer Ehre nicht hätte von mir lassen können. Und daß ich ihnen ja keine höltzerne Kanne vorsetzen dörffen. So können Sie alsdenn nichts draus machen."

CAP. LXXXIV. D A S s e y n d E r t z = S ü n d e r / QVIBUS PECCATA PECCATILLA VIDENTUR. K u r t z

darauff erfuhren wir doch / daß das CONSISTORIUM dennoch etwas daraus machen können / in dem Sie den Herrn Geistlichen auff sein klares Geständnis REMOviret / und mit einem jährlichen POENITENS Gelde PROviDiret hatten. Hierauff zog ein ieder seine Strasse. Der Herr PASTOR nach dem CONSISTORIO; Wir aber unsern Weg zu der vor Uns liegenden grossen Stadt MORA. Woselbst wir den Päpstischen GOttesdienst in grosser Hitze antraffen. Vor dem Thore / ehe wir in die Stadt kamen / begegnete Uns ein guter Freund / welcher in gleicher REPUTATION mit Uns war aus der Schulen kommen. Derselbe freuete sich einen Bekandten an unbekanten Orten zu sehen. Er führte (173) Uns ohne Anruffen durch die Wacht an eine Pforte. Denn durch die Thore war denen Frembden schwer hinneinzukommen. Alsobald an der Mauer stund eine Capelle / in welcher gleich selbiger Zeit zu einer Predigt geläutet ward. Wir sahen mit Verwunderung / wie das Volck häuffig sich zu der Capelle einfand. DION NYSI hieß der Bekandte / den wir antraffen / den fragten wir / warumb man denn an dem Orte so späte / und in so grosser Versammlung nach einer Predigt eilete. Er verständigte uns / daß der Münch / so in dieser Capell bestellet ware / auff der Cantzel solche Händel machte / darüber man mehr zu lachen / als bey einer CoMOEDien über das schönste Possenspiel.

CAP. LXXXV. H l e d u r c h waren wir schon entzündet die Predigt mit anzuhören / zumahl weil wir so nahe waren. Wir giengen hinnein und erwarteten mit

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grossen Begierden der Predigt Anfang. Endlich kam der Münch auff die Cantzel gantz sachte geschlichen / und weil er den Text zu predigen hatte: D e r T e u f f e i gehet h e r u m b wie ein b r ü l l e n d e r L 0 w e / etc. Machte er diesen (174) Eingang. Er trat hervor auff die Cantzel / und sagte kein Wort; sondern klopffte mit einem Finger zweymal auff den Soller und sagte: „ H o l l a ! " Er fragte sich auch selber: „Wer ist da?" darauff antwortete er wieder: „ D e r Teuffei." Und dann schriehe E r laut und plötzlich: „Pursch! ins Gewehr mit dem Vater Unser" / etc. Und das war der gantze trostreiche Eingang. Nun lasse ich in seinem Werthe ruhen die Vergleichung des Gebets mit denen Waffen / oder die Benahmung desselben mit dem Schwerd des Geistes. O b aber in öffentlicher Gemeine so gar frech zu ALLEGORisiren / will ich noch zur Zeit nicht bejahen. Man erzahlte uns auch von dem tollkühnen Münche / daß er vor acht Tagen zwey Nüsse mit auff die Cantzel genommen / deren eine bose / die andere gut gewesen / und zum Eingange gesagt: daß die Lutherische und Catholische Religion diese beyde Nüsse waren. Von aussen sehen Sie einander gar gleich; Nun aber woll er Sie auch ofnen und sehen / was darinnen guts ware. Hierauff habe er beyde Nüsse öffentlich aufgebissen / und die gute auff seine / die bose aber (175) auf die Lutherische Lehre schmahlich g e z o g e n . ITEM es w a r d u n s e r z a h l e t / d a ß e r v e r w i c h e n / a l s INNOCENTIUS X . die

DISCAMERATION

auf

den

Staat

CASTRO

verwehret

/ und

folgends

darinnen mit dem Konig von Franckreich zu PISA Friede geschlossen worden / sey er zur Friedens-Predigt mit 2. Pistollen auff die Cantzel gegangen; habe dieselbe losgeschossen / und darauff gesaget: „Also muß man dem lieben Frieden mit ein paar Freuden=Schüssen entgegen gehen." Andere viel lächerliche Dinge mehr wurden von Ihm erzählet / so wir aber anderer Gelegenheit zu eroffnen vorbehalten.

CAP. LXXXVI. H l e m i t war der Abend wiederumb vor der Thür und hatten wir mehr Ursache uns umb ein Qvartier zu bekümmern / alß etwa nach einer l ä c h e r l i c h e n P r e d i g t u n s f e r n e r u m z u s e h e n . MÖNS. DION NYSI n a h m u n s

mit nach Hause / und erwiese uns Landes=Art nach allen guten Willen. Aber nicht allzuwol schlieffen wir. Denn die Hitze war selbige Nacht zu grausam. Uber dis wurden wir auch von denen Flehen so geängstet / daß wir wie rothe Tyger am Leibe (176) und Händen außsahen. Wir danckten G O t t / daß der Morgen anbrach / nach welchen wir die gantze Nacht verlanget hatten. Wir stunden so frühe auf / daß wir nicht einmal aus dem Hause kommen kunten / nachdem der Wirth gewohnet / alle Nacht den

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Thorschlüssel zu sich zu nehmen / und des Morgens nicht eher zuerofnen / biß der helle liechte Tag einem iedweden / der aus und eingieng / in die Augen scheinen kunte. Da wir nun endlich ausgelassen wurden / kamen wir ohngefehr wiederumb an eine andere Capelle / darinnen gleich eine Messe angegangen war. Da liessen wir uns auch mit finden / und zwar in der Hohe auf einem Chore / da wir über die gantze Kirche sehen kunten; uns aber hingegen vermochte kein Mensch zu erkennen. Wir verwunderten uns über die Andacht und ausserliche Bezeugungen der Leute / indem wir dergleichen noch bey keinen andern Religions-Genossen gesehen hatten. Unter andern aber erblickten wir eine Jungfer / welche unbeschreiblicher Weise mit Hertz=schlagen / Hände-ringen / Trahnen= vergiessen / Seufftzen gen Himmel / und andern Anzeigungen der Andacht sich bemühte. Sie saß in einem engen Stule / ziemlicher (177) Höhe / in einem Winckel der Kirche / da Sie ausser uns sonst von niemand konte OBSERViret werden. Absonderlich hatte Sie in einen Gebet-büchlein vorn etwas geschrieben / das läse Sie die Messe über wol hundert mal: wir gedachten unter Uns fast einerley. Denn es gestund ein iedweder sein D E S I D E R I U M zu wissen / was doch das ewig vor ein Gebet seyn müste / das diese mit so offter Wiederholung unter solcher gantz ungemeiner Andacht betete. T A M I R O sagte / wann er nicht befürchtete / er mochte verschlossen werden / er wolte gleich in der Kirchen bleiben / biß die Jungfer davon gienge / und alßdenn in den Stuel steigen / und hinter das Gebet kommen. M Ö N S . D I O N N Y S I sagte / daß die Kirche heute den gantzen Tag nicht zugeschlossen werde. Denn in zwo Stunden werde wiederumb eine Messe angehen.

CAP. LXXXVII. Auf diese Nachricht alsobald RESOLViRten

wir uns alle Viere zu erwarten / biß die Jungfer auß der Kirche nach Hause gienge: und alßdenn solte einer sein Glück versuchen / ob wir hinter die Ursache solcher heiligen Andacht kommen könten. Was ge-(/7#)schah? Die Jungfer bekräftigte sich nochmalß: Beschloß mit einem Stoßgebetgen / und stund auf nacher Hause zu gehen. Das Gebetbuch bliebe ihrer Gewohnheit nach auff dem Bet=Tischgen von einer Messe biß zur andern liegen / gleich wie wir auch in andern Stülen geschehen sahen. Nunmehr war Sie gar aus der Kirche: und T A M I R O wolte itzo sich zu dem Stule nahen und unser Vorhaben ausführen. Indem aber kam ein Pfaffe / der eben diese Messe gehalten / und der betenden Jungfer Brunst / Gebet / und Minen ohne Zweiffei auch nicht ohne Verwunderung angesehen hatte / mit geraden Fusse auf der Jungfer Stul zu / und bezeugte gleichmassiges Verlangen. Er zöge ein

Politischer

Maul-Affe

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Bund Schlüssel aus dem Schiebsack / und versuchte so lange den Stul aufzuschliessen / biß er endlichen einen Schlüssel ergriffe / mit welchen er den Stul erofnete. Aus Begierden streckte er die Hand nach dem Betbuche / ehe er noch recht dasselbige erreichen kunte. Er schlüge das erste Blat des Buches auf / eben das zu lesen / welches wir auch zu wissen verlangeten. Unter dem Lesen noch grief er in die Ficken / und brachte Feder und ein klein Elphenbeinern D i n t e - { / 7 9 ) f a ß hervor / wie auch ein zwolfftheil eines Bogen Papieres / schrieb etwas darauf / legte solches in das geschriebne Gebet des erofneten Buches und gieng davon.

CAP. LXXXVIII. H A t t e n wir zuvor verlanget das Gebet der andachtigen Jungfer zu lesen; so wurden wir weit mehr erhitzt / den COMMENTARIUM, welchen der Herr Pater darzu legte / zu lesen. Wir erwarteten biß der Pater der Kirchen den Rucken zukehrete: nachmalß gienge TAMIRO eilends auf den Stul loß / unsern Warten ein Ende zu machen. Das Glück selbst erschien unserm Vorhaben gantz gütig. Denn es hatte der Herr Pater aus hauffigen Gedancken den Stul nicht recht wieder eingeschlossen / daß TAMIRO, SO bald er mit der Hand die Stulthür anruhrete / dieselbe ofnen / und ohne verdachtiges Einsteigen hinnein gehen und sich alles wol bekand machen kunte. Aus TAMIRO Lachen muthmasseten wir schon / daß es nicht richtig war. Er legte nach Verlesung das Buch mit samter Beyschrifft des Herrn Paters wieder an seinem Orth / Schloß zu / und kam vor die Kirche wieder zu uns / und e r z a h l - { / # 0 ) t e / daß das geschriebene Gebet der Jungfer eine eifrige Anruffung des heiligen Andreas umb Verleyhung eines Mannes gewesen sey. Der Herr Pater aber habe im Nahmen und unter der Person des heiligen Andreas geantwort: daß er ihr inbrünstiges Gebet erhöret / und ihr helffen wolle. Sie solte auf den Abend umb 9. Uhr sich in ihrem Hause in der Eckstuben alleine / und ohne Liecht andachtig finden lassen / so wolte er ihr erscheinen / und vernehmen was ihr Verlangen ware.

Cap. LXXXIX. W A S der Herr Pater bey der Jungfer in Finstern gesucht / kan Fleisch und Blut gar leicht errathen. Hatte der alberne Pfaffe nur das Liecht in seinem Zeddel nicht verboten; so hatte noch ein Schein der Messe zum wenigsten denen jenigen antworten können / welche darnach fragen / was

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Johannes

Riemer

der Herr Pater allda thun wollen. Gewiß ists / daß die Jungfer sehr schon / aber doch dabey wol etzliche zwantzig Jahr alt war. Daß man wol von ihr sagen

könte

/

was

der Jungfer-LNSPECTOR,

HORATIUS

von

der

LYDIA

geschrieben (181)

Q V A M TIBI FLAGRANS AMOR, &

LIBIDO,

Q V A E SOLET MATRES FURIARE EQVORUM, SAEVIET CIRCA J E C U R ULCEROSUM, N O N SINE QVESTU.

Dannenhero gedachte TAMIRO, welcher in solchen Fallen der Liebe von Jugend auf / immerfort etwas zu geniessen / sich bemühete / ob nicht möglich ware / entweder dem Herr Pater vorzukommen / und den bestalten Venus-Becher zu credentzen / oder aber doch des Herrn Pater Fürnehmen zu verhindern. O b wir nun gleich Ihm Obstatt hielten / mit ausdrücklicher Verwarnung sich vor Unglück zu hüten. Denn wer sich in dergleichen Dinge mische / sey nicht ferne von der Gefahr: so war er aber dennoch nicht davon zubringen. Er bescheinigte seine INTENTION damit / sagende / der Pfaffe müste Ihm weichen / und sich umb so viel mehr / alß er / fürchten / alldieweil er auf verbotenen Wegen mit verletzten Gewissen zu lieben suchte. Setzte dazu / wir wolten wiederumb in die Messe und alsdenn der Jungfer nach vollbrachter Messe / biß vor ihr Hauß nachgehen / umb zuerfahren / wo er auf kommenden Abend seinen Possen auszuführen.

(182)

CAP.

XC.

D i e Meßstunde kam / und in derselben die Jungfer wiederumb zum Dienst des Heiligen. Wir stunden in der Kirche an vorigem Orte / und betrachteten / wie die Jungfer bey Ersehung der eingelegten Schrifft erschrack. Sie erholte sich aber bald / küste mit tausend Freuden das Blatgen Papier. Bald darauff warff Sie sich andächtig zur Erden nieder auff die Knie / und brachte das beschriebene Papierlein nicht vom Munde. Und damit gieng die Messe fast zu Ende / nach welcher wir zusammen der Jungfer von ferne biß vor ihr Hauß nachfolgten. Zur Nachricht bey Abend / und das Hauß desto eher zu finden / bemercketen wir einen gegen über stehenden kostbaren Brunnen / auff welchen mancherley hohe vergüldete Statuen stunden. Und damit giengen wir in ein Wirthshauß / nach Nothdurfft etwas zu speisen. Da wir nun gleich den TAMIRO fragten / wie er denn auff den Abend bevorstehender CONFERENZ des Heiligen mit dem Frauen-Zimmer verwehren wolte / so gab er uns dennoch keine

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Maul·Affe

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andere Antwort / als: da solten wir nur ihn {183) sorgen lassen. Wie gerne wir ihn von seinem Vorsatz zurücke gezogen hatten / ist leicht zu erachten / wenn wir die Grundboßheit dieses Ortes / als gleichsam des andern Babels betrachteten. Wir redeten endlich hart mit Ihm / und suchten unter dem Schein des Abscheues vor seinem schändlichen und üppigen Vorhaben / und daß wir deswegen nicht mit Ihm umgehen wolten / Ihn abzuhalten; alleine es wolte auch dieses nicht verfangen. E r wündschte wohl zehnmal / daß doch der Abend nur schon da ware. Versicherte uns dabey / mit Betheuren / daß er nichts böses im Sinne hatte; wolte auch sich rein und in Ehren zubehalten wissen / wann gleich die Jungfer selbst ihn umb allerhand Freundschafft ansprechen würde.

CAP.

X C I .

U N t e r d e s s e n kam der Abend herbey / und gab durch kohlschwartze Finsternis dem TAMIRO gar schone Gelegenheit seinen Possen auszuführen. O b wir nun gleich mit ihm nicht allerdinges zu Frieden waren / daß er mit Gefahr eine Kurtzweile zu machen durchaus nicht abstehen wolte; so begleite-(184)ten wir Ihn aber dennoch biß vors Hauß. Ehe er aus unserm Qvartier sich erhöbe / ließ er sich ein halb Buch geschlagen Metall oder Blatgen=Gold / wie man es heist / holen. Im Hofe unseres Hauses stund S. Petri in Stein gehauene STATUA, welche einen großen Eisern•= vergüldeten Schlüssel in der Hand hatte. Denselben borgete er der STATUA so lange ab / biß er wieder nach Hause kam. Mit dem blatgen Golde aber vergüldete er das Gesichte und gieng damit hin / wo er die Kurtzweile auszuüben sich vorgesetzet. Wie gedacht / wir begleiteten Ihn alle drey / und blieben einen Steinwurff weit vom Hause stehen. Er TAMIRO mit dem grossen Schlüssel und vergüldeten Angesicht / nahm eine brennente Laterne und gieng damit in guten Vertrauen auff das Hauß loß. Die Thür fand er offen; oder daß ich recht sage: zwo Magde und eine alte Frau stunden im Hause hinter der Thür / welche von des H . Andreas Anwesenheit wüsten; iedoch aus keinem andern Glauben / als daß / er der Pater / der ware Heilige sey. Ich laße an seinem O r t gestellet seyn / ob die Magde nicht etwa auch gesonnen waren / wie Sie den Heiligen N o h t helffer so nahe hatten / in Abschiede bey {185) Ihm umb eine Caltaunen Bastete anzuhalten. TAMIRO pochte gar sanfft an / die Magde als Hüter der Heiligkeit / waren geschwind mit denen K6pffen ans Fenster / um zu sehen / wer sich hier als ein Zerstörer des Heiligen Gesprächs anmeldete. TAMIRO hielte die Latern an das vergüldete Gesichte / wiese ingleichen den güldnen Schlüssel / und da er gefragt wurde / wer da ware / und was

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er wolte / antwortete er / daß er Petrus ware / und einen von seinen Aposteln suche / welcher in dieses Hauß gegangen. Wie geschwind die Magde Ober= und Unterthür eröffneten / das ist nicht zusagen. TAMIRO PASSIRTE nach Anweisung und Vorgang einer Magd / gleich auff die Stube / wo der Heilige mit der armen Sünderin zusammen kommen war. Er gieng ohne Anmeldung hinnein: Die Laterne behielt er so lange unter dem Mantel biß er in das Gemach kam / da er alsdenn mit dem Liechte hervor wischte / und den Patron mit seiner sündigen Clientin in einer solchen Absolution antraff / welche Sie Ihm folgenden Sonnabend / als Sie die Ordnung ihrer Sünden auffs sechste Gebot brachte / hat beichten müssen. TAMIRO aber mit seinem güldnen Gesichte (186) fieng an mit dem vermeinten Heiligen zu EXPOSTULiren; und weil die Historie einmal von Heiligen abergläubisch angefangen / so wolte TAMIRO sie auch also beschliessen: und nahm den Heiligen von der Heiligen weg / beym Kopffe / schlug ihn zur Erde und sagte unter der Person des Petri gar zornig: „Du weist wohl / daß du nur auff eine Stunde Urlaub von mir hast; und daß ich den Himmel umb neun Uhr schliesse. Da werde ich gewiß auff dich noch drey Stunden warten." Unter wahrenden diesen Reden brauchte er auch das Amt des Schlüssels und zerschlug den Heiligen Hn. Pater mit dem grossen Gold=Schlüssel / daß er nicht wo hinnaus wüste. Doch gleichwohl kam er dem TAMIRO gar geschwinde unter denen Händen weg und war nirgends mehr weder zu sehen noch zu hören.

CAP. XCII. H l e m i t nahm TAMIRO von der Jungfer auch Abschied. Wiewol noch unter der Person des Petri: erschreckte Sie auch mit harten Worten / daß Sie zitterte. Befahl darneben / daß Sie hinfort seine A-( 187)postein ja nicht bey Abend mehr hinnein lassen solte / sonst würde Sie eben von Ihm das Straff=Amt erwarten müssen. Und damit zog der vergüldete Petrus wieder ab. Wir indes blieben auff der Gassen von ferne stehen / und hatten von der gantze COMOEDIEN nicht mehr gesehen / als daß die Magde an der Haußthür auff denen Knien lagen / wie TAMIRO in angenommener Person mit seiner Laterne zum Hause wieder heraus gieng.

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CAP.

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XCIII.

D A er nun wieder unter freyen Himmel in die Freyheit kam / leschte er das Liecht in der Laterne gar geschwind aus / damit man nicht etwa Nachricht schopffen konte / wo der güldne Heilige seinen Weg zugenommen. Kam alsdenn zu Uns und erzahlete Uns mit grosser Kurtzweile den gantzen Handel. Nun ließe sichs endlich noch mehr darüber lachen: weil der Possen wol abgelauffen und keine Gefahr mehr zu besorgen war. Ware aber ein Hinterhalt im Hause gewesen / oder hatte Pater Andreas etwas von seinen Herrn CONFRATRIBUS bey sich gehabt; (188) so würde keiner von uns TAMIRO seine Haut haben leihen mögen.

Cap.

XCIV.

TAMIRO hatte nun gerne dieses unter die Heiligen MauUAffen geschrieben: alleine weil wir IN FAVOREM anderer ehrlichen Meß= und Kirch» bedienten dieses Exempel in unserm Tage=Buche nicht haben wolten; als muste die gantze Historie INTER RES QVASI NON GESTAS gerechnet werden. Wir hatten uns über dem Dinge so müde gelacht / daß keiner von uns den Abend zu essen begehrte; sondern mit einem einigen Truncke Wein verlieb nam. Darauff legten wir uns vom Lachen gantz ermüdet zu Bette: kunten aber vor TAMIRO wiederholter Erzählung vor Mitter=Nachts nicht einschlaffen. So lustig nun und kurtzweilig der Abend war / so betrübt und erschrecklich war der Morgen. Denn unser Reise*Gefahrte welcher uns bißher auf dem Weg mit Auslosung unterhalten / fand seinen Namen an ofnen Brete angeschlagen / indem er zu einem Kauffmanne c m r e t war / wo er einen Brief aus seinem Vaterlande abzuholen. Wir giengen mit einander zu dem Kauffmanne (189) hin / der freudigen Hoffnung / als würde in dem Brieffe ohne zweiffei ein Wechselbrieff ankommen seyn / alldieweil die Abgabe desselben bey dem reichesten Kaufmanne geschehen war. Alleine an statt des WechseUBrieffes muste der gute SYLVANISSUS einen solchen Filß lesen / damit man lauter Feuer=Bomben hatte beschlagen mögen. Nach Hause solte er kommen; keines Heller Geldes hatte er sich zugetrosten / und Niemand wolte ihm an dem frembden Orte einen Groschen / ohne Wechsel-Brieff / vorsetzen. Drey Thaler war noch das gantze Vermögen / welches wir bey uns hatten / davor solten unser viere entweder mit Schimpf wieder nach Hause reisen / oder aber in der Welt uns noch ferner nach Politischen Maul=Affen umbsehen. Ich muß bekennen / es hielte etwas hart; und der Muth wurd schwach bey uns / indem wir von Stunde zu Stunde unser Mittel geringer sahen.

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CAP. XCV. O B nun gleich PHILURT alle Hände nachmahlen und Ieichtlich einen Wechselbrieff stellen können / so war es doch so blosser Dinge nicht einzurichten: dieweil es vor (190) uns viel zu gefahrlich schien. Denn wären wir auf Unrichtigkeit ergriffen worden / so ware uns in der grossen Handelsstadt / wo allen Betrügereyen absonderlich zu wehren / gar gewiß ein grausamer Schimpf wiederfahren: obgleich SYLVANISSUS nicht in willen hatte den Kauffmann zu betrügen / sondern seinen obschon falschen Wechselbrieff dennoch auf den Termin mit baren Gelde zu losen. Derhalben liessen wir alle INCLINATION zur List fahren / und resolvirten uns vielmehr denen Grentzen unsers Vaterlandes etwas zu nahern und biß zu anderer Gelegenheit nur noch auf dem Lande nach denen Politischen Maulaffen umbzusehen. Wir reisten nach Mittage umb 2. Uhr ab und kamen unfern von Moria in einen Flecken / da eben die Kirchmesse hochfeyerlich begangen wurde. DION NYSI erblickte in derselben Froligkeit einen bekandten Freund / welcher auf dem Lande bey einem armen von Adel PRAECEPTorirte: denselben ließ er zu sich kommen / mehr aus Abziel / ihm etwas in seiner Abwesenheit aufzutragen / alß etwa von ihrem Schmause was zugemessen. Gleichwol aber hatten wir das Glück / daß so wol der Herr INFORMATOR, als auch noch zwey (191) andere Geistliche Kirms=Gaste sich zu uns naheten und umb Verstarckung ihrer COMPAGNIE anhielten. Hiezu waren wir gar gehorsam / und fehlte nicht viel / wir waren vorangegangen. Denn diese INVITATION entsprang gar zu rechter Zeit / in dem sie die State eines Gerichtes in unsern ledigen Magen verwaltete.

Cap. XCVI. W i r wurden in Kirms=Hause gar freundlich empfangen / und kamen unter Leute / da wir uns keines Zanckwesens und DUEixiRens befürchten durfften. Denn es waren über zwey und zwantzig Geistliche mit Weib und Kind beysammen / welche sich auch einmal im Herrn / nach ihrer Arbeit / frolich zu seyn vorgenommen hatten. Das starcke Bier und das Trünckgen Landwein untereinander hatten die schwachen Kopffe schon etwas eingenommen. Daher wir denn auch desto freundlicher empfangen / und von Hertzen gern gesehen waren. Was noch von Essen auff dem Tische stund / ward uns vorgeleget / ingleichen ein gantzer Kuchen / welchen wir zwar lieber biß auf den Hunger / folgendes Tages aufgehoben hatten. U n t e r - ( / 9 2 ) d e s s e n fütterten wir uns wol / und brachen dem Truncke auch nichts ab. Desgleichen liessen wir uns auch zu einem Ehren=

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tantze ein / dazu der Schaffer / Meister Heinrich / auf dem Polnischen Bocke blasen muste. Unter diesen 22. Geistlichen waren zugleich mit auf acht oder zehn ledige junge Leute / welche theils über ein halb Jahr nicht auf Universitäten gewesen und nachmalß auf dem Lande bey diesen Herrn Geistlichen / Nohthalber INFORMATIONS-Dienste angenommen. U m b das Maul herumb sähe man bey Ihnen gar wenig ORNAMENTA REVERENTIAE; sie wolten aber dennoch hoch und noch über ihre Herrn RESPECTIRET seyn. O b sie zum Theil etwa SuBSTiTuten mit gewesen seyn / habe ich nicht erfragen mögen. Wir zwar achteten wenig / ob sich die Tölpel mit uns nothigten oder nicht; aber das verdroß uns / daß die alten ehrlichen Priester mit grauen Hauptern und Barten sich von denen Gelschnäbeln eintreiben lassen musten: da doch die rechtschaffenen Leute in ihren Discursen mit zwey Worten mehr ausführeten als diese Mannbare Knaben mit allen ihren vergeblichen Geschwätze. Wir vergnügten uns mit Essen und Trincken / und (193) kümmerten uns wenig umb dieser Maulaffen ihre Theidigungen.

CAP.

XCVII.

D A hatten wir viel in unsere Politische Maulaffen-Register einzutragen. Denn so viel junge PRAECEPTErgens; so viel PERFECTE Maulaffen. Denn erstlich waren sie so hoffartig / daß Sie sich aus Hochmuth selbst verriethen / sie wären nicht weit auskommen: sonst hätten wir uns über sie erzürnet / daß Sie nicht auch zu Sparta gewesen und gelernet / wie Sie alte Leute ehren müsten; oder zu R o m / und da erfahren / mit was vor Ehrerbietung ihren Herren / sonderlich bey Gastereyen / entgegen zu gehen. Unterdessen kehrten Sie sich an nichts; Ihren RESPECT aber nahmen Sie dermassen in Acht / alß wenn Sie Cardinäle waren / so mit Churfürstlichen Abgesandten zusammen kommen / da keiner dem andern etwas nachgeben wolte. Endlich Hessen Sie den Politischen Maulaffen recht mercken. Denn indem fiengen Sie an von ihrer Klugheit fast streitig zu reden / welcher unter ihnen der Gelehrteste sey. D a kamen nun wunderliche MEDII TERMINI auf den Platz. Einer sagte / (194) zu behaupten / daß er der Gelehrteste wäre / er müsse alle Kirmes=Predigten vor seinen Herrn HOSPES verrichten. Der andere sagte / er habe neulich in der Stadt in Gegenwart des SuPERiNTENDENten geprediget / welcher in seiner gantzen Predigt nichts / alß etwa zehn oder zwolff VITIA tadeln können. Wiederumb ein ander rühmte sich / er hätte die Bibel nun fast zum dritten mahle durchlesen. Der folgende wolte deswegen keinem was zuvor geben / weil er bey einem vornehmen THEOLOGO in Teutschland hätte COLLEGIA gehalten. Nechst diesen sprach ein anderer; Ihm gebühre der Vorzug.

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Denn er könte alle Stunden in MAGISTERIUM P R O M O V i r e n . Abermal stritte ein anderer vor seinem Preiß / sagende / daß dieses Lob ihm alleine gebühre / weil seine Schwester an den ARCHIDIACONUM von Trota verheyrathet ware.

CAP. XCVIII. Ich muß bekennen / diese RATIONES seynd gar schwach die Gelehrsamkeit daraus zu beweisen. Dem allen aber ungeacht / scheuete sich der letzte nicht zusagen / daß Ihm der Lorber der E R U D I T I O N zukomme / denn {195) er habe ja unter allen die beste Sprache / bekräftigte dabey ausdrücklich / daß der Gelehrteste Kerle nichts sey / wann er nicht eine feine grobe Sprache habe. Er wolte nicht einmal erwähnen / daß er numehr zum drittenmale auffs neue Jahr geprediget / und allezeit einen Neu=Jahres Wundsch dabey gemachet hatte. Nechst diesen fund sich doch noch einer / welcher über diese alle der klügste seyn wolte / und versetzte: man müsse auff die REALIA und auff das ARTIFICIUM in einer Predigt sehen; welches allen angeführten Klugheiten weit weit überlegen. Nun wolte er seine ehemahls gehabten Zuhörer davor zeugen lassen / was er vor Kunst und Geschickligkeit in seinen Predigen erweise / dergleichen ihm kein alter E X E R C i R t e r Prediger werde nachthun können / so gar / daß selbige Gemeinde gerne ihren itzigen Pfarrherrn absetzten / ihn aber lieber heute als morgen seine Anzugs-Predigt ohne alle vorhergehende Probe ablegen Hessen. Seine Widerpart nothigte ihn durch fleißige Obstatt / daß er umb AUDIENTZ ansuchte; er wolte erzählen / was er nur noch verwichenen dritten Oster-Tag vor eine künstliche INVENTION ausgeführet hatte. Man war begierig zu hören / wozu {196) sich der unverschämte doch einfaltige Prahler ohne Begehren auffwarff / und ein ieder hielt bey ihm an / seine Schatze auszulassen. Cap. XCIX. E R erzahlete dannenhero seine nechstgeführte

DISPOSITION und sagte: er habe an gedachten Feyertage nachmittags seiner Gemeine einen G e w i s s e n s - F l a d e n vorgetragen / und daran betrachtet 1. Das Mehl der Freuden 2. Das Saltz des Jauchtzens / und denn 3. Die Butter der Christlichen Liebe. Gerne möchte ich wissen / womit er den Kuchen eingemacht. Denn er hatte keine Milch oder Wasser dazu gebraucht. Ein ander solch jung Schnautzhähnichen versetzte: was das ware. Er wolte ihm wol ein ander ARTIFICIUM seiner Predigten erzählen: Welche er auch auffs aller

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nächste würde in Druck geben. „Ich" / sagte er: „habe nun vier oder fünf mal alle neue Jahr vor meinen Hn. H O S P I T E M gepredigt / und immerfort einerley METHODUM gehabt. Allemal habe ich der lieben Gemeine zum neuen Jahre ein Stück aus der Haußhaltung gewündschet." Der RAISO(197)NABLE Leser glaube gewiß und versichre sich / daß ich solches mit meinen Ohren gehöret; „Das erste mal" / fuhr er fort / „wündschte ich ihnen einen geistlichen Pflug / wie wol ich allezeit das / was ich gewündschet / auff den Ehestand abgebildet. Die beyden Rader an dem Pfluge waren im Ehestande die zwey Eheleute. Das grosse Rad / welches stets in der Furche gehet / war der Mann / denn dieser muß ja allen Pfitzen die Augen austreten / und am meisten arbeiten. Das kleine Rad / welches immer in der Hohe auff dem Lande gehet / solte seyn die Frau / denn die muß meistentheils empor schweben / und gezartelt werden. Die Pferde am Pfluge verglich ich mit der Arbeit. Denn wenn die nicht fort will / da stehet der gantze geistliche Pflug des Ehestandes stille. Den Grengel / oder das dicke Holtz / darinnen viel Locher seyn / vergliche ich mit der Eheleute Eintracht. Denn gleich wie man auff dem Grengel mit dem grossen Nagel immer ein Loch fort stecken müsse: also müssen Eheleute auch bißweilen ein Loch fort stecken / das ist / einander etwas nachgeben."

(198)

CAP. C.

ANdere Vergleichungen / weil sie unglaublich / dennoch aber wahrhaftig vorgangen / will ich verschweigen / damit es nicht schiene / als wolte man der Jugend Unverstand allzu sehr auffmutzen. Lieber will ich melden / was das folgende Jahr vor ein Gleichnis in dem Neu-Jahres Wundsche gestecket: Da / sagte er / hatte er seinen Zuhörern eine geistliche Mühle gewündschet / und wie gedacht / abermal auf den Ehestand gezogen. Den untersten unbeweglichen / und den obersten beweglichen Mühlstein vergliech er abermal mit Weib und Mann / und sagte / wenn sie das Mehl der Nahrung machen wolten / müsten sie es beyde angreiffen: iedoch also / daß das Weib / als der unterste Mühlstein / stets stille liege / das ist / stets im Hause bleibe / und daraus sich nicht bewege; Der Mann aber / als der Oberste Mühlstein / müsse sich bewegen / das ist / ausser dem Hause sein Gewerbe treiben. Denn wo in dem Hause und ausser demselben / in Felde / die Sachen recht bestellet würden / so müsse das Nahrungs=Mehl häuffig hervor beuteln. In der Mühlen / sagte er ferner / ware stets ein Geklappere / welches nicht zu an-(199)dem wäre: also kamen auch im Hause ofte vier / fünf und mehr Weiber / als unnothige Klapperbüchsen / zusammen / welche zu waschen nicht wieder aufhören konten. „Ferner" /

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sagte er / „seynd in der Mühlen unterschiedliche Gange: also haben ein Mann und Weib bißweilen unterschiedliche Nahrungen und Zugange / wodurch sie das Mehl der Haußhaltung hauffen." Er erwähnte weiter / daß an unterschiedenen Orten in Mühlen an denen Einschütte=Kasten zwo Schellen gehangen wären / welche / wann das eingeschüttete Korn gar aus gebeutelt / klingend gemacht würden; wodurch sie den Mühlknappen erinnerten / daß auffs frische müsse eingeschüttet werden: „also" / vergliech er / „haben manche liebe Eheleute zwo und mehr Schellen / das ist / liebe Kinder / welche anzuklingen / oder anzuschreyen fangen / wann das angeschaffte und gemahlene Brodt alle ist; den Vater aber dadurch erinnern / daß er mehr einschütten / das ist / arbeiten und verdienen soll / damit Sie können erhalten werden." Abermal A L L E G O R i s i R t e er: „wer in die Mühle kommt / wird alsobald weiß: also wer im Ehestande lebet (200) wird auch weise / nach des weisen Heydens Ausspruche: C o N J U G I U M HUMANAE QVAEDAM EST ACADEMIA VITAE, I N QVA NEMO SATIS SE DIDICISSE P U T A T . "

CAP. C I . D A S dritte Jahr hatte er seiner Gemeine einen Geistlichen Käsekorb gewündschet / mit der Vergleichung: Gleichwie in einen Käsekorbe grosse und kleine / Alte und Junge Käse gefunden würden; also lebten auch im Ehestande grosse und kleine: Alte und Junge Leute. Ja gleichwie umb einen Leiblichen Kasekorb / Meisen / Sperlinge und Agalastern herumb flogen / und suchten / wie Sie etwa Krümlein Käse davon erlangen k6nten: also pflegten auch die Meisen und Sperlinge des Creutzes / und die hollische Agalaster / der Satan / herumb zustreichen und zu versuchen / wo er etwa von dem Geistlichen Käsekorbe des Ehestandes etwas abzwacken möge.

CAP. C H . E N d l i c h sagte Er auch / daß er folgende Jahre / einen Backofen / und dann neu-(201)liehst eine Laterne zum neuen Jahre gewündschet hätte.

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CAP. CHI. I C h frage einen ehrlichen Mann / ob dieses nicht in der Wahrheit rechte Politische Maulaffen waren / welche mit niedrigen Verstände hohe Dinge suchten. Es ist zu erbarmen / daß solche elende junge Leute / ohne Fundament Biblisches Verstandes sich erheben / und einen ordinirten Diener der Kirchen bißweilen verachten / wann er nicht mit dergleichen Poßen aufgetreten kommt. Ich lasse vor eine besondere Kunst passiren / wann ein Geistreicher Gelehrter Mann / er lebe auf Universitäten oder auf dem Lande eine Schrifftmassige ALLEGORIE zur Hand nimmt / und dieselbe sittsam / und so weit ein ernsthaffter Verstand Maase giebet / außführet / wann aber junge Studentgen / Schnafler / welche nur vor wenig Wochen aus der Schule entlauffen / solch abgeschmackt elend Zeug auf die Kirchen= Catheder bringen / was vor Trost und Lehre ist daraus zu fassen? Und gleichwol wann so ein Naseweiser Kerle entweder bittweise / oder doch im Fall der Noth / wann der arme (202) beruffene Priester etwa kranck oder sonst Ehehafften hat / auf dem Filial oder auch IN MATRE einen Sermon in Abwesenheit eines CENSORIS zu verrichten; wer kan alßdenn den eingelegten Unverstand corrigiren / und die einmal begangenen Albertaten straffen. Deswegen lobe ich die sorgfaltigen CONSTITUTIONES durch gantz Sachsen / Thüringen / und Meisen / daß keinem solchen jungen Maulaffen leicht vergönnet die Cantzel auch in der kleinsten Gemeine zubesteigen / wann er nicht von einem INSPECTORE EXAMiNiret / und des Befindens wegen ein zulänglich ATTESTATUM vorweisen kan. Das letzt angeführten Kerls Predigen halte ich vor Sünde / es lobe es / wer da will. Es verdrösse auch diese Relation / wem es wil / so ists doch wahr / und auf alle Falle durch ehrlichen Leuten / so ebenfals mit dabey gewesen / zu bezeugen.

CAP. CIV. W E r hatte nicht über den tollen Narrischen ORATOREM lachen mögen? Die ehrliche Versammlung der Priester sassen oben bey ihrer Lust und Ehren=Truncke / und lachten grausam mit über den Künstler / merckten Uns auch gar wol ab / daß unser (203) JUDICIUM wohl zulangte vorgegangene Schwachheiten zu erkennen. Indeß nun / da wir so saßen / und vom lachen / wie bey Gastereyen offt brauchlich ist / eine durchgehende Stille ward / entfuhr einem solchen jungen Kerl / der neben uns an saß / aus dem Magen durch den Mund / ein solch übellautend Wort / daß die Beysitzenden genug zu riechen hatten: ich wils Wahl haben / ob er Mehrrettich oder Zwiebeln gegessen hatte. So stille es nun war / so ein groß

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Gelachter erhub sich / nachdem dieser Reiff von der Sau=Gelte gesprungen war. Und da man meinete / es würde M A G I S T E R Grobianus nun auffstehen / sich schämen / und bey der ehrlichen C O M P A G N I E sich entschuldigen; so hub er an sich unnütze zu machen / und gar zu iNjURiren / sagte dabey: daß er von dergleichen auff und niedersteigenden Dünsten niemals etwas verhalten werde / und zwar dieses nicht aus seiner eigenen Erfindung / massen er solches von dem vornehmen P H I L O S O P H O M. I R O P A R L I R O gehöret und erfahren / daß er niemals davon etwas verhelet / und er werde sich vor Niemand scheuen / einem solchen vornehmen Manne etwas nachzuthun. (204)

CAP. CV.

N A r r e ! hatte ich mögen sagen: Tugenden von vornehmen Leuten zu mercken und sich angewöhnen / stehet einem Jungen Menschen sehr wol an. Alleine Schwachheiten des Alters oder angenommene VITIA vornehmer Leute unter der Gebühr einer vermeinten Tugend in der Jugend nachthun / kommt von Kindern oder Verstand=schwachen und albern Kopffen. Unterdes was hatten die Gedancken vor Nutzen / welche man als ein Frembder nicht von sich geben / sondern in Ermanglung der Gelegenheit verschweigen muste. Ein Exemplarischer Alter Priester / welcher sonst ein guter Poete war / machte EX T E M P O R E einen Vers / worinnen er meine Gedancken trefflich erreichte und sagte: V I R T U S & VITIUM LONGO DISCRIMINE DISTANT, Q V O R U M CONFUSUS NEMO I M I T A T O R E R I T .

So gut es der Rechtschaffene Man meinete / das H O N E S T U M PUBLICUM zu erhalten; so übel ward es von dem unsittenhafften Kerl aufgenommen. Er stund auf und {205) sagte: er möchte wol selber ein V I T I U M seyn / und er wolte Ihm wol was anders sagen. Er machte es endlich so grob / daß sich die Compagnie gar zertrennete.

Cap. CVI. U N d damit war es um unsern Schmauß und bleibende Städte geschehen. Der feine Priester / der zuvor den Lateinischen Vers machte / bekam Gelegenheit mit mir zu reden / und fragte / wie uns denn die jungen Söffel gefallen hatten ? Mein J U D I C I U M behielte ich mit Fleiß bey mir / weil ich

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wol wüste / daß von andern Leuten urtheilen / niemand alß Bekandten zu vertrauen. Es giengen aber doch so viel Reden zwischen uns hin und wieder / daß / wie ich vermerckte / der Geistliche Herr keinen Mißfallen daran hatte. Er hieß alsobald seine Kaiessen vor die Thür rücken / und bat / wir solten zusammen mit Ihm nach Hause fahren / er wohne kaum einer Stunde lang davon / in einem andern etwas grossem Flecken. Und da habe er morgendes Tages auch einen kleinen Schmauß / welchen wir beywohnen konten. Er hitte etzliche Handwerksleute / Mahler / Tischer / Orgellmacher / welche bißher an seiner Kirche (206) gearbeitet hatten / mit einen geringen Gastgebot abzufertigen. Ob wir uns nun gleich wegen des ermangelnden Raumes auf der Kaiessen / wegen seiner bey sich habenden Kinder entschuldigten: so blieb er dennoch bey voriger Meinung und ließ seine Kinder und P R A E C E P T O R eher zu Fusse nausgehen / alß daß er uns zurücke lassen solte.

CAP. CVII. W i r kamen an / und wurden von der Wirthin mit gleicher Freundligkeit angenommen. Der morgende Tag kam herbey / und hatten wir so wol zu Mittage eine Haußmahlzeit / als auf den Abend ein recht Gastgebot von dem Herrn Pfarr zu geniessen. Das Glück wolte uns so wol / daß wir auf folgenden Tag wiederumb zu einer Kindtauffte gebeten wurden; und zwar zu dem Forstbereuter / welcher in selbigen Flecken wohnete. Da gienge es etwas wunderlich her. Erstlich war die Gewohnheit selbiges Ortes / daß alle erbetene Gaste / Par bey Paren / gleichwie zu einer Hochzeit / mit in die Kirche zur Tauffe gehen müssen. Wir gehorchten durch unsere Gegenwart dem alten Gebrauche / und wohneten dem Tauf-(207) A C T U I bey / da sich dann gar wunderlich Zeug zutrug. Nur ein weniges davon zu wiederholen. Es verrichtete ein alter Mann die Tauffe / welcher auf dem nechsten Dorfe seine Kirche hatte: Es ist mir entfallen / aus was vor Gerechtigkeit er den dritten Theil von selbigem Flecken als ein Filial zuversehen hatte. Das war ein rechter wunderlicher Heiliger / welcher in seinem Eigen Sinn also aufgewachsen / und die gantze Gemeine / so zu sagen / nach seiner Hand gewöhnet hatte. Der Edelman / mit welchen wir folgendes Tages zu reden kamen / ob er gleich das Jus P A T R O N A T U S hatte / klagte uns dennoch / daß / wann er nur auf zwene Tage verreisen wolte / er es allezeit diesem seinen Pfarren zuvor sagen müste. Wofern er nicht folgenden Sontag jämmerlich von der Cantzel geworffen / und bey nahe injuriret werden wolte. Dannenhero leicht zu glauben / daß dieser ungeistliche Geistliche der Schamhafftigkeit in etwas gute Nacht gegeben / und alle Leute über einen Kam zu butzen gewohnet. Erst musten wir

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3. Stunden lang auf Ihn warten / biß er zuvor / laut seines eigenen Bekäntnis / in der Scheunen aufgehoben / und mit denen Treschern zusammen gerechnet hatte. {208) Da er nun in die Kirche kam / scheuete er sich nicht / bevor er zu dem heiligen Wercke schritte / den Tauffpfennig / den ihm die Kindfrau allezeit vor der Tauffe zugeben gehalten war / öffentlich / in aller Leute Angesicht zuerofnen. Er besähe solchen auf beyden Seiten / schüttelte den Kopf und gab zu verstehen / daß er mit dem QVANTO nicht wol zu frieden sey. CAP.

CVIII.

N U n hatte dieses alles hingehen mögen / wann er nur nicht durch öffentliches unterlauffendes Gezancke Aegernis begangen hatte. Der Mann PROSTITUIRTE sich durch mercklichen Zorn. Er warf die Blatter der Kirchen Agenda mit ungemeinen Geräusche in dem Buche herumb / und sagte: „Nun was wirds dann? Wir werden heute hier nicht zubringen." Daß GOtt erbarme! schlechte Sanfftmuth von einem Priester im Hause GOttes. Die Gevattern stelleten sich fast erschrocken an den Ort / wo Sie hin gehereten. Er der Pfarr verlaß ein Stucke von der H. Taufeinsetzung. Er kunte damit nicht fertig werden; sondern fieng mitten unter denen Worten der Einsetzung bald auf den (209) Schulmeister / bald auff die Kind=Muhme an / über Gebühr zu schelten und zu schmähen. Der Kind« Frau absonderlich sprach er folgender Masse freundlich zu: „Sehet / wie das alte Rabenas stehet und daumelt; Sie hat sich schon vollgesoffen. Pfui / du böses altes Thier. Sehet nur / wie Sie das Kind angreifft." Und wer hatte dem gifftigen Manne allen Zorn und Zancksucht nachschreiben mögen? Nun hatte zwar bißher die Kind=Muhme in unsern Augen noch nichts tadelhaftiges begangen / wann sie nur nicht ihrer Gegenpart Schwachheit mit diesen Worten unter der Tauffe hefftig beschimpfet hätte: „Herre / ich weiß gar wohl / daß ihr mir nicht gut seyd / weil ich euch bey dem Adjunctus verklaget habe." Die Ursache solcher Anklage zuerfahren / kunten wir kaum erwarten. Sie erzahlte aber solche auff dem Rückwege aus der Kirche nach Hause denen vorn angehenden Gevatter* Weibern und sagte / daß ihr seliger Mann ein halb Jahr vor seinem Tode ihm / dem Herrn Pfarr / seine Leichen=Predigt mit zwene alten Thalern voraus bezahlet: Er (210) auch der Pfarr ihm eine sonderlich gute Predigt zuthun versprochen / in Betrachtung daß Ihm sonst nur vor eine LeichenPredigt ein halber Thaler gegeben werde. Als nun ihr Mann darauff verstorben / so habe er nicht nur die Leichen=Predigt versaget / sondern sey auch gar nicht mit zu Grabe gangen / sondern habe dem Schulmeister die Leichen=Ceremonien anvertrauet / er aber habe lassen die Nüsse schlagen / und Obst brechen.

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CAP. C I X . V^Ann diese Verrichtungen als Priesterliche Ehehafften PASSiren können / so ist er wol zu entschuldigen. Weil aber die Kind '{Muhme) Ihren Seelsorger deswegen bey dem ADJUNCTO verklaget / und er über dieser FAUTE bald einen grossen Fehltritt begangen hatte / so war der Mann dermassen entbrant / daß er durch keinerley Versöhnung wiederumb zu besanfftigen war.

CAP. C X . D i e s e s nur wündschten wir vom Hertzen / daß es doch nur dabey geblieben / und nicht weiter Zanckwechsel und grobe INJURIEN bey dem Tauf=Steine waren verschüt-(277)tet worden. Alleine iemehr wir Stillschweigen wündschten / iemehr war der alte Hahn und Henne einander / nicht sonder Aergerniß / zu wider. Es kam nunmehr nach Hause zur Mahlzeit. Weil nun unser Wirth / der Exemplarische Priester / mit diesem zancksüchtigen nicht wol stund / war er genothiget / Unfrieden zuvermeiden / und davon zubleiben; zumal er dann auch schon gehöret / was in der Kirche bey dem Tauff=Actu vorgegangen war. Derowegen kam dieser zornige und zugleich auch hoffartige Priester / setzte sich zu Tische oben an / und nahm nach vollbrachten Gebet des Schulmeisters / das Vorschneiden auff sich. Anfangs zwar hielten wir es vor eine Demuth; alleine so bald er das erste Gerichte / gekochte Hüner vorlegte / und davon die Magen und Lebern zusammen auff einem Teller scharrete / und hinder sich ins Fenster setzte / nachmals auch mit denen Karpen=Kopffen / und Nierenstücken von Kalbs-Viertheil coNTiNUirete / befunden wir / daß es keine Hofligkeit / sondern ein Geitz gewesen. Denn dieses war seine Gewohnheit / iederzeit mit nach Hause zunemen.

(212)

CAP. C X I .

N u n ließen wir es an Stichlingen nicht ermangeln / nachdem wir sahen / daß er auch in dem Kuchen unverschämte PORTIONES machte. Es wolte aber nichts verfangen / biß endlichen PHILURT sich erhebt und hinnaus in H o f f gehet / und die Mist=Trage an stat der Leiter brauchet / und durch einen Griff zum Fenster hinnein dem Herr Pfarr den grosten Deller voll Gebratenes entwendet. E r vertheilete solches von Stunden an unter die hungrigen Bauer-Kinder / und machte sich eine grosse Liebe bey allen Jungen davor. Hierauff kam er wieder in die COMPAGNIE und nahm seinen O r t wieder ein / wo er gesessen. Hatte nun der Pfarr öffentlich

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manch Ehrenstückgen Gebratenes bey Seiten gesetzet; so hatte es seine Hauß=Mutter in Geheim gethan. Dann Sie hatte ein klein Madgen bey sich zur Auffwartung / dem gab sie sehr fleißig zu essen. Daß wir gedachten / es konte unmöglich seyn / daß das Kind alles essen solte. Letzlich gab sie dem aufwartenden Madgen noch ein schon Stücke Schweinebraten durch unsre Hülffe vor. Denn Sie saß hinter dem Tische (213) und wann Sie etwas vorgab / muste solches durch unsere Handreichung geschehen. Das arme einfaltige Kind war noch nicht recht abgerichtet. Derowegen als es sähe / daß die Frau Pfarrin ihm den Schweine-Braten vorgeben lassen wolte / rieff es mit lauter Stimme über den Tisch hinnüber: „Last es nur bleiben / Frau Muhme / ich kan nichts mehr beherbergen / die Ficken und die Laterne seynd schon gestarret voll / ich kan keinen Bissen mehr hinnein bringen."

CAP. CXII. A N statt / daß sich der Herr Vorschneider dieser Rede seines Aufwarters hatte schimen sollen / ließ er sich vielmehr dadurch erinnern seinen hinter Ihm stehenden Vorrath nach Hause zu schicken. Jedoch vermerckten wir bey Ihm hefftigen Zorn wider das einfaltige Kind; woraus wir freylich einen Verdruß der entstandenen Rede abnehmen kunten. Dazu kam nun das entwendete Gebratens. Ich stehe an den Eiffer zubeschreiben. Das aber mag ich wol sagen / daß er darüber auffstund / sa-{274)gende: „Das hat ein Schelm gethan." Bedrauete daneben mit nechst Sontäglicher Predigt / welche er auch nachmals so eingerichtet / daß die armen Zuhörer mehr Schwachheit als Unterricht mit nach Hause genommen. Und hatte der wunderliche Mann nur verharret / so ware seines beygefügten Schimpfes viel eher vergessen worden. Denn es gienge noch ein viel lacherlicher Possen vor. Ein Bauren Weib / welches sich auch bey der Mahlzeit auff ein Frühestücke zubedencken vorgenommen / hatte einen Leinwand Strumpff mit einem Schurtzebande sich um den Leib gebunden / also daß er unter dem Rocke im Schöße herunter hi enge. Denselben hatte sie nun auch fast mit gebratenen und gekochten Fleische erfüllet. Sie war aber unglücklich: Weil des Schaffers Hunde über Vermuthen mit zur Kind= Tauffe gelauffen waren / welche indem sie einen Knochen unter dem Tische suchen / zugleich auch an den herunterhangenden Leinwandstrumpff gerathen / denselben COLLEGIALITER anfallen / und die Frau mit sammt dem Vorraths*Sacke untern Tisch ziehen.

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(275)

CAP.

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CXIIL

D O r t lag die Frau / und kehrte theils aus Schamhafftigkeit / theils aus Schrecken die Beine in die Höhe / In ihren blossen Schosse hieng der Leinwand Strumpf / durch welchen das Fett von denen hungrigen Hunden hauffig heraus geprest wurde. Andere Hochzeit Hunde kamen auch zugelauffen; die Grosten bissen an dem Sacke; die Kleinern aber leckten das Weib an Bauch und nackenden Füssen / wohin nemlich der fette Vorraths=Sack angeschlagen hatte. Kein Mensch konte der guten Frau vor Lachen helffen / zumal man auch sähe / daß dieses keine Lazarus Hunde waren / welche etwa Schweren lecken wolten / sondern Schmarutzer und Hochzeit Hunde / welchen nur umb das Gebratens zu thun war. Und über dieß / wer hatte sich an die Grosse Fleischer und Schafferhunde wagen wollen. Endlich doch kam ihr Mann zur Hülffe / welcher die Frau zuerretten / mit seinem grossen Messer die leinene Speise=Kammer / woran wol sechs Hunde hiengen / abschnitte. Es war daran noch nicht genug. Es mochten etzliche Gebratens=Flecke auch in das Hemb-(276)de kommen seyn; und weil die Hunde einmal angebracht / war ihnen nicht zu wehren. Zwey grosse Hunde fuhren wieder zu und rissen die halb aufgestandene Frau bey dem Hembde wieder zur Erden. Und da gieng erst das Zausen recht an: aber / wahrhafftig mit grosser Gefahr des armen Weibes. Denn Sie wurd von den grausamen Bestien so braun und blau getreten / alß wann ihr Bauch ein Schiebekarn gewesen / auf welchen man Heidelbeere zu Marckte geführet hatte. Endlich aber wurde Sie doch dem Rasen der Hunde entnommen / nach dem Sie keinen gantzen Lappen mehr an Hembde hatte. Ich halte dafür / daß das arme Weib wol gar an geheimbden Orten beschädiget war / wo man sonst nicht gerne die jungen C H I R U R G O S und Ehelosen M E D I C O S curiren last.

CAP.

CXIV.

E i n e lacherliche Straffe des Bauchgeitzes. Des andern Tages wurden wir wiederumb eingeladen: es erschien aber weder der Herr Geistliche noch das Weib mit dem Leinwand Strumpfe. J e - ( 2 7 7 ) ner zwar hatte einen andern Jungen Mann suBSTiTuiret / welcher dem Schmause mit Gebet und Vorschneiden beywohnete. Dieser war so h offlich / daß er von allen Gerichten das Vorschnittgen seinem Herrn C O N F R A T R I nach Hause schickte. Sich vergaß er auch nicht; denn als ihm das Biergen ein wenig zu Gehirne stiege / wolte er wetten / daß / wann er kein Frühstück gegessen hatte / er eine gantze Schops=Keule / zwey par Tauben und ein halb

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Mantel ZwiebeUKlösse gar wohl bezwingen könte. Aber damit ich die erste Schwachheit beym Gebet nicht vergesse / muß ich doch den INTROITUM dazu mit wenigen herbey bringen. Es gedachte der wunderbare Mensch vor Frembden sich mit seiner Beredsamkeit sehen zu lassen / und ob ihn gleich weder Noth noch Beruff dazu zwang / das a l l e r A u g e n / mit einer Vorrede anzufangen. Er stampffte mit dem Fusse wider den Erdboden / die versammleten Gaste zu einer Aufmercksamkeit zu bringen. Alles wurd hierauff stille / und schickte sich zum Gebet. Der ORATOR aber / den die Gewohnheit und Kirchen Ordnung auff den Catechismum gewiesen / fieng gantz anders mit pathetischer Stimme an: (218) „Ey! so friß / daß dirs der Teufel gesegne!" Dieses sagte er dreymal nacheinander / mit einerley G R A V i t a t . Ein ieder spitzte die Ohren / mit Verwunderung / wo doch diese ungesegnete Reden / zumal vor Tische hinnaus wolten. Biß endlich der Beter mit dem Finger auff eine Fenster Scheibe zeigte / auff welche Adam und Eva mit ihrer verbotenen Mahlzeit gebildet waren. Dabey er denn seine Rede c O N T m u i R t e : „also / Geliebte in dem Herrn / wollen wir nicht essen / sondern in dem HErrn eine froliche Mahlzeit halten / wollet euch derowegen zum Gebet schicken / und mit mir also beten": etc.

CAP. CXV. E s ware alles gut genug gewesen; immassen dann auch die Einfalt / wann sie gut gemeint / G O t t angenehme. Wir hatten auch unser Register über diesen Mann nicht gezogen / wenn er nachmals über dem Tische / und zwar beym ersten Gerichte / ausser allen Verdacht der Trunckenheit / nicht alle andere seines Gleichen verachtet / und ausdrücklich gesaget hatte: es ware ihm un-( 2/9 )müglich niedrige und einfaltige Sachen zu TRACTiren: er ware zu hohen Dingen gebohren (der Schalck / PHILURT, fiel ihm ins Wort / und fragte / ob sein Vater ein Thürmer oder Haußmann ware.) Er kehrte sich aber wenig dran / sondern fiel gar mit der Thür ins Hauß und fragte: Wo so ein Mann zu finden ware / der alsobald EX TEMPORE von einem so schlechten Gemahlde eine INVENTION ZU einer Rede nehmen konte?

Cap. CXVI. G L e i c h wie nun der Menschen Freuden selten ohne vermischtes Leid geschmecket werden: also konte auch die Kindtauffen Herrligkeit nicht gar ohne Widerwärtigkeit abgehen. Denn es hatten wir nechst andern

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Gasten kaum Abschied genommen / so war das Kind gestorben: doch war gleichwol das noch ein Gluck / daß der Kindes=Vater das Pathen-Geld / die Pathen aber den Schmauß eingenommen hatten. Und damit schickte man auf das Begräbnis zu. O b wir nun gleich unter der Menge so vieler jungen und noch nicht recht halbgelehrten Kerlen manchen Politischen Maulaffen erkennet hatten / so musten wir aber dennoch (220) auf gedachten Begrabpis / dem wir aus CuRiositat beywohneten / noch einen fetten Maulaffen einzeichnen. Es hatte der Accis-Einnehmer selbiges Ortes einen etwas alten stoltzen Kerlen bey sich / welcher um zwolff Gulden und den Tisch PRAECEPTOrirte; dieser war nun vollens so hochmüthig und gelehrt in seinen Gedancken / daß er alle Leute gegen sich verachtete / und deßwegen auch in keiner Gesellschaft sich sehen ließ / weil er / seiner Meinung nach / niemals recht LOCIRET und vor andern jungen Studenten hervor gezogen würde. E r hatte einen rohten Kopff und Bart / und dannenhero / dem bekandten Spruchworte nach / böser Art. O b er sich gleich mit seinen rohten Haren etwas besonders einbildete / und dieselben nicht roth / sondern Zimmet Farben und Ducaten gelbe genennet wissen wolte. Das Gewissen / ungeacht er schon einen SUBSTITUTUM bedeuten solte / war so weitlaufftig / man hatte ein Orloch-Schiff darinnen zuhauen oder ein Ballhaus daraus machen können.

(221)

CAP. CXVII.

D i e s e r nun war drey Tage vor dem Begräbnis zur Abdanckung angesprochen / und deswegen umb Gewißheit willen / mit einem Trauerzeichen / wie auch einem harten Thaler / zu solcher Verrichtung / so zu sagen / erkaufft worden. Da nun die Leidtragenden nach abgelauffenen Leichbegängnis / noch einen Trost mit zunehmen / und denen Begleitern durch ihren hierzu bestelleten Abdancker Danck zusagen vermeinten: so war er / Herr BACHUTIUS, so hieß der Rothkopf / zwar in seinem langen Mantel und neuem Flore zugegen; aber an statt / daß er bey Endigung des Leich-CoNDUCTs hervor treten und dancken solte / blieb er stehen / alß wann ihm die Abdanckung nichts angienge. Der verordnete Leichbitter nahete sich zu Ihm / der Gewohnheit nach Ihn aufzufordern / und an den O r t zubegleiten / an welchen man sonst dergleichen Reden zu halten gewohnet war. Er hingegen stellete sich gantz frembde / als ware ihm nichts wissend / daß man ihn dazu bestellet. D e r Leichbitter verhöhnete Ihn öffentlich vor den herumbstehenden Trauerleuten / und sagte / daß er Ihn ja selbst ( 2 2 2 ) in Nahmen der Betrübten angesprochen / und er hinwiederumb auch solches zu thun verheissen; dannenhero er denn auch

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einen Thaler darauff genommen. Und dieses sey ja der Flohr / welchen er ihm auch zugleich mit gebracht. Der böse Mensch wüste hierauf nichts zu antworten / als daß er schwur / G O t t solte Ihn straffen / er wüste nichts davon.

CAP. CXVIII. B l ß dato kunten wir noch nicht verstehen / warumb der Mann leugnete / was er wol wüste / und sich wegerte dessen / was er doch versprochen. Da er nun endlich nach langen Weigern hin gieng und die Dancksagung ablegete / mit einem solchen Eingange: er muste itzo daher treten und in Gegenwart des Edelmannes Abgesandten / eine Rede ablegen / darauf er nicht gedacht / und davon er gar nichts gewust hatte. Und gewiß / es mangelte ein leichtes / daß man Ihm geglaubet hatte / er ware ein solcher EXTEMPORANEUS, welches er bey dieser Rede zu seyn suchte / wann er nur nicht in Hingange mit dem Schnuptuche unversehens das {223) CONCEPT zur Dancksagung / auß der Ficken gerissen / und dieselbe von Wort zu Wort also hergesaget hatte.

Cap. CXIX. D i e s e r Maulaffe hatte die Ehre / daß er in unsern Register alsobald auf ein frisches Blat oben an zustehen kam. Da ich nun gleich das neue AffenWildpret PROTOCOLLirete / kam TAMIRO, welcher auch einen sehr starcken Politischen Maulaffen einzutragen hatte. Denn er war so lange / als wir in der Kirche dem Abdancker EX T E M P O R E zuhoreten / in der Schencke gewesen / und mit einem einfältigen / nicht besonders Gelehrten / iedoch hefftig stoltzen SCIIU1=RECTOR, welcher eben auf die Messe reisen wollen / und in dem Flecken zur Mittagsmahlzeit ausgespannet / in einen Discurs gerathen. Dieser hatte vorgegeben / wie er ein Mann in allen Dingen erfahren wire. Alle vornehme gelehrte Leute von Universitäten schickten alle ihre Schrifften / bevor sie selbige in Druck geben / ihm erst zu durchzusehen / mit Erforderung seines Gutachtens. Zwene Schüler hatte er deswegen stets mit sich geführet / und bloß darumb Jahr-{224)lang den Tisch gegeben / daß Sie ihn nur stets ihre Excellentz hiessen / auf der Reise aber vor denen Leuten mit blossem Haupte und allerhand Demuth bedienten. Gerne hätte er sich vor ein Liecht der Welt ausgegeben / wenn er nur solche Leute umb sich gehabt / welche es gegläubet hatten. Er durfte das Hertz haben vorzugeben / er wäre itzo im Begriff alle Papisten zu widerlegen. Und wüste der arme Schelm nicht den Unterscheid

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zwischen sich / als einen Lutheraner / und denen Papisten. TAMIRO mochte ihn wol etwas geschraubet haben: Denn er gedachte / daß sich auch der einfältige Schul=Doctor gerühmet / was er vor wichtige Streitsachen unter seinen Schülern beyzulegen / dergleichen offt kein Advocat ja andere Richter selbst nicht würden schlichten können. Darauf nun mochte TAMIRO etwa versetzet haben: dieses erfordere ja einen Rechtsgelehrten / der den Proceß verstünde. Hierauf war der elende Mann aufgefahren / wie ein Niederländisch SUSPIRIUM in Bade / sagende: Er wäre auch ein Jurist / so wol als ein Theologus. Und damit wolle er Ihm erweisen / daß er solches rechtschaffener Weise sey. Er war hin / über seine Reise* (225) Lade gelauffen. TAMIRO war fast etwas erschrocken / indem er gemeinet / der arme Schulfuchs würde etwa einen Juristischen Tractat holen / den er geschrieben / und diese Messe in Druck befordern wolte. Alleine er hatte mit grossen Eiffer und Zorne den CATALOGUM seiner Bücher auf einen Bogen lang hervor gezogen / in welchen die INSTITUTIONES JURIS mit aufgezeichnet waren. Und dieses hatte er zum Beweiß angegeben / daß er ein QVALiFicirter Jurist sey. Maulaffe / hätte man sagen sollen. TAMIRO aber hatte es nur gedacht.

CAP. CXX. T R a u n ! es würde schöne Historien von Ihm gegeben haben / wann wir ihn annoch angetroffen hätten / da wir nach TAMIRO seiner Erzählung ihn alsobald in der Schencke suchten / in Meinung / etwas rechtschaffenes von Ihm zu erlangen. Alleine er war fort. Nechst dem nun / wie angenehm wir auch bey diesem Wirthe in Anfange waren / wolte fast an uns wahr werden die alte Gast-Regel des P L A U T I : N U L L U S HOSPES ΤΑΜ IN AMICI HOSPITIUM DIVERTI POTEST, QVIN UBI TRIDUUM CONTINUUM

Unser

FUE-(226)

war verthan. Und das nechste war / (wo wir unsere REPUTATION erhalten wolten /) die Reise / mit einem feinem hofflichen Abschied zu nehmen. RIT, JAM ODIOSUS FIET.

TRIDUUM

Cap. CXXI. Auff dem Wege

erinnerte M Ö N S . D I O N N Y S I gar lacherlich / ob wir dann fiberall so hofflich Abschied genommen. TAMIRO versetzte: Wo wir gewesen / wäre es noch nie so erbar zugegangen. Jener vermahnete uns / so lange wir uns in diesen Landen auffhielten / solten wir uns nur befleißigen

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einen ehrlichen Abschied zu nehmen / alldieweil der Abschied in vorher gehenden Qvartier öfters die Ursache eines neuen sey. „Ja" / sagten wir / „wann es nur unsere Armuth und die gemachten Schulden allezeit leiden wolten." Und unter diesem Gesprach kamen wir endlich ein par Feld= Weges weiter fort / biß wir abermal in einen noch etwas kleinern Flecken anlangeten / und allda Dursts halber auf eine gute Frist einzusprechen gedachten. Unsere Kanne Bier war noch nicht einmahl aus dem Keller ankommen / so ließ sich schon wiederumb an die- (227) sem Orte etwas affenhafftiges sehen. Es kamen etzliche Paar Manner in Mänteln aus einem Hause / welches man das Gerichtshaus nennete / dahergezogen / allerseits mit sauren Gesichtern / deren immer einer wider den andern zanckte / und fehlte an nichts mehr / als daß nur der Ausschlag geschehen / die Trümpffe würden sich hauffig gefunden haben. Wir machten uns naher und fragten nach der Ursache / bevor wir auch den Pfarrherrn selbiges Orts ihnen folgen / und sie zu Frieden ermahnen sahen. Wir musten zur Antwort auff unsere Frage erfahren: Die Manner waren beysammen gewesen. Denn Bürger durften sie sich nicht nennen / und Bauren wolten sie auch nicht seyn: so nenneten Sie sich Manner von Fatzmotz (so hieß der Flecken). Und darumb waren Sie uneinig / warumb Sie auch der geistliche Herr numehr auff vier Zusammenkunfften nicht vergleichen können. Sie hatten so viel gesammlet / daß Sie eine Taffei auff den Altar / und auff dieselbe ihre Personen in Gestalt der Jünger wolten (228) abmahlen lassen. Und unter diesen allen wolte keiner Judas werden. Wer hatte meinen sollen / daß unter denen Bauren eine solche Wahl in Ehren aufstehen sollen? Sonst habe ich immer gedacht / wann ein Bauer mit zu Tische gezogen wird / so sey ihm gleich geschehen / er sitze oben oder unten an. Nachdem aber etliche Maulaffen denenselben gelernet / daß der jenige über dem Tische oben ansitze / welcher mit dem Gesichte nach der Stubensthür zu siehet / haben sie die Wissenschaft des Ranges gar leicht begriffen.

CAP.

CXXII.

Z W a r mochte ich von etzlichen Ohnehrsichtigen rechtschaffenen THEOLOGIS gelehret seyn: ob nichts sündliches mit unterlauffe / wenn man gleichwol / wie ich in einer vornehmen Stadt / in etzlichen Kirchen gesehen / den / welcher von keiner Sünde gewust / ingleichen seine fromme Jünger / unter denen Bildnissen bekanter sündiger Menschen / unter denen offt einer ein öffentlicher Dieb oder Ehebrecher worden / auff den heiligen Herd des HErren setzet. Wiewol (229) solches einer vielleicht unEXAMiNiRten Gewohnheit heimzustellen.

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CAP. CXXIII. W i r kunten uns zwar endlich in die Betrachtung dieses Mißbrauches gar zu tieff nicht einlassen: denn P H I L U R T entfernete sich in etwas von Uns. Er sähe dort in einer niedrigen Hausthür eine Weibes=Person auff Landes* Art gekleidet stehen. Und nachdem ers vor ein Glück hielte von einer unbekanten Jungfer nur ein Wort Antwort Zugewinnen: so ließe er auch hier den Weg sich nicht verdrüssen. So viel wir von weiten sahen / war sein BONUS DIES so angenehme / daß ihm das Weibesstück das Obere Theil der Thür auffmachte. Er war mit seinem Eintritt gar gehorsam / und durch sein geraumes Ausbleiben gab er uns endlich Ursache / nach Ihm zu sehen. Ich sonderlich / nahm die C O M M I S S I O N über mich / nach Ihm zu fragen / und zur Wiederkunfft anzumahnen. Ich nahete mich dem Hause / und weilen sich die Unter mit der Oberthür zugleich geschlossen / wolte ich mir das Hertz noch nicht nehmen anzuklopffen / sondern gebrauchte erst die Augen zu Wegweisern. (230) Ich wurde an dem Hause ein niedrig Fenster gewar / zu demselben näherte ich mich. Gleich da ich nun wolte hinnein sehen / horete ich / daß viele Knaben darinnen versamlet / und daß es die Schule war / in welcher der I N S P E C T O R gleich zugegen / und die Jugend EXAMiNirete.

Cap. CXXIV. N U n traff unter andern die Frage einen Knaben / der gantz nahe am Fenster saß / vor welchen ich meinen Stand hatte. Denselben fragte der EXAMINATOR unter andern auch / was L A R L A R I S hiesse. Der Knabe / welchen das Wort nicht bekandt war / stutzte und muste stillschweigen. Sein Nachbar aber / der der Rede nach / ein Erfurther schiene / wolte ihm die Antwort zublasen / und sagte ihm in Geheim zu: „ein Huß=GOtt" / oder bey uns zu reden / ein H a u ß = G O t t . Da nun der INSPECTOR mit der Frage ferner anhielte / was LAR hieße / vermeinte der arme Knabe / er ware nunmehr aus aller Noth / und antwortete / „ L A R heist ein Hundsf.t." Der INSPECTOR nahm diesen Unverstand des armen Kindes gar (231) sehr übel auff / und setzte ihm deswegen eine vielfaltige Straffe. Erst ließ er alsobald des armen Jungens seine Eltern in die Schule fordern / die musten ihm beyde / so wohl der Vater als die Mutter mit ihren C U R A T O R E einen harten R E V E R S ausstellen / daß ihr Sohn den INSPECTOR durch das übelklingende Wort gantz nicht gemeinet hätte. Zum andern muste er öffentlich aufftreten / und auff des INSPECTORIS Vorsagen laut wiederruffen / daß LAR kein Hundsf— sondern auff Erfurtisch zu reden

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ein Hußgott hieße. Zum dritten muste er sich aufs Maul schlagen. Vierdtens / da er sonst der 6ste von oben hinnunter war / so muste er nun der allerletzte seyn. Zum fünfften muste er drey Stunden knien. Zum sechsten / ließ er Ihm / in Beyseyn der Eltern einen heßlichen P R O D U C T geben. Dieser Richter muste nothwendig ein Maul-Affe seyn. Denn wer hat iemahls gehöret / daß ein einfaches schlechtes DELICTUM, zumal ein solches / wie dieses war / mit sechserley Art Straffen sey heimgesuchet worden ?

(232)

CAP. CXXV.

D E S armen Knabens Vater bat den i N S P E C T o r e n / er mochte doch den

Mißverstand des zugeblasenen Wortes nicht so hoch empfinden. Denn es pflege dergleichen taglich vorzugehen. Er bewiese seinen Satz alsobald mit einer Hoff-Historien / und sagte / da neulich der Graf von P A M L O T ZU Siebtzig Beylager gehalten / und er zur Aufwartung / dem Organisten die Balge zu heben / mit verschrieben worden / habe sich eben dergleichen an der Brautigams Taffei zugetragen. Er sagte / daß der Graf / als Bräutigam / zuvor discurriret / es sey der jenige / welcher an eine Weibs=Person vermahlet / gefangen; ob er vielleicht auf die Fessel der Liebe ein angenehmes Absehen machte. Unter diesen war unten an der Taffei des Brautigams Gesundheit angefangen und einem von Adel zugebracht worden. Dieser hatte sich vorgenommen / dem Graflichen Bräutigam gleichwol auch eines zu bringen / schickte deswegen seinen Diener an ihn ab und ließ ihm sagen: er wolte Ihm dieses bringen / zur G e s u n d h e i t a n g e f a n g e n e r (233) m as sen. Der dumme Bediente hatte übel verstanden / und bey Uberbringung der Gesundheit anstatt a n g e f a n g e n e r M a ß e n vermeldet: D i e G e s u n d h e i t aller g e f a n g e n e n H a s e n . Ware nun / fuhr des Schuljungens Vater fort / dieses einem Grafen wiederfahren / so konte ja der Herr INSPECTOR leicht diesen Irrthumb der unverstandigen Jugend vergessen. Alleine dieses alles konte den unschuldigen Jungen noch nicht von der sechsfachen Straffe befreyen. Ob nun gleich die Mutter nach ihrer Einfalt versetzte und sagte: Ob denn nicht an einer Straffe es genug ware ? „Was" / sagte er / „das wird noch nicht zulangen. Hier will ich Euch was anders weisen." Zog darauf einen Brief aus der Ficken / gab solchen dem Weibe / und befahl / Sie solte sich solchen lesen lassen. Die guten Leute giengen beyde trahnend wieder aus dem Schulhause / und musten die Fuchs=Tyranney dennoch über ihn ergehen lassen. Inzwischen kam das Brieflesen an mich: Dadurch ich sähe / daß es ein Klagebrief war / so an den Edelmann geschrieben / den er zur Rache wider einen Bauer anmahnete. Die-(234) sen beschuldigte er / daß er / der Bauer / neulich auf

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dem Felde ein Hufeisen gefunden / welches Ihm zustehe / und habe er solches ihm dennoch nunmehr über zwo Wochen hinterhalten / da er doch wissen sollen / daß es von einen halb Geistlichen Pferde sey. Anderes Theils / so habe eben dieser Bauer Ihm ein loße Stückgen bewiesen / und da neulich seine Bienen geschwarmet / und ein junger Stock sich davon verflogen / und draussen in einem Walde angehangen / solche eingeschlagen / und noch die Stunde zu seinen Nutzen in Garten stehend. Bate derowegen / ihre Gestrenge Wolweißheiten wolten doch ein Einsehen haben / und diesen bösen Menschen zuforderst / ehe Sie ihn hengen Hessen / greiffen und feste machen lassen. Alßdenn solte er Bienen und Hufeisen RESTiTuiren. Nachmals solte er ihm den Staupbesen geben lassen / und ihm eine öffentliche Abbitte / nechst Wiederruff / daß er ihn nicht zum Schimpf bestohlen / vor der geheegten Dingebanck thun lassen. Wann nun dieses geschehen / so solte er Ihn fein scharff TORQViren lassen / vielleicht konte man ihm hernachmals gar ans Leben kommen. Und es ware auch zum allerbesten. Denn wann binnen J a h - ( 2 3 5 ) res Frist seine Bienen wieder schwarmeten / so konte er vielleicht / ungeacht itziger Straffe / dergleichen Untreue wiederumb an Ihn begehen.

CAP. CXXVI. W A S die Bienen sonst vor Recht haben / hat neulich ein Gelehrter Mann z u J e n a / i n e i n e r s c h ö n e n DISPUTATION DE JURE VAGANTIUM APIUM w o l

ausgefuhret. Daß aber einer / welcher einen jungen Schwärm / dessen Besitzer er nicht weiß / einschliget / nach vorgegebenen Rachsichtigen Klage-LIBELL des unbescheidenen INSPECTORIS, soll verdammet werden / das muß bey denen Rechtsgelehrten erst ausgemachet seyn.

Cap. CXXVII. PHILURT indes stund dort im Schulhofe / und zwar unter freyen Himmel und redete mit FERONICEN, so hieß die Weibes=Person / so ihn eingelassen. Der Discurs war nur davon: Sie hatte PHiLURTen vorhin gekennet / und da Sie ihn eben an dem Orte ansichtig ward / an welchen Sie die Liebe und ihre gantz nahe Verheyrathung zur Ein- { 2 3 6 ) wohnerin gemacht / wolte Sie ihm einen Trunck und ein Stück Brodt bieten. Das einige aber / warumb Sie PmLURTen am meisten bat / war / daß er doch mochte auf ihre Hochzeit bleiben / welche innerhalb vier Tagen gar gewiß ihren Fort-

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gang haben würde. Dieser Gesprächen Leute nun wurd der possierliche INSPECTOR gewar / und ließ sich von dem Augenblick an einen solchen Zorn einnehmen / daß er des Huß GOttes und des Hundsf-tes gantz und gar vergaß. Denn sein Eiffer beschuldigte beyde diese Leute / die einander etwa zum zweyten mal gesehen / vor Huren=Back. Man mochte ihm zureden / wie man wolte / so blieb er doch dabey: man wüste wol / wie es mit solchen jungen Leuten pflege herzu gehen. Sein einig Argument war dieses: er hatte auch einsten ein bar Leute mit einander reden sehen / und waren nachmalß zu Falle kommen. Wer konte wissen / wie das ablauffen mochte / oder was schon dahinter stecke. Der Schulmeister / welcher zugleich ein Büchsenschäffter mit war / wolte ihm den Scrupel benehmen und schützte vor / daß die Weibes-Person ja verlobet und der Hochzeit so nahe ware.

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CAP. CXXVIII.

A L l e s dieses wolte bey Ihm nicht anschlagen. Er gab Befehlich / alsobald beyde diese unschuldigen Leute gefangen zu nehmen / und im Arrest biß auf seine fernere Verordnung zu verwahren. Der Thorwärter und Calefactor / welche er ein und abzusetzen Macht hatte / musten gehorchen / und grieffen beyde die ehrliche Braut und brachten Sie in das Thor= Stübgen. Der INSPECTOR schrie: Sie solten PHiLURTen doch erst in Verwahrung bringen. Und da dieser zuvor über der Braut Gefangenschaft erstaunete / erfuhr er nunmehr auch / daß es ihm mit gelten solte. Derowegen sähe er sich nach einem Loche umb / wo er etwa seine Flucht hinnehmen k0nte. Das Thor hielt der Herr INSPECTOR selbst MANU PROPRIA zu / und ließ die zwey alten Hunde an den jungen Hasen. Der CALEFACTOR war etwas frischer: Derowegen trauete er sich was näher an PHiLURTen. PHILURT aber nahm ihn beym Leibe und schmieß ihn wider GOttes Boden / daß man dachte / ihm wären alle Riebben in Leibe entzwey. E y ! wie geschwind lieff der alte Thorwärter zu L o - ( 2 3 # ) c h e . Inzwischen hatte PHILURT das Hertz und machte sich bey das Thor / welches der Herr INSPECTOR in Händen hatte. Ob nun dieser gleich allen Vorrath seiner AUTORität zur Mauer wider PHILURTS Flucht machen wolte: so halff es doch nichts. Der behertzte PHILURT nahm den Herrn INSPECTOR beym Haaren / gab ihm ein par rechtschaffene Dachteln / und gieng ohne fernem Auffhalt zum Thore aus.

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CAP. CXXIX. W i r besorgten COMMUNIA: darum strichen wir immer qverfeld ein / w o man uns mit keinem Pferde nachsetzen kunte. D e m INSPECTORI schmertzten die Maulschellen nicht so wol auf dem Backen / als im Hertzen. Darum schickte er etzliche Manner von Fatzmotz eiligst hinter uns an. D a Sie uns nun fast eingeholet / und wir indem uns verlohren geben wolten / weil wir ubermannet / gaben Sie uns an statt der vorhabenden Gefangenschafft gute Wort / und danckten uns noch dazu / daß wir den stoltzen Kerln einmal ein wenig gedemüthiget hatten. „ E y ! daß dich / daß d i c h " / sagte einer / „ w a n n ihr ihm doch nur noch ein (239) bar gegeben hättet." D o r t stund der Maulschellist im Fenster und winckte mit dem Hute / die Manner solten drauf gehen. J a ! J a ! Die Manner stelleten Sich bey uns in fernen Felde / als wann Sie das Leben vor den Herrn INSPECTOR lassen wolten / Sie überwurffen sich mit uns / als wann es lauter Ernst ware: Hessen uns aber immer uberlegen seyn. Biß wir endlich fort marchireten und dem Schertze ein Ende macheten.

Cap. CXXX. "WEnige Zeit darauff erfuhren wir nun / daß nach unsern Abzüge der narrische INSPECTOR wider das arme Mensch / die Braut / erst recht albern und grausam verfahren hatte. Er will eine Hure aus ihr machen / ob gleich die Unschuld und die wahre N a t u r alle ihre Zeugnüsse ablegen. Zu ihren grossem Unglück ist gleich ihr Bräutigam verreiset / welcher auf 10. Meilen her den Hochzeit*Wein anführen will. Denn vielleicht hätte derselbige sich seiner Braut angenommen / und so viel zu wege gebracht / daß erfolgte unbesonnene Weitlaufftigkeit nicht entstanden. So aber war die Er- (240)barmens=werthe Dirne verlassen. Der UnLEGALE Richter und INSPECTOR fuhr fort / das Mensch vor sich zu fordern / sie verzweiffeit anzuhalten / Sie solte nur die Schande bekennen / es waren Zeugen da / welche es gesehen / und schon alles eydlich ausgesaget. U n d was dergleichen strafbare CONCUSSIONES mehr waren.

CAP. CXXXI. U N d gewiß / wäre das arme Mensch sich das geringste bewust gewesen / Sie hätte sich schrecken und zu öffentlichen Geständnis leicht zwingen

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lassen. So aber war mit Heulen und Weinen ihre stete Antwort: „Ich habe nichts böses gethan." Der Maulaffe war damit noch nicht zu Frieden / sondern rühmte seine Richterliche Schärfe / und schickte in die nechste dabey gelegene Stadt / und ließ die zwene Stadt-PHYSICOS, den geschwornen Land=Balbirer / einen Bader / und drey Kindweiber mit grossen Kosten heraus holen / und zwang die unberührte Feronicen / daß Sie sich von vier Mannes=Persohnen auf einmal muste besichtigen lassen. Da nun diese Leute alle (241) vor ihre Redligkeit ein einhelliges Zeugnis geben / muste der Narre sie endlich Schande halben wiederumb DiMiTTiren / legte ihr aber dabey die schweren Unkosten / welche sich auff etzliche zwantzig Thaler belieffen / mit auff; die Leute / vor denen sie sich wie ein Hund schämete / zu bezahlen. Sie ließ durch einen Mann bitten / sie mochten sich doch nur gedulten biß ihr Bräutigam nacher Hause käme / so solten sie die Unkosten / darein sie ohne ihr Verbrechen gebracht / weil es ihr ja so aufferleget / bezahlet empfangen.

CAP. CXXXII. Mitlerzeit kam der Bräutigam mit der Hochzeit Weinfuhre an / und lud mit Freuden ab / in Hoffnung / morgenden Tag seinen Ehrentag ohne alle Fehler zu begehen. Die versuchte arme Braut schämete sich dem Bräutigam entgegen zu gehen / und saß dort in einer verschlossenen Kammer / und ließ sich der Besichtigung halber vor keinen Menschen sehen. Des Bräutigams erste Frage stund nach Art der Verlobten zu seiner Braut / wo dieselbe ware / daß sie nicht anwesend / und ihn willkommen hieße. {242) Ein Mann von Fatzmotz ruffte ihn auff die Seite und erzählte / was in seinem Abwesen auff Befehl des I n s p e c t o r i s vorgegangen wäre.

Cap. CXXXIII. V i e l Köpffe / viel Sinne. Mancher hätte das schamhaftige Mensch trösten und zur Gedult anmahnen sollen. Dieser Bräutgam aber / so brünstig und unbeschreiblich er zu vor seine Braut geliebet / so eyffersichtig war er auch / das jenige / welches die Natur und die heilige Schamhafftigkeit ehelichen Eheleuten unter einander alleine vorgesparet / frembden Augen zu mißgönnen. Der Zorn entbrandte dermassen in Ihm / daß er ein Weinfaß zergäntzete / daraus der edle Wein mildiglich auff die Gassen flöß. Er wär zweiffels ohne auch über die andern gerathen / wann ihm nicht wäre

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Inhalt gethan worden. Er gieng hin / nahm seinen empfangenen MahlSchatz / und schickte solchen der elenden Braut durch einen Boten mit einer bewehrten Entschuldigung wieder ins Hauß. Und verschwur nimmermehr ein solch Mensche zunehmen / welche sich von vier Manner an einem solchen (243) Orte müssen besehen lassen / dessen er sich gleich auch als ein einfaltiger Eheman schämete. Und dieses war dem Kerlen nicht wieder aus dem Sinne zu bringen / und wann alle DOCTORES der gantzen Welt waren wider ihn gewesen. Seine THESIS bliebe stets: Das ware keine ehrliche Weibesperson / welche von frembden Mannern wäre besehen worden. Und eine solche konte er unmüglich nehmen / und dadurch bey allen Zusammenkünften von seines gleichen Schmach und Vorwurff deswegen auff sich nehmen.

CAP. CXXXIV. A N d e r e s Theils aber gieng er gleichwohl hin / und weinete bitterlich / daß er ein solch rechtschaffen Mensch verlassen müsse / umb dessen Liebe willen er das Leben gar gerne verlieren wollen: ja die er auch endlich in dieser geschimpfften Qvalitat dennoch behalten wolte / wann nicht sein ehrlicher Name hiedurch schandlich beschmützet würde. Und dabey bliebe es. Die gantz reiffe Ehe wurd zertrennet: Der Bräutigam wurd darüber melancholisch / und muste seine schonen Güter bey lebendigem Leibe in (244) Banden verzehren. Die Braut war wenige Wochen nach der Besichtigung mit Seufftzen und Schreyen über den iNSPECTOren gestorben. Schandlicher Maulaffe / der du durch dein unverstandiges Urtheil Tyranney genug begangen und zwey unbefleckte Seelen auff deinen Hals zur Verantwortung genommen. Und durfte der Bube doch wol hernach seine Barbarey als eine ungemeine Scharffe seiner Gerechtigkeit gar offters anführen.

Cap. CXXXV. A N d e r n ehrlichen Leuten dieses Namens nicht zum Schimpff mag ich ihn keinen Narren heissen: sonst hatte ich es gar guten Fug. Denn der Naseweise Kerl wolte alles wissen / auch zugleich die Haußhaltung reformiren; worinnen er aber so alber war / daß er meinete / eine Kuhe kalbe vier biß fünf Kalber auf einmal. ITEM die Ziegen müsten aller 4. Wochen zickeln: wie die Caninichen; weil Sie auch also weiß waren. Und wer wolte das Buch alleine über den Maulaffen voll machen? Nur diß einige noch dazu

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zu thun. Es war bey der Schule eine kleine Schafferey: davon die Kase (245) halb zur Schule geschlagen / zu Gelde gemacht und denen armen Kindern zum besten angewendet wurden. Die andere Helffte aber war des klugen INSPECTORIS sein ACCIDENS, oder daß ich recht sage / ein Stuck seiner Besoldung. Nun war eine Magd aus der Schule zu dem INSPECTOR in Dienste gezogen / welche vielleicht ihrem neuen Herrn zu schmeicheln / oder aus Feindschafft gegen den Verwalter / dem INSPECTORI beygebracht / als ob der Verwalter bißweilen die besten Schaffkase auslese oder auch wol gar etzliche über die Helffte von denen INSPECTOR-Käsen nehme / und zu der Schul=P0RTI0N werfe. Der INSPECTOR, welcher in seinem Unverstände dennoch auch dem Geitze ergeben war / dichtete lange auf ein Mittel / wie er seine Käse zeichnen und bey der Rechnung wieder erkennen konte. Es war so bewandt. Die Kase musten ein gantz Jahr über verwahret / und unter fleissiger Aufsicht erst recht reif gemacht werden. Womit denn sonst niemand besser umbzugehen wüste als der Verwalter. Derowegen muste der INSPECTOR demselben trauen / damit dieser aber ihm gleichwol seine grossen Kase das Jahr über nicht austauschen kon(246)ne / brachte der INSPECTOR einen Mahler mit hinaus / welchen er gantzer acht Wochen sitzen / und auf alle seine Kase / derer mehr als zehn Schock waren / sein Wapen mit Oelfarben mahlen ließ. Und weilen er von denen Butter=Topffen auch zu PARTiciPiren / dabey aber eben dergleichen Sorge trug / alß ließ er auf einen ieglichen oben in die Butter seinen Nahmen mit gelben Stulzwecken schlagen. Auf ieden Kase kostete das Wapen fünff Groschen zu mahlen. Und keiner konte im Verkauffen über acht Pfennige heraus gebracht werden. Schade war umb den Mann / daß er wegen seines grossen Haußhalt-Verstandes bey einem Könige nicht solte die Reichskammer=Sorgen über sich haben.

CAP. CXXXVI. iNzwischen lebten wir in der Freyen Stadt Rantza / von welcher man in selbiger Gegend gar viel gehöret: und liessen uns alle diese Nachrichten erzählen. An diesem Orte nun lebte ein jung Maulafgen / welches zwar etwa ein par tausend Thaler in Vermögen hatte: alleine es war stoltz genug darauff / und vermeinete / es war der (247) allerreichste auff der Welt / Er hielte sich einen Sprachmeister / bey dem er Frantzoisch lernen wolte / und dieser wüste ihn auch gar wol umb die Pfennige zu zausen. Denn er brachte einen gantzen Monat mit Ihm zu / ehe er das Wort MONSIEUR recht aussprechen lernete. Der Sprachmeister wüste zwar selber nicht mehr / als etzliche Frantzoische Regulen / darauff wolte er gleich einen

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Sprachmeister / wiewol nur alleine bey diesen Mauläff gen abgeben. Kam dieser Teutsche Frantzose in COMPAGNIE, und gieng an ein PARLiren: so erzählete er / daß er Gelübden gethan nimmermehr in COMPAGNIEN Frantzoisch zu reden. Dieweil er einsten im Hag ein groß Unglück deshalben haben können / da er sich über der Bedeutung eines Wortes mit drey Grafen schlagen müssen.

CAP. CXXXVII. E R rühmete / was er in der Frembde gethan / und hatte kaum Leipzig / ich geschweige Haag und Pariß / gesehen. Kein Oberster stund fast in Avisen / mit dem er sich nicht wolte geschlagen haben. Zehn Degen / sagte er / waren zu Leon in Frankreich (248) auff einmahl wider ihn gewesen / die er aber alle nur mit dem Stocke abgehalten hatte. Einsten ware er auch durch den Schwartzwald gereiset und allda unter die Puschklöpper und Strassenräuber gerathen. Als nun derselben fünffe auff ihn mit gezognen Röhren loß kommen waren / hätte er aus ihren Augen alsobald absehen können / daß es ihm gelte. Nun wäre er zwar zu Pferde gewesen / und hatte ihnen spielend entgehen können; alleine er hätte sich den Schimpff nicht anthun und ihnen weichen wollen. Ich fühlte ihm auf den Zahn / und sagte / daß die Räuber ja mit ihren Pürstrohren ihn von ferne erreichen und von Pferde werffen können. „ J a " / sagte er / „da hatte ich schon etwas darwider. Denn als ich in Franckreich in denen Comodien mich fleißig sehen Hesse / verliebte sich ein Gräfflich Fräulein in mich / welcher ich mit meiner Laute fast alle Abend bey der Taffei / an ihrer Seiten / gantz alleine / auffwarten muste. Denn ich kunte unvergleichlich schon spielen / welches ich aber / dieses halbe Jahr in Teutsch-(249)land der massen wieder verlernet / daß ich keinen einigen Griff mehr darauff k a n . " So sagte der Maulaffe. Denn er besorgte sich / man mochte ihm eine Laute zur Probe vorlegen.

Cap. CXXXVIIL D i e s e s Fräulein nun habe ihm / da er nicht länger bleiben wollen / nechst einen Sacke mit Frantzoischen Pistolen / auch etwas in einen güldenen CAPslein mit auff den Weg gegeben / dadurch so lange er solches bey sich trüge / ihn keine Stück= noch Büchsen=Kugel treffen könne. Also wären diese fünff Schosse alle vorbey gegangen. Die Räuber hätten noch einmahl

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geladet / und ihre Kunststücke auch an denen Kugeln bewiesen; und davon ware ihm etwas bange worden. Alleine da Sie zum andern mal gantz nahe Feuer auff ihn gegeben / hatte sein Frauliches Kunststück vorige Probe wiederumb gehalten. Und darauff hatte er sich endlich RESOLViret von Pferde abzusteigen und ihnen lachend mit lauter Verachtung entgegen zu gehen. Die Rauber zwar wären alle fünffe mit grosser (250) FURIE zugleich auff ihn loß gegangen; Er aber hatte seinen Vortheil in acht genommen / und war mit einer geschicklichen Geschwindigkeit unter Sie hinnein gesprungen / daß er zwene von denenselbigen gleichsam auff einen Stoß erleget / und damit hatte er alsobald seinen Degen von sich geworffen; weil er nur die güldne Kunst an ihnen PROBiren wollen / und den einen zur Erde gedruckt und desselben Kopff von hinten zu zwischen die Beine genommen / als wie er etwa auff dessen Halse reuten wollen. Da nun die übrigen zwey Rauber Ihm / dem dritten / wollen zu Hülffe kommen / hatte er ieglichen derselbigen auch bey dem Kopffe unter seine Arme genommen und hatte hernach die zwey unter den Armen mit einer maßigen Hefftigkeit wider den / zwischen denen Beinen / gestossen / daß ihm das Gehirne der Rauber immer ins Gesichte hinnein gesprützet.

CAP. CXXXIX. W i r hatten ihn nun gar gerne mit der Unmügligkeit dieser ACTION beschämet ; alleine er war von Lügen und Aufschneiden so fruchtbar / daß er uns zu keinem (251) Worte kommen ließ. Biß wir endlich unter allerhand dergleichen Aufschneidereyen / mit welchen wir selbige Nacht auf der Gassen herumb spatzireten / an ein Hauß kamen / worinnen Music / Gesang / und eine starcke Compagnie in aller Froligkeit versammlet waren. Dem Herren Sprachmeister stund der Schnabel trefflich in die Gesellschafft; Denn er gab gar einen guten Schmarutzer ab. Derowegen hielte er bey uns an / wir möchten doch zusammen mit ihm in das Hauß zu dem Gelag einsprechen. Wir als Frembde bedanckten uns / und sagten / es mochte nicht wol aufgenommen werden / wann gantz unbekandte Leute mit ihm kommen würden. „Was?" sagte der Maulaffe: „Diese Kerle / die da droben schmaussen / dürffen sich vor mir nicht regen / ich mag mit bringen / wen ich will. Sie dancken G O t t / daß ich Sie nur so würdige und zu ihnen komme. Es fürchten sich ja diese elende Tropffen und alle in der gantzen Stadt vor mir." Wir blieben aber dennoch bey unserm Vorsatz und begehrten ihm durch aus keine Geferthen zu geben. Das aber versprachen (252) wir ihm / so lange auff der Gassen ab- und zu zugehen / biß der Herr Sprachmeister etwa wiederumb von dem Schmause

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nacher Hause kehren würde. Denn wir erfreueten uns nur alleine zu seyn / damit wir uns über den Praller recht satt lachen möchten.

CAP. CXL. D i e s e s ließ er sich gefallen / und machte sich dannenhero immer durch das Hauß in die Höhe / vor die Stuben / wo die lustige COMPAGNIE ihren Tisch auffgeschlagen. Er mochte ohn gefehr vor der Stuben sich angeben / da war Music und alles stille. Wir glaubten fast anfanglich / es käme dieses Stillschweigen aus Furcht vor dem Eisenfresser. Alleine wir horten alsbald / daß einer unter der COMPAGNIE sagte: „was hat so ein etc. unter uns zu schaffen / welcher nicht gebeten ist? Wir gehen mit ehrlichen Kerln umb / und nicht mit einem solchen / der mehr garstige Dinger auff der Nase sitzen hat / als ein unreines Schwein Finnen im Leibe." Und damit beehrten Sie den Herrn Sprachmeister mit einem Handgemenge. Ehre genug. Denn er wurd auff denen H a n - ( 2 5 3 } den die Treppen herunter getragen. Einer warff ihn dem andern zu. Und von ieglichen hatte er seine Zulage. Biß endlich der letzte ihn gar zum Hause heraus in die Gassen schmieß und die Thür hinter ihm zuschloß. Damit er nun nicht im Drecke erstickte / giengen wir endlich zu ihn und zogen ihn heraus. Als wir ihn errinnerten unserer Verwarnung / daß er nicht hatte bey Abend unter Frembde Leute gehen sollen / und zugleich beklagten / wüste er nichts zur Verantwortung / als daß er sagte: Er achte solches gar nicht / ob ihn ein Esel trete oder nicht. Er hatte ohn dem gleich gehen wollen. Er wolte Sie auch alle nicht einmal so gut achten / daß er sich mit ihnen schlüge. Zu dem sie hatten nicht einmal recht scharff zugeschlagen: er wolte wetten / daß er am Leibe nur blau und nicht einmahl mit Blute unterlauffen wäre. E r wolte deswegen doch wol alle der Kerlen / so wider ihn gewesen / guter Freund wieder werden / wenn er sich gleich nicht eben mit ihnen schlüge.

(254)

Cap. CXLI.

A U ! W e h ! das war genug / vor einen solchen Haupt-Aufschneider: furchten sich nun alle Leute vor dir? Er verlor sich von uns wie die Geldbeutel unter denen Spitzbuben im Gedränge. Wir indessen belachten des Herrn Sprachmeisters Tapfrigkeit / und nechst derselben seine grosse Sanfftmuth / vermittelst welcher er auch allen seinen realbeleidigern / ohne Ansuchung des Gegentheils / zuverzeihen wüste. Und darinnen wurde

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fast die halbe Nacht zugebracht. Die Zeit eilete zum Morgen / und des Herrn Sprachmeisters Untergebener nothigte uns mit / diese Nacht bey Ihm Obdach zugemessen. Weil wir uns nun vor dem Herrn Sprachmeister so sehr nicht mehr zu fürchten hatten / so Hessen wir uns desto eher bewegen. Wir schlieffen da bey dem jungen Wirthe / welcher ohne alle Zucht und Auffsicht lebete / wohl aus / und erkundigten am Morgen den Zustand der Stadt und des Regimentes zu Ranza. Hierunter erfuhren wir / daß es einen possirlichen Stadt=Rath alda gebe. Dannenhero muthmasten wir / es möchte vielleicht {255) unter denenselben etzliche Politische Maulaffen geben. Weil wir aus dergleichen Geschlecht gar begierig noch etzliche wenige verlangten: also setzten wir uns vor / ein bar Tage zu Rantza zu verharren. Nun wunderten wir uns gar nicht / daß von denenselben Rathsherren so gar viel Lacherliches erzahlet wurde. Denn eines Theils war der gantze Rath gar wunderlich bestellt; ein Beutler / ein Messerschmied / ein Leineweber / ein Tabacks-Krämer / und ein Brandtewein=Schencke / waren die klügsten Leute darinnen. Der immerwehrende Bürgemeister aber war ein Corporal. Am andern Theile wohnten sonst viel Gelehrte und Weltkluge Leute in der Stadt / welche auf des Raths ungeraumete Possen acht hatten / und dieselben nachsagten. Dem Lateine waren die guten Leute in gesammt gar günstig / wenn Sie nur desselben waren machtig gewesen. So aber gieng es ihnen / wie denen gantz Alten erkalteten Mannern / wenn Sie ein vierzehnjährig Magdgen heyrathen / die zwar den Willen zu lieben haben / das Vermögen aber will sich nirgend finden. CAP.

C X L I I .

TAMIRO war sonderlich auf solche Maul-{256)äffen hitzig / welche zu weilen sich mit der LATiNiTat ein Ansehen machen wollen: gleichwol aber nicht ohne Beleidigung des PRISCIANI. Er nothigte uns an Morgen geschwind fertig zumachen / und mit Ihm aufs Rathhauß zugehen / denn er sagte / er hätte gute Hoffnung unser Maulaffen-DiARiuM selbigen Tag mit allerhand Fettigkeiten zu erfüllen. Wir folgeten / und da wir auf den Saal des Rathhauses traten / hieß uns der allda stehende Hascher alsobald auf eine Seiten treten / ob gleich kein Mensche sonst zusehen / oder zu hören war / dem wir etwa hatten in Wege stehen können. Dannenhero fragten wir / warumb er uns hieß auf einen Winckel treten / da wir doch niemanden hinderten. Da erfuhren wir des selbigen Tages / der neue Rath werde aufgehen / und da pflegte der Herr Bürgemeister allezeit eine ORATION ZU halten: so müste er / der Häscher allemal dabey seyn / daß er die Leute zurücke triebe / damit er nicht irre gemacht würde. Ingleichen auch der regierende Cämmrer.

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CAP. CXLIII. W i r hatten das Gluck / daß wir {257) diese ORATIONES höreten; (Welche ich denn auch nechste Ostermesse gel. G O t t / von Wort zu Wort / und mit allen curialien und Geberden / so dabey vorgegangen / in dem L u s t i g e n R e d n e r / dem begierigen Leser communiciren wil). Unter dessen / da der bißherige Bürgemeister dem neuen das Regiment nun übergeben: so ließ dieser / alt-eingeführten Gebrauch nach / alsobald eine Klag=Sache vor sich bringen. Erst im Regiment die POSSESS zu nehmen / und dann auch zu erweisen / daß er zur Regierung CAPABEL genug sey. Und diese Sache muste er in Gegenwart der gantzen Bürgerschafft / welche zwar über 30. Mann sich nicht belieff / auflosen und verabschieden. Der Klager übergab seine Klage. Der neue Regente durchlaß solche und schüttelte unterschiedliche mal den Kopf. Er neigte unterweilen das Haupt / und GESTicuLiRte mit denen Händen / daß ein Frembder gedencken muste / es würde ein so ausführlicher Ausspruch der Sache erfolgen / dessen Ende nicht ein ieder auswarten konte. Alleine der Herr Bürgemeister gab nach Uberlesung der Klage solche dem Stadschreiber / {258) welcher etwa noch ein Halb=Gelehrter mit war / und sagte: „Herr Stadtschreiber / Er lese doch / und sage sein VIDETUR, ob es CAUSA SUFFICIENTIA ist." Der Stadtschreiber übersähe die Klage / und sagte dem Hn. Bürgemeister etwas ins Ohr. Darauff sagte dieser: „ihr lieben Bürger / die Sache soll biß nechsten Raths-Tag DiLATiret und auffgeschoben bleiben."

CAP. CXLIV. D A S übrige Latein bestund alles in blossen TERMINIS, INTERDUM RIDICULE APPLICATIS: D a s PUBLICO k a n k e i n e n S c h a d e n d a v o n h a b e n . R a t h s w e g e n m u ß d e r T r e c k g e r ü h r e t w e r d e n . D a s COLLEGIUM l a s t s e i n e MEMBRAS n i c h t s c h i m p f e n . N e h m e n w i r v o r e i n e m d e n H u t ab / das t h u n w i r n u r HONORIS ERGO. W i r h a b e n e i n e n d u p p e l t e n VISCUM (Vogelleim) e i n e n P U B L I C U M u n d e i n e n

PRIVA-

TUM. D e n PRIVATUM h a b e n w i r a u f f d e m R a t h h a u s e ; d e n PUBLICUM a b e r in u n s e r n H a u - { 2 5 9 ) s e r n / aus w e l c h e n b e g e h r e t / i h r B e t t l e r / denn nun eine G a b e ?

CAP. CXLV. S O n s t kam ein Schoppe des Sontags in die Kirche / welcher die vergangene Nacht des Thürmers Liecht vor ein OMINOSES Liecht auff dem Rathhause

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angesehen / und sagte: „Ihr Herrn Collegen / ich bitte / man halte doch einen Raths=Tag. Denn ich habe etwas sonderliches vorzutragen." Der Bürgemeister antwortete mit vollen tituln: „Mein Herr C O L L E G A , wir müssen CAUSAM CONVENTUTIS wissen / sonst kan ich kein CONVOCAMENT machen." „ A c h ! " antwortete der Schops / „ich habe diese Nacht so viel PRAESUMTIONES und INDICIUM gehabt / daß eine Seule aus unsern Mittel wol das Haupt legen dürffte. Das war eine Noth. Denn hatte der Marckmeister nur das C A P I T A L geleget / so ware das PORTAL des gantzen Raths geschimpffet gewesen." (260)

CAP.

CXLVI.

E i n e n CoNSiLiANTen hatten Sie (so nenneten Sie denselben ihrer Klugheit nach) welcher ein D O C T O R und / ausser Schertz / fein gelehrt war. Den aber Hessen Sie nicht auffs Rath-Hauß kommen. Denn kleinstadtischer Eigensinn kan keinen andern umb sich leiden / welcher klüger ist. Derowegen muste dieser C O N S I L I A N T alle seine Brieffe zu Hause machen und durch hin und wiederschicken sich der Sachen erkundigen lassen. Eins zwar tadle ich an diesem SYNDICO, wann er überall von sich erzahlte / daß er die Zeit seiner Tage nur drey NOTABLE Thorheiten begangen. 1. W a r er D o c t o r w o r d e n / und h a t t e n i c h t s g e k o n t . 2. h ä t t e er eine F r a u g e n o m m e n / und s e l b i g e n i c h t e r n e h r e n k ö n n e n . 3. h ä t t e er ein R i t t e r = G u t g e k a u f f t und n i c h t zehn G ü l d e n in seinem V e r m ö g e n g e h a b t . Da nun diese drey Thorheiten so wohl hinnaus geschlagen / daß er nach der erlangten DOCTOR-Würde ein wolgelehrter Mann worden / seine Frau wol ernehren können / und das (261) Rittergut von des Guts INTERESSE bezahlet; so ists gewiß vor eine grosse Klugheit zu halten. Ich geschweige die edle Grosse des Gemüths / welche Gunst und Ungunst des Glückes HAZARTiret. Dergleichen CAURAGE nicht leicht von einem ieden nachzuwagen.

Cap.

CXLVII.

D A ß ich nun wieder auf die Ronzaischen Rathsherren falle / so muß ich etzliche ihre SOLOECISMOS entschuldigen; oder lieber gar verschweigen / welche Sie theils auß Armuth einschleichen lassen musten. Zuvor zwar hatte dieser Rath in gar guten Federn gesessen. Denn Sie hatten unterschiedliche Dörfer / schöne FUNDOS an der Stadt und andere herrliche PERTiNENTien; wie auch hohe Gerechtigkeiten / Ober und Nieder-Jagt;

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vortrefliche Mühlen: sonderlich aber eine schone Stuterey nechst an der Stadt gehabt. Welches alles aber durch übeles Haußhalten und Untreue der Einnehmer mit Schulden beschweret / und nachmalß von CAPITAL und INTERESSE vollends gefressen worden. Unterdessen waren Sie'doch so klug gewesen / daß Sie zu Erinnerung ih-(262)res vorigen Vermögens / bey endlichen Verkauf ihrer Güter / sich eins oder das andere bedungen / welches die nachmahligen Besitzer dem Rathe jährlich zum Schein eines QvASi-Lehns abgeben musten / wodurch aber mehr auf den Privat=Nutzen der Raths=Glieder / als auf das PUBLICO gesehen war.

CAP. CXLVIII. D A S eine Ritter=Gut hatte schone Vieh=Weide / worauf die schönsten Ochsen im Grase biß an die Bäuche giengen und konten jähr lieh 6. biß 800. Stücke davon verkaufft werden. Davon bedingte sich der Bürgemeister beym Verkauf alle Jahr einen Ochsen in die Küche. Die Stuterey / bey welcher zwo schone Mühlen mit eilff Gängen gebauet waren / erkauffte ein reicher Müller / welcher sich in etzlichen Fürstlichen Landmühlen zum reichen Manne gestohlen. Dieser versprach auch / gegen den leidlichen Mühlkauff / das ONUS, (es war gut / daß er nicht Griechisch redete / όνος) auf sich zubehalten / und den regierenden Cämmerer alle Jahr bey der Raths=Wahl / mit einem Füllen zu beschencken. Wie der Forst an einem reichen von Adel verhandelt (263) wurde / muste der von Adel mit in seinen Kaufbrief setzen lassen / daß er ieglichen Raths-Beysitzer iedes Jahr / bey aufgehenden Rathe / einen Hasen ins Hauß schicken wolte.

CAP. CXLIX. N U n war Ochse / Pferd / und Hasen etzliche Jahr / gar richtig abgegeben worden: alleine es fügte sich ein Unglück / daß dem Müller die Stuterey ausgieng / weil ers entweder nicht verstünd / oder weil er / wie der Landmann redet / kein Glück dazu hatte. Da blieb nun jährlich das Füllen aussen. Der Raths-Cämmrer hielt den Müller zu seinen CONTRACT an: der Müller schützte seinen Schaden und grosse Einbusse vor. Unterdessen hatte sich der Müller an statt der Pferde Esel zugeleget / und indem die Sache PRO und CONTRA getrieben / und beyden Theilen gar schwer wurd / lief es endlich auf einen gütlichen Vergleich hinnauß: und erbot sich der Müller / an statt des Pferdes alle Jahr einen Esel zugeben. Alldieweil nun

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damalß die Esel nicht so gemein und wolfeil waren / wie heutiges Tages / sondern ein ieder vor sechs / acht und mehr Gulden bezah- ( 2 6 4 ) let wurde / alß liesse der Herr Cammrer sich solches gefallen: und bekam also der Bürgemeister / einen Ochsen: ein Cammrer einen Esel; und zehn Beysitzer / zehn Hasen.

CAP. C L . ^J^Enige Tage nach der Raths=Wahl reisete ein Herr Patscagrien durch diese Stadt / und ließ wegen alter Gebaue / und sonst allerhand ANTIQviTaten sich gefallen eine Nacht / weil ihm der Abend über den Halß kam / allda zuverwarten. Der Rath ließe sich nicht feige finden / sonder erschien alsobald auff dem Rathhause / dem Frembden Herrn sein Geschencke zu thun. Nun hatte dieser gehöret / die allgemeine Fabel / womit man in der Stadt / und auf dem Lande von dem Rathhause sich rühmete / als wann des CAROLI MAGNI sein Regenten=Stul / den er zu Ag gebraucht / allda zu sehen w a r e . ITEM des GREGORII MAGNI B a r t b ü r s t e . Ingleichen ein O h r

von dem BUCEPHALO. Ein Zungenschaber von einem Hanrey=Horne. Ferner eine Pulverflasch von zwey Gemshernern / welche der OberMeister des löblichen Schneider-Handwercks wider den Frantzosen geführet. {265) Weiter ein Büchsgen voll Ohrenschmaitz vom großen Roland. Und letzlichen auch den Henckel von des grossen Czars in der Moscau Binckelscherbel. Diese und andere lacherliche RARiTaten zu beschauen / wolte der vornehme Herr / in dem er noch eine Stunde biß zur Taffei Zeit hatte / sich auffs Rathhaus bemühen. Dieses war denen einfaltigen Rathsherren umb so viel lieber. Denn auch der niedrige Ehrgeitz Sie so weit verleitet / daß Sie gedachten / Sie waren wegen ihrer PRUDENS so ferne beruffen / daß dieser durchreisende Herr auf mehr als tausend Meilen gereiset / Sie nur zu sehen. Sie untereinander waren gegen sich selbst so stoltz / daß immer einer den andern sich aus dem Wege gehen hieß. Unterdeß erwarteten Sie den frembden Herrn. In einem ieden Winckel stund einer und EXERCirte sich mit einem Scharrfuß / die MENSUR zu finden / wie tieff der Kopff zur Erden / und hinten naus der Fuß streichen solte. Alle mit einander wetzten die Messer / die Nagel abzuschneiden: Damit Sie nicht etwa den grossen Herrn in die Hand kratzen mochten. Sie legten ieglicher einen Dreyer zusammen und Hessen Zimmet holen / den sie {266) kaueten / damit es ihnen nicht übel aus dem Halse riechen mochte. Die Hände wuschen sie mit Bart= und Mandel-Seiffe schmeidige Hände zu bekommen. Sie kammeten das Haar / und Hessen sich auskehren: Und der Stadt=Bader hatte alle Hände voll zuthun / in so kurtzer Zeit (INCLUSIVE der Häscher) 26. Barte herunter zubringen.

Politischer Maul-Affe CAP.

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CLI.

E N d l i c h kam der Graff mit seiner SVITE angezogen: Darauff die Rathsherrn sich in eine geschwinde POSITUR stelleten / [ . . . ] wiewohl alles nach ihrem eingeführten Gebrauch. Mancher / der etwa schwitzigte Haride hatte / zog sein Schnup-Tuch hervor und wischte die Hand noch einmal zu guter letzt ab / und steckte dieselbe wiederumb in Muff / damit er solche dem Herrn Graffen fein warm und trucken PRAESENTiren mochte. Aber ach! potz tausend! alle Hand»sauberungen waren umbsonst. Denn der Herr Graff sähe an dem ersten forn anstehenden / daß er seine Hand mit allem Fug zurücke behalten / und diese Auffwartung mit einer gnadigen Mine bezahlen kunte. Ewig Schade war umb Zimmet und Seiffe / und daß (267) über der Aufwartung ein ieder sein Bräutigams=Hembde eingeschwartzet hatte.

Cap.

CLII.

D i e s e s alles erfuhren wir beym Truncke in eines Advocaten Hause / welcher / Ortes Gelegenheit nach / Bier schencken liesse. Weil wir noch so sassen und von der Aufwartung redeten / wurde dem Advocaten vom Rathe eine Verordnung zugeschicket / den grossen Hauffen Schnee / so er aus seinem H o f e auf die Gassen selbigen Tag tragen lassen / weg zu schaffen. N u n lebte der Advocat zwar nicht unter des Raths JURISDICTION; iedoch aber muste er seines Hauses und eines Theils anderer Güter wegen / vor demselben stehen. E r war ein listiger K o p f / sagte zuvor / er wolle einen Possen versuchen / und den Schnee weg zuschaffen / eine Sachsische Frist ausbitten. Dieses war in Fastnachten / und regte sich das Thau wetter mit Macht. E r gieng mit dem Vorsatz nach dem Rathhause zu / und brachte / nach Abfluß einer Viertheistunde / eine schrifftliche Verordnung: D a ß o b w o l H e r r M a t t h i a s V i e l s t r e i t / ADVOC. ORDINÄR. R a t h s w e g e n a n b e f o h l e n / d e n (268) H a u f f e n S c h n e e v o r s e i n e r T h ü r a l s o f o r t w e g zu s c h a f f e n ; so h a t t e a b e r d e n n o c h E. E. R a t h e wegen seines iederzeitigen G e h o r s a m s und sonst w o l g e f ü h r t e n B ü r g e r - w a n d e l s gefallen / Ihm die gesuchte S a c h s i s c h e F r i s t w o l b e d a c h t i g z u g e s t a t t e n . J e d o c h aber also / daß w o f e r n e e r m e l d t e r H e r r A d v o c a t b i n n e n 6. W o c h e n u n d 3. T a g e n d e n S c h n e e n i c h t h i n w e g s c h a f f t e / er Ε. E. m i t z w ö l f f K a n n e n W e r m u t h B i e r S t r a f f e s o l l e h e i m g e f a l l e n s e y n . Zu Zeit und Straffe kunte sich der Herr Advocat gar wol verpflichten. Denn den dritten Tag war weder im Felde / noch in der Stadt eine Hand voll Schnee zusehen.

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CAP.

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CLIII.

D E n Morgen drauff erfuhren wir auch / daß der frembde Graff sich auff dem Rathhause voriges Tages bewegen lassen / in die Gerichts=Stube zu spatzieren und eine halbe Stunde niederzusetzen. TAMIRO war CURIOS gewesen / und hatte sich mit hinnein gedrungen. Der kunte nicht beschreiben (269) von was vor Manier und Klugheit dieser H e r r gewesen / und was überaus vernünfftige Diener er u m b sich gehabt hatte. Seine Augen waren überall scharfsichtig hingefahren / vermittelst welcher er der kleinen stoltzen Rathsglieder ihr wunderliches Bezeugen mit innerlichem Lachen angemercket. Unter andern hatte er von einem seiner Bedienten seine grosse Balsam Büchse gefordert / (ob etwa einem H e r r n des Raths ein Reiff gesprungen war /) welche der Diener auch / Gewohnheit nach / auf einem Teller gehorsamst PRAESENTiRet. Worauff denn der Bürgemeister alsobald drey Dutzent Teller beyzuschaffen befohlen / damit alles / was der Graf begehret / darauf könne vorgetragen werden. Hierauff entstund durch die gantze Stadt ein Geschrey nach Tellern / als wann das groste Panqvet solte ausgerichtet werden. Des Grafens Diener muthmaßten hieraus / man ware etwa willens / ihrem H e r r n ein TRACTAMENT zuerweisen. Wehreten derowegen alle Ungelegenheit ab / mit der gewissen NOTIFICATION, daß die Taffei im Gast=Hoffe durch seinen bey sich habenden Mund-Koch schon bestellet. „Ach nein" / sagte der H e r r Bürgemeister / (270) „es ist so nicht gemeinet / wir seynd den Herrn Graffen zu tractiren nicht bey Mitteln: U n d zu dem hatten wir seine A n k u n f f t etzliche Wochen zuvor wissen müssen / daß wir eine Ganß mesten / und zweyerley Gebratens speisen können."

Cap.

CLIV.

D i e s e s hatte er kaum ausgeredet / brachte der Altknecht / welcher das DELiNQVENten-Geschmeide in Verwahrung hatte / einen Arm voll Teller in die Gerichts-Stube getragen / welche er aber schrecklicher Weise mit grossem Gepolter verschittete. Wen hatte nun nicht auff solch Tellergeklappe hungern sollen ? Der Graffe sähe mit einer massigen Empfindligkeit sich u m b und befahl seinen Diener / die guten Herrn zuversichern / daß er nicht bey ihnen speisen würde. Der Diener gab dem Graffen die Nachricht / daß diese Teller keine Zeichen einer COLLATION wären. Also stund der Graf nunmehr vom Tische wiederumb auf indem er vermeinte / es sey des Raths Bitten zu reichliche Willfertigkeit geschehen. In heraus (271) gehen sähe sich der Graf nach dem benothigten Abtritte u m b / wohinnein die gesammten Herren des Raths ihre EXCREMENTA SAPIENTIAE hinnein zu-

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versencken pflegten. Und gleichwie nun solcher naturlichen und hochstbenöthigten Dinge sich nicht zuschamen ist: also winckte der Graff seinem Geheimbten Diener ohne Blodigkeit / welcher Ihm den O r t / w o man sich der Bauchs-Noth endlediget / zeigen muste. Geschwind lieff ein Bürgemeister hin / riß zwey Blätter aus dem PROTOCOL und zertheilete solche mit dem Messer. Die Stücken legte er auff einen Teller und lieff dem Graffen ins Secret nach / solche ANASTERGIA seinem Gebrauch zu überreichen. Der Maulaffe hatte zuvor die Balsambüchse auff dem Teller übergeben sehen / so meinete er auch in unreinen Dingen solche Hoffligkeit nach zuaffen. Man sagte auch / daß sie den Grafen Paar bey Paaren in Gasthoff begleitet / und da E r des Abends seine Schuh dem Diener bey der Taffei aufflosen lassen / sey einer wiederumb mit einem Teller erschienen / welcher dem Graffen die Pantoffeln darauff vorgetragen.

CAP.

(272)

CLV.

F o l g e n d e r Zeit hatten Sie das Hertze gehabt / ein Rechtliches Bedencken über eine Sache aus einen Schoppenstuhle einholen zu lassen. Dessen Ankunfft Sie iederman wissen / und dannenhero öffentlich anschlagen Hessen. Dessentwegen wir denn der Verlesung des Urtheils auch mit beyzuwohnen suchten. Den Regierenden Cämmrer traff die Ablesung. N u n war die Urtheils Frage über etzliche Ungelehrte Schreiber / welche sich denen CAUSIDICIS vergleichen und zu PRACTiciren freye Macht haben wolten. Denenselben war das Handwerck durch dieses Urtheil geleget. Die W o r t e fügten sich etwa also: W o l l e n d e r o w e g e n / s p r e c h e n und o r d n e n / daß dergleichen RABULIS u n d u n g e l e h r t e n L e u t e n d i e R i c h t e r = S t u b e n k e i n e s w e g e s z u m PATROCINIO o f f e n s t e h e n s o l l e n : NAM CORRUMPUNT

JUS.

Der H r . C i m m r e r laß also: W o l l e n d e r o w e g e n / s p r e c h e n und o r d n e n / daß dergleichen RABULIS (273) und u n g e l e h r t e n L e u t e n kein W e g z u m PATRIMONIO o f f e n s t e h e n s o l l . NAMENS CORRUMPUNTIUS.

CAP. CLVI. D A S Urthel war noch nicht gantz verlesen / kam ein LICENTIATUS und PRACTICUS JURIS aus einer vornehmen Handelsstadt / in Diensten eines

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Kaufmannes dessen reisender Kauffdiener / als er durch Rontza mit Fracht gefahren / von dem Rathe wegen eines gelosten Pistols war in Arrest genomen worden; von welchen er sich mit einer starcken Caution hatte auff so lange befreyen müssen. Derowegen war dieser LICENTIAT abgeordnet / die Caution wiederumb auffzuheben / weil das Pistol ohne Frevel und INCLINATION des Kauffdieners sich selbst geloset. Damit nun der ADVOCAT sich in der Sache recht iNFORMiren mochte / forderte er / Rechtlichen Gebrauch nach / die in der Sache ergangenen ACTA, damit er des JUDICIS GRAVAMINA desto besser beantworten mochte. „Mein H e r r " / antwortete der Regierende Bürgemeister „wir haben noch keine Acta gemacht; er gedulde sich {274) aber / es soll der Herr Stadt=Schreiber bald welche auffsetzen." Sonst seynd ACTA Verzeichnis derjenigen Dinge / welche zwischen Partheyen vor Gerichte von Stunde zu Stunde vorgehen / so man den Augenblick / da sie geschehen / allen Umbstanden / O r t / und Zeit nach genau OBSERViren und einschreiben muß. Hier aber vermeinten diese Maulaffen / ACTA konten gar wol ein halb Jahr POST REM GESTAM ohne Abmerckung benothigter Umbstande / nach Belieben gemacht werden.

CAP. CLVII. E ß e n selbigen Tag hatte der Herr Burgemeister ein sonderlich Glück / welches billig mit wenigen zu berühren. Die Stadt Rontza hielte vor diesen einen Kerl / welchen man auff dem Dorffe einen Brum=Ochsen nennet. Weiln nun der Rath bey Abnehmen ihres Stattwesens solchen denen Fleischhauern zu schlachten verkaufft / und die 10. fl. so Sie davor bekommen / dem Ober Amtmanne / da dieser das gantze Collegium zu Gevattern gebeten / eingebunden: alß musten Sie nachmalß die Stadtkühe (275) in ihren DESIDERIIS aufs Dorf schicken / und vor iedes Rind zu belegen 16. Pfennige zahlen. Also hatte der Herr Bürgemeister behorige Zeit zuvor zwo magere Kühe durch seine zwo Magde aufs Dorf hinnaus zur Züchtigung abgeschicket; Es fügte sich aber das Glück / daß die zwo Kühe hohen Alters wegen / nichts gefangen / die Magde aber hingegen mit desto fruchtbarer Abfertigung wieder nach Hause kommen / und also der Herr Bürgemeister auf diese Zeit an Statt der zwey Kalber / von seinen zwo Magden drey Kinder (die eine bracht Zwillinge) erhielte.

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CAP. CLVIII. Ö E r gute Mann war gegen die drey Weisen barmhertzig / und weiln / wie man davor hielte / die Magde auff eine besondere Art getreu gewesen / mäste er sich des Kindtauffens in etwas an: Und ließ sichs gar wol dabey deuchten. Er brauchte einen sonderbaren STYLUM selbigen Tag im Reden. Denn da er auf den Fischmarckt sich erhoben / allda etwa einen Carpffen zum Schmause zukauffen / begegnete Ihm sein COLLEGE, wündschte ihm schertzend Glück ( 2 7 6 ) und fragte / wo er hinnaus wolte? E r antwortete kurtz und ernsthafft: „Mit Bedancksagung Fisch-kaufflicher Sachen halber zu verrichten allererst itzt ausgangen." Was er gewolt / das verstehe ich wohl; in was vor einer Cantzley aber man so zu STYLisiren pflege / von der habe ich noch nichts gehöret. Ingleichen hatte er mit eben solcher Form einen Bericht an den Oberamtmann Rahtswegen abgehen lassen. Es senckte sich ein Giebel an dem Wasserkunst=Hause / welches an den vorbeystreichenden Fluß gebauet war. Denselben wolte der Rath gerne REPARiret wissen. Weil aber solches ohne Verwilligung des Ober=Amtmannes nicht geschehen kunte / Dieser zwar auch befohlen / nur zu berichten / was die REPARATUR etwa kosten möchte. So setzte der Bürgemeister diesen NERVÖSEN Bericht auff. W o l w e i s e r und E r b a r e r / wie auch E h r w ü r d i g e r und G e strenger lieber Getreuer F l u s s e s nach mit S t e i n e n M e n s c h e n zu e r s c h l a g e n / n o t h wendig muß REPA-(277) Riret werden / dieser G i e b e l kostet 18. f l . NARRVOS genug: mit treflichen MOTiven / daß etwa ein Mensch konte beschädiget werden.

CAP. CLIX. M l t l e r weile hatte ein Bottiger / der etwa eine schlimme Sache zu Rath* Hause hatte / dem Herrn Bürgemeister ein baar Tauben geschencket / diese gewohnete er auszufliegen; das besorgte er aber dabey / Sie mochten Ihm / von einen Frevler / unwissend / daß solche dem Stadt=Regenten zustünden / todtgeschossen werden. Darüber stellete er einen absonderlichen Raths=Tag an / und trug dem COLLEGIO vor / er wolle zwene Passe mit des Raths Siegel verfertigen / und solche denen Tauben anhengen lassen / damit sie von iedermann erkennet / und paßiret würden. Endlich

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aber kam es zu dem Schlüsse: Er schickte die Hascher durch die gantze Stadt / und ließ allen Burgern die Blaseröhre aus denen Hausern nehmen. Auff befragen / mit der Antwort: Hätte doch Gustav. Adolph / {278) der Konig in Schweden bey vorigen Kriege allen Burgern in denen Städten / so er mit stürmender Hand erlanget / ihr Gewehr nehmen lassen: so würde er / als Regierender Herre / ietzo auch so viel Macht haben / seinen Bürgern die Blase-Rohre zunehmen. Dieser Schluß nahm in unserm Maul= Affen Register einen sehr grossen Raum ein.

CAP. CLX. I N übrig en / so einfaltig und ungelehrt dieser Kerl / so stoltz und hoffärtig war er. Bey Begrabnüssen / Hochzeiten und andern Zusammenkunfften gab er immerfort eine Anverwandschafft mit denen Leidtragenden oder Hochzeitern vor / nur daß er etwa noch über zwey Leute hoher gelesen wurde. Einst da eines Teutschen Scribenten Kind / des Bürgemeisters Pathe / zur Erde bestattet wurde / wolte er sich recht sehen lassen / und schrieb an den Leichbitter einen Zettel / wie er wolte gelesen seyn / nehmlich: H e r r B ü r g e m e i s t e r M a u s e k a u t z / d e s sei. v e r s t o r b e n e n l e i b l i c h e r u n d n a t ü r l i c h e r P a t h e . J a es verdroß endlich den ( 2 7 9 ) Narren gar / daß man in der Kirche / der Gelegenheit nach / bey Leuten / welche unter ihm giengen / mit dem Klingebeutel eher / als bey Ihm / den Pfennig einwerffen ließ. Und begehrte ausdrücklich von dem Kirchner / er solte den Schellensack nach dem Range herumb tragen. Item die Bürger solten auff der Gassen so lange sie ihn sehen konten / den Hut in Armen tragen. Alle Dinge wolte er verstehen / und sein bestes JUDICIUM einer Sache bestund in tadeln. E r rühmte sich zugleich des Verstandes zu bauen. Darumb bauete er einen Gasthof auf / welches ein Poet nennete: Das Wirths=Hauß zum Mistverstande. Dannenhero als er einst in einer gar stoltzen Mine auf der Gasse stund / und sein Gebäude so wol Kostbarkeit wegen / als auch rarer Bau=INVENTION halber rühmete / welche auch zugleich ein vorbeygehender hohnischer Gast / unter dem Mantel einer Schmeicheley / mit verwunderte / und sagte / man solte nicht meinen / daß in einen so mittelmaßigen Gebäude / so grosse Beqvemlichkeit hätte können ausgesonnen werden. „ H a ! " antwortete der Lateinische Bürgemeister / „ H e r r ! ich verstehe (280) die FORNICATION selber / und habe zu dem Gebäude gantz keinen ARCHIDIACONUM gebrauchet." Ohne Zweiffei meinete er / er verstünde die FORTIFICATION selber / und habe keinen ARCHITECTUM dazu gebrauchet.

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CAP. CLXI. E i n MEDICUS verstarckte unsere COMPAGNIE, welcher von diesen wunderlichen Bürgemeister uns auch etwas erzahlete. Er gedachte unter andern / daß er Ihn neulich des Morgens zu sich fordern lassen / und geklaget / daß Ihm nicht wol. Da nun der MEDICUS nach gefraget / ob ihn nicht etwa eine Ursache seines Übeln Befindens wissend ware. „Ach j a ! " antwortete er / „Gestern bin ich bey dem Herren Stadtschreiber AD CONVITIUM INVENTIRET gewesen / und da habe ich einen grausamen INCEST begangen / d a ß m i r n u n gar ein CALTERNARR a u f die LUMBONES g e f a l l e n : Ich

bin

ohne dem ein PORCULENTER Mann / es konte gar eine APERLEXIA daraus werden."

(281)

Cap. CLXII.

D A S war ein Maulaffe durch alle Facultaten / weiln es nun eine blosse Sauff= Krane kheit gewesen war / so hatte der MEDICUS gar geschwinde Mittel zur Hand schaffen können / welche ihm Hitze und Kopf=Schmertzen gestillet. Und damit war die Nacht aufgehoben. Denn es war dem guten Kerl darum Angst: das Landgerichte muste selbigen Tag / auf dem Lande gehalten werden / und da hatte der Rath die Ehre allezeit dabey zu seyn / und einen Schmauß zugeniessen. Darumb besorgte er / er werde vielleicht / Unpaßligkeit halber / nicht können dabey seyn / und eben darum hieß er auch den MEDICUM ZU sich ruffen / welcher ihm in der halben Stunde wieder gut machte / was er bey seiner Ankunfft beklagte. Der Mittag kam herbey / und das gantze COLLEGIUM der Raths Herrn sorgte / wie sie nun fein COMMODE hinauß kommen möchten. Sie waren dabey etwas unglücklich. Denn es waren in der gantzen Stadt keine Pferde zu bekommen / weil alle Geschirre mit Wahren auff einen Jahrmarckte nacher Lorcha abgeschicket waren. Also machten Sie aus (282) der Noth eine Tugend / und sprachen den Müller um sechzehn Stück Treibe-Vieh an; welche vor dem Stadt=Thor warten / und ihnen zu der Reise bey solchem Nothfall dienen solten.

CAP. CLXIII. D i e Reise hinnaus war endlich gut genug: indem besser ist / armselig geritten / als stoltz zu Fusse gegangen. Da Sie aber des Abends wiederumb nach Hause ritten / gieng es etwas gefährlicher zu. Sie waren alle etwas berauscht / und ritte der Herr Bürgemeister / wie billig / voran: die

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übrigen folgeten alle in einer Reyhe. Die Finsternis gab zugleich mit Anlaß zu einem Unfall. Der Weg trug sie an einen Graben / durch welchen die Bahn etwas schnelle gieng. Die Mühlthiere ohne Eisen / konten sich da gar schwerlich erhalten. Derowegen machte der Voranreutende Herr Bürgemeister mit Fallen den Anfang. Dem folgten die Herrn ASSESSORES, in solcher Ordnung / daß keiner an seinen Range verletzt wurde. Da war nun ein gantzer Graben voll Esel zu sehen / welche ohne RESPECT in Finstern über einander lagen. Der Bürgemeister schrie unten: er wire Ja der (283) vornehmste / Er müsse erst aufstehen. Der Cämmrer PRAETENDIRTE seine PRAECEDENS vor denen Schöppen aufzustehen / der Schoppe vor denen Beysitzern. Die Beysitzer / welche meistentheils mit ihren Eseln oben lagen / zanckten sich ums Alter / und müsten Sie auffstehen / wie Sie in Rath kommen waren. Die Esel schrien auch mit unter. In Summa / es war allda eine solche lacherliche CONFERENS beysammen / dergleichen man zu sehen mit guten Gelde bezahlen solte.

CAP. CLXIV. A L l e diese Maulaffen verursachten uns Reisenden zu einer grossen Ungelegenheit. Denn wir hielten uns umb der Tölpel willen so lange zu Ronza auff / daß wir schier der Abreise gar vergessen hätten. Weil es uns aber gleichwol noch glücklich allda ergieng; und woran uns am meisten gelegen war / eine gantze Kuppel Maulaffen zu sehen waren / so Hessen wir endlich das Glück mit unserer Zufriedenheit walten. Und giengen kommenden Tag mit tausend Lust aus Ronza.

(284)

Cap. CLXV.

W i r reiseten von der Stadt aus auf lauter schonen grünen Angern biß nach CREUSA, allwo wir unterschiedliche Leute aus der Stadt uns begegnen Hessen. Wir zogen unsere Strasse und wurd uns kein Weg zu lang / so lange wir von denen wundersamen Raths Herrn redeten / biß sich endlichen die Mittags Stunde heran machte / und das Volck von der Strasse verlohr / daß kein Mensch mehr im Felde zu sehen war / als ein Schaffer / welcher mit seiner Heerde an einem Teiche weidete. Seine Horden stunden unferne davon: und nahe am Teiche sein Huthaußlein auff zwey Rädern / nach bekandter Manier / desto füglicher fortzurücken. Wir Reisende MARCHiREten jenseit eines weiten Pusches / hinter welchen uns der Schäffer nicht mercken kunte. Nachdem nun die Gegend über die

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Massen lustig zu beschauen war / fielen wir endlich auf die Gedancken / allda ein wenig auszuruhen. Diesem unserm Wündschen kunten wir leicht willfahren. Wir setzten uns / und lehneten Uns endlich mit denen Kopffen gar zur Erde. DION NYSI {285) aber frischte uns gar bald zu einer Auffsicht an: Denn er sagte / daß dort im freyen Felde eine gar schön bekleidete Weibes=Person / gantz alleine daher gegangen käme. Es müste ein schlechter Jäger seyn / der einen solchen Wildpret zugefallen / sich nicht umbsehen solte. Wir reckten allerseits die Kopffe in die Hohe / nicht anders / als wie die Ganse / wenn sie was frembdes sehen. Es verhielt sich nicht anders / als wie DION NYSI REFERiret hatte. Daruber wir den Bürgemeister / Camrer und alle Rathsherrn vergassen.

CAP.

CLXVI.

M l t l e r weile / da wir nun bekümmert waren / wer doch diese Person seyn müsse / kam Sie unserm Wege immer naher. Kein Vogelsteller kan auff die Vogel also scharffsichtig lauren / und sich so unvermerckt hinter die Strauche verbergen / als wir umb dieses Rothkehlichens willen thaten. Wir fiengen schon an scharf zu disputiren / welcher den Anfall thun solte; ja wir hatten uns gantzlich resolviret / wann wir unter der schwartzen Taffent-(2#6) kappen etwas reinliches finden würden / Sie entweder zur Rückreyse freundlichst zu bereden / oder in Verweigerung dessen / gar wiederumb mit ihr umbzukehren; und vielleicht / nechst einer anmuthigen Lust und Kurtzweile / wie bey Gesellschafft der Weibs Personen zu geschehen pfleget / auch etwas vor unsern Zustand zu erfahren. Endlich da Sie nun kaum einen Steinwurf weit noch von uns entfernet war / musten wir sehen / daß der grosse allda hütende Schaffpengel uns mit einen grossem APPETIT vorleuchtete / und das süsse Fleisch vor dem Maule weg nahm. Der Kerl an sich selbst war gut genug / ein grosser langer Reckel / nicht eben gar unangenehm von Gliedmassen / weiß im Gesichte / und trug dabey einen Kopff mit Sonnengelben Haren. Er rentzte sich erst mit Händen und Füssen in Grasse: nach dem stund er auf und gieng dem Weibsbilde entgegen / als wann er der ware Corydon / und jenes seine verheyrathete GALATI Ι ε ware. Er erbot ihr in freyen Felde die Hand / und Sie wegerte sich nicht dergleichen zu thun. Sie DiscuRRiRten mit allerhand Freundligkeit so lange / alß wann Sie einen grossen CONTRACT auf die Schaff=Schur zu ma-(2#7)chen hatten. Hierauf sahen Sie sich beyde umb / ob etwa iemand in Felde sie sehen möchte: uns aber ob gleich nahe gelegene Zuschauer / kunten Sie vor dem dicken Laube der Strauche nicht erkennen.

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Johannes CAP.

Riemer

C L X V I I .

S i e spatzirten einen Steinwurff weit vor sich / und alßdenn fiengen Sie an sich zutrennen. Der Weißharige Schafknecht gieng nach seiner Heerde: Die verkapte Weibes Person aber beliebte an das kleine Hirten=Hauslein / welches auf zweyen Radern stund / zutreten / und sich noch einmal umbzusehen. Alsdenn stiege Sie mit einer gar anmuthigen Geschwindigkeit hinnein: daß mancher hatte meinen sollen / Sie ware gar verschwunden. Hatten wir uns zuvor gewundert / was doch eine so zierliche Weibes Person im Felde alleine zu schaffen; so musten wir uns noch mehr verwundern / was Sie allda in der Schafkarre zusuchen: biß endlich der große Schaff=Brose auch mit schnellen Begierden auff das Hirten-Häußlein / nach Verlauff einer kleinen Weile / zurennete / seinen Schäffer=Stock an die Erden legte / und zu ihr hinnein stiege. Der Wunder über solche CONFERENS machte {288) uns so hartnäckich / daß wir uns fast zusammen verschwuren / auch dem Hunger zu Trutz / so lange allda zu liegen biß der Enge Ausschuß dieses Sündlichen Land=Tages wiederumb von einander gienge. CAP.

CLXVIII.

ENdlich bekümmerten wir Uns nur darumb / was doch dieses ungleiche Paar auff so kurtze Zeit im Verborgenen bey einander zu schaffen hätten. Denn Sie waren kaum eine vierthel Stunde beysammen in dem HirtenHaußgen gewesen / so stiege die unbekante Galathe wieder hervor / und wickelte das Antlitz in ihre Flohrkappen / den Rückweg numehr wiederumb nach der Stadt zu suchen. Von ferne sahen wir / daß Sie kaum zehn Schritte weit von der Schaferkarre abgereiset / als der Schafer Knecht seinen Goldgelben Kopf zum Loche hervorsteckte / und die abscheidende Geferthin nur noch auf ein Wort wiederum zu sich in die fahrende Schafhütte nöthigte. Es war fast zu schlüssen / daß ihr nichts unangenehmes darinnen war PROPONiret worden: massen Sie denn zur Wiederkehr förderlichst gehorsam war. Die Thür wurde / gleich wie {289) voriges mal / wiederumb nach Ihr zugedrücket. Wir aber waren um die Ursache des Wiederkehrens noch mehr bekümmert. Ich weiß nun nicht / ob etwa D I O N N Y S I in dergleichen Visiten etwas mehr STUDiret hatte als wir übrigen. Denn der ließ sich verdrüßen / daß die Dame wiederumb zu dem Schaff ^Hirten einkehrete. Dannenhero RESOLVirte er sich gar geschwinde / in unserm zuschauen heimlich hinzuschleichen / ein Holtz vor die Kettel an der Thür zu stecken / und die darauff befindlichen Personen gleichsam zuverarrestiren. Er hatte ohne Zweiffei einen Spott mit beyden

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Gefangenen getrieben / woferne nicht vier grosse Schaff=Hunde von der Heerde gegen über mit grossen Zorn auff Ihn zugekommen waren. Damit er aber gleichwol vor der Hunde Ankunfft ihnen dennoch einen Possen erwiese / führete er das Hüttlein auf Rädern / mit sammt denen INTERciPiRten in den daran nahen Teich / biß daß das Wasser die Hütte fast über die Halffte erstiege. D I O N N Y S I selbst / weiln es im Sommer geschähe / folgete dem Karne biß über den halben Leib mit ins Wasser; wohin Ihm die Schafhunde nicht nachfolgen kunten.

(290)

CAP. CLXIX.

W I r indes kamen Ihm mit abgeschnittenen Sträuchen zu Hülffe und vertrieben die Hunde / daß er wieder aus dem Wasser steigen / und mit Uns in die nechste Stadt / N O R B O N E L L A gehen kunte. Lauter Kurtzweile begleitete Uns / ja wir sahen uns so offt nach dem beräderten Schiffe umb / biß wir endlich weder Teich noch Schafkarren mehr sehen kunten. Diesen allen aber ungeacht / lieff doch bißweilen ein Merckmahl der Barmhertzigkeit gegen die Weibes«Person mit unter. Inzwischen kamen wir nach N O R B O N E L L A eine zwar alte / doch sehr ansehnliche Stadt / welche so wohl wegen Kauffmanschafft / als der allda florirenden Herrlichen UNivERSität sehr berühmet war. Und da wir ohne alle Muthmassung eines Glücks an das schwartze Bret / das ist / an den Ort / wo denen Studenten alle LECTIONES und zukommende Universität=Sachen NOTiFiciret werden: funden wir einen Zettel angeschlagen / worauff M O N S I E U R D I O N N Y S I , ZU Herrn D I E G O einem Kaufmanne / iNvmret war / einen Brieff daselbst von seinem Vater aus der Frembde abzuholen. (291) Dieser wolte fast erschrecken / und sich eines Unfals von Hause befahren. Dannenhero er gar kleinlaut ward / daß er des vorherbegangenen Wasser»Arrestes gar darüber vergaß. Wir fragten den Herrn D I E G O gar bald aus / zu welchen uns M Ö N S . D I O N N Y S I in Zittern und Zagen folgte. Wir Hessen diesen / als P R I N C I P A L , in des Kaufmans Hauß alleine gehen / und nach dem Brieffe fragen. Indessen aber erwarteten wir auff der Gassen des D I O N N Y S I Zurückkunft mit nicht geringerern Verlangen / und gleichmaßiger Furcht. Denn alle Augenblick besorgten wir sein Wiedersehen mit betrübten Geiste / über unglücklicher Post von Hause.

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CAP. CLXX. D A wir nun alle auff die Hauß-Thür sahen / und nun meineten / itzt solte er mit hangenden Haupt heraus wiederumb zu uns kommen; sihe / so schriehe MÖNS. DION NYSI mit vollem Halse zur Hohe des Fensters herunter: „Lustig / ihr Bruder / seyd frolich / itzo werde ich neu-lebendig bey Euch seyn." Und da wir ( 2 9 2 ) uns über die schnellen Freuden zuverwundern kaum anfiengen / stund Herr DION NYSI mit Dreyhundert Marek / nehmlich so viel Achtgroschen Stücken unter uns / welche dieser Kauffmann Ihm auff empfangenen Wechsel=Brieff von seiner Mutter zugestellet. Wer war froher als wir alle zusammen? Denn unser Wahl= S p r u c h w a r a u f f d e r R e i s e : AMICORUM BONA, INTER SE SUNT COMMUNIA.

Geld traun macht Muth. Zuvor hatten wir gerne auf der SchneiderHerberge mit einen Heringe verlieb genommen / nun aber da der Wechsel ankommen / fragten wir nach dem besten Gasthofe / welcher genennet wurde das Wirthshauß zum Rehhan. Darinnen wohnete der Stadt-Schultze / welcher zugleich / nechst seinen wichtigen Ammte / auch die Gastung führete. Wir legten ab / und berenneten den nechsten Tisch am Fenster / und Hessen uns einen Trunck Wein auffgeben. Gegen über betrachteten wir das herrliche Rathhauß / aus welchen diesen Augenblick ein ansehnlicher Mann in einer Paruqve hervortrat / und ein groß Bund ACTA hinter sich hertragen ließ. Der Hauß-Knecht / welcher uns zur Aufwartung an der {293) Seiten stund / ward alsobald gefraget / wer doch dieser Mann wäre: Der uns denn die geschwinde Nachricht ertheilete / daß es sein Herre sey. Si FACIEM VIDISSES, Man hätte schweren sollen / daß der Mann von [. . .] der Weißheit sey so dicke und groß worden. Alleine der Gang und das hin und herschütteln des frembden Diebes=Haares / so er auff dem Kopffe trug / verrieth das Hasen=Fett. Der Hauß-Knecht halff uns lachenden Leuten seinen eigenen Herrn AGiren. O b wir nun wohl dieses nicht gut hiessen; dennoch fuhr er fort und sagte: Allezeit müsse der Häscher ein Bündel solch geschriebenes hinter Ihm her / über den Marckt / nach tragen / da er doch zu Hause dasselbe niemahls eroffne. „ H u i ! einen neuen Maul=Affen": Versetzte PHILURT.

Cap. CLXXI. i N d e ß kam der Wirth an / welchen wir auch über Tische nicht anders titulirten / weil wir als Frembde die Wissenschafft / (294) [. . .] daß er Stadt-Schultze sey / mit Fleiß hinterhielten. Er empfieng uns mit einer gar groß naßigten Miene / eben / als wann er gar eine hohe Standes=Person

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ware. „Sein Diener / Herr Wirth. SERVITEUR, Herr Wirth." War unsere Dancksagung. Dieser Titul aber wolte ihm nicht schmecken / ungeacht er doch von der Gastung allein leben und bleiben muste. Und gleichwohl kunte er deswegen mit uns als Frembden nichts anfangen. Derowegen ruffte er alsobald den Haußknecht auff die Seite / welchen er in Geheim befohlen hatte / er solte alsobald vor die Gast-Stubenthür treten / und ihn mit lauter Stimme / H o c h w e i s e r S t a d t = S c h u l t z e / ruffen. Er setzte gegen den Hauß-Knecht die Ursache hinzu / daß die frembden Kerle ihm doch seinen gebührenden RESPECT erweisen mochten.

CAP. CLXXII. V o η dannen gieng er hin / und setzte sich bey uns nieder: Wiewohl alles mit einer sonderlichen Art groß zuthun. Er fragte uns / wo wir herkamen: Wir [. . .](295)hingegen / was er itzigen Abend gutes zum besten hitte. Inzwischen iNTONiRte der Knecht / wie ein Zahnbrecher den ersten Jahrmarckts-Tag / mit hocherhobener Stimme: „Hochweiser Herr StadtSchultze / Herre!" Der Wirth antwortete alsobald / iedoch gegen uns: „er meinet mich / er rufft nach mir." Und dennoch wolte noch keiner unter uns den Stadtschultzen anbeißen. Es blieb dabey: „Herr Wirth / wollen wir bald speisen? Herr Wirth / er komme doch zu Uns." Biß wir endlich / einen Maul-Affen zu fangen / hohnischer Weise umb Verzeihung baten; weil wir als unbekante Leute ihn nicht mit seinem rechten Ehren Amts* Titul versehen hatten. Er nahm es vor bekant an / und sagte mit gantz GRAViTatischer Stimme: „Es hat nichts zu bedeuten / es kan noch geschehen / wissen doch die Herrn nun / wer ich bin."

(296)

Cap. CLXXIII.

Ν Ach diesem verließ er uns auff eine gar kleine Weile. Denn er hatte den Hafer-Kasten zu erofnen / und denen Karnern vor die Pferde Futter heraus zugeben. Vorermeldter Hauß=Knecht war ein Ertzschelm in der Haut / und gewann durch diese kürzte Abwesenheit Gelegenheit / von seinem Herrn erst recht schimpfflich zu reden. Er vertrauete uns nicht nur allerhand Maulaffen-Stückgen von demselben; sondern brachte uns auch zum Zeugnis derselben das Gebund ACTA, so er von Rathhause hinter sich h e r t r a g e n lassen / a u f f d e n T i s c h z u PERLUSTRiren. PHILURT legte z u m

ersten die Hand an / und eröffnete solche. Wobey wir denn mit Augen

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sahen / daß es keine ACTA, sondern nur lauter zusammengefugt leer weiß Pappir war / welches er zum Staat und Schein seiner Gerichts Handel immerfort hinter sich hertragen liesse. Der Haußknecht betheurete / daß der Stadtknecht ihm solche leere Buch Pappire / offters bey Spatzier= Gangen / zu Hochzeiten / Gastereyen und dergleichen nachtragen müssen.

(297)

CAP. CLXXIV.

U n t e r d e s s e n kam der gelehrte Gastwirth wiederumb zu uns / und sprach uns um kurtze Gedult an / nur noch ein wenig der Mahlzeit zuerwarten. Denn seine Liebste (wie er sagte) wäre noch nicht nach Hause kommen / den Tisch wolte er alsofort decken lassen / und so bald der Ehe=Schatz den Fuß ins Hauß setzte; so bald solte das Essen auffgetragen werden. Wir als junge heißhungrige Leute hatten lieber die Mahlzeit befordert gesehen; und dannenhero nahmen wir Anlaß nach der Frau Stadtschultzin zu fragen / wo Sie ware / und ob man Sie nicht konte durch eine Magd ruffen lassen. Er / der Herr Wirth und Stadtschultze / antwortete: Sie ware gar nicht einheimisch / sondern vor zu Mittage ein wenig auffs Dorff gegangen. Denn Sie hatte unterschiedliche vornehme Weiber von Adel zu guten Freundinnen / welche sie bißher bey diesem warmen Wetter fast alle Tage besuchet hätte. DION NYSI versetzte: „aber mein Herr Stadt Schultze / denen von Adel ist nicht sonderlich zu trauen / wann (298) eine solche Henne auff ihren Mist kommet / Sie pflegen alsdenn meist gerne zu krehen." Dieses Wort machte nun erst den Maulaffen recht offenhertzig. Da fieng er an sein Weib zu loben / und sie von ihrer Jugend / von Schönheit / von Tugend / am allermeisten aber von der Treue und Keuschheit zu rühmen. Er schwur bey seinem ehrlichen Nahmen / er wolte das liebe zarte Kind (so nennete er sie unzählig mal) unter ein gantz Kriegesheer ohne alle Sorgen vertrauen / Zehn Jahr wolte er von ihr seyn / und Sie denen jüngsten schönsten Leuten zur Gesellschafft überlassen; nichts desto weniger aber ein ehrlich Weib behalten.

CAP. CLXXV. I c h muß gestehen / dergleichen Ruhm habe ich mein Tage keinem Manne seinem Weibe beylegen hören / wie hoch er auch selbige geliebet. Denn nachdem gewiß / daß Mann und Weib vor einen Leib zuachten; so muß ja zumahl übel lauten / wann ein Mann seines Weibes / und also sein eigen

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Maul-Affe

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Lob so gar weitlaufftig prediget. Endlich wolte das lange Harren uns den Vorrath (299) der Gedult fast gar verzehren / daß wir allerhand anfiengen unsere Gerichte etwas scharffer zu fordern. Wodurch wir auch letzlichen den Wirth zwungen / anrichten zu lassen. Wir satzten uns zu Tische / und der allzusichere Maulaffe konte keinen Bissen in Mund stecken / keine Kanne ans Maul setzen / es muste denn solches mit Gesundheit seines Engels und liebsten Eheschatzgens geschehen. Wir forderten einen Trunck Wein / welchen uns der Herr Stadtschultze selbst aus dem Keller holen muste. Und eben dadurch erworben wir dem Haußknechte mehr Gelegenheit / uns ferner von der grossen Liebe eine Nachricht zugeben. Dieser sagte nun / daß / da sein Herre noch mit der ersten Frau Haußgehalten / es sehr wol umb ihn gestanden / und ein begüterter Mann gewesen: da aber solche ihm endlich ein Greuel seiner Augen worden / weil Sie nicht alle liederliche Moden der Frantzoischen Welt mit nachgeaffet / sey Sie übel von ihm gehalten und endlich auff viel bose Tage ihrem Verlangen nach sanfft verstorben: wodurch sie ihren Mann in seinem wündschen so weit glücklich gemacht / daß er (sieb) 4. Wochen nach ihrem Tode in dem 50sten Jahre seines Alters w i e d e - ( J 0 0 ) r u m b an eine andere / und seinen Augen nach schönere hengen können.

CAP. CLXXVI. G L e i c h wie nun G O t t und die redliche Welt solche Untreue hasset: also fehlete es auch nicht an dergleichen Müntze den halb alten Thoren damit zu bezahlen. Der Hauß=Knecht REFERIRTE, daß seines Herrn Frau gar nicht von der richtigen Art sey / wovon er sie wol zu seyn vermeinete. Denn ihre beste Jugend habe Sie meist an unterschiedlichen Fürsten-Hofen zugebracht / von welchen Sie aber vermerckter Wollust halben meistentheils vertrieben worden. Und endlich da Sie auch auf ein par Jahr in Holland sich aufgehalten / sey Sie auch nach NORBONELLA und absonderlich in diesen Gasthofe abgetreten. Da sich denn sein Herr von Stund an in Sie verliebet / gleich da er von seiner Seligen Frauen Leichbegangnis wieder nach Hause kommen. Der Diener versicherte uns / daß er mit ihr selbigen Abend noch in Vertrauligkeit gerathen und das groste Theil der Nacht / ohne Liecht mit ihr zugebracht hatte. DION NYSI schwur bey seinen Leben NORBONELLA nicht (301) eher zu verlassen / biß er diß Wunderthier gesehen / und solte er seinen gantzen Wechsel darüber verzehren. Er fragte hiernechst den Haußknecht / ob Sie auch schon ware. „So hin" / anwortete der Haußknecht / „es ist nur Mittel G u t : liderlich genug in Kleidern / so gar / daß Sie alle Tage mit auf den Marckt in die

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Glucksbude treten kan." Auf unsere Frage: wer und von wannen Sie sey / antwortete Er mit kurtzen. Sie sey ohne Zeugnis aufgeboten / und getrauet worden: weswegen auch sein Herr dem P R I M A R I O Sechshundert Austern verehren müssen.

CAP. CLXXVII. E R lief geschwind über sein Schränckgen unter der Banck / und steckte uns ein Hochzeit Carmen zu / so seinem Herrn zur andern Vermahlung ware gemacht worden. Dasselbige hieß also: I. M O P S O N I S A DATUR: Q V I D SPEREMUS AMANTES?

(302)

L U P A COPULATUR C A N I , NUPER LUSITANTES VLDIT HOS ANHELOS

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L U N A SUB OBSCURA ATTENTOS P H I M E L O S FESTA MOX FUTURA. CANAMUS ROMANE CESSATIS NUNC RANAE? J A M FLO RES SPARGITE E T JOCOS DICITE. II. SPARGE, M O P S E , NUCES N O V A S JAM INCENDE FACES,

25

N I S A M DOMUM DUCES METUISTI QVOS FALLACES N I S A M TU DUXISTI D I U JAM AD LARES VANE METUISTI?

30

T I B I NE PARARES IN TUO HORTULO C U M TUO SCORTULO Ο

MANUS RAPIDAS

A C H ! N I S A AVIDAS. 35

III. T H Y M N U M SED DEPASTAM T U A M NON SECTANTUR APES

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Maul-Affe

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M O P S E TU HANC VASTAM

(303)

D O M I T O T AMPLEXAM HABES, F L O R I B U S ADMISIT F u c o s SATIS MULTOS D i u JAM I R R I S I T

5

T I B I SAEPE IN O S , Q V O D SIS INSIPIDUS, A M O R E STUPIDUS, E T ΤΑΜ VAGENTEM D I L I G I S AMANTEM.

10

IV. D I G N O JUNCTA VIRO O R E DUM CONTEMNIT N Y M P H A S H A S NOSTRAS D E L I R O D I X I T : N U L L A M NOSTRAM LYMPHAS

15

PURAS HIC HABERE. M O P S E , LAVA MANUS, N E S C I S TU SPLENDERE T R A C T A B I S INSANUS A C H ! TUUM CORCULUM

20

V A H ! PURUM SCORTULUM IMMUNDIS MANIBUS Ο ΤΑΜ IMMANIBUS. V. V I D I NUPER S O L E M VIRGINI

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CONJUNGENTEM

S E D IN SOMNO ERAM

(304)

NUBIUM

EXTINGVENTEM

S O L I S CLARITATEM S E D IN SOMMO ERAM

30

M O R P H E U S VERITATEM O B F U S C A V I T MERAM. H I SUNT AMORES E T TENEBRAE D O L O R E S Q v i POST HANC V E N E R E M H L C DANTUR CELEREM. VI. VALE MOPSE NISA A R D E N S , M O P S U S LEGET SPICAS

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Jobannes

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VAGANS HAEC IRRISA F L O R I S DABIT ILLI MICAS V A N I Ο AMORES, Q V I MUTATIS MENTEM. C A E C I Ο ERRORES, VLDES JAM LUGENTEM M O D O QVI GAUDEBAT S I B I APPLAUDEBAT. Ο

VANI AMORES!

Ο

CAECI E R R O R E S !

Trostliche Worte!

CAP. CLXXVIII. Dieses hatte der ehrliche Haußknecht kaum aus geschwatzet / so kam die Frau {305) Stadtschultzin angestochen / durch und durch naß / alß wenn Sie durchs Wasser gezogen ware. Bey hundert Element / es war das Mensch / welches wir vor drey Stunden / zweymal zum Schaffknechte auf den zugedeckten Hutwagen hatten steigen sehen. Wir erstauneten vor Wunder. Und sonderlich M Ö N S . D I O N N Y S I fieng an sich in etwas zu scheuen / in dem er gedachte / das Weib wurde vielleicht / alß er Sie samt dem Schaffknechte ins Wasser geschoben / durch eine Klünse der Karre gesehen und ihn erkennet haben / und werde Sie den Frevel ihren Manne nunmehr klagen / und Rache mit demselben wieder ihn suchen. Dannenhero erhub sich eine geschwinde Stille in unserer Compagnie / als welche zuvor mit lauter Discursen sich genug belustiget hatte. Alleine die nasse Fr. Wirthin reichte uns Reyhe herumb die Hand / und entschuldigte die Nasse ihrer Kleider gar künstlich / weil Sie über einen schmalen Steig gehend / in einen Wassergraben biß unter die Arm gefallen. Unter dieser Erzählung kam der Herr Stadt-Schultze aus dem Keller mit dem Glase Wein wiederumb zu uns. Er ward seiner keuschen P E N E L O P E nur ansichtig / so (306) setzte er das Glaß in besonderer Liebes-Blindheit aus denen Händen / daß das unterste oben zu stehen kam / und der Wein mit unserer Beklagung an die Erde geschüttet wurde. Er umbfaste Sie mit solchen Begierden / und Ehrbezeigungen / als wann er itzo erst anfienge umb Sie zu heyrathen. Mich verdreust zu wiederholen / alle Titul und Thalpossen / womit er ihr begegnete. Und da Sie ihren nassen Unfall erzahlete / fehlete es nicht viel / daß er die PARUQVE von Kopffe genommen / und Sie damit abgetrucknet hätte. Er lieff über den Schranck / hieng ihr einen Schreckstein an / und gab ihr B E Z O A R ein. CoNTiNUiRÜch fragte er / ob Sie auch

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Frost empfinde. Wie er denn auch mit solchen Fragen biß zu ihren selbst eigenen Verdruß anhielt / daß Sie endlich gar Ihm ein Stilleschweigen befehlen muste.

CAP. CLXXIX. S i e gieng nach der Schlaffkammer / sich allda anders anzulegen / damit Sie der Nasse loß werden möchte. In deß discurrirte der Herr Stadt-Schultze mit grossen Freuden über seine Liebste fort. DION NYSI wolte es ihm / so ferne in Geheim zu erkennen (307) geben / daß es nichts nutze / einem Weibe allzu sehr nachzuhengen / immassen allen Weibern von Natur die Herrschafft angebohren: wann nun ein Mann durch Ubermasse guter Wort seinem Weibe selbst den Regierungs-Stab in die Hände gebe / so müsse hernach die Herrschafft umb so viel mehr grausamer werden. Der Ertz-Maulaffe / welcher nicht so klug war ein Weib zu ergrunden / ich geschweige vor streitende Partheyen einen Abschied zu machen / sagte ohne Scheu: alles ware wahr / was MÖNS. DION NYSI itzo erzählet; alleine ein solch Weib / wie er habe / gehe allen diesen Gesetzen vor: zumal derselben Keuschheit / Zucht und Treue so groß / daß Sie andern Weibern zum Exempel / das Regiment mit guten Fug fuhren könne. Er erzahlte dabey / daß an einer abgewichenen Hochzeit die Bürgemeister Weiber mit frembden Kerlen getantzet: Sein Engellichen aber habe mit keinem einen einigen Reyhen antreten wollen. Und dadurch hatte eben die verdammliche Bestie den albern Mann sicher gemacht / daß er glaubte / Sie ware Engelrein und könte sich an keiner frembden Liebe sattigen. Denn das ist sonst die Art der E h e - ( J O i ) brecherinnen / wenn Sie ihre Ehegatten über Gewohnheit CHARESSiren / und sich wegern auch in Ehrlichen Gesellschafften bey frembden Mannern zu sitzen.

Cap. CLXXX. D E r alte Narre verlangte von der Hure / wiewol nur sich sehen zu lassen / Sie m o c h t e d o c h MÖNS. D I O N NYSI eins z u b r i n g e n / w e s s e n Sie sich aber

mit ungemeiner Widersetzligkeit weigerte. Dem Manne fiel Sie mit beyden Händen umb den Halß / schlichte Ihm das Anlitz mit derenjenigen Hand / in welcher Sie kurtz zuvor den schmierichten Schäffer-Stock vielleicht gehabt hatte / und sagte: „Niemand trincke ich zu / denn alleine dem / welchen ich älleine liebe." Uber Tische redete Sie dieses mit dem Munde; unter dem Tische aber meinete Sie es viel anders: Denn Sie hatte MÖNS.

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DION NYSI Fuß zwischen ihre Füsse genommen / welchen Sie fester drückte alß des Mannes Haupt. Mit der lincken Hand hielt Sie gleicher Gestalt unter dem Zipffel des Tischtuches / PHILURTS Rechte / damit Sie ja einem ieden Zeichen ihrer Willfertigkeit bey Zeite mercken liesse. Da g e d a c h t e i c h {309)

a n d e s SENECAE W o r t : L . 1. DE B E N E F . C. 1 4 . MERE-

TRIX INTER MULTOS SE DIVIDIT, UT NEMO NON ALIQVOD SIGNUM FAMILIARIS

ANIMI FERAT. Nichts desto weniger saß dennoch der fünfzig jahrige ACTAEON, und wüste kein Ende zu finden in dem Ruhm von seiner Liebsten reinen und unbefleckten Keuschheit. In solcher Vergnügung soff er sich auch so voll / daß er zu Bette muste getragen werden. Wiewol es so weit nicht mit ihm kommen ware / woferne nicht das untreue Weib selbst immer mit den Augen uns gewincket / daß wir ihm zu trincken solten. Es ist gewiß / daß Sie solches mehr muste PRACTICIRET haben / damit wann er voll / Sie desto besser Frey und Gelegenheit finden mögen / ihr frembdes Feuer anzuzünden.

CAP. CLXXXI. W A S von Ihr gesuchet wurde / das war auch nunmehr nach Wündschen erlanget. Der Herr Stadt=Schultze war so besoffen / daß er keines Fingers mehr machtig war. Man trug ihn zu Bette: und nach dem fieng die Frau Wirthin erst recht an laut zu werden. DION NYSI hatte (310) Geld / und war an sich selbst eine ansehnliche Person / an den machte Sie sich zu erst. Und weil Sie anfieng ihm in die Ohren heimlich zu DISCURRIREN, besorgten wir / unsere Gegenwart mochte nunmehr nicht allzu angenehme seyn: Derowegen gaben wir gute Nacht / und giengen zu Bette. Da uns denn DION NYSI in einer guten Stunde mit aller Vergnügung folgete. Er belachte die geschwinde Bekandschafft / und freuete sich über nichts mehr / als daß er nunmehr versichert / daß der Wirth wider alle seine CONTESTATION ein ausgemachter HanR. sey.

CAP. CLXXXII. D i e Nacht hieß uns schlaffen / und in etwas ruhiger / als bißher geschehen / da wir immer auf den morgenden Tag zu sorgen hatten / wo wir Unterhalt hernehmen wolten. Wie werth nun diese unkeusche LAIS ihren Eheman in der That hielte / das erfuhren wir bey dem anbrechenden Morgen. Denn als TAMIRO, welcher Gebrauch hatte mit grauenden Himmel aufzustehen / sich auff den Gang stellete / und die lange schlafflose weile

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mit Umbsehen in Hause v e r - ( J 7 7 ) t h u n wolte / sähe er den Herrn Haußwirth dort an dem Miste auf dem Rucken liegen / welcher die gantze Mahlzeit / so er Abends zu sich genommen / wiederumb in die Luft gespiehen: wovon die herumbfliegenden Brocken wiederumb in sein Antlitz zurücke herabgefallen / daß man alle genossene Gerichte daraus zu erkennen hatte. U m b diesen herumb stunden über dreysig Stuck hungrige Endten / welche über ihn herlieffen und die Bissen mit lustreizenden Appetit Ihm aus dem Barthe schnatterten. Der noch halb volle Mann lag in tieffen Schlaffe / fühlete aber gleichwol die Beschwerung von denen Endten. Dannenhero er im Schlaf mit offterer Wiederholung sagte: „sacht! sacht! Herr Bartholomaus! schneidet mich nicht / schneidet mich nicht." Er vermeinte / der Balbirer war über seinem Bart her.

CAP. CLXXXIII. W I r fragten / warumb man denn einen trunckenen Menschen nicht besser in acht zunehmen pflege. Der Haußknecht gab die Nachricht / daß es seine Gewohnheit also mit sich bringe. Denn so offt er sich (312) betruncken hatte / legte er sich in die kühle Lufft / weil er gar hitziger VEXATION ware. Ich glaube gar wol VEXATION, wann eines guten Mannes Weib einem Schaff=Reckel nachlaufft. Unsere Companen stunden indes auf / und sahen des Wirths treckichtes Bette mit frischer Verwunderung an: gleichwol lachte ein ieder über die neue Art Schermesser / welchen Nahmen die Endten Schnabel so lange über sich nehmen musten. Wir stunden wenige Zeit beysammen / und trugen diese Art Maulaffen / welche untreuen Weibern allzuviel trauen / mit nüchterner Dinten ein. Das nechste darauf war unsere RESOLUTION, ZU bezahlen / und den Morgen noch fort zu ziehen. Der Vorsatz zwar war gut genug: alleine der Ausgang bezeugte / daß er an unser Vorhaben nicht gebunden sey. Denn erstlich suchte die Fr. Stadtschultzen DION NYSI heimlich und öffentlich mit allerhand Beredungen dahin zu nothigen / daß er nechst uns selbigen Tag noch bey Ihr im Gasthofe verharren solte. Zur Ursache brauchte Sie: Ihr Herre hatte selbigen Tag einen Gerichtstag / und käme gar nicht nach Hause. Vors (313) andere / da wir uns gleich von dieser SEMPRONIA loß machten / und nach geschehener Bezahlung fort giengen / so hielte uns dennoch der schone Lustgarten / welcher vor NORBONELLA ZU sehen war / einen gantzen halben Tag von der Reise ab. Ich mag nicht sagen / daß wir in demselben gar auff die Gedancken gebracht wurden / an dem Orte noch lange zuverharren.

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CAP. CLXXXIV. I N dem Lust-Garten ließ sich ein sehr stoltzer Gartner von uns antreffen / welcher aus unmäßiger Hoffart uns fast nicht würdigte eine Blume zu zeigen. Und weil wir nun bey dem Kerlen einen ungewöhnlichen Hochmuth merckten / wolten wir ihn auch nicht anreden. Ein Garten=Qvartier stund offen / in dasselbe giengen wir unerbeten / in welchen sich auch ein Negelstock PRAESENTiRte / auff welchen viererley Art Negeln blüheten / indem wir uns nun darüber verwunderten / und unter uns selbst bejaheten / daß wir dergleichen noch nie gesehen; gefiehl es dem alten Gartner so gar / daß er eine Lust bekam / uns zu antworten / und folgends ausfuhrlich mit uns zureden. {314) Er hatte gehöret / daß wir umb die Ursache bekümmert waren / und woher es doch käme / daß so mancherley Farben aus einer Wurtzel hervor blüheten. Darumb antwortete er: „Diese Ursache will ich sagen: nehmlich / es steckt so in der Natur." Gewiß eine schone D E M O N S T R A T I O N , welche einen begierigen Naturkündiger zulängliche SATISFACTION thut. Wir fragten ferner / warumb die Pomerantzen nicht zu Norbonella so reiff würden / als wie in Italien. Er war willig zur Antwort / und sagte: „Das will ich euch auch sagen: Es hat die Art also." In Summa wir fragten / was wir wolten / so s t a c k es in der N a t u r / u n d hat die A r t a l s o ; und der arme Stümper rühmete doch / daß unter hundert Gärtnern nicht einer würde gefunden werden / welcher alle Garten-Fragen so ausführlich und grundlich beantworten konte.

(315)

Cap. CLXXXV.

X R a u n wir stutzten / und kunten darinnen fast nicht einig werden / ob wir den Mann unter die Politischen Maulaffen / oder unter die Einfaltigen setzen solten. Denn blosser Dinge der Leuten Einfalt zu bemercken / war nicht bey uns zu CONSIDERATION kommen. Jedoch / weil er mit Prallerey fortfuhr / wurden wir schlüßig / Ihn an dem Rande der Maulaffen-Matricul mit wenig Zeilen zubemercken. Unterdessen kam ein Kerle zum Garten eingetreten / von mittelmäßiger STATUR, in einem Sammet=Peltz mit silbern Knöpffen / in einer gelben Paruqve / den Hut unter dem Arme tragend / aus dessen Gange man mehr Thorheit / als Verstand schlüssen konte. Die Augen brachte er nicht von Füssen / denn er gedachte / kein Mensch auff dem Erdboden / ja keine Bachsteltze / könte dieselben so zierlich setzen / als Er. Wann er nach dem Hute grieff / so krümmete Er die Arme so wunderlich / als wann er gebrechlich wire. Und dieses alles aus Beliebung einer S i N G U L A R i t l t . Wer hatte nun nicht nach des seltzamen

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Kerles seinen Zustande fragen sollen? Wir wurden b e - ( 3 / 6 ) r i c h t e t / daß er ein junger MEDICUS sey: welcher fast in sechs Wochen zu PADUA gewesen / und seinem Vorgeben nach / allda DOCTOR worden. Dannenhero er auch nun die PRAECEDENS über alle gelehrte Leute suche / und deswegen allezeit alleine zu spatziren pflegte / weil er keinen Menschen über sich gehend leiden könne. Immassen er denn einen grossen Unterscheid zu Rathhause eingegeben / zwischen einem gewissen uiid ungewissen DOCTOR, und dabey ausdrucklich behaupten wollen / daß ein junger DOCTOR aus Italien einen alten teutschen DOCTORI allerdinges vorzuziehen sey. J a der Mensch war in Ehrgeitz so blind / daß er einem Rechtsgelehrten DOCTORI, welcher von seinem RESPECTE auch wenig zuvergeben pflegte / vorgehen wolte. Weswegen er auch mit diesem einen langen Proceß fuhrete / welchen man vielleicht mit des Sinnreichen OWENI seinem Verse auffheben k ö n n e n : L i s FUIT, AN MEDICUS PRAEEAT, LITISVE PATRONUS? M O R I O AIT: PRAEEAT FUR, PUTO,

CARNIFICI.

(317) Diese Nachricht ACCORDiRte mit dem G a n g e : zumal die Hände sonst nichts zuthun hatten / als die Zopffe von der Paruqve / gleichwie der Esel der Stadt-Schultze bald hinter / bald vorzuwerffen. TAMIRO war etwas kurtzweilig / und fragte / wo er seinen G O t t e s - A c k e r habe. Der Gartner verstund ihn noch nicht / sondern antwortete / das wisse G O T T am besten / wo er diesen jungen Kerlen würde sterben lassen.

CAP. CLXXXVI. PHILURT erklarete dem Gartner die Frage besser / und sagte / daß TAMIRO nach dem GOttes-Acker gefraget / wo dieser ohnbartige AESCULAPIUS seine Patienten hinbegraben ließ. „Ja s o ! " versetzte der Girtner / „es ist ihm noch kein Patient gestorben: D e n n " / setzte er hinzu / „es hat ihn noch Niemand gebrauchet als etzliche junge Weiber / welchen die Männer biß weilen zu lange über Feld geblieben." DION NYSI schertzte / da der Italianische DOCTOR naher zu uns kam / und sagte / daß er diesen Kerlen in seinen unPROPORTiONiRten Haren / mit einem DUODEZ-Füxgen / das ist / (318) mit einem Eichhorne vergleichen müsse / welches aus einem Wickel«Werck heraus schauete. PHILURT aber war begierig zu erfahren / wie doch seine cuRen bey jungen Weibern angeschlagen / fragte derowegen bey dem Gärtner noch genauer zu. TAMIRO fiel diesem ins Wort / und wolte wissen / was er doch so frühe im Garten mache? Der Gärtner ließ dieses auch nicht unbeantwortet / sondern sagte / daß er alle

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Morgen eine Stunde zu Ihm komme und Krauter von Ihm kennen lernete. Und zwar habe er einen solchen CONTRACT gemachet / daß der MEDICUS Ihm und seinem Weibe alle PURGATIONES umbsonst ordne / er hingegen lerne Ihm taglich drey gewisse Krauter davor kennen: massen er denn auch schon ziemliche Wissenschafft von ihm weg getragen / indem er heute allbereit mit Ihm die Salbey / Eiternesseln und Beyfuß vornehmen würde. PHILURT wiederholete seine Frage / in denen Weiber=Curen INFORMiret zu werden. Der alte Hund der Gärtner antwortete diesem lieber / als jenem / und konte vor lachen nicht genug erzählen / was der hochmuthige auffgeblasene junge MEDICUS bißher zwischen Ehegatten mit seinen (319) üppichen RECEPten / vor Unfrieden angerichtet. Weil er solche PATiENten nicht eher als in der Manner Abwesenheit besuchen wolte.

CAP. CLXXXVII. D E r Kerle hatte / halt ich dafür / sein meist S T U D I U M darauff geleget / wie er einen guten Puder / einen wolriechenden Balsam / Zibet-Küchlein / und dergleichen Wollüstige Sachen zubereiten möge. Denn man konte dergleichen Geruch von Ihm fast über die Halffte des Gartens empfinden. Ein Bedienter des Gartners sagte gar / daß er seine Patienten / wann es junge Weiber waren / selbst in Person des Nachts zubewachen suchte: massen er dann bey denenselben iederzeit hochstgefahrliche SYMPTOMATA vorgegeben / welchen mit des M E D I C I Gegenwart nothwendig müsse vorgebauet werden. Ein anderer dabey stehender wolte gar behaupten / daß er sich auff solche MEDICAMENTA befleißige / wodurch er die Leute in sich verliebt machen wolte. Ich setze den Fall / es sey wahr oder nicht / so siehet man doch / daß hoffartige in thorichte Versuchungen fallen / und der Welt zur Fabel (320) werden müssen. Das aber ist gewiß / wie wir hernach von unterschiedlichen Personen uns versichern Hessen / daß er bey etzlichen jungen Eheweibern unterschiedliche bose Werbungen gethan / und durch ausgedachte Beredungen Sie zu unbilligen Willfertigkeiten verleiten wollen.

CAP. CLXXXVIII. ENdlich hatten wir das Glück / daß dieser junge P O D A L I R uns naher kam / und unsern Gruß mit einem gelinden Hutgriffe würdigte. Ewiger G O t t ! was erhub sich da vor ein Auffschneiden an / von seiner Gelehrsamkeit und grossen Verdienst ? Alle Jahr / sagte Er / trage ihm seine PRAXIS mehr

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als achthundert Thaler ein / ohne das Silbergeschirre / welches Ihm über sein erheischtes SOSTRUM verehret würde. Weit und ferne waren Ihm Fürstliche Leib=Curen angetragen / woferne er sich iemanden unterw ü r f i g machen wolte. Seine PRAECEPTORES verachtete er mit gar hohnischen Mienen / und derselben bewahrte Artzneyen / hieß er Schmiererey. Er berühmte sich / daß er neulich nur einer Frauen (321) Wasser besehen / welche die Treppen herunter gefallen; derselben habe er auffs genaueste daraus gesagt / wie viel Stuffen sie gefallen ware. Item er könne aus dem Wasser sehen / welchen Tag und Stunde ein Mensche geboren. J a es erschienen ihm alle Planeten im Urin=Glase / er wolte in eines ieglichen Menschen Urin sehen / ob sein Vater und Mutter noch lebe / und wie alt iedwedes seiner Kindes=Kinder werden werde. Ferner sagte er / er könne einen Balsam machen / damit er todte auffwecken wolte / wenn er sich nicht vor dem Neide scheuete. Abermal schnitte er auff / er hatte einen SPIRITUM ZU wege gebracht / mit welchen er vielmahls gut gemacht / was die ältesten erfahrensten MEDICI verderbet hatten. APOPLEXIA und EPILEPSIA waren ihm Kinderpossen / die könne er mit SIMPLICIBUS cuRiren. Item er hätte Krauter mit aus Italien gebracht / welche kein MEDICUS in Teutschland gesehen / und welche auch noch von keinen Italiäner wären OBSERViret worden. Dannenhero er auch so viel zuthun / daß er offt in drey Tagen keinen Bissen essen konte. In Summa / es fehle ihm nichts / als nur eins. DION NYSI fiel ihm ins (322) Wort und vermeinete: ein junges schönes Weib. „ A c h ! " sagte er / „nein: daran fehlet es nicht / derer wolte ich in dieser Stadt auff einen Tag hundert erhalten. Denn ich stehe selten einen Morgen auff / daß ich nicht zehn / zwolff Brieffe der vornehmsten Jungfern allhier auff dem Tische finde; deren iegliche zehn / zwantzig und mehr tausend Thaler in Vermögen hat / welche alle umb meine Liebe mit beweglichen Schrifften ansuchen." DION NYSI fragte / woran es ihm denn fehle / er antwortete: Dieses einige verlange er / daß er nur in einer grossem Gasse wohnen mochte / in welcher die Carossen / so öfters zu zwantzigen vor seiner Thür hielten / und ihn zu Patienten abholen solten / einander besser ausweichen konten / indem er nicht selten den Verdruß haben müsse / daß umb des Ausweichens willen die Kutscher einander vor der Thür herumb schlügen / daß seine drey Chirurgi / so er im Hause auff seine Kosten hielte / genugsam zu verbinden. Er fuhr weiter fort; daß er manche Messe mehr als 200. Thaler vor U - ( 3 2 3 ) r i n lose. PHILURT beantwortete dieses fein hohnisch / und fragte wo er denn sein Gewölbe hätte / dergleichen er noch auff keiner Messe gesehen. Der Auffschneidende MEDICUS sagte / daß er die Bezahlung nur davor von Messe zu Messe einzuheben habe. Den vielen Urin aber / welcher Ihm auff 60. Meilen herumb zu besichtigen geschicket würde / den ließe er alle vier Wochen zusammen in grosse dazu gemachte Β ottige schlagen: und

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alsdenn kirnen etzliche Salpeter-Sieder / welche nun lange Zeit schon mit ihm gehandelt; dieselben führeten den Urin Fuder weise ab.

CAP. CLXXXIX. H A e t t e dieser Kerl das curiren so wol als das Lügen verstanden / wahrhafftig / wir hatten etzliche Pulver von ihm mit genommen. Sonst sollen sich die Lügen in einander schicken wie die Schachtelfutter / woferne Sie bey denen Zuhörern Glauben finden sollen. Alleine dieser Thüringische Italianer hatte zuvor die Summa seiner Einnahme auf 800. Thaler gesetzt: und gleichwol überstiege er sich in Discurse / daß er von Urinverkauf nur alleine so viel einzunehmen. (324) Nunmehr suchte er wieder von uns zu seyn: weil er sähe / daß der Bartholomaus der Gartner in seiner KrauterSchule nichts vornehmen kunte. Derowegen sagte er: er müste Abschied nehmen / dann wann er nicht bey Zeiten gienge / ehe die Glocken acht mahl geschlagen hatte / so müste er sich nachmalß durch die / in und vor dem Hause aufwartenden Leute und Patienten Boten durchdringen / und die Spitzen und Lumperellen von Sammetpeltze reissen. Diese Lügen war auch krafftig genug zum Beschlüsse. Und damit scheidete er von uns. PHILURT sagte / man solte die d r e y E r t z l ü g n e r wieder auflegen / und diesen Kerlen fornen bringen; dem Buche aber hernach einen andern Nahmen geben / und die v i e r E r t z l ü g n e r nennen.

CAP. CXC. G L e i c h w o l kunte er unter denen Maulaffen auch stehen und etzliche Blatter erfüllen. Nach diesen sagte uns der Gärtner viel ein anders / nemlich / daß er / so lange er zu NORBONELLA PRACTICIRET, mehr nicht alß zwene Patienten gehabt / welche ihm aber das Artzlohn alle beyde mit dem Leben (325) bezahlen müssen. Item / er habe nicht das allergeringste in Curen zu thun / sondern bringe den gantzen Tag mit Haarkammen / Kleider auskehren / Pudern / Arm und Angesicht schmincken und der gleichen Narrischen Eitelkeiten zu. Alles Frauenzimmer der Stadt hielte ihn seiner Hoffart wegen vor einen Thoren: alle Leute waren ihm wegen seines unerhörten Ubermuths feind. Und dieses befunden wir auch nachmalß also. Denn wo wir in ein Haus kamen / da ein Frauenzimmer anzutreffen / da hatt er einen sonderbaren Spott-Nahmen. Und wer an Fenster stund und ihn auf der Gasse sähe gehen (eher möchte ich tantzen

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sagen) der rieff alle im Hause / hinnaus zu sehen; als wann ein Wunderneu vorüber getragen würde. Diese Auffsicht nur war ihm nicht verborgen: Diese Einbildung aber war die Peste an seinem Halse / daß / wann er viel Köpffe an Fenstern merckte / welche nach seinen narrischen ungezaumten Geberden sahen / er dachte / alles Nachsehen geschehe aus Verwunderung seines Italianischen Ganges / schöner Kleider / neuer Paruque; an meisten aber des schönen Antlitzes. (326)

CAP.

CXCI.

G E w i ß ist / daß kein Hengst auf der Schule / kein Hahn / wann er über Eyer gehet / und kein Kurtzweiliger beym Ballet die Füsse so hoch aufhebet / und nach dem Music-Tact wieder niedersetzet / alß dieser gereisete Leibartzt. Wann ein Strohalmen in Wege lag / so sprang er darüber / wie IRUS N I L L H O R N I U S : welches er auch bey allen Gassen und in Wege liegenden Steinen in acht nahm.

Cap.

CXCII.

N i c h t s verdreust mich so auf den Esel / alß daß er sich seines armen Vaters schamete / welcher ein ehrlicher Topffer in Thüringen war. Da doch der Lumpenhund das Handwerck selbst in Geheim PRACTICIRTE, wann er denen jungen Weibern Kacheln anbot. Er gab sich auch vor einen Mahler aus; welche Kunst er zu Venedig wolte erlernet haben. Und da ihn der Gartner umb etzliche Blumen zur Probe abzumahlen gebeten / entschuldigte er sich: man pflege in Italien / damit die Kunst recht (327) hoch steigen möge / sich nur in einem Stücke zu befleissigen / selbiges desto schöner herauß zu bringen. Er mochte vielleicht davon gehöret haben / daß so wol in Franckreich als Italien / wie auch zum Theil in Holland unterschiedliche Mahler gefunden werden / welche ihre gantze Lebenszeit auf genaue CONTRAFACTUR eines blossen Daumens / eines Auges / einer Hand und dergleichen spendiren. Dannenhero gab er ein solches Gemahlde vor / dessen er sich befliessen / dazu das Muster nicht gar leichtlich zu erhalten. Denn er sagte: er habe sich nur auf nackende Weibesbilder geleget. Ich glaube es gar wol / sintemal er auch dergleichen in N O R B O N E L L A ZU thun suchte. Dieser Art Mahler es auch allenthalben gar viel giebet: welche aber das CONTRAFAIT nur in der Verjüngung heraußbringen / biß es hernachmalß die Zeit selbst vergrossert / und dem P R O T O T Y P O ähnlich machet. Kurtz aus der Historie zu kommen: Dieser

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Kerle war wie NARCISSUS, welchen Eigenliebe zum Thoren / und der Hochmuth zum Narren gemachet hatte. Dergleichen Salomon an unterschiedenen Orten deutlich genug abgemahlet.

(328)

CAP. CXCIII.

j E m e h r wir uns in NORBONELLA umbsahen / ie besser uns der Ort und dessen Gewohnheit gefiel. In welcher Betrachtung wir dann MÖNS. DION NYSI ersuchten / er mochte uns das Glück geniessen lassen / und mit uns den empfangenen Wechsel an hundert Thalern zu NORBONELLA auf der Universität verzehren. Wir wolten fein genau leben / und mit massigen Speiß und Tranck uns auf der Stube vergnügen lassen. Denn hierdurch erlangeten wir doch so viel / daß wir uns des Universität-Lebens / gleichwie Er / rühmen konten. Durch unsere lustige Compagnie war er leicht dahin zubereden: massen wir denn auch bey zukommenden besten Glück ihm den Vorschub wiederumb gut zu machen / ehrlich verhiessen. Wir giengen von Stund an hin / und bezogen alle viere eine Stuben. Das Glück gonnete uns einen Wirth / welches ein Gelehrter und zugleich lustiger Mann war. Diesem gefielen unsere Collegialische Lustigkeiten so wol / daß er uns offters auf unserer Stuben besuchte / und letzlichen / nicht (329) nur eine bessere Stube vor den ersten Preiß / welche seiner Studir=Stuben naher war / einräumete; sondern uns auch endlich gar umb ein geringer Geld als unsere mühselige Beköstigung erforderte / an seinem Tisch nahm. Den einigen Mangel hatte er an sich / daß er unaussprechlich gegen sein Weib eiffersichtig war. Nach Tische muste Sie mit ihm auf seine Studir=Stuben in ihr Cabinet gehen und aus demselben ohne seine Gegenwart keinen Fuß setzen: ja Sie muste auch in geheimbde Winckel seine Gefertin seyn.

Cap. CXCIV. G A r zu scharff macht schartig; und ein allzu kurtzer Zügel macht das Pferd unbendig. Es wüste dieser vornehme Mann seinen Weibe nichts nachzusagen: alleine anderer Leute öffentliche Exempel der heimlich gebrochenen Ehe stürtzte Ihn in eine solche Eiffersucht. Er hätte in grossen Aemtern und Ehren leben können / wann er solche nicht darumb abgeschlagen / weil er befürchtete / bey vorfallenden Reysen sein Weib alleine zulassen. Nichts destoweniger aber lebete er ohne Kinder / und brachte mit diesen (330) Verlangen manche Stunde hin. Andere Leute hielten

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davor / es habe Ihn die Natur / Kinder zu zeigen / verlassen; und dannenhero suchte er mit so grossen Sorgen / der Beschwerung / frembde Kinder zu ernehren / überhoben zu seyn. Gewiß ists / er sorgte hiewider rechtschaffen. Denn er begleitete auch die Frau zur Kirchen. Unterdessen pflantzte die Gewohnheit über Tische bey dem Weibe und bey MÖNS. D I O N N Y S I e i n e r l e y G e d a n c k e n e i n . D a s ist M Ö N S . D I O N N Y S I v e r l i e b t e

sich in die Frau / die Frau gegentheils wiederumb in Ihn. Aber wie zu rathen ? Wenn in einander entbrandte Leute kein W o r t mit einander reden / ich geschweige / den geringsten Liebeshandel ausführen können. Aber wer will den Abgrund eines Weibes erschopffen / nach dem Liebe und Betrug bey Ihnen aus einen Brunnen qvellen.

CAP. CXCV. U N t e r dem Schein ihrer Haußrechnung mochte die verliebte Frau in ihren Cabinet einen Brieff an MÖNS. DION NYSI geschrieben haben / welchen Sie folgende Malzeit demselben unter einen Stücke Brodte ( 3 3 1 ) gantz unvermerckt mit zuschöbe. In welchen Sie ihre Verwundung dem DION NYSI erofnete. Diesem kam der Brieff eben zu rechter Zeit. Denn er gieng mit gleichmassigen Gedancken umb. E r antwortete geschwind / und beklagte ihre Pfeile. Er setzte dabey eine hertzbrechende Bitte / nur die geringste Gelegenheit zu fordern / bey welcher er seine Glut auslassen könte. Und diesen Brieff steckte er in der Frauen R o c k / welcher hinter dem Ofen hieng / und zu ihren Ausgangen aufwarten muste. Das Weib saß etzliche Mahlzeiten über / gantz tiefsinnig / ohne zweiffei zogen die Gedancken auf ihren Grentzen herumb / eine List zu erfinden / vermittelst welcher die Sehnsüchtigen Hertzen durch eine Unterredung konten gestillet werden. Den Sonnabend bey der Mittags Mahlzeit fand DION NYSI unter seinen Teller einen Brieff / welcher ihm eine erfreuliche Nachricht zu einer gantz nahen Zusammenkunfft eröffnete. Das Weib verhieß ihm morgenden Sontag mit angehender Predigt draussen vor dem T h o r in ihrem Garten zu seyn: Jedoch länger nicht als eine Stunde. Diesen Abend aber nach Tische solte er von ihrem Herrn den Gar-(332)ten=Schlüssel bitten und mit Vorgeben / morgen früh / nach der Predigt vor Tische ein wenig spatziren zugehen. Und nachdem erhalten / solte er solchen auf die dritte Stuffen der Bodentreppen legen; woselbst Sie solchen finden / und morgenden Sontag / früh umb acht U h r im Garten sich gewiß wolte finden lassen.

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CAP. CXCVL D l ON NYSI, welcher wohl wüste / daß uns alles zu vertrauen war / gab uns hiervon Nachricht / iedoch daß wir Krafft unserer Vertrauligkeit nichts mercken Hessen. D e r Frauen aber antwortete er selbigen Abend mit gehorsamer That / indem Er / als wir von Tische wieder auffstunden / in unser aller und der Frauen Beyseyn / von dem H n . Tischwirth mit lauter Stimme den Garten-Schlüssel forderte / welchen er auch mit allen guten Willen von Ihm erhielte. Ich und PHILURT verlangten nur einen O r t / wo wir den Herrn Tischwirth mit seiner Liebsten nach der Kirchen gehen / und sie sich von Ihm abschleichen sehen konten. Diesen funden wir nun bey dem Glockenlauter auff (333) dem Kirchhofe / bey welchen wir in Geheim ein AQVA VITAE einnahmen / und unter demselben Vorwand erhielten / was wir suchten. Indem kamen Sie beyde gegangen; als Sie nun fast an die Kirchthür waren / wo Sie eingehen solte / entbloste der Mann etwas massig sein Haupt / den Abschied damit zu bedeuten / und wandelte umb den Eckpfeiler herumb / durch seine Thür in die Kirche einzugehen. Indessen bliebe das kluge Weib etwas bestehend / griff in die Ficken / und suchte / als wann Sie den Stul-Schlüssel / oder einen Pfennig in Klinge= Sack vergessen. Sie kehrete in der Gestalt einer erschrockenen wieder umb / und nachdem die Leute schon fast alle sich verlauffen / und der Priester allbereit auf der Cantzel stund (denn zu dem Ende hatte Sie zu Hause vorsetzlich sich und ihren Mann auffgehalten) nahm Sie ihren March hinter der Kirche weg / immer nach dem Thore zu.

(334)

CAP. CXCVII.

Ö E n n der Sie zu erwarten gedachte / war schon zugegen / und über die Wand gestiegen. Und ietzt fiengen diese Liebhaber nun an / das erste Wort mit einander zu reden. Ich muß mich verwundern / daß diese beyde Verliebte so geschwind gegen einander vertraut wurden / als wann Sie schon vielmahl an dem Orte beysammen gewesen waren. Sie scheueten endlich die Strahlen der Sonnen / und verborgen sich ins Lusthauß / daß ich Sie beyde in einer guten halben Stunden nicht konte zu sehen bekommen. Dort stack ich im Haselgebusche / wohin ich mich vor Morgens noch verborgen hatte / diese bevorstehende kurtze Comodie / welche gar offt gespielet / und dennoch immer gerne gesehen wird / desto gewisser mit anzusehen. Die Zeit / wie bey Liebhabern zu geschehen pfleget / mochte ihnen zu kurtz werden / daß Sie auch die U h r nicht einmal neune abschlagen hören. Der Liebhabenden gröstes Unglück bestund in der Sicher-

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heit / daß Sie nicht wüsten / daß der Herr nur vor wenig Tagen noch einen (335) Schlüssel zur Garthenthür machen lassen aus der Beysorge; im Fall einer verlohren / dennoch der andere bedient seyn könne.

CAP. CXCVIII. D i e Predigt war geschlossen / und hatte sich unser Herr Tischwirth denselben Morgen schon vorgenommen / MÖNS. DION NYSI kurtz nach der Predigt / mit einer kleinen Bewegung / in Garten Gesellschafft zu leisten. Zu welchen Absehen er denn auch den andern Schlüssel zu sich genommen. Er war mit dem Prediger von der Cantzel zugleich aus der Kirche gegangen und stund nunmehr vor der Gartenthür / und langte den Schlüssel auß dem Schiebsacke. Ich war voll Angst und wüste nicht / was mir zu thun. Ich stund in den Gedancken / die Verliebten wären gar eingeschlaffen / welche ich aber von Grund meiner Seelen gerne gerettet wissen wolte. Indem ich mich erhub / ihnen mit verschlossenen Augen die Ankunfft ihres Liebstorers zu verkündigen / ofnete Jener die Thür und stund im Garten. Dieses empfunden die Liebenden noch nicht. Und hatte der Wind die Gartenthür nicht mit einen starcken Schlage (336) hinter ihm wieder zu geschlossen / so ware dieser VULCANUS dem MARTI und seiner VENERI über den Halß kommen / und hatte Sie bey andern sitzend oder liegend angetroffen. So aber / so bald der Thürschlag geschehen / richteten Sie beyde die Kopffe in dem Lusthaußlein in die Hohe / und sahen da mit Schrecken die Ankunfft dessen / welchen Sie allein zu fürchten hatten. Nun war in dem Lusthause an kein Verbergen zu dencken / massen es kein Fach noch Boden hatte / sondern nur wider den Regen in Form eines Nothstalles vor der Schmiede / welcher von unten her etwa zwo Ellen hoch mit Breten verschlagen / dahin gesetzet. Da war Lachen zu verbeissen / allwo sich solche schlechte Freuden in ein Blutstillendes Schrecken verwandelten.

Cap. CXCIX. W E l c h e r Mensch hatte dencken sollen / daß bey dieser Noth und in solchen Schrecken / wo alle Hoffnung schon begraben / noch ein einiger Rath übrig sey? Ich muß mich verwundern über des DION NYSI fertiges Gemüth / welches weder in der Furcht verzagte / noch in einer geschickten (337) Erfindung ermangelte. Der Herr Tisch=Wirth gieng gerades Fusses

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auff das Lust=Haußlein loß / Gewohnheit nach seinen Mantel allda abzulegen / und ein wenig im Garten / welchen man gantz ubersehen kunte / herumb zu spatziren. Also war nun langer nicht zu warten. DION NYSI gieng aus dem Lust=Hause hervor / seinem Tischwirth alsobald entgegen / und redete Ihn also an: „Ihr EXCELLENS vergeben / daß Sie mich über verbotenen Dingen antreffen. Ich muß mich gegen Sie / nicht aber wider Sie beklagen / und sagen / daß das Glück mein Feind / als welches bey mir das jenige stracks entdecket / was ich itzo zum erstenmal begangen; Andere hingegen aber die Zeit ihres Lebens ein Handwerck draus machen. Denn da ich gleich itzo hier vor den Garten kam / begegnete mir eine frembde Weibes=Person / welche über Land kam / und vielleicht PROFESSION von Liebe macht; die ließ ich mich verleiten / herein in Garten und dahin ins Lusthauß mit zu nehmen / allwo ich Vorhabens bin / auff des MEDICI gegebenes CONSILIUM, (338) und meiner Gesundheit zum besten / PURGATIONES RENUM anzustellen. I c h bitte / I h r e EXCELLENS verzeihen

doch diesem meinem Falle / und verschweigen solches / damit nicht mein ehrlich Gerichte / im Fall / daß es auskäme / einen Schaden leiden möge."

CAP. C C . „ N u / nu! " antwortete der Herr Tischwirth / er kehrete sich auch alsobald wieder umb und sagte: „Ich will ihn nicht darinnen verhinderlich seyn: ich weiß schon / wie es bey ledigen jungen Kerlen offt herzugehen pfleget. Er komme nur bald zu Tische." Der kluge DION NYSI gieng hinter Ihm an / und URGIRTE nochmahls zum Schein die Verschwiegenheit. Er / unser Herr Tischwirth / betheurete / daß ers niemanden sagen wolte: und bat noch dazu ihn mit solchen Gedancken zuverschonen. Und hiemit gieng er fort / und hieß DION NYSI seinen frembden Gast abwarten. Dieser Schloß die Thür hinter ihm zu / gieng hin zu seiner Gespielin / (339) und erzahlete mit Freuden / wie er den klugen Mann ware loß worden / darauf Hessen sie sich beyde abermal auff eine kurtze Weile hinter die Bret=Plancke an Lust=Hause nieder / vielleicht auff das Schrecken sich in etwas wiederumb zuerholen: und alsdenn scheideten Sie mit vielen Küssen von einander / Sie durch die Thür des Gartens; DION NYSI aber über einen Zaun. Welchen ich dann alsbald folgte / und ihn nachmahls zu Tische begleitete. Wir setzten uns nieder zu essen / unser Herr Tischwirth lächelte stets / munderte uns auch an / Ihm dem DION NYSI die Tischkannen zubringen / umb einer Ursachen willen / die er alleine vor sich behielte / und niemand sagte. DION NYSI stellete sich / als wann ihm dieser MOTUS noch so leid wäre / und bat ferner / es ja nicht zu eroffnen.

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Der Tisch-Wirth VEXiRte fort / und sagte / wann er es gleich denen übrigen Herrn Tisch-Pursehen vertrauete / bliebe es doch unter uns / und wir wiren ja gute Freunde zusammen. D I O N N Y S I erinnerte Ihn der versprochenen Verschwiegenheit / mit nochmahliger Bitte / die Ursache der Tisch=Kannen bey sich zubehalten. Der (340) Tischwirth ExciPiRte / so würde ers ja nur seinem Weibgen sagen dürffen / als welche es Niemanden vertrauen würde. Da wolte D I O N N Y S I gar auffstehen / und sagte; wann die es wüste / so wolte er gleich davon gehen und sein Lebtage nicht wieder zu Tische kommen. Denn diese würde Ihn viel zu sehr damit höhnen. Der Herr Tischwirth nothigte Ihn nur zubleiben / und verhieß / daß ers auch seinem Weibe nicht sagen wolte.

CAP.

CCI.

D A S Weib war listiger als eine Schlange. Sie folgete nach Tische dem Manne auff dem Fuße nach / und ohnerachtet Sie des Verbrechens Mitgehülffin gewesen / so angstete Sie doch den Mann so lange / biß er ihr allen Verlauff im Garten erzahlete. Also kan. die List mit Scheine sich bekleiden / und die vor Augen schwebenden Laster unerkentlich machen. Es wüste dieses Weib nachmalß / mit grosser Belustigung ihres Mannes / den D I O N N Y S I SO zu schrauben; ja einsten mit aller Ernsthafftigkeit eine C O R R E C T I O N vor aus- (341) geübte Üppigkeit zu geben / als wann Sie in unverletzter Reinigkeit ihren Gewissen immerdar gedienet hatte.

CAP. C C I I . S O viel Kopffe in der Welt zu finden; so viel Arten des Gemüths seynd auch in denenselbigen zuzahlen. Jener der Stadtschultze und Gastwirth ließ seinem frechen Weibe die Zügel allzuweit schiessen; und trauete dem unzüchtigen Balge gar zu viel Ehre und Keuschheit zu. Dieser vornehme gelehrte Mann aber war in der Aufsicht zu scharff / und wurden doch alle beyde betrogen. Jenen überwältigte der Glaube. Diesen aber das Vertrauen zu seiner Scharffsichtigkeit / welches er offt auf Gastereyen zuerkennen gab / wann er sagte / daß ihn kein Weib betrügen solte / sie mochte auch so klug seyn / als Sie immer wolte.

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CAP.

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CCIII.

I N unser Register kunten wir diesen Gelehrten und sonst klugen Mann nicht setzen: weiln seine Tugend dieser geringen Einbildung weit weit uberlegen. Derowegen lerneten wir nur im Gemüth / daß kein Weib zu hüten / man fange es auch an / wie man wolle / wann es nicht selbst das Gefäß ihrer Schamhafftigkeit und Keuschheit verwahren will.

Cap.

CCIV.

iNzwischen wolte unser Geld dünne werden / und hatten wir Ursache schon ans Wegziehen zu dencken. Es fugte sich aber das Glück / daß unser ehrlicher und guthertziger Tischwirth einen Tag vor unserer Abreise von dem Schlag gerühret / und also plötzlich zum Grabe befördert wurde. Dieses machte uns wartend. Denn DION NYSI hatte die Hoffnung durch diesen Fall erst recht aufzustehen und sein zeitlich Glück zu erjagen. Wie er glaubte / so geschähe. Denn in kurtzen traf er mit der jungen Witben in Geheim ein Verlobnüs / welches (343) dreyßig Wochen nach des Mannes Todte öffentlich vollzogen / und Ihm dadurch alle Habe verlassener grossen Güter zugewendet wurde. Wir genossen seines Gutes mit / indem er uns ein gantzes Jahr mit Darreichung aller Nothdurfft Kost frey hielte. Wir auf unserer Seiten erkenneten dieses Glücke mit aller Ehrerbietung und fiengen nun an / unsers Studirens warzunehmen. Massen wir es denn mit unverruckten Fleisse dieses gantze Jahr dahin brachten / daß TAMIRO mit guten Gewissen ohne vergüldete Hände umb einen Pfarrdienst ansuchen kunte. PHILURT wurd Anwalt im Universität Consistorio. Ich aber lebte nachmalß auf mein Väterliches Erbe. Und waren alle viere von Hertzen vergnüget. Die Erkundigung der Politischen Maulaffen hatte uns den Verstand dermassen erleuchtet / daß ein ieglicher in seiner Verrichtung durch Prüfung der Leute so glücklich war daß alle Geschaffte umb die Halffte der Zeit eher eine glückliche Endschaft erreicheten / alß anderer / welche zwar gelehrt genug / aber nicht durch die Welt erfahren genug waren. Man schätzt freylich die j e - ( J 4 4 ) n i g e n hoher / welche in der Welt sich umbgesehen / und ist gewiß / daß die Gelehrtesten berühmtesten Leute sich endlich durch einen Umbzug in der Welt erst recht vollkommen gemacht haben. Was ist aber mehr in der Welt zubesehen alß die vielerley Arten des Regiments und die offt wider einander lauffenden Sitten der Menschen? Und wer diese nicht erkennet / und sich an dem blossen Anschauen eines Grabmals oder einer Ehren=Seule vergnüget / der rühme sich nicht daß er die Welt gesehen.

Politischer CAP.

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C C V .

ALSO waren wir in unserer Dürfftigkeit bekümmert / die Gemüther der Menschen zu erkundigen / und befunden / daß kein Laster mehr alle Stande verderbe / alß Hoffarth oder Ehrgeitz / welcher über alle Tugend triumphiren will. Denn ein Ehrsüchtiger unterstehet sich / was er nicht vermag / und eignet sich zu / was er nicht würdig ist; wobey er denn einen ieden seines gleichen verachtet; und muß dennnoch in allen AFFAiren G O t t dancken / wenn er einer Sache nur den Schein der Kunst / und ein Blend-(345)werck einer Tugend angehangen: da hingegen keiner in ein Ammt zu beruffen / welchen er nicht mit Verstände gewachsen und mit untadelhafften Leben vorgehen kan.

CAP.

CCVI.

DErgleichen Art Leute nun habe ich P o l i t i s c h e M a u l a f f e n tituliret: wie auch diejenigen / welche ihren Dingen ein grosser Liecht anhengen wollen / als Sie werth seyn. Dergleichen Exempel / so ich etwa auf der Reise in der Frembde erfahren / habe ich / so weit ein besorgliches ODIUM etwa verstatten wollen / in diesem Buche erzahlet. Die neuen und bekandten grossen Maulaffen aber habe ich mit Fleiß biß zu anderer Zeit versparen wollen. Welche ich alßdenn auch / woferne Sie Sich in ihrer ärgerlichen und unredlichen Bezeugung nicht bessern / in grosser Menge / und besserer Ordnung aus denen Regulen der reinen POLITICA entdecken / und in keinen SOLAECISMO verschonen will. Der günstige Leser lebe glücklich / und lerne aus diesen lacherli-(346)chen Dingen / daß E i n bildung und H o f f a r t alle G e s e t z e v e r d e r b e / und vielen M e n s c h e n m i t i h r e r e i g e n e n S c h a n d e in a l l e r W e l t A u g e n s c h a d e . ENDE.

DIE POLITISCHE COLICA

/

ODER DAS REISSEN IN L E I B E D E R SCHULKRANCKEN M E N S C H E N WELCHE IN MANCHERLEY ZUSTANDEN O H N E LEIBS SCHMERTZEN ZU BETTE LIEGEN N I E M A N D E N SONST ALS H O H E N U N D G E L E H R T E N L E U T E N ZUR BELUSTIGUNG VORGESTELLET DURCH Α.

B.

C.

LEIPZIG

/

V E R L E G T VON J O H A N N ANNO

1680.

FRITZSCHE.

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Β.

C.

j t v o n 3 o h a n n Stf&föf. Ληιιοιέβ««

Geehrter=Leser / E s ist vergangene Messe ein Satyrisch büchlein herauß kommen / dessen Name so angenehm / wie des Wolfes / bey denen Bauren / in zwolfften / in welchen die allgemeine Seiche der Welt / die E h r s u c h t nach denen Haupt färben / abgemahlet. Mir hat es darum wolgefallen / weil dessen absehen auf nichts anders / als auf die Verbesserung der Übeln Sitten abgezielet. Nun hatte der AUTOR desselben in der Vorrede versprochen / itzige Oster Messe ein anders / so er die P o l i t i s c h e C o l i c a benennet / herraußzugeben. Alldieweil aber gedachten AUTORI eine Reise nacher Italien beliebet / allda unterschiedliche STATuen / sonderlich des BASQVINI {) (3V) und MARPHORII seine zubesehen / damit er künfftig in Teutschland / den wahren Unterscheid / zwischen der SATYR und einen verbotenen Basqvill / etzlichen noch wiedersinnigen Leuten / recht grundlich bey bringen könne: alß ist das nutzliche buchlein liegen blieben / und die Hoffnung zu einer gelinden Schule / schandlicher gewohnheiten gar verschwunden. Gedachter AUTOR hatte die Abfassung des Buchs allbereit gar schon vertheilet / und wolte nunmehr die arbeit ordentlich antreten; muste aber aus angeführten Ursachen den vorsatz / wiewol nicht wieder seinen Willen andern. Ich hatte mich einmahl über den aufsatz des Buches gefreuet / und wündschte / ein Exemplar davon nur bald in meinen Händen zuhaben. Alldieweil ich aber / auf solche weise / in meinen verlangen gelassen wurde; welches der ehrliche AUTOR, mein hertzensguter Freund / auch ungerne sache: als war eben dieser gegen mich und () (4r) den liebhabenden Leser / so gut hertzig / und hinterließ mit seine DISPOSITION, zu der Politischen Colica / nechst allen darinnen angeführten Erfindungen / welche ich auf sein bitten zusammen binden und dessen CREDIT weil er solches versprochen / auf gegenwartige Messe / damit retten solte. Gleich wie nun kein Freund / ist er anders rechtschaffen / in müglichen dingen / seinen Freunde etwas versagen kan: also vermochte ich viel weniger an mich zu halten / und jenem AUTORI meinem Freunde solche schlechte Mühe abzuschlagen. Dannenhero ich dann das Werck in Namen Gottes / vor mich genommen und darinnen sonderlich dreyerley laster / der Erbaren Welt zu Ehren und Gefallen / und aus dem gründe des Moral gesetzes / treulich wiederrathen; als nehmlich: G e i t z / v e r b o t e n e L i e b e / u n d V e r s c h w e n d u n g . Ich sage: in Gottes Namen habe ich solches vorgenommen: damit dieser ein vormaler seyn möge / () (4V)

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wieder boßhafftige Erklärungen / mancher unreinen Gemüther / welche ausser schandlicher P R O S T I T U T I O N des Nechsten / keinen Schertz oder er geizenden discurs fuhren können. Nachdem nun Gott / und das vorhaben / einen gefallenen mitbruder zu schimpfen / so wenig beysammen stehen können / als Holle und Himmel: so wenig werde ich mich auch besorgen dorffen / ein Christlicher Leser / werde mit hintansetzung meines guten Zweckes / keine zeile anders auslegen / oder auf einen Menschen / er sey auch der ungerechteste und groste Sünder in der Welt / zu deuten suchen. Bitte auch durch die Reinigkeit eines Christlichen Gewissens mit allen dergleichen ansinnen in geringsten mich zu verschonen. Denn ich betheure durch die pflicht / womit ich der Christenheit verbunden bin / daß ich mit keinem Worte iemand / er sey Freund / oder Feind / in / oder ausser der Kirche / Bürger oder Bauer / hohes / oder niedriges Standes / in meine gedancken () (V) genommen / vielweniger aus der Feder flüßen lassen. Das ist gewiß: tausend die allerlächerlichsten Historien hatte ich mit anführen können; und das buch durchgehends lustiger machen. Alleine in Betrachtung meines Vorsatzes / niemanden die Galle überlauffend {zu) machen / habe ich es lieber an Concepte gebrechen / als eines einigen Menschens / obgleich tagliche Fehler / mit einen Worte berühren wollen. Denn ich bin ia selbst ein Mensche / dem menschliche Schwachheit anklebet; dessen Feder der zerbrechligkeit / durch scharfsichtige Augen anderer auch klugen Leute / versengen können. Und habe ich mich nie ausgeschlossen / aus dergleichen Büchern mein eigen M O R A L E ZU nemen / und in dem jenigen / worinne ich mich getroffen befunden / der Welt anders in die Augen zu gehen. Welches ich aber alle zeit in Geheim / und nicht mit öffentlichen Geschrey gethan: denn sonst hatte ein ieder gewust / daß ich dergleichen kerle () (5 V ) ware. Ja ich hätte mir dazu noch die Unlust auf den halß gezogen / daß andere Leute die übrigen Historien / an denen ich nicht schuldig bin / mir beygeleget und mich dadurch zur Fabel gemacht hätten. Wir werffen offt unter die Hunde; und wann keiner schriehe / so wüsten wir nicht / welchen wir getroffen hätten. Wann ein ieder der ins gemein / und nach denen Worten des Gesetzbuchs ermahnet und straffet / des wegen verfolget werden soll: wer wolte ein Prediger werden ? denn auf solche weise (wurde) ein ieglicher Priester / alle Sontage / in so viel INJURIEN PROCESSE, alß zuhorer er gehabt / sich einlassen: indem ich versichert bin / daß keines Menschen Gewissen so rein ist / daß nicht alle zugleich auf einmahl / an einer gestrafften Sünde sich bißweilen schuldig wüsten. Es wird mir jener Prediger beyfall geben / der das 6. Gebot predigte: und den Ehebruch eifrig straffte: Unter andern aber seinen Strafworten mit beyfügte; daß solche heimliche Sünder sich darauf verlies- () f6 r )sen; weil es niemand wisse als die Mit Sünderin. Er aber wisse solcher verdamlichen Leute gar

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genung: und das zu erweisen / wolte er itzo nur einen da von mit seinem Buche / auß gerechten Pinehas=Eiffer / an köpf werffen. Der Gewißenhaffte Prediger hatte die Hand kaum nach dem Buche ausgestrecket / so bücketen sich fast alle Zuhörer aus Furcht des Treffens. Fragt sich / wann sie durchgehends ein gutes Gewißen gehabt / oder doch zum wenigsten nur stille und unerschrocken gesessen hatten; ob der Man Gottes erfahren können / daß er in seiner Gemeine so viel Ehebrecher habe. Das Gewissen ist des menschen Schuldbuch / worein er alle seine Sünden schreiben muß: welches wann die göttliche Gerechtigkeit mahnet / freylich erschrecken und zittern muß. Einmal sündigen gehet hin: denn wir entschuldigen es vor der Welt mit der Sündlichen Geburt. Zum andern mal fallen / kan auch vergeben werden. Das () ( 6 V ) dritte mal gleicher Gestalt. Ja ( s i e b z i g m a l ) siebenmal stehet einen Tag zuvergeben allein dergleichen Verzeihung gehört auff solche Falle / wo das verbrechen auß Mißverstand / oder Schwachheit geschehen. Wer aber den Vorsatz hat in einer R E P U B L I Q V E sündlich und ärgerlich zu leben / kein laster zu andern; sondern seine Einfalt vor klugheit; und das verbrechen vor eine Tugend und Kunst zu achten; ist der nicht würdig / daß man Ihm einen Spiegel vorhalte / das ist / in einer erfundenen Historie lesen lasse / wie er sich und dem gemeinen besten schade. Das einige könte mir vorgeworffen werden: wer mich oder einen andern dergleichen Scribenten zum Richter gesetzet / oder uns CENSURAM M O R U M aufgetragen? Dem konte ich antworten: die heilige Schrifft selber. Nachdem diese eröfnet / daß der heiland / alle die Christen seyn / zu königen und Priestern gemacht. Dannenhero welcher Christ eine Sünd von einen andern sie-(^ (T)het und straffet / der hat sein Priesterthum wol genung verwaltet: und auf solche weise hatte ich ja wol Macht / ein taglich laster / welches mancher böser Mensch / vor seinen Priester so gar künstlich verbergen kan / gleich andern Christen / mit einer gelinden beschamung in Schrifften zubestraffen. Alleine / weil ich diesen E L E N C H U M der hochwürdigen Priesterschafft allezeit überlasse: so hab ich auch nicht Ursache / dafür mit gründlichen ARGUMenten zufechten; sondern ich will nur sagen daß der SATYRICORUM Freyheit dennoch darinnen unzergäntzet bleibet / wenn Sie diejenigen vorsetzlichen groben SOLAECISMOS SO in Policey wesen vorgehen; mit welchen kein Geistlicher will zu thun haben / in einer Sinnreichen feinen MoRAL-Schrifft vorstellen / und denen Obern / welche offt davon entfernet zuverstehen geben. Warum war eben Rom das Haubt der Welt / und allen Theilen der Erden so beliebt; weil in ihren Gesetzen die CENSURA M O R U M auch denen SATYRICIS mit verliehen () ( T ) war. Wer mit Erziehung der Jugend zuthun hat / weiß am besten / was zuweilen eine höfliche Erröthung bey einen schamhafftigen Jünglinge vor krafft hat / als welche bey manchen mehr fruchtet / als Prügel und

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Ruthen: zumal ein Esel endlich Peitsche und Sporn sich angewöhnet. U n d eben dies seyn die besten INGENIA, welche sich also ziehen lassen. Ich will nicht anführen was der sei. LUTHERUS, welcher so zusagen / fast kein vergeblich wort geredet / allenthalben in seinen Schrifften / mit einen PENETRANten hone an seinen wiedersachern erjagt: davon ich nur bloß den CONVENT zu Orlamünde an der Saale RECOMMENDIRE. Und ist bey vielen ungezognen Leuten nicht eher was zu erhalten / alß wann man ihnen ihre angewohnte Fehler / in einem lacherlichen ABSURDO bey bringen kan. Massen denn die beßerung welche von sich selbst anfanget / weit bestandiger ist / als die man mit Furcht der REAL-Straffe erst einzwingen muß. Uber dies seynd auch Fehler in einer REPUBLIQVE welche mit keinen Gesetzen können u m - ( ) (# r )schrencket werden / darum weil sie entweder nicht zur Wissenschaft eines Regenten gelangen / oder aber in ihrer Natur / ausser der wurcklichen Beschauung nicht können vorgestellet werden / die aber doch der hoflichen und demütigen Welt mit nicht geringen Aergernis nachstellen. Als zum Exempel / wer hat iemals ein Gesetz gelesen / in welchem die hoffartigen Minen / Geberden / Gang und andere dergleichen Bezeugungen der Leute wären CASTiGiret worden / welche aber die allgemeine Bescheidenheit / so wol beflecken / als Kleider und Franckreich nachäffende Moden=Hoffart. Ich geschweige der Poetischen Freyheit / welche eines theils auf denen SATYren ruhet / und in ihren Erfindungen gleichwie die Mahler und Bildhauer nach dem bekandten alten Verse unangetastet seyn will. Wiedriges Fals müssen alle THEATRA geschlossen / die ETHICA zerrissen / und die allgemeine Aufsicht und Sorge / vor das HONESTUM PUBLICUM, auf einmal begraben werden / welches darum PUBLICUM genennet wird / weil es von allen und iedweden Gliedmassen der REPUBLIQVE, mit straffen / ermahnen / warnen und eiffern soll erhalten werden. Und setze ich noch dazu / was über der Einfassung eines weitberühmten Schauplatzes in () (8") Sachsen höchst Sinnreich geschrieb e n / H i c NOS, N O S T R O S Q U E MORES SPECTAMUS IN ALIORUM PERSONIS,

welches ich so dann auch über alle SATYren gesetzt wündschen möchte / ausser Veränderung / daß an statt SPECTAMUS: LEGIMUS ZU lesen wäre. Auf Exempel mag ich mich nicht beruffen / sonst könte ich etzliche Blätter von denen Griechen und Lateinern erfüllen / aus welchen die bekantesten / CAECILIUS, LICINIUS, PLAUTUS, TERENTIUS u n d andere m e h r s e y n . D o c h mochte

ich

lieber

d e n JUVENALEM,

den

MARTIALEM,

HORATIUM

und

solche Pursche nennen / welche gar die Leute (QVOD DETESTOR) mit N a m e n genennet / und dennoch aus käyserlicher Gnade den edlen Namen der SATYRICORUM behalten. Zwar / was hat man endlich aller dieser heydnischer Leute von nothen ? Ein ieder nehme nur Gottes Wort zur hand / darinnen wird er sich dermassen abgemahlet finden / er sey und lebe wie er wolle / daß auch sein CONTRAFAIT von dem besten Künstler / ihm nicht

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so gleichen werde / wie ein Text aus der Bibel / seinem Leben und Wandel. U n d demnach stelle nur iedweder vor einen ehrlichen Mann / oder einen Buben / ein keusches Weib oder eine Metze / einen Verleumbder / einen Dieb / einen Narren / einen Stoltzen oder was er will / und erwar-( J (9r)te / ob ich ihm nicht bloß aus denen Büchern SAMUELIS und der Könige / von ieden solcher Lastern ein gantzes Capitul weisen / und als eine geistliche SATYR vorlegen will. Aber dieses schreibe ich nicht Gelehrten und verstandigen Leuten / als welche noch niemahls / gleichwie hohe Potentaten / einer Satyr / zuwieder gewesen / sondern engen und zugeschlossenen Köpfen / welche weder nach Hofe / noch sonst in die Welt gerochen / damit sie einen Vorschmack haben mögen / zwischen einen Pasqvill und einer SATYRischen Moralschrifft / vernunftig zu jUDiciren woferne sie nicht gar / wie Cardinal Curaffe an der COLIQVE sterben wollen. Massen ich denn alles bißher angeführtes aus keiner andern Ursache / als aus Liebe gegen die Poetische Freyheit geschrieben / als der ich sonst nicht Ursache hätte / etwas bemüheter davon zu reden / nachdem ich nicht Zeit habe / an dergleichen INVENTIONES ZU dencken / wol aber Zeit nemen muß / das jenige / was aus guter Meinung von Freunden heraus gegeben worden / mit guten Gründen zu vertreten. D u mein ehrlicher und redlicher Leser / wirst dir die Freyheit / welche Kaiser / Konige und Fürsten denen SATYRICIS verliehen / dir lassen anbefohlen seyn / und des wegen von dieser mei-( / ) (9V) ner Politischen Colica als ein gelehrter jUDiciren. Wer aber den Namen / Amt / und PRIVILEGIA eines SATYRICI nicht verstehet / der erkenne / daß er nicht gelehrt ist / und lasse dieses Buch ungelesen. Massen ich denn auch den Herren Verleger dahin vermocht / keinem das Büchlein ohne ausdrückliches Bekandnis dieses Verstandes zu verkauffen. Lebe wol / und jUDicire von einer guten Sache nicht wiedrig.

Vorbereitung zur

Politischen Colica. E s ist nichts neues / daß Welt=kluge und Politische Leute die REPUB L i Q v e n / Gleichnisweise / C O R P O R A nennen / und darinnen ihre gar sinnreichen Vertheilungen / unter allerhand schonen Vergleichungen suchen. Es klinget zumal zierlich / wann der Majestät die Unsterbligkeit / gleichwie der Seelen beygeleget wird. Wann der Wolstand des gemeinen Wesens / Regenten und Unterthanen so angenehm und erfreulich / gleichwie dem Menschen seine Gesundheit ist. Es lautet wohl / wann Konige und Monarchen / gegen Unterthane / in Gaben und Beschwerungen / eine richtige DIAET halten; und dieselbigen durch ein leid-(2)liches TEMPERAMENT der Gesetze dermaßen säubern / daß die Laster / welche dem Regiment schaden / von ihnen abgetrieben werden; nicht anders als wie die bösen Feuchtigkeiten aus dem menschlichen Leibe durch Schweiß* Pulver und Pillen. Gewiß ists / daß ein Rebellischer Kopff im Volcke die Natur des kalten Brandes an sich hat / welcher / wann er nicht bey Zeite von dem Leibe des allgemeinen Gehorsams abgeschnitten wird / umb sich frist / und die andern Gliedmassen anstecket. Armuth des gemeinen Wesens ist wie die Schwindsucht / durch welche gute Verfassungen sich allgemahlich verzehren / und endlich mit langsamen Schritten den RUIN Stadt und Landes nach sich ziehen / gleichwie jene einen unvermerckten Todt. Es ist wahr / wann das Haupt krancket / so liegt der gantze Mensch zu Bette: und wie soll ein Reich bestehen / dessen König an der Seuche vielerley Wollust darnieder lieget? Es bleibe die RELIGION eine geheimbde PANACEE, wodurch allen todlichen Kranckheiten zuverlaßlich kan vorgebauet werden. Geld und Vermögen sollen / nach des TACITI Ausspruche / die NERVI RERUM GERENDA-(J)RUM b l e i b e n ; u n d die M a u r e n u n d W a f f e n

das Kleid / worinnen sich der schone Leichnam einer wolgegrundeten REPUBLIC verbergen / und wider das Ungewitter auserlicher Feindes Gewalt schützen kan. J a ich will nicht in Abrede seyn / daß ein solch CORPUS Frost und Hitze / mit allerhand Gefahr unterworffen. Traun / das Fieber einer innerlichen Unruhe schüttet das trübselige Engelland fast taglich. Dem unglückseligen Ungarn ist bißher warm genug eingeheitzet /

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und der einwohnenden Blut abgeschropffet worden. Mich deucht FRANCISCUS, Hertzog von GOISE, hat in vorigen SECULO, dem damals zwietrachtigen Franckreich scharff genug zur Ader gelassen / daß über hundert tausend Christen sich daran todt bluten müssen. J a das Heilige Romische Reich selbst hat manchen schönen Ort als seine Gliedmassen sich mit Gewalt vom Leibe losen lassen müssen. Zu geschweigen / was der Hochgelehrte Puffendorff zu dieser ALLEGORIE, höchst sinnreich hin und wieder in seinen Politischen Schrifften coNTRiBUiret. Daß ich der festen Meinung bin / es könne keine REPUBLIQVE b e s s e r / als a u s denen LiNEAMENTen u n d (4)

DISPOSITION eines

Menschlichen Leibes erkant werden. U n d gleichwie nun zu innerlicher und äusserlichen Erhaltung des Leibes / gewisse Artzneyen von nothen seyn / wodurch PECCANTI MATERIEI gesteuret / und der Wolstand einer vollkommenen Gesundheit bewahret wird. J a / gleichwie erfahrne MEDICI dazu erfordert werden / welche CAUSAS MORBORUM untersuchen / und / nachdem sie dieselbigen erkant / ihre bewehrten Mittel darauff abfassen: also kan ein kluger und erfahrner Regent die Gesundheit seiner REPUBLIQVE, w o z u er von G O t t beruffen / mit guten und gewissenhaften Rathschlägen täglich befordern. E s kommt dazu / daß ein Erfahrner POLITICUS mit einem bewehrten Leib=MEDico in einerley Betrachtung stehet: indem jener so wohl aus mancherley FACTIS seine Erfahrenheit bauen muß / als dieser / welchem seine / von Ihm selbst erfundene Mittel / aus vielen Fällen PROBiret und endlich gut befunden. Die groste Kunst bey einem Artzte ist die Kranckheit erkennen / oder dererselben Ursache ergründen. U n d dieses muß er von dem PATIENTEN selbst erlernen / als welcher am besten weiß / wo es ihn kneipt oder sticht. ( J ) Dieser muß vor allen Dingen sagen / ob er innewendig Hitze oder Frost empfinde. U m b welche Gegend des Leibes / sich der Schmertz ang e s e t z t : und woran es sonst fehle. Diese und andere Nachrichten können dem begierigen MEDICO am aller besten dienen. Als welcher vielleicht irren würde / wenn er die Erkäntnis der Kranckheit alleine aus dem Urin= Glase nehmen wolle. Denn wie leicht konte er betrogen werden / wie ein bekandter und zugleich berühmter MEDICUS in Teutschland / welchen einer von Adel auf dem Lande durch seinen Kutscher / den Urin schickte: dieweil aber der reutende Bote aus Unvorsichtsamkeit das Glaß zerbrach / und das adeliche Wasser verschüttete; hingegen aber ein übles TRACTAMENT befahrete / wann er zurücke reuten / und seinem Herrn mit dem WasserFange noch einmahl bemühen würde. Als ritte er in allen Frieden fort / und kauffte in der Stadt ein ander Glaß / welches er selbst / als sein Pferdt stallete / wieder füllete / und dem Hocherfahrnen MEDICO zur INSPECTION Übergabe. Der vornehme Mann muste glauben / daß dieser Urin von einem halbtodtkrancken Manne s e y : Daher er sich denn auch gegen den

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Knecht (6) allbereit mit einem JUDICIO vernehmen ließ / woran es dem krancken Edelmanne fehle. Worauff er denn auch nachmals seine Artzneyen einrichtete / und gegen einen Duppel=Ducaten / zum Gebrauch überschickte. Man erfuhr nachmals / daß solche Artzneyen die unerkante Kranckheit nicht gehoben / und der sonst weitberühmte Mann an selbigen O r t e schlechte Ehre eingeleget / unerachtet / daß er wegen seiner bewiesenen stattlichen CuRen sich einen ungemeinen Ruhm erworben hatte. D e r Mann war zu entschuldigen: ob er gleich den PATiENten / welcher an Stein und Schwindsucht darnieder lag / auff den verderbten Magen cuRiRte. Gleicher Gestalt / wie kan ein Regente Gesetze machen / welche bey denen Unterthanen besorgliches Unheil abwenden / und Sie hingegen der bestandigen allgemeinen Wolfarth versichern m ö g e n ; wann ihm der innerliche Zustand unbekant; oder aber wenn er von einem / welcher von der Angelegenheit eines gemeinen Wesens noch weniger weiß / sich soll lehren lassen. Der jenige fühlts an besten / wo der Schuch drücket / welcher seinen eigenen F u ß darein gesetzet hat. Kein Reich noch REPUBLIC kan ohne G e - ( 7 ) f a h r seyn / und sich der Ruhe und der Beständigkeit versichern / wann sie nicht die Anschlage zu ihrer Wolfahrt selbst beytragen kan. Alldieweil nun die Wahnsüchtige Welt fast gefahrlich an mancherley Gliedmassen kranck darnieder lieget / und ich selbst einen innerlichen Schmertzen / mit nicht geringer Empfindligkeit fühlen muß; als bin ich gesonnen die Kranckheit mit wenigen zu entdecken. W e r weiß / ob nicht mancher redlicher Mann / welchen das Glück und Tugend den Regierungs Stab in die Hand gegeben / sich nicht hiedurch vorsetzet / vor den Wolstand Menschlicher Zufriedenheit ein RECEPT ZU verfertigen / und die krumme Welt damit zu c u R i r e n . Es ist zwar bekant / wie alle Gesellschafften der Menschen zerrinnen / daß weder Liebe noch Vertrauligkeit daraus zuerwarten. Nicht zwey Personen seyn mit einander und gegen einander in Hertzen richtig. Der Eigennutz gehet aller Freundschafft vor / und MEUM & TUUM verfalschen alle Gemüther. Alleine wie diesen nun zu widerstehen / daß endlichen gar nicht Blutvergiessen und Todt daraus erfolge / hat noch Niemand entdecken k o n - ( # ) n e n : Die weil man niemals den Patienten selber umb seine Beschwerung gefragt / und der Kranckheit Ursachen erkundiget. Ich / der Ich vormals auch mit einer solchen Seuche etwa nur an einem Finger angestecket / und mit der falschen Welt etzliche Tage Bettlagerich gewesen / kan nicht umbhin / allen redlichen Leuten zum besten / der unsittsamen Welt Kranckheit zunennen / und dero Ursachen bekant zu machen. Zweiffle aber nicht / es werde der günstige Leser wohl urtheilen / und die darinnen angeführte Historien nicht auff die Personen der Leute / sondern auff die Lasterhafften ACTIONES derselben erklaren.

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Erstes Buches CAP. SOZON,

I.

e i n a l t e r d r e y s i g j a h r i g e r PRACTICUS, h a t t e d e m E U R I L O

seinem

Sohne auffgetragen alle PATiENten auff einem Tag zu besuchen: und vor Mittage noch aller derselben Zustand kürtzlich zueroffnen. Weil er nun von dieser Bemühung keinen Schaden / sondern vielmehr manche herrliche Belohnung in Geheim zuerwarten h a t - ( 9 ) t e : so war er über seine Schuldigkeit / womit er als Sohn dem Vater verbunden / um so viel fertiger / dessen Begehren zu vollbringen. Kein Gehorsam ist geschwinder / als der / welcher bey Ausgang der Mühe eine gewisse Belohnung hat. EURILUS war nunmehr fast über drey Stunden in der Stadt herumb gelauffen / und hatte vielen Mannes und Weibes Personen an Pulß gefühlet: als ihm endlich ein überaus reicher Kauffman durch seine Magd / so ihn eben auff der Gasse begegnete / suchen und zu sich fordern ließ / mit der Verheissung / er wolle Ihm den Weg theuer genug bezahlen / wann er nur ungesaumet erscheinen / und ihm mit seinem guten Rathe dienen wolle. EURILUS versprach / alsobald gegenwartig zu seyn / und fragte daneben die Magd / ob sie nicht wisse / was ihrem Herrn fehle / oder worüber er geklaget. Diese war fertig mit der Antwort / und sagte / daß er an der Colica schmertzlich danieder läge. Er hatte nun fast zwo Stunden mit solchem Angstgeschrey zu gebracht / daß alle in gantzen Hause darob bestürtzet waren. (10)

CAP.

II.

EURILUS ward durch diese Antwort behertzter / dieweil er seines neuen PATiENten Kranckheit dadurch erfahren; durch welche Erkundigung der Todten-Gräber zuvor schon manch ACCIDENS von Ihm genossen. Es diente ihm auch dazu / daß er seinen Weg bey der Apothecken mit vorbey / und aus derselben ALTHEA, Violen=Safft / Weitzen=Kleyen / u. s. w. zu einem Clystir mit nam; solches dem Colicanten in aller Eil APPLiciren zu lassen. Auff dem Wege studirte er schon / was er vor dem Bette / und unter der Einsetzung des Clystires DiscuRRiren / oder was er vor Ursachen dazu angeben wolle. Aber so war er kaum ins Hauß des krancken Kauffmannes getreten / so sähe E r den Patienten dort auff einen gar zierlichen Bette liegen: in eben so viel Unpaßligkeit als er etwa den Tag zuvor / ihn auff einer Gasterey / wo sie beysammen gewesen / abmercken können. Der Mann sähe frisch und roth / und kein Mensche hatte Ihm Kranckheit zudencken können / wann er nicht mit seinem lauten Schmertzens-Geschrey zu solchen Gedancken Ursache gegeben.

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CAP. III.

D E S krancken Kauffmanns Ehe Weib bestärckte inzwischen durch ihre Nachricht eben das / was die Magd dem Herrn MEDICO zuverstehen gegeben / und sagte / daß ihr Mann blosser Ding durch die Colica zu solchen Geschrey genothiget würde. EURILUS verfertigte sein Clystir; und der Apothecker Gesell muste solches APPLiciren. Wahrender Zeit kam der Kauffleute Botschaffter und forderte Herrn INDIANUM, so hieß der krancke Kauffman / auff die Börsen. Denn allda erwarteten Ihn etzliche C R E D I TORES mit WechseUBrieffen / auff 80000. Rthl. zu vergnügen. Der krancke schriehe auf diese Erforderung noch viel heftiger / nicht anders / als wann er den gantzen Leib voller Feuer hätte: Bat aber dabey den MEDICUM in Geheim / er solte doch seine Kranckheit gegen den Abgeordneten / von der Börsen / fein groß machen / und sagen / daß ihm unmüglich wäre / zu kommen. Er auch als MEDICUS habe ihm ernstlich gerathen / in vier Wochen ja nicht auszugehen: oder daß (er) so lange Niemanden vor sich lassen solte. (12)

CAP. IV.

A U s diesen Begehren merckte EURILUS, WO die COLICA herruhrete / und daß solche weder mit Althea / noch weitzen Kleyen / sonder 80. tausend Gulden Kraute müste CURIRET werden / und daß hier keine vergüldete Pillen / noch PULVERisiRte Perlen etwas helffen können. Derohalben fertigte er zwar der Kauffleute Boten nach des Krancken Begehren ab: suchte aber darauff auch selbst seinen Abschied / nachdem er zuvor noch etzliche Haußmittel hinterlassen und dem Patienten den Leib mit Schweinschmeere frischer Butter und Violichen Oele zu schmieren befohlen. Er nahm Abschied und merckte / daß es mit dem Krancken sich in etwas zur Ruhe schickte. Die Frau begleitete / Gewohnheit nach / ihm biß zur Haußthür / und gab zu verstehen / daß ihres Liebsten Kranckheiten meistentheils auß Sorgen und Grämen stünden: weil er seithero ein paar sehr schlechte Messen gehalten. Das war nunmehr die Haupt CRISIS, aus welcher EURILUS das FUNDAMENT der Kranckheit vollkommlich erreichte. Und weil er sähe / daß die COLICA bey diesem Patienten in Kopffe / und nicht in Bauche ent-(1J)standen; verbot er die schone Butter zu verderben / und die Geld COLICA damit zu CURIREN; und sagte zu letzt: es könne dem krancken Manne der Schmertz gar nicht gestillet werden / wann er nicht binnen dreyen Stunden mit der CREDITOREN Gedult geschmieret würde. Denn der Schimpf des Banqverottes bestund noch auf wenige Stunden.

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C A P . V. EURILUS stund noch an der Haußthür / als er abermal durch eine Magd zu einem andern Patienten geruffen wurde / den er ebenfals an der Colica CURIREN solte: und zwar hielt Sie umstandig an / alsobald ohne Verzug mit zugehen; dieweil der Schmertz gar zu groß und der Patient überauß klaglich thate. EURILUS forderte alsobald die iNGREDiENTien zum Clystir von dem Kaufmanne wieder ab / in Meinung / solches vor diesen neuen Clienten zu COMPONIREN: zu mal er sich nicht unterstund / bey einem Menschen die Colica im Haupte zu vertreiben. Aber der gute MEDICUS kam mit seiner Kunst von dem Hencker zu seiner Mutter. Die Magd brachte ihn in das Hauß eines stoltzen Kerlen / welcher nur darumb den DOCTOR hatte ruffen (14) lassen / damit es unter Leute kommen möge / er sey kranck. Die Ursachen / welche ihn hierzu trieben / haben / wie ich vernommen / darinnen bestanden. Es war dieser Kerl eine geraume Zeit auf Universitäten gewesen / alda er aber an statt der Tugend / welche daselbst zuverkauffen / sich einen leeren Kopff voll Wind gefangen / dadurch er seine Gedancken immerdar nach hohen Dingen / absonderlich aber über die Gipffei ausserlicher Ehre treiben Hesse. Dannenhero kunte kein Dienst offen werden / nach welchen er nicht wie ein hoffartiger PEGASUS geflogen ware. Nichts kunte ihn ergötzen / als wann nur fein viel junge Leute umb ihn herumb treten / und auff der Gasse vor ihm den Hut in Händen haben solten. Sein einiger Ruhm gieng dahin / wie er denen Leuten bey bringen möge / daß er in vornehmer Leute Bekandtschaft lebete und mit denen Gelehrtesten berühmtesten Mannern CORRESPONDIRE. Und dieses alles ohne sein Suchen und Verlangen: alldieweil man von allen Orten und Enden der Erden hertrachte in seine Bekandschafft zu kommen. J a daß ihm unmüglich sey / auf alle Briefe der Gelehrten zu antworten. Der Lügner und Praler schnitte offt gar auf / (15) daß er vielen von Hofe / mit seinen CONSILIIS beywohnen müsse: und daß fast die meisten CONSILIA STATUS durch seinen Kopf giengen. O b nun gleich dieses lautere Unwarheiten an sich selbst waren / welche ihm kein Rettig / ich geschweige eine Melone zu wege bringen kunten: dennoch gefiel sich LABILIS, so wil ich den wunderlichen Menschen heissen / sehr wol damit; wann er nur manchen einfaltigen und Leutescheuenden Menschen dadurch bereden konte / daß er ein vornehmer Mann sey.

C A P . VI. D i e s e r nun stellete sich darumb kranck / weil er sich in der Hoffnung einer eingebildeten Ehre betrogen sähe. Man hatte zu RAGUSA einen

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SYNDICUM vonnothen / und desselben Erwehlung auf einen gewissen Rathstag ausgesetzet. O b gleich nun LABILIS sich diese CHARGE gar gewiß eingebildet; auch allbereit einen Sammet Peltz darauff machen lassen. J a ob er gleich bey allen Bürgemeistern / auf deren VOTIS die gantze Sache stund / durch mancherley Geschencke / Tapeten / Pistolen / Schildereyen und dergleichen / zuverlässig INSINUIRET ; Ja ob er gleich auch deroselben Weibern mit Zobeln / Fran- (16) tzosischen Scheerfuttern / und Italianischen Nußbeißern: die Kinder mit den schönsten CONFITUREN / und endlich gar auch die Mägde mit 8. gl. Stücken / Flöhren und roten Strümpffen beschencket / damit er ja durchgehends im gantzen Hause ein gut Lob haben möge. So fehlete es aber dennoch ein gantz Feld Weges / daß er zum SYNDICO erwehlet wurde: indem die klugen und Gelehrten Leute im Rathe nicht gesinnet waren / einen Kerlen EX AURA POPULARI & MULIEBRI sich und der Stadt einschwatzen zulaßen; sondern Sie wehlte vielmehr einen andern / welcher am wenigsten nach diesen Ehren trachtete / und deßen Geschickligkeit sich albereit vor vielen Jahren mit der Tugend verheyrathet hatte. CAP. VII. D a h e r entstund LABILIS seine Kranckheit / in Meinung / wann er sich so schmertzlich anstellete / man werde mit dem AFFECTU MISERICORDIAE durch dringen und die neue Wahl zurücke treiben. Und darum ließ er eben den MEDICUM ZU sich fordern / damit EURILUS, deßen Vater in seiner Stadt-PHYSICATS-bestallung unter andern hatte / daß er ORDINARIE, alle Tage den Regierenden (17) Bürgemeister besuchen / und vor deßen Gesundheit sorgen müße / die unvermuthete Kranckheit alsobald ausbringen möge. EURILUS wüste von diesen allen noch nichts: Derowegen behielte er sich auf seinen wegen. E r legte sein COMPLIMENT bey dem Krancken / nach Gebrauch der Aertzte / hoflich ab / und EXAMINIRTE deßelben Zustand. E r probirte die Pulse und erkundigte sich anderer Umbstande: befand aber nicht die geringste Anzeigung zu einiger Kranckheit. Biß daß er anfieng / nach genommener Ruhe sich zu setzen / und den Patienten mit einen Discurs zu unterhalten / wodurch denn manchmahl ein MEDICUS, wann er beredt und annehmlich ist / mehr ausrichten kan / als wann er überflüssige Artzneyen ordnet. EURILUS kam endlich im Gesprach so weit / daß er auch auf die Rathswahl / und auf den neuen SYNDICO zu reden anfieng. So bald der krancke LABILIS diese Wort nur horete / fieng er ein Geschrey an / als wann itzo gleich der PAROXYSMUS am hefftigsten ware. Die Gicht und Schwere=Noth kan keinen Menschen so hinfallig machen / als des EURILI Andencken von dem schon bestelleten SYNDICAT, diesen Patienten. E r schrie wie ein (18) Bauer / welchen

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ein liederlicher Marckthencker (so nenne ich die Qvacksalber) in der Cur hat und mit schlechten SUCCESS einen gesunden Zahn / an statt des dabey stehenden Faulen / halb abbricht. Es war da eine Angst zu sehen und zu hören / nicht anders als wenn Lazarus selbst auf dem Bette zugegen und den gantzen Leib voller Blutschweren / mit einem solchen Zeter=Geschrey versiechen müste. Kein DELINQVENT, welcher / wann es brauchlich ware / alle GRADUS der TORTUR auf einmal tragen müste / wurde ein solches Weheklagen von sich hören lassen / als dieser Gesunde Krancke.

CAP. VIII. EURILUS war klug und merckte / daß alle diese vermumte Schmertzen auß Verlust der gesuchten und nicht erhaltenen SYNDICAT-Ehren herrührete. Dero wegen stund er an / ein Mittel wider die Colica zuverordnen: alldieweil er diesen Patienten in des vorigen krancken Kauffmanns Register trug / unter den Titul der jenigen / w e l c h e d i e C o l i c a im K o p f f e h a b e n . Jedoch Hesse er sich nichts mercken; sondern ordnete gleichwol etwas / damit auf den Fall man ihm nicht nachsagen möchte / er sey zu einen (19) Patienten erfordert worden / habe aber keine Mittel verschrieben. EURILUS war klug und spitzsinnig. Darumb RECOMMANDiRte er ihm die Konigs-Kronen / oder rothe Feuerlilien: und wolte damit in der Stille anzeigen / daß die Blumen ein Sinnebild des Krancken seyn solten / welche / ie hoher sie wachsen / ie naher sie zu ihrer Verwelckung treten. Der Ehrkrancke Patiente / damit er auch etwas in das CONSILIUM des MEDICI zureden hatte / entdeckte sein Verlangen nach ein wenig Sauerbrunnen. EURILUS versetzte und sagte. Nein: wann er nur ein halb Nossel Wasser aus dem Fluß Lethe haben solte / so wolte er diese Colica bald vertreiben. LABILIS Eheweib fragte / was doch dieses vor Wasser / oder was LETHE vor ein Fluß ware. EURILUS lehrte sie solches / und antwortete / daß LETHE bey den Heyden der Fluß der Vergessenheit genennet worden: und daß der / welcher etwa beleidiget worden / alsobald darauß trincken müssen / damit der Beleidigte die ihm zugezogene Schmach desto eher vergessen möge. O b nun zwar die Vergessenheit / die Colica zu CURIREN, gar wenig vermag; iedennoch (20) aber hatte LABILIS alsobald einen Appetit zu solchen Wasser / so bald er nur von EURILO horete / daß die Vergessenheit wider die Colica diene.

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IX.

H i e r d u r c h w a r d n u n EURILUS d e r K r a n c k h e i t d e s LABILIS u m b s o v i e l

gewisser: zumal dieser außdrücklich zuvernehmen gab / daß / wann er nur das / was ihm begegnet / vergessen könte / so hoffte er / es solte aller Schmertzen gestillet seyn. Und eben da saß es dem guten Kerlen. Das SYNDICAT druckte ihn im Gehirne; daher war aller Schmertzen entstanden. EURILUS merckte dieses wol: es verdroß ihm aber / daß er von dem Phantasten so vergebens war bemuhet worden: Derohalben suchte er Abschied / seinen nothigern Verrichtungen nachzugehen. Noch trachtete der Ehrsüchtige LABILIS an EURILO mehr einen Zeitvertreiber als einen MEDICUM ZU haben / und nothigte ihn derowegen bey der Mahlzeit zu verharren. EURILUS zwar hatte sich nicht vorgenommen zubleiben. Alleine das Gerüchte Stockfisch / welches gleich itzo auf den Tisch getragen ward / machte ihm einen Appetit daß er ohne Vorsatz / einen Gast abgeben (21) muste. So begierig er nun zu diesen Gerichte war / so vielerley Gelegenheit erschiene / ihn von dem Gerichte auf zu halten; ungeacht er so hungrig war / daß ihm auch das Gebet vor Tische zu lang deuchtete. CAP.

X.

D i e Füsse hatte er kaum unter den Tisch gesetzt / so meldete sich eine alte Frau vor der Haußthür an / welche nach ihm fragte. EURILUS stund in denen Gedancken / weil er vor seinen unpaßlichen Vater selbigen Tag in der Stadt als ein PHYSICUS aufwarten muste / so werde gewiß einen Patienten / welchen er noch nicht besuchet / die Zeit zu lang werden; daß er aufs neue erfordert / und umb das schöne Gerüchte Stockfisch werde gebracht werden. Was er befürchtet / das geschähe. Die alte Kuplerin / welche vor der Thür stunde / und mit oftern Anschlagen den EURILUM heraus forderte / war gewiß mehr mal dabey gewesen. Denn sie konte ihre Sache so scheinbar vorbringen daß man geschworen hatte / es sey die groste Noth in dem Hause verhanden / in welchen man des EURILUS Gegenwart benothiget war. Die alte LYDIA (so muß ich das alte Rabenstück nennen: weil sie in ihrer Jugend sehr ( 2 2 ) treuhertzig gegen das Mannsvolck gewesen) brachte mit lauteren Weinen ihr Wort an / und ein Seuffzer stieß den andern von sich. Sie runge die Hände und schlichtete EURILUM mit der Hand. Sie bat darneben nicht nur mit peinlichen Worten: sondern stellete sich gar / als wann sie die Noth gantz dum und dutzig gemacht hatte. Sie nam den MEDICUM bey dem Kleide und zwang ihn fast / ohne Hut / Stab und Degen mit zugehen. O b sie gleich noch nicht gesagt / zu was Ende. Dieser ließ sich den alten Balg so weit verleiten / daß er ihr eine

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grosse Noth zutrauete / und fragte dannenhero / wer oder wo iemand Kranckes ware. Hierauf gab sie mit kläglicher Stimme zuvernehmen / daß ihre Jungfer LISALANDA auf den Todt darnieder liege; ja sie glaube / daß ihr die Beschwerung das Hertz schon abgedrücket. E U R I L U S kam auf die Gedancken / alß müste LISALANDA etwa an OBSTRUCTIONIBUS UTERINIS DECUMBiren; und setzte derowegen alsobald ein R E C E P T auf / welches er durch die alte Granse=Grille in die Apothecken schickte / und die COMPOSITION alsobald zurücke bringen hiese. Die Alte wolte zu Bekräftigung des R E C E P T S noch eine Nachricht ge-(23)ben / und sagte / daß es bey ihrer Jungfer keine andere Kranckheit sey / als die Colica; ja daß sie von Natur dazu geneigt. CAP. X I . Hledurch ward E U R I L U S von einer Verwunderung überfallen / woher doch die Ursache entstehen müste / daß er in einer Stunde zu drey Patienten erfordert würde / welche alle an der Colica kranck liegen. Waren die drey krancke zusammen gewohnte Zech=Brüder gewesen / so hatte er sich vielleicht nicht so sehr verwundert; in dem er dencken müssen / als waren diese Gleich-Krancken / den Tag zuvor / in einen Wirthshause gewesen / allwo sie etwa von einer Neige oder sonst unreinen Getrancke getruncken. Aber so waren die krancken Personen gegen einander so ungleich / daß nichts weniger als einerley Ursache ihrer dreyfachen Colica zu vermuthen. O b nun gleich E U R I L U S wol wüste / daß beyde vorher besuchte Patienten / so wohl Herr INDIANUS der Kaufmann / alß L A B I L I S , der gern w e r d e n w o l l e n d e SYNDICUS, ihre Colica nicht in COLO, wo sie sonst bey natürlichen Krancken ihren Uhrsprung findet / sondern in Kopffe hatten; dennoch aber glaubte er / der L I S A LANDA Zufall müsse (24) eine wahre Ursache erkennen: wozu er auch ein oder ander INDICIUM auß des alten Weibes Bericht nehmen kunte. In solchen Glauben nun gieng er nach der LISALANDA Hauß zu / allwo er die Thür schon offen / und Vater und Mutter auf ihn wartend funde. Die Mutter empfieng ihn mit Thranen und der Vater mit übergehenden Augen / und beklagten beyde unter sechs Kindern ihr bestes / an welchen sie nun biß in das zwantzigste Jahr ihre groste Freude gehabt hatten. Hierauf ward E U R I L U S geschwinde zu der krancken LISALANDA geführet / welche in ihren überaus zierlichen Nachtkleide auf einen schonen Bette lag / und den M E D I C U M mit heimlichen Begierden erwartete. Ihre Wangen glüheten wie das Feuer / welches aus der gemahlten VENUS Hertze strahlet. Ihre Augen glantzten wie C A S T O R und P O L L U X , wann sie in dem Morgen=Roth aufgehen. Und ihre Lippen waren dem Franckfurter Siegellack / an Farben / nicht ungleich. E U R I L U S vermeinete / es müste diese Rothe aus

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einer innerlichen Hitze entspringen: Derohalben er dann auch / solche zu erkundigen / die Hand / mit hoflicher Bitte umb Verzeihung / auf der krancken Jungfer (25) Wangen legte. Diese ergriff des E U R I L U S Hand auff ihrem Angesicht mit solchen Begierden / als wann sie etwa ins Feuer gefallen / und er ihr die Hand geboten (sie) wieder heraus zuziehen. Ich glaube auch / daß sie in das Feuer gefallen / welches nur mit Milch konte geleschet werden. CAP.

XII.

verwunderte sich noch mehr / da er fühlete / wie sie ihm die Hände drückte / küßte / und nach der Hertz-Gruben leitete. Die Mutter stund dabey und entschuldigte diese Geberden mit einem innerlichen Schmertzen / wodurch der krancken LISALANDA Verstand schon etwas eingenommen; und sprach dannenhero dem E U R I L O einen Muth zu / sich / ob er gleich noch ein Junggeselle ware / nicht dran zukehren / sondern er solle nur thun / was ihm zur Erkantnis der Kranckheit nothig ware. E U R I L U S konte diesen Gehorsam gar leicht erfüllen; er ließ sich aber dabey einfallen / daß seiner Mutter vor wenig Tagen durch eine Waschfrau / welche in der LISALANDA Hause bekant / war berichtet worden / als habe sich LISALANDA in ihn verliebt / und ihr der Wasch-Frauen / (welche Art Leute nächst dem Waschen auch meisten- ( 2 6 )theils kuppeln) ein neues Kleid versprochen / wann sie ihr bey E U R I L O die geringste Zuneigung erwecken würde. EURILUS

CAP.

XIII.

iNzwischen merckte er bey LISALANDA nicht die geringste Anzeigung einer einigen Kranckheit / als nur / daß sie / so bald er ihr die Hand bot mit seuffzen und zittern dieselbe an sich druckte. Er war an sich selbst ein schlauer Fuchs / der alle 4. Jahrzeiten des C U P I D I N I S schon überlebet hatte. Wiewohl die Herren M E D I C I die Gemüthsneigungen des Weiblichen Geschlechts offt vor andern erkennen / weil sie die natürlichen Eigenschafften mit zu Rathe ziehen. Dennoch merckte er / daß bey LISALANDA unter diesen Frost / eine grosse Hitze der Liebe sich mit angesponnen. Hierinnen nun wurd er erst recht gewiß / da die Mutter und Vater in das C A B I N E T giengen / dem M E D I C O vor die abgelegte V I S I T E einen R E C O M PENS zu suchen. Denn da zöge LISALANDA den E U R I L U S vollends gar an sich / küßte denselben auff den Mund / mit dem ausdrücklichen Wundsche: „horstu es / daß du mein Schatzgen bist."

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CAP. XIV.

N U n m e h r w a r CAUSA MORBI e r k a n t : und EURILUS sähe / daß die J u n g f e r

gleicher gestalt die Colica im Gehirne hatte. Sie hatte ihr 21gstes Jahr allbereit erreichet / und nachdem die Natur sich mit ihren Gaben so milde erwiesen / so war das gute Magdgen freylich auch nicht zuverdencken / daß sie ihre Schatze in verborgenen ohne INTERESSE der Liebe nicht wolte veralten lassen. Stroh brennet freylich eher / als H o l t z : letzlich aber werden sie doch beyde zu Asche. Wann nun gleich ein Mensch vor dem andern sein Feuer besser verbergen kan. So bleibet doch ewig wahr / daß alle Menschen von der Liebe angefochten werden / sie mögen sich gleich auch den Todt oder das Closter wündschen. Ein Hauß kan von innen dermassen ausbrennen / daß / ob man gleich von aussen keine Flamme siehet / dennoch Tach und Wand übern Hauffen fallen. Also war auch LISALANDA nicht zu verdencken / wann sie von sich sagte / was andere verschweigen / und PRAESENTE MEDICO dawider Mittel suchte / wodurch andere nach und nach verzehret werden. Vielmehr ist denen rauschenden / als stillen Wassern zu trauen; indem jene ihren Grund durch (28) die Ungleiche des Wassers also bald vorbilden: diese aber verbergen in der Stille ihre unergründliche Tieffe. Wahr ists / daß einer Weibes Person mehr zutrauen / welche nach Gebühr / frey und offenhertzig: als die gar zu stille / von aussen einen Schein der Blödigkeit suchen; hingegen aber den Schalck im Hertzen / nur durch Gedancken auslassen.

CAP. XV. EURILUS hatte heimlich bey solchen Zustande Mitleiden; durffte aber solches nicht so wohl von sich geben / damit er nicht dadurch in das Feuer stören / und eine grossere Brunst anrichten mochte. Jederzeit war er also gesonnen / daß er keinem ehrlichen Mägdgen zur Liebe Hoffnung machen / viel weniger dasselbe auffsetzen wolte. Dannenhero tröstete er sie solcher Gestalt: Er hatte biß Dato sich noch niemanden zu lieben vorgesetzet: daferne ihr aber mit seiner INCLINATION soke geholffen werden / so konte er die Artzneyen ersparen. Item / er ware allen wohlgezogenen WeibesPersonen ehrlich gewogen / unter welchen er absonderlich (29) Ihr / als einem schonen und wohlgerathenen Frauenzimmer / immerdar zugeneigt gewesen. Er wolle auch künftig in der That erweisen / daß er sie als seine Schwester liebe. Dieses war von LISALANDA alles wohl auffgenommen / indem sie noch keinen andern Verstand aus EURILI Antwort machen konte / als daß er sie lieben wolle. Sie war auch dabey getrost und ruhig blieben / wann EURILUS nur nicht zu vorigen DISCURS noch dieses gesetzet: Er wolle

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auch nächsthin sorgen / wie er einen anstandigen feinen Kerlen aussinnen / und durch denselben ihr zu einer wohlgefälligen Heyrath verhelffen konte. Diese Worte hatte EURILUS noch halb im Munde / so fieng LISALANDA schon wieder an auffs neue zuschreyen / und klagte über Schmertzen.

CAP. XVI. H i e r d u r c h machte sich LISALANDA ein Fenster ins Hertz / daß EURILUS nun gar genaue merckte / was ihre Kranckheit vor ein Absehen hatte. Es war so viel: LISALANDA hätte lieber mitten in der Colica mit EURILO bestandigen Verlaß gemacht / daß sie beyde (30) einander ehlich verbunden bleiben möchten. Inzwischen nahete sich die Mutter wiederumb zu der zweyseitigen Gesellschafft / und überreichte dem MEDICO eine DISCRETION, vor gehabte Muhe / mit Bitte ihre Tochter fleissig zubesuchen: es soke ihm ieder Gang mit einen Rosenobel allezeit bar vergolten werden. EURILUS RESOLVIRTE sich geschwind / die dargebotene Vergeltung anzunehmen: denn er gedachte / wan er sich derselben weigern würde / so gebe er Anzeigung einer so gesuchten INCLINATION von sich / nachdem ihm genugsam bekandt war / daß die Liebe nicht eigennützig sey. Kurtz zu sagen: er nahm den Rosenobel und sagte D a n c k ; erbot sich auch dabey / morgenden Tag wieder zu erscheinen. LISALANDA hatte lieber gesehen / er hatte den gantzen Tag bey Ihr vorm Bette gesessen / als daß sie sich alle Tage nur eine Stunde lang mit seiner Gegenwart vergnügen solte. E r nöthigte sich zum Abschiede: Sie aber bat mit hertzbrechenden Worten / er solte doch nur eine vierthel Stunde erwarten. Sie betheurete auch mit einen Schwur / welches EURILUS ohne dem glaubte / daß / so lange er zugegen ware / sie keinen Schmertzen fühlete. EURILUS willigte end- (31)lieh / wiewol ungerne darein / und setzte sich bey das Bette noch einmal nieder. Und damit er nicht gantz ohne allen Nutzen seiner Erfahrenheit davon gehen möge: oder damit er vielmehr besorglichen Liebs DISCURSEN der LISALANDA vorbauen möge / nahm er eine kurtze Hauß= CUR vor / und foderte warm Bier und rein Baumöl hinnein / welches LISALANDA trincken solte. Ich lasse dahin gestellet seyn / was er damit zu stillen gemeinet; massen mir ein ander MEDICUS vertrauet / daß dieses zur Colica mehr forderlich sey. Was er unter deß befohlen / das war nunmehr an der Hand. LISALANDA zwar wolte sich erst wegern / den bereiteten Tranck einzunehmen: alleine die Furcht / man mochte ihrer gemachten Kranckheit nicht glauben / brachte sie endlich dahin / daß sie diese Duncke zum warmen Salate / über die Zunge fliessen ließ. Nach diesen rühmete sie die Krafft der Artzeney und versicherte / daß sie gantz nichts mehr fühle. Denn des EURILI dabey gebrauchte Handgriffe / welche bey

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allen MEDiciNischen OPERATIONIBUS das beste seyn / machten ihre Zuversicht so starck / daß sie endlich wündschte aufzustehen und bey dem Abschiede seine G e g e n - ( J 2 ) w a r t noch zehn Augenblicke langer zu gemessen. CAP. XVII. D i e gute LISALANDA vermeinete nun an EURILO einen gewissen Leib= MEDICUM ZU haben: alleine das war bey EURILO schon ausgemacht / daß er diese Bestallung lieber von Hause aus versehen / als sich in würckliche und immerwahrende CONDITIONES einlassen wolte. Derohalben wiederholte er seinen Abschied mit voriger Hofligkeit. Zwar ware er von LISALANDA ohne Zweiffei noch langer aufgehalten worden / wann nicht seines Vaters LABORANTE ankommen / und ihn abgefordert hätte. Es reisete eben damahls ein Frantzosischer Oberster durch / welcher die NATiON-Seiche über drey J a h r schon am Halse getragen. Weil dieser nun von des alten SOZONS berühmten Curen viel gehöret / war er willens eine Zeitlang in (der) Stadt sich auffzuhalten und eine Cur bey ihm anzutreten. Daher wurde SOZON eben veranlasset / nach seinem Sohne / dem EURILO, zu schicken; damit dieser dem Obersten aufwarten / und dessen begehren vernehmen solte. Diese Abforderung nun brachte LISALANDA einen neuen PAROXYSMUM (33) m i t : und stellete sie sich wiederum so kranck und schmertzhafft / daß / wenn EURILUS sonst nicht den Zustand der Kranckheit gewust / er ohne Hertzbrechen und erbarmen nicht von dannen weichen können. Unterdeß aber muste des Vaters G e b o t und die neuen AFFAIREN EURILO ZU Behauptung seines Abschiedes dienen.

CAP. XVIII. LISALANDA unterdessen befand sich gutes Theils besser; wiewohl sie stets in tieffen Gedancken denselbigen Tag zubrachte. N u n mochte die Mutter wohl umb die Beschwerung gutes Theils wissen / daß ihre Tochter LISALANDA darumb suchte kranck zu seyn / damit sie Gelegenheit hätte / mit EURILO bekant zu seyn / und ihre Liebe ihm zu verstehen zu geben. Darumb war sie auch ihrer vor Liebe Bettlägerigen Tochter nicht entgegen; sondern trachtete dahin / wie sie den Vater durch mancherley äuserlichen Schein in Meinung der Kranckheit erhalten könne / damit er nicht ermüdet werde / den EURILUM mit alten eingesamleten Ducaten zu körnen / und in das Garn seiner Eydmanschafft zu locken. Dieser hingegen danckte G O t t / daß er einmahl davon war / und h a t - ( 3 4 ) t e schon dreyßig und mehr Ursachen ausgesonnen / wie er sich auf den Fall LISALANDENS Wieder-

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erfordern entschuldigen wolte. D o r t saß er in seinem LABORATORIO, nachdem er zuvor erwähnten Obersten mit einen CONSILIO bey gestanden / und ließ sich die drey ExTRAORDiNAR-PATiENten in Gedancken liegen / mit unaufhörlicher Verwunderung / daß drey Gesunde Leute / sich auff einmahl kranck gestellet / und zum Schein derselben / die Colica angegeben. CAP. X I X . N U n ist die Colica sonst eine Beschwerung in dem COLO oder grossen Gedärme / wovon sie auch also genennet wird / welche keine andere Ursache hat als entweder Erkaltungen / unreine Geträncke / sehr fette Speisen / oder solche / welche die Galle Überhauffen / und dergleichen. Alleine diese drey Patienten hatten die Colica im Gehirne / und zwar ein ieder seine absonderlichen Ursachen dazu. Der Kauffman INDIANUS war nimmermehr kranck worden / wann er nur so viel bares Geld in H t n d e n gehabt / daß er ohne Gefahr seines bleibenden Lebens denen anwartenden CREDITORIBUS, auff nächsten TERMIN hatte Genüge thun (35) können. Denn in diesen Stücke hätte ich fast glauben müssen / was DIDIUS JULIANUS ZU s e i n e m S Y M B O L O g e f ü h r e t : PECUNIAE OMNIA O B E D I U N T :

Dem

G e l d e i s t a l l e s u n t e r t h a n . O d e r wie es etwa naher klingen m o c h t e : D a s G e l d k a n a l l e s a u s r i c h t e n / U n d folgends auch Herrn INDIANUM gesund machen. Ich hatte ihm endlichen wohl des CALIGULA Vergnügung zur C u r wündschen mögen / daß er / gleich wie jener auff denen zusammengeschütteten Hauffen Gelde herumb spatziren können / SVETON. CALIG. c . 24. so hatte er der gemachten Kranckheit vielleicht nicht vonnothen gehabt. Der wunderliche Mann hätte wissen sollen / daß das Geld gantz SOUVERAIN und sich von Niemand beherrschen lasse. E s k o m m t / w a n n es w i l l / u n d n i c h t w a n n w i r es v e r l a n g e n / ob wir gleich noch so treffliche Liebhaber desselben seyn. PLATO hat umb Geld gebeten; aber keins bekommen. ARISTOTELES verlangete nichts: und wurde hingegen reich genug. DEMOCRITUS verfluchte alles Geld. EPICURUS wünschte es zu haben und zuverprassen. (36) SENEC. DE VIT. BEAT. C. 27. Das ist wahr / Geld ist allezeit angenehm: aber kein Regen kan so kommen / wann es dürre ist / als Geld in Schuld-Noth / wann der CREDITOR mit seinem WechseUBrieffe an die T h ü r klopfet / und die 4. letzten Viertheistunden zum ZahUTermine zahlet. D e r Ehrsüchtige krancke hätte lieber auffs Rathhauß als zum MEDICO schicken sollen: weil seine Colica gleichfals nicht in Bauche; sondern in Kopffe entstanden. Ein Bogen Cantzley=Papier / auff welchen des Raths grosses Insiegel gedruckt / und die SYNDiCAts-Bestallung geschrieben /

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hatte ihn viel eher cuRiren k6nnen / als ein Clystir von lauter kostlichen Oelen / davon ieder Tropffen einen Groschen gekostet. Die verliebte LISALANDA aber hatte besser gethan / wann sie sonst ein Mittel ersonnen / womit sie ihre feurige Colica CURIREN können. Kranck seyn schadet der Liebe: wo ist die Barmhertzigkeit desto grSsser und die Zuneigung desto feuriger. Weil nun EURILUS eine halbe Stunde müssig war / und so viel Zeit hatte / daß er an diese seine Wunder Patienten etwas gedencken kunte; zöge er ein MORALE aus solchen (37) seinen Gedancken / und befand / daß Geld / Ehrsucht und Liebe die Menschen in mancherley Versuchung stürtzen könne. Und damit er die Sache recht in ein Andencken bringen mochte / entwarf er seine Gedancken über diese drey Patienten in nachfolgenden drey Liedern: Das Geld RECOMMANDIRTE er also. 1. V E r z a g e nimmermehr / mein blödes Glücke / O b gleich dein schwacher Glantz zerrinnt. Laß fahren schimmernd Gold und Silber Stricke / Womit die Welt viel Hertzen bindt Hab ich gleich wenig Und bin kein Konig So borg und lehn ich Auff Schaf und Rind. 2.

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Ein guter Muth ist mehr alß tausend Thaler Viel besser ist ein frolich Hertz. Es hat ein reicher Mann und Wechsel Zahler. Doch gleichwol auch von Gelde Schmertz. Denn wenn Ducaten Ihm sollen rathen Zu seinen Thaten Fahlt ihm der Schertz. 3. Vergnügung und ein Freund ist halbes Leben / Wonach kein Dieb noch Neider tracht. Und wem der Himmel will dies beydes geben Der hat es hoch genug gebracht. Das Geld vergehet.

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Ein Freund bestehet Wann uns anwehet Des Unglücks Macht.

4.

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Ein Ehrenkleid / ein Trunck ein gut Gerichte Ist mehr als alles Reich thumb werth. Ein Bergwerck traget ja nicht solche Früchte / Wie Leibes Unterhalt begehrt. Nur sich beflissen Auf einen Bissen. Ein gut Gewissen Wird nie gefahrt.

5. Ein Sack voll lauffend Geld / ein Kopff voll Sorgen. Die Wechselbrieffe drucken sehr. Der schiäffet selten biß an spaten Morgen Wer sich begiebt ins güldne Meer / Allwo die Wellen Bey Schulden Fallen Sich grausam stellen: Das ist zu schwer. 6.

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Drumb weg vergänglich Geld und Gut der Erden; Ich nehme an / was mir von G O t t Zu meinen Unterhalt soll taglich werden; So bringt die Rechnung mir kein Spott. Und darf nicht fasten Bey leeren Kasten; Kan süsse rasten Ohn Banckerott.

EURILUS war gewohnet / alle seine Verse singende zumachen. Wie denn gewiß ist / daß wer ein Lied über eine gewisse Melody verfertiget / viel eher zur Sache gelanget / als wann man der blossen Sylben=Zahl soll ihren Lauf lassen. Dannenhero die M u s i c i , wann Sie zur Vers-Kunst gewohnet / viel glücklicher in Gedichten seyn / als die jenigen / welche ohne Musicalische Anregung des Gemüths / ihre Sylben an Fingern abzehlen müssen.

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E r hatte das Lied mit eigner Vergnügung etzliche mahl abgesungen / nicht aber gemercket / daß seine Frau Mutter hinter der Thür gestanden und auf seinen Gesang Achtung gegeben hatte.

CAP. X X . N i c h t s desto weniger aber trat BELINDE des EURILI Mutter hervor / und weiln Sie auf der Welt nichts mehr als bares Geld liebte / verwiese sie ihrem Sohne die Verachtung des Geldes mit einem grossen Eiffer: Sie war ein Weib / von mehr als 60. (41) Jahren / welche sich aber dennoch lieber drey Zähne auß dem Munde schlagen / als drey Groschen abschwatzen liese. SOZON ihr Eheherre war mit ihr in gleichen Alter / welcher zwar gerne etwas freygebiger gewesen ware / wann er nicht seiner BELINDE in der Jugend stracks den Zaum des Regiments zu lang / und also ihr hernach auch die Oberhand über seinen Götzen in Kasten gelassen hatte. Diese beyden Leute hatten diesen einigen Sohn / welcher sich aber so spahrlich behelffen muste / daß es ihm fast schimpfflich nach zusagen war. Jedoch hielte dieser Kapzaum nicht langer / als biß er zu PRAcnciren angefangen. Denn nunmehr kunte er seinen eigenen Pfennig machen. Zwar muste er der Mutter vor alle und iede Visiten der Patienten Rechenschafft geben / und genaue berechnen. Doch / wie bey steigenden und fallenden Einnahmen zu geschehen pfleget / konte er seinen Schleiffpfennig machen / und manchen Thaler zu rücke behalten. Das beste war bey seiner Rechnung / daß er keine Pflicht auf sich hatte / ausser der Kindlichen / welche sich aber bey wunderlichen alten Müttern gar wol LIMITIREN lasset.

(42)

CAP. X X I .

E S vermochten des EURILI Eltern über 60000. Thaler / und dennoch wann die alte BELINDE einen halben Thaler zur Nothdurfft hergeben solte / war sie viel krancker als ein Patient an der Colica. Solche karge Mütter seynd in diesen Stücke denen Mastschweinen zu vergleichen / welche gruntzen / so offt man ihnen beym Leben eine Porste auß der Haut rupffet: nachmals aber / wenn sie geschlachtet / gar in die Würste / gehacket werden. Alte geitzige Leute mochten doch bedencken / daß es besser sey / bey Leb= Zeiten seinen Erben etwas gönnen / zumal wann sie schon / wie BELINDE, mit einen Fusse vor der Grabsthür stehen / so hatten sie die Danckbarkeit und Liebe derselben doch noch zu geniessen. Welcher sie sich aber durch eine unmenschliche Hartigkeit des Geitzes berauben / und nur bey ihren Kindern eine ungedultige Hofnung zu der Eltern Tode dadurch erwecken.

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Unser Leben wihret siebentzig J a h r ; und wer solchen Stuffen so nahe / als BELINDE war / kan seinen Kindern und Erben mit guter Zuversicht einen frolichen Tag machen und die Hälfte seiner Verlassenschafft noch bey seinem Leben unter sich (43) theilen. Welche sie alsdenn in Verbleibung deßen nach dem Todes=Fall sich selbst nehmen / und als eine erwartete Schuld ohne verdientes Andencken der Eltern / so es erworben / unter sich vertheilen. Und gewiß ist / daß die Erbschafften / welche wir nach der unsrigen Tode erst überkommen / zwar eine Wohlthat des Glückes seyn: aber doch unter die so genanten Wolthaten der unsrigen nicht zu zahlen. Denn alles / was wir in der Welt besitzen / ist uns nur auff eine gewiße Zeit / so lange wir nemlich leben / verpachtet. Und so bald uns der T o d t zu Verwaltung solcher Güter untüchtig machet / fallen solche G O t t wieder heim / von welchen wir sie in Pacht empfangen. D a nun Glück und Recht / vermöge der entstandenen Gesetze / die Nachkommen zu der ADMINISTRATION des hinterlassenen Guts benennet / was ists denn eine Wohlthat der Verstorbenen zunennen / als welche uns ja nicht geben können / was sie selber nicht mehr haben; und was sie durch einen unvermeidlichen Schluß offt wider ihren Willen abtreten müssen. Welches sie aber gar leicht zur Wohlthat machen konten / wenn sie bey Leben die ihrigen aus freygebiger Hand damit beschencket h a t - ( 4 4 ) t e n . Die Schrifft will ja selbst Freunde mit dem ungerechten Mammon erworben wissen / warumb denn nicht auch mit dem / was rechtmäßig erlanget?

CAP. XXII. Ö A m i t wir aber bey BELiNDen bleiben / so war dieselbige so geitzig / daß sie deswegen von iederman angefeindet wurde. Ihres Mannes von Alter ermatteten Leibe that sie wenig zugute: wenn sie sich nur selbst dabey satt gegessen hatte. Das Nossel Bier zum Tisch=Truncke erlangrete sie iederzeit mit Kofent: und der Balsam des Alters / der Wein / hatte sich in diesem Hause über keine Verschwendung zu beschweren. Hundert und mehr Eimer / so sie selbst erbauet / lagen im Keller; von welchen aber der alte SOZON nicht eher einen Tropffen zu riechen bekam / als wann der Vorrath durch einen ausgesteckten grünen Strauß feil gebothen wurde. Denn da sammlete die alte BELINDE doch die Tropffen in dem Gefässe unter dem Zapffen zusammen; welche etwa in ausmessen durch ihre zitternden Händen bey gelassen wurden / und brachte solche dem alten ehelichen Herrn in einem Glaßlein zu geniessen. Sie vermahnete wohl dabey / das (45) sechzehnde Theil von einer Kanne nicht auff einmal zu verschwenden / sondern die Halffte davon / biß zur folgenden Mahlzeit zu versparen.

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Den Tisch hat sie niemahls mit Gerichten beschwert / dadurch war sie sicher / daß er nicht zerbreche. Mittags kostete sie ihr Hauß mit Semmel Butter: auff den Abend aber ließ Sie zwey Eyer sieden; davon eins dem Sohne / das andere aber halb ihren Vater SOZON, und halb Ihr zukam. Hatte Sie sonderlich nicht grossen Hunger / so genösse sie von ihrer Halffte nur etwas / und speisete mit dem überigen die Magd ab. In der Wasche war Sie sehr genaue. Denn die Magd wolte ausschwatzen / ihre Frau Hesse im Hause keine Tischtucher brauchen / sondern speiste iederzeit auff ihren schwartzen Hembden. Schickte ein adlicher Patient etwa von Lande einen Hasen / oder Stücke Wildpret in die Küche / so ließ sie solches verkauffen / und stackte lieber einen Kayser=Gülden davor in Sack / als einen guten Bissen in ihren Mund. So schonete sie auch das Holtz. Dann aus dem warmen Wasser / womit die Kopffe gewaschen / und worüber die Patienten sich gebahet hatten / m u - ( 4 6 ) s t e die Magd Teller und Schüsseln auffwaschen. So wolte Sie auch die Magd bereden / die jenigen Leute würden überaus schone / welche eitel Brod essen. N u r daß sie der armen Mehre ihr bißgen Wurst / Fleisch / und gesottene Eyer nicht mehr geben möge. Alleine die Magd war so klug und versetzte: „Wohl / Fr. Doctorin / ich sage Danck vor die Lehre; so wil ich ins künfftige gar kein Brodt mehr zu essen. Denn ich mag durchaus nicht schone seyn / damit mir unser Laborante und ander Mans=Volck nicht mehr so nachlauffen." Dergleichen begegnete auch dem Geitzigen Weibe / als ihren Manne aus Ost=Frießland ein vortrefflich guter Kase geschickt wurde: worauf er einen guten Freund zu sich gebeten. Denn da dieser sich den Kase zum halben Abendbrodt sehr wol schmecken liesse / stund BELINDE von ferne und ließ sich alle Kase Schnitte so wehe thun / als wann selbige in ihr O h r verrichtet würden. Sie kunte den Aufgang nicht langer ertragen / sondern nahete sich zu dem Gaste / mit einer Verwarnung / er mochte doch des Käses nicht zuviel essen: D i e - ( 4 7 ) w e i l er sehr ungesund und den Magen zuverderben pflege. J a man habe Exempel / daß mancher gar davon gestorben. Der Freund bezahlete sie / fast wie die Magd / und sagte: „ist dem also / meine Fr. D o c t o r i n ? " Sie bekräftigte / was sie geredet. Darauf fuhr der Freund fort / und bat umb Verzeihung / sagende: Sein Nachbar habe einen grossen Kettenhund zu Hause / vor dem er Tag und Nacht fast nicht schlaffen könne / welchen er vorlangst schon den Todt gewündschet. Er mochte ihm aber nicht gerne mit Schuhpech oder Gifft vergeben / aus Furcht / es konte offenbar werden / dem wolle er mit dem Reste dieses gefährlichen Käses von der Welt helffen. Und brachte hierauf das übrige Stücke Kase zu Papiere.

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CAP. XXIII. D i e Geitzigen schnappen offt nach den Schatten und verlieren darüber ihr Brod aus denen Zahnen. Damit wir aber nicht in BELINDENS Beschreibung alzu ferne gehen / und darüber das Gespräche / so sie mit ihren Sohne / dem EURILO, gehalten / verlassen; so wollen wir dasselbe / weil es der (48) Wiederholung würdig ist / in seiner Form mit beybringen. Wie gedacht: EURILUS hatte sein erdichtetes Lied / wider die Begierden zu Geld und Gut / abgesungen / so fuhr ihm seine Mutter mit diesen Worten an. BELINDE. Ich hatte dich vor klüger geachtet / mein Sohn / als daß ich hören muß / daß du wider deiner Mutter Lehren / das einige Mittel unsers Lebens so leichtsinnig in einem Liede verachtest. EURILUS. Wie? Mutter / wollet ihr das verdamliche Geld das einige Mittel unsers Lebens nennen / da ihr doch wol wisset / daß ihr in eurer Jugend selbst arm gewesen / und doch wol besser und freudiger gelebet / als itzo bey eurem grossen und vielen Gelde. BEL. Beym Stabe ist gut Springen: und beym Pferde gut lauffen. EUR. Ein frölich Gemüth ist besser / als alle Schatze der Welt. BEL. Wer kein Geld hat / kan nichts erlangen. EUR. Geld bringet Sorgen und Gefahr: aber die Gemüths Vergnügung kan weder Dieb noch Feuer versehren. BEL. Ach! Armuth ist schimpflich. EUR. Nur bey denen Geitzigen. (49) BEL. Ο ! es ist eine herrliche Sache / allen Nothfallen mit Gelde begegnen können. EUR. Gleich wol kan es nicht von Todte erretten. BEL. Inzwischen kan man gutes Muths seyn / wann man sich darinnen gesattiget hat. EUR. Der Geitz ist wie die Wassersucht: iemehr sie trinckt / iemehr sie trincken will. Ein Geitziger sattiget sich nimmer. BEL. Nein / mein Sohn! habe ich noch zehn tausend Thaler beygeleget / so bin ich satt. EUR. Ihr habt noch einen kleinen Weg zum Tode / und sammlet Zehrung / als hattet ihr noch hundert Jahr dahin. BEL. Was thut man nicht denen Kindern zum besten? EUR. Eure Kinder seyn schon satt: und ich / als der eintzige Erbe eurer Verlassenschafft / verlange nichts mehr als mein Auskommen. BEL. Wer das haben will / muß sehr viel erworben haben. EUR. Was hilfft dem das Geld / welcher (50) es nicht gebrauchet und seinen Nächsten damit dienet.

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BEL. Was man hat / muß man zu seinen eigenen Gebrauch aufheben und im Fall der Noth hervor suchen. EUR. SO dencket ein Geitziger immerfort / und mit diesen Gedancken bringet er sein Leben zu. Daß es ihm endlich gehet / wie einem Esel / der Wein und Feigen traget / muß aber doch Wasser sauffen / Disteln fressen / und letzlich das was er getragen sich abnehmen lassen. BELIN. Wann mich hungert und sehe meinen GekUKasten an / so bin ich schon satt. EUR. Brodt stillet den Hunger und der Wein erqvicket die Krancken. BEL. Wann sie aber kein Geld und CREDIT haben / können Sie beydes nicht erlangen. EUR. G O t t last niemand Hunger sterben: Hat der Mensch kein Geld / so hat er doch so viel Brodt den Magen zu füllen. BEL. Was ist das? Wenn er nun gleich einmal satt ist; so muß er schon wieder sorgen / wo er die folgende Malzeit was hernehmen will. Ο mein Sohn / der Jahre seynd viel / die wir zu leben haben. Der Tage (51) seyn viel viel mehr. Der Mahlzeiten noch mehr: Und dazu geheren viel Pfennige. Wer versichert mich denn eines Morgen=Brodts in 20. Jahren. EUR. Der Heiland verbeut die Sorgen vor den morgenden Tag. Und wer an seinen Leben zweifelt / der glaubt keinen Schöpfer. Wer sorgt denn vor die wilden Thiere? BEL. Das weiß ich alles wohl; alleine wann ich nicht sorge und samle / wer bringt mir was? Wann die Tauben zur Malzeit dienen sollen / so müssen sie erst gefangen / gerupfft und gebraten werden. Dannenhero sagen die alten Leute / daß keinem eine gebratene Taube ins Maul flüge. Es hatte die alte BELINDE dieses kaum ausgeredet / trat ein armer iedoch guthertziger Tropff ins LABORATORIUM, welcher dem SOZON in die 20. Jahr bedienet gewesen war in mancherley Handarbeit / zum LABORiren / Stampffen / PULVERisiren / Wasser tragen und dergleichen: Denn der alte PRACTICUS wolte nicht zu geben / daß eine Weibs=Person an seine Brenno f e n / und ander MEDiciNisches Handgerathe rühren dürffte. Der gute Mensch hieß BASTIAN. From / ( 5 2 ) Christlich / redlich und dabey arm. E r hatte selbigen Morgen nur sein Woche=Lohn / von der alten BELINDE mit 5 gl. ausgezahlet bekommen: Weil nun diese eben in der Scheine auffgehoben / und mit denen Treschern zusammen gerechnet hatte / war ihr ein Irthum begegnet / indem sie dem armen BASTIAN einen Dreyer zu viel gegeben / den er doch mit seiner Blutsauren Arbeit wohl zehnfach verdienet. Nichts desto weniger brachte der ehrliche arme Stümper BELINDEN den Dreyer wieder / nach welchen diese so geschwinde grieff / wie eine Katze nach der Mauß. EURILUS ermahnete den BASTIAN, den elenden Uberschuß bey sich zubehalten: Welcher aber antwortete; er

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begehre das nicht / was ihm nicht mit Willen gegeben worden. „Ungerecht G u t " / sagte er / „druhet nicht. Ich habe zwar so lange als ich hier gedienet / keinen Tag mehr als 8. Pfennige erworben. Ich habe aber dennoch durch G O t t e s Segen / diese zwantzig Jahre über / drey Thaler gesamlet / an lauter alten Schwerd Dreyern; und da bin ich versichert / daß kein (53) einiger darunter / welcher mit Unrecht erworben. Solte ich nun diesen / welcher mir nicht geheret / mit untermengen / so wird es eben so viel seyn / als wenn ich einen Wolff unter so viel unschuldige Schaffe gestallet. Unrecht Gut gedeyhet nimmermehr: sondern es frist noch dazu alles andere mit hinweg."

CAP. XXIV. i N z w i s c h e n hatte der alte SOZON unterschiedliche CONSILIA MEDICA ge-

stellet / welche ihm denselbigen Morgen durch etliche Boten / so von denen Patienten waren abgeschicket worden / herrlich belohnet worden. E r hatte etzlich Ducaten mit eingenommen / so er in der Eil mit in den Schieb=Sack / unter das andere Hand=Geld gestecket. Ein Bettler kam vor die T h ü r / da er eben einen Boten zurücke abzufertigen hatte / und klagte weitlaufftig sein BetteUElend. Diesen loß zu werden / grieff er in den Beutel / mit dem Vorsatz / ihm einen Groschen zu geben. E r hatte aber einen Ducaten ergrieffen / welchen er dem Bettler unbesehen in (54) H u t warff. U n d damit machte er seine Haußthur nach sich zu / und eilete nach dem LABORATORIO, der BELINDEN das eingenommene Geld zu berechnen. D e r DISCURS, welcher allda zwischen BASTIAN, BELINDEN und EURILO indeß fortgesetzet wurde / belustigte ihn

dermassen / daß er mit der Zeitung des frischerworbenen Geldes inne hielt / und den Ausgang des nützlichen Gespräches / mit aller Zufriedenheit erwartete. Endlich schlug iemand an die verschlossene Hauß=Thür an / wodurch BASTIAN auffmachens halber dem DISCURSE etwas entzogen wurde. D a die T h ü r nun eröffnet / ließ sich der vorige Bettler wieder sehen / welcher dem BASTIAN unerschrocken biß vors LABORATORIUM nachfolgete. Wann man an den Schwein=Kofen schlagt / so erschrecket die Saue / giebt aber weder Milch noch Wolle. D e r Geitzige / wann er umb etwas angesprochen wird / hat gleiche Eigenschafften. Dannenhero wundert mich nicht / daß BELINDE den armen Bettler / ehe er sie noch umb was ansprach / alsobald mit einen sauren Gesichte bewillkommete. Denn sie erkante ohne zweiffei den armen Vogel aus seinen Federn. Sie verbot ihm mit harten Worten / (55) naher zu kommen. SOZON schützte seine Freygebigkeit mit einer harten ernsthafften CORRECTION vor / und sagte / daß er ihm ja allbereit einen Groschen mitgetheilet.

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Der Bettler demüthigte / sich und danckte nochmahls davor; antwortete dabey / daß er eben darumb zurücke komme / solche Gabe wieder zubringen / nachdem der Wolthater einen Irrthum begangen / und ihm an statt eines Groschens einen gantzen Ducaten in Hut geworffen. BELINDE erschrack über der Verschwendung und straffte ihren Eheherren um seine Unvorsichtsamkeit. SOZON aber / wie auch sein Sohn EURILUS hatten einerley Sinn / die Treue des Bettlers mit Überlassung der unbesehenen Gabe zu belohnen. Sie hießen Ihn aber beyde ausdrücklich den Ducaten wieder einstecken: welches aber BELINDE mit grossen Eiffer widersprach. So nam sie auch alsbald dem Bettler den Ducaten aus der Hand / und legte ihm an statt desselben einen Dreyer ein. Der Bettler war auch damit vergnügt / sagte aber doch / da er wieder fort gieng: „Ich armer habe euch reiche Frau nicht umb zweene Thaler ver-(56)vortheilen wollen: Ihr aber machet bey mir einen Gewinst auff neun Pfennige. Denn eures Herren Gabe solte ein Groschen seyn."

CAP. XXV. A L e i n e diese kluge und gerechte Einfalt verfieng wenig bey BELINDEN. Sie war in diesen Stücke eine wahre PROSERPINA, und des PLUTONIS, welcher bey denen Griechen / von Geld und Gut seinen Namen hat / stete Gemahlin: die Geldküste war ihre Holle / aus welcher kein Groschen zuerlosen / wann er einmal darein verschlossen war. Ihr Schiebsack / war ein umbgekehrtes Fege-Feuer / worauß zwar die bey Tage eingefangene Thaler des Abends erloset / aber dennoch wiederumb in ihre eiserne Hölle Verstössen wurden. EURILUM schmertzte BASTIAN und des Bettlers Treue; dannenhero er sich in ferner Gesprach also einließ. EUR. Ich halte davor / daß diese beyde in ihrer ehrlichen Armuth weit glückseliger seyn / als ihr / Frau Mutter / bey euren ungerechten Mammon. BELIND. Bettlern geheren Pfennige / und keine Ducaten. (57) SOZON. Was das Glück auf der Welt einen ieden zutheilet / das muß kein sterblicher anfeinden / oder hintertreiben. EUR. Uber dieses muß man die Treue belohnen. Denn sonst wird die Redligkeit seltzam werden. BELIND. Brodt ist genug zum Lohne vor alle Betteltreue. BASTIAN. Der Geitz ist wie ein Faß / ohne Boden / welches nimmer erfüllet wird. Und ein solches Hertz kan weder der Groschen noch Ducaten satt machen. BELIND. Halt du dein Maul / zu einen andern Orthe. Knechte müßen nicht reden / wann Herr und Frau mit einander schertzen.

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SOZON. BASTIANS M e i n u n g w a r v e r n ü n f f t i g .

BELIND. Habe ich nur noch / wie gedacht / zehn tausend Thaler erschüttet / hernach will ich schon satt seyn. EUR. Wer sich mit Gelde sattigen will / kommt mir vor wie die Sauffer / die sich mit hitzigen Weine den Durst entzündet / und meinen / sie wollen denselbigen wiederumb mit Weine leschen. BEL. Ach! Geld / Geld! ist die beste Wahre. (58) SOZON. Wodurch sich mancher ausser den Himmel handelt. EUR. G e l d G e l d ! M e h r h e r : G e b t h e r : b r i n g e t h e r : m i r h e r : lauten der Geitzigen Glocken. BASTIAN. Alte Vogel seynd schwerlich zu berupffen. Und die Schweine geben erst Speck / wann sie ins Saltz gehauen werden. Soz. Salomon sagt der Geitzigen Gut gehe dahin / als sey es von Roste gefressen. BELIND. E y ! wer uns das unsrige nehmen will / muß viel Schlosser eröffnen. EUR. WOZU dienet die leere Besitzung einer Geldlast. SOZON. Solch Geld ist ein Liecht unterm Scheffel. EUR. Solche Leute seynd arme Reiche: welche viel Geld in Hertzen und Kopffe: aber keins in Händen haben. BASTIAN. Der Geitzige gemahnet mich / wie ein Vogel / der Eyer leget / und nicht ausbrütet: Denn wann jener stirbt / so lachen seine Erben. EUR. Fr. Mutter / hatte sie doch nur dem getreuen armen BASTIAN seinen Dreyer / und dem Gewissenhafften Bettler seinem ihm von GOtt bescherten Ducaten gelassen. (59) BEL. Es ist beyden keins nütze. BAST. Von kleinen Fischlein werden die Hechte groß; und von armer Leute Schweiß die Geitzigen reich. SOZON. Geitz ist ein Stranck der Seele.

CAP. XXVI. H i e r a u f wurd BELINDE entrüstet. Sie straffte Vater und Sohn / wegen der gehaltenen Widerpart und gieng davon. BASTIAN erofnete ferner sein JUDICIUM u n d sagte:

Man lasse Fr. BELINDEN nur gehen. Denn wer mit einer Hure von Zucht / und mit einen Geitzigen von Gelde redet / der schlagt mit einen Daumen auf die Lauten. EUR. Warumb brachtestu den elenden Dreyer wieder? Je daß Sie dir doch solchen gelassen hatte.

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BAST. Geitz ist wie in hungriger Hund / er frist / wovon er bekommt. Und zu dem begehre ich nimmermehr / was mir nicht von GOtt und rechtswegen zukommt. SOZON. So bleibstu in ewiger Armuth: und wirst der Welt wenig froh. BAST. Ach lieber Herr / ich will euch zu euren / Morgen / geliebts GOtt / anbrechenden Ge-{60)burtstage nichts mehr wundschen / als daß der liebe GOtt euch eine solche Vergnügung und froliches Hertz / so lange ihr noch in der Welt lebet / bey eurem grossen Geld und Gut verleyhen wolle / als ich in meiner Arbeit und massigen Kost alle Stunden empfinde. Des Nachts ruhe ich in eurer warmen Vieh=Stube / auf meinen Strohsacke / so süsse und sanffte / daß mich fast niemand ermuntern kan. Vor Dieben und einbrechen bin ich sicher. Denn meine drey Thaler habe ich stets bey mir und in einen Hembdezipfel gebunden. Ich bin dabey meines Lebens sicher. Denn niemand wird mich umb so wenig Geld todt schlagen. Die Müntzen werden abgesetzet / wie sie wollen / so bleiben doch die alten ehrlichen an Schrot und Korn dichtigen Schwerd Dreyer gangbar. Stehe ich des Morgens auf / so freue ich mich an meine Arbeit zugehen. Denn wann ich dieselbe so / wie sie mir befohlen verrichtet / so habe ich abermal 8. Pf. einzunehmen; vor diese kauf ich mir früh und auf den Abend ein Stück Brodt und ein Noßel Bier / das schmeckt mir so gut / und bin so gesund dabey / als mancher / der alle Tage zehn Gerichte sich auftragen lasset. Lege ich des Abends (61) meine Morselkeule aus der Hand / so liegt alle meine Sorge mit dahin. Den gantzen Tag über ist mein Gemüthe frey: und kan ich an meinen lieben Gott stündlich / ohne alle Hindernis dencken. Sing ich ein Liedgen / so ist das Hertz dabey; und in dem ich keinen bessern Stand verlange / so erhört mich Gott und last mich in diesen bleiben. Fürwar wer Gold und Geld in Hertzen hat / da wächst kein Glaube / Liebe noch Hofnung. In summa ich bin zu Frieden und lobe Gott / nächst Gebet / daß er mich in diesen ruhigen Zustande wolle sterben lassen. Wofür ich mich denn nicht entsetze / es geschehe / wann es will; weil ich meine 3. Thaler zum Begräbnis Geld stets bey mir trage. EUR. Ich muß mich verwundern über der herlichen Vergnügung unseres BASTIAN. SOZON. Er redet nach seinen Verstände sehr klug: und hat mir durch seine Erklährung einen lautern Haß gegen mein Vermögen beygebracht. BASTIAN. Herr! ich habe einmal in einer Predigt gehöret / daß die Lade / worinnen in alten Testamente der liebe GOtt gesessen / sey von Kühen gezogen worden / welche von (62) den Philistern vorgespannet worden. Diese Kühe / sagte der Priester / hatten sich nicht umbgesehen / oder wären aus dem Wege gewichen / ob gleich ihre Kälber ihnen hefftig nachgeschrien; Sie wären in der Strasse gerade richtig und ohne Treiber fortgegangen: darumb / weil sie G O t t dienen und ihren Schopffer gehorsam

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seyn wollen. Ists nicht wahr / Herr / daß diese Kühe viel witziger waren / als geitzige Eltern / welche umb ihrer Kinder willen / sich auf ihrer Wallfarth / nach dem Himmel / durch den Klang des Geldes von GOtt zurücke ziehen / und aus dem Wege des Christenthums leiten lassen. Es bleibt dabey; D i e G e i t z i g e n s e y n d i e ä r m s t e n L e u t e . SOZON. Ich lobe deine Vergnügung / und wann ich nicht SOZON ware / so wünschte ich B A S T I A N ZU seyn. Siehe hier hastu 10. Thaler deine Vergnügung zu vermehren. BASTIAN. Herr! ich lobe eure Freygebigkeit! alleine ich bedancke mich vor die herrliche Erbietung. Gebt die zehn Thaler iemanden / der sie von nothen. Ich habe genug. Solte ich mir Sorge auff den Halß laden? Besser und freudiger kan ich mit 3. als 13. Thalern schlaffen.

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CAP. XXVII.

SOZON lachte über diese Zufriedenheit / ließ sich aber diese herrliche so weit zu Hertzen gehen; und umb so viel mehr / weil selbige aus keiner Arglist / sondern aus einen einfältigen ungekrümten treuen Hertzen seines Dieners herkommen. Derowegen hieß er den B A S T I A N sich in seine Stube begleiten / das Gespräch desto leichter (mit) ihm fortzusetzen. B E L I N D E hatte indeß eine Henne abgeschnitten / ihren S O Z O N und Sohne einmal was zu gute zuthun / und eine P R O B E ihrer Verschwendung / bey einstehender Mittags=Mahlzeit / über Tische abzulegen. Dannenhero war sie beschäfftiget eine gute Brühe daran zu machen; dadurch sie genothiget wurde / den B A S T I A N wieder zu sich zuruffen / damit er ihr ein Geferte in Keller zum Weine seyn möge. Unterdessen war E U R I L U S nun wieder alleine. Die Einsamkeit brachte ihn endlich dahin / daß er ein wenig in Garten auffs Lusthäußgen spatzierete. Da horete er allerhand lustige Pursche / gegen über in einen Weinhause singen. Allda verzog er ein wenig; Endlich ließ sich einer in der lustigen C O M P A G N I E mit diesem Liede hören: MORALIA

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1. L A c h e t doch der alten Narren / Die viel Geld zusammen scharren Und sich niemals essen satt. J a das Geld in ihren Truhen Lassen sie viel Jahre ruhen. Ach! wär ich an ihrer Statt / Wolt ich darinn frolich seyn / Bey dem kühlen Moßler Wein.

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2. Ich kan Silber distilliren Und das alte Gold palliren / Welches schon verrostet scheint. Ich kan das Metall zerflösen / Von des Geitzes Fessel lösen / Der sich fast zu tode weint. Ich haß allen falschen Schein / Und bin lustig bey dem Wein. 3.

Es ist umb das Gold geschehen / Welches ich noch nicht gesehen / Das mein Vater hat erspaart. Ach wenn ich es könte haben Wolt ich meine Gurgel laben / Mit so mancher Speisen Art. Er ist hirter als ein Stein / Ich trinck dennoch milden Wein. 4.

Hört / Herr Wirth / ihr müst mir borgen / Gehet / schlaffet ohne Sorgen. Borgt ihr nicht / so borg ich doch: Ihr werd mich ja nicht beschämen / Und dem seinen Mantel nehmen Dessen Vater lebet noch. Schencket / schencket tapfer ein / Heut ist es geschenckter Wein. 5.

Noah hat uns ihm verbunden / Daß er Most und Wein erfunden: Und die Fechser erst gesetzt. Wann er itzt noch könte trincken / Wündscht ich ihm von diesen Schincken / Der biß auf das Bein verletzt. Es ist meines Vaters Pein / Wann er hört von theuren Wein.

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6.

Er ist aus der Juden Stammen Bringt den Wucherzinß zusammen. Liebt doch nicht October Safft; Welcher Noah machen schlaffen / Und uns pflegt die Ruh zu schaffen Durch beliebte Freuden Krafft. Wird meins Vaters Güttlein mein / So vertausch ich es umb Wein.

CAP. X X V I I I . E U R I L U S hörte diesen Gesang mit bestandiger Gedult und vermerckete / daß an des guten Kerls Vater / dessen Stimme er horte / zu straffen / was an seiner Mutter / der B E L I N D E , nicht zu loben ware. Darinnen aber war er nicht mit dem liederlichen Zapffen zu Frieden / daß er seines Vätern Kargheit mit so schneller Verschwendung bezahlen wolte. Er stund eine kurtze Zeit in solchen Gedancken und verwunderte sich / wie doch die Gemüther der Menschen so gar von einander unterschieden / und daß meistentheils das jenige / was der Geitz zusammen gescharret / von dem kommenden Erben / wieder unter die Leute gebracht werde. Er (67) seuffzete bey sich selbst / GOtt wolle doch seiner Mutter unmenschlichen Geitz nicht auf solche Weise an ihm heimsuchen. Er beschloß auch / auf den Todesfall seiner Eltern / die Gelder alsobald auszuthun / und sich dadurch von allen Sorgen loß zumachen; hingegen aber seine berühmte PRAXIN mit allen Fleiß fortzusetzen.

CAP. X X I X . N E c h s t diesen trugen ihn seine Gedancken wiederumb zurücke / auf den Ehrkrancken L A B I L I S : ingleichen auch auf die liebsüchtige LISALANDA. Weil er sich nun vorgenommen hatte / allen dreyen Patienten die Ursachen ihrer Kranckheit in einigen Poetischen Gedichten zu entwerfen / fuhr er fort / und reimete auf des LABILIS Colica / folgender massen: 1. EHrsucht / Höllenpein der Seelen / Weg von mir / ich kenn dich nicht.

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Du magst deine Sclaven qvalen Welche stets ein Kützel sticht / Bloß nur oben anzugehen Und gar hoch an Brete stehen. 2.

Hoher Standt und alle Ehren Pflegen uns in dieser Welt / Nur mit Sorgen zu beschweren Daß wir nicht ins freye Feld / Des Gemüthes können ziehen. Und in unsern Glücke blühen. 3.

Bin ich gleich nicht aus Geblüte / Das mit Fahn und Lantzen spielt. Ey so lob ich das Gemüthe / Welches nach der Tugend zielt. Besser ist ein massig Mittel / Als der höchste Doctor Tittel. 4.

Komm ich nicht in Rath zu sitzen / Ey so bleib ich ein Client. Was wird mir der Titul nützen / Heiße ich gleich ein Regent / Der mit Kummer muß regieren / Und das Amt mit Feindschafft führen. 5.

Hohe Aemmter bringen Sorgen: Ehren steigen mit Gefahr. Offte wird es mit dem Morgen Anders als es gestern war. Ehre last uns nichts zum Pfände. Ich verbleib im Mittelstande. 6.

Hohe Blume / Fels und Thürme Trifft der Donner immer ehr

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Als das niedrige Gewürme Welches in dem tieffen Meer Seine Niedrigkeit betrachtet Und der Strahlen Feur nichts achtet. 7. Was mir GOTT mein Vater giebet Machet mich in allen satt. Hoher Stand mir nicht beliebet Wer vergnügt ist / alles hat / Was ein ander mit viel Sorgen Muß von falschen Glucke borgen. Er war kaum mit dem Gedichte fertig / so erschien die Magd / welche ihn zu Tische ruffen solte. Nun war selbiger Tag in dem Hause dieser reichen Leute / ein rechter Fest-Tag: (70) Denn das war sehr viel / wann eine Henne abgeschnitten wurde. Zwar hatte der Hauß-Herr S O Z O N , selbigen Vormittag / nur vor CONSILIA etliche zwantzig Thaler eingenommen; davor kunte sein B E L I N D E noch zur Noth eine Henne vor 2. gl. abschneiden. Sie satzte Mann und Sohne hierzu ein Nößel jahrigen Wein vor / da sie sonst bey Erscheinung ihrer Freygebigkeit / wol mit heurigen verlieb nehmen müssen. Es ware auch diese Mahlzeit ein ordentlicher Schmauß worden / wann nur nicht zwischen SOZON und B E L I N D E einige Uneinigkeit darüber erstanden / als SOZON seinen Diener BASTIAN einen HünerFuß auff ein Bißgen Brodte von Tische gab. Wiewohl / B E L I N D E muste sich dennoch schämen und fürchten. Dieses / weil SOZON selten / aber zu gewisser Zeit gar sehr konte auffgebracht werden. Jenes / weil die Schande voriges Geitzes noch nicht vergessen war.

CAP. X X X . D E r Zorn aber legte sich gar bald: denn diesen Augenblick schickte ein vornehmer PATIENT von Adel / Ihm dem SOZON ein gantz Stück Wild / womit das Hünerbein / so BASTIAN bekommen / reichlich wieder erse-(77)tzet war. B E L I N D E hatte die froliche Zeitung vernommen: Sie war aber nicht so sehr bekümmert / wie das Wild möchte abgeladen / und an seinen Ort gebracht; als wo sie einen gutwilligen Kauffman dazu hernehmen wolte. Wie ich sage: Sie war so sorgsam dabey: daß / ehe das Wildpret noch von Karne gehoben wurde / schon zwene biß drey GastWirthe da stunden und in Kaufe des Stücke Wildes einander übersetzten.

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hatte eine grosse Freude an diesen Handel. Jedoch vermeinte sie die vortheilhaften Kauffer bald zu entscheiden / und sagte: „Wer den besten Preiß giebet / der soll es haben." E U R I L U S war gegen seine Mutter / wie billig / stets gehorsam und ehrerbietig / und SOZON sein Vater befleissigte sich mit der geitzigen Katze / eine friedliche Ehe zubeschliessen. Denn sonst hatten sie beyde in den Verkauff nicht gewilliget. Sie musten geschehen lassen / daß 14. fl. aufgezahlet / und das Wildpret dagegen auf dem Karne / darauf es kommen / dem Kauffer / ins Hauß geführet wurde. Der Bauer / welcher das Thier zur Fröhne angefuhret / sprach B E L I N D E N umb ein par Dreyer zum Trinckgelde an; in deren Verweigerung er endlich bey ( 7 2 ) der grossen Hundstages-Hitze umb einen Trunck Bier anhielte. Welchen aber B E L I N D E gar genaue abewiese / indem sie sagte / er müste bey dem das Trinckgeld fordern / der das Wild gekaufft hatte. BELINDE

CAP. X X X I . M i c h schmertzt dieser unbarmhertzige Geitz / daß ich von BELINDEN fast nichts mehr gedencken mag. Wer weiß ob B R U T U S und CASSIUS nach P R O P O R T I O N dem verdamlichen Laster also ergeben / ob sie gleich in zwey Jahren an T R I B U T denen Unterthanen so viel vom Leibe rissen / als sonst auf zehn Jahr kaum gefällig gewesen. Oder wie GRACHUS in S A R DINIEN gethan. SVETON. IN G A L B . C. 12. ANTONIUS zwar machte es noch schlimmer. Denn er scharrete in einen Jahre zusammen / was diese alle in zwey Jahren nicht aufbringen kunten. Gewiß ist / daß die H611en Seuche des Geitzes / die Gewalt der Peste an sich hat / welche alles anstecket / und bey denen Heyden allbereit weder Kayser / Konige / Fürsten oder Unterthanen geschonet. Es können sich wenig wiederumb davon CURIREN, wem das Gemüth einmal damit vergifftet ist. Wer daran kranck ist / wird bey seinen gesunden (73) und vollkommenen Sinnen Sinnloß / daß er bey frischen Augen / Ohren / Mund und andern Gliedmassen / blind stumm / taub / und unempfindlich wird; indem er weder auf die Ehre seines Standes siehet / noch das Geschrey seiner verderbten FAMA anhöret. Wer ihn umb was anspricht / gegen den ist er stumm; und an der Hand hat er stets zur Ader gelassen; oder hat sonst eine Beschwerung dran / mit welcher er in den Beutel nach einem Heller greifen / und selbigen dem armen Lazaro zuwerfen soll. CAP. X X X I I . D E r Geitz bahnet den Weg zu allen Sünden; und die Liebe zum Gelde hat am Ende nichts mehr vor sich gebracht / als einen schrecklichen Unter-

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gang und GOttes Zorn. Mich wundert / daß JUL. CAESAR, der gröste Welt MONARCHE, die güldene Begierden sich so verblenden lassen / daß er aus dem Römischen Schatze dreytausend Pfund gediehenes Goldes entwendet / und an derselben Statt so viel verguldet Ertz geleget. ITEM daß er dem PTOLOMAEO naher sechstausend TALENT auff verbotene Art heimlich weggenommen / GELL. XV. 12. CN. LENTULUS war auch nicht besser: denn dieser war bey seinem (74) grossen Gut noch so geitzig / daß er einen Romischen armen Bürger / welchen er in der Kranckheit dahin genothiget/ daß er von ihm etwa auff 50. Thaler zum Erben eingesetzet worden / nachdem er wieder von der Kranckheit genesen / mit Giffte vergeben; weil der Geitz=Hals besorgte / es möchte vielleicht im Testament eine Enderung gemacht werden. Der sonst rühmliche VESPASIANUS triebe aus Geldsucht solche Wercke / welcher traun ein gemeiner Unterthaner sich schamete. E r kauffte geringe Dinge und verkauffte selbige wieder / mit W u c h e r . SVETON. IN VIT.

CAP. X X X I I I . I c h weiß nicht / ob BELINDE etwa den SVETONIUM teutsch muß gelesen / und in des VESPASIANI Leben angemercket haben / daß er auff den Urin einen gewissen Tribut geleget: alldieweil sie sich gegen ihren Mann damit entschuldigen wolte / da dieser vormahls sie deswegen freundlich straffen wolte / als Sie den Mist im Hofe Pfund-weise / oder nach dem Centner verkauffen wolte. Die wunderliche Frau hatte sich lassen eine besondere Wage dazu machen / welche sie gar höfflich die Dinge-Wage benahmte. So hatte (75) sie auch ihr eigen Maß zum Küchen-Spühlich bey der Hand / über welches sie den Unflath / iede Kanne umb einen Dreyhellerspfennig / verkauffen wolte. Zwar wurde sie nunmehr immer liter und alter / und gieng auffs 76ste Jahr loß. Ihr gröster Gram war dieser: sie möchte / wenn sie noch ein Jahr oder zwey lebte / bey ihrem drey Ellen langen Kasten voll Gelde verhungern. Wiewol das Alter Ihr gleichwol auch Beschwerungen zuzöge. Sie klagte / daß sie nicht mehr auff den Boden wohl klettern könte / und alda den Hopffen umbwenden. Vielweniger in Keller steigen und den Wein füllen. Denn Sie vertraute solches ihrem Sohne nicht: ich geschweige einer Magd. Dannenhero saß sie in gar tieffen Gedancken. Niemand wolte sie fragen / warumb sie so lange stille sitze / und den Kopff in der Hand habe. Denn man wüste wol / wem zwene Centner Geld am Halse hengen / daß so eine Last auch wohl den Kopff mit nach sich ziehen könne. Zwar brach BELINDE ungefraget heraus: und sagte / wann ihr von der hohen Obrigkeit könten 4. Stück versichert werden / so sie biß an ihr nahes Ende zugebrauchen; so wolte sie den gantzen Tag gerne auff dem Stule (76) sitzen / und alle Sorgen

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vors Hauß=Wesen fahren lassen. V e r k e h r t e M e n s c h e n / die ihr k a r g e t und s a m m l e t / und w i s s e t n i c h t w e r es k r i e g e n wird. Das Alter war bey BELINDEN schon an sich selbst die letzte Kranckheit / welche durch nichts als durch einen seligen Abschied aus der Welt konte cuRiret werden: Noch machte Sie solche Lebens Anstalt / als wann sie mit der Welt gleiches Alter erreichen müste.

CAP. X X X I V . W A S waren aber das vor vier Stücke / welche B E L I N D E von der hohen

Obrigkeit verlangte / daferne sie von der Haußsorge sich abziehen soke? D a s e r s t e war ein P r i v i l e g i r t e r K r u g o d e r G e f ä ß / w e l c h e s ihr allen O r t h e n / wo W e i n und B i e r z u v e r k a u f f e n / v o l l G e t r ä n c k e o h n e alle B e z a h l u n g / so lange sie l e b e t e / müsse p a s s i r e t werden. D a s a n d e r e ein P r i v i l e g i r t e r H a n d = K o r b / darein ihr alles von F l e i s c h / B r o d t / F r ü c h t e / und was auff dem M a r c k t e feil ware / g l e i c h e r G e s t a l t o h n e G e l d / L e b e n s lang müsse a b g e f o l g e t w e r d e n . D a s d r i t t e (77) war eine E l l e / d e r g l e i c h e n F r e y h e i t bey denen C r a m e r n / und H a n d e l s » L e u t e n zu h a b e n . U n d e n d l i c h das v i e r d t e einen t a g l i c h e n F r o h n b a u e r / o h n e i h r e n U n t e r h a l t / w e l c h e r H o l t z und was s o n s t m e h r von n o t h e n / b e y v o r f a l l e n d e n G e b r a u c h zu f ü h r e n müsse. Diese vier Stücke traun / seyn wohl werth / daß sie allhier mit grobem Buchstaben angemercket. Ich muß bekennen / so ich derselben konte fähig werden / und auff mein Leben genießen; ich wolte demjenigen ADVocATen 6. Rthal. vor die SUPPLICATION geben / die er mir zu Erhaltung meines Suchens aufsetzen würde.

CAP. X X X V . W i r müssen uns von der umgekehrten Hanna etwas abwenden / und zu unserm E U R I L O wiederumb ein wenig auff seine Studir-Stuben spatziren. BELINDEN aber nennen wir darum eine umgekehrte Hanna: Denn gleich wie die Schrifft von der frommen Hanna / der Tochter Panuhel / rühmet / daß sie nimmer von Tempel kommen / sondern mit Fasten und Beten GOtt Tag und Nacht gedienet: also kam diese {78) nimmermehr zum Tempel / und dienete nicht GOtt / sondern ihrem Mammon Tag und Nacht. Jedoch kam sie / was das Fasten anlanget / jener gar gleich. Denn sie fraß sich entweder aus Geitz nicht satt / oder hungerte gar. Dort saß

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nun EURILUS und verwunderte sich auff seinem Dreh-Stule über sein und seiner Mutter ungleiches Gemüth. Er gedachte / wie es doch zugehen müste / daß ein Kind von seiner Mutter am Gemüth so gar unterschieden seyn könne. Er danckte offt mit einen Seuffzer gen Himmel dem jenigen / welcher ihn in seiner Empfängnis vor einen solchen Hertzen behütet / das sich in der Welt an nichts als an blosser Besitzung des verborgenen und unnützen Geldes vergnügen könne. Es ist wahr / EURILUS hatte sich gantzer 9. Monat lang / so lange er nemlich unter dem Hertzen seiner geitzigen Mutter gesessen / sich von der geitzigen Geblüte ernehret / und hatte auff manchen verbotenen Wegen des un-Christlichen Wuchers / ein unschuldiger Geferte seyn müssen. Sonst heist es: wie die Mast / so gerathen die Schweine. Die Katzen laßen das Mausen nicht: und keine reiffe Frucht fallet aus dem Bezirck seines (79) Baumes. Noch hatte EURILUS ein so gar freygebiges und mitleidiges Gemüth / welches auff Gutthat gegen einen Freund / wie auch gegen das Armuth stets dachte. Eine gute fröliche Stunde / iedoch ohne alle Kennzeichen der Verschwendung suchte er und sparete dazu keinen Heller. Es war ihm eine Freude / wann er nur iemanden etwas zu gute thun solte: unerachtet er von einer gantz eisernen Mutter empfangen und geboren war.

CAP. XXXVI. E R hatte seine Laute unter der Hand und spielte auf die teutsche Manier / etzliche Lieder / so er vor 8. Jahren schon auf der Universität begriffen. Es fiel ihm aber dabey ein / daß er seiner Geliebte noch ein Lied zu machen schuldig war: indem er denen ersten beyden Patienten / so die Colica in Kopffe hatten / zu seiner eigenen Belustigung zwey Lieder gemacht. Dannenhero ließ er sich die Lauten auf LISALANDENS Andencken führen / und erinnerte sich selbst / daß er derselben Colica auch noch in ein Lied zu bringen hatte. Er legte derowegen von Stunden an das bißgen Holtz vor zwantzig Thaler aus der Hand / zöge seine Schreib-Taffel hervor / (80) und ließ sich folgende Gedancken von der Liebe aus dem Bley-Stiffte flüßen. 1. FRagt ihr mich / was Liebe sey? Antwort: Thorheit / Tendeley. Schwachheit / Fantasey und Possen. Und wer damit wird geschossen / Der verruckt des Glückes Ziel Durch sein stetes Widerspiel.

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2. Alle / die getroffen seyn / Aengsten sich in solcher Pein / Daß sie bey gesunden Tagen Uber Kranckheit müssen klagen: Wann sie dieser Hertzens=Gifft In der Seelen Abgrund trifft. 3.

Freylich! Sehnsucht machet kranck / Daß man weder Speiß und Tranck Mit belieben kan geniessen. Nichts mag solchen Schmertz versüssen. Das Gemüth wird selten froh Wen die Liebe plaget so. 4.

Edle Freyheit liegt zu Fuß / Wann die Liebe einen Gruß Uberbringet ihren Sclaven Vor den tieffen Venus-Hafen. Wann zumal der Wollust Gicht Aller Keuschheit Mast zerbricht. 5.

Freuden thun dem Hertzen weh / Wo die Venus ihren Klee In der Hitze llsset blühen / Und in dem Geblüte glühen. Lieb ist eine Krlnckerin Auch bey unbetrübten Sinn. 6.

Liebe macht in Winter warm / Und bey grossen Reichthumb arm: Wann wir gleich des Glückes Gaben Schon in unsern Händen haben. Wer von Liebe wird geplagt / Ist bey Geld und Gut verzagt.

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7. Darumb such ich Artzeney / Andern sey auch wie ihm sey / Mir bey einem eignen Weibe / Damit reist michs nicht in Leibe. Itzt laß ich mich nicht verführen Lisalanden zu curiren.

CAP. X X X V I I . H A e t t e LISALANDA diß Lied empfangen / so mochte sie sich bey denen ersten sechs Versen endlich gar wol gefasset haben. Ob aber der letzte ihr nicht wiederumb einen neuen PAROXYSMUM der Colica in Kopf hinnein SCANDIREN können / daran ist kein Zweiffei. Unterdessen legte E U R I L U S die drey Lieder / so er auf seine Patienten gemacht / bey seiten / und war zu frieden / daß er sich einmal in der Poesi geübet. In übrigen gonnete er keinem unter diesen dreyen Patienten die Colica im Kopffe. Er hatte ein geheimbdes Mitleiden mit ihnen / und wündschte wol tausend mal dabey / daß Sie alle dreye die Colica nur in Bauchen hätten; denn also konte er ihnen helffen. Solcher Gestalt aber kunte er keinen CURIREN. Er {83) saß in solchen Gedancken / und muste gestehn / daß L i e b e / E h r b e g i e r und S c h u l d e n einem Menschen bange genug machen können. Er vertiefte sich in der gleichen Nachsinnen / biß er endlich mit sich selbst redete / und aus erbarmen sagte: ,Die armen drey Patienten: konte ich ihnen helffen / oder zum wenigsten nur einen davon: ich müste dencken / daß es mir nicht wol gienge wann ichs nicht thate.'

CAP. X X X V I I I . E U R I L U S hatte diese Worte kaum in seiner Einsamkeit gegen sich selbst ausgeredet; so zersprang ihm vor seinen Augen ein groß Glaß mit dem S P I R I T U M U N D I , welchen er mit seines Vaters Beystand erfunden / und mit grossen Kosten / zwey jahriger coNTiNUiRÜcher Feuer*Arbeit erworben hatte: dessen Verlust mit etzlichen hundert Thalern nicht zuersetzen war. Wie E U R I L U S darüber erschrack / ist leicht zu erachten. Zumalen er mit dem herrlichen M E D I C A M E N T E schon viel Proben gethan / und nunmehr erst anfieng vollends dadurch rühmlich bekandt zu werden. Gewiß ist / daß der S P I R I T U S seiner Würckung nach unschätzbar war / und (84) dannenhero nicht so wol der daran erlittene Geld Schaden / als

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der Abgang eines allgemeinen Mittels / wider Kranckheiten zu betauren. Anderes Theils hatte auch EURILUS seines Herren Vätern / am allermeisten aber seiner Mutter Zorn zu befürchten. Deswegen er in die Gedancken nochmehr verwickelt wurde. Von der QvANTiTat des SPIRITUS war nichts zu retten; ob es gleich mehr als 6. Kannen waren; denn auf einen Knall lag aller Vorrath an der Erden. Er ergrief in Schrecken alle seine schwartze Wasche und trucknete damit die kostbare Nasse von der Erden auf / ob er nun wol den Schaden gerne verschmertzet und verschwiegen hatte; so war doch die Unmügligkeit sein Verrather. Das gantze Häuß wurd dadurch allenthalben PERFUMIRET. Jedoch zöge der Geruch mehr in die Hohe / als unter sich. Letzlichen aber hatte das CORPUS gar durch den Fußboden in die unterste Wohn= oder Speise Stube gedrungen / und auf BELINDEN allda einen Ablauf genommen. Diese kunte nun wol dem Gerüche nach empfinden / daß dieses / so ihr auf den Kopff getroffen / kein gemeine schlecht natürlich Wasser / sondern ein kostlicher SPIRITUS sey: alleine (85) die Grosse des Schadens hatte sie hierdurch noch nicht errathen. Gleichwol vermuthete sie eine Verwahrlosung der Artzney von ihrem Sohne / welchen Schaden sie selbst in Augenschein nehmen wolte.

CAP. X X X I X . S i e schraubte sich von einer Stuffe zur andern / und gieng dem Gerüche nach / welcher sie in ihres Sohnes Stube ohne allen Irthumb leitete. Sie schnupperte unter weges wie ein Fuchs / wann er geludert wird / und traff auch endlich die Bahn / biß auff den LOCUM DAMNI, WO das grosse Glaß voll Gesundheit verschüttet war. Der Zorn über diesen Schaden / verjüngte die alte BELINDE fast; indem sie die Helffte ihrer noch beywohnenden Kraffte darob außschüttete. Besser war es vor den EURILUM, daß er der Mutter Zorn in seiner Stube in Geheim / als vor andern Leuten mehr ausbaden muste; denn die Titul womit sie ihn beehrte klungen nicht alle gleich. Er mochte schweren wie er wolle; so glaubte sie doch nicht / daß das Glaß von sich selbst zersprungen: sondern blieb in der Meinung / EURILUS sey die einige Ursache des Schadens. J e länger sie eifferte / ie grosser der Zorn in ihr (86) wuchs. Das war das Gemahlde eines zornigen Weibes / wie es Salomon abmahlet. Kein Lowe kan so grimmig / kein Drache so grausam / kein Sack so scheußlich sehen / als dieses alte Gerippe. Sie grief endlich gar nach der eiserne Elle; und wolte EURILUS sie / aus kindlicher REVERENtz nicht mehr erzürnen / oder auch keine Schlage über sich nehmen / muste er entweichen.

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CAP. X L . D E r günstige Leser verzeihe mir mit diesen Weibe etwas zuschertzen; weil sie es wol verdienet. Die gute 72. Jahrige Mutter hätte sollen Gott dancken / daß das Glaß zerbrochen ware / und darauß zwo Lehren nehmen. Eine: daß alle Dinge in der Welt vergänglich / und daß auch also ihr Reichthumb kein besser PRIVILEGIUM der Beständigkeit habe / als eben das zerbrochene Glaß. Vors andere hatte sie sich auch darumb gluckselig sollen schätzen / weil sie von G O t t auff der Welt / als ein geitzig Weib dennoch so weit gewürdiget / daß sie vor ihren Ende noch / oder vielleicht zu Anzeigung desselben / eingesalbet worden. Denn der Lebens=Balsam welcher oben durch die Stuben=Decke geronnen / hatte sie eben auff das Haubt getroffen. (87) Nichts desto weniger aber gedachte Sie weder an Todt / noch an die Wohlthat des Glücks / so ihr aus dem zerbrochenen Glase widerfahren. Es war ohne dem nichts an ihr. Sie PRAESENTIRTE in STANDO nichts mehr / als einen Sack voll Knochen. Und die alten Gliedmassen klapperten / wann sie fortgieng wie ein Bortenwürcker Gestelle. Das Alter hatte sie so matt gemachet / daß sie die Füsse nicht mehr ertragen kunte. Dannenhero schleiffte sie aller vier Wochen ein par Pantoffeln durch. Wiewohl sie zwar kurtz vor ihrem Ende / diesen Auffgang noch mit einer trefflichen INVENTION Haußhältig c o R R i G i R t e . Sie ließ sich ein par Sandeln / oder / wie die Danen noch zu tragen gewohnet / ein par Holtzerne Pantoffeln von Horlitzken Holtze machen / und die unten an den Fußsolen mit Bleche beschlagen / worinnen sie endlich ohne Ausgabe einiges Flickelohns / ihre Grabstätte erstiegen. Zwar entstund ihr über denen wolgerathenen und dauerhaftigen Pantoffeln noch eine grosse Sorge / etwa zweene Tage vor ihrem Ende. Denn sie sähe / daß sie damit den Fußboden überal aufschliffe und stünde zu besorgen / sie werde in wenig Jahren neue Boden legen müssen. (88)

CAP X L I .

S i e wurde endlich so matt / daß sie auch die Hände nicht mehr brauchen kunte: Dennoch aber ließ sie sich bey der Hand herumb führen. Sehr lang war sie auch / aber schmächtig und dünne / nicht viel ausser PROPORTION eines Ladesteckens. Dannenhero war sie zum Fallen geschickter / als zum Aufstehen. Und damit sie nun der Welt / doch was will ich sagen der Welt / nur der Gedancken von der Welt etwas zubesitzen / noch länger genießen möge / ließ sie sich einen Trage Stul verfertigen / in welchen sie sich dennoch in Entstehung der 4. gewünschten PRiviLEGiRten Stücke / auf den Boden / in den Keller und allenthalben des Hauses durch 2. Trescher

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herumb tragen ließ. Endlich gonnete ihr das Glück auch in diesen Stück ein Ersparen. Denn wann sie die Trescher / welche umbs Tagelohn arbeiteten / tragen musten / so kunten sie ihrer Tage-Arbeit nicht abwarten: welches ihr manche Ungedult verursachte. Darumb saß sie einsten am Fenster und wurde ohngefehr einer vorbey gehenden grossen und fast erschrecklichen Bauer-Magd gewar; dieselbe ruffte sie mit großen Begierden zu sich: Sie fragte also fort nach (89) ihren Herkommen und Vaterlande / und bot ihr alsdenn Dienste an. Die grosse Magd / welche der sauren Dorff=Arbeit vielleicht müde war / sonderlich aber sich vor der herannahende Erndte fürchtete / ließ fast ein Lüstgen mercken / die Dienste anzunehmen. Mit drey Worten war der C O N T R A C T richtig.

CAP. X L I I . M A n wüste in Anfange nicht warumb B E L I N D E eben die grosse unbekandte Bauer=Magd miethete / biß sie endlich anzöge / und B E L I N D E N , an statt der zwo Drescher im Hausse auff dem Arme herumb trug. Und so stunden die Trescher wiederumb in ihrer Arbeit: die bißherige Magd aber hatte zu Lohn ihrer treuen Dienste einen unverdienten Abschied. Den Stul gab sie dem Tischer wieder / gegen welchen dieser ihr ein Kastlein machen muste / worein sie ins künfftige die einkommenden Böhmischen Groschen einsammlen wolle. Unterdessen befand sich B E L I N D E gar übel / indem sie Battlagerich wurde. E U R I L U S durffte nicht zu Ihr. Darauß dann ihre Kranckheit gar wohl zu erkennen. Mit einem Wort: Der ver-(90)schüttete SPIRITUS riß sie im Leibe. Ihr Ehe-Herr SOZON nahm die Ursache der Kranckheit von Alter: und wüste nicht daß er auch einen Patienten in die Cur bekommen / der die Colica im Kopffe habe.

Des andern Buches c a p . ι. W i r müssen gleichwohl des E U R I L I Patienten nun wieder besuchen: und sehen was diese guts machen. Der alte SOZON mag in dessen an seiner alten H E C U B A cuRiren / wie er will. Vielleicht finden wir sie in unserer Rückkunfft auff dem Rücken liegend und eine C I T R O N E in der Hand habend.

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CAP. II. gieng wegen allerhand Ungedult aus dem Hause / nachdem er das Ungemach nicht ertragen konte / welches er umb den erlittenen Schadens willen leiden müssen. Der Kopff war ihm umb so viel wüster worden; weil er die vergangene Nacht sehr übel geschlaffen / und in der Fin-(9/)sterniß / welche ohne dem denen blöden Menschen verdrüßliche Gedancken genug eingiebet / sich allerhand C O N C E P T E gemacht hatte. Sonderlich war ihm nachdencklich vorkommen / und hatte ihm die gantze Nacht in Sinne gelegen / daß das Glaß mit dem S P I R I T U in dem Punckt und Augenblick eben auf die Wort zersprungen / da er gesagt: er betaure seine drey H a u p t = C o l i c a n t e n / er wolte ihnen gerne helffen / wann es nur in seinen Vermögen stünde. Denn wenn er einen nur helffen könte und thate ers nicht; so müste er in Sorgen stehen / es werde ihm nicht wol gehen. Diese Worte hatte er hin und her überleget / und bald so / bald so ausgeleget. Wie das Menschliche Gemüth in solchen Fällen zu thun pfleget. Das Glück ist unsichtbar / und wir fehlen desselben / ob es gleich bißweilen uns sehr nahe ist. Wir tappen darnach / aber nicht ohne Fehlgriffe. CALVA EST HAEC DEA. Diese Göttin ist nackend und hat hinten kein Haar. Und darumb ist sie übel zu fassen / wann sie uns einmal den Rücken zugekehret. Dannenhero wird uns armen Menschen in wichtigen Dingen das (92) Hertz so schwer: auf deren Außgang unser Wohl und Wehe beruhet. Es ist keinen Spieler zu verargen / wann er ja sein baares Geld an die leere Hofnung versetzet / daß er sich wol besinnet / welches Chartenblatt er aus zwölffen ziehen / und ausschlagen / oder zuspielen will: indem immer eins vor dem andern / bey dem Gegentheil / mehr Sicherheit zur Wiederkunfft hat. Wieviel tausend mal hatte mancher Spieler mehr gewonnen / wann er iederzeit das rechte Blat ergriffen? Es kan unser Leben welches dem Chartenspiel nicht ungleich / niemals ohne Kummer und Sorgen seyn. Alles / was wir thun / geschiehet aus Freyheit / welche von einer gefahrlichen Wahl iederzeit begleitet wird. Zumal in solchen Dingen / worinnen wir uns nur einmal entschliessen / und welche / wenn sie geschehen / nicht zu Indern seyn. EURILUS

CAP. III. U N d eben dieses ist der noch nie ergründete Brunnen / woraus der Uberfluß Menschlicher Gedancken; und bey manchen wol gar eine stets wahrende Melancholy geqvollen. Das Meer ist überall zu ergründen / und an keinem Orte tausend Schritte tief. J O N S T . DE C O N S T . N A T . P R O P . (93)

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HI. p. 22. Alleine das kleine halbe Pfund Fleisch des Menschlichen Hertzens hat gar keinen Grund. Es ist so voll Gedancken / wie die Citronen voller Kern: und derselben Zufluß überschwemmet offt das gantze Gemüthe. Ich mochte wol sagen / daß dieses Ding (so nennet es die Schrifft) trotzig und verzagt / das ist / sich bißweilen mehr fürchtet / als es von nöthen: auch wohl mehr trotzet / als es Ursach dazu hat. Ists nicht wahr / wir verirren uns offt in uns selbst / und kennen uns in diesen Irrgarten nicht wiederfinden. Die Sinne kampffen dermassen wieder einander / daß sie sich manchmal gar vertreiben; und wir / in dem wir an meisten dencken / alle Gedancken auf einmal verlieren. Eine einige Sache nachdem sie zu Ende gebracht / hat nur einen Ausgang: welche aber zuvor wol tausend Ausgangen hat können unterworfen seyn. Und darumb seyn wir so unruhig / wenn wir etwas vornehmen alldieweil uns so viel Dinge in Wege stehen / welche unsern Vorhaben einen gantz andern Ausgang vorschieben können / alß wir zu unsern Zweck absehen. Wir INTENDIREN allezeit das beste / und höchste: Und indem wir das suchen / seynd wir der Gefahr am näch-(94)sten: Die Höhe des Glücks stehet so nahe bey der Große der Gefahr / wie in dem INTERIM Spiel das Fach 24. bey dem Narren. Und gleichwie diejenigen so darauf spielen / und ihre Kugeln alle bey hohen Zahlen anbringen wollen / allezeit die Gefahr haben / daß sie in den Narren damit rennen: also muß derjenige / der hohe Stufen suchet / auf zerbrechlichen Sprossen dahin steigen.

CAP. IV. G u t e r R a t h und sein A b s e h e n wol ü b e r l e g e n / pflegt man zusagen / kan e i n e r S a c h e e i n e n g l ü c k l i c h e n A u s g a n g zu wege b r i n g e n . Alleine ein ieder besinne sich / wie schwer es ist / in gefährlichen Sachen einen Schluß fassen. Es erscheinen nur diejenigen / welche nicht in der Lust»Seuche / sondern mit kluger Vernunfft ein Weib genommen haben. Sie eröfnen in dem einigen nur das weite Feld ihrer Gedancken: und lassen sehen auf wie vielen Creutzwegen der Vernunfft sie sich haben herumb angsten müssen. Kein Mensch würde so vielen Unglücks Fallen unterworffen seyn / wann er mit denen Augen des Gemüths das zukünftige Final seines Vornehmens ersehen kon-(95)te. Das ist die Klippe / daran wir offt die Hoffnung zerscheitern / und wo die Verzweifflung uns einen Schiffbruch anbietet. Zu verwundern ist / daß der Mensch manchmal sich selbst mit Gedancken über einen Dinge qvalet / wozu er doch zum wenigsten Ursache findet. Wie mancher kan sich über einen Traume bekümmern / eben / als wann ihm die vergangene Nacht von einen Propheten altes Testamentes etwan gutes oder böses wäre verkün-

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diget worden. Mancher kan den gantzen Tag melancholisch seyn / wann etwa des Nachts sich die Katzen vor seiner Thür gebissen haben: ja er pflegt wol gar deswegen ein Testament zu machen / und sein Hauß zubestellen / damit er sich zum Tode bereite: nachdem von alten Weibern nunmehr der Aberglaube so weit S T A B I L I R E T , daß man solch Katzengebeiße Wehklagen zu nennen pfleget. Es ist zu bejammern / daß der arme Mensch offt selbst in solchen Nachgrübeln sein eigener Hencker ist / und durch des Satans Gewalt / welcher diese Gelegenheit dazu ersiehet / gefangen wird. J a es ist die Welt mit Argwohn böser zukünftiger Dinge so eingenommen / daß mancher / wann ihm nur der Stab aus denen schwachen (96) Händen entfalt / es vor ein sonderlich Anzeigen bevorstehendes Unfalls / sich zu Gemüthe steigen last. Kein Rabe noch Agalaster darff sich mehr sehen lassen / oder nur qver über den Weg fliegen / so soll es die Bedeutung zu künfftigen Unglück haben.

C A P . V. I N dergleichen Haut stag E U R I L U S nun auch und vermeinete / es hatte G O t t ihn mit dem Glaßbruche deswegen gestrafft / weil er die Worte gebraucht: er m u s t e d e n c k e n / es k o n t e i h m n i c h t w o l g e h e n / w e n n er e i n e n u n t e r d e n C o l i c a n t e n h e l f f e n k o n t e / u n d es n i c h t t h ä t e . N u n ist wahr / E U R I L U S hatte einen unter den dreyen Colicen Patienten gar wol helffen können. Denn ob er gleich weder dem I N D I A N O mit Gelde / noch dem L A B I L I S zum S Y N D I C A T helffen kunte; so hatte er doch zum wenigsten die L I S A L A N D A aus dem Grunde C U R I R E N können / wann er sie geheyrathet hatte. Der gute E U R I L U S hieng zwischen Thür und Angel / und ließ sich von der Vielheit seiner Gedancken ziemlich warm machen. Beym E L E M E N T , Er ließ sich endlich so bange werden / daß bey ihm eine Barmhertzigkeit gegen L I S A L A N D E N er-(97)wuchs / und er sich fast mit seinen Gemüth in eine D E L I B E R A T I O N einließ / L I S A L A N D E N zu C U R I R E N . Diese ermangelte auch nicht E U R I L U M einmal nach andern bittlich zu sich zuerfordern; daß also an Gelegenheit zu guten Tractaten es nicht ermangelte. C A P . VI. iNzwischen hatte Herr I N D I A N U S wiederum etwas Lufft zum Hertzen bekommen. Denn die Zahl-Woche war numehr vorbey / und seine Wechselbrieffe in Geheim PROLONGiret. Hiedurch hatte ihn die Colica verlassen. Wiewohl bey nächster Messe er R E C I D I V A M gleichwol wieder zubesorgen. Dannenhero RESOLViRte er sich / lieber mit einem Nachdruck

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Banckerott zu werden / als auff eine kale Post von 80000. Thalern. Er trachtete dahin / wie er neuen CREDIT sich machen / und hernachmahls die CREDITORES bey Zeiten mit einem eisern Briefe / auff ein INTERIM bezahlen mochte. Was er suchte / gieng ihm gar glücklich an. Dabey Ihm denn ein guter Vortheil war / daß er alle seine Schulden in grossen Posten nur bey ein oder zweene CREDITORIBUS gemacht / mit welchen er leicht sich vergleichen und in aller Verschwiegenheit seine Wechselbriefe (98) auswechseln können. Kein Mensche wüste auff solche Weise / ob Herr INDIANUS die vergangene Messe sitzen blieben / oder nicht. Er brauchte die Gelegenheit / wie gedacht / und machte noch auff 40000. Thaler neuen CREDIT. Bevor er aber dieses zu Wercke richtete / kauffte er drey Hauser am Marckte / und ließ dieselben einreissen / mit vorgeben / alda ein sehr prachtig Hauß zubauen. Und damit machte er eben die CREDITORES sicher / als welche bey einen solchen kostbaren Lustgebaue / INDIANO keinen Mangel zudencken kunten. Wen er um CREDIT ersuchte / der erschiene ihm willig / und ließ ihm sein bares Geld gemessen.

CAP. VII. Z w ar hatte sich der poßirliche Mann wol retten und vor dem grossen F. hüten können: alleine sein DELICAT Leben / und auserliche grosse Verschwendungen kunten keinen andern Ausgang als Schulden haben. Man wolte sagen / er und die Seinigen trügen lauter weissen Taffent zu Hembden: und alle seine Kleider / wie auch die Weiberrocke hatte er mit Sammet füttern lassen. Seine Stube war um und um mit rothen Sammet ausgepolstert: das CABINET aber i n - ( 9 9 ) w e n d i g gantz vergüldet. Die Küche und den Schorstein ließ er alle Jahr mit Oelfarben und allerhand Historien mahlen. Welche aber iedesmahl binnen 14. Tagen durch den Rauch wieder verdunckelt wurden / der Herd war von Marmel: und der Wasser=Stander von Kupfer in Feuer vergoldet. Die Schopkellen waren meist Silber; und an denen Vorhangen / welche umb den Herd hiengen: ingleichen der Mägde Cattunen Küchen=Schürtzen waren Spitzen / die Elle ä 3. Rthal. Die Handgriffe an denen Ellen in Laden / waren alle aus Silber gedrehet / und gleichwie die großen Schlösser starck vergüldet. Das Secret hatte schöne Crystallinne Spiegel=Scheiben. Und das Sitze=Bret war mit blauen Sammet und silbern Zwecken beschlagen. Von wollüstigen Essen und Trincken will ich nicht sagen; sondern nur dieses melden / daß er das hundert Austern mit fünff Thalern bezahlte / und solche alle Woche / zweymahl / so wol vor sich als auch vor das Gesinde speisete. Des Sonnabends war sein ORDINAR-Gerichte eine Pastete von lauter frischen Hecht= Lebern / davon er das Fleisch einsaltzen / und vor die Schnitter und

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Trescher verspeisen ( 1 0 0 ) ließe. Dreyerley Rheinwein hatte er stets in Keller: und was nicht der Herr über Tische mit guten Freunden auszechte / das vertrugen die Magde mit denen Laden-Dienern.

CAP. VIII. D i e Wollust macht endlich blind: und bezaubert die Vernunfft / daß sie keine Rechnung über den Ausgang des Lebens macht. CREDIT ist wohl eine feine Sache; aber bey Leuten / welche Richtigkeit suchen / und sich entbrechen / anderer Leute Geld vorsetzlich ohne INTERESSE zuverqvasen. Wenn nun INDIANUS vorerwähnter Masse also Haußgehalten / wo könte möglich seyn / daß er nicht in etzlichen Jahren sollte Fallit werden. Uber diß gieng die Verschwendung auch andere Lustreitzende Dinge an / er kauffte unterschiedliche Hunde / unter welchen er von manchen zwey hundert Thaler und mehr bezahlte. Auff den Gang in Hoff ließ er sich ein Glocken-Spiel setzen / welches er mit einem Messing-Gegatter verwahren ließ. An Frembden Thieren hatte er grosse Lust sonderlich an Papagoi / Turckischen Hennen / Pfauen und Affen. Dergleichen Thiere er mit grossen Gelde kauffete / und ernehrete. (101) Keine zwantzig dreyßig / und mehr Thaler waren Ihm zu lieb / daß er solche nicht vor eine kurtze Lust hätte auffwenden sollen. Sähe er einen lustigen Menschen / den ließ er nie unbegabet von sich gehen. Manchen Possen bezahlete er gar theuer / und wer ihm dergleichen machen konte / den kleidete er aus seinem Gewölbe. CAP. I X . N U r etwas davon zu gedencken: es wohnete ihm gegen über ein Schuster / bey dem meldete sich ein frecher Gesell an / welcher sich durch seine Leichtfertigkeit an Bettelstab gebracht / und welcher durch offt schandbare Possen sich von einem Orte zum andern bringen muste. Der Possenhafte Bettler stund dort vor des Schusters Thür barfüßig / und sprach den Meister umb ein par Schu an. Der Schuster fragte nach der bekanten Regul: ob er Geld habe? der unverschämte bekante seine Armuth und sagte: nein. Der Schuster fragte ferner / was er ihm denn davor geben wolte: wenn er kein Geld hatte? jener versetzte: er wolle Ihm eine Lust davor machen. O b nun gleich der Schuster nicht gemeinet war / vor eine schnöde Lust ein bar Schu vor 1. Rthal. zu-(/02)vergessen / so fragte er aber doch / worinne denn diese Lust bestünde. Der grosse / faule / lose Bettler sagte: er wolle ihm davor mit Gunst zu melden / von hinden zu / sechs Schock übelriechende Wörter auff einmal nach einander in die Welt

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reden: und wann ihm eins daran versagen würde; so wolte er davor sein Leibeigener seyn. Der Schuster sammt seinen Schuknechten hüben darüber an hefftig zu lachen: daß INDIANUS der Kauffman laut über die Gasse seinem Nachbar dem Schuster zu rieff / und nach der Ursach fragte. Dieser eröffnete ihm den stinckenden CONTRACT, welchen INDIANUS eben so sehr und noch mehr belachte. Er forderte den garstigen CONTRAHENTEN zu sich und hieß die begehrten Schu mit bringen. Er bezahlte solche dem Schuster und ließ sich mit dem losen Kerlen also ein: Er solte / seinem Versprechen nach / sechs Schock ungewisse Schützen / welche nach der Fersen zielen und die Nase treffen / herzahlen. Woferne es ihm aber an einen ermangeln würde / so solte er vor erst die Schu nicht bekommen: sondern solte auch wegen dieser unreinlichen Vermessenheit auff Türckisch geprügelt werden. Zum Schrecken stellete er auch (103) zwene Frachttrager mit Pack-Prügeln neben Ihm / damit er sich der Straffe desto gewisser zubefahren. CAP. X. N i c h t s desto weniger aber stund der kühne Mensch zwischen denen zweyen Züchtigern unerschrocken / und zahlete sechs Schock solche dreckige Thone gleichwie von einem Kerbholtze daher; mit der umbstehenden höchsten Verwunderung und lachendem Geschrey. INDIANUS der Kaufman hatte sich schier aus dem Athem gelachet. Da er nun wieder zu sich kam / reichte er nicht nur dem CONTRAHENTEN die Schu; sondern gab ihm auch Tuch zum Kleide. Die Schu war er an meisten benothiget. Dannenhero satzte er sich solche anzuziehen. Nun waren noch keine Locher zum Zubinden darein geschlagen. Deswegen gieng er zu denen Schuknechten und bat dieselben Ihm dazu beförderlich zu seyn. Sie forderten sechs Pfennige als ihr ACCIDENS davor: die aber der lose Hund nicht zubezahlen hatte. Jedoch erbot er sich den Wirth mit einen Schocke dergleichen lautschreyenden Bauchkneipern zu vergnügen. Die Schuknechte / welche vor 6. Pf. auch gerne einmal lachen (104) wolten / verwilligten ihre Mühe / und forderten von Ihm nur sechzig mal κάτω zu niesen. Was er zugesagt / das hielte der Windbettler richtig: ja er gab noch zehn Stücke drüber. CAP. XI. U ß e r diesen Schertz nun versammleten sich unterschiedliche Personen / welche allerhand davon zu DISCURIREN anfiengen: Wer sonst lustiges Gemüths war / der konte sich nicht darüber satt lachen. Wer aber sonst gar zu scheinheilig wolte angesehen seyn / der konte diese Art zu betteln / oder daß ich recht sage / diese Manier / Kleid und Schu zu kauffen / ihm

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gar nicht billigen. Unter andern traten auch zwene Rathsherren hinzu / welche auf die Messe das Städte Geld einzufordern abgeordnet waren; Ingleichen ein D O C T O R JURIS, welcher sich ziemlich in der Welt umgesehen hatte. Diese zusammen geriethen in ein Gespräche über solchen Wind=Sausen / daß sie endlich gar tief in die Historia geriethen. Das Gespräche war etwa also abgefasset: 1. R A T H S H . Man solte solche ärgerliche Vogel straffen / welche in Beyseyn des Ge-( 105 )sindes / Kinder / Frauen und Mägde solche Unreinligkeiten begehen. 2 . R A T H S H . Was die Natur erfordert / ist nicht schändlich / vielweniger strafbar. DOCT. Es ist wahr: Denn so wenig der Mensch und andere Thiere ohne Lufft leben können / so wenig ist die Lufft / welche sich von innen im Leibe entspinnet / zuverhalten. 2 . R A T H S H . Diese Dinge lassen sich gar nicht verbeissen. DOCT. Verbeisse sie ein ander: meine Zähne seyn viel zu stumpf dazu. 2 . R A T H S H . Ich meine verhalten. DOCT. Der Holländer sagt / es sey besser in die weite Welt / als in engen Bauche. 1 . R A T H S H . ES i s t PROFECTO CONTRA CIVILITATEM MORUM.

Mein Herr warumb hat denn ERASMUS in seinen TRACTAT DE einen BOMBULUM zuverhalten verboten. Ich kenne traun die drey vornehmsten M E D I C O S in Teutschland / welche einen FLATUM weit gesünder schätzen / als ein F O N T I N E L L . 1. R A T H S H . Alles zu seiner Zeit. DOCT. Wann alles seine Zeit hat: so muß ein Wind von guten Lenden / nach Aus-(/06)sage der Sprüchwörter Salomonis / auch seinen Pass haben. 1. R A T H S H . Wann ein CREPITUS zur Gesundheit dienen soll; oder wenn man alleine ist / so mag er klingen / wie er will. Hoffliche Leute verbergen es: aber die Bauer-Reckel rüffeln erbarn Leuten damit die Ohren. DOCT.

CIVILITATE MORUM

Dieser sonst ehrliche gute Mann hatte dieses kaum ausgeredet / als ihm ein 4. gl. Stücke entfiel / welches er wieder unter der Banck vorlangen muste. Ubern Bicken entfuhr ihm das / worüber sie eine halbe Stunde Wort gemacht hatten. Er mochte nun mit Husten und Fußscharren es bemänteln / wie er wolte / so war doch dieses Pfeil so geschwinde / daß es weder mit dem Maule noch mit der Hand zuertappen war. INDIANUS, in dessen Hause es geschähe / und der dem erbaren Rathsherren nicht gar grün war / hätte ihn lieber einen Reckel geheissen / weil dieser selbst den Ausspruch solcher Gestalt gemacht. Alleine weil der arme Mann sich so gar sehr schämete / wolte er ihm ferner keine Rothe mehr abjagen. Doch fragte er Ihn:

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Mein Herr Gevatter / hatte dieser seine Zeit / oder nicht? (107) 1. RATHSH. Freylich! hatte er seine Zeit. Denn wann die Qvitten reiff seyn / so fallen sie. DOCT. Ihr Herren zancket euch doch nicht umb ein solch nichts würdiges Ding / welches allen auserlichen Sinnen verhast ist. Ein solcher SPIRITUS ist ja denen Augen verhast / weil er unsichtbar ist. Denen Ohren stehet der falsche Thon auch nicht an. Der Geschmack will gar nichts damit zu thun haben. Niemand fühlet einen solchen Kerlen / als von dem er selber kommt. Die arme Nase wird am meisten damit beschweret. Und ihr wolt da groß Wesen davon machen. 1. RATHSH. ES ist wahr / von solchen groben Dingen soll man gar nicht reden. DOCT. Mein Herr / ist der Natur ihre RESPIRATION von hinten zu grob / und schadet dem Menschen an seiner Hoffligkeit. Warumb hat denn vergangenes Jahr ein PROFESSOR in Holland ein gantz weitlaufftig COLLEGIUM über einen CREPITUM gehalten. In welchen COLLEGIO vergönnet worden / keinen zuverhalten. Damit man alsobald MATERIE empfangen / davon zu reden. (108) 2. RATHSH. Und ich habe neulich nur von einem vornehmen Manne gehöret / daß Kayser CLAUDIUS ein öffentliches MANDAT anschlagen lassen / und bey Straffe verboten einen solchen Colicen Bruder auf Gastereyen zuverhalten. SVETON. c . 3 3 .

INDIANUS. Was will der Herr sagen? Neulich habe ich im teutschen CAMBDENO gelesen / welchen mir ein PROFESSOR geliehen / und darinnen ersehen / daß ein Englischer Konig gewisse Stücken Land einem andern zu Lehn gegeben / mit dem Beding / d a ß er a u f f d e n e r s t e n W e y n a c h t F e y e r = T a g IMMEDIATE a u f f e i n a n d e r / e i n m a h l h e r u m b s p r i n g e / e i n R i l p s u n d ein W i n d g e n z u g l e i c h l a s s e n s o l t e . CAP. XII. Ö E r Diener im Gewölbe unterstund sich auch mit drein zu reden: indem er sich errinnerte / daß neulich ein LICENTIAT von einem teutschen Abgesandten nacher Persien erzahlet / wie selbiger sich so nette davon loß reden können / als ihm ein solcher Vogel wider seinen Willen beym Reverentz entflogen: indem er wenig darüber errothet / sondern sich unerschrocken umbgesehen (109) und gesaget: „wann du reden wilst / so muß ich schweigen." Als wann etwa iemand im Winckel stünde / welcher ihm mit der PROPOSITION vorgehen wolte. DOCT. Ich habe einen Prahler / einen Goldschmied gekennet / welcher sich gerühmet / daß er einsten / einen vergüldet / und selbigen die Stunde noch zur RARiTat in des HurensoHNii Kunst-Kammer / verwahret wüste.

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INDIANUS. Ein Bauchwind ist ein unbendig Ding / welches schwerlich zu fangen. 2. RATHSH. Dannenhero vergleicht man die ungewissen Dinge mit solchen unsichtbaren Fleder=Mausen im Schnuptuche. 1. RATHSH. Nichts ist künstlicher als einen laut entfahrnen wohl entschuldigen. Gleichwie der Persianische Gesandte. DOCT. Ich habe einmahl zu H o f f e mit gespeiset / da entfuhr eine solche riechende SuBTiLiTat einem Frauenzimmer. N u n giebt die Zartligkeit des Thones wohl an die Hand / aus was vor Geschlechte solche unverhoffte Geburten entspringen / ob sie manlich oder weiblich. Nichts destoweniger {110) aber stund ein CAVALLIER auff / welcher sich des Fehlers anmaste und umb Verzeihung bat / weil er gestern die Colica gehabt: und also dadurch das sonst schamhafftige Frauenzimmer vor Schämen bewahrete. 1. RATHSH. Nichts verdreust mich / als daß ein Mensche Geld damit verdienet. DOCT. Ο dieser hat noch wenig damit erworben. Wann er gleich ein par Schue / und Tuch zum Kleide davon traget. 1. RATHSH. Wann ich das / so offt als ich wolte / damit erlangen konte / ich wolte alsobald die Kunst selber lernen. DOCT. Das ist noch nichts. Man sagt: Claus Narre habe in seinen Vaterlande ehe er noch nach H o f f e kommen / mit einem eintzigen bey seinem Herren tausend Gülden erworben. 2. RATHSH. Das ist unmüglich. Wie hatte denn dieses zugehen können? DOCT. Man erzahlet: sein Herr / reich von Geld und Gute / habe an grausamen OBSTRUCTIONIBUS fast in die vierdte Woche darnieder gelegen. Nachdem nun die Kranckheit so weit über Hand genommen / daß der Abschied gemacht / und die herumb { i l l ) stehende immer gesehen / wann dem Patienten die Seele gute Nacht geben werde / hatten die MEDICI ihr letztes noch PROBIRET und selbigen reichen Herren ein DESPERAT Mittel zu Eröffnung des Leibes eingegeben. Claus war nun zwar eben in dem Zimmer nicht / so sein Herre kranck gelegen / sondern gieng nur ab und zu. Inzwischen trat er abermahl ein / umb zusehen wie sichs mit seinem Herrn anließe. Mit dessen Eintrit ereignete sich bey dem vornehmen Herren / ein kleines Windgen / welches gar ein angenehmer Vorbote war dessen / was man so lange erwartete. Der dabey stehende MEDICUS wurde hierdurch so erfreuet / daß er überlaut schriehe. „Dieser war zehn Gülden werth." Claus antwortete mit dergleichen / aber in einen solchen gepraßle / als wenn der Schulmeister von Wurmshausen auff seinen grosten DULCIAN das grobe D . angebe. Er ruffte dabey eben so laut. „Ist meines Herren sein matter zehn Gülden werth: so m u ß dieser nach Proportion tausend gelten." Wer hatte nicht lachen sollen. Der krancke Mann selbst in Bette bewegte sich dermassen h i e r ü - ( / / 2 ) b e r / durch lachen / daß die gantze

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Buchse bey ihm loß gieng / welche so eine lange Zeit in ihm verrostet gelegen. Weil er nun gleich wohl durch diesen Possen / so fast zu sagen / war vom Todte errettet worden: bezahlte er dem Diener seine lächerliche Wahre / wie er selbige geboten. 1. RATHSH. Das ist ein artig Stückgen: dergleichen ich noch nie gehöret. DOCT. Wer will alle / ausser die Zornigen in Bade registriren? INDIAN. Dieselben seynd Sinnbilder der aufprotzenden Leute / welche sich durch Muckenstiche zum Zorn alsobald aufbringen lassen.

CAP. XIII. UNterdessen hatte sich die COMPAGNIE verstarcket / und war unter andern ein kurtzweiliger Kautz mit drunter kommen / welcher die Gespräche mit anhorete. Diesen fragte INDIANUS, was er hier zusuchen hatte und wer er ware. Worauf er gar sinnreich antwortete / und in der MATERIE d e s DISCURSES

bliebe:

er sey

ein

Posaunen=Macher:

Aber

er

mache nur solche Posaunen / worein die alten Weiber blasen. Da kam {113) es erst herauß / daß er ein Kirschner sey / und durch die Posaunen alte Weiber=Peltze verstehe. Eben dieser lose Vogel verkleinerte den vorigen Künstler / welcher mit sechs Schock seiner Flegels Wahre / Tuch und Schuhe verdienet / ob dieser gleich noch an der Seite stund / und Augenblicklich wegzugehen gesonnen war. Der Posaunen=Macher sagte / das ware keine Kunst / wenn ein Flegel das Meisterstücke mache: Er hatte gleichwol hundert eben so klingende Groschen in einen Striche weg / nach einander müntzen können. Und er getraue sich noch solches zu thun. INDIANUS erstarrete vor denen Kerlen und deroselben Kunst / wolte aber dem Kerschner nicht trauen. Dieser bewegte ihn zu wetten: Er begehrete / INDIANUS solte ihm zwene Ducaten zur Wette setzen; er dagegen zog ein Halß=Marder aus der Ficke / welches er zur Gegenwette beysetzte. Mit dem Beding / daß wann er hundert laute FLATUS herzahlen könne / er so dann gewonnen hatte. Was schadet einem reichen Manne vier Thaler? Herr INDIANUS war fertig zu setzen. Die Wette gieng an. Die gesamten Zuhörer setzten sich umb einen Tisch / unter welchen sich auch Mündgen / (114) Herr INDIANI Tochter / machte / bey welche der Kerschner gleich zustehen kam. Das gute Madgen war unglücklich bey der Wette / indem Sie einen Zunahmen davon trug / welcher bald sich selbst melden wird. Der unsaubere Wetter trat die Wette an: die eine Helffte der Zuhörer lachte / die andere Helffte zählete die BOMBULOS. J e näher der Schalck auf hundert kam / ie grosser Gelächter wurde. Da er es nun endlich auf 99. gebracht muste er selbst lachen daß er mit dem letzten behengen blieb. Der Ertzbosewicht wolte den Fehler mit einen Possen ersetzen / und da

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der Hunderte nicht erfolgete / fuhr er der armen Jungfer Mündgen mit beyden Händen in die Seiten / sagende: „Sie leihe mir doch einen" / daß Sie vor erschrecken ein einiges Wort fahren ließ / ob sie gleich den Mund nicht aufthat. Es war ein kleines Wörtgen ohne Buchstaben / aber zu hören und zu riechen: p i e p ! hieß es. Das aller kurtzweiligste war dabey / daß das zarte Jungfer Wörtgen genau auff das TEMPO gefiel / in welchen von dem Kerschner der letzte solte gezahlet werden. Der Lumpen-Kerl fieng nun an / und bedanckte sich öffentlich / ( 1 1 5 ) daß sie auf sein Ersuchen ihm damit aushelffen wollen. Er versicherte sie ehrlicher Bezahlung. Und triebe es mit dem Possen dahin / daß die Wette gelten und ihm der Gewinst abgefolget werden muste. Wie gedacht / das arme Mlgdgen hatte wol mögen davon bleiben / so wir sie nachmals nicht P i e p » Μ und gen zugenahmet worden.

CAP. X I V . E S giebet freche Buben in der Welt / und haben ehrliche unbeschmitzte Leute offt zu sorgen / daß sie durch derselben CONVERSATION sich nicht berusen. Grossen Herren müssen freylich zur Lust Narren passiret werden: alleine kein ander verwirre sich mit ihnen / wann er nicht derselben Treue versichert ist. Solche Leute seyn wie Wasch-Kessel; man berühre sie / wo man will / so schwlrtzet man die Hlnde. Oder wie Stachelnüsse: die man ohne stechen nirgends angreiffen kan. Eine Sittsame Weibes=Person fliehe / wo es solch unerbar gesotenes und schwartz Gebackenes giebt. Gelegenheit macht Diebe: Und die O P I N I O N der Leute / welche zusehen / darff keinen Zoll geben. Ehre und guter Name ist ein unsicht- (l 16)bares Wesen / welches beydes wir offt in der Leute Gedancken verlieren / da wir doch vermeinen / wir besitzen ein untadelhafftes Gerichte. Unter diesen fuhr der eine Rathsherr fort. Und verwunderte sich über das possirliche Lohn / welches einsmahls in Engelland über etzliche Landereyen mit Bedingung eines FLATUS wire gegeben worden. Dem antwortete der DOCTOR: „ O dergleichen lacherliche Lehnsbedingungen giebt es noch vielmehr in der Welt. In Polen soll einer von Adel ein Lehn haben / davon er jahrlichen ein Donnerkeil und sechtzig Sternschnuppen (wie es der gemeine Mann nennet) abtragen muß. T A C I T U S meldet I V . ANNAL. daß D R U S U S denen F R I S I I S eine Lehnsbedingung von einer gewissen Anzahl Ochsenhiuten aufferleget. Die SARDI musten denen GENUENSIBUS vor diesen alle Jahr so viel Kase zu Fortsetzung des Lehns schicken / als ein Joch Ochsen ziehen kunte. Und zwar muste solches allezeit auff den ersten Oster-Feyertag geschehen. So musten auch die

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Kauffleute denenselben einen jahrlichen Zoll überschicken / welcher bestund in einem Schilde mit Brodte überladen. ITEM zwene G l a - ( 7 7 7 ) s e r voll Pfeffer. Die FORO JULIENSES haben denen Venetianern zwolff Brodte und zwolff Schweine zum Jahrlichen Lehnzoll abtragen müssen. In Spanien hat man sonst ein jahrlich TRIBUT gegeben; als nemlich ein Camel: vier Strauß Camel und vier Falcken. Man will vor gewiß ausgeben / als solte nahe an Thüringen ein O r t seyn / welcher alle Jahr eine Lehn auff 12. Meilen schicken muste / an drey Dreyhellers=Pfennigen / durch einen einäugigen Reuter / und auf einen einäugigen Pferde. Ich weiß mich noch wol zubesinnen / daß einer von Adel zu mir gesagt / er habe jahrlich ein Zinß einzuheben an einen Ledern Täschgen und 10. alten Schaffhausern Pfennigen. Und ein anderer eine Bade=Schürtze mit Spitzen / ingleichen ein H o r n von einem dreyj ahrigen Brum-Ochsen / welches eine Magd überbringen muste / die genau zu rechnen / 18. Jahr alt / und weder drunter noch drüber ist. Ein anderer hat mir neulich in Weinkeller beym Truncke gestanden / daß seine Frau alle Jahr auff den ersten Aprill dem Juncker die Lehn selbst mit 12. Küssen verneuren müsse. Dabey er als Eheman / nur noch vorn Jahre / in Rechten ausgeführet / daß er selbst auch ( 1 1 8 ) mit gehen dürffe / und raussen vor der Stuben=Thür allezeit stehen bleiben / wann sein Weib die Lehn=Bedingung bey dem Edelmanne ablegte; und wann Ihm deuchte / daß die Zeit zu zwolff Küssen vorbey / mochte er die Thür eröffnen / hinnein gehen / und sein Weib wieder abführen. Wiewohl er mir dabey auch klagte / daß der Edelman ihn zwar bey dem erhaltenen Recht lassen wolte / das ist / der Lehnmann möchte immerhin vor der Stuben=Thür stehen / wann dessen Frau die Lehn=Bedingungen erfüllete. Alleine er konte ins künfftige die Lehns=Küsse nicht so geschwinde auff einander einnehmen: sondern er müsse eine gantze Stunde dazu haben. Zwar wolle er dem E X P E C T A N t e n vor der Stubensthür dagegen allezeit eine Banck setzen / und einen Trunck geben lassen.

CAP.

XV.

A N d e r e r wunderbaren Lehns-Falle zu geschweigen. Ein Bauer war noch vorhanden / welcher allemal auff den Tag Walpurgis / zu CONTINUATION seiner Lehn / den Edelman / oder dessen Verwalter mit einen Beutel voll alten Thalern auff den Steiß werffen: nachmahls aber dieselben auff (119)vorhergegangenen REVERENZ, wider aufheben und zurücke nemen muste. Ein anderer muste mit Weib und Kind / Knecht und Magd allemahl den ersten Hundstag auff des Schultzens Mist kommen / und nach geschehener Vorhaltung zu solcher Schuldigkeit / durch das Bedecken der

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Füsse / den Mist vermehren. Aus denen Ursachen / weil seine Vorfahren an der Gemeinde einen FRAUDEM begangen / und derselben einen magern Acker / vor einen gedüngeten verkaufft. Wieder ein anderer Bauer muste den ersten Fastnachts=Tag mit seiner Frau ein Pfund Butter auff der Mist= Trage nach Hoffe bringen. Und den folgenden Tag einen Hering auff dem Schiebe=Karne aus der Stadt holen.

CAP.

XVI.

U n d wer wolte alle solche posirliche Dinge allhier / die ich noch weiß / erzählen? Wir würden nur von unserem Zwecke abkommen. Und zu dem seyn noch welche verhanden / welche zwar noch lacherlicher / aber dennoch der Ehrbahren Bescheidenheit nicht zu gegen fallen. Jedoch aber / weil die Herrn wenig nach Hofe / und in die Welt (120) gar nicht gekommen seyn / daß Sie die Freyheit zu einem unärgerlichen D I S C U R S E begrieffen hatten; so will ich solche lieber verschweigen / (als) alle meine Reden hernach hie und da zur ungebühr CENSiren laßen. Es ist mir so leid / daß ich mich die beiden (Sie verzeihen / daß ich im Zorne so rede) Fartz=Geister habe in vorigen D I S C U R S verleiten laßen. Der Leute Urtheil ist bißweilen wunderlich: und gründet sich solches heut zu tage mehr auf die sündigen AFFECTEN als auf den unbeweglichen Eckstein der bestandigen Wahrheit. Wie wohl ich mit dem Windichten Gesprach Niemand hoffe geärgert zuhaben. Alldieweil solche flügende Fuhr=Leute überall freyen PASS haben. Ein ieder Mensch muß sich der Hofligkeit befleißigen: doch aber ohne Gefahr und Schaden der Gesundheit. Denn diese gehet jener weit vor. N A M OMNIA TUNC BONA SUNT, M O D O C O R P O R I CONSTET SANITAS. Es ist alles gut / wenn man nur gesund ist. Ob gleich nun die Gesundheit dem Leibe: Sitten aber und Hoffligkeit dem Gemüthe anhengen. Ja obgleich das Gemüth die Seele / unvergänglich und ewig: der Leib aber / seiner gesetzten Verwesung unterworffen. So ist dennoch un(121) ser Zustand / so lange wir auf der Welt leben / dahin zu richten / daß wir dem Leibe die Gesundheit; der Seelen aber / die Hoffnung zur kommenden Seligkeit erhalten. Welchen Colicen Patienten ist zu rathen / daß er das Wehe und Schneiden seines Leibes tragen und die entstehende SEDES nicht befordern wolle ? Also ein gesunder Mensch wird denen Sturmwinden seines Magens freyen Gang lassen; und denenselben nicht verstatten / daß sie wieder zu rücke gehen / und durch schmertzliche Vertheilung im Leibe hin und wieder das subtiele Geäder aufblasen. Ich habe viel vornehme berühmte Leute / in allen Facultäten gekandt / welche niemals erblodet / diese in ihnen entstandene Nothigkeiten mit vollem

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Balge in die Welt zublasen. Die Erde selbst will diese Freyheit denen Menschen fast bey allen Erdbeben lehren: indem Sie die in ihr entstandene Winde mit einem hefftigen Krachen von sich giebet.

CAP.

XVII.

T R aun der Mensch ist nach der uhralten ALLEGORI die kleine Welt / und tragt alle Elemente an sich / wie die gelehrte Jungfer Schurmannin vor diesen den bekandten Vers von sich geschrieben. (122)

CUNCTA ELEMENTA G E R O ; SUM T E R R A : EX OSSIBUS IGNIS. A E R INEST NATIBUS: — U MINISTRAT AQVAM.

Dannenhero / kan das überaus grosse CORPUS der Erde in ihren Leibe keinen Windwirbel vertragen; sondern muß dieselben von sich geben; wie solte der enge Bauch des Menschen die vorfallenden Erdbeben verschmertzen / und nicht den Angstwind von sich fahren lassen. Blehungen angsten den Leib und zerspannen die Gedärme: derselben Ausgang machet wahre Lufft zum Hertzen. Es ist zuverwundern / daß alle Leute sich ihrer Nothigkeit schämen / welche ihnen doch die Natur zu einer Erleichterung mitgetheilet. Ein ieder erschrecket / wan ihm was entfahret / als wenn er die gröste Sünde begangen. Warumb? es ist so eingeführet. M U N D U S REGITUR OPINIONE. M a n h a l t es v o r u n h ö f f l i c h / d a d o c h

die

Schrifft das gantze natürliche Werck nicht verschweiget. Ich bin nun hingegen der Meinung / daß es keinem Frauenzimmer so unhöfflich anstehe / wenn sie alle flüchtige Nothwendigkeiten überlaut von sich thut / und / gleichwie man in Holland gewohnet / alle unnütze Blodigkeit (123) beyderley Natur eine PARADE machet; als daß man sich in unumbganglichen und unaufschieblichen Dingen stellet / als habe man selbiger gar nicht vonnothen. Hingegen aber sich von oben her entblösset und mit dem Lustreitzenden FIeisch=Marckte jungen hitzigen Leuten allerhand Begierden angezündet.

CAP.

XVIII.

^i^Iewol ich muß hiervon schweigen; weil denen SATYRICIS und Poeten nicht mehr soll vergönnet seyn / sich umb die MORES der veränderlichen Welt zu kümmern / oder davon zu reden: Denn die Lasterhafften besorgen / es möchten dadurch so viel Schelmstücke an Tag kommen / welche nicht alle mit Gesetzen können umschrancket werden, weil sie weder der

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weltlichen Obrigkeit / noch dem Priester selbiges Orts zu Gesichte / und umb so vielweniger zur Strafe kommen können. Das ist der Hencker. Die Heuchler wollen gerne den CANONEM erhalten wissen: DE OCCULTIS NON JUDICAT ECCLESIA. Nach dem alten teutschen Reime: was ich nicht weiß macht mir nicht heiß. Darum sol die CENSURA MORUM unterdrücket / und woferne die (124) hohe Obrigkeit nicht dabey schützte / einem Verbrechen gleich gestrafft werden."

CAP. X I X . D i e s e s hatte der DOCTOR nur ausgeredet / so fielen beyde Rathherren ihm bey / und sagten: daß es gar recht sey / die verborgenen ACTIONES ungezogener Leute / iedoch ohne Nahmen / zu melden / und ihnen dadurch wissend zumachen / daß das jenige / was Sie in verborgenen thun / ausser GOtt / woferne Sie dessen Allgegenwart glauben / auch schwache Menschen seyn / die solche erfahren / oder selber als Zeugen angemercket haben. CAP. X X . A ß e r was macht die alte BELINDE, lebt sie noch und karget: oder ist sie satt / und hat das Maul voll Erde? Ach nein. Wir hoften zwar neulich / ihr Lebens-Rest solte nicht über zweene Tage hinnauß reichen; alleine BELINDE ist der Welt noch beschwerlich. Eine Frau / wenn sie ins Leben kömmt / ist viel harter als ein Pferd / das sich nicht todt ziehen kan. Sie verjüngete sich gantz wieder und da man neulich vermeinete / das Alter ruffe sie durch die letzte Schwachheit von der Erden; so war es ein Anfang zu einem F i e - ( / 2 J ) b e r gewesen. Ihr alter Haußherr SOZON hatte des Nachts Hitze bey ihr gemercket / und auf die Muthmassung ihr etwas eingegeben. Dadurch war Sie wieder wie ein Phönix verjünget worden. Die grosse Magd durffte Sie nicht mehr in Hause herumb tragen: sondern Sie trug sich selbst wieder mit ihren eisernen Pantoffeln herumb. Der Herbst war erschienen / und die Wein-Erndte stund in einer unschätzbaren Hofnung. Die Weingartner vertrösteten Sie auf tausend Eimer Wein: welcher Trost sie dann durchaus nicht zu Hause lassen konte. Sie borgete bey dem Nachbar Pferd und Wagen / und ließ sich hinnauß schroten der Weinlese selbst beyzuwohnen. Nun waren die Schnitter schon auf 60. biß 80. Personen bestellet / welche sie nunmehr selbst anwiese und fleissig seyn hieß. Niemand konte in seinem Leben sich eines solchen Weinjahres erinnern / ob gleich Männer dabey waren von funfftzig und mehr Jahren.

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Die Stocke bogen sich von GOttes Segen: und an manchen Orte musten die Reben von der Traubenlast brechen. Das Weinlaub war durch etzliche Herbst=Froste abgefallen / und die blossen mannigfarbigen (126) Trauben / spielten in einander zu Freuden des menschlichen Hertzens. CAP. X X I . W E m hatte nun nicht bey Anschauen dieser Gottlichen Gütigkeit ein Appetit ankommen sollen ? Zumahl ja alles / dem Menschen zu Gute / so reichlich hervorgekommen. B E L I N D E aber / diesem Appetit der Schnitter zuvorzukommen / fieng an mit Ihnen über dem Schneiden die allerlangsten Lieder zu singen. Wann nun etwa ein armer hungriger Mensch ein Traubgen zur Hand nahm / eifferte Sie / und befohl zu singen. Denn sie wüste wol / QVOD SIMUL FLARE, SORBEREQUE HAUT FACILE SIT. Daß die armen Leute nicht zugleich fressen und zugleich singen kunten. Im Singen regete sie trefflich an: nur dem Genieß etzlicher Beere damit zu wehren. Denn bey einem so hauffigen Segen des allmachtigen GOttes schamete sie sich gleichwohl / eine Traube zu essen / öffentlich zu verbieten. Sie URGiRte den Gesang: suchte aber nichts mehr dadurch als denen armen Leuten das essen zu wehren. Sie ordnete zwo Magde / und gieng selbst mit hinter her / und laß die beyfallende Beere mit auf. Welche sie ihren Manne und Sohne vorsetzen wolte. (127)

CAP. X X I I .

SElbiges Ortes gab es überaus herrliche Bergwercke / welche aber zur Zeit erschöpfet / und nicht mehr wie vor 10. Jahren austraglich waren. B E L I N D E hatte eine Schwester / welche vor 12. Jahren / nicht weniger als sie / in grossen Reichthumb gesessen / nachdem Sie mit ihren frommen und Christlichen Ehemanne / zeit ihrer Ehe / zwey Bergwercke erkaufft und von Gott reichen Segen vor andern C O N S O R T E N empfangen. Es hatte aber ein verzweiffelter Betler / dem die guten Leute nicht genug gegeben / des Nachts ihr schönes Hauß übern Kopffe angezündet / daß Sie von ihren grossen Hab und Gut nichts / als sich selbst / mit fünf Kindern / davon gebracht. Und von der Zeit an hatte M I S E R A N D A , SO hieß B E L I N D E N arme Schwester / nicht können zu rechte kommen. Geld erwirbet Geld. Dagegen muß die Armuth / welche am meisten Gewinst bedarff / ihren eigenen Glücke offt widerstehen. Daher ob MISERANDA gleich zwey Bergwercke in Besitz hatte: so hatte sie doch nechst ihrem Manne und Kindern manchen Abend nicht mehr in Hause / als die blosse Hoffnung dermahleins eine reiche (128) Klufft zu finden. Denn was die frommen Leute aus

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dem Aschenberg ihres abgebrandten Hauses hervorgescharret / das hatten sie wiederumb in die Bergwercke gestecket: wobey sie aber etzliche Jahr so unglücklich gewesen / daß sie gantz keine Ausbeute genossen. Nichts desto weniger aber hatten sie der Furcht GOttes so lange fortgesetzet / biß sie keinen Dreyer und keinen Bissen Brodt mehr in ihrem Vermögen hatten. CAP. XXIII. E S ließ sich aber die klagliche MISERANDA ihre höchste Armuth nicht so sehr zu Hertzen gehen. Denn sie wüste ihrer Schwester / der BELINDE ungezählten Reichthumb. Und weil sie selbige noch nie umb etwas angesprochen / hatte sie ein Hertz umb so viel grosser / zu BELINDEN, und glaubte fest / sie werde ihr nothdürfftig unter Arm greiffen. Sie kam mit guten Worten zu BELINDEN in Weinberg / und sprach sie mit Thranen umb zwantzig Thaler / nicht Geschenck / sondern CREDIT an. Sie überreichte dabey ihr / und ihres Mannes Kleid zum Unterpfande / und versprach bey ehestem Glück treuliche Vergnügung. Denn sie wüste wohl / daß BELINDENS Geld Mangel ihr wenig sehen-(129)cken würde. Allein das bedrengte Weib muste über ihrer leiblichen Schwester Unbarmhertzigkeit mehr weinen / als über ihre Noth und Armuth. Jener Geitzhalß reichte ihr eine Hand voll aufgelesene Weinbeere / und sagte / daß es unmüglich sey / ihr zu helffen. Denn sie zerrisse die Summa nicht gerne. MISERANDA bat noch zum dritten und zum vierten mal. Sie erhielte aber nichts mehr als die erste Antwort.

CAP. X X I V . H l e r a u f f nahm sie in ungemeiner Gedult Abschied / danckte vor die zehn staubichte Wein=Beere: und nahm solche ihren Kindern mit nach Hause. Auff dem Wege schlug eine Trähne die andere: das Hertz war voll Jammer und der Mund voll Seuffzer. Ihren Mann fand sie mit denen fünff Kindern vor dem Tische betend knien / welche G O t t umb Brodt anrufften: zu denen warff sie sich auch nieder und betete. Nach geendeter Andacht erzahlte sie ihrer TANTALischen Schwester Antwort / welche der arme Mann / und der alste Knabe gleichfals mit nassen Augen anhoreten. Sie bejammerten zusammen der BELINDEN unschwesterliche Härte / weil solche mehr einem (130) Steine als Menschen zu vergleichen. Der Abend kam herbey. Und biß daher hatten sie noch die arbeitenden Bergleute durch borgen / verkauffen und Verstössen bezahlen können. Der Bergknappe kam / und forderte nach Gewonheit Liecht / oder doch 6. Pf.

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dazu. Aber ley der! auch diese waren nicht in der guten Leute Vermögen. Darumb ersuchte MISERANDA den Bergman / er möchte doch auff diesen Abend zu Liechte auslegen. Morgendes Tages wolte Sie solchen Vorschub ersetzen. Der Bergman beklagte auch seinen Geldmangel: doch verhieß er so lange zwey Stucke Liecht / so ihm das Glück ohngefehr zugeführet hStte / herzugeben. Und damit war dieser Kummer auch gestillet.

CAP. XXV. D i e frommen Eheleute waren froh / daß der Liecht-Kummer sich geleget: Sie beteten an statt des Abend-Brodtes / und giengen in ihrer Armuth mit Vergnügen zu Bette. Sie hatten sich kaum niedergeleget und G O t t befohlen / da der Bergknappe wiederkam und aufs neue Liecht forderte. Denn er beklagte sich / daß es ihm unglücklich gegangen. Ein Liecht sagte er: sey ihm in (131) einsteigen entfallen: Und das andere sey ihm vom Winde verleschet. Uber dieß so hatten sie auch an zwey Liechten nicht genung. Wer war in grössern Kummer als die beyden verarmten Eheleute ? Ihre Kinder schliffen ohne Sorgen. Sie beyde aber lagen im Grame mit halbverschlossenen Augen. Sie entschuldigten sich mit der Nacht: alleine sie musten zur Antwort einnehmen: es müssen alle Bergleute davon gehen / wenn Sie ohne Liecht gelassen würden. Sie solten nur in einem Schnuptuch eingebunden Geld herunter werffen / es solte schon Liecht davor angeschaffet werden. J a ! wie gerne hätten sie ihren letzten Pfennig hergegeben / wann sie nur einen einigen Groschen noch vermocht hätten. MISERANDA sagte: „Vater / wir wollen / weil wir sonst nichts mehr haben / den Uberzug von unserm Haubt-Küssen abziehen / und dem Peiniger hinunter werffen. Davor mag er Liecht kauffen / und uns in Ruhe lassen." Alles geschähe / was MISERANDA vorgeschlagen. Der Bergman gieng hin / schaffte Liecht d a - ( / J 2 ) v o r an / und stieg wieder ein. Er kam so tieff / wo ihn seine Gesellschafft in Finstern erwartete. Diese befohlen ihm zwey Liecht auff einmahl anzustecken. Damit sie nicht wieder in vorige Fünsternis / bey dem verloschenen Liecht / gerathen mochten. Der Bergknappe erwiese seinen Gehorsam und steckte noch etzliche Liecht an / davon er das erste auf einen Söller / oder Absatz steckte / welches einen grossen Nutzen durch die gantze Klufft hatte J und durch und durch scheinen konte. Dem Liechte hatte er kaum den Rücken zugekehret / so kam eine Mauß / welche das Stücke Dalcklicht vor ihren Augen weg nahm / und in ein Lo.ch schlepte. Die Berg-Leute sahen was geschah; und zweene von denenselben eileten das Stücke Liecht zu retten. Der eine ergrieff eine Spitz-Hacke / und verfolgete die Mauß: er schlug ein / das Mauseloch zu ergrdssern: und er fand durch den einen Schlag eine Klufft von puren

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gediehenen Silber: dergleichen in dem gantzen Berg-Wercke noch nie erschienen war. CAP. X X V I . D A S ist die Art des Glückes: Wann wir vermeinen / es sey nunmehr alles verloh-(/J3)ren; so gehet der Gewinst erst recht an. Diese durch die Mauß gewiesene Klufft hat in einem Jahre sich so gelöset / daß MISERANDEN Kindes-Kinder reichlich ihr auskommen erlanget / und Zeit ihres Lebens von paraten Gelde / außer aller Unglücks Gefahr / sich erhalten können. Andern / von welchen Sie zuvor Armuths halber verachtet / konten sie mit grossen Capitalen aushelffen. Ja sie Hessen zwo grosse neue Kirchen aus LiBERALiTat auff ihre kosten bauen. Ingleichen ein Armen Hauß. Denen Studirenden machten sie ansehnliche STIPENDIA: und erhielten viel armer Leute Kinder auff Schulen und UNiVERSiTaten. Ja sie Hessen endlich auch ein Gesinde Hauß bauen / worinnen sie alle diejenigen ihr Lebelang ernehrten / welche etwa in Herrn Diensten sich beschädiget / oder umb ihre Gesundheit gebracht hatten. Welche Magde bey einem Herren 9. Jahr nach einander gedienet / dieselbigen wurden in diesem Gesinde-Hause auffgenommen / mit hundert Thalern beschencket / und frey zur Heyrath ausgestattet. So gehets: wann die Noth am grosten: so ist des Himmels Hülffe am nächsten. Aber wie will BELINDE Barmhertzigkeit erlangen / wel-(734)che gegen diese gerechte Armuth / sich wie ein Felß erwiesen ? Der Felß in der Wüsten: ingleichen ein todter Esels Kinnebacken waren viel milder als die grausame B E L I N D E ; indem jener denen Kindern Israel; dieser aber dem durstigen Simson zum Truncke qvellen Hesse. Hingegen aber BELINDE schloß ihrem eigen Blute Ohr und Hertz zu / daß sie weder in Noth noch Hunger ihrer leiblichen Schwester einen Bissen Brodt wolte zukommen lassen.

CAP. X X V I I . Sieh / was der leidige Geitz nicht thut! Aller Geldkummer hat mit der Colica eine gar nahe Verwandnis / so wol bey dem / der es überflüssig hat / als bey demjenigen welcher gar keins hat. Denn es reist sie alle beyde noch im Kopfe: Dieser / wie er es erlangen will. Jener aber wie er das erworbene vor Dieben / Feuer / Gewalt / und andern Unglück beschütze. Es ist gewiß / daß BELINDE vielmehr Schmertzen von der Colica ihres Uberflusses: als MISERANDA von ihrer Armuth empfunden. Zum wenigsten war diese in der Dürfftigkeit ihres Lebens sicher / und kunte besser ruhen / als BELINDE bey der Gelben-Sucht ihrer Duca-( 73.5}ten. Dannen-

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hero entspringen die meisten Sorgen / welche ich die Haupt-Colica nenne / auß solchen Begierden / daß mancher seinen Gewissen von dem Satan selbst ein linderend Clystir darüber setzen last. Mancher last sich die güldenen Pillen wol gar zu starck machen / daß er das Gewissen gantz und gar mit hinweg P U R G I R E T : unter dem Vorwand einer tölpischen Unwissenheit / wie die GOttsvergessenen Weibes Personen / welche sich so einfaltig stellen und zu CUREN nöthigen / damit sie das unschuldige Kind / als den Zeugen ihrer heimlich begangenen Schande abtreiben mögen.

CAP. X X V I I I . R A G U S A fiel gleich ein solch Exempel der Güldenen Colica vor. Die Obrigkeit daselbst hatte einen Bürger eingezogen / welcher so wohl wegen Schulden / als auch sonst eines CRIMINAL-Verdachts halber / war berichtiget worden. Man gab ihm erstlich Schuld / er habe eine falsche Qvittung auf 500. Rthl. C A P I T A L gemacht. Und dadurch seinem Gläubiger dieselben vor Gerichte geleugnet. Der böse Mensch hatte so viel aus der Schule mit gebracht / daß er eine feine Hand schreiben: ingleichen auch ei-(736)ne iedwede Hand nachmahlen / Petschaffte graben / Briefe erofnen und künstlich wieder zuschliessen / und solche Stücken mehr konte. Dieser war unter andern Schulden / wie gedacht / einem Handeismanne / mit 500. Thalern in die 8 Jahr verhafft gewesen. Ob er nun gleich dem Handeismanne eine richtige O B L I G A T I O N darauff gegeben / und in zwey Jahren die Zahlung versprochen; so hatte er aber dennoch den C R E D I T O R E N immer von einer Zeit zur andern aufgehalten. Da nun dieser endlich der Gedult müde / und seine 500 Rthl. scharff forderte / leugnete der bose D E B I T O R ihm gar die Summa / und sagte daß er ihn schon vor sieben Jahren bezahlet. Und dazu hatte er / nach des Kauffmanns Hand / eine Qvittung gemahlet / in welcher die Bezahlung mit allen Umbstanden bekennet / und die Schuld ausdrücklich CASSIRET war. Sonderlich / weil der Vogel befahret / seine OBLIGATION SO der Kaufmann in Händen hatte / werde ihm Schwierigkeiten machen / hatte er gar listig in die falsche Qvittung mit eingerichtet / daß bey Außzahlung des Geldes die Obligation / nicht hatte können gefunden werden / welche aber dennoch in ihrer Krafft hiemit erleschen / und vor ungültig von nun (137) an / laut dieser Qvittung / solte erkennet und gehalten werden. Z U

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CAP. XXIX. D i e Sache kam vor die Obrigkeit / welche die Qvittung RECOGNOSCIRTEN. Ein ieder kunte nicht anders sagen / als daß diese Qvittung von dem Kaufmanne geschrieben / kein Ey sieht dem andern so gleich / als die zwey Hände. J a es können zwey Schriften einerley Hand / einander kaum so gleich seyn / als diese zwey / dem Herkommen nach / unterschiedene Hände. Das Petschafft / das MANU PROPRIA war alles so vollkommen / daß der Kaufmann sich zubesinnen / ob er etwa im Truncke das Geld empfangen / und davor qvittiret hatte. Dessen aber wüste er sich nicht zubesinnen. Hatte der betrugliche Zahler nur sich darinnen in acht genommen / daß er nicht seinen Glaubiger immer von einem Tage zum andern / ja noch biß auf die letzte Stunde der Klage zu bezahlen vertröstet hatte; so ware er / wie ich davor halte / in der ersten Verhör ABSOLVIRET worden; Alleine / ob wol auf Seiten des Betrügers / die Sache so gar scheinbar war; so wolte der Kaufmann dennoch auf seine G e - ( / 3 # ) r e c h tigkeit sich verlassen / und nicht abstehen.

CAP.

XXX.

D E r o w e g e n ward die gantze Sache auf ein Rechtliches Erkantnis verschoben: welches dann innerhalb wenig Tagen mit dem Ausspruche ein kam: w e i l e n CREDITOR s e l b s t g e s t e h e t / d a ß es s e i n S i e g e l / u n d an d e r H a n d a u c h f a s t n i c h t z w e i f f e i t / als b e f i n d e n w i r v o r g u t / d a ß er e n t w e d e r DEBITOREN k l a g l o ß m a c h e / o d e r aber durch einen g e w ö h n l i c h e n E y d H a n d und Siegel verl e u g n e . Der Tag war wiederumb zum TERMINE beraumet / und das Urtheil PUBLiciRet. N u n hatte der Betruger so gar schön weiß Papier zur Qvittung genommen / daß ein Rathsherr dadurch veranlasset wurde / zu RECOGNOSCiren / wo das schone Papier gemacht. So sähe er unter andern / daß derselbe Bogen Papir Anno 1648. zu Schneeberg gemacht. Die Qvittung aber war DATIRET ANNO 1639. Dieses nun reimete sich übel zusammen; denn es kan nicht wohl müglich seyn / daß auf das Papier heute kan geschrieben werden / welches erst über 9. Jahr noch soll gemacht {139) werden. Die Warheit und Unschuld triumphiret dennoch / und wenn ein böser Mensch gleich den Teuffei selbst zum Advocaten brauchte. Dieser Zweiffei machte den falschen Buben stum und erblassend. Daß der gantze Rath nunmehr ihn scharffer zu fragen anfieng. Man verwahrete Ihn in Arrest; und ward aber endlich doch dahin gebracht / daß er das FALSUM gestund / und die Zahlung verhieß. Die er denn auch folgenden Tag leistete / und da er nicht Landes verwiesen seyn wolte /

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noch 500 zur Straffe dazu zahlen muste. Solche tausend Thaler machten dem FALSARIO solch Reisen im Leibe / daß er zu andern Mitteln grieffe. Denn niemand wolte mehr mit ihm umbgehen / ich geschweige in Handel oder C R E D I T sich einlassen. Er schlmete und grimete sich / wo er ins künfftige seinen Standt hinaus bringen / und seinen Unterhalt hernehmen wolte. CAP. X X X I . GLeichwie nun Geitzige und Geldsichtige immerfort dem Satan an Stricke tantzen: und eben dieser Feind der Menschen / bey solchen Leuten die meiste Auffsicht hat. Ja gleichwie er keine Art von Sündern eher (140) ins Garn bringen kan / als welche sich mit Silber-Futter körnen lassen: also war es Ihm ein schlechtes / vorigen Betrüger in seiner Armuth und Verzweifflung zu verführen. Der arme Mensch kam auff die Gedancken: er wüste in seiner Nachbarschaft ein altes Weib mit Gelde. Welches darumb ihre alten Thaler zu Rathe gehalten: weil sie damit noch einen feinen jungen Vogel einzufangen gedachte. Nun hatte der verführte (DAMNAT war sein Name) selbst ein frommes hiußliches und nicht haßliches Weib in der Ehe / deren weniges er schon verthan: weiter aber nichts von Ihr zu hoffen. Dieselbe suchte er aus dem Wege zu räumen / bald auff hundertfache Art. Wer dem Teuffei zu folgen einmahl entschlossen hat / dem fehlets nicht an Mitteln / die grösten Sünden auszuführen. Bald hatte er Gifft in der Hand / bald das Messer / bald einen Strick / bald ein Rohr / bald die Axt ihr dadurch den Rest zugeben. Weil ihm aber alles gefahrlich schiene / wolte er die erste Probe gut machen / und lieber einen andern Anschlag erwählen. (141)

CAP. X X X I I .

H i n t e r seinem Garten flöß ein Schiffreicher Strom / aus dem selben pflegte das elende Weib Morgends und Abends zu ihren Haußhalt Wasser zu schöpften. Darumb RESOLVIRTC sich der verdammte DAMNAT, seinem Weibe bey Gelegenheit nachzugehen / und von hinten zu in das Wasser zu stürtzen. Was er des Abends hierinn ausgesonnen / das führete er des morgends frühe thätig aus. Er gieng mit dem Unschuldigen Weibe durch den Garten / nach dem Flusse zu. Und in dem das fromme Mensch sich neigete Wasser zu schöpffen / stieß er sie mit dem Fusse hinein / und gieng davon. Die Tieffe und Geschwindigkeit des Strohmes gab ihm die Hoffnung / es werde nun mehr sein Weib in Abgrund verschlungen seyn / und er dadurch die angenehme Gelegenheit erhalten haben / das alte Mütterchen mit ihrer Schürtze von schimlichen Thalern heimzuholen. Es

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giengen etzliche Stunden vorbey: und er saß so lange in Gedancken / wie er nur seine Sachen anstellen wolte. Ehe er sichs aber versähe / hatte er einen Stadtknecht im Hause / welcher Ihn auffs Rathhauß kommen hieß. Das böse Gewissen (142) nöthigte ihn fast auff dem Wege die Ubelthat gegen den Schergen zu bekennen. Zwar wüste er / daß zum Beweiß einer solchen Sache / gar viel gehere; dannenhero kam er endlich wieder zu sich selbst / und satzte sich vor / die That bestandig zu leugnen. Denn er war versichert / daß es niemand konte gesehen haben.

CAP. X X X I I I . ENdlich gedachte er; es könne nicht müglich seyn / daß er umb dieser / an seinem Weibe begangenen That willen c m R e t würde; und hielte davor / es müsse diese geschwinde C I T A T I O N noch von einem vorigen Verbrechen / welches er schon mit Gelde erkaufft / herrühren. Wie er gedacht / so geschähe Ihm. Er stellete sich vor Gerichte mit unerschrockenen Muth. Es wurde ihm aber nichts mehr PROPONiRet / als daß er seine angelauffne Gefalle an Schoß und Steyer abtragen solle. Wer war froher als der Ehe= und Ehrvergessene Mann? Da er hörete daß er nicht seines Todschlags halber erfordert war. Er versprach eheste Zahlung / und dagegen ward er D I M I T T I R E T . Den folgenden Tag kam sein Weib wieder / welches er {143) gestern als ein Mörder ins Waßer gestürtzet / denn ihre Weiblichen Kleider hatten sie schwimmend gemacht / biß sie von einen Fischer war errettet worden. Sie verhielt aber die Wiederkunfft ihren Manne: und gieng zuvor hin auffs Rathhauß / und berichtete was ihr wiederfahren. Der Richter verordnete / daß sie in eine Stube zum Raths-Vogte auf dem Rathhause gebracht / und in Geheim mochte behalten werden. Denn hiedurch wolte er eine lustige INQVISITION F O R M I R E N . Dieses geschähe auch also.

CAP. X X X I V . NAchmittags wurde der Sünder wieder vor Gerichte gefordert / und gefragt / wo er sein Weib hatte. Welche Frage ihm dann ziemlich nach dem Hertzen griff. Er antwortete mit wenigen: sie ware vergangene Nacht nicht zu Hause gewesen / und das käme keinem ehrlichen Weibe zu. Itzo wisse er auch noch nicht / wo sie sey. Wie es ihm dann an allerhand scheinbaren Entschuldigungen gar nicht fehlete. Gleichwohl kam es durch Fragen und antworten so weit / daß der Richter / des DELINQVENTENS Gewissen zu PROBiren / ihn in (144) Haft nehmen / und kommenden Tag

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drauff das ins Waßer gestürtzte Weib vorstellen ließ. Diese nun trat ihm ins Angesicht / und erinnerte ihn mit einer herztlichen Freudigkeit / dessen / was er vorgestern an ihr begangen. E r leugnete. Das unschuldige Weib aber ließ nicht ab / die Umbstande der That zu wiederholen. Er sagte / Sie hatte solches erdacht / damit sie nur ihr nachtliches Ausbleiben aus dem Hause unterdrucken möge. Und was dergleichen scheinbare Entschuldigungen mehr waren. Die Sache lief darauf hinnaus: DAMNAT solte sich von der Frauen Beschuldigung loß schweren. Dazu sagte er ja. Der nechste Tag war dazu angesetzet. Nun musten in RAGUSA die Eyde mit grossen SoLENNrraten verrichtet werden: nemlich / in Gegenwart / und auf vorhergehende viele Ermahnungen der Priester / vor einem Altar mit angezündeten Liechten und Crucifix. Alles mit schwartzen Tuch behangen. Die Glocken wurden dazu gelautet. Alle Umbstehenden fielen mit auf die Knie: etc. DAMNAT war nichts desto weniger willig dazu. Nechst treuer Ermahnung der Priester trat auch endlich sein Weib nochmals hinzu / an welcher er das ( 1 4 5 ) Unrecht begangen / und ermahnete ihn mit Trahnen / seine Seele nicht durch den falschen Eydschwur in die Holle zu stürtzen. Er hieß Sie weg gehen / und hingegen den ACTUARIUM fort fahren / und ihm den Eid vorlesen.

CAP. X X X V . W E Ü nun / wie gedacht bey einem Eyde öffentliche Ernsthafftigkeiten vorgiengen / so war dem Pobel auch vergönnet / mit zuzuhören. Die Eydstube im Rathhause war im ersten Stockwerck / an der Erden / mit vielen niedrigen Fenstern / welche bey dem ACTU umb und umb vol zulauffendes Volck hienge. Unter andern war oben über einen grossen Fenster noch ein kleineres / mit eisern Gegatter / da hinnauf war ein Buchdrucker Junge geklettert / welcher aus cuRiositat aus der Druckerey gelauffen / und den Eyd auch mit anhören wolte. Nun ist bekant / daß dergleichen Jungen sich gar nicht schonen oder vor ihrer schwartzen Farbe verwahren können. Und kam sonderlich dieser eben von der Arbeit / da er sich ohngefehr unter dem Gesicht mit der Schwärtze betastet / und sähe mit sein Gesicht zum Fenster hinnein. Der schwerende DAMNAT, da er ihn (146) ohngefehr mitten in Eyde ansichtig ward / stund auff / flöhe hinter die Priester / und bekennete das Verbrechen. Denn er dachte / der schwärtze Buchdrucker Junge ware der Teuffei / welcher da auffwartete / und ihn bey dem letzten Worte des Eides wegführen wolte. Hierauff wurd DAMNAT wieder in Hafft gebracht / und ware nach Urtheil und Recht aus dem Lande verwiesen woferne nicht das Weib selbst vor ihn gebeten und eine schrifftliche Verzeihung von sich gegeben hatte. Das beste war / daß sie

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nachmahls friedlich mit einander gelebet / und durch Puder machen / riechende Seiffe / Balsam SULPHURIS & c . sich wohl genehret haben.

CAP. X X X V I . D A S Gewissen in dem Menschen ist des Menschen GOtt. Denn gleich wie GOtt aller Menschen thun und lassen weiß: also kan auch der Mensch nichts thun und vornehmen / welches seinem Gewissen konte verborgen seyn. Es kommt mir vor / wie ein guter Hauß=Hund / der die Diebe / Sünde und Laster anbellet / und dadurch verrath. DAMNAT hatte ein Gewissen wie ein FRANCISCANER Ermel / da alles drinne Raum hatte. (147) Und wann es einmal gantz erfüllet / so erlangete es Locher wie ein enges Sieb / da man Ochsen=Kopffe durchsichtet. Es bleibt dabey. Es habe einer Stein=Art an sich / daß er von nichts beweget werde: oder wie PARMENIO, von welchen

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QVOD VULTUM HABUERIT AD OMNES

CASUS PAREM. Ein Gesicht / welches in Glück und Unglück einerley Schein und Farbe gehalten: so kommts doch dahin: hat er böses gethan / so wird ihn der unsichtbare Richter in ihm selber richten / und alles / wie er gehandelt / durch das Antlitz an Tag bringen.

CAP. X X X V I I . A u ß diesem Exempel begunte den vorgedachten kurtzweiligen Kürschner die Colica zu schütten. Denn er erinnerte sich gleicher gestalt / daß über seine bißher getriebne leichtfertige Kurtzweile / noch andere Stückgen ihm auff dem Hertzen lagen / welche ihm das Gewissen vorhielte. Was er vor wissendliche grobe Sünden begangen hatte / die legte er durch eine gutwillige Bekehrung ab / und satzte sich vor / es nicht mehr zuthun. Der neue Bund war zu loben / dieweil er gleichwohl noch auff die RADICES PIETATIS gegründet war. Unterdessen aber kunte ( 1 4 8 ) er doch von einer übermaßigen Kurtzweile nicht lassen. Was das auserliche Leben anbetraff / machte er sich Rechnung / was er iede Woche einzunehmen / und was er hingegen auszugeben. Es grauete ihm vor dem Ende seines Vermögens: und war dabey in dem Stücke klüger als DAMNAT. Denn er stellete sein gantz Leben darnach an / daß er doch auff den Fall der Noth / einen Thaler zur Rettung haben mochte. Viel zwar gieng ihm wöchentlich auff / nachdem er von dem Himmel mit 6. Kindern war beliehen worden / davon das groste kaum 9. Jahr alt war.

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CAP. XXXVIII. D i e armen Kinder waren nun endlich alle Tage zu einem Stuckgen Fleisch / Wurst / und dergleichen gewöhnet. Alleine der Meister Kürschner (wir müssen ihn nur auch mit Namen nennen / PELZIUS hieß er) wolte diesen taglichen Aufgang gerne abgethan / und die wenigen Pfennige davor in einer Büchsen gesammlet wissen. Denn er gedachte / daß viel Heilige von blossen eiteln Brodte und Wasser erhalten worden / und daß viel arme Bauer-Leute / m i t - ( 1 4 9 ) t e n in ihren Schweiße / über diese zwey Gerichte / wofür G O t t auch zu dancken / nichts haben / und dennoch leben müssen. Es gehet denen Eltern schwer ein / wann sie ihren Kindern / sonderlich in Essen und Trincken / etwas versagen sollen. Dieser Meister PELZIUS aber setzte sich steiff und feste vor / acht Tage gegen seine Kinder das Hertz zuzuschliessen. Denn auff solche Zeit vermeinete er seine neue Kost / bey denen armen Würmern schon in Gewohnheit gebracht zu haben. Bey dem Frühstücke weineten die armen Kinder / daß ihnen zum Brodte nicht ein wenig Käse gegeben werde: Bey der Mahlzeit bettelten sie umb ein Bißgen Fleisch. Aber vergebens. Zwar stelle ich dahin / wer seine Kinder etwas hart gewöhnen und nicht verzärteln will / ob er nicht zu entschuldigen / wann er gegen Sie mit dem Brodt-Korbe etwas hoch einhergehet. Lachen aber muß ich / wann ich gesehen / wie der närrische Katzen-Kopf seine Kinder vergnügen wollen. An die StubenThür ließ er einen grossen Schaf-Käse mahlen / mit der Uberschrifft: M o r g e n - B r o d t . In die Holle / oder hinter (150) den Ofen ließ er einen Schincken und Knackwurst mahlen / mit der Umbschrifft: M i t t a g s u n d A b e n d b r o d . Wann nun eins von den Kindern sich wegen der Zubrötung regete / wieß er es auff die Gemähide: Ja er beredete sie / welches bey Kindern leicht zu thun / daß wann sie ein Stückgen Brodt empfangen / sie hingehen / und es daran reiben müsten. Welches dann eben so gut schmäcken würde / als wenn sie was abgeschnittenes in der Hand hätten und davon zu beisen. CAP. X X X I X . D i e guten Kinder glaubtens / und waren so zu Frieden / als wenn sie in NATURA Wurst / Schincken / und Käse vor sich hätten / davon sie stündlich speisen könten. Sie waren besser dabey zu frieden / als zuvor bey guter Küchen. Sie zanckten sich über dem Bestreichen des Brodts / und rieben in 8. Tagen das Gemähide gantz weg. Kein anders wolte er nun wieder hinmahlen lassen; denn es taureten ihn auch die 4. gl. dem Mahler zugeben. Darumb erdachte er einen andern Vortheil zum Brodte; und wenn er sie speisen wolte / so gab er einem ieden ein Stückgen Brodt /

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und führte selbi-(757)ges auf dem Schiebekarne in Hofe Spatziren herumb. Die Kinder hatten eine solche Lust davon / daß sie ihr eiteles Brod mit lauter Lachen und Freuden hinnein assen. Sie lebten auch so gesund dabey / als andere bey fetten Suppen und Nierenbraten. Auf eine Zeit / da Sie nun das eitele Brodt zu essen gewohnet / versuchte er sie mit dreyerley Gerichten. Und setzte ihnen Oliven / rohe Austern / und ein Stücke Jochten Leder auf dem Roste gebraten vor: Alleine sie genossen von einem so viel als von dem andern; sondern wündschten / von ihrem Vater / er mochte sie doch beym eitelen Brodt bleiben lassen. Nunmehr baten sie umb das jenige / warumb zuvor bey ihnen muste gebeten werden. Fürwar ich weiß nicht / ob dem thorichten Manne diese lacherliche Kinderzucht zu verargen: wann er sie nur sonst zu des Herrn Furcht angewiesen. PELZIUS stellete ferner mit Leibes=Schmertz dem Gelde solcher Gestalt nach. CAP. X L . E S hatte in seinen Hause ein junger Student eingemiethet / welcher eines reichen Schossers Sohn war: und sonst unter vier Kindern der Liebste. Diesen überfielen die {152) Bocken / daß er gefahrlich biß in die dritte Woche kranck daran gelegen. Da hatte sich nun PELZIUS wenig umb seinen krancken Haußgeniessen bekümmert; ja er war noch nicht zu ihm auff die Stube kommen. Er ließ sich aber von einer Magd sagen / daß des Herrn PISTATII (SO hieß der krancke Studente) seine Eltern / auff 10. Meil weges im Gast=Hoffe ankommen / und sehr leid tragen / über ihren lieben krancken Sohn. PELZIUS gedachte / nun ware es Zeit / eine Pfeiffe zu schneiden und von dem ankommenden Wechsel etwas zu geniessen. Er wünschte von Hertzen / Haußhalter darüber zu seyn / und durch gute Worte von denen Eltern selbst Vollmacht darüber zu erlangen. Damit nun die Eltern ihm nicht alsobald über den Hals kommen und sehen möchten / daß er ihrem Kinde in seiner Kranckheit nichts zu gute gethan; und daß er auch Zeit habe / sich bey dem Patienten anzufiedern; schickte er seine Magd hin in den Gasthoff / und ließ des Herrn PISTATII Eltern ein COMPLIMENT bringen / mit dienstlichen Gruß / wie brauchlich. Er ließ da bey sagen / daß er hertzlich erfreuet sey über ihrer Ankunfft: Immasen dadurch ihm eine grosse Last vom Hertzen ( 1 5 3 ) genommen würde / die er bißher unter denen Sorgen und gefahrlicher Wartung ihres krancken Sohnes hatte tragen müssen. Der Lügner war noch mit keinem Fuße / wie gesagt / zu dem krancken PISTATIO kommen. Die Ankunfft der Eltern aber machte / daß er Spornstreichs zu ihm auff die krancken Stube eilete / und seine Wartung PRAESENTiRte. Er gab dem Patienten / welcher schon mit der Beschwerung fast durch war / alsobald zuverstehen / daß seine

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Eltern vorhanden / und daß (er) wann er ihm folgen wolte / itzo ein fein Stückgen Geld / über sein Jährlich UNIVERSITY DEPUTAT schneiden könne. Ihn desto eher zubereden / setzte er noch hinzu: Die Eltern waren ohne dem bey guten Mitteln / er solte Ihn nur folgen. PISTATIUS willigte endlich. CAP. XLI. D A r a u f f ließ der lose PELZIUS seine Betten / etzliche Krüge / weiße Tücher / einen Schlaff=Beltz / und andere Sachen mehr in die Patienten Stube tragen / stillschweigend die ankommende Eltern des krancken zu bereden / als hatte er (154) mit solchen Sachen dem Sohne die gantze Kranckheit über gedienet. Darnach gab er dem Patienten etzliche Regeln / wie er sich bey Eintritt seiner Eltern verhalten solle. 1. M u s t e er s i c h a l s o b a l d w i e d e r zu B e t t e l e g e n / u n d ü b e r a u s k r u n c k s e n / d a m i t d e r M u t t e r s o n d e r l i c h f e i n b a n g e w e r d e n m o c h t e . 2. S o l t e er / w a n n die M u t t e r z u r S t u b e n h i n n e i n t r e t e n w ü r d e / m i t b e y d e n H ä n d e n a u f d e m B e t t e k r a t z e n . Denn der Vogel wüste der alten Weiber ihren Aberglauben / welche davor halten / daß ein Patiente / wann er mit denen Händen auf dem Deckebette kratze / sterben müste. 3. W a n n i h m die M u t t e r e t w a s e i n g e b e n w ü r d e / s o l l e er s e h r g e i t z i g t h u n . Hierbey fiel ihm ein / daß keine Artzeney vorhanden; wodurch er die ehrlichen Eltern überschwatzen wollen / alß sey in der Kranckheit viel aufgegangen; und er habe noch dazu einen Vorschub gethan. Darumb lief er alsobald zu seinen Nachbar / welcher ein gantz Jahr nicht von Bette gekommen / und borgete Büchsen / Bullen / Schachteln und dergleichen / und besetzte damit in der Patienten Stube beyde Fenster. Und nun kamen des Patienten Eltern an.

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CAP. XLII.

D i e klopfften machlich an / und bey Erofnung der Thür erblaßten sie beyde / wie Leichen. Denn der Sohn lag dort und krunckste und kratzte mit beyden Händen auf dem Bette / wie Ihn sein Lehrmeister geheissen. Die Guthertzigen Eltern hatten sich vorgenommen / diese Anzeigungen / mit Fleiß zu OBSERVIREN, bey deren Betrüglichen Erfolgung nun sie desto mehr bestürtzt wurden. „ A c h ! er stirbt"; sagte die Mutter. PELZIUS versetzte ohne Gruß und Handgebot / „es hat nicht Noth / wenn wir nur Wartung haben." Er zielte nemlich auf das / was vor der Wartung hergehet. Das ist Geld. Gleichwie nun der Sohn an sich selbst schon wieder halb genesen / und nichts mehr an ihm zu sehen war / als die blossen

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Blattern / welche schon in vollen Schweren vor 5 Tagen gestanden hatten. So kunte der Sohn auch nicht eben allzu kranck thun / denn er war des Betruges so nicht gewohnet / wie der lose P e l t z . So vergaß er / über der Mutter Weinen klaglich zu thun. PELZIUS trat der Mutter in Rucken / winckte ihm mit allerhand Minen / wiederumb zu kruncksen / so lange biß die Mutter den Beutel zöge. Der Pati-(756)ente war gar Gehorsam / die Eltern mit zubetrügen; und fieng an zu winseln / als wenn die Seele gleich itzo ausfahren wolte / daß Vater und Mutter Angst dabey wurde. Die Mutter wolte noch eine Anzeigung zum Tode oder Leben OBSERViren. Derowegen forderte sie ein Löffel und fragte nach Artzeney / des Vorhabens / dem Patienten etwas einzugeben / und zu erfahren / [ . . . ] ob er auch geitzig thun / und seinen Todt dadurch anzeigen werde. Beydes wurd ihr von dem Schalcke PELZIO gereichet: und dieser rühmete dabey / daß er schon viel gebrauchet. E r nennete auch die zwey vornehmsten MEDICOS, welche ihn fast stündlich in seiner Kranckheit besuchet / und mit verordnen bedienet hatten; da doch kein Mensch zu ihm kommen / viel weniger eine einige Artzney war gegeben worden. Indessen überreichte die Mutter einen Löffel voll / ich weiß nicht was vor Tranck / wornach der Patiente so begierig schnapte / wie ein hungriger Wasser Hund / der fangen kan / so gar / daß er schier den Löffel mit hinter geschlungen. Da entstund ein neues Schrecken bey der Mutter. Denn dieses solten / ihrer Landes (157) Art und Meinung nach / die vornehmsten Kennzeichen des Todes bey einen Patienten seyn. Welche PELZIUS gantz ACCURAT wüste / weil er vor diesen als Geselle bey einem Kürschner in des PISTATII Geburts=Stadt gedienet. Sie schriehe abermahl: „ A c h ! mein Sohn! er stirbet." Der angstiger PELTZIUS sagte abermahl: „Die Herren Medici haben gesagt: es hat keine Noth. Wenn wir nur Wartung haben." Die bekümmerte Frau versetzte: „Daran soll es nicht mangeln / wann nur mein Kind lebet." Das war dem Schalckhafften PELZIO Wasser auff die Mühle. Der Patiente auch befand sich von Stund an auff diese Wort etwas starcker. CAP. XLIII. D i e arme Mutter wolte gerne noch eine Nachricht zum Tode oder zum Leben versuchen / sich entweder daraus zu trösten / oder in den Verlust ihres Kindes zugeben. Darumb / fragte sie den Angst=Peltz: ob der Sohn auch Todtenblattern hatte. PELZIUS wüste nun nicht / was das war / sonst hatte er ihm auch welche angemacht. Er fragte alsobald: was das waren {158) und wie sie aussehen. Das traurige Weib sagte: es waren Blattern mit schwartzen Dippeln / und pflegten meistentheils an Füssen aus zubrechen. Der lose Hunde-Peltz wendete ein: Die Mutter solte ihn itzo

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nicht aufdecken: denn es scheine als beliebte dem Patienten ein Schlaf. Er ermahnete auch treulich / sie solten Ihn immer ein wenig alleine lassen; nachdem er die gantze Nacht nicht gar wohl geschlaffen. Und dadurch brachte er die guten Leute aus der Stuben / daß sie hin in Gasthof giengen / ihre Lade erofneten / und zur Wartung Geld daraus herholeten. Die bekümmerten Eltern hatten die Patienten Stubenthür noch nicht gantz eingeschlossen / so lieff PELZIUS schon nach einem Dinten=Faße und Feder / womit er dem Patienten Todten-Blattern an die Füsse machte. Damit ja die gute Mutter keinen Trost mit wegnehmen kunte. In der Stunde kamen die Eltern wieder / und zahlten 50. Rthl. auf den Tisch zur Wartung. PELZIUS blieb dabey: „es hat nicht Noth / wann wir nur Wartung haben."

(159)

CAP. XLIV.

N A c h diesen kamen der Mutter die Todten Blattern wieder ein / daß sie darnach fragte. Der Patiente in Bette / hatte in der 50. Thaler Freude vergessen / an welchen [. . .] Fusse ihm PELZIUS die Todten=blattern gemacht und streckte das Unrechte Bein unterm Bette vor. Der Todtenbocken-Macher aber winckte mit beyden Händen / und wiese auff den andern F u ß ; Welcher da er hervor kam / bey den Eltern noch mehr Angst verursachte. Da fieng erst das Weib recht jämmerlich anzuweinen. PELZIUS wiederholte seinen Trost: „Sie glaube doch nur / meine geehrte Frau! Es hat nicht N o t h ; haben wir doch nun Wartung." Damit es nun nicht an Wartung fehlen mochte / zahlete sie noch 20. Thaler zu denen 50. Und beklagte nicht mehr / als daß sie nicht selbst bey dem Sohne bleiben / und ihn abwarten solt. Von ihren Ehemanne / den sie hertzlich liebete / wolte sie nicht bleiben. Und jener muste Amtswegen noch selbigen Tag abreisen / dieweil ihm Befehl nachgeschicket worden / kommenden Tag ein Kayserlich Regiment einzunehmen / und auff eine Nacht zuverpflegen.

(160)

CAP. XLV.

D E m PELZIO und dem Patienten / welche durch diesen Possen treffliche Freunde wurden / war dieser Befehlich sehr angenehm. Massen sie dann nach erlangeten Pfennigen die Eltern gar gerne Abschied nehmen sahen. Der alte Schosser war in seinen Amt eiffrig und ernsthaft / dabey ehrlich und redlich / daß er lieber seinen Sohn / als seines Herrn Befehlich unerfüllet wolte liegen lassen. Das Weib hingegen wolte lieber das Kind verlassen / und nach den Ehegesetzen ihrem Manne anhangen. Und damit waren sie beyde zum Abschiede fertig. Sie musten eilen und mit wenigen

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den Patienten Gott befehlen. PELZIUS hatte ihnen gerne das Geleite gegeben / sie wolten aber nicht zugeben / daß der liebe Sohn solte alleine gelassen werden. Damit giengen sie fort und begleiteten sich selbst. Da diese noch auff der Stiegen waren / sassen jene schon über dem Scherbentzel / und theileten sich durch das Glück umb die Wartungs=Pfennige. Wovor sie nachmahls ins Luder geriethen / Tag und Nacht soffen / und nicht ehe wieder ihre ordentliche Verrichtungen antraten / biß die 70. Thalerchen verschlungen waren.

(161)

CAP. X L VI.

D A S ist der Lohn / wann Eltern vor Liebe blind seyn / und nicht erkennen wollen / daß es mit einem krancken grossen Kerlen / der die Bocken gehabt / keine Noth hat. Daß sie sich von solchen verthulichen Menschen in ihrer Vernunfft übermeistern / und umb die durch Müh und Arbeit erwachsene Wolle zausen lassen. Ich wundre mich nur / wieviel Eltern sich von kleinen unmündigen Kindern / so kaum drey biß vier Jahr sich müssen betrügen lassen. J a daß ich weiter gehe. So bald das Kind auff die Welt kommt / betreugt es schon die Eltern; ob es gleich noch keinen Verstand hat. Ists von Natur bose und zum Zorn geneigt / so heist es: das a r m e K i n d h a t u n r e i n e M i l c h b e k o m m e n : oder die L i e b e M u t t e r h a t s i c h e r z ü r n e t : oder bey etzlichen Wochen-Thalen: D e r l i e b e V a t e r i s t ein b i ß g e n m u t h w i l l i g g e w e s e n . Seynd die Kinder gewöhnet / daß diese 3. Ursachen nicht mehr statt haben können / so kommen alle Entschuldigungen von Zanen. Das Kind sey so boßhaftig gewöhnet / und verzogen / als es immer wil; so spricht man: das a r m e L a m m g e n i s t (162) w u n d e r l i c h / es w i r d w i e d e r u m b Z a h n i c h e n h e c k e n . Wann auch nun endlich gleich das Kerbholtz der Zähne ergantzet / so findet sich die Schulkranckheit / und müssen wir betrogene Eltern glauben / unsere gesunden Kinder seyn kranck / wenn sie sich gleich nur umb die Schul=Stunde zu Bette legen. Ein Kind bringet mit seiner bösen verderbten Natur die List mit auf die Welt / und derselben zu widerstehen / wird eine grosse Klugheit und fleissige Aufsicht erfordert. Eltern hüten sich / daß sie ihren Kindern / sie seyn so zart sie wollen / nichts zu naschen und kein Geld gestatten. Denn das seyn die Mittel / wodurch manche Mannes und Weibes·*Personen / in ihrem Alter verdorben seyn. Denn beydes dieses zielet auf verbotene Handel / worauß Müßiggang / Versäumnis Wollust / Armuth / Diebstal und alle Bubenstücken gefordert werden. Eine selbst verzogene Mutter gab ihrem kleinen Sohne / einem sonst artigen lieben Knaben von 2. Jahren / beym Husten etzliche mahl weisen Zuckerkant an statt der Artzney zu essen: es ist nicht zu glauben / wie geschwind das

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Knabgen sich zum Zucker gewöhnen ließ. Es forderte offters einen Dreyer zu dergleichen (163) Wahre: und da solcher nicht von dem Vater allezeit erfolgen wolte / wüste das Kind in alle Winckel zutreten / und wo der Vater zugegen / ihm die Ohren mit einen gezwungenen Husten so lange zu kützeln / biß er sich erbarmete / und dem Kinde einen Pfennig dazu reichte. Wir seyn ohne'dem barmhertziger gegen die Kinder / als wir seyn sollen: und dieser EXCESS wird zwar von der Natur des Blutes entschuldiget. Alleine wann man mit Fleiß dazu Anlaß giebet / was alle Vater und Mütter verbergen müssen / so lernen wir unsern Kindern den Weg / worauf sie in der Jugend noch in die Politische Colica rennen. Zumal wann dazukomt / daß das INGENIUM bey einem Kinde sich zu einer Klugheit neiget / welche wir bey denen Kindern absonderlich lieben / sie sey auf gutes oder böses gegründet. So ists freylich vielweniger zu verwundern / wenn hernach erwachsene mündige Kinder / die alten erfahrnen Eltern zu allen beschwatzen / und in einen Tage zehnmal betrügen. Dannenhero denn auch PISTATIUS Verzeihung erhalten kan / wann er seine Mutter allhier vielleicht zum ersten und auch letzten mahle betrogen: da man sonst dergleichen nie von ihm melden {164) können. Und komt endlich die Lehre heraus: daß das E y zwar die Henne nimmermehr weder lernen noch straffen kan: daß bißweilen aber die Kinder die Eltern / wann diese ja vorsetzlich taub und blind seyn / und der Kinder Boßheit weder hören noch sehen wollen / mit schädlicher und zu letzt schimpfflicher Erfahrung gar zu wol lehren können.

CAP. XLVII. D A r u m b war auch INDIANUS ZU straffen / daß er seine Kinder so ärgerlich zartelte / ob er gleich derselben nicht wenig hatte. Alle Abend muste iegliches über Tische seinen eigenen Becher mit Weine haben. Des Morgens beym aufstehen nahmen sie erst Spanischen Wein mit gerosteter Semmel: hierauff eine Suppe zu sich. Wenn sie zu Bette giengen / hatten sie alle ihre Schlaffpeltze: und damit keines auff das andere warten durfte / ein iedwedes seinen besonderen Bettwärmer. So viel der Kinder waren / [. . .] so viel Mägde hatten beym An= und Ausziehen auffzuwarten. Er hielt ihnen einen Fecht= Tantz= und Sprachmeister. Aber das war schändlich / daß er auch einen Taschenspieler / Feuerfresser / Gifftsauffer / (165) mit dabey in Kost und Besoldung hielte / welche die Kinder auch in solchen leichten Künsten unter weisen musten.

Politische Colica CAP.

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XLVIII.

S O n s t weiß ich nicht / ob ichs glauben darf: Man wolte sagen / es wäre der gutthatige INDIANUS in der Verschwandung noch hoher gestiegen; und hatte in einer COMPAGNIE vorgegeben / daß er seinen H o f mit grossen Silbern Knopffen wolte pflastern laßen. So soll er sich auch haben verlauten lassen / er wolte einen Spielkessel machen / und mit alten Thalern aussetzen lassen. Mich wundert / daß er sich nicht auch einen Tisch machen lassen / wie TULLIUS, welcher 10000. H S . gekostet. Oder gar einen güldenen B i n c k e U S c h e r b e l wie ANTONXUS u n d BASSA gethan. PLIN.

L . xxxiii. c . 3. CAP.

XLIX.

D A b e y ruhete er noch nicht / sondern da seine Sohne nun anfiengen einen Buchstaben zu mahlen: ich wil nicht sagen / ein Brieffgen zu schreiben / verliebten sie sich in des Vaters Petschafft=Ring und baten einmüthiglich / er mochte doch einem iedweden einen Petschafft-Ring machen lassen. D e r Verschwenderische INDIANUS war gantz willig dazu: N u r forderte er (166) von ihnen auff ein par Tage Gedult: damit er sich besinnen konte / was er einen ieglichen vor ein Wapen beylegen wolte. D o c h fiel ihm dabey ein / daß man dergleichen Wapen von dem COMITE PALATINO erlangen müsse. Dagegen ihm aber wiederumb von einem B e kandten / dem er sein Vorhaben eröffnet / gesagt wurde / daß die COMITES PALATINI zwar die Wapen aus Kayserlich=verliehener AuTORitat zugeben pflegten: alleine die Erfindung dazu / und was ein ieder selbst gerne hinnein haben wolle / da müsse ihnen vorgegeben werden. Derohalben befahl INDIANUS seiner kleinsten Kinder PRAECEPTORI, denn die grossem hatten einen absonderlichen / er solte doch / weil er in Römischen ANTIQvitaten gar fein beschlagen / vor ieden Sohn ein beqvem Wapen aussinnen / dieser setzte zwar unterschiedliche auff; und weiln die drey Sohne allbereit auf gewisse STUDIA angewiesen / und ausgemacht war / daß der altiste ein THEOLOGUS, der ander ein JURIST und der dritte ein MEDICUS werden solte; so dachte der gehorsame Mensch / er wolte es gut machen / da er die Wapen auff eines iedweden PROFESSION richtete / und machte in des alsten sein Wapen / unten ins Schild / eine (167) schwartze Sammet-Mütze / und in den Helm zwo Kirchspitzen: In des Juristen sein Wapen / und zwar in das Schild hatte er einen Rabenstein erfunden / und auf den H e l m Galgen und Rad. D e n n / sagte er / das ware der Juristen gröster R u h m / wenn sie nehmlich einen DELiNQVENten davon errettet / und käme mit der ANTiQVitat gar wohl überein / indem man auff die TRiUMPH-Bögen allezeit der Uberwinder Namen / und der Überwundenen

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Waffen zu setzen gepflogen. Dem M E D I C O nun setzte er in das Schild einen Nachtstul und auff den Helm zwey Urin=Glaser. Mit der Erklärung / iedoch nach des Simpeln Menschens Einfalt: wann ein M E D I C U S wohl PURGiren und aus dem Wasser die Kranckheiten erkennen könne / so sey er Lobens genug werth. Daß er aber zwey Gläser auff den Helm gestellet / sey darumb geschehen / dadurch anzuzeigen / daß er nicht nur die mannlichen / sondern auch die weiblichen Wasser wol juDiciren solle.

{168)

C A P . L.

H E r r l i c h e INVENTIONES! Der INFORMATOR, oder O b e r = P R A E C E P T O R , der sich um eine NOTE, und fast umb einen halben vierthel Schlag kluger wüste / verachtete die INVENTIONES gegen seinem Herren / und sagte / man solte solchen Schulfuchsen dergleichen INVENTIONES nicht auftragen / und warumb man ihm nicht das Maul gegonnet; er hatte der Sache weit Sinnreicher begegnen wollen. INDIANUS trug ihm die INVENTIONES auff / und sagte / er solte nur vor sich / iedem Sohne ein Wapen ersinnen; Nachmals wolte er als Vater / was ihm beliebte / herausnemen. Darauff bemühete sich der Herr INFORMATOR alle Fache des Gehirnes auszustoren / in einer solchen Hitze / wie die Fischer zu thun pflegen / wenn sie in die Locher des Ufers storlen / die Fische daraus in ihr Netz zu jagen. Er satzte sich in grossen Saal; er stund auf und lieff wie ein unsinniger herumb: es wolte keine INVENTION erfolgen. Er gab dem unschuldigen Stuele / darauff er saß / die Schuld / und meinete / der Tischer hatte solchen im unglücklichen Zeichen des Krebses gemacht / weil ihm / so lange er nun darauff gesessen / nichts beyfallen wollen. Er nahm (169) einen anderen nechst dran stehenden Stuel: alleine die Sinne wolten noch nicht fliessen. Er fuhr mit dem Stuel=wechsel fort / biß er endlich zween dutzent taffeistüle so nacheinander durchprobiret; Endlich gedachte er / es müste das Holtz / daraus die Stüle gemacht / gar gewiß in zeichen des Wassermannes gefallet seyn / weil ihm alle Gedancken gleichsam wie Wasser durch die Hände fielen / daß er Sie niemahls zusammen bringen / und ein Wapen ausdencken könne. Der gute Kerl hatte seine jugend übel angeleget / und mehr den Soff / und die Liebe / als die Poesin und andere zu dergleichen Erfindungen dienende Klugheiten gesuchet. Die beste Blüte seines Lebens war dahin: und er hingegen ein übler Gartner seiner Natur. Der Frühling war vorbey: und nun wolte er erst den Sommer anfangen zu saen. Oder daß ichs naher gebe; er wolte das Gehirne pfropffen / da der Bart schon gewachsen.

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CAP. LI. D A S Gedächtnis eines Menschen komt mir vor wie ein Bretkasten / den der Tischer zusammen geleimet / welcher weder Hitze noch Nässe vertragen kan. Von der Sonnen wird er krum gezogen: und durch (170) die Nässe läst er den Leim gehen / und fället von einander. Was kan des Menschen Gedächtnis mehr zergäntzen / als die Hitze der VENUS, und die übermäßige Feuchtigkeit des BACHI. Und wenn es nunmehro so weit bey einen sechs und zwantzig jährigen Kerlen kommen / so mochte man nur zu dessen Leichen=Texte zeitlicher Wolfahrt / des SALUSTII Spruch aus dem

1.

cap.

B E L L : JUGURTHINI

nehmen:

SIN ANIMUS

CAPTUS

PRAVIS

CUPIDINIBUS, AD INERTIAM & VOLUPTATES CORPORIS PESSUNDATUS EST, PERNICIOSA LIBIDINE PAULISPER USUS; UBI PER SOCORDIAM VIRES, TEMPUS, INGENIUM

DEFLUXERE,

NATURAE

INFIRMITAS ACCUSATUR:

CULPAM ACTORES AD NEGOTIA TRANSFERUNT.

Es

möchte

SUAM

QVIPPE

etwa

SO Viel

heissen: W a n n m a n c h e r M e n s c h d i e b e s t e n J a h r e s e i n e s L e b e n s / durch die s c h n ö d e W o l l u s t v e r d e r b e t / und dadurch Zeit / G l ü c k u n d V e r m ö g e n e i n g e b ü s s e t / a l ß d e n n f ä n g t e r an s i c h ü b e r s e i n e n S c h ö p f e r z u b e s c h w e r e n / als w a n n d e r s e l b e i h n n i c h t so / w i e a n d e r e m i t e i n e r f ä h i g e n N a t u r b e g ä b e t h ä t t e . O b nun dieser INFORMATOR gleich nicht sich darüber beschwerte / sondern alle- ( 1 7 1 ) zeit vor den klügsten und geschicktesten wolle gehalten seyn: so betröge er sich doch selber darinnen / daß er / so zu sagen / in seinem Alter erst lernen wolte / was er in seiner besten Jugend hätte lernen sollen. Doch blieb er in seiner Andacht. Er saß und MEDiTiRte / wie ein junger Student auf eine Gastpredigt. D a aber ja nichts bessers fliessen wolte vermeinete er / es wäre gar sinnreich gethan / wenn er seines DISCIPULI oder u n t e r g e b e n e n wolte ich sagen / Wapen also abfaste / daß er nemlich in des Aelsten Schild / das Wort THEOLOGIA setzte / weil er THEOLOGIAM studieren wolte: auf den Helm aber ein I. weil er der ältste oder erste wäre. In des andern sein Schild setzte er das Wort JURISPRUDENTS, und in den Helm die nummer II. Jenes / weil der JURA studirte: dieses aber weil er der andere von Geburt war. Und so ferner hielt er es auch mit dem dritten. C A P . LH. K.Ein Wunder wäre / dem Menschen sey der Kopf zersprungen / vor Nachsinnen über der Tieffe solcher Gehirnbrechenden Dinge. Herr INDIANUS hatte zwar sowol zu des ober= als unter=PRAECEPTORis INVEN-( 172) TIONIBUS wenig Belieben. Sondern er sezte sich selbst wieder / und bemühete sich einen feinen Einfall zuerlangen / damit er / gleich wie er

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seiner Sohne glaubiger Vater / auch ein gewisser Urheber und Erfinder dererselben Wapen mochte geglaubet werden. Er legte erst diesen Grund / und sagte: „ D e r erste ist der groste: der andere muß nicht so grosse Sachen in seinem Wapen haben als der erste / und der letztere muß allen beyden nachstehen." Demnach setzte er dem ersten und ältesten Sohne vier grüne Elephanten in einem Silberfarbnen Schilde: Auf den Helm aber vier Eichhorner. „ D e n n " / sagte er / „weil dieser der groste / und gerne Nüsse isset / so soll er auch die grösten Thiere im Schilde / und die Eichhorner im Helme führen." Dem andern gab er im Schild drey silberne Gansekopffe / in einem güldnen Felde / und auf den Helm einen Zaunkönig: Aus der Ursache: weil bey dessen Geburt seinem Vater drey Ganse gestohlen worden / er aber in seinem dritten Jahre einen Zaunkönig in Sprenckel gefangen. Dem dritten gab er drey Schneebälle in Butter gebraten / und in den Helm ein Spanferckel. Wodurch er des Knabens Gehorsam abbil-(/Z3)den wollen: „Denn gleichwie" / sagte er: „Schneeballe / wann sie in heisse Butter geworffen werden / alsobald zerschmeltzen: Also wenn ich dem Knaben ein eintziges Wort in der Hitze meines Zorns freundlich vortrage / so ist er gehorsam dazu." Eine herrliche Erklärung welche sich sehr wol vernehmen läst. Durch das Spanfercken aber wolte er verstanden wissen / daß er unter seinen Brüdern der jüngste sey. CAP. LIII. D E S Spanferckels Vater ist / meines Behalts / ein hackisch oder grobes Schwein welches so dann der Herr Vater auch in seinem Wapen führen sollen: Alleine Herr INDIANUS veränderte solches / und erfand sich / an statt der drey Butter=Pretzeln / und des Lohkuchens / so er im Wapen etzliche zwantzig Jahr geführet / im Schilde einen H a η / seine Wachsamkeit damit anzuzeigen: und auf dem Helme ein R e h e : und meinete damit / gleichwie dieses Thier von dem edeln Hirsche entsprungen / also stamme er auch von einem vornehmen halb Edeln Geschlechte her. Von oben her aber ließ er das Wapen mit einer güldnen Crone {174) einfassen und auff der einen Seiten / dasselbe von einen Bähren; auff der andern Seiten / von einen auf denen hinter Füssen sitzenden Ochsen halten. Hätte er es doch nur auch von zwene Affen tragen lassen / so war die COMPAGNIE beysammen gewesen. Einst wurde er gefragt / warum er so mancherley Thiere in seinen Wapen führte: darauff er zur Antwort gäbe: J e mehr man in ein Wapen bringen konte; je schöner es zierete. E r hatte vielleicht die Meinung von denen Wapen wie jener Bauer in Niederland / welcher an sein Thor einen gevierten Schild / und in dasselbige einen Adler / einen Löwen eine Pflugschar / eine Ganß einen Affen / und umb

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den Schild ein güldnes Flüß mahlen ließ. Der Printz von Nassau lachte und befragte ihn sonderlich darüber: Wie er zum güldenen Flüß käme? Welches er beantwortet: „Well / min Herr / dat staht so f r y . " Schaup. Lehr. C X X I I . p. 81. Unterdessen waren doch die Wapen solcher gestalt verfertiget / und ein ieder brauchte sich desseinigen nach dem selbige durch den COMITEM PALATINUM, unter allerhand soLENNitaten / neuen Kleidern / herrlichen Gastmal / in beysein vieler Leute ausgetheilet waren. (175) Dem COMITI zwar kamen alle diese Wapen sehr lacherlich vor: Jedoch weilen Sie dem INDIANO beliebten / wolte er nichts dawider einwenden. Dieses zwar wolte er noch hinzugethan wissen / indem er seine Gewonheit erinnerte / und sagte / es müste sich INDIANUS auch auff ein gewisses Kraut geschickt machen / welches bey Übergebung des Wapens / mit ausgetheilet würde. Denn also hätte er es bißher auf die art der Fruchtbringenden Geselschafft gehalten / welche / so offt Sie ein MEMBRUM aufnimt / dasselbe ohne Bedingung eines gewissen Krautleins oder Strauches nicht geschehen lasset. INDIANUS erfuhr auf sein Fragen / daß die Wahl bey ihm stünde. Darum hatte er lust zu Roßmarin. Und damit schickte er in die gantze Stadt aus / und ließ alle Roßmarin aufkauffen / so viel derselben nur zu bekommen war. Denn gleichwie er in allen dingen durch Uberfluß sich verhast machte / also fehlte es auch hierinnen nicht; derer jenigen JUDICIIS sich zu übergeben / welche mit ihm assen und truncken. An statt / daß er ein einiges Straußlein bey Empfang des Wapens aufweisen solte / hatte er nicht nur selber einen grossen Bindel Roßma(176) rin in der Hand / sondern er hatte auch allen andern Anwesenden dergleichen austheilen lassen. Und damit er ja recht das edle Kraut verschwenden mochte / ließ er selbigen gantzen Abend unter wehrenden Wapen Gastgebot mit einheitzen. Ja / welches der zehende unter denen Lesern nicht glauben wird / so muste alles / was auf dem Schmause verspeiset wurde / bey lauter Roßmarin gekochet / gesotten und gebraten werden. Dergestalt können 8000. Thaler gar wol dinne werden.

CAP. LIV. W i r müssen nun auch etwas zurücke sehen / und erkundigen / was der krancke LABILIS macht / ob ihm das SYNDiCAT-CLYstir APPLiciret oder nicht. Potz tausend! er ist so glückselig gewesen wie die Zijaner Weiber welche gebahren ohne Wehmütter. Er ist nicht SYNDICUS worden / und die Kranckheit hat dennoch etwas nachgelassen / kein Mensch hat ihm etwas eingegeben / und ist dennoch gesund worden. So können die todten cuRiren. Und dieser MEDICUS war der verstorbene Ober Amtmann / welcher durch seinen Todt ihm die Hofnung gemacht / er (177) könte

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vielleicht bey diesem Falle zu grossem Ehren kommen. Einbildung ist wie die Peste / wo sie einmal eingesessen / da ist sie leichtlich nicht zu vertreiben. Man hatte dem seligen Manne kaum die Augen zugedrucket / so war LABILIS wiederum gantz gesund: Denn das blosse Absehen hatte ihn schon das Gehirne mit starcken O b e r Amtmanns SPIRITIBUS angefüllet / daß ihm keine Erkaltung etwas mehr anhaben kunte. Der rachgierige Mensch dachte schon auf Mittel / wie er / wann er ein O b e r Amtmann ware / den SYNDICUM, der vor ihn erwehlet und bestellet war / drücken und verfolgen wolte: E r spatzirte in seiner Stube hin und wieder Gedancken zu fangen und niederzuschreiben / in was vor Punckten er den SYNDICUM beschweren und angsten wolle. E r gedachte aber nicht / wie / und ob er zuvor den Dienst uberkommen werde.

CAP. LV. N U n muste dieser Dienst / wie brauchlich / zu Hofe gesuchet und erhalten werden. Alldieweil aber der Stadsminister durch welchen dergleichen Aemter versorget wurden / (178) nicht zugegen / sondern auf sechs Meil weges verschicket worden: vermeinte LABILIS wenn er auf des P A T R O N S A n k u n f f t w a r t e n m ü s s e / s o m o c h t e e t w a PERICULUM IN MORA

entstehen / und ihm ein ander zuvorkommen. Darinnen nun war er glucklich / daß er sich selbst ein Pferd auf der Streu hielt / wodurch er sonderlich diese Reise fordern / und allen andern zuvorkommen kunte. E r seumete sich auch nicht lange / sondern saß geschwind zu Pferde / und ritte zum Schloßthor hinauß / als er in die H ö h e eines Berges kam / sähe er von weiten drey Reuter / welche hinter sich her zertheilet / deren immer einer den andern vorkommen wolte. LABILIS ließ unter solchen SPECTACUL sich nichts gutes deuchten / sondern hielt Sie alle drey vor COMPETITORES, welche mit gleichen Begierden nach seinen Dienste reiten wolten. D a ließ er zulauffen / als wann der Erbfeind hinter ihn drein setzte. Jene setzten ihr CURRIR fort / und konte LABILIS ihnen schwerlich folgen. Denn Sie hatten Pferde welche zur Reise und oftern Lauf gewehnet: Dieser aber hingegen ein schwerlendigen Gaul dem man Alters halber nicht ins Maul sehen durffte. LABILIS c o N T i N u - ( / 7 9 ) i R t e eine gantze Stunde den vollen CURRIR, und gelangete endlich an das D o r f / wo er die vier Reuter aus dem Gesichte verlohren. E r fragte einen Bauer / ob er nicht vier Reuter gesehen durchs D o r f rennen: Welcher ihm die gründliche Nachricht gab / daß es vier reitende Boten aus dem Edelhofe gewesen / von denen immer einer nach dem andern in die Stadt geschickt worden / Artzney zu holen / vor ihren Juncker / welcher itzo in letzten

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Zügen lege. Wer war froher als LABILIS, da er die Strasse von seinen COMPETITORIBUS sicher sähe.

CAP. LVI. Ö E r o h a l b e n gedachte er sein Pferd ein wenig zu schonen / und seinen eigenen Leib mit einer Kanne Bier zu erfrischen. Er zaumete ab / und hieß dem Thier ein Bündel Heue / sich aber Brod und Bier bringen. D e r Haußknecht brachte den LABILIS in die Stube / und gieng in Keller / erst die Menschen zu bedienen / und nach diesen das Pferd. Indeß zöge der hitzige Caball den K o p f durch die Halffter / und gieng zum Wassertroge / und soff daß es dabey übern hauffen fiel. Dieses Unglück machte den LA-(/#0)BILIS kleinmüthig. O b er gleich den Schaden verschmertzen wollen / so kunte er doch weder aus noch ein / sein ihm eingebildetes Glück zu befordern. Ich hatte gemeinet / er solte das Aas liegen lassen / und ein ander Pferd im Dorfe mieten / alleine es war ein Ochsen=Dorf / da man mit lauter zieh=Ochsen ackerte / und bey Gebrauch der Windmühlen keine Esel hatte. Auff dem Edelhofe aber waren keine andere als nur die schon ermüdete vier Pferde zufinden / davon er sich also keines getrosten kunte. LABILIS klagte einem Bauer seine N o t h / und bewog denselben dahin / daß er auf ein ander D o r f zwey Stunden davon gelegen / um ein Trinckgeld lief / von daselbst bey einem Bekandten ein Pferd zuborgen / wie er denn dabey versprach in 4. Stunden wieder da zu seyn.

CAP. LVII. KjEinen Gefangenen kan die Zeit so lang seyn / als dem Förderungs begierigen LABILIS: weil ihm nechst dem Feuer der Ehre / auch der erlittene Schaden zu Halse trat / welchen er zwar aus dem Glück verlangtes Dienstes wieder zu ersetzen vermeinte. D o c h war es eine lauter Hofnung / (181) welche zu ja und nein einen Weg vor sich hatte. Das einige machte ihn bißweilen ein Hertz / daß er gedachte / wann er auff die Gedancken fiel / es konte ihm nicht fehlen / wann er mit dem vornehmen Manne / nur als der erste unter andern ansuchenden / zu reden erhielte / so solle ihm der Dienst nicht entstehen. Die Kanne Bier kam im Kopf dazu / welche ihm güldne Berge verhieß / wie bey trunckenen zugeschehen pfleget. Der ärmste hat offt durch zween Kannen Bier die gantze Welt erkaufft: Denn wer voll ist / bildet sich ein / alles was er siehet / sey sein Eigenthum. Vielmehr konte der Anfang zu einem Rausche dem LABILIS

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die Einbildung mittheilen / als sey er vor allen andern zu diesem Dienste geschickt und würdig. Er saß dort in guter Befriedigung / nachdem Herodes das umgefallene R o ß auf dem Schind=Karren in sein Reich genommen. Er versuchte zur Froligkeit ein halbes dem Wirte zuzutrincken. Mitten im Truncke erhub sich ein Hunde Gebelle / als wann solches zum Runda bestellet ware. Er zöge mit der Kanne ein wenig ab / „ h a ! " sagte er / „da wird mein Bote k o m m e n . "

CAP. LVIII. (182) A ß e r weit gefehlet / dasjenige war es / was er vor Mittage besorget / und um dessen willen er sein Pferd zu todte geritten. Drey nicht ungeschickte Personen / welche um den O b e r Amtsmans=Dienst ansuchen wolten / zogen im Gasthofe ein. Unter diesen dreyen hatte auch einer den andern auff dem Wege ergrieffen / nachdem etwa die Hurtigkeit der Pferde sich gegen einander verhalten. Ich nenne diese drey COMPETITORES nicht ungeschickt. Denn Sie waren alle drey von ihren Eltern abgeschicket / dem Glücke / ihren güldenen Haamen vorzusetzen / und den fetten Lax dieses Dienstes einzufangen. Sie traffen allda ihren Landsmann an; es fragte aber keiner wo er hinaus wolte. Denn Sie wüsten ohne dem daß er den Oberhof PRAESiDENten suchte / und durch denselben Oberamtmann zu werden. Ihm auch gab die gesunde Vernunfft / von seinen dreyen Landsleuten / eben solche Gedancken ins Hertz. Mit wenigen / LABILIS war in N o t h . Sie fragten Ihn / wo er sein Pferd stehend hatte / welches er aber mit einem Seufzer beantwortete; Sie Hessen sich von dem Haußknechte die Historie erzehlen / und machten sich vielerley Lust / über des Herrn L a n d s - ( / 8 3 ) m a n n e s Unfall. Sie fragten Ihn / wo er hinnaus wolle. Ein loser Gast antwortete vor ihn / in der COMPAGNIE, daß er die Schlüssel zu der Bauren ihrem Gelde suche. Nein sagte ein anderer / er habe den Schinder selbiges Orts ein ACCIDENS gönnen wollen / darum habe er sein Pferd todt geritten / damit jener etwas abzudecken bekomme. Der dritte fragte ob er schon wieder von der neulichen schmertzlichen Colica genesen / oder aber / ob er vielleicht durch volbrachten Ritt / sich eine MOTION ZU machen / und davon zu befreyen gesucht.

CAP. LIX. W E r den Schaden hat / muß den Spott zum Geferten leiden. Ware dem LABILI das Pferd nicht umgefallen / die andern lustigen Pursche hatten nicht so viel MATERIE gefunden / ihren Landsmann zu schrauben. Zwar

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sähe man unter diesen auch wenig Vertrauen. Jeder suchte den andern zu zwacken / und am ersten bey dem O b e r h o f f PRAESiDENten zu seyn. Kein Mittel aber war zu erfinden / denn wann einer wolte zu Pferde sitzen / so wolten sie alle mit einander fort / und wolte keiner den andern voranlassen. Zu verwundern ists / daß iedweder u n - ( / # 4 ) t e r diesen vier COMPETITORIBUS die übrigen dreye gerne hintergangen und betreten hätte: wozu sich aber noch zur Zeit kein Mittel hervor thun wolte. Zubelachen aber ist / daß allen zugleich ein Mittel beyfiel / wodurch iedweder gedachte der erste bey dem O b e r h o f f PRAESiDENten zu seyn / und den O b e r * Amtmanns Dienst davon zu tragen. Nemlich LABILIS gedachte / wann er es doch nur so weit bringen konte / daß Sie zusammen allda diese Nacht blieben / so wolte er seine Wachsamkeit zur Hülfe nehmen / und um Mitternacht auf seyn. So dann konte er den Morgen frühe mit dem Tage zu Otranto seyn / allwo der PRAESIDENT anzutreffen. Diesen Betrug hatte nun ein iedweder in K o p f e : D o c h ließ sich keiner etwas mercken. In solcher Betrachtung waren Sie alle viere lustig / denn ein ieglicher vermeinte / durch diesen Fund gewonnen zu haben. Sie fingen mit dem Truncke an / der ein gantzes ausbrachte / setzte sich vor / durch den Trunck sein Vorhaben beqvemer zu machen / die andern anzureitzen / daß sie untereinander herum POCULiRTen / dabey er sich dann fuglich schonen wolte. Der andere der Bescheid thun (185) muste / hatte eben die Gedancken: und so auch der dritte und vierdte.

CAP. LX. N E c h s t diesen wolte keiner wieder an ein gantzes / denn keiner wolte truncken werden. Indem kam LABILIS Pferd / vor Freuden fieng dieser wiederum ein halbes an. Es kam endlich an den Wirth / welcher nichts von sauren und übernächtigen Biere hielte / darum trunck er rein aus / und bewiese allezeit seinen Durst mit der leeren Kanne. Dieser hatte lust seine Gäste ein wenig zu baden aus zweyerley Ursachen. Denn also hatte er seinen Schluck umsonst / und auff Seiten der Gäste einen grossem Aufgang befordert. Welche hernach / um der aufgelauffenen Zeche willen / desto tieffer im Beutel greiffen musten. Die Nacht begunte nun recht einzutreten / und ehe man sichs versähe / so suchte ein ieder unter diesen COMPETITORIBUS die Ruhe. Gleichwie Sie aber gegen einander wenig Treu und Liebe blicken Hessen / wenn sie nach Otranto gedachten / also waren sie unter einander nachsinnig / wie doch ein ieder die übrigen drey aufhalten möchte / damit er allein bey dem Ober-PNAESIDENTEN der erste und der gewisse Erheber (186) des O b e r Amtmanns Dienstes seyn mochte. LABILIS stund des Nachts um 1. U h r auf / nachdem er zuvor auf Mittel

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gedacht / wie er jene dreye / seine Gefehrten verhindern könne. Dem ersten versenckte er die Stiefeln in einem Brunnen: dem andern schnitte er den Pferdezaum und Bauchgurt in stücken. Dem dritten machte er das Pferd lahm auf solche art / wie er von einem Juden auff der Messe gelernet / welcher etzliche hundert Pferde dadurch / um einen geringen Preiß an sich gebracht: nemlich / dem Pferde band er oberhalb des Hufes etzliche aus dem Pferde Schweiff gezogene Haare / ums Gelencke / welches der Bauer die Kiepe nennet. Davon dem Pferde in einer halben Stunde der gantze Fuß auffschwall / daß es nicht drauf treten kunte.

CAP. LXI. A L ß er diese Bubenstücken vollbracht / eilete er selbst sich davon zu machen. Er sattelte im finstern sein Pferd / setzte sich auf / und ritte sporenstrichs nach Otranto zu. Ob er nun wol im Aufsteigen den rechten Steigbiegel vermiste / so ließ er sich doch nicht aufhalten / sondern war zufrieden / daß nur der lincke noch daran war / auf welchen er auff-(/#7) steigen konte. Da trabete er mit einem Steigbiegel dahin / wie willig nun sein geborgter Caball / den Tag zuvor / den Bauer getragen / so unbändig war es gegen L A B I L I S , ungeachtet es ein rotzig Bauren Pferd war / welches eher im Pfluge / als zwischen Stiefeln und Spornen fortgieng. Bald wolte es im currir lauffen / bald wolte sichs niederlegen. Bald sprung es auf die Seite: bald" gruntzte es wie ein Schwein; daß man nicht wüste / was der Mehre fehlete. LABILIS vermeinete es fehle nur an Priegel; dergleichen er aber von einem Baume abzuschneiden / vor eine grosse Versäumnis seiner Reise hielte. Er entbloste den Degen / und brauchte solchen an statt der Spießruthen / wodurch er das Pferd zu einem schädlichen Gehorsam brachte. Also marterte er endlich das ohnmächtige Roß in 4. Stunden biß nach Otranto. Er ritte in der Vor=Stadt alsbald in die Schmiede / und trat daselbst ab / mit Bitte / sie mochten sein Pferd füttern / und einen neuen Steigbiegel anscheften lassen / weil er auf dem wege einen verlohren. Der Schmied sähe alsobald / ehe LABILIS noch abstiege / daß sich etwas von Geblüte unter des Pferdes Sattel hervor preste: Wa-(/##)rum er auch den Sattel lüfftete. Und da sähe er daß LABILIS den rechten Biegel nicht verlohren / sondern / da er im finstern gesattelt / selbigen mit unter den Sattel geschlagen / und darauf nacher Ortanto geritten. Nun hatte er den Biegel so tieff in Rücken geritten / daß / wann kein Steig Riemen daran gewesen / man solchen nicht hätte wiederumb heraus ziehen können. Das Pferd ließ ein solches Loch im Rücken sehen / daß man alles Eingeweide / Magen / Lunge / Hertz und Leber fast genau erkennen konte.

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CAP. LXII. LABILIS achtete auch dieses nicht / aus Hofnung der erhaltene Dienst werde alles wieder ersetzen. E r ließ den Schmid mit dem halbgeschundenen Pferde walten / er aber verfugte sich zu dem O b e r Praesidenten seine Sachen anzubringen / und die Ober=Amtmanns Stelle zu ertappen. Alleine in der Haußthür begegnete ihm einer / welcher vor die VOCATION das Geld gleich ausgezahlet hatte. Wer war übler dran / als eben LABILIS. Dreyßig Thaler und zwey Pferde waren eingebüst / von Mühe und Schimpf will ich nicht sagen. Ich geschweige / was vor Feindschafft er durch sein Stiefel ver-(l89)stecken / Gurt zerschneiden und Pferde verlahmen / bey seinen coMPETENten und Landsleuten / wieder sich erwecket. Dort saß er nun in einem Gasthofe / genand zur Muncke / allda zu speisen / den K o p f hielt er in der Hand / und schlug sich mit Furcht und Sorgen. Da kamen seine Companen auf einen Rüstwagen daher gefahren / welchen er vergangene Nacht den Possen bewiesen / und kehreten auch in selbigen Gasthof ein. Denn keiner von ihnen hatte sein Pferd brauchen können. LABILIS vermeinte mit der neuen Zeitung / daß der Dienst schon vergeben / sich wiederumb bey ihnen auszusöhnen / und einen Possen draus zu machen. Gieng also ihnen entgegen / die vergebliche Sache zu verkündigen. Alleine ware der Wirth nicht darzwischen getreten / sie würden des Umschlags treflich mit ihm gespielet haben. D e r Wirth wiese im Zorne an das Schild / welches er zum Zeichen der Freyheit / über das Thorweg setzen lassen / worauf ein Stock und eine darauf abgehauene Hand gemahlet: anzuzeigen / daß wer in diesem Freyhause ausschlagen würde / die Hand verlohren / also muste sich LABILIS SO lange mit etzlichen wenigen Berenhautern Hundsf— (190) und Schelmen / zum Angelde der REVENGE, abzahlen lassen. E r war zwar so liberal gewesen / und hatte ihnen gerne das gantze Capital geschencket: Alleine Sie wolten ihn lieber bezahlen / als den Namen eines Gutthatigen gönnen. Doch wolten jene drey / LABILIS Feinde / ihren Hauptzweck über diesen Zorne nicht aus den Augen setzen / vielweniger aber des LABILIS Aussage / wegen des schon vergebenen Dienstes trauen. Derowegen giengen Sie in der COMPAGNIE hin / zu dem O b e r PRAESiDENten / nachdem sie sich mit einander auf dem Wege also verglichen / es dahin zu stellen / und keiner den andern zu neiden / das Glücke lasse sich ergreiffen von wem es wolle. Auf dem Wege begegnete ihnen ein Bekandter / von Otranto / der auch mit in der competentz staack / welchen die Begrüssungs Complimente zugleich mit auf den Discurs brachte / die von Ragusa fragten ihn / was gutes neues paßirte. Dieser antwortete kurtz / und sagte nichts: als daß Sie zu Ragusa wiederum einen neuen O b e r Amtmann bekommen. Da erfuhren Sie / daß es wahr sey / was LABILIS ihnen bey der Ankunfft entdecket. Sie bemüheten sich / zu

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wissen / wer der ware / der den (191) fetten Dienst davon getragen. Jener beantwortete alles / und sagte unter andern / daß es sehr wunderlich mit der Beförderung daher gegangen. Erstlich habe ihn ein alter PRACTICUS JURIS, ein ertz Causenmacher bekommen: daher / weil er des Ober Präsidenten seiner Frauen einen Injurien Proceß zuerhalten versprochen / welcher aus der Pracedentz / mit andern Weibern / ihres gleichen / entsprungen. Diese habe ihren Mann so lange in Armen und Ohren gelegen / biß sie ihren Injurien Advocaten dazu befordert. Weil nun die Fr. Ober Präsidentin / blosser dinge gantz unrecht in der Sache hatte / und also ihrem Advocaten nicht müglich war gewesen / den Proceß nach der Frauen Wunsche zu erhalten: Hatte er diesen Vorthel brauchen / und der Contrapart Advocaten Geld bieten müssen / dagegen jener diesen versprechen sollen / allenthalben zu REMirnren / und zu verabsäumen / damit der Proceß der Fr. Ober Präsidentin zufallen möge. Nachdem es nun in solchen Tractaten dahin kommen / daß der Fr. Ober Präsidentin Advocat gegen jenen sich erbieten müssen / alle Jahr eine PENSION von fünfzig Rth. richtig abzugeben / so hatte endlich jener es so zu (192) charten versprochen / daß dieser mit seiner Principalin gewinnen solte.

CAP. LXIII. HECTOR,

s o h i e ß d e r F r . Ober=PRAESIDENTIN i h r ADVOCAT, h a t t e

ge-

dacht von der grossen Einnahm des Ober Amtmans Dienstes an 1500. Rth. konte er ja leicht den dreyssigsten theil alle Jahr vergessen / müsse er doch itzt ausser denselben wol mit zweyhundert Thalern auskommen. CHERSON, war der Name des gegenbedienten ADvocATens / dieser sorgete vor die Gewißheit und Richtigkeit seiner jahrlichen 50. Rth. und hatte sich mit dem HECTOR also verglichen / daß / so bald dieser die schriftliche VOCATION in Händen hatte / er ihm zu besserer Sicherheit einen simulirenden Schein ausstellen solte / als hatte er CHERSON, dem HECTOR 1000. Rth. vorgesetzet / darvor dieser ihm alle Jahr 50. Rth. INTERESSE unerinnert bezahlen solte. Und damit HECTOR auch nicht zu kurtz kommen mochte / wann CHERSON versterben / und nachmals dessen Erben die siMULiRten 1000. Rth. als ein wahres Capital fodern würden / so gab jener einen Gegenschein / daß so bald er versterben würde / das INTERESSE nicht nur aufhören / sondern auch die 1000. Rth. Capital dem HECTOR als eine Erbschaft eigenthümlich heimgefallen seyn solten: welches auch kraftig seyn solte; im fall HECTOR eher sterben mochte.

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CAP. LXIV.

W A s geschach? HECTOR hatte den INJURIEN Proceß / und dadurch die V O C A T I O N erhalten. Und damit waren auch die Reverse über die 1000. Thaler gegen einander ausgestellet. Inzwischen stellete sich bey der Fr. Ober=Präsidentin ein Junger Studente ein / welcher von seinen Vaterlichen Vermögen / Tausend Ducaten gar wol entrathen konte / die er der Fr. Ober Präsidentin vor den Ober=Ammtmanns=Dienst par zu zahlen anerbot. Die Frau / welche gutem Gelde gar nicht feind war / ließ sich reuen / daß sie ihren Advocaten solcher Gestalt 2000. Rthl. vor einen Proceß / in Hals gestecket; welche / ob sie HECTOR nicht gleich an Gelde genossen; Sie dennoch / vor den Dienst / von dem Studenten hatte einnehmen können. Geld bethöret die Weisen / und mit güldenen Stricken lassen sich die Klügsten fangen. Das Weib nahm die Ducaten an / und angstete den Mann so lange / biß er den H E C T O R die V O C A T I O N bringen hieß / mit Vorwand zu seinen besten solche zu EXTENDIREN. HECTOR trauete / und gab solche / nichts böses befahrende / von sich welche zwar freylich umbgeschrieben und EXTENDiret / aber dem Jungen Studenten C Y P R I O (194) ausgeantwortet wurde. Unterdessen hatte sich HECTOR ZU jährlichen Zinsen an 50. Rthl. O B L i G i r e t ; und muste selbige seinen Buchstaben nach / von Jahren zu Jahren richtig abzahlen / ungeacht Ihn die geheimbde CONDITION dabey / nicht nur nicht erfüllet / sondern gar entwendet wurde.

CAP. LXV. C Y P R I U S trat nun sein Ammt an / und ob er gleich einer feinen Verlassenschafft von seinen Vater sich zu rühmen hatte / so machte er doch durch Erkauffung des Dienstes und durch eine Heyrath die Mittel so dünne / daß wo sonst Thaler und Ducaten lagen / itzo etwa ein Dutzend silberne Löffel / Zanstocher und dergleichen zusehen waren. Er verliebte sich in ein sehr schon Magdgen / welches aber von geringen Stande / arm / und gantz nicht haußhaltig war. Dannenhero gieng das güldene Patrimonium allmahlig fort: und C Y P R I U S sparete bey dem anfangenden Staat nichts / war zur REPUTATION erfordert wurde: aus Hofnung / sein austraglicher Dienst werde alles wieder ersetzen. Aber / aber ein armer Teuffei / herrlich von Gestalt und Ansehen / auch sonst von guten Qvalitaten / versaltzte ihm den Brey. Dieser ward der Fr. Ober Präsidentin vorgetra-(/95)gen / daß er ihre Tochter erster Ehe (denn zuvor hatte sie einen D O C T O R E M J U R I S gehabt) zu heyrathen verheißen / woferne er den Dienst bekommen hatte. Die Fr. Ober=Prasidentin hatte sich selbst in den artigen Kerlen verliebet: und auf solche Weise ward der Tochter nicht

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schwer / den vermeinten Liebsten bey der Mutter zu RECOMMENDIREN. Gleichwol war der Dienst weg / und dieser MALVUS, der umb den Dienst heyrathete / wolte keine andere CONDITION sonst annehmen; ob man gleich durch gewisse Mittelspersonen mit ihm umb andere Beförderungen TRACTIRET. Die Frau Mutter war nicht gesonnen den schonen Vogel aus denen Händen zu lassen: noch wüste sie nicht / wie das müglich zu machen / einen / der erst den Dienst bekommen / wieder auszuheben / und ihren Eidam einzusetzen.

CAP. LXVI. E S half nichts. Die Liebe gieng dem Gewissen vor. War sonst keine Ursache vor der Hand / den guten CYPRIUS umb die Tausend Ducaten zu schnallen / so muste er doch darinnen Verstössen haben / daß er auf die Leipziger Messe gezogen / und nicht den Schlüssel zu den Feuer=Eimern heraußen gelassen. Zwar entschuldigte Er sich / und (196) sagte / daß ja nichts vorgegangen / dabey man der ledern Eimer bedurfft hatte: Alleine / gleichwie der Todt keine Entschuldigung annimmt: also und noch unerbittlicher war diese Schwieger=Mutter. Nun hatte CYPRIUS ihr gleich einen Fußfall thun wollen / so wurde er sich dennoch dadurch nicht erhalten haben. Er muste fort / und MALVUS bezöge in acht Tagen die verleerte Stelle. Binnen zwo Wochen verlobte er sich mit einer andern / und bezahlte die vermeinte Schwiegermutter mit eben der Muntze / so sie über den unschuldigen CYPRIUS geschlagen.

CAP. LXVII. I j N t r e u schlagt ihren eignen Herren; und ist nicht ungemein / daß / womit iemand sündiget / meistentheils auch damit gestrafft wird. Doch müsten wir auch nun sorgen / daß wir uns nicht gar zu Otranto verirren; sondern sehen / wo LABILIS mit seinen Companen bleibt. Jener saß noch im Gasthofe: diese drey aber hatten sich nunmehr durch diese Nachricht die Hofnung abjagen lassen. Es ist nicht ohne; wann die Liebste mit einem andern getrauet / so hat der dritte schlechte Zuversicht. Sie lachten über sich selbst; und über die dreyfache Nase / die sie von 0 - ( / 9 7 ) t r a n t o mit Schaden geholet; und entschlossen wieder nach Hause zu kehren. LABILIS indessen hatte sich langer als vor der Stunde / auf seinen gedruckten Pferde davon gemacht / nachdem er das Loch auf dem Rücken mit Klettenblattern ausgestopffet. Er gelangte / mit seinem Kopffe voll Sorgen / nach Hause / und fiel wiederumb in vorige Kranckheit: und da hatte EURILUS

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nun wieder seinen alten Patienten bekommen. Da nun gleich die drey übrigen COMPETITORES wiederumb zu Ragusa ankamen / ohne daß sie etwas angenehmes mit gebracht hatten; des strengen Vorsatzes sich an LABILIS gegen zugefügten Schaden zu rächen: so konten sie aber wenig mit dem Schulkrancken LABILIS ausrichten. Was solte dieser thun? Schimpff zuvertragen war ihm eine H611en=Pein; und SATISFACTION auf Pursch=Manier zugeben / vermochte er vielweniger. Denn seine Mutter hatte sich / da sie mit ihm schwanger gieng / an einen Hundsf. versehen / daß er also nicht viel auf blose Degen hielte. Gleichwol aber war er gerne wieder mit seinen Erzürneten versöhnet gewesen.

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Ö A m i t es nun nicht etwa auf eine W u n d e hinaus lauffen möge / stellete er sich todt kranck / und ließ in der Kirche vor sich bitten / seine Beleidigten desto eher zur Barmhertzigkeit zubringen. Er beredete auch seinen Beichtvater / der ihn besuchte / denen dreyen Feinden zuzureden / sie zu beruf fen / und einen gütigen Vertrag unter ihnen zu stifften. Welches denn auch würcklich erfolgte; nach dem LABILIS allen begangenen Schaden wiederumb ersetzet. Dennoch aber muste er sich noch eine Zeitlang innen halten / damit er durch die geschwinde Ausflucht seine Schul-Kranckheit nicht verrathen möge. C A P . LXIX. E U r i l u s war unterdessen fleissig in seinem LABORATORIO, und wartete seiner Patienten mit besonderer Sorgfalt ab. Ein vornehmer von Adel auf dem Lande / schickte ihm durch seinen Reuter ein Pferd / auff welchen er hinnauß kommen / und eine C u r mit Ihm vornehmen solte. Weilen er nun durch ein dabey kommendes Handbrieflein / einen Vorschmack von des Edelmannes Kranckheit hatte / ordnete er gewisse Mittel in der Apothecken / auff deren Verfertigung der Knecht warten / und dieselbe trabends nachbringen (199) solte. Er ritte vor aus / und verließ sich darauf / es werde der Reuter / welcher des scharfen Trabens gewohnet / ihn leichtlich einholen können. Es hatte aber der Reuter einen gantz andern Weg zu grossen Vortheil / und weit naher zukommen. Denn er setzte durch einen Furth / in der O r l a u : EURILUS hingegen ritte durch ein grosses H o l t z ; und zu seinen eigenen Ungemach / einen Unrechten Weg. Die Nacht kam ihm übern Halß / und wüste er gar nicht / was er vor ein Qvartir noch finden werde. Er ritte voller Angst fort / und ie weiter er sich aus dem Walde zu kommen bemühete / ie tieffer er hinnein gerieth.

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Zuvor hatte er sich mit Liebs-Gedancken / die Zeit und den Weg verkürtzet: nun aber wolte ihm / bey einbrechender Finsternis / das Hertze schwer werden. Eines Theils erschreckte ihn der unbekandte Weg / durch den gefahrlichen Wald: anders Theils trat ihm die Gefahr des Patienten zu Gemüthe / welcher ihm in dem abgelassenen Handbrieffe ein grosses versprochen. Eurilus konte sich einbilden / daß an dem Manne sehr viel gelegen seyn müsse: weil er auff seine Cur so gar viel gesetzet. Unter diesen Gedancken ward es stock finster; wiewol zwar (200) bey hellen Tage / in selbigen dicken Holtze eine stete Finsternis zu seyn schiene. Und da wüste er weder aus noch ein.

CAP. LXX. D A S Pferd wolte ihn / so zusagen / nicht mehr tragen; indem sichs weigerte / fast mehr einen Fuß fortzusetzen. Vor sich horte er ein Geplumpe in Wasser / und hinter sich ein gegruntze von wilden Schweinen. In beyden diesen war er nicht betrogen. Denn das Wild tranckte sich in einen Teiche / durch welchen Ordinär die Strasse gieng: und hinter ihm stunden über 30. Wilde Schwein Kauler / welchen er entgegen zu reiten / sich nicht getrauen durfte. Beßer war es endlich / daß EURILUS sich resolvirte / weder vor sich / noch hinter sich zugehen, sondern er ergrief vielmehr das Mittel und ritte ein wenig zur rechten Hand / in willens auf einen Baum zu steigen / und alda biß an Morgen sich zu behalten. Inzwischen horete er ein Geschrey eines Menschen / welcher gantz nahe bey ihm war. Dieser war ein Bauer / welcher des Abends an selbigen Teiche aufzupassen / und ein Stücke Wild zu stehlen pflegte. EURILUS meinete der Bauer ruffe in Finstern Ihm z u ; da jener doch darumb so laut schriehe / damit er das vor ihm stehende Wild-(201 }pret scheuchen mochte. EURILUS antwortete gar erschrocken. Der Wildprets=Dieb / der Bauer / erschrack auch / und meinete des EURILI Stimme ware dessen / der auf ihn laurete und wegen begangener Dieberey ihn gefangen nehmen wolte. Jedoch gab EURILUS bald zu verstehen / woran es ihm fehle. Der Bauer gegentheils / erbot sich auch / alsobald ihn auf den rechten Weg / ja wol gar biß auf das Dorff Lindana / zu bringen / wohin EURILUS von dem adelichen Patienten verschrieben war. Was war dem EURILUS angenehmer / als dieser schelmische Engel. Er setzte sich zu Pferde / und folgete seinen Wegweiser. Kam ihnen etwa ein Schwein in Weg / so hatte dieser eine Pfeiffe / davor alles Wild flöhe. Auf dem Wege stellete der Bauer allerhand Discurse an; dadurch EURILUS in Finstern sich vergewissern konte / daß der Bauer auf der Achsel ein gutes Rohr / an der Seiten einen Hirschfänger / und in denen Schiebsacken ein baar Puffert führete. Der Galgen*

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Vogel discurirete / daß er sich die Augen zubinden und mit dieser seiner Büchsen auf 600. Schritte einen Hasen in Lager schiessen wolte. J a daß er mit einer seiner Pistolen in die Lufft schiessen / und einen H a - { 2 0 2 ) s e n auf der Erde treffen wolte. CAP. LXXI. D A nun EURILUS fragte / wie denn dieses zugehe; antwortete er / daß er seine Sachen dazu habe; und brauchte zu dieser Kunst nur ein wenig beschriebenes. E r vernahm endlich gar / daß er feste wäre. Damit begunte dem guten EURILUS die Haut zu schauren / und eine Furcht in ihm zu entstehen gegen seinen Geferten. Jedoch ritte er in der Angst gedultig nach. D i e Tropfen des Angstschweisses fielen Ihm auff die Hände / und die Zunge wolte ihm schier vor Schrecken ankleben. Das Hertz klopffte: und alles Zagen hielt er vor eine Verkündigung seines gar nahen Unglücks. Sie kamen ein wenig fort / daß der Bauer stehend blieb / und ihn anreiten hieß. EURILUS dachte / nun würde es mit ihm aus seyn. D o c h fragte er gleichwol den gefürchteten Wegweiser / umb die Ursache dieses Befehlichs. „ H e r r e " / sagte der Bauer / „ k o n t ihr wohl in Finstern diesen Stock erkennen?" Es war der Stamm von einer gefalleten grossen Eichen. „ H i e r " / fuhr der bewehrte Bauer fort / „wolte einer vor 10. Wochen 500. Ducaten vor (203) sein Leben geben: er konte aber solches nicht davon bringen; sondern der Kopff ward ihm mit der Axt auf diesen Stocke abgehauen. Ich war auch d a b e y . " W e m hatte nicht bey solchen U m b standen dergleichen Historie einen Stoß ans Hertze geben sollen?

CAP. LXXII. EURILUS hatte nun dem Bauer schon über 2. Stunden in seiner Angst nachgefolget und hingegen von Lindan noch gar keine Vertröstung empfangen / da doch der Vorlauffer Anfangs und auf der Städte ihrer Z u s a m m e n k u n f t gedacht / daß Lindan von dem Teiche an / fast keine halbe Stunde gelegen. Welches denn den elenden EURILUS weit tiefer in Furcht und Sorgen setzte. Er faste sich das Hertz und fragte den Bauer darumb: welcher antwortet / daß er selbst irre sey / und nicht wisse / wo sie waren: und dabey mengete er stets ein / daß selbiges Ortes eine grosse Unsicherheit zu fürchten. Hatte EURILUS Pferd zuvor nicht ferner fort gewolt / so folgete es doch itzo dem Vorganger gar gutwillig. Wiewol es letzlichen sich so ermüdete / daß es fast unmüglich war / forder zu kommen. Das grau-(204)samste war / daß der unredliche Bauer den EURILUS aus der Strasse / mitten ins H o l t z geführet / seiner Meinung nach

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desto eher und näher zukommen. Welches aber den E U R I L U S in weit grössere Noth setzte: weil er befahrete / dieses sey aus Vorsatz geschehen / ihn der Mord-H51e desto näher zu bringen. Vielmahls hatte er im Sinne / sich an den Bauer zuergeben / und ihm alles / was er bey sich hätte / vor die Erhaltung seines Lebens zu bieten. Jedoch dachte er auch / daß woferne der Bauer nichts böses im Sinne hätte / es ihm schimpfflich seyn / der Bauer aber ihn entweder auslachen / oder gar auff mörderische Gedancken bringen werde; daran er vielleicht sonst nicht gedacht hätte.

CAP. LXXIII. D A S heist zwischen Thür und Angel hengen / wann Hoffnung und Furcht mit einander kämpffen / und keines von beyden untenliegen will. Unterdessen passirten sie fort / und da endlich der Bauer selbst müde und ungeduldig ward / daß er an statt seiner Historien mit Fluchen und Vermaledeyen den Weg zu suchen vermeinte / schlug {205) er selber vor / sich mit ihm niederzulegen / und über Nacht allda auszuschlaffen. Weil E U R I L U S aber vermeinte / dieses konte eine ausgedachte Gelegenheit zu seinen Untergange seyn / wolte er nicht willigen / sondern verhieß ihm ein ansehnliches Trinckgeld / woferne er ihn selbigen Abend noch / nacher Lindan bringen würde. Der Diebische Bauer versetzte / und sagte: „Herr / da ich euch gleich diese Nacht nach Lindana bringen wolte / so kan ich euch doch weiter den Weg nicht / als biß auff die Gräntzen weisen. Denn über dem Mahlsteine darff ich mich nicht sehen lassen / nachdem ich vor 6. Wochen daselbst verwiesen / und einen Eyd schweren müssen / mich in 99. Jahren daselbst nicht wieder blicken zu lassen." Damit hatte E U R I L U S von dem Bauer genug / und war nunmehr versichert / daß er ein ausgelerneter Puschklepper sey. Der Bauer sagte abermal / er wisse nicht / wo sie wären / das aber sey ihm nicht entfallen / daß um diese Gegend ein Orth wäre / wo so viel Leute ermordet / daß sich am Tage die Gespänster derselben sehen Hessen. E U R I L U S erschrack noch mehr über dieser Zeitung: und in dem er vor (206) Furcht und Warten der Dinge / nicht antworten kunte / horete er unferne eine Stunden Uhr schlagen; worüber er sich dermassen erholete / daß er den Bauer nun etwas behertzter anredete; dieser wolte ihn auch trösten und sagte: „ H e j r ! nun weiß ich / wo wir seyn / nun wollen wir den Weg schon finden. Folgt mir nur." Weil nun E U R I L U S merckte / daß der Bauer ihn von dem Glockenschlage wiederum ab / und einen andern Weg führen wolte; stund er an / ferner zu folgen: hingegen befahl er dem Bauer ihn in das Dorff alsobald zu bringen / wo er itzo die Glocke zwolffe schlagen hören.

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C A P . LXXIV. E N d l i c h gelangete EURILUS mit grosser N o t h selbiges Ortes a n ; es war aber kein Dorf / sondern ein einiges Wirthshauß / worinnen die jenigen übernachteten / welche des Nachts nicht über den Wald kommen konten. Jedoch war es ihn lieb / daß er n u r unter ein Dach kam / da er doch zum wenigsten eine bessere Sicherheit zu finden vermeinte. Er pochte den Wirth heraus / welcher sein Pferdt zur Wartung auffnahm / und ihn in die Stuben gehen und ruhen (207) hieß. Der Bauer that mit dem Wirthe sehr bekant / und hieß ihn Schwager. Dabey er auch so geschafftig / daß er in der Stuben Liecht anzündete / Stroh herbeyschaffte / und eine Lagerstatte bereitete. D e m EURILO fielen die unterweges geführete Discurse bey / sonderlich aber / daß der Bauer ihm den Stock gewiesen / worauff einem der Kopff dennoch abgehauen / ob gleich der arme Mensch 500 Ducaten vor sein Leben geboten. Derowegen fragte er den Bauer darum und sagte / was er vor ein böser Mensch sey / der ihm auff dem Wege von Mord und sonderlich von so einer That erzahlet. Der Bauer antwortete; und sagte: „ H e r r ! " G O t t sey mit mir und dem Leser; „es ist / hole mich der Teuffei / wahr. Wolt ihrs nicht glauben / so fragt nur den Wirth. Dieser war auch d a b e y . " N u n glaubete EURILUS alles wohl / und vielleicht mehr als der Bauer sagte. Er suchte n u r den Bauer dadurch freundlich zu straffen / und schüchtern zumachen / damit er seines Orthes die übrigen 6. Stunden Nacht desto sicherer zu bringen mochte.

(208)

C A P . LXXV.

i N d e s s e n kam der Wirth / den der Bauer alsdenn selbst darumb befragte. Der Wirth betheurete noch weit höher / daß dem also sey: er setzte auch h i n z u : „Dieser ehrliche Mann war auch dabey. Wir wurden auch beyde unter denen Thatern mit eingezogen. U n d zu unserm Glücke geschähe / daß wir keine Part von denen abgenommenen Ducaten genommen hatten: Hatten wir einen Dreyer davon bekommen / so waren wir beyde auch mit / wie jene / aufs Rad geleget w o r d e n . " War EURILO in Holtze bey einem Schelme bange gewesen / so muste es ihm nun unter zweyen noch weit furchtsamer seyn. Er wünschte wol zehnmal / daß er nimmermehr in dieses Mord=Hauß gekommen ware. Der Wirth brachte gesotene Eyer / auf den Tisch / und ein Stücke Speck / dem EURILO einen Bißen zu bieten. Ingleichen einen Trunck von faulen Holtzapfeln und Wasser gemacht. Alleine wie die jenigen Appetit z u m Essen haben / die ietzo z u m Richtplatze sollen geführet und entleibet werden: also hatte EURILUS auch Lust zu essen oder trincken. Doch (209) kostete er nicht aus Durst /

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sondern aus blosser Furcht den Tranck. Der Wegweisende Bauer inzwischen nahm Abschied / aus der Ursache / er dorffte sich in dem Hause nicht lange auffhalten; denn der Grentzbereiter kehre zuweilen des Nachts da ein / den er einst in Holtze von der Mehre geworffen / und ihm eine Reuterzehrung ausgepresset; derselbige hatte geschworen / wo er ihn antreffen würde / übern Hauffen zu schiessen.

CAP. LXXVI. TRostliche Worte / vor einen furchtsamen Reisenden. E U R I L U S glaubte diesen allen nicht: sondern gedachte / es waren abgeredete Historien / wo mit man ihn nur sicher machen / und in Gefahr verwickeln wolte. Es kam dazu / daß der Bauer und Wirth einander stets in die Ohren redeten. Wodurch E U R I L U S in rechte Todtes=Angst fiel. Gleichwol war der Nachtrabe numehr fort / und hatte E U R I L U S mit dem Wirthe alleine zu thun. Der Seiger schlug eins: und E U R I L U S wolte dennoch nicht zu Bette gehen; wiewol es nur eine Streue war. Denn er hatte bey sich beschlossen / des Schlafes sich zu enthalten / damit er auff den Fall eines bösen Vorhabens / an diesen (210) unsichern Orte / Ubelthatern keine Gelegenheit durch den Schlaff an die Hand geben mochte / etwas an ihm auszuführen. Verwunderlich war es dem EURILO, daß er in dem gantzen Hause keines andern Menschen / keiner Magd oder Frauen ansichtig ward. Dort saß der Wirth alleine bey ihm und DiscuRRiRte allerhand von seiner einsamen Haußhaltung: und ausser dem horte E U R I L U S kein Mausgen regen. Indem er&fnete sich die Thür der Stuben selbst; vor welcher niemand zu sehen war. Der Wirth sagte hierauff alsbald zu EURILO: er solte sich nur nicht davor entsetzen / es solte ihm nichts wiederfahren. Und sihe / da trat ein gantz nackender grosser Baumstarcker blutiger Kerle in die Stuben / dem die Augen zum Kopffe heraus hiengen / und das Gehirne zum Ohren und Nasenlochern heraus drunge / und wiese mit dem Finger in die Seiten allwo ihm ein groß stücke Fleisch ausgeschnitten war. Der Wirth A C C O M M O D i R t e dieses Wunderneu / mit einem Munde voll der grausamsten Flüche / daß dem frommen E U R I L O die Haare zu Berge stunden. Er fiel in solche Bestürtzung / daß er hinter den lasterlichen Wirth kroch / und daselbst einen Schutz w i - ( 2 / / ) d e r dieses Gespenstes Anfechtung suchte. Der Wirth war so kühne / daß er mit fluchen auf das Gespenste zugienge / und die Thür wieder schlosse.

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CAP. LXXVII. W i e lang dem E U R I L O diese Nacht wurde / ist leicht zuermessen. Die Glocke ließ nunmehr die ander Stunde vernehmen: und der Wirth tröstete ihn / und sagte / daß es nun nichts mehr zu bedeuten hatte. Denn er habe seithero abgemercket / daß dieses Gespenste allezeit um die andere Stunde der Mitternacht sey wiederum stille worden. Er erzahlete E U R I L O auch die Historie von solchem Gespenste und sagte / daß vor 5. Tagen in einen gewißen Grunde des Holtzes / ein Schweitzer ermordet und ausgezogen worden / den habe er ohngefehr / da er auch im Walde seiner Nahrung nachgegangen / liegen sehen. Weil nun der Kerl überaus groß und sehr fett gewesen / habe er ihm ein Stück Fett aus der Seiten geschnitten / und mit sich nach Hause genommen. Denn er hatte etzliche Jahre seithero nichts anders als Menschen=Fett in Lampen gebrennet. Und dieses eben / welches er itzo in dieser Lampe brennen ließe / sey von dem / der sich itzo sehen lassen. (212)

CAP. LXXVIII.

W E m kan bey solcher Grausamkeit wol zu Muthe seyn / oder welche geangstete Seele last alsdenn / ihre obgleich matten Glieder ruhen? E U R I L U S schwitzte die Nacht so vollends durch / der Wirth unterhielt ihn: und wird niemand die Freuden leicht aussprechen können / welche E U R I L U S über dem Morgenliechte schopffte. Er danckte seinen G O t t vor Freuden auff denen knien / daß er die Bande seiner Angst zerrissen / und ihn mit dem lieblichen Tageliechte wiederumb getröstet hatte. Er sang seine Lieder und satzte sich mit dem Barbarischen Wirthe zu Pferde und ritte seine Strasse / biß vors Holtz: allwo Ihm die rechte Strasse gezeigt wurde / auff welcher er in den Adelichen Hoff ohne alle Irrwege gelangen konte. Er reichte dem Wirthe eine Verehrung / die dieser aber nicht annehmen wolte. Dagegen er aber den E U R I L U M bittlich ersuchte / von dem was etwa abgewichene Nacht passiret ware / weder auff dem Adelichen Hofe / noch sonst wo zugedencken. E U R I L U S kunte ihm vor Freuden dieses leicht versprechen. CAP. LXXIX. D A m i t schieden sie von einander: E U R I L U S (213) aber mit dem Schluße / die uberstandene Gefahr unmüglich zuvergessen und mit Stillschweigen zu verschmertzen. In der guten Stunde langte er nach Lindan / und sähe bey Eintrit in das Hauß / daß sein Patient / zu welchen er gestriges Tages erfordert / todt aus der Stube in ein Gewölbe / zu drey oder viertägiger

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Ruhe / biß auf den Tag der Beysetzung getragen wurde. Die eine Wärterin sagte ausdrücklich gegen den EURILUS, an statt des Grusses / daß wenn er gestern Abends ankommen ware; Er der verstorbene von Adel / die Stunde noch lebe. EURILUS beklagte sich über sein Unglück / und nachdem er sehr gewissenhafftig war / betaurete er mehr die Versäumnis an dem verstorbenen / als daß er das Andencken der ausgestandenen Schrecken=Nacht / sich schmertzen ließ. Der verstorbene war ein alter Mann / von fast 70. Jahren welchen das Alter vielleicht / ohne Kranckheit / diesen allgemeinen Proceß gemacht hatte. Noch hatte er sich vor 2. Jahren bethoren lassen / ein jung Magdgen von 14. Jahren zu heyrathen / und ehe sie zur Ehe verstandig worden / in seine Liebe zu beschwatzen.

CAP.

LXXX.

D i e Vogel wann sie aus ihrer Freyheit (214) gefangen und in die Kaf / oder Gebauer eingekärckert werden / seyn gar schwer ans Futter zu bringen. So bald sie aber dasselbe kosten / seyn sie nicht zu erfüllen. Dannenhero schätzte diese junge sechzehnjährige Witbe ihres alten Mannes Todt vor ihr Glücke. Und an statt / daß EURILUS bey dem Eintritte in ihr Trauerzimmer / seine Condolentz ablegen wolte / kam sie ihm mit aller Freundligkeit zuvor. Sie ergrif ihn bey der Hand und führte den jungen MEDICUM mit sich in ihr Cabinet: und sagte / (ich weiß nicht / ob es aus Kindheit oder Unverstand geschehen) es wäre gar gut / daß der Herr DOCTOR nicht zu rechter Zeit kommen wäre. Denn es hätte leicht geschehen können / daß der alte Mann / durch gute Artzney / sich noch auff ein par Jahr davon reissen können. Sie gab ihm klar zu bedencken / was sie / als eine so junge Person / an einen solchen unvermögenden Manne vor Freude haben k6nte. Die gantze Nacht über hätte er geschlaffen / und zu keiner Stunde munder gemachet werden können / es mochte die Nachtigal um Mitternacht gesungen / oder der Hahn des Morgens gekrehet haben. Sie hingegen wüste am besten (dieses sagte sie thränend) wie viel schmertzliche Schlafflose Nächte sie ( 2 / 5 ) bey ihm ausstehen müssen. Doch tröstete sie sich durch den endlichen Todt des alten Mannes: dabey sie die ausdrückliche Hofnung schöpfte / sich bald wiederum zuversorgen. EURILUS aber empfieng vor sein Ausbleiben / und späte Ankunfft eine bessere Belohnung / als wann er ein vierthel Jahr bey dem Patienten zugegen gewesen / die kostlichsten Medicamenta verbrauchet / und denselben gesund gemacht hätte. Nachdem er nun den Recompens nächst einer guten Malzeit eingenommen / forderte er von dem jungen Wittweibe / den Kutschwagen und Pferde: auf welchen er

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sich mit besserer Vergnügung als vorigen Tag geschehen / wiederumb nach der Stadt bringen Hesse.

CAP. L X X X I . Ö A v i d suchte eine junge Dirne sich an ihr zu warmen. Und aus diesen Ursachen ist keinem alten verboten / eine junge Person zu heyrathen. Wann aber das Feur gar zu groß in derselben ist / so verbrennet man sich / daß man sich selbst nicht helffen / sondern andere leschen lassen muß. Hunde die zu viel fressen / muß man nicht in Hause halten. Denn dadurch werden sie starck und faul. Ingleichen muß man denen Katzen nicht alle Tage Fleisch geben: sondern sie müssen auch Zugemüse fressen. Man gab dieser jungen Witbe Schuld / daß wohl (216) zwantzig ledige junge / schone Leute auf des alten Mannes Todt gewartet / und da unter diesen einer adelichen Gebrauche nach / auf dem Leichbegangnis sie geführet / und sie / da er in der Kirche / unter der Predigt / bey ihr gestanden / gefraget / ob sie ihn vor andern zu lieben gedachte? Sie aber zur Antwort gegeben / daß er zu spate komme. Diese Willfertigkeit habe sie schon einem andern versprochen.

CAP. L X X X I I . N U n m e h r war EURILUS wieder nach Hause kommen / und hatte seinem Vater die Gefahr weitlaufftig erzahlet / welcher nur bloß darnach trachtete / daß er den Gasthoff im Walde / das Mordnest mochte durch der Obrigkeit Vorspruch außsuchen lassen. Alleine weil EURILUS sich gantz und gar nicht besinnen konte / wo er gewesen / viel weniger den Weg zufinden / blieb die INQVISITION nach / und war er damit schon vergnüget / daß sein einiger Sohn aus der Gefahr erloset / und unbetrübt wieder nacher Hause kommen war. Kurtz vor seiner / des Sohnes Ankunfft / war wiederumb ein Berufs=Brief eingelauffen / daß der alte SOZON nacher VANDALO kommen / und allda eine W e i - ( 2 7 7 ) b e s Person curiren solte / welche über die helffte eines Jahres zu Bette gelegen / von deren man nichts froliches mehr zu hoffen / den bittern Todt aber unausbleiblich zubesorgen. Dahin muste er auch seinen Sohn / ungeachtet der Gefahr / so dieser die abgewichene Nacht überstanden / schicken; der Ort war endlich über drey Meilen nicht entlegen / iedoch aber nam er sich besser in acht. Und damit er bey der Abwesenheit des EURILI nicht Ursache hatte / sich zu gramen / und dergleichen Zustand / wie auf der Reise nacher Lindan geschehen / zu

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befahren / so verdingete er seinen Sohn auf die Post / da er gar wol versorget und keinen Irrweg wie voriges Tages / zubefahren.

CAP. LXXXIII. H i e r war nicht lange zu verweilen / denn der Angstbrief von dem Vater / der überauskrancken Jungfer / ließ keinen Verzug zu. EURILUS nam die Artzney und INSTRUCTION von seinem Vater an / und setzte sich damit auf die Post. Zwar kam er etwas spat / und hatte die Postkutsche / etwa den sechzehenden Theil von der Stunde auf ihn warten müssen / Weswegen der Post=Pferde=Bengel ihn unhöflich anließ / daß auch et-(218)liehe in der Reise Compagnie hofliche Gemüther darüber entbrandten / und den Tölpel mit Schlagen bedroheten / wofern er es dem EURILO nicht abbitten / und sich sittsamer bezeugen würde. Der Kerl war nach Art solcher Leute trotzig / und fuhr zu / als wann er mit samt denen Pferden / den Sonnenschuß bekommen. Ein theil der R e i s e g e s e l l s c h a f t musten seiner lachen / konten aber dadurch seiner Wiedersetzligkeit nicht wehren. EURILUS sagte endlich / als er vermerckte / daß Sie sich aufs neue entrüsten wolten / sie solten sich nur zu frieden stellen / und den Unmenschen bey seiner Art lassen / er wolte ihnen allen eine Kurtzweile machen / daß der Postknecht selbst kommen / abbitten / und Ihn um Hülfe ansprechen solte. EURILUS meinete ihm ein Pülverlein bey zubringen / nach welchem er die Hosen stets müste in der H a n d / und das Maul offen haben. U n d wolte er davon errettet seyn / so müste er nothwendig gute Worte vorher schicken / welche ihn zur Hülfe disponiren konten. Sie beliebten allerseits die gelinde Straffe gegen den groben Schelm / sorgten aber zugleich davor / wie sie ihm das scharfe Purgantz bey bringen wolten. Einer (219) unter dem hauffen war noch wol mit dem Postilion dran / denn er hatte beym Aufsitzen ihm die Gurgel mit Biere gefüllet / der erbot sich die Freundschaft mit ihm zu coNTiNUiren / und unter derselben ihm das Pülverlein einzupartiren. Eine Weibs Person war mit auf der Kutschen / welche mitmachte / die sagte / daß sie ein stück Kuchen bey sich habe / in welchem man es ihm am füglichsten beybringen könte. U n d dieses alles ließ sich ohne Fehler practiciren.

CAP. LXXXIV. D A S Pulver war nunmehr unter dem gefressenen Kuchen an dem O r t / w o es hin solte. Es erreichte auch seinen EFFECT mit grossen Gelächter der

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Reisenden. Der Postilion DEPRECiRte auch bey E U R I L O , und ersuchte ihn um Hülfe. Er verwunderte sich darneben woher ihm solcher Zufall entstanden / oder was das vor eine Kranckheit sey / daß / da er nichts eingenommen / dennoch so purgiret werde. Einer überredete ihn / und sagte / es sey die Colica gewesen / welches der Postilion darum nicht glauben wolte / weil er kein fettes gegessen. E U R I L U S versetzte / daß es die Politische Colica gewesen / als welche ohne fettes und kaltes sich einzustellen pflege / (220) der Postilion verstund die P o l n i s c h e C o l i c a / und sagte: „habe ich doch in keinem Jahre mit einem Polen zu schaffen gehabt / und wie hatte ich denn können damit angestecket werden?" Ein ander nam sich vor den Postilion dadurch zu bessern / und aus einem groben holtze / einen subtilem M E R C U R I U M ZU machen / und sagte zum Kutscher / er wolte ihn hiemit erofnen / wo die polnische Colica herrühre (er redete nach dem Verstände des Unverstandigen) nemlich Sie entspringe aus einer Grobheit und Unhofligkeit des Gemüths / und würde er erfahren / daß so offt er seine Reisende so übel anlassen und unverschämt tractiren würde / er allezeit diesem Ungemach unterwürffig sey η müste.

CAP. L X X X V . E s ist nicht ohne / der Pobel last sich zuweilen etwas bereden / und damit in eine Furcht bringen. Alleine ich will deswegen doch nicht billigen / hingegen aber auch nicht gantz verwerffen / wann man bißweilen zeichen in der Natur erdichtet / ein sündiges Volck / welches sich Gottes Geist nicht wil straffen lassen / dadurch zu ziehen. Ich moch-(227)te wissen ob es Sünde ware / wann ich in einer Republic / wo die Menge des Volckes durch keine Vermahnung zu gewinnen wäre / erdichtete / es hätten sich des Nachts feurige Regimenter streitend an Firmament sehen lassen. Oder es hätten Todtenbahren auf allen Gassen gestanden / oder wann ich gar einen Brunnen gantz blutig machte / mit vorgeben / das Wasser habe sich selbst also verwandelt. Zwar läst es sich mit Gottes Wundern nicht schertzen. Jedoch aber / wann gleichwol dadurch der freche und unbändige Pobel im Zaum erhalten werden konte / stünde davon zu reden / wie hoch sich iemand an solchen Vornehmen versündigen könne. Gewiß ists / daß der Postilion von der Zeit an so bescheiden sich erwiesen / daß ein ieder Reisender die Hofligkeit und Willfahrt dieses Kerlen gerühmet. Ein Mitreisender erzehlete / daß in seinem Vaterlande in der Stadt Ragenna ein Fleischhauer gelebet / welcher an sich selbst zwar ein junger aber doch halb religiöser Mann gewesen. Dem habe verdrossen daß weder die Geistlichkeit mit öffentlichen Eifer / noch die Obrigkeit mit allerhand

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Straffen / die Üppigkeit und Kleider Pracht des Weibesvolckes dampfen (222) können. Und da ja durch öffentliche Gewalt ein Mittel gesucht / und durch Hascher die ungebührliche Kleidung denen Weibern / auf der Gasse ausgezogen worden / so hatten die meisten solcher unbändigen Thiere / wie sie LIVIUS und H E S I O D U S nennet / sich zusammen verbunden / an Tage weder in die Kirche / noch sonst auszugehen. Des Abends aber in der Demmerung waren sie dennoch zusammen kommen. Da nun die weltliche Obrigkeit durch fleißige V I S I T A T I O N E S , auch diese Halßstarrigkeit unternommen / und diejenigen gestraft / welche nicht kranck danieder gelegen / und dennoch den Gottesdienst verseumet / hatten Sie ihre güldene Ketten und Schnallen mit Rubinen versetzet / über die Knie gebunden / des Vertrauens / man werde Sie / in RESPECT der allgemeinen Erbarkeit / da nicht visitiren. Inzwischen hatten sie doch ihren Willen gehabt / und eben das Geschmeide an ihrem Leibe getragen / welches ihnen von der Obrigkeit ware verboten worden.

CAP. L X X X V I . W E r will der Weiber List mit einem Gesetze wiederstehen ? oder wer kan nur die Arten alle erzehlen / die manche gebrauchet / (223) bloß nur ihren Mann zu betriegen ? Der Fleischhauer / dessen der Reise compagniens gedachte / soll sich über die Unbandigkeit der Weiber erzürnet und ihn zu einem solchen Blendwerck / ein Schrecken damit anzurichten bewogen haben. Der Reisende gedachte / daß er / der ohne dem ein grosser langer hagerer Kerl gewesen / sich gantz weiß angezogen / eine Sense und eine Sand Uhr / die an statt des Sandes mit Licht erfüllet gewesen / in die Hand genommen / sich auf ein weiß Pferd gesetzet / welchem er die Eisen abgebrochen / und den Huf mit Filtze und Lappen verbunden / daß es gantz stille zugegangen. Und also sey er alle Nacht / um zwölf Uhr / ausgeritten / und denen stoltzen trotzigen Weibern / nicht nur ihre Zusammenkunft gewehret / sondern auch in eine solche Furcht gebracht / daß Sie von da an die güldnen Ketten nicht mehr zu Kniebändern gebrauchet. Der Mensch konte nicht beschreiben / was vor eine Furcht über alle Menschen ausgebrochen / und mit was singen und beten man hie und da in allen Hausern sich hören lassen. Ob nun gleich endlich diß Vornehmen des Fleischhauers ausgebrochen / so sey er dennoch absolviret wor-(224)den / gegen daß er zehen Thaler Straffe erleget. Ein ander / der eines Priesters Sohn war / erzehlete / daß die Bauren seinem Vater vor diesen alle Nacht den Teich bestohlen / und die besten Fische daraus geholet. An denselbigen Ort hab er einen DELiNQVENTen begraben lassen / und unterschiedliche mahl des Nachts in einem weissen Chor=Hembde seinen Knecht / in

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der gestalt des armen Sünders sehen lassen. Von selbiger Zeit an sey ihm nicht eine Grate mehr entwendet worden. Wiederum ein anderer gedachte / daß sein Vetter in etzliche Topfe Maul / Nase und Augen gelöchert / dieselbe mit weissen Papier verkleibet / und ein Licht hinein gestecket. Solche feurige Larven habe er auf den Gottes Acker zu Nachte gesetzet / und dadurch die Diebe abgeschrocket / welche ihm sein ACCIDENS, an Kirschen und Aepfeln sonst alle Jahr zu Stelen gewohnet gewesen.

CAP. L X X X V I I . ÜErgleichen Historien gab es noch mehr / und schiene ein ieder der Meinung zu seyn / man konte mit gutem Gewissen dem zaumlosen P6bel mit solchen SIMULACRIS zur Furcht begegnen. Wir lassen solche M e i - ( 2 2 5 ) n u n g an ihren Ort und vor gelehrte Leute gestellet seyn. Wir fahren vielmehr mit EURILO fort / denn über diesen Discursen kamen die Reisenden in das Stadt Thor zu VANDALO: allwo EURILUS alsobald abstiege / und seine Verrichtungen zu beschleunigen / alsobald den Patienten suchte. Die geführten Gespräche verursachten / daß EURILUS verhieß so bald er die Artzneyen seinem Patienten beygebracht / er sich nicht halten lassen / sondern zur Compagnie in dem Gasthof zu ihnen zur Malzeit vor sein Geld kommen wolte. Jene versicherten sich seiner parol / und sagten daß sie mit speisen auf ihn warten wolten. EURILUS kam in das Hauß eines Spanischen Krieges Rathes / und fand alda (VIOLANTEN), eine sonst schone / aber in geheim verliebte Jungfer / gantz erkrancket. Zwar konte er ihr nicht abmercken / wo es ihr fehlen möchte. Denn da war weder Frost / noch Schmertz / noch Hitze / Er sagte laut von sich / daß er diese Person vor gesund hielte. Die Eltern musten gestehen / daß der MEDICUS zur guten Stunde ankommen / da man ihrer Tochter wenig abmercken konte / was ihr klaglicher Zustand mit sich brachte. Allein Sie erzehlten ihm solche (226) Begebenheiten / die nunmehr in die sechste Woche ergangen / daß EURILUS sich entsetzte / und nicht wüste ob er ein MEDICUS war oder nicht. Denn dergleichen war ihm noch nicht unter handen kommen. Dannenhero stund er mit der Artzney an / und wolte ihr durchaus nichts eingeben / bevor er denn in PAROXISMO mit Augen gesehen / was von einer solchen unbenannten Kranckheit zu schliessen / und ob gar ein Mittel vorhanden / dergleichen Zuständen zu begegnen. Er verließ mit der Patientin Eltern / sie mochten ihn alsobald ruffen lassen / so bald sich ein Zeichen zum PAROXISMO blicken Hesse / er aber gieng seinen parol nach / hin im Gasthoff zur Reise Compagnie / wie sehr man ihn auch in des Spanischen Krieges-Raths Hause zum Abtritte und schon bereiteten Malzeit nothigte.

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C A P . LXXXVIII. D i e Brüder im Gasthofe waren indes lustig mit Schalmeyen und Paucken / welchen EURILUS auch nicht feind war.

CAP. LXXXIX. I N diesem Gasthofe pflegte noch eine andere Post einzukehren / und war dieses der ordinär Posttag / an welchem beyde (227) Posten iederzeit zusammen kamen. War nun EURILI Compagnie gleich lustig / so geschähe doch solches gar MODEST und manirlich / dahingegen auf dem andern Postwagen solche Früchte ankamen / deren sich der Stam billig zu schämen. Von andern liederlichen bezeugen / wil ich nicht sagen / sondern nur so viel / daß sie zuweilen Dinge vornahmen / welche auch alten Leuten / ich geschweige der Jugend / ärgerlich waren. Uber Tische speisten beyde Compagnien zusammen / und muste sich gleichwol diese nach jener in etwas beqvemen / doch stund ihnen so viel frey / Ich weiß nicht welcher unter ihnen erzehlen mochte / daß er vor diesen 40. Kannen Bier in einem niedersetzen / ohne einiges aufstehen austrincken können. Ein ander versetzte und fragte / wie groß denn sein Magen ware ? Dieser antwortete / er wolte wetten daß in seinem Magen zehn Kannen Wasser giengen / die gantze Tischgesellschaft lachte / und sagte / w o er denn die übrigen dreyßig hingethan. CAP. XC. N U n waren unter jener Compagnie grausame Aufschneider / welche aus einer {228) Lügen in die andere fielen. Nicht kunte von Starcke / von Geschickligkeit / von Kunst / und dergleichen / geredet werden: So hatte ein ieder / oder doch nur einer derselbigen Verstand davon. Unter andern rühmte einer von EURILI Compagnie / den berühmten Endtenfang zu MODELA, darauf von jenen alsobald einer auftrat und sagte / daß er einst zwey Schock wilde Endten auf einen grossen See oder Teiche gefangen / und habe dazu weder N e t z noch Rohr gebraucht. Die Kunst aber habe darinnen bestanden / er hatte einen Faden von 60. Klaftern mit einem ende an eine dastehende Weide gebunden / an das andere Ende aber / desselben Fadens / ein stücklein Speck / und habe den langen Faden alßdenn mit samt dem angebundenen Specke in den grossen See geworffen / und sich hatte er hinter selbige Weide verstecket. Als nun eine grosse Anzahl von wilden Endten daher geschwummen / habe die forderste das bißgen Speck verschlungen / welches denn alsobald wieder hinten durch-

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gegangen / und auf dem Wasser geschwummen / dasselbe habe die folgende Endte wiederum verschlungen und auch hinten wiederum heraus g e - ( 2 2 9 ) geben / so habe die dritte und viel andere mehr gethan / biß er endlichen durch diese seine INVENTION zwey Schock an demselbigen Faden angereyhet und herausgezogen. U n d dieses konte er noch alle Stunden thun. Ein Jager / welcher im Wirthshause bey einer Kannen Bier saß / und gar wol merckte daß dieses Auffschneidereyen wären / erkühnete sich zu fragen was es denn vor ein Faden gewesen / der so viel starckes Weidewerck erhalten können. E y / sagte der Lügener / es ware eben kein Faden sondern so viel zusammen gebundene Stricke gewesen. Ich mochte wissen wie die Endten die Spreden knoten durch die enge Kehle gebracht hatten ?

CAP. XCI. E i n anderer rühmete sich / daß er neulichst bey einem vornehmen von Adel gewesen / da er sich allerhand Lust sonderlich mit hetzen und jagen gemacht. E r sagte er habe in einem Tage dreyßig stücke Hirsche " gehetzt und 96. Hasen "gejagt. Unter andern hatte er einen Hirsche mit einer Kugel zwischen die " Horner geschossen / daß sich die Kugel so wunderlich verschlagen (230) und durch abprallen unterwärts ihn auch alle vier "Beine in stücken geschossen. Wodurch er also bewiesen / daß man einen Hirsch fällen konte ohne " B l u t . D a ß der Kerl die Jägerey verstanden / erscheinet aus denen TERMINIS, die er nach Jagt manier gebrauchet / aber so einen künstlichen Schoß zu thun solte ich dem Nimrod selbst nicht zutrauen / wenn er noch lebete. Wir entsetzten uns über diese Lügen / doch wolte uns nichts anders anstehen / als daß wir uns in keine CONTRADICTION wieder . ihn einliessen. Denn es ist nicht eine der geringsten Lüste / wenn man einen excellenten Lügner haben / und um sich leiden kan. Zudem ist eine Kunst / lügen und nicht dabey roth werden. Welches beydes dann eine geheime Freude in uns erweckte / EURILUS sagte den Praler zu verstärcken / das konte wol seyn / wann sich die Kugel so und so verschlagen / und einen Bogen Strich genommen hätte / massen denn gar viel Menschen durch einen dergleichen Abprall wären erschossen worden. Das war Wind zu dieser Mühle. D a gieng auf des EURILI Beyfall erst das TRENCHiren recht an. Der Auffschneider betheurete / daß er eine (231) vortrefliche Flinte habe / so zu Mastric gemacht / aus welcher er noch keinen Fehlschuß gethan. Dieser Tage als er spatzieren gegangen / habe er auf einen eintzigen Schuß und mit einer Kugel einen zwölfpfündigten Hecht / ein Reh / und Hasen und 16. R a b hüner / und also neunzehn Stück / wie gedacht mit einer Kugel und [. . .] auf einen Schoß erleget. EURILUS versetzte die Kugel müste wunderlich

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gefahren seyn. Der künstliche Schutze eröffnete hierauff den gantzen Proceß. Er sagte es ware so zu gegangen: Er ware an den Muhlgraben spatzieren gegangen und am hellen Mittage bey klarem Sonnen Scheine / etwa eine Elle tief unter dem Wasser / eines grossen Hechtes gewahr worden. Darauf hatte er angeschlagen / und den Hecht im Wasser auf den Kopff geschossen / daß er auf dem Rücken geschwummen. Von dem Kopfe aber sey die Kugel abgeschlagen / zwerg über den Graben / wo ohngefehr ein Reh gestanden / welchen die Kugel in die dinnen Riebben gefahren / daß es einen grossen Sprung gethan / und noch etwa zwantzig Schritte gelauffen / biß es gefallen. Da er dieses gesehen / habe er alsobald den Mühl=Kahn (232) ergrieffen / und sey über den Graben gefahren / den Hecht und das Rehe aufzuheben. Jenen hatte er aus dem Wasser ins Kahn genommen / als er aber ans Reh kommen / habe er gesehen / daß das Rehe / auf einen Hasen / welcher in Lager gesessen / gefallen / und denselben halb todt gedrücket / den Hasen habe er alßbald ergriffen / und selbigen / weil er noch etwas gelebet in die hohe geworffen / damit er sich vollends todt fallen möchte. Im herunterfallen sey der Hase so glücklich gewesen / daß er auf ein nicht ferne davon sitzendes Volck Rabhüner / von 16. Stücken / getroffen / und dieselbigen erschlagen. EURILUS sagte daß dieses alles müglich und höchst zu verwundern sey.

CAP. XCII. O B nun schon einer aus unser Compagnie lachen / und den Schützen vexiren wolte / so sähe EURILUS doch immer / wie er vor den Lügner antwortete / und ihm herraus half. Letzlich auch / da man die Unmüglichkeit des gethanen Schusses / gar entkleiden wolte / muste EURILUS endlich vor ihn EXCiPiren und sagen / es scheine freylich manchen Menschen unmüglich zu seyn / alleine es sey umbs blosse Glücke zuthun. S o l - ( 2 3 3 ) c h e Schüsse geriethen nicht alle Tage. Und was dergleichen mehr war. Dieses gäbe dem Lügner neue CURAGE, daß er sagte / freylich sey es an Glück gelegen / und er wolte es alsobald damit beweisen / daß selbiger Tag ihm vor andern allen glücklich erschienen. Denn da er seinen Hecht / Reh / Hasen und Rabhüner erst ACCOMMODiret / sey er forder gegangen / und habe an einem wasserigen Fahrgleiß eine lange Reyhe Staar=Vogel sitzen sehen. Weil er nun weder Schrot noch Kugel mehr bey sich gehabt / die Vogel aber so gar schon in einer linie gesessen und aus dem Fahrgleiß getruncken / so habe er den ladestecken eingeladen und selbigen nach denen Vögeln geschossen / worinnen er so glücklich gewesen / daß er derselben drittehalb Schock / oder 150. über der Trancke

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mit dem Ladestocke durch die Augen geschossen / als wann sie mit Fleiß daran waren gereyhet worden.

CAP. X C I I I . W E r liegen wil / der liege recht / oder lasse es gar bleiben. Dieweil die Mittelmasse der Lugen mehr schadet / als eine derbe fette Unwarheit. Diese erkennet iederman vor etwas unwahres. Jene aber hat (234) den Schein der Warheit und kan leicht jemand dadurch betrogen werden. E U R I L U S hatte gern diesen verlogenen Kerl zur Kurtzweil stets um sich gehabt / er wüste aber nicht wie er solte an ihn kommen. Denn dessen Zustand und Herkommen war ihm unbekandt. Inzwischen kam ein Bauer in die Gaststube getreten / welcher einen Fuchs mit sich bey der Ketten führte / der so zam war / daß er dem Bauren aus dem Munde fraß. Weil man nun drüber lachte / so fieng der vorige Schütze wieder an / sich zu regen. Und sagte: Sein Graf und gnadiger Herr von DRASSAIN habe ihm unterschiedlich mal zugemutet sein Ober Jägermeister zu werden / sonderlich aus denen Ursachen / weil er das Glück hatte / das Wild so unglaublicher Weise zam zu machen. Denn was schiessen und forstsachen anlangete / darinnen werde er seinen gleichen gar nicht / vielweniger aber seinen Meister erkennen. Und also hatten sie sich nicht zu verwundern über den elenden Fuchs / den der Bauer ein wenig zahm gewahnet. Er habe gedachten seinen Grafen wol eher zwey biß drey hundert stücke Füchse und Marder frisch zusammen im Holtze gefangen / und (235) selbige augenblicklich so zam gemacht / daß er Sie nicht in Kasten aus dem Forste herein gebracht / sondern durch ein par Bauren mit Spießrütgen / wie eine Heerde Lämmer vor sich her treiben lassen. Dergleichen er auch mit denen Wolfen vielfältig gethan.

CAP. X C I V . E R fuhr fort und sagte daß er auf neulichen Geburtstag seines Grafens / da er viel andere seines gleichen bey sich an der Taffei gehabt / diesen Possen gemacht / und sich obligiret / er alleine wolte einen wilden Schweins-Käuler dergleichen Sr. Gräfliche Gnaden an *zänen / Grösse und Alter nicht würden gesehen haben / folgenden Tag besser als ein zames Schwein vor die Taffei ins Gemach bringen / darauff ihm auch hundert Goldgülden zur Wette gesetzet worden. Nun hätte er wol gewust / und etzliche Jahre nach einander das grosse Schwein gesehen / daß es vor

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Alter ware blind worden / und hatte sich dannenhero von seinen jungen Frischlinge einem / im Holtze hin und her leiten lassen / solcher gestalt / daß der alte Käuler sich mit dem Rissel an seines Kindes des Frischlinges Schwantz gehalten. {236) Dem nun aufzupassen / ware er der Wette nach / folgenden Tag hingegangen / und hatte selbiges richtig ohne sonderliche Mühe angetroffen. „Ich schlug" / sagte er / „und schoß den Frischling / daß er gerade nieder zur Erden sunck: Ich aber warf die Büchsen von mir / lief eilend zu / und schnitte mit meinem Messer dem Frischlinge den Schwantz / den der Kauler durchaus nicht gehen ließ / kurtz an Portzel weg / und führete das alte grosse Schwein dabey vor meines Grafens Taffei." CAP. XCV. H a t t e das alte Schwein nicht hören / riechen und fühlen können / oder kurtz aus der Sache zukommen / ware es gar todt gewesen / so hatte es endlich auf einen kleinen Wagen wol müglich seyn können. Unterdessen bliebe der Referente in einem Zustande / verfärbete sich wenig / und lebete der Hofnung / seine Historien hatten autoritats genug. Ungefehr ritte einer von Hofe ein Pferd selbiges Ortes vorbey / welches von der Reitschule kam. Da man nun den Cavallier seines geschickten Zustandes den (237) er zu Pferde sehen ließ / lobete / wolte eben der Lügener seine Meinung mit dazu geben / und sagte daß er schon vor zwölf Jahren Bereiter seyn können / wenn er Dienste hatte annehmen wollen. Er habe deßwegen sich biß dato einen Polnischen Klepper auff der Streu gehalten / mit welchen er über eine Piecke wol zehenmal gesprungen ware. EURILUS versetzte und sagte / sie würde vielleicht an der Erde gelegen haben. „ N e i n " / sagte er: „sondern aufgerichts / wie sie die Wache in ihrer Positur zu führen pfleget." CAP. XCVI. P o l n i s c h e n / Ungerischen auch Türckischen Pferden darf man solche Piecken hohe Sprünge nicht zumuthen / wol aber einem flüchtigen currir. Hatte er doch ein Spanisch Pferd genennet / vielleicht hatte iemand dencken können / ob gleich die Sache erlogen / so habe doch dieser Lufftspringer etwas Verstand von einem Pferde. Er hatte noch nicht gnug daran / sondern sagte / er hätte itzo ein Geheege gepacht / darinnen er so viel Hasen hetzte / daß er einen um 15. (238) Pfennige geben konte. Dieses aber könne er dennoch mit guten Profit thun / denn er hätte nicht vonnothen / einen einigen Hund zu halten / weil sein Pferd immerfort den Hasen gleich lieffe / und so pflege er auch hätzen zu reiten / Er gantz

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allein auf seinem Pferde und eine halbe Piqve in der Hand / mit welcher er im rennen den beylauffenden Hasen vom Pferde herunter tod schlage. Neulich aber ware es ihm gar wunderlich ergangen / da er ohngefehr einen sehr starcken alten Ramler / biß in ein ander Geheege folgen müssen. Derselbige sey so klug gewesen / daß er in einem Morast entsprungen. Er hätte mit seinem Pferde aber dennoch in vollem Currier nachgesetzet / und sey so tief in Schlam kommen / daß ihm endlich alle vier Eisen vom Pferde auf einmal stecken blieben / den Verlust der Eisen hatte er nun von Stunden an / auf dem Pferde gefühlet / auch unter sich alsbald die vier Locher angemercket / wo die Eisen bestecken blieben. Dannenhero hatte er sich im springen wieder gewendet / und ware in die vier Fußstapfen / wo die Eisen gestecket hatten / wieder eingesprungen. (239) Dabey er so genau und künstlich das Pferd regieren müssen / daß es ACCURAT wieder auf die 4. Eisen / und alle Löcher in dem Huf wieder auf alle Nagel zu stehen kommen. Darauff er auch die Eisen so glücklich und vollkommen wiederum mit aus den Lochern genommen / daß er nachmals den Hasen / welcher zwar schon so weit über einen Berg von ihm gewesen / daß er solchen kaum mehr sehen können / wiederum eingeholet / und dennoch ertappet. CAP.

XCVII.

W i r vergassen essen und trincken über denen Schnitten. Wir mochten nun pfeiffen / husten / klappen / die Fenster erofnen / und denen Lügen Platz zur Ausflucht machen / wie wir wolten / so kehrete er sich dennoch nicht dran. Ein anderer aber welcher unter dem hauffen war / corrigirte ihn und sagte / er mochte gerne nun auch etwas hören das war ware. Dem begegnete ein alter Pursche gar hoflich / und sagte: dergleichen künstlich Pferd habe er nie gesehen noch etwas davon gehöret oder gelesen. Und ist freylich wol war. Das ist zwar gewiß / wie aus des PLINII (240) V I I I . Buch bekand / daß zu Sibaris in dem Königreiche Neapolis die Pferde nach einem gewissen Klange des Spieles von Punckt auf Punckt tantzen / als wann sie lange Zeit dazu waren abgerichtet worden. Ingleichen wie PHILISTUS ein griechischer Scribent meldet / daß des Tyrannen Dionysii Pferd / als es von seinem Herrn auf einem weiten Wege ermüdet / und in Moraste steckend verlassen wurde / so lange sich bearbeitete / biß es sich wieder heraus brachte / und der Spur seines undanckbaren Herren / biß nacher Hause gefolget. Alleine einen Hasen damit gefangen zu haben / oder so genau springen / daß 32. kleine Locher auf so viel Nagel just passen / davon ist noch nichts beschrieben. So war auch des ANTIOCHI Pferd so klug / daß / als sein Herre von dem CALATRAS in der Schlacht überwunden / und der Uberwinder sich darauf

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gesetzet / es so lange gesprungen / sich aufgelehnet und getobet / biß es seines Herren Feind wiederum abgeworffen / nachmals denselben so lange getreten und gebissen / biß er seinen Geist aufgegeben. So hat auch BUCEPHALUS des ALEXANDRI M. Pferd dergleichen Tugend an sich gehabt / und keinen andern als seinen Herrn aufsitzen (241) lassen. SVETONIUS in dem Leben des JULII CAES: gedencket / daß dieser ein Pferd gehabt / dessen Füsse gespalten / mit Zähen und Nageln wie Menschen Füsse unterschieden gewesen / welches gleicher gestalt seinen Herren gar genau gekennet / und keinen andern auf sich steigen lassen. Wiederum PLINIUS an einem andern Orte im V I I I . Buche sagt / daß des NICOMEDIS Pferd tugendhafft gewesen / und auf seinen Herrn so viel gehalten / daß da es ihn todt gesehen / kein Futter mehr zu sich genommen / und dannenhero verschmachtet. Es ist auch bekand / was VIRGILIUS des PALLANTIS EVANDRI Sohns Pferde / AETHON genant / nachgerühmet / wenn er sagt / daß es bey seines Herren Begräbnüsse geweinet / nach den Versen: POST BELLATOR EQVUS INSIGNIBUS AETHON IT LACHRYMANS GUTTISQVE HUMECTAT GRANDIBUS ORA.

Welches aber alles dahin noch nicht langet / wohin es der Auffschneider und Windhatzer mit seinen Polnischen Thiere wolte gebracht haben. Wer weiß ob BELLEROPHON, als er das Ungeheuer und Wunder CHIMAERAM uberwunden / auf seinem geflügelten PEGASO so geschwinde gewesen.

(242)

CAP. XCVII.

UNterdessen wurden die übrigen der Compagnie so weit veranlasset / daß ein iedweder ob gleich nicht von sich selbst / dennoch aber etwas / so er von andern gehöret / erzehlte / es mochte nun war seyn oder nicht. Ein Goldschmied war mit drunter / der etwa die Avisen gelesen und daraus ersehen hatte / daß ein Künstler zu Venedig / auf einen Seile oder Stricke / welchen er von der Erden biß oben in höchsten Thurm gezogen / mit einem Pferde in vollem currir hinauf gerennet / und daß nechsthin / eben derselbige Kerl in einer Kutschen mit 6. Pferden auf selbigen Seile hinauf fahren wolte. Ein anderer in der Ordnung folgte und gedachte daß er eine Castanee gesehen / in deren Schalen sich ein Schaffer mit 500. Schafen alle Nacht einqvartiren könten. Dem antwortete einer und sagte / daß er eine Rüben zu Lüntz auf dem Viehmarckte gesehen / worein sich eine Saue mit 13. F6rcken gefressen / und so lange darinnen gemestet / biß die jungen zu grossen Speck Schweinen worden. Wiederum ein anderer brachte auf die Bahn / daß er in Indien ^ solch groß Kohl gesehen / daß unter einen Blate 100 Lantzen (243) Reuter halten können / dem kam EURILUS ZU

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Hülfe und sagte / daß an dem Kessel in welchen man solches zu sieden pflegte / hundert Meister arbeiteten / welche so weit von einander sassen / daß keiner den andern klopfen horete. Ein Schneider welcher auf der Kutschen vornen auf dem Kutschkasten gesessen / saß damals an der Stubenthür / da er horete / daß es an ein lügen gieng / wolte seinen Stich auch mit dazu geben / und sagte: Sein Vater hatte ein so hohes Hauß / daß / wann die Vogel drauf sässen / Sie die Sterne vom Himmel glucken konten / und daß einem Dachdecker der Hammer entfahren / und indem er herunter gekommen / eine Schwalbe darein genistet / der Stiel aber ware dem Meister in der Hand geblieben. Der Lügner welcher zuvor so künstlich geschossen / und die Pferde beritten / hatte nunmehr Freyheit zu lügen / was er wolte. Darum sagte er ferner Er habe in seines Vaters Hause eine alte Sau die flügen konte. Zum Schein machte er das Fenster auf / und vermahnete die Gaste stille zu seyn / da dieses erfolgete / horete er gar scharf mit einem Ohr zum Fenster hinaus / und schwur dazu / daß die Saue gleich itzo vor-(244)bey geflogen / und er hatte sie gar vernehmlich schreyen hören. Wodurch er ein grosses Gelachter erregte. Damit er aber nicht im Schimpfe stecken bleiben / und dadurch blöde gemacht werden mochte / bot ihm EURILUS abermal die Hand / und sagte / es sey so / daß ein Schwein in der Lufft geschriehen. Denn er habe gleich ietzo durchs Fenster gesehen / wie ein Adler ein Spanfercklein von der Gasse weggenommen / und durch die Lufft getragen / welches etzliche mal geschriehen. CAP. XCVIII. H l e d u r c h bekam jener / der Aufschneider / welcher MAGNUS hieß / wiederum ein Hertz / daß er noch manche handgreifliche Lügen sich entflügen ließ. Die erste war / er hätte in Amsterdam ein Magdgen von acht Jahren gesehen / welches öfters auf der Gassen eine Kutsche mit 2. Pferden in ihre Schürtze gefasset / und Gassen lang fort getragen / selbige auch nachmals wiederum ausgeschüttet / daß Sie wiederum ohne Verhinderniß und Schaden fortfahren können. Ingleichen habe er auch an des Groß* Hertzogs von Florentz Hofe einen grossen Trabanten gesehen / der nach PROPORTION seines Leibes ein kleiner Maul gehabt / als seine (245) Statur erfordert: Es sey aber doch so groß gewesen / daß man ein gantz Dutzent groß zinnerne Edelmans Teller hinein werffen können / daß keiner an den andern gestossen / vielweniger geklappert. Weil dieses nun vollends niemand glauben wolte / so beschwerte er sich und sagte / daß solche Leute / welche nicht in fremden Landen sich umgesehen / freylich solche Dinge nicht glaubeten. Wären sie allerseits gewesen / wo er / so würden sie dergleichen Dinge in keinen Zweiffei ziehen. Er wolte ihnen wol einen

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andern Streich erofnen / welchen Sie vielweniger glauben würden / der aber eben so gewiß und warhaftig ware als der vorige. Nemlich er hatte in der Schweitz einen Bauren gekant / welcher ein solch Maul gehabt / daß ein Eseltreiber mit zwölf Eseln hinein reiten / und darinnen ohne Anstossen klatschen können. CAP. X C I X . U N t e r diesem erzehlen kam ein Bettler in die Stuben / welcher die Gaste um eine Gabe ersuchte / mit Vorgeben / er sey zuvor ein hochbegüteter Kauffmann gewesen / ware aber durch einen unglückseligen Schifbruch an Bettelstab gerathen. Ein ieder (246) hatte Mitleiden mit Ihm / und verlangte den Verlauf des Unglücks zuhören. Wobey der verarmete Kaufman unter andern gedachte / daß / als das Schif unfern von CAPUT BONAE SPEI gescheitert / sie alle in die See gefallen / er aber ohngefehr auf einen Stücke des zerschlagenen Schiffes sitzend blieben. Da ihm denn das Glück so weit günstig erschienen daß er auf selbigen stücke Schiff / eine Schachtel mit denen kostbarsten Jubeln gefunden / und zu sich genommen / welche mehr werth gewesen / als alles Gut mit samt dem Schiffe. O b er nun wol dadurch allen seinen Schaden vorzukommen gedacht / auch zu fernem Glücke ihm ein Both aus dem Haafen zu hülfe kommen ware / so hatte dennoch das Unglück die Oberhand behalten / indem ein Fisch kommen / welcher das Both jammerlicher weise umgestürtzet / daß alle seine Cameraden ersoffen / er aber / wiewol nicht ohne Verlust der Jubeln durch ein stücke Schiffbret / ledig und mit blossen Händen abermal wiederum davon kommen. CAP. C. Ä^An verwunderte sich in der Geselschafft nicht so wol über des armen (247) Menschens Unglück / als über die Grosse eines solchen Fisches / welcher ein starck Fahr=Both übern hauffen werffen konte. Der vorige Prahler MAGNUS wüste auch bey diesem Unglücke aufzuschneiden. Denn da hatte er weit grossere Gefahr zu erzehlen / worinne er gewesen / ingleichen auch weit grössere Fische gesehen und gemessen. Er fragte wie groß denn ohngefehr so ein Wallfisch sey. Der Schifbrüchige arme Kaufman gab zur Antwort / es Hessen sich oft welche von zwantzig biß dreißig Ellen sehen. Dieses aber verlachte MAGNUS und sagte / daß er in der Elbe bey Magdeburg einen viel grossem Hecht gesehen. So muste er reden / und einen solchen Strohmfisch nennen. Denn auf die See war er niemals kommen weniger hatte er einen See oder Wallfisch gesehen. EURILUS fragte ihn / wie groß dann derselbe Hecht gewesen. MAGNUS antwortete

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gemessen habe er ihn nicht. Alleine aus der Beschreibung seines glucklichen Unglücks müste ein iedweder abnehmen können / daß der Hecht nothwendig müsse grosser als dreyßig Ellen lang gewesen seyn. Ein ieder spitzte die Ohren eine neue Lügen zu hören. MAGNUS erzehlete {248) weiter / so fertig und ohne Anstoß / als wie die Qvacksalber ihre teutsche gedruckte MEDiCAMENten=Zettel auf dem Marckte ablesen / solcher gestalt / er hatte zur Lust auf einem kleinen Schiffe über die Elbe fahren wollen / er ware aber durch einen unverhoften Sturm in einen WasserWirbel getrieben worden / von welchen er mit samt dem Schiff und noch sechs andern Personen unter die Fluth gezogen worden. Da er sich denn schon seines Lebens verziehen. Er hatte aber das Glück gehabt / weil er vielleicht in der Welt noch hohen Dignitäten aufgehoben würde / daß ihn ein Hecht verschlungen / dessen Zahne im Maule wie zwey grosse Reyhen Thürme gegen einander gestanden. Anfanglich zwar hatte er nicht gewust / ob er in ein groß Gewölbe / oder aber in einem Fischkopf kommen wäre. Endlich sey er mit einer grossen Fluth Wasser / vollends in den Bauch des Fisches hinunter geflossen. Da er nicht anders gedacht / als wäre er wieder auf die Welt kommen. Denn er habe gesehen / daß gantze Häuser in dem Fischbauche aufgebauet / und eben dazumal Jahrmarckt darinnen gewesen. Da solten sie nun in der Compagnie selber a b n e h - ( 2 4 9 ) m e n / daß dieser Hecht weit grösser müsse gewesen seyn / als das kleine Wallfischgen. Man fragte ihn / wie er denn wiederum ware heraus kommen ? Er war EXPEDIT mit der Antwort / und sagte: daß ein Spitzbube einen Pallen Leinwand gestohlen / denselben hätten etliche hundert Leute verfolget / unter welchen er auch mit gewesen. Da nun dieser Schwärm Volck in den Leibes=Hintertheil des Hechtes gekommen / und der Fisch eben seine Nothdurft von sich gegeben / sey er / mit dreyhundert andern Leuten aufs Land heraus gespritzet worden. Und also habe er gesehen / und erfahren / dergleichen kein Mensch so leicht würde zu sehen bekommen.

CAP. CI. Ö E r verarmte Kaufmann lachte bey seinen Elend / über den Schnitter / und merckte / daß man selbigen in der Compagnie nur zur Lust horete. Gleichwol fragte er den MAGNUS, ob es auch kalt in dem Hecht=Bauche gewesen wäre? Dieses verneinete er und sagte / daß es so heiß gewesen / daß er keinen Rock auf dem Leibe leiden können. Aber sonst hätte er Kälte genug auf einer (250) Reise nacher Liefland ausgestanden / da eine solche Kälte gewesen wäre / daß / als der Haußmann von einem sehr hohen Thurme seinen Urin herunter gelassen / derselbige von der Erden an / biß wieder an den O r t / woraus er kommen / steinhart ja der

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Haußmann selbst daran angefroren / daß sein Weib mit einem Kohlen* Topf kommen und selbigen wieder abtauen müste. Ja da er in die Kirche wäre kommen / hätte er gesehen daß des Cantoris Gesang Worte / in der Lufft gefrohren / und zu grossen Eis Schollen worden.

CAP. CH. Ö E r Kaufman zöge einen kleinen Puffert heraus / und weil sonderlich war an demselbigen zu sehen / ein Stein / welcher sich nimmermehr abnützte / sondern von einer solchen Festigkeit / wie ein Diamant war / bot er denselbigen feil / EURILUS verwilligte / solchen an sich zu erhandeln / ob er gleich sonst einen ziemlichen Vorrath von allerhand schonen Gewehr an sich gebracht / bloß um der rarität willen / weil das kleine Gewehr so fertig Feuer gab. MAGNUS vernichtete solches / und versprach EURILO ein viel (251) bessers zu verhandeln / nemlichen / so wol eine Flinte / als auch einen Puffert / welche gar keine Feuersteine brauchte / sondern von der Hefftigkeit der Federn sich alsbald entzündeten. Ja er wolt ihm ein solches Rohr verhandeln / welches gar kein Schloß hätte / iedennoch aber so fertig sich lösen ließ / als wann es mit gluender Lunte angestecket würde. Man fragte mit Verwunderung / wie denn das zugienge. Hierauf: das Rohr bestehe aus einem blossen Lauffe / welcher in einen ordentlichen Schefft geleget sey / woran unten am Zündloche eine gewohnliche Pfanne / darein man das Zündkraut zuschütten pflege. Zu dieser Wunderbüchse nun habe er einen gewissen Knecht bestirnt / wenn er damit schiessen wolle. Der Knecht müsse das Rohr nehmen vor ihm hingehen / und wann er einen Vogel oder sonst ein Ziel sehe / müste eben der Knecht das Rohr an seinen Backen legen und zielen / er aber gebe dem zielenden Knechte eine Ohrfeige / daß ihm das Feuer zu denen Augen heraus in die Pfanne springe / und das Rohr loß brenne.

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C A P . CHI.

Z W e e n e Tage zuvor hatte der Sturmwind eine Scheune und etzliche Ställe übern hauffen geworffen / worüber allerhand auch discuriret wurde. Endlich sagte einer gar andächtig / daß der Wind eine grosse Stärcke habe / und denselbigen so wol die tiefeingewurtzelten Bäume / als auch hohe Thürme und Mauren unterworffen. Der Wirth redete mit drein / und gedachte / daß der hohe Haußmansthurm so bald der Wind sich rege / zu wackeln anfange / ungeacht er von dem Grunde / biß in die Spitze mit lautern grossen Werckstein=stücken aufgemauret. Andere bejah eten

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solches gleichfals / ein ieder an denen Thürmen seines Vaterlandes. O b man nun gleich gedachte / MAGNUS würde diesen Discurs verschonet lassen / weil er vielleicht von Luft und andern Elementen wenig Verstand hatte. Alleine er gab diese Nachricht. In seinem Vaterlande / und zwar in der Stadt CULTRARA, habe man nur vor zehen Jahren einen Thurm erbauet / welcher in der Mauer=Dicke 20 Ellen starck / und in solcher Starcke auf hundert Klaftern von denen hartsten ( 2 5 3 ) Werck=Stücken in die höhe gemauret. Welcher Thurm aber / bey starcken Winde sich dermassen bewege und hin und her mit der Spitzen biß auf die Erde schwancke / daß der darauf wohnende Haußman zu seinem Stubenfenster heraus eine hand voll Graß nach der andern / von der Erden ausziehen und mit in die Hohe nehmen könne.

CAP. CIV. E s war noch nicht alle / zwey grosse Schafbengel schertzten wie zwo Sauen in gutem Wetter vor der Thür / deren der eine so starck in Armen war / daß er den andern und zwar den grössern / so offt er Ihn nur angrief / zur Erden werffen kunte. MAGNUS aber vernichtete auch diese natürliche Kraffte / und sagte: daß er noch die Zeit seines Lebens / so offt er sich geschlagen / nicht verspielet oder untergelegen hatte. Er verstehe die güldene Kunst / welche Ihn noch niemahls gelassen. Und diese wohne ihm in der Natur / dem Geblüte nach / bey. Sein Vater sey in solcher Starcke berühmet gewesen / welcher mit 12. Kerlen auf einmal ringen können. Sein Großvater habe einen Reuter mit samt dem Pferde hingetragen wohin er gewolt / item die grosse G l o - ( 2 5 4 ) c k e / von 185. Centnern / gantz alleine auf den Thurm gezogen / und auf den Glockenstul gebracht. Und seinen Aelter Vater habe einst ein mit Geld beladener Esel / auf der Brücken zu Brysach begegnet / welchen er / da er nicht weichen wollen / angefast / und so hoch in die Höhe geworffen / daß ehe er wieder auf Erden herunter gefallen / alle Leute so damals gelebet / und viel von denen Nachkommen / mit Tode abgegangen / daß nachmals niemand die Müntze mehr gekennet. Die Lügen war so groß / daß Sie etzliche gar nicht begreiffen konten. Denen aber erklarete dieselbige MÖNS. MAGNUS noch besser / und sagte: „Vor fünf Jahren fiel ein Esel mit Gelde beladen von Himmel / welches eine Müntze war / so kein Mensch kante / wenn / und von wem sie geschlagen war. Diesen Esel hat mein Aelter Vater vor hundert und ein und sechzig Jahren so hoch geworffen / daß er so viel Zeit vonnöthen gehabt wiederum herunter zu fallen. Was meinen die Herren solte mein Aelter Vater nicht starck genug gewesen seyn."

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CAP. CV. ( 2 5 5 ) J A freylich starck genug / denn wie hätte er sonst einen so grossen Lügener zeigen können ? Hier erinnerte der Post Kutscher gantz hoflich / ob die Herren Reisende sich, nicht wolten belieben lassen aufzusitzen / denn die Zeit verfliesse / der Weg hingegen ware weit und lang / derowegen zusorgen / daß Sie nicht bey finsterer Nacht wiederum nach Ragusa kommen mochten. EURILUS hatte nun noch keine RESOLUTION wiederum von seiner Patientin empfangen / und solte nun schon wieder mit fort. Dannenhero erkundigte er sich bey der gesamten Compagnie / ob mit ihrer Vergünstigung es geschehen könne / daß er die Post noch ein par Stunden aufhielte. Er wolte gerne etwas zum besten geben und die Zeit verkürtzen helffen / nur / daß er nicht unverrichteter Sachen wiederum nacher Hause ziehen müste. Gleichwie nun EURILUS bey der gantzen Geselschaft einen ansehnlichen RESPECT hatte / also schiene diese Bitte so kraftig wie ein Befehl. Keiner war zugegen / welcher sauer dazu gesehen / ich geschweige etwas dawieder geredet hatte. Der Postilion war gar leicht zu halten / nachdem E r ihn zuvor an der Politischen Colica erst curiret. MAGNUS ( 2 5 6 ) der ebenfals gar leicht zu halten war / achtete das Warten vor gar ein geringes. Er verkleinerte den Weg / und tröstete damit / Sie würden Zeit genug an dem Orte seyn / wohin Sie gedachten. Er fragte den Postilion / in wieviel Stunden er sich getrauete nach Ragusa zu fahren / welcher vier Stunden erforderte. MAGNUS sagte / wann er alleine ware / und sein Renne Thier bey sich hatte / so wolle er sie alle / iedoch einen nach dem andern / in der halben Stunde nach Hause schaffen. Dieses gab der Gesellschaft Anlaß / von denen Renn Thieren zu DiscuRiren. Davon unterschiedliche Meinungen auf den Platz kamen. Ein Schwede war in der andern Post=Gesellschafft mit ankommen / welcher gantz stille an sich hielte / zu vernehmen / was doch die Teutschen vor einen endlichen Schluß in der Sache geben wurden. Es kam endlich dahin / daß man den Gebrauch der Renn Thiere vor Hexerey hielte. Die Reden giengen durch einander / einer zog die Lieflander damit in Verdacht / ein ander die Schweden ins gemein / wieder einer beschuldigte die Laplander damit / und sagte / daß Sie die Urheber und Erfinder solcher unnatürlichen Künste waren. ( 2 5 7 ) O b nun gleich der Schwede ihnen das Verständnis ofnen wolte / so vermochte er doch / vor dem Geschrey des unordentlichen DisPUTirens kein Wort aufzubringen / ungeachtet es ein gelehrter Kerl war / der seine Sache in einer besondern geschickten Form vorzutragen wüste. So bald aber der Großsprecher MAGNUS anzureden fieng / erhub sich eine solche Stille / als wenn der groste lehrreichste DOCTOR ZU DiscuRiren anfieng. Die Begierde endlich / von ihm etwas zu lernen / war gar schlecht / aber eine flicke Lügen zu hören / vergaß ein iedweder

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seines Rechtes. MAGNUS sagte / daß seinem Herrn vor diesen ein Ostindianischer Flog wire geschicket worden / welcher grosser gewesen / als ein Elephante / auf welchen er unterschiedliche mal die Post reiten müssen. E r habe wol hundertmal über die Donau Rhein und Elbe gesprungen. E r rühmete / daß er unterschiedliche mal nacher Wien darauf verschicket worden / dabey er sich so hurtig erwiesen / daß er alle Stunden eilf Meilen damit gehüpfet hatte. Die Grosse solches vielfüßigen Post Pferdes wolte er daraus beweisen / weil alle Thiere in Ostindien grös( 2 J S ) s e r waren / als in unsern Landen. Er erzehlte eine Reise / wie er von einem Orte auf den andern kommen. Er hatte in der Nacht aufsitzen und nach Piegnerol mit seiner Postfloge hüpfen sollen. So habe er sich zu Wurms aufgesetzet / mit Fleiß sich nur eine schlechte MOTION zu machen / und in der Welt ein wenig umzusehen. Von dannen sey er auf Lintz gehupft / und habe allda das güldene Dach betrachtet / hernach in 2. Sprüngen auf Constantinopel. Hernach sey er wiederum etwas zurücke gegangen / und habe eine Nacht in der schonen Stadt Europa verwartet / denn er hätte sich an denen schonen Häusern nicht satt sehen können. Von dannen wäre er nach Kahle an der Sale kommen. Endlich nach Coppenhagen / und alsdenn nach Pignerol. EURILUS vexirte den Narren / und sagte: „Auf solche weise ist der Herr in der GEOGRAPHI treflich erfahren." „ N e i n " / antwortete MÖNS. MAGNUS „darauf bin ich nicht zukommen. Ich ließ diese Stadt zur rechten Hand liegen."

CAP.

CVI.

(259) D i e Lügen hat kurtze Füsse / und kurtze Flügel / wodurch sie sich nicht hoch aufschwingen kan. Ihre Federn schmeltzen wie Wachs / von der Warheit-Strahlen. Oder wann es zur That komt / so ist eben so viel Bestand davon zu hoffen / wie von dem Schatten an der Wand. Wann ein Schütze zu hoch zielt / so fehlet er des Zweckes allzuweit. Wäre der Lügner MAGNUS fein in Mittel blieben / und hatte seine Beredsamkeit zu etwas ernsthaften angewendet / oder sich zum Vortheil gelogen / so ware er endlich so viel Auslachens nicht werth gewesen. Denn eine Lügen zu rechter Zeit / iedoch ohne Schaden des Nechstens vorgebracht / ist so gut als eine Warheit. Und gilt gleich viel / wann einer nur zu seinen Zwecke gelanget / es geschehe mit dem Tage oder mit der Nacht / ob man auf einem Stege dazu gehet / oder auf der Leiter darnach steiget.

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C A P . CVII. ÖErgleichen Gedancken hatte auch die Reise Compagnie / als MAGNUS sich ein wenig ABSENTiret. Deren Gedancken und Gespräche weil es nicht unnützlich lautet / wir nacheinander von Wort zu Wort (260) erofnen wollen: EURILUS machte den Anfang: Wer lugen wil / der liege recht / sonst giebt es keine Possen. Wer einem [. . .] Lügner schuldig ist / der kan mit M Ö N S : MAGNUS Capital und INTERESSE vergnügen. Des Kerls Lügen hangen an einander wie Sand / oder wie eine Kette von Kühmiste. Wann endlich ein Lügner niemand schadet / und sich selbst nützt / so ist die Lügen so gut als Wahrheit. Dieses Menschens Lügen kommen mir vor / wie die Schneebälle / welche iemehr sie gewaltzet werden / ie grosser sie werden. Man konte wol Ihm mit Warheit nachsagen / was in einer Stadt von einem venedischen Gesandten in öffentlichen Druck gegeben: D e r G e s a n d t e h a t das b e y uns v e r r i c h t e t / was e i n e m r e c h t s c h a f f e n e n L e g a t e n w o l g e z i e m e t . D a s ist / er hat t a p f e r g e l o g e n / d a m i t er uns w i e d e r in H a r n i s c h b r a c h t e . W i r h a b e n W o r t m i t W o r ten v e r g o l t e n / und uns g e s t e l l e t / als g l a u b t e n w i r alles / was er uns f ü r g e l o g e n . Das fehlet M Ö N S . M A G N U S , daß er an (261) seinen Lügen die Farben zu hoch giebt / und dieselbigen nicht mit rechten Steltzen beschläget. Man soll zwar umb eines Worts willen keine verderben. Wer klug ist / siehet der Lügen recht ins Maul wie einem theuren Pferde / das er von denen Juden erhandelt. Es mochte noch alles gehen / wann er bißweilen doch nur eine Warheit mit anflickte. Es sey wie ihm wolle / was würde es ihm helffen? Denn es heist doch hernach: NON CREDO, wie der Münch sagte / da ihm die Magd das Kind überbrachte. Es ist war: Die Lügen last sich schwerlich mit Warheit färben. So wenig als die Oelfarben auf einem Wasser=Grunde hafften. So unmüglich ist / Stein Holtz und Eisen an einander zu leimen / so schwer stehet die Lügen mit der Warheit. Eine Lügen ist aber wol zugelassen. Wann es öhne Vorsatz zum Schaden geschiehet. Oder eine Nothlügen ist wie C A R O L U S V. denen Venetianern (vorrückte) / da diese in vielen Stücken wieder Ihn / in dem Reichs-(262) Frantzoischen Kriege gemißhandelt und sich hernach aufs beste durch ihre

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Botschafter entschuldigen lassen: Worauf der Kaiser antwortete: O b w o l der m e i s t e T h e i l n i c h t w a r ist / so will i c h s d o c h g e l t e n l a s s e n / a l s o b es w a r w ä r e / u n d i h n e n v e r z e i h e n . Ist mir recht / so habe ich beym LIPSIO in seiner PRUDENTIA CIV: diese R e g u l g e l e s e n : LICITUM PROBUMQUE IN P R I N C I P E , INDUCERE ALIUM AD TUA COMMODA, ERRORE & MENDACIO OBJECTO.

Ware MAGNUS ein grosser Herr / so konte ihm diese Regul etwas helffen. EURILUS: Diese Regul hat ihren absonderlichen Verstand / und bejahet nichts mehr als siMULiren und DissiMULiren. Da alsdenn auch diese zu statten

komt

/

CUM

OPORTET

MENDACIUM

DICI,

DICATUR.

QVI

ENIM

MENTIUNTUR, & VERUM DICUNT AD UNUM SCOPUM TENDUNT, NON IDEM DICENDO.

Es ist wahr. E y ! siMULiren und DissiMULiren ist viel zu subtil vor MÖNS. MAGNUS wann er nur sonst das Beil nicht zu weit würffe. Freylich! Hatte er gesagt er sey auff einen Pferde den Tag zwantzig Meilen geritten: (263)Traun er hatte eher Glaubiger gefunden. Warum nicht: ist doch HANNIBAL als er von SCIPIONE überwunden / in zwey Tag und Nachten 3000. STADIA, welche 375. Meilen machen / gereiset: Wie APPIANUS bezeuget. Diesen hat doch noch derjenige B o t e übertroffen / welcher von dem MAXIMO nacher R o m geschicket / daß er allda des MAXIMINI T o d t verkündigen solte / welcher mit einer gewaltigen Geschwindigkeit / wie CAPITOLINUS meldet / gereiset / daß er den vierten Tag von AQVILEIA nach R o m kommen. N u n ist nach des ANTONINI Meinung dieses ein Weg / von 798. Meilen / daß dieser Bote also ieglichen Tag 200 Meilen marchiret. Man sagt auch aus dem PLINIO LIB. VII. daß TIBERIUS als sein Bruder DRUSUS in Teutschland plötzlich kranck worden / in einem Tage 200 Weitsche Meilen geritten. J a dieses ist des Pferdes Güte zuzuschreiben. Dergleichen in Historien gar viel bekandt. SOCRATES IN HISTOR. ECCLES. L . VII. c . 39. sagt: daß unter dem THEODOSIO einer ein Pferd gehabt / auf welchem er in drey Tagen von Constantinopel biß an Persien reiten können. N u n seynd gewiß von Constantinopel biß an den Fluß EUPHRA-(264)TEM 700. Meilen Orientalischer Art / welche ob sie etwas kleiner als die unsrigen / dennoch im CALCULO ieden Tag 60. teutsche Meilen weges heraus bringen. VOPISCUS erzehlet / daß eben dem THEODOSIO ein scYthisch Pferd von einem gefangenen verehret worden / welches nicht groß / und dem Ansehen nach sehr schlecht / dennoch alle Tage hundert Meilen lauffen können.

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Ich mochte wissen / ob es gewiß ware / was PLINIUS im VIII. Buche sagte / daß die Sarmaten ihre Pferde zu denen grosten Reisen einen Tag zuvor mit Hunger geschickt machen / hingegen ihnen aber / zur Starcke / einen zugerichteten Tranck geben / wonach sie alle Tage 150. Meilen in einen Currier lauffen können. EURIL. Dieses ist alles gewiß / und bey bewahrten Scribenten zu finden / ich habe auch selbst solches etzliche mal zur Lust wiederum nachgeschlagen / und mir bekand gemacht. Alleine diese Historien seynd von Pferden genommen / und also eher zu glauben / als unsers lustigen H I S T O R I C I seine. Denn man bedencke doch / wo ein solcher Flog herkommen {265) wolte / darauff ein Kerlen sitzen: welcher mit ihm über die grosten Flüsse in E U R O P A springen könte. Das ist zwar wohl gewiß / wann ein Flog / wie ein Camel zu finden / so würde er nach Proportion seines grossen Rumpes und der langen Füße eine unglaubliche Ferne springen können. Nach der rechten Proportion soll ein Thier zweymahl so hoch springen können / als es selbst ist. Hingegen aber springt ein gewohnlicher Flog / wohl hundert mahl so hoch / als er selber ist. Ware nun das wahr / daß MAGNUS auff einem Flöge gesessen / welcher wie ein Camel gewesen / so hatte es endlich nichts unmügliches seyn mögen / daß er damit über die Donau gesprungen. CAP. CVIII. Dieses Hesse sich alles vernehmen. Es ware das nützliche Gespräche auch wohl c o N T i N U i R e t worden / woferne nicht E U R I L U S einen Bothen erhalten / seine Patientin / welcher wegen er nacher VANDALO kommen / in dem PAROXYSMO ZU sehen. Da war ein Zustand / daß es einen Stein in der Erden erbarmen mögen. Er hielt sich nicht auf / son-(266)dem eilete mit schnellen Begierden / die krancke Jungfer in Augenschein zunehmen. Als er in des Spanischen Krieges=Raths Hauß kam / vermeinete er nun seine Patientin / wie gebrauchlich / in ihrem Bette zu finden: alleine dort hing die schone Jungfer / mit dem kleinen Finger an einem Simsen an der Wand / mit Hand und Füssen so wunderlich in einander gezogen / wie ein gezaumet junges Huhn / so am Spieß stecket. Das Gesichte stund ihr auff den Rücken: und der Forderleib war ihr hinter / biß über das Gesasse gedrehet. E U R I L U S wüste nicht / ob er reden oder schweigen solte. Das Mensch war gantz Todt / und ohne Empfindligkeit; wodurch er umb so viel mehr erschrecket wurde. Die guten Eltern / welche das Elend schon vielfältig angesehen / hatten sich umb so weit coNFiRMiret / daß sie über das Unglück nicht mehr so viel Thranen vergossen / als im Anfange. E U R I L U S war zu Hülffe erfordert / und wüste wahrhafftig nicht / ob er den unglücklichen Patienten angreiffen solte / oder nicht. Er furchte sich /

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dem CONTRACTEN Corper nur nahe zu treten / ich geschweige anzurühren. Denn dergleichen hatte er die Zeit seiner Tage weder gesehen / (267) noch gehöret. Der Jungfer Mutter war zwar unerschrocken: alleine vor Leid und Jammer konte sie doch wenig dazu ausrichten. Zwey Magde stunden der krancken ohnmachtigen an der Wand hangenden Person zur Seiten / welche allezeit aufpassen musten / den Patienten auffzufangen / wann er von sich selbst abfiel. Sie loß machen und auffs Bette legen durfften sie nicht / denn man hatte erfahren / daß wann sie dergleichen gethan / und sie in PAROXYSMO verstöret / daß der nachfolgende Zustand viel harter und unerträglicher gewesen. Die Eltern erzahleten inzwischen dem EURILO, daß es zu weilen noch erbärmlicher hergehe / und daß ihr ViOLANTgen / so hieß die wunderbare Patientin / sich manchmahl noch viel erbärmlicher in einander schlage / und mit einen Zee an selbigen Simse henge. Zuweilen legten sich ihre Gliedmassen in einander / daß sie sich selbst / wie eine Boßkugel / in der Stuben herumb weltze. Bißweilen hatte sie auch den PAROXYSMUM mit Empfindligkeit / iedoch gantz verrückten Sinnen ausgestanden. Oft war sie auff dem Kopffe / mit umbschrenckten Füssen in der Lufft gantze Stunden (268) lang gestanden: Bißweilen hatte sie sich zusammen gerollet / und unter den Kachelofen gezwenget; wo selbst sie kein Mensche wieder hervorziehen können.

CAP. C I X . U N t e r diesen Reden fiel das gute Mensch denen wachsamen beyden Magden in die Hände / welche sie auffs Bette trugen; allwo sich ihre verschlungene Gliedmassen allmählich wiederumb aus einander zogen. Der Verstand kam wieder. Sie redete gantz bescheiden und vernünfftig / zog auch ihr Schlaffkleid an / und setzte sich mit zu Tische / aß und trunck wie ein andrer gesunder Mensch. E U R I L U S betrübte sich theils / daß so eine schone Person / ein solch heimlich Unglück an sich tragen müsse; theils / daß durch den Fleiß seines bemüheten Lebens er nicht so viel erfahren / daß er diese Kranckheit nur erkennen und nennen / ich geschweige curiren konte. Dieser Zustand machte / daß er im Wirthshause seine C O M P A G N I E vergaß / und erwartete / ob der Zufall sich wieder ausern würde. ViOLANtens Schönheit und Verstand / welche der armen Jungfern pares Geld ist / gieng dem E U R I L O SO ZU Hertzen / (269) daß er mit einem unterlauffenden Erbarmen / nicht wüste / wie hofflich und freundlich er der ViOLANten begegnen wolte. Zwar forderte ihn die Post ab / nachdem denen übrigen die Gedult zu fernem Warten verschwinden wolte. Er faste das Hertz die Post zu lassen / und allda im Hause seines Patienten eine Nacht zu verharren. Ich lasse unberichtet / ob bey E U R I L U S

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diese RESOLUTION aus Liebe / gegen das krancke Bild / oder aus CURIOSITat / entsprungen; die Umstände der Kranckheit desto frischer einzunehmen. Wahrender Zeit / stelleten sich zwene / aus der Reise Gesellschafft ein / welche Ehrentwegen / den EURILUM zur Abreise einladeten / und die Unmügligkeit des Wartens gar höfflich entschuldigten. EURILUS bezeigte sich ebenso gegen sie / und nachdem er den Zustand und die Ursachen seines Verbleibens ihnen entdecket / brachte er ihnen ein Glaß Alicanten» Wein / welches der Spanische Herr bringen lassen / und hieß sie im Namen GOttes abfahren. Daß EURILUS mehr aus einer schmertzlichen INCLINATION verwartet / als aus Curiositat / wolte fast daher erhellen: Weil er nicht zuvor / ehe er seine Cameraden DiMirnret / gefragt / (270) wann oder wie offt der PAROXYSMUS bey VIOLANTEN wieder kommen werde. Sondern / da nunmehr alle Kutschen fort / und vor dem Hause vorbey gefahren / fragte er erst VIOLANTENS Mutter / wenn eher man sich denn des Zufalles wiederumb zu besorgen. Dieses beantwortete die bekümmerte Frau: es habe ihr liebes Kind numehr 91. mahl dieses Unglück büssen müssen / es sey aber allezeit so genau eingetreten / daß sichs weder in Tage noch in der Stunde verrücket / sondern sey ACCURRAT allezeit über den 4ten Tag / umb 3. Uhr / Mittags / eingetreten.

CAP. C X . D A überfiel den EURILUS ein Verdruß / er hatte lieber sich selbst schlagen mögen: nachdem er nun so lange warten / und sein gegebenes Wort erfüllen müsse. Doch hatte er von seinem Vater gelernet: e i n W o r t e i n M a n n . Wozu auch VIOLANTENS traurige Anmuthigkeit und wohlgefügte Worte traten / und dem EURILUS dermaßen das Hertze nahmen / daß er lieber zu Hause seiner Mutter BELINDEN grossen Schatz eingebüsset / als etwas vorgenommen / (271) so VIOLANTEN unbelieblich fallen möchte. In Summa er verblieb / und zwar mit guten Willen und Wolgefallen. Seine Zeit vertrieb er mit ViOLANten / im Brete / Charte / und Schacht: in welchen Spielen sie nicht weniger künstlich als glücklich war. Vater und Mutter weineten beyde / wenn sie ihr schönes Kind sich schön verhalten sahen / und gegen EURILUM sonderlich so bezeigen / daß dieser sich nicht genugsam zu demüthigen wüste.

CAP. C X I . S i e hatten etwa 2. Stunden in solcher MODESten Lust zugebracht / erblaste ViOLANta und rufte nach ihrer Mutter. EURILUS entfärbte sich mit

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ihr / und lief nach der Mutter / welche im Hause auf eine herrliche COLLATION z u s c h i c k t e .

B e v o r b e y d e n u n z u VIOLANTEN i n d a s

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zimmer kamen / so stund das arme Mensch schon wieder an vorigen Creutze. Sie hatte ihr Seiden Schlaffkleid und Hembde in Lappen von Leibe gerissen / und tantzte in dem Kleide / so sie mit auf die Welt gebracht herumb. Das Gesichte stund auff den Rücken. Die Brust / welche keinen Schnee noch Alabaster etwas zu vor gab / war (272) in ihren gewöhnlichen Stande blieben. Dasjenige aber / was hinten zum Gebrauch der Ruhe folget / stund fornen / als wann es von Natur so gezogen. So waren auch die Fußblatter aus ihren gewohnlichen SITU geangstet. Indem die Fersen fornen / die Zeene aber hinden zu sehen waren. So sprang die Unglückselige herumb / in denen Gedancken / als wenn die gantze Stube mit Musicanten erfüllet ware. Sie frischte die sich eingebildete Schallmeyer und Geiger / mit lautern jauchtzen an / und ermahnete sie / schärffer auffzuspielen. Sie forderte noch eins / und denn wieder eins umbs ander / mit Abwechselung der Musicalischen Instrumente. Biß sie sich endlich gantz ermüdet / und kein Glied mehr zu regen / machtig befand. D e r matte Leib neigte sich zum Fall / darumb lieff man zu / sie zu umfangen und auffs Bette zubringen. EURILUS faste sie selbst / wiewohl ohne alle Empfängnis unziemlicher Gedancken / in seine Arme / trug sie auffs Bette / und erfrischte sie mit seinen Lebens-SpiRiTu, den er stets bey sich trug. Ingleichen striche er sie mit seinen köstlichen Balsam an / dessen Kostbarkeit ieden Gran einen Ducaten würdig machte.

(273)

CAP.

CXII.

VIOLANTE lebte gleichsam auffs neue an / und kam wieder zu vorigen mit Verwunderung grossen Verstände. Der neue Zufall brachte eine grosse Verwunderung in das gantze Hauß / daß / da nun das schmertzliche Unglück 91. mahl seine Ankunft / auf Tag und Stunde gewiß in acht genommen; nunmehr vor diesesmahl sich geändert / und / welches das elendeste war / so gar geschwinde auf einander / und zwar auff einen Tag zweymal sich eingefunden. Die angestellte seltzame Freude / den EURILUS mit einer Mahlzeit zu tractiren / war hierdurch ziemlich versaltzen / daß man lieber eine Bettstunde / als Mahlzeit gehalten hatte. D e m Leidseligen EURILUS giengen die Augen über: und weiln er sich der sichtbaren Thranen / als eine Mansperson schamete / suchte er eine Gaststuben / worinnen er das Wasser / so ihm vor Leid in Augen drückte / mildiglich vergiessen könte. Und gleichwie er sonst Christlich war / und G O t t fürchtete / so trat er auch hier in seiner einsamen Stuben hin ans Fenster / und ruffte mit noch nassen Augen G O t t an / dieser ehrlichen Jungfer

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entweder unmittelbar zu helffen / oder doch seinen Verstand so (274) weit zu erleuchten / daß er eine Artzney erfinden möge / durch deren Krafft er diese Schönheit und Verstand / zu der Ehren Göttlicher Allmacht erhalten konte. CAP. CXIII. U N t e r diesem Gebet / welches er mit heissen Seufftzen laut verrichtete / erschien ihm VIOLANTA in ihren alltaglichen / wiewol doch sehr schönem Kleide / unvermerckter Weise / im Rücken; welche aber / da sie sein Gebet merckte / sich nicht eher regete / biß er seine Andacht verrichtet / und sich selbst umkehrend sie sähe. Zwar erschrack er anfanglich / in Meinung / es sey Ihr Geist: er erholte sich aber geschwind / indem er aus Liebe / gegen VIOLANTEN, auch mit ihrem Geiste sich ergetzen wolte. Diese hingegen fiel in einer so lieblichen Demuth vor ihn nieder / auf die Knie / daß ihm fast das Hertze brechen mögen. Er umbfieng Sie wieder aufzurichten: alleine Sie bezwung ihn mit Anmuth der Worte / daß er das muste geschehen lassen / welches er bey dem ersten Augenschein gleichsam verschworen. Ihre Bitte auf denen Knien legte sie also ab: (275) „Tugendhaffter EURILUS, wann mir eure Würde sonst nicht auß euren Namen und weitschallenden Ruhme bekandt ware / so hatte ich Probens genug durch euer heutiges Bezeugen / was ihr an mir / der ich das aller elendeste Mensch unter der Sonnen bin / gethan habt. Und verhalte ich nicht / daß der Schmertz / welcher mir auß meinen / von dem erzürneten G O t t verhengeten Unglück / alle mal übrig bleibet / mich nicht so gekrancket / als der Gegenjammer / den ich auß euren thränenden Augen schopffe / die ihr aus Mittleiden gegen meinen Jammer / so reichlich genetzet. Ich betrübe mich / daß das Gestirne eures Gemüthes durch mich soll tunckel gemacht werden. Und darumb schätze ich mein Unglück umb die Helffte vergrossert / weil ihr in der Freyheit eures blühenden Gemüths zwar wider meinen Willen; iedoch aber nicht ohne meine Schuld / sollet angefochten werden. J a was (276) noch mehr / (ach! ich verstumme weiter zu reden / oder muß doch zum wenigsten mein blödes Antlitz / über solcher Rede bedencken) so hat mich mein Hertzeleid eben in euren Beyseyn ergrieffen / daß ich in Gefangniß meiner Vernunfft / wie ich itzo von meinen Eltern gehöret / mit entkleideten Leibe die Keuschheit eurer Augen / biß ins Hertz verletzet. Ach! ich schäme mich und bereue die Sünde / in welche ich nicht gewilliget. Es ist mir leid / und erkenne meinen .an euch begangenen Fall / vergebet mir / alldieweil ich glaube / es werde mir solches in dem Rath der Gottlichen Providentz / auch nicht zugerechnet werden. Vergesset / GOttfürchtender EURILUS die Sündliche Blosse / welche ich mit einer blutigen Reue wiederumb bekleidet habe /

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und rechnet mich nicht unter diejenigen / welche mit unverantwortlicher Lust / des Himmels Gnade verschertzen. Ich indes will vor meine Sünde büssen / und ( 2 7 7 ) zur Straffe lieber heute als morgen sterben / soll ich aber in der Angst meines dießfals verletzten Gewissens / noch eine Zeit zubringen / und über die Qvaal meines Leibes / auch in der Seele eine Folter tragen: E y so versichert eure Magd / durch ein eintziges W o r t der ertheilten Verzeihung. Ich will euch davor ehren mein Lebelang / und durch dieses Thranen=Opffer den Anfang machen / wann ich eure Füsse zuvor damit genetzet habe. Ach vergebet EURILUS."

CAP.

CXIV.

EURILUS wüste nichts auff diese Bitte zuthun / als an VIOLANTENS Halse zu weinen. Jedoch erholte er sich wieder / und fieng endlich an sie zu trösten. E r gab v o r ; Sie mochte den Schmertz ihres Leibes nicht mit dieser unnothigen Pein vermehren; vielweniger glauben / daß sie bey diesen Sinn=Raube mit ihrer Leibes Blosse sich so gar schwer an ihren G O t t / als welcher solche Seelen Ohnmacht z u g e l a s - ( 2 7 S ) s e n ; vielweniger aber an Ihm versündiget. Alldieweil alle Sünden nicht dem Leibe / sondern der Seele beygemessen werden / als welche jenen zum Dienst der Unehren / als ein Werckzeig zu brauchen pflege. Nachdem nun ihre Seele in diese Entkleidung nicht gewilliget / sondern auf einen verborgenen Wege G O t t e s gefangen gelegen: So werde die wenigste Schuld das ohne dem tief betrübte Gemüth nagen können.

CAP. CXV. B E y d e Seelen waren voller Leidseligkeit und Erbarmen; beyde bar Augen stunden voll naßes Saltz. Die Eltern / welche sich in des ein wenig erholet und ausser dem das Unglück zur Gewohnheit hatten / suchten ihren Patienten / und funden selbigen / auf den Knien / in des EURILUS Armen umbschlossen. Beyde Eltern erfreueten sich / auch bey diesem Unstern / daß EURILUS ihnen zum Tröste dienen solte. Sie giengen mit einander zur Mahlzeit / und ergetzeten sich mit lauter trostlichen Gesprächen. EURILUS wurd ausser sich selbst gesetzt / und sähe man zwischen Ihm und VIOLANTEN, wie auch z w i - ( 2 7 9 ) s e h e n diesen beyden / gegen VIOLANTENS Eltern / eine solche höfliche Vertrauligkeit / als wann EURILUS mit VIOLANTEN das Gelöbnis über dieser Mahlzeit vollzogen hatte. Jedoch hatte man nicht einen Blick gesehen / welcher von beyderseits auf einige Tendeleyn Junger ledigen Leute / hätte können gezogen

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werden. So konte auch absonderlich E U R I L O nichts beygemessen werden / daß er auf Art manches Kerlen / welcher bey allen Frauenzimmer Lecken und Freyens vorgeben will / etwas mercken lassen. Alle seine Reden zielten auf Erbauung / und wie er dahinter kommen mochte / womit VIOLANTA von ihren Sinnlosen PAROXYSMO konte errettet werden. Beyde Eltern suchten E U R I L U M davor zu ehren: VIOLANTA Ihm deswegen / wiewol ohne Würckung fleischliches Appetits / zu lieben: Er aber Ihnen allen darumb eine überaus grosse HSfligkeit zu bezeugen.

{280)

CAP. C X V I .

E s ist nicht in der Kürtze zu beschreiben / was vor Hoffligkeit und ernsthaffte Eintracht unter diesen Leuten sich sehen ließe. Dem Gesinde / welches bey Tische aufwartete / giengen die Augen über / wann die hertzliche Zuneigung / derer vier Personen / gegen einander sich zur Verwunderung sehen ließ. VIOLANTA nothigte sich hinter E U R I L O aufzuwarten: Dieser suchte dergleichen. Die Eltern konten in der Bedienung keine Maß finden / E U R I L U M in allen Stücken in acht zunehmen / in die Arme zu drücken / die Hände zu küssen / und wie ein leiblich Kind zu hertzen. In solchen Vergnügungs-=Sonnenscheine ward die Nacht biß an den Morgen zugebracht / nach dem den abgewichenen Tag ein zwiefacher Sturm die Hertzen des gantzen Hauses unruhig genug gemacht. Die übermassige Nachtwache und die durch Kummer ermüdete verlangten Ruhe / und dannenhero begleitete VIOLANTENS Vater / nechst etzlichen seinen Dienern / den E U R I L U M in sein Schlafzimmer. Dieser suchte Abschied zum Schlaffe / bey V I O L A N T E N , und derselben Mutter. Da er nun gleich bey Überreichung der Hand / von Grund eines {281) reinen unbethorlichen Hertzens den jenigen Mund geküsset hatte / welcher den Tag über / nichts als anmuthige vortreffliche schöne Reden gegen ihn flüssen lassen; so hatte er doch nicht das Hertz / sich zu überwinden / und dadurch die ehrlichen Leute auf die Gedancken einer ehlichen Liebe zubringen. Sondern er bezaumete diesen Appetit mit Andencken der Tugend und seiner ehrlichen Wahrheit / welche beyde er in diesen Stücke nicht krancken mochte. CAP. CXVII. E R beforderte dennoch einen höflichen Abschied / und ließ sich so wol auserlich R A N I M I R O , der VIOLANTEN Vater / als auch innerlich der V I O LANTEN Zustand sehr tief zu Hertzen gehen. Ob er nun schon in ein Lager angewiesen war / auf welchen sich kein Fürst zu liegen hatte schämen

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dürffen: so war aber dennoch die Nacht / oder daß ich recht sage / der anmuthige Morgen ihm so schlaffloße / daß er kein Auge zuschliessen konte / ob gleich in dem gantzen Hause sich kein Mensche regen dorffte / bloß zu dem Ende / damit E U R I L U S in der Ruhe nicht verstoret werden solte. Dort lag er auf einen mit 6. Stuffen erhöhten Zeltbette / dessen Decke / Vor-(282)hänge und Himmel / von grünen Damaßig mit güldenen dichten Frantzen gezieret. Seine Gedancken schwebeten wie die Irrwische hin und her / auf und nieder. VIOLANTENS Gestalt / Verstand / und schone Reden hatten ihn so verwundert / daß er vor Schmertzen des gekränckten Hertzens / kein Auge zubringen konte. Ich will seine Gedancken in etwas verrathen: Die Barmhertzigkeit gegen V I O L A N T E N stürtzte ihn in ehrliche Liebe. Welche er aber ohne warhafftiges Abziel einer Ehrlichen Beständigkeit nicht erreichen konte. Er stritte mit seinen Gedancken / als wann er alleine mit einen gantzen Krieges=Heer sich eingelassen hätte. Zwar entschloß er bey sich / unfehlbar umb V I O L A N T E N anzuwerben / woferne Sie G O t t nicht mit dem Gebrechen heimgesuchet. Er beweinete in diesen Stücke sein Unglück mit heissen Thränen / daß die / welche ihm das Glück zu lieben gewiesen / durch eine unverschuldete Mißgunst ihm wieder entzogen: und wündschte sich alleine hierinnen glückseelig zu seyn / wann er in ViOLANtens Liebe sein Leben beschliessen solte. Alleine / wie gedacht: VIOLANTENS Unglück setzte seinem Wundsche die Siegsseulen auf (283) das Grab. Denn er gedachte / er werde zu Ragusa / wo Hohn und Spott der Leute / ohne dem der Einwohner beste Nahrung war / eine allgemeine Fabel werden: Wodurch V I O L A N T A mehr betrübet / als durch seine rechtschaffene Liebe mochte erfreuet werden. CAP. CXVIII. Z u dem zweiffeite Er / daß seine alte Mutter B E L I N D E , auf solchen vorher erkandten Zustand / in seine Liebe willigen möchte; ohne deren Willen er doch / Kindlicher Schuldigkeit nach / sich nicht verloben konte. Und so dann würde VIOLANTENS Unzufriedenheit ihn mehr krancken / als wann er itzo gleichwol nicht ohne Bekümmernis / sich solcher liebreichen Besitzung entschlagen müste. Er entsetzte sich vor V I O L A N T E N S Bekränckung / wie vor seinen grosten Unglück / und suchte alle Dinge / welche dahin zieleten / nach Mügligkeit aus dem Wege zu räumen. Nichts desto weniger aber muste er doch sorgen / wie er nun wieder nach Hause dencken / und seine alten bekümmerten Eltern wieder erfreuen müste. Die Haut schaurete ihm / wann er an den Abschied mit V I O L A N T E N gedachte: Und nachdem er den Vorsatz zu seiner (284) Abreise gefasset / bebete Ihm das Hertz / als wann er einen Vater=Mord begangen hätte. Er kunte

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Niemand seine N o t h klagen / als sich selbst / nachdem er mit seinem Gemüth VIOLANTENS ewiger Gefangener war. Die jenige Liebe / welche nicht hoffen darff / hat die Verzweifflung zum Nachbar / und kan Sie von dieser Peste gar leicht vergifftet werden. Da war dem ehrlichen EURILO nichts zu erwerben als ein klaglicher Abschied / welcher in Seuftzern ersticken / und in Thranen ersauffen müste. Bald gedachte er ohne Abschied davon zu gehen / und in der Vorstatt ein Pferd zu miethen / damit er seinen und VIOLANTENS Jammer verbüßen mochte. Diesen widerstritten die Gedancken / VIOLANTENS gantzes H a u ß mochte sich hiedurch beleidigen / und meinen / er sey das nicht gewesen / w o f ü r er sich ausgegeben. Das ist / er habe die Zahren und sein erklärtes Mitleid / bey weiten nicht so gemeinet / als er wol vorgeben. Welches er dann vor seine groste Schande hielte. Bald wundschte er / und satzte sich vor / nach Ragusa zu reisen; und bey VIOLANTENS Vater zu bestellen / daß selbiger innerhalb wenig Tagen ihn wiederumb durch einen Brief abfordern solte. Jedoch hielte er dafür / es (285) werde ihn der andere Abschied nicht weniger / sondern vielleicht mehr schmertzen / als der erste. Derohalben faste er sich / nach abgelegten seinen Gebet / den Muth / unverändertes Hertzens zu bleiben / und diese Stunde seinen Abschied zu nehmen.

CAP. CXIX. RANIMIRO kam ihm auf der Stiegen entgegen / des Vorhabens / seines Zustandes sich zu erkundigen / und vermöge des Gast=Rechts ihn zu fragen / wie er die kurtze Zeit über geruhet. D e m meldete EURILUS seinen Abschied redlich und aufrichtig an / mit der Bitte / ihn nicht zu krancken und zum Bleiben zu nothigen. Er müste fort. U n d dieses erfordere sein Gehorsam gegen die Eltern. Er bewegte auch den RANIMIRO dahin / daß er VIOLANTEN seine Tochter behertzte / über dem Abschiede keine Traurigkeit zu machen: versicherte ihn auch in Geheim / daß er nichts mehr wündschte / als daß VIOLANTA gesund sey / und so dann keine andere die Blüthe seiner Jahre / sammt nachgehender Frucht abbrechen solte. RANIMIRO hatte mit seiner Haußmutter zuvor / da sie an Morgen zu Bette gegangen / schon den Schluß gemacht / ihr geplagtes liebes Kind EURILO kei-(2#6)nes weges zu versprechen / woferne / er gleich auch u m b sie anhalten mochte. VIOLANTA hatte gar verschworen / EURILO das Jawort iemals zu geben. U n d dieses nun waren wieder einander lauffende Dinge; nemlich lieben / ohne Meinen und mit Nicht=Wollen. Alleine [. . .] der Eltern und VIOLANTENS Vorsatz entsprungen eben aus einer wahren Liebe. Denn die Eltern wolten EURILUM nicht mit der krancken Tochter

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krancken: Diese aber ihn mit ihren Gebrechen nicht betrüben; wie hitzig sie ihn auch allerseits liebten. Drumb kamen sie auf diesen Schluß.

CAP. C X X . D E η Abschied wolte EURILUS nüchtern erfüllen / darumb er sich / noch ehe er auffgestanden / verlobet / keinen Bissen Brodt zu kosten; sondern mit einer frühen Seele sein Leidwesen zu verdauen. Was er sich vorgesetzt/ das hielt er. Und mag ich diesen Abschied wohl einen stummen Abschied heissen. Denn kein Mensch konte vor innerlicher Bestürtzung zu einem Worte kommen. Ein ieder schamete sich seiner nassen Augen / und schlug das Antlitz zur Erden. VIOLANTA aber machte das erste Wort / und bekronete EURILUM mit einen (287) solchen Segen / dergleichen niemand bey einen Weibesbilde suchen solte. Sie meldete dabey / daß sein Andencken ihr Trost in fernem Unfällen bleiben solte. Sie nahm auch / auf den Fall / volligen und gantzlichen Abschied / als die Sie nicht auf eine Stunde der Zeitligkeit sich versichern konte. RANIMIRO bat das einige von EURILO, seiner nicht zuvergessen / sondern / woferne es Menschlichen Krafften müglich / auf Erlösung seiner Tochter zu dencken. Das Stücke Gold an zweyhundert Ducaten / so ihm vor Reise und Mühe gereichet wurde / wolte er durchaus nicht annehmen; sondern sagte / wann ihm G O t t die Gnade geben solte / sein liebstes Kind zu CURIREN, SO wolte er schon selbst etwas von ihm bitten / das kostbar genug ware. E r indeßen unterstehe sich nichts in diesen Zustande zu ordnen: Weil er gar gerne bekennen müste / daß er dergleichen / die Zeit seiner Tage / nie gesehen; zugeschweigen CURIRET hatte. Also gieng die Reise fort: alleine mit was vor Weh / auf beyden Seiten / wird niemand glauben / als der jenige / welcher es mit Augen gesehen.

(288)

CAP. C X X I .

VIOLANTENS Zustand jammert mich zu beschreiben: und dieses umb so viel mehr / weil sie nur innerlich ihr Betrübnis verschmertzen muste. Und was halff es ? EURILUS war fort: indem sie sich gar willig ergab / ihn nimmermehr wieder zusehen. EURILUS empfieng auff dem Wege gleichen Schmertz / und angstete sich mit eben diesen Gedancken. Mitten in der Betrübnis gedachte VIOLANTA bißweilen: auf der Welt nichts mehr zuverlangen / als des EURILI ewige zu seyn: oder doch zum wenigsten nur selbigen noch einmahl zu sehen. Dieses wündschte auch EURILUS. Aber

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beyde fühleten ihrer Wündsche Unglückseligkeit nur allein in VIOLANTENS beschwerlicher Kranckheit. EURILUS nachdem er sonderliche Pein leiden muste / konte sich auff dem Wege nicht zu Frieden stellen: so gar / daß wenn er ViOLANten / und derselben Eltern auffrichtiges Leben und ungemeine Redligkeit nicht erkennet / er vielleicht dencken müßen / als ware sein Gemuthe durch eine verbotene Kunst / an ViOLANten gefesselt worden. So aber vermochten diese Gedancken in ihm nicht zu e r - ( 2 8 9 ) wachsen. D e n n er hatte in VIOLANTENS Hause so viel Lehren gemercket / welche keinen andern Grund / als die Furcht G O t t e s und eine übergrosse Liebe gegen ihn erkenneten. Wenn er daran gedachte / so wolte sich gleich sein Eingeweide zertheilen / und die Augen zerbrechen. Nun reisete er auf einer Senfften / welche ihm VIOLANTENS Eltern zur Reise hergegeben; er wurd aber von eines frembden Maulthier-Handlers Thieren getragen. E r kam an einen lustigen Wald / in welchen ihm die Anmuthigkeit einer rechten Frühlings Natur / allerhand vor Augen und Ohren bildete / wodurch er seines Leides hätte vergessen k ö n n e n ; alleine wann das Hertz mit Leidwesen erfüllet / so kan keine äuserliche Freude anschlagen. E r war noch keine Stunde von der Statt VANDALO getragen / wo selbiger Lustwald sich anfieng Die Angst der Zuneigung gegen VIOLANTEN, liesse ihn nicht auff der Senffte sitzen; sondern er stiege ab / und hieß den Maulthier= Treiber inne halten. E r satzte sich unter einen Baum ins Grüne / nahm / in Ermanglung Papier und Dinten / seine Schreibe=Taffel und schrieb an RANIMIRO einen Brieff zu rücke. D e n n er hatte unterweges feste bey sich beschlossen / VIOLANTEN ihr Unglück helffen zu tragen und (290) Sie zu ehlichen. Dannenhero erofnete er solches an ihrem Vater: vermeldete dabey / daß er ehester Tage kommen / und Gewißheit der Sachen vor sich nehmen wolte. Diesen Brief in der Schreib-Taffel / schickte er durch den Maulthier-Treiber zurücke; er aber erwartete an selbigen Lust=Orte der A n t w o r t ; freuete sich dabey / wann er gedachte / was VIOLANTE und ihre Eltern / ihm vor einen erfreueten Brief zurücke schreiben würden. D e r Bothe spannete ein Maulthier aus / seine Rückkunfft desto schneller zu verrichten. EURILUS inzwischen gieng in den Wald und sein Gemüth kam mir in diesen Spatziergange vor / wie eine Feurs-Brunst / da / wann man an einen O r t e leschet / es an den andern wieder anbrennet. Das A n dencken an seine Geld- und Ehrgeitzige Mutter / BELINDE, hatte fast die Krafft wie Milch / welche auch das Feuer / so vom D o n n e r in ein Hauß geschossen wird / ausleschet. Wenn er sich gleich noch so gut gefast / wie er seine Ehrliche INCLINATION, gegen die wunderschöne VIOLANTE STABILIREN wolte; so lag in seinem Gemüth allezeit der Stein in Wege / welcher DISSENSUS MATRIS hieß. Denn die Mutter hatte ihm schon zu RAGUSA eines sehr reichen Priesters Tochter vorgeschlagen / (291) welche zwar überaus reich / und dannenhero muthig; aber wider des Apostels Verbot /

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die Welt und was in der Welt war / lieb hatte. So dachte E U R I L U S auch unterschiedliche mal an LISALANDEN, welche seinetwegen an der Politischen Colica so lange danieder gelegen. Und mit solchen Wettstreit der Gedancken / brachte er über zwo Stunden zu. Welcher aber durch VIOLANTENS Gedächtnis endlich überwunden / und E U R I L U S hierdurch in eine Gemuthsfreudigkeit gesetzet wurde. Er setzte sich abermal nieder / horete dem Gesänge der Vogel zu: und erwartete mit brennenden Verlangen seinen abgeordneten Boten. Der Vogelgesang erinnerte ihn / seine itzige Gedancken auch in einen Gesang abzufassen. Waswegen er also dichtete; und in seine kleine Schreibetaffel eintrug: 1.

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I C h trachte nicht nach hohen Dingen: Was nutzet mir ein eitler Ruhm? Last GOtt mir nur das Gluck gelingen / Daß meiner Liebe Eigenthumb Erlanget Tugend und Verstand / Das andre ist ein Schatten-Tand. 2.

Ich liebe zwar / doch ohne Brennen / Ich brenne und verbrenne nicht. So bald ich dich nur lernte kennen / Du meiner Augen Trost und Liecht: So bald hat deiner Tugend Pracht Mich hoch in dich verliebt gemacht. 3. Hat dich ein Unglück gleich betroffen / So dich an deinem Leibe qvalt / Und mich betrügt in meinen Hoffen; So bleibstu mir doch ausserwählt. Ich theile wol und weh mit dir. Mein Lieben scheut sich nicht dafür. 4. Ich trage Halffte deines Schmertzens / Mein Engel. Stirbstu; ich vergeh. Du Halffte meines treuen Hertzens / Dein Schmertzen thut mir selber weh

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Weil mich auf dieser gantzen Welt Sonst keine mehr gefangen halt. (293)

5. Und hättestu gleich alle Plagen; Von aussen alle Ungestalt; So soll man dennoch von mir sagen / Daß meine Treue mit Gewalt N u r deiner Seele Schönheit sucht / Und alle Fleisches Lust verflucht. 6. Ihr Wälder wündschet mir nun Glücke / Als einem Brautgam / der Euch grüst. Ihr Blumen höhet eure Blicke Dem / der sich hier ins Hertze schlüst D e r VIOLANTEN Gotter=Schein.

Die mir soll meine Liebste seyn. 7. Die Hochzeit geht schon in Gemüthe Mit tausendfachen Freuden an; Wodurch das schmertzliche Geblute N u n seine Lindrung fühlen kan. Wann ich doch (sonst wündsch ich nichts mehr) B e y meiner VIOLANTEN w a r .

CAP. CXXII. D i e s e s Lied hatte er gemacht und gesungen / als er seinen Boten von ferne wie-(294)der ankommen sähe. Die Liebe hat weder Gesetz noch Zaum. Darumb konte den EURILUS keine Waldlust / noch seine Müdigkeit der Glieder zurücke halten / daß er dem Boten nicht ware entgegen gelauffen. Wie sehr er sich nun über RANIMIRO und der schonen VIOLANTEN Antwort zuerfreuen suchte; so schmertzlich muste er sich über der Rückschrifft aus VIOLANTENS Hause / in einen absonderlichen Briefe / betrüben. Denn es hatte so wohl Vater und Mutter / als auch VIOLANTE selbst / zwar nicht Liebe / sondern nur die Ehe / einmal vor alle mal abgeschlagen. Zu dem konte der Bote nicht genug beschreiben / was auf

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Verlesung auß der übergegebenen Schreibetaffel / vor Betrübnis im Hause entstanden. CAP. C X X I I I . I N denen alten Leuten zwar ist die Liebe wie Feuer in Stoppeln / welches bald verleschen kan. Alleine EURILI Hertz brandte gegen die VIOLANTA innerlich / wie der Berg AETNA. Und ob er sonst gleich nicht den Tendeleyen ergeben / sondern Weibischen Kerlen von Hertzen feind war; so gienge es ihm doch wie dem Eisen / welches sonst sehr harte: so bald es aber ins Feuer kömmt / dennoch erweichet und sich in alle Formen zwingen lasset. (295) Er erschrack und wüste nicht / wie er sich begreiffen solte. Er erzürnete in sich selbst / daß er die Leute genothiget ihm den Korb noch nach zuschicken. Er verstund aber nicht / daß auf Seiten VIOLANTENS, die Verneinung aus einer starcken Liebe geschehen / ihm durch ihre grausame Kranckheit sein Leben nicht sauer und unglückselig zumachen. Gleichwie man aber das am meisten liebet / was zuerlangen schwer wird: also fieng EURILUS auch nun an die zurück gelassene VIOLANTE, weit brünstiger zu lieben: als zuvor / da er sich derselben gewiß versicherte: Er setzte sich in Wehmuth wieder auf / und ließ sich vollends nacher Ragusa tragen: allwo er von seiner Mutter / wegen langes Ausbleibens / gar sauer angesehen wurde. Seinem Vater / dem alten SOZON, überbrachte er die Nachricht / von dem Zustande dieses Wunder Patienten / welcher aber zur Antwort gab / daß diesen Unheil nicht zu wehren. Denn er hielte es vor eine warhafftige Bezauberung. Worüber EURILUS noch viel bestürtzter wurde.

CAP.

CXXIV.

Ü E n Morgen reisete der Maulthiertreiber mit der Senfften wiederumb ab / welcher einen (296) Brief an VIOLANTEN und derselben Eltern mit zurücke nahm: in welchen EURILUS sehr lamentirte / und sich über ihre Unbarmhertzigkeit beschwerete. Nichts desto weniger blieben dieselbigen auf voriger Meinung / EURILUM, den sie von Grund der Seelen allerseits liebten / mit VIOLANTENS Gebrechen nicht zu betrüben / und die Tage seines Lebens kümmerlich zu machen. Nun weiß ich nicht / was der Maulthier-Treiber etwa in des alten SOZON Hause / gegen die Magde / von VIOLANTEN und EURILO mochte erzahlet haben / wodurch die alte BELINDE nachmals die Ursache erfahren / warumb ihr Sohn von der Reise an / nacher VANDALO, immer in tieffen Gedancken gegangen. Da hatte man von Zorn und losen Worten eine gantze Messe anstellen können.

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Keine schimpfliche Bedrohung war mehr zuersinnen / welche BELINDE die Alte / ihm nicht ins Gesichte geworffen hatte. Sie tröstete sich aber damit / daß VIOLANTE nicht bey der Hand und also die Gedancken wol zu trennen wiren. CAP.

CXXV.

BELINDE war so alt geworden und hatte noch nie erfahren / daß wer die Liebe verbietet / derselben Sporn angürte. Wann ein Feuer verleschen soll / muß man nicht hinnein ( 2 9 7 ) stören. Doch gleichwol befahrte sie / es konte EURILUS nach ihren Todte auf diese Contracte und in ihren Augen arme Nymphe wol warten und nachmals die Verehligung erreichen. Weswegen sie alsobald Anstalt machte / die bewuste reiche Priesters Tochter ihrem Sohne beyzulegen. Wozu sich aber EURILUS noch zur Zeit wenig beqvemen wolte. Weil die Mutter nun ernst dazu thut: so sagte EURILUS kurtz-rund heraus / daß er SAPPHO, des Priesters Tochter / durchaus nicht lieben konte: und könne er in demjenigen / worauf seine zeitliche Ewigkeit bestünde / sich keines weges übereilen. Er nahm in dieser Meinung den Vater zu Hülffe / welcher die Mutter auch deswegen bedeuten muste / daß sie mit solchen schnellen Zumuthen endlich anstünde. Noch muste EURILUS sich dennoch OBLIGIREN selbigen Tag noch in eine Jungfer Compagnie / welche seinet wegen an einen Ort gebeten / zu gehen / mit der Verheissung / eine zu erwehlen / welche ihm gefiele. Die C o m pagnie kam mir vor / wie eine Catholische Kirche / in welche EURILUS zwar als ein Lutheraner mit entblosten Haupte trat und Schande halber eine auserliche Ehrerbietung ablegte: mit dem Hertzen aber (298) hieng er an seiner Abgottin der VIOLANTEN ZU Vandalo.

CAP. C X X V I . D E r BELINDEN Anverwandten eine / RODAMIR, derer Eheman vor diesen ein AUDITEUR bey dem Graflichen Regiment gewesen / hatte diese COLLATION zuversorgen / wozu BELINDE ihrer Seelen den Stoß gethan und 2. Thaler dazu verehret hatte. Es ist leicht zu dencken / daß die Tractemente schwerlich wider die Gastordnungen haben lauffen können. Zwar seynd Jungfern leicht zu TRACTIREN, wenn sie auf die Schaue erbeten werden: denn umb selbige Zeit / halten sie Essen und Trincken vor eine Schande: und ieweniger sie gemessen / ie hoflicher / dencken sie / sind sie gewesen. Dort sassen ihrer Zwolffe / deren immer eine die andere an Erbarkeit abstechen wolte. Keine wolte einen Bissen kosten: oder da ja eine / nach langem Nothigen / und mit Zwange zugrieffe / so war es eben /

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als wann es Gifft wäre. Mit dem Munde berührten sie das Glaß: und die blosse Messerspitzen / netzten sie mit der Brühe / und leckten selbige ab: iedoch keine eher / als wann E U R I L U S sich etwa umbsahe. Dieser hingegen führete der alten Regul in Sinne: wie du (299) f r i s t / so a r b e i t e s t u . Da sassen nun / wie ich sage / zwolff Götzen. So muß ich sie nennen. Denn sie schienen / vor Erbarkeit / wie tode Bilder. Keine regete einen Finger / keine redete ein Wort: und war sehr viel / wann eine einmal mit denen Augen blinckte. Wurden sie von E U R I L O genothiget / so hatten sie alle eine Entschuldigung / die hieß: „Ich habe sehr viel gegessen / ich pflege sonst zu Hause nicht so viel zu thun." Die jenigen / welche sehr hoch beredt waren: hatten zwey Formeln: „es beliebt ihn so zu reden / es ist sein hoflicher Schertz." Damit waren auch die C O M P L I M E N T E N alle. Hingegen aber merckte E U R I L U S den Unterscheid zwischen diesen sonst ehrlichen und vornehmsten Magdgen der Stadt / und seiner VIOLANTEN ZU V A N D A L O : welche wie ein Hochgelehrter Sittenmeister einem das Hertz durch übermenschliche Vernunft der Reden abnehmen kunte. Und also saß er freylich in den Gedancken. So offt er nun wiederumb mit denen Gedancken einmahl zu sich selbst kam; so oft regete Er das versamlete Frauenzimmer zu Speisen und zum Truncke an. 0hnge-(300)fehr putzte die Wirthin das Liecht; wobey sie einen Fehler begieng und selbiges gar ausleschte. Ehe nun solches wieder angezündet und hinter in Garten / wo sie im Lusthause speiseten / gebracht wurde / griffen etzliche des ehrlichen Frauen Zimmers zu / aus Hunger einen Mund voll zu genießen. Etzliche kamen über den Brey und hatte sich derselben eine einen grossen Klitzsch / auff ihre vorgesteckte Diamant Rose / fallen lassen. Eine andere ergrieff die Kanne mit dem Weine / und gab sie ihrer Nachbarin / welche auch einen blinden Zug that / und nachmahls im Finstern / die Kanne ins Hasenschwartze setzte. Eine war lüstern und griff nach dem verdeckten Essen; welches / zum Possen / lebendige Krebse waren. In der Finsternis fühlte sie nun wol / daß es Krebse waren / daß sie aber lebten / konte sie in eilender Furcht nicht mercken. Weil sie nun eine sonderliche Liebhaberin derselben war / ergriff sie eine Hand voll / und steckte dieselbe ein. Hatte sie doch nur einen gantzen Schiebsack gehabt / so ware sie nicht verrathen worden. (301)

CAP. C X X V I I .

UNterdessen kam das angezündete Liecht wieder an. Wobey man den Klumpen Brey auff der Halskrausen / ingleichen die Wein-Kanne im Hasen-Schwartzen gar genau erkennen konte. E U R I L U S , vor Gedancken / sähe solches nicht. Eine lustige aber unter dem Hauffen / Nahmens MARLE, lachte von Hertzen darüber / daß sie auch im Finstern den Brey

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gekostet / die Schüssel aber daneben verdrehet / daß das Loch im Brey vor einen andern Orth zu stehen kommen. Sie hingegen hatte das Maul noch voll / und muste sich in acht nehmen / daß sie solches unvermercket hinterschlingen konte. Endlich / da der Brey klitsch auf der Diamant Rose und die Weinkanne in Hasen=Schwartzen OBSERViret wurde / gieng es in ein algemeines Lachen aus. M A R L E lachte / daß ihr der Brey zu beyden Nasenlochern herausfuhr. Worüber man wiederumb eine halbe Stunde zu kurtzweilen hatte. Dieses Gelachter war kaum auch gestillet: so waren die lebendigen Krebse erwärmet / deren einer mit der Scheeren durch den zerrissenen Schiebsack gegriffen / und die unglückliche Jungfer an (302) der blossen Haut ertappet / daß diese schriehe / als wann man ihr die Daumenstöcke angeleget. Dieser Handel erforderte eine künstliche Hülffe. Abreissen dorffte man den Krebs nicht / denn die Schmertzen wurden dadurch vergrossert: und gleichwohl wolte der Krebs auch nicht von seinen natürlichen Amte des kneipens lassen. Niemand wüste / was ihr war. Biß sie endlich die Banck hinter sich umbstieß / und in eine Kammer lief / allda von einer Magd sich helffen zu lassen. Sie muste am Leibe mit dem Kleide / der Magd Platz machen / die Hülffe zuversuchen. Wenn sie den lebendigen Krebs anrührete / so knippe dieser tausendmal arger. Die Wirthin kam auch dazu und gab den Rath: Sie solte den Krebs nur mit warmen Waßer begiessen; so werde er von sich selbst gehen lassen. Oder in Ermangelung dessen / solte sie den Schneider von Schildau nur anhauchen / so werde er auch gehen lassen. Die gehorsame Magd hauchte aus Leibes-Krafft auff den Krebs loß; ward aber von demselben mit der andern Scheeren bey der Nasen ertappet. Welche schmertzliche C O P U L A T I O N sie mit jammerlichen Geschrey aushalten muste / biß der Gartner / welcher (303) auff das Geschrey / aus Feuers Furcht / zulieff / und mit seiner Garten-Scheeren die Scheeren des Krebses ablosete.

CAP. C X X V I I I . D i e s e kützliche FATA des Frauenzimmers machten E U R I L U M viellmahl zu lachen; die armen Magdgen aber schamhafftig und roth. R O D A M I R die Wirthin schlichtete endlich alles durch einen artigen Possen / dergleichen sie sonst gewohnet war. Sie gab bey E U R I L O vor / daß sie alles also denen Jungfern befohlen / ihm / weil er ohne dem bißher stets mit tieffen Gedancken sich geschlagen / eine Lust zu machen. Wodurch sie denn das Frauenzimmer wiederumb gantz treuhertzig machte / daß sie sich in voriger Erbarkeit niederliessen. Die eine welche bey E U R I L O saß / (zwar nicht S A P P H O , welche zur rechten Seiten des E U R I L I saß) die ich nicht nennen mag / hatte sich in der Erbarkeit so vertiefft / daß sie bey dem

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Wieder=niedersetzen aufs neue mit auffgehobenen Händen betete; und drey Creutze vor sich machte. Sie gestände nachmahls gerne / daß sie (304) in Gedancken den Abendsegen gesprochen / und sich dabey gecreutzet. CAP. CXXIX. Hlernachst wurde nun etwas von Gartenfrüchten aufgetragen. Als nemlich Kerschen / Schoten / eine Schussel mit grünen Mandeln und dergleichen. Ein par Gerüchte / als nemlich eine gebratene Henne / und eine schöne Knack=Wurst blieben unter dem Obst / zu Ausfüllung des Tischraumes stehen. E U R I L U S tröstete sich etwas in seinen Anliegen; und versicherte sich im Gemüth / daß die Sache mit ViOLANten entweder wol ablauffen / oder er seiner Sehnsucht zum wenigsten doch vergessen müste. Darumb fast er sich ein Hertz / seine bey habende zwölf Stücke Frauenzimmer lustig zu machen: und fieng an auf eine hoffliche Art mit ihnen zu schertzen. Diese aber waren aus ihrer Erbarkeit nicht zubringen. Keine wolte mehr lachen: denn eine iede befahrte / E U R I L U S mochte ihr an die Zähne sehen: oder sie werde das Maul zu weit ziehen. Die Hände legten sie stets vor sich / als ob sie eine Braut zur Kirche führeten. Manche wüste mehr nichts / als Ja und Nein. Manche fieng endlich an / gar zu viel zu reden. Eine unter dem Hauffen war wie ihr {305) allgemeiner Sprachmeister / welche schon einen ehrlichen Verstand biß etwa 43. Jahr erreichet. Diese war so erbar / daß sie vor Schamhaftigkeit / die Wurst nicht bey ihren Namen nennen wolte. Sondern sie titulirte dieselbe S a c k g e n s = F l e i s c h : o d e r e i n g e f ü t t e r t F l e i s c h . Die Schoten hieß sie: E r b s = H a u s e l e i n . Die Mandeln / F u n f f z e h n = K e r n . Das Geschlincke: H a m m e l s = Z e i c h e n : und was dergleichen Sinnreiche Erbarkeiten mehr waren. Eine andere bieß das Maul ein / wie das Falten=Loch in einer Schlaffmütze. Als ihr Kirschen vorgelegt worden / schnitte sie eine iedwede in 4. Stücke / mit vorgeben / daß sie keine Kerne / zugeschweigen / eine gantze Kirsche in den Mund bringen konte. Ja als E U R I L U S sie ansahe / war ihr gar die Gabel ins Maul zu groß: und aß sie die Linsen mit einer Steckenadel. CAP. CXXX. E i n e sehr lustige war darunter / welche mir am besten gefiel. Diese hatte bißher ihre Kurtzweile gehabt an einem Kerlen / dessen Mutter sich in der Empfängnis an einen Narren / und da sie mit ihm zur Hälfte gewe-(306) sen / an einem armen Manne versehen. Denn er war weder klug noch reich: hoffartig aber über genug. Dieser hatte sich in die lustige SISMI biß

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in den Todt verliebet. (Dessen Briefe ich wundschen mochte her zu setzen.) Sein Name war CAPS, mit einer Sylbe / gleichwie der Kopff von einer Falte. Vor dem kunte SISMI nirgends sicher seyn / daß er ihr nicht nachgelauffen ware: und hatte sie sich auch einen Gang unter die Erde machen lassen. SISMI scheuete sich gar nicht / vor seiner Gegenwart / denn sie hatte einen treuen Diener an ihn zuverschicken wohin sie wolte. Ich geschweige der Lust / die sie in einer gantzen Compagnie mit ihm machen konte. Also ließ M Ö N S . CAPS auch in dieser Compagnie sich finden: weil / der Einbildung nach / seine SISMI mit zu gegen. In diesem Menschen herschten die Sinne / deren Knecht die Vernunfft war. Und er hatte bey der Gesellschaft auserlieh das Amt des Einschenckers an sich. Die kurtzweilige SISMI machte den albern Narren so verliebt / daß er weinete. Des Nachts liefe er hin an die Haußthür / und küßet / die Ankloppe: weil sie solche angegriffen. Wenn sie in die Kirche gieng / zöge er hinter ihr her / wie ein Leithammel / und merck-(307)te alle Steine / worauff sie ihre Füsse setzete: die er hernach des Nachts mit denen Fingern aus dem Pflaster klaubete und mit sich nach Hause nahm. Vielmahl / wann ihm der Schuß an kam / gieng er hin / und ruhete mit dem blossen Gesichte auf ihrer Thürschwelle. Selbigen Abend kehrete er den Staub auff der Erden zusammen / von der Statte / worauff ihre Schu gestanden / und nahm solchen in einen Glaß Wein ein. SISMI durfte nicht ausspeyen; so gieng er hin und versamlete dieselbe Kostbarkeit in seinem weissen Schnuptuche. Dannenhero E U R I L U S gar Sinnreich folgendes Tages ihm ein Clystir / von H E L L E B R O setzen zu lassen / versprach. Der dumme Schelm ward über den Clystir voll Freuden / daß er dem E U R I L O durch ein Feuer gelauffen ware. SISMI tröstete ihn / und sagte / sie wolte ihn bey dem Gebrauch des Clystires besuchen. Woraus er eine solche Freude schopffete / daß er nicht den Morgen erwarten konte / sondern er ware lieber den Abend noch kranck worden.

(308)

CAP. C X X X I .

LEtzlichen endete sich der Schmauß. Da nun E U R I L U S gleich eine Schuldigkeit erweisen / und diejenige / welche seine Mutter ihm ausersehen hatte / nach Hause begleiten wolte; so suchte er doch dessen Unterlassung damit zu entschuldigen: es mochte das übrige Frauenzimmer JALOUI und ihr Feind werden: darumb mochte sie ihm verzeihen / wann er wider seinen Willen versäumen müsse / wozu er sich im Hertzen OBLIGAT befinde. Welches denn SAPPHO schwerlich zur Entschuldigung angenommen / wann E U R I L U S nicht geklaget / daß er sich nicht wohlbefinde. Gleichwol ließ sichs mit dieser Schulkranckheit / welches der Anfang zu

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des EURILI Politischen Colica war / noch ziemlich an. SAPPHO hatte er auff solche Weise nicht beschimpffet / und seine Mutter dabey nicht erzürnet. Seine Freyheit aber blieb unverletzt.

CAP.

CXXXII.

LISALANDA, welche zuvor an der Politischen Colica gegen EURILUM hart darnieder gelegen / und durch dessen Gegenwart alleine cuRiret zu werden gesuchet / hatte von der angestellten Zusammenkunft etwas gehöret / absonderlich aber / daß BELINDE, EURILI (309) Mutter / öffentlich sich vernehmen lassen / sie werde nimmermehr zugeben / daß ihr Sohn eine andere außer der reichen SAPPHO werde ehlichen dürfen. Dannenhero hatte sie eine löbliche RESOLUTION in der Gedult gefunden: und sich eingebildet / als ware EURILUS gestorben; welche Nothwendigkeit / so ferne solche erfolget / sie als ein ohnmachtiger Mensch keines weges hintertreiben können: Darumb legte sie die Hoffnung / zu dem Antheil an EURILUM gantz weg / und ergriff ihren Wahlspruch / welcher war: Nichts vergnüget meine Jugend A l s die F r e y h e i t mit der T u g e n d Diesen ubersetzte sie in eine gar schone ARIE, welche sie mit hofflichen Grusse / an EURILUM in einen wohl STiLisiRten Brieffe überschickte / dieses Inhalts: 1.

(310)

V E r l a c h t ihr / Schaffer / meinen Sinn / Und fragt: warumb Ich Sorgloß bin; Darumb weil mich die Jugend liebt Und meine Jahre nicht betrübt. Ich bleib in freyen Schrancken / Und hasse die Gedancken / Die zu der Trübnis wancken. 2.

Die blinde Liebe brennt mich nicht / Wie manche / die der Kützel sticht. Ich halt es vor Melancholey / Und fliehe solche Sclaverey. Mein Geist sich hier nicht schmüget: Weil Freyheit mich vergnüget U n d meinen Sinn so füget.

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3. Ich spotte Schönheit im Gesicht: Weil Fürnis wie ein Glaß zerbricht. Das Alter und ein sicher Fleck / Nimmt offt den Wangen Purpur weck / Daß wann ein solcher Schniegel Sich itzt verliebt in Spiegel Sieht wie ein gelber Diegel. (311) io

4. Ich acht auch nicht das schnöde Geld / Den armen Abgott dieser Welt. Mir löstet kein vergänglich Gut. Ich lobe meinen freyen Muth / Den mir kein Dieb kan stehlen Kein Feuer nicht entseelen Noch durch Verlust mich qvalen.

is

5. Wann E U R I L U S mich gleich nicht liebt. Mein freyer Sinn nichts darauff giebt. Viel besser lebe ich allein. Ich mag nicht angebunden seyn. Ich renne nicht wie Narren Zu diesem Joch und Karren Ich will des Glückes harren.

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25

6.

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Fragt aber ihr / was micht ergetzt Und mein Hertz in Vergnügung setzt: So ist es Tugend / die da strahlt Hier durch die Freyheit abgemahlt. Die Tugend kan nicht sterben / In keinen Fall verderben. Die will ich mir erwerben.

CAP. CXXXIII.

35

G E w i ß ists / daß L I S A L A N D A gar gute N A T U R A L I A zur Poesi hatte / wodurch sie E U R I L O schon manche I N C L I N A T I O N abgenommen. Ruhmlicher

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war es ihr / daß sie sich auf ihre Freyheit bezöge. Alleine / hätte sie ihre ARIE auf feste Liebe eingerichtet / EURILUS wurde sich viel anders dagegen bezeuget haben. Gleichwol lag ihm LISALANDA stets im Sinne / welche aber durch VIOLANTENS Andencken / immerfort daraus vertrieben wurde. Liebe ist des Leides Anfang; darumb wer das andere fürchtet / bemühe sich das erste zu meiden. EURILUS hatte LISALANDEN nichts versprochen: gleichwol aber die Hofnung zu einer Gegen Liebe nicht gantz in ihr geleschet. Es gieng ihm zu Hertzen / daß diese / ohne sein Verdienst / angefangen ihn zu lieben. Hingegen aber / wann er an VIOLANTEN gedachte / so kehrete sich sein gantzes Hertz umb / und eröfnete sich / diese / als seine einige Besitzerin / einzulassen. Ich muß gestehen: Liebe ist ein verborgen Feuer / ein bitter Leiden; eine süsse (313) Bittrigkeit / welche die Leute hinterschleicht wie ein Dieb. Darumb spanne EURILUS eben keine Seide bey seinen geheimbden Liebes=Kampffe: denn obschon LISALANDA mit VIOLANTEN in gleicher Wagschale der Zuneigung gestanden / und er so dann / welche er unter beyden gewolt / erwählet hatte / ware er doch in seiner Wahl gegen die Mutter nicht bestanden / er hatte wählen mögen / was er gewolt. So aber hatte VIOLANTA den Thron seines Hertzens alleine inne; und LISALANDA muste gleichsam die Thür desselben hüten. CAP.

CXXXIV.

L i e b e / Rauch und Husten brechen allezeit aus / und last sich keins von diesen bergen. So war es BELINDEN nichts unmügliches / ihres Sohnes Liebe endlich zuerfahren. Dannenhero muste die gute LISALANDE auch bey ihr herhalten / deren Eltern sie mit unfreundlichen Worten anließ / und schimpflicher Weise derselben geheimbdes Abziel aus denen Augen rückte. Zu dem verleschet endlich das Feuer / wann nicht zuweilen ein Scheitgen mit angeleget wird. Wie solte nun bey EURILO ein Zunehmen der Liebe gegen LISALANDEN zugewarten seyn / wann (314) er nicht mehr zu ihr gehen oder Sie cuRiren dürffte. Ich geschweige daß EURILUS den Reim der alten sehr wohl inne hette: g a n t z m e i n o d e r l a ß g a r s e y n . Und sich deswegen scheute in Betrachtung der über menschlichen V i o LANTE, bey LiSALANden durch einen Zuspruch die Hoffnung wieder anzublasen. Es ist eine große Sünde ein ehrlich Magdgen auf setzen / und es so lange herum führen / biß Sie ihr Glücke verschertzet / und nachmahls über den Betrüger / die Zeit ihres Lebens zu seuftzen hat. Dergleichen Mißhandlungen war EURILUS von Hertzen feind / und hütete sich davor / wie ein gesunder Mensch vor ansteckenden Kranckheiten.

308

Johannes CAP.

Riemer CXXXV.

E i n e Nacht hatte er einen schrecklichen Traum von LISALANDEN, alß wann er einen hohen Felsen herunter in einen großen Strom mit seinem Pferde stürtze / bliebe aber in der mitten des Felses / an einer grünen seidenen Schnure hangen / welche LISALANDA in der Hand hatte / über welcher diese Worte stunden: SERVAT TE SPRETA. S i e h e s t u ? d i e d u v e r a c h t e s t ; e r h a l t d i r d a s L e b e n . N u n war EURILUS durch seine { 3 1 5 ) Alte Mutter in der Tugend / zum Aberglauben ohne dem etwas gewöhnet: demnach denn leicht zuglauben / was er von dem Traume müste gehalten haben. Gott fürchtete E r : und ViOLANten hatte er einmal in seine Seele verschloßen. D r u m blieb er auf dem zweywege seiner Liebs= Gedancken. Seine Mutter und sonst Niemanden wolte er in diesen Irrgarten zu Rathe ziehen; denn er wüste wol / was vor einer Antwort er sich zu versehen. Derowegen wündschte er sich offt in solcher Ungedult den T o d t . CAP.

CXXXVI.

U N t e r deßen kam die Meße zu SORBON herbey / welche sonderlich denen M E D I C I S PROFITABEL e r s c h i e n . D a m i t o r d n e t e SOZON s e i n e n S o h n E U R I -

LUM ab / BEZOAR Perlen / Edelgesteine / und andere kostbare Stücke / zu MEDiCAMENten / in einer grossen QvANTitat einzukauffen; bey so bestalten Sachen konte EURILUM zur Zeit nichts hoher erfreuen / alß diese halbe Tage-Reise. Denn hier durch hoffte er seine Gedancken in etwas zuverhandeln: und in Gegentheil / sich an einen einzigen Blicke seiner ViOLANten wiederumb in dieser Bekümmernüß zu erholen. VANDA-(3/6)LO und SORBON lagen kaum anderthalb Stunden von einander; deswegen EURILI Absehen desto müglicher schiene. Zwar hatte er sich nur bey seiner ersten Wiederkunfft von VANDALO besser vorgesehen / und dem Vater VIOLANTENS Zustand nicht aus dem Grunde berichtet / daß dieser / nachdem er die Kranckheit vor INCURABEL gehalten / alle C u r aufgehoben / und fernere MEDICAMENTE ZU schicken gantzlich versaget: so hätte er als denn zu seiner VIOLANTEN, auf Seiten der Eltern / einen unverweigerten Zutritt fortsetzen können. CAP.

CXXXVII.

W i e gedacht / die SoRBONische Messe war ihm lieb / wohin er auch den folgenden Tag mit Freuden zöge. Unterwegens funden sich bey ihm zwene Patienten ein / deren einer ein Landman von mittelmassigen Vermögen / der andere aber einer von Adel war. Jener hatte den Magen ver-

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derbet: dieser aber lag an der Reichen Kranckheit / nemlich an Podagra / hefftig danieder. Der Bauer schickte sein Weib zum EURILO, in Gasthof / wo er fütterte; der Edelmann ließ durch den Verwalter seinen Zustand erklaren. Nun (317) war EURILUS gewohnet / keinen Menschen mit Artzneyen Unkosten zuverursachen; sondern / wann er dem gemeinen Mann / mit einen Haußmittel / davon bringen kunte / so ließ er seine Willfertigkeit sehen. Dem Bauern ordnete er vor l . g l . Coriander / welchen ihr Mann gantz hinterschlucken solte: und des Edelmannes Verwalter hieß er folgenden Tag nacher SORBON schicken und allda etwas / so er in Sterck=Morschellen verordnen wolte / aus der Apothecken ab losen. Nach diesen reisete er nach SORBON ZU. Je naher er der Stadt: Je naher er auch seiner VIOLANTE kam: und ie schwerer und bekümmerter sich sein Hertz anließ. Endlich war ihm so angst / daß er sein Gemüthe gäntzlich änderte und VIOLANTEN nicht besuchen wolte. Als er nun unfern / etwa eine Stunde von SORBON, in einen Flecken ankam / ließ er sich abermal von einen krancken Priester aufhalten / daß er dieselbige Nacht SORBON nicht erreichen konte. Jedoch gedachte er mit dem Frühesten drinnen zu seyn / und seine Sachen mit eben der Geschwindigkeit zu verrichten / als wann er selbigen Abend noch hinnein kommen ware. Alleine es funden sich so wol aus dem Flecken / als auch sonst in der {318) Nahe herum / so viel Patienten ein / daß der Bemühete EURILUS folgenden gantzen Tag wiederumb zuthun und unter Lichte nach Sorbon abzufahren sich vorsetzen muste. Unter andern stellte sich auch die Bauersfrau wieder ein / der er den Tag zuvor / ihrem Manne zum verderbeten Magen ein Haußmittel gelernet / und vor 1. groschen Coriander kauffen und dem Manne eingeben heißen. Die klagte / daß ihr Mann den Calender auf gefreßen / biß auf die Naht. Und wäre ihm selbige hinter zubringen unmöglich / wegen des vielen Leimes und Zwirnes / so der Buch=binder dran gemacht; und sey Ihm unterdeßen nichts davon beßer worden.

CAP. CXXXVIII. E i n Bauer / wann er anfanget / ist recht dum: unerachtet sich sonst ihre Mütter bißweilen an Ratzen und Füchsen versehen / welches schlaue Thiere seyn. Also war es auch mit des Edelmannes Arzeneyen lächerlich abgelauffen / deßen Verwalter / EURILUS befohlen / folgenden Tag in SOR-(J/9)BON Stärck-Marschellen / wider das Podagra / abholen zulaßen. Der Verwalter erzählete / daß sein Juncker einen Knecht aus Nieder Sachsen in Diensten bey sich habe Namens Hansicken / denselbigen habe er gestriges Tages nach SORBON geschicket / welcher die von EURILO versprochenen Stärck-Marschellen aus der Apothecken abholen

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sollen. Da nun EURILUS noch nicht in die Apothecken kommen / und also der Apothecker nichts davon gewust. Vors andere / weil der Knecht sich angegeben; er solle seines Junckern Starck=Maulschellen abholen; und über dieses noch der erste April gewesen / daß man in der Apothecken gemeinet / der Arme Tropf sey von seinen Herren vexiret und nach dem April geschicket. Darum die Pursch der OFFICIN das gute Hansicken unter sich genommen / und den PROVISOR dazu geruffen / welcher Ihm etzliche derbe Maulschellen / an statt der StarCk=Marschellen / zugestellet. Da nun Hansicken nach Hause kommen / und der Juncker in seinen grosten Podagrischen Schmertzen Sein gewartet / auch die versprochenen Marschellen / mit sonderlichen Begierden von Ihm gefordert / (320) sey Hansicken zum Juncker ans Bette gegangen / und habe ihm in seiner Einfalt drey noch fettere Maul=Schellen zugestellet / als er von dem Provisor empfangen. Worüber dann / wie leicht zu glauben / der Edelmann der massen ergrimmet / daß er vor Zorn aller Schmertzen vergessen / den Degen ergriffen / und Hansicken aus einem Stalle in den andern verfolget. Uber welchen MOTU den Edelman das Podagra verlassen / und er nun gantz wiederumb gesund worden. EURILUS lachte über das RECEPT und trug unter seine Titul der Colica auch dieses ein / daß derbe Maulschellen das Podagra vertreiben können.

CAP.

CXXXIX.

EURILUS lag bey dem Gemeinde Schultzen in Qvartir / welcher gar eine unfriedfertige Ehe mit seinem Weibe führete. Sie verklagte den Mann / daß ers mit denen Magden halte: Er beschuldigte die Frau / daß sie gegen andere Manner gar treuhertzig ware. Der kluge EURILUS sähe wol / daß es finnichter Speck und stinckende Butter / und eine Untreue der andern werth war. Der Wirth der Schultze / konte ein wenig Latein / und da er sich recht über Tische wie-(321)der seine Frau beschweren wolte sagte er: „ D O M I N E SERVUS CARO, ANCILLA, MULIER PORTA, A M O R . " W a s i e d e s W o r t

heiset / das wüste EURILUS wol. Was sie aber zusammen bedeuten sol ten / wird keine gantze Universität auslegen können. Doch sagte ihm der LATINUS selbst den Verstand / in ein Ohr / welcher so viel war: seine Frau habe mit einen Fleischerknechte unter dem Thorwege gantz verliebt geredet / daß es die Magd gesehen. Ubern Essen kam ein junger Bauren= Knecht / welcher von dem Gerichtshalter an den Schultzen gewiesen / allda seine Straffe wegen vorgehabter Schlägerey zu erlegen. Der Beklagte fragte / was er vor die Ohrfeige / so er verwichen einem Bauren gegeben / zu zahlen schuldig. Der Schultze sähe in sein Straffregister / und sagte: „Höre / du leichtfertiger Vogel! eine Maulschelle kostet 5. Groschen."

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Dieses sagte der Schultze nur vor EURILO sich sehen zu lassen / daß er etwas zu sprechen habe. Den Beklagten aber verdroß es / daß der Schultze ihm so übel an ließ: und zahlte / an statt 5. gl. 10. gl. auf den Tisch / und sagte: hiemit wolte er zwo Maulschellen bezahlen / und gab dem DOMINO Schultzen eine / daß er selbigen (322) Tag wenig mehr sehen kunte. Nichts destoweniger muste er selbigen Abend noch mit der Folge fort / und einen / welcher die Kirche bestohlen hatte / auf eine Meile Weges einbringen. CAP. C X L . N A c h dieser Zeitung ward das junge feine Weib kranck / daß sie sich gar zu Bette legte; und den EURILUM ansprach / ihr etwas einzugeben. Ihr blöder Mann kroch alsobald zu Creutze / und gab ihr gute W o r t : den EURILUM aber bat er / seinem Weibe einzugeben / weil er noch selbst dabey seyn konte. In übrigen aber so mochte er sich immer auf machen und nach der Stadt ziehen: er wolle ihn nicht langer aufhalten. Er trauete dem gerechten EURILO nicht / welcher doch lieber Kleid und Mantel fahren lassen / als seine Ehre mit einem Weibe beflecket hatte. Zwar mochte diese Thamar wol der Dina Gedancken haben / und wie Pothiphers Weib Artzney suchen. Derowegen schob sie den Gebrauch der Artzney hinnaus / biß sie ohngefehr m e i n e - ( 3 2 J ) t e / daß ihr Mann fort sey. Man notigte sie / sonderlich ihr guter Mann / das Gerichte Pulver einzunehmen. Und da sie keine Entschuldigung mehr hatte / sagte sie endlich / sie konte itzo unmüglich auf dem Rücken liegen. Nun seyn die Weiber niemals so kranck / daß sie nicht solten auf dem Rücken liegen können: vielweniger denn auch diese Schultzin. Der Mann fieng an zu zürnen / und öffentlich zu sagen: daß er wol merckte / worauf sie umbgienge: „ n e i n ! " sagte Er / „es soll euch nicht angehen. Ich will die Folge schon sonst bestellen. Mein Herr Doctor / ich weiß wie mirs einst mit einen Qvacksalber gegangen ist."

CAP.

CXLI.

I c h weiß einen schonen Hut über die Horner; der heist SILENTIUM. Hatte der ABSURDE Kopf das Maul gehalten / wer hätte gewust / daß er dem ACTAEON so nahe verwand ware. Es ist wol wahr: Weiber fangen selten e t - ( 3 2 4 ) w a s guts an; Sie nehmen offt einen Trescher vor einen Troster. Drumb war der arme Teuffei nicht zuverdencken / daß er ein wachsamer Hüter der Thür seines Hauses seyn wolte / damit nicht ein ieder bey ihm aus= und eingehen möge.

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CAP. CXLII. U ß e r diesen Wunderhandeln / vielmehr aber über dem Andencken der ViOLANten / hatte EURILUS sein selbst vergessen / und kam ihm die Nacht abermahl / wie voriges Tages über den Hals / daß er in Stockfinstern sich auffmachen / und mit einer Laterne biß in Sorbon leuchten lassen muste. Es hatte schon neune geschlagen / da er in dem Gasthofe / zur Melancholey genandt / einkehrete. Er war müde und voll Sorgen: Darumb ließ er in aller Stille sein Pferdt einstallen / und sich sein Schlafflager zeigen. Dabey er den Haußknecht bat / er möchte ihn doch so anführen / daß er in einer Kammer alleine liegen könne. Weil er hörete / daß mehr Gaste in der Stube waren / welche sich mit Singen und Sauffen / ziemlich lustig machten. Der Haußknecht brachte {325) ihn hierauff in eine grosse Cammer / wo wol 20. Betten nach der Reihe / gleich wie in einem Hospital / dahin stunden. In derselbigen Cammer war es in einen Winckel / wie ein klein Cabinetgen / mit Breten verschlagen: worinnen auch ein Bette stund / welches der Sorgen-volle EURILUS einnahm / sich darinne verschloß und zu Bette legte. VIOLANTE gieng mit ihm zu Bette: er redete mit ihr: Sie schlieff mit ihm ein: Aber alles in Gedancken. Die halbe Nacht erschien Ihm schlaffloß: biß endlich der Glocken=Schlag l . U h r ihm ein halbwachendes Schlummern mit brachte. Nun war er noch nicht recht eingeschlaffen / als die vollen Zapffen geschwarmet kamen / und auch zu Bette giengen. An seinen Cabinetgen an stund eben ein Bette / worein sich ein Italianer mit einem Teutschen legte / welche Hertzen=Cameraden zusammen waren. Zwischen deren und des EURILI Bette nichts mehr als die einfachen Breter zum Unterscheide stunden. Der Teutsche wünschte heimlich gegen seinen Schlaffgesellen / daß sie doch ein schön Magdgen bey sich haben solten / umb welches sie sich zuvertragen hatten. Der Italianer ließ nicht {326) von seiner Art / wie die Katzen / welche lieber 2. als eine Mauß fangen: sondern wünschte / Freundschafft unter ihnen zuerhalten / einem iedweden eine / damit sie ohne Zorn und Eiffersucht ihre üppige Freuden ausführen könten. „Jedoch" / sagte der Italianer / welcher gut teutsch kunte / „Bruder / ich wündsche auff der Welt kein Glücke mehr zu haben / als eine Person in dieser Stadt / mir zur E h e ; die ich aber dennoch endlich haben / oder der Teuffei mit aller seiner Kunst nichts seyn m u ß . " Diese grausamen Reden und alles sonst / was zwischen denen beyden Schlafgesellen discuriret wurde / konte EURILUS nach allen Sylben vernehmen. Dannenhero ihm der Schlaff vergieng / da er das Gesprach auszuhören ein groß Verlangen trug. Der Teutsche / an welchen auch nicht viel Gebackens war / fuhr fort / und fragte / mit hohen Eydschwüren / solches zu verschweigen / wer diejenige ware / auff welche Er Leben und Glück gesetzet. Hierauff vertrauete der Italianer ihm diese

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Wissenschafft und sagte: „es ist eine Schönheit / über der ich rasend werde / (327) und ewig verlohren bin / woferne ich der selben nicht theilhafftig werde." T E U T S C H . Bruder! sage mir ihren Namen. ITALIAN. VIOLANTA heist Sie: des Spanischen GENERAL-Krieges Raths Tochter. Im Gesichte eine Venus: an Verstände eine Gottin / und an Anmuthigkeit wie GANYMEDES. T E U T S C H . Lieber Bruder / ich kenne die Person / und ist mehr von ihr wahr / als was du ietzo von ihr rühmest. Alleine du bist ihrer ja wohl werth / wenn du anders deinen neuen Fürsten Stand durch ein Bürgerlich Weibes Bild erniedrigen wilst. Da horete E U R I L U S erst / daß dieses ein Italianischer gantz neugemachter Fürste war. Wie Ihm zu Muthe / kan ein Liebhaber leicht ermeßen. Jedoch horete er dem Discurs mit angstlicher Auffmercksamkeit ferner zu. (328) ITAL. Bruder (die grausamen Fluche verhSle ich) ich habe gethan / was ich gekont. Aber nichts wil verfangen. Da ist keine Funcke der Gegenliebe zugewarten. T E U T S C H . Haben denn deine Künste nichts verfangen wollen? Denn ich weiß ja wohl / daß wann du eine nur bey der Hand anrührest / daß sie dir und deinen Willen in allen gehorsamen muß. ITAL. Ο ! das Glück habe ich noch nicht gehabt / ihre Hand zu berühren: ich verzweifle auch / solches zuerlangen. Gleichwol habe ich ihren Vater / neulich auff dem Panqvet zu ROALE, ausdrücklich umb sie angesprochen. Welcher mir aber nichts mehr zur Antwort gab als: ein ieder zu seines G l e i c h e n . Nun habe ich ihr Brieffe geschrieben / darinnen ich mich zeitlicher und ewiger Glückseligkeit verziehen / wann ich nur ihrer Liebe möchte fähig werden. Und derjenige / der Schuld daran ist / soll mir mit seinen Blute bezahlen / und ich will ihm dennoch weder in diesen noch in jenen Leben verzeihen.

Verdammter Mensch / hattestu ein ander Leben geglaubet / du (329) wurdest nicht desselben Verlust gegen die Liebe eines Menschen erwählet haben. Was hat sie aber darauf geantwortet? ITAL. Nichts / als daß sie selbige unberühret / und ohneroffnet / mir wiederumb zugeschicket. T E U T S C H . Das ist verdrießlich. Man muß ins Hauß bey Nacht einfallen / und sie mit sammt denen Eltern durch Gewalt und Todesbedrohung zum TEUTSCH.

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Ja-Wort zwingen: und die Ehe alsobald damit antreten / wodurch der Himmel und die Welt erbauet wird. ITAL. Recht! Bruder! ein solch Sabinisches Brautbette zimmere ich itzo in meinen Gemüth. Aber ich will noch einen Tag harren / und zuvor erfahren / was meine Spanische Kunst erst fruchten werde. TEUTSCH. Und was vor eine Spanische Kunst. ITAL. Gezwungene Liebe ist uns Welschen bey weiten nicht so angenehme / wie denen Frantzosen. Darum habe ich durch Hülffe eines Spaniers / die VIOLANTE bezaubert / ( 3 3 0 ) daß sie aller drey Tage CONTRACT wird / und wie ein Wurm sich gantz Sinnloß auf der Erden mit der Eltern höchsten Jammer herumb qvalen muß. Nun will ich Gelegenheit suchen mit einer Condolentz beym Vater mich schmertzlich einzufinden. Und will fast nicht zweiffein / ich / wenn ich sie aus diesen Nöthen / durch Abnehmung meiner Kunst rette / werde sie zur Belohnung mit guten Willen erhalten. TEUTSCH. Das ist eine Klugheit die Venus zuzwingen. Aber worinnen bestehet die Kunst? ITAL. Bruder; was darzu gehöret / weiß ich nicht. Aber das kan ich dir wohl sagen. Eine alte Wasch-Frau im Hause habe ich dazu erkaufft und mit einem corperlichen Eyde verbunden / daß sie ein Gewächse / welches mir der Spanier gegeben / an der ViOLANten Feigen=Baum / den sie selbst erzeigt / vergraben hat. Und so lange dieses nun in der Erden bleibet; so lange muß VIOLANTE rasen. TEUTSCH. Dadurch wird sie andern Liebhabern veracht: die Eltern aber gegen dich desto mehr zum Jawort gezwungen. ITAL. Das meine ich. Und erfolget in (331) zwey Tagen kein angenehmer Ausgang / denn der alten habe ich befohlen sie 3. gantzer Tage nach einander zu angsten. So will ich nach deinen Vorschlage / mit einer Romischen Zwang=Hochzeit in der Nacht das Braut=Bette mit ihr besteigen. Gute Nacht indeß: wir wollen es beschlaffen. TEUTSCH. Gute Nacht. Ich stehe dir in allen bey.

CAP. CXLIII. H a t t e EURILUS, der fromme und Gerechte / nicht vor Angst vergehen mögen? einestheils wegen der Gefahr seiner VIOLANTE, und besorglichen Schiffbruch reiner Liebe: anderestheils / daß er dem Zauberer so nahe war / von welchen er besorgte / der Teufel konte ihm selbst Ungelegenheit oder zum wenigsten Schrecken machen / in dem er jenen gleich itzo holen würde. Wie gerne ware er doch auffgestanden / wenn er nicht dieser Teufels Kinder Grim gescheut hatte. Gleichwohl war seine Furcht

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dennoch nicht ohne alle Freude / weil er bey seiner Angst das Mittel zu VIOLANTENS Erlösung erfahren. Und nunmehr beschlösse er unauffloßlich an VIOLANTEN zuverbleiben / (332) woferne sie mit ihren Eltern selbst Ja sagen wolte. Er betete zu G O t t ; wodurch er sich so behertzt machte / daß er sich getrauete mit dem zweyschlag der Uhr / im Finstern aufzustehen / durch der Säuffer ihre Cammer zugehen (denn da muste er durch) und noch diese Nacht sich vor der ViOLANten Hause zumeiden. Er sähe in vielen Fenstern Liecht / und muthmaßte nichts gutes.

CAP.

CXLIV.

D E r Schall seines Namens erofnete ihm alsbald die Thür / einzutreten und ViOLANten wiederumb zu sehen / nicht ohne Qval der Eltern / in ihren Unglücks=Karne ziehend. E U R I L U S war von Schmertz und Freuden in seinen Gemüth durch und durch verwirret: theils weil er ViOLANten in einer solchen Noth antraff / in dergleichen / wie die Eltern nachmals sagten / sie noch nie gelegen; theils weil er hoffte die Gnade von GOtt zuhaben / daß er zu VIOLANTENS Erlösung etwas stiften werde. Dero wegen forderte er / fast ohne Gruß und alle Meldung seiner Wiederkunft / ein Liecht und begehrte / ViOLANtens Vater solte alle seine Diener zu sich nehmen / mit ihm gehen / und ihm der armseligen ViOLANten Feigenbaum zeigen. Was er begehrte / stund (333) diesen Augenblick bereit / und folgten ihm und dem Vater 8. Bediente mit angezündeten Fackeln / nach der ViOLANten kleinen / iedoch zierlichen kostbaren Gartgen: allwo sie die Thür offen / und das alte Weib der ViOLANten eigenen Wärterin an dem Feigenbaume stehend funden. E U R I L U S hieß die alte C I R C E alsobald gefangen nehmen und feste machen: nachdem sie zuvor das HexenGewächse / so sie auff Befehl des Italianischen Zaubrers vergraben / (verbrannt hatten) und sie noch auf dem Platze stunden / kam V I O L A N T E schon mit ihrer Mutter daher / und empfieng E U R I L U M mit einer freudigen Höffligkeit. Denn so bald der Knoten verübter Zauberey entbunden / so bald / und in demselbigen Augenblick war sie genesen.

CAP.

CXLV.

E R führete sie bey der Hand in ihr Zimmer und eröffnete den Eltern / was er diese Nacht gesehen / gehöret / und wie er hinter dieses Spiel des Satans kommen wäre. Nun war VIOLANTE wol verhoffentlich der Kranckheit entnommen: aber doch noch nicht aller Gefahr loß. Denn der Zaubrer hatte ja mit einem Gewaltsamen nachtlichen (334) Einfall ge-

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drohet. Derowegen gieng EURILUS mit RANIMIRO ZU Rathe; was in der Sache zuthun. Jedoch ehe er seine Meinung ansagte / wolte er wissen / ob er sich ViOLANtens / als des gesuchten Kleinots / seines Lebens anzumaßen / nachdem er nunmehr ihr Erretter zu seyn schiene. Beyde Eltern und VIOLANTA thraneten hauffig vor mancherley Freuden / und entschuldigten / daß sie vormahls sein Schrifftliches suchen / wiewohl aus blosser Liebe / sein freyes Leben mit ewigen Creutz zuverschonen / verschlagen müsten. RANIMIRO sagte / „das ist von Herren" / VIOLANTE sagte: „hier bin ich / das Artzlohn eurer Treue." Und die Mutter segnete sie. Und auff solche Weise machte EURILUS, SO ZU sagen / Verlöbnis ohne Vorwissen seiner Eltern. Wiewohl er unterschiedlich mahl kindlichen Gehorsam gegen seine Eltern erwähnte / weil er an derselben Bewilligung nicht zweiffein dürffte. CAP. CXLVI. iNzwischen stunden sie in Gefahr: und war da wenig Zeit / die Freuden mercken zu lassen. Wäre der Zaubrer in der Nacht mit einer wenigen Mannschafft u n - ( J J J ) w i s s e n d eingefallen; Traun er hatte ausführen können / was er des Abends im Bette mit seinem Cammeraden abgeredet.

CAP. CXLVII. FRische Blumen hat man immer gerne und wann die Rose einmahl abgebrochen / so fangt sie gleich an zu welcken. Hatte dieses Schaffgen in die Hecke kommen sollen; wie leicht hatte es einen Dornen fangen können. Dannenhero war der beste Rath / ViOLANten fort zuschaffen / und denen Klauen des Raubvogels zu entziehen. RANIMIRO ließ seinen besten Wagen noch vor der Sonnen Aufgang anspannen / und schickte ViOLANten / auf des EURILI selbsteigenen Vorschlag / mit nach Ragusa. Beyher ließ er sechs bewehrte Mann reiten / damit sie in desto besserer Sicherheit den vorgesetzten Ort erreichen möchten. Auf dem Wege ward er zwar von ViOLANten durch die allerklügsten und zierlichsten Reden dermassen unterhalten / daß ihm die Stunden Augenblicke zu seyn schienen. Doch war der Weg nicht ohne Leid. Denn es dachte EURILUS immer daran / wie Ihn die Mutter mit ViOLANten empfangen / und ob sie mit Widersinn seinen leiblichen {336) Engel nicht aufs neue betrüben werde. Seinen einigen Trost stellete er darinnen / daß VIOLANTENS Schönheit und hohe Vernunft der Mutter das Hertz nehmen / und sie zu guten Willen bewegen werde. Indessen schickte EURILUS die sechs Reuter auf dem halben Wege wiederumb zurücke / nachdem der gefahrlichste Weg

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vorbey. Denn er wolte zu Ragusa nicht gerne viel Wesens machen. E r schenckte ihnen eine Verehrung / und hieß der VIOLANTEN Eltern zu grüssen: mit der Nachricht / daß er bald wiederumb bey ihnen seyn wolle. D i e enge Suite von 6. Personen ließ auch mit wenigen ihre Schuldigkeit leuchten. Sie lösten auf der verlobten Gesundheit ihre Pistolen / und ritten die Strasse zurücke. D a Sie nun einander nicht mehr sehen kunten / wurde VIOLANTENS Bediente welche mit in der Kutschen saß zwene anderer Reuter gewar / welche jenseit des schnellen Waldstroms gleichsam daher geflogen kamen: Sie erreichten endlich die Kutschen / von welcher sie aber durch gedachten Waldstrom / noch zur Zeit geschieden waren. Sie schriehen über das Wasser: EURILUS solte halten. Die beyden noch zur Zeit unglückseelige Liebhaber erschracken / und wüsten {337) nicht / was vor Unfall sich zu ihnen nahete. Sie kehreten sich an nichts und fuhren fort. Die zweene wütenden aber / über dem Wasser / schössen unterschiedliche mahl durch die Kutsche durch / daß der Kutscher genothiget wurde / seine Pferdte auch zuflügeln. D e r eine von denen Verwegenen schriehe / daß er VIOLANTEN noch mehr peinigen wolte / als bißher geschehen / wann sie nicht stille hielten. D a erstaunete EURILUS nun erst recht / da er merckte / daß es der Italianische Zaubrer mit dem Teutschen war / welchen er vergangene Nacht im Bette VIOLANTENS E r rettung abgelernet. Die Verzweiffeiten über dem Wasser / fühlten ohne zweiffei des Satans Sporn / darumb Sprüngen sie aus rasender Blindheit das 4. Ellen-hohe Ufer herunter durch den Waldstrohm zu setzen. Und würde beyden Treu-meinenden Liebhabern klaglich genug ergangen seyn / wann nicht beyde diese freche Hunde in der Mitten des Strohmes mit jammerlichen Gebrülle und Hollen-Geschrey ersoffen waren. Man sähe sie noch etwa zehn Schritte weit schwimmen / und konte iederman gar genau erkennen / daß ihnen die Halse umbgedrehet waren.

(338)

CAP. CXLVIII.

V i e l l e i c h t hatte ihr Lehrmeister in Wasser ihre Seelen zum Schulgelde / vor die erlernete / und an der holdseligen ViOLANten begangene Zauberkunst ihnen abgefordert. Unterdessen trösteten sich die Unschuldigen an dem Untergange dieser Hollen=Brande / in so weit: weil sie des Himmels Providentz gegen ihre Eintracht sahen; denn sonst betrübten sie sich von Hertzen / daß zwey in der Christenheit geborne Menschen / mit Leib und Seel auff einmahl verlohren giengen. Sie gelangeten bey guter Zeit in Ragusa an / und freuete sich VIOLANTA ihre Schwiegermutter zusehen. Diese aber würde vor Zorn geborsten seyn / wann sie jener Ankunfft gewust hätte. EURILUS fieng zwar an / zum Vorspiel der nahen Wider-

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wartigkeit / VioLANten zuermahnen / die Liebe allen Mißfallen vorzuziehen: ob schon seine Mutter / welche ein karges und hohen Alters wegen / wunderliches Weib ware / sie nicht eben so gelinde und freundlich / wie sie verdiente / TRACTiren werde. Diese verhieß mit ihm durch die Proben alles Unglücks zu gehen / und im Tode selbst seine Gefertin zu seyn.

(339)

CAP. C X L I X .

S i e kamen an. Alleine mit schlechten Glücke. Denn VIOLANTENS Ankunft kehrte das gantze Hauß umb. So hofflich und schon VIOLANTA ihren Gruß / bey der morrischen Schwieger=Mutter antragen wolte / so bose und ungezaumet wurde sie empfangen. BELINDE der alte Molch / versagte Ihr gar die Hand; und da sie ihres Sohnes INCLINATION erst recht merckte / setzte sie sich gar vor die Thür / auff die Gassen / und schwur dazu / keinen Fuß wieder ins Hauß zu setzen / bevor die Dame von CONDITION (so wollen wir der BELINDEN Schandwort hofflich verdrehen) aus dem Hause gienge. Und wo dieses nicht bald erfolgete / hatte sie sich auch eine Politische Colica vorgenommen / und wolte sich rasend stellen: dabey sie denn ein Zuruffen der Leute und ein grosses Geschrey zu machen Willens war. Wolte EURILUS nun seiner Ehren sparen / und VIOLANTEN selbst willfahren / muste er sie aus dem Hause begleiten. Die fromme Seele wiech mit solcher Gedult aus ihres Liebsten Hause / wie Loth aus Sodom. Damit fuhr die alte Furie wieder zur Hauß=Thür hinnein / und schmieß dieselbe mit aller G e - ( 3 4 0 ) w a l t nach der VioLANten Ausgang / hinter Ihr zu. Die Kutsche stund noch vor der Thür: welche EURILUS in einen Gasthof alsobald bringen ließ. Die herumb wohnende Nachbar sahen und horeten / was da geschähe; welche ViOLANte durch ihre Schönheit / und deswegen unbetrübte Freundligkeit / zu einem bethranten Mitleid gegen sich erweckte. Alle Thüren eröffneten sich vor ihrer Gestalt / und wer sie ansahe / gieng ihr entgegen / Sie in sein Hauß zunothigen / und darinnen zu bedienen. EURILUS erkennete die angebotene Dienste / upd ließ sie in des nächsten Nachbars Hauß gehen; allwo ihr mehr guts geschähe / als von ihrer storrigen Schwieger=Mutter geschehen können / wann sie gleich willig ware auffgenommen worden. EURILUS nahm Abschied von Ihr / und PRAECiPiTirte sich ein wenig in der erlittenen Schmach / da er schwur / ehe nicht wieder zu ihr zukommen / biß er sie in sein Hauß mit beyder Eltern freudigen Vergnügen führen könne / und gieng davon. Es ist zu verwundern / mit was vor Beständigkeit VIOLANTA diesen Hohn ertragen. Ihr Antlitz bliebe unbestürtzt: wie auch nicht weniger das Gemüth. Muste (341) sie bißweilen seufftzen / so geschähe

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es umb ihres EURILI Ungemachs willen. Doch aber konte sie allezeit der blosse Nähme EURILUS wieder trösten.

CAP. CL. EURILUS fand seinen Vater so willig / als freudig über der schonen V i o LANTE, zumahl da ihm ihr Herkommen war kunt gethan worden. Alleine die Mutter war wie ein Feuerstein / welcher weder zuschaben noch zuerweichen. Zwar konte man EURILUM gelimpfflich straffen / daß er die Rechnung ohne den Wirth gemacht / und sich in der Frembde ohne Vorbewust der Mutter verlobt hatte. Alleine soll das geschehen / so muß die alte zuvor von dem gantzen CONSISTORIO einen Wischer abholen / daß sie vor eines andern Kopff einen Hut / und vor andere Füsse Schu gekaufft; das ist / die Priesters Tochter SAPPHO bloß umb des schnöden Geldes willen / wider des Sohnes wissen und wollen zu sich kommen / und in Abwesenheit des Sohnes / mit ihren Sohne verlobet: und hatte sie eben bey der VIOLANTEN Ankunfft die SAPPHO bey sich / und ihr den Mahlschatz angehangen. J a es solte zu solchen Absehen / ihr Sohn / den sie sel-(342)bigen Abend vermuthete / Ihr der SAPPHO, mit zwange die Hand geben.

CAP. CLI. Ö E r alte verstandige SOZON war unterdessen von der LISALANDEN Vater in einen geheimbten Brieffe ersuchet worden / an seiner krancken Tochter doch noch einen Versuch zu thun / und eine Cur mit ihr anzutreten. Er hatte solches auch versprochen / und nur noch auff seines Sohnes Ankunfft vertröstet / weil er selbst keinen Patienten mehr besuchen konte. Dannenhero muste EURILUS sich folgendes Tages dazu gebrauchen lassen / welcher er aber lieber über hoben gewesen wäre. Jedoch muste er gehorsamen. Nun hatte LISALANDA vor weniger Zeit / das vor angeführte Lied an den EURILUM geschrieben / und darinnen die Freyheit dem ehlichen Leben vorgezogen. Deswegen gedachte er bey sich / es werde bey LISALANDEN mehr hohnisch als erbärmlich zugehen. Alleine es hatte die Politische Colica noch nie so hart bey ihr angehalten / als dieses mahl. EURILUS war einmal gebunden / darumb konte er weder mit Worten noch mit (343) Wercken trösten. Er war gantz alleine bey LISALANDEN und also mochte er reden / was er wolte. Er bote ihr Artzney an: Sie aber schob derselben Gebrauch von sich / und wündschte lieber zu sterben /

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als in Einsamkeit ohne Vergnügung zu leben. Nun ist gewiß / LISALANDA war eine Person / welche ihr Lob wol verdiente / und deswegen würdig war / daß sie von Jedermanniglich geliebet wurde. Gegen VIOLANTEN aber schiene sie wie Mond gegen Sonne. EURILUS muste auff ihre wehmüthigen Reden / ihr naher treten / und seine Unmüglichkeit / zu ihrer Vergnügung / beklagen. Er verhieß aber nochmahls / wie bey der ersten Cur geschehen / ihrer nicht zu vergessen: E r ermahnete sie auch / deswegen sich nicht zu grämen: weil sie in Einsamkeit gar nicht sterben solte. „ E y ! " antwortete sie aus Ungedult: „Ich habe mein Tage zweymahl geliebet / und wo ich nicht entweder das erste oder das letzte / so ich geliebet / erhalte / so verlange ich zu sterben; und wo ich solches nicht durch Kranckheit / erlangen kan / so will ich mich todt gramen / und mit meinen letzten Worten über Eure Unbarmhertzigkeit (344) mich beklagen." EURILUS fragte / ob er der letzte oder der erste ware / den sie geliebet. Sie beantwortete dieses; daß er der letzte sey. Hierauf begehrte er von ihr zuwißen / wer denn der erste gewesen. „Die erste Liebe" / sagte sie: „war die unschuldigste / welche noch in meiner Kindheit / gegen ein ander Kind anlebete: in dem des reichen INDIANI Sohn / da er in 16.Jahren seines Alters der schönste Knabe dieser Stadt war / und durch seine Liebligkeit in Tantzen und Lauten=Spielen / ein solch geheimbdes Feuer bey manchen Frauenzimmer dieser Stadt / an meisten aber in mir anzündete / daß ich kein Glück auf der Welt mehr zu haben / damals wündschete / als mit kommender Zeit / eine solche Geschickligkeit in der Ehe / vor meine Augen taglich zu geniessen. Der andere aber / den ich nun bey meiner erwachsenen Vernunfft geliebet habe / seyd ihr / der ihr mir aber meine getreue Zuneigung mit Unerbitligkeit belohnet."

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CAP. CLII.

H a t t e er EURILUS zwey Weiber nehmen dürffen / ich bin versichert / daß er die LISALANDA nicht ungeehlicht gelassen. So aber spielte VIOLANTE immer vor / wie AURORA vor den Sternen. EURILUS sähe gerne / daß er einen Bothen von Hause bekam / der ihn von LISALANDEN abruffte; dieweil er zu einem frembden Fürsten in Gasthof kommen solte. Da fand sich eine gute Entschuldigung / LISALANDEN, ob sie gleich sich schmertzlich gebehrdete / zuverlassen. Doch mustev er ihr die letzte Bitte ehrlich erfüllen / und versprechen / folgenden Tag gewiß wiederumb bey ihr zuerscheinen. Als dieser nach Hause kam / erfuhr er / daß es eine erdichtete Ursache gewesen / nur daß sein Vater SOZON mit ihm reden können / als welchen die Mutter unterdessen eingenommen / daß er ihm

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auch den Handel mit VIOLANTEN gantzlich auffsagte. EURILUS war so betrübt hierüber / daß ihm das gantze Hauß zu enge werden wolte. Er gieng in solchen Schmertzen herumb und vergaß dabey den naturlichen Gebrauch der Speise.

(346)

CAP. C L I I I .

O B er nun wohl sonst niemahls betrüglich gehandelt / so war er doch von seinen Patienten mit der Politischen Colica auch angestecket. Er legte sich zu Bette / und wolte weder essen noch trincken. Und da nun die Eltern sich gleich darüber sehr kranckten / so wolte EURILUS doch noch nicht auffstehen / weil sie von ihrer Consentz / mit VIOLANTEN gar nichts mercken Hessen: außer welchen EURILUS lange nicht wiederumb aufzustehen beschlossen. Die alte BELINDE war viel erzürnter darüber / und schmahete ViOLANten / wie eine / welche ihr Gefäß in Unehren und zum Lohne in der Welt herumb traget. Da halff nichts. EURILUS muste seine Politische Colica mit der Gedult CURIREN: Und da ihm bey gebracht wurde / als habe VIOLANTA seine Kranckheit erfahren / wüste aber nicht / daß es nur die Politische Colica gewesen: und daß sie dannenhero vor Angst nicht bleiben können; stund er gerne wieder auff und befahl dem Glücke ferner seine Sachen.

(347)

CAP. C L I V .

E S verfloß ein gantz halb Jahr / daß VIOLANTA diesen angenehmen Arrest halten: EURILUS aber / seiner Geliebte nach / des Anschauens seiner V i o LANTE beraubt leben muste. Einmahls wurde er zum INDIANO, welcher indessen auff die 80000. Rthl. geborgetes Wechsel=Geld hatte braff drauff loßgehen lassen / zu Gaste gebeten. Die Ursache zu solchen Freuden war sein Sohn FLORINDO, welcher nunmehr in die 8. Jahr fremde Lande besehen / und nach dem er einen geschickten braffen Kerln aus sich gezogen / frölich wiederumb zu seinem Vater kommen war. Dieses war der FLORINDO, dessen LISALANDA vor wenig Tagen nur noch gedacht / daß sie sich in ihrer Jugend in diesen Menschen / damals auch noch als ein Kind / verliebet. Nun gedachte EURILUS zwar auch an LISALANDENS erofnetes Verlangen. Alleine er befunde FLORINDO in solchen Qvalitaten / daß er sich nicht einbilden mochte / er werde sich mit LISALANDEN einlassen. Darumb schied er auch / nach angenommener Mahlzeit / ohn daß er etwas vorgeschlagen hatte / wiederumb davon.

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CAP. CLV.

A u f dem Wege muste er bey des LABILIS, deßen wir oben gedacht / nemlich des Stadt SYNDICAT Gränsers / Hauße vorbey gehen / der dem guten und vor sich selbst bekümmerten EURILO aufpaste / mit ihm zu reden / damit EURILUS an allen hohen Orten / wo er zu curiren / seiner fein MISERABEL gedencken solte / damit vornehme Leute ihn zu erhohen bewogen werden mochten. EURILUS hatte Mitleiden mit dem gutwilligen Narren / und hatte ihm gar gerne eine Sättigung in der Ehre gegönnet / wann er sich nur selbst auch in seinen violenten Sachen helffen oder seine allerliebste VIOLANTE von ihrer grausamen Mutterbeschwerung erlösen können. Jedoch verließ er ihn nicht trostloß. Der geangstete kam nach Hause / und legte sich mit seinen Kopff voll Gedancken zu Bette. Erst ergetzte er sich mit Andencken seiner VIOLANTE. Nachmals rechnete er im Sinne seine Politischen Patienten aus; unter welchen er / als Artz / sich selbst finden Hesse: kranckte sich hienechst darüber / daß er Anfangs seiner (349) keuschen VIOLANTE unrecht gethan / und selbige in seinem Hertzen auch bald mit unter die politischen Colicanten gerechnet. Ferner betraurete er / daß er keinen / auch sich selbst nicht helffen könte: Und wann er alle seine und seines alten erfahrnen Vaters Kunst auf einmal ausgeschüttet hatte. Er faste sich dennoch in allen mit Gedult und schlief ein. CAP. CLVI. G E g e n Morgen kam die Magd im Hause und rufte mit schnellen Worten den EURILUM aufzustehen / seine Mutter die alte BELINDE ware verschieden; Er eilete solches zu sehen / und erfuhr von seinem Vater / daß Sie das Alter / an seiner Seiten / ohne einiges Zucken ausgelescht hätte / nachdem Sie zuvor zu ihm gesagt: Ich befehle euch Gott / grüsset meinen Sohn und seiner VIOLANTE meinen mütterlichen Seegen. EURILUS hörete dieses und weinete. E r schämet sich auch nicht mit schnellen Füssen zu eilen / und seiner VIOLANTEN solches zu verkündigen. Der Vater verlangte VIOLANTEN herzuschaffen / damit Sie ihre Kindliche Treue / mit Sorge zur Beerdigung / gegen die verstorbene Mutter könte blicken lassen. EURILUS gehorsamte mit Freuden und untermengeten Betrübnis / und konte also erfüllen / wozu er gegen VIOLANTEN sich OBLiGiret / ihr Angesicht nicht eher wieder zu sehen / biß er sie mit Vergnügung seiner Eltern einführen konte.

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CAP. CLVII. H E r r INDIANUS indessen / wie gesagt / hatte die folgende Messe zwar gesund erlebet / begunten ihm aber die Wechselbrieffe ziemlich im Leibe zu reissen. Er hatt sich schon zu Bette geleget / und wolte zur allgemeinen Erbarmung vor sich in der Kirche bitten lassen. (350) Er ließ sich aber auf dem Lager erzehlen / daß die alte BELINDE verstorben / und einen grossen Schatz von einer Tonnen Goldes hinterlassen hätte. Dieweil er nun wüste / daß EURILUS der eintzige Erbe sein guter Freund wäre / nam er das Hertz EURILUM um 30000. Rth. CREDIT anzusprechen. Denn damit getrauete er sich auszukommen. Nach gehaltenem Begräbnis der BELINDE ersuchte INDIANUS seinen Freund den EURILUM mit Bitte / ob er Ihm mit so viel an die Hand gehen wolte. EURILUS der mit seiner Mutter Gelde gutes zu thun / lange Zeit gewünschet / schlug ihm endlich nichts ab / iedoch verhieß er auch nichts gewisses. Er fertigte das Zumuthen mit der Antwort ab / daß er binnen 2. Tagen Ihm selbst seine RESOLUTION mündlich uberbringen / und im vorbeygehen wissen lassen wolte.

CAP. CLVIII. iNdessen fiel dem EURILO bey / daß LISALANDA seines angegebenen CREDiToren / des INDIANI Sohn mit einer liebreichen Sohnsucht verlanget. Deswegen entschloß er bey sich / INDIANO zu wilfahren / iedoch auf die CONDITION, d a ß er seinen S o h n an LISALANDEN verheyratete. INDIANUS,

so benötigt er der Hülffe / so willig war er EURILO die Ehe seines Sohnes mit LISALANDEN ZU verheissen. Hierauf gab EURILUS sein Wort schriftlich / wann heute FLORINDO mit LISALANDEN öffentlich verlobet / so wolte er morgen 30000. Thaler Herrn INDIANO auf Wechsel zahlen. INDIANUS ließ sich alles gefallen / und FLORINDO, welcher wegen seiner ungemeinen Qvalitäten schon einen ansehnlichen Dienst zu Hofe erlanget / fieng an in LISALANDEN sich zu verlieben / als wann er sie aus tausenden selbst erwehlet hätte. Und damit INDIANUS seinen CREDiToren dem EURILO ( 3 5 / ) eine rechte Freude erwecken möge / so ließ er Ihn / durch seinen Sohn / den zukunftigen Bräutigam / um die Vermittelung oder Werbung ansprechen / wozu EURILUS sich so willig finden ließ / als wann es sein Gehorsam gewesen wäre. FLORINDO that gar verliebt dabey / darum verzog EURILUS nicht die Sache zu beschleunigen / denn er wüste / wie einem verliebten krancken ums Hertze sey. Er richtete seinen Weg alsobald nach der LISALANDEN mit grossen Freuden. In Hingange gedachte er an den LABILIS, und wünschte bey diesen glücklichen Sachen ihm auch gerne geholffen zu wissen. Zwar ließ sich eine Gelegenheit in seinem Gemüthe

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Riemer

blicken / wodurch er ihm fast zu erheben vermochte. LISALANDEN ihr Vater Stadt Richter zu Ragusa war ziemlich alt / und in vielen Verrichtungen stumpf worden. Darum gedachte EURILUS wann er bey der Werbung den LABILIS z u m SUBSTITUTEN bedingen k o n t e . K u r t z zu sagen / EURILUS

setzte sich dieses zu suchen vor / obgleich mit schlechter Hofnung / etwas zu erhalten. CAP. CLIX. D i e jenigen Dinge / zu welchen man am wenigsten Vertrauen hat / gerathen oft am besten. LISALANDENS Vater und Mutter und ihr gantzes Hauß ward über diesen Ansuchen erfreuet / Sie selbst gesund / und LABILIS kommenden Tag öffentlich zum VICE Stad»Richter ernennet. CAP. C L X . U N d also war durch der einigen BELINDEN Tod allen Patienten / und dem MEDICO selber geholffen. Der alte SOZON lebte noch zehn Jahr langer / denn itzt bekam er erst einen guten Bissen zu essen. EURILUS erlangete seine VIOLANTE, LABILIS k a m zu E h r e n / LISA- (3.52) LAND A ward in ihrem

Wünschen glücklich / INDIANUS erhielt Vorschub / und entgieng dem Panckerot. MISERANDA der BELINDEN Schwester ward zur Mutter angenommen. Welche Glückseligkeit allerseits nicht erfolget / wann BELINDE der Welt länger beschwerlich gewesen wäre. Daß ich also ihren Todt wol mit einem geschlachteten Schweine zu letzt vergleichen mag / welches bey seinem Leben Stancks genug macht / nach dessen Tode aber dennoch ein iedweder eine Wurst davon traget. CAP. CLXI. S i e h e geliebter Leser / dies ist die Politische Colica. Unter welchen Patienten du auch noch rechnen wollest die jenigen / welche ihr Gewissen nicht eher als zur Rache und Verunglimpfung des Nechsten / oder aber zu ihren Eigen-Nutz rege machen und vorschützen / welches ich sonst in öffentlichen CONVERSATIONIBUS den Gewissens Mantel zu nennen pflege / weil sich gar zu viel Leute dahinter verbergen / und dennoch gesehen werden / gleichwie die Katzen / welche wann sie den Kopf verbergen / nicht meinen daß sie gesehen werden. Lebe indeß wol / und brauche Gottes Wort / so bistu vor allen Politischen Kranckheiten sicher. Mir aber und allen unmüßigen Gelehrten erweise zu Liebe / was ich dich in der Vorrede gebeten.

DER POLITISCHE STOCK-FISCH

/

M I T SEINEM KUNST-STUCKE W I E EIN K L U G E R

LIEBHABER

WIE N I E D R I G ER AUCH SEY R E I C H / S C H O N UND V O R NEHM HEYRATHEN ΚΑΝ. ALLEN P O L I T I S C H E N UND W E L T K L U GEN L E U T E N z u SONDERLICHER

BELUSTIGUNG

VORGESTELLET DURCH EINEN W E L C H E R DER HISTORISCHEN

WAR-

HEIT ERGEBEN. M E R S E B U R G / BEY C H R I S T I A N F O R B E R G E R N . IM JAHR

1681.

ÖvC ? > o l W f c 6
()aC>cr rt>ic mcDnt] er auch f«) n e h m i>et)rrttf;eit I m . 411«» gen &ufett ju fonoerii^er SScluflHattitg öoraefallet ΦΚΓΦ ®nw

f>tit ergebet?. 3 m 3af)ci6*i,

Bedeutung des Kupfer=Blats.

5

10

E i n Stockfisch schwimmet hier in Zaum / in Band und Eisen Ein Ritter sitzt darauff / und schwebet auf der See. Er weiß noch nicht / wohin das Glück ihn mochte weisen. Das gantz verzehrte Gut thut seiner Seele weh. Die Hoffnung / die Gefahr und Armut heist ihn lieben; Wozu die Pallas ihn mit einen Narren zieht. J a freylich / ist es Kunst / der Klugheit einzuschieben / Was lacherliche List in ihrer Wirckung sieht. Es bleibt einmal dabey: D a s G l ü c k w i l l T h o r h e i t h a b e n ; D i e K l u g h e i t kan allein nicht ihre K i n d e r l a b e n .

< W >

Geneigter Leser!

D i e groste Kunst in der Welt ist / wol und glucklich heyrathen. Ich meine bey denen / welche nicht aus blinden Begierden der Wollust / noch aus auserster Armuth / oder wegen anderer Unvollkommenheiten / gezwungen werden / ein Weib zu suchen. Dannenhero Niemand zuverdencken / wenn er sich / wie wir Teutschen reden / nicht vernarren / sondern die ():(3 V ) Zukunfft seines Lebens / auff eine gewisse Staffel / seiner immerwehrenden Befriedigung stellen will. Nichts leichters ist / als ein Mann werden / und ein Weib zuerlangen. Aber nichts schwerers ist auch / als ein Weib zubekommen / nemlich ein solches / welches nicht nur dem Bette / sondern auch dem Hause wol anstehet. Es ist numehr so weit kommen / daß das Frauenzimmer selbst heyrathet / und manchmal der ELISSA ZU Carthago / ihr Kunst-Stückgen braucht. Um den Kopff und auff denen Achseln siehet es bund genug {):(iiijr) aus / daß so offt ich eine solche geputzte und mit etzlichen Stücken Bande behängende arme Jungfer sehe / mich deuchtet es sey ein Wind-Wirbel in eine BortenWürcker Bude gefahren / welche dadurch von Marckte weg genommen / und fortgehend gemacht worden. Traun es ist ein schlechter Reichthum: aber eine desto grossere Hoffarth / vor 2. biß 3. Thaler / schmale Lappen auff den Kopff binden / gestickte Schuh dazu tragen / und doch wol das nächste Gewand am Leibe / vor Faulheit und Armuth / mit Kno-(J:(4 t ') den zusammen knüpffen. Ein solch von außen geputztes Mensch / komt mir vor / wie ein Schiff / deßen Seegel zu schwach / und welches / ob es gleich vergüldet / dennoch nicht den Hafen ersteigen kan. Bey redlichen Gemüthern hat solche arme Hoffarth gar schlechte Bewegung / und also wenig Krafft einen vernunfftigen Liebhaber an sich zuziehen. Andere Weibs Personen heyrathen mit denen Augen / Händen und Geberden / gleich wie jene zu Venedig / welche aus 4. Ihr beysitzenden Cavallirern / doch einen ():(vr) gar gewiß zu fangen gedachte / indem Sie Einen unter denenselbigen / so Sie über den Tisch nicht erreichen kunte / stets mit freundlichen Augen anstrahlete / dem Andern druckte Sie in Chartengeben unvermerckt die Hände / dem Dritten setzte Sie unter dem Tische ihren Fuß auff den Seinigen / und an Vierten / so ihr zur lincken Hand saß / legte Sie ihr Knie mit einer solchen Starcke / daß der gute Kerl sich lieber von Stund an REVENGiret hatte. Also waren Sie alle viere betrogen / außer dem / welcher diesen Lockvogel ge-{/).-('iv)folget / und

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Ihr die Ehe zugesaget hatte. Ander dencken / wann sie von außen erbar thun / so gar daß Sie sich auch des Essens und Trinckens schämen / so haben Sie ein halb Schock neue Sprenckel auff ihren Vogel=Herd gestellet; zumal / wann Sie zu Hause über Tische und Bäncke springen / und des Nachts in Mannes Habit / auff der Gasse / mit vollen Kerlen herumb graßiren / des Tages aber / nach der Kirche zu / so enge Schrittgen fassen / als wie die Pferde auff der Weide / denen die Forder-Füße ():(vjr) mit einem Bande zusammen gefässelt. Manche vermeinet sich durch die Treue zu R E C O M M E N D i r e n / und hoffet einen unbesonnenen / zumal jungen Lecker / durch mancherley Willfertigkeit zu fangen. Gleichwie G E R A N DULA gegen ihren G I O R N E D O bekennete: Sie wäre Ihm so gehorsam / daß Ihr unmüglich sey / Ihm etwas zu versagen / und wann es gleich ihre Ehre betreffen solte. Wiederum eine andere Art befleißiget sich auff Wolreden: und stehet in denen Gedancken / es könne keine Weibes Person näher zur ():(6V) Heyrath tretten / als wann Sie mit Beredsamkeit / gleich wie die Syrenen / einen Liebhaber zwischen Felß und Klippen / ihrer Lippen und Arme locken können. Damit es bey etzlichen nun recht klug / und über den Verstand aller andern Weibs=Personen gehe / so ergeben Sie sich der Music / lernen Tantzen / spielen auff der Großen Geige / welche man zwischen die Knie nehmen muß / oder V I O L A DI G A M B A , wie es der Italiäner heist: Darauff Sie zwar den Bogen zierlich genug führen / in den Kochlöffel aber kon-(J: (vijr)nen Sie sich selten schicken. Sondern / wollen sie wissen / wann das zum Feuer gesetzte Wasser zu kochen anfänget / so muß Barbara / die Magd / Sie erst solches lehren. Ich wolte gerne nicht sagen / ob ehemals manche aus Hoffnung einen Mann zu erlangen / so treuhertzig sich bewiesen / daß man den Kehrig und Staub von 6. Stuffen der Treppen auff ihren Sammet Rocke sehen können. Wiewol dieses unter das Unglück der Jungfern zu rechnen / und zu verwundern / daß dieselben / wann Sie ausgleiten / ():(7°) meist auff den Rücken fallen. Hingegen fehlets denen jungen Kerlen / so auff Freyers=Füssen gehen / an ersinnlichen Betrügen auch nicht / manch ehrlich Mägdgen zu berücken / und sich in die Meinung eines Vermögens / oder hoch gestiegener Kunst und Gelehrsamkeit zu bringen. Ich mochte gerne wißen / welcher unter allen Mannes Bildern nicht gerne eine Schone / Vornehme und Reiche haben wolte. Keiner redet von einen Mägdgen / wie ehrlich und fein Sie auch sey / daß ( J : (8 T ) er nicht zu erst frage / was und wie viel Sie habe. Gegentheils sehe ich auch manche Ungestalte / mit ihren Strumpfe voll Dickthalern vor meinen Augen herum gehen. Es ist gar was rares / wenn Schönheit und Geld bey einer Junfer zusammen kommen. Und da es gleich einmal geschehe / so hat Sie so viel Anlauffens der Liebhaber /

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daß Sie unter vielen offters in eine schädliche Wahl fält / und das jenige annimt / welches Sie hernach lieber wiederum loß zu werden wündschte. Oder / da ja auch ein { ) : ( 8 ° ) ehrlicher Kerlen durch das Glücke / die beyden Abgotter aller Heyrathen / nemlich Schönheit / und Geld / bey einander antrifft / und selbige erlanget / so hat er dennoch gar viel zu befahren / indem es entweder in seiner Frauen Kopfe / oder doch zum wenigsten im Hause nicht gar wohl stehet. Denn was ists nun endlich / wann hinter einer schonen Larve / ein einfaltiger Verstand stecket? Oder was hilffts einen armen Tropffen / wenn Er nun gleich 6000. Thaler mit der Frau zur Morgen=Gabe bekomt / und Sie das {):(9T) Weib / ist ein Kind / welches gantze Brauen Bier / und zwene Keller voll Wein auff einmal verderben läßet. U n d wenn sie zwene gemastete Ochsen schlachtet / und laßet das Fleisch / nechst 6. fetten geschlachteten Schweinen / binnen z w e y Wochen / ohne Saltz zu einen Maden=Berge werden? Solcher Gestalt ist ein haußhaltig arm Magdgen / ohne Mit=Gabe / wie es Syrach beschreibet / weit reicher / als die vornehmste Jungfer mit einer Großen. Zwar erweiset sich mancher Heyrather auch sehr lacherlich / zumal ( J ; (9V) wenn er ohne Gott und Vernunfft und außer dem Zweck der Ehe / sich zu verehlichen suchet. Wie mancher studiret biß in sein 30ste Jahr / durchziehet frembde Lander / und Unterlast so leicht keine Manir der Frantzosen / so ihme zu Gesichte kommen / bringet aber doch nicht so viel mit nach Hause / daß er ein Weib ernehren und seiner Magd ein Jahr lang zu essen geben kan. W i e viel seyn derer / welche überaus große Liebhaber der schonen Jugend seyn / und dennoch / gute Tage / und Lebenslang ihr Auskommen zuerlangen / sich an eine alte Witbe ():(10r) hengen / daß es so gar lacherlich heraus komt / wenn auff solche Art zu weilen / Mutter und Sohn / dem ungleichen Alter nach / eine stets wiederwartige Ehe führen. Indem gemeiniglich erfolget / daß so ein junger Herr / bey seinen alten Beeren / der Magd immer gerne das Marcktgeld selber zustellet / und Rechnung darüber einnimt: Hingegen auch die Alte dem Verdacht und Jalousi so ergeben / daß die Magd dem Herren keinen Schuch auflosen darff / ohne daß die Alte nicht ihren Schmertzen darüber eröffnen / und klagen solte: ihr junger Mann be-^J: (10v)liebe darum diesen Dienst / damit er einen P R O S P E C T von oben her neben die Achseln seiner Dienst=Magd haben möge. Weiter findet sich noch eine andere Art der heyrathenden Mannes Personen / welche in ihrer Wahl gar zu delicat seyn / und die Sache fast biß zur Unmügligkeit spannen. Dergleichen habe ich vor diesen selbst einen gekant / welcher diesen Vorsatz hatte / nicht eher zu heyrathen / biß er eine gefunden / welche so viel Mittel / daß er ein Rittergut nur etwa vor kale 50000. Gülden kauffen und bar bezahlen könne. U n d zwar möchte er diese auch ( ) : ( l l r ) nicht haben / daferne Sie nicht so vornehmes Geschlechtes / daß er über die Mitgabe / auch alsobald

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einen austraglichen Dienst / noch vor dem Verlöbnis / haben konte. Nechst diesem müsse Sie vor allen Dingen überaus schon seyn / und so ehrlich / daß keine Mannes Person Ihr jemals die Hand berühret: Wie auch so klug / daß er kein Weibliches / schwaches Wort von ihr höre. Franzoisch und Italianisch müste sie ja wißen / wie auch Latein / und eine maßige Nachricht von dem Zustande der Welt haben: damit er auff alle Falle die Zeit durch einen er-( - ):{' 1 l v )baulichen Discurs mit Ihr vertreiben könne. Zu einer solchen begehrte der gute Kerlen eine Nachricht von mir / ob ich nicht dergleichen wüste. Ich gab ihm zur Antwort / er solte nur einen guten Mahler zum Freywerber brauchen / welcher ihm eine feine schone Person abmahlete / und mit dem Pinsel ersetzte / was zu der bestirnten Vollkommenheit noch ermangelte. Also giebt es freylich bey dem heyrathen manches Abendtheuer / daß die Mittel endlich zu einer glücklichen Heyrath / so wol Mannes als Weibes Personen schwer werden. Derowegen / ich dann gegenwartige Gedancken ans Liecht gebracht / das Mittel damit bekand zu machen / wodurch ein iedweder nechst der Furcht GOttes zu einer angenehmen Heyrath sich selbst befördern kan; Dieweil allzugewiß / daß wer die Wollust fliehet / und sein Gefäß / wie es der Apostel nennet / von der Lustseuche unbeflecket in Heiligung und Ehren behalt; Endlich die Früchte seiner Zucht / in einer gesegneten / und glücklichen Ehe schmecket / und ein geruhiges Leben darvon traget.

( / ) Ö E r jenige ist klug genug / welcher in der Welt einen spitzfindigen Possen machen kan / wodurch er zwar dem Nechsten auff keinerley Weise schaden / oder das Gewissen verletzen / sein Gluck und Zustand aber / biß auff den letzten Punct seiner zeitlichen Ewigkeit / hauptsachlich anbauen und befestigen kan. Ich meine hier keinen Possen / wie etwa die verständigen Narren zu reissen pflegen / welche aus Abscheu vor der Arbeit / nichts mehr / als faule Geschwatze sich angewöhnen / womit sie nachmals bey lustigen Brüdern ihr Auskommen von Tage zu Tage / aus der Hand in Mund verdienen: Und das edle Geschopff GOttes aus vorsetzlicher Thorheit von Bier und Weine unverantwortlich schimpfen und schänden lassen. Auch nicht solche ( 2 ) Possen / welche von Scurren begangen werden / dergleichen Leute bey ehrlichen Zusammenkünfften keinen (Discurs) von geschickten Dingen vertragen können / darum / weil sie etwas kluges zureden nicht vermögen: Sondern mit nichts als Prostitution und durch Schimpffung des Nechsten die Zeit verderben / und die umstehende Jugend ohne RESPECT des schon am Halse hangenden Muhlsteines / ärgern. Am aller wenigsten aber verstehe ich die Ertzbäcker und Zotten Schmiede / wodurch die Ohren der erwachsenen Leute manchmal beleidiget / und Jünglinge und Jungfrauen an der unbefleckten Seele geschwächet werden. Solche aber wohl / w e l c h e d u r c h u n g e m e i n e K l u g h e i t auff eine lustige A r t ihrem G l ü c k e h e l f f e n : Das ist / z u m S c h e i n e e t w a s v o r n e h m e n / w e l c h e s a n d e r n L e u t e n zu einen guten Z w e c k u n d i e n l i c h d e u c h t e t ; so a b e r d e n n o c h im A u s g a n g e g l ü c k l i c h i s t . Es ist wohl war / das Glücke will allezeit die Oberstelle haben / und sich der Menschen Wohlfarth (3) zuschreiben: Alleine eine wohlgeübte Vorsichtigkeit kan dieser Gottin offtermals die Tühr eroffnen und Gegentheils auch vor der Nasen zuschlüssen. Und eben diese seynd es / welche die Schrifft / Kinder dieser Welt nennet / und dieselbigen Klüger preiset vor denen Kindern des Liechtes / in ihren Geschlechte. Wodurch ich aber das Vortheilhafftige und trügliche bezeugen des ungerechten Haußhalters keines weges billigen / oder unter die zugelassenen Grieffgen weltlicher Klugheit rechnen will: Dieweil er seinen Herrn betrogen / und wieder gethane Pflicht / in aller Welt Augen / gehandelt. Eine unschädliche Klugheit muß es seyn / bey welchen sich das Glück lächerlich erweiset. Zwar sagt Salomon / ,zum lauffen hilfft nicht schnell seyn / zu Nahrung hilfft nicht geschickt seyn. Zu Reichthum hilfft nicht klug seyn: Daß einer Gunst hat / dazu hilfft nicht / daß einer ein

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Ding wohl könne / sondern alles liegt an der Zeit und Glücke.' Alleine es kan doch eine Vorsichtigkeit / welche den Verstand (4) zum Rathgeber brauchet auch nicht allezeit ausgeschlossen werden / sintemal die Erfahrung offt genug versichert / daß der Menschliche Verstand Gluck und Unglück in Wege gestanden. Dannenhero muß der jenige gar klug seyn / welcher sich durch eine sinnreiche Kurtzweil an seinem Glucke einen Zugang schaffen will. Denn der gute Rath ist theuer und die Sache nicht ohne Gefahr / wann man gerades Weges nach glücklichen Dingen zugehet / vielmehr nun / wann man auff beydes zu dencken / wie nemlich der Weg zu finden / und wie man sich auff der Wallfarth vorsichtig bezeugen soll: Allezeit dergestalt / daß das Gewissen unverletzet bleibe / und der Nechste in keinem Theil beleidiget werde. Solche Leute nun habe ich iederzeit Stockfische nennen hören / kan aber die Stunde von keinen Teutschen eine Ursache erfahren / warum sie dieses Sprüchwort auffgebracht und einen kurtzweiligen klugen Menschen mit dergleichen Fische vergleichen. Doch halte ich dafür / es habe vielleicht diese Bewandnis: ( 5 ) Man will sagen / daß dem Stockfische wenn er gefangen wird / sehr klug müste nach gestellet werden; Und daß fast nicht zu glauben / auff wie vielerley Art und List derselbe aus der Bestallung durchzugehen pflege. Deswegen man davor halt / es sey das Sprichwort daher kommen / und ein solcher Mensch / welcher sich und seinen Vortheil mit unschädlicher List dienet / und die wieder sich versuchte Klugheit zu seinem INTERESSE brauchet / ein kluger Stockfisch genennet worden. Darumb mag ich Solanden / des Stadthalters von Taranta einigen Sohn gar wohl so nennen / als welcher mit allen Fug den Titul eines klugen Stockfisches verdienet; Weiln er die Hefen seines grossen Vermögens so klüglich und listig angewendet / daß / da er nun den Spott der Armut über sich genommen / und anderer Leute Brod suchen solte / er der Reicheste zu Taranta worden. Unter andern gefallen mir dreyerley Stücke / in welchen er sich als -einen hauptklugen Stockfisch erwiesen. Dergleichen auszuführen wenigen in der Welt verlie-(6)hen. Als nemlich 1. Wie er die schönste und reichste Dame / in gantz Taranta bey seiner Armut erlanget. 2. Wie er zum Dienste kommen. Und dann 3. Mit was vor Politischen Künsten er sich in allgemeinen Veränderungen zu Hofe / bey des Koniges Gnade immerdar erhalten. Doch gebrauchte er sich nicht der Vortheil / des D u e . D. L. welcher vergangenes Jahr nur noch einen Bund mit der Holle / auff fast dergleichen Stücke gemacht / und vielleicht vor seine Seele so viel erkaufft. 1. Daß ihm alles Frauenzimmer lieben müsse welches er nur mit der Hand berühre. 2. daß er in Spielen gewinne / so offt er wolle. 3. Daß er in Parthey=gehen / und Treffen niemalß Unglücklich sey: Und endlichen 4. Daß er stets in des Koniges Gnade bleiben könne.

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Dergleichen verdamliche Hülffs=Mittel suchte Solande gar nicht / sondern er brauchte das Glück und seine Verschlagenheit zu Beystanden / und brachte es so weit / daß er sein Wündschen / in allen gesattiget und sich dabey biß an die Endschafft seines Lebens vergnügt be-(7)funden. Gerne zwar mochte ich alle drey Stücke des Weltklugen Solanden / in diesen wenigen Bogen beschreiben; Alleine dessen MARIAGE oder Heyrath allein ist würdig / daß sie in diesen absonderlichen Tractatlein beschrieben werde. Zwar wird die Kunst / in des Königes Gnade zu bleiben / die Politischen gelehrten Leute besser vergnügen: Ingleichen die kluge Manir / zu einen Ambte zugelangen. Deswegen denn auch diese beyde Klugheiten / wie sie sich begeben / in absonderlichen zweyen Theilen nechstkommende Messen mit allerhand Politischen Anmerckungen nicht ohne Belustigung sollen gesehen werden. Indessen soll in diesen Buche Solandens Liebe und überaus schwere Heyrath abgebildet werden / nechst der glücklichen List / wodurch er endlich noch die Liebste überkommen / und dero wiedersinnliche Eltern und gantze Freundschafft in Affection gegen sich gezogen.

(8) S O l a n d e hatte in der Welt das Glück / daß er von Attalio einem vornehmen reichen Vater / welcher Stadthalter zu Taranta war / aus Mirmod eines Hollandischen Herrn Tochter gezeiget worden. Er war schon und seine Kindheit lockte alle Leute an sich / ihn zu lieben. Kurtz vor seiner Geburth hatte Mirmod seine Mutter einen Traum / als blühete in ihrer Hand eine Rose / welche im Augenblick zur Distel worden; Und diese nicht lange darauff sey wiederum in einen Lilien=Busch verwandelt worden. Vielleicht zeigt dieses Gesichte auff die drey Stuffen seines zukommenden Lebens. J a die Geburth selbst ersetzte gewisse Deutungen / wodurch Solandens künfftiger Zustand verkündiget wurde. Und da Augustus CAESAR das Gestürne des kleinen Bahren [. . .] auff dem Rücken / mit in die Welt brachte / SVETON. AUGUST, C. 80. so hatte Solande 9. Sterne an seinem Leibe / welche den flügenden Geyer am Himmel in eben selbiger Ordnung vorstelleten. Das Kind b r a c h - ( 9 ) t e eine solche Schönheit mit auff die Welt / als wenn ein Wachsbildgen von dem PRAXITELES oder einem andern dem besten Bildhauer ware Possiret worden. Das Gesichte hielte eine richtige Rundung / als ob es mit dem Circul abgemessen ware. Kein Hyacinth / ja der Himmel selbst von welchen diese Farben herstammen / kan kein solches Blau unsern Gesichte vorhalten / als Solandens Augen. Kein Schnee kan die Augen so verblenden als des Knabens weisse Haut. Die Finger und alle Gliedmassen stunden in einer so zierlichen Proportion gegen einander / daß unterschiedliche Künstler den Leib in Gips drückten / und aus derselbigen

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Forme Engelbilder in die Kirchen machten. Das Haar kämpfte in der Zierligkeit mit weisser Seiden / und was Curieuse Augen vergnügen kan / war in einem Uberflusse an dem Knaben zu sehen. GANYMEDES selbst muste ihm / wo nicht den Vorzug / dennoch eine solche Gleichheit / lassen / welche in keiner Linie einen Unterscheid verstattete. Daher war auch dessen Jugend so angenehm als Balsam / und (10) seine Geberden lieblicher denn Rosen. Als er heran wuchs erzeigte sich eine besondere Anmuth im Reden / und eine Stimme im Singen / dergleichen bey keinen Italianer anzutreffen / welchem das zweyfache Zeugnis aller ausbleibenden Nachkommen durch einen sündlichen Schnitt genommen worden. Es ist aus der übermenschlichen Schönheit des Leibes leicht zu muthmassen / daß darinnen keine unartige Seele müsse gewohnet haben. Er war from und voller Sanfftmuth wie eine Turteltaube: Denn schöne Leute seyn selten bose: Wiewohl die weissen Eyer dennoch innenwendig offt faul seyn; Gleich wie auch die roten Aepfel manchmal einen Wurm bey sich haben. Daher ließ er sich in der Zucht lencken / wie ein Weinreben / den man in alle Winckel des Fensters leiten kan / wie man will. Der Gehorsam gegen seine Eltern war süß wie ein stetes Opfer / daß diese vor Liebe eher ihr Leben / als von des einigen Sohnes Leibe ein Gliedmaß verlohren hatten. Seinem Hoffmeister gieng er also unter Augen / daß dieser ihn wie s e i - { / / ) n e n Bruder liebte. In Summa die Gratien betrohneten an ihm Leib und Seele / daß er mit allen Fug ein Wohnhaus mancherley Tugenden konte genennet werden. Ein ieder schätzte es vor ein Glück und Ehre / einen so wohl gerathenen (Jüngling) zu sehen / und den Hut vor ihm abzuziehen: Weil man ihm vor die Crone der wohlgerathenen Jugend zu Taranta hielte. Er unter andern / an Jahren seines gleichen strahlete wie der Morgenstern vor dem Siebengestürne hervor: Und das äuserliche Ansehen alleine hatte Diamanten Art / welche allen Kleinodien den Preiß entziehen. An Ehre und Reichthum konte kein Mangel erscheinen / denn wie gesagt / es war sein Vater in der grossen Stadt Gouverneur / welcher alle Monat tausend Reichsthaler Einkommens hatte. U m b die Stadt herum hatte er so viel Forberge / als Finger an Händen. W o er in Felde hinsähe / da stunden Mahlsteine mit ATTALIO Wapen und Nahmen gezeichnet. Drey Mühlen / deren eine iede des Jahres Sechshundert ( 1 2 ) Thaler Pachtgeld einbrachte / hatte er vor weniger Zeit / mit baren Gelde bezahlet / und zu seinen Eigenthum bracht. Seine Scharlach=Farbe / welche auch zehentausend Thaler in Anschlage war / brachte ihm ein grosses ein. Drey Ritter-Güter mit sieben tausend Acker Holtz / samt Ober und Nieder Jagt mit allen Regalien / und was sonst ein unvergleichliches Vermögen anbauen kan / hatte er biß dato / als sein Eigenthum besessen / und viel Einkommen davon beygeleget.

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Also fehlete es an nichts / Solanden zu allen herrlichen Künsten und kostbaren Geschickligkeiten zuerziehen. Es war zu loben / daß er seine Jugend wol angewendet und durch mancherley Fleiß es so weit brachte / daß er die Fundamente zur Gelehrsamkeit / nach aller Vergnügung davon trüge. Er redete und schriebe gut Latein. Absonderlich aber machte er einen zierlichen Teutschen Vers. Der Music war er auch ergeben / er brachte es aber damit nicht höher / als daß er etzliche Frantzöische Stücken auff dem Ciavier spielen k o n - ( 7 3 ) t e . Was ihm nun in der INSTRUMENTAL-MUSIC fehlete das ersetzte seine überaus angenehme liebliche Stimme: Massen er denn damit aller Leute Gemüter an sich zöge / wie der Magnet das Eisen. In solcher Glückseeligkeit nun erreichte Solande sein ein und zwantzigstes Jahr / und war zu wündschen gewesen / daß desselben Eltern nur noch so lange auff der Welt geblieben wären / biß sie ihren einigen Sohn versorget und einem Tugendhafften Weibe auffzuheben gegeben hatten. So aber / eilete der Todt / welcher wie die Gerechtigkeit seyn soll / die weder Person noch Geld ansiehet / mit Solandens Eltern fort / daß sie beyde an einem Fleckfieber / innerhalb zwene Tagen / darin stürben. Doch hatte Solande keine Noth / als endlichen den Schmertz über der Eltern gantz unvermutheten Todesfall. Gleich wie aber ein Kind eher der Eltern / als die Eltern eines Kindes vergessen können; Als gebrauchte sich Solande dieses natürlichen Rechts / und ließ sich endlich gar leichtlich trösten. Ich meine es sey ein natürlich Recht / und mochte gerne wissen das (14) F u n d a m e n t d e s b e k a n d t e n CANONIS : A M O R NON ASCENDIT, SED DESCENDIT.

Daß nemlich die Eltern die Kinder / und noch mehr / die Groß=Eltern ihre Kindes-Kinder weit hoher lieben / als diese ihre Eltern / und Groß= Eltern. Jederman fast tragt sich mit solcher Geschlechts Regul / aber Niemand will mir die Ursache aus der Natur herbey bringen. Wiewohl ich solches allezeit vor ein natürliches Geheimnüs gehalten / dessen Ursprung in dem unerkanten Abgrunde der Göttlichen Weißheit muß erlernet werden: Es müsse denn der Natur mit dieser Ursache eingepflantzet seyn / daß sie das jenige / wodurch ihres gleichen fort gepflantzet und sie in ihrer Art gehalten wird / mehr liebete / als das / worüber sie allbereit gestiegen / und ohne dessen Leben und Todt sie dennoch in ihren Wachsthum fortschreiten kan. Zwar will ich mich in dieser Frage nicht auffhalten / sondern mit Solanden in seinen Leben fort gehen. Er ließ seine Eltern prachtig und kostbar begraben / und ihnen beyden von Messig ein herrlich Grabmal setzen / welches mit (15) Bildern in Menschlicher Lebens Grosse gezieret war. Nach abgeflossenen vier Trauer-Wochen verpachtete er alle seines Vätern Güter / dessen Erbe er vollkomlich war / und zöge nacher Franckreich / sich allda geschickt zu machen / dermaleins zu Hofe einen Bedienten abzugeben. So groß die Lust bey Solanden war / frembde Lande zu

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sehen / so gewiß gieng auch die Reise fort. Der Tag seiner Abreise kam herbey / und hatte er sich vorgesetzet / seinen Abschied bey keinen Menschen / als bey seinen Beichtvater zu melden / und von selbigen einen Seegen mit auff den Weg zu nehmen. Denn dieser war ein Geistlicher ohne Tadel und ein unverwerfflicher Mann / dessen ausserliches Leben / einen iedweden seines Gebets versichern konte. Nun war der Rath zu Taranta Solanden freylich nicht gar geneigt / dieweil sein Vater ATTALIO, als Stadthalter / ihm dem Rathe / manchmal die Politischen Daumenstocke angeleget / daß Geld und Respect springen müssen. Dessentwegen auch einer seine unchristliche Weißheit hören lassen: Er w o l - ( / 6 ) t e dem ATTALIO es nimmermehr verzeihen sondern ihn und die Seinigen verfolgen / wo er wüste und konte / und so lange er lebete. Solande zwar hatte an nichts wenigers / als an des Ehrenvesten Raths Ungnade gedacht; Und derowegen stellete er seine Reise fort / befahl seinen Pacht=Inhabern die anvertraueten Güter / und setzete sich auff die Post und fuhr nacher Franckreich zu. Sein Vorsatz zur Reise war sehr gut / denn er suchte nichts dadurch als nur etwas Tugendhafftes zu sehen. Auff den Weg nahm er mit sich zwene Bediente / welche aus Taranta bürtig waren; Alleine zu seinen grossen Schaden. Er hatte nicht nur vor sich zu Zehrungs und Reisekosten auff tausend Thaler Wechselbrieffe mit sich genommen / sondern auch von einem andern Kauffmanne zur Freundschafft auff zwolfftausend Thaler dergleichen angenommen / in Paris zu überliefern. Damit nun Solandens erstes Unglück desto gewisser sey / so schickte er seinen lieben getreuen Lappman (so hieß der Untreue Getreue) von Nancy zuvoraus nacher (17) Paris / welcher (sich) umb ein bequem Logiament bewerben und allerhand Gelegenheit zuvoraus machen solte. Weilen sich nun von Nancy aus / selbigen Tag keine Abfuhr nacher Paris wolte finden lassen / denn weiter gieng gegenwartige Post nicht; Als ließ sich Solande bewegen ein Pferd zu kauffen / und von daraus seinen Lappman mit der reitenden Post fortzuschicken. Er verstieß auch darinnen / daß er sein Felleisen nicht selbst bey sich auf dem sichern Postwagen behielte / sondern selbiges Lappmannen mit auffs Pferd voraus gab. Anfangs zwar hatte Solande die beyden Wechselbrieffe bey sich in seiner Schreibtaffel auffgehoben; Alleine er hatte vergessen / daß er solche den Abend zuvor / in sein Felleisen verwahret. Unterdessen ritte Lappman folgenden Tag aus Nancy / Solande hingegen muste aus Mangel der Gelegenheit noch vier Tage daselbst verbleiben. Lappmann welcher ob er schon ein Knecht / war dennoch an Verstände herrlich / und klug genug allerhand Boßheiten nicht nur zu erdencken / sondern auch glücklich (18) auszuführen / ließ sich unterWegens allerhand Gedancken einkommen. Des dienens war er müde; Und gleichwol entstunden ihm auch die Mittel / eigenen Herrn zu spielen. Dannenhero vermeinete er mit frembden Mitteln seinen Herrn=Stand zu

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erkauffen. Nachdem ihm nun die Gedancken auff dem Wege / solche Anschläge an die Hand gegeben / mit welchen er sich getrauete vor die anvertraueten Wechselbrieffe / das Geld einzuheben / durchzugehen / und lebenslang sein überflüssiges Auskommen zu haben: Als setzte er sich vor / dieses alles werckstellig zu machen. An Glück fehlete es gar nicht; Denn wie er wündschte / so gerieth es. Den ersten Tag / da er in Paris ankam / erhielt er das Geld. Die Helffte nam er zu sich / die andere Helffte aber legte er wiederum bey einen Spanischen Kauffmanne auff Wechsel. Und damit gienge er fort / immer auff Pompelon zu. Zwey Tage hatte er zum Vorsprunge / ehe Solande nacher Paris kam. Dieser nun langete endlich auch an; Alleine da war nichts von getreuen Lapp-(19)manne weder zu hören noch zu sehen. Er gieng acht Tage nach einander die Gassen in Paris auff und nieder / in meynung ihn endlich anzutreffen; Aber gantz vergebens. Zu seinem Unglücke hatte er auch die Nahmen der Kauffleute vergessen / an welche so wohl sein / als des andern Freundes Wechselbriefe gerichtet waren / und durch welche er auch als denn von Lappmannen etwas erfahren können. In dieser Bestürtzung brachte er so lange zu / biß endlich binnen vierzehen Tagen seine dreissig Thaler / so er noch bey sich hatte / verzehret. Solande traun war übel dran. Er lebte in der Frembde / wo Er keinen Menschen kennete: Und hatte kein Geld. Der Sprache war er nicht allerdings kundig. Daß er / ob er gleich sehr reich / hatte betlen können. Geld zwar macht Muth / aber wo es ohne Gebrauch liegt / ist es ein Liecht unter dem Schoffel / oder ein Kleid / welches an der Wand henget. Das erste / das er verkauffte / damit er Geld zu Brodte hatte / war sein roter Scharlachiner Mantel / welchen er sei- ( 2 0 )ner Trauer unerachtet / mit auff die Reise nam. Davor konte er sechs Tage im Gast=Hofe auskommen. Nun hatte er zwar wohl Ursache gehabt / sich von seiner Reise zurücke zu ziehen / und wegen Geldmangels / nacher Hause zu kehren. Alleine Solande war so großmütig / daß er lieber an dem Bettelstabe nacher Hause kommen / und was rechtschaffenes in Franckreich gesehen haben wollen / als daß er in einen Hut voll Federn mit vielen Dienern zu Taranta wieder ankommen / und zu Paris nichts mehr als die Thore gesehen haben solte. Seine zwene Ringe von Diamanten verkauffte er vom Finger / an einen Juden / kaum umbs halbe Geld / vor hundert Cronen; ein bar güldne Armbander / so er von seiner Frau Mutter empfangen: Endlich auch seine schone Halßtücher mit Spitzen schlug er aus Dürfftigkeit auch loß / biß letzlichen die Kleidung allgemählig begunte dinne zuwerden / und er kaum so viel behielte / daß er sich bedecken kunte. Dazu gab er numehr / denen dreyzehentausend Thalern / so ihm Lappman entführet / verlohren. (21) Nun hätte er den Verlust endlich gerne verschmertzet / zumahlen er

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denselbigen von seinen grossen Vermögen auch wohl entrathen können; Wenn er nur ungebettelt nach Hause kommen können. Dennoch muste er sich in seinen elenden Zustand ergeben. Es ist zu glauben daß einem Reichen das Betlen sehr schmertzen muß / gleich wie einem Sauffer der Durst / oder einem Verliebten die Brunst. Noch muste Solande den Anfang machen und gute Leute umb Brod ansprechen. Er gieng sehr schwer dran / doch war der Hunger sein Gesetzgeber / welcher ihn durch den Appetit / gleich wie an einen Kappzaum führete. Er erwehlte sich in einer kleinen Gassen den Anfang zu machen / und zwar zum ersten bey einem Becker. Denn er machte sich diese Gedancken: W o Brod und Semmeln an der Hand waren / da werde man ihn am ersten erhören. Nun war ihm mit essender Waare mehr gedienet / als mit Gelde / vor welches er erst dieselbe erkauffen muste; Alleine der erste Anspruch ge-(22)riethe ihm so / daß er fast lieber verhungert / als ferner umb ein Stücke Brod vor einer Thür angehalten hatte. Der Becker den er um einen Pfennig Brod ersuchte / wüste ihm vorzuwerffen; Er sey ein junger starcker Kerl / welcher aus Faulheit sich auffs betteln geleget; Er selbst / ehe er einen Pfennig verdiene / muste früh und spat auff seyn; Und zu dem sehe er gar roht um den Schnabel / weil er als ein Bettler vielleicht mehr Wein sauffen werde / als er / der von ihm angesprochen würde. Freylich sähe der schöne und zu selbiger Zeit arme Solande wie Milch und Blut / und deswegen denen gelben / Staub- und Sonnenschwartzen ungesunden Bettlern gantz ungleich. Aber doch hatte ihm das Erden grobe Brodt gar wohl geschmecket / woferne er nur dasselbige im Vorrath gehabt / und dadurch des Bettelstabes überhoben seyn können. Er schamete sich / und konte auff des schnautzenden Beckers Ungestüm gar nichts antworten. E r schlug den Kopff nieder / und gieng davon. Nun war wenig Tage zuvor ein N a c h t * T u - ( 2 3 ) mult entstanden / und in demselbigen ein vornehmer Fürst auff der Kutschen mit einem Pistol erschossen worden. Man hielte davor es waren etzliche hierzu von einem ander Fürsten erkauffte gewesen / welche jenen auff dieses anstifften darum hingerichtet / damit desselben Land und schönes Weib / auff den Mörder möchten gebracht werden. Weil nun Solande aus Schamhafftigkeit seiner Parisischen Armuth den Kopff zur Erden schlug / und wieder die Art der Bettler / ohne Verantwortung / davon gieng / dachte der Becker / ob vielleicht dieser einer von denen Mördern ware. Uber dieses war auch ein öffentliches scharffes Edict vom Könige angeschlagen / worinnen allen Einwohnern befohlen / die allergeringsten Anzeigungen einen Mörder zuerkennen / vor der INQVISITIONS-Cammer alsobald zu melden. Deswegen schriehe der Becker dem unglückseeligen Solande nach / er solte stehen und ihm auff sein Fragen / Rede und Antwort geben. Solande schamete sich hierauff noch mehr / und eilete dem Becker nur aus denen Augen

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z u k o m - ( 2 4 ) m e n / welcher noch mehr schriehe und ihn anhalten ließ. Im Augenblicke war da eine Menge Volcks um Solanden herum / mehr / als wann ihm ietzo das Haupt vor die Fusse solte geleget werden. Denn man lebete in einer öffentlichen Bestürtzung / umb das Nachricht vorhanden / als solte dem Könige gleicher massen mit Gifft und Dolchen nachgestellet werden. Dannenhero warteten aller Augen und Ohren auff etwas neues. Und so kam Solande gar unrecht an; Indem alle / die da zulieffen / meineten / Solande sey einer mit von denen Meuchel=Mordern. Und fehlete warhafftig nicht viel / der unschuldige ware auff der Statte erschlagen worden / weil er sich wegerte Stand zu halten / und der zulauffenden unsäglichen Menge Volckes sich vorzustellen. Hierzu nahete sich eine Wache / von zwantzig gewaffneten Männern / welche ihm Bande anlegeten und in die Bastille zur Verwahrung führeten. So unschuldig nun der gute Solande / so voller Angst war er doch bey seinen unvermutheten Unglück. Man (25) stellete ihn folgenden Tag der INQVISITIONS-Cammer vor / welche ihn bey seinen Eintritt gar hart anließ. Da fiel ihm nun vollends der Muth / da er sähe / wie zweene Hencker alsobald mit ihren Werckzeugen / zugleich mit ihm vorgefordert wurden / ehe und bevor er ein einiges Wort noch gefraget / oder geantwortet hatte. Doch hatte er die vergangene Nacht in seinen Banden sich vorgesetzet die Warheit zusagen und sein Herkommen / wie auch die Ursache seiner Gefangenschafft / nach dem Anfange und Ende zu entdecken. Der Präsident fuhr ihn an / mit der Bedrohung / woferne er nicht in der Güte die CONJURATION eröffnen würde / so solten beyde da= stehende Hencker mit ihren Werckzeuge ihn bald auff den Zahn fühlen. Der nechste nach dem Präsidenten vermahnet ihn nur die Warheit zubekennen / mit der Ursache: Denn / sagte er / das Gesichte habe ihn schon verrathen / daß er seiner Geburth nach / nicht aus des Pöbels Geblüte erwachsen. Solande erzehlete sein Herkommen und gantzen Lebens-Lauff / wie es ihm bißher (26) ergangen. Wer sonst rein / bedarff nicht eben gar viel waschens: So solte freylich der unschuldige nicht viel Verantwortens von nöthen haben. Es stehet ins gemein die Unschuld auff drey Staffeln / deren die erste ist / daß einer für sich selbst nichts böses thue; Die andere / daß er denen die es thun / weder mit Rath noch That sich beyfällig mache / und drittens / daß er das Böse / so viel er kan helffe wenden. In allen diesen dreyen Stücken war Solande gerecht / und dennoch wolte man seinen Worten kein Vertrauen beylegen. Niemand unter diesen Hochgelehrten Leuten konte seine gegenwärtige Armuth / und sein von ihm gerühmtes Vermögen zu Taranta zusammen reumen. Biß endlich der Armseelige baht / man möchte seine Unschuld mit der Härte verschonen und ordentliche Mittel brauchen / von dem was er gesaget / Glauben beyzubringen. E r hielt inständig an / auff seine Kosten

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eine Botschafft nach Taranta zu schicken / und woferne Sie ihn auf einiger Unwarheit ergreiffen würden / so wolte er alleine sein Leben {27} davor lassen. In übrigen wolte er alles bezahlen / und noch darzu mit tausend Cronen danckbar seyn. Die Gerechtigkeit der Gerichts=Cammer kunte dem gerechten iNQUisiten dieses nicht versagen; Sondern fertigten alsbald zwene reutende Diener ab / welche auff hundert und dreyssig Meilweges / Solandens Geburt / Ankunfft und mit derselben seine Unschuld beyholen musten. Solande muste seinen Brieff vor Gerichte schreiben / denselbigen öffentlich ablesen und von dem Cammer FISCAL zusiegeln und fortschicken lassen. Inzwischen ward er unter andern Lebens=Verbrechern feste verwahret / und biß zur Wiederkunfft der ausgesendeten zwene Einspenniger behalten. Wehrender Zeit kam einer in Verhafft / welcher warhafftig aus der Zahl der verbundenen Morder war. Dieser verrieth sich selbst / wie eine Mauß / und gestund bey der andern Verhör alles / wie er unter die Gesellschafft der Fürsten=Morder kommen ware. Man fragte ihn scharff / durch alle Stuffen der Tortur / und zwang ihn / daß er alle N a - ( 2 # ) m e n der Bundesgenossen von sich sagte: Wie wol man ihm glauben muste / daß er dieselbigen zwar nicht alle nennen / iedoch erkennen mochte. Ohngefehr gedachte ein Mitglied der Cammer an Solanden / und schlug vor / man mochte ihn diesen bekennenden Morder vorstellen / ob er ihn vielleicht kennete / und etwas von ihm zu sagen wüste. Der Vorschlag ward beliebet: Und da der rechte Mörder schon zu glüenden Zangen verdammet / und diese Stunde hin zum Tode geführet werden solte / stellete die Cammer Solanden demselbigen vor. Solande war unerschrocken / denn sein Gewissen gab ihn Hertz und Muth; Der Ubelthater aber war erschrocken und blöde: Der vor seinen Todte nur kurtze Galgenfristen suchte / sich auffzuhalten / biß er endlich auch durch Verwirrung des Processes vermeinte sich noch etzliche Tage zusperren; Und das Glücke zur Gnade zu haben: sagte derowegen boßhafftiger weise / Solande sey auch mit in der Charte / und fast der vornehmste; Deswegen man ihn auch in solcher Gesellschafft das Eichel- (29)taus zunennen pflege. Ein ieder verwunderte sich über der Aussage des zum Todte verdammeten / wodurch man Anlaß nam / den Ubelthater wiederum an vorigen Orth zu führen / Solanden aber desto sicherer zuverwahren. Der falsche Anklager blieb bey seiner Aussage; Solande aber tröstete sich auff der abgeordneten Boten Wiederkunfft / und auff einen starcken Wechsel / umb den er geschrieben / und durch welchen er aus aller Noth zukommen verhoffte. Weiter konte indes nichts vorgenommen werden / biß die Parisische Botschafft von Taranta wieder zurücke kam. Solande war inzwischen gutes Muths / und verließ sich auff die Warheit seiner Sache / mit Schmertzen hoffend auff den Ausgang derselben. Nun hatte

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sich Solande darinnen nicht wohl vorgesehen / daß er nicht an den Rath / sondern nur an seiner Verwalter einen / geschrieben / welcher von seinen Zustande zeigen / und ihm einen Wechsel übermachen solte. Dieser Verwalter aber / Nahmens Furarius war mit einem Schelme gefüttert und mit einem D i e - ( 3 0 ) b e verbrehmet; Denn da er sich von denen Reutern erzehlen ließ / wie es Solanden ergienge / ja da er aus desselben Schreiben vollige Gewißheit schopffete / erfreuete er sich von Hertzen / indem diese Botschafft ihm den Anfang zur Hoffnung brachte / dessen / was er von Solandens Abreise an / offters gewündschet. Nemlich er verlangete / daß Solande sein Begräbnis tausend Meulen in der Frembde finden möchte / denn damit ware er von ihm entfernet / und er konte nachmals mit dem INVENTARIO umgehen wie er wolte / und sich durch seinen Pacht bereichern. Also war dem schelmischen Furario diese Post nicht unangenehm: Noch besser aber gefiel ihm / daß er der Zeuge über Solanden Unschuld seyn / und durch seine Nachricht ihm loß helffen solte. Alleine er schrieb wie die Spitzbuben / die falschen Handschrifften. Der Vogel sagte nicht nur mündlich gegen die reutenden Boten / daß er und Niemand dieser Orte von einem Solande wisse / sondern er schriebe auch in Briefe / daß er keinen Menschen kenne / der also heisse. Es würde viel(37)leicht ein Betrug dahinter stecken / und ein Kerle seyn / welcher etwa vor diesen bey ihm durch gereiset / und ihn nennen lernen. Der Gewissenlose Mensch hätte tausend Thaler Gewinst genommen / und einen Unschuldigen zum Tode verdammen helffen. Was hätte Solanden schädlicher fallen können / als des Diebes Antwort? Nunmehr meinete die Gerichts=Cammer / Solande sey der rechte Betrieger / und das Haupt der Morder / nachdem zwey solche starcke TESTIMONIA wieder ihn einkamen. Also lieff die Sache gantz anders / als Solande / obgleich bey seinen guten Gewissen / vermeinet. Leider! Er ward dem Hencker übergeben / und da er sähe daß es Ernst war / erholte er sich mit seinen Gemüth / welches an sich selbst GENERÖS genug war / und satzte sich vor / lieber unschuldig zu sterben / als seinen nackenden Schneeweissen Leib auff die Leiter spanen lassen / auff welcher allerhand Art Schelme und Buben ihren Unflath gelassen. Da ihn nun der Qväler angreiffen wolte / sagte er: Ja / er wolte l i e - ( J 2 ) b e r der seyn / wovor man ihn hielte / als daß er sich der schimpfflichen Pein unterwerffen wolte. Diesen Abscheu hielte man vor sein Bekäntnis / und ob er gleich unterschiedlich mal / mit Betheurung sich zu reinigen suchte / so verfinge doch solches keines weges: sondern Solande wurde mit jenem Missethäter zu gleichem Tode verdammet. Indem nun dieses alles geschähe / flöß ein gantz halb Jahr dahin / ehe die Sache zu völliger Richtigkeit kam / biß der Tag erschiene / welcher Solandens Todt und Leben scheiden solte. Ein überaus heisser Tag war es /

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da Solande mit glüenden Zangen solte geknippen und nachmals mit Pferden zerrissen werden. Da wolte nichts helffen / Solande weinete oder ruffte seine Unschuld und GOttes allwissendes Zeugnis an / wie er wolte. Kein Wunder ware gewesen / die Fluth seiner Thranen hatten die Kohlen abgekuhlet / welche ihm zur Beförderung seines Todtes vorgesetzt waren. Doch entfiel ihm der Muth nicht / auff seinem Glauben G O t t anzuruffen / und / ob gleich nach dem Tode erst / seine Un- (33)schuld an Tag zu bringen / damit seine Gebeine von dem Orte der Schmach mochten genommen und seines Namens Gedächtnis von der unverschuldeten Schande gerettet werden. Niemand war unter so vielen tausend Menschen zu gegen / welcher ihn nicht betauret hatte. Mannes und Weibes Personen beträhnten den nahen T o d t : Und numehr entbloste man des gerechten Müssethäters Leib; Dessen Schönheit unter denen Zuschauern ein lautes Geheule: Und bey dem Hencker selbst / welches sonst gar rar ist / ein nasses Mitleid erweckte. Eines vornehmen Marquisen Tochter hatte das Hertz vor ihn zu bitten; Alleine weil dem Verbrechen wieder den Konig selten vergeben wird / so muste diese Dame mit REPULS davon gehen. Nichts desto weniger traten über hundert die schönsten Dames zu sammen / so unter dem Hauffen der Zuschauer stunden / in der gewissen Hoffnung / ihn loß zu bringen. Aber alles vergebens / mit öffentlicher Beschwerung des Ober=Hoffrichters / und zugleich angehengeten Verweiß / die jenigen nicht zu heegen / welche (34) mit Frevel in das Blut der Majestät hinnein sturmeten. Ein iederman betaurete den schonen Menschen: Aber niemand vermochte so viel zu gelten / daß er dieses Wohnhauß aller Menschlichen Schönheit vom bevorstehenden Brande hatte erretten können. Nun war er schon an die auffgerichtete Seule / mit denen Händen über dem Haupte angebunden / und der eine Henckersknecht zöge eine von denen glüenden Zangen hervor ihm den ersten Knip zugeben. Jetzt nun / da er die lincke Brust anzwacken wolte / erhub sich eine Stimme im Volcke / welche begehrete / daß innegehalten werden möchte. Und alsdenn trat der vormals untreue Lappman / der mit dreyzehntausend durchgegangene Diener des Solandens / hervor / und sagte so viel aus / daß Solandens Unschuld halb und halb erkennet wurde. Das hohe Gerichte verordnete beyde Müssethäter / so wohl den Schuldigen / als Unschuldigen wieder in Verwahrung zu bringen / und dieses mal den Proceß auff zuheben. Lappman ward gleich-(35)wohl auch weil er unbekand / mit eingezogen. O b nun schon der ungetreue Mensch / die erste Schuld Solandens seines Unglücks auff sich hatte / indem Solande / wann jener nicht mit viel Gelde durchgegangen ware / nicht hätte betteln / und also dadurch in einen allgemeinen Auffruhr kommen dorffen. Dennoch aber erfreuete Solanden diese / durch seinen vormaligen ungetreuen Diener geschehene Rettung: Anderes Theils ließ er sich auch zu Hertzen gehen / daß Lappmann sich

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seinet wegen in Gefahr des Lebens setzte / indem er seine Dieberey zum Grunde der Warheit keines weges verhielte / sondern seinen betrübten Herrn zu erlösen / offenhertzig bekennete. Und darumb erließ er ihm das entführte Geld: Dieser in deß nennete die Kauffleute / bey welchen er die Wechsel auffgenommen. Selbige zeugeten die Brieffe vor / und versicherten / daß Solandens Zustand also / wie er vorgegeben / beschaffen. Andere Anzeigungen ereigneten sich mehr / wodurch Solandens Sonnenklare Unschuld an Tag trat. (36) Der schuldige Mittgefangene sähe nun / daß sein Vorgeben ferner nicht bestehen würde; Dannenhero ließ er sich etwas kleinmüthiger an. Gleichwohl blieb das Teuffelskind auff seiner Verleumbdung / und hätte doch zum wenigsten so viel damit zu wege gebracht / daß Solande noch ferner in Verhafft geblieben ware / wann nicht ein anderer Morder ware ertappet worden / welcher freymüthig gestanden / daß keiner von seiner gantzen Rotte / Solanden iemals gesehen / oder was von ihm gehöret hätte. Noch musten die Kauffleute vor Solanden eine ansehnliche C A U T I O N bestellen / daferne er loß seyn wolte; Dieser hingegen auch denen Kauffleuten wiederum so viel an seinen / zu Taranta habenden Gütern verschreiben. Hiemit nun war Solande auff freyen Fuß gestellet. Seinen Lappmann machte er auch loß / und hieß ihn ziehen wohin er wolte. Denn dessen Dienste begehrte er durchaus nicht wiederum anzunehmen: Weil er wohl wüste / daß die Diebe die Art der Säuffer an sich haben / daß wo sie einmal angefan-{37)gen / nicht davon lassen können. Unterdessen war er doch unglücklich in der C A U T I O N , SO zweene Kauffleute vor ihn gemacht. Denen Gefangenen ist freylich wohl / wann sie wiederum zu ihrer Freyheit gelangen. Solande stellete sich / da er aus dem Gefängnis kam / wie ein Vogel an / welcher aus dem Bauer entrunnen / sich auff das nechste Tach setzet / und seine Stimme hören last. Er machte sich durch erlittenes glückliches Unglück in der gantzen Stadt so bekand / daß er über keine Gasse gehen konte / man sähe ihm nach / und redte von ihm / daß er der Jenige sey / welcher fast unschuldig umb sein junges Leben kommen wäre. Jederman freuete sich mit ihm / und kein Mensch war zu hören / der ihm seine Befreyung gemüßgonnet hätte. Hiedurch ward er so bekand / daß mehr von ihm in der Stadt geredet wurde / als von dem Nechsten nach dem Konige. Die Vornehmsten liessen ihn bey angestelleten Panqueten neben sich sitzen / und keine Versamlung wolte seiner entbehren. (38) Gleichwie nun die Fama nach des O V I D I I Beschreibung / immer grosser wird / ie weiter sie gehet; Und dannenhero mit einem Schneeballen gar wohl zuvergleichen / welcher / ie weiter er gewältzet wird / ie mehr er zunimmet: Also fehlete es auch nicht daran / daß so wohl in des Solandens Vaterlande / als auch in Paris ungleich mehr von ihm geredet wurde. Zu

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Taranta wüste man nichts mehr von Solanden zu sagen / als daß er sich in Verratherey / wieder den König eingelassen / und deswegen mit glücnden Zangen gebrennet / und durch Pferde zerrissen worden. Derowegen weil keine Erben oder Anverwandte mehr übrig waren / griff der Rath zu / welcher ohne dem arm und dürfftig / und mit diesem Griffe sein magres Kraut fett zu machen gedachte / und nam Solandens Guter alle zu sich. Die beweglichen Dinge stahlen die Pachtleute / und was sonst zuverpartiren war / das hatte alles schon seinen Herrn. Hingegen zu Paris wüste man von Solandens Reichthum nicht genug zusagen. Hatte er etwa auffs genaueste sechzig tausend Thaler (39) werth / so preiste man ihn dort auff zwo Tonnen Goldes. War sein Vater Stadthalter zu Taranta / siehe so lobte man ihn zu Paris vor einen Fürsten. Und eben darumb trug man kein Bedencken / ihn nacher Hofe zuziehen / und mit denen grosten Dienern des Koniges bekand zumachen. Kein Frauenzimmer ließ sich reuen dahin zufahren / wo Solande zu sehen war: und manche Messe war darumb Volckreicher / wenn Solande selbige mit besuchte. Seine Holdseeligkeit bezwang alle Gemüther / auch die sich sonst dem Closter Leben mit ewiger Geliebte ergeben hatten. Niemand war ihm mehr feind / als die Herren Patres der Catholischen Kirchen / weil Solandens Anschauen aus ihren Clostern ein warhafftiges Egypten machte / daß die schönsten Nonnen der Münche Fleisch eine lose Speise nenneten / hingegen aber desto brünstiger nach frembden Fleische lüsteten. Solche Würde ließ sich Solande zu seinen Schaden gefallen; und belustigte sich / wann das Frantzoische Frauenzimmer ihn also beehrete: Nach-(40)mals setzte er sich hiernechst vor / ein Stück Geld an dem Orte zu einer jahrigen Lebens-Lust zuverthun. Kurtz darauff funde sich eine Compagnie vortrefflicher Comoedianten ein / welche alle Tage vor dem Konige ihre Handlungen ablegeten. Mit diesen liesse sich Solande ein / in taglicher Gesellschafft zu leben. Diese Leute waren überaus lustig und kurtzweilig / daß aus Solandens C O N V E R S A T I O N mit ihnen / fast ein Fieber wurde / welches alle Tage kam. Das Verlangen umb sie zu seyn / war einer Seuche nicht ungleich / welche auch die Nacht ihre Hitze bey sich hat. Durch die ward Solande etwas munter (die eifrigen Leute nennen es liederlich) daß er die Massigkeit fast bey seiten setzen / und ein unordentliches Leben sich angewöhnen wolte. Das einige war zu selbiger Zeit an ihn zu loben / daß er vermöge dieser Bekandtschafft / sich in Lautenspielen perfect machte: Und die Frantzöischen Tantze überaus zierlich heraus bringen lernete. Auff denen Comoedien liesse er sich in manchen BALLET, als ein Vortantzer be-(4/)finden / mit nicht geringer Belustigung der Zuschauer. In solchen Leben brachte er eine ziemliche Zeit hin / er wüste aber nicht / daß zu Hause es so schlim zu gienge / und der Rath seine Güter / ein

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Stück nach dem andern in rothen Weine zerschmeltzten. Er hatte auch dergleichen noch nicht erfahren / wann die Kauffleute zu Paris sich nicht geweigert hatten fernem Vorschuß zu thun. So war er denn freylich gehalten / woferne er nicht in vorige Armuth gerathen wolte / entweder Wechsel zuverschreiben / oder Paris gar zuquittiren. Das letzte zwar ware sein bestes gewesen / wenn er nicht noch tausend Cronen zum Beschluß / derer in Paris gemachten Schulden / hatte auffnehmen können: Welche er aber gar schlecht anwendete / ausser daß er hundert Cronen denen Armen zum Opffer der guten Wercke / wegen vormalß überwundener Lebens Gefahr / hergab. Dieser Rest war endlich auch verthan / und nahete sich das Abnehmen seines sonst guten Ruffs / so geschwinde / wie die Nacht nach dem Tage. Dan-(42)nenhero schopffte er einen Zorn wieder sein Glücke / dessen Ursache er doch selbst war / und schlug die Gunst so vieler Leute in die Schantze / nach dem er zuvor von seinen Comoedien= Brüdern zur Abreise mit ihnen / veranlasset war. Selbst diese hatten grosse Schulden gemacht: Drumb musten sie mit der Katzen vom Taubenschlage gleichen Abschied nehmen. Sie trenneten sich des Abends von einander / damit ihre Abreise umb so viel unvermerckter bliebe. Sie erwehlten in der Vorstadt ein Nacht=Qvartier: Und so konten sie desto früher auff seyn / und sich nach Troiville erheben. Welches sie dann umb so viel eher werckstellig machen kunten / weil sie kein Theatrum mit sich führeten. Dann sie pflegten nirgend / als in grossen Städten zu agiren / wo sie auffgebauete Theatra antraffen. Solande gewohnete endlich das Leben / und gieng aus Lust mit auff den Schauplatz und PRAESENTiRte in Comodien allemahl einen Liebhaber. Die GRACE SO ihm beywohnete / verursachte täglich eine größere FREQUENZ der Zuschauer / daß er zu Troiville noch mehr geliebet wurde. (43) Seine Person brachte der gantzen Compagnie ein nützliches Ansehen / daß diese nach Hofe gezogen / und vor dem Bischoffe allda ihre schönsten Stücke / gegen grosse Belohnungen PRAESENTiren musten. Unterschiedliche Weiber und Ledige verliebten sich zwar in Solanden / alleine / da er der Liebe gar nicht / oder doch wenig zugethan / blieb er unentzündet; Hatte aber doch seine Freude / wegen der mannigfaltigen Liebe / zu welcher er doch nichts / als sein blosses Ansehen verleyhen konte. Ich muß bekennen / weil ich dieses mit meinen Augen gesehen / daß er manchen Tag auff sechs und mehr Brieffe zu beantworten hatte / so ihm von unbekandten Weibes-Personen überschicket wurden. Ich werde verursachet / nur etzliche davon in Abschrifft zu melden. Es hatte die Compagnie den v e r l i e b t e n R o d e r i c o selbigen Tag gespielet / und mit grosser Vergnügung abgeleget. Kaum eine Stunde darauff brachte ein Knabe nachfolgenden Brieff an Solanden / welcher den Roderico PRAESENTiret.

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D i e s e n Brieff schreibe ich nicht / meine Liebe demselben anzutragen / denn das weiß ich ohne dem / daß dieselbige seiner Gegenliebe unwerth ist: Sondern darumb / daß ich mich gegen ihn / nicht aber über ihn beklage / indem der Himmel hundert andern Menschen die ausserliche so wohl / als innerliche Schönheit des Gemüthes / entzogen / und ihm in einen Uberfluß mit=getheilet. Dannenhero ist kein Wunder / wann so viel Frauenzimmer und ich absonderlich unter denenselbigen mich um seine Liebe bewerbe. Ich leugne nicht / daß mich seine Gestalt entzündet / ob ich gleich mein Geschlechte unter die rechne / welche frembder Liebe niemals ein Opffer gebracht. Ich liebe zwar; Jedoch brenne ich nicht. Ich suche ihn zu lieben / und daß ers wissen möge / schreibe ich hier (45) mit meiner eigenen Hand. Aber doch hasse ich alle Eitelkeit des Fleisches. Der Welt Lust bin ich feind; Aber seine Person zu lieben / werde ich niemals ablassen / das Glück sey mir zuwieder wie es will. Ich liebe seine Schönheit und Tugend / und ausser dem achte ich alles vor Thorheit. Getrauet er nun eine Person zu lieben / welche zwar von ihrer Tugend nichts zu sagen weiß; Dennoch aber mit Bestand sich rühmen kan / daß sie nichts darüber schätze? So soll es an keiner Gelegenheit zu einer ergötzenden Zusammenkunfft ermangeln. ADJEU. Ich erwarte des Glücks und seiner unbekandten Zuneigung. H . S. R. Nicht lange darauff / ehe Solande noch diesen Brieff gelesen / kam ein anderer an / mit nicht geringerem Nachdrucke / welcher also lautete.

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Schönster Solande

I c h bin gar wohl zu entschuldigen / wenn ich gleich wie alle andere Menschen / auff der Welt das Beste suche / und da ich ja lieben soll und muß / mich zu euch nahe und eurer Gewogenheit mit tausend Begierden nachstelle. Es hat zwar die Gütigkeit des Himmels / mich vor einem Jahre allbereit an einen Mann verbunden / nachdem ich wieder meine INCLINATION, von meinen Eltern gezwungen / denselbigen als einen sechzig Jahrigen Ehegeferten anzunehmen: nicht zwar / welches die erste Ursache der Ehe seyn soll / aus Liebe: sondern wegen seines baaren Geldes und andern Vermögens / worein sich meine Eltern vergaffet. Und nun gehet mirs wie dem Hunde / der nach dem Schatten geschnappet und das Stücke Fleisch darüber verlohren. O b ich gleich in Gelde sitze / wie e i - ( 4 7 ) n e Made im Kase; So kan ich mir doch vor so vieles Geld und Gut nicht das

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jenige erkauffen / was andere Weiber zu ihrer taglichen Vergnügung umsonst haben. Zu dem hat mir der Himmel ein solch Geblüte einverleibet / welches Hitze genug bey sich führet / daß mir die groste Pein auff der Welt seyn würde / wann ich also in mir selbst verbrennen müste. Derowegen / holdseeliger Solande / verzeihet mir / wann ich mich in euren blossen Anschauen zu ergetzen / und darunter mein Leid zu vergessen / suche. Gönnet mir eure Gegenwart / wozu alle Tage / ohne wissen meines alten unvermoglichen Mannes / Gelegenheit genug erscheinet: Absonderlich noch diesen Abend / da er über Land nach H o f e zu einer Auffwartung beruffen / von dannen er binnen vier Tagen nicht wieder nach Hause kombt. Zwar (48) will ich mich ietzo mit Namen nicht nennen / sondern meine Leibeigene Uberschrifft so lange versparen / biß ich eurer Zuneigung versichert. Wollet ihr nun mich Einsame / die einen Mann hat / und doch keinen Troster / so gebrauchet Überbringerin meines Brieffs / ein altes verschwiegenes Weib / zu euren Wegweiser. Welche euch durch meinen Lust=Garten / zu mir / in mein Gemach bringen soll / worinnen ihr euren Verdienst nach / bedienet und euch eure Bemühung wol genug bezahlet werden soll. Lebt wohl / liebster Solande / und last nicht geschehen / daß ich euch vergebens mein Anliegen eröffnet. Kommet / und erfreuet eure Ν . N . und geniesset was euch das Glück auffgehoben. Der erste Brieff schiene eine blosse Freundschafft zusuchen / welche ohne bose Lust gar wohl stehen kan. Doch ists eine schwere Gelübte / mit einer W e i b e s - ( 4 9 ) Person in taglicher / iedoch geheimbten CONVERSATION, in finstern leben / und nicht durch Fleisch und Blut verführet werden. Die Katzen mausen / und das Feuer der Liebe hat bey weiten noch nicht die Art / wie jenes bey denen drey Mannern in feurigen Ofen. Wann sich diesem Stroh oder Leinwand [. . .] nahet / so brennet es / es geschehe nun sichtbar / oder unsichtbar. Eine sonderbare Art der Liebe findet sich offt bey Jungen Leuten / indem Sie nemlich nichts mehr verlangen / als umb eine Person zu seyn / so Sie lieben ohne Empfindligkeit einiger Wollust. Alleine gleich wie das Ratz / ob es gleich an der Ketten gezaumet / dennoch von seiner Art nicht last / sondern iederzeit nach dem jungen Hüner Fleische lüstert: Also kan auch die blosse Gegenwart des / das man liebet / allerdings nicht vergnügen / woferne nicht der sonderliche Gebrauch dazu tritt. Niemand nimt sein schönes R o h r in die Hand / daß er nicht zum wenigsten den Schneller daran stechen / und wieder loß ziehen solte. Ich geschweige den Wundsch / offters daraus (50) nach dem Ziel zu schiessen / und einen Gewinst davon zutragen. Darumb weiß ich nicht / ob die erste oder andere Liebhaberin zu loben. D o c h will ich den Grund der Sache in einem Augenblick eroffnen. BLOISO

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(also will ich so lange die Erste nennen) gieng unter wehrender Comoedien lange mit sich zu Rathe / wie sie es anfangen / und durch was vor Mittel die Bekandschafft mit Solanden zusuchen ware. Eines Theils gedachte sie / wann Solande ein Joseph ware / als denn mochte sie ohne das ausdruckliche Verstandnüs / daß sie der fleischlichen Liebe nicht zugethan sey / bey Solanden kein Gehöre erlangen. Nun ist gewiß / daß an Solanden keine üppige Feder zuerkennen / aus welcher man Solanden vor eine Wachtel oder Auerhan hatte ansehen sollen. Seine Augen regierte er so sitsam / als wann man eine unschuldige Weibs=Person in seine Paruque gestecket hatte. Dessentwegen gedachte Madam BLOISE, Solanden hierdurch zu körnen. Ich stelle dahin / ob sie vermeinte mit diesen gelinden Futter den Vogelleim zubedecken / { 5 1 ) und den Vogel desto eher dran zubringen. Madam Valesse aber konte in diesen Stücke von manchen mehr gerühmet werden; Weil sie ihr Anliegen fein deutlich und von Grunde ausgeschüttet. Sie gestehet die innerlichen und auserlichen Ursachen der Liebe: Und dieses Bekentnüs soll ihr ein Mittel seyn / Solanden desto eher zu gewinnen. Jedoch gieng er mit sich zu Rathe. Bald setzte er sich vor / BLOISEN eine Visite zu geben: Bald vermeinte er Valessen heimzusuchen / und eine Hand voll Ducaten damit zuverdienen. Bald beschloß er gar keine zubesuchen. Madam Valessen alte liebe getreue hatte nun billig Solanden in seiner DELIBERATION, mit einem Beredungs=Worte begegnen sollen; Aber so war sie zu entschuldigen. Denn sie war stum geborn: Dabey aber doch gutes Verstandes und sehr scharffsinnig. Sie machte nur eine freundliche Miene / schlichtete Solanden die Hände / und gab so viel zuverstehen. Daß sie ihn von Grund des Hertzens gerne mit sich haben mochte. Er aber / weil er die Wollust nicht suchte / sondern vielmehr (52) in der Frembde nur sein Auskommen / durch solche Bekandschafften zu stützen / gab diese Antwort von sich: Es solte das stumme Weib morgendes Tages wiederkommen und ihm gegen Abend / den Weg zu ihrer Frauen weisen; Als denn wolte er folgen und auff den Brieff mündlich antworten. Diese alte MAQVERELLE muste damit zufrieden seyn / wie ungern sie auch dran gieng. Sie vermeinte diesen Abend auch etwas zu erwerben / wiewol mehr von ihrer Frauen / als von Solanden. Denn sie hatte ihr ein gantz neues Kleid versprochen / wenn sie Solanden mitbringen würde. Noch muste sie auff Solandens gegebene Antwort / Abschied nehmen / und den folgenden Tag erwarten. Solande gieng mit sich zu Rathe / und faste allerhand Gedancken darüber. Bald lachte er über der Welt betrügliches Thun; Bald bekümmerte er sich über seinen Zustand / zu Taranta / und wündschte denselbigen zu wissen. Dannenhero gieng er in der Stuben auff und nieder / und redete mit sich selbst. Doch mochten ihm die Gedancken zusetzen / (53) wie sie wolten / so betrübte er sich weniger / und ließ das Glück

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stets walten. Unterdessen kam der Abend herbey und der Himmel wolte numehr dunckel werden. In solcher Tag= und Nachtscheidung kam ein noch anderer Bothe an / welcher auch / wie man zu reden pflegt / lange Hosen anhatte. Mit wenigen zusagen: Es war eine sehr reiche Dame / welche zwar Geld genug / aber dabey auch Mangel genug an sich hatte. Ihr Jungfräuliches Fleisch hatte sie numehr ins viertzigste Jahr in der Welt herumb getragen / ohne daß sich ein einiger Liebhaber bey ihr angegeben. Ehrlich war sie und unberührt; Aber wieder ihren Willen. Denn sie hätte gar gerne solche vermeinte Süssigkeiten genossen / wann nur iemand seinen Leibe die Pein anthun und sich mit ihr in eine Fleischliche Sunde einlassen wollen. Das Kleppelküssen / so sie auff dem Rücken stets mit sich trüge / hätte mögen hingehen / wann nur sonst was gutes an ihr gewesen wäre. Doch muß ich bekennen sie war weiß und roth: Nur das war zubeklagen / daß diese Farben und ihre (54) gantze Schönheit versetzet / und iedwedes Stücke derselben an einen Unrechten O r t kommen war. Die Weisse welche ihre Stirne / Hals und Zähne beschönen solte / war auff die Lippen gefallen. Das Schwartze der Augenbraunen war auff die Zähne kommen. Die Rothe der Wangen hatte sich in die Augen gezogen / und das Silber spatzierte allmählich aus dem Beutel in die Haare. Etzliche sagten / sie trage den Bauch auff dem Rücken / und den geraden Rücken an Bauche. O b sie vielleicht ihre magern Gliedmassen dadurch beschreiben wolten. Dazu hinckte sie auch auff dem lincken Schenckel. Diese nun kam selbst in ORIGINAL, iedoch wie eine Magd verkleidet / zu Solanden vor seine Stube / fragte nach ihn und übergab ihm einen Brieff / so sie geschrieben / sie gab sich vor die Magd aus / und vermeinte damit allerhand Vortheil zu gewinnen. Absonderlich aber wolte sie aus Solandens Munde hören / was dieser etwa auff ihr Schreiben zu thun gesonnen. Solande nahm den Brieff von ihr an / hieß sie vor dem Gemach verziehen / und (55) erkundigte dessen Inhalt / welcher dieser war.

Solande mein Trost! ^Kf Ann mir der Himmel nicht mehr Tugend und Geld / als äusserliche Gestalt des Leibes verliehen / so würde ich auff dem Schauplatze der Welt= Freuden eine schlechte Person PRAESENTiren. Denn ich muß gestehen / daß die Natur auff meinen Schultern einen EXCESS, an dem lincken Fusse aber einen Mangel eingeleget / und daß die Liebe nun biß ins viertzigste Jahr mir meine Rote ausgesauget / und das Fleisch von Leibe und aus dem Angesichte / gleich wie die Schwindsucht verzehret. Wiewol ich vor dessen Wiederkunfft nicht sorge / so bald ich nur von meiner Sehnsucht erloset. Der kleine Gebrechen / den ich mit mir trage / stehet schon zu-

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verbergen; Wann ich unter den kurtzen Fuß eine güldne (56) Steltze setze / und den ungleichen Rucken mit Zahl Perlen und Ducaten eben mache. Hingegen was mir von aussen fehlet / hat der Schopffer innerlich an Gemuth mit reichen Wucher ersetzet. Ich liebe so bestandig / daß / wen ich einmal also zu meinen mir vorsetze / den muß mir der Todt nehmen / woferne ich von Ihm soll getrennet werden. Ist nun das Angesicht gleich durch die Zeit etwas angelauffen / so ist doch der übrige Leib nicht zuverachten / welcher sich gegen einen rechtschaffenen Liebhaber annehmlich genug bequemen wird. Und da ich gleich mit einen Fusse zucke; So bin ich doch an dem Orte nicht lam / welchen ein Frauenzimmer am meisten von nöhten hat: Und scheue ich mich gar nicht bey meinen schwachen Leibe / so viel auff mich zunehmen / als THALASTRES, oder die gröste Weibesperson / (57) deren ihre grosse Starcke und vieles Fleisch des Leibes / selbst eine Beschwerung ist. Damit ihr mich aber recht erkennen möget / so betrachtet meine Magd / welche euch diesen Brieff zustellen wird / die ich darum zu mir genommen / und werth halte / weil sie mir fast in allen Stucken gleichet. Würdiget sie und redet mit ihr / so werdet ihr von derselbigen meinen Zustand besser erfahren. Mit einem Worte / ich bin glückseelig / und fehlet mir weder an Gelde / noch an Muthe. Ihr aber / Ii ehester Solande / könnet meine Glückseeligkeit so hoch vergrössern / daß ich mich werde rühmen können / es sey FORTUNA bey mir eingekehret / und ich sey durch eure Liebe mit dieser Gottin verschwestert worden. Gönnet mir / Schönster / was ihr besitzet / und wonach ich strebe. Alles was mir vom Glück verliehen / lege ich h i e - ( 5 8 ) mit in euren Eigenthumb. Wolt ihr aber daß ich sterben soll / so verschlaget mein schrifftliches Flehen / doch höret nur mit wenig Worten meine Dienerin.

Der AUTOR dieses Brieffes hieß Moiretta. Solande aber wüste nicht / daß sie es selbst war / die den Brieff geschrieben / und in Magde-Kleider verstecket / ihm selbigen übergeben. Dannenhero forderte er / nach Verlesung des Brieffes die vermeinte Magd vor sich / und hielt folgenden DISCURS m i t ihr.

SOLANDE. Mensch wist ihr / oder hat euch eure Jungfer vertraut was ihr bey mir zusuchen. MOIRETTE. Das hab ich mit ihr zugleich gewust. SOLANDE. SO darff ich denn kühnlich mit euch reden? MOIRETTE. SO wohl als mit meiner Principalin selbst. SOLANDE. SO sagt mir denn / wer eure Dame ist / und von wem sie entsprungen. (59)

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MOIRETTE. Dieses darff ich nicht eher thun biß ich gewiß bin / daß mein Herr sie liebet. SOLANDE. Wie kan ich das begehren / was ich nicht kenne / und lieben / welches ich nie gesehen habe. MOIRETTE. Die Liebe hat kein Gesetz wie andere Guter / so man vor dem Kauff erst sehen muß. SOLANDE. Gleichwol muß man diesen blinden Gotte nicht blind begegnen / wo man nicht mit ihm zugleich fallen will. MOIRETTE. Hohe Haupter und Potentaten / denen eine Gottliche Vernunfft vor andern Menschen beywohnet / wiedersprechen diesem Schlüsse; Weil sie auff ein blosses CONTRAFEIT oder Bildnis sich in Liebe einlassen / ob sie gleich das Vorbild niemals gesehen. SOLANDE. Auch dieses ermangelt mir; inmassen ich mich denn an der Aehnligkeit des Bildes gar wohl ersehen wolte. MOIRETTE. SO werffet eure Augen auff mich und mein Antlitz / wann (60) ihr die Jenige erkennen wollet / welche nach euch mit allen Seufftzern strebet. SOLANDE. Wohl! Magdgen / so eröffnet denn eur Angesicht / um die zu erlernen / welche mich zu lieben suchet. MOIRETTE. Dieser Gehorsam ist mir der libste. SOLANDE. Hat denn eure Jungfer auch rothe Augen? MOIRETTE. W i e er siehet.

SOLANDE. Das ist eine Ungestalt / bey Weibes=Bildern und eine schlechte Hoffnung. Denn welche rothe Augen haben / die sauffen entweder / oder sind ungesund. MOIRETTE. Augen welche sich umb der Liebe Willen stets netzen / müssen endlich errothen / aber wenn sie das erlanget / wonach sie sich sehnen / so scheinen sie desto heller. SOLANDE. Ha! Wann die Sonne des Morgens roth auffgehet / so verkündiget sie dadurch denselbigen Tag einen Sturm. Rothäugi-(6/)ge Weiber seynd meistentheils Herr im Hause und zornige bose Thiere. MOIRETTE. Die Liebe kehret alle Menschen umb / und ändert die gantze Natur. Sie verjunget alte Leute; Warumb solte sie nicht auch eine mußfallige Unarth bezaumen können / derer Anzeugung rothe Augen seyn? SOLANDE. Ihr habt ja einen Buckel: Ist euch denn eure Jungfer auch daran gleich. MOIRETTE. Ο freylich. Darinnen sucht sie eine Ehre. SOLANDE. Das muß ein wunderlich Gemuth seyn / welches sich über seines Leibes Ungestalt erfreuet. MOIRETTE. Ο das seyn niedrige Gemüther / welche sich an einen zerbrechlichen Spiegel des Leibes vergnügen können / welcher doch der Zerbrechligkeit alle Stunden näher als ein Glaß.

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SOLANDE. Solte dann ein so gebrechlicher Mensch klüger seyn / als andere gesunde Leute? (62) MOIRETTE. Freylich. Denn was die Natur an Leibe versaget / das ersetzet sie an Gemuthe mit scharffen Verstände. Ausgewachsene Personen sind die klügsten Leute. SOLANDE. Ich muß bekennen / Magdgen / daß eure Jungfer keinen bessern Boten als euch gebrauchen können / welcher ihre Mangel / mit solcher Beredsamkeit vertreten. Aber siehet sie auch so blaß wie Ihr. MOIRETTE. E b e n s o .

SOLANDE. Und so weisse Lippen. MOIRETTE. Diese beweisen / daß sie aus dem Geschlechte der Edlen gebohren / welche durch solche Farbe sich also bald zuerkennen geben / daß sie aus keinen Bürger=Geblüte gezeuget: Und muß er wissen / daß weisse Lippen und blasse Wangen / die Krafft eines Wapens haben / welches von vornehmen Ahnen ein Beweißthum traget. SOLANDE. Eure Jungfer / wie ich höre / suchet in Unvollkommenheiten eine Schönheit: Und durch das / was ich an andern Weibs=Personen (63) tadele / vermeinet sie mir einen Appetit zu machen. MOIRETTE. Ach schönster Solande qvalet die jenige nicht / welche ausser eurer Gunst sich lieber den Todt wündschet. SOLANDE. Der Himmel pflantzet die Liebe ein / und wem diese nicht gegeben / von dem kan sie auch nicht gefordert werden. MOIRETTE. Ein Feuer muß das andere anzünden. Liebt Moirette Solanden. Warumb will er ihr gleiches Recht versagen? SOLANDE. SO heist eure Jungfer Moirette? MOIRETTE. Moirette heist sie: Aber ihr Geschlechte ist ferne bekandt. SOLANDE. J a was ist zu thun? Die Liebe last sich nicht zwingen. MOIRETTE. Das Eisen ist hart / und wird dennoch durchs Feuer erweichet. Warumb nicht auch Solandens Hertz durch das Feuer der Liebe. SOLANDE. Niemand fange an zu lieben / er wisse denn / daß er zuvor ge(64)liebet werde. Denn sonst ist es eine grosse Pein / wenn man die Liebe nicht so leicht vergessen als empfangen kan. MOIRETTE. Das ist war: Ehe ist ein Narre von seiner Thorheit zu curiren / als ein Liebhaber von der Liebe. Aber was ist auff dem Erdboden zu finden / welches nicht vom Feuer konte überwunden werden ? Moiretta ist Solandens wohl werth. SOLANDE. Ja wann sie nur etwas wolgestalter / als ihre Bediente ware. MOIRETTE. Der Verstand ersetzet alles. SOLANDE. Oder doch zum wenigsten nur eure Beredsamkeit hatte. MOIRETTE. J a die hatt sie / und alles das / was euch an mir wolgefallen kan.

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Hiermit ließ sie die Kappe vom Haupte und die Decke von Schultern fallen / und Solanden den Diamant=Schmuck womit sie ihren ungleichen Oberleib behenget hatte / in die Augen leuchten. Solande erschrack über der (65) Kostbarkeit / sie aber redete ihn also an: „Sehet Solande / ich bin Moirette selbst / welche sich in geringer Kleidung das Wort redet. Zwar solte ich billich vor euren Augen meinen Liebs=Eiffer vor straffbar achten / weil es ungewöhnlich / daß ein ehrlich Weibs=Bild / unter solchen Scheine und mit so viel Worten bey einen Liebhaber um Gegenliebe anhalt. Doch werdet ihr mir mit Verzeihung desto gütiger erscheinen / weil ihr zu meinen verliebten Beginnen die Ursache selbst durch eure GENTILESSE gegeben. Sonst habe ich mich noch niemals in der Liebe vertieffen können; Sondern an statt derselben / mehr ein Historisch Buch / und einen Schmuck von schonen Perlen / geachtet: Alleine so bald ich Solandens ansichtig worden / bin ich nicht mehr Moirette / sondern Amourette zu nennen gewesen. Derohalben / schöner Solande / vertilget nicht durch euren Haß in mir das keusche Feuer / welches sich nach euren Flammen neiget: Sondern vergönnet / daß ich mich auff meinen Knien mag die Eurige nennen Moirette." (66) Solande ließ sich eine rechte Bangigkeit ankommen / indem er / so zu reden zwischen Thür und Angel gerathen. Theils entsetzte er sich über den ungemeinen Handel / an sich selbst: Theils verwunderte er der Moirette Beredsamkeit. Ferner wolte er ihren guten Worten gerne etwas willfahren: Und gleichwol wolte er auch nicht gerne eine Ausgewachsene zur Ehe haben: Zu verbotener Liebe aber war keins unter beyden geneigt. Doch erhertzte er sich endlich und antwortete ihr also: „Tugendhafftes Weibes=Bild / dergleichen ich unter der Sonnen wenig gesehen habe / ihre Klugkeit und Liebe zu mir / setzt mich in eine solche Bestürtzung / daß sie aus meinen verwirreten Reden fast keinen Verstand wird nehmen können. Ich selbst weiß mich nicht zu entschlüssen / was ich dero süssen Worten / vielmehr aber dero mir zugethanen Gemüthe / zur Nachricht bringen soll. Dero wegen bitte ich mit dieser Antwort ohne Antwort / so lange sich zu beruhigen / biß ich nach Überlegung meines Zustandes / und ob meine Person (67) dero Vortreffligkeit würdig / desto freudiger mein Jawort ausgiessen mag. Sie gedulde sich heut und morgen. Denn so viel Zeit kan unserer Liebe einen Ausschlag geben." Moirette ließ sich die Antwort gefallen / nahm Abschied / und wündschte Solanden nochmals ihr Andencken! Sie ließ sich vier und zwantzig Stunden so lange deuchten / als ihr gantzes Leben. Alle Augenblick zehlete sie / und erfreuete sich / wenn sie an die Stunde gedachte / da sie wiederumb in frembder Kleidung das Jawort abholen wolte. Sie saß in tieffen Gedancken zu Hause / vor vielen ihren Bedienten / und rechnete / daß sie sich noch drey Stunden mit Hoffnung schlagen müste. Wann sie

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von iemanden / wegen vermerckter Tieffsinnigkeit gefraget wurde / so wüste sie sich gar klüglich zu entschuldigen / wann sie vorgab / sie sinne auff ein neu Spitzen-Muster: Worinnen sie zu erfinden / sehr glucklich war. Schon mahlen / zeichnen / nehen und stucken kunte sie / Trutz dem / welcher sich darauff nehret. Drumb muste man ihr alles dieses desto eher (68) glauben. Unterdessen kam Solandens Brieff eher an / als sie vermeinte / ob sie schon willens war / umb gewisse Zeit ihn wiederumb selbst zubesuchen. Das Anschauen des Brieffes vergnügte sie mehr als ein ankommentes Schiff einen Schiffbrüchigen / welcher an einen ungebahnten Orte in der See auff eine Klippe geschlagen / und darauff Jahr und Tag in Einsamkeit ohne aller Leute Gesellschafft leben müssen. Der Inhalt aber / war Ihr so bitter als Wermuth und so schmertzlich / als ein Bette von Dornen: Welcher also eingerichtet war.

Hochberedte Moirette E i n schon Weibes*Bild / welches stum und unsittsam / gemahnet mich wie ein Pfau / den kein Blinder achtet / und welcher auch sonst / über sein Ansehen keinen Nutzen hat. Eine beredte Dame aber / ohne Gestalt und Anmuth ist wie eine Nachtigal / welche des Jahres nur eine gewisse Zeit zu singen hat / in übrigen aber / wann sie die Ohren vergnü(69)get / wird sie denen Augen zum Verdruß. Ein Mensch liebet mit allen fünff Sinnen; Und wo deren einer übel vergnüget wird / so ergreifft die P A S S I O N auch die übrigen. Ware ich blind / so muß Ich gestehen / es würde mir keine unter der Sonnen anmuthiger gefallen können. Nachdem aber in meinen gesunden Leibe auch gesunde Sinne zu gegen / so muß ich iedweden seine Genüge schaffen / und so wohl die Augen / als meine Ohren versorgen. Verzeihet mir zwar / daß ich also auffrichtig in die Feder / und Euch vor Augen lege / was ich in meinem Gemüthe / als eine warhafftige Ursache / Euch nicht zuheyrathen / trage. Denn ich ja sonst wohl tausend Entschuldigungen entdecken wolte / wodurch ich mich von euren Begehren / vermeinter Hoffligkeit nach / loß machen solte. Alleine weil ich die Falschheit hasse / (70) und den Grund der Warheit liebe / werdet ihr mir meine Auffrichtigkeit vergeben / welches andere vielleicht eine Grobheit nennen mochten. Gleichwol aber ist mir leid / daß ich euren Verlangen nicht so begegnen kan / wie ihr wohl in Wündschen habet. Jedoch hoffe ich / ihr werdet so lieben / daß ihr auch wiederum vergessen könnet / was Euch nicht werden kan. Denn ich zweiffle nicht / daß unter euren andern Tugenden / Euch auch die Herrschafft über das Gemüth beywohnen werde. Ich liebe eure Tugend / und eurer Person will ich immer in guten gedencken. Alleine ewig / das ist / ehlich mich an Euch zuverbinden

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mochte mir endlich verdrüßlich / und Euch unangenehm werden. Darumb will ich lieber ietzo dem Anfange wiedersprechen / als hernach mit Aergernüß das jenige suchen / welches ich schwer-(71)lieh erlangen kan. Besser ists / nicht verbinden / als mit mancherley Beschwerungen wiederumb getrennet werden. Lebet wol Moirette / und gönnet Solanden gutes / der vor Euch sorget.

Solande. Als sie diesen Brieff gelesen / wolte ihr fast das Hertze schwer werden / indem sie verloren schätzte / worauff sie so lange gewartet / und weshalben sie ein grosses gewaget. Sie ließ die Gedancken hin und her fahren / wüste aber keinen Weg zu finden auff welchen sie ihres Wündschens fähig werden kunte. Sie entschloß bey sich noch einen Versuch auff Solandens AFFECTION zu thun / indem sie betrachtete daß kein Baum auff einen Schlag sich fällen lasse. Jedoch wolte sie sich selbst nicht mehr wagen / sondern verrichtete ihren neuen Einwurff durch eine Botschafft. Und schrieb diesen Brieff.

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Solande / einiges Leben meiner Seele!

D E r Artzney Gebrauch kan auff einmal die Kranckheit nicht heben: N o c h ein Regen das gantze Land befeuchten. Ich habe Euch / liebens werther Solande / umb eine blosse Gunst ersuchet? Alleine ihr habt mich ohne alle Gunst von Euch gehen lassen. Wündschen zwar mochte Ich / daß Ich dieses Belieben niemals in mir empfangen / so hätte Ich doch an einer geheimbden Hoffnung mich ergetzen / und Euch dennoch / gleich auch wieder Euren Willen / lieben können. Aber so habe Ich Euch ein Opffer gebracht / welches Ihr doch nicht anzünden wollen. Bedencket / Solande / daß Ihr ein Mensch seyd / und sterblich: Und daß offt hinter der schönsten Blume eine Spinne stecket. Die Dornen wachsen mit denen Rosen (73) alsobald in die Hohe. Und mancher sticht sich drein / der sie in Händen träget. Also muß Ich gestehen / daß Ihr bey unserer Stadt manche Schönheit vor Euch habet / welcher Ich den Vorzug in Euren Augen gönnen muß: Alleine sehet zu / daß Ihr nicht zubeklagen habet / was Adonis mit seinem Schaden empfunden. Die gebrechlichsten Häuser kan man mit Dunch überziehen / und der vorbeygehenden Augen damit betrügen. Allein ein kluger Käuffer läst sich in kein Gebot ein / wann er nicht zuvor alle Gemächer von innen besehen. Schmincke und süsse Wort seyn des Frauenzimmers Garn / darinnen sie manche freye Seele verstricken / wie der Jäger das Wild / und das auffgebrüstete Fleisch / ist

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wie des Voglers Futter / damit man die Vogel körnet. Der jenige kan sich von der Thorheit nicht {74) loß machen / welcher umb einen Augenblick Wollust / den Ruhm der Tugend verschlaget / und nachmals mit Reu und Traurigkeit sein unbedachtsames Vornehmen büsset. Wer vernünfftig ist / liebet das / was ewig und bestandig; Und hat mehr Lust an einen edlen Geiste / welcher ein Brunnen der Tugend ist: Als an einen lasterhafften auffgefarbten Leibe / der zwischen heute und morgen zu Vermehrung des stinckenden Misthauffens dienet / und ein kurtzer Auffenthalt abscheulicher Wurme wird. Solte nun nicht mein Geist / der unsterblich ist / Eurer Person würdig seyn / dessen schone Helffte kein besser Recht hat / als mein ungerader Leib. Zwey Wochen nach meinen Todte bin ich eben so schön / als Ihr und alle Nymphen / so Ihr ietzo vor Gottinnen schätzet. ( 7 5 ) Darumb / leidseeliger Solande / ists müglich / Eure wiedernatürliche Hartigkeit Euch abzugewinnen / so bitte Ich / gebietet Euren Augen / daß Sie dem Verstände nicht in Wege stehen / damit dieser erkenne / daß mein Gemüth in mir / allen auserlichen Ansehen vorgehe: Und erwartet in mir eine höhere Vergnügung / die Euch wann Ihr aller Wollust müde / annoch im Alter vergnügen kan. Solande / liebet Moiretten / die sich Euch abermal ergiebet; Und erkennet / daß ein Mensch des andern würdig sey. Lebet wol und liebet / bitte ich nochmalß.

Die brennende Moirette. Der Brieff hatte Solanden doch zum wenigsten ein Mitleid gegen Moiretten gebracht / wann er ihn angetroffen hätte. So aber fand der Bothe mit dem Brieffe ihn gar nicht zu Hauße. Denn Solande war in ein ander Hauß gezogen. Und das konte ( 7 6 ) Er gar leichtlich thun; Denn Er hatte ein Philosophisch Vermögen: Das ist / wann E r in die Hohe sprang / so schwebete alle sein Gut / so Er / ausser seinen Vaterlande bey sich hatte / in der Lufft: W o Er hin kam / da konte Er zu Hause und eingezogen seyn. Also war Er nicht anzutreffen. Das Glück hatte Ihn in eines vornehmen Herrn Hauß getragen / allwo man Ihn / seines zierlichen Tantzens wegen / zu sich genötiget. Seine Stube / so Er bewohnte / hatte Er auff dem Hintergebäude des Hauses empfangen / wo er zwar in eine andere Gasse sehen / nicht aber den Ausgang dahinnein haben kunte. Seiner Gewohnheit nach / wann Er gegen seinen Untergebenen im Tantzen die Lehrstunde abgeleget / legte er sich ins Fenster / und sähe da die Leute in der Gasse auff und nieder passiren. Gegen über wohnete ein Rathsherr / bey demselbigen diente eine Magd / welche sich nicht vernarren wolte. Dannenhero als dieselbige sich bißher in den Ober=Pfarr zu

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Troiville verliebet / dieser aber an nichts weniger / als an die kluge Magd gedacht / ( 7 7 ) sondern sich nur neulich mit des Bügermeisters Tochter verlobet / war sie der geistlichen Liebe überdrüssig / in welcher sie sich nun in die fünff Jahr beholffen. Zwar hatte sich der geistliche Herr wol niemals in Sinn kommen lassen / an eine Magd / solcher Gestalt zugedencken / daß er sie heyrathen wolte. Alleine durch Priesterliche Freundligkeit / war der Mägde Alberstoltz bethoret / und in solche vergebliche Gedancken gesetzet. Wann der Priester zu Tische gienge / so muste er allezeit vor dem Hause vorbey / wo die stoltze Magd dienete. Seine gewöhnliche Ehrerbietung bezeugte er durch stetes abnehmen des Hutes. Darumb stellete sich Kunckelia / so hieß der Narre / allemal umb Tischzeit vor oder in die Hauß-Thür / damit sie den Priesterlichen Gruß recht empfangen / und ihren g r o s s e n D a n c k / den sie mit trefflicher Erbarkeit allemal von sich gäbe / dagegen thun mochte. Des Sontages schamete sie sich hinter ihrer Frauen herzugehen: Denn sie hielt es vor schimpflich / wann solches der Liebste sehen würde. Offt trat sie ans Fenster / und setzte der F r a u - ( 7 # ) e n Sammet=Mützen auff / damit sie dem vorbeygehenden Liebsten zuverstehen geben möchte / daß wann sie künfftig in ihren Frauen Stande / eine solche Mütze tragen werde / man ihr gar nicht ansehen konte / daß sie in Mägde Diensten gestanden. Man siehet / daß der Mensch sich ein Aergernis nehmen kan / ohne daß es ihm gegeben werde. Es hatte der Prediger / in welchen sich Kunckelia verliebt / einst die Ehe=Ordnung abgelesen / und eine Predigt darüber gehalten. Da er nun unter andern auch darauff kommen / daß das Glück auch arme Dürnen suche / und zum Ehestande versorge: ITEM da er so wohl der Hagar als andere neue Exempel einführete / und gedachte / wie eine fromme Dienst=Magd am Rheine / einen vornehmen DOCTOREM THEOLOG. zum Manne bekommen. Dieses zog Kunckelia alles auff sich / und meinte daß der Prediger zu keinen andern Absehen also predigte / als daß Er ihr die Ehe zuverstehen geben / und der Leute urtheilen vorbauen wolte / wenn die Sache numehr ausbrechen würde. Dannenhe-( 7 9 ) r o erwuchs bey ihr der Muth / daß sie ihren Lohn auff allerhand verbotene Galanteries wendete. So gut sie sonst zuvor in ihren Diensten gewesen / so vergessen und fahrlässig stund sie nachmals ihrer Küchen vor. Sie ward so voller Gedancken / daß / was sie aus denen Händen legte / vergaß / oder was sie in Händen hatte / Stunden lang suchte. Dannenhero als sie ihres Herrn weißgewaschene Rathsherren Krause nebst andern Speise Kochtopffen ans Feuer gesetzet / Landes Art nach selbige auszukochen / hatte sie dieselbige an statt des Kalbeskopffes / gar schon mit Speck / Salbey / und Semmelkrumen abgewürtzet: Und hingegen an Kalbeskopff blaue Stärcke genug gethan. Schon war sie nicht / sondern wie eine braune vollblütige Magd auszusehen pfleget. Und gleichwohl bildete sie sich

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dabey etwas rechtes ein. Ihre Frau merckte den Possen / nicht zwar / daß sie sich eben in die Geistligkeit verliebt / sondern nur daß ihre Magd verliebt und dadurch vergessen worden. Weswegen sie denn sich vorsetzte der Magd schärffer auff dem Tache (80) zu seyn / und die jenigen Dinge zuverwehren / welche sie zu solcher Thorheit veranlasseten. Zwar fehlete es an keiner Vermahnung / und sagte die Frau offte zu Kunckelia / sie mochte nur zur Ehe greiffen / woferne sie von denen liebs-Gedancken nicht ablassen könte. Zu gelegener Zeit stellete sich ein Glaser ein / welcher ob er schon ein Wittber war / und sechs Kinder hatte / dennoch ein gut Werck der Christlichen Barmhertzigkeit zu thun vermeinete / wann er durch seine Heyrath Kuncklien / von ihren Diensten freymachen wurde. Dieser hatte Gelegenheit bey Kuncklien ihrer Frauen / ein baar Scheiben einzusetzen / wie auch Kunckelien das Kuchen-Fenster auszuflicken. Der arme Tropff wolte die Gelegenheit zum Glücke brauchen / und führete Kunckeliens Frau bey Seite selbige umb ihre Magd anzusprechen. Die Frau verschöbe ihre Antwort / auff den Willen ihres Mannes / sagte aber dabey / daß sie beyde seinem Suchen nichts versagen / vielweniger Ihre Bediente an ihrer Wohlfarth hindern wolten. Sie freuete sich vielmehr da-(81)rüber. Denn sie dachte bey sich / eben dieser Freyer sey die Ursache / an ihrer Magd überflüssige Gedancken. Weiter wechselte sie kein Wort mit dem Wittmanne. Denn sie wüste wol der Mägde Art / daß wann sie Herren und Frauen erst umb den Rath fragen / der Handel schon geschlossen / und die gantze Sache richtig ist. Also vermeinte sie auch diese beyde Leute werden einander schon kennen / und das Vorhaben auff guten Grund gestellet haben. Wündschte daneben nur / daß alles schon geschehen / und sie eine andere Magd im Hause haben mochte. Doch wolte sie / so lange sie noch ihre Magd in Brodt und Lohne haben möchte / derselben keine Hoffarth über ihren Stand einräumen. Derohalben geboth sie ihr das breite Band von Armen zu lassen. Und die Ermel nicht sechsmal zubinden. Der Gehorsam war freylich ihre Schuldigkeit; Gleichwol aber wolte sie ihre vermeinte Zierligkeit nicht ablegen. Denn so offt Solande gegen über sich aus Müdigkeit und vielen Gedancken ins Fenster legte; so vermeinte die arme (82) Magd / sie sey der Magnet / der Solandens Augen nach sich ziehe. Offene Augen sehen alles an / was ihnen vorkomt / gleich wie die Sonne reine und unreine Dinge bescheinet. Darumb ward Kunckelia in ihre Thorheit desto tieffer geführet / wann sie sich einbildete / Solande habe keine andere Ursache seines Aufsehens / als ihre Blicke. Weil sie nun ihre Ermelbänder im Hause nicht brauchen durffte / so ließ sie sich die Mühe nicht verdrüssen / selbige allezeit vor der Thür an und abzubinden. Davon aber wüste Solande gar nichts / biß er endlich die Schwachheit merckte / wann er sähe / daß die Dienst-Magd

Politischer Stockfisch

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gegen über stets in dem Fenster läge / und als eine Narrin sich endlich mit allerhand Mienen sehen ließ. Jedoch war er noch nicht recht gewiß / daß es eben ihm gelte: Biß sie endlich gar einen Schul=Knaben / unter der Sontags-Predigt / ins Hauß ruffte / und denselbigen einen Brieff an Solanden dictirte / nach folgender Zierligkeit:

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MONSIEUR.

A L l e s liebes und gutes / wie auch mit Wündschung zuvor. Ich kan nicht unterlassen an Ihn zuschreiben. Und weil Ich wohl weiß daß er verliebt ist / und daß Ich auch bin / und Ich mein Tage keinen Kerl mehr geliebet / und daß Er mir auch bey meiner Seelen / Tag und Nacht wie ein Centner schwer auff meinen Hertzen lieget. Ich bin die gantze Nacht durch kranck / wenn Ich Ihn nicht sehe: J a auch dann und wann / wenn Ich ihn lange nicht sehen solte / so müste Ich sterben. Ich mercke es gar wohl daß Er auch verliebt ist: So kan Ich nicht unterlassen an Ihn zuschreiben / daß Er nur herüber kommen mag: Aber ja nicht am Tage. Denn meine Frau ist wie der Teuffei / und sie weiß gar wol wie sie es in ihrer Jugend gemacht hat / ehe sie den Wittber nam. Und Ich (84) wils auch nicht lange bey Ihr machen. Was darff Ich / daß Ich diene? Mein Vater ist ein ehrlicher Cantor zu Schobitz gewesen / und da haben wir Kinder / es seyn Ihrer unser sieben / noch eine halbe Hufe-Landes. Ehe Ich langer als eine Magd bey der Frau dienen will / eher will Ich mein Theil an der halben Hufe verkauffen und mich selbst beköstigen. Was rathestu mir denn mein Engellichen? Es muß doch gleichwol ein Unterschied seyn / unter einer Magd / und unser einem. Ich kann auch nicht unterlassen / daß du verliebt bist. Drumb komm nur herüber / und scheue dich nur nicht. Ich weiß gar wol / daß mich die Leute vor stoltz halten ? Aber komm du nur: Und biß nicht blöde. Du wirst es sehen Ich bin gantz nicht stoltz? Wenn Ich nun gleich aus so einem Geschlechte bin: Ich kann darauff nicht stoltz thun; (85) Und uff das bißgen Land will Ich mich auch nicht erheben. Lieber Schatz bringe mir doch auch einen Bogen Papier mit / Ich wolte gerne meine Wasche ein wenig auffschreiben. Ich habe mir neulich am JohannesJahrmarckte drey neue Hembden gemacht. Daß Ich nun zusammen habe 7. Ecker gantze Hembden / darunter eins von klarer Leinwand. Ohne die ein wenig abgetragen und dinne sind. 9. Brustgen. Darunter ein geflicktes. 10. Nacht-Hauben. 14. Schnubtucher und 9. Schürtzen. Glaube mir mein Kind / du darffst mir in sechs Jahren nichts von weisser Wäsche machen lassen. So habe Ich auch 13. Pfund Federn / und noch ein gantz Bailichen Leinwand / welche nicht angeschnitten. Zwo zinnerne Schusseln / einen neuen Krug / so Ich an Vogelschüssen gewonnen / und eine (86) Span-

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Neue schone grüne Lade / so mir ein Tischer-Geselle auff meinen Geburts Tage / zum Angebinde PRAESENTiret. Aber der gute Kerl darff sich nichts darauff einbilden. Ich gestehe Ihn nicht einmal Rede / Ich werde es auch nicht thun. Dem Glaser in der Hangasse habe Ich heute auch den Korb gegeben. Worumb mocht iemand fragen? Antwort: Du loser Dieb hast mir mein Hertz gestohlen. Und glaube es nur / daß ich dich hertzlich lieb habe. Ich kan nicht unterlassen / ja und zulieben / Er sey nur unerschrocken und komme ja. Ade mein liebes Engellein Ach wie woln wir einander lieben fein Wann Ich dein süsses Mündlein Werde schmecken mit den Lippen mein Es soll mich nimmermehr ein ander küßen Es mag auch wen es will verdrüssen.

Jungfer Kunckelia des Cantors von Schobitz klügste Tochter. (87) In der Welt muß es an Narren nicht mangeln / und solte es auch nur eine verliebte Magd seyn. Auff Seiten der Kunckelia / war es wohl gut gemeint / und war sie endlich darinnen klug genug / daß sie als eine Dienst-Magd / sich in Solanden verliebte / welchen so manches StandesFraulein vergeblich umb Liebe selbst angesprochen. Alleine / daß sie auff sich so viel hielte und vor selbst Liebe nicht den Unterschied zwischen sich und Solanden erkennen konte / das war eine Probe der Thorheit. Sonst gefalt mir der Brieff wol: Oder vielmehr die Künheit desselben / wodurch sie freymütig / gegen einen Frembden und Unbekandten entdecket / was sie bißher in dem verschlossenen Hertzen geangstet. Ich schone hier billig / und mag die Formulen Ihrer anderen Brieffe nicht mit hersetzen / weil der L u s t i g e R e d n e r sich nicht will Eingriff thun lassen. Jedoch müssen wir Solanden in seinen Gedancken besehen / wie er doch diesen Brieff auffgenommen. Der Knabe welcher denselbigen geschrieben / war auch dessen Uberbrin-(