Sämtliche Werke. Band 18 Romane II: [Die Drey Kluegsten Leute] 9783110903669, 9783110181241

Volumes 17 to 19 of Christian Weise's Complete Works present what are known as his political novels.The novels are

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German Pages 228 [236] Year 2005

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Die Drey Kluͤgsten Leute (1675)
Nachwort des Herausgebers
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Sämtliche Werke. Band 18 Romane II: [Die Drey Kluegsten Leute]
 9783110903669, 9783110181241

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WEISE, SÄMTLICHE WERKE XVIII

W G DE

AUSGABEN DEUTSCHER LITERATUR DES XV. BIS X V I I I . J A H R H U N D E R T S

herausgegeben von Hans-Gert Roloff

CHRISTIAN WEISE S Ä M T L I C H E WERKE

W A L T E R DE G R U Y T E R · B E R L I N · N E W YORK

C H R I S T I A N WEISE SÄMTLICHE WERKE herausgegeben von

HANS-GERT ROLOFF ACHTZEHNTER BAND

ROMANE II

bearbeitet von

HANS-GERT ROLOFF und GERD-HERMANN SUSEN

WALTER DE G R U Y T E R · B E R L I N · NEW Y O R K

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. ISSN 0179-0900 ISBN 3-11-018124-X Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© Copyright 2005 by Walter de Gruyter G m b H & Co. KG, 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Dörlemann Satz G m b H & Co. KG, Lemförde Druck: Gerike G m b H , Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer classic G m b H , Berlin

Die Drey

Klügsten Leute in der gantzen Welt

Aus vielen Schein-klugen Begebenheiten hervor gesucht/

Und allen guten Freunden zu fleißiger Nachfolge vorgestellet durch CATHARINUM CIVILEM.

Leipzig / verlegts Johann Fritzsche / Μ D C LXXV.

ίήφη iktmt

n i i x tg a n z e nB ' e t l feielen @ S s a c b n t K fe t n t e f jt v o rg < e f u d / t j U > n t a ß e ng u e t n S e r u n c f u j P e g r i e e9 1 α φ Ρ β Ι ) ( e o g r e e U l fe t 6 υ τ φ C a h tn a r iu mC v i e l i m . fill ψ /r e r f c g * t o 3 & m < t *

Geliebter Leser. Es sind nun drey Jahr/ seit ein Buch vielen Leuten in die Hände gerathen/ darinnen die drey ärgsten Erz-Narren auf der Welt erforschet worden. Und daß solches Buch nicht allerdings verworffen worden/ hat man aus dem vielfaltigen Druck und Nachdruck erkennen müssen. Zwar in der ersten E D I T I O N war es mit den Narren recht närrisch abgelauffen / denn als der Buchdrucker das Werck vor der Messe liefern solte/ und also die Nacht zu hülffe nahm/ begab sichs / daß die Lampe auf das Exemplar fiel/ und etliche Blatter verbräme. Was ( )(2") solte der Setzer thun? die Zeit war zu kurtz auf etliche vierzig Meilen darum zu schreiben: Er selbst kunte die Sachen nicht ersetzen. Also ergrieff er ein EXPEDIENS, und ließ die Blatter aussen. Drum wunderten sich viel/ w a r u m die INVENTION zu letzt so kahl und abgeschmackt ablieffe. Ja es hatte sich der Nachdrucker so sehr in diesen Irrthum verliebt/ daß er den Mangel in seiner E D I T I O N nicht verbessern mochte. Zwar seit dem numehr die verbranten Blatter wieder beygetragen worden/ scheinet es/ als wolte die begierige Welt etwas neues lesen/ und ( )(3r) an stat der Narren mit klugen Leuten zu thun haben. Doch es geht in diesem Leben so zu: Wo unterweilen der größte Schein von der Klugheit hervor glantzet/ da steckt ein leibhaftiger Fantast darhinter. Dannenhero ist auch diese kluge Bemühung an vielen Orten mit einigen Torheiten besprutzet worden. Wiewol solte sich ein C A T O finden/ der sich vor lustigen Erzehlungen in etwas entsetzte/ dem wil ich stracks rathen/ in das dritte Buch zu gucken/ und die wohlbedachten Regeln/ welche/ meines Behalts/ albereit in unsre Sprache versetzet worden/ sei-

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nem G e m u ( )(3V)the wohl einzubilden. Ich hoffe/ er wird dieser Schriffit alle Klugheit nicht versagen dürfen. Nur eins wil ich zur Nachricht erinnern. Ich habe die Begebenheit also eingerichtet/ als wäre sie u m das Jahr 1658. vorge5 lauffen. Sonst mochte sich der geneigte Leser verwundern/ w a r u m ich von Cromwels Tode viel Redens gemacht hatte. Und hiermit stehet dieses Buch zu derer Diensten/ welche sich an den drey Narren noch nicht satt oder klug gelesen haben. W i r d es beliebt/ so mochte sich d e r P o l i t i s c h e N a s c h e r ίο auch zu gelegener Zeit einstellen. Itzt bleibt es bey der alten Complimente. L e b e u n d u r t h e i l e w o h l . ( / )

hatte sich numehr bey seiner hochstgeliebten S Y L VI Ε wegen des allzulangen Aussenbleibens gnungsam entschuldiget / und wüste von keinem Unglücke sonderlich zu sagen/ als daß er allezeit meinete / seine inbrunstige Liebe konte durch kein Zeichen zur gnuge erklaret werden. Keine Stunde gieng vorbey/ er muste bey seiner Liebsten nach ihrem Wolstande fragen/ und solche Muh durch etliche Kuße bezahlen lassen. Wenn die Sonne ihre Strahlen zu den Kammer-Fenstern hinein schickte/ kam es ihr vor/ als solte sie den M A R S mit der V E N U S zum andernmahl verrahten. Also fest hatten sich die Liebhabenden Personen umbarmet / und also unvergleichlich waren ihre Gunsterweisungen. SYLVIE ubertraf ihren Ehliebsten an der Freundligkeit/ und F L O R I N D O wolte sich in der Freudensempfindung von seiner Gebieterin nicht uberwinden lassen. Alle Kuße wurden REVENgirt; alle CoMPLiMENten wurden erwiedert. Wolte eine ( 2 ) verliebte Mine von einem Hertzen in das andere spatzieren/ so war schon eine von dem Gegentheil auff halben Wege/ welche dergleichen thun solte. Sie zogen einander/ viel hefftiger/ als ein Magnet das Eisen: Nun alle beyde wolten den Magnet bedeuten/ und bemuhten sich zu erweisen/ die erste Ursache zu lieben ware von ihnen herkommen. Ich halte/ wann die Sterne nicht von Anfang der Welt die unterirdischen Wohnungen beschienen/ und allda viel Liebes-Eitelkeiten abgemercket hatten/ so wurden sie entweder vor diesen hellbrennenden Begierden verblasset seyn/ oder wurden ihr Feuer verdoppelt haben/ und die Vollkommenheit der Ehlichen Verbindung auch in der Finsterniß anzuschauen. Die Glückseligkeit war so groß/ daß F L O R I N D O in seiner tieffesten Entzückung gleich als ein Träumender dahin fiel/ biß ihn seine FLORINDO

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SYLVIE durch einen sachten Backenstreich erinnerte/ er habe numehr die Traume/ dadurch er vielleicht auff der Reise verunruhiget worden/ mit einer würcklichen Ergetzligkeit verwechselt. Ja wofern es war ist/ daß der Todt ein Wurm ist/ der sich endlich in der Zunge an die Spitze sezt/ und ( 3 ) damit dem Menschen sein Letztes giebt/ so ist kein Zweiffei/ der ehrliche FLORINDO werde seinen Wurm mehr als zu viel in der Zunge gefühlet haben. Und dannenhero wird auch die SYLVIE zu entschuldigen seyn/ daß sie mit ihren Kußen so freygebig umbgegangen: In dem sie allezeit den Tod zurücke gejagt/ und die Zunge mit neuer Lebens-Krafft wieder begeistert hat. Was halte ich mich viel auff? Es schien als ware ein Exempel rechtschaffener Liebhaber an den Tag kommen. Und weil die Leute glauben/ als treffe solches alle hundert Jahr nur einmahl ein/ so waren auch destomehr Geschichtschreiber bemuht / durch dieß unvergleichliche Paar so wohl das Alterthum/ als auch die Nachwelt zu übertrotzen. Ein eintziges Mißfallen erinnerte sie noch ihres Menschlichen Zustandes/ in dem sie nun fast ein Jahr alle Süßigkeit reichlich gnung eingenommen/ und gleichwohl keine gewißheit vor Augen sahen/ ob FLORINDO seine Guter auff einen Leibes-Erben fortpflantzen wurde. Am Alter war noch nichts verseumet. Doch die ungedultige Sehnsucht hielt alles vor unmöglich/ was in dem ersten Jahre nicht möglich ware. (4) Inzwischen benahm solches Verlangen denen verliebten Zuneigungen nichts: Sondern sie suchten einander mit stetswehrenden Liebkosungen je mehr und mehr zu entschuldigen. Ich wolte etliche Begebenheiten dem geneigten Leser vor Augen stellen/ darinnen er die unbeschreibliche Süßigkeiten nur gleichsam in einem Traume betrachten konte. Doch ich weiß kürtzer davon zukommen. Was ein iedweder in seinen entzückten Gedancken mit Tausendterley Wünschen zu haben begehrt/ und was er in den einsamen Begierden sich zu Trost vormahlen kan; Dasselbe empfunden sie würcklich; Gestalt sie auch oftmahls zweiffeiten/ ob sich ein armer Jude / der in Gedancken wuchert/ höhere Glückseligkeit einbilden konte.

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N u n fugte sichs/ daß FLORINDO gleich im Garten herumb spatzierte/ und alle anmuthige Fruhlings-Blumen seiner schönsten SYLVIE entgegen hielt/ als ihm ein Diener die Post brachte/ LYSIAS, eine hohe Standes-Person/ sey nicht weit/ und habe willens seine Mittags-Ruh alda im Schlosse zu halten. Was solte FLORINDO thun? Er nähme von der Liebsten Abschied/ und sagte/ ( 5 ) „Mein Engel/ woran ich itzt verhindert werde/ das wil ich bald mehr als doppelt einbringen." Hierauff machte er alle gehörige Anstalt/ die so wohl des Wirths REPUTATION erhalten/ als auch des Gastes hoheit gebührender maßen bedienen mochte. U n d gewiß LYSIAS empfand alle Vergnügung/ dergleichen er sich bey der äusserlichen Betrachtung des artigen Hauses kaum versehen hatte. Er ward in ein prächtig Z i m m e r einlogirt/ die Tafel wurde auf das kostlichste angerichtet/ ja FLORINDO stellete sich/ als solte er itzo gleich eine Probe thun / wie weit sich sein Vermögen in dergleichen hoflichen Dienstbezeigungen erstrecken wurde. LYSIAS nahm alles mit einer Ehr geziemenden hofligkeit an/ und ließ sein freundwilliges G e m u t h dazumahl bey einer Danckbaren Erkändtniß bewenden/ biß die gelegenheit wurckliche Abstattung wurde an die Hand geben. W i e er sich denn allbereit vielfältig erboten hatte/ auff Mittel bedacht zu seyn/ dadurch gleiches mit gleichem konte erwiedert werden. Inzwischen hatte er seine Lust/ die wohlangelegten Z i m m e r in Augenschein zu nehmen / und gestund gar gerne/ es muste ein kluger Baumeister darinnen (6) sein Meisterstuck erwiesen haben. Als er nun vor der Mahlzeit seine C u R i o s i t a t völlig ersättigen wolte/ kam er ungefähr in einen ansehnlichen Saal/ da er nebenst unterschiedenen iNSCRiPTionen drey grosse Gemähide erblickte/ und an solchen leicht abnahm/ es müste was sonderliches dadurch vorgestellet werden. Er durffte auch nicht lange Nachfrage halten/ so hatte er seinen Bericht/ d i e D r e y ä r g s t e n E r t z N a r r e n in d e r g a n t z e n W e l t / wären in gegenwärtigen Bildern gleichsam in ihrer QVINTÄ ESSENTIA abgemahlet worden. Er schwieg stille/ und wolte sich mit den närrischen Schildereyen

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nicht zu weit verwirren. Gleichwohl als bey der Taffei daran gedacht wurde/ wolte er wissen/ was vor eine Heimligkeit hinter der Sachen steckte. Und da erzehlte F L O R I N D O den gantzen Vorlauff/ ließ auch ein Theil von der Reisebeschreibung bey M Ö N S . Sigmunden hohlen/ daß also LYSIAS nichts mehr beklagte / als daß er vor dasselbemahl so wenig Zeit hatte/ die lustigen Begebenheiten genau zu betrachten; Denn seine Reise war von solcher Nohtwendigkeit/ daß er noch demselben ( 7 ) Tag über funff Meilen zurück legen muste: derhalben nam er auch kurzen Abschied und bat inständig/ F L O R I N D O mochte auf getahne Ansuchung die kleinen sechzehn Meilen nicht ansehen/ (so weit hatte LYSIAS seine R E S I D E N Z ) und sich belieben lassen/ die kluge NarrenHistorie daselbst umbstandlich zu erzehlen. F L O R I N D O schlug das gute Anerbieten nicht aus/ sondern versicherte diesen vornehmen Gast/ daß er volle Macht zu befehlen hatte/ und also dann sein Diener keine Zeit noch Gelegenheit ansehen wurde/ dem Befehl möglichster maßen nach zukommen. Und dabey blieb es vor dißmahl. LYSIAS zog seine Strasse/ und F L O R I N D O gieng wieder an seine Arbeit: Ich wil sagen/ daß er es bey der schonen SYLVIE wieder angefangen/ wo es zuvor ware gelassen worden.

CAP. II. Nun ware es leicht alles nach der Ordnung zu erzehlen/ mit was vor Annehmligkeiten die hefftige und niemahls ersattigte Liebe unterhalten worden. Allein es scheinet/ als wurde dem gunstigen Leser wenig damit gedienet seyn. Denn gehet es ihm gleichso wohl/ und hat er seine Liebste in gleichmaßiger Ergotzligkeit zu gebrau(S)chen/ so bedarff er dieses Berichtes nicht; Ist er aber in dem Buche der Verschonung eingeschrieben/ so wird er aus einer so lustigen und gluckseligen Erzehlung in seinem Armuth mehr gekrancket als getröstet werden. Mit kurtzen; Es verflossen acht biß neun Wochen/ als sich einer zu

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Pferde vor dem Hause anmeldete/ welcher mit niemand anders/ als dem F L O R I N D O selbst/ sprechen wolte. SYLVIE erschrack / und meinte es ware ein Eisenfresser/ der ihren Liebsten auf ein paar Kugeln in das freye Feld hinaus fodern wolte. Aber endlich erfuhr sie/ daß LYSIAS ohne alle Entschuldigung ihren F L O R I N D O auff eine geringe Spatzier-Reise von sechzehn Meilen gebeten hatte. Was solte das gute Weibgen thun? Sie besann sich/ welcher Gestalt F L O R I N D O seine P A R O L von sich gegeben / und wie schlimm es lassen wurde/ wenn er sich mit einer kahlen Ursache loßlugen solte. Gleichwohl schien es/ als muste sie ein Theil vom Hertzen absondern lassen/ wofern sie etliche Tage solte von ihrem eintzigem Tröste entfernet leben. Unterdessen hielt der Einspanniger/ und wartete auff schleunige Abfertigung. Also kunte F L O R I N D O nicht vorbey / er muste seiner See(.9)len einen Stoß thun/ und auff folgenden Tag zur Reise Anstalt machen. Wie er denn Sigmunden befehl gab/ ihm Gesellschafft zu leisten. Doch mit was vor Worten sollen wir die betrübte SYLVIE vorstellen? Sie schloß sich in ihres Liebsten Arme ein / und zog gleich als in einer Ohnmacht dahin. Ihr Seuffeen/ ihr Hertzklopffen/ ja ihre Thranen waren beredt genung/ auch in dem höchsten Stillschweigen die innerlichen Gedancken bekand zumachen / also daß der entzuckte Liebhaber selbst nicht wüste/ durch was vor Mittel/ das hertzempfindliche Verlangen sich auffs fuglichste mochte beylegen lassen. ,Ach mein Engel"/ sagte er/ „worzu dienen die unzeitigen Gemuhtsbewegungen? Ich reise nicht aus der Welt: Der Weg ist kurtz/ und die Zuruckkunfft ist desto schleuniger zu hoffen. Habe ich doch vormahls eine grossere Reise vollbringen müssen / und gleichwohl ist unsere Liebe beyderseits glucklich erhalten worden. Vielleicht wird dieser kleine Unglücks-Wind unsere Gewogenheit desto heftiger anblasen. Wie müssen dieselben Personen thun/ welche in Fürstlichen Diensten aufgehalten werden/ und oftmahls in einem {10) Jahre kaum zwey oder drey Tage auff ihre Liebsten spendiren können? So eine kurtze Faste wird noch auszustehen seyn."

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Solche und dergleichen Reden rauscheten bey ihren Ohren ohne alle Wurckung vorbey/ alldieweil die kleine Entfernung in ihren Gedancken als ein groser Berg anzusehen war/ davor sie den nachfolgenden Trost eines frolichen Wiedersehens nicht erblicken kunte. So oft eine Viertelstunde verlauffen war/ so oft gedachte sie bey sich: Ach nun bistu wiederumb deinem Unglücke eine Viertelstunde naher kommen! Als sie im Garten die vielfarbigten Tulpen ansahe/ welche gegen den Abend ihre Blatter zu schliessen begunten/ sagte sie: „Ach eh ihr euch werdet wieder ausbreiten/ so wird meine Freude verschlossen seyn!" Sie gieng zur Abend-Mahlzeit; Aber da mischte sie ihre Thranen gleichsam als eine bittere Salse unter alle Speisen/ und ließ etliche mahl ihre Seufzer mit diesen Worten heraus: „Ach sol dieß meine letzte Mahlzeit seyn! Ach soll ich ins kunfftige der angenehmsten Tischgesellschafft beraubet werden!" Wiewohl als sie erst zu guter letzt in ihr Bette schreiten solte/ da empfand sie ( 1 1 ) eine solche Leidensregung/ welche ihr kaum so viel Kräffte übrig ließ/ daß sie mit gebrochener Stimme sagen kunte: „Ach du armes Bette/ so wirstu nicht mehr von meiner ungefärbten Liebe zeugen können? Wirstu nicht mehr der Auffenthalt meiner Vergnügung seyn? Ach wilstu nun/ an stat der verliebten Entzückungen/ mit Girren und Wehklagen erfüllet werden?" F L O R I N D O fiel ihr mit einem Kuße in die Rede/ und stellte ihr nochmahls fur / wie so gar wenig Ursache sie hatte betrübt zu seyn: er muste endlich so viel daraus nehmen/ als setzte sie in seine Liebe ein Mißtrauen. Er hätte Schmertzen gnung/ daß er die helffte seiner Seelen etliche Meilen hinter sich lassen solte; Und ware derhalben nicht von nothen/ daß sie durch ihren SeelenKummer sein betrubniß verdoppelte. Die gute SYLVIE war gefangen/ drumb sagte sie letzlich: „Ach liebster Engels-FLORINDO/ ich begeh einen Fehler: Aber die Liebe ist Ursache dran/ und hiermit ist er schon entschuldiget. Ich wil die Einsamkeit gern tragen: Wofern der lange Verzug meine Noth nicht unerträglich macht. Die Winde sollen nicht so oft hin und wieder wehen/ als meine Gedan(i2)cken ihre

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Schuldigkeit werden ablegen. Alle Augenblicke wil ich zehlen / biß ich denselben ausgerechnet habe/ welcher mich wiederumb mit den süssen blicken beseligen wird/ derer ich gern auch Morgen theilhafftig ware." Was halte ich mich auf? Sie brachte die Nacht ohne Schlaff hin/ und steckte dem Liebsten bald ihr Armband an den Arm/ bald zog sie es herab/ bald hieng sie ihm ihre HalsKette umb/ bald beknüpfte sie ihm mit Bandern/ bald nahm sie was anders vor/ biß sie gegen Morgen halb aus Mattigkeit/ halb aus Betrübniß einschlummerte. Ich wolte sagen/ es hatte ihr was nachdenckliches getraumet: Aber ich verwirre mich nicht gerne mit dergleichen ungewissen Handeln. Ich habe auch kein recht Traumbuch an der Hand/ und mochte leicht wieder die PRINCIPIA SOMNIATORIA Verstössen.

W i e d e m allen/

FLORINDO wischte seine Thranen ab/ welche die Nacht über von den Hertzbrechenden CoMPLiMENten waren ausgelocket worden / und sprang hiermit in vollem Eifer aus dem Bette/ das ist/ aus dem Gefangniß der Liebe heraus. SYLVIE folgte ihm nach/ und gab ihm nochmahls auf die wenigen Tage (Λ3) seines Aussenbleibens / so viel Lehren/ damit sich mancher langer als hundert Jahr beholffen hatte. FLORINDO brach seinen Worten ab wo er wüste und kunte/ aus Beysorge/ er mochte zu Weinen angereitzet/ und hierdurch vor MÖNS. Sigmunden beschämet werden. Zwar SYLVIE vertrat seine Stelle und weinte doppelt/ sähe auch ihrem Liebsten/ als er sich zu Pferde gesetzt/ so lange nach/ biß der weite Weg ihr das Anschauen verboten hatte. Also ritt nun FLORINDO und Sigmund mit drey Dienern und dem Mahler dahin / vermeinten auch bey dem LYSIAS wilkommene Gaste zu seyn. Aber als sie kaum eine Meile zurücke gelegt/ fieng Sigmund ungefehr an zufragen/ wie man die Erzehlung von den N a r r e n am artigsten einrichten wolte. Da besann sich FLORINDO, daß er sein JOURNAL, welches er auf der Reise zusammen getragen / schandlicher Weise vergessen hatte. Der Eifer überlieff ihn/ daß er etliche Flüche heraus stieß/ welche er darnach gern zurück gezogen hatte. Nun

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meinte Sigmund nicht anders / als die Liebe hatte ihm so einen Druck an das Hertze gegeben: Doch als er horete/ daß es nicht mehr antreffe als { 1 4 ) eine Meile zurück zu reiten/ so bot er sich an/ und wolte das schone Buch nachhohlen / weil er wohl wüste / daß sie ohne dasselbe dem LYSIAS nicht wurden angenehm seyn. F L O R I N D O wolte aber die Freundschafft nicht annehmen/ sondern wandte ein/ es lege an einem Orte/ darzu er den Schlußel mitgenommen hatte. Und ob er gleich seiner Liebsten die C O M M I S S I O N aufftragen konte/ waren doch etliche Umbstände darbey/ daß er allen Ansehen nach/ selbst zurück muste. Drumb machte er Anstalt; Sigmund solte sachte hinreiten/ er wolte einen Diener zu sich nehmen / und nicht lange aussenbleiben. Es war auch niemand/ der ihn sonderlich auflfhalten wolte/ weil sie meinten/ der Magnet zöge ihn so hefftig/ daß er noch einmahl seine KammerFenster ansehen muste. N u n seumete sich F L O R I N D O nicht/ und stach sein Pferd so hurtig in die Ribben/ daß er in drey Virtel Stunden vor dem Schlosse war. Er stieg ab/ und ließ den Diener bey dem Pferde warten/ gieng hiermit durch den Hoff die Wendel-Treppe hinauff/ schloß sein C A B I N E T auf/ und steckte das unglückselige Buch zusich. Hierauf wolte er noch einmahl sehen/ wie sich die b e ( / 5 ) t r ü b t e S Y L V I E in ihrer Einsamkeit befände: doch sie war in ihrem Zimmer nicht anzutreffen. D r u m b guckte er durch ein Fenster in den Lust-Garten / ob sie etwan ihr Leyd einem Blumen-Stocke klagen würde. Aber / Ach was vor ein unseliger Blick war dieß! Ach hatte F L O R I N D O an keinen Abschied gedacht! SYLVIE gieng im Garten herum/ und hatte einen C A V A L L I E R an der Hand/ welcher an seinen zierlichen Kleidern/ an seinen hoflichen Gebärden / vornehmlich aber an seinem niedlichen Gesichte so appetitlich war/ daß er die LuC R E T I A selbst hatte zu einer GegenLiebe bewegen mögen. Die Vertrauligkeit dieser beyden Personen war auch allbereit so groß worden/ daß sie kein bedencken trugen/ ihre brennenden Küße mit einander zu verwechseln. Was solte F L O R I N D O thun? er wünschte es mochte ein Traum seyn/ doch wüste er gar zu wohl/

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daß er in einem Zustande begriffen ware/ da er nicht schlaffen konte. Dannenhero wüste er auch keine R E S O L U T I O N ZU fassen; bald wolte er dem unzeitigen Liebhaber eine PistolenKugel schencken; bald wolte er sich an der S Y L V I E selbst vergreiffen. In solchen verwirrten Gedancken satzte er sich zu Pferde/ ( 1 6 ) und wolte nichts vornehmen/ biß er Sigmunds Rath eingeholet hatte. Doch als er ihn antraff/ schämete er sich/ das geringste zu erzehlen/ und ritt also zwischen Zorn und Zweiffei dahin/ daß er ehe vor des L Y S I A S R E S I D E N Z kam/ als er seinen Getreuen um Rath fragen kunte. Zwar an seinen Gebärden hatte man leicht zu urtheilen / das Hertze muste an einem Orte verwundet seyn. Doch schrieb mann solche unmaßige Wirckung mehr der Liebe/ als der Eifersucht zu. Massen auch Sigmund offt lachte / vorgebend / es würde umb acht Tage zu thun seyn / so wurde er die Abwesenheit seiner Geliebten leichter ertragen können. Jedennoch ward solche Weissagung zu schänden. Je länger er von dem L Y S I A S bedient ward/ desto weniger Vergnügung ließ er an sich spuren/ daß auch dem Vornehmen Herrn bange darbey ward/ alldieweil er an aller ersinnlichen Gunst erweisung nichts ermangeln lassen/ und gleichwohl dem F L O R I N D O nicht einmahl ein lustiges Gespräche abstehlen kunte. Die östlichsten Speisen stunden da / doch er gedachte/ worzu dienen die Speisen? als das sie dein Leben und hiermit deine Traurigkeit verlangern. Die anmuthigsten Musican(/7)ten ließen sich hören: Aber in seinen Ohren klang alles gar verstimmt und widersinnisch. Es kam ein Poßen-Spieler nach dem andern: Allein die S Y L V I E hatte ihm einen Poßen gethan/ daran er genung hatte. Endlich schickte L Y S I A S seine Gemahlin/ die wunderschone B E L I S E , an diesen Melancholischen PATIENTEN / ob etwan ihre entzuckende Reden etwas bey ihm verfangen wurden. Sie war von vortreflicher Freundligkeit / und durffte der S Y L V I E in keinem Stucke nachgeben. S Y L V I E war etwas geschlanck/ von schwartzen Augen und braunlichten Haaren; in den Backen spielete eine annehmliche Rothe durch die braunen Milchhar-

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gen hervor/ welche das rundte Gesichte sehr verliebt vorstellete. Hingegen war B E L I S E etwas völliger von lebhafften Tauben-Augen und liechten Haaren; die Backen stellten eine Alabaster Farbe vor/ welche sich in der Mitten gleichsam mit einer C E N T I F O L I E N Rose vermischte. F L O R I N D O würde ein andermahl von den Schönheiten beßer J U D I C I R E T haben: Aber bey dieser Gelegenheit war er entschuldiget/ daß er seine Augen kaum mit halben Blicken an die artige Trösterin schiessen ließ. Denn es kunte nicht fehlen/ (18) so viel als er Worte horete/ so viel Stachel empfand er im Gemuthe/ wegen der SYLVIE, welche wohl ehmahls ihre Rosen-Lippen mit dergleichen Zuspruch verzuckert hatte. Gleichwohl war es von dem Glucke so beschlossen worden/ daß sein Trost von niemand/ als eben von dieser B E L I S E hervorkommen solte. D r u m b muste sich alles so wunderlich fugen/ daß er gleich auf einem Saale gantz allein herumb spatzierte/ wo er durch ein Fenster in einen abgelegenen Hoff sehen kunte. Er hatte sein Betrubniß schon etliche mahl in dieser Einsamkeit ausgeschüttet; Doch ungefehr sähe er die B E L I S E in einem NachtMantelgen sachte daher schleichen/ ihr folgte eine alte Frau/ welche einer Kuplerin ahnlicher sähe / als einer Abtißin/ die brachte einen schlechten Kerlen an der Hand geführet/ der in seinen elenden Tuch-Kleidern vor keinen CAVALLIER PASSIREN kunte. Er kam auf die B E L I S E zu/ sie deckte ihr NachtMantelgen auf/ und führte ihn in ein Zimmer/ darinn es gar still zugieng. F L O R I N D O konte durch die Wand nicht sehen/ doch guckte er heimlich durch das Fenster / und wolte des Ausganges erwarten. Allein B E L I S E wischte geschwind davon/ und das alte (19) Weib stackte dem Kerlen etliche Thaler in die Hand/ mit diesen Worten: „Da habt ihr was/ wann wir euer weiter bedurffen / so soll euch der Gang allzeit bezahlet werden. Nehmet euer Glucke nur in acht/ und haltet reinen Mund sonst solte euer ubel gewartet werden."

Die Drey Klügsten Leute der Welt, Cap. III.

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CAP. III. F L O R I N D O verstarrete gantz über dieser Begebenheit. Denn er meinte nicht anders/ als hätte LYSIAS einen C O L L E G E N D ' A M O U R bekommen. Drumb spintisirte er etwas in seinen Gedancken/ und brach endlich in folgende Worte heraus: „Habe ichs doch nicht gewust/ daß die schonen Frauens-Personen alle so sind/ ich hatte mich sonst die helffte so sehr nicht betrübt. LYSIAS ist ein vornehmer Herr/ mit dem ich nicht zu vergleichen bin/ gleichwohl habe ich den Vorzug/ daß meine SYLVIE noch einen rechtschaffenen Kerlen zu ihren höflichen Zeitvertreib ausersiehet; Diese B E L I S E aber so einen Beerenheuter ihrer Schönheit theilhafftig macht/ welcher bey mir kaum würdig gnung wäre einen Hundejungen zu P R ^ S E N T I R E N . " (20) Hiermit entschlug er sich aller Grillen/ und nachdem er mit hurtigen Schritten den Saal auff und nieder PASSIRT, gieng er in sein Zimmer/ und sang folgendes in eine Laute.

1. Weicht/ weicht ihr eitlen Grillen/ Und last mich ferner ruhn; Ich hab umb eurentwillen N u n künftig nichts zu thun. Die Lieb ist nur ein bioser Schein/ Wer wil deßwegen traurig seyn? 2.

So bald wir in dem Netze Der zarten Liebe seyn / So gehn wir die Gesetze Mit guten Willen ein/ Weil unter dieser Macht und List Die gantze Welt beschlossen ist.

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3. Kein Mensch begehrt zu klagen/ Daß itzt ein Garten lacht / Und in den Winter Tagen Die Lust zu Schanden macht; (21) Weil ein nothwendig fester Raht Das Wetter so gesetzet hat. 4. Sol ich mich nun betrüben/ Daß meine Liebste sich In andre wil verlieben/ So wiedersetz ich mich Der steten Unbeständigkeit Und mehre nur mein Hertzeleid. 5. Wer wil die Vogel straffen / Daß sie behutsam stehn/ Und weil die Leute schlaffen Aus dem Gebauer gehn? Die große Mutter/ die Natur / Lockt ihren Lauff in diese Spur. hatte gleich etwas sonderliches erfunden/ dadurch er seinen unlustigen Gast zu erfreuen gedachte / als er ihn mit höchster Verwunderung in dieser ungewöhnlichen Gestalt antraff. „Was ist dieß vor ein gluckseliger Tag"/ sagte er/ „da sein Angesicht unserm Wunsch ähnlich wird? Ich dachte wol/ B E L I S E wurde über die Melancho(22)ley triumphiren." FLOR I N D O lächelte / und gedachte / es soke dem guten Herrn nicht lieb seyn / wenn er alle Umbstande darbey wissen solte. Doch gab er zur Antwort/ gleichwie das Fieber seine Zeit haben wolte/ also müste man auch der Traurigkeit ihre gewisse StunLYSIAS

Die Drey Klügsten Leute der Welt, Cap. III.

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den lassen. Es sey ihm leyd/ daß solcher Zufall sich gleich bey dieser Ungelegenheit angegeben hatte. Hierauff machten sie Anstalt zu allerhand Kurtzweil / und indem sich F L O R I N D O mit allen Kräften den Kummer vertreiben wolte / wüste er in der Freude keine Maße zu halten/ also daß sich niemand in seine wiederwertige Natur finden kunte. Auff den Abend zog LYSIAS seinen Gast auff die Seite/ und wolte wissen/ was ihm bißher zuwieder gewesen/ und wodurch er zu einer solchen geschwinden Veränderung gebracht worden. F L O R I N D O ließ die Frage unterschiedene mahl vergebens ablauffen/ und kehrete sich mit der Rede bald da bald dorthin. Ich gebe es auch einem jedwedem zubedencken/ was er hatte sagen sollen. Endlich betheurete LYSIAS SO hoch/ wie er alle Hoffnung auf des F L O R I N D O Freundschaft gesetzt/ und wie er sich darinn wurde betrogen finden/ wenn {23) ihm diese eintzige Heimligkeit solte verhalten werden. Also erzehlete F L O R I N D O was ihm mit seiner SYLVIE begegnet wäre: Doch wie er zu seinem Tröste etwas fruchtbarliches angemercket/ solches ubergieng er mit Stillschweigen. LYSIAS ließ ihm keine Ruh/ und nach dem er das straffwurdige Beginnen der untreuen Gemahlin mit vielfaltigen Klagen verdammet hatte/ fragte er weiter/ was ihm aber alles Kummers entnommen hätte? Nach langen Wortwechsel/ mochte sich F L O R I N D O nicht länger wehren/ und begehrte/ LYSIAS solte sich mit einem theuren Eyde verbinden/ alles in Geheim zuhalten/ und kein Wort darzu zusprechen/ so wolte er ihn mit Augen sehen lassen/ warumb ein betrogener Liebhaber sich nicht zu Tode grämen solte. Nun hieran war kein Verzug/ LYSIAS schwur/ die Augen hätten ihm bluthen mögen/ und also bestellete ihn F L O R I N D O bey frühen Morgen auff den bewusten Saal/ weil er schon Nachricht hatte/ daß er der schonen B E L I S E ZU dieser Zeit nicht verfehlen wurde/ welche sich etwas Unpaß angestellt/ und ihr Lager in einer absonderlichem Kammer aufgeschlagen hatte. Als der Morgen an(2^)brach/ und LYSIAS gebührende Erinnerung that/ wiederhohlete F L O R I N D O die Versicherung/ und ließ den Schwur nochmahls bekräffti-

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gen. Hierauff führte er ihn an das Fenster/ da durffte er nicht lange verziehen/ als BELISE diesen LACERATION G A L A N , ich meyne den CAVALLIER in zurissenen Kleidern/ mit der Hand empfing / und diese deutliche Worte hinzu fugte: „Ach wo ist er so lange geblieben? Ich habe seiner mit Schmertzen erwartet. Ach mein Hertze! mein Hertze! Was empfinde ich vor Stiche? Und meine graste Sorge ist/ LYSIAS mochte es erfahren. Er nehme sich in acht/ und halte reinen Mund/ es lieffe sonst übel ab." Und also verfugten sie sich in das heimliche Kammergen. Darbey der gute LYSIAS mehr zu dencken als zu sehen hatte. F L O R I N D O fragte/ ob er sich in seinen Trost finden konte? Doch war LYSIAS entzuckt/ und hatte lauter Degen und Pistolen im Munde/ damit er die untreue Liebe bestraffen wolte. Das eintzige stund ihm im Wege/ daß er sich schwer vereydigt und verknüpft befand/ und ohne Verletzung seines Gewissens in geringsten nichts sprechen durffte. Ja F L O R I N D O merckte den Verdruß (25) wohl/ drumb zeigte er an seinem eignem Exempel/ was er ihm vor eine ruhmliche Nachfolge schuldig ware. Und nach langen bemuhungen brachte er ihn so weit/ daß er sich in alles Unglück gedultig begab. Nur dieses wolte ihm nicht zu Sinne / daß er sein Aergerniß alle Tage vor Augen sehen/ und sich gleichwohl nicht rächen solte. Drumb fiel ihm dieß ExPEDiens ein/ er wolte eine Grillenreise in die Welt thun/ und die BELISE bey ihrem Lumpenhunde bleiben lassen. F L O R I N D O horte solches mit Freuden/ weil er selbst keine Lust zu der SYLVIE hatte/ und lieber in der Welt durch Anschauung aller wunderswurdigen Sachen sein Gemuht DIVERTiren wolte. Und also war es richtig / sie wolten stillschweigend wegreisen. Nur in dem waren sie nicht einig/ wohin der Weg gehen solte. Endlich sagte L Y S I A S , „was zweiffein wir lange? Er hat unlängst eine T O U R durch die Welt gethan/ und hat sich nach d e n ä r g s t e n N a r r e n umbgesehen/ wir wollen izt miteinander herumziehen / und nachsehen/ Ob w i r d i e D r e y k l ü g s t e n L e u t e a n t r e f f e n k ö n n e n ? " Dieser Vor-

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schlag ward beyderseits ange(26)nommen/ mit dem Schluß/ noch demselben Tag davon zu reisen.

CAP. IV. Hierauff foderte FLORINDO den Sigmund/ entdeckte ihm bey höchsten Stillschweigen seine Gedancken/ und schickte etliche Diener zurück/ welche seine Zuruckkunfft solten gewiß machen. Doch war ein heimlicher Befehl an den EURYLAS, weßen er sich in allen verhalten solte. Und hiermit reiseten sie ohn allen Abschied darvon. FLORINDO hatte nebenst Sigmunden seinen Mahler und zwey Diener. LYSIAS hatte einen Juncker/ welchen wir POLEMON heißen wollen/ und nechst diesem drey Diener/ und einen poßierlichen Rath/ welcher DEUTRIAS heißen mag. Diese zehn Personen wolten den allerklugsten Menschen aussuchen. Und erstlich zwar eileten sie bald fort/ auff die nächste Handel-Stadt/ da sie bey einem Kauffmann einen offnen Wechsel erhielten/ und nunmehr keine Sorge hatten/ wie sie mochten durch die Welt kommen. Hernach waren sie eintzig bemuht aus dem Lande zu eilen/ daß niemand erfahren mochte/ wo sie hingerathen waren. Sie suchten auch aller(27)hand Nebenwege/ nur daß sie in keinem ordentlichen Wirths-Hause einkehren durften. In etlichen Tagen aber/ als sie fast dreyßig Meilen hinter sich hatten/ suchten sie wieder eine anstandige Herberge / und waren kaum in ihr Zimmer kommen/ als sie eine klagliche Menschen Stimme im Hofe horeten. Sie eileten zum Fenster/ und wolten nachsehen / was vor ein sonderliches Hertzeleid vorgefallen ware. Doch sie musten sich berichten lassen/ es ware der Wirth selbst/ der hatte sein jüngstes Sohngen eingebußet. Es gieng auch wenig Zeit vorbey/ so kam er selbst in die Stube/ und klagte seinen Gasten das Leid/ „ja"/ sagte er/ „ich wil ins kunfiftige kluger werden; Sol meine Liebste noch eines Kindes genesen/ so wil ich es mit lauter Semmel-Musergen auffziehen lassen/ und wil zwar andern

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Leuten zugeben / daß sie es besuchen/ aber die MEDICOS wil ich alle die Treppe hinunter werffen. Ich weiß wohl wovon es gestorben ist. Einerley Speise und keine Artzney / das macht die Kinder unsterblich." Sie horeten den guten Mann reden / und wolten ihm in seinem Betrübniß keine DISPUTATION an den Hals werffen. Doch als er wieder hinaus gieng/ sagte LYSIAS, (28) „das war ein kluger Wirth/ doch es geht ihm wie denen von Schilde/ sie waren am klügsten/ da sie von dem Raht-Hause herunter kamen." Sigmund versezte/ ob es möglich ware/ daß man den Wirth itzund vor klug halten konte? Denn er meyne zwar / er habe seines Kindes Kranckheit stattlich errahten: Gleichwohl wurde sein neuer Vorschlag ubel zu PRAOTiciren seyn. „Wenn einerley Speise dem Leibe gut ware/ hatte G O T T in der Natur keinen so großen Küchen-Zeddel ausgezeichnet / wie ich mich denn besinne/ daß einmahl ein Priester den 8ten Psalm sehr artig also ausgeleget. Ja wenn sich einer mit lauter Lerchen abspeisen wolte/ wo bliebe er/ wenn der Vogel-Monat aus ware? Wolte er lauter Ganße essen / so muste er das gantze Jahr schlaffen / und gegen Martini erst wieder aufwachen. Wolte er lauter Heringe brauchen/ so wurde er ubel haußhalten / wenn gegen Johannis keine frische Tonnen auf Magdeburg kämen. Mit einem Worte/ die Natur wil allzeit etwas neues haben. Drumb ist es am besten/ daß man die Kinder in Zeiten gewehne alles zu vertragen. Zwar jener Niedersachse sagte/ M i n V a e r h e t m i c k t o S p e c k u n d (29) K o h l e w e h n t / da b l i e b i c k by. Aber ich sähe ihm mit Lust zu/ wie er die gebratenen Tauben verschlingen kunte. O b die MEDICI bey den Kindern Schaden thun/ wil ich nicht gantz in abrede seyn. Aber das weiß ich/ sie können das Leben an keiner Kette fuhren. Ist das Lebens-Ziel da/ so hilfft kein Pulver / und wenn ein Loth auf 100. Thaler käme." DEUTRIAS wolte auch dazu reden/ und sagte: „der Wirth mag die beste Seite anderswo vernehet haben/ nun ists kein Wunder/ daß ihm sein lose Garn nicht halten wil." Zwar LYSIAS

Die Drey Klügsten Leute der Welt, Cap. IV.

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schlug ihn auff die Scheide / und befahl/ er solte das Schwerd einstecken. Doch P O L E M O N meynte/ der Narr sey in diesem Falle kluger gewesen als der Wirth. Inzwischen ward zu der Mahlzeit geruffen/ da war einer von Adel/ der hatte seinen Advocaten zu Gaste behalten. Als nun einer dieß/ der andere jenes vorbrachte/ rühmte sich der Advocat/ er habe vorgestern einen kostlichen Kauff gethan/ daran er über die Maßen klug gehandelt. Den er wüste gewiß/ daß die Sachen vor fünfzehnhundert Gulden nicht waren bezahlt worden: Und gleichwohl habe er nicht mehr davor (30) gegeben/ als ändert halbhundert Gulden. E U R Y L A S fragte/ wo rinn aber die Wahren bestunden. Der Doctor sagte/ es waren zwolfif Taffein/ achtzehn Tische/ funfifzehn Spanbette/ zwolff Lehnstühle/ acht und vierzig Banck-Pfule/ neun paar Pistolen/ fünff Mußqveten/ acht kleine Stuckgen/ die eine Pistolen Kugel fuhreten/ vierzig Flores-Glaser/ funff P E R S P E C T I V E , drey BrennGlaser/ zehn Bilder von L U C A S Cranachen/ sechs Teppichte von gedrucktem Leder/ sechs andere von gewirckten Blumen / ein gantzes Barbierzeug/ drey Sonnen-Uhren/ eine Schlag-Uhr / und andere dergleichen Sachen. fing an zu lachen und fragte/ ob er zu diesem Rumpel-Zeuge wolfeil kommen ware? er habe von seinem alten Vetter einen Reim gehöret/ der schickte sich zwar unter die neuen Poeten nicht / doch sey er nicht zu verachten: POLEMON

Was du nicht n o t h i g d a r f s t ins H a u s / D a v o r g i e b auch kein H e l l e r a u s / U n d wenn es n o c h so w o l f e i l war/ S o ists zu t h e u r / m e r c k d i e s e Lehr. Der D O C T O R versezte/ es könne aber eine Zeit kommen/ da man dergleichen Hauß(3/)raht von nothen hatte/ und da muste man Zehnfach Geld davor geben: Und also thate man klug/ daß man in der Zeit kauffte / so hätte man es in der Noth. P O L E M O N gab zur Antwort/ indessen konte eine andere Noth vorstoßen/ da er seine anderthalb hundert Gulden besser

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brauchen konte/ als hundert alte Taffein und Tische: Und also thate man klug/ daß man das Geld in der Zeit sparte/ so hatte man es in der Noth. Der von Adel fiel ihm in die Rede/„mein Herr"/ sagte er/ „ich sehe ihn davor an/ er ist an einem Ohrte Obereinnehmer/ daß er so viel von baarem Gelde halt. Der Herr D O C T O R hat klug genung gethan. Wer weiß ob er alle Pfennige mit guten Gewissen hat? Weil nun das gemeine Sprichwort ist / Unrecht Gut wudelt nicht/ so kaufft er lieber was bestandiges in das Hauß / damit ihm das Geld nicht zurinnen kan." P O L E M O N tranck ihm eines zu/ und bat/ er solte nicht zu viel reden / es mochte ihn sonst etliche Termine mehr kosten. Doch war der D O C T O R mit seiner Entschuldigung nicht langsam. „Was"/ sagte er/ „sollen wir das Geld mit bösem Gewissen nehmen? Vor eines wird es aus freyem Willen gezahlt; (32) und vors andere machen wir euch klug davor; warumb ist mancher ein Narr/ und fangt umb zehn Gulden einen P R O C E S S vor hundert Gulden an? Wiewohl die hundert Gulden sind alsdenn vor das Lehr-Geld. Muß doch ein Trompeter-Junge so viel auszulernen geben. Ja hat doch jener P H I L O S O P H U S sechshundert Cronen vor den eintzigen Vers genommen/ QUICQUID

AGIS,

PRUDENTER

AGAS, ET RESPICE

FI Ν EM.

Das heist/ wenn du eine Rechts-Sache anfangen wilst / so siehe zu/ ob sichs der Muh verlohnt/ und was es vor einen Ausgang nehmen wird." F L O R I N DO erinnerte sich des Verßes aus dem OWENO: ULCERIBUS, STULTITIÄ

GALENE, NOSTRA,

VALES TANTUMMODO JUSTINIANE,

SAPIS.

NOSTRIS;

Die Drey Klügsten

Leute der Welt, Cap.

V.

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CAP. V. Doch der DISCURS wolte zu kutzlich werden/ drumb sagte der DOCTOR/ es ware besser/ man liese die MATERIE mit frieden/ er wüste was annehmlichers zu erzehlen. Die COMPAGNIE war willig darzu/ und erwieß (33) mit ihrem Stillschweigen/ daß sie fleißig zuhören wolte. Hierauff erzehlte er/ es sey ihm neulich eine wunderliche Sache auffgetragen worden. Denn es habe ein Herr einen wichtigen Lehnsmann/ der sey bey Verlust des Lehns verbunden/ alle Jahr acht Tage vor MICHAELIS eine lebendige Lerche auf einer Sechsspännigem Ochsen Calesche zu liefern. Nun habe er einmahl nur vier Ochsen vorgespannet / hingegen sey er das künfftige Jahr mit acht Ochsen angestochen kommen. Gleichwohl meyne nun der DOMINUS FEUDI, das L e h n ware verfallen/ OB NON IMPLETAM CONDITIONEM.

FLORINDO sagte/ „der gute Kerle hat gemeinet/ er mochte Ä CONJUNCTIS AD DIVISA ARGUMENT Iren/ wie jener P f a f f e / der

ward in einen Stadtgen an statt eines Lutheraners gesetzet/ daß er die Burgerschafft solte Catholisch machen. Nun beschwerte sich aber die gantze Gemeine über den Pfaffen/ daß er mit einer leichtfertigen Kochin haußhielte/ und also wenig CREDIT in seinen Predigten erhalten wurde. Hierauf ward dem Herrn PATER INJUNGIRT, keine Kochin zu hausen/ welche nicht von sechs und dreysig Jahren ware. Also zog nun der Geist(3-#)liche Herr fast im gantzen Lande herum/ und wo er eine Kochin im Vorschlage hatte/ da war sie entweder etliche Tage über sechs und dreyßig Jahr/ oder war etliche Wochen drunter. Endlich nahm er zwey achtzehn-Jahrige Mädgen/ und gab vor/ zweymahl Achtzehn wäre sechs und dreyßig. Also hat der gute Stumpfer mit seinen Ochsen gedacht/ acht und viere ist zweymahl Sechse." LYSIAS verwunderte sich über den CASUM, und sagte / dieses hätte er wohl gehört/ daß der Wallensteiner einmahl allen Bauren befohlen/ einen schwartzen Hauß-Hahn/ oder zehn Thaler zu liefern: Das wisse er auch/ daß der Konig in Spanien dem

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Pabst wegen des Königreichs NEAPOLIS jahrlich einen weissen Zelter uberreichen müße. Doch so eine schnackische CONDITION mit der Lerche und mit den Ochsen sey ihm nicht vorkommen. Der DOCTOR fragte/ ob er nicht gehöret/ daß eine Stadt ihre Abgeordneten mit anderthalb Pferden auf den Landtag schiekken muste? Sigmund sagte hierauff/ dieses Exempel reime sich nicht zu der Sache: Doch habe er im CAMBDENO gelesen / daß ein ( 3 5 ) Englischer Konig etliche gewisse Landereyen einem andern zu Lehn gegeben / mit diesem Bedinge/ daß er an dem ersten Weynacht-Feyertage

FACERET

UNUM

SALTUM,

UNUM

FUFFLATUM, & UNUM BUMBULUM, das heißt/ er s o k e e i n m a h l

herumb springen/ die Backen auffblasen/ und hernach/ mit Gunst zu melden/ dasselbige in die Welt fliegen lassen/ welches nach der Ferse zielt und die Nase trifft. FLORINDO versetzte/ das ware ein artig Lehn vor den Keiser CLAUDIUS gewesen/ der habe bey hoher Straffe verboten/ es solle niemand dergleichen verhalten/ weil er in Erfahrung kommen/ daß einer aus übriger Schamhafftigkeit des Todes gewesen. POLEMON horte mit Verwunderung zu/ und sagte endlich/ es ware eine schwere CONDITION; absonderlich wenn der LehnsMann etwa durch einen Zufall davon verhindert wurde. Es sey manchmahl ein Zustand/ da die DOCTORES sagten/ ein Windgen ware hundert Gulden wehrt. Auff solchen Fall mochte es wohl tausend Cronen wehrt seyn. Letzlich ward der DOCTOR gefragt/ wie es mit der Sache abgelauffen; D a sagte er/ sie ware noch in der Gute bey(3if )geleget worden/ doch habe der Vasall etliche hundert Thaler anwenden müssen/ und sey numehr mit einer neuen Last beschweret/ daß er der lebendigen Lerche solle eine papierne Krause umthun/ und den Ochsen von grünen Weiden Krantze auffsetzen. Ja auff dem Vorder-Gespann solle ein Schallmeypfeiffer sitzen/ und kein ander Lied blasen/ als: Hastu mich genommen / so mustu mich behalten. Und dar-

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umb habe er allbereit einen Schulmeister im Vorschlage/ der sonst mit der Sackpfeiffe auffgewartet / und nunmehr auff der Schallmey P R O F E S S I O N machen wolte.

CAP. VI. Sie hätten sich langer in dem Gespräche auffgehalten. Doch es kam ein langer Kerle in die Stube/ welcher von uberflußigen Studieren war zum Narren worden. Der hatte nun seine Gewohnheit/ daß er in den Wirthshäusern herumbgieng/ und den Gasten etwas aus dem Beutel/ und sich selbst etwas auff die Nase schwatzte. D E U T R I A S sähe alsobald/ daß sich zwey Narren an einem Tische nicht schicken wurden/ drum riebe er sich an den langen L A M P A T I U S , und (37) wolte mit gantzer Gewalt ein Kammergen bey ihm mieten. Der Große schämte sich mit so einer elenden Creatur was anzufangen: Denn D E U T R I A S war im zuschneiden etwas zu kurtz gerathen/ und ging dem andern nicht viel über den Nabel. Sonst hatte er etwas studirt/ nur seine liederliche Natur ließ ihn über keinen ernsthafftigen Gedancken bleiben/ daß er also lieber ein kurtzweiliger Rath/ als ein sauer sehender Gerichts-Verwalter seyn wolte. LYSIAS merckte es/ daß etwas lustiges bey diesen beyden zu erhalten ware/ drumb ließ er den D I S C U R S abbrechen/ und suchte Gelegenheit/ wie er den Speck auff die Kohlen bringen mochte. Doch sie kamen nicht weiter/ als daß sie einander ihren Gebrechen vorwarffen/ und einander kurtz und lang hießen: Der lange sagte/ D E U T R I A S ware ein elender Deumling/ ein kleiner Butterkrebs / ein bestuhlgangelter Goldkäfer: Dieser hingegen sagte / ein kleiner Narr wäre besser als ein großer / seine Mutter wäre eine schone und reinliche Frau gewesen/ drumb hätte kein solcher groser Unflat von ihr gehen können. Sie ließen sie etwas an einander gerathen. Endlich sagte „Ihr Herren/ (38) wollet ihr Gelehrte seyn/ so müsset ihr nicht D i s P U T i R e n wie die alten Weiber. Die Sache ist wol LYSIAS:

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wehrt/ daß ihr einander ordentlich vernehmet. Last sehen/ besinnet euch drauf/ nach der Abendmahlzeit sol ein jeglicher seine R A T I O N E S vorbringen/ und da soll uns freystehen zu richten/ wer sich am besten verantwortet hat." Die C O N D I T I O N E S wurden angenommen / und also gieng die C O M P A G N I E von Tische. Nach der Abendmahlzeit ließ sich der lange wieder anmelden/ und bat/ man mochte ihn reden lassen/ er wolte erweisen/ daß ein langer besser ware als zehn kleine. D E U T R I A S hingegen blieb darauf/ ein kleiner Narr ware besser als ein großer. Nachdem sie nun Freyheit hatten zu reden/ trat D E U T R I A S ZU erst auffI und redete folgender gestalt: „Hochgebietender Zuhörer/ Ob ich mich zwar nicht erkühnen solte / eine so hochgeschatzte C O M P A G N I E mit meinen ungeschickten Reden zu belastigen; so habe ich doch einen Muth gefasset/ theils weil mir die gnadigste Ertheilung solcher Freyheit völlig eingeräumet ist; Theils weil ich einen solchen Gegentheil vor mir sehe/ an {39) welchem ich nichts zu fürchten habe/ als den langen Schatten. Ich besinne mich/ daß ich an einem Ohrte ein blaues Veilgen abgemahlt gesehen/ mit der Uberschrifft: M A G N A Q U I D E M N O N S U M : V E R U M E S T M I H I MAXIMA VIRTUS, S P I R I T U S E S T M A G N U S , Q U A M V I S S I M C O R P O R E PARVO.

In dieser I N V E N T I O N verliebte ich mich dergestalt/ daß ich mich von Tage zu Tage mehr mit meiner kleinen Statur einbilde. Ja ich habe allbereit ein ander Bild angegeben/ da steht eine stoltze und hohe Keiser-Krone mit diesen Versen: PARVA Q U I D E M N O N S U M : V E R Ü M M I N I M A E S T M I H I VIRTUS. S P I R I T U S E S T PARVUS, QVAMVIS S I M C O R P O R E M A G N O .

Denn damit ich meine Rede recht anfange/ so ist eine solche Beschaffenheit in unsern Sachen/ daß nichts gantz Vollkommen

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seyn kan. Hat einer etwas übrig/ so mangelts ihm anderswo. Hat er am Leibe zu viel/ so muß sich das Gemuthe etwas abkurtzen lassen: Ist das Gemuthe gar zu edel / so muß der Leib einen Mangel empfinden. (40) Und derhalben ist nicht die Frage/ ob ein groser Mann besser sey als ein kleiner? Sondern dieses muß erörtert werden / ob man fuglicher am Leibe oder am Gemuthe einen Sparren entrathen könne? Ich reisete neulich durch eine vornehme Stad/ da stund ein groß Hauß/ das funckelte unter allen herfur/ als solte ein Fürst darinnen einziehen: Doch als ich solches besehen wolte/ so war es unter dem Dache nicht ausgebauet. Da dachte ich/ dieß Hauß kommt mir vor wie ein groser Mann/ bey dem hat die Natur die Beine wohl angelegt/ und wenn er den Hals bricht/ darff er es den Waden nicht Schuld geben. Der Bauch hat seine volle Krafft/ und wenn es an ein fressen geht/ so ist kein besser Fechter in der Welt: Allein wo es an das Hertz und an den Kopff geht/ da hat die Natur das meiste verbauet / und kan nicht nachsetzen. Damit steht der Pallast/ und scheinet auswendig wie Jerusalem/ und inwendig wie Betlehem. Was war der grose Goliath? Der Rumpf war starck genung / und kunte einen Pantzer ertragen/ damit er hundert andere erdruckt hatte. Allein David wüste/ wo das Unthier am übelsten verwahret war: Drumb schleuderte er ihm den Stein wieder (41) die Stirne/ da war kein Wiederstand/ sondern er fuhr hinein als in einen faulen Apfel. Ich wil eine Historie erzehlen. Keyser Otto/ der sich ließ den großen nennen / belagerte einmahl Brisach/ und gerieth darbey in solche Noth / daß er nicht wüste/ wo er sich mit seinem großen Nahmen hinverbergen solte. Seine eintzige Hulffe war dieses/ daß er den kleinen C U N O bey sich hatte/ welchen die andern wegen seiner kurtze nur Curtzipold hießen. Denn dieser großmuthige Cuno wagte sich unter die Feinde/ und weil er klein war/ stachen jene darneben; Hingegen war es ihm eine schlechte Kunst/ die vierschrotichten Baurenbengel zu treffen: Damit war der Sieg erhalten. Ja es riß einmahl ein Lowe aus seiner Hütte loß/ und lieff gerades Weges auff den Keyser zu: Da hat-

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ten alle Großsprecher ihre COURAGE daheim vergessen/ und muste der ehrliche Curtzipold sein Schwerd ergreiffen/ und die grimmige Bestie sanfftmuthig machen. Hier mochte mir einer den großen Roland vorwerffen / welcher zu des großen Carls Zeiten gelebt hat. Allein es ist eine ebene Sache mit ihm gewesen: So lange er zu fressen und sauffen hatte/ so lange war er ein Held: Als er aber (42) auff dem Ronzevalischen Geburge solte etliche Tage Durst leiden / da lag die matte Fliege/ und weltzte sich im Sande zu tode. Ja es ist nicht einmahl wahr/ daß er so ein ungeheuer Kerle soll gewesen seyn / denn seit Pfaltzgraff Friedrich in sein Grab gegucket/ und nichts als kleine Knochen gefunden/ halte ich davor/ seine Große habe mehr im Gemüthe als in den Gliedern bestanden. Jener Spartaner war ein braver Soldat/ der fürte einen kurzen Degen/ und ließ in den Schild eine Fliege mahlen. Mit dem kurzen Degen gab er zu verstehen/ daß er dem Feinde wolte gerade unter das Gesichte gehen: Die Fliege solte zwar so viel bedeuten/ als wolte er dem Feinde so nahe kommen/ daß er alle sechs Beine davon deutlich erkennen solte. Allein ich finde noch ein ander Geheimniß darunter. Die Fliege ist ein kleines Thier: Doch mich dunckte/ die Natur habe größere Kunst darbey angewand/ als an den Cameelen und Elefanten. Sagt d o c h PLINIUS/ ( M O N S I E U R LONGURIO v e r g e b e mir/ d a ß i c h

so viel L a t e i n i s c h m i t e i n b r i n g e ) RERUM NATURA NUSQUAM M A G I S , QUAM IN M I N I M O TOTA E S T .

D a s heist:

Die Natur

hat ihre Kräfte nirgend also gantz beysammen/ als in den kleinsten Sachen. Ja AUGUSTINUS meynet/ eine Fliege sey viel (43 ) edler als die Sonne. Indem ich der Sonne erwehne/ fallt mir dieses ein. Sie ist ein groß Geschöpfe/ und ubertrifft die WeltKugel mehr als hundertmahl. Gleichwohl schämet sie sich ihrer Große/ daß sie vor unsern Augen nur als ein Teller wil angesehen werden. Warumb dieß? sie meynet je kleiner sie aussiehet/ desto niedlicher und annehmlicher wird sie gehalten. Ja es gemahnet mich mit ihr wie mit den großen Kerlen / die sich bücken/ wenn sie auf der Gasse gehen/ nur daß sie wollen

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vor klein gehalten werden. Und was halte ich mich so lang auf? Es sey also/ die Großen sollen die besten seyn: So wird ein Cameel kluger seyn als der Konig Salomon: Ein Rabe wird besser singen als eine Nachtigal: Ja ein Esel wird viel würdiger seyn auf dem Polster zu liegen als ein JungferHundgen. Ein Schwedischer Vier-Pfenniger von Kupfer wird angenehmer seyn als eine Frantzosische Crone von Silber/ und ein häßlicher Pflaster-Stein wird theurer bezahlt werden/ als eine O R I E N T A L I sehe Perle. Zwar ich sehe es meinem Gegentheil an dem Maule an/ daß er sprechen wil / gleichwohl sey eine große Perle besser als eine kleine: ein gantzer Thaler sey (44) besser als ein halber: Und vier Kannen Bier sind besser zu verschlucken als ein halb Nosel. Aber höret doch mein guter Freund / wisset ihr auch/ daß sich die Gleichniße hieher schicken / wie ein stucke Speck in die Biermerthe? Die alten Thaler sind besser als die neuen/ der alte Wein ist besser als der heurige. Aber folgt dann hieraus/ daß mit den alten Weibern auch der beste Kauff ist? Man muß die Sachen unterscheiden. Wenn ich acht halbe Noßel zusammen gieße/ so habe ich zwey Kannen: Wenn ich zwey halbe Thaler zusammen schmeltze/ so habe ich einen gantzen: Aber welcher Hencker weiset mir den Morser/ da ich aus Zweyen kleinen Menschen einen doppelten stossen kan? Und derhalben bleibe ich bey meinen Gedancken/ ein langer ungeheurer Kerle ist ein I N U T I L E TERRAE P O N D U S , ie mehr er Fleisch und Blut im Wadsacke fuhrt/ desto mehr Unvollkommenheit hat er bey sich/ und desto mehr Stanck erregt er/ wenn er gestorben ist. Er muß mehr zu essen haben/ er braucht mehr Tuch oder Zeug zum Kleide. Und wenn es dahin k0mmt/ daß man die Hülle und die Fülle verdienen soll/ so hat sich ein kleiner Zehnmahl umgewandt/ ehe der grosse daran (45) gedacht hat. Ach ware ich versichert/ daß ich keinen I N J U R I E N P R O C E S S an den Hals bekäme/ ich wolte sagen/ es sey unmöglich/ daß ein großer nur einen Vater habe. Ich sehe es an der Natur. Je offter die Blumen fortgesetzt werden/ desto grosser werden sie: Doch weil ich solches nicht wol beweisen

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konte/ wil ich es nicht gesagt haben. Die guten Leute sind geschimpfft genung daß sie sich allzeit bücken müssen/ wenn sie zu der Thür hinaus gehen/ gleich als hatten sie sonst was auff dem Kopfe. Nun mein ehrlicher L O N G U R I O , ich zweiffeie nicht/ er werde mir gewonnen geben: Ein kleiner Kerle ist dem Himmel naher; Denn er hat wenig irdische M A T E R I E : Er hat mehr C O U R A G E ; denn die Hitze kan bald den gantzen Leib einnehmen: Er ist bey dem Frauen-Zimmer angenehmer; denn er kan sich leichtlicher in den Kleider-Schranck verschliessen lassen / wenn der Vater kommt: Er hat mehr Mittel reich zu werden; denn er darff nicht so viel Essen und Kleider: Er kan besser studieren; denn er darff sich nicht so tieff nach dem Buche bücken. Diesen eintzigen Vortheil haben die großen/ wenn es Kuh(4ii)fladen regnete/ so lieffen sie durch / und die kleinen müsten drinnen ersticken. Doch so lange solches nit geschieht/ so lange bilde ich mir so viel ein/ als der groste Roland. Wil er bose werden/ so wil ich ihm eine Historie mit nach Hause geben: Ein P H I L O S O P H U S stund in tieffen Gedancken/ da kam ein ungeschliffener Kerle/ und hatte viel unnutzes Zeugs von ihm zu fragen; Der P H I L O S O P H U S schwieg eine Zeitlang stille: Doch als jener nicht ablassen wolte/ fragte ihn der gelehrte Mann/ mein welches ist das groste Thier auff der Welt? Dieser gab zur Antwort/ er meinte/ der Elefant. Hierauff versetzte dieser/ du großer Elefant laß mich zu frieden. DIXI."

CAP. VII. Der gute L O N G U R I O hatte die Rede mit großem Verdruß angehöret/ und hatte ihn das Ansehn der Zuhörer nicht abgehalten/ er wurde es gemacht haben/ wie E R A S M I R O T E R O D A M I F A M U LUS. Denn als dieser im DisPUTiren nicht fortkommen kunte/ schmieß er seinem O P P O N E N T E N das neue T E S T A M E N T an den Kopf. Gleichwohl als er D I X I (47) horete/ konte er

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nicht verziehen/ biß ihm zu reden wäre erlaubet worden / ja er vergaß die C A P T A T I O N E M B E N E V O L E N T L Y , und fuhr ungestüm in diese Worte heraus: „Du Staub von einem Erdwurm/ du Feder aus einem ZaunKönigs-Flugel/ du rechte Zehe von einer Floh-Pfote/ du Hargen aus einem Muckenbarte/ du Hinterviertel von einer Ameise/ du Kinnbacken von einem Kornwurme — - —" D E U T R I A S fing an zu ruffen / dieses waren I N J U R I E N , sonst hatte er leicht Nahmen erdencken wollen. Ein solcher langer Kerle sey ein Gansedreck/ von der großen Ganß/ welche die Juden im Paradiese schlachten wurden. Doch mit solchen Tituln wurde der Sache nicht abgeholffen/ er bate/ man mochte ihn zu einem gutlichen Vertrag/ oder zu einer vernunftigen Rede anhalten. Hierauff legte sich die C O M P A G N I E darzwischen/ und begehrte/ er solte keine verfängliche Reden mit untermischen. Er stund etwas in Gedancken/ darauff fuhr er fort: „Ich sol dich nicht schimpfen: Also werde ich auch nicht sagen durffen/ daß du klein bist. Denn das ist der höchste Schimpf auff ( 4 8 ) der Welt. Du kanst dich zwar mit deinen drey Pfund Fleisch/ darinne die elende Seele eingewickelt ist/ unerhört belustigen. Aber höre/ es kroch ein Fuchs in eine Fleischkammer/ und als er sich ertappen ließ/ und nicht so bald zum Schlupfloche wieder hinaus kunte/ bussete er den Schwantz ein: Der kam hernach zu seinen Cameraden/ und gab vor/ es ware die neueste Mode/ die Fuchse giengen in Franckreich alle ohne Schwantze/ sie solten sich auch also vermutzen lassen. Ja wol muste sich das arme Rabenaaß mit der neuen Mode viel einbilden / hatte er seinen Schwantz behalten/ er wurde anders davon geschwatzt haben. Und man gedencke nur/ die Natur soll nicht kräfftig genung seyn/ den Bau des Menschlichen Leibes auszufuhren. Ich weiß ein ander Gleichniß; warumb werden auff den Pflaumbaumen etliche groß und Fleischicht/ da andere dürre und trocken bleiben? Warumb wird auff den Apffelbaumen einer grosser als der andere? Mich dunckt/ weil die Natur ihre Kraft an den großen erweisen wil/ so müssen es

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die kleinen entgelten. Warum wachst an einem Orte das Korn hoher als an dem andern? { 4 9 ) weil der Boden besser bestellt ist. Oder wilstu haben/ daß auff dürrem Lande besser Korn wachse als auf dem Wasserichten / so wolte ich/ du müstest lauter Walterdisteln freßen/ die wachsen auf dürren Orten am liebsten. Die elenden Historien sind nicht weit her. Gesetzt es hatte einmahl ein kleiner Riese große Thaten gethan/ was ist ein Exempel gegen hundert Tausend? Ich weis wohl andere Sachen. Alexander der große war von seinem Vater auch nicht mit der Brabantischen Elle abgemessen worden: doch schamete er sich seiner kleinen Statur dermassen/ daß er sich allenthalben grosser abmahlen ließ/ umb die Nachwelt zu bereden/ er ware ein halber Riese gewesen. Also machte es AUGUSTUS zu Rom/ der trug an seinen Schuhen Absazze bey einer viertel Elle hoch/ nur daß er wolte groß seyn. Daß mir nur die schone Ehre nicht wegkommt/ welche an der PiccoLOMiNischen Statur zu erhalten ist. Andere Leute suchen sie zu verbergen/ und der kleine Windfang wil groß Pralens damit treiben. Ich halte/ er muß sich was zu reden machen/ daß die Leute hören ob er da ist. Da heists wohl recht/ wie SOCRATES sagt:

LOQVERE UT TE VIDE(50)AM.

Wenn

ich an seiner Stelle ware/ so träte ich auf einen Bogen Papier/ daß ich ein Ansehn kriegte/ oder legte einen Esels-Kopf oben auf den Wirbel/ daß ich das Maß hatte. Höre du großer Mann/ wie geht dirs/ wenn nun Gesundheit herumb getruncken wird/ und du solst in STANDO die Reihe voll machen? Hat dir noch niemand des OVIDII Verß vorgesagt? Si BREVIS

ES, SEDEAS,

NE STANS VIDEARE

SEDERE.

Ich höre du woltest gerne auf die Zehen treten / so hastu Bley in Sohlen/ daß dich der Wind nicht wegfuhrt/ und die sind so schwer/ daß du dich auf den Zehen nicht erhalten kanst. Ο Jammer! ο Hertzeleid! Nun ist ein grosser Mann zuverachten/ weil er mehr Speise und Kleider bedarf. Ich sage nein

Die Drey Klügsten Leute der Welt, Cap. VII.

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darzu. Ein Fürst bedarf mehr Unterhalt als ein Bettelman. Je vornehmer eine Sache ist/ desto kostbahrer ist ihre Erhaltung. W i r sollen mehr als einen Vater haben: D u alberner Brachkäfer/ d u hast nur einen halben. D a ist es eine Schande/ daß wir uns bücken müssen/ wenn wir zu der T h ü r hinaus gehen: höre doch / kreuch mir zu gefallen in eine H u n d e h u t e / u n d siehe ob (51) du dich nicht bücken must. D a hat ein kleiner Goliath die Hitze beysammen/ u n d der Qvarck liegt ihm nahe: weistu aber nicht daß ein großer dreimal mehr Hitze hat/ u n d die liegt ihm eben so nahe? O b es rühmlich ist/ wenn man sich im Kleider-Schranck als ein ander Berenheuter verschließen last/ mögen andere urtheilen. D o c h sage ich dieß: Ein grosser geht mit R E P U T A T I O N zum Frauen-Zimmer/ u n d hat nicht Ursach/ daß er sich versteckt. Aber ein kleiner Spurhund/ der wird von niemand vor Voll angesehen/ u n d d r u m b hat er Glücke/ daß er ausreisen kan/ wenn der Vater k o m m t . Er mochte ihn sonst vor einen Jungen ansehen/ u n d ihn über die Banck legen/ daß der Steiß wackelte. U n d was halte ich mich viel auf? Ich habe es noch nie gesehen/ daß sich ein Adler mit den M ü c k e n / u n d ein edel Pferd mit einem elenden H ü n d g e n in einen Kampf eingelassen. Doch weil mein großer Gegentheil mit einer schonen Historie beschloß/ m u ß ich auch etwas erzehlen. Es hatte einer eine Nachtigal / und weil sie nicht uneben singen kunte / meinte er/ sie würde sich gut zu einen Gebratens schicken. Allein wie sie in der Schüßel (52) da lag/ u n d nichts als ein klein unansehnlich Gerippe P R ^ S E N T I R T E , da schrie er aus Ungedult: Tu

TANTUM DIXI."

VOX ES,

PRJETEREAQUE

NIHIL.

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CAP. VIII. Hier stunden nun die beyden iNTERESSENten/ und warteten beyderseits auf einen angenehmen Ausspruch. Allein sie hatten nicht vermeint/ daß Sigmund in der andern Nahmen also reden wurde: „Aus euren Reden haben wir vernommen/ daß weder die kleine noch die große Statur ein Mittel wieder die Thorheit sey/ und daß man die Fantasten weder mit Ellen ausmessen/ noch mit Pfunden abwegen könne. Unterdessen ist dieß unser D E C I S U M : Einer ist grosser als der andere/ gleichwohl ist keiner kluger als der andere. Es kan nicht geleugnet werden/ daß eine ansehnliche Person zur R E C O M M E N D A T I O N eines Menschen viel helffe/ und daß ein solcher GOtt sonderlich zu dancken habe/ daß er ihm so ein fugliches M E D I U M P R O M O T I O N I S zugewiesen. Doch ist dieses nicht ohn/ ein langer Mensch/ der ein Narr dabey (53) ist/ schimpft seine Statur ärger/ als wenn ein kleiner sich zum Pikkelhering brauchen last. Drumb ist das auf seiten kleiner Leute ein grosser Vortheil/ daß sie eher durffen ein bißgen narrisch thun/ als ein langer C H R I S T O P H O R U S , der sechs Cantzler und sieben Hof-Rathe im Leibe hat. Doch soll ich sagen/ was ich von der gantzen Streitsache halte/ so ist es poßierlich/ daß man einander solche Sachen vorwirft/ welche von GOtt und der Natur DEPENDiren. Ich weiß/ als ich zu Wittenberg studierte/ kam ein Burger zu dem MAG N I F I C O , und klagte/ die Penale wurffen ihm allzeit seinen Gebrechen vor: Als er aber sagen solte/ was sie ihm denn vorwürffen/ so kam es heraus/ sie hießen ihn Rothbart. Und damit gerieth die Klage zu einem Gelachter. Was die Natur tut/ das ist nicht schimpflich: denn es stehet nicht in unser Gewalt. Man laße einen Bucklicht/ Lahm/ Einaugigt/ Schwindsüchtig/ oder mit einem andern Gebrechen behaftet seyn: GOtt wil es so haben / er kan nicht davor. Aber wer aus eigener Nachlaßigkeit in Schimpf gesetzet wird/ der mag hohnisch gehalten werden. Es konte mancher ein (54)

Die Drey Klügsten Leute der Welt, Cap. VIII.

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ehrlich Ambt bedienen/ und last sich einer fetten Suppe halben zum Stock-Narren machen: Da habe ich kein Mittleiden/ ob gleich die Ohrfeigen mit Nasestubern verbrämt werden. Ja wenn sich einer auff dem VÖLTisiER-Boden ein lahm Bein oder sonst was großes gesprungen hat/ oder wenn er von Sauffen schwindsuchtig wird/ oder wenn er über der Liebes-Kranckheit in ein klein Badestubgen kriechen/ und die PECCATA JUVENTU-

TIS ausschwitzen muß/ da scheint es so ungereimt nicht/ daß man sie vor dem Spott nicht sorgen last. Konig Salomon selbst heist solche Leute Narren. W e r g e s c h i m p f t w e r d e n soll/ d e r m u ß d i e S a c h e / d a r u m b er g e s c h i m p f t w i r d / in seiner Gewalt haben. Was kan ein langer davor/daß ihm der Wind nicht so viel vom Leibe wegblasen wil? und was hat ein kleiner gesundiget/ daß er keine längere Beine erzeugen kan? G O t t der in der Natur kleine und große Bäume/ kleine und große Fruchte/ kleine und große Thiere geschaffen hat/ wil unter den Menschen auch eine Ungleichheit wissen/ daß sie als die Orgelpfeiffen untereinander fein artig abstechen sollen." ( 5 5 ) Er hätte mehr geredet/ so kam eine Kutsche vor das Hauß gefahren/ und machte alle aufrührisch / in dem ein jeder wissen wolte/ was vor Gäste bey so später Abendzeit kommen wurden. Doch vernahmen sie von dem Wirthe/ es wäre der Postwagen/ der wurde über eine halbe Stunde nicht verziehen/ und damit wieder fortgehen. LYSIAS sagte/ er hätte nicht anders gemeinet / die Post käme erst in zwey Tagen/ ob es auch möglich sey / daß sie mit reisen konten. Der Wirth versetzte/ es wären schon etliche Personen auf dem Wagen/ doch ihrer vier konten zur Noth noch darauff kommen/ so wären sie künftigen Mittag in einer vornehmen Stad. LYSIAS fragte hierauff / wenn er sich mit etlichen auf den Weg machte/ ob auch die Diener mit Gelegenheit nachfolgen konten. Der Wirth sagte/ es gebe sich fast alle Tage zufallige Fuhre an/ wenn nur etliche auf des Schusters-Rappen neben hin reiten konten. Auf dieß Wort bezahlten sie den Wirth/ und nahm LYSIAS seinen POLEMON, FLORINDO seinen Sigmund mit / die andern ließen sie zurück/

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mit dem Befehl/ bey erster Gelegenheit halb zu Pferde/ halb zu Wagen/ halb zu Fuße nachzufolgen. (56)

CAP. IX. Aber ach! was zu einer unglückseligen Stunde/ hatten sich die guten Leute auff die Post verdingt. Denn als sie umb Mitternacht durch einen wüsten Wald reisen musten/ und ein jedweder mit verschloßenen Augen eine COMCEDIE von den SiebenSchläffern spielte/ weil absonderlich ein ungestummer Regen die Augen nicht gar weit ließ von einander kommen/ sihe da/ so fanden sich etliche Schnaphahne/ welche im Sinne hatten die Post abzusetzen. Sie schliechen im Gepusche neben her/ und wüsten nicht/ ob sich so viel Personen leicht ergeben wurden. Endlich kam das hinterste Rad an ein Stuck holtz aufzusitzen / daß der Knecht vom Pferde absteigen muste: da schliechen sich ein paar Diebsvogel an den Knecht/ druckten ihm Maul und Nase zu/ daß er kein Zeichen geben kunte/ und bohrten ihm unterdessen nach der Brust/ daß er gantz stillschweigend dahin fiel. Gesetzt auch/ er hatte noch etliche mahl gestrampft/ so würde es niemand bey dem Gereusche des Regens in acht genommen haben. Hiermit nahm einer die Peitsche/ und setzte sich auf die Pferde/ die a n ( 5 7 ) d e r n verschleppten den todten Corper; Nun saßen die Leute auf dem Wagen in guter Ruh/ und meinten/ sie kamen auf der ordentlichen Landstrasse gar kostlich fort: Allein der Fuhrmann hatte einen Holtzweg gefunden/ da eilte er hin/ und brachte sie mitten im Walde in ein rechtes Raubnest. Es war von unterschiedenen Raubern unlängst angeleget worden/ und war von aussen mit so dickem Buschwerck umbgeben/ daß kein Mensch sich dergleichen versehen kunte. Inwendig aber lieffen die Straucher in einen tieffen Thal/ da war ein anmuthiger Platz / gegen welchem etliche Losamenter mit beqvemen Fenstern heraus giengen. Im übrigen war das meiste Theil morastich/ daß/ wer den rechten Furt

Die Drey Klügsten Leute der Welt, Cap. IX.

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nicht wüste/ leichtlich im Wege ware stecken blieben. In solche RESIDENZ wurden unsere Reisende wieder ihr wissen eingefuhret/ und als sie mitten in der Falle Stacken/ PRjESENTiRten sich etliche mit Fackeln/ die sagten/ sie solten sich ergeben/ oder es wurde ihrer ubel gewartet werden. Sie erschrecken über diesem Ansinnen/ und hatten ihr Gewehr lieber zur Hand genommen: doch als sie aus einem jedweden Winckel etliche Morder ruffen horten/ welche ( 5 8 ) sich vermaßen Feuer zu geben/ wofern sie nicht absteigen wurden/ musten sie aus der Noth eine Tugend machen / und sich gefangen geben. Der Postilion that sehr kläglich/ als die Strauchdiebe sein PostPacket mit des Rom. Reichs Haupt-Schlußel eröffneten. Die andern drey Kaufleute waren auch ubel zufrieden/ das sie ihre Sachen einbüßen solten. Aber unsere vier Cameraden sagten gleich zu/ sie solten hoflich mit ihnen umbgehen/ wolten sie eine Zehrung oder sonst einen R E C O M P E N S haben/ so solten sie an ihrer hofligkeit gleichfals nicht zweifeln. Zwar anfanglich wolten sie schlechte Ohren darzu haben: Als sie aber von einer ansehnlichem R A N Z I O N schwatzten/ waren die Morder noch so D I S C R E T , und führten sie mit in ein liechtes Losament: Wo die andern blieben/ darumb mochten sie sich nicht bekümmern. Hier hatten die Schelmen nun das Post-Packet/ und rissen alle Brieffe auf/ fanden sie Geld darinne/ so nahmen sie es heraus / die Brieffe aber schmissen sie auf die Erde/ und als sie davon giengen/ sagten sie zu ihren Gefangenen / sie solten unterdessen die Brieffe lesen/ und die Zeit damit vertreiben: (59) von Eßen und Trincken solten sie nicht sorgen/ doch mit dem Bedinge/ daß sie innerhalb acht Tagen einen Vorschlag thaten/ wie die R A N Z I O N ZU bezahlen. Solte auch solches nicht erfolgen/ so wurde ihre hofligkeit auch ein Ende haben. Also blieben sie allein/ und nachdem sie etliche Stunden ihr Unglück beklaget/ wolten sie den vergebenen Grillen nicht langer nachhangen/ sondern hüben etliche Briefe auf/ in der Meinung/ etwas neues darinn anzutreffen. Und allhier wird es sich nicht übel schicken/ wenn wir die nachfolgende Begebenheit in etlichen

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Gesprächen vorstellen zwischen

LYSIAS,

FLORINDO,

POLE-

MON u n d S I G M U N D .

CAP. X. Ihr Herren/ das heist kluge Leute gesucht / und Schelmen gefunden. FLOR. Sie sind auf ihren Nutzen klug genung. POL. Aber der Hencker hohle sie mit ihrer Klugheit. SIGM. Es ist nur niemand da / der den Hencker bestellen wil. (60) FLOR. Ach! waren wir aus diesem Neste/ ich wolte mich nicht viel umb den Hencker bekümmern. SIGM. Was hilffts/ wir sind in einem Zustande/ da wir etliche Proben von unsrer Klugheit ablegen sollen. Im Glucke kan ein jedweder klug seyn: Izt ist es eine Kunst. LYS. ES ware viel davon zu reden/ wer alles sagen solte. Es ist am besten/ daß wir nicht daran gedencken. Wir wollen die Briefe ansehen/ sie kommen doch ihren rechten Herren nimmermehr in die Hlnde. FLOR. Sigmund mag die Muh auf sich nehmen/ und die Briefe laut lesen. LYSIAS.

SIGM.

Ich bin es zu frieden.

D e r erste B r i e f . HochEdelgebohrner. Dessen hofligkeit verbindet mich meine Antwort zu beschleunigen / absonderlich weil mein D I S C U R S jüngsthin nicht allerdings verstanden worden. Ich lebe nochmahls in diesen Gedancken/ es sey kein beßer Glaube auf der Welt/ als R E L I G I O P R U D E N T U M . Zuforderst darumb/ weil ich lieber auf der klügsten ihrer Seite stehe/ (61) als daß ich bey den Einfaltigen Stümpern solte betrogen werden.

Die Drey Klügsten Leute dir Welt, Cap. Χ.

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Was aber die gedachte R E L I G I O N an sich selbst betrifft/ so hat sie kurtze P R I N C I P I A und kan sehr leicht begriffen werden. Es heist ( 1 . ) D E O M N I B U S D U B I T A , ( 2 . ) N I H I L T E M E R ^ C R E D E , ( 3 . ) EX O M N I B U S R E L I G I O N I B U S ELIGE QVOD O P T I -

MUM EST. D e n n warumb ware uns die Vernunfft gegeben worden/ wenn wir solche in dem wichtigen Werck von unserer Seligkeit nicht gebrauchen solten? Ich befinde mich wohl dabey/ und wolte wünschen/ mein Herr mochte der Sache besser nachsinnen. Bey künftiger Gelegenheit berichte ich etwas mehr. Erwarte zuvor dessen Befehl/ und verbleibe etc. LYS. Sieh da/ kommen wir doch in diesem Gefangniß hinter eine Klugheit. S I G M . Ich wolte nicht gern mit dieser Klugheit viel zu thun haben. POL. Ist aber der Vorschlag nicht gut genung? S I G M . Der Teuffei hat seine groste Lust daran. POL. SO sprechen die Geistlichen / die meinen/ es gienge zwey Loth an ihrer Au(62)TORitat ab/ wenn ein P O L I T I C U S in ihren GlaubensArtickeln stören solte. S I G M . Ich weiß nicht/ ob etliche ihre AUTORitat verstehen. Ich halte/ sie können ihr Gewissen anders nicht SALViren. P O L . Ich sehe aber keine A B S U R D I T Ä T , DE O M N I B U S D U B I TA, das heist/ Prüfet die Geister. SIGM. Aber es heist/ vergeßet das rechte Scheidewasser nicht / dadurch die Geister geprüfet werden. POL. SO m u ß ich alles glauben? SIGM. Ich m u ß nicht alles glauben: Gleichwohl m u ß ich auch meiner Vernunft nicht alles heimstellen. POL. Wie kan ich aber meiner Sachen besser rahten / als wen ich aus allen das beste auslese? SIGM. Das sind die Leute/ welche weder kalt noch warm sind/ welche G O t t aus seinem M u n d e ausspeyen wil. POL. Gleichwohl sol der Gerechte seines Glaubens leben.

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Christian Weise

Si GM. Ja/ er sol seines rechten Glaubens leben: Aber eine jedwede Einbildung der vorwitzigen Vernunft heißet kein Glauben. {63) POL. Der Apostel Paulus ist selbst allen alles worden. SIGM. Nicht in Glaubens Sachen: sondern in eußerlichen Ceremonien. POL. SO mußen so viel kluge Leute Narren seyn? SIGM. Ich gebe es zu/ viel Weltkluge Leute/ sind in himmlischen Sachen Narren. POL. Das ist etwas hart geredt. SIGM. Unser Heyland freuet sich/ daß GOtt das jenige den Klugen und Weisen verborgen hat/ welches den unmündigen offenbahret ist. POL. SO ist ein kluger Mensch unglückselig? S I G M . Ja/ wenn er seine Klugheit mißbrauchet/ und nicht bedenckt/ daß die gottliche Thorheit weiser ist/ als die Menschliche Klugheit. LYS. Ihr Herrn vertiefft euch nicht zu sehr in der Schrifft. Es ist genung/ daß wir in dieser Einsamkeit einen gefunden haben/ der vor Klug wil gehalten seyn. Hat er gefehlt/ so sol er auch nicht unter denen Drey klügsten Leuten stehen. FLOR. Ich gebe mein V O T U M darzu/ R E ( 6 ¥ ) L I G I O P R U DENTUM EST R E L I G I O STULTORUM. Und damit wollen wir weiter in die Briefe.

CAP. XI. SIGMUND.

Das ist ein Kauffmans-Brieff/ da wird nicht viel zu

lesen seyn. FLOR.

Wer weiß/ ob es nicht was neues giebt:

hören. SIGM.

SO

wil ich ihn lesen.

Laßet ihn

Die Drey Klügsten Leute der Welt, Cap. XI. LAUS

DEO

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ETC.

Berichte hiermit/ daß mit nechster Post gewiß AVISIRET worden/ als solten die Schiffe mit INDIGO alle untergangen seyn/ daher große Theurung dieser Wahre zu besorgen. Mein Rath ware/ bey allen HandelsLeuten solche auf zukauffen/ ehe es laut wird: Es solte etliche tausend Reichsthaler INTERESSE tragen. Verbleibe etc. LYS. Das ist ein kluger Vorschlag. FLOR. Aber es geschieht mit des Nechsten Schaden. LYS. Wer die Augen nicht aufthun wil/ der thue den Beutel auf. FLOR. Hier aber kan ein ehrlicher Mann seine Augen nicht aufthun. LYS. So ist er darzu PRSDESTINIRT, daß er sol betrogen werden. ( 6 5 ) FLOR. Ich wolte die Reden nicht gerne fuhren. LYS. Ohne Schertz/ ich halte/ daß dergleichen kluge Griffe so groß nicht können getadelt werden. FLOR. Ich habe einmahl das siebende Gebot hören auslegen/, entweder der Priester hat es nicht recht verstanden/ oder das ist Sunde. LYS. So darf kein Handelsman seinen Vorthel suchen? FLOR. Die Vorthel gehen wol hin/ wenn sie ehrlich sind; allein wer seinem Nechsten die Wahre abschwatzt/ da er weiß/ daß derselbe seinen bessern Nutzen darbey machen konte/ der last klarlich sehen/ daß die Christliche Liebe bey ihm entweder gestorben ist / oder doch in den letzten Zügen liegt. LYS. Wäret ihr an der Stelle/ ihr wurdet es genauer geben. FLOR. Thate ichs/ so ware es nicht recht. Doch wer bekümmert sich umb den CAUSENmacher. Weiter in den Text.