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German Pages 280 Year 2014
André de Melo Araújo Weltgeschichte in Göttingen
Band 16
Editorial Globalisierung erfordert neue kulturelle Orientierungen. Unterschiedliche Traditionen und Lebensformen ringen weltweit um Anerkennung und müssen sich den Erfordernissen einer universellen Geltung von Normen und Werten stellen. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der menschlichen Welt- und Selbstdeutung müssen gleichermaßen berücksichtigt werden. Dazu bedarf es einer neuen Besinnung auf das Menschsein des Menschen: in seiner anthropologischen Universalität, aber auch in seiner Verschiedenheit und Wandelbarkeit. Die Reihe Der Mensch im Netz der Kulturen – Humanismus in der Epoche der Globalisierung ist einem neuen Humanismus verpflichtet, der Menschlichkeit in seiner kulturellen Vielfalt in sich aufnimmt und als transkulturell gültigen Gesichtspunkt im Umgang der Menschen miteinander in den Lebensformen ihrer Kulturen zur Geltung bringt. Die Reihe wird herausgegeben von Jörn Rüsen (Essen), Chun-chieh Huang (Taipeh), Oliver Kozlarek (Mexico City) und Jürgen Straub (Bochum), Assistenz: Henner Laass (Essen). Wissenschaftlicher Beirat: Peter Burke (Cambridge), Chen Qineng (Peking), Georg Essen (Nijmegen), Ming-huei Lee (Taipeh), Erhard Reckwitz (Essen), Masayuki Sato (Yamanashi), Helwig Schmidt-Glintzer (Wolfenbüttel), Zhang Longxi (Hongkong)
André de Melo Araújo (Dr. phil.) ist tätig an der Universität von São Paulo in Brasilien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Historiographiegeschichte sowie Anthropologie- und Wissenschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts.
André de Melo Araújo
Weltgeschichte in Göttingen Eine Studie über das spätaufklärerische universalhistorische Denken, 1756-1815
In Zusammenarbeit mit dem Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen, dem Institute for Advanced Studies in Humanities and Social Sciences, National Taiwan University, und der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Gedruckt mit Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes.
Humanismus in der Epoche der Globalisierung – Ein interkultureller Dialog über Menschheit, Kultur und Werte gefördert von der Stiftung Mercator Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Korrektorat & Lektorat: André de Melo Araújo Satz: Angelika Wulff Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2029-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Vorwort | 7 I. Weltgeschichte und Anthropologie in Göttingen | 9
1 Die spätaufklärerische Anthropologie, oder ein Blick für die Menschheit | 14 2 „Eine Universität für die Welt“ | 25 3 „Heilsame Concurrenz“ an der Georgia Augusta | 33 4 Bestimmung des Quellenkorpus und Gliederung der Arbeit | 41 II. Innovation und Federkrieg | 57
1 Weltgeschichte als Europäische Staatengeschichte | 58 2 Erdbeschreibung und ethnographischer Blick | 65 3 Gatterer und die „vierfache Beschäftigung“ der Universalhistorie | 71 4 Schlözer und die vierfache Methode der Universalhistorie | 79 5 Epistemologischer Hintergrund eines Federkrieges | 88 III. Psychologie und Geschichte der Menschheit | 97
1 Das Wissensfeld der aufklärerischen Psychologie | 99 2 Die historiographische Tradition der Geschichte der Menschheit | 110 3 Vergleich und Analogie als methodische Strategie | 124 4 „Die Geschichte der Menschheit allein begreift den ganzen Menschen“ | 132 IV. Weltgeschichte und Menschengeschlecht | 139
1 Die Göttinger Weltgeschichtsschreibung um 1785 | 141 2 Causa accidentalis, causa efficiens und causa essentialis | 150 3 Naturzwang und historische Kontingenz | 162 V. Menschheit und Weltstaatensystem | 181
1 Die verbundene Welt und der Göttinger Kantianismus | 183 2 Die stillstehende Geschichte und das Wesen der Politik | 195 3 „Nur der Blick über das Ganze durfte nicht fehlen“ | 205 VI. Ausblick | 215 Literatur | 229
Anhang. Tabellarische Aufstellung des Lehrangebots mit weltgeschichtlichem Inhalt an der Universität zu Göttingen | 263
Sigelliste | 263
Vorwort
Die vorliegende Studie ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, mit der ich im September 2010 an der Universität Witten/Herdecke promoviert wurde. Angeregt und betreut wurde sie von Professor Jörn Rüsen. Ihm danke ich vor allem für seine große Unterstützung durch konstruktive Diskussionen, zahlreiche Denkanstöße und auch für seine Hilfe bei vielen praktischen Dingen, die mit meiner Dissertation verbunden waren. Professor Friedrich Jaeger, der das Zweitgutachten dieser Arbeit erstellte, gilt ebenso mein herzlicher Dank für seine vielen hilfreichen Anregungen und Ratschläge. Meinem Drittgutachter Professor Estevão de Rezende Martins bin ich insbesondere dafür dankbar, dass er mir für Deutschland die Türen geöffnet hat und mich bereits seit dem Ende meines Studiums durch einen konstruktiven Austausch unterstützt. Gefördert wurde diese Arbeit mit einem Promotionsstipendium des Deutschen Akademischen Austausch Diensts (DAAD), bei dem ich mich hiermit bedanken möchte. Darüber hinaus war ich assoziiertes Mitglied im Graduiertenkolleg des Projektes „Humanismus in der Epoche der Globalisierung. Ein interkultureller Dialog über Menschheit, Kultur und Werte“ am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen, welches eine Förderung durch die Mercator-Stiftung erhielt. An dieser Stelle danke ich auch noch einmal allen Kolleginnen und Kollegen des Humanismus-Projektes für den wissenschaftlichen Austausch, die vielen Seminare, Kolloquien und Semestertreffen. Auch der Herzog August Bibliothek bin ich sehr dankbar, an der ich mit Hilfe eines Stipendiums der Rolf und Ursula Schneider-Stiftung in den Jahren 2009 und 2010 für jeweils mehrere Wochen arbeiten konnte. Der Berendel Foundation danke ich für ihr Abschlussstipendium, das sie mir zur Fertigstellung meiner Dissertationsschrift gewährte. Für eine kritische Lektüre einzelner Kapitel, viele konstruktive Vorschläge, anregende Diskussionen und moralische Unterstützung möchte ich mich von ganzem Herzen bei Professor Horst Walter Blanke, Professor Arthur Assis sowie Volker Arnke, Matteo Favaretti Camposampiero und Sabine Ritter bedanken. Für den Satz der Arbeit danke ich Angelika Wulff ganz herzlich.
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Mein großer Dank gilt ferner Judith Schildt, die mir mit ihren umfangreichen Korrekturvorschlägen meiner Texte sowohl auf inhaltlicher als auch auf formaler Ebene sehr geholfen hat und immer mit Rat und Tat zur Seite stand. Ganz besonders möchte ich an dieser Stelle auch meinen Eltern Márcio und Técia sowie meinen Geschwistern Suzana e Márcio danken, die mich immer sehr liebevoll unterstützt und mich schließlich auch zu meiner Entscheidung für eine Promotion in Deutschland ermutigt haben. Mein größtes Dankeschön verdient meine liebe Frau Shadia Husseini de Araújo. Sie hat mir mit anregenden Diskussionen, Ratschlägen sowie Korrekturen unendlich viel geholfen und meine Seele beflügelt. Ihr ist dieses Buch gewidmet. Com muito amor. Im November 2011
André de Melo Araújo
I. Weltgeschichte und Anthropologie in Göttingen
„Eine Zeitlang, oft sogar einige Jahrhunderte, begnügen sich die Völker nur mit ihrer eigenen Landsgeschichte, bis endlich die Neugierde erwacht, auch auswärtiger Völker Zustand und Schicksale kennen zu lernen. Geht diese Neugierde, unter günstigen Umständen, immer weiter fort, so entsteht wol gar zulezt unter manchem Volk eine Art von Weltgeschichte, welche jedoch erst in unsern Tagen einen Umfang erhalten hat, der sie dieses Namens nicht unwürdig macht.1“
Die Geschichtsschreibung im ausgehenden 18. Jahrhundert wurde vor allem durch den Wunsch getrieben, die ganze Welt empirisch in den Blick zu bekommen.2 So eine Art von Weltgeschichte, die durch Neugier auf Gegenwart und Zukunft fremder Völker gekennzeichnet ist, gewann insbesondere in der Zeit an Bedeutung, als Johann Christoph Gatterer (1727-99) oben stehende Zeilen schrieb. Ein entscheidender Impuls für die Herausbildung der spätaufklärerischen Weltgeschichtsschreibung waren zum einen die wachsenden ethnographischen Kenntnisse, die sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts besonders in Reiseberichten niederschlugen.3 Zum anderen war dies
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Gatterer, Johann Christoph: Versuch einer allgemeinen Weltgeschichte bis zur Entdeckung Amerikens, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1792, S. 2. Auf die empirisch angelegte Forschung als ein Hauptmerkmal der deutschen spätaufklärerischen Weltgeschichtsschreibung wies bereits Jürgen Osterhammel hin. „Modern world history differs from the older universal-historical constructions in that it presupposes an empirical idea of geography and of both the unity and plurality of humanity’s historical experience. Such a vision of the world could only be formed in Europe, and not earlier than the eighteenth century.“ Vgl. Osterhammel, Jürgen: „World History,“ in: Axel Schneider/Daniel Woolf (Hg.), The Oxford History of Historical Writing, Bd. 5: Historical Writing since 1945, Oxford: Oxford University Press 2011, S. 93-112, hier S. 94. Zur Erweiterung vom kartographischen und ethnographischen Wissen im Zeitalter der Aufklärung siehe z.B.: Bödeker, Hans Erich: „Aufklärische ethnologische Praxis: Johann Reinhold Forster und Georg Forster,“ in: Hans Erich Bödeker/Pe-
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auch die Zeit, in der man mit Hilfe einer Lupe für das bloße Auge unsichtbare Teile sehen und dadurch auf die wahrnehmbar gewordenen lebendigen Verhältnisse zwischen bekannten und vormals unbekannten Teilen blicken konnte. Man suchte die „biologische Entwicklung als die ‚Form des Werdens‘“4 zu beschreiben und auf diese Weise sichtbar zu machen. Man wollte das Werden der Geschichte in ihren zersplitterten Teilen dank ihrer nun wahrnehmbaren Verhältnisse zueinander als ein vereinbares Ganzes qua einer historiographischen Form begreifen. Die Versuche, diese Form zu bestimmen, stehen im Zentrum der vorliegenden Studie. Es soll das Wissensprinzip herausgearbeitet werden, das der ganzen Welt – sprich: der ganzen Menschheit – als Erkenntnisziel des historischen Denkens im Zeitalter der Aufklärung unterliegt. Dabei werden neben dem gemeinsamen Nenner, dem konkurrierende Wissensformen folgen, auch die Differenzen und Grenzziehungen derselben untereinander beleuchtet. Den zentralen Zugang für diese Wissensformen liefert die Anthropologie. Zwei Jahrzehnte nach Gatterers Lob auf die Weltgeschichtsschreibung ist das damalige Verständnis vom Wissensfeld der Anthropologie in Johann Christoph Adelungs Grammatisch-kritischem Wörterbuch der hochdeutschen Mundart verzeichnet worden. Diesem Werk zufolge ist die Anthropologie eine „Lehre von dem Menschen,“ die sich „seinen Theilen und Verhältnissen, so wohl im theologischen, als physischen und moralischen Verstande“5 widmet. Obwohl die Anthropologie keine semantische Erfindung des 19. Jahrhunderts war, tauchte das Stichwort noch nicht in der 1793er Ausgabe von Adelungs Wörterbuch auf. Dieser Terminus verfügte zwar über eine längere Begriffsgeschichte,6 verbreitete sich jedoch erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als sich das Wechselverhältnis zwi-
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ter Hanns Reill/Jürgen Schlumbohm (Hg.), Wissenschaft als kulturelle Praxis, 1750-1900, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999, S. 227-253, hier S. 228. Wellmann, Janina: Die Form des Werdens. Eine Kulturgeschichte der Embryologie, 1760-1830, Göttingen: Wallstein 2010, S. 12. Adelung, Johann Christoph/Soltau, Dietrich Wilhelm/Schönberger, Franz Xaver (Hg.): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen, Wien: Bauer 1811, Bd. 1, Sp. 392. Die Debatte, aus der dieser Begriff stammt, geht eigentlich auf das 16. und 17. Jahrhundert zurück. Dazu siehe: Linden, Mareta: Untersuchungen zum Anthropologiebegriff des 18. Jahrhunderts, Frankfurt a.M.: Peter Lang 1976. In jüngster Zeit vertritt Simone De Angelis die These, wonach „[…] die Entwicklung der Anthropologie im 18. Jahrhundert auf Probleme reagiert, die sich bereits im 16. Jahrhundert in der Debatte um die Unsterblichkeit der Seele konstituiert haben und sie im 17. Jahrhundert zu der Ausdifferenzierung von wissenschaftlichen Disziplinen geführt haben […].“ De Angelis, Simone: Anthropologien. Genese und Konfiguration einer ‚Wissenschaft vom Menschen‘ in der Frühen Neuzeit, Berlin/New York: Walter de Gruyter 2010, hier S. 1-2.
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schen den konstitutiven Teilen des Menschen als epistemologisches Prinzip anthropologischer Debatten über die menschliche Natur durchsetzte. So heißt es 1732 in Zedlers Universal-Lexikon, dass Anthropologia, hier auch Anthropometria genannt, „eine Rede vom Menschen“ als ein „SpecialTheil der Physic“ sei, „in welchem die natürliche Beschaffenheit und der gesunde Zustand des Menschen, sonderlich was seine physicalischen und natürlichen Eigenschafften betrifft, abgehandelt und erklähret“ werde. Ergänzend erwähnt Zedler, dass man das Wort Anthropologie ebenso als eine „Lehre von der moralischen Beschaffenheit des Menschen“ wahrnehmen kann, wonach „auch die Vernunft-Lehre dahin zu ziehen wäre.“ In dieser frühaufklärerischen Definition taucht die Anthropologie als eine zweigliedrige Lehre vom Menschen auf, die die Doppelnatur des Menschen in voneinander getrennten Wissensbereichen behandelt. Um das ungeheure Wachstum ihrer Materie abzugrenzen, sei „die moralische Betrachtung des Menschen in die Ethic und die Untersuchung des menschlichen Verstandes in die Logic“ einzuordnen.7 Nach der 1775er Auflage des Philosophischen Lexikons von Johann Georg Walch (1693-1775) bedeutete die Anthropologie „die Lehre von dem Menschen,“ die „aus einer gedoppelten Natur, einer physischen und moralischen“ besteht. Walch behält in der vierten Auflage des Lexikons die bereits 1726 festgelegte Definition der Anthropologie bei, die sich auf eine doppelte Natur des Menschen bezieht. Dementsprechend folgte er ebenfalls der
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Art. „Anthropologia,“ in: Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal Lexikon aller Wissenschaften und Künste, Bd. 2 [1732], Halle/Leipzig: Zedler 1732-50, S. 522. Für frühere Definitionen der Anthropologie als „doctrina humanae naturae“ siehe: Marquard, Odo: „Anthropologie,“ in: Joachim Ritter/ Karlfried Gründer/Gottfried Gabriel (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, Basel: Schwabe Verlag 1971, Sp. 362-374. In begriffsgeschichtlicher Hinsicht ist die Definition des Humanisten Otto Casmann (1562-1607) grundlegend, für den Anthropologie die Lehre von der menschlichen Natur bzw. des ganzen Menschen nach seiner doppelten Natur sei. Siehe dazu: Linden: Untersuchungen zum Anthropologiebegriff des 18. Jahrhunderts, S. 11. In Stephanus Chauvins Lexikon philosophicum heißt es Anfang des 18. Jahrhunderts: „ANTHROPOLOGIA est philosophica de homine tractatio, seu scientia de homine; atque haec tertiam philosophiae speculativae partem constituit.“ Zit. nach: Godel, Rainer: Vorurteil – Anthropologie – Literatur. Der Vorurteilsdiskurs als Modus der Selbstaufklärung im 18. Jahrhundert, Tübingen: Max Niemeyer 2007, S. 44. Für den frankophonischen Kontext siehe: Duchet, Michèle: Anthropologie et histoire au siècle des Lumières, Paris: Aubin Michel 1995. Duchet erklärt wie 1788 die Anthropologie bei Alexandre-César Chavannes (1731-1800) als eine „science genérale de l’homme“ definiert wurde, während Mitte des 18. Jahrhunderts der gleiche Begriff in der Encyclopédie von Diderot und D’Alembert als eine „étude du corps humain“ eingetragen wurde (S. 12).
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Aufspaltung zwischen anthropologia physica und anthropologia moralis.8 Zentral ist hier außerdem, dass Walch am Ende seiner Begriffsbestimmung Ernst Platners (1744-1818) Werk Anthropologie für Ärzte und Weltweise (1772) aufführt, in dem das wechselseitige Verhältnis zwischen res cogitans und res extensa als Programm einer einzigen Disziplin – sprich: eines einzigen Wissensfelds – paradigmatisch vertreten wurde. Neben Platner ist weiterhin Isaac Iselins (1728-82) Geschichte der Menschheit (1764) verzeichnet worden, was nicht von geringer Bedeutung ist: Der Göttinger Christoph Meiners (1747-1810) greift im Jahr 1785 in seiner eigenen Geschichte der Menschheit auf Iselins Schrift zurück, um sich in dieser damaligen historiographischen Tradition zu verorten und sich dann wiederum durch seine Suche nach einer neuen historiographischen Form von ihr abzugrenzen.9 Nach Meiners’ Urteil sei Iselin zwar einer von wenigen gewesen, der bis dato die Absicht hatte, „die ganze Geschichte der Menschheit auszuarbeiten.“10 Wenngleich Iselins Vollständigskeitsanspruch eine Art von Weltgeschichte charakterisiert, soll hier zunächst mit der späteren Definition Adelungs gearbeitet werden. Ihr zufolge sei der ganze Mensch in „seinen Theilen und Verhältnissen“ Gegenstand der Anthropologie. Dieses zentrale Merkmal des
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Vgl. Art. „Anthropologie,“ in: Johann Georg Walch, Philosophisches Lexikon [1726], 4. Auflage, Leipzig: Gleditschens Buchhandlung 1775, hier: Bd. 1, Sp. 172-173. Für die erste Ausgabe siehe: Art. „Anthropologie,“ in: Johann Georg Walch, Philosophisches Lexikon, Joh. Friedrich Gleditschens seel. Sohn 1726, Sp. 106-107. Die Anthropologie wurde 1778 weiterhin als die Wissenschaft oder Lehre vom Menschen im ersten Band der unvollständigen Deutschen Encyclopädie oder Allgemeines Real-Wörterbuch aller Künste und Wissenschaften definiert, die die Einteilung dieser Wissenschaft in physische und moralische Anthropologie beibehält. Bei der letzten Variante kann sie einen allgemeinen Anspruch gewinnen und somit auf die menschliche Gattung gehen. Ihre Thematik würde deshalb die Verschiedenheiten der Menschenarten, ihre Wohnungsart, Fortpflanzung und Vermehrung des menschlichen Geschlechts, Künste und Handlung bis zur Ungleichheiten des Standes und der Herrschaft umfassen. Vgl. Art. „Anthropologie,“ in: Deutsche Encyclopädie oder Allgemeines Real-Wörterbuch aller Künste und Wissenschaften, Bd. 1, Frankfurt a.M.: Varrentrapp und Wenner 1778, S. 547. 9 Im Kapitel „3. Psychologie und Geschichte der Menschheit“ der vorliegenden Studie soll ausführlich dargelegt werden, wie Christoph Meiners die Weltgeschichtsschreibung seiner Vorläufer las, sodass sein eigenes Forschungsprogramm – laut meiner These – nach spätaufklärerischen anthropologischen Wissensprinzipien umgestaltet wurde. 10 Christoph Meiners: Grundriß der Geschichte der Menschheit, 2. Ausgabe, Lemgo: Im Verlage der Meyerschen Buchhandlung 1793 [ND: Königstein/Ts: Scriptor 1981], „Vorrede zum ersten Auflage [1785],“ S. 34 [Hervorhebung A. d.M.A.]).
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spätaufklärerischen anthropologischen Denkens hatte sich in Meiners’ Göttingen bereits vor Adelungs Begriffsbestimmung durchgesetzt. Ernst Friedrich Wenzel (17??-1812) klassifizierte die Anthropologie im Jahr 1807 als eine „empirische Naturlehre des Menschen,“ die die denkende und die körperliche Substanz im Menschen zum Gegenstand ihrer Untersuchung macht und beide Substanzen „in ihrer innigsten Vereinigung“ darstellt. Als eine empirisch-theoretische Wissenschaft betrachtet die Anthropologie die zusammengesetzten Bestandteile der menschlichen Natur „nicht mehr als einzelne Theile,“ sondern „immer nur in Beziehung auf ihren gegenseitigen Einfluß.“11 Diesem Gedanken wandte sich Wenzel in seinem Werk Grundzüge einer pragmatischen Anthropologie zu, als er 1807 in Göttingen Geschichte der Menschheit lehrte. Bereits 1772 wurde die Universalhistorie von Meiners’ Kollegen und Konkurrenten in Göttingen August Ludwig Schlözer (1735-1809) nach der von ihm benannten technographischen Methode ebenfalls als eine Art Geschichte der Menschheit definiert.12 Zu dieser Zeit entwarf Schlözer das Programm seiner Geschichtsschreibung entlang der Frage, wie die Welt „im Ganzen und in ihren Theilen ward, was sie vordem war und itzo ist.“ Die Feder eines Universalhistorikers sollte „die vergangene Welt an die heutige anschliessen, und das Verhältniß beider gegen einander lehren.“13 Was Gatterer zwanzig Jahre später – also nach den zukunftserschütternden Ereignissen der Französischen Revolution – als Neugier auf den Zustand und das Schicksal fremder Völker bezeichnete, fand sich bei Schlözer im Jahr 1772 insbesondere im „Anschluss“ der Welt an ihre Vergangenheit. „Der Universalhistoricus“ ordnet jede Geschichte oder – Gatterers Begrifflichkeit entsprechend – jede eigene Landesgeschichte „[…] in ein Verhältniß zu den übrigen Theilen und zum ganzen Plan: dies giebt ihnen die Form.“14 Ein halbes Jahrhundert später bemerkte Gatterers Nachfolger am Lehrstuhl für Geschichte in Göttingen, Arnold Herrmann Ludwig Heeren (1760-1842), dass „[d]ie Geschichte der Einzelnen [Staaten]“ keinen größeren Reiz für ihn besitze, „als die Geschichte ihrer Verhältnisse gegen einander.“15 Die Suche nach einer einheitsstiftenden Wissensform, die einzelne Teile auf unterschiedliche Weisen zueinander ins Verhältnis setzt, charakterisiert
11 Wenzel, Ernst: Grundzüge einer pragmatischen Anthropologie, Göttingen: Heinrich Dieterich 1807, S. 5. 12 Vgl. Schlözer, August Ludwig: Vorstellung seiner Universal-Historie, Göttingen/Gotha: Johann Christian Dieterich 1772 [ND: Neu herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Horst Walter Blanke, Waltrop: Hartmut Spenner 1997], hier S. 97. 13 Ebd., S. 4. 14 Ebd., S. 13-14. 15 Heeren, Arnold Herrmann Ludwig: Historische Werke, Bd. 1, Göttingen: Johann Friedrich Röwer 1821, S. LX.
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die hier zu untersuchende spätaufklärerische Weltgeschichtsschreibung. Ihr gemeinsames Wissensprinzip, wonach Teile in bestimmten Verhältnissen zueinander stehen, liegt sowohl dem historisierten Blick auf das Ganze des Menschen als auch dem anthropologisierten Blick auf das Ganze der historischen Welt zugrunde. Dennoch erweist sich jeder Versuch, einheitliche Grenzen der Weltgeschichtsschreibung im späten 18. Jahrhundert scharf und kohärent zu bestimmen, als letztlich nicht umsetzbar. Deshalb wird hier der Frage nachgegangen, in welchen Formen sich dieses Wissensprinzip durchsetzen konnte, das der spätaufklärerischen Geschichtsschreibung unterliegt und im Kontext der damaligen Gelehrtenkultur zu verorten ist. Damit verbunden stellt sich hier ebenfalls die Frage, auf welche unterschiedlichen Weisen dieses Wissensprinzip operationalisiert wurde und welche abweichenden und konkurrierenden Auffassungen des Göttinger universalhistorischen Denkens zu diesen verschiedenen Operationalisierungsstrategien geführt haben. Um diese Leitfragen der vorliegenden Studie umzusetzen, werden im Folgenden vier Schritte vorgenommen. Zunächst erfolgt ein Überblick über den Forschungsstand zur skizzierten epistemologischen Schnittstelle von spätaufklärerischer Anthropologie und Weltgeschichtsschreibung. Besondere Berücksichtigung erfährt dabei die Bestimmung von drei Hauptrichtungen in der spätaufklärerischen Lehre vom Menschen, auf deren Grundlage im Zeitalter der Aufklärung Erklärungspotenzial sowohl für die Frage nach dem Ganzen des Menschen als auch für die Frage nach dem Ganzen der historischen Welt gewonnen werden konnte. Die Tradition der Weltgeschichtsschreibung und -lehre im akademischen Milieu des 18. Jahrhunderts berücksichtigend, wird im zweiten Schritt die zentrale Bedeutung der Universität zu Göttingen im Vergleich mit den Profilen Jenas und Leipzigs aufgezeigt. Darauf aufbauend stelle ich im dritten Schritt die Vielfalt und Verdichtung des Lehrangebots auf bestimmten Fächer in Göttingen vor. Dies wird durch institutionelle Maßnahmen erklärt, mit denen eine „heilsame Konkurrenz,“ besonders an der Philosophischen Fakultät, einherging. Bevor abschließend der Aufbau der vorliegenden Arbeit skizziert wird, erfolgt eine kurze Zusammenschau des hier zu untersuchende Quellenkorpus.
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SPÄTAUFKLÄRERISCHE ANTHROPOLOGIE , ODER EIN B LICK FÜR DIE M ENSCHHEIT
Im Verlauf des 18. Jahrhunderts etablierte sich die Anthropologie als ein empirisch getriebenes Wissensfeld, das im Alten Reich Impulse von neuen Ansätzen in den Natur- und Lebenswissenschaften bekam und durch eine populärphilosophische Sprache gestaltet wurde. Die Anthropologie ist im Zeitalter der Aufklärung durch die Abkehr von metaphysisch und theologisch orientierten Prinzipien geprägt und versucht empirisch erlangtes Wissen in ihre Herangehensweise zu integrieren. „Die Krise des metaphysischen
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Denkens seit Mitte des 18. Jahrhunderts beantwortet die Spätaufklärung mit einer Wende zur Anthropologie,“16 so fasst es Jörn Garber zusammenǤ Dieses in der Forschung weit verbreitete Bild über eine anthropologische Wende17 ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde kürzlich von Simone De Angelis in Frage gestellt. In De Angelis’ Studie über die „Genese und Konfigurationen einer Wissenschaft vom Menschen in der Frühen Neuzeit“ spricht der Autor von Anthropologien. Die Pluralsetzung wird hier durch die These begründet, nach der das anthropologische Problem der Spätaufklärung eher eine Reaktion auf die Debatte um die Unsterblichkeit der Seele zurückgeht, die bereits im 16. und 17. Jahrhundert begonnen und viele Richtungen eingenommen hatte. Um 1600, so die These De Angelis’, erfuhr der Aristotelismus eine Transformation, „die aus der Auseinandersetzung zwischen der scholastischen und der naturalistischen Lektüre des Aristoteles hervorgegangen war und zur Ausdifferenzierung von Metaphysik und Naturphilosophie geführt hatte“ und somit „den Hintergrund für die Etablierung der ‚Anthropologie‘ als eigenem Textgenre“ bildete.18 Gewiss wurde Aristoteles’ De anima sowohl aus philosophischer als auch aus anatomischer Sicht in der Frühen Neuzeit kommentiert. Es geht hier deshalb nicht darum, frühere Anthropologien aus dem Blick zu verlieren, sondern vielmehr eine epistemologische Herausforderung für die spätaufklärerische Historiographie zu untersuchen, die mit der so genannten anthropologischen Wende um 1750 in Zusammenhang steht.
16 Garber, Jörn: „Von der ‚Geschichte des Menschen‘ zur ‚Geschichte der Menschheit‘. Anthropologie, Pädagogik und Zivilisationstheorie in der deutschen Spätaufklärung,“ in: Jahrbuch für historische Bildungsforschung 5 (1999), S. 31-54, hier S. 31. 17 Die sogenannte ‚anthropologische Wende‘ wurde in den letzten zwei Jahrzehnten in erster Linie im Rahmen germanistischer Forschungsarbeiten untersucht. Ein beachtenswertes Panorama der Forschung zur aufklärerischen Anthropologie ist immer noch: Riedel, Wolfgang: „Anthropologie und Literatur in der deutschen Spätaufklärung. Skizze einer Forschungslandschaft,“ in: IASL 6 (1994), S. 93157. In diesem Kontext sind auch grundlegend: Fink, Karl J.: „Storm and stress anthropology,“ in: History of the Human Sciences 6 (1993), S. 51-71; Schings, Hans-Jürgen (Hg.): Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert, DFG-Symposion 1992, Stuttgart: Metzler 1994; Zelle, Carsten: „‚Vernünftige Ärzte‘. Hallesche Psychomediziner und Ästhetiker in der anthropologischen Wende der Frühaufklärung,“ in: Walter Schmitz/Carsten Zelle (Hg.), Innovation und Transfer. Naturwissenschaften, Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert, Dresden: Thelem 2004, S. 47-62; Košenina, Alexander: Literarische Anthropologie. Die Neuentdeckung des Menschen, Berlin: Akademie Verlag 2008. Zentral in der Forschung bleibt noch: Moravia, Sergio: Beobachtende Vernunft. Philosophie und Anthropologie in der Aufklärung, Frankfurt a.M.: Fischer 1989. 18 De Angelis: Anthropologien, S. 158.
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Die Historiographie betrachtete es damals als eine theoretische Herausforderung, Vielfalt – sprich: die Teile – in einer einheitsstiftenden und sinnbildenden Form darzustellen. In diesem Kontext ist ein struktureller Konflikt zwischen dem in der Frühen Aufklärung herrschenden mechanistischen Paradigma der Naturkunde und dem dynamischen Merkmal der Lebenswissenschaften bereits diagnostiziert worden, worauf hier die Aufmerksamkeit gelenkt werden soll: „Anthropology arose as part of the response to the failure of the mechanist paradigm to incorporate the life sciences.“19 So entstand im anthropologischen Wissensfeld der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Antwort auf die mechanistisch konzipierten Lebenstheorien der Frühaufklärung. Sie wollte alle wahrnehmbaren und konstitutiven Teile des Menschen – und der historisierten Welt – nach ihren lebendigen Wechselverhältnissen sondieren. Obwohl die Anthropologie eine grundlegende „wissenschaftliche Basis des Weltbildes in der Aufklärung“20 darstellt, deren Objektbereich sich aus der Erfahrung von Differenzen innerhalb des Menschengeschlechts herausgebildet hat, herrscht in der Forschung keine scharfe und konsensfähige Begriffsbestimmung dessen, was ‚Anthropologie‘ ist. Dies sollte die Beteiligten aber nicht daran hindern, das ganze Wissensfeld der Anthropologie21 im 18. Jahrhundert zu beleuchten. Mit dem spätaufklärerischen Wissensfeld der Anthropologie können natur- bzw. lebenswissenschaftliche sowie kultur- und geschichtsphilosophische Erkenntnisinteressen assoziiert werden. Dies greift die jüngste Forschung auf, die unterschiedliche Anthropologiekonzeptionen zwischen ‚Physis und Norm‘ in der Epoche der Aufklärung untersucht.22 Unter Anthropologie ist vornehmlich eine empirisch angelegte Wissenschaft vom Menschen zu verstehen: „Der Begriff, unter dem die Wissenschaft vom Men-
19 Zammito, John H.: Kant, Herder and the Birth of Anthropology, Chicago: The University of Chicago Press 2002, hier S. 245. 20 Meyer, Annette: Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit. Die Wissenschaft vom Menschen in der schottischen und deutschen Aufklärung, Tübingen: Max Niemeyer Verlag 2008, S. 47. 21 Einführend dazu siehe: Vermeulen, Han F.: „Enlightenment anthropology,“ in: Alan Barnard/Jonathan Spencer (Hg.), Encyclopedia of Social and Cultural Anthropology, London/New York: Routledge 1996, S. 183-185, hier S. 185; Bödeker, Hans Erich: „Anthropologie,“ in: Werner Schneiders (Hg.), Lexikon der Aufklärung. Deutschland und Europa, München: Beck 2001, S. 38-39, hier S. 39. 22 Vgl. Garber, Jörn/Thoma, Heinz: „Vorwort,“ in: Jörn Garber/Heinz Thoma (Hg.), Zwischen Empirisierung und Konstruktionsleistung: Anthropologie im 18. Jahrhundert, Tübingen: Niemeyer 2004, S. vii-x, hier S. viii. Der gleiche Ausdruck steht im Titel des Sammelbandes, der die Jahrestagung 2003 der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts dokumentiert. Siehe: Beetz, Manfred/Garber, Jörn/Thoma, Heinz (Hg.): Physis und Norm. Neue Perspektive der Anthropologie im 18. Jahrhundert, Göttingen: Wallstein 2007.
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schen vor allem diskutiert wurde, heißt schon im 18. Jahrhundert Anthropologie.“23 Aussagekräftig genug ist dieser Begriff kürzlich als „ein Strukturmerkmal der europäischen Aufklärung“24 definiert worden. Dennoch verwendet Thomas Nutz bewusst den Plural Wissenschaften vom Menschen, da er in dieser Epoche mehrere Zugänge oder Wissensfelder erkennt, in denen der Mensch im Mittelpunkt steht. Dieser Erkenntnisbereich sei folglich als „[…] Symptom weit tiefliegenderer Veränderungen, die sich auf mehrere Gebieten abspielen,“25 zu verzeichnen. Dafür ist wiederum die medizinische Kenntnis ein zentrales Wissensgebiet, auf dessen empirischem Fundament anthropologische Fragestellungen gründeten. Im deutschsprachigen Raum wuchs der anthropologische Diskurs einerseits durch Impulse der Populärphilosophie26 sowie der pragmatischen Geschichtsschreibung; andererseits wurde die Diskussion von der Psychologie und von philosophischen Ärzten bereits um 1750 belebt,27 die sich – wie Carsten Zelle Psychomediziner und Ästhetiker im akademischen Kontext Halles definiert – sowohl durch ihr fachübergreifendes „Bemühen um eine Erfahrungswissenschaft vom ‚ganzen‘ Menschen“ als auch durch einen „methodischen Rückgriff auf die Empirie“ kennzeichnen lassen.28 Eine entscheidende anthropologische Frage lautete, was der Mensch von Natur aus sei und was er werden könne. Vor diesem Hintergrund hebt Peter Hanns Reill eine Strömung im lebenswissenschaftlichen Denken hervor, die er als Vitalismus bezeichnet und welche die Phänomene sowohl der dem Men-
23 Zedelmaier, Helmut: „Zur Idee einer ‚Geschichte der Menschheit‘ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Eine Skizze,“ in: Winfried Müller/Wolfgang J. Smolka/Helmut Zedelmaier (Hg.), Universität und Bildung. Festschrift für Laetitia Boehm zum 60. Geburtstag, München: PS-Serviceleistungen für Geisteswissenschaften und Medien 1991, S. 277-299, hier S. 278. 24 Bödeker, Hans Erich/Büttgen, Philippe/Espagne, Michel: „Die ‚Wissenschaft vom Menschen‘ in Göttingen um 1800. Skizze der Fragestellung,“ in: Hans Erich Bödeker/Philippe Büttgen/Michel Espagne (Hg.), Die Wissenschaft vom Menschen in Göttingen um 1800. Wissenschaftliche Praktiken, institutionelle Geographie, europäische Netzwerke, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008, S. 11-20, hier S. 12. 25 Nutz, Thomas: ‚Varietäten des Menschengeschlechts‘. Die Wissenschaften vom Menschen in der Zeit der Aufklärung, Köln u.a.: Böhlau 2009, S. 31. 26 Für eine Charakterisierung der deutschsprachigen Populärphilosophie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts siehe das Kapitel „3. Psychologie und Geschichte der Menschheit“ der vorliegenden Studie. 27 Zammito: Kant, Herder and the Birth of Anthropology, S. 229. 28 Zelle, Carsten: „Johann August Unzers Gedanken vom Träumen (1746) im Kontext der Anthropologie der ‚vernünftigen Ärzte‘ in Halle,“ in: Jörn Garber/Heinz Thoma (Hg.), Zwischen Empirisierung und Konstruktionsleistung: Anthropologie im 18. Jahrhundert, Tübingen: Niemeyer 2004, S. 19-30, hier S. 20.
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schen umgebenden als auch seiner eigenen Natur umfasst.29 Was Reill unter einem ‚dynamischen Vitalismus‘ versteht bzw. unter einem „Gegen-Diskurs zum Mechanismus innerhalb des wissenschaftlichen Denkens der Aufklärung“30 versteht lässt sich durch die Suche nach Ursachen und Wirkungen innerhalb der lebendigen Natur charakterisieren, insofern als die epistemologische Unterscheidung von Ursache und Wirkung in ihrem Wechselverhältnis aufgegriffen wird: „All forces were symbiotically linked, forming a complex whole,“31 nach Reill. Ein Strukturmerkmal dieser Symbiose ist überdies, dass die veränderbare Natur vom Menschen mit Hilfe empirisch angelegter Kausalerklärungen entschlüsselt werden musste. In dieser Hinsicht blieb nichts anders übrig, als die mechanischen Prinzipien der früheren Naturphilosophie in Frage zu stellen.32 Ferner wurde die aus dem frühen 17. Jahrhundert stammende Lehre der constantia naturae, die sich hauptsächlich im Kontext der Bekämpfung des „Verfallspessimismus der Spätrenaissance und der protestantischen Eschatologie“33 durchsetzte, hier nicht mehr eingehalten. Besonders offen für diese Tendenz der spätaufklärerischen Lebenswissenschaften waren die Reformuniversitäten, in deren Forschungsprogrammen die cartesianische Spal-
29 Dazu siehe besonders: Reill, Peter Hanns: Vitalizing Nature in the Enlightenment, Berkeley u.a.: University of California Press 2005. 30 Reill, Peter Hanns: „Die Historisierung von Natur und Mensch. Der Zusammenhang von Naturwissenschaften und historischem Denken im Entstehungsprozeß der modernen Naturwissenschaften,“ in: Wolfgang Küttler/Jörn Rüsen/Ernst Schulin (Hg.), Geschichtsdiskurs, Bd. 2: Anfänge modernen historischen Denkens, Frankfurt a.M.: Fischer 1994, S. 48-61, hier S. 50. 31 Reill, Peter Hanns: „Schiller, Herder, and History,“ in: Michael Hofmann/Jörn Rüsen/Mirjam Springer (Hg.), Schiller und die Geschichte, München: Wilhelm Fink 2006, S. 68-78, hier S. 70. Dazu auch: Reill, Peter Hanns: „The Legacy of the ‚Scientific Revolution‘. Science and the Enlightenment,“ in: Roy Porter (Hg.), The Cambridge History of Science, vol. 4: Eighteenth-Century Science, Cambridge: Cambridge University Press 2003, S. 23-43, hier S. 37. Jüngst: Reill, Peter Hanns: „Eighteenth-century used of vitalism in constructing the human sciences,“ in: Denis R. Alexander/Ronald Numbers (Hg.), Biology and Ideology from Descartes to Dawkins, Chicago/London: University of Chicago Press 2010, S. 61-87, besonders S. 65-66. 32 Reill, Peter Hanns: „Das Problem des Allgemeinen und des Besonderen im geschichtlichen Denken und in den historiographischen Darstellungen des späten 18. Jahrhunderts,“ in: Karl Acham/Wilfried Schulze (Hg.), Teil und Ganzes. Zum Verhältnis von Einzel- und Gesamtanalyse in Geschichts- und Sozialwissenschaften, München: dtv 1990, S. 141-168, hier S. 147. 33 Seifert, Arno: „‚Verzeitlichung‘. Zur Kritik einer neueren Frühneuzeitkategorie,“ in: Zeitschrift für historische Forschung 10 (1983), S. 447-477, hier S. 475.
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tung des Menschen in res cogitans und res extensa durch Untersuchungen über die menschliche Natur paradigmatisch widerlegt wurden.34 Reill vertritt zudem die These, dass Denker des ausgehenden 18. und anbrechenden 19. Jahrhunderts wie Johann Gottfried Herder (1744-1803) und Wilhelm von Humboldt (1767-1835) „[…] consciously constructed a vision of historical science based upon an existing model of science formulated in and by Enlightenment thinkers.“35 Somit stehen Entwicklungsprozesse in der Natur in einer engen Verbindung mit dem Entwicklungsprozess des Menschen36 und, per extensio, seiner eigenen Geschichte. Indem Natur als Einheitsform inmitten der Vielfalt von Lebensverhältnissen wahrgenommen wurde, sahen sich alle natürlichen Kräfte in einem vielschichtigen Zusammenhang von Wechselbeziehungen zwischen ihren integrierten Teilen miteinander verquickt:37 „Natur und Geschichte wurden miteinander verbunden, die Unterschiede zwischen beiden ausgelöscht.“38 Die Erkenntnisverfahren der Natur- bzw. Lebenswissenschaften, so Reill, dienten als epistemologisches Leitbild der Verwissenschaftlichung der Geschichte im späten 18. Jahrhundert. Sie lösten sich damit von dem mechanischen System der frühaufklärerischen Naturgeschichte los, sodass „[d]as veränderte Herangehen an die Natur […] als Voraussetzung und Muster für ein verändertes Herangehen an die Geschichte“ diente.“39 Diese These Reills steht in Einklang mit einer berühmt gewordenen Formulierung von Wolf Lepenies, wonach zu dieser Zeit „[…] der Übergang von einer Wissenschaft der Lebewesen zu einer Wissenschaft des Lebens, von der Na-
34 Für den Halle’schen akademischen Kontext siehe diesbezüglich:Zelle: ‚Vernünftige Ärzte‘, S. 47-62. 35 Reill, Peter Hanns: „Science and the Science of History in the Late Enlightenment and Early Romanticism in Germany,“ in: Horst Walter Blanke/Friedrich Jaeger/Thomas Sandkühler (Hg.), Dimensionen der Historik. Geschichtstheorie, Wissenschaftsgeschichte und Geschichtskultur heute. Jörn Rüsen zum 60. Geburtstag, Köln u.a.: Böhlau 1998, S. 253-262, hier S. 253. 36 Reill: „Die Historisierung von Natur und Mensch,“ S. 54-55. 37 Reill, Peter Hanns: „‚Pflanzgarten der Aufklärung‘. Haller und die Gründung der Göttinger Universität,“ in: Norbert Elsner/Nicolaas A. Rupke (Hg.), Albrecht von Haller im Göttingen der Aufklärung, Göttingen: Wallstein 2009, S. 47-69, hier S. 62. 38 Reill: „Die Historisierung von Natur und Mensch,“ S. 57. 39 Reill, Peter Hanns: „Naturwissenschaften und Geschichtswissenschaft in der Spätaufklärung. Der Prozeß der Verwissenschaftlichung der Geschichte,“ in: Wolfgang Küttler/Karl-Heinz Noack (Bearb.), Historiographiegeschichte als Methodologiegeschichte. Zum 80. Geburtstag von Ernst Engelberg, Berlin: Akademie Verlag 1991, S. 102-105, hier S. 102.
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turgeschichte zur Geschichte der Natur, vollzogen“ wurde.40 Lepenies verortet das aufklärerische Wissensfeld der Anthropologie zwischen der Tradition der frühneuzeitlichen Naturgeschichte und dem Aufkommen der Evolutionslehre ab der Mitte des 19. Jahrhunderts.41 Aber vielmehr als auf eine Verzeitlichung der Sprache der Natur – wie es aus Lepenies’ Formulierung hervorgeht – fokussiert Reill auf die Vorgehensweise ihrer dynamischen Erkenntnisverfahren. Daraus folgt, dass in der Epoche der Aufklärung Natur und Kultur sowohl als diametral entgegengesetzte als auch als sich ergänzende Komponenten der Geschichte galten. Auf dieser Feststellung aufbauend soll hier die zu analysierende Weltgeschichtsschreibung untersucht und deren epistemologische Grundelemente in den Vordergrund gerückt werden. Sie lassen sich durch drei Bedeutungsebenen bzw. Richtungen in der spätaufklärerischen Lehre vom Menschen klassifizieren: eine physische Anthropologie, nach der die Leiblichkeit und die Klassifizierung der Varietäten im Rahmen eines Systems der Natur erfolgte, eine philosophische Anthropologie, die sich einerseits dem commercium mentis et corporis und andererseits allgemeinen bzw. universellen Prinzipien der ganzen Menschheit widmete, sowie eine ethnographische Anthropologie, auf Grund derer die Vielfalt der Völker besonders nach ihren kulturellen Zügen beobachtet und beschrieben wurde.42
40 Lepenies, Wolf: Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, München: Hanser Verlag 1976, S. 29. 41 Vgl. Lepenies, Wolf: „Naturgeschichte und Anthropologie im 18. Jahrhundert,“ in: Bernhard Fabian/Wilhelm Schmidt-Biggemann/Rudolf Vierhaus (Hg.), Deutschlands kulturelle Entfaltung. Die Neubestimmung des Menschen, München: Kraus International Publications 1980, S. 211-226, hier S. 223-224. 42 Zur analytischen Aufspaltung der aufklärerischen Anthropologie in drei Richtungen, auf die ich mich hier stütze, siehe: Bödeker: „Anthropologie,“ S. 38-39. Auch Tanja van Hoorn legt den Anthropologiebegriff in „drei große[n] Facetten“ dar und charakterisiert diese wie folgt: erstens „[…] eine philosophische Anthropologie, die nach dem problematischen Zusammenhang von Leib und Seele fragt, zweitens […] eine Kulturanthropologie, die den Menschen als kulturschaffendes Wesen betrachtet und nach Unterschieden, Entwicklungstendenzen und Klassifikationsmöglichkeiten der Kulturen sucht (Ethnologie, Ethnographie) und drittens […] eine physische (physiologische bzw. biologische) Anthropologie, die sich der Abgrenzung des Menschen vom Tier sowie den physischen Unterschieden innerhalb des Menschengeschlechts widmet.“ Vgl. van Hoorn, Tanja: Dem Leibe abgelesen. Georg Forster im Kontext der physischen Anthropologie des 18. Jahrhunderts, Tübingen: Max Niemeyer Verlag 2004, S. 1. Dazu siehe zusätzlich: Linden: Untersuchungen zum Anthropologiebegriff des 18. Jahrhunderts, besonders S. 111. Die Vorstellung von einer Wissenschaft vom Menschen im späten 18. Jahrhundert wurde kürzlich insofern ergänzt, als dass „[d]ie aufklärerische Selbstthematisierung […] den Mensch als ein physisches, morali-
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Auch unter anderen Definitionen sind die unterschiedlichen Richtungen der spätaufklärerischen Anthropologie begriffen worden: Sie wurde als psychologische, medizinische, praktische oder pragmatische oder auch als Kulturanthropologie klassifiziert.43 Über diese schillernde Begrifflichkeit hinaus wird hier die These vertreten, dass sich die spätaufklärerische, von der Empirie getriebe Wissenschaft vom Menschen – oder „Theorie des Menschen,“44 wie es bei dem Aufklärer Christoph Meiners heißt – mit ethnographisch, physisch und philosophisch motivierten Fragen beschäftigte, die sich zwischen den etwas später stark voneinander differenzierten Geistes- und Natur- bzw. Lebenswissenschaften bewegten und die damalige Weltgeschichtsschreibung prägten. Damit soll nicht behauptet werden, dass ethnographisch, physisch und philosophisch motivierte Fragestellungen eine Erfindung der Aufklärung sind, sondern, dass diese drei Forschungskomponenten einer Lehre vom Menschen in ihrem Zusammenspiel erstmals im Zeitalter der Aufklärung ein Erklärungspotenzial für die Frage nach dem Ganzen der Menschen und nach dem Ganzen der historischen Welt zugleich lieferten. Hiermit verbunden ist eine ebenso erstmalige und tiefgreifende Verschränkung von epistemologischem Wert zwischen Geschichte und Naturerkenntnis in der Historiographiegeschichte zu verzeichnen.45 Mittels der drei oben genannten Hauptrichtungen der Anthropologie waren die Gelehrten in der Lage, die Wechselverhältnisse zwischen vormals unbekannten und bekannten konstitutiven Teilen des Menschen bzw. der Welt zu untersuchen. Indem sich im späten 18. Jahrhundert ebenfalls eine Verflechtung zwischen „philosophical analysis of human nature“ und „‚empirical‘ analysis of hu-
sches und geistiges Wesen […]“ interpretierte, was sich in diesen drei Hauptrichtungen der Anthropologie widerspiegelt. Vgl. Bödeker/Büttgen/Espagne: „Die ‚Wissenschaft vom Menschen‘ in Göttingen um 1800. Skizze der Fragestellung,“ S. 12. In dieser Hinsicht verzeichnet auch John H. Zammito das gleiche Argument: Drei Bedeutungsebenen, die zuvor bereits aufgelistet wurden, tragen zum spätaufklärerischen Diskursfeld der Natur des Menschen und der Lehre vom Menschen bei: physische, philosophische und ethnographische Interessen. Vgl. Zammito: Kant, Herder and the Birth of Anthropology, S. 235-236. 43 Heinz, Jutta: Wissen vom Menschen und Erzählen vom Einzelfall. Untersuchungen zum anthropologischen Roman der Spätaufklärung, Berlin/New York: Walter de Gruyter 1996, S. 19. 44 Meiners, Christoph: Grundriß der Seelen-Lehre, Lemgo: im Verlage der Meyerschen Buchhandlung 1786, „Vorrede,“ S. a3v. Mehr dazu siehe das Kapitel „3. Psychologie und Geschichte der Menschheit“ der vorliegenden Studie. 45 Auf diese historiographische Innovation wurde bereits in dem klassischen Text Wilhelm Diltheys zur Geschichtsschreibung im 18. Jahrhundert hingewiesen. Siehe: Dilthey, Wilhelm: „Das achtzehnte Jahrhundert und die geschichtliche Welt,“ in: Wilhelm Dilthey, Studien zur Geschichte des deutschen Geistes, Leipzig/Berlin: Teubner 1942, S. 209-268, hier S. 209.
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man societies, human history and the natural world“46 im anthropologischen Wissensfeld bemerkbar macht, kann man eine epistemologische Annäherung zwischen der Wissenschaft vom Menschen und einer Lehre von der Menschheit gleichermaßen erwarten. Historiographiegeschichtlich gesehen ist die Menschheit zum einen die operative Kategorie, anhand derer die Geschichte maßgeblich zur singularisierten Weltgeschichte wurde; zum anderen ist sie gleichzeitig das operationalisierte Objekt der Weltgeschichte, das ihr Singularität im Zeitalter der Aufklärung verleiht. Die kollektive Ebene des Menschheitsbegriffs lässt sich mit der im ausgehenden 18. Jahrhundert konsolidierten Betrachtungsweise der Geschichte als eine einheitsstiftende Wissensform parallelisieren. „Menschheit,“ so führt Jörn Rüsen aus, „vereinigt in sich eine doppelte Universalität des Historischen: eine empirische, insofern sie den historischen Blick auf alle Zeiten und Räume weitet, in denen sich menschliches Leben vollzogen hat und vollzieht, und zugleich eine moralische in der Form eines für diese Zeiten und Räume gleichermaßen prinzipiell verbindlichen Kriteriums der Moralität menschlicher Handlungen und Unterlassungen.“47 Darüber hinaus spielt der Menschheitsbegriff eine zentrale Rolle im Universalisierungsprozess der Geschichtsschreibung und ihres Subjektes. Dies bringt Hans Erich Bödeker auf den Punkt: Der Menschheitsbegriff wurde „zur normativen Bezugsgröße historischer Identität erhoben.“48 Als Kern historischer Identität konnte aber der umfassende Kollektivbegriff der Mensch-
46 Garrett, Aaron: „Anthropology: the ‚original‘ of human nature,“ in: Alexander Broadie (Hg.), The Cambridge Companion to the Scottish Enlightenment, Cambridge: Cambridge University Press 2003, S. 79-93, hier S. 79. 47 Rüsen, Jörn: „Der Teil des Ganzen. Über historische Kategorien,“ in: Karl Acham/Wilfried Schulze (Hg.), Teil und Ganzes. Zum Verhältnis von Einzel- und Gesamtanalyse in Geschichts- und Sozialwissenschaften, München: dtv 1990, S. 299-322, hier S. 300-301. 48 Bödeker, Hans Erich: „Die Entstehung des modernen historischen Denkens als sozialhistorischer Prozeß. Ein Essay,“ in: Wolfgang Küttler/Jörn Rüsen/Ernst Schulin (Hg.), Geschichtsdiskurs, Bd. 2: Anfänge modernen historischen Denkens, Frankfurt a.M.: Fischer 1994, S. 295-319, hier S. 306. Sowohl die Bedeutungskomponenten nach biologischen, quantitativen und qualitativen Kriterien, die dem Terminus ‚Menschheit‘ unterliegen, als auch die Ausbreitung im späten 18. Jahrhundert seiner quantitativ-kollektive Bedeutung wurde grundlegend von Hans Erich Bödeker in begriffsgeschichtlicher Perspektive untersucht. Siehe: Bödeker, Hans Erich: „Menschheit, Humanität, Humanismus,“ in: Otto Brunner/ Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 3, Stuttgart: Klett-Cotta 1982, S. 1063-1128, hier S. 1063-1064. Über die Einheit des Menschengeschlechts aus historiographiegeschichtlicher Sicht siehe auch: Rüsen, Jörn/Jordan, Stefan: „Mensch, Menschheit,“ in: Friedrich Jaeger (Hg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 8, Stuttgart/Weimar: J. B. Metzler 2008, Sp. 327-340.
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heit Privilegien im Namen der dem Begriff unterliegenden Gleichheit ausblenden.49 „Daß sich bürgerliche Geschichtsinteressen an der menschheitsgeschichtlichen Perspektive festmachten, um sich zu emanzipieren, entsprach der Situationslogik,“50 ergänzt Bödeker. Für eine systematische Annäherung zwischen der Menschheitsgeschichte und der Anthropologie im Zeitalter der Aufklärung verdient die Forschung Jörn Garbers große Aufmerksamkeit. Schon am Anfang der 1990er Jahren wies Garber auf eine „anthropologische Fundierung der ‚Geschichte der Menschheit‘“ hin, die aus erkenntnistheoretischer Sicht auf Grund einer „Abgrenzung von Natur- und Menschheitsgeschichte“ zu verzeichnen sei.51 Die spätaufklärerische Geschichtsschreibung wird bereits hier in ihren anthropologisch fundierten Wissenschaftszügen dargestellt, dessen Entfaltung sich im deutschsprachigen Raum besonders an der Universität in Göttingen erkennbar zeigte.52 „Die Menschheitsgeschichte,“ so Garber, „ist eine Spezialgeschichte, die zwischen den Einzeldisziplinen der Historie die Verbindung schafft durch den Rückgang auf eine geschichtlich dynamisierte Anthropologie.“53 Unter Anthropologie wird hier das wissenschaftliche Spannungsfeld bzw. der Bezugspunkt zwischen Natur und Kultur schlechthin verstanden.
49 Dazu siehe z.B.: Weber, Wolfgang E. J.: „Universalgeschichte,“ in: Michael Maurer (Hg.), Aufriß der Historischen Wissenschaften, Bd. 2: Räume, Stuttgart: Reclam 2001, S. 15-98, besonders S. 56. 50 Bödeker: „Die Entstehung des modernen historischen Denkens als sozialhistorischer Prozeß. Ein Essay,“ S. 306. 51 Garber, Jörn: „Von der Menschheitsgeschichte zur Kulturgeschichte. Zum geschichtstheoretischen Kulturbegriff der deutschen Spätaufklärung,“ in: Jörn Garber, Spätabsolutismus und bürgerliche Gesellschaft. Studien zur deutschen Staats- und Gesellschaftstheorie im Übergang zur Moderne, Frankfurt a.M.: Keip Verlag 1992, S. 409-433, hier S. 410. Dazu siehe auch: Garber, Jörn: „‚So sind also die Hauptbestimmungen des Menschen […].‘ Anmerkungen zum Verhältnis von Geographie und Menschheitsgeschichte bei Georg Forster,“ in: Jörn Garber (Hg.), Wahrnehmung – Konstruktion – Text. Bilder des Wirklichen im Werk Georg Forsters, Tübingen: May Niemeyer 2000, S. 193-230, besonders S. 228. Im Kontext des späten 18. Jahrhunderts spricht auch Thomas Prüfer von einer „Anthropologisierung des geschichtlichen Denkens.“ Vgl. Prüfer, Thomas: Die Bildung der Geschichte. Friedrich Schiller und die Anfänge der modernen Geschichtswissenschaft, Köln u.a.: Böhlau 2002, S. 156. 52 Vgl. Garber, Jörn: „Selbstreferenz und Objektivität: Organisationsmodelle von Menschheits- und Weltgeschichte in der deutschen Spätaufklärung,“ in: Hans Erich Bödeker/Peter Hanns Reill/Jürgen Schlumbohm (Hg.), Wissenschaft als kulturelle Praxis, 1750-1900, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999, S. 137185, hier S. 140 und 159. 53 Ebd., S. 156.
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Auch eine erkenntnistheoretische Verwicklung „von Anthropologie und Kulturgeschichte bzw. Geschichtsphilosophie im ‚langen‘ 18. Jahrhundert“ ist in jüngster Zeit von Lucas Marco Gisi grundlegend untersucht worden. In seiner Dissertationsschrift geht Gisi die Frage nach, wie so eine „Verschränkung ins Zentrum der anthropologischen und geschichtlichen Diskurse der Aufklärung rückt.“54 Basierend auf einer ausführlich nachgewiesen Parallelisierung von Ontogenese des Menschen und Phylogenese der Menschheit widmet sich Gisi den spätaufklärerischen Vorstellungen von Degeneration und Perfektibilität.55 Im Mittelpunk der „anthropologischen Historie“ stehe eine „konzeptuelle Koppelung der Einbildungskraft – als eines kulturschaffenden Vermögens – und der Mythologie – als Denk- und Ausdrucksweise einer bestimmten kulturgeschichtlichen Entwicklungsstufe – auf der Grundlage der Analogie von Onto- und Phylogenese.“56 In diesem Zusammenhang erörtert Gisi die ‚Scharnierstelle‘ von Anthropologie und Kulturgeschichte, deren methodische Grundannahmen sowohl in der schottischen als auch in der deutschen Aufklärung besonders von Annette Meyer eruiert wurden. In ihrer Arbeit untersucht Meyer eine „methodische Umsetzung,“ auf der die empiriezentrierte ‚Wissenschaft vom Menschen‘ aufbaut. Standardsetzend für diese neue Wissensform waren die schottischen ‚Natural Histories of Mankind‘ und im deutschsprachigen Raum die ihnen „verwandten Formen der ‚Natur-, Menschheits-, Kulturgeschichte‘ und ‚Anthropologie‘.“57 Gemeinsam machen sie den Gegenstand von Meyers Arbeit aus. Dennoch bleibt weiterhin ein Forschungsdesiderat bestehen. Es fehlen Untersuchungen, die die Verschränkung von Anthropologie und Historie in Hinblick auf die unterschiedlichen Varianten der spätaufklärerischen Weltgeschichtsschreibung aus historiographiegeschichtlicher Perspektive analysieren. Dafür reicht es nicht aus, sich auf die Gattung der ‚Geschichte der Menschheit‘ zu beschränken. In der vorliegenden Studie wird deshalb die Grenzziehung von konkurrierenden Wissensformen im spätaufklärerischen historischen Denken in den Fokus gerückt. Dies wird mittels der Untersuchung eines gemeinsamen Wissensprinzips ausgeführt, nämlich der Versuch, Völker im Zusammenhang bzw. im Verhältnis miteinander darzustellen, welches in der spätaufklärerischen Weltgeschichtsschreibung den hier bereits vorgestellten drei Hauptrichtungen des anthropologischen Wissensfeldes – die physische, die ethnographische und die philosophische – unterliegt. Zu dieser Zeit soll besonders an der reformierten Universität zu Göt-
54 Gisi, Lucas Marco: Einbildungskraft und Mythologie. Die Verschränkung von Anthropologie und Geschichte im 18. Jahrhundert, Berlin: Walter de Gruyer 2007, S. 1. 55 Vgl. Ebd., S. 6. 56 Ebd., S. 8. 57 Meyer, Annette: Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit, S. 5.
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tingen eine Art von Weltgeschichte eine epistemologische Breite und einen Umfang erhalten haben, „der sie dieses Namens nicht unwürdig macht.“ 58
2 „E INE U NIVERSITÄT
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„Die Musen zogen lange umher in den Fluren, wo sonst die Cherusker wohnten; denn sie wollten sich niederlassen und ansiedeln in Landen, aus denen deutsche Freiheit entsprang, und ihr samt der Hoheit ein Heiligtum gründen, wenn alles umher stürzen und sich vernichten würde, zu bestehen in dem Drange der Zeit. Da schauten sie in diese Flur herein: hier begrenzt von den ragenden Kulmen des Teutoburger Waldes, dort von den letzten Gipfeln des Harzes. Sie sahen den sanften Strom, wie den Ilyssus durch hochgrasige Wiesen geschlungen, und die Lüfte rein und mild das schöne Tal umfangen, und sanken herab in die Flur und wandelten durch die freundlichen, lichten Gassen des leiblichen Landstädtchens und beschlossen, hier eine Kolonie anzulegen… So entstand die Universität Göttingen.“59
Als der Göttinger Student Friedrich Thiersch (1784-1860) am 20. Juli 1807 diese Worte über die Entstehung seiner Universität an seinen Freund Krehl schrieb, hatte das Heilige Römische Reich deutscher Nation schon den letzten Seufzer ausgestoßen.60 Mit der Auflösung des Kurfürstentum Hannover
58 Gatterer: Versuch einer allgemeinen Weltgeschichte bis zur Entdeckung Amerikens [1792], S. 2. 59 Thiersch, Friedrich: Friedrich Thierschs Leben, Bd. 1: 1784-1830, Leipzig 1866, S. 47-50, zit. nach: Tütken, Johannes: Privatdozenten im Schatten der Georgia Augusta. Zur älteren Privatdozentur (1734 bis 1831), Bd. 1: Statutenrecht und Alltagspraxis, Göttingen: Universitätsverlag Göttingen 2005, S. 22. 60 Auch wenn 1806 als ein endgültiger Markstein der Auflösung des Alten Reiches von der jüngsten Forschung skeptisch betrachtet und gefragt wird, ob sich das bevorstehende Ende des Reichs nicht bereits in den Jahren zuvor angekündigte, waren manche Stimmen, besonders aus der kaiserlichen Hauptstadt Wien, über den Untergang des Reiches einige Wochen nach dem 1. August 1806 entsetzt. Somit möchte Wolfgang Burgdorf den „Topos vom ‚sang- und klanglosen‘ Untergang des alten Reiches“ in Frage stellen und ihn als „ein Klischee der borussischen Geschichtsschreibung, das in der Bundesrepublik ungeprüft weitertradiert wurde,“ darstellen. Siehe: Burgdorf, Wolfgang: „Wendepunkt deutscher Geschichte. Das Reichsende 1806 und seine Wahrnehmung durch Zeitgenossen,“ in: Heinz Schilling/Werner Heun/Jutta Götzmann (Hg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. 962 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1495 bis 1805, 29. Ausstellung des Europarates im Deutschen Historischen Museum, Bd. 2: Essays, Dresden: Sandstein Verlag 2006, S. 17-30, hier S. 21. Zur Frage nach dem Jahr 1806 als ein Geschichtsparadigma in der deutschen Historiographie siehe außerdem: Schindling, Anton: „War das Scheitern des Alten Reiches un-
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infolge des Friedensvertrages von Tilsit, der zwischen Frankreich und Preußen weniger als zwei Wochen bevor Thiersch seinen Brief verfasste abgeschlossen worden war, wurde sowohl die Stadt als auch die Universität zu Göttingen Teil des Königreich Westphalen. Die Regierung übernahm Napoleons jüngster Bruder Jérôme. Thierschs mit klassischen Motiven illustrierte Beschreibung zeigte altgermanische Siedler,61 die in Göttingen eine Kolonie angelegt haben, in der Klio – auch „wenn alles umher stürzen und sich vernichten würde“ – weiter wohnen können sollte. Solch eine mit kleindeutschen Farben bemalte akademische Szene hatte im bereits beginnenden 19. Jahrhundert weltweiten Ruhm erlangt. Auch wenn diese Bedrohung nie für sehr realistisch gehalten wurde: Um die Schließung der Universität in Göttingen zu verhindern – wie es mit den Universitäten im Königreich Westphalen Rinteln und Helmstedt 1810 geschehen war62 – sendeten die Göttinger Deputationen in das Napoleonische Kaiserreich. In Paris wurde die Göttinger Delegation am 17. September 1807 zunächst von Jérôme, der die Universität seines Königreiches Westphalen noch persönlich im Mai 1808 besuchen sollte,63 und drei Tage später auch von Kaiser Napoleon Bonaparte selbst empfangen.64 Dazu wurde folgendes erzählt: „Das Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften, der bedeutende Naturforscher George Leopold Chrétien Curvier, erklärte, eine Universität, an der ein
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ausweichlich?,“ in: Schilling/Heun/Götzmann (Hg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation, S. 303-317, besonders S. 303. In seiner Geschichte der Stadt Göttingen nannte der Aufklärer und seit 1775 ordentlicher Professor für Weltweisheit in Göttingen Christoph Meiners die Cherusker „als das erste Volk, welches die Gegenden um den Harz, um auch unsere Gegend bewohnte.“ Vgl. Meiners, Christoph: Kurze Geschichte, und Beschreibung der Stadt Göttingen und der umliegenden Gegend, Berlin: Haude und Spenner 1801, S. 14. Zur Universitätsaufhebung durch Napoleon zu Beginn des 19. Jahrhunderts siehe: Weiß, Dieter J.: „Das große Universitätssterben um 1800,“ in: Jens Bruning/ Ulrike Gleixner (Hg.), Das Athen der Welfen. Die Reformuniversität Helmstedt 1576-1810, Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek 2010, S. 78-85. Außer dem häufig betonten ökonomischen Argument für die Aufhebung der Universitäten im Königreich Westphalens erwähnt Weiß die „Furcht vor einer ‚Akademikerschwemme‘“ (S. 84). Vgl. Marino, Luigi: Praeceptores Germaniae. Göttingen 1770-1820, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995, S. 26. Hunger, Ulrich, „Die Georgia Augusta als hannoversche Landesuniversität. Von ihrer Gründung bis zum Ende des Königreichs,“ in: Ernst Böhme/Rudolf Vierhaus (Hg.), Göttingen. Geschichte einer Universitätsstadt, Bd. 2: Vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Anschluss an Preußen – Der Wiederaufstieg als Universitätsstadt (1648-1866), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002, S. 139-213, hier S. 189.
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Blumenbach lehre, könne nicht aufgelöst werden und Napoleon sprach das Wort, Göttingen gehöre nicht Westphalen sondern der ganzen gebildeten Welt.“65
65 Meinhardt, Günther: Die Universität Göttingen. Ihre Entwicklung und Geschichte von 1734-1974, Göttingen u.a.: Musterschmidt 1977, S. 44. Mit etwas anderen Worten beschreibt Götz von Selle das gleiche Ereignis: „Cuvier, der große Naturforscher, hatte erklärt, ein Institut, an dem ein Gelehrter wie Blumenbach wirkte, dürfe nicht von des Krieges Last berührt werden. Heynes Fürsprache bei den Kollegen des Institut de France hatte Erfolg. Martens, der bedeutende Lehrer des Völkerrechts in Göttingen, war in jenen Jahren Repräsentant der Hochschule, die seiner diplomatischen Begabung viel zu [ver]danken hatte. Man wandte sich unmittelbar an Napoleon. In schmeichelhaften Sätzen versicherte Talleyrand dem Göttinger Prorektor, er habe dem Ersten Konsul den Brief der Universität selbst vorgelegt. Niemals habe es in der Absicht der französischen Regierung gelegen, ‚un établissement aussi recommendable que l’université de Göttingen‘ den Wirrnissen des Krieges auszusetzen‘.“ Vgl. von Selle, Götz: Universität Göttingen. Wesen und Geschichte, Göttingen: Musterschmidt 1953, S. 74. Auch dazu: von Selle, Götz: Die Georg-August-Universität zu Göttingen, 1737-1937, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1937, S. 212. Dass die Göttinger Universität bereits im Jahrhundert ihrer Gründung bei der ganzen gebildeten Welt Anerkennung fand, ist weitgehend unbestritten. Dieses angeblich von den Lippen Napoleons stammende Urteil wurde bereits 1820 in Friedrich Saalfelds Geschichte der Universität zu Göttingen erwähnt: „So mochte man wohl mit Recht, da zu gleicher Zeit die Errichtung des neuen Königreichs Westfalen, zu dem auch Göttingen geschlagen ward, beschlossen und Hieronymus Buonaparte zum Könige über dasselbe bestimmt worden, für die Universität das schlimmste befürchten, wogegen selbst die vortheilhafte Art, wie sich Napoleon Buonaparte über dieselbe geäußert: ‚sie gehöre keinem besonderen Staate, gehöre nicht Deutschland allein, sie gehöre dem gesammten Europa an,‘ kaum einige Beruhigung gewähren mochte.“ Vgl. Saalfeld, Friedrich: Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen, Bd. 3, Hannover: In Verlage der Helwingschen Hofbuchhandlung 1820, §. 15, S. 48-49. Dazu siehe auch: Hunger: „Die Georgia Augusta als hannoversche Landesuniversität,“ besonders S. 189-190; Vierhaus, Rudolf: „Göttingen im Zeitalter Napoleons,“ in: Göttinger Jahrbuch 27 (1979), S. 177-188. Rudolf Vierhaus weist mit Recht darauf hin, dass diese Interpretation, nach der sich Göttingen hauptsächlich auf Grund seines kulturellen Werts von französischer Besetzung befreit sah, nicht überbeansprucht werden dürfe. Vierhaus argumentiert, dass „Weder englische noch preußische Truppen […] der Besetzung des Landes entgegengetreten [waren]; die am 3. Juli 1803 zwischen Frankreich und Hannover geschlossene Konvention von Sulingen war von Napoleon nicht bestätigt worden und damit die Entscheidung über die politische Zukunft des Landes offengehalten für die große Auseinandersetzung mit England.“ Vgl. Vierhaus, Rudolf: „Göttingen vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zur Zeit der Französischen Revolution und Napoleons,“ in: Ernst Böhme/Rudolf Vierhaus (Hg.), Göttingen. Geschichte einer Universitätsstadt,
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Auf eine ähnliche Weise soll sich bereits auch der Vizekanzler des KurMainzer Hofes und Universitäts-Kurator Anselm Franz von Bentzel (173886) geäußert haben: Göttingen sei „eine Universität für die Welt.“66 Sicher ist, dass es in den deutschsprachigen protestantischen Ländern der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts keine Institution gab, die eine nachhaltigere Wirkung auf die gelehrte Welt ausgeübt hätte und die ganze Welt zum historischen Thema öftermals erhoben hätte als die Universität zu Göttingen. Nur um das Bild der akademischen Landschaft im späten 18. Jahrhunderts kurz zu skizzieren: Die Universität in Göttingen gehörte zusammen mit Jena, Leipzig und Halle in dieser Zeit zu den vier frequenzstärksten deutschen protestantischen Hochschulen des Alten Reiches.67 In Jena, wo der Kurator der Universität zu Göttingen Gerlach Adolph Freiherr von Münchhausen (1688-1770) auch studiert hatte, fand am 26. und 27. Mai 1789 Johann Christoph Friedrich Schillers (1759-1805) berühmt gewordene Antrittsvorlesung statt. Die Veranstaltung zählte knapp 400 Teilnehmer,68 die dem jungen Schiller zum Thema „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?“ zuhörten. Seiner Antwort legte Schiller ein pragmatisches Göttinger Rezept „vom Aggregat zum System“ zugrunde, ohne es jedoch vollständig auszuschöpfen oder ihm in jeder Hinsicht zu folgen.69 Fünf Tage zuvor hatte er für sein erstes Semester als Dozent in Jena
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Bd. 2: Vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Anschluss an Preußen – Der Wiederaufstieg als Universitätsstadt (1648-1866), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002, S. 19-43, hier S. 38-39. Hier dient der Ruhm Göttingens an europäischer Gelehrsamkeit vielmehr der Anerkennung eines mit weltumgreifendem Anspruch wissenschaftlichen Programmes als der politischen Erklärung napoleonischer Politik. Zit. nach: Hammerstein, Notker: „Göttingen: Eine deutsche Universität im Zeitalter der Aufklärung,“ in: Alexander Patschovsky/Horst Rabe (Hg.), Die Universität in Alteuropa, Konstanz: Universitätsverlag Konstanz 1994, S. 169-182, hier S. 182. Während Göttingen 3.855 Immatrikulationen in der Dekade von 1771-1780 nachzuweisen sind, zählte das Alte Reich in Halle noch 3.990, in Leipzig 3.632 und in Jena 2.230 Studenten. Zwischen 1791-1800 hatte sich das Bild schon verändert und Jena kann 3.655 Immatrikulationen vorweisen – fast gleichauf mit Göttingen (3.656) und Halle (3.525) und vor Leipzig (2.917). Dazu siehe: Rasche, Ulrich: „Umbrüche – Zur Frequenz der Universität Jena im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert,“ in: Gerhard Müller/Klaus Ries/Paul Ziche (Hg.), Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800, Stuttgart: Franz Steiner 2001, S. 79-134, hier S. 97. Zahlen nach Peter-André Alts Kommentare zu Schillers Vorlesungen. Siehe: Schiller, Friedrich: Sämtliche Werke, hg. von Peter-André Alt, Bd. 4: Historisches Schriften, München: dtv 2004, S. 1054. Vgl. Schiller, Friedrich: „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?“ in: Friedrich Schiller, Sämtliche Werke, hg. von Peter-André Alt,
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bereits das Semesterprogramm angekündigt. Die Introductioni in historiam universalem las Schiller in Professor Reinholds Auditorium vor.70 Zwei Jahre später lehrte Schiller im Sommersemester Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts, während der Hofrat Heinrich allgemeine Weltgeschichte nach Schlözer vortrug und Hofrat Meiners über die „Philosophische Geschichte“ erzählt haben soll und noch für die Ferien einen Exzerpierkurs anbot.71 Es handelte sich hierbei um Christoph Meiners, der zu dieser Zeit jedoch in Göttingen zwei Vorlesungen zur Geschichte der Weltweisheit und zur Geschichte der Religionen im selben Semester abhielt,72 weshalb in Jena also höchstens aus seinem Lehrbuch gelesen wurde. Meiners brachte 1791 eine frische zweite, erweiterte Ausgabe seiner Anweisungen für Jünglinge zum eigenen Arbeiten besonders zum Lesen, Excerpieren, und Schreiben auf den Hannoverschen Markt. Die Lektüre sollte unterhaltend oder „aufklärend
Bd. 4: Historisches Schriften, München: dtv 2004, S. 749-767, hier S. 763. Zu Schillers Geschichtsdenken siehe die ausführliche Dissertationsschrift von Thomas Prüfer, der überzeugend ausführt, wie „Schillers Wissenschaftsbegriff der Geschichte […] unmittelbar an den geschichtstheoretischen Diskurs der deutschen Spätaufklärung“ anschloss. Vgl. Prüfer: Die Bildung der Geschichte, S. 293. Ulrich Muhlack, eher auf Grund seiner historiographiegeschichtlichen These einer scharfen Unterscheidung zwischen der Aufklärungshistorie und dem Historismus, betont dementsprechend „eine grundsätzliche Differenz zwischen Schiller und Schlözer,“ aus deren Feder den Ausdruck „vom Aggregat zum System“ stammt. Vgl. Muhlack, Ulrich: „Schillers Konzept der Universalgeschichte zwischen Aufklärung und Historismus,“ in: Otto Dann/Norbert Oellers/Ernst Osterkamp (Hg.), Schiller als Historiker, Stuttgart: J. B. Metzler 1995, S. 5-28, hier S. 26. Genügend Affinitäten zwischen beiden Gelehrte – wie z.B. die Hochstellung der Quellenkritik – verbinden dennoch Schiller auch zu den grundlegenden Elementen der Aufklärungshistorie. Somit kann m.E. Schillers berühmte Frage seiner Antrittsvorlesung tatsächlich „knapp und großartig alle Argumente zusammen[fassen], die die Weltgeschichte zur Leitwissenschaft aller Erfahrungen und aller Erwartungen gemacht hatte,“ wie sich Reinhart Koselleck zu Schillers Tragweite als Historiker – dennoch ohne Hinweis auf die erst später stattgefundene historiographiegeschichtliche Debatte – äußerte. Vgl. Koselleck, Reinhart: „Die Herausbildung des modernen Geschichtsbegriffs“ [Art.: „Geschichte, Historie“], in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2, Stuttgart: Klett-Cotta 1979, S. 647-717, hier S. 690. 70 Siehe Schillers Vorlesungsankündigung, datiert vom 21. Mai 1789, in: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, hg. von Peter-André Alt, Bd. 4: Historisches Schriften, München dtv 2004, S. 1054. 71 Vgl. Intelligenzblatt der Jenaischen allgemeinen Literatur-Zeitung, N. 48, 13. April 1791, hier Sp. 406-407. 72 Vgl. Göttingische Anzeige von Gelehrten Sachen, 61. Stück, 16. April 1791, S. 608 und 613.
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für den Verstand, oder bessernd und bildend für Herz und Charakter“ sein.73 Diese aufklärerische Anweisung kannte auch Schiller, als er im Jenaer Wintersemester über „die Universalgeschichte des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts“74 las. Schon im Jahr 1797 hatten sowohl der Hofrat Heinrich als auch Professor Woltmann eine Vorlesung zur allgemeinen Weltgeschichte im Vorlesungsverzeichnis aufgeführt,75 wobei nur von letzterem der Kurs im Wintersemester weiter angeboten wurde.76 Zwei Jahre später, während Schiller und August Wilhelm Schlegel (1767-1845) sich der Ästhetik widmeten, bot lediglich Heinrich im Sommersemester 1799 eine Vorlesung zur allgemeinen Weltgeschichte nach Schlözers Handbuch an.77 Dies ist ein eindeutiges Beispiel dafür, dass Göttinger Publikationen an anderen deutschen Universitäten der Lehre zugrunde gelegt wurden.78 Darüber hinaus kündigte Professor Eichstädt „nach Beck’s kurzgefasster Anleitung zur Kenntnis der allgem[einen] Welt- und Völkergeschichte“ eine Vorlesung zur „[a]llgemeine[n] Weltgeschichte von Anfangs an bis zur Völkerwanderung“ zum Wintersemester an.79 Fast ein Jahrzehnt später ist der Einfluss Göttingens auf Jena noch nachvollziehbar. Heinrich Luden (1778-1847), der in Göttingen bei Schlözer und Heeren studiert hatte und der 1806 sein Amt als Professor in Jena antrat,80 bot für das Sommersemester 1807 eine philosophisch entwi-
73 Meiners, Christoph: Anweisungen für Jünglinge zum eigenen Arbeiten besonders zum Lesen, Excerpieren, und Schreiben, 2. Ausgabe, Hannover: In der Helwingschen Buchhandlung 1791, S. 26. 74 Vgl. Intelligenzblatt der Jenaischen allgemeinen Literatur-Zeitung, N. 116, 24. September 1791, hier Sp. 950. 75 Vgl. Intelligenzblatt der Jenaischen allgemeinen Literatur-Zeitung, N. 50, 19. April 1797, hier S. 420. 76 Vgl. Intelligenzblatt der Jenaischen allgemeinen Literatur-Zeitung, N. 116, 20. September 1797, hier Sp. 972. 77 Vgl. Intelligenzblatt der Jenaischen allgemeinen Literatur-Zeitung, N. 34, 20. März 1799, hier Sp. 269. 78 Mehr dazu: Hammerstein: „Göttingen: Eine deutsche Universität im Zeitalter der Aufklärung,“ S. 174. Auch in Halle ist nach Schlözers Lehrbüchern gelesen worden: „Anhand von Schlözers Weltgeschichte aus dem Jahr 1772 wurden beispielsweise schon 1773 in Halle Vorlesungen gehalten [Vgl. Hallische Gelehrte Zeitungen, 1773, S. 264].“ Mühlpfordt, Günther: „Völkergeschichte statt Fürstenhistorie – Schlözer als Begründer der kritisch-ethnischen Geschichtsforschung,“ in: Jahrbuch für Geschichte 25 (1982), S. 23-72, hier S. 33. 79 Vgl. Intelligenzblatt der Jenaischen allgemeinen Literatur-Zeitung, N. 120, 28. September 1799, hier Sp. 973. 80 Zur Biographie Heinrich Ludens siehe: Crusius, Irene: „Heinrich Luden,“ in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 15, Berlin: Duncker & Humblot 1997, S. 283285.
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ckelte Vorlesung zur Universalgeschichte81 und für das Wintersemester einen Kurs zur europäischen Staatengeschichte nach dem Göttinger Ludwig Timotheos Spittler (1752-1810) an.82 Was die Veranstaltungen der Geschichte schon am Ende der 1790er Jahre betrifft, so sieht Klaus Ries einen deutlichen Emanzipationsprozess Jenas vom Göttinger Vorbild. Als sich das Alte Reich auflöste, soll Heinrich Luden zum Beispiel die Universalgeschichte zum Zwecke einer antifranzösisch akzentuierten Nationalgeschichte instrumentalisiert haben,83 wobei hier eher „eine Bedeutungsverschiebung im Sinne einer Entwicklung vom nationalen Universalismus der Spätaufklärung zum universalistischen Nationalismus der neu entstehenden bürgerlichen Gesellschaft“84 zu erkennen sei. Seinen Kurs zur Universalgeschichte setzte Luden 1808, 1809 und 1810 fort. Für das Wintersemester 1810 kündigte er noch eine zweite Vorlesung an, und zwar über „[d]ie neuere Geschichte der europäischen Staaten und der Kolonieen vom 16. Jahrh[undert] bis auf die neuesten Zeiten.“85 Obwohl nicht explizit angegeben, hört sich die Materie seiner Vorlesung wieder sehr verdächtig nach Göttingen bzw. nach Heerens Handbuch der Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Colonieen an, das 1809 im Johann Friedrich Röwers Verlag in zwei Teilen veröffentlicht worden war.86 Der Einfluss der Göttinger Gelehrten auf das weltgeschichtliche akademische Programm in Jena des späten 18. Jahrhunderts ist deutlich nachweisbar, und zwar trotz Ludens späteren eigenständigen Wissenschaftsprofils oder Karl Ludwig von Woltmann, Johann Severin Vaters und Johann Traugott Danz, die in Jena zur Universalgeschichte nach „ihren eigenen Vorstellungen und Ausführungen“ vorlasen, oder auch Professor Eichstädt, der seine Vorlesung
81 Vgl. Intelligenzblatt der Jenaischen allgemeinen Literatur-Zeitung, N. 21, 14. März 1807, hier Sp. 181. 82 Es handelte sich um Spittlers „Entwurf der Geschichte der Europäischen Staaten“ [Bd. 1, 1793; Bd. 2, 1794]. Vgl.: Spittler, Ludwig Timotheus Freiherrn v.: Sämmtliche Werke, hg. von Karl Wächter, Bd. 3, Stuttgart/Tübingen, in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung 1827; Spittler: Sämmtliche Werke, Bd. 4, 1828. 83 Ries, Klaus: „Vom nationalen Universalismus zum universalistischen Nationalismus. Das Lehrangebot für Geschichte an der Universität Jena zwischen 1750 und 1820,“ in: Thomas Bach/Jonas Maatsch/Ulrich Rasche (Hg.), ‚Gelehrte‘ Wissenschaft. Das Vorlesungsprogramm der Universität Jena um 1800, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2008, S. 215-225, hier S. 219-222. 84 Ebd., S. 225. 85 Vgl. Intelligenzblatt der Jenaischen allgemeinen Literatur-Zeitung, N. 78, 13. Oktober 1810, Sp. 621. 86 Vgl. Heeren, Arnold Herrmann Ludwig: Historische Werke, Bd. 8, Göttingen: Johann Friedrich Röwer 1822. Zu diesem Zeitpunkt begann Luden auch mit seiner Geschichte der Deutschen, was, Klaus Ries zufolge, den „allmählichen Ablösungsprozess vom Göttinger Vorbild“ deutlich signalisiert. Vgl. Ries: „Vom nationalen Universalismus zum universalistischen Nationalismus,“ S. 221.
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zur allgemeinen Weltgeschichte nach dem Lehrbuch des in Leipzig lehrenden Christian Daniel Beck (1757-1832) konzipierte.87 Was die Präsenz der Göttinger Ideen und Lehrbücher zur Universalgeschichte angeht, so sah dieses Bild in Leipzig schon etwas anders aus. Obwohl Christian Gottlieb Hund und Theophil Samuel Forbiger die Universalhistorie nach Schlözers Lehrbuch angeboten hatten,88 orientierte sich das Fach an der Universität in Leipzig in den 1780er Jahren sehr stark an Johann Matthias Schröckhs (1733-1808) Lehrbuch der allgemeinen Weltgeschichte. Schröckh hatte immerhin in den 1750er Jahren in Göttingen studiert.89 Im Jahr 1785 kündigten vier Dozenten jeweils eine Veranstaltung zur Universalgeschichte an: Friedrich August Wilhelm Wenck, Christian Daniel Beck, Johann Friedrich Hilscher und Theophil Immanuel Dinndorf. Alle erklärten, ihren Kurs nach dem Lehrbuch von Johann Matthias Schröckh vorzulesen.90 Beck, der in seiner Terminologie nicht nur die Weltgeschichte, sondern auch die Völkergeschichte vortragen wollte, begann erst im Wintersemester 1787/88 die Universalhistorie nach seinem eigenen Lehrbuch zu lehren.91 Es war dasselbe Handbuch, das Professor Eichstädt noch einige Jahre später in Jena benutzen würde. Obwohl der Einfluss von Göttingen auf Leipzig viel weniger deutlich und das Lehrangebot zur Universalgeschichte erheblich größer als das in Jena war, erlebte letztlich keine dieser Universitäten so viele und vielfältige universalhistorische Kollegia, wie sie im spätaufklärerischen Göttingen zu finden waren. Nicht unbegründet verdiente diese Universität den Ruhm, das „Zentrum der spätaufklärerischen Bemühungen um
87 Ebd., S. 219. 88 Vgl. Huttner, Markus: Geschichte als akademische Disziplin. Historische Studien und historisches Studium an der Universität Leipzig vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007, S. 488. 89 Zu den biographischen Daten Schröckhs siehe: Frank, G.: „Johann Matthias Schröckh,“ in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 32, Leipzig: Duncker & Humblot 1891, S. 498-501. Die jüngste Studie von Markus Huttner stellt mit guten Argumenten den Einfluss von Göttingen auf die historischen Studien in Leipzig in Frage. Vgl. Huttner: Geschichte als akademische Disziplin, S. 42. Für die These Huttners spricht auch hier die Tatsache, dass Schröckhs in Göttingen der 1750er und nicht der 1770-80er Jahren studierte. Nach Huttner wurde das Lehrbetrieb in Leipzig „gemäß den Postulaten des historiographischen Pragmatismus neukonzipierte Universalhistorie nicht in erster Linie über die diversen Bearbeitungen und wissenschaftsprogrammatischen Schriften der Göttinger Gatterer und Schlözer rezipiert, sondern über das erstmals 1774 erschienene Lehrbuch der allgemeinen Weltgeschichte des mittlerweise in Wittenberg lehrenden Johann Matthias Schroeckh“ (S. 323). 90 Siehe: Leipziger gelehrtes Tagebuch, 1785, S. 49. 91 Vgl. Huttner: Geschichte als akademische Disziplin, S. 488.
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die Universalhistorie“92 gewesen zu sein. Wie aber ist sie dieses Zentrum geworden?
3 „H EILSAME C ONCURRENZ “ AN DER G EORGIA AUGUSTA Je nachdem, wie man Hochschule definiert, lassen sich am Ende des 18. Jahrhunderts zwischen 42 und 50 unterschiedliche Institutionen im Alten Reich zählen.93 Das ist mehr als doppelt so viel wie in Frankreich und macht schon fast ein Viertel des gesamten Hochschulwesens im Europa der Frühen Neuzeit aus.94 Dabei kann die neue Universität in Göttingen nicht nur als ein Punkt in der akademischen Landkarte des Alten Reiches angesehen werden. Während die Hochschulen in den katholischen Ländern im Zeitalter der Aufklärung stagnierten, „verjüngte“ sich die akademische Szene im protestantischen deutschsprachigen Raum. Dies geschah vor allem durch die Gründung der Universitäten in Halle (1694) und in Göttingen (1734/37).95
92 Ebd., S. 431. Dazu auch: Garber: „Von der Menschheitsgeschichte zur Kulturgeschichte,“ S. 411. 93 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära. 1700-1815, 3. Auflage, München: Beck 1996, S. 292. 94 Siehe: Frijhoff, Willem: „Grundlagen,“ in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 2: Von der Reformation zur Französischen Revolution (1500-1800), München: Beck 1996, S. 53-102, hier S. 56. Um den Entstehungsprozess des Hochschulwesens in der Frühen Neuzeit in Zahlen deutlicher zu machen gab es im deutschen Reichsgebiet um 1500 „[…] nicht weniger als 15 Universitäten, die Hälfte davon ganz jungen Entstehungsdatums.“ Vgl. Seifert, Arno: „Das höhere Schulwesen. Universitäten und Gymnasien,“ in: Notker Hammerstein (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 1: 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe, München: Beck 1996, S. 197-374, hier S. 198. 95 Hammerstein, Notker: „Universität,“ in: Werner Schneiders (Hg.), Lexikon der Aufklärung. Deutschland und Europa, München: Beck 2001, S. 420-422, hier S. 420-421. Die jüngste Forschung zur „akademische[n] Grundierung der Aufklärung“ zeigt merkliche Risse in dem weit verbreiteten Bild des akademischen Niedergangs im Verlauf des 18. Jahrhunderts auf. Dazu siehe: Füssel, Marian: „Akademische Aufklärung. Die Universitäten des 18. Jahrhunderts im Spannungsfeld von funktionaler Differenzierung, Ökonomie und Habitus,“ in: Wolfgang Hardtwig (Hg.), Die Aufklärung und ihre Weltwirkung, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010, S. 47-73, hier S. 48. Füssel vertritt die fruchtbare These, dass „die sogenannte ‚Krise der Universität‘ in der Aufklärung schließlich als ein langsamer Ablösungs- bzw. Transformationsprozess zu verstehen“ sei. Das hum-
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Um das akademische Profil der Georgia Augusta, wie die Universität zu Göttingen nach dem Kurfürsten von Hannover und König von Großbritannien und Irland Georg II. (1683-1760) benannt wurde, kümmerte sich Adolph Freiherr von Münchhausen sorgfältig, der die Funktion des Kurators übernahm und als solcher seiner Universität eine moderne Struktur verleihen wollte. Das neue und wertvolle akademische Leben des Kurfürstentums Hannover war weder den Privilegien einer vorhergehenden akademischen Struktur noch traditionellen Inhalten gegenüber verpflichtet.96 Stattdessen wurden nützliche, pragmatisch orientierte und anwendungsbezogene Erkenntnisse gefördert,97 weshalb Disziplinen wie die Kameralwissenschaften oder Statistik langsam die traditionelle Metaphysik in den Schatten stellten.98 In Göttingen war die Juristische Fakultät führend, die über die Hälfte der Studierenden umfasste99 und den Weg in die Beamtenlaufbahn ebnete,100
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boldtsche Modell solle demzufolge nicht in teleologischer Perspektive gesucht werden (vgl. Ebd., S. 73). Hammerstein, Notker: „Göttingen: Eine deutsche Universität im Zeitalter der Aufklärung,“ S. 169. Auch: Hammerstein, Notker: Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und im 18. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1972, S. 309. Vgl. Vierhaus, Rudolf: „1737 – Europa zur Zeit der Universitätsgründung,“ in: Bernd Moeller (Hg.), Stationen der Göttinger Universitätsgeschichte. 1737– 1787–1837–1887–1937, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S. 9-26, hier S. 23. Vgl. Saada, Anne: „Die Universität Göttingen. Traditionen und Innovationen gelehrter Praktiken,“ in: Hans Erich Bödeker/Philippe Büttgen/Michel Espagne (Hg.), Die Wissenschaft vom Menschen in Göttingen um 1800. Wissenschaftliche Praktiken, institutionelle Geographie, europäische Netzwerke, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008, S. 23-46, hier S. 39. Auch dazu: Hunger, Ulrich: „Die Universitätsstadt Göttingen,“ in: Hubert Steinke/Urs Boschung/Wolfgang Proß (Hg.), Albrecht von Haller. Leben – Werk – Epoche, Göttingen: Wallstein 2008, S. 99-118, hier S. 100; Hammerstein, Notker: „Die Hochschulträger,“ in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 2: Von der Reformation zur Französischen Revolution (1500-1800), München: Beck 1996, S. 105-137, hier S. 128. Zur Nützlichkeit und aufklärerischen ökonomischen Verwertbarkeit des Wissens siehe: Füssel: „Akademische Aufklärung,“ S. 63. Götz von Selle stellte diese Mehrheit in Zahlen vor: „Im Jahre 1774 zählt man in Göttingen 894 Studenten, von ihnen sind 563 Juristen.“ Vgl. von Selle: Universität Göttingen. Wesen und Geschichte, S. 37. Hier erfährt man noch eine Abweichung im Vergleich zu Wieland Sachses Bevölkerungsstatistik, dennoch bleiben diese Zahlen nicht so weit auseinander. Sie zeigen alle die rasante Steigerung der Studenten von der Gründung der Universität bis zu den 1770-80er Jahren. Zum Anteil der Studenten nach Fakultäten sowohl in Göttingen als auch in Halle siehe auch: Hammerstein, Notker: „Universitäten,“ in: Notker Hammerstein/Ulrich Herrmann (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2: 18. Jahr-
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für welche die pragmatisch orientierten Disziplinen von großem Wert waren. Münchhausen ging es deshalb auch vielmehr darum, eine Universität zu errichten, in der sich ein neuartiges Gleichgewicht unter den Fakultäten halten konnte. „Für das Fach Geschichte bedeutete dies, daß es sich davon emanzipierte, Diener der Theologischen bzw. der Juristischen Fakultät zu sein.“101 Seit ihrer Gründung waren die ordentlichen Professuren an der Georgia Augusta vergleichsweise gut dotiert,102 was die Dozenten aus anderen traditionellen akademischen Zentren anlockte und sie auch von außerakademischen Aktivitäten befreite.103 Trotz guter, fester und pünktlich gezahlter Besoldung,104 für die die Professoren nach den Universitätsstatuten zu vier Wochenstunden öffentlichen Vorlesungen verpflichtet waren,105 ergänzten sowohl die schriftstellerische Produktion als auch die Privatvorlesungen das
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hundert. Vom späten 17. Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands um 1800, München: Beck 2005, S. 369-400, besonders S. 375. Schindling, Anton: „Die protestantischen Universitäten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation im Zeitalter der Aufklärung,“ in: Notker Hammerstein (Hg.), Universitäten und Aufklärung, Göttingen: Wallstein 1995, S. 9-19, hier S. 14. Blanke, Horst Walter/Fleischer, Dirk: „Artikulation bürgerlichen Emanzipationsstrebens und der Verwissenschaftlichungsprozeß der Historie. Grundzüge der deutschen Aufklärungshistorie und die Aufklärungshistorik,“ in: Horst Walter Blanke/Dirk Fleischer (Hg.), Theoretiker der deutschen Aufklärungshistorie, Bd. 1: Die theoretische Begründung der Geschichte als Fachwissenschaft, Stuttgart/Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1990, S. 19-102, hier S. 44. Ein Vergleich zwischen Gehalten von Professoren im späten 18. Jahrhundert bestätigt die gute und steigende Besoldung in Göttingen. Wilhelm Ebel zufolge, „[…] erhielt der Königsberger Professor Immanuel Kant [nach 1770] ein Jahresgehalt von 166 Talern 60 Gr[oschen], nachdem er 15 Jahre lang unbesoldet gelehrt hatte. Der Begründer der Anthropologie, Joh[ann] Friedrich Blumenbach, begann 1778 in Göttingen mit 300 Rtlr. [Reichstaler] jährlich und endete 1807 mit 700 Talern. […] Ludwig Aug[ust] Schlözer hatte zuerst (1764) 500, seit 1787: 760 Rtlr. jährlich.“ Vgl. Ebel, Wilhelm: Memorabilia Gottingensia. Elf Studien zur Sozialgeschichte der Universität, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1969, S. 85. Vgl. Brüdermann, Stefan: Göttinger Studenten und akademische Gerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1900, S. 157. Auch dazu: Hammerstein: „Universitäten,“ S. 385. Vgl. Hammerstein, Notker: „Die deutschen Universitäten im Zeitalter der Aufklärung,“ in: Zeitschrift für historische Forschung 10 (1983), S. 73-89, hier S. 81. Brüdermann: Göttinger Studenten und akademische Gerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert, S. 311.
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Einkommen der Dozenten.106 Hierzu schrieb der Göttinger Professor August Ludwig Schlözer am 22. April 1778 etwas ironisch an seinen Freund Zedlitz: „[…] [M]eine hiesige stehende Besoldung ist schon seit 1773 150 Louisd’or reines Geld, ohne einen Groschen Abzug. […] [D]iesen Winter habe ich nur 2½ Privatkollegia, und darin wohl über 200 Zuhörer: auch haben mir diese schon seit sechs Wochen 120 L[ouisd’or] gebracht, ungeachtet ich Jedem, der es nur verlangt, jedes Kollegium gratis gebe, und in meinem Leben nie die Justiz, auch bei Reicheren, zur Eintreibung der Honorarien zu Hülfe nehme. Im Sommer ist die Einnahme stärker, so daß ich alljährlich sicher auf 250 L[ouisd’or] Kollegienverdienst rechnen kann. Daß das Kollegienlesen hier so ungewöhnlich einträglich ist, ist lokal. Die meisten meiner Kollegien gelten nach alter Taxe 1 L[ouisd’or], nicht 3 thlr. [Reichstaler] und unter unsern 800 Studenten sind wohl 700 wohlhabende: auf anderen Universitäten ist die Proportion umgekehrt. – Meine einträglichsten Kollegien sind die Statistik und Politik: beide sind einmal hier im Gange, kein Kavalier geht von hier, ohne sie wenigstens par etiquette zu hören, und Sonnenfels in Wien sagt seinen eigenen Zuhörern: wer ächte freie Politik hören wolle, müsse nach Göttingen gehen.“107
Über die Besoldung von Professoren hinaus erkennt man hier in der Feder Schlözers die Züge der akademischen Politik Göttingens. Zusammen mit neuen Dozenten wollte Münchhausen Studierende mit „dickem Geldbeutel“ nach Göttingen ziehen. In einem Brief vom 11. März 1734 an Georg Christian Gebauer erklärte er, dass er nicht nur Johann David Köhler (1684-1755) von der reichsstädtischen Universität in Altdorf für die zu errichtende Landeshochschule im Kurfürstentum Hannover gewinnen wollte: „Hr. Köhler ist ihm zwar in denen historischen Wiszenschaften und zumahlen des medii aevi wohl überlegen, jener aber allem absehen nach umserm scopo demäszer, hat nach dem Zeugnisz derer die ihn kennen, den statum publicum aller reiche nebest der historie und gesetzen wohl inne, und soll sehr gutes donum proponendi haben. Hiezu kömt, dasz er dort im Reiche und selbst bey der Oesterreichischen noblesse sehr beliebt, mithin fähig ist, viele davon nach Göttingen zu ziehen, ich bitte, Ew. Hochedelgeb. wollen dieses überlegen, und mir Dero Meinung aufrichtig melden.“108
106 Vgl. Joost, Ulrich: „Göttinger Gelehrtengezänk. Zur inneren Verfassung der Gelehrtenrepublik, dargestellt am Beispiel von Professorenstreitigkeiten im 18. Jahrhundert,“ in: Göttinger Jahrbuch (1986), S. 45-59, hier S. 55. 107 „[August Ludwig] Schlözer an Zedlitz, den 22. Apr[il] 78,“ in: von Schlözer, Christian: August Ludwig von Schlözers öffentliches und Privatleben, Bd. 2, Leipzig: J. C. Hinrichsche Buchhandlung 1828, S. 29-32, hier S. 30. 108 „Briefe Gerlach Adolfs von Münchhausen an Georg Christ. Gebauer“ [Hannover, 1734. März 11.], in: Rössler, Emil Franz: Die Gründung der Universität Göttingen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1855 [ND: Aalen: Scientia Verlag 1987], S. 86.
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Wie Schlözer bestätigte, war die Georgia Augusta bereits 44 Jahre nachdem Münchhausen den Brief an Gebauer geschrieben hatte das Zentrum adliger Erziehung im Alten Reich.109 Die Universität wurde von höheren Ständen entstammenden Studenten unabhängig von ihrer Konfession frequentiert.110 Deshalb waren nicht nur die gegenwartsbezogenen Erkenntnisse der Kameralwissenschaften und Politik bzw. Statistik nachgefragt, sondern die Dozenten machten aus ihr auch eine Konkurrenz für ein einträgliches Geschäft. In Göttingen durften sie Vorlesungen über ihre Themenbereiche hinaus halten. Kombiniert mit dieser Lehrfreiheit – was damals nicht üblich war111 –
109 Nach Notker Hammerstein ist Göttingen die eigentliche Adelsuniversität gewesen, obwohl Leipzig als Messestadt auch geschätzt war. Vgl. Hammerstein: „Universitäten,“ S. 374. Zu Göttingen als Bildungsstätte des deutschen Adels siehe auch: Kraus, Andreas: Vernunft und Geschichte. Die Bedeutung der deutschen Akademien für die Entwicklung der Geschichtswissenschaft im späten 18. Jahrhundert, Freiburg u.a.: Herder 1963, besonders S. 164; Marino: Praeceptores Germaniae, S. 11. Notker Hammerstein spricht sogar von einem Anteil von über einem Drittel adliger Studenten in Göttingen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Vgl. Hammerstein: „Göttingen: Eine deutsche Universität im Zeitalter der Aufklärung,“ S. 178. 110 Ein gutes Beispiel dafür sei Karl vom Stein (1757-1831). Dazu siehe: Duchhardt, Heinz: Stein. Eine Biographie, Münster: Aschendorff Verlag 2007, hier S. 26. Zum freien sowohl Evangelisch-Lutherischen als auch Katholischen Gottesdienst in Göttingen siehe die zeitgenössischen Berichte von Johann Stephan Pütter: Pütter, Johann Stephan: Versuch einer academischen GelehrtenGeschichte von der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen, Bd. 1, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1765, §. 208, S. 317. Auch zur verschiedenen Religionsübungen in Göttingen berichtete Pütter im Jahr 1788. Pütter, Johann Stephan: Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der GeorgAugustus-Universität zu Göttingen, Bd. 2, §. 272-273, S. 384-385. Gerrit Walther fasst zutreffend diese akademische Religionsfreiheit zusammen: „Göttingen war nicht tolerant. Es war indifferent.“ Vgl. Walther, Gerrit: „Das Ideal: Göttingen. Ruf, Realität und Kritiker der Georgia Augusta um 1800,“ in: Gerhard Müller/Klaus Ries/Paul Ziche (Hg.), Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800, Stuttgart: Franz Steiner 2001, S. 33-45, hier S. 36. 111 Für ein allgemeines Bild der Hochschulen in der Frühen Neuzeit, wofür Göttingen Innovationen trugen, siehe einführend: van Dülmen, Richard: Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, Bd. 3: Religion, Magie, Aufklärung. 16.18. Jahrhundert, 3. Auflage, München: Beck 2005, S. 190-193. Im Gegensatz zu Göttingen, gab es keine Lehrfreiheit bei den frühneuzeitlichen Universitäten, weder bei den Theologen noch bei den Philosophen. Für eine akademische Karriere war die Konfession noch dazu ein entscheidender Faktor und die Professoren mussten Aufgaben außerhalb der Universität leisten, um sein Einkommen zu versichern. Außerdem waren die Bibliotheken, in der Regel, nicht für die Studenten zugänglich.
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genossen die Professoren außerdem volle Zensurfreiheit.112 Bereits im April 1733 äußerte sich Münchhausen über die in Göttingen gewährte Freiheit, als er sein nachträgliches Votum über die Einrichtung der Universität in der Sitzung des geheimen Ratskollegiums schrieb: „Gelehrte Monopolia müszen nicht gestattet, sondern jedem Profesz. erlaubet werden, auch die zu seiner Profeszion nicht gehörige disciplinen zu dociren.“113 Diese Entscheidung war für das frühneuzeitliche Hochschulwesen so prägend und Epoche machend, dass der Göttinger Professor für Weltweisheit Christoph Meiners über sie in seiner mehrbändigen, zwischen 1802 und 1805 veröffentlichten Geschichte der Entstehung und Entwickelung der hohen Schulen unsers Erdtheils wie folgt berichtete: „Die Statuten aller deutschen hohen Schulen überließen den Facultäten bis in das siebenzehnte, ja bis in das achtzehnte Jahrhundert hinein die Austheilung nicht bloß der Materien, sondern auch der Stunden, so wie die Entscheidung der Streiten, die darüber entstehen könnten. […] Erst in den neusten Zeiten haben die Lehrer der Protestantischen hohen Schulen die Freyheit erhalten, Vorlesungen und Stunden zu wählen, wie sie wollen.“114
112 Diese Lehr- und Zensurfreiheit im 18. Jahrhundert ist ein ständig betontes Merkmal der Universität zu Göttingen, das seit ihrer Gründung hervorgeht und bereits von vielen Historikern betont wurde. Dazu siehe beispielsweise: Kraus: Vernunft und Geschichte, S. 164; Ebel: Memorabilia Gottingensia, S. 155; van Dülmen: Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, S. 194; Hammerstein: „Universitäten,“ S. 373. 113 „Nachträgliches Votum Münchhausens über die Einrichtung der Universität in der Sitzung des geheimen Raths-Collegium“ [1733 April. 16.], in: Rössler: Die Gründung der Universität Göttingen, S. 37. Dies ist drei Jahre später offiziell reglementiert worden, wie aus dem Königlichen Großbritannischen Kurfürstlich Braunschweig-Lüneburgischen Privileg, datiert vom 7. Dezember 1736, hervorgeht: „So declariren und versprechen Wir hiermit […] [, dass] jede bey solcher Unserer Universität zu Göttingen bestellete und künfftig weiter zu bestellende Professores, Lehr- und Exercitien-Meister, wie die Namen haben, keinen davon ausgenommen, zu ewigen Zeiten vollkommene unbeschränkte Freyheit, Befugniß und Recht haben sollen, öffentlich und besonders zu lehren, respective Collegia publica und privata zu halten […].“ Vgl. „Königlich GrossBritannisches Kurfürstlich Braunschweig-Lüneburgisches Privileg vom 7. Dezember 1736,“ in: Ebel, Wilhelm (Hg.): Die Privilegien und ältesten Statuten der Georg-August-Universität zu Göttingen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1961, S. 28-39, hier S. 29. 114 Dieser Topos der Göttinger akademischen Politik wurde von Meiners folgendermaßen dargelegt: „Auch in Göttingen hatten im J[ahr] 1739. die gemeinschaftlichen Berathschlagungen die Folge, daß, wenn Einer ein Collegium las, die Uebrigen sich davon enthielten: weßwegen auch Herr von Münchhausen den Wunsch äußerte, daß Mehrere über ein und dasselbige Fach lesen möchten.
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Darüber hinaus entstand in Göttingen zusammen mit der Lehrfreiheit eine – auch nach Meiners’ Darlegung – „heilsame Concurrenz“115 zwischen den Professoren, die an der Philosophischen Fakultät „auf die Spitze getrieben“116 wurde. Dies führte nicht selten zu einem fast kriegerischen Zustand zwischen den Dozenten, der sicherlich eine methodisch bzw. wissenschaftlich verankerte Ebene hatte, in dem es aber auch um eine Mischung aus „Platzhirsch-Attitüden und Brotneid“117 ging. Dazu berichtete Meiners 1802: „Dieselbige Concurrenz, welche einen hinlänglichen Vorrath von gelehrter Waaren veranlaßt, erhält auch mäßige Preise derselben. So bald Jemand für den Unterricht in irgend einer Wissenschaft, oder Kunst und Sprache einen zu hohen Preis fordert; so veranlaßt er Einen, oder den Andern, daß er denselbigen Unterricht um ein mäßigeres Honorarium anbietet. Ist aber der Unterricht Eines Mannes, der kein ausschließliches Fach hat, so eminent vortrefflich, daß keiner mit ihm die Concurrenz aushalten kann; so ist es billig, daß ein solcher Lehrer sich die ungewöhnliche Güte seines Unterrichts auch ungewöhnlich vergelten lassen.“118
Eine solche ambivalente Konkurrenzlandschaft trug dazu bei, dass das Lehrangebot der Philosophischen Fakultät in Göttingen zum einen sehr vielfältig, sich zum anderen aber auch auf bedeutende Fächer verdichtete. Diese Logik war außerdem in einer breiteren Perspektive einleuchtend, wenn man
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Man besetze also alle Facultäten mit so vielen tüchtigen Männern, daß da, wo es seyn kann, eine heilsame Concurrenz entstehe.“ Vgl. Meiners, Christoph: Ueber die Verfassung und Verwaltung deutscher Universitäten, Bd. 2, Göttingen: Johann Friedrich Röwer 1802, hier S. 125. Zwei Jahre später ließ Meiners das gleiche Urteil wieder drucken. Vgl. Meiners, Christoph: Geschichte der Entstehung und Entwickelung der hohen Schulen unsers Erdtheils, Bd. 3, Göttingen: Johann Friedrich Röwer 1804, S. 257-258. Meiners: Geschichte der Entstehung und Entwickelung der hohen Schulen unsers Erdtheils, Bd. 1, 1802, S. 207. Saada: „Die Universität Göttingen,“ S. 43. Joost: „Göttinger Gelehrtengezänk,“ S. 55. Meiners: Ueber die Verfassung und Verwaltung deutscher Universitäten, Bd. 2, 1802, S. 126. Die Aussage Meiners’ verdichtet eigentlich „eines homogenen Zusammenspiels von Bildung, Institution und Wissen, das auch noch Geld brachte.“ Zu diesem aus der Feder vom Hofkammerrat Friedrich Philipp Carl Bölls stammenden Prinzip, nach dem die Universität eine Fabrik sei, und deren Überschneidungen mit Münchhausens Universitätspolitik siehe: Gierl, Martin: „Die Universität als Aufklärungsfabrik. Über Kant, gelehrte Ware, Professoren als Fabrikgesellen und darüber, wer die universitätshistorisch herausragende programmatische Schrift des 18. Jahrhunderts in Wirklichkeit geschrieben ist,“ in: Historische Anthropologie 13 (2005), S. 367-375, hier S. 370.
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die Landkarte des gesamten deutschsprachigen Hochschulwesens berücksichtigt. Die Georgia Augusta konnte, „[…] was die Philosophie betraf, nicht mit Königsberg oder Jena konkurrieren, fand dafür aber in der Rechtswissenschaft und der Altphilologie, den Naturwissenschaften und der Anthropologie, der Geschichte und der ‚Statistik‘ nicht ihresgleichen.“119
In Ansätzen schon am Ende der 1760er und im besonderen in den 1770-80er Jahren war Göttingen das bedeutendste Zentrum „der entstehenden Geschichtswissenschaft im deutschsprachigen Raum“ geworden,120 wo ein langfristiger Prozess der Institutionalisierung und respektive Verwissenschaftlichung der Geschichte erfolgte – je nachdem was unter Wissenschaft verstanden wird.121 Damals verlangten die erfahrungswissenschaftlichen,
119 Marino: Praeceptores Germaniae, S. 5. 120 Jaeger, Friedrich/Rüsen, Jörn: Geschichte des Historismus, München: Beck 1992, S. 15. Diese Interpretation verfügt bereits über eine lange historiographiegeschichtliche Tradition. Zu Göttingen als Zentrum des akademischen Geschichtsdenkens in den deutschsprachigen Ländern siehe auch: Iggers, Georg G.: New Directions in European Historiography, Middletown: Wesleyan University Press 1975, S. 12; Reill, Peter Hanns: The German Enlightenment and the Rise of Historicism, Berkeley u.a.: University of California Press 1975, S. 8. Auch Wilhelm Dilthey hatte bereits im Jahr 1901 Göttingen als der „Hauptsitz der historischen Studien in Deutschland“ vorgestellt. Vgl. Dilthey, Wilhelm: „Das achtzehnte Jahrhundert und die geschichtliche Welt,“ S. 261. Auch: Ihle, Alexander: Christoph Meiners und die Völkerkunde, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1931, S. 6; Hunger, Kurt: Die Bedeutung der Universität Göttingen für die Geschichtsforschung am Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts, Berlin: Ebering 1933. 121 Über Göttingen redet Georg Iggers im Sinne von einer früheren Etappe – sprich: einer ersten Stufe – der Professionalisierung der historischen Disziplin. Vgl. Iggers, Georg G.: „The University of Göttingen 1760-1800 and the Transformation of Historical Scholarship,“ in: Storia della Storiografia 2 (1982), S. 11-37, hier S. 34. In den 1980er und 1990er fand eine Debatte über den Anfang der modernen Geschichtswissenschaft statt, die sich anhand von einem (oder zwei) wissenschaftlichen Paradigma(en) darstellen lässt: Von Aufklärung zum Historismus. Da der heutige Stand der Forschung eher eine Interpretation von Diskontinuitäten innerhalb einer Kontinuität nahelegt, halte ich es hier für unnötig, eine ausführliche Bilanz der Kontinuitäts- und Diskontinuitätsthesen darzustellen. Die Zielsetzung der vorliegenden Studie erlaubt mir sowohl von einem Institutionaliserungs- als auch von einem Verwissenschaftlichungsprozess der Geschichte als akademischer Fachdisziplin zu reden. Zur hier erwähnten Debatte siehe: Blanke, Horst Walter/Rüsen, Jörn (Hg.): Von der Aufklärung zum Historismus. Zum Strukturwandel des historischen Denkens, Paderborn u.a.: Ferdinand Schöningh 1984; Blanke/Fleischer: „Artikulation bürgerlichen
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empirischen Methoden der Kameralwissenschaften und der Statistik von der Geschichte einen stärkeren Gegenwartsbezug, oder auch vice versa: Sie lieferten dem historischen Denken gegenwartsbezogene Impulse in weltumspannender Dimension. Das neue Programm der Universität zu Göttingen ermöglichte diese Schritte, anhand dessen den Göttinger Gelehrten bereits „eine bestimmte nicht nur institutionelle, sondern auch intellektuelle[n] Kohärenz“122 zugeschrieben wurde. In meiner Arbeit möchte ich eine Akzentverschiebung von der Kohärenz hin zur Konkurrenz aufzeigen, die sich in gedruckter Form besonders in den Vorlesungsverzeichnisse nachweisen lassen.
4 B ESTIMMUNG DES Q UELLENKORPUS UND G LIEDERUNG DER ARBEIT Die Tradition, eine regelmäßige Ankündigung des Lehrangebots einer Hochschule im Alten Reich zu veröffentlichen, gibt es seit dem 16. Jahrhundert, als die katholische Universität in Dillingen im Jahr 1564 ein Vorlesungsverzeichnis einführte, wenngleich nicht die Namen der Professoren
Emanzipationsstrebens und der Verwissenschaftlichungsprozeß der Historie“; Blanke, Horst Walter: Historiographiegeschichte als Historik, Stuttgart/Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1991; Iggers, Georg G.: „Ist es in der Tat in Deutschland früher zur Verwissenschaftlichung der Geschichte gekommen als in anderen europäischen Ländern?,“ in: Wolfgang Küttler/Jörn Rüsen/Ernst Schulin (Hg.), Geschichtsdiskurs, Bd. 2: Anfänge modernen historischen Denkens, Frankfurt a.M.: Fischer 1994, S. 73-86. Siehe auch die Beiträge von Peter Hanns Reill, Horst Walter Blanke, Gerrit Walther, Jörn Rüsen und Ulrich Muhlack in: Oexle, Otto Gerhard/Rüsen, Jörn (Hg.): Historismus in den Kulturwissenschaften. Geschichtskonzepte, historische Einschätzungen, Grundlagenprobleme, Köln u.a.: Böhlau 1996. Auch auf Grund dieser Forschungsproblematik kann die Dissertationsschrift Stefan Jordans eingeordnet werden. Vgl. Jordan, Stefan: Geschichtstheorie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Schwellenzeit zwischen Pragmatismus und Klassischem Historismus, Frankfurt a.M./New York: Campus 1998. 122 Iggers, Georg G.: „Die Göttinger Historiker und die Geschichtswissenschaft des 18. Jahrhunderts,“ in: Mentalitäten und Lebensverhältnisse. Beispiele aus der Sozialgeschichte der Neuzeit. Rudolf Vierhaus zum 60. Geburtstag, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1982, S. 385-398, hier S. 386. Iggers vertritt dennoch, dass „[e]ine Göttinger historische Schule […] es eigentlich nicht gegeben“ habe.
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neben der publizierten Lehrmaterie erschienen.123 Nicht alle Universitäten im Alten Reich sind der Innovation Dillingens sofort gefolgt. Indessen gab die viel später gegründete Georgia Augusta bereits vor ihrer offiziellen Einweihung ein Vorlesungsverzeichnis heraus. Obwohl die Ankündigungen der einzelnen Lektionen eher Zeugnis von den Absichten waren, akademische Veranstaltungen durchzuführen, da manche veröffentlichte Kollegia dann aus den unterschiedlichsten Gründen nicht zustande gekommen sind,124 können die universitären Vorlesungsverzeichnisse nichtsdestotrotz als „eine der bedeutsamsten Quellengattungen für die wissenschafts- und disziplingeschichtliche Forschung“125 verstanden werden. Lehrankündigungen bzw. – absichten sind von großer Bedeutung, weil sie zum einen Indizien über das Lehr- und Forschungsprofil einer Universität geben. Zum anderen enthalten sie auch Informationen über das zu lehrende Material bzw. das Lehrwerk. Im Falle von Göttingen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sind die Lektionsankündigungen außerdem ein Beweis der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen und methodischen Herangehensweisen in der jeweiligen fachlichen Materie, des Weiteren aber zeugen sie sowohl von der Suche nach geeigneten Studenten als auch von deren akademischen Ansprüchen. Die Universität zu Göttingen veröffentlichte im Verlauf des 18. Jahrhunderts parallel zwei Vorlesungsverzeichnisse, die sowohl von der Struktur als
123 Rasche, Ulrich: „Seit wann und warum gibt es Vorlesungsverzeichnisse an den deutschen Universitäten?,“ in: Zeitschrift für Historische Forschung 36 (2009), S. 445-478, hier S. 449. 124 Boockmann, Harmut: „Geschichtsunterricht und Geschichtsstudium in Göttingen,“ in: Harmut Boockmann/Hermann Wellenreuther (Hg.), Geschichtswissenschaft in Göttingen. Eine Vorlesungsreihe, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, S. 161-185, hier S. 162. 125 Huttner, Markus: „Vorlesungsverzeichnisse als historische Quelle. Zu Entstehungsgeschichte, Überlieferungslage und Aussagewert Leipziger Lektionskataloge vom 17. zum 19. Jahrhundert,“ in: Ulrich von Hehl (Hg.), Sachsens Landesuniversität in Monarchie, Republik und Diktatur. Beiträge zur Geschichte der Universität Leipzig vom Kaiserreich bis zur Auflösung des Landes Sachsens 1952, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2005, S. 51-71, hier S. 70. Zu Vorlesungsverzeichnissen als eine Quellengattung für die universitätsgeschichtliche Forschung siehe auch: Jüttner, Franziska/Steyer, Kristina: „Professoren in der Pflicht. Vorlesungsverzeichnisse und Rechenschaftsberichte,“ in: Jens Bruning/Ulrike Gleixner (Hg.), Das Athen der Welfen. Die Reformuniversität Helmstedt 1576-1810, Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek 2010, S. 98105. Horst Walter Blanke hat ausführliche bibliographische Hinweise zu den abgedruckten Vorlesungsverzeichnissen in deutschsprachigen Universitäten herausgegeben. Siehe: Blanke, Horst Walter: „Bibliographie der in periodischer Literatur abgedruckten Vorlesungsverzeichnisse deutschsprachiger Universitäten [1700-1926],“ 4 Teile, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 6 (1983), S. 205-227; 10 (1987), S. 17-43; 11 (1988), S. 105-117; 13 (1990), S. 31-34.
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auch von der Sprache her unterschiedlich verfasst waren. Auf dem amtlichen, lateinischen Lektionskatalog wurde nur das Lehrangebot der ordentlichen Professoren angezeigt und die Veranstaltungen sind prinzipiell nach Alter und Rang der Dozenten innerhalb einer Fakultät aufgelistet worden. Tendenziell wurde im catalogus praelectionum zuerst genannt, wer am längsten Professor an der Georgia Augusta war. Auf den Seiten der Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen wurde dagegen das Lehrangebot sowohl der ordentlichen als auch außerordentlichen Professoren ebenso wie der Doktoren, Magister und Privatdozenten veröffentlicht. Die Veranstaltungen wurden hier zunächst nach Fakultäten geordnet, ab dem Sommersemester 1756 nach fachspezifischen Gruppen. Während zuvor die Lehrveranstaltungen zur Weltweisheit, Geschichte und Philologie zusammen angegeben wurden, taucht ab diesem Zeitpunkt beispielsweise das Fach Geschichtskunde in dem Vorlesungsverzeichnis auf. Angegeben wurden hier nicht nur die Dozenten und das Thema einer öffentlichen oder privatissime stattfindenden Vorlesung, sondern neben der Uhrzeit manchmal auch das der Veranstaltung zugrunde liegende Handbuch. In der Regel wurden die Ankündigungen in deutscher Sprache nach der Materie sortiert, aber hin und wieder wurden auch die anderen Kollegia eines Dozenten neben der ersten Erwähnung seines Namens hinzugefügt, wahrscheinlich aus Platzgründen, „[…] weil die gelehrten Anzeigen jedes halbe Jahr [nur] einen Bogen [kostenfrei] zu dem deutschen Lections-Verzeichnisse hergaben.“126 Aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht ergänzen sich beide Lektionskataloge und stellen deshalb die Ausgangsbasis für die Erstellung des Quellenkorpus der vorliegenden Studie dar. Die Veröffentlichung des akademischen Lehrangebotes diente der Disziplinierung von Studenten und Professoren, die in Göttingen, wie bereits erläutert, vier Wochenstunden an öffentlichen Vorlesungen zu halten verpflichtet waren und dafür eine Grundbesoldung erhielten. Die Vorlesungsverzeichnisse im Zeitalter aufklärerischer Öffentlichkeit verstanden sich weiterhin auch als Universitätswerbung: Sie „sollten öffentlich Zeugnis über die Leistungsfähigkeit der Universität ablegen und dadurch Universitätsbesucher anlocken.“127 Darüber hinaus konnte die Veröffentlichung der universitären Vorlesungsverzeichnisse im Kontext einer anwachsenden, aufklärerischen Kommunikation ebenso als ein Mittel des familiären Austauschs und des Sozialkontakts wahrgenommen werden. Die Eltern konnten sich über die geplanten Vorlesungen mit ihren in Göttingen befindlichen Kindern austauschen und die gedruckten Bögen dienten für die Studenten ferner als ein Beweis, dass sie „auf dieser oder jener berühmten Universität dieses
126 Meiners: Ueber die Verfassung und Verwaltung deutscher Universitäten, Bd. 2, 1802, S. 127. 127 Rasche: „Seit wann und warum gibt es Vorlesungsverzeichnisse an den deutschen Universitäten?,“ S. 457.
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oder Jenes gelehrt habe[n].“128 In einer wissenschaftsgeschichtlichen Perspektive erweisen sich die akademischen Vorlesungsverzeichnisse ab Mitte des 18. Jahrhunderts außerdem als besonders relevant, weil sie das Emanzipationsstreben des reformierten spätaufklärerischen Hochschulwesens vom scholastischen Lehrkanon bezeugen. Während auf diese Weise einerseits die Förderung pragmatisch orientierter Erkenntnisse zur Etablierung neuer – sprich: nicht kanonischer – Disziplinen beitrug, förderte die institutionell verankerte Konkurrenz zwischen den Dozenten andererseits eine Ausdifferenzierung des Lehrangebots.129 Die Begrifflichkeiten, die in der Veröffentlichung des Lehrangebots verwendet werden, verweisen bereits auf eine bedeutsame Problematik. In seiner akademischen Gelehrtengeschichte der Universität zu Göttingen beschreibt 1788 Johann Stephan Pütter (1725-1807) die historische Lehrstunde an der Georgia Augusta wie folgt: „Die allgemeine Weltgeschichte oder so genannte Universalhistorie lehrt Hofr. Gatterer im Sommer um 4., im Winter um 3., wobey er seinen kurzen Begriff der Weltgeschichte zum Grunde legt, und ebenfalls die bey der historischen Encyclopädie erwehnten genealogischen Ländertafeln, synchronistischen Tabellen und Planigloben zu besserer Uebersicht des Ganzen mitgebracht. Auch wird die Weltgeschichte im Sommer um 4. von Hofr. Schlözer, im Winter um 3. von Prof. Spittler vorgetragen. Und noch eine Art von Weltgeschichte ist in den bereits erwehnten Lehrstunden des Prof. Meiners enthalten, die er im Winter um 4. über die Geschichte der Menschheit und im Sommer um 9. über die Geschichte der Religionen zu halten pflegt.“130
Die Worte Pütters machen deutlich, dass es damals die Schwierigkeit gab, die Veranstaltungen – und somit die dafür verfassten Lehrbücher – auseinander zu halten. Diese begrifflichen Unklarheiten lassen sich nicht nur in der Programmbestimmung spätaufklärerischer Geschichtsschreibung nachvollziehen, sondern auch durch die institutionellen Ankündigungen bestätigen. Zum Wintersemester 1791/92 ist die Vorlesung zur Geschichte der Menschheit unüblicherweise unter den Veranstaltungen der ‚Weltweisheit‘ angezeigt worden, während die allgemeine Weltgeschichte unter ‚Geschichte mit den Hülfswissenschaften‘ eingeordnet wurde.131
128 Meiners: Ueber die Verfassung und Verwaltung deutscher Universitäten, Bd. 2, 1802, S. 126-127. 129 Vgl. Blanke: „Bibliographie der in periodischer Literatur abgedruckten Vorlesungsverzeichnisse deutschsprachiger Universitäten [1700-1926],“ Teil 1, S. 206; Huttner: „Vorlesungsverzeichnisse als historische Quelle,“ S. 52. 130 Pütter: Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der GeorgAugustus-Universität zu Göttingen, Bd. 2, 1788, §. 239, S. 343-344. 131 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 154. Stück, 14. September 1791, S. 1549.
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Sowohl aus dem 18. Jahrhundert als auch aus der heutigen Forschung stammen viele Versuche, diese fachspezifische Terminologie genauerer zu bestimmen. Zu dieser verzwickten Begrifflichkeit äußert sich Reinhart Koselleck wie folgt: „Rein wortgeschichtlich ist der Übergang von der ‚Universalhistorie‘ zur ‚Weltgeschichte‘ gleitend und ohne allzu großen Nachdruck vollzogen worden. Beide Termini konnten im 18. Jahrhundert sehr wohl alternativ verwendet werden.“132 Auch auf die gleiche strukturelle terminologische Schwierigkeit weist bereits Annette Meyer hin. Sie versucht, vier unterschiedliche Auffassungen von Menschheitsgeschichte in der Spätaufklärung zu differenzieren, die sich dennoch überschneiden können. Schematisch lassen sie sich folgendermaßen darstellen: •
• •
•
Natural History of Man, die den Menschen – sowohl als Individuum als auch als Gattung – in die Natur einschließt, indem die physischen Unterschiede zwischen den Völkern berücksichtigt werden sollten; Weltgeschichte, die die geographischen und ethnologischen wissenschaftlichen Elemente für die Untersuchung der Fremdheit bündelt; Universalhistorie bzw. Universalgeschichte, die sich schwer von der Weltgeschichte unterscheiden lässt und die im deutschsprachigen Raum von Schlözer betrieben wurde; Menschheitsgeschichte bzw. Geschichte der Menschheit, die keinen methodischen Anspruch der Geschichtswissenschaft bedient, da die philosophischen Betrachtungen die Konturen dieser Variante verleihen sollen.133
Die Universalgeschichte wurde außerdem als Geschichte politischer Begebenheiten der Hauptnationen der Welt definiert, während sich die Geschichte der Menschheit auch den ‚Wilden und Barbaren aller Erdtheile‘ aus kultureller oder naturgeschichtlicher Sicht widmet.134 Eine andere mögliche Differenzierung versucht Gérard Laudin, indem er darauf hinweist, dass der Begriff ‚Mensch‘ im Titel keiner ‚Fachhistoriker‘ auftauche: „Übliche Titel der von Geschichtsprofessoren verfassten Werke enthalten stattdessen abwechselnd die Elemente ‚Universalhistorie‘, ‚Weltgeschichte‘ oder ‚allge-
132 Vgl. Koselleck: „Die Herausbildung des modernen Geschichtsbegriffs“ [Art.: „Geschichte, Historie“], S. 686. 133 Vgl. Meyer, Annette: „The Experience of Human Diversity and the Search for Unity. Concepts of Mankind in the Late Enlightenment,“ in: Cromohs 8 (2003), S. 1-15. 134 Vgl. bspw.: D’Alessandro, Giuseppe: L’Illuminismo dimenticato. Johann Gottfried Eichhorn (1752-1827) e il suo tempo, Napoli: Liguori 2000, S. 235: „La storia dell’umanità invece non si occupa delle azioni umane nelle diverse epoche, ma piuttosto della struttura antropologica e delle caratteristische comportamentali dell’uomo […].“
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meine Geschichte‘.“135 Vor diesem Hintergrund zeigt Jörn Garber bereits Affinitäten zwischen der Geschichte der Menschheit, der Kulturgeschichte und der Universalhistorie auf, die auf Grund der Beeinflussung von einem anderen spätaufklärerischen Fach, nämlich der Statistik, nachvollziehbar sind.136 Schon in jüngster Zeit führen Hans Erich Bödeker, Philippe Büttgen und Michel Espagne aus, wie sich „[d]ie entstehenden Universal- bzw. Weltgeschichten einerseits und die Menschheitsgeschichten andererseits […] grundlegend in ihren Erkenntnisinteressen und in ihren Epistemologien“ unterscheiden lassen.137 Ein „Rückgang des Begriffs der allgemeinen Geschichte gegenüber dem Begriff der Universalgeschichte“ sei Stefan Jordan zufolge „in der Schwellenzeit“ – also, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – zu erkennen. „Der Gebrauch des Wortes Weltgeschichte hält sich dagegen relativ konstant durch. Dies folgt aus seiner Eigenschaft als Synonym sowohl für die allgemeine Geschichte als auch für die Universalgeschichte,“ stellt Jordan fest.138 Diese Typologie hat zwar ihre wissenschaftsgeschichtliche Relevanz und je nachdem wie sie sich im Untersuchungsziel ankoppeln lässt, ebnet sie den Weg für treffsichere Forschungsergebnisse. Wie aber eingangs erklärt, stehen die Versuche, konkurrierende historiographische Formen zu bestimmen, im Zentrum der vorliegenden Studie. Deshalb wird hier ganz bewusst darauf verzichtet, im Vorfeld eine schärfere Ausdifferenzierung zwischen den oben genannten gelehrten Fächern vorzunehmen. So werden hier die Termini Weltgeschichte, Universalgeschichte, Universalhistorie oder Geschichte der Menschheit nicht voneinander abgegrenzt, um die Differenzierung von Wissensformen auf der Basis eines gemeinsamen Wissensprinzips und dessen operationalisierbaren drei Hauptrichtungen untersuchen zu können. Solch ein Ausgangspunkt ist ferner begründbar, da, erstens, diese Terminologie von den Geschichtsschreibern im ausgehenden 18. Jahrhundert nicht selten als synonym gebraucht wurde, wobei auch Differenzierungen programmatisch eingeführt worden sind. Häufig erschien es so, als wollte damals ein Dozent in Göttingen sein Lehrbuch durch eine neue Form oder mit der Aktualisierung einer Tradition der Geschichtsschreibung von der Konkurrenz abheben. Beide Verfahrensweisen werden auf den kom-
135 Vgl. Laudin, Gérard: „Gatterer und Schlözer: Geschichte als ‚Wissenschaft vom Menschen‘?,“ in: Hans Erich Bödeker/Philippe Büttgen/Michel Espagne (Hg.), Die Wissenschaft vom Menschen in Göttingen um 1800. Wissenschaftliche Praktiken, institutionelle Geographie, europäische Netzwerke, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008, S. 393-418, hier S. 393-394. 136 Dazu siehe: Garber: „Von der Menschheitsgeschichte zur Kulturgeschichte,“ S. 411. 137 Vgl. Bödeker/Büttgen/Espagne: „Die ‚Wissenschaft vom Menschen‘ in Göttingen um 1800. Skizze der Fragestellung,“ S. 16. 138 Vgl. Jordan: Geschichtstheorie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, S. 110.
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menden Seiten mehrfach gezeigt. Dies beachtend kann das gesamte Lehrangebot mit weltgeschichtlichem Inhalt an der Georgia Augusta Universität zu Göttingen für den Zeitraum zwischen 1756 – seitdem die akademischen Veranstaltungen nach fachspezifischen Gruppen geordnet wurden – und 1815 – als hier noch eine Wende in der historiographischen Produktion zu begründen sei – schematisch wie folgt zusammengefasst werden:139 Abbildung 1: Jährliche Anzahl der angekündigten akademischen Veranstaltungen mit weltgeschichtlichem Inhalt an der Georgia Augusta Universität zu Göttingen (1756-1815) 14 12 10 8 6 4 2 0 1760 1765 1770 1775 1780 1785 1790 1795 1800 1805 1810 1815
Das Diagramm (Abb. 1) zeigt die jährliche Anzahl der angekündigten akademischen Veranstaltungen mit weltgeschichtlichem Inhalt an der Georgia Augusta Universität zu Göttingen auf. Die diesen Veranstaltungen zugrunde liegenden Lehrbücher machen den Kern des Quellenkorpus der vorliegenden Studie aus. Daher werden im Folgenden die dem Diagramm unterliegenden Kriterien im Folgenden dargestellt und die Bestimmung des Quellenkorpus dieser Arbeit erläutert. Es wurden zunächst alle Lehrankündigungen berücksichtigt, die die Termini Weltgeschichte, Universalhistorie, Universalgeschichte oder Geschichte der Menschheit im Titel trugen. In einigen Fällen hat mir der lateinische Katalog erlaubt, auch unter anderen Namen angebotene Veranstaltungen in diesem Themenfeld aufzulisten und somit die Schriften entsprechender Dozenten in das zu untersuchende Material mit einzubeziehen. So wurde etwa
139 Für eine ausführliche Auflistung der akademischen Veranstaltungen mit weltgeschichtlichem Inhalt in Göttingen, die diesem Diagramm zu Grunde liegen, siehe „Anhang.“
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die „Geschichte in ihrem ganzen Umfange“ auf Latein als historiae universae von August Ludwig Schlözer angekündigt. Das gleiche gilt für die „Allgemeine neuere Geschichte“ und die „Geschichte der alten Welt bis zur Völkerwanderung,“ die als historiam recentiorem universalem und als historiam universalem seu antiquam angeboten wurden. •
•
Hier wurden nur die akademischen Veranstaltungen berücksichtigt, die unter den fachspezifischen Gruppen „Geschicht[s]kunde,“ „Geschichte mit den Hülfswissenschaften“ oder noch „Historische Wissenschaften“ aufgeführt wurden. Eine einzige Ausnahme musste hier dennoch gemacht werden, wovon eigentlich bereits die Rede war: Christoph Meiners’ Kolleg zur Geschichte der Menschheit ist in der Regel als eine Veranstaltung der „Geschichte mit den Hülfswissenschaften“ angekündigt worden, es kam aber für diesen Zeitraum viermal vor, dass es unter „Weltweisheit“ aufgelistet wurde. Obgleich das Wort universale im Titel Gottfried Achenwalls (1719-72) Vorlesungen im Jahr 1758 vorkommt, greift diese Veranstaltung auf die Thematik zur europäischen Staatengeschichte zurück und wird hier deshalb nicht berücksichtigt. Im Sommer las Achenwall über historiam europae universale nach seinen Grundsätzen der Europäischen Geschichte zur politischen Kenntniß der heutigen vornehmsten Staaten und im Winter über historiam europae universalem recentiorem nach seiner Geschichte der allgemeineren Europäischen Staatshaendel des vorigen und jetzigen Iahrhunderts. Dieser operationelle Ausschluss soll aber nicht bedeuten, dass hier Achenwalls Stellungnahme zur Statistik und dessen Einfluss über die Göttinger Weltgeschichtsschreibung in der Analyse anderer akademischen Veranstaltungen vernachlässigt wird. Auch Johann Gottfried Eichhorns (1752-1827) „Geschichte der Cultur des neuern Europa“ (Wintersemester 1792/93), „Cultur-Geschichte des neuern Europa“ (Sommersemester 1794) und – so der Tendenz zufolge – seine „allgemeine Cultur-Geschichte“ (Sommersemester 1795) waren von vornherein auf Europa beschränkt.140
140 Eichhorns Vorlesung zur neueren Geschichte im Sommersemester 1801 wurde auch nicht in das zu untersuchende Quellenkorpus mit einbezogen, weil keine weitere Erklärung zu ihrem eigentlichen Thema bekannt gegeben wurde. Das Thema dieser Veranstaltung folgt weder Eichhorns Regelmäßigkeit, über die historiam recentiorem universalem im Wintersemester zu lesen, noch gleicht das Thema seiner Vorlesung über die „Allgemeine Weltgeschichte vom ersten Anfange der Geschichte des Menschengeschlechts bis auf unsere Zeiten,“ welche erst im Sommersemester 1802 erfolgte. Auch ohne weitere Hinweise auf möglichen weltgeschichtlichen Inhalt kann man im Göttinger Vorlesungsverzeichnis Hr. M. Lehnes Kollegia zur „Geschichte des 18. Jahrhunderts, mit Hinsicht auf die Bildung und Veränderungen des Zeitalters und seines Geistes“ (Sommersemester 1799) und zur „Geschichte der Aufklärung und Cultur unse-
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•
•
Ähnliches gilt auch für die Veranstaltungen, die als „Encyclopädie der Historie,“ „Historische Encyclopädie,“ „Encyclopädie der historischen Wissenschaften“ oder noch als „Propädeutik der Geschichte“ vornehmlich von Johann Christoph Gatterer und Christian Friedrich Rühs angekündigt wurden: Obwohl sie in der Regel ebenfalls die Welt- bzw. Universalgeschichte behandelten,141 werden sie hier zwar in die Analyse, aber weder im oberen statistischen Diagramm noch in die ausführliche Auflistung des Lehrangebots mit weltgeschichtlichem Inhalt an der Georgia Augusta Universität zu Göttingen einbezogen, die dieser Studie als Anhang beigefügt ist. Johann Philipp Murray (1726-76) las im Sommersemester 1757 parallel zu seiner Universalhistorie nach dem Cellarischen Lehrbuch auch „[d]ie allgemeine Geschichte des jetzigen Jahrhunderts,“ welche in den zwei darauffolgenden Sommersemestern wieder angeboten wurde. Im Sommersemester 1762 tauchte der Kurs im Lehrkatalog als die neueste Geschichte auf, wobei er sich auf die allerneueste Europäische Geschichte beschränkte. Über die europäische Geschichte las er weiterhin sowohl im Wintersemestern 1762/63 als auch 1763/64, zuerst nach Gebauer, danach „nach seinem Handbuch, das er will drucken lassen.“ Daher werden diese Veranstaltungen hier nicht berücksichtigt und eher in die Tradition der Staatengeschichte eingeordnet.
Trotz der Kriterien müssen für die Erstellung des Quellenkorpus der vorliegenden Studie einige Ausnahmen gemacht werden. •
Christoph Meiners’ im Wintersemester 1784 angekündigte Veranstaltung zur „Entstehung und allmähliche[n] Verbreitung des menschlichen Geschlechts, als die ursprünglichen Verschiedenheiten aller Völker in
res Zeitalters, als den zweyten Theil der Geschichte des 18. Jahrhunderts“ (Wintersemester 1799/1800) finden. Da diese Veranstaltungen den hier aufgeführten Kriterien nicht entsprechen, werden sie im Rahmen der Analyse nicht weiter berücksichtigt. 141 Dazu gab bereits Johann Stephan Pütter in seiner Geschichte der Universität zu Göttingen nähere Informationen: „Das unter dem Namen einer historischen Encyclopädie erst vor einiger Zeit vom Hofr. Gatterer angefangene Collegium (§. 119. II. S. 157.), das er im Sommer um 3., im Winter um 1. hält, verdient hier noch eine eigene Beschreibung. Es begreift nicht bloß das, was man gewöhnlich unter dem Worte Encyclopädie versteht, nehmlich allgemeine Uebersicht, Methode und Litteratur der historischen Kenntnisse; sondern es enthält vielmehr den Kern sowohl von den so genannten historischen Hülfswissenschaften, der Heraldik, Geographie, Chronologie, Diplomatik, Numismatik und Genealogie, als auch von der allgemeinen Völker- und Menschengeschichte.“ Vgl. Pütter: Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der GeorgAugustus-Universität zu Göttingen, Bd. 2, 1788, §. 238, S. 340.
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Rücksicht auf ihre körperlichen und geistigen Anlagen“ wurde hier aufgeführt, weil diese seiner Vorlesung zur „Geschichte der Menschheit“ entspricht, wie er ein Semester später bekannt geben hat. Aufgrund einer semantischen Annäherung zu den für die Fragestellung dieser Studie relevanten Termini Welt und Menschheit gelten ferner die folgenden angekündigten Veranstaltungen als Geschichtsvorlesungen mit weltgeschichtlichem Inhalt: August Ludwig Schlözers „Die wichtigsten Weltbegebenheiten,“ Wilhelm Kerns „Ueber die Aufklärung und das Fortschreiten der Menschheit zum Bessern“ und „Historisch-philosophischer Abriß der durch die Cultur bewirkten Geistesbildung der Menschheit.“ Eine Erläuterung verdienen auch die Vorlesungen von Arnold Hermann Ludwig Heeren.142 Zwischen dem Sommersemester 1796 und dem Wintersemester 1801 trugen die akademische Lehrangebote Heerens entweder in deutscher oder in lateinischer Sprache die Namen „UniversalHistorie,“ „Universal-Geschichte“ oder auch historiam universalem. Ab dem Sommersemester 1802 bot der Gelehrte folgende Vorlesungen regelmäßig an: „Allgemeine Länder- und Völkerkunde, oder ein[] crit[ischer] und systemat[ischer] Inbegriff unserer gegenwärt[igen] Kenntnisse der Erde u[nd] der sie bewohnend[en] Völker“ sowie „Die Geschichte der Europ[äischen] Staaten u[nd] ihrer Colonien, vom 16. bis zum 19. Jahrh[undert].“ Beide versprechen eine weltgeschichtliche Thematik und trugen im lateinischen Titel die Wörter universam bzw. universale, weshalb sie hier berücksichtigt worden sind. Man könnte an dieser Stelle auch argumentieren, dass Heerens historiam europae universale aus dem gleichen Grund wie Achenwalls gleich benannte Vorlesung zur Seite gelegt werden sollte. Diese wurde aber im Fall Heerens durch das Prädikat „u[nd] ihrer Colonien“ [eiusque coloniarum] ergänzt, weshalb sie hier berücksichtigt wird.
Wie aus dem Diagramm hervorgeht, ist die Zunahme der Lehrveranstaltungen in Göttingen zum Thema der Weltgeschichte zwischen 1770 und 1807 auffällig (vgl. Abb. 1). Dabei sind diese Lehrveranstaltungen nicht nur in ihrer absoluten Zahl, sondern auch in Proportion zum Gesamtangebot an Kursen der „Geschichte mit den Hülfswissenschaften“ angestiegen. Im Jahr 1760 umfassten die angekündigten akademischen Veranstaltungen mit weltgeschichtlichem Inhalt circa 5% des gesamten akademischen Lehrangebots zur Geschicht[s]kunde. Sowohl im Jahr 1770 als auch im Jahr 1780 erreichte das gleiche Angebot einen Anteil von 20%. 1790 war es um die 15%, während 1800 die Kurse mit weltgeschichtlichem Inhalt ca. 25% des gesamten akademischen Lehrangebots der Geschichte mit den Hülfswissenschaften erreichten. Im Jahr 1810 sank diese Zahl dann auf 10%.
142 Für eine ausführliche Erklärung über die komplexe Klassifizierung von Heerens Lehrplan siehe das Kapitel „5. Menschheit und Weltstaatensystem.“
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Die Zahlen sprechen deutlich für die „heilsame Concurrenz“ in Göttingen. Als im Jahr 1792 ein Kurs mit weltgeschichtlichem Inhalt ganze neun Mal angeboten wurde, widmeten sich sechs verschiedene Gelehrte, von den Ordinarien bis zu den Privatdozenten, die bereits eine wichtige Rolle im aufklärerischen akademischen Kontext spielten, dem Thema:143 Johann Christoph Gatterer, Ludwig Timotheos Spittler, Heinrich Moritz Gottlieb Grellmann (1756-1840), Karl Reinhard (1769-1840), Friedrich Bouterwek (1766-1828) und Christoph Meiners. Bereits im Jahr 1799 wurde die Weltgeschichte an der Universität zu Göttingen zwölf Mal angeboten und zwar von sieben Gelehrten, nämlich: Friedrich Gottlieb Canzler (1764-1811), Arnold Hermann Ludwig Heeren, Karl Reinhard, Christian Bunsen (17701837), August Ludwig Schlözer, Johann Gottfried Eichhorn (1752-1827) und Christoph Meiners. Schematisch lässt sich das hier zu untersuchende Quellenkorpus wie in Tabelle 1 darstellen: Tabelle 1: Lehrtätigkeit der Dozenten nach angekündigten akademischen Veranstaltungen mit weltgeschichtlichem Inhalt an der Georgia Augusta Universität zu Göttingen (1756-1815) Dozent
Lehrangebot mit weltgeschichtlichem Inhalt
Anzahl
Johann Philipp MURRAY Anton Friedrich BÜSCHING Johann Christoph GATTERER
Die Universal-Historie von der Erschaffung der Welt, bis auf Constantin den Grossen Die Universal-Historie bis auf gegenwärtige Zeiten Universal-Historie Neuere Universal-Historie Ältere und neuere Universal-Historie Ganze Universalhistorie Allgemeiner Theil der Universalhistorie Geschichte der Völkerwanderung und legt dabey seine Einleitung in die synchronistische Universalhistorie Allgem[eine] Weltgeschichte Allgemeine Weltgeschichte, von der Schöpfung der Welt bis auf das gegenwärtige Jahr
63
Johann Tobias KOELER
Universalhistorie
2
1 1
143 Johannes Tütken spricht sogar von einer „strukturellen Bedeutsamkeit“ der Privatdozentur an der Georgia Augusta. Vgl. Tütken: Privatdozenten im Schatten der Georgia Augusta. Zur älteren Privatdozentur (1734 bis 1831), Bd. 2, Göttingen: Universitätsverlag Göttingen 2005, S. 6.
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Tab. 1 – Fortsetzung: Dozent
Lehrangebot mit weltgeschichtlichem Inhalt
August Ludwig SCHLÖZER
Universalhistorie Allgem[eine] Weltgeschichte Die Geschichte in ihrem ganzen Umfange Neueste Weltgeschichte, von 1400 bis 1799 Weltgeschichte in ihrem ganzen Umfange (die erste Hälfte von Adam bis Chlodowig) Neueste Weltgeschichte von 1301-1800 Die wichtigsten Weltbegebenheiten vom 9. bis 13. Jahrhundert Geschichte der alten Welt bis zur Völkerwanderung Karte von Teutschland und etliche Stücke aus der Universalhistorie und Naturgeschichte in Gegenwart einiger Kinder Universalhistorie Universalhistorie bis auf die neuesten Zeiten
43
Die zur Geschichte der Menschheit nöthige Bücherkänntniß
1
Universalhistorie Allgem[eine] Weltgeschichte
23
Entstehung u[nd] allmähliche Verbreitung des menschl[ichen] Geschlechts, als die ursprünglichen Verschiedenheiten aller Völker in Rücksicht auf ihre körperlichen u[nd] geistigen Anlagen Geschichte der Menschheit Allgemeine Weltgeschichte Universal-Geschichte Universal- oder alte Geschichte Universal-Geschichte bis auf die neuesten Zeiten Allgemeine Weltgeschichte Universal-Historie Allgemeine Weltgeschichte, von der Völkerwanderung an bis auf unsre Zeiten Allgemeine Weltgeschichte Neuere allgemeine Weltgeschichte, von Chr. G[eburt] bis auf gegenw[ärtigen] Zeiten Universal-Historie Universal-Geschichte Alte oder so genannte Universal Geschichte Universal- oder alte Geschichte Geschichte der alten Welt bis zur Völkerwanderung Geschichte der Menschheit, mit besondrer Anwendung auf die Fundamentalsätze der Moral, des Naturrechts u[nd] der Politik Geschichte der Menschheit
26
Georg Christian RAFF Johann Friedrich REITEMEIER Michael HISSMANN Ludwig Timotheos SPITTLER Christoph MEINERS
Friedrich Gottlieb CANZLER
Heinrich M. G. GRELLMANN Karl T. Gottlob SCHÖNEMANN Karl REINHARD
Friedrich BOUTERWEK
Anzahl
1 6
6
14 1 34
2
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Tab. 1 – Fortsetzung: Dozent
Lehrangebot mit weltgeschichtlichem Inhalt
Arnold Hermann L. HEEREN
Universal-Historie in Verbindung mit der alten Geographie Alte Geschichte oder so genannte Universal-Historie Alte Geschichte oder Universal-Geschichte Universal-Geschichte Geschichte der alten Welt bis zur Völkerwanderung Allgemeine Länder- und Völkerkunde, oder einen crit[ischen] und systemat[ischen] Inbegriff unserer gegenwärt[igen] Kenntnisse der Erde u[nd] der sie bewohnend[en] Völker Die Geschichte des neueren Europas und seiner Colonien in beiden Indien, in Hinsicht auf politische sowohl als Handelsverhältnisse
48
Johann Gottfried EICHHORN
Neuere Universal Geschichte, von der Völkerwanderung bis auf unsere Zeiten Alte Geschichte, oder so genannte Universal-Historie Allgemeine Geschichte der neuern Zeiten, von der Völkerwanderung bis auf unsere Zeiten Allgemeine neuere Geschichte Alte oder so genannte Universal-Geschichte Allgemeinen Weltgeschichte vom ersten Anfange der Geschichte des Menschengeschlechts bis auf unsere Zeiten Universal-Geschichte Alte oder so genannte Universal Geschichte
8
Wilhelm KERN
Ueber die Aufklärung und das Fortschreiten der Menschheit zum Bessern Historisch-philosophischer Abriß der durch die Cultur bewirkten Geistesbildung der Menschheit
2
Ernst Friedrich WENZEL
Geschichte der Menschheit Die allgemeine Weltgeschichte, vom Anfange des Menschengeschlechts bis auf die große Völkerwanderung, oder Zerstörung des Weströmischen Reiches
2
Christian BUNSEN
Anzahl
4
Diese hier schematisch dargestellte und von Christoph Meiners bezeichnete „heilsame Concurrenz“ an der Georgia Augusta kann in Hinblick auf die akademischen Innovationen verstanden werden. Im vierten Band seiner Geschichte der Entstehung und Entwickelung der hohen Schulen unsers Erdtheils listet Meiners im Jahr 1805 die Pionierarbeiten in seiner Universität aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht auf. Somit gehörten „[z]u den vorzüglichsten Wissenschaften, welche man in der letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts in Göttingen, und man kann bey den meisten hinzusetzen,
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in Deutschland überhaupt zuerst vortrug,“144 die 1753 von Achenwall zum ersten Mal in Göttingen angebotene Statistik, die Geographie von Anton Friedrich Büsching (1724-93), die Naturgeschichte von Christian Wilhelm Büttner (1716-1801). Ebenso habe die nachher von Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840) gelehrte Naturgeschichte zu den Innovationen an der Georgia Augusta gehört. Zur Geschichte der Religionen aller Völker hatte zuerst Büsching und später Meiners vorgetragen. Auch Meiners selbst zählte sich nach seiner eigens aufgestellten Abgrenzung zu den innovativsten Gelehrten in Göttingen, und dies für drei Fächer: die Psychologie, die Ästhetik und die Geschichte der Menschheit.145 Die letzte sei eine Pioniervorlesung in den 1780er Jahren gewesen. Meiners erwähnt an dieser Stelle keine Innovation im Bereich der Weltgeschichte oder Universalhistorie, welche nur innerhalb einer schon vormals in Gang gesetzten Tradition einzuordnen wären. Handelte es sich um eine historiographiegeschichtliche Feststellung oder eher um eine bloße Platzhirsch-Attitüde? Um Brotneid? Oder handelte es sich in der Tat um eine neue Wissensform, durch die Teile in bestimmte Verhältnisse zueinander gebracht werden können? Solch eine historiographiegeschichtlich verankerte Frage erfordert die Rekonstruktion des bisher unerforschten Spektrums des universalhistorischen Denkens in der Göttinger Spätaufklärung, das hier im Spiegel der europäischen Aufklärungsdebatte erscheinen soll. In dieser Studie werden daher historiographische Wissensformen untersucht, die sich im Laufe der Historiographiegeschichte als maßstabsetzend herausgebildet haben. Ferner werden auch andere Wege aufgezeigt, die sowohl von der spätaufklärerischen Gelehrsamkeit als auch von der heutigen historiographischen Forschung kaum rezipiert wurden. Um dies umzusetzen, wird eine hermeneutisch ausgerichtete und kontextualisierend angelegte Quellenanalyse vorgenommen. Das Quellenkorpus besteht aus Texten, die aus den Federn der Göttinger Dozenten stammten und entweder ihren Vorlesungen mit weltgeschichtlichem Inhalt unmittelbar als begleitende Kompendien dienten oder die zumindest auf die Thematiken der Vorlesungen zurückgriffen. Diese Texte werden auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Ansätzen der Weltgeschichtsschreibung hin untersucht. Ziel dabei ist, das Wissensprinzip herauszuarbeiten, das dem vielschichtigen universalhistorischen Denken dieser Epoche unterlag. Dieser kurz skizzierten Methodik folgend, gehe ich im zweiten Kapitel der Studie der Frage nach, was die Göttinger Aufklärer unter Welt- bzw. Universalgeschichte verstanden, auf welchen epistemologischen Ansätzen ihre Schriften basierten und wie es zum Federkrieg um die Pionierleistung im Bereich dieser Wissensform Anfang der 1770er Jahren kam. Im Zentrum
144 Meiners: Geschichte der Entstehung und Entwickelung der hohen Schulen unsers Erdtheils, Bd. 4, 1805, S. 373. 145 Ebd., S. 375.
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des dritten Kapitels stehen die erkenntnistheoretischen Innovationen der empirischen Psychologie und ihr Einfluss auf die die historiographische Tradition der Geschichte der Menschheit. Dabei zeigt sich, wie weniger die ganze Welt, als vielmehr der ganze Mensch in seinen Teilen und Verhältnissen in den historiographischen Diskurs aufgenommen werden konnte. Das vierte Kapitel widmet sich der Weltgeschichtsschreibung besonders als Geschichte des Menschengeschlechtes. In diesem Zusammenhang ist die Suche nach ursprünglichen Ursachen historischer Sachverhalte als ein weiterer gemeinsamer Punkt der Göttinger Historiographie zentral. Dabei soll aufgezeigt werden, wie Vielfalt im historischen Zusammenhang mithilfe von zwei entgegengesetzten Kausalitätsprinzipien erklärt werden konnte und wie dementsprechend das Werden der Weltgeschichte und das Wesen des Menschengeschlechts ins Verhältnis zueinander gesetzt wurden. Das fünfte Kapitel fokussiert die Begriffe Menschen und Menschheit als Gegenstand der Geschichtsforschung und als Kategorie der Geschichtsschreibung, die um 1800 sehr viel schärfer als zuvor in eine historia generis humanis und in eine historia humanitatis gespalten war. Darüber hinaus wird untersucht, wie das Europäische Staatensystem in der Göttinger spätaufklärerischen Historiographie zu einem Weltstaatensystem wurde und somit auch die Europäische Staatengeschichte zur Weltgeschichte. Zu dieser Zeit bildete sich auch aus der spätaufklärerischen gelehrten Wissenskultur eine Vielzahl an neuen Einzelwissenschaften bzw. spezialisierten Disziplinen heraus. Durch diese lässt sich zusammen mit zwei weiteren Faktoren – nämlich einem Generationswechsel von Dozenten und dem zeitgeschichtlichen Kontext der Nationalstaatsbildung – die Abnahme des Lehrangebots mit weltgeschichtlichem Inhalt an der Georgia Augusta erklären, die schon im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts einsetzte. Diese Entwicklung wird im Ausblick der vorliegenden Studie genauer nachgezeichnet. Dabei wird gezeigt, wie sich das universalhistorische Denken nach dem Zeitalter der Spätaufklärung veränderte und welche Anschlüsse und Herausforderungen sich für die Geschichtsschreibung der Gegenwart stellen.
II. Innovation und Federkrieg
Aus historiographiegeschichtlicher Sicht rücken Formen der Weltgeschichtsschreibung wieder verstärkt in den Vordergrund jüngster Forschungsarbeiten.1 Da sich an der Universität zu Göttingen die Debatte über die Vielfalt dieser historiographischen Wissensform bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nachverfolgen lässt,2 gewinnt sie für die heutige Geschichtswissenschaft an Bedeutung. Im Zeitalter der Spätaufklärung haben die Gelehrten der Georgia Augusta so viele Grundrisse und Vorstellungen der Universalhistorie vorgelegt, dass es unmöglich wurde, Kontroversen um die Grenzen, die Methoden und den Gegenstand der Weltgeschichte zu vermeiden. Die Frage ist hier nun, was die Göttinger Aufklärer unter Welt- bzw. Universalgeschichte verstanden haben und welche epistemologischen Grundannahmen ihren Schriften unterlagen, die einen Federkrieg um die Pionierleistung im Bereich dieser Wissensform Anfang der 1770er Jahren ausgelöst haben. Um diese Grundannahmen zu verstehen, ist es notwendig, die entsprechenden Traditionen zu beleuchten, aus denen sie hervorgegangen sind. Dabei geht es zunächst um die Tradition, eine Vorlesung zur Weltgeschichte mit Hinblick auf die Europäische Staatengeschichte anzukündigen, wie es besonders in der Zeit um die Gründung der Göttinger Universität gebräuchlich war. Im Laufe des 18. Jahrhunderts nahm diese Tradition dennoch unterschiedliche Richtungen ein: Die Europäische Staatengeschichte diente einerseits weiterhin als Muster für die spätaufklärerische Weltgeschichtsschreibung. Andererseits konnte sie hinsichtlich Methode und Ge-
1 2
Zur Aktualität der Weltgeschichte als Thema der heutigen Geschichtsforschung siehe den „Ausblick“ der vorliegenden Studie. Für eine ausführliche Auflistung der Göttinger akademischen Veranstaltungen mit weltgeschichtlichem Inhalt zwischen 1756 und 1815 siehe „Anhang.“ Dazu siehe auch: Jarausch, Konrad H.: „The Institutionalization of History in 18thCentury Germany,“ in: Hans Erich Bödeker/Georg G. Iggers/Jonathan B. Knudsen/Peter Hanns Reill (Hg.), Aufklärung und Geschichte. Studien zur deutschen Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, 2. Auflage, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1992, S. 25-48, hier S. 37-38.
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genstand die universalgeschichtlichen Ansprüche der damaligen Historiographie nicht mehr erfüllen. Um diesen historiographischen Zusammenhang mit den damit verkoppelten Innovationen an der Philosophischen Fakultät in Göttingen zu beleuchten, muss der hier zu untersuchende Zeitraum einstweilig nach hinten – sprich: seit der ersten Ankündigung von Lehrveranstaltungen an der Universität zu Göttingen im Sommersemester 17363 – ausgedehnt werden.
1 W ELTGESCHICHTE ALS E UROPÄISCHE S TAATENGESCHICHTE Die europäischen Universitäten verfügten seit dem 16. respektive frühen 17. Jahrhundert über einen Lehrstuhl für Geschichte. Sie entstanden – nach Ausführung von Laurence Brockliss – zum einen in Verbindung mit der Suche nach moralischen Werten im Kontext der humanistischen Literatur, anhand derer die vergangenen Ereignisse Lebensvorbilder für die Zukunft zeigen würden und deshalb getrennt von den philologischen Studien behandelt werden sollten. Zum anderen entstanden sie in Verbindung mit den rechtlich und theologisch verankerten Diskussionen der Frühen Neuzeit, wofür die Chronologie, die Genealogie und die Heraldik zu Rate gezogen wurden.4 Als die Landesuniversität zu Göttingen in den 1730er Jahren gegründet wurde, waren beide dieser akademischen Ursprungsfunktionen der Geschichtsschreibung immer noch vorhanden. Schon vor der offiziellen Einweihung der Universität im Jahr 1737 hatte der Kurator Gerlach Adolph Freiherr von Münchhausen eine Professur im Fach Geschichte institutionell gesichert und sie unverzüglich besetzt. Johann David Köhler (1684-1755) war über 50 Jahre alt, als er in Altdorf den Ruf Münchhausens für die Philosophische Fakultät bekam. Den Lehrstuhl für Geschichte in Göttingen besetzte Köhler zwischen 1735 und 1755. Für dieses Fachgebiet war der Altdorfer, nach Auffassung des Kurators, gut mit dem „statum publicum aller reiche nebest der historie und gesetzen“ vertraut.5 „Der anckunfft des Hrn. Köhlers ist mir sehr lieb, Gott lasze es zur
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4
5
Ich konnte keine offizielle Vorlesungsankündigung vor dem Sommersemester 1736 im Archiv der Göttinger Universitätsbibliothek finden, wobei die neue Landesuniversität bereits im Oktober 1734 „ihren Anfang genommen“ hatte. Vgl. Pütter: Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der GeorgAugustus-Universität zu Göttingen, 1765, S. 12. Vgl. Brockliss, Laurence: „Lehrpläne,“ in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 2: Von der Reformation zur Französischen Revolution (1500-1800), München: Beck 1996, S. 451-494, hier S. 460. „Briefe Gerlach Adolfs von Münchhausen an Georg Christ. Gebauer [Hannover, 1734. März 11.],“ in: Rössler: Die Gründung der Universität Göttingen, S. 86.
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gesegneten Stunde geschehen seyn,“6 schrieb Münchhausen im Sommer 1735 an Georg Christian Gebauer (1690-1773), der seit Oktober 1734 als ordentlicher Professor für Rechtswissenschaft in Göttingen tätig war. Münchhausens Freude und Gebauers Interesse an der Besetzung der Professur für Geschichte trafen sich aufgrund Köhlers akademischer Laufbahn: Der neu berufene, eigentlich „ein Famulus Gebauers,“7 „[…] galt das ganze 18. Jahrhundert hindurch als der bedeutendste Genealoge,“8 war aber auch ein Jurist. Somit spricht hier der neue Professor im Lande Hannovers nicht selten für die historiographische Tradition, der sich die Geschichte der Genealogie annäherte, um eine gute Basis für rechtlich und theologisch verankerte Fragen schaffen zu können. Somit bewegte sich Köhler in Gebauers Sachgebiet hinein. An der Philosophischen Fakultät bot er zum Sommersemester 1736 zwar eine Veranstaltung zur Universalgeschichte an, nämlich zur historiam universalem seculorum trium priorum a Christo nato, die nach seinen eigenen chronologischen Tabellen erfolgen sollte. Aber parallel zu diesem Kolleg kündigte er ab dem Wintersemester 1738/39 eine zweite Vorlesung an, diesmal zur historiam civilem praecipuorum Europae regnorum & rerumpublicarum, nach Gebauers Lehrbuch, die ab dem Wintersemester 1748/49 unter dem Titel „Über die Gebauerische allgemeine Weltgeschichte“ im Vorlesungsverzeichnis aufgeführt wurde. Das hier gemeinte Lehrbuch musste Gebauers bereits 1732 veröffentlichter Grund-Riß zu einer Umständlichen Historie der vornehmsten Reiche und Staaten gewesen sein, das wiederum an die Tradition von Samuel von Pufendorfs (1632-94) Einleitung zu der Historie der vornehmsten Reiche und Staaten, so itziger Zeit in Europa sich befinden [1682], anknüpfte, sie aktualisierte und deshalb zu einem sehr verbreiteten Lehrbuch der Staatenkunde in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde.9 Beide Schriften stellen jeweils eine Sammlung von Geschichten der vornehmsten europäischen Reiche und Staaten nacheinander dar und privilegierten die jüngsten politischen Begebenheiten,10 was Gebauers Erfolg mit der Aktualisierung Pufendorfs Grundriss erklärt. Der berühmte Grundriss, der dazu diente, die „Geschichte auswärtiger Reiche“11 vorzutragen, hatte Gebauer Münchhausen gewidmet und wendete
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„Briefe Gerlach Adolfs von Münchhausen an Georg Christ. Gebauer [Hannover, 1735. Jul. 15.],“ in: Ebd., S. 123. 7 Hammerstein: Jus und Historie, S. 352. 8 Kraus: Vernunft und Geschichte, S. 166. 9 Dazu siehe: Ries: „Vom nationalen Universalismus zum universalistischen Nationalismus,“ besonders S. 216-217. 10 Vgl. Muhlack, Ulrich: Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus, München: Beck 1991, S. 126. 11 Gebauer, George Christian: Grund-Riß zu einer Umständlichen Historie der vornehmsten Europäischen Reiche und Staaten, 2. Auflage, Leipzig: Caspar Fritsch 1738, S. I.
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sich dem Stoff zu, „was sich in den vornehmsten Europäischen Reichen und Staaten begeben.“12 Nach Reichen und Staaten wurde demzufolge das Buch geteilt und die Darstellung seiner Materie nach Könige geordnet, mit Jahreszahl am Rand versehen und durch Stammtafeln der wichtigsten Monarchen ergänzt, die besonders aufgrund ihrer Bedeutung für die historiam juris universi Aufmerksamkeit verdienten. Köhler verdankt besonders Gebauer „[s]ein historisch-juristisches Verständnis“13 und kündigte unter dem Titel „allgemeine Weltgeschichte“ eigentlich ein regelmäßiges Kolleg zur jüngsten europäischen Staatengeschichte an. Auch in seinen chronologischen Tabellen,14 die als Lehrmaterial für das hier zuerst erwähnte Kolleg ebenfalls zur historiam universalem dienten, wurde 1736 die chronologia historiae universalis in vier Spalten bzw. Teilbereiche geteilt – historia biblica, historia profana, historia ecclesiastica, historia literaria –, wobei die jüngste historia profana ausschließlich nach europäischem staatengeschichtlichen Sachgehalt behandelt und mit dem 1725 erklärten Pax Hispanica Viennensis abgeschlossen wurde.15 In dieser Lehrtradition an der Georgia Augusta sind ferner die Schriften von Johann Jakob Schmauß (1690-1757) einzuordnen. In Göttingen hatte Schmauß eine juristische Professur inne, wobei Münchhausen ihn anfänglich ebenso für die historische Professur für geeignet hielt. Diese Überlegung wurde mit der Zusage Köhlers beiseite gelegt.16 Zum Wintersemester 1748/49 bot Schmauß eine Vorlesung zur allgemeinen Weltgeschichte als eine Veranstaltung der Rechtsgelahrheit an, die sich unmittelbar auf der „Pufendorfs Ordnung“ basierte. Auch Samuel von Pufendorfs Einleitung zu der Historie der vornehmsten Reiche und Staaten wendet sich vor allem der chronologischen Beschreibung von Friedensverhandlungen und europäischen Regierungsformen zu.17 Den Fokus behielt Schmauß bei, als er ein neues Lehrbuch 1755 auf den Markt brachte und die Kapitel zu Spanien, Frankreich, Groß-Britannien, Russland und den Niederlanden mit dem 1748
12 Ebd., „Vorrede des ersten Druckes,“ S. V. 13 Hammerstein: Jus und Historie, S. 352-353. 14 Auch August Benedict Michaelis (1725-68) soll in Göttingen im Wintersemester 1755/56 über die Weltgeschichte nach Herrn Prof. Köhlers chronologische Tabellen gelesen haben. Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 105. Stück, 1. September 1755, S. 986. 15 Vgl. Köhler, Johann David: Chronologia Historiae Universalis, Nürnberg: Christopherus Riegelius 1736, Tab. XXVII, S. 27. Nach dieser 27. Tabelle bot Köhler zum Wintersemester 1752/53 zum letzen Mal die „Welt-Geschichte unsers Jahrhunderts“ an. 16 Hammerstein: Jus und Historie, S. 343. 17 Vgl. Pufendorf, Samuel (von): Einleitung zu der Historie der vornehmsten Reiche und Staaten so jetziger Zeit in Europa sich befinden. Von neuem getruckt und bis auf das Ende des vorigen Seculi vermehrt, Franckfurt am Mayn: Friedrich Knochens 1705.
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abgeschlossenen Frieden von Aachen beendete, welcher das Ende des österreichischen Erbfolgekrieges markiert. In der Vorrede betonte Schmauß, wie das Pufendorf’sche Kompendium für Lehrzwecke obsolet wurde: Es beinhalte nicht die jüngste historische Fakta. Somit zeigte Schmauß gleichzeitig den großen Verdienst und die Hauptfunktion seines neuen Lehrbuches auf, das zum Gebrauch seiner „Vorlesungen über die sogenannte UniversalHistorie“ verfasst wurde. „Ein Studiosus Juris auf Universitaeten hat bey Erlernung der Historie vornehmlich auf den Endzweck derselben Acht zu geben. Die Teutsche Reichshistorie ist ihm wegen des Juris publici fast unentbehrlich, und zwar so wohl was die alte als neue Zeiten betrifft, und hierzu hat er wohl ein halbes Jahr nöthig. Die auswärtige Historie studiret er blos deßwegen, damit er den heutigen politischen Zustand der Welt, oder deutlicher zu sagen, der vornehmsten Potenzen von Europa verstehe.“18
Sowohl für diese Lehrtradition als auch für die damit verkoppelte Form der Geschichtsschreibung, wie aus der Ausführung von Schmauß hervorgeht, stellt die ganze Welt keine empirische Notwendigkeit dar. Sie beschränkt sich auf die „vornehmsten Potenzen von Europa,“ die voneinander getrennt und in chronologischer Reihenfolge politischer Begebenheiten betrachtet werden. Dies ist in der Tat ein gewöhnliches Lehrprogramm an der Georgia Augusta gewesen, als die Veranstaltungen der Philosophischen Fakultät im Vorlesungsverzeichnis nach den „einzelne[n] Wißenschaften“19 ab dem Sommersemester 1756 aufgeführt wurden. Aber die Termini historia universalis und Weltgeschichte tauchen bei der Vorlesungsankündigung des ersten ordentlichen Geschichtsprofessors an der Georgia Augusta nicht nur in Verbindung mit der europäischen Staatengeschichte oder mit seiner chronologischen Tabellen auf – wie hier bereits erwähnt –, sondern auch im Kontext seiner Veranstaltungen über die historiam universalem Cellarianam. Nach Christoph Cellarius (1638-1707) las Köhler mit gewisser Regelmäßigkeit ab dem Sommersemester 1740. Es handelt sich hier um eine frühaufklärerische Lehrtradition, die sogar Köhlers Amt als Professor in Göttingen überlebte und parallel zur Europäischen Staatengeschichte verlief.20 Nach dem Lehrbuch Cellarii, „das er deutsch herausgeben will,“ trug
18 Vgl. Schmauß, Johann Jacob: Kurzer Begriff der Historie der vornehmsten Europäischen Reiche und Staaten. Zum Gebrauch der Academischen Lectionen verfaßet, Göttingen: Verlegts Abram Vandenhöcks seel. Wittwe 1755, „Vorrede,“ S. 2r-2v. 19 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 45. Stück, 12. April 1756, S. 370. 20 Im letzten Drittel des 18. Jahrhundert wurde die Staatengeschichte aber besonders in den Kollegia zur Statistik aufgegriffen. Dazu siehe: Pasquino, Pasquale: „Politisches und historisches Interesse. ‚Statistik‘ und historische Staatslehre bei
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Johann Philipp Murray (1726-76) über die „Universal-Historie“ im Sommersemester 1757 vor und zwar „von der Erschaffung der Welt bis auf Constantin den Grossen [sic].“21 Diese historiographische Tradition hat ein ganz anderes Programm im Auge, das zwischen den reformierten Universitäten im Alten Reich bereits vor der Gründung der Hochschule in Göttingen weit verbreitet war. Aus Leipzig stammt ein kleiner Band, der 1710 mit der Absicht veröffentlicht wurde, als Hilfestellung zur Lektüre Cellarii Historia universalis zu dienen. Der Verfasser Christian Juncker (1668-1714) fragte sich in diesem Buch, was historia universalis bei Cellarius heißt, besonders in Abgrenzung zur historia particularem (z.B. die Geschichte eines Reiches oder eines Fürstentums) und zu einer historia singularis (z.B. die Geschichte einer Schlacht). Junker kam zu dem Ergebnis, dass die historia universalis begreife, oder begreifen solle, „[…] alles, was vom Anfang der Welt biß auf gegenwärtige Zeit an allen Orten und Enden geschehen ist.“ Eben wenn sich alle Orte und Enden der Welt bei Cellarius auf die Grenzen der biblischen Heilgeschichte beschränkten, zog Junker diese Definition der historia universalis beachtend den folgenden Schluss: „Noch bis dato aber hat man dergleichen allgemeines Historien Buch nicht […].“22 Um ein „allgemeines Historien Buch“ nach einem umfassenderen Programm zu ermöglichen, mussten die Quellen
Gottfried Achenwall (1719-1772),“ in: Hans Erich Bödeker/Georg G. Iggers/Jonathan B. Knudsen/Peter H. Reill (Hg.), Aufklärung und Geschichte. Studien zur deutschen Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1992, S. 144-168, hier S. 167: „Die Statistik hatte auch eine eigene Geschichte an der neuen Universität Göttingen, wo Gebauer, Köhler und Schmauß schon vor 1748 Vorlesungen über Staatenhistorie und Staatenkunde gehalten und folgende Lehrbücher geschrieben haben […].“ Auf die Statistik als ein wichtiges Thema der historischen Vorlesungen in Göttingen greift das Kapitel „5. Menschheit und Weltstaatensystem“ der vorliegenden Studie wieder zurück. 21 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 39. Stück, 31. März 1757, S. 397. Für die lateinische Ankündigung dieser Lehrveranstaltung unter historiae universalis siehe: Catalogus praelectionum publice et privatim in academia georgia augusta per aestatem, Gottingae: Litteris Joh. Christian Dieterich, 1757, S. VII. 22 Juncker, Christian: Vorbericht oder Einleitung zu dem was ein Anfänger in dem Studio Historico nothwendig wissen muß, Ehe er dasselbe zu tractieren unternimmet. Zu besonderem Nutzen dererjenigen welche Herrn Christoph Cellarii Kurze Fragen aus der Historia Universali selbst lesen, oder erklären hören, Jena: Joh. Felix Bielcken 1710, S. 23. Hiermit ist gemeint: Cellarius, Christoph: Christoph Cellarii: Kurze Fragen aus der Historia Universali. Von Anfang Weltlicher Monarchien biß auf jetzige Zeiten gerichtet Welche, sowol einen Unterricht vor die Anfänger als auch insonderheit eine General-Repetition vor mehr Erwachsene darstellen, Jena: Joh. Felix Bielcken 1709.
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der Geschichtsschreibung ein entsprechend breiteres Spektrum gewinnen. In Göttingen kann man beispielsweise in den akademischen Tätigkeiten des Sohns von Köhler erkennen, wie nicht nur unterschiedliche Lehrtraditionen um die Jahrhundertmitte neben einander standen, sondern wie auch die Grundlagen für solch ein künftiges „allgemeines Historien Buch“ geschaffen wurden. Johann Tobias (1720-68) studierte an der Georgia Augusta seit der Übersiedlung seiner Familie zum Lande Hannovers. 1750 fängt der junge Köhler an, historische Vorlesungen in Göttingen zu halten, wo er 1759 außerordentlicher Professor der Philosophischen Fakultät wurde und bis zu seinem Tod tätig war.23 Johann Tobias widmete sich besonders den historischen Hilfswissenschaften, vornehmlich der Numismatik, und somit setzte er die Arbeit seines bereits verstorbenen Vaters fort. Darüber hinaus bot er zum Wintersemester 1766/67 und zum darauf folgenden Semester ein Kolleg zur Universalhistorie nach den historisch-chronologischen Tabellen des alten Köhlers an.24 Johann Tobias lehrte außerdem die europäische Geschichte nach dem Schmauß’schen Handbuch und zwar in den Semestern vor der Ankündigung seines Kollegs zur Universalhistorie. In den 1760er Jahren wurden seine Lehrtätigkeiten wie folgt beschrieben: „In seinen Vorlesungen erklärt er 1) die Geschichte der vornehmsten Europäischen Staaten, oder auch 2) die Reichshistorie […]“ neben der Numismatik, Diplomatik, Heraldik und der „nützlichste[n] Art, gelehrte Reisen anzustellen.“25 An der Georgia Augusta schrieb bereits Johann David Köhler Anweisungen für Reisende Gelehrte, wie ein erst 1762 posthum erschienener Band beweist. Während die aufklärerische Gelehrsamkeit Erkenntnis durch das Lernen gewinne, könne man Erfahrung nur durch eigene Nachforschung und hauptsächlich auf Reise erhalten – so die Anweisungen Köhlers.26 Dass der erste Professor für Geschichte in Göttingen aber kein einziges Gebiet über die Grenzen des Alten Reiches hinaus bereiste, wurde von der kommenden Gelehrtengeneration kritisiert, worauf an späterer Stelle noch genauer eingegangen wird. Indes beschäftigte sich der Sohn Köhlers auch mit der Übersetzung von Reisebeschreibungen, die das Programm seines Vaters Anweisungen über „Bibliothecken, Münz-Cabinette, Antiquitäten-Zimmer,
23 Vgl. Pütter: Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der GeorgAugustus-Universität zu Göttingen, 1765, S. 195. 24 Gemäß der Ankündigung akademischer Lehrveranstaltungen für den Sommersemester 1767 in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 40./41. Stück, 2./4. April 1767, S. 324. 25 Pütter: Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der GeorgAugustus-Universität zu Göttingen, 1765, S. 196. 26 Köhler, Johann David: Anweisung für Reisende Gelehrte, Bibliothecken, MünzCabinette, Antiquitäten-Zimmer, Bilder-Säle, Naturalien und Kunst-Kammern, u.d.m. mit Nutzen zu besehen, Frankfurt/Leipzig: In der Knoch- und Eßlingerischen Buchhandlung 1762, S. 3.
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Bilder-Säle, Naturalien- und Kunst-Kammern“27 übertrafen. Nachrichten aus dem Nordamerika, die Beschreibung der Völker „unter den Nord-Amerikanischen Wilden,“ sind aus der Feder Johann Tobias’ ins Deutsche übertragen worden.28 Diese Gattung spätaufklärerischer Schriftkultur fand inmitten der deutschsprachigen Gelehrsamkeit ein zunehmendes Publikum:29 Die Entfernung zwischen Völkern versuchte man im 18. Jahrhundert besonders durch die Lektüre von Reiseberichten zu vermitteln,30 welche damals fast ein „Mitteilungsmonopol“31 über alle bekannte Orte und Enden der Welt inne hatten. Als der Nachfolger des alten Köhlers am Lehrstuhl für Geschichte – Johann Christoph Gatterer – sein Amt an der Göttinger Universität 1759 antrat, konnten die zahlreichen Übersetzungen von Reiseberichten nicht mehr übersehen werden. An der Philosophischen Fakultät führte eine Fülle an Reiseberichten dazu, dass ihre Inhalte an die Konturen der damalig gelehrten Wissensformen angepasst werden mussten. Diese Konturen versuchte Gatterer Anfang der 1770er Jahren noch weiter zu schärfen: Was man von den „wilden Völker[n]“ wisse, mache „[…] einen Theil […] der Geographie, nicht der grosen [sic] Geschichte […] aus.“32 Als diese Grenzen 1773 herausgebildet wurden, war der Federkrieg in Göttingen um die Pionierleistung im Bereich der Universal- bzw. Weltgeschichte bereits im Gange.
27 Ebd. 28 Vgl. Köhler, Johann Tobias: Sammlung neuer Reisebeschreibungen aus fremden Sprachen besonders der Englischen in die Teutsche übersetzet, und mit Anmerkungen erläutert von Johann Tobias Köhler, Bd. 1, Erste Abtheilung, Göttingen/Gotha: Johann Christian Dieterich 1767, „Vorrede des Uebersetzers“ [Seiten nicht nummeriert]. Vgl. auch: Köhler, Johann Tobias: Sammlung neuer Reisebeschreibungen, Bd. 1, Zwote Abtheilung, 1769. 29 Nach Hans Erich Bödeker wurden Reisebeschreibungen „[…] auf dem literarischen Markt der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nur von Romanen und Journalen übertroffen.“ Vgl. Bödeker, Hans Erich: „Reisebeschreibungen im historischen Diskurs der Aufklärung,“ in: Hans Erich Bödeker/Georg G. Iggers/Jonathan B. Knudsen/Peter H. Reill (Hg.), Aufklärung und Geschichte. Studien zur deutschen Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1992, S. 276-298, hier S. 277. 30 Vgl. Osterhammel, Jürgen: „Distanzerfahrung. Darstellung des Fremden im 18. Jahrhundert,“ in: Hans-Joachim König/Wolfgang Reinhard/Reinhard Wendt (Hg.), Der europäische Beobachter außereuropäischer Kulturen. Zur Problematik der Wirklichkeitswahrnehmung, Berlin: Dunker & Humblot 1989, S. 9-42, hier S. 13: „Die Distanzerfahrung des durchschnittlichen Europäers war also eine mittelbare. Sie war auf Vermittlungsinstanzen, auf ‚Medien‘, angewiesen.“ 31 Osterhammel, Jürgen: Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert, München: Beck 2010, S. 176. 32 Gatterer, Johann Christoph: Ideal einer allgemeinen Weltstatistik, Göttingen: Im Vandenhökischen Verlag 1773, S. 16.
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2 E RDBESCHREIBUNG UND ETHNOGRAPHISCHER B LICK Zu den Pionierleistungen, die Christoph Meiners in seiner Geschichte der Entstehung und Entwickelung der hohen Schulen unsers Erdtheils in der Georgia Augusta aufzählte, gehören die Vorlesungen zur Geographie von Anton Friedrich Büsching.33 Die in Göttingen immatrikulierten Studierenden hörten zum ersten Mal von Büsching über die Geographie im Wintersemester 1754/55. Um jeden Zweifel über die Anschlussfähigkeit seiner innovativen und Nutzen bringenden Veranstaltung mit dem Lehrpflichtkanon aufklärerischer Gelehrsamkeit auszuschließen, machte Büsching deutlich, was er mit dem neuen Programm beabsichtigte: „Hr. Prof. Büsching lehrt öffentlich Mittewochens und Donnerstags um 2 die Geographie, mit der er die politische Kenntniß der Europäischen Staaten verbindet,“34 laut Ankündigung seiner ersten Göttinger Vorlesung. Rückblickend erzählt Büsching aus Berlin – wenige Tage vor der Vollendung seines 65. Lebensjahres –, wie er damals als junger Professor an der ebenfalls jungen Universität mit dem Thema zurechtkam: „Meine Vorbereitung zu der geographischen und politischen Kenntniß der europäischen Staaten, erwuchs aus dem Entwurf, den ich mir in den ersten Jahren des Professorats zu dem öffentlichen Unterricht über die darinn enthaltene Materien machte; ich ertheilte auch nachher zuweilen Privatunterricht darüber, der mit einem synthetischen, von den einzelnen europäischen Staaten, abwechselte. Zuletzt fing ich noch an, die Universalhistorie nach einem neuen Plan zu lehren, der den Studierenden gefiel; da es mir aber zu schwer wurde, denselben bey der Erdbeschreibung auszuführen, und ich das Collegium wieder aufgab, so rieth ich dem Professor Gatterer, als er nach Göttingen kam, es mit der Universalhistorie zu wagen, welches er auch mit gutem Fortgang that.“35
Den Rat Büschings wird Johann Christoph Gatterer seit seinem Antritt als Professor in Göttingen beherzigen, wie auf den kommenden Seiten noch dargelegt werden wird. An dieser Stelle ist es von Bedeutung, das akademische Profil Büschings noch ein wenig stärker zu beleuchten, besonders weil er über das Fach Geographie hinaus einen zweiten Kurs – diesmal nur mit
33 Vgl. Meiners: Geschichte der Entstehung und Entwickelung der hohen Schulen unsers Erdtheils, Bd. 4, 1805, S. 374. Mehr dazu siehe das Kapitel „1. Weltgeschichte und Anthropologie in Göttingen“ der vorliegenden Studie. 34 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 110. Stück, 14. September 1754, S. 958. 35 Büsching, Anton Friederich: Beyträge zu der Lebensgeschichte denkwürdiger Personen, insonderheit gelehrter Männer, Teil 6, Halle: Verlegt von sel. Joh. Jac. Curts Witwe 1789, S. 309-310.
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Universal-Historie betitelt – parallel zu Johann Philipp Murrays Kolleg zum gleichen Thema im Sommersemester 1757 ankündigte. Während Murray die „Universal-Historie von Erschaffung der Welt, bis auf Constantin“ den Großen nach Cellarius las, wie wir bereits kennen, gab Büsching dagegen bekannt, dass er in seiner Vorlesung „bis auf gegenwärtige Zeiten“36 ginge. Dies versprach der Dozent ohne Hinweis auf das zu lesende Kompendium. Zu dieser Zeit aber war Büsching mit einer Schrift beschäftigt, die seinen Studierenden als eine Vorbereitung zur gründlichen und nützlichen Kenntniß der geographischen Beschaffenheit und Staatsverfassung der europäischen Reiche und Republiken dienen sollte. Mit diesem 1758 erschienenen Lehrbuch, das für Zuhörer sowohl der Geographie als auch der Statistik bzw. Europäischen Staatengeschichte geeignet sei, hatte Büsching zum Ziel, „den Erdboden auf eine nützlichere Weise“ zu betrachten und damit die Aufmerksamkeit der Zuhörer- und Leserschaft auf die Frage zu lenken, worin „die wichtigsten Merkwürdigkeiten eines Staats“ bestünden.37 Mit diesem Ziel in Sicht beschreibt Büsching die Lage, die Größe und die natürliche Beschaffenheit eines Staats. Ferner macht er Angaben über deren Bevölkerung, Sprache, Handel, Wissenschaften und Geschichte, wobei Büsching hier nicht viele Seiten dem letzten Thema – also: der Geschichte – widmet. Stattdessen listet der Gelehrte drei Schriften auf, nämlich: die Kompendien von Gebauer, Achenwall und Schmauß,38 mit deren Hilfe sich das Publikum über die wichtigsten Merkwürdigkeiten eines Staats aus historischer Perspektive informieren konnte. Ein hier so leicht nachweisbarer Hang zur Europäischen Staatengeschichte, der auch als Beweis für eine starke Nachfrage für entsprechende Kollegia in Göttingen um die Jahrhundertmitte aufgefasst werden kann, veranlasste ein Schreiben vom Kurator Münchhausen an Büsching. Am 13. Januar 1757 machte Münchhausen deutlich, dass Büsching, der ein halbes Jahr zuvor Doktor der Theologischen Fakultät wurde, „zu mehrerer Vorsicht vorerst von theologischen Vorlesungen […] absehen“ solle.39 Eine thematische Verdichtung oder eine ebenfalls Verlust bringende Aufspaltung des
36 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 39. Stück, 31. März 1757, S. 397. 37 Büsching, Anton Friedrich: Vorbereitung zur gründlichen und nützlichen Kenntniß der geographischen Beschaffenheit und Staatsverfassung der europäischen Reiche und Republiken welche zugleich ein allgemeiner Abriß von Europa ist, 2. Auflage, Hamburg: Johann Carl Bohn 1759, „Vorbericht,“ S. 5r-6r. 38 Vgl. Ebd., S. 10. Vor der Auflistung empfohlener Literatur erklärt Büsching per Definition, welche Aufgabe die Geschichte in diesem Zusammenhang erfülle: „Den Ursprung und die Veränderungen der Staaten lernet man aus ihrer besondern Geschichte, von welcher man das vornehmste wissen muß, und die zu den nützlichsten Betrachtungen Anlaß geben kann.“ 39 Zit. nach: Hoffmann, Peter: Anton Friedrich Büsching (1724-1793). Ein Leben im Zeitalter der Aufklärung, Berlin: Berlin Verlag 2000, S. 268.
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Lehrangebots an der Georgia Augusta nahm in diesem Zusammenhang Gebauer wahr, worüber Büsching wie folgt berichtet: „Daß er [Gebauer] mit Gatterers Berufung nach Göttingen unzufrieden, und dem Magister Murray eine geraume Zeit an einem Professorat hinderlich war, rührte ohne Zweifel von der ungegründeten Meynung her, daß beyde seiner Vorlesung über sein Geschichtbuch von unterschiedenen europäischen Staaten, schädlich seyn würden, und war eine verzeihliche menschliche Schwachheit.“40
So eine menschliche Schwachheit war aufgrund einer langsam erkennbaren Konkurrenzlandschaft in Göttingen kein exklusives Verhalten Gebauers gewesen. Nach der Georgia Augusta wurde Büsching ursprünglich für die theologische Fakultät berufen. Mit seinem Studium der Theologie in Halle (1744-47) besaß er die besten Voraussetzungen dafür. An die möglichen Konsequenzen der neuen Berufung denkend, befürchtete der Staatsrechtler Gottfried Achenwall, dass Büschings historische Vorlesungen mehr Konkurrenz bedeuten würden. Münchhausen beruhigte Achenwall diesbezüglich „[…] durch ein Schreiben vom 27. Juni 1754 – Büsching ‚ist weder wegen der Statistik noch wegen der Philosophie berufen, sondern es ist mit ihm das Absehen auf das Predigen und die Theologie gerichtet,‘“41 versprach der Kurator. Die ersehnte Professur für Theologie bekam Büsching allerdings nicht, als er 1754 nach Göttingen kam. Im Laufe der Zeit wurde aber der neue Dozent hauptsächlich aufgrund seiner Neuen Erdbeschreibung im akademischen Milieu berühmt. Die Arbeiten begann er vor seinem siebenjährigen Aufenthalt in Göttingen (1754-61), wahrscheinlich als Büsching aus Russland wieder in die Länder des Alten Reiches kam. „Seit einiger Zeit arbeite [ich] an einem neuen geographischen Handbuch, und bringe zu dem Ende eine große Menge der besten geographischen Bücher und Nachrichten zusammen,“42 so Büsching am 3. Februar 1751 nach Sankt Petersburg an seinen guten Freund Gerhard Friedrich Müller (1707-83). Die Neue Erdbeschreibung war ein editorischer Erfolg, der zwischen den Kollegen in Göttingen nicht unbemerkt blieb. Als Büsching erst 1759 eine ordentliche Professur bekam, konnte Münchhausen – wenngleich vorwiegend aufgrund heftiger Auseinandersetzungen an der Theologischen Fakultät43 – sein Versprechen nicht mehr einhalten: Der Verfasser der Erdbeschreibung wurde zum Professor nicht der Theologischen, sondern der Phi-
40 Büsching: Beyträge zu der Lebensgeschichte denkwürdiger Personen, S. 254. 41 Hoffmann: Anton Friedrich Büsching, S. 50. 42 „Büsching an Müller, 3. Februar 1751,“ in: Hoffmann, Peter (Hg.): Geographie, Geschichte und Bildungswesen in Rußland und Deutschland im 18. Jahrhundert. Briefwechsel Anton Friedrich Büsching – Gerhard Friedrich Müller, 1751 bis 1783, Berlin: Akademie Verlag 1995, S. 39. 43 Dazu siehe: Hoffmann: Anton Friedrich Büsching, besonders S. 53.
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losophischen Fakultät ernannt, wie Achenwall fünf Jahre zuvor befürchtet hatte. Gewiss ist, dass die Dozenten ins Fachgebiet der anderen gingen. Büschings Schrift zur Erdbeschreibung kann der aufklärerischen Wissenskultur entsprechend als ein „geographisch-statistisches“44 Werk charakterisiert werden. Die ersten vier Bände der Neuen Erdbeschreibung (1754-61) widmeten sich den Europäischen Ländern, weshalb Büsching die Verschränkung der Geographie mit der Europäischen Staatengeschichte in seiner ersten Vorlesungen an der Philosophischen Fakultät nicht schwer fiel. Wenn die Lehrtradition Büschings tatsächlich als eine Pionierleistung in Göttingen gewertet werden kann, wie es Meiners im Kopf hatte, so liegt diese hier weniger im Gegenstand seiner geographischen Ausarbeitungen, sondern vielmehr in seinem scharfen Blick auf unterschiedliche Orte und Enden der Welt. „Ein Reisebeschreiber erfüllet seine Pflicht, und verdienet zugleich Dank, wenn er die Werke seiner besten Vorgänger bestätiget, verbessert, ergänzet und forsetzet, die Länder, Oerter und Menschen zu welchen er kommt, scharf beobachtet, dem Gewerbe und Handel, der Staats- und Religions-Verfassung, der Geschichte und allen was sonst aus Büchern noch nicht bekannt und doch merkwürdig ist, stark nachforschet.“45
Was Büsching in den Reisebeschreibungen für die Forschungszwecke seiner Erdbeschreibung trotzdem nicht finden konnte, versuchte er mittels seines regen Briefverkehrs herauszufinden. Dafür durfte ein Professor im Lande Hannovers sogar mit dem Privileg der Postfreiheit rechnen. Dies „[…] ersparte mir jährlich verschiedene hundert Taler, weil ich jährlich einige tau-
44 Blanke, Horst Walter: Politische Herrschaft und soziale Ungleichheit im Spiegel des Anderen. Untersuchungen zu den deutschsprachigen Reisebeschreibungen vornehmlich im Zeitalter der Aufklärung, 2 Bde., Waltrop: Hartmut Spenner 1997, hier Bd. 1, S. 399. Zu Büsching als ein „führender Vertreter der vergleichenden Statistik“ der Göttinger Spätaufklärung siehe auch: Kaufhold, Karl Heinrich/Sachse, Wieland: „Die Göttinger ‚Universitätsstatistik‘ und ihre Bedeutung für die Wissenschafts- und Sozialgeschichte,“ in: Hans-Georg Herrlitz/ Horst Kern (Hg.), Anfänge Göttinger Sozialwissenschaft. Methoden, Inhalte und soziale Prozesse im 18. und 19. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1987, S. 72-95, hier S. 85-86. Dazu ferner: Valera, Gabriella: „Statistik, Staatengeschichte, Geschichte im 18. Jahrhundert,“ in: Hans Erich Bödeker/ Georg G. Iggers/Jonathan B. Knudsen/Peter H. Reill (Hg.), Aufklärung und Geschichte. Studien zur deutschen Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1992, S. 119-143, hier S. 120. 45 Büsching, Anton Friedrich: „Rez. Niebuhr,“ in: Wöchentliche Nachrichten von neuen Landcharten, geographischen, statistischen und historischen Büchern und Sachen, 3, 1775, S. 115-118, hier S. 115, zit. nach: Blanke: Politische Herrschaft und soziale Ungleichheit im Spiegel des Anderen, Bd. 1, S. 97.
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send Briefe schrieb und noch mehrere bekam,“46 erklärte Büsching. Mit Hinblick auf ein umfangreiches Material, wofür die scharfe Beobachtung der Reisebeschreiber von strategischer Bedeutung war, orientiert sich Büschings fast grenzenloser Versuch, „[…] das gesamte verfügbare Wissen in Form eines Handbuches“47 zusammenzufassen. Nach Büschings Programm für die Erdbeschreibung Europäischer Länder sind beispielsweise die Zahlen von „Parochien und Seelen“ in Portugal aufgelistet.48 Schon im Fall Spaniens wird versucht, die absinkende Bevölkerungszahl durch die „Lebens-Art der Spanier im Essen und Trinken“49 und durch die Zunahme der im Zölibat lebenden Kleriker50 zu erklären. Darüber hinaus trage die ständige Abwechslung von heißem und kaltem Wind zur Unfruchtbarkeit des spanischen Volkes bei. Thematisiert werden ferner die Regionen in Frankreich, in denen Obst angebaut wird oder Mineralien zu finden sind, ebenso wie die Verfassung und Gerichtsbarkeit der Kirche. Durch ein anderes Erkenntnisprinzip lässt sich der Stoff Büschings Erdbeschreibung im Vergleich mit dem politischen Fokus der Göttinger Europäischen Staatengeschichte abgrenzen: Wenngleich beide Wissensformen die Europäischen Länder im Fokus hatten und sie getrennt voneinander behandelten, schärfte Büsching den ethnographischen Blick, durch den die politischen Kenntnisse der Geschichtsschreibung ergänzt und somit der Weg für die historische Erklärung der „wichtigsten Merkwürdigkeiten eines Staats“ verbreitert werden konnten. Anders als bei Gatterer, der im Jahr 1773 die Geographie mit der Kenntnis dessen verband, was man von den „wilden Völker[n]“ wisse,51 beschäftigten sich die ersten vier Bände Büschings Erdbeschreibung, die während seiner Tätigkeit in Göttingen veröffentlicht wurden, mit Europa. Erst in Sankt Petersburg, wohin er 1761 mit der Familie besonders infolge der zunehmenden „dogmatische[n] Streitigkeiten mit Theologen in Göttingen,“52 einer Besoldung unter seinen Erwartungen und der schwierigen Lebensverhältnisse während des Siebenjährigen Krieges (1756-63) umsiedelte, fertigte Büsching den fünften Band seiner Erdbeschreibung an, der „unterschiedene
46 Büsching: Beyträge zu der Lebensgeschichte denkwürdiger Personen, S. 311. 47 So charakterisiert Horst Walter Blanke zutreffend die enzyklopädische Charakter Büschings Unternehmen. Vgl. Blanke: Politische Herrschaft und soziale Ungleichheit im Spiegel des Anderen, Bd. 1, S. 69. 48 Vgl. Büsching, Anton Friedrich: Neue Erdbeschreibung. Zweyter Theil welcher Portugal, Spanien, Frankreich, Italien und Großbritannien enthält, 4. Auflage, Hamburg: Johann Carl Bohn 1760 [Erste Ausgabe: 1754], S. 7. 49 Ebd., S. 116. 50 Vgl. Ebd., S. 123. 51 Vgl. Gatterer: Ideal einer allgemeinen Weltstatistik, S. 16. 52 Kühn, Arthur: Die Neugestaltung der deutschen Geographie im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der Geographie an der Georgia Augusta zu Göttingen, Leipzig: K. F. Koehler 1939, S. 80.
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Länder von Asien“ im Jahr 1768 umfasste.53 Deshalb liegt die Tragweite der Pionierleistung Büschings in Göttingen für die damalige Geschichtsschreibung weniger im Gegenstand, sondern mehr in der Methode der Untersuchung. Dazu erklärte er: „Ich habe ihn [Gatterer] unter andern veranlasset und ermuntert, die Universalhistorie nach einer andern als bis dahin gewöhlichen Methode zu lehren, weil der Versuch, den ich in meinem letzten göttingischen Jahr mit derselben machte, gut gelung.“54
Über irgendeine neue Methode hinterließ Büsching zerstreute Hinweise, und zwar ausschließlich im Bezug auf seine Erdbeschreibung. An seinen Freund Müller berichtete Büsching darüber im Sommer 1753: „Ich habe bisher vortreffliche Hilfsmittel gehabt, die mich in den Stand gesetzt, einen neuen Grund in der Erdbeschreibung zu legen.“55 Kurz zuvor hatte er eine StaatsBeschreibung der Herzogthümer Holstein und Schleswig auf den Buchmarkt gebracht, in deren Vorrede Büsching über das Ziel und die Methode seiner neuen Erdbeschreibung wie folgt eingeht: „[…] ich will dem geneigten Leser nur kürzlich melden, wie ich zu dem Vorhaben eine neue allgemeine Erdbeschreibung zu verfertigen, gekommen bin. […] Ich suche die eigentlichen und besten Quellen selbst mit unermüdeter Bemühung auf, und daraus schöpfe ich. Diese Quellen sind theils viele hundert einzelne gute gedruckte Schriften, Bücher und Werke, von Ländern, Städten und Oerstern; theils schriftliche Nachrichten, die ich von geschickten und dienstfertigen Männern aus unzähligen Oertern in der Nähe und in der Ferne zu erhalten, weder Kosten noch Mühe spare, und nicht unglücklich darinnen bin; theils eigene Beobachtungen.“56
Im Anschluss daran stellt sich hier die Frage, ob eine ebenfalls erfolgreiche Methode der Universalhistorie in Göttingen um die 1760er Jahre nicht in Verbindung mit den empirischen Beobachtungen stand, sprich: mit einem scharfen, ethnographisch ausgerichteten Blick auf die Welt.
53 Büsching, Anton Friedrich: Neue Erdbeschreibung. Des fünften Theils erste Abtheilung, welche unterschiedene Länder von Asia begreift, Hamburg: Johann Carl Bohn 1768. 54 Büsching: Beyträge zu der Lebensgeschichte denkwürdiger Personen, S. 272. 55 „Büsching an Müller, 25. Juni 1753,“ in: Hoffmann (Hg.): Geographie, Geschichte und Bildungswesen in Rußland und Deutschland im 18. Jahrhundert, S. 42. 56 Büsching, Anton Friedrich: Kurzgefassete Staats-Beschreibung der Herzogthümer Holstein und Schleswig. Mit einer Nachricht von seiner neuen allgemeinen zuverläßigern Erdbeschreibung, Hamburg: Johann Carl Bohn 1752, „Vorrede,“ S. 5-7.
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3 G ATTERER UND DIE „ VIERFACHE B ESCHÄFTIGUNG “ DER U NIVERSALHISTORIE Im Oktober 1764 gründete Johann Christoph Gatterer das Königliche historische Institut,57 welches nicht nur die Forschungsarbeiten historischer Hilfswissenschaften und die Übersetzung von Quellen an der Georgia Augusta förderte, sondern auch einer der wichtigsten deutschsprachigen Rezensionszeitschriften im 18. Jahrhundert herausgab – die Allgemeine historische Bibliothek (1767-71).58 Als Herausgeber und Beiträger dieser Publikation rezensierte Gatterer u.a. die Werke seiner Kollegen und Vorgänger an der Philosophischen Fakultät, was uns einen privilegierten Zugang zur zeitgenössischen Bewertung von konkurrierenden Wissensformen in der Frühen Neuzeit gewährt. Dank des erhaltenen Briefverkehrs zwischen dem Herausgeber in Göttingen und dem Verleger Johann Justinus Gebauer (1710-72) in Halle kann man über die editorische Pläne für die Allgemeine historische Bibliothek erfahren. Eine von den ursprünglich zwölf entworfenen Rubriken sollte die Bücher zur Geographie abdecken. Über Gatterers Absichten für die geographische Rubrik ist der Verleger in einem Anschreiben vom 29. November 1766 informiert worden: „Hier werde ich beym ersten Bande in Form eines Schreibens meine Gedanken über die jetzige Einrichtung geographischer Bücher, und besonders des Büschingschen Werks und der Staats- u[nd] Reise-Geographie äusern […].“59
Nicht im ersten, sondern erst im zweiten Band (1767)60 ist Büschings Werk rezensiert worden. Veröffentlicht wurde ein „Schreiben des Freyherrn von
57 Auch unter Historische Akademie oder Königliches Institut der historischen Wissenschaften genannt. Vgl. Pütter: Versuch einer academischen GelehrtenGeschichte von der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen, Bd. 2, 1788, §. 207, S. 310. Zu Gatterers biographischen Daten im Zusammenhang mit seiner historiographiegeschichtlichen Bedeutung für die spätaufklärerische Geschichtsschreibung siehe: Reill, Peter Hanns: „Johann Christoph Gatterer,“ in: HansUlrich Wehler (Hg.), Deutsche Historiker, Bd. 6, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1980, S. 7-22. 58 Erschienen ist die Zeitschrift in Halle, denn Johann Justinus Gebauer nahm in seinem Verlag den Plan des Institutsdirektors Gatterer auf und „[…] für jeden Bogen 4 Rthlr. zu bezahlen versprochen […]“ hat, wie aus dem damaligen Briefverkehr mit dem Verleger hervorgeht. Vgl. „Johann Christoph Gatterer an Johann Justinus Gebauer [Brief vom 29. November 1766],“ in: Kertscher, HansJoachim: Der Verleger Johann Justinus Gebauer, Halle: Hallescher Verlag 1998, S. 87-91, hier S. 87. 59 Ebd., S. 88.
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F** an den Herrn Grafen von B*** die jetzige Einrichtung geographischer Bücher betreffend.“ Dass das Schreiben tatsächlich aus dessen Feder stammt, ist uns aus dem eben erwähnten Briefverkehr bekannt. Das Büsching’sche Werk, mit dem Gatterer seit seiner Ankunft in Göttingen vertraut war,61 enthalte „[…] unzählich viele Dinge, die nicht in die Geographie, sondern in Reisebeschreibungen, und in andere Theile der historischen Wissenschaften gehören,“62 urteilte der Rezensent bestimmend. Kein Wunder. Das Projekt einer neuen Erdbeschreibung Büschings unterlief die Grenzen der Europäischen Staatengeschichte und mit seiner Beschreibung von Lebensarten nach empirischen Beobachtungen übertraf es die damaligen Erwartungen für ein geographisches Kompendium. Dies sei nicht anders als „eine Plünderung der Geschichtsbücher zum vermeynten Vortheile der Geographie,“63 so Gatterer. Eine Antwort von Herrn Grafen von B***, als Teil des gleichen Federspiels, weist mit außerordentlicher historischer Schärfe auf das Problem der akademischen Zuordnung einer Vielfalt an gelehrten Wissensformen im Zeitalter der Aufklärung hin. „Daß die Grenzen der historischen Wissenschaften in einander laufen, und sich oft so sehr verwirren, daß man bisweilen nicht recht weis, ob man ein gelehrtes Product zu diesem oder zu einem andern Gebiete rechnen solle, gebe ich Ihnen gerne zu, und daß eine gäffende Nachahmung der Alten einigen Antheil an dieser Verwirrung haben möge, kann auch wol seyn. Aber die Hauptursache aller Verwirrungen, so wie in den historischen, also auch in den übrigen gelehrten Wissenschaften ist wol darin zu suchen, daß Scholastiker den ersten Plan zu allem dem, was man Gelehrsamkeit nennet, gemacht haben, und zwar zu einer Zeit, da man nur einen sehr geringen Theil des Reichs der Wissenschaften kannte, und schätze. Als hernach die Aussichten in die
60 Datiert vom 1767 sind eigentlich die ersten vier Bände Gatterers Allgemeine historische Bibliothek. 61 In Gatterers 1761 erschienen Handbuch der Universalhistorie ist sogar Anton Friedrich Büschings Neue Erdbeschreibung unter den Werken von Schriftstellern der Geographie aufgelistet worden. Vgl. Gatterer, Johann Christoph: Handbuch der Universalhistorie nach ihrem gesamten Umfange von Erschaffung der Welt bis zum Ursprunge der meisten heutigen Reiche und Staaten, Göttingen: Im Verlag der Wittwe Vandenhoeck 1761, S. 8. 62 Gatterer, Johann Christoph: „Schreiben des Freyherrn von F** an den Herrn Grafen von B*** die jetzige Einrichtung geographischer Bücher betreffend,“ in: Johann Christoph Gatterer (Hg.), Allgemeine historische Bibliothek, Bd. 2, Halle: Johann Justinus Gebauer 1767, S. 40-43, hier S. 41. 63 Ebd., S. 43. Die andere Seite der gleichen Medaille ist die Konkurrenz zwischen den Verlegern, die sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verschärfte. Dazu siehe z.B.: Wellenreuther, Hermann: „Von der Manufakturstadt zum ‚Leine-Athen‘. Göttingen 1714-1837,“ in: Elmar Mittler (Hg.), „Eine Welt allein ist nicht genug.“ Großbritannien, Hannover und Göttingen, 1714-1837, Göttingen: SUB 2005, S. 11-28, hier S. 18.
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unbekanten Gegenden nach und nach erweitert, und Entdeckungen von allen Seiten gemacht wurden; hielt man jedes beträchtliche Stück, das man zuvor nicht genug gekant hat, für eine neue Provinz, gab ihm einen neuen Namen, und eignete die Eroberung, nach Beschaffenheit der Umstände, bald dieser, bald jener von den sogenannten 4. Facultäten zu. Auf diese Weise gewann zwar das Ganze, aber die von der Natur verbundene Theile wurden oftmals von einander getrennet, und mit andern heterogenischen Theilen verbunden, so daß jetzt die Wissenschaften und selbst auch die Künste so seltsam unter einander gemischet sind, als die ständischen Gebiete in dem Reichskreise, worin, wie Sie wissen, auch mein kleines Gebietgen liegt.“64
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war einerseits die zentrale Aufgabe spätaufklärerischer Gelehrsamkeit „die von der Natur verbundene[n] Theile“ wieder als ein Ganzes betrachten zu können. Andererseits benahmen sich die Gelehrten weiterhin als Eroberer neuer ‚Wissensprovinzen‘, deren Grenzen, um ‚Plünderungen‘ zu vermeiden, festgesetzt werden mussten. Aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht sind diese zwei widersprüchlichen und nichtsdestoweniger gleichzeitig eingenommenen Wege, die durch alle ‚Wissensprovinzen‘ führen können, ein Strukturmerkmal der Spätaufklärung. Somit gestand der Herr Graf von B*** weiterhin ein, dass die historischen Wissenschaften im 18. Jahrhundert auch den Kenntnissen der Theologen, der Juristen und der Arzeneygelehrten sehr viel zu verdanken haben: „Wie viel müsten aber auch im Gegentheil die Geschichtskundigen an andere Arten von Gelehrten abtreten, wenn eine jede das Ihrige zurücknehmen wollte oder dürfte?“65 Die Frage des Grafen wurde umso berechtigter, wenn es um den Versuch ging, unterschiedliche Völker bzw. Länder aus einer umfangreichen weltgeschichtlichen Perspektive im Verhältnis zueinander zu verstehen. Dafür musste Gatterer schon im Laufe seines ersten Semesters als Dozent an der Georgia Augusta einen neuen Plan für seine historischen Vorlesungen vorlegen, der sich zum einen strategisch an das konzeptionelle Gerüst seiner Vorgänger anschließen konnte und zum anderen programmatisch von ihnen abgrenzte. Die Studierenden wurden bereits im Wintersemester 1759/60 darauf hingewiesen, dass die Universalhistorie bei dem kürzlich berufenen Professor Gatterer nach seinem eigenen „in die Feder zu dictirenden Entwurf“66 erfol-
64 Gatterer, Johann Christoph: „Antwort des Herrn Grafen von B*** auf das vorhergehende Schreiben des Freyherrn von F**,“ in: Johann Christoph Gatterer (Hg.), Allgemeine historische Bibliothek, Bd. 2, Halle: Johann Justinus Gebauer 1767, S. 43-46, hier S. 44. 65 Ebd., S. 45. 66 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 109. Stück, 10. September 1759, S. 954. Die Ankündigung einer Vorlesung mit weltgeschichtlichem Inhalt ließ Gatterer im Vorlesungsverzeichnis der Georgia Augusta 63 Mal zwischen dem Wintersemester 1759/60 und dem Wintersemester 1794/95 abdrucken.
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gen wird. Für sein erstes Jahr in Göttingen hieß es in der Tat, dass Gatterer „die Hauptsachen“ aus seinem Entwurf las, „und damit ich nicht zu viel diktiren durfte“ – so der Dozent – „nahm ich Cellars Historiam universalem mit zu Hülfe.“67 Aber schon um Michaelis 176068 war Gatterers Handbuch der Universalhistorie fertig gedruckt, wenngleich es vom Verleger auf das Jahr 1761 datiert wurde. Das Band dürfe als ein „Zeugnis“ seiner „bisherigen academischen Beschäftigungen“69 gelesen werden. „Ich habe bey dieser Arbeit meine Absicht zunächst auf die academischen Vorlesungen gerichtet, welche ich über die Universalhistorie auf der hiesigen Universität zu halten pflege. Der gänzliche Mangel eines brauchbaren Lehrbuchs hat mich bewogen, die Ausarbeitung eines Buchs von dieser Art nach einem ganz neuen Plan zu unternehmen.“70
Die Richtlinien solch eines ganz neuen Planes lassen sich in der Gestaltung des Handbuches nach einer „vierfache[n] Beschäftigung“71 universalhistorischer Sachverhalte deutlich erkennen, welche Gatterer in den kommenden Ausgaben und Varianten seiner Schriften mit weltgeschichtlichem Inhalt beibehält.72 Jeder Abschnitt Gatterers Universalhistorie wird demgemäß unter den folgenden Aspekten beleuchtet: Zuerst sind „die brauchbarsten Schriftsteller“ aufgelistet, die entweder als Quellen oder als Hilfsmittel für die Darstellung der Geschichte eines Landes bzw. eines Volkes dienen. Diesem ersten Schritt folgt der Abschnitt Erdbeschreibung, die „das merkwür-
67 Gatterer, Johann Christoph: Antwort auf die Schlözersche Species Facti, Göttingen: Johann Christian Dieterich 1773, S. 12. 68 Vgl. Ebd. Unter „Michaelis“ wurde ursprünglich der Tag des Engels Michael (29. September) bezeichnet. Aber in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts war die Zeit um Michaelis bereits ein etablierter Termin der Buchmesse in Leipzig, welcher in direkter Verbindung mit der akademischen, schriftlichen Produktion stand und somit zu einem wichtigen Referenzpunkt für die Gelehrsamkeit im Zeitalter der Aufklärung wurde. Zu den halbjährlichen Terminen der Leipziger Buchmesse, nämlich zu Cantate und zu Michaelis siehe: Schneider, Ute: „Buchmesse,“ in: Friedrich Jaeger (Hg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 2, Stuttgart/Weimar: J. B. Metzler 2005, Sp. 508-510, hier Sp. 509-510. Im Bezug auf Gatterers Handbuch der Universalhistorie bedeutet diese zeitliche Bezeichnung Ende September 1760 bzw. Anfang des Wintersemesters 1760/61. 69 Gatterer: Handbuch der Universalhistorie, 1761, S. a3r. 70 Ebd., S. a4r. 71 Ebd., S. 60: „Zu dem Ende wollen wir bey einem jeden Buche dieser Universalhistorie eine vierfache Beschäftigung anstellen.“ 72 Im Verlauf seiner akademischen Karriere in Göttingen verfasste Gatterer mehrfach Handbücher (1761, 1764, 1765) und Abrisse der Universalhistorie (1765, 1773), eine Einleitung in die synchronische Universalhistorie (1771) und Lehrbücher zur Weltgeschichte (1785, 1787, 1792).
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digste von der geographischen Beschaffenheit der Länder vortragen“ sollen. An dritte Stelle kommt die Erzählung historischer Begebenheiten, die, viertens, durch die Beschreibung „gottesdienstliche[r], politische[r], häusliche[r] und gelehrte[r] Verfassung der Völker und Staaten“ ergänzt wird.73 Im Fall der 1761 datierten Ausgabe von Gatterers erstem Göttinger Lehrbuch wird die „Universalhistorie von [der] Erschaffung der Welt bis zum Ursprunge der meisten heutigen Reiche und Staaten“ in 19 Bücher bzw. Abschnitte behandelt, wobei sich jedes Buch ausschließlich mit einem Land bzw. Volk getrennt von den anderen befasst. Wenngleich die Beschreibung der Fakten vornehmlich nach einem chronologischen Aufbau erfolgt, versucht Gatterer zwei Regeln der Universalhistorie einzuführen und sie zu beachten: Einerseits sollen „die merkwürdigen Begebenheiten eines jeden Volks und Staates“ tatsächlich in chronologischer Folge dargestellt werden, um somit die „entstehenden Staatsveränderungen“ veranschaulichen zu können. Andererseits solle man bei der Universalgeschichtsschreibung aber auch „alle zu einer Zeit im Flor gewesene Reiche und Staaten in einem synchronistischen Zusammenhange erzählen.“74 Die Suche nach der Verbindung von synchronischer und chronologischer Methode der historischen Darstellung ist ein zentrales Anliegen in Gatterers Geschichtsschreibung. In dieser Hinsicht blickt Gatterer auf die Arbeit seines Vorgängers: Die synchronistischen Tabellen von Köhler werden weiterhin als brauchbar wahrgenommen, um der „Zusammenhang und die Verbindung gleichzeitiger Völker und Reiche“ zu verdeutlichen, welche nach seinem Plan besonders für die Erzählung der jüngsten universalhistorischen Fakta unentbehrlich sei.75 Gatterer warf seinen Blick aber auch in eine andere Richtung, und zwar über die traditionellen Grenzen seines Fachgebietes hinaus. Gemäß der vierten „Beschäftigung“ seines neuen Planes für die Universalhistorie wird unter Verfassung der Völker und Staaten u.a. der häusliche Zustand der Menschen beschrieben, ebenso etwa wie Ehestand, „Vielweiberey,“ die ersten Kleider der Menschen (d.h. Adams und Evas) und Essgewohnheiten. Thematisiert werden hier ferner „[d]ie Mäsigkeit und einfältige Lebensart, die Vortreflichkeit der Früchte, und ausnehmende Kraft und Güte der Kräuter und Pflanzen, die Stärke der Anlagen in den Körpern der ersten Menschen, die vorzüglich gesunde Luft u.s.f. […].“76 Eine solch ethnographisch geprägte Beobachtungsweise zeigt sich dann ebenfalls in der Beschreibung von Regierungsformen, Arten von Maß und Gewicht, Gebrauch des Geldes, Zeitteilung, Künste und Wissenschaften, wie Kenntnisse zu Schiffbaukunst oder „Arzneymitteln.“77 Die darunter liegende epistemologische Strategie lässt sich hier sehr klar erkennen: Eine
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Ebd., S. 60-61. Ebd., S. 61. Ebd., S. 61-62. Ebd., S. 140. Ebd., S. 207-208.
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„vierfache Beschäftigung“ der Universalhistorie erlaubte dem professor historiarum in Göttingen, mehrere ‚Wissensprovinzen‘ in seinen neuen Plan aufzunehmen. Wie die Luft bei den Phöniziern gesund war, an deren Küste sogar eine Merkwürdigkeit der Natur befindlich sei, nämlich die Meerschnecken, all dies ordnet Gatterer unter das Tätigkeitsfeld der Erdbeschreibung ein,78 für die mehr Platz innerhalb der Grenzen seiner Universalhistorie geschaffen wurde. Auf diese Weise könnten die von der Natur verbundenen Teile, ohne „die Geschichtskundigen an andere Arten von Gelehrten abtreten“79 zu müssen, plangemäß im Rahmen einer einzelnen Wissenschaft untersucht werden. Was den Gegenstand dieser Wissenschaft angeht, dehnte Gatterer ihren Untersuchungsraum 1764 aus und zielte damit darauf ab, die „Nachrichten von denjenigen berühmten Völkern des Erdbodens“ abzudecken, „deren Geschichte in dem ersten Theile“ – drei bzw. vier Jahre zuvor erschienen – „nicht enthalten ist.“80 Eine „wahre eigentliche Universalhistorie“ wurde von Gatterer erst 1767 zusammenfassend definiert: Sie sei eine allgemeine Völkergeschichte, „die sich auf alle Arten von Merkwürdigkeiten aller bekanten Nationen ausbreitet, und von Erschaffung der Welt bis auf unsere Zeiten“ gehe.81 Dafür tauchte in der 1764 veröffentlichten Fortsetzung dieses Handbuches der Universalhistorie die Geschichte der Chinesen, Koreaner, Tibetaner und Japaner auf, die Gatterer weiterhin nach der vorher bereits etablierten „vierfache[n] Beschäftigung“ der Universalhistorie behandelte.82 Relativ schnell war das Werk vergriffen, weshalb eine neue Auflage
78 Vgl. Ebd., S. 258. 79 Gatterer: „Antwort des Herrn Grafen von B***,“ S. 45. 80 Gatterer, Johann Christoph: Handbuch der Universalhistorie nach ihrem gesamten Umfange bis auf unsere Zeiten fortgesezt, Teil 2, Bd. 1, Göttingen: Im Verlag der Wittwe Vandenhoeck 1764, S. a4r. 81 Gatterer, Johann Christoph: „Von historischen Plan, und der darauf sich gründenden Zusammenfügung der Erzählungen [1767],“ in: Horst Walter Blanke/Dirk Fleischer (Hg.), Theoretiker der deutschen Aufklärungshistorie, Bd. 2: Elemente der Aufklärungshistorik, Stuttgart/Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1990, S. 621-662, hier S. 627. Vor diesem Hintergrund spricht auch Luigi Marino von einer Annäherung Gatterers zu einem anthropologischen Wissensfeld im 18. Jahrhundert: „Hier wie andernorts stellte Gatterer die Universalgeschichte mit der ‚Völkergeschichte‘ gleich und erweiterte dadurch den Umfang seiner historischen Forschung erheblich. Wie Heyne und eine Reihe anderer seiner Kollegen ging Gatterer weit über die Grenzen der traditionellen politischen Historiographie hinaus; um dem Modell einer pragmatischen Geschichtsschreibung, das ihm vor Augen stand, näherzukommen, bediente er sich der – wenn auch noch sehr elementaren – Konzepte der zeitgenössischen Anthropologie.“ Marino: Praeceptores Germaniae, S. 304. 82 Hier werden die historischen Begebenheiten nach Regierungen oder Dynastien chronologisch dargestellt und mit Jahreszahl am Rande versehen. Darüber hinaus
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benötigt wurde, die Gatterer zusammen mit noch einem weiteren Abriß der Universalhistorie im Jahr 1765 auf den Markt brachte. Der Abriß ist aus historiographiegeschichtlicher Sicht besonders relevant, denn hier erklärt der Göttinger seine Terminologie mit Präzision. Die Verfassung der Völker und Staaten,83 die die letzte von seiner „vierfache[n] Beschäftigung“ der Universalhistorie ausmacht, könne entweder als Wissenschaft der Alterthümer (studium antiquitatum) oder als Statistik verstanden werden, je nachdem ob die beschriebene Verfassung Berichte über alte oder zeitgenössische Reiche und Staaten erteile. Damit beabsichtigte Gatterer nützliche Kenntnisse für die Universalhistorie nicht nur aus der Erdbeschreibung, sondern auch aus der Statistik zu gewinnen. Trotz sachlicher, räumlicher und zeitlicher Erweiterung ihres Gegenstandes müsse „[d]ie Universalhistorie […] also kurz seyn,“84 wie Gatterer 1767 seinen Plan im ersten Band der Allgemeinen historischen Bibliothek ausführlicherer erklärt. In der Tat muss sie kurz sein, und zwar hauptsächlich aufgrund der
sind beispielsweise die Hilfsmittel chinesischer Rechenkunst im Detail beschrieben, die aus Holz oder Elfenbein gemacht wurden und sich mit den Steinen europäischer Brettspiele vergleichen lassen. Vgl. Gatterer: Handbuch der Universalhistorie, 1764, Bd. 2, S. 521. 83 Was Gatterer unter „Verfassung der Völker und Staaten“ versteht, wird ebenfalls in vier Aspekten behandelt, nämlich: 1. die gottesdienstliche Verfassung, die sich mit Gott oder Göttern, Tempeln, Beschwörungen und andern Gebräuchen beschäftigt; 2. die politische Verfassung, die Regenten und obrigkeitlichen Personen, Gesetzen, Strafen, Maas, Gewicht und Geld, Bündnissen und Verträgen, Zeitrechnung oder noch das Kriegswesen thematisiert; 3. die häusliche Verfassung, die Hochzeiten, Erziehung, Kleider und Schmuck, Speisen und Getränke, Rechte der Gastfreundschaft, Grüße, Krankenpflege und Ärzten, Begräbnis- und Trauergebräuchen untersucht, d.h. den Zyklus des menschlichen Lebens – Kindheit, Heirat, Tod – in den Mittelpunkt stellt; und 4. die gelehrte Verfassung, die Sprachen, Schrift und Wissenschaften als zu ihrem Gegenstand macht. Vgl. Gatterer, Johann Christoph: Abriß der Universalhistorie nach ihrem gesamten Umfange von Erschaffung der Welt bis auf unsere Zeiten, nebst einer vorläufigen Einleitung von der Historie überhaupt und der Universalhistorie insonderheit, wie auch von den hieher gehörigen Schriftsteller, Erste Hälfte, Göttingen: Im Verlag der Wittwe Vandenhöck 1765, S. 16-17. Um sich begrifflich konsequent in Bezug auf die Zeit vor der Aufspaltung der Menschheit in unterschiedlichen Nationen ausdrücken zu können, benennt Gatterer diese Kategorie als „Verfassung der Menschheit“ im ersten Abschnitt der zweiten Ausgabe seines Abrißes der Universalhistorie (1773) um. Für die darauf folgenden Abschnitte rekurriert er wieder auf den Terminus „Verfassung“ ohne Genitivattribut zurück. Vgl. Gatterer, Johann Christoph: Abriß der Universalhistorie in ihrem ganzen Umfange, 2. Ausgabe, Göttingen: Im Verlag der Witwe Vandenhöck 1773, S. 41. 84 Gatterer: „Von historischen Plan, und der darauf sich gründenden Zusammenfügung der Erzählungen [1767],“ S. 647.
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Fokussierung ihres Blickes auf „[…] die Vorstellung des allgemeinen Zusammenhanges der Dinge in der Welt (Nexus rerum universalis). Denn keine Begebenheit in der Welt ist, sozusagen, insularisch,“ erläutert der Göttinger. „Alles hängt an einander, veranlaßt einander, zeugt einander, wird veranlaßt, wird gezeugt, und veranlaßt und zeugt wieder. Die Begebenheiten der Vornehmen und der Geringen, der einzelnen Menschen und aller zusammen, des Privatlebens und der grossen Welt, ja selbst der unvernünftigen und leblosen Geschöpfe und der Menschen, alle sind in einander verschlungen und verbunden.“85
Indem alles aneinander hänge, erklärte Gatterer zwei Systeme entworfen zu haben, mit Hilfe deren die Geschichte der Länder im Verhältnis miteinander – also, die Universalhistorie – dargestellt werden kann: Das System der Unterwürfigkeit, welches „herrschende“ und „unterthänige“ Nationen durch alle Jahrhunderte erkennt, und das System der Bündnisse, das „erst im 16ten Jahrhunderte nach Christi Geburt“ anfange und sich „nur auf die Europäischen Staaten“ erstrecke.86 Gatterer sah die Ereignisse der Universalhistorie vornehmlich durch die Politik ineinander verschlungen und miteinander verbunden, weshalb er das System der Bündnisse auf die Europäischen Staaten beschränkte. Hier spricht die Tradition der Europäischen Staatengeschichte. Aber mit seiner „vierfache[n] Beschäftigung“ der Universalhistorie ebnete Gatterer gleichzeitig den Weg für eine methodische Erweiterung der Geschichtsschreibung an der Georgia Augusta: Ein ethnographisch ausgerichteter Blick auf die einzelnen Menschen und auf alle zusammen, ebenso wie auf das Privatleben und auf die große Welt, konnte Teile in historischen Verhältnissen zueinander etwas schärfer sichtbar machen.
85 Ebd., S. 659. 86 Ebd., S. 635. Wie Peter Hanns Reill argumentiert, sei diese keine originelle Lösung von Gatterer für eine einheitliche historische Darstellung. Gatterer „[…] opted for a chronological approach supplemented by synchronic tables; then he reversed his focus and offered synchronic studies with chronological tables. His final solution to the problem resembled that of Gibbon. He chose major empires or nations, used their chronological development as a general pattern of organization, and introduced the history of other lands and areas when they came into contact with the major nations.“ Vgl. Reill, Peter Hanns: „History and Hermeneutics in the Aufklärung: The Thought of Johann Christoph Gatterer,“ in: The Journal of Modern History 45 (1973), S. 24-51, hier S. 33.
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4 S CHLÖZER UND DIE VIERFACHE M ETHODE DER U NIVERSALHISTORIE Indem sich die Georgia Augusta rasant als ein einflussreiches Bildungszentrum aufklärerischer Gelehrsamkeit im Alten Reich konsolidierte und eine Generation von Studierenden ausbildete, war ab dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts nicht mehr ungewöhnlich, dass ihre jüngsten Professoren selbst in Göttingen rekrutiert wurden. August Ludwig Schlözer studierte zunächst Theologie in Wittenberg und danach Orientalistik und Philologie bei Johann David Michaelis (17171791) ebenso wie Medizin und Naturwissenschaft an der Georgia Augusta. 87 Bevor Schlözer im Jahr 1769 den Ruf auf eine ordentliche Professur an der Göttinger Philosophischen Fakultät erhielt,88 wo er sich nebenbei als einer der wichtigsten Publizisten der deutschen Spätaufklärung etablieren sollte, unternahm er Forschungs- und Arbeitsaufenthalte in Schweden (1756-58) und Sankt Petersburg (1761-65, u.a.). Dank der Vermittlung von Büsching ging Schlözer nach Russland,89 wobei es nicht lange dauerte, bis die persönliche Beziehung zwischen beiden Gelehrten einen Schaden erlitt. Auslöser dieses akademischen Konfliktes war ein kurzes Schriftstück. Als Schlözer im Jahr 1767 im Urlaub wieder nach Göttingen fuhr, soll er – wahrscheinlich schon vor der Ausreise aus Russland – die historischen Abhandlungen von Büschings geschätztem Freund Gerhard Friedrich Müller kritisiert haben.90 Bei Müller hatte Schlözer sogar als Hauslehrer in Sankt Petersburg gearbeitet,91 weshalb Büsching unverzüglich nach Russland berichtete:
87 Für Schlözers biographische Daten siehe: Becher, Ursula A. J.: „August Ludwig v. Schlözer,“ in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Deutsche Historiker, Bd. 7, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1980, S. 7-23, hier S. 8; Peters, Martin: Altes Reich und Europa. Der Historiker, Statistiker und Publizist August Ludwig (v.) Schlözer (1735-1809), Münster: LIT 2005; Peters, Martin: „August Ludwig (von) Schlözer,“ in: Heinz Duchhardt/Małgorzata Morawiec/Wolfgang Schmale/ Winfried Schulze (Hg.), Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006, S. 79-105. 88 Den Ruf zum Professor der Georgia Augusta bekam Schlözer am 14. Juni 1769. Vgl. Blanke, Horst Walter: „Kommentierende Anmerkungen,“ in: August Ludwig Schlözer, Vorstellung seiner Universal-Historie [1772-73], S. 48, Anm. 178. 89 Peters: Altes Reich und Europa, 2005, S. 58; Peters: „August Ludwig (von) Schlözer (1735-1809),“ S. 85. 90 Gemeint ist es hier: [Anonym]: „Auszug eines Schreibens aus St. Petersburg vom 2-11. Jun. 1767,“ in: Gatterer, Johann Christoph (Hg.): Allgemeine historische Bibliothek, Bd. 5, Halle: Johann Justinus Gebauer 1768, S. 280-283. 91 Während seines Aufenthalts in Russland arbeitete Schlözer zuerst als Hauslehrer bei dem russischen Historiographen Gerhard Friedrich Müller, dessen Kinder er
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„In Gatterers Allgemeine[r] historisch[er] Bibliothek im 5ten Bande [1768] ist anhangsweise ein Brief aus Petersburg und Ihre [Müllers] 1749 gedruckte Schrift De originibus gentis et nominis Russorum geliefert worden. Der Brief ist hämisch. Wahrscheinlicherweise ist dieser Brief von Schlözer. Ich habe wegen desselben einen weitläufigen Brief an Gatterer geschrieben und gezeigt, wie unartig und boshaft er sei. Ihre Rede ist ganz abgedruckt. Warum hat Gatterer den Brief drucken lassen? Wenn die Rede so unerheblich, als der Briefsteller vorgibt, so hätte Gatterer töricht getan, daß er sie wieder abdrucken lassen. Kurz, ich habe ihm eine weitläufige Lektion darüber gehalten.“92
In der Schrift, auf die sich Büsching hier bezieht, wurde der Verdacht zum Ausdruck gebracht, dass die Hauptargumente Müllers bereits in den Abhandlungen des gelehrten Bayers vorgetragen wurden und deshalb keine originelle Leistung wären. Darüber hinaus war der anonyme Verfasser nicht ganz von den genealogischen Ausführungen Müllers überzeugt und schließt deshalb wie folgt seinen kurzen Text ab: „[…] vielleicht schreibe ich selbst einmal eine Abhandlung […].“93 Nicht zufällig widmete sich Schlözer zu diesem Zeitpunkt seiner eigenen Ausgabe von Quellen der russischen Geschichte, wie er bereits versprach. Es handelt sich um eine Probe Russischer Annalen, die 1768 veröffentlicht wurde und zum Ziel hatte, der Gelehrsamkeit unabdingbare Kenntnisse94 über die alte russische Geschichte in deutscher Sprache zu vermitteln. Trotz
unterrichten sollte und mit dessen „umfangreiche[r] historische[r], ethnographische[r] und statistische[r] Sammlung“ Schlözer noch zu organisieren beauftragt war. Dies geht aus einem Schreiben von Büsching an Müller, datiert vom 15. März 1761, wie folgt hervor: „Ich hörte schon auf zu hoffen, daß ich Ew.[Euer] Hochedelgeb[oren] würde einen Kandidaten verschaffen können, als mir vor wenigen Tagen Herr Schlözer einfiel, der einige Jahre lang zu Stockholm in Kondition gestanden hat und seit Jahr und Tag sich wieder hier aufhält. […] Da er nun zur historischen und geographischen Wissenschaft Lust und Geschichtlichkeit hat, auch gern reiset, so dachte ich an ihn, ob er für Ew.[Euer] Hochedelgeb[oren] brauchbar sein würde, und eröffnete ihm also Dero Verlangen. Er bezeigte sich gleich willig, nach St. Petersburg zu reisen und Ew.[Euer] Hochedelgeb[oren] in ihren geographischen und historischen Arbeit zu helfen, auch Dero Kinder ein paar Stunden des Tags zu unterrichten, wünschte aber, daß es noch 1 Jahr anstehen könne, weil er sich hierselbst noch auf die Naturhistorie und einige andere Wissenschaften geflissentlich legen wolle.“ Vgl. „Büsching an Müller, 15. März 1761,“ in: Hoffmann (Hg.): Geographie, Geschichte und Bildungswesen in Rußland und Deutschland im 18. Jahrhundert, S. 172-173. 92 „Büsching an Müller, Ende 1767/Anfang 1768,“ in: Ebd., S. 333. 93 Vgl. [Anonym]: „Auszug eines Schreibens aus St. Petersburg vom 2-11. Jun. 1767,“ S. 283. 94 Schlözer, August Ludwig: Probe Russischer Annalen, Bremen/Göttingen: Georg Ludewig Förster 1768, „Vorbericht,“ S. )(2v-)(3r.
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Schlözers Kritik an Müller überzeugte diese Quellenausgabe, die sogar an den König Georg III. gesendet wurde,95 sowohl den Russlandkenner Büsching als auch den Professor für Geschichte Gatterer.96 In der Tat war Schlözer mit der Russischen Geschichte bis an sein Lebensende verbunden. In Ergänzung an die kleine 1768er Ausgabe veröffentlichte er zwischen 1802 und 1809 ein monumentales Werk, nämlich die kritische Übersetzung der russischen Annalen von Nestor, der von Schlözer bereits in seiner ersten Probe Russischer Annalen als Vater der russischen Geschichte genannt wurde.97 Diese gelehrte Tätigkeit soll hier außerdem als ein Beweis dafür dienen, dass die Göttinger Geschichtsschreibung eng mit der Quellenforschung verbunden war. Direkter gesagt: Die historische Quellenkritik macht ein zentrales Merkmal der Göttinger spätaufklärerischen Historiographie aus.98 Deshalb war die Kenntnis der alten Sprachen für einen Geschichtsforscher von zentraler Bedeutung. Schlözer selbst hat sich im Laufe seines Lebens mit fünfzehn verschiedenen Sprachen auf grammatikalischer Ebene beschäftigt.99 Während das studium annalium grammaticum dem Verständnis der alten Chroniken diente, erkannte Schlözer in den Sprachen ein wesentliches organisatorisches Prinzip für die Welt- bzw. Völkergeschichte: „Man erlaube mir, daß ich die Sprache des Grössesten der Naturforscher in die Völkergeschichte einführe. Ich sehe kein besseres Mittel, den Verwirrungen der ältesten und mittlern Geschichte auszuweichen, und ihre Dunkelheiten aufzuklären, als ein nach Linnäischer Methode verfertiges SYSTEMA POPULORUM, in Classes & Ordines, Genera & Species, redactorum. Die Möglichkeit ist da. So wie Linnäus die Thiere nach den Zähnen, und die Pflanzen nach den Staubfäden einteilt: so würde der Geschichtforscher die Völker nach dem Sprachen ordnen.“100
95 Peters, Martin: „August Ludwig (von) Schlözer,“ S. 87. 96 Vgl. Peters: Altes Reich und Europa, 2005, S. 121. 97 Schlözer: Probe Russischer Annalen, S. 3. Zu Schlözers Ausgabe der russischen Chroniken von Nestor siehe: Araújo, André de Melo: „Gerüste der Bestimmbarkeit von Kulturen,“ in: Bettina Kremberg/Artur Pełka/Judith Schildt (Hg.), Übersetzbarkeit zwischen den Kulturen. Sprachliche Vermittlungspfade. Mediale Parameter. Europäische Perspektiven, Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 2010, S. 47-66. 98 Vgl. Muhlack: Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung, S. 396. Dazu siehe ferner: Iggers, Georg G.: „The European Context of Eighteenth-Century German Enlightenment Historiography,“ in: Hans Erich Bödeker/Georg G. Iggers/Jonathan B. Knudsen/Peter H. Reill (Hg.), Aufklärung und Geschichte. Studien zur deutschen Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1992, S. 225-245. 99 Vgl. Schlözer, August Ludwig: Öffentliches und privat-Leben, von ihm selbst beschrieben, Göttingen: In Vanderhoeck und Ruprecht Verlag 1802, S. 42. 100 Schlözer: Probe Russischer Annalen, S. 72.
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Mindestens seit seinem Aufenthalt in Uppsala war Schlözer gut mit Carl von Linnés (1707-78) Systema Naturae vertraut,101 wobei auch an der Georgia Augusta Linnés Ideen sehr gut verbreitet waren.102 Im Auge hatte Schlözer eine methodische Verschränkung des Linné’schen Systems der Natur mit einem möglichen System der Geschichte, die einem strategischen Nutzen für die Weltgeschichtsschreibung bringen: So wie in der allgemeinen Botanik, wollte man auch in der allgemeinen Geschichte Varietäten mit Blick auf das systematisierbare Ganze der Natur bzw. der Geschichte untersuchen. Diese methodischen Gedanken entsprechen der Verwicklung von Schlözers epistemologischen Interessen an den Lebenswissenschaften mit seiner philologischen Forschung, die im Grunde genommen sowohl der länder- bzw. der völkerspezifischen als auch der allgemeinen Geschichtsschreibung dienten. Damit verquickt war eine deutliche Kritik an der räumlichen Beschränkung der Europäischen Staatengeschichte, die weiterhin einen erkennbaren Einfluss auf die Weltgeschichtsschreibung in Göttingen hatte. Indem Schlözer die Funktion seiner jüngsten Forschungsarbeit bestimmte, fasste er den Kern dieser Kritik wie folgt zusammen: „Die lezte und prächtigste Aussicht, die mir die Rußische Geschichte zu geben scheint, gehet auf die allgemeine Weltgeschichte. In Warheit die bisherige Sphäre derselben ist noch allzu enge! Unsre Historie, so wie wir sie gemeiniglich treiben, ist zu einseitig und eigennützig: sie schrenkt sich blos in die wenigen Völker unsers kleinen Weltteils ein, und fragt nur nach den Nachbarn, die nach dem heutigen Europäischen Statensystem mit dem Vaterlande in Verbindung stehen.“103
Mit gleicher Sorgfalt – so Schlözer – wie der Botaniker einheimische und mexikanische Kräuter für sein System sammelt, solle der Geschichtsforscher den Erdkreis umfassen und im Kontext der Weltgeschichtsschreibung sowohl auf Ludwig XIV. in Frankreich als auch auf die Inkas in Amerika neugierig sein.104 Deshalb stand die Veröffentlichung von Spezialgeschichten und deren Quellen in direkter Verbindung mit der Ausweitung des räumlichen Fokus in der allgemeinen Geschichte. Vor diesem Hintergrund veröf-
101 In der von Schlözer herausgegebenen Zeitschrift Neueste Geschichte der Gelehrsamkeit in Schweden wurde sogar die zehnte Ausgabe von Linnés Systema Naturae in deutscher Sprache rezensiert. Vgl. Schlözer, August Ludwig (Hg.): Neueste Geschichte der Gelehrsamkeit in Schweden, Bd. 4, Rostock: Berger und Boedner 1759, S. 513-525, hier S. 524: „So sieht die Zoologie nun aus, und eine so neue Gestalt hat dieser bisher so verworrene, so schwere, und so unvollständige Teil der Naturgeschichte unter den Händen des unsterblichen Linnäus gewonnen!“ 102 Darauf wird im Kapitel „4. Weltgeschichte und Menschengeschlecht“ der vorliegenden Studie eingegangen. 103 Schlözer: Probe Russischer Annalen, S. 143. 104 Vgl. Ebd.
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fentlichte Schlözer nur drei Jahre später eine Spezialgeschichte, nämlich seine Allgemeine Nordische Geschichte,105 diesmal aber im Rahmen der deutschen Übersetzung der englischen Fassung der Allgemeinen Welthistorie.106 An der Georgia Augusta hatte Schlözer dennoch öffentlich bereits vor der Publikation beider Bände sowohl über die russischen Chronisten (1766) als auch über die nordische Geschichte (1769) vorgelesen. Gatterer erklärte, sogar den Herrn Konsistorialrath Heiliger zu Hannover für diese zweite Veranstaltung eingeladen zu haben, um Schlözer „dadurch den Weg zum hiesigen Proffesorat zu erleichtern.“107 Der Professor für Geschichte in Göttingen hoffte sicherlich damit, weiße Flecken auf der Landkarte der Weltgeschichte besser abdecken zu können. Als Schlözer die Allgemeine Nordische Geschichte 1771 auf den Markt brachte, legte Gatterer mit Hilfe einer räumlichen Metapher die epistemologische Stellung der allgemeinen Geschichte dar: „Die Universalhistorie soll sich zu den Specialhistorien ungefähr, wie die Karte vom Globus und den 4 Welttheilen zu den übrigen Karten verhalten.“108 Womit Gatterer vielleicht nicht rechnete, war dass Schlözer in Göttingen nicht über die nordischen oder russischen Spezialgeschichten lesen würde, „wie es seine Stellenausschreibung vorsah,“109 sondern auch ins Feld seiner eigenen Lehrveranstaltungen so schnell eindringen würde.
105 Vgl. Schlözer, August Ludwig: Allgemeine Nordische Geschichte, Halle: Johann Justinus Gebauer 1771. 106 Dieses bedeutende Übersetzungsunternehmen verdient auf Grund der Zusätze, Erweiterungen und Ergänzungen – nach Helmut Zedelmaier – eher den Titel eines „europäische[n] Unternehmen[s]“: Die übersetzten Bände waren in der Tat nicht selten neu geschrieben, erweitert oder, in aufklärerischer Sprache, verbessert. Vgl. Zedelmaier, Helmut: Der Anfang der Geschichte. Studien zur Ursprungsdebatte im 18. Jahrhundert, Hamburg: Felix Meiner Verlag 2003, S. 144 Die englische Fassung der Allgemeinen Welthistorie besteht eigentlich aus einer Sammlung von Geschichten unterschiedlicher Weltteile. In der Einleitung des ersten Bandes ist es zu lesen: „Wir sind willens eine allgemeine Historie des menschlichen Geschlechts, vom Anfang der Schöpfung bis zur auf gegenwärtige Zeit, zu schreiben. Gewiß ein weitläuffiges Unternehmen! dessen Ausführung auch alsdenn kaum thunlich seyn würde, wenn wir gleich von allen Völkern Geschichtsbücher hätten, und derselben Folge ganz volständig wäre.“ Vgl. Uebersetzung der Algemeinen Welthistorie die in Engeland durch eine Geselschaft von Gelehrten ausgefertiget worden, Teil 1, Halle: Johann Justinus Gebauer 1744, S. 3. 107 Gatterer: Antwort auf die Schlözersche Species Facti, S. 19. 108 Gatterer, Johann Christoph: Einleitung in die synchronische Universalhistorie, zur Erläuterung seiner synchronistischen Tabellen, Göttingen: Im Verlag der Wittwe Vandenhoek 1771, S. 1. 109 Peters: Altes Reich und Europa, 2005, S. 156.
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Mit seinen Vorlesungen zur Universalhistorie begann Schlözer bereits im Sommersemester 1770. Damit hat sich auch die Konkurrenzlandschaft an der Georgia Augusta offensichtlich verdichtet: Sowohl im Sommer- als auch im Wintersemester haben Schlözer und Gatterer parallel zueinander ein Kolleg zum gleichen Thema angekündigt. Im Sommer um 4 Uhr oder im Winter um 3 Uhr konnten die in Göttinger Studierenden entweder bei dem einem oder bei dem anderen Universalhistorie hören. Es dauerte nicht lange, bis die Konkurrenz zwischen beiden Professoren sich sowohl im Hörsal als auch auf dem Lehrbuchmarkt zuspitzte: 1772 veröffentlichte Schlözer die Vorstellung seiner Universalhistorie. Dabei heißt die Universalhistorie „die Revolutionen des Erdbodens“ und „des menschlichen Geschlechtes“ nach ihren Gründen zu erkennen, sprich: „die grossen Weltbegebenheiten im Zusammenhange“ zu durchdenken.110 Die Funktion der Universalhistorie ist hier demzufolge die Herstellung einer Kausalverbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Sie solle „die vergangene Welt an die heutige anschliessen,“ so Schlözer, „und das Verhältniß beider gegen einander lehren.“111 Mit seinem Lehrbuch wollte Schlözer dem Publikum erklären, nach welchen „Methoden von Weltgeschichte“ er seine Vorstellung schreibt und warum er dies tut.112 Dafür definiert der Göttinger zuerst den Gegenstand seiner Vorlesung, worüber er schon Spuren in seiner bisherigen Publikationen hinterließ. Indem die Universalhistorie „die Welt und das menschliche Geschlecht“113 als Forschungsgegenstand hat, liegt ihr eine vierfache Methode zugrunde, die sich je nach Art der Zusammenstellung universalhistorischer Begebenheiten voneinander unterscheiden und ergänzen lassen. Die chronographische Methode ist die erste Variante, wonach die facta synchron geordnet werden. Überwiegend nach dieser Methode wurde die Universalhistorie bis dato an der Georgia Augusta gelehrt und deshalb zeigt sie zwar ein charakteristisches Merkmal der aufklärerischen Historiographie aber keine Innovationsleistung, die per se die Drucklegung eines neuen Lehrbuches begründen könnte. Nach der zweiten und sogenannten technographischen Methode rücken die mittelbaren und unmittelbaren Folgen von den Epoche machenden Erfindungen eines Volkes auf die anderen Völker ins Zentrum der Darstellung. Die Konstruktion einer Art von Kette an Erfindungen macht den Fokus dieser Methode der Geschichtsschreibung aus. Anhand der Verkettung historischer Sachverhalte wollte man im 18. Jahrhundert „nicht nur die Konstruktion linearer Kausalverbindungen“ unterstützen, „sondern vor allem die Erforschung wechselseitiger Beziehungen zwischen […] verschiedenen Fakto-
110 111 112 113
Schlözer: Vorstellung seiner Universal-Historie [1772-73], Bd. 1, S. 1-2. Ebd., Bd. 1, S. 4. Schlözer: Vorstellung seiner Universal-Historie [1772-73], Bd. 2, S. 242. Ebd., Bd. 1, S. 2-3.
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ren“114 durchführen. Im Falle Schlözers lag das Kriterium für die Auswahl der zu untersuchenden Erfindungen in ihrer technischen Entwicklung, die zur Glückseligkeit der Menschheit beigetragen haben und deren Tragweite erstmals eher durch lineare Kausalverbindungen bemessen wurde. Beispiele solcher Erfindungen sind der Weg von Quecksilber bis zu den Apotheken115 oder der Weg von der Erfindung des Glases bei den Phöniziern bis zur Mikroskopie Anton van Leeuwenhoeks (1632-1723) oder zur Astronomie Isaac Newtons (1643-1727). Mit Hilfe des Mikroskops und des Teleskops wurde ab dem 17. Jahrhundert möglich, so Schlözer, „neue Wunder auf dem Erdboden, und neue Welten am Himmel zu entdecken.“116 Somit ist die Gegenwart Europas mit der Vergangenheit der Phönizier durch die technographischen Methode der Universalhistorie verkettet. Anders als bei der gewöhnlichen chronologischen Methode, erforderte diese zweite Variante am Anfang der 1770er Jahren noch eine einführende Erklärung. „Ich mußte meinen Zuhörern wenigstens sagen, was ich zu dieser Wissenschaft rechnete, und warum ich es dazu rechnete: warum ich umständlicher bei der Geschichte des Feuers und Geldes, als bei den Namen der Patriachen und Römischen Kaiser, wäre: sie hätten sonst glauben können, sie lernten bei mir das gar nicht, was man sonst Universalhistorie nennt.“117
Was man in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sonst Universalhistorie genannt hat, stand in direkter Verbindung mit deren Methode ebenso wie mit der Schärfe ihrer eigenen Wissensgrenzen. Schlözer weitet deshalb mit Hilfe neuer Ansätze die Grenzen der Universalhistorie bewusst aus. Anhand der dritten, nämlich der geographischen Methode von Schlözers Universalhistorie, wird die Erde nach ihren vier großen Regionen geteilt, und diese wiederum in kleinere Teile, deren „Schicksale eines jeden solchen Theils besonders, doch gleichwol alle systematisch in einander geflochten“
114 Rohbeck, Johannes: Aufklärung und Geschichte. Über eine praktische Geschichtsphilosophie der Zukunft, Berlin: Akademie Verlag 2010, S. 70-71. Es ist kein Zufall, dass Rohbeck die Verkettungsstrategie der aufklärerischen Geschichtsschreibung am Beispiel Antoine-Yves Goguets (1716-58) durchführt. Auch Schlözer erwähnt Goguets De l’origine des Loix, des Arts & des Sciences & des leurs progrès chez les Peuples bei der Darstellung seiner technographischen Methode. Vgl. Schlözer: Vorstellung seiner Universal-Historie [177273], Bd. 1, S. 98. 115 Siehe: Schlözer: „Vorrede zur zwoten Ausgabe [1775],“ in: Schlözer, Vorstellung seiner Universal-Historie [1772-73]. 116 Schlözer, August Ludwig: Versuch einer allgemeinen Geschichte der Handlung und Seefahrt in den ältesten Zeiten, Rostock: im Verlag der Koppischen Buchhandlung 1761, S. 160. 117 Schlözer: Vorstellung seiner Universal-Historie [1772-73], Bd. 2, S. 371-372.
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erzählt werden.118 Hier macht Schlözer wieder die tragende Funktion der Spezialgeschichten für die Universalhistorie deutlich. Darüber hinaus musste Schlözer eine letzte Herangehensweise der Universalhistorie seinen Studierenden erläutern, nämlich die ethnographische Methode. Dieser methodischen Variante zufolge wird die Zusammenstellung universalhistorischer Sachverhalte nach einem unbestimmten und vielschichtigen Begriff gemacht, nämlich Volk. Für die Geschichtsschreibung sei der Volksbegriff wie folgt anwendbar: „Man theilt die Bewohner des Erdkreises in grosse und kleine Haufen, nach gewissen mehr oder weniger zufälligen Aehnlichkeiten, in denen eine Menge von Menschen unter sich übereinkommen. Wegen dieser Aehnlichkeit denkt man sich die ganze Menge als eine Einheit, und man nennt sie Ein Volk.“119
118 Ebd., Bd. 1, S. 98-99. 119 Ebd., Bd. 1, S. 99. Über die ethnographische Methode der Universalhistorie gab Schlözer nähere Auskünfte bereits ein Jahr zuvor in seiner Allgemeinen Nordischen Geschichte: „Zur Entwerfung eines allgemein Systems Nordischer Geschichte, dienet theils die ethnographische Vorstellung dieses Welttheils nach seinen Stammvölkern […], unter denen die Slaven als ein Hauptvolk, aber noch zur Zeit das unbekannteste Hauptvolk, aus Byzantinischen Quellen, deren Gebrauch vorzüglich weitläufig und mühsam ist, besonders beschrieben worden […]; theils die geographische Beschreibung zweyer Hauptgegenden des Nordens […].“ Vgl. Schlözer: Allgemeine Nordische Geschichte, „Vorrede,“ S. 6. Seinen ethnographischen Blick auf die Geschichte der Völker – ganz nah an Gatterers Verständnis über die Verfassung von Staaten und Völker als eine zentrale Beschäftigung der Universalhistorie – übte Schlözer bereits während seines Aufenthalts in Russland. Gleichzeitig zur Probe Russischer Annalen ließ er ferner einen kleinen Band zur Bevölkerung in Russland veröffentlichen, der um die Unschädlichkeit der Pocken zwischen den Russischen Völkern geht. Für diese Unschädlichkeit des Körpers fand der Göttinger eine Erklärung in den Schwitzstuben, also in den Gewohnheiten bzw. in der Lebensart der Russen, wobei „Klima, Lage, und Witterung“ weiterhin „vielen Einfluß in den Verlauf der Pocken“ haben solle. Vgl. Schlözer, August Ludwig: Von der Unschädlichkeit der Pocken in Rußland und von Rußlands Bevölkerung überhaupt, Göttingen/Gotha: Johann Christian Dieterich 1768, S. 96. Vor diesem Hintergrund vertritt Han Vermeulen die These, dass die deutsche Aufklärung eine bedeutende Rolle für die Entwicklung der Ethnographie und Ethnologie gespielt habe. Unter Ethnographie versteht Vermeulen eine deskriptiv verfahrende Völkerkunde, wie sie in Göttingen vornehmlich von August Ludwig Schlözer betrieben wurde und die auf das Wissen über den Menschen und die Menschheit abzielte. Vgl. Vermeulen, Han F.: „Von der Völker-Beschreibung zur Völkerkunde. Ethnologische Ansichten Gerhard Friedrich Müllers und August Ludwig Schlözers,“ in: Erich Donnert (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt, Bd. 7, Köln u.a.: Böhlau 2008, S. 781-
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Diese Definition mangelte es allerdings noch an operativen Kategorien, weshalb Schlözer innerhalb einer einheitsstiftenden Methode wieder eine neue Aufteilung einführt. Sowohl nach geographischem als auch nach genetischem Verstand kann ein Volk durch seinen Sprachgebrauch ausdifferenziert werden. Die Vorteile dieser Perspektive kannte der Göttinger im Detail aufgrund, erstens, seiner Beschäftigung mit der historischen Quellenkritik und zweitens, wegen seiner Suche nach einem wissenschaftlich gültigen organisatorischen Prinzip für die allgemeine Geschichte. Schon nach politischem Verstand „[…] nennet man alle diejenige Ein Volk, die in einen Stat verbunden sind, oder unter Einer Oberherrschaft stehen.“120 Diesem letzten Kriterium wendet sich Schlözer hauptsächlich in seinen statistischen Vorlesungen zu. Obwohl sich die hier kurz vorgestellten Methoden von Schlözers Universalhistorie durch das ihnen unterliegende organisatorische Prinzip unterscheiden lassen, lag die Kraft dieses vierfachen methodischen Programmes an seiner durchlässigen Grenzbestimmung: Die chronologische, technographische, geographische und ethnographische Methode der Universalhistorie kreuzen sich und üben gegenseitige Wirkungen aus. Der Breite der Methode entsprechend ist ihr Forschungsgegenstand „die Welt und das menschliche Geschlecht.“121 Wenn man hier die anthropologische Komponente von Schlözers Geschichtsschreibung zu erkennen vermag, soll diese nicht nur im Gegenstand – hier: die Welt und das menschliche Geschlecht – gesucht werden, sondern vor allem in der Art der Zusammenstellung universalhistorischer Sachverhalte. Das zentrale anthropologische Wissensprinzip der deutschen Spätaufklärung, nämlich der Versuch, Teile im Verhältnis miteinander zu untersuchen,122 wird mit aller Deutlichkeit in Schlözers Vorstellung seiner Universalhistorie formuliert.
801, hier S. 782; Vermeulen, Han F.: „The German Invention of Völkerkunde. Ethnological Discourse in Europe and Asia, 1740-1798,“ in: Sara Eigen/Mark Larrimore (Hg.), The German Invention of Race, Albany: State University of New York Press 2006, S. 123-145, hier S. 124; Vermeulen, Han F.: „Göttingen und die Völkerkunde. Ethnologie und Ethnographie in der deutschen Aufklärung, 1710-1815,“ in: Hans Erich Bödeker/Philippe Büttgen/Michel Espagne (Hg.), Die Wissenschaft vom Menschen in Göttingen um 1800. Wissenschaftliche Praktiken, institutionelle Geographie, europäische Netzwerke, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008, S. 199-230, hier S. 216. Zur Ethnographie im Göttinger Kontext, besonders am Beispiel Schlözers, siehe ferner: Stagl, Justin: Eine Geschichte der Neugier. Die Kunst des Reisens, 1550-1800, Wien u.a.: Böhlau 2002. 120 Schlözer: Vorstellung seiner Universal-Historie [1772-73], Bd. 1, S. 103. 121 Ebd., Bd. 1, S. 3. 122 Für nähere Erklärung dieses Wissensprinzips siehe das Kapitel „1. Weltgeschichte und Anthropologie in Göttingen“ der vorliegenden Studie.
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„[Die] gegenseitige Wirkungen des einen Teils (oder Volks) in den andern, des andern in den dritten, des dritten in den vierten, u.s.w. nach allen Directionen von Osten nach Westen, von Süden nach Norden hin, in den Annalen zu bemerken, zu erklären, zu sammlen, und in Harmonie zu bringen: das ist das große Geschäfte der Universalhistorie.123“
Um dieses Hauptanliegen der Universalhistorie untersuchen zu können, musste Schlözer zuerst – so wie auf ähnliche Weise auch Gatterer – die Vielfalt der historiographischen Beschäftigungen und Methoden epistemologisch durchdenken.
5 E PISTEMOLOGISCHER H INTERGRUND EINES F EDERKRIEGES Obwohl sich Schlözers Vorstellung schnell im Alten Reich verbreitete, war ein Bogen, also 16 gedruckte Seiten, die im Zusammenhang mit dieser Publikation erschienen, nur den Göttingern zugänglich. Es handelt sich um eine schriftliche Kontroverse, die zwar ökonomische und persönliche Gründe als Auslöser an der Georgia Augusta hatte, aber sich aus historiographiegeschichtlicher Sicht hauptsächlich als eine nicht programmatische Debatte über die Beschäftigungen und Methoden der Universalhistorie darlegen lässt. Als Schlözer den Ruf als ordentlicher Professor nach Göttingen annahm, wollte er – entgegen der Erwartung Gatterers – nicht nur über die russische und nordische Spezialgeschichten lehren, sondern auch eine regelmäßige Vorlesung über die Universalhistorie halten. „Diese Wissenschaft, unstreitig ein Studium für alle Studierende aus allen Facultäten,“ schrieb Schlözer im Jahr 1773, „war bisher nur von Einem gelesen worden […].“124 Im groben Zügen entspricht diese Feststellung der Wahrheit: Seitdem Gatterer 1759 als professor historiarum an der Georgia Augusta tätig war, hatte er vor der Ankunft Schlözers 23 mal, jedes Semester, so gut wie alleine die Universalhistorie gelehrt. Nur in zwei Semestern las parallel zu Gatterer, wobei nie zu gleicher Uhrzeit, auch Johann Tobias Köhler zum selben Thema. Auch ist wahr, dass diese Art von historischer Lehrveranstaltung Interesse bei Studierenden anderer Fakultäten weckte, weshalb sie in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts ein einträgliches Geschäft war. In diesem Lehrkontext fand Schlözer schnell ein großes Publikum. Seinem Bericht zufolge ist die Anzahl seiner Zuhörer in der Weltgeschichte besonders ab dem Wintersemester 1771/72 stets gestiegen. Dies habe Gatterer
123 Ebd., Bd. 2, S. 271. 124 Schlözer: „Species Facti [1773],“ in: Schlözer, Vorstellung seiner UniversalHistorie [1772-73], S. 404.
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dazu veranlasst, seine Unzufriedenheit über den Lehrplan des neuen Kollegen „mit mererer Publicität […] erkennen zu geben.“125 Gatterer klage, „er verdiene jezt wenig Geld mit seinen Collegien; und dieses Geld nähme ich,“ so Schlözer, „für ihn ein.“126 Den Hintergrund dieser Klage ist einfacher nachvollziehbar, wenn man die akademische Politik der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Auge behält, so wie sie Christoph Meiners – sicherlich mit dem Modell Göttingens im Kopf – wie folgt beschreibt: „Professoren wählen selbst ihre Vorlesungen, bestimmen und verändern die Stunden der Vorlesungen, und wechseln mit den Vorlesungen nach Belieben ab. […] So wohl die Vorlesungen, als die schriftstellerischen Arbeiten werden außer dem Vergnügen, was sie gewähren, gleichsam auf der Stelle durch pecuniarische Vortheile, und durch Beyfall oder Ruhm belohnt.“127
Besonders in Hinsicht auf ökonomische Vorteile, Beifall und Ruhm wurde der 1773 ausgelöste – und auf Anordnung der hannoveranischen Regierung128 sofort beendete – Federkrieg zwischen Schlözer und Gatterer in der Forschung wahrgenommen.129 Diese Aspekte sollen hier nicht aus dem Blick verloren gehen. Darauf greife auch ich zurück, um die Konkurrenzlandschaft an der Philosophischen Fakultät in Göttingen auf eine solide Quellenbasis zu stellen. Gleichzeitig verdeutlicht dieser Federkrieg zwei spätaufklärerische Perspektiven über die geeignetsten epistemologischen Zugänge zu der ganzen Welt, zu den Teilen im Zusammenhang als Gegenstand der Geschichtsschreibung.
125 Ebd., S. 405. 126 Ebd., S. 409. 127 Meiners: Ueber die Verfassung und Verwaltung deutscher Universitäten, Bd. 2, S. 47. 128 Blanke: „Kommentierende Anmerkungen,“ in: Schlözer, Vorstellung seiner Universal-Historie [1772-73], S. 54, Anm. 201. 129 Darauf hat Martin Peters berechtigerweise hingewiesen: „U. Joost begründete die Ursachen der Kontroversen, die zwischen den Göttinger Professoren ausgetragen wurden, mit ihrer persönlichen Eitelkeit sowie mit sozialen und ökonomischen Erwägungen. In seiner Interpretation schloß der Autor inhaltliche und sachliche Ursachen für die Debatten weitgehend aus.“ Peters, Martin: Altes Reich und Europa, S. 156. Hier bezieht sich Peters an den folgenden Text: Joost: „Göttinger Gelehrtengezänk,“ S. 45-59. Ohne das Argument zu erweitern, weist Horst Walter Blanke auf den Kern dieses gelehrten Streits hin: Es gehe um „die Frage der geeignetsten universalhistorischen Darstellungsmethode.“ Vgl. Blanke: „Einleitung,“ in: Schlözer, Vorstellung seiner UniversalHistorie [1772-73], S. XXXIX. Aber weder von Blanke noch von Peters ist diesen Federkrieg auf einer historiographiegeschichtlichen Basis ausreichend untersucht worden.
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So verschärfte sich die Diskussion zwischen Gatterer und Schlözer nicht nur darüber, wer im Laufe der Zeit mehr Studierende an sich zog, sondern auch, wer sich von den anderen angesichts eines Plans für die Universalhistorie beeinflussen ließ: „Entweder ich habe Hrn. G[atterer]s Erfindungen gebraucht. Oder Hr. G[atterer] hat sich einige meiner Aenderungen belieben lassen,“130 provozierte Schlözer. In spätaufklärerischer Sprache stellte sich damals die Frage, wer der „Plündernde“ und der „Geplünderte“ war.131 Auf die gleiche Weise fühlte sich Gatterer wenige Jahre vor der Ankunft Schlözers mit dem Plan von Büsching für die Erdbeschreibung gestört: Büschings Bände – wie wir bereits verbatim kennen – waren „eine Plünderung der Geschichtsbücher zum vermeynten Vortheile der Geographie.“132 Plünderungen wurden demzufolge im Zusammenhang mit der Grenzziehung von Gegenstandbereichen einer Wissensform definiert; sie ließen sich im Jahr 1773 aufgrund schwer zu vereinbarender Pläne für die „vierfache[] Beschäftigung“ und für vier neuen Methoden der Universalhistorie, aber auch als Kampfparole gebrauchen. Der Verlauf des Krieges verdiente hier angesichts des epistemologischen Hintergrundes seiner gelehrten Offensiven eine nähere Erklärung. Gatterer reagierte auf die Schrift Schlözers unverzüglich. Er habe die Feder ergriffen, um sich angesichts des Plagiatsvorwurfs zu verteidigen.133 Von zwei Gelehrten, die sich in Göttingen mit der Geschichte beschäftigten, hätte man vielleicht nichts anderes erwarten können, als eine chronologisch ausgerichtete Ausführung der jeweils eigenen Pionierleistungen. „Um zu beweisen, daß nicht Er [Schlözer] mich, sondern Ich [Gatterer] ihn geplündert (sein eigner Ausdruck), beruft er sich blos auf meine universalhistorischen Bücher, und übergeht geflissentlich 2 Hauptquellen, aus denen er meinen ganzen Plan der Universalhistorie, meine ganze universalhistorische Denkungsart, Methode, Entdeckungen u.s.f. gelernt hat: dieß sind theils meine Vorlesungen im Institut, die er 1765, 1766, 1768 und 1769 mit angehört, und noch denen viele noch ungedruckt sind; theils die 16 Bände der allgemeinen historischen Bibliothek von 1767 an, die ich ihm Theil für Theil geschenkt, und die er fleißig gelesen hat.“134
Die chronologischen Grenzen der Göttinger Universalhistorie zieht Schlözer aber noch weiter nach hinten, sodass seine erste universalhistorische Schrift die 1758 in Schweden veröffentlichte phönizische Geschichte wäre, während Gatterer erst 1761 sein erstes Handbuch zum Thema schrieb. „[…]
130 Schlözer: „Species Facti [1773],“ in Schlözer, Vorstellung seiner UniversalHistorie [1772-73], S. 414. 131 Ebd., S. 415. 132 Gatterer: „Schreiben des Freyherrn von F**,“ S. 43. 133 Gatterer: Antwort auf die Schlözersche Species Facti, S. 37: „Schlözer will mich zum Plagiarius seines universalhistorischen Kompediums machen.“ 134 Ebd., S. 37-38.
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[F]olglich bin ich in diesem Studio, wovon hier die Rede ist, gar 3 Jare älter wie er,“135 meinte Schlözer. Diese selbst erklärte Pionierleistung akzeptierte Gatterer nicht. Im Buch gehe es höchstens um die Handelsgeschichte der Phönizier und nicht um eine allgemeine Geschichte der Handlung und Schifffahrt,136 weshalb Schlözers ganze bisherige universalhistorische Arbeit eher als einen Unfug bezeichnet werden könne. „Das Wort Unfug wird zwar in verschiedener Bedeutung genommen, hier aber verstehe ich [Gatterer] darunter eine Reihe listiger Unternehmungen, die dahin zielen, um aus kleinen und unbedeutenden Dingen grose, aus alltäglichen und bekannten neue und unerhörte, aus Fehltritten, Kühnheiten und Deklamationen eines Neulings Grosthaten eines Kenners zu machen, und zwar mit solchem Geschrey zu machen, daß darüber das Publikum eine zeitlang betäubt wird.“137
Während Schlözer in Uppsala nicht nur für die Anschlussfähigkeit von Methoden der Botanik für die Geschichte, sondern auch für die Verbindungsform historischer Sachverhalte für ein wachsendes Interesse sorgte, schrieb er seinen Versuch einer allgemeinen Geschichte der Handlung und Seefahrt in den ältesten Zeiten. Angeregt wurde dieses frühere Interesse Schlözers an der Handlungs- und Schifffahrtsgeschichte durch die Möglichkeit, eine schon seit langem ersehnte Reise in den Orient von schwedischen Kaufleuten finanziert zu bekommen.138 Besonders aufgrund seines Studiums der Orientalistik in Göttingen pflegte der Schüler Michaelis’ die Lust auf das Reisen. „Die Langeweile in der StudirStube tödet mich allmälich. Da ich fast die Hälfte meines Lebens auf Reisen zugebracht; so ist mir das Reisen dadurch wie zur andern Natur geworden,“139 erzählt Schlözer rückblickend.
135 Schlözer: „Species Facti [1773],“ in: Schlözer, Vorstellung seiner UniversalHistorie [1772-73], S. 411. 136 Gatterer: Antwort auf die Schlözersche Species Facti, S. 9. 137 Ebd., S. 42. 138 Dazu siehe: Peters: Altes Reich und Europa, S. 46-52. 139 „Schlözer an G. Brandes, 23. August 1781,“ in: Frensdorff, Ferdinand: Von und über Schlözer, Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1909, S. 53-54, hier S. 53. Anhand von dieser Reiselust stellte Andreas Kraus die unterschiedlichen Profile beide Göttinger Gelehrten dar: „Schon aus diesem Grund stand August Ludwig Schlözer im Gegensatz zu Gatterer, Schlözer konnte nie genug an Wissen sammeln. Gatterer war demgegenüber unnahbar, steif, in seine Studienstube vergraben, Schlözer beweglich, weltoffen, politisch aktiv wie kein anderer deutscher Professor. Als er 1769 seinen Lehrstuhl für Politik antrat und seine Vorlesungen über Statistik, Politik und europäische Staatengeschichte begann, sank die Höhrerzahl Gatterers in kurzer Zeit auf 30 herab, Schlözer dagegen gewann nach und nach bis zu 300 eingeschriebene Höhrer. Die Folge war eine offene Feindschaft zwischen beiden, aber es waren wiederum beide zusammen, die Göttingens Ruf als Stätte der historischen Forschung begründeten.“ Kraus,
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Auf der anderen Seite muss hier hervorgehoben werden, wie ein solches Thema Schlözers System der Geschichtsschreibung prägte, denn gerade durch den Handel etablierten sich Kommunikation und Kontakte zwischen den Völkern. In diesem 1768er Band wird der Handel „als die Hauptursache der Hervorziehung des alten Europens aus seiner Barbarey“140 erhoben. Mittels der Geschichte der Handlung wollte Schlözer in der Tat die Geschichte menschlicher Erfindungskraft untersuchen.141 Dafür ist die Errichtung bürgerlicher Gesellschaften mit der Entdeckung neuer Länder und der Verbesserung der Seefahrt durch Ursache-Wirkungs-Verhältnisse mit einander verknüpft worden.142 Daran anschließend beabsichtigte er, die bedeutendsten und wirkungsvollsten Erfindungen in einer Kette anzuordnen, die von ihrem „unförmlichen Anfange bis zu der höchsten Stufe ihrer Volkommenheit nachzudenken“ geben,143 wie das Beispiel des einfachen Glases bis zur Mikroskopie beweist. Dieses Hauptanliegen Schlözers in seinen früheren Unternehmen soll die Interpretation dieses Federkrieges stützen, die nicht die Pionierleistungen im Bereich der Universalhistorie fokussiert, um mögliche Eroberer neuer Wissensprovinzen zu ehren, sondern die sich dem epistemologischen Hintergrund des Krieges zuwendet. Nach Gatterer sind die „vierfache Beschäftigung“ der Universalhistorie: 1. ihre „brauchbarsten Schriftsteller,“ 2. die Erdbeschreibung, 3. die Erzählung historischer Begebenheiten und 4. die Beschreibung der Völker und Staaten nach ihren gottesdienstlichen, politischen, häuslichen und gelehrten Verfassungen. Damit werden die Grenzen der Universalhistorie ausgedehnt, die über die Tradition der Europäischen Staatengeschichte hinaus besonders durch den ethnographischen Blick auf unterschiedliche Völker der ganzen Welt erweitert wird. Epistemologisch gesehen widmete sich Gatterer der Empirie: Der Erzählung historischer Begebenheiten wird durch die Kenntnisse der Erdbeschreibung und durch die Beschreibung der Völker und Staa-
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Andreas: Vernunft und Geschichte, S. 173. In Göttingen pflegte Schlözer sogar ein Reisenkolleg in einer Gattungstradition, die Johann David Köhlers 1762 posthum erschienen Anweisung für Reisende Gelehrte mehr oder weniger fortsetzte. Im Wintersemester 1795/96 fing Schlözer diese Lehrveranstaltung dennoch mit einer scharfen Kritik an Köhler an, der zwar Anweisungen für Reisen der Gelehrten herausgab, aber „selbst […] nie gereist [war].“ Ebel, Wilhelm (Hg.): Vorlesungen über Land- und Seereisen gehalten von Herrn Professor Schlözer, Göttingen: Musterschmidt Verlag 1964, S. 11. Zur Einordnung Schlözers Reisekolleg in der Lehrtradition der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts siehe: Schleier, Hans: Geschichte der deutschen Kulturgeschichtsschreibung, Bd. 1, Teil 1, Waltrop: Hartmut Spenner 2003, hier S. 129. Schlözer: Versuch einer allgemeinen Geschichte der Handlung und Seefahrt, „Vorrede,“ S. 5r. Vgl. Ebd., S. 8. Vgl. Ebd., S. 22. Vgl. Ebd., S. 160.
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ten nach ihren Verfassungen „geholfen.“ Für den Direktor des Königlichen historischen Instituts wurde die Geschichtsschreibung – und somit die Beschäftigung mit der Universalhistorie – von den Hilfswissenschaften untermauert, und zwar nicht nur von der Chronologie, der Genealogie, der Heraldik, der Numismatik und der Diplomatik, sondern auch von der Geographie bzw. der Erdbeschreibung.144 Schon Schlözer stellt vier „Methoden von Weltgeschichte“ auf, nämlich 1. die chronographische, 2. die technographische, 3. die geographische und 4. die ethnographische Methode. Damit hatte er weniger eine empirische Ausdehnung der Geschichtsschreibung im Auge, als vielmehr einen methodischen Plan für die Darstellung universalhistorischer Sachverhalte, für die Operationalisierung eines Wissensprinzips, wonach Teile im Zusammenhang erklärt werden könnten. Diesen prinzipiellen Unterschied begriff Gatterer auf indirektem Weg, als er der Öffentlichkeit den Absicht seiner Kriegsschrift sehr ironisch gegenüber der Sprache von Schlözer vorstellte: „[…] Hier ist die Vorstellung meiner Vertheidigung, das ist, Plan und Probe, wie meine künftige Vertheidigung ausfallen werde.“145 Mit mehr oder weniger Genauigkeit können Schlözers methodische Pläne mit Gatterers Beschäftigungen der Universalhistorie schematisch wie folgt verglichen werden: Tabelle 2: Göttinger Federkrieg: „Beschäftigungen“ und Methoden der Universalhistorie Gatterers „Beschäftigungen“
Schlözers Methoden
Brauchbarste Schriftsteller
[Quellenkritik]
Erdbeschreibung
Geographische Methode
Erzählung historischer Begebenheiten (nach synchronischer und chronologischer Methode)
Chronographische Methode
Völker und Staaten nach ihren Verfassungen
Ethnographische Methode
[Unter Verfassung integriert]
Technographische Methode
Obgleich Gatterer die Erfindungen unterschiedlicher Völker in seiner Geschichtsschreibung berücksichtigt,146 und zwar in der Regel unter der vierten Beschäftigung der Universalhistorie, nämlich: die Verfassungen der Völker und Staaten –, werden sie nicht als ein mögliches leitendes Element bei der
144 Für Gatterers Definition der jeweiligen historischen Hilfswissenschaften siehe: Gatterer: Handbuch der Universalhistorie, 1761, S. 3-25. 145 Gatterer: Antwort auf die Schlözersche Species Facti, S. 5. 146 Gatterer zitiert sogar aus Schlözers Geschichte der Handel in seinem Handbuch der Universalhistorie. Vgl. Gatterer: Handbuch der Universalhistorie, 1761, S. 270.
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Verkettung universalhistorischer Sachverhalte wahrgenommen. Sie sind Gegenstand empirischer bzw. ethnographischer Beobachtung über die ganze Welt, aber keine Methode, um die Teile der Welt im Verhältnis darzustellen. Im Jahr 1764 listet Gatterer unter Verfassung die Beschreibung unterschiedlicher Religionen, Gesetze, Verwaltung der Staatsgeschäfte, Sprache und Schrift ebenso wie Erfindungen auf. Ein Beispiel dafür ist die Buchdruckerkunst, die in China mindestens 400 Jahre älter als in Europa sei, wobei sie „von der Europäischen ganz verschieden“ sei.147 Als der Federkrieg 1773 ausbrach, tauchten bei Gatterer die Erfindungen bei der chronologischen Übersicht der ganzen Historie auf, um ein herrschendes Volk bzw. aufgeklärte Völker zu bezeichnen, aber nicht um die Teile in einen Zusammenhang zu bringen. Auf das gleiche Beispiel der Buchdruckerkunst greift Gatterer wieder zurück. „Guttenberg ein Maynzer, erfand die Buchdruckerkunst, die schon Cicero würde erfunden haben, wenn ihm die Disputirhize einen Vernunftschluß hätte vollenden lassen, zu welchem er schon den einen Vordersaz gedacht hat. Nun kann kein Schihoang-ti, kein Omar mehr eine allgemeine Bücherverheerung unternehmen. So ward Teutschland das Vaterland aller gedruckten Bücher in der Welt.“148
Erfindungen dienen hier keiner technographischen Methode der Geschichtsschreibung, anhand derer Völker in großen Zeitsprüngen verkettet werden können, sondern sehen sich lediglich mittels Gatterers chronologischer Methode als eine merkwürdige Begebenheit eines Volks oder Staates in die Universalhistorie integriert. Die Gelehrten im 18. Jahrhundert zielten sicherlich auf ökonomische Vorteile, Beifall und Ruhm ab, die sie aufgrund ihrer Vorlesungen und Lehrbücher erlangen konnten. Dies war der Auslöser des Göttinger Federkriegs im Jahr 1773. Die Taktiken des Kriegs zeigen dennoch mit aller Deutlichkeit den darunter liegenden Konflikt um epistemologisch gültige Zugänge zur Darstellung universalhistorischer Begebenheiten im Zusammenhang. Vor diesem Hintergrund lassen sich Schlözers frühere Versuche, Teile im Zusammenhang darzustellen, schwer an Gatterers chronologisch und synchronisch methodische Schema der Weltgeschichtsschreibung anpassen. Darüber hinaus lassen sie sich bei Gatterers vier Beschäftigungen der Universalhistorie zwar einordnen, aber nicht methodisch als geeignetes Verbindungsprinzip welthistorischer Begebenheiten umsetzen. Dies hatte einen Grund: Bei Schlözer scheint zuerst die Methode das zentrale Merkmal der Weltgeschichtsschreibung gewesen zu sein, während es bei Gatterer der empirische Gegenstand der Forschung war. Schlözer, der über die Grenzen des Alten Reiches hinaus die Welt bereiste, wollte die Weltgeschichte zuerst durch ein System konzeptionalisieren, durch einen methodisch basierten
147 Gatterer: Handbuch der Universalhistorie, 1764, Teil 2, Bd. 2, S. 339. 148 Gatterer: Abriß der Universalhistorie in ihrem ganzen Umfange, 1773, S. 24.
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Plan untermauern. Gatterer, der aus seiner Stube mittels der Hilfswissenschaften über die Welt erfuhr, wollte die traditionelle chronologische Methode der Europäischen Staatengeschichte um eine synchronische Methode ergänzen und somit die wichtigsten Begebenheiten der ganzen Welt in einen Zusammenhang bringen. Der Hintergrund dieser epistemologischen Auseinandersetzung wurde im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts umso vielschichtiger, als nicht nur die ganze Welt, sondern auch „die Welt und das menschliche Geschlecht“149 zum Forschungsgegenstand der Geschichtsschreibung erklärt wurden. Um 1770 könnten dabei zwei große Herausforderungen der spätaufklärerischen Weltgeschichtsschreibung nicht mehr außer Acht gelassen werden: Der Vielfalt an Völkern und Staaten liegt eine Einheit zugrunde, die als solche empirisch beweisbar oder widerlegbar sein sollte. Daran anschließend galt es, die Vielsichtigkeit des Forschungsgegenstands durch eine neue Kombination von Methoden und Wissensformen zu beleuchten, die Vielfalt im Zusammenhang erklären konnte. Gatterer und Schlözer waren dabei nicht die einzigen an der Georgia Augusta, die sich diesen epistemologischen Herausforderungen der spätaufklärerischen Weltgeschichtsschreibung stellten.
149 Schlözer: Vorstellung seiner Universal-Historie [1772-73], Bd. 1, S. 3.
III. Psychologie und Geschichte der Menschheit
Die Vielfalt an empirisch verankerten Methoden und an Nutzen versprechenden Wissensformen machte die Georgia Augusta in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einem der innovativsten und einflussreichsten Bildungsorte im Alten Reich. Vielfalt und Innovation lassen sich im breiten Göttinger Vorlesungsprogramm erkennen, hingen aber auch mit dem verlockenden und aktualisierten Bestand der Universitätsbibliothek zusammen. Zur Zeit der feierlichen Eröffnung der Georgia Augusta im Jahr 1737 standen für Professoren und Studenten ca. 12.000 Werke zur Verfügung. 1765 zählte der damalige Bibliothekar Christian Gottlob Heyne (1729-1812) schon 60.000 Exemplare.1 Am Ende des 18. Jahrhunderts besaß die Göttinger Bibliothek zehnmal mehr Bände als der durchschnittliche Bestand älterer protestantischen Universitätsbibliotheken2 und doppelt so viele, wie die alte Universität in Cambridge.3 Gewiss „findet sich in ganz Europa keine Bücher-Sammlung, die in allen Fächern, besonders den nützlichen Fächern der menschlichen Erkenntniß so vollständig, und zugleich so musterhaft geordnet“4 als die Universitätsbibliothek in Göttingen. Dieser von Begeisterung durchtränkte Satz stammt von Christoph Meiners, der zwischen 1767
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Vgl. Hartmann, Karl Julius/Füchsel, Hans (Hg.): Geschichte der Göttinger Universitäts-Bibliothek, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1937, S. 19 und 33. Vgl. Kind-Doerne, Christiane: Die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. Ihre Bestände und Einrichtungen in Geschichte und Gegenwart, Wiesbaden: Otto Harrassowitz 1986, S. 1, Anm. 1. Fabian, Berhard: „Die Göttinger Universitätsbibliothek im achtzehnten Jahrhundert,“ in: Göttinger Jahrbuch, Göttingen: Heinz Reise-Verlag 1980, S. 109-123, hier S. 115. Meiners, Christoph: Göttingische akademische Annalen, Bd. 1, Hannover: Im Verlage der Helwingischen Handlung 1804, S. 1-2.
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und 1770 an der Georgia Augusta immatrikuliert war5 und viel mehr die Bibliothek als Vorlesungen besucht hätte.6 In Göttingen wurden Meiners Interessen an der Philosophie zwar in den Vorlesungen von Johann Georg Heinrich Feder (1740-1821) geweckt, noch mehr Anregung fanden sie aber in den Bücherregalen. Der Studierende der Rechte7 widmete sich in erster Linie den jüngsten empirischen Methoden der englischsprachigen Philosophie, die in der Göttinger Bibliothek gut vertreten waren. Meiners’ 1772 anonym erschiene Revision der Philosophie bezeugt seine Hinwendung zur Empirie. In dieser relativ berühmt gewordenen Schrift, die er in Göttingen verfasste als Schlözer und Gatterer ihren Federkrieg schürten, trafen Logik und Psychologie zusammen. Meiners sah sich als Pionier, sowohl auf dem Fachgebiet der Psychologie als auch im Bereich der Geschichte der Menschheit.8 Ziel dieses Kapitels ist, die er-
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Zur Biographie Christoph Meiners, die noch nicht ausführlich erforscht worden ist, siehe besonders: von Prantl, Carl: „Christoph Meiners (1747-1810),“ in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 21, Leipzig: Duncker & Humblot 1885, S. 224-226; Art. „Christoph Meiners,“ in: Michaud, Louis-Gabriel (Hg.): Biographie universelle ancienne et moderne, 2. Ausgabe, Bd. 27, Paris: A. Thoisnier Desplaces, S. 529-534; Schubert, Ernst: „Christoph Meiners (1747-1810),“ in: Karl Arndt/Gerhard Gottschalk/Rudolf Smend (Hg.), Göttinger Gelehrte. Die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen in Bildnissen und Würdigungen 1751-2001, Bd. 1, Göttingen: Wallstein Verlag 2001, S. 56-57; Vetter, Sabine: Wissenschaftlicher Reduktionismus und die Rassentheorie von Christoph Meiners. Ein Beitrag zur Geschichte der verlorenen Metaphysik in der Anthropologie, Aachen: Verlag Mainz 1996, besonders S. 152-162. von Prantl, Carl: „Christoph Meiners (1747-1810),“ S. 224. Auch Ernst Schubert und Britta Rupp-Eisenreich betonten dieses Bild von Meiners als häufiger Besucher der Universitätsbibliothek: „Der zwanzigjährige Meiners fiel den Göttinger Professoren durch weitgehenden Verzicht auf den Besuch von Vorlesungen und Kollegien bei gleichzeitigem besessenen Lesen in der Universitätsbibliothek auf. […] Kein anderer Professor dokumentiert in seinen Schriften, wie reichhaltig und vor allem wie themenumfassend die Göttinger Universitätsbibliothek war.“ Schubert: „Christoph Meiners (1747-1810),“ S. 56. Dazu siehe auch: RuppEisenreich, Britta : „Des choses occultes en histoire des sciences humaines: le destin de la ‚science nouvelle‘ de Christoph Meiners,“ in: Ethnographie 2 (1983), S. 131-183, hier S. 142. Am 24. Oktober 1767 ist Christoph Meiners als „Stud[ierende] der Rechte“ an der Georgia August Universität zu Göttingen immatrikuliert worden. Siehe: von Selle, Götz (Hg.): Die Matrikel der Georg-August-Universität zu Göttingen. 1734-1837, Hildesheim/Leipzig: August Lax, Verlagsbuchhandlung 1937, S. 169. Meiners, Christoph: Geschichte der Entstehung und Entwickelung der hohen Schulen unsers Erdtheils, Bd. 4, 1805, S. 375. Mehr dazu siehe das Kapitel „1. Weltgeschichte und Anthropologie in Göttingen“ der vorliegenden Studie.
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kenntnistheoretischen Innovationen der empirischen Psychologie und deren Tragweite für die historiographische Tradition der Geschichte der Menschheit am Beispiel des Werkes von Christoph Meiners zu analysieren. Er hat auf eine besondere Art und Weise das anthropologische Wissensprinzip operationalisiert, wonach einzelne Teile in bestimmte Verhältnisse zueinander gesetzt wurden.
1 D AS W ISSENSFELD DER AUFKLÄRERISCHEN
P SYCHOLOGIE
Im 18. Jahrhundert wurde die Psychologie vornehmlich als Lehre von der Seele verstanden.9 Zudem gilt die Aufklärung in der Geschichte dieses Wissensfeldes als das Zeitalter der Emanzipation der Psychologie von der Metaphysik.10
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Über die Bedeutung der Psychologie für die aufklärerischen gelehrten Kultur siehe insbesondere: Scheerer, Eckart: „Psychologie,“ in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer/Gottfried Gabriel (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 7, Basel: Schwabe Verlag 1989, S. 1599-1653; Reill, Peter Hanns/Wilson, Ellen Judy (Hg.): Encyclopedia of the Enlightenment, Revised Edition, New York: Facts on File 2004, S. 479-482; Vidal, Fernando: „Psychology in the 18th century: a view from encyclopaedias,“ in: History of the Human Sciences 6 (1993), S. 89-119; Hatfield, Gary: „Remaking the Science of Mind. Psychology as Natural Science”, in: Christopher Fox/Roy Porter/Robert Wokler (Hg.), Inventing Human Science. Eighteenth-Century Domains, Berkeley/Los Angeles: University of California Press 1995, S. 184-231; Porter, Roy: „Psychology,“ in: John W. Yolton/Roy Porter/Pat Rogers/Barbara Maria Stafford (Hg.), The Blackwell Companion to the Enlightenment, Oxford, UK/Cambridge, MA: Blackwell 1992, S. 431; Rousseau, G. S.: „Psychology,“ in: G. S. Rousseau/Roy Porter, The Ferment of Knowledge. Studies in the Historiography of Eighteenth-Century Science, Cambridge: Cambridge University Press 1980, S. 143-210. In diesem Text tendiert Rousseau zu einer Vereinheitlichung zwischen Psychologie und Psychiatrie (S. 144), was Fernando Vidal dazu veranlasste, Rousseaus Ansicht über die aufklärerische Psychologie als idiosynkratisch und pragmatisch zu charakterisieren (vgl. Vidal: „Psychology in the 18th century: a view from encyclopaedias,“ S. 90). Für einen ausführlichen – obgleich veralteten – Literaturbericht siehe ferner: Jahnke, Jürgen: „Psychologie im 18. Jahrhundert. Literaturbericht 1980 bis 1989,“ in: Das achtzehnte Jahrhundert 14 (1994), S. 253-278. 10 Vgl. Scheerer: „Psychologie,“ besonders Sp. 1599-1601. Zur aufklärerischen Etablierung der Psychologie als ein philosophisches Fach: „Im Hauptstrom des deutschen Aufklärungsdenkens bleibt die P[sychologie] jedoch als einheitliche Wissenschaft bestehen; sie wird in der Regel aus methodischen oder inhaltlichen Erwägungen der Naturlehre zugeteilt und nimmt im übrigen den früher der Me-
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Im akademischen Kontext des Alten Reiches wurde der Terminus Psychologia in der von Christian Wolff (1679-1754) geprägten Gelehrtensprache11 teilweise durch den Terminus „Seelenlehre“ ersetzt. Diese verdeutschte Terminologie konkurrierte indes mit anderen Begriffen wie z.B. der Anthropologie, die die Psychologie übersteigend auf eine umfassende Lehre vom ganzen Menschen abzielte. Mit einem ebenfalls weitläufigen epistemologischen Projekt im Auge unterschied Wolff die empirische von der rationalen Psychologie;12 beide wurden jedoch als Wissenschaft verstanden. Aufgabe der empirischen Psychologie ist nach Wolff nicht nur eine Bestätigung von Resultaten der rationalen Psychologie, sondern sie dient auch der Feststellung der Grundsätze, auf denen die rationale Psychologie basieren soll. Nach Wolff ist die letztere „[…] die Wissenschaft dessen, was durch die menschliche Seele möglich ist“;13 die empirische Psychologie definiert er als „[…] die Wissenschaft, Grundsätze durch Erfahrung festzustellen, aus denen der Grund dessen angegeben werden kann, was in der menschlichen Seele geschieht.“14 Obwohl bei Wolff die Psychologie weiterhin als Teil der Metaphysik betrachtet wird, klassifizierte er sie dennoch in seinem System als eine empiri-
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taphysik vorbehaltenen Platz einer philosophischen Grundwissenschaft ein“ (Sp. 1602). Ein Beleg, dass Wolff die Sprache der aufklärerischen Psychologie geprägt hat, lässt sich in der Erklärung des Begriffs „Seelen-Lehre, Psychologie“ im zu Wolff zeitgenössischen Zedlers Lexikon finden, wo sich der Artikel zur „Seelen-Lehre“ sehr stark an die Wolff’sche Philosophie anlehnt. Vgl. Zedler: Grosses vollständiges Universal Lexikon aller Wissenschaften und Künste, Bd. 36, Sp. 11681169. Zu dieser konzeptuellen Trennung der Wolff’schen Psychologie siehe: Vidal, Fernando: „Psychology in the 18th century: a view from encyclopaedias,“ S. 9899. So lautet die vollständige Definition Wolffs: „Weil die Psychologie der Teil der Philosophie ist, der von der Seele handelt, wird sie die Wissenschaft dessen sein, was durch die menschliche Seele möglich ist.“ Vgl. Wolff, Christian: Discursus Praeliminaris de Philosophie in Genere / Einleitende Abhandlung über Philosophie im Allgemeinen [Textgestaltung aus den Ausgaben 1728, 1732, 1735 und 1740], Historisch-kritische Ausgabe, Übersetzt, eingeleitet und herausgegeben von Günter Gawlick und Lothar Kreimendahl, Stuttgart/Bad Cannstatt: Frommann-Holzbook 1996, §. 58, S. 70-71. An späterer Stelle im Text definiert Wolff diese Einteilung der Psychologie als rationale Psychologie. Vgl. §. 112, S. 122123: „Nachdem ich angefangen habe, die empirische Psychologie von dem Teil der Philosophie zu unterscheiden, den wir oben (§. 58) unter dem Namen ‚Psychologie‘ definiert haben, habe ich diesen den Namen rationale Psychologie gegeben.“ Vgl. Ebd., §. 111, S. 120-121.
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sche Wissenschaft,15 sofern der Inhalt der Vernunft von den Erfahrungen abhängt, um über die Welt zum einen wissen, und zum anderen urteilen zu können. „In der rationalen Psychologie leiten wir allein aus dem Begriff der menschlichen Seele a priori alles ab, wovon a posteriori beobachtet wird […],“16 heißt es bei Wolff. Dadurch gibt es zum Wolff’schen System zwei Zugänge, die sich qua rationalistischer oder auch empirischer Perspektive einordnen lassen, indem versucht wird, ein „[…] ‚connubium‘ von Empirie und Rationalität plausibel zu machen.“17 Die zahlreichen Versuche, so ein ‚connubium‘ von Empirie und Rationalität epistemologisch zu ermöglichen, charakterisiert durchaus die Erkenntnislehre und die theoretischen Herausforderungen ihrer Methodik in der Epoche der Aufklärung. Wenngleich Christoph Meiners mit der Wolff’schen Tradition vertraut war und er Psychologie während der gesamten Zeit seiner 37-jährigen Lehrtätigkeit an der Georgia Augusta vorlas, verfolgte er bewusst einen anderen Weg. „Mir gefällt die Lockische Methode immer besser, als der Wolffische Zwang,“18 verrät der Spätaufklärer schon bei Anbruch der Dämmerung des philosophischen – sprich: metaphysischen – Systems19 von Christi-
15 Dazu siehe den Kommentar von Gary Hatfield: „[…] The intermixture of empirical and metaphysical content,“ vertritt Hatfield, „as clever as it may seem, betrays a total lack of comprehension of Wolff’s position, simply repeating an earlier and mistaken interpretation that most likely resulted from reading Kantian terminology (regarding metaphysics and the pure a priori) back onto Wolff.“ Vgl. Hatfield: „Remaking the Science of Mind. Psychology as Natural Science”, S. 198. Ebenfalls in diesem Kontext kann ferner die folgende These Wolfgang Riedels zur Übergang von der ‚rationalen‘ Seelenlehre zur ‚empirischen‘ Psychologie der Spätaufklärung gelesen werden: „Wolff selbst hatte zugleich den Sprengsatz gelegt, dem dieses metaphysische Seelenkonzept zum Opfer fallen sollte.“ Vgl. Riedel, Wolfgang: „Erster Psychologismus. Umbau des Seelenbegriffs in der deutschen Spätaufklärung,“ in: Jörn Garber/Heinz Thoma (Hg.), Zwischen Empirisierung und Konstruktionsleistung: Anthropologie im 18. Jahrhundert, Tübingen: Niemeyer 2004, S. 1-17, hier S. 6. 16 Vgl. Wolff: Discursus Praeliminaris de Philosophie in Genere, §. 112, S. 122123. 17 Vgl. Arndt, Hans Werner: „Rationalismus und Empirismus in der Erkenntnislehre Christian Wolffs,“ in: Schneiders (Hg.), Christian Wolff 1679-1754. Interpretationen zu seiner Philosophie und deren Wirkung, Hamburg: Felix Meiner 1983, S. 31-47, hier S. 31-32. Nach Arndt sei Wolff der Meinung, „[…] daß unser Intellekt im Gegensatz zum göttlichen von der Sinnlichkeit niemals ganz rein ist, ‚nec unquam prorsus purus est‘ […]“ (S. 38). 18 Meiners, Christoph: Revision der Philosophie, Göttingen/Gotha: Johann Christian Dieterich 1772, S. 54. 19 Cassirer, Ernst: Die Philosophie der Aufklärung, Hamburg: Felix Meiner 2007, S. 126: „Wolffs rationale und empirische Psychologie geht ihren eigenen Weg, und sie bleibt in ihm den Leibnizschen Grundvoraussetzungen treu.“
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an Wolff. Bei Meiners’ Wahl fallen allerdings zwei Hauptwege auf, nämlich die Anthropologie, sowie sie bereits um 1750, d.h. wenige Jahre vor Wolffs Tod und besonders ab den 1770er Jahren betrieben wurde, sowie die Rezeption des englischen psychologischen Empirismus. Im deutschsprachigen Raum sind beide Wege auf einen gemeinsamen Nenner gebracht worden. Sowohl die Anthropologie als auch der psychologische Empirismus dürfen unter dem Terminus Popularphilosophie zusammenfassend genannt werden. Die Göttinger Universität kann als eine „wichtige Ausgangsbasis“20 der spätaufklärerischen Popularphilosophie angesehen werden, was im Wesentlichen durch zwei Faktoren21 zu erkennen ist: zum einen durch die Annäherung zur schottischen Aufklärung und zum psychologischen Empirismus John Lockes (1632-1704), welche sich auch durch den wissenschaftlichen Transfer zwischen Hannover und der englischen Krone – aufgrund der Personalunion – noch besser nachvollziehen lässt.22 An die empirischen Grundlagen von Lockes Erkenntnislehre wollte sich Meiners anschließen. Zum anderen, lässt sich die Göttinger Hinwendung zur Popularphilosophie durch die personelle Besetzung der Philosophischen Fakultät fassen. Dies wird hier besonders von Johann Georg Heinrich Feder und deren Schüler Christoph Meiners vertreten,23 die zusammen zwischen 1788 und 1791 die Zeitschrift Philosophische Bibliothek herausgegeben haben. Aber was meint Popularphilosophie schließlich, wenn man sie nicht als eine „landläufige“24
20 Schneiders, Werner: „Der Philosophiebegriff des philosophischen Zeitalters. Wandlungen im Selbstverständnis der Philosophie von Leibniz bis Kant,“ in: Wissenschaft im Zeitalter der Aufklärung, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1985, S. 58-92, hier S. 85. 21 Hier stütze ich mich auf die These von John H. Zammito. Vgl. Zammito: Kant, Herder and the Birth of Anthropology, S. 28. 22 Zur Rezeption der schottischen Werke in den deutschsprachigen Universitäten im 18. Jahrhundert siehe vornehmlich: Meyer: Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit. 23 In der Forschung wird Meiners als ein wichtiger Vertreter der Popularphilosophie behandelt. Siehe, u.a., van der Zande, Johan: „Popular Philosophy and the History of Mankind in Eighteenth-Century Germany,“ in: Storia della Storiografia 22 (1992), S. 37-56, hier S. 38: „Among the most important of the diverse and loose group of publicists, both in and outside the university, who make up the popular philosophers, were […] Christoph Meiners and Johann Georg Heinrich Feder […].“ Siehe auch John H. Zammito, der Meiners 1772 anonym erschienenen Revision der Philosophie als „the most persuasive formulation of the Göttingen program“ vorgestellt wird. Zammito: Kant, Herder and the Birth of Anthropology, S. 248. 24 Dazu besonders Zammito und van der Zande. Vgl. Ebd., S. 8: „We must be careful, in accessing the rise of Popularphilosophie, that the latter not be underestimated, construed merely as vulgar philosophy – as philosophy conducted with insufficient intellectual rigor.“ van der Zande, Johan: „The Moderate Skepticism
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Auffassung von Philosophie versteht, sondern eher als eine neue Art, philosophische Fragen zu stellen? Die aufklärerische Popularphilosophie25 ist dadurch charakterisiert, dass sie sich, erstens, über die Akademie hinausgehend an ein breiteres lesendes Publikum richtete,26 also an das bürgerliche und gebildete Publikum,27 und zwar sowohl an Männer als auch an Frauen. Zweitens spielt die Perspektive eine wichtige Rolle, durch die die philosophischen Gedanken bestimmt sind – die Popularphilosophie ist eine pragmatische Philosophie über die Welt und für die Welt.28 Daraus folgt drittens, dass ihr bevorzugtes Medium die Presse oder im akademischen Kontext das Lehrbuch ist und, viertens, dass die philosophischen Themen eher auf Erfahrung basierend abgehandelt werden, d.h. die unmittelbar das menschliche Leben betreffenden Probleme stehen im Mittelpunkt der Popularphilosophie, sodass Nützlichkeit und Glück-
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of German Popular Philosophy,“ in: Johan van der Zande/Richard Popkin (Ed.), The Skeptical Tradition around 1800. Skepticism in Philosophy, Science, and Society, Dordrecht: Kluwer 1998, S. 69-80, hier S. 74: „Popular philosophy did not represent a crisis in Wolffian philosophy, nor was it merely a popularization of Wolff or an anticipation of Kant as is often assumed; rather it was a philosophical movement in its own right.“ Zur Popularphilosophie siehe ferner: Bödeker, Hans Erich: „Von der ‚Magd der Theologie‘ zur ‚Leitwissenschaft‘. Vorüberlegungen zu einer Geschichte der Philosophie des 18. Jahrhunderts,“ in: Das achtzehnte Jahrhundert 14 (1990), S. 1957; van der Zande: „Popular Philosophy and the History of Mankind in Eighteenth-Century Germany“; van der Zande: „The Moderate Skepticism of German Popular Philosophy“; Schneiders: „Der Philosophiebegriff des philosophischen Zeitalters“; Schneiders, Werner: „Popularphilosophie,“ in: Werner Schneiders (Hg.), Lexikon der Aufklärung. Deutschland und Europa, München: Beck 2001, S. 324-326; Zammito: Herder and the Birth of Anthropology; Holzhey, Helmut: „Popularphilosophie,“ in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer/Gottfried Gabriel (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 7, Basel: Schwabe Verlag 1989, S. 1093-1100; Bachmann-Medick, Doris: Die Ästhetische Ordnung des Handelns. Moralphilosophie und Ästhetik in der Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts, Stuttgart: J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung 1989; Böhr, Christoph: Philosophie für die Welt. Die Popularphilosophie der deutschen Spätaufklärung im Zeitalter Kants, Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 2003. Vgl. Bödeker: „Von der ‚Magd der Theologie‘ zur ‚Leitwissenschaft‘,“ S. 27-28. Vgl. Holzhey: „Popularphilosophie,“ S. 1093-1100. Walther Zimmerli spricht von einer „Verweltlichung“ von Philosophie in Göttingen. Vgl. Zimmerli, Walther Ch.: „‚Schwere Rüstung‘ des Dogmatismus und ‚anwendbare Eklektik‘. J. G. H. Feder und die Göttinger Philosophie im ausgehenden 18. Jahrhundert,“ in: Studia Leibnitiana 15 (1983), S. 58-71.
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seligkeit29 zusammenhängend gedacht wurden und dadurch eine Orientierungsfunktion „für die menschliche Lebensführung“30 der Popularphilosophie zugeschrieben wird. Fünftens befreit sich die Sprache popularphilosophischer Texte von den bis dato auf Latein gedruckten scholastischen Deduktionen. Deutsch wird zur Amtssprache dieser Denkrichtung,31 was auch dazu führte, dass, sechstens, die Kluft zwischen der Sprache des Lehrbuchs und der von Zeitschriften – ihre bevorzugte Medien – eher gering war.32
29 Über diese Verbindung von Nützlichkeit und Glückseligkeit schrieb bereits Walther Zimmerli. Vgl. Zimmerli, Walther Ch.: „Arbeitsteilige Philosophie? Gedanken zur Teil-Rehabilitierung der Popularphilosophie,“ in: Hermann Lübbe (Hg.), Wozu Philosophie? Stellungnahmen eines Arbeitskreises, Berlin: Walter de Gruyter 1978, S. 181-212, hier S. 203. 30 Vgl. Böhr: Philosophie für die Welt, S. 22. 31 Diese Tendenz, dass die Schriften in der deutschen Sprache einen wesentlich größeren Anteil am aufklärerischen deutschen Buchmarkt gewinnen als die Schriften in lateinischer Sprache, lässt sich mit der Geschichte des Deutschen Buchhandels von Johann Goldfriedrich anhand von der Auflistung der fertig gewordenen Schriften für die Buchmesse von 1765, 1775, 1785, 1795 und 1805 belegen. Vgl. Goldfriedrich, Johann: Geschichte des Deutschen Buchhandels, Bd. 3: Vom Beginn der klassischen Literaturperiode bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1740-1804), Leipzig: Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler 1909, S. 305. 32 Walther Zimmerli erwähnt dennoch ein anderes Element, durch das sich die Popularphilosophie charakterisieren lasse, nämlich eine Gegnerschaft gegen die Schulphilosophie, besonders gegen die Schulphilosophie Wolffs. Auf dieses Element aufbauend trennte Zimmerli die Philosophen in Göttingen von der Popularphilosophie. Die Göttinger Popularphilosophie sei „[...] eine letztlich akademische Philosophie, fußend auf Deduktionen aus schulphilosophischen Prinzipien, die nur deswegen einen lebensnahen Eindruck zuweilen zu erwecken scheinen, weil sie stark vom englischen Empirismus beeinflußt sind,“ sodass sie „im engeren Sinne nicht als ‚Popularphilosophen‘ zu bezeichnen sind, sondern eher als popularisierende Schulphilosophen.“ Vgl. Zimmerli: „Arbeitsteilige Philosophie? Gedanken zur Teil-Rehabilitierung der Popularphilosophie,“ S. 205. Dem Argument Walther Zimmerlis, nach dem die Philosophen in Göttingen stark vom englischen Empirismus beeinflusst worden sind, stimme ich zu. Ob die Göttinger Philosophie tatsächlich als eine Popularphilosophie bezeichnen werden darf – was letztendlich je nach Definition der Popularphilosophie abhängen würde – scheint mir nicht den Hauptkern meiner Argumentation zu treffen. Einleuchtender und ertragreicher ist hier die Besonderheit der Göttinger Philosophie darzustellen, deren Weg Meiners mit seinen popularphilosophischen Untersuchungen gegangen ist.
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Auf dem zuerst erwähnten Interpretationspfad der spätaufklärerischen Anthropologie,33 der bei Meiners Wahl zusammen mit dem englischen psychologischen Empirismus auffiel, wies die Psychologie eher auf eine anthropologisch begründete Auffassung vom Menschen hin,34 welche ein wechselseitiges Verhältnis zwischen Körper und Seele im Sinne einer kausalen Beziehung von mentalen und physischen Zuständen voraussetzte. Bekannt in dieser Konstellation ist Ernst Platners (1744-1818) 1772 in Leipzig erschienene Anthropologie für Ärzte und Weltweise, das eigentlich als ein etwas späteres,35 dennoch paradigmatisches Beispiel galt. Schon der Titel verrät die Doppelnatur der Anthropologie: Sie ist eine medizinisch-philosophische Wissenschaft.36 Dementsprechend stellte Platner den Menschen als Harmonie von Körper und Seele dar, und damit verstand er unter Anthropologie die zusammen betrachteten „gegenseitigen Verhältnisse[], Einschränkungen und Beziehungen“37 zwischen Körper und Seele. Dieser Kerngedanke von Platners Anthropologie – also, dass „[d]ie medicinische Kenntnis des menschlichen Körpers […] nicht ohne Psychologische Kenntnisse, und die Seelenlehre noch weniger ohne gewisse medicinische Beobachtungen und Lehren bestehen“ könne – ist mit diesen Worten in den Seiten der Göttingischen Anzeigen von Gelehrten Sachen unverzüglich rezipiert worden, und zwar von Meiners’ Lehrer Johann Georg Heinrich Feder. Hoch geschätzt solle die Anthropologie von der Leserschaft werden, so Feder, „die in der ächten Psychologie nicht mehr zu fremd“ war.38
33 Das anthropologische Denken um 1750 soll hier auch unter der zeitlichen Bezeichnung Spätaufklärung aufgenommen werden, so wie Wolfgang Riedel bereits darauf hingewiesen hat. Siehe: Riedel: „Erster Psychologismus,“ S. 2-3, Anm. 6. 34 Dass „[…] die Begriffe Psychologie und Anthropologie [seit der Mitte des 18. Jahrhunderts] oft [als] synonym gebraucht“ wurden hat bereits Sabine Vetter nachgewiesen. Vgl. Vetter: Wissenschaftlicher Reduktionismus und die Rassentheorie von Christoph Meiners, S. 57. 35 Obwohl Carsten Zelle die Zentralität Platners 1772 Anthropologie erkennt, vertritt er die These einer Vordatierung der anthropologische Wende von der Spätin die Haller Frühaufklärung um 1750, in deren Kontext, Johann August Unzer u.a. eine große Rolle spielte. Dazu siehe: Zelle, Carsten: „Sinnlichkeit und Therapie. Zur Gleichursprünglichkeit von Ästhetik und Anthropologie um 1750,“ in: Carsten Zelle (Hg.), Vernünftige Ärzte. Hallesche Psychomediziner und die Anfänge der Anthropologie in der deutschsprachigen Frühaufklärung, Tübingen: Niemeyer 2001, S. 5-24; Zelle: „‚Vernünftige Ärzte‘.“ 36 Vgl. Košenina, Alexander: „Ernst Platner,“ in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 20, Berlin: Duncker & Humblot 2001, S. 513-514. 37 Platner, Ernst: Anthropologie für Aerzte und Weltweise, Leipzig: In der Dyckischen Buchhandlung 1772, „Vorrede,“ S. XVI-XVII. 38 Vgl. Feder, Johann Georg Heinrich: „[Rezension zu] D. Ernst Plattners der Arzeneyk. Prof. Anthropologie für Aerzte und Weltweise. In der Dyckischen Buch-
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Die Psychologie beschäftigt sich inzwischen auch mit erkenntnistheoretischen Prinzipien; sie fragt nach den Grenzen des menschlichen Verstands. Sogar Ernst Platner griff auf das Argument in Meiners’ 1772 anonym erschienen Revision der Philosophie in der Vorrede seiner Anthropologie zurück, nach der die Logik und die Psychologie nicht voneinander zu trennen sind.39 Dies lasse sich besonders im Zusammenhang mit der Frage, warum der Irrtum möglich sei, erklären. Eine Antwort müsse sich, nach Meiners’ Ansicht, im Schnittfeld zwischen Vernunft- und Seelenlehre befinden, weil sowohl die Sprache als auch die „Perceptions-Organen“ auf die Denkkraft bzw. auf die Kräfte der Seele bei „Erkenntniß der Wahrheit“ wirken.40 Auch unter den Gelehrten der Georgia Augusta ist Meiners dank seiner Revision der Philosophie bekannt geworden, was z.T. seine Berufung zum außerordentlichen Professor in Göttingen im gleichen Jahr begründete. Bereits in dieser Schrift definierte Meiners den Menschen als den „eigentliche[n] Gegenstand der Philosophie,“ der „unter zweierlei Gesichtspunkten betrachtet“ wird.41 Der Mensch ist danach einerseits ein Individuum, das Sensationen in Begriffe verwandle, und andererseits ein Gesellschafter, der sich mit anderen Menschen in Verbindung setze. „Als Individuum hat der Mensch gewisse Organe, und durch diese ist er vieler Empfindungen und Ideen-Arten fähig. Die Erhaltung und Verbindung derselben erzeugt mannichfaltige Kräfte: alle diese äussert er durch eine ihm allein eigene articulirte Sprache. Es frägt sich ferner, wie viel und gewisse Kentnisse der Mensch mit diesen Kräften, Organen und Zeichenkunst sich erwerben könne. Diesen ersten Theil der Weltweisheit nenne ich Psychologie.“42
Zur Psychologie gehören also die durch die äußeren Sinne erlangten Ideen. Dafür sind die Nerven „die einzige Ursache und der Sitz der Empfindung.“43 Auf diese positive Bewertung der Affekte bzw. der Sinnlichkeit44 aufbauend
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handlung 1772. Erster Theil, 292 S. 8.,“ in: Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen, 67. Stück, 14. Junius 1772, S. 571-574, hier S. 574. Für diese Definition von Meiners siehe: Meiners: Revision der Philosophie, S. 164. Für Platners Erwähnung der Revision der Philosophie siehe: Platner: Anthropologie für Aerzte und Weltweise, „Vorrede,“ S. V. Vgl. Meiners: Revision der Philosophie, S. 164-169. Ebd., S. 51. Meiners, Christoph: Kurzer Abriß der Psychologie zum Gebrauche seiner Vorlesungen, Göttingen/Gotha: Johann Christian Dieterich 1773, S. 6-7. Ebd., S. 10. Nach Panajotis Kondylis sei die Rehabilitation der Sinnlichkeit im Zeitalter der Aufklärung die Vorbedingung für die „Loslösung der Denktätigkeit vom alten weltanschaulichen Rahmen,“ von der cartesianischen Aufspaltung des Menschen in res cogitans und res extensa. In diesem Sinne wird die empirische Komponente des neuzeitlichen Rationalismus begründet. Vor diesem Hintergrund kann man
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ersetzte bei Meiners die Psychologie verstärkt den Diskurs der Metaphysik.45 Nicht mehr die alte und systematische Metaphysik, sondern die Metaphysik der Empfindungen ist nun „[…] die schönste Blüthe der Philosophie: sie hat ihre Theorie und Praxis, und ist für einen grössern Haufen von Menschen bestimmt, als die übrigen Theile der Weltweisheit, weil sie sich nicht blos mit der Beobachtung gleichgültiger Eindrücke, und ihrer Verwandlung in Ideen, sondern mit der Nachforschung angenehmer Sensationen, und ihrer Verhältnisse zu Vergnügen und Glückseeligkeit beschäftigt.“46
Hier liegt die Idee einer Doppelnatur des Menschen zugrunde, worauf der in Halle promovierte Johann August Unzer (1727-99) in seinen Ersten Gründen einer Physiologie der eigentlichen Thierischen Natur thierischer Körper ein Jahr vor Meiners’ Revision hingewiesen hatte. In diesem Buch, das sowohl für Psychologen als auch für Ärzte empfohlen wurde, vertrat Unzer die These, dass alle Vorstellungen der Seele ihren Grund in den äußeren Empfindungen haben. Nach seiner verdichteten Formulierung, „[k]ein Thier
am Beispiel Christoph Meiners’ Revision der Philosophie erkennen, wie die Attribute der Seele zusammen mit den „Perceptions-Organen“ untersucht werden. Hier widersprechen sich „Norm und Sinnlichkeit […] nicht mehr,“ so fasst Kondylis zusammen, „nachdem die Transzendenz des Geistes abgeschafft wurde. Die Natur ist Norm, nicht, weil sie keine Sinnlichkeit ist, sondern eben weil sie (auch) Sinnlichkeit ist.“ Vgl. Kondylis, Panajotis: Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, Hamburg: Felix Meiner Verlag 2002, S. 50 und 348. 45 Dazu siehe auch: Scheerer: „Psychologie,“ S. 1599-1653: „Im Hauptstrom des deutschen Aufklärungsdenkens bleibt die P[sychologie] jedoch als einheitliche Wissenschaft bestehen; sie wird in der Regel aus methodischen oder inhaltlichen Erwägungen der Naturlehre zugeteilt und nimmt im übrigen den früher der Metaphysik vorbehaltenen Platz einer philosophischen Grundwissenschaft ein: ‚In der P[sychologie], und denen von ihr abgeleiteten Wissenschaften ist die ganze Theorie des Menschen und der Philosophie enthalten‘ [Ch. Meiners: Kurzer Abriß der P[sychologie], (1773) 8].“ Zur Auflösung der Metaphysik bei Meiners siehe auch: Vetter, Sabine: Wissenschaftlicher Reduktionismus und die Rassentheorie von Christoph Meiners, besonders S. 57. Vetters These lautet, dass der Wechsel von der Metaphysik zur Psychologie am Beispiel von Christoph Meiners eigentlich eine anthropologische Reduktion mit sich bringt, indem „die Psychologie als eine empirische Wissenschaft“ „die Metaphysik als die Wissenschaft von der Verbindung zwischen dem Tranzendenten und dem Immanenten“ verdränge (S. 85). 46 Christoph: Revision der Philosophie, S. 142.
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denkt, ohne zu empfinden.“47 Somit wird die Sinnlichkeit in erkenntnistheoretischer Hinsicht aufgewertet, um „das rationalistische Seelenkonzept nun vollends“ zu „unterminieren.“48 Im Fall Unzers machen gerade diese Gedanken die sogenannten „tierische[n] bewegende[n] Kräfte des tierischen Körpers“49 aus. Hier handelt es sich um eine Schrift, die Meiners in seinem – im Jahr 1786 als zweites Lehrbuch über die Psychologie entstandenen – Grundriß der Seelenlehre dem Publikum zur Lektüre vorschlug.50 In dieser Seelenlehre behandelte Meiners beispielsweise den Zustand des Traums, des Schlafs sowie des Nachtwandels. „In der Untersuchung vom Schlaf,“ so Meiners, „wirft man gewöhnlich die Frage auf: ob die Seele stets denke, oder ob sie bisweilen zu denken aufhöre, wie der Cörper, bewegt zu werden?“51 Diese Frage betraf letztendlich die Beziehung zwischen der Seele – hier der Sitz des Denkens – und dem Körper. Auch Unzer hatte von Halle aus in seinen Gedanken vom Schlafe und denen Träumen (1746) klar gelegt, dass eine Annäherung zwischen Vernunft und Empirie möglich war. „Saget mir, wozu uns die Vernunft allein dienen würde, wenn wir nicht zugleich das Vermögen zu empfinden besässen, dadurch wir geschickt sind Erfahrungen anzustellen?,“52 so die rhetorische Frage Unzers. Da hier auch die Träume als das Ergebnis physiologischer Prozesse, die äußerliche und innerliche Vorgänge beinhalten, dargestellt werden, zeigen sich Unzers Gedanken als ein bahnbrechendes Beispiel in der Frage nach der Natur und den Eigenschaften der Beziehung zwischen Seele und Körper, die in der Haller Aufklärung als ein commercium mentis et corporis bezeichnet werden kann. Auch in Göttingen wird die Psychologie mit Meiners zu einer Theorie, die den Menschen als ein „empfindende[s]“ und „denkende[s],“ aber weiterhin auch als ein „redende[s]“ Geschöpf betrachtet.53 Um dieses Forschungsprogramm durchzuführen, teilte Meiners die Psychologie bzw. die Theorie des Menschen bzw. die Seelenlehre in vier Hauptbereiche: •
Im ersten werden die äußeren und inneren Sinne des Menschen untersucht, durch welche Empfindungen hervorgebracht werden; zu diesem Teil gehörte ebenso die Untersuchung des Traumzustands und des Wahnsinns, nämlich insofern die Unterscheidung zwischen den richtigen
47 Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen Thierischen Natur thierischer Körper, Leipzig: Weidmanns Eiben und Reich 1771, S. 79. 48 Heinz: Wissen vom Menschen und Erzählen vom Einzelfall, S. 119. 49 Unzer: Erste Gründe einer Physiologie, „Vorrede,“ S. a4r. 50 Vgl. Meiners: Grundriß der Seelen-Lehre, S. 200. 51 Ebd., S. 54. 52 Unzer, Johann August: Gedancken vom Schlafe und denen Träumen, nebst einem Schreiben an N. N. daß man ohne Kopf empfinden könne, Halle: Carl Hermann Memmerde 1746, S. 1. 53 Meiners: Grundriß der Seelen-Lehre, „Vorrede,“ S. a3r-a3v.
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und nicht richtigen – oder sogar abwesenden – Wahrnehmungen als Gegenstand der Psychologie erklärt wurde. Dem zweiten Bereich schrieb Meiners „die Lehre von der Seele und den Seelen-Kräften“ zu, „durch welche letztern alle unsere Vorstellungen nicht nur enthalten und erneuert, sondern auch auf mancherley Art verändert und verknüpft oder geordnet werden.“54 Sprache und Schrift werden im dritten Abschnitt der Psychologie behandelt, weil Gedanken und Empfindungen dadurch ausgedrückt werden können. Die Erläuterungen über die Geschichte einzelner Sprachen, erklärte Meiners in einer Anmerkung,55 ließ er absichtlich aus seinem zweiten Handbuch über Psychologie weg, weil sie eigentlich zu einem anderen Programm – nämlich zur Geschichte der Menschheit – gehören. In der damaligen Weltgeschichtsschreibung ist uns bereits bekannt, wie die Sprachen als ein wesentliches organisatorisches Prinzip wahrgenommen wurden. In Göttingen dienten sie beispielsweise als Grundlage für Schlözers Absicht, ein systema populorum in die Welt- bzw. Völkergeschichte einzuführen.56 Der vierte Bereich bzw. Teil der Psychologie befasst sich schließlich mit den Grenzen des menschlichen Verstandes, die sich durch den Wahrheitsbegriff oder durch Grade von Wahrscheinlichkeit – und die damit entsprechende Zuverlässigkeit der menschlichen natürlichen Organe – erforschen lassen sollten.57
Im dritten Teil seines zweiten Lehrbuches zur Seelenlehre konnte Meiners die Geschichte einzelner Sprachen dezidiert als Gegenstand der Geschichte der Menschheit festlegen, besonders weil er ein Jahr zuvor den Grundriss seiner eigenen Geschichte der Menschheit angefertigt hatte. Diese Tradition der Geschichtsschreibung hatte Meiners bereits im Kontext seiner Revision der Philosophie berücksichtigt, die, epistemologisch gesehen, darauf abzielte, Empirie und Rationalität zu verbinden und den ganzen Menschen als ihren eigentlichen Forschungsgegenstand definierte. 1772 wird die Geschichte der Menschheit zwischen „den allgemeinen Lehren der Philosophie und den besonderen Factis der Geschichte“ verortet.
54 Ebd., S. a4v. 55 Ebd., S. 145-146, Anm. „c.“ Auch Meiners verweist in seinem 1786 veröffentlichten Grundriß der Seelen-Lehre auf seinen genau ein Jahr vorher erschienen Grundriß der Geschichte der Menschheit und Grundriß der Geschichte aller Religionen. Siehe beispielsweise: Ebd., S. 148, Anm. „a“ und „b“: „a) Man sehe meinen Grundriß der Geschichte der Menschheit im Artikel von Kleidung und Putz […]. b) Meinen Grundriß der Religions-Geschichte im Artikel von der Zauberey.“ 56 Dazu siehe das Kapitel „2. Innovation und Federkrieg“ der vorliegenden Studie. 57 Für eine ausführlichere Beschreibung der hier kurz zusammengefassten Teile der Psychologie, siehe: Ebd., „Vorrede,“ S. a3r-a5r.
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„Ehe diese lange getrennten Schwestern wieder vereiniget wurden, verlohr sich der Philosoph in unnützen und unbestimmten Allgemeinsätzen, die gar keine Festigkeit, keinen Grund hatten, worauf sie gebauet waren: der Geschichtskündiger hingegen war zu leer von Grundsätzen und lauschenden Ideen, wodurch die formlosen Begebenheiten der Geschichte recht genutzt werden.“58
Dieser erkenntnistheoretischen Aufgabe, Begebenheiten der Geschichte eine sinnvolle Form zu geben, wandte sich in Göttingen nicht nur Christoph Meiners zu. Dafür bahnte er aber einen möglichen und nicht ungefährlichen Weg, der von der empirischen Psychologie bis zur Geschichte der Menschheit ging und somit zum Ziel hatte, eine umfassende Lehre vom ganzen Menschen – als ein empfindendes, denkendes und redendes Geschöpf – aus historischer Perspektive zu liefern.
2 D IE HISTORIOGRAPHISCHE T RADITION G ESCHICHTE DER M ENSCHHEIT
DER
Für das Wintersemester 1784/85 bot Christoph Meiners an der Georgia Augusta ein neues Kolleg an, das so wie in seiner Vorlesung zur Psychologie auch in den Veranstaltungen zur Weltweisheit im Lektionskatalog angekündigt wurdeǤ Die Philosophie der deutschen Aufklärung kann in der Tat als eine akademische Weltweisheit59 bezeichnet werden, indem sie sich zum einen von der Gottesgelehrtheit abgesetzt hat und zum anderen an der Verbesserung der Welt beteiligt sein will.60 Vor diesem Hintergrund machte sich Meiners auf die Suche nach einer neuen Wissensform, die – laut der ersten Ankündigung – „sowohl die Entstehung u[nd] allmähliche Verbreitung des menschl[ichen] Geschlechts, als die ursprünglichen Verschiedenheiten aller
58 Meiners: Revision der Philosophie, S. 139. 59 Schneiders, Werner: „Akademische Weltweisheit. Die deutsche Philosophie im Zeitalter der Aufklärung,“ in: Gerhard Sauder/Jochen Schlobach (Hg.), Aufklärungen. Frankreich und Deutschland im 18. Jahrhundert, Bd. 1, Heidelberg: Carl Winter 1985, S. 25-44, hier S. 41. Dazu siehe auch: Schneiders, Werner: „Philosophie [IV],“ in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer/Gottfried Gabriel (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 7, Basel: Schwabe Verlag 1989, Sp. 709-714. 60 Im 18. Jahrhundert wurde der Terminus „Weltweisheit“ auch als „Philosophie für die Welt“ verstanden, so wie die Popularphilosophie ihn ausgelegt hat, oder er tauchte einfach als ein Äquivalent zu Philosophie auf. Vgl. Schröder, Winfried: „Weltweisheit,“ in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer/Gottfried Gabriel (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 12, Basel: Schwabe Verlag 2004, Sp. 531-534, hier Sp. 531.
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Völker in Rücksicht auf ihre körperlichen u[nd] geistigen Anlagen“61 eruieren sollte. Dass die Psychologie ein Wissensfeld war, das sich den körperlichen sowie geistigen Anlagen des Menschen zuwendete, ist bereits dargelegt worden und bedeutete im Jahr 1784 keine Erweiterung der philosophischen Untersuchung in der Meiners’schen Fassung. Bemerkenswert bei dieser neuen akademischen Ankündigung ist vielmehr die eindeutige Annäherung der Psychologie an die anthropologische Frage nach den ursprünglichen Unterschieden im menschlichen Geschlecht. Bereits vor Meiners erklärten schon Büsching und Schlözer das menschliche Geschlecht zum Gegenstand der Weltgeschichtsschreibung.62 Dennoch lässt sich diese neue Lehrveranstaltung durch ihre Forschungsperspektive von der bisherigen Göttinger historiographischen Tradition deutlich unterscheiden. Meiners blickte auf das menschliche Geschlecht durch das theoretische Gerüst seiner Psychologie, die wiederum an seiner auf der Empirie basierten Revision der Philosophie anknüpfte. Wenngleich bei dieser Vorlesungsankündigung nur der zu lehrende Inhalt beschrieben wurde, ging es schon 1784 um eine Wissenschaft, die Meiners ab dem Wintersemester 1785/86 Geschichte der Menschheit genannt hat63 und worüber er in Göttingen regelmäßig las. Mit solch einer wissenschaftlichen Bezeichnung wurde dieses Kolleg in der Regel nicht mehr unter die akademischen Vorlesungen zur Weltweisheit geordnet, sondern vornehmlich unter der Fachgruppe Geschichte mit den Hülfswissenschaften, die später Historische Wissenschaften genannt wurde. Wie damals gängig war, brachte Meiners mit der Ankündigung einer neuen Vorlesung ein dazu passendes Lehrbuch auf den Markt. Die erste Ausgabe seines Grundrisses der Geschichte der Menschheit erschien 1785 in Lemgo in der Meyerschen Buchhandlung64 und wurde 1786 in Frankfurt und Leipzig ein zweites Mal
61 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 157. Stück, 30. September 1784, S. 1568. 62 Dazu siehe das Kapitel „2. Innovation und Federkrieg“ der vorliegenden Studie. 63 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 150. Stück, 22. Sept. 1785, S. 1510. 64 Die Veröffentlichung eines Lehrbuches hatte auch ökonomische Vorteile. Die Meyersche Buchhandlung bezahlte Meiners acht Reichstaler pro Bogen, wie aus dem Briefverkehr vom 26. Februar 1787 hervorgeht. Diese Summe war damals bereits hoch und unterschied nicht erheblich weit von den besthonorierten deutschen aufgeklärten Federn. Vgl. StA Göttingen 4° Cod. Ms. C. Meiners 41a, 26.02.1787, zit. nach: Brenker, Anne-Margarete: Die Meyersche Hofbuchhandlung in Lemgo in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Bielefeld: Westfalen Verlag 1996, S. 93. Von Meiners ist ein Teil seiner Briefwechsel zwischen 1787 und 1793 mit dem Verleger erhalten geblieben, der seine schwierige Persönlichkeit und sein ökonomisches Interesse belegt. Ein vollständigeres Bild von Meiners Briefwechsel ist jedoch unmöglich. Die Witwe Christian Friedrich Helwings
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unverändert, allerdings anders paginiert, gedruckt.65 Darüber hinaus erschien eine zweite „sehr verbesserte Ausgabe“ im Jahr 1793, und zwar wieder beim ursprünglichen und offiziellen Verlag. In diesem Lehrbuch veröffentlichte Meiners auf programmatische Weise sein Urteil über die bisherigen publizierten Versuche, eine Geschichte der Menschheit zu verfassen. Dem zufolge gebe es nur drei „Schriftsteller,“ „welche die ganze Geschichte der Menschheit auszuarbeiten die Absicht hatten,“66 nämlich: Isaak Iselin (1728-82), Henry Home bzw. Lord Kames (1696-1782) und William Falconer (1744-1824). In der Tat wurden die Schriften von Isaak Iselin und Henry Home schon vor der Veröffentlichung von Meiners’ Werk als grundlegend in der historiographischen Tradition der Geschichte der Menschheit an der Georgia Augusta dargestellt. Dies tat Michael Hißmann (1752-84), der zum Wintersemester 1782/83 eine Veranstaltung über „[d]ie zur Geschichte der Menschheit nöthige Bücherkänntniß“ in Göttingen anbot. Nach Hißmanns Anleitung zur Kenntniß der auserlesenen Litteratur in allen Theilen der Philosophie liege ein bedeutender Unterschied der Geschichte der Menschheit gegenüber der allgemeinen Weltgeschichte darin, dass die letztere die kleinen und unbedeutenden wilden Völker zur Seite lege und sich nur auf „die merkwürdigsten Nationen“ konzentriere. Im Gegensatz dazu nehme die Geschichte der Menschheit die Menschen „in allen möglichen physischen und sittlichen Zuständen“67 auf. Um
(1725-1800), der die Meyersche Hofbuchhandlung im Lemgo zwischen 1755 und 1800 leitete, soll zwischen dem Tod ihres Mannes und 1805 etliche Geschäftsunterlagen verbrannt haben. 65 Hoch wahrscheinlich handelte es sich bei dieser 1786 in Frankfurt erschienen Auflage der Geschichte der Menschheit von Meiners um eine Piratenausgabe, wie Robert Darnton in etlichen Studien als ein übliches Verfahren der aufklärerischen République des Lettres nachweisen konnte. Vgl. Darnton, Robert: „What Is the History of Books?,“ in: Robert Darnton, The Case for Books. Past, Present and Future, New York: Public Affairs 2009, S. 175-206. Dass die Leser in der Frankfurter Ausgabe der Geschichte der Menschheit von Meiners den gleichen Text mit leichten Veränderungen in der Paginierung wenige Monate nach der Meyerschen Originalausgabe ohne Hinweis auf den Verlag finden konnte spricht für diese These. 66 Meiners: Grundriß der Geschichte der Menschheit, 1793, „Vorrede zum ersten Auflage,“ S. 34. 67 Hißmann, Michael: Anleitung zur Kenntniß der auserlesenen Litteratur in allen Theilen der Philosophie, Göttingen/Lemgo: Im Verlage der Meyerschen Buchhandlung 1778, S. 101. In Göttingen beschäftigte sich Hißmann besonders mit Übersetzungen aus dem Französischen von Welt- und Menschengeschichte, zu denen er Zusätze und Vorberichte aus seiner eigenen Feder hinzufügte. Werke wie z.B. Jean Nicolas Démeuniers L’Esprit des Usages et des Coutumes des différens Peuples lieferten dennoch – laut Hißmann – nur die Bausteine eines historiographischen Unternehmens, wofür noch ein Architekt fehle. Vgl. Hißmann,
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diese historiographische Tradition zu untersuchen, der sich Meiners anschloss und durch die er sich als Pionier in Göttingen erklärte, sollen hier zunächst die Leistungen Iselins, Homes und Falconers – auch nach Meiners’ kritischer Evaluierung – etwas näher beleuchtet werden. Unter dem Titel Philosophische Muthmaßungen. Über die Geschichte der Menschheit veröffentlichte der Baseler Isaak Iselin 1764 in zwei Bänden seine historisch-popularphilosophischen Reflexionen über die Glückseligkeit des Menschen.68 Ab der zweiten Auflage (1768) – von insgesamt sieben – hieß es schlicht Über die Geschichte der Menschheit. Damit verlieh es dem Verfasser den Ruhm eines Begründers69 dieser Form der deutschsprachigen aufklärerischen Weltgeschichtsschreibung. Auch Meiners stimmte dem zu: „Iselin hat in seiner Geschichte der Menschheit den Verdienst, daß er den Grundriß dieser Wissenschaft zuerst entworfen, und das Teutsche Publicum aufmerksam darauf gemacht hat.“70 Es war kein Zufall, dass sich der junge aus Basel stammende Student der Jurisprudenz vom 13. September 1747 bis Anfang Oktober 1748 in Göttingen aufhielt. Hier schloss Iselin Freundschaft mit Meiners’ zukünftigem Schwiegervater Gottfried Achenwall (1719-72)71 und machte sich in diesem Kontext mit dem Staatsrecht, der Staatswissenschaft ebenso wie mit der Historie vertraut. Peter Hanns Reill charakterisiert die Leistung des Basler Gelehrten allerdings als weit von der Göttinger historiographischen Tradition entfernt: „Unlike his teachers at Göttingen Iselin never mastered the critical apparatus of historiography. He drew the bulk of his historical material
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Michael: „Vorbericht des Herausgebers,“ in: Jean Nicolas Démeunier, Über Sitten und Gebräuche der Völker. Beyträge zur Geschichte der Menschheit, Hg. von Michael Hißmann, Bd. 1, Nürnberg: Felßeckersche Buchhandlung 1783, S. IV. Dafür gestalteten die Professoren an der Georgia Augusta Entwürfe, Vorstellungen, Grundrisse, Pläne. Über Isaak Iselins Popularphilosophie siehe: Sommer, Andreas Urs: Geschichte als Trost. Isaak Iselins Geschichtsphilosophie, Basel: Schwabe 2002, besonders S. 11 und 27; im Hof, Ulrich: Isaak Iselin und die Spätaufklärung, Bern/München: Francke 1967, S. 205. Dazu siehe: Harbsmeier, Michael: „World Histories before Domestication. Writing Universal Histories, Histories of Mankind and World Histories in Late Eighteenth Century Germany,“ in: Culture and History 5 (1989), S. 93-132, hier S. 100; van Hoorn: Dem Leibe abgelesen, S. 182. Auch Annette Meyer spricht von Iselins Pionierarbeit, die tatsächlich einen „ersten umfassenden Versuch zu einer Naturgeschichte des Menschen […]“ vorlegen würde. Vgl. Meyer: Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit, S. 244. Meiners: Grundriß der Geschichte der Menschheit, 1793, „Vorrede zum ersten Auflage,“ S. 34-35. Vgl. im Hof, Ulrich: Isaak Iselin. Sein Leben und die Entwicklung seines Denkens bis zur Abfassung der ‚Geschichte der Menschheit‘ von 1764, Basel: Benno Schwabe & Co 1947, S. 424.
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from unreliable and incomplete travel reports, which made many of his judgements stylized, naïve, and superficial.“72 Dass die Quellenkritik ein zentrales Merkmal der Göttinger Historiographie war, wurde schon im zweiten Kapitel der vorliegenden Studie dargelegt. Obwohl Christoph Meiners keine philologische Arbeit leistete, wie es z.B. bei Schlözer der Fall war, näherte er sich einem kritischen Umgang mit den Quellen aufgrund einer Fülle von Reiseberichten, denen Meiners sich zunehmend während der Entstehungszeit seiner Geschichte der Menschheit widmete73 und sie systematisch verglich. Kein Wunder, dass Meiners seine Kritik an Iselin auf die „zu kleine[] Zahl“74 der von ihm benutzten Quellen konzentrierte. Iselin hatte seine Geschichte der Menschheit in zwei Teilen mit insgesamt acht Büchern dargelegt. Das Werk eröffnet mit einer anthropologisch orientierten Untersuchung über die „Psychologische Betrachtung des Menschen,“ die als solche nach Meiners Auffassung eher der Psychologie, als der Geschichte der Menschheit angehöre. Analysiert werden hier die Sinne, die Einbildungskraft ebenso wie der Verstand, die das sogenannte „dreyfache Gesetz“ der Menschen bzw. die drei Epochen der menschlichen Ge-
72 Reill: The German Enlightenment and the Rise of Historicism, S. 66. 73 Meiners’ zunehmendes Interesse an Reiseberichten ist nicht nur durch die aufgelistete Literatur in seinen Lehrbüchern nachweisbar, sondern lässt sich auch mit Hilfe der Ausleihungsunterlagen der Universitätsbibliothek zeigen. Zwischen 1781 und 1782 hat Meiners tendenziell mehr Bücher aus oder über die Antike ausgeliehen, denn er verfasste damals seine Geschichte des Ursprungs, Fortgangs und Verfalls der Wissenschaften in Griechenland und Rom und seinen Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte nach Christi Geburt, in einigen Betrachtungen über die Neu-Platonische Philosophie. Ausgeliehen hat Meiners u.a.: Aristofanes (S. 1r); Diodorus (S. 16r); Geddes on Plato (S. 24r) [Geddes, James: An Essay on the Composition and Manner of writing of the Ancients, particularly Plato, 1748]; Plato (S. 48v); Polibius (S. 48v); Socrates Epist. (S. 62r). Vgl. Ausleihungsregister der Universität Bibliothek Göttingen, Michaelis 1781/Ostern 1782, SuB Göttingen/Handschriften (Seitenangaben bereits zwischen Klammern aufgeführt). Schon zwischen 1783 und 1784 fallen u.a. die folgenden Titel auf: Lobo, Voyage l’Abessinie (S. 44r) [Lobo, Jerôme: Voyage historique d’Abissinie, 1728]; Hans Sloanes Reiseberichte über Jamaica (S. 68r); Smith, William: A new voyage to Guinea, describring the customs, manners, soil… Likewise, an account of their animals, minerals, &c, 1744 (S. 70r); William Snelgrave, A new account of some parts of Guinea, 1734 (S. 70r); Thévenot’s Voyages (S. 76v); Wallace, James: An account of the islands of Orkney, 1700 (S. 83v). Vgl. Ausleihungsregister der Universität Bibliothek Göttingen, Ostern 1783/Ostern 1784, SuB Göttingen/Handschriften (Seitenangaben bereits zwischen Klammern aufgeführt). 74 Meiners: Grundriß der Geschichte der Menschheit, 1793, „Vorrede zum ersten Auflage,“ S. 35.
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schichte75 ausmachten. Trotz Meiners’ Versuch, die Grenzen von beiden Wissensfeldern schärfer zu bestimmen, setzte er in seinen eigenen Schriften zur Geschichte der Menschheit eine ähnliche dreifache Betrachtung des Menschen voraus, durch die er die Frage nach den ursprünglichen Verschiedenheiten aller Völker hinsichtlich ihrer körperlichen und geistigen Anlagen zu beantworten suchte. Aber schon bei Iselin trat eine psychologisch orientierte Systematisierung der Geschichte auf, wie sein Briefwechsel belegt. „Ich habe eigene Gedanken gesammelt, aber noch mehr facta, um daraus allgemeine Sätze zu ziehen und die Geschichtskunde mit der Psychologie zu vereinigen, um die Staatskunst und Gesetzgebung dadurch zu beleuchten.“76
Hierdurch bilden die Kriterien nach Iselin für die Sinnlichkeit, die Einbildungskraft und die Vernunft die fortschreitenden Etappen der menschlichen Gattungsentwicklung aus, die vom einzelnen Mensch ausgeht und „auf die menschlichen Gesellschaften, beziehungsweise die Völkergemeinschaften übertragen“77 wird. Bezeichnenderweise trafen hier die Philosophie und die
75 Über das „sozial-menschliche-psychologische Element“ Iselins Geschichte der Menschheit siehe: im Hof: Isaak Iselin und die Spätaufklärung, S. 84. Im diesem Zusammenhang schreibt im Hof Iselin u.a. die Entdeckung der menschlichen Seele zu: „Er [Iselin] gehört damit zu jenen ersten, die die große Entdeckung ihres Jahrhunderts machten, die Entdeckung der menschlichen Seele.“ Ebd., S. 207. 76 „Isaak Iselin an S. Hirzel, 14. Februar 1763 [59, 25],“ zit. nach: im Hof: Isaak Iselin und die Spätaufklärung, S. 84. 77 Vgl. im Hof, Ulrich: Isaak Iselin und die Spätaufklärung, S. 77. In Anlehnung an diese These weist die jüngste Forschungsarbeit von Lucas Marco Gisi auf überzeugende Weise auf eine Parallelisierung von Onto- und Phylogenese im Zeitalter der Aufklärung hin, sprich: auf eine Parallelisierung von der „anthropologisch-psychologische[n] Entwicklung des Individuums“ und der „historischkulturelle[n] Entwicklung der Menschheit,“ die einer ‚Scharnierstelle‘ zwischen Anthropologie und Kulturgeschichte im 18. Jahrhundert zugrunde liege. Vgl. Gisi, Lucas Marco: „Die Parallelisierung von Ontogenese und Phylogenese als Basis einer ‚anthropologischen Historie‘ im 18. Jahrhundert,“ in: Thomas Bach/ Mario Marino (Hg.), Naturforschung und menschliche Geschichte, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2011, S. 41-59, hier S. 42, Anm. 4. Spezifisch zu Iselins „schematische[r] Einteilung der Geschichte nach seinen anthropologischen Hierarchien“ siehe in Gisis Text S. 51-52. Gisi stellt außerdem Iselins Geschichte der Menschheit als der erste umfassende „Versuch einer anthropologischen Historie im deutschen Sprachraum“ vor. Bei Iselin gehe es „um eine philosophisch, anthropologisch und ethnologisch fundierte Darstellung der Menschheitsgeschichte.“ Vgl. Gisi, Lucas Marco: „Die anthropologische Basis von Iselins Geschichtsphilosophie,“ in: Lucas Marco Gisi/Wolfgang Rother (Hg.), Isaak Iselin
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Psychologie im Feld einer Geschichte der Menschheit zusammen.78 „Ohne die Seele wäre der Leib ein unwirksamer Klumpe. Ohne den Leib könnte die Seele auf dieser Erde keine, oder doch die wenigsten, ihrer Bedürfnisse befriedigen,“79 heißt es bei Iselin. Obwohl noch kein eindeutig operationalisierten commercium mentis et corporis nachweisbar ist, wird durch die Betrachtung des Leib-Seele-Problems offenkundig, warum Iselins Geschichte der Menschheit 1775 unter dem Stichwort „Anthropologie“ im philosophischen Lexikon Walchs neben Platners Werk auftauchte.80 Ferner befasste sich das erste Buch Iselins der Tendenz nach immer noch mit dem Gegenstand der aufklärerischen Psychologie: Begierden und Gemütsbewegungen bilden als innerliche Empfindungen die Basis einer später dargestellten Entwicklungsgeschichte der Sinnlichkeit hin zur Vernunft.81 Erst ab dem zweiten Buch des Iselin’schen Werkes begann nach Auffassung von Meiners die wahre Geschichte der Menschheit, und zwar als der „Stand[-] der Natur“ thematisiert wird. Meiners verkündete bereits 1784, dass sich seine neue Wissenschaft der Entstehung und allmählichen Ausbreitung des menschlichen Geschlechts zuwandte. Dabei fragte sich Iselin, ob „wir den wahren Menschen in den Wäldern von Nordamerica suchen“
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und die Geschichtsphilosophie der europäischen Aufklärung, Basel: Schwabe 2011, S. 124-152, hier S. 124. Über dieses „Wissensdreieck“ der spätaufklärerischen Wissenschaften und die Pionierarbeit Iselins siehe: Garber, Jörn: „Von der ‚anthropologischen Geschichte des philosophierenden Geistes‘ zur Geschichte der Menschheit (Friedrich August Carus),“ in: Jörn Garber/Heinz Thoma (Hg.), Zwischen Empirisierung und Konstruktionsleistung: Anthropologie im 18. Jahrhundert, Tübingen: Max Niemeyer Verlag 2004, S. 219-261, besonders S. 258-260. Iselin, Isaak: Über die Geschichte der Menschheit, 5. Auflage, Bd. 1, Basel: Johann Schweighauser 1786 [ND: Hildesheim/New York: Georg Olms Verlag 1976], S. 40. Wie Lucas Marco Gisi aufführt, liege Iselins Geschichte der Menschheit in der Ausgabe von 1764 ein dualistisches Modell zugrunde, wonach sich Körper und Geist ebenso wie Natur und Kultur gegenüberstehen. Bei der 1768er Ausgabe wird dieser Dualismus dennoch von einem „Modell einer dreistufigen Höherentwicklung von den Sinnen und über die Einbildungskraft zur Vernunft“ ersetzt. „Dieses Progressionsmodell steht allerdings in Konkurrenz zum Modell einer Harmonie der Seelenvermögen unter der Leitung der Vernunft, wie es die Seelenlehre der Schulphilosophie vorsieht,“ so Gisi. „Dadurch erweist sich Iselins Psychologie letztlich als nur partiell kompatibel mit der sogenannten anthropologischen Wende der Spätaufklärung,“ die ein harmonisches – und nicht progressives – commecium mentis et corporis voraussetzt. Vgl. Gisi: „Die anthropologische Basis von Iselins Geschichtsphilosophie,“ S. 136. Nach Ulrich im Hof hatte Iselin grundsätzlich darzustellen versucht, „wie die Menschheit sich durch die historische Entwicklung vom biologischen zum moralischen Sein entwickelt habe.“ im Hof: Isaak Iselin, S. 470.
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sollten.82 Um diese Frage beantworten zu können, nahm er nicht nur die Geschichte sondern auch die Philosophie zur Hilfe, deren gemeinsame Schnittstelle als eine spekulativ-universalistische Geschichtsphilosophie83 verstanden werden kann. Nach Iselin ist die Philosophie immer schwach aufgestellt, wenn sie nicht von der Geschichte unterstützt wird. Dagegen sei die die Geschichte meistens unnütz oder sogar schädlich, wenn sie nicht von der Philosophie „erleuchtet“ wird.84 Vor diesem Hintergrund sprach Meiners in seiner Revision der Philosophie über eine Kluft zwischen den Schwestern Philosophie und Geschichte, die die Geschichte der Menschheit ausfüllen sollte, wenn die Geschichtsschreiber „zu leer von Grundsätzen und lauschenden Ideen [waren], wodurch die formlosen Begebenheiten der Geschichte recht genutzt werden“85 konnten. Das epistemologische Gerüst, auf dessen Basis eine fachübergreifende Kluft überbrückt wurde, lässt sich in Anlehnung an eine erkenntnistheoretische Wendung Immanuel Kants (1724-1804) zusammenfassen. Diese bringt einen Kerngedanken aufklärerischer Weltgeschichtsschreibung zum Ausdruck, der sich auf die Philosophie stützt und den Iselin hier im Auge hatte: Geschichte ohne Menschheit ist blind, Menschheit ohne Geschichte ist leer.86 Die Grundannahme seiner historischen Gedanken und philosophischen Begrifflichkeit expliziert Iselin in einer aussagekräftigen Passage: „Wir wollen fortfahren die Entwicklung der Menschheit zu betrachten, und, von der Fackel der Philosophie beleuchtet, die verschiedenen Scenen der Geschichte zu übersehen.“87 Damit wäre die Philosophie die höhere, richtige und letztlich passendste Stelle, durch die die Geschichte näher betrachtet88 werden
82 Iselin: Über die Geschichte der Menschheit, S. 117. 83 Die „spekulativ-universalistische Geschichtsphilosophie“ Iselins wurde insbesondere von Andreas Urs Sommer untersucht. Vgl. Sommer, Andreas Urs: Sinnstiftung durch Geschichte? Zur Entstehung spekulativ-universalistischer Geschichtsphilosophie zwischen Bayle und Kant, Basel: Schwabe Verlag 2006, hier S. 42. 84 Vgl. Iselin: Über die Geschichte der Menschheit, S. 118. 85 Meiners: Revision der Philosophie, S. 139. 86 Für die originale Kant’sche Formulierung siehe: Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft (1781), Bd. 3 der Werkausgabe, hg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1974, S. 98 [B75/A51]: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ 87 Iselin: Über die Geschichte der Menschheit, S. 138. 88 Für den aufklärerischen Sprachgebrauch des Verbs „übersehen“ registrierte Adelung folgendes: „Über etwas wegsehen, weil man höher gestellet ist, als dieses Etwas, wo es doch nur in figürlichem Verstande üblich ist.“ Nach dieser Erklärung folgt bei Adelung ein Beispiel der aufklärerischen Sprachwendung: „Der Größere übersiehet den Kleinern, der Reichere den Armen, der Größere hat mehr Macht als der Kleine, der Reiche mehr Vermögen. Wenn jemand mehr Gelehrsamkeit besitzet als ein anderer, so sagt man, er übersehe ihn sehr weit.“ Vgl.
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soll. Die Philosophie wäre dann in der Lage, aus großer Höhe die verschiedenen Ereignisse der Geschichte mit mehr Gelehrsamkeit zu übersehen. Eine solche Einstellung führte Iselin hin zu einer treffenden und ebenfalls bedeutungsvollen Selbstdiagnose seiner philosophischen Mutmaßungen über die Geschichte der Menschheit. „Die Revolutionen der Menschheit, welche wir in diesem Buche abgeschildert haben, sind indessen mehr wie philosophische Hypothesen als wie historische Wahrheiten anzusehen.“89 So eine konjekturale Perspektive, die auf eine „zu kleine[] Zahl“ von Quellen basierte, will Meiners in den 1780er Jahren tendenziell kritisieren, obwohl er die gleiche Annahme für eine Revision der Philosophie im Jahr 1772 für zentral und wünschenswert hielt. Wie auf den kommenden Seiten deutlich wird, wurde eine epistemologische Hinwendung zur Empirie für seine Geschichtsschreibung bedeutungsvoller, an die sich auch die Geschichte der Menschheit anlehnen konnte. Meiners äußerte sich ebenfalls kritisch gegenüber Henry Home (16961782), auch unter dem Titel Lord Kames bekannt. Dessen Werk Sketches of the History of Man war 1774 anonym in Edinburgh erschienen. Noch im selben Jahr ist es für das deutsche Publikum übersetzt worden. Meiners, der die Schrift bereits kannte und sie im Original zitierte, äußerte sich zu diesem Buch wie folgt: Es sei „viel weitläuftiger als Iselin’s Schrift,“ jedoch blieben die Hypothesen unbegründet. Zudem hat der Verfasser nach Meiners’ Ansicht zu seinem Werk viele Untersuchungen hinzugezogen, die nicht in die Geschichte der Menschheit hineingehörten, wie „manche Betrachtungen über die Entstehung und Fortgänge der Künste,“ „die ganze Untersuchung über die Taxen“ oder auch „Bemerkungen über die Polizey.“90 Laut der schottischen Vorrede wollte Home mit seiner Schrift Nutzen bringende Kenntnisse91 sowohl für das männliche als auch weibliche Publikum anbieten, und zwar in zwei Bänden mit insgesamt drei Büchern versehen. Wie es bei Meiners im Deutschen heißt, ging es in dem Buch um
Adelung, Johann Christoph/Soltau, Dietrich Wilhelm/Schönberger Franz Xaver (Hg.): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart, Bd. 4, Sp. 773-775, hier Sp. 774: „Übersehen. verb. irreg. (S. Sehen) 1. Übersehen, ich sehe über, übergesehen, über zu sehen, als ein Neutrum mit haben, über etwas höheres sehen, mit dessen Verschweigung, wofür doch darüber, hinüber, herüber sehen, richtiger und anständiger sind.“ 89 Iselin: Über die Geschichte der Menschheit, S. 185. 90 Vgl. Meiners: Grundriß der Geschichte der Menschheit, 1793, S. 36-37. 91 Home, Henry [Lord Kames]: Sketches of the History of Man, Bd. 1, Edinburgh W. Creech/London: W. Strahan/London: T. Cadell 1774, „Preface,“ S. v: „The following work […] is not intended for the learned; they are above it: nor for the vulgar; they are below it. It is intended for men, who, equally removed from the corruption of opulence, and from the depression of bodily labour, are bent on useful knowledge.“
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Wachstum92 bzw. den Fortgang – oder sogar, in aufklärerischem Wortschatz, um den Fortschritt93 – der Menschen als Individuen, in der Gesellschaft; ferner ging es auch um den Fortschritt bzw. den Fortgang94 der Wissenschaften. Vor diesem Hintergrund stellt der erste Sketch die Frage nach einer Naturgeschichte, die allerdings die spätaufklärerische Weltgeschichtsschreibung auch außerhalb der englischsprachigen Insel prägte. Hier fragte sich Home, „[…] ob es verschiedene Stämme von Menschen gebe, oder ob alle nur von einem Stamme herkommen, und kein anderer Unterschied bey ihnen statt finde, als der von der Himmelsgegend oder von einem andern Zufalle herrühret.“95
Diese Frage betraf unmittelbar den Kern von Meiners’ Göttinger Vorlesung, die die ursprünglichen Verschiedenheiten aller Völker zu untersuchen beab-
92 Im Original heißt es: „Progress of Men as Individuals,“ „Progress of Men in Society“ und „Progress of Sciences.“ In der deutschen Übersetzung ist das Wort Progress, das in vielen Kapiteln vorkommt, unter dem Terminus Wachsthum übersetzt worden. „Progress of manners“ ist beispielsweise als „Das Wachsthum der Sitten“ übertragen worden. Vgl. Home [Lord Kames]: Sketches of the History of Man; Home, Henry [Lord Kames]: Versuch über die Geschichte des Menschen, Erster Theil, Leipzig: Johann Freidrich Junius 1774. 93 Die Idee, dass ein immer währender Fortschritt auf allen Ebenen der Gesellschaft wahrnehmbar sei, wurde jedoch von Henry Home kritisiert. Diese Kritik lässt sich im Laufe der letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts durch einen sich durchsetzenden Pessimismus belegen. Vor diesem Hintergrund führt William Lehmann diesen Widerspruch der schottischen Spätaufklärung folgendermaßen auf: „[…] Element of pessimism or moral skepticism regarding the effects of commercial and industrial opulence and its resulting ‚luxury‘ is a marked feature of the Scottish writing of this time […]. For Kames, wealth, great wealth at least, leads almost inevitably to luxury; and luxury he views as leading quite inevitably to the destruction of patriotism and generally to individual and national demoralization and decadence.“ Vgl. Lehmann, William C.: Henry Home, Lord Kames, and the Scottish Enlightenment. A Study in National Character and in the History of Ideas, The Hague: Martinus Nijhoff 1971, S. 192. 94 Vgl. Koselleck, Reinhart: „Fortschritt,“ in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2, Stuttgart: Klett-Cotta 1975, S. 351423, hier S. 386. 95 Home [Lord Kames]: Versuch über die Geschichte des Menschen, S. 1. Im Original heißt es: „Whether there be different races of men, or whether all men be of one race, without any difference but what proceeds from climate or other accident, is a profound question of natural history, which remains still undetermined after all that has been said upon it.“ Home [Lord Kames]: Sketches of the History of Man, Bd. 1, S. 1.
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sichtigte. Damit stellte Home unter Berücksichtigung des Klimas und mittels einer analogen Untersuchung fest, dass es unterschiedliche Stämme von Menschen gäbe. Diese analoge Feststellung erlaubte ihm, sich gegen die Thesen96 des Naturhistorikers Georges Louis Marie Leclerc und Comte de Buffon (1707-88) zu positionieren. „Thus it appears that there are different races of men fitted by nature for different climates. Upon a thorough examination another fact will also appear, that the natural productions of each climate make the most wholesome food for the people who are fitted to live in it.“97
Hier berührt Home nach Meiners’ Auffassung einen zentralen Gegenstand der Geschichte der Menschheit. Darüber hinaus versuchte der Schotte eine kausale Beziehung zwischen Ernährung98 und Bevölkerung ebenso wie zwischen dem Bevölkerungswachstum bzw. dem Schrumpfungsprozess einer Bevölkerung und von Regierungsformen zu skizzieren, welche sich argumentativ der Göttinger geographischen Statistik näherte. Dadurch beleuchtet Home für die aufklärerische Gelehrsamkeit einen Weg der Geschichtsschreibung, der mit statistischen Daten, ethnographischen Beobachtungen und naturgeschichtlichen Theorien gepflastert wurde. So werden bei Home auch die Entstehung und das Wachstum des Handels, insbesondere im Kontext der Erfindung des Münzensystems, ebenso wie die Fortgänge in den sogenannten „useful arts“ thematisiert, die sich durch beispielsweise die Anfertigung von Kleidung und Wohnungsbauten, die Erfindung von Kaminen und Kerzen sowie Schriften und Papier darstellen lassen. Die Herstellung und Aufarbeitung der „useful arts“ untersuchte Home mit geschärftem Blick auf die Gesellschaft: In Ländern, wo die Bevölkerung gering war, musste man mehrere „arts“ beherrschen, während die Wirklichkeit in den bevölkerungsreichen Ländern anders aussah, indem sogar die Ausübung der einfachsten Künste in diesen Gesellschaften aufgeteilt wurde. Für die mechanischen Künste schien dies in Homes Augen vorteilhaft zu sein. Auf sozialer Ebene jedoch brachte die Aufteilung der Arbeitsprozesse, die durch das Bevölkerungswachstum verursacht worden waren, seiner Ansicht nach Nachteile mit sich.
96 Zum Polygenismus Henry Homes siehe: Livingstone, David N.: Adam’s Ancestors. Race, Religion, and the Politics of Human Origins, Baltimore: The Johns Hopkins University Press 2008, besonders S. 58. Das Kapitel „4. Weltgeschichte und Menschengeschlecht“ der vorliegenden Studie widmet sich den spätaufklärerischen Theorien über den Ursprung der Menschen. 97 Home [Lord Kames]: Sketches of the History of Man, Bd. 1, „Preface,“ S. 11. 98 Siehe besonders den zweiten „Sketch“: „Progress of Men with respect to Food and Population.“ Darin heißt es: „Plenty of food procured by hunting and fishing, promotes population […].“ Ebd., S. 46.
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„Constant application, on the contrary, to a single operation, confines the mind to a single object, and excludes all thought and invention: in such a train of life, the operator becomes dull and stupid, like a beast of burden.“99
Sichtbare Wirkungen werden hier durch gesellschaftliche – und nicht natürliche – Ursachen erklärt, wobei Home im gleichen Buch die psychologische Betrachtung des Menschen, welche Seele und Körper in Verbindung bringt, mit dem Fortgang der Wissenschaften bzw. dem Fortschritt der Vernunft zu verbinden suchte. „In the savage state, man is almost all body, with a very small proportion of mind. In the maturity of civil society, he is complete both in mind and body. In a state of degeneracy by luxury and voluptuousness, he has neither mind nor body.“100
Homes History of Man wandte sich dem menschlichen Individuum und dem gesellschaftlichen Leben zu. Mittels der Suche nach Ursachen und Wirkungen101 von historischen Begebenheiten unternahm der Schotte eine Art „Höherlegung“ des anthropologischen Blicks von der Entwicklung des Menschen aus hin zur Entwicklung der Gesellschaft.102 Damit dies nicht eine bloße konjekturale Hypothese bliebe, forderte Meiners von seinen Vorgänger mehr empirische Genauigkeit für diese historiographische Wissensform. Der Ton, den Christoph Meiners in seiner Beurteilung von Homes Werk anschlug, war nicht anders als der gegenüber Iselin. „Die Abhandlungen selbst folgen in gar keiner natürlichen Ordnung auf einander, und nirgends sind die Schriftsteller, aus welchen er seine Data nahm, genau angegeben,“103 warf der Göttinger Professor dem schottischen Aufklärer vor. Von der englischsprachigen Insel stammte ebenso der dritte Gelehrte, dessen Schriften Meiners zufolge die Absicht trugen, die Geschichte der Menschheit auszuarbeiten. Schnell hatte das hier gemeinte Werk einen Platz in den deutschen Regalen gefunden. Die Weygandsche Buchhandlung in Leipzig fertigte für dieses Buch zur Ostermesse 1782 eine Übersetzung an, die aus der Feder eines Doctors der Arzneigelahrheit und Mitglieds der Kö-
99 Ebd., S. 105. 100 Ebd., S. 353. 101 Nach Henry Home, „Events and subordinate incidents [in the history of man] are linked together in a regular chain of causes and effects.“ Siehe: Home, Henry [Lord Kames]: Historical Law Tracts, 2nd Ed., Edinburgh 1761, S. v, zit. nach: Lehmann, William C.: Henry Home, Lord Kames, and the Scottish Enlightenment. A Study in National Character and in the History of Ideas, The Hague: Martinus Nijhoff 1971, S. 183. 102 Dazu siehe: Meyer: Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit, besonders S. 130. 103 Meiners: Grundriß der Geschichte der Menschheit, 1793, „Vorrede zum ersten Auflage,“ S. 36.
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niglichen Grosbrittannischen Gesellschaft der Wissenschaften stammte. Das Publikum könnte es jedoch schwierig gefunden haben, die Schrift auf den ersten Blick zu klassifizieren. William Falconers (1744-1824) Bemerkungen über den Einfluß des Himmelstrichs, der Lage, natürlichen Beschaffenheit und Bevölkerung eines Landes, der Nahrungsmittel und Lebensart auf Temperament, Sitten, Verstandskräfte, Gesetze, Regierungsart und Religion der Menschen (1781) konnte theoretisch als ein wichtiger Beitrag für die aufklärerische medizinische Länderkunde angesehen oder sogar zu den Schriften der Populärphilosophie gerechnet werden. Zwischen 1740 und 1800 sah das Publikum der Leipziger Ostermesse einen Zuwachs der Publikationen in diesen zwei Kategorien der aufklärerischen Schriftkultur, während die auf den Buchmarkt gebrachten Titel über Theologie und Jurisprudenz stark sanken.104 Diese schwierige Klassifikation von Falconers Schrift erklärt sich durch sein Unterfangen, die methodische Herangehensweise aufklärerischer Arzneigelehrheit auf das Forschungsziel der Populärphilosophie anzuwenden. In dieser Hinsicht wird bei ihm eine methodische Ordnung dank einer geregelten aufeinanderfolgenden Darstellung seiner Bemerkungen deutlich. Zunächst stellte der Doktor der Arzneigelahrheit eine Untersuchung über den Einfluss der Hitze und der Kälte auf den tierischen Körper an. Danach wurde die Wirkung der Hitze auf den menschlichen Körper analysiert. Nach und nach sollte dem Leser die methodische Ordnung auffallen. Eruiert wurde zuerst die Wirkung der Hitze auf das Temperament, danach die der Kälte auf das Temperament, und so fort: Wirkung der Kälte auf die Geisteskräfte, Wirkung eines gemäßigten Himmelstrichs bzw. Klimas (moderate climate) auf die Geisteskräfte. Auf diese Weise versuchte Falconer seine Bemerkungen über das Menschengeschlecht bzw. über die Menschheit über sechs Bücher verteilt methodisch zu begründen. So wie Meiners wenige Jahre später vorgehabt hat, suchte Falconer nach den Ursachen der Verschiedenheiten zwischen den Menschen, anhand derer er in der Lage sein würde, etwaige Wirkungen und Auswirkungen mit Hilfe seiner methodischen Herangehensweise genauer zu bestimmen. Die Hitze verursache beispielsweise Faulheit. Dies wiederum sollte nach Falconers Ansicht durch andere Charakteristika, welche die Natur und bestimmte Klimata mit sich brachten, beim Menschen ausgeglichen werden können: „[…] the necessity induced by a barren country, number of inhabitants, animal
104 Während im Jahr 1740 38,54% der zur Leipziger Buch Ostermesse gebrachten Titel die Theologie behandelten, ist diese Zahl 1800 auf 13,55% gesunken. Eine zweite eindeutige Tendenz des Büchermarkts, die aus den Leipziger Ostermessekatalogen belegbar ist, ist die Verstärkung der Gelehrtensprache anstelle des alten Lateins. Für ein detailliertes Bild des aufklärerischen deutschen Büchermarkts siehe: Jentzsch, Rudolf: Der deutsch-lateinische Büchermarkt nach den Leipziger Ostermeß-Katalogen von 1740, 1770 und 1800 in seiner Gliederung und Wandlung, Leipzig: R. Voigtländer Verlag 1912.
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diet, and a savage way of life, may, any of them, correct this tendency of the climate, and dispose the manners to a different turn.“105 Das epistemologische Bild, das Falconer hier voraussetzte, war von einer mechanischen Logik bzw. von der Vorstellung aktiver mechanischer Kräfte inspiriert. „Like the mechanic powers, they may be variously combined, and frequently produce an effect different from what any of them would have caused separately; but still their specific action remains, though its inferior force renders it imperceptible to our examination.“106
Auf diesen Grundlagen aufbauend versuchte Falconer qua analoger Argumentation, die Gesetze, welche die Entwicklung und die unterschiedlichen Stände der Kulturen erklären, zu beobachten und sie dann methodisch zu ordnen. Wie bereits kurz angedeutet wurde, macht sich eine solche methodische Ordnung natürlich auch in der Struktur der Arbeit bemerkbar. So fragt der Autor, inwiefern sich der Ackerbau auf die Denkart, die Sitten, die Verstandeskräfte, die Gesetze, die Regierungsformen und die Religion auswirkt. Daran anschließend überlegt Falconer, inwiefern sich der Handel auf die Denkart, die Sitten, die Verstandeskräfte, die Gesetze, die Regierungsformen und die Religion auswirken würde. Darüber hinaus schrieb er der gesamten zeitgenössischen und den Kulturen der Vergangenheit ganz bestimmte Stufen zu. Auf die Kulturstufe der wilden Jäger und deren kriegerischer Wesensart folgte der ackerbautreibende Stand der Barbarei, und auf der nachfolgenden Stufe befand man sich auf dem Weg der Handel treibenden Civilization. „Notwithstanding, however, the warlike disposition of savage nations, they are far inferior in steady courage and resolution to civilised. It is a part of their character to be soon elated with prosperous, and soon depressed by adverse events. This was observed by several ancient writers, well acquainted with their character; and has been confirmed by after experience.“107
Den Lesern wurde in ihrer deutschen Muttersprache die Vergangenheit mittels neuerer Erfahrungen108 ihrer Gegenwart vor Augen geführt. So eine
105 Falconer, William: Remarks on the Influence of Climate, Situation, Nature of Country, Population, Nature of Food, and Way of Life, on the Disposition and Temper, Manners and Behaviour, Intellects, Laws and Customs, Form of Government, and Religion, of Mankind, London: C. Dilly 1781, „Preface,“ S. v. 106 Ebd., S. vi. 107 Ebd., S. 269. 108 Vgl. Falconer, Wilhelm: Bemerkungen über den Einfluß des Himmelstrichs, der Lage, natürlichen Beschaffenheit und Bevölkerung eines Landes, der Nahrungsmittel und Lebensart auf Temperament, Sitten, Verstandskräfte, Gesetze,
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Operationalisierung historischer Erfahrungen zeigt ein Forschungsziel, das auch bei Meiners verfolgt wurde. Indem versucht wurde, die ganze Geschichte der Menschheit auszuarbeiten, kam ein wesentliches geschichtstheoretisches Element der Universalgeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts zum Vorschein. Ziel dieser Geschichtsschreibung war es, eine Art Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen109 hervorzuheben und diese darzustellen, so wie es in der bisherigen historiographischen Tradition an der Georgia Augusta noch nicht üblich war. Dafür brauchte jeder „Schriftsteller“ eine neue methodische Strategie.
3 V ERGLEICH
UND ANALOGIE ALS METHODISCHE S TRATEGIE
In seiner Bilanz der Verfahren, mit denen die Geschichte der Menschheit im 18. Jahrhundert bis dato betrieben wurde, stellt Christoph Meiners fest, dass sich bereits andere Gelehrte dem Stand der Sitten unterschiedlicher Völker gewidmet hatten. Dennoch suchte der Aufklärer nach einer Lücke in der damaligen Forschung. Diese Leerstelle sollte ihm dabei helfen, seine neue Wissenschaft, d.h. seine Geschichte der Menschheit weitergehend zu differenzieren und damit zu begründen. Sein Fazit lautet: „Grosse Geschichtsschreiber […] mahlten zwar die Sitten, Religionen, Regierungsformen, und Gesetze, u.s.w. einzelner Nationen und Zeitalter; allein sie stellten bisher
Regierungsart und Religion der Menschen, Leipzig: In der Weygandschen Buchhandlung 1782, S. 361. 109 Dazu: Nolte, Paul: „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen,“ in: Stefan Jordan (Hg.), Lexikon der Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart: Reclam 2002, S. 134-137. Nach Nolte bedeutet die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen „[…] die synchrone Existenz von Kulturen, die im verzeitlichten Fortschrittsdenken der Neuzeit unterschiedlichen Epochen angehören“ (S. 135). Sie hat auch eine diachrone Dimension des „[…] Hineinragen[s] früherer Geschichte, als Überlagerung chronologisch verschiedener Herkunftsbestände, in die eigene Gegenwart […]“ (S. 134), die für die Meiners’sche Geschichtsschreibung bedeutend war. Der Begriff in seiner geschichtstheoretischen Dimension stammt aus den Fragen nach den geschichtlichen Zeitstrukturen, die von Reinhart Koselleck aufgeworfen worden sind. Vgl. u.a.: Koselleck, Reinhart: „Über die Theoriebedürftigkeit der Geschichtswissenschaft,“ in: Reinhart Koselleck, Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003, S. 298-316, besonders S. 306-307.
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keine allgemeine Vergleichung dieser Gegenstände an, wie sie sich in allen Theilen der Erde gefunden haben, oder noch finden.“110
Eine ebenso weltumfassende, sich jedoch an einem allgemeinen Vergleich geschichtlicher Gegenstände orientierende Vorgehensweise macht das Hauptprogramm von Meiners’ Geschichtsschreibung aus. Als eine neue Wissenschaft angekündigt, musste der Verfasser einige Abgrenzungen in der Materie seiner Geschichte der Menschheit einführen, denn nicht alle „Gewohnheiten“ der unterschiedlichen Völker passten in das frisch vorgestellte Semesterprogramm. Was beispielsweise die Geschichte aller Regierungsformen betrifft, so ist die neue Wissenschaft nicht einfach vom Gegenstand der Politik oder der Europäischen Staatengeschichte abzugrenzen, gleichwohl wurde sie in die Geschichte der Menschheit am Rande einbezogen. Ein zweiter opaker Bereich ist die Geschichte der Religionen, für die Meiners einen ganzen Kurs an der Georgia Augusta anbot. Dies führte ihn 1785 dazu, neue, seinen Kurs begleitende Materialien zu verfassen, obgleich die Geschichte aller Religionen eine „unzertrennliche Schwester“111 der Geschichte der Menschheit war. Meiners selbst gibt im Weiteren an, dass sein Grundriss der Geschichte der Menschheit und seine Geschichte aller Religionen unter denselben Regeln verfasst wurden.112 Bei der Planung seiner 1785 gehaltenen Vorlesung über die Geschichte und Hauptlehren aller „falschen“ Religionen, d.h. beim Verfassen des Lehrbuches über das vorzutragende Thema, stieß Meiners an eine Kernfrage der
110 Meiners, Christoph: Grundriß der Geschichte der Menschheit, Lemgo: Im Verlage der Meyerschen Buchhandlung 1785, „Vorrede,“ S. *6r-6v. 111 Christoph Meiners, Grundriß der Geschichte aller Religionen, Lemgo: Im Verlage der Meyerschen Buchhandlung 1785, „Vorrede,“ S. )(2v. Herbert Wenzel zählt in seiner Dissertationsschrift über Christoph Meiners als Religionshistoriker die Geschichte der Menschheit sogar zu den Werken, die für die Religionsgeschichte von Interesse seien. Vgl. Wenzel, Herbert: Christoph Meiners als Religionshistoriker, Frankfurt an der Oder: Paul Beholtz 1917, S. 6. Nicht nur die methodische Herangehensweise, sondern auch die Quellen, die Meiners für das Verfassen beider Werke benutzte, überschneiden sich. Dies erregte die Aufmerksamkeit einer zur damaligen Zeit wichtigen Rezensionszeitschrift, wo die zweite Ausgabe der Geschichte aller Religionen kritisch besprochen wurde: „Das Verzeichniss der Schriften, aus denen M[einers] seine Geschichte der Menschheit geschöpft hat, und welches derselben beygedruckt ist, ist von demjenigen, welches diesem Grundriss der Geschichte der Religion beygedruckt ist, fast gar nicht verschieden,“ hieß es in der aufklärerischen Presse. Vgl. Allgemeine Literatur-Zeitung, N. 187, 24. Juni 1789, „[Rezension:] ‚Lemgo, in der Meyerschen Buchhandlung: Grundriß der Geschichte aller Religionen, 2. Auflage. 1787. 192 S. 8. (12 gr.)‘,“ Sp. 681-686, hier Sp. 686. 112 Vgl. Meiners: Grundriß der Geschichte der Menschheit, 1785, „Vorrede,“ S. **4 v.
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Geschichtsschreibung, nämlich die Frage nach einer hinreichenden epistemologischen Lösung für eine methodisch strukturierte Darstellung von Geschichtswissen. Diese Kernfrage löste im Übrigen den Federkrieg aus, der 1773 in Göttingen zwischen Gatterer und Schlözer vor der spätaufklärerischen Öffentlichkeit geführt wurde.113 Schon in Hinblick auf seine Geschichte der Religionen reagierte Meiners wie folgt auf die methodische Problematik: „Die Geschichte sowohl aller als einzelner Religionen läßt sich, wie die Geschichte aller oder einzelner Handwerker, Künste, Wissenschaften, Gesetzgebungen und Regierungsformen, nach einer doppelten Ordnung vortragen: entweder nach einer chronologisch-geographischen, oder nach der natürlichen Folge ihrer wichtigsten Bestandtheile.“114
Der chronologisch-geographischen Methode zufolge musste die Geschichte die Ordnung der Ereignisse bzw. der Entstehung einer Religion – am Beispiel der Geschichte aller Religionen – beachten. Folglich musste man nach Meiners’ Auffassung „[…] die Geschichte der verschiedenen Religionen ohngefähr so aufeinander folgen lassen, wie bisher in der Universalhistorie die Geschichte der Völker gestellt wurden.“115 Hierdurch wollte Meiners sein Forschungsprogramm deutlich von der damaligen Universalhistorie abgrenzen. Eine „unerträgliche Weitläufigkeit“ ebenso wie „endlose Wiederholungen“ waren Nachteile der chronologisch-geographischen Methode für die Geschichtsschreibung, die nach Meiners eher der Universalhistorie zuzuordnen sei. Eine zweite Methode jedoch, mittels derer die natürliche Folge der wichtigsten Bestandteile der darzustellenden Geschichte erschlossen werden sollte, erlaubte Meiners „[…] alle Religionen gleichsam in ihre Elemente“ aufzulösen und zu zeigen, „wie sich ein jedes derselben unter allen Völkern gefunden habe, oder noch finde.“116 Hier erkennt man den methodische Kern, den Meiners ab 1785 weiter verfolgt: Elemente bzw. Konzepte sind aufgelöst worden, um eruieren zu können, wie sich die abweichenden oder weiterwirkenden Aspekte der unterschiedlichen Kulturen bzw. Religionen anordnen lassen. Von diesem Zeitpunkt an ist bei Meiners durchgehend von Ähnlichkeiten und ursprünglichen Unterschieden zwischen den Religionen die Rede. Aus dem Titel des ersten Kapitels geht dieses Programm bereits hervor. Der Leser wird im Grundriß der Geschichte aller Religionen „[u]eber die Entstehung der verschiedenen Religionen, über ihre ursprünglichen Unterschiede sowohl, als
113 Für eine Analyse dieses Federkrieges aus historiographie- und wissenschaftsgeschichtlicher Sicht siehe das Kapitel „2. Innovation und Federkrieg“ der vorliegenden Studie. 114 Meiners: Grundriß der Geschichte aller Religionen, „Vorrede,“ S. )(2v-)(3. 115 Ebd., S. )(3r. 116 Ebd.
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über ihre auffallende Aehnlichkeiten, über ihre Nützlichkeit und Schädlichkeit, ihre Reinigung und Ausartung, über die damit verbundene Verträglichkeit, und Unduldsamkeit, Bekehrungs-Sucht und Verfolgungs-Geist, endlich über ihre Verbreitung oder Wanderungen“ ausführlich informiert. Nach diesem Plan machen ursprüngliche Unterschiede und auffallende Ähnlichkeiten, Nützlichkeit und Schädlichkeit, Reinigung und Ausartung die zentralen Paar-Elemente Meiners’scher Geschichtsschreibung aus, deren Methode durch den Vergleich in Kraft tritt. „Die kleine Verwirrung, die vielleicht für manchen aus der Zerstückelung der Religionen, oder vielmehr aus der Verbindung einer jeden einzelnen mit allen übrigen entsteht, wird unendlich durch die vielen neuen Schlüsse überwogen, wozu die Vergleichung der mannigfaltigen Gestalten einer jeden Lehre, und gottesdienstlichen Handlung unter verschiedenen Völkern Veranlassung giebt.“117
Diese anschlussfähige methodische Strategie – so wünschte sich Meiners – sollte man auf jeder „dem menschlichen Geschlechte wichtige[n] Kunst, Wissenschaft oder Einrichtung“ anwenden. Vorteil einer solchen Herangehensweise für die Geschichtsschreibung ist es seiner Ansicht nach, dass auf einmal historische Probleme wahrgenommen und identifizierbar sind, die in der chronologischen Darstellung bislang nicht berücksichtigt werden konnten. Dafür müssten zuerst die Facta gesammelt und danach verglichen werden, um sich als Sachverständiger bzw. als Gelehrter über das zu untersuchende Thema äußern zu können. Diesen Vorgang erläutert Meiners dem Leser umgehend. „Ich habe mich schon lange daran gewöhnt, keine feste Meynungen über […] Dinge zu fassen, worüber ich noch nicht alle Data beysammen habe. Wenn ich aber alles gesammlet habe, und dann das Gesammlete zu vergleichen und durchzudenken anfange, so nehme ich willig die Schlüsse und Resultate an, die sich mit von selbst darbieten, und opfere gern einen jeden Hand zu jeder vorgefaßten Meynung auf, die sich etwa heimlich eingewurzelt hatte.“118
Meiners wollte die neue Wissenschaft empirisch anlegen und alle Quellen der konkreten Materie ununterbrochen vergleichen. Solch ein Prozedere in der historischen Forschung richtet sich in heuristischer und analytischer Hinsicht nach der Prüfbarkeit „historischer Sachverhalte,“119 die durch den
117 Ebd., S. )(3v. 118 Ebd., S. )(8r. 119 Hier lehne ich mich an die Typologie des historischen Vergleichs an, die Heinz-Gerhart Haupt und Jürgen Kocka entwickelt haben. Nach ihnen ist der historische Vergleich „[…] keine Methode im strengen Sinn, sondern eher eine Perspektive, ein Verfahren, ein Ansatz […],“ die heuristische, deskriptive, analytische und paradigmatische Hinsichten beinhalten. Dazu siehe: Haupt, Heinz-
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Vergleich nicht nur zwischen Religionen, sondern auch zwischen Völkern bzw. Kulturen greifbar werden können. Der Vergleich als operatives Element der Geschichtsschreibung ist zwar keine Erfindung der spätaufklärerischen Historiographie,120 jedoch wird der Vergleich im 18. Jahrhundert verwissenschaftlicht.121 Als eine zentrale methodische Strategie122 der historischen Erklärung dient er zu dieser Zeit der „Typisierung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten,“123 die sich sowohl synchronisch als auch diachronisch darstellen lassen und anhand dessen Ursachen und Wirkungen von historischen Prozessen und Phänomenen dargelegt werden. Eine anthropologische Fragestellung der Menschheitsgeschich-
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Gerhart/Kocka, Jürgen: „Historischer Vergleich: Methoden, Aufgaben, Probleme. Eine Einleitung,“ in: Heinz-Gerhart Haupt/Jürgen Kocka (Hg.), Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt: Campus Verlag 1996, S. 9-45, hier S. 12-14. Hartmut Kaelble stellt eine andere Typologie des historischen Vergleichs auf, wonach analytischer, aufklärender, verstehender Vergleich und IdentitätsVergleich nach Intentionen zu unterscheiden seien. Unter einem aufklärenden Vergleich versteht Kaelble eine Art methodischen Ansatz, der sich durch „[…] die Gegenüberstellung von positiven oder negativen historischen Entwicklungen, die bessere Erklärung von Fehlentwicklungen, die in einzelnen Gesellschaften unterschiedlich stark waren […],“ unterscheiden lässt. Vgl. Kaelble, Hartmut: „Vergleich, historischer,“ in: Stefan Jordan (Hg.), Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart: Reclam 2002, S. 303306, hier S. 304-305. Von den hier vorgestellten Intentionen des historischen Vergleichs ist genau die aufklärende, die unmittelbar die Meiners’schen Geschichtsschreibung betrifft. Dazu siehe beispielsweise: Osterhammel, Jürgen: „Die Vielfalt der Kulturen und die Methoden des Kulturvergleichs,“ in: Friedrich Jaeger/Jürgen Straub (Hg.), Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. 2: Paradigmen und Disziplinen, Stuttgart/Weimar: J. B. Metzler 2004, S. 50-65, besonders S. 56. Vgl. Kaelble, Hartmut: „Die interdisziplinären Debatten über Vergleich und Transfer,“ in: Hartmut Kaelble/Jürgen Schriewer (Hg.), Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt/New York: Campus Verlag 2003, S. 469-493, besonders S. 480. Für die aufklärerische Weltgeschichtsschreibung als eine „im hohem Maße kulturvergleichend ausgerichtet[e]“ Wissenschaft siehe: Osterhammel, Jürgen: „Transkulturell vergleichende Geschichtswissenschaft,“ in: Jürgen Osterhammel, Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001, S. 11-45, hier S. 17. Vgl. Haupt/Kocka: „Historischer Vergleich: Methoden, Aufgaben, Probleme. Eine Einleitung,“ S. 10-11. Kaelble: „Vergleich, historischer,“ S. 303.
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te – die Heuristik124 von Meiners’ wissenschaftlichem Unternehmen insgesamt – setzte eine Vergleichbarkeit von historischen Gegenständen voraus. Im Zuge der Verwissenschaftlichung des spätaufklärerischen Blicks stützte man sich aber nicht nur beim Vergleich auf die Geschichte.125 Dank der Bestände der Göttinger Universitätsbibliothek war Meiners mit der schottischen Szene sehr gut vertraut, in der sich David Hume (1711-76) paradigmatisch fragte, warum notwendig angenommen werden muss, dass jede Ursache auch eine Wirkung hat.126 Hume verweist in seiner Antwort auf einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, der sowohl für die empiristische Erkenntnistheorie gelten soll, als auch auf eine epistemologische Möglichkeit für die Verbindung von Vorstellungen bzw. Gedanken hindeutet. Damit sollen sie sich durch Gründe beweisen lassen, die auf empirische Erfahrung ge-
124 Für den Vergleich als heuristischen Ansatz der Geschichtsschreibung siehe ferner: Escudier, Alexandre: „La méthode comparée: éléments pour une histoire de son épistémologie,“ in: Comparare 2 (2002), S. 240-257. Escudier liefert außerdem eine fruchtbare Typologie der möglichen Anwendungen des historischen Vergleichs in der deutschen Spätaufklärung. Neben der „usage heuristique“ weist er auf „un usage mnémotechnique pédagogique,“ auf „un usage anthropologico-philosophique,“ auf „un usage moral/esthétique“ ebenso wie auf „un usage eurocentriste tendanciellement différentialiste“ hin. Bei dieser letzteren Anwendung des historischen Vergleichs in der spätaufklärerischen Weltgeschichtsschreibung stellt Escudier Christoph Meiners als paradigmatisch vor: „La comparaison peut fonctionner comme un européocentrisme aux tendances non seulement progressistes (cf. la variante précédente implicite dans l’usage rétrodictionnel de la comparaison), mais avec un caractère différentialiste prononcé et parfois couplé avec un discours sur la différence raciale d’inspiration esclavagiste, anti droits-de-l’hommiste.“ Siehe: Escudier, Alexandre: „Histoire universelle et comparaison à la fin du XVIIIe siècle en Allemagne,“ in: Catherine Colliot-Thélène (Hg.), Eurostudia – Revue transatlantique de Recherche sur l’Europe: Comparatisme européen et au-dela 4 (2008), S. 1-21, hier S. 15. Zu den rassistischen Elementen Meiners’ Historiographie siehe vornehmlich das Kapitel „4. Weltgeschichte und Menschengeschlecht“ der vorliegenden Studie. 125 Wie Annette Meyer am Beispiel der schottischen und deutschen Aufklärung ausführt, tauchen noch zwei weitere Strategien mit methodischem und heuristischem Wert in der Weltgeschichtsschreibung auf, die ebenfalls eine zentrale Rolle spielten, nämlich die Suche nach Kausalzusammenhängen von historischen Sachverhalten sowie das Mittel der Analogiebildung. Vgl. Meyer: Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit, S. 144-155. An diese Trias, die von Meyer maßgeblich untersucht wurde, lehne ich mich hier an. 126 Siehe: Michael, Albrecht: „Ursache/Wirkung [III],“ in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer/Gottfried Gabriel (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 11, Basel: Schwabe Verlag 2001, S. 389-399, hier S. 392.
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stützt sind.127 Darüber hinaus übertrug man in der Aufklärung das Verhältnis von Ursache und Wirkung nicht selten auf historiographische Argumentationsstrukturen. Dies geschah mit der Absicht, die epistemologische Fragestellung im Geschichtskontext fruchtbar zu machen. Sollen sie vermieden oder weiter gefördert werden, müssen einem die Ursachen des Untergangs128 von alten Kulturen oder Ursachen der Aufklärung selbst bekannt sein. Damit wird beabsichtigt, „[…] auf die Ursachen so wohl, als auf die Wirkungen der sich vermehrenden und verbreitenden nützlichen Kenntnisse aufmerksam zu machen.“129 Kenntnis konnte auch mittels der Analogie gewonnen werden. Ursprünglich ein Begriff der Mathematik, zielt die Analogiebildung darauf ab, den Abstand zwischen verschiedenen Elementen oder Prozessen qua behaupteter Korrespondenz bzw. Ähnlichkeit in ausgewählten Aspekten sowie durch Verhältnisbildung der Differenzen zu überbrücken.130 Die Analogie setzt somit den Vergleich voraus, um neue Kenntnisse gewinnen und den Vergleich selbst – aus rein empirischer Betrachtungsperspektive – überschreiten zu können. Dadurch waren die Aufklärer dann beispielsweise in der Lage, universal geltende Theorien zu formulieren, mit denen sich bis dato unbekannte Phänomene potentiell als bereits bekannte Phänomene erklären lassen konnten. Dies ist nämlich genau dann möglich, wenn Ähnlichkei-
127 Vgl. Hume, David: An Enquiry Concerning Human Understanding [1748], hg. von Tom L. Beauchamp, Oxford: Oxford University Press 2002, S. 17: „To me, there appear to be only three principles of connexion among ideas, namely, Resemblance, Contiguity in time or place, and Cause or Effect.“ Ferner: „The existence, therefore, of any being can only be proved by arguments from its cause or its effect; and these arguments are founded entirely on experience“ (S. 122). 128 Siehe beispielsweise: Meiners, Christoph: Historische Vergleichung der Sitten, und Verfassungen, der Gesetze, und Gewerbe, des Handels, und der Religion, der Wissenschaften, und Lehranstalten des Mittelalters mit denen unsers Jahrhunderts in Rücksicht auf die Vortheile, und Nachtheile der Aufklärung, Bd. 2, Hannover: Im Verlage der Helwingischen Hofbuchhandlung 1793, S. 300: „Die wahre Ursache des Unterganges des Römischen Reichs, und des Verfalls der Künste und Wissenschaften lag in der ungeheuern Sittenverderbniß, welche die Römer in den letzten Zeiten der Freyheit ergriff: in den schrecklichen bürgerlichen Kriegen, welche diese Sittenverderbniß hervorbrachte; und in dem noch schrecklicheren Despotismus, der unter dem Tiber entstand, und durch dieselbige Sittenverderbniß nothwendig gemacht wurde.“ 129 Ebd., S. 299. 130 Siehe: Kluxen, Wolfgang: „Analogie [I],“ in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer/Gottfried Gabriel (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, Basel: Schwabe Verlag 1971, S. 214-227, hier S. 214.
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ten131 zwischen verschiedenen Phänomenen bzw. Völkern bemerkt werden und sich analogisierend vergleichen lassen. Mit dieser methodischen Strategie im Kopf stellte Meiners in seinem Grundriß der Seelenlehre 1786 dar, dass die Natur der Menschen sehr unterschiedlich sei. Diese These versucht er im Laufe der Jahre mit Hilfe von empirischen Beobachtungen und Analogiebildungen reichhaltig zu belegen. Die Behauptung, „[…] daß alle gesunde Menschen von Natur gleich viel Genie haben“ widerspreche „aller Erfahrung und Analogie,“132 so der Göttinger. Ein möglicher Adressat dieser Kritik ist hier Jean-Jacques Rousseau (1712-78) gewesen. Meiners schildert Rousseau als einen Gegner der wahren Aufklärung133 und Feind der menschlichen Gesellschaft, weil dieser die Schilderung der Natur bzw. Menschennatur als bloße Fiktion134 annimmt. „Ganz anders, als Rousseau’s Beschreibung des natürlichen Zustandes der Menschen lauten die Nachrichten aller zuverlässigen Beobachter von dem Zustande der wilden Völker in der alten und neuen Welt.“135
Dadurch richtet Meiners seine heftige Kritik auf den Mangel von empirisch historischen Beweisen136 – so wie er bereits Iselin kritisierte – und insbe-
131 Vgl. Meiners: Grundriß der Seelen-Lehre, S. 174-175: „Nicht minder allgemein ist das Gesetz der Analogie, vermöge deßen wir um gewißer Aehnlichkeiten willen, die wir zwischen Gegenstände entdecken, auch in andern, als in den bemerkten Stücken Aehnlichkeiten voraussetzen. Auf diesem Gesetze beruht ein großer Theil unsrer wichtigsten Kenntniße.“ 132 Ebd., S. 100. 133 Siehe z.B.: Meiners: Historische Vergleichung der Sitten, Bd. 1, S. 6-7: „Ich sondere mit Fleiß die bisher erwähnten Klagen, und Beschuldigung von denen ab, welche Rousseau in seinen beiden bekannten Preisschriften über die Wirkungen der wiederhergestellten Künste und Wissenschaften auf die Sitten, und über die Ursachen der Ungleichheit unter den Menschen vorgetragen hat. Rousseau kündigt in diesen Schriften nicht bloß unserer heutigen Aufklärung sondern den Künsten und Wissenschaften überhaupt, nicht bloß den aufgeklärten, oder verdorbenen Völkern der alten und neuen Zeit, sondern aller bürgerlichen Gesellschaft den Krieg an.“ 134 Vgl. Ebd., S. 18: „In den Dichtern aufgeklärter Völker, die das Wahrscheinliche, und Unwahrscheinliche zu unterscheiden wusten, findet sich kaum eine mit der Erfahrung und Geschichte so sehr streitende Fiction, als Rousseau’s Schilderung des Standes der Natur, und des Naturmenschen ist.“ 135 Ebd., S. 23. 136 Zu Meiners Kritik an Rousseau, was die vermeintliche Erdichtung eines ursprünglichen Zustandes der Natur und die Verteidigung einer wahren Aufklärung gegen Sittenverderbnis und Unglauben betrifft, siehe auch: Peters, Martin: „Möglichkeit und Grenzen der Rezeption Rousseaus in den deutschen Historiographien. Das Beispiel der Göttinger Professoren August Ludwig (von) Schlö-
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sondere auf die apriorische Idee von Gleichheit, die Rousseau unter den Menschen sieht. Aus den mit einander verglichenen Nachrichten zuverlässiger Beobachter wollte Meiners durch den Analogieschluss, also durch das wechselseitige Schließen von der Vergangenheit auf die Gegenwart und von der Gegenwart auf die Vergangenheit, zivilisationsgeschichtliche Abfolgen forschen. Dafür mussten zuerst die Teile in ihre Elemente aufgelöst werden, um aus einer allgemeinen Perspektive zeigen zu können, in welchen Verhältnissen sie miteinander standen, wo sie gefunden wurden, oder noch zu finden sind. Indem Meiners aber das menschliche Geschlecht als Gegenstand seiner Forschung zur „humanis generis historiam“ bzw. „historiam generis humani“137 erklärte, stellt sich nun die Frage, welche Teile es sind, anhand derer die Geschichte der Menschheit nach dieser methodischen Strategie untersucht werden konnte.
4 „D IE G ESCHICHTE
DER BEGREIFT DEN GANZEN
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Die argumentative Struktur von Meiners’ Grundriss der Geschichte der Menschheit (1785) kommt bereits im Titel des ersten Kapitels zum Vorschein. Dies widmet sich den allgemeinen „Betrachtungen über die Entstehung der Erde, über ihre wichtigsten Revolutionen, und über ihren vormaligen und gegenwärtigen Zustand.“ Darum geht es nach Meiners’ Auffassung letztlich in seiner gesamten Geschichtsschreibung, insofern auf analoge Weise beabsichtigt wird, gegenwärtige und vergangene Zustände der Erde im Allgemeinen und auch der unterschiedlichen Völker zu untersuchen. Dieses Forschungsziel hatte Meiners im Auge, als er sich dem zweiten Kapitel über „die ursprünglichen Verschiedenheiten der Menschen und deren physische Ursachen“ widmete, um sich auf seine Art und Weise innerhalb der spätaufklärerischen Historiographie und gegenüber seinen Göttinger Kollegen zu positionieren. Hier wird der Mensch durch die ihn umgebende und durch seine eigene, konstitutive Natur zum Subjekt der Geschichte. Das dritte Kapitel hat die „verschiedenen Grade der Cultur von Völkern“ zum Thema. Versucht wird eine Einteilung der Völker in wilde, barbarische, halb kultivierte und ganz gebildete Kulturen, welche im Zeitalter der Aufklärung bereits üblich war. Sie sollen fundierter dargestellt werden, um „die
zer und Christoph Meiners,“ in: Herbert Jaumann (Hg.), Rousseau in Deutschland. Neue Beiträge zur Erforschung seiner Rezeption, Berlin: Walter de Gruyer 1995, S. 267-289, besonders S. 276. 137 So lautet der Titel seiner Veranstaltung zur Geschichte der Menschheit im lateinischen Lektionskatalog. Vgl. Catalogus praelectionum publice et privatim in academia Georgia Augusta per hibernum semestre, Gottingae: Litteris Joh. Christian Dieterich 1785, S. VI.
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wahre Bestimmung des Menschen“138 besser erklären zu können. In diesem Kontext taucht eine entscheidende Definition auf, mit deren Hilfe Meiners seine neue Wissenschaft als eine Innovation an der Georgia Augusta betrachten konnte. Die Geschichte der Menschheit soll sich in drei grundlegenden Aspekten manifestieren, die jeweils einem Teil des ganzen Menschen entspricht. Sie sind 1. die sichtbare Natur des menschlichen Körpers und die „unsichtbaren Anlagen“139 2. des Geistes und 3. des Herzens. Diese Trias verdient nach Meiners die Aufmerksamkeit des Geschichtsforschers. Was unmittelbar den menschlichen Körper betrifft, so werden jenseits von anatomischen Aspekten auch Nahrungsmittel ebenso wie Getränke berücksichtigt. Zu den sichtbaren Anlagen des menschlichen Körpers zählen ebenfalls die Wohnform verschiedener Völker, ihre Kleidung und ihr Schmuck bzw. ihr „Putz.“ Der Körper wird bei Meiners seziert und mit einem scharfen ethnographischen Blick beschrieben. Regierungsformen, Verfassungen und Gesetze entsprechen den Sitten oder – um in Meiners’ Begrifflichkeit zu bleiben – dem Herz eines Volkes, während die Sprache, Künste, Wissenschaften und Erfindungen einer Kultur dem menschlichen Geist zugeschrieben werden. Diese drei Elemente werden jeweils in zeitlicher Perspektive betrachtet, so können sie in der Retrospektive Hinweise auf die „Veredelung“ oder „Verschlimmerung“ bzw. auf die „Verhässlichung“ oder „Verschönerung“140 eines Volkes geben. Außerdem soll die Geschichte der Menschheit ein viertes Element beinhalten, nämlich was „das menschliche Geschlecht von seinem uns bekannten Anbeginn an bis auf die gegenwärtige Zeit“141 getan oder erlitten hat. Hier lässt sich ein Wendepunkt in Meiners’ Geschichtsauffassung ausmachen. Im Jahr 1772 fülle die Geschichte der Menschheit nach Meiners die Kluft „zwischen den allgemeinen Lehren der Philosophie und den besonderen Factis der Geschichte“142 aus und weise damit auf die Vereinigung von „getrennten Schwestern“ hin. Der Göttinger verschärft dreizehn Jahre später im Jahr 1785 sein Forschungsprogramm. Auf der Basis seiner empirischen Revision der Philosophie und insbesondere der Psychologie wird eine Form
138 Meiners: Grundriß der Geschichte der Menschheit, 1785, S. 129. 139 Ebd., „Vorrede,“ S. *3v. 140 Ebd., S. *3v: „Der Mensch nun als das zusammengesetzteste unter allen Geschöpfen der Erde bietet der Geschichte von mehrern Seiten reichhaltigen Stoff dar. Und zwar zuerst von Seiten des Cörpers, in soferne die Natur desselben, und vermöge dieser die höhern unsichtbaren Anlagen des Geistes und Herzens durch physische und moralische Ursachen verwandelt, veredelt oder verschlimmert werden, in so ferne der Cörper ferner durch unendlich abweichende Arten von Speisen und Getränken genährt, und durch nicht weniger verschiedene Wohnungen, Kleidung und Putzwerk, gegen die Unbequemlichkeiten der Witterung geschützt, oder verhäßlicht und verschönert wird.“ 141 Vgl. Ebd., S. *2v. 142 Meiners: Revision der Philosophie, S. 139.
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der spätaufklärerischen Geschichtsschreibung zwar weiter tradiert, sie wurde aber auch durch die sichtbaren und unsichtbaren Anlagen des ganzen Menschen umgestaltet. So ist der Kern von Meiners neuem Ansatz im Wesentlichen die Frage nach der menschlichen Natur143 sowie die durch den ethnologischen Blick erfassten Kulturstufen der Menschheit. Seine Geschichtsschreibung wird damit hauptsächlich zu einer vergleichenden und vorwiegend synchron angelegten Völkerkunde,144 die sich neben dem vormaligen und gegenwärtigen Zustand der Völker allerdings nicht ganz von den wichtigsten, diachron dargestellten Revolutionen eines Volkes verabschieden wollte. So hieß es im Jahr 1785 in seinem Forschungsprogramm: „Und wenn also Geschichte der Menschheit nicht ein leeres Wort seyn oder aus zusammengeraubten Trümmern anderer Wissenschaften bestehen soll, so muß sie nothwendig etwas enthalten, was in den bisherigen Theilen der Geschichte entweder gar nicht war, oder nicht so abgehandelt wurde, als es seiner Wichtigkeit wegen verdiene.“145
Was in den bisherigen Teilen der Geschichte noch nicht enthalten war, lässt sich in wenige Worte fassen: „Die Geschichte der Menschheit allein begreift den ganzen Menschen und zeigt ihn, wie er zu allen Zeiten und in allen Enden der Erden beschaffen war.“146 Als beschreibende Naturkunde147 oder vielmehr als vergleichende Kulturwissenschaft bzw. Kulturgeschichte148 versuchte Meiners den epistemologischen Ort seiner Geschichte der Menschheit durch den empirischen Ansatz spätaufklärerischer Anthropologie neu zu besetzen und damit Teile ins Verhältnis zu bringen. So verfolgte Meiners die Absicht, „Untersuchungen über die abweichenden ursprünglichen Bildungen und Anlagen des Cörpers
143 Vgl. Lotter, Friedrich: „Christoph Meiners und die Lehre von der unterschiedlichen Wertigkeit der Menschenrassen,“ in: Harmut Boockmann/Hermann Wellenreuther (Hg.), Geschichtswissenschaft in Göttingen. Eine Vorlesungsreihe, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, S. 30-75, hier S. 46. 144 Dazu siehe vor allem: Ihle: Christoph Meiners und die Völkerkunde; Zedelmaier: „Zur Idee einer ‚Geschichte der Menschheit‘ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts,“ S. 288. 145 Meiners: Grundriß der Geschichte der Menschheit, 1785, „Vorrede,“ S. *3r. 146 Ebd., S. **3v. 147 Vgl. Zedelmaier: „Zur Idee einer ‚Geschichte der Menschheit‘ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts,“ S. 287. 148 Michael Carhart analysiert die Schriften von Christoph Meiners als eine große – wenngleich nicht umfangreiche – „Kulturgeschichte of human race.“ Vgl. Carhart, Michael C.: The Science of Culture in Enlightenment Germany, Cambridge: Harvard University Press 2007, hier S. 247.
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und Geistes aller Völker“149 vorzunehmen, und zwar indem Unterschiede zwischen und Ähnlichkeiten unter den Völkern verglichen werden. Während die Universalhistorie nach Meiners’ definitorischer Abgrenzung „eine lange Reihe wirklicher Handlungen und Begebenheiten“ aufstellt, die Einfluss auf die Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts haben und zugleich deren Ursachen angeben, warum das Menschengeschlecht „sich in verschiedenen Perioden gerade in solche[m] Zustand fand,“ soll dagegen die Geschichte der Menschheit vermitteln, „nicht so wohl was der Mensch in verschiedenen Zeitalter that oder litt, sondern was er war, oder noch jetzo ist.“150 Diese Zielsetzung beachtend ist für die Meiners’sche Geschichte der Menschheit über die traditionelle chronologische historische Darstellung hinaus eine synchronische Methode des historischen Wissens von zentraler Bedeutung. Aber nicht nur eine chronologische, sondern auch eine synchronische Methode der Geschichtsschreibung wurde im Laufe des 18. Jahrhunderts in den Göttinger Lehrveranstaltungen zur Universalhistorie angewandt, und zwar seit Johann David Köhler an der Georgia Augusta Vorlesungen hielt. Gleiches gilt für die Kurse von Johann Christoph Gatterer und August Ludwig Schlözer.151 Mit Christoph Meiners erfährt das methodische Gerüst spätaufklärerischer Geschichtsschreibung dennoch eine paradigmatische Zuspitzung, deren erkenntnistheoretischer Ansatz nach empirischer Nachweisbarkeit und Sichtbarkeit verlangte. Hier wird der Mensch als ein Ganzes und dementsprechend durch sein Herz, durch seinen Geist und ebenfalls „[…] durch seine[n] Cörper ein Gegenstand der Geschichte.“152 In Hinblick auf diesen dreigliedrigen Forschungsgegenstand lässt sich Meiners’ methodische Hauptstrategie, nämlich diachron153 und vielmehr noch synchron historische Sachverhalte zu vergleichen.
149 Meiners: Grundriß der Geschichte der Menschheit, 1785, „Vorrede,“ S. *5r. 150 Ebd., S. *8r. 151 Dazu siehe das Kapitel „2. Innovation und Federkrieg“ der vorliegenden Studie. 152 Ebd., S. *4v. Die Aufhebung des Körpers als Gegenstand der Meiners’schen Geschichtsforschung wird auch von Renato Mazzolini betont. Vgl. Mazzolini, Renato G.: „Leucocracia o dell’identità somatica degli europei,“ in: Paolo Prodi/Wolfgang Reinhard (Hg.), Identità collettive tra Medioevo ed Età Moderna. Convegnio internazionale di studio, Bologna: CLUEB 2002, S. 43-64, besonders S. 52. In jüngster Zeit spricht Wolfgang Proß von Christoph Meiners’ „[…] Integration seiner ‚Geschichte des Körpers‘ in das Konzept einer ‚anthropologischen Geschichte‘.“ Vgl. Proß, Wolfgang: „Geschichte als Provokation zu Geschichtsphilosophie. Iselin und Herder,“ in: Lucas Marco Gisi/Wolfgang Rother (Hg.), Isaak Iselin und die Geschichtsphilosophie der europäischen Aufklärung, Basel: Schwabe 2011, S. 201-265, hier S. 211. 153 In diachronischer Perspektive werden beispielsweise der vergangene und der gegenwärtige Zustand „des östlichen und nördlichen Asiens“ bei Meiners ver-
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Mittels des Vergleichs wird die Ursachenbestimmung von ursprünglichen Verschiedenheiten zwischen den Völkern gesucht.154 Dabei wird der synchrone Vergleich bevorzugt, der sich wiederum auf eine implizit diachrone Perspektive bezieht: Die verglichene Gegenwart von synchron dargestellten Kulturen hofft auf eine potentiell empirische Wahrnehmung diachron nach vorne gerückter Vergangenheit. Theoriegeschichtlich formuliert werden bei Meiners die „rohen und gezähmten Menschen“ einer Art Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zugeschrieben. „Die Vergleichung des rohen und gezähmten Menschen hat sehr wichtige Untersuchungen zu Resultaten gegeben, die noch wichtiger werden würden, wenn man selbst die Grade der Wildheit und die zu bestimmenden Annäherungen zur Cultur genauer, als bisher geschehen ist, festzusetzen sich bemühet hätte. Die anhaltende Aufmerksamkeit hat gleiche Würkungen mit dem Vergrößerungsglase: sie zeigt eine Menge von Gegenständen, die der flüchtige Blick übersehen hatte, eine Menge von Verschiedenheiten in Dingen, die man vorher als gleich und ähnlich betrachtete.“155
Diese Zeilen schrieb Meiners bereits zehn Jahre vor der Veröffentlichung seiner Geschichte der Menschheit und ordnete sie damals in seine Vermischten Philosophischen Schriften ein. Das „Vergrößerungsglas“ würde Meiners noch auf einer empirischen Basis in die Geschichtsschreibung einführen, indem er Kriterien für die Differenzierung von Völkern durch die ethnographische, synchronisch angelegte Beobachtung von Kulturen sowie durch
glichen. Siehe: Meiners, Christoph: Vergleichung des ältern, und neuern Rußlandes, in Rücksicht auf die natürlichen Beschaffenheiten der Einwohner, ihrer Cultur, Sitten, Lebensart, und Gebräuche, so wie auf die Verfassung und Verwaltung des Reichs. Nach Anleitung älterer und neuerer Reisebeschreiber, Bd. 1, Leipzig: Joh. Benjamin Georg Fleischer 1798, „Vorrede,“ S. 2r. Ebenso werden die Völker des Mittelalters mit den Völkern des 18. Jahrhunderts verglichen, um zu belegen, dass sich die Kenntnis Gottes mit dem Aufkommen des Protestantismus ebenso wie die Kenntnis der Natur mit Aufstieg der Wissenschaften verbessert hat. Hier geht es um die geistliche Anlage des Menschen. Dazu siehe: Meiners: Historische Vergleichung der Sitten, Bd. 1, S. 87-88. 154 „Der Vergleich zwischen synchronen Phänomenen erlaubt es,“ nach Jürgen Osterhammel, „die Frage nach einer gemeinsamen Verursachung recht genau zu stellen und im Prinzip ohne geschichtsphilosophische Hilfskonstruktionen empirisch zu beantworten.“ Vgl. Osterhammel, Jürgen: „Sozialgeschichte im Zivilisationsvergleich,“ in: Jürgen Osterhammel, Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001, S. 46-72, hier S. 55. 155 Meiners, Christoph: „Betrachtungen über die Männerliebe der Griechen, nebst eine Auszuge aus dem Gastmahle des Plato,“ in: Christoph Meiners, Vermischte Philosophische Schriften, Bd. 1, Leipzig: In der Weygandschen Buchhandlung 1775, S. 61-119, hier S. 62-63.
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den Vergleich von anatomischen Merkmalen des menschlichen Körpers festlegen würde.156 Was vorher als ähnlich oder noch „als gleichartig angesehen“157 wurde, mochte mit Hilfe von ausführlicherem Stoff, der bei seinen Vorgänger fehlte, die Geschichtsschreibung umgestalten. Dafür musste man die drei Anlagen des ganzen Menschen berücksichtigen und sie im Verhältnis miteinander betrachten. Das Vergrößerungsglas benutzte der Göttinger selbstverständlich nicht alleine. Die Teile des Menschen hatte Meiners durch die Berichte von Reisenden und Naturforschern erkannt, die wiederum oft mit Meiners’ Schriften vertraut waren. Die oben zitierten Vermischten Philosophischen Schriften wurden vom Mediziner Samuel Thomas Soemmerring (1755-1830) in einem Werk erwähnt,158 das Meiners in seiner Geschichte der Menschheit als eine „vortreffliche Abhandlung“ bezeichnete.159 Hier handelt es sich um eine Untersuchung Über die Cörperliche Verschiedenheit des Mohren vom Europäer. Ausgehend von wahrnehmbaren Unterschieden zwischen den europäischen Völkern und den „Negern,“ hatte Soemmerring zum Ziel, Verschiedenheiten unter die Lupe zu nehmen.160 Der Körper sollte deshalb vergrößert und anatomisch beschrieben werden, um zu prüfen, ob z.B. „die Natur dem Mohren ein empfindlicheres Geruchsorgan“ – im Vergleich zu den Eu-
156 Über optische Techniken des 18. Jahrhunderts stellt Lothar Müller des Weiteren zusammenfassend fest: „Differenzierung und Vervielfältigung der Objektwelt sind die wichtigsten Effekte mikroskopischen Sehens.“ Müller, Lothar G.: „Mikroskopie der Seele – Zur Entstehung der Psychologie aus dem Geist der Beobachtungskunst im 18. Jahrhundert,“ in: Gerd Jüttemann (Hg.), Die Geschichtlichkeit des Seelischen. Der historische Zugang zum Gegenstand der Psychologie, Weinheim: Psychologie Verlags Union 1986, S. 185-208, hier S. 187-188. 157 Meiners: „Betrachtungen über die Männerliebe der Griechen, nebst eine Auszuge aus dem Gastmahle des Plato,“ S. 63. 158 Vgl. Soemmerring, Samuel Thomas: Über die körperliche Verschiedenheit des Negers vom Europäer, Frankfurt am Mainz: Varrentrapp Sohn und Wenner 1785, „Vorrede,“ S. xiii [ND: Samuel Thomas Soemmerring, Werke, Bd. 15: Anthropologie. Über die körperliche Verschiedenheit des Negers vom Europäer (1785), hg. von Sigrid Oehler-Klein, Stuttgart u.a.: Gustav Fischer Verlag 1998, S. 155]. Meiners wird aber nicht in der ersten Auflage 1784 bei Soemmerring erwähnt. 159 Siehe das „Verzeichnis der vornemsten Schriften, die in diesem Grundrisse angeführt werden,“ in: Meiners: Grundriß der Geschichte der Menschheit, 1785. 160 Die zentrale Frage Soemmerrings war, ob man die „Mohren“ bzw. die „Neger“ einer niedrigeren Stufe auf der Naturskala zuschreiben könne, indem sie „etwas näher, als wir Europäer, ans Affengeschlecht gränzen.“ Vgl. Soemmerring: Über die körperliche Verschiedenheit des Negers vom Europäer, S. xiv [ND: S. 155].
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ropäern – gab.161 Basierend auf einer kompensatorischen Theorie von Nerven und Gehirn, stellt Soemmerring die Nerven der „Neger“ als stärker als jene der Europäer dar. Dadurch wiederum sei das „[…] Gehirn im Neger […] kleiner, als im Europäer. Vielleicht möchte sich heraus einige historische Thatsachen von ihrer Wildheit, Unbändigkeit und etwas minderen Fähigkeit zu feinern Kultur, erläutern.“162
Auf dieses mögliche Forschungsergebnis weist Soemmerring hin, obwohl er davon ausging, dass die Betrachtung eventueller moralischer Ursachen bei wahrnehmbaren Unterschieden nicht das „Geschäft des Zergliederers“163 sei. Zu einem kulturgeschichtlichen Unternehmen gehörten vielmehr ethnographische Beobachtungen von Nahrungsmitteln bis hin zur Sprache, von Kleidung bis hin zu Künsten. Dabei beobachtet Meiners Völker, die es gab und „es noch jetzo“ gäbe und „ganz allein oder gröstentheils von den Gewächsen der Erde leben.“164 Darüber hinaus beschreibt er die „Strafen des Ehebruchs,“ die unter Völker von gemeinschaftlichem Ursprung „sehr verschieden“ seien.165 Aber inhaltlich und argumentativ näherte sich Meiners auch der Naturgeschichte an166 und erweiterte dadurch die bisherige philosophische und ethnographische Komponente dieser Tradition der Geschichtsschreibung – so wie bei Isaak Iselins Variante – durch die Berücksichtigung der physischen Anlage des Menschen. Somit bemühte sich Christoph Meiners durch eine neue Wissensschaft weniger die ganze Welt und viel mehr den ganzen Menschen in seinen Teilen und Verhältnissen zu begreifen.
161 Ebd., S. 23 [ND: S. 193]. 162 Ebd., S. 67 [ND: S. 237]. 163 Ebd., „Vorrede,“ S. ix [ND: S. 151]. Vgl. auch: Soemmerring: Über die körperliche Verschiedenheit des Mohren vom Europäer, Mainz 1784, S. 4. 164 Meiners: Grundriß der Geschichte der Menschheit, 1785, S. 93. 165 Ebd., S. 216. 166 So bringt Fernando Vidal auf den Punkt: „Aus diesem Grund nennt [Friedrich August] Carus beispielsweise den „Grundriß der Geschichte der Menschheit“ des Göttinger Professors Christoph Meiners (1747-1810), eine ‚äußere Naturbeschreibung‘, eine Naturgeschichte, die eben die äußeren und inneren Merkmale des Menschen behandelt.“ Vgl. Vidal, Fernando: „Die Geschichte der Psychologie als zentrales Element der ‚Geschichte der Menschheit‘,“ in: Hans Erich Bödeker/Philippe Büttgen/Michel Espagne (Hg.), Die Wissenschaft vom Menschen in Göttingen um 1800. Wissenschaftliche Praktiken, institutionelle Geographie, europäische Netzwerke, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008, S. 177-198, hier S. 182.
IV. Weltgeschichte und Menschengeschlecht
Rein quantitativ betrachtet, erreichte die Verdichtung des Lehrangebots an der Georgia Augusta im Jahr 1798 ihren Höhepunkt, als dreizehn unterschiedliche Veranstaltungen mit weltgeschichtlichem Inhalt abgehalten wurden.1 Dagegen war die Zahl der angekündigten Vorlesungen zur Weltgeschichte vergleichsweise ernüchternd, als Christoph Meiners 1785 die erste Ausgabe seiner Geschichte der Menschheit auf den Markt brachte. In diesem Jahr sind nur vier Kurse zum Thema bekannt gegeben worden. Im Sommersemester boten weiterhin parallel zu einander Johann Christoph Gatterer und August Ludwig Schlözer die allgemeine Weltgeschichte an, welche im Wintersemester von Ludwig Timotheos Spittler (1752-1810) gelesen wurde, während Meiners aus seinem frisch erschienenen Werk die Geschichte der Menschheit lehrte. Aus historiographiegeschichtlicher Sicht gewinnen die 1780er Jahren jedoch sehr viel mehr an Bedeutung, wenn die damalige Produktion von Lehrbüchern berücksichtigt wird. Bemerkenswert ist hier nicht nur die auffällige hohe Anzahl von grundlegenden Schriften mit weltgeschichtlichem Inhalt, sondern auch die Verflechtung von Ideen und Forschungsperspektiven, die die Göttinger Dozenten in schriftlicher Form miteinander teilten oder gegenseitig widerlegten. Über Meiners’ Geschichte der Menschheit hinaus gaben Gatterer und Schlözer ebenfalls im Jahr 1785 zwei neue Kompendien in Druck. Aus Gatterers Feder stammt ein Kurzer Begriff der Weltgeschichte in ihrem ganzen Umfange während Schlözer eine WeltGeschichte nach ihren HauptTheilen im Auszug und Zusammenhange verfasste. Diese drei standardsetzenden Werke weisen bereits in ihren Titeln auf eine beachtenswert begriffliche Gewohnheit der spätaufklärerischen Geschichtsschreibung hin. In den 1780er Jahren entwickelte sich das Programm der Weltge-
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Für die jährliche Anzahl der angekündigten akademischen Veranstaltungen mit weltgeschichtlichem Inhalt an der Universität zu Göttingen zwischen 1756 und 1815 siehe das Kapitel „1. Weltgeschichte und Anthropologie in Göttingen“ der vorliegenden Studie (Abb. 1).
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schichte, vormals Universalhistorie genannt, so, dass die Geschichte des menschlichen Geschlechts als Grundlage für die Geschichte der ganzen Welt geschaffen wurde. Die Universalhistorie sei – so Schlözer 1785 – „eine HilfsWissenschaft der biblischen und Profan-Philologie“2 gewesen. Dies soll aber nicht unmittelbar heißen, dass hier eine kohärente Trennung zwischen Universalhistorie, Weltgeschichte und Geschichte der Menschheit vorgenommen wurde. Ganz im Gegenteil. Obwohl die Göttinger Gelehrten die Grenzen zwischen alten und neuen Forschungsprogrammen deutlicher setzten wollten, haben sie deren Bezeichnung weiterhin als Synonym verwendet. Nichtsdestotrotz weist ein solcher Umgang mit den Begrifflichkeiten um 1785 auf den Versuch hin, natur- und gesellschaftsbezogene Sachverhältnisse als organisatorisches Prinzip der Weltgeschichtsschreibung einzuführen. Dafür ist die Frage nach dem Ursprung des menschlichen Geschlechts und nach der Ursache von Unterscheidungsmerkmalen zwischen den Völkern von zentraler Bedeutung. Hinter solch einer Frage verbirgt sich ein methodisches und, damit verkoppelt, ein darstellerisches Problem der spätaufklärerischen Historiographie. In den folgenden Ausführungen werden deshalb die Ursachenbestimmung historischer Sachverhalte und deren Erklärung in Hinblick auf die Umsetzung des Wissensprinzips, nachdem Teile in bestimmten Verhältnissen zueinander betrachtet werden, in drei Schritten untersucht. Zunächst werden unterschiedliche und konkurrierende Ansätze der Göttinger Weltgeschichtsschreibung aufgeführt, die in den 1780er Jahren besonders durch eine multidisziplinäre Herangehensweise charakterisiert sind. Hierbei taucht die Suche nach ursprünglichen Ursachen historischer Sachverhalte als ein gemeinsamer Punkt der Göttinger Historiographie auf. Daran anknüpfend werden in einem zweiten Schritt die aufklärerischen Theorien zur Entstehung des Menschen und zu den Differenzierungsprozessen des Lebens besonders mit Blick auf deren Ursachenbestimmung analysiert. Damit soll aufgezeigt werden, wie mittels zweier entgegengesetzter Kausalitätsprinzipien Vielfalt im historischen Zusammenhang erklärt werden konnte. Im dritten Schritt rückt die Geschichtsschreibung von Christoph Meiners noch einmal in den Vordergrund, um die Anwendung von Kausalitätsprinzipien in der historischen Erklärung zu veranschaulichen. Hier wird deutlich, wie das Werden der Weltgeschichte und das Wesen des Menschengeschlechts ins Verhältnis zueinander gesetzt wurden.
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Schlözer, August Ludwig: WeltGeschichte nach ihren HauptTheilen im Auszug und Zusammenhange, Erster Theil, Göttingen: Im Verlag der Witwe Vandenhoeck 1785, S. 1.
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1 D IE G ÖTTINGER W ELTGESCHICHTSSCHREIBUNG UM 1785 „Den Erdboden, und seinen Bewohner, den Menschen: beede, nicht nur wie sie von Natur sind, sondern auch wie Natur, Zeiten, Sitten und politische Anstalten sie umgeändert haben: kurz, die wahre Gestalt der Erde und ihrer Bewohner in jedem Zeitalter gründlich kennen zu lernen, muß doch wol eine sehr würdige Beschäftigung eines jeden Menschen seyn, der nach Unterricht und Aufklärung strebt.“3
Dass die Grenzen zwischen spätaufklärerischen Wissensformen durchlässig waren, belegt das oben zusammengefasste Forschungsprogramm. Was dem Ziel der Weltgeschichte oder auch der Geschichte der Menschheit entsprechen könnte, wurde von Gatterer 1775 als Aufgabe für die Geographie bestimmt. Bei deren Bezeichnung verwendete der Göttinger dennoch eine im 18. Jahrhundert berühmte anthropomorphische Metapher, wonach die Chronologie das eine und die Geographie das andere Auge der Historie seien.4 Chronologie und Geographie haben hier gemeinsam, dass beide der Geschichtsschreibung als Hilfswissenschaften dienten. Für seinen bedeutenden5 und unvollständig gebliebenen geographischen Abriss, dessen erste zwei Teilen sich sowohl physischen als auch politischen
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Gatterer, Johann Christoph: Abriß der Geographie, Göttingen: Joh. Christian Dieterich 1775, S. 3. Vgl. Ebd., S. 3-4. Bereits 1564 bei David Chytraeus’ De Ratione Discendi, et ordine studiorum in singulis Artibus recte instituendo tauchen Chronologie und Geographie als die beiden Augen der Historie auf. Vgl. Steiner, Benjamin: „Akkumulation und Reduktion. Der Umgang mit Pluralisierung historischen Wissens in frühneuzeitlichen Tabellenwerken,“ in: Jan-Dirk Müller/Wulf Oesterreicher/ Friedrich Vollhardt (Hg.), Pluralisierungen. Konzepte zur Erfassung der Frühen Neuzeit, Berlin/New York: De Gruyer 2010, S. 235-253, hier S. 237. Im Frühen 18. Jahrhundert kann man das gleiche Topos beispielsweise bei Edmund Pocks Historisch-Chronologisch-Geographische Tabellen (1736) finden. Hier ist die Chronologie das linke und Geographie das rechte Auge der Historie. Vgl. Steiner, Benjamin: „Orte der Instruktion. Diffusion historischen Wissen im Geschichtsunterricht der Frühen Neuzeit,“ in: Susanne Rau/Birgit Studt (Hg.), Geschichte Schreiben. Ein Quellen- und Studienhandbuch zur Historiografie (ca. 1350-1750), Berlin: Akademie Verlag 2010, S. 97-110, hier S. 104. In der Forschung zur Geschichte des geographischen Denkens ist Gatterer – neben Büsching – bereits als „der einflußreichste Wissenschaftler für die Entwicklung der deutschen Geographie im 18. Jahrhundert“ charakterisiert worden. Darüber hinaus sei Gatterers Verdienst, zum „[…] ungewöhnliche[n] Aufschwung im geographischen Unterricht an der Göttinger Universität […]“ verholfen zu haben. Vgl. Kühn: Die Neugestaltung der deutschen Geographie im 18. Jahrhundert, S. 125.
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Grenzen der Länder widmen, kündigte Gatterer einen dritten und vierten Teil an, die jedoch nur als Entwürfe überliefert wurden. Im dritten Teil sollte die Staatenkunde thematisiert werden. Wie uns bereits am Beispiel Anton Friedrich Büschings bekannt ist,6 verdeutlicht Gatterers Plan hier abermals, dass die häufige Grenzziehung zwischen immer wieder neu zu bestimmenden Wissensformen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch einen unvermeidbaren Effekt hatte. Entsprechend der konkurrierenden Professorenschaft in Göttingen, die Innovationen förderte, fand sich in den Lehrbüchern mehr Raum für sich überschneidende Wissensfelder. Die Federn spätaufklärerischer Gelehrten hinterließen Spuren davon. Kurz bevor Gatterer den Plan für die künftigen Teile seiner Geographie verfasste, veröffentlichte er 1773 sein Ideal einer allgemeinen Weltstatistik. Darin stellte der Professor für Geschichte fest, dass dem „geographischen Plan einer Weltstatistik“ eigentlich ein methodisches Problem entgegenstehe: Zahlreich seien die Möglichkeiten, Einheit in der Statistik zu bilden, und je nach Definition würde sie die Grenzen eines geographischen Planes überspringen. Einheitskriterien, die eine methodischen Strategie charakterisieren, wie der ebenfalls im Jahr 1773 auf die Spitze getriebene Federkrieg verdeutlicht,7 könnten sich zwar geographischer Kategorien bedienen, wie etwa „die Gröse der Länder eines Staats“ oder auch ihre Lage „in einem oder in mehrern Welttheilen.“ Eine methodische Strategie könnte aber auch Sprache, Regierungsformen oder den Grad der Aufklärung als ebenso gültige einheitsstiftende und damit verbunden differenzierende Kriterien haben.8 Im Grunde genommen ging es auch im vierten geplanten Teil von Gatterers Geographie um Einheits- und Differenzierungskriterien. Dieser sollte sich der Menschen- und Völkerkunde, hier „Anthropographie und Ethnographia“9 genannt, zuwenden. Gatterer beabsichtigte, hiermit eine Geographie der Menschenkörper nach Gestalt und Hautfarben zu liefern, die durch eine Geographie der Sprachen – worüber Gatterer bereits in seiner Einleitung in die synchronische Universalhistorie (1771) und auch in seinem Ideal einer allgemeinen Weltstatistik schrieb – ergänzt werden sollte und somit Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Völkergruppen hätte aufzeigen können. Aus einer wissenschaftsgeschichtlichen Perspektive zeigt sich die Aufspaltung der Geographie in vier breitere Bereiche als eine kühne, als eine den wissenschaftlichen Blick erweiternde Strategie: Als Produkt einer historischen Hilfswissenschaft werden demzufolge die Staatenkunde sowie
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Dazu siehe das Kapitel „2. Innovation und Federkrieg“ der vorliegenden Studie. Im ersten Band Gatterers Abriss der Geographie ist das Werk Büschings schon auf die ersten Seiten aufgelistet worden. Siehe das Kapitel „2. Innovation und Federkrieg“ der vorliegenden Studie. Gatterer: Ideal einer allgemeinen Weltstatistik, S. 45. Dieses Werk Gatterers charakterisiert Büsching als eine nützliche Schrift. Vgl. Hoffmann: Anton Friedrich Büsching, S. 181. Gatterer: Abriß der Geographie, S. 4-5.
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die Anthropographie und Ethnographia in die Universalhistorie integriert. Ihr Gegenstand waren die ganze Welt und der ganze Mensch. In dieser Hinsicht wurde Gatterers universalhistorisches bzw. weltgeschichtliches Unternehmen von seinem Kollegen und Nachfolger Arnold Herrmann Ludwig Heeren als Epoche machend charakterisiert. Gatterer beschränke sich nicht auf die „Geschichte im engeren Sinne.“ Vielmehr widmete er sich auch der Geographie der Länder mit Rücksicht auf „ihre[] gottesdienstliche[], politische[], häusliche[] und gelehrte[] Verfassung,“ die, in Gatterers Nomenklatur, zu den Beschäftigungen der Universalhistorie gehören. Dabei ebnete Gatterer, so Heerens historiographiegeschichtliche Beurteilung, den Weg einer „Kulturgeschichte der alten Völker.“10 Heerens Fazit lautet: „Auf diese Weise war für das historische Studium eine ganz neue Bahn geöffnet, und die Richtung, die er ihm gegeben hat, ist nicht wieder verlassen worden.“11 Vor diesem Hintergrund beweist Gatterers Plan für die Geographie einerseits das frühere Interesse eines Geschichtsforschers an der ethnographischen und physischen Anthropologie,12 die hier in Zusammenhang mit der Naturgeschichte des Erdbodens und ihrer Bewohner – „wie sie von Natur sind“ und „auch wie Natur, Zeiten, Sitten und politische Anstalten sie umgeändert haben“ – gebracht werden sollte. Zehn Jahre später betrat Christoph Meiners diesen Weg. Indem Gatterer aber den statistischen Inhalt seiner geplanten geographischen Abhandlung in etlichen anderen Schriften aufnahm und die Perspektive der physischen Anthropologie – wie etwa die Morphologie des menschlichen Körpers – weniger wichtig fand, wird damit andererseits deutlich, dass die Unterscheidungsmerkmale der physischen Natur des Menschen kein treffsicheres organisatorisches bzw. methodisches Prinzip seiner Weltgeschichtsschreibung anbieten konnten. In der Tat werden die Völker in Gatterers 1789 erschiener Kurzer Begriff der Geographie
10 Heeren: Historische Werke, Bd. 6, S. 456-457. 11 Ebd., S. 457. 12 Vgl. Vermeulen: „Göttingen und die Völkerkunde,“ S. 223. Vor diesem Hintergrund verortet Vermeulen aus der Perspektive der Geschichte der Ethnologie die Anfänge dieses Faches in den Arbeiten August Ludwig Schlözers und Johann Christoph Gatterers um 1770. Hierzu wird die Geburt einer spätaufklärerischen Wissenschaft der Völker, einer Völkerkunde, herausgearbeitet. „The first historian to deal with the relations between ethnology (or ethnography) and anthropology (anthropography) was Gatterer.“ Vgl. Vermeulen: „The German Invention of Völkerkunde,“ S. 135. Auch Britta Rupp-Eisenreich spricht in diesem Zusammenhang von Gatterers Völkergeschichte und deren Scharnierstelle mit der Statistik und der Weltgeschichte als „le lieu de formation de l’‚ethnographie‘.“ Vgl. Rupp-Eisenreich, Britta: „Aux ‚origines‘ de la Völkerkunde allemande: de la Statistik a l’Anthropologie de Georg Forster,“ in: Histoires de l’anthropologie (XVIe-XIXe siècles), Paris: Klincksieck 1984, S. 89-115, hier S. 99. Siehe neulich zum Thema: Nutz: ‚Varietäten des Menschengeschlechts‘, S. 88.
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entscheidend nach Sprache eingeteilt und zwar, weil diese – und nicht die Hautfarbe – ein solider Beweis des Ursprungs der Völker sei. Dementsprechend erfolgte beispielsweise die Einteilung afrikanischer Völkern, auch in der Geographie, „in Rücksicht auf die Hauptsprachen, welche sie reden.“13 Wenn aber ein Volk immer noch nach seiner Hautfarbe eingeteilt wird, was dem früheren Plan Gatterers Anthropographie entsprechen würde, tritt dies weniger als ein gültiges Kriterium historischer Hilfswissenschaften, sondern vielmehr aufgrund einer immer noch unüberwindbaren Forschungslücke über die jeweilige Sprache von unterschiedlichen Völkern zutage, denn es fehle „an genauen und zuverlässigen Nachrichten von ihrer Beschaffenheit.“14 Ein Jahr nach der Veröffentlichung von Gatterers Abriß der Geographie schrieb Georg Christian Raff (1748-88), der an der Georgia Augusta studierte und dort Privatlehrer der Philosophischen Fakultät wurde, eine Geographie für Kinder.15 Für dieses Werk verfasste Johann Georg Heinrich Feder die Vorrede. Feder weist die Leser darauf hin, dass im Kontext der Kenntnisse über die Erde besonders Gatterers „uneigennützig[er] Eifer die Wissenschaften auf alle Weise auszubreiten“ Aufmerksamkeit verdiene.16 In dieser Hinsicht hatte Gatterer auch die Hilfswissenschaften seiner allgemeinen Weltgeschichte räumlich ausgebreitet. Sowohl im Abriß als auch in seinen Kurzen Begriff der Geographie wendet sich Gatterer der Staatenkunde nicht nur von Europa, sondern auch von Asien, Afrika, Amerika und Australien zu. Dagegen beschränkt sich Raffs Kinderbuch ausschließlich auf die europäischen Länder. Nichtsdestotrotz nutzten beide Gelehrte gemeinsam die Form der Darstellung, die der geographischen Methode nach Schlözers Nomenklatur zugrunde liegt.17 Die Geographien einzelner Länder werden nacheinander abgehandelt, nach ähnlichem Muster, wie an der Georgia Augusta bereits bei der Europäischen Staatengeschichte betrieben wurde. Ein Kritiker solch einer Perspektive war gerade Schlözer, denn auch er beschäftigte sich in den 1770er Jahren mit der Geographie. 1777 gab Schlözer Daniel Fennings und Joseph Collyers A New System of Geography in deutscher Sprache heraus. In Schlözers Vorrede für die Neuen Erdbeschreibung von
13 Gatterer, Johann Christoph: Kurzer Begriff der Geographie, Bd. 2, Göttingen: Johann Christian Dieterich 1789, S. 606. 14 Ebd. 15 Vgl. Raff, Georg Christian: Geographie für Kinder, Göttingen: Johann Christian Dieterich 1776. 16 Feder, Johann Georg Heinrich: „Vorrede,“ in: Georg Christian Raff, Geographie für Kinder, Göttingen: Johann Christian Dieterich 1776, S. )(2r-)(6v, hier S. )(2v. 17 Sowohl Gatterers vierfache Beschäftigung der Universalhistorie als auch Schlözers vierfache Methode für die gleiche Wissensform sind im Kapitel „2. Innovation und Federkrieg“ der vorliegenden Studie im Vergleich zueinander analysiert worden.
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ganz Amerika, wie das Buch für das deutschsprachige Publikum bezeichnenderweise betitelt wurde, heißt es wie folgt: „Man versteht mich wohl, daß ich hier von ganz Amerika, und nicht von einzelnen Theilen desselben, spreche; denn mit übersezten Beschreibungen von einzelnen amerikanischen Bezirken und Ländern, sind wir Deutsche bekanntlich schon in reichem Maaße gesegnet, und werden es noch mehr mit jeder Messe. Aber so wie 50 Specialgeschichten noch keine Universalgeschichte machen: so kann in dem Kopfe des allergeduldigsten Lesers, aus 50 Special-Geographien, noch keine Universal-Geographie, keine Ueberschauung des ganzen ungeheurer großen Welttheils, oder vielmehr der drey unter sich wieder ganz verschiedenen Welttheile, Südamerika, Nordamerika und Westindien, die wir alle unter dem gemeinschaftlichen Namen Amerika zu begreifen pflegen, entstehen.“18
Auf indirektem Weg wurden dann Raffs19 und Gatterers Schriften für den fehlenden Überblick über das Ganze kritisiert. Schlözers Ideal einer Universalgeographie zeigte sich aber als immer schwer umsetzbar, weshalb er seine eigene Weltgeschichtsschreibung als „Vorstellung“ bezeichnete. Das gilt auch für Gatterers 1785 erschienen Kurzen Begriff der Weltgeschichte in ihrem ganzen Umfange. Hier heißt „die Geschichte der Menschheit betreffende Materien universalhistorisch“20 zu behandeln, Völker in Zusammenhang zu bringen. Dies solle nach einer strengen Auswahl des Merkwürdigen und dem Gesetz des Gleichzeitigen – sprich: nach den synchronischen und chronologischen Methoden – beachtend erfolgen und lässt sich im folgenden Plan, in der folgenden Vorstellung erkennen: „Der Hauptplan geht dahin, zuerst das Eigene eines jeden Volks einzeln, unter der Aufschrift Völker darzustellen; dann aber zu zeigen, was alle oder mehrere Völker zusammen dazu beygetragen haben, daß dieses oder jenes in der Welt geschah, daß Länder und Leute zu einer gewissen Zeit besser oder schlimmer, glücklicher oder unglücklicher wurden.21
18 Vgl. Schlözer, August Ludwig (Hg.): Neue Erdbeschreibung von ganz Amerika, Göttingen/Leipzig: Weygandsche Buchhandlung 1777, „Vorrede,“ S. IV-V. 19 Eine direkte Kritik erfuhr Raffs Geographie für Kinder von keinem geringeren als Anton Friedrich Büsching, der den Band für „viele Fehler“ und für die Ausblendung seiner Quellen kritisiert. Vgl. Büsching, Anton Friedrich (Hg.): Wöchentliche Nachrichten von neuen Landcharten, geographischen, statistischen und historischen Büchern und Schriften, 4. Jg. [1776], Berlin: Haude und Spenner 1777, S. 111. 20 Gatterer, Johann Christoph: Kurzer Begriff der Weltgeschichte in ihrem ganzen Umfange, Erster Theil, Göttingen: Im Verlag der Witwe Vandenhoeck 1785, „Vorrede,“ S. *2v. 21 Ebd., S. *2r-2v.
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Aber wie bei Gatterers Kurzem Begriff der Geographie und bei seinem ersten Handbuch der Universalhistorie, sind auch hier die Länder bzw. Völker weiterhin einzeln nacheinander abgehandelt worden. An der Georgia Augusta kündigte Raff zum Sommersemester 1780 eine Vorlesung an, die sich mit „etliche[n] Stücke[n] aus der Universalhistorie und Naturgeschichte“22 befasste, wobei er erst 1787 einen spezifischen Abriß der Allgemeinen Weltgeschichte, diesmal für die Jugend, verfasste. Rezensiert wurde Raffs Weltgeschichte von Friedrich Gottlieb Canzler23 (1764-1811), der u.a. bei Gatterer24 studierte. Auch Canzler trug dazu bei, das Göttinger Lehrangebot zur Weltgeschichte zu verdichten, indem er an der Philosophischen Fakultät in den 1780er und 1790er Jahren sechsmal eine akademische Veranstaltung zum Thema anbot, und zwar nach einem angekündigten Kompendium, welches höchst wahrscheinlich nie verschriftlicht wurde. Die Auswahl an Lehrbüchern zur Weltgeschichte in Göttingen war nicht gering. Auch Raff gab bekannt, dass er von den „mündlichen Belehrungen“25 von Gatterer und Schlözer profitierte. Dies lässt sich in Raffs Abriß der Allgemeinen Weltgeschichte für die Jugend schnell erkennen. „Hat man es in der Historie auf diesem Forschungswege zu was Gründlichem gebracht,“ schrieb Raff, „so stelle man die wichtigsten Stukke einer Geschichte chronologisch, das heißt, so wie sich eins nach dem andern zugetragen hat, nach der Zeitrechnung zusammen; bemerke genau die Zeit und den Ort, wann und wo sie sich eräugnet; und vergleiche sie, wo möglich, synchronistisch mit den gleichzeitigen Merkwürdigkeiten anderer
22 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 29. Stück, 6. März 1780, S. 244. 23 Die Kritik Canzler hebt besonders die unbefriedigende Ordnung und „Auswahl des Nötigsten und Brauchbarsten“ ebenso wie die fehlerhafte Rechtsschreibung hervor, welche ein großes Problem für die Erziehung der Jugend sei. Vgl. Canzler, Friedrich Gottlieb (Hg.): Neue wöchentliche Nachrichten von neuen Landkarten, geographischen, statistischen, historischen, wie auch Handlungsbüchern und Sachen, 1. Jg., 17. Stück, 21. April 1788, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1788, S. 268-269. 24 In der Forschung zur Geschichte der deutschen Geographie ist Canzler bereits als ein „Überlieferer Gattererscher Tradition“ charakterisiert worden. Vgl. Kühn, Arthur: Die Neugestaltung der deutschen Geographie im 18. Jahrhundert, S. 134. Gewidmet an Büsching und mit ausdrücklichem Lob an Gatterers „Meisterwerk“ Abriß der Geographie ließ Canzler 1791 gleichfalls einen Abriß der Erdkunde veröffentlichen. Canzler, Friedrich Gottlieb (Hg.): Abriß der Erdkunde nach ihrem ganzen Umfang zum Gebrauch bey Vorlesungen, Bd. 1, Göttingen: Vandenhök und Ruprecht 1791, hier S. III. 25 Raff, Georg Christian: Abriß der Allgemeinen Weltgeschichte für die Jugend und Ihre Freunde, Erster Theil, Göttingen: Im Verlag der Witwe Vandenhök 1787, „Vorrede,“ S. 2r.
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Gegend der Welt. Um zu erfahren, wo sich was zugetragen hat, muß man auch die Geographie studieren; denn sie ist das Eine Aug der Geschichte […].26
Das Zitat belegt hier, wie die in Göttingen vorhandenen Schriften zur Weltgeschichte mit einander vernetzt waren und als Ausgangspunkt für neue Handbücher oder sehr wahrscheinlich als Basis für die Lehrveranstaltungen dienten, die nicht zwangsweise von den Verfassern des zu lesenden Kompendiums geleitet wurden. Aber nicht nur die Belehrungen von Gatterer und Schlözer, sondern auch der Altphilologe Christian Gottlob Heyne (17291812) und William Guthrie (1708-70) sind von Raff erwähnt worden. Neben dem erfolgreichen Halle’schen Übersetzungsprojekt Siegmund Jakob Baumgartens (1706-57), der englischen Allgemeine[n] Welthistorie27, unternahm aus Göttingen Heyne28 die Arbeiten für die deutsche Fassung William Guthries und John Grays General History of the World (1764), die auf ein breiteres Publikum abzielte. Dafür sollte das Werk über das Ganze der Geschichte in gutem literarischem Stil zu lesen, und nicht bloß zum Nachschlagen sein.29 Der vierte Band dieser Allgemeinen Weltgeschichte erschien in deutscher Sprache 1783 und wurde an der Georgia Augusta von Johann Heinrich Reitemeier (1755-1839) ausgearbeitet. Reitemeier ist in Göttingen geboren, wo er auch an der dortigen Universität studierte, anfangs Philologie bei Heyne, später Jurisprudenz.30 Als der Schüler Heynes mit den Übersetzungsarbeiten und der Herausgeberschaft Guthries beschäftigt war, veranstaltete er an der Göttinger Hochschule für jedes Semester zwischen dem Sommersemester 1781 und dem Wintersemester 1783/84 einen Kurs zur Universalhistorie. Die Vorrede seiner Übersetzung datierte Reitemeier vom 5. Oktober 1782. Demzufolge sei ein Merkmal der original englischen Ausgabe gewesen, dass die Verfasser keine Ordnung der im historischen Prozess beteiligten Völker beobachtet haben, weder nach Wohnsitzen noch nach Abstammung.31 Die Ordnung der
26 Ebd., S. 4. 27 Zur deutschen Übersetzung der englischen Allgemeinen Welthistorie und der Göttinger Teilnahme an dieses gelehrte Unternehmen siehe das Kapitel „2. Innovation und Federkrieg“ der vorliegenden Studie. 28 Bei den Heynes war Christian Bunsen (1770-1837) jahrelang als Hauslehrer tätig. Vgl. Tütken: Privatdozenten im Schatten der Georgia Augusta, Bd. 1, S. 385, Anm. 966. Bunsen kündigte an der Georgia Augusta zwischen dem Wintersemester 1797/98 und dem Sommersemester 1799, ohne Hinweis auf das zu lesende Handbuch, vier Mal ein Kolleg zur Universalgeschichte an. 29 Vgl. Zedelmaier: Der Anfang der Geschichte, S. 165-177. 30 Zur Biographie Reitemeiers siehe: Landsberg, Ernst: „Johann Friedrich Reitemeier,“ in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 28, Leipzig 1889, S. 154-159. 31 Vgl. Reitemeier, Johann Heinrich: „Vorrede,“ in: Wilhelm Guthrie/Johann Gray, Allgemeine Weltgeschichte von der Schöpfung an bis auf gegenwärtige Zeit, 5. Theil, Bd. 4, Leipzig: M. G. Weidmanns Erben und Reich 1783, S. *2v-*3r.
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Völker nach Wohnsitzen liegt eher, wie wir bereits kennen, der geographischen Methode der Weltgeschichte zugrunde. Schon die Frage nach der Abstammung unterschiedlicher Völker als ein mögliches organisatorisches Prinzip der Geschichtsschreibung ist ein viel diskutiertes Thema im 18. Jahrhundert gewesen. Zum einen zielten die spätaufklärerischen Lebenswissenschaften darauf ab, unterschiedliche Lebensformen mit Hilfe einer empirisch basierten Methode erklären zu können. Darauf wird im kommenden Abschnitt eingegangen. Zum anderen gewinnt diese Frage auch an Bedeutung, wenn der biblische Text als Quelle der Weltgeschichte durch die Brillen der kritischen Philologie gelesen wird. Vor diesem Hintergrund beginnt der Band, der von Reitermeier herausgegeben wurde als er die Universalhistorie parallel zu Schlözer im Sommersemester 1783 in Göttingen las. Dabei vertrat er die These, dass der Ursprung aller Völker ungewiss sei.32 Das heißt aber nicht zwangsweise, dass diese in Reitermeiers Vorlesung weitergegeben wurde. Sicher ist, dass der Ursprung des menschlichen Geschlechts von der spätaufklärerischen Weltgeschichtsschreibung thematisiert wurde und dass für die Parallelveranstaltung von Schlözer wenige Semester später sich ein neues Handbuch im Druck befand. So wie Gatterer 1785 den Kurzen Begriff der Weltgeschichte veröffentlichte, brachte auch Schlözer im gleichen Jahr ein Handbuch der WeltGeschichte nach ihren HauptTheilen im Auszug und Zusammenhange heraus. Nach Schlözers Auffassung sei die Weltgeschichte „[…] eine ‚systematische Sammlung von TatSätzen, vermittelst deren sich, der gegenwärtige Zustand der Erde und des MenschenGeschlechts, aus Gründen verstehen läßt‘.“33 Dieses Lehrprogramm wirkt allerdings weiter in die kommenden Jahrzehnte hinein. Karl (von) Reinhard (1769-1840) kündigte zwischen dem Sommersemester 1792 und dem Wintersemester 1807/08 34 Mal eine Veranstaltung zur Weltgeschichte an.34 Obwohl Reinhard die Neuere allgemei-
32 Der Text stammt eigentlich von Johann Daniel Ritter (1709-75), wie aus dem Vorwort Reitermeiers hervorgeht. Laut Ritter: „Wie aller Völker Ursprung ungewiß ist, so ist auch wenig Gewißheit von den Teutschen vorhanden, wenn man ihren Stammvater erfoschen, und untersuchen will, durch was für Züge sie nach langem Herumschweifen in das Land gekommen sind, das von ihnen den Namen erhalten, und was sie auf dem Zuge für Anführer gehabt haben.“ Vgl. Guthrie, Wilhelm/Gray, Johann: Allgemeine Weltgeschichte von der Schöpfung an bis auf gegenwärtige Zeit, 5. Theil, Bd. 4, Leipzig: M. G. Weidmanns Erben und Reich 1783, S. 4. 33 Schlözer: WeltGeschichte nach ihren HauptTheilen, S. 4. 34 Eine „Lücke“ im Göttinger Angebot zur Weltgeschichte las Schlözer zwischen dem Wintersemester 1791/92 und dem Wintersemester 1797/98, denn er widmete sich zu dieser Zeit eher seiner Politikvorlesungen, worauf im Kapitel „5. Menschheit und Weltstaatensystem“ der vorliegenden Studie hingewiesen wird. Darüber hinaus bot Reinhard die Universalhistorie zum Sommersemester 1795 und darauffolgendem Wintersemester in der gleichen Uhrzeit wie Heinrich Mo-
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ne Weltgeschichte zum Sommersemester 1793 nach einem eigenen Handbuch lesen wollte, hat er dieses in Göttingen mit großer Wahrscheinlichkeit nie in den Druck gegeben. An der Georgia Augusta hatte er sich vornehmlich Tabellen bedient, und erst 1828 veröffentlichte er ein Lehrbuch zum Thema, das – wie im Titel angedeutet – als Leitfaden für Gymnasien und Schulen und zum Selbstunterricht für Studierende und gebildete Leser dienten sollte. In der Vorrede erklärt Reinhard, dass es sich mit der Materie seiner vormals gehaltenen Göttinger Vorlesungen befasse, die dank der Bestände der Universitätsbibliothek35 und der Professoren so gut gelungen seien. Dies lässt sich u.a. auch in seiner Sprache und in der Art der Behandlung der Universalhistorie erkennen. So bedient sich Reinhard bei der Darstellung seiner Weltgeschichte hauptsächlich Schlözers technographischer Methode. Hier taucht beispielsweise die Erfindung des Kompasses auf, die eine wahre Revolution für die Erforschung der Erde bedeutete. Thematisiert werden darüber hinaus die Pocken, die aus Afrika nach Europa kamen und deren Wirkung auf das Menschengeschlecht größer gewesen wäre – wie sich auch Schlözer ausgedrückt hätte – „als die größte Bataille.“36 Wie bereits zu einem früheren Zeitpunkt in der spätaufklärerischen Geschichtsschreibung in Göttingen zu lesen war, sei die jüngste neuere Weltgeschichte „[…] eine systematische Sammlung von merkwürdigen Begebenheiten, vermittelst welcher sich der gegenwärtige Zustand der Erde und des Menschengeschlechts erklären läßt.“37 Ein ähnliches Programm hatte Gatterer für die Geographie 1775 und ebenfalls für die Weltgeschichte zehn Jahre später entworfen. Auch Meiners sprach 1785 über den vormaligen und gegenwärtigen Zustand der Erde bereits im ersten Kapitel seiner Geschichte der Menschheit, bevor er sich den ursprünglichen Verschiedenheiten der Menschen und deren physische Ursachen zuwandte.38 Gemeinsam war diesen Programmen der Weltgeschichtsschreibung, dass sie darauf abzielten, die Veränderungen im Laufe der Zeit „aus Gründen“ zu verstehen, also, nach deren Ursachen und Wirkungen forschten. So suchte die Schlözer’sche Fassung der Weltgeschichte „die allgemeinen Ursachen“ von „gleichzeitigen und succeßiven Verschiedenheiten zu erfahren.“
35
36 37 38
ritz Gottlieb Grellmann (1756-1804) an. Auf die Historiographie Grellmanns wird im letzten Abschnitt dieses Kapitels näher eingegangen. von Reinhard, Karl (Hg.): Handbuch der allgemeinen Weltgeschichte bis auf die neueste Zeit. Ein Leitfaden für Gymnasien und Schulen und zum Selbstunterrichte für Studierende und gebildete Leser, Bd. 1, Berlin: In der Schüppel’schen Buchhandlung 1828, „Vorrede,“ S. V. Ebd., S. 3. Ebd. Dieses Forschungsprogramm von Christoph Meiners wurde im Kapitel „3. Psychologie und Geschichte der Menschheit“ der vorliegenden Studie bereits ausgebarbeitet.
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„Diese Ursachen liegen in vorhergegangnen Veränderungen, die teils Werke der Natur, teils Handlungen der Menschen, waren. Diese Veränderungen haben ihren Grund wieder in andern; und so verfolgt man solche, wo möglich, bis zum Anfang der Dinge, oder doch bis zum Anfang aller Nachrichten, hinauf: und so entstand eine lange, zusammenhängende Reihe von Begebenheiten, genannt WeltGeschichte.“39
Wie konnte man aber, in einer langen, zusammenhängenden „Reihe von Begebenheiten,“ Entstehung, Differenzierungsprozesse und gegenwärtigen Zustand des menschlichen Geschlechts nach ihren Gründen – also, nach deren Ursachenbestimmung – zu einem erklären und zum anderen sie in einen weltgeschichtlichen Zusammenhang bringen? Die kommenden zwei Abschnitte versuchen eine Antwort auf diese Frage zu finden.
2 C AUSA
ACCIDENTALIS , CAUSA EFFICIENS UND CAUSA ESSENTIALIS
Im 18. Jahrhundert mussten sich alle Versuche, die Entstehung des menschlichen Geschlechts und die damit verbundenen ursprünglichen Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zwischen allen Völker zu untersuchen, mit zwei entgegensetzten Theorien bzw. Gruppen von Ideen konfrontieren. Diese lassen sich mit den Begriffen Monogenismus und Polygenismus fassen. Bei der sogenannten monogenetischen Theorie über den Ursprung des Menschen bediente man sich argumentativ überwiegend der biblisch überlieferten Abstammungslinie von Adam und der Genese von Noahs Nachkommen, seinen Söhnen Sem, Ham und Jafet. Dementsprechend seien drei Völkerstämme aus einer einzigen Schöpfung abzuleiten, nämlich die Semiten, die Hamiten und die Jafetiten,40 deren geographische Verortung sich im 17. Jahrhundert konsolidierte.41 Unter diesem Blickwinkel stammten die Völker Europas von Jafet ab, die asiatischen von Sem und die afrikanischen
39 Schlözer: WeltGeschichte nach ihren HauptTheilen, S. 5-6. Selbstverständlich taucht diese Zielsetzung ebenfalls bei Reinhard auf. Die Weltgeschichte untersuche die Ursache von den Veränderungen bzw. Revolutionen der Welt und des Menschen „und verfolgt die Veränderung so weit sie hinauf kommen kann.“ Vgl. von Reinhard (Hg.): Handbuch der allgemeinen Weltgeschichte, „Vorrede,“ S. 3. 40 Zur bibelexegetischen Unterteilung der Menschheitsabstammung nach den drei Söhnen Noahs siehe zusammenfassend: van Hoorn, Tanja: Dem Leibe abgelesen, S. 230, Anm. 184. 41 Vgl. Sigrid Oehler-Klein, „Einleitung,“ in: Samuel Thomas Soemmerring, Werke, Bd. 15: Anthropologie. Über die körperliche Verschiedenheit des Negers vom Europäer (1785), Hg. von Sigrid Oehler-Klein, Stuttgart u.a.: Gustav Fischer Verlag 1998, S. 89.
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von Ham, wobei erst zwischen dem 2. und 6. Jh. n. Chr. den Nachkommen Hams die schwarze Hautfarbe als Merkmal zugeschrieben wurde.42 Im Grunde genommen stellte die Monogenese eine wissenschaftliche Grundlegung bereit, mit der die Aufklärung einen gebräuchlichen Weg beschritt: Der Weg der Annahme der angeborenen Gleichheit zwischen den Menschen, der Weg des Universalismus. So stellt August Ludwig Schlözer ohne Umwege in seinen Schriften sowohl an die Kinder als auch an seine Zuhörer an der Georgia Augusta dar, dass „[…] alle Menschen nach ihrer Herkunft einander gleich“43 seien, denn sie entstanden durch die unmittelbare göttliche Schöpfung. „Alle bisher entdeckte[n] Völker und Menschen stammen von Einem Pare. Der Neger am Senegal, der Kalmücke am Altaj, der Troke in Amerika, und selbst der Kakerlake auf Java, haben mit dem Deutschen, Franzosen, und Britten Einen StammVater: alle sind aus dem Hause Adams.“44
Darüber hinaus verbreitete sich im Laufe des 18. Jahrhunderts ein zweiter, alternativer Nebenweg, der ebenfalls auf dem monogenetischen Erklärungsmuster basiert, selbst wenn man sich bei diesem Ansatz weniger stark auf die biblische Erzählung konzentrierte. Darin wurde in Asien,45 bzw. insbesondere im Kaukasus, ein möglicher Ursprung des menschlichen Geschlechts gesucht. In diesem Zweig des aufklärerischen Monogenismus sollen Variationen und Unterschiede weiterhin vor allem klimatische Ursachen haben, die sich allmählich auf die Menschen auswirken.46
42 Meijer, Miriam Claude: Race and Aesthetics in the anthropology of Petrus Camper (1722-1789), Amsterdam, Antlanta: Rodopi 1999, S. 76. 43 Schlözer, August Ludwig: Vorbereitung zur Weltgeschichte für Kinder, 6. Auflage, Göttingen: Vanderhoek und Ruprecht 1806, „Vorrede,“ S. 18. 44 Schlözer: WeltGeschichte nach ihren HauptTheilen, S. 35. 45 Vgl. Gondermann, Thomas: Evolution und Rasse. Theoretischer und institutioneller Wandel in der viktorianischen Anthropologie, Bielefeld: transcript 2007, besonders S. 35-36. 46 In den Schriften der Gelehrten des 18. Jahrhunderts ist der Einfluss des Klimas auf den menschlichen Körper ein häufig behandeltes Thema. So hatte beispielsweise Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu (16891755) im Jahr 1748 das Klima als die erste aller Herrschaften über den Menschen eingestuft. Vgl. Montesquieu [Charles-Louis de Secondat]: De l’Esprit des Lois [1748]. Nouvelle édition, revue, corrigée & considérablement augmentée par l’Auteur, Bd. 2, Amsterdam 1781, S. 31: „S’il est vrai que le caractère de l’esprit & les passions du cœur soient extrêmement différents dans les divers climats, les lois doivent être relatives, & à la différence de ces passions, & à la différence de ces caractères.“ Bei Montesquieu sei dennoch das Klima nicht der einzige Faktor, der Einfluss auf die „l’esprit général, les mœurs & les manières d’une nation“ übt. „Plusieurs choses gouvernent les hommes,[:] le climat, la religion, les
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Aber die Theorie der Monogenese wurde im späten 18. Jahrhundert von neuen empirischen Beobachtungen herausgefordert. So schien sich beispielsweise das Aussehen amerikanischer Sklavengenerationen trotz des differenten Klimas nicht markant verändert zu haben. Deshalb sah man sich in zunehmendem Maße gezwungen, den monogetischen Ansatz in Frage zu stellen. So wird die Erklärung der klimabedingten Abweichungen und der Akklimatisierungsfaktoren unter den Völkern von polygenetischen Ansätzen abgelehnt.47 Dass die Schöpfung zwei oder mehrere unterschiedliche Momente hatte – d.h., dass die Herkunft einiger Völker auf die präadamitische Zeit zurückgehen und andere Völker, im Gegensatz dazu, von Adam abstammen sollten – ist eine Theorie, die im 17. Jahrhundert von Isaac de La Peyrère (1596-1676) vorangetrieben wurde. Diese wurde jedoch auch als häretisch betrachtet.48 Und so sah sich besonders die Biblische Chronologie
lois, les maximes du gouvernement, les exemples des choses passées, les mœurs, les manières; d’où il se forme un esprit général qui en résulte“ (S. 189). 47 Spätaufklärerische polygenetische Ansätze verfügten über keine systematisierte Lehre. „The term polygenism would not come into circulation until about 1860,“ so Michael Carhart. Für das Zeitalter der Aufklärung „[…] it serves only as a convenient shorthand for a loose set of theories, not a clearly defined scientific doctrine.“ Vgl. Carhart, Michael C.: „Polynesia and polygenism: the scientific use of travel literature in the early 19th century,“ in: History of the Human Sciences 22 (2009), S. 58-86, hier S. 62. 48 Zur Rezeptionsgeschichte La Peyrères Prae-Adamitae als ein häretisches Traktat siehe vornehmlich: Livingstone, David N.: Adam’s Ancestors, besonders S. 2627. Dazu siehe auch: Demel, Walter: „Wie die Chinesen gelb wurden. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Rassentheorien,“ in: Historische Zeitschrift 255 (1992), S. 625-666, hier S. 634. Nancy Stepan fasst wie folgt das Ziel der präadamitischen Theorie Isaac de la Peyrères zusammen: „The most famous polygenist work was that by Isaac de la Peyrère in the seventeenth century; he used the theory of a pre-Adamite people to exclude all but the Jews and Christians from the providential story recounted in the Bible.“ Vgl. Stepan, Nancy: The Idea of Race in Science: Great Britain 1800-1960, London: MacMillan Press 1982, S. 29. Zu Isaac de la Peyrères’ Ansätze im Kontext der aufklärerischen Wissenschaft vom Menschen siehe auch: Meyer: Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit, S. 160, Anm. 299. Indem Frank W. P. Dougherty der Polygenismus bereits in der Renaissance durchführt, wie z.B., „Giordano Brunos Behauptung, daß die Menschheit auf drei Urvater zurückzuführen sei,“ wies er auch auf die Buffon’ische Reaktion auf diese These hin, für wen der Polygenismus als „hypothetisch, unzulänglich und ohne irgendeinen experimentellen Beweis“ schien. Vgl. Dougherty, Frank W. P.: „Buffons Bedeutung für die Entwicklung des anthropologischen Denkens im Deutschland der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts,“ in: Gunter Mann/Franz Dumont (Hg.), Die Natur des Menschen. Probleme der physischen Anthropologie und Rassenkunde (1750-1850),
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der Weltgeschichte bedroht, indem die Genesis weniger als eine Geschichte der Menschheit und viel mehr als die Geschichte des jüdischen Volkes postuliert wurde. In Göttingen stellte Johann Christoph Gatterer 1761 in seinem allerersten Handbuch der Universalhistorie die präadamitische Theorie La Peyrères als eine bereits widerlegt Auffassung der Geschichte der Völker dar.49 Er verzichtet nicht einfach auf die Biblische Chronologie und greift deshalb ein Jahrzehnt später die Theorien über den Ursprung des Menschen wieder in seiner Einleitung in die synchronische Universalhistorie auf. Darin macht sich Gatterer entschieden für die monogenetische Variante stark, auch bezüglich der Verschiedenheiten aller Völker in Rücksicht auf ihre körperlichen Anlagen. „Wenn man das Aeuserliche der menschlichen Körper, so wie es sich rings um den Erdboden herum zeigt, nur ohnehin betrachtet,“ so Gatterer, „so geräth man leicht in die Gefahr, welcher auch verschiedene sonst sehr scharfsinnige Schriftsteller nicht entgangen sind, dem menschlichen Geschlechte mehrere Stammväter zu geben. Lappen und Hottentotten, Teutsche und Negers, Chineser und Amerikaner, wie verschieden sind sie nicht im Aeuserlichen? Gleichwol sind diese und alle übrige Verschiedenheiten nicht wesentliche, sondern nur zufällige Unterscheidungszeichen, oder mit einem naturhistorischen Worte: sie sind blose Varietäten; und alle Menschen, die jemals gelebt haben, noch jetzt leben, und künftig leben werden, machen, dieser Varietäten ungeachtet oder vielmehr weil es nur Varietäten sind, zusammen nur eine einzige grose Familie aus, sie von einem einzigen Stammvater, dem Adam, herkömmt.“50
Diese These bildet den Ausgangspunkt, der nur vier Jahre später Gatterers geographischem Interessen an einem empirisch belegbaren organisatorischen bzw. methodischen Prinzip der Weltgeschichtsschreibung zugrunde liegt. Obwohl er 1775 ein Programm für eine Anthropographie, eine Geographie der Menschenkörper, skizzierte, in dem Gestalt und Hautfarbe die klassifizierenden Kategorien waren, gab er sie in den kommenden Jahren auf. Gatterer stellte nämlich fest, dass Hautfarbe per se kein wesentliches, sondern nur ein zufälliges Unterscheidungsmerkmal war. Auf ähnliche Weise thematisiert auch Schlözer die Verschiedenheiten zwischen den Völkern, wobei er das Argument deutlicher an der Ursachenbestimmung möglicher Unterscheidungszeichen der physischen Anthropologie festmacht. In seiner 1785 erschienenen Weltgeschichte heißt es:
Stuttgart: Gustav Fischer Verlag 1990, S. 221-279, hier S. 256, Anm. 34 und S. 228. 49 Vgl. Gatterer: Handbuch der Universalhistorie, 1761, S. 133. 50 Gatterer: Einleitung in die synchronische Universalhistorie, S. 61-62.
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„Freilich sind die physischen Verschiedenheiten der Völker in allen 5 WeltTeilen in Größe, Farbe, und Bildung, äußerst auffallend. Und mächtig müssen die Revolutionen seyn, die diese Söne Eines Vaters, im Laufe der JarTausende, sich einander im Aeußern und Innern so unähnlich gemacht haben. Aber Klima, Narungs- und LebensArt, Kunst oder Mode, und Zufall, bestimmen und erklären alles.“51
Um über die Ursache unterschiedlicher körperlicher oder geistiger Zustände der Menschen etwas aussagen zu können, welche man beispielsweise der Mode zuschreiben könnte, nimmt Schlözer die Gebräuche und die Lebensart der Völker in seinen ethnographischen Blick und skizziert in der Weltgeschichte für Kinder ein aussagekräftiges Beispiel. „Die Malabaren haben einen eignen OhrSchmuck; davon werden ihnen die Ohren so lang, daß sie ihnen auf den Schultern liegen. Alle Menschen können von Natur die Ohren bewegen: wir aber können es nicht mer, unsre KinderMützen haben uns die Ohren gelämt.“52
Wenngleich das hier aufgeführte Beispiel in einer für Kinder angemessenen Sprache formuliert wurde und dessen Deutlichkeit und Didaktik nicht mit der schriftlichen Produktion für das Hochschulwesen zu vergleichen ist, zeigt sich darin eine Erklärungsstrategie, die als charakteristisch für die gesamte spätaufklärerische Weltgeschichtsschreibung erachtet werden kann. Sie lässt sich bereits in Gatterers früherer Aussage auffinden. Bei ihm weisen äußerliche Merkmale des menschlichen Körpers nicht auf wesentliche (essentialis), sondern nur auf zufällige (accidentalis) Ursachen der Varietäten des menschlichen Geschlechts hin. Diese These, die der methodischen Ordnung sowie der Erklärung universalhistorischer Sachverhalte zugrunde liegt und sich an die naturhistorische Terminologie anlehnt, verlangt hier eine ausführlichere Erläuterung. Das einflussreichteste klassifikatorische Modell, wonach die ganze Natur – sprich: alle ihre Arten und Varietäten – in einem einheitlichen System begriffen wurde, stammt aus dem Schweden des frühen 18. Jahrhunderts. Carl von Linné geht in seinem 1735 erschienen Systema Naturae davon aus,
51 Schlözer: WeltGeschichte nach ihren HauptTheilen, S. 36. 52 Schlözer: Vorbereitung zur Weltgeschichte für Kinder, S. 61. So ein ähnliches Beispiel hätte auch Schlözer in der berühmtesten Naturgeschichte des 18. Jahrhunderst finden können, nämlich in Buffons (1707-88) mehrbändigem Werk L’Histoire Naturelle (1749-89). Darin listete der Franzose den Einfluss von Himmelstrich, Nahrungsmittel und Sitten auf physiognomische Veränderungen des Menschen, wie etwa ein Volk, dessen Ohren sich durch das stetige Tragen von Ohrschmuck verlängerten. Vgl. Buffon, Georges-Louis Leclerc de: Allgemeine Naturgeschichte, Frankfurt a.M.: Zweitausendeins 2008 (ND der Berliner Ausgabe, Joachim Pauli 1771-74), S. 903-904.
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dass die Tiere das vervollkommnetste Werk in Gottes Schöpfung seien53 und dass keinerlei neue Arten (species), weder von Pflanzen noch von Tieren, in der Gegenwart mehr entstehen.54 Insbesondere weil es seiner Ansicht nach keine neuen Arten gäbe und da die existierenden Tierarten jeweils sehr ähnlichen Nachwuchs hervorbrächten, konnte Linné eine hervorbringende Einheit (unitas progeneratrix)55 der einmaligen und vollständigen Creatio Dei als genealogisches Argument ausweisen.56 Dementsprechend ordnet Linné die Menschen in der ersten Ausgabe seiner Systema Naturae zwar innerhalb einer einzigen Gattung (genera) ein, die sich aber in vier Varietäten aufspaltet, nämlich homo europaeus, homo americanus, homo asiaticus und homo africanus. Diese Klassifizierung wurde in der zehnten Ausgabe (1758) des gleichen Werkes leicht erweitert, worüber Schlözer im darauffolgenden Jahr für das deutsche Publikum berichtete.57 In der neuen Fassung wird die menschliche Gattung in sechs tagaktive Varietäten eingeteilt und jeweils mit einem lateinischen Prädikat versehen: ferus, americanus, europaeus, asiaticus, africanus und monstrosus. Diese klassifikatorische Erweiterung wurde in der Forschung bereits als eine Neigung zum Polygenismus gelesen58 und wies auf die Schwierigkeit hin, die Theorien über den Ursprung der Menschen entweder nach kohärenten monogenetischen oder widerspruchsfreien polygenetischen Ansätzen auseinander zu halten. Deshalb sollen hier diese Theorien insbesondere vor dem Hintergrund ihrer Ursachenbestimmung beleuchtet werden. Dies erfolgt am Beispiel einer zentralen Forschungsstrategie der Linné’schen Botanik. Zuvor muss jedoch noch eine einführende Bemerkung
53 Linnaeus, Carolus: Systema Naturae (1735), Facsimile of the first edition, with an Introdution and a first English translation of the „Observationes“ by Dr. M. S. J. Engel-Ledeboer and Dr. H. Engel, Nieuwkoop: B. de Graaf 1964, S. 26: „[...] Animalia esse summa & prefectissima Creatoris opera.“ 54 Ebd., S. 18: „Si opera Dei intueamur, omnibus satis superque pater, viventia ex ovo propagari, omneque ovum producere sobolem parenti simillimam. Hinc nullae species novae hodiernum produnctur.“ 55 Ebd.: „[...] ut unitatem illa progeneratricem.“ 56 Ebd.: „[…] necesse est, ut unitatem illiam progeneratricem, Enti cuidam Imnipotenti & Omniscio attribuamus, Deo nempe, cujus opus Creatio audit.“ Für die deutsche Übersetzung des Ausdrucks unitas progeneratrix ebenso wie für das genealogische Argument bei Linné siehe: Müller-Wille, Staffan: „Genealogie, Naturgeschichte und Naturgesetz bei Linné und Buffon,“ in: Kilian Heck/Bernhard Jahn (Hg.), Genealogie als Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit, Tübingen: Max Niemeyer 2000, S. 109-119, hier S. 113. 57 Siehe das Kapitel „2. Innovation und Federkrieg“ der vorliegenden Studie. 58 Vgl. Sloan, Phillip: „The Gaze of Natural History,“ in: Christopher Fox/Roy Porter/Robert Wokler (Hg.), Inventing Human Science. Eighteenth-Century Domains, Berkeley/Los Angeles: University of California Press 1995, S. 112-151, hier S. 123 und S. 140.
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gemacht werden. Zur Zeit der Aufklärung lagen die Interessen der Botanik und der Anatomie des menschlichen Körpers noch sehr nah beieinander, nicht zuletzt da auch die Botanik zu den Hilfswissenschaften der Medizin gehörte.59 Um die Tragweite von Experimenten der Botanik für die Untersuchungen der Natur des Menschengeschlechts zu veranschaulichen, genügt ein Verweis auf den Meiners’schen Analogieschluss: „Dieselbigen Ursachen nun, die auf Gewächse und Thiere wirken, wirken auch auf den Menschen; und eben die Erscheinungen, die sich an Pflanzen und Thieren zeigen, zeigen sich und zwar noch viel auffallender an dem Menschen […].“60
Den 1736 erschienenen Fundamenta botanica zufolge sind „[d]ie Art [species] und die Gattung [genus] […] immer das Werk der Natur, die Varietät oft das Werk des Anbaus und die Klasse und Ordnung das Werk der Kunst und Natur.“61 Unter einer Varietät werden kleine Abweichungen innerhalb der Art (species, hier: sapiens) verstanden, die entsprechend der Opera Dei alle denselben Ursprung haben und durch die Wirkung äußerlicher Ursachen – etwa wie klimatische Unterschiede – erklärt werden. Noch deutlicher tritt dies in Linnés 1751 veröffentlichter Philosophia botanica zutage, in der sei-
59 Siehe z.B.: Roger, Jacques: „The living world,“ in: G. S. Rousseau/Roy Porter (Hg.), The Ferment of Knowledge. Studies in the Historiography of EighteenthCentury Science, Cambridge: Cambridge University Press 1980, S. 255-283, hier S. 258: „The study of living beings was traditionally reserved for medical doctors. Medical studies had for a long time been the only regular scientific training available. Anatomy, physiology and botany were regularly taught in medical schools, and a professorship in medicine was the only way to make a living out of those studies.“ Für die Hilfswissenschaften der Medizin nach aufklärerischem akademischem Programm, nämlich die Arzneimittellehre, die Botanik, die Physik und die Chemie, siehe: Toellner, Richard: „Medizin in der Mitte des 18. Jahrhunderts,“ in: Wissenschaft im Zeitalter der Aufklärung, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1985, S. 194-217, besonders S. 206. 60 Meiners, Christoph: Ueber die Natur der Afrikanischen Neger, und die davon abhangende Befreyung, oder Einschränkung der Schwarzen (1790),(ND: Hg. von Frank Schäfer, 2. Auflage, Hannover: Wehrhahn Verlag 1998), S. 11. 61 Linné, Carl von: Fundamenta Botanica quae Majorum Operum Prodomi instar Theoriam Scientiae Botanices per breves Aphorismos tradunt, Amstelodami: Solmon Schouten 1736, §. 162, S. 19, zit. nach: Müller-Wille, Staffan: Botanik und Weltweiter Handel. Zur Begründung eines Natürlichen Systems der Pflanzen durch Carl von Linné (1707-78), Berlin: Verlag für Wissenschaft und Bildung 1999, S. 53. Im Original lautet der Text: „Naturae opus semper est species & genus, Culturae saepius variation, Artis & Naturae Classis ac ordo.“ Dazu auch Linnaeus, Carolus: Philosophia Botanica, Stockholmiae: Godofr. Kiesewetter 1751, „Varietates,“ §. 316, S. 247: „Cultura tot Varietatum mater, optima quoque Varietatum examinatrix est.“
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ne Nomenklatur ausführlicherer erläutert wird. Diese Terminologie etablierte sich an der Georgia Augusta insbesondere – jedoch nicht ausschließlich62 – durch die Kurse von Johann Andreas Murray (1740-91),63 der in seiner Jugend von Schlözer in den Grundlagen der Wissenschaften privat unterrichtet wurde und Halbbruder des Göttinger Professors für Geschichtskunde Johann Philipp Murray war.64 Nach Linnés Philosophia botanica sei die Varietät (varietas) eine Pflanze, „die von einer äußeren Ursache [causa accidentali] verändert ist: dem Klima, dem Boden, der Wärme, dem Wind etc. Sie wird deshalb in verändertem Boden zurückgeführt.“65 Das Zurückführen von Varietäten auf Arten, d.h. das Reversibilitätsprinzip, sollte Linné grundsätzlich ermöglichen, veränderliche von beständigen Merkmalsunterschieden66 bei Varietäten festzustellen und sie entsprechend der dazu gehörenden Art einzuordnen. So etabliert sich bei Linné eine wesentliche Vorgehensweise der Botanik, nämlich die collatio bzw. die „Kollation der Arten,“ die – wie Staffan MüllerWille erläutert – aus keiner bloßen Sammlung von Objekten bestand, son-
62 Desweiteren bot z.B. Johann Beckmann (1739-1811), der auch an Linnés Lehrstuhl in Schweden studiert hatte, im Sommersemester 1767 an der Georgia Augusta eine Vorlesung zur Arzneygelahrtheit über die Philosophia botanica Linnés an sowie, als Privatvorlesung der Geschichtskunde, die Naturgeschichte. 63 Dies geschah als öffentliche akademische Veranstaltung der Arzneygelahrheit, und zwar hauptsächlich ab dem Sommersemester 1766, wobei als sich Gatterer und Ludwig Timotheos Spittler (1752-1810) die Universalhistorie zur gleichen Uhrzeit vorlasen und Christoph Meiners 1784 zum einem der Psychologie, zum anderen der Entstehung und allmählichen Verbreitung des menschlichen Geschlechts widmete, lehrte Murray weiterhin Linnés Botanik. Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, Göttingen, 18./19. Stück, 10./13. Februar 1766, S. 143: „Der jüngere Hr. Prof. Murray wird gleichfals öffentlich Sonnabends um 2 Botanische Spaziergänge anstellen; und um 7 privatim des Hrn. von Linné philosophiam botanicam erklären und die inn- und ausländischen Pflanzen vorzeigen.“ 64 Johann Philipp Murray lehrte an der Göttinger Philosophischen Fakultät die Universalhistorie parallel zu Büsching im Sommersemester 1757. Diese Veranstaltungen wurden im Kapitel „2. Innovation und Federkrieg“ der vorliegenden Studie bereits behandelt. Für die biographischen Daten Johann Andreas Murrays siehe: Dougherty, Frank W. P.: „Johann Andreas Murray,“ in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 18, Berlin: Duncker & Humblot 1997, S. 619-620, hier S. 619. 65 Linné, Carl von: Philosophia botanica in qua explicantur Fundamenta Botanica cum definitionibus partium, exemplis terminorum, observationibus rariorum [...], Stockolmiae: Kiesewetter 1751, §. 158, S. 100, zit. nach: Müller-Wille: Botanik und Weltweiter Handel, S. 285. 66 Müller-Wille: Botanik und Weltweiter Handel, S. 287.
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dern eher eine Operation war, mit der der Botaniker die Pflanzenarten durch den Vergleich zu unterscheiden und zu klassifizieren versuchte.67 Bei Linné war die „Zurückführung von Varietäten auf ihre Arten“ eine zentrale Vorgehensweise der Botanik gewesen, die jedoch eine große Schwierigkeit aufweist, nämlich die „[…] Isolation der genealogischen Komponente und gleichzeitige Beobachtung eines standortbedingten bzw. standortunabhängigen Auftretens von Merkmalen in der Generationenfolge.“68 Damit stellt Linné allmählich selbst das von ihm 1735 vertretene Forschungsprinzip in Frage, demzufolge nach der göttlichen Schöpfung keine neue Art entstanden sei. Vielmehr setzte Linné zunehmend und entsprechend seiner Forschungspraxis eine „unabgeschlossene[] Natur“ voraus.69 Beispiele dafür sind die im botanischen Garten durchgeführten Hybridisierungen, die beständig Varietäten, wenn nicht sogar neue Arten hervorbringen könnten und die nicht mehr zurückführbar wären. Diese Interpretation Müller-Willes von Linnés Botanik ist nicht die einzige vertretene Lesart in der heutigen Forschung. So ist Phillip Sloan der Ansicht, dass Linné „[…] never questioned the ‚essentiality‘ of species, and his hybridization theory meant no more than a combining of the essential natures.“70 Nach dieser Lektüre bleibe die Natur bei Linné seit der Creatio Dei – auch in der späteren Ausgabe seiner Werke – weiterhin abgeschlossen. Aber sowohl bei der einen, als auch bei der anderen Interpretation gilt, dass zwei entgegengesetzte Varianten der Ursachenbestimmung in der Fortpflanzung zum Vorschein kommen. Für die vorliegende Studie ist jedoch weniger entscheidend, welche Lesart der Forschung dem Linné’schen Werk am besten entspricht. Viel bedeutender ist für die kommenden Ausführungen die Fokussierung auf die Ursachenbestimmung von Differenzierungsprozessen, die die beiden gegensätzlichen Lesearten hervorheben. In der Hauptsache lassen sich Monogenismus und Polygenismus nicht nur auf der Grundlage einer einmaligen oder wiederkehrenden, mehrmaligen Ursprungstheorie der Lebewesen voneinander unterscheiden. Der Monogenismus hebt zur Erklärung von Differenzierungsprozessen die causa accidentalis bzw. äußere Ursachen hervor, während der Polygenismus eher auf
67 Vgl. Müller-Wille, Staffan: „Carl von Linnés Herbarschrank. Zur epistemischen Funktion eines Sammlungsmöbels,“ in: Anke te Heesen/E. C. Spary (Hg.), Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung, Göttingen: Wallstein Verlag 2001, S. 22-38, hier S. 28-29. Zum Vergleich als eine zentrale methodische Strategie der spätaufklärerischen Historiographie schlechthin siehe das Kapitel „3. Psychologie und Geschichte der Menschheit“ der vorliegenden Studie. 68 Müller-Wille: Botanik und Weltweiter Handel, S. 294. 69 Vgl. Ebd., S. 299 und S. 311. 70 Sloan, Phillip R.: „Natural History,“ in: Knud Haakonssen (Hg.), The Cambridge History of Eighteenth-Century Philosophy, Bd. 2, Cambridge: Cambridge University Press 2006, S. 903-938, hier S. 911.
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das Korrelat einer causa per se bzw. einer causa essentialis setzt. Letztere soll hier als innere Ursache verstanden werden,71 wobei die Nachkommen unterschiedlicher Schöpfungen auch unter den Einfluss von äußeren Bedingungen stehen. Mit Hilfe der „biologisch“72 basierten causa per se versuchte man ab Mitte des 18. Jahrhunderts angeborene Unterscheidungsmerkmale in den Varietäten empirisch zu beweisen. Die Zurückführung der Varietäten auf eine ursprüngliche Art erwies sich jedoch als unmöglich. Die Ursachenbestimmung bei der Fortpflanzung von Lebewesen kann aus einem anderen Blickwinkel am Beispiel aufklärerischer Theorien über die Entstehung von Organismen und der Entwicklung organischer Prozesse73 veranschaulicht werden. Damit soll hier keine pauschale Äquivalenz zwischen Theorien der Generation und Theorien der Enstehung des menschlichen Geschlechts im 18. Jahrhundert gesetzt werden, sondern nur auf die Ursachenbestimmung aufmerksam gemacht werden, die beide Strömungen verfolgen. Vorherrschend in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts74 besagt die Präformationslehre, dass die Merkmale eines sich entwickelnden Wesens bereits im Embryozustand festgelegt sind. Darin sind die Organismen in ihren Grundmerkmalen von Gott vorherbestimmt.75 Anders formuliert: Die Nach-
71 Im scholastischen Kontext ist die causa per accidens bereits als Gegensatz zur causa per se durchgeführt worden. Dazu siehe: Specht, Rainer: „Anlaß,“ in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer/Gottfried Gabriel (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, Basel: Schwabe Verlag 1971, S. 325-327. 72 Das Wort „Biologie“ taucht auf französisch erst 1802 mit Jean-Baptiste de Lamarck und Gottfried Reinhold Treviranus in seiner auch in Göttingen erschienen Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Aerzte auf. Im deutschsprachigen Raum wird es wahrscheinlich wenige Jahre vorher bereits verwendet. Vgl. Roger, Jacques: „The living world,“ S. 258, Anm. 7. Um den Sinn besser fassen zu können, wird hier das Wort – trotz leichtem Anachronismus – bewusst eingesetzt. 73 In ihrer Studie zur Kulturgeschichte der Embryologie beschränkt sich Janina Wellmann nicht nur auf die embryologische Entwicklungstheorien, sondern breitet ihre Analyse über die „Entstehung des Entwicklungsdenkens“ in der Spätaufklärung zu anderen organischen Prozesse bzw. in Hinsicht auf die empirische „Auseinandersetzung mit einer Reihe von organischen Prozessen“ aus, die um 1800 zusammen gedacht wurden. Vgl. Wellmann: Die Form des Werdens, S. 115-116. 74 Dazu siehe: Reill, Peter Hanns: „Science and the Science of History in the Spätaufklärung,“ in: Hans Erich Bödeker/Georg G. Iggers/Jonathan B. Knudsen/Peter H. Reill (Hg.), Aufklärung und Geschichte. Studien zur deutschen Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1992, S. 430-451, hier S. 444. 75 Vgl. Sloan, Phillip R.: „Preforming the Categories: Eighteenth-Century Generation Theory and the Biological Roots of Kant’s A Priori,“ in: Journal of the History of Philosophy 40 (2002), S. 229-253, hier S. 232-233. Besonders für den
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kommen einer Spezies sind bereits im weiblichen Ei oder im männlichen Samen vorgeformt, je nachdem ob man sich auf die embryologische Entwicklungstheorie des Ovismus oder die des Animalkulismus stützt.76 Daraus folgt, dass ein reines präformationistisches Prinzip eher ein theoretisches Hindernis für die Historisierung der Lebenswissenschaften im Zeitalter der Aufklärung war, da ja alle Varietäten des Lebens bereits seit ihrem Ursprung vorherbestimmt sein sollten.77 Im Gegensatz dazu ist die aufklärerische epigenetische Lebenswissenschaftstheorie der Ansicht, dass ein Trieb bzw. eine wesentliche und schöpfende Kraft – vis essentialis – die Entwicklung des Lebens betreibt. Die Natur befindet sich demnach im kontinuierlichen Wandel, weil organische Prozesse auf äußere Bedingungen reagieren.78 Die einflussreichste Fassung epigenetischer Theorie im akademischen Kontext der Göttinger Spätaufklärung war jene von Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840).79 1780 sprach Blumenbach über einen Bildungstrieb, „[…] der eine der ersten Ursachen aller Generation, Nutrition und Reproduction zu seyn scheint […].“80 Ein
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französischen Kontext siehe neulich: Roe, Shirley A.: „Biology, atheism, and politics in eighteenth-century France,“ in: Denis R. Alexander/Ronald Numbers (Hg.), Biology and Ideology from Descartes to Dawkins, Chicago und London: University of Chicago Press 2010, S. 36-60. Vgl. Wellmann: Die Form des Werdens, S. 110. Vgl. Sloan, Phillip R.: „Buffon, German Biology, and the Historical Interpretation of Biological Species,“ in: The British Journal for the History of Science 12 (1979), S. 109-153, hier S. 110. Um die Historisierung der Lebenswissenschaften nach dem spätaufklärerischen Vitalismus geht es die Forschung von Peter Hanns Reill. Vgl. Reill: Vitalizing Nature in the Enlightenment. Vgl. Reill: „Science and the Science of History in the Spätaufklärung,“ S. 445: „In contrast to the static, almost mechanical nature of preformation, the epigensists envisioned a complex world of indwelling vital forces, acting and reacting to varied sets of external and organic conditions.“ Über die Epigenesis, vor allem am Beispiel Blumenbachs, siehe grundlegend: Reill, Peter Hanns: Vitalizing Nature in the Enlightenment. Im Bildungstrieb bleiben dennoch – besonders bei der ersten Ausgabe Blumenbachs Buches – präformationistische Elemente erhalten. Dazu siehe u.a.: Bernasconi, Robert: „Kant and Blumenbach’s Polyps. A Negleted Chapter in the History of the Concept of Race,“ in: Sara Eigen/Mark Larrimore (Hg.), The German Invention of Race, Albany: State University of New York Press 2006, S. 73-90, hier S. 80. Blumenbach, Johann Friedrich: „Üeber den Bildungstrieb (Nisus formativus) und seinen Einfluß auf die Generation und Reproduction,“ in: Göttingisches Magazin der Wissenschaften und Litteratur, 1. Jg., 5. St., 1780, S. 247-266, hier S. 250. Für die spätere und ausformulierte Ausgabe dieser Schrift siehe: Blumenbach, Johann Friedrich: Über den Bildungstrieb, Göttingen: Johann Christian Dieterich 1791. Aus Paris sprach Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon (1707-88) bereits 1749 über eine zeugungsaktive und veränderungswillige moule intérieure.
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Bildungstrieb ist demzufolge nichts anderes als eine notwendige, wesentliche und angeborene Kraft zu Veränderungen, weshalb hier einerseits ein präformationistisches Prinzip erhalten ist.81 Andererseits besagt aber so eine wirkungsaktivierende und veränderungswillige Kraft – eine „causa efficiens,“82 nach Blumenbachs Definition –, dass kontinuierliche Umwandlungsprozesse die Entwicklungsform von Organismen charakterisieren. Dadurch wurde freier Raum für die Mitwirkung von äußeren Ursachen auf die Entwicklung von organischen Prozessen geschaffen.83 Zusammengefasst wurde diese Göttinger Theorie in der Deutschen Encyclopädie oder Allgemeines Real-Wörterbuch aller Künste und Wissenschaften von einer Gesellschaft Gelehrten wie folgt: „[...] daß nicht die Theile eines neuen Körpers, wie mehrere Naturforscher wähnten, in einem präformirten Keime existirten, und sich nur nach und nach entwickeln, sondern vielmehr, daß der Bildungstrieb durch zufällige Ursachen eine andere Richtung bekommen könne. […] Aus diesem Bildungstriebe lassen sich ohne Schwierigkeit die Varietäten und Monstrositäten erklären. Bey beyden hat der Bildungstrieb, durch zufällige Ursachen gestört, eine andere Richtung genommen, nur sind bey Varietäten alle Theile in einer Harmonie, in einem natürlichen Verhältnisse zu einander geblieben, bey den Monstrositäten aber ist diese Harmonie, dieses natürliche Verhältniß, gestöhrt worden.“84
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Vgl. Buffon, Georges-Louis Leclerc de: Histoire Naturelle, Générale et Particuliére, avec la Description du Cabinet du Roy, Bd. 2, Paris: Imprimerie Royale 1749, S. 35-36. In der Forschung besteht aber kein Konsens darüber, ob sich Buffons Theorie nach einem epigenetischen Muster lesen lässt. Peter Hanns Reill vertritt m.E. überzeugend die These, dass Buffons moule intérieure deutlich als eine epigenetische Theorie gelesen werden kann. Phillip Sloan zeigt sich dagegen weniger überzeugend, was den Grad dieser aktiven Kraft betrifft und liest sie eher nach dem epistemologischen Paradigma der „Newtonian microforce.“ Vgl. Reill: Vitalizing Nature in the Enlightenment; Sloan: „Preforming the Categories.“ Dazu siehe besonders: Bernasconi, Robert: „Kant and Blumenbach’s Polyps,“ S. 80. Vgl. Blumenbach, Johann Friedrich: Institutiones physiologicae, Gottingae: Jo. Christ. Dieterich 1786, S. 35: „Denique et quinto loco nominandus venit nisus formativus, qui tanquam causa efficiens totius negotii generationis […] considerari debet […].“ Dazu siehe: Reill: Vitalizing Nature in the Enlightenment, S. 146. Definitorisch wurde die causa efficiens auch mit dem äußeren Prinzip, „das etwas anderes hervorbringt,“ assoziiert. Vgl. Specht, Rainer: „Causa efficiens,“ in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer/Gottfried Gabriel (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, Basel: Schwabe Verlag 1971, Sp. 973. Art. „Körper,“ in: Deutsche Encyclopädie oder Allgemeines Real-Wörterbuch aller Künste und Wissenschaften von einer Gesellschaft Gelehrten, Bd. 22, Frankfurt am Mayn: Varrentrapp und Wenner 1802, S. 156-184, hier S. 165-166.
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Wie wurden aber solche lebenswissenschaftlich verankerten Kausalitätsprinzipien in der spätaufklärerischen Geschichtsschreibung ausgearbeitet, als die Göttinger Gelehrten die Entstehung des menschlichen Geschlechtes und die Unterscheidungsmerkmale seiner Varietäten als Forschungsgegenstände in die Weltgeschichte integrierten? Sind hier zufällige Ursachen (accidens) ein „defizitäres Phänomen von Erkenntnis,“85 die das Wesen (essentia) einer Sache nicht kennen können86 und deshalb nur „im Gewande der Fortuna zur Deutung der Historien“87 herangezogen werden? Ferner: Inwiefern könnten die Göttinger Spätaufklärer hinsichtlich der Ursachenbestimmung welthistorischer Sachverhalte – sprich: mit Hilfe der lebenswissenschaftlich gestützten causa accidentalis und causa essentialis – Einheit stiften und Unterschiede erklären? Der folgende Abschnitt wendet sich genau diesen Fragen zu.
3 N ATURZWANG UND
HISTORISCHE
K ONTINGENZ
„Da die Natur unläugbar allen Erdtheilen, und in jedem Erdtheile den meisten großen Ländern ganz eigenthümliche Pflanzen- und Thierarten geschenkt hat; so muß man der Analogie der Natur gemäß annehmen, daß sie wenigstens einem Jeden der verschiedenen Erdtheile auch eigenthümliche oder ursprüngliche menschliche Bewohner schenkte.“88
Als diese Worte im frühen Winter 1811 von der Öffentlichkeit gelesen werden konnten, war der Verfasser bereits tot. Johann Georg Heinrich Feder
85 Hoffmann, Arnd: Zufall und Kontingenz in der Geschichtstheorie, Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann 2005, S. 3. 86 Hoffmann, Arnd: „Zufall,“ in: Stefan Jordan (Hg.), Lexikon der Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart: Reclam 2002, S. 339-342, hier S. 340. 87 Koselleck, Reinhard: „Der Zufall als Motivationsrest in der Geschichtsschreibung,“ in: Reinhard Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989, S. 158-175, hier S. 159. 88 Meiners, Christoph: Untersuchungen über die Verschiedenheiten der Menschennaturen (die verschiedenen Menschenarten) in Asien und den Südländern, in den Ostindischen und Südseeinseln, nebst einer historischen Vergleichung der vormahligen und gegenwärtigen Bewohner dieser Continente und Eylande, Bd. 1, Tübingen: In der J. G. Cotta’schen Buchhandlung 1811, S. 11. Diese These ist auf vielen Seiten des posthum erschienenen Werkes von Christoph Meiners verteilt. Im dritten Band wird sie beispielsweise etwas anders formuliert: „Auch diese Gebundheit der Pflanzen und Thiere an gewisse Zonen beweist unwidersprechlich, daß es nie einen ursprünglichen Mittelpunkt, oder eine gemeinschaftliche Heimath gegeben habe, aus welcher die Pflanzen und Thiere der verschiedenen Zonen über die ganze Erde verbreitet worden.“ Vgl. Ebd., Bd. 3, S. 1-2.
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ließ posthum das letzte Werk seines „jüngern, vertrautesten, vieljährigen Freundes“89 Christoph Meiners in drei Bänden drucken, welches – laut dem verstorbenen Göttinger Professor – die beste seiner Arbeiten sei. Es könne wohl „als eine reife Frucht von beynahe dreyßigjährigen Untersuchungen“90 betrachtet werden. Die oben zitierte Annahme – eine eindeutige Version des spätaufklärerischen Polygenismus91 – sollte Meiners mittels fundierter empirischer Basis dabei helfen, „die ursprünglichen Verschiedenheit von Menschen, Thieren und Pflanzen viel leichter“ zu erklären, „als aus allen anderen angeblichen Ursachen, welche man gewöhnlich anzuführen“92 pflege. Dies ist allerdings ein Forschungsziel, das Meiners bereits seit der ersten Ankündigung seiner Vorlesung zur Geschichte der Menschheit im Wintersemester 1784/85 anvisiert hatte, wenngleich dessen lebenswissenschaftlich entlehnte Grundlagen erst in den darauffolgenden Jahrzehnten an deutlicheren Konturen gewonnen haben. Diesbezüglich fand Feder im Nachlass seines engen Freundes eine klare Formulierung: Da nun die gleichförmigsten äußeren Ursachen selbst in dem Laufe von vielen Jahrhunderten, oder von mehreren Jahrtausenden verschiedene Menschen-Naturen nicht gleichmachen, und die verschiedensten, ja selbst entgegengesetzte äußere Ursachen die angestammten Eigenthümlichkeiten von Völkern in einem eben so langen Zeit-
89 So die Vorrede von Feder, datiert vom 18. Oktober 1810. Vgl. Ebd., Bd. 1, S. III. 90 Ebd., Bd. 1, S. XXIII. 91 In der Forschung ist die These des späten Polygenismus von Christoph Meiners bereits in Alexander Ihles 1931 veröffentlichtem Buch über Christoph Meiners und die Völkerkunde vertreten worden. Vgl. Ihle: Christoph Meiners und die Völkerkunde, S. 85, 94 und 143. Diese Erklärung liefert Ende der 1960er Jahre auch Wilhelm E. Mühlmann: „Meiners vertrat ursprünglich die monophyletische These, die er durch Wanderungstheorien in der Art der Jesuiten des 17. und 18. Jahrhunderts (Lafitau u.a.) zu unterbauen suchte; später aber wurde er durch die Beobachtung, daß jede Rasse nur an ihren ‚Ursprungsort‘ gut angepaßt sei, zu der polyphyletischen Ansicht gedrängt […].“ Vgl. Mühlmann, Wilhelm E.: Geschichte der Anthopologie, 2. Auflage, Frankfurt a.M./Bonn: Athenäum Verlag 1968, S. 60. Meiners’ Neigung zur „Theorie von der Polygenese der Menschheit“ ist ebenfalls von Friedrich Lotter und Michael Carhart diagnostiziert worden. Vgl. Lotter: „Christoph Meiners und die Lehre von der unterschiedlichen Wertigkeit der Menschenrassen,“ S. 68; Carhart: „Polynesia and polygenism.“ Eine Analyse von lebenswissenschaftlichen Theorien zur Entstehung des menschlichen Geschlechtes im Kontext der Weltgeschichtsschreibung im späten 18. Jahrhundert bleibt dennoch als offenes Desiderat der historiographiegeschichtlichen Forschung bestehen. Diese kommenden Seiten sollen dazu beitragen, diese Lücke aus historiographie- und theoriegeschichtlicher Perspektive zu füllen. 92 Meiners: Untersuchungen über die Verschiedenheiten der Menschennaturen, Bd. 2, S. 216.
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raum nicht vertilgen können; so folgt aus diesen beyden entscheidenden Erfahrungen unwidersprechlich, daß äußere Ursachen nicht so viel über den Menschen vermögen, als viele Schriftsteller, und unter diesen vormahls auch ich glaubte.93
Zu den bedeutendsten „Schriftstellern“ im ausgehenden 18. Jahrhundert, die sich mit verschiedenen „Menschen-Naturen“ auseinander gesetzt haben, zählt Georg Forster (1754-94). Auch Forster war der Annahme, dass „ein polygenetischer Ursprung“ des Menschengeschlechts „nicht als ‚unwahrscheinlich oder unbegreiflich‘ dargestellt werden könne.“94 Sein Epoche machender Reisebericht A Voyage Round the World (1777) wurde von Meiners nicht nur gelesen und zitiert, sondern auch ausführlich rezensiert. Dabei erschien dem jungen Professor in Göttingen, dass Forster nicht konsequent genug die Wirkung des Klimas auf die körperliche Verfassung des Menschen als monokausale Erklärung für deren Varietäten in Zweifel zog. „Die Eingebohrnen von St. Jago sind äusserst häßlich, und fast eben so schwarz, als die Negern,“ so Meiners in seiner Rezension. „Hr. F[orster] wagt es aber nicht zu entscheiden,“ setzte er fort, „ob sie diese Negernfarbe und Form ihrem langen Aufenthalte im heissen Erdgürtel, oder der Vermischung mit den ursprünglichen Bewohnern von Afrika zu danken haben.“95 Diese Rezension über Georg Forsters A Voyage Round the World schrieb Meiners in Zusammenarbeit mit dem gerade an der Georgia Augusta begonnenem Professor für Medizin Johann Friedrich Gmelin (1748-1804). Während sich Gmelin auf den Reisebericht aus dem Blickwinkel der Naturgeschichte konzentrierte, las Meiners den gleichen Text als Professor der Weltweisheit. Kein Wunder, dass auch hier die Grenzen zwischen diesen zwei Wissensfeldern manchmal verschwammen: Als eine Veranstaltung der Weltweisheit kündigte Meiners im folgenden Jahrzehnt sein erstmaliges Kolleg zur Entstehung und allmählichen Verbreitung des menschlichen Geschlechts an, das sich mit den ursprünglichen Verschiedenheiten aller Völker unter Berücksichtigung ihrer körperlichen und geistigen Anlagen befasste. Zu diesem Zeitpunkt musste sich auch Meiners zwischen den zwei Erklärungsmustern entscheiden, die er in seiner Rezension bereits 1778 klar formuliert hatte. Dies tat er nicht nur in den zwei Ausgaben des Handbuchs, das dieser Lehrveranstaltung zugrunde lagen und als Geschichte der Menschheit betitelt wurden, sondern auch in der Form von Presseartikeln, die eine breite Leserschaft erreichten und inklusive von Georg Forster gelesen wurden. Dementsprechend ließ der Weltreisende im Jahr 1787 eine Rezension zu Meiners’ und Spittlers Göttingischem historischen Magazin ano-
93 Ebd., Bd. 3, S. 14-15. 94 van Hoorn, Tanja: Dem Leibe abgelesen, S. 168. 95 Vgl. Meiners, Christoph/Gmelin, Johann Friedrich: „[Rezension:] A Voyage round the World by Georg Forster,“ in: Zugabe zu den Göttinger gelehrten Anzeigen, 10. Stück, 7. März 1778, S. 148-159, hier S. 151.
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nym veröffentlichen, in der er sich fast ausschließlich auf die Texte von dem ersten Herausgeber konzentrierte. Der Kern von Forsters Kritik macht sich an Meiners’ mangelhafter judicio critico, d.h. an der Glaubwürdigkeit der Quellen und Zuverlässigkeit seiner Zitate fest. Nicht selten besagten sie dem Rezensenten zufolge im Original das genaue Gegenteil dessen, was Meiners behauptete.96 Ähnlich argumentierte auch Forster über den Göttinger bereits zwei Jahre zuvor in einem Brief an Johann Gottfried Herder (1744-1803) und fasste das wissenschaftliche Unternehmen von Christoph Meiners in wenige Worte wie folgt zusammen: „Es ist Göttingische Belesenheit, auf eine unhaltbare Hypothese angewendet.“97 In diesem Fall lässt sich solch eine „Göttingische Belesenheit“ sehr gut nachweisen. Für die zweite 1793 erschienene Auflage der Geschichte der Menschheit belegte Meiners seine Thesen mit der jüngsten Literatur und fügte den Anmerkungen und dem Schriftenverzeichnis fast zweihundert neue Titel hinzu.98 Nach seiner Auffassung bestand deshalb der größte Unterschied für den Leser der zweiten Auflage im Vergleich zur ersten in den Zusätzen, die neueren Reisebeschreibungen entstammten. Aber besonders mit Korrekturen, Ergänzungen, terminologischen Abänderungen und Ausblendungen machte Meiners deutlich, auf welche wissenschaftlichen Fundamente sich seine Forschung stützte, wohin sie ging und worauf sie abzielte. Sie sollten dem Göttinger helfen, eine weltgeschichtlich und lebenswissenschaftlich verankerte Forschungshypothese aufzustellen, der Meiners dann ab 1785 ein bestimmtes Gesicht gab. Ihm zufolge habe die göttliche Vorsehung den kaukasischen Völkern – seiner späteren Terminologie entsprechend: die „weißen und schönen“99 – „nicht nur grössere Vorzüge des Cörpers, sondern
96 Vgl. [Anonym]: „[Rezension:] Göttingisches historisches Magazin von C. Meiners und L. Spittler,“ in: Allgemeine Literatur-Zeitung, N. 136, 4. Mai 1789, Sp. 273-280, hier Sp. 275. 97 Zit. nach: Fiedler, Horst: „Einführung,“ in: Georgs Forster Werke, Bd. 11: Rezensionen, Berlin: Akademie Verlag 1977, S. 377-435, hier S. 416. Das gleiche Argument behielt Forster bei der ebenfalls anonym erschienenen Fortsetzung seiner Rezension: „So weit also kann die Vorliebe zu einer Hypothese verleiten!“ Vgl. [Anonym]: „[Fortsetzung der Rezension:] Göttingisches historisches Magazin von C. Meiners und L. Spittler,“ in: Allgemeine Literatur-Zeitung, N. 138, 6. Mai 1789, Sp. 289-293, hier Sp. 291. 98 Im Verzeichnis der bedeutendsten Schriften, die in der ersten Ausgabe von Meiners’ Grundriss der Geschichte der Menschheit angeführt wurden, listete der Verfasser über 400 Titel auf. Diese Literaturliste wurde in der 1793 veröffentlichten zweiten Ausgabe um genau 188 neue Bücher erweitert, davon sind 115 erst nach 1785 erschienen, also nach der Drucklegung der ersten Ausgabe. 99 Meiners: Grundriß der Geschichte der Menschheit, 1793, S. 111.
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auch des Geistes“ geschenkt. Nichtsdestotrotz bleibe auch „der günstige Einfluß des Klima[s] auch auf die Seelenkräfte von Völkern unläugbar.“100 Wenngleich diese letzte Formulierung sowohl in der ersten als auch in der zweiten Ausgabe der Geschichte der Menschheit erscheint, so wurden jedoch Erklärungen für Unterschiede zwischen den Völkern, die einen Einfluss des Klimas auf den menschlichen Körper postulieren, in der 1793er Auflage teilweise abgemildert, teilweise sind sie sogar ganz ausgeblendet worden. Ein aussagekräftiges Beispiel dafür liefert hier der Vergleich zwischen polygamistischen und monogamistischen Völkern, den der Spätaufklärer machte, um nach den Ursachen der sogenannten „Viel-Weiberey,“ die er bei einigen Völkern feststellte, zu suchen. Im Jahr 1785 waren für Meiners „[w]eder stärkerer Geschlechts-Trieb, noch Ueberzahl von Weibern […] die HauptUrsache der Polygamie; der vornehmste und wichtigste Grund derselben war von jeher die frühe und kurze Jugend und Fruchtbarkeit der Weiber unter den Völkern von Mongolischen Stamm, und unter solchen Slawischen Völkern, die entweder im heissen Erd-Gürtel wohnen, oder sich ihm doch nähern.“101
Schon in der 1793er Ausgabe heißt es: „Der vornehmsten und wichtigste Grund derselben war von jeher die frühe und kurze Jugend, und Fruchtbarkeit der Weiber unter den dunkelfarbigen Völkern und auch unter den Morgenländischen, so wie unter vielen Slawischen Völkern.“102
Was auf den ersten Blick nur als Ausblendung einer geographischen Verortung erscheint – nämlich der heißen Erdgürtel –, verdeutlicht bei näherem Hinsehen eine Verschiebung innerhalb der historischen Kausalerklärung. Die oben eingeführte Änderung stützt sich auf einen Artikel, den Meiners 1788 im Göttingischen historische[n] Magazin veröffentlichte, der wiederum von Forster rezensiert wurde. Obwohl Meiners die „Viel-Weiberey“ auch als eine Form der Manifestation von Macht bei etlichen Völkern deutet, wird sie vornehmlich als ein angeborenes Zeichen der menschlichen Natur bewertet. „Die Natur der Japanesen, Sinesen, und der übrigen Südlichen Asiaten und ihrer Weiber hat sich durch die Verpflanzung in mildere Klimate im geringsten nicht verändert,“103 so Meiners. Deshalb würde man sich sehr irren,
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Meiners: Grundriß der Geschichte der Menschheit, 1785, S. 64. Ebd., S. 210. Meiners: Grundriß der Geschichte der Menschheit, 1793, S. 266. Meiners: „Ueber die Ursachen der Viel-Weiberey,“ in: Göttingisches historisches Magazin, Bd. 2, 1788, S. 417-432, hier S. 421-422.
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„[…] wenn man glaubte, daß die frühe, und kurze Jugend des weiblichen Geschlechts einzig und allein die Wirkung des heissen Klima sey. Hitze des Klima befördert allerdings die schnelle Entwicklung aller thierischen Cörper, wie der Gewächse der Erde; allein das frühe Aufblühen, und das schnelle Verblühen der weiblichen Schönheit richtet sich vielmehr nach der ursprünglichen Schwäche, und Unwürdigkeit von Nationen, als nach den Graden der Hitze, in welcher sie leben.“104
Mit einem ähnlichen Problem sah sich Heinrich Moritz Gottlieb Grellmann (1756-1804) bereits am Anfang der 1780er Jahren, ebenfalls in Göttingen, konfrontiert. Als der Artikel von Meiners in Druck ging, kündigte Grellmann eine Vorlesung zur Weltgeschichte an der Georgia Augusta an, die noch für weitere dreizehn Semester im Lektionskatalog aufgeführt wurde. Aus seiner eigenen Feder ist trotzdem kein neues Handbuch zum Thema verfasst worden. Grellmann ließ auch keinen Hinweis darüber, nach welchem Kompendium seine Lehrveranstaltungen erfolgen sollten. Erst 1790 brachte er ein historisch-statistisches Handbuch von Deutschland auf den Markt, welches zu seiner Berufung vier Jahre später als ordentlicher Professor für Philosophie und Statistik in der Göttinger Hochschule beitrug. In der Historiographiegeschichte ist Grellmann vornehmlich durch seinen 1783 erschienen historischen Versuch über die Zigeuner bekannt, der „mit allgemeine[m] Beifall“105 aufgenommen wurde und sich den Interessen von Meiners annähert. Dafür bereitete Grellmann sogar eine Art von Buchvorstellung für die Stats-Anzeigen, die besonders betont, wie die Abstammung eines Volkes durch „Vergleichung der Sitten und LebensArt, des Characters und ganzen Wesens“ mit anderen erkennbar werde.106 Obwohl dieses Buch hier wohl als Spezialgeschichte eines einzigen Volkes zu verstehen ist, und nicht als Universalgeschichte, hat es mit Christoph Meiners’ Überlegungen zur Geschichte der Menschheit zwei Gemeinsamkeiten. Zum einen liegt dem Buch auch ein ethnographischer Blick zugrunde und zum anderen sucht es ebenfalls Kausalerklärungen für die Unterschiede zwischen den Menschen. Die Zigeuner – so Grellmann – wären überall auf der Erde zerstreut gewesen, zwischen gebildeten und ungebildeten Menschen hin und her gewandelt, genauso wie auch schon ihre Väter. „Afrika macht sie nicht schwärzer, Europa nicht weißer; in Spanien lernen sie nicht faul, in Teutschland nicht fleißig seyn; unter Türken nicht Mohammed, unter Christen nicht
104 Ebd., S. 419. 105 So dem Bericht August Ludwig Schlözers zufolge. Vgl. Schlözer, August Ludwig: „Über die Geschichtsverfassung [1784],“ in: Horst Walter Blanke/ Dirk Fleischer (Hg.), Theoretiker der deutschen Aufklärungshistorie, Bd. 2: Elemente der Aufklärungshistorie, Stuttgart/Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1990, S. 590-599, hier S. 596. Seit seiner Studentenzeit in Göttingen pflegte Grellmann näheren Kontakt mit Schlözer. 106 Vgl. [Grellmann, Heinrich Moritz Gottlieb]: „Ursprung der Zigeuner,“ in: Stats-Anzeigen, Bd. 4, 1783, S. 444-450, hier S. 448.
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Christum verehren.“107 Für diese Frage, die auf Argumenten physischer und ethnographischer Ansätze der spätaufklärerischen Anthropologie beruht, blieb eine Antwortmöglichkeit offen, die Meiners wenige Jahre später erforschte: Den Völkern werden angeborene108 Merkmale zugeschrieben und in ein bestimmtes Verhältnis zur Erklärung historischer Prozesse gesetzt. Dafür wurde in der Meiners’schen Fassung zuerst das Klima durch das Blut109 als Kausalfaktor von Unterscheidungsmerkmalen innerhalb des Men-
107 Grellmann, Heinrich Moritz Gottlieb: Historischer Versuch über die Zigeuner betreffend die Lebensart und Verfassung Sitten und Schicksale dieses Volks seit seiner Erscheinung in Europa von dessen Ursprung, 2. Auflage, Göttingen: Johann Christian Dieterich 1787, S. 2. 108 In Grellmanns Historischer Versuch über die Zigeuner ist bereits in der Forschung die Einführung rassistischer Deutungsmuster identifiziert worden. Nach Claudia Breger werden die Zigeuner, „[…] wie sich bei Grellmann andeutet, zum doppelt ‚Fremden‘ qua Geburt: Nicht nur ist der ‚Zigeuner‘ ‚rassisch‘ von ‚uns‘ unterschieden, sondern auch innerhalb seiner ‚Rasse‘ […] gehört ‚er‘ zu den Schlechteren.“ Vgl. Breger, Claudia: „Heinrich Moritz Gottlieb Grellmann – Überlegungen zu Entstehung und Funktion rassistischer Deutungsmuster im Diskurs der Aufklärung,“ in: Barbara Danckwortt/Thorsten Querg/Claudia Schöningh (Hg.), Historische Rassismusforschung. Ideologen – Täter – Opfer, Hamburg/Berlin: Argument 1995, S. 34-69, hier S. 64. Breger verortet weiterhin die Arbeit Grellmanns in der spätaufklärerischen anthropologischen Forschung an der Universität Göttingen, zu deren Szene Johann Friedrich Blumenbach und Christoph Meiners gehörten. Vgl. Breger, Claudia: „Grellmann – der ‚Zigeunerforscher‘ der Aufklärung,“ in: Udo Engbring-Romang/Daniel Strauß (Hg.), Aufklärung und Antiziganismus, Seeheim: I-Verb.de 2003, S. 50-65, hier S. 54. 109 Im Kontext der Religionsgeschichte erwähnt Herbert Wenzel, dass das Blut bei Christoph Meiners ein „ganz besonderer Saft,“ allerdings von unklarer Bedeutung sei. Damit ist aber das Blut der Sühnopfer gemeint. Vgl. Wenzel, Herbert: Christoph Meiners als Religionshistoriker, S. 74-75. Im 18. Jahrhundert werden Blut und Nahrung eng mit einander assoziiert: „Es ist aber das Blut ein rother Lebens-Safft, so aus dem Nahrungs-Safft entstehet, in denen Adern eines lebenden Cörpers umläufft, und sich in alle fleischige Theile ergeußt.“ Vgl. Art. „Blut,“ in: Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal Lexikon aller Wissenschaften und Künste, Halle/Leipzig: Zedler 1732/50, Bd. 4, Sp. 207-214, hier Sp. 207. Auch Johann Samuel Traugott Gehlers 1787 erschienen Physikalischem Wörterbuch zufolge sei das Blut die Quelle aller Säfte der tierischen Ökonomie, die „aus den vom Magensaft aufgelöseten und verarbeiteten Nahrungsmitteln“ entsteht. Vgl. Art. „Blut,“ in: Gehler, Johann Samuel Traugott: Johann Samuel Traugott Gehlers Physikalisches Wörterbuch oder Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre, Bd. 1, Leipzig: Im Schwickertschen Verlage 1787, S. 402-405, hier S. 405.
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schengeschlechtes ersetzt. Dies zeigt sich mit aller Deutlichkeit durch den Vergleich zwischen den ersten und zweiten Ausgaben der Geschichte der Menschheit. 1785 heißt es: „Viel wandelbarer, als mehrere der angeführten Merkmale ist die Farbe, wodurch die Völker der Erde sich von einander unterscheiden. Die Haupt-Ursache derselben ist das Klima, und wenn dieses einmal seine Wirkung vollendet hat, die Abstammung, viel weniger Nahrungs-Mittel. […] Die weisse und braune Farbe sind die beyden ursprünglichen Haupt-Farben des Menschen-Geschlechts. Jene ist dem Kaukasischen, diese dem Mongolischen Stamm eigen.“110
Acht Jahre später ist es zu lesen: „Viel wandelbarer, als mehrere der angeführten Merkmale ist die Farbe, wodurch die Völker der Erde sich von einander unterscheiden. Die Hauptursache derselben ist das Blut der Eltern, und nach dem Blut das Klima: viel weniger Nahrungs-Mittel. […] Die weiße und gelbe, oder gelbbraune Farbe sind die beyden ursprünglichen Hauptfarben des Menschengeschlechts. Jene ist den schönen, diese den häßlichen Völker[n] eigen.“111
Solch eine Kausalerklärung entsprach der Logik in Meiners’ Schriften zur Geschichte der Menschheit, die allein den ganzen Menschen begreifen könne. Sie lautet: „Wenn der schöne, starke, geistvolle, tapfere und edelmüthige Europäer in andere Erd-Theile versetzt wird, so artet er aus, und verliert einen Theil der ihm angestammten Kraft, Thätigkeit, Tapferkeit, Menschlichheit, und Geistes-Stärke. Vermischt er sich aber mit Menschen von anderer Abkunft, anderer Farbe, anderer Bildung, und Anlagen des Geistes und Herzens; so erhebt er das Blut der Mutter, und theilt dem Kinde zur Hälfte nicht nur seine Farbe, seine Bildung, und übrigen cörperlichen Vollkommenheiten, sondern auch die höhern Gaben des Geistes und Herzens mit.“112
110 Meiners: Grundriß der Geschichte der Menschheit, 1785, S. 45. 111 Meiners: Grundriß der Geschichte der Menschheit, 1793 S. 91-92. 112 Meiners: Ueber die Natur der Afrikanischen Neger, S. 12. Im gleichen Jahr ließ Meiners in einen Anderen Presseartikel kein Zweifel darüber, dass auch für andere Völker die gleiche Logik funktioniere. Am Beispiel der amerikanischen Bevölkerung stellte er des Weiteren fest: „Je mehr sich vermischte Raçen, oder Menschen von gemischtem Blute dem Europäischen Stamm wieder nähern, und je mehr sie also Europäisches Blut enthalten; desto heller wird ihre Farbe, desto schöner ihre Bildung, desto grösser ihre Fähigkeiten, desto besser ihre Gemüthsart, und desto mehr nehmen auch ihre bürgerlichen Rechte, und Achtung zu. In eben dem Verhältnisse hingegen, in welchem Menschen von gemischter Raçe das edlere Europäische Blut durch das unedlere Americanische verderben, in eben diesem Verhältnisse verlieren sie an Schönheit der Farbe
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Nach dieser Ausführung wird den Leserinnen und Lesern ein verändertes Bild von der Präformationslehre vor Augen geführt, welches die drei Anlagen des ganzen Menschen betrifft, nämlich die sichtbare Natur des menschlichen Körpers und die unsichtbaren Anlagen des Geistes und des Herzens. Dabei, so die Annahme, lassen sich die Anlagen des Menschen mit den Anlagen von Menschen anderer Abkünfte während der Fortpflanzung nach mathematischen Proportionsregeln mischen. Präformiert wären dann die jeweiligen unterschiedlichen und entgegengesetzten Stammeinheiten, deren essentia bzw. deren ursprüngliche und angeborene Attribute sich bei der Fortpflanzung verbessern oder verschlechtern können. Um die Worte von Georg Forster wieder in Erinnerung zurückzurufen: Meiners ginge von einer unhaltbaren Hypothese aus, die die Vormacht einer bestimmten Varietät, nämlich der Keltischen, behauptet. Diese Hypothese wird hier anhand von zwei Beispielen veranschaulicht, die zu den damals aktuellen Debatten der Politik gehörten und durch die Meiners eine historische Erklärung für den Zustand der Menschheit lieferte. 1793 berichtete der Göttinger Professor für Weltweisheit, dass sich sowohl das englische Parlament als auch die französische Nationalversammlung weder für die Abschaffung des Sklavenhandels noch für ein Ende der Sklaverei auf den Zuckerinseln ausgesprochen hatten. Nachdem er bereits eine Betrachtung des Sklavenhandels verfasst hatte, musste er in einer Fußnote noch einmal nachträglich ergänzen, dass das englische Parlament in der Zwischenzeit nun doch verabschiedet hatte, „[…] daß der Negerhandel allmählich aufgehoben werden soll.“113 Dies hinderte der Göttinger jedoch nicht daran, weder diese Schrift zu veröffentlichen noch sich über das Thema in weiteren Artikeln zu äußern.
und Bildung, an Fähigkeiten, und Tugenden, an Achtung und Vorrechten.“ Vgl. Meiners, Christoph: „Zweyte Abhandlung über die Natur der Amerikaner, besonders über ihre Gemüthsart,“ in: Göttingisches historisches Magazin, Bd. 7, 1790, S. 209-230, hier S. 226. 113 Meiners, Christoph: „Fortgesetze Betrachtung über den Sclavenhandel, und die Freylassung der Neger,“ in: Neues Göttingisches historisches Magazin, Bd. 2, 1793, S. 1-58, hier S. 1. Die Abschaffung bzw. Unterdrückung des Sklavenhandelns, über dessen Impulse Meiners hier bereits 1793 berichtete, wurde hauptsächlich erst nach dem 1815 Wiener Kongress von vielen mächtigen Ländern vertreten. Der Fall Frankreichs ist einleuchtend: Trotz der 1794 angekündigten Abschaffung der Sklaverei ist sie 1802 von Napoleon wieder ins Leben gerufen worden. Vgl. Hoffmann, Stefan-Ludwig: „Zur Genealogie der Menschenrechte,“ in: Stefan-Ludwig Hoffmann (Hg.), Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert, Göttingen: Wallstein 2010, S. 7-37, hier S. 13. Auch dazu: Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München: Beck 2009, S. 1195.
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Ausgehend von Dominique Harcourt Lamirals 1789 in Frankreich erschienenem Text L’Afrique et le peuple africain114 meinte Meiners – wieder in einem Presseartikel, ebenfalls auf das Jahr 1793 datiert – sich auf Argumente stützen zu können, die unabhängig von den Interessen der westindischen Pflanzer und Kaufleute aufgestellt wurden. Auf diese Weise wollten Lamiral und somit auch Meiners von einer scheinbar interesselosen Perspektive aus die Ansicht verteidigen, dass die Aufhebung des Sklavenhandels und der Knechtschaft der „Neger“ ein Fehler sei. Meiners argumentiert in Anlehnung an Lamirals Erfahrungsbericht, dass sich die „Neger“ sehr leicht an die Sklaverei gewöhnen.115 „Die geringe Empfindlichkeit der Neger, ihre Dummheit und Genügsamkeit sind der Grund ihrer so oft bemerkten Anlage zur Knechtschaft,“ weshalb man man mit Recht sagen könne, dass „die Ursachen ihrer Knechtschaft, oder ihres knechtischen Sinns bloß physisch seyen.“ Alles liege „in der natürlichen Organisation der Neger.“116 Diese Argumentationslinie hatte Meiners bereits in seiner Schrift Ueber die Natur der Afrikanischen Neger im Jahr 1790 verwendet, in der die ver-
114 Gemeint ist: Lamiral, Dominique Harcourt: L’Afrique et le peuple africain considérés Sous tous leurs rapports avec notre Commerce & nos Colonies, Paris: Chez Dessenne 1789. Lamiral beabsichtigte mit diesem Text die in Frankreich verbreiteten Gleichheitsideen zu bekämpfen, die besonders von Mitgliedern der Société des Amis des Noirs vertreten wurden. Meiners rezensierte im gleichen Artikel eine zweite frisch veröffentlichte Schrift zum Sklavenhandel. Es handelt sich um William Beckfords (1744-99) A descriptive Account of the Island of Jamaica, die in zwei Oktaven-Bände im Jahr 1790 in London erschienen ist. Beckford, der selber ein Pflanzer auf Jamaika gewesen war, stellt sich gegen die Abschaffung der Knechtschaft und des Sklavenhandels. Meiners stütz sich ebenfalls auf diesen Bericht von Beckford, um weiter bestätigen zu können, dass die Negersklaven auf den Westindischen Inseln viel glücklicher seien, als sie zuvor in Afrika waren. Von Meiners sind weiterhin zwei Schriften zum Thema rezensiert worden und zwar die 1791 in Paris erschienen Nouveau Voyage dans les Etats-Unis de l’Amerique Septentrionale, aus der Feder von Jacques Pierre Brissot de Warville (1754-93), und das im Jahr 1788 erschienenen Buch An account of the Slave Trade on the Coast of Africa, von Alexander Falconbridge (17??-92). 115 Meiners: „Fortgesetze Betrachtung über den Sclavenhandel,“ S. 5. 116 Ebd., S. 26. Auf die politischen Konsequenzen der spätauflärerischen Konzeptionalisierung von Ursprungstheorien des Menschengeschlechts weist Aaron Garrett wie folgt hin: „The comparison shows that perhaps the rubrics ‚polygenist‘ and ‚monogenist‘, though useful, are less important than how thinkers conceptualized race within broader political, natural historical, and social theories and the contradictions arising in relation to these different ways of presenting it.“ Vgl. Garrett, Aaron: „Human Nature,“ in: Knud Haakonssen (Hg.), The Cambridge History of Eighteenth-Century Philosophy, Vol. 1, Cambridge: Cambridge University Press 2006, S. 160-233, hier S. 201.
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mutete geringere Empfindlichkeit, die „Häßlichkeit“ sowie die Hautfarbe der afrikanischen Völker „für etwas angebornes erklär[t]“117 wurde. Aus diesem Grund seien sie gefühlloser und weniger verständig als die Europäer, von Natur aus beschränkt, haben eine „natürliche Dummheit,“118 seien nicht für Kunst oder Wissenschaften, sondern eher für Handarbeiten geeignet und somit seien die „Neger“ „wegen ihrer Dummheit zur Knechtschaft geboren.“119 In den vermeintlich hässlichen und gefesselten Körpern wird somit angeborene Dummheit gesehen: Körper, die an der Georgia Augusta von Johann Friedrich Blumenbach seziert und deren Schädel nach morphologischen Attributen klassifiziert wurden. Nichtsdestotrotz sparte der Göttinger Professor an der medizinischen Fakultät nicht an Tinte, um die These von Christoph Meiners zu kritisieren. Die Richtung seiner Kritik war eindeutig. Nach Blumenbach ließen sich die Ergebnisse seiner Untersuchungen zur physischen Anthropologie nicht so leicht von der bloßen Form eines Teiles des Körpers „auf die Anlagen des Herzens“ schließen, wie Meiners beabsichtigte.120 Das zweite Beispiel zeigt die andere Seite derselben Medaille. Trotz der adelsfeindlichen Verfassungen der Französischen Revolution und der 1790 im französischen Raum verabschiedeten Abschaffung des erblichen Adels121 lieferte Meiners 1792 eine Definition für deutsche Adelige, die deren historische Wurzeln wie folgt begründet: „Adel bedeutete unter den ältesten
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Meiners: Ueber die Natur der Afrikanischen Neger, S. 29. Ebd., S. 46. Ebd., S. 49. Blumenbach, Johann Friedrich: „***,“ in: Johann Friedrich Blumenbach, Beyträge zur Naturgeschichte, Bd. 1, Göttingen: Johann Christian Dietrich 1790, S. 62-78, hier S. 73. Schon 1790 kritisierte Meiners die Forschungsstrategie Blumenbachs, gerade weil der Göttinger Naturhistoriker sich in seinen vergleichenden anatomischen Untersuchungen fast ausschließlich auf einen Teil des menschlichen Körpers konzentrierten, nämlich auf den Schädel, und zwar manchmal, ohne die Herkunft seiner Untersuchungsobjekte zu kennen. Die Pointe in der Kritik von Meiners ist, dass er die Einteilung der Menschen nach einzelnen körperlichen Merkmalen, die „alle unterscheidende[n] Merkmale des äussern und innern Menschen“ nicht mitberücksichtigt haben, für unzureichend hält und ihnen demzufolge nur eine geringe Bedeutung zuspricht. Vgl. Meiners: Ueber die Natur der Afrikanischen Neger, S. 25, Anm. „e.“ Blumenbach reagiert auf Meiners’ Kritik, indem er argumentierte, dass nicht nur die Schädel Gegenstand seiner Untersuchungen sei, sondern „alles was zum Studium dieses Theils der Thiergeschichte“ gehöre, dazwischen Embryonen und „allerhand weiche Theile des Körpers,“ die sich durch den sorgfältigen Vergleich mit Berichten von glaubwürdigen weltbereisten Augenzeugen ergänzt waren. Vgl. Blumenbach: „***,“ S. 74-75. 121 Vgl. Bleeck, Klaus: „Adel,“ in: Werner Schneiders (Hg.), Lexikon der Aufklärung. Deutschland und Europa, München: Beck 2001, S. 27-28, hier S. 28.
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Teutschen Völkern ausserordentliche Schönheit, Stärke, Tapferkeit, und Erfahrenheit in den Waffen, und im Kriege.“122 Darüber hinaus schrieb Meiners dem Begriff des Adels eine sichtbare Regel der Natur zu. Durch das Blut „grosse[r], starke[r], schöne[r], geistvolle[r] und tugendhafte[r] Eltern“ – und im Besonderen durch das Blut der Väter, ergänzte der Göttinger – werden „auch grosse, starke, schöne, geistvolle und gutgeartete Kinder“ erzeugt.123 Meiners’ historische Ausführung, die von der Verquickung der drei Anlagen des ganzen Menschen ausgeht, fällt in die stürmische politische Situation des späten 18. Jahrhunderts. Unter der Parole Liberté, Egalité et Fraternité wurde zu dieser Zeit die allgemeine Gleichheit der Menschen zu einem brisanten Thema gemacht. Während August Ludwig Schlözer in Göttingen 1791 die Déclaration des droits de l’Homme et du citoyen de 1789 in Originalsprache veröffentlichte,124 sich später jedoch gegen den Französischen Terror stellte, wendete sich Meiners radikal gegen die Prinzipien der
122 Meiners, Christoph: Geschichte der Ungleichheit der Stände unter den vornehmsten Europäischen Völkern, Bd. 2, Hannover: Im Verlage der Helwingischen Buchhandlung 1792, S. 603. 123 Meiners: Geschichte der Ungleichheit der Stände, Bd. 1, S. 28-29. Die gleiche Lösung für die historische Erklärung von Unterschieden innerhalb des Menschengeschlechts taucht 1800 im dritten Band Meiners’ Geschichte des weiblichen Geschlechts auf, welche im Zusammenhang seiner Schriften mit weltgeschichtlichem Inhalt gelesen werden muss. Über die großen Unterschiede zwischen den Spanierinnen und den Französinnen – was Kleidung, Putz, Nahrung, Wohnung, das häusliche und öffentliche Leben, Körperbau und Körperhaltung betrifft – stellte Meiners das Folgende fest: „[Die] zahlreichen und wichtigen Abweichungen benachbarter Völker entstanden weder aus der Verschiedenheit des Klima und Bodens, noch der Verfassung, Cultur, und Religion. Der Grund davon lag vorzüglich in der Verschiedenheit des Bluts, aus welchem die neuern Spanier, und dann die Franzosen, und die übrigen gebildeten Völker unsers Erdtheils entsprossen sind.“ Vgl. Meiners, Christoph: Geschichte des weiblichen Geschlechts, Bd. 3, Hannover: Im Verlage der Helwingschen Hofbuchhandlung 1800, S. 2. Zur Christoph Meiners’ Geschichte des weiblichen Geschlechts im Zusammenhang mit dem Forschungsprogramm seiner Geschichte der Menschheit siehe besonders: Zeidler-Johnson, Elisabeth: „Die Aufteilung der Menschheitsgeschichte. Christoph Meiners und die Geschichte des anderen Geschlechts als Gegenstand der Geschichtsschreibung in der Spätaufklärung,“ in: Ursula A. J. Becher/Jörn Rüsen (Hg.), Weiblichkeit in geschichtlicher Perspektive. Fallstudien und Reflexionen zu Grundproblemen der historischen Frauenforschung, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1988, S. 189-216; Lotter, Friedrich: „Christoph Meiners und die Lehre von der unterschiedlichen Wertigkeit der Menschenrassen.“ 124 Vgl. Art., „Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen,“ in: StatsAnzeigen, Bd. 16, 1791, S. 85-89.
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Französischen Revolution. Es fehle nicht mehr viel daran, so Meiners bereits im Jahr 1790, dass man beispielsweise „die Neger“ zu den „schönsten, geistreichsten, und edelmüthigsten Völker[n] unsers Erd-Theils“125 erheben und mit diesen gleichsetzen würde. Die Unhaltbarkeit seiner These forderte allmählich ihren Tribut: Die Zahl der Teilnehmer seiner Kurse nahm in den Jahren unmittelbar nach der Französischen Revolution insbesondere aufgrund seiner politischen Einstellung gegenüber den aufklärerischen Gleichheits- bzw. Freiheitsprinzipien ab,126 wie der Dozent selber berichtet und seinen Publikumsverlust begründet. „Ich las sechs bis acht Jahre mit großem Beyfall über die Geschichte der Menschheit. Auch das Lehrbuch, worüber ich las, ward von dem Publico günstig aufgenommen. Man fing auf mehreren, sowohl katholischen, als protestantischen Universitäten an, mein Lehrbuch bei Vorlesungen über die Geschichte der Menschheit zum Grunde zu legen. Diese ersten glücklichen Erfolge wurden durch den Ausbruch der französischen Revolution gehemmt. Die Urheber der Revolution verkündigten als Grundsätze der Freyheit: daß alle Menschen einander von Natur gleich, und alle Völker Brüder seyen: daß die Unterschiede der Bewohner verschiedener Erdtheile und Länder bloß von der Verschiedenheit der Verfassung und anderer moralischen Ursachen herrührten: daß man Ungleichheit der Stände und Rechte, am allermeisten aber eine jede Art von Knechtschaft, als mit der natürlichen Gleichheit und Freyheit der Menschen streitend, selbst mit Gewalt zu vertilgen suchen müsse, u.s.w.“127
In der Zeit der Revolution spitzte Meiners seine Feder, um Edmund Burke (1729-97) als einen „ächte[n] Kenner und Verehrer von Menschenwürde“128 zu beschreiben. Dies hatte einen konkreten Grund: Der Göttinger konnte bei Burkes Reflection on the Revolution in France (1790)129 einige Anknüpfungspunkte mit seinen eigenen Ideen zur Geschichte der Ungleichheit der Stände unter den vornehmsten Europäischen Völkern finden, wie sich durch eine berühmt gewordenen Passage bei Burke belegen lässt. „Believe me, Sir, those who attempt to level, never equalize. In all societies, consisting of various descriptions of citizens, some description must be uppermost. The lev-
125 Meiners: Ueber die Natur der Afrikanischen Neger, S. 7. 126 Dazu siehe beispielsweise: Lotter: „Christoph Meiners und die Lehre von der unterschiedlichen Wertigkeit der Menschenrassen,“ besonders S. 66. 127 Meiners: Untersuchungen über die Verschiedenheiten der Menschennaturen, Bd. 1, „Vorrede,“ S. XVIII. 128 Meiners: Geschichte der Ungleichheit der Stände, Bd. 2, S. 608. 129 Im Kontext der Geschichte des Gleichheitsideals unter den Menschen und im Hinblick auf die Erfindung der Menschenrechte ist Burkes Reflection on the Revolution in France in jüngster Zeit als „the founding text of conservatism“ charakterisiert worden. Vgl. Hunt, Lynn: Inventing Human Rights, New York u.a.: Norton 2007, S. 17.
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elers, therefore, only change and pervert the natural order of things; they load the edifice of society by setting up in the air what the solidity of the structure requires to be on the ground.“130
Durch die Anspielung auf die Levellers der Englischen Revolution – eine politische Gruppierung, deren verteidigte Gleichheitsprinzipien131 sich beispielsweise im Text Agreement of the People (1647-49) niederschlugen – wollte Burke zeigen, dass der Natur eine Ordnung zugrunde lag. Die Suche nach gewissen Ordnungsmustern der Natur breitete sich hier auf epistemologischer Ebene aus, sodass Merkmale der Kultur kategorial auch bei Burke als ordnungsstiftende Natureigenschaften angesehen werden konnten.132 Die angeblichen Gründe für eine natürliche Ordnung der Gesellschaft bzw. von Ständen passten mit Meiners’ Interessen an jeglichen Versuchen, Unterschiede aus weltgeschichtlicher Perspektive zu erklären, hervorragend zusammen. Als Adam Smith (1723-90) 1776 seine Ideen zu The Wealth of Nations an die Öffentlichkeit brachte, sorgten sie in Göttingen sofort für Aufmerksamkeit. Im Lande Hannovers gilt Johann Georg Heinrich Feder als Pionier der Verbreitung von Adam Smiths Schriften.133 Die Universitätsbibliothek
130 Burke, Edmund: Reflections on the Revolution in France, New York: Macmillan 1986, S. 55-56. 131 Jonathan Israels These einer aus dem 17. Jahrhundert stammenden radikalen Aufklärung hebt die Gleichheitsprinzipien, die von den Levellers vertreten wurden, hervor. Nach Israel, „[…] this idea [of equality] had intermittently begun to be employed in politics over the century from the time of the English Levellers, in the 1640s, down to the Dutch ‚revolution‘ of 1747-8 […].“ Vgl. Israel, Jonathan I.: Enlightenment Contested. Philosophy, Modernity, and the Emancipation of Man 1670-1752, Oxford: Oxford University Press 2006, S. 550. Schon Henry Noel Brailsford charakterisiert die Levellers durch einen interessanten Gegenwartsbezug zu seinen politischen Einstellungen: „[…] the Levellers were practical thinkers who felt no interest in prehistoric man and the origin of society; it was the present that concerned them.“ Vgl. Brailsford, Henry Noel: The Levellers and the English Revolution, Edited by Christoph Hill, California: Stanford University Press 1961, S. 118. 132 Dazu siehe besonders: Ferguson, Frances: „Burke and the Response to the Enlightenment,“ in: Martin Fitzpatrick/Peter Jones/Christa Knellwolf/Ian McCalmann (Hg.), The Enlightenment World, London/New York: Routledge 2007, S. 610-620, hier S. 611: „Particularly in Reflections on the Revolution on France, he [Burke] described culture in a fashion that would become extremely important for conservative thinkers in the future. […] In his view, culture was as forcible as nature.“ 133 Von Feder wurde das Werk Adam Smiths schon im Jahr 1777 für die Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen rezensiert. Vgl.: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 30. Stück, 10. März 1777, S. 234-240. Auch dazu: Cra-
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erwarb sofort die erste Ausgabe von Smiths The Wealth of Nations, zu deren häufigsten Entleihern Christoph Meiners zählte.134 In diesem Werk wird die Wirtschaft zum Antrieb des geschichtlichen bzw. kulturellen Wandels erklärt. Einer expliziten und aussagekräftigen Referenz zu Adam Smiths These entzog sich Meiners nicht. Dies machte er im Kontext seines Versuchs, eine historische Erklärung für die Ursachen adeliger Vorrechte bzw. Eigenschaften zu liefern. „Unläugbar waren natürliche Ungleichheiten die ersten und wahren Ursachen der bürgerlichen,“ so Meiners im Jahr 1792. „Ungewöhnliche Schönheit, Stärke, Muth, Geist, und andere Tugenden erhoben Menschen zuerst über andere Menschen, und verschafften ihnen Ansehen, Würden, und grössere Vortheile; und die Erfahrung, oder Meynung, daß ungewöhnliche cörperliche, geistige, und sittliche Vollkommenheiten von den Vätern auf die Söhne fortgepflanzt würden, brachte den Begriff von Adel, und die Eintheilung des Adels in höheren und niederen hervor. Ich kann daher dem vortrefflichen, und sonst fast untrüglichen Smith nicht beystimmen, wenn er sagt, daß höhere Geburt stets überwiegenden Reichthum in den Familien derjenigen Personen voraussetze, welche Ansprüche darauf machen. Reichthum war nicht die Ursache, sondern eine Folge und Belohnung des natürlichen, und erblichen Adels […].“135
Indessen wird hier die Logik des Arguments von Adam Smith umgedreht. Nicht durch Reichtum, sondern durch die natürlichen und daher erblichen Anlagen sei der Adel charakterisiert. Gesellschaftlich festgelegte Elemente – wie hier der Reichtum – seien demzufolge keine Ursache der Unterscheidungsmerkmale zwischen den Menschen, sondern eine Folge ihrer natürlichen Anlagen. Vor diesem Hintergrund unterschied Meiners die Adeligen nach zwei Kategorien, nämlich nach echtem Adel sowie nach denen, die durch Geld oder aber auch durch „die Gunst von Königen und Fürsten“136 in die Klasse des Adels Zugang gefunden hatten. So ein beliebiger „Verkauf“ von Adelstiteln, wie es zu dieser Zeit besonders in Portugal und Spanien nicht selten der Fall war, würde die „natural order of things“ auf den Kopf stellen und somit die wahre Naturordnung aufgrund rein ökonomischen Zwanges trüben. Es sei deshalb „durchaus falsch,“
mer, Konrad: „Johann Georg Heinrich Feder,“ in: Karl Arndt/Gerhard Gottschalk/Rudolf Smend (Hg.), Göttinger Gelehrte. Die Akademie der Wissenschaft zu Göttingen in Bildnissen und Würdigungen. 1751-2001, Bd. 1, Göttingen: Wallstein Verlag 2001, S. 104: „Als erster hat er [Feder] in Deutschland auf Adam Smith aufmerksam gemacht.“ 134 Vgl. Krahnke, Holger: Reformtheorien zwischen Revolution und Restauration. Die ‚gesammte Politik‘ an der Universität Göttingen im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 1999, S. 213. 135 Meiners: Geschichte der Ungleichheit der Stände, Bd. 1, S. 52-54. 136 Ebd., Bd. 2, S. 586.
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„[…] daß der Adel, und die Vorrechte des Adels, bloß aus ungesetzlicher Gewalt entstanden seyen. Ungewöhnliche Vorzüge des Cörpers, des Geistes und Herzens erhoben gewisse Geschlechter der Menschen, wie gewisse Raçen von Thieren zu edlen Geschlechtern. Die auf Erfahrung gegründete Meynung: daß gewisse Geschlechter der Menschen höhere Vorzüge besässen, und daß diese Vorzüge sich fortpflanzten: erhielt sich von den ältesten Zeiten an bis in das gegenwärtige Adelstürmende Jahrhundert herein.“137
Indem hier die Ungleichheit der Stände hervorgehoben wird, die sich durch vererbbare Vorzüge des Körpers, des Geistes und des Herzens begründen ließen, entfernte sich Meiners entscheidend von jeglichem aufklärerischen Diskurs über eine universelle menschliche Natur. Die Menschheit würde deshalb durch eine Vielfalt an äußeren und inneren Merkmalen des Menschen charakterisiert, die zum Großteil vererbbar seien und dem Organisationsprinzip seiner Geschichtsschreibung zugrunde liegen. Sie wird mittels des physisch und ethnographisch trainierten Blickes der spätaufklärerischen Anthropologie auf die natürlichen Anlagen des menschlichen Körpers, Geistes und Herzens, also auf den ganzen Menschen, strukturiert. Hier befindet sich den Kern von Christoph Meiners’ Erklärung welthistorischer Sachverhalte: Aus den natürlichen Anlagen des ganzen Menschen heraus könne man Verschiedenheiten zwischen den Menschen in historischer Perspektive erklären, wenn auch äußere Faktoren auf die Geschichte der Menschheit mit einwirken. Vor diesem Hintergrund beabsichtigte Meiners mit seinen posthum erschienenen Schriften ein im späten 18. Jahrhundert wichtig gewordenes Ordnungskriterium der Weltgeschichtsschreibung in Frage zu stellen, das die Arbeiten seiner Kollegen an der Georgia Augusta nach und nach prägte. Dieses Kriterium war die Sprache, worüber sich Meiners wie folgt äußert: „Die Natur verband nicht immer mit einer großen Aehnlichkeit aller übrigen Anlagen der Menschen eine entsprechende Gleichförmigkeit der Sprachorgane, und daher geschah es, daß ähnliche Völker bald eben so ähnliche, bald aber auch gänzlich verschiedene Sprachen reden.“138
Nach dieser Feststellung seien auffallende Ähnlichkeiten von Sprachen nicht zwangsweise ein Beweis der Verwandtschaft bzw. der gleichen Abstammung der Völker, „welche sie reden.“139 Vielmehr könne „[d]ie Aehnlichkeit von Sprachen […] ganz allein aus der Aehnlichkeit der Anlagen und Organe verschiedener Völker entstehen.“140 Dies sei der Grund dafür, wa-
137 Ebd., Bd. 2, S. 584-585. 138 Meiners: Untersuchungen über die Verschiedenheiten der Menschennaturen, Bd. 3, S. 256. 139 Ebd., S. 260. 140 Ebd., S. 259.
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rum Sprache per se weder als ein Kriterium der gemeinschaftlichen Ursprungsbestimmung von Völkern noch als Ordnungsprinzip der Weltgeschichtsschreibung wahrgenommen werden dürfe. Der ganze Mensch bestimmt die Stimme seines Geistes. Aber als Meiners die natürlichen Anlagen des Menschen allmählich zu einem zentralen Erklärungsprinzip seiner humanis generis historiam machte, blickten seine Kollegen aus Göttingen auf den Mensch und auf dessen Geschichte aus anderer Perspektive. Gatterer hat z.B. darauf verzichtet, zufällige Unterscheidungsmerkmale der Menschen – hier die Hautfarbe – als ein organisatorisches Prinzip seiner geographischen und historischen Schriften einzuführen. Das gleiche Merkmal wird dennoch bei Meiners als eine causa essentialis von Unterschieden innerhalb des Menschengeschlechts bewertet. Anders formuliert: Bei ihm ist Ungleichheit zwischen den Völkern aus historischer Sicht begründbar, denn ihre Ursache (causa) liegt am Wesen (essentia) der unterschiedlichen natürlichen Anlagen des Menschen selbst. Um die Vielfalt an Wegen der Weltgeschichtsschreibung und deren Sinndeutung im spätaufklärerischen Göttingen auch hinsichtlich der historischen Kausalerklärung hervorzuheben, gilt bei Schlözer eine entgegengesetzte These. Bei ihm heißt es: „Homo non nascitur, sed fit. […] [Die] Ursachen seiner Menschenwerdung“ – und somit der im Laufe der Zeit entstehenden Ungleichheit – „liegen außer ihm.“ „Von Natur ist er nichts, durch Conjuncturen kan er alles werden: die Unbestimmtheit macht den zweiten Teil seines Wesens aus. Tausend Kräfte schlummern in ihm, und werden ewig schlummern, wenn nicht Anlässe sie vom bloßen Können zum Wirken rufen.“141
Bei Schlözer handelt es sich jedoch nicht um eine grenzenlose Freiheit des Menschwerdens. Ein gewisser Grad an Bestimmbarkeit in historischen Prozessen ist auch bei seiner Geschichtsschreibung vorhanden, so wie bei der Verwirklichung des Bildungstriebes bei Johann Friedrich Blumenbach die causa efficiens ebenfalls einen gewissen Grad an causa essentialis voraussetze. Blumenbachs Bildungstrieb ist, wie bereits angedeutet, eine notwendige, wesentliche und angeborene Kraft zu Veränderungen, der kontinuierli-
141 Schlözer: WeltGeschichte nach ihren HauptTheilen, S. 59. Diese These stellte Schlözer etwas anders formuliert bereits 1772 dar: „Der Mensch ist von Natur nichts, und kann durch Conjuncturen alles werden: die Unbestimmtheit macht den zweiten Theil seines Wesens aus. Tausend Kräfte schlummern in ihm, und werden ewig schlummern, wenn nicht Anlässe sie vom blossen Können zum Wirken rufen.“ Vgl. Schlözer: Vorstellung seiner Universal-Historie [1772-73], Bd. 1, S. 6.
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che Umwandlungsprozesse antreibt.142 Auch hier „[macht] die Unbestimmtheit […] den zweiten Teil seines Wesens aus.“ Dass Anlässe die im Menschen schlummernden und veränderungswilligen Kräfte vom bloßen Können zum Wirken hervorrufen, heißt theoriegeschichtlich gesehen, dass Zufall und Kontingenz das Werden der Geschichte prägen. Unbestimmtheit bedeutet hier deshalb die historisch notwendige Möglichkeit der Menschwerdung und, per extensio, des Werdens der Menschheit, sowohl für die Perfektibilität als auch für Deterioribilität, offen zu lassen.143 So ist die Unbestimmtheit bei Schlözer als kontingent zu verstehen; es geht also um einen „Bereich, in dem etwas auch anders sein kann.“144 Die andere Seite derselben Medaille zeigt im Falle der spätaufklärerischen Historiographie dennoch, dass der Zufall auch „im Gewande der Fortuna“145 den Raum der Geschichte betreten kann. Darin wird Zufall in der Geschichtsschreibung eher als accidentia verstanden. Die „Art der Gesellschaft,“ in die „der Zufall [den Menschen] wirft, modelt ihn; und macht ihn entweder zu einem Iameos oder zu einem Newton, entweder zu einem MenschenFresser oder zu einem Heiligen,“146 so Schlözer in einer späteren Formulierung. Aber ebenfalls in diese Richtung setzte Schlözer seine Erklä-
142 Nach Peter Hanns Reill bedient sich Schlözer in dieser Passage argumentativ von einem zentralen Topos der spätaufklärerischen Lebenswissenschaften, welcher besonders von Blumenbach vertreten wird. Dieser Topos lautet: „each organic body existis within a complex force field.“ Vgl. Reill: „Science and the Science of History in the Spätaufklärung,“ S. 441. 143 Vgl. Bödeker: „Menschheit, Humanität, Humanismus,“ S. 1081. Für den Zufall als eine „geschichtlich notwendig[e]“ Perspektive des modernen historischen Denkens siehe: Koselleck: „Der Zufall als Motivationsrest in der Geschichtsschreibung,“ besonders S. 173. 144 Hoffmann: Zufall und Kontingenz in der Geschichtstheorie, S. 3. Sebastian Manhart liest – m.E. zutreffend – die oben zitierte Passage von Schlözer wie folgt: „Seine Beobachtungen des Menschen oszillieren, wie die aller anderen, zwischen der Bestimmung des Menschen durch Natur oder Konjunktur, durch andere oder durch sich selbst, und die damit verbundenen Zuschreibungsmöglichkeiten machen einen Teil der bis heute anhaltenden Attraktivität dieser Figur des bestimmt Unbestimmten aus. Die Geschichte ist jener Vorstellungsraum, in dem die Zuweisung der Bestimmungen immer wieder neu geschehen kann.“ Vgl. Manhart, Sebastian: „Der metaphorische Mensch. Zur Analogiebildung von Mensch, Staat und Geschichte in der Aufklärung und im Vormärz,“ in: Friedrich Jaeger/Jürgen Straub (Hg.), Was ist der Mensch, was Geschichte? Annäherungen an eine kulturwissenschaftliche Anthropologie, Jörn Rüsen zum 65. Geburtstag, Bielefeld: Transcript 2005, S. 241-278, hier S. 242. 145 Koselleck: „Der Zufall als Motivationsrest in der Geschichtsschreibung,“ S. 159. 146 Schlözer: Theorie der Statistik, Göttingen: Vanderhoeck und Ruprecht 1804, S. 27.
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rung über die Unbestimmtheit der Menschwerdung aus weltgeschichtlicher Perspektive bereits in den 1770er und 1780er Jahren fort. „Kömmt er [der Mensch] in Wildnisse, und wächst unter Schafen auf: so wird er ein Schaf, frißt SchafKräuter, und blöket wie ein Schaf. Kömmt er in Situationen, wo er zum Bilde seines Schöpfers, d.i. wo seine Vernunft erwacht: so rückt er von der Stufe weg, auf der er bisher neben dem Tiere stand, und steigt entweder aufwärts, und veredelt sich, oder sinkt niederwärts, und verschlimmert sich.“147
Aus historiographiegeschichtlicher Sicht ergibt sich daraus, dass im spätaufklärerischen historischen Denken die Vielfalt an Zuständen der Menschen im historischen Zusammenhang zwar mit Hilfe des anthropologischen Blicks der Weltreisenden von den Geschichtsschreibern beschrieben, aber weiterhin nach Kausalitätsprinzipien erklärt wurde. Im ausgehenden 18. Jahrhundert steht die historische Kausalerklärung in produktiver Verbindung mit den damaligen Theorien über die Entstehung von Organismen und der Entwicklung organischer Prozesse. Als sich die Weltgeschichtsschreibung dem Menschengeschlecht widmete, verdienten dabei drei wichtigen Formen der Ursachenbestimmung besondere Aufmerksamkeit: die causa accidentalis, die causa efficiens und die causa essentialis. Je nachdem, wie sie in der historischen Erklärung angewandt und einbezogen wurden, ist das Verhältnis zwischen dem Werden der Weltgeschichte und dem Wesen des Menschengeschlechts bestimmt worden. Dass im Zeitalter der Aufklärung solch ein Verhältnis in den Vordergrund des sich verwissenschaftlichenden historischen Denkens rückte, ist gewiss kein accidentia gewesen.
147 Schlözer: WeltGeschichte nach ihren HauptTheilen, S. 59. Im Vergleich zu der früheren Formulierung dieser These wurde sie sprachlich und argumentativ leicht verändert. Vgl. Schlözer: Vorstellung seiner Universal-Historie [17721773], Bd. 1, S. 6.
V. Menschheit und Weltstaatensystem
Die folgende Formel ist uns weitgehend bekannt: Universalhistorie als „Geschichte des gesammten Menschengeschlechts und der Revolutionen, die es auf dem Erdboden bewirkt hat […].“1 In diesem Wortlaut wurde sie jedoch weder von Johann Christoph Gatterer, noch von August Ludwig Schlözer, Karl Reinhard oder Christoph Meiners verfasst. Außerdem ist sie auch nicht in Göttingen, sondern in Jena veröffentlicht worden, wohin ihr Verfasser Johann Gottfried Eichhorn (1752-1827) ging, nachdem er sein Studium an der Georgia Augusta u.a. bei Johann David Michaelis, Christian Gottlob Heyne und Schlözer absolviert hatte. Das Beispiel Eichhorns verdeutlicht, auf welcher Basis die Universitäten im späten 18. Jahrhundert miteinander verbunden waren: Bereits wenige Jahrzehnte nach ihrer Gründung ebnete die Göttinger Hochschule nicht nur den Weg ihrer Studierender für die Beamtenlaufbahn des Alten Reiches,2 sondern sie bildete auch nicht selten die Professoren für andere Universitäten aus. Eichhorn wurde 1775 in Jena zum Professor der orientalischen Sprachen und der Universalgeschichte ernannt. An der dortigen Hochschule war er für dreizehn Jahre tätig, bis ihm ein Lehrstuhl in Göttingen angeboten wurde, den er annahm und bis zu seinem Tod im Jahr 1827 inne hatte. Schon kurz nach der Rückkehr Eichhorns wurde die Professur in Jena neu besetzt, und zwar von Friedrich Schiller, der sich in seiner berühmt gewordenen Antrittsvorlesung im Mai 1789 fragte, was Universalgeschichte heiße und bis zu welchem Ende man sie studiere. Das Interesse des Jena’schen Publikums an dem Thema erweckte jedoch sein Vorgänger, denn Eichhorn las über die Universalgeschichte vor und dafür veröffentlichte er 1777 eine kurze und schematische Abhandlung über den Umfang und die Methode dieser Form der Geschichtsschreibung. Im Laufe seiner gesamten akademischen Karriere beschäftige sich Eichhorn hin und wieder mit der Universalhistorie. Als Professor in Göttingen
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Eichhorn, Johann Gottfried: Ueber den Umfang und die Methode Akademischer Vorlesungen über die Universalgeschichte, Jena: Felix Fickelscherr 1777, S. 3. Mehr dazu siehe das Kapitel „1. Weltgeschichte und Anthropologie in Göttingen“ der vorliegenden Studie.
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setzte er seine Vorlesungen mit weltgeschichtlichem Inhalt erst zwischen dem Wintersemester 1796/97 und dem Sommersemester 1802 fort. Eichhorns vorlesungsbegleitende Schriften gewähren uns noch einen weiteren Zugang zum spätaufklärerischen universalhistorischen Denken, besonders weil sie hier als ein „Verbindungsglied“3 zwischen der Göttinger Weltgeschichtsschreibung der 1770er Jahre und derjenigen des beginnenden 19. Jahrhunderts angesehen werden können. Seine dauerhafte Verwurzelung in der Göttinger Tradition kann allerdings als Seismograph für Veränderung und Beständigkeit der spätaufklärerischen Historiographie verstanden werden. Das vorliegende Kapitel zielt darauf ab, diese im Hinblick auf zwei operative und sinnbildende Konzepte der Geschichtsschreibung zu analysieren. Zum einen rücken auf den kommenden Seiten die Begriffe Menschen und Menschheit wieder in den Vordergrund, und zwar als Gegenstand der Geschichtsforschung und als Kategorie der Geschichtsschreibung, die um 1800 viel schärfer als zuvor in einer historia generis humanis und in einer historia humanitatis aufgespalten war. Zum anderen gewinnt ebenfalls um die Jahrhundertwende der Versuch an Bedeutung, Statistik und Politik besonders im Rahmen der Europäischen Staatengeschichte zu betrachten. Während aber in der frühaufklärerischen historiographischen Tradition die Weltgeschichte als Europäische Staatengeschichte gelehrt werden konnte, wurde das Europäische Staatensystem in der Göttinger spätaufklärerischen Historiographie zu einem Weltstaatensystem und somit auch die Europäische Staatengeschichte zur Weltgeschichte. Beide Wege bzw. beide operativen und sinnbildenden Konzepte der spätaufklärerischen Geschichtsschreibung – nämlich Menschheit und Weltstaatensystem – stehen im Fokus der kommenden drei Schritte.
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Hier stütze ich mich auf eine These von Martin Peters, der Eichhorns Werk als „missing link“ „[…] zwischen der europäischen Staatengeschichte, wie sie von Georg Christian Gebauer (1690-1773), Gottfried Achenwall (1719-1772) und Johann Georg Meusel (1743-1820) repräsentiert wurde, sowie dem 1809 erstmals veröffentlichten Klassiker ‚Handbuch der Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Colonieen‘ von Arnold Herrmann Ludwig Heeren“ sieht. Vgl. Peters, Martin: „Europäische Friedensverträge der Vormoderne (1500-1800) – rezipiert von Johann Gottfried Eichhorn,“ in: Heinz Duchhardt/Martin Peters (Hg.), Kalkül – Transfer – Symbol. Europäische Friedensverträge der Vormoderne, Mainz 2006-11-02 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft online 1), Abschnitt 122-131, hier Abschnitt 123.
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1 D IE VERBUNDENE W ELT UND G ÖTTINGER K ANTIANISMUS
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DER
Johann Gottfried Eichhorn nahm seine in Göttingen unlängst erworbenen Kenntnisse über die Universalgeschichte mit nach Jena. Außerdem vergaß er nicht, die frisch erschienene zweite Ausgabe von Schlözers Vorstellung seiner Universalhistorie (1775) in den Koffer zu packen. Dieses jüngste Handbuch machte er zur Grundlage seiner eigenen Vorlesung.4 Kein Wunder, dass Eichhorn die eingangs zitierte Definition der Universalhistorie so nah an der Göttinger Tradition in Jena vorlegte und demgemäß den Mensch als hauptsächlichen Forschungsgegenstand seines Kollegs erklärte. Solch ein umfangreicher und aus unterschiedlichen Forschungsperspektiven anschlussfähiger Gegenstand der spätaufklärerischen Geschichtsschreibung sorgte dafür, dass die akademischen Veranstaltungen zur Universalhistorie ein einträgliches Geschäft für die Dozenten im ausgehenden 18. Jahrhundert versprachen. Eine Erklärung für den Erfolg und, damit verbunden, für das sich damals verdichtende Lehrangebot zum Thema lässt sich in Eichhorns Vorlesungsplan in klaren Worten finden. Ein Lehrprogramm, dessen Untersuchungsgegenstand der Mensch sei – so Eichhorn über das Göttinger Modell, „[…] interessiert also die angehenden Gelehrten aus allen Facultäten, den Rechtsgelehrten so gut, wie den Gottesgelehrten und dem Arzt, wenn sie nicht über Pandekten, Dogmatik und Pathologie blind werden wollen. Die Universalhistorie ist die Wegweiserin durch das unermeßliche Gebiet der Geschichte: also, niemand sollte seine historische Laufbahn ohne diese Geleiterin, wie kein Pilgrim seine Wanderschaft über unübersehliche Plänen ohne Kompaß, antreten.“5
So ein unermessliches Gebiet der Geschichte weist im ausgehenden 18. Jahrhundert auf die durchlässigen Grenzen eines Wissensfeldes hin, das im Wesentlichen nützliche Kenntnisse für Studierende „aus allen Facultäten“ zu versprechen schien. Vor diesem Hintergrund definierte der Dozent in Jena die Grundannahme eines Universalhistorikers wie folgt: Die Verbindungsgrad zwischen den zu behandelnden Völkern bildet das Kriterium für deren universalhistorische Wichtigkeit aus. Die angehenden Gelehrten müssen deshalb während ihrer akademischen Wanderschaft verstehen, inwiefern beispielsweise Edessa und Gersau „eben so unentbehrliche Glieder der großen Kette“ seien wie China und Japan.6 Die Zuhörer Eichhorns im Jahr 1777 – besonders die Studierenden der Naturgeschichte – waren mit diesem verbalen Bild vertraut. Das Sammeln, die Ordnung und die Klassifizierung der
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Vgl. Eichhorn: Ueber den Umfang und die Methode, S. 14. Ebd., S. 13-14. Ebd., S. 4.
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Vielfalt an Lebewesen in der Frühen Neuzeit stützten sich nicht selten auf eine stufenmäßige bzw. hierarchisch geordnete scala naturae,7 anhand derer das ganze Universum als eine große Kette der Wesen betrachtet und im Laufe des 18. Jahrhunderts verzeitlicht wurde. Diese Idee prägte damals sowohl mechanische als auch organische Erklärungsansätze der Naturgeschichte8 und in der Regel besagte sie, dass fehlende Verbindungsglieder in der großen Kette eigentlich eine Lücke der Forschung über die lückenfreie Natur aufzeige.9 Die Verkettung von Lebewesen und die Verbindung der ganzen Welt weisen so auf eine zentrale wissenschaftliche Herausforderung für die aufklärerische Gelehrsamkeit hin, die einen fachübergreifenden epistemologischen Wert hatte. Bereits Schlözer, bei dem Eichhorn in Göttingen studierte und aus dessen Handbuch er in Jena las, sprach von einer Erfindungskette als Basis der technographischen Methode der Universalhistorie. Auch Gatterer skizzierte Ende der 1760er Jahren ein System der Bündnisse, wenngleich es sich nur auf die Europäischen Staaten beschränkte.10 Wieder an der Georgia Augusta11 gliederte Eichhorn die Geschichte der alten und neuen Welt, nach Tradi-
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Vgl. Lovejoy, Arthur O.: The Great Chain of Being. A Study of the History of an Idea (1933), Cambridge: Harvard University Press 1976, S. 58. 8 Vgl. Art., „Great Chain of Being,“ in: Reill /Wilson (Hg.): Encyclopedia of Enlightenment, S. 244. Dazu siehe auch: Feuerstein-Herz, Petra: „Die große Kette der Wesen.“ Ordnungen in der Naturgeschichte der Frühen Neuzeit, Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek 2007. 9 Peter Hanns Reill hat den Fall Buffons maßgeblich untersucht und überzeugend gezeigt, wie der Franzose trotz ähnlicher Begrifflichkeit – wie „chain of existence“ – die Kontinuität der großen Kette der Wesen eigentlich in Frage stellte. Dazu siehe: Reill: Vitalizing Nature in the Enlightenment, S. 49. 10 Dazu siehe das Kapitel „2. Innovation und Federkrieg“ der vorliegenden Studie. 11 An der Göttinger Universität fanden Eichhorns Vorlesungen mit weltgeschichtlichen Inhalt zwischen dem Wintersemester 1796/97 und dem Sommersemester 1802 statt und wurden unter den folgenden Titeln angekündigt: „Neuere Universal Geschichte,“ „Alte Geschichte oder so genannte Universal-Historie,“ „Allgemeine Geschichte der neuern Zeiten (historiam universalem recentiorem)“ – diese nach seinem Handbuch – und „Allgemeine Weltgeschichte vom ersten Anfange der Geschichte des Menschengeschlechts bis auf unsere Zeiten (historiam universalem ab initio historiae generis humani usque ad nostra tempora).“ An der Georgia Augusta widmete sich Eichhorn dennoch besonders der Exegese des Alten und des Neuen Testaments. Eichhorns Bemühung die Offenbarungsgeschichte zu historisieren wurde von Luigi Marino analysiert. Vgl. Marino: Praeceptores Germaniae, S. 292-294. Für eine Verortung der hermeneutischen Forschungen Eichhorns in der Tradition Johann Salomo Semlers (1725-91) und Johann David Michaelis siehe: D’Alessandro, Giuseppe: „Die historische Hermeneutik Johann Gottfried Eichhorns,“ in: Manfred Beetz/Giuseppe Cacciatore
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tion seiner Kollegen, in zwei Hauptteile, nämlich die unverbundene und die verbundene Welt. Dabei legte er dar, dass die Verbindung zwischen den Völkern zur Veränderung ihres gesellschaftlichen Zustands beitrage12 und deshalb Aufmerksamkeit der Geschichtsforscher verdiene. Eichhorns Lehrbuch zur Weltgeschichte13 sollte zwar „eine allgemeine Uebersicht aller Zeitalter und aller in der Geschichte etwas merkwürdiger Völker von den ältesten Zeiten an bis auf die neuesten herab“ geben, jedoch widmete es sich vornehmlich den Nationen, „welche in näherer Beziehung auf unsern Culturzustand stehen.“14 Dieses Lehrprogramm ist mit unterschiedlichen Strömungen der Göttinger Historiographie verwoben, wie weiterhin aus der Zielsetzung Eichhorns Geschichte der alten Welt (1799) hervorgeht. Darin solle die alte Weltgeschichte „[…] von dem Anfang der ersten einfachsten Gesellschaft ausgehen, und alles das darstellen, was während ihrer allmähligen Fortbildung bis zum Ursprung des ersten Staats und so weiter herab zur Veränderung, Veredlung, Verfeinerung oder auch Verschlimmerung des gesellschaftlichen Zustandes und des physischen, sittlichen und geistigen Characters des Menschengeschlechts beygetragen hat.“15
Das Menschengeschlecht taucht hier entsprechend der sogenannten drei Anlagen des ganzen Menschen auf, die von den drei Bedeutungsebenen bzw. Richtungen in der spätaufklärerischen Lehre vom Menschen abgedeckt werden konnten und an der Georgia Augusta besonders von Christoph Meiners aufgegriffen wurden. Bezeichnenderweise las Ernst Friedrich Wenzel (17??1812) im Jahr 1811 über die allgemeine Weltgeschichte vom Anfang des Menschengeschlechts bis zur Zerstörung des Weströmischen Reiches in Anlehnung an die zweite Ausgabe dieses Lehrbuches Eichhorns. Wenzel, der an der Georgia Augusta studierte und dort zwischen 1807 und 1812 Privatdozent war, hatte schon vier Jahre zuvor ein anderes Kolleg mit weltgeschichtlichem Inhalt angeboten, nämlich die Geschichte der Menschheit. Obgleich der Göttinger Privatdozent kein eigenes Handbuch mit diesem Titel verfasste, wurden seine Grundzüge einer pragmatischen Anthropologie im gleichen Jahr veröffentlicht, indem er seine Vorlesung zur
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(Hg.), Die Hermeneutik im Zeitalter der Aufklärung, Köln u.a.: Böhlau 2000, S. 131-153. Vgl. Eichhorn, Johann Gottfried: Geschichte der alten Welt, Göttingen: Johann Georg Rosenbusch 1799, S. 4. Als Eichhorn 1799 eine Geschichte der alten Welt in den Druck brachte gab er in der Vorrede bekannt, dass es sich um ein altes, bereits vor zehn Jahren vollendetes Manuskript handele, welches von ihm „selbst schon halb vergessen“ war aber immer noch „die Erlernung der Weltgeschichte und die Kenntniß der Quellen“ erleichtern würde. Vgl. Ebd., „Vorrede,“ S. V. Ebd., S. VI. Ebd., S. 3.
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Geschichte der Menschheit hielt.16 Darin geht Wenzel 1807 davon aus, dass der Mensch zwischen einer übersinnlichen und einer sichtbaren Welt sei, „deren Caussalitäten beide innigst in ihm verbunden sind, und sein Wesen ausmachen.“17 Dieser Grundannahme entsprechend sei die pragmatische Anthropologie „auf die Darstellung des Zusammenhangs zwischen“ der theoretischen und der praktischen Vernunft „und ihrer wechselseitigen Beschränkung gerichtet.“18 Als eine „empirische Naturlehre des Menschen“ stehe sie in Verbindung zu einem mit der denkenden, zum anderen mit der körperlichen Substanz des Menschen und stelle beide „in ihrer innigsten Vereinigung“ zueinander dar. „Allein sie entlehnt nicht mehr als einzelne Theile aus ihnen, und immer nur in Beziehung auf ihren gegenseitigen Einfluß.“19 Dies ist im Grunde genommen ein zentrales Merkmal der spätaufklärerischen Anthropologie, die mit der zeitgenössischen Weltgeschichtsschreibung ein gemeinsames Wissensprinzip teilte. Indem Eichhorn bereits in den 1770er Jahren den Mensch zum Gegenstand seiner Vorlesungen über die Universalhistorie erklärte, schuf er sich einen großen Freiraum, um das gesamte Spektrum der spätaufklärerischen Historiographie ausschöpfen zu können. Doch damit begab er sich in eine begriffliche Sackgasse. Einerseits kann man in Eichhorns Schriften eine un-
16 Wenzel: Grundzüge einer pragmatischen Anthropologie, S. 1. Ernst Friedrich Wenzel war nicht der einzige Dozent an der Göttinger Universität, der eine Lehrveranstaltung unter dem Titel „Anthropologie“ anbot. Noch andere Kollegia sind in um 1800 im Lektionskatalog der Georgia Augusta angekündigt worden, wobei sie aus den Kriterien für die Erstellung der Quellenkorpora der vorliegenden Studie, wie im Kapitel „1. Weltgeschichte und Anthropologie in Göttingen“ dargestellt, herausfallen. Einige möchte ich hier nichtsdestotrotz auflisten, denn sie weisen auf die Unbeständigkeit der Klassifizierung der akademischen Veranstaltungen im ausgehenden 18. Jahrhundert hin, wie am Beispiel Wenzel deutlich ist. So kündigten Winkelmann (Wintersemester 1801/02), Wildt (Sommersemestern 1803 und 1804) und Wenzel (Wintersemester 1806/07, Sommersemester 1807, Wintersemester 1808/09) eine Vorlesung zur Anthropologie bzw. philosophische Anthropologie als eine akademische Veranstaltung der philosophischen Wissenschaften an. Schon als eine Veranstaltung der Heilkunde wurde die Anthropologie in Göttingen von Herrn Dr. Breden „vorzüglich nach den körperlichen und geistigen gegenseitigen Verhältnissen und Wirkungen betrachtet“ (Sommersemester 1810 und 1811) und von Herrn Dr. Haindorf im Sommersemester 1814, diesmal „verbunden mit der Lehre von den Gemüthes- und Geistes-Krankheiten,“ nach von dem Dozent verfassten „Versuch einer Pathologie und Therapie der Geistes- und Gemüths-Krankheiten,“ angeboten. Vgl. Göttingische gelehrte Anzeigen, 51. Stück, 30. März 1811, S. 503; Göttingische gelehrte Anzeigen, 58. Stück, 9. April 1814, S. 575. 17 Wenzel: Grundzüge einer pragmatischen Anthropologie, S. 1. 18 Ebd., S. 4. 19 Ebd., S. 5.
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bekümmerte und gleichzeitige Bezugnahme sowohl auf die Universalhistorie als auch auf die Weltgeschichte, die Geschichte des Menschengeschlechts und die Geschichte der Menschheit erkennen. Andererseits versucht Eichhorn Anfang des 19. Jahrhunderts diese Formen der Geschichtsschreibung begrifflich von einander auszudifferenzieren.20 Dennoch bleibt sein Interesse an der Verbindung zwischen den Völkern erhalten: Dass Teile in ihren Verhältnissen zueinander untersucht werden müssen, macht das Wissensprinzip aus, das nach Eichhorns Auffassung der Welt- sowie der allgemeinen Geschichte zugrunde liegt. Vor diesem Hintergrund teilte der Aufklärer die Geschichte Europas in zwei Phasen ein. Die europäischen Völker blieben bis auf die Kreuzzüge miteinander unverbunden. Dagegen lasse sich die Verbindung zwischen den europäischen Ländern in den letzten Jahrhunderten, besonders ab der „Entdeckung von Amerika“ durch die Entstehung von „mehreren politischen Systeme[n]“ erklären, „[…] welche die Staaten von Europa mehr oder weniger umfassen und zusammenhalten“ und sie ebenfalls mit anderen Teilen der Welt durch Schifffahrt und Handel verband.21 An der Georgia Augusta standen nicht nur bei Eichhorn die politischen Systeme Europas im Zentrum der Weltgeschichtsschreibung, wie in diesem Kapitel noch untersucht wird. Hier soll jedoch zunächst ein anderes Merkmal seiner Schriften aufgegriffen werden – nämlich die Bezugnahme sowohl auf die Universalhistorie als auch auf die Weltgeschichte und die Geschichte der Menschheit –, das durch eine weitere Denkströmung der spätaufklärerischen Historiographie in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts eine neue Facette bekam. Charakteristikum dieser Denkströmung ist der unmittelbare Einfluss der Philosophie Immanuel Kants. Das philosophische Interesse, das sich in Richtung Königsberg orientierte, ist gewiss keine Exklusivität eines einzigen Gelehrten an der Georgia Augusta gewesen. Im Falle von Friedrich Bouterweks (1766-1828) Schrif-
20 Nach Eichhorn solle jeder angehende Gelehrte drei Kurse in der Geschichte machen, nämlich über die Staatengeschichte, die Welt- und die allgemeine Geschichte. Der erste Kurs widmete sich „den wichtigsten und Einflußreichsten Staaten“ und baut somit „die erste Grundlage der Weltgeschichte“ auf, denn diese behandele „das ganze Aggregat aller einigermaßen merkwürdigen Staaten und Völker aller Welttheile nach einzelnen Zeiträumen,“ die wiederum von der allgemeinen Geschichte bzw. Universalhistorie weitergearbeitet werde. Diese habe zum Ziel „blos das Allgemeine der Begebenheiten und was mehrere, oder gar alle Völker, die ganze Menschheit, betrift, in einem großen Gemählde“ zusammenzufassen. Vgl. Eichhorn, Johann Gottfried: Geschichte der drey letzten Jahrhunderte, Bd. 4, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1806 [1803], S. VI. Für die Begrifflichkeit Eichhorns, was die Universal- bzw. Weltgeschichtsschreibung angeht, siehe ferner: D’Alessandro: L’Illuminismo dimenticato, S. 212. 21 Eichhorn, Johann Gottfried: Weltgeschichte, Teil 2, Bd. 1, 2. Ausgabe, Göttingen: Johann Friedrich Röwer 1804, S. 287.
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ten ging es deutlich in die Gegenrichtung gegenüber derjenigen seines ehemaligen Lehrers und berühmten anti-Kantinaner Johann Georg Heinrich Feder.22 Die tägliche Lektüre der Kritik der reinen Vernunft (1781/87), die er als „das neue Testament der Wahrheit“23 verstand, pflegte Bouterwek – gemäß seiner „litterarische[n] Biographie“ – bis er „endlich in den Geist dieses originalen Systems eingedrungen zu seyn und sich des Ganzen bemächtigt zu haben glaubte […].“24 Immer noch als Privatdozent25 – und dies machte er unentgeltlich, „um sich vor einer nicht zu kleinen Anzahl von Zuhörern an einen freien Lehrvortrag zu gewöhnen“26 – kündigte Bouterwek im Sommersemester 1792 und wieder zwei Jahre später ein Kolleg zur Geschichte der Menschheit, mit besonderer Anwendung auf die Fundamentalsätze der Moral, des Naturrechts und der Politik, an. Die veröffentlichte Skizze seiner Vorlesung nannte Bouterwek 1792 De historia generis humani doctrinae morum artisque politicae adiuitrice libellus. Hier gleicht der lateinische Terminus historia generis humani mit dem Ausdruck „Geschichte der Menschheit,“ so wie es bereits der Fall bei den Lehrveranstaltungen von Christoph Meiners war. Die Lehrprogramme beider Göttinger Gelehrten zeigen zwar Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede – besonders aufgrund Bouterweks Hinwendung zur Kant’schen Philosophie – auf. Mit Meiners teilte Bouterwek die Auffassung, dass man die kultivierten Völker besser kenne und sich die Universalhistorie (historia universalis) vorzugsweise auf diese beziehe. Doch die Geschichte der Menschheit dürfe sich nicht mit solch einer Beschränkung ihres Forschungsgegenstands zufrieden erklären.27 „Latissime igitur nobis exspatiandum erit studiumque nostrum orbis terrarum finibus circumscribendum, ut de generis humani natura com fructu disserere ac disputare possimus,“28 so Bouterwek. Beide Gelehrten teilten noch eine weitere Grundannahme: Die Geschichte der
22 Vgl. Bouterwek, Friedrich: „Der Verfasser. Eine litterarische Biographie,“ in: Friedrich Bouterwek, Kleine Schriften philosophischen, ästhetischen, und litterarischen Inhalts, Bd. 1, Göttingen: Johann Friedrich Röwer 1818, S. 3-50, hier S. 24. Zur Biographie Bouterweks und seiner Studienzeit in Göttingen siehe: Struck, Gustav: Friedrich Bouterwek. Sein Leben, seine Schriften und seine philosophischen Lehren, Rostock i.M.: Hinstorff 1919. 23 Bouterwek, Friedrich: Aforismen, S. V, zit. nach: Marino: Praeceptores Germaniae, S. 193. 24 Bouterwek: „Der Verfasser. Eine litterarische Biographie,“ S. 40. Zu Bouterweks Kantismus siehe: Marino: Praeceptores Germaniae, S. 191-205. 25 Eine ordentliche Professur der Philosophie bekam Bouterwek erst 1802. 26 Bouterwek, Friedrich: „Der Verfasser. Eine litterarische Biographie,“ S. 40. 27 Vgl. Bouterwek, Friedrich: De historia generis humani doctrinae morum artisque politicae adiuitrice libellus, Gottingen: Johann Christian Dieterich 1792, S. 4-5. 28 Ebd., S. 5.
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Menschheit frage nach den ursprünglichen Anlagen bzw. nach der natürlichen Beschaffenheit des Menschengeschlechts (generis humani primitiva indole).29 Sie zeige allerdings ihre Nützlichkeit als Lehrmeisterin des Lebens,30 indem sie veranschauliche, wie die Wilden unvollkommene, verstümmelte Art der Menschheit seien: „Barbaros ratione nimium a priscis moribus ac institutis discrepante[s] et quasi ex improviso ad aliena studia deductos, in fluxam, inconstantem ac mutilam humanitatis specien evadere, ex historiis ad cognoscendum in promtu est.“31
Dennoch werden bei Bouterwek, anders als bei Meiners, alle „Wilden“ und Varietäten von Völkern – trotz aller wahrnehmbaren Unterschiede in Lebensart und Aussehen – einem einzigen Stamm zugeordnet. „Facit hoc inprimis generis humani historia, ut, cum nihil esse unum uni tam simile, quam omnes, moribus et opiniotibus, ingenio atque cultura quantumuis dispares, inter nosmet ipsi sumus, rerum humanarum haud praepropera contemplatione cognouerimus, una omnes gente et quasi agnatione teneri videamur.“32
Bouterwek verfasste diese These zur historia generis humani in knappen Worten. Sie sollte in seiner Vorlesung vertiefend aufgestellt werden, die in zwei Teile geteilt wurde. So wendet er sich in der ersten Hälfte seiner Lehrveranstaltung über die Geschichte der Menschheit „den Wilden“ (feris, barbaris) zu, in der die Sitten (mores) und die Verfassung (instituta) dieser Völker beschrieben wurden. Die zweite Hälfte solle sich mit der Geschichte der Menschheit, aber nicht als Geschichte des Menschengeschlechts, sondern als humanitatis historia, bis zur gegenwärtigen Zeit beschäftigten.33 Was dies heißen könnte, lässt sich auf der Grundlage eines unvollständigen und stichwortartigen Schemas ableiten, welches in deutscher Sprache dem lateinischen Vorlesungsplan Bouterweks am Ende beigefügt wurde. Die „Geschichte der Menschheit,“ wie Bouterwek sie definiert, beschäftige sich mit 1. den physischen Grundlagen der Erde und des Menschen, wie etwa Land und Klima, ebenso wie Stammesart; 2. dem Menschencharakter, welcher sowohl seinen Geist – hier durch die Kunst, die Wissenschaften, die Philosophie und die Religion dargestellt – als auch seine allgemeinen, häuslichen und bürgerlichen Tugenden und Sitten umfasse und 3. der kosmopoli-
29 Vgl. Ebd. 30 „Historiam generis humani nihil esse dicamus, nisi sit humanitatis magistra.“ Vgl. Ebd., S. 15. 31 Ebd., S. 17-18. 32 Ebd., S. 20-21. 33 Ebd., S. 22.
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tischen Wichtigkeit der Völker.34 Hier kann man einen klaren Kontaktpunkt zwischen Bouterweks historiographischer Vorlesung und den drei Hauptrichtungen der spätaufklärerischen Anthropologie – nämlich die physische, die ethnographische und die philosophische – erkennen, wobei sich keine weitere Spur der letzten der drei Richtungen in dieser Schrift ausmachen lässt. Als Bouterwek für das zweite Mal an der Georgia Augusta sein Kolleg zur Geschichte der Menschheit „nach eignen Dictaten“ ankündigte, widmete er sich dem hier zuletzt erwähnten Punkt, nämlich der kosmopolitischen Wichtigkeit der Völker, die in Verbindung mit ihren Tugenden und Sitten das Programm einer humanitatis historia prägen könnte. Im Jahr 1794 veröffentlichte der Göttinger, parallel zu seiner historischen Vorlesung, Fünf Kosmopolitische Briefe. Darin versteht Bouterwek unter „unkosmopolitischen Geschöpfe[n]“ „die nächsten Angehörigen der Natur.“35 Im Gegensatz dazu könnten die Menschen, deren kosmopolitischer Drang sich in seiner Vollendung verwirklichen hätte können, als humanisiert bezeichnet werden.36 Dies entspreche sogar einem Zweck der Natur, der erraten werden könne, wenn man der Geschichte nachginge.37 Es gehöre zur Natur des Menschen, sich miteinander in Verbindung zu setzen und auf diese Art seine humanitas zu entfalten. „Die Gattung muß Menschheit, muß eine Gesellschaft werden, das heißt, alle ihre Glieder in allen Klimaten und Particulargesellschaften müssen von einander wissen und auf einander wirken, und das Resultat der Gemeinwirkung aller Particularge-
34 Vgl. Ebd., S. 23. Diese Seite ist im Original nicht nummeriert. In der Ausgabe der Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen – unter der Signatur 8 H UN II, 1203 – folgt sie nach der Seite 22. 35 Bouterwek, Friedrich: Fünf kosmopolitische Briefe, Berlin: Carl Ludwig Hartmann 1794, S. 5. 36 Vgl. Ebd., S. 8. Darin stellt Bouterwek die Menschen in Lebensverhältnis als „roh oder humanisirt, arm oder reich, Diener oder Herr“ dar. 37 Vgl. Ebd., S. 26. Schon bei Immanuel Kants „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ (1784) spielten die Naturgesetze bzw. -absichten eine wichtige Rolle in der Geschichte. „Ein philosophischer Versuch, die allgemeine Weltgeschichte nach einem Plane der Natur, der auf die vollkommene bürgerliche Vereinigung in der Menschengattung abziele, zu bearbeiten, muß als möglich und selbst für diese Naturabsicht beförderlich angesehen werden,“ so Kant. Vgl. Kant, Immanuel: „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ [1784], in: Immanuel Kant, Schriften zur Geschichtsphilosophie, Stuttgart: Reclam 1985, S. 21-39, hier S. 36. In dieser Hinsicht kann man bei Kant „die Naturprobleme und die geschichtlichen Probleme als eine Einheit“ verstehen, wie Ernst Cassirer die Philosophie der Aufklärung beschreibt. Cassirer, Ernst: Die Philosophie der Aufklärung, S. 266. Von daher hatte Kant nicht die Absicht, eine empirisch verankert Historie zu verfassen, sondern die Gattung Mensch als Subjekt der Weltgeschichte zu erkennen.
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sellschaften auf die Universalgesellschaft, das wäre denn die Bestimmung der Menschheit.“38
Das gemeinsame Wissensprinzip der Göttinger spätaufklärerischen Weltgeschichtsschreibung, wonach das Wechselverhältnis zwischen den konstitutiven Teilen des Menschen bzw. zwischen den konstitutiven Teilen der Welt im Vordergrund steht, entspricht in Bouterweks Kosmopolitischen Briefe[n] der Bestimmung der Menschheit. Hierzu wird eine Geschichte der Menschheit – über die Geschichte des Menschengeschlechts hinaus – als eine humanitatis historiam konzipert, die von der kosmopolitischen Wichtigkeit der Völker entsprechend dem „Resultat der Gemeinwirkung aller Particulargesellschaften auf die Universalgesellschaft“ ausgeht. Bouterwek spricht von einer allgemeinen und kosmopolitischen Menschenverbindung,39 die eine Kant’sche Färbung bekommt, indem er auf die Frage, warum ein Staat, eine Armee, eine Corporation ein Ganzes heiße, wie folgt antwortet: „Weil jedes Glied der Verbindung Zweck für sich, aber zugleich auch Mittel für einen Gemeinzweck“40 sei. Dieser Gemeinzweck gewinnt bei Bouterwek im Jahr 1794 eine bestimmte Richtung: „[…] alle Länder, die von nun an entdeckt werden,“ so der Göttinger, „schließen sich an ganz Europa. Amerika erfährt es zuerst, was vom Schicksale beschlossen ist, daß von nun an der Europäer, wohin er kömmt – und er will überall seyn – die Welt europäisiren soll.“41 Dies bilde das Schicksal der Menschheit aus, wie Bouterwek einige Jahre später noch einmal deutlicher formulierte. „Das
38 Bouterwek: Fünf kosmopolitische Briefe, S. 55. 39 Vgl. Ebd., S. 56. 40 Ebd., S. 32. In Kant’scher Sprache: „Denn vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle. Hierdurch aber entspringt eine systematische Verbindung vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche objective Gesetze, d.i. ein Reich, welches, weil diese Gesetze eben die Bezeichnung dieser Wesen auf einander, als Zweck und Mittel, zur Absicht haben, ein Reich der Zwecke (freylich nur ein Ideal) heißen kann. / Es gehört aber ein vernünftiges Wesen als Glied zum Reiche der Zwecke, wenn es darin zwar allgemein gesetzgebend, aber auch diesen Gesetzen selbst unterworfen ist.“ Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2. Auflage, Riga: Johann Friedrich Hartknoch 1786, S. 74-75. In jüngster Zeit überarbeitet Jörn Rüsen diese Formulierung Immanuel Kants als eine humanistische „Qualität des Menschseins,“ „[…] wenn sie das Verhältnis der Menschen zueinander und zu sich selbst mit der Direktive wechselseitiger kritischer Anerkennung bestimmt.“ Vgl. Rüsen, Jörn: „Traditionsprobleme eines zukunftsfähigen Humanismus,“ in: Hubert Cancik/Martin Vöhler (Hg.), Humanismus und Antikerezeption im 18. Jahrhundert, Bd. 1: Genese und Profil des europäischen Humanismus, Heidelberg: Winter 2009, S. 201-216, hier S. 202. 41 Bouterwek: Fünf kosmopolitische Briefe, S. 140-141.
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Schicksal will die Menschheit europäisiren. Eine Form des allgemeinen Europäismus ist im Werden.“42 Dies sei die Form des Werdens, die von den vier leitenden Nationen – nämlich die französische, englische, deutsche und russische Mächte – vorzüglich bestimmt sei. In der Tat sondierte Bouterwek – so wie Eichhorn schon zuvor – die Vorteile eines fließenden und freien Zugangs zur Universalhistorie, Weltgeschichte und Geschichte der Menschheit, die er aufgrund seiner Lektüre des philosophischen Kantianismus zwischen einer historia generis humani und einer historia humanitatis aufspaltete. Das Wissensprinzip, wonach Teile in bestimmten Verhältnissen zueinander stehen, liegt ebenfalls diesem Weg der Göttinger Historiographie zugrunde. Der unmittelbare Einfluss der Kant’schen Philosophie auf das Göttinger spätaufklärerische universalhistorische Denken blieb gewiss nicht nur auf das Werk Bouterweks beschränkt. Zum gleichen Zeitpunkt wie Ernst Wenzel seine Grundzüge einer pragmatischen Anthropologie der Öffentlichkeit präsentierte und Geschichte der Menschheit im Sommersemester 1807 lehrte, prägte Wilhelm Kern (1777-1834) den Terminus Anthropotetologie während er aus seinem „Historisch-philosophische[n] Abriß der durch die Kultur bewirkten Geistesbildung der Menschheit“ vorlas.43 Kern studierte ab 1797 in Göttingen, zuerst in der Juristischen und danach in der Philosophischen Fakultät, wo er als Privatdozent zwischen 1806 und 1815 tätig war und bereits im Sommersemester 1806 ein Kolleg über die Aufklärung und das Fortschreiten der Menschheit zum Bessern ankündigte.
42 Bouterwek, Friedrich: „Die großen Nationen unserer Zeit. Noch ein Fragment zur Philosophie der Weltgeschichte,“ in: Friedrich Bouterwek, Kleine Schriften philosophischen, ästhetischen, und litterarischen Inhalts, Bd. 1, Göttingen: Johann Friedrich Röwer 1818, S. 177-210, hier S. 178. 43 Diese Lehrveranstaltung Kerns wurde im Wintersemester 1807/08 als eine Vorlesung über die Anthropotetologie fortgesetzt. Sie wurde dennoch für statistische Zwecke nicht in dem Quellenkorpus der vorliegenden Studie berücksichtigt, da die Fortsezung dieser Vorlesung unten den philosophischen – und nicht historischen – Wissenschaften angekündigt worden war. Die Kriterien für die Bestimmung des Quellenkorpus sind im Kapitel „1. Weltgeschichte und Anthropologie in Göttingen“ ausführlich dargestellt worden. In einem Bericht über die Privatdozenten – so die Forschung Johannes Tütken über die Privatdozenten an der Georgia Augusta zufolge – „[…] gab Kern Ostern 1812 an, dass er bisher tatsachlich nur zwei Vorlesungen gehalten habe: WS 1805/06: Geschichte der Physiognomik und Anthropotetologie [und] SS 1807: Theorie des Organismus der Menschheit.“ Vgl. Tütken: Privatdozenten im Schatten der Georgia Augusta, Bd. 2, S. 903. Dieser Bericht stimmt jedoch nicht mit den Ankündigungen im offiziellen Vorlesungsverzeichnis der Göttinger Universität überein. Darin bot Kern eine Lehrveranstaltung zur Anthropotetologie sowohl im Sommersemester 1807 als auch im darauf folgenden Semester an.
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Den Forschungsgegenstand dieser von Kern neu erfundenen Wissensform lässt sich mit Hilfe einer knappen Definition seiner Terminologie erfassen. Anthropotetologie heiße nichts anders als eine „Philosophie über den sich entwickelnden, fortschreitenden und sich herstellenden Organism[us] der Menschheit.“44 Etymologisch betrachtet ist diese Begriffserklärung bereits aus den zum Terminus gehörenden Wortteilen anthropotes (Humanität, abstrakte Menschheit) und logos (Lehre) ableitbar. Somit stehen schon per definitionem Anthropotetologie und Geschichte der Menschheit im Gegensatz zueinander, „wie Aposteriorisation und Apriorisation.“45 Der Geschichte der Menschheit schreibt Kern Zufälligkeit und Individualität zu, während Notwendigkeit, Allgemeinheit, Wesen und ewige Gründe der Sache zu den Grundmerkmalen der anthropotetologischen Philosophie der Menschheit gehören. Zugespitzt formuliert: „Philosophie der Menschheit zeigt, was physisch geschehen muß in dem Organism-, gesellschaftlich geschehen soll in der Organisation der Menschheit; Geschichte der Menschheit beichtet was geschehen ist in der Menschheit.“46
Indem die Geschichte der Menschheit von Zufälligkeiten47 des Orts und der Zeit abhänge – was sich sowohl in den individuellen Geschichten verschiedener Nationen als auch in der allgemeinen Form der Weltgeschichte herausstelle –, sei diese eine Aposteriorisation. Durchtränkt in der Sprache von Kants Erkenntnistheorie wollte Kern die zwei aprioristischen Formen reiner sinnlicher Anschauung bzw. die reinen Anschauungsformen – Raum und Zeit, nach Kants Kritik der reinen Vernunft48 – auch in der Geschichte der Menschheit erkennen können, um seine Anthropotetologie zu fundieren. „Drum will man mit aller Gewalt Philosophie der Menschheit Geschichte der Menschheit nennen, so lasse man sich folgenden Vorschlag gefallen. Man nenne sie (formell) reine, d.h. von Zeit und Raum abstrahirende und blos die Gesetze der Entwicklung der reinen Kräfte beherzigende, Geschichte d[er] M[enschheit], auch (materiell) Geschichte der reinen, d.h., vom Zufall der so oder so hervorgesprossenen
44 Kern, Wilhelm: Erstes Kapitel aus dem ersten Versuch einer Anthropotetologie. Präliminarien, oder Grundlegung der Anthropotetologie als Wissenschaft, Göttingen: J. C. Baier 1807, S. 3. 45 Ebd., S. 3. 46 Ebd., S. 4. 47 Vgl. Ebd., S. 7. 48 Siehe besonders Kants transzendentale Ästhetik: „Ich nenne alle Vorstellungen rein (im transzendentalen Verstande), in denen nichts, was zur Empfindung gehört, angetroffen wird. […] Bei dieser Untersuchung wird sich finden, daß es zwei reine Formen sinnlicher Anschauung, als Prinzipien der Erkenntnis a priori gebe, nämlich Raum und Zeit […].“ Kant: Kritik der reinen Vernunft, [A 20/B 34-A 22/B 36] S. 94-96.
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Nationen und Individuen unbefleckten Menschheit, und Beides zusammengesetzt, reine Geschichte der reinen Menschheit.“49
Zufälligkeit ist bei Kant „in der Tafel der Modalitätskategorien die Negation der Notwendigkeit,“50 weshalb sie bei Kerns „Apriorisation“ beseitigt werden müssen. Die Anthropotetologie zielt nicht darauf ab, die Tatsachen der Geschichte der Menschheit zu untersuchen. Stattdessen beschäftige sie sich „mit dem Geist und dem innern Wesen des Organisms der Menschheit,“ weshalb sie zutreffend als Geist des Organisms der Menschheit genannt werden könne.51 Als eine Philosophie über den sich entwickelnden, fortschreitenden und sich herstellenden Organismus der Menschheit könne die Anthropotetologie nicht den Organismus des Individualmenschs zum Gegenstand haben. Sie gehe über das Lebensprinzip des Individualmenschen hinaus und untersuche die organisch notwendige Fortschreitung der Menschheit.52 Dennoch habe der Organismus der Menschheit einen physischen und einen politischen Sinn, weswegen Kern „was physisch geschehen muß“ mit dem was „gesellschaftlich geschehen soll“ als das Ganze der Menschheit zu verbinden sucht. Schon Kant teilte seine Anthropologie „in physiologischer oder in pragmatischer Hinsicht.“ Bei der ersten Richtung wird nach der menschlichen Natur gefragt, während sich die zweite mit dem, was der Mensch, „als freihandelndes Wesen, aus sich selber macht, oder machen kann und soll,“ beschäftige.53 Kern fokussiert auf die „Fortschreitung des Menschengeschlechts als Naturentwicklung seiner Lebenskraft“54 und versucht dadurch das Kant’sche Soll in ein notwendiges, „unwiderstehliches Muß aus innern Naturkräften der Menschheit“55 zu ersetzen. Indem die Anthropotetologie
49 Kern: Erstes Kapitel aus dem ersten Versuch einer Anthropotetologie, S. 4. 50 Hoffmann: Zufall und Kontingenz in der Geschichtstheorie, S. 26. Bei Kant dennoch kann „den schlichten Ausschluß von Z[ufall]“ vermeiden werden, indem der Philosoph „‚Z[ufall] im Einzelnen‘ mit der ‚Regel im Ganzen‘“ verbindet. Vgl. Niessen, Alexandra/Hoffmann, Arnd: „Zufall III,“ in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer/Gottfried Gabriel (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 12, Basel: Schwabe Verlag 2004, S. 1416-1419, hier S. 1417. Zur Bewertung von Zufall und Kontingenz als analytischen Kategorien in der Göttinger spätaufklärerischen Weltgeschichtsschreibung siehe das Kapitel „4. Weltgeschichte und Menschengeschlecht“ der vorliegenden Studie. 51 Kern: Erstes Kapitel aus dem ersten Versuch einer Anthropotetologie, S. 5. 52 Ebd., S. 10-11. 53 Kant, Immanuel: „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“ [1798], in: Immanuel Kant, Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 2, Hg. von Wilhelm Weischedel: Immanuel Kant, Werkausgabe XII, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1977, S. 399-401. 54 Kern: Erstes Kapitel aus dem ersten Versuch einer Anthropotetologie, S. 11. 55 Ebd., S. 12.
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die „Aufsuchung und Darstellung der Gesetze der Entwicklung des Organisms der Menschheit“ zum Ziel hatte, setzte Kern eine Art von „Naturalisierung der Moral, des Rechts, der Politik“ in Gang.56 Im ausgehend 18. Jahrhundert wurden an der Georgia Augusta die Moral, das Recht und besonders die Politik nicht nur mit aprioristisch vorbestimmten Naturkräften der Menschheit assoziiert, sie wurden vielmehr im Kontext der zeitgenössischen und empirisch untermauerten Welt- und Staatengeschichtsschreibung in den Blick genommen.
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Bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden aus der Feder der Göttinger Dozenten die ersten Geschichten ihrer alma mater.57 Zu dieser Zeit konsolidierte sich an der Georgia Augusta eine akademische Tradition der Geschichtslehre und -schreibung, die im Laufe der Jahrzehnte besonders aus biographischer Sicht, aber auch mit einer Art historiographiegeschichtlichem Interesse erforscht wurde. Arnold Herrmann Ludwig Heeren, der den Lehrstuhl für Geschichte nach dem Tode Gatterers übernahm, reflektierte rückschauend über die Arbeit und über das Leben seiner Vorgänger und ehemaligen Kollegen an der Philosophischen Fakultät und trug auf diese Weise zu einer memorabilia gottingensia bei. In seinen Schriften ist nicht schwer zu erkennen, wie dicht biographische Nachrichten über die Göttinger Dozenten mit Reflexionen über die spätaufklärerische historiographische Tradition verwoben waren. So berichtet Heeren beispielsweise über seinen Lehrer Ludwig Timotheos Spittler: „Das Studium der Geschichte der Staaten schien in jeder Rücksicht belohnender zu werden, als das der Kirche; um so mehr, da er [Spittler] nicht eigentlicher Theolog war, noch werden wollte.“58 Seit seinem 27. Lebensjahr lehrte Spittler an der Georgia Augusta. Der Ruf nach Göttingen, den der jungen Spittler nach seinem Studium der Philosophie und der Theologie in Tübingen bekam, war mit der Möglichkeit verbunden, den erst 1784 frei gewordenen Lehrstuhl für Theologie zu besetzen. Diese Option eröffnete sich ihm jedoch schon zu spät, wie Heeren uns in-
56 Ebd. 57 Dazu gehören z.B.: Pütter, Johann Stephan: Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen, 2 Bde. Am Anfang des 19. Jahrhunderts schrieb auch Christoph Meiners eine Geschichte der europäischen Hochschulen, die selbstverständlich die Göttinger Universität berücksichtigt. Vgl. Meiners: Geschichte der Entstehung und Entwickelung der hohen Schulen unsers Erdtheils, 4 Bde. 58 Heeren: Historische Werke, Bd. 6, S. 524.
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formiert. Spittler war zu diesem Zeitpunkt längst mit historischen und statistischen Themen intensiv beschäftigt.59 Bereits 1779 ist er als Professor philosophiae ordinarius aufgenommen worden. Dort machte Spittler aus der aus politischer Perspektive behandelten Kirchengeschichte, der allgemeinen Staatsgeschichte bzw. der Geschichte des europäischen Staatensystems und der Landesgeschichte seinen gut besoldeten Lehrschwerpunkt.60 Darüber hinaus bot er an der Göttinger Hochschule 23-mal eine Vorlesung zur Universalhistorie an, die zuweilen als Allgemeine Weltgeschichte angekündigt wurde und im lateinischen Katalog ebenfalls als eine Veranstaltung zur historiam universalem auftauchte. Diese Vorlesung hielt er zuerst zwischen den Wintersemestern 1783/84 und 1788/89, jeweils einmal pro Jahr. Schon ab dem Sommersemester 1789 konnten die Studenten in jedem Semester Spittler ununterbrochen zum Thema hören bis er 1797 die akademische Karriere aufgab, um sich in seiner Heimat Württemberg der Politik zu widmen. Im Zeitalter der Aufklärung standen die Reflexionen über die Politik in enger Verbindung mit der utilitaristischen Richtung der deutschen reformierten Hochschulen. Vor seiner Rückkehr nach Württemberg sammelte Spittler in Göttingen nicht nur Lehrerfahrung zur Universalhistorie, europäischen Staatengeschichte oder deutschen Reichsgeschichte. Mit großem Erfolg hielt er auch Vorlesungen über die Politik.61 Die Anziehungskraft von Spittlers Lehrveranstaltungen lässt sich nicht nur auf die aktuellen und prak-
59 Es gab noch einen anderen, ebenso wichtigen Grund, warum Spittler dazu neigte, auf die 1784 zu besetzende theologische Professur zu verzichten. Er wollte nicht im Weg seines Freundes, dem protestantischen Theologen Gottlieb Jakob Planck (1751-1833) stehen, der Dank Spittlers Absage den Lehrstuhl in Göttingen bekam. Vgl. Fleischer, Dirk: „Geistige Sanitäts-Sorge. Religion und Politik bei Ludwig Timotheus Spittler,“ in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 57 (2009), S. 197-124, hier S. 200. Planck, der wie Spittler aus Württemberg stammte und ihn mehr als zwei Jahrzehnte überlebte, schrieb für seinen Freund sogar eine Art von Panegyriker, der ein Jahr nach dem Tode des Historikers veröffentlicht wurde. Vgl. Planck, Gottlieb Jakob: Ueber Spittler als Historiker, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1811. 60 Spittlers Forschungsinteressen lassen sich auch in seinen Beiträge zur gelehrten Publizistik ablesen. Er gab zwischen 1787 und 1794 das Göttingische historische Magazin zusammen mit seinem Kolleg Christoph Meiners heraus. Während Spittler in dieser Zeitschrift beispielsweise eine „Statistische Miscellaneen von Portugal“ im Jahr 1791 veröffentlichte, ließ Meiners in der gleichen Ausgabe einen Artikel „Ueber die Ursachen der Ungleichheit der Stände unter den vornehmsten Europäischen Völkern“ drucken. Die unterschiedlichen Forschungsinteressen beider Gelehrten hätten hier nicht besser zum Vorschein kommen können. Vgl. Göttingisches historisches Magazin, Bd. 8, 1791, S. 478-512; 515-520. 61 Dazu siehe: Reill, Peter Hanns: „Ludwig Timotheos Spittler,“ in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Deutsche Historiker, Bd. 9, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1982, S. 42-60, hier S. 42.
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tisch bezogenen Thematiken seiner Kollegien zurückführen. Seine Lehrart genoss damals einen besonderen Ruhm unter den Göttinger Studierenden, denn er hielt seine Vorlesungen frei und nicht – wie im 18. Jahrhundert üblich war – „nach Dictaten.“ Laut Heeren glänzte Spittler noch mehr, „wenn er sprach,“ als „wenn er schrieb.“62 „Ein einfaches Blättchen, vielleicht mit einigen Namen oder Jahrszahlen zur Stütze des Gedächtnisses, war alles, was er mit sich auf den Katheder nahm.“63 Indem Spittler kein Lehrbuch zur Universalhistorie verfasste, lässt sich stark vermuten, dass diese Vorlesungen ebenfalls nur mit Hilfe eines einfachen Blättchens gehalten wurden. Schriftliche Spuren seiner Einstellung zum Thema ließ der Göttinger jedoch verstreut in seinem gesammten Werk, dessen Spektrum von der Geschichte des Christentums bis zur philosophischen Politik reichte. Die Kirchengeschichte betrachtet Spittler als „eine Art von Universalhistorie,“ wie aus seinem 1782 verfassten Grundriß der Geschichte der christlichen Kirche hervorgeht. Dies lässt sich durch ihren Untersuchungsgegenstand erklären, der „Nationen von den verschiedenen Sprachen und Verfassungen“ sei, die erst durch die Ausbreitung der christlichen Religion mit einander in Kontakt kamen.64 An dieser Stelle tritt wieder ein ein Hauptmerkmal der spätaufklärerischen Historiographie zum Vorschein: Die Weltgeschichte stellt Völker in ihren Verbindungen untereinander dar. Vor diesem Hintergrund betrachtete Spittler die Geburt Christi bzw. das Christentum als eine Weltrevolution,65 deren Ausbreitung in den verschiedenen Staaten die Milderung der Sitten von „rohkriegerischen“ Völkern zur erstrebenswerten Folge gehabt habe.66 Die christliche Religion „[…] verband die Nationen unter einander […] und ohne sie wäre wohl der Occident […] vielleicht zu ewig unwiederbringlichem Schaden der Menschheit in mehrere, völlig vereinzelte, Theile zerfallen.“67 So habe das Christentum die davor unverbundenen Teile der Welt zusammengebracht.68
62 Heeren: Historische Werke, Bd. 6, S. 516. 63 Ebd., S. 526. 64 Spittler, Ludwig Timotheus: Sämmtliche Werke, Bd. 2, S. 3. Diese Passage von Spittler wurde von Dirk Fleischer im Folgenden historiographiegeschichtlichen Bezugsrahmen beleuchtet: „Die ganze Kirchengeschichte mit allen ihren Völkern wird […] zum Erfahrungsraum für die historische Identitätsbildung.“ Vgl. Fleischer, Dirk: Zwischen Tradition und Fortschritt. Der Strukturwandel der protestantischen Kirchengeschichtsschreibung im deutschsprachigen Diskurs der Aufklärung, 2. Bde., Waltrop: Hartmut Spenner 2006, hier Bd. 2, S. 500. 65 Spittler: Sämmtliche Werke, Bd. 2, S. 19. 66 Ebd., S. 133. 67 Ebd. 68 In Bezug auf Spittlers erst etwas später gehaltenen Politikvorlesungen stellte Dirk Fleischer fest, dass die Religion für den Göttinger als ein Element sozialer Integration wirke. Vgl. Fleischer: „Geistige Sanitäts-Sorge,“ S. 197.
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Auf diesem Interpretationspfad des spätaufklärerischen universalhistorischen Denkens wanderte zwei Jahrzehnte später auch Eichhorn. Doch anders als Spittler, der eher die universalhistorische Tragweite des Gegenstands seiner Kirchengeschichte hervorhob, reflektierte Eichhorn über die Rolle des Christentums für die Verbindung zwischen den Völkern auf der Erde in einem Handbuch zur Weltgeschichte. Bei dem einen taucht deshalb die Universalhistorie zuerst als ein mögliches Merkmal einer bestimmten Spezialgeschichte – hier der Kirche bzw. des Christentums – auf, während bei dem anderen ist sie eine Form der Geschichtsschreibung, die eine große Vielfalt an Spezialgeschichten umfasst. Um 1800 trafen sich die Forschungen zur unterschiedlichen Spezialgeschichten, zur Universalhistorie und zur Politik wieder in den Schriften zur Europäischen Staatengeschichte. An der reformierten Universität im Lande Hannovers waren bereits die ersten Ankündigungen einer Lehrveranstaltung mit weltgeschichtlichem Inhalt mit der Staatengeschichtsschreibung eng verbunden,69 welche im Laufe des 18. Jahrhunderts parallel zu anderen Formen der Historiographie weiter tradiert wurde. Dazu trug Spittler 1793 mit einem Entwurf der Geschichte der Europäischen Staaten ebenfalls bei, in dem die kompendiarische Darstellungsform der Geschichte der vornehmsten europäischen Staaten mit gegenwärtigen politischen Fragen verknüpft wurde. Spittler wusste, dass er sich innerhalb einer bedeutenden historiographischen Tradition bewegte. So schätze er z.B. die statistischen Schriften des Staatsrechtlers Gottfried Achenwall sehr, dessen Nachfolger in Göttingen August Ludwig Schlözer war. Spittlers große Aufmerksamkeit verdiente außerdem das Werk Johann Georg Meusels (1743-1820), der in Göttingen bei Gatterer studierte und 1779 als Professor der Geschichte nach Erlangen berufen wurde, wo er die Statistik als akademische Disziplin einführte.70 Die Lehrbücher Achenwalls und Meusels, so Spittler, dienten ihm abwechselnd und für über zehn Jahre lang als Leitfaden seiner eigenen Vorlesungen.71
69 Dazu siehe das Kapitel „2. Innovation und Federkrieg“ der vorliegenden Studie. 70 Vgl. Keunecke, Hans-Otto: „Johann Georg Meusel,“ in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 17, Berlin: Duncker & Humblot 1994, S. 274-275. 71 Auch Johann Philipp Murray, der die historia universalis in Göttingen nach Cellarius las, hielt öftermals Vorlesungen über Achenwalls Statistik ab und aktualisierte dessen Werk in den 1770er Jahren. „Ich habe selbst,“ so Murray, „sowohl bey dem Leben des rechtschaffenen Mannes, dessen Freundschaft ich genossen, als nach dessen frühem Verluste, zu mehreren Malen, darüber Vorlesungen gehalten […]. Um so viel eher habe ich dem Ersuchten nachgegeben, bey der neuen Ausgabe, das Werk durchzusehen, und bis auf die gegenwärtigen Zeiten fortzusetzen.“ Vgl. Murray, Johann Philipp: „Vorrede zur jetzigen Ausgabe“ [20. April 1773], in: Gottfried Achenwall, Geschichte der heutigen vornehmsten Europäischen Staaten im Grundrisse, 5. Auflage, Göttingen: im Verlag der Witwe Vandenhoeck 1779, S. )(1r. Für den Einfluss der Statistik auf die Geschichtswis-
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Aus diesem Grund soll hier kurz auf die Forschungslage der Universalhistorie, Statistik und Politik unter Bezugnahme auf die Europäische Staatengeschichte eingegangen werden. In seiner Anleitung zur Kenntniß der Europäischen Staatenhistorie machte Meusel im Titel deutlich, dass sie „nach Gebauerscher Lehrart“ konzipiert wurde. In der Tradition Georg Christian Gebauers überschritten die untersuchten Räume der allgemeinen Weltgeschichte die Grenzen der vornehmsten Reiche und Staaten Europas nicht.72 Dieser räumlichen Eingrenzung bewusst schrieb Meusel eine „nöthige Vorerinnerung“ an die Studierenden: Zunächst sollte man die Universalhistorie hören und erst „dann die neuere Europäische Staatenhistorie, hierauf Reichshistorie, und zuletzt die Specialgeschichte desjenigen teutschen Landes.“73 Einen umfangreichen Blick auf die vier großen Regionen der Erde – so Meusel aus einer historiographiegeschichtlichen Sicht – gewährte besonders sein Lehrer Gatterer, der als „einwahre[r] Epochenmacher […] in dem Studium der Universalhist[orie]“ charakterisiert wird. Gatterer habe die Universalhistorie „[…] zuerst aus dem eingeschränkten Umfang einer trockenen Regenten- und Völkergeschichte heraus[gerissen], und verwandelte sie in eine Menschengeschichte, die die Fortschritte eines jeden einzelnen Volkes in jedem Zeitalter, in jeder Art von Kultur, Kenntniss, Kunst und Gewerbe, mit einer Umständlichkeit darlegt, die man vorher in dergleichen Büchern vergebens sucht.“74
Als Spittler seinen Entwurf der Geschichte der Europäischen Staaten auf den Markt brachte, hatte Gatterer ein Jahr zuvor bereits einen weiteren Versuch einer allgemeinen Weltgeschichte bis zur Entdeckung Amerikens veröffentlicht. Darin versuchte er „der Weltgeschichte einen so ungeheuer grosen Umfang“ zu geben, wie es bis zum damaligen Zeitpunkt keiner geleistet habe.75 Angesichts der konkurrierenden akademischen Landschaft an der Georgia Augusta und dem zunehmenden Interesse an der europäische Politik hatte Gatterer Schwierigkeiten die Weltgeschichte in Göttingen zu lehren,
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senschaft zwischen 1770 und 1830 siehe: Behnen, Michael: „Statistik, Politik und Staatengeschichte von Spittler bis Heeren,“ in: Harmut Boockmann/Hermann Wellenreuther (Hg.), Geschichtswissenschaft in Göttingen. Eine Vorlesungsreihe, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, S. 76-101. Dazu siehe ferner: Valera, Gabriella: „Statistik, Staatengeschichte, Geschichte im 18. Jahrhundert.“ Siehe das Kapitel „2. Innovation und Federkrieg“ der vorliegenden Studie. Meusel, Johann Georg: Anleitung zur Kenntniß der Europäischen Staatenhistorie nach Gebauerscher Lehrart, Leipzig: Caspar Fritsch 1775, „Nöthige Vorerinnerungen,“ S. VIII. Meusel, Johann Georg: Leitfaden zur Geschichte der Gelehrsamkeit, Dritte Abtheilung, Leipzig: Gerhard Fleischer, dem Jüngern 1800, S. 967. Gatterer: Versuch einer allgemeinen Weltgeschichte, „Vorrede,“ S. III-IV.
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trotz vermeintlich ungeheurer Leistungen auf diesem Gebiet. Er kündigte im Wintersemester 1794/95 für das letzte Mal ein Kolleg ausschließlich zu diesem Thema an. Am Ende seiner akademischen Laufbahn las Gatterer besonders über die Hilfswissenschaften und über eine Art von Propädeutik der Geschichtswissenschaften – die historische Enzyklopädie, d.h. „einen Inbegriff der vorzüglichsten heraldischen, geograph[ischen], chronolog[ischen], diplomat[ischen], numismat[ischen], genealog[ischen] und historischen Kenntnisse,“76 laut dem Göttinger Lektionskatalog –, welche unmittelbar nach seinem Tode im Jahr 1799 besonders von Karl Traugott Gottlob Schönemann (1765-1802) übernommen wurde.77 Gatterers Nachfolger am Lehrstuhl für Geschichte, Professor Heeren, zeigte, wie sich sein Vorgänger aus der Konkurrenz über die Weltgeschichte in Göttingen langsam zurückzog: „Er war nur für das streng Wissenschaftliche gemacht. So war es nicht zu verwundern, daß sein Beifall in den eigentlich historischen Collegien schon durch Schlözer, und nachmals noch mehr durch Spittler, sinken mußte.“78
Zwischen Schlözer und Gatterer ist bereits Anfang der 1770er Jahre ein Federkrieg erklärt worden.79 Im Laufe der kommenden Jahrzehnten gewann
76 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 152. Stück, 22. September 1792, S. 1524. 77 Schönemann studierte ab 1785 an der Georgia Augusta, u.a. bei Gatterer, bevor er drei Jahre später zum Bibliothekssekretär ernannt wurde. Im Sommersemester 1791 kündigte Schönemann eine Vorlesung zur allgemeinen Weltgeschichte an, und zwar von der Völkerwanderung bis auf gegenwärtige Zeiten, jedoch ohne Hinweis auf das zu lehrende Handbuch. Schon für seine Veranstaltungen zur historischen Enzyklopädie verfasste er einen knappen Vorlesungsplan. Darin werden drei „Hauptgesichtspunkte der gesammten Geschichte“ erwähnt: die Weltgeschichte (nicht allgemeine Geschichte), die Culturgeschichte und die Völker[] und Staatengeschichte. Zu einer möglichen begrifflichen Differenzierung zwischen diesen Formen der Geschichtsschreibung erklärte Schönemann nur, dass die Weltgeschichte unteilbar sei, während die Kultur-, Völker- und Staatengeschichte nach partiellen Ansichten – wie etwa in Süd- und Nord-Europäischen Staatengeschichte – untergliedert werden könnten. Vgl. Schönemann, Carl Traugott Gottlob: Grundriß einer Encyclopädie der historischen Wissenschaften, zum Gebrauch seiner Vorlesungen, Göttingen: Johann Christian Dieterich 1799, S. 7 [ND in: Horst Walter Blanke/Dirk Fleischer (Hg.), Theoretiker der deutschen Aufklärungshistorie, Bd. 1: Die theoretische Begründung der Geschichte als Fachwissenschaft, Stuttgart/Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1990, S. 350363, hier S. 352]. 78 Heeren: Historische Werke, Bd. 6, S. 467. 79 Für eine ausführliche Analyse dieses Federkrieges im Kontext der Göttinger spätaufklärerischen Weltgeschichtsschreibung siehe das Kapitel „2. Innovation und Federkrieg“ der vorliegenden Studie.
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Schlözer noch mehr Aufmerksamkeit der aufklärerischen Gelehrsamkeit aufgrund seiner Beiteiligung in der damaligen Publizistik und – damit verbunden – seinem zunehmenden Interesse an den jüngsten Revolutionen der Weltgeschichte, deren Epizentrum sowohl die ehemaligen britischen Kolonien in Nordamerika als auch das benachbarte Frankreich waren. Was die historischen Kollegien Schlözers und Spittlers – im Gegensatz zu Gatterers – gemeinsam hatten, war ihre Hinwendung zur Weltgeschichte auf der einen und zur Politik auf der anderen Seite. Die Politik wurde an der Georgia Augusta als ein eigenständiges Wissensfeld von Gottfried Achenwall begründet.80 In der 1752er Ausgabe Achenwalls Staatsverfassung der Europäischen Reiche – welche Spittlers Vorlesungen für über zehn Jahre lang zugrunde lag – werden die Staaten nach Bevölkerung, Klima, Religion, Manufakturen und Reichsgrundgesetzen bzw. Staatsrecht dargestellt. Die Veränderungen der Regierungsform, der Provinzen, der monarchischen Familien werden hier ebenfalls thematisiert. „Alle übrige[n] besondere[n] Begebenheiten eines Staats überlassen wir der eigentlich so genannten Historie,“ so Achenwall.81 Unter Historie verstand der Staatsrechtler „[…] das chronologische Nacheinander der ‚rerum gestarum.‘ Die Statistik hingegen interpretierte er als die reflektierte Verknüpfung dieser Ereignisse für die Erklärung der gegenwärtigen Verfasstheit der Staaten.“82 Aus dieser Lehrtradition entstand ein neues Wissensfeld, das die damaligen disziplinären Grenzen wieder aufzuweichen vermochte und innerhalb der spätaufklärerischen Gelehrsamkeit Erfolg feierte. Dabei nahm die Statistik weniger auf eine allgemeine Staatslehre, sondern vielmehr auf einzelne Staaten in historischer Perspektive Bezug.83 Sie war mit der Ausbreitung einer publizistischen Öffentlichkeit des Alten Reiches84 verbunden und wurde als „Teildisziplin“ der Politikwissenschaft wahrgenommen.85 Dazu trugen auch in Göttingen u.a. Spittler und
80 Vgl. Krahnke: Reformtheorien zwischen Revolution und Restauration, S. 23. 81 Achenwall, Gottfried: Staatsverfassung der Europäischen Reiche im Grundrisse, Göttingen: Joh. Wilhelm Schmidt, Univ. Buchhandlung 1752, S. 6. 82 Bödeker, Hans Erich: „‚… wer ächte freie Politik hören will, muss nach Göttingen gehen‘. Die Lehre der Politik in Göttingen um 1800,“ in: Hans Erich Bödeker/Philippe Büttgen/Michel Espagne (Hg.), Die Wissenschaft vom Menschen in Göttingen um 1800. Wissenschaftliche Praktiken, institutionelle Geographie, europäische Netzwerke, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008, S. 325-369, hier S. 346. 83 Dazu siehe: Pasquino: „Politisches und historisches Interesse,“ S. 150. 84 Vgl. Kaufhold/Sachse: „Die Göttinger ‚Universitätsstatistik‘ und ihre Bedeutung für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte,“ S. 76. 85 Vgl. Bödeker: „‚… wer ächte freie Politik hören will, muss nach Göttingen gehen‘. Die Lehre der Politik in Göttingen um 1800,“ S. 346.
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besonders Achenwalls Schüler und Nachfolger auf dem Lehrgebiet der Statistik und Politik August Ludwig Schlözer bei.86 Wenngleich Schlözer parallel zu seinen akademischen Veranstaltungen zur Weltgeschichte auch Statistik- bzw. Politikvorlesungen hielt, widmete er sich letzteren besonders zwischen dem Wintersemester 1791/92 und dem Wintersemester 1797/98. Seit dem Beginn der Französischen Revolution, wie hier bereits vorgestreckt wurde, ist das Lehrangebot zum Thema an der Georgia Augusta deutlich gestiegen.87 Als Schlözer sich von den Kollegien zur Weltgeschichte zurückzog, fand er Zeit, um ein neues Handbuch zu veröffentlichen. 1793 gab er seine Allgemeine StatsRecht und StatsVerfassungslere in den Druck und legte damit die Basis seiner jüngsten Vorlesungen vor. Den cursus politicus teilte Schlözer in zwei. Man könne entweder einzelne Staaten „nach ihrer wirklichen Beschaffenheit“ oder den Staat als eine „menschliche Einrichtung“ nach seinen „Zweck und Wesen“ untersuchen. Als ersten Weg nennt der Göttinger cursus politicus historicus; als zweiten cursus politicus philosophicus.88 Im Hinblick auf diese grundlegende Aufspaltung der politischen Materie lässt sich der Einfluss der Kant’schen Erkenntnislehre auch in den späteren Schriften Schlözers erkennen: Das Geschehene steht dem Wesen, dem ewigen Grund der Sache gegenüber. Vor diesem epistemologischen Hintergrund gabelt sich der cursus politicus historicus wiederum in zwei: 1. StatsKunde oder Statistik, welche a posteriori erzähle, „wie ein Stat, als Stat, in einem gegebenen ZeitRaum wirklich sei oder gewesen sei“;89 und 2. StatsGeschichte, die sich mit Veränderungsprozesse befasse: „Sie erzält, wie ein Stat das geworden sei, was er wirklich ist.“90 Wenige Jahre später schärfte Schlözer die begrifflichen Konturen der Geschichte und der Statistik zu und fasste sie in eine Formulierung, die in der Historiographiegeschichte berühmt wurde: „Geschichte ist eine fortlaufende Statistik; und Statistik ist eine stillstehende Geschichte.“91
86 Vgl. Becher, Ursula A. J.: „Schlözer, August Ludwig von,“ in: Helmut Reinalter (Hg.), Lexikon zum aufgeklärten Absolutismus in Europa. Herrscher – Denker – Sachbegriffe, Wien u.a.: Böhlau 2005, S. 558-563, hier S. 560. 87 Vgl. Bödeker: „‚… wer ächte freie Politik hören will, muss nach Göttingen gehen‘. Die Lehre der Politik in Göttingen um 1800,“ S. 329. Zu den Politikvorlesungen an der Georgia Augusta im Zeitalter der Aufklärung siehe auch: Behnen: „Statistik, Politik und Staatengeschichte von Spittler bis Heeren.“ 88 Vgl. Schlözer, August Ludwig: Allgemeines StatsRecht und StatsVerfassungslere, Göttingen: Im Vanderhoek- und Ruprechtschem Verlag 1793, S. 9. 89 Ebd. 90 Ebd., S. 11. 91 Schlözer, August Ludwig: Theorie der Statistik, Göttingen: Vanderhoeck und Ruprecht 1804, S. 86. Hans Erich Bödeker weist dennoch auf Widersprüche bei Schlözers Definition von Statistik in Abgrenzung zur Historie hin, indem die Geschichte auch als nicht in die Statistik gehörend erklärt wurde. Vgl. Bödeker:
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Als Schlözer diese Formel prägte, hatte Spittler das Kurfürstentum Hannover Richtung Württemberg bereits verlassen. Ein Jahr vor seiner Abreise – also 1796 – hielt er an der Georgia Augusta eine Vorlesung zur Politik, die sich sehr in der Begrifflichkeit an das 1793 veröffentlichte Lehrprogramm Schlözers anlehnte. In dieser Vorlesung heißt es: „Die Statistik beschreibt den Zustand des Staats, wie er in allen seinen Verhältnissen ist; die Geschichte zeigt, wie er so geworden; die Politik, wie er der Regel und Natur nach seyn sollte. Auch die Politik nämlich stellt ein Ideal auf, wie alle auf Vernunftsätzen beruhende Wissenschaften, – nun aber von dem, was in einem Staate geschehen sollte, damit alle Bürger desselben des möglichsten Glücks genießen können.“92
Bei der Begriffsbestimmung der vorzutragenden Materie zeigt sich deutlich, wie der Württemberger beabsichtigte, seiner philosophischen Ader Ausdruck zu verschaffen. Im Gegensatz zum abgeschlossenen Werden der Geschichte visiere die Politik zweck- und zukunftsgerichtete Ideale an. Damit schreibt Spittler der Politik einen sittlichen Imperativ zu, denn sie stelle allgemeine Grundsätze – die Glückseligkeit der Bürger betreffend – auf. Ferner arbeitet Spittler allgemeine Regeln der Natur aus dem zu untersuchenden Gegenstand heraus.93 Epistemologisch gesehen wird eine philosophische Wissenschaft durch die Bestimmung der Natur bzw. des Wesens der Sache charakterisiert. „Meine Vorlesungen über Politik,“ so Spittler in einem Brief an Woltmann, „haben einen großen Beifall gefunden, und was mich mehr als dieses freut, ich finde den philosophisch entwickelnden Vortrag gegenwärtig viel angenehmer, als den der historischen Entwicklung.“94 Aus diesen Worten darf man jedoch nicht ableiten, dass Spittler die historische Entwicklung der Staaten in seinem philosophisch entwickelnden Vortrag komplett ausgeklammert hätte. Ganz im Gegenteil. Die Politik steht auf einem festen Boden der Geschichte der Menschheit, die sich u.a. mit den Menschen in seinen Naturzustand befasse. Indem aber kein genaueres Bild des Menschen in seinem frühesten Zustand vorhanden sei, müsse sich auch die Politikwissenschaft auf Reisebeschreibungen, „die uns belehren, wie der Mensch fast auf jeder Stufe der Kultur aussieht,“95 stützen und mit Hilfe des Analogieschlusses vorgehen. Damit rückt in Spittlers Politikvorlesungen nicht nur das Verfahren, sondern auch eine Grundfrage der spätaufkläreri-
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„‚… wer ächte freie Politik hören will, muss nach Göttingen gehen‘. Die Lehre der Politik in Göttingen um 1800,“ S. 354. Spittler: Sämmtliche Werke, Bd. 15, S. 7. Vgl. Ebd., S. 4. Vgl. Ebd., „Vorrede des Herausgebers,“ S. XIII. Ebd., S. 9.
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schen Universalgeschichtsschreibung, die hier bereits analysiert wurde,96 wieder in den Vordergrund: Auch Spittler fragte sich, inwiefern unterschiedliche Menschen von Natur aus an Recht und Pflichten gleich seien.97 Im Grunde genommen machte sich Spittler auf die Suche nach einem historischen Beweis für die ursprünglich einheitliche Schöpfung der menschlichen Species. Da diese jedoch kaum zu beweisen war, legte er die Ursache jener Gleichheit der Menschen auf eine aprioristische Grundlage: Alle Menschen seien von Natur aus Vernunftwesen. Was den Menschen von einem anderen unterscheide, seien demzufolge die Talente, „diese seine Fähigkeit glücklicher [zu] benützen,“ wobei ihm „äußere oder innere Hindernisse der Uebung dieser Fähigkeit entgegenstehen“ könnten.98 „Alle Menschen sind von Natur frei und gleich.“99 Diese Grundannahme der Geschichte der Menschheit war mit der damaligen Debatte über die Abschaffung der Sklaverei und somit auch mit der zeitgenössischen Politik zutiefst verwoben: „Du hast nicht das Recht, einen Menschen zu zwingen, daß er nach deiner Manier glücklich sey. Hält er es für ein größeres Glück, für Hunger und Durst und Elend fast zu Grunde gehen, aber nur nicht arbeiten zu dürfen, so ist’s seine Sache, sich zu bestimmen, wir ihm dünkt. Wenn das gelten sollte, daß man Andere par force nach unserer Manier glücklich machen dürfte, so hörten alle Menschenrechte auf, so entstünde ein endloser Krieg.“100
Es sei daher ein sittlicher Imperativ, alle Menschen „in den Zustand zu bringen, wo sie frei über sich und ihre Lage disponiren können.“ Dies geschehe, so Spittler, „[nicht] unter der Last des Zuckerrohrs.“101 Die Entstehung der demokratischen Staaten würde auch dazu beitragen, die Freiheit und Gleichheit der Menschen zu beachten und somit zur Entwicklung der Menschheit beizutragen.102 In Spittlers Göttinger Politikvorlesung taucht die Menschheit wieder als eine Kategorie der Geschichtsschreibung auf, die in unmittelbare Verbindung mit der Politik steht. Sie erscheint hier im Rahmen eines philosophisch entwickelten universalhistorischen Denkens, das im Verlauf des 19. Jahrhunderts Vorrang vor der ethnographisch und empirisch angelegten Weltgeschichtsschreibung hat.103 Die Nachwirkung von Spittlers
96 Diese Frage liegt der Debatte zwischen monogenetischen und polygenetischen Theorien über den Ursprung der Menschen zugrunde, wie bereits im Kapitel „4. Weltgeschichte und Menschengeschlecht“ dieser Studie analysiert wurde. 97 Ebd., S. 15. 98 Ebd., S. 16. 99 Ebd. 100 Ebd., S. 18. 101 Ebd., S. 21. 102 Vgl. Ebd., S. 60. 103 Dazu siehe den „Ausblick“ der vorliegenden Studie.
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Vorlesungen auf die Göttinger spätaufklärerische Historiographie darf jedoch nicht unterschätzt werden. „Nächst Heyne ist Er [Spittler] der Mann, dem ich bey meinen Studien das Meiste verdanke,“ so Arnold Hermann Ludwig Heeren, der Nachfolger Gatterers auf dem Lehrstuhl für Geschichte. „Sie werden mir leicht glauben, daß es nicht die Geschichte selber ist, die ich bey ihm gelernt habe; aber Methode und Behandlung der Geschichte!“104
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Seit 1779 studierte Heeren an der Georgia Augusta, insbesondere bei Heyne und Spittler. An seiner alma mater war Heeren bereits als Privatdozent tätig, als er im Sommer 1785 aufgrund einer Studienreise Göttingen verließ.105 Erst zwei Jahre später kam der junge Heeren zurück und konnte wieder als Hochschuldozent aufgenommen werden, wobei er mit einer Schwierigkeit konfrontiert wurde: „Gerade die Fächer, in denen ich mir etwas zutrauen konnte, das humanistische und historische, waren besetzt, und zwar so besetzt, wie es selten auf einer Academie gewesen sind. Das erste füllte Heyne aus; mit dem ich weder rivalisiren wollte, noch konnte; in dem historischen standen Gatterer, Schlözer, Spittler neben einander, alle damals in der Blüthe ihres Ruhms, zu denen noch kurz vor meiner Ansetzung Grellmann gekommen war.“106
Trotz dieser akademischen Konkurrenzlandschaft zog sich Heeren nicht aus den humanistischen und historischen Fächern zurück. Er las zunächst über die Geschichte der schönen Wissenschaften, aber auch über Tacitus und Sallust, obwohl weniger die Sprache, sondern vielmehr die Geschichte der Antike Heerens Interesse war. „So ging ich daran, die alte Geschichte aus ihren Quellen zu studieren.“107 Langsam erstreckte sich Heerens Lehrprogramm zeitlich und räumlich über die Antike hinaus. Im Sommersemester 1797 lehrte er die sogenannte mittlere Geschichte und zwar aus einer universalhistorischen Perspektive heraus, die sich sowohl mit der Geschichte der Franken als auch mit der
104 Heeren: Historische Werke, Bd. 1, S. XXIII-XXIV. 105 Zur Biographie Heerens siehe: Becker-Schaum, Christoph: „Arnold Herrmann Ludwig Heeren (1760-1842),“ in: Heinz Duchhardt/Małgorzata Morawiec/ Wolfgang Schmale/Wienfried Schulze (Hg.), Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, S. 63-88, hier S. 66. 106 Heeren: Historische Werke, Bd. 1, S. XLIX. 107 Ebd., S. XXV.
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chinesischen Geschichte befasste.108 Letztlich hielt Heeren damit einen Kurs zu einer Art von Weltgeschichte ab, ohne darauf klar in seinen Vorlesungsankündigungen hinzuweisen. Als er 1801 den Lehrstuhl für Geschichte bekam, war ihm jedoch schon bewusst, dass es unmöglich wäre, eine Weltgeschichte durch die Summe der Geschichten aller möglichen Erdteile zu entwerfen. Dennoch müsse sich ein Geschichtsprofessor nicht auf einzelne Felder beschränken, sondern seinen „Blick über das ganze Gebiet der Geschichte erweitern.“ „Ich verstehe dies aber weder so, daß ich jeden Theil der Geschichte hätte durchforschen, noch sie alle in meine Lehrvorträge aufnehmen können,“ so Heeren. „Nur der Blick über das Ganze durfte nicht fehlen.“109 Um 1800 war die Weltgeschichte für Heeren deutlich mehr als ein Feld der historischen Forschung. Sie wurde zum Kernstück seines historischen Denkens. Je mehr Heeren seinen Blick für das Ganze der Geschichte schärfte, umso schwieriger wird es, diesen in den Ankündigungen seiner Lehrveranstaltungen im Göttinger Vorlesungsverzeichnis unmittelbar zu erkennen.110 Dies hat zwei Gründe, die Heeren trotz ihrer Widersprüchlichkeit zu vereinbaren suchte. Während der „Blick über das Ganze“ zum Kernstück seines historischen Denkens wurde, verfachlichte sich in langsamen Schritten das Wissensprinzip, das der Universalhistorie im ausgehenden 18. Jahrhundert unterlag, und differenzierte sich in spezielle Disziplinen aus.111 Dies lässt sich bereits in den Vorlesungen von Heeren erkennen. Das erste Mal, dass der Terminus „Universalhistorie“ in einer Ankündigung von Heerens Lehrveranstaltungen auftauchte, war im Sommersemester 1796, als er über die Universalhistorie „in Verbindung mit der alten Geographie“ las. Als ein Kolleg zur Universalhistorie lassen sich zum Teil auch seine Vorlesung zur „Alte[n] Geschichte“ zählen.112 Getrennt von der Universalhistorie aber lehrte
108 Vgl. Becker-Schaum: „Arnold Herrmann Ludwig Heeren,“ S. 74. 109 Heeren: Historische Werke, Bd. 1, S. LVIII-LIX. 110 Ein Beispiel dafür ist die hier soeben erwähnte Lehrveranstaltung zur mittleren Geschichte, die Heeren im Sommersemester 1797 ankündigte und aus universalhistorischer Sicht behandelte. Sie konnte nicht im Diagramm zur jährlichen Anzahl der angekündigten akademischen Veranstaltungen mit weltgeschichtlichem Inhalt an der Universität zu Göttingen aufgelistet werden, denn dies würde den Rahmen der hier etablierten Kriterien für die Erstellung des zu untersuchenden Quellenkorpus sprengen. Mehr dazu siehe das Kapitel „1. Weltgeschichte und Anthropologie in Göttingen“ der vorliegenden Studie. 111 Auf diese Aufspaltungen der spätaufklärerischen Gelehrtenkultur wird im „Ausblick“ der vorliegenden Studie erneut eingegangen. 112 Diese Lehrveranstaltung wurde im Göttinger Vorlesungsverzeichnis erstmals im Wintersemester 1788/89 abgehalten, jedoch ohne die Ergänzung „oder so genannte Universal-Historie,“ die erst ab dem Sommersemester 1797 auftaucht und ab dem Sommersemester 1808 wieder verschwindet. Diese Lehrveranstaltungen, so Horst Walter Blanke, können auch unter die „Staatengeschichte des
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Heeren regelmäßig, ab 1802 jedes Sommersemester, die allgemeine Länderund Völkerkunde, die sich mit der „Erde und de[n] sie bewohnenden Völker[n]“ (geographiam atque ethnographiam universam) befasste. In Göttingen war Heeren nicht der einzige, der begeistert über Sammlung der Reisebeschreibungen der Universitätsbibliothek war und mit deren Hilfe er seinen „[…] Blick, so viel möglich, über die ganze Erde zu verbreiten“ suchte.113 Einzigartig bei Heeren war jedoch, wie er sich in seinen Lehrveranstaltungen zur allgemeinen Länder- und Völkerkunde den zu untersuchenden Völkern näherte. Zum einen bediente er sich an Landkarten, denn es handelte sich im Grunde genommen auch um ein Kolleg zur Erdkunde: Hier betrachtet Heeren die Erde aus mathematischer (Größe), physischer (natürlicher Zustand) und politischer (Werk der Menschen) Sicht. Zum anderen aber bediente er sich auch an der Göttinger ethnographischen Sammlung des Königlichen Museums, die bereits in den 1780er Jahren – hauptsächlich Dank Blumenbachs Initiative – aus mehr als 350 Objekten bestand.114 In seinen historischen Lehrveranstaltungen griff Heeren auf „Kleidungen, Waffen [und] Geräthe der entfernten Völker“ zurück, wie auch in den Vorlesungsankündigungen bekannt gegeben wurde. Zwar schrieb der professor historiarum kein Lehrbuch zum Thema, doch ist die Kollegnachschrift von Heinrich von Gagern (1799-1880) zu dieser Vorlesung im Sommersemester 1817 erhalten. Darin heißt es, dass Länder- und Völkerkunde „die Fundamente der meisten Wissenschaften“ seien; ferner seien sie auch „die unentbehrlichsten Hilfswissenschaften der Geschichte“ und machten „die Grundlage der empirischen Philosophie“ aus.115 Zweck der Völkerkunde oder Ethnographie, die bei Heeren nicht
Altertums“ klassifiziert werden: „Die wichtigste und am häufigsten, nämlich insgesamt 89mal angebotene Vorlesung Heerens ist die über die Staatengeschichte des Altertums, die teilweise unter dem Titel der Universalhistorie angekündigt wurde.“ Vgl. Blanke, Horst Walter: „Verfassungen, die nicht rechtlich, aber wirklich sind. A. H. L. Heeren und das Ende der Aufklärungshistorie,“ in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 6 (1983), S. 144. 113 Heeren, Arnold Herrmann Ludwig: Historische Werke, Bd. 1, S. LXVII. 114 Schlesier, Erhard/Urban, Manfred: „Die Völkerkunde an der Georgia Augusta – eine historische Skizze,“ in: Hans-Günther Schlotter (Hg.), Die Geschichte der Verfassung und der Fachbereiche der Georg-August-Universität zu Göttingen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1994, S. 127-129, hier S. 127. Zur Blumenbachs zentralen Rolle in der Entstehung dieser Sammlung siehe z.B.: Krüger, Gundolf: „‚… etwas von dem Ueberfluße ausländischer Natürlicher Merkwürdigkeiten‘ – Johann Friedrich Blumenbach, England und die frühe Göttinger Völkerkunde,“ in: Elmar Mittler (Hg.), „Eine Welt allein ist nicht genug.“ Großbritannien, Hannover und Göttingen, 1714-1837, Göttingen: SUB 2005, S. 202-220. 115 [Heeren, Arnold Herrmann Ludwig]: „Auszüge aus der Kollegnachschrift von Heinrich von Gagern von Heerens Vorlesung über ‚Allgemeine Länder- und
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mehr nur als eine Methode der Weltgeschichtsschreibung auftaucht, sei „den jetzigen Zustand der Erde und Länder kennen zu lernen.“116 Dazu untersuche sie „die Abkunft und Verwandtschaft aller Völker, ihre Lebensart, Sitten, äußeren Zustand, Religion“117 und zwar aus einem „universalhistorischen Gesichtspunkte,“ der aber hier augenscheinlich nicht einfach von einem Anspruch auf Vollständigkeit abließ. „[…] [W]ir handeln hier von allen Ländern und Völkern, soweit auf unserer Erde die Entdeckungen bisher reichten,“ heißt es 1817. „Insofern die Verfassungen Einfluß auf die Völker, d.h. auf ihren Charakter haben, werden wir auch von diesen einiges sagen, ohne jedoch unsern Gesichtspunkt außer Augen zu lassen. Von Europa wird das wenigste, als meistbekannt, vorkommen, vorzüglich aber von den anderen Weltteilen.“118
In den Göttinger Lehrveranstaltungen des späten 18. Jahrhunderts tauchen Völker aus nicht europäischen Teilen der Welt besonders in Christoph Meiners Schriften zur Geschichte der Menschheit auf, u.a. weil er davon ausging, dass ihre Gegenwart mithilfe des Analogieschlusses Indizien zur Vergangenheit des Menschengeschlechtes liefern könne. Dabei ging es nicht nur um rein ethnologische Beschreibungen anderer Kulturen, die aus einer kulturgeschichtlichen Perspektive untersucht wurden, sondern auch um einen empirischen Zugang zur Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. So fragte sich Meiners nach einer ursprünglichen Kausalbestimmung von Unterschieden zwischen den Völkern.119 In Heerens Vorlesung dagegen rücken Völker „von den anderen Weltteilen“ aus zwei Gründen in den Vordergrund. Zum einen kann man hier allmählich von einer wissenschaftlichen Ausdifferenzierung der Lehre vom Menschen sprechen, weil sich der Blick der Ethnographie auf die nicht-europäischen Ethnien langsam zuschärfte und sich die Ethnologie als eine autonome Disziplin herauszukristallisieren begann.120 Zum anderen stehen die zu untersuchenden Völker in dieser Lehrveranstaltung vor allem im Hauptinteresse von Heerens Forschung,
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Völkerkunde‘ im Sommersemester 1817 – Einleitung und II Allgemeine Ethnographie oder Völkerkunde (Bundesarchiv, Außenstelle Frankfurt, F N 7; H.v. Gagern, Bd. 102, Bl. 1-7, Bl. 56-101),“ in: Christoph Becker-Schaum, Arnold Herrmann Ludwig Heeren. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschichtswissenschaft zwischen Aufklärung und Historismus, Frankfurt a.M.: Peter Lang 1993, S. 307-319, hier S. 307. Ebd., S. 308. Ebd. Ebd. Diese These wurde bereits im Kapitel „3. Psychologie und Geschichte der Menschheit“ der vorliegenden Studie aufgeführt. Zur Ethnologie als eine „Humanwissenschaft vom Fremden“ im 19. Jahrhundert siehe: Osterhammel: Die Verwandlung der Welt, S. 1162.
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nämlich der Zustand des Kolonialwesens.121 Das heißt jedoch nicht, dass hier auf die Frage nach dem Ursprung der Menschen verzichtet wird. Dieser Frage könne man entweder mit Hilfe historisch oder physisch angelegter Kriterien nachgehen, so Heeren. In der historischen Variante sollte dann die biblische Geschichte über die einzige Schöpfung des Menschengeschlechtes – im Sinne des Monogenismus – bewiesen werden. Die Kenntnisse jeweils unterschiedlicher Völker voneinander seien im Zeitalter Moses aber sehr unzulänglich gewesen, weshalb die historische Herangehensweise ohnehin nicht unkritisch genommen werden könne. Aufgrund dessen verwirft Heeren diesen Weg und versucht den Ursprung der Unterschiede zwischen den Völkern durch ihre physischen Merkmale zu erklären. Doch auch dieser Ansatz erwies sich als nicht unproblematisch: „Man kann keine genaue Klassifikation aller Völker oder Arten machen,“ um deren einheitlichen Ursprung bestimmen zu können. „Es gibt so viele Nuancen von Farben, wir kennen sie zu wenig. Wir können nur sagen, es gibt Hauptvölker, bei denen diese oder jene Farben die herrschenden sind. Nur diese Hauptvölker kann man klassifizieren.“122 Auf diese Frage nach dem Ursprung des Menschengeschlechts griff Heeren in seinen Ideen über die Politik, den Verkehr und den Handel der vornehmsten Völker der alten Welt (1793) wieder zurück, die sich auf den großen Bogen der Göttinger spätaufklärerischen Tradition der Weltgeschichtsschreibung bezieht.123 Ebenfalls aus einer universalhistorischen Perspektive verfasst, treten hier die Völker auf, „[…] die durch ihre Staatsverfassung, oder durch ihren Handel, oder durch beides, am merkwürdigsten waren […].“124 Sie hätten jedoch hochwahrscheinlich einen einzigen Ursprungsort miteinander geteilt. Damit stützte sich Heeren auf ein monogenetisches Erklärungsmuster vom Ursprung des menschlichen Geschlechts, das nicht auf der biblischen Schöpfungsgeschichte basierte, sondern insbesondere im Kaukasus die ersten Spuren der Menschheit suchte.125 So heißt es bei Heeren: „Unter den drei Theilen der alten Welt ist keiner, der die Aufmerksamkeit des philosophischen Geschichtsforschers der Menschheit, der sich nicht blos auf die Betrachtung einzelner Nationen beschränkt, sondern mit seinem Blick das Ganze unsers Ge-
121 Vgl. Becker-Schaum, Christoph: Arnold Herrmann Ludwig Heeren. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschichtswissenschaft zwischen Aufklärung und Historismus, Frankfurt a.M.: Peter Lang 1993, S. 265. 122 [Heeren, Arnold Herrmann Ludwig]: „Auszüge aus der Kollegnachschrift,“ S. 311. 123 Vgl. Becker-Schaum: Arnold Herrmann Ludwig Heeren, S. 296. 124 Heeren: Historische Werke, Bd. 10, S. VI. 125 Sowohl das monogenetische als auch das polygenetische Erklärungsmuster über den Ursprung des Menschengeschlechts wurden bereits im Kapitel „4. Weltgeschichte und Menschengeschlecht“ dieser Studie untersucht.
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schlechts zu umfassen sucht, mehr auf sich zöge und auch befriedigte, als Asien. […] [J]e mehr wir die Sagen der Völker von ihrem Ursprunge und ihren frühern Schicksalen unter einander vergleichen, und je mehr wir zugleich die Verschiedenheiten ihrer äußern Bildung kennen lernen, um desto mehr werden wir immer auf Asien zurückgeführt; um desto wahrscheinlicher wird es, daß der Mensch dort eigenlich zu Hause gehört […].“126
Von hier aus hätten sich die Menschen insbesondere unter dem Einfluss des Klimas, teilweise auch aufgrund anderer Umstände, „veredelt“ oder „verschlimmert.“127 Die schwierigste Aufgabe des Forschers über die Geschichte sei, den Vorzug Europas gegenüber den anderen Teilen der Erde zu erklären. Wenngleich man andere Länder und Völker nicht unterschätzen wolle, bleibe „[…] doch eine nicht zu bezweifelnde Wahrheit: das Edelste, das Herrlichste jeder Art, was die Menschheit aufzuzeigen hat, keimte, oder reifte wenigstens, auf Europäischem Boden.“128 Die Überlegenheit Europas zeige sich nicht in natürlichen Produkten, wohl aber im „Werk des Menschen.“129 Daher seien die europäischen Völker die „Lehrer der Welt.“130 Ob sich aber der Vorrang der „weiße[n] Völker[n]“ vor ihren „farbigen Brüdern“ durch größere Unterschiede in den „natürliche[n] Anlagen“ der Menschen erklären lässt, bezweifelte Heeren stark. Es handele sich um eine Frage, die man „physiologisch gar nicht“ und „historisch nur mit Schüchternheit beantworten“ könne.131 Angesichts dieser Schwierigkeit durfte bei Heeren der „Blick über das Ganze“ nicht fehlen. Seine Antwort ist tief mit der spätaufklärerischen Lehre vom ganzen Menschen verbunden, die eine Zusammenbetrachtung der gegenseitigen Verhältnisse von Körper und Seele fordert.132 Dieser Lehre liegt das Wissensprinzip zugrunde, das die Weltgeschichte und die Anthropologie im ausgehenden 18. Jahrhundert miteinander teilten und nach bestimmten Verhältnissen zwischen den Teilen des ganzen Menschen bzw. den Teilen der ganzen Welt suchten. Dieses Wissensprinzip schlug sich in den drei Hauptrichtungen der spätaufklärerischen Anthropologie nieder, nämlich die physische, die ethnographische und die philosophische. So heißt es bei Heeren:
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Ebd., S. 47-48. Vgl. Ebd., S. 48. Heeren: Historische Werke, Bd. 15, S. 1. Ebd., S. 1. Ebd., S. 4. Ebd., S. 6. Auf diese Auffassung der spätaufklärerischen Anthropologie, hier besonders durch Ernst Platners Werk Anthropologie für Ärzte und Weltweise (1772) vertreten, wurde bereits sowohl im Kapitel „1. Weltgeschichte und Anthropologie in Göttingen“ als auch im Kapitel „3. Psychologie und Geschichte der Menschheit“ der vorliegenden Studie eingegangen.
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„Daß die Verschiedenheit der Organisation, die wir in so mancher Rücksicht bei der Verschiedenheit der [Haut]Farben wahrnehmen, auch einen Einfluß auf die schnellere oder schwerere Entwickelung der geistigen Anlagen haben könne; – wer mag es geradeweg leugnen? Aber wer kann auch dagegen diesen Einfluß beweisen, dem es nicht gelingt, jenen geheimnißvollen Schleier zu heben, der uns das wechselseitige Band zwischen Körper und Geist verhüllt? Aber wahrscheinlich müssen wir es doch finden; denn wie sehr wächst nicht diese Wahrscheinlichkeit, fragen wir die Geschichte um Rath?“133
Die Geschichte übernimmt bei Heeren die Aufgabe, die seiner Ansicht nach noch nicht bewiesene Grundannahme der spätaufklärerischen Anthropologie zu untersuchen. Als eine empirisch fundierte – und nicht bloß spekulative – Wissensform besage die Geschichte, dass der Vorsprung, „den die weißen Völker in allen Zeitaltern und Weltgegenden hatten,“ eine unleugbare Tatsache sei.134 Man könne bloß spekulativ feststellen, dass diesem Vorsprung eine causa accidentalis zugrunde liege.135 „Aber war dies immer so?,“ fragte sich Heeren. „Und warum war dies immer so? Weshalb ferner erreichten auch die dunkleren Völker, die sich über die Barbarei erhoben, doch gewöhnlich nur ihre Stuffe; auf der der Aegypter wie der Mongole, der Chinese wie der Hindus stehen blieb? Warum blieben bei ihnen wiederum die schwarzen hinter den braunen und gelben zurück? Wenn diese Erfahrungen allerdings uns geneigt machen müssen, bei einzelnen Zweigen unsers Geschlechts auch eine größere oder geringere Fähigkeit anzunehmen, so sollen sie deshalb weder eine absolute Unfähigkeit unserer dunkelern Brüder beweisen, noch als einzige Ursache geltend gemacht werden.“136
An die empirischen historischen Erfahrungen anschließend, stellte Heeren fest, dass sich die „geistigen Anlagen“ bei den Völkern von heller Hautfarbe anscheinend leichter entwickelten. „[S]egnen wollen wir aber die Zeiten, welche diese Erfahrungen widerlegen, welche uns kultivierte Negervölker zeigen werden,“137 ergänzt der Göttinger. Damit wollte er zum einen Abstand von einer rein rassistischen Erklärung historischer Sachverhalte gewinnen, zum anderen wollte er aber auch allgemeine Völker- bzw. Kultur-
133 Heeren: Historische Werke, Bd. 15, S. 6. 134 Ebd., S. 6. 135 Zur Ursachenbestimmung historischer Sachverhältnissen in der Göttinger spätaufklärerischen Weltgeschichtsschreibung mittels causa accidentalis, causa efficiens und causa essentialis siehe das Kapitel „4. Weltgeschichte und Menschengeschlecht“ der vorliegenden Studie. 136 Ebd., S. 6-7. 137 Ebd., S. 5-7.
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geschichte und politische Universalhistorie138 miteinander verbinden. So erklärt Heeren in seiner Vorlesung zur Ethnographie die moralischen und intellektuellen Verschiedenheiten zwischen den Völkern zwar aus inneren Anlagen heraus. Viel bedeutender seien ihm zufolge jedoch die äußeren Ursachen, wie z.B. das Klima, der Kontakt mit anderen Völkern und die eigenen politischen Einrichtungen bzw. die eigene Verfassung.139 Aus der Geschichte der Staatsverfassungen machte Heeren ein weiteres zentrales Thema seiner politischen bzw. universalhistorischen Forschung.140 Dabei sei die „[p]ersönliche Freiheit […] immer eine der ersten Grundbedingungen für die Entwicklung der Menschen“ und somit gäbe der Freiheitsgrad unter einer Verfassung oder Regierung der Völker einen wesentlichen Aufschluss deren jeweilige Entwicklung. „Wo Sklaverei und Leibeigenschaft ist kann sich der Mensch nicht entwickeln.“141 In seinen Ideen über die Politik stellte Heeren im Hinblick auf die europäische Völker fest, dass „[…] wenn Sklaverei und Leibeigenschaft bei ihnen Eingang fand, so waren sie doch wiederum die einzigen, bei denen die Forderung sie aufzuheben durchdrang, weil sie ihre Ungerechtigkeit erkannten.“142 Der Göttinger Professor für Geschichte teilte nicht mit Meiners, sondern mit Spittler diese Auffassung gegen die Sklaverei. Gerade bei Spittler erlernte Heeren aber nicht „die Geschichte selber,“ sondern die „Methode und Behandlung der Geschichte!“143 Dies lässt sich in Heerens Vorlesungszyklus und Schriften vor allem dadurch erkennen, dass zusammen mit der allgemeinen Länder- und Völkerkunde auch die Statistik und die Europäische Staatengeschichte dem „universalhistorischen Gesichtspunkte“ unterlagen. Ab dem Sommersemester 1802 lehrte Heeren an der Georgia Augusta die Geschichte der europäischen Staaten und ihrer Kolonien. Indem diese Veranstaltung als einen Beitrag zur „Geschichte der practischen Politik“ konzipiert wurde, war sie insbesondere für Studierenden geeignet, die sich
138 Vgl. Muhlack, Ulrich: „Von der Philologie zur politischen Kulturgeschichte. Arnold Herrmann Ludwig Heerens Weg zu einer historischen ‚Wissenschaft vom Menschen‘,“ in: Hans Erich Bödeker/Philippe Büttgen/Michel Espagne (Hg.), Die Wissenschaft vom Menschen in Göttingen um 1800. Wissenschaftliche Praktiken, institutionelle Geographie, europäische Netzwerke, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008, S. 455-471. Christoph Becker-Schaum charakterisiert Heerens Vorlesung zur allgemeinen Länder- und Völkerkunde partiell als eine Politikvorlesung. Vgl. Becker-Schaum: Arnold Herrmann Ludwig Heeren, S. 231. 139 [Heeren]: „Auszüge aus der Kollegnachschrift,“ S. 312. 140 Dazu siehe besonders: Blanke: „Verfassungen, die nicht rechtlich, aber wirklich sind.“ 141 [Heeren]: „Auszüge aus der Kollegnachschrift,“ S. 313. 142 Heeren: Historische Werke, Bd. 15, S. 2. 143 Ebd., Bd. 1, S. XXIII-XXIV.
M ENSCHHEIT
UND
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„der diplomatischen Laufbahn“ widmen wollten.144 Obwohl man auf den ersten Blick diesen Kurs in die Lehrtradition der Europäischen Staatengeschichte einordnen könnte, lässt er sich aber aufgrund seiner ergänzenden außereuropäischen Aspekte eher als eine Schrift mit weltgeschichtlichem Inhalt charakterisieren. Ferner, und dies ist hier noch viel wesentlicher, lässt er sich vor allem durch die Art und Weise der Behandlung des historischen Sachverhaltes treffsicher in das Forschungsfeld der Göttinger spätaufklärerischen Weltgeschichtsschreibung einordnen. Die hier gemeinte Art der Behandlung von historischer Materie lässt sich zwar in Spittlers aus politischer Perspektive betrachteten Geschichte des europäischen Staatensystems erkennen; sie wurde aber mit Heeren räumlich und, damit verbunden, um die Dynamik der historischen Erklärung in ihrer Komplexität erweitert. Paradigmatisch formuliert Heeren in seinem Handbuch der Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Colonieen (1809), dass diese Form der Geschichtsschreibung „[…] keineswegs die Geschichte der einzelnen Staaten [ist]. Sie ist vielmehr die Geschichte ihrer Verhältnisse gegen einander […].“145 Somit stellt Heeren die Entstehung des Europäischen Staatensystems als eine der größten „Erscheinungen“ der Weltgeschichte dar,146 welches zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert eine besondere universalhistorische Wichtigkeit erlangte. Diese Wichtigkeit lasse sich dadurch erklären, dass „[…] in diesem Zeitraum die Europäer ihre Herrschaft, und mit ihr ihre Religion und ihre Cultur, in den fremden Welttheilen durch ihre Colonieen […]“ verbreiteten und somit die Geschichte der Kolonien „ein wesentlicher Theil der Geschichte des Europäischen Staatensystems“ wurde.147 Indem aber Teile nur in „ihre[n] Verhältnisse gegen einander“ untersucht werden können, kommt hier wieder ein Hauptmerkmal des spätaufklärerischen universalhistorischen Denkens zum Vorschein. Während in der frühaufklärerischen historiographischen Tradition die Weltgeschichte als Europäische Staatengeschichte gelehrt werden konnte,148 wurde das Europäische Staaten
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Ebd., Bd. 1, S. LXI. Ebd., Bd. 8, S. 6. Ebd., Bd. 8, S. V. Ebd., Bd. 8, S. 8. Dazu siehe das Kapitel „2. Innovation und Federkrieg“ der vorliegenden Studie.
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system bei Heeren zu einem „Weltstaatensystem“149 und somit wurde die Europäische Staatengeschichte auch zur Weltgeschichte.
149 „Aber auch der bescheidne Forscher wird in der hier dargestellten Vergangenheit neben der Auflösung des Bestandenen vielleicht auch zugleich die Aussicht zu einer größern und herrlichern Zukunft entdecken, wenn er statt des beschränkten Europäischen Staatensystems der verflossenen Jahrhunderte, durch die Verbreitung Europäischer Cultur über ferne Welttheile und die aufblühenden Anpflanzungen der Europäer jenseit des Oceans, die Elemente zu einem freiern und größern, sich bereits mit Macht erhebenden, Weltstaatensystem erblickt; der Stoff für den Geschichtschreiber kommender Geschlechter!“ Vgl. Ebd., Bd. 8, S. XI-XII.
VI. Ausblick
Die Debatte um die Grenzen, die Methoden und die akademische Zuordnung von Formen der Weltgeschichtsschreibung wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an der Universität zu Göttingen auf die Spitze getrieben. Mit der vorliegenden Studie wurde die These aufgestellt, dass unterschiedliche Wissensformen des spätaufklärerischen universalhistorischen Denkens, die an der Georgia Augusta miteinander konkurrierten, ein gemeinsames Wissensprinzip teilten. In der damaligen akademischen Gelehrtenkultur schlug sich dieses Wissensprinzip, nach dem Teile in bestimmten Verhältnissen zueinander betrachtet wurden, in drei Hauptrichtungen der Anthropologie nieder: eine physische, eine philosophische und eine ethnographische. Auf diese zurückgreifend gewährten die Göttinger Gelehrten eine Erklärung sowohl für die Frage nach dem Ganzen des Menschen als auch für die Frage nach dem Ganzen der historischen Welt. Dass aber die Teile der Welt auf unterschiedliche Weisen in einen einheitsstiftenden historischen Zusammenhang positioniert wurden, bezeugt die Vielfalt an Formen der spätaufklärerischen Weltgeschichtsschreibung: Je nach Methode und Darstellungsstrategie konnte das Ganze der historischen Welt im ausgehenden 18. Jahrhundert als Summe von nebeneinander stehenden Völkern bzw. Ländern gezeichnet oder aus ihren kontingenten Beziehungen zueinander als ein interaktives Ganzes entworfen werden. Deshalb kann hier von einer begrifflich klaren und methodisch widerspruchsfreien Wissensform, die der spätaufklärerischen Gelehrtenkultur unterliegt, keine Rede sein. Gewiss ist, dass die Georgia Augusta um 1810 eine deutliche Abnahme von ihrem Lehrangebot mit weltgeschichtlichem Inhalt verzeichnete.1 Dies wird im Folgenden durch drei Faktoren auf jeweils unterschiedlicher Ebene erklärt. Daran anschließend wird ausblickartig dargestellt, wie sich das universalhistorische Denken unmittelbar nach dem Zeitalter der Spätaufklärung
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Zur jährlichen Anzahl der angekündigten akademischen Veranstaltungen mit weltgeschichtlichem Inhalt an der Göttinger Universität zwischen 1756 und 1815 siehe das Kapitel „1. Weltgeschichte und Anthropologie in Göttingen“ dieser Studie (Abb. 1).
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veränderte und welche Anschlüsse und Herausforderungen sich für die Geschichtsschreibung der Gegenwart stellen. Auf biographischer, politischer und wissenschaftsgeschichtlicher Ebene lässt sich der drastische Rückgang an Lehrveranstaltungen mit weltgeschichtlichem Inhalt an der Göttinger Universität Anfang des 19. Jahrhunderts wie folgt erklären: 1. Biographische Ebene. Eine ganze Generation von einflussreichen Ge-
lehrten, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an der Georgia Augusta die meisten Lehrveranstaltungen mit weltgeschichtlichem Inhalt angekündigt haben, ist bis zum Jahr 1810 gestorben. Um sich auf vier Beispiele zu beschränken: Gatterer starb 1799, Schlözer 1809, Spittler und Meiners 1810. Das Lehrangebot der darauf folgenden Generation von Göttinger Hochschullehrern spiegelte einen neuen politischen und vor allem wissenschaftlichen Kontext wider, die in den zwei folgenden Punkten beleuchtet werden. 2. Politische Ebene. Die napoleonische Politik beeinflusste das Lehrangebot an der Georgia Augusta auf einem direkten Weg. Im Königreich Westphalen wurden viele Menschen unter der Regierung von Jérôme Bonaparte „zwangsweise in die westphälische oder französische Armee eingestellt,“ was dazu führte, dass die Zahl der Immatrikulationen an der Göttinger Universität im Wintersemester 1812/13 um etwa 200 sank.2 Darüber hinaus bewirkte die napoleonische „universalistische“ Eroberungspolitik auch auf inhaltlicher Ebene Veränderungen, besonders seit der Wiederherstellung des Europäischen Staatensystems „nach dem Fall des Französischen Kaiserthrons,“ wie es bei Heeren heißt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts gewann eine nationalistische Perspektive der Geschichtsschreibung in zunehmendem Maße an Bedeutung, jedoch – wie an späterer Stelle noch genauer ausgeführt wird – ohne andere Formen der Spezialgeschichtsschreibung und ohne das universalhistorische Denken komplett zu verdrängen. Bei einem Schüler Heerens heißt es im Jahr 1815, als sich die Vertreter der europäischen Staaten in Wien versammelten, dass „jede Freiheit […] unter einem Universaldespoten“ ersterbe.3 Bezeichnenderweise versteckt sich in diesem Argument eine Kritik an der universalistischen Politik Napoleons, die wiederum mit einem Universalismus bekämpft wird, nämlich einem Universalismus des Geistes. Der Freiheitsbegriff wird mit dem Sieg der Vernunft, den der Göttinger Kantianismus bereits um 1800 feierte,4 dem Wesen des Menschen zugeschrieben. Dem liegt bereits eine tiefgreifende Aufspaltung der
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Vgl. von Selle: Die Georg-August-Universität zu Göttingen, S. 232. Saalfeld, Friedrich: Allgemeine Geschichte der neuesten Zeit, seit dem Anfange der französischen Revolution, Bd. 1, Leipzig/Altenburg: Brockhaus 1815, S. 28. Dazu siehe das Kapitel „5. Menschheit und Weltstaatensystem“ der vorliegenden Studie.
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Wissenschaften zugrunde, sodass das Verhältnis zwischen den Teilen des Menschen – sowie den Teilen der Welt – im Rahmen einer neuen Wissenskultur gedacht werden musste. 3. Wissenschaftsgeschichtliche Ebene. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts findet allmählich eine wissenschaftliche Ausdifferenzierung der Lehre vom Menschen in autonomisierte Disziplinen statt. Damit ging die Epoche machende Trennung in Natur- und Geisteswissenschaften einher, sodass sich die Weltgeschichtsschreibung nur noch schwer zwischen physisch, philosophisch und ethnographisch angelegten Wissensformen bewegen und entsprechendes Wissen zusammenführen konnte. Wissenschaftsgeschichtlich gesehen ist dies die Zeit einer Autonomisierung bzw. „Atomisierung“ der Wissenskultur „in Einzelwissenschaften.“5 „Der Ehrgeiz, zu einer allgemeinen ‚Wissenschaft vom Menschen‘, einer umfassenden ‚Anthropologie‘ beizutragen, schwand mit der Zeit zugunsten einer Spezialisierung auf die genaue Erforschung besonderer Ethnien.“6 So wurde z.B. die Anthropologie schrittweise „zur naturwissenschaftlichen Disziplin, die sich mit den anatomischen und funktionellen Aspekten des menschlichen Körpers beschäftigt, wogegen Ethnologie bzw. Völkerkunde die Möglichkeit der Betrachtung innerer Vorgänge öffnet.“7 Vor diesem Hintergrund konnte sich die Weltgeschichtsschreibung nur noch schwer zwischen physisch, philosophisch und ethnographisch angelegten Wissensformen bewegen. Die breite Basis des spätaufklärerischen anthropozentrischen Wissensprinzips wurde durch die vielen spezialisierten Disziplinen ersetzt. Deshalb lässt sich auf einer weiter gefassten Ebene – nämlich, die Ebene der Wissenskultur – eine Epochen machende Differenzierung zwischen der Weltgeschichtsschreibung der Spätaufklärung und derjenigen des Historismus definieren, wenngleich die Historiographie des 19. Jahrhunderts einige spätaufklärerische methodische Ansätze aufgriff und auch vertiefte, wie beispielsweise im Falle der philologischen Quellenkritik. Denn während die Wissenskultur der spätaufklärerischen Historiographie durch ein Oszillieren zwischen den späteren Natur- und Geisteswissenschaften gekennzeich-
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Gisi: Einbildungskraft und Mythologie, S. 437. Auch die These von Lucas Marco Gisi zur Verschränkung von Anthropologie und Kulturgeschichte in der Spätaufklärung weist auf einen Bruch innerhalb dieser Wissenstradition um 1800 hin. „Tatsächlich wird die Verschränkung von Anthropologie und Kulturgeschichte um 1800 ‚brüchig‘,“ so Gisi. „In der ‚praktischen‘ Umsetzung gerät eine anthropologische Historie angesichts der Spezialisierung des Wissens über den Menschen in ein Spannungsfeld zwischen ordnenden ‚Gesetzen‘ der einen Disziplin und wachsender Faktenmenge der anderen, zu ordnenden Disziplin.“ Vgl. Gisi: „Die Parallelisierung von Ontogenese und Phylogenese,“ S. 58. Osterhammel: Die Verwandlung der Welt, S. 1162. Vetter: Wissenschaftlicher Reduktionismus und die Rassentheorie von Christoph Meiners, S. 74.
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net war, entwickelte sich das universalhistorische Denken im Laufe des 19. Jahrhunderts vornehmlich zu einer Geschichte des menschlichen Geistes. Diese Spezialisierung der Wissenskultur be- und verhinderte den vormals notwendigen Rückgriff auf physisch und auch auf ethnographisch angelegte Wissensformen. Unter Berücksichtigung dieser drei Erklärungsebenen lässt sich die neue Konstellation der historischen Lehrveranstaltungen an der Georgia Augusta, die sich ab dem ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts herauskristallisierte, besser verstehen.8 Die Kollegien, die im Titel die Termini Universalhistorie, Universalgeschichte, Weltgeschichte oder Geschichte der Menschheit trugen, tauchen sehr viel seltener im Vorlesungsverzeichnis auf, als im Zeitalter der Aufklärung. Nach dem Tode Heerens kündigte jedoch Theodor Finck im Sommersemester 1859 einen Kurs zur „Universalgeschichte der menschlichen und bürgerlichen Cultur“ an. Bezeichnenderweise widmete er sich im darauffolgenden Semester der „Deutsche[n] Geschichte.“ Die „Universalgeschichte von 1789 bis 1815“ lehrte Ludwig Adolf Cohn (1834-71) im Wintersemester 1864/65 und im Sommersemester 1865 setzte er das Thema mit einer Vorlesung zur „Allgemeine[n] Geschichte von 1492-1660“ fort. Darüber hinaus lässt sich aus dem Göttinger Lektionskatalog auch die Aufspaltung der spätaufklärerischen universalhistorischen Materie in unterschiedliche Fächer herauslesen. Im Sommersemester 1843 lehrte Theodor Benfey (1809-81) die „Ethnographie, insbesondere vom sprachwissenschaftlichen Standpuncte aus,“ denn seine Vorlesungen umfassten vornehmlich Sanskrit und klassische Philologie.9 Im anschließenden Semester wurde die „Geographie und Ethnographie der Hauptvölker der alten Welt“ von Karl Eckermann abgehalten.10
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Die kommenden Ausführungen zu den Lehrveranstaltungen der Geschichtswissenschaft an der Universität zu Göttingen haben hier keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es sollen lediglich die möglichen disziplinären Wege der spätaufklärerischen universalhistorischen Materie im Laufe des 19. Jahrhunderts skizziert werden. 9 Vgl. Oesterley, Georg Heinrich: Johann Stephan Pütters Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen, Bd. 4, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1838, S. 497. 10 Theodor Finck war Privatdozent für Geschichte an der Georgia Augusta zwischen 1850 und 1862. Ludwig Adolf Cohn lehrte Geschichte und Paläographie zwischen 1857 und 1871 ebenfalls als Privatdozent. Zwischen 1842 und 1848 war Karl Eckermann als Privatdozent für Philosophie an der Göttinger Universität tätig. An der gleichen Hochschule lehrte Theodor Benfey ab 1829 als Privatdozent für orientalistische Philologie, wobei er 1862 auf einen ordentlichen Lehrstuhl berufen wurde, den er bis zu seinem Tode behielt. Vgl. Ebel, Wilhelm
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Diese Lehrkonstellation zur Weltgeschichte an der Göttinger Universität im Laufe des 19. Jahrhunderts ist bis heute unerforscht. Schon am Beispiel der Berliner Universität stellt die jüngste historiographiegeschichtliche Forschungsarbeit die Frage, „welche Varianten von universalgeschichtlichem Denken sich im Disziplingefüge“ zwischen 1800 und 1933 herausbilden.11 Dabei wird versucht, die These aufzuweichen, wonach „[d]ie große Zeit der Nationalgeschichtsschreibung […] unlösbar verknüpft mit dem Niedergang der universalistischen Tradition der aufklärerischen Historiographie“ sei.12 Das Beispiel des Berliner historiographischen Kontexts im 19. Jahrhundert wirkt hier als überzeugender Beleg dafür, dass das universalhistorische Denken im akademischen Milieu ab 1815 nicht vollständig verschwand. Obwohl es deutliche Verbindungen mit der spätaufklärerischen Geschichtsschreibung aufzeigt, lässt sich diese neue akademische Wissenschaftskultur methodisch nur schwer mit einer allgemeinen Lehre vom Menschen vereinbaren, welche mit der Weltgeschichtsschreibung im ausgehenden 18. Jahrhundert ein gemeinsames Wissensprinzip teilte. Das universalhistorische Denken an der Berliner Universität wurde grundsätzlich von einem universalgeschichtlichen Entwicklungsmodell der vernunftbezogenen Freiheitsidee geprägt. Solch ein universalistischer Freiheitsbegriff, welcher der geistesgeschichtlichen Betrachtung der Weltgeschichte zugrunde lag, wurde mit Georg Wilhelm Friedrich Hegels (17701831) Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte in den 1820er Jahren verfestigt. Darin stelle „[d]ie Weltgeschichte […] nun den Stufengang der Entwicklung des Prinzips, dessen Gehalt das Bewußtsein der Freiheit ist, dar.“13 Es dauerte nicht lange, bis sich die geistesgeschichtliche Be-
(Hg.): Catalogus professorum gottingensium, 1734-1962, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1962. 11 Hardtwig, Wolfgang/Müller, Philipp: „Universalgeschichtliches Denken am Wissenschaftsstandort Berlin 1800-1933,“ in: Wolfgang Hardtwig/Philipp Müller (Hg.), Die Vergangenheit der Weltgeschichte. Universalhistorisches Denken in Berlin, 1800-1933, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010, S. 9-27, hier S. 16-17. 12 Ebd., S. 18. 13 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1986, S. 77. Auch an der Göttinger Universität lässt sich diese Tendenz der geistesgeschichtlichen Betrachtung der Weltgeschichte nachweisen. Karl Christian Friedrich Krause (1781-1832) studierte in Jena zwischen 1797 und 1800, wo er vor allem Philosophie bei Schlegel und Fichte hörte, promovierte und danach bis 1805 Privatdozent wurde. Als Privatdozent lehrte Krause auch in Dresden und Berlin, bevor er 1824 nach Göttingen ging. Zum Wintersemester 1825/26 kündigte Krause eine Veranstaltung über die Philosophie der Geschichte an, welche im Wintersemester 1829/30 durch einen Zusatz im Titel ergänzt wurde: Philosophie der Geschichte, oder Geist der Geschichte der Menschheit. Darin heißt es bei Krause: „Der Mensch und die
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handlung der Weltgeschichte auch in den Lehrveranstaltungen von seinem Kollegen Leopold von Ranke (1795-1886) wiederfand. Dies kann nachvollzogen werden, wenn die zu behandelnde Materie in Rankes Vorlesungen aus einer genealogischen Perspektive heraus betrachtet wird. Ranke lehrte seit dem Sommersemester 1825 in Berlin. Im Wintersemester 1825/26 hielt er bereits eine Vorlesung zur allgemeinen Weltgeschichte und sprach dabei von einem dreifachen Forschungsgegenstand der Geschichtswissenschaft: Das menschliche Geschlecht, die Völker und die Einzelnen.14 Unter den „Einzelnen“ versteht Ranke diejenigen, „welche vorzüglich Männer,“ „Häupter der Nationen“ geworden seien.15 Darüber hinaus ist hier ebenfalls die Rede von einer chronologischen und einer ethnographischen Methode der Weltgeschichtsschreibung,16 sowie – ein Jahr später – von einem Völkersystem.17 Schon 1831 stand Ranke in seinem Kolleg zur Idee der Universalhistorie einer empirischen18 Schwierigkeit gegenüber: „Man sieht, wie unendlich schwer es mit der Universalhistorie wird. Welche unendliche Masse! Wie differierende Bestrebungen! Welche Schwierigkeit, nur das Einzelne zu fassen! Da wir überdies vieles nicht wissen, wie wollen wir nur den Kausalnexus allenthalben ergreifen; geschweige das Wesen der Totalität ergründen. Diese Aufgabe durchaus zu lösen, halte ich für unmöglich. Die Weltgeschichte weiß allein Gott.“19
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Menschheit sind von Gott selbst dazu bestimmt und berufen, das Gute nach Ideen in sittlicher Freiheit zu verwirklichen.“ Ihm zufolge wirke und walte Gottes Geist in der Geschichte. So sei die Philosophie der Geschichte nichts anders als „die Wissenschaft des göttlichen Geistes der Geschichte.“ Vgl. Krause, Karl Christian Friedrich: Handschriftlicher Nachlass, hg. von Freunden und Schülern Desselben, Vierte Abtheilung, Vermischte Schriften I: Geist der Geschichte der Menschheit, Bd. 1, Göttingen: in Commision der Dieterich’schen Buchhandlung 1843, S. 3. Ranke, Leopold (von): „Allgemeine Weltgeschichte“ [1825], in: Leopold (von) Ranke, Vorlesungseinleitungen, hg. von Volker Dotterweich/Walther Peter Fuchs, München: R. Oldenburg Verlag 1795, S. 35-42, hier S. 35-36. Ebd., S. 35. Vgl. Ebd., S. 36. Vgl. Ranke, Leopold (von): „Grundzüge der allgemeinen Weltgeschichte von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart“ [1826-27], inRanke, Vorlesungseinleitungen, S. 51. Zwischen 1816 und 1817 definierte Ranke die Geschichte als eine empirische Wissenschaft. Vgl. Ranke, Leopold (von): Tagebücher, hg. von Walther Peter Fuchs, München: R. Oldenburg Verlag 1964, [1816-1817], S. 233, zit. nach: Kelley, Donald R.: Fortunes of History. Historical Inquiry from Herder to Huizinga, New Haven/London: Yale University Press 2003, S. 133. Ranke): „Idee der Universalhistorie“ [1831], in: Ranke, Vorlesungseinleitungen, S. 83.
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Diese empirische Schwierigkeit stellte sich insbesondere im Angesicht der totalisierenden Auffassung der Universalhistorie. Bei Ranke wird deshalb weniger die Erschöpfung jeder historischen Einzelforschung im universalhistorischen Diskurs angestrebt, sondern vielmehr eine Idee, 20 ein „lebendiges Element,“ „das eine universale Bedeutung“ habe.21 Dabei näherte er sich der Aufgabe der Philosophie: „Mit philosophischem Geist würde die historische Wissenschaft ihr Element durchdringen.“22 Nach der Ranke’schen Idee der Universalhistorie sei die Geschichte somit „nicht ein Gegensatz, sondern eine Erfüllung der Philosophie.“23 Diese wissenschaftliche Komplementarität von Geschichte und Philosophie, die im Zeitalter der Aufklärung in Isaak Iselins Philosophischen Muth-
20 In dieser Hinsicht ist die These Angelika Epples zur deutschen Historiographie des 19. Jahrhunderts zutreffend. Vgl. Epple, Angelika: „‚Global History‘ und ‚Area History‘. Plädoyer für eine weltgeschichtliche Perspektivierung des Lokalen,“ in: Birgit Schäbler (Hg.), Area Studies und die Welt. Weltregionen und neue Globalgeschichte, Wien: Mandelbaum 2007, S. 90-116, hier S. 101: „Völlig anders entwirft der Historismus das Verhältnis des Teils zum Ganzen. Das Ganze wird nicht mehr als empirische Einheit in einem konkreten Sinne verstanden. Das Ganze wird zu einer Idee – bei Ranke zu einer Gottheit.“ 21 So lautet die vollständige Passage, in der Ranke im Jahr 1869, diesmal im Kontext seiner Vorlesung zur Geschichte des 19. Jahrhunderts, erneut die empirische Schwierigkeit der Weltgeschichtsschreibung betont. „Eine allgemeine Weltgeschichte ist notwendig, aber unmöglich; bei dem Stande der Forschung, wie sie heute getrieben wird. Selbst Gesamtgeschichten der Nationen kommen nicht mehr zustande. Glücklich, wenn es gelingt, in einer einzelnen Epoche festen Fuß zu fassen; denn von einem solchen Standpunkt läßt sich wohl auch das Ganze annähernd ergreifen. Man muß darum nicht verzweifeln; die Einzelforschung ist immer belehrend, wofern sie zu einem Resultat führt, nirgends mehr als in der Geschichte, wo sie immer auch [in] der Tiefe auf ein lebendiges Element stößt, das eine universale Bedeutung hat.“ Vgl. Ranke, „Geschichte des 19. Jahrhunderts“ [1869], in: Ranke, Vorlesungseinleitungen, S. 463. 22 Ranke: „Idee der Universalhistorie“ (1831), in: Ranke, Vorlesungseinleitungen, S. 83. Ulrich Muhlack versteht Rankes universalhistorisches Denken als in der spätaufklärerischen Tradition der Weltgeschichtsschreibung verwurzelt, das aber um eine philosophische Geschichte des menschlichen Geistes ergänzt wurde: „Ranke interessiert sich […] für das Allgemeine und das Grundsätzliche, und er betrieb dazu eine ebenso extensive wie intensive Lektüre der zeitgenössischen Philosophie überhaupt.“ Vgl. Muhlack, Ulrich: „Das Problem der Weltgeschichte bei Leopold Ranke,“ in: Wolfgang Hardtwig/Philipp Müller (Hg.), Die Vergangenheit der Weltgeschichte. Universalhistorisches Denken in Berlin, 1800-1933, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010, S. 143-171, hier S. 154. 23 Ranke: „Idee der Universalhistorie“ (1831), in: Ranke, Vorlesungseinleitungen, S. 86.
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maßungen. Über die Geschichte der Menschheit vertreten wurde,24 lässt sich außerdem in einer Vorlesung zur Weltgeschichte oder Geschichte der alten Welt erkennen, die im Sommersemester 1848 an der Berliner Universität abgehalten wurde. Zunächst aber führt Ranke eine disziplinäre Einschränkung hinsichtlich des Nutzens der damaligen ethnographischen Forschung für die Weltgeschichtsschreibung an: Die Darstellung der Sitten und Institute von Chinesen, beispielsweise, gehöre „[…] in das ethnographische Gebiet, aus dem die Geschichte schöpft, ohne sich jedoch in dasselbe zu verlieren.“25 Gerade die empirisch erhobene ethnographische Fülle an Informationen über die unterschiedlichen Völker wurde von der Göttinger Gelehrsamkeit im ausgehenden 18. Jahrhundert einer Perspektive der Weltgeschichte vorgezogen, die allein auf der Philosophie basiert.26 Die Empirie war das Kernargument, auf dem die Göttinger Kritik an Iselin basierte. Ranke zufolge solle man es jedoch nicht lediglich bei ethnographischen Beschreibungen belassen, denn die zentrale Aufgabe der Welthistorie sei, die Entstehung des weltgeschichtlichen „Geistes, der über allen Nationen schwebt, und sein Verhältnis zu ihnen darzustellen.“27 Hier wird das universalhistorische Denken nicht als Gegensatz zu den Nationalgeschichten verstanden und bezeugt, wie es im „Disziplingefüge“ der Geisteswissenschaften des 19. Jahrhunderts tradiert wurde. In dieser Variante28 wird der Weltgeschichte zur Aufgabe
24 Siehe dazu das Kapitel „3. Psychologie und Geschichte der Menschheit“ dieser Studie. 25 Ranke: „Erster Teil der Weltgeschichte oder Geschichte der alten Welt“ (1848), in: Ranke, Vorlesungseinleitungen, S. 201. 26 Dazu siehe das Kapitel „3. Psychologie und Geschichte der Menschheit“ dieser Studie. 27 Ebd., S. 202. In Rankes Vorlesungen zur Weltgeschichte werden dennoch, wie Ernst Schulin bereits zeigte, „die außenpolitische Betrachtungsweise mit der innerstaatlichen und diese mit der nationalen verb[unden], um das weltgeschichtlich wichtige Zusammenwirken der großen europäischen Mächte darzustellen.“ Vgl. Schulin, Ernst: „Leopold von Ranke (1795-1886),“ in: Heinz Duchhardt/ Małgorzata Morawiec/Wolfgang Schmale/Winfried Schulze (Hg.), EuropaHistoriker. Ein biographisches Handbuch, Bd. 1, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006, S. 129-151, hier S. 140. Die Hervorhebung des politischen Zusammenhangs der großen europäischen Mächte steht bereits im Vordergrund der Göttinger Tradition der Staatengeschichtsschreibung, die im ausgehend 18. Jahrhundert parallel zu den Lehrveranstaltungen zur Universalhistorie und nicht selten von den gleichen Dozenten gelehrt wurde (vgl. besonders das Kapitel „5. Menschheit und Weltstaatensystem“ dieser Studie). Wenngleich Ranke hier wieder Elemente dieser Tradition aufnimmt, bleibt die Entstehung des weltgeschichtlichen Geistes weiterhin Kernmerkmal seiner Vorlesungen. 28 Eine Untersuchung des universalhistorischen Denkens im Berliner Kontext des 19. Jahrhunderts würde den Rahmen dieser Studie sprengen. Dazu siehe aber jüngst: Hardtwig, Wolfgang/Müller, Philipp (Hg.): Die Vergangenheit der Welt-
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gemacht, die Nationen durch den weltgeschichtlichen Geist miteinander zu verbinden.29 Zu Rankes Zeit verfestigte sich aber vor allem die Idee von der Nation als eine zentrale, sinngebende Kategorie der Geschichtsschreibung.30 Für die heutige historische Forschung verlor deren Erklärungspotential im Zuge zunehmender transkultureller Vernetzungen und transnationaler Migrationsbewegungen deutlich an Kraft.31 Auch die Historiker müssen sich verstärkt der globalen Vernetzung von Politiken, Wirtschaften, Kulturen und damit einhergehend komplexer werdenden Problemstellungen widmen. Beispielsweise im Zusammenhang mit der schwindenden Bedeutung von Nationalstaaten oder auch des wirtschaftlichen Aufschwungs Asiens32 versuchen die
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geschichte. Universalhistorisches Denken in Berlin, 1800-1933, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010. Vgl. Muhlack: „Das Problem der Weltgeschichte bei Leopold Ranke,“ S. 162163. Der Historismus richtet „[…] die historische Erkenntnis und die Geschichtsschreibung funktional auf partikulare nationale Identität als dominierende historische Orientierung aus […],“ so die Ausführung Jörn Rüsens. Vgl. Rüsen, Jörn: Geschichte im Kulturprozess, Köln u.a.: Böhlau 2002, S. 57. Für „Sinn“ als eine Kategorie des historischen Denkens siehe: Rüsen, Jörn: „Was heißt: Sinn der Geschichte? (Mit einem Ausblick auf Vernunft und Widersinn),“ in: Klaus E. Müller/Jörn Rüsen (Hg.), Historische Sinnbildung. Problemstellungen, Zeitkonzepte, Wahrnehmungshorizonte, Darstellungsstrategien, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1997, S. 17-47. Für einen einführenden Überblick siehe auch: Rüsen, Jörn: „Sinn, historischer,“ in: Stefan Jordan (Hg.), Lexikon der Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart: Reclam 2002, S. 263-265. Damit möchte ich nicht behaupten, dass weder die Nationalismen noch die an Nationen gekoppelten Grenzen der historischen Forschung in den letzten Jahrzehnten verschwanden. Trotz eines Trends zur globalen Geschichtsschreibung weist Georg Iggers auf das „Weiterbestehen von Nationalismen“ hin. Vgl. Iggers, Georg G.: Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein kritischer Überblick im internationalen Zusammenhang, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, S. 136-137. Auch Christopher Bayly stellt die heutige global orientierte Historiographie nicht in einen Gegensatz zur anderen Skala der Geschichtsschreibung. Im Gegenteil: „World history writing will reflect this fact [that the states will inevitably be working in a trans-national arena], becoming a fundamental aspect of, and determining factor in, the writing of all national and regional histories.“ Vgl. Bayly, Christopher: „History and World History,“ in: Ulinka Rublack (Hg.), A Concise Companion to History, Oxford: Oxford University Press 2011, S. 3-25, hier S. 25. Vgl. Bayly, Christopher A.: „The Age of Revolutions on Global Context: An Afterword,“ in: David Armitage/Sanjay Subrahmanyam (Hg.), The Age of Revolu-
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heutigen Geschichtswissenschaften im gleichen Maß die globale Entwicklung der Welt mit Hilfe einer transnationalen bzw. transkulturellen und weniger eurozentrischen Perspektive in den Blick zu bekommen.33 Dieses verstärkte Interesse der Geschichtswissenschaft an einer auf die ganze Welt gerichteten Forschungsperspektive darf jedoch nicht ausschließlich durch die heutige Globalisierung begriffen werden: „Die Globalisierung der dritten Jahrtausendwende ist nur die letzte in einer Reihe weltweiter Integrationsphasen und vielleicht nur die am intensivsten ‚gefühlte‘,“34 gibt Markus Völkel zu bedenken. Entsprechend sind die jüngsten Forschungsarbeiten zur Weltgeschichte auch nur die letzten in einer Reihe von weltumspannend angelegten Formen der Geschichtsschreibung. Da die vorliegende Studie zur Göttinger spätaufklärerischen Weltgeschichtsschreibung versucht, einen Beitrag zur Genealogie des universalhistorischen Denkens zu leisten, sollen im Folgenden kurz die Verbindungslinien zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dieser Form der Historiographie skizziert werden. In den aktuellen historiographischen Debatten35 wird die Weltgeschichtsschreibung weniger über räumliche und zeitliche Maximalperspek-
tions in Global Context, c. 1760-1840, New York: Palgrave 2010, S. 209-217, hier S. 209. 33 Für eine bibliographische Bilanz des Aufschwungs der Weltgeschichte als Thema jüngster historischen Forschung siehe: Grew, Raymond: „Expanding Worlds of World History,“ in: The Journal of Modern History 78 (2006), S. 878-898; Lang, Michael: „Globalization and Its History,“ in: The Journal of Modern History 78 (2006), S. 899-931. Auch zur Weltgeschichte als Trend der heutigen Forschung siehe ferner: McNeill, William H.: „The Changing Shape of World History,“ in: History and Theory 34 (1995), S. 8-26; Grandner, Margarete/Komlosy, Andrea: „Das 18. Jahrhundert – eine globalhistorische Epoche?,“ in: Margarete Grandner/Andrea Komlosy (Hg.), Vom Weltgeist beseelt. Globalgeschichte 1700-1815, Wien: Promedia Verlag 2004, S. 7-23. In den jüngsten Schriften zur Historiographiegeschichte lässt sich ähnlicher Interesse beweisen. Vgl. Iggers, Georg G./Wang, Q. Edward: A Global History of Modern Historiography, Harlow: Pearson 2008; Woolf, Daniel: A Global History of History, Cambridge: Cambridge University Press 2011; Woolf, Daniel (Hg.): The Oxford History of Historical Writing, 5 Bde., Oxford: Oxford University Press 2011-2012. 34 Völkel, Markus: Geschichtsschreibung. Eine Einführung in globaler Perspektive, Köln u.a.: Böhlau 2006, S. 341. 35 Für die Festsetzung des Schwerpunktes globalhistorischer Fragestellungen zwischen dem Zeitalter der Aufklärung und der Gegenwart siehe auch: Conrad, Sebastian/Eckert, Andreas: „Globalgeschichte, Globalisierung, multiple Modernen: Zur Geschichtsschreibung der modernen Welt,“ in: Sebastian Conrad/Andreas Eckert/Ulrike Freitag (Hg.), Globalgeschichte. Theorien, Ansätze, Themen, Frankfurt a.M./New York: Campus 2007, S. 7-49, besonders S. 26.
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tiven36 definiert, wie ein großer Teil der spätaufklärerischen Historiographie als Zukunftsunternehmen vorsah. Im Vordergrund steht heute vielmehr eine transdisziplinäre Geschichte, die problemorientiert verfährt und somit weniger Anspruch auf die Erschöpfung der historischen Materie hat. Dabei werden im Hinblick auf ihre räumliche und insbesondere auf ihre zeitliche Dimension in der jüngsten Geschichtsschreibung verschiedene Variationen unterschieden, deren Zeitspannen von 500 (the global history scale) über 5.000 (the world history scale), 100.000 bis hin zu 4 Millionen (the human history scale) oder noch mehr, von 4.6 Milliarden (the planetary scale) bis zu 13 Milliarden Jahren (the big history scale) angelegt werden.37 Darüber hinaus wollen unterschiedliche Formen des historischen Diskurses auf voneinander abweichende Forschungsperspektiven hinweisen. Bruce Mazlish widmet sich dieser begrifflichen Verwirrung (conceptual muddle) und versucht einen gemeinsamen Punkt zwischen den identifizierten Variationen innerhalb der heutigen Weltgeschichtsschreibung zu finden. „All of the versions of world histories that we have scanned – universal, philosophy of history, world history, world-system analysis, big history, global and new global history – have in common the desire to transcend the local lines of their time. Their ‚locality‘, however, is in constant change, with the question of what is the universe, what the world, and what the global undergoing important and continuing mutations. A universal history predicated on a 6000-year span and a world whose geography is half unknown is different from a Big History going back 13 billion years and spinning out into infinite space.“38
36 Zur Verkopplung von räumlicher und zeitlicher Maximalperspektive in der Tradition der Weltgeschichtsschreibung siehe: Weber, Wolfgang E. J.: „Universalgeschichte,“ S. 16. Darauf, dass die Weltgeschichtsschreibung am Ende des 20. Jahrhunderts auf den enzyklopädischen Erkenntnisbedarf verzichtet, haben bereits Ernst Schulin und in jüngster Zeit auch R. I. Moore hingewiesen. Vgl. Moore, R. I.: „World History,“ in: Michael Bentley (Hg.), Companion to Historiography, New York/London: Routledge 2002, S. 941-959, hier S. 948-949; Schulin, Ernst: „Universalgeschichtsschreibung im zwanzigsten Jahrhundert,“ in: Ernst Schulin, Traditionskritik und Rekonstruktionsversuch. Studien zur Entwicklung von Geschichtswissenschaft und historischen Denken, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1979, S. 163-202, hier S. 164. 37 Vgl. Christian, David: „Scales,“ in: Marnie Hughes-Warrington (Hg.), Palgrave Advances in World Histories, London: Palgrave 2005, S. 64-89, hier S. 79-81. 38 Mazlish, Bruce: „Terms,“ in: Marnie Hughes-Warrington (Hg.), Palgrave Advances in World Histories, London: Palgrave 2005, S. 18-43, hier S. 40. Zur unterschiedlichen Betrachtungsweise der Universalgeschichtsschreibung im 20. Jahrhundert siehe auch: Osterhammel, Jürgen: „Raumerfassung und Universalgeschichte im 20. Jahrhundert,“ in: Gangolf Hübinger/Jürgen Osterhammel/ Erich Pelzer (Hg.), Universalgeschichte und Nationalgeschichten. Ernst Schulin
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Epistemologisch gesehen steht gerade diese zuletzt erwähnte Variante der heutigen Geschichtsschreibung – die Big History – dem spätaufklärerischen Wissensfeld der Weltgeschichte am nächsten. Während im späten 18. Jahrhundert die Weltgeschichtsschreibung innerhalb einer Gelehrtenkultur verankert war, die der wissenschaftlichen Ausdifferenzierung der Lehre vom Menschen in autonomisierte Disziplinen voranging, und sich deshalb relativ frei zwischen den anderen Wissensformen bewegte, erfordert die Big History auf ähnliche Weise transdisziplinäre Grenzen, um die Geschichte der menschlichen Gattung im Rahmen einer kosmologischen Geschichte untersuchen zu können. Dies kann vor allem durch transdisziplinäre Forschungsarbeiten geleistet werden, die die im Laufe des 19. Jahrhunderts gesetzten Grenzen zwischen den institutionalisierten Fächern – und damit die disziplinären Ausdifferenzierungen von Natur- und Geisteswissenschaften – wieder aufzubrechen versuchen. Eine der großen Herausforderungen dieser Form der heutigen Weltgeschichtsschreibung besteht darin, die Geschichte der menschlichen Gattung in den kosmologischen Kontext – sprich: in eine Welt natürlicher und kultureller Entwicklungsprozesse – einzubetten. Hierzu spricht Fred Spier in seinem jüngsten Buch – Big History and the Future of Humanity – von einem „theoretical framework, within which all scientific knowledge can be integrated in principle.“39 Zugespitzt formuliert geht es hier um eine „Form von vereinheitlichendem Wissen,“40 wobei der Frage nach den Schnittstellen von Geschichts- und Naturwissenschaften ein zentrales Gewicht verliehen wird: „Human history based on written records can now be integrated within a much larger account of the past that includes human prehistory as well as the entire history of the natural world,“ heißt es bei David Christian. „It is true, of course, that only written records can give us a rich insight into the internal world of historical actors. But it is also true that big history, by placing traditional historical scholarship within a much larger context, raises the historical question of how, why and when human conscious arose, and what is the precise relationship between a world of conscious actors and a world of natural processes. In other words, big history encourages a re-examination of the relationship between history and the natural sciences.“41
zum 65. Geburtstag, Freiburg: Rombach 1994, S. 51-72; Schulin, Ernst: „Universalgeschichtsschreibung im zwanzigsten Jahrhundert.“ 39 Vgl. Spier, Fred: Big History and the Future of Humanity, Chichester, West Sussex, U. K.: Wiley-Blackwell 2010, S. 1. 40 Spier, Fred: Big History. Was die Geschichte im Innersten zusammenhält, Darmstadt: Primus Verlag 1998, S. 8. 41 Christian, David: „Big History: The longest ‚durée‘,“ in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 20 (2009), S. 91-106, hier S. 98.
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Um diese hier skizzierte Herausforderung in Angriff zu nehmen, lohnt sich ein Blick auf die lange Tradition der Weltgeschichtsschreibung, in die die Big History einzuordnen ist, und deren empirisch angelegtes Verfahren bis in das Zeitalter der Spätaufklärung zurückdatiert werden kann. Als die Göttinger Gelehrten im ausgehenden 18. Jahrhundert die ganze Welt empirisch in den Blick zu bekommen versuchten, teilten Weltgeschichtsschreibung und Anthropologie ein Wissensprinzip, das der radikalen Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften voranging. Dabei konnten sich die Spätaufklärer an physisch, philosophisch und ethnographisch angelegtem Wissen frei bedienen und je nach Forschungsprogramm auf verschiedene Weisen zusammenführen. In dieser Hinsicht ist die spätaufklärerische Weltgeschichtsschreibung für die heutige Historiographie wieder aktuell geworden. Doch der Rückblick auf die Spätaufklärung ist keine einfache Lösung. Vielmehr bringt er eine zweite große – alte, aber immer noch aktuelle – Herausforderung für die Weltgeschichtsschreibung ganz deutlich ans Licht: Es handelt sich um die eurozentrische Perspektive und die naturalisierenden Erklärungsmuster historischer Prozesse, die der spätaufklärerischen Historiographie in verschiedenen Formen unterlagen, die lange Tradition der Weltgeschichte mitgeprägt haben und die die Geschichtsschreibung heute vor die große Aufgabe stellen, sie zu überwinden.
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— Grundriß der Geschichte der Menschheit, Lemgo: Im Verlage der Meyerschen Buchhandlung 1785. — Grundriß der Geschichte aller Religionen, Lemgo: Im Verlage der Meyerschen Buchhandlung 1785. — Grundriß der Seelen-Lehre, Lemgo: Im Verlage der Meyerschen Buchhandlung 1786. — „Ueber die Ursachen der Viel-Weiberey,“ in: Göttingisches historisches Magazin, Bd. 2, 1788, S. 417-432. — „Zweyte Abhandlung über die Natur der Amerikaner, besonders über ihre Gemüthsart,“ in: Göttingisches historisches Magazin, Bd. 7, 1790, S. 209-230. — Ueber die Natur der Afrikanischen Neger, und die davon abhangende Befreyung, oder Einschränkung der Schwarzen (1790), [ND: Hg. von Frank Schäfer, 2. Auflage, Hannover: Wehrhahn Verlag 1998]. — Anweisungen für Jünglinge zum eigenen Arbeiten besonders zum Lesen, Excerpieren, und Schreiben, 2. Ausgabe, Hannover: In der Helwingschen Buchhandlung 1791. — Geschichte der Ungleichheit der Stände unter den vornehmsten Europäischen Völkern, 2 Bde., Hannover: Im Verlage der Helwingischen Buchhandlung 1792. — Grundriß der Geschichte der Menschheit, 2. Ausgabe, Lemgo: Im Verlage der Meyerschen Buchhandlung 1793 [ND: Königstein/Ts: Scriptor 1981]. — Historische Vergleichung der Sitten, und Verfassungen, der Gesetze, und Gewerbe, des Handels, und der Religion, der Wissenschaften, und Lehranstalten des Mittelalters mit denen unsers Jahrhunderts in Rücksicht auf die Vortheile, und Nachtheile der Aufklärung, 3 Bde., Hannover: Im Verlage der Helwingischen Hofbuchhandlung 1793-1794. — „Fortgesetze Betrachtung über den Sclavenhandel, und die Freylassung der Neger,“ in: Neues Göttingisches historisches Magazin, Bd. 2, 1793, S. 1-58. — Vergleichung des ältern, und neuern Rußlandes, in Rücksicht auf die natürlichen Beschaffenheiten der Einwohner, ihrer Cultur, Sitten, Lebensart, und Gebräuche, so wie auf die Verfassung und Verwaltung des Reichs. Nach Anleitung älterer und neuerer Reisebeschreiber, 2 Bde., Leipzig: Joh. Benjamin Georg Fleischer 1798. — Geschichte des weiblichen Geschlechts, 4 Bde., Hannover: Im Verlage der Helwingschen Hofbuchhandlung 1788-1800. — Kurze Geschichte, und Beschreibung der Stadt Göttingen und der umliegenden Gegend, Berlin: Haude und Spenner 1801. — Geschichte der Entstehung und Entwickelung der hohen Schulen unsers Erdtheils, 4 Bde., Göttingen: Johann Friedrich Röwer 1802-1805. — Ueber die Verfassung und Verwaltung deutscher Universitäten, 2 Bde., Göttingen: Johann Friedrich Röwer 1801-1802.
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— Göttingische akademische Annalen, Bd. 1, Hannover: Im Verlage der Helwingischen Handlung 1804. — Untersuchungen über die Verschiedenheiten der Menschennaturen (die verschiedenen Menschenarten) in Asien und den Südländern, in den Ostindischen und Südseeinseln, nebst einer historischen Vergleichung der vormahligen und gegenwärtigen Bewohner dieser Continente und Eylande, 3 Bde., Tübingen: In der J. G. Cotta’schen Buchhandlung 18111815. Meiners, Christoph/Gmelin, Johann Friedrich: „[Rezension:] A Voyage round the World by Georg Forster,“ in: Zugabe zu den Göttinger gelehrten Anzeigen, 10. Stück, 7. März 1778, S. 148-159. Meusel, Johann Georg: Anleitung zur Kenntniß der Europäischen Staatenhistorie nach Gebauerscher Lehrart, Leipzig: Caspar Fritsch 1775. — Leitfaden zur Geschichte der Gelehrsamkeit, Dritte Abtheilung, Leipzig: Gerhard Fleischer, dem Jüngern 1800. Montesquieu [Charles-Louis de Secondat]: De l’Esprit des Lois (1748). Nouvelle édition, revue, corrigée & considérablement augmentée par l’Auteur, Bd. 2, Amsterdam 1781. Oesterley, Georg Heinrich: Johann Stephan Pütters Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen, Bd. 4, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1838. Planck, Gottlieb Jakob: Ueber Spittler als Historiker, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1811. Platner, Ernst: Anthropologie für Aerzte und Weltweise, Leipzig: In der Dyckischen Buchhandlung 1772. Pütter, Johann Stephan: Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen, 2 Bde., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1765/1788. Pufendorf, Samuel (von): Einleitung zu der Historie der vornehmsten Reiche und Staaten so jetziger Zeit in Europa sich befinden. Von neuem getruckt und bis auf das Ende des vorigen Seculi vermehrt, Franckfurt am Mayn: Friedrich Knochens 1705. Raff, Georg Christian: Geographie für Kinder, Göttingen: Johann Christian Dieterich 1776. — Abriß der Allgemeinen Weltgeschichte für die Jugend und Ihre Freunde, Erster Theil, Göttingen: Im Verlag der Witwe Vandenhök 1787. Ranke, Leopold (von): Vorlesungseinleitungen, hg. von Volker Dotterweich/Walther Peter Fuchs, München: R. Oldenburg Verlag 1795. Reitemeier, Johann Heinrich: „Vorrede,“ in: Wilhelm Guthrie/Johann Gray, Allgemeine Weltgeschichte von der Schöpfung an bis auf gegenwärtige Zeit, 5. Theil, Bd. 4, Leipzig: M. G. Weidmanns Erben und Reich 1783. Saalfeld, Friedrich: Allgemeine Geschichte der neuesten Zeit, seit dem Anfange der französischen Revolution, Bd. 1, Leipzig/Altenburg: Brockhaus 1815.
L ITERATUR | 237
— Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der GeorgAugustus-Universität zu Göttingen, Bd. 3, Hannover: In Verlage der Helwingschen Hofbuchhandlung 1820. Schiller, Friedrich: „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?“ in: Friedrich Schiller, Sämtliche Werke, hg. von PeterAndré Alt, Bd. 4: Historisches Schriften, München: dtv 2004, S. 749767. Schlözer, August Ludwig (Hg.): Neueste Geschichte der Gelehrsamkeit in Schweden, Bd. 4, Rostock: Berger und Boedner 1759. — Versuch einer allgemeinen Geschichte der Handlung und Seefahrt in den ältesten Zeiten, Rostock: Im Verlag der Koppischen Buchhandlung 1761. — Probe Russischer Annalen, Bremen/Göttingen: Georg Ludewig Förster 1768. — Von der Unschädlichkeit der Pocken in Rußland und von Rußlands Bevölkerung überhaupt, Göttingen/Gotha: Johann Christian Dieterich 1768. — Allgemeine Nordische Geschichte, Halle: Johann Justinus Gebauer 1771. — Vorstellung seiner Universal-Historie, Göttingen/Gotha: Johann Christian Dieterich 1772/73 [ND: Neu herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Horst Walter Blanke, Waltrop: Hartmut Spenner 1997]. — „Species Facti (1773),“ in: August Ludwig Schlözer, Vorstellung seiner Universal-Historie (1772-73). Neu herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Horst Walter Blanke, Waltrop: Hartmut Spenner 1997. — (Hg.), Neue Erdbeschreibung von ganz Amerika, Göttingen/Leipzig: Weygandsche Buchhandlung 1777. — „Über die Geschichtsverfassung [1784],“ in: Horst Walter Blanke/Dirk Fleischer (Hg.), Theoretiker der deutschen Aufklärungshistorie, Bd. 2: Elemente der Aufklärungshistorie, Stuttgart/Bad Cannstatt: FrommannHolzboog 1990, S. 590-599. — WeltGeschichte nach ihren HauptTheilen im Auszug und Zusammenhange, Erster Theil, Göttingen: Im Verlag der Witwe Vanderhoeck 1785. — Allgemeines StatsRecht und StatsVerfassungslere, Göttingen: Im Vanderhoek- und Ruprechtschem Verlag 1793. — Öffentliches und privat-Leben, von ihm selbst beschrieben, Göttingen: In Vanderhoeck und Ruprecht Verlag 1802. — Theorie der Statistik, Göttingen: Vanderhoeck und Ruprecht 1804. — Vorbereitung zur Weltgeschichte für Kinder, 6. Auflage, Göttingen: Vanderhoek und Ruprecht 1806. Schmauß, Johann Jacob: Kurzer Begriff der Historie der vornehmsten Europäischen Reiche und Staaten. Zum Gebrauch der Academischen Lectionen verfaßet, Göttingen: Verlegts Abram Vandenhöcks seel. Wittwe 1755.
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Schönemann, Carl Traugott Gottlob: Grundriß einer Encyclopädie der historischen Wissenschaften, zum Gebrauch seiner Vorlesungen, Göttingen: Johann Christian Dieterich 1799. Soemmerring, Samuel Thomas: Über die körperliche Verschiedenheit des Mohren vom Europäer, Mainz 1784. — Über die körperliche Verschiedenheit des Negers vom Europäer, Frankfurt am Mainz: Varrentrapp Sohn und Wenner 1785 [ND: Samuel Thomas Soemmerring, Werke, Bd. 15: Anthropologie. Über die körperliche Verschiedenheit des Negers vom Europäer (1785), Hg. von Sigrid Oehler-Klein, Stuttgart u.a.: Gustav Fischer Verlag 1998]. Spittler, Ludwig Timotheus Freiherrn v.: Sämmtliche Werke, hg. von Karl Wächter, 15 Bde., Stuttgart/Tübingen, in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung 1827-1837. Uebersetzung der Algemeinen Welthistorie die in Engeland durch eine Geselschaft von Gelehrten ausgefertiget worden, Teil 1, Halle: Johann Justinus Gebauer 1744. Unzer, Johann August: Gedancken vom Schlafe und denen Träumen, nebst einem Schreiben an N. N. daß man ohne Kopf empfinden könne, Halle: Carl Hermann Memmerde 1746. — Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen Thierischen Natur thierischer Körper, Leipzig: Weidmanns Eiben und Reich 1771. von Reinhard, Karl (Hg.): Handbuch der allgemeinen Weltgeschichte bis auf die neueste Zeit. Ein Leitfaden für Gymnasien und Schulen und zum Selbstunterrichte für Studierende und gebildete Leser, Bd. 1, Berlin: In der Schüppel’schen Buchhandlung 1828. von Schlözer, Christian: August Ludwig von Schlözers öffentliches und Privatleben, Bd. 2, Leipzig: J. C. Hinrichsche Buchhandlung 1828, S. 2932. Wenzel, Ernst: Grundzüge einer pragmatischen Anthropologie, Göttingen: Heinrich Dieterich 1807. Wolff, Christian: Discursus Praeliminaris de Philosophie in Genere / Einleitende Abhandlung über Philosophie im Allgemeinen [Textgestaltung aus den Ausgaben 1728, 1732, 1735 und 1740], Historisch-kritische Ausgabe. Übersetzt, eingeleitet und herausgegeben von Günter Gawlick und Lothar Kreimendahl, Stuttgart/Bad Cannstatt: Frommann-Holzbook 1996. Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal Lexikon aller Wissenschaften und Künste, Halle/Leipzig 1732/50.
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2 F ORSCHUNGSLITERATUR Araújo, André de Melo: „Gerüste der Bestimmbarkeit von Kulturen,“ in: Bettina Kremberg/Artur Pełka/Judith Schildt (Hg.), Übersetzbarkeit zwischen den Kulturen. Sprachliche Vermittlungspfade. Mediale Parameter. Europäische Perspektiven, Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 2010, S. 47-66. Arndt, Hans Werner: „Rationalismus und Empirismus in der Erkenntnislehre Christian Wolffs,“ in: Werner Schneiders (Hg.), Christian Wolff 1679-1754. Interpretationen zu seiner Philosophie und deren Wirkung, Hamburg: Felix Meiner 1983, S. 31-47. Bachmann-Medick, Doris: Die Ästhetische Ordnung des Handelns. Moralphilosophie und Ästhetik in der Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts, Stuttgart: J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung 1989. Bayly, Christopher: „The Age of Revolutions on Global Context: An Afterword,“ in: David Armitage/Sanjay Subrahmanyam (Hg.), The Age of Revolutions in Global Context, c. 1760-1840, New York: Palgrave 2010, S. 209-217. — „History and World History,“ in: Ulinka Rublack (Hg.), A Concise Companion to History, Oxford: Oxford University Press 2011, S. 3-25. Becher, Ursula A. J.: „August Ludwig v. Schlözer,“ in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Deutsche Historiker, Bd. 7, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1980, S. 7-23. — „Schlözer, August Ludwig von,“ in: Helmut Reinalter (Hg.), Lexikon zum aufgeklärten Absolutismus in Europa. Herrscher – Denker – Sachbegriffe, Wien u.a.: Böhlau 2005, S. 558-563. Becker-Schaum, Christoph: Arnold Herrmann Ludwig Heeren. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschichtswissenschaft zwischen Aufklärung und Historismus, Frankfurt a.M.: Peter Lang 1993. — „Arnold Herrmann Ludwig Heeren (1760-1842),“ in: Heinz Duchhardt/ Małgorzata Morawiec/Wolfgang Schmale/Wienfried Schulze (Hg.), Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, S. 63-88. Beetz, Manfred/Garber, Jörn/Thoma, Heinz (Hg.): Physis und Norm. Neue Perspektive der Anthropologie im 18. Jahrhundert, Göttingen: Wallstein 2007. Behnen, Michael: „Statistik, Politik und Staatengeschichte von Spittler bis Heeren,“ in: Harmut Boockmann/Hermann Wellenreuther (Hg.), Geschichtswissenschaft in Göttingen. Eine Vorlesungsreihe, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, S. 76-101. Benjamin, Craig: „Forum on Big History,“ in: World History Connected 6 (2009), http://worldhistoryconnected.press.illinois.edu/6.3/benjamin.html [abgerufen am 5.7.11]. Bernasconi, Robert: „Kant and Blumenbach’s Polyps. A Negleted Chapter in the History of the Concept of Race,“ in: Sara Eigen/Mark Larrimore
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Anhang Tabellarische Aufstellung des Lehrangebots mit weltgeschichtlichem Inhalt an der Universität zu Göttingen
S IGELLISTE Dozenten (Doz) BT – Bouterwek BU – Bunsen BÜ – Büsching CA – Canzler EI – Eichhorn GR – Grellmann GT – Gatterer HE – Heeren HI – Hißmann KE – Kern
KÖ – Köhler ME – Meiners MR – Murray RE – Reitermeier RF – Raff RH – Reinhard SC – Schlözer SN – Schönemann SP – Spittler WZ – Wenzel
Einordnung (E) GK – Geschicht-Kunde PH – Philosophorvm WW – Weltweisheit GH – Geschichte mit den Hülfswissenschaften HW – Historische Wissenschaften
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Lehrangebot mit weltgeschichtlichem Inhalt an der Universität zu Göttingen, 1756-18151 Jahr 1756 SS WS 1757 SS
Doz Veranstaltung MR Die Universal-Historie von Erschaffung der Welt, bis auf Constantin der Grossen (7) BÜ Eben dieselbe bis auf gegenwärtige Zeiten (4) WS 1758 SS WS 1759 SS WS GT Universal-Historie 1760 SS
GT
WS GT
1761 SS GT WS GT
1762 SS
GT
GT
1
E
Lehrwerk
GK
Nach dem Cellarischen Compendio, das er deutsch herausgeben will
GK
GK GK
Über seinen eigenen in die Feder zu dictirenden Entwurf Universal-Historie (9) GK Nach einem Handbuche, das unter der Preße ist Universal-Historie (8) GK Nach seinem jüngst herausgegebenen Handbuche der Unversalhistorie Historiae universalis* PH Compendii sui Historiae universalis partem PH Quindecim libros priores maiorem* compendii sui * Auf Grund des Siebenjährigen Krieges wurde keine Veranstaltung für das Jahr 1762 im deutschen Katalog bekannt gegeben: „Es ist schon vorhin bekannt, daß die Feinde unsere Stadt am 16ten Augusti [1762] verlaßen“, hieß es damals auf den Seiten der gelehrten Anzeigen. GK Die dreyzehen ersten Bücher Universalhistorie (Mittewoseines Compendii chens, Donnerstags und Freitags um 5) Universalhistorie (um 9 alle Ta- GK Die sechs übrigen Bücher, alge der Woche) so daß er in einem halben Jahre sein ganzes Compendium endigt
Die akademischen Veranstaltungen der Universität zu Göttingen wurden zwischen 1756 und 1801 in den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen und zwischen 1802 und 1815 in den Göttingischen gelehrten Anzeigen angekündigt. Für die Seitenangaben dieser Publikationen, in denen die Vorlesungsverzeichnisse veröffentlicht wurden, siehe: Horst Walter Blanke, „Bibliographie der in periodischer Literatur abgedruckten Vorlesungsverzeichnisse deutschsprachiger Universitäten [1700-1926],“ Teil I, S. 219-220, wobei die richtigen Seitenangaben für die Sommersemester 1758 und 1767 die folgende sind: S. 281-294; S. 313-327. Für die erwähnten lateinischen Kataloge der Jahren 1761, 1784, 1785, 1786, 1787, 1788, 1793, 1796, 1797, 1798, 1799, 1800, 1801, 1802, 1806 und 1807 siehe: Catalogus praelectionum publice et privatim in academia Georgia Augusta, Gottingae: Litteris Joh. Christian Dieterich. Zwischen Klammern ist hier die angekündigte Uhrzeit aufgeführt.
A NHANG | 265
Jahr Doz 1762 WS GT 1763 SS GT WS GT 1764 SS GT WS GT 1765 SS GT GT WS GT 1766 SS GT WS GT KÖ 1767 SS
GT KÖ
WS GT
Veranstaltung Universal-Historie (9) Universal-Historie (7) Universal-Historie (zweite Theil, um 3 Uhr) Universalhistorie (7) Neuere Universal-Historie (8) Ältere Universalhistorie (7) Neuere Universalhistorie (1) Ältere und neuere UniversalHistorie (3) Ganze Universalhistorie (1) Universalhistorie (3) Universalhistorie (öffentlich, um 1 Uhr) Universal-Historie (7) Universalhistorie (fortfahren, öffentlich)
E GK GK GK
Lehrwerk Nach seinem Compendio
GK GK GK GK GK
Über sein Handbuch Über sein Handbuch
GK GK GK GK GK
Ältere und neuere Universalhis- GK torie (3)
1768 SS GT WS GT
Universalhistorie (4) Universalhistorie (3)
1769 SS GT WS GT
Universalhistorie (4) GK Alte und neuere Universalhisto- GK rie (3) Universalhistorie (4) GK
1770 SS
GT
SC WS GT
SC 1771 SS
GT
GT
SC WS GT SC
Universalhistorie (gleichfalls von 4 bis 5 Uhr) Universalhistorie (3)
Universalhistorie (in eben derselben Stunde) Universalhistorie (4)
Allgemeiner Theil der Universalhistorie (öffentlich Mittewochens und Sonnabends um 11 Uhr) Universalhistorie (4) Universalhistorie (3) Universalhistorie (3)
GK GK
Nach seinem Handbuche
Über chronologische Tabellen, die er drucken lässet Über sein Handbuch Über den Auszug sein. Handbuchs Über seines sel. Vaters Tabellen Seine synoptischen Tabellen Nach seines sel. Vaters historisch-chronologischen Tabellen Abriß der Universalhistorie, daß er sich zugleich der chronolog. Tabellen bedienen wird Über seine synoptischen Tabellen, womit er jedoch sein Handbuch der Universalhistorie verbinden wird Nach seinem synoptischen Tabellen, und Handbuche Nach seinem eigenen Handbuche: Einleitung in die synchronistische Universalhistorie zur Erläuterung seiner historischen Tabellen, welche jetzt schon unter der Presse ist
GK GK
GK GK
GK
GK GK GK
Nach seiner Einleitung in die synchronistische Universalhistorie, so, daß er sich dabey zugleich seiner synoptischen Tabellen bedient Nach seinem Auszüge, welcher nächstens herauskommen wird Nach seinem Handbuche: Einleitung in die synchronistische Universalhistorie
266 | W ELTGESCHICHTE IN GÖTTINGEN
Jahr 1772 SS
Doz Veranstaltung E GT Universalhistorie (4) (auch pri- GK vatissime) SC Universalhistorie (4) GK
WS GT SC GT
Universalhistorie (3) Universalhistorie (3) Geschichte der Völkerwanderung und legt dabey seine Einleitung in die synchronistische Universalhistorie von S. 629 bis S. 1000 zu Grunde (Mittewochens und Sonnabens um 1 Uhr, öffentlich) Universalhistorie Geschichte der Völkerwanderung (öffentliche Vorlesung, in diesem halben Jahre zu Ende) Universalhistorie (3)
GK GK GK
SC GT
Universalhistorie (3) Universalhistorie (4)
GK GK
SC WS GT SC
Universalhistorie (4) Universalhistorie (3) Universalhistorie (3)
GK GK GK
1775 SS SC WS GT
Universalhistorie (4) Universalhistorie (3)
GK GK
SC SC
Universalhistorie (3) Universalhistorie (4)
GK GK
WS GT SC 1777 SS SC WS GT SC 1778 SS SC
Universalhistorie (3) Universalhistorie (3) Universalhistorie (4) Universalhistorie (3) Universalhistorie (3) Universalhistorie (4)
GK GK GK GK GK GK
WS GT
Universalhistorie (3)
GK
SC GT SC WS GT SC
Universalhistorie (3) Universalhistorie (4) Universalhistorie (4) Universalhistorie (3) Universalhistorie (3)
GK GK GK GK GK
1773 SS
SC GT
WS GT
1774 SS
1776 SS
1779 SS
Lehrwerk
Nach seinem eignen Handbuche
GK GK
GK
Nach der zweyten Ausgabe seines Abrisses der Universalhistorie Nach der zweyten Ausgabe seines Abrisses der Universalhistorie
Über seine nächstens fertig werdenden Summarien der Weltgeschichte Hr. Hofr. Gatterer bedient sich dabey, um seinen Vortrag desto nützlicher und faßlicher zu machen, seiner neuen Landcharten Nach seinem eignen Handbuche
Nach seinem eignen Handbuch Mit vorgelegten zahlreichen Landcharten, Zeitrechnungsund Geschlechtstafeln
A NHANG | 267
Jahr 1780 SS
Doz Veranstaltung RF Mittw. Donnerst. u. Freyt. wird er in eben der Stunde denen zum Besten, die einst Kindern Untericht geben wollen, die Karte von Teutschland durchgehen und etliche Stücke aus der Universalhistorie und Naturgeschichte in Gegenwart einiger Kinder erklären GT Universalhistorie (4) SC Universalhistorie (4) WS SC Universalhistorie (3) 1781 SS GT Universalhistorie (4) SC Universalhistorie (4) RE Universalhistorie bis auf die neuesten Zeiten (4) WS GT Universalhistorie (3) SC Universalhistorie (3) RE Universalhistorie bis auf die neuesten Zeiten (3) (Fortsetzung) 1782 SS GT Universalhistorie (4) SC Universalhistorie (6) RE Universalhistorie (4) WS SC Universalhistorie (3) RE Universalhistorie (3) HI Die zur Geschichte der Menschheit nöthige Bücherkänntniß (öffentlich Sonnab. um 1 Uhr) 1783 SS SC Universalhistorie (4)
E GK
GK GK GK GK GK GK GK GK GK
GK GK GK GK GK GK
GK
RE WS GT
Universalhistorie (4) Universalhistorie (3)
GK GK
SP RE GT
Universalhistorie (3) Universalhistorie (3) Universalhistorie (4)
GK GK GK
1784 SS
Lehrwerk
Nach dem 3. Kap. Seiner Anleitung zur phil. Litteratur Nach seinem neuen Handbuche Nach seinem kurzen Begriffe der Weltgeschichte welcher Bogenweise zu haben seyn wird
Nach seinem kurzen Begriffe der Weltgeschichte
SC Universalhistorie (4) GK WS ME Entstehung u. allmähliche Ver- WW breitung des menschl. Geschlechts, als die ursprünglichen Verschiedenheiten aller Völker in Rücksicht auf ihre körperlichen u. geistigen Anlagen (Mittw. u. Sonnab. um 8 Uhr) [Origines et progressus generis humani, nac non natiuas humani animi et corporis diuersitates] GT Universalhistorie (3) GK Nach sm. nun in Druck gegebenen kurzen Begriffe der Weltgeschichte SP Universalhistorie (3) GK
268 | W ELTGESCHICHTE IN GÖTTINGEN
Jahr 1785 SS
Doz Veranstaltung GT Allgem. Weltgeschichte (4) [Historiam universalem] SC Allgem. Weltgeschichte (4) [Universalem historiam] WS ME Geschichte der Menschheit (4) [Humanis generis historiam] SP Allgem. Weltgeschichte (3) [Historiam universalem] 1786 SS GT Allgem. Weltgeschichte (4) SC Allgem. Weltgeschichte (4) WS ME Geschichte der Menschheit (4) SP Allgem. Weltgeschichte (3) [Historiam universalem] 1787 SS GT Allgem. Weltgeschichte (4) [Historiam universalem] SC Allgem. Weltgeschichte (4) [Universalem historiam] WS ME Geschichte der Menschheit (4) [Historiam generis humani] SP Allgemeine Weltgeschichte (3) CA Allgemeine Weltgeschichte (3) 1788 SS
GT Allgem. Weltgeschichte (4) SC Allgem. Weltgeschichte (4) WS ME Geschichte der Menschheit (4) [Historiam generis humani] GT Allgemeine Weltgeschichte (3) [Historiam universam] SP Allgemeine Weltgeschichte (3) [Historiam quam vocant, univers.] GR Allgemeine Weltgeschichte (11) 1789 SS GT Allgemeine Weltgeschichte (4) SC Allgemeine Weltgeschichte (4) SP Allgemeine Weltgeschichte (6) GR Allgemeine Weltgeschichte (10) WS ME Geschichte der Menschheit (4) GT Allgemeine Weltgeschichte, von der Schöpfung der Welt bis auf das gegenwärtige Jahr (3) SP Allgemeine Weltgeschichte (3) GR Allgemeine Weltgeschichte (11) 1790 SS GT Allgemeine Weltgeschichte (3) SC Allgemeine Weltgeschichte (4) SP Allgemeine Weltgeschichte (6) WS ME Geschichte der Menschheit (4) GT Allgemeine Weltgeschichte (3) SP Allgemeine Weltgeschichte (3) GR Allgemeine Weltgeschichte (11) 1791 SS SC Allgemeine Weltgeschichte (4) SP Allgemeine Weltgeschichte (6 Uhr morgens) GR Allgemeine Weltgeschichte (2) SN Allgemeine Weltgeschichte, von der Völkerwanderung an bis auf unsre Zeiten (5)
E GH
Lehrwerk Nach s. kurz. Begriffe
GH
Nach s. neuen Lehrbuche
GH
Nach s. unter d. Presse befindl. Lehrbuche
GH GH GH GH GH
Nach seinem Lehrbuche
GH
Über sein Handbuche
GH
Über sein Handbuche
GH
Nach seinem Lehrbuche
GH GH GH GH GH
Nach einem demnächst anzuzeigenden Compendio Über sein Handbuche Über sein Handbuche Nach seinem Lebrbuch
GH GH
GH GH Nach seinem Lehrbuch GH Nach seinem Lehrbuch GH GH WW GH
GH GH GH GH GH WW GH GH GH GH GH GH GH
Nach seinem Lehrbuch Nach seinem Lehrbuch
Nach s. ersten Linien etc.
Nach seinem Lehrbuch
A NHANG | 269
Jahr Doz Veranstaltung 1791 WS ME Geschichte der Menschheit (4) GT Allgemeine Weltgeschichte (3) SP Allgemeine Weltgeschichte (3) 1792 SS GT Allgemeine Weltgeschichte (2)
SP GR RH BT
WS GT
Allgemeine Weltgeschichte (6 Uhr morgens) Allgemeine Weltgeschichte (2) Allgemeine Weltgeschichte (10) Geschichte der Menschheit, mit besondrer Anwendung auf die Fundamentalsätze der Moral, des Naturrechts u. der Politik Allgemeine Weltgeschichte (3)
SP RH
Allgemeine Weltgeschichte (3) Allgemeine Weltgeschichte (5 Stdn die Woche, um 1 Uhr) ME Geschichte der Menschheit 1793 SS GT Allgemeine Weltgeschichte (4) SP Allgemeine Weltgeschichte (6 Uhr morgens) RH Neuere allgemeine Weltgeschichte, von Chr. Geb. bis auf gegenwärtige Zeiten (6) WS GT Allgemeine Weltgeschichte in ihrem ganzen Umfange (3) [Historiam universalem] SP Universalhistorie (3) [Historiam universalem] GR Universalhistorie (11) RH Universalhistorie (2) ME Geschichte der Menschheit (4) [Historiam generis humani] RH Neuere allgemeine Weltgeschichte, von Chr. G. bis auf gegenw. Zeiten (4 Stdn die Woche um 3 Uhr) 1794 SS SP Universal-Historie (6) GR Universal-Historie (11) RH Universal-Historie (3) BT Geschichte der Menschheit (4 Stdn wöchentl. um 4 Uhr) RH Neuere allgemeine Weltgeschichte, von Chr. Geb. bis auf gegenwärt. Zeiten (um 6 Uhr M.) WS GT Allgemeine Weltgeschichte in ihrem ganzen Umfange (3)
1795 SS
SP GR RH ME SP
Universal-Historie (3) Universal-Historie (3) Universal-Historie (3) Geschichte der Menschheit (4) Universal-Historie (3)
E Lehrwerk WW GH Nach s. neuen Lehrb. GH GH Nach s. Versuche, mit fleißigem Gebrauche synchronistischer n. geograph. Tabellen GH GH GH GH
GH
Nach s. neuen Lehrbuche: Versuch der Weltgeschichte
GH GH GH GH GH GH
Nach einem eignen Plane
GH
Nach s. neuen Handb. „Versuch einer allgem. Weltgeschichte“
GH GH GH GH
Nach Tabellen
GH
GH GH GH GH
Nach Tabellen Nach eignen Dictaten
GH
GH
GH GH GH GH GH
Nach s. neuen Handb. „Versuch einer allgem. Weltgeschichte“
Nach Tabellen
270 | W ELTGESCHICHTE IN GÖTTINGEN
Jahr 1795 SS
Doz GR RH WS SP GR RH ME 1796 SS SP GR HE
Veranstaltung Universal-Historie (2) Universal-Historie (2) Universal-Historie (3) Universal-Historie (3) Universal-Historie (3) Geschichte der Menschheit (4) Universal-Historie (3) Universal-Historie (3) Universal-Historie in Verbindung mit der alten Geographie, und in besonderer Hinsicht auf die innern Verhältnisse, und auf den Zustand des Handels (3) RH Universal-Historie (11) WS SP Universal-Historie (3) GR Universal-Historie (4) HE Universal-Historie, nebst der alten Geographie (3) [Historiam antiquam (s. universalem vt vocant) coniunctam cum geographia antiqua] RH Universal-Historie (1) ME Geschichte der Menschheit (4) EI Neuere Universal Geschichte, von der Völkerwanderung bis auf unsere Zeiten (5) [Historiae universalem recentiori] 1797 SS SP Alte Geschichte, oder so genannte Universal-Historie (3) [Historiam, quam vocant, universalem] EI Alte Geschichte, oder so genannte Universal-Historie (3) GR Alte Geschichte, oder so genannte Universal-Historie (3) HE Alte Geschichte, oder so genannte Universal-Historie (3) [Historiam antiquam seu universalem vt vocant] RH Alte Geschichte, oder so genannte Universal-Historie (11) WS HE Universal-Geschichte (3) CA Universal-Geschichte (3 Uhr)
1798 SS
RH BU ME SC
CA
Universal-Geschichte (11) Universal-Geschichte (4) Geschichte der Menschheit (4) Die Geschichte in ihrem ganzen Umfange (privt. Vorlesung) [Historiae universae] Universal-Geschichte bis auf die neuesten Zeiten (3)
E GH GH GH GH GH GH GH GH GH
Lehrwerk
GH GH GH GH
Nach Tabellen
GH GH GH
N. Tab.
Nach Tabellen
GH
GH GH GH
GH GH GH
GH GH GH GH
GH
Nach s. bogenweise erscheinenden Handb. der alten Völkergesch. nach den Bedürfnissen unserer Zeit Nach Tabellen Nach s. Handb. (…) der in einem Progr. das Nähere erötern wird, n. einem anzuzeig. Lehrb. u. besonders dazu entworfenen Karten Nach Tabellen
Nach eigenem Grundrisse und besonders dazu entworfenen Karten
A NHANG | 271
Jahr 1798 SS
Doz Veranstaltung HE Alte oder so genannte Universal Geschichte (3) [Historiam universalem s. antiquam e mappis geographicism quas ipse suppeditabit, explicatam] RH Alte oder so genannte Universal Geschichte (1) BU Alte oder so genannte Universal Geschichte (6 Stunden um 7 Uhr) EI Allgemeine Geschichte der neuern Zeiten, von der Völkerwanderung bis auf unsere Zeiten [Historiam universalem recentiorem] WS SC Die Geschichte in ihrem ganzen Umfange (Fortsetzung einer privt. Vorlesung) [Historiae universae] ME Geschichte der Menschheit (4) [Historiam generis humani] HE Universal- oder alte Geschichte (3) [Historiam universalem seu antiquam] RH Universal- oder alte Geschichte (11) CA Universal- oder alte Geschichte (3) Universal- oder alte Geschichte BU (5 Stdn wöch. um 8 Uhr) Neuere Geschichte, vom 16. EI Jahrh. an [Siehe WS 1799/1800] 1799 SS CA Universal-Geschichte bis auf die neuesten Zeiten (3) HE
RH BU SC
EI
WS SC
CA
Alte oder so genannte Universal-Geschichte (3) [Historiam universalem seu antiquam] Alte oder so genannte Universal-Geschichte (11) Alte oder so genannte Universal-Geschichte (7) Neueste Weltgeschichte, von 1400 bis 1799 (11) [Orbis terrarum historiam nouissiman] Allgemeine Geschichte der neuern Zeiten, von der Völkerwanderung bis auf unsere Zeiten (um 7 Uhr M.) [Historiam universalem recentiorem] Weltgeschichte in ihrem ganzen Umfange (die erste Hälfte von Adam bis Chlodowig) (2) Universal-Gesch. bis auf die neuesten Zeiten (3)
E GH
Lehrwerk Mit Vorlegung der nöthigen Karten
GH
Nach Tabellen
GH
GH
GH
GH GH
Nach s. bey Rosenbusch erschienenen Lehrb.
GH
Nach Tabellen
GH
Nach Heeren, u. eigenen dazu von ihm entworfenen Karten
GH GH GH
GH
Nach eigenem Grundrisse und besonders dazu entworfenen Karten Nach s. Handbuche
GH
Nach Tab.
GH GH
Nach halben Jahrh. synchron. geordnet
GH
Nach seinem Handbuche
GH
GH
Nach eigenem Grundriß und besonders dazu entworfenen Karten
272 | W ELTGESCHICHTE IN GÖTTINGEN
Jahr Doz Veranstaltung 1799 WS ME Geschichte der Menschheit (4) [Historiam generis humani] HE Universal- oder alte Geschichte (3) [Historiam universalem seu antiquam] RH Universal- oder alte Geschichte (11) EI Allgemeine neuere Geschichte (um 7 Uhr M.) [Historiam recentiorem universalem] 1800 SS EI Alte oder so genannte Universal-Geschichte (4) [Historiam universalem antiquiorem] HE Alte oder so genannte Universal-Geschichte (3) [Historiam universalem s. antiquam] RH Universal- oder alte Geschichte (11) SC Neueste Weltgeschichte von 1301-1800 (11) [Orbis terrarum historiam nouissimam] SC Die wichtigsten Weltbegebenheiten vom 9 bis 13. Jahrhund. (öffentl.) WS SC Weltgeschichte in ihrem ganzen Umfange (die erste Hälfte von Adam bis Chlodowig) (2) ME Geschichte der Menschheit (4) [historiam generis humani] HE Alte Geschichte oder UniversalGeschichte (3) [Historiam antiquam seu universalem] RH Alte Geschichte oder UniversalGeschichte (11) 1801 SS HE Alte Geschichte oder UniversalGeschichte (3) [Historiam universalem seu antiquam] RH Alte Geschichte oder UniversalGeschichte (11) WS ME Geschichte der Menschheit (4) [Historiam generis humani] SC Geschichte der alten Welt bis zur Völkerwanderung (2) [Historiam orbis antiqui vsque ad gentium migrationem] HE Geschichte der alten Welt bis zur Völkerwanderung (3) [Historiam universalem seu antiquam] RH Geschichte der alten Welt bis zur Völkerwanderung (11)
E GH
Lehrwerk
GH
Nach s. Handb.
GH
Nach Tabellen
GH
Nach seinem Handbuch
GH
GH
Nach s. Handb.
GH
Nach Tabellen
GH
Nach halben Jahrh. synchronist. geordnet
GH
Nach gleicher Methode
GH
GH GH
Nach seinem Handbuche
GH
Nach Tabellen
GH
Nach seinem Handbuche
GH
Nach Tabellen
GH GH
GH
Nach seinem Handbuche
GH
Nach Tabellen
A NHANG | 273
Jahr 1802 SS
Doz Veranstaltung HE Allgemeine Länder- und Völkerkunde, oder einen crit. und systemat. Inbegriff unserer gegenwärt. Kenntnisse der Erde u. der sie bewohnend. Völker (um 6 Uhr M. oder, falls es bequemer gefunden werden sollte, um 6 Uhr Ab.) [Geographiam atque Ethnographiam universam, seu orbis terrarum, quatenus nautarum et peregrinatorum curis hucusque exploratus est, populorumque eum incolentium, notitiam dabit] EI Allgemeine Weltgeschichte vom ersten Anfange der Geschichte des Menschengeschlechts bis auf unsere Zeiten (um 6 Uhr Ab.) [Historiam universalem ab initio historiae generis humani vsque ad nostra tempora] HE Alte oder so genannte Universal Geschichte (9) [Historiam universalem s. antiquam] HE Die Geschichte der Europ. Staaten u. ihrer Colonien, vom 16. bis zum 19. Jahrh. (2) [Historiam Europae universale, eiusque coloniarum inde ab initio S. XVI. vsque ad S. XIX, ad ordinem noui libri: Handbuch der Geschichte der Europäischen Staaten und Colonial Systems seit der Entdeckung von America] RH Alte oder so genannte UniversalGeschichte (11) WS ME Geschichte der Menschheit (4) HE Alte oder so genannte Universal Geschichte (9) RH Alte oder so genannte Universal Geschichte (11) 1803 SS HE Allgemeine Länder- u. Völkerkunde, oder einen crit. u. systemat. Inbegriff unserer gegenwärtigen Kenntnisse d. Erde u. der sie bewohnenden Völker (um 6 Uhr M.)
HE
E GH
Lehrwerk Erläutert alles durch einen reichen Vorrath der beßten u. neuesten Karten, die er s. Zuhörern vorlegen wird.
GH
GH
Nach seinem Handbuche
GH
Nach s. während der Vorles. Erscheinenden „Handb. der Gesch. d. Europ. Staaten- u. Colonial-Systems seit der Entdeck. v. America“
GH
Nach Tabellen
GH GH
Nach seinem Handbuche
GH
Nach Tabellen
GH
Erläutert alles durch einen reichen Vorrath des beßten u. neuesten Karten, die er seinen Zuhörern vorlegen wird, und, was die Kleidungen, Waffen, Geräthe der entfernten Völker betrifft, durch die ethnographische Sammlung in dem königl. Museum. Nach seinem Handbuch
Alte oder so genannte Universal GH Geschichte (4) RH Alte oder so genannte Universal GH Geschichte (11) WS ME Geschichte der Menschheit (4) GH
Nach Tabellen
274 | W ELTGESCHICHTE IN GÖTTINGEN
Jahr Doz Veranstaltung 1803 WS HE Alte oder so genannte Universal Geschichte (3) RH Alte oder so genannte Universal Geschichte (11) 1804 SS HE Allgemeine Länder- u. Völkerkunde, oder einen crit. u. systemat. Inbegriff unserer gegenwärtigen Kenntnisse d. Erde u. der sie bewohnenden Völker (um 6 Uhr M.) HE Alte oder so genannte Universal Geschichte (4) RH Alte oder so genannte Universal Geschichte (11) WS ME Geschichte der Menschheit (4) HE Alte oder so genannte Universal Geschichte (3) RH Alte oder so genannte Universal Geschichte (11) 1805 SS HE Allgemeine Länder- u. Völkerkunde, oder einen crit. u. systematischen Inbegriff unserer gegenwärtigen Kenntnisse der Erde und der sie bewohnenden Völker (6 Uhr M.) HE Alte oder so genannte Universal Geschichte (4) RH Alte oder so genannte UniversalGeschichte (11) WS ME Geschichte der Menschheit (4) HE Alte oder so genannte UniversalGeschichte (3) Alte oder so genannte UniverRH salGeschichte (11) 1806 SS HE Allgemeine Länder- u. Völkerkunde, oder einen crit. u. systemat. Inbegriff unserer gegenwärtigen Kenntnisse der Erde u. der sie bewohnenden Völker (um 6 Uhr M.) [Geographiam atque Ethnographiam universam, mappis geographicis, quas ipse suppeditabi, vt et apparatu Ethnographico Musei Regii, illustratas] KE Ueber die Aufklärung und das Fortschreiten der Menschheit zum Bessern (Sonnab. um 1 Uhr) HE Alte oder so genannte Universal Geschichte (4) RH Alte oder so genannte Universal Geschichte (11) WS ME Geschichte der Menschheit (4) HE Alte oder so genannte Universal Geschichte (3)
E GH
Lehrwerk Nach seinem Handbuche
GH
Nach Tabellen
GH
[Vgl. SS 1803]
GH
Nach seinem Handbuch
GH
Nach Tabellen
GH GH
Nach seinem Handbuche
GH
Nach Tabellen
GH
[Vgl. SS 1803]
GH
Nach seinem Handbuch
GH
Nach Tabellen
GH GH
Nach seinem Handbuche
GH
Nach Tabellen
HW [Vgl. SS 1803]
HW
HW Nach seinem Handbuch HW Nach Tabellen HW HW Nach seinem Handbuche
A NHANG | 275
Jahr Doz Veranstaltung 1806 WS RH Alte oder so genannte Universal Geschichte (11) 1807 SS HE Allgemeine Länder- u. Völkerkunde, oder einen critischen und systematischen Inbegriff unserer gegenwärtigen Kenntnisse der Erde und der sie bewohnenden Völker (um 6 Uhr M.) WZ Geschichte der Menschheit (Mittw. und Freyt. um 6 Uhr Ab.) KE Historisch-philosophischer Abriß der durch die Cultur bewirkten Geistesbildung der Menschheit (1) HE Alte oder so genannte Universal Geschichte (4) RH Alte oder so genannte UniversalGeschichte (11) HE Die Geschichte des neueren Europas und seiner Colonien in beiden Indien, in Hinsicht auf politische sowohl, als Handelsverhältnisse (2) [Historiam Europae recentioris eiusque coloniarum in vtraque India tum politicam tum mercatoriam, ad ductum noui compendii ap. Röver prodeuntis] WS ME Geschichte der Menschheit (4) HE Alte oder so genannte Universal Geschichte (3) Alte oder so genannte UniverRH salGeschichte (11) 1808 SS HE Allgemeine Länder- u. Völkerkunde, oder einen critischen u. systemat. Inbegriff unserer gegenwärtigen Kenntnisse der Erde u. der sie bewohnenden Völker (6 Stdn wöch. um 6 Uhr M.) HE Geschichte des neueren Europas und seiner Colonien von 16. Jahrh. an (2) WS ME Geschichte der Menschheit (4) 1809 SS HE Allgemeine Länder- u. Völkerkunde, oder einen critischen und systematischen Inbegriff unserer gegenwärtigen Kenntnisse der Erde und der sie bewohnenden Völker (um 6 Uhr M.)
E Lehrwerk HW Nach Tabellen HW [Vgl. SS 1803]
HW
HW
HW Nach seinem Handbuch HW Nach Tabellen HW Nach seinem neuen, bey Röwer erscheinenden Handbuche
HW HW Nach seinem Handbuche HW Nach Tabellen HW [Vgl. SS 1803]
HW Nach seinem bey Rower erscheinenden Handbuche HW HW [Vgl. SS 1803]
276 | W ELTGESCHICHTE IN GÖTTINGEN
Jahr 1809 SS
WS 1810 SS
WS 1811 SS
WS 1812 SS
WS 1813 SS
WS
Doz Veranstaltung E Lehrwerk HE Die Geschichte des neueren Eu- HW Nach seinem bey Röwer erropas und seiner Colonien (2) scheinenden Handbuch der Geschichte des Europäischen Staatenssystems und seiner Colonien von der Entdeckung beider Indien bis auf die Errichtung des Französischen Kaiserthrons ME Geschichte der Menschheit (4) HW HE Allgemeine Länder- u. Völker- HW [Vgl. SS 1803] kunde, oder einen critischen und systematischen Inbegriff unserer gegenwärtigen Kenntnisse der Erde und der sie bewohnenden Völker (um 6 Uhr M.) HE Die Geschichte des neueren Eu- HW Nach seinem Handbuche, ropas und seiner Colonien (2) „Geschichte des Europäischen Staaten-Systems und seiner Colonien“ HE Allgemeine Länder- u. Völker- HW [Vgl. SS 1803] kunde, oder einen critischen und systematischen Inbegriff unserer gegenwärtigen Kenntnisse der Erde und der sie bewohnenden Völker (um 6 Uhr M.) WZ Die allgemeine Weltgeschichte, HW Nach Eichhorn’s allgemeiner Weltgeschichte, Ausgabe 2., vom Anfange des MenschengeGöttingen 1804 schlechts bis auf die große Völkerwanderung, oder Zerstörung des Weströmischen Reiches (5 Stunden wöchentlich, um 10 Uhr) HE Die Geschichte des neuern Eu- HW Nach seinem Handbuche ropa und seiner Colonien (2) Ausg. 2. HE Allgemeine Länder- u. Völker- HW [Vgl. SS 1803] kunde, oder einen critischen und systematischen Inbegriff unserer gegenwärtigen Kenntnisse der Erde und der sie bewohnenden Völker (um 6 Uhr M.) HE Die Geschichte des neuern Eu- HW Nach seinem Handbuche ropa und seiner Colonien (2) HE Allgemeine Länder- u. Völker- HW [Vgl. SS 1803] kunde, oder einen critischen und systematischen Inbegriff unserer gegenwärtigen Kenntnisse der Erde und der sie bewohnenden Völker (um 6 Uhr M.) HE Die Geschichte des neuern Eu- HW Nach seinem Handbuche ropa und seiner Colonien (2) -
A NHANG | 277
Jahr 1814 SS
Doz Veranstaltung HE Allgemeine Länder- u. Völkerkunde, oder einen critischen und systematischen Inbegriff unserer gegenwärtigen Kenntnisse der Erde und der sie bewohnenden Völker (um 6 Uhr M.) HE Die Geschichte des neuern Europa und seiner Colonien (2) WS 1815 SS HE Allgemeine Länder- u. Völkerkunde, oder einen critischen und systematischen Inbegriff unserer gegenwärtigen Kenntnisse der Erde und der sie bewohnenden Völker (6) HE Die Geschichte des neuern Europa und seiner Colonien (2) WS -
E Lehrwerk HW [Vgl. SS 1803]
HW Nach seinem Handbuche
HW [Vgl. SS 1803]
HW Nach seinem Handbuche
Der Mensch im Netz der Kulturen – Humanismus in der Epoche der Globalisierung/ Being Human: Caught in the Web of Cultures – Humanism in the Age of Globalization Christoph Antweiler Mensch und Weltkultur Für einen realistischen Kosmopolitismus im Zeitalter der Globalisierung 2010, 326 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1634-7
Hubert Cancik Europa – Antike – Humanismus Humanistische Versuche und Vorarbeiten 2011, 524 Seiten, kart., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-1389-6
Oliver Kozlarek Moderne als Weltbewusstsein Ideen für eine humanistische Sozialtheorie in der globalen Moderne 2011, 324 Seiten, kart., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-1696-5
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Der Mensch im Netz der Kulturen – Humanismus in der Epoche der Globalisierung/ Being Human: Caught in the Web of Cultures – Humanism in the Age of Globalization Jörn Rüsen, Henner Laass (eds.) Humanism in Intercultural Perspective Experiences and Expectations 2009, 280 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1344-5
Anna Sieben, Katja Sabisch-Fechtelpeter, Jürgen Straub (Hg.) Menschen machen Die hellen und die dunklen Seiten humanwissenschaftlicher Optimierungsprogramme Juli 2012, ca. 350 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1700-9
Jürgen Straub (Hg.) Der sich selbst verwirklichende Mensch Über den Humanismus der Humanistischen Psychologie Juli 2012, ca. 250 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1699-6
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Der Mensch im Netz der Kulturen – Humanismus in der Epoche der Globalisierung/ Being Human: Caught in the Web of Cultures – Humanism in the Age of Globalization André de Melo Araújo Weltgeschichte in Göttingen Eine Studie über das spätaufklärerische universalhistorische Denken, 1756-1815 Juni 2012, ca. 300 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2029-0
Chun-chieh Huang Humanism in East Asian Confucian Contexts 2010, 168 Seiten, Hardcover, 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1554-8
Helmut Johach Von Freud zur Humanistischen Psychologie Therapeutisch-biographische Profile
Gala Rebane, Katja Bendels, Nina Riedler (Hg.) Humanismus polyphon Menschlichkeit im Zeitalter der Globalisierung 2009, 288 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1172-4
Jörn Rüsen (Hg.) Perspektiven der Humanität Menschsein im Diskurs der Disziplinen 2010, 454 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1414-5
Ernst Wolff Political Responsibility for a Globalised World After Levinas’ Humanism 2011, 286 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1694-1
2009, 340 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1294-3
Oliver Kozlarek (ed.) Octavio Paz Humanism and Critique 2009, 266 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1304-9
Carmen Meinert (ed.) Traces of Humanism in China Tradition and Modernity 2010, 210 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1351-3
Carmen Meinert, Hans-Bernd Zöllner (eds.) Buddhist Approaches to Human Rights Dissonances and Resonances 2010, 248 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1263-9
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