120 11 24MB
German Pages 246 Year 2000
ULRIKE KNOBEL
Wandlungen im Verständnis der Vertragsfreiheit
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 235
Wandlungen im Verständnis der Vertragsfreiheit
Von Ulrike Knobel
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Knobel, U1rike: Wandlungen im Verständnis der Vertragsfreiheit / von Ulrike Knobel. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum Bürgerlichen Recht; Bd. 235) Zugl.: Erlangen, Nürnberg, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10064-6
Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH. Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt. Berlin Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Gennany
© 2000 Duncker &
ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-10064-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9
Vorwort Die sogenannte Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts war Auslöser für die vorliegende Arbeit. Diese Entscheidung forderte mich auf, darüber nachzudenken, wie es derzeit in unserer Rechtsordnung mit der Vertragsfreiheit bestellt ist. In Anbetracht einer Vielzahl von zwingenden Gesetzen auf dem Gebiet des Vertragsrechts drängt sich die Frage auf, ob man überhaupt noch von einer existierenden Vertragsfreiheit sprechen kann. Nach einer Analyse der bestehenden Gesetze und der Rechtsprechung im vertragsrechtlichen Bereich folgt die Untersuchung der verfassungsrechtlichen Verankerung der Vertragsfreiheit und deren Auswirkungen auf das der Verfassung untergeordnete Zivilrecht. Zuletzt bietet sich ein Blick auf das europäische Recht an, welches insbesondere durch die Verabschiedung von Richtlinien verstärkt auf das nationale Recht Einfluß nimmt. Diese Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Sommersemester 1999 als Dissertation vor. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Max Vollkommer, der die Arbeit angeregt und betreut hat, und der jederzeit für ein persönliches Gespräch zur Verfügung stand. Weiterhin gilt mein Dank dem Zweitkorrektor, Herrn Prof. Dr. Reinhard Greger, der ebenfalls die Zeit fand, einige Probleme der Arbeit mit mir zu diskutieren. Darüber hinaus spreche ich allen fleißigen Helfern, die durch Korrekturarbeiten, Gespräche und finanzielle Zuschüsse zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben, ein herzliches Dankeschön aus. Bedanken kann ich mich weiterhin bei der Schmitz-Nüchterlein-Stiftung für den großzügigen Druckkostenzuschuß und bei Herrn Prof. Dr. jur. h. c. Norbert Simon für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe "Schriften zum Bürgerlichen Recht". Erlangen, im Februar 2000
Ulrike Knobel
Inhaltsübersicht Einleitung I.
Einführung in die Thematik ..........................................
15
11. Ausgangspunkt: Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
16
III. Vertragsfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
18
1. Teil Vom formalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit § 1 Die formal verstandene Vertragsfreiheit als Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1896........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. I. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Frühzeitige Kritik am liberalen Vertragsdenken. . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
20 20 25
§ 2 Schaffung und Ausbau zwingender Schutzgesetze zugunsten des schwä-
cheren Vertragsteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Problematisierung von Grenzen der Vertragsfreiheit durch das Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Erste gesetzgeberische Reaktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Ausbau des Schutzes durch Schaffung von Verbraucherschutznormen
30 34 44
§ 3 Herausbildung einer richterlichen Inhaltskontrolle von Verträgen. . . . . . . . .. I. Begriffsbestimmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
51 51
11.
Inhaltskontrolle von Verträgen durch die Aktivierung der Generalklausein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
§ 4 Vorläufiger Höhepunkt: Die Abschlußkontrolle von Verträgen. . . . . . . . . . .. I. Wesen der Abschlußkontrolle .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
11. 111. IV.
30
53
73 73 Abschlußtatbestand als Gegenstand gesetzlicher Regelung. . . . . . . . .. 74 Gerichtliche Abschlußkontrolle. . .. . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 79 Stellungnahme. . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . .. . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. 89
8
Inhaltsübersicht
2. Teil Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit § 5 Einleitung: Vertragsfreiheit in der Krise? .............................. I. Kritik der Literatur an der liberalen Vertragsfreiheit ............... 11. Veränderte Vertragsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Verteidigung der liberalen Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. IV. Modifizierung der Vertragsfreiheit ............................... V. Gefährdung der Vertragsfreiheit ................................. VI. Stellungnahme ................................................
98 98 99 100 101 103 104
§ 6 Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Vertragsfreiheit und ihre Auswirkung auf das Zivilrecht ........................................... I. Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 ........ 11. Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Grundgesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105 106 107 109
§ 7 Dogmatische Grundlagen der Vertragsfreiheit. .......................... I. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Gefährdung der Vertragsfreiheit durch ungleiche Verhandlungsstärke . III. Vertragsinhalt und Vertragsgerechtigkeit .......................... IV. Stellungnahme ................................................ V. Verschiedene Rechtsfolgen ................................... . .. VI. Weitere Schutzmaßnahmen ..................... . . . . . . . . . . . . . . .. VII. Institut der zivilrechtlichen Vertragsberichtigung ..................
128 128 129 143 148 161 183 188
§ 8 Europarechtliche Grundlagen und Einflüsse auf die Vertragsfreiheit . . . . . .. I. Einführung ................................................... 11. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Europarechtliche Verankerung der Vertragsfreiheit als Grundrecht . .. IV. Verhältnis zum nationalen Verfassungsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. V. Inhalt der Vertragsfreiheit. ..... , ................................ VI. Gewährleistung der Vertragsfreiheit auf europäischer Ebene durch Intensivierung des Verbraucherschutzes ........................... VII. EuroparechtIiche Gefährdung der Vertragsfreiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Ergebnis ......................................................
189 189 190 193 198 201
§ 9 Schlußbetrachtung . .. . . . . .. . .. . .. . . .. . .. . .. .. .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Begriff der Selbstverantwortung - Leitbild des mündigen Bürgers ... III. Auswirkungen der Selbstverantwortung und deren Abgrenzung zum Schutz des schwächeren Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
216 216 216
204 210 215
217
Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
Inhaltsverzeichnis Einleitung I.
Einführung in die Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
15
11. Ausgangspunkt: Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
16
III. Vertragsfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
18
1. Teil Vom formalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit § I Die formal verstandene Vertragsfreiheit als Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1896. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Ausgangslage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Die Grundlagen liberalen Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Sittliche Freiheit und die Rolle des Staates. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Vertragsfreiheit als Ausdruck liberalen Denkens . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Die Richtigkeitsgewähr Schmidt-Rimplers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Frühzeitige Kritik am liberalen Vertragsdenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Kritik anläßlich der ersten Beratung über ein Bürgerliches Gesetzbuch....................................................... 2. Kritik von Gierkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Kritik aus sozialistischen Kreisen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Mittelpunkt der Kritik: Die Kant'sche formale Freiheitsethik . . . . .. 5. Gesetzgeberische Reaktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. § 2 Schaffung und Ausbau zwingender Schutzgesetze zugunsten des schwächeren Vertrags teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Problematisierung von Grenzen der Vertragsfreiheit durch das Schriftturn........................................................... 11. Erste gesetzgeberische Reaktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Einleitung................................................... 2. Bestandsschutz im Mietvertragsrecht und Reglementierung der Mietzinshöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Arbeitnehmerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Stellungnahme............................................... III. Ausbau des Schutzes durch Schaffung von Verbraucherschutznormen . 1. Entwicklung.................................................
20 20 20 21 21
23 25
25 25 27 27
28 30 30 34 34 35 38 43 44 44
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Inhaltsverzeichnis 2. Geschützter Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Einzelne Schutzgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Abzahlungskauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Reisevertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Femunterrichtsschutz......................................
46 46 46 48 50
§ 3 Herausbildung einer richterlichen Inhaltskontrolle von Verträgen. . . . . . . . .. 1. Begriffsbestimmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. II. Inhaltskontrolle von Verträgen durch die Aktivierung der Generalklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Rechtsfortbildung durch die Gerichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
SI SI
2. Inhaltskontrolle in besonders schutzbedürftigen Bereichen . . . . . . .. a) Wohnungsmieterschutzrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Arbeitnehmerschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. c) Richterliche Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen - Aufwertung des dispositiven Rechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Konkretisierung des Schutzes durch § 242 BGB. . . . . . . . . . . . .. 3. Die Generalklauseln des BGB als rechtliches Werkzeug zur Inhaltskontrolle von Verträgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Treu und Glauben des § 242 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. § 4 Vorläufiger Höhepunkt: Die Abschlußkontrolle von Verträgen. . . . . . . . . . .. 1. Wesen der Abschlußkontrolle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. II. Abschlußtatbestand als Gegenstand gesetzlicher Regelung. . . . . . . . . .. I. Einleitung................................................... 2. Widerruf einer Willenserklärung nach § I Haustürwiderrufsgesetz .
53 53 57 57 60 63 70 71 71 71
73 73 74 74 74 3. Rücktrittsrecht bei irreführender Werbung nach § 13a UWG . . . . .. 77 IIl. Gerichtliche Abschlußkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 79 I. Abschlußkontrolle nach § 138 Abs. 1 und 2 BGB ............... 79 2. Die Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts und deren Folgeentscheidungen des BGH. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 80 a) Aufforderung zur Vertragskorrektur durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 80 b) Die Folgeentscheidungen des BGH . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . .. 84 c) Ausbau der Abschlußkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 87 d) Richterrechtliche Entwicklung einer vertraglichen Haftungsbeschränkung als Voraussetzung der Wirksamkeit des Vertrages.. 88 IV. Stellungnahme.................................................. 89 1. Behandlung der vor dem 1.1.1999 abgeschlossenen Bürgschaftsverträge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 89 2. Änderung für die nach dem 1.1.1999 abgeschlossenen Bürgschaftsverträge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 94 3. Anwendungsbereich der dargestellten Grundsätze ............... , 96
Inhaltsverzeichnis
11
2. Teil Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit § 5 Einleitung: Vertragsfreiheit in der Krise? ..............................
I. II. III. IV. V. VI.
Kritik der Literatur an der liberalen Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . .. Veränderte Vertragsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Verteidigung der liberalen Vertragsfreiheit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Modifizierung der Vertragsfreiheit ................................ Gefährdung der Vertragsfreiheit. .................................. Stellungnahme..................................................
98 98 99 100 101 103 104
§ 6 Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Vertragsfreiheit und ihre Aus-
wirkung auf das Zivilrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 .......... 1. Verfassungsrechtliche Verankerung der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . .. 2. Verhältnis des Verfassungsrechts zum Zivilrecht ................. II. Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Verfassungsrechtliche Verankerung der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . .. 2. Verhältnis des Verfassungsrechts zum Zivilrecht ................. III. Grundgesetz.................................................... 1. Verfassungsrechtliche Verankerung der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . a) Problematisierung durch das Bundesverwaltungsgericht . . . . . .. b) Stimmen in der Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts ............... 2. Inhalt des verfassungsrechtlichen Schutzes ...................... a) Vertragsfreiheit als Rechtsinstitut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Vertragsfreiheit als subjektives Recht ....................... 3. Verhältnis des Verfassungsrechts zum Zivilrecht ................. a) Legislatorischer Dispositionsspielraum ...................... aa) Literaturmeinung zur Zeit des Erlasses des Grundgesetzes. bb) Meinung des Bundesverwaltungsgerichts ................ ce) Auffassung Dürigs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ausführungen Flumes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Stellungnahme ....................................... b) Ausgestaltung der Vertragsfreiheit durch immanente Schranken aa) Grundrechtsausgestaltung .............................. bb) Grundrechtsbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105 106 106 106 107 107 108 109 109 111 111 112 113 114 115 115 116 116 116 117 119 120 121 122 127
§ 7 Dogmatische Grundlagen der Vertragsfreiheit .......................... 128
I. II. III. IV.
Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Gefährdung der Vertragsfreiheit durch ungleiche Verhandlungsstärke .. Vertrags inhalt und Vertragsgerechtigkeit ........................... Stellungnahme .................................................. 1. Einleitung ...................................................
128 129 143 148 148
12
Inhaltsverzeichnis 2. Bestehende Rechtslage ....................................... 149 a) Gleichgewichtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Vertragsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Gleichgewichtslage und Vertragsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Würdigung............................................. . .... a) Typisierung der Ungleichgewichtslage ...................... b) Vertragskorrektur bei bestimmten Vertragsarten ............... c) Typische Ungleichgewichtslage und vertragliche Nachteile .... 4. Vorrang der Rechtssicherheit vor der Individualgerechtigkeit ...... V. Verschiedene Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Gesamtnichtigkeit, Unwirksamkeit und Rückabwicklung des gesamten Vertrages. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Teilnichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Gesetzliche Regelung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Auswirkungen auf den Gesamtvertrag ........... . ........... c) Vertragskorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Ergänzung durch zwingendes und dispositives Recht. ..... bb) Vertragskorrektur durch Reduzierung der GeneralklauseI des § 138 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Grundsatz von Treu und Glauben des § 242 BGB ........ dd) Ergänzende Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. VI. Weitere Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. l. Einleitung................................................... 2. Gesetzliche Regelung ............................ . .......... . 3. Stellungnahme ............................................... VII. Institut der zivilrechtlichen Vertragsberichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149 150 151 151 153 154 157 158 161 162 164 164 164 168 169 170 175 182 183 183 183 185 188
§ 8 Europarechtliche Grundlagen und Einflüsse auf die Vertragsfreiheit . . . . . .. 189
I. Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. II. Grundlagen.................................................... III. Europarechtliche Verankerung der Vertragsfreiheit als Grundrecht. . . .. l. Europäischer Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Verfassungsrang der Vertragsfreiheit auf europäischer Ebene . . . . .. IV. Verhältnis zum nationalen Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. V. Inhalt der Vertragsfreiheit ........................................ VI. Gewährleistung der Vertragsfreiheit auf europäischer Ebene durch Intensivierung des Verbraucherschutzes ............................ 1. Geschichtliche Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Realisierung des Verbraucherschutzes ............ . . . . . . . . . . . . . . 3. Integration in die Politiken der Gemeinschaft ...................
189 190 193 193 196 198 201 204 205 206 206
Inhaltsverzeichnis
13
VII. Europarechtliche Gefährdung der Vertragsfreiheit? ................. I. Richtlinie des Rates über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Richtlinie über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen . VIII. Ergebnis ......................................................
210
§ 9 Schlußbetrachtung .................................................. I. Einleitung ...................................................... 11. Begriff der Selbstverantwortung - Leitbild des mündigen Bürgers .... III. Auswirkungen der Selbstverantwortung und deren Abgrenzung zum Schutz des schwächeren Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nachteiliger Schutz .......................................... 2. Überdehnung des Schutzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zurückdrängung der Selbstverantwortung ....................... 4. Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Schutz und Selbstverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
210 213 215 216 216 216 217 218 219 219 220
Zusammenfassung .................................................... . 222 Literaturverzeichnis ................................................... 228 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
Einleitung I. Einführung in die Thematik Am 19. Oktober 1993 erließ das Bundesverfassungsgericht seine inzwischen oft zitierte Bürgschaftsentscheidung 1, die in der Literatur sowohl Zustimmung2 als auch Kritie erfahren hat. Darin führte das Gericht aus, daß die Zivilrechtsordnung einen Vertrag bei Vorliegen einer Störung des Verhandlungs gleichgewichts dann korrigieren müsse, wenn die Folgen dieses Vertrages für den unterlegenen Vertrags teil ungewöhnlich belastend seien. Auf der Grundlage dieses Beschlusses wurde inzwischen eine Vielzahl von zivilgerichtlichen Entscheidungen gefällt4 • Es wurden aber auch Befürchtungen dahingehend geäußert, daß zukünftig alle abgeschlossenen Verträge einer richterlichen Überprüfung ausgesetzt sein könnten 5 . Das läßt die Frage aufkommen, wie es um die vielfach gerühmte Vertragsfreiheit derzeit bestellt ist, insbesondere ob die bereits in den 50er Jahren laut gewordene Kritik bestätigt werden kann, daß die Vertragsfreiheit in einer Krise stecke und man möglicherweise gar nicht mehr von deren Existenz sprechen könne. Ausgangspunkt der Überlegungen zur Vertragsfreiheit ist die grundsätzliche Möglichkeit zum Abschluß eines Vertrag, die jedem Bürger die Freiheit gibt, selber zu entscheiden, ob er einen Vertrag schließen möchte, wer sein Vertragspartner sein soll und welchen Inhalt der Vertrag besitzen soll. Diese Möglichkeit wird den Bürgern durch das Privatrecht zur Verfügung gestellt. Der Vertrag hat sich inzwischen zum wichtigsten Instrument des Rechtsverkehrs entwickelt. Diese Vielfalt der Möglichkeiten zum Abschluß eines Vertrages hat zu immer größeren Freiheiten der Bürger und der Möglichkeit I BVerfGE 89, 214 = NJW 94, 36 = WM 93, 2199 = ZIP 93, 1775 = DB 93, 2580 = EWiR 94, 23 = BB 94, 16 = FamRZ 94, 151. 2 So v. Westphalen: Das Recht des Stärkeren und seine grundgesetzliche Beschränkung, MDR 94, 5 ff. 3 Beispielsweise bei Adomeit: Die gestörte Vertragsparität - ein Trugbild?, NJW 94, 2467 ff. (2468). 4 Dazu § 5 III 2b. 5 So beispielsweise Wiedemann: Anmerkung zu BVerfG, Beschluß vom 19.10.93, JZ 94, 411. Zöllner (in: Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996) lff., insb. S. 4 ff.) spricht davon, daß Tore aufgemacht wurden, die besser geschlossen geblieben wären.
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Einleitung
zur Selbstverwirklichung geführt, in einigen Fällen jedoch auch zu Unfreiheiten. So kann es vorkommen, daß jemand auf den Abschluß eines bestimmten Vertrages angewiesen ist oder aus anderen Gründen nicht darauf verzichten will. Daneben kann es Fälle geben, in denen der eine Vertrags partner die rechtlichen Konsequenzen seines HandeIns bei Abschluß des Vertrages nicht erkennt. Dann stehen sowohl die Gerichte als auch der Gesetzgeber vor der Frage, ob die in dieser Form abgeschlossenen Verträge nach dem Grundsatz "pacta sunt servanda,,6 als rechtswirksam angesehen werden müssen, und damit der sogenannte "mündige Bürger" respektiert wird 7 , oder ob sie den "schwächeren" Vertragspartner schützen müssen und den Vertrag nicht oder nicht in dieser Form anerkennen dürfen. Untersucht werden muß deshalb zunächst, welche Form die Vertragsfreiheit bei Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches am I. Januar 1900 besaß und in welchen Fällen die Rechtsordnung ein Eingreifen in diese weit gefaßte Vertragsfreiheit als erforderlich ansieht. Zur Würdigung dieses Vorgehens erscheint weiterhin die Beantwortung der Frage wichtig, ob die zivilrechtliche Vertragsfreiheit einen grundrechtlichen Schutz genießt und wie sich dieser auf das Zivilrecht auswirkt, insbesondere ob der als schwächer zu bezeichnende Vertragspartner sich gegenüber den Gerichten und dem Gesetzgeber auf die Gewährleistung dieses Rechtes berufen kann und wie sich dieses Recht im einzelnen auswirkt. Interessant erscheint weiterhin auch die Frage, welche Veränderungen die Vertragsfreiheit durch das europäische Recht erfahren hat, welches das deutsche Recht inzwischen auch verstärkt im zivilrechtlichen Bereich überlagert. Die seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches aufgetretenen Veränderungen in diesem Spannungsverhältnis zwischen privatautonomer Selbstbestimmung und heteronomer Gestaltung durch die Rechtsordnung sollen hiermit näher untersucht werden. Dabei können diese Veränderungen im Privatrecht nicht abschließend dargestellt werden. Statt dessen soll anhand ausgesuchter Beispiele skizziert werden, welche markanten Veränderungen die dem Vertragsrecht zugrunde liegende Vertragsfreiheit im Laufe von ca. 100 Jahren erfahren hat.
11. Ausgangspunkt: Privatautonomie Unter der Rechtsordnung versteht man die Gesamtheit der Rechtsvorschriften, die das Zusammenleben der Menschen sowie deren Verhältnis zu 6 Dieser Grundsatz der Vertragstreue stammt aus dem kanonischen Recht. Er ist Ausgangspunkt der Habilitation von Stephan Lorenz mit dem Titel "Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag". 7 Siehe dazu Schünemann: Mündigkeit versus Schutzbedürftigkeit - Legitimationsprobleme des Verbraucher-Leitbildes, FS Brandner, S. 279ff.
11. Ausgangspunkt: Privatautonomie
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den übergeordneten Hoheitsträgern bzw. zwischen diesen regeln. Durch diese Rechtsvorschriften hat (überwiegend) der Gesetzgeber eine wertende Entscheidung für eine Vielzahl von Verhältnissen und Vorgängen getroffen. Doch die Lebensverhältnisse gestalten sich so komplex, daß es dem Gesetzgeber überhaupt nicht möglich sein kann, diese insgesamt durch legislative Vorgaben auszugestalten. Die Bürger haben deshalb die Möglichkeit, ihre Beziehungen untereinander selbständig zu gestalten. Dieser vom Gesetzgeber nicht ausgestaltete Bereich wird als Privatautonomie bezeichnet. Die Privatautonomie gewährt den Bürgern die Möglichkeit, ihre eigenen privatrechtlichen Angelegenheiten nach ihrem eigenen Willen und in eigener Verantwortung zu regeln 8 . Sie ist ein Teil des allgemeinen Prinzips der Selbstbestimmung des Menschen, welches im Naturrecht verwurzelt ist9 . Diese aufgrund des eigenen Willens ergangene Regelung muß damit nicht unbedingt den objektiven Richtigkeitskriterien, die der Rechtsordnung zugrunde liegen, entsprechen. Weiterhin ist diese den Bürgern eingeräumte Autonomie nur hinsichtlich ihrer privaten Angelegenheiten möglich 10. Unerläßliche Voraussetzung bei der Regelung dieser zwischenmenschlichen Beziehungen ist damit die Freiheit von irgendwelcher Art von Zwang. Bei der Privatautonomie handelt es sich somit um eine der wesentlichsten Grundlagen der GemeinschaftsordnunglI. Durch die auf der Basis der Privatautonomie geschaffenen Regelungen wird kein Recht gesetzt, sondern die von dem einzelnen Bürger angestrebte Ausgestaltung seiner Rechtsverhältnisse wird von der Rechtsordnung grundsätzlich anerkannt und mit ihrer Hilfe realisiert, wenn in ihnen kein Gesetzesverstoß liegt. Rechtsgeschäfte sind damit keine Rechtsquellen. Diese Vorstellung herrschte bereits bei Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches vor. Nach von Kübel, Redaktor des Vorentwurfes zum Schuldrecht, ist der letzte Grund der Verpflichtung aus einem privatautonomen Akt zwar der Wille des Rechtssubjektes, allerdings nur durch das Hinzudenken der Hilfe der Rechtsordnung, in welcher die rechtsgestaltende Kraft des Parteiwillens ihre Anerkennung finde und ohne welche 8 Flume spricht davon, die Geltung des Grundsatzes der Privatautonomie bedeute die Anerkennung der "Selbstherrlichkeit" des einzelnen in der schöpferischen Gestaltung der Rechtsverhältnisse, stat pro ratione voluntas. Flume: Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, S. I, 6; Larenz: Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, § 2 lIe. 9 Riesenfeld: Einführungsvortrag zum Generalthema: Privatautonomie und Ungleichgewichtslagen, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1995, S. 9ff. (10). 10 Dazu Hönn: Zur Problematik der Privatautonomie, Jura 84, 57. 11 Diese überragende Bedeutung der Privatautonomie äußert sich bereits darin, daß die gesamte Wirtschaftsordnung in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Privateigentum, auf Privatautonomie, Vertragsfreiheit, Erwerbsstreben und Wettbewerb beruht, so Weitnauer in: Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, S. 17.
2 KDobeI
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Einleitung
die Begründung eines subjektiven Rechts durch ein Rechtsgeschäft gar nicht denkbar sei 12.
III. Vertragsfreiheit Wichtigster Bestandteil der Privatautonomie ist die Vertragsfreiheit 13. Ihre Existenz wird als derart selbstverständlich angesehen, daß nicht einmal die Autoren des Bürgerlichen Gesetzbuches dieselbe dort erwähnten. Statt dessen wird sie in § 305 BGB wie selbstverständlich vorausgesetzt. Die Vertragsfreiheit als Teil der Privatautonomie gewährt den Bürgern das Recht, spezielle Regelungen, nämlich die zweiseitigen Rechtsgeschäfte bzw. Verträge, zu treffen. In Übereinstimmung mit dem zur Privatautonomie Gesagten werden auch die hierbei getroffenen Abreden als rechtsverbindlich anerkannt und mit gerichtlichem Rechtsschutz ausgestattet 14 . Neben dieser als positiv zu bezeichnenden Vertragsfreiheit existiert als Gegenstück die negative Vertragsfreiheit. Diese besagt, daß jeder Bürger selber entscheiden kann, ob er überhaupt einen Vertrag schließen will. Er darf also nicht von seinem potentiellen Vertragspartner dazu bestimmt werden, den Vertragsschluß herbeizuführen. Die Vertragsfreiheit läßt sich weiterhin gliedern in eine sogenannte Inhalts- und eine Abschlußfreiheit 15 • Die Abschlußfreiheit verwirklicht den Willen der Parteien zur Herbeiführung eines Vertragsabschlusses und zur Wahl des Vertragspartners. Die Inhaltsfreiheit hingegen bezieht sich auf das Recht der Vertragsschließenden, einen ihrem Willen entsprechenden Inhalt des Vertrages festzulegen. Weiterhin ergibt sich aus dem Recht der Vertragsfreiheit für die Parteien die Möglichkeit, einen bereits geschlossenen Vertrag ebenfalls durch Vertrag wieder aufzuheben oder ein Vertragsverhältnis, welches teilweise schon erfüllt wurde, zu beenden. Durch den Vertiagsschluß werden also immer mindestens zwei Personen betroffen, die in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts den Vertrag als rechtens ansehen 16. Dabei stehen sich in den meisten Fällen konträre Interessen der Parteien gegenüber. 12 Von Kübel in: Schubert (Hrsg.): Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Recht der Schuldverhältnisse, Teil 1, AT, S. 135 f. 13 Die beiden Begriffe werden teilweise synonym angewendet. 14 Raiser: Vertragsfreiheit heute, JZ 58, 1. 15 Dazu Larenz: Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, Allgemeiner Teil, S. 41 f. 16 Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 19f.; Raiser: Vertragsfunktion und Vertragsfreiheit, FS Deutscher Juristentag, Bd. I, S. 101 ff. (123).
III. Vertragsfreiheit
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Es darf nicht außer Betracht bleiben, daß ein Vertrag auch zum Nachteil einer Partei geschlossen werden kann 17. Im Gegensatz dazu wendet die Rechtsordnung objektive Gerechtigkeitsgesichtspunkte an. Die Rechtsordnung versagt aber auch diesen Verträgen grundsätzlich nicht die Legitimation, da diese von der benachteiligten Partei selber akzeptiert wurden, die Erfüllung der Vertragspflichten somit der Verwirklichung des von der Rechtsordnung grundsätzlich zu respektierenden Willens der Parteien entspricht. Die Vertragsfreiheit kann deshalb als Institut zur Sicherung und Ermöglichung der beiderseitigen Selbstbestimmung im Recht bezeichnet werden l8 .
17 So reicht es beispielsweise zur Bejahung der Siuenwidrigkeit eines Bürgschafts vertrages gemäß § 138 Abs. 1 BGB nicht aus, daß sich der Bürge in einem Umfang verpflichtet, der seine gegenwärtigen und zukünftig zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse weit übersteigt, sondern es müssen zusätzliche, dem Gläubiger zurechenbare Umstände hinzutreten, die zu einem unerträglichen Ungleichgewicht der Vertragsparteien führen, BGH NJW 97, 1980 = LM BGB § 138 Nr. 78. 18 Die Selbstbestimmung kann damit als Kernstück der Vertragsfreiheit bezeichnet werden, so Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 60, 62.
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1. Teil
Vom formalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit § 1 Die formal verstandene Vertragsfreiheit
als Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1896 I. Ausgangslage 1. Die Grundlagen liberalen Denkens
Das Bürgerliche Gesetzbuch bietet einen verhältnismäßig reinen Ausdruck des liberalen Denkens, das in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts aufkam. Im Vordergrund stand die individuelle Freiheit jedes Bürgers. Dieser Freiheitsgedanke war Ausdruck der Aufklärungsepoche des 18. Jahrhunderts 1. Mittelpunkt des Rechtsdenkens dieser Zeit war der einzelne Mensch. Er wurde in seiner Rolle als Individuum als Vernunftsträger angesehen, herausgelöst aus jeglicher Bindung an die ihn umgebende Gemeinschaft. Man ging davon aus, daß das Recht um seiner selbst willen bestehe2 . Der Freiheitsgedanke zielte darauf ab, bei jedem Menschen ein größtmögliches Verantwortungsbewußtsein zu schaffen und die Ausbildung einer eigenen Persönlichkeit zu fördern, statt unmittelbaren, zentralisierten Zwang auszuüben. Das auf diesem Freiheitsgedanken aufbauende Bürgerliche Gesetzbuch bekannte sich bereits in seiner ursprünglichen Fassung zu drei Grundfreiheiten: Neben der Freiheit des Eigentums 3 und der Testierfreiheit4 wurde insbesondere die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung I Charakteristisch ist die Äußerung von Tuhrs (in: Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts Bd. I, S.151), Leib und Leben verdanke man der Natur, die Freiheit des HandeIns sei ebenfalls ein natürlicher Zustand, der vom Gesetz zwar beschränkt werden könne, aber nicht geschaffen werden brauche. 2 Dazu Larenz in: Holstein-Larenz: Staatsphilosophie, S. 153 ff.; ebenso Bülck: Vom Kontrahierungszwang zur Abschlußpflicht, S. 4. 3 Mugdan: Materialien Bd. m S. 142f. = Motive Bd. m S. 257ff. 4 Mugdan: Materialien Bd. V S. 3 = Motive Bd. V S. 7; Mugdan: Materialien Bd. V S. 710 = Protokolle Bd. V S. 65, 78.
§ 1 Die fonnal verstandene Vertragsfreiheit
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kodifiziert5 . Der Vertrag als deren rechtliche Ausprägung, dem bereits zu dieser Zeit eine wichtige Rolle zukam, ist bis heute die entscheidende privatrechtliche Rechtsinstitution geblieben.
2. Sittliche Freiheit und die Rolle des Staates Die staatlichen Aktivitäten wurden auf den Schutz und die Sicherung der Individualfreiheit begrenzt. Die gesellschaftlichen Beziehungen und Prozesse sollten durch das freie und spontane Handeln der Bürger bewirkt werden. Eine große Rolle spielte dabei der sogenannte Harmoniegedanke. Der Staat sei ein schlechter Wirtschafter. Er solle sich von der Wirtschaft femhalten und diese sich selbst überlassen. Diese Auffassung spiegelt sich in dem bekannten Grundsatz "Laissez faire et laissez passer, le monde va de lui meme" wieder6 . Man glaubte an die Möglichkeit einer sich quasi automatisch, naturwüchsig einstellenden sozialen Harmonie durch vertraglichen Ausgleich 7 sowie an die natürliche Regulierung des Marktes 8. Dieser Auffassung lag der Kant'sche Begriff der sittlichen Freiheit zugrunde9 . Nach Kant ist die äußere (rechtliche) Freiheit die Befugnis, keinen äußeren Gesetzen zu gehorchen, als zu denen man seine Beistimmung hat geben können 10. Man bekannte sich zu den formalen Begriffen der Pflicht und der Befugnis, die sich aus der unbedingten Autonomie der sittlichen Persönlichkeit ergeben. Entscheidend war die optimale Vereinbarung der eigenen Freiheit mit der Freiheit jedes anderen und die Anpassung der Maxime des individuellen Verhaltens an die allgemeine Norm 11.
3. Vertragsfreiheit als Ausdruck liberalen Denkens Dieses Modell einer liberalen, auf dem Ordnungsprinzip der freien Marktwirtschaft aufbauenden Gesellschaft spiegelte sich im Bereich des Privatrechts in dem Grundsatz der Vertragsfreiheit wieder. Leitbild des Vertragsgeschehens war der frei ausgehandelte Vertrag, gegenüber dessen Inhalt die Rechtsordnung in der Regel Neutralität zu wahren hatte. Das Rechtsinstitut der Vertragsfreiheit wurde von dem Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuches bewußt in dieser Form als wichtigstes Strukturelement Mugdan: Materialien Bd. 11 S. 1 = Motive Bd. 11 S. 2. Dazu Spann: Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre, S. 36ff. (44). 7 So MünchKomm-Kramer BGB Vor. § 145 Rn. 2. 8 Raiser: Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 278. 9 Kant: Werke in 12 Bänden, Bd. XI, S. 46, 61. 10 Kant: Werke in 12 Bänden, Bd. XI, S. 204. 11 Wieacker: Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher, S. 4.
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I. Teil: Vom formalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
des Zivilrechtes vorausgesetzt und nicht als eine Schwäche hingenommen, gegen die man sich nicht wehren konnte l2 . Jeder Person sollte danach die Möglichkeit zustehen, von seiner Vertragsschlußkompetenz in gleichem Maße Gebrauch zu machen. Der Staat sollte dabei einen größtmöglichen Freiheitsspielraum gewähren 13. Ihm kam nur die Aufgabe zu, als Garant der Rechtssicherheit die von den Teilnehmern des Spieles der wirtschaftlichen Kräfte geschlossenen Geschäfte vorbehaltlos zu sanktionieren 14. Die Frage einer von der Vertragsfreiheit mitumfaßten Vertragsgerechtigkeit wurde nicht gestellt. Man ging von der Vorstellung aus, daß sich zwei potentielle Vertragspartner mit gegensätzlichen Interessen bei Vertragsabschluß wohl in der Mitte treffen würden. Dadurch würden automatisch die Interessen sämtlicher am Vertrag beteiligter Personen gewahrt. Nach Luhmann l5 war das liberale Vertragsrecht damit durch Verfahren, nicht durch inhaltliche "Richtigkeit" legitimiert, damit gleichzeitig vom Erfordernis innerer Gerechtigkeit entlastet. An Stelle dieser sittlichen Voraussetzungen trat der Markt in den Mittelpunkt der Betrachtung l6 . Fonnal gesehen hatte damit jeder, d. h. der wirtschaftlich Mächtige und der Schwache, gleiche subjektive Rechte 17. Auf der Basis des liberalen Vertragsdenkens lehnte die Rechtsordnung grundSätzlich die Verantwortung für die Rechtsfolgen, die sich aus einem frei abgeschlossenen Vertrag für beide Vertragsparteien ergaben, ab. Nur in besonderen Fällen, so z. B. beim Vorliegen eines Sittenverstoßes oder beim Vertrags schluß eines Geschäftsunfähigen, sah sie sich als verpflichtet an, dem Vertrag die Wirksamkeit zu versagen. Die Gründe für ein solches Vertragsdenken findet man in den politischen und soziologischen Verhältnissen dieser Zeit. Von der Befreiung der sittlichen, politischen und wirtschaftlichen Kräfte des Individuums wurde eine Steigerung des wirtschaftlichen Wohlstandes erwartet. Der Eigennutz als wirtschaftlicher Grundsatz wurde als die einzige treibende Kraft der Wirtschaft angesehen. Die Industrialisierung sollte mit Hilfe von selbstbewußten und willensstarken Unternehmern in Deutschland einziehen 18 . Im Ergebnis bedeutete dies insbesondere für die zu dieser Zeit stark ansteigenden Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, daß diese beiden unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen sich gleichberechtigt gegenüberstehen 12 13
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So Raiser: Vertragsfreiheit heute, JZ 58, 1. Schwab: Einführung in das Zivilrecht, Rn. 68 f. Raiser: Vertragsfreiheit heute, JZ 58, I ff. (2). Luhmannn: Rechtssoziologie, S. 327. Bülck: Vom Kontrahierungszwang zur Abschlußpflicht, S. 5. Dazu Kramer: Die "Krise" des liberalen Vertragsdenkens, S. 21 f. Spann: Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre, S. 44.
§ 1 Die fonnal verstandene Vertragsfreiheit
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und im freien Vertrag die Höhe des Lohnes sowie die weiteren Arbeitsbedingungen vereinbaren sollten 19.
4. Die Richtigkeitsgewähr Schmidt-Rimplers Diese Grundvorstellung von der Vertragsfreiheit basierte auf der 1941 von SChmidt-Rimpler2o formulierten sogenannten materialen Richtigkeitsgewähr. Schmidt-Rimpler verstand unter materialer Richtigkeit die ethisch bestimmte Gerechtigkeit im engeren Sinne sowie die von der Gemeinschaft aus gesehene Zweckmäßigkeit, d. h. das, was erforderlich ist, um das Gemeinschaftsdasein und das Gemeinschaftsleben zu verwirklichen 21 . Dem Vertrag als Bestandteil der Privatautonomie sollte die Funktion zukommen, die Gestaltung der Rechtsverhältnisse in Selbstbestimmung zu ermöglichen 22 . Nach Meinung Schmidt-Rimplers müßte Selbstbestimmung dabei auf allen Seiten des Vertrages verwirklicht werden. Problematisch sei dies dann, wenn durch den Vertrag die eine Partei einen irgend wie gearteten Nachteil erleide. In dieser Situation könnte man davon ausgehen, daß niemand eine ihm nachteilige Rechtsfolge herbeiführen wolle, die er nicht aus irgendwelchen Gründen als gerecht und richtig bewerten würde. SchmidtRimpler ging deshalb von einem bestimmten Vertragsmechanismus aus. Danach sollte das Zusammenwirken der Vertragschließenden bei der vertraglichen Gestaltung von Rechtsverhältnissen ohne hoheitliches Gestalten in begrenztem Rahmen zu einem Ausgleich entgegengesetzter Interessen im Sinne einer richtigen Regelung auch gegen einen unrichtigen Willen führen. Die einzelnen Interessen der Parteien würden dadurch gegensätzlich gewahrt, daß ohne Zustimmung des durch die Unrichtigkeit Betroffenen kein Vertrag zustande komme 23 . 19 Noch heute steht in § 105 GewO, die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden und den gewerblichen Arbeitnehmern soll Gegenstand freier Übereinkunft sein. Einen fast identischen Text hatte bereits § 105 der Deutschen Gewerbeordnung in der Fassung vom 17.7.1878, RGßl. S. 199. 20 Schmidt-Rimpler: Grundlagen einer Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147 (1941) 130ff. Die Fonnulierung dieser Theorie muß dabei im historischen Zusammenhang gesehen werden. Sie entstand zu einer Zeit, in der die nationalsozialistischen Machthaber eine Erneuerung des Vertragsrechts forderten mit dem Ziel, die Vertragsordnung zugunsten hoheitlicher Gestaltung zurückzudrängen bzw. auszuschalten, so Schmidt-Rimpler in: Zum Vertragsproblem in: Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen, FS Raiser, S. 3 ff. (9). 21 Schmidt-Rimpler: Grundlagen einer Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147 (1941) 132f. 22 Flurne: Rechtsgeschäft und Privatautonomie, FS Deutscher Juristentag, ßd. I, S. 141 f.
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1. Teil: Vom fonnalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
Man kann demnach den Vertragsschluß in zwei getrennte Bereiche untergliedern: Das positive, gestalterische Moment verwirklicht das Selbstbestimmungsrecht der anbietenden Vertragspartei. Hinzu tritt als negativer, abwehrender Aspekt die Erforderlichkeit der Zustimmung der anderen Partei 24 . Schmidt-Rimpler fügte seiner Theorie bei, daß die von ihm dargestellte Richtigkeitsgewähr nur beschränkt sei. Sie sei an verschiedene Voraussetzungen geknüpft und von vielen Ausnahmen durchbrochen 25 . Oft wisse der eine Vertragspartner nicht, was die Richtigkeit erfordere. Außerdem würde in vielen Fällen nur von den eigenen Verhältnissen und denen der anderen, unmittelbar Beteiligten ausgegangen werden. Dabei bliebe aber die Gemeinschaft außer Betracht26 . Da als Alternative nur der hoheitliche Eingriff zur Verfügung stehe, müßten mögliche Unrichtigkeiten in Kauf genommen werden 27 . Dessen bedeutendster Nachteil sei der, daß der Wert der Freiheit der Persönlichkeit, der wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen Systems sei, in den Hintergrund trete 28 • Hinzu komme, daß diese mögliche hoheitliche Gestaltung dann, wenn sie im Einzelfall nachträglich im Wege der Inhaltskontrolle erfolge, zu Rechtsunsicherheit führe und die Vertragsuntreue begünstige29 . Schmidt-Rimpler fügt allerdings hinzu, daß der Vertragspartner überhaupt die Möglichkeit haben müsse, auf den Gegenstand des Vertrages verzichten zu können. Sei diese Möglichkeit nicht gegeben, wie z. B. im Falle eines bestehenden Monopols, oder könne eine Wertung und Abwägung der Rechtsfolgen nicht auf beiden Seiten stattfinden, dann versage die Richtigkeitsgewähr3o, und es müßten Möglichkeiten gefunden werden, um zu einem gerechten Ergebnis zu kommen. Eine andere Situation liege dann vor, wenn Interessen der Allgemeinheit oder von unbeteiligten Dritten berührt würden. In diesen Fällen sei die Richtigkeitsgewähr des Vertrages von vornherein begrenzt, da jeder Ver23 Schmidt-Rimpler: Grundlagen einer Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147 (1941) 156. 24 Habersack: Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 42. 2S Schmidt-Rimpler: Zum Vertragsproblem in: Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen, FS Raiser, S. 12. 26 Schmidt-Rimpler: Grundlagen einer Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147 (1941) 152. 27 Schmidt-Rimpler: Grundlagen einer Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147 (1941) 165. 28 Schrnidt-Rimpler: Grundlagen einer Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147 (1941) 169. 29 Schrnidt-Rimpler: Grundlagen einer Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147 (1941) 166f. 30 Schrnidt-Rimpler: Zum Vertragsproblem in: Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen, FS Raiser, S. 3ff. (6).
§ 1 Die fonnal verstandene Vertragsfreiheit
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tragspartner nur die Rechtsfolgen, die sich für ihn aus dem Vertrag ergeben, prüfen und billigen würde 31 . Schmidt-Rimpler ging zunächst davon aus, daß der Wille der Vertragsparteien alleine nicht ausreiche, um die betreffende Sachlage rechtlich zu gewährleisten. Hinzukommen müsse die dem Vertragsschluß innewohnende Richtigkeitsgewähr32 • Diese Ausführungen zu der von ihm vertretenen Richtigkeitstheorie wurden aber als nicht haltbar angesehen. Aufgrund der Kritik Raisers 33 wandelte er sie dahingehend ab, daß er unter den Begriff der Richtigkeit auch die subjektive Wertung der Parteien einbezog 34 .
11. Frühzeitige Kritik am liberalen Vertragsdenken 1. Kritik anläßlich der ersten Beratung über ein Bürgerliches Gesetzbuch Schon während der Verhandlungen über das neue Bürgerliche Gesetzbuch wurde erste Kritik an dem einseitig interessenorientierten VertragsrnodelI laut. In der ersten Beratung im Plenum des Reichstages wurde die nicht umfassend berücksichtigte soziale Frage bemängelt. Die absolute Vertragsfreiheit würde nicht zu einer "größeren Wohlhabenheit" des Volkes führen. Schon die derzeitigen Kritiker erkannten die Gefahr, die eine so weit verstandene Vertragsfreiheit in sich birgt. Es wurde davor gewarnt, daß sie sehr oft dazu benutzt werden könnte, um Menschen zu ruinieren. Wenn sich jemand leichtsinnig in einen Vertrag eingelassen habe, müsse er die Folgen über sich ergehen lassen35 .
2. Kritik von Gierkes Berühmtester Gegner war jedoch der Germanist Otto von Gierke 36 . Seine Kritik an dem ersten Entwurf fiel so heftig aus, daß dieser nicht Gesetz wurde. Bekannt wurde seine Forderung nach einem "Tropfen sozialen Öls" 31 Schmidt-Rimpler: Grundlagen einer Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147 (1941) 151 f. 32 Schmidt-Rimpler: Grundlagen einer Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147 (1941) 163. 33 Raiser: Vertragsfunktion und Vertragsfreiheit, FS Deutscher Juristentag 18601960, S. IOHf. (117ff.). 34 Schmidt-Rimpler: Zum Vertragsproblem in: Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen, FS Raiser, S. 3 ff. (15). 35 v. Rintelen im Rahmen der ersten Beratung des BGB im Plenum des Reichstages, 30. Sitzung, in: Mugdan Materialien Bd. I S. 858. 36 Dazu Grimm: Die Zukunft der Verfassung, S. 229.
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1. Teil: Vom formalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
für das Bürgerliche Gesetzbuch 37 . Diese Forderung galt in besonderem Maße für das Prinzip der Vertragsfreiheit, das dem Schuldrecht zugrunde gelegt wurde. Von Gierke interpretierte den ersten Entwurf in der Weise, daß das Bürgerliche Gesetzbuch Abstand genommen habe von sozialrechtlichen Schranken der Vertragsfreiheit. Er sprach insbesondere das Problem des Zinswuchers an. Der erste Entwurf beinhalte in seinem § 358 die Wucherfreiheit, d. h. Zinsen konnten danach in beliebiger Höhe vertraglich vereinbart werden, wenn nicht reichsgesetzliche Vorschriften über den Wucher entgegenstanden 38 . Hier werde die Wucherfreiheit mit ihren negativen Auswirkungen für die Masse der ärmeren Bevölkerungsschichten zum Grundsatz, die Schranken dieser Freiheit zur Ausnahme gemacht. Die sich in diesem Beispiel aus dem Schuldrecht widerspiegelnde Gewichtung der sozialen Pflichten des Gesetzgebers setzte sich im gesamten Entwurf fort. Erwähnt sei noch der Bereich des Dienstvertragsrechts, der im ersten Entwurf durch einige wenige Regelungen abgehandelt wurde. Hier sah nur der damalige § 562 einen gewissen Schutz des Dienstverpflichteten vor. Von Gierke erschien dies wie ein freier Kauf und Verkauf der Ware "Arbe it,,39. Seine erneute Ablehnung auch des von der zweiten Kommission vorgelegten Entwurfes führte jedoch nicht zu einer Realisierung seines Strebens nach Begründung eines sozialen Rechtes 4o . Entgegen der Auffassung des Gesetzgebers dürfe man seiner Meinung nach nicht nur den Spezialgesetzen ein soziales Gepräge geben (man denke nur an das Abzahlungsgesetz vom 16. Mai 1894) und das gemeine Privatrecht rein individualistisch ausgestalten 41 . Von Gierke ging dabei von der Vorstellung aus, daß sich ein vertraglicher Interessenausgleich nicht automatisch einstellen und sich statt dessen eine schrankenlose Vertragsfreiheit selbst zerstören würde. Es müsse hingegen eine vernünftige Freiheit gemeint sein, welche ihr Maß durch ihre sittliche Zweckbestimmung in sich trage. Er prägte den Satz: "Eine furchtbare Waffe in der Hand des Starken, ein stumpfes Werkzeug in der Hand des Schwachen, wird sie zum Mittel der Unterdrückung des einen durch den anderen, der schonungslosen Ausbeutung geistiger und wirtschaftlicher Übermacht". Seiner Meinung nach habe das Privatrecht die Aufgabe, den Schwachen gegen den Starken, das Wohl der Gesamtheit gegen die Selbstsucht der Einzelnen zu schützen42 • v. Gierke: Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 10. v. Gierke: Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, S. 104. 39 v. Gierke: Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, S. 104. 40 Wolf E.: Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, S. 699. 41 v. Gierke: Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 12. 37
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§ I Die fonnal verstandene Vertragsfreiheit
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3. Kritik aus sozialistischen Kreisen In die gleiche Richtung ging die Kritik aus sozialistischen Kreisen. Anton Menger43 publizierte schon vor Erlaß des Bürgerlichen Gesetzbuches eine Streitschrift gegen den ersten Entwurf, in der die soziale Rückständigkeit angeprangert wurde. Nach seiner Auffassung würde die Vertragsfreiheit auf dem Gebiet der Schuldverhältnisse zu einem Zusammenstoß der wirtschaftlichen Interessen der besitzenden und der besitzlosen Klassen führen. Charakteristisch ist nach seiner Meinung, daß in den anderen Rechtsgebieten, d. h. im Sachen-, Erb- und Familienrecht, das Prinzip der Vertragsfreiheit dem Gesetzesentwurf nicht zugrunde gelegt wurde44 . Hier komme aber der Interessengegensatz zwischen den bei den Gesellschaftsklassen gerade nicht zum Ausbruch. Auf dem Gebiet des Schuldrechts existierte zu dieser Zeit für die sogenannten besitzlosen Volksklassen eine besondere Gefahr im Bereich des individuellen Arbeitsvertrages. Hier führte die Vertragsfreiheit nach Meinung der Sozialdemokraten zu einer Freiheit zur Unterwerfung unter die wirtschaftliche Macht des besitzenden Bürgertums45 . Andere Sozialdemokraten äußerten nach Erlaß des von dem Bürgertum euphorisch gefeierten neuen Gesetzbuchs vernichtende Kritik. So verglich Franz Mehring das Gesetz mit einem "müden Greis, der auch als Jüngling und Mann nicht an einem Überschuß von Kraft gelitten hat, (der) eine kurze Ruhestatt sucht, ehe er ins Grab versinkt,,46.
4. Mittelpunkt der Kritik: Die Kant'sche formale Freiheitsethik Im Mittelpunkt der von verschiedenen Seiten geäußerten Kritik stand die dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrunde liegende Kant'sche formale Freiheitsethik47 . Diese sah den Mißbrauch der Vertragsfreiheit durch den Stärkeren nicht als Rechtsproblem an, sondern als Herausforderung der Moral 48 . Weiterhin ging der dem Vertragsrecht zugrunde liegende Wirtschaftsliberalismus davon aus, daß die Freiheit zur wirtschaftlichen Betätiv. Gierke: Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 22 f. Ein Wiener Professor, der sich als "Stimme der enterbten, besitzlosen Volksklassen" artikulierte, siehe: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. Erler und Kaufmann, Bd. III, S. 476ff. 44 Menger: Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, S. 150f. 45 Frohme: Rede in der Reichstagssitzung vom 6.2.1896, abgedruckt bei Vonnbaum (Hrsg.): Sozialdemokratie und Zivilrechtskodifikationen, S. 76 ff. 46 Mehring: Vom bürgerlichen Gesetzbuch, Die Neue Zeit, Jhgg. XIV (1895-96), Bd. 1, S. 577 ff. (580), abgedruckt auch bei Vonnbaum (Hrsg.): Sozialdemokratie und Zivilrechtskodifikationen, S. 19 ff. (26). 47 v. Gierke: Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 13 ff. 48 Kant: Werke in 12. Bänden, Bd. VIII, S. 757. 42
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1. Teil: Vom fonnalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
gung dem allgemeinen Wohl diene. Daraus ergebe sich grundsätzlich kein spezieller rechtlicher Reglementierungsbedart9 . Auch diese Einstellung wurde als nicht vertretbar heftig angegriffen. Sie schütze nur gewisse Berufsschichten. Daß neben diesen geschützten Personen auch solche existierten, die sich nicht selber schützen könnten, würde nicht beachtet. Doch erkannte man, daß nicht jeder Vertrag eine gewisse Richtigkeitsgewähr in sich trägt. Von Gierke führte dazu aus, daß alles Recht nicht einseitige, sondern gegenseitige Willensbeziehung sei. Aus jeder Beziehung zwischen Menschen ergäben sich auch gewisse Pflichten. Das Bürgerliche Gesetzbuch mit der in ihm verkörperten Freiheitsvorstellung mache den Weg frei zu einer "Schikane", d. h. zu dem Mißbrauch dieser Freiheit zulasten des wirtschaftlich Schwächeren5o . Die Kritiker machten sich insbesondere Gedanken über die Möglichkeiten eines grundsätzlich richtigen Wollens, wie die Verantwortung und die Erwägung von Pflichten gegen sich selbst zur Aufgabe gestellt werden könnten 51 .
5. Gesetzgeberische Reaktionen Wichtigste Normierung dieser Epoche zum Schutze des wirtschaftlich schwächeren Konsumenten war das in einem Sondergesetz festgehaltene Abzahlungsgesetz vom 16. Mai 189452 , das erste Gesetz, welches die Vertragsfreiheit zum Schutze der "verbrauchenden Bevölkerung,,53 ausgestaltete. Obwohl es materiell einen Teil des Bürgerlichen Rechts darstellte, wurde es aus Dringlichkeitsgründen als Sonderregelung des Abzahlungsgeschäftes außerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuches verankert. Zum einen wollte der Reichstag nicht auf das Inkrafttreten desselben warten, zum anderen erkannte die erste Kommission die Mißstände im Abzahlungshandel überhaupt nicht, weshalb auch keine gesetzgeberische Maßnahme erwogen wurde. Zwar ging man davon aus, daß sich die zweite Kommission intensiver mit der Problematik beschäftigen würde 54 , aber der Reichstag wollte die Mißstände bei den Abzahlungsgeschäften sorgfältiger bearbeiten. Die Verfasser des 2. Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches ließen die Materie dann absichtlich in dem Spezialgesetz 55 . Dadurch konnte das BürDazu Hönn: Entwicklungslinien des Vertragsrechts, JuS 90, 953. v. Gierke: Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 14. 51 Dazu Stammler: Lehrbuch der Rechtsphilosophie, § 99. 52 RGBI 1894, S. 450f. 53 So bezeichnet in dem Bericht der Reichstagskommission für Petitionen vom 11.3.1891, RT-Verh., 8. Legislaturperiode, 1. Session, 3. Anlagenband (1891) Nr. 350 S. 2227. 54 Heck: Gutachten, 21. DJT, Bd. 2, S. 131 ff. (158f.). 55 Protokolle Bd. I S. 475. 49
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§ 1 Die formal verstandene Vertragsfreiheit
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gerliche Gesetzbuch freigehalten werden von Regelungen für spezielle Fälle, und nur das allgemeine Zivilrecht wurde kodifiziert. Das Abzahlungsgesetz galt in modifizierter Form bis zu seiner Ablösung durch das Verbraucherkreditgesetz am 1. Januar 1991. Daneben war im Bürgerlichen Gesetzbuch ein geringer Schutz des schwächeren Vertragspartners erkennbar. § 762 BGB schloß von Anfang an eine Verbindlichkeit aus einem durch Spiel und Wette geschlossenen Vertrag aus 56 . Daneben wurden Vorschriften zum Schutz vor zu hohen Zinszahlungen, so § 247 BGB (Kündigungsmöglichkeit bei höherem Zinssatz als 6%) und § 248 BGB (Verbot von Zinseszinsen) in das Gesetzbuch integriert57 . Neben die Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit der Parteien nach den §§ 2, 104 ff BGB, die bereits bestimmte Personenkreise vollständig von der Ingebrauchnahme der Vertragsfreiheit (und damit auch von deren Gefahren) abhalten, und neben die §§ 134, 138 BGB traten Schutzvorschriften auf dem Gebiet des Miet- und Dienstvertrages. So wurde zum Schutze des Mieters der § 571 BGB (Kauf bricht nicht Miete) eingefügt58 sowie das Recht des Mieters zur fristlosen Kündigung der Wohnung wegen Gesundheitsgefährdungen in § 544 BGB gesetzlich geregelt. Zur Kodifikation der Fürsorgepflichten des Dienstherren wurden die zwingenden Vorschriften der §§ 617 bis 619 BGB eingefügt59 . Die Schutzbestimmungen zugunsten der Mugdan: Materialien Bd. 11 S. 359ff. = Motive Bd. 11 S. 643. Mugdan: Materialien Bd. 11 S. 107 ff. = Motive Bd. 11 S. 195 ff. 58 Mugdan: Materialien Bd. 11 S. 212ff. = Motive Bd. 11 S. 381. Der erste Entwurf ging in seinem § 509 von dem romanistischen Grundsatz "Kauf bricht Miete" aus. Dies löste einen Sturm der Entrüstung in der Bevölkerung aus. Aufgrund dieser vehementen Ablehnung befaßte sich von Gierke in seinem Buch "Der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs" auf Seite 238 f. nur kurz mit dieser Problematik und schloß sich der allgemeinen Kritik an. Er griff diese Kritik nochmals in seiner Schrift "Die soziale Aufgabe des Privatrechts" auf Seite 21 auf und stellte fest, es gebe keinen größeren Verstoß wider die soziale Aufgabe des damaligen Privatrechts, als den Grundsatz "Kauf bricht Miete" durchzuführen. Bereits in den Protokollen fand eine Veränderung statt. Hier wurde in § 512 gemäß dem Wunsch des überwiegenden Teils der Bevölkerung das Prinzip "Kauf bricht nicht Miete" zum Schutz der schwächeren Vertragspartner verankert. 59 Siehe dazu Adomeit: Der Dienstvertrag des BGB und die Entwicklung zum Arbeitsrecht, NJW 96, 1711 ff. Wie wenig Schutz das Bürgerliche Gesetzbuch für Personen vorsah, die sich ihren Lebensunterhalt durch unselbständige Arbeit verdienten, zeigt die Tatsache, daß es das Dienstpersonal ohne Bildung und Eigentum, das sogenannte "Gesinde", der landesgesetzlichen Gesindeordnung statt dem BGB unterstellte, und damit einer Form des abgemilderten Leibeigenenrechts. Die Gesindeordnung wurde erst vom Rat der Volksbeauftragten am 12.11.1918 (RGBI. 1918, 1303) außer Kraft gesetzt (siehe dazu ausführlich: Vormbaum: Politik und Gesinderecht im 19. Jahrhundert, insb. S. 383 ff.). 56 57
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1. Teil: Vom formalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
Arbeitnehmer im Verhältnis zu den Arbeitgebern galten damit als Bestandteil eines jeden Dienstvertrages im Sinne des § 611 BGB 6o . Ebenso erst durch den 2. Entwurf eingearbeitet wurde der für die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsfreiheit wichtige § 242 BGB 61 . Die Rechtsgemeinschaft wachte somit bereits seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches darüber, daß die Vertragsparteien wenigstens die Grundanforderungen materialer Gerechtigkeit einhielten62 • Doch darüber hinaus wurden kaum weitere Änderungen an dem Gesetzestext des Bürgerlichen Gesetzbuches vorgenommen, um den wirtschaftlich Schwächeren zu schützen. In der abschließenden Reichstagsdebatte sprach sich die Mehrheit der Abgeordneten dafür aus, daß man genug zum Schutze der Schwächeren getan habe, und daß kein Anlaß bestehe, gesetzgeberische Experimentierversuche durchzuführen 63.
§ 2 Schaffung und Ausbau zwingender Schutzgesetze zugunsten des schwächeren Vertragsteils I. Problematisierung von Grenzen der Vertragsfreiheit durch das Schrifttum 1. Noch zu Beginn des Jahrhunderts war das Privatrecht geprägt von dem liberalen Gedanken des Bürgerlichen Gesetzbuches. Nach Enneccerus konnten die Vertragsparteien Schuldverhältnisse jeden Inhalts frei vereinbaren, soweit sie nicht gegen gesetzliche Verbote oder die guten Sitten verstießen, und wenn an der Erfüllung dieser Schuldverhältnisse ein beliebiges schutzwürdiges Interesse bestand64 . Auf weitere Ausgestaltungsmöglichkeiten, insbesondere durch die Gerichte, ging Enneccerus nicht ein.
2. Bereits vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches äußerte sich Endemann zu der im Privatrecht vorausgesetzten Vertragsfreiheit65 • Diese 60 Diese einschneidenden Abweichungen von dem liberalen Verständnis der Vertragsfreiheit kommen auch dadurch zum Ausdruck, daß man die bis dahin vorherrschende Trennung von staatlichem Schutz und dem privatrechtlieh ausgestalteten Arbeitsverhältnis aufgab und als Bestandteil des letzteren ansah (Weiß: Die Entwicklung des Arbeitsvertragsrechts und das BOB, S. 73). 61 Mugdan: Materialien Bd. II S. 521 f. = Protokolle Bd. II S. 607f., 1250ff. 62 Thiele: Überprüfung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, FS Larenz, S. 1043ff. (1053). 63 Zweite Beratung im Plenum des Reichstages in: Mugdan: Materialien Bd. II S. 1327ff. 64 Enneccerus: Das Bürgerliche Recht, Erster Band, 2. Auflage (1901), S. 432ff. 65 Endemann: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Erster Band, 6. Auflage (1899), S.427ff.
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wurde von ihm als "materiell" bezeichnet. Nach seiner Auffassung könnte zum Gegenstand einer Schuldverpflichtung jedes Versprechen gemacht werden, wenn es nur durch die freie richterliche Auslegung auf einen vernünftigen juristischen Sinn und eine rechtlich anerkannte Leistungspflicht zurückgeführt werden könnte. Grenzen dieser Vertragsfreiheit ergäben sich überwiegend durch das zwingende Recht des Bürgerlichen Gesetzbuches selber, hier vor allem bei einem Verstoß gegen die guten Sitten. Darüber hinaus hob er die Bedeutung der Formvorschriften hervor. Endemann erkannte bereits die Verpflichtung der Gerichte an, bestimmten Verträgen die Rechtsverbindlichkeit abzusprechen, wenn diese der Würde der Rechtsordnung widersprachen und ihnen Schutz und die Beachtung vor dem Zivilrecht nicht zukommen sollten66 . Doch wird die untergeordnete Bedeutung dieser Ausgestaltungsmöglichkeit der Vertragsfreiheit deutlich, wenn man das belanglose Beispiel, das Endemann in diesem Zusammenhang bringt, näher betrachtet67 . 3. Hedemann handelte 1910 das Problem der Vertragsfreiheit kurz mit den Worten ab, daß generelle Regeln darüber nicht existierten. Er erkannte zwar bereits die Nachteile der mit der Vertragsfreiheit verbundenen grundsätzlichen Anerkennung der freien Persönlichkeit, die sich durch ein rücksichtsloses Verhalten skrupelloser Personen äußerten 68 , und forderte auch "die nötigen Mittel gegen Auswüchse,,69. Diese sah er allerdings zunächst einmal in der "Anerziehung einer tüchtigen Gesinnung und durch den Zwang, auf andere Rücksicht zu nehmen". Für letzteres benutzte Hedemann bereits die Bezeichnung "soziales Recht,,7o. Zu seiner Verwirklichung sei neben dem Privatrecht allerdings auch in hohem Maße das öffentliche Recht gefragt. 4. Nach dem 1. Weltkrieg begann die erste entscheidende Problematisierung einer erforderlichen Ausgestaltung der Vertragsfreiheit durch das Schrifttum. Dabei wurde die individualistische Struktur des Vertragsrechtes Endemann: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Erster Band, S. 465. Endemann (Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Erster Band, S. 465) zitiert einen Fall, in dem jemand auf Erfüllung der Zusage klagt, jeden Montag zum Abendskat zu erscheinen. Hier müsse der Richter ohne weitere Verhandlung die Klage abweisen, selbst wenn die Parteien darauf bestünden, sie hätten die Angelegenheit juristisch bindend gemeint. 68 Hedemann: Die Fortschritte des Zivilrechts im XIX Jahrhundert, Erster Teil: Die Neuordnung des Verkehrslebens (1910), S. 3. 69 Nach Hedemann (in: Die Fortschritte des Zivilrechts im XIX Jahrhundert, Erster Teil: Die Neuordnung des Verkehrslebens, S. 71) müsse ein sicheres Bett geschaffen werden, in dem der Freiheitsstrom dahingleiten könnte, ohne zu verwüsten. 70 Hedemann: Die Fortschritte des Zivilrechts im XIX Jahrhundert, Erster Teil: Die Neuordnung des Verkehrslebens, S. 77 ff. 66 67
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1. Teil: Vom fonnalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
teilweise weiterhin verteidigt. Es erfolgte aber auch eine gewisse Abkehr von diesem Individualismus. So befaßte sich Nipperdey bereits 1920 mit den der rein formal verstandenen Vertragsfreiheit entgegenwirkenden Bemühungen zur "Sozialisierung der Privatrechtsordnung". Darunter verstand er die Zurückdrängung der durch die Privatrechtsordnung gewährleisteten und geschützten individualistisch-egoistischen Interessen des einzelnen Rechtsgenossen zugunsten der Gesamtheit71. Schon zu dieser Zeit wurde die "Unterdrückung einzelner wirtschaftlich schwacher Existenzen" als Problem erkannt, die durch die im Privatrecht vorherrschende formale Vertragsfreiheit ermöglicht wurde72. Nipperdey untersuchte die zu dieser Zeit bereits anerkannten Grenzen der Vertragsfreiheit, die durch einen Zwang zum Abschluß eines Vertrages zum Ausdruck kommen. Dieser Kontrahierungszwang 73 bestehe alleine im sozialen Interesse74 . Daß die Literatur dabei erst am Anfang einer stufen weisen Veränderung des Inhalts der Vertragsfreiheit stand, wird durch die Bemerkung Nipperdeys deutlich, der durch den Kontrahierungszwang ausgelöste starke Eingriff in die Vertragsfreiheit fordere auch eine Sicherung des Schuldners, damit für diesen die Verpflichtung nicht unerträglich werde. Dies ergebe sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben des § 242 BGB. Da der Kontrahierungszwang ein Stück Sozialisierung des Privatrechts bedeute, müsse er auch dem sozialen Gedanken des § 242 BGB Rechnung tragen75. Es wird also nicht nur die als schwächer zu bezeichnende Vertragspartei geschützt, sondern dieser Schutz erfahrt wiederum eine Begrenzung durch das Interesse der anderen Partei. Nipperdey sprach darüber hinaus das Problem des von außen vorgenommenen Eingriffs in einen Vertrag an76 . Er bezeichnete diese Problematik als "korrigierten Vertrag" und forderte diesen Eingriff ebenfalls aus Gründen des sozialen Wohls. Dadurch könnte ein abgeschlossener Vertrag in einzelNipperdey: Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag (1920), S. 2. Nach Nipperdey (in: Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 3) werde im Namen der Vertragsfreiheit die Vertragsfreiheit "sabotiert". 73 Als Beispiele nennt er: a) die Pflicht zum Abschluß von Verträgen durch Monopoluntemehmen wie z. B. Eisenbahn, Post und Telegraphie; b) die Abschlußpflicht für bestimmte Berufszweige, z. B. Rechtsanwälte, wenn einer "armen Partei" durch gerichtliche Verfügung ein solcher beigeordnet wird, Apotheken (nach landesgesetzlichen Regelungen), Gerichtsvollzieher u. a.; c) die ausschließlichen Gewerbeberechtigungen, beispielsweise die Errichtung von Schornsteinfegerbezirken, in denen nur ein zugelassener Bezirksschornsteinfeger das Gewerbe betreiben darf, Einrichtung von Abdeckereien, das Schleppmonopol auf dem Rhein-Weser-Kanal. 74 Unter den Eindrücken des 1.Weltkrieges schildert er darüber hinaus Beispiele eines bestehenden Kontrahierungszwanges auf den Gebieten der LebensmitteI- und Rohstoffbeschaffung, der Beschaffung von Land und Wohnungen sowie von Arbeitskräften und Arbeitsgelegenheiten. 75 Nipperdey: Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 105. 76 Nipperdey: Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 154ff. 71
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nen Beziehungen abgeändert werden. Interessant erscheint hier die Frage, wer zur Abänderung des Vertrages als befugt angesehen wurde. Nipperdey führte dazu aus, die Umgestaltung ergebe sich entweder direkt aus dem Gesetz, oder sie könnte auf Antrag einer Partei durch deklaratorischen Spruch einer unparteiischen Behörde zum Zuge kommen 77 . Die dritte Möglichkeit sei der auf gesetzlicher Grundlage basierende konstitutive Richterspruch. Doch gerade der letzte Punkt war zu dieser Zeit kaum ausgereift. Eine ständige Rechtsprechung zu bestimmten, einseitig belastenden Verträgen existierte noch nicht. 5. Auch Stammler78 sah etwa zur gleichen Zeit die Gefahren eines Mißbrauchs der dem Schuldrecht zugrunde gelegten Vertrags freiheit und schloß daraus, daß die Rechtsordnung den Einzelnen vor der eigenen rechtlichen Bindung zu schützen versuche. Dies geschehe zunächst einmal durch "technisch geformte Paragraphen", die den Tatbestand der verbotenen Rechtsgeschäfte beschrieben. Daneben werde der Schutz durch das allgemeine Verbot der grundsätzlich verwerflichen Rechtsgeschäfte realisiert, worunter man solche Rechtsgeschäfte verstehe, die gegen die guten Sitten verstoßen. Ein Rechtsgeschäft sei danach grundsätzlich verwerflich, wenn der eine Vertrags partner dem willkürlichen Belieben des anderen ausgeliefert werde. Der schwächere Teil werde in diesem Fall als bloßes Mittel zu dem subjektiven Begehren des anderen behandelt. Hier deutet Stammler bereits die große Bedeutung der Generalklausei des § 138 BGB für die Ausgestaltung der Vertragsfreiheit zum Schutz des schwächeren Vertragspartners an. Auch § 242 BGB wird von Stammler bereits benutzt, um diesen Personenkreis zu schützen. Aus diesem Paragraphen ergebe sich, daß kein Vertragspartner nur als Mittel für den anderen nach dessen einseitigem Begehren behandelt werde. Jeder könne die mögliche Rücksicht auch auf sein Fordern ausgleichend erwarten79. In welchem Ausmaß sich eine Pflicht des Staates zum Eingreifen in die Vertragsfreiheit ergibt, wurde jedoch nicht erkannt. 6. Darüber hinaus äußerten sich weitere Autoren zu der Frage, ob der Gesetzgeber die Ausgestaltung der rechtlichen Möglichkeiten auf dem Gebiet des Vertragsrechts durch Vorschriften ordnen sollte. Burckhardt80 77 Hierfür nennt er unter anderem als gesetzliche Beispiele die §§ 343, 655 BGB. Bei Kaufverträgen mit Überschreitung der Höchstpreise wurde der Preis herabgesetzt; Anrufung eines Schiedsgerichts bei Vorliegen eines Lieferungsvertrages über Gegenstände ohne festgelegten Höchstpreis, wenn mit Rücksicht auf die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse die Erfüllung des Vertrages zu den vereinbarten Bedingungen nicht zugemutet werden konnte; der Gläubiger konnte eine schiedsgerichtliche Erhöhung des Betrages der Gegenleistung des Schuldners beantragen. 18 Stammler: Lehrbuch der Rechtsphilosophie (1928), § 160ff. 19 Stammler: Lehrbuch der Rechtsphilosophie, § 164. 3 Knobel
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I. Teil: Vom formalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
erkannte die Möglichkeit der Disparität zwischen den Vertragsparteien mit den Folgen für den Vertragsabschluß. Er erklärte wie selbstverständlich, die Freiheit der Privatautonomie könne nie unbeschränkt sein. Diese Selbstverständlichkeit ist für die Vorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch zur Geschäftsfähigkeit (§§ 2, 104ff. BGB) und zur Form von Rechtsgeschäften (insbesondere §§ l25ff., 313 BGB) klar erkennbar. Doch darüber hinaus sei es erforderlich, daß der Staat dem Vertragsschluß gewisse materielle Grundsätze zugrunde lege und diese von einer Abänderung durch Privatwillkür ausschließe. Doch wurde von Burckhardt nicht weiter ausgeführt, welche Grundsätze man konkret darunter verstehen muß. Wichtig erscheint jedenfalls seine Forderung von zwingenden Regelungen zur Ausgestaltung der Vertragsfreiheit81 • 7. In den 30er Jahren wurde bereits detaillierter Stellung genommen zu einer notwendigen, sachgerechten "Begrenzung" der Vertragsfreiheit. Von Hippel82 teilte die Möglichkeiten der nicht von vornherein verbotenen Rechtsverhältnisse in zwei Gruppen ein. Er stellte allgemeine Wertregeln auf und bestimmte, daß nur Rechtsgeschäfte, die mit den noch näher zu bezeichnenden sozialen Idealen vereinbar seien, von der Rechtsordnung anerkannt werden dürften. Daneben benannte er bereits kasuistisch einzelne Rechtsverhältnisse, die grundsätzlich verboten sein sollten. Beide Möglichkeiten der, nach seinen Worten, "Begrenzung der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie" seien dabei nebeneinander anwendbar. Von Hippel regte an, für das Privatrecht Richtlinien neben den bereits gesetzlich geregelten Schranken aufzustellen, um das erlaubte Verhalten zu konkretisieren und eine gewisse Rechtssicherheit zu schaffen 83 •
11. Erste gesetzgeberische Reaktionen 1. Einleitung Durch die Problematisierung der Gefahren einer zu liberal verstandenen Vertragsfreiheit durch das Schrifttum konnte sich der Staat nicht den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen einer einseitig in Anspruch genommenen Vertragsfreiheit verschließen. Hier war es der Gesetzgeber, der erste Schritte zur Schaffung eines gerechteren Vertragsrechts einleitete. An die 80 Burckhardt: Der Vertrag im Privatrecht und im Öffentlichen Recht (1924), S.3ff. 81 Burckhardt: Der Vertrag im Privatrecht und im Öffentlichen Recht, S. 9f. 82 v. Hippei, Fritz: Das Problem der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie (1936), S. 110ff.; siehe auch v. Hippei: Zur Gesetzmäßigkeit juristischer Systembildung (1930), S. 4 ff. 83 v. Hippel: Das Problem der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie, S. 111 f.
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Stelle des einheitlichen Kodifikationsgedankens trat zunehmend eine punktuell ansetzende Gesetzgebungstätigkeit besonders im Bereich des Arbeits-, Miet-, Sozial- und Wirtschaftsrechts 84 . Dabei stand allerdings am Anfang weniger der Schutz der Betroffenen im Vordergrund als öffentliche Interessen an einem Mindestmaß an Ausgeglichenheit bei der Mehrzahl der geschlossenen Verträge 85 • Hueck/Nipperdey führten beispielsweise aus, daß das Arbeitsschutzrecht nicht positiv den Inhalt der Arbeitsverträge beeinflusse, sondern die sich daraus ergebenden Pflichten des Arbeitgebers würden nur gegenüber dem Staat bestehen. Der Arbeitnehmer habe keinen unmittelbaren Anspruch daraurs 6 . 2. Bestandsschutz im Mietvertragsrecht und Reglementierung der Mietzinshöhe87 Aufgrund der angespannten Situation auf dem Wohnungsmarkt um die Jahrhundertwende bestimmte der Vermieter von Wohnraum in den meisten Fällen einseitig die Vertragsbedingungen. Das Bürgerliche Gesetzbuch, ausgehend von der allumfassenden Vertrags freiheit, kam diesen Tendenzen sehr entgegen. Der den Mietern aus den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches in seiner Fassung vom 18. August 1896 erwachsende schwache Schutz 88 , der sich durchweg in dispositiven Gesetzesbestimmungen ausdrückte, wurde darüber hinaus schon bald dadurch zunichte gemacht, daß die großen Vermieterverbände Mietvertragsformulare entwarfen, die dazu führten, daß die wenigen Rechte der Mieter so weit wie gerade noch zulässig beschränkt wurden 89 . Als Beispiele seien genannt: der totale Ausschluß der Gewährleistungsrechte und die Schaffung zusätzlicher Kündigungsgründe zugunsten der Vermieter sogar in Fällen unbedeutendster VertragsWieacker: Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher, S. 20ff. Hönn: Entwicklungslinien des Vertragsrechts, JuS 90, 953 ff. (954). 86 Hueck/Nipperdey: Lehrbuch des Arbeitsrechts, 1. Band, 2. Auflage (1928), S.102. 87 Siehe dazu Mohnen: Der Inhalt des Sozialbegriffs im neuen Mietrecht, FS Nipperdey Bd. I, S. 605ff.; Soergel-Heintzmann BGB Vor § 535 Rn. 8ff., 579ff.; Larenz: Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. 11, BT, Halbband 1, §§ 48, 49; StaudingerSonnenschein BGB § 535; Honsell: Privatautonomie und Wohnungsmiete AcP 186 (1986) 115ff. 88 Wie wenig ausgeprägt der Schutz des Wohnungsmieters bei Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches war, zeigt die Tatsache, daß die wesentlichen Mietrechtsvorschriften nicht zwischen der Wohnungsmiete und der sonstigen Miete, z. B. der von unwesentlichen, beweglichen Sachen, differenzierten. 89 Charakteristisch für die damalige Lage ist die Tatsache, daß der Abschnitt über die Verpflichtungen des Mieters bei Mittelstein (Die Miete nach dem Recht des Deutschen Reiches von 1913) mehr Platz einnimmt, als der Abschnitt über die Verpflichtungen des Vermieters. 84 85
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I. Teil: Vom formalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
verletzungen 90 . Die Mieter, die zum größten Teil aus sozial schwächeren Schichten stammten, hatten kaum Möglichkeiten, sich gegen die Übermacht der Vermieterverbände zur Wehr zu setzen und selber von ihrem Recht auf Vertragsfreiheit Gebrauch zu machen. Vor dem Hintergrund eines katastrophalen Wohnungsmarktes während des ersten Weltkrieges schuf der Gesetzgeber das sogenannte Mietnotrecht, das außerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuches in Sondergesetzen verankert wurde 91 • Dieses umfaßte einen Bestandsschutz im Sinne eines Schutzes des Mieters vor Kündigungen 92 sowie den Schutz des Mieters vor Mietzinserhöhungen 93 . Daneben beinhaltete das Mietnotrecht die Wohnungszwangswirtschaft, d. h. die hoheitliche Erfassung und Verteilung der vorhandenen Wohnungen 94 . Im weiteren Verlauf wurde der Bestandsschutz zugunsten der Mieter immer weiter ausgebaut. Durch das Gesetz über Mieterschutz und Mieteinigungsämter vom 1. Juni 1923 wurde das System des Kündigungsschutzes verändert. Gemäß den §§ I bis 4 und 7 dieses Gesetzes mußte der Vermieter auf Aufhebung des Mietverhältnisses klagen. Dabei war die Möglichkeit zur Kündigung von Mietverhältnissen über Gebäude und Gebäudeteile auf ganz bestimmte Kündigungsgründe beschränkt95 . Hinzu Staudinger-Emmerich BGB Vorbem zu § 535, 536 Rn. 4. Zur Entwicklung des Mietrechts Roquette: Mietrecht, 1. Kapitel, S. 13 ff. 92 Bekanntmachung zum Schutze der Mieter vom 26.7.1917, RGB!. I S. 659f.; danach konnten die sogenannten Mieteinigungsämter ermächtigt werden, auf Anrufen eines Mieters über die Wirksamkeit einer Kündigung des Vermieters, über die Fortsetzung des gekündigten Mietverhältnisses und ihre Dauer sowie über eine Erhöhung des Mietzinses im Falle der Fortsetzung zu bestimmen, § I Nr. I des Gesetzes. 93 § 2c der Bekanntmachung betreffend Änderung der Verordnung zum Schutze der Mieter vom 23.9.1918, RGB!. I S. 1135ff. Auf Anrufen der Gemeinde konnte das Einigungsamt den bei der Wiedervermietung einer seit dem 1.7.1917 vermieteten Wohnung mit dem neuen Mieter vereinbarten Mietzins auf die angemessene Höhe herabsetzen, wenn der neue Mietzins höher war, als ihn der bisherige Mieter zu entrichten hatte. Siehe dazu auch die Verordnung zum Schutze der Mieter vom 22.6.1919, RGB!. I S. 591 ff. Damit wurde zum ersten Mal von einer ortsüblichen Vergleichsmiete gesprochen, die dazu diente, eine angemessene Miete festzulegen. 94 § 2d der Bekanntmachung betreffend Änderung der Verordnung zum Schutze der Mieter vom 23.9.1918, RGB!. I S. 1135ff.; Bekanntmachung über Maßnahmen gegen Wohnungsmangel vom 23.9.1918, RGB!. I S. 1143ff. Danach konnten Gemeinden mit einem besonders starken Mangel an Wohnungen eine Anzeigepflicht über den Abschluß bestimmter Wohnungsmietverträge begründen. Siehe dazu auch die Verordnung zum Schutze der Mieter vom 22.6.1919, RGB!. I S. 59lff. 9S RGB!. I S. 353ff., siehe §§ 2 bis 4, so bestand z.B. ein Kündigungsgrund im Falle einer Belästigung des Vermieters oder eines anderen Hausbewohners, bei Gefährdung des Gebäudes, bei Zahlungsverzug sowie wenn ein besonderes Interesse des Vermieters an der Erlangung des Mietraumes vorlag. 90 91
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kam eine weitere gesetzliche Einflußnahme auf die Miethöhe durch das Reichsmietengesetz96 • Nach weiteren verschärfenden Modifikationen dieser Vorschriften zum Schutze der Mieter97 wurden diese Anfang der 30er Jahre wieder gelockert, um ab 1936 erneut verschärft zu werden 98 . Nach dem 2. Weltkrieg erfolgten weitere Veränderungen 99 • Das Mietnotrecht wurde in den 60er Jahren durch das Gesetz über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnungsrecht 1OO weitgehend abgeschafft lOI und das Mietrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs unter stärkerer Berücksichtigung des sozialen Gesichtspunktes reformiert \02. Diesem Gesetz folgte eine weitere Anzahl zwingender gesetzlicher Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch \03. Zu nennen wären hier die §§ 564b lO4 und C l05 BGB, in denen es um die Kündigung des Vermieters im Falle eines berechtigten Interesses seinerseits und um das Recht des Mieters zur Fortsetzung eines 96 Vom 28.3.1922, RGBI. I S. 273 ff., danach konnten sowohl Mieter als auch Vermieter von dem anderen Vertrags teil verlangen, daß die Höhe der Miete für ein Gebäude oder Gebäudeteil nach den Vorschriften dieses Gesetzes berechnet werden sollte, sog. gesetzliche Miete. Außerdem wurden durch dieses Gesetz Zuschläge für Instandsetzungsarbeiten zugelassen. 97 So gab es Verschärfungen des Mieterschutzes durch das Gesetz zur Änderung des Mieterschutzgesetzes vom 13.2.1928, RGBI. I S. 17; weiterhin wurde das Reichsrnietengesetz durch Gesetz vom 8.3.1930 (RGBI. I S. 3) verlängert, um den durch die Festsetzung einer gesetzlichen Miete kodifizierten Schutz zu erhalten; die außerordentliche Kündigung von Mietverträgen durch den Mieter wurde erleichtert (Zweiter Teil, Kapitel III der Vierten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutz des inneren Friedens vom 8.12.1931, RGBI. I S. 6991708) und die Mieten wurden um 10% gesenkt (Kapitel 11 des Gesetzes, S. 707). 98 So z.B. durch das Mieterschutzgesetz vom 15.12.1942 (RGBI. I S. 712). 99 Beispielsweise durch das Wohnraumbewirtschaftungsgesetz vom 31.3.1953 (BGBI. I S. 97) und durch das Erste Bundesrnietengesetz vom 27.7.1955 (BGBL I S. 458). Siehe dazu auch Bettermann: Wesen, Technik und Grenzen des Miet- und Pachtschutzes (1947). 100 Vom 23.6.1960, BGBI. I S. 389ff. 101 So trat neben das Erste Bundesrnietengesetz vom 27.7.1955 (BGBL I S. 458) in der Fassung vom 27.6.1956 (BGBL I S. 523) durch den Artikel I das Zweite Bundesrnietengesetz; durch Artikel 11 wurde das Wohnraumbewirtschaftungsgesetz vom 31.3.1953 (BGBL I S. 97) in der Fassung vom 27.6.1956 (BGBL I S. 523) geändert; Artikel III veränderte das Mieterschutzgesetz vom 15.12.1942 (RGBL I S. 712) in der Fassung vom 27.6.1956 (BGBI. I S. 523). 102 So wurde gemäß Artikel VI des Gesetzes der § 556a (Widerspruch des Mieters gegen Kündigung) eingefügt sowie § 565 (Kündigungsfristen) neu gefaßt. 103 Siehe dazu auch das Zweite Gesetz zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften vom 14.7.1964, BGBL I S. 457. 104 Eingefügt durch das Gesetz vom 18.12.1974 (BGBL I S. 3603). lOS Eingefügt durch das Gesetz vom 20.12.1982 (BGBL I S. 1912).
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befristeten Mietverhältnisses geht. Daneben wurde die sogenannte Sozialklausel des § 556 b BGB 106 eingeführt. Die größten Neuerungen brachte das Zweite Gesetz zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften 107 • Eine weitere Sozialklausel wurde durch § 556c BGB eingeführt. Durch § 569a BGB wurde der Bestandsschutz auf Familienangehörige des Mieters ausgeweitet, die nicht selber Vertragspartner des Mietvertrages sind. Neben diesen Bestandsschutzklauseln, die man zu den wichtigsten Rechten der Mieter zählen kann, wird die Möglichkeit, einzelne Bestandteile des Wohnungsmietvertrages zu regeln, durch weitere Gesetze eingeschränkt. So hat der Gesetzgeber in § 537 Abs. 3 BGB den Ausschluß der Sachmängelhaftung bei einem Mietverhältnis über Wohnraum für unwirksam erklärt. § 549 Abs. 2 BGB bestimmt zwingend die Gestattung der Untervermietung im Falle eines berechtigten Interesses. In § 550a BGB wurde ein unabdingbares Verbot von Vertragsstrafen festgeschrieben. Die Begrenzung der Miethöhe stellt einen weiteren Schwerpunkt der gesetzgeberischen Aktivitäten zum Schutze der Mieter dar, der sich besonders auf die wirtschaftliche Lage der Vermieter auswirkt. Neben den Sonderfall der Mietpreisbindung für Berlin traten allgemein gültige gesetzliche Regelungen durch das Gesetz zur Regelung der MiethöhelOS in Kraft. 3. Arbeitnehmerschutz
Nachdem der Schutz der Arbeitnehmer durch die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über das Dienstvertragsrecht als nicht ausreichend angesehen wurde, kam es schon frühzeitig zum Erlaß einer Reihe von Sondergesetzen. Der Schutz der Arbeitnehmer wurde somit bis auf wenige Ausnahmen außerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuches verankert. Damit wurde schon bald nach dessen Inkrafttreten der Grundstein für die Herausbildung eines von dem allgemeinen Zivilrecht abzugrenzenden Bereichs des Arbeitsrechts gelegt, in dem von wesentlichen Prinzipien des Zivilrechts, wie z. B. der formal verstandenen Vertragsfreiheit, weitgehend Abstand genommen wurde 109. Bei der Untersuchung der gesetzlichen Veränderungen zur Verbesserung der Stellung der Arbeitnehmer ist eine Einteilung in verschiedene zeitliche Abschnitte möglich llO , die geprägt wurden von den jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Eingefügt durch das Oesetz vom 29.7.1963 (BOB!. I S. 505). Vom 14.7.1964, BOB!. I S. 457. 108 Artikel 2 des Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetzes vom 18.12.1974 (BOB!. I S. 3603). 109 Siehe dazu auch: Melsbach: Deutsches Arbeitsrecht (1923), S. 25f., 54ff.; Jacobi: Orundlehren des Arbeitsrechts (1927), S. 6 ff. 106
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aa) Die Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern drückte sich zunächst in dem zu Beginn dieses Jahrhunderts bis zum 1. Weltkrieg vorherrschenden individualistischen Arbeitsrechts aus. Dies war eine logische Konsequenz des liberalistischen Gedankenguts der damaligen Epoche, das sich besonders im wirtschaftlichen Bereich bemerkbar machte. Diese Grundauffassung, die sich auf dem Gebiet des Arbeitsrechts besonders bezüglich der ausgehandelten Löhne und der sonstigen Arbeitsbedingungen auswirkte, spiegelt sich noch heute in § 105 Gew0 111 wieder. Darin wird das Verhältnis zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden und den gewerblichen Arbeitnehmern grundsätzlich der freien Übereinkunft überlassen 112. Bezüglich des Schutzgedankens zugunsten des Arbeitnehmers als dem typischerweise schwächeren Vertragspartner kann man in dieser Epoche einen Rückschritt verzeichnen. Der im älteren deutschen Recht vorherrschende Gedanke, daß das Arbeitsverhältnis ein von dem Grundsatz beiderseitiger Treue und Fürsorge beherrschtes Gemeinschaftsverhältnis sei 1 13, trat mehr und mehr zugunsten der individualistischen Ausprägung des Arbeitsvertrages in den Hintergrund. Übrig blieb das "Aushandeln" eines bestimmten Lohnes für die Erbringung einer bestimmten Leistung, soweit dieses nicht aufgrund eines zu starken Übergewichts des Arbeitgebers einseitig zugunsten des letzteren verschoben wurde. Der durch den Liberalismus bezweckte wirtschaftliche Erfolg stellte sich bald ein. Doch hatte er nachteilige Auswirkungen auf die Lage des Arbeitnehmers. Eine "Harmonie des Arbeitslebens" stellte sich jedenfalls nicht ein 114. Der Staat fühlte sich nur in wenigen Ausnahmefallen dazu verpflichtet, Schutzgesetze zugunsten der Arbeitnehmer zu erlassen, ohne von dem Grundsatz des wirtschaftlichen Liberalismus abzuweichen. Es wurde beispielsweise zum Schutze der Kinder als der schwächsten Gruppe der Arbeitnehmer das Kinderarbeitsgesetz l15 erlassen. Es folgte das Hausarbeitsgesetz l16 , welches für einen verbesserten Gesundheitsschutz sorgte und das Lohnsystem für diese Hausarbeiten transparenter gestaltete. So auch Hueck/Nipperdey: Lehrbuch des Arbeitsrechts, 1. Band, 1. Buch II. In der Bekanntmachung der Neufassung vom 22.2.1999, BGBI. I S. 202. 112 Mit der den veränderten Umständen angepaßten Einschränkung, daß keine durch Bundesgesetz begründete Beschränkungen vorliegen dürfen. § 105 GewO entspricht dabei fast wörtlich dem § 105 I GewO in der Fassung der Novelle vom 17.7.1878 (Gesetz betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung, RGBI. S. 199). 113 v. Gierke vertritt in diesem Zusammenhang die These, daß der "modeme" Dienstvertrag seine geschichtliche Wurzel in einer spezifisch germanischen Treuebindung habe (in: Die Wurzeln des Dienstvertrages, FS Brunner, S. 47). Detailliert behandelt wird die Problematik von Klatt: Treuepflichten im Arbeitsverhältnis. 114 Hueck/Nipperdey: Lehrbuch des Arbeitsrechts, 1. Band, 1. Buch II § 3. 115 Gesetz betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben vom 30.3.1903, RGBI. S. 113. 110
III
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1. Teil: Vom fonnalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
bb) Im Anschluß an diese Phase, die von den Arbeitnehmern so nicht mehr hingenommen werden konnte, begann etwa im Jahre 1914 eine Periode des vorwiegend kollektiven Arbeitsrechts, die ungefähr bis zum Jahre 1933 andauerte. Die Arbeitnehmer erkannten, daß eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage nur durch einen Zusammenschluß ermöglicht werden konnte, der zu dem Gebrauchmachen von der jedermann zustehenden Vertragsfreiheit führen konnte. Es folgte deshalb verstärkt die Bildung von Gewerkschaften mit dem Zweck, die Arbeitsverträge kollektiv auszuhandeln, um so die Vertragsbedingungen zu verbessern 117. Um den gewandelten Umständen im Bereich des Arbeitsrechts Rechnung zu tragen, mußte der Staat die dafür erforderlichen rechtlichen Grundlagen schaffen. Wichtigste Neuerung in dieser Periode war deshalb das Inkrafttreten der Tarifvertragsverordnung l18 , die man als Geburtsstunde des kollektiven Arbeitsrechts bezeichnen kann. Diese Verordnung regelte zum ersten Mal den Vorrang von Tarifverträgen vor individuell ausgehandelten Arbeitsverträgen, wenn diese ungünstigere Regelungen enthielten, und wenn keine ausdrückliche Zulassung dieser Verträge im Tarifvertrag festgeschrieben war. Außerdem wurde die Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen in bestimmten Tarifgebieten in der Verordnung verankert. Es folgte als weitere wichtige Stufe das Betriebsrätegesetz 119, welches den Betriebsräten Mitbestimmungsrechte zubilligte. Das weitere individuelle Arbeitsschutzrecht wurde ebenso in Sondergesetzen verankert. Durch diese Gesetze sollte der Arbeitgeber verpflichtet werden, Schutzmaßnahmen zugunsten seiner Angestellten zu ergreifen, die oft durch Strafandrohungen gesichert wurden. Weiterer wichtiger Schritt im Rahmen dieser Entwicklung waren die Arbeitszeitverordnungen vom 23. November 1918 120 und vom 18. März 1919 121 , die zu einer drastischen Verkürzung der Arbeitszeit Vom 20.12.1911 (RGBI. S. 976). Die Bildung von Gewerkschaften kann bis in das Jahr 1848 zurückverfolgt werden. In diesem Jahr kam es zu ersten festen Arbeiterbewegungen (siehe dazu Ritscher: Koalitionen und Koalitionsrecht in Deutschland bis zur Reichsgewerbeordnung). In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde die Koalitionsfreiheit gesetzlich verankert. Die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 1869 (BGBI. des Norddeutschen Bundes S. 245) regelte zunächst die negative Koalitionsfreiheit. § 152 Abs. 2 GewO versagte den Koalitionen den staatlichen Rechtsschutz und führte dazu, daß die Mitglieder jederzeit aus einem Zusammenschluß austreten konnten. § 153 GewO stellte den Zwang zu Verabredungen zur Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen unter Strafe. Durch die Aufbebung des § 153 GewO durch das Gesetz vom 22.5.1918, RGBI. I S. 423 nahm die Anzahl der Koalitionen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu. 118 Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23.12.1918 (RGBI. S. 1456). 119 Vom 4.2.1920, RGBl. S. 209. 120 Verordnung über die Arbeitszeit in den Bäckereien und Konditoreien, RGBI. S.1329. 116 117
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für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern führten. Weiterhin zu nennen sind ein erstes Mutterschutzgesetz 122 sowie das Schwerbeschädigtengesetz 123. In diese Zeit fielen auch die Bemühungen der Regierung zur Schaffung eines einheitlichen Arbeitsgesetzbuches. Ziel dieser staatlichen Aktivitäten war es, neben dem vom Liberalismus geprägten Bürgerlichen Gesetzbuch eine Kodifikation zu schaffen, die die sozialen und wirtschaftlichen Mißstände im Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern abmildern sollte 124. cc) Es folgte die Zeit des nationalsozialistischen Arbeitsrechts, die von 1933 bis 1945 andauerte. Dabei fand in vielen Bereichen ein Rückschritt statt. Die größte Errungenschaft der letzten Jahrzehnte, die Gründung von Gewerkschaften zur kollektiven Wahrung der Rechte der Arbeitnehmer, wurde durch deren Beseitigung zunichte gemacht 125 • Damit wurde auch das gesamte kollektive Arbeitsrecht ausgelöscht 126 • Das individuelle Arbeitsrecht hingegen blieb weitgehend erhalten, wurde sogar teilweise noch zur Steigerung des sozialen Schutzes ausgebaut. So wurde beispielsweise ein strengeres Mutterschutzgesetz erlassen 127, der Jugendschutz wurde gestärkt l28 , neue Arbeitszeitordnungen erlassen 129 und das Heimarbeiter121 Verordnung über die Regelung der Arbeitszeit der Angestellten während der Zeit der wirtschaftlichen Demobilmachung, RGBl. S. 315. 122 Gesetz über die Beschäftigung vor und nach der Niederkunft vom 16.7.1927, RGBl. I S. 184. 123 Vom 12.1.1923, RGBl. I S. 57. 124 Siehe dazu Weiß: Die Entwicklung des Arbeitsvertragsrechts und das BGB, S. 110. Ergebnis war ein Entwurf über ein Allgemeines Arbeitsvertragsgesetz von 1923. Doch die Arbeiten daran wurden aus finanziellen Gründen eingestellt [dazu Dütz: Bürgerliches Gesetzbuch und arbeitsrechtliche Kodifikation in: Schlosser (Hrsg.): Bürgerliches Gesetzbuch 1896-1996, S. 61 ff. (65)]. 125 Am 2.5.1933 wurden die der Sozialdemokratie nahestehenden freien Gewerkschaften gewaltsam aufgelöst. Es folgte kurze Zeit später die Auflösung aller übrigen Gewerkschaften sowie der Arbeitgeberverbände. Zwar wurden diese beiden Zusammenschlüsse ersetzt durch die deutsche Arbeitsfront, aber diese konnte nicht mehr die Interessen der Arbeitnehmer in dem Sinne vertreten, wie dies vorher die Gewerkschaften getan hatten. Dies war bereits aufgrund der Tatsache nicht möglich, daß zu der Arbeitsfront auch die Arbeitgeber gehörten, eine einseitige Interessenwahrung also gar nicht möglich war (siehe dazu Hueck/Nipperdey: Lehrbuch des Arbeitsrechts, 1. Band, I. Buch II § 5). 126 Das Betriebsrätegesetz sowie die Tarifvertragsverordnung wurden aufgehoben. Es folgte eine Umgestaltung der Betriebsverfassung, staatliche Tarifordnungen wurden erlassen sowie das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer durch das Führerprinzip ersetzt. Diese Veränderungen wurden größtenteils legitimiert durch das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20.1.1934, RGBl. I S. 45. 127 Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter vom 17.5.1942, RGBl. I S. 321. 128 Gesetz über Kinderarbeit und über die Arbeitszeit der Jugendlichen vom 30.4.1938, RGBl. I S. 437.
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1. Teil: Vom fonnalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
recht neu geregelt 130. Prägend für diese Zeit ist jedoch die Übermacht des Staates, die nahezu zu einer umfassenden staatlichen Reglementierung des Arbeitslebens führte. So traten an Stelle der durch Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände abgeschlossenen Tarifverträge die sogenannten Tarifordnungen. Im Ergebnis führte dies dazu, daß die Vertragsfreiheit immer mehr zurückgedrängt wurde, und zwar nicht durch einen der Vertragsparteien, sondern durch den außerhalb des Vertrages stehenden Staat. Dieser hatte sich zum Ziel gesetzt, ein einheitliches Arbeitsrecht zu schaffen, geprägt vom nationalsozialistischen Gedankengut, welches aber nicht mehr verwirklicht werden konnte 13l . dd) Der folgende Abschnitt erfaßt die Zeit von 1945 bis heute. Nach dem 2. Weltkrieg gingen die staatlichen Bemühungen zunächst dahin, den bis in das Jahr 1933 geltenden Zustand auf dem Gebiet des Arbeitsrechts wieder herzustellen. Da das kollektive Arbeitsrecht vollständig aufgelöst worden war, mußten die gesetzgeberischen Bemühungen an dieser Stelle beginnen. Es wurden erneut die Voraussetzungen zur Bildung von Gewerkschaften geschaffen. Als Gegengewicht konnten wieder Arbeitgeberverbände gegründet werden. Konsequenz dieser Entwicklung war die Möglichkeit des Abschlusses von Tarifverträgen, die man zunächst dem Tarifrecht der Weimarer Republik unterstellte, dann aber in einem eigenen Gesetz verankerte 132. Weiterhin wurden in den Betrieben erneut Betriebsräte zugelassen 133. Doch auf diesem Stand konnte man nicht stehen bleiben. Der Schutz des Arbeitnehmers als der schwächeren Vertragspartei mußte weiter ausgebaut werden. Es folgte eine Reihe von Sondergesetzen zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation der Arbeitneh129 Verordnung über die neue Fassung der Arbeitszeitverordnung vom 26.7.1934, RGBI. I S. 803; Verordnung über die Arbeitszeit in den Bäckereien und Konditoreien vom 26.9.1934, RGBI. I S. 864. 130 Gesetz über die Heimarbeit vom 23.3.1934, RGBI. I S. 214 sowie die Verordnung zur Änderung des Gesetzes über die Heimarbeit vom 30.10.1939, RGBI. I 2. Halbband S. 2143. 131 Bis 1938 wurde vom Arbeitsrechtsausschuß der Akademie für deutsches Recht ein Entwurf ausgearbeitet, der bestimmt war von der Vorstellung des Arbeitsverhältnisses als eines personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses. Dabei sollten für alle Arbeitsverhältnisse einheitliche Regeln aufgestellt werden. Nach langen Diskussionen entstand ein zweiter Entwurf im Jahre 1942, der das konkrete betriebliche Gemeinschaftsverhältnis in den Vordergrund stellte, der jedoch ebenfalls nicht Gesetz wurde (siehe dazu: Dütz: Bürgerliches Gesetzbuch und arbeitsrechtliche Kodifikation, S. 61 ff. (66f.) in: Schlosser (Hrsg.): Bürgerliches Gesetzbuch 18961996). 132 Tarifvertragsgesetz vom 9.4.1949 (WiGBI. S. 55). Es wurde räumlich ausgedehnt auf die französische Zone durch Gesetz vom 23.4.1953, BGBI. I S. 156. 133 Kontrollratsgesetz Nr. 22 vom 10.4.1946, jetzt Betriebsverfassungsgesetz vom 15.1.1972 (BGBI. I S. 13).
§ 2 Schaffung und Ausbau zwingender Schutzgesetze
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mer l34 . Selbst in den letzten Jahren blieb der Gesetzgeber nicht untätig. Besonders nach 1990 wurde eine Vielzahl von Schutzgesetzen zugunsten der Arbeitnehmer geschaffen. Im Bürgerlichen Gesetzbuch wurden insbesondere in § 622 BGB die Kündigungsfristen neu geregelt I35 . Das Entgeltfortzahlungsgesetz trat an die Stelle des Lohnfortzahlungsgesetzes, ein neues Arbeitszeitgesetz l36 wurde erlassen. Es folgten das Zweite Gleichberechtigungsgesetz l37 und das Nachweisgesetz I38 , weiterhin eine Arbeitsschutzverordnung l39 und das Beschäftigungsförderungsgesetz l4o . 4. Stellungnahme Anknüpfend an das in der Einleitung Gesagte kann nun festgehalten werden, daß ein Wandel stattfand hin zu der Verwirklichung des Schutzes des als schwächer zu bezeichnenden Vertragspartners, der in den seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches erlassenen Gesetzen zum Ausdruck kommt. Insbesondere das Arbeitsrecht eignet sich gut zur Darstellung der Entwicklung von der (fast) rein liberal verstandenen Vertragsfreiheit hin zu einer materialen Vertragsfreiheit, die das unterschiedliche Kräftegleichgewicht der einzelnen Vertragspartner auszugleichen versucht. Durch diese Gesetze wurde nicht nur die Abschlußfreiheit der Arbeitgeber eingegrenzt (so muß z. B. jeder Betrieb ab einer bestimmten Größe grundsätzlich eine bestimmte Anzahl von Schwerbehinderten beschäftigen I41 ), sondern in viel weiterem Umfang die grundsätzlich bestehende Freiheit der Arbeitgeber zur inhaltlichen Ausgestaltung des Arbeitsvertrages. 134 Zu nennen sind insbesondere das heutige Entgeltfortzahlungsgesetz vom 26.5.1994 (BGBL I S. 1065); das BundesurJaubsgesetz vom 8.1.1963 (BGBL I S. 2); das Kündigungsschutzgesetz in der Fassung vom 25.8.1969 (BGBL I S. 1317), eine Änderung des Gesetzes vom 10.8.1951 (BGBL I S. 499); das Mutterschutzgesetz vom 18.4.1968 (BGBL I S. 315) sowie das Schwerbehindertengesetz vom 26.8.1986 (BGBL I S. 1421). 135 Gesetz zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten vom 7.10.1993 (BGBL I S. 1668). 136 Gesetz zur Vereinheitlichung und Flexibilisierung des Arbeitszeitrechts, Artikeil: Arbeitszeitgesetz, vom 6.6.1994 (BGBL I S. 1170). 137 Gesetz zur Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern vom 24.6.1994 (BGBL I S. 1406). 138 Gesetz zur Anpassung arbeitsrechtlicher Bestimmungen an das EG-Recht, Artikel 1: Gesetz über den Nachweis der für ein Arbeitsverhältnis geltenden wesentlichen Bedingungen vom 20.7.1995 (BGBL I S. 946). 139 Verordnung zum Gerätesicherheitsgesetz und zur Aufhebung von Vorschriften der Verordnung über besondere Arbeitsschutzanforderungen bei Arbeiten im Freien in der Zeit vom 1.11. bis 31.3. vom 10.6.1992 (BGBL I S. 1019). 140 Vom 26.7.1994 (BGBL I S. 1786). 141 Siehe dazu § 5 Schwerbehindertengesetz.
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1. Teil: Vom formalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
Ursächlich für diese herausragende Entwicklung im Arbeitsrecht ist die Tatsache, daß der historische Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuches das Dienstvertragsrecht, welches inzwischen den größten Teil der Bevölkerung tangiert, durch wenige Vorschriften abgehandelt hatte, die seiner Bedeutung in keiner Weise gerecht wurden. Die Tatsache, daß ein Arbeitsverhältnis, welches die Erlangung einer finanziellen Grundlage ermöglicht, für die Bürger lebenswichtig ist, führt zwangsläufig zur Anfalligkeit des Arbeitsrechts für ungleiche Machtverhältnisse zwischen den Vertragspartnem. Daß die gesetzgeberischen Maßnahmen dabei einseitig zulasten der Arbeitgeber verliefen, erklärt sich deshalb von selber. Ähnliches kann auch für das Wohnungsmietrecht festgehalten werden. Hier waren die Vorschriften zum Schutze der Mieter ebenfalls nur rudimentär ausgestaltet. Auch diese gesetzlichen Vorschriften standen in keinem Verhältnis zu deren grundSätzlicher Bedeutung für die Bürger, so daß den dadurch zwangsläufig hervorgerufenen sozialen Mißständen abgeholfen werden mußte.
111. Ausbau des Schutzes durch Schaffung von Verbraucherschutznormen 1. Entwicklung
Der Schutz des "Verbrauchers" begann am 16. Mai 1894 mit Inkrafttreten des Abzahlungsgesetzes l42 • In diesem Zusammenhang wurde zum ersten Mal der Begriff "Schutz der verbrauchenden Bevölkerung" verwendet l43 . Das Gesetz wurde nahezu herausgefordert durch die massiven Mißstände bei der Durchführung der Abzahlungsgeschäfte der damaligen Zeit l44 • Es sprach selber in seinem § 1 nur von dem Käufer einer beweglichen Ware. § 8 AbzG schloß die in das Handelsregister eingetragenen Kaufmänner von dem Anwendungsbereich des Gesetzes aus. Bei diesen Vollkaufleuten schien ein solcher Schutz wegen deren eigenen geschäftlichen Urteilsfahigkeit nicht geboten l45 . Das Abzahlungsgesetz diente den Vertragsparteien, die ihre Waren nicht sofort vollständig bezahlen konnten, also den finanziell schwächeren ParROB!. S. 450. Siehe dazu auch § 1 11 5. 144 Die größte Benachteiligung des Käufers bestand darin, daß der Verkäufer das Recht hatte, die Ware wieder an sich zu nehmen und den bereits gezahlten Teil des Kaufpreises zu behalten, wenn der Käufer seinen Vertragsverpflichtungen nicht nachkam, insbesondere mit einer Ratenzahlung im Rückstand blieb, dazu Hoffmann/Wilke: Abzahlungsgeschäfte, S. 8. 145 Ostler/Weidner: Abzahlungsgesetz, Einleitung Anm. 19. 142 143
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teien. Daß ein Schutz des "Verbrauchers" zur Zeit des Erlasses des Abzahlungsgesetzes keine Selbstverständlichkeit war, zeigt die Tatsache, daß in der Begründung des Gesetzes ausgeführt wurde, es gehe auch darum, die solideren Geschäftsleute vor allem gegen die Abzahlungshändler, die den Markt mit minderwertigen Waren überschwemmten, zu schützen l46 . Der gesetzliche Schutz war jedoch noch sehr beschränkt auf besonders verbreitete Mißbräuche. Einen umfassenden Schutz des Abzahlungskäufers stellte das Gesetz nicht dar. Dieser wurde deshalb schon bald als nicht weit genug gehend kritisiert. Hier stellte sich besonders das sich in den 20er Jahren zunehmend durchsetzende Problem des finanzierten Abzahlungskaufes. Die Bemühungen zur Reform des Abzahlungsgesetzes führten zu zwei Novellen in den Jahren 1969 147 und 1974 148 • Parallel zu der Entwicklung eines Schutzes des Abzahlungskäufers wurde der Schutz des "Verbrauchers" durch weitere gesetzliche Maßnahmen verstärkt. Die Bundesregierung stellte Anfang der 70er Jahre allgemeine Ziele der Verbraucherpolitik auf, die schrittweise verwirklicht werden sollen. Diese sind, sieht man von der Vermeidung von Gesundheitsgefährdungen und dem Umweltschutz ab, die Stärkung der Stellung des Verbrauchers durch Erhaltung und Förderung eines wirksamen Wettbewerbs, sowie durch Verhinderung unlauterer Verkaufspraktiken und unbillig benachteiligender Vertragsbedingungen, und die möglichst umfassende Information der Verbraucher l49 . Dieser angestrebte Verbraucherschutz kam in einer Anzahl von Gesetzen zum Ausdruck 150. Zu einem brisanten rechtspolitischen Thema wurde er jedoch erst in den 70er Jahren 151. Seit dieser Zeit wurden wesentliche Gesetze im vertraglichen Bereich zum Schutze des Verbrauchers erlassen I52 • Hinzu kamen auf europarechtlicher Ebene Bestrebungen zur Verein146 Die Begründung ist abgedruckt bei Aubele: Abzahlungsgesetz, S. 8 ff. (insb. 10, 12). 147 BGBI. I S. 1541. Es wurden die §§ la und 6a AbzG eingefügt. 148 BGBI. I S. 1169. Das Abzahlungsgesetz wurde ergänzt durch die §§ 1b bis Id und 6b. 149 Siehe dazu den Bericht der Bundesregierung zur Verbraucherpolitik vom 18.10.1971, BT-Drucksache 6/2724, S. 3f. 150 Eine Übersicht über die Verbraucherschutzgesetzgebung zu Beginn der großen Diskussion am Anfang der 70er Jahre gibt der Bericht zur Verbraucherpolitik vom 18.10.1971, BT-Drucksache 612724, Anlage I, S. 17. Zu weiteren Verbesserungen äußert sich der Zweite Bericht der Bundesregierung zur Verbraucherpolitik vom 20.10.1975, BT-Drucksache 7/4181. 151 Siehe allgemein zum Verbraucherschutz Dauner-Lieb: Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher; Simitis: Verbraucherschutz, Schlagwort oder Rechtsprinzip?; v. Hippel: Verbraucherschutz; Reich/Tonner/Wegener: Verbraucher und Recht; Joerges: Verbraucherschutz als Rechtsproblem.
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1. Teil: Vom formalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
heitlichung des Verbraucherschutzes 153 , die großen Einfluß auf das deutsche Recht haben.
2. Geschützter Personenkreis Als geschützter Personenkreis wurde bereits zu Beginn der 70er Jahre grundSätzlich der private Endverbraucher angesehen 154. Eine gesetzesübergreifende Definition des Verbrauchers wurde aber nicht erreicht. Unabhängig von jeder Definition wollte der Gesetzgeber die Personen einem gesetzlichen Schutz unterwerfen, die als Einzelperson zumeist einem stärkeren Vertragspartner gegenüberstehen, der unter Ausnutzung seiner wirtschaftlichen und intellektuellen Überlegenheit den Inhalt des zu schließenden Vertrages selber bestimmen kann. In diesem Fall hat der einzelne "Verbraucher" nahezu keinerlei Möglichkeiten, von der ihm zustehenden Vertragsfreiheit Gebrauch zu machen. Der Vertrag wird ihm mehr oder weniger diktiert. Je mehr Personen davon betroffen sind, desto drängender stellt sich dem Gesetzgeber die Frage, ob und wie er diesen Tendenzen entgegenwirken kann. Der Verbraucherschutz hat deshalb in den 70er Jahren einen solchen Zulauf gefunden, weil die Zahl der Konsumenten, und damit der betroffenen Personen in den 60er Jahren aufgrund wachsenden Wohlstandes stark angestiegen war l55 .
3. Einzelne Schutzgesetze a) AbzahlungskauJ
Der Versuch, den bei der Entwicklung des Verbraucherschutzes erwähnten finanzierten Abzahlungskauf156 gesetzlich zu regeln, scheiterte jedoch zunächst. Bewegung in die legislativen Schutzbemühungen kam erst wieder durch den europarechtlichen Einfluß. Am 27. Februar 1979 legte die Kom152 Diese sind insbesondere das Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht vom 24.6.1976 (BGB!. I S. 2525), das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vom 9.12.1976 (BGB!. I S. 3317), das Reisevertragsgesetz vom 4.5.79 (BGB!. I S. 509), das Haustürwiderrufsgesetz vom 16.1.1986 (BGB!. I S. 122), Gesetze zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, das Verbraucherkreditgesetz vom 17.12.1990 (BGB!. I S. 2840) und das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 20.2.1990 (BGB!. I S. 235). 153 Siehe dazu Hommelhoff: Verbraucherschutz im System des deutschen und europäischen Privatrechts; Reich: Europäisches Verbraucherschutzrecht; unten § 8 VI. 154 v. Hippei: Grundfragen des Verbraucherschutzes, JZ 72, 417. 155 Ausführlich dazu v. Hippei: Grundfragen des Verbraucherschutzes, JZ 72, 417. 156 Siehe § I II 5.
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mission dem Rat einen Richtlinienentwurf vor l57 , der das Recht des Konsumentenkredites regeln sollte. Es erging daraufhin am 22. Dezember 1986 eine Verbraucherkreditrichtlinie 158 sowie am 22. Februar 1990 eine Änderungsrichtlinie l59 . Dadurch sollte ein einheitlicher und effektiver Verbraucherschutz im Kreditbereich geschaffen werden. Die Richtlinie wurde durch das Verbraucherkreditgesetz vom 17. Dezember 1990 160 in das deutsche Recht umgesetzt und löste ab 1. Januar 1991 das Abzahlungsgesetz ab 161.
In sachlicher Hinsicht regelt das Verbraucherkreditgesetz nicht nur die Fälle von Kreditverträgen und Kreditvermittlungsverträgen (§ 1 Abs. 2 und 3 VerbrKrG), sondern gemäß § 2 VerbrKrG ebenfalls kreditähnliche Verträge 162. Hier ist ein gesetzlicher Verbraucherschutz geboten, da die Gefahr besteht, daß Verbraucher die auf sie zukommenden längerfristigen Belastungen nicht richtig einschätzen und deshalb nicht die gebotene Vorsorge treffen können l63 . Das Verbraucherkreditgesetz geht dabei über den Inhalt der Richtlinie hinaus. Zum Schutz der Verbraucher vor Überschuldung hat es weitere Bereiche gesetzlich geregelt, wie den Zahlungsverzug des Verbrauchers, verbundene Geschäfte und Kreditvermittlungsverträge. Zweck des Gesetzes ist eine ausreichende Information des Verbrauchers auf sämtlichen Ebenen des Vertragsabschlusses 164. Der persönliche Anwendungsbereich des Verbraucherkreditgesetzes ist im Gegensatz zum Abzahlungsgesetz in § 1 VerbrKrG genau festgeschrieben und damit auch enger gefaßt. Das Verbraucherkreditgesetz dient ausdrücklich dem Schutz des "Verbrauchers.. 165 , der auch (für dieses Gesetz) genau definiert wird als natürliche Person, der ein Kredit gewährt bzw. vermittelt oder nachgewiesen wird, welcher nach dem Inhalt des Vertrages nicht für eine bereits ausgeübte gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit 157 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, Amtsblatt der EG 1979 Nr. C 80/4. 158 Amtsblatt der EG 1987 Nr. L 42, S. 48. 159 Amtsblatt der EG 1990 Nr. L 61, S. 14. 160 BGB!. I S. 2840. 161 Die Vorschriften des Abzahlungsgesetzes wurden aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtsbereinigung in das Verbraucherkreditgesetz eingearbeitet, BT-Drucksache 11/5462, S. 2. 162 § 2 VerbrKrG entspricht dem vorher gültigen § 1c AbzG. 163 Bülow: Verbraucherkreditgesetz, § 2 Rn. 2. 164 Siehe dazu: Graf v. Westphalen/Emmerich/Kessler: Verbraucherkreditgesetz, Ein!. Rn. 16 ff. 165 Hier knüpft die von der Richtlinie vorgegebene Umschreibung des Verbrauchers an die Definition in der Richtlinie betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen vom 29.12.1985 an (das jetzige Haustürwiderrufsgesetz), BT-Drucksache 11/5462, S. 17.
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1. Teil: Vom fonnalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
bestimmt ist (§ I Abs. I VerbrKrG). In der Praxis führt dies aber nur dazu, daß für die Kleingewerbetreibenden die Schutzvorschriften des Abzahlungsgesetzes bei Warenkrediten entfallen 166 • Das Verbraucherkreditgesetz dient damit unter anderem dem Schutz der Vertragspartei, die einen Kredit (in der weiten Form des § lAbs. 2 VerbrKrG) aufnimmt, also wiederum dem Schutz der finanziell schwächeren Partei. Dabei darf man nicht außer acht lassen, daß der Wohlstand der Bevölkerung ständig gestiegen ist und damit auch die Kreditfähigkeit. Immer mehr Menschen wurde somit die Möglichkeit einer Kreditaufnahme eingeräumt. Damit wurde der persönliche Anwendungsbereich des Verbraucherkreditgesetzes trotz der oben angesprochenen Beschränkung immer größer. b) Reisevertragsrecht Der Schutz des Verbrauchers beschränkt sich nicht auf die Kreditnahme und ähnliche Geschäfte. In allen Lebensbereichen besteht die Gefahr der Benachteiligung durch den anderen, geschäftsmäßig handelnden Vertragspartner 167. Die Bereiche, in denen sich besonders häufig auffällige Mißverhältnisse im Verhältnis der Vertragsparteien herausstellen, ändern sich im Laufe der Zeit durch das sich wandelnde Konsumverhalten der Bürger 168 . Auf dem Gebiet des Reiserechts kam es so lange nicht zu besonderen rechtlichen Problemen, wie diese als Individualreisen durchgeführt wurden. Doch bereits in den 50er Jahren begann ein kontinuierlicher Anstieg der Pauschalreisen 169 • Dabei traten zulasten des Reisenden erhebliche Probleme 166 BT-Drucksache 1115462, S. 11. In der Begründung des Gesetzes wird dazu ausgeführt, daß Kaufleute, Handwerker, Landwirte und Angehörige der freien Berufe wie beispielsweise Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, die einen Kredit aufnehmen, der ganz oder überwiegend für Zwecke ihrer Gewerbe- oder Berufstätigkeit bestimmt ist, aus dem Schutzbereich des Gesetzes ausgenommen sind, da sie durch Ausbildung und Berufserfahrung in der Lage sind, die Tragweite ihrer Vertragsentschließung zu übersehen, BT-Drucksache 1115462, S. 17. Ob sie tatsächlich geschäftlich erfahren sind, spielt allerdings keine Rolle. Daneben kommt es nur auf den Verwendungszweck an. Wenn der Kredit privaten Zwecken dient, genießen die eben erwähnten Berufsgruppen den Schutz des Verbraucherkreditgesetzes. 167 Die Bundesregierung führte dazu in ihrem zweiten Bericht zur Verbraucherpolitik vom 20.10.1975 (BT-Drucksache 7/4181) aus, wie die Konsumfreiheit, so gehöre auch die Vertragsfreiheit zu den grundlegenden Rechten unserer Wirtschaftsordnung. Für den Verbraucher bedeute es eine unvertretbare Verkürzung dieser Freiheiten, wenn der stärkere Marktpartner sie dazu mißbrauche, einseitig seine Interessen durchzusetzen. 168 Eine Behandlung der Gründe für das Wachstum des Fremdenverkehrs findet sich bei Klatt/Fischer: Die Gesellschaftsreise, S. 19ff. 169 1975 betrug die Zahl der Pauschalreisenden in Deutschland bereits 6,1 Millionen (BT-Drucksache 8/786, S. 1).
§ 2 Schaffung und Ausbau zwingender Schutzgesetze
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auf170. Das geltende Reisevertragsrecht, welches als Werkvertragsrecht angesehen wurde, konnte den Besonderheiten der Pauschalreisen nicht gerecht werden 17I. Eine Intervention der Rechtsprechung führte zu einer gewissen Abhilfe. Drei Grundsatzentscheidungen des BGH 172 wurden als wesentliche Elemente der späteren gesetzlichen Regelungen verwertet. Doch aufgrund der sich immer weiter ausdehnenden Verbraucherschutzgedanken wurde es in den 70er Jahren als relevant angesehen, das Reisevertragsrecht gesetzlich auszugestalten. Dieses Erfordernis wurde durch das Reisevertragsgesetz l73 realisiert und in den §§ 651 abis k des Bürgerlichen Gesetzbuches verankert (es entstand also kein weiteres Sondergesetz) 174. Durch dieses Gesetz soll ein angemessener Interessenausgleich zwischen dem Reisenden und dem Reiseveranstalter erzielt und eine schärfere Abgrenzung der Risikosphäre zwischen Reiseveranstalter und Reisendem erreicht werden. Im Ergebnis sollen diese Änderungen zu einer Verbesserung der Rechtsstellung des Verbrauchers führen 175. Inhaltlich wurde das Recht auf Gewährleistung und Schadensersatz geregelt. Der bis dahin erreichte Schutz wurde auf europarechtlicher Ebene weiter ausgebaut. Am 24. Juni 1994 wurde das Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen erlassen 176. Wichtigste Neuerung ist der in dem neuen § 651 k BGB geregelte Schutz des Reisenden vor einer Insolvenz des Veranstalters 177. 170 Durch intensive Werbung der Tourismusindustrie wurden häufig falsche Vorstellungen und Erwartungen erweckt, die nicht erfüllt werden konnten. Hinzu kam die ausgedehnte Nutzung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die die Reiseveranstalter einseitig für sie günstige Regelungen festschreiben konnten, siehe dazu: v. Hippel: Verbraucherschutz, § 12 I, S. 255. 171 Insbesondere wurde dem Umstand nur unzureichend Rechnung getragen, daß die Pauschalreise kein individuell angefertigtes Werk, sondern ein Gut des Massenverkehrs darstellt (BT-Ducksache 81786, S. 1,9). Siehe umfassend zur alten Rechtslage: Klatt/Fischer: Die Gesellschaftsreise. 172 Diese waren der Impfschadenfall (BGHZ 60, 14 = NJW 73, 318; eingearbeitet in den heutigen § 651 i BGB), der Ferienhausfall (BGHZ 61, 267 = NJW 74, 37; enthalten im jetzigen § 651a Abs. 2 BGB) und der Rumänien-Fall (BGHZ 63, 98 = NJW 75, 40; heute geregelt in § 651 f Abs. 2 BGB). 173 Gesetz zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches vom 4.5.1979 (BGBI. I S.509). 174 Der Regierungsentwurf sah ein Spezialgesetz vor, siehe dazu BT-Drucksache 81786. Eine Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuches erlaubte demgegenüber eine gestrafftere Regelung, da an die Systematik und an die Begriffe des Bürgerlichen Gesetzbuches angeknüpft werden konnte, BT-Drucksache 8/2343, S. 6. Zur Kritik an einem Sondergesetz siehe Rebmann: Regelung des Reiseveranstaltungsvertrages durch Ergänzung des BGB, DRiZ 78, 269. Ebenfalls zu der Problematik Leonardy: Der Entwurf eines Reiseveranstaltungsgesetzes, DRiZ 78, 267. 175 BT-Drucksache 8/2343, S. 6. 176 BGBI. I S. 1322.
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I. Teil: Vom formalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
Geschützt wird der "Reisende", d. h. der Vertragspartner des Reiseveranstalters, der im eigenen Namen für sich und/oder andere Reiseteilnehmer eine Reise bucht 178. Hier kommt es nicht darauf an, ob dieser geschäftlich unerfahren ist. Das Reisevertragsrecht knüpft nur an den äußeren Tatbestand des Vertragsschlusses an, der auf die Buchung einer Reise im Sinne einer Gesamtheit von Reiseleistungen (§ 651 a Abs. 1 S. I BGB) gerichtet ist. Da das Buchen einer Reise so gut wie nie zu den geschäftlichen Handlungen einer Person gehört, muß hier nicht nach Erfahrungen gefragt werden. Die Reise im Sinne einer Gesamtheit von Reiseleistungen gehört damit zum Privatbereich einer Person und fällt unter den "Verbraucherschutz". Die besondere Tragweite des Schutzzweckes wird dadurch deutlich, daß es sich bei allen Normen des Reisevertragsrechts gemäß § 6511 BGB um zwingendes Recht handelt l79 . Der "stärkere" Vertrags partner, wohl ausnahmslos der Reiseveranstalter, kann damit nicht zu seinem Vorteil eine abweichende Regelung treffen. Damit hat der Gesetzgeber die stärkste Fonn der Regelungsmöglichkeiten gewählt. c) Fernunterrichtsschutz
Zu erwähnen ist weiterhin das Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht vom 24. Juni 1976 18 Es bezweckt den Schutz der Fernunterrichtsteilnehmer vor unseriösen Fernunterrichtsangeboten und nachteiliger Vertragsgestaltung l81 • Dazu zählten bis zum Erlaß des Gesetzes eine geringe Qualität des Lehrganges, unzulängliche, irreführende oder falsche Infonnation bzw. Werbung, ein unangemessenes Lösungsrecht sowie ein übertriebener, nicht an den Beratungswünschen der Interessenten ausgerichteter Einsatz von Abschlußvertretern l82 . Gegen diese Defizite will das Gesetz unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes vorgehen. Dazu gehört das speziell geregelte Zulassungsverfahren der §§ lZff. FernUSG. Dieses soll eine gewisse Seriosität der Fernlehrgänge sicherstellen und
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177 Siehe ausführlich zur Entstehungsgeschichte des Reisevertragsrechts: MünchKomm-Tonner BGB Vor § 651a Rn. 17ff. 178 MünchKomm-Tonner BGB Vor § 651a Rn. 13. 179 Im Vergleich dazu sind auf dem Gebiet des Wohnungsmietrechts zwingende Vorschriften vorhanden; demgegenüber sind die Normen, die sich auf alle Arten der Miete beziehen, meist dispositiv ausgestaltet. 180 BGBL I S. 2525. 181 Dazu Bartl: Das neue Fernunterrichtsschutzgesetz, NJW 76, 1993; Dömer: Zur Anwendung des Fernunterrichtsschutzgesetzes, BB 77, 1739ff.; v. Hippel: Verbraucherschutz, § ll; siehe speziell zum Widerrufsrecht nach § 4 FernUSG Lorenz, St.: Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 204 ff. 182 BT-Drucksache 7/4245, S. 1, 12; BT-Drucksache 7/4965, S. 1.
§ 3 Herausbildung einer richterlichen InhaItskontrolle von Verträgen
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damit zu einer besseren Information des möglichen Teilnehmers führen. Dieser kann die Gewißheit erlangen, auf ein angemessenes Angebot zu stoßen. Daneben spielt das Widerrufsrecht des Teilnehmers nach § 4 FemUSG eine wichtige Rolle. Dieser hat zunächst das Recht, das Unterrichtsmaterial zu prüfen. Im Anschluß daran hat er innerhalb einer Frist von 2 Wochen die Möglichkeit, den Vertrag zu widerrufen. Außerdem wird ihm unter bestimmten Bedingungen das Recht zur Kündigung des Vertrages eingeräumt, § 5 FemUSG I83 . Damit wird auch ein gewisser Ausgleich für vorher bestehende Informationsdefizite geschaffen. Daß ein Schutz des Verbrauchers nie umfassend sein kann, zeigt die Tatsache, daß das Gesetz auf Direktunterricht nicht anwendbar ist. Auch hier kann sich der Teilnehmer im Verhältnis zum Anbieter aufgrund fehlender Information oder falscher bzw. irreführender Werbung in einer schwächeren Vertragsposition befinden. Eine gesetzliche Regelung des Direktunterrichts in Anlehnung an das Fernunterrichtsgesetz wäre damit wünschenswert l84 .
§ 3 Herausbildung einer richterlichen Inhaltskontrolle
von Verträgen
I. Begriffsbestimmung Die Inhaltskontrolle von Verträgen ist in den letzten 15 Jahren zu einem Schlagwort in Literatur und Rechtsprechung geworden 185. Der Ausdruck 183 Damit ist der potentielle Teilnehmer an einem Fernunterricht in doppelter Hinsicht abgesichert. Durch die erste Stufe, dem Zulassungsverfahren, wird der Markt von unseriösen Veranstaltern freigehalten. Auf der zweiten Stufe hat der Teilnehmer die individuelle Möglichkeit, den Leistungsgegenstand zu überprüfen und festzustellen, ob er in der Lage sein wird, den Anforderungen des Fernlehrganges gerecht zu werden, BT-Drucksache 7/4245, S. 15. 184 Zu dem Problem v. Hippel: Verbraucherschutz, § 11 III, S. 253 f. 185 Der Begriff "Inhaltskontrolle" wurde zum ersten Mal im Zusammenhang mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendet. Während das Reichsgericht von einer inhaltlichen Beschränkung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen grundsätzlich, d. h. ohne das Vorliegen einer Monopolstellung, absah (siehe dazu nur beispielhaft RGZ 104,98, Urteil vom 22.2.1922), wurde vom BGH bereits 1956 eine offene Inhaltskontrolle derselben am Maßstab der §§ 138, 242 BGB angestrebt (BGHZ 22, 90). Damit war der Weg frei für eine Vielzahl von gerichtlichen Entscheidungen zur Wirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die Inhaltskontrolle hat 1976 mit Erlaß des AGB-Gesetzes eine gesetzliche Grundlage gefunden. Doch auch in anderen Bereichen etablierte sich diese sehr schnell. So überprüfte der BGH Gewährleistungsausschlüsse in notariellen Verträgen über die Errichtung oder den Erwerb neu hergestellter Häuser und Eigentumswohnungen, wenn die Klausel nicht Gegenstand eingehender Erörterung und nachhaltiger Belehrung war (BGHZ 74, 204, Urteil vom 5.4.1979 behandelt von Medicus in: Zur gerichtlichen Inhaltskontrolle notarieller Verträge; fortführend BGHZ 101, 350, Urteil vom 17.9.1987;
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l. Teil: Vom fonnalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
"Inhaltskontrolle von Verträgen" setzt zunächst einmal voraus, daß bereits ein wirksamer Vertrag vorhanden ist, dessen Inhalt "kontrolliert" werden kann. Es handelt sich somit um eine nachträgliche Korrektur, die alleine durch die Gerichte durchgeführt werden kann. Durch diese gerichtliche Kontrolle soll das Vertragsverhältnis auf seine synallagmatische Ausgewogenheit untersucht und, wenn erforderlich, zugunsten der benachteiligten Partei korrigiert werden. Eine ähnliche Terminologie benutzt Fastrich l86 . Er differenziert dabei zwischen einer Inhaltskontrolle im engeren und weiteren Sinne. Unter einer Inhaltskontrolle im engeren Sinn versteht er die am generell anzulegenden Maßstab des § 242 BGB ausgerichtete Angemessenheitskontrolle. Die Inhaltskontrolle im weiteren Sinn umfaßt nach seiner Auffassung jede inhaltliche Kontrolle anhand fester oder variabler Maßstäbe. Darunter fallen neben den §§ 9 ff. AGBG und § 242 BGB auch die §§ 134, 138, 315 BGB und weiterhin beispielsweise auch §§ 12, 19 GWB, daneben das gesamte zwingende Recht, das den Inhalt eines Vertrages mitgestalten kann. Um diese zuletzt genannte weit gefaßte Inhaltskontrolle geht es in diesem Abschnitt nicht. Hier soll nur die gerichtliche Kontrolle untersucht werden, die darauf abzielt, einzelne Verträge anhand eines bestimmten Maßstabes dahingehend zu überprüfen, ob die Gesamtheit der Rechte und Pflichten als angemessen bezeichnet werden kann, oder, wenn dies nicht der Fall ist, ob er das Ergebnis eines strukturellen Ungleichgewichts zwischen den Vertragspartnem ist. Teilweise wird auch der Begriff "Billigkeitskontrolle" verwendet, so z. B. durch das BAG I87 . Eine Definition des Begriffes durch das BAG wurde BGHZ 108, 164, Urteil vom 29.6.1989). Daneben kommt der Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht eine tragende Rolle zu. Das BAG äußerte sich zunächst 1954 zu einer möglichen Kontrolle eines Arbeitsvertrages im Zusammenhang mit Ruhegehaltsregelungen (AP Nr. 1 zu § 242 BGB Ruhegehalt). Das Wort Billigkeitskontrolle benutzte es seit den 60er Jahren (zum ersten Mal in seiner Entscheidung vom 2l.5.1963, AP Nr. 6 zu § 242 BGB Geschäftsgrundlage, vennehrt 1969, z.B. BAGE 21, 284 und DB 69, 1153; weiterhin in AP Nr. 1 und 2 zu § 305 BGB Billigkeitskontrolle; AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG Auslegung). Der Begriff "Inhaltskontrolle" wurde vom BAG erstmals am 6.2.1968 verwendet, BAGE 22, 252, nachfolgend wieder 1970 in BAGE 22, 252. Er hat sich in der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung in den 80er Jahren sehr stark verbreitet. Der BGH (LM Nr.10 zu § 25 BGB ::: BB 72, 1073) nahm 1972 auch im Bereich der Verbandsnonnen eine Inhaltskontrolle mit Hilfe des § 242 BGB vor. Mit der Thematik beschäftigt sich Nicklisch in: Inhaltskontrolle von Verbandsnonnen. Der Gesellschaftsvertrag einer Publikums-Personengesellschaft wurde erstmalig 1975 einer an § 242 BGB orientierten Inhaltskontrolle unterworfen, BGHZ 64, 238 (siehe dazu eingehend HilIe: Die Inhaltskontrolle der Gesellschaftsverträge von Publikums-Personengesellschaften). Siehe auch Soergel-Teichmann BGB § 242 Rn. 15ff. und Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich (1970), S. 3 f., 17, 254. Umfassend zur Inhaltskontrolle Fastrich: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht. 186 Fastrich: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 5 ff.
§ 3 Herausbildung einer richterlichen Inhaltskontrolle von Verträgen
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jedoch nicht vorgenommen, doch stellt es in diesem Zusammenhang auf generalisierende Maßstäbe ab, und benutzt mehrmals beide Begriffe synonym l88 • Auch Hönn geht davon aus, daß man die Begriffe "Inhaltskontrolle" und "Billigkeitskontrolle" gleichsetzen müsse l89 . Auch er versteht darunter die Kontrolle vertraglicher Regelungen in dem Sinne, daß diese an bestimmten Maßstäben zu messen sind, und gegebenenfalls ganz oder teilweise als unwirksam angesehen werden müssen. Die gerichtliche Kontrolle hat damit zunächst einen feststellenden Charakter. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit der Gerichte, gestaltend tätig zu werden, indem ein Vertrag inhaltlich verändert wird. Der vereinzelt benutzte Begriff "Angemessenheitskontrolle" hat sich nicht durchsetzen können 190. Er würde allerdings die Möglichkeit bieten, die hier in Frage stehende Kontrolle von anderen inhaltlichen Kontrollmöglichkeiten (entsprechend der von Fastrich als Inhaltskontrolle im weiteren Sinn bezeichneten Kontrolle) abzugrenzen.
11. Inhaltskontrolle von Verträgen durch die Aktivierung der Generalklauseln 1. Rechtsfortbildung durch die Gerichte
Bevor erkannt wurde, daß die Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuches ein bedeutendes Werkzeug der Gerichte darstellen, wurde in Gerichtskreisen besonders vor den großen Gefahren einer "Treu-und-Glauben-Jurisprudenz" gewamt l91 . Doch diese Warnungen verhallten schnell. Die Einstellung zu den Generalklausein änderte sich bereits kurze Zeit nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches 192. Die Gerichte erkannten, daß alleine die jedermann zustehende rechtliche Möglichkeit, beliebige Verträge abzuschließen, nicht genügen konnte, um die Selbstbestimmung des einzelnen im Rahmen des allgemeinen Güter- und Leistungsaustausches zu gewährleisten 193. Die Rechtsprechung begann deshalb damit, im Rahmen Beispielsweise BAG AP Nr. 1 und 2 zu § 305 BGB. So in BAG AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt. 189 Hönn: Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 158ff. 190 So beispielsweise Lieb: Sonderprivatrecht für Ungleichgewichtslagen? AcP 178 (1978) 196ff. (210). 191 Hedemann: Die Aucht in die Generalklauseln, S. 10. 192 Ausschlaggebend war die sogenannte ,,Freirechtsbewegung", die mit der Schrift von Kantorowicz "Der Kampf um die Rechtswissenschaft" bereits im Jahre 1906 begann. Durch sie wurde die Rechtswissenschaft zu mehr Beweglichkeit veranlaßt. Dazu dienten in hohem Maße die Generalklausein mit ihrem ethischen Einschlag, siehe Hedemann: Die Aucht in die Generalklauseln, S.lOf. 187 188
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1. Teil: Vom formalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
der dem Richterrecht zugemessenen Möglichkeiten die allerschlimmsten Auswüchse in den Griff zu bekommen l94 . Das Vertragsrecht wurde zunächst nahezu alleine, später synchron zu der Entwicklung eines materialen Verständnisses der Vertragsfreiheit in der Literatur und in der Gesetzgebung, durch die Gerichte fortentwickelt 195. Objektive Umstände spielten dabei eine immer größere Rolle zulasten der formal verstandenen Vertragsfreiheit. Daneben wurde das Vertragsrecht mit Gedanken der Äquivalenz, des Verkehrsschutzes und der Sicherung der Daseinsvorsorge durchsetzt 196. Hedemann spricht in diesem Zusammenhang von einem "Stück offengelassener Gesetzgebung" 197 • 193 Beispielhaft sei hier genannt die Entscheidung des Reichsgerichts vom 8.1.1906 (RGZ 62, 264), in der es einen vertragsmäßigen Ausschluß einer gesetzlichen Haftung verwarf, wenn den Vertragspartnern die anderweitige Wahrung ihrer Interessen nicht möglich ist, und sie deshalb gezwungen sind, sich den gestellten Bedingungen zu unterwerfen. 194 Kramer: Die "Krise" des liberalen Vertragsdenkens, S. 17. 195 Wieacker (in: Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher, S. 18) spricht davon, daß dadurch im Einzelfall "die formale Freiheitsethik, die der deutschen Privatrechtsordnung zugrunde lag, in eine materiale Ethik sozialer Verantwortung zurückverwandelt wurde; zurückverwandelt, weil sie damit, meist unbewußt, zu den ethischen Grundlagen des älteren europäischen Gemein- und Naturrechts zurückkehrte". Hedemann (in: Die Flucht in die Generalklauseln, S. 6) spricht in diesem Zusammenhang im Jahre 1933 wegen der Bedeutung der Generalklausein in der gerichtlichen Praxis von "königlichen Paragraphen". Er versucht jedoch auch, die erforderlichen Grenzen der Generalklauseln zu ziehen. Dabei geht er besonders auf deren Verhältnis zur Vertragsfreiheit ein. Daß die Generalklausein in der Lage seien, vertragliche Abmachungen zum Scheitern zu bringen, läge schon in deren Wesen. Doch sei es undenkbar, sämtliche Vertragsabreden im ganzen mittels einer oder mehrerer Generalklauseln totzuschlagen. Er führt weiterhin aus, die Generalklauseln seien nur zur Abwehr der ihrem Geist widersprechenden Vertragselementen berufen, sie dürften aber nicht umgekehrt zum Angriff in das Gebiet der Vertragsfreiheit übergehen (Hedemann: Die Flucht in die Generalklauseln, S. 55 f.). Damit drückt er vage aus, welchen Stellenwert die Generalklauseln im Bereich der Vertragsfreiheit einnehmen. Daß die Generalklauseln grundsätzlich, entgegen der zunächst geäußerten Skepsis, die Möglichkeit bieten, in bestimmten Fällen vertragliche Vereinbarungen trotz der dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrundeliegenden Vertragsfreiheit für unbeachtlich zu erklären, wird bereits in den 30er Jahren nicht mehr in Frage gestellt. Doch der wichtigste Schritt, die zum Zwecke der Rechtssicherheit erforderliche rechtliche Ausgestaltung der Generalklauseln durch Bildung von Fallgruppen, war zu dieser Zeit noch nicht vollzogen worden. 196 Hönn: Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 7. 197 Hedemann: Die Flucht in die Generalklauseln, S. 58 ff. Er führt weiterhin kritisch aus, es stelle sich die Frage, ob der Richter dann überhaupt noch Recht anwende oder in Gestalt eines "Ausgleichs" eine neue Lage setze. In einer solchen Situation erscheine er neben seiner Richterherrlichkeit bald wie ein Gesetzgeber, bald wie ein gestaltender Verwaltungsbeamter. Dabei würden Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung ineinander überfließen. Die Gefährlichkeit der Generalklausein drücke sich in den Worten Verweichlichung, Unsicherheit und Willkür aus. Mit
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Schon frühzeitig bediente sich das Reichsgericht neben § 138 BGB insbesondere des § 242 BGB 198 zur Korrektur von vertraglichen Regelungen. So entschied es, daß einem Schuldner wegen des Verhaltens des Gläubigers, der absichtlich die rechtliche und wirtschaftliche Lage des Schuldners verschlechtert hatte, Befreiung von seinen Verbindlichkeiten zu gewähren sei 199. In einer anderen Entscheidung wurde die Möglichkeit zur Wandlung wegen Verstoßes gegen § 242 BGB für unwirksam erklärt 2OO . Im Jahre 1914 erklärte das Reichsgericht, das System des Bürgerlichen Gesetzbuches werde durchdrungen von dem Grundsatz von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte. Dieses Prinzip beherrsche alle Einzeibestimmungen und müsse gerade in ihnen lebendige Wirkung üben zur Klärung, Erweiterung, Ergänzung oder Beschränkung des vereinzelten Wortlauts 2ol . Verweichlichung meint er den all zu leichten Griff zu dem Grundsatz von Treu und Glauben, statt einer rechtlich einwandfreien Konstruktion der Lösung eines Falles. Die daraus entstehende Unsicherheit versteht sich von selbst. Heute würde man wohl besser den Begriff Rechtssicherheit verwenden. Das Problem, das sich hinter dem Begriff verbirgt. ist hier, daß subjektives Empfinden an Stelle eines objektiven Maßstabes gesetzt wird. Dieses subjektive Empfinden ist personen- und zeitabhängig. Von diesem Punkt aus ist es nicht mehr weit zum Vorliegen von Willkür. Sehr interessant erscheint hier die Tatsache, daß Hedemann bereits 1933 die große Gefahr der Ausnutzung der Generalklauseln für wirtschaftliche und politische Zwecke erkannte. Doch er meinte zuversichtlich, das Problem so lösen zu können, daß sich der jeweilige Träger der Macht den Unterschied zwischen den wirklich staatsnotwendigen Fragen und dem übrigen Teil der Rechtsordnung vor Augen halten müsse. Wenn er nur in der erstgenannten Richtung die letzte Auslegung und damit Handhabung der Generalklauseln seiner Willkür unterstelle, wäre das ertragbar. Wenn er aber weiter in dieser Weise eingreife, sei ein Niedergang vorprogrammiert. Hedemann propagierte deshalb einen äußerst sparsamen Gebrauch der Generalklausein durch den Richter. Nur so sichere er sich den Halt, um ein Abgleiten seiner selbst und damit der Rechtspflege seiner Nation zu verhüten. Diese von Hedemann 1933 ausgesprochenen Gefahren realisierten sich bereits kurze Zeit später. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden die Generalklauseln als "Einbruchsstellen" für das neue Rechtsdenken und das gesunde Volksempfinden in den geschlossenen Kreis des gesetzten, strengen Rechts gefeiert; umfassend dargestellt durch Rüthers: Die unbegrenzte Auslegung, insbesondere § 16f. Siehe auch den Aufsatz von Lange: Generalklauseln und neues Recht, JW 33, 2858 f. 198 § 242 BGB wurde vom Reichsgericht erstmals 1901 in seinem 48. Band, S. 139 (\44) erwähnt, dann wieder 1903 im 53. Band, S. 70 und 416. Den Weg zu der Generalklausel des § 242 BGB ebnete die Literatur. Bereits kurze Zeit nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches wurden die ersten Schriften verfaßt, die sich mit dem Prinzip von Treu und Glauben beschäftigten, so z.B. von Schneider, K.: Treu und Glauben im Civilprozesse und der Streit über die Prozeßleitung; Stammler: Die Lehre vom richtigen Recht; Wendt: Die exceptio doli generalis im heutigen Recht, AcP 100 (\906) Iff. 199 RGZ 58, 425 (428f.). 200 RGZ 61, 92 (94). 201 RGZ 85, 108 (\17).
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I. Teil: Vom fonnalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
Gerade die dramatischen Veränderungen nach dem ersten Weltkrieg veranlaßten die Gerichte, den Schutz bestimmter Gruppen von Vertragspartnem (insbesondere der Mieter und Arbeitnehmer) auszubauen. Weiterhin wurden bestimmte Vertragsarten, die sich durch eine besondere Art und Weise ihres Zustandekommens auszeichnen, durch die Gerichte als schützenswert angesehen. Dazu zählen insbesondere die Verträge, denen einseitig Allgemeine Geschäftsbedingungen zugrunde gelegt werden. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die sogenannte Aufwertungsrechtsprechung des Reichsgerichts. Dabei geht es inhaltlich um inflationsbedingte Äquivalenzstörungen 202 , durch die sich das Reichsgericht ab 1922 veranlaßt sah, von der Gleichung "Mark gleich Mark" (Nominalprinzip) abzurükken 203 und mit Hilfe des Grundsatzes von Treu und Glauben des § 242 BGB eine Aufwertung des Geldes vorzunehmen bzw. eine Auflösung des Vertrages herbeizuführen 204 . Diese Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Behandlung der Geldentwertungsproblematik wurde zunächst in offenem Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers entwickelt. Dieser antwortete darauf jedoch mit dem Aufwertungsgesetz 205 , durch das konkrete gesetzliche Vorgaben für die dadurch als zulässig angesehene Aufwertung von Forderungen gemacht wurden.
Dazu allgemein Jauernig/Vollkommer BGB § 242 Rn. 95. Siehe dazu auch das Plädoyer des Richtervereins beim Reichsgericht gegen ein Verbot der Aufwertung, welches von der Reichsregierung erwogen wurde, abgedruckt in JW 1924, S. 90. 204 Dabei handelte es sich ursprünglich um Kaufverträge, bei denen der Verkäufer die Ware noch zu beschaffen hatte. Das Reichsgericht billigte dem Verkäufer das Recht zu, den Käufer zu einer angemessenen Erhöhung der Gegenleistung aufzufordern [RGZ 100, 129 (BI ff.) unter Zuhilfenahme des Gedankens der clausula rebus sic stantibus]. In RGZ 103, 328 (332) verweist das Reichsgericht erstmals auf die Geschäftsgrundlage als den entscheidenden Gesichtspunkt für die Berücksichtigung veränderter Verhältnisse. Es komme darauf an, ob die Grundlage des Geschäfts im Sinne einer beim Geschäftsschluß zutage getretenen Vorstellung der Beteiligten über den Bestand gewisser maßgebender Verhältnisse hinfällig geworden sei. Später entschied es, daß der Gläubiger einer Darlehenshypothek wegen der starken Geldentwertung die Aufwertung seiner Hypothekenforderung beanspruchen könne [RGZ 107, 78 (87ff.)]. Dabei werde nach Meinung des Reichsgerichts nicht jede Hypothekenforderung ohne weiteres aufgewertet, sondern es komme auf die Umstände des Einzelfalles an. 20S Gesetz über die Aufwertung von Hypotheken und anderen Ansprüchen vom 16.7.1925, RGBI. I S. 117ff. 202
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2. Inhaltskontrolle in besonders schutzbedürftigen Bereichen a) Wohnungsmieterschutzrecht
Die vom Bürgerlichen Gesetzbuch vorgesehenen Vorschriften zum Schutze der Mieter waren fast ausnahmslos dispositiv ausgestaltet. Diese Tatsache wurde durch die großen Vermieterverbände schon bald nach Inkrafttreten des Gesetzes durch die Ausarbeitung von Mietvertragsformularen ausgenutzt, durch die die Rechte der Mieter bis an die zulässige Grenze beschränkt wurden. In Notzeiten mußte dieser Zustand zwangsläufig zu nicht mehr hinnehmbaren Verhältnissen führen 206 • Insbesondere die Gerichte wurden angesichts dieser nachteiligen Lage für die Mieter von Wohnraum gefordert, für ein ausgeglicheneres Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter zu sorgen. Dabei spielt die Tatsache eine Rolle, daß dem Wohnungsmietrecht auf Dauer ein soziales Moment eigen ist207 • Als Rechtsgrundlage der gerichtlichen Inhaltskontrolle von Mietverträgen dienten neben dem Zweck bestimmter gesetzlicher Vorschriften, der durch Auslegung ermittelt werden konnte, die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB und der Gedanke des Rechtsmißbrauchs 208 • Das Reichsgericht entschied beispielsweise im Jahre 1917, daß ein Vermieter aus § 538 BGB für einen Schaden haftbar gemacht werden kann, den nicht der Vertragspartner, sondern ein mit diesem zusammenlebender Angehöriger erleidet209 • Es entschied darüber hinaus, daß der Vermieter grundSätzlich aus dem Mietvertrag verpflichtet sei, die Mieter eines Hauses nicht durch Arbeiten an dem Grundstück zu schädigen, und daß er den durch schuldhafte Verletzung dieser Pflicht entstehenden Schaden zu ersetzen habe 21O • Der Mieter eines Ladens kann nach Meinung des Gerichts (in einem Urteil aus dem Jahre 1928) gegen den Vermieter Ansprüche geltend machen, wenn dieser einen anderen Laden, der in nächster Nähe zu dem zuerst genannten Laden liegt, einem Konkurrenten des Mieters überläßt211 . Weiterhin sind die Ansprüche des Mieters gegen den Vermieter aus § 537 BGB wegen eines Fehlers der Mietsache auch dann gegeben, wenn die vermieteten Räume dem Betrieb einer Gastwirtschaft dienen sollten und die Staudinger-Emmerich BGB Vorbem 3 ff. zu §§ 535, 536. Bettermann: Das Wohnungsrecht als selbständiges Rechtsgebiet, S. 37. Damit ist gemeint, daß bei Wohnraummietverträgen neben dem Gedanken der Austauschgerechtigkeit und der Respektierung des Willens beider Vertragsparteien das besondere Schutzbedürfnis des Wohnraummieters zu berücksichtigen ist, das sich aus der tatsächlichen Bedeutung des Mietverhältnisses für seine gesamte Existenz ergibt. 208 Fastrich: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 110. 209 RGZ 91, 21 (24). 210 RGZ (1921) 102,231 (233). 211 RGZ 119,353 (356). 206 207
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1. Teil: Vom fonnalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
Schankerlaubnis versagt wird, weil nach Zahl, Art, Lage und Entfernung der schon vorhandenen Betriebe kein Bedürfnis für die Erteilung vorliegt 212 . Diese Rechtsprechung des Reichsgerichts, die aus dem Zweck des bestehenden Mietrechts hervorging, wurde nach dem zweiten Weltkrieg fortgesetzt und weiter ausgebaut. Durch Gerichtsentscheidung wurde bestimmt, daß Familienangehörige i. S.d. § 569a BGB auch Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft sind, wenn die Wohnung den Mittelpunkt einer gemeinsamen Lebens- und Wirtschaftsführung darstellt213 . Dadurch wurde der Vermieter in seiner Abschlußfreiheit stark eingegrenzt. Ihm stehen plötzlich Mieter gegenüber, die vorher nicht Vertragspartner waren, und die er sich nicht selber aussuchen konnte. Stirbt der durch den Tod des ersten Mieters in das Mietverhältnis eintretende Mieter, hat wiederum einer seiner Familienangehörigen ein Eintrittsrecht. Aus dem ursprünglich mit einer Person abgeschlossenen Mietvertrag wird dann quasi ein endlos währendes Vertragsverhältnis, wenn nicht eine Kündigung ausgesprochen wird und diese auch durchgesetzt werden kann. Erwähnenswert erscheint auch die gerichtliche Praxis, die Gewährleistungsrechte des Mieters nach den §§ 537, 538 BGB immer weiter auszudehnen. Da den Vermieter eine gemäß § 537 Abs. 3 BGB zwingende verschuldensunabhängige Haftung trifft, kann der Mietzins kraft Gesetzes gemindert werden, wenn Störungen, z. B. Baulärm, Umweltsünden oder naturbedingte Gefahren, auftreten, die der Vermieter selber nicht verursacht, aber zu vertreten hat 214 . Daneben dienten wiederum die Generalklausein der gerichtlichen Inhaltskontrolle von Mietverträgen. So wurde die sofortige Mietvertragsauflösung bei Geburt eines Kindes als Sittenverstoß i. S. d. § 138 Abs. 1 BGB angesehen 215 und die Unwirksamkeit eines vertraglichen Ausschlusses des Besuchsrechts bzw. der zeitlichen Beschränkung desselben festgestellt 216 . Weiterhin kann durch eine überhöhte Mietzinsforderung der Tatbestand des § 138 Abs. 2 BGB erfüllt sein 217 . Zum Schutze des Mieters wird dann nicht der Mietvertrag als nichtig angesehen, sondern die Mietzinshöhe wird auf den höchstzulässigen Mietzins reduziert218 . Daneben findet gerade im Zusammenhang mit Schönheitsreparaturen eine Kontrolle des Inhalts eines RGZ (1930) 144, 176 (178). BGHZ 121, 116 = NJW 93, 999. 214 Siehe z. B. LG Kassel, NJW -RR 96, 1355 ff. zur Mietzinsminderung wegen Hochwassergefährdung; LG Mannheim, NJW-RR 96, 776ff. zur Mietzinsminderung bei AsbestfaseITÜckstand ohne konkrete Gesundheitsgefahr. 215 LG Mannheim, WuM 65, 95 ff. 216 LG Hagen, WuM 92, 430ff.; AG Nümberg, WuM 84, 295ff.; AG Wiesbaden, WuM 72, 46 ff. 217 Dann liegt u. U. auch der Tatbestand des Mietwuchers i. S.d. § 291 Abs. 1 Nr. 1 StGB vor. 218 BGHZ 89, 316 (320f.). Dazu unter § 7 V. 212 213
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Mietvertrages statt. Die Verpflichtung, Schönheitsreparaturen in größerem Umfang durchzuführen, ist demnach unzulässig 219 • Das Bundesverfassungsgerichts hat in neuerer Zeit jedoch auch die Rechte des Vermieters gestärkt. Es äußerte sich am 14.2.1989220 dahingehend, daß die Entscheidung des Eigentümers über seinen Wohn bedarf im Sinne des § 564b Abs. 2 Nr. 2 BGB grundsätzlich zu achten sei. Doch durch diese Entscheidung wurde der Mieter nicht schutzlos gestellt. Das angerufene Gericht muß sämtlichen, vom Mieter vorgetragenen Gesichtspunkten, welche Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Selbstnutzungswunsches begründen, nachgehen. Daneben hat der Grundsatz von Treu und Glauben des § 242 BGB eine generelle Bedeutung im Mietvertragsrecht. Danach beruht ein Mietverhältnis auf einem persönlichen Vertrauen, das jede Partei der anderen entgegen bringen muß. Vermieter und Mieter sind zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils verpflichtet. Dazu gehören Fürsorge-, Obhuts- und Schutzpflichten, die insbesondere deshalb eine Rolle spielen, weil es sich bei dem Wohnungsmietvertrag um ein Dauerschuldverhältnis mit besonderer Bedeutung für den Mieter handelt. Die Gerichte haben aus diesem allgemeinen Prinzip Fallgruppen entwickelt221 , die zu einem gerechten Interessenausgleich zwischen Vermieter und Mieter führen sollen 222 . Es bedarf dazu inzwischen nicht mehr eines besonderen Treueverhältnisses223 . Den Gerichten steht seit 1. April 1977 auch das AGB-Gesetz als gesetzliche Grundlage einer Inhaltskontrolle zur Verfügung. Mit seiner Hilfe wurde eine Vielzahl von Klauseln in einseitig vorformulierten Mietverträgen für unwirksam erklärt224 • Die Gerichte haben im Ergebnis das Recht der Vertragsfreiheit nicht so weit ausgestaltet, wie der Gesetzgeber dies durch die Vorschriften zur Mietzins höhe und zum Kündigungsschutz getan hat. Doch wurde der dadurch geschaffene Schutz durch einzelne Gerichtsurteile verfeinert und damit ausgebaut. Der Inhalt des Vertrages wird im Ergebnis der Vorstellung der Rechtsordnung von einem angemessenen Vertragsinhalt angepaßt. Die Gerichte konnten damit im Einzelfall für mehr Gerechtigkeit sorgen bzw. 219 LG Köln WuM 89, 506; siehe zu den Beispielsfällen Sternei: Mietrecht aktuell, Rn. 850ff. 220 BVerfGE 79, 292ff. = NJW 89, 970ff. = JA 89, 306ff. 221 Allgemein zu den Fallgruppen, die aus § 242 BGB entwickelt wurden, MünchKomm-Roth BGB § 242 Rn. 93 ff. 222 Soergei-Kummer BGB (11. Auflage) Vor § 535 Rn. 20; MünchKomm-Voelskow BGB §§ 535, 536 Rn. 5. 223 So aber noch Staudinger-Kiefersauer (11. Auflage) BGB § 535 Rn. 3. 224 Siehe dazu Soergel-Heintzmann BGB Vor § 535 Rn. 598 f.
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1. Teil: Vom fonnalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
Anforderungen aufstellen, die für eine Vielzahl von Mietverträgen zum Schutze des Mieters Beachtung verlangen. b) Arbeitnehmerschutz
Der Bereich des Arbeitsvertragsrechts stellt für den Richter besondere Anforderungen an eine Vertragskontrolle. Wegen der Bedeutung der Arbeit für die Erhaltung der eigenen Lebensgrundlage ist der Arbeitssuchende in besonders starkem Maße dem "stärkeren" Vertragspartner ausgesetzt. In der Praxis bedeutet das, daß der Arbeitssuchende in Zeiten, in denen Arbeit eine Mangelware darstellt, faktisch genötigt ist, die Bedingungen des Arbeitgebers anzunehmen, wenn er nicht insgesamt auf den Abschluß des Vertrages verzichten will. Zwar hat im Bereich des Arbeitnehmerschutzes der Gesetzgeber in den ersten Jahren seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches bis heute durch eine Vielzahl von zwingenden Vorschriften für einen gewissen Ausgleich zwischen den ungleichen Machtpositionen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gesorgt, doch dieser gesetzliche Schutz konnte nicht als abschließend angesehen werden. Den Gerichten kommt die Aufgabe zu, in den nicht gesetzlich geregelten Bereichen für eine gewisse Vertragsgerechtigkeit zu sorgen, indem der Vertrag auf seine Angemessenheit hin überprüft und notfalls korrigiert wird. Die richterliche Inhaltskontrolle im Bereich des Arbeitnehmerschutzes kann hier wegen ihres großen Anwendungsbereiches nur grob skizziert werden 225 • Die Gerichte haben zunächst auf § 138 BGB zurückgegriffen, um den Inhalt eines Arbeitsvertrages zu kontrollieren. Nach Meinung des BAG markiert § 138 BGB das unumgängliche rechtsethische Minimum, das eine Privatrechtsordnung, die auf dem Prinzip der Vertragsfreiheit beruht, gewährleistet226 . Das RAG erklärte im Jahre 1927 eine Wettbewerbsklausel in einem Arbeitsvertrag für sittenwidrig227 . Es entschied in einem anderen Fall, daß eine Vereinbarung, aus der sich im Falle einer Kündigung eines Arbeitnehmers für diesen erhebliche finanzielle Nachteile ergeben, sittenwidrig i. S. d. § 138 Abs. 1 BGB ist228 • Auch der Beweggrund oder der 225 Siehe umfassend zur Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht Preis: Grundfragen der Vertrags gestaltung im Arbeitsrecht; Hildebrandt: Disparität und Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht; Fastrich: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, § 8. 226 BAG (1963) AP Nr. 29 zu Art. 12 GG. 227 RAG Bensh. Samml. Band 1, Nr. 19, S. 64ff. 228 RAG (1930) Bensh. Samml. Band 8, Nr. 33, S. 163ff. Das RAG kommt im Ergebnis zu einer Nichtigkeit des gesamten Vertrages. Der Arbeitnehmer konnte unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung von dem Arbeitgeber für die tatsächlich geleisteten Dienste eine angemessene Vergütung fordern. Da der Arbeitnehmer selber gekündigt hatte, stand die Nichtigkeit des gesamten Vertrages seinen Interessen in diesem Fall nicht entgegen.
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Zweck einer Kündigung kann sittenwidrig sein und dann zu ihrer Nichtigkeit führen 229 • Der klassische Anwendungsbereich des § 138 BGB liegt bei der Frage der Äquivalenz, d. h. der Prüfung von Leistung und Gegenleistung 230 • So können viele Fälle der Sittenwidrigkeit im Bereich der Lohnvereinbarungen festgestellt werden. Das BAG entschied, daß ein Lohnwucher gemäß § 138 Abs. 2 BGB dann gegeben ist, wenn das Entgelt für eine Arbeitsleistung in auffälligem Mißverhältnis zur Dauer und Schwierigkeit der Arbeit steht231 • Ein Fall des § 138 Abs. 1 BGB liegt dann vor, wenn neben ein auffälliges Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung eine verwerfliche Gesinnung tritt232 . Die Gerichte sehen eine arbeitsvertragliche Vergütungsregelung auch dann als sittenwidrig an, wenn der Arbeitnehmer mit dem Betriebs- und Wirtschaftsrisiko des Arbeitgebers belastet wird 233 . Daneben gibt es die Fälle, in denen der Arbeitsvertrag bereits eine sittenwidrige Arbeitsleistung zum Gegenstand hat 234 . Das RAG griff daneben auch auf den Grundsatz von Treu und Glauben des § 242 BGB zurück, um so auf den Inhalt eines Vertrages einzuwirken. Dies geschah jedoch nur zu lasten des Arbeitnehmers 235 . Eine den Vertragsinhalt wesentlich gestaltende Inhaltskontrolle zum Schutze des Arbeitnehmers, die sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergeben kann, fand damit nicht statt. Auch das BAG äußerte sich zunächst selten zu einer Inhalts- bzw. Billigkeitskontrolle auf der Grundlage des § 242 BGB 236 . Die arbeitsrechtliche Inhaltskontrolle (in Abgrenzung zur Inhaltskontrolle nach Weiterhin RAG (1930) Bensh. Samml. Band 8, Nr. 88, S. 425 ff. Darin stellt das RAG die Sittenwidrigkeit eines Vertrages fest, durch den ein Arbeitnehmer seine Möbel dem Arbeitgeber zur Sicherheit übereignet. 229 RAG (1929) Bensh. Samml. Band 6, Nr. 27, S. 96ff. 230 MünchKomm-Mayer-Maly BGB § 138 Rn. 82; Preis: Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 177. 231 BAG AP Nr. 30 zu § 138 BGB. Das LAG Bremen entschied in einem Fall, daß ein Arbeitsvertrag über das Ausfahren von Brötchen, der so ausgestaltet ist, daß ein Arbeitnehmer nur einen Stundenlohn von 1,04 DM erzielen kann und zusätzlich noch die Transportkosten selber tragen muß, wegen Lohnwuchers nichtig ist, LAG Nr. 33 zu § 138 BGB. 232 So hatte sich ein Arbeitnehmer seine eigene Weiterbeschäftigung dadurch "erkauft", daß er sich im Gegenzug dazu verpflichtete, für die während seiner Tätigkeit eintretenden Verluste einzustehen. Er wurde somit mit dem Betriebs- und Wirtschaftsrisiko des Arbeitgebers belastet, was das BAG als sittenwidrig ansah, wenn dafür kein angemessener Ausgleich erfolgt; BAG AP Nr. 47 zu § 138 BGB. 233 BAG NJW 91, 860ff. (861). 234 So im Falle der Prostitution, BGH AP Nr. 35 zu § 138 BGB. 235 So hat es 1929 klargestellt, daß die Aufhebung eines Lehrvertrages bei außergewöhnlichen Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse möglich sein müsse und ein Zwang zur Erfüllung der nach §§ 157, 242 BGB gebotenen Rücksicht auf Treu und Glauben zuwiderlaufen würde, RAG Bensh. Samml. Band 6 Nr. 92, S. 372ff.
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dem AGB-Gesetz, das die Anwendung auf das Arbeitsrecht ausdrücklich in § 23 Abs. 1 AGBG ausschließt) wurde jedoch in den letzten Jahren vermehrt durchgeführt237 . Das BAG ließ es dahinstehen, ob sich die richterliche Kontrolle zur Vermeidung eines Mißbrauchs der Vertragsfreiheit allgemein aus § 242 BGB oder aus § 315 BGB ergibt238 . Es entschied, daß eine Kündigung gegen das aus § 242 BGB hergeleitete Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstoßen könne 239 . Weiterhin sei eine Kündigung zur Unzeit240 und in verletzender Form nach dem aus § 242 BGB hergeleiteten Grundsatz von Treu und Glauben unzulässig. Das BAG hat weiterhin unter dem Eindruck der Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts24I eine Kündigung innerhalb der Probezeit für rechtsmißbräuchlich im Sinne des § 242 BGB erklärt, wenn der Arbeitgeber "unter Ausnutzung der Privatautonomie" den Arbeitnehmer innerhalb der Probezeit nur wegen seines persönlichen (Sexual-) Verhaltens kündigt242 . Das BAG macht in dieser Entscheidung die allgemein gültige Aussage, der aus § 242 BGB hergeleitete Grundsatz von Treu und Glauben bilde eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung, wobei eine dagegen verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage wegen einer Rechtsüberschreitung als unzulässig angesehen werde. Die unzulässige Handlung entfaltet damit keine rechtliche Wirkung. Es wurde daneben versucht, eine Inhaltskontrolle aus dem aus § 242 BGB abgeleiteten Gedanken der Fürsorgepflicht herzuleiten 243 . Inhaltlich besagt diese, daß der Arbeitgeber verpflichtet ist, sich für den Arbeitnehmer einzusetzen, ihm Schutz und Fürsorge zuteil werden zu lassen sowie Schädigungen des Arbeitnehmers zu unterlassen und zu verhindem 244 . Doch die Fürsorgepflicht umschreibt nur die jedem Vertragsverhältnis immanenten Nebenpflichten der Rücksichtnahme, des Schutzes und der 236 Die Arbeitsrechtsprechung ignorierte damit die Entwicklung, die sich beim BGH auf dem Gebiet der Inhaltskontrolle von Formularverträgen und allgemeinen Geschäftsbedingungen seit 1956 auf der Grundlage des § 242 BGB abspielte. Es gab nur wenige Hinweise in der Rechtsprechung zumeist des 3. Senats des BAG in den Jahren 1969 und 1970, die den Ausgangspunkt einer Billigkeitskontrolle bildeten (so z.B. BAG 21, 284; BAG 22, 189; BAG 22,252). 237 So BAG AP Nr. 12 zu § 339 BGB; BAG AP Nr. 1 zu § 241 BGB; BAG AP Nr. 1 zu § 611 BGB Arbeitnehmerdarlehen; BAGE 75, 133ff. 238 BAGE 75, 133 ff. (140). 239 BAG NJW 72, 1878ff. 240 BAG AP Nr. 5 zu § 242 BGB Kündigung. 241 BVerfG 89, 214 =NJW 94, 36 =ZIP 93, 1775. 242 BAG AP Nr. 9 zu § 242 BGB Kündigung = AP Nr. 51 zu § 138 BGB. 243 BAG AP Nr. 22 zu § 611 BGB Gratifikation; Niklisch, Anm. zu BAG AP Nr. 22, 23 zu § 611 BGB Gratifikation; Hueck, Anm. zu BAG AP Nr. 27 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 244 Hueck/Nipperdey: Lehrbuch des Arbeitsrechts, Erster Band, S. 390.
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Förderung des Vertragszweckes, die um so stärker sind, je intensiver die Leistung des anderen in Anspruch genommen wird 245 . Das BAG lehnte deshalb frühzeitig eine Überstrapazierung des Fürsorgegedankens ab 246 . Die Gerichte haben im Ergebnis neben der Gesetzgebung in vielfältiger Weise versucht, das fast zwangsläufig bestehende Ungleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auszugleichen. Da das Dienstvertragsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch nur ansatzweise geregelt wurde, mußten die Gerichte für eine Inhaltskontrolle auf die Generalklauseln zurückgreifen. c) Richterliche Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen -
Aufwertung des dispositiven Rechts
Historisch gesehen sind Allgemeine Geschäftsbedingungen ein Kind der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts 247 . Mit dem Aufkommen der Serienproduktion von Waren und Leistungen ging gleichzeitig eine Standardisierung vertraglicher Bedingungen einher248 . Die Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen bringt den Benutzern vielfältige Vorteile, denen jedoch erhebliche Nachteile für den Vertragspartner entgegenstehen249 . Die typischerweise durch Allgemeine Geschäftsbedingungen vorgenommene Risikoverteilung würde dann noch keinen Grund zur Sorge bieten, wenn deren Einbeziehung in den Vertrag auf einer freien und eigenverantwortlichen Entscheidung des Kunden beruhen würde, der die Konsequenzen seines Verhaltens überblickt und deshalb auch für sie einzustehen hat. Dann würde sich durch die grundsätzlich bestehende Vertragsfreiheit automatisch eine gewisse Vertragsgerechtigkeit einstellen25o • In der Praxis besteht Preis: Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 190. BAG GS v. 12.10.60 AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; BAG GS v. 10.11.61 AP Nr. 2 zu § 611 BGB Gefährdungshaftung des Arbeitgebers. 247 Siehe dazu Pohlhausen: Zum Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen im 19. Jahrhundert. 248 MünchKomm-Kötz Ein!. AGBG Rn. 1. 249 Die Vorteile der Benutzung Allgemeiner Geschäftsbedingungen liegen auf der Hand. Ihre Verwendung dient der Rationalisierung des Geschäftsablaufs. Der Zeitbedarf beim Aushandeln eines Vertrages wird drastisch gesenkt, die "Transaktionskosten" werden deutlich vermindert. Sie dienen ebenso der Lückenausfüllung, indem sie die im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht geregelten Vertragstypen ausgestalten können. Daneben können unzweckmäßige Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches durch Neuregelungen fortentwickelt werden. Wichtigster Zweck der Nutzung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen für den Verwender ist die Risikoabwälzung. Dadurch werden die Rechte des Kunden so weit wie möglich begrenzt. Siehe dazu Palandt-Heinrichs Einf v AGBG, Rn. 2f.; Ulmer/Brandner/Hensen: AGB-Gesetz, Ein!. Rn. 3; BT-Drucksache 7/3919 S. 9. 250 Raiser: Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 15. 245
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jedoch eine große Gefahr für die Kunden, weil sie sich den meist unfairen Vertragsklauseln regelrecht "unterwerfen", indem sie die von dem Unternehmer aufgestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen widerspruchslos hinnehmen 251 • Aus einer ursprünglich vorgesehenen gemeinsamen Willensbildung beider Vertragsparteien wird ein mehr oder weniger freiwilliges Sicheinlassen auf ein in seinen rechtlichen Folgen oftmals nicht zu übersehendes Vertragsverhältnis. Raiser nennt dies die Entpersönlichung des Vertrages 252 • Bei Streitigkeiten zwischen den Vertragspartnern eines so zustande gekommenen Vertrages stellte sich den Gerichten schon frühzeitig die Frage, wie sie auf das daraus resultierende Ungleichgewicht reagieren sollten. aa) Noch vor Erlaß des Bürgerlichen Gesetzbuches sah das Reichsgericht "mangels einer gesetzlichen Einschränkung der Vertragsfreiheit" keine Möglichkeit, Parteivereinbarungen im allgemeinen zu überprüfen 253 . bb) Doch die Gerichte kamen schon wenige Jahre später zu der Überzeugung, daß diese ungleiche Machtverteilung zwischen den Vertragspartnern kompensiert werden müßte. Im Vordergrund stand dabei zunächst nicht das individuelle Interesse der schwächeren Vertragspartei, sondern das Gemeininteresse an einer ausgeglichenen, fairen Wirtschaft. Nach Meinung Raisers sind derartige Allgemeine Geschäftsbedingungen sozialschädlich und darum zu bekämpfen254 . Der Schutz des einzelnen war daneben zunächst nur eine Randerscheinung. Das Reichsgericht ging gegen diese Mißstände mit seiner sogenannten Monopolrechtsprechung vor. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung war das Urteil vom 8. Januar 1906255 • Es knüpfte eine Angemessenheitsprüfung von Vertrags bedingungen, namentlich Freizeichnungsklauseln, an die mißbräuchliche Ausnutzung monopolartiger Machtstellungen. Gemäß der Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB wurde diese Vertragsbedingung als sittenwidrig verworfen, wenn sie dem Vertragspartner unbillige, unverhältnismäßige Opfer abverlangte 256 . Bei Bestehen eines Monopols läge nach 251 MünchKomm-Kötz Einl. AGBG Rn. 3. Siehe dort auch eine Zusammenfassung der Gründe dieser Unterwerfung. 252 Raiser: Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 18. 253 Urteil des Reichsgerichts vom 16.8.1883, RGZ 11, 100 (110). 254 Raiser: Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 94. 255 RGZ 62, 264. 256 Siehe auch RGZ 99, 107; 103, 82; 115, 218; 168, 321. Bereits vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches nahm das Reichsgericht in seinem Urteil vom 11.2.1888 (RGZ 20, 115) zu diesem Problemkreis Stellung. Es bejahte einen Verstoß gegen die guten Sitten, wenn die Haftung eines Frachtführers durch Vertrag beschränkt wurde und dem Publikum die Möglichkeit anderweitiger Wahrnehmung seiner Interessen nicht geboten wurde. Hier klang schon sehr früh die Meinung des
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Meinung des Gerichts eine solche Machtungleichgewichtslage vor, daß man nicht mehr von einer freien Selbstbindung im Sinne der Vertragsfreiheit sprechen könne 257 • Die Instanzgerichte folgten der Meinung des Reichsgerichts. Auch sie reagierten im Ergebnis sehr zurückhaltend auf die Möglichkeit, Vertragsklauseln oder gesamte Verträge aufgrund des § 138 BGB für nichtig zu erklären 258 . Bei der Verwerfung des Vertrages als sittenwidrig kam es demnach zunächst einmal auf die Art des Zustandekommens an, d. h. der "stärkere" Vertrags partner mußte ein eigenes Monopol bewußt ausnutzen, um den "schwächeren" Vertragspartner zu einem für ihn nachteiligen Vertragsschluß zu drängen. Primär kam es demnach nicht auf den Inhalt des Vertrages an. Dann erst wurde der ganze Vertrag auf seine Sittenwidrigkeit, d. h. auf das Vorliegen nicht hinnehmbarer Nachteile hin untersucht. Da sehr hohe Anforderungen an die Sittenwidrigkeit gestellt wurden und ein Monopolmißbrauch nur unter engen Voraussetzungen angenommen wurde, war der Schutz der Vertragspartei des Verwenders von Allgemeinen Geschäftsbedingungen nur rudimentär ausgebildet 259 • Die Monopolrechtsprechung wurde dann durch das Reichsgericht weiter präzisiert260, ohne den Schutz der schwächeren Vertragspartei wesentlich zu erhöhen 261 • Erst einige Jahre später löste sich das Reichsgericht von seiner Reichsgerichts an, daß bei Ausnutzung einer wirtschaftlichen Macht- oder Monopolstellung eine freiwillige Übereinkunft der Vertragspartner in Frage gestellt werden müsse. 257 Fehl: Systematik des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 52. 258 Raiser: Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 307. 259 Darin kommt noch jener Geist der Zuversicht in die ordnende und ausgleichende Kraft des Wettbewerbs zum Ausdruck (siehe dazu Raiser: Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 278). Charakteristisch ist die Aussage des I. Senats des Reichsgerichts von 1922 (RGZ 104, 98 (101»: Daß grundsätzlich jeder Verkäufer bei allen Kaufgeschäften, die im freien Handel abgeschlossen werden, in der Aufstellung seiner Verkaufsbedingungen vollkommen freie Hand hat, kann einem Zweifel nicht unterliegen. 260 RGZ (1921) 103,82; RGZ (1926) 115,218; RGZ (1927) 117, 102. 261 Die Schwächen liegen auf der Hand. Wenn die Gerichte die Hürde der Bejahung der Monopolstellung eines Betriebes genommen hatten, setzte der § 138 BGB weitere Schranken. Als subjektive Voraussetzung war das Bewußtsein eines Sittenverstoßes erforderlich. Das Reichsgericht (RGZ 150, 1 (2» führte aus, daß ein Rechtsgeschäft dann nach § 138 BGB für sittenwidrig zu erklären sei, wenn Leistung und Gegenleistung in auffälligem Mißverhältnis zueinander stehen und beim Fehlen der übrigen Merkmale des Wuchers nach § 138 Abs. 2 BGB - eine solche Gesinnung des die übermäßigen Vorteile beanspruchenden Teils festzustellen ist, die darauf abzielt, daß das Rechtsgeschäft nach Inhalt, Beweggrund und Zweck gegen das gesunde Volksempfinden verstößt. Weiterhin war auch die Tatsache problematisch, daß die Gerichte bei der Frage der Sittenwidrigkeit nicht zwischen Massen- und Individualverträgen trennten. Beide Vertragsarten unterscheiden sich aber 5 Knobel
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strengen, ausschließlich an § 138 BGB orientierten Monopolrechtsprechung und betonte, daß Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht nur auf ihre Vereinbarkeit mit § 138 BGB zu überprüfen seien, sondern daß auch der § 242 BGB der Geltendmachung solcher Bedingungen entgegenstehen könne 262 . Damit leitete das Gericht eine Überprüfung Allgemeiner Geschäftsbedingungen an hand der Einseitigkeit ihrer Aufstellung ein 263 . Die Fälle, in denen das Reichsgericht § 242 BGB zur Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen einbezog, blieben jedoch begrenzt. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben wurde nur selten bejaht. Der BGH folgt zunächst der Rechtsprechung des Reichsgerichts, ging dann aber weit darüber hinaus. Er verzichtete seit 1962 bei der gerichtlichen Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf das Vorliegen einer Monopolstellung 264 • Darüber hinaus wurde die Rechtsprechung zu der Wirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen immer weiter ausgebaut. So stellte der BGH 1976 fest, daß die von ihm aufgestellten Grundsätze nicht auf bestimmte Personengruppen beschränkt seien, sie also auch Kaufleuten zugute kommen könnten 265 . Allgemein wurde als Leitlinie herausgedurch andersartige Interessenlagen. Die Gefahr einer Fremdbestimmung ist bei Massenverträgen unzweifelhaft größer als bei Individualverträgen, bei denen beide Vertragsparteien die Vertragsbedingungen individueJl aushandeln können. Besondere Bedeutung gewinnt diese Tatsache im Bereich der Wirtschafts verbände, in deren Wirkungskreis oftmals AJlgemeine Geschäftsbedingungen für ganze Wirtschaftszweige einheitlich aufgesteJlt wurden (Fehl: Systematik des Rechts der AJlgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 63). Im Gegensatz zu Monopolbetrieben wurde die Gefahr, die von nur monopolartigen Unternehmen ausgehen kann, die eine wirtschaftlich dominierende MachtsteJlung innehaben, unterschätzt. 262 RG DR 41, 1726ff., Nr. 9. Das Reichsgericht führte dazu aus, daß insbesondere bei einem Streit über die Auslegung von Freizeichnungsklauseln die Erfordernisse von Treu und Glauben berücksichtigt werden müßten. 263 Das Reichsgericht steJlte fest, daß sich der Abschluß von Verträgen unter Bezugnahme auf Allgemeine Geschäftsbedingungen kaum noch als echte vertragliche Vereinbarung darsteJle, sondern eher als eine Unterwerfung unter eine fertig bereitliegende Rechtsordnung, und es komme weniger darauf an, was dem in diese Rechtsordnung freiwillig Eintretenden im einzelnen von ihrem Inhalt bekannt sei (RG DR 41, 12 10 ff.). Das Gericht rückte damit die quasi normative Qualität des Vertrages in den Vordergrund. 264 BGH NJW 63, 99f. Danach entbehrte ohne Rücksicht auf das Vorliegen eines Monopols eine Haftungsausschluß- sowie eine Haftungsbegrenzungsklausel der Rechtswirksamkeit, wenn sie bei Abwägung der Interessen der normalerweise an solchen Geschäften beteiligten Kreise der Billigkeit i. S.d. § 242 BGB widersprechen. Da Allgemeine Geschäftsbedingungen von einer Vertragspartei einseitig aufgesteJlt werden und sie nur deshalb Vertragsbestandteil werden, weil sich die andere Partei diesen unterwirft, kann sich das Einverständnis dieser Partei nur auf die Bedingungen beziehen, mit deren Aufstellung billiger- und gerechterweise gerechnet werden kann. Außerdem komme der in § 315 BGB enthaltene Schutzgedanke zum Zuge.
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arbeitet, daß Allgemeine Geschäftsbedingungen regelmäßig so aufzustellen seien, daß die Interessen bei der Parteien ähnlich wie im "verdrängten" dispositiven Recht berücksichtigt werden. Eine Abweichung von der dem positiven Recht zugrundeliegenden Interessenbewertung sei nur zulässig, wenn ein sachlicher Grund dies rechtfertige 266 • Diese Leitlinien der Rechtsprechung eröffneten einen ganz erheblichen Wertungsspielraum. Dem Aufsteller von Allgemeinen Geschäftsbedingungen fiel es damit schwer, die Zulässigkeitsgrenzen zu erkennen. Eine Inhaltskontrolle alleine durch die Gerichte konnte auf Dauer keine Lösung des Problems sein. Insbesondere die reine inter-partes-Wirkung der Urteile konnte keine Klarheit im Einzelfall schaffen. Die Gerichte, die eine Inhaltskontrolle von Verträgen nur anhand einer Generalklausel wie § 242 BGB durchführen konnten, waren überfordert, da sie rechtspolitische Entscheidungen von großer Tragweite treffen mußten, denen ohne Leitbild durch den Gesetzgeber die demokratische Legitimation fehlte 267 . Aus diesem Grund wurde das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen 268 geschaffen, das am 1. April 1977 in Kraft trat269 • Das Gesetz knüpft in weiten Bereichen, zum Teil mit einigen Änderungen, an die Ergebnisse der richterlichen 265 BGH NJW 76, 2345 f. Der BGH begründete die verstärkte Inhaltskontrolle von Verträgen mit der einseitigen Inanspruchnahme des Rechts, den Inhalt der Verträge zu gestalten. Das dispositive Recht werde ersetzt mit der Folge, daß die Möglichkeit des Vertragspartners, seine Interessen wahrzunehmen und auf den Inhalt des Vertrages Einfluß zu nehmen, verkürzt würde. Ihm bleibe dadurch nur noch die Abschluß-, nicht mehr die Gestaltungsfreiheit. Das dispositive Recht enthalte für jeden Vertragstyp einen an der Gerechtigkeit orientierten Ausgleich der Interessen der Vertragspartner. Die gesetzliche Regelung könne deshalb nur dann durch Allgemeine Geschäftsbedingungen ersetzt werden, wenn diese eine dem Gesetz vergleichbare Güterabwägung enthalten und keine der Billigkeit widersprechende mißbräuchliche Verfolgung einseitiger Interessen auf Kosten des Geschäftspartners bedeute. Die wirtschaftliche Überlegenheit und größere Geschäftserfahrung des einen Vertragspartners sei oft der Grund für die Zugrundelegung unbilliger Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Eine solche Ungleichgewichtslage sei aber auch zwischen Kaufleuten möglich. Aus diesem Grund verzichte der BGH darauf, ein wirtschaftliches oder intellektuelles Übergewicht auf Seiten des Aufstellers von Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder die Schutzbedürftigkeit des anderen Vertragspartners festzustellen. 266 BGHZ 41, 151 (154). 267 Rehbinder: Allgemeine Geschäftsbedingungen und die Kontrolle ihres Inhalts, S.34. 268 Vom 9.12.1976, BGBl. I S. 3317. 269 Eine verstärkte Diskussion über eine gesetzliche Grundlage setzte aufgrund des Berichts der Bundesregierung zur Verbraucherpolitik vom 18.10.1971 (BTDrucksache 7/2724 S. 8) ein. Darin wurde ausdrücklich auf die Notwendigkeit eines wirksamen Schutzes der Verbraucher gegen unangemessene Vertragsbedingungen hingewiesen und eine amtliche Untersuchung dieser Fragen angekündigt. Zur weiteren Entwicklung siehe Ulmer/Brandner/Hensen: AGB-Gesetz Einl. Rn. 12ff.
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Rechtsfortbildung an 270 . Zugleich wurden wesentliche Verbesserungen und Ergänzungen vorgenommen 271 . Damit wurde eine gewisse Rechtssicherheit auf dem Gebiet der Benutzung Allgemeiner Geschäftsbedingungen geschaffen. Durch das Gesetz ergeben sich zwingende Voraussetzungen für deren Nutzung, um eine mißbräuchliche Verfolgung einseitiger Interessen auf Kosten des anderen Vertragspartners zu verhindern, die bei Abwägung der Interessen aller Beteiligten der Billigkeit widersprechen würden 272 • Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und des BGH sowie das AGBGesetz haben im Ergebnis die immanenten Schranken der sich aus dem Recht der Vertragsfreiheit ergebenden Möglichkeiten zur Nutzung Allgemeiner Geschäftsbedingungen aufgezeigt. Allgemeine Geschäftsbedingungen dürfen damit grundsätzlich nicht zu einer Umgehung zwingender Rechtssätze führen 273 • Die Gerichte konnten dabei vor Inkrafttreten des AGBGesetzes auf die Grundsätze zurückgreifen, die sich allgemein aus den §§ 138 und 242 BGB für die gesamte Rechtsordnung ergeben. Wenn in Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Vorschriften des dispositiven Rechts abgewichen wurde und diese Vorschriften nicht nur aus Zweckmäßigkeitserwägungen aufgestellt wurden, sondern ein sich aus der Natur der Sache ergebendes Gerechtigkeitsgebot verkörperten, bedurfte es besonderer Gründe, um diese Abweichung als mit Recht und Billigkeit vereinbar erscheinen zu lassen. Je stärker der Gerechtigkeitsgehalt der dispositiven Norm ist, desto strenger mußte der Maßstab sein, an dem die Abweichung von dem Grundsatz von Treu und Glauben gemessen wurde 274 . Seit 1977 gibt das AGBGesetz Hilfestellungen bei der Inhaltskontrolle von Verträgen 275 . Gemäß § 8 Siehe dazu im einzelnen bei Ulmer/Brandner/Hensen: AGB-Gesetz. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß das vom Bürgerlichen Gesetzbuch angestrebte Ziel der diesem zugrunde liegenden Vertragsfreiheit, nämlich Vertragsgerechtigkeit zu schaffen, in den Fällen nicht erreicht werde, in denen die Vertragsfreiheit zum Erlaß von Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch den Vertragspartner ausgenutzt werde, der sich in einer stärkeren Position befinde. Diese Entwicklung der durch den Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Vertragsfreiheit sei aber durch den sozialen Rechtsstaat nicht hinnehmbar. Die Wertentscheidung für die rechtsgeschäftIiche Selbstbestimmung des Individuums als Teil der freien Persönlichkeitsentfaltung einerseits und die soziale Staatszielbestimmung der Verfassungsordnung andererseits verlangten, dem inzwischen weit verbreiteten Mißbrauch der Gestaltungsfreiheit im Privatrechtsverkehr entgegenzutreten. Es sei deshalb Pflicht des Staates, diese Rechtsmaterie zum Schutz der benachteiligten Vertragspartner zu regeln. Siehe dazu BT-Drucksache 7/3919 S. 9. 272 BGHZ 70, 304 (310). 273 BGHZ 22, 90 (94ff.). 274 BGHZ 41, 151 (154). Den Gedanken äußerte bereits Raiser in: Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 293. Er wurde dann vom BGH aufgegriffen. 27S Im Vorfeld des Gesetzes herrschte Streit über dessen Schutzzweck. Fraglich war, ob das AGB-Gesetz zum Schutze des schwächeren Vertragspartners erlassen 270 271
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AGBG werden Allgemeine Geschäftsbedingungen gerade dann auf ihren Inhalt hin kontrolliert, wenn sie eine Abweichung von dispositiven Normen darstellen. Grundsätzlich ist eine solche Abweichung zulässig (im Gegensatz zum zwingenden Recht, hier kommt aber eine Abweichung von der durch sie verkörperten Wertung in Betracht276 ). Doch haben die dispositiven Regelungen eine Leitbildfunktion für das, was als angemessene Regelung bezeichnet werden kann 277 • Nach dieser Aussage wurde § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG formuliert. Danach ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Vertragsbestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Daneben dient auch das ungeschriebene Recht als Leitbild. Der BGH hat demgemäß den Maßstab der Inhaltskontrolle an allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die durch Auslegung, Analogie und Rechtsfortbildung aus den gesetzlichen Vorschriften hergeleitet werden können, ausgerichtet 278 . Den Grundsatz der Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen stellt die Generalklausel des § 9 AGBG 279 dar. §§ 10 und 11 AGBG beinhalten eine Zusammenstellung unwirksamer Klauseln, die in der Praxis häufig vorkommen. Die Stärkung des Schutzes der schwächeren Vertragspartner geht seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen weiter28o • Auf der Grundlage des vorhandenen werden sollte (und damit die Ungleichgewichtslage zwischen dem Verwender und seinem Vertragspartner ausgeglichen werden sollte), oder ob es dazu dienen sollte, die einseitige Ausnutzung der von dem Verwender in Anspruch genommenen Vertragsgestaltungsfreiheit zu verhindern. In Fortsetzung der bis dahin bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung (siehe dazu besonders BGH NJW 76, 2345 (2346) m. w. N.) und in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung in der Literatur (Heinrichs: Der Rechtsbegriff der AGB NJW 77, 1505ff.; Hensen: Das AGB-Gesetz, JA 81, 133ff.; Staudinger-Schlosser AGBG § 1 Rn. 29) wurde der Schutzzweck darauf gerichtet, den mit der Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen typischerweise, unabhängig von der MarktsteIlung des Verwenders, verbundenen Gefahren für den Kunden entgegenzutreten (siehe dazu auch Ulmer/ Brandner/Hensen: AGB-Gesetz Ein\. Rn. 28ff.). 276 Fastrich: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 284. 277 BGHZ 54, 106 (109); 60, 377 (380); BGH NJW 84, 2404 (2405). Dazu auch Schmidt-Salzer: Allgemeine Geschäftsbedingungen F. 37 ff.; Fastrich: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, § 10 H. 278 BGHZ 89, 206 (211); 6, 103 (109); 100, 157 (163). 279 Zum Verhältnis des § 9 AGBG zu den vormals von der Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle benutzen Generalklauseln der §§ 138 und 242 BGB siehe Ulmer/ Brandner/Hensen: AGB-Gesetz § 9 Rn. 32ff. 280 Es wurde beispielsweise eine Richtlinie des Rates über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (Amtsblatt EG Nr. L 95 vom 21.5.1993, S. 29ff. = NJW 93, 1838) geschaffen. Diese stellt den Beginn eines gesamteuropäischen AGBRechts dar (dazu Kiendl: Gesamteuropäisches AGB-Recht in: Jahrbuch Junger Zi-
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1. Teil: Vom formalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
Schutzes ist der Gesetzgeber und sind die Gerichte in der Lage, weitere Fallgruppen zu entwickeln, in denen auf die Übermacht der einen Vertragspartei reagiert werden muß. Es liegt inzwischen eine fast unüberschaubare Kasuistik vor. Doch ist die Tendenz der Gerichte eindeutig. Der Verwender soll die Vorteile einer Benutzung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht einseitig ausnutzen können, um damit ein Vertragsverhältnis zu schaffen, welches unter Abweichung von wesentlichen Rechtsgrundsätzen zustande kommt. d) Konkretisierung des Schutzes durch § 242 BGB
Die Messung eines Vertrages an dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB hat die Gerichte über diese besonders schutzwürdigen Bereiche hinaus dazu veranlaßt, bestimmte Fallgruppen herauszuarbeiten, in denen aufgrund eines Ungleichgewichts zwischen den Vertragsparteien ein Eingreifen in einen geschlossenen Vertrag als erforderlich erscheint281 . Insbesondere kann über den ausdrücklichen Vertragsinhalt hinausgehend von einer Vertragspartei die Erfüllung bestimmter Nebenpflichten 282 verlangt werden. Hier wird also nicht der Inhalt eines Vertrags abgeändert, sondern durch weitere Bestandteile ergänzt. Ein weiterer wichtiger Bereich der gerichtlichen Inhaltskontrolle von Verträgen, in dem mit Hilfe des Grundsatzes von Treu und Glauben des § 242 BGB eine unterschiedliche Machtposition zwischen den Vertragsparteien ausgeglichen werden kann, ist derjenige der unzulässigen Rechtsausübung. Dabei geht es darum, daß eine Vertragspartei zwar gewisse Rechte aus einem wirksamen Vertrag herleiten kann, die Ausübung derselben im Einzelfall aber als rechtsmißbräuchlich erscheint. Aus diesem Grund verweigert die Rechtsordnung dem Gläubiger im Einzelfall die Durchsetzung seiner Forderung 283 • vilrechtswissenschaftler 1995, S. 195 ff. (196». Die Richtlinie weicht in einigen Teilen von dem AGB-Gesetz ab. So soll sie nur auf Verbraucherverträge anwendbar sein. Desweiteren wird der Schutz des schwächeren Vertragspartners durch eine Ausdehnung der Inhaltskontrolle auf Einzelvertragsklauseln erweitert. Da die Richtlinie bis zum 31.12.1994 hätte umgesetzt werden müssen, dies aber nicht rechtzeitig geschah, wurde sie ab 1.1.1995 zunächst einmal durch richtlinienkonforme Auslegung des bereits vorhandenen AGB-Gesetzes in das deutsche Recht transformiert. Inzwischen wurde das AGB-Gesetz teilweise abgeändert (so z. B. § 12 AGBG) bzw. ergänzt (es wurde § 24a AGBG eingefügt). Durch diese Veränderung des Inhalts des AGB-Gesetzes wurde der Schutz der Verbraucher verstärkt. Siehe dazu auch Lorenz, Egon (Hrsg.): Karlsruher Forum 1997 (VersR-Schriften 3). 281 Allgemein dazu Soergel-Teichmann BGB § 242 Rn. 65 ff. 282 So z. B. Aufklärungs-, Auskunfts-, Vorlegungs- und Einsichtsgewährungs-, Mitwirkungs-, Schutz- und Leistungstreuepflichten; siehe dazu Jauemig/Vollkommer BGB § 242 Rn. 19 ff.
§ 3 Herausbildung einer richterlichen Inhaltskontrolle von Verträgen
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3. Die Generalklauseln des BGB als rechtliches Werkzeug zur Inhaltskontrolle von Verträgen a) Treu und Glauben des § 242 BGB Das in der Generalklausel des § 242 BGB enthaltene Prinzip von Treu und Glauben dient allgemein gesprochen der Rechtsfortbildung durch die Gerichte. § 242 BGB enthält einen sogenannten offenen Tatbestand. Der darin enthaltene Grundsatz von Treu und Glauben stellt eine immanente Grenze vertraglicher Gestaltungsmacht dar284 und kann im Einzelfall durch wertende Konkretisierung zu mehr Vertragsgerechtigkeit führen 285 . Der Grundsatz von Treu und Glauben des § 242 BGB bietet den Gerichten damit die Möglichkeit, auf unterschiedliche Fallkonstellationen durch differenzierte Rechtsfolgen zu reagieren 286 . Dabei kann er weit interpretiert werden 287 . Die Rechtsprechung hat durch Bildung von Fallgruppen Kriterien für eine unbestimmte Anzahl gleichgelagerter Fälle aufgestellt288 , um dem Prinzip der Rechtssicherheit Rechnung zu tragen. Damit wird deutlich, daß § 242 BGB dem Richter dort keine Ermächtigung zur Billigkeitskontrolle im Einzelfall gibt, wo besondere gesetzliche Regelungen den Interessenkonflikten bereits Rechnung tragen 289 . Es besteht somit Einigkeit darüber, daß der Grundsatz von Treu und Glauben, der sich aus § 242 BGB ergibt, die Befugnis zu einer richterlichen Inhaltskontrolle von Verträgen begründet. Er dient damit dem Schutz des unterlegenen Vertragspartners 290 .
b) Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB § 138 BGB nimmt ebenfalls eine lückenfüllende Funktion ein. Er legitimiert die Gerichte zur Rechtsfortbildung 291 , wenn der Rechtsschutz nicht vollständig ist. Der dabei den Gerichten zugebilligte äußere Rahmen der Rechtsfortbildungsmöglichkeiten wird nicht einheitlich bewertet. Zum Teil wird die Meinung vertreten, daß § 138 BGB den Schutz von Rechtsge283 Darunter fällt als erstes die mißbräuchliche Rechtsausübung. Hinzu kommt das unredliche frühere Verhalten und das widersprüchliche Verhalten (venire contra factum proprium), siehe dazu im einzelnen bei Jauernig/Vollkommer BGB § 242 Rn. 32ff. 284 Fastrich: Richterliche Inhaltskontrolle von Verträgen, S. 70ff. 285 Jauernig/Vollkommer BGB § 242 Rn. 3. 286 JauerniglVollkommer BGB § 242 Rn. 8. 287 Jauernig/Vollkommer BGB § 242 Rn. 1. 288 MünchKomm-Roth BGB § 242 Rn. 14. 289 BGH NJW 85, 2579ff. (2580). 290 Larenz/Wolf: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 41 I la, S. 743. 291 Soergel-Hefermehl BGB § 138 Rn. 5.
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I. Teil: Vom formalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
schäften auf Extremfalle begrenzt292 . Danach kann also nicht bei jeder scheinbaren Äquivalenzstörung der Inhalt eines Vertrages durch ein Gericht auf seine mögliche Sittenwidrigkeit hin untersucht werden. Entgegen dieser Meinung muß man jedoch davon ausgehen, daß die Generalklausel des § 138 BGB eine umfassende Regelung aller rechtlich zu mißbilligenden Handlungen darstellt 293 . Von Sittenwidrigkeit kann man nicht erst bei "Unerträglichkeit", sondern muß man bereits bei "Ungerechtigkeit" sprechen 294 • § 138 BGB, der "die guten Sitten" als Maßstab jedes Rechtsgeschäfts ansieht, verhindert demnach die Geltung der Rechtsgeschäfte, die für die Rechtsgemeinschaft so nicht mehr hinnehmbar sind, weil sie von ihren ethischen Grundlagen abweichen. § 138 Abs. 1 BGB dient der Wahrung der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit jeder Vertragspartei. Ein Indiz für die Annahme, die Entscheidungsfreiheit der schwächeren Partei sei beeinträchtigt gewesen, ergibt sich in den meisten Fällen aus dem Vorliegen einer Äquivalenzstörung. Es kommt nicht alleine auf die Art und Weise des Zustandekommens des Vertrages an. Damit dient § 138 Abs. 1 BGB zunächst der Inhaltskontrolle in Form der Inhaltssittenwidrigkeit295 •
Die Frage, ob neben den eben angesprochenen objektiven Elementen der Sittenwidrigkeit auch ein subjektiver Tatbestand verwirklicht werden muß, ist nicht abschließend geklärt. Dieser käme dadurch zum Ausdruck, daß die Parteien zumindest alle sittenwidrigen Tatumstände gekannt oder sich deren Kenntnis bewußt verschlossen oder entzogen hätten 296 • Überwiegend wird jedoch die Meinung vertreten, ein Bewußtsein der Sitten widrigkeit oder eine Schädigungsabsicht sei nicht erforderlich 297 . Dies gilt jedenfalls in den Fällen, in denen nicht im konkreten Einzelfall die Sittenwidrigkeit gerade auf der Verwirklichung eines subjektiven Tatbestandes beruht298 • Für diese Meinung spricht die umfassende lückenfüllende Funktion des § 138 BGB. 292 Canaris: Grundrechte und Privatrecht, AcP 184 (1984) 201 ff. Fastrich (in: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 20) spricht im Rahmen von § 138 BGB von einer äußeren Toleranzgrenze, die generell nicht überschritten werden dürfe. 293 So insbesondere Staudinger-Sack BGB § 138 Rn. 26; Damm: Kontrolle von Vertragsgerechtigkeit durch Rechtsfolgenbestimmung, JZ 86, 913ff. (918). 294 AK-BGB-Damm § 138 Rn. 82, 92. 295 Staudinger-Sack BGB § 138 Rn. 1,2. 296 Für die Voraussetzung einer subjektiven Sitten widrigkeit bereits RGZ 97, 253 (255); ebenso BGHZ 80, 153 (l60f.); BGH NJW 88, 1373 (1374). 297 BGH NJW 94, I87f. (188); BAG NJW 91, 860 (861). Ebenso Preis: Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 177. 298 AK-BGB-Damm § 138 Rn. 80; Larenz: Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, § 22 III c, S. 447f.; Flurne: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, § 18,3, S. 373; BGHZ 94,268 (272f.).
§ 4 Vorläufiger Höhepunkt: Die Abschlußkontrolle von Verträgen
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Außerdem wird bereits in den Materialien zum § 138 BGB die Verwirklichung eines subjektiven Tatbestandes nicht generell für erforderlich geh alten 299 • Unstreitig ist, daß nicht von einer Partei verlangt werden kann, daß sie Kenntnis von der Sittenwidrigkeit des von ihr angestrebten Vertrages gemäß § 138 Abs. I BGB hat. Jedoch kann in der Regel davon ausgegangen werden, daß dem stärkeren Vertragspartner die Ungleichgewichtslage zwischen beiden Vertragsparteien bekannt ist. Zum Schutz der schwächeren Vertragspartei muß darüber hinaus aus Beweisgründen auf die positive Feststellung eines subjektiven Tatbestandes des § 138 Abs. 1 BGB verzichtet werden. Anderenfalls würde eine Inhaltskontrolle in vielen Fällen aus Beweisgründen scheitern. Die sogenannte Transformationsfunktion des § 138 BGB führt dazu, daß die Rechtsprechung dem erforderlichen Wandel sozialer Wertvorstellungen gerecht werden kann 3OO • Es muß jedoch beachtet werden, daß die Frage einer Inhaltskontrolle von Verträgen in den verschiedenen Bereichen unterschiedlich behandelt werden muß. Die Nichtigkeit des gesamten Vertrages kann im Einzelfall größeren Schaden anrichten, als der Vertrag in der Form, in der er zwischen den unterschiedlich starken Vertragspartnern geschlossen wurde. Will die Rechtsprechung dennoch auf der Grundlage des § 138 BGB die Inhaltskontrolle eines Vertrages durchführen, dann muß sie zu einem angemessenen Ergebnis kommen 30I .
§ 4 Vorläufiger Höhepunkt: Die Abschlußkontrolle von Verträgen I. Wesen der Abschlußkontrolle Die Abschlußkontrolle stellt einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Schaffung einer größeren Vertragsgerechtigkeit durch die Rechtsprechung dar. Sie besteht darin, daß das Verhalten einer Vertragspartei vor dem eigentlichen Vertragsschluß einer Kontrolle unterworfen wird. Damit dient sie in erster Linie dem Schutz der Freiheit der Willensentschließung der anderen Partei. Von der Inhaltskontrolle unterscheidet sie sich darin, daß sie einen Vertrag nicht nur auf ihren Inhalt, d. h. auf die Rechtsfolgen, die der Vertrag auslöst, überprüft. Die Abschlußkontrolle führt statt dessen zu einer Untersuchung der Art und Weise des Zustandekommens eines VerMugdan: Materialien Bd. I S. 469 = Motive Bd. I S. 211. MünchKomm-Mayer-Maly BGB § 138 Rn. 1,3. 301 Siehe zu dem Problem auch Preis: Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 176. Ebenso § 7 V. 299
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1. Teil: Vom formalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
trages 302 . Jeder Bürger soll die Möglichkeit besitzen, von der ihm zustehenden positiven und negativen Vertragsfreiheit auch tatsächlich Gebrauch zu machen. Wo diese Möglichkeit nicht besteht, weil der eine Vertragspartner eine stärkere Position einnimmt und dadurch insbesondere auf die Entscheidung der anderen Partei, überhaupt einen Vertrag dieser Art abzuschließen, einwirkt, da müssen die Gerichte die Wirksamkeit des Vertrages überprüfen können. Dabei müsse sie zur Wahrung der Rechtssicherheit wie bei der oben behandelten Inhaltskontrolle typisierbare Fallgruppen, die der Erleichterung der Handhabung dieses Eingreifens dienen, bilden.
11. Abschlußtatbestand als Gegenstand gesetzlicher Regelung 1. Einleitung
Auch durch ein Gesetz kann die Art und Weise des Zustandekommens eines Vertrages geahndet und damit ein Ungleich gewicht zwischen den Vertragsparteien beseitigt werden. Das Gesetz muß die speziellen Voraussetzungen kodifizieren, bei deren Vorliegen auf den Vertrag durch Widerrufs- und Rücktrittsrechte eingewirkt werden kann. Ein Gericht wird sich mit einem Fall, der dieser gesetzlichen Regelung unterliegt, nur dann beschäftigen, wenn es zu einem Streit zwischen den Vertrags parteien über das Vorliegen der Voraussetzungen des entsprechenden Gesetzes kommt. Im Ergebnis führen diese Gesetze dazu, daß der Vertrag wegen des zugrundeliegenden Ungleichgewichts zwischen den Vertragsparteien nicht zustande kommt. Eine Vertragsanpassung ist dabei nicht möglich. 2. Widerruf einer Willenserklärung nach § 1 Haustürwiderrufsgesetz
Der Gesetzgeber hat durch das Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften303 ein rechtliches Instrument geschaffen, um bestimmten Verträgen die Wirksamkeit zu versagen, wenn eine der in § 1 Abs. 1 HausTWG genannten Voraussetzungen vorliegt, und wenn weiterhin ein Widerruf seitens des "Kunden,,304 innerhalb einer Frist 302 Die Art und Weise des Zustandekommens eines Vertrages kann jedoch auch ein wichtiges Indiz bei der Kontrolle des reinen Inhalts eines Vertrages dahingehend sein, daß dieser als sittenwidrig anzusehen ist, MünchKomm-Mayer-Maly BGB § 138 Rn. 20. 303 Vom 16.1.1986, BGBI. I S. 122. Zur Entstehungsgeschichte siehe Lorenz, St.: Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 122ff. m.w.N. 304 Darunter versteht das Gesetz gemäß § 1 Abs. 1 HausTWG den Erklärenden, d. h. eine Person, die eine Willenserklärung abgibt, die auf den Abschluß eines Ver-
§ 4 Vorläufiger Höhepunkt: Die Abschlußkontrolle von Verträgen
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von einer Woche erklärt wird. Das Haustürwiderrufsgesetz ist eines der oben angesprochenen Verbraucherschutzgesetze und dient in erster Linie dazu, den Kunden vor dem sogenannten Direktvertrieb von Waren zu schützen305 . Die Möglichkeit, von einem Vertrag über eine entgeltliche Leistung Abstand zu nehmen, existiert dabei unabhängig von dem Inhalt des Vertrages selber306 . Hier geht es alleine um die Situation, in der die eine Vertragspartei, der sogenannte Kunde, scheinbar von seiner positiven Vertragsfreiheit Gebrauch macht, d. h. einen Vertrag über eine entgeltliche Leistung abschließt, und dieser Vertragsschluß auf einer Überrumpelung durch den Anbietenden beruht. Durch dieses Element der Überrumpelung wird der Kunde jedoch tatsächlich in seiner negativen Vertragsfreiheit bzw. in seiner Abschlußfreiheit beeinträchtigt307 . Er ist in einer solchen Situation vielfach in seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit überfordert, da er keine Vergleiche zu anderen Angeboten einholen kann und er nicht die Zeit hat, den Vertragsabschluß mit allen Vor- und Nachteilen gründlich zu überdenken 308 . Durch diese bewußt durch den Anbietenden geschaffene Situation wird zwischen den Vertrags partnern ein Ungleichgewicht geschaffen. Das Gesetz bildet abstrakte Fallgruppen, in denen typischerweise von einer solchen Konstellation ausgegangen werden kann. Auf die konkrete Situation kommt es in diesen Gruppen nicht an, d. h. im Falle eines Streites über die Wirksamkeit eines Vertrages wird nicht überprüft, ob tatsächlich eine Überrumpelung des Kunden stattgefunden hat. Eine Ausnahme besteht nur bei vor Ort abgehaltenen Freizeitveranstaltungen und in der Situation des § 1 Abs. 1 Nr. 3 HausTWG 309 . Die ansonsten dem Kunden aufzuerlegende trages über eine entgeltliche Leistung gerichtet ist, mit der Einschränkung des § 6 Nr. I HausTWG. Es werden also die Personen vorn Schutz des HausTWG ausgenommen, die einen Vertrag in Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit abschließen. Der andere Vertragspartner muß demgegenüber geschäftsmäßig handeln. 305 Dazu auch Soergel-Wolf Ein!. HWiG Rn. 2. 306 Eine Ausnahme ergibt sich nur aus § lAbs. 2 Nr. 2 HausTWG, der das Widerrufsrecht auf Leistungen, die einen Betrag von achtzig Deutsche Mark übersteigen, begrenzt. 307 Siehe dazu Löwe: Schutz gegen Überrumpelung beim Vertragsabschluß, BB 86, 821 ff. (832). 308 BT-Drucksache 10/2876 S. 1,6. 309 Zu diesem Ergebnis kommt Lorenz (in: Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 146ff.) durch einen Vergleich des § I HausTWG mit der dem Gesetz zugrunde liegenden EG-Richtlinie. Zwar stelle der Wortlaut der Vorschrift auf ein "Bestimmen" zum Vertragsschluß ab, aber zu einern Kausalitätserfordernis habe die Richtlinie dem deutschen Gesetzgeber keinen Spielraum gelassen, da ein solches Erfordernis eine Unterschreitung des durch die Richtlinie gewährten Schutzes darstelle. Dies gilt insbesondere in der durch Art. I HTW-RL beschriebenen Situation. Ein Kausalitätserfordernis konnte allerdings in dem Fall festgeschrieben werden, in
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1. Teil: Vom formalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
Beweislast hinsichtlich der tatsächlich bestandenen Überrumpelungslage würde die Widerrufsmöglichkeit nahezu wertlos machen 31O • Dem Anbieter wird (gemäß dem Zweck des Haustürwiderrufsgesetzes, nämlich Schutz des Kunden in einer typisierten, nicht konkreten Überrumpelungssituation) konsequenterweise auch nicht die Möglichkeit eröffnet, den Gegenbeweis dahingehend anzutreten, daß er sich bei den konkreten Vertragsverhandlungen korrekt verhalten habe. Sinn und Zweck dieses Gesetzes ist es, den Kunden eine nachträgliche Überlegungsfrist zu gewähren und sie dadurch vor den finanziellen Folgen zu bewahren, die dieser Vertragsschluß mit sich bringen kann. Die üblicherweise bestehende Ungleichgewichtslage in der vom Haustürwiderrufsgesetz vorausgesetzten Situation wird dadurch kompensiert, daß die Kunden nach einer Frist von einer Woche durch Widerruf verhindern können, daß der Vertrag wirksam wird. § 1 Abs. 1 HWiG ist somit als rechtshindernde Einwendung ausgestaltet311 • Der Kunde wird durch das Gesetz ermächtigt, von seinem Recht auf (positive und negative) Vertragsfreiheit aktiv Gebrauch zu machen. Außerdem wird dadurch teilweise dem Mißstand abgeholfen, daß das Haustürwiderrufsgesetz auf typisierte Fallgruppen Bezug nimmt und nicht den Einzelfall betrachtet. Im einem solchen kann der Vertrag für einen bestimmten Kunden vorteilhaft sein. Dann besteht aus der Sicht des Kunden kein Grund, ihn zu widerrufen. In den sogenannten Bagatellfällen des § 1 Abs. 2 Nr. 2 HausTWG liegt nur eine geringfügige wirtschaftliche Belastung des Kunden vor. Die Begründung des Gesetzes führt dazu aus, daß diese Fälle in den verschiedenartigsten Gestaltungen so häufig sind, daß die Einführung eines Widerrufsrechts und die Rückabwicklung dieser Verträge zu einem unangemessenen Aufwand führen würden, der in keinem Verhältnis zur Belastung des Kunden aufgrund des Geschäftes stehen würde. Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit erscheint die betragsmäßige Festlegung des Entgelts für das Vorliegen eines Bagatellgeschäftes gerechtfertigt312 • Nicht übersehen werden darf, daß neben dem Widerrufsrecht des § 1 Abs. 1 HausTWG auch weiterhin die Möglichkeit der Siuenwidrigkeit dem es gemäß § 1 Abs. 1 HausTWG weder zum Vertrags schluß noch zur Abgabe von Willenserklärungen gekommen ist. Dieser Bereich wird nicht mehr von der Richtlinie erfaßt. 310 Siehe dazu die Begründung in BT-Drucksache 10/2876 S. 7. 3ll BOHZ 113, 222 (225) = NJW 91, 1052 = MDR 91, 413; BGHZ 131, 82 (85) = NJW 96, 57 = MDR 96, 247. Demgegenüber vertritt Wolf die Meinung, entgegen den §§ 145ff. BGB komme der Vertrag bis zum Ablauf der Widerrufsfrist nicht bindend zustande, sondern er sei zunächst schwebend unwirksam, Soergel-Wolf § 1 HWiG Rn. 28. 312 BT-Drucksache 10/2876 S. 10, 12.
§ 4 Vorläufiger Höhepunkt: Die Abschlußkontrolle von Verträgen
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dieses Geschäftes gemäß § 138 BGB bestehe l3 • Nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts besteht eine Pflicht der Zivilgerichte, Verträge auf ihre inhaltliche Ausgewogenheit hin zu überprüfen, falls zwischen den Vertragsparteien eine ungleiche Verhandlungsstärke existiert. Bei dieser gerichtlichen Entscheidung spielt besonders die Frage eine Rolle, auf welche Art und Weise der Vertrag zustande gekommen ist, und wie sich die andere Vertrags partei als der regelmäßig überlegene Verhandlungspartner verhalten hat 314 . Das angerufene Gericht prüft bei Vorliegen der Situation des § 1 Abs. 1 HausTWG weitere Indizien, die sich auf den Inhalt des Vertrages beziehen. Anhand des Gesamtbildes muß dann geprüft werden, ob eine Sittenwidrigkeit des Vertrages bejaht werden kann. § 138 BGB erfaßt damit nicht die ausschließlich in der Art und Weise des Zustandekommens eines Vertrages liegende Sittenwidrigkeit315 •
3. Rücktrittsrecht bei irreführender Werbung nach § 13a UWG § 13a UWG 316 dient dem Verbraucherschutz im Rahmen einer Vertragsanbahnung 317 . Er gibt demjenigen Abnehmer318 von Waren oder gewerblichen Leistungen 319 ein Rücktrittsrecht, der durch unwahre oder irreführende Werbeangaben zum Vertragsschluß veranlaßt worden ist. § 13 a Abs. 1 UWG verweist dabei auf den objektiven Tatbestand des § 4 UWG 320 , d. h. es muß sich um eine Angabe über geschäftliche Verhältnisse in einer für einen größeren Personenkreis bestimmten Mitteilung handeln. Diese Angaben müssen wesentlich für den Vertragsschluß gewesen sein. Der Abnehmer hätte den Vertrag also ohne diese irreführende Werbung nicht bzw. nicht mit diesem Inhalt oder nicht zu dieser Zeit geschlossen321 . Siehe dazu Fischer/Machunsky: Haustürwiderrufsgesetz, S. 30ff. BVerfGE 89, 214 = NJW 94, 36ff. 315 Siehe dazu ausführlich: Baumbach/Hefermehl: Wettbewerbsrecht § I UWG Rn. 913. 316 Eingefügt durch Gesetz vom 25.7.l986, BGBI. I S. 1169. 317 Dazu Köhler: Das Rücktrittsrecht nach § l3a UWG, JZ 89, 262ff.; Tonner: Verbraucherschutz im UWG und die UWG-Reform von 1986, NJW 87, 1917 ff.; BT-Drucksache 10/4741 S. 18f.; Schaefer: Vertragslösung wegen irreführender Werbung, ZIP 87, 554 ff. 318 § 13a UWG unterscheidet dabei nicht zwischen gewerblichen und privaten Abnehmern. Einen Ausgleich bildet auf der Tatbestandsseite das Erfordernis der Wesentlichkeit der Werbeangabe und die Frage der Kausalität der unwahren bzw. irreführenden Werbung für den Vertragsabschluß; Lorenz, St.: Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 368. 319 Köhler/Piper: UWG Kommentar § l3a Rn. 2. 320 Köhler/Piper: UWG Kommentar § l3a Rn. 3. 321 Köhler/Piper: UWG Kommentar § l3a Rn. 5 f. 313
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Bei der Untersuchung, ob ein Fall des § Ba UWG vorliegt, kommt es dar.auf an, ob der Vertragspartner, der Waren oder gewerbliche Leistungen anbietet, im Vorfeld des Vertragsschlusses unwahre oder zur Irreführung geeignete Werbeangaben gemacht hat. Nur dieses Verhalten kann zur Folge haben, daß der andere Vertragspartner von dem Vertrag zurücktreten kann. Bei der Prüfung der Unwahrheit bzw. der Irreführung muß auf die Ware bzw. gewerbliche Leistung Bezug genommen werden. Ob der Vertrag nachteilig für den Abnehmer ist, bleibt jedoch außer Betracht. § 13 a UWG schützt damit nur die Freiheit zur Willensentschließung. Dies wird auch durch die Tatsache deutlich erkennbar, daß dem Abnehmer kein Rücktrittsrecht zusteht, wenn er die Werbeangabe nicht kannte 322 • Er wird dann mit einem Vertrag gleichen Inhalts konfrontiert, es fehlt jedoch die entscheidende Ursächlichkeit der Werbeangabe für den Vertragsschluß. Im Ergebnis führt § 13a UWG deshalb in negativer Hinsicht zu einer Typisierung, da das Rücktrittsrecht unabhängig von der Irreführung im Einzelfall aufgrund einer objektivierten Betrachtungsweise ausgeschlossen sein kann 323 . § 13 a UWG will zunächst einmal im Einklang mit dem gesamten Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälscht funktionierenden lauteren Wettbewerb schützen324 • Doch der Schutzgedanke, der hinter § Ba UWG steht, geht weiter. Der einzelne Abnehmer hat unter den Voraussetzungen des § Ba UWG die Möglichkeit, von dem auf diesem Wege zustande gekommenen Vertrag durch Rücktritt wieder loszukommen. Dieser Individualschutz im Wettbewerbsrecht wurde erst durch das Einfügen des § 13 a in das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb kodifiziert. Vor Inkrafttreten dieser Regelung waren Verträge, die unter Verstoß gegen den Wettbewerb zustande gekommen waren, nur mit den Rechtsbehelfen des allgemeinen Zivilrechts angreifbar325 , die aller322 Baumbach/Hefermehl: Wettbewerbsrecht § l3a UWG Rn. 9, dies ist der wesentliche Unterschied zu dem typisierten Schutz vor Überrumpelung, den das HausTWG gewährt. 323 Lorenz, St.: Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 370f. 324 Baumbach/Hefermehl: Wettbewerbsrecht § 13 a UWG Rn. 1. 325 So wird in der Praxis meist eine Zusicherung i. S.d. § 459 Abs. 2 BGB verneint (Emmerich: Das Recht des unlauteren Wettbewerbs § 14 10 d). Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 3 UWG wurde dem Abnehmer verwehrt. Er steht nur dem Mitbewerber zu (BGH GRUR 75, 150). Es bleiben Anfechtungsrechte aus §§ 119 Abs. 2 und 123 BGB sowie ein Wandlungsrecht aus §§ 463, 480 BGB, wenn der Verkäufer einen Fehler arglistig verschwiegen hat, weiterhin ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung aus § 463, 480 BGB bei arglistigem Verschweigen des Fehlers und aus positiver Vertragsverletzung. Auch kann der Abnehmer Schadensersatz aus unerlaubter Handlung und aus culpa in contrahendo auf Beseitigung der Vertragsfolgen geltend machen, soweit nicht diese Haftung durch die Gewährleistungsvorschriften der §§ 459ff. BGB ausgeschlossen ist, weil sich die Angaben des Verkäufers auf die Beschaffenheit oder Eignung der Kaufsa-
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dings im Gegensatz zu dem Mitbewerber bezüglich des Abnehmers als unzureichend angesehen wurden. § 13 a. UWG, der schon vor seinem Inkrafttreten vielfach kritisiert wurde, ist in seinen Auswirkungen in der Praxis unbedeutend geblieben. Dies liegt insbesondere an der zu engen Fassung des Tatbestandes, der auf Werbeangaben im Sinne des § 4 UWG verweist. § 4 UWG ist seinerseits praktisch ohne Bedeutung 326 . Sonstige Einwirkungen auf die Willensentscheidung des Abnehmers, wie z. B. eine Überrumpelung im Sinne des Haustürwiderrufsgesetzes, werden nicht erfaßt. Eine sinnvolle Umsetzung des Schutzgedankens, der sich aus § 13a UWG ergibt, kann neben den bereits gegebenen zivilrechtlichen Möglichkeiten nur durch eine Erweiterung des Tatbestandes erreicht werden.
111. Gerichtliche Abschlußkontrolle 1. Abschlußkontrolle nach § 138 Abs. 1 und 2 BGB Zur individuellen Kontrolle von Verträgen stehen den Gerichten außerhalb der festen Grenzen der gesetzlichen Regelungen nur die Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuches zur Verfügung, die dank ihrer "offenen" Tatbestände327 konkretisiert werden können. Die Gerichte führen insbesondere mit Hilfe der Generalklausel des § 138 BGB nicht nur eine Inhaltskontrolle von Verträgen, sondern in Einzelfällen auch eine Abschlußkontrolle durch, d. h. Verträge werden auch auf die Art und Weise ihres Zustandekommens hin untersucht. So erklärte der BGH parallel zu dem im Jahre 1986 in Kraft getretenen Haustürwiderrufsgesetz ein Haustürgeschäft über einen Möbelkaufvertrag für sittenwidrig gemäß § 138 Abs. 1 BGB 328 . Zur Begründung wurde vorgetragen, die in dem Haustürwiderrufsgesetz enthaltene Wertung, d. h. die Tatsache, daß der Vertrag nur durch eine Überrumpelung des Kunden zustande gekommen sei, rechtfertige es, den durch eine vorangegangene Täuschung erreichten Abschluß eines Haustürgeschäftes im Zusammenhang mit anderen Umständen als Indiz für die Sittenwidrigkeit des gesamten Vertrages zu würdigen. Komme ein Vertrag in einer durch § 1 Abs. I HausTWG vorgegebenen Situationen zustande, so spreche viel dafür, daß che beziehen (BGHZ 60, 319; 88, 130). Siehe dazu näher Baumbach/Hefermehl: Wettbewerbsrecht § l3a Rn. 2 a; Köhler/Piper: UWG Kommentar § 13a Rn. 1. 326 Tonner: Verbraucherschutz im UWG und die UWG-Reform von 1986, NJW 87, 1917ff. (1922). 327 Siehe oben § 3 II 3. 328 BGH NJW 88, 1373 = MDR 88, 667 = ZIP 88, 582.
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die verkaufende Partei ein derartiges Übergewicht habe, daß sie den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen könne. Aufgrund weiterer Indizien, besonders der wirtschaftlichen Belastung des Kunden, könne sich das Gesamtbild der Sittenwidrigkeit ergeben329 • 2. Die Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts und deren Folgeentscheidungen des BGH a) Aufforderung zur Vertragskorrektur durch das Bundesverfassungsgericht
Das Bundesverfassungsgericht nahm in seinem als Handelsvertreterentscheidung bekannt gewordenen Beschluß vom 7.2.1990 zum ersten Mal Stellung zu den Grenzen der Vertragsfreiheit, die sich aus den grundrechtlich gewährten Freiheiten ergeben33o . Es führt dazu aus, der Staat habe die in den Grundrechten zum Ausdruck kommenden Werte und Rechtsgüter vor Verletzungen durch andere Bürger zu bewahren und müsse für eine gerechte Privatrechtsordnung sorgen. Primär würden gesetzliche Vorschriften, die sozialem und wirtschaftlichem Ungleichgewicht entgegenwirken, zu einer Verwirklichung dieser objektiven Grundentscheidungen des Grundrechtsabschnitts und des Sozialstaatsprinzips führen. Wenn keine gesetzlichen Grundlagen vorhanden seien, würden die Gerichte gefordert, mit Hilfe der Generalklauseln den Schutzauftrag der Verfassung in Fällen gestörter Vertragsparität zu erfüllen 33l • Das Bundesverfassungsgericht befaßte sich dreieinhalb Jahre später in seinem Beschluß vom 19.10.1993 erneut mit den Grenzen der VertragsfreiBGH NJW 91, 923 = MDR 91, 754 = ZIP 91, 224. BVerfGE 81, 242 NJW 90, 1469 WM 90, 559 ZIP 90, 573. Dazu die Anmerkung von Wiedemann, JZ 90, 695 ff. Inhaltlich geht es in dem Beschluß um § 90a Abs. 1 S. 3 HGB, der eine entschädigungslose Karenz verbietet, in Abs. 2 S. 2 (inzwischen aufgehoben) jedoch eine begrenzte Ausnahme für Kündigungen aus wichtigem Grund vorsah. Die Parteien vereinbarten hier ausschließlich diesen Ausnahmetatbestand. Das Gericht stellte im konkreten Fall einen schweren Eingriff in die Berufsfreiheit fest, der mit Art. 12 GG nicht zu vereinbaren sei. Siehe auch den nachfolgenden Kammerbeschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NJW 94,2749 = WM 94, 1837 = ZIP 94, 1516), in dem die zuvor gemachten Ausführungen nochmals bestätigt wurden. 331 Wiedemann (in seiner Anmerkung zu der Handelsvertreterentscheidung, JZ 90, 695 ff.) ist jedoch der Meinung, die Generalklauseln der §§ 138, 242 und 315 BGB reichten für eine Überprüfung der Beachtung der Grundwerte und Grundrechte der Verfassung bei allen Verträgen nicht aus. Er fordert deshalb die Einführung einer neuen Generalklausei zur Einhaitung der verfassungsmäßigen Ordnung im Zivilrecht, die zusammen mit Art. 1 Abs. 3 GG die Ennächtigungsgrundlage für eine inhaltliche Kontrolle von Verträgen ergeben solle. 329
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heie 32 . Inhaltlich geht es darin um die Wirksamkeit von Bürgschaftsverträgen in Fällen sogenannter struktureller Unterlegenheit der einen Vertragspartei 333 • Dabei macht es über die Bürgschaftsfälle hinaus wesentliche Aus332 BVerfGE 89, 214 = NJW 94, 36 = WM 93, 2199 = ZIP 93, 1755. Dazu auch Grün: Die GeneralklauseIn als Schutzinstrumente der Privatautonomie am Beispiel der Kreditmithaftung von vermögenslosen nahen Angehörigen, WM 94, 713 ff. 333 Die Entscheidung dieser Bürgschaftsfälle hatte im Vorfeld des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zu Differenzen zwischen dem 9. und dem 11. Senat des BGH geführt. Eine Übersicht dazu bieten Mühlbert: Das Darlehen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung 1988-1991-Teil 1, JZ 92, 289ff.; Kreft: Privatautonomie und persönliche Verschuldung, WM 92, 1425 ff. und Schlachter: Kreditmithaftung einkommensloser Angehöriger, BB 93, 802ff. Charakteristisch ist hier der sogenannte "Söhnefall", der durch Urteil des 9. Senats des BGH vom 19.1.89 (BGHZ 106, 269 = NJW 89, 830) entschieden wurde. Zwei 20 und 21 Jahre alte Söhne übernahmen für den Kredit ihres Vaters eine se1bstschuldnerische Höchstbetragsbürgschaft in Höhe von 350.000,- DM zuzüglich Nebenleistungen. Sie befanden sich zu der Zeit noch in der Ausbildung und verfügten nicht über eigenes Vermögen. Nach Scheitern des Bauprojekts des Vaters nahm die Bank die Söhne auf Zahlung von ca. 240.000,- DM in Anspruch. Der 9. Senat des BGH sah den Bürgschafts vertrag als wirksam an. Dabei argumentierte er mit der Volljährigkeit der Bürgen, die zu einer Wirksamkeit des Vertrages führen müsse (Vertrag ist Vertrag). Jeder Volljährige könne sich im Rahmen der Privatautonomie auch zu Leistungen verpflichten, die ihn überforderten. Die Bank treffe dabei keine Aufklärungspflichten. Der 9. Senat führte in dem sogenannten "Studentenfall" vom 16.5.1991 weiter aus, eine ausgedehnte Anwendung des § 138 Abs. I BGB führe zu einer Einschränkung der Privatautonomie ganzer Bevölkerungskreise und sei daher mit den Grundanforderungen an eine Gesellschaft von Freien und Gleichen unvereinbar (BGH NJW 91, 2015 = WM 91,1154). Außerdem sei durch die Pfändungsvorschriften der §§ 811 ff. ZPO (insb. § 850c ZPO) ein ausreichender Schutz geboten. Im Gegensatz dazu argumentierte der 11. Senat unter dem Einfluß der Handelsvertreterentscheidung, im Falle einer gestörten Vertragsparität müßten die Gerichte unter gewissen Umständen regulierend eingreifen und einen Vertrag für sittenwidrig ~.emäß § 138 Abs. 1 BGB erklären. Dabei spielten insbesondere die finanzielle Uberforderung sowie weitere Umstände, wie die Tatsache, daß der Schuldner kein eigenes Interesse an dem Kredit selber habe, sowie das Abhängigkeitsverhältnis des Schuldners zum Hauptschuldner, eine große Rolle. Es ging dabei um den sogenannten "Griechenfall" (Entscheidung des 11. Senats des BGH vom 22.1.1991, BGH NJW 91, 923 m. Anm. Grün = WM 91, 313). Eine 26-jährige Griechin (einkommens- und vermögenslos sowie ohne Berufsausbildung) verpflichtete sich für einen Kontokorrentkredit ihres Mannes in Höhe von 65.000,- DM mit. Dieser diente der Erweiterung des Geschäftes des Ehemannes. Nach Kündigung des Darlehens nahm die Bank die inzwischen geschiedene Frau in Anspruch, die zuletzt von der Sozialhilfe lebte. Der 11. Senat wies die Klage der Bank aufgrund der gravierenden Störung der Vertragsparität ab. Der 11. Senat versuchte in dem sogenannten ,,Dachdeckerfall" (BGHZ 120, 272 = NJW 93, 322 = WM 92, 2129) die Gemeinsamkeiten zu dem 9. Senat hervorzuheben. Beide Senate seien der Meinung, daß ein Volljähriger aufgrund der Vertragsfreiheit auch risikoreiche und über seine konkreten Verhältnisse hinausgehende Verpflichtungen rechtswirksam begründen könne. Darüber hinaus erkenne auch der 9. Senat an, daß in bestimmten Fällen über § 138 BGB dieser Grundsatz eingeschränkt
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sagen zu der allgemeinen Gewährleistung der verfassungsrechtlich garantierten Vertragsfreiheit 334 . Das Gericht betont, daß alle Beteiligten des Zivilrechtsverkehrs von ihrem Recht auf Privatautonomie Gebrauch machen können und deshalb nicht das Recht des Stärkeren gelten dürfe. Wenn im Rahmen eines Vertrags verhältnisses der eine Vertragspartner ein so starkes Übergewicht besitze, daß er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen könne, dann bewirke dies für den anderen Vertragsteil eine Fremdbestimmung335 . Dagegen könne nach Meinung des Gerichts die Rechtsordnung jedoch nicht für alle Situationen Vorsorge treffen. Wenn werden müsse. In dem Spannungsfeld zwischen Regel und Ausnahme ließen sich aber Unterschiede in der Grenzziehung nicht ausschließen. Ausgangsentscheidung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts war der sogenannte "Tochter- oder Nur für die Akten-Fall" (BGH LM Nr. 67 zu § 765 BGB = NJW 89, 1605 = WM 89, 667). Eine 21-jährige Tochter unterzeichnete zur Erhöhung des Kreditlimits ihres Vaters eine vorgedruckte Bürgschaftsurkunde mit einem Höchstbetrag von 100.000,- DM zuzüglich Nebenleistungen Die Frau hatte keine Berufsausbildung, war überwiegend arbeitslos und verdiente zur Zeit der Bürgschaftserklärung in einer Fabrik pro Monat 1150,- DM netto. Der zuständige Filialleiter der dem Vater Kredit gebenden Bank hatte der Tochter erklärt, diese gehe bei Unterschreiben der Bürgschaft kein großes Risiko ein, er brauche die Bürgschaftserklärung nur für die Akten. Der Vater scheiterte geschäftlich, daraufhin nahm die Bank die Tochter auf Zahlung von 100.000,- DM nebst Zinsen in Anspruch. Der 9. Senat des BGH bestätigte mit gleicher Argumentation wie im oben zitierten "Söhnefall" die Wirksamkeit des Bürgschaftsvertrages. Weiterhin führte der BGH aus, durch die Erklärung des Filialleiters sei kein besonderer Vertrauenstatbestand geschaffen worden. Von einer Willensbeeinflussung könne keine Rede sein. Das Bundesverfassungsgericht entschied in diesem Fall, daß die Gewährleistung der Privatautonomie hier nicht verwirklicht worden sei, so daß die Entscheidung keinen Bestand haben könne. In der anderen, dem Beschluß zugrundeliegenden, Entscheidung verbürgte sich eine Frau zur Sicherung eines sogenannten "Versicherungsdarlehens" in Höhe von 30.000,- DM, das ihrem Ehemann gewährt wurde. Die Frau war im Zeitpunkt der Bürgschaftserklärung ohne Einkommen und ohne Vermögen und betreute ihre zwei Kinder. Die Bank kündigte das Darlehen, da der Mann mit der Zinszahlung in Verzug geriet, und nahm die Frau in Höhe von 16.274,02 DM in Anspruch. Sowohl das mit dem Fall befaßte LG, als auch das OLG gaben der Klage der Bank statt. Der Bürgschaftsvertrag sei insbesondere nicht gemäß § 138 BGB nichtig, da nicht auszuschließen war, daß die Frau noch vor Abwicklung des Kredits eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder andere Einkünfte erzielen werde. Darüber hinaus führe selbst dauerhaftes Leistungsunvermögen nicht zur Sittenwidrigkeit des Bürgschaftsvertrages. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die gegen das Urteil des OLG eingelegte Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Es handele sich um einen Konsumentenkredit, dessen Höhe nicht ungewöhnlich war. Die Ehefrau habe auch ein eigenes Interesse an der Kreditgewährung gehabt. Für eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit fehlten darüber hinaus jegliche Anhaltspunkte. 334 So auch Honsell: Bürgschaft und Mithaftung einkommens- und vermögensloser Familienmitglieder, NJW 94, 565 f. 335 So bereits BVerfGE 81, 242 (255) = NJW 90, 1469ff.
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aber eine typisierbare Fallgestaltung vorliege, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen lasse, und wenn die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend seien, dann müsse die Zivilrechtsordnung darauf reagieren und Korrekturen ermöglichen. Dazu seien besonders die Generalklauseln geeignet. Die Zivilgerichte sind danach verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln darauf zu achten, daß Verträge nicht als Mittel der Fremdbestimmung dienen. Aus dem Wortlaut des § 138 Abs. 2 BGB geht dies besonders deutlich hervor, indem dort typische Umstände bezeichnet werden, die zwangsläufig zur Verhandlungsunterlegenheit des einen Vertragsteils führen. Wenn diese Tatsache von dem überlegenen Vertragsteil ausgenutzt wird, um seine Interessen in auffälliger Weise einseitig durchzusetzen, dann muß dies gemäß § 138 BGB zur Nichtigkeit des Vertrags führen. Das Bundesverfassungsgericht spricht auch die Möglichkeit an, über die Generalklausel des § 242 BGB zu einer differenzierten Rechtsfolge zu gelangen, um auf strukturelle Störungen der Vertragsparität angemessen zu reagieren. Daraus ergibt sich, daß die Prüfung der Frage, ob man einen Bürgschaftsvertrag als sittenwidrig ansehen muß, zweigeteilt ise 36 . Zunächst muß das Gericht die Vertragsfolgen in dem Einzelfall überprüfen. Kommt es zu dem Ergebnis, daß der Bürge sich in einem Umfang verpflichtet hat, der seine gegenwärtigen und zukünftig zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse weit übersteigt, dann muß es weiterhin untersuchen, ob zusätzliche, dem Gläubiger zurechenbare Umstände zu einem unerträglichen Ungleichgewicht der Vertragsparteien beim Zustandekommen des Vertrages führen 337 • Daraus ergibt sich, daß es bei der Feststellung der Sittenwidrigkeit hier auch auf die Art und Weise ankommt, wie der Bürgschaftsvertrag zustande gekommen ist. Insbesondere kann die zweite Voraussetzung dann vorliegen, wenn der Gläubiger die Geschäftsunerfahrenheit oder eine seelische Zwangslage des Bürgen in rechtlich verwerflicher Weise ausnutzt oder ihn auf andere Weise in seiner Entscheidungsfreiheit unzulässig beeinträchtige 38 • Das Bundesverfassungsgericht ordnet in 336 Dazu Lorenz, St.: Vertragsaufhebung wegen unzulässiger Einflußnahme auf die Entscheidungsfreiheit: Der BGH auf dem Weg zur reinen Abschlußkontrolle? NJW 97, 2578 ff. 337 Daß es nicht alleine auf die Beeinträchtigung der Willensfreiheit ankommen kann, schließt die h.L. aus dem Konkurrenzverhältnis zu § 123 BGB. Die dort geregelten Rechtsfolgen bei einer arglistigen Täuschung oder einer widerrechtlichen Drohung, die als Extremfall einer Willensbeeinträchtigung angesehen werden müssen, zielen alleine auf eine Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäftes ab, es wird also keine Nichtigkeit angeordnet (RGZ 115, 378 (383); BGH WM 66, 585 (589); BGHZ 60, 102 (104f.); BGH NJW 88, 902 (903); 88, 2599 (2601); MünchKommKramer BGB § 123 Rn. 28; Staudinger-Dilcher BGB § 138 Rn. 120.
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diesen Bürgschaftsfällen im Ergebnis neben der Inhaltskontrolle eine Abschlußkontrolle an 339 • Die weitere Voraussetzung für die Bejahung der Sittenwidrigkeit eines Vertrages ergibt sich aus der Tatsache, daß sich aus der Vertragsfreiheit auch das Recht herleiten läßt, risikoreiche Geschäfte abzuschließen und sich zu Leistungen zu verpflichten, die nur unter besonders günstigen Bedingungen erbracht werden können 340. Somit kann die finanzielle Überforderung alleine nicht ausreichend sein, um einen Vertrag für nichtig zu erklären 341 .
b) Die Folgeentscheidungen des BGH
Die von dem Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten Grundsätze wurden zunächst vom BGH auf die Bürgschaftsfälle angewendet, in denen die Bürgen zwar geschäftsfähige, aber noch junge, geschäftsunerfahrene Kinder des Schuldners waren 342 • Hier kämen zu der finanziellen Überforderung der Kinder die emotionalen Erwägungen, die die Kinder verleitet hätten, den Vertrag zu unterzeichnen. Man könne dann von einer Zwangslage sprechen, in der die Kinder keine freie Entscheidung treffen konnten. Der BGH bediente sich in diesen Fällen darüber hinaus der sich aus § 1618 a BGB ergebenden familienrechtlichen Pflicht zur Rücksichtnahme, die durch die Eltern verletzt wurde, um die besonderen Umstände bei Vertrags338 Drygala (in: Schutz der Privatautonomie durch Inhaltskontrolle von Individualverträgen - Die Bürgschaftsentscheidung des BVerfG, S. 63 ff. (67» spricht hier von einem Defekt der materiellen Privatautonomie. 339 Siehe dazu auch Lorenz, St.: Vertragsaufhebung wegen unzulässiger Einflußnahme auf die Entscheidungsfreiheit: Der BGH auf dem Weg zur reinen Abschlußkontrolle? NJW 97, 2578ff. 340 BGHZ 107,92 = ZIP 89, 427; BGHZ 125,206 = NJW 94, 1278. 341 Der BGH läßt in seiner Folgeentscheidung vom 24.2.1994, BGHZ 125, 206 (211) = NJW 94, 1278, dann scheinbar eine Ausnahme von der Pflicht zum Vorliegen einer Zwangslage neben der finanziellen Überforderung zu, wenn die Verbindlichkeit, für die der Bürge einstehen soll, so hoch ist, daß bereits bei Vertragsschluß feststeht, er werde, wenn sich das Risiko verwirklicht, auch bei günstigster Prognose mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Forderung des Gläubigers nicht einmal zu großen Teilen tilgen können. Weiterhin dürfe der Bürge jedoch weder rechtlich noch wirtschaftlich in wesentlichem Maße an dem Projekt, dessen Durchführung das Rechtsgeschäft zwischen Gläubiger und Hauptschuldner dient, beteiligt sein. Dennoch prüft das Gericht alle weiteren Umstände bei Abschluß des Vertrages, wie die Unerfahrenheit des Bürgen und den Verstoß der Eltern gegen § 1618a BGB sowie dessen Zurechnung zu der kreditgewährenden Bank. Somit erscheint das alleinige Abstellen auf die finanzielle Überforderung wieder fraglich. 342 So BGH (erstes Urteil zu der Problematik vom 24.2.1994) NJW 94, 1341 = MDR 94, 575 = LM § 765 BGB Nr. 90; BGHZ 125,206 = NJW 94, 1278 = WM 94,676 = LM § 765 BGB Nr. 91; BGH NJW 97, 52 = LM § 765 BGB Nr. 110 = MDR 97,154.
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schluß zu bejahen 343 • Diese Pflichtverletzung müsse sich die Bank zurechnen lassen, da sie die Einwirkung des Hauptschuldners auf den Bürgen mindestens grob fahrlässig außer acht gelassen habe. Gleiches gelte nach Meinung des Gerichts für das Verhältnis zwischen Stiefeltern und ihren Stiefkindern, wenn den Stiefeltern das gleiche Vertrauen entgegen gebracht werde wie leiblichen Eltem 344 . Doch es fand eine (konsequente) Ausweitung der AnwendungsfaUe statt. So wurde die Rechtsprechung zur Sitten widrigkeit einer Bürgschaft entsprechend auf finanziell überforderte Ehegatten angewendet 345 • Auch hier befand sich die Ehefrau des Hauptschuldners in einer seelischen Zwangslage, die dazu führte, daß sie bei Vertragsabschluß in ihrer Entschließungsfreiheit beeinträchtigt war. In diesen Fällen entschied der BGH weiterhin, daß der Gläubiger gemäß § 242 BGB nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage gehindert sein könne, die Bürgin in Anspruch zu nehmen 346 . Dies liege insbesondere dann vor, wenn die Ehe im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der bürgenden Ehefrau nicht mehr fortbestehe347 . 343 So in BGHZ 125,206 = NJW 94, 1278 = WM 94, 676. Die Verpflichtung zur eventuell lebenslangen Zahlung der Kinder für die Schulden der Eltern gefährde nachhaltig deren gesamte eigenständige Lebensgestaltung und widerspreche so dem § 1618a BGB. Der BGH betont in dieser Entscheidung weiterhin, daß es nicht darauf ankommen könne, ob der Bürge irgendwann einmal durch Erbschaft erhebliche Vermögenswerte erlangen könnte. Es handele sich dabei um eine bloße Chance, deren Beachtung dazu führen würde, daß dem Bürgen der Schutz nahezu immer versagt würde. 344 BGH NJW-RR 96, 813. 345 BGH NJW 96,513 = ZIP 96,65; BGH NJW 96, 1274 = WM 96, 519 = ZIP 96, 495 = LM § 765 BGB Nr. 104 (Im Ergebnis wird hier die Sittenwidrigkeit verneint, da in diesem Fall keine erschwerenden Umstände über eine inhaltliche Überforderung hinaus vorlagen). In BGHZ 134, 325 = NJW 97, 1003 = WM 97, 467 = LM § 765 BGB Nr. 114 lag keine unzulässige Beeinflussung des Ehegatten vor. Dieser war aber zur Zeit der Zahlungsklage vermögens los, und konnte deshalb zur Zeit der Geltendmachung durch die Bank nicht in Anspruch genommen werden. Weiterhin BGH WM 98, 592; BGH ZIP 98, 1999. 346 BGHZ 128, 230 (236ff.) = NJW 95, 592 = WM 95, 237; BGHZ 132, 328 = NJW 96, 2088 = MDR 96, 925 = LM § 765 BGB Nr. 108; BGH NJW-RR 96, 1262. 347 Der BGH führt dazu aus, der Fortbestand der Ehe falle zunächst einmal in den alleinigen Risikobereich der Bürgin. Werde die Bürgschaftsübernahme jedoch nur verlangt, um eine Vermögensverlagerung zwischen den Eheleuten zu verhindern, so könne der mit der Bürgschaft verfolgte Zweck nicht mehr erreicht werden, wenn die Lebensgemeinschaft endgültig aufgelöst worden sei. Die Bank setze sich dann dem Vorwurf eines widersprüchlichen Verhaltens aus, wenn sie den wirtschaftlich nicht leistungsfähigen Bürgen in Anspruch nehme, obwohl die dem Anspruch zugrunde liegenden Gründe nicht mehr fortbestünden. Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage könne jedoch nur bejaht werden, wenn der Fortbestand des Vertrages we-
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Der BGH ging in einem weiteren Fall auf die Tatsache ein, daß die bürgende Ehefrau eine Erbschaft erwartete 348 . Danach könne eine Zahlungsklage vor einem Erbfall entweder aufgrund einer besonderen Abrede oder nach § 242 BGB als unbegründet abgewiesen werden 349 . Es folgten Entscheidungen mit gleicher Begründung in Fällen, in denen der Hauptschuldner und der Bürge durch eine eheähnliche Lebensgemeinschaft verbunden waren 350 . Auch zu dem Verhältnis zwischen Geschwistern hat der BGH inzwischen Stellung genommen. So hat er die Bürgschaft einer Gesellschafterin der Hauptschuldnerin, die nur als Strohfrau ihres Bruders auftrat, für sittenwidrig erklärt, durch die die Bürgin finanziell aussichtslos überfordert wurde, ohne ein eigenes Interesse an der Bürgschaft zu haben 351 . Die Bürgin sei die Verpflichtung nur dem Bruder zuliebe eingegangen. Der BGH hat damit festgestellt, daß im Einzelfall auch zwischen Geschwistern eine enge persönliche Verbundenheit oder innere Abhängigkeit bejaht werden könne. Diese diene als Indiz dafür, daß der Bürge sich bei Abschluß des Bürgschaftsvertrages in einer unterlegenen Position befunden habe. Hinzu kam die Geschäftsunerfahrenheit der Bürgin. Wenn im Einzelfall aus Gläubigerschutzgründen die Eingehung einer Bürgschaftsverpflichtung erforderlich erscheine, müsse die Höhe der Haftung in vernünftiger Beziehung zu den gen der veränderten Situation zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führe. Die Verpflichtung müsse dabei den Rahmen üblicher Konsumentenkredite deutlich übersteigen. 348 BGHZ 134, 325 = NJW 97, 1003 = WM 97, 467. Siehe dazu nochmals die Argumentation in BGHZ 125, 206 (211). 349 In dem zu entscheidenden Fall läge es nahe, die Bürgschaft so auszulegen, daß die Fälligkeit des Anspruchs so weit hinausgeschoben werden sollte, bis die Bürgin Vermögen, hier insbesondere durch Erbfall, erworben hätte. Man müsse aber über den Grundsatz von Treu und Glauben des § 242 BGB auch zu dem gleichen Ergebnis kommen, wenn die Erklärungen der Parteien eine solche Auslegung nicht zuließen. 350 So BGH NJW 97, 1005 = WM 97, 465 = LM § 765 BGB Nr. 113; BGHZ 136, 347 = NJW 97, 3372 = WM 97, 2117. In der zuletzt genannten Entscheidung betont der BGH, daß es' nicht auf eine gegen die Rechts- und Sittenordnung verstoßende Einwirkung auf die Entschließungsfreiheit des Bürgen ankomme. Für die Sittenwidrigkeit des Vertrages reiche es aus, daß bei Vorliegen eines krassen Mißverhältnisses zwischen Haftungsumfang und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Bürgen die finanziellen Mittel praktisch bedeutungslos seien und auch kein sonstiges Interesse des Kreditgebers an einer Verpflichtung in einem solchen Umfang erkennbar sei. Dann könne man davon ausgehen, daß der Bürge sich nur aufgrund einer emotionalen Bindung an den Hauptschuldner infolge mangelnder Geschäftsgewandtheit und Rechtskundigkeit auf eine solche Verpflichtung eingelassen habe und die Bank dies in verwerflicher Weise ausgenutzt habe. 351 BGHZ 137,329 = NJW 98, 597 = ZIP 98, 196 = MDR 98,264 = JZ 98,570 mit Anmerkung Foerste.
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finanzieHen Verhältnissen des Bürgen und dem wirtschaftlichen Risiko, das abgedeckt werden soH, stehen 352 . c) Ausbau der Abschlußkontrolle
Die bis dahin vom BGH entschiedenen Fälle betrafen Situationen, in denen zwischen dem Bürgen und dem Hauptschuldner durch Verwandtschaft, Ehe oder auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft eine persönlich enge Verbindung bestand. Doch die Voraussetzungen zur Durchführung einer Abschlußkontrolle können auch dann vorliegen, wenn eine entsprechende familiäre Beziehung nicht bestehe 53 • Das Kammergericht Berlin hat im Anschluß an den BGH entschieden 354 , daß ein Bürgschaftsvertrag, den ein Arbeitnehmer zugunsten seines Arbeitgebers geschlossen hat, sittenwidrig sein kann 355 . Dazu muß ein besonders grobes Mißverhältnis zwischen dem Verpflichtungsumfang und der Leistungsfähigkeit des Bürgen bestehen. Der Arbeitnehmer darf dabei kein eigenes wirtschaftliches Interesse an dem Bürgschaftsvertrag haben. Darüber hinaus muß der Hauptschuldner, der Arbeitgeber, die geschäftliche Unerfahrenheit des Bürgen und die Sorge um seinen Arbeitsplatz ausgenutzt haben. Hier ist also wieder die Ausnutzung einer Zwangslage des Bürgen, der ansonsten seine wirtschaftliche Existenz verlieren könnte, der entscheidende Grund für die Sittenwidrigkeit des Bürgschaftsvertrages. Die Zwangslage muß dabei der Bank bekannt oder grob fahrlässig außer acht 352 Um eine Bürgschaft zugunsten einer Schwester ging es auch in dem vom BGH entschiedenen Beschluß vom 24. Februar 1999 (ZIP 99, 483). Hier kam als Problematik hinzu, daß die Verurteilung des Bürgen zur Zahlung in Frankreich geschah, der Bürge seinen Wohnsitz jedoch in Deutschland hatte, so daß eine Vollstreckbarerklärung in Deutschland erforderlich wurde. Hier entschied der BGH, daß es sich bei der gemäß Art. 34 Abs. 2 EuGVÜ gebotenen Prüfung nur um die Frage handele, ob die Grundrechte des Bürgen durch die Vollstreckung verletzt würden. Soweit es hier um die Handlungsfreiheit des Bürgen gehe, dürfe in diesem Verfahrensabschnitt nicht mehr streng nach dem Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB geprüft werden, ob gemäß deutschen Vorstellungen ein solches Leistungsurteil zu erlassen wäre. Dabei würde es sich um eine unzulässige Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der ausländischen Entscheidung handeln, siehe Art. 34 Abs. 3 EuGVÜ, § 723 Abs. 1 ZPO. 353 BGH NJW 98, 597 = ZIP 98, 196 = MDR 98, 264. 354 KG Report 97, 264. Das KG bejahte in diesem Fall allerdings bereits das Vorliegen eines besonders groben Mißverhältnisses zwischen Verpflichtungsumfang und der Leistungsflihigkeit des Bürgen, so daß es überhaupt nicht mehr auf das Vorliegen besonderer Umstände ankomme, die zu einem unerträglichen Ungleichgewicht der Vertragsparteien führen konnten. Diesem Vorgehen kann im Ergebnis nicht gefolgt werden. 355 Dieser Fall wird nun vom BGH [in: BGHZ 136, 347 (350) = NJW 97, 3372 = WM 97, 2117] angesprochen, aber nicht entschieden.
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gelassen worden sein, sonst kann eine Zurechnung des rechtlich zu mißbilligenden Verhaltens des Arbeitgebers nicht erfolgen. In einem anderen Fall erklärte der BGH einen Bürgschaftsvertrag, den ein GmbH-Minderheitsgesellschafter für die Forderungen gegen die GmbH abgeschlossen hatte, für sittenwidrig 356 . Zur Begründung führte er aus, aus diesem Vertrag resultiere eine besonders hohe finanzielle Belastung für den Bürgen, und zusätzlich führten besondere Umstände zu einer unerträglichen Ungleichgewichtslage zwischen dem Bürgen und der Bank. Der BGH sprach dabei von dem Vorliegen einer Überrumpelung seitens der Bank. Diese ergebe sich daraus, daß die Bank ihn in eine Lage gebracht habe, in der ihm eine eigenverantwortliche Abwägung der für und gegen eine Bürgschaftsübernahme sprechenden Gründe nicht möglich gewesen sei. Dabei müßten die gesamten Hintergründe berücksichtigt werden 357 . d) Richterrechtliche Entwicklung einer vertraglichen Haftungsbeschränkung als Voraussetzung der Wirksamkeit des Vertrages
Eine Zäsur in der Entwicklung der Voraussetzungen der Wirksamkeit eines Bürgschaftsvertrages wurde nun durch das Urteil des 9. Senats des BGH vom 8.10.1998 herbeigeführt 358 . Darin ging es wieder um die Bürgschaftsübernahme der Ehefrau des Hauptschuldners, deren Umfang bei Vertragsschluß in krassem Mißverhältnis zu ihrer voraussichtlichen finanziellen Leistungsfähigkeit stand. Eine mögliche Erbschaft könne nach Meinung des Gerichts erst nach deren Eintritt Berücksichtigung finden. Wieder betonte der BGH, daß, falls keine anstößige Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Bürgin vorliege, diese die Bürgschaft aufgrund emotionaler Bindung zu dem Hauptschuldner eingegangen sein müsse und die Bank dies in verwerflicher Weise ausgenutzt haben müsse, um den Bürgschaftsvertrag als sittenwidrig zu bezeichnen. Das Vorgehen der Bank dürfe sich dabei nicht im Hinblick auf einen Schutz vor Vermögensverlagerungen359 oder aus sonstigen berechtigten Interessen rechtfertigen lassen. Die Entscheidung stellt also zunächst einmal nur eine Zusammenfassung der bis dahin gemachten Ausführungen des BGH zur Unwirksamkeit von Bürgschaftsverträgen dar. BGH NJW 97,1980 = ZIP 97, 446 = WM 97, 511. Hier befand sich der Bürge, der nicht als geschäftlich unerfahren bezeichnet werden konnte, in einer Zwangslage. Er wurde bei einem Routinebesuch bei der Gläubigerin mit der Aufforderung, die Bürgschaft zu übernehmen, überrascht. Dabei blieb ihm nicht die nötige Zeit, um alle Vorteile (der Bürge hatte ein erhebliches Eigeninteresse an dem Fortbestand des Kreditverhältnisses) und Nachteile der Bürgschaft eigenverantwortlich gegeneinander abzuwägen. 358 NJW 99, 58 = ZIP 98, 1999. 359 Dazu in BGHZ 128, 230 = NJW 95, 592 = ZIP 95, 203; BGHZ 134, 325 = NJW 97, 1003 = WM 97, 467. 356 357
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Über den Fall hinaus weist das Gericht jedoch darauf hin, daß die Voraussetzungen zur Entscheidung über die Sittenwidrigkeit von Bürgschaftsverträgen seit der oben zitierten Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts 360 erst herausgearbeitet werden mußten. In dieser Zeit war somit nicht deutlich erkennbar, wie das Interesse der Bank an der Verhinderung von Vermögens verlagerungen durch geeignete vertragliche Regelungen abgesichert werden konnte. Aus diesem Grund mußte das Gericht die Bürgschaftsverträge als wirksam ansehen, in denen über die finanzielle Überforderung hinaus keine sonstigen erschwerenden Umstände vorlagen. Da nun durch die zahlreichen Entscheidungen des BGH eine Rechtssicherheit eingetreten sei, könne in Zukunft verlangt werden, daß die Banken einen beschränkten Haftungszweck (die zukünftige Vermögensverlagerung oder die spätere Erbschaft der Bürgin) vertraglich regeln. Beinhalteten neu geschlossene Bürgschaftsverträge eine solche Regelung nicht, dann könne der Vertrag nicht unter dem Gesichtspunkt des Schutzes vor Vermögensverlagerungen oder der Möglichkeit des Zugriffs auf zukünftiges Vermögen als wirksam ansehen werden. Der BGH fügt in einem letzten Satz hinzu, daß er diese neuen Grundsätze auf Bürgschaftsverträge anwenden werde, die ab dem 1.1.1999 geschlossen werden36I .
IV. Stellungnahme Die gerichtliche Kontrolle von Bürgschaftsverträgen bedarf seit der Entscheidung des BGH vom 8.10.1998 362 einer zeitlichen Zweiteilung. Die Unterscheidung liegt danach bei Bürgschaftsverträgen, die vor und nach dem 1.1.1999 abgeschlossen wurden.
1. Behandlung der vor dem 1.1.1999 abgeschlossenen Bürgschaftsverträge In den oben zitierten Fällen, die sich alle auf die Zeit vor dem 1.1.1999 bezogen, führten die Gerichte eine Kontrolle des Zustandekommens eines Bürgschaftsvertrages durch. Sie stellten zunächst einmal in allen Fällen BVerfGE 89, 214 == NJW 94,36 == WM 93, 2199 == ZIP 93, 1755. Die Diskussion ist mit diesem Urteil nicht beendet worden. Der XI. Senat des BGH hat inzwischen einen Vorlagebeschluß an den Großen Senat für Zivilsachen gerichtet (NJW 99, 2584), durch den die Frage geklärt werden soll, ob die Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft oder Mithaftungsübernahme einheitlich (auch bezüglich des Stichtages 1.1.1999) beurteilt werden muß. Weiterhin soll entschieden werden, ob alleine eine krasse finanzielle Überforderung für die Bejahung einer Sittenwidrigkeit ausreichen soll und ob diese schon dann bejaht werden kann, wenn noch nichtmals die vertraglich vereinbarten Zinsen bezahlt werden können. Zuletzt geht es um die Anrechnungsmöglichkeit von mittelbaren Vorteilen bei der Untersuchung eines angemessenen Interessenausgleichs. 362 NJW 99, 58 == ZIP 98, 1999. 360 361
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1. Teil: Vom formalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
inhaltlich eine krasse finanzielle Überforderung des Bürgen fest. Doch durften die Gerichte dabei nicht stehen bleiben, da jeder Bürger grundsätzlich die Möglichkeit besitzen muß, eine so hohe finanzielle Verpflichtung einzugehen, die er nur unter bestimmten Umständen erfüllen kann. Die Gerichte suchten deshalb zunächst nach besonderen Merkmalen bei Vertragsabschluß, die, falls nicht schon eine aktive Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Bürgen durch die Bank vorlag, dazu führen mußten, daß dieser keine freie Entscheidung darüber treffen konnte, ob er die Bürgschaft (in dieser Form) übernehmen wolle oder nicht. Es lag eine sogenannte Fremdbestimmung vor. In den vom BGH zu entscheidenden Fällen mußten die Bürgen meist als geschäftsunerfahren bezeichnet werden. Diese Geschäftsunerfahrenheit alleine kann jedoch nicht ausschlaggebend für die Bewertung des Vertrages sein, da der Gesetzgeber mit den Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit eine Aussage dahingehend gemacht hat, daß Rechtsgeschäfte von geschäftsfähigen Personen grundsätzlich als wirksam angesehen werden müssen. Die Bürgen hatten weiterhin in den Situationen, in denen das Gericht eine Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB bejahte, kein eigenes Interesse an dem Kredit für den Hauptschuldner. Hinzu trat eine meist emotionale Bindung zu dem letztgenannten, die den Bürgen bei dem Entschluß über das Eingehen auf einen solchen Bürgschaftsvertrag in eine Zwangslage brachte 363 . Daß der BGH bei bürgenden Kindern auch auf § 1618 a BGB zurückgreift, erscheint überflüssig, da bei Ehegatten und auch bei Arbeitnehmern ohne eine solche gesetzliche Vorschrift die Möglichkeit einer Zwangslage bejaht wurde. Hier zeigt sich die Rechtsunsicherheit, die zunächst nach Veröffentlichung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 364 vorlag, und die der BGH in seiner derzeit letzten Entscheidung zugibe 65 . Deutlich wird nun aber, daß der BGH bei der Herausbildung der Voraussetzungen einer Sittenwidrigkeit eines Bürgschaftsvertrages ein ähnliches Schema konzipiert, wie dies bei dem Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB bereits existiert366 . § 138 Abs. 2 BGB spricht von der Ausbeutung einer Zwangslage, der BGH stellt in der Mehrzahl der Bürgschaftsfälle auf eine emotionale Zwangslage ab. Weiterhin verlangt § 138 Abs. 2 BGB ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Vermögensvorteil, der BGH fordert ein Mißverhältnis zwischen Leistungsverpflichtung und Leistungsfähigkeit (er spricht von einer krassen finanziellen Überforderung). Bei der zweiten Voraussetzung zeigen sich jedoch gewisse Unterschiede. Während bei § 138 Abs. 2 BGB dieses Miß363 Im Falle des bürgenden Arbeitnehmers war dies die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes. 364 BVerfGE 89, 214 = NJW 94, 36 = WM 93, 2199 = ZIP 93, 1755. 365 NJW 99, 58 (60) = ZIP 98, 1999. 366 Dazu Schapp: Privatautonomie und Verfassungsrecht, ZBB 99, 30ff. (40).
§ 4 Vorläufiger Höhepunkt: Die Abschlußkontrolle von Verträgen
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verhältnis ungefahr bei Erreichung des doppelten Wertes angenommen wird 367 , entwickelte der BGH für die Bürgschaftsfalle einen neuen Maßstab. Er fordert für die Bejahung des Mißverhältnisses, daß der Bürge ab Fälligkeit der Bürgschaft aus seinem pfandbaren Einkommen vermutlich nicht mehr als ein Viertel der Bürgschaftsschuld innerhalb von fünf Jahren bezahlen kann 368 . Wendet man diese theoretischen Überlegungen in der Praxis an, so muß man zu folgenden Ergebnissen kommen: Die Banken führen in den meisten Fällen einer Kreditgewährung eine Bonitätsprüfung durch. Diese bezieht sich neben den finanziellen Gegebenheiten des Hauptschuldners auch auf die des Bürgen, der zur Absicherung des Kredits vertraglich gebunden wird. Den Banken müßte also bekannt bzw. grob fahrlässig unbekannt gewesen sein, daß die Bürgen hier finanziell überfordert waren. Es stellt sich deshalb die Frage, warum eine derartige, in den oben vorgetragenen Fällen wirtschaftlich sinnlose Bürgschaft verlangt wurde und weiterhin, warum die Bürgen sich durch einen Vertrag finanziell in einer solchen Größenordnung verpflichteten. Den Banken geht es dabei in den meisten Fällen primär um die Verhinderung von Vermögens verschiebungen von dem Hauptschuldner auf einen nahen Angehörigen 369 . Damit wollen sie für eine bessere Absicherung ihres dem Hauptschuldner gewährten Kredites sorgen. Auch den Banken steht das Recht auf Vertragsfreiheit zu, deshalb muß dieser vertragliche Zweck der Bürgschaft als legitim angesehen werden. Wägt man nun die zwangsläufig entgegengesetzten Interessen der Bank und des Bürgen gegeneinander ab, dann muß man zu dem Ergebnis kommen, daß der einen solchen Vertrag abschließende Bürge dabei nicht in seiner Vertragsfreiheit beeinträchtigt wird. Er muß bei Inanspruchnahme durch die Bank insbesondere auf das Vermögen zugreifen, das er von dem Hauptschuldner erlangt hat. In diesem Fall kann nicht davon gesprochen werden, daß sich der Bürge bei Vertragsschluß in einer Zwangslage befand. Auch wenn der Bürge im Vorfeld des Vertrages von dem Hauptschuldner oder der Bank zu dem Vertragsschluß veranlaßt wurde, besteht bei Unterstellung einer Haftungsbeschränkung ein Vertrag, der den Bürgen nicht 367 So liegt beispielsweise bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit von Zinsen die Wuchergrenze beim Zweifachen des Marktzinses, BGH NJW-RR 89, 1068. Beim wucherähnlichen Geschäft wird ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bejaht, wenn der objektive Wert der Leistung knapp doppelt so hoch liegt wie der objektive Wert der Gegenleistung, BGH NJW 95, 2635 (2636). 368 BGHZ 132, 328 (338) = NJW 96, 2088 = ZIP 96, 1126 = WM 96, 1124; BGHZ 134, 325 (332) = NJW 97, 1003 = ZIP 97, 406 = WM 97, 467; aufgenommen durch OLG Frankfurt OLGR 99,89. 369 Eine ähnliche Situation lag wohl auch bei der Bürgschaftsübemahme durch einen Minderheitsgesellschafter einer GmbH vor, siehe oben unter § 4 III 2c.
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1. Teil: Vom fonnalen zum materiellen Verständnis der Vertragsfreiheit
unangemessen benachteiligt. Konnte der Bürge jedoch von der Bank in Anspruch genommen werden, ohne bis dahin Vermögen (insbesondere von dem Hauptschuldner) erworben zu haben, wie dies in den oben zitierten Entscheidungen wohl der Fall war, dann stellt sich die Frage, wie es zu einer solchen Verpflichtung, die sich eindeutig aus dem Bürgschaftsvertrag ergibt, gekommen ist. Der Bürgschaftsvertrag geht dann über den eben erwähnten beschränkten Haftungszweck hinaus. Der Bürge soll im Ergebnis uneingeschränkt in Anspruch genommen werden können, ohne daß dessen finanzielle Situation in irgendeiner Weise Berücksichtigung findet. Durch einen solchen Vertrag wird das Interesse des Bürgen nicht gewahrt, statt dessen steht alleine das Interesse der Bank an einer unbeschränkten Haftung im Vordergrund. In einer derartigen Situation muß man wohl unterstellen können, daß sich der Bürge bei Vertragsabschluß in einer Zwangslage befand, die zu einer so weitreichenden Verpflichtung führen konnte. Wenn diese Tatsache von den Banken ausgenutzt wurde, müssen die Gerichte den auf diese Art und Weise zustande gekommenen Verträgen die Wirksamkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB versagen, um zu einem Schutz der (negativen) Vertragsfreiheit des Bürgen zu gelangen. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits in seiner Entscheidung vom 19. Oktober 1993370 die Nutzung der gesamten Generalklauseln zur Wahrung der Privatautonomie hervorgehoben. Der BGH unterscheidet nun deutlich zwischen § 138 Abs. 1 BGB und § 242 BGB und prüft deren Voraussetzungen getrennt voneinander. Bei der Inaussichtstellung einer Erbschaft argumentierte der BGH mit Hilfe des Prinzips von Treu und Glauben des § 242 BGB, daß es der Bank verwehrt sein solle, den Bürgen vor Anfall der Erbschaft in Anspruch zu nehmen 37 ). Zu dieser Fallkonstellation müssen zunächst gleiche Überlegungen angestellt werden, wie dies eben getan wurde. Auch hier gilt, daß die Banken Sicherheiten für Kredite verlangen können. Diese Sicherheiten müssen nicht alleine durch den Hauptschuldner erbracht werden, sie müssen jedoch vorhanden oder wenigstens sicher zu erwarten sein, wenn die Bank die Kreditgewährung von deren Erbringung abhängig macht 372 . Hier verfügte der Bürge im Zeitpunkt des Vertrags schlusses über kein nennenswertes Vermögen. Doch bestand bereits die Aussicht auf eine Erbschaft in nicht unerheblicher Höhe. Es stellt sich BVerfGE 89, 214 =NJW 94,36 = WM 93, 2199 = ZIP 93, 1755. Dann wird jedoch keine Abschlußkontrolle im Sinne dieses Abschnitts durchgeführt. 372 Bei der Bürgschaftsübemahme durch einen Arbeitnehmer des Hauptschuldners sollte wohl auch eine weitere Sicherheit für den Kredit erbracht werden, doch verfügte der Arbeitnehmer über kein nennenswertes Vennögen. Die Gründe, die die Bank dazu bewegten, den Kredit von einer solchen Bürgschaft abhängig zu machen, werden nicht ganz klar, jedenfalls mußte das Gericht dann zu einer Sittenwidrigkeit des Vertrages kommen. 370 37\
§ 4 Vorläufiger Höhepunkt: Die Abschlußkontrolle von Verträgen
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wieder die Frage des Interessenausgleichs zwischen Bank und Bürgen. War die Bürgschaft auf den Fall begrenzt, daß der Bürge Vermögen durch eine Erbschaft erwerben würde, dann besteht ein berechtigtes Interesse der Bank an einem solchen "Vertragsschluß mit beschränkter Haftung". Die Vertragsfreiheit des Bürgen kann nicht als beeinträchtigt angesehen werden. Wurde eine solche Haftungsbegrenzung nicht vereinbart und kam es deshalb zu einer Inanspruchnahme des Bürgen, ohne daß dieser nennenswertes Vermögen erworben hatte, dann muß davon ausgegangen werden, daß er sich bei Vertragsschluß in einer Zwangslage befand, die seine Vertragsfreiheit beeinträchtigte. Aus diesem Grund muß ein solcher Vertrag konsequenterweise als von Anfang an nichtig i. S. d. § 138 Abs. 1 BGB angesehen werden. Man kommt dann entgegen der Auffassung des BGH nicht mehr zu einer Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben nach § 242 BGB, der es der Bank verwehrt, den Bürgen aus dem Vertrag in Anspruch zu nehmen, bevor der Erbfall eingetreten ist. Das Gericht nutzte auch in Fällen einer Scheidung des Hauptschuldners und der Bürgin den § 242 BGB, um zu einem als gerecht zu bezeichnenden Ergebnis zu kommen. Ausgangspunkt war wiederum die finanzielle Überforderung der bürgenden Ehefrau des Hauptschuldners. Hier verneinte es zunächst eine Zwangslage mit der Begründung, die Kreditgewährung für den Geschäftsbetrieb diene dem Lebensunterhalt der Familie und werde aus diesem Grund "vertrauensvoll zwischen den Ehepartnern" erörtert, ohne einen unzulässigen Druck auszuüben. Es sei im Ansatz nicht zu beanstanden, daß die Banken die Ehefrau in eine beschränkte Haftung mit einbezögen. Dann lägen im Ergebnis bei Vertragsabschluß keine Umstände vor, die zu einer Nichtigkeit des Bürgschaftsvertrages über § 138 BGB führten. Doch änderten sich die dem Vertrag zugrundeliegenden Verhältnisse durch die Scheidung der Ehegatten. Zur rechtlichen Beurteilung des Vertrages muß wieder der Grund der Bank berücksichtigt werden, diese Bürgschaft von dem Ehegatten des Hauptschuldners zu verlangen. Es geht wieder primär um die Verhinderung einer Vermögensverschiebung. Der BGH nimmt deshalb an, im Falle einer Scheidung bestehe dieses Gefahr nicht mehr, und somit entfalle die Geschäftsgrundlage des Vertrages nach § 242 BGB 373 • Doch müssen hier wieder die gleichen Ausführungen gemacht werden wie zu einer erwarteten Erbschaft. Fraglich ist, welche Rolle das Bestehen der Ehe hier spielt. Ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen der Bank und der Ehefrau des Hauptschuldners kann nur durch einen Vertragsschluß herbeigeführt werden, durch den die Frau nur im Falle einer Vermögensverschiebung in Anspruch genommen wird. Nach der Scheidung 373 Dies führt im Ergebnis wegen der Unzumutbarkeit des Vertrages zunächst einmal nur zu einer Vertragsanpassung, im Einzelfall jedoch zu einer Reduktion der Zahlungspflicht auf Null.
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besteht jedenfalls grundsätzlich eine solche Gefahr nicht mehr. Für die Wirksamkeit des Vertrages muß es als ausreichend angesehen werden, daß darin ein beschränkter Haftungszweck, bezogen auf diese Vennögensverschiebung, eindeutig vereinbart wurde. Dann muß man nicht mehr zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 242 BGB kommen. Ist kein Haftungszweck vereinbart worden, ist der Vertrag nichtig nach § 138 Abs. 1 BGB. Anders kann es in dem Fall sein, in dem die Ehefrau mit ihrem gesamten eigenen Vennögen haften soll, das sie nach Vertragsschluß eventuell erwirbt. Hat die Bürgin im Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine konkrete Erbschaft in Aussicht, die zur Tilgung der Schulden des Hauptschuldners benutzt werden kann, dann muß ein Bürgschaftsvertrag, in dem ein solcher beschränkter Vertragszweck vereinbart wurde, wiederum als wirksam angesehen und eine Zwangslage verneint werden. Im Falle einer Scheidung der Ehe hat die Frau grundsätzlich kein Interesse mehr an dem für den Mann gewährten Kredit und seiner Tilgung, das Interesse der Bank an einer weiteren Sicherheit bleibt jedoch bestehen. Es muß deshalb wieder eine Interessenabwägung durchgeführt werden, die zu einer Bewertung des beiderseitigen Rechts auf Vertragsfreiheit führt. Hier kann jedoch nichts anderes gelten als das, was oben bereits in den anderen Fällen der Bürgschaftsübernahme ausgeführt wurde. Auch hier wollte die Frau wohl nur solange mit ihrem Vennögen als Bürgin einstehen, wie die Ehe existiert. Fehlt eine solche Haftungseinschränkung, dann kann man davon ausgehen, daß die Frau sich bei Vertragsabschluß in einer Zwangslage befand, sie also nicht von ihrem Recht auf Vertragsfreiheit Gebrauch machen konnte. Eine Haftung über den Bestand der Ehe hinaus müßte ausdrücklich im Vertrag geregelt werden. Dieses Vorgehen kann in der Praxis auch von den Vertragsbeteiligten gefordert werden. Auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Scheidung müßte dann nicht mehr abgestellt werden. 2. Änderung für die nach dem 1.1.1999 abgeschlossenen Bürgschaftsverträge Fraglich ist jedoch, wie die von dem BGH in dem Urteil vom 8.10.1998 374 datierte Grenze behandelt werden muß, durch die das Gericht angibt, daß Bürgschaftsverträge, die nach dem 1.1.1999 geschlossen werden und die keine Haftungsbeschränkung beinhalten, nicht mehr alleine unter Verweis auf den Schutz vor Vennögensverlagerungen oder die Möglichkeit des Zugriffs auf zukünftiges Vennögen als wirksam angesehen werden können. Der BGH verlangt eine eindeutige vertragliche Regelung des beschränkten Haftungszweckes. Wird ein solcher Zweck in Bürgschaftsverträgen ab dem 1.1.1999 nicht ausdrücklich vereinbart, dann schränken Verträge in dieser Fonn die Vertragsfreiheit des Bürgen unangemessen ein und 374
NJW 99, 58 = ZIP 98, 1999.
§ 4 Vorläufiger Höhepunkt: Die Abschlußkontrolle von Verträgen
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führen im Ergebnis zu einer Fremdbestimmung und zu einer Unwirksamkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB. Es entfallt die Möglichkeit der Vermutung dahingehend, daß der Bürge sich nur aufgrund seiner emotionalen Zwangslage auf diesen Vertrag eingelassen haben könnte, wenn keine ausdrückliche Haftungsbeschränkung besteht375 . Gerade bei der Beurteilung der Erbschaftsfalle sowie der Fälle der Scheidung der Bürgin von dem Hauptschuldner wird erkennbar, daß das neue Urteil des BGH zu einer Verdeutlichung der bereits vorher existierenden Haftungsprinzipien führt. In bei den Fällen muß der Vertrag als wirksam angesehen werden, wenn dieser begrenzte Haftungszweck ausdrücklich im Vertrag geregelt wurde 376 • Wurde er nicht vertraglich fixiert, ist der Vertrag als sittenwidrig i. S. d. § 138 Abs. 1 BGB einzustufen. Das Urteil führt zu einer Bestätigung der oben angestellten Überlegungen, daß die Kontrolle eines Bürgschaftsvertrages durch ein Gericht bei einem Vertrag, der nach dem 1.1.1999 geschlossen wurde, nicht mehr auf § 242 BGB gestützt werden kann 377 . Dies ergibt sich ausdrücklich aus dem zweiten Leitsatz des Urteils, der davon spricht, daß die "Sittenwidrigkeit" eines Bürgschaftsvertrages mit beschränktem Haftungszweck ausgeschlossen ist, wenn das Interesse der Bank auf das vom Bürgen später erworbene Vermögen gerichtet ist. Die Vorgaben des BGH stellen eine Beweiserleichterung für die Banken dar und kennzeichnen zusätzlich den Schutz des Bürgen vor einer finanziellen Überforderung. Deren Praktizierung ist auch zumutbar, so daß ihr keine rechtlichen Bedenken gegenüberstehen. Fraglich bleibt alleine die rechtliche Würdigung der mit einer solchen Haftungsbegrenzung versehenen Bürgschaft. Aus einem Bürgschaftsvertrag gemäß § 765 BGB haftet der Bürge grundsätzlich mit seinem gesamten Vermögen. Es können jedoch keine Bedenken dagegen erhoben werden, daß zugunsten des Bürgen eine Begrenzung der Haftung vertraglich vereinbart werden kann, wenn dies dazu dient, daß der Bürge bei dieser Fallkonstellation von dem ihm zustehenden Recht auf Vertragsfreiheit Gebrauch machen kann. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts muß diese Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Bank und Bürgen sogar gefordert werden. 375 Schapp (in: Privatautonomie und Verfassungsrecht, ZBB 99, 30ff. (39f.» deutet das Urteil so, daß die Umdeutung einer Bürgschaft, die wegen Vermögenslosigkeit des nahen Angehörigen als sittenwidrig angesehen werden muß, in eine Bürgschaft für den Fall zukünftigen Vermögenserwerbs durch Vermögensverschiebung oder Erbschaft unzulässig sei. Damit bestätige der BGH nur seine frühere Rechtsprechung (BGHZ 68, 204; Larenz: Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, § 23 III) zur Unzulässigkeit der Umdeutung sittenwidriger Rechtsgeschäfte. 376 So auch BGH NJW 99, 58 = ZIP 98, 1999. 377 So auch Schapp: Privatautonomie und Verfassungsrecht, ZBB 99, 30ff. (40).
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3. Anwendungsbereich der dargestellten Grundsätze Warum in diesem Ausmaß gerade Bürgschaftsverträge zu einer so weit verzweigten Judikatur geführt haben, liegt wohl insbesondere an der großen Schutzbedürftigkeit des Bürgen, der einseitig belastet wird. Ein gesetzlicher Schutz des Bürgen ist bis auf § 766 BGB, dem Schriftformerfordernis der Bürgschaftserklärung, nicht vorhanden. Die dadurch verankerte Wamfunktion kann im Falle einer Zwangslage des Bürgen nicht erfüllt werden. Zu schnell wird die Unterschrift in einer solchen, oft gefühlsbetonten Situation unter ein Formular gesetzt37S • Deshalb ist die Kontrolle eines Bürgschaftsvertrages besonders erforderlich, um eine bestehende Ungleichgewichtslage durch die Gerichte zu kompensieren. Eine Abschlußkontrolle durch die Gerichte kann jedoch nicht auf Bürgschaftsverträge beschränkt bleiben 379 • Grundsätzlich muß die gerichtliche Möglichkeit bestehen, jede Art von Verträgen dahingehend zu kontrollieren, ob die Art und Weise ihres Zustandekommens in Verbindung mit den sich aus ihnen ergebenden Rechtsfolgen als durch die Rechtsordnung nicht mehr hinnehmbar erscheint, so daß ihnen die Wirksamkeit versagt werden muß. Dabei müssen aber genau so strenge Maßstäbe angesetzt werden, wie dies in den Bürgschaftsfallen geschehen ist. Die weit gefaßte Möglichkeit einer Abschlußkontrolle von Verträgen darf nicht zu Lasten der Rechtssicherheit gewährt werden 3so . Erforderlich ist deshalb die Herausbildung von Fallgruppen. Wenn sich im Laufe einer gewissen Zeit herausstellt, daß in einer bestimmten Situation typischerweise eine Ungleichgewichtslage zwischen zwei Vertragsparteien bestehe Sl und unseriöse Geschäftspartner diese Lage in mißbräuchlicher Weise zu einer Übervorteilung ausnutzen, dann erscheint ein gerichtliches Eingreifen unter Konkretisierung dieser Fallgruppe geboten. Neben der Beachtung der abstrakt aufgestellten Voraussetzungen müssen aber immer die Gesamtumstände des Einzelfalles eine Rolle spielen. Darin liegt der besondere Vorteil einer gerichtlichen Entscheidung im Gegensatz zu einer starren gesetzlichen Regelung, bei der nur eingeschränkt durch Auslegung der Normen auf besondere Umstände Rücksicht genommen werden kann.
Medicus: Leistungsfähigkeit und Rechtsgeschäft, ZIP 89, 817ff. (820). Siehe dazu auch die Ausführungen von Drygala: Schutz der Privatautonomie durch Inhaltskontrolle von Individualverträgen, S. 64. 380 So bereits BVerfGE 89, 214 = NJW 94,36 = WM 93,2199 = ZIP 93, 1755. 381 Dies wird entweder an einer vennehrten Beschäftigung der Gerichte mit Fällen dieser Art deutlich, oder Verbraucherverbände, die sich mit solchen Situationen auseinandersetzen, gehen an die Öffentlichkeit und machen auf das Problem aufmerksam. 378
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Dies gilt jedenfalls solange, bis eine gesetzliche Regelung zum Schutz der schwächeren Vertragspartei erlassen wird 382 . Hier kann bereits ein Beispiel zur Ausweitung der Abschlußkontrolle angeführt werden. Der BGH hat in einer neuen Entscheidung 383 die zu den Bürgschaftsfallen aufgestellten Grundsätze auf die Mithaftung der Ehefrau durch Schuldbeitritt zu dem ursprünglich alleine dem Ehemann gewährten Kredit angewendet. Auch hier lag eine finanzielle Überforderung der Ehefrau vor. Darüber hinaus wurden weitere Umstände bei Vertragsabschluß untersucht, die zu einer Sittenwidrigkeit des gesamten Vertrages führen konnten 384 . Hier liegt eine ähnliche Interessenlage vor wie bei den Bürgschaftsfallen, so daß einer uneingeschränkten Übertragung der Ausführungen zu den Bürgschaften naher Angehöriger nichts im Wege steht. Vergleichbare Überlegungen können für die Problematik einer Vorfälligkeitsentschädigung angestellt werden, die auch den bankrechtlichen Fragen angehört385 . Darunter versteht man den Fall, daß ein Kreditnehmer das ihm gewährte Darlehen vorzeitig zurückzahlen will, welches häufig durch ein Grundpfandrecht gesichert ist. Die Bank läßt sich auf eine vorzeitige Rückzahlung nur unter der Prämisse der Zahlung einer bestimmten Geldsumme ein. Der Schuldner befindet sich im Normalfall dann in einer Zwangslage, da er auf die Ablösung des Grundpfandrechts wirtschaftlich angewiesen ist. Wenn er keine Ausweichmöglichkeit hat, insbesondere wenn er keinen Käufer findet, der Darlehen und Grundpfandrecht übernimmt, muß er den von der Bank geforderten Betrag zahlen. Die Bank darf dann jedoch nach Meinung des BGH nicht jeden beliebigen Preis bis zur Grenze des § 138 BGB verlangen, sondern nur den Ausgleich der Nachteile beanspruchen, die ihr durch die vorzeitige Kreditablösung entstehen 386 • Nur dann kann von einem gerechten Interessenausgleich zwischen dem der Bank und dem Kreditnehmer zustehenden Recht auf Privatautonomie gesprochen werden. 382 Für eine primäre Entscheidungskompetenz des Gesetzgebers beim Vorliegen einer Ungleichgewichtslage zwischen den Vertragspartnern jedoch Singer: Selbstbestimmung und Verkehrs schutz im Recht der Willenserklärungen, S. 33; ebenso Höfling: Vertragsfreiheit S. 54; Fastrich: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 76. Siehe dazu auch BVerfGE 81, 242 (255). 383 Urteil vom 6.10.1998, NJW 99, 135 = ZIP 98, 1905. 384 Der 11. Senat des BGH führte zunächst aus, der Kredit sei auch der Frau zugute gekommen, sie habe somit ein eigenes Interesse daran gehabt, welches zu einer Verneinung der Sittenwidrigkeit führen müsse. Geklärt werden müsse jedoch noch durch das Berufungsgericht, ob bei Vertragsabschluß eine Verharmlosung oder Verschleierung des Haftungsrisikos seitens der Bank stattfand. 385 Dazu Canaris: Die Vorfälligkeitsentschädigung zwischen Privatautonomie und richterlicher Regulierung - zugleich ein Beitrag zum Verhältnis von Abschlußzwang und Inhaltsfreiheit -, FS Zöllner S. 1055 ff. 386 BGHZ 136, 161 (167). 7 Knobel
2. Teil
Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit § 5 Einleitung: Vertragsfreiheit in der Krise? Wie im 1. Teil anhand der Veränderungen in der Rechtsprechung und der Gesetzgebung dargestellt, ist das Verständnis der Vertragsfreiheit einem ständigen Wandel unterlegen. Diese Änderungen können insbesondere durch die Literatur verdeutlicht und in ihrer Gesamtheit dargestellt werden. Dabei besteht auch die Möglichkeit, gewisse Grundtendenzen herauszuarbeiten. Die Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Beobachtungen können dann im Rahmen der gesamten Rechtsordnung gewürdigt werden.
I. Kritik der Literatur an der liberalen Vertragsfreiheit Die Literatur verfolgte die Bemühungen des Gesetzgebers und der Gerichte zum Schutz der schwächeren Vertragspartei aufmerksam. Die sich dabei herausbildende Auffassung, es läge eine "Krise des liberalen Vertragsdenkens'" vor, fand bereits in den 50er Jahren viele Anhänger und verfestigte sich im Verlauf der nächsten zwanzig Jahre. Es wurde insbesondere proklamiert, die traditionell verstandene Vertragsfreiheit, d. h. die dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrundegelegte, sei inzwischen weitgehend fiktiv, da es viele Situationen gebe, in denen aufgrund unterschiedlicher Machtverteilung das liberale Vertragsmodell nicht funktionieren könne. Ramm spricht sogar davon, daß in keinem zentralen Lebensverhältnis mehr eine freie Selbstbestimmung durch Vertrag Realität sei 2• An Stelle der "fonnalen" Vertragsfreiheit müsse deshalb eine materiale "Vertragsgerechtigkeit" treten 3 • Zweigert geht in seiner Kritik noch einen Schritt weiter4 • Er vertritt die Meinung, die so verstandene Vertragsfreiheit lasse soziale und wirt1 So bereits Reinhardt: Die Vereinigung subjektiver und objektiver Gestaltungskräfte im Vertrage, FS Schmidt-Rimpler, S. 115. 2 Ramm: Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft, S. 2. 3 So zusammenfassend Kramer: Die Krise des liberalen Vertragsdenkens, S. 12. Ebenso Raiser [in: Vertragsfunktion und Vertragsfreiheit, FS Deutscher Juristentag, Bd. I, S. 101 ff. (129)], der davon spricht, die materielle Vertragsgerechtigkeit sollte das Henstück einer juristischen Vertragslehre ausmachen. 4 Zweigert/Kötz: Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 6ff.
§ 5 Einleitung: Vertragsfreiheit in der Krise?
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schaftliehe Komponenten gänzlich außer Betracht und mache ungeachtet vielfältiger einseitiger Machtlagen die Selbstherrlichkeit des einzelnen zur Despotie über andere. In Wirklichkeit gebe es überhaupt keine VertragsfreiheiL Zweigert schlägt deshalb vor, die Rechtsordnung solle das mitgeschleppte Verfahren, das die Vertragsfreiheit als ein Prinzip verkündet und ihre Ausnahmen herausarbeitet, fallenlassen 5 .
11. Veränderte Vertragsdogmatik Diese vielfach geäußerte Kritik führte dazu, daß die Vertragsdogmatik in der Literatur neu überdacht wurde. Aufgrund der durch die liberale Vertragsfreiheit ausgelösten Mißstände wurden Versuche unternommen, die Vertragspflichten als Sozialpflichten anzusehen. Diese müßten sich in Abschluß, Wirksamkeit, Auslegung und Abwicklung realisieren. Diese Pflichten sollten nicht nur gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner existieren, sondern auch gegenüber Dritten. Aus diesen Überlegungen heraus schlägt insbesondere Pawlowski6 vor, einen besonders änderungsanfälligen Bereich aus dem Privatrecht auszuklammern und diesen einer neuen Kategorie mit dem Namen Sozialrecht zuzuordnen. Dazu zählt er besonders das Arbeitsrecht, das Wirtschaftsrecht (daraus insbesondere das Kartellrecht), das Eherecht, den Mieterschutz, das Recht der wirtschaftlich bedeutsamen Vereine sowie das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Kennzeichnend für das Sozialrecht sei, daß der einzelne Rechtsgenosse seine Entscheidung zu begründen habe, er allerdings bei der Begründung rechtlich freier sei als im Gebiet des Öffentlichen Rechts. Dabei sei er aber an die Rechts- und Moralvorstellungen der beteiligten Sozialgruppen gebunden. Dies würde im Ergebnis dazu führen, daß die Vertragsfreiheit in ihrer weit verstandenen Form nur im Privatrecht gelten würde, ihr aber in dem sogenannten Sozialrecht nur eine untergeordnete Aufgabe zukäme, um gerechte Ergebnisse zwischen den unterschiedlich starken Vertragspartnern erzielen zu können. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kam Sinzheimer, der ebenfalls die Einführung eines "sozialen Rechts" propagierte7 . Er brach die strikte Tren5 Zweigert: "Rechtsgeschäft" und "Vertrag" heute in: lus privatum gentium, FS Rheinstein, 11. Band, S. 493ff. (503f.). Die kritischen Stimmen sind bis heute nicht verhallt. So spricht Honsell (in: Anmerkung zu BGH v. 19.1.1989, IX ZR 124/88, JZ 89, 495) trotz erheblicher Erfolge bei der Bekämpfung der durch das liberale Vertragsdenken hervorgerufenen Mißstände noch im Jahre 1989 von dem eisigen Wind der Privatautonomie des ausgehenden 19. Jahrhunderts. 6 Pawlowski: Allgemeiner Teil des BGB, § 1 I 2 b, c. 7 Sinzheimer: "Über einige Grundfragen des Arbeitstarifrechts" in: Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des RG, Bd. IV, S. 1 ff. (15). 7·
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
nung zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht auf, die den Menschen seiner Meinung nach nur entweder als Einzelwesen in Einzelverhältnissen oder als Glieder eines öffentlichen Gemeinwesens rechtlich erfasse. Dem Recht sei statt dessen ein neuer Gegenstand, die gesellschaftliche Verbundenheit als solche, zugewachsen. Sinzheimer vertrat insbesondere im Bereich des Arbeitsrechts die Meinung, daß das soziale Recht die individuelle Lebensgestaltung anstrebe, diese aber nicht dem Einzelwillen und seinem individuellen Machtbereich überlasse. Als Konsequenz daraus ergab sich für ihn, daß die funktionale Steuerung von oben dem natürlichen Spiel der Kräfte im Arbeitsverhältnis vorzuziehen sei. Doch kann den Anschauungen in der Literatur nicht gefolgt werden. Sie widersprechen der klassischen Einteilung der Rechtsgebiete und den ihnen zugrundeliegenden Strukturprinzipien. Der Herausnahme eines großen Rechtsbereiches aus dem ursprünglichen Privatrecht steht die dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrunde liegende Systematik der Ausklammerung allgemeiner Regelungen entgegen. Der Einfluß der Rechts- und Moralvorstellungen, den vor allem Pawlowski anspricht, wird bereits durch die Ausgestaltung der Generalklauseln realisiert. Statt dessen muß auf der Basis der gleichen Grundprinzipien für alle Rechtssubjekte versucht werden, die Bereiche, in denen die Vertragsfreiheit typischerweise nicht zu gerechten Vertragsbedingungen führt, durch geeignete gesetzliche oder gerichtliche Maßnahmen auszugestalten.
111. Verteidigung der liberalen Vertragsfreiheit Trotz der vielfach geäußerten Kritik wurde noch in den 50er Jahren das liberale Gedankengut der Jahrhundertwende zunächst ohne Einschränkungen vehement verteidigt. So erklärte Essers, die Integrität der Privatautonomie als unverrückbare Grundnorm des Bürgerlichen Gesetzbuches dürfe nicht mit Hilfe des § 242 BGB durch richterlichen Interventionismus als Teil einer kollektivistischen Front gegenüber den Garantien der Persönlichkeit durch das System der Privatautonomie pervertiert werden. Auch Ernst Wolf kritisierte die Versuche einer Veränderung der Vertragsfreiheit. Er sprach unter dem Titel "Der Kampf gegen das Vertragsrecht" von einem politischen Kampf, der sowohl von konservativer als auch von sozialistischer Seite gegen die "individualistische" Auffassung vom Menschen als Persönlichkeit mit ursprünglichen Rechten geführt werde. Dabei spiele der Vertrag, mit dem die Menschen über ihre rechtlichen Verhältnisse selber entscheiden würden, eine besondere Rolle9 • An Stelle der rechtlichen Frei8
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Esser: § 242 BGB und die Privatautonomie, JZ 56, 555 ff. (557). Wolf, Ernst: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 8 F, S. 413ff.
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heit des Menschen träten scheinmoralische, machtherrschaftliche Leerwörter wie beispielsweise "Treue", "Glauben", "Vertrauen", "Gerechtigkeit" und "Inhaltskontrolle". Dabei handele es sich darum, die freie Selbstbestimmung der Menschen über ihre rechtlichen Verhältnisse durch die Unterworfenheit unter gerichtliche Machtansprüche zu ersetzen. Die Beibehaltung des Wortes "Vertrag" für diesen "Wandel" sei irreführend.
IV. Modifizierung der Vertragsfreiheit Doch konnte diese starre Haltung so nicht beibehalten werden. Die formal verstandene Vertragsfreiheit mußte - wie die gesetzlichen und gerichtlichen Maßnahmen zeigten - in vielfältiger Weise modifiziert werden, um in der Rechtspraxis auf die dadurch ausgelösten sozialen Mißstände reagieren zu können. Wie im 1. Teil dargestellt, versuchten zunächst insbesondere die Gerichte, für mehr Vertragsgerechtigkeit zu sorgen. Diese Versuche einer richterlichen Korrektur zur Rettung der Vertragsfreiheit sieht Kramer in seiner Abhandlung lO allerdings als wenig effektiv an, da wegen der unklaren Rechtslage wohl nur ein winziger Bruchteil der problematischen Fälle einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich gemacht werde, weil das Prozeßrisiko für den Anfechtenden viel zu groß sei 11. Weiterhin habe die Entscheidung über diesen "Bruchteil" keine präjudizierende Kraft, und der Gerichtsbarkeit würden weitgehend abstrakt-allgemeine, operationale gesetzliche Kriterien zur Begründung der getroffenen Entscheidung fehlen l2 . Kramer kommt deshalb zu dem Ergebnis, daß es illusionär wäre, anzunehmen, man könne bei diesem status quo von der Gerichtsbarkeit eine durchgreifende soziale Bewältigung privater Rechtsetzung erwarten 13. Die Gerichtsbarkeit ebenso wie die Lehre würde statt dessen an den Grundfesten liberalen Denkens rütteln. Er zieht daraus die Konsequenz, daß von vornherein der Aufbau wirtschaftlicher Übermacht verhindert werden müsse. Dies könne durch exogene Kontrolle wirtschaftlicher Macht durch wirtschaftsrechtliche Staatsinterventionen realisiert werden 14. Den in den 70er Jahren aufgestellten Argumenten Kramers, daß die Gerichte nicht in der Lage seien, der wirtschaftlichen Übermacht Einzelner entgegenzutreten, muß jedoch widersprochen werden. Sie haben keine aktuelle Bedeutung mehr. Anhand der allseits bekannten Prozeßflut läßt sich 10 Kramer: Die "Krise" des liberalen Vertragsdenkens, S. 18; Mückenberger/ Hart: Einleitung, KritJ 71, 241 ff. (246). 11 Auf das Problem weist Rehbinder (in: Allgemeine Geschäftsbedingungen und die Kontrolle ihres Inhalts, S. 24) hin. 12 Mückenberger/Hart: Einleitung, KritJ 71, 24lff. (246). 13 Kramer: Die "Krise" des liberalen Vertragsdenkens, S. 18f., 32. 14 Kramer: Die "Krise" des liberalen Vertragsdenkens, S. 19, 37ff.
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
leicht nachweisen, daß inzwischen eine Vielzahl von Fällen, in denen ein Ungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien, welches zu einem nicht als gerecht zu bezeichnenden Vertragsinhalt führt, die Gerichte erreicht hat ls . Nicht unterschätzt werden darf weiterhin das Bemühen der schwerpunktmäßig verbraucherschutzorientierten Institutionen, wie beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher ebenso wie der Spezialverbände (Deutscher Mieterbund, Bund der Versicherten) 16. Diesen steht zwar nach überwiegender Meinung nicht das Recht einer gesetzlichen Prozeßstandschaft zu, doch kann sich ein Klagerecht aus einer gewillkürten Prozeßstand schaft kraft besonderer Ermächtigung oder aus treuhänderischer Abtretung ergeben 17 • In bestimmten Fällen kommt auch ein sogenannter Musterprozeß in Betracht. Dabei wird beim Vorliegen von gleichgelagerten Parallel verfahren ein Rechtsstreit geführt, bei dem aus Effektivitäts- und Kostengründen nur einzelne Verfahren weiter betrieben werden. Durch diese einzelnen Verfahren wird eine höchstrichterliche Klärung herbeigeführt l8 . § 21 AGBG bewirkt im Falle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine rechtlich bindende Breitenwirkung. Danach zeigt ein nach §§ 13 ff. AGBG ergangenes Unterlassungs urteil gegenüber einem Verwender Wirkung zugunsten Dritter, die Vertragspartner des Verwenders sind, falls nicht der Verwender das Unterlassungsurteil mit einer Klage nach § 19 AGBG angreift l9 . Damit können die Interessen der Verbraucher und Mieter inzwischen in einem viel größeren Umfang vertreten werden, als dies Kramer in seiner Abhandlung berücksichtigen konnte. Dogmatisch näherte man sich in der Literatur zunächst nur vorsichtig diesen neuen Bestrebungen zur Schaffung von mehr Vertragsgerechtigkeit. Canaris vertrat in diesem Zusammenhang schon frühzeitig die Ansicht, die Vertragsfreiheit werde um der Freiheit, nicht um der Gerechtigkeit willen gewährleistet. Was jedoch das Verhältnis zwischen Vertragsfreiheit und -gerechtigkeit angehe, so müsse alleine die Frage gestellt werden, wie sich 15 Dabei spielt bekanntermaßen auch der Anstieg der abgeschlossenen Rechtsschutzversicherungen eine Rolle. 16 Dazu ausführlich bei v. Hippel: Verbraucherschutz, S. 27ff. 17 Zöller/Vollkommer ZPO Vor § 50 Rn. 58 ff. Siehe insbesondere die gesetzlichen Ermächtigungen der §§ I3 Abs. 2 Nr. 3 UWG und I3 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AGBG. Rosenberg/Schwab/Gottwald (Zivilprozeßrecht § 47 3 a) vertreten demgegenüber die Meinung, daß den Verbänden zur Förderung gewerblicher Interessen und den Verbraucherverbänden auch im öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Wettbewerbsordnung in dem gesetzlichen Rahmen ein eigener Abwehranspruch eingeräumt wurde. 18 Rosenberg/Schwab/Gottwald: Zivilprozeßrecht, § 156 IV; ZölIer/Vollkommer ZPO § 325 Rn. 43b. 19 Dazu MünchKomm-Gerlach AGBG § 21 Rn. 1.
§ 5 Einleitung: Vertragsfreiheit in der Krise?
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im Rahmen der Vertragsfreiheit Ungerechtigkeiten vermeiden ließen. Doch es gebe viele wirksame Hemmnisse gegen grob ungerechte Ergebnisse, so daß eine derartige Ordnung auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten unbedenklich sei 20. Diese Auffassung hat sich überwiegend durchgesetzt. Dabei wird die Vertragsfreiheit in ihrem wesentlichen Inhalt beibehalten, an einigen sozial wichtigen Stellen jedoch neu definiert. Aume 21 stellt in diesem Zusammenhang fest, daß die Krisenstimmung in der Literatur durch eine Verkennung des grundsätzlichen Gehalts der Liberalisierungsgedanken des 19. Jahrhunderts ausgelöst wurde. Die Vorstellung von einer "Selbstherrlichkeit des einzelnen, der sich den Beschränkungen durch das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit nicht zu fügen brauche,m, könne sich, was selbstverständlich sei, nur in den Bindungen der Rechtsordnung entfalten. Aus diesem Grund bestehe kein Anlaß, "an der Privatautonomie als einem Wert irre zu werden". In dem Zusammenhang von Freiheit und Bindung bewähre sich der Grundsatz der Privatautonomie. In die gleiche Richtung geht die Argumentation Hönns zur Verteidigung des Grundprinzips der Vertragsfreiheit. Seiner Meinung nach bleibe die Privatautonomie als Kern des Vertragsrechts unangetastet. Sie müsse darüber hinaus mit dem Übergang vom formellen zum materiellen Vertragsprinzip sogar an innerer Glaubwürdigkeit gewonnen haben 23 • Auch Lorenz kommt zu dem Ergebnis, die vielfach in der Literatur vertretene stereotype Behauptung, die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches seien sozialen Machtgefällen gegenüber blind gewesen, rechtfertige nicht den Ruf nach einer "Umkehr" des Vertragsrechts 24 . Statt dessen müsse das vorhandene Instrumentarium auf die Eignung zur Bewältigung neuer Anforderungen hin überprüft werden.
V. Gefährdung der Vertragsfreiheit Den Bemühungen der Rechtsordnung zur Schaffung eines sozialverträglichen Vertragsrechts müssen jedoch ebenfalls gewisse Grenzen gesetzt werden. Reinhardt spricht das Problem an, daß die Vertragsordnung durch die Einwirkung hoheitlicher Gestaltungskräfte in Gefahr sei, aus den Angeln gehoben und umgestürzt zu werden 25 . Im Ergebnis gebe es keine Privatautonomie im Sinne einer unbeschränkten Freiheit des Handelnden. 20 Canaris: Verfassungs- und europarechtliche Aspekte der Vertragsfreiheit, FS Lerche, S. 873 ff. (883 f., 886). 21 F1ume: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, § 1 9, S. 15 ff.; F1ume: Rechtsgeschäft und Privatautonomie, FS Deutscher Juristentag, Bd. I, S. 135 ff. (146f.). 22 Reinhardt: Die Vereinigung subjektiver und objektiver Gestaltungskräfte im Vertrag, FS Schmidt-Rimpler, S. 115. 23 Hönn: Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 304. 24 Lorenz, St.: Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 27.
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
Er fordert deshalb eine neue Rechtfertigung der Vertragsordnung. Dabei sei es wichtig, die Rolle des Prinzips freier Einigung der Vertragspartner sowie das Verhältnis zwischen dieser Einigung und der hoheitlichen Gestaltung der Rechtsbeziehung neu zu definieren. Singer weist in die gleiche Richtung tendierend darauf hin, daß die vollständige Verrechtlichung der Entscheidungsfreiheit nach materialen Wertungsgesichtspunkten die Funktion des Vertrages in der bestehenden Rechts- und Wirtschaftsordnung einschränken, unter Umständen sogar aufheben würde 26 . Auch Medicus strebt einen sparsameren Gebrauch der rechtlichen Mittel zur "Einschränkung" der Vertragsfreiheit an 27 . Die Rechtsprechung solle verstärkt die Schutzgesetze in untypischen, außerhalb des Schutzzweckes liegenden Fällen nicht mehr anwenden. Auch der Gesetzgeber solle sich diesen Tendenzen anschließen und sich nicht unter dem Deckmantel des "Verbraucherschutzes" zu einem blinden Übereifer hinreißen lassen. Diese "Notbremse" muß gezogen werden, um nicht zu einer Verabschiedung der Privatautonomie zu gelangen, die überhaupt nicht erforderlich ist28 . Darüber hinaus verdeutlicht auch Preis den Wert der Vertragsfreiheit, der durch ein zu weitgehendes Eingreifen des Gesetzgebers bzw. der Gerichte geschmälert würde. Die Beseitigung der Privatautonomie führe zu Unfreiheit, zur Entmündigung vemunftbegabter Wesen und schließlich zur Unterdrückung der gestalterischen Kräfte einer Gesellschaft 29 • Adomeit sieht ebenfalls eine Gefahr in einer zu intensiven Einflußnahme insbesondere der Gerichte auf den Inhalt eines Vertrages 30 . Durch die Bürgschaftsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werde dem gesamten Zivilrecht eine neue Identität aufgezwungen. Das Vertragsrecht werde vom Reich der Privatautonomie weggeführt in das Reich der Kontrolle.
VI. Stellungnahme In der Zeit von dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches bis heute haben sich in· der Literatur konträre Meinungen über die Vertragsfreiheit gebildet. Ausgehend von einer formellen Vertragsfreiheit, die zu einer größt25 Reinhardt: Die Vereinigung subjektiver und objektiver Gestaltungskräfte im Vertrag, FS Schmidt-Rimpler, S. 116, 129f. 26 Singer: Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 21. 27 Medicus: Abschied von der Privatautonomie im Schuldrecht? 28 Medicus (in: Abschied von der Privatautonomie im Schuldrecht? S. 22) bringt das Beispiel des gut verdienenden Mieters, der sich kein eigenes Haus bzw. eine Eigentumswohnung leistet, da er als Mieter eine relativ starke Position inne hat, und ein Wohnen zur Miete wenigstens kurz- und mittelfristig billiger kommt. 29 Preis: Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 134. 30 Adomeit: Die gestörte Vertragsparität - ein Trugbild?, NJW 94, 2467ff.
§ 6 Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Vertragsfreiheit
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möglichen Freiheit des einzelnen Bürgers führen sollte, wird auch in der Literatur eine Entwicklung zu einem materialen Verständnis der Vertragsfreiheit deutlich. Auslöser war die Erkenntnis, daß eine zu weit gefaßte Vertragsfreiheit in typisierten Situationen durch die unterschiedliche Machtverteilung zwischen den Vertragsparteien zu ungerechten Vertragsergebnissen führen kann. Aus diesem Grund wurde die Rechtsordnung gefordert, Instrumente zur Verfügung zu stellen, um für mehr Vertragsgerechtigkeit zu sorgen. Die Erfüllung dieser Pflicht wurde, wie sich aus dem 1. Teil ergibt, vom Zivilrecht aus verwirklicht. Doch wurde dieser Schutz der schwächeren Vertragspartei so weit ausgebaut, daß vielfach die Meinung vertreten wurde, man könne nicht mehr von einer bestehenden Vertragsfreiheit sprechen. Zur Verdeutlichung der tatsächlichen Stellung der Vertragsfreiheit in der Rechtsordnung müssen deren Grundlagen ermittelt werden. Ausgehend von dem Grundgesetz muß ein möglicher Verfassungsrang der Vertragsfreiheit untersucht werden. Dieser würde im Ergebnis dazu führen, daß die Vertragsfreiheit nicht durch Maßnahmen des Gesetzgebers oder der Gerichte abgeschafft werden könnte. In einem weiteren Schritt müssen die Einwirkungen auf die Vertragsfreiheit durch Gesetze und Rechtsprechung genauer betrachtet werden. Dabei spielt insbesondere das Verhältnis zwischen Verfassungsrecht und Zivilrecht eine wichtige Rolle. Hier stellt sich die Frage, ob eine Pflicht der Gerichte und des Gesetzgebers besteht, Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, die ein mögliches Recht auf Vertragsfreiheit, insbesondere der schwächeren Vertragspartei, realisieren.
§ 6 Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Vertragsfreiheit und ihre Auswirkung auf das Zivilrecht Wie im 1. Teil dargestellt, wurde das Bürgerliche Gesetzbuch in seiner ursprünglichen Form geprägt durch das liberale Wirtschaftsverständnis des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Bevölkerung verlangten jedoch schon bald nach dessen Inkrafttreten eine Ausgestaltung der in dem Gesetzbuch verankerten Vertragsfreiheit, um einem möglichen Übergewicht der einen Vertragspartei entgegenzuwirken. Interessant erscheint nun die Frage, ob insbesondere die zivilrechtlieh realisierte Vertragsfreiheit die Verwirklichung eines Grundrechtes darstellt, das jedem Bürger gewährleistet werden muß, wie dieses Verhältnis zwischen Verfassungsrecht und Zivilrecht im einzelnen ausgestaltet ist, und ob das Verhältnis bezogen auf die Vertragsfreiheit ebenfalls einem Wandel unterlegen ist.
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
I. Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 1. Verfassungsrechtliche Verankerung der Vertragsfreiheit
Die Zeit vor Gründung der Weimarer Republik bringt für die Untersuchung der Vertragsfreiheit auf verfassungsrechtlicher Ebene keine wesentlichen Anhaltspunkte. Erst durch das Gesetz betreffend die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 wurde für das Deutsche Reich eine einheitliche Verfassung geschaffen 31 . Diese enthielt jedoch keinen Grundrechtskatalog 32 . Ein gewisser Schutz wurde den Bürgern nur durch die Länderverfassungen zuteil 33 . Darin wurde unter anderem das Recht auf Eigentum verankert. Die Vertragsfreiheit wurde allerdings mit keinem Wort erwähnt. Sie ergab sich nur indirekt aus dem Grundrecht auf Eigentum und der in einigen Verfassungen verankerten Gewerbefreiheit. Ein verfassungsrechtlicher Schutz der Vertragsfreiheit bestand somit nicht. Doch auf zivilrechtlicher Ebene war das Institut der Vertragsfreiheit insbesondere den Verfassern des Bürgerlichen Gesetzbuches am Ende des 19. Jahrhunderts so selbstverständlich, daß sie es noch nicht einmal in den Gesetzeswortlaut aufnahmen. 2. Verhältnis des Verfassungsrechts zum Zivilrecht
Bezüglich des Verhältnisses zwischen Verfassungsrecht und Zivilrecht war die Meinung vor Gültigkeit der Weimarer Verfassung eindeutig: Die damals gültige Verfassung habe keinen Einfluß auf das Zivilrecht34 . Sie verhielt sich demnach neutral. Man ging davon aus, daß die Bestimmungen der Verfassung lediglich den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit von Verwaltung und Rechtsprechung zum Ausdruck brachten35 . 31 Ein Auszug der Verfassung ist abgedruckt bei Frotscher/Pieroth: Verfassungsgeschichte, Rn. 384. 32 In den Verfassungsberatungen im Norddeutschen Reichstag von 1867 und im Deutschen Reichstag von 1871 begründete man den Verzicht auf einen Grundrechtskatalog damit, daß diese Grundrechte bereits Gemeineigentum geworden oder in den einze1staatlichen Verfassungen oder in besonderen Gesetzen festgelegt seien (Zippe1ius: Kleine deutsche Verfassungsgeschichte, S. 112). 33 Im Anschluß an die napoleonische Zeit fand von Süd- nach Norddeutschland eine Verfassungsbewegung statt. Im wesentlichen waren dies die Verfassungen von Nassau, Sachsen-Weimar, Hildburghausen, Bayern, Baden, Württemberg, Großherzogturn Hessen. Einige Jahre später kamen noch die Verfassungen von Kurhessen, Sachsen, Braunschweig und Hannover, weiterhin einige Jahre später die Verfassung von Preußen hinzu, siehe dazu: Zippelius: Kleine deutsche Verfassungs geschichte, S. 105 ff. 34 Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches, S. 556. 35 Anschütz: Die Verfassungsurkunde für den preußischen Staat I, S. 96 ff. (97).
§ 6 Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Vertragsfreiheit
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11. Weimarer Reichsverfassung 1. Verfassungsrechtliche Verankerung der Vertragsfreiheit
Die Weimarer Reichsverfassung vom 11.8.1919 erwähnte im Gegensatz zu der Verfassung des Deutschen Reiches und dem heutigen Grundgesetz die Vertragsfreiheit in seinem Artikel 152. Diese ausdrückliche Verankerung der Vertragsfreiheit resultiert daher, daß die Verfasser stark geprägt waren von dem grundsätzlich liberalen Wirtschaftsverständnis des ausgehenden 19. Jahrhunderts und der Tatsache, daß der größten Kodifikation der Jahrhundertwende, dem Bürgerlichen Gesetzbuch, die Vertragsfreiheit zugrunde gelegt wurde. Doch die Weimarer Reichsverfassung ging bereits einen Schritt weiter. Die Vertragsfreiheit wurde durch die Verfassung selber nicht schrankenlos bewilligt. Nach Art. 152 Abs. 1 WRV galt im Wirtschaftsverkehr die Vertragsfreiheit nach Maßgabe der Gesetze. Die Autoren der Weimarer Reichsverfassung gingen damit im Gegensatz zu den Verfassern des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht mehr von einer rein formal verstandenen Vertrags freiheit aus. Damit machten sie dem Gesetzgeber den Weg frei zur Ausgestaltung dieses Rechtsinstitutes. Zutreffend wurde in der Literatur erkannt, daß es keine natürliche Freiheit zum Vertragsschluß gebe, sondern nur ein vom Staat geordnetes Institut des freien Vertrages36 . Die Vertragsfreiheit wurde durch Art. 152 Abs. 1 WRV als Rechtsinstitut garantiert 37 . Ein Recht zur Abschaffung der Vertragsfreiheit bestand aus diesem Grund nicht. Eine erste "Begrenzung" der Vertragsfreiheit gab Art. 151 WRV. Dessen Absatz 1 wurde als die gedankliche Grundlage bezeichnet, von der man bei dem Aufbau des gesamten 5. Abschnitts des zweiten Hauptteils der Weimarer Reichsverfassung (Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen) ausging. Darin wurde eine Ordnung des Wirtschaftslebens, die auf der wirtschaftlichen Freiheit des Einzelnen beruht, nur in den Grenzen anerkannt, in denen sie den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziel der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entspriches. Gewährleistet wurde eine sogenannte "Vertragsfreiheit im Wettbewerb". Sie war Gestaltungsfreiheit in einem System der Wettbewerbswirtschaft. Daraus resultierte, daß gesetzgeberische Maßnahmen geboten erschienen, um einen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellung, insbesondere die Beschränkung der wirtschaftlichen Freiheit anderer, zu verhindern 39 • 36
Huber, E. R.: Bedeutungswandel der Grundrechte, AöR 23 nF (1933), 1 ff.
37
Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches, S. 702. Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches, S. 699. Huber, E. R.: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. VI, S. 1030.
(40). 38 39
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
Art. 151 Abs. I WRV beinhaltete somit eine Sozialstaatsklausel in Form eines sozialen Gesetzesvorbehalts. Damit wurde bereits ein Übergang zu einem "sozialen Rechtsstaat" vollzogen. Es handelte sich nicht nur um eine irrelevante "Programm-Erklärung". Die wettbewerbswirtschaftlichen Garantien waren neben den sozialen Vorbehalten wesensbestimmend in dem Sinne, daß die freiheitlichen Momente als Grundsatz, die sozialen Momente als Einschränkung galten4o. Von Bedeutung ist weiterhin, daß der durch die Weimarer Reichsverfassung gewährleisteten Vertragsfreiheit ein verfassungs- und verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz fehlte, so daß in dieser Zeit keine richtungsweisende Rechtsprechung ergehen konnte41 • 2. Verhältnis des Verfassungsrechts zum Zivilrecht Zu Beginn der Geltung der Weimarer Reichsverfassung wurde zunächst die Meinung weiter vertreten, die Verfassung habe keinerlei Einfluß auf das Zivilrecht42 • Man ging davon aus, daß den grundrechtlichen Verfassungssätzen nur in Ausnahmefällen und auch nur in geringem Umfang verbindliche Rechtsnormen entnommen werden könnten. Die grundrechtliche Verbürgung sei rein öffentlich-rechtlicher Natur, eine Ordnung nur des staatlichen Lebens 43 , deshalb könne es privatrechtliche Grundrechte nicht geben. Bemerkenswert ist allerdings, daß gleichzeitig die erste Ausnahme von dieser ansonsten starren Meinung gemacht wurde, indem darauf hingewiesen wurde, daß einige grundrechtliche Normen in das Privatrecht des Dienstvertrages eingreifen würden44 . Darüber hinaus wäre kein Platz für Regeln, die die privatrechtlichen Beziehungen unmittelbar ordneten 45 . Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, daß es zwischen dem Verfassungsrecht und dem Zivilrecht kein Über- und Unterordnungsverhältnis gab. Das Verhältnis der bei den Normenbereiche war das der Disparatheit, d. h. beide Bereiche wurden als ungleichartig angesehen 46 . Huber, E. R.: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. VI, S. 1032. Huber, H.: Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit, S. 2. 42 Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches, S. 300; Thoma in: Nipperdey: Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Bd. I, S. 16. 43 lellinek: Allgemeine Staatslehre, S. 505 ff. (534). 44 Thoma in: Nipperdey: Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Bd. I, S. 1ff. (3 f., 26). 45 Bettermann: Mieterschutz und Vertragsfreiheit, lZ 54, 461 ff. (465); Nawiasky: Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, S. 29. 46 Diederichsen: Die SeIbstbehauptung des Privatrechts gegenüber dem Grundgesetz, JURA 97, 57 ff. (58). 40 41
§ 6 Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Vertragsfreiheit
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Diese Auffassung hatte zur Konsequenz, daß ein Teil der Bedeutung des bestehenden Grundrechtskataloges verloren ging. Der Staat wurde von einer Verantwortung für die Schaffung einer jedennann zur Verfügung stehenden Vertragsfreiheit entbunden. Mit Erlaß des Urteils des Reichsgerichts vom 4.11.1925 47 sowie durch Stimmen in der Literatur48 wurde von dieser gefestigten Meinung abgewichen. Das Reichsgericht erklärte in diesem Urteil, daß die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes von Amts wegen einer Prüfung zu unterziehen sei. Es stellte damit eine gewisse Abhängigkeit der nicht in Verfassungsrang stehenden Gesetze von der Weimarer Reichsverfassung fest. Weiterhin setzte sich die Meinung durch, daß man von mehreren möglichen Auslegungen einer Grundrechtsnonn derjenigen den Vorzug zu geben habe, die die juristische Wirkungskraft der betreffenden Nonn am stärksten entfalte 49 . Darüber hinaus wurden subjektive öffentliche Rechte aus einigen Sätzen der Verfassung hergeleitet5o • Konsequenz dieser Entwicklung war die Auffassung, daß es sich bei der Weimarer Verfassung nicht nur um eine Verfassung des Staates, sondern auch um eine Verfassung des Lebens im Staate handele 51 . Diese betreffe nicht nur das Zusammenwirken der staatlichen Kräfte, sondern neben deren Auswirkungen auf die Bürger auch deren gesamtes wirtschaftliches und soziales Leben.
IH. Grundgesetz 1. Verfassungsrechtliche Verankerung der Vertragsfreiheit Die Vertragsfreiheit wird im Grundgesetz vom 23. Mai 1949 nicht mehr ausdrücklich erwähnt. Demgegenüber behandeln die Verfassungen einiger Länder die Vertragsfreiheit in besonderen Bestimmungen52 . Es drängt sich deshalb die Frage auf, ob die Vertragsfreiheit nicht mehr verfassungsrechtlich geschützt wird, obwohl die wesentliche Bedeutung der Vertragsfreiheit nicht verkannt werden konnte 53 . Aufgrund deren überragender Bedeutung für die von der Verfassung vorausgesetzte WirtschaftsordRGZ 111, 320 (322). Wolff: Reichsverfassung und Eigentum. S. 3 ff., Festgabe der Berliner Juristischen Fakultät für Wilhelm Kahl. 49 Thoma in: Nipperdey: Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung. Bd. I, S. 9. 50 Thoma in: Nipperdey: Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung. Bd. I, S. 20ff. 51 Laufke: Vertragsfreiheit und Grundgesetz. FS Lehmann, S. 145ff. (151). 52 Siehe dazu für Bayern Art. 151 Abs. 2 S. I BV; für Rheinland-Pfalz Art. 52 Abs. 2; sowie für das Saarland Art. 44. 47
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
nung und der gerichtlichen Beschäftigung mit der verfassungsrechtlichen Verankerung der Vertragsfreiheit entbehrt eine Leugnung des Verfassungsranges der Vertragsfreiheit jeglicher Grundlage und wird bzw. wurde so auch nur von wenigen Autoren vertreten 54 . Diese nur vereinzelt anklingende Auffassung übersieht jedoch, welche unmittelbare Ausstrahlung die Vertragsfreiheit auf das Prinzip der persönlichen Autonomie hat, die ganz allgemein durch Art. 2 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommt 55 . Es stellt sich somit die Frage, woraus die verfassungsrechtlich verankerte Vertragsfreiheit konkret hergeleitet werden kann. Gerade wegen der überragenden Bedeutung der Verfassung für die gesamte Rechtsordnung und der Verpflichtung, jede nichtverfassungsrechtliche Norm an dem Grundgesetz zu messen, könnte man zu der Überzeugung kommen, daß eine irgendwie aus dem Auffangrecht des Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitete Freiheit nicht die gleiche Stellung haben könnte wie die ausdrücklich erwähnten Grundrechte. In allen Rechtsgebieten ist jedoch anerkannt, daß eine Rechtsnorm mehr ist als ihr Wortlaut56 • Auch das Grundgesetz bedarf einer Interpretation, um den genauen Inhalt zu ermitteln. Nach Hesse vollendet sich der Inhalt einer interpretierten Norm erst in der Auslegung 57 . Durch Auslegung des Grundgesetzes muß deshalb die verfassungsrechtliche Verankerung der Vertragsfreiheit ermittelt werden.
53 Dazu Wolf, Manfred: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 21 ff. 54 So z.B. Rasch: Kartellverbot und Grundgesetz, WuW 55, 667ff. Nach seiner Meinung beinhaltet Art. 2 Abs. 1 GG ein hohes ethisches Prinzip, nicht aber ein so nüchtern-profanes Ding wie die Vertragsfreiheit. Ebenso Peters: Die Verfassungsmäßigkeit des Verbotes der Beförderung von Massengütern im Fernverkehr auf der Straße, S. 19; Ballerstedt (in: Staatsverfassung und Wirtschaftsfreiheit, DöV 51, 159ff.) äußert sich dahingehend, daß das Marktverhalten eines Wirtschaftsteilnehmers kein Ausfluß seines Persönlichkeitsrechts sei. Art. 2 Abs. 1 GG beinhalte keinen Ersatz für die Garantie der Wirtschafts- und Vertragsfreiheit gemäß Art. 151, 152 WRV. Haas (in: Freie Entfaltung der Persönlichkeit, DöV 54, 70ff.) leugnet allgemein die Existenz eines selbständigen Grundrechts, das in Art. 2 Abs. 1 GG verankert sein könnte. Struck (in: Demokratie und Recht, S. 39ff.) lehnt die verfassungsrechtliche Verankerung der Vertragsfreiheit mit der Begründung ab, die Rechtsordnung könne sich auf die bloße ,,Duldung" von Verträgen beschränken, ohne deren rechtliche Durchsetzbarkeit zu gewährleisten. 55 Huber, E. R.: Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht (Il), DöV 56, 135 ff. (138). 56 Siehe dazu Müller: Juristische Methodik, Nr. 232. 57 Hesse: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 60.
§ 6 Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Vertragsfreiheit
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a) Problematisierung durch das Bundesverwaltungsgericht Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich als erstes mit der Problematik der verfassungsrechtlichen Verankerung der Vertragsfreiheit auseinander und stellte fest, daß der Grundsatz der Vertragsfreiheit trotz nicht ausdrücklicher Niederschrift im Grundrechtsteil des Grundgesetzes weiterhin als Grundrecht gelte. Einer Benennung hätte es nicht bedurft, da die Vertragsfreiheit Bestandteil des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sei, das sich aus Art. 2 Abs. 1 GG ergebe58 • Damit vollzog das Bundesverwaltungsgericht einen ersten Schritt zur Interpretation des Auffanggrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG im Sinne der dem Grundgesetz zugrundeliegenden Werteordnung.
b) Stimmen in der Literatur Auch in der Literatur wurde die verfassungsrechtliche Verankerung der Vertragsfreiheit in Art. 2 Abs. I GG in Übereinstimmung mit der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts frühzeitig anerkannt 59 . Das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG umfasse danach auch die Vertragsfreiheit, da das Recht zur vertraglichen Ordnung der individuellen Lebensbeziehungen ein wesensnotwendiges Element der Persönlichkeitsentfaltung sei 60 . Gerade der Austausch von Waren und Dienstleistungen diene der individuellen Persönlichkeitsentfaltung. Eine Rechtsordnung, deren Ziel die Anerkennung dieses Rechts auf freie Persönlichkeitsentfaltung ist, sei verpflichtet, den Individuen die Freiheit zur Selbstregelung des intersubjektiven Waren- und Leistungsaustauschverkehrs einzuräumen. Wegen dieses inneren Zusammenhangs sei es eine rein verfassungstechnische Frage, ob in dem Grundgesetz neben Art. 2 Abs. 1 GG, der die freie Entfaltung der Persönlichkeit gewährleistet, die Vertragsfreiheit ausdrücklich erwähnt werde 61 . Die in Art. 2 Abs. 1 GG enthaltene allgemeine Handlungsfreiheit gebe eine Komplementärgarantie ab. Sie sei Auffangrecht für die unbenannten Freiheiten62 . BVerwGE 1, 321 = NJW 55, 962 = DöV 56, 138 = MDR 55, 589. Siehe z. B. Raiser: Vertragsfreiheit heute, JZ 58, 1 ff. (5); Huber, E. R.: Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 388, 661; Laufke: Vertragsfreiheit und Grundgesetz, FS Lehmann, Bd. I, S. 162f.; Enneccerus/Nipperdey: Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 1. Halbband, § 15 11 3 a; Nipperdey: Die soziale Marktwirtschaft in der Verfassung der Bundesrepublik, S. 11. 60 Huber, E. R.: Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 388. 61 Schmidt-Salzer: Vertragsfreiheit und Verfassungsrecht, NJW 70, 8 ff. (10). 62 Nipperdey: Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Bd. I, S.760f. 58
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
Damit wird in der Literatur der Verfassungsrang der Vertragsfreiheit bekräftigt. Danach muß das Grundgesetz so ausgelegt werden, daß die bereits dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrunde gelegte Vertragsfreiheit nicht nur einfachgesetzlich festgeschrieben wird, sondern einen stärkeren Schutz genießt, indem sie als in der allen Gesetzen übergeordneten Verfassung verankert gilt. Die Literatur verdeutlicht durch diese Interpretation die überragende Bedeutung, die der Vertragsfreiheit in der Rechtsordnung zukommt. c) Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts
Demgegenüber äußerte sich das Bundesverfassungsgericht erst sehr viel später zu der Thematik. Es kam jedoch im Ergebnis zu der gleichen Auffassung wie das Bundesverwaltungsgericht und wie die Mehrzahl der Stimmen in der Literatur. Das Bundesverfassungsgericht führte aus, das Prinzip der eigenen Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen werde durch die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet63 . Daneben betont es jedoch, daß die Vertragsfreiheit primär durch besondere Grundrechtsbestimmungen gewährleistet werde 64 • Diese Ansicht entspricht dem vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsatz, daß eine besondere Grundrechtsnorm das allgemeine Freiheitsrecht verdrängt 65 . Auf dem Gebiet dieser besonderen Grundrechte ergibt sich die Vertragsfreiheit im Hinblick auf vermögenserhebliche Verfügungsgeschäfte aus Art. 14 GG66 , im Hinblick auf Arbeits- und Dienstverträge, hier besonders der Grundsatz der Abschlußfreiheit und der Freiheit der Wahl des Vertragspartners, aus Art. 12 GG 67 . Die gesellschaftliche Vertragsfreiheit des Sichvereinigens wird aus Art. 9 Abs. 1 GG geschlossen (wie sich schon aus dem Wortlaut des Art. 9 GG ergibt), die koalitionsrechtliche Tarifvertragsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG. Erst wenn keines dieser Spezialgrundrechte einschlägig ist, greift Art. 2 Abs. 1 GG als lex generalis ein68 . Diese besonderen Grundrechte verdrängen im Maße ihrer sachlichen Reichweite das allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG 69 . Der Schwerpunkt der verfas63 BVerfGE 72, 155 (170) = NJW 86, 1859 = ZIP 86, 975 = MDR 86, 728 = JZ 86, 1055. 64 BVerfGE 6, 32 (41 f.) = VerwRspr 9, 261; BVerfGE 8, 274 (328) = DVBI 59, 171 = NJW 59, 475 = MDR 59, 183 = JZ 59, 355. 65 Siehe z.B. BVerfGE 19, 206; 30, 292 = NJW 71, 1255 = MDR 71, 904 = DöV 71, 454 = DVBI 71, 691. 66 So z.B. BVerfGE 21,87. 67 Siehe z.B. BVerfGE 57, 139; 77, 84. 68 Dürig in: Maunz - Dürig Grundgesetz Kommentar Art. 2 Rn. 53.
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sungsmäßigen Gewährleistung der Vertragsfreiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG liegt dabei auf dem Gebiet des Schuldrechts70. Es kann daneben der Fall auftreten, daß ein komplexer oder aufteilbarer Lebenssachverhalt nur zum Teil von einem speziellen Freiheitsrecht erfaßt wird. Dann ist es möglich, Art. 2 Abs. 1 GG neben dem speziellen Grundrecht zur Anwendung zu bringen71 . Das Bundesverfassungsgericht hat damit den Schutz der Vertragsfreiheit ausgebaut. Durch die Verankerung derselben in den Spezialgrundrechten der Verfassung hat es deren Bedeutung weiter herausgearbeitet. Damit wurde angeknüpft an die dem Grundgesetz zeitlich vorausgehende Weimarer Reichsverfassung, in der die Vertragsfreiheit noch ausdrücklich erwähnt wurde. Die Nichterwähnung im heutigen Grundgesetz führt nicht dazu, daß ihr der verfassungsrechtliche Schutz verweigert werden muß oder dieser Schutz schwächer ausgeprägt ist als zur Zeit der Gültigkeit der Weimarer Reichsverfassung 72 , ebenso wie die Nichterwähnung im Bürgerlichen Gesetzbuch zu einer Ablehnung auf nichtverfassungsrechtlicher Ebene führen durfte. Hier zeigt sich der hohe Stellenwert, den die Vertragsfreiheit in der Rechtsordnung genießt. Damit ist aber noch nichts darüber ausgesagt, wie weit der Schutz reicht, den die Verfassung festschreibt, und wie Konflikte gelöst werden müssen, in denen mehrere Rechtssubjekte von ihrem jeweiligen Recht auf Vertragsfreiheit Gebrauch machen.
2. Inhalt des verfassungsrechtlichen Schutzes Daß die Vertragsfreiheit verfassungsrechtlichen Schutz genießt, muß nach dem oben Gesagten anerkannt werden. Schwierigkeiten und Ansatzpunkte für Meinungsverschiedenheiten ergeben sich bei der Bestimmung des Inhalts dieser "Freiheit". Diese Inhaltsbestimmung ist für den Gesetzgeber und für die Rechtsprechung von immenser Bedeutung. Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG binden die diesem Artikel nachfolgenden Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. An dieser Stelle deutet sich bereits eine Verbindung zwischen dem Verfassungsrecht und dem Privatrecht an.
69 BVerfGE 19, 206 = DVBI 66, 26 = NJW 66, 57 = MDR 66, 208; BVerfGE 30,292. 70 Lautke: Vertragsfreiheit und Grundgesetz, FS Lehmann Bd. I, S. 145 (163). 71 Starck in: v. Mangoldt/Kiein/Starck: Grundgesetz Bd. I, Art. 2 Abs. I, Rn. 35. 72 So auch Aume: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, S. 19.
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
a) Vertragsfreiheit als Rechtsinstitut Im Gegensatz zur nicht einfachen Problematik der Bestimmung des Inhalts der Vertragsfreiheit ist das Institut der Vertragsfreiheit als solches unbestritten. Die verfassungsrechtlich gewährleistete Vertragsfreiheit unterfallt der Lehre von der Institutsgarantie. Diese Lehre, von C. Schmitt begründet73 , wurde von dem Bundesverfassungsgericht aufgegriffen. Es versteht darunter allgemein das an den Gesetzgeber adressierte Verbot, bestimmte privatrechtliche Rechtsinstitute zu beseitigen oder grundlegend zu ändern 74 . Gewährt wird durch die Institutsgarantie eine "vom Recht geformte Figur,,75. Es handelt sich also nicht um eine natürliche Freiheit, sondern um eine normativ konstituierte Freiheit76 . Es bedarf mit anderen Worten des Gesetzgebers, der diese Freiheit erst schafft. Gewährt werden hierbei insbesondere privatrechtliche Grundfiguren 77. Die Grundrechte haben somit einen DoppeIcharakter. Sie stellen nicht nur subjektive Rechte der Bürger dar, sondern sind gleichzeitig Grundelemente objektiver Ordnung des Gemeinwesens78 . Die Rechte, die aus den Institutsgarantien abgeleitet werden, dürfen jedoch nicht in zu großer Zahl gefordert werden. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus, daß Institutsgarantien allgemein nur einen Grundbestand an Normen sichern 79 • Die Vertragsfreiheit stellt einen Pfeiler des Gemeinwesens dar, das in seiner Gesamtheit gesehen werden muß. Eine Abschaffung der Vertragsfreiheit durch die staatliche Gewalt würde die Stabilität dieser Ordnung beeinträchtigen. Die von der Verfassung propagierte Wirtschaftsordnung wäre ohne die Vertragsfreiheit nicht praktikabel. Aus der sich daraus ergebenden Institutsgarantie ist es dem Staat verwehrt, die Vertragsfreiheit zu beseitigen. Diese gehört zu dem elementaren Bestand grundrechtlich geschützter Betätigung. Insbesondere der Gesetzgeber besitzt aber das Recht, in bestimmtem Umfang den Inhalt der Vertragsfreiheit zu formen.
73 Schmitt: Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung, in: Verfassungsrechtliche Aufsätze 1958, S. 140ff. 74 SO Z. B. BVerfGE 6, 55 (72). 75 Höfling: Vertragsfreiheit, S. 26. 76 Höfling: Vertragsfreiheit, S. 26. 77 Stern: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, S. 791. 78 Hesse: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 279. 79 BVerfGE 24, 367 (389).
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b) Vertragsfreiheit als subjektives Recht
Aus der Verfassung ergeben sich, wie gesehen, nicht nur abstrakt gehaltene Institutsgarantien. Die daraus gewährleisteten Rechtsinstitute machen den Weg frei zu gewissen Kompetenzen der Bürger8o . Durch die dabei geschaffenen Normen, die der Gesetzgeber zur Verfügung stellt, kann der einzelne Bürger erst seine grundrechtlichen Freiheiten, wie zum Beispiel die Vertragsfreiheit, im Einzelfall realisieren. Eine rein verfassungsrechtlich verankerte Vertragsfreiheit mit dem Inhalt, jeder Bürger kann mit jedem anderen Bürger Verträge mit beliebigem Inhalt abschließen, würde an sich selber scheitern. Da an einem Vertrag immer mindestens zwei Parteien mit meist unterschiedlichen Interessen beteiligt sind, wird sich nur in wenigen Fällen eine auf bei den Seiten eines Vertrages schrankenlos gewährte Vertragsfreiheit realisieren lassen.
3. Verhältnis des Verfassungsrechts zum Zivilrecht Das Verhältnis zwischen Institutsgarantie und dem aus dem Grundrecht hergeleiteten subjektiven Recht kann in der Weise beschrieben werden, daß ein subjektives Recht durch das Rechtsinstitut garantiert wird, gerichtet auf Schaffung und Sicherung der Kompetenznormen, die erforderlich sind, um die durch das Institut garantierten Gewährleistungen zu realisieren 81 . Bei der Realisierung der durch die Verfassung zur Verfügung gestellten Rechte treten die rechts geschäftlichen Wirkungen im Ergebnis nicht schon deshalb ein, weil sie von den Parteien so gewollt sind, sondern weil die Rechtsordnung dem Parteiwillen die Fähigkeit beilegt, als gewollt bekundete Rechtseffekte herbeizuführen 82 . Die Frage ist aber, wie die konkreten Rechte der einzelnen Bürger ausgebildet werden. Diese könnten sich bereits aus der Verfassung ergeben und müßten dann eventuell nur noch durch Gesetzgeber und Rechtsprechung zivilrechtlich realisiert werden. Es könnte aber auch sein, daß umgekehrt Gesetzgeber und Rechtsprechung die Grenzen dieser den Bürgern verliehenen Freiheit bestimmen. Die äußersten Grenzen sind klar: Die Vertragsfreiheit darf nicht als Institut abgeschafft werden. Dies war schon während der Gültigkeit der Weimarer Reichsverfassung allgemein anerkannt. Dazu wurde damals ausgeführt, Alexy: Theorie der Grundrechte, S. 22l. Alexy: Theorie der Grundrechte, S. 442ff. 82 Laufke: Vertragsfreiheit und Grundgesetz, FS Lehmann, Bd. I, S. 145ff. (180). Hesse (in: Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 41) spricht in diesem Zusammenhang von einer Schrittmacherfunktion des Verfassungsrechts für das Privatrecht. 80 81
8"
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
der Vertrag müsse jedenfalls als wesentliches Element des Rechtslebens erhalten bleiben, wenn es auch dem Gesetzgeber freistehe, Formen und Anwendungsmöglichkeiten zu bestimmen 83 . Doch innerhalb dieses durch das Institut der Vertragsfreiheit gesteckten Rahmens bleiben die weiteren rechtlichen Ausgestaltungen des Rechts der Vertragsfreiheit streitig. Die Aussage des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherung eines Grundbestandes an Normen durch die Institutsgarantie 84 verleitet zunächst zu der Meinung, die verfassungsrechtliche Gewährleistung beschränke sich nur auf einen Kernbereich von Rechten zur Ermöglichung der Privatautonomie. a) Legislatorischer Dispositionsspielraum
aa) Literaturmeinung zur Zeit des Erlasses des Grundgesetzes In dieser Zeit ging man in der Literatur überwiegend davon aus, daß der Vertragsfreiheit, die insbesondere aus Art. 2 Abs. I GG hergeleitet wurde, durch den Gesetzgeber im Rahmen der Schrankentrias beliebige Grenzen gezogen werden dürften 85 . Daraus ergäbe sich die Gefahr einer Aushöhlung der Vertragsfreiheit durch den Staat. Eine Möglichkeit zur Kontrolle des staatlichen Handeins wäre kaum durchführbar. Eine solche Interpretation der Ausgestaltung der Vertragsfreiheit würde zu einer drastischen Beschneidung der Rechte der einzelnen Bürger führen, die der Bedeutung der Vertragsfreiheit nicht gerecht werden könnte. bb) Meinung des Bundesverwaltungsgerichts Das Bundesverwaltungsgericht, das sich in einer seiner ersten Entscheidungen 86 bereits mit der Thematik beschäftigte, bewegte sich zunächst auf der gleichen Ebene wie die Stimmen in der Literatur. Es nutzte ganz schematisch die Schranken, die sich aus dem Soweit-Satz des Art. 2 Abs. I GG ergeben. Das Gericht führte dazu aus, diese sich aus Art. 2 Abs. I GG ergebenden allgemeinen Schranken würden diesem Artikel innewohnen. Aus dem Zusammenleben der Menschen ergebe sich die nur begrenzte Freiheit zur Entfaltung der Persönlichkeit, deren Grenzen durch die Pflicht zur Achtung der Rechte der anderen gezogen würden. Diese durch den SoweitSatz angesprochenen Grenzen würden nicht erst durch diesen geschaffen, sondern nur bewußt gemacht. 83
Huber, E. R.: Bedeutungswandel der Grundrechte, AöR N.F. 23 (1933) 1 ff.
(41). 84
8S 86
BVerfGE 24, 367 (389). v. Mangoldt: Das Bonner Grundgesetz (1953), Art. 2 Anm. 2 Abs. 2. BVerwGE 1,321 (323); siehe auch BVerwGE 2, 114 (115f.).
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Hier wird durch das Bundesverwaltungsgericht bereits angedeutet, was später in ausdrücklicher Form angesprochen wurde, nämlich das Vorhandensein immanenter Schranken, mit anderen Worten die Begrenzung des Grundrechts "Vertragsfreiheit" von innen, aus der Verfassung heraus. Weiterhin führte das Bundesverwaltungsgericht aus, daß sich ein Eingriff in die Vertragsfreiheit auch an Art. 2 Abs. 2 GG messen lassen müsse. Gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG darf in die in Art. 2 Abs. 2 GG genannten Rechte nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. Diesen Rechten sei die Vertragsfreiheit unterlegen. Ihre Bedeutung sei ihnen gegenüber geringer. Dies würde - a maiore ad minus - dazu führen, daß der Gesetzgeber im sozialen Rechtsstaat zu Eingriffen in die Vertragsfreiheit, innerhalb der Schranken des Art. 19 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 GG, befugt sei, d. h. ein begrenzendes Gesetz müsse allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten, und der Wesensgehalt des Grundrechts dürfe nicht angetastet werden. Der vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen Erweiterung der Begrenzung der Vertragsfreiheit durch Art. 2 Abs. 2 GG kann jedoch nicht zugestimmt werden. Der allgemeine Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 GG bezieht sich nur auf die in Art. 2 Abs. 2 GG genannten Rechte. Diese Grundentscheidung der Verfassung kann nicht dadurch umgangen werden, daß beliebige andere Grenzen aus anderen Grundrechten auf die Ausgestaltung der Vertragsfreiheit angewendet werden. Nur wenn der Verfassungswortlaut nicht eindeutig wäre, könnte auf eine Begründung a maiore ad minus zurückgegriffen werden. Hier jedoch ist die Entscheidung des Grundgesetzes klar zum Ausdruck gekommen. Hinzu kommt, daß die in Art. 2 Abs. 2 GG garantierten Rechte nicht unbegrenzt dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt ausgesetzt sind. Sie genießen weitergehenden Schutz durch Art. 102 GG und Art. 104 GG 87 • cc) Auffassung Dürigs Nach Dürig ist die durch Art. 2 Abs. 1 GG garantierte Vertragsfreiheit alleine beschränkt und beschränkbar durch die Konkretisierungen des Soweit-Satzes 88 • Die erste Begrenzung ergebe sich danach durch die Rechte anderer, d. h. die relativen und absoluten Rechte der Personen, die nicht am Vertrag beteiligt seien. Weiterhin finde die Vertragsfreiheit ihre Schranke an den Sittengesetzen, zu der jene mittlere Grenzlinie der Rechtsmoral zählt, auf der die 87
Siehe dazu auch Huber, E. R.: Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht
88
Dürig in: Maunz - Dürig Grundgesetz Kommentar Art. 2 Rn. 54 ff.
(II), DöV 56, 135 ff. (138 f.).
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
gewohnten wertausfüllungsfähigen und -bedürftigen Begriffe und Klauseln des Privatrechts liegen. Außerdem ist nach Dürig die Vertragsfreiheit beschränkt und beschränkbar durch Gesetze, die von der verfassungsmäßigen Ordnung i. S. d. Art. 2 Abs. 1 2. HS GG gefordert werden. Damit würden der Vertragsfreiheit auch Schranken aufgezeigt, die sich aus den verfassungsgebotenen Gemeinwohlforderungen ergeben. Zu diesen die Vertragsfreiheit eingrenzenden Gesetzen zählten einmal diejenigen des Ordnungsgefüges, das sich aus dem Zivilrecht ergebe. Der Gesetzgeber sei zunächst einmal bei der Konkretisierung dieser Gemeinwohlforderungen relativ frei. Diese "Schranken" der Vertragsfreiheit liegen damit auf der Ebene des der Verfassung untergeordneten Zivilrechts. Burckhardt nennt dies die Verfassung der Privatautonomie 89 . Hierzu zählen insbesondere die zwingenden Normen über die Geschäftsfähigkeit, die Form- und Publizitätserfordernisse sowie der Typenzwang bei den dinglichen Rechten. Die Meinung Dürigs hat ein Wechselspiel zwischen Verfassung und Privatrecht zur Folge. Das eine macht dem jeweils anderen Vorgaben. Das Privatrecht legt die Formen der Vertragsfreiheit fest und bringt erst einmal den Grundsatz der Vertragsfreiheit zum Ausdruck. Die Verfassung wiederum bindet das Privatrecht an das Grundrecht der Vertragsfreiheit und legt die äußersten Begrenzungen fest, die nicht verändert werden dürfen. Der Zivilgesetzgeber darf danach die Vertragsfreiheit nicht über das im Grundgesetz vorgesehene Maß ausweiten oder einschränken 9o . Schlagwortartig kann gesagt werden, daß der Wesensgehalt der Vertragsfreiheit gemäß Art. 19 Abs. 2 GG nicht angetastet werden darf. Was dies genau ist, bedarf jedoch wieder einer verfassungsgemäßen Interpretation. Doch die Grenzen zwischen bei den Einflüssen sind fließend. Dies macht die Vorstellung Dürigs von der Beschränkung der Vertragsfreiheit unklar. Ob die Verfassung das Privatrecht oder das Privatrecht die Verfassung in einem bestimmten Rechtsverhältnis einschränkt, ist nicht immer exakt zu bestimmen. Außerdem ist fraglich, ob die Verfassung in einem so wichtigen Bereich wie dem der Vertragsfreiheit in so weitem Maße von dem Privatrecht diktiert werden. kann. Dies würde dem Rangverhältnis widersprechen, das zwischen Verfassung und Privatrecht besteht. Dürig bestritt darüber hinaus zunächst, daß sich aus den übrigen Grundrechtsbestimmungen Ermächtigungen des Gesetzgebers herleiten lassen, die Vertragsfreiheit in irgend einer Weise zu beschränken; mit anderen Worten: Er leugnete die Existenz von unmittelbaren Schranken, die sich aus anderen Grundrechten ergeben können91 . Er meinte, der Einzelne könne aus Art. 2 Burckhardt: Methode und System des Rechts, S. 207ff. (224). Siehe dazu Huber, H.: Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit, S. 8. 89
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Abs. I GG ein Freiheitsrecht gegen den Staat herleiten. Daraus ergebe sich eine Dispositionsfreiheit über die Rechtsbeziehungen zu anderen Individuen. Es würde aber zu einer Beschränkung der Grundwerte aus Art. 2 Abs. I GG kommen, deren Ziel es sei, eine staatsfreie Sphäre zu gewähren, wenn die anderen Grundrechtsbestimmungen beachtet werden müßten. Damit vertritt Dürig die Meinung, daß die Rechte, die aus der allgemeinen Norm des Art. 2 Abs. I GG hergeleitet werden, höherrangig sein könnten, als diejenigen der spezielleren Grundrechte. Dem muß entschieden entgegengetreten werden: Grundsätzlich sind alle Rechte, die aus der Verfassung hergeleitet werden können, gleichwertig. Im Falle einer Kollision zweier Rechte muß für den Einzelfall eine Abwägung vorgenommen werden, welchem Recht in diesem speziellen Fall der Vorrang eingeräumt werden soll. Erst später änderte Dürig seine bis dahin starre Meinung. Er erkannte an, daß die Vertragsfreiheit den Gemeinwohlbindungen unterliegt. Diese Bindungen ergäben sich aus der Tatsache, daß die Verfassung einen Sozialauftrag besitze, der sich aus dem Sozialstaatsprinzip herleiten lasse92 . Beschränkung erfahre die Vertragsfreiheit damit auch durch die Konkretisierung des Soweit-Satzes des Art. 2 Abs. I GG in Form von Grenzen, die aus der Verfassung selber hergeleitet werden könnten. Auch hier wird somit bereits andeutungsweise die Existenz von aus der Verfassung hergeleiteten immanenten Grenzen beschrieben, die der Vertragsfreiheit gesetzt werden müssen. Dadurch werden die Rechte des Gesetzgebers zunächst einmal zulasten des Grundrechtsträgers gestärkt. Eine "Begrenzung" des Grundrechts "Vertragsfreiheit" muß dabei immer auch dem Gemeinwohl dienen. dd) Ausführungen Flumes Ähnlicher Meinung ist heute noch Flume93 . Er gewährt dem Gesetzgeber einen umfassenden legislatorischen Dispositionsspielraum. Aus der Verfassung leitet er nur die Grundentscheidung für die Vertragsfreiheit her. Dies entspricht der oben dargelegten Institutsgarantie. Außerhalb dieses verfassungsrechtlich geschützten Bereichs könne die Vertragsfreiheit nur nach Maßgabe der Rechtsordnung bestehen. Damit drückt Flume aus, daß ein Gesetzesvorbehalt in Bezug auf das Grundrecht "Vertragsfreiheit" selbstverständlich ist, da sich diese nur im Recht betätigen kann. Das hat zur KonseSiehe dazu Dürig: Grundrechte und Zivilrechtsprechung, FS Nawiasky, S. 168. Dürig in: Maunz - Dürig Grundgesetz Kommentar Art. 2 Rn. 60f. 93 Flume: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, S. 18f. 91
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
quenz, daß Gesetzgeber und Rechtsprechung innerhalb der Grenzen des Institutes "Vertragsfreiheit" den Inhalt dieser "Freiheit" selber bestimmen können. Nach Flume besitzt der Gesetzgeber die Möglichkeit, überkommene Rechtsfiguren insoweit zu ändern bzw. zu beseitigen, daß es zu einer Einengung des Bereichs privatautonomer Gestaltung kommt. Dabei muß der Gesetzgeber lediglich beachten, daß die Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben respektiert wird. Diese Sichtweise, die eine starke Position des Gesetzgebers vennittelt, birgt erhebliche Probleme in sich. Sie bietet so gut wie keine Kontrolle über das gesetzgeberische Handeln. Im Gegensatz zu Dürig führt Flume jedoch aus, daß die Privatautonomie, deren wichtigster Teil die Vertragsfreiheit ist, zugunsten des Einzelnen sowie zugunsten des Einzelnen als Glied der staatlichen Gemeinschaft gewährt wird94 . Es werden also nach seiner Meinung auch verstärkt die Einzelinteressen der Grundrechtsträger geschützt. Das Verhältnis zwischen Verfassung und unterverfassungsrechtlichem Gesetz muß nach dem eben Gesagten so definiert werden, daß der Gesetzgeber die Vertragsfreiheit "begrenzen" kann, Art. 2 Abs. 1 GG demgegenüber wieder dem Gesetzgeber Schranken setzt95 , indem er den Gesetzgeber an den Sozialauftrag der Verfassung bindet.
ee) Stellungnahme Bei diesen Ausführungen zu den Einschränkungsmöglichkeiten darf nicht übersehen werden, daß die Vertragsfreiheit nicht alleine durch Art. 2 Abs. 1 GG garantiert wird. Wie oben ausgeführt, muß der Schutz primär an den besonderen Grundrechten gemessen werden. Diese sind hier, wie oben festgestellt wurde, Art. 14 GG, Art. 12 GG sowie Art. 9 GG. Führt man die Gedanken der oben genannten Meinungen in der Literatur bzw. des Bundesverwaltungsgerichts fort, dann muß man, will man konsequent bleiben, die Grenzen des jeweiligen Grundrechts beachten, auf das sich die Vertragsfreiheit im konkreten Einzelfall bezieht. So werden gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG Inhalt und Schranken des Eigentums durch die Gesetze bestimmt. Diese Inhalts- und Schrankenbestimmungen können die Eigentumsfreiheit erweitern oder verkürzen 96 . Enteignungen können nur auf der Grundlage des durch Art. 14 Abs. 3 GG zur Verfügung gestellten Gesetzesvorbehalts gerechtfertigt werden. Die Berufsausübungsfreiheit wird nach 94 Flume: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, S. 17. 9S Zöllner: Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996) 1 ff.
(2). 96
Pieroth/Schlink: Grundrechte, Rn. 987, 995.
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Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG durch den einfachen Gesetzesvorbehalt beschränkt. Die Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG steht nicht unter einem Gesetzesvorbehalt. Aus Art. 9 Abs. 2 GG, dem Verbot bestimmter Vereinigungen, ergibt sich allerdings eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für einen Eingriff7 • Art. 9 Abs. 3 GG, aus dem sich die Koalitionsfreiheit ergibt, steht ebenfalls nicht unter einem Gesetzesvorbehalt. Art. 9 Abs. 2 GG bietet keine Rechtfertigung für einen Eingriff. Der Gesetzgeber ist danach sehr frei in der ..Begrenzung" der Vertragsfreiheit zulasten des einzelnen Grundrechtsträgers. Die unterschiedlichen Begrenzungsmöglichkeiten, die sich aus der gesplitteten Gewährung der Vertragsfreiheit ergeben, erscheinen jedoch fragwürdig. Kann es für die Einschränkungsmöglichkeiten von Bedeutung sein, ob eine Handlung einer Person, die von der Vertragsfreiheit erfaßt wird, durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt wird, oder durch Art. 9 Abs. 3 GG, der keinen Gesetzesvorbehalt kennt? Es gibt nur eine Vertragsfreiheit, die, allgemein gesprochen, durch das Grundgesetz gewährleistet wird. Dem widerspricht es, verschiedene Rechtfertigungsmöglichkeiten für Eingriffe zur Verfügung zu stellen. Die Möglichkeit der ..Begrenzung" der Vertragsfreiheit muß deshalb einheitlich geschaffen werden. Nur so können gerechte Ergebnisse erzielt werden. b) Ausgestaltung der Vertragsfreiheit durch immanente Schranken
Die angesprochenen Probleme stellen sich nicht, wenn man die Existenz von immanenten Schranken zur Ausgestaltung des Inhalts der Vertragsfreiheit bejaht, die bereits in der von Dürig und dem Bundesverwaltungsgericht vertretenen Meinung angedeutet wurde. Das Vorliegen immanenter Schranken der Vertragsfreiheit hätte in der Praxis Auswirkungen auf die Möglichkeiten einer Grundrechtsausgestaltung bzw. Grundrechtsbegrenzung. Nur Grundrechtsbegrenzungen unterliegen den durch die Verfassung vorgegebenen Zulässigkeitsvoraussetzungen, wie z. B. Eingriffsermächtigung und Übermaßverbot. Bei Grundrechtsausgestaltungen gibt es diese zu beachtenden Voraussetzungen nicht98 • Immanente Schranken würden unter diese Grundrechtsausgestaltung fallen. Die Differenzierung zwischen den bei den möglichen staatlichen Einflußnahmen muß für jeden Einzelfall gesondert entschieden werden. Beiden gemeinsam ist jedoch, daß in jedem Fall die Ziele der Rechtsordnung erreicht werden müssen. Weder durch eine Grundrechtsausgestaltung noch durch eine Grundrechtseinschränkung darf dagegen verstoßen werden. 97 98
Pieroth/Schlink: Grundrechte, Rn. 810. Höfling: Vertragsfreiheit, S. 34.
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
Wichtig ist dabei der Fall, in dem sich mehrere Grundrechtsträger gegenüberstehen. Grundsätzlich gewährt die Rechtsordnung jedermann die Möglichkeit zur Regelung der eigenen Angelegenheiten, welche sich aus dem Recht auf Vertragsfreiheit herleiten läßt. Wenn jedoch bei der Durchsetzung der eigenen Rechte zugleich in fremde Interessen eingegriffen wird, dann bedarf die vom Staat gewährte Freiheit einer gewissen Ausgestaltung durch äußere "Schranken". aa) Grundrechtsausgestaltung Fraglich ist zunächst, was man unter der Grundrechtsausgestaltung versteht. Allgemein gesprochen bedürfen einige Grundrechte bereits zum Wirksamwerden der rechtlichen Ausgestaltung der Lebensverhältnisse und Lebensbereiche, die sie gewährleisten sollen. Teilweise ergibt sich dies bereits aus dem einzelnen Grundrecht selber, wenn dies vorschreibt, das Nähere solle der Gesetzgeber regeln. Dieser Fall liegt bei den die Vertragsfreiheit gewährleistenden Grundrechten allerdings nicht vor. Unabhängig davon kann aber auch eine gesetzliche Regelung als unbedingt erforderlich erscheinen. Die meisten Grundrechte benötigen eine rechtliche Ordnung, in der sich ihre eigene Gewährleistung erst entfalten kann 99 . Durch die gesetzgeberische Tätigkeit wird erst eine gewisse Freiheit der Grundrechtsträger geschaffen. So liegt es auch im Falle der Vertragsfreiheit. Rechtsverhältnisse, hier besonders Verträge, sind nicht von Natur aus gegeben, sondern zur Entstehung eines solchen muß die Rechtsordnung Vorgaben machen, die erfüllt werden müssen, damit diese Rechtsverhältnisse Wirksamkeit erlangen können. Der Vertragsfreiheit muß somit erst einmal eine äußere Gestalt gegeben werden. Der Gesetzgeber handelt nicht nur beim Vorliegen eines durch die Verfassung selber vorgegebenen Gesetzesvorbehaltes, sondern er handelt auch im Rahmen der vorbehaltlos gewährten Grundrechte. Die grundrechtliche Freiheit steht somit nicht in einem Regel - Ausnahmeverhältnis zu der inhaltlichen Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Rechtes 100. Gerade in den Bereichen, in denen der Gesetzgeber die grundrechtlich geschützten Lebensbereiche ordnet, ausgestaltet und gegeneinander abgrenzt, handelt er wie selbstverständlich. Über diese Feststellung der regelmäßigen Ausgestaltung durch den Gesetzgeber darf aber der verfassungsrechtlich normierte Gesetzesvorbehalt nicht übersehen werden. Es bedarf einer klaren Abgrenzung dieser allgemeinen (nicht speziell normierten) Pflicht des Gesetzgebers zur Ausgestaltung eines Grundrechtes und der verfassungsrechtlich festgeschriebenen Pflicht. Beide befinden sich auf 99
Hesse: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn.
303. 100
Häberle: Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, S. 195.
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einem jeweils anderen Niveau. Die allgemeine Pflicht umfaßt einen viel größeren Bereich. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Vertragsfreiheit durch den Gesetzgeber ist dieser nicht frei. Das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Vertragsfreiheit ist Teil einer durch die Verfassung geschaffenen und gewährleisteten Wertordnung. Nach ihr richten sich die Leitlinien, aufgrund derer die Schaffung konkreter Gesetze zur Ausgestaltung der Vertragsfreiheit vorgenommen wird 101. Allgemein gesprochen muß das in dem Grundgesetz zum Ausdruck kommende Wertesystem auf alle Bereiche des Rechts ausstrahlen 102. Der Gesetzgeber muß bei der Konkretisierung der Grundrechte die Wertordnung als Gesamtheit heranziehen. Zunächst einmal haben die übrigen Grundrechte eine Ausstrahlungswirkung auf die Ausgestaltung eines Grundrechts. So benötigt der Einzelne zur freien Entfaltung seiner Persönlichkeit als Ausfluß des Art. 2 Abs. 1 GG gewisse Vermögenswerte, die ihm durch Art. 14 GG gewährleistet werden. Freie Entscheidungsmöglichkeiten bestehen nur, wenn alle Vertragspartner i. S. d. Art. 3 Abs. 1 GG gleichgestellt sind. Weiteres zu beachtendes Grundrecht ist Art. 1 Abs. 1 GG. Dieses ist nicht als bloße Deklamation, sondern als Rechtssatz anzusehen lO3 • Aus diesem Artikel des Grundgesetzes ergibt sich, daß alle Grundrechtsbestimmungen dazu dienen, die Wahrung und den Schutz der Würde des Menschen zu erreichen. Hier ergibt sich als Grenze einer nicht mehr verfassungsrechtlich garantierten Vertragsfreiheit die Situation, daß ein Mensch durch einen Vertrag zum reinen Mittel degradiert wird lO4 • Neben diesen Auswirkungen durch die übrigen Grundrechte kommt es auch zu einer Ausgestaltung der Vertragsfreiheit durch andere Verfassungsprinzipien. Hier spielt besonders das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG eine herausragende Rolle. Danach darf die Ausgestaltung der Vertragsfreiheit besonders durch den Gesetzgeber nicht zu unsozialen Gesetzen führen. Verallgemeinert kann man davon sprechen, daß ein großer Teil der Rechtsordnung auf die Daseinsfürsorge für die sozial Schwachen gerichtet sem muß 105. Die sich aus dem Sozialstaatsprinzip ergebende Forderung 101
17.
Hesse: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn.
102 BVerfGE 7, 198 ff. (205) im sogenannten Lüth-Urteil. BAGE 1, 185 (193) = NJW 55, 606. 103 v. MangoldtlKlein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Bd. I, S. 146f. 104 Laufke: Vertragsfreiheit und Grundgesetz, FS Lehmann, S. 167. 105 Siehe dazu Laufke: Vertragsfreiheit und Grundgesetz, FS Lehmann, S. 185. Zur Herleitung einer Informationspflicht zum Schutz unerfahrener Vertragspartner aus dem Sozialstaatsprinzip siehe Schumacher: Vertragsaufhebung wegen fahrlässiger Irreführung unerfahrener Vertragspartner, S. 79 ff.
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
nach sozialer Gerechtigkeit beinhaltet die Verpflichtung zur Schaffung derjenigen Voraussetzungen, die dem Einzelnen ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen 106. Im Ergebnis bedeutet das, daß das Sozialstaatsprinzip den Inhalt der jedermann zustehenden Vertragsfreiheit mitbestimmt. Weiteres verfassungsrechtliches Prinzip, dem Beachtung geschenkt werden muß, ist das aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleitete Rechtsstaatsprinzip. Inhaltlich besagt dieses, daß der Staat verpflichtet ist, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zu schaffen 107 sowie eine den Erfordernissen der Gerechtigkeit entsprechende Rechtsordnung zu garantieren lO8 • Als Konsequenz ergibt sich daraus, daß Rechtsgeschäfte, die diesen Zielen entgegenstehen, als nicht von der Vertragsfreiheit gedeckt angesehen werden müssen. Für den zivilrechtlichen Gesetzgeber bedeutet das, daß er Gesetze erlassen muß, die der Verwirklichung des Inhalts des Rechtsstaatspinzips dienen. Das Verfassungsrecht enthält somit einen Organisationsauftrag an das Zivilrecht, insbesondere zur Realisierung eines ausgeglichenen schuldvertraglichen Verkehrs 109. An dieser Stelle muß eingefügt werden, daß bereits 1935 durch Raiser das Problem der immanenten Schranken der Vertragsfreiheit angesprochen wurde. Er stellte fest, daß dem Recht als einer Gemeinschaftsordnung Schranken der Vertragsfreiheit immanent sind. Es bedürfe nicht erst eines Gesetzes, um sie aufzurichten 11 0. Dieser Gedanke wurde jedoch lange Zeit von der Literatur nicht aufgegriffen. Neben dem Gesetzgeber wird nun aber auch der Richter als befugt angesehen, bei der Ausgestaltung der Vertragsfreiheit in die den Privatrechtssubjekten zur Selbstregelung eröffneten Spielräumen einzugreifen. Damit hat sich die Theorie von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte durchgesetzt"'. Festgehalten werden kann, daß die verfassungsrechtlich verankerte Vertragsfreiheit zu ihrer Realisierung insbesondere im zivilrechtlichen Bereich 106 Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 97. 107 BVerfGE 2, 380 (403). 108 BVerfGE 3, 225 (237). 109 Schmidt-Salzer: Vertragsfreiheit und Verfassungsrecht, NJW 70, 8 ff. (11). 110 Raiser: Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 282. 111 Diese Theorie wurde zunächst insbesondere von Dürig (in: Grundrechte und Zivilrechtsprechung, FS für Nawiasky, S. 157ff.) vertreten. Er führte dazu aus, die wertausfüllungsfähigen und wertausfüllungsbedürftigen Generalklausein des Privatrechts müßten im Sinne des Grundgesetzes ausgelegt werden, die Grundrechte würden sich aber nicht unmittelbar auf die Privatrechtsverhältnisse auswirken. Das Bundesverfassungsgericht nahm diese Theorie später in dem sogenannten Lüth-Urteil (BVerfGE 7, 198 ff.) auf und erklärte, die durch den Grundrechtsabschnitt geschaffene objektive Wertordnung gelte als Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts. EinbruchsteIlen in das Bürgerliche Recht seinen die privatrechtlichen Generalklauseln.
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die Rechtsordnung benötigt, um ihren Inhalt zu verdeutlichen. Maßstab für gesetzliche und gerichtliche Maßnahmen zur Ausgestaltung des Rechts ist das aus den Grundrechten und den anderen Verfassungsprinzipien hergeleitete, über das einzelne Grundrecht hinausgehende Gesamtgefüge der Verfassung l12 . Man kann demnach nicht davon sprechen, daß die Vertragsfreiheit durch das Ordnungsgefüge des objektiven Privatrechts beschränkt wird 113, sondern Gesetze wie z. B. das AGBG, die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches zum Mieterschutz sowie die arbeitsrechtlichen Bestimmungen zum Schutze von Arbeitnehmern dienen nur der Verdeutlichung der immanenten Schranken der Vertragsfreiheit, die sich bereits aus der Verfassung ergeben 114. Weiterhin üben die Grundrechte auch eine inhaltsprägende Wirkung auf die Generalklauseln und die unbestimmten Rechtsbegriffe aus 115 • Dieses Ergebnis betont nun auch noch einmal das Bundesverfassungsgericht in seiner Handelsvertreter- 1l6 und Bürgschaftsentscheidung l17 . Darin führt es aus, die Zivilgerichte und der Gesetzgeber müßten die grundrechtliehe Gewährleistung der Privatautonomie in Art. 2 Abs. 1 GG beachten. Dieses Recht stehe allen Beteiligten des Zivilrechtsverkehrs zu, so daß nicht das Recht des Stärkeren gelten dürfe. Die privatautonome Gestaltung von Rechtsverhältnissen wird somit nach ihrer Form und ihrem möglichen Inhalt durch die Rechtsordnung bestimmt. Übrig bleibt das Recht des Einzelnen, selber zu entscheiden, ob er einen Vertrag abschließt, mit wem er dieses Rechtsverhältnis eingeht und wie dieses ausgestaltet wird. Rechtsgrund der Geltung einer selbstbestimmten Handlung ist im Ergebnis immer 112
411.
So auch Wiedemann: Anmerkung zu BVerfG, Beschluß vom 19.10.93, JZ 94,
113 So aber mißverständlich bei Dürig in: Maunz - Dürig Grundgesetz Kommentar Art. 2 Rn. 59. 114 Ebenso Roscher (in: Vertragsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 54 ff.; 74 ff.) der die These vertritt, Art. 2 Abs. 1 GG habe die rechtliche Anerkennung des Vertragsschlusses an das Vorliegen jeweils verfassungsrechtlich legitimierter Selbstbestimmung gebunden, weil sich nur so dem Grundrecht jedes Partners auf Selbstbestimmung im wirtschaftlichen Bereich Rechnung tragen lasse. Werde ein Vertrag unter Zuhilfenahme von Allgemeinen Geschäftsbedingungen abgeschlossen, werde dieser Bereich vom Privatrecht überschritten. Dennoch sei die grundrechtsadäquate Folge nicht die Einschränkung der Vertragsfreiheit durch Verbot bestimmter Klauseln, sondern die Ausdehnung der Einflußmöglichkeit des Unterlegenen durch neue Formen von Selbstbestimmung. 115 Die sich aus der Verfassung ergebende objektive Wertordnung muß sich z. B. in der Entscheidung darüber widerspiegeln, ob ein Verhalten sittenwidrig i. S. d. § 138 BOB ist. Damit verändern sich die Wertentscheidungen hin zu zivilrechtlich relevanten Abwägungskriterien, Schmidt-Salzer: Vertragsfreiheit und Verfassungsrecht, NJW 70, 8ff. (12). 116 BVerfGE 81, 242 = NJW 90, 1469. 117 BVerfGE 89, 214 = NJW 94, 36.
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
die privatautonome Gestaltung in Verbindung mit der Rechtsordnung, die Voraussetzung für die Betätigung der Vertragsfreiheit ist l18 . Wenn die äußeren Grenzen der verfassungsrechtlich gewährleisteten und weitestgehend zivilrechtlich konkretisierten Vertragsfreiheit überschritten werden, besteht kein subjektives Recht mehr auf dieses Handeln. Fraglich ist, ob dadurch, daß die Rechtsordnung auf das Privatrecht zurückgreift, um ein Verfassungsrecht inhaltlich auszugestalten, das Privatrecht in den Verfassungsrang erhoben wird 119. Bedenklich erscheint dies bereits dadurch, daß das Bürgerliche Gesetzbuch länger in Kraft ist als das Grundgesetz. Das gleiche Gesetz könnte wohl nicht einmal Verfassungsrang haben, ein anderes Mal nicht. Dies kann schon wegen des Rangunterschiedes und den daraus resultierenden unterschiedlichen Rechtspositionen nicht sein. Ein Gesetz, das nicht in Verfassungsrang steht, könnte also ohne weiteres geändert oder abgeschafft werden, wenn sein Inhalt sich nicht zwingend aus der Verfassung ergeben würde. Ergibt sich ein solcher Inhalt aus der Verfassung, dann handelt es sich um eine Grundrechtsausgestaltung. Eine solche Grundrechtsausgestaltung liegt insbesondere dann vor, wenn der Gesetzgeber die Vertragsfreiheit des einen Grundrechtsträgers gegen die Vertragsfreiheit eines anderen Grundrechtsträgers absichert 120. Besteht zwischen den Vertragsparteien ein ungleiches Machtverhältnis, das dazu führt, daß der schwächere Teil von seinem Recht auf Vertragsfreiheit keinen Gebrauch machen kann, dann werden der Gesetzgeber und die Gerichte gefordert, Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, die zu einer Realisierung des Rechts führen können. Diese gesetzgeberischen oder gerichtlichen Pflichten ergeben sich zwangsläufig aus dem Recht auf Vertragsfreiheit und der damit im Zusammenhang stehenden Existenz von immanenten Schranken. Die Erfüllung dieser Pflichten geschieht durch die zivilrechtlichen Normen und durch die gerichtliche Konkretisierung der Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuches l2l . Nur durch diese Interpretation kann gewährleistet werden, daß bei einem Vertragsschluß die Interessen aller Vertragsparteien berücksichtigt werden und zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden.
118 Flume: Rechtsgeschäft und Privatautonomie, FS Deutscher Juristentag, Bd. I, S. 137. 119 Siehe dazu Flume: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, S. 18. 120 Häberle: Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, S. 190. 121 Roscher: Vertragsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 56.
§ 6 Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Vertragsfreiheit
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bb) Grundrechtsbegrenzung Die durch die Grundrechtsausgestaltung geschaffenen Rechte, die der Bürger aus der Verfassung herleiten kann, können jedoch wiederum in einem bestimmten Rahmen begrenzt werden. Auch hier wird dieser Rahmen durch das Grundgesetz selber geschaffen. Die Begrenzung beginnt zunächst einmal erst dort, wo die Ausgestaltung endet. Fraglich ist, ob im Bereich der Vertragsfreiheit überhaupt noch eine Differenzierung zwischen Ausgestaltung des Grundrechts und Eingriff in dasselbe möglich ist I22 . Die Verfassung hat teilweise Vorgaben für eine Begrenzung festgeschrieben. So stehen bestimmte Grundrechte unter einem einfachen oder einem qualifizierten Gesetzesvorbehalt. Im Rahmen der Vertragsfreiheit gibt es jedoch keinen Gesetzesvorbehalt. Die zivilrechtlichen Gesetze, die im Zusammenhang mit der Vertragsfreiheit erlassen wurden, dienen alleine der Ausgestaltung des Inhalts des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts. Man kann also festhalten, daß alle zivilrechtlichen Vorschriften den durch die Verfassung verordneten Schutz realisieren mit der Konsequenz, daß hier kein Raum für eine Einschränkung der Vertragsfreiheit bleibt. Es ist also falsch zu sagen, die Vertragsfreiheit wird durch die zivilrechtlichen Gesetze und die Rechtsprechung, z. B. zugunsten der Mieter oder der Verbraucher, eingeschränkt 123, sondern die zivilrechtlichen Gesetze gestalten die durch das Grundgesetz geWährleistete Vertragsfreiheit inhaltlich im Lichte der Verfassung aus .. Eingriffe in die Vertragsfreiheit durch das Zivilrecht existieren somit nicht. Es liegt eine verfassungsrechtlich eher atypische Sachlage vor, die mit den allgemeinen grundrechtlichen Kategorien nicht bewältigt werden kann l24 .
122 Siehe dazu auch Huber, H.: Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit, S. 7 ff. 123 So aber z. B. Fastrich: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 14; ebenso Hönn: Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 134. 124 So auch Schmidt-Salzer: Vertragsfreiheit und Verfassungsrecht, NJW 70, 8 ff. (14). Dazu kann ein Zitat Raisers [in: Vertragsfreiheit heute, JZ 58, Iff. (6)] beigefügt werden. Seiner Meinung nach verhalten sich die Vertragsfreiheit und die Begrenzung (besser: Ausgestaltung) derselben nicht wie Regel und Ausnahme, sondern wie These und Antithese des dialektischen Verhältnisses zwischen Individuum und Gemeinschaft. Sie bilden zusammen eine spannungsreiche, allen aufgegebene Einheit.
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
§ 7 Dogmatische Grundlagen der Vertragsfreiheit I. Einleitung Nach dem oben Gesagten besteht ein verfassungsrechtlicher Auftrag an die hoheitlichen Organe, Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, um die jedermann zustehende Vertragsfreiheit in der Praxis auch realisieren zu können. Im Mittelpunkt steht damit der durch vertragliche Verbindlichkeiten benachteiligte Vertragspartner, der sich aufgrund seiner individuellen Situation im Verhältnis zu dem anderen Vertragsteil in einer schwächeren Position befindet. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat mit seinen Regelungen zur Geschäftsfähigkeit (§ § 104 ff. BGB) bereits einen wichtigen Beitrag geleistet, um eine große Gruppe von "schwachen" Vertragspartnem vor nachteiligen Verpflichtungen zu bewahren. Es bleibt die mengenmäßig darüber hinausgehende Gruppe der als geschäftsfahig zu bezeichnenden Personen. Aufgrund der gesetzlichen Intention, Vertragsabschlüsse dieses Personenkreises grundsätzlich als wirksam anzusehen, bedarf es einer gen auen Untersuchung der generell festzulegenden Voraussetzungen, die erforderlich sind, um dennoch in den Vertrag eingreifen zu können. Dieses Abstellen auf generelle Situationen, in denen eine solche hoheitliche Maßnahme als rechtmäßig angesehen wird, ist aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit erforderlich. In diesem Zusammenhang erscheint es wichtig bewußt zu machen, daß auch die aufgrund selbstbestimmter Willenserklärung abgeschlossenen Verträge grundsätzlich in ihrem Inhalt mit den Zielen und Wertungen der Gesamtrechtsordnung übereinstimmen müssen. Aus diesem Grund ist (primär) der Gesetzgeber verpflichtet, den Rahmen zu bestimmen, innerhalb dessen die Bürger von ihrem Recht auf Abschluß beliebiger Verträge Gebrauch machen können. Weiterhin müssen auch die Gerichte dieses Recht ausgestalten. Die gesetzliche Grundlage für eine solche Konkretisierung der Rechte ergibt sich, wie im 1. Teil gesehen, zunächst einmal aus den Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuches. Der Gesetzgeber und die Gerichte haben viele verschiedene Wege eingeschlagen, um dem verfassungsrechtlichen Auftrag gerecht zu werden. Dem entspricht die Tatsache, daß die Verfassung keine Vorschriften enthält, wie die dort verankerten Rechte in die Rechtspraxis umgesetzt werden sollen. Durch die großen Unterschiede in den Anwendungsfällen kann es hier im Ergebnis nur verschiedenartige Lösungen geben. Bei der rechtlichen Untersuchung der möglichen Vorgehensweisen des Gesetzgebers bzw. der Gerichte zur Schaffung von Schutzmaßnahmen zugunsten des schwächeren Vertragspartners bieten sich zwei Varianten an:
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l. Die eine Variante fragt danach, was man unter einer Ungleichgewichtslage versteht. Im Mittelpunkt dieser Betrachtungsweise steht die Möglichkeit zur Selbstbestimmung jedes einzelnen Vertragspartners, die als Voraussetzung der Anerkennung eines Vertrages durch die Rechtsordnung angesehen wird. Wenn eine solche Ungleichgewichtslage festgestellt werden kann, muß unter Umständen weiterhin danach gefragt werden, ob diese zu einem von der Rechtsordnung nicht zu akzeptierenden Vertragsinhalt geführt hat. Bei dieser Vorgehensweise ist danach die Art und Weise des Zustandekommens des Vertrages von Interesse 125 .
2. Eine andere Möglichkeit der Untersuchung der Frage, ob alle Vertragspartner von dem ihnen zustehenden Recht auf Vertragsfreiheit Gebrauch machen konnten, beginnt bei der Feststellung, ob der Vertrag insgesamt als gerecht zu bezeichnen ist. Es kommt somit auf den Vertragsinhalt an. Durch diese Vorgehensweise kommt es nicht zu einer Herabsetzung des Wertes der Selbstbestimmung. Statt dessen wird der Vertrag in seiner Einbettung in die Gesamtrechtsordnung in den Mittelpunkt gerückt. Dabei wird untersucht, ob sich ein bestimmter Vertragsinhalt in Widerspruch zu dieser Gesamtrechtsordnung setzt. Daraus ergeben sich wiederum Konsequenzen für die Bejahung bzw. Ablehnung eines gültigen Vertrages 126.
11. Gefährdung der Vertragsfreiheit durch ungleiche Verhandlungsstärke Die Vertragsfreiheit als Grundwert der Vertragsgerechtigkeit setzt voraus, daß die Vertragsbeteiligten dieses Rechtsverhältnis nach ihrem Willen selbstbestimmend gestalten konnten 127. Sie ist damit Ausdruck der Freiheit des Einzelnen, der bei der Regelung seiner eigenen Angelegenheiten weder einer staatlichen Bevormundung noch der einseitigen Fremdbestimmung durch Dritte unterliegt 128. Bedingung dafür ist, daß alle Vertragsparteien einen gleich großen Einfluß auf den Vertragsabschluß und auf den Vertrags125 Zu der Unterscheidung auch Hönn: Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 23; ähnlich Hildebrandt (in: Disparität und Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht, S. 74ff.), der zwischen einer Messung der Richtigkeit einer vertraglichen Regelung nach einem vorgegebenen Maßstab und der Feststellung der Disparität durch Messung des Gewichts der Vertragspartner ebenfalls nach einem vorgegebenen Maßstab unterscheidet. 126 Dazu Hönn: Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 30. 127 Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 19f.; Flurne: Rechtsgeschäft und Privatautonomie, FS Deutscher Juristentag, Bd. I, S. 135 ff.; derselbe in: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, § 1. 128 Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 20. 9 Knobel
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
inhalt haben. Daneben kann ein Vertrag bei unterschiedlicher Verhandlungsstärke nur dann zu einem für beide Seiten befriedigenden Ergebnis führen, wenn der eine Vertragspartner nicht seine ganze Stärke demonstriert, sondern sich mit einem Inhalt zufrieden gibt, den auch der andere als angemessen akzeptieren kann. Das Problem ungleicher Machtverteilung zwischen den Vertragsparteien wurde, wie im 1. Teil dargestellt, schon bald nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches erkannt. Die Literatur versuchte auf vielfältige Weise, dieses Problem zu systematisieren und Kriterien zu bestimmen, nach denen die Existenz einer Ungleichgewichtslage zwischen den Vertragsparteien festgestellt werden kann, die dann ein Handeln des Gesetzgebers oder der Gerichte fordert. I. Weitnauer wählt bei der Beschreibung des Problems einer unterschiedlichen Machtposition einen sehr einfachen Weg, indem er nach bestimmten Personengruppen unterscheidet, die sich in einer Lage befinden, welche als Schwäche oder Unterlegenheit empfunden wird 129. Dem kann nur insoweit gefolgt werden, als sich in der Rechtsprechung und Gesetzgebung Schwerpunkte herausgebildet haben, bei denen eine besondere Schutzbedürftigkeit erkannt wurde und diesbezüglich aufgrund der Masse der Einzelfälle auch einiges zum Schutz des schwächeren Vertragspartners veranlaßt wurde. Dazu zählen insbesondere die Gruppen der Mieter, der Arbeitnehmer, der Verbraucher und nun verstärkt der Bürgen, die nahe Angehörige des Schuldners sind. In diesen Fällen geht man überwiegend davon aus, daß sich diese Personen mit großer Wahrscheinlichkeit in einer schwächeren Position befinden als ihre Vertragspartner. Diese Einteilung in bestimmte Personengruppen ist sicherlich ein nicht zu unterschätzender erster Schritt bei der Suche nach den Kriterien einer Ungleichgewichtslage. Aber der Ansatz Weitnauers ist zu ungenau, um gezielt auf die Probleme einer Ungleichgewichtslage zwischen den Vertragspartnern eingehen zu können. 2. Eine der ersten großen Abhandlungen über die Gesetzmäßigkeiten einer freien Verkehrs- und Konkurrenzwirtschaft wurde von Böhm verfaßt 130. Er betrachtete dabei das Problem der Machtunterschiede zwischen den Marktteilnehmern aus einer wirtschaftsrechtlichen Sichtweise. Böhm beschränkte sich bei seiner Untersuchung auf den gewerblichen Wettbewerb. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die durch gesetzgeberischen Gesamtentscheid geprägte Wirtschaftsordnung, die ihrerseits der Gewerbefreiheit institutionelle Grenzen setzt. Aus der existierenden Wirtschaftsform, 129 Weitnauer: Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, S. 12f. Er unterscheidet dabei zwischen Armen, Nichtbesitzenden, MindeIjährigen, Frauen, Schwachen, Hungrigen usw. 130 Böhm: Wettbewerb und Monopolkampf (1933).
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die sich durch eine freie Verkehrs- und Konkurrenzwirtschaft auszeichnet \31, sollte der positive Gehalt der Gewerbefreiheit bestimmt werden, und zwar im Sinne einer rechtlichen Gesamtentscheidung über Art und Form des wirtschaftlich-sozialen Kooperationsprozesses 132. Die Institute des Privatrechts stellen nach Meinung Böhms rechtliche Strukturelemente der geltenden Wirtschaftsordnung dar, die indirekt auch bestimmte Ordnungsfunktionen erfüllen müssen 133. Diese von Böhm aufgestellten Theorien wurden später auf das Rechtsinstitut Vertrag übertragen. Nach Biedenkopf müsse der Vertrag Ordnungsaufgaben erfüllen, um seiner Richtigkeit im Sinne Schmidt-Rimplers gerecht zu werden. Aus diesem Grund sei die Vertragsfreiheit so begrenzt, daß die sich gegenüberstehenden Vertragspartner faktisch annähernd ebenbürtig sein müßten 134. Dies wirke sich nach Meinung Biedenkopfs dergestalt aus, daß marktordnende Absprachen als sogenannte Normenverträge außerhalb der Zuständigkeitsordnung der Privatautonomie liegen sollten. Diese seien nur bei Vorliegen einer gesetzlichen Ermächtigung zulässig, beispielsweise aus dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, soweit durch dieses Gesetz Kartelle nicht verboten seien. In der Praxis äußere sich dies dergestalt, daß die Wertungen dieses Gesetzes in das Privatrecht hinein wirken sollten und damit zu einer Beschränkung der Privatautonomie führten 135. Da das subjektive Recht, zu dem auch die Möglichkeit des Vertragsschlusses zählt, nicht Selbstzweck sei, müsse notfalls zur Verwirklichung einer herrschaftsfreien Ordnung der Zuweisungsgehalt dieses subjektiven Rechts vermindert werden 136 • Außer acht bleiben muß bei einer Bewertung dieser Gedanken die Tatsache, daß Böhm und Biedenkopf Bezug nehmen auf gewerbliche Absprachen, die nur mittelbare Auswirkungen auf den Großteil der als schützenswert zu bezeichnenden Personen haben. Doch einige Überlegungen können hier von Wichtigkeit sein: Angesprochen wird das Problem immanenter Schranken der Vertragsfreiheit, die sich aus der Gesamtrechtsordnung ergeben. In diese Gesamtrechtsordnung sind alle Rechtssubjekte einbezogen, so daß einer Übertragung auf, bleibt man im wirtschaftlichen Bereich, Endverbraucher nichts im Wege steht. Böhm spricht richtigerweise davon, den positiven Gehalt der Gewerbefreiheit (oder übertragen: der Vertragsfreiheit) aus der Wirtschaftsordnung zu bestimmen. Negativ ausgedrückt heißt dies, Böhm: Wettbewerb und Monopolkampf, S. IX. Böhm: Wettbewerb und Monopolkampf, S. 107. 133 Böhm: Wettbewerb und Monopolkampf, S. 124. 134 Biedenkopf: Vertragliche Wettbewerbsbeschränkung und Wirtschaftsverfassung, S. 106 ff. 135 Biedenkopf: Vertragliche Wettbewerbsbeschränkung und Wirtschaftsverfassung, S. lllff., 128ff., 139ff., 157ff. 136 Biedenkopf: Über das Verhältnis wirtschaftlicher Macht zum Privatrecht, FS Böhm S. I 13ff. (135). 131
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daß das jedem Rechtssubjekt zugewiesene subjektive Recht gewisse Beschränkungen erfahrt. 3. Wolf verwendet das Problem der Ungleichgewichtigkeit zwischen den Vertragsparteien als Einstieg in seine Habilitationsschrift 137. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen über das Erfordernis einer "Beschränkung" der Vertragsfreiheit steht jedoch der Begriff der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreihei t. Wolf geht davon aus, daß die Vertragsfreiheit als Institut der Ermöglichung und Sicherung beiderseitiger Selbstbestimmung sowie der Gerechtigkeit dient 138. Er beschreibt zunächst typische Situationen, in denen aufgrund faktischer Ungleichheit der Vertragspartner ein gerechter Ausgleich der gegenseitigen Interessen nicht möglich ist 139. Doch bleibt er dabei nicht stehen. Trotz möglicher Unterscheidung zwischen intellektueller und wirtschaftlicher Unterlegenheit der schwächeren Vertragspartei 140 sieht er es als erforderlich an, daß die Rechtsordnung gemeinsame Prinzipien aufstellt, die eine generelle Abgrenzung zwischen dem Bereich der (unbegrenzten) Vertragsfreiheit und dem Bereich der Verwirklichung eines gerechten Interessenausgleichs ermöglichen. Dadurch komme es nicht zu einer partiellen Aus137 Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich (1970). 138 Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 31 f., 59. 139 Wolf (in: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 12ff.) geht dabei insbesondere auf das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und zwischen Vermieter und Mieter ein, ebenso auf die Probleme im Zusammenhang mit den sogenannten Knebelungsverträgen und mit der Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. 140 Die wirtschaftliche Unterlegenheit basiert nach Wolf (in: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 18) auf der Tatsache, daß der als schwächer zu bezeichnende Vertragspartner sich frei von Einflüssen der anderen am Vertrag beteiligten Person eine Meinung über den für ihn günstigsten Vertragsinhalt bilden konnte, er aber aufgrund dieser schwächeren Lage nicht fahig ist, diesen Willen auch in den konkreten Vertragsinhalt einfließen zu lassen. Demgegenüber kann die intellektuelle Unterlegenheit mit der Tatsache charakterisiert werden, daß die unterlegene Partei erst gar nicht in der Lage ist, die für sie günstigste Vertragsposition zu ermitteln, um sie dann gegenüber dem anderen Vertragspartner durchzusetzen. Siehe ebenso Raiser: Richterliche Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 137. Das Vorhandensein von Informationsdefiziten war bereits bei Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches gegeben. Es führte allerdings in der Praxis nicht zu größeren Problemen, da die zu der Zeit angebotenen Waren noch überschaubar waren und die geringe Finanzkraft der unteren Schichten diese vor einer Ausnutzung ihrer Unkenntnisse gerade schützte. Dies änderte sich durch die sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, die diese Informationsdefizite zu erheblichen Problemen sowohl sozialer als auch rechtlicher Art werden ließen, siehe dazu Schumacher: Vertragsaufhebung wegen fahrlässiger Irreführung unerfahrener Vertragspartner, S. 72ff.
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schaltung der Vertragsfreiheit, sondern der positive Gehalt der Vertragsfreiheit müsse herausgearbeitet werden 141. Erster Schritt sei die Feststellung, ob die Selbstbestimmung eines Vertragspartners bei Vertragsschluß beeinträchtigt war. Diese Selbstbestimmung, die Wolf bezogen auf den Vertragsschluß als Entscheidungsfreiheit bezeichnet, diene nach der Vorstellung der Rechtsordnung gerade der Realisierung einer gerechten Interessenabwägung. Wenn die Vertragspartner einen nach objektiven Maßstäben zu beurteilenden gerechten Interessenausgleich erzielt hätten, so sei dadurch der Selbstbestimmung und der Gerechtigkeit genüge getan. Wenn beide Vertragspartner in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts ein objektiv nicht als gerecht zu bezeichnendes Ergebnis erzielen würden, wäre dies Ausdruck des Vorranges dieses Selbstbestimmungsrechts 142. Erst wenn ein Vertragspartner von seinem Recht auf Selbstbestimmung keinen Gebrauch machen könne, müsse die Rechtsordnung reagieren, indem die Schranken der Vertragsfreiheit als Rechtsinstitut kenntlich gemacht werden müßten l43 . In diesem Fall gelte der gerechte Interessenausgleich zwingend l44 . Dieser Eingriff bestehe in einer Ergänzung der aufgrund fehlender Entscheidungsfreiheit unvollständig gebliebenen Vereinbarung, entweder durch richterliche Ergänzung oder durch Beachtung des Gerechtigkeitsgehalts der Normen des dispositiven Rechts 145. Es handelt sich dabei nach Meinung Wolfs um eine systemgerechte Ergänzung l46 • Ein Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern bestehe insbesondere in den Fällen, in denen der Vertragsschluß von der Anerkennung der durch den stärkeren Vertragspartner aufgestellten Vertragsbedingungen abhängig gemacht werde und ein Verzicht auf den Vertragsschluß unter Abwägung aller Vor- und Nachteile als nicht zumutbar erscheine. Es liege dann eine Koppelung von Vertragsabschluß und Anerkennung der Vertragsbedingungen vor, die auf keiner sachgerechten Überlegung beruhe l47 . Doch dürfe 141 Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 11, 18 f. 142 Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 35 f. 143 Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 61, 122. 144 Nach Wolf (in: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 62) trete die Vertragsgerechtigkeit an die Stelle der Vertragsfreiheit, wenn diese ihre Funktion nicht mehr erfülle. 145 Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 253 f. 146 Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 294. 147 Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 126ff.
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nicht in jedem dieser Fälle ein Eingreifen der Rechtsordnung gefordert werden. In bestimmten Fällen müsse eine eigenverantwortliche Zurückweisung sachfremder Interessen verlangt werden können. Entscheidend sei die Frage der Zumutbarkeit, die sich an dem Wertgehalt der miteinander kollidierenden Interessen orientiere. So könne im Ergebnis verlangt werden, daß der schwächere Vertragspartner geringerwertige, mit der Zurückweisung sachfremder Interessen verbundene Nachteile auf sich nehme, wenn sie infolge der Koppelung mit höherwertigen Interessen kollidierten. Gleiches müsse bei Gleichwertigkeit der Interessen gelten. Bei Verweigerung des Vertragsabschlusses im Falle der Höherwertigkeit der Interessen dieser schwächeren Vertragspartei, welche anhand der objektiven Wertordnung zu bestimmen sei 148, müsse von einer Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit gesprochen werden 149. In diesem Fall müsse dem Vertrag durch die Rechtsordnung die Wirksamkeit versagt werden l50 . Wolf geht richtigerweise von der Grundvoraussetzung der Vertragsfreiheit, dem Recht auf Selbstbestimmung durch das einzelne Rechtssubjekt, aus. Seine Ausführungen zur Realisierung des Selbstbestimmungsrechts sind auf alle Rechtsgeschäfte anwendbar. Doch paßt seine Erklärung der Koppelung von Vertragsabschluß und Anerkennung der Vertragsbedingungen nicht auf alle möglichen Situationen, in denen sich ein Schutz der schwächeren Vertragspartei aufdrängt. So geht es im Falle des Abschlusses eines Bürgschaftsvertrages durch einen nahen Angehörigen des Hauptschuldners um die Frage, ob der Bürge den Vertrag überhaupt abschließen will, es liegt also keine Eingehung des Vertrages nur unter ganz bestimmten Bedingungen vor. Der Ansatz Wolfs ist deshalb in diesem Punkt zu eng. Auch Wolf versucht, die Vertragsfreiheit positiv zu definieren, indem er die Situation beschreibt, in der von einem ausgeübten Selbstbestimmungsrecht aller Vertragsparteien ausgegangen werden kann. Doch bleibt bei Wolfs Betrachtungen die Tatsache außer Betracht, daß auf den Vertragsschluß nicht nur die Selbstbestimmungsrechte der Parteien einwirken, sondern daß eine Vielzahl vOn Verträgen auch Einflüssen von außen ausgesetzt ist, wie zum Beispiel den Kräften des Wettbewerbs. 148 Primär kommt es dabei auf die durch die Rechts- und Kulturordnung zu bestimmende abstrakte Rangordnung der Werte an. Ergänzt wird dieses durch eine individualisierende Betrachtung, die den Wert der Interessen im konkreten Konfliktsfall berücksichtigt. Dabei wird eine Interessenhäufung, -nähe und -intensität berücksichtigt; Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 174 ff. mit Verweis auf Hubmann: Grundsätze der Interessenabwägung AcP 155 (1956) 85 ff. 149 Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 138 ff. ISO Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 154.
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4. Flume beschreibt in seiner Abhandlung über das Rechtsgeschäft die Voraussetzungen, unter denen ein Vertrag zustande kommt 151. Wichtig erscheint, daß danach die Privatautonomie als Teil des allgemeinen Prinzips der Selbstbestimmung des Menschen angesehen wird. Voraussetzung dieses durch die Verfassung gewährleisteten Rechts sei jedoch, daß sich die Vertragspartner mit der Macht zur Selbstbestimmung gegenüberstünden, daß also nicht die Selbstbestimmung der einen Partei in eine Fremdbestimmung durch die andere Partei umschlage, die sich in einer, aus welchen Gründen auch immer, stärkeren Position befindet. Flume weist aber zu Recht darauf hin, daß sich beim Verkehr mit Gütern und Leistungen im allgemeinen wirtschaftlich ungleich starke Partner gegenüberstehen. Bei dem Versuch, diese Fremdbestimmung zu verhindern, geht Flume zunächst von der Tatsache aus, daß bei bestimmten Vertragstypen im allgemeinen eine ungleiche Machtlage vorliegt l52 • In diesem Fall werde das Recht zur Selbstbestimmung des Vertragsinhaltes den Vertragsparteien entzogen und dieser Vertragsinhalt ganz oder teilweise durch zwingendes Recht ausgestaltet. Daneben spricht Flume den Fall an, daß ein rechtliches oder faktisches Monopol für bedarfswesentliche Güter oder Leistungen besteht. In diesem Fall besitze alleine der Monopolist eine solche Machtstellung, daß man grundsätzlich nicht mehr von einer Möglichkeit der Selbstbestimmung des anderen Vertragspartners sprechen könne. Umgekehrt sei der Kontrahierungszwang nur noch technisches Mittel des Gesetzesvollzugs. Die Vermeidung einer Fremdbestimmung und dadurch bedingt die Möglichkeit zur Selbstbestimmung geschieht nach Flume vorwiegend durch die Marktmechanismen, insbesondere durch die Schaffung und Erhaltung eines ausgewogenen Wettbewerbs zwischen den einzelnen Anbietern. Trete dennoch eine außergewöhnliche Verknappung von Gütern auf, müsse durch Aufhebung oder Einschränkung der Privatautonomie (beispielsweise durch Preisfestsetzung) sowie durch autoritative Entscheidung eine gerechte Verteilung der Güter vorgenommen werden. Zu der Selbstbestimmung des Einzelnen zählt nach Meinung Flumes auch die Selbstverantwortung 153 • Dieser könne durch die Rechtsordnung der Vorrang vor einer Prüfung der inhaltlichen Rechtfertigung der Erklärung eingeräumt werden. Flume weist aber auch darauf hin, daß in dem Fall, in dem für einen Vertragspartner ein faktischer Zwang zur Zustim151 Flume: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, § 1 7. 152 Er spricht hier insbesondere das Miet- und Arbeitsrecht an. 153 Flume: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, § 4 8.
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mung bestehe, dieser Vertrag als wirksam angesehen werden müsse, wenn nicht die Voraussetzungen des § 138 BGB vorlägen 154. Im Ergebnis führen die Überlegungen Flumes zu dem Vorliegen eines Machtgleichgewichts zwischen den Vertragsparteien als Voraussetzung für die Nutzung der Privatautonomie nicht zu einer Lösung des Problems als solchem. Die von Flume angesprochenen Situationen, wie die MonopolsteIlung eines Anbieters von Waren und die staatliche Festlegung von Preisen im Falle einer Verknappung von Gütern, klingen eher wie die Problematisierung des Machtungleichgewichts zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Auch die Behandlung der Fälle einer Ungleichgewichtslage, die bereits gesetzlich geregelt sind, führt nicht zu einer allgemeinen Problemlösung. Angesichts der Ausweitung der Mißstände bei Abschluß eines Vertrages aufgrund der sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte muß die Ermittlung der Ausgleichsmöglichkeiten weiter angelegt werden. 5. Zöllner beschäftigte sich auf dem Gebiet der Arbeitsverhältnisse mit dem Problem der Imparität zwischen den Vertragspartnern 155 . Er zeigte zwei verschiedene Wege auf, um die Richtigkeitsgewähr beim Abschluß eines Vertrages zu widerlegen. Der erste zielt darauf ab, das Gewicht der Vertragspartner nach einem vorgegebenen Maßstab zu messen und bei Bejahung einer Ungleichgewichtslage die Richtigkeitsgewähr zu verneinen. Doch Zöllner führte weiter aus, daß es bisher keinen brauchbaren Maßstab bei isolierter Betrachtung der Partner gebe. Eine Messung der Positionen mit Hilfe der Kriterien "wirtschaftliche und intellektuelle Überlegenheit" des Arbeitgebers lehnte er ab. Praktikabel sei statt dessen nur der Vergleich des einzelnen Vertragspartners mit seinen Marktkonkurrenten. Ein im Wettbewerb mit anderen Anbietern stehender Vertragspartner könne für sich nicht so vorteilhafte Vertragsbedingungen durchsetzen wie ein Monopolist. Man könne davon ausgehen, daß ein Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern vorliege, wenn diese aus einem Monopolist und einem Wettbewerber bestünden. Da jedoch die Verhältnisse im Arbeitsvertragsrecht sehr viel komplexer sind, sei eine Übertragung dieses Modells auf die Arbeitsvertragskonkurrenten zur Feststellung einer Vertragsübermacht nach Meinung Zöllners nicht praktikabel l56 • Als weitere Möglichkeit bleibe nach Meinung Zöllners, von der nach einem vorgegebenen Maßstab gemessenen Unrichtigkeit auf eine Ungleichgewichtslage zwischen den Vertragsparteien zu schließen. Realisiert werde 154 Flume: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, § 33 6 a. 155 Zöllner: Privatautonomie und Arbeitsverhältnis, AcP 176 (1976) 22lff. (236ff.). 156 Zöllner: Privatautonomie und Arbeitsverhältnis, AcP 176 (1976) 221 ff. (239).
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dies durch eine inhaltliche Richtigkeitsprüfung, die jedoch mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sei 157 • Hierbei könne ein Vergleich mit dispositiven Normen durchgeführt werden 158. Aus den Wertungen dieser Normen könne der Maßstab der Rechtsordnung entnommen werden, der angelegt werden müsse, um eine inhaltliche Unrichtigkeit eines Vertrages mit der Konsequenz der Bejahung eines Ungleichgewichts zwischen den Vertragspartnern herleiten zu können. Zöllner nahm 20 Jahre später noch einmal zu der Problematik Stellung, und zwar bezogen auf das gesamte Schuldrecht. Anknüpfend an seinen ersten Beitrag ist Ausgangspunkt seiner Überlegungen die Tatsache, daß die Frage einer Ungleichgewichtigkeit zwischen zwei Vertragspartnern ihren Ursprung im Arbeitsvertragsrecht hatte und zu einer allgemeinen Grundlage für die die Vertragsfreiheit "beschränkenden" Überlegungen wurde 159 • Doch Zöllner steht der Anknüpfung an die Ungleichgewichtigkeit zwischen den Vertragspartnern kritisch gegenüber l60 . Er vertritt weiterhin die These, daß eine Ungleichgewichtigkeit zwischen Vertragsparteien nicht meßbar sei. Weiterhin versucht er, die allseits vertretene Behauptung "Vertragsfreiheit verlange Selbstbestimmung, Selbstbestimmung verlange Gleichgewicht, und bei Vorliegen eines Ungleichgewichts sei keine Vertragsfreiheit möglich" zu entkräften. Es gebe keinen Grund, daß eine Bindung an einen Vertrag im Falle eines nicht oder nicht vollständig selbstbestimmten Vertragsinhaltes nicht eintreten solle. Auch auf die Gleichgewichtigkeit als Voraussetzung der Selbstbestimmung der Vertragspartner solle es nicht ankommen, statt dessen auf ein hinreichendes Maß an Entscheidungsfreiheit 161 • Liege eine Beeinträchtigung derselben vor, könne das Zivilrecht daran Folgen knüpfen, auch wenn kein Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnem bestehe 162 • Zuzustimmen ist Zöllner, daß es keinen Maßstab gibt, um das Kräftegleichgewicht zwischen den Vertragsparteien zu messen. Diesen Maßstab wird es auch nie geben. Reine Indizwirkung kann nur ein äußerlich erkennZöllner: Privatautonomie und Arbeitsverhältnis, AcP 176 (1976) 22lff. (240). Dieser Vergleich scheitert in dem von Zöllner behandelten Gebiet des Arbeitsvertragsrechts an der Tatsache, daß es in diesem Bereich kaum dispositives Recht gibt. Doch Zöllner überbrückt dieses Problem mit einer gedanklichen Hilfskonstruktion, indem er sich fragt, was geschehen würde, wenn zwingendes oder halbzwingendes Arbeitsvertragsrecht zu dispositivem Recht zurückgestuft würde. 159 Zöllner: Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996) I ff. (20). 160 Zöllner: Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996) I ff. (30). 161 Zöllner knüpft hier an den von Wolf (in: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich) verwendeten Begriff an. 162 Zöllner: Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996) 1 ff. (25 ff.). 157
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barer Zustand bringen. Im Ergebnis relativiert Zöllner das Problem einer Ungleichgewichtslage dadurch, daß er die Gleichgewichtigkeit der Vertragspartner nicht mehr als erforderlich ansieht, sondern nur noch auf die Entscheidungsfreiheit abstellt. Doch hängt die Freiheit zur Entscheidung von dem Verhältnis zwischen den Parteien ab. In der Mehrzahl der Fälle überschneiden sich die Möglichkeit der Entscheidungsfreiheit und die Existenz der Gleichgewichtigkeit zwischen den Vertragsparteien. 6. An die Unterscheidung zwischen intellektueller und wirtschaftlicher Unterlegenheit des einen Vertragspartners knüpft Dauner-Lieb in ihrer Abhandlung über den Verbraucherschutz l63 . Eine intellektuelle Unterlegenheit dieser Verbraucher erklärt sie anhand des von ihr vertretenen Informationsmodells l64 . Nach Auffassung des liberalen Sozialmodells werden sowohl die Produktion als auch die Preisbildung durch die Nachfrage gesteuert, insbesondere durch die Wünsche und Bedürfnisse des souveränen Konsumenten 165. Auf diesem Gleichheitsgedanken basiert nun das Prinzip der Vertragsfreiheit. Konsequenz dieses Modells ist die grundsätzliche Existenz eines paritätischen Verhältnisses zwischen den einzelnen Vertragspartnern. Diese Idealvorstellung führte dazu, daß in das Bürgerliche Gesetzbuch bis auf wenige Ausnahmen keine Vorschriften integriert wurden, die die Kontrolle eines Vertrages ermöglicht hätte. Es war damit wertungsneutral. Doch kann die Rechtsordnung auf dieser Stufe nicht stehen bleiben. Die wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen dieses Sozialmodells haben seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches wesentliche Veränderungen erfahren. Weitere wichtige Voraussetzung für das Funktionieren der Vertragsfreiheit und des Marktmechanismus ist eine umfassende Information des Vertragspartners, der ein bestimmtes Produkt erwerben will 166. Diese Information erlangt angesichts einer immer komplexeren 163 Dauner-Lieb: Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, S. 51 f. 164 Ausgangspunkt der Überlegungen Dauner-Liebs ist das sogenannte liberale Sozialmodell (vergleiche dazu auch Wieacker: Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modemen Gesellschaft), das dem Bürgerlichen Gesetzbuch in seiner Grundtendenz zugrunde liegt. Danach ging der Gesetzgeber von einer formal-abstrakten Gleichheit der Rechtssubjekte aus. Jede Person sollte danach in der Lage sein, durch Einsatz ihrer Arbeitskraft die Mittel zu erwirtschaften, die sie benötigt, um selbstverantwortlich für eine möglichst optimale Deckung ihrer speziellen Lebensbedürfnisse zu sorgen. Hinzu kommt, daß durch diese eben genannte Fähigkeit, die jeweils günstigste Auswahl bei der Erfüllung der Bedürfnisse zu treffen, ein Markt entsteht, der von einem gewissen Wettbewerb geprägt wird. 165 Dauner-Lieb: Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, S. 53. 166 Das Informationsmodell stellt somit das liberale Sozialmodell nicht in Frage, sondern ergänzt es.
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Ausgestaltung sämtlicher Lebensbereiche eine ständig steigende Wichtigkeit. Liege ein solches Informationsgefälle vor, könne man nach Meinung Dauner-Liebs von einer typischerweise gestörten Parität zwischen den Vertragspartnern sprechen, d. h. es läge eine faktische Ungleichheit bezüglich der Chance auf Abschluß eines vorteilhaften Vertrages vor 167 • Die Rechtsordnung dürfe einer so ausgelösten Parität nicht blind gegenüberstehen. Der schwächere Vertrags partner sei oft überhaupt nicht in der Lage, sich die erforderlichen Informationen über den für ihn günstigsten Vertragsschluß zu verschaffen, oder diese Informationsverschaffung sei für ihn nicht zumutbar, da sie in keinem Verhältnis zu dem Vertragsergebnis stehe 168 • Hinzu komme die langfristige Verzerrung bzw. Verfälschung des Marktmechanismus. Dementsprechend sei nach Dauner-Lieb 169 die typische Unterlegenheit des einen Vertragspartners subjektiv-intellektueller Art. Sie bestehe in einer fachlichen Überforderung des Urteilsvermögens des als schwächer zu bezeichnenden Vertragspartners. Dauner-Lieb versucht weiterhin, Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Hier sei primär der Gesetzgeber aufgerufen, dieses Informationsdefizit zu bekämpfen 170. Dies geschehe zunächst einmal durch konkrete Aufklärung des benachteiligten Rechtssubjekts im Vorfeld des Vertragsschlusses. Die allgemeine gesetzliche Pflicht zur Aufklärung sei auch in der Lage, auf die unterschiedlichen Fallkonstellationen, in denen von einem Informationsdefizit gesprochen werden kann, einzelfallbezogen zu reagieren. Der so informierte Vertragspartner bedürfe dann keines weiteren Schutzes mehr l7l , da die Information zu einer Gleichheit der Vertragspartner auf intellektueller Ebene führe. Neben diesen Aufklärungspflichten müsse es jedoch noch andere Instrumente geben, um eine zwischen Vertragspartnern bestehende Imparität zu beseitigen. Wenn ein Vertrag bereits wirksam zustande gekommen sei, müsse weiterhin die Möglichkeit eröffnet werden, diesen auf seinen Inhalt hin zu untersuchen, um ein mögliches Informationsgefälle bei Vertragsschluß aufzudecken und zu beseitigen. 167 Schumacher: Vertragsaufhebung wegen fahrlässiger Irreführung unerfahrener Vertragspartner, S. 77f., 80. 168 Hier wird im Ergebnis an die klassische Differenzierung zwischen Kauf- und Nichtkaufleuten angeknüpft. Letztere werden aufgrund rechtlicher und geschäftlicher Unerfahrenheit als schutzbedürftig angesehen, siehe dazu auch Dauner-Lieb: Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, S.28ff. 169 In: Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, S. 65. 170 Zu den bereits bestehenden gesetzlichen Inforrnationspflichten siehe Schumaeher: Vertragsaufhebung wegen fahrlässiger Irreführung unerfahrener Vertragspartner, S. 84ff. 171 Dauner-Lieb: Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, S. 70.
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Die zweite Gruppe, die zu einem Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern führt, ist die der wirtschaftlichen Unterlegenheit des einen Vertragsteils. Dauner-Lieb spricht in diesem Zusammenhang auch von einer sozialen Verbraucherschutztendenz. Charakteristisch sei danach, daß sich gerade im kaufmännischen Verkehr häufig Vertrags partner gegenüberstünden, die eine unterschiedliche Finanzkraft vorweisen könnten 172. Der eine Vertragspartner, der in den meisten Fällen als Verbraucher bezeichnet werden könne, müsse in diesem Fall als schutzwürdig angesehen werden, da er nicht durch Konsumverzicht Druck auf den stärkeren Vertrags partner ausüben könne, sondern auf den Konsum nahezu angewiesen sei. Aus diesem Grund könne von einer wirtschaftlichen Unterlegenheit des Konsumenten gesprochen werden. Unerfahrenheit heißt hier nach Meinung Dauner-Liebs Unfähigkeit, sich auf der Grundlage von Informationen vernünftig zu verhalten. Hier helfe nur ein rechtliches Vorgehen gegen die zum Konsum herausfordernde Werbung sowie eine Neuorientierung des Wettbewerbsrechts. Daneben gebe es die Möglichkeit, das formale Privatrecht durch ein eigenständiges Verbraucherrecht abzulösen 173. Dies könne jedoch nur durch eine tiefgreifende Systemveränderung 174 herbeigeführt werden. Dazu müßte der Grundsatz der Vertragsfreiheit vollständig abgeschafft oder doch soweit begrenzt werden, daß nicht einmal der Kern eines Rechts auf Vertragsfreiheit bestehen bleiben würde. Dies ist jedoch mit der auf der sozialen Marktwirtschaft basierenden Verfassung nicht vereinbar. Weder besteht die Möglichkeit, das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Vertragsfreiheit abzuschaffen, noch darf der Kernbereich dieses Grundrechtes angetastet werden. Aus diesem Grund sind die zuletzt dargestellten Verbraucherschutzlehren nicht in der Lage, eine verfassungskonforme Lösung des Problems einer ungleichen Verhandlungsstärke zur Verfügung zu stellen. Doch kann das Vorhandensein einer wirtschaftlichen Unterlegenheit einer Vertragspartei aufgrund der praktischen Relevanz nicht unbeantwortet bleiben 175. Als Ergebnis bleibt festzu172 Dauner-Lieb: Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, S. 110. 173 So wird vorgeschlagen. ein generelles Widerrufs- und Rücktrittsrecht einzuführen, sozialpolitisch unerwünschte Verträge zu verbieten. die richterliche Eingriffsbefugnis bezüglich des Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung durch eine soziale Interpretation des § 138 BGB zu erweitern und die dispositiven Vorschriften zurückzudrängen. so Dauner-Lieb: Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, S. 116ff., 119f., 120ff., 127ff. 174 Dauner-Lieb: Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, S. 141 ff. 175 Der Ausgleich einer wirtschaftlichen Unterlegenheit war bereits einer der wesentlichen Gründe für den Erlaß des Abzahlungsgesetzes im Jahre 1894, siehe dazu in § 1 II 5.
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halten, daß es zwar Fälle von wirtschaftlicher und intellektueller Unterlegenheit gibt (diese Unterlegenheit bzw. Ungleichheit muß sogar als Normalfall bezeichnet werden), daß eine Unterscheidung zwischen diesen beiden Gruppen jedoch wenig Sinn macht, wenn es darum geht, rechtliche Instrumente zu finden, um die Probleme eines Ungleichgewichts zwischen den Vertragspartnern in beiden Gruppen zu lösen. 7. Grunsky untersuchte ebenfalls die Frage des Kräftegleichgewichts zwischen den Vertragspartnem 176 • Bei dieser Frage liege nach seiner Meinung bereits ein gedanklicher Fehler vor. Ein wirtschaftliches Kräftegleichgewicht sei so gut wie unmöglich. In dieser hochdifferenzierten arbeitsteiligen Wirtschaft bestehe zwangsläufig ein großes Machtgefälle zwischen den Vertragspartnern. Dennoch funktioniere die Vertragsfreiheit durch die Ausgeglichenheit des gesamten Marktes aufgrund eines gesunden Wettbewerbs, für den unter anderem die Kartellbehörde Sorge trage, im großen und ganzen gut. Hier könne der "wirtschaftlich Schwache" unter mehreren Anbietem wählen und dadurch wiederum eine gewisse Macht auf den scheinbar "Stärkeren" ausüben. Eine Gefahr für einen Vertragspartner bestehe dann, wenn der Markt nicht funktioniere. In diesem Fall könne aus Selbstbestimmung Fremdbestimmung werden. Hier könne es jedoch nicht darauf ankommen, ob das dann mögliche Vertragsdiktat zu einer ungewöhnlichen Belastung der schwächeren Partei führe, oder ob diese den Vertrag wirtschaftlich verkraften könne 177 • Ein Kräfteungleichgewicht könne nach Meinung Grunskys aber auch beim Vorliegen einer intellektuellen Überlegenheit bestehen. Es handele sich dabei um eine ganz andere Art einer ungleichen Verhandlungsstärke. Hierbei habe der eine Vertragspartner aus verschiedenen Gründen den besseren Durchblick durch das konkrete Geschäft. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn das Geschäft so komplex sei, daß nur ein täglich mit einer solchen Art von Geschäften Befaßter die erforderlichen Zusammenhänge und Konsequenzen überblicke. Hier helfe kein Wettbewerb, um eine Fremdbestimmung bezüglich des Vertrages zu vermeiden. Deshalb bestehe auf diesem Gebiet eine viel größere Gefahr als beim Vorliegen eines wirtschaftlichen Kräfteungleichgewichts 178 Grunsky hat zwar die Gefahren erkannt, die eine zu weit verstandene Vertragsfreiheit in sich birgt, doch bietet er ~n seiner kurzen Abhandlung keine Lösungsmöglichkeiten an, die eine Konsequenz der Erkenntnis über das Vorliegen einer vertraglichen Benachteiligung der einen Partei wäre. 176 177 178
Grunsky: Vertragsfreiheit und Kräftegleichgewicht. Grunsky: Vertragsfreiheit und Kräftegleichgewicht, S. 12f., 18. Grunsky: Vertragsfreiheit und Kräftegleichgewicht, S. 13 f., 18.
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8. Hönn versucht, die Vertragsparität positiv-rechtlich zu definieren. Der Begriff "Parität" bezeichne dabei ein zwischen den Vertragsparteien herrschendes, ausgeglichenes Kräftegleichgewicht, welches dazu diene, einen an den Werten der Selbstbestimmung und der Gerechtigkeit orientierten Vertrags inhalt zu ermöglichen l79 . Hönn hält jedoch fest, daß man bei einem Vertrags schluß nicht von einem exakt meßbaren Gleichgewicht zwischen den Vertragspartnern ausgehen könne. Man könne deshalb nur einen gewissen Bereich abstecken, innerhalb dessen Grenzen von einem Kräftegleichgewicht gesprochen werden dürfe, das als Voraussetzung eines als selbstbestimmt bezeichneten Vertragsinhaltes festgestellt werden müsse l80 . Grundsätzlich üben beide Vertragsparteien das ihnen zustehende Selbstbestimmungsrecht aus 181 . Diese materielle Selbstbestimmung bezeichnet Hönn als Korrelat der (materiellen) Vertragsparität. Bereits aus der Natur der Möglichkeit der Realisierung eigener Wünsche ergebe sich, daß es hier gewisse Grenzen geben müsse. Ausreichend sei deshalb, wenn jeder potentielle Vertragspartner einen adäquaten Spielraum für eigenverantwortliche Entscheidungen besitzen würde und dieser Spielraum die Durchsetzbarkeit wichtiger Ziele unter zumutbaren Opfern gewährleisten könnte. Die unter diesen Bedingungen getroffenen Entscheidungen müsse sich der Einzelne zurechnen lassen. Davon dürften nur Ausnahmen gemacht werden, die sich aus dem Grundsatz der Selbstverantwortung und dem Verkehrsschutz herleiten ließen l82 . Der Vertragsinhalt stelle sich damit im Ergebnis als Komprorniß zwischen den Interessen der Vertragsparteien dar. Hönn stellt weiterhin fest, daß im Idealfall jeder Vertragspartner auf den Vertrag verzichten können müsse und dieser Verzicht für alle am Vertrag beteiligten Parteien ein gewisses Opfer bedeuten müsse. Treffe diese Konstellation zu, ergebe sich für diese Personen nicht nur ein Risiko, sondern auch eine Chance im Sinne einer materiellen Selbstbestimmung 183. Beiden Seiten müsse aus dem Vertragsschluß jedoch auch ein Vorteil erwachsen l84 . Hönn kommt zu dem Ergebnis, daß in der eben beschriebenen Form die Parität kein geeignetes Merkmal eines Bezugspunktes für die Kompensation gestörter Vertragsparität sein könne, da die Unbestimmtheit des Begriffes auf die rechtsdogmatische Analyse der Kompensation gestörter VertragspaHönn: Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 88, 99. Hönn: Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 92. 181 Aufgrund dieses dualistischen Verhältnisses spricht Thiele (in: Die Zustimmung in der Lehre vom Rechtsgeschäft, S. 16, 76) statt von Selbstbestimmung von dem Recht der Mitbestimmung, welches in der Beziehung der Vertragsparteien vorherrsche. 182 Hönn: Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 95 f. 183 Hönn: Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 88 ff. 184 Hönn: Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 93. 179 180
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rität durchschlagen würde. Statt dessen schlägt er vor, einen Paritätsbegriff zu nutzen, der von Anfang an am geltenden Recht ausgerichtet sei, d. h. der Maßstab zur Ausfüllung des Begriffes werde der Rechtsordnung, insbesondere dem dispositiven Recht, entnommen I 85. Hönn zeigt dies am Beispiel des § 123 BGB auf. Danach widerspricht eine nicht rechtswidrige Drohung nicht dem Gedanken der Parität. Es kommt also nicht auf ein natürliches Kräftegleichgewicht an. Hönn schränkt dies wiederum dadurch ein, daß er einen Rückschluß nur bei typischen Vertragsinhalten zulassen will, da bei einem einzelnen Vertrag in Selbstbestimmung von einem äquivalenten Vertragsinhalt abgewichen werden könne l86 . Daneben könne auf das Vorliegen von Ansprüchen zurückgegriffen werden, ebenso auf die Existenz anspruchsgleicher Begünstigungen, aus denen Rechte abgeleitet werden könnten l87 . Weiterhin sei in bestimmten Fällen ein Rückschluß von objektiven gesetzlichen Regelungen auf die gesetzliche Wertung der Schutzbedürftigkeit möglich, wenn dadurch auch keine Ansprüche eingeräumt würden l88 . Diese Regelungen könnten zu einer Begünstigung bestimmter Personen führen 189. Hönn befaßt sich sehr detailliert mit der Problematik eines Machtungleichgewichts zwischen Vertragspartnern. Doch kommt auch er nicht zu einer klaren Herausarbeitung einer Lösung dieser Frage. Die Verweisung auf die Wertungen des dispositiven Rechts scheitern in dem Fall, in dem es kaum gesetzliche Vorschriften gibt l90 .
111. Vertragsinhalt und Vertragsgerechtigkeit Der zweite Weg, eine schwächere Position einer Vertragspartei festzustellen, ist, wie oben dargelegt, die Möglichkeit, den Vertragsinhalt auf seine Gerechtigkeit hin zu untersuchen. Eine Partei, die im Verhältnis zu ihrem Vertragspartner weniger Durchsetzungsvermögen besitzt, kann ihre eigenen Interessen nicht oder nur partiell realisieren. Hönn: Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 98 f. Hönn (in: Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 100) lehnt das zwingende Recht als Maßstab einer Einigung in Parität ab, da es außerhalb des Bereiches der freien Einigung wirke. 187 Hönn nennt hier als Beispiel die Kündigungsschutzvorschriften. 188 Dazu Hönn: Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 105 ff. 189 Als Beispiel sei hier die Institution Wettbewerb genannt. Dieser dient nicht nur einer gesamtwirtschaftlichen Leistungssteigerung, sondern auch der Sicherung individueller Freiheit. 190 Zu denken ist hier insbesondere an das Arbeitsrecht, das zunächst nur durch wenige Normen des Bürgerlichen Gesetzbuches geregelt wurde. 185
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1. Canaris kritisiert das Abstellen des Großteils der Literaturrneinungen auf das Vorhandensein einer Ungleichgewichtslage l91 . Er meint, es sei in dieser Allgemeinheit unter den Bedingungen einer modemen Marktwirtschaft völlig wirklichkeitsfremd, wenn man davon ausgehen würde, daß ökonomische oder soziale Ungleichheit als solche den Vertragsinhalt zum Vorteil des einen und zum Nachteil des anderen Vertragsteils beeinflusse und dadurch zu ungerechten Ergebnissen führe. Hier sorge der Wettbewerb weitgehend für eine Neutralisierung des Machtungleichgewichts. Daß dies nicht die uneingeschränkte Realität ist, zeigen die Probleme insbesondere im Miet- und im Arbeitsrecht. Sicherlich gibt es Bereiche der Wirtschaft, in denen ein ausgewogener Wettbewerb zu wenigstens nahezu gerechten Vertragsinhalten führt, doch dürfen die anderen Bereiche nicht bei der Problematisierung der Ungleichgewichtslagen durch die Literatur ausgeklammert werden. 2. Preis beschreibt das Problem der unterschiedlichen Verhandlungsstärke am Beispiel des in besonderem Maße betroffenen Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Hier können seiner Meinung nach insbesondere soziale Unterschiede zwischen den (potentiellen) Vertragspartnern die Vertragsfreiheit zum Unterdrückungsinstrument des Mächtigeren werden lassen. Nach Preis könnten richtige und gerechte Leistungsverhältnisse nur durch frei geschlossene Vereinbarungen erreicht werden. Liege eine Ungleichgewichtslage vor, die zu einem Eingreifen des Richters bzw. des Gesetzgebers führe, könne nur punktuell versucht werden, einen Ausgleich dieser Störungen herbeizuführen 192. Ausgangspunkt der Überlegungen von Preis ist die Auffassung, daß ein Machtungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien die Norrnalsituation jedenfalls im Arbeitsrecht darstelle 193. Damit müsse nicht mehr auf die Frage eingegangen werden, wann ein Machtungleichgewicht zwischen den Vertrags parteien vorliege. Preis konzentriert sich damit auf den Vertragsinhalt. Dabei diene der Schutzgehalt des zwingenden Rechts der Orientierung bei der Bestimmung, welche Vertrags bestandteile als angemessen bezeichnet werden könnten. Weiterhin wären die Gerichte mit Unterstützung der Wissenschaft in der Lage, durch die Herausarbeitung tragender Wertungen zu einer Stärkung der Vertragsgerechtigkeit beizutragen 194. 191 Canaris: Verfassungs- und europarechtliche Aspekte der Vertragsfreiheit in der Privatrechtsgesellschaft, FS Lerche, S. 873 ff. (882). 192 Preis: Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 134 f. 193 Hier spielt besonders die Tatsache eine Rolle, daß in der Praxis vorformulierte Arbeitsverträge durch den Arbeitgeber benutzt werden, der Arbeitnehmer damit nur noch geringe Einflußmöglichkeiten besitzt. Dies führt in den meisten Fällen zu unangemessenen Vertragsbestandteilen, dazu Preis: Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 87 ff.
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Das Arbeitsrecht hat in weiten Bereichen der Imparitätsbekämpfung einen anderen Weg eingeschlagen als das Zivilrecht l95 . Es hat sich dabei weitgehend durch die Lösung von Einzelfragen entwickelt, ohne auf gesetzgeberische Grundentscheidungen zurückgreifen zu können. Diese Präjudizien haben sich zu eigenständigen Institutionen entwickelt, von denen nicht mehr zugunsten einer Vereinheitlichung mit der privatrechtlichen Dogmatik abgewichen werden kann l96 . Daneben hat das Arbeitsrecht in verstärktem Maße versucht, durch zwingendes Recht auf Ungleichgewichtslagen zu reagieren. Eine Erschwerung der Harmonisierung mit der allgemeinen privatrechtlichen Entwicklung wurde auch durch die Herausnahme des Arbeitsrechts aus dem Schutz des AGB-Gesetzes gemäß § 23 Abs. I AGBG herbeigeführt 197. Doch können die Gedanken von Preis hier berücksichtigt werden. Die neuesten Bestrebungen sowohl des Arbeitsvertragsrechts als auch des Zivilrechts basieren auf der Erkenntnis, daß die Vertragsfreiheit die Selbstbestimmung und die rechtsgeschäftliche Entscheidungsautonomie auf bei den Vertragsseiten fordert. Aufgrund dieser vergleichbaren Grundposition können deshalb einheitliche Maßnahmen zur Bekämpfung eines Machtmißbrauches gefunden werden 198. Ausgangslage der dogmatischen Überlegungen sei das Grundproblem des Ungleichgewichts zwischen den Vertragspartnern. Auch nach Meinung von Preis kann es so gut wie nie ein tatsächliches Gleichgewicht zwischen zwei Vertragspartnern geben. Ein Zuviel an Vertragskontrolle würde die Vertragsfreiheit ebenso gefährden wie ein Zuwenig. Es stelle sich deshalb sowohl im Arbeits- als auch im Zivilrecht die Frage, wo eine angemessene Grenze gezogen werden solle. Preis ist der Preis: Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 137, 140. So hat die Rechtsprechung versucht, eine vertragsmodifizierende Billigkeitskorrektur auf der Basis des § 315 BGB durchzuführen (Preis: a.a.O., S. 191), eine verfassungskonforme Auslegung von Vertragsbedingungen vorzunehmen (Preis: a.a.O., S. 151 ff.), das Institut der Gesetzesumgehung zu nutzen (Preis: a.a.O., S. 155), sowie mit Hilfe des § 138 BGB eine versteckte Angemessenheitskontrolle durchzuführen (Preis: a. a. 0., S. 176 ff.), um eine Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen durchzuführen. 196 Preis: Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 212. 197 Preis: Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 240ff. Demgegenüber befürworten einige Autoren eine wenigstens teilweise Anwendung des AGB-Gesetzes im Arbeitsrecht, so beispielsweise Wolf, Manfred: Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen, RdA 88, 270ff. (273 ff.); Zöllner: Immanente Grenzen arbeitsvertraglicher Regelungen, RdA 89, 153 ff. (157, 159 ff.); Richardi: Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, § 14 Rn. 68ff. 198 Demgegenüber geht Däubler (in: Individuum und Kollektiv im Arbeitsrecht, NZA 88, 857ff. (863» davon aus, daß das Arbeitsrecht andere Zwecke verfolgt, als das Zivilrecht, indem es Emanzipationsinteressen der Arbeiterbewegung aufnehme und insoweit Schutzfunktion entfalte. 194
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Ansicht, daß ein Konsens bei der Lösung dieses Problems kaum realisierbar erscheine 199. Typisierender Ansatzpunkt müsse nach seiner Meinung sein, daß einseitig aufgestellte Vertragsbestandteile der richterlichen Inhalts- bzw. Angemessenheitskontrolle unterliegen müßten. Diese Kontrolle werde mit Hilfe des aus § 242 BGB hergeleiteten Grundsatzes von Treu und Glauben durch lückenschließende Rechtsfortbildung durchgeführt. Dabei müsse die Einheit der Rechtsordnung unter Beachtung der Entwicklungen im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen möglichst gewahrt werden, und es müßten allgemeine Leitlinien herausgearbeitet werden, die zu einer typisierenden und generalisierenden Wertung von Vertrags inhalten führen könnten 2OO . Festgehalten werden könne, daß bestimmte Grundsätze des AGBGesetzes durch Kodifizierung allgemeingültiger Prinzipien bereits in das Arbeitsrecht eingeflossen seien 2ol . Doch es gelingt Preis aufgrund der Vielzahl der bisher entwickelten Kontrollmöglichkeiten nicht, allgemeingültige Maßstäbe einer Inhaltskontrolle herauszuarbeiten. Er kommt deshalb zu dem Ergebnis, daß es auf die formale Anknüpfung an einen generalklauselartigen Maßstab, der inhaltlich durch Wertungskriterien gefüllt werden müsse, nicht entscheidend ankommen könne. Bei der Beurteilung der Kontrollpflichtigkeit des Inhalts eines Vertrages komme es außerdem auf die Gewichtigkeit der in Frage stehenden Rechtsgüter an 202 • Richtig ist sicherlich, daß es Parallelen auf dem Gebiet der Imparitätsbekämpfung im Arbeits- und im Zivilrecht gibt. Das Grundproblem, die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts, ist das gleiche, für eine Differenzierung bestehen keine sachlichen Gründe. Der Ansatzpunkt, daß im Arbeitsrecht grundsätzlich von einer Ungleichgewichtslage ausgegangen werden kann, ähnelt im übrigen der Ansicht Weitnauers, der bei seiner Analyse der Problematik von bestimmten Personengruppen ausging. Wird bei der Untersuchung der Frage, ob ein Vertrag einer Inhaltskontrolle unterliegen soll, zusätzlich noch auf die Gewichtigkeit des betroffePreis: Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 218 f. Preis: Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 299 f. 201 Preis: Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 250 ff., 302 ff. Siehe insbesondere BAG vom 23.5.1984 AP Nr. 9 zu § 339 BGB. Besonders in § 9 Abs. 2 AGBG hat der Gesetzgeber allgemeine Wertungen aufgestellt, die bei Durchführung einer Angemessenheitskontrolle beachtet werden sollen. Um Widersprüche zu vermeiden, müßten nach Preis diese Wertungen auch im Arbeitsrecht Beachtung finden. Dem entspricht die Tatsache, daß die Leitbild- und Richtlinienfunktion des dispositiven Rechts schon frühzeitig im Bereich der Inhaltskontrolle von Verträgen anerkannt war (siehe nur BGHZ 41, 154; 60, 380; ebenso Weick: Die Idee des Leitbildes oder der Typisierung im gegenwärtigen Vertragsrecht, NJW 78, 11 ff. (12 ff.» und durch § 9 Abs. 2 AGBG im Gesetz verankert wurde. 202 Preis: Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 337 ff. 199
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nen Rechtsgutes abgestellt, so wird diese Prüfung von einer weiteren Unsicherheit abhängig gemacht. Doch hat auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Bürgschaftsentscheidung 203 die hohe finanzielle Belastung des Bürgen als Auslöser eines gerichtlichen Einschreitens gewertet. Bei Übertragung der Grundgedanken dieser Rechtsprechung müßte einer solchen Gewichtigkeit des Rechtsgutes ebenfalls Aufmerksamkeit geschenkt werden. 3. Fastrich untersucht die Voraussetzungen einer Vertragskontrolle für den gesamten Bereich des Zivilrechts204 • Er behandelt dabei schwerpunktmäßig die richterliche Behandlung des Problems der Vertragsfreiheit. Dabei vermeidet er es, den Begriff der Ungleichgewichtslage zum Aufhänger seiner Untersuchungen zu machen. Er fragt statt dessen nach den Voraussetzungen eines kontrollbedürftigen Versagens der Richtigkeitsgewähr. Dabei geht er von bestimmten Fallgruppen aus, in denen man üblicherweise von einer Störung der Richtigkeitsgewähr ausgehen kann. Im einzelnen sind dies die Gruppe des situativen Versagens durch Verwendung von einseitig für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen 205 , die Gruppe des beteiligungsstrukturbedingten Versagens 206 sowie die Gruppe des abhängigkeitsbedingten Versagens der Richtigkeitsgewähr207 • Fastrich versucht zunächst als Maßstab einer Kontrolle den Inhalt eines angemessenen Interessenausgleichs zu bestimmen. In einem zweiten Schritt untersucht er, in welchem Umfang eine Abweichung des Vertragsinhaltes von dem vorher ermittelten "Leitbild eines gerechten Interessenausgleichs" vorliegt, und ob dafür eine sachliche Rechtfertigung besteht. Der Maßstab wird dabei den durch das dispositive Recht verkörperten Wertungen entnommen; ansonsten wird er in Bereichen, in denen kein dispositives Recht vorhanden ist, rechtsfortbildend begründet208 • Im letztgenannten Fall wird eine Verallgemeinerungsflihigkeit der rechtsfortbildenden Maßnahme verlangt 209 • Fastrich betont aber, daß nicht in allen Fällen eine BVerfGE 89, 214 = NJW 94, 36. Fastrich: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht. 205 Darunter fallt der große Bereich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, so Fastrich: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 235 ff. 206 Darunter versteht Fastrlch (in: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 238) unter den weiteren Voraussetzungen des generellen Versagens der Richtigkeitsgewähr Gesellschaftsverträge bzw. -satzungen, Vereinsstatute sowie Gemeinschaftsordnungen. 207 Darunter fallen das Arbeits- und das Wohnungsmietrecht sowie monopolähnliche Sachverhalte, Fastrich: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 238 f. 208 Fastrich: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 227, 252ff., insb. 280ff. Fastrich betont dabei, daß im Falle einer Rechtsfortbildung die Legitimationsgrundlage nicht in der Inhaltskontrolle, sondern in den allgemeinen Regeln richterlicher Rechtsfortbildung zu suchen sei. 203 204
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Benachteiligung durch vertragliche Vereinbarungen ausgeschlossen werden könne. Im Interesse der Rechtssicherheit müsse diese in einem gewissen Maße hingenommen werden 2JO . Er verwirft im Ergebnis die typischerweise fehlende Parität als Kriterium einer Inhaltskontrolle, da ihre vorschnelle Heranziehung Gefahr laufe, die komplexen Funktionszusammenhänge unzulässig zu vereinfachen 211 . Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Gedanken von Fastrich in die Praxis ergeben sich bei der Feststellung des Maßstabes zur Bestimmung eines angemessenen Interessenausgleichs zwischen den Vertragsparteien. Insbesondere bei der Ermittlung eines gerechten Preises können nicht lösbare Probleme auftauchen. Der Preis ist von sehr vielen Faktoren abhängig, die auch subjektiver Natur sein können, sich also den richterlichen Ermittlungen entziehen können.
IV. Stellungnahme 1. Einleitung
Der Frage, was Parität bzw. Imparität bedeutet, und wie einer möglichen Imparität zwischen den Vertragsparteien durch die Gerichte und den Gesetzgeber begegnet werden muß, wurde erst in den letzten 20 Jahren vertieft nachgegangen 212 • Welche große Bedeutung das Problem in der Rechtsordnung hat, wird deutlich bei der Auswertung der Vielzahl an Abhandlungen, die darüber verfaßt wurden. Inzwischen ist anerkannt, daß der Ausgleich gestörter Vertragsparität zu den Hauptaufgaben des geltenden Zivilrechts gehört213 • Die Lösungsversuche der Literatur lassen sich, wie oben gesehen, in zwei Gruppen einteilen, die zur Herausarbeitung der Problemfälle teilweise auf das Verhältnis zwischen den Vertragsparteien abstellen, teilweise aber 209 Fastrich: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 252 ff. Er weist darauf hin, daß die objektive Unangemessenheit eines einzelnen Vertrages Ausdruck des freien Willens der Vertragsparteien sein könne, S. 223 f. 210 Fastrich: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 298 ff. 211 Fastrich: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 220. 212 Zöllner (in: Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996) 1 ff., 16 ) verweist auf eine Abhandlung von Johann Gottlieb Fichte (Der geschlossene Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik, Gesamtausgabe Band III, S. 399-421) aus dem Jahre 1800, in der dieser bereits ein erstes Plädoyer gegen die Vertragsfreiheit hält, solange nicht alle Bürger gleiche Ausgangschancen hätten. Doch wurde das Problem von der Literatur der damaligen Zeit nicht aufgegriffen. 213 BVerfG 89, 214 = NJW 94, 36 (38f.) mit Verweis auf Limbach: Das Rechtsverständnis in der Vertragslehre JuS 85, IOff.
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alleine auf den Inhalt des Vertrages. Betrachtet man diese Gruppierungen gen au er, kann man feststellen, daß diese unterschiedliche Annäherung an das Problem in der Rechtspraxis nicht konsequent durchgeführt werden kann. Teilweise kommt es bereits zu einer Behandlung bei der Gruppen, wie oben bei Zöllner gesehen. Deutlich wird jedoch, daß sich die Frage, in welchen konkreten Fällen eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Kontrolle eines Vertrages besteht, um die jedermann zustehende Vertragsfreiheit zu garantieren, nicht abschließend klären läßt. In Anbetracht der Tatsache, daß die Problematik so weitläufig ist und in vielen verschiedenen Rechtsbereichen auftreten kann, kann ihr nur durch eine differenzierte Annäherung begegnet werden. Durch die Bildung von Gruppen können zwar nicht bestimmte Voraussetzungen herausgearbeitet werden, bei denen eine Kontrolle des Vertrages durchgeführt werden muß, es können aber Indizien deutlich gemacht werden, bei deren Vorliegen die Wahrscheinlichkeit als hoch eingestuft werden muß, daß hier ein gesetzliches oder richterliches Handeln erforderlich ist.
2. Bestehende Rechtslage Zunächst soll ein Blick auf die bestehende Rechtsordnung geworfen werden. Vergleicht man die im ersten Teil untersuchten gesetzlichen und richterlichen Kontrollmittel zur Realisierung eines umfassenden Schutzes der Vertragsfreiheit, so erkennt man, daß teilweise auf das Vorliegen einer Ungleichgewichtslage zwischen den Vertragsparteien, teilweise nur auf den Vertragsinhalt, und als dritte Variante sowohl auf die Imparität als auch auf den Inhalt des Vertrages abgestellt wird. a) Gleichgewichtslage Auf die reine Gleichgewichtslage stellt die Widerrufsmöglichkeit des § 1 Abs. 1 HausTWG ab 214 . Unabhängig von der Frage, ob der Vertrag tatsächlich nachteilige Rechtsfolgen für den einen Vertragspartner mit sich bringt, besteht die Möglichkeit, sich von dem Vertrag wieder zu lösen, da in den durch das Gesetz beschriebenen Situationen typischerweise von einer ungleichen Machtverteilung zwischen den Parteien ausgegangen werden kann. Gleiches gilt im Falle des § 13a UWG 215 • Hier besteht ein Rücktrittsrecht des Abnehmers, wenn dieser durch unwahre und zur Irreführung geeignete Werbeangaben im Sinne von § 4 UWG zum Abschluß eines Ver214 215
Dazu in § 4 II 2. Dazu in § 4 II 3.
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trages bestimmt wurde. Auch hier kommt es nicht auf bestimmte Nachteile durch den Vertragsschluß an. Entscheidend ist der wissensmäßige Vorsprung des Geschäftspartners, der in der vorgegebenen Situation zu einem Ungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien führt.
b) Vertragsinhalt Im Arbeits-, Wohnungsmiet- und Verbraucherschutzrecht gehen Rechtsprechung und Gesetzgebung grundsätzlich davon aus, daß sich der Arbeitnehmer, Mieter bzw. Verbraucher typischerweise in einer schwächeren Position im Verhältnis zu Arbeitgeber, Vermieter bzw. Vertragspartner des Verbrauchers befindet216 . Ob tatsächlich ein Ungleichgewicht besteht, wird auch nicht durch Konkretisierung des Inhalts der jeweiligen Vertrags typen festgestellt. Im Ergebnis wird damit nur die Vertragsart bestimmt. Im Rahmen dieser Vertragsarten wird dann überwiegend durch zwingende Normen Einfluß auf den Inhalt eines Vertrages genommen, wenn dieser von den gesetzlichen Vorgaben abweicht, um eine einseitige Benachteiligung des typischerweise schwächeren Partners zu verhindern. Insbesondere im Arbeits- und Wohnungsmietrecht liegt ein großer Anwendungsbereich der Generalklausel des § 138 BGB. Da die Rechtsordnung beim Vorliegen dieser Vertragstypen, wie festgestellt, typischerweise von einer ungleichen Verhandlungsposition bei Vertragsschluß ausgeht, eine Untersuchung des Ungleichgewichts also nicht stattfindet, wird alleine der Inhalt des Vertrages auf Äquivalenzstörungen hin untersucht, die nach allgemeinen Kriterien bestimmt werden. Die von der Rechtsprechung entwickelten Fallgestaltungen, in denen die Erfüllung von Nebenpflichten verlangt wird, werden mit Hilfe des aus § 242 BGB hergeleiteten Grundsatzes von Treu und Glauben gelöst. Hier kommt es ebenfalls nur auf den Inhalt des Vertrages an. Gleiches gilt für- die aus § 242 BGB hergeleiteten Fälle der unzulässigen Rechtsausübung. Hier geht es um ein "an sich" gegebenes Recht, d. h. es kommt nicht auf die Art· und Weise des Zustandekommens des Rechts an. Doch muß die Ausübung des Rechts im Einzelfall zu einem grob unbilligen Ergebnis führen. Damit wird auf den Vertragsinhalt in diesem Fall abgestellt217 •
216 217
Dazu in § 2 III sowie in § 3 11 2a und b. Dazu in § 3 11 2d.
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c) Gleichgewichtslage und Vertragsinhalt Im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen wird zunächst gemäß § 1 AGBG die Frage der Vorformulierung von Vertragsbedingungen für
eine Vielzahl von Verträgen untersucht 218 • Diese Tatsache stellt ein Indiz für eine ungleiche Position bei der Vertragspartner dar. Für ein Tätigwerden des Gerichts wird weiterhin verlangt, daß der Inhalt des ganzen Vertrages oder eines Teiles desselben für den Geschäftspartner des Verwenders Allgemeiner Geschäftsbedingungen eine unangemessene Benachteiligung im Sinne der §§ 9ff. AGBG mit sich bringt. Als Maßstab stehen hier insbesondere die gesetzlichen Regelungen zur Verfügung, von denen vertraglich abgewichen wird. Erste Frage ist somit die der Ungleichgewichtslage zwischen den Vertragsparteien, von der bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 AGBG ausgegangen wird. Weiterhin findet eine richterliche Untersuchung des Vertragsinhaltes statt. Wichtige gerichtliche Entscheidung, die ebenfalls dieser Gruppe zugeordnet werden kann, ist die bereits oben erwähnte Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die unter bestimmten Umständen auf andere Vertrags arten übertragen werden kann 219 • Hier hat das Gericht unter Zuhilfenahme der Generalklausel des § 138 BGB zunächst die Vertragsfolgen im Einzelfall untersucht. Stellt sich heraus, daß eine ungewöhnlich hohe finanzielle Belastung der einen Vertragspartei durch den Vertragsinhalt verursacht wird, dann findet als weiterer PfÜfungspunkt eine Untersuchung der Umstände statt, die zu diesem Vertragsschluß geführt haben. Aus bestimmten, typisierbaren Fallkonstellationen wird auf eine strukturelle Unterlegenheit der benachteiligten Partei geschlossen.
3. Würdigung Die rechtlichen Überlegungen haben eine gemeinsame Entwicklung durchlaufen, die am Ende in die oben aufgezeigten Lösungsmöglichkeiten mündete. Ausgangspunkt der Frage der Parität bzw. Imparität zwischen Vertragspartnern ist in jedem Fall ein Versagen der (von Schmidt-Rimpler postulierten) Richtigkeitsgewähr, die sich nach dem Willen der Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches aus der umfassend zur Verfügung gestellten Vertragsfreiheit ergeben sollte. Dieses Versagen äußert sich durch eine Verletzung des Rechts auf Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben, welches durch die Privatautonomie verfassungsrechtlich garantiert wird. Das Prinzip der Selbstbestimmung und dessen Beeinträchtigung bildet die 218 219
Dazu in § 3 Ir 2c. Dazu in § 4 III 2a.
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
Grundlage für die Beurteilung der Rechtswirksamkeit der unter ungleichen Machtverhältnissen zustande gekommenen vertraglichen Verhältnisse. Es dient somit im Ergebnis der Verwirklichung der materiellen Vertragsfreiheit. Die materielle Vertragsfreiheit soll die verschiedenen Interessen der Vertragsparteien zu einem Ausgleich bringen und damit zu einer gerechten Vertragsgestaltung führen. Ausgangspunkt ist die Tatsache, daß das jeweilige Selbstbestimmungsrecht eines Vertragspartners in bestimmten Situationen eingeschränkt sein kann. Dies geschieht dadurch, daß der andere Vertragspartner aufgrund der gegebenen Umstände im Verhältnis zum erstgenannten, potentiellen Vertragspartner die Möglichkeit haben kann, den Vertragsinhalt nach seinem Interesse zu bestimmen und dieser Inhalt von dem anderen Vertragsteil dann auch, trotz möglicher Nachteile, hingenommen wird. Im Mittelpunkt muß bei allen theoretischen Überlegungen zur Vertragsparität deshalb der Schutz der einzelnen Person vor nachteiligen Vertragsbestandteilen stehen22o • Es soll deutlich gemacht werden, wann eine Vertragsbindung entfällt bzw. entfallen kann. Diese Überlegungen haben damit im Ergebnis auch präventiven Charakter. Wird klar umrissen, wann die Rechtsordnung einen Vertrag als nicht mehr zumutbar ansieht, so könnte unter Umständen bereits der Abschluß eines für den einen Vertragspartner negativen Vertrages verhindert werden, da der stärkere Partner nicht damit rechnen kann, diesen mit Hilfe der Rechtsordnung durchzusetzen. Die Möglichkeit zur Selbstbestimmung setzt dabei nicht das tatsächliche Gleichgewicht der Vertragspartner voraus. Dieses kann es in der Rechtspraxis aufgrund der möglicherweise großen wirtschaftlichen und intellektuellen Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtssubjekten nicht geben. Es kommt somit nur darauf an, ob ein Ungleichgewicht zu einem Vertragsinhalt führt, der der Rechtsordnung nicht mehr hinnehmbar erscheint, so daß diese Kompensationsmittel zur Verfügung stellen muß. Diese können bereichsspezifisch sein, d. h. sie können der jeweiligen Situation angepaßt werden. Die beiden unverzichtbaren Voraussetzungen einer Einflußnahme auf einen Vertrag sind damit zunächst einmal die Ungleichgewichtslage zwischen den Vertragsparteien, weiterhin eine gerade dadurch verursachte Benachteiligung des als schwächer zu bezeichnenden Teils. Dennoch wird, wie oben gesehen, in einer Vielzahl von Fällen auf die Prüfung eines der bei den Punkte im Einzelfall verzichtet.
220
Das Allgemeininteresse wird hingegen nicht geschützt.
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a) Typisierung der Ungleichgewichtslage Wenn eine durch das Gesetz (hier: § 1 Abs. 1 HausTWG) genau bestimmte Situation im Vorfeld des Vertragsschlusses bejaht werden kann, geht die Rechtsordnung typischerweise von einer Ungleichgewichtslage zwischen den Vertragsparteien aus. Der durch das Gesetz sanktionierte Nachteil des schwächeren Vertragspartners liegt darin, daß er außerhalb der im Gesetz beschriebenen Situation den Vertrag nicht, nicht unter diesen Bedingungen oder nicht zu dieser Zeit abgeschlossen hätte 221 • Die Ungleichgewichtslage wird im Ergebnis durch einen Vergleich der tatsächlichen Situation mit der im Gesetz beschriebenen Situation bejaht. Der für eine Kontrolle des Vertrages erforderliche Nachteil wird als zwangsläufige Folge der gesetzlich beschriebenen Situation angesehen und somit nicht weiter geprüft. Hier können zwei Probleme auftauchen. Es kann Situationen geben, in denen sich der im Gesetz beschriebene Vertragspartner nicht in einer stärkeren Position im Verhältnis zu dem anderen Teil befindet. Dann schreibt das Gesetz wegen der Feststellung des Tatbestandes dennoch diese konkrete Rechtsfolge vor. Doch dieser Vorteil für die andere Vertragspartei wird durch die Rechtsordnung als Ergebnis einer Interessenabwägung hin genommen 222 . Grundsätzlich steht jedem Rechtssubjekt das Recht auf Vertragsfreiheit zu. Doch ist nicht jeder in der Lage, dieses Recht auch durchzusetzen. § 1 Abs. 1 HausTWG gewährt hier Hilfestellung. Er ist geeignet, durch eine gewisse Typisierung zur Realisierung des Rechts zu gelangen. Dies erscheint auch aufgrund der überragenden Bedeutung des Rechts auf Vertragsfreiheit erforderlich. Vergleicht man nun die Nachteile, die der Kunde dadurch erleidet, daß er eine bei Vertragsschluß bestehende Ungleichgewichtslage darlegen und beweisen muß, mit den Nachteilen, die dem "stärkeren" Vertragspartner dadurch entstehen können, daß ohne Vorliegen einer Imparität der Vertrag durch den Widerruf als nicht existent angesehen wird 223 , so muß man nach umfassender Abwägung zwischen dem jeweiligen Recht auf Ausübung der Vertragsfreiheit zu dem Ergebnis kommen, daß das Interesse des Kunden überwiegt 224 . Die Schwierigkeiten, Fischer/Machunsky: Haustürwiderrufsgesetz, § 1 Rn. 52. Siehe dazu auch BT-Drucksache 10/2876, S. 8. Hier wird von einem situationsbedingten Übergewicht des Vertragspartners des Kunden gesprochen. Dazu auch Fischer/Machunsky: Haustürwiderrufsgesetz, Einführung Rn. 15 ff. 223 Der Anbieter wird dann in seiner Berufsfreiheit aus Art. 12 GG verletzt. 224 Eine Ausnahme sieht § 1 Abs. 2 Nr. 2 HausTWG für die Fälle vor, in denen die Leistung bei Abschluß der Verhandlungen sofort erbracht und bezahlt wird und das Entgelt (zur Zeit) achtzig Deutsche Mark nicht übersteigt. Nach Auffassung des Gesetzgebers bestehe hier kein ausreichendes Rechtsverfolgungsinteresse. Die Rückabwicklung eines solchen Geschäftes würde danach die Kunden regelmäßig mehr belasten, als sie ihnen nennenswerte wirtschaftliche Vorteile bringen dürfte. Im übri221
222
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
die er überwinden muß, um zu beweisen, daß er aufgrund seiner als schwach zu bezeichnenden Position in der bestimmten Lage überrumpelt wurde, stehen in keinem Verhältnis zu den Nachteilen, die der im Gesetz beschriebene Vertragspartner durch den Widerruf der Willenserklärung erleidet. Der damit fast unmögliche Nachweis würde im Ergebnis dazu führen, daß der Kunde von seinem sich aus der Vertragsfreiheit ergebenden Selbstbestimmungsrecht keinen Gebrauch machen könnte. Weiterhin könnte sich das Problem stellen, daß zwar Imparität aufgrund des Vorliegens der im Gesetz genannten Situation bejaht werden kann, daß aber kein vertraglicher Nachteil zulasten des durch das Gesetz als "schwächer" zu bezeichnenden Vertragspartners vorliegt. Dann könnte dieser Vertragsteil dennoch von seinem Widerrufsrecht nach § 1 Abs. 1 HausTWG Gebrauch machen. Doch wird die Wahrscheinlichkeit dieser Fallkonstellation als so gering eingestuft werden können, daß sie als vernachlässigbar erscheint. Gleiche Überlegungen können im Fall des § 13a UWG angestellt werden. Auch hier wird beim Vorliegen der im Gesetz vorgegebenen Situation von einer Imparität zwischen den Vertragsparteien ausgegangen, der zu einem Rücktrittsrecht des einen Teils führt. Der vertragliche Nachteil besteht auch hier darin, daß der Abnehmer diesen Vertrag nicht, nicht in dieser Form oder nicht zu dieser Zeit geschlossen hätte. Auch hier wird die Ungleichgewichtslage anhand des Gesetzeswortlautes ermittelt, der Nachteil wird unterstellt. Genau so muß die Interessenabwägung bezüglich des jedem Vertragspartner zustehenden Rechts auf Vertragsfreiheit zugunsten des Abnehmers ausfallen. b) Vertragskorrektur bei bestimmten Vertragsarten Die Rechtsordnung geht, wie eben festgestellt wurde, davon aus, daß beim Vorliegen bestimmter Fallkonstellationen, d. h. ein näher bestimmter Vertragstyp wird unter bestimmten äußeren Umständen geschlossen, typischerweise eine unterlegene Stellung der einen Vertragspartei vorliegt. Dieser grundsätzliche Gedanke wird noch weiter vereinfacht. Besteht ein bestimmtes Vertragsverhältnis, beispielsweise ein Wohnungsmiet- oder Arbeitsverhältnis, so wird alleine diese Vertragsart, die ohne weitere Prüfung objektiv bestimmt werden kann, aufgrund der Erfahrungen der Rechtspraxis als Indiz für eine Ungleichgewichtslage gewertet. Es liegt also in dieser Fallgruppe im Gegensatz zu a) keine weitere Konkretisierung typischer Ungleichgewichtssituationen durch den Gesetzgeber vor, sondern es gen sei es unverhältnismäßig, da dem Kunden auch kein großer Schaden entstehe, BT-Drucksache 10/2876, S. 12.
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wird alleine an bestimmte Vertragstypen angeknüpft. Charakteristisch für diese ist, daß der eine Partner die Vertragsbedingungen einseitig diktiert, der andere Teil, meist aufgrund einer Mangellage oder wegen mangelnder Information, dieselben akzeptiert. Aufgrund dieser unterstellten Ungleichgewichtslage kann es nun zu einem für den schwächeren Vertragspartner nachteiligen Vertragsschluß kommen. Dieser Nachteil äußert sich in der Tatsache, daß der unterlegene Teil den Vertrag nicht mit diesem Inhalt geschlossen hätte. Überwiegend der Gesetzgeber ist bei der Unterstellung einer solchen Ungleichgewichtslage tätig geworden, um durch bestimmte zwingende Gesetze Einfluß auf nahezu alle Verträge dieser Gruppe zu nehmen. Der Gesetzgeber wirkt dabei präventiv auf diese Vertragsarten ein, indem er durch zwingendes Recht Vorgaben für den Vertragsinhalt macht, welches dem Interesse des in der Regel als schwächer zu bezeichnenden Vertragsteils Rechnung trägt. Dabei geht er von einem nach objektiven Kriterien bestimmten Maßstab aus. Es muß grundsätzlich danach gefragt werden, wie der Vertrag inhaltlich ausgestaltet worden wäre, wenn sich zwei Vertragspartner gegenüber gestanden hätten, die in gleicher Intensität Einfluß auf den Vertragsinhalt hätten nehmen können. Eine einseitige Bestimmung des Vertragsinhaltes durch die stärkere Partei wird damit ausgeschlossen. Daneben kann die Rechtsprechung durch Auslegung vorhandener Gesetze auf den Inhalt dieser Verträge einwirken, ebenfalls ohne zunächst ein Ungleichgewicht zwischen den Vertragsteilen feststellen zu müssen, um eine vertragsspezifische Korrektur herbeizuführen, die den Interessen des durch die Erfahrungen der Rechtsordnung als schwächer zu bezeichnenden Vertragspartners Gewicht verschafft. Die Rechtsordnung geht, wie oben ausgeführt, bei diesen Vertragsarten grundsätzlich davon aus, daß der eine Partner bei Abschluß des Vertrages nicht in der Lage war, seine Interessen in angemessener Weise zu vertreten, er aber auf der anderen Seite auch ein gewisses Interesse an dem Vertragsschluß selber hat. Hier kann das Problem auftauchen, daß sich ein Arbeitnehmer, Mieter oder Verbraucher aufgrund seiner guten finanziellen Lage nicht in einer schwachen Position in dem Verhältnis zu seinem Arbeitgeber, Vermieter bzw. zu dem Vertragspartner des Verbrauchers befindet. Auch dann greifen die gesetzlichen Regelungen und deren gerichtliche Auslegungen ein. Fraglich ist jedoch, ob dieses Vorgehen gerechtfertigt werden kann. Von den zwingenden Normen zugunsten des Arbeitnehmers bzw. des Mieters oder des Verbrauchers kann nicht abgewichen werden. Stehen sich gleichberechtigte Partner gegenüber, können diese also beispielsweise nicht einen Wohnungsmiet- oder Arbeitsvertrag mit beliebigem Inhalt schließen. Oben 225 225
§ 6 III 3b aa.
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
wurde festgestellt, daß die zivilrechtlichen Nonnen, die den Inhalt bestimmter Vertragsklauseln festlegen, eine Ausgestaltung des Grundrechts der Vertragsfreiheit darstellen. Es kann also nicht von einer unzulässigen Begrenzung des Rechts gesprochen werden. Dieses Recht auf Ausgestaltung dient allerdings nur der Sicherstellung des Selbstbestimmungsrechts der anderen Vertragspartei, wenn diese von ihrem Recht nicht Gebrauch machen kann. Dieses Problem stellt sich bei dieser Fallgruppe gerade nicht. Es muß also grundsätzlich die Möglichkeit geben, daß Vertragspartner, die als gleichgewichtig angesehen werden, einen Vertrag schließen können, der im Ergebnis für den einen Teil nachteilig ist. Fraglich ist, ob dieses pauschale Abstellen auf die Vertragsart dennoch begründet werden kann. Hier kann kollidierendes Verfassungsrecht herangezogen werden. Das gesetzgeberische bzw. richterliche Vorgehen dient jedenfalls der aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hergeleiteten Rechtssicherheit und -klarheit. Durch die Bezugnahme auf alle Verträge dieser Art müssen keine detaillierten Abstufungen vorgenommen werden, die in der Praxis zu Schwierigkeiten bei der Anwendung führen können. Jeder Bürger kann sich ohne großen Aufwand infonnieren, welche Klauseln er nicht zum Inhalt eines Wohnungs miet- oder Arbeitsvertrages machen darf. Doch stellt sich die Frage, ob dies ausreichend sein kann, um das so weitreichende Vorgehen des Gesetzgebers zu rechtfertigen. In die Abwägung einzubeziehen ist die Tatsache, daß ein Fall des Gleichgewichts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wohl in einer verschwindend geringen Zahl vorkommt. Dann wird man wohl auch davon ausgehen können, daß ein der gesetzlichen bzw. richterrechtlichen Vorgabe entsprechender Vertrag abgeschlossen wird. Anders liegt dies sicherlich im Wohnungsmietrecht. Hier erfährt der Mieter durch eine Vielzahl von Schutzgesetzen zu seinen Gunsten eine so weitreichende Hilfe, obwohl er sich nicht mehr unbedingt in einer Lage befindet, die diesen Schutz rechtfertigen würde 226 • Dennoch entstehen auf dem Wohnungsmarkt immer wieder Engpässe, die vorher nicht erkannt wurden. Weiterhin ist das Problem des Wohnungsmietrechts regional unterschiedlich ausgestaltet. Der Gesetzgeber ist nicht in der Lage, jeweils eine den räumlichen und zeitlichen Gegebenheiten angepaßte Rechtslage zu schaffen. Dies würde zu einer weitreichenden Verletzung der verfassungsrechtlich garantierten Rechtssicherheit führen, die nicht hingenommen werden kann. Das Recht des Vennieters auf Ausübung seiner Vertragsfreiheit muß deshalb durch das ebenfalls verfassungsrechtlich garantierte Prinzip der Rechtssicherheit begrenzt werden. Die Richter und der Gesetzgeber haben in der Praxis nur die Möglichkeit, für die Zukunft 226 Durch die Änderung der Einkommenssituation sind viele Bürger nicht mehr auf Wohnraum zu niedrigsten Preisen angewiesen. Außerdem spielt die Lage der Wohnung wegen der erworbenen Mobilität heute nicht mehr so eine große Rolle, so daß man auf anderen Wohnraum ausweichen kann, wenn dieser zu besseren Konditionen angeboten wird.
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keine oder weniger Vorgaben zum Schutze des Mieters zu machen, die über den erreichten Grundbestand hinausgehen. c) Typische Ungleichgewichtslage und vertragliche Nachteile
Die dritte Gruppe behandelt die Fälle, in denen aufgrund einer typisierbaren Fallgestaltung auf eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils geschlossen werden kann. Diese kann im Gesetz geregelt sein (wie unter a) beschrieben), oder durch Konkretisierung der Gerichte ausgefüllt werden. Aufgrund der Bedeutung der in Frage stehenden konkurrierenden Interessen der Vertragsparteien kommt es aber zusätzlich auf die vertraglichen Nachteile an. Teilweise wird diese Prüfung eines konkreten Nachteils durch das Gesetz ausdrücklich angeordnet. Liegt keine gesetzliche Regelung vor, muß der Frage nach einer Prüfung des vertraglichen Nachteils nachgegangen werden. Dabei kann wie bei der Frage der Ungleichgewichtslage auf eine Typisierung des Nachteils abgestellt werden. Zu dieser Fallgruppe zählen zunächst die Verträge unter Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Hier beschreibt das AGB-Gesetz eine Situation, in der man typischerweise von einer Ungleichgewichtslage zwischen den Vertragsparteien ausgehen kann. Diese stellt die einseitige Aufstellung Allgemeiner Geschäftsbedingungen durch den Verwender dar. Damit findet eine Prüfung der Ungleichgewichtslage aufgrund allgemein bestimmter Voraussetzungen statt. Es kommt aber weiterhin auf den konkreten Inhalt des Vertrages an. In der überwiegenden Anzahl der Fälle stehen sich Vertragspartner gegenüber, die gewichtige entgegenstehende Interessen und Ziele verfolgen. Gemäß der Generalklausei des § 9 Abs. 1 AGBG muß bei der Überprüfung des Vertragsinhalts eine unangemessene Benachteiligung festgestellt werden können, das bedeutet, daß der Vertragspartner durch den Vertragsschluß in dieser Form Nachteile von einigem Gewicht erleiden muß 227 . § 9 Abs. 2 sowie § 10 und 11 AGBG konkretisieren die Generalklausel des § 9 Abs. 1 AGBG aus Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit. Bei der Prüfung der Wirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen muß im Ergebnis eine Abwägung der Interessen der Vertrags partner im Einzelfall durchgeführt werden. Hauptbeispiele dieser Gruppe sind die Bürgschaftsübemahmen durch nahe Angehörige des Schuldners. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß beim Vorliegen einer typisierbaren Fallgestaltung, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragspartners erkennen läßt, die Gerichte auf die unter diesen Bedingungen geschlossenen Verträge einwirken müssen, wenn die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Teil unge227
OLG Hamm NJW 81, 1049f.
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
wöhnlich belastend sind 228 . Der BGH hat diese Rechtsprechung insbesondere auf die Bürgschaftsverträge angewendet, die nahe Angehörige des Hauptschuldners für diesen abgeschlossen haben. Damit hat der BGH typisierbare Fallgruppen bezüglich der personellen Situation beim Zustandekommen des Vertrages gebildet. Doch müssen auch die Interessen der Bank an einer Bürgschaftsübemahme durch einen nahen Angehörigen berücksichtigt werden 229 • Deshalb schließt sich eine Untersuchung der Frage des vertraglichen Nachteils an, die der BGH darin sieht, daß der Bürge nicht in der Lage ist, ab Fälligkeit der Leistung von seinem pfändbaren Einkommen innerhalb von 5 Jahren ein Viertel der Bürgschaftssumme zu bezahlen 23o . Hier hat der BGH somit auch eine Typisierung des Nachteils vorgenommen, d. h. er muß nicht mehr im Einzelfall entscheiden, ob der Bürge finanziell überfordert ist. Liegen diese beiden Voraussetzungen vor und wurde in dem Bürgschaftsvertrag keine Haftungsbeschränkung vereinbart, dann geht der BGH für Bürgschaftsverträge, die ab dem 1.1.1999 geschlossen werden, davon aus, daß eine Ungleichgewichtslage zwischen den Vertragsparteien aufgrund einer emotionalen Zwangslage bejaht werden muß 231 . Durch einen solchen Vertrag wird das dem Bürgen zustehende Recht auf Vertragsfreiheit nicht gewahrt, und dieser Vertrag muß somit als nichtig i. S. d. § 138 Abs. 1 BGB angesehen werden.
4. Vorrang der Rechtssicherheit vor der Individualgerechtigkeit Es konnte festgestellt werden, daß eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates besteht, auf einen Vertrag einzuwirken, bei dem die Interessen der einen Vertrags partei nicht in angemessener Weise Berücksichtigung gefunden haben und somit die Selbstbestimmung in eine Fremdbestimmung umgeschlagen ist. Der Gesetzgeber bzw. die Gerichte müssen in diesen Fällen für eine materielle Gerechtigkeit sorgen, d. h. sie müssen den anwendbaren materiellen Normen zur Durchsetzung verhelfen. Dies geschieht unter Umständen durch Auslegung des konkreten Inhalts der Norm in dem einschlägigen Fall oder, falls eine solche nicht vorhanden ist, durch Neuschaffung bzw. Konkretisierung von Normen, die diese Problematik verbindlich regeln 232 • Dieses Vorgehen entspricht dem Willkürverbot des aus Art. 3 Abs. 1 GG hergeleiteten Prinzips der Einzelfallgerechtigkeit 233 . Wie die Gerichte und der Gesetzgeber im Einzelfall auf das ProBVerfGE 89, 214 = NJW 94, 36 (38). Dazu § 4 IVa. 230 BGHZ 132, 328 (338); BGHZ 134, 325 (332). 231 BGH NJW 99, 58 = ZIP 98, 1999. 232 Im letztgenannten Fall tritt selbstverständlich keine Wirkung mehr für den ursprünglichen Fall ein. 228 229
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blem der Fremdbestimmung reagieren, bleibt grundsätzlich ihnen überlassen. Sie müssen nur einen effektiven Weg beschreiten, der sie zu ihrem Ziel, der materiellen Gerechtigkeit, führt. Doch das Bundesverfassungsgericht kommt bereits in seiner Bürgschaftsentscheidung 234 zu dem Ergebnis, daß aus Gründen der Rechtssicherheit ein Vertrag nicht bei jeder Störung des Verhandlungsgleichgewichts nachträglich in Frage gestellt oder korrigiert werden könne. Es komme auf eine generalisierende Betrachtung von Verträgen aus einer "typisierbaren Gruppe" an. Es muß demnach eine nach allgemeinen Merkmalen bestimmte Beschreibung einer Vertragskonstellation vorliegen 235 . Die Rechtsordnung muß erkennen, daß bei bestimmten Vertragsarten bzw. bestimmter Art des Zustandekommens eines Vertrages oder bei der Zugehörigkeit des einen Vertragsteils zu einer bestimmten Gruppe von Personen eine besondere Gefahr der Fremdbestimmung eines Vertragsteils besteht, die nach umfassender Interessenabwägung dazu führen muß, daß ein gesetzliches oder gerichtliches Einschreiten erforderlich erscheint236 . Weiterhin wird verlangt, daß eine Vertragskorrektur nur im Falle einer wesentlichen Störung der Machtverhältnisse der Vertragspartner durchgeführt werden so1l237. Es wird damit im Ergebnis nur im Rahmen von abstrakten Fallgruppen gehandelt. Einer im Einzelfall vorgenommenen Durchsetzung der Vertragsfreiheit der als schwächer zu bezeichnenden Vertragspartei steht die Tatsache entgegen, daß weitere Verfassungsprinzipien berücksichtigt werden müssen. An dieser Stelle muß der aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleitete Gedanke der Rechtssicherheit erwähnt werden, der zu einer Einschränkung der materiellen Gerechtigkeit führen kann. Es besteht ein Wechselspiel zwischen der Individualgerechtigkeit und der Rechtssicherheit 238 . Das Herzog in: Maunz-Dürig Grundgesetz Kommentar Art. 20 Rn. 61. BVerfGE 89, 214 = NJW 94, 36 (38). 235 So gilt das AGB-Gesetz bei Vorliegen der Voraussetzungen des § I Abs. I AGBG, nicht gefragt wird, ob im Einzelfall zwischen den Vertragspartnern tatsächlich eine Imparität besteht, Ulmer in Ulmer/Brandner/Hensen: AGB-Gesetz, § I Rn. 8; a.A. LG Köln NJW-RR 87, 1001 f. 236 Unabhängig von dieser theoretischen Frage nach der Abgrenzung einer typisierbaren Gruppe stellt sich die praktische Frage, wann die Rechtsordnung die spezielle Problematik dieser einen Gruppe erkennt und dementsprechend handelt. 237 Dazu auch Singer: Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 34. Das Bundesverfassungsgericht verlangt, daß die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend sein müssen, BVerfGE 89, 214 = NJW 94, 36 (38). 238 Der Vorrang der Rechtssicherheit wird von dem Bundesverfassungsgericht fast durchgängig akzeptiert, Schnapp in: v. Münch/Kunig: Grundgesetz Kommentar, Art. 20 Rn. 26. Siehe dazu auch Schmidt-Rimpler: Grundfragen der Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147 (1941) 130ff. (l67f.); Schmidt-Salzer: Rechtspolitische Grenzen der zivilrechtlichen Vertragsfreiheit, NJW 71, 173ff. (174). 233 234
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertrags freiheit
gesamte Staatshandeln muß innerhalb gewisser Grenzen für den Bürger annähernd vorhersehbar und berechenbar sein 239 . Dazu gehört neben der Erkennbarkeit der Fälle, in denen die Gesetzgebung sowie die Rechtsprechung einem Vertrag nicht zur Durchsetzung verhelfen 24o , in erster Linie die Gewährleistung der Bindung der Vertragsparteien an die gemeinsam getroffene Regelung. Dieser Grundsatz der Vertragstreue 241 ist unabdingbare Grundlage der Privatrechtsordnung242 . Er kommt durch den Satz ..pacta sunt servanda" zum Ausdruck. Nach Canaris243 umfaßt der Schutz der Anerkennung der Vertragsfreiheit auch die Anerkennung der rechtlichen Bindung. Die Vertragsfreiheit beinhaltet danach die Kompetenz zur Schaffung rechtsverbindlicher Regelungen. Damit kann eine verfassungsrechtliche Gewährleistung der Vertragstreue bejaht werden. Dabei bedeutet Bindung der Vertragspartner an den Vertrag, daß der einzelne Vertragsteil die vertragliche Regelung nicht einseitig aufheben kann 244 , selbst wenn er nach dem Vertragsschluß kein Interesse mehr an dem Vertragsinhalt hat 245 • Damit bildet der Grundsatz der Vertragstreue einen gewissen Vertrauensschutz gegenüber dem anderen Vertragspartner und hat gleichzeitig einen ordnenden Charakter. Stellt man die eben festgestellten Prinzipien, die Einzelfallgerechtigkeit und die Rechtssicherheit, gegenüber, dann muß eine Abwägung durchgeführt werden, bei der sämtliche mögliche Ergebnisse der Anwendung eines dieser Prinzipien bewertet werden und in Verhältnis zueinander gesetzt werden müssen 246 . Dabei kommt man zu dem Ergebnis, daß das letztgenannte PrinHerzog in: Maunz-Dürig Grundgesetz Kommentar Art. 20 Rn. 62. Voraussetzung muß sein, daß durch eine sehr detaillierte gesetzliche Regelung die Zahl der Fälle, in denen tatsächlich ein annäherungsweise bestehendes Kräftegleichgewicht vorliegt, als unwesentlich angesehen werden kann. 241 Dazu Lorenz, St.: Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 28ff.; Bydlinski: Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 109ff. v. Kübel, Redaktor des Bürgerlichen Gesetzbuches, leitete die Bindungswirkung des Vertrages aus dessen Wesen ab (v. Kübel in: Schubert (Hrsg.): Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Teil I, S. 379f.). Der Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches sah in §§ 359, 360 eine Kodifizierung der Vertragstreue vor. Doch die Vertragstreue wurde als genau so selbstverständlich angesehen wie die Vertragsfreiheit, so daß beide keine ausdrückliche schriftliche Fixierung im Gesetzestext fanden. Die Vertragstreue ergibt sich jedoch aus der Bedeutung der §§ 305 und 241 S. 1 BGB. 242 BGH LM Nr. 91 zu § 242 BGB :;: JZ 78, 235 ff. 243 Canaris: Verfassungs- und europarechtliche Aspekte der Vertragsfreiheit in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens, FS Lerche, S. 873 ff. (889). 244 Flume: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, S. 605. 245 Ihering (in: Der Zweck im Recht, Bd. I, S. 55) beschreibt dies als rechtliche Einflußlosigkeit der Interessenänderung. 239
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zip als wichtiger eingestuft werden muß. Die Rechtssicherheit äußert sich, wie gesehen, in verschiedenartigsten Formen, deren Beachtung durch die Rechtsordnung ein besonderes Gewicht besitzt. Die Durchbrechung des Prinzips der Einzelfallgerechtigkeit bedeutet jedoch im Ergebnis nur, daß die Gerichte und der Gesetzgeber nicht jeden Vertrag auf mögliche Störungen im Kräfteverhältnis zwischen den Parteien hin untersuchen müssen, sondern es werden nur die als besonders korrekturbedürftig angesehenen Verträge behandelt. Damit wird aber der größte Teil der möglichen Fälle abgedeckt, und dieser Teil wird durch den Fleiß des Gesetzgebers immer größer247 . Der verbleibende Teil muß angesichts der Bedeutung der Vertragstreue für die Privatrechtsordnung als weniger wichtig angesehen werden.
V. Verschiedene Rechtsfolgen Wie oben gesehen, tritt das Problem eines Ungleichgewichts zwischen den Vertragspartnern in vielen verschiedenen Rechtsbereichen auf. Die Rechtsordnung hat einen Großteil dieser Fallgruppen herausgearbeitet. In einem weiteren Schritt muß nun untersucht werden, wie eine als erforderlich angesehene Kompensation eines Vertragsungleichgewichtes im Ergebnis realisiert werden kann. Bei der Ermittlung der möglichen Rechtsfolgen muß das Ziel im Vordergrund stehen, grundsätzlich ein nach objektiven Merkmalen zu bestimmendes gerechtes Vertragsergebnis herbeizuführen, welches das Ergebnis einer beiderseitigen Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit wäre. Auf diese Weise kann dem verfassungsrechtlichen Auftrag nachgekommen werden. Es muß davon ausgegangen werden, daß der als stärker zu bezeichnende Vertragspartner durch den in Frage stehenden Vertragsinhalt seine Interessen zum Ausdruck gebracht hat. Die Interessen der anderen Vertragspartei werden in den zu behandelnden Fallkonstellationen jedoch ganz oder zum Teil nicht berücksichtigt. An dieser Stelle muß die Suche nach der Rechtsfolge dieser Umgehung der Interessen der einen Partei ansetzen. Es muß insbesondere durch eine Abstufung der verschiedenen rechtlichen Vorgehensweisen der verfassungsrechtliche Auftrag in der jeweiligen Fallgruppe gewährleistet werden. 246 Bydlinski [in: Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 122; derselbe in: Zu den dogmatischen Grundfragen des Kontrahierungszwanges, AcP 180 (1980) I ff. (8)] stellt bei der Erklärung der traditionellen Normen des Privatrechts auf vier Prinzipien ab, (1) die Privatautonomie, (2) die Verkehrssicherheit, (3) den Gedanken der Äquivalenz und (4) die Vertragstreue. Durch Kombination dieser Prinzipien kann man ein gewisses Verständnis der Rechtsgeschäftsordnung offenlegen. 241 Dem Gesetzgeber steht dann die Entscheidungsbefugnis zu, welchem Prinzip er den Vorzug geben will [BVerfGE 15,313 (319); 25, 269 (290)]. 11 Knobel
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
1. Gesamtnichtigkeit, Unwirksamkeit
und Rückabwicklung des gesamten Vertrages
Die erste Gruppe von Rechtsfolgen, die der Kompensation eines Vertragsungleichgewichts dienen, führt im Ergebnis dazu, daß kein wirksamer Vertrag besteht. Die durch das Grundgesetz vorgegebenen Grundentscheidungen werden insbesondere durch die Interpretation der Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuches realisiert. Stellt man auf die Generalklausel des § 138 BGB ab, so gibt das Gesetz grundsätzlich die zwingende Rechtsfolge vor. Das Rechtsgeschäft wird insgesamt als nichtig angesehen. In diesem Sinne hat der BGH in der Folgeentscheidung vom 8.10.1998 248 zu der Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts 249 entschieden, daß ein Bürgschaftsvertrag nichtig gemäß § 138 Abs. I BGB ist, den ein naher Angehöriger des Hauptschuldners in einer bestimmten Situation für diesen eingegangen ist, der dazu führt, daß der Bürge ab Fälligkeit der Bürgschaft aus seinem pfandbaren Einkommen vermutlich nicht mehr als ein Viertel der Bürgschaftsschuld innerhalb von fünf Jahren bezahlen kann 250 und bei dem keine vertragliche Haftungsbeschränkung besteht. § 1 Abs. 1 HausTWG führt dazu, daß durch den Widerruf einer derartigen Vereinbarung verhindert wird, daß der Vertrag überhaupt wirksam wird 251 .
Das Rücktrittsrecht des § 13a UWG führt zu einer Rückabwicklung des kompletten, zunächst wirksamen, Vertrages. Ausnahmsweise wird ein Vertrag, der unter Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zustande gekommen ist, gemäß § 6 Abs. 3 AGBG insgesamt als nichtig angesehen, obwohl nur Teile desselben unwirksam sind, wenn der Restvertrag bzw. der gemäß § 6 Abs. 2 AGBG modifizierte Vertrag eine unzumutbare Härte für eine Vertragspartei darstellen würde. Die Tatsache, daß in den eben genannten Fällen kein wirksamer Vertrag zustande kommt, führt (unter anderem) dazu, daß der zu schützende Vertragspartner keinerlei Nachteile erleidet, die er sonst aufgrund seiner schwächeren Position erlitten hätte. Bringt der Vertrag demnach nur Nachteile, dann stellen Gesamtnichtigkeit, Unwirksamkeit und Rückabwicklung des gesamten Vertrages die von der Verfassung erwarteten Rechtsfolgen dar, BGH NJW 99, 58 = ZIP 98, 1999. BVerfGE 89, 214 = NJW 94, 36. 250 BGHZ 132, 328 = NJW 96, 2088; BGHZ 134,325 = NJW 97, 1003. 251 § I Abs. I HWiG ist als rechtshindemde Einwendung ausgestaltet, BGHZ 131, 82 (85). 248 249
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wenn man alleine auf den Inhalt des Vertrages abstellt. Doch wendet die Rechtsprechung einen anderen Maßstab bei der im 1. Teil unter § 4 behandelten Abschlußkontrolle von Verträgen an, zu der die oben zuerst genannten drei Beispielsfälle gehören. Hier wird, wie oben gesehen, nicht alleine auf den Vertragsinhalt abgestellt, sondern entscheidend ist die Art und Weise des Zustandekommens des Vertrages. Diese Vertragsschlußmodalitäten greifen dermaßen in das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Vertragsfreiheit ein, daß der so zustande gekommene Vertrag von der Rechtsordnung nicht mehr hingenommen werden kann. Insbesondere die Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB stellt damit die richtige Rechtsgrundlage für die Abschlußkontrolle von Verträgen durch die Gerichte dar. Zu dem seltenen Ausnahmefall des § 6 Abs. 3 AGBG hat der BGH ausgeführt, daß Bestimmungen, die die Grenze der unangemessenen Benachteiligung überschreiten, grundsätzlich insgesamt nichtig sind und nicht geltungserhaltend auf einen angemessenen Kern reduziert werden können 252 . Zur Begründung wird der Zweck des AGB-Gesetzes herangezogen, der verfehlt werde, wenn der Verwender bis zur Grenze des gerade noch zulässigen vorstoßen könnte. Die Aufgabe der Rechtsprechung liege nicht darin, die für den Verwender günstigste, gleichzeitig die gerade noch zulässige Vertragsvariante zu finden 253 . Dennoch dient § 6 Abs. 3 AGBG in erster Linie dem Interesse des Verwenders, der durch die durchgeführte Vertragskontrolle regelmäßig in eine schlechtere Position gerät254 • Das Vorliegen einer unzumutbaren Härte wird dann durch Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien bestimmt, wobei das Interesse des Kunden an der Aufrechterhaltung des Vertrages als höherwertig eingestuft werden muß255 . Durch Wegfall der unangemessen benachteiligenden Vertragsklauseln wird zunächst einmal unter Berücksichtigung einer Änderung gemäß § 6 Abs. 2 AGBG ein gerechter Vertragsinhalt geschaffen. Es müssen also besondere Gründe vorliegen, die eine Gesamtnichtigkeit rechtfertigen können. Nicht ausreichend ist es, daß durch die Vertragskorrektur das Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung zulasten des Verwenders verändert wird, da dieser grundsätzlich das wirtschaftliche Risiko unangemessener Klauseln trägt256 . Zu den anerkannten Ausnahmefällen des § 6 Abs. 3 AGBG zählt die grundlegende Veränderung des Vertragscharakters, die dazu führen kann, daß der Vertrag weder dem Willen des Verwenders noch dem des Kunden entspricht257 . Dieses Vorgehen würde zu einer Mißachtung der 252 253 254
255 256 257 11"
BGHZ 90, 69 (73). Staudinger-Schlosser § 6 AGBG Rn. 16; BGHZ 84, 109 (115 f.). Soergel-Stein § 6 AGBG Rn. 19. Soergel-Stein § 6 AGBG Rn. 21. BGHZ 82, 21 (27f.). BGH NJW 85, 53 ff. (54).
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
beiden Vertragspartnern zustehenden Vertragsfreiheit führen, die auch dem Schutz des AGB-Gesetzes zuwider laufen würde. Im Falle einer krassen Äquivalenzstörung zwischen Leistung und Gegenleistung kann ebenfalls im Einzelfall eine Gesamtunwirksamkeit des Vertrages angenommen werden. Hier muß ausnahmsweise der Vertragsfreiheit des Verwenders der Vorrang eingeräumt werden, da das Vertrags gleichgewicht grundlegend zu seinen Lasten gestört ist 258 . 2. Teilnichtigkeit a) Gesetzliche Regelung
Der gerichtliche und gesetzliche Schutz darf jedoch nur so weit gehen, wie er erforderlich ist, um den verfassungsrechtlichen Auftrag zu gewährleisten. So kann es in der oben beschriebenen Fallgruppe, in der bei einem Eingreifen auf den Vertragsinhalt abgestellt wird (insbesondere im Wohnungsmiet- und Arbeitsrecht), vorkommen, daß aufgrund einer ungleichen Verhandlungsstärke nur Teile des Vertrages als nachteilig für die "schwächere" Partei angesehen werden können. In diesem Sinne schreiben beispielsweise die §§ 537 Abs. 3, 543 S. 2, 549 Abs. 2 S. 3, 550 a, 554a S. 2, 554 b BGB im Bereich des Wohnungsmietrechts vor, daß bei Verstoß gegen die gesetzliche Regelung nur diese spezielle Klausel des Mietvertrages unwirksam ist. Weiterhin gehen die Vorschriften der §§ 9 bis 11 AGBG davon aus, daß einzelne Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam sind, wenn sie eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders darstellen. Die grundsätzliche Möglichkeit der teilweisen Nichtigkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen wird auch aus § 6 Abs. I AGBG ersichtlich. b) Auswirkungen auf den Gesamtvertrag
Damit ist jedoch noch nicht geklärt, ob sich eine Teilnichtigkeit in irgendeiner Weise auf den übrigen Vertrag auswirkt259 • Neben der Frage, welche Mittel der Rechtsordnung zur Verfügung stehen, um ein als gerecht zu bezeichnendes Vertragsverhältnis zu schaffen, wurde die Hauptdiskussion in der Literatur darüber geführt, ob die Nichtigkeit eines Vertrages oder Vertragsteils zu einer Ersetzung mit einem anderen Inhalt führen darf bzw. ob der Vertrag im übrigen unverändert bestehen bleiben kann, oder ob gemäß § 139 BGB die Nichtigkeit eines Vertragsteils grundsätzlich zur Soergel-Stein § 6 AGHG Rn. 22f. Dazu Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidung und vertraglicher Interessenausgleich, S. 284 f. 258
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Nichtigkeit des gesamten Vertrages führen muß 260 . Diese Diskussion soll hier mit kurzen Worten wiedergegeben und unter Beachtung der oben festgestellten verfassungsrechtlichen Vorgaben gewürdigt werden. aa) Die Auslegungsregel des § 139 BGB gilt zunächst einmal für das ganze Bürgerliche Gesetzbuch. Danach wird grundsätzlich das komplette Rechtsgeschäft als nichtig angesehen, wenn ein Teil desselben nichtig ist. Damit soll § 139 BGB Ausdruck der Privatautonomie sein, da verhindert werde, daß anstelle des gewollten ein anderes Rechtsgeschäft für die Parteien bindend wird 261 • Doch bereits der Wortlaut des § 139 BGB läßt Ausnahmen von diesem Grundsatz zu, wenn anzunehmen ist, daß es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre 262 • Bereits Raiser untersuchte auf dem Gebiet der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vor Erlaß des AGB-Gesetzes das Problem der Teilnichtigkeit von Verträgen. Danach ging das Reichsgericht in den meisten Fällen mit einer Selbstverständlichkeit von der Wirksamkeit des übrigen Vertrages aus und lieferte noch nicht einmal eine Begründung dazu 263 • Die nichtigen Teile wurden durch das dispositive Recht ersetzt (dazu unter c). Durch die Rechtsprechung auf dem Gebiet des Arbeitsrechts wurde eine Vermutung für den Aufrechterhaltungswillen der Vertragsparteien ausgesprochen 264 bzw. argumentiert, man müsse in Anlehnung an die Grundsätze des faktischen Arbeitsverhältnisses auf den faktischen Vollzug des gültigen Teils abstellen 265 . Auch die Lehre setzte diese durch die Rechtsprechung vertretene Meinung fort. Zur Begründung wurde vorgetragen, daß sich mit jeder neuen Klausel, die Vertragsbestandteil werde, das Risiko der Gesamtnichtigkeit erhöhen würde, falls kein Aufrechterhaltungswille im Sinne der von § 139 BGB angesprochenen Ausnahme vorhanden sei. Dies könne zu willkürlichen Ergebnissen führen 266 . Hier wurde die Aufrechterhaltung des gültigen 260 Die Motive deuten den Grund der Regelung nur vage an. Aus dem Willen der Beteiligten ergebe sich danach die Bedeutung, die der Verbindung von mehreren zusammenhängenden Willenserklärungen zukomme; die Verbindung selbst spreche aber zunächst für die innere Zusammengehörigkeit, Mugdan: Materialien Bd. I S. 475 = Motive Bd. I S. 222. 261 RG JW 08, 442ff. (445); Palandt-Heinrichs BGB § 139 Rn. 1. 262 Durch die Rechtsprechung wurden Fallgruppen gebildet, in denen man typischerweise davon ausgehen kann, daß das Interesse der Parteien darauf gerichtet ist, von der Gültigkeit des Restgeschäftes auszugehen, dazu Palandt-Heinrichs BGB § 139 Rn. 15. 263 Raiser: Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 319f. Er hält dieses Ergebnis der Rechtsprechung für "gesund und richtig". 264 BAG 13, 129 (137). 265 BAG 15, 17 (22). 266 Dazu Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 285 f.
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
Teils weiterhin mit einem durch Rückgriff auf den vernünftigen, nach Treu und Glauben ermittelten Willen begründet, wobei auf objektive Gerechtigkeitsgesichtspunkte abgestellt werden müsse 267 • Raiser sah in dem Zweck der vom Bürgerlichen Gesetzbuch selbst geregelten Fälle, in denen nur von der Unwirksamkeit bestimmter Teile gesprochen wird, eine Ausnahme von § 139 BGB, der ein über die Einzelfalle hinausgehendes Rechtsprinzip darstelle. Dieses solle nur die Überschreitung der Mißbrauchsgrenze selber treffen, das Geschäft im übrigen aber im Interesse des schwächeren Vertragsteils aufrecht erhalten 268 • Im Arbeitsrecht ist aufgrund des Schutzzweckes zugunsten der Arbeitnehmer anerkannt, daß § 139 BGB nicht anwendbar ist, wenn ein Verstoß gegen arbeitnehmerschützende Vorschriften vorliegt 269 • Der gerichtliche Schutz würde sich in sein Gegenteil verkehren, wenn der Vertrag durch das Gerichtsurteil vernichtet würde 27o • Grundsätzlich wird nur der Teil als nichtig angesehen, der den Nichtigkeitsgrund beinhaltet. Kann der Vertrag auch ohne den nichtigen bzw. unwirksamen Teil aufrecht erhalten werden, so entfallen die nichtigen oder unwirksamen Teile ersatzlos271 • Wenn der Vertrag vor Antritt der Dienste jedoch nicht ohne eine Regelung zu der für nichtig erklärten Frage bestehen bleiben kann, dann muß an deren Stelle eine andere, gesetzliche, kollektivvertragliche oder übliche Regelung treten 272 . Nach Arbeitsbeginn gilt bei Teilnichtigkeit das eben Gesagte. Wenn nicht besonders schwere Mängel vorliegen, kann der Vertrag wie ein fehlerhaftes Arbeitsverhältnis angesehen werden 273 • 267 Larenz: Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, § 23 11 c; Flurne: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, § 32, 5, S. 578f.; Enneccerus/Nipperdey: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Halbband, § 202 IV 2. Das Reichsgericht hat dazu ganz im Sinne des Liberalismus verkündet, es sei anzunehmen, daß der Erklärende (bei einem Vertrag die beiden Beteiligten) seine Entscheidung in vernünftiger Abwägung der in Betracht kommenden Verhältnisse getroffen hätte, daß er insbesondere an der Nichtigkeit eines nur unwesentlichen Teils die Wirksamkeit des ganzen Geschäfts regelmäßig nicht hätte scheitern lassen (RGZ 118,218 (222». 268 Raiser: Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 323 f. 269 BAG AP Nr. 11 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie; BAG AP Nr. 24 zu § 1 HausarbeitstagGNRW; MünchKomm-Müller-Glöge BGB § 611 Rn. 331; SoergelHefermehl BGB § 139 Rn. 60; BAG AP Nr. 24, 25, 27, 28, 37, 46, 61 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 270 Dazu auch: Hildebrandt: Disparität und Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht, S. 25. 271 So beispielsweise bei Wettbewerbsverboten. 272 Großmann/Schneider: Arbeitsrecht, Rn. 91; Hueck/Nipperdey: Lehrbuch des Arbeitsrechts, Erster Band, § 32 11 1. Ansonsten ist auch eine von Anfang an bestehende Gesamtnichtigkeit im Einzelfall möglich. 273 Die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis richten sich bis zur Geltendmachung der Nichtigkeit grundsätzlich nach den Vorschriften, die für ein entsprechendes wirksam begründetes Arbeitsverhältnis gelten würden. Die Nichtigkeit
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An die historische Begründung, die die Realisierung der Privatautonomie zum Ziel des § 139 BGB erklärt, kann nun die verfassungsgemäße Rechtfertigung der durch die Vorschrift ermöglichten Ausnahme anknüpfen 274 . Dem oben dargestellten Wandel des Verständnisses der Vertragsfreiheit entspricht die Entwicklung, die die Ausnahme des § 139 BGB zur Regel macht. Die auf der Basis des Liberalismus verstandene Vertragsfreiheit, die grundsätzlich a11en Vertragspartnern zustand, bedeutete in der Praxis, daß sich das Recht des Stärkeren durchsetzte, ohne daß die Rechtsordnung dagegen vorging. Wurde ein Vertragsteil ausnahmsweise für nichtig erklärt, der meistens durch die Partei ausgestaltet wurde, die sich bei Vertragsschluß in einer stärkeren Position befand, dann wurde ohne Rücksicht auf die Interessen der anderen Partei der gesamte Vertrag durch die Regelung des § 139 BGB für nichtig erklärt, wenn nicht ein entgegenstehender Wille bewiesen werden konnte. Damit kam die Nichtigerklärung des Gesamtvertrages überwiegend dem überlegenen Partner zugute. Das Recht auf Vertragsfreiheit dient nach heutigem Verständnis jedoch dazu, daß alle Vertragsparteien unabhängig von ihrer Position die Möglichkeit haben sollen, einen Vertrag abzuschließen, der einen Inhalt besitzt, den man nach objektiven Kriterien als gerecht bezeichnen kann. Wenn diese a1lseitige Interessenrealisierung auf Kosten einer Partei nicht verwirklicht wird, dann sollen die Gerichte oder die Gesetze Maßnahmen zur Verfügung stellen, um diesen Interessen zum Durchbruch zu verhelfen. Dies muß im Ergebnis jedoch dazu führen, daß der als gerecht zu bezeichnende Vertragsteil aufrecht erhalten werden muß, wenn er als Teil Wirksamkeit erlangen kann. Darin kommen ja gerade die Interessen der schwächeren Partei zum Ausdruck. Nur der andere, wegen seines nachteiligen Inhalts unwirksame Teil, entfällt ganz oder muß unter Umständen durch eine andere Regelung ersetzt werden 275 . Die gesetzlichen und gerichtlichen Maßnahmen richten sich kann deshalb nur ex nunc eintreten, Soergel-Kraft BGB Vor § 611 Rn. 16; BAG AP Nr. 1, 3, 4, 18 zu § 611 BGB Faktisches Arbeitsverhältnis. Das Arbeitsverhältnis kann jederzeit fristlos aufgelöst werden, BAG AP Nr. 1 zu § 611 BGB; Hueck/Nipperdey: Lehrbuch des Arbeitsrechts, Erster Band, § 32 III 3a. 274 Als falsch muß die bei Wolf (Rechts geschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 286) erwähnte Meinung angesehen werden, die das jeweils erwünschte Ergebnis der Teilwirksamkeit durch Gerechtigkeitsgesichtspunkte zu begründen versucht. Eine solche Billigkeitsrechtsprechung ist insbesondere im Zusammenhang mit § 242 BGB sowohl vom Reichsgericht [l31, 158 (177)], als auch vom BGH [NJW 85, 2579 (2580)] zurückgewiesen worden. 275 Fastrich (in: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 329) verkennt bei seiner Begründung der weitverbreiteten Abweichung von der Grundregel des § l39 BGB, daß auch der sich in einer schwächeren Position befindliche Arbeitnehmer ein Recht auf Vertragsfreiheit hat, welches sich in den gesetzlichen und gerichtlichen Maßnahmen realisiert. Er spricht statt dessen von dem Schutz des (schwächeren) Vertragspartners, der Vorrang vor dem Schutz der Vertragsfreiheit des (stärkeren)
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
damit nur gegen die Teile des Vertrages, in denen die Vertragsfreiheit nicht realisiert wurde. Nur in diesen Fällen besteht eine verfassungsrechtliche Pflicht zum Handeln. bb) Die durch § 139 BGB als Ausnahme deklarierte Bestimmung der Teilwirksamkeit eines Rechtsgeschäftes, die, wie eben gesehen, zur Regel wurde, entspricht der Vorschrift des § 6 Abs. I AGBG. Das AGB-Gesetz ist Ausdruck der zunächst durch die Rechtsprechung entschiedenen Probleme im Bereich der Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen. § 6 Abs. 1 AGBG stellt nun fest, daß der Vertrag im übrigen wirksam bleibt, wenn dessen Allgemeine Geschäftsbedingungen ganz oder teilweise unwirksam sind276 • Nur unter den engen Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 AGBG (dazu oben unter a) wird der gesamte Vertrag als unwirksam betrachtet. Doch endet hier nicht der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 AGBG. Nach überwiegender Auffassung wird die Vorschrift jedenfalls dann unabhängig von einem vorformulierten Charakter eines Vertrags bestandteils auf diesen angewendet, wenn von der Unwirksamkeitsfolge Vertragsteile betroffen sind, die auf vorformulierten Nebenabreden beruhen277 • Aus dieser Erweiterung des Anwendungsbereiches der Vorschrift ergibt sich nochmals die überwiegende Überzeugung, daß die Gesamtnichtigkeit eines Vertrages nur in Ausnahmefällen ausgesprochen werden soll, insbesondere wenn besondere Umstände diese erfordern. c) Vertragskorrektur
Sind Teile eines Vertrages für unwirksam erklärt worden, und folgt daraus nicht die Gesamtnichtigkeit, so stellt sich als nächstes die Frage, ob der Vertrag in dieser Form aufrecht erhalten werden soll und kann, oder ob die entfallenen Teile in irgendeiner Form ersetzt werden sollen. Der Streit über eine Ersetzung nichtiger Vertragsbestandteile wurde beispielhaft an den Vorschriften des AGB-Gesetzes ausgeführt. Zu Recht wird dabei kritisiert, daß in einem durch das Gericht entschiedenen Fall die Gefahr bestehe, daß das eigene Gerechtigkeitsverständnis des mit dem Fall befaßten Richters in den Vertragsinhalt integriert wird, da er das Rechtsverhältnis dann selber (rnit-)gestalten kann 278 • Verwenders genieße, weil ansonsten der durch die Einschränkung der Vertragsfreiheit bezweckte Schutz leerlaufen würde. 276 Siehe dazu die Begründung in BT-Drucksache 7/3919 S. 21. 277 Soergel-Stein § 6 AGBG Rn. 5; Schmidt in: Ulmer/Brandner/Hensen: AGBG Kommentar § 6 Rn. 9. 278 Canaris: Gesamtunwirksamkeit und Teilgültigkeit rechtsgeschäftlicher Regelungen, FS Steindorff, S. 519ff. (558f.); Flume: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, § 32 6, S. 582.
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aa) Ergänzung durch zwingendes und dispositives Recht
Die Ersetzung nichtiger Vertragsteile wirft dann keine Probleme auf, wenn zwingende Normen zur Verfügung stehen, die automatisch an die Stelle dieser Klauseln treten. Dann besteht bereits kein Anwendungsbereich für die Grundregel des § 139 BGB 279 . Im Arbeitsrecht gibt es inzwischen eine Vielzahl von zwingenden Vorschriften. Zu erwähnen ist insbesondere § 622 BGB, der verbindlich die Kündigungsfristen bei Arbeitsverhältnissen festlegt. Eine Abweichung zulasten des Arbeitnehmers würde zu einer Nichtigkeit dieses Vertragsteils und der Ersetzung mit der gesetzlichen Regelung führen. Doch auch wenn kein zwingendes Recht vorhanden ist, kann eine Vertragskorrektur kraft Gesetzes 280 durchgeführt werden. Eine solche wird im Bereich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch § 6 Abs. 2 AGBG festgeschrieben. Danach werden die unwirksamen Teile eines Vertrages durch die dispositiven Vorschriften ergänzt. Doch wurde diese Art der Lükkenfüllung auch im allgemeinen Zivilrecht bereits vor Inkrafttreten des AGB-Gesetzes überwiegend angewendet281 • Für die Ersetzung durch dispositives Recht können auch die durch Rechtsprechung und Lehre entwickelten, ungeschriebenen Rechtsgrundsätze herangezogen werden 282 •
Dazu Soergel-Hefermehl BGB § 139 Rn. 49ff. So Soergel-Hefermehl BGB § 139 Rn. 49. 281 So die Begründung von § 5 Abs. 2 des Entwurfes, BT-Drucksache 7/3919 S. 21. Dazu auch Fastrich: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 338 f. Er weist darauf hin, daß der Widerspruch zu dem Wortlaut des § 6 Abs. 2 AGBG, der nur von gesetzlichen Vorschriften spricht, auf einer redaktionellen Ungenauigkeit basiert. Weiterhin dazu Canaris: Gesamtunwirksamkeit und Teilgültigkeit rechtsgeschäftlicher Regelungen, FS Steindorff, S. 519ff. (555). 282 Palandt-Heinrichs BGB, § 6 AGBG Rn. 5. Dazu Preis: Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 347 f., der das Beispiel des streitigen Arbeitnehmerbegriffs behandelt. Wurde ein Vertrag falsch eingeordnet, so ergibt sich daraus nicht die Nichtigkeit des Vertrages, sondern es wird eine objektiv richtige Einordnung vorgenommen, die zu einer Reihe von Folgeproblemen führen kann. Vertiefend dazu Erman-Hanau, § 611 BGB Rn. 9 und 11. Preis (Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 349) vertritt jedoch im Ergebnis die Meinung, daß die Anwendung des Richterrechts zur Lückenfüllung nicht in jedem Fall möglich sei, sondern im Einzelfall untersucht werden müsse. 279 280
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bb) Vertragskorrektur durch Reduzierung der Generalklausel des § 138 BGB Wie erwähnt, muß bei der Frage einer inhaltlichen Korrektur den Besonderheiten einiger Vertragsarten Rechnung getragen werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Nichtigkeit des ganzen oder von Teilen des Vertrages den Schutz des schwächeren Vertragspartners in sein Gegenteil verkehren würde. Die von § 138 BGB vorgesehene Rechtsfolge ist die Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes oder einzelner Teile desselben mit Wirkung ex tunc 283 • Die Gesamtnichtigkeit des Vertrages bzw. einzelner Vertrags teile würde dem verfassungsrechtlichen Auftrag jedoch in diesen Fällen nicht entsprechen. Dies führt dazu, daß auch dann, wenn keine zwingenden oder dispositiven Regelungen zur Verfügung stehen, die Möglichkeit bestehen muß, eine die nichtige Regelung ersetzende Bestimmung festzulegen und für bindend zu erklären, um dadurch den Vertragsschluß als solchen zu sichern. Zu dieser Gruppe zählen die Vertragsarten, die eine überragende Bedeutung für die Lebensführung eines Großteils der Bevölkerung besitzen, bei denen ein "Angewiesensein" bejaht werden kann. Dazu zählen insbesondere die Arbeits- und Wohnungsmietverträge. Hauptbeispiel sind in diesem Zusammenhang nach dem Wortlaut des § 138 Abs. 2 BGB auffällige Störungen der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung. Ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung wird im Falle eines Arbeitsverhältnisses danach beurteilt, ob die Arbeitsleistung nach Dauer, Schwierigkeitsgrad, körperlicher oder geistiger Beanspruchung sowie hinsichtlich der Arbeitsbedingungen schlechthin noch ausreichend entlohnt wird 284 • Erscheint eine Lohnvereinbarung sittenwidrig gemäß § 138 Abs. 2 BGB, kann diese Klausel nicht ersatzlos wegfallen, sondern es muß statt dessen ein gerechter Lohn Vertragsbestandteil werden 285 . Hierfür hält das Bürgerliche Gesetzbuch mit seinem § 612 Abs. 2 eine Regelung bereit, die zwar nach ihrem Wortlaut nur den Fall erfaßt, daß eine bestimmte Vergütung nicht bestimmt wurde, aber auch dann Geltung beansprucht, wenn die Vergütungsvereinbarung unwirksam ist286 • 283 Diese Rechtsfolge führt in vielen Fällen zu unangemessenen Ergebnissen. Aus diesem Grund sollte ursprünglich der Anwendungsbereich des § 138 BGB gering gehalten werden, und die verbleibenden Lücken sollten mit der flexibleren Generalklausei des § 242 BGB geschlossen werden (Staudinger-Sack BGB § 138 Rn. 34). Dem wird jetzt durch Modifizierung der Rechtsfolgen begegnet. 284 BAG AP Nr. 30 zu § 138 BGB. 285 BAG AP Nr. 2 zu § 138 BGB = MDR 60, 612 (613). Dieses Problem macht in der Praxis wenig Schwierigkeiten, da für den überwiegenden Teil der Arbeitsverträge Tarifverträge gültig sind, die diese Frage verbindlich regeln, dazu Preis: Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 341.
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Doch auch in den gesetzlich nicht geregelten Bereichen muß eine Möglichkeit zur Vertragsanpassung geboten werden. Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob eine Abweichung von dem eindeutigen Wortlaut des § 138 BGB möglich ist, und weiterhin, wie diese Abweichung im Einzelfall aussieht. Zunächst einmal muß beachtet werden, daß der Vertrag einen Gesamtcharakter aufweist. Fällt ein Teil des Vertrages wegen Nichtigkeit weg, so kann sich das Wesen des Vertrages verändern. Hier spielt besonders der Charakter des Austauschvertrages eine Rolle, der eine Äquivalenz von Leitung und Gegenleistung zum Ziel hat. Die Literatur ist sich weitgehend darüber einig, daß bezüglich der Rechtsfolge des § 138 BGB eine geltungserhaltende Reduktion grundsätzlich nicht möglich sei 287 . Dies wird mit dem eindeutigen Wortlaut des § 138 BGB begründet288 . Doch wird diese Meinung in bestimmten Fällen durchbrochen, wenn die Nichtigkeit dem Schutzzweck der Norm widersprechen würde. Der BGH hat dazu insbesondere bei Verstößen gegen Preisvorschriften den überhöhten Preis im Sinne einer geltungserhaltenden Reduktion 289 auf die gerade noch zulässige Höhe reduziert29o . Das Problem der möglichen Reduktion einer Vertragsleistung durch ein Gericht taucht insbesondere im Wohnungsmietrecht auf. Hier kommt zunächst einmal das Verbot der Mietpreisüberhöhung des § 5 WiStrG zum Tragen. Ein wesentlich überhöhter Mietzins liegt nach einer in der Rechtsprechung allgemein anerkannten Meinung dann vor, wenn die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 20% überschritten wird291 . Der daneben anwendbare Mietwucher ist zunächst einmal gesetzlich geregelt in § 291 BAG AP Nr. 2, 33 zu § 138 BGB. Larenz: Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, § 23 II b. Er bringt das Beispiel eines nach § 138 Abs. 2 BGB nichtigen Kaufvertrages, der nicht zu einer Abteilung der gerade noch zulässigen Leistung von dem restlichen, nichtigen Teil führen darf. Statt dessen müsse das gesamte wucherische Geschäft als nichtig angesehen werden. Ansonsten würde nach Meinung des BGH [in BGHZ 68, 204 (207)] die Abschreckfunktion des § 138 BGB verlorengehen. Siehe auch Flurne: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, § 189. MünchKomm-Mayer-Maly BGB § 138 Rn. 133. 288 Honsell: Rezension Hager: Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung und Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften, ZHR 148 [1984] 298 ff. (299). 289 So Larenz: Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, § 23 II d. 290 BGHZ 89, 316 (321 ff.). In der Literatur wird teilweise ebenfalls eine geltungserhaltende Reduktion für zulässig gehalten, wenn der sittenwidrige Teil genau bestimmt und ausgesondert werden kann und der sittengemäße Rest nach dem mutmaßlichen (hypothetischen) Parteiwillen bestehen bleiben soll (so Jauemig/Jauemig BGB § 139 Rn. 8-12). 291 AG Schöneberg, NJWE-MietR 96, 67; OLG Hamburg NJW 83, 1004; OLG Hamm NJW 83, 1622. Diese Grenze wird inzwischen durch das 4. Mietrechtsänderungsgesetz (vom 21.7.93, BGBI. I S. 1257) gesetzlich festgelegt. 286 287
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
Abs. 1 Nr. 1 StGB. Die Miete steht in einem auffälligen Mißverhältnis zu der Leistung des Vermieters, wenn sie mehr als 50% über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt 292 . Zivilrechtlich führen Verstöße gegen diese beiden Vorschriften gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit der entsprechenden Vereinbarung. Ein Fall des Mietwuchers kann daneben auch nach § 138 Abs. 2 BGB bejaht werden, der ebenfalls zu einer Nichtigkeit führen muß 293 . Die Rechtsprechung bezieht die Nichtigkeit jedoch nur auf den Teil des Mietzinses, der mehr als 20 % über der ortsüblichen Vergleichs miete liegt. An Stelle des überhöhten müsse ein angemessener Mietzins treten, das heißt der Mietzins werde auf das zulässige Maß reduziert294 . Hier hat die Rechtsprechung eine Lösung entwickelt, die zu einem objektiv gerechten Vertragsinhalt führen soll. Dieses Ziel eines gerechten Vertragsinhaltes bedarf einer sorgfältigen Begründung, da eine richterliche Preisfestsetzung den wesentlichen Grundsätzen der Marktwirtschaft widerspricht295 . Danach soll insbesondere durch einen funktionierenden Wettbewerb ein angemessener Preis erzielt werden 296 • Doch ist gerade auf dem Arbeits- und dem Wohnungsmietmarkt ein solcher Wettbewerb meist nicht vorhanden, so daß ein intensiveres Einwirken vor allem der Gerichte erforderlich erscheint. Dieses kann insbesondere auf die Generalklausel des § 138 BGB gestützt werden, die durch Absatz 2 ein rechtliches Instrument zur Verfügung stellt. Neben der Reduktion bestimmter Leistungen wird die gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge noch in weiteren Fällen durchbrochen. So wird insbesondere im Arbeitsrecht beim Erfordernis einer Gesamtnichtigkeit diese erst mit Wirkung ex nunc ausgesprochen, um den dabei zu schützenden Arbeitnehmer vor Nachteilen insbesondere bei der Lohnzahlung zu bewahren297 • Das BAG hat jedoch nicht durchgängig die geltungserhaltende Reduktion für zulässig erklärt298 • Fastrich zieht daraus den Schluß, daß diese insbesonBGH NJW 82, 896. Bei § 138 Abs. 2 BGB handelt es sich um einen selbständigen Nichtigkeitsgrund, der neben § 291 Abs. I Nr. I StGB zur Anwendung kommen kann (Staudinger-Dilcher 12. Auflage § 138 Rn. 106; Palandt-Heinrichs BGB § 138 Rn. 76). 294 Der BGH nimmt teilweise eine Reduktion auf den höchstzulässigen Mietzins vor, BGHZ 89, 316ff. (320f.); BGH NJW 84, 722; ebenso LG Köln NJW 65, 157; LG Mannheim NJW 77, 1729. Deutlicher und angemessener ist jedoch das Abstellen auf die ortsübliche Vergleichsmiete, so OLG Stuttgart NJW 81, 2365; OLG Karlsruhe NJW 82, 1160 (l16l). 295 In diesem Sinne schließt § 8 AGBG die Kontrolle einer Preisvereinbarung aus, BGH NJW 84, 171 (172); 87, 1828 (1829). Siehe dazu auch Hübner: "Der gerechte Preis", FS Steindorff, S. 589ff. 296 Vergleiche dazu Canaris: Schranken der Privatautonomie zum Schutze des Kreditnehmers, ZIP 80, 709ff. (714). 297 BAG AP Nr. 18 zu § 611 BGB Faktisches Arbeitsverhältnis; BAG AP Nr. 1 zu § 611 BGB Doppelarbeitsverhältnis; BAG AP Nr. 2 zu § 125 BGB. 298 Dazu: Preis: Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 344 ff. 292 293
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dere in Betracht komme, wenn die Gesamtnichtigkeit zu einer erheblichen Äquivalenzstörung führen würde 299 . Die Rechtsprechung interpretiert in die als unwirksam anzusehenden Teile einer Vertragsklausel eine gewisse Sachgerechtigkeit, die genere1l 3OO oder einzelfallbezogen durchgeführt wird. Diese Vertragskorrektur auf das zulässige Maß durch den Richter wird jedoch teilweise auch kritisch betrachtet. Statt dessen wird gerade im Fall eines nichtigen Arbeitsvertrages eine sinnvolle Anpassung bereicherungsrechtlicher Grundsätze angestrebeo l . Diese Versuche der Rechtsprechung zum Schutze des schwächeren Vertragspartners wurden von Lindacher302 damit begründet, daß der Wortlaut des § 138 Abs. 1 BGB so gelesen werden müsse, ein Rechtsgeschäft sei nichtig, soweit es gegen die guten Sitten verstoße. Dies führt im Ergebnis dazu, daß nur der Teil einer Vertragsklausel für nichtig erklärt wird, der über dem üblichen und akzeptablen Maß liegt. Dem kann wohl nicht zugestimmt werden, da der Wortlaut eindeutig davon spricht, daß ein Rechtsgeschäft bei Vorliegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig ist. Eine andere Meinung versucht, das grundsätzlich unbestrittene Ergebnis durch einen Nonnzweckvorbehalt zu erklären. Sack will § 138 BGB dahingehend teleologisch reduzieren, daß die Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes nur dann eingreifen soll, wenn sich nicht aus der verletzten Sittennonn etwas anderes ergibeo3 . Das Bundesverfassungsgericht erklärte in seiner Bürgschaftsentscheidung, daß den Gerichten durch die Möglichkeit der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuches ein Werkzeug zur Verfügung gestellt wurde, damit Verträge nicht als Mittel einer Fremdbestimmung dienen können 304 • Dies darf nicht nur für die Bestimmung der Voraussetzungen eines gerichtlichen Eingreifens gelten, sondern muß ebenfalls auf die erforderlichen Rechtsfolgen bezogen werden. Eine Pflicht zum Eingreifen wurde bereits für eine Vielzahl von Fällen bejaht. Sie läßt sich Fastrich: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 335. So insbesondere bei der Frage der Rückzahlung von Gratifikationen, BAG AP Nr. 24, 25, 28 zu § 611 BGB Gratifikation. 301 Larenz: Lehrbuch des Schuldrechts Bd. II, (12. Auflage), S. 562; Medicus: Vergütungspflicht des Bewucherten? Gedächtnisschrift für Dietz, S. 61, 62f.; MünchKomm-Mayer-Maly § 138 Rn. 138. 302 Lindacher: Grundsätzliches zu § 138 BGB, AcP 173 (1973) 124ff. (131). 303 Staudinger-Sack BGB § 138 Rn. 95. Ebenso AK-Damm BGB § 138 Rn. 87 ff.; Damm: Kontrolle von Vertrags gerechtigkeit durch Rechtsfolgenbestimmung, JZ 86, 913ff. (919); Hager: Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung und Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften, S. 87ff., 145ff.; MünchKomm-Kötz § 6 AGBG Rn.8f. 304 BVerfGE 89, 214 = NJW 94, 36 (39). 299
300
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direkt aus der Verfassung herleiten. § 138 BGB ist von seinem Tatbestand her auf die oben beschriebenen Fälle anwendbar. Doch es muß auch eine Rechtsfolge zur Verfügung gestellt werden, die dem verfassungsrechtlichen Schutz entspricht, wenn keine besondere gesetzliche Regelung existiert. Diese läßt sich nur durch die eben angesprochene teleologische Reduktion erreichen. Danach darf sich die Nichtigkeit nur auf den Teil des Vertrages beziehen, der nachteilig für die eine Partei ist und nur deshalb Vertragsbestandteil wurde, weil sich die andere Partei in einer stärkeren und damit bestimmenden Position befand. Wichtig ist bei der Bejahung einer teleologischen Reduktion im Einzelfall, daß ein bestimmter Maßstab zur Verfügung steht, der verhindern kann, daß es zu willkürlichen Entscheidungen kommt, die nur davon abhängen, welches Gericht gerade mit dem Fall beschäftigt ist. Bei Arbeitsverträgen wird eindeutig die Nichtigkeit ex nunc vorgegeben, bzw. es wird der zu niedrig angesetzte Lohn (hier unter Zuhilfenahme des Inhalts des § 612 Abs. 2 BGB) durch die übliche Vergütung ersetzt, die sich nach objektiven Kriterien ermitteln läßeo5 • Im Falle des überhöhten Mietzinses kann auf die ortsübliche Vergleichsmiete abgestellt werden. Die Reduzierung ist damit eine objektive Maßnahme, die jederzeit nachprüfbar ist. Damit kann sie auch in anderen Fallgruppen angewendet werden, wenn hier eine objektive Bestimmung des zulässigen Vertragsinhalts möglich ist. Hier besteht dann nicht mehr die Gefahr, daß der Sanktionscharakter des § 138 BGB verlorenginge, wenn die Reduktion des Vertragsinhalts auf das objektiv Zulässige so selbstverständlich und bekannt wäre, daß jeder schwächere Vertragspartner in der Lage wäre zu erkennen, daß er den Vertrag nicht in dieser Form hinnehmen muß und ohne größere Schwierigkeiten dagegen angehen könnte 306 . Die geltungserhaltende Reduktion ist im Anwendungsbereich des AGBGesetzes durch §§ 9-11 AGBG ausgeschlossen 30 7 •
30S
(166).
Zumeist ergibt sie sich aus Tarifverträgen, dazu LAG Oüsseldorf, OB 78, 165
306 So ist die Existenz eines Mietspiegels in einer großen Anzahl von Gemeinden, an dem sich ein bestehender Mietwucher messen lassen kann, wohl inzwischen in Mieterkreisen überwiegend bekannt. 307 BGHZ 84, 109 (111); BGH NJW 83, 1603; a. A. Hager: Die gesetzeskonforme Aufrechterhaltung übermäßiger Vertragspflichten - BGHZ 89, 316 und 90, 69; JuS 85, 264 ff., der vorträgt, die Rechtsprechung verzichte auch im Rahmen des Anwendungsbereiches des AGB-Gesetzes nicht durchgängig auf das Mittel der geltungserhaltenden Reduktion.
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ce) Grundsatz von Treu und Glauben des § 242 BGB Ein wesentlicher Teil der gerichtlichen Einflußnahme auf ein Vertragsverhältnis liegt in der Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben zum Schutz der schwächeren Vertragspartei. Diese Konkretisierung ist immer dann zulässig, wenn keine gesetzlichen Regelungen bestehen, die zu einer Ergänzung oder Abänderung des Vertrages führen können. Die Nutzung der Generalklausel des § 242 BGB darf jedoch nicht zu einer Billigkeitsjustiz führen 308 • Der Richter darf insbesondere nicht seine subjektive Meinung zu diesem konkreten Einzelfall äußern 309 • Es müssen deshalb strenge Anforderungen beachtet werden, die auf die Erfüllung der durch das Grundgesetz vorgegebenen Wertungen gerichtet sein müssen. Die Gerichte sind dieser Gefahr durch die Bildung von Fallgruppen begegnet und haben versucht, unter Zuhilfenahme dieser Fallgruppen der überlegenen Position einer Vertragspartei entgegenzuwirken. Wegen der vielfältigen Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen müssen die Rechtsfolgen ebenfalls unterschiedlich ausfallen. Hierin liegt gerade der Vorteil der Generalklausel des § 242 BGB. Bei der gerichtlichen Bestimmung der Rechtsfolgen muß ein normativer Parteiwille gebildet werden 3 !O. Dieser ist an dem Maßstab der sozialen Gerechtigkeit auszubilden, insbesondere müssen die Grundrechte aller Vertragsparteien und das Sozialstaatsgebot311 beachtet werden. Gefragt werden muß deshalb danach, wie ein gerecht und rücksichtsvoll handelnder Vertragspartner in einer solchen Situation von seinen Rechten Gebrauch gemacht hätte (bzw. ob er überhaupt sein Recht in Anspruch genommen hätte), wenn er dabei nicht gegen Grundrechte der anderen Partei und gegen das aus der Verfassung hergeleitete Sozialstaatsprinzip verstoßen dürfte. In diesem Sinne hat beispielsweise das BAG arbeitsrechtliche Vereinbarungen nach den Maßstäben eines "sozial denkenden Arbeitgebers" ergänze 12, wenn Lücken bestanden, die ausgefüllt werden mußten. Der Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben führt zumeist nicht 313 zur Entstehung von Ansprüchen, sondern zu einer inhaltlichen Begrenzung, unter Umständen zu einem zeitlich begrenzten oder dauerhafBGH NJW 85, 2579 (2580). Staudinger-Schmidt BGB § 242 Rn. 207. 310 Staudinger-Schmidt BGB § 242 Rn. 208. 311 Dazu Hönn: Verständnis und Interpretation des Vertragsrechts im Lichte eines Beweglichen Systems in: Bydlinski: Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, S. 87, 92, 93. 312 BAG AP Nr. 22 und 23 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG AP Nr. 68 und 91 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 313 U.U. kann jedoch ein Erfüllungsanspruch aus der Figur des "venire contra factum proprium" hergeleitet werden (dazu Canaris: Die Vertrauenshaftung im deut308 309
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ten Ausschluß des Rechts des als stärker zu bezeichnenden Vertragspartners 314 . Dies ist insbesondere beim Vorliegen eines Rechtsrnißbrauches durch einen der Vertragspartner der Fa1l 315 • Liegt ein Widerspruch zu früherem oder gegenwärtigem Verhalten (venire contra factum proprium) vor, dann muß sich der Handelnde an dem von ihm geschaffenen Vertrauenstatbestand festhalten lassen. Im einzelnen kann dieses Abstellen auf ein rechtsmißbräuchliches Verhalten der stärkeren Vertragspartei zu vielen verschiedenen vertraglichen Auswirkungen führen 316 • Besonders im Bereich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen griff zunächst das Reichsgericht 317 , später der BGH 318 bis zum Inkrafttreten des AGB-Gesetzes auf den Grundsatz von Treu und Glauben zurück, um eine Korrektur des unter Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zustandegekommenen Vertrages zu erreichen319 • Im Falle eines Dauerschuldverhältnisses (insbesondere einem Wohnungsmiet- und Arbeitsverhältnis), welches ein gewisses Vertrauensverhältnis voraussetzt, leitet die Rechtsprechung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben des § 242 BGß her, daß verlangt werden könne, daß jeder Vertragspartner es unterläßt, Maßnahmen zu ergreifen, die dieses Vertrauensverhältnis stören und damit die weitere Zusammenarbeit unzumutbar machen könnten 320. Weiterhin müssen die vorvertraglichen und vertraglichen Aufklärungsbzw. Auskunftspflichten an dieser Stelle untersucht werden. - Auch wenn ein Vertrag insgesamt als wirksam angesehen werden kann, kann sich, wie bereits behandelt, die Pflicht zu seiner Ergänzung ergeben. So werden aus dem Grundsatz von Treu und Glauben des § 242 BGB eine große Anzahl von Auskunftspflichten hergeleitet. Der BGH gewährt, allgemein gesprochen, dann einen Auskunftsanspruch, wenn eine besondere rechtliche Beziehung zwischen dem Auskunftsfordernden und schen Privatrecht, S. 274ff.). Weiterhin können sich aus einem Vertrag gewisse Auskunftspflichten ergeben. 314 Flurne: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft § 15 III 4 c ff. 315 SO Z. B. BGH WM 88, 1490 (1492). 316 Zusammenfassend Soergel-Teichmann BGB § 242 Rn. 324. 317 Seit RG DR 41, 1726ff., Nr. 9. 318 Siehe dazu in § 3 II 2 c. 319 Dabei wurde die Anerkennung unangemessener Klauseln insbesondere deshalb versagt, weil der Verwender die Vertragsfreiheit unter einseitiger Durchsetzung seiner Interessen, also mißbräuchlich in Anspruch nehme, BGH NJW 65, 246; BGHZ 51,55 (59). 320 Staudinger-Schmidt BGB § 242 Rn. 874 mit Verweis auf eine breite Rechtsprechung.
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dem Inanspruchgenommenen besteht und es das Wesen des Rechtsverhältnisses mit sich bringt, daß der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seiner Rechte im Ungewissen, der Inanspruchgenommene aber in der Lage ist, die verlangte Auskunft unschwer zu erteilen 321 . Das BAG hat beispielsweise einen Auskunftsanspruch im Falle einer Gewinnbeteiligung des Arbeitnehmers bejaht. Dieser müsse die Möglichkeit haben, die Höhe seines Anspruches nachprüfen zu können 322 . Das gleiche gilt bei einer Umsatzvergütung 323 . - Doch auch im Vorfeld eines Vertragsschlusses können sich schon eine Reihe von Aufklärungspflichten ergeben, die ebenfalls aus dem Grundsatz von Treu und Glauben des § 242 BGB hergeleitet werden können. Die Erfüllung dieser Pflichten kann dazu führen, daß der besonders wegen einer informatorischen Unterlegenheit als schwächer zu bezeichnende Vertragspartner erst die Möglichkeit bekommt, zu seinem eigenen Vorteil von seinem Recht auf (positive oder negative) Vertragsfreiheit Gebrauch zu machen. Dieses Informationsgefälle kann sich aus der Tatsache ergeben, daß der Anspruchsberechtigte geschäftlich unerfahren ist, der andere Partner dagegen besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet des zu schließenden Vertrages besitze 24 • Schünemann vertritt in diesem Zusammenhang die Meinung, in Anbetracht der Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Volljährigkeit seien Aufklärungspflichten gegenüber einer Vertragsnichtigkeit das markt- und privatrechtsordnungskonforme Rechtsmittel zur Vermeidung rechtsgeschäftlicher Risiken 325 . Teilweise wird die Meinung vertreten, es gebe eine allgemeingültige Pflicht, wonach jeder Vertragspartner den anderen Teil über sämtliche, für ihn wesentliche Umstände aufzuklären habe326 . Doch würde eine so weit gehende Pflicht der fast immer zwischen Vertrags parteien bestehenden Interessenkollision widersprechen 327 . Es muß demnach eine Einschränkung der Pflicht zur Aufklärung durch einen Vertrags partner durchgeführt werden 328 . Dabei muß auch die Frage beachtet werden, ob dem weniger 321
322 323 324
32S
(295). 326
(388).
BGH NJW 80, 2463. BAG AP Nr. 2 zu § 242 BGB Auskunftspflichten. BAG AP Nr. 4 zu § 242 BGB Auskunftspflichten. BGH NJW 71, 1795 (1799); BGH NJW 74,849 (850). Schünemann: Mündigkeit versus Schutzbedürftigkeit, FS Brandner, S. 279 ff. Vergleiche dazu etwa die Ausführungen in BGHZ 70, 337 (342); 72, 382
Dazu MünchKomm-Roth BGB § 242 Rn. 215. Dazu der BGH [in: NJW 83, 2493 (2494)]: Eine allgemeine Rechtspflicht, den Vertragspartner über alle Umstände aufzuklären, die auf seine Entscheidung Einfluß haben könnten, gibt es nicht. Eine Aufklärungspflicht läßt sich immer nur aus besonderen Gründen anband der Umstände des Einzelfalles bejahen. 327 328
12 Koobel
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
informierten Vertragspartner zugemutet werden kann, selber Fragen zu stellen, um das Informationsgefälle zu überwinden 329 • Die Selbstverantwortung jedes Vertrags partners beim Abschluß von Rechtsgeschäften muß im Rahmen der durchzuführenden Interessenabwägung eine wichtige Rolle spielen. Grundsätzlich kann von jedem Bürger, der gemäß den §§ 2, 104 ff. BGB als unbeschränkt geschäftsfahig angesehen wird, erwartet werden, daß er keinen Vertrag schließt, ohne über die Folgen dieser rechtsgeschäftlichen Bindung nachzudenken. Doch kann es Situationen geben, in denen gerade aufgrund der überlegenen Position der anderen Partei eine eigene Information nicht oder nur unter unzumutbaren Bedingungen möglich erscheint. Dann muß die aus der Selbstverantwortung hergeleitete Selbstinformation umschlagen in eine Aufklärungspflicht der anderen Partei, die aus dem Grundsatz von Treu und Glauben des § 242 BGB hergeleitet werden kann. Diese Information kann der unterlegene Vertragspartner dann nutzen, um eine eigene, nicht eine fremdbestimmte bzw. fremdbeeinflußte Entscheidung darüber zu treffen, ob er den Vertrags schluß tatsächlich durchführen will. Die Aufklärungspflicht ist damit in bestimmten Fällen oder Fallgruppen das erforderliche Mittel zur Gewährleistung der verfassungsrechtlich garantierten Vertragsfreiheit. Eine Pflicht muß insbesondere dann bestehen, wenn der eine Vertragspartner nach der im Verkehr herrschenden Anschauung redlicherweise Aufklärung verlangen dare 3o . Dabei muß es entscheidend auf das Verhalten des anderen Teils ankommen. Kommt zu dem Informationsgeflille noch eine Verschleierungstaktik der informatorisch überlegenen Partei, dann kann nicht verlangt werden, daß sich der andere Vertrags partner durch gezielte Fragen die fehlenden Informationen verschafft. Fehlt ein solches Verhalten, muß normativ entschieden werden, ob eine Information verlangt werden kann. Dabei bietet es sich wieder an, abstrakt bestimmte Fallgruppen zu bilden, bei denen eine Aufklärung verlangt werden kann oder nicht. Diese Fallgruppenbildung dient dazu, ein Mindestmaß an Rechtssicherheit zu erlangen. Ein Kriterium muß dabei sicherlich das Maß des durch die unterlegene Partei einzugehenden Risikos sein. Weiterhin muß die Frage eine Rolle spielen, ob vertragliche Nachteile nur durch einen Fachmann erkannt werden können, oder ob ein durchschnittlicher Bürger in der Lage ist, den Vertrag mit seinen Vor- und Nachteilen eigenständig zu erfassen und danach eine eigene Entscheidung über "ob und wie" des Vertragsschlusses zu treffen. Kann nach normativen Gesichtspunkten eine Aufklärungspflicht bejaht werden, muß ein Verstoß zur Anwendung des Rechtsinstitutes der culpa in 329
330
BGH BB 81, 700. BGH NJW 70, 653 (655).
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contrahendo führen. Dieses Rechtsinstitut schützt im Vorfeld des Vertragsschlusses jedwedes rechtlich anerkannte Interesse, somit auch die rechtsgeschäftliehe Entscheidungsfreiheie 31 . Hätte der unterlegene Vertragspartner den Vertrag im Falle einer Aufklärung durch die andere Partei nicht geschlossen, dann muß die Rechtsfolge, wenn eine Vertragsanpassung nicht den gewünschten Erfolg bringen kann, die Möglichkeit zur Auflösung des Vertrages sein 332 . Der Schuldner muß dann gemäß § 249 S. 1 BGB so gestellt werden, wie er stehen würde, wenn der andere Teil das schädigende Verhalten unterlassen hätte, der Schaden ist damit der Abschluß des Vertrages selber333 .
In den Fällen der Bürgschaftsübemahme durch nahe Angehörige des Schuldners wurde teilweise 334 versucht, durch eine Festschreibung von Aufklärungspflichten der Banken gegenüber den Bürgen zu einem gerechteren Ergebnis zu gelangen 335 • Der BGH ist jedoch der Ansicht, die Bank habe keinerlei Aufklärungspflichten gegenüber dem Bürgen. Zur Begründung führt er aus, bei dem Bürgschaftsvertrag handele es sich um einen einseitig verpflichtenden Vertrag, aus dem nur der Bürge in Anspruch genommen werden könne 336 . Doch muß dieser Begründung entgegengehalten werden, daß sich eine mögliche Aufklärungspflicht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben des § 242 BGB herleiten läßt, welcher allen Verträgen, also auch einseitig verpflichtenden, zugrunde liegt. Außerdem müssen sich aus einem einseitig verpflichtenden Vertrag eher noch intensivere Sorgfaltspflichten des Gläubigers gegenüber dem Schuldner ergeben. Die einseitige Verpflichtung führt dazu, daß die Stellung des Bürgen noch stärker Soergel-Wiedemann BGB Vor § 275 Rn. 113. Dazu Soergel-Wiedemann BGB Vor § 275 Rn. 199 mwN. So auch OLG Celle WM 88, 1815; ebenfalls: Medicus: LeistungsHihigkeit und Rechtsgeschäft, ZIP 89, 817ff. (822). 333 Ständige Rechtsprechung: RGZ 79, 194 (197); BGH NJW 62, 1196 (1198); NJW 84, 2814 (2815); MünchKomm-Emmerich BGB Vor § 275 Rn. 176; Larenz: Lehrbuch des Schuldrechts, Band 1: Allgemeiner Teil, § 9. Einschränkend MünchKomm-Kramer BGB § 123 Rn. 30. 334 So Reinicke/Tiedtke: Zur Sittenwidrigkeit hoher Verpflichtungen vermögensund einkommensloser oder einkommensschwacher Bürgen, ZIP 89, 613ff. (616); Wiedemann: Anmerkung zu BVerfGE 89, 214 in JZ 94, 411 ff. (413); Mayer-Maly: Was leisten die guten Sitten? AcP 194 (1994) 105ff. (154). Emmerich (in: Das Recht der Leistungsstörungen, S. 57 f.) spricht sogar davon, daß auf Dauer nur durch die Bejahung von Aufklärungspflichten eine Korrektur der Bürgschaftspraxis der Banken erzwungen werden könne. 335 Siehe zur Auskunftspflicht der Banken Grün: Abstandnahme vom Vertragsschluß als Ziel anlegergerechter Aufklärung bei hohen Prämienaufschlägen des Terminoptionsvermittlers, NJW 94, 1330ff. 336 So beispielsweise BGH WM 60, 51; WM 63, 24; WM 67,366; WM 87, 1481 (1483). Ebenso eine Aufklärungspflicht verneinend BGH NJW 96, 1274 = ZIP 96, 495 = WM 96, 519; BGHZ 125,206 (218) = NJW 94, 1278 = WM 94, 676. 331
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geschwächt wird. Dennoch muß zunächst festgehalten werden, daß derjenige, der einen Bürgschaftsvertrag unterschreibt, grundsätzlich damit rechnen muß, daß er aus dem Vertrag in Anspruch genommen wird 337 . Es kann jedoch bestimmte Situationen geben, in denen die Bank auf das Risiko, welches ein Bürge eingeht, gesondert hinweisen muß. Diese Pflicht muß jedenfalls dann bejaht werden, wenn die Bank das Risiko eines Bürgschaftsvertrages herunterspielt. Im Ergebnis wirkt sich diese Verpflichtung nur aus, wenn es aus diesem Grund zu einem Vertragsschluß kommt und der Bürge später gegen den Vertrag vorgehen will. Weiterhin besteht dann, wenn die Bank keine Bonitätsprüfung des potentiellen Bürgen durchgeführt hat, die Möglichkeit, eine Auskunftspflicht zu verlangen. Hier greifen die eben erwähnten Sorgfaltspflichten der Bank in besonderem Maße ein. Eine Bank darf vor allem dann, wenn der mögliche Bürge selber nur über geringe Geldbeträge verfügt, von diesem nicht verlangen, daß er eine Bürgschaft eingeht, die er nur unter völlig unwahrscheinlichen Umständen zurückzahlen kann 338 . Dabei muß beachtet werden, daß die Inanspruchnahme des Bürgen immer - mehr oder weniger - wahrscheinlich ist, sie also nie völlig ausgeschlossen werden kann. Zusätzlich muß zur Bejahung einer Aufklärungspflicht gefordert werden, daß das besondere Verhältnis des Bürgen zu dem Schuldner bei der Eingehung der Bürgschaft eine entscheidende Rolle gespielt hat. Wenn der Bürge kein eigenes Interesse an der Bürgschaftsübernahme hat, stellt sich immer die Frage, warum er diese dennoch eingegangen ist. Hier muß von der Bank eine dokumentierte Aufklärung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben des § 242 BGB verlangt werden. Der Bürge selber wird nicht in der Lage sein, eine möglicherweise durchgeführte Auskunft der Bank über die Risiken zu widerlegen. Sein Recht zur Vertragsauflösung mit Hilfe der culpa in contrahendo würde ansonsten nicht realisierbar sein, ihm also de facto nicht zustehen. Eine verstärkte Aufklärungspflicht muß jedenfalls in den Bürgschaftsfallen so lange gefordert werden, bis der Gesetzgeber das Problem anderweitig regelt 339 • Wiedemann schlägt vor, die Formerfordernisse zur notariellen So BGH NJW 95, 1886 (1887). Mayer-Maly (in: Was leisten die guten Sitten? AcP 194 (1994) 105ff. (154» weist darauf hin, daß hier zusätzlich die speziellen Grundsätze der Bankenhaftung eingreifen. Banken haften in dem Fall, in dem sie einem Zahlungsunfähigen einen Kredit gewähren, gegenüber Mitgläubigem, denen sie dieses Wissen nicht zugänglich machen. Gleiches muß in den Fällen der Bürgschaft vermögensloser Angehöriger des Schuldners gelten, da die Bank für Dritte den Anschein erweckt, der Bürge sei zahlungsfähig. 339 Knütel (in: Befreite Ehefrauen? ZIP 91, 493 ff. (497» vertritt demgemäß die Ansicht, die Vorschrift des § 138 Abs. 1 BGB sei in der Regel ungeeignet, die anstehenden Probleme zu bewältigen. Gleiches muß aber auch für die GeneralklauseI des § 242 BGB gelten. Mayer-Maly [in: Was leisten die guten Sitten? AcP 194 331 338
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Beurkundung der Verpflichtungserklärung des Bürgen zu verschärfen, wenn es sich dabei um einen Nichtkaufmann handelt 340 . Dies erscheint erforderlich, da die Schriftform des § 766 BGB heutzutage wohl nicht mehr ihre Warnfunktion erfüllen kann. Man könnte auch eine gesetzliche Widerrufsfrist einführen, wie dies in den verbraucherschützenden Gesetzen, insbesondere in § 7 VerbrKrG, geschehen ist341 • Würde eine gesetzliche Regelung geschaffen, wäre ein Rückgriff auf eine Aufklärungspflicht aus § 242 BGB nicht mehr erforderlich. Es wäre damit Rechtsklarheit geschaffen worden. Weiterhin könnte damit eine Rechtsfolge geschaffen werden, die von der ultima-ratio-Regelung der Gesamtnichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB bzw. von der nach culpa in contrahendo zu erzielenden Auflösung des Vertrages wegführen würde. Dies würde dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechen, wonach von zwei gleich effektiven Mitteln zur Erreichung eines bestimmten legitimen Zieles immer das am wenigsten belastende gewählt werden muß. Verfolgt man die oben342 bereits erwähnte Auffassung des BGH 343 weiter, der jetzt verlangt, daß sich aus dem Bürgschaftsvertrag die beschränkte Haftung des Bürgen nur für den Fall einer Vermögensverlagerung oder des Eintritts eines Erbfalls ausdrücklich ergeben muß, dann kann man auf eine Aufklärungspflicht der Bank gegenüber dem Bürgen insoweit verzichten. Der Bürge ist in diesem Fall vor einer unzumutbar hohen finanziellen Belastung durch die Bürgschaftsübernahme ausreichend geschützt. Die Bürgschaft würde dann kein finanzielles Risiko darstellen, vor dem der Bürge durch Aufklärung geschützt werden müßte. Durch die Nutzung der Generalklausel des § 242 BGB konnten die Gerichte somit unter Bildung von Fallgruppen in vielfältiger Weise, d. h. den jeweiligen Umständen angepaßt, Einfluß auf den Inhalt eines Vertrages nehmen bzw. die Durchsetzung eines Rechts, welches dem überlegenen (1994) 105ff. (159)] führt dazu aus, die Lösung dieses Problems alleine durch Konkretisierung einer Generalklausel könne zu einer Verletzung des Verfassungsgebots der Gewaltenteilung führen. 340 Wiedemann: Anmerkung zu BVerfGE 89, 214 in JZ 94, 411 ff. (413). Das Gleiche schlägt Honsell (in: Anmerkung zu BGH Urteil vom 19.1.89, AZ IX ZR 124/88, JZ 89, 494) vor. Er verweist hier auch auf Art. 493 Abs. 2 des Schweizerischen OR, worin für Bürgschaften mit einer Haftungssumme von mehr als 2000 Franken eine notarielle Beurkundung verlangt wird. 341 Auch Mayer-Maly (in: Was leisten die guten Sitten? AcP 194 (1994) 105ff. (150)) bevorzugt hier eine gesetzliche Regelung. Er spricht davon, daß die guten Sitten einen säumigen Gesetzgeber substituiert hätten. Doch kritisiert er weiterhin, daß dort, wo der Gesetzgeber tätig geworden ist, er versagt habe. Diese gelte insbesondere für die inhaltliche Ausgestaltung des Verbraucherkreditgesetzes. 342 § 4 III c. 343 BGH NJW 99, 58 = ZIP 98, 1999.
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Vertragspartner grundsätzlich zustand, verhindern, ohne eine Billigkeitsjustiz auszuüben und damit der Rechtssicherheit Schaden zuzufügen. Damit haben sie trotz einiger Kritik 344 einen großen Beitrag zur Schaffung von mehr Vertragsgerechtigkeit geleistet, der dem verfassungsrechtlichen Auftrag in weiten Bereichen, in denen eine andere Möglichkeit zur Vertragskorrektur nicht bestand, zur Realisierung verhalf. dd) Ergänzende Vertragsauslegung Im übrigen besteht bei jedem Vertrag die Möglichkeit der ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB, wenn keine konkreten gesetzlichen Regelungen zur Verfügung stehen, und wenn die ersatzlose Streichung einer unwirksamen Klausel keine angemessene, dem typischen Interesse der Vertragspartei dienende Lösung bietee45 • In diesem Fall gehen die Gerichte von dem Vertragsinhalt aus, den die Parteien bei sachgerechter Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise vereinbart hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit der Klausel bekannt gewesen wäre 346 • Deutlich wird, daß es viele Überschneidungen zwischen der Generalklausel des § 242 BGB, die den Grundsatz von Treu und Glauben umfaßt, und der ergänzenden Vertragsauslegung nach § 133, 157 BGB gibt 347 . Beiden liegt das Leitbild des redlichen und loyal denkenden Vertragspartners zugrunde 348 . Aus diesem Grund wird in der Literatur teilweise auf eine Abgrenzung verzichtet349 . Auch der BGH zitiert teilweise die Vorschriften Dazu Staudinger-Schmidt BGB § 242 Rn. 29, 68 f. Zur Rechtsnatur der ergänzenden VertragsausJegung siehe Larenz: Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, § 29 I, 11; MünchKomm-Mayer-Maly BGB § 157 Rn. 24. Fastrich (in: Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 340ff.) dementiert die Zugehörigkeit der ergänzenden Vertragsauslegung zur Auslegung im engeren Sinne. Seiner Meinung nach handele es sich um eine objektive Vertragsergänzung. 346 BGHZ 90, 69 (75) zur Anwendung der ergänzenden Vertragsauslegung im Rahmen des § 6 Abs. 2 AGBG. Der BGH entschied hier, daß die Bestimmungen der §§ 133, 157 BGB, die die Grundlage der ergänzenden Vertragsauslegung bilden, gesetzliche Vorschriften des § 6 Abs. 2 AGBG sind. 347 Beide Vorschriften waren im Ersten Entwurf zum Bürgerlichen Gesetzbuch von 1888 in § 359 noch als einheitliche Bestimmung formuliert ("Der Vertrag verpflichtet den Vertragschließenden zu demjenigen, was sich aus den Bestimmungen und der Natur des Vertrages nach Gesetz und Verkehrssitte sowie mit Rücksicht auf Treu und Glauben als Inhalt seiner Verbindlichkeit ergibt.") 348 Dazu Larenz: Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, § 29 11 aE. 349 Flume: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft § 163 a. Medicus: Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 343. 344 345
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nebeneinander350. In der Literatur hat sich die Meinung durchgesetzt, § 157 BGB betreffe das rechtliche Wollen, beziehe sich damit auf den Parteiwillen, demgegenüber handele es sich im Falle des § 242 BGB um das rechtliche Sollen. Im letztgenannten Fall würden Regelungen entwickelt, die nicht mehr auf den Parteiwillen zurückgeführt werden können351. Danach müßte zunächst im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung der hypothetische Wille der Vertragsparteien ermittelt werden. In einem weiteren Schritt wäre dann zu klären, was die Parteien hätten vereinbaren sollen, um ein gerechtes Vertragsergebnis zu erreichen. Diese Unterscheidung macht deutlich, daß in den Fällen einer Vertragskorrektur aufgrund eines, wie auch immer ausgestalteten, Machtgefälles im Ergebnis kaum Raum für eine ergänzende Vertragsauslegung zur Schaffung einer Konfliktlösung bleibt. Hier geht es ja gerade darum, daß der eine Vertragspartner seine stärkere Position ausgenutzt hat, um einen Vertrag mit einem ihm günstigen Inhalt abzuschließen. Die Rechtsordnung muß sich im Falle einer Korrektur fragen, welchen Inhalt die Parteien vereinbart hätten, wenn sie sich in einer gleich starken Situation befunden hätten. Es kommt also auf die Frage des rechtlichen Sollens an, welche nach der herrschenden Meinung unter § 242 BGB gefaßt wird.
VI. Weitere Schutzmaßnahmen 1. Einleitung
An dieser Stelle soll ein weiterer Schutzmechanismus diskutiert werden, den die neue Insolvenzordnung überschuldeten Personen bietee52 . Im Anschluß an die Darstellung der gesetzlichen Regelung soll weiterhin geprüft werden, ob von diesem neuen Verfahren Auswirkungen auf die Bürgschaftsfälle erwartet werden können.
2. Gesetzliche Regelung In § 1 Satz 2 InsO schreibt der Gesetzgeber fest, daß dem redlichen Schuldner Gelegenheit gegeben wird, sich von seinen restlichen Verbind350 So beispielsweise in BGHZ 48, 296 (301); 77, 310 (317); BGR NJW 89, 2625 (2626). 351 Oertmann: Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 314; Soergel-Teichmann BGB § 242 Rn. 124. Palandt-Heinrichs BGB § 242 Rn. 18. 352 In dem Zusammenhang erscheint ein Zitat !herings (in: Der Kampf ums Recht, S. 262) angebracht. Darin schreibt er: "Es ist das Zeichen einer schwachen Zeit, mit dem Schuldner zu sympathisieren. Sie selbst nennt das Humanität. Eine kräftige Zeit sorgt vor allem dafür, daß der Gläubiger zu seinem Recht kommt, selbst wenn der Schuldner darüber zugrunde geht."
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
lichkeiten zu befreien. Die Insolvenzordnung stellt dabei zwei Entschuldungsverfahren zur Verfügung, um den Verbraucherschuldner vor einer lebenslänglichen Verschuldung zu bewahren 353 • Zunächst besteht die Möglichkeit, das Schuldenbereinigungsverfahren nach §§ 305 ff. InsO durchzuführen. In den Genuß des Verfahrens kommen gemäß § 304 Abs. I InsO alle natürlichen Personen, die keine oder nur eine geringfügige selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Zunächst muß eine außergerichtliche Einigung erfolglos durchgeführt worden sein, § 305 Abs. 1 Nr. I InsO. Im Anschluß daran kann mit der Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 305 InsO) das gerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren durchgeführt werden. Wird das Ziel, einen Schuldenbereinigungsplan aufzustellen, nicht erreicht, wird das vereinfachte Insolvenzverfahren nach §§ 311 ff. InsO durchgeführt. Scheitert dieses ebenfalls, dann kann der Schuldner zusätzlich die Restschuldbefreiung nach den § § 286 ff. InsO beantragen, so § 287 Abs. 1 Ins0 354 • Nach § 286 InsO wird ein Schuldner, der eine natürliche Person ist, von den im Insolvenzverfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigem befreit, wenn die Voraussetzungen der §§ 287 bis 303 InsO gegeben sind355 • 353 Siehe dazu ausführlich: Scholz: Verbraucherkonkurs und Restschuldbefreiung nach der neuen Insolvenzordnung, DB 96, 765 ff.; Döbereiner: Die Restschuldbefreiung nach der neuen Insolvenzordnung, JA 96, 724ff. 354 Mit dem Antrag muß der Schuldner gemäß § 287 Abs. 2 S. 1 InsO die Erklärung verbinden, daß er den nach §§ 850 ff ZPO pfandbaren Teil seiner Bezüge aus einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge für die Zeit von sieben Jahren nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens an einen vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder abtritt. Damit wird erreicht, daß die Ansprüche auf Arbeitsentgelt dem Vollstreckungszugriff von Neugläubigern entzogen werden und während des Restschuldbefreiungsverfahrens zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger zur Verfügung stehen (Döbereiner: Die Restschuldbefreiung nach der neuen Insolvenzordnung, JA 96, 724 ff. (725». Gemäß Art. 107 EGlnsO ist in bestimmten Fällen eine Verkürzung der Wohlverhaltensperiode für Altschuldner von sieben auf fünf Jahren möglich. Das Insolvenzgericht entscheidet im Anschluß daran nach Anhörung des Schuldners, des Insolvenzgläubigers und des Treuhänders über die Gewährung der Restschuldbefreiung, § 300 Abs. 1 InsO. Die Wirkungen ergeben sich aus §§ 301 f. InsO. 355 Die Durchführung der Restschuldbefreiung ist noch von weiteren Voraussetzungen abhängig. So muß das Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung gemäß § 314 Abs. 3 InsO ablehnen, wenn der Schuldner den in § 314 Abs. 1 InsO genannten Ablösungsbetrag nicht innerhalb der gesetzten Frist bzw. in der weiteren Frist von zwei Wochen gezahlt hat. Außerdem ist eine Ablehnung möglich, wenn einer der Versagungsgründe des § 290 Abs. 1 InsO vorliegt. Die Versagung muß durch den Gläubiger beantragt werden. Den Schuldner treffen darüber hinaus die in § 295 InsO genannten Obliegenheiten. Ein Verstoß dagegen führt ebenfalls, auf Antrag des Gläubigers, zur Versagung der Restschuldbefreiung, § 296 InsO. Weitere Versagungsgründe ergeben sich aus §§ 297 und 298 InsO, insbesondere werden bestimmte Forderungen nicht von der Restschuldbefreiung erfaßt. Die Entschuldung kann aber unter den Voraussetzungen des § 303 InsO widerrufen werden.
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3. Stellungnahme Die Voraussetzungen für die Befreiung des Verbraucherschuldners von seinen Schulden sind, wie gesehen, vielfältig. Dies muß aber auch als erforderlich angesehen werden, um die Zahl der Mißbrauchsfalle möglichst gering zu halten 356 . Doch bei entsprechendem Verhalten des Schuldners kann in einem Teil der Fälle der hohen Verschuldung natürlicher Personen eine Entschuldung stattfinden. Fraglich ist deshalb, ob diese neuen insolvenzrechtlichen Möglichkeiten irgendeinen Einfluß auf das materielle Recht, insbesondere auf die Entscheidung der Nichtigkeit von Bürgschaftsverträgen naher Angehöriger des Schuldners haben können. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Bürge einen oder mehrere Gläubiger besitzt. Zwar spricht die neue Insolvenzordnung nie von einer Anwendung im Falle eines einzelnen Gläubigers, doch kann hier der Schutz, den der Schuldner durch die Restschuldbefreiung genießen kann, nicht versagt werden. Es ist kein Grund für eine Ungleichbehandlung ersichtlich. Im Gegenteil: Der Schuldner, der sich nur gegenüber einer einzigen anderen Person verschuldet, verdient eher mehr Aufmerksamkeit durch den Gesetzgeber als derjenige, der immer mehr Verbindlichkeiten eingeht. Würde man nun den Schutz über das Insolvenzrecht für ausreichend ansehen, um den verfassungsrechtlichen Auftrag - Schutz des Rechts auf Vertragsfreiheit der als schwächer zu bezeichnenden Partei - zu gewährleisten, käme man unter Umständen zu dem Ergebnis, daß ein Vertrag, durch den eine unter Umständen lebenslange Verschuldung des einen Teils ausgelöst wird, als solcher nicht insgesamt für nichtig gemäß § 138 Abs. 1 BGB erklärt werden müßte 357 • Die Abwicklung des Bürgschaftsvertrages über die Restschuldbefreiung dient neben dem Schutz des Gläubigers auch dem Schutz des Schuldners. Dieser könnte sich nach einem Zeitraum von sieben Jahren von seinen vertraglichen Verpflichtungen befreien, der Gläubiger würde durch das Wohlverhalten des Schuldners wenigstens einen Teil des geschuldeten Betrages zurückerhalten. Das Bundesverfassungsgeriche 58 hat in diesem Sinne bezüglich der Frage der Nichtigerklärung eines Vertrages ausgeführt, daß mit dessen Nichtanerkennung in die Rechte dieser Vertragspartei eingegriffen werde, so daß dieser Vertrag nicht ohne zwingenden Grund für nichtig erklärt werden dürfe. Medicus 359 führt weiterhin Dazu Behr: Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung, JurBüro 98, 513. Döbereiner (in: Die Notwendigkeit eines Entschuldungsverfahrens, KTS 1998, S. 31 ff.) versucht im umgekehrten Fall nachzuweisen, daß die Restschuldbefreiung aufgrund der bestehenden Rechtsinstitute nicht erforderlich ist, um das Problem der lebenslangen Haftung natürlicher Personen zu lösen. 358 BVerfGE 81, 242 (255) =NJW 90, 1469 =ZIP 90,573 = MDR 90,600. 359 Medicus: Leistungsfähigkeit und Rechtsgeschäft, ZIP 89, 817ff. (822). 356 357
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
aus, die Lösung über das Insolvenzrecht sei elastischer. § 138 Abs. I BGB stelle nur auf die Lage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ab. Die weitere (positive oder negative) Entwicklung der Vermögensverhältnisse des Schuldners würden also vollständig außer acht gelassen. Demgegenüber könne die insolvenzrechtliche Lösung auf solche Veränderungen reagieren. Medicus weist auch darauf hin, daß es dem Gläubiger erst durch die Zwangsvollstreckung ermöglicht werde, die Leistungsfähigkeit des Schuldners einigermaßen sicher festzustellen 36o . Den Titel würde dann aber erst das materielle Recht liefern. Grundsätzliche Kritik an diesem Denkansatz kann jedoch dahingehend geäußert werden, daß diejenigen Schuldner, deren Insolvenzantrag gemäß § 26 InsO mangels Masse abgewiesen wird oder deren Insolvenzverfahren gemäß § 207 InsO nach Eröffnung mangels Masse eingestellt wird 361 damit handelt es sich um die "ärmeren" Schuldner -, nicht in den Genuß der Restschuldbefreiung kommen können 362 • § 26 InsO gilt dabei auch für das Verbraucherinsolvenzverfahren. Für den Verbraucher gibt es dann nur ausnahmsweise die Möglichkeit der Restschuldbefreiung nach Maßgabe des § 289 Abs. 3 Ins0 363 . Es würde aber zu einem Wertungswiderspruch führen, wenn in diesen Fällen eine Vertragsnichtigkeit nach § 138 BGB ausgesprochen würde, in den anderen Fällen unter Verweis auf die Restschuldbefreiung jedoch nicht. Außerdem kann die Restschuldbefreiung nur beantragt werden, wenn zu diesem Zeitpunkt eine abtretbare oder pfändbare Einkommensquelle besteht, § 287 Abs. 2 InsO. Ein Sozialhilfeempfanger kann dagegen nicht in den Genuß der Restschuldbefreiung kommen. Unterschiede ergeben sich weiterhin durch die Tatsache, daß der BGH bezüglich der finanziellen Überforderung eines Bürgen konkrete Vorgaben dahingehend macht, daß der Bürge ab Fälligkeit der Leistung nicht in der Lage sein dürfe, innerhalb von fünf Jahren aus seinem pfandbaren Einkommen ein Viertel der Bürgschaftssumme zu bezahlen364 • Damit konkretisiert er die Voraussetzungen für die Durchführung der Abschlußkontrolle eines Bürgschaftsvertrages mit Hilfe des § 138 Abs. 1 BGB. Entscheidend ist 360 Medicus: Leistungsfähigkeit und Rechtsgeschäft, ZIP 89, 817 ff. (822). Erst wenn der Gläubiger einen Titel hat, kann er gegen den Schuldner das auf Auskunft und eidesstattliche Versicherung gerichtete Verfahren nach § 807 ZPO in Gang bringen. 361 Behr: Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung, JurBüro 98, 513 ff. (520f.). 362 Dazu Döbereiner: Die Restschuldbefreiung nach der neuen Insolvenzordnung, JA 96, 724 ff. (729). 363 Danach muß die Masseunzulänglichkeit angezeigt und die Insolvenzmasse nach § 209 InsO verteilt worden sein, weiterhin muß die Einstellung nach § 211 InsO erfolgen. 364 BGHZ 132, 328 (338); BGHZ 134, 325 (332).
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jedoch, daß das Bundesverfassungsgericht in seiner Bürgschaftsentscheidung 365 nicht nur auf die ungewöhnliche Belastung des Bürgen durch die Folgen des Vertrages abstellt, sondern als weitere Voraussetzung einer Inhaltskontrolle eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils fordert. Hier wird also mit der Bejahung der Sittenwidrigkeit nicht nur auf die Vermögenssituation reagiert, sondern ausschlaggebend ist die Situation des Schuldners bei Vertragsabschluß. In den entschiedenen Fällen befand sich der Bürge im Verhältnis zu der Bank in einer unterlegenen Position, und gerade diese Position führte zu einer Fremdbestimmung des Bürgen. Diese Kombination muß, will das Gericht den verfassungsrechtlichen Schutz der Vertragsfreiheit des Bürgen gewährleisten, durch das materielle Recht gelöst werden. Der BGH betont weiterhin in seiner Entscheidung vom 8. Oktober 1998366 , daß Veränderungen der Vermögenssituation insbesondere durch Erbschaft bereits bei Vertragsabschluß Beachtung finden müssen, indem die Erfüllung des Bürgschaftsvertrages von dem Anfall der Erbschaft abhängig gemacht wird. Damit wird entgegen Medicus auch im materiellen Recht eine "elastischere" Lösungsmöglichkeit geboten. Wird die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft weiterhin von einer Vermögensverlagerung von dem Hauptschuldner auf den Bürgen abhängig gemacht, dann wird, wie oben gesehen 367 , bereits ein angemessener Schutz des Bürgen erreicht, bei dem auch die Interessen der Bank berücksichtigt werden. Die Restschuldbefreiung ist weiterhin kein reines Schutzgesetz zugunsten des Schuldners. Das Insolvenzverfahren ist in seinem Grundkonzept ein Gesamtvollstreckungsverfahren zur möglichst gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger368 • Dabei wird zusätzlich noch die Möglichkeit geboten, den Schuldner von seinen Verbindlichkeiten zu befreien. Gegenstand der Restschuldbefreiung ist alleine die Vermögenssituation des Schuldners. Die Frage, wie es zu dieser Verschuldung gekommen ist, erfährt keine Beachtung. Damit müssen die Fälle, in denen die strukturelle Unterlegenheit der einen Vertragspartei zu einer ungewöhnlichen Belastung derselben geführt hat, weiterhin mit Hilfe der Generalklausei des § 138 BGB gelöst werden. Die Restschuldbefreiung nach der neuen Insolvenzordnung stellt kein gleichgeeignetes, milderes Mittel dar, um den verfassungsrechtlich garantierten Schutz der schwächeren Vertragspartei zu gewährleisten 369 •
BVerfGE 89, 214 = NJW 94, 36. BGH NJW 99, 58 = ZIP 98, 1999. 367 § 4 IV. 368 Jauernig: Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, § 67 II; Behr: Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung, JurBüro 98, 513. 369 So im Ergebnis auch Gernhuber [in: Ruinöse Bürgschaften als Folge familiärer Verbundenheit, JZ 95, 1086ff., (1094f.)], jedoch ohne Begründung. 365
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
VII. Institut der zivilrechtlichen Vertragsberichtigung Fraglich bleibt, ob bei Betrachtung der Vielzahl an rechtlichen Instrumenten mit einer noch größeren Vielzahl von Rechtsfolgen allgemein von einem existierenden Institut einer - durch Gesetz oder durch ein Gericht durchgeführten - zivilrechtlichen Vertragsberichtigung gesprochen werden kann. Wie oben bereits mehrfach angesprochen, ergibt sich aus dem Gesamtgefüge der Verfassung für die staatlichen Institutionen (insbesondere für die Gerichte und den Gesetzgeber) eine Pflicht, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß jeder Bürger von den in der Verfassung verankerten Rechten Gebrauch machen kann. Dazu zählt auch die Vertrags freiheit, die dazu führt, daß jeder Bürger grundsätzlich selber entscheiden kann, ob er mit einer anderen Person einen Vertrag schließen will, und welchen Inhalt der Vertrag haben soll. Aufgrund unterschiedlicher Ausgangslagen ist es in vielen Fällen nicht möglich, daß ein Vertragsinhalt festgeschrieben wird, der dem Willen beider Vertragsparteien entspricht. Will der unterlegene Partner dagegen vorgehen, dann kann er sich auf ein Gesetz berufen, dessen Tatbestand dem konkreten Sachverhalt entspricht und eine bestimmte Rechtsfolge bereit hält. Ist eine gesetzliche Regelung nicht vorhanden, dann bleibt die Möglichkeit der gerichtlichen Entscheidung. Dabei greifen die Gerichte meist auf die Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuches zurück. Diese werden unter Bildung bestimmter Fallgruppen konkretisiert, und es werden die Rechtsfolgen zur Verfügung gestellt, die zu einer Realisierung des verfassungsrechtlichen Auftrags führen. Es geht also im Ergebnis immer um Vertragspartner, die sich nicht gleichberechtigt gegenüberstehen. Weiterhin nutzt die überlegene Partei diese ungleiche Situation zu ihrem Vorteil aus, indem sie einen Vertrag herbeiführt, den die andere Partei in einer Situation der Gleichberechtigung nicht oder nicht in dieser Fonn eingegangen wäre. Das bedeutet im Ergebnis, daß der Vertragsinhalt, der grundsätzlich zu einem Interessenausgleich zwischen den Vertragsparteien führen soll, hier offensichtlich zulasten der unterlegenen Partei ausfällt. Die in einem solchen Fall der Fremdbestimmung vorgenommene Korrektur des Vertrages stellt immer eine einseitige Maßnahme zugunsten der durch die Fremdbestimmung benachteiligten Partei dar. Die Übereinstimmungen in den Voraussetzungen und den Rechtsfolgen im Falle einer gesetzlichen oder gerichtlichen Berichtigung eines Vertragsinhaltes lassen es gerechtfertigt erscheinen, von einem allgemeinen zivilrechtlichen Institut einer Vertragsberichtigung zu sprechen37o • 370 Demgegenüber vertritt Adomeit [in: Die gestörte Vertragsparität - ein Trugbild?, NJW 94, 2467ff. (2468)] die Meinung, die vielfach vertretene Paritätstheorie
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Dieses zivilrechtliche Institut ist Ausfluß der verfassungsrechtlich garantierten Vertragsfreiheit und kann aus diesem Grund ebenfalls aus dem Grundgesetz hergeleitet werden.
§ 8 Europarechtliche Grundlagen und Einflüsse auf die Vertragsfreiheit I. Einführung Eine Betrachtung des deutschen Rechts kann seit den 60er Jahren nicht mehr durchgeführt werden, ohne einen Blick auf das Europarecht zu werfen. Dieses hat zu Veränderungen der nationalen Kodifikationen, teilweise sogar zur Schaffung umfassender Gesetze geführt37 !. Neben den Veränderungen der nationalen Rechtsordnung ist weiterhin eine zusätzliche Rechtsordnung auf europäischer Ebene entstanden. Wie oben dargesteIlen, genießt die Vertragsfreiheit einen ausgeprägten Schutz durch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Das bedeutet, daß insbesondere die Gesetzgebung und die Rechtsprechung verpflichtet sind, die Vertragsfreiheit durch ihre hoheitlichen Maßnahmen zu gewährleisten. Durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union (Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG) fand ein Übergang von Kompetenzen statt373 • Die Europäische Union wurde legitimiert, selber Recht zu setzen, welches in allen Mitgliedstaaten realisiert werden muß 374 • Durch diese Kompetenzübertragung könnte es zu Verletzungen des Rechts auf Vertragsfreiheit kommen, wenn dieses auf europäischer Ebene nicht garantiert würde. Fraglich ist deshalb, ob auf europäischer Ebene ein dem deutschen Recht vergleichbarer Grundrechtsschutz besteht, der weiterhin auch die Vertragsfreiheit garantiert, und ob die Organe der Europäischen Union daran gebunden sind. Darüber hinaus ist fraglich, ob bei der Umsetzung sei nicht reif dafür, als normatives Prinzip das gesamte Vertragsrecht zu beherrschen. 371 Beispielsweise das oben bereits behandelte Verbraucherkreditgesetz und das Haustürwiderrufsgesetz. 372 § 6 III. 373 Dazu umfassend: Lorenz, Norbert: Die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäischen Gemeinschaften. 374 Dabei gilt das Prinzip der begrenzten Ermächtigung, d. h. die Rechtsetzungsorgane der Gemeinschaft benötigen eine ausdrückliche Kompetenzzuweisung in den Gründungsverträgen. Dieses Prinzip geht aus Art. 249 Abs. 1 EG-Vertrag n. F. (nach dem Vertrag von Amsterdam) bzw. Art. 189 Abs. 1 EG-Vertrag a.F. hervor. Danach erlassen die Rechtsetzungsorgane nach Maßgabe dieses Vertrages die in diesem vorgesehenen Rechtsakte; Streinz: Europarecht, Rn. 436.
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
europäischer Rechtsetzungsakte in nationales Recht eine Bindung Grundrechte des Grundgesetzes besteht und ob die Bürger oder die chen Organe die Möglichkeit besitzen, gegen eine Verletzung des auf Vertragsfreiheit, die aus einer Maßnahme eines europäischen resultiert, vorzugehen.
an die staatliRechts Organs
11. Grundlagen Grundlage einer Rechtsetzungsbefugnis der Organe der Europäischen Union ist der Gründungsvertrag der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag) vom 25. März 1957 375 , der am 1. Januar 1958 in Kraft getreten ist. Er wurde durch den Vertrag über die Europäische Union vom 7. Februar 1992376 (Maastricht-Vertrag) in EG-Vertrag umbenannt. Gleichzeitig wurden einige inhaltliche Veränderungen vorgenommen 377 . Weitere Änderungen erfährt der EG-Vertrag durch den Vertrag von Amsterdam 378 . Die Rechtsetzungsbefugnis der Europäischen Union hat die Aufgabe, die unterschiedlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten anzugleichen und die durch den EG-Vertrag vorgegebenen Ziele zu realisieren. Die Rechtsangleichung betraf zunächst nur das öffentliche Recht 379 . Art. 100 EWG-Vertrag diente als sehr weit gefaßte Ermächtigung zum Erlaß von Richtlinien für die Angleichung nationaler Privatrechtsvorschriften mit Bezug auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes. Im übrigen betraf der EWG-Vertrag das Privatrecht nur am Rande38o . Erst später wurde das Privatrecht als Grundlage der europäischen Integration herangezogen 381 • Eine Beschäftigung der Organe der Europäischen Gemeinschaft mit dem Vertragsrecht fand zunächst auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts 375 BGBI. 11 Nr. 23 vom 19.8.1957 S. 766; Berichtigung BGB\. 11 Nr. 35 vom 5.l1.1957 S. 1678 und Nr. 3 vom 5.2.1958 S. 64. 376 ABlEG Nr. C 191 S. 1. 377 So wurde dem Verbraucherschutz mit Art. 129a EU-Vertrag ein eigener Titel (XI) gewidmet. Dieser wurde durch den Amsterdam-Vertrag ausgeweitet im jetzigen Titel XIV, Art. 153 EG-Vertrag. 378 ABlEG 1997 Nr. C 340 S. 1 = BR-Drucksache 784/97. Zu den Änderungen: Lecheier: Die Fortentwicklung des Rechts der EU durch den Amsterdam-Vertrag, JUS 98, 392ff.; Hilf/Pache: Der Vertrag von Amsterdam, NJW 98, 705ff. 379 Es mußte erst der äußere Rahmen für eine europäische Integration geschaffen werden. 380 Diese bewußt praktizierte Abstinenz im Privatrecht erklärt sich aus dem Bestreben, die privatrechtlichen Funktionsmechanismen von Vertrag und Wettbewerb über die nationalen Grenzen hinweg unbehindert wirken zu lassen und damit der privatautonomen Gestaltung des Einzelnen den Vorrang vor dem hoheitlichen Handeln des Staates zu sichern (Rittner: Die wirtschaftsrechtliche Ordnung der EG und das Privatrecht JZ 90, 838ff.).
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statt382 . Seit den 80er Jahren wurden dann gerade auf dem Gebiet der Vertragsgestaltung eine Vielzahl von Verordnungen (Art. 249 Abs. 2 EG-Vertrag n.F.; Art. 189 Abs. 2 EG-Vertrag a.F.) und Richtlinien (Art. 249 Abs. 3 EG-Vertrag n.F.; Art. 189 Abs. 3 EG-Vertrag a.F.)383 erlassen, unter anderem um einen besseren und einheitlichen Schutz der Bürger der Europäischen Union vor nachteiligen vertraglichen Verpflichtungen zu schaffen. Dadurch werden die nun europarechtlich geregelten Materien auf Dauer der nationalen Kompetenz entzogen384 . Diese Rechtsangleichung im Vertragsrecht wird nun überwiegend auf Art. 95 EG-Vertrag n.F. bzw. Art. IOOa EG-Vertrag a. F. gestützt385 . Sie ist eine der wesentlichsten Aufgaben der Europäischen Union. Warum gerade auf dem Gebiet des von der Vertragsfreiheit besonders beherrschten Schuldrechts so weitgehende europarechtliche Aktivitäten zur Rechtsvereinheitlichung durchgeführt wurden, liegt an der Verpflichtung zur Erfüllung eines der Hauptziele der Europäischen Union, nämlich der Schaffung eines Gemeinsamen Marktes, Art. 2 EG-Vertrag. Durch diesen Gemeinsamen Markt, der sich unter anderem durch das Verbot von Zöllen und mengenmäßigen Beschränkungen bei der Ein- und Ausfuhr von Waren (Art. 3a EG-Vertrag), durch einen Binnenmarkt, der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten386 (Art. 3 c EG-Vertrag) und durch ein System, das den Wettbewerb innerhalb 381 Vgl. Simshäuser: Zur Bedeutung des römischen Rechts in einer europäischen Rechtsordnung in: Schlosser: (Hrsg.): Bürgerliches Gesetzbuch 1896-1996, S. 97; Taupitz: Europäische Privatrechtsvereinheitlichung heute und morgen. 382 Dazu Joerges/Brüggemeier: Europäisierung des Vertragsrechts und Haftungsrechts in: Müller-Graff (Hrsg.): Gemeinsames Privatrecht in der EG, S. 233 ff. (245ff.). 383 Dazu zählen insbesondere die oben bereits erwähnten Richtlinien zu den Haustürgeschäften (RiL 85/577 EWG des Rates v. 20.12.1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABlEG 1985 L 372/31-33), zum Verbraucherkredit (RiL 86/102 EWG des Rates v. 22.12.1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABlEG 1987 L 42/48-53) und Pauschalreisen (RiL 90/314 EWG des Rates v. 13.6.1990 über Pauschalreisen, ABlEG 1990 L 158/59-63, außerdem die Verordnung 295/91 EWG über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr, ABlEG 1991 L 36/5-7). 384 Hauschka: Der Stand der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsangleichung im Recht der privaten Wirtschaft drei Jahre vor Vollendung des Binnenmarktes 1992, NJW 89, 3048 ff. (3049). 385 Siehe dazu Remien: Illusion und Realität eines europäischen Privatrechts, JZ 92,277ff. 386 Man spricht hier von der Verwirklichung der vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes, dazu Taschner: Privatrechtsentwicklung durch die EG in: Müller-Graff: Gemeinsames Privatrecht in der EG, S. 155ff. (156).
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des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt (Art. 3 g EG-Vertrag), auszeichnet, wird die Möglichkeit der Bürger, eine Vielzahl von Verträgen abzuschließen, stark ausgeweitet und rechtlich fixiert. Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtsordnungen sollen abgebaut werden, soweit dies für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlich ist, Art. 3 h EG-Vertrag. Insbesondere sollen Funktionsstörungen in diesem Markt ausgeschaltet und Wettbewerbsverzerrungen durch verschiedene Rechtsvorschriften in den einzelnen Mitgliedstaaten vermieden werden 387 . Der Kreis der potentiellen Vertrags partner wird durch den Wegfall von nationalen Beschränkungen des Waren- bzw. Dienstleistungsflusses wesentlich erhöht. Hinzu kommt die Erleichterung des Vertragsschlusses im Falle einer Grenzüberschreitung durch Rechtsvereinheitlichung, die auch zu einer besseren Orientierung der Vertrags partner über den Rechtszustand des jeweils anderen Landes führt. Neben diesen wirtschaftlichen Aspekten der Vertragsfreiheit spielen auch diejenigen auf dem Gebiet der Beschäftigung von Arbeitnehmern eine zunehmende Rolle. Durch den Vertrag von Amsterdam wird erstmals die Beschäftigungspolitik auf dem Gemeinsamen Markt angesprochen (Art. 3i EG-Vertrag n.F.). Deren Koordinierung soll danach zunächst einmal gefördert werden. Hier bietet es sich an, den Schutz der Arbeitnehmer durch Orientierung am deutschen Recht bzw. ähnlich weitgehenden Rechtsordnungen zu vereinheitlichen, um einen Anreiz zu bieten, das eigene Betätigungsfeld auf die anderen Mitgliedstaaten zu erweitern und dadurch die eigenen Chancen auf dem Arbeitsmarkt auszubauen. Darüber hinaus zu erwähnen ist das durch den Amsterdam-Vertrag geschaffene Ziel der Gemeinschaft, den Verbraucherschutz zu verbessern (Art. 3 t EG-Vertrag n. F.). Wichtig ist dabei die in Art. 153 Abs. 1 EG-Vertrag n. F. festgeschriebene Förderung der Interessen der Verbraucher sowie deren verbesserte Information. Bezogen auf die Vertragsfreiheit bedeutet dieser letztgenannte Schutz, daß die Bürger der Gemeinschaft nicht durch einen unterschiedlich ausgeprägten Schutz davon abgehalten werden, ihre im privaten Bereich liegenden Verträge mit Personen eines anderen Mitgliedstaates zu schließen. Mit Erlaß des unmittelbaren Rechts 388 sowie aufgrund der Verbindlichkeit der Ziele, die durch die Richtlinien vorgegeben werden, wurde eine neue Rechtsordnung geschaffen, die zu einer Einschränkung der Souveränitätsrechte der Mitgliedstaaten führte 389 • 387 Hommelhoff: Zivilrecht unter dem Einfluß europäischer Rechtsangleichung, AcP 192 (1992) 71ft. (73). 388 Verordnungen nach Art. 189 Abs. 2 EG-Vertrag bedürfen weder eines innerstaatlichen Transformationsaktes noch einer Bekanntgabe nach nationalem Recht. 389 Man spricht hier auch von dem sekundären Gemeinschaftsrecht, Ahlt: Europarecht, 3. Kapitel B, S. 13. Dabei muß gemäß Art. 5 EG-Vertrag n.F. bzw. Art. 3b EG-Vertrag a. F. grundsätzlich das Subsidiaritätsprinzip beachtet werden, d. h. in Bereichen, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fallen, wird
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Schlußpunkt der Veränderung des nationalen Privatrechts durch die Europäische Union wäre die Schaffung eines europäischen Privatrechts, welches das nationale Recht vollständig oder wenigstens in seinen wichtigsten Bereichen ablösen würde. Ein solches wurde bereits vom Europäischen Parlament gefordert 390 , in der Literatur aber weitgehend abgelehne 91 •
III. Europarechtliche Verankerung der Vertragsfreiheit als Grundrecht 1. Europäischer Grundrechtsschutz
Auch auf europäischer Ebene wird seit Ende der 60er Jahre ein gewisser Grundrechtsschutz gewährt. Er zählt zu dem sogenannten primären Gemeinschaftsrecht392 . Der EuGH vertritt nach anfanglichem Zögern seit 1969 die Auffassung, daß die Wahrung der Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Gemeinschaft zähle 93 . Er besitzt die grundsätzliche Legitidiese nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung besser auf Gemeinschaftsebene erreichbar sind. Dazu umfassend Callies: Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union. 390 Siehe Ziffer 1 der Entschließung vom 26.5.1989 zu den Bemühungen um eine Angleichung des Privatrechts der Mitgliedstaaten, ABlEG 1989 C 158/400; dafür auch Tilmann: Zur Entwicklung eines europäischen Zivilrechts, FS Oppenhoff, S. 499. Zu den Vorarbeiten siehe insbesondere Lando: Die Regeln des Europäischen Vertragsrechts in: Müller-Graff: Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft S. 473. Drobnig: Ein Vertragsrecht für Europa, FS Steindorff, S. 1141 ff. (1149). Siehe auch Simshäuser: Zur Bedeutung des römischen Rechts in einer europäischen Rechtsordnung in: Schlosser (Hrsg.): Bürgerliches Gesetzbuch 1896 -1996, S. 97 ff. (102 ff.). 391 Ulmer: Vom deutschen zum europäischen Privatrecht, JZ 92, 1 ff. (5); MüllerGraff: Staat und Wirtschaft in der EG, S. 40ff. Weitere Nachweise bei Simshäuser: Zur Bedeutung des römischen Rechts in einer europäischen Rechtsordnung in: Schlosser (Hrsg.): Bürgerliches Gesetzbuch 1896-1996, S. 103 f. 392 Darunter fallen zunächst einmal die Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften EGKS, EG und EAG einschließlich Anlagen, Anhängen und Protokollen sowie die späteren Ergänzungen und Änderungen dieser Verträge. Weiterhin versteht man darunter die vom EuGH entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze. Dazu zählen die rechtsstaatlich gebotenen Garantien des Verwaltungsverfahrens und die Gemeinschaftsgrundrechte (Streinz: Europarecht, Rn. 2 f., 64 ff., 347 ff.). Siehe allgemein zu den gemeinschaftsverfassungsrechtlichen Grundlagen bei Pernice: Gemeinschaftsverfassung und Grundrechtsschutz - Grundlagen, Bestand und Perspektiven, NJW 90, 2409ff. (241Off.). 393 EuGH 12.11.1969 - Stauder, Rs. 29/69 - Sig. 1969, S. 419 (425) = EuGHE 1970, 1135. 13 Knobel
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mation zur Entwicklung der Gemeinschaftsgrundrechte 394 . Der EuGH hat sich zur Konkretisierung der Grundrechte der Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten 395 und internationaler Verträge über den Schutz der Menschenrechte, an deren Abschluß die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind 396 , namentlich die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), bediene 97 . In der Gemeinsamen Erklärung der Versammlung, des Rates und der Kommission vom 5.4.1977 zum Schutz der Grundrechte in der Gemeinschaft398 hat die EG die rechtserhebliche Bedeutung der EMRK sowohl gemeinschaftsintern als auch im Verhältnis der Gemeinschaft zu ihren Mitgliedstaaten herausgestellt. Eine ausdrückliche Verankerung dieser Legitimation findet sich nun in Art. F Abs. 2 EUVertrag 399 (entspricht dem Art. 6 Abs. 2 EU-Vertrag in der Fassung des Amsterdam-Vertrages). Ein geschriebener Grundrechtskatalog existiert jedoch weiterhin nicht4OO • Das Bundesverfassungsgericht als Hüter der Verfassung sah demgegenüber im Jahre 1974 in seinem Solange I-Beschluß den erforderlichen Grundrechtsschutz auf Gemeinschaftsebene noch nicht gewährleistet. Eine grundrechtsfreundliche Rechtsprechung des EuGH reiche seiner Meinung nach nicht aus. Als Konsequenz hielt das Bundesverfassungsgericht es für Dazu näher Streinz: Europarecht Rn. 355 ff. EuGH 14.5.1974 - Nold, Rs. 4/73 - Sig. 1974, S. 491 (507). 396 EuGH - Rs. 4/73 - Sig. 1974, S. 507. 397 Renge1ing: Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, S. I. Siehe weiterhin Ahlt: Europarecht, 5. Kapitel B, S. 33 ff. Bereits 1979 nimmt der EuGH in seinem Urteil Hauer (EuGHE 1979, 3727 (3745) = NJW 80, 505) Bezug auf die EMRK, um den Schutz des Eigentumsrechts zu begründen. Dabei greift er ergänzend auf die Verfassungsnormen und die Verfassungspraxis der Mitgliedstaaten bezüglich der Frage des Umfangs von möglichen Einschränkungen des Rechts zurück. In Urteilen aus den 80er Jahren (siehe beispielsweise EuGHE 1986, 1663 (1682) Johnston, Tz. 18; EuGH NJW 89, 3080 - Hoechst, Tz. 13) geht der EuGH dann noch einen Schritt weiter. Er entnimmt der EMRK nicht mehr nur Hinweise auf Grundrechte, sondern macht es sich zur Aufgabe, die dort garantierten Rechte im Sinne einer unmittelbaren Anwendung zu berücksichtigen (dazu Streinz: Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 4OOff.). 398 ABlEG 1977 Nr. C. 103 S. I. 399 Vom 1.2.1992. Darin heißt es: Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den Gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. 400 In dem fünften Abschnitt der Präambel der Einheitlichen Europäischen Akte (ABlEG Nr. L 169 vom 29.6.1987 S. 1) wird als Ziel der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft ein Einsatz für die Grundsätze der Demokratie und für die Wahrung des Rechts und der Menschenrechte festgeschrieben. Ein Grundrechtskatalog wird aber schon lange gefordert, siehe insb. BVerfGE 37, 271 = NJW 74, 1697. 394
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rechtmäßig, Gemeinschaftsrecht an den Grundrechten des Grundgesetzes zu messen401 . 5 Jahre später ließ es in seinem Vielleicht-Beschluß402 offen, ob es an seiner Rechtsprechung im Solange I-Beschluß festhalten werde. Eine entscheidende Rechtsprechungsänderung fand 1986 durch den sogenannten Solange II-Beschluß 403 statt. Nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts ist inzwischen im Hoheitsbereich der Gemeinschaft ein Maß an Grundrechtsschutz erwachsen, der nach Konzeption, Inhalt und Wirkungsweise dem Grundrechtsstandard des Grundgesetzes im wesentlichen gleichzuachten sei. Grundlegend beigetragen zu diesem Kurswechsel habe nach Meinung des Gerichts die Rechtsprechung des EuGH zum gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutz404 • Die vom Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission der Gemeinschaft verabschiedete Gemeinsame Erklärung vom 5. April 1977 zur Beachtung der Grundrechte sei durch die Bezugnahme auf die Verfassungen der Mitgliedstaaten und insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention ein hinreichendes parlamentarisches Bekenntnis zu einem in Geltung stehenden Grundrechtskatalog. Der EuGH betonte darüber hinaus, er könne keine Maßnahmen als rechtens anerkennen, die unvereinbar seien mit den von den Verfassungen dieser Staaten anerkannten und geschützten Rechten405 . Daraus könnte man bezüglich des grundrechtlichen Umfanges schließen, daß sich ein durchschnittlicher Standard herausbilden muß. Dieser ergäbe sich aus den gemeinsamen Rechtsüberzeugungen der Mitgliedstaaten. Es bestünde somit keine Gewähr dafür, daß die besonders strengen grundrechtlichen Anforderungen einzelner Mitgliedstaaten in vollem Umfang respektiert würden406 • Im Ergebnis führt das dazu, daß der Schutz auf europäischer Ebene grundsätzlich weiter reichen kann, als er auf nationaler Ebene gewährt wird, daß er aber auch im Einzelfall dahinter zurückbleiben könnte. Solange 1- Beschluß vom 29.5.1974, BVerfGE 37, 271. Vom 25.7.1979, BVerfGE 52, 187. 403 Vom 22.10.1986, BVerfGE 73, 339. 404 Zusammenfassend Pernice: Gemeinschaftsverfassung und Grundrechtsschutz Grundlagen, Bestand und Perspektiven, NJW 90, 2409ff. (2413). 405 EuGHE 74, 491 (507) = NJW 75, 518; EuGH, Urt. v. 13.7.1989 - Rs. 5/88 Tz. 17 - Wachauf. Erleichtert wird eine Rechtsvergleichung zwischen den einzelnen Verfassungskodifikationen durch den Beitritt zu internationalen Verträgen wie beispielsweise der Europäischen Menschenrechtskonvention, durch die die Mitgliedstaaten verbindlich erklären, welche Grundrechte sie anerkennen und zu schützen bereit sind. 406 Friauf/Scholz: Europarecht und Grundgesetz, S. 14. Es wird dann eine wertende Rechtsvergleichung durchgeführt, dazu insbesondere Zweigert: Grundsatzfragen der europäischen Rechtsangleichung, ihrer Schöpfung und Sicherung, FS Dölle, Bd. 2, S. 401 ff. (417). 401
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Demgegenüber wird die Meinung vertreten, daß ein Maximalstandard an Grundrechtsschutz erreicht werden solle407 . Dafür spricht nun Art. 23 Abs. I GG (die sogenannte StruktursicherungsklauseI408 ), in dem die Verwirklichung eines vereinten Europas festgeschrieben ist. Darin wird nun anerkannt, daß die Europäische Union einen dem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Damit hat der Verfassungsgesetzgeber unmittelbar an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere an die Solange lI-Entscheidung, angeknüpft409 . Unbestritten ist, daß sich zwischen dem Standard der nationalen Grundrechtsgewährleistungen und dem Standard jener gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsgarantien im Einzelfall noch Unterschiede ergeben können 41O • Doch wird auch kein mit dem Grundgesetz genau identischer Grundrechtsschutz gefordert, sondern nur ein im wesentlichen vergleichbarer. Damit geht die gesetzliche Aussage ohne Zweifel weit über einen nur durchschnittlichen Standard an Grundrechtsschutz hinaus. Die Grundwerte des Grundgesetzes werden jedenfalls von den gemeinschaftlichen Grundrechten erfaßt. Doch heißt dies auch, daß es einige nationale Gewährleistungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene nicht geben wird. Diese müssen jedoch als vernachlässigbar angesehen werden 411 • Durch den Amsterdam-Vertrag bekennen sich die Vertragsstaaten zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, Art. 6 Abs. I EU-Vertrag n.F. In Abs. 2 wird festgeschrieben, daß die Union die Grundrechte aus der EMRK bzw. aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts achtet. 2. Verfassungsrang der Vertragsfreiheit auf europäischer Ebene
Nach der Feststellung, daß auch auf europäischer Ebene ein weitreichender Grundrechtsschutz garantiert wird, stellt sich weiterhin die Frage, ob auch die durch das Grundgesetz geschützte Vertragsfreiheit europarechtlich gewährleistet wird. Fest steht, daß sich die Gewährleistung der Grundrechte in die Ziele und Struktur der Gemeinschaft einfügen muß412 • Dieser 4fJ1 Streinz: Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 402f. (431). 408 Zu Begriff und Zweck der Struktursicherungsklausel siehe die Gemeinsame Verfassungskommission, BT-Drucksache 12/6000 S. 20f. 409 Siehe dazu die Gemeinsame Verfassungskommission, BT-Drucksache 12/ 6000 S. 21. 410 Scholz in: Maunz-Dürig Grundgesetz Kommentar Art. 23 Rn. 61. 411 Dazu auch Scholz in: Maunz-Dürig Grundgesetz Kommentar Art. 23 Rn. 23.
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gesamte Bereich wird zum primären (geschriebenen und ungeschriebenen) Gemeinschaftsrecht gezählt. Dieses muß aufeinander abgestimmt sein, d. h. es darf nicht zu Widersprüchen kommen. Zu den Grundsätzen der Gemeinschaft413 gehört die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes (Art. 2 EGVertrag), der sich auf alle Güter und Dienstleistungen bezieht. Dem liegt das Prinzip der Wettbewerbsfreiheit und Wettbewerbsgerechtigkeit zugrunde414 • Das Hauptziel der Europäischen Gemeinschaft basiert auf der Tatsache, daß sämtliche Mitgliedstaaten als Wirtschaftsordnung die Marktwirtschaft gewählt haben, die die Vertragsfreiheit zwingend voraussetzt. Der EuGH hat konsequenterweise aufgrund der Tatsache, daß die Europäische Gemeinschaft der Markt- und Wettbewerbswirtschaft verpflichtet ist415 , anerkannt, daß auf europäischer Ebene ein Grundrecht auf wirtschaftliche Betätigung416 sowie auf allgemeine Handlungsfreiheit417 besteht. Daraus ergibt sich zweifelsfrei, daß die Vertragsfreiheit als Voraussetzung der Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung auch auf europäischer Ebene eine Grundrechtsposition bekleidet418 • Diese im Grundgesetz nicht wörtlich erwähnte, aber für die Privatrechtsordnung so elementare Vertragsfreiheit muß einen besonderen Schutz durch den EuGH genießen, um ihre Bedeutung in der gesamten Europäischen Union zum Ausdruck bringen zu können. Sie ist eine wesentliche Grundlage für die weitere Rechtsetzung der Europäischen Union, deren Hauptaufgaben im wirtschaftlichen Bereich liegen. Dies gilt namentlich für die Schaffung von sekundärem Gemeinschaftsrecht. Das Binnenmarktkonzept der Europäischen Gemeinschaft, d. h. die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes (Art. 2 EG-Vertrag), setzt gleiche Wirtschaftsbedingungen voraus, die möglichst geringen Begrenzungen ausgesetzt sein sollen. Insbesondere wird dies durch das Ziel einer Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungsund Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nach Art. 3c EG-Vertrag 412 EuGHE 1970, 1125 (1135) - Urteil Internationale Handelsgesellschaft = NJW 71, 343. 413 Siehe dazu insbesondere den Ersten Teil des EG-Vertrages. 414 Zweigert: Grundsatzfragen der europäischen Rechtsangleichung, FS Dölle, Bd. 2, S. 403. 415 So Rittner: Die wirtschaftsrechtliche Ordnung der EG und das Privatrecht, JZ 90, 838ff.; Oppermann: Europarecht, Rn. 809. 416 EuGH 19.9.1985 - Finsider, verb. Rs.63 und 147/84 - Sig. 1985, S. 2857 (2882, Rdnr. 23). EuGHE 85, 538 (550). Siehe auch Art. 30 EG-Vertrag. Der Grundsatz des freien Warenverkehrs ist im Gemeinschaftsrecht selbst angelegt. Er begründet wegen seiner unmittelbaren Wirkung unmittelbare Pflichten der Mitgliedstaaten gegenüber dem Bürger (grdl. EuGHE 63, 1 = NJW 63,974). 417 EuGH 21.5.1987 - Rs 133-136/85 = NJW 87, 2148. 418 Siehe dazu Oppermann: Europarecht, Rn. 414; Lerche: ,,Funktionsfähigkeit" Richtschnur verfassungsrechtlicher Auslegung, BayVBI. 91, 517ff.
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verdeutlicht. Dieser nahezu schrankenlos gewährte Verkehr basiert auf der durch den EuGH gewährleisteten Vertragsfreiheit. Daneben wird diskutiert, ob das Grundrecht der Vertragsfreiheit durch die Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit garantiert wird419 . Es würde dann ein Gleichlauf mit den deutschen Grundrechten geschaffen. Dieser Ansatzpunkt findet eine gewisse Bestätigung in der Tatsache, daß der EuGH als Quelle für eine Konkretisierung des Grundrechtsschutzes die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten heranzieht. Stellt man auf die durch das Grundgesetz gewährten Grundrechte ab, ergibt sich die Vertragsfreiheit, wie oben dargelegt420 , aus Art. 2 Abs. 1 GG, der die allgemeine Handlungsfreiheit gewährleistet. Da es noch keinen geschriebenen Grundrechtskatalog auf europäischer Ebene gibt, steht einer Herleitung der Vertragsfreiheit aus verschiedenen Quellen des primären Gemeinschaftsrechts sowie aus den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten nichts entgegen. Die Vertragsfreiheit genießt somit auch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene einen nicht nur geringen, sondern, zieht man insbesondere die Ziele der Gemeinschaft mit heran, einen ausgeprägten Grundrechtsschutz. Für die Organe der Gemeinschaft besteht danach eine Bindung an dieses jedem Unionsbürger zustehende Recht, welches bei jeder Maßnahme auf europäischer Ebene beachtet werden muß.
IV. Verhältnis zum nationalen Verfassungsrecht Nachdem festgestellt werden konnte, daß die Vertragsfreiheit auch auf europäischer Ebene einen grundrechtlichen Schutz genießt, bleibt die Frage, ob die Verfassungsmäßigkeit von sekundärem Gemeinschaftsrecht und diejenige der nationalen Nonnen, die aufgrund sekundären Gemeinschaftsrechtes erlassen wurden, sich alleine nach Gemeinschaftsrecht richtet, oder ob als Maßstab auch das nationale Verfassungsrecht herangezogen werden muß. Diese Frage hat Auswirkungen auf die Kompetenzverteilung zwischen EuGH und Bundesverfassungsgericht. Alleine der EuGH mißt hoheitliche Maßnahmen am Maßstab des Rechts der Europäischen Union. Eine ausdrückliche Kollisionsregel existiert nicht. Aus diesem Grund wurde die Frage des Rangverhältnisses zwischen der europäischen Rechtsordnung mit ihrem ungeschriebenen Grundrechtskatalog und der nationalen Grundrechtsgewährleistung intensiv diskutiert. Einigkeit bei unterschiedlicher Begründung besteht inzwischen darin, daß dem Gemeinschaftsrecht 419 420
Rengeling: Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, § 3 III 2. § 6 III.
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grundsätzlich der Vorrang vor dem nationalen Recht eingeräumt wird421 • Der EuGH führt dazu aus, dem Gemeinschaftsrecht stehe ein Vorrang kraft Eigenständigkeit zu. Er begründet seine Auffassung mit der Notwendigkeit der einheitlichen Geltung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten. Würde das Gemeinschaftsrecht nicht einheitlich gelten, wäre ihm sein Charakter als Gemeinschaftsrecht aberkannt. Rechtsgrundlage und Funktionsfahigkeit der Gemeinschaft wären in Frage gestellt422 . In einem weiteren Urteil hat der EuGH ausdrücklich entschieden, daß das Gemeinschaftsrecht auch den Verfassungsnormen der Mitgliedstaaten vorgehe, seien es nun Grundrechte oder Strukturprinzipien der Verfassung 423 • Dies ist solange unproblematisch, wie man von einem vergleichbaren Grundrechtsschutz ausgehen kann. Im übrigen besteht ein sogenanntes "Kooperationsverhältnis" zwischen nationaler Verfassungsgerichtsbarkeit und dem EuGH. Der EuGH garantiert den Grundrechtsschutz in jedem Einzelfall für das gesamte Gebiet der Europäischen Union, das Bundesverfassungsgericht beschränkt sich darüber hinaus auf eine generelle Gewährleistung des unabdingbaren Grundrechtsstandards 424 . Im Rahmen dieses "Kooperationsverhältnisses" muß weiterhin differenziert werden zwischen dem primären und sekundären Gemeinschaftsrecht. Die Begründung von primärem Gemeinschaftsrecht untersteht über das jeweilige nationale Zustimmungsgesetz unmittelbar und primär der grundrechtlichen Kontrollkompetenz des Bundesverfassungsgerichts. Demgegenüber dominiert bei der Anwendung von sekundärem Gemeinschaftsrecht die Kontrollzuständigkeit des EuGH. Im Ergebnis bedeutet dies aber für den Fall, daß ein Rechtsakt des sekundären Gemeinschaftsrechts, der eine Verletzung eines Grundrechts darstellen könnte, das im Grundgesetz, jedoch nicht auf gemeinschaftlicher Ebene gewährleistet wird, grundsätzlich die Kontrollkompetenz des Bundesverfassungsgerichts bestehen bleiben muß. Gleiches gilt bei Berührung des Wesensgehaltes eines Grundrechts des Grundgesetzes durch Gemeinschaftsrecht425 • Dabei muß aber auch beachtet werden, daß die Hoheitsakte der durch Art. 23 Abs. 1 GG begründeten Gemeinschaftsgewalt zwar nicht in 421 Siehe umfassend zu den einzelnen Begründungen Streinz: Europarecht, Rn. 180ff. 422 EuGH, Rs. 6/64 - Costa/ENEL -, Rspr. 1964, S. 125lff. = NJW 64, 2371. Das Urteil hat eine Bestätigung durch das Bundesverfassungsgericht gefunden: BVerfGE 75, 244 = NJW 88, 1459. 423 EuGHE 1970, 1125 - Internationale Handelsgesellschaft -. Der EuGH geht in seinen Entscheidungen von einem Anwendungsvorrang aus, d. h. eine dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende Vorschrift ist nicht nichtig, sondern unanwendbar. 424 BVerfGE 89, 155ff. (175) - Maastricht-Urteil. 425 Scholz in: Maunz-Dürig Grundgesetz Kommentar Art. 23 Rn. 24.
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Ausübung von deutscher öffentlicher Gewalt im Sinne des Art. lAbs. 3 GG ergehen 426, daß aber die Umsetzung und Durchführung dieses sekundären Gemeinschaftsrechts, d. h. von der Ausführungsgesetzgebung zu EGRichtlinien über den exekutiven Vollzug bis zur Anwendung durch die Gerichte, der nationalen Sphäre zugeordnet wird. Dies führt zu einer grundsätzlichen Verfassungsgebundenheit der zuständigen Organe427 . Dennoch hat das Bundesverfassungsgericht durch seinen Solange II-Beschluß428 eine Überprüfung am Maßstab des Grundgesetzes insoweit abgelehnt, als die Vollzugsakte den sie bindenden gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben Rechnung tragen und die verfassungsgerichtliche Kontrolle des Vollzugsaktes deshalb zwangsläufig mittelbar zur Kontrolle der Vorschriften des sekundären Gemeinschaftsrechts führen würde. Dies muß jedenfalls für die sich aus den Richtlinien ergebenden verbindlichen Ziele gelten, die in den nationalen Gesetzen zum Ausdruck kommen müssen. Untermauert wird dies durch den sich aus Art. 10 EG-Vertrag n.F. bzw. Art. 5 EG-Vertrag a.F. ergebenden Grundsatz des gemeinschaftstreuen Verhaltens. Insbesondere obliegt den Mitgliedstaaten gemäß Art. 10 Abs. 2 EG-Vertrag n.F. bzw. Art. 5 Abs. 2 EG-Vertrag a. F. die Pflicht, jede Gefährdung der Zielverwirklichung des EG-Vertrages zu unterlassen429 • Ein Verstoß gegen die von der Gemeinschaft vorgegebenen Ziele der Rechtsangleichung ist danach nicht möglich. Damit verlieren die Grundrechte des Grundgesetzes im Hinblick auf das durch innerstaatliche Hoheitsakte umgesetzte Gemeinschaftsrecht in der Praxis ihre Effektivität43o . Davon zu trennen ist die Frage, ob die deutschen Mitglieder im Rat der Europäischen Gemeinschaften nicht unmittelbar der Bindungswirkung des Art. 1 Abs. 3 GG unterliegen. Dieser hat eine präventive Wirkung. Er verpflichtet das jeweils handelnde Ratsmitglied, von vornherein einem Beschluß die Zustimmung zu verweigern, dessen Durchführung im Geltungsbereich des Grundgesetzes zu einem verfassungsrechtlich unzulässigen Grundrechtseingriff führen würde. Diese Bindung führt im Ergebnis dazu, daß trotz formaler Unabhängigkeit der Europäischen Union von den Verfassungen der Mitgliedstaaten eine faktische Abhängigkeit bejaht werden muß431 • Das Ratsmitglied muß versuchen, eine Korrektur des sekundären Gemeinschaftsrechts herbeizuführen. Ein Anspruch auf eine solche Korrek426 Friauf/Scholz: Europarecht und Grundgesetz, S. 27. A. A. Sc holz in: MaunzDürig Grundgesetz Kommentar Art. 23 Rn. 25, der bei der Umsetzung von sekundärem Gemeinschaftsrecht in nationales Recht von einer Bindung des Gesetzgebers an das nationale Verfassungsrecht gemäß Art. 1 Abs. 3 GG ausgeht. 427 Friauf/Scholz: Europarecht und Grundgesetz, S. 12. 428 Vom 22.10.1986, BVerfGE 73, 339 (387). 429 Geiger: Kommentar zum EG-Vertrag Art. 5 Rn. 4. 430 Friauf/Scholz: Europarecht und Grundgesetz, S. 29. 431 Friauf/Scholz: Europarecht und Grundgesetz, S. 44.
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tur einer gemeinschaftsrechtlich einwandfrei getroffenen Maßnahme aufgrund eines Verstoßes gegen das Grundgesetz besteht hingegen nicht. Es existiert auch nicht die Möglichkeit, statt dessen dieses Gemeinschaftsrecht auf nationaler Ebene als nichtig zu behandeln, ihre innerstaatliche Durchführung zu verweigern oder eine einseitige Aufhebung zu erklären 432 . Liegt möglicherweise dennoch ein Verstoß gegen ein den Gemeinschaftsbürgern gewährtes Grundrecht vor, ist der Betroffene auf die auf Gemeinschaftsebene bestehenden Kontrollmöglichkeiten beschränkt. Er kann ein nationales Gericht anrufen, um gegen das in nationales Recht umgesetzte bzw. direkt anwendbare europäische Recht vorzugehen. Das Gericht legt dann die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vor, Art. 234 EG-Vertrag n.F. bzw. Art. 177 EG-Vertrag a.F. Trotz dieser grundsätzlich bestehenden Möglichkeit eines gerichtlichen Schutzes darf nicht verkannt werden, daß dieser Schutz einzelfall bezogen bleibt und damit auch in bestimmtem Maße unvorhersehbar ist. Abhilfe schaffen könnte nur eine Präzisierung des Richterrechts durch Entwicklung allgemeiner Rechtsprinzipien, nach denen der Schutz eines Grundrechtes gewährt wird. Hier bedarf es noch in weitem Umfang einer Konkretisierung, die derjenigen auf nationaler Ebene annäherungsweise vergleichbar ist.
V. Inhalt der Vertragsfreiheit Zu dem Inhalt des auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene garantierten Rechts auf Vertragsfreiheit hat sich der EuGH, dem die grundsätzliche Legitimation zur Konkretisierung der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte zusteht, nicht näher geäußert. Man muß jedoch hierbei ebenfalls auf die Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten abstellen. Übereinstimmend muß gelten, daß eine Rechtsordnung auf dem Prinzip der Vertragsfreiheit beruht, wenn die Parteien neben der Wahl des anderen Vertragspartners den Inhalt des Vertrages in beiderseitigem Einvernehmen nach freiem Belieben bestimmen können433 . Eine andere Definition ist auf der Grundlage der (allen Mitgliedstaaten zugrunde liegenden) Marktwirtschaft nicht möglich. Doch kann man bei dieser vom Liberalismus geprägten Ausgestaltung der Vertragsfreiheit nicht stehenbleiben. Wichtig wird, wie im 1. Teil für das nationale Recht gesehen, die inhaltliche Konkretisierung in den Fällen, in denen ein Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern besteht, welches dazu führen kann, daß die eine Vertragspartei im Ergebnis nur noch in eingeschränktem Maße von der ihr zustehenden Vertragsfreiheit Gebrauch Friauf/Scholz: Europarecht und Grundgesetz, S. 46. Siehe zu den weiteren Übereinstimmungen des Vertragsrechts in den Mitgliedstaaten Kötz: Europäisches Vertragsrecht, Band 1, insb. §§ 8 und 9. 432
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machen kann. Allen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten liegt deshalb der Gedanke zugrunde, daß der modeme Wohlfahrtsstaat in einem solchen Fall soziale Gerechtigkeit geWährleisten muß434 . Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang der durch den Amsterdam-Vertrag neu geregelte Art. 153 EG-Vertrag (eine Fortschreibung des Art. 129a EG-Vertrag a.F.), sowie Art. 3 t EG-Vertrag n. F. Darin verpflichtet sich die Gemeinschaft, zur Förderung der Interessen der Verbraucher und zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus einen Beitrag zum Schutz insbesondere der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher zu leisten. Festzuhalten bleibt hier, daß gerade der Vertragspartner, der als Verbraucher bezeichnet werden kann, als der innerhalb eines Vertragsverhältnisses wirtschaftlich und intellektuell unterlegene Teil angesehen werden muß 435 . Diese Tatsache fordert deshalb einen Schutz durch die hoheitlichen Organe heraus. Eine weitere unterstützungsbedürftige Gruppe von Vertragspartnern stellen die Arbeitnehmer dar. Auch deren Position soll nun verstärkt durch europäische Maßnahmen gefestigt werden, siehe dazu Art. 2 und 3 i EG-Vertrag n. F. Eine Konkretisierung der Ziele geschieht durch die neuen Art. 136 ff., 146ff. EG-Vertrag (siehe auch Art. 117ff., 123ff. EG-Vertrag a.F.). Hier wird ein bestimmter Schutz der Arbeitnehmer festgeschrieben, der gemäß Art. 137 Abs. 2 EG-Vertrag durch Richtlinien in das nationale Recht umgesetzt werden soll. Zur inhaltlichen Ausgestaltung der auf europäischer Ebene garantierten Vertragsfreiheit muß auch die europäische Sozialpolitik mit herangezogen werden. Hier muß ein Gleichlauf mit dem deutschen Recht stattfinden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Bürgschaftsentscheidung436 festgehalten, daß aus dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes eine Pflicht des Staates besteht, auf ein bestehendes Vertragsverhältnis dann durch Korrekturen einzuwirken, wenn der eine Vertragspartner unter Berufung auf die ihm zustehende Vertragsfreiheit Vertragsbedingungen festlegt, die für die andere Partei ungewöhnlich belastend sind. Die europäische Sozialpolitik besagt inhaltlich dementsprechend, daß sich die Politik der Gemeinschaft an sozialpolitischen Zielen orientieren muß. Das ergibt sich aus der Präambel, die von einer stetigen Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen als wesentliches Ziel spricht, weiterhin aus Art. 2 EG-Vertrag (hohes Maß an sozialem Schutz) und aus Art. 3j EG-Vertrag n.F. bzw. Art. 3i EGVertrag a. F. (Ziel einer Sozialpolitik mit einem Europäischen Sozialfonds, dazu auch Art. 146ff. EG-Vertrag n.F. bzw. Art. 123ff. EG-Vertrag a.F.)437. Kötz: Europäisches Vertragsrecht, Band 1, § 8, S. 197. Siehe dazu näher Kemper: Verbraucherschutzinstrumente, S. 30ff. 436 BVerfGE 89, 214 = NJW 94, 36 (38). 437 Die Mitgliedstaaten (mit Ausnahme von Großbritannien) unterzeichneten daneben die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, die so434 435
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Weiterhin wird die Sozialpolitik der Gemeinschaft in Art. 136 ff. EG-Vertrag n.F. bzw. Art. 117ff. EG-Vertrag a.F. geregelt. Nach dem EG-Vertrag in seiner alten Fassung bleibt die Kompetenz zur Gestaltung einer gemeinschaftlichen Sozialpolitik jedoch bei den einzelnen Mitgliedstaaten. Der Gemeinschaft sind demgegenüber nur Koordinierungskompetenzen sowie Förderungsaufgaben im Rahmen des Europäischen Sozialfonds zugewiesen. Beim Vorliegen bestimmter Kompetenznormen hat sie darüber hinaus das Recht zur inhaltlichen Gestaltung sozialpolitischer Aufgaben, wie z. B. gemäß Art. 118 a EG-Vertrag a. F. auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes438 . Art. 137 EG-Vertrag n. F. geht nun einen Schritt weiter. Darin verpflichtet sich die Gemeinschaft, die Tätigkeiten der Mitgliedstaaten auf den von der europäischen Sozialpolitik umfaßten Gebieten zu unterstützen und darüber hinaus zu ergänzen. Aufgezählt werden dann soziale Fragen, die sich auf das Arbeitsrecht beziehen. Doch kann ein europäisches Sozialrecht dabei nicht stehenbleiben. Das Arbeitsrecht ist nur die erste EinbruchsteIle für die Schaffung einer umfassenden europäischen Sozialpolitik, die neben dem Arbeitsrecht auch in anderen Bereichen eine gerechte Vertragsgestaltungsmöglichkeit sämtlicher am Vertrag beteiligter Parteien zum Ziel haben muß. Unabhängig von den europäischen Bestrebungen hat in allen Mitgliedstaaten bereits vorher beziehungsweise parallel dazu eine rege gesetzgeberische und richterliche Tätigkeit eingesetzt, die einen sehr weitgehenden Schutz geschaffen hat, um jedem Bürger das Recht der Vertragsfreiheit zur Verfügung zu stellen. Dies gilt insbesondere auf dem Gebiet des Arbeitsrechts sowie für die Gruppe der Mieter439 , darüber hinaus im Bereich Allgemeiner Geschäftsbedingungen44o • Die Grundtendenzen mit einem gewissen Mindestschutz für die als schwächer anzusehenden Vertragspartner sind somit in allen Mitgliedstaaten als gleichwertig anzusehen. Diese werden nun verstärkt durch die Maßnahmen der europäischen Organe zur Verwirklichung der oben genannten Ziele. Als Grundrechtsträger sind durch den EuGH generell neben natürlichen Personen auch Unternehmen anerkannt worden 44l • Auch diese müssen von ihrem Recht auf Vertragsfreiheit Gebrauch machen können, so daß auch ihnen ein Schutz zuteil werden kann. genannte Sozialcharta von 1989 (v. 9.12.1989 EG-Bulletin 1989/12, S. 9). Sie soll rechtlich unverbindlich als Ausgangsbasis und Bezugspunkt für die fortschreitende Gestaltung des "europäischen Sozialraums" dienen (dazu Geiger: Kommentar zum EG-Vertrag, Art. 117 Rn. 4). 438 Geiger: Kommentar zum EG-Vertrag, Art. 117 Rn. 6. 439 Kötz: Europäisches Vertragsrecht, Band 1, § 8, S. 193 ff. 440 Kötz: Europäisches Vertragsrecht, Band 1, § 8, S. 220ff. 441 EuGHE 1980, 2033ff. - RS 136/79.
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Damit kann der Inhalt der auf europäischer Ebene garantierten Vertragsfreiheit hinreichend konkret bestimmt werden. Dies ist erforderlich für den Fall, daß ein Streit darüber entsteht, ob die Maßnahme eines europäischen Organs in das grundsätzlich gewährte Recht der Vertragsfreiheit eingreift, da Maßstab der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Maßnahme nur der auf europäischer Ebene garantierte Grundrechtskatalog ist.
VI. Gewährleistung der Vertragsfreiheit auf europäischer Ebene durch Intensivierung des Verbraucherschutzes Wie oben gesehen, ist die Europäische Gemeinschaft im privatrechtlichen Bereich besonders auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes tätig geworden. Dieser wurde inhaltlich in dem sogenannten "Europäischen Wirtschaftsrecht" verankert. Darunter versteht Reich442 , aus der Perspektive des Verbrauchers betrachtet, den Schutz der Autonomie von Privatpersonen, die ohne Erwerbszweck auf dem Markt in Erscheinung treten, gegenüber Unternehmen, die auf dem Markt aktiv handeln, und gegenüber den Mitgliedstaaten sowie gegenüber der Gemeinschaft. Dem entspricht ein (hier alleine interessierender) tätigkeitsbezogener Verbraucherbegriff, wonach Verbraucher eine natürliche Person ist, die bei Abschluß eines Vertrages nicht zu einem einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zuzurechnenden Zweck handelt443 . Ausnahmsweise können auch juristische Personen Verbraucher sein, wenn sie ausschließlich der Förderung der Interessen privater Konsumenten dienen 444 . Dieser Schutz wird durch die Sicherung der Wahl- und Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers sowie (hier nicht weiter relevant) durch den Schutz spezieller Rechtsgüter wie Gesundheit, Sicherheit, Ersatz von erlittenem Schaden, Zugang zum Recht einschließlich kollektiven Rechtsschutzes, verwirklicht. In diesem Bereich erscheinen hoheitliche Maßnahmen zur Gewährleistung der Vertragsfreiheit besonders erforderlich, um eine gewisse Vertragsgerechtigkeit herzustellen. Begründet wird dies oft mit der schwachen Stellung des Verbrauchers. Durch die Marktkräfte werden insbesondere keine ausreichenden Verbraucherinformationen zur Verfügung gestellt, und es wird ein Machtungleichgewicht zugunsten großer Unternehmen geschaffen 445 . Eine Pflicht der Organe der Europäischen Union zum HanReich: Europäisches Verbraucherschutzrecht, S. 27. Dazu auch Kemper: Verbraucherschutzinstrumente, S. 26ff., der die Verbrauchereigenschaft dem Anbieter gegenüberstellt. Ebenso Dauner-Lieb: Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, S. 13. 444 Reich: Europäisches Verbraucherschutzrecht, S. 64 f.; Kemper: Verbraucherschutzinstrumente, S. 28. 442 443
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deIn, um einen gewissen Schutz der Verbraucher rechtlich zu fixieren, erscheint schon deshalb gerechtfertigt, als durch den Gemeinsamen Markt neue Gefahren für die Verbraucher auftreten können. Außerdem erscheint ein zentrales Handeln durch die Europäischen Organe in vielen Fällen effektiver und auch erforderlich, insbesondere soweit dieses der Durchsetzung der im EG-Vertrag genannten Ziele der Gemeinschaft dient. Notwendig ist es jedenfalls dann, wenn die Schwächen des Marktes über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausgehen. 1. Geschichtliche Entwicklung In den Jahren 1975 446 und 1981 447 erließ die Kommission der EG zwei verbraucherpolitische Programme, in denen ein Katalog von "Verbraucherrechten" zusammengestellt wurde448 . Zwar sind primär die Mitgliedstaaten eigenständig zur Ausarbeitung von Maßnahmen des Verbraucherschutzes verpflichtet, doch ist eine Tendenz hin zur Kompetenzausübung durch die Gemeinschaft erkennbar449 • Parallel dazu wurde der Verbraucherschutz durch die Rechtsprechung des EuGH auf europäischer Ebene fortentwickelt. In seiner Cassis-Entscheidung450 sah der EuGH den Verbraucherschutz als immanenten Rechtfertigungsgrund einzelstaatlicher Beschränkungen des freien Waren- (Art. 28 EG-Vertrag n.F. bzw. Art. 30 EG-Vertrag a.F.) und Dienstleistungsverkehrs (Art. 49 EG-Vertrag n. F. bzw. Art. 59 EG-Vertrag a. F.) an, sofern die Gemeinschaft nicht bereits gehandelt hat, und sofern die Maßnahmen nicht unverhältnismäßig und nicht diskriminierend angewendet werden. Eines der wichtigsten Ergebnisse dieser Entwicklung ist die bereits erwähnte Verankerung des Verbraucherschutzes in Art. 3 s) und 129a EGVertrag (a. F.) durch den Maastricht-Vertrag. Sie stellt damit noch keine eigene Gemeinschaftspolitik dar, sondern ist in die Politik der MitgliedstaaReich: Europäisches Verbraucherschutzrecht, S. 34. Vom 25.4.1975, ABlEG C 92. 447 Vom 3.6.1981, ABlEG C 133. 448 Sie lehnte sich damit an die Ergebnisse internationaler Diskussionen an, die auf europäische Ebene transportiert wurden. Daraus ergaben sich fünf "Grundrechte" der Verbraucher, die auf dieser europäischen Ebene verwirklicht werden sollten: a) Recht auf Schutz der Gesundheit und Sicherheit des Verbrauchers; b) Recht auf Schutz seiner wirtschaftlichen Interessen; c) Recht auf Wiedergutmachung erlittenen Schadens; d) Recht auf Unterricht und Bildung; e) Recht auf Vertretung (Recht, gehört zu werden). Sie werden aus der wirtschaftlich schwachen Position des Verbrauchers sowie der korrespondierenden starken Stellung des Unternehmers hergeleitet. Siehe dazu Reich: Europäisches Verbraucherschutzrecht, S. 31 f. 449 Reich: Europäisches Verbraucherschutzrecht, S. 301. 450 Urteil vom 20.2.1979, Slg.1979, 649/662 RdNr. 8. 445
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
ten eingebunden und will zu ihrer Verwirklichung beitragen. Diese vertragliche Fixierung wurde verstärkt durch das von dem Rat ausgearbeitete Aktionsprogramm vom 13. Juli 1992451 . Darin wurden sechs Prioritäten für eine Gemeinschaftspolitik zum Schutz der Verbraucherinteressen verankert. Die wichtigsten sind die Einbeziehung der Politik zum Schutz und zur Förderung der Verbraucherinteressen in andere gemeinsame Politiken, die Verbraucherinfonnation und Verbraucheraufklärung sowie wirtschaftliche Interessen452 . Durch den Vertrag von Amsterdam wird der Verbraucherschutz in Art. 3 t) und 153 EG-Vertrag (n. F.) in verstärkter Fonn in die Politik der Gemeinschaft eingebunden.
2. Realisierung des Verbraucherschutzes Rechtliches Instrument der Realisierung des Verbraucherschutzes durch Rechtsangleichung war zunächst die Generalklausel des Art. 94 EG-Vertrags n. F. bzw. Art. 100 EG-Vertrags a. F. Aufgrund dieser Generalklausel wurden vorwiegend Richtlinien i. S. d. Art. 249 Abs. 3 EG-Vertrag n. F. bzw. Art. 189 Abs. 3 EG-Vertrag a.F. erlassen. Durch die Einfügung des Art. 100a EG-Vertrag a. F. (Art. 95 EG-Vertrag n. F.) am 1. Juli 1987 wurde die Rechtsetzungskompetenz der EG erweitert. Im Ergebnis bedeutet das für den Verbraucherschutz, daß bezüglich der Kompetenz der Europäischen Union zum Erlaß von Maßnahmen nur wenige sachliche Schranken bestehen. Dies gilt jedenfalls für den Bereich der Verbraucherinfonnation453 .
3. Integration in die Politiken der Gemeinschaft Der Verbraucherschutz kann nur in die der Kompetenz der Gemeinschaft zugewiesenen Bereiche integriert werden. Dazu zählt zunächst einmal die Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft. Sie kommt in Art. 3 a und g sowie in den Art. 81ff. EG-Vertrag n.F. bzw. Art. 85ff. EG-Vertrag a.F. zum Ausdruck. In Art. 81 Abs. 2 EG-Vertrag n.F. bzw. Art. 85 Abs. 2 EG-Vertrag a. F. wird ausdrücklich angesprochen, daß die nach Art. 85 Abs. 1 EG-Vertrag verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse nichtig sind. Dieser Artikel richtet sich unmittelbar an die Unternehmer, kommt aber mittelbar den Verbrauchern zugute, indem er Monopole verhindert und dadurch für einen ausgeglichenen Wettbewerb sorgt. Dadurch kann die Entscheidungsfreiheit ABlEG C 186/ I. Die anderen Prioritäten beziehen sich auf die Öffnung des Rechtsweges, die Sicherheit und Gesundheit und die Verbrauchervertretung. 453 Reich: Binnenmarkt als Rechtsbegriff, EuZW 91, 203 ff. (208). 451
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§ 8 Europarechtliche Grundlagen und Einflüsse auf die Vertragsfreiheit
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der Verbraucher erhöht werden, die Preise pendeln sich auf einer angemessenen Höhe ein, und die Qualität der angebotenen Ware oder Dienstleistung wird unter dem Druck der Konkurrenz erhöht. In Zusammenhang damit steht die europäische Grundfreiheit des freien Warenverkehrs, der in Art. 28 EG-Vertrag n.F. bzw. Art. 30 EG-Vertrag a. F. verankert ist. Die Auslegung dieses Art. 28 EG-Vertrages n. F. (Art. 30 EG-Vertrag a. F.) durch den EuGH enthält Elemente eines "Grundrechts" des europäischen Verbrauchers auf Wahl- und Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der zu seiner Bedarfsbefriedigung dienenden Produkte454 . Das Recht der Verbraucher auf Vertragsfreiheit erhält damit in der Praxis eine Verstärkung durch die Gewährleistung des freien Warenverkehrs in der Europäischen Union. Auch die in Art. 49 EG-Vertrag n.F. (Art. 59 EG-Vertrag a.F.) verankerte Dienstleistungsfreiheit kann im Zusammenhang mit der Vertragsfreiheit erwähnt werden. Sie zählt ebenfalls zu den Grundfreiheiten im Binnenmarkt. Der Schutzzweck liegt zunächst einmal außerhalb des Verbraucherschutzes, da sie primär dem Dienstleistungserbringer dient. Er hat das Recht, in der gesamten Gemeinschaft seine Dienstleistungen anzubieten. Damit steigt die Anzahl der potentiellen Vertragspartner um ein vielfaches an. Parallel dazu wird das Recht auf Vertragsfreiheit in Form der freien Wahl des Vertragspartners erweitert. Daneben dient die Dienstleistungsfreiheit auch dem Verbraucher, also dem privaten Abnehmer, der durch die erweiterten Möglichkeiten der Anbieter von Dienstleistungen ebenfalls ein größeres Wahlrecht bezüglich des für ihn günstigsten Vertrags partners erhält. Die Europäische Gemeinschaft hat eine Anzahl von Richtlinien erlassen, die durch Realisierung ihrer verbindlichen Ziele zu einem verbesserten Verbraucherschutz in der gesamten Gemeinschaft führen. a) Der Schutz der Verbraucher vor dem Abschluß nachteiliger Verträge kann dadurch verstärkt werden, daß täuschende und irreführende Werbung verboten wird455 • Bereits im Jahre 1978 wurde von der Kommission ein erster Richtlinienentwurf vorgelegt456 . Nach ausgedehnten Diskussionen wurde 1984 die Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung 457 erlassen, die einen Mindeststandard an Vorschriften zur Vermeidung irreführender Werbung vorsieht. Ziel ist es zu erreichen, daß sich der Verbraucher unbeein454 Steindorff: Probleme des Art. 30 EWG-Vertrag, ZHR 148 (1984) 338ff. (339f.). 455 Dazu umfassend: Reich: Europäisches Verbraucherschutzrecht, S. 309ff. 456 ABlEG C 70/4 vom 21.3.1978. 457 Angenommen am 10.9.1984, ABlEG L 250/17 vom 19.9.1984.
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
flußt von Fehlinfonnationen über Waren und Dienstleistungen infonnieren kann und dann in der Lage ist, eine freie Entscheidung darüber zu treffen, welchen Vertrag er schließen will. b) Weiterer Schutz wird dadurch erreicht, daß Verträge, die in bestimmten Situationen abgeschlossen werden, nur unter besonderen Bedingungen als gültig anerkannt werden. Bereits Mitte der 70er Jahre wurde eine Richtlinie zum Schutz von Haustürgeschäften vorbereitet458 • Ein erster Vorschlag erging 1977459 . Die 1985 beschlossene Richtlinie betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen460 trägt nun der Tatsache Rechnung, daß der Verbraucher in der von der Richtlinie umfaßten Situation eines Haustürgeschäftes oder einer ähnlichen Vertragsanbahnung nicht so umfassend infonniert ist, daß er eine für ihn vorteilhafte Entscheidung über einen Vertrags schluß treffen kann. Durch das siebentägige Widerrufsrecht kann er von seiner grundsätzlich bestehenden Entscheidungsfreiheit wieder Gebrauch machen. c) Auch auf dem Gebiet der Verbraucherverschuldung sah die Europäische Gemeinschaft einen Handlungsbedarf. Hier sollte vor allem der aggressiven Kreditwerbung, dem Zinswucher und der unangemessenen Vertragsklauseln ein rechtliches Instrumentarium entgegengesetzt werden. Ein erster Vorschlag wurde bereits im Jahre 1979 vorgelegt461 . Nach einigen Änderungen wurde am 22. Dezember 1986 vom Rat die Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungs vorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit462 angenommen. Diese beschränkt sich auf den Erlaß infonnationspolitischer Regeln und überläßt die Aufstellung von Schutzstandards nahezu vollständig den Mitgliedstaaten. d) Auf dem Gebiet des Reiserechts wurde im Jahre 1988 ein erster Richtlinienvorschlag463 erlassen, dessen wichtigstes Ziel der Schutz des Pauschalreisenden vor Konkurs (Insolvenz) des Reiseveranstalters ist. Dieser führte zum Erlaß der Richtlinie über Pauschalreisen464 . Ausgangspunkt eines Schutzes des Reisenden ist die Infonnationspflicht des Veranstalters. 458 Im Ersten Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher von 1975 (ABlEG C 92/ Uf.) wurde unter Nr. 24 iii der Schutz des Verbrauchers vor mißbräuchlichen HandeIspraktiken insbesondere bei Haustürgeschäften zu einem der Hauptziele europäischer Verbraucherpolitik erklärt. 459 ABlEG C 22/6ff. vom 17.1.1977. 460 ABlEG L 372/31 vom 31.12.1985. 461 ABlEG C 80/4 vom 27.3.1979. 462 ABlEG L 42/48 vom 12.2.1987. 463 ABlEG C 96/5 vom 12.4.1988. 464 ABlEG L 158/59 vom 23.6.1990.
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e) Weiterer Bereich, in dem der Verbraucher als schutzwürdig angesehen wird, ist der des Teilzeitnutzungsrechts. Ein erster Richtlinienvorschlag wurde 1992 erlassen 465. Am 26. Oktober 1994 verabschiedeten das Europäische Parlament und der Rat die Richtlinie zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien466 . Zweck der Richtlinie soll es sein, wenigstens bestimmte Aspekte des Vertragsabschlusses, nämlich die Information über die Vertragsinhalte und die Einzelheiten der Übermittlung der Information sowie die Verfahren und Einzelheiten des Rücktrittsrechts zu regeln. f) Aktuellste Richtlinie ist die des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Femabsatz467 . Ihr gingen einige Vorschläge der Kommission468 und Stellungnahmen des Wirtschafts- und Sozialausschusses469 voraus. Wichtiger Bestandteil der Richtlinie ist die Information des Verbrauchers, der einen Vertragsabschluß im Fernabsatz anstrebt. In Art. 4 wird insbesondere festgeschrieben, daß die Identität des Lieferanten sowie unter Umständen seine Anschrift, die wesentlichen Eigenschaften der Ware oder Dienstleistung und der Preis dem Verbraucher vor Abschluß des Vertrages bekanntgegeben werden müssen. Darüber hinaus muß der Verbraucher gemäß Art. 5 eine schriftliche Bestätigung der Information während der Erfüllung des Vertrages bekommen. Weitere wichtige Regelung ist die Einführung eines generellen Widerrufsrechtes innerhalb einer Frist von sieben Werktagen (Art. 6). Dieses Widerrufsrecht gilt ohne Angabe von Gründen. Es kommt also nicht darauf an, ob der Verbraucher bei Vertragsschluß in einer unterlegenen Situation war, aus der sich eine hoheitliche Schutzpflicht ergeben könnte.
Damit hat die Europäische Gemeinschaft zum Schutz des Verbrauchers in vielfaltiger Weise durch Richtlinien die Voraussetzung dafür geschaffen, daß die Unionsbürger von ihrem Recht auf Vertragsfreiheit Gebrauch machen können. Hauptanliegen war dabei die Verbesserung der Information der Verbraucher vor dem Abschluß eines Vertrages über eventuelle nachteilige Vertragsbestandteile. Wird der Verbraucher mit allen nötigen Informationen versorgt, bevor er sich zu einem Vertragsschluß entschließt, muß er in der Lage sein, eine eigene und freie Entscheidung darüber zu treffen, ob, mit wem und mit welchem konkreten Inhalt er einen Vertrag schließen 465 466 467 468 469
ABlEG ABlEG ABlEG ABlEG ABlEG
14 Knobel
C 222/5 vom 29.8.1992. L 280/83 vom 29.10.1994. L 144 vom 4.6.1997 = NJW 98,212. C 156/14 vom 23.6.1992 und ABlEG C 308/18 vom 15.11.1993. C 19 vom 25.1.1993, S. 111.
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
will47o . Nach Hommelhoff erfordert ein marktkomplementäres Zivilrecht den eigenverantwortlichen Verbraucher471 .
VII. Europarechtliche Gefährdung der Vertragsfreiheit? Die grundsätzlich auch auf europäischer Ebene gewährleistete Vertragsfreiheit unterliegt in gleichem Maße der Ausgestaltungsmöglichkeit durch die Organe der Europäischen Gemeinschaft wie das durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerte Recht auf Vertragsfreiheit. Doch diese Möglichkeit darf ebensowenig wie auf nationaler Ebene dazu führen, daß das auf europarechtlicher Ebene verankerte Recht durch die Rechtshandlungen der Gemeinschaftsorgane faktisch ausgehöhlt wird mit der Konsequenz, daß durch die grundsätzliche Verbindlichkeit der Rechtsetzung für die Staaten der Europäischen Union auch deren national garantierte Vertragsfreiheit verletzt wird. 1. Richtlinie des Rates über mißbräuchliche Klauseln
in Verbraucherverträgen
Eine Gefahr der Verletzung der verfassungsrechtlich garantierten Vertragsfreiheit wurde Anfang der 90er Jahre in dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 24. Juli 1990472 gesehen. Dieser Vorschlag wurde von dem Bundesrat mit der Begründung abgelehnt, daß er das Grundprinzip der Vertragsfreiheit in seinem Kerngehalt berühre473 • In die gleiche Richtung geht die Kritik an diesem Vorschlag, die durch die Literatur geäußert wurde474 . Eine Ausgestaltung der Vertragsfreiheit dürfe nur dort erfolgen, wo dies erforderlich erscheine, um eine Fremdbestimmung der einen Vertragspartei aufgrund der Übermacht der anderen Partei zu verhindern. Nach der Begründung des Vorschlags diente dieser dem Schutz des Verbrauchers vor Gefährdungen durch standardisierte Klauseln in Verträgen, wie dies bereits das AGBGesetz bezweckt. Darüber hinaus wurden auch Individualvereinbarungen 470 Siehe zu den Infonnationsmöglichkeiten umfassend Kemper: Verbraucherschutzinstrumente, S. 176 ff. 471 Hommelhoff: Verbraucherschutz im System des deutschen und europäischen Privatrechts, S. 10. 472 ABlEG 1990, C 243/2, Begründung und Richtlinienvorschlag abgedruckt in ZIP 91,200; siehe jetzt auch ABlEG 1993 L 95/29. 473 BR-Drucksache 611/90 vom 1.3.1991. 474 Hommelhoff: Zivilrecht unter dem Einfluß europäischer Rechtsangleichung, AcP 192 (1992) 71ff. (90ff.); Brandner/Ulmer: EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, BB 91, 701 ff. (704).
§ 8 Europarechtliche Grundlagen und Einflüsse auf die Vertragsfreiheit
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von dem Vorschlag miterfaßt475 • Gerade hier entfallen jedoch die spezifischen Gefahren, die sich durch das einseitige Aufstellen der Vertrags bestandteile der stärkeren Vertragspartei ergeben 476 . Durch diese Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereiches der EG-Richtlinie würden die der Vertragsfreiheit zukommenden einzel- und gesamtwirtschaftlichen Funktionen in erheblichem Maße eingeschränkt477 . Weiterhin wurde kritisiert, daß der Vorschlag in Art. 2 Nr. 1, 1. Spiegelstrich vorsehe, daß eine Klausel unter anderem dann mißbräuchlich sein soll, wenn sie zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches Mißverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien verursache. Damit werde im Ergebnis die Angemessenheit von Preis und Leistung durch gerichtliche oder behördliche Überprüfung geregelt, statt sie dem Marktmechanismus zu überlassen. Eine solche Angemessenheits- oder Äquivalenzkontrolle durch die Gerichte oder durch Behörden würde die Marktgesetze partiell außer Kraft setzen und damit ein planmäßiges Marktverhalten der Anbieter unmöglich machen478 • Art. 2 Nr. 1, 2. Spiegel strich sah darüber hinaus vor, daß eine Vertragsklausel dann als mißbräuchlich anzusehen sei, wenn die Erfüllung des Vertrages für den Verbraucher ungebührliche Nachteile mit sich bringe. Hier würde dem Richter ein sehr weit reichender Spielraum zum Eingriff in den Vertrag bleiben479 • Weiterhin kritisiert wurde, daß die Richtlinie als reines Verbraucherschutzrecht konzipiert worden sei, d. h. Verträge, die mit gewerblich oder beruflich tätigen Vertragspartnern als Kunden abgeschlossen werden, wurden von dem Richtlinienvorschlag vollständig ausgeklammert480 . Dies ergibt sich aus Art. 1 iVm Art. 2 Nr. 3 und 4 sowie Art. 3, 1. Spiegelstrich. Es würde zu einer Aufspaltung des Vertragsrechts in ein Verbraucher- und ein Wirtschaftsrecht kommen. Wie oben gesehen481 , muß jedoch das Recht der Vertragsfreih~it grundsätzlich auch von Unternehmen in Anspruch genommen werden können. Nur wenn der Verbraucher sich in 475 Es mangelt deshalb bereits an der Begründungsvoraussetzung des Art. 253 EG-Vertrag n.F. bzw. Art. 190 EG-Vertrag a.F. 476 Canaris: Verfassungs- und europarechtliche Aspekte der Vertragsfreiheit, FS Lerche, S. 873 ff. (888). 477 Brandner/Ulmer: EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, BB 91, 701 ff. (704). Bunte: Gedanken zur Rechtsharmonisierung in der EG auf dem Gebiet der mißbräuchlichen Klauseln in Verbraucherverträgen, FS Locher, S. 325 ff. (331). 478 Brandner/Ulmer: EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, BB 91, 70lff. (705). 479 Hommelhoff: Zivilrecht unter dem Einfluß europäischer Rechtsangleichung AcP 192 (1992) 71 ff. (90ff.); Brandner/Ulmer: EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, BB 91, 701 ff. (704f.). 480 Dazu Brandner/Ulmer: EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, BB 91, 701 ff. 481 § 8 V. 14·
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
einer Situation befindet, in der er typischerweise in einer unterlegenen Position ist, kann es zu einer Differenzierung bezüglich des persönlichen Anwendungsbereiches einer gesetzlichen Regelung kommen. Hier sind jedoch auch (kleinere) Unternehmen den Gefahren vorformulierter Vertragsbedingungen ausgesetzt, wenn sie Verträge mit Großunternehmen schließen. Dem wird der Richtlinienentwurf vom 24. Juli 1990 nicht gerecht. Er verstößt damit gegen den Grundgedanken des AGB-Gesetzes, welches der Bekämpfung der aus vorformulierten Vertrags bedingungen herrührenden Gefahren für die Vertragsgerechtigkeit dient482 • Am 5. März 1992 wurde ein weiterer Vorschlag für eine EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen erlassen 483 . Darin wurde jedoch weiterhin in Art. 3 Abs. 3 und Art. 4 an einer Inhaltskontrolle von im einzelnen ausgehandelten Vertragsklauseln festgehaIten. Auch dieser Entwurf wurde nicht als Richtlinie verabschiedet. Unter dem Eindruck des weitreichenden Protestes gegen die Entwürfe der EG-Richtlinie fand eine neue Überarbeitung statt. Am 22. September 1992 wurde ein gemeinsamer Standpunkt des Rates im Hinblick auf die Annahme der Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen festgelegt 484 . Danach soll die in der Richtlinie angelegte Inhaltskontrolle auf Vertragsklauseln beschränkt werden, die nicht im einzelnen ausgehandelt worden sind (Art. 3 Abs. I und 2). Auch die gerichtliche und behördliche Preis-Leistungskontrolle wird ausdrücklich (Art. 4 Abs. 2) nicht mehr von der Richtlinie erfaßt. Die Mißbräuchlichkeit einer Vertragsklausel, die sich aus der ungebührlichen Benachteiligung des Verbrauchers durch die Erfüllung des Vertrages ergibt, wurde ebenfalls in dem neuen Entwurf nicht mehr aufgenommen. Die Generalklausel des neuen Art. 3 Abs. 1 wird nun auf eine verkürzte, bei dem Gebot von Treu und Glauben ansetzende Formel gebracht. Allerdings bleibt es bei der Zielgruppe der Richtlinie, die sich nur an Verbraucher wendet, die mit Gewerbetreibenden einen Vertrag schließen, der eine mißbräuchliche Klausel enthält (Art. 1 Abs. 1). Die daraufhin verabschiedete Richtlinie des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen wurde umgesetzt durch Gesetz vom 19. Juli 1996485 • Sie führte zu einer Änderung der 482 Dazu Bunte: Gedanken der Rechtsharmonie in der EG auf dem Gebiet der mißbräuchlichen Klauseln in Verbraucherverträgen, FS Locher, S. 325 ff. (330). Siehe dazu jedoch auch § 24 S. I Nr. 1 AGB-Gesetz, der die Anwendung wesentlicher Vorschriften des AGB-Gesetzes für Allgemeine Geschäftsbedingungen ausschließt, wenn sie gegenüber einem Kaufmann verwendet werden und der Vertrag zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehört. 483 Vorschlag vom 5.3.1992 - KOM (92) 66 endg. - SYN 285, ABlEG Nr. C 73, S.7. 484 Abgedruckt in ZIP 92, 1590ff. mit Einführung von Brandner.
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§§ 12 und 24 a AGBG. Durch diese Änderungen des AGB-Gesetzes wird der Schutz der Vertragsfreiheit insbesondere durch die Erweiterung des Anwendungsbereiches auf Fälle einmaliger Verwendung bestimmter vorformulierter Geschäftsbedingungen ausgebaut. Die Richtlinie bezweckt eine partielle Harmonisierung des Verbraucherschutzrechtes in allen Mitgliedstaaten486 . Demgegenüber wird als Ziel des AGB-Gesetzes die Verhinderung des Mißbrauchs der dem AGB-Verwender eingeräumten Vertragsgestaltungsfreiheit im allgemeinen, nicht der spezielle Schutz des Verbrauchers als dem grundsätzlich schwächeren Vertragspartner genannt. Praktisch dient es aber vor allem dem Verbraucherschutz487 , so daß einer Integration der Richtlinie in das AGB-Gesetz nicht dessen Schutzgedanken entgegen steht488 .
2. Richtlinie über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen Die Betriebsübergangs-Richtlinie489 führt dazu, daß Rechte und Pflichten des Betriebs- oder Unternehmensveräußerers aus einem bestehenden Arbeitsvertrag aufgrund des Betriebs- oder Unternehmensübergangs auf den Erwerber übergehen, Art. 3 Abs. 1. Dem entspricht § 613a Abs. I S. I BGB. Für den Arbeitnehmer bedeutet das, daß er durch den Betriebsübergang mit einem anderen Vertragspartner konfrontiert wird als demjenigen, 485 Gesetz zur Änderung des AGB-Gesetzes und der Insolvenzordnung, BGBI. I S. 1013. 486 Eine Fortsetzung dieser Richtlinie stellt nun der am 18.6.96 vorgelegte Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Verbrauchsgüterkauf und -garantien dar, abgedruckt in ZIP 96, 1845 ff. Er dient der Angleichung der Garantieregelungen und der Verbesserung des Kundendienstes für Güter und Dienstleistungen im Falle einer unzulänglichen Vertragsausführung im Binnenmarkt zum Schutze der Verbraucher. Der Vorschlag will durch die Vereinheitlichung der Rechte der Verbraucher für einen Anstieg der grenzübergreifenden Kaufgeschäfte sorgen und führt damit zu einer Ausweitung der möglichen Vertragspartner mit dem Ziel, den Verbraucher in die Lage zu versetzen, den für ihn günstigsten Vertrag abzuschließen. Dazu auch Medicus: Ein neues Kaufrecht für Verbraucher? ZIP 96, 1925 ff.; Stellungnahme des Rechtsausschusses des Bundesrates vom 23.10.96, abgedruckt in ZIP-aktuell, Heft 43, Nr. 259; Schrnidt-Räntsch: Zum Stand der Kaufrechtsrichtlinie, ZIP 98, 849ff.; Politische Festlegung des gemeinsamen Standpunktes zum Verbrauchsgüterkauf, ZIP 98, 889ff. 487 Palandt-Heinrichs BGB Einf v AGBG, Rn 7. 488 Dem widerspricht Hommelhoff (mit weiteren Nachweisen) in: Verbraucherschutz im System des deutschen und europäischen Privatrechts, S. 8. Er kritisiert die unterschiedlichen Ansätze der Schutzbestimmungen im AGB-Gesetz und in der Klausel-Richtlinie. 489 ABlEG 1977 L 6l/26.
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
mit dem er ursprünglich seinen Arbeitsvertrag geschlossen hat. Die komplette Richtlinie wurde durch Änderung des § 613a BGB 490 in nationales Recht umgesetzt. Der in dem gesetzlich angeordneten Übergang des Vertragsverhältnisses liegende Eingriff in die Vertragsfreiheit491 könnte dadurch kompensiert werden, daß dem Arbeitnehmer das Recht zugebilligt wird, dem Vertragsübergang zuzustimmen oder zu widersprechen. Dieses Problem wurde bereits vor Inkrafttreten der Richtlinie erkannt. Das BAG bejahte ein Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers bei Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebsnachfolger492 . Doch diese Möglichkeit einen rechtlichen Komprorniß zu finden, um die sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene gewährte Vertragsfreiheit in die Rechtspraxis umzusetzen, wurde nach Erlaß der Richtlinie vom EuGH zunächst abgelehnt493 • Nach Meinung des EuGH erfolge der Übergang des Arbeitsverhältnisses ipso iure alleine aufgrund des Betriebsüberganges, selbst wenn die im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer dem nicht zustimmten oder hiergegen Einwände erhöben. Beachtlich ist, daß dies alles nur zum Schutze des Arbeitnehmers geschah. Diesem bliebe danach nur die Möglichkeit, den Arbeitsvertrag zu kündigen mit allen Konsequenzen einer Eigenkündigung. Die Frage der Zumutbarkeit einer Kündigung würde dann keine Rolle mehr spielen. Hommelhoff äußerte sich deshalb dahingehend, daß das Leitbild der Richtlinie der zum eigenen Schutz seiner Vertragsfreiheit beraubte und teilentmündigte Arbeitnehmer sei494 . Später stellte der EuGH495 jedoch klar, daß damit lediglich ausgeschlossen werden sollte, daß ein Arbeitnehmer den Übergang der Verpflichtungen auf den Erwerber durch seinen Widerspruch verhindern könne, ohne dem Übergang des Arbeitsverhältnisses als solchem zu widersprechen. Dagegen verpflichte die Richtlinie den Arbeitnehmer nicht, sein Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber fortzusetzen, stehe daher einem den Übergang hindernden Widerspruchsrecht nicht entgegen. Das BAG496 vertritt in Übereinstimmung mit dem EuGH und in Fortsetzung seiner bereits vor Erlaß der Richtlinie ergangenen Rechtsprechung zu § 613a BGB die Ansicht; daß ein rechtzeitiger Widerspruch des Arbeitneh490 Der ursprüngliche § 613a Abs. 1 BGB wurde durch das EG-Anpassungsgesetz vom 13.8.1980 (BGB!. I S. 1308) durch die Sätze 2, 3 und 4 erweitert, Abs. 4 wurde hinzugefügt. 491 Dazu Staudinger-Richardi BGB § 613a Rn. 17ff. 492 BAG AP Nr 1, 8, 10,21,37 zu § 613a BGB. 493 EuGHE 1988,2577 (2581 f.) - Besi Mill = BB 91, 208 (209). 494 Hommelhoff: Zivilrecht unter dem Einfluß europäischer Rechtsangleichung, AcP 192 (1992) 71 ff. (90). 495 Urteil vom 16.12.92 AP Nr. 97 zu § 613a - Katsikas. 496 NJW 93, 3156f. = AP Nr. 22 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, Urteil vom 7.4.93. Ebenso AP Nr. 1, 8, 10,21,55 zu § 613a.
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mers den Übergang des Arbeitsverhältnisses verhindern könne. Dieses Widerspruchsrecht ist zwar in § 613 a BGB nicht ausdrücklich normiert, muß dem Arbeitnehmer aber im Wege der verfassungskonformen Auslegung zugebilligt werden. Dabei hat das BAG klargestellt, daß es nur um ein den Übergang des Arbeitsverhältnisses hinderndes Widerspruchsrecht gehen könne497 • Zur Begründung wird unter anderem auf das Grundrecht der freien Arbeitsplatzwahl aus Art. 12 GG verwiesen. Doch würde ein Übergang ohne Widerspruchsrecht direkt die Freiheit der Vertragspartnerwahl beeinträchtigen und damit in die Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers eingreifen. Ein Kündigungsrecht stellt nur einen unvollständigen Schutz dar, weil der Betriebsübergang nicht für alle Arbeitnehmer einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB darstellt498 • Damit wurde durch die Bindungswirkung der EG-RichtIinie über die Wahrung der Ansprüche von Arbeitnehmern beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen und durch die Auslegung des EuGH (siehe Art. 234 EG-Vertrag n.F. bzw. Art. 177 EG-Vertrag a.F.) kein der Vertragsfreiheit zuwider laufendes Recht geschaffen. Die durch den Gesetzgeber vorgegebenen Normen wurden durch die Bejahung eines Widerspruchsrechtes des Arbeitnehmers bei Übergang eines Unternehmens, Betriebes oder Betriebsteiles verfassungskonform ausgelegt.
VIII. Ergebnis Die Vertragsfreiheit ist damit auch auf europäischer Ebene geschützt. Sie kommt besonders in den verbraucherschützenden Maßnahmen der Europäischen Union zum Ausdruck. Im Vordergrund steht dabei die Information des Verbrauchers. Dieser Information ist gegenüber Verboten jedweder Art der Vorrang einzuräumen. Aus diesem Grund müssen Maßnahmen der Organe kritisiert werden, die den Bürger unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes in seinem Recht auf Vertragsfreiheit einengen oder zu weit schützen, so daß der Schutz in sein Gegenteil verkehrt wird. Darunter fällt auch die zu weit gehende Möglichkeit, von einem Widerrufsrecht Gebrauch machen zu können, ohne daß ein bestimmter Widerrufsgrund vorliegen muß, wie dies beispielsweise die FernabsatzrichtIinie vorsieht. Dadurch wird der andere Vertragspartner benachteiligt, der unter Umständen schon Maßnahmen zur Vertragserfüllung in die Wege geleitet hat und sich auch sonst vertragskonform verhält. Weiteren Gefahren einer Einschränkung der Vertragsfreiheit durch europäische Richtlinien ist entschieden entgegengetreten worden. So wurde die Richtlinie des Rates über miß497 498
AP Nr. 55 zu § 613a; AP Nr. 7 zu BetrAVG § 1 Betriebsveräußerung. BAG AP Nr. 55 zu § 613a.
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2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
bräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen in ihrer ursprünglichen Fassung nicht verabschiedet. Der Kritik an der Richtlinie über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen wurde durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 613a BGB begegnet. Eine Gefahr für die Vertragsfreiheit durch die europäischen Organe wird wohl auch weiterhin nur durch einen zu starken Schutz des als schwächer anzusehenden Vertragspartners drohen.
§ 9 Schlußbetrachtung I. Einleitung Wie oben dargestellt, ist das Recht auf Vertragsfreiheit verfassungsrechtlich gewährleistet. Die daraus abgeleiteten Rechte der Bürger führen dazu, daß die Gerichte und der Gesetzgeber verpflichtet sind, Kontrollmechanismen zur Verfügung zu stellen, um das Recht auf Vertragsfreiheit zu realisieren. Doch kann nicht in jedem Fall eine hoheitliche Maßnahme verlangt werden, die sich auf einen Vertrag auswirkt, dessen Beteiligte eine unterschiedlich starke Position innehaben. Rein formell steht, wie gesehen499 , insbesondere das Prinzip der Rechtssicherheit entgegen. Doch auch aus dem Wesen der Vertragsfreiheit müssen sich, über die immanenten Schranken der Verfassung hinausgehend, gewisse Grenzen ergeben. Es gilt das Prinzip der Selbstverantwortung. Dieses kann dazu führen, daß der von der Rechtsordnung gewährte Schutz der als schwächer anzusehenden Vertragspartei in einigen Situationen als zu weit gehend angesehen werden muß5OO • Es muß in einem letzten Schritt untersucht werden, welche Konsequenzen sich aus der Beachtung des Prinzips der Selbstverantwortung für die Schutzpflichten der Gerichte und des Gesetzgebers ergeben.
11. Begriff der Selbstverantwortung Leitbild des mündigen Bürgers Larenz führte bei der Untersuchung der Grundlagen des Bürgerlichen Gesetzbuches aus, dem Privatrecht liege der einzelne Bürger zugrunde, der aufgrund der ihm verliehenen Selbstverantwortung in der Lage sei, sein Dasein frei und verantwortlich zu gestalten50I • Leitbild des Privatrechts ist Siehe § 7 IV 4. Siehe § 5 V, § 8 VIII. 501 Larenz: Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, § 2 I. Ebenso Wieacker: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 482. 499
500
§ 9 Schlußbetrachtung
217
damit der sogenannte "mündige Bürger" (ab Erreichung der Volljährigkeit gemäß §§ 2, 104ff. BGB), dem das Recht zustehen soll, eigenständig darüber zu entscheiden, was für ihn gut oder schlecht ist502 . Diese dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrundeliegende Selbstverantwortung des Einzelnen wird von Flume als ein Teil der Selbstbestimmung angesehen. Jeder Bürger müsse eigenständig entscheiden, ob er von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch machen wolle. Die Selbstverantwortung stelle damit das Korrelat der Freiheit zur Selbstbestimmung d~o3. Auch Wolf vertritt die Meinung, die verantwortliche Bindung an den selbstgeschaffenen Interessenausgleich sei notwendiger Bestandteil der vertraglichen Gestaltungsfreiheit504 • Demgegenüber geht Bydlinski davon aus, daß die Selbstverantwortung nicht Teil der Selbstbestimmung ist, sondern neben ihr steht505 • Doch muß man der Meinung folgen, die die Selbstverantwortung als Korrelat der Vertragsfreiheit ansieht. Die Selbstverantwortung kann dazu führen, daß von dem Recht auf Vertragsfreiheit nur begrenzt Gebrauch gemacht werden darf.
III. Auswirkungen der Selbstverantwortung und deren Abgrenzung zum Schutz des schwächeren Vertragspartners Grundsätzlich besteht damit eine Selbstverantwortung jeder Person für ihr rechtsgeschäftliches Handeln, die jedoch begrenzt sein muß. Dabei zeigt das Bürgerliche Gesetzbuch bereits in § 138 Abs. 2 BGB erste Ausnahmen auf, indem es von der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen und von einer erheblichen Willensschwäche des einen Vertrags partners spricht. In diesen Fällen wird der betroffene Vertragspartner bei auffälligem Mißverhältnis zwischen Leistung und Vermögensvorteil von seiner rechtlichen Verantwortlichkeit befreit, da ein solcher Vertrag als nichtig angesehen wird. Doch auch durch viele andere Vorschriften rückt der Gesetzgeber von dem Leitbild des mündigen Bürgers ab. Insbesondere im Verbraucher502 Daß "der Bürger" dazu nicht in der Lage ist, versucht v. Hippel [in: Herausforderungen der Rechtswissenschaft, JZ 98, 529ff. (531)] durch eindrucksvolle Beispiele zu belegen. 503 Flume: Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, S. 61. Flume beschreibt diese sich aus der Privatautonomie ergebende Freiheit als Anerkennung der Selbstherrlichkeit des Einzelnen hinsichtlich der schöpferischen Gestaltung von Rechtsverhältnissen [in: Rechtsgeschäft und Privatautonomie, FS Deutscher Juristentag, S. 135 ff. (146)]. 504 Wolf: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 3. 505 Bydlinski: Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 54 f.
218
2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
schutzrecht kommt der Verdacht auf, der Konsumbürger werde als "mündiges Großkind" behandelt und genieße einen überzogenen Schutz506 • In der Literatur wurde deshalb ausdrücklich gewarnt vor einer zu weit gehenden Ausdehnung des festgestellten gesetzlichen und gerichtlichen Schutzes 507 . Die Gefahren dieser zu weit führenden Ausdehnung müssen hier näher untersucht werden. 1. Nachteiliger Schutz
Ein so weit verzweigter staatlicher Einfluß auf den Inhalt von Verträgen kann zum einen dazu führen, daß die Vertragsfreiheit in ihr Gegenteil verkehrt wird, d. h. der zu Schützende erleidet gerade durch den erlassenen Schutz gewisse Nachteile. Im Arbeitsrecht kann beispielsweise ein zu weitgehender Schutz der Arbeitnehmer dazu führen, daß ein Arbeitgeber von NeueinsteIlungen absieht508 . Die Erklärung der Unwirksamkeit einer Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Bank, die bestimmte Gebühren für eine Leistung vorsieht, kann dazu führen, daß die Bank an anderer Stelle Gebühren erhebt, die unter Umständen höher ausfallen. Weiterhin besteht die Gefahr, daß Banken nach Beobachtung insbesondere der Zivilurteile und nach Verhandlungen mit Rechtsschutz- und Kreditausfallversicherungen die Konditionen erhöhen, so daß bestimmte Personen überhaupt keinen Vertrag mehr angeboten bekommen509 . Aus der angestrebten Möglichkeit zur Selbstbestimmung kann dann eine Fremdbestimmung des schwächeren Vertragspartners werden, die darin liegt, daß er bestimmte Verträge selbst unter ausreichender Abwägung aller dafür und dagegen sprechender Gründe nicht abschließen kann. Er wird dann gerade durch die Schutzmaßnahmen in seinem Recht auf Vertragsfreiheit verletzt und kann dabei auch von dem geltenden Prinzip der Selbstverantwortung keinen Gebrauch machen. Man kann auch wie Adomeit davon sprechen, daß der Schutz des Schwächeren der Ruin des Schwächeren ist 510.
506 Honsell: Anmerkung zu BGH Urteil vom 19.1.89, AZ IX ZR 124/88, JZ 89, 494ff. (495). 507 Zöllner: Zivilrechtswissenschaft und Zivilrecht im ausgehenden 20. Jahrhundert, AcP 188 (1988) 85 ff. 508 Dazu Reuter: Reichweite und Grenzen des Bestandsschutzes von Arbeitsverhältnissen, Ordo 33 (1982), S. 165ff.; derselbe: Grundlagen des Kündigungsschutzes - Bestandsaufnahme und Kritik, FS 25 Jahre BAG, S. 405 ff. 509 So Adomeit: Die gestörte Vertragsparität - ein Trugbild?, NJW 94, 2467 ff. (2469). 510 Adomeit: Die gestörte Vertragsparität - ein Trugbild?, NJW 94, 2467 ff. (2469).
§ 9 Schlußbetrachtung
219
2. Überdehnung des Schutzes Weitere Folge kann sein, daß von dem grundsätzlich gerechtfertigten Schutz tatsächlich in zu großem Maße Gebrauch gemacht wird. Im Mietrecht ist eine so starke Ausdehnung des Schutzes teilweise bereits geschehen 511 • Hier hat der Gesetzgeber ein weitverzweigtes Netz von Vorschriften zum Schutze des Mieters gesponnen. Dieses kann dazu führen, daß dem Vermieter eigene Nutzungsrechte verwehrt werden oder er aufgrund des Dauerschuldcharakters des Mietverhältnisses einen Mieter über längere Zeit hinweg als Vertragspartner dulden muß, den er sich später nicht mehr ausgesucht hätte. Dies erscheint so lange gerechtfertigt, als der Wohnungsmarkt zulasten der Mieter unausgeglichen ist. Schlägt dies aber um in eine Lage, in der ein Überangebot an Wohnungen herrscht, dann kann ein zu weit gehender Schutz des Mieters die Rechte des Vermieters unter Umständen ohne Rechtfertigung stark beeinträchtigen. Im Arbeitsrecht wurden weiterhin nach Adomeit die durch ihre große Mitgliederzahl starken Gewerkschaften durch das BAG unter Anwendung des Paritätsgedankens zu "kleinen, verhandlungsschwachen und schutzbedürftigen Organisationen" und standen somit unter dem besonderen Schutz der Gerichte512 • Geht der Schutz des schwächeren Vertragspartners so weit, daß dadurch ein Nachteil des anderen Vertragspartners entsteht, dann wird dieser in seinem Recht auf Vertragsfreiheit beschränkt. Doch genießt er ebenfalls einen verfassungsrechtlichen Schutz, den er auch geltend machen kann. 3. Zurückdrängung der Selbstverantwortung Weiterhin besteht eine Gefahr für die Vertrags freiheit darin, daß der gewährte Schutz des schwächeren Vertragspartners über den erforderlichen Umfang hinaus beansprucht wird und damit ebenfalls sein Zweck verfehlt wird. Gerade durch die vielschichtigen gesetzlichen und gerichtlichen Aktivitäten wird ein so weit gehender Schutzapparat aufgebaut, daß daraus insbesondere eine zu große Anspruchshaltung der Bürger entstehen kann 513 . Diese kann zur Folge haben, daß die erforderliche Selbstverantwortung von Anfang an außer acht gelassen wird, da der Staat ja schon für einen möglicherweise erforderlichen Ausgleich der vertraglichen Interessen sorgen werde. So werden beispielsweise Allgemeine Geschäftsbedingungen, die einseitig einem Vertrag zugrunde gelegt werden, in den wenigsten Fällen Dazu Honsell: Privatautonomie und Wohnungsmiete, AcP 186 (1986) 115 ff. So Adomeit: Die gestörte Vertragsparität - ein Trugbild?, NJW 94, 2467 ff. (2468). 513 Dazu auch v. Hippel: Herausforderungen der Rechtswissenschaft, JZ 98, 529 ff. (530). 511
512
220
2. Teil: Grundlagen und Grundfragen der Vertragsfreiheit
von den Kunden gelesen. Man vertraut auch in Fällen, in denen in bestimmten Grenzen eine eigene Klauselkontrolle möglich wäre, darauf, daß die Rechtsordnung mit Hilfe des AGB-Gesetzes über deren Rechtmäßigkeit wacht. Das Recht auf Vertragsfreiheit erfährt dann nicht mehr die erforderliche Begrenzung durch die Selbstverantwortung. Die Ansprüche gehen damit im Ergebnis über die Pflicht des Staates zur Gewährleistung des Rechts auf Vertrags freiheit hinaus. 4. Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Schutz und Selbstverantwortung Fraglich ist deshalb, in welchem Verhältnis der Schutz der schwächeren Vertragspartei zur Selbstverantwortung des Einzelnen steht. Schünemann vertritt die Ansicht, der mündige Bürger müsse die Verantwortung für sein rechtsgeschäftliches Handeln in vollem Umfang übemehmen 514 . Dabei erklärt er sogar den Wucherparagraphen § 138 Abs. 2 BGB für nicht systemkonform. Dies ist sicherlich eine Extremmeinung, die sonst in dieser Form nicht mehr vertreten wird. Sie klang allerdings im Einzelfall (bei der Bürgschaft naher Angehöriger) im 9. Senat des BGH ebenfalls an 515 . Doch kann, wie gesehen516 , der Schutz des schwächeren Vertragspartners aus dem Gesamtgefüge der Verfassung als Pflicht der Gerichte und des Gesetzgebers hergeleitet werden. Das reine Abstellen auf die Selbstverantwortung des Einzelnen für die Ingebrauchnahme seines Rechts auf Vertragsfreiheit würde damit der Verfassung widersprechen. Auch Zöllner51 ? fordert, ohne jedoch den Schutz des Schwächeren als solchen in Frage zu stellen, eine schärfere Erfassung der Frage, wer in welcher Hinsicht und unter welchen Voraussetzungen schwach oder schwächer ist, und inwieweit das Privatrecht darauf Rücksicht nehmen kann 518 . Erster Schritt muß deshalb die Feststellung sein, daß dem Recht auf Vertrags freiheit einer Partei durch die Übermacht der anderen Partei nicht genüge getan wird. Es müssen damit erst einmal die Voraussetzungen der Schutzpflicht bejaht werden, bevor ein EinSl4 Schünemann: Mündigkeit versus Schutzbedürftigkeit, FS Brandner, S. 279ff. (286ff.). m Beispielsweise in BGH WM 91, 1154ff. (1157). Der BGH lehnte einen Schutz des Bürgen kategorisch mit der Begründung ab, Vertrag sei Vertrag. Ein Volljähriger müsse grundSätzlich an den von ihm geschlossenen Vertrag gebunden sein. Sl6 Siehe § 6 III. m Zöllner: Zivilrechtswissenschaft und Zivilrecht, AcP 188 (1988) 85 ff. (92 ff.). Sl8 Zöllner: Zivilrechtswissenschaft und Zivilrecht im ausgehenden 20. Jahrhundert, AcP 188 (1988) 85 ff. (99).
§ 9 Schlußbetrachtung
221
greifen verlangt werden kann. Die Schutzpflichten werden, wie gesehen519 , durch das Prinzip der Rechtssicherheit sowie die Bedingung einer ungewöhnlichen Belastung bereits begrenzt. Liegt eine zu verfolgende Übermacht einer Vertragspartei nicht vor, dann müssen die Rechtsfolgen des rechtsgeschäftlichen Handelns durch die Rechtsordnung anerkannt werden. Besteht jedoch eine Schutzpflicht zugunsten der als schwächer zu bezeichnenden Vertrags partei , dann muß diese eine Begrenzung durch die Achtung der grundsätzlich anzuerkennenden Selbstverantwortung jedes Einzelnen finden.
519
Siehe § 7 IV 4.
Zusammenfassung 1. Die Rechtsordnung hat als wichtigstes Instrument zur Regelung der Angelegenheiten der Bürger untereinander die Privatautonomie insbesondere in Form der Vertragsfreiheit zur Verfügung gestellt. Die Privatautonomie gewährt den Bürgern grundsätzlich die Möglichkeit, ihre eigenen privatrechtlichen Angelegenheiten nach ihrem eigenen Willen und in eigener Verantwortung zu regeln. Wichtigstes Instrument ist dabei der Vertrag, bei dem sich mindestens zwei Parteien mit oft entgegengesetzten Interessen gegenüberstehen. Die Vertragsfreiheit beinhaltet ebenfalls die Möglichkeit, einen nachteiligen Vertrag einzugehen. Dieser so geäußerte Wille wird durch die Rechtsordnung grundsätzlich als verbindlich akzeptiert, wenn er nicht gegen ein Gesetz verstößt!. 2. Das Bürgerliche Gesetzbuch basierte auf einem liberalen Grundverständnis, das an Stelle von staatlichem Zwang von der individuellen Freiheit jedes Bürgers ausging. Das grundSätzliche Gleichgewicht zwischen den einzelnen Vertragspartnern sollte, so Schmidt-Rimpler, automatisch zu einem Interessenausgleich führen. Die Frage nach einer Vertragsgerechtigkeit wurde nicht gestellt. Diese Idealvorstellung, die keinerlei sozialrechtliche Schranken beinhaltete, wurde deshalb schon frühzeitig insbesondere von von Gierke heftig kritisiert. Aufgrund der Kritik an dem ersten Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches wurden zwar einige Veränderungen insbesondere im Mietvertrags- und Arbeitsrecht vorgenommen, ein weitreichender Schutz des schwächeren Vertragspartners fand allerdings nicht statt. Durch den offenen Tatbestand der Generalklausein wurde allerdings schon der Grundstein gelegt für eine richterliche Korrektur von Vertragsinhalten 2 • 3. Das Schrifttum vertrat zunächst die dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrundeliegende formale Vertragsfreiheit. Erst nach dem 1. Weltkrieg begann die Problematisierung einer erforderlichen Sozialisierung des Privatrechts, um den wirtschaftlich Schwachen vor einem Mißbrauch der Vertragsfreiheit durch den stärkeren Vertragspartner zu schützen. Der Gesetzgeber schuf daraufhin insbesondere im Miet- und Arbeitsrecht zwingende Gesetze, die teilweise im Bürgerlichen Gesetzbuch integriert, teilweise in 1 2
Einleitung. § 1.
Zusammenfassung
223
Sondergesetzen festgehalten wurden. Ab den 70er Jahren folgte eine Reihe von verbraucherschützenden Vorschriften. Sie dienen dem Ausgleich eines Ungleichgewichts zwischen den Vertragsparteien 3 . 4. Die Gerichte nehmen seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches immer häufiger durch eine Inhaltskontrolle Einfluß auf den Inhalt eines Vertrages, wenn die eine Vertragspartei bei Abschluß des Vertrages nicht in dem erforderlichen Umfang von ihrem Recht auf Vertragsfreiheit Gebrauch machen kann. Sie bedienen sich zur Durchführung dieser Inhaltskontrolle neben der Auslegung bestehender Normen insbesondere der Konkretisierung der Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuches, die eine Legitimation zur Rechtsfortbildung beinhalten. Dabei wurden im Laufe der Zeit bestimmte Fallgruppen herausgebildet, in denen besonders häufig eine Ungleichgewichtslage zwischen den Vertragsparteien durch die Gerichte festgestellt werden mußte. Dazu gehören insbesondere die Bereiche des Wohnungsmiet- und des Arbeitsrechts, sowie der Bereich der Nutzung Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Die gerichtlichen Entscheidungen zur Schaffung von mehr Vertragsgerechtigkeit orientieren sich dabei besonders an den Wertungen des dispositven Rechts. Die Rechtsprechung auf dem Gebiet der Bekämpfung des Mißbrauchs Allgemeiner Geschäftsbedingungen mündete in den Erlaß des AGB-Gesetzes4 . 5. Eine weiterreichende Vertragskontrolle führte zunächst der Gesetzgeber durch, indem er die Art und Weise des Zustandekommens eines Vertrages als ausschlaggebend für dessen Nichtanerkennung ansieht. Dies geschieht durch das Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften. Darin wurden Fallgruppen festgeschrieben, die auf eine Überrumpelung der einen Vertragspartei schließen lassen. Aus dem gleichen Schutzgedanken heraus entstand die Regelung des § 13a UWG. Die gesetzlichen Regelungen billigen der einen Vertrags partei ein Recht zum Widerruf bzw. ein Rücktrittsrecht zu, wenn im Rahmen der Vertragsverhandlungen die anbietende Vertragspartei eine Lage schafft, die zu einem Ungleichgewicht zwischen den bei den Parteien führen kann, durch das die unterlegene Partei in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt wird. Auf den Inhalt des Vertrages kommt es dabei nicht an. Einen ähnlich gelagerten Schutzzweck verfolgen die Gerichte. Das Bundesverfassungsgericht hat die Gerichte durch seine Handelsvertreter- und Bürgschaftsentscheidung zur Vertragskorrektur durch die Konkretisierung der §§ 138, 242 BGB aufgefordert, um einen Ausgleich für eine gestörte Vertragsparität zu schaffen. Da jeder von seinem Recht auf Privatautonomie 3 4
§ 2. § 3.
224
Zusammenfassung
Gebrauch machen könne, dürfe nicht das Recht des Stärkeren gelten. Wenn eine typisierbare Fallgestaltung vorliege und der Vertrag ungewöhnlich belastend sei, müsse von einer Fremdbestimmung gesprochen werden, die von der Rechtsordnung so nicht hingenommen werden dürfe. In diesen Fällen kommt es neben dem Inhalt des Vertrages entscheidend auf die Art und Weise seines Zustandekommens an, die dazu führt, daß die eine Partei von ihrem Recht auf Vertragsfreiheit keinen Gebrauch machen konnte. Auf der Grundlage dieses Beschlusses wurden eine Reihe von Folgeentscheidungen insbesondere durch den BGH getroffen. Der BGH verlangt in einer seiner letzten Entscheidungen die Festschreibung eines beschränkten Haftungszweckes in einem Bürgschaftsvertrag, der nach dem 1.1.1999 geschlossen wird. Somit kann ein solcher Vertrag nicht mehr alleine unter Verweis auf den Schutz vor Vermögensverlagerungen oder der Möglichkeit des Zugriffs auf zukünftiges Vermögen als wirksam angesehen werden. Wird dieser Zweck festgeschrieben, dann kann der Bürgschaftsvertrag als gültig angesehen werden, da dann das Recht auf Vertragsfreiheit aller Vertragspartner gewahrt wird. Ein Rückgriff auf § 242 BGB im Falle einer Scheidung der Ehegatten oder bei Nichtanfall einer Erbschaft ist damit überflüssig geworden. Ohne diese Zweckfestschreibung muß der Vertrag grundsätzlich als nichtig i. S. d. § 138 Abs. 1 BGB angesehen werden. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann auch auf andere Vertragsarten ausgeweitet werden, so beispielsweise auf einen Schuldbeitritt. Weiterhin sind Parallelen in der Fällen einer Vorfälligkeitsentschädigung erkennbar5 . 6. Die Literatur versuchte, die Veränderungen im Bereich des Vertragsrechts durch Rechtsprechung und Gesetzgebung zu würdigen. Dabei sprach man insbesondere in den 70er Jahren von einer Krise des liberalen Vertragsdenkens. Da so gut wie nie ein Gleichgewicht zwischen den Vertragsparteien bestehe, könne man nicht mehr von einer bestehenden Vertragsfreiheit sprechen. Daraus leiteten einige Autoren eine Änderung der Vertragsfreiheit hin zu einer sich aus dem Vertrag ergebenden Sozialpflicht ab. Doch wurde daneben versucht, der Vertrags gerechtigkeit mehr Gewicht zu verschaffen. Dabei wurde die Vertragsfreiheit als solche beibehalten, das Verständnis über ihren Inhalt änderte sich jedoch. Inzwischen droht der Vertragsfreiheit eine neue Gefährdung, die aus der entgegengesetzten Richtung kommt. Ein zu starker Schutz des schwächeren Vertragsteils könnte nach einigen Autoren ebenfalls eine Gefahr für die Vertragsfreiheit darstellen 6 • 7. Die Vertragsfreiheit, die noch in der Weimarer Reichsverfassung namentlich benannt wurde, wird im heutigen Grundgesetz nicht mehr aus5 6
§ 4. § 5.
Zusammenfassung
225
drücklich erwähnt. Doch ist nahezu unbestritten, daß sie verfassungsrechtlich gewährleistet wird. Das Recht auf Vertragsfreiheit ergibt sich insbesondere aus Art. 2 Abs. 1 GG, aber auch aus den besonderen Grundrechten der Art. 9, 12 und 14 GG. Aus der Vertragsfreiheit als Rechtsinstitut ergeben sich subjektive Rechte der Bürger auf Schaffung und Sicherung von Kompetenznormen durch die Rechtsordnung zur Gewährleistung des Rechts. Das Recht auf Vertragsfreiheit wird dabei durch immanente Schranken ausgestaltet, die sich aus der Verfassung als Wertordnung ergeben. Insbesondere die mietrechtlichen, arbeitsrechtlichen und verbraucherschützenden Vorschriften dienen damit nur der Erfüllung der Pflicht, Kompensationsmittel zur Verfügung zu stellen, damit jede Person ihr Recht auf Vertragsfreiheit wahrnehmen kann 7 . 8. Die Literatur hat auf vielfältige Weise versucht, die fehlende Selbstbestimmung einer Vertragspartei zu untersuchen. Teilweise ging man dabei von dem Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern aus. Dabei wurde zwischen verschiedenen Personengruppen und Vertragsarten unterschieden oder auf die wirtschaftliche und intellektuelle Unterlegenheit einer Partei abgestellt. Doch konnte durch das Abstellen auf ein paritätisches Verhältnis zwischen den Vertragsparteien keine Lösung des Problems gefunden werden. Statt dessen regte man an, den positiven Gehalt der Vertragsfreiheit herauszuarbeiten. Andere Autoren stellten alleine auf den Vertragsinhalt ab. Dieser müsse dem Schutzgehalt des zwingenden Rechts entsprechen. Dabei komme es auch auf die Gewichtigkeit der Rechtsgüter an. Zur Lösung des Problems sollten spezielle Fallgruppen gebildet werden, bei denen ein angemessener Interessenausgleich ermittelt werden müßte. Doch wurden auch hierbei keine konkreten Ergebnisse gefunden8 . Betrachtet man die bestehende Rechtslage, so kann man drei Fallgruppen erkennen, in denen die Rechtsordnung ein Eingreifen zugunsten des schwächeren Vertragspartners für erforderlich ansieht. In der einen Gruppe wird nur auf das Bestehen eines Ungleichgewichts abgestellt, in einer weiteren alleine auf den Inhalt des Vertrages. Die dritte Gruppe stellt auf ein Ungleichgewicht und auf den Inhalt ab. Allen Gruppen liegt zugrunde, daß die Selbstbestimmung des Einzelnen zu einer Vertragsgerechtigkeit führen sollte. Ein Ungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien führt jedoch in den meisten Fällen zu einer Fremdbestimmung und damit zu einem nachteiligen Vertragsinhalt. Doch muß die Rechtsordnung nicht in allen Fällen Kompensationsmittel zur Verfügung stellen. Die Rechtssicherheit verlangt, daß nur in typisierbaren Gruppen ein Schutz der schwächeren Vertragspartei gewährt wird. Hier spielt der Grundsatz der Vertragstreue eine Rolle. Die Rechtssi1 8
§ 6. § 7 11, III.
IS Knobel
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cherheit führt damit zu einer Einschränkung der materiellen Vertragsgerechtigkeit9 . Die Rechtsfolgen bei festgestellter Verletzung des Rechts auf Vertragsfreiheit sind vielfältig. Sie reichen von der Gesamtnichtigkeit des Vertrages bis hin zur Teilnichtigkeit. Im letztgenannten Fall wird entgegen § 139 BGB der wirksame Teil aufrecht erhalten, der nichtige fällt ersatzlos weg oder wird ergänzt. Zur Ergänzung bieten sich zunächst das zwingende und das dispositive Recht an, weiterhin eine Reduzierung des § 138 BGB und eine Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben des § 242 BGB IO • Die Restschuldbefreiung nach § 286ff. InsO stellt auf den ersten Blick eine elastischere Lösung (insbesondere der Bürgschaftsübernahmen durch nahe Angehörige des Hauptschuldners) als die Gesamtnichtigkeit des Vertrages gemäß § 138 BGB dar. Doch wird dabei nicht auf die Art und Weise des Vertragsschlusses abgestellt, der in den genannten Bürgschaftsfällen gerade zu der Bejahung einer Sittenwidrigkeit des den Bürgen kraß überfordernden Vertrages führt. Weiterhin bringt die Benennung des Zweckes der Bürgschaftsübernahme in dem Vertrag selber ebenfalls eine praktikable Lösung. Ein angemessener Schutz ist damit schon über das materielle Recht erreichbar)). Man kann inzwischen wohl von einem zivilrechtlichen Institut einer Vertragsberichtigung sprechen, das Ausfluß der verfassungsrechtlich garantierten Vertragsfreiheit ist 12 • 9. Das Recht der Europäischen Union hat in den letzten 20 Jahren einen entscheidenden Einfluß auf die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten erlangt. Die Europäische Gemeinschaft hat insbesondere im Bereich des Vertragsrechts (hier häufig auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes) von ihrer Rechtsetzungsbefugnis Gebrauch gemacht, um die im EG-Vertrag festgelegten Ziele, insbesondere die Verwirklichung eines Gemeinsamen Marktes zu erreichen. Die Europäische Gemeinschaft wurde meist in Form von Richtlinien tätig, die von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen. Beachtet werden muß, daß auch auf europäischer Ebene ein Grundrechtsschutz besteht, der das Recht auf Vertragsfreiheit einschließt. Das ergibt sich aus der der Europäischen Union zugrundeliegenden Marktund Wettbewerbswirtschaft. Die erlassenen Richtlinien werden nur noch an dem Europäischen Recht gemessen. Eine dabei mögliche Gefährdung der § 7 IV. § 7 V. 1I§7VI. 12 § 7 VII.
9
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Zusammenfassung
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nationalen Vertragsfreiheit erwächst allerdings nur aus einem zu weit gehenden Schutz insbesondere des Verbrauchers 13. 10. Eine bestehende Schutzpflicht des Staates unterliegt der Begrenzung durch das Prinzip der Selbstverantwortung, das dem Privatrecht zugrunde liegt l4 .
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14
15'
§ 8. § 9.
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Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts 15, 62, 80 ff., 125, 147, 151, 157ff., 162, 173 - Ausweitung auf andere Vertrags arten 96f.
- Gesetzliche 74ff.
Dispositives Recht, Wertungen als Maßstab 67ff., 137, 143f., 147
Abzahlungsgesetz 26, 28 f., 44 ff., 140
Drittwirkung der Grundrechte 124
Äquivalenzstörung 56, 61, 72, 90, 164, 170, 173
Einzelfallgerechtigkeit 158 ff.
Allgemeine Geschäftsbedingungen 59, 63ff., 67, 99, 102, 146, 151, 157, 162, 164f., 168, 176, 212f. - Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen 210 ff. Angemessenheitskontrolle 53 Arbeitsrecht 26 f., 29f., 35, 38 ff., 99 f., 150, 154ff., 165f., 170, 173 - auf europäischer Ebene 202 f., 213 ff. - Individualistisches 39, 41
Entscheidungsfreiheit 72ff., 75, 78, 85, 90, 132 ff., 137, 204, 206 f., 208 Erbschaft des Bürgen 92 f. Familienrechtliche Rücksichtnahmepflichten 84 f., 90 Fernabsatzrichtlinie 209 Fernunterrichtsschutzgesetz 50 f. Freiheitsgedanke 20 ff.
- Kollektives 40f., 42
Fremdbestimmung 65 f., 80, 82 f., 90, 94, 98, 10 I, 135, 210
- Nationalsozialistisches 41 f.
Fürsorgepflicht 62
Aufklärungsepoche 20 Aufklärungspflichten 70, 81, 139
Geschäftsgrundlage 56
Aufwertungsrechtsprechung 56
Geschäfts(un)fahigkeit 22, 29, 118, 128, 178
Auskunftspflichten 176ff.
Gierke, Otto von 25 Betriebsübergangsrichtlinie 213 ff.
Grundrechtsschutz, europäischer 193 ff.
Billigkeitskontrolle 52 f., 61 f. Bürgschaftsentscheidungen des Bundesgerichtshofes 81 f., 84 ff.
Haftungszweck, beschränkter 89, 91 f., 94
Sachwortregister Handelsvertreterentscheidung des Bundesverfassungsgerichts 80, 125
Mietwucher 58, 171 f.
Harmoniegedanke 21, 39
Monopolrechtsprechung 64 ff.
Haustürwiderrufsgesetz 74 ff., 149, 153f., 162, 191 - Richtlinie 208 Industrialisierung 22 Informationsdefizite 132, 138 f., 208 f. Informationsmodell 138 Informationspflichten 123, 192 Inhaltsbegrenzung, immanente 62 Inhaltsfreiheit 18, 128, 135 Inhaltskontrolle: - bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen 63 ff.
Monopol 135
Naturrecht 17,54 Privatautonomie 17 f. Rechtsetzung durch EU 189ff. Rechtsfortbildung 71 Rechtsmißbrauch 57, 71 Rechtssicherheit 156ff. Rechtsstaatsprinzip 124, 156 Reisevertragsrecht 48 ff., 191 - Richtlinie 208
- Arbeitsrechtliche 61 ff., 136ff., 144f.
Restschuldbefreiung 183 ff.
- Begriff 51 ff.
- Beschränkung 24, 28
- Europäische 212
- Definition 23, 131
- durch Anwendung der GeneralklauseIn 53 ff., 146
- Immanente 25
- Gerichtliche 31,33,51 ff., 146, 155 - Mietrechtliche 57 ff. Interessenausgleich, vertraglicher 26, 126, 132 Kant - formale Freiheitsethik 27 Konsumentenkredit 47 Kontrahierungszwang 32
243
Richtigkeitsgewähr Schmidt-Rimplers:
Scheidung des Bürgen 93 Schuldbeitritt, Mithaftung 97 Selbstbestimmungsrecht 17 ff., 23 f., 68,129, 132ff., 145, 151 f., 217ff. - Ersatz durch zwingendes Recht 135 Selbstverantwortung 20, 134f., 142, 178, 210, 216ff. Sittenverstoß 22, 33 Sittenwidrigkeit 71, 76 f., 150 f., 162
Liberalismus 20f., 30, 39
- Transformationsfunktion des § 140 BGB 73
Marktregulierung, natürliche 21
Sittliche Freiheit 21
Marktwirtschaft 21 f.
Sozial auftrag der Verfassung 119 f., 124
Mietrecht 29, 35 ff., 44, 57 ff., 99, 150, 154ff., 164, 170f. 16·
Sozialcharta der EG 202 f.
244
Sachwortregister
Soziale Frage 25 f., 31 f.
- Inhalt 150
Soziales Recht 99 f.
- Korrigierter 32 f.
Sozialmodell, liberales 138
- Mechanismus 23 f.
Sozialpolitik, europäische 202 f.
- Nachteiliger 19, 23
Sozialstaatsprinzip 80, 119, 123, 175
- Nebenpflichten 71 - Ordnungsfunktion 131
Teilzeitnutzungsrecht - Richtlinie 209 Treu und Glauben 32, 55f., 59, 61 f., 68, 70f., 86, 150, 175ff. Ungleichgewichtslage: - Feststellung 130 ff.
Vertragsberichtigung als zivilrechtliches Institut 188 f. Vertragsfreiheit: - Ausgestaltung, allgemeine 122 ff., 127
- Typische 96
- Ausgestaltung auf europäischer Ebene 201 f., 2\0
Unterlegenheit, intellektuelle / wirtschaftliche 132, 136ff., 141, 152
- Ausgestaltung durch Gesetzgeber 34ff.,155 - Definition 18
venire contra factum proprium 175 f.
- auf europäischer Ebene 196ff.,201
Verbraucher:
- Formale 20, 98 f.
- Europäische Definition 204
- Gefährdung, europäische 2 \0 ff.
- Nationale Definition 46
- Gefährdung, nationale \03f.
Verbraucherkredit:
- Immanente Schranken 68, 71, 80, 117, 119, 12lf., 124f., 131
- Gesetz 47 - Richtlinie 47, 191, 208 Verbraucherschutz:
- Inhalt des verfassungsrechtlichen Schutzes 113 ff.
- Europäischer 192, 202, 204
- Kritik 25, 98 f.
- Geschichtliche Entwicklung auf europäischer Ebene 205 f.
- Liberale 167
- Nationaler 44ff., 138, 150
- Mißbrauch 27, 33
Verbraucherverbände:
- Neudefinition 103
- Klagerecht 102 - Musterprozeß \02 Verhandlungsstärke 129 ff. Vermögensverlagerung 88f.,91 Vertrag:
- Materielle 28ff., 152
- Positive / Negative 18 - Rechtsinstitut 107, 114, 132 - Schranken 107, 115ff., 131, 133, 140, 142
- Dogmatik 99, 135
- Sozialrechtliche Schranken 26, 32, 34, 120f.
- Freie Einigung 104
- als subjektives Recht 115
Sachwortregister
245
- Verfassungsrechtliche Garantie 82 ff., 106f., \09 ff.
- Geltungserhaltende Reduktion 163, l70ff.
- Verfassungsrechtliche Grundlagen 105 ff.
- Gesamtnichtigkeit 162 ff.
- Verfassungsrecht - Zivilrecht, Verhältnis 106f., \08 f., 115
- Vertragskorrektur 168 ff.
- Vemeinung des Verfassungsranges 1\0
- Teilnichtigkeit 164 ff. Vertrags(un)treue 16, 24, 160 Vertragsverzicht 142
- Verteidigung der liberalen Auffassung 60f.
Vorfälligkeitsentschädigung 97
Vertragsgerechtigkeit 22, 30, 52, 59, 63f., 68, 71, 98, IOlff., 126, 143ff.
Wegfall der Geschäftsgrundlage 85, 93
Vertragsparität, -imparität 149 f.
Werbung, irreführende 77, 207
- Definition 142
Wertordnung der Verfassung 80, 123
- Fallgruppen I Typisierung 147, 150f., 153, 157ff., 159
Wettbewerb 130ff., 135f., 138, 141, 143f., 172
Vertragspflichten als Sozialpflichten 99
- UW-Gesetz 77ff., 154, 162
Vertragsrecht auf europäischer Ebene 190ff.
Wettbewerbs schutz 78
Vertragsungleichgewicht, Rechtsfolgen: - Ergänzende Vertragsauslegung 182f. - Ergänzung durch bestehende Gesetze 169
Wirtschaftsliberalismus 27 f. Zinswucher 26,29,91 Zwangslage 83 f., 87, 90, 92, 96